Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke . Erste Abtheilung. Fünfter Band . Stuttgart und Augsburg. J. G. Cotta’scher Verlag . 1859. Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke . Erste Abtheilung. Fünfter Band . Stuttgart und Augsburg. J. G. Cotta’scher Verlag . 1859. Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke . 1802. 1803. Stuttgart und Augsburg. J. G. Cotta’scher Verlag . 1859. Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg. Vorwort des Herausgebers. Der gegenwärtige Band ist unter den bisher erschienenen der erste, welcher eine größere noch unbekannte Arbeit Schellings aus der älteren Zeit veröffentlicht, die Philosophie der Kunst. Ich be- gleite sie mit einigen Bemerkungen. Zuerst mit der, daß die Philo- sophie der Kunst zu den andern in diesen Band aufgenommenen Schriften Schellings theilweise im Verhältniß der früheren Abfassung zu stehen und für diese als Concept und Material gedient zu haben scheint. So z. B. der achten und neunten Vorlesung in der (erst nach dem ersten Vortrag der Philosophie der Kunst gedruckten) Methode des akademischen Studiums, welche von der historischen Construktion des Christenthums und dem Studium der Theologie handeln, lag offenbar die Philosophie der Kunst als Concept zu Grunde, denn jene können als ein Auszug aus dieser angesehen werden. Die vierzehnte Vorlesung über die Wissenschaft der Kunst ist sogar ein fast wörtlicher Abdruck aus der Einleitung in die Philo- sophie der Kunst, vielleicht wurde sie erst bei der Herausgabe der Methode den übrigen Vorlesungen hinzugefügt (vgl. S. 357, Anm.). Ganz das Gleiche ist der Fall mit dem Aufsatz über Dante im Kritischen Journal Bd. 2, Stück 3; auch dieser ist ein beinahe wörtlicher Abdruck aus der Philosophie der Kunst; die kleinen Ab- weichungen sind von der Art, wie sie die unbedeutende Ueber- arbeitung eines schon Fertigen mit sich bringt: kleine Ueberflüssig- keiten wurden weggestrichen, verschiedene Sätze anders gestellt, einige weitere Belegstellen aus Dante ausgelassen. Aber auch der Inhalt jener beiden Abhandlungen im Kritischen Journal: Ueber das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt und ihr Verhältniß zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere und Ueber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt, weist sehr bestimmt auf die Philosophie der Kunst zurück. Bekanntlich waren beide Abhandlungen bereits in Hegels Werke aufgenommen, als Schelling erklärte, die zweite habe ihn ausschließlich zum Verfasser, die erste aber, welche zugleich als Einleitung in das mit Hegel gemeinschaftlich herausgegebene Kritische Journal der Philosophie diente, sey zum Theil von diesem ge- schrieben. S. Literarischer Anzeiger 1838, Nr. XXXXV. Diese Erklärung Schellings hielt einige nicht ab, dennoch darauf zu bestehen, auch die Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt sey Hegelschen Ursprungs. Die völlige Nichtigkeit der meisten hiefür vorgebrachten Gründe ist schon von andern nachgewiesen worden, früher von Erdmann Die Entwicklung der deutschen Speculation seit Kant, 2. Theil, S. 693. zuletzt von Haym. Hegel und seine Zeit, S. 156 und S. 495, Anm. 8. Durch die Philosophie der Kunst aber wird Schellings Autorschaft vollends so augenscheinlich, daß sie auch ohne dessen persönliches Zeugniß nicht mehr bezweifelt werden könnte. So vergleiche man z. B. mit dem Eingang jener Abhandlung (S. 106) die Philosophie der Kunst S. 365 ff., woselbst namentlich auch der jener Abhandlung eigenthümliche Ausdruck ideelle Be- stimmungen (zu unterscheiden von dem andern von Hegel, wie von Schelling, gebrauchten Ausdruck ideelle Bestimmtheit ) vorkommt und ausführlich erklärt wird. Im Weitern bildet die Philosophie der Kunst in dem hieher gehörigen Abschnitt des allge- meinen Theils eine fortlaufende Parallele und eine Art Commentar zu besagter Abhandlung, weßhalb ich auch die durch diesen ganzen Band hindurchlaufenden Citate von einzelnen Parallel-Stellen und -Ausdrücken für dieselbe in die Philosophie der Kunst hinein nicht mehr fortgesetzt habe. Um nur Einiges anzuführen, so heißt es z. B. in der Abhandlung S. 119, Z. 7 v. o.: „Faßt man die griechische Mythologie bloß von der endlichen Seite auf, so erscheint diese durchaus bloß als ein Schematismus des Endlichen oder der Natur; nur in der Einheit ꝛc. ist sie symbolisch.“ Eine Parallele hiezu, beziehungsweise eine Erklärung findet sich Philosophie der Kunst S. 408, Z. 15 ff. v. u., verglichen mit der kurz vorher gegebenen Auseinandersetzung des Unterschieds von Schematismus und Symbolik. Ein anderer einzelner und zugleich dunkler Gedanke in der Abhandlung S. 108, Z. 15 v. o. ist: „die Poesie, solange sie noch nicht Sache der Gattung oder wenigstens eines ganzen Ge- schlechts ꝛc.“ Man vergl. übrigens schon System des transsc. Idealismus, S. 477 (Bd. 3, S. 629). Dieser findet sich ausführlich entwickelt in §. 42 der Philosophie der Kunst (S. 414) vgl. mit S. 438, Z. 6 ff. v. o. und S. 442, Z. 10 v. u. Ein allgemeinerer Gedanke, der, daß alle Entgegengesetzten es aufhören zu seyn, sowie jedes für sich in sich absolut ist, S. 119, Z. 5 v. u. findet seinen wiederholten Ausdruck und seine Anwendung durch die ganze Philosophie der Kunst hindurch und erscheint als ein dem Schellingschen Philosophiren eingeborener Gedanke; man vergleiche z. B. S. 449, Z. 5 ff. v. o., ferner S. 470, Z. 12 ff. v. u., sowie die ganze Seite 475. Eben jener Satz aber (S. 119, Z. 5 ff. v. u.) hat seinem übrigen Inhalt nach eine vollständige Parallele in S. 448, Z. 13 ff. v. o. Aber auch über die Abfassung der Einleitung ins Kritische Journal (Ueber das Wesen der philosophischen Kritik ꝛc.) gewährt der handschriftliche Nachlaß einen sehr bestimmten Aufschluß. Schelling hatte sich über seinen Antheil an derselben bloß im Allgemeinen geäußert: „Viele Stellen, die ich jedoch im Augenblick nicht näher zu bezeichnen wüßte, sowie die Hauptgedanken sind von mir; es mag wohl keine Stelle seyn, die ich nicht wenigstens revidirt.“ Diese Stellen lassen sich nun wirklich mit Hülfe des handschrift- lichen Nachlasses annähernd bezeichnen und die Hauptgedanken sich auf Schelling zurückführen. Z. B. der S. 7 ausgesprochene Ge- danke der Identität der absoluten Form mit der Formlosigkeit findet sich ausführlicher Philosophie der Kunst S. 465 und wiederholt angewendet S. 470, Z. 8 ff. v. o. Ein Passus S. 8 handelt von der Besonderheit, die sich für Originalität halte, die Philo- sophie der Kunst S. 456 aber ( cf. S. 447, Z. 14 v. o.) gibt an, worin der Unterschied der Originalität von der Besonderheit bestehe. Ziemlich im Anfang der Abhandlung (S. 4) heißt es: „daß die Philosophie nur Eine ist, und nur Eine seyn kann, beruht darauf, daß die Vernunft nur Eine, und sowenig es verschiedene Vernunften geben kann, ebensowenig kann sich zwischen die Vernunft und ihr Selbsterkennen eine Wand stellen u. s. w.“ Nun liegt das Frag- ment einer Vorlesung aus dem Jahr 1803 vor mir, welche von der Idee der universellen Philosophie handelt. Hier sagt Schelling in einer auch sonst der Aufbewahrung nicht unwerthen Stelle: Daß diese Idee der universellen Philosophie sich in den späteren Zeiten wissenschaftlich mehr oder weniger verlor, dieß erhellt freilich deut- lich aus den letzten Regungen im Gebiete dieser Wissenschaft. Kant hat in die einzelnen Sphären der Philosophie — in die theoretische, wie in die praktische — den ersten Keim einer künftigen die ganze Wissenschaft betreffenden Revolution geworfen, aber er selbst ist nicht bis zu dem Central- punkt vorgedrungen. Er statuirt so viele verschiedene Vernunften, als er verschiedene Kritiken geschrieben hat, und wie in einem bekannten Epigramm einige Kunstrichter, die von verschiedenen Geschmäcken redeten, gefragt wurden: wo dieser Geschmäcke Geschmack sey, so könnte man wohl Kant fragen: Wo ist dieser Vernunften Vernunft? — Fichte hat es ausdrücklich als seine Absicht erklärt, der theoretischen und praktischen Vernunft ein gemeinschaftliches wissenschaftliches Princip zu geben, allein der eigentliche Indifferenzpunkt beider liegt bei ihm zuletzt nicht im Wissen, sondern im Glauben, und der Gegensatz beider Seiten der Philosophie wird dadurch aufgehoben, daß die eine der anderen untergeordnet und aufgeopfert ist. Sollten nun nicht diese beiden Stellen aus Einer Feder geflossen seyn? und sollte nicht schon die jenen Worten der Abhandlung voran- gehende Zusammenstellung der philosophischen Kritik mit der Kunst- kritik eher auf Schelling als auf Hegel hinweisen? — Ein Gedanke, der in der Methode des akademischen Studiums (S. 273), in der Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt (S. 116) und in der über das Wesen der Kritik S. 15 gleichmäßig sich findet, ist: daß in Cartesius der Dualismus in der neueren Cultur zuerst in wissenschaftlicher Form sich ausge- sprochen habe. Dieser also, sowie vielleicht auch der Tadel über Leibniz’ Theodicee (S. 14) als „ein Verfallen in die Unphilo- sophie“, wie es Schelling in einer im nächsten Band zu ver- öffentlichenden Darstellung der Leibnizischen Philosophie aus jener Zeit geradezu nennt, wird wohl Letzterem zuzuschreiben seyn. Citationen der Einleitung ins Kritische Journal in gelehrten Zeitschriften, wie z. B. Leipziger Literaturzeitung 1812, Nro. 90 (Recension von Schellings Schrift gegen Jacobi), zeigen, daß man früher nicht daran zweifelte, dieselbe enthalte nur Schellingsche Ge- danken. Doch läge hierin noch kein Beweis, so wenig als in Bach- manns Zeugniß für den Hegelschen Ursprung der Abhandlung über die Construktion in der Philosophie. Obwohl (um gleich auch die anderen aus dem Kritischen Jour- nal der Philosophie aufgenommenen Stücke durchzugehen) obwohl der Aufsatz: Rückert und Weiß oder die Philosophie, zu der es keines Denkens bedarf, in Hegels Werke nicht aufgenommen worden war, so wurden doch nachträglich Stimmen laut, welche ihn für diese in Anspruch nahmen. „Dieselbe leichte Ironie, mit welcher Hegel Krug abfertigte, dieselbe logische Bestimmtheit, derselbe Gang der Analyse walten auch hier.“ Man könnte billigerweise fragen, ob denn Schelling von diesen Eigenschaften so verlassen ge- wesen; man dürfte ferner nur z. B. auf die ebenfalls im Kritischen Journal erschienene, aber wohl deßhalb, weil sie im Notizenblatt steht, wenig oder gar nicht beachtete Villerssche Recension hinweisen, die an leichter Behandlung und logischer Schärfe der Rückertschen nichts nachgibt. Allein es bedarf dessen nicht, denn es ist ein äußerer, von allen subjektiven Ansichten unabhängiger Grund vorhanden, nach welchem der Verfasser jenes Aufsatzes kein anderer als Schelling ist. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß dieser das Notizenblatt im Kritischen Journal (S. 164 ff.) geschrieben hat, aus der Nro. 5 desselben aber (S. 181), in der Schellings Feder ganz besonders zu erkennen ist, folgt, daß der Verfasser der Rückertschen Recension und der Schreiber dieses Notizenblatts, da es einen Nachtrag zur ersteren enthält, einer und derselbe ist. Dieser Grund ist ganz entscheidend. Uebrigens finden sich auch noch andere einzelne An- zeichen ihres Schellingschen Ursprungs. Z. B. ein stehender Aus- druck im Kritischen Journal ist der: „Durchbruch“, „zum Durch- bruch verhelfen“ oder „zum Durchbruch kommen“; vgl. S. 7, Z. 11 v. o. in der schon als Schellingisch erkannten Stelle, S. 126, Z. 14 v. u., S. 187, Z. 12 v. u. Dieser Ausdruck findet sich hier zweimal S. 78 und S. 93. Der prägnante philosophische Gebrauch des Worts empfängt S. 92, Z. 1 v. u. ist gleich- falls ein zu jener Zeit Schelling eigenthümlicher und findet sich z. B. S. 212, Z. 18. v. o. (vgl. S. 140, Z. 3 v. o.) in diesem und S. 517, Z. 8 v. o., sowie S. 519, Z. 2 v. u. (Abh. über die Metalle) im vorhergehenden Band. Schellingisch wie nur irgend etwas ist der Satz S. 94: „jener Nothwendigkeit aber, welche nicht mit der Freiheit im Kampfe liegt, jener göttlichen, übersinnlichen, unbewegten, heiligen, die Schicksal heißt, sich zu unterwerfen, ist die Lehre jeder ächten Philosophie und die ein- zige Weisheit.“ Ganz ähnlich heißt es in einem Würzburger Manuscript: Dieß beruhigt uns, dieß erhebt uns auf immer über alle leere Sehn- sucht, Furcht und Hoffnung, zu wissen, daß nicht wir handeln, sondern daß eine göttliche Nothwendigkeit in uns handelt, von der wir zum Ziel getragen werden, und mit der nichts im Widerstreit stehen kann, was aus absoluter Freiheit folgt. Wenn endlich S. 87 Rückert vorgeworfen wird, er nehme den Idealismus auf den ganz gemeinen Standpunkt herunter, „wo jeder Taglöhner und Markthelfer auch steht“, so erinnert dieß an die Worte eines Briefs an Fichte Briefwechsel, S. 103. : „Kann ich dafür, wenn man mir keinen andern Begriff der Natur zuschreibt, als den jeder Che- miker und Apotheker auch hat.“ Man sehe auch das Citat S. 88. Den entschieden nicht-Hegelschen Ursprung der auch nicht in die Werke Hegels aufgenommenen Abhandlung über die Con- struktion in der Philosophie hat neuerdings Haym a. a. O. S. 213. und S. 503, Anm. 1. Auch von dem Aufsatz über Rückert und Weiß sagt Haym S. 502, Anm. 3, die Hegelsche Autorschaft des- selben sey mindestens zweifelhaft, aber es ist ein Widerspruch, wenn er denselben dennoch zur Charakteristik Hegels anwendet, wie dieß z. B. S. 185 geschieht. geltend gemacht, indem er vorzüglich den Satz heraus hebt, in welchem von der noch zu erwartenden Erfindung der „universellen Symbolik“ die Rede ist (S. 130, Z. 8 ff. v. o.). Zu diesem Ausspruch findet sich der Commentar in einem Abschnitt der Philosophie der Kunst (S. 446 ff.), wo Schelling die Frage beantwortet, ob es wohl möglich sey, aus der speculativen Physik den Stoff einer neuen Mythologie zu nehmen. Außerdem hat Haym unter anderem auf das Citat des Systems des transscendentalen Idealismus im Text und ohne Nennung des Verfassers (S. 138) hingewiesen, (mit welchem das ähnliche Citat in der Methode des akademischen Studiums, S. 290 zu vergleichen wäre). Allein viel entschei- dender als dieses Citat, ist die Aeußerung über seine sämmtlichen Schriften, welche S. 148, Z. 8 ff. v. u. steht, und wodurch sich Schelling geradezu als den Verfasser dieser Abhandlung bekennt. Im Uebrigen verweise ich auf die von mir durchgängig citirten vielen und auffallenden Parallelstellen aus allen gleichzeitigen Schriften Schellings, namentlich die von S. 252 bis 256 angeführten. Der §. IV der ferneren Darstellungen, der von der philosophischen Con- struktion handelt (im vorhergehenden Band S. 391 ff.), würde aber, besonders von S. 405 an (Neue Zeitschrift 1 Bd., Stück 2, S. 24 ff.) für sich allein vollkommen hinreichend seyn Schel- ling als Verfasser der Höyerschen Recension durch ihren Inhalt zu beglaubigen. Die Schrift Höyers zu recensiren, mußte Schelling um so angenehmer seyn, je mehr er in dem Entwicklungsgang dieses schwedischen Philosophen ein gut Theil seines eignen Wegs in einem lebenden Gegenbild reconstruirt sah. Man vergleiche in dieser Hinsicht S. 140, Z. 6 ff. v. u., vgl. mit der vorhin citirten Stelle S. 148, Z. 8. ff. v. u. An die letztgenannte Recension schließt sich nach Inhalt und Wichtigkeit die Villerss che (S. 184 ff.) an, für deren Schellingschen Ursprung vorhandene Briefe noch besonders Zeugniß geben, worin sich Villers über die Recension beschwert und Schelling ihm ant- wortet. Man vergleiche über Villers Steffens’ Was ich erlebte , Band V , S. 374. (Auch von Höyer ist der Brief da, mit welchem er die Uebersendung seines Buchs an Schelling begleitet und diesen um sein Urtheil bittet, aber kein weiterer.) Daß die Anzeige der andern französischen Schrift (S. 202) ebenfalls von Schelling ist, ist nicht zu bezweifeln. Noch bemerke ich, daß die Methode des akademischen Studiums verschiedene Zusätze aus dem Handexemplar des Verfassers erhalten hat, z. B. S. 226, 229, 230, 245 u. a. Dagegen wurden einige kleine Stücke zu ephemeren und unbedeutenden Inhalts im Kritischen Journal übergangen, nämlich aus dem Notizenblatt Bd. 1, Stück 3, S. 94—98, ferner was S. 163 dieses Bandes und S. 206 in den betreffenden Noten erwähnt ist. Ich komme nun wieder auf die Philosophie der Kunst. Es wurde schon nachgewiesen, daß die Philosophie der Kunst zur Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt vielfach einen Commentar bilde. Ebenso wurde bereits bemerkt, daß die religionsphilosophische Vorlesung in der Methode des akademischen Studiums als ein Auszug aus der Philosophie der Kunst gelten könne: diese enthält den gleichen Gedankengang mit jener, beide haben wörtliche Uebereinstimmungen, wie denn zwei in beiden fast ganz gleichlautende Stellen, um sie nicht zweimal zu drucken, in der Philosophie der Kunst weggelassen wurden, da es unbeschadet des Sinns und Zusammenhangs ge- schehen konnte; nämlich, was S. 288 steht, ist S. 430, Z. 3—4 v. u., und was S. 289, Z. 3 v. o. bis S. 290, Z. 4 v. o. steht, ist S. 434, Z. 9—10 v. u. ausgefallen. Endlich harmo- niren beide (die Methode und die Philosophie der Kunst) in den Formeln für den Gegensatz des Heidenthums und Christenthums. In beiden nämlich wird das Heidenthum als Darstellung oder An- schauung des Unendlichen im Endlichen, das Christenthum als Darstellung oder Anschauung des Endlichen im Unendlichen charak- terisirt, während in der schon besprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt umge- kehrt das Heidenthum als Aufnahme oder Einbildung des Endlichen ins Unendliche, das Christenthum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche bestimmt wird. Und hierüber ist zunächst noch einiges zu sagen; denn der Wechsel jener Formeln in der Methode des akademischen Studiums und in der genannten Abhandlung war der einzige Einwurf gegen die Nichtidentität des Verfassers beider, der einigen Schein hatte, wiewohl man freilich gar nicht bedacht zu haben scheint, daß ja schon der Gebrauch der Formel „Ein- bildung des Endlichen ins Unendliche oder des Unendlichen ins Endliche“ an sich — ohne ihre Anwendung auf das Wesen des Heidenthums und des Christenthums — eine Schelling ganz eigen- thümliche ist, und die sich bei ihm in verschiedenen gleichgeltenden Ausdrücken überall wiederholt, wie als Einbildung des Idealen ins Reale, des Allgemeinen ins Besondere, der Einheit in die Vielheit, und umgekehrt. Die Anwendung der Formel erscheint gegen sie selbst nur als etwas Accidentelles. Wollte man daher Hegel jene Ab- handlung zuschreiben, so müßte man vor allem sich und andern begreiflich machen, wie Hegel auf einmal einer Formel sich bedienen konnte, die so ganz nur Schellingisch war. Zu behaupten, Hegel habe eben hier den Schellingschen Ton nachgeahmt, ist doch zu naiv, zumal das weitere Curiosum herauskäme, daß dann Schelling in der Methode (nur mit Umstellung der Formeln) seinen Nach- ahmer wieder nachgeahmt hätte. Es ist unendlich viel leichter zu denken, daß Schelling in der Anwendung jener Formel auf das Heidenthum und Christenthum variirte, als anzunehmen, daß Hegel sich völlig und plötzlich nur für den Zweck jener Abhandlung in das Gewand einer ihm fremden Diktion gehüllt habe. In der That lassen sich auch jene Formeln in ihrer Anwendung aufs Heiden- thum und Christenthum leicht verwechseln, ohne daß dadurch die anderweitige Hauptbestimmung des Charakters der beiden Religionen selbst verändert oder aufgehoben würde, die sich vielmehr auch bei veränderten Formeln gleich bleibt, wie ich mir zu zeigen erlaube. Für das Wesen des Heidenthums nämlich ist die sich gleichbleibende Hauptbestimmung, daß es sey Unterordnung des Unendlichen unter die Endlichkeit (Methode, S. 288) — Vergötterung des Endlichen (Abh., S. 120, Z. 6 v. o.) —, für das Christenthum Unter- ordnung des Endlichen unter das Unendliche. Setzen wir nun diese Bestimmung in jene Formeln um, so finden wir, daß die gleiche Formel nur von verschiedenen Standpunkten aus das einemal auf das Heidenthum, das anderemal auf das Christenthum paßt. Wir nehmen z. B. die Formel „Einbildung des Endlichen ins Unendliche“. Wird nun in dieser der Nachdruck auf den Ausgangs- punkt gelegt, nämlich das Endliche, so paßt sie aufs Heidenthum, und so ist sie in der Abhandlung genommen, vergl. S. 119. Wird aber mit derselben Formel (Einbildung oder Aufnahme des End- lichen ins Unendliche) bezeichnet, was das herrschende Princip in einer Religion ist, so paßt sie aufs Christenthum, und so — nämlich als Anschauung des Endlichen im Unendlichen — ist die Formel in der Methode angewendet. Ebenso, nur umgekehrt, verhält es sich mit der andern Formel „Einbildung des Unendlichen ins End- liche“. Sieht man hier darauf, daß das Herrschende das Endliche ist, so ist sie die Formel fürs Heidenthum (nach der Methode S. 288, vgl. S. 292, Z. 16 v. o.); sieht man aber auf den Ausgangspunkt, welcher das Unendliche ist, so ist sie die Formel fürs Christenthum, wie in der Abhandlung S. 119. — Will man darüber streiten, welche von beiden die bessere Formulirung sey, so ist es ohne Zweifel besser, zu sagen, das Wesen des Christen- thums sey Aufnahme des Endlichen ins Unendliche oder Anschauung des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling in der Methode vorzog, sofern das, was ein anderes aufnimmt, das Herrschende ist, das Aufgenommene dagegen das Beherrschte (nach Philosophie der Kunst S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden- thum aber war das Herrschende das Endliche, im Christenthum ist es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber- gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das Reale im Christenthum) ist „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur Unendlichkeit, sondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie die Abhandlung sagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292) sich ausdrückt, vgl. mit Philosophie der Kunst S. 431 ff.: das wahre Unendliche mußte erst ins Endliche kommen, um dieses an sich selbst zu opfern, es dadurch zu versöhnen und — als Geist — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir sehen, die Methode (und die Philosophie der Kunst) stimmt auch in dieser letzteren Bestimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet ihrer Abweichung von derselben bei der Anwendung jener Formel. Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Christen- thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An- schauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, so ist meines Er- achtens der Grund darin zu suchen, daß er es dort nicht nach seiner allgemeinen Richtung, sondern gleich nur nach dem charakterisirt, was er als sein Besonderstes und Innerstes, als seine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Christenthum als Ge- gensatz nur der Weg sey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben nach dieser Vollendung nennt er Mysticismus. Nach dieser tief in ihm liegenden Tendenz betrachtet, ist das Christenthum Schauen des Unendlichen im Endlichen, während seine „allgemeine und un- mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrschendes Princip ist das Unendliche, aber innerhalb dieser principiellen Rich- tung selbst bricht wieder „das symbolische Bestreben“ (= das Un- endliche im Endlichen zu schauen) durch. Die Philosophie der Kunst gibt auch hierüber Aufklärung; man vergleiche insbesondere S. 447. Ebendaselbst (S. 448) findet sich dann auch das Nähere über das Verhältniß der Speculation zu jenem Mysticismus. Im Weiteren bemerke ich nun von der Philosophie der Kunst, daß deren Anfangssätze (§§. 1—15), so wie sie hier gedruckt sind, wohl erst den späteren, Würzburger Vorträgen angehören; bei dem ersten Vortrag in Jena scheint sie der Verfasser anders ge- geben zu haben, wie ich auch aus der äußeren Beschaffenheit des Manuscripts abnehme, ohne Zweifel mehr conform der ursprüng- lichen Ausdrucksweise des Identitätssystems. — Es scheint, daß Schelling niemals im Sinn hatte, die Aesthetik als Ganzes zu ediren; er konnte es auch nach der Herausgabe der Methode des akademischen Studiums und dem in das Kritische Journal Auf- genommenen ohne Wiederholung von schon Bekanntem nicht mehr thun. Ueberdieß hatte er in derselben vielfach nur die von Schiller, Goethe, den Schlegels vertretene Literatur benutzt, und konnte gerade z. B. diesen Männern gegenüber auf das ihm Eigenthümliche keinen so großen Werth legen. Ihm konnte die Philosophie der Kunst nur als ein Versuch gelten, den er zu- nächst für sich selbst machte, die Ideen und die Methode seiner Philosophie auf die Wissenschaft der Kunst anzuwenden, und etwa durch diese Anwendung bei seinen Zuhörern ein lebendiges Ver- ständniß und erhöhtes Interesse für ein System zu wecken, durch das allerdings zum erstenmal das vielgestaltige, für den Laien schwer zu begreifende Wesen der Kunst in bestimmte, einfache und unter sich harmonirende Construktionen gefaßt war. Hätte nun auch dieser letztere Vorzug besonders bei noch weiterer Ausbildung sie ihm als druckwürdig erscheinen lassen können, so mochte er da- gegen bald von dieser oder jener seiner eigensten, zur Zeit der ersten Abfassung der Aesthetik besonders gehegten und in dieser noch mehr als in den anderen gleichzeitigen Schriften prononcirten Ideen abgekommen seyn, so daß es ihm doch nicht möglich war die Philo- sophie der Kunst ohne eine theilweise gänzliche Umarbeitung zu veröffentlichen. Und auch über einzelnes Historische, wie z. B. über den Ursprung der gothischen Baukunst, war er vielleicht nach weni- gen Jahren anderer Ansicht geworden. Je weniger aber er selbst an die Publikation seiner Aesthetik dachte, desto mehr scheint sie sich durch nachgeschriebene Hefte überall hin verbreitet zu haben, worüber eine Anmerkung in den Jahrbüchern der Medicin als Wissenschaft Bd. 2, Heft 2, S. 303 sich ausspricht. Ohne das Interesse, welches die Philosophie der Kunst auch in ihrem allgemeinen Theil als Commentar und Pendant zu an- deren Schriften Schellings und als Mittel der Aufhellung einiger Ungewißheiten in der philosophischen Literatur darbot, würde wohl auch jetzt das Ganze nicht veröffentlicht worden seyn, und ich bin schuldig ausdrücklich zu sagen, daß der Verfasser selbst für wirklich druckwürdig nur die Abhandlung über die Tragödie erklärt hat, vom Uebrigen aber höchstens Einzelnes des Drucks werth erachtete. Allein, was nun z. B. die besonderen Kunstformen betrifft, aus deren Darstellung man etwa einzelnes auszuwählen gehabt hätte, so wollte sich hier kein Maßstab für die Ausscheidung finden, vielmehr schien die Harmonie des Ganzen, das Ineinandergreifende, durch Parallelen sich gegenseitig Erklärende der einzelnen Stücke durchaus nicht zu erlauben dieses oder jenes auszusondern. Auch war nicht etwa ein Theil vor dem andern durch reichere Ausführung bevorzugt. Doch selbst für die Mittheilung des Grund legenden allgemeinen Theils sprach nicht bloß ein kritisches Interesse und nicht bloß der Vortheil des völligeren Verständnisses auch des be- sonderen. Hatte doch Schelling selbst durch eine Aeußerung in seinen nachgelassenen Schriften (Einleitung in die Philosophie der Mythologie, S. 241) begierig gemacht das Kapitel über die My- thologie in der Philosophie der Kunst kennen zu lernen. Es inter- essirt uns nun zu sehen, wie er schon damals die Mythologie nicht vom bloßen Zufall subjektiver Erfindung herleitete, — die Phantasie zwar war die Erfinderin, aber sie folgte in ihren Dichtungen un- willkürlich dem Typus der Ideen, insofern einer Nothwendigkeit, Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. * sie bildete in der Mythologie eine zweite Welt mit absoluter Ob- jektivität, und nicht das Werk einzelner Individuen als Individuen war die Mythologie, sondern das eines ganzen Geschlechts, sofern es selbst Individuum (S. 414). Diese Nothwendigkeit muß freilich später in der Philosophie der Mythologie einer ganz ande- ren Platz machen. Das Geschlecht, „das einem einzelnen Men- schen gleich,“ wird zum menschlichen Bewußtseyn selbst — in welchem auch allein die Totalität dem Individuum gleich ist — und in diesem erzeugen sich die Göttervorstellungen ursprüng- lich ohne alles Zuthun der Phantasie mit einer Nothwendigkeit, die sich durchaus nicht von Ideen oder von einer idealen Regel her- schreibt, sondern von einer Katastrophe des menschlichen Bewußt- seyns und einem daraus folgenden unwillkürlichen Proceß, dem das Bewußtseyn hingegeben ist, unter dem es leidet. Es dürfte somit die vollständige Veröffentlichung der Philo- sophie der Kunst aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt und etliches aus diesem vor mehr als 50 Jahren gehaltenen Vortrag vielleicht selbst denen nicht unwillkommen seyn, welche heutzutage an dieser Wissenschaft arbeiten. Zum Schlusse noch die Erinnerung, daß der Zeitfolge nach zum Inhalt dieses Bandes auch die im Jahr 1802 geschriebenen Zusätze zur zweiten Auflage der Ideen zu einer Philosophie der Natur (Band 2 dieser Ausgabe) gehören, von welchen überdieß der erste, der die Ueberschrift hat „Darstellung der allgemeinen Idee der Philosophie überhaupt und der Naturphilosophie insbe- sondere als nothwendigen und integranten Theils der ersteren“ mit der viel besprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Natur- philosophie zur Philosophie überhaupt in einiger Verwandtschaft steht. Eßlingen , im Oktober 1859. K. F. A. Schelling. Inhalt . Seite 1. Abhandlungen, Recensionen ꝛc. aus dem Kritischen Journal der Philosophie 1 a) Ueber das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt und ihr Verhältniß zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere. b) Ueber das absolute Identitätssystem und sein Verhältniß zu dem neuesten (Reinholdischen Dualismus). c) Rückert und Weiß oder die Philosophie, zu dem es keines Denkens und Wissens bedarf. d) Ueber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt. e) Ueber die Construktion in der Philosophie. f) Ueber Dante in philosophischer Beziehung. g) Notizenblatt. 2. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums 207 3. Philosophie der Kunst ( aus dem handschriftlichen Nachlaß ) 353 Philosophie der Kunst. ( Aus dem handschriftlichen Nachlaß .) Erstmals vorgetragen zu Jena im Winter 1802 bis 1803, wiederholt 1804 und 1805 in Würzburg. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 23 Inhalt . Einleitung . Seite Beweggründe zur Bearbeitung der Wissenschaft der Kunst 355 Möglichkeit einer Philosophie der Kunst 364 Allgemeinste Deduktion der Philosophie der Kunst 369 I. Allgemeiner Theil der Philosophie der Kunst. A ) Construktion der Kunst überhaupt und im Allgemeinen 373 B ) Construktion des Stoffs der Kunst 1) Ableitung der Mythologie als Stoffs der Kunst 388 2) Gegensatz der antiken und modernen Poesie in Bezug auf Mythologie 417 Religionsphilosophische Entwicklung. C ) Construktion des Besonderen oder der Form der Kunst (des besonde- ren Kunstwerks) 1) Theorie des Kunstwerks überhaupt 458 Die Gegensätze von Erhabenheit und Schönheit, von Naiv und Sentimental, von Styl und Manier. 2) Uebergang der ästhetischen Idee in das concrete Kunstwerk a ) Deduktion der bildenden Kunst 480 b ) Deduktion der redenden Kunst 482 Resultat: Philosophie der Kunst = Construktion des Universums in der Form der Kunst. II. Besonderer Theil der Philosophie der Kunst. D ) Construktion der Kunstformen in der Entgegensetzung der realen und idealen Reihe. 1) Reale Seite der Kunstwelt oder die bildende Kunst. a ) Construktion der Musik (Klang, Schall, Gehör) 488 α) die Formen der Musik an sich 491 β) die Formen der Musik bezogen auf das Leben der Weltkörper 501 b ) Construktion der Malerei (Licht, Farben, Gesichtssinn) 506 α) die Formen der Malerei 517 β) die Gegenstände oder die Kunststufen der Malerei 542 c ) Construktion der Plastik und ihrer Formen 569 α) Architektur 572 β) Basrelief 599 γ) Skulptur 602 Symbolische Bedeutung der menschlichen Gestalt 604 Allgemeine Anmerkungen über die bildende Kunst überhaupt 628 Seite 2) Ideale Seite der Kunstwelt oder die redende Kunst (Poesie im engeren Sinn) a ) Verhältniß der Poesie zur Kunst überhaupt 630 b ) Wesen und Form der Poesie 633 c ) Construktion der einzelnen Dichtarten α) die lyrische Poesie 639 β) die epische Poesie aa ) Construktion des Epos nach seinen Hauptbestimmungen 646 bb ) der epische Stoff 654 Vergleichung des Virgil mit Homer Neuere Nachahmungen des alten Epos cc ) die Differenziirung des Epos in besonderen Gattungen αα) Elegie und Idylle 658 ββ) Lehrgedicht und Satyre 662 Lucretius. dd ) das romantische (moderne) Epos αα) Rittergedicht (Ariosto) 669 ββ) Roman (Cervantes, Goethe) 673 γγ) epische Versuche mit neueren Stoffen (Voß . Goethe) 684 ee ) die göttliche Komödie des Dante (eine epische Gattung für sich) 686 γ) die dramatische Poesie. aa ) Begriff des dramatischen Gedichts überhaupt 687 bb ) die Differenziirung des Drama in Tragödie und Komödie αα) die Tragödie aaa ) das Wesen und der wahre Gegenstand der Tragödie 694 bbb ) die innere Construktion der Tragödie 699 ccc ) die äußere Form der Tragödie 704 Aeschylos, Sophokles, Euripides 708 ββ) von dem Wesen der Komödie 711 Aristophanes 714 cc ) die moderne dramatische Poesie. Shakespeare 718 Calderon 726 Goethes Faust 731 Die moderne Komödie 734 Zurückstreben der redenden zur bildenden Kunst in Musik, Gesang, Tanz 735 Einleitung . — — — — — — — — — — — — — Der Anfang dieser Einleitung, welcher ausführt, „daß die Kunst ein großer und würdiger Gegenstand nicht nur überhaupt des Philosophen, sondern auch vorzüglich des neueren Philosophen sey“, ist hier weggefallen, da er mit der Vorlesung über die Kunst in der Methode des akademischen Studiums (oben S. 344 ff.) fast gleichlautend ist. Es ist also die genannte Vorlesung zugleich als der Anfang der Einleitung in die Philosophie der Kunst anzusehen. D. H. Ich bitte Sie bei den gegenwärtigen Vorträgen durchaus die rein wissenschaftliche Absicht derselben vor Augen zu haben. Wie die Wissenschaft überhaupt, so ist Wissenschaft der Kunst an sich interessant, auch ohne äußeren Zweck. So viele zum Theil unwichtige Gegenstände ziehen die allgemeine Wißbegierde und selbst den wissen- schaftlichen Geist auf sich; sonderbar, wenn es eben die Kunst nicht ver- möchte, dieser eine Gegenstand, der fast allein die höchsten Gegenstände unserer Bewunderung in sich schließt. Der ist noch sehr weit zurück, dem die Kunst nicht als ein ge- schlossenes, organisches und ebenso in allen seinen Theilen nothwendiges Ganzes erschienen ist, als es die Natur ist. Fühlen wir uns unauf- haltsam gedrungen, das innere Wesen der Natur zu schauen, und jenen fruchtbaren Quell zu ergründen, der so viele große Erscheinungen mit ewiger Gleichförmigkeit und Gesetzmäßigkeit aus sich herausschüttet, wie viel mehr muß es uns interessiren, den Organismus der Kunst zu durchdringen, in der aus der absoluten Freiheit sich die höchste Einheit und Gesetzmäßigkeit herstellt, die uns die Wunder unseres eignen Geistes weit unmittelbarer als die Natur erkennen läßt. Interessirt es uns, den Bau, die innere Anlage, die Beziehungen und Verwickelungen eines Gewächses oder eines organischen Wesens überhaupt so weit wie möglich zu verfolgen, wie viel mehr müßte es uns reizen, dieselben Verwickelungen und Beziehungen in den noch viel höher organisirten und in sich selbst verschlungeneren Gewächsen zu erkennen, die man Kunstwerke nennt. Den meisten geht es mit der Kunst, wie es dem Meister Jourdain bei Moli è re Bourgeois gentilhomme, Act. II, Scène 4. mit der Prosa ging, der sich wunderte, sein ganzes Leben Prosa gesprochen zu haben, ohne es zu wissen. Die wenigsten überlegen, daß schon die Sprache, in der sie sich ausdrücken, das vollkommenste Kunstwerk ist. Wie viele haben vor einem Theater gestanden, ohne sich nur einmal die Frage aufzuwerfen, wie viele Bedingungen zu einer auch nur einigermaßen vollkommenen theatralischen Erscheinung erfordert werden; wie viele den edlen Eindruck einer schönen Architek- tur empfunden, ohne Versuchung den Gründen der Harmonie nachzu- spüren, die sie daraus angesprochen hat! Wie viele haben ein einzelnes Gedicht oder ein hohes dramatisches Werk auf sich wirken lassen, und sind dadurch bewegt, entzückt, erschüttert worden, ohne je zu unter- suchen, durch welche Mittel es dem Künstler gelingt, ihr Gemüth zu beherrschen, ihre Seele zu reinigen, ihr Innerstes aufzuregen — ohne den Gedanken, diesen ganz passiven und insofern unedlen Genuß in den weit höheren der thätigen Beschauung und der Reconstruktion des Kunstwerks durch den Verstand zu verwandeln! Derjenige wird für roh und ungebildet geachtet, der die Kunst überall nicht auf sich einfließen lassen und ihre Wirkungen erfahren will. Aber es ist, wenn nicht in demselben Grade, doch dem Geiste nach ebenso roh, die bloß sinnlichen Rührungen, sinnlichen Affekter, oder sinnliches Wohlgefallen, welche Kunstwerke erwecken, für Wirkungen der Kunst als solche zu halten. Für den, der es in der Kunst nicht zur freien, zugleich leidenden und thätigen, fortgerissenen und überlegten Beschauung bringt, sind alle Wirkungen der Kunst bloße Naturwirkungen; er selbst verhält sich dabei als Naturwesen, und hat die Kunst als Kunst wahrhaft nie er- fahren und erkannt. Was ihn bewegt, sind vielleicht die einzelnen Schönheiten, aber in dem wahren Kunstwerk gibt es keine einzelne Schönheit, nur das Ganze ist schön. Wer sich also nicht zur Idee des Ganzen erhebt, ist gänzlich unfähig ein Werk zu beurtheilen. Und trotz dieser Gleichgültigkeit sehen wir doch die große Menge der Menschen, die sich gebildet nennen, zu nichts geneigter, als in Sachen der Kunst ein Urtheil zu haben, die Kenner zu spielen, und nicht leicht wird ein nachtheiliges Urtheil tiefer empfunden als das, daß jemand keinen Geschmack habe. Die, welche ihre Schwäche in der Beurtheilung fühlen, halten, bei der sehr entschiedenen Wirkung, die ein Kunstwerk auf sie hat, und der Originalität der Ansicht, die sie vielleicht davon haben, unerachtet, doch ihr Urtheil lieber zurück, als daß sie sich Blößen geben. Andere, die weniger bescheiden sind, machen sich durch ihr Ur- theil lächerlich oder fallen den Verständigen damit beschwerlich. Es ge- hört also sogar zur allgemein gesellschaftlichen Bildung — da überhaupt kein gesellschaftlicheres Studium als das der Kunst — über die Kunst Wissenschaft zu haben, die Fähigkeit, die Idee oder das Ganze so wie die wechselseitigen Beziehungen der Theile aufeinander und auf das Ganze und hinwiederum die des Ganzen auf die Theile aufzu- fassen, in sich ausgebildet zu haben. Aber dieses eben ist nicht möglich anders als durch Wissenschaft und insbesondere durch Philosophie. Je strenger die Idee der Kunst und des Kunstwerks construirt wird, desto mehr wird nicht nur der Schlaffheit der Beurtheilung, sondern auch jenem leichtfertigen Versuchen in der Kunst oder Poesie gesteuert, welches gewöhnlich ohne alle Idee derselben angestellt wird. Wie nöthig gerade eine streng wissenschaftliche Ansicht der Kunst zur Ausbildung des intellektuellen Anschauens der Kunstwerke sowie vorzüglich zur Bildung des Urtheils über dieselbe sey, darüber will ich nur noch Folgendes bemerken. Man kann sehr häufig, insbesondere jetzt, die Erfahrung machen, wie sehr selbst Künstler untereinander in ihren Urtheilen nicht nur verschieden, sondern entgegengesetzt sind. Dieses Phänomen ist sehr leicht zu erklären. In den Zeitaltern der blühenden Kunst ist es die Nothwendigkeit des allgemein herrschenden Geistes, das Glück und gleich- sam der Frühling der Zeit, der unter den großen Meistern mehr oder weniger die allgemeine Uebereinstimmung hervorbringt, so daß, wie dieß auch die Geschichte der Kunst zeigt, die großen Werke gedrängt auf- einander, fast zu gleicher Zeit, wie von einem gemeinschaftlichen Hauch und unter einer gemeinsamen Sonne, entstehen und reifen. Albrecht Dürer zugleich mit Raphael, Cervantes und Calderon zugleich mit Shakespeare. Wenn ein solches Zeitalter des Glücks und der reinen Produktion vorbei ist, so tritt die Reflexion und mit ihr die allgemeine Entzweiung ein; was dort lebendiger Geist war, wird hier Ueberlie- ferung. Die Richtung der alten Künstler war vom Centrum gegen die Peripherie. Die späteren nehmen die äußerlich abgehobene Form und suchen sie unmittelbar nachzuahmen; sie behalten den Schatten ohne den Körper. Jeder bildet sich nun seine eignen, besonderen Gesichtspunkte für die Kunst, und beurtheilt selbst das Vorhandene darnach. Die einen, welche das Leere der Form ohne den Inhalt bemerken, predigen die Rückkehr zur Materialität durch Nachahmung der Natur, die an- dern, die sich über jenen leeren und hohlen äußerlichen Abhub der Form nicht schwingen, predigen das Idealische, die Nachahmung des schon Gebildeten; keiner aber kehrt zu den wahren Urquellen der Kunst zurück, aus denen Form und Stoff ungetrennt strömt. Mehr oder weniger ist dieß der gegenwärtige Zustand der Kunst und des Kunst- urtheils. So mannichfaltig die Kunst in sich selbst ist, so mannichfaltig und nuancirt sind die verschiedenen Gesichtspunkte der Beurtheilung. Keiner der Streitenden versteht den andern. Sie beurtheilen, der eine nach dem Maßstab der Wahrheit, der andere nach dem der Schönheit, ohne daß ein einziger wüßte, was Wahrheit oder was Schönheit ist. Unter den eigentlich praktischen Künstlern einer solchen Zeit ist also mit wenigen Ausnahmen nichts über das Wesen der Kunst zu erfahren, weil es ihnen in der Regel an der Idee der Kunst und der Schönheit gebricht. Und eben diese, selbst unter denen, welche die Kunst aus- üben, herrschende Uneinigkeit ist ein dringender Bestimmungsgrund, die wahre Idee und die Principien der Kunst in der Wissenschaft zu suchen. Noch mehr ist ein ernster, aus Ideen geschöpfter Unterricht über Kunst nöthig in diesem Zeitalter des literarischen Bauernkriegs, der gegen alles Hohe, Große, auf Ideen Gegründete, ja gegen die Schön- heit in der Poesie und Kunst selbst geführt wird, wo das Frivole, Sinnenreizende oder auf niederträchtige Art Edele die Götzen sind, welchen die größte Verehrung gezollt wird. Nur die Philosophie kann die für die Produktion großentheils ver- siegten Urquellen der Kunst für die Reflexion wieder öffnen. Nur durch Philosophie können wir hoffen, eine wahre Wissenschaft der Kunst zu erlangen, nicht als ob die Philosophie den Sinn geben könnte, den nur ein Gott geben kann, nicht als ob sie das Urtheil demjenigen ver- leihen könnte, dem es die Natur versagt hat, sondern daß sie auf eine unveränderliche Weise in Ideen ausspricht, was der wahre Kunst- sinn im Concreten anschaut, und wodurch das ächte Urtheil bestimmt wird. Ich halte nicht für unnöthig die Gründe noch anzugeben, welche mich insbesondere bestimmt haben, sowohl diese Wissenschaft zu bearbeiten, als diese Vorträge darüber zu halten. Vor allem bitte ich Sie , diese Wissenschaft der Kunst mit nichts von all dem zu verwechseln, was man bisher unter diesem Namen oder irgend einem andern als Aesthetik oder Theorie der schönen Künste und Wissenschaften vorgetragen hat. Noch existirt überall keine wissen- schaftliche und philosophische Kunstlehre; höchstens existiren Bruchstücke einer solchen, und auch diese sind noch wenig verstanden, und können nicht anders als im Zusammenhang eines Ganzen verstanden werden. Vor Kant war alle Kunstlehre in Deutschland ein bloßer Abkömm- ling der Baumgartenschen Aesthetik — denn dieser Ausdruck wurde zuerst von Baumgarten gebraucht. Zur Beurtheilung derselben reicht es hin zu erwähnen, daß sie selbst wieder ein Sprößling der Wolff- schen Philosophie war. In der Periode unmittelbar vor Kant, wo seichte Popularität und Empirismus in der Philosophie das Herrschende waren, wurden die bekannten Theorien der schönen Künste und Wissenschaften aufgestellt, deren Principien die psychologischen Grundsätze der Engländer und Franzosen waren. Man suchte das Schöne aus der empirischen Psychologie zu erklären, und behandelte überhaupt die Wun- der der Kunst ohngefähr ebenso aufklärend und wegerklärend wie zu derselben Zeit die Gespenstergeschichten und andern Aberglauben. Bruch- stücke dieses Empirismus trifft man selbst noch in späteren, zum Theil nach einer besseren Ansicht gedachten Schriften an. Andere Aesthetiken sind gewissermaßen Recepte oder Kochbücher, wo das Recept zur Tragödie so lautet: Viel Schrecken, doch nicht allzu- viel; so viel Mitleid als möglich und Thränen ohne Zahl. Mit Kants Kritik der Urtheilskraft ging es wie mit seinen übrigen Werken. Von den Kantianern war natürlich die äußerste Geschmack- losigkeit, wie in der Philosophie Geistlosigkeit, zu erwarten. Eine Menge Menschen lernten die Kritik der ästhetischen Urtheilskraft aus- wendig und trugen sie vom Katheder und in Schriften als Aesthetik vor. Nach Kant haben einige vorzügliche Köpfe treffliche Anregungen zur Idee einer wahren philosophischen Wissenschaft der Kunst und ein- zelne Beiträge zu einer solchen geliefert; noch aber hat keiner ein wis- senschaftliches Ganzes oder auch nur die absoluten Principien selbst — allgemein gültig und in strenger Form — aufgestellt; auch ist bei mehreren derselben noch nicht die strenge Sonderung des Empirismus und der Philosophie geschehen, die zur wahren Wissenschaftlichkeit erfor- dert würde. Das System der Philosophie der Kunst, welches ich vorzutragen denke, wird sich also von den bisher vorhandenen wesentlich und sowohl der Form als dem Gehalt nach unterscheiden, indem ich selbst in den Principien weiter zurückgehe, als bisher geschehen ist. Dieselbe Methode, durch die es mir, wenn ich mich nicht irre, in der Naturphilosophie bis zu einem gewissen Punkte möglich geworden ist, das vielfach verschlungene Gewebe der Natur zu entwirren und das Chaos seiner Erscheinungen zu sondern, dieselbe Methode wird uns auch durch die noch labyrinthischeren Verwicklungen der Kunstwelt hindurchleiten und über die Gegenstände derselben ein neues Licht ver- breiten lassen. Weniger kann ich mir selbst Genüge zu leisten gewiß seyn in An- sehung der historischen Seite der Kunst, welche, aus Gründen, die ich in der Folge angeben werde, ein wesentliches Element aller Con- struktion ist. Ich erkenne zu gut, wie schwierig es ist, in diesem un- endlichsten aller Gebiete auch nur die allgemeinsten Kenntnisse über jeden Theil desselben sich zu erwerben, geschweige denn es über alle seine Theile bis zur bestimmtesten und genauesten Kenntniß zu bringen. Was ich allein für mich anführen kann, ist, daß ich das Studium der alten und neueren Werke der Poesie eine lange Zeit mit Ernst betrieben und es zu meinem angelegentlichen Geschäft gemacht habe, daß ich einige Anschauung von Werken der bildenden Kunst gehabt habe, daß ich im Umgang mit ausübenden Künstlern zum Theil zwar nur ihre eigne Uneinigkeit und ihr Nichtverstehen der Sache kennen gelernt, zum Theil aber auch im Umgang mit solchen, die außer der glücklichen Ausübung der Kunst auch noch über sie philosophisch gedacht haben, mir einen Theil derjenigen historischen Ansichten der Kunst erworben habe, die ich zu meinem Zwecke nothwendig glaube. Für diejenigen, die mein System der Philosophie kennen, wird die Philosophie der Kunst nur die Wiederholung desselben in der höch- sten Potenz seyn, denjenigen, die es noch nicht kennen, wird die Methode desselben in dieser Anwendung vielleicht nur noch in die Augen springen- der und deutlicher seyn. Die Construktion wird sich nicht bloß auf das Allgemeine, sondern auch bis auf diejenigen Individuen erstrecken, welche für eine ganze Gattung gelten; ich werde sie und die Welt ihrer Poesie construiren. Ich nenne vorläufig nur Homer, Dante, Shakespeare. In der Lehre von den bildenden Künsten werden die Individualitäten der größten Meister im Allgemeinen charakterisirt werden; in der Lehre von der Poesie und den Dichtarten werde ich sogar bis zur Charakteristik ein- zelner Werke der vorzüglichsten Dichter, z. B. Shakespeares, Cervantes, Goethes herabsteigen, um so die gegenwärtige Anschauung, die uns bei jenen fehlt, hier zu ersetzen. In der allgemeinen Philosophie freuen wir uns, das strenge Ant- litz der Wahrheit an und für sich selbst zu sehen, in dieser besondern Sphäre der Philosophie, welche die Philosophie der Kunst begrenzt, ge- langen wir zur Anschauung der ewigen Schönheit und der Urbilder alles Schönen. Die Philosophie ist die Grundlage von allem und befaßt alles; sie erstreckt ihre Construktion auf alle Potenzen und Gegenstände des Wissens; nur durch sie gelangt man zum Höchsten. Durch die Kunstlehre bildet sich innerhalb der Philosophie selbst ein engerer Kreis, in dem wir unmittelbarer das Ewige gleichsam in sichtbarer Gestalt schauen, und so steht diese richtig verstanden mit der Philosophie selbst im vollkommensten Einklang. Schon in dem bisher Vorgetragenen lag zum Theil die Andeutung dessen, was Philosophie der Kunst sey; es ist aber nöthig, mich jetzt ausdrücklicher darüber zu erklären. Ich werde die Frage in der größten Allgemeinheit so stellen: Wie ist Philosophie der Kunst mög- lich ? (denn Beweis der Möglichkeit in Ansehung der Wissenschaft auch Wirklichkeit). Jeder sieht ein, daß in dem Begriff einer Philosophie der Kunst Entgegengesetztes verbunden werde. Die Kunst ist das Reale, Objek- tive, die Philosophie das Ideale, Subjektive. Man könnte also die Aufgabe der Philosophie der Kunst zum voraus schon so bestimmen: das Reale, welches in der Kunst ist, im Idealen darzustellen . Allein die Frage ist nun eben, was es heiße: ein Reales im Idea- len darzustellen, und ehe wir dieß wissen, sind wir über den Begriff der Philosophie der Kunst noch nicht im Reinen. Wir haben also die ganze Untersuchung noch tiefer anzufassen. — Da Darstellung im Idealen überhaupt = Construiren, auch die Philosophie der Kunst = Construktion der Kunst seyn soll, so wird diese Untersuchung nothwendig zugleich in das Wesen der Construktion tiefer eindringen müssen. Der Zusatz Kunst in „Philosophie der Kunst“ beschränkt bloß den allgemeinen Begriff der Philosophie, aber hebt ihn nicht auf. Unsere Wissenschaft soll Philosophie seyn. Dieß ist das Wesentliche; daß sie eben Philosophie seyn soll in Beziehung auf Kunst, ist das Zu- fällige unseres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Acci- dentelle eines Begriffs das Wesentliche desselben verändern, noch kann Philosophie insbesondere als Philosophie der Kunst etwas anderes seyn, als sie an sich und absolut betrachtet ist. Philosophie ist schlecht- hin und wesentlich eins; sie kann nicht getheilt werden; was also über- haupt Philosophie ist, ist es ganz und ungetheilt. Diesen Begriff von der Ungetheiltheit der Philosophie wünsche ich, daß Sie sich insbeson- dere fest gegenwärtig erhalten, um die ganze Idee unserer Wissenschaft zu fassen. Es ist bekannt genug, welcher heillose Mißbrauch mit dem Begriff der Philosophie getrieben wird. Wir haben schon eine Philo- sophie, ja sogar eine Wissenschaftslehre der Landwirthschaft erhalten, es ist zu erwarten, daß man auch noch eine Philosophie des Fuhrwerks aufstelle, und daß es am Ende so viel Philosophien gibt, als es über- haupt Gegenstände gibt, und man vor lauter Philosophien die Philo- sophie selbst gänzlich verlieren wird. Außer diesen vielen Philosophien hat man aber auch noch einzelne philosophische Wissenschaften oder phi- losophische Theorien. Auch damit ist es nichts. Es ist nur Eine Phi- losophie und Eine Wissenschaft der Philosophie; was man verschiedene philosophische Wissenschaften nennt, ist entweder etwas ganz Schiefes, oder es sind nur Darstellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der Philosophie in verschiedenen Potenzen oder unter verschiedenen ideellen Bestimmungen Man vergl. hier und zum gleich Folgenden den Anfang der Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt, oben S. 106 ff. D. H. . Ich erkläre diesen Ausdruck hier, da er das erstemal wenigstens in einem Zusammenhang vorkommt, in dem es wichtig ist daß er verstanden werde. Er bezieht sich auf die allgemeine Lehre der Philo- sophie von der wesentlichen und innern Identität aller Dinge und alles dessen, was wir überhaupt unterscheiden. Es ist wahrhaft und an sich nur Ein Wesen, Ein absolut Reales, und dieses Wesen als absolutes ist untheilbar, so daß es nicht durch Theilung oder Trennung in ver- schiedene Wesen übergehen kann; da es untheilbar ist, so ist Verschie- denheit der Dinge überhaupt nur möglich, insofern es als das Ganze und Ungetheilte unter verschiedenen Bestimmungen gesetzt wird. Diese Bestimmungen nenne ich Potenzen. Sie verändern schlechthin nichts am Wesen, dieses bleibt immer und nothwendig dasselbe, deßwegen heißen sie ideelle Bestimmungen. Z. B. das, was wir in der Geschichte oder der Kunst erkennen, ist wesentlich dasselbe mit dem, was auch in der Natur ist: jedem nämlich ist die ganze Absolutheit eingeboren, aber diese Absolutheit steht in der Natur, der Geschichte und der Kunst in verschiedenen Potenzen. Könnte man diese hinwegnehmen, um das reine Wesen gleichsam entblößt zu sehen, so wäre in allem wahrhaft Eins. Die Philosophie nun tritt in ihrer vollkommenen Erscheinung nur in der Totalität aller Potenzen hervor. Denn sie soll ein getreues Bild des Universums seyn — dieses aber = dem Absoluten, dar- gestellt in der Totalität aller ideellen Bestimmungen . — Gott und Universum sind eins oder nur verschiedene Ansichten Eines und desselben. Gott ist das Universum von der Seite der Identität betrachtet, er ist Alles , weil er das allein Reale, außer ihm also nichts ist, das Universum ist Gott von Seiten der Totalität aufge- faßt. In der absoluten Idee, die Princip der Philosophie ist, ist aber auch wieder Identität und Totalität eins. Die vollkommene Erschei- nung der Philosophie, sage ich, tritt nur in der Totalität aller Po- tenzen hervor. Im Absoluten als solchen, und demnach auch im Princip der Philosophie, ist eben deßwegen, weil es alle Potenzen begreift, keine Potenz, und hinwiederum nur, inwiefern in ihm keine Potenz ist, sind in ihm alle enthalten. Ich nenne dieses Princip eben deßwegen, weil es keiner besonderen Potenz gleich ist, und doch alle begreift, den ab- soluten Identitätspunkt der Philosophie. Dieser Indifferenzpunkt nun, eben weil er dieß ist, und weil er schlechthin eins, untrennbar, untheilbar ist, ist nothwendig wieder in jeder besonderen Einheit (so auch Potenz zu nennen), und auch dieß ist nicht möglich, ohne daß in jeder dieser besonderen Einheiten wieder alle Einheiten, also alle Potenzen wiederkehren. Es ist also in der Philosophie überhaupt nichts als Absolutes, oder wir kennen in der Philosophie nichts als Absolutes — immer nur das schlechthin Eine, und nur dieß schlechthin Eine in besonderen Formen. Philoso- phie geht — ich bitte Sie , dieß streng aufzufassen — überhaupt nicht auf das Besondere als solches, sondern unmittelbar immer nur auf das Absolute, und auf das Besondere nur, sofern es das ganze Absolute in sich aufnimmt und in sich darstellt. Hieraus ist nun offenbar, daß es keine besonderen Philosophien und ebensowenig besondere und einzelne philosophische Wissenschaften geben könne. Die Philosophie hat in allen Gegenständen nur Einen Gegenstand, und sie ist eben deßwegen selbst nur Eine. Innerhalb der allgemeinen Philosophie ist jede einzelne Potenz für sich absolut, und in dieser Absolutheit oder dieser Absolutheit unbeschadet doch wieder ein Glied des Ganzen. Wahrhaftes Glied des Ganzen ist jede nur, sofern sie der vollkommene Reflex des Ganzen ist, es ganz in sich auf- nimmt. Dieß ist eben jene Verbindung des Besonderen und Allge- meinen, die wir in jedem organischen Wesen, so wie in jedem poeti- schen Werk, wiederfinden, in welchem z. B. verschiedene Gestalten jede ein dienendes Glied des Ganzen und doch bei der vollkommenen Aus- bildung des Werks wieder in sich absolut ist. Wir können nun allerdings die einzelne Potenz herausheben aus dem Ganzen und für sich behandeln, aber nur, sofern wir wirklich das Absolute in ihr darstellen, ist diese Darstellung selbst Philosophie . Wir können alsdann diese Darstellung z. B. Philosophie der Natur, Philosophie der Geschichte, Philosophie der Kunst nennen. Hiermit ist nun bewiesen: 1) daß sich kein Gegenstand zum Ge- genstand der Philosophie qualificire, als insofern er selbst im Absoluten durch eine ewige und nothwendige Idee gegründet und fähig ist das ganze ungetheilte Wesen des Absoluten in sich aufzunehmen. Alle ver- schiedenen Gegenstände als verschiedene sind nur Formen ohne Wesen- heit — Wesenheit hat nur Eines, und durch dieses Eine, was fähig ist, es als das Allgemeine in sich, seine Form, als Besonderes aufzu- nehmen. Es gibt also z. B. eine Philosophie der Natur, weil in das Besondere der Natur das Absolute gebildet, weil es demnach eine absolute und ewige Idee der Natur gibt. Ebenso eine Philosophie der Geschichte, eine Philosophie der Kunst Man vergl. auch hierzu und dem unmittelbar Folgenden die angeführte Ab- handlung, oben S. 107. D. H. . Es ist hiermit 2) die Realität einer Philosophie der Kunst be- wiesen, eben dadurch, daß ihre Möglichkeit bewiesen ist; es sind eben damit auch ihre Grenzen zugleich und ihre Verschiedenheit namentlich von der bloßen Theorie der Kunst gezeigt. Nämlich nur sofern die Wissen- schaft der Natur oder Kunst in ihr das Absolute darstellt, ist diese Wissen- schaft wirkliche Philosophie, Philosophie der Natur, Philosophie der Kunst. In jedem andern Fall, wo die besondere Potenz als beson- dere behandelt und für sie als besondere Gesetze aufgestellt werden, wo es also keineswegs um die Philosophie als Philosophie, die schlechthin allgemein ist, sondern um besondere Kenntniß des Gegenstandes, also einen endlichen Zweck, zu thun ist — in jedem solchen Fall kann die Wissenschaft nicht Philosophie, sondern nur Theorie eines besonderen Gegenstandes, wie Theorie der Natur, Theorie der Kunst, heißen. Diese Theorie könnte allerdings ihre Principien wieder von der Philosophie entlehnen , wie z. B. die Theorie der Natur von der Naturphilosophie, aber eben deßwegen, weil sie nur entlehnt , ist sie nicht Philosophie. Ich construire demnach in der Philosophie der Kunst zunächst nicht die Kunst als Kunst, als dieses Besondere , sondern ich construire das Universum in der Gestalt der Kunst , und Philosophie der Kunst ist Wissenschaft des All in der Form oder Potenz der Kunst . Erst mit diesem Schritt erheben wir uns in Ansehung dieser Wissenschaft auf das Gebiet einer absoluten Wissenschaft der Kunst. Allein daß Philosophie der Kunst Darstellung des Universums in der Form der Kunst ist, gibt uns doch noch keine vollständige Idee dieser Wissenschaft, ehe wir die Art der Construktion, die einer Phi- losophie der Kunst nothwendig ist, genauer bestimmt haben. Objekt der Construktion und dadurch der Philosophie ist überhaupt nur, was fähig ist, als Besonderes das Unendliche in sich aufzunehmen. Die Kunst, um Objekt der Philosophie zu seyn, muß also überhaupt das Unendliche in sich als Besonderem entweder wirklich darstellen oder es wenigstens darstellen können. Aber nicht nur findet dieses in An- sehung der Kunst statt , sondern sie steht auch als Darstellung des Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philosophie: — wie diese das Absolute im Urbild , so jene das Absolute im Gegenbild dar- stellend. Da die Kunst der Philosophie so genau entspricht, und selbst nur ihr vollkommenster objektiver Reflex ist, so muß sie auch durchaus alle Po- tenzen durchlaufen, welche die Philosophie im Idealen durchläuft, und dieses Eine reicht hin, uns über die nothwendige Methode unserer Wissenschaft außer Zweifel zu setzen. Die Philosophie stellt nicht die wirklichen Dinge, sondern ihre Ur- bilder dar, aber ebenso die Kunst, und dieselben Urbilder, von welchen nach den Beweisen der Philosophie diese (die wirklichen Dinge) nur un- vollkommene Abdrücke sind, sind es, die in der Kunst selbst — als Ur- bilder — demnach in ihrer Vollkommenheit — objektiv werden, und in der reflektirten Welt selbst die Intellektualwelt darstellen. Um einige Beispiele zu geben, so ist die Musik nichts anderes als der urbildliche Rhythmus der Natur und des Universums selbst, der mit- telst dieser Kunst in der abgebildeten Welt durchbricht. Die vollkom- menen Formen, welche die Plastik hervorbringt, sind die objektiv dar- gestellten Urbilder der organischen Natur selbst. Das Homerische Epos ist die Identität selbst, wie sie der Geschichte im Absoluten zu Grunde liegt. Jedes Gemälde öffnet die Intellektualwelt. Dieß vorausgesetzt, werden wir in der Philosophie der Kunst in Ansehung der letzteren alle diejenigen Probleme zu lösen haben, die wir Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 24 in der allgemeinen Philosophie in Ansehung des Universums überhaupt auflösen. Wir werden 1) auch in der Philosophie der Kunst von keinem andern Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunst darthun müssen. Wie für die Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit — so für die Kunst das Urbild der Schönheit . Wir werden daher zeigen müssen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Einen Absoluten sind. 2) Die zweite Frage, wie in Ansehung der Philosophie überhaupt, so auch in Ansehung der Philosophie der Kunst, wird seyn: wie jenes an sich schlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterscheid- barkeit übergehe, wie also aus dem allgemeinen und absoluten Schönen besondere schöne Dinge hervorgehen können. Die Philosophie beant- wortet diese Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Absolute ist schlechthin Eines, aber dieses Eine absolut angeschaut in den besonderen Formen, so daß das Absolute dadurch nicht aufgehoben wird, ist = Idee. Ebenso die Kunst. Auch die Kunst schaut das Ur- schöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren jede aber für sich göttlich und absolut ist, und anstatt daß die Philosophie die Ideen wie sie an sich sind, anschaut, schaut sie die Kunst real an. Die Ideen also, sofern sie als real angeschaut werden, sind der Stoff und gleich- sam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese realen , lebendigen und existirenden Ideen sind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darstellung der Ideen als realer ist demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflösung der zweiten obigen Aufgabe besteht in der Construktion der Mythologie. In der That sind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der Philosophie nur objektiv oder real angeschaut. Hiermit aber ist noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches und einzelnes Kunstwerk entstehe. Wie nun das Absolute — Nichtwirk- liche — überall in der Identität, so ist das Wirkliche in der Nicht- identität des Allgemeinen und Besonderen, in der Disjunktion, so daß entweder im Besonderen oder Allgemeinen. So entsteht auch hier ein Gegensatz, der Gegensatz von bildender und redender Kunst. Die bildende und die redende Kunst = der realen und idealen Reihe der Philosophie. Jener steht diejenige Einheit vor, in welcher das Unendliche ins Endliche aufgenommen wird — die Construktion dieser Reihe entspricht der Naturphilosophie —, dieser steht die andere Einheit vor, in welcher das Endliche ins Unendliche gebildet wird, die Construktion dieser Reihe entspricht dem Idealismus in dem allgemeinen System der Philosophie. Die erste Einheit werde ich die reale, die andere die ideale nennen, die, welche beide begreift, die Indifferenz. Fixiren wir nun jede dieser Einheiten für sich, so müssen, weil jede derselben für sich absolut ist, in jeder wieder dieselben Einheiten wiederkehren, in der realen also wiederum die reale, ideale, und die, worin beide eins sind. Ebenso in der idealen. Jeder dieser Formen, insofern sie entweder in der realen oder idealen Einheit begriffen sind, entspricht eine besondere Form der Kunst, der realen, sofern in der realen, entspricht die Musik , der idealen die Malerei , der welche innerhalb der realen wieder beide Einheiten in- eins-gebildet darstellt, die Plastik . Dasselbe ist der Fall in Ansehung der idealen Einheit, welche wieder die drei Formen der lyrischen, epischen und dramatischen Dicht- kunst in sich begreift. Lyrik = Einbildung des Unendlichen ins End- liche = Besonderem. Epos = Darstellung (Subsumtion) des Endlichen im Unendlichen = Allgemeinem. Drama = Synthese des Allgemeinen und Besonderen. Nach diesen Grundformen ist also die gesammte Kunst sowohl in ihrer realen als idealen Erscheinung zu construiren. Indem wir die Kunst in jeder ihrer besonderen Formen bis aufs Concrete herab verfolgen, gelangen wir noch zu der Bestimmung der Kunst durch Bedingungen der Zeit. Wie die Kunst an sich ewig und nothwendig ist, so ist auch in ihrer Zeiterscheinung keine Zufälligkeit, sondern absolute Nothwendigkeit. Sie ist auch in dieser Beziehung noch der Gegenstand eines möglichen Wissens, und die Elemente dieser Con- struktion sind durch die Gegensätze gegeben, welche die Kunst in ihrer Zeiterscheinung zeigt. Die Gegensätze aber, die in Ansehung der Kunst durch ihre Zeitabhängigkeit gesetzt sind, sind, wie die Zeit selbst, noth- wendig unwesentliche und bloß formelle Gegensätze, ganz verschieden also von den realen im Wesen oder der Idee der Kunst selbst gegrün- deten. Dieser allgemeine und durch alle Zweige der Kunst hindurch- gehende formelle Gegensatz ist der der antiken und modernen Kunst. Es wäre ein wesentlicher Mangel der Construktion, wenn wir die Rücksicht darauf bei jeder einzelnen Form der Kunst vernachlässigen wollten. Da aber dieser Gegensatz als ein bloß formeller angesehen wird, so die Construktion eben in der Negation oder Aufhebung be- stehend. Wir werden, indem wir diesen Gegensatz berücksichtigen, un- mittelbar zugleich die historische Seite der Kunst darstellen, und können hoffen nur dadurch unserer Construktion im Ganzen die letzte Vollendung zu geben. Nach meiner ganzen Ansicht der Kunst ist sie selbst ein Ausfluß des Absoluten. Die Geschichte der Kunst wird uns am offenbarsten ihre unmittelbaren Beziehungen auf die Bestimmungen des Universums und dadurch auf jene absolute Identität zeigen, worin sie vorherbestimmt sind. Nur in der Geschichte der Kunst offenbart sich die wesentliche und innere Einheit aller Kunstwerke, daß alle Dichtungen eines und desselben Genius sind, der auch in den Gegensätzen der alten und neuen Kunst sich nur in zwei verschiedenen Gestalten zeigt. I. Allgemeiner Theil der Philosophie der Kunst. Erster Abschnitt. Construktion der Kunst überhaupt und im Allgemeinen . Die Kunst construiren heißt, ihre Stellung im Universum bestim- men. Die Bestimmung dieser Stelle ist die einzige Erklärung, die es von ihr gibt. Wir müssen demnach auf die ersten Principien der Phi- losophie zurückgehen. Jedoch versteht es sich, daß wir diese Principien hier nicht in jeder möglichen Richtung verfolgen, sondern nur in der, welche uns durch den bestimmten Gegenstand vorgezeichnet ist; ferner, daß die meisten Sätze im Anfang als bloße Lehnsätze aus der Philo- sophie aufgestellt werden, die nicht sowohl bewiesen, als vielmehr nur erläutert werden. Dieß vorausgesetzt stelle ich die folgenden Sätze auf. §. 1. Das Absolute oder Gott ist dasjenige, in An- sehung dessen das Seyn oder die Realität unmittelbar, d. h. kraft des bloßen Gesetzes der Identität aus der Idee folgt , oder: Gott ist die unmittelbare Affirmation von sich selbst . Erläuterung . Folgte das Seyn nicht unmittelbar aus der Idee Gottes, d. h. wäre seine Idee nicht selbst die der absoluten , der unendlichen Realität, so wäre er durch irgend etwas bestimmt, was nicht seine Idee ist, d. h. er wäre bedingt durch etwas von seinem Begriff Verschiedenes, demnach überhaupt abhängig, nicht absolut. — In Ansehung keines abhängigen oder bedingten Dings folgt aus dem Begriff das Seyn, z. B. der einzelne Mensch ist bestimmt durch etwas, das nicht seine Idee ist, woraus hinwiederum folgt, daß keinem Ein- zelnen wahre Realität, Realität an sich zukomme. — Die besondere Form betreffend, in der wir die Idee Gottes noch außerdem ausge- sprochen haben „Gott die unmittelbare Affirmation von sich selbst“ er- läutert sich durch Folgendes. Realseyn = Affirmirtseyn. Nun ist Gott nur kraft seiner Idee, d. h. er selbst ist die Affirmation von sich, und da er sich nicht auf endliche Art affirmiren kann (da er absolut ist), so ist er unendliche Affirmation von sich selbst. §. 2. Gott als die unendliche Affirmation von sich selbst begreift sich selbst als unendlich Affirmirendes, als unendlich Affirmirtes, und als Indifferenz davon, er selbst aber ist keines von diesen insbesondere . Gott begreift durch seine Idee sich selbst als unendlich Affir- mirendes (denn er ist die Affirmation von sich selbst) und als unend- lich Affirmirtes aus demselben Grunde. Da es ferner ein und dasselbe ist, das affirmirt und das affirmirend ist, so begreift er sich auch als Indifferenz. Aber er ist selbst keines davon insbesondere, denn er selbst ist nur die unendliche Affirmation , und zwar als unendlich, so daß er jene nur begreift; das Begreifende aber ist nicht identisch mit dem, was es begreift, z. B. Länge = Raum, Breite = Raum, Tiefe = Raum, aber der Raum selbst eben deßhalb nichts davon ins- besondere, sondern nur die absolute Identität, die unendliche Affirma- tion, das Wesen davon. — Auch so: Gott ist nichts überhaupt nur, sondern, was er ist, nur kraft unendlicher Affirmation — also Gott als affirmirend sich selbst, als affirmirt von sich selbst, und als Indif- ferenz, nur wieder durch die unendliche Affirmation von sich selbst. Zusatz . Gott als das Affirmirende von sich selbst kann auch be- schrieben werden als die unendliche alle Realität in sich begreifende Idealität, als das Affirmirte von sich selbst als die unendliche alle Idealität in sich begreifende Realität. §. 3. Gott ist unmittelbar kraft seiner Idee absolu- tes All . Denn unmittelbar aus der Idee Gottes folgt Unendliches, und es folgt nothwendig auf unendliche Weise, da Gott als unendliche Affirmation von sich selbst auch sich selbst wieder unendlich als Affir- mirendes, unendlich als Affirmirtes, und unendlich als Indifferenz beider begreift. Nun ist unendliche Realität, die aus der Idee Gottes folgt, 1) schon an sich = All (denn nichts außer ihr), aber auch 2) positiv, denn alles, was kraft der Idee Gottes möglich ist, und dieß Unendliches, ist dadurch, daß diese sich selbst affirmirt, auch wirk- lich — alle Möglichkeiten sind Wirklichkeiten in Gott. Aber dasjenige, in dem alles Mögliche wirklich, ist = All. Also folgt unmittelbar aus der Idee Gottes absolutes All. — Aber ferner, es folgt kraft des bloßen Gesetzes der Identität, d. h. Gott selbst in der unendlichen Af- firmation seiner selbst betrachtet ist = absolutes All. §. 4. Gott ist als absolute Identität unmittelbar auch absolute Totalität, und umgekehrt . Erläuterung : Gott ist eine Totalität, die keine Vielheit, son- dern schlechthin einfach ist. Gott ist eine Einheit, die gleichfalls nicht im Gegensatz gegen Vielheit bestimmbar ist, d. h. er ist nicht einzig im numerischen Sinn, er ist auch nicht bloß der Eine , sondern er ist die absolute Einheit selbst, nicht alles, sondern die absolute Allheit selbst, und dieß beides unmittelbar als eins. §. 5. Das Absolute ist schlechthin ewig . In der Anschauung jeder Idee , z. B. der Idee des Cirkels, wird auch die Ewigkeit angeschaut. Dieß die positive Anschauung der Ewig- keit. Der negative Begriff der Ewigkeit ist: nicht nur unabhängig von der Zeit seyn, sondern auch ohne alle Beziehung auf Zeit. Wäre also das Absolute nicht schlechthin ewig, so hätte es ein Verhältniß zur Zeit. Anmerkung : Wenn die Ewigkeit des Absoluten durch ein Da- seyn von unendlicher Zeit her bestimmt würde, so müßten wir z. B. sagen können, daß Gott jetzt eine längere Zeit existire, als er bei dem Ursprung der Welt existirt habe, welches also in Gott eine Zunahme der Existenz voraussetzte, was unmöglich, da seine Existenz sein Wesen ist, dieses aber weder vermehrt noch vermindert werden kann. Daß dem Wesen der Dinge keine Dauer zugeschrieben werden könne, ist eine zugestandene Sache. Wir können wohl z. B. vom einzelnen oder concreten Cirkel sagen, daß er diese oder jene Zeit ge- dauert habe, von dem Wesen oder der Idee des Cirkels wird niemand sagen, daß sie daure, oder daß sie z. B. jetzt eine längere Zeit existirt habe als bei dem Anfang der Welt. Nun ist aber das Absolute eben dasjenige, in Ansehung dessen der Gegensatz der Idee und des Con- creten gar nicht stattfindet, in Ansehung dessen das, was in den Dingen das Concrete oder Besondere ist, selbst wieder das Wesen oder Allgemeine (nicht Negation) ist, so daß Gott kein anderes Seyn als das seiner Idee zukommen kann. Dasselbe noch von einer andern Seite. — Wir sagen, daß ein Ding dauert , weil seine Existenz seinem Wesen, sein Besonderes sei- nem Allgemeinen unangemessen ist. Die Dauer ist nichts anderes als ein fortgehendes Setzen seines Allgemeinen in sein Concretes. Vermöge der Beschränktheit des letzteren ist es nicht alles und in der That auf einmal, was es seinem Wesen oder seinem Allgemeinen nach seyn könnte. Dieß ist nun im Absoluten wieder undenkbar: da das Besondere in ihm dem Allgemeinen absolut gleich, so ist es alles, was es seyn kann , auch wirklich und auf einmal ohne Dazwischentreten der Zeit, es ist also ohne alle Zeit, an sich ewig. Die Idee des schlechthin Ewigen ist eine äußerst wichtige Idee sowohl für die Philosophie überhaupt als für unsere besondere Con- struktion. Denn was das Erste betrifft, so folgt unmittelbar (was Sie auch als Folgesatz bemerken können), daß das wahre Universum ewig , weil das Absolute zu ihm kein Zeitverhältniß haben kann. Für unsere besondere Construktion ist diese Idee wichtig, weil sie zeigt, daß die Zeit das an sich Ewige überall nicht afficirt, daß also das an sich Ewige selbst mitten in der Zeit kein Verhältniß zu der Zeit hat. Andere Ausdrücke desselben Satzes: a) Das Absolute kann daher auch nichts anderem als der Zeit nach vorangegangen gedacht werden (bloße Folge aus dem Vorhergehen- den). — Positiv ausgedrückt: Das Absolute geht allem nur der Idee nach voran, und alles andere , alles, was nicht das Absolute ist, ist nur, inwiefern in ihm das Seyn nicht der Idee gleich ist, d. h. in- wiefern es selbst nur Privation, nicht wahres Seyn ist. Der concrete Cirkel als solcher gehört nur zur erscheinenden Welt. Der Cirkel an sich aber geht ihm doch nie der Zeit, sondern nur der Idee nach voran. Ebenso geht das Absolute allem andern auf keine Weise voran als der Idee nach. b) Im Absoluten selbst kann kein Vor oder Nach stattfinden, also keine Bestimmung der anderen weder vorangehen noch nachfolgen. Denn wäre dieß, so müßten wir im Absoluten eine Affektion oder Lei- den, ein Bestimmtwerden setzen. Es ist aber ganz affektionslos, ohne Entgegensetzung in sich selbst. §. 6. Das Absolute ist an sich weder bewußt noch be- wußtlos, weder frei noch unfrei oder nothwendig . Nicht bewußt, denn alles Bewußtseyn beruht auf der relativen Einheit des Denkens und Seyns, im Absoluten ist aber absolute Einheit. Nicht bewußtlos; denn es ist nur darum nicht bewußt, weil es absolutes Be- wußtseyn ist. Nicht frei ; denn Freiheit beruht auf der relativen Ent- gegensetzung und relativen Einheit der Möglichkeit und der Wirklichkeit, im Absoluten aber sind beide absolut eins. Nicht unfrei oder noth- wendig; denn es ist affektionslos; es ist nichts in ihm oder außer ihm, das ihn bestimmen könnte, oder wozu es sich neigen könnte. §. 7. Im All ist begriffen, was in Gott begriffen ist . Demnach begreift das All, ebenso wie Gott, sich selbst als unendlich Affirmirendes, als unendlich Affirmirtes und als Einheit beider, ohne selbst eine dieser Formen insbesondere zu seyn (eben weil begreifend), und nicht so, daß die Formen geschieden, sondern so, daß sie in die absoluten Identität aufgelöst sind. §. 8. Das unendliche Affirmirtseyn Gottes im All, oder die Einbildung seiner unendlichen Idealität in die Realität als solche, ist die ewige Natur . Dieß ist eigentlich Lehnsatz. Doch will ich ihn hier beweisen. Die Natur verhält sich zum Universum, absolut betrachtet, wie jedermann zugeben wird, als reales. Nun ist aber auch diejenige Einheit, welche durch Einbildung der unendlichen Idealität in die Realität gesetzt ist, das unendliche Affirmirt seyn Gottes im All, = reale Einheit. Denn herrschend ist das, was das andere aufnimmt. Also ꝛc. Anmerkung . Unterschied zwischen der Natur, sofern sie er- scheint (diese ist bloße Natura naturata — Natur in ihrer Besonde- rung und Trennung vom All — als bloßer Widerschein vom absoluten All), und der Natur an sich , wiefern sie in das absolute All auf- gelöst und Gott in seinem unendlichen Affirmirtseyn ist. §. 9. Die ewige Natur begreift in sich wieder alle Einheiten, die des Affirmirtseyns, des Affirmirenden und der Indifferenz beider . Denn das Universum an sich = Gott. Wäre nun nicht in jedem die Einheit, die das Universum an sich be- greift, wäre also nicht auch in der Natur wieder die ganze unendliche Affirmation, d. h. das ganze Wesen Gottes, so hätte sich Gott im All getheilt, welches unmöglich ist. Jeder der im All begriffenen Einheiten ist also wieder der Abdruck des ganzen All. Zur Erklärung : Auch in der erscheinenden Natur sind jene Folgen der unendlichen Affirmation ins Unendliche nachzuweisen; nur sind sie hier nicht ineinander, wie im absoluten All, sondern gesondert und außereinander. Z. B. die Einbildung des Idealen ins Reale oder die Form des Affirmirtseyns im All drückt sich durch Materie aus, die Idealität, welche alle Realität auflöst, das Affirmirende, ist = Licht, die Indifferenz = Organismus. §. 10. Die Natur als solche erscheinend ist keine voll- kommene Offenbarung Gottes . Denn selbst der Organismus ist nur besondere Potenz. §. 11. Vollkommene Offenbarung Gottes ist nur da, wo in der abgebildeten Welt selbst die einzelnen Formen sich in absolute Identität auflösen, welches in der Ver- nunft geschieht. Die Vernunft also ist im All selbst das vollkommene Gegenbild Gottes . Erläuterung . Das unendliche Affirmirtseyn Gottes spricht sich aus in der Natur, als der realen Welt, die dann selbst wieder im All für sich alle Einheit begreift. Ich bemerke hierüber noch Folgendes. — Wir bezeichnen die Einheiten oder die besonderen Folgen der Affirma- tion Gottes, sofern sie im realen oder idealen All wiederkehren, durch Potenzen. Die erste Potenz der Natur ist die Materie, sofern sie mit dem Uebergewicht des Affirmirtseyns oder unter der Form der Einbil- dung der Idealität in die Realität gesetzt ist. Die andere Potenz ist das Licht als die alle Realität in sich auflösende Idealität. Das Wesen der Natur als Natur kann aber einzig durch die dritte Potenz dargestellt werden, welche das gleicherweise Affirmirende des Realen oder der Materie und des Idealen oder des Lichts ist, und eben dadurch beide gleich- setzt. Das Wesen der Materie = Seyn, des Lichts = Thätigkeit. In der dritten Potenz müssen also Thätigkeit und Seyn verbunden und indifferent seyn. Die Materie, nicht an sich, sondern der körperlichen Erscheinung nach betrachtet, ist nicht Substanz, sondern bloß Accidens (Form), dem das Wesen oder das Allgemeine im Licht gegenübersteht. In der dritten Potenz integriren sich beide, es entsteht ein Indifferentes, in dem Wesen und Form ein und dasselbe, das Wesen von der Form, die Form von dem Wesen unzertrennlich ist. Ein solches ist Organismus, weil sein Wesen als Organismus von dem Bestehen der Form unzertrenn- lich ist, weil in ihm ferner das Seyn unmittelbar auch Thätigkeit, das Affirmirte dem Affirmirenden absolut gleich ist. Keine dieser Formen ins- besondere, noch eben deßhalb auch die Natur in den Geschiedenheiten dieser Formen ist eine vollkommene Offenbarung des Göttlichen. Denn nicht der besonderen Folge seiner Affirmation ist Gott gleich, sondern der Allheit dieser Folgen, sofern sie reine Position, als Allheit zugleich absolute Identität ist. Nur also inwiefern die Natur sich selbst wieder in Totalität und absolute Einheit der Formen verklärte — nur insofern wäre sie ein Spiegel der göttlichen. Jenes aber ist nur in der Ver- nunft der Fall. Denn die Vernunft ist ebenso das Auflösende aller besonderen Formen, wie es das All oder Gott ist. Die Vernunft gehört aber eben deßwegen weder der realen noch der idealen Welt ausschließlich an, und (was gleichfalls eine Folge davon ist) weder diese noch jene für sich kann höher als zur Indifferenz , nicht aber zur absoluten Identität gelangen. Wir verfahren nun in Ansehung des idealen All ebenso wie in Ansehung des realen, und stellen zuvörderst den Satz auf: §. 12. Gott als die unendliche, alle Realität in sich be- greifende Idealität, oder Gott als unendlich Affirmiren- des, ist, als solches, das Wesen des idealen All . Dieß ist von selbst deutlich schon durch den Gegensatz. §. 13. Das ideale All begreift dieselben Einheiten in sich, die auch das reale in sich begreift: die reale, ideale und — nicht die absolute Identität beider (denn diese gehört weder ihr noch der realen besonders an) — sondern die Indifferenz bei- der . Auch hier bezeichnen wir diese Einheiten durch Potenzen; nur ist zu bemerken, daß, wie in der realen Welt die Potenzen Potenzen des idealen Faktors sind, so hier des realen vermöge des entgegengesetzten Verhältnisses beider. Die erste Potenz bezeichnet hier das Uebergewicht des Idealen; die Realität ist hier nur in der ersten Potenz des Affir- mirtseyns gesetzt. In diesen Punkt fällt das Wissen , welches demnach mit dem größten Uebergewicht des idealen Faktors oder des Subjektiven gesetzt ist. Die dritte Potenz beruht auf einem Uebergewicht des Realen; der Faktor des Realen ist nämlich hier zur zweiten Potenz erhoben. In diesen Punkt fällt das Handeln als die objektive oder reale Seite, zu der sich das Wissen als die subjektive verhält. Das Wesen der idealen Welt ist aber ebenso wie das Wesen der realen die Indifferenz. Wissen und Handeln indifferenziiren sich also nothwendig in einem Dritten, welches als das Affirmirende beider die dritte Potenz ist. In diesen Punkt fällt nun die Kunst , und ich stelle darnach bestimmt den Satz auf: §. 14. Die Indifferenz des Idealen und Realen als Indifferenz stellt sich in der idealen Welt durch die Kunst dar . Denn die Kunst ist an sich weder ein bloßes Handeln noch ein bloßes Wissen, sondern sie ist ein ganz von Wissenschaft durchdrungenes Handeln, oder umgekehrt ein ganz zum Handeln gewordenes Wissen, d. h. sie ist Indifferenz beider. Dieser Beweis genügt uns für den gegenwärtigen Zweck. Es ver- steht sich, daß wir auf diesen Satz zurückkommen. Hier ist unsere Ab- sicht bloß den allgemeinen Typus des Universums zu entwerfen, um nachher die einzelne Potenz herauszuheben aus dem Ganzen und dem Verhältniß zu diesem gemäß zu behandeln. Wir fahren daher in un- serer Darstellung fort. §. 15. Der vollkommene Ausdruck nicht des Realen noch des Idealen noch selbst der Indifferenz beider (denn diese, wie wir jetzt sehen, hat einen gedoppelten Ausdruck), sondern der absoluten Identität als solcher oder des Göttlichen, sofern es das Auflösende aller Potenzen ist, ist die absolute Vernunft- wissenschaft oder die Philosophie . Die Philosophie ist also in der erscheinenden idealen Welt ebenso das Auflösende aller Besonderungen, wie es Gott in der urbildlichen Welt ist. (Göttliche Wissenschaft.) Weder die Vernunft noch die Philosophie gehören der realen oder idealen Welt als solcher an, ob- gleich dann wieder — in dieser Identität — sich Vernunft und Philo- sophie wie Reales und Ideales verhalten können. Da aber jede für sich absolute Identität ist, so macht dieses Verhältniß keinen wirklichen Unterschied beider. Philosophie ist nur die ihrer selbst bewußte oder sich selbst bewußt werdende Vernunft, die Vernunft dagegen ist der Stoff oder der objektive Typus aller Philosophie. Bestimmen wir das Verhältniß der Philosophie zu der Kunst vor- läufig, so ist es dieses: die Philosophie ist die unmittelbare Darstellung des Göttlichen, wie die Kunst unmittelbar nur Darstellung der Indif- ferenz als solcher (dieß, daß nur Indifferenz, macht das Gegenbildliche aus. Absolute Identität = Urbild). Da indeß der Grad der Perfek- tion oder Realität eines Dings wächst in dem Verhältniß, als es sich der absoluten Idee, der Fülle der unendlichen Affirmation, annähert, je mehr es also andere Potenzen in sich begreift, so ist von selbst klar, daß die Kunst auch wieder das unmittelbarste Verhältniß zur Philosophie hat, und von ihr nur durch die Bestimmung der Besonderheit oder der Gegenbildlichkeit noch unterschieden, denn übrigens ist sie die höchste Potenz der idealen Welt. Nun weiter. §. 16. Den drei Potenzen der realen und idealen Welt entsprechen die drei Ideen (die Idee als Göttliches gehört gleichfalls weder der realen noch der idealen Welt insbesondere an) — die Wahrheit, die Güte und die Schönheit : der ersten Potenz der idealen und realen Welt entspricht die Wahrheit, der zweiten Potenz die Güte, der dritten die Schönheit — im Organismus und in der Kunst. Ueber das Verhältniß, das wir diesen drei Ideen zueinander geben, ferner über die Art, wie sich beide in der realen und idealen Welt differenziiren, uns zu erklären, ist hier nicht der Ort, dieß geschieht in der allgemeinen Philosophie. Nur über das Verhältniß, das wir der Schönheit geben, müssen wir uns erklären. Die Schönheit, kann man sagen, ist überall gesetzt, wo Licht und Materie, Ideales und Reales sich berühren. Die Schönheit ist weder bloß das Allgemeine oder Ideale (dieß = Wahrheit) noch das bloß Reale (dieß im Handeln), also sie ist nur die vollkommene Durchdrin- gung oder Ineinsbildung beider. Schönheit ist da gesetzt, wo das Besondere (Reale) seinem Begriff so angemessen ist, daß dieser selbst, als Unendliches, eintritt in das Endliche und in concreto angeschaut wird. Hierdurch wird das Reale , in dem er (der Begriff) erscheint, dem Urbild, der Idee wahrhaft ähnlich und gleich, wo eben dieses All- gemeine und Besondere in absoluter Identität ist. Das Rationale wird als Rationales zugleich ein Erscheinendes, Sinnliches. Anmerkung : 1) Wie Gott über den Ideen der Wahrheit, der Güte und der Schönheit als ihr Gemeinsames schwebt, so die Philo- sophie. Die Philosophie behandelt weder allein die Wahrheit, noch bloß die Sittlichkeit, noch bloß die Schönheit, sondern das Gemeinsame aller, und leitet sie aus Einem Urquell her. Wollte man die Frage auf- werfen, woher es komme, daß Philosophie, obgleich auch über der Wahrheit ebenso wie über der Güte und über der Schönheit schwebend, dennoch den Charakter der Wissenschaft trage, und ihr Höchstes die Wahrheit sey, so ist zu bemerken, daß die Bestimmung der Philo- sophie als Wissenschaft bloß ihre formelle Bestimmung ist. Sie ist Wissenschaft, aber von der Art, daß in ihr Wahrheit, Güte und Schönheit, also Wissenschaft, Tugend und Kunst selbst sich durchdringen; insofern ist sie also auch nicht Wissenschaft , sondern ein Gemein- sames der Wissenschaft, der Tugend und Kunst. Dieß ihr großer Un- terschied von allen andern Wissenschaften. Mathematik z. B. macht eben keine besonderen sittlichen Forderungen. Philosophie fordert Cha- rakter, und zwar von bestimmter sittlicher Höhe und Energie. Ebenso ist ohne alle Kunst und Erkenntniß der Schönheit Philosophie undenkbar. 2) Der Wahrheit entspricht die Nothwendigkeit, der Güte die Freiheit. Unsere Erklärung der Schönheit, sie sey die Ineinsbildung des Realen und Idealen, sofern sie im Gegenbild dargestellt ist, schließt also auch die in sich: Schönheit ist Indifferenz der Freiheit und der Nothwendigkeit, in einem Realen angeschaut. Wir nennen z. B. schön eine Gestalt, in deren Entwurf die Natur mit der größten Freiheit und der erhabensten Besonnenheit, jedoch immer in den Formen, den Grenzen der strengsten Nothwendigkeit und Gesetzmäßig- keit gespielt zu haben scheint. Schön ist ein Gedicht, in welchem die höchste Freiheit sich selbst wieder in der Nothwendigkeit faßt. Kunst demnach eine absolute Synthese oder Wechseldurchdringung der Freiheit und der Nothwendigkeit. Nun zu den übrigen Verhältnissen des Kunstwerks. §. 17. In der idealen Welt verhält sich die Philoso- phie ebenso zur Kunst, wie in der realen die Vernunft zum Organismus . — Denn wie die Vernunft unmittelbar nur durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen als Seelen organischer Leiber objektiv werden in der Natur, so wird die Philosophie unmittelbar durch die Kunst, und so werden auch die Ideen der Philosophie durch die Kunst als Seelen wirklicher Dinge objektiv. Eben daher verhält sich dann auch Kunst in der idealen Welt, wie sich Organismus in der realen verhält. Hierüber noch folgenden Satz. §. 18. Das organische Werk der Natur stellt dieselbe Indifferenz noch ungetrennt dar, welche das Kunstwerk nach der Trennung, aber wieder als Indifferenz darstellt . Das organische Produkt begreift in sich die beiden Einheiten, der Materie oder der Einbildung der Einheit in die Vielheit, und die ent- gegengesetzte des Lichts oder der Auflösung der Realität in die Idea- lität; und es begreift beide als eins. Aber das Allgemeine oder die unendliche Idealität, welche hier dem Besonderen verknüpft ist, ist selbst noch das dem Endlichen, dem Besondern Untergeordnete (Allgemeines = Licht). Daher, weil das Unendliche hier selbst noch der allgemeinen Bestimmung der Endlichkeit unterliegt, nicht als Unendliches erscheint, auch Nothwendigkeit und Freiheit (das als Unendliches erscheinende Un- endliche) gleichsam noch unter einer gemeinschaftlichen Hülle, noch un- entfaltet ruhen, wie in einer Knospe, die in ihrem Brechen eine neue Welt, die der Freiheit, aufschließen wird. Da nun erst in der idealen Welt der Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, Idealen und Realen, sich als Gegensatz der Nothwendigkeit und der Freiheit aus- spricht, stellt das organische Produkt denselben Gegensatz noch unauf- gehoben dar (weil noch unentfaltet), den das Kunstwerk aufgehoben darstellt, (in beiden dieselbe Identität). §. 19. Nothwendigkeit und Freiheit verhalten sich wie Bewußtloses und Bewußtes. Kunst beruht daher auf der Identität der bewußten und der bewußtlosen Thätigkeit . Die Vollkommenheit des Kunstwerks als solchen steigt in dem Verhält- niß, in welchem es diese Identität in sich ausgedrückt enthält, oder in welchem Absicht und Nothwendigkeit sich in ihm durchdrungen haben. Noch einige andere allgemeine Folgerungen: §. 20. Schönheit und Wahrheit sind an sich oder der Idee nach eins . — Denn die Wahrheit der Idee nach ist ebenso wie die Schönheit Identität des Subjektiven und Objektiven, nur jene subjektiv oder vorbildlich angeschaut, wie die Schönheit gegenbildlich oder objektiv. Anmerkung . Die Wahrheit, die nicht Schönheit ist, ist auch nicht absolute Wahrheit, und umgekehrt. — (Der sehr gemeine Gegensatz von Wahrheit und Schönheit in der Kunst beruht darauf, daß unter Wahrheit die trügerische, nur das Endliche erreichende Wahrheit ver- standen wird. Aus der Nachahmung dieser Wahrheit entstehen jene Kunstwerke, an welchen wir nur die Künstlichkeit bewundern, mit der das Natürliche an ihr erreicht ist, ohne es mit dem Göttlichen zu ver- binden. Diese Art der Wahrheit aber ist noch nicht Schönheit in der Kunst, und nur absolute Schönheit in der Kunst ist auch die rechte und eigentliche Wahrheit. Aus dem gleichen Grund ist die Güte, die nicht Schönheit ist, auch nicht absolute Güte, und umgekehrt. Denn auch die Güte in ihrer Absolutheit wird zur Schönheit — in jedem Gemüth z. B., dessen Sittlichkeit nicht mehr auf dem Kampfe der Freiheit mit der Nothwendigkeit beruht, sondern die absolute Harmonie und Versöhnung ausdrückt. Zusatz . Wahrheit und Schönheit, so wie Güte und Schönheit, verhalten sich daher niemals als Zweck und Mittel; sie sind vielmehr eins, und nur ein harmonisches Gemüth — Harmonie aber = wahre Sittlichkeit — ist auch für Poesie und für Kunst wahrhaft empfänglich. Poesie und Kunst lassen sich nie eigentlich lehren. §. 21. Das Universum ist in Gott als absolutes Kunst- werk und in ewiger Schönheit gebildet . Unter Universum ist nicht das reale oder ideale All, sondern die absolute Identität beider verstanden. Ist nun die Indifferenz des Realen und Idealen im realen oder idealen All Schönheit, und zwar gegenbildliche Schönheit, so ist die absolute Identität des realen und idealen All nothwendig die urbildliche, d. h. absolute Schönheit selbst, und insofern verhält sich auch das Universum, wie es in Gott ist, als absolutes Kunstwerk, in welchem unendliche Absicht mit unendlicher Nothwendigkeit sich durchdringt. Anmerkung . Es folgt zugleich von selbst, daß ebenso vom Standpunkt der Totalität betrachtet, oder betrachtet, wie sie an sich Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 25 sind, alle Dinge in absoluter Schönheit gebildet, die Urbilder aller Dinge, wie sie absolut wahr, auch absolut schön sind, das Verkehrte, Häßliche daher, ebenso wie der Irrthum oder das Falsche, in einer bloßen Privation besteht und nur zur zeitlichen Betrachtung der Dinge gehört. §. 22. Wie Gott als Urbild im Gegenbild zur Schön- heit wird, so werden die Ideen der Vernunft im Gegen- bild angeschaut, zur Schönheit ; und das Verhältniß der Ver- nunft zu der Kunst ist daher dasselbe wie das Verhältniß Gottes zu den Ideen. Durch die Kunst wird die göttliche Schöpfung objektiv dar- gestellt, denn diese beruht auf derselben Einbildung der unendlichen Idealität ins Reale, auf welcher auch jene beruht. Das treffliche deutsche Wort Einbildungskraft bedeutet eigentlich die Kraft der In- einsbildung , auf welcher in der That alle Schöpfung beruht. Sie ist die Kraft, wodurch ein Ideales zugleich auch ein Reales, die Seele Leib ist, die Kraft der Individuation, welche die eigentlich schöpferische ist. §. 23. Die unmittelbare Ursache aller Kunst ist Gott . — Denn Gott ist durch seine absolute Identität der Quell aller In- einsbildung des Realen und Idealen, worauf alle Kunst beruht. Oder: Gott ist der Quell der Ideen. Nur in Gott sind ursprünglich die Ideen. Nun ist aber die Kunst Darstellung der Urbilder, also Gott selbst die unmittelbare Ursache, die letzte Möglichkeit aller Kunst, er selbst der Quell aller Schönheit. §. 24. Die wahre Construktion der Kunst ist Darstel- lung ihrer Formen als Formen der Dinge, wie sie an sich, oder wie sie im Absoluten sind . — Denn nach Satz 21 ist das Universum in Gott als ewige Schönheit und als absolutes Kunstwerk gebildet; nicht minder sind alle Dinge, wie sie an sich oder in Gott sind, ebenso absolut schön, als sie absolut wahr sind. Demnach sind auch die Formen der Kunst, da sie die Formen schöner Dinge sind, Formen der Dinge, wie sie in Gott, oder wie sie an sich sind, und da alle Construktion Darstellung der Dinge im Absoluten ist, so ist die Construktion der Kunst insbesondere Darstellung ihrer For- men als Formen der Dinge, wie sie im Absoluten sind, und demnach auch des Universums selbst als absoluten Kunstwerks, wie es in ewiger Schönheit in Gott gebildet ist. Anmerkung . Mit diesem Satz ist die Construktion der allge- meinen Idee der Kunst vollendet. Die Kunst ist nämlich dargethan als reale Darstellung der Formen der Dinge, wie sie an sich sind — der Formen der Urbilder also. — Es ist uns damit zugleich auch die Richtung der folgenden Construktion der Kunst sowohl ihrem Stoff als auch ihrer Form nach vorgezeichnet. Ist nämlich die Kunst Darstellung der Formen der Dinge, wie sie an sich sind, so ist der allgemeine Stoff der Kunst in den Urbildern selbst, und unser nächster Gegen- stand ist daher Construktion des allgemeinen Stoffes der Kunst oder ihrer ewigen Urbilder, welche Construktion den zweiten Abschnitt der Philosophie der Kunst ausmacht. Zweiter Abschnitt. Construktion des Stoffs der Kunst . In §. 24 ist bewiesen worden: die Formen der Kunst müssen die Formen der Dinge seyn, wie sie im Absoluten oder an sich sind. Demnach wird vorausgesetzt, diese besonderen Formen , wodurch eben das Schöne in einzelnen realen und wirklichen Dingen dargestellt wird, seyen besondere Formen, die im Absoluten selbst sind. Die Frage ist, wie dieß möglich sey. (Es ist dieß ganz dasselbe Problem, welches in der allgemeinen Philosophie durch Uebergehen des Unendlichen ins Endliche, der Einheit in die Vielheit ausgedrückt wird). §. 25. Die besonderen Formen sind als solche ohne Wesenheit, bloße Formen, die im Absoluten nicht anders seyn können, als inwiefern sie als besondere wieder das ganze Wesen des Absoluten in sich aufnehmen . Dieß ist von selbst klar, da das Wesen des Absoluten untheilbar ist. — Hierdurch allein sind sie in Ansehung des Absoluten, d. h. absolut möglich, eben darum auch absolut wirklich, da im Absoluten keine Differenz der Wirklichkeit und der Möglichkeit. Zusatz . Dasselbe ist auch auf folgende Art einzusehen. Das Universum (worunter hier immer das Universum an sich, das ewige, unerzeugte verstanden wird) — das Universum ist, wie das Absolute, schlechthin Eines, untheilbar, denn es ist das Absolute selbst (§. 3), es können also im wahren Universum keine besonderen Dinge seyn, als inwiefern sie das ganze ungetheilte Universum in sich aufnehmen, also selbst Universa sind. Wenn hieraus geschlossen würde, daß es demnach so viele Universa seyen, als Ideen besonderer Dinge sind, so ist dieß eben der Schluß, den wir beabsichtigen. Es gibt entweder überhaupt keine besonderen Dinge, oder jedes derselben ist für sich ein Universum. In Gott selbst, weil er die Einheit aller Formen ist, liegt eben deßwegen das Uni- versum in keiner besonderen Form, weil es in allen, so wie es in allen liegt, weil in keiner besonderen. Wenn die besondere Form an sich reell seyn soll, so kann sie es nicht als besondere, sondern nur als Form des Universums seyn. Z. B. die besondere Form Mensch ist im Ab- soluten nicht als besondere, sondern das eine und ungetheilte Universum in der Form des Menschen. Eben deßwegen ist nichts von dem, was wir einzelne Dinge nennen, an sich reell. Sie sind eben einzelne dadurch, daß sie das absolute Ganze nicht in sich, ihrer besonderen Form, aufnehmen, sich von ihm getrennt haben, und umgekehrt, in- wiefern sie es in sich haben, sind sie nicht mehr einzelne. §. 26. Im Absoluten sind alle besonderen Dinge nur dadurch wahrhaft geschieden und wahrhaft eins, daß jedes für sich das Universum, jedes das absolute Ganze ist . — Geschieden: denn kein einzelnes Ding als solches ist wahrhaft geschieden, absolut geschieden ist nur das Universum, weil keinem andern Dinge weder gleich noch ungleich, weil nichts außer ihm ist, dem es entgegengesetzt oder verglichen werden könnte. Wahrhaft eins , weil in jedem dasselbe ist. Eben deßwegen ist hier auch alle Zahl oder Bestimmung durch Zahl aufgehoben. Das besondere Ding in der Absolutheit wird nicht durch Zahl bestimmt; denn wird auf das Besondere an ihm reflektirt, so ist es selbst das absolute Ganze und hat nichts außer sich; auf das Allgemeine, so ist es in der absoluten Einheit mit allen andern Dingen. Es begreift also nur selbst Einheit und Vielheit unter sich, ist aber nicht durch diese Begriffe bestimmbar. Anmerkung . Diese Begriffe sind von Wichtigkeit a) wegen der gedoppelten Ansicht, die vom Universum überhaupt nothwendig ist, α) der Ansicht des Universums als Chaos , welches, im Vorbeigehen gesagt, die Grundanschauung des Erhabenen ist, sofern nämlich in ihm in absoluter Identität alles als eins liegt, β) als der höchsten Schön- heit und Form, weil es eben durch die Absolutheit der Form , oder dadurch, daß in jedes Besondere und jede Form wieder alle Formen, und demnach die absolute Form gebildet ist, Chaos ist. Wir werden von diesen Begriffen in der Folge sehr bestimmten Gebrauch machen. b) Vorzüglich ist der Begriff der absoluten Geschiedenheit des Beson- deren für die Kunst wichtig, da gerade auf dieser Absonderung der Formen ihre größte Wirkung beruht. Aber diese Absonderung ist eben nur dadurch, daß jedes für sich absolut ist. §. 27. Die besonderen Dinge, sofern sie in ihrer Be- sonderheit absolut, sofern sie also als Besondere zugleich Universa sind, heißen Ideen . Dieser Satz ist bloße Erklärung , also keines Beweises bedürftig, obwohl es sich zeigen ließe, daß schon der erste Urheber der Lehre von den Ideen, wenn er auch diese nicht gerade so erklärt, doch dasselbe darunter verstanden. Erläuterung . Jede Idee ist = Universum in der Gestalt des Besonderen. Aber eben deßwegen ist sie nicht als dieses Besondere real. Das Reale ist immer nur das Universum. Jede Idee hat zwei Ein- heiten, die eine, wodurch sie in sich selbst und absolut ist, die also, wodurch das Absolute in ihr Besonderes gebildet ist, und die, wodurch sie als Besonderes in das Absolute als ihr Centrum aufge- nommen wird. Diese gedoppelte Einheit jeder Idee ist eigentlich das Geheimniß, wodurch das Besondere im Absoluten, und gleichwohl wieder als Besonderes begriffen werden kann. §. 28. Dieselben Ineinsbildungen des Allgemeinen und Besonderen, die an sich selbst betrachtet Ideen, d. h. Bilder des Göttlichen sind, sind real betrachtet Götter . Denn das Wesen, das An-sich von ihnen = Gott . Ideen sind sie nur, inwiefern sie Gott in besonderer Form. Jede Idee ist also = Gott, aber ein besonderer Gott. Anmerkung . Dieser Satz bedarf keiner Erläuterung, um so mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht zu stellen. — Die Idee der Götter ist nothwendig für die Kunst. Die wissenschaftliche Construktion derselben führt uns eben dahin zurück, wohin der Instinkt die Poesie in ihrem ersten Beginn schon geführt hat. Was für die Philosophie Ideen sind, sind für die Kunst Götter, und umgekehrt. §. 29. Die absolute Realität der Götter folgtunmit- telbar aus ihrer absoluten Idealität . — Denn sie sind ab- solut, im Absoluten aber ist Idealität und Realität eins, absolute Möglichkeit = absolute Wirklichkeit. Die höchste Identität ist unmit- telbar die höchste Objektivität. Wer sich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das absolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das absolute Reale ist, ist weder des philosophischen noch des poetischen Sinns fähig. Die Frage nach einer Wirklichkeit, wie sie im gemeinen Bewußtseyn gemacht wird, hat in Ansehung dessen, was absolut ist, gar keine Bedeutung, im Poetischen so wenig als im Philosophischen. Diese Wirklichkeit ist keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit. Alle Gestalten der Kunst, also vornämlich die Götter sind wirk- lich , weil sie möglich sind. Wer noch fragen kann, wie so hoch ge- bildete Geister als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug selbst habe opfern können u. s. w., — wer solche Fragen macht, beweist nur, daß er selbst nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen ist, auf dem eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das sogenannte Wirkliche selbst ist. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verstand an die Wirklichkeit der sinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menschen die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren sie den Griechen reeller als jedes andere Reelle. §. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge- theilte Absolutheit von der andern Seite ist das bestim- mende Gesetz aller Göttergestalten . — Denn sie sind die real angeschauten Ideen. Die besondern Dinge aber sind in den Ideen nicht, ohne eben dadurch zugleich wahrhaft oder absolut geschieden und wahrhaft eins, nämlich gleich absolut zu seyn, nach §. 26. Also ist auch strenge Absonderung oder Begrenzung von der einen und gleiche Absolutheit von der andern Seite das bestimmende Gesetz der Götterwelt. Anmerkung . Wir haben vorzüglich auf dieses Verhältniß zu achten, wenn wir die große Bedeutung der Göttergestalten im Einzelnen und im Ganzen fassen wollen. Nur dadurch erstens , daß sie streng begrenzt, daß also sich wechselseitig einschränkende Eigenschaften in einer und derselben Gottheit sich ausschließen und absolut getrennt sind, und daß gleichwohl innerhalb dieser Begrenzung jede Form die ganze Gött- lichkeit in sich empfängt, liegt eigentlich das Geheimniß ihres Reizes und ihrer Fähigkeit für Kunstdarstellungen. Dadurch erhält die Kunst gesonderte, beschlossene Gestalten, und in jeder doch die Totalität, die ganze Göttlichkeit. Ich sehe mich hier in der Nothwendigkeit, um durch Beispiele verständlich zu werden, diese aus der griechischen Götterwelt zu entlehnen, obgleich wir die vollständige Construktion derselben erst durch die ganze Folge erhalten können. Indeß wenn Sie sehen, daß alle Züge der griechischen Götter auf unsere Deduktion des Gesetzes aller Göttergestalten passen, so muß zum voraus auch zugegeben werden, daß die griechische Mythologie das höchste Urbild der poetischen Welt ist. Also um einige Beispiele für den Satz zu geben, daß reine Be- grenzung einerseits und ungetheilte Absolutheit andererseits das Wesen der Göttergestalten; so ist die Minerva das Urbild der Weisheit und Stärke in Vereinung, aber die weibliche Zärtlichkeit ist ihr genommen; beide Eigenschaften vereinigt würden diese Gestalt zur Gleichgültigkeit, und demnach mehr oder weniger zur Nullität reduciren. Juno ist Macht ohne Weisheit und sanften Liebreiz, den sie von der Venus mit ihrem Gürtel borgt. Wäre dagegen dieser zugleich die kalte Weisheit der Minerva verliehen, so wären ohne Zweifel ihre Wirkungen nicht so verderblich, als es die des trojanischen Kriegs sind, den sie veranlaßt, um die Lust ihres Lieblings zu befriedigen. Aber dann wäre sie auch nicht mehr die Göttin der Liebe, und darum kein Gegenstand der Phan- tasie mehr, für die das Allgemeine und Absolute im Besonderen — in der Begrenzung — das Höchste ist. Man kann also, von dieser Seite die Sache angesehen, mit Moriz sagen, daß es eben die gleichsam fehlenden Züge sind in den Erscheinungen der Göttergestalten, was ihnen den höchsten Reiz gibt und sie wieder untereinander verflicht. Das Geheimniß alles Lebens ist Synthese des Absoluten mit der Begrenzung. Es gibt ein gewisses Höchstes in der Weltanschauung, das wir zur vollkommenen Befriedi- gung fordern, es ist: höchstes Leben, freiestes, eigenstes Daseyn und Wirken ohne Beengung oder Begrenzung des Absoluten. Das Absolute an und für sich bietet keine Mannichfaltigkeit dar, es ist insofern für den Verstand eine absolute, bodenlose Leere. Nur im Besonderen ist Leben. Aber Leben und Mannichfaltigkeit, oder überhaupt Besonde- res ohne Beschränkung des schlechthin Einen, ist ursprünglich und an sich nur durch das Princip der göttlichen Imagination, oder, in der abgeleiteten Welt, nur durch die Phantasie möglich, die das Absolute mit der Begrenzung zusammenbringt und in das Besondere die ganze Göttlichkeit des Allgemeinen bildet. Dadurch wird das Universum be- völkert, nach diesem Gesetz strömt vom Absoluten, als dem schlechthin Einen, das Leben aus in die Welt; nach demselben Gesetz bildet sich wieder in dem Reflex der menschlichen Einbildungskraft das Universum zu einer Welt der Phantasie aus, deren durchgängiges Gesetz Absolut- heit in der Begrenzung ist. Wir verlangen für die Vernunft sowohl als für die Einbildungs- kraft, daß nichts im Universum gedrückt, rein beschränkt und unterge- ordnet sey. Wir fordern für jedes Ding ein besonderes und freies Leben. Nur der Verstand ordnet unter, in der Vernunft und in der Einbildungskraft ist alles frei und bewegt sich in dem gleichen Aether, ohne sich zu drängen und zu reiben. Denn jedes für sich ist wieder das Ganze. Der Anblick der reinen Beschränktheit ist von dem unter- geordneten Standpunkt aus bald lästig, bald schmerzlich, bald sogar beleidigend, auf jeden Fall widerlich. Für die Vernunft und Phantasie wird auch die Begrenzung entweder nur Form des Absoluten oder, als Begrenzung aufgefaßt, ein unerschöpflicher Quell des Scherzes und des Spiels, denn mit der Begrenzung zu scherzen ist erlaubt, da sie dem Wesen nichts entzieht, an sich bloße Nichtigkeit ist. So spielt in der griechischen Götterwelt der kühnste Scherz wieder mit den Phan- tasiebildern ihrer Götter, wie wenn Venus von Diomedes verwundet ist, und Minerva spottet: „Gewiß hat Venus eine geschmückte Griechin überreden wollen, zu den Trojanern mitzugehen, und mit der goldenen Spange der Griechin die Hand sich geritzt“, und Zeus lächelnd zu ihr mit sanften Worten spricht: Nicht dir wurden verlieh’n, mein Töchterchen, Werke des Krieges; Ordne du lieber hinfort anmuthige Werke der Hochzeit, Jene besorgt schon Ares, der stürmende, und Athenäa Ilias V, 424 ff. . Als eine Folge aus dem aufgestellten Princip kann ferner ange- sehen werden, daß die vollkommenen Götterbildungen erst erscheinen können, nachdem das rein Formlose, Dunkle, Ungeheure verdrungen ist. In diese Region des Dunkeln und Formlosen gehört noch alles, was unmittelbar an die Ewigkeit, den ersten Grund des Daseyns er- innert. Es ist schon öfters bemerkt worden, daß erst die Ideen das Absolute aufschließen; nur in ihnen ist eine positive, zugleich begrenzte und unbegrenzte Anschauung des Absoluten. Als der gemeinschaftliche Keim der Götter und der Menschen ist das absolute Chaos Nacht, Finsterniß. Auch die ersten Gestalten, welche die Phantasie aus ihm geboren werden läßt, sind noch formlos. Es muß eine Welt unförmlicher und ungeheurer Gestalten versinken, ehe das milde Reich der seligen und bleibenden Götter eintreten kann. Auch in dieser Beziehung bleiben die griechischen Dichtungen dem Gesetz aller Phantasie getreu. Die ersten Geburten aus den Umarmungen des Uranos und der Gäa sind noch Ungeheuer, hundertarmige Riesen, mächtige Cyclopen und die wilden Titanen, Geburten, vor denen sich der Erzeuger selbst entsetzt und sie wieder in den Tartaros verbirgt. Das Chaos muß seine eignen Geburten wieder verschlingen. Uranos, der seine Kinder birgt, muß verdrungen werden, es beginnt die Herr- schaft des Kronos. Aber auch Kronos noch verschlingt seine eignen Kinder. Endlich beginnt das Reich des Zeus, aber auch dieses nicht ohne vorhergegangene Zerstörung. Jupiter muß die Cyclopen und die hundertarmigen Riesen befreien, damit sie ihm gegen Saturn und die Titanen beistehen, und erst nachdem er diese Ungeheuer und die letzten Geburten der über die Schmach ihrer Kinder zürnenden Gäa, die him- melstürmenden Giganten und das Ungeheuer, an dem sie ihre letzten Kräfte verschwendet, den Typhöeus besiegt hat, klärt sich der Himmel auf, Zeus nimmt ruhigen Besitz vom heitern Olymp, an die Stelle aller unbestimmten und formlosen Gottheiten treten bestimmte, bezeich- nete Gestalten, an die Stelle des alten Okeanos Neptun, des Tartaros Pluto, an die Stelle des Titanen Helios der ewig jugendliche Apoll. Selbst der älteste aller Götter, Eros, den die älteste Dichtung zugleich mit dem Chaos seyn ließ, wird als Sohn der Venus und des Mars wieder geboren und eine begrenzte, bleibende Gestalt. §. 31. Die Welt der Götter ist kein Objekt weder des bloßen Verstandes noch der Vernunft, sondern einzig mit der Phantasie aufzufassen . — Nicht des Verstandes, denn dieser haftet nur an der Begrenzung, nicht der Vernunft, denn diese kann auch in der Wissenschaft die Synthese des Absoluten und der Be- grenzung nur ideell (urbildlich) darstellen; also der Phantasie, welche dieselbe gegenbildlich darstellt. Also ꝛc. Erklärung . Im Verhältniß zur Phantasie bestimme ich Ein- bildungskraft als das, worin die Produktionen der Kunst empfangen und ausgebildet werden, Phantasie, was sie äußerlich anschaut, sie aus sich hinauswirft gleichsam, insofern auch darstellt. Es ist dasselbe Ver- hältniß zwischen Vernunft und intellektueller Anschauung. In der Ver- nunft und gleichsam vom Stoff der Vernunft werden die Ideen ge- bildet, die intellektuelle Anschauung ist das innerlich Darstellende. Phantasie also ist die intellektuelle Anschauung in der Kunst. §. 32. Die Götter sind an sich weder sittlich noch un- sittlich, sondern losgesprochen von diesem Verhältniß, ab- solut selig . (Dieß ist nothwendig festzuhalten, um den gehörigen Gesichtspunkt vorzüglich für Homers Dichtungen zu fassen. Es ist bekannt, wie viel über die Unsittlichkeit seiner Götter gesprochen worden ist; man hat daraus selbst die Vorzüge der modernen Poesie beweisen wollen. Allein daß dieser Maßstab auf diese höheren Wesen der Phantasie nicht an- gewendet werden könne, erhellt aus Folgendem). Beweis : Sittlichkeit wie Unsittlichkeit beruht auf Entzweiung, indem Sittlichkeit nichts anderes ist als Aufnahme des Endlichen ins Unendliche im Handeln. Allein da, wo beide bis zur absoluten In- differenz eins sind, fällt nothwendig auch jenes, demnach Sittlichkeit, und mit dieser ihr Entgegengesetztes hinweg. Die Unsittlichkeit spricht sich an den homerischen Göttern eben deßwegen nicht als Unsittlichkeit, sondern nur als reine Begrenzung aus. Sie handeln durchaus inner- halb dieser Begrenzung, und sind nur insofern göttlich, als sie inner- halb derselben handeln; nur so ist das Unendliche mit dem Begrenzten in ihnen wahrhaft eins. Sie sind zu betrachten als Wesen einer hö- heren Natur. Sie handeln innerhalb ihrer Begrenzung so frei und nothwendig zugleich, als jedes Naturwesen innerhalb der seinigen; frei , weil es ihre Natur ist so zu handeln und sie kein anderes Gesetz kennen als ihre Natur, nothwendig , aus demselben Grunde, weil ihr Handeln ihnen durch ihre Natur vorgeschrieben ist. Die home- rischen Götter sind daher in ihrer Unsittlichkeit nur naiv und wahrhaft weder sittlich noch unsittlich, sondern ganz freigesprochen von diesem Gegensatz. Wir können denselben Satz nun auch so ausdrücken: die Götter sind absolut selig . Kein anderes Beiwort tragen sie häufiger; ihr Leben macht den beständigen Gegensatz gegen das menschliche, welches voll Mühe, Zwietracht, der Krankheit und dem Alter unterworfen ist. Auch bei Sophokles sagt der alte Oedipus zu Theseus: Oed. Col. v. 607 seq. O theurer Sohn des Aegeus, nur den Göttern ist Gegeben nie zu altern noch zu sterben je; Das andre alles aber mischt die Macht der Zeit. Die Kraft der Erde schwindet, auch die Kraft des Leibs, Es welkt dahin der Glaube, Untreu blühet auf. Die Tragödie wie das epische Gedicht ist voll dieses Gegensatzes. Wir können die Nothwendigkeit dieses Attributs der Götter unmittelbar aus dem Princip einsehen, aus dem sie überhaupt begriffen werden, nämlich: als absolute Wesen besondere und als besondere absolute zu seyn . — Daß überhaupt Sittlichkeit nichts Höchstes sey, nichts also, was Göttern zugeschrieben werden könnte, erhellt aus dem Gegensatz, den sie an der Glückseligkeit hat, und in dem eigentlich alles Endliche befangen ist. Wie Sittlichkeit Aufnahme des Endlichen oder Besonderen ins Unendliche, so Seligkeit Aufnahme des Unendlichen ins Endliche oder Besondere. In der ersten, wo das Besondere ins Allgemeine aufgenommen wird, unterliegt das Besondere dem Gesetz als dem Allgemeinen, es verhält sich wie der Körper, der der Schwere gehorcht Vgl. Philosophie und Religion, S. 61. D. H. . Die Götter, in deren Natur beide Einheiten vereinigt sind, leben eben deßwegen kein abhängiges und bedingtes, sondern ein freies und unabhängiges Leben, sie genießen als besondere gleichwohl die Seligkeit des Absoluten, und umgekehrt (Streben nach Seligkeit = Stre- ben, der Absolutheit als ein Besonderes zu genießen), ein Verhältniß, wovon nur etwa an den Weltkörpern, als den ersten sinnlichen Bildern der Götter, ein Beispiel, die zugleich als besondere absolut — in sich selbst —, und hinwiederum in ihrer Absolutheit besondere , und dem- nach zugleich außer dem Centro und im Centro sind. Insofern nun beide Einheiten in ihrer Absolutheit einander in sich schließen, weil das Besondere nicht absolut seyn kann, ohne eben dadurch auch wieder im Absoluten zu seyn, und inwiefern in diesem Betracht Seligkeit und Sittlichkeit wieder ein und dasselbe sind, kann man auch sagen, die Götter seyen eben deßwegen absolut sittlich, weil sie absolut selig sind. §. 33. Das Grundgesetz aller Götterbildungen ist das Gesetz der Schönheit . — Denn Schönheit ist das real ange- schaute Absolute. Die Götterbildungen sind das Absolute selbst im Besonderen (oder synthesirt mit der Begrenzung) real angeschaut. Also ꝛc. Man könnte dagegen einwerfen: eben deßwegen, weil mit Begren- zung, seyen die Götterbildungen nicht absolut schön. Allein ich kehre es vielmehr um, daß nämlich das Absolute nur in der Begrenzung, nämlich im Besonderen, angeschaut überhaupt schön ist. Die gänzliche Hinwegnahme aller Begrenzung ist entweder gänzliche Negation aller Form (allein dieß nur, wo die Negation der Form zugleich die absolute Form — wie wir in der Folge hören werden — bei der erhabenen Schönheit) oder durchgängige wechselseitige Einschränkung, d. h. Re- duktion zur Nullität. Jene Art der Schönheit findet sich z. B. in der würdigen und erhabenen Bildung des Jupiter, die gleicher Ausdruck der Weisheit und Macht ohne Schranken ist, wie in der Juno, welche reiner Ausdruck der Macht ohne Verlust der Schönheit. Diese Be- grenzungen sind also nur das, was wir vorläufig die verschiedenen Arten der Schönheit nennen können, da wir diese Untersuchung erst, wenn von den Formen der plastischen Kunst die Rede seyn wird, mit Erfolg anstellen können. Man könnte aber von dem Beispiele der griechischen Mythologie selbst Einwürfe hernehmen, Vulcan, die Bildungen des Pan, des Si- len, der Faunen, der Satyre u. s. w. Was die Bildung des Vulcan betrifft, so zeigt uns diese die große Identität zwischen den Bildungen der Phantasie und der organisch schaffenden Natur. Wie die Natur durch die vorzügliche Ausbildung eines Organs oder Triebs in einer Gattung von Geschöpfen sich genöthigt sieht, es dagegen in einem an- dern zu verkürzen, so hat hier die Phantasie das, was sie den mäch- tigen Armen des Hephästos gab, seinen Füßen entziehen müssen, welche hinkend sind. Aber allgemein gilt in Ansehung der häßlichen Bildungen der griechischen Götterwelt, daß diese sämmtlichen Bildungen in ihrer Art wieder Ideale, nur die umgekehrten Ideale sind, und daß sie dadurch wieder in den Kreis des Schönen aufgenommen werden. Doch auch dieß ist bloß eine anticipirte Erklärung. Was den Vulcan betrifft, so wird die Begrenzung, die bei ihm bis zur Häßlichkeit geht, in der Dichtung wieder Quell des unversiegbaren Scherzes und im Kreis der Götter selbst eines unauslöschlichen Gelächters, wenn er den Nektarbecher herumreicht. Vorzüglich zeigt sich nun das Schöne als Canon aller Götterbil- dung in der Milderung alles Furchtbaren und Schrecklichen durch das Schöne. Die Parcen, nach der ältesten Dichtung Töchter der Nacht, nach einer späteren des Jupiter und der Themis, sind nicht nur in der bildenden Kunst mit hoher Schönheit gebildet, sondern auch die ganze Vorstellung der Phantasie von ihnen deutet auf diese Milderung hin. Dienerinnen der unerbittlichen Nothwendigkeit führen sie doch das höchste Geschäft, die Lenkung der menschlichen Dinge, wie die leichtste Arbeit — als einen zarten Faden, der durch ihre Hände läuft, der sanft und ohne Mühe zerschnitten wird. §. 34. Die Götter bilden nothwendig unter sich wie- der eine Totalität, eine Welt (hiermit gehe ich in die innere Construktion ein). — Denn da in jeder Gestalt das Absolute mit Be- grenzung gesetzt ist, so setzt sie eben dadurch andere voraus, und mittel- bar oder unmittelbar jede einzelne alle anderen und alle jede einzelne. Demnach bilden sie nothwendig unter sich wieder eine Welt, worin alles durcheinander wechselseitig bestimmt ist, ein organisches Ganzes, eine Totalität, eine Welt. §. 35. Einzig, indem die Götter unter sich eine Welt bilden, erlangen sie eine unabhängige Existenz für die Phantasie oder eine unabhängige poetische Existenz . Dieser Satz folgt unmittelbar, denn nur dadurch werden sie Wesen einer eignen Welt, die ganz für sich besteht und von der insgemein sogenann- ten wirklichen völlig getrennt ist. Jede Berührung mit der gemeinen Wirklichkeit oder mit Begriffen dieser Wirklichkeit zerstört nothwendig den Zauber dieser Wesen selbst, denn dieser beruht eben darauf, daß es nach §. 29 zu ihrer Wirklichkeit nichts anderes als die Möglichkeit bedarf, daß sie also in einer absoluten Welt leben, welche real anzu- schauen nur der Phantasie möglich ist. Zur Erläuterung der beiden vorhergehenden Sätze (34 und 35). Nachdem einmal diese eigentliche Welt der Phantasie erschaffen ist, ist der Einbildung keine weitere Grenze gesetzt, eben deß- wegen, weil innerhalb derselben alles Mögliche unmittelbar wirklich ist. Diese Welt kann, ja muß sich also von Einem Punkt aus ins Unend- liche bilden; kein mögliches Verhältniß der Götter unter sich und keine mögliche Begrenzung in Ansehung des Absoluten ist nun ausgeschlossen. — Dadurch, daß alle Gestalten als für sich bestehende Wesen in allen Verwicklungen und Verhältnissen betrachtet werden, daß sich unter ihnen selbst wieder ein Kreis von Beziehungen und eine eigne Geschichte bil- det, erlangen sie die höchste Objektivität, wodurch dann diese Dichtungen sämmtlich in die Mythologie übergehen. Was insbesondere die Totalität der Bildungen in der griechischen Mythologie betrifft, so läßt sich zeigen, daß in der That alle Möglich- keiten, die in dem Ideenreich liegen, wie es von der Philosophie con- struirt wird, in der griechischen Mythologie vollkommen erschöpft sind. — Die Nacht und das Fatum, das selbst über den Göttern, wie jene die Mutter der Götter ist, sind der dunkle Hintergrund, die ver- borgene geheimnißvolle Identität, aus der sie alle hervorgegangen sind. Immer schweben beide noch über ihnen; aber im lichten Reich der be- grenzten und erkennbaren Gestalten ist Jupiter der absolute Indifferenz- punkt, in ihm ist die absolute Macht mit der absoluten Weisheit ge- paart; denn als ihm, da er zuerst mit der Metis sich vermählte, ge- weissagt wurde, daß diese von ihm einen Sohn gebären würde, der, beider Naturen vereinend, alle Götter beherrschen würde, zog er diese in sich selbst hinüber und vermählte sie ganz mit sich: offenbares Sinn- bild der absoluten Indifferenz der Weisheit und Macht im ewigen Wesen. Nun gebar er unmittelbar aus sich selbst die Minerva, die gerüstet und gewappnet aus seinem ewigen Haupte entsprang, das Sinnbild der absoluten Form und des Universums, als Bildes der göttlichen Weisheit, das zumal, in seiner ganzen Form, ohne Zeit aus dem ewigen Princip entspringt. Nur nicht : daß etwa Jupiter oder Minerva dieß bedeutet oder auch bedeuten sollen . Dadurch würde alle poetische Unabhängigkeit dieser Gestalten vernichtet. Sie bedeuten es nicht, sie sind es selbst. Die Ideen in der Philosophie und die Götter in der Kunst sind ein und dasselbe, aber jedes ist für sich das, was es ist, jedes eine eigne Ansicht desselbigen, keines um des andern willen, oder um das andere zu bedeuten. — In der Bil- dung des Jupiter sind alle Beschränkungen entfernt außer der noth- wendigen; die Begrenzungen sind nur da, um das Wesentliche schauen zu lassen. Die absolute Macht ist eben darum, weil sie dieß ist, wieder die höchste Ruhe: Jupiter winkt mit den Augenbraunen, und der Olymp erbebt. Er säet gleichsam die Blitze nur, wie sich ein neuerer Dichter vortrefflich ausdrückt. Minerva trägt in sich selbst alles, was die Form Hohes und Mächtiges, Kunstreiches und Zerstörendes, Vereinendes und Entzweiendes in sich hat. Die Form an und für sich ist kalt, da ihr in dieser Absonderung der Stoff fremd ist, sie ist aber zugleich die höchste Macht, die keine Schwäche, wie keinen Irrthum kennt; sie ist daher zugleich das Urbild und die ewige Erfinderin aller Kunst , und die furchtbare Zerstörerin der Städte, die verwundende und die hei- lende. Sie ist vereinend als die absolute Form, aber auch die Göttin des Kriegs in Bezug auf die menschlichen Geschlechter. Im hohen Olymp, in der heiteren Region des Göttlichen ist kein Streit, denn das Widerstreitende ist hier, gesondert oder vereint, zur gleichen Abso- lutheit ausgebildet; nur in der niederen Welt, wo Form sich gegen Form, Besonderes gegen Besonderes empört, ist Krieg, die Werkstätte der nicht ruhenden Bildung und Zerstörung, des Wechsels und Wan- dels; aber alle diese Erscheinungen der Zerstörung des Kriegs ruhen doch als Möglichkeiten in dem Schooß der absoluten Form. Insofern kann man sagen, daß die jungfräuliche Minerva, die selbst aus keiner Mutter Schooß geboren, die in sich fruchtbarste aller Gottheiten sey. Fast alle Werke der Menschen sind ihre Bildungen; in ihrer Strenge (reinen Form) ist sie die gleiche Göttin des Philosophen, des Künstlers und des Kriegers, und ihre Hoheit ruht vorzüglich darin, daß, uner- achtet sie von allen allein das Entgegengesetzte vereinet, doch in ihr keines das andere stört, und in ihrem Bild doch alles sich auf Eines Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 26 reducirt, daß sie nämlich die unbewegliche, immer gleiche, unveränder- liche Weisheit ist. — Juno hat von dem Zeus die reine Macht ohne die erhabene Weisheit. Daher erstens ihr Haß gegen alles, was durch die Form göttlich ist, und demnach gegen alles Göttliche, was erst in dem von Jupiter neu bezwungenen Lauf der Zeiten gebildet wird, wie gegen den Apollon, die Diana u. s. w. Als Jupiter aus sich selbst die Minerva gebiert, gebiert sie (Juno) ohne Antheil Jupiters, ihm zum Trotz, den Vulcan, den bildenden Künstler sinnreicher Arbeiten ohne die hohe Weisheit der Minerva, den Handhaber des Feuers und Bildner der Waffen, während sein eigner Arm nur den Hammer führt. Sehr bedeutend zeigt sich diese Dichtung und Entgegenstellung mit der Minerva in dem Zusatz, daß der Vulkan nach der Vermählung mit der Minerva gestrebt, daß er in dem vergeblichen Ringen mit ihr die Erde befruchtet, worauf diese den Erichthonios mit den Drachenfüßen gebar. Bekannt ist, daß die Drachengestalt immer das Erdentsprossene bezeichnet: so ist Vulcan damit als die bloß irdische Form der Kunst, die vergeblich sich der himmlischen zu vermählen trachtet, bezeichnet, ebenso wie auf der andern Seite die ihm vermählte Venus die irdische Schönheit, obwohl ihr hohes Urbild zugleich im Himmel wohnt. Ohne in diese zarten Schöpfungen der Phantasie einen ihnen frem- den Vernunftzusammenhang bringen zu wollen, können wir doch die ganze Kette, wie sie von Jupiter an in die Hauptgottheiten sich fort- setzt, auf folgende Art bestimmen. Jupiter also als der ewige Vater ist der absolute Indifferenzpunkt, der im Olymp ist, erhaben über allen Widerstreit; bei ihm wohnt die Gestalt der Minerva, die ewige Weisheit — sein Gegenbild, das aus seinem Haupte entsprungen. Unter ihm ist a ) in der realen Welt das formende und das form- lose Princip (Eisen und Wasser), Vulcan und Neptun, welche, damit die Kette sich nach beiden Seiten schließe, als der dem Jupiter ent- sprechende Indifferenzpunkt, ein unterirdischer Gott wieder zusammen- knüpft, Pluto oder der stygische Jupiter, Herrscher im Reich der Nacht oder der Schwere. Wie dieser Indifferenzpunkt (entsprechend dem Ju- piter) in der realen Welt, so ist b ) Apollon der der idealen Welt, das entgegengesetzteste Bild des Pluto, der alt vorgestellt wird, wie jener in ewig jugendlicher Schönheit; der eine im öden Reich der Schatten, der leeren Dinge und des Dunkels, der andere der Gott des Lichts, der Ideen, der lebendigen Gestalt, der, indem er in seinem Reiche nur das Lebendige duldet, selbst dem von Alter Verwelkten mit sanftem Pfeil den Tod schenkt, wie seine Geschoße, die dicht wie Strah- len schießen, schaarenweise vertilgen, was ihm verhaßt ist, z. B. die Griechen, nachdem sie seinen Priester beleidigt Da die Ideenwelt in der griechischen Mythologie in die Sinnenwelt selbst fällt, so ist die eigentliche Welt der bloß scheinbaren Realität, die Schattenwelt, dafür im Reich der Todten, welches sich zu der Sinnenwelt wieder ebenso wie diese nach den Lehren der Philosophie zur Intellektualwelt verhält. . Alle übrigen Eigen- schaften dieses Gottes, daß er der heilende, der Erzeuger des heil- bringenden Aeskulap, der Führer der Musen, Erleuchter der Zukunft, wie das allsehende Auge der Welt am Himmel ist, — alle diese Züge stimmen zu der Bedeutung zusammen, die wir diesem Götterbild ge- geben haben. Getrennt erblicken wir die hauptsächlichsten dieser Züge wieder in dem Mars, der dem Vulcan auf der ideellen Seite ent- spricht, und der Venus, welche dem formlosen Princip, dem Neptun, als die höchste irdische Form entspricht, die selbst nach der alten Mythologie sich als die Form zuerst dem Reich des Formlosen — dem Ocean — entwand, den unter den neuen Göttern Poseidon be- herrscht. Die Totalität der griechischen Götterwelt wäre übrigens nicht vollkommen, wenn nur das Nothwendige, wenn nicht auch jede be- sondere , ja vielleicht zufällige Ansicht der Dinge in ihr wieder absolut wäre. Ganze Massen von Erscheinungen, die vielleicht nur von einem gewissen Gesichtspunkt als Eines erscheinen, überhaupt alle Arten von Verhältnissen werden als das Allgemeine durch ein Individuum zu- sammengefaßt, welches ohne Zweifel das auffallendste Beispiel der Darstellung des Allgemeinen im Besonderen ist. So ist z. B. die ganze Masse der Erscheinungen, welche das unterirdische Feuer erzeugt, wieder in das Bild des Vulcans zusammengefaßt, wie die, mit welchen das warme innere Leben der Natur unsere Sinne erfüllt, in das Bild der Vesta. Auch die ungeheuren Erzeugungen der noch nicht gemäßigten, aber durch Jupiters Macht gebändigten Natur ziehen sich in den Ti- tanen zusammen, deren sich noch regende Glieder Erschütterungen der festen Erde bewirken. Die Ansicht der Natur als eines unter vielfach wechselnden Gestalten doch immer sich selbst gleichen Ganzen ist in der Gestalt des Proteus fixirt, der nur denen, die unter jeder Verwand- lung ihn mit starken Armen festhielten, zuletzt in der Urgestalt erschien und ihnen das Wahre entdeckte. Die Göttlichkeit, welche auch die Natur in dieser Phantasiewelt erhält, erlaubt auch Verwandlungen der Götter in Thiergestalten, obgleich die griechische Phantasie niemals, wie die ägyptische, die Götter in lauter Thiergestalten verhüllen konnte. Die Totalität forderte, daß in keiner Umgebung etwas der Phantasie- welt Widersprechendes wäre, deßhalb mußte die Vergötterung der Naturdinge nothwendig bis ins Einzelnste fortgesetzt werden, Bäume, Felsen, Berge, Flüsse, auch einzelne Quellen von göttlichen Naturen bewohnt seyn (Genien als Mittelglieder). Die kühnen Spiele der Natur selbst, indem sie nicht selten ihr eignes Ideal auf den Kopf stellt, wo sie mit überfließender Kraft gleichsam verschwenden kann, erneuern sich in der üppigen Fülle der Phantasie, die das Ganze ihrer Welt zuletzt mit den schalkhaften, halb thierischen und halb menschlichen Bildungen der Satyrn und Faunen schloß. Indem hier die mensch- liche Gestalt zur thierischen herabgezogen wird, die nur den Ausdruck der sinnlichen Begier, der Sorglosigkeit in ihren Zügen erkennen läßt, entsteht die entgegengesetzte Wirkung von der, welche durch die Hinauf- bildung derselben Gestalt zum Göttlichen erreicht wurde. Auch hier fordert die Totalität Befriedigung der Phantasie durch Gegensatz. End- lich erscheint auch noch das Umgekehrte, Vereinigung ganz thierischer Leiber mit sinnigem Antlitz, in den Sphinxen. Zuletzt mußten sich die Verwicklungen der Götter auch noch bis in die menschlichen Verhältnisse herein erstrecken. Nicht nur besonders geheiligte Plätze, damit auf diese Weise die ganze Natur geweiht und in eine höhere Welt gehoben würde, sondern auch Theilnahme der Götter an den menschlichen Handlungen wie im trojanischen Krieg. Sogar Thiere werden in die Geschichte der Götter verflochten, wie in der Geschichte von den zwölf Arbeiten des Hercules. §. 36. Das Verhältniß der Abhängigkeit unter Göt- tern kann nicht anders denn als Verhältniß der Zeugung vorgestellt werden (Theogonie). — Denn Zeugung ist die einzige Art der Abhängigkeit, bei welcher das Abhängige gleichwohl in sich absolut bleibt. Nun wird aber zur Idee der Götter erfordert, daß sie als besondere absolut seyen. Also ꝛc. Erläuterung . Die Zeugungen der Götter auseinander sind wieder ein Sinnbild der Art, wie die Ideen ineinander sind und auseinander hervorgehen. Die absolute Idee oder Gott begreift z. B. alle Ideen in sich, und sofern diese als in ihm begriffene doch zugleich wieder als für sich absolut gedacht werden, sind sie aus ihm gezeugt, daher Jupiter Vater der Götter und Menschen, und selbst schon ge- borene Wesen werden durch ihn wieder gezeugt, da mit ihm der Lauf der Welt erst anhebt, und alles in ihm seyn muß, um in der Welt zu seyn. §. 37. Erklärung. Das Ganze der Götterdichtungen , indem sie zur vollkommenen Objektivität oder unabhängigen poetischen Existenz gelangen, ist die Mythologie . (Bloße Erklärung, also keines Beweises bedürftig). §. 38. Mythologie ist die nothwendige Bedingung und der erste Stoff aller Kunst . Alles Bisherige der Beweis. Der nervus probandi liegt in der Idee der Kunst als Darstellung des absolut, des an sich Schönen durch besondere schöne Dinge; also Darstellung des Absoluten in Be- grenzung ohne Aufhebung des Absoluten. Dieser Widerspruch ist nur in den Ideen der Götter gelöst, die selbst wieder keine unabhängige, wahrhaft objektive Existenz haben können als in der vollkommenen Ausbildung zu einer eignen Welt und zu einem Ganzen der Dichtung, welches Mythologie heißt. Zur weiteren Erläuterung . — Die Mythologie ist nichts anderes als das Universum im höheren Gewand, in seiner absoluten Gestalt, das wahre Universum an sich, Bild des Lebens und des wun- dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, selbst schon Poesie und doch für sich wieder Stoff und Element der Poesie. Sie (die Mytho- logie) ist die Welt und gleichsam der Boden, worin allein die Gewächse der Kunst aufblühen und bestehen können. Nur innerhalb einer solchen Welt sind bleibende und bestimmte Gestalten möglich, durch die allein ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunst müssen dieselbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur, die Götterformen, die so nothwendig und ewig fortdauern, als das Geschlecht der Menschen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen und Gattungen und unsterblich wie diese Vergl. hierzu die späteren Aeußerungen in der Einleitung der Philos. der Mythologie, S. 241 ff. und Philosophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3) S. 429. D. H. . Inwiefern Poesie das Bildende des Stoffes, wie Kunst im engeren Sinn der Form ist, so ist die Mythologie die absolute Poesie, gleich- sam die Poesie in Masse. Sie ist die ewige Materie, aus der alle Formen so wundervoll, mannichfaltig hervorgehen. §. 39. Darstellung des Absoluten mit absoluter In- differenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen ist nur symbolisch möglich . Erläuterung . Darstellung des Absoluten mit absoluter In- differenz des Allgemeinen und Besonderen im Allgemeinen = Philosophie — Idee —. Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen = Kunst. Der allgemeine Stoff dieser Darstellung = Mythologie. In dieser also ist schon die zweite Synthese, die der Indifferenz des All- gemeinen und Besonderen mit dem Besonderen gemacht. Der auf- gestellte Satz ist demnach Princip der Construktion der Mythologie überhaupt. Um den Beweis dieses Satzes führen zu können, ist es nöthig, daß wir eine Erklärung des Symbolischen geben; und da diese Darstellungsart wieder die Synthesis zweier entgegengesetzter ist, der schematischen und der allegorischen, so werde ich also bei dieser Gele- genheit erklären, was Schematismus und was Allegorie ist. Erläuterungssätze . Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Besondere bedeutet, oder in welcher das Besondere durch das Allgemeine ange- schaut wird, ist Schematismus . Diejenige Darstellung aber, in welcher das Besondere das All- gemeine bedeutet, oder in welcher das Allgemeine durch das Besondere angeschaut wird, ist allegorisch . Die Synthesis dieser beiden, wo weder das Allgemeine das Be- sondere, noch das Besondere das Allgemeine bedeutet, sondern wo beide absolut eins sind, ist das Symbolische . Diese drei verschiedenen Darstellungsarten haben das Gemein- schaftliche, daß sie nur durch Einbildungskraft möglich und Formen derselben sind, nur daß die dritte ausschließlich die absolute Form ist. Wir haben jedes dieser drei auch noch vom Bild zu unterscheiden. Das Bild ist immer concret, rein besonder, und von allen Seiten so bestimmt, daß zur völligen Identität mit dem Gegenstand nur der be- stimmte Theil des Raumes fehlt, worin letzterer sich befindet. Das Herrschende im Schema dagegen ist das Allgemeine, obgleich allerdings das Allgemeine in ihm als ein Besonderes angeschaut wird. Daher konnte es Kant in der Kritik der reinen Vernunft definiren: als die sinnlich angeschaute Regel der Hervorbringung eines Gegenstandes. Es steht insofern allerdings zwischen dem Begriff und dem Gegenstand in der Mitte, und ist in dieser Beziehung Produkt der Einbildungskraft. Am deutlichsten sieht man, was Schema sey, aus dem Beispiel des mechanischen Künstlers, der einen Gegenstand bestimmter Form einem Begriffe gemäß hervorbringen soll. Dieser Begriff schematisirt sich ihm, d. h. er wird ihm unmittelbar in der Einbildungskraft in seiner Allgemeinheit zugleich das Besondere und Anschauung des Besonderen. Das Schema ist die Regel, welche sein Hervorbringen leitet, aber er schaut in diesem Allgemeinen zugleich das Besondere an. Er wird dieser Anschauung gemäß zuerst nur den rohen Entwurf des Ganzen hervorbringen, dann die einzelnen Theile vollständig ausbilden, bis ihm das Schema allmählich zum völlig concreten Bild wird, und noch mit der vollständig eintretenden Bestimmung des Bildes in seiner Ein- bildungskraft auch das Werk selbst vollendet ist. Was Schema und Schematismus sey, kann also jeder nur durch eigne innere Anschauung erfahren; da aber unser Denken des Beson- deren eigentlich immer ein Schematisiren desselben ist, so bedarf es eigentlich bloß der Reflexion auf den beständig, selbst in der Sprache geübten Schematismus, um sich der Anschauung davon zu versichern. In der Sprache bedienen wir uns auch zur Bezeichnung des Beson- deren doch immer nur der allgemeinen Bezeichnungen; insofern ist selbst die Sprache nichts anderes als ein fortgesetztes Schematisiren. Es gibt nun allerdings auch einen Schematismus der Kunst, allein nach der Erklärung selbst, die wir davon gegeben haben, ist offenbar, daß bloßer Schematismus keine vollkommene Darstellung des Absoluten im Besonderen heißen könne, obgleich das Schema als Allgemeines auch wieder ein Besonderes ist, aber nur so, daß das Allgemeine das Besondere bedeutet. Es wäre also unmöglich, Mythologie überhaupt, oder die griechische insbesondere, da sie wahre Symbolik ist, bloß als einen Schematismus der Natur oder des Universums zu begreifen, ob- gleich es allerdings scheinen möchte, daß einzelne Elemente derselben so gedeutet werden können. Man könnte jenes schon bemerkte Zusammen- fassen besonderer, zu einem gewissen beschränkten Kreis gehöriger Er- scheinungen auf ein Individuum als Schematismus begreifen, indem man nun dieses Individuum selbst wieder als das Allgemeine jener Erscheinungen begriffe. Aber ebenso gut könnte man umgekehrt sagen, daß in ihnen vielmehr das Allgemeine (volle Massen von Erscheinungen) durch das Besondere bedeutet werde, welches ebenso viel Wahrheit hätte als das Erste, da in der symbolischen Darstellung eben beides vereinigt ist. Ebenso, wenn man Mythologie nur überhaupt als eine bloß höhere Sprache begreifen wollte, da die Sprache allerdings ganz schematisirend ist. Was nun die Allegorie betrifft, so ist sie das Umgekehrte des Schema, also wie dieses auch eine Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen, aber so, daß Besonderes hier das Allgemeine bedeutet oder als Allgemeines angeschaut wird. Am ehesten konnte noch diese Erklärungsart auf die Mythologie mit einigem Schein angewendet werden, und ist auch vielfach angewendet worden. Allein es tritt hier dasselbe ein, was in Ansehung des Schematismus. In der Allegorie bedeutet das Besondere nur das Allgemeine, in der Mythologie ist es zugleich selbst das Allgemeine. Aber eben deßwegen ist auch alles Symbolische sehr leicht zu allegorisiren, weil die symbolische Bedeutung die allegorische ebenso in sich schließt, wie in der Ineinsbildung des Allgemeinen und Besonderen auch die Einheit des Besonderen mit dem Allgemeinen wie die des Allgemeinen mit dem Besonderen enthalten ist. Daß nun allerdings bei Homer, so wie in den Darstellungen der bil- denden Kunst, die Mythen nicht allegorisch, sondern mit absoluter poe- tischer Unabhängigkeit, als Realität für sich gemeint seyen, konnte man sich nicht verbergen. Daher wurde in neueren Zeiten ein anderes Ex- pediens ausgedacht. Man sagte nämlich, ursprünglich seyen die Mythen allegorisch gemeint, aber Homer habe sie gleichsam episch travestirt, rein poetisch genommen und daraus diese angenehmen Kindermährchen zu- sammengesetzt, die er in der Ilias und Odyssee erzählte. Dieß ist be- kanntlich die Vorstellung, welche Heyne aufgebracht und seine Schule geltend zu machen gesucht hat. Die innere Geistlosigkeit einer solchen Vorstellung überhebt uns aller Widerlegung derselben. Es ist, möchte man sagen, die gröbste Art, das Poetische des Homeros zu zerstören. Das Gepräge einer solchen gemeinen Absichtlichkeit wird man an keiner Spur seiner Werke erkennen Man vergl. die zweite Vorlesung der Einleitung in die Philosophie der Mythologie. D. H. . Der Zauber der homerischen Dichtung und der ganzen Mythologie ruht allerdings mit darauf, daß sie die allegorische Bedeutung auch als Möglichkeit enthält — man kann auch wirklich durchweg alles alle- gorisiren. — Darauf beruht die Unendlichkeit des Sinns in der grie- chischen Mythologie. Aber das Allgemeine ist nur als Möglichkeit darin. Das An-sich davon ist weder allegorisch noch schematisch, son- dern die absolute Indifferenz beider — das Symbolische. Diese In- differenz war hier das Erste . Homeros hat diese Mythen nicht erst unabhängig poetisch und symbolisch gemacht, sie waren dieß gleich im Anfang; daß man das Allegorische in ihnen sonderte, war ein Einfall späterer Zeiten, der erst nach Erlöschung alles poetischen Geistes möglich war. So läßt es sich auch, wie ich im Folgenden zeigen werde, hin- länglich evident machen, daß der homerische Mythos, und insofern Homer selbst, in der griechischen Poesie absolut das Erste und der Anfang ist. Die allegorischen Poesien und Philosopheme, wie es Heyne nennt, sind durchaus das Werk späterer Zeiten. Die Synthesis ist das Erste. Dieß ist das allgemeine Gesetz der griechischen Bildung, welche eben dadurch ihre Absolutheit beweist. So sehen wir auch deutlich, daß die Mythologie sich schließt, sowie die Allegorie anfängt. Der Schluß der griechischen Mythe ist die bekannte Allegorie von Amor und Psyche. Die gänzliche Entfernung der griechischen Phantasie vom Allego- rischen zeigt sich vorzüglich darin, daß selbst Personificata, die man am ehesten für allegorische Wesen halten könnte, wie z. B. die Eris (Zwietracht) doch durchaus nicht bloß als Wesen, die etwas bedeuten sollen, sondern als reelle Wesen, die zugleich das sind, was sie be- deuten, behandelt werden. (Gegensatz der Neueren hierin: Dante alle- gorisch im höchsten Styl, dann Ariosto, Tasso. Beispiel: Voltaires Henriade, wo das Allegorische ganz sichtbar und grob). Der Begriff des Symbolischen ist jetzt durch den Gegensatz hin- länglich erläutert. Man kann die Stufenfolge der drei Darstellungs- arten wieder als eine Stufenfolge von Potenzen ansehen. Insofern sind sie wieder allgemeine Kategorien. Man kann sagen: die Natur in der Körperreihe allegorisirt bloß, da nur Besonderes Allgemeines be- deutet, ohne es selbst zu seyn; daher keine Gattungen. Im Licht im Gegensatz mit den Körpern ist sie schematisirend, im Organischen symbolisch, denn hier ist der unendliche Begriff dem Objekt selbst verbunden, das Allgemeine ist ganz das Besondere und das Be- sondere das Allgemeine. Ebenso das Denken ist ein bloßes Schema- tisiren, alles Handeln dagegen allegorisch (denn als Besonderes be- deutend ein Allgemeines), die Kunst ist symbolisch. Auch auf die Wissenschaften ist dieser Unterschied überzutragen. Die Arithmetik ist allegorisirend, denn sie bedeutet durch das Besondere das Allgemeine. Die Geometrie kann man schematisirend nennen, insofern als sie durch das Allgemeine das Besondere bezeichnet. Endlich die Philosophie ist unter diesen Wissenschaften die symbolische. (Wir werden zu denselben Begriffen bei der Construktion der einzelnen Kunstformen zurückkehren. Die Musik ist eine allegorisirende Kunst, die Malerei schematisirend, die Plastik symbolisch. Ebenso in der Poesie die Lyrik allegorisch, die epische Poesie hat die nothwendige Hinneigung zum Schematisiren, die Dramatik ist symbolisch). Als ein nothwendiger Folgesatz geht nun aus dieser ganzen Untersuchung hervor: die Mythologie überhaupt und jede Dichtung der- selben insbesondere ist weder schematisch noch allegorisch, sondern sym- bolisch zu begreifen. Denn die Forderung der absoluten Kunstdarstellung ist: Darstel- lung mit völliger Indifferenz , so nämlich, daß das Allgemeine ganz das Besondere, das Besondere zugleich das ganze Allgemeine ist , nicht es bedeutet. Diese Forderung ist poetisch gelöst in der Mytho- logie. Denn jede Gestalt in ihr ist zu nehmen als das, was sie ist, denn eben dadurch wird sie auch genommen als das, was sie bedeutet. Die Bedeutung ist hier zugleich das Seyn selbst, übergegangen in den Gegenstand, mit ihm eins. Sobald wir diese Wesen etwas bedeuten lassen, sind sie selbst nichts mehr . Allein die Realität ist bei ihnen mit der Idealität eins (§. 29), d. h. auch ihre Idee , ihr Begriff, wird zerstört, wofern sie nicht als wirklich gedacht werden. Ihr höchster Reiz beruht eben darauf, daß sie, indem sie bloß sind ohne alle Be- ziehung — in sich selbst absolut —, doch zugleich immer die Bedeutung durchschimmern lassen. Wir begnügen uns allerdings nicht mit dem bloßen bedeutungslosen Seyn , dergleichen z. B. das bloße Bild gibt, aber ebensowenig mit der bloßen Bedeutung, sondern wir wollen, was Gegenstand der absoluten Kunstdarstellung seyn soll, so concret, nur sich selbst gleich wie das Bild, und doch so allgemein und sinn- voll wie der Begriff; daher die deutsche Sprache Symbol vortrefflich als Sinnbild wiedergibt. Selbst an den Naturwesen, z. B. der Pflanze ist die Allegorie nicht zu verkennen, sie ist gleichsam die anticipirte sittliche Schönheit, sie würde aber keinen Reiz für die Phantasie, keine Befriedigung für die Anschauung enthalten, wenn sie um dieser Bedeutung willen und nicht zuerst um ihrer selbst willen wäre. Eben in diesem unabsichtlichen, un- befangenen, nach außen unzweckmäßigen Seyn doch zugleich das Be- deutende, Sinnvolle zu erkennen, entzückt uns. Es als Absicht darin zu erblicken, hebt den Gegenstand selbst für uns auf, der, da er seiner Natur nach absolut seyn soll, um keines Zwecks willen, der außer ihm liegt, daseyn darf. Es ist ein großes Verdienst, das sich unter den Deutschen und überhaupt zuerst Moritz gemacht hat, die Mythologie in dieser ihrer poetischen Absolutheit darzustellen. Obgleich die letzte Vollendung der Ansicht bei ihm fehlt, und er nur zeigen kann, daß es mit diesen Dich- tungen so sey, nicht aber die Nothwendigkeit und den Grund davon, so waltet doch in seiner Darstellung durchaus der poetische Sinn, und vielleicht sind die Spuren Goethes darin erkennbar, der diese Ansichten durchaus in seinen eignen Werken ausgedrückt und sie ohne Zweifel auch in Moritz geweckt hat. Ein untergeordneter Folgesatz ist noch: daß ebenso unmittelbar die Mythologie historisch zu begreifen. Ohne Zweifel ist es die am meisten prosaische Ansicht dieser Dich- tungen, nach welcher ein großer Theil der Göttergeschichte Spuren großer Natur-Revolutionen in der Urwelt, die Götter selbst uralte Könige bedeuten u. s. w. Hiermit ginge nun selbst die Beziehung der Mythologie auf Anschauung des Universums und der Natur anders als in der historischen Beziehung, d. h. es ginge das schlechthin Allge- meingültige derselben verloren. Nur als Typus — gleichsam als die urbildliche Welt selbst — hat die Mythologie allgemeine Realität für alle Zeiten. Die wunderbare Verflechtung, die in diesem göttlichen Ganzen stattfindet, läßt uns allerdings erwarten, daß auch Züge aus der Geschichte darein spielen. Aber wer kann in diesem lebendigen Ganzen das Einzelne sondern, ohne den Zusammenhang des Ganzen zu zerstören? Wie diese Dichtungen gleichsam als ein zarter Duft die Natur durch sich erblicken lassen, so wirken sie auch als ein Nebel, durch den wir die entfernte Zeit der Urwelt und einzelne große Gestal- ten erkennen, die sich auf ihrem dunklen Hintergrund bewegen. Alles andere überzeugt uns, daß das gegenwärtige Menschengeschlecht ein Menschengeschlecht aus der zweiten Hand ist, daß also ohne Zweifel, was in den Dichtungen der Mythologie lebt, einst wirklich existirt hat, und ein Göttergeschlecht dem gegenwärtigen der Menschen vorangegangen ist; aber die mythologischen Dichtungen selbst sind doch von einer solchen Wahrheit völlig unabhängig und ganz allein in sich selbst zu betrachten. ( Sie werden sich nun ferner auch nicht wundern, wenn ich von jenen beliebten historisch-psychologischen Erklärungen der Mythologie keinen Gebrauch gemacht habe, nach welchen der Ursprung der Mythologie in den Bestrebungen roher Natursöhne gesucht wird, alles zu personificiren und zu beleben, ungefähr wie es der amerikanische Wilde auch thut, wenn er die Hand in einen Topf siedenden Wassers steckt und glaubt, daß ein Thier darin sey, das ihn gebissen habe. Von dieser rohen Natursprache wäre die Mythologie, nicht dem Princip, sondern nur dem Grad der Ausführung nach verschieden. Nach andern ist sie ein bloßer Nothbehelf wegen der Armuth der Bezeichnungen oder Unwissenheit der Ursachen, z. B. der Gott des Donners, des Feuers u. s. w.). §. 40. Der Charakter der wahren Mythologie ist der der Universalität, der Unendlichkeit . — Denn sie ist nach §. 34 möglich in sich selbst nur, inwiefern sie bis zur Totalität ausge- bildet und das urbildliche Universum selbst darstellt. In diesem aber sind nicht nur alle Dinge, sondern auch alle Verhältnisse der Dinge als absolute Möglichkeiten zumal; dasselbe muß also auch in der My- thologie der Fall seyn: insofern Universalität. Da aber in dem Universum an sich, in der urbildlichen Welt, wovon die Mythologie die unmittelbare Darstellung, Vergangenheit und Zukunft als Eines sind, so muß dasselbe auch in der Mythologie der Fall seyn. Sie muß nicht nur das Gegenwärtige oder auch Vergangene darstellen, sondern auch die Zukunft begreifen; sie muß wie durch prophetische Anticipation auch künftigen Verhältnissen und den unendlichen Entwickelungen der Zeit zum voraus angemessen oder adäquat, d. h. sie muß unend- lich seyn. Diese Unendlichkeit muß sich gegenüber von dem Verstand dadurch ausdrücken, daß kein Verstand fähig ist sie ganz zu entwickeln, daß in ihm selbst eine unendliche Möglichkeit liegt, immer neue Beziehungen zu bilden. §. 41. Die Dichtungen der Mythologie können weder als absichtlich noch als unabsichtlich gedacht werden . — Nicht als absichtlich, denn sonst wären sie um einer Bedeutung willen erfunden, welches nach §. 39 unmöglich ist. Nicht unabsichtlich, weil nicht bedeutungslos. Es ist damit im Grunde dasselbe behauptet, was schon in dem Vorhergehenden implicite behauptet wurde, nämlich die Dichtungen der Mythologie sind zugleich bedeutend und bedeutungslos — bedeutend, weil ein Allgemeines im Besonderen, bedeutungslos, weil beides wieder mit absoluter Indifferenz, so daß das, worin indifferen- ziirt, wieder absolut, um seiner selbst willen ist. §. 42. Die Mythologie kann weder das Werk des einzelnen Menschen noch des Geschlechts oder der Gat- tung seyn (sofern diese nur eine Zusammensetzung der Individuen), sondern allein des Geschlechts, sofern es selbst Indivi- duum und einem einzelnen Menschen gleich ist . Nicht des Einzelnen, weil die Mythologie absolute Objektivität haben, eine zweite Welt seyn soll, die nicht die des Einzelnen seyn kann. Nicht eines Geschlechts oder der Gattung, sofern sie nur eine Zusammensetzung der Individuen, denn alsdann wäre sie ohne harmonische Zusammen- stimmung. Sie fordert also zu ihrer Möglichkeit nothwendig ein Ge- schlecht, das Individuum wie Ein Mensch ist. Die Unbegreiflichkeit, die diese Idee für unsere Zeit haben mag, kann ihrer Wahrheit nichts nehmen. Sie ist die höchste Idee für die ganze Geschichte überhaupt. Analogien, ferne Anspielungen auf ein solches Verhältniß enthält schon die Natur in der Art, wie sich die Kunsttriebe der Thiere äußern, in- dem bei mehreren Gattungen ein ganzes Geschlecht zusammen wirkt, jedes Individuum als das Ganze, und das Ganze selbst wieder als Individuum handelt. Ein solches Verhältniß kann uns in der Kunst um so weniger befremden, da wir eben hier — auf der höchsten Stufe der Produktion — den Gegensatz der Natur und Freiheit noch einmal eintreten sehen, und die griechische Mythologie z. B. uns in der Kunst selbst die Natur wieder bringt, wie ich noch bestimmt beweisen werde. Aber eben auch nur in der Kunst kann die Natur eine solche Eintracht des Individuums und der Gattung bewirken (im Handeln behauptet sie auch ihr Recht, aber weniger auffallend, mehr im Ganzen als im Einzelnen, und im Einzelnen nur für Momente). In der griechischen Mythologie hat die Natur ein solches Werk eines auf ein ganzes Geschlecht ausgedehnten gemeinschaftlichen Kunsttriebs aufgestellt, und die entgegengesetzte Bildung der griechischen, die moderne, hat nichts Aehnliches aufzuweisen, obgleich sie in der Bildung einer universellen Kirche gleichsam instinktmäßig etwas Aehnliches beabsichtigte. Vollkommen deutlich kann dieses Verhältniß, durch welches wir uns die griechische Mythologie als entstanden denken müssen — diese in ihrer Art einzige Besitznahme eines ganzen Geschlechts durch einen gemeinschaftlichen Kunstgeist — nur in der Entgegenstellung gegen den Ursprung der modernen Poesie gemacht werden, zu der ich jetzt nicht fort gehen kann. Ich erinnere an die Wolfsche Hypothese vom Homer, daß er auch in seiner ursprünglichen Gestalt nicht das Werk eines Ein- zigen, sondern mehrerer von dem gleichen Geist getriebener Menschen gewesen. Wolf hat als Kritiker die Sache nur zu empirisch, zu be- schränkt auf das schriftliche Werk, das wir Homer nennen, mit Einem Wort zu untergeordnet angefaßt, um die Idee der Sache selbst, das Allgemeine vielleicht seiner eignen Vorstellung deutlich und anschaulich machen zu können. Ich lasse die unbeschränkte Richtigkeit der Wolfschen Ansicht des Homer hier gänzlich dahingestellt, aber ich will durch den aufgestellten Satz von der Mythologie dasselbe, was Wolf vom Homer, behaupten. Die Mythologie und Homer sind eins, und Homer lag in der ersten Dichtung der Mythologie schon fertig involvirt, gleich- sam potentialiter vorhanden. Da Homer, wenn ich so sagen darf, geistig — im Urbild — schon prädeterminirt, und das Gewebe seiner Dichtungen mit dem der Mythologie schon gewoben war, so ist be- greiflich, wie Dichter, aus deren Gesängen Homer zusammengesetzt wäre, unabhängig voneinander jeder in das Ganze eingreifen konnten, ohne seine Harmonie aufzuheben, oder aus der ersten Identität her- auszugehen. Es war wirklich ein schon — wenn gleich nicht empirisch — vorhandenes Gedicht, was sie recitirten. Der Ursprung der My- thologie und der des Homer fallen also zusammen, daher es begreiflich ist, wie der Ursprung beider schon den frühesten hellenischen Historikern gleich verborgen ist, und schon Herodotos die Sache einseitig vorstellt, nämlich Homeros habe den Hellenen zuerst die Göttergeschichte gemacht. Die Alten selbst bezeichnen die Mythologie und, da diese ihnen mit dem Homer in eins zusammenfällt, die homerischen Dichtungen als die gemeinsame Wurzel der Poesie, der Geschichte und Philosophie. Für die Poesie ist sie der Urstoff, aus dem alles hervorging, der Ocean, um ein Bild der Alten zu gebrauchen, aus dem alle Ströme ausfließen, wie sie alle in ihn zurückkehren. Erst allmählich verliert sich der my- thische Stoff in den historischen; man könnte sagen, erst wie die Idee des Unendlichen hervortritt und die Beziehung auf das Schicksal ent- stehen kann (Herodot). In der Zwischenperiode muß, weil das Un- endliche, noch ganz dem Stoff verbunden, selbst stoffartig wirkt, jener in der Mythologie ausgestreute göttliche Same noch lange in wunderba- ren großen Ereignissen wuchern, wie die des heroischen Zeitalters sind. Die Gesetze gemeiner Erfahrung sind noch nicht eingetreten, noch immer concentriren sich ganze volle Massen von Erscheinungen auf einzelne große Gestalten, wie auch in der Ilias geschieht. Da die Mythologie nichts anderes als die urbildliche Welt selbst ist, die erste allgemeine Anschauung des Universums, so war sie Grundlage der Philosophie, und es ist leicht zu zeigen, daß sie die ganze Rich- tung auch der griechischen Philosophie bestimmt hat. Das Erste, was sich aus ihr loswand, war die älteste Naturphilosophie der Griechen, die noch rein realistisch war, bis zuerst Anaxagoras (νοῦς) und voll- endeter nach ihm Sokrates das idealistische Element darein brachte. Aber auch von dem sittlichen Theil der Philosophie war sie die erste Quelle. Die ersten Ansichten sittlicher Verhältnisse, aber vorzüglich jenes allen Griechen bis zur höchsten Bildung im Sophokles gemein- schaftliche, allen ihren Werken tief eingeprägte Gefühl des untergeord- neten Verhältnisses der Menschen zu den Göttern, der Sinn für Be- grenzung und Maß auch im Sittlichen, die Verabscheuung des Ueber- muths, der frevelnden Gewaltthätigkeit u. s. w., die schönsten sittlichen Seiten der Sophokleischen Werke stammen noch von der Mythologie her. So ist also die griechische Mythologie nicht nur für sich von un- endlichem Sinn, sondern, weil sie auch ihrem Ursprung nach Werk einer Gattung ist, die zugleich Individuum ist, selbst das Werk eines Gottes, wie in der griechischen Anthologie selbst das Sinngedicht auf Homer enthalten ist: War Homeros ein Gott, so werden ihm Tempel errichtet, War er ein Sterblicher, sey dennoch er göttlich verehrt. Noch eine Reflexion. — Wir haben die Mythologie von den ersten Kunstforderungen aus ganz rational construirt, und von selbst stellte sich als die Auflösung aller jener Forderungen die griechische Mytho- logie dar. Hier drängt sich uns das erste Mal die durchgängige Ra- tionalität der griechischen Kunst und Poesie auf, so daß man immer sicher seyn kann, jede ihrer Idee gemäß construirte Kunstgattung, ja fast das Kunstindividuum in der griechischen Bildung anzutreffen. Die moderne Poesie und Kunst dagegen ist die irrationale, insofern die ne- gative Seite der alten Kunst, womit ich sie nicht herabsetzen will, da auch das Negative als solches wieder Form werden kann, die das Vollendete aufnimmt. Es führt uns dieß auf den Gegensatz der antiken und moder- nen Poesie in Bezug auf Mythologie. Schelling , sämmtl. Werke 1. Abth. V. 27 Wie uns schon in der Natur die Wiederkehr desselben Gegensatzes in verschiedenen Potenzen in Verwirrung setzt, wenn wir das allgemeine Gesetz derselben nicht kennen, so noch viel mehr in der Geschichte und dem, was uns der Freiheit anzugehören scheint. Wir würden auch ohne alle anderen Gründe schon bloß durch die Wirklichkeit uns ge- nöthigt sehen, anzunehmen, daß auch in der Kunst selbst — der höchsten Vereinigung von Natur und Freiheit — wieder dieser Ge- gensatz der Natur und Freiheit und der des Unendlichen und End- lichen zurückkehre, und wir bedürfen einer festen Norm, eines aus der Vernunft selbst entworfenen Typus, um die Nothwendigkeit dieser Wie- derkehr zu begreifen. Der bloße Weg der Erklärung führt überhaupt und in nichts zur wahren Erkenntniß. Die Wissenschaft erklärt nicht; unbekümmert, welche Gegenstände aus ihrem rein wissenschaftlichen Handeln hervorgehen mögen, construirt sie; allein eben bei diesem Verfahren wird sie am Ende mit der vollkommenen und geschlossenen Totalität überrascht; die Gegenstände treten unmittelbar, durch die Construktion selbst, an ihre wahre Stelle, und diese Stelle, die sie in der Construktion erhalten, ist zugleich ihre einzig wahre und richtige Erklärung. Es braucht nun nicht weiter von der gegebenen Erschei- nung auf ihre Ursache zurückgeschlossen zu werden; sie ist diese bestimmte, weil sie in diese Stelle tritt, und umgekehrt, sie nimmt diese Stelle ein, weil sie diese bestimmte ist. Nur bei solchem Verfahren ist Noth- wendigkeit. Die griechische Mythologie, um jetzt die nähere Anwendung auf unsern Gegenstand zu machen, könnte von allen Seiten betrachtet und als eine gegebene Erscheinung nach allen Rücksichten erklärt werden, ohne Zweifel würde auch die Erklärung zu derselben Ansicht zurück- führen, welche uns die Construktion gegeben hat — (denn dieß ist eben auch ein Vorzug der Construktion, daß sie das mit der Vernunft anti- cipirt, worauf die richtig angestellte Erklärung am Ende zurück führt), aber immer würde bei diesem Verfahren noch etwas fehlen, die Ein- sicht der Nothwendigkeit und des allgemeinen Zusammenhangs, der für diese Erscheinung gerade diese Stelle und diesen Grund bestimmt. Der Anblick und die genauere Betrachtung der griechischen Mythologie muß jeden, der dafür Sinn hat, überzeugen, daß diese Mythologie in der Sphäre der Kunst selbst die Natur wiederbringe, aber die Construktion bezeichnet zum voraus und mit Nothwendigkeit diese Stelle im allge- meinen Zusammenhang, welche sie einnimmt. Das Princip der Construktion ist, in einem andern und höhern Sinn, das der alten Physik, daß die Natur einen Abscheu vor der Leere hat . Wo demnach im Universum eine leere Stelle ist, füllt sie die Natur aus. Weniger bildlich ausgedrückt: keine Möglich- keit ist im Universum unerfüllt, alles Mögliche ist wirklich. Da das Universum Eins ist, untheilbar, so kann es sich in nichts ergießen, ohne sich ganz darein zu ergießen. Es ist kein Universum der Poesie, ohne daß auch in ihm wieder Natur und Freiheit sich entgegenstehen. Wer unsere Behauptung von der griechischen Mythologie als einem Werk der Natur so verstehen wollte, als wäre sie es auf eine eben so blinde Weise, als es die Hervorbringungen des Kunsttriebs der Thiere sind, würde sie freilich ganz roh verstehen. Aber nicht weniger würde derjenige von der Wahrheit abirren, der sie als ein Werk absolut- poetischer Freiheit denken wollte. Ich habe die Hauptzüge schon angegeben, durch welche die grie- chische Mythologie sich innerhalb der Kunstwelt wieder als die orga- nische Natur darstellt. Es ist schon vielmals bemerkt worden, welche Flucht vor dem Formlosen, dem Unbegrenzbaren in ihr herrschend ist. Wie das Organische ins Unendliche zurück nur aus dem Organischen entstehen kann, so auch hier nichts ohne Zeugung, nichts aus dem Formlosen, dem Unendlichen für sich, sondern immer aus dem schon Gebildeten. Der Unendlichkeit unerachtet, welche die griechische My- thologie noch immer hat, zeigt sie doch nach außen sich durchaus als endlich, vollendet, ihrem ganzen Wesen nach als realistisch. Das Un- endliche zeigt sich hier auf der höheren Stufe wieder ebenso wie im Organismus unmittelbar dem Stoffe verbunden; deßwegen ist, inner- halb dieses Ganzen, alle Bildung eine nothwendige, und betrachtet man es als Ein organisches Wesen, so hat es nach innen wirklich die materielle Unendlichkeit, die das organische Wesen auszeichnet. Bildung quillt aus Bildung hervor, ins Unendliche nicht nur theilbar, sondern wirklich getheilt. Nirgends tritt das Unendliche als unendlich hervor, es ist überall da, aber nur in dem Gegenstand — dem Stoff verbun- den —, nirgends in der Reflexion des Dichters z. B. in den homeri- schen Gesängen. Unendliches und Endliches ruhen noch unter einer gemeinschaftlichen Hülle. Gegenüber von der Natur ist jede ihrer Ge- stalten ideal-unendlich, in der Beziehung auf die Kunst selbst aber durch- aus real-begrenzt und endlich. Daher die gänzliche Abwesenheit aller sittlichen Begriffe in der Mythologie, sofern sie die Götter betrifft. Diese sind organische Wesen einer höheren, einer absoluten, durchaus idealistischen Natur. Sie handeln durchaus als solche, immer ihrer Begrenzung gemäß, und darum wieder absolut. Selbst die sittlichsten Götter, wie Themis, sind doch sittlich nicht aus Sittlichkeit, sondern bei ihnen gehört auch dieses wieder zur Begrenzung. Sittlichkeit ist wie Krankheit und Tod allein den Sterblichen anheim gefallen, und in diesen kann sie sich in Beziehung auf die Götter nur als Empörung gegen diese äußern. Prometheus ist das Urbild der Sittlichkeit, welches die alte Mythologie aufstellt. Er ist das allgemeine Symbol desjenigen Verhältnisses, welches die Sittlichkeit in ihr hat. Darum, weil in ihm die Freiheit sich als Unabhängigkeit von den Göttern äußert, wird er an den Felsen geschmiedet, ewig heimgesucht von dem von Jupiter ge- sandten Geier, der seine immer wieder wachsende Leber nagt. So repräsentirt er das ganze menschliche Geschlecht, und duldet in seiner Person die Qualen der ganzen Gattung. Hier tritt also das Unend- liche allerdings hervor, aber in seinem Hervortreten unmittelbar wieder gefesselt, zurückgehalten und begrenzt. Ebenso wie in der alten Tra- gödie, wo die höchste Sittlichkeit in der Anerkennung der Schranken und der Begrenzung liegt, die dem menschlichen Geschlecht gesetzt ist Man vergl. die spätere Gestaltung dieser Gedanken über Prometheus in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie, 23 Vorlesung. D. H. . Wenn alle Gegensätze überhaupt nur auf einem Ueberwiegen des Einen, niemals auf einem gänzlichen Ausschließen des Entgegengesetzten beruhen, so wird dasselbe nothwendig auch von der griechischen Poesie gelten. Wenn wir daher behaupten, daß Endlichkeit, Begrenzung das Grundgesetz aller griechischen Bildung sey, so ist damit nicht behauptet, daß in ihr überall kein Regen des Entgegengesetzten, des Unendlichen wahrnehmbar sey. Es läßt sich vielmehr der Punkt sehr bestimmt be- zeichnen, bei welchem es entschieden hervortrat. Ohne Zweifel war es der Zeitpunkt des entstehenden Republikanismus, mit welchem auch der Ursprung vorzüglich der lyrischen Kunst und der Tragödie als gleich- zeitig angenommen werden kann Fr. Schlegels Geschichte der Poesie der Griechen und Römer, S. 24. . Aber eben dieß ist der auffallendste Beweis, daß diese entschiedenere und bis zu einer gewissen Aeußerung durchgedrungene Regung des Unendlichen in der griechischen Bildung durchaus nachhomerisch ist. Nicht als ob nicht früher schon in Grie- chenland unmittelbarer aufs Unendliche sich beziehende Gebräuche und religiöse Handlungen gewesen wären, sie schlossen sich gleich ursprüng- lich als Mysterien von dem Allgemeingültigen und der Mythologie ab. Es sollte nicht schwer fallen, zu beweisen, daß alle mystischen Elemente — so will ich bis zur näheren Erklärung vorläufig alle sich unmittelbar auf das Unendliche beziehenden Begriffe nennen — daß alle solche Ele- mente der hellenischen Bildung ursprünglich fremd waren, sowie sie sich selbige auch späterhin nur in der Philosophie aneignen konnte. Die ersten Regungen der Philosophie, deren Beginn überall der Begriff des Unendlichen ist, zeigten sich selbst zuerst in mystischen Ge- dichten, dergleichen die von Platon und Aristoteles erwähnten orphischen Lieder, die Gedichte des Musäos, die zahlreichen Poeme des Sehers und Philosophen Epimenides. Jemehr sich in der griechischen Bildung das Princip des Unendlichen entwickelte, desto mehr bestrebte man sich, dieser mystischen Poesie ein höheres Ansehen des Alters zu geben und ihren Ursprung selbst über das Zeitalter Homers hinaus zu rücken. Allein schon Herodotos widerspricht dem, wenn er sagt, daß alle Dich- ter, die für älter ausgegeben werden als Homeros und Hesiodos, jünger seyen. Homer kennt keine Orgien, keinen Enthusiasmus im Sinne der Priester und der Philosophen. So wenig bedeutend aber diese mystischen Elemente für die Ge- schichte der hellenischen Poesie waren, so merkwürdig sind sie doch uns als die Regungen des entgegengesetzten Pols in der griechischen Bil- dung, und wenn wir den Gegensatz, an seinem höchsten Punkte ange- faßt, als Christenthum und Heidenthum bezeichnen, so deuten sie uns im Heidenthum Elemente des Christenthums an, wie wir dagegen im Christenthum gleiche Elemente des Heidenthums nachweisen können. Sieht man auf das Wesen der griechischen Dichtungen, so hat sich in ihnen Endliches und Unendliches so durchdrungen, daß man in ihnen kein Symbolisiren des einen durch das andere, sondern nur das absolute Gleichsetzen beider wahrnehmen kann. Sieht man aber auf die Form , so ist jene ganze Ineinsbildung des Unendlichen und End- lichen wieder im Endlichen oder im Besonderen dargestellt. Da nun, wo die Einbildungskraft nicht bis zur völligen Wechseldurchdringung beider ging, konnten nur die zwei Fälle stattfinden, daß entweder das Unendliche durch das Endliche, oder das Endliche durch das Un- endliche symbolisirt wurde. Das Letzte war der Fall des Orientalen. Der Grieche zog nicht das einseitig-Unendliche, sondern das schon mit dem Endlichen durchdrungene Unendliche, d. h. das ganze Göttliche, das Göttliche, sofern es Allheit ist, herab in die Endlichkeit. Die griechische Poesie ist insofern die absolute, und hat als Indifferenz- punkt keinen Gegensatz außer sich. Der Orientale war überall nicht bis zur Durchdringung selbst gekommen; nicht nur also, daß in seiner Mythologie Gestalten von wahrhaft unabhängigem poetischem Leben unmöglich sind, seine ganze Symbolik ist auch noch einseitig, nämlich Symbolik des Endlichen durch das Unendliche; er ist daher mit seiner Einbildungskraft ganz in der übersinnlichen oder Intellektualwelt, wohin er auch die Natur versetzt, statt umgekehrt die Intellektualwelt — als die, worin Endliches und Unendliches eins sind — durch die Natur zu symbolisiren und so ins Reich des Endlichen zu versetzen, und insofern kann man wirklich sagen, daß seine Poesie das Umgekehrte der grie- chischen ist. Wenn wir unter dem Unendlichen das absolut Unendliche, demnach die vollkommene Ineinsbildung des Unendlichen und Endlichen ver- stehen, so ging die Richtung der griechischen Phantasie vom Unendlichen oder Ewigen zum Endlichen, die der orientalischen dagegen vom End- lichen zum Unendlichen, aber so, daß in der Idee des Unendlichen die Entzweiung nicht nothwendig aufgehoben war. Vielleicht ist dieß am bestimmtesten darzustellen an der persischen Lehre, soweit sie aus den Zendbüchern und andern Quellen bekannt ist. Die persische und indische Mythologie aber sind unter den idealistischen Mythologien ohne Zweifel die berühmtesten. Es wäre ungeschickt, auf die indische Mythologie dasselbe anwenden zu wollen, was von der griechischen (realistischen) gilt, und die Forderung zu machen, ihre Gestalten unabhängig, an sich, rein als das, was sie sind, zu betrachten. Von der andern Seite ist aber nicht zu leugnen, daß die indische Mythologie der poetischen Be- deutung mehr als die persische sich genähert hat. Wenn diese in allen ihren Bildungen bloßer Schematismus bleibt, so erhebt sich jene wenig- stens zur allegorischen, und das Allegorische ist das herrschende poetische Princip in ihr. Daher die Leichtigkeit oberflächlich poetischer Köpfe, sie sich anzueignen. Zum Symbolischen geht es nicht. Allein da sie doch wenigstens durch Allegorie poetisch ist, so konnte in der weiteren Ausbildung der allegorischen Seite allerdings wahre Poesie entstehen, so daß die indische Bildung Werke ächter Dichtkunst aufzuweisen hat. Der Grund oder Stamm ist unpoetisch; das aber, was gleichsam un- abhängig von diesem sich für sich selbst gebildet hat, ist poetisch. Die herrschende Farbe auch der dramatischen Gedichte der Indier, z. B. der Sakontala und des Sehnsucht- und Wollust-athmenden Gedichts der Gita-Govin, ist die lyrisch-epische. Diese Gedichte sind für sich nicht allegorisch, und wenn etwa die Liebschaften und die Wandelbarkeit des Gottes Krischna (welche das Sujet des zuletzt angeführten Gedichtes ist) ursprünglich allegorische Bedeutung hatten, so haben sie solche wenig- stens in diesem Gedicht verloren. Aber obgleich diese Werke wenigstens als Ganzes nicht allegorisch sind, so ist doch die innere Construktion derselben ganz im Geiste der Allegorie. Man kann allerdings nicht wissen, wie weit die Poesie der Indier sich zur Kunst gebildet hätte, wäre ihnen nicht durch ihre Religion alle bildende Kunst als Plastik versagt gewesen. Man wird den Geist ihrer Religion, ihrer Gebräuche und Poesie am besten fassen, wenn man als den Grundtypus derselben den Pflanzenorganismus denkt. Die Pflanze ist für sich wieder in der organischen Welt das allegorische Wesen. Farbe und Duft, diese stille Sprache, ist ihr einziges Organ, wodurch sie sich zu erkennen gibt. Dieser Pflanzencharakter spricht sich in ihrer ganzen Bildung aus, na- mentlich z. B. der Architektur (Arabesken); sie ist von den plastischen Künsten die einzige, in der sie es zu einem bedeutenden Grad von Ausbildung gebracht haben. Architektur an sich ist noch eine allegorische Kunst, der das Schema der Pflanze zu Grunde liegt, ganz besonders der indischen, von der man sich des Gedankens kaum erwehren kann, daß sie der gothisch genannten ihren Ursprung gegeben habe (worauf wir später wieder zurückkommen werden). Wir mögen soweit zurückgehen in der Geschichte menschlicher Bil- dung als wir können, so finden wir schon zwei getrennte Ströme von Poesie, Philosophie und Religion, und der allgemeine Weltgeist offen- bart sich auch auf diese Weise unter den zwei entgegengesetzten Attri- buten, des Idealen und Realen. Die realistische Mythologie hat ihre Blüthe in der griechischen erreicht, die idealistische sich im Lauf der Zeit ganz in das Christenthum ergossen. Niemals konnte der Lauf der alten Geschichte so abbrechen, eine wirkliche neue Welt beginnen, die mit dem Christenthum wirklich begonnen hat , ohne einen gleichsam durch das ganze Menschengeschlecht greifenden Abfall. Die, welche die Dinge nur in der Einzelnheit aufzufassen im Stande sind, mögen es auch in Ansehung des Christenthums so halten. Für einen höheren Gesichtspunkt war es in seinem ersten Entstehen selbst eine bloß einzelne Erscheinung des allgemeinen Geistes, der sich bald der ganzen Welt bemächtigen sollte. Nicht das Christenthum hat den Geist der damaligen Jahrhunderte einseitig erschaffen; es war von diesem allgemeinen Geist zuerst nur eine Aeußerung, war das Erste, was diesen Geist aussprach , und ihn dadurch fixirte. Es ist nothwendig, auf die historischen Anfänge des Christenthums zurückzugehen, selbst um nachher die Poesie, die sich aus ihm zu einem unabhängigen Ganzen gestaltet hat, zu begreifen. Um diese Art der Poesie, die von der antiken nicht bloß gradweise, sondern ganz ver- schieden ist, nur überhaupt zuerst in ihrem Gegensatz zu fassen, müssen wir die früheren Zustände, die der späteren Verklärung zur Poesie vorangehen, aufzufassen suchen. Wir erkennen in der ersten Epoche des Christenthums gleich zwei ganz verschiedene Momente. Der erste, wo es sich ganz innerhalb der Mutterreligion — der jüdischen — als Glaube einer einzelnen Sekte hielt; weiter hatte es Christus selbst nicht geführt, obgleich er, soviel man von seiner Geschichte weiß, von einer sehr hohen Ahndung der weiteren Verbreitung seiner Lehre erfüllt war und gewissermaßen seyn mußte. Die jüdische Mythologie, welche sich erst, nachdem diese Nation durch ihre politische Unterjochung mit fremden Völkern in nähere Be- rührung kam, einigermaßen geläutert hatte — indem sie alle höheren Vorstellungsarten, selbst den philosophischen Monotheismus bloß fremden Völkern verdankte — war in ihrem Ursprung und an sich eine ganz realistische Mythologie. In diesen rohen Stoff senkte Christus den Keim einer höheren Sittlichkeit, es sey nun, daß er diesen aus sich ganz unabhängig geschöpft habe oder nicht (Hypothese eines Verhältnisses Christi zu den Essäern). Wir können nicht beurtheilen, wieweit sich die besondere Wirkung Christi erstreckt hätte ohne die nachherigen Er- eignisse. Was seiner Sache den höchsten Schwung gab, war die letzte Katastrophe seines Lebens und das vielleicht beispiellose Ereigniß, daß er den Kreuzestod überwand und lebendig wieder hervorging, eine Thatsache, welche etwa als Allegorie wegerklären und also als Faktum leugnen zu wollen, historisch wahnsinnig ist, da diese Eine Begebenheit die ganze Geschichte des Christenthums gemacht hat. Alle Wunder, die man nachher auf dieß Eine Haupt häufte, hätten dieß nicht ver- mocht. Von diesem Augenblick an war Christus der Heros einer neuen Welt, das Niedrigste ward zum Höchsten, das Kreuz, das Zeichen der tiefsten Schmach, ward zum Zeichen der Welteroberung. In den ersten schriftlichen Denkmälern der Geschichte des Christen- thums rührt sich schon der Gegensatz des realistischen und idealistischen Princips im Christenthum. Der Verfasser des Evangeliums Johannis ist von den Ideen einer höheren Erkenntniß begeistert und nimmt diese zur Einleitung in seine einfache und stille Erzählung von dem Leben Christi; die andern erzählen im jüdischen Geist und umgeben seine Ge- schichte mit Fabeln, die nach Anleitung der Weissagungen im A. T. erfunden waren. Sie sind a priori überzeugt, daß diese Geschichten sich so ereignet haben müssen, da sie im A. T. vom Messias prophezeit sind, deßwegen setzen sie hinzu: „auf daß erfüllet würde, was geschrieben steht“, und in Beziehung auf sie kann man sagen: Christus sey eine historische Person, deren Biographie schon vor ihrer Geburt verzeichnet gewesen. Es ist wichtig gleich mit diesen ersten Regungen der Gegensätze im Christenthum zu bemerken, wie das realistische Princip durchaus das Uebergewicht behauptet und auch in der Folge erhält, welches noth- wendig war, wenn das Christenthum sich nicht ebenso wie alle andern ursprünglich orientalischen Religionen in Philosophie auflösen sollte. Schon zu der Zeit als die ersten Berichte vom Leben Jesu abgefaßt wurden, bildete sich im Christenthum selbst ein engerer Kreis geistige- rer Erkenntniß, Gnosis genannt. Es beweist ein richtiges Gefühl, ein sicheres Bewußtseyn dessen, was sie wollen mußten, in den ersten Verbreitern des Christenthums, daß sie sich wie einmüthig dem Ein- dringen philosophischer Systeme widersetzten. Sie entfernten mit offen- barer Ueberlegung alles, was nicht universalhistorisch, nicht Sache aller Menschen werden konnte. Wie sich das Christenthum ursprünglich aus dem Haufen der Elenden und Verachteten seine Anhänger geholt, und gleichsam in seinem Ursprung schon die demokratische Richtung hatte, so suchte es auch diese Popularität fortwährend zu erhalten. Der erste große Schritt zur künftigen Bildung des Christenthums war der Eifer des Apostels Paulus, der jene Lehre zuerst unter die Heiden trug. Nur in dem fremden Boden konnte es sich gestalten. Es war nothwendig, daß die orientalischen Ideen in den occidentalischen Boden verpflanzt wurden. Allerdings war dieser Boden für sich un- fruchtbar, das ideale Princip mußte vom Orient kommen, aber auch dieses war für sich wie in den orientalischen Religionen reines Licht, reiner Aether, gestalt- und sogar farblos. Nur in der Verbindung mit dem Entgegengesetztesten konnte es Leben entzünden. Wo ganz verschiedenartige Elemente sich berühren, da erst bildet sich der chaotische Stoff, der der Anfang alles Lebens ist. Nimmermehr aber hätte sich der christliche Stoff zur Mythologie gebildet, wäre das Christenthum nicht universalhistorisch geworden. Denn ein universeller Stoff ist die erste Bedingung aller Mythologie. Der Stoff der griechischen Mythologie war die Natur, die allge- meine Anschauung des Universums als Natur, der Stoff der christlichen die allgemeine Anschauung des Universums als Geschichte, als einer Welt der Vorsehung. Dieß ist der eigentliche Wendepunkt der antiken und modernen Religion und Poesie. Die moderne Welt beginnt, in- dem sich der Mensch von der Natur losreißt, aber da er noch keine andere Heimath kennt, so fühlt er sich verlassen. Wo ein solches Gefühl sich über ein ganzes Geschlecht ausbreitet, wendet es sich frei- willig oder durch inneren Trieb gezwungen der ideellen Welt zu, um sich dort einheimisch zu machen. Ein solches Gefühl war über die Welt verbreitet, als das Christenthum entstand. Griechenlands Schönheit war dahin. Rom, welches alle Herrlichkeit der Welt auf sich gehäuft hatte, erlag unter seiner eignen Größe; die vollste Befriedigung durch alles Objektive führte von selbst den Ueberdruß und die Hinneigung zum Ideellen herbei. Ehe noch das Christenthum seine Macht nach Rom erstreckt hatte, schon unter den ersten Kaisern, war diese sittenlose Stadt mit orientalischem Aberglauben erfüllt, Sterndeuter und Magier selbst die Rathgeber des Staatsoberhaupts, die Orakel der Götter hatten ihr Ansehen verloren, noch eh’ sie gänzlich verstummten. Das allge- meine Gefühl, daß eine neue Welt kommen müßte, da die alte nicht weiter fortschreiten konnte, lag gleich einer schwülen Luft, die eine große Bewegung der Natur voraus verkündet, auf der ganzen damali- gen Welt, und eine allgemeine Ahndung schien alle Gedanken nach dem Orient hinzuziehen, als ob dorther der Retter kommen würde, wovon selbst in den Nachrichten des Tacitus und Sueton Spuren liegen. In der Weltherrschaft Roms, kann man sagen, hat der Weltgeist zuerst die Geschichte als Universum angeschaut; von ihr als dem Mit- telpunkt aus bildeten und verketteten sich alle Bestimmungen der Völker, und, gleichsam nur seine Absicht einer neuen Welt aufs deutlichste auszusprechen, führte der Weltgeist — wie ein großer Sturmwind oft ganze Schaaren von geflügelten Thieren über ein Land führt, oder große Gewässer ungeheure Massen gegen Eine Stelle gewälzt haben, so führte der Weltgeist noch unbekannte, entlegene Völker her auf den Schauplatz der Weltherrschaft, um mit den Trümmern des dahinstür- zenden Roms den Stoff aller Klimate und aller Völker zu vermischen. Wer nicht an den Zusammenhang der Natur und der Geschichte glaubt, der müßte es, wenn er diesen Punkt auffaßte. In demselben Augen- blick, wo der Weltgeist ein großes, nie gesehenes Schauspiel vorbereitet, auf eine neue Welt sinnt und zürnend auf die stolze Größe Roms, welches die Herrlichkeit der ganzen Welt, indem es sie in sich versam- melte, zugleich in sich begrub, die damalige Welt zum Gericht reif sieht, führt eine Bestimmung der Natur, eine Nothwendigkeit, die so bestimmt ist, als die, welche die großen Perioden der Erde und die Bewegung ihrer Pole lenkt, Massen fremder Horden von allen Seiten gegen diesen Mittelpunkt heran, und eine Naturnothwendigkeit führt das aus, was der Geist der Geschichte in seinen Planen entworfen hat. Ich will hier also nur meinen Unglauben an das Unzureichende aller historischen Erklärungen der Völkerwanderung bekennen und ge- stehen, daß ich ihren Grund weit bestimmter in einem allgemeinen, auch die Natur bestimmenden Gesetz, als einem bloß historischen Grund, suchen möchte, einem Naturgesetz, welches rohe, barbarische Nationen blinder leitet. Was in der Natur, dem Gesetz der Endlichkeit gemäß, stiller, beschränkter geschieht, spricht sich in der Geschichte in größeren Perioden und lauter aus, und was die periodische Declination der Magnetnadel physisch, war historisch betrachtet die Völkerwanderung. Von diesem Zeitpunkt, dem der höchsten Macht und der Zertrümmerung des römischen Reichs, beginnt eigentlich zuerst, was wir Universal- historie nennen können. Jenseits desselben ist, wie in dem Theil des Universums, der die reale Seite desselben darstellt, das Besondere herrschend; ein besonderes Volk, wie das der Griechen, wohnend in engen Grenzen und auf wenigen Eilanden, ist dort die Gattung, hier dagegen wird das Allgemeine herrschend und das Besondere zerfällt darin. Die ganze alte Geschichte kann als die tragische Periode der Ge- schichte betrachtet werden. Auch das Schicksal ist Vorsehung, aber im Realen angeschaut, so wie die Vorsehung das Schicksal ist, aber im Idealen angeschaut. Die ewige Nothwendigkeit offenbart sich in der Zeit der Identität mit ihr als Natur. So in den Griechen. Mit dem Abfall von ihr offenbart sie sich als Schicksal in herben und ge- waltigen Schlägen. Um sich dem Schicksal zu entziehen, ist nur Ein Mittel, sich in die Arme der Vorsehung zu werfen. Dieß war das Gefühl der Welt in jener Periode der tiefsten Umwandlung, als das Schicksal an allem Schönen und Herrlichen des Alterthums seine letzte Tücke übte. Da verloren die alten Götter ihre Kraft, die Orakel schwiegen, die Feste verstummten und ein bodenloser Abgrund voll wilder Vermischung aller Elemente der gewesenen Welt schien sich vor dem menschlichen Geschlecht zu öffnen. Ueber diesem finstern Abgrund er- schien als das einzige Zeichen des Friedens und des Gleichgewichts der Kräfte das Kreuz, gleichsam der Regenbogen einer zweiten Sünd- fluth, wie es ein spanischer Dichter nennt, — zu einer Zeit, wo keine Wahl übrig blieb, an dieses Zeichen zu glauben. Wie nun aus diesem trüben Stoff sich endlich die zweite Welt der Poesie losgewunden, wie er sich zu einem mythischen Stoff gebildet hat, davon werde ich die Hauptzüge wenigstens angeben. (Wenn ich die ganze Totalität des mythischen Stoffs, der im Christenthum liegt, dargestellt haben werde, werde ich das Resultat des Ganzen wieder zu wenigen Hauptsätzen vereinigt darlegen können). Um die Mythologie des Christenthums in ihrem Princip zu fassen, gehen wir auf den Punkt ihrer Entgegensetzung mit der griechischen zurück. In dieser wird das Universum angeschaut als Natur, in jener aber als moralische Welt. Der Charakter der Natur ist unge- trennte Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen: das Endliche ist herrschend, aber in ihm als der gemeinschaftlichen Hülle liegt der Keim des Absoluten, der ganzen Einheit des Unendlichen und Endlichen. Der Charakter der moralischen Welt — die Freiheit — ist ursprüng- lich Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen mit der absoluten Forderung der Aufhebung des Gegensatzes. Aber selbst diese, da sie auf einem Einbilden des Endlichen ins Unendliche beruht, steht wieder unter der Bestimmung der Unendlichkeit, so daß der Gegensatz zwar immer im Einzelnen, aber doch nie im Ganzen aufgehoben seyn kann. Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Sym- bolik des Unendlichen war, so liegt dem Christenthum die entgegengesetzte zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d. h. es zur Allegorie des Unendlichen zu machen. Im ersten Fall gilt das Endliche etwas für sich, denn es nimmt das Unendliche in sich selbst auf, im andern Fall ist das Endliche für sich selbst nichts, sondern nur, sofern es das Unendliche bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche ist also Charakter einer solchen Religion. Im Heidenthum ist das Endliche als in sich selbst unendlich so weit geltend gegen das Unendliche, daß in ihm sogar Aufstand gegen das Göttliche möglich, und dieser sogar Princip der Erhabenheit ist. Im Christenthum ist unbedingte Hingabe an das Unermeßliche, und dieß einziges Princip der Schönheit. — Aus dieser Entgegensetzung lassen sich alle anderen möglichen Gegensätze des Heidenthums und Christen- thums vollkommen begreifen; z. B. in jenem die heroischen, in diesem die milden und sanften Tugenden herrschend, dort strenge Tapferkeit, hier Liebe oder wenigstens Tapferkeit durch Liebe gemäßigt und gemil- dert, wie in den Zeiten der Chevalerie. Man könnte glauben, daß in der Idee des Christenthums, die eine Mehrheit von Personen in der Gottheit behauptet, eine Spur von Polytheismus sey; daß aber die Dreieinigkeit als solche nicht als Symbol einer Idee betrachtet werden kann, erhellt daraus, daß die drei Einheiten in der göttlichen Natur selbst ganz ideal gedacht werden, und selbst Ideen, aber nicht Symbole von Ideen sind, daß diese Idee von ganz philosophischem Gehalt ist. Das Ewige ist der Vater aller Dinge, der nie aus seiner Ewigkeit herausgeht, aber sich von Ewigkeit in zwei mit ihm gleich ewige Formen gebiert, das Endliche, welches der an sich absolute, in der Erscheinung aber leidende und menschwer- dende Sohn Gottes ist, dann der ewige Geist, das Unendliche, in dem alle Dinge eins sind. Ueber dem der alles auflösende Gott. Man kann sagen, daß, wenn diese Ideen an und für sich fähig wären, poetische Realität zu haben, sie solche durch ihre Behandlung im Christenthum erlangt hätten. Sie wurden gleich anfänglich völlig unabhängig von ihrer speculativen Bedeutung, ganz historisch, buchstäb- lich genommen. Aber es war der ersten Anlage nach unmöglich, daß sie sich symbolisch gestalten konnten. Dante , der im letzten Gesang seines Paradieses zur Anschauung Gottes gelangt, sieht in der Tiefe der klaren Substanz der Gottheit drei Lichtkreise von drei Farben und Einem Umfang; einer schien nur von dem andern wie Regenbogen von Regenbogen reflektirt, und der dritte war der Brennpunkt, der nach allen Seiten gleich ausathmete. Aber er selbst verglich seinen Zustand mit dem des Geometers, der sich ganz auf die Messung des Kreises heftet, und das Princip nicht findet, dessen er bedarf. Nur die Idee des Sohns ist im Christenthum zur Gestalt ge- worden; aber auch dieß nur durch Verlust ihres höchsten Sinns. Wenn in dem Christenthum der Sohn Gottes eine wahrhaft symbolische Be- deutung haben sollte, so hatte er diese als Symbol der ewigen Mensch- werdung Gottes im Endlichen. Also dieß sollte er bedeuten und zu- gleich eine einzelne Person seyn; aber im Christenthum ist er bloß dieses, seine Beziehung ist nur historisch, keine Beziehung auf Natur. Christus war gleichsam der Gipfel der Menschwerdung Gottes, und demnach der Mensch gewordene Gott selbst. Aber wie verschieden zeigt sich diese Menschwerdung Gottes im Christenthum von der Verend- lichung des Göttlichen im Heidenthum. Es ist im Christenthum nicht um das Endliche zu thun; Christus kommt in die Menschheit in ihrer Niedrigkeit und zieht Knechtsgestalt an, um zu leiden und das End- liche in seinem Beispiel zu vernichten. Hier ist keine Vergötterung der Menschheit, wie in der griechischen Mythologie; es ist eine Menschwer- dung Gottes in der Absicht, das von Gott abgefallene Endliche durch die Vernichtung in seiner Person mit Gott zu versöhnen. Nicht das Endliche wird hier absolut und Symbol des Unendlichen; der Mensch- gewordene Gott ist keine bleibende, ewige Gestalt, sondern nur eine von Ewigkeit zwar beschlossene, in der Zeit aber vergängliche Erscheinung. In Christus wird viel mehr das Endliche durch das Unendliche als dieses durch jenes symbolisirt. Christus geht in die übersinnliche Welt zurück, und verheißt statt seiner den Geist — nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Princip, sondern das ideale Princip, welches vielmehr das Endliche ins Unendliche und zum Unendlichen führen soll. Es ist, als ob Christus als das in die Endlichkeit gekommene und sie in seiner menschlichen Gestalt Gott opfernde Unendliche den Schluß der alten Zeit machte; er ist bloß da, um die Grenze zu machen — der letzte Gott. Nach ihm kommt der Geist, das ideelle Princip, die herrschende Seele der neuen Welt. Inwiefern die alten Götter gleich- falls das Unendliche im Endlichen, aber mit vollkommener Realität, waren, mußte das wahre Unendliche — der wahre Gott — endlich werden, um an sich die Vernichtung des Endlichen zu zeigen. Insofern war Christus zugleich der Gipfel und das Ende der alten Götterwelt. Dieß beweist, daß die Erscheinung Christi, weit entfernt der Anfang eines neuen Polytheismus zu seyn, vielmehr die Götterwelt absolut schloß. Es ist nicht leicht zu sagen, inwiefern eigentlich Christus eine poe- tische Person ist. Nicht rein als Gott; denn er ist in seiner Mensch- heit nicht Gott, wie es die griechischen Götter unbeschadet ihrer End- lichkeit sind, sondern wahrer Mensch, selbst den Leiden der Menschheit untergeordnet. Nicht als Mensch, denn er ist doch auch nicht von allen Seiten zum Menschen begrenzt. Die Synthesis dieser Widersprüche liegt nur in der Idee eines freiwillig leidenden Gottes. Aber eben dadurch ist er die antipodische Entgegensetzung mit den alten Göttern. Diese leiden nicht, sondern sind selig in ihrer Endlichkeit. Auch Prometheus, selbst ein Gott, leidet nicht, da sein Leiden zugleich Thä- tigkeit und Empörung ist. Das reine Leiden kann nie Gegenstand der Kunst seyn. Selbst als Mensch genommen kann Christus doch nie anders als duldend genommen werden, weil die Menschheit bei ihm übernommene Last , nicht Natur ist, wie den griechischen Göttern, und seine menschliche Natur durch ihre Theilnahme an der göttlichen selbst für die Leiden der Welt fühlbarer wird, und auffallend genug ist, daß die ächte Malerei Christum am liebsten und häufigsten als Kind abge- bildet hat, gleichsam als ob, wie jemand sehr richtig bemerkt hat, das Problem dieser wunderbaren — nicht Indifferenz, sondern — Mischung der göttlichen und menschlichen Natur nur in der Unbestimmtheit des Kindes vollkommen lösbar wäre. Den gleichen Charakter des Leidens und der Demuth trägt auch das Bild der Mutter Gottes . Auch dieses hat, wenn vielleicht nicht in den Ideen der Kirche , doch durch eine innere Nothwendigkeit eine symbolische Bedeutung. Es ist Symbol der allgemeinen Natur oder des mütterlichen Princips aller Dinge, welches ewig jungfräulich blüht. Allein in der Mythologie des Christenthums hat auch dieses Bild keine Beziehung auf Materie (daher keine symbolische Bedeutung), und nur die moralische Beziehung ist geblieben. Maria bezeichnet als Urbild den Charakter der Weiblichkeit, den das ganze Christenthum hat. Das Vorherrschende des Antiken ist das Erhabene, Männliche, des Moder- nen das Schöne, demnach das Weibliche. Es ist ganz dem gemäß, was überhaupt als Princip des Christen- thums anzusehen ist: daß es keine vollendeten Symbole, sondern nur symbolische Handlungen hat. Der ganze Geist des Christen- thums ist der des Handelns. Das Unendliche ist nicht mehr im End- lichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in diesem können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist also im Christenthum Handlung. Die erste symbolische Handlung Christi ist die Taufe, wo der Himmel sich ihm verband, der Geist in sichtbarer Gestalt herabkam, die andere sein Tod, wo er den Geist Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 28 dem Vater wieder befahl, zurückgab, und an sich das Endliche vernich- tend, Opfer für die Welt wird. Diese symbolischen Handlungen werden im Christenthum fortgesetzt durch das Nachtmahl und die Taufe . Das Nachtmahl hat wieder zwei Seiten, von denen es betrachtet werden kann, die ideelle, inwiefern es das Subjekt ist, das sich den Gott schafft, und in das jene geheimnißvolle Einigung des Unendlichen und Endlichen fällt, und die symbolische. Inwiefern die Handlung, wodurch das Endliche hier zugleich das Unendliche wird, als Andacht in das empfangende Subjekt selbst fällt, insofern ist sie nicht symbolisch, son- dern mystisch ; inwiefern sie aber eine äußere Handlung ist, ist sie symbolisch. (Wir werden auf diesen sehr wichtigen Unterschied des Mystischen und Symbolischen in der Folge zurückkommen). Inwiefern nun die Kirche sich als den sichtbaren Leib Gottes betrachtete, wovon alle einzelnen die Glieder wären, constituirte sie sich selbst durch Handlung. Das öffentliche Leben der Kirche konnte also allein symbolisch, ihr Cultus ein lebendiges Kunstwerk, gleichsam ein geistliches Drama seyn, woran jedes Glied theilhatte. Die populäre Richtung des Christenthums, das Princip der Kirche, alles wie ein Ocean in sich aufzunehmen, auch die Elenden und Verachteten nicht von sich auszuschließen, das Streben mit Einem Wort, katholisch, universell zu seyn, mußte sie bald bestimmen, eine äußerliche Totalität, gleichsam einen Leib sich zu geben; und so war die Kirche selbst in der Ganzheit ihrer Erscheinung symbolisch und das Symbol der Verfassung des Himmelreichs selbst. Das Christenthum als die in Handlung ausgesprochene Ideenwelt war ein sichtbares Reich, und bildete sich nothwendig zur Hierarchie , deren Urbild in der Ideenwelt lag. In den Menschen fiel hier die Forderung, Symbol der Ideenwelt zu seyn, nicht mehr in die Natur, in das Handeln, nicht mehr in das Seyn. Die Hierarchie war das einzige Institut seiner Art von einer Größe des Gedankens, die ins- gemein viel zu einseitig gefaßt wird. Ewig merkwürdig wird es bleiben, daß eben mit dem Untergang des römischen Reichs, welches den größten Theil der bekannten Welt zur Totalität vereinigt hatte, das Christenthum mit schnellen Schritten zur Universalherrschaft fortging. Nicht nur daß es in einem Zeitalter des Unglücks und eines zerfallenden Reichs, dessen Macht bloß zeitlich war, und das nichts enthielt, wozu der Mensch in einem solchen Zustand hätte flüchten können, wo der Muth und gleichsam das Herz zum Objekt verloren war: nicht nur, sage ich, daß es in einem solchen Zeitalter in einer Religion, welche Verleugnung lehrte und sogar zum Glück machte, ein allgemeines Asyl öffnete, es that noch mehr, es verband, sobald es sich zur Hierarchie entwickelte, alle Theile der kultivirten Welt und ging von seinem Be- ginn wie eine Universalrepublik, aber auf geistliche Eroberungen aus. (Proselytenmacherei, Bekehrung der Heiden, Verjagen der Saracenen und Türken aus Europa, Missionen in späteren Zeiten). Bei dem großen, universellen Sinn der Kirche konnte ihr nichts fremd bleiben, nichts, was in der Welt gewesen, schloß sie von sich aus: sie konnte alles mit sich vereinigen. Vorzüglich von der Seite des Cultus, als der einzigen, von welcher sie symbolisch seyn konnte, ver- stattete sie auch dem Heidenthum wieder den Eingang. Der katholische Cultus vereinigte die religiösen Gebräuche der ältesten Völker mit denen der spätesten, nur daß für die meisten in der Folgezeit der Schlüssel verloren gegangen ist. Die ersten Erfinder jener symbolischen Gebräuche, die großen Köpfe, welche den ersten Gedanken und Entwurf zu diesem Ganzen machten und in ihm, als in einem lebendigen Kunstwerk, fortlebten, sind gewiß nicht so einfältig gewesen, um von unsern blöd- sinnigen Aufklärern übersehen zu werden, die, wenn man sie alle ver- einte und hundert Jahre machen ließe — doch nichts als Sandhaufen zusammenbrächten. Der Hauptpunkt, auf den es hier ankommt, ist, einzusehen, wie dem allgemeinen Charakter der Subjektivität und Idealität des Christen- thums gemäß das Symbolische hier durchaus in das Handeln (in Hand- lungen) fallen müsse. Wie die Grundanschauung des Christenthums die historische ist, so ist es nothwendig, daß das Christenthum eine mythologische Geschichte der Welt enthalten müsse. Die Menschwerdung Christi ist selbst nur im Zusammenhang mit einer allgemeinen Vorstellung der Menschengeschichte denkbar. Es gibt im Christenthum keine wahre Kosmogonie. Was im A. T. davon vorkommt, sind sehr unvollkommene Versuche. Handlung, Geschichte ist überall nur, wo Vielheit ist. Insofern also Handlung in der göttlichen Welt ist, inso- fern muß auch in ihr Vielheit seyn. Sie kann aber dem Geist des Christenthums nach nicht als polytheistisch gedacht werden, also nur durch die Hülfe von Mittelwesen, welche in dem unmittelbaren An- schauen der Gottheit und die ersten Geschöpfe, die ersten Hervorbrin- gungen der göttlichen Substanz sind. Solche Wesen sind im Christen- thum die Engel . Man könnte vielleicht versucht werden, die Engel als den Ersatz des Polytheismus im Christenthum zu betrachten, um so mehr, da sie ihrem eigenthümlichen Ursprung im Orient nach ebenso bestimmt Per- sonificationen der Ideen sind als die Götter der griechischen Mytho- logie. Auch ist bekannt, welchen starken Gebrauch die neuern christlichen Dichter, Milton, Klopstock u. a. von diesen Mittelwesen machen zu müssen glaubten, fast so arg als Wieland von den Grazien. Allein der Unterschied ist nur der, daß die griechischen Götter die wirklich real -angeschauten Ideen sind, da bei den Engeln sogar noch ihre Leib- lichkeit zweifelhaft ist, und sie also selbst wieder unsinnliche Wesen sind. Wollte man die Engel als Personificationen von Wirkungen Gottes auf die Sinnenwelt denken, so wären sie als solche in ihrer Unbestimmt- heit doch wiederum ein bloßer Schematismus, und also zur Poesie un- brauchbar Vergl. I. Abth., Bd. 1, S. 473. D. H. . Die Engel und ihre Verfassung haben gleichsam selbst erst einen Leib in der Kirche bekommen, deren Hierarchie ein unmittel- bares Abbild des himmlischen Reichs seyn sollte. Deßwegen ist nur die Kirche im Christenthum symbolisch. Die Engel sind keine Naturwesen; es fehlt also durchgängig an der Begrenzung; selbst die obersten der- selben fließen fast ineinander, und die ganze Masse ist, wie die Hei- ligenscheine mancher großer italienischer Maler, die in der Nähe genau betrachtet aus lauter kleinen Engelköpfen bestehen, fast brei- artig. Es ist, als ob man dieses Zerfließen im Christenthum durch die einförmigste Thätigkeitsäußerung, die man ihnen geben konnte, nämlich das ewige Singen und Musiciren derselben Art, habe aus- drücken wollen. Die Geschichte der Engel für sich hat also nichts Mythologisches, außer inwiefern sie die der Empörung und der Verstoßung des Luci- fer in sich begreift, welcher schon eine entschiedenere Individualität und eine realistischere Natur ist. Diese bildet eine wirklich mytholo- gische Ansicht der Geschichte der Welt, obgleich freilich etwas in unge- heurem und orientalischem Styl. Das Reich der Engel auf der einen und des Teufels auf der andern Seite zeigt die reine Geschiedenheit des guten und bösen Prin- cips, welches in allen concreten Dingen gemischt ist. Der Abfall Lu- cifers, welcher zugleich die Welt mit verderbte und den Tod in sie brachte, ist also eine mythologische Erklärung der concreten Welt, der Mischung des unendlichen und endlichen Princips in den sinnlichen Din- gen, da nämlich den Orientalen das Endliche überhaupt vom Argen und in keinem Verhältniß, auch dem der Idee nicht, vom Guten ist. Diese Mythologie erstreckt sich bis an das Weltende, wo nämlich die Scheidung des Guten und Bösen aufs neue vorgehen, und jedes der beiden in seine reine Qualität gestellt werden wird, womit nothwendig Untergang des Concreten, und das Feuer als Symbol des ausgegliche- nen Streits im Concreten die Welt verzehren wird. Bis dahin theilt das böse Princip gar sehr mit Gott die Herrschaft über die Erde, obgleich die Menschwerdung Christi den ersten Ansatz zu einem ihm ent- gegengesetzten Reich auf der Erde machte. (Vollständiger wird von dieser orientalischen Maske erst bei der modernen Komödie die Rede seyn können, da nämlich Lucifer in der späteren Zeit allgemein die Rolle der lustigen Person im Universum hat, als einer, der beständig neue Plane entwirft, die ihm in der Regel immer wieder vereitelt werden, der aber so gierig auf Seelen ist, daß er sich sogar zu den niederträch- tigsten Diensten hergibt, und doch nachher oft, wegen der beständigen Bereitschaft der Gnadenmittel und der Kirche, wenn er seiner Sache am gewissesten zu seyn glaubt, mit langer Nase abziehen muß. Wir Deutsche sind ihm ganz besonders viel Obligation schuldig, da wir ihm unsere mythologische Hauptperson, den Doktor Faust, verdanken. An- dere theilen wir mit anderen Nationen, diesen haben wir ganz für uns allein, da er recht aus der Mitte des deutschen Charakters und seiner Grundphysiognomie wie geschnitten ist). Unter einem Volk, in dessen Poesie die Begrenzung, das Endliche, herrschend ist, ist die Mythologie und die Religion Sache der Gattung. Das Individuum kann sich zur Gattung constituiren und wahrhaft mit ihr eins seyn, wo dagegen das Unendliche, das Allgemeine herrschend ist, kann das Individuum nie zugleich zur Gattung werden, es ist Negation der Gattung. Hier kann also die Religion nur durch den Einfluß einzelner von überlegener Weisheit sich verbreiten, die nur persönlich vom Allgemeinen und Unendlichen erfüllt, demnach Propheten, Seher, gottbegeisterte Menschen sind. Die Religion nimmt hier noth- wendig den Charakter einer geoffenbarten Religion an, und ist darum schon in ihrem Fundament historisch. Die griechische Religion, als poetische, durch die Gattung lebende Religion, bedurfte keiner histo- rischen Grundlage, so wenig als es die immer offene Natur bedarf. Die Erscheinungen und Gestalten der Götter waren hier ewig; dort, im Christenthum, war das Göttliche nur flüchtige Erscheinung und mußte in dieser festgehalten werden. In Griechenland hatte die Reli- gion keine eigne, von der des Staats unabhängige Geschichte; im Christenthum gibt es eine Geschichte der Religion und der Kirche. Von dem Begriff der Offenbarung ist der des Wunders unzer- trennlich. Wie der griechische Sinn nach allen Seiten hin reine, schöne Begrenzung forderte, um die ganze Welt für sich zu einer Welt der Phantasie zu erheben, so der orientalische nach allen Seiten hin das Unbegrenzte, das Uebernatürliche, und er fordert auch dieses in einer gewissen Totalität, um von keiner Seite aus seinen übersinnlichen Träumen geweckt zu werden. Der Begriff des Wunders ist in der griechischen Mythologie unmöglich, denn die Götter sind da selbst nicht außer- und übernatürlich, es sind da nicht zwei Welten, eine sinnliche und übersinnliche, sondern Eine Welt. Das Christenthum, welches nur in der absoluten Entzweiung möglich ist, ist in seinem Ursprung schon auf Wunder gegründet. Wunder ist eine vom empirischen Stand- punkt aus angesehene Absolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben. Das Wunderbare in der historischen Beziehung ist nun der einzige mythologische Stoff des Christenthums. Es verbreitet sich von der Geschichte Christi und der Apostel aus herab durch die Legende, die Märtyrer- und Heiligengeschichte bis zum romantischen Wunder- baren, welches sich durch die Berührung des Christenthums mit der Tapferkeit entzündete. Es ist uns unmöglich, diesen historisch-mythologischen Stoff zu verfolgen. Es ist nur im Allgemeinen zu bemerken, daß diese Mytho- logie des Christenthums ursprünglich durchaus auf der Anschauung des Universums als eines Reichs Gottes beruht. Die Geschichten der Hei- ligen sind zugleich eine Geschichte des Himmels selbst, und sogar die Geschichten der Könige sind verflochten in diese allgemeine Geschichte des Reiches Gottes. Einzig nach dieser Seite hat sich das Christenthum zur Mythologie ausgebildet. So sprach es sich zuerst in dem Gedicht des Dante aus, welches das Universum unter den drei Grundan- schauungen des Infernums, des Purgatoriums und des Paradieses darstellt. Der Stoff aller seiner Dichtungen aber in diesen drei Po- tenzen ist doch immer historisch. In Frankreich und Spanien bildete sich der historisch-christliche Stoff vorzüglich zu der Mythologie des Ritterthums aus. Der poetische Gipfel davon ist Ariosto , dessen Gedicht das einzige epische wäre, wenn überhaupt in der modernen Poesie bis jetzt ein Epos seyn könnte. In späteren Zeiten, nachdem der Geschmack am Ritterthum ver- drängt war, haben die Spanier vorzüglich die Heiligenlegenden zu dra- matischen Vorstellungen genutzt. Den Gipfel dieser Poesie bezeichnet der Spanier Calderon della Barca , von dem vielleicht noch nicht einmal alles gesagt ist, wenn man ihn dem Shakespeare gleich setzt. Die poetische Ausbildung der christlichen Mythologie in den Wer- ken der bildenden Kunst, vorzüglich der Malerei, in den lyrischen, romantisch-epischen und dramatischen Werken der neueren Welt können wir erst in der Folge vollständiger darstellen. Aber eben auch dieses ist Gegenstand der modernen Welt, daß alles Endliche in ihr vergänglich ist, und das Absolute in unendlicher Ferne liegt. Alles ist hier dem Gesetz des Unendlichen untergeordnet. Nach diesem Gesetz hat sich auch zwischen die Kunstwelt im Katholicis- mus und die gegenwärtige Zeit wieder eine neue Masse geworfen. Der Protestantismus entstand und war historisch nothwendig. Preis den Heroen, welche zu jener Zeit, für einige Theile der Welt wenig- stens, die Freiheit des Denkens und der Erfindung auf ewig befestigten! Das Princip, das sie weckten, war in der That neu beseelend, und konnte, verbunden mit dem Geist des klassischen Alterthums, unendliche Wirkungen hervorbringen, da es in der That seiner Natur nach un- endlich war, keine Schranke erkennend, wenn nicht durch das Unglück der Zeit aufs neue gehemmt. Aber die nur zu bald eintretende Folge der Reformation war, daß an die Stelle der alten Autorität eine neue, prosaische, buchstäbliche trat. Die ersten Reformatoren selbst wurden noch von den Wirkungen der Freiheit, die sie gepredigt hatten, über- rascht. Diese Sklaverei des Buchstabens konnte noch weniger dauern; aber der Protestantismus konnte nie dazu gelangen, sich eine äußerliche und wahrhaft objektive und endliche Gestalt zu geben. Nicht nur, daß er selbst wieder in Sekten zerfiel, sondern, was in ihm nur Zurücknahme der ewigen Rechte des menschlichen Geistes war, wurde zu einem gänzlich zerstörenden Princip für die Religion und mittelbar für die Poesie. Es entstand jene Erhebung des gemeinen Menschenverstandes, des Werkzeugs bloß weltlicher Angelegenheiten, zum Urtheil über geistliche Angelegenheiten. Höchster Repräsentant dieses Menschenverstandes — Voltaire. Eine trübere und unlustigere Freidenkerei entwickelte sich in England. Die deutschen Theologen machten die Synthesis. Ohne es mit dem Christenthum oder der Aufklärung verderben zu wollen, stifteten sie zwischen beiden ein Wechselbündniß, wo die Aufklärung ver- sprach die Religion zu erhalten, wenn sie sich auch nützlich machen wollte. Man braucht nur zu erinnern, daß die Freidenkereien und Auf- klärungen nicht die geringsten poetischen Hervorbringungen aufweisen können, um zu sehen, daß sie sämmtlich in ihrem Grund nichts als die Prosa des neueren Zeitalters sind, angewendet auf die Religion. Mit dem gänzlichen Mangel an Symbolik und wahrer Mythologie — was jene betrifft, im Christenthum überhaupt, was diese, wenigstens im Protestantismus — traten gleichwohl spätere Dichter wieder auf den Kampfplatz, um in ihrer Meinung sogar mit den epischen Dich- tungen des Alterthums zu wetteifern. Vorzüglich Milton und Klop- stock . Das Gedicht des ersten kann schon darum kein rein christliches Gedicht heißen, da sein Stoff im A. T. liegt, und dem Ganzen die Einschränkung auf das Moderne, Christliche fehlt, während dieser die Tendenz hat im Christenthum erhaben zu seyn und mit einer wider- natürlichen Spannung die innere Hohlheit zur Unbegrenztheit auf- bläht. Miltons Gestalten sind zum Theil wenigstens wirkliche Ge- stalten mit Umriß und Bestimmtheit, so daß man z. B. seinen Satan, den er als einen Giganten oder Titanen behandelt, von einem Gemälde abgenommen glauben könnte, während bei Klopstock alles wesen- und gestaltlos, ohne Gediegenheit wie ohne Form, schwebt. Milton war lange in Italien gewesen, wo er die Kunstwerke gesehen, auch den Plan zu seinem Gedicht gefaßt und seine Gelehrsamkeit sich gebildet hat. Klopstock war ohne alle Natur- und ächte Kunstanschauung (es versteht sich, daß seine Sprachverdienste nicht geschmälert werden sollen). Wie wenig Klopstock bei dem Plan, ein christlich-episches Gedicht zu machen, selbst gewußt habe, was er wollte, erhellt daraus, daß er uns nachher auch die nordisch-barbarische Mythologie der alten Deutschen und Scan- dinavier empfehlen wollte. Sein hauptsächlichstes Bestreben ist ein Ringen mit dem Unendlichen, nicht daß es ihm endlich werden soll, sondern daß es ihm, gegen seinen Willen und mit beständigem Sträuben dagegen von seiner Seite, endlich wird, wo es dann auf solche Wider- sprüche hinausläuft, wie in dem bekannten Anfang einer seiner Oden: Der Seraph stammelt’s und die Unendlichkeit Bebt’s durch den Umkreis ihrer Gefilde nach. Daß die moderne Welt kein wahres Epos hat, und, weil mit einem solchen erst Mythologie sich fixirt, auch keine geschlossene My- thologie, brauche ich nicht weiter zu beweisen. Es muß indeß hier noch Erwähnung von dem neueren Versuche geschehen, die Mythologie auf den Kreis der katholischen zurückzuführen. Alles, was sich über die Nothwendigkeit eines bestimmten mythologischen Kreises für die Poesie sagen läßt, glaube ich im Vorhergehenden gesagt zu haben. Ebenso möchte sich aus dem Vorhergehenden von selbst beurtheilen lassen, welcher Fond von Poesie innerhalb der Beschränkung, die der bisherigen mo- dernen Welt überhaupt gesetzt ist, im Katholicismus angetroffen werden könne. Es gehört aber wesentlich zum Christenthum, auf die Offen- barungen des Weltgeistes zu achten, und nicht zu vergessen, daß es zu seinem Plane gehörte, auch diese Welt, welche die moderne Mytho- logie sich gebildet hatte, zu einer Vergangenheit zu machen. Es gehört mit zum Christenthum, in der Geschichte nichts partial aufzufassen. Der Katholicismus ist ein nothwendiges Element aller modernen Poesie und Mythologie, aber er ist sie nicht ganz und in den Absichten des Weltgeistes ohne Zweifel nur ein Theil davon. Wenn man bedenkt, welcher ungeheure historische Stoff in dem Untergang des römischen Reichs und des griechischen Kaiserthums und überhaupt der ganzen modernen Geschichte ist, welche Mannichfaltigkeit der Sitten und Bil- dungen zugleich — unter einzelnen Nationen und der Menschheit im Ganzen — und nacheinander in verschiedenen Jahrhunderten ge- wesen ist, wenn man bedenkt, daß die moderne Poesie nicht mehr die Poesie für ein besonderes Volk ist, das sich zur Gattung ausgebildet hat, sondern Poesie für das ganze Geschlecht, und, so zu sagen, aus dem Stoff der ganzen Geschichte dieses Geschlechts mit allen ihren ver- schiedenen Farben und Tönen gebildet seyn muß, wenn man alle diese Umstände zusammennimmt, wird man nicht zweifeln, daß auch die My- thologie des Christenthums in den Gedanken des Weltgeistes immer nur ein Theil des größeren Ganzen sey, das er ohne Zweifel vorbe- reitet. Daß sie nicht universell, daß noch eine Seite davon die be- schränkte war, um welcher willen der durchgängig auf Zerschlagung aller rein endlichen Formen ausgehende Geist der neuen Welt das Ganze in sich zerfallen ließ, dieß erhellt schon daraus, daß dieß ge- schehen ist. Es erhellt daraus, daß das Christenthum erst in das größere Ganze, von dem es ein Theil seyn wird, wieder als allgemein- gültiger poetischer Stoff wird eintreten können; und aller Gebrauch, der von ihm in der Poesie gemacht wird, sollte schon in dem Sinne dieses größeren Ganzen, welches man wohl ahnden, aber nicht aus- sprechen kann, gemacht werden. Am wenigsten aber könnte dieser Ge- brauch poetisch seyn, wo sich diese Religion der Poesie selbst nur als Subjektivität oder Individualität ausspricht. Nur wo sie wahrhaft ins Objekt übergeht, kann sie poetisch heißen. Denn das Innerste des Christenthums ist die Mystik, welche selbst nur ein inneres Licht, eine innere Anschauung ist. Nur ins Subjekt fällt hier die Einheit des Unendlichen und Endlichen. Aber von diesem inneren Mysticismus kann selbst wieder eine sittliche Person das objektive Symbol seyn, und er kann so zur poetischen Anschauung gebracht werden, nicht aber wenn man ihn selbst nur wieder sich subjektiv aussprechen läßt. Der Mysticismus ist verwandt mit der reinsten und schönsten Sittlichkeit, sowie es umgekehrt selbst in der Sünde einen Mysticismus geben kann. Wo er sich wahr- haft in Handlung äußert und an einer objektiven Person abbildet, kann die moderne Tragödie z. B. ganz die hohe und symbolische Sittlichkeit der sophokleischen Stücke erreichen, wie denn Calderon in dieser Rück- sicht mit keinem andern als mit Sophokles verglichen werden kann. Nur der Katholicismus lebte in einer mythologischen Welt. Daher die Heiterkeit der poetischen Werke, die in dem Katholicismus selbst entsprungen sind, die Leichtigkeit und Freiheit der Behandlung dieses — ihnen natürlichen — Stoffes, fast wie die Griechen ihre Mytho- logie behandelt haben. Außer dem Katholicismus kann fast nur Unter- ordnung unter den Stoff, gezwungene Bewegung ohne Heiterkeit und bloße Subjektivität des Gebrauchs erwartet werden. Ueberhaupt wenn eine Mythologie zum Gebrauch herabgesunken, z. B. der Gebrauch der alten Mythologie in den Modernen, so ist dieser, eben weil bloß Gebrauch, bloße Formalität; sie muß nicht auf den Leib passen, wie ein Kleid, sondern der Leib selbst seyn. Selbst die vollendete Dichtung im Sinn der rein-mystischen Poesie würde eine Absonderung im Dichter, sowie in denen, für welche er dichtet, voraussetzen, sie wäre nie rein, nie aus dem Ganzen der Welt und des Gemüths gegossen. Die Grundforderung an alle Poesie ist — nicht universelle Wir- kung, aber doch Universalität nach innen und außen. Partialitäten können hier am wenigsten geltend seyn. Zu jeder Zeit sind nur einige gewesen, in welchen sich ihre ganze Zeit und das Universum, sofern es in dieser angeschaut wird, concentrirt hat, diese sind berufene Dich- ter. Nicht die Zeit, sofern sie selbst eine Partialität, sondern sofern Universum, Offenbarung Einer ganzen Seite des Weltgeistes. Wer den ganzen Stoff seiner Zeit, sofern sie als Gegenwart auch die Ver- gangenheit wieder begreift, poetisch unterjochen und verdauen könnte, wäre der epische Dichter seiner Zeit. Universalität, die nothwendige Forderung an alle Poesie, ist in der neueren Zeit nur dem möglich, der sich aus seiner Begrenzung selbst eine Mythologie, einen abge- schlossenen Kreis der Poesie schaffen kann. Man kann die moderne Welt allgemein die Welt der Individuen, die antike die Welt der Gattungen nennen. In dieser ist das Allge- meine das Besondere, die Gattung das Individuum; darum ist sie, obgleich in ihr das Besondere herrschend ist, doch die Welt der Gat- tungen. In jener bedeutet das Besondere nur das Allgemeine, und eben darum ist, weil in ihr das Allgemeine herrscht , die moderne Welt die der Individuen, des Zerfallens. Dort ist alles ewig, dauernd, unvergänglich, die Zahl hat gleichsam keine Gewalt, da der allgemeine Begriff der Gattung und des Individuums in eins fällt, hier — in der modernen Welt — ist Wechsel und Wandel das herrschende Gesetz. Alles Endliche vergeht hier, da es nicht an sich selbst ist, sondern nur, um das Unendliche zu bedeuten. Der allgemeine Weltgeist, der auch an der Natur und dem Weltsystem die Unendlichkeit der Geschichte nur gleichsam concret aufgestellt hat, hat denselben Gegensatz, den der alten und der neuen Zeit, im Planetensystem und der Kometenwelt aufgestellt. Die Alten sind die Planeten der Kunstwelt, eingeschränkt auf wenige Indivi- duen, die zugleich Gattungen sind und in der freiesten Bewegung doch am wenigsten sich von der Identität entfernen. Auch die Planeten- bilder unter sich haben ihre bestimmten Gattungen. Die tiefsten sind die rhythmischen, die entfernteren, wo sich die Masse als Totalität bildet, alles concentrisch, wie die Blätter der Blüthe, in Ringen und Monden sich um den Mittelpunkt stellt, sind die dramatischen. Den Kometen gehört der grenzenlose Raum. Wenn sie erscheinen, so kommen sie unmittelbar aus dem unendlichen Raum, und so sehr sie der Sonne sich nähern, ebenso weit verlieren sie sich wieder von ihr. Sie sind gleichsam bloß allgemeine Wesen, weil sie keine Substanz in sich haben; sie sind nur Luft und Licht, jene aber, die plastischen, symbolischen Ge- stalten — durchaus herrschende Individuen, keine Beschränkung durch Zahl. Wir können, dieß vorausgesetzt, behaupten, daß bis zu dem in noch unbestimmbarer Ferne liegenden Punkt, wo der Weltgeist das große Gedicht, auf das er sinnt, selbst vollendet haben, und das Nach- einander der modernen Welt sich in ein Zumal verwandelt haben wird, jeder große Dichter berufen sey, von dieser noch im Werden be- griffenen (mythologischen) Welt, von der ihm seine Zeit nur einen Theil offenbaren kann, — von dieser Welt, sage ich, diesen ihm offen- baren Theil zu einem Ganzen zu bilden und aus dem Stoff derselben sich seine Mythologie zu schaffen. So, um dieß an dem Beispiel des größten Individuums der modernen Welt deutlich zu machen, schuf sich Dante aus der Barbarei und der noch barbarischeren Gelehrsamkeit seiner Zeit, aus den Gräueln der Geschichte, die er selbst erlebt hatte, wie aus dem Stoff der bestehenden Hierarchie, eine eigne Mythologie und mit dieser sein göttliches Gedicht. Die historischen Personen, welche Dante aufgenommen hat, werden in aller Zeit für mythologische gelten, wie Ugolino. Könnte das Andenken der hierarchischen Verfassung je zu Grunde gehen, man würde es aus dem Bild, das sein Gedicht davon entwirft, wieder herstellen. — Auch Shakespeare hat sich seinen eignen mythologischen Kreis geschaffen, nicht allein aus dem historischen Stoff seiner Nationalgeschichte, sondern auch aus den Sitten seiner Zeit und seines Volkes. Es ist in Shakespeare, der großen Mannichfaltigkeit seiner Werke unerachtet, dennoch Eine Welt; überall schaut man ihn als einen und denselben an, und ist man bis auf die Grundanschauung von ihm durchgedrungen, so findet man sich in jedem seiner Werke gleich wieder auf dem ihm eignen Boden (Falstaff. Lear. Macbeth). — Cervantes hat aus dem Stoff seiner Zeit die Geschichte des Donquixote gebildet, der bis auf diesen Augenblick, ebenso wie Sancho Pansa, das Ansehn einer mythologischen Person hat. Es sind hier ewige Mythen. — Soweit man Goethes Faust aus dem Fragment, das davon vorhanden ist, beurtheilen kann, so ist dieses Gedicht nichts anderes als die innerste, reinste Essenz unseres Zeit- alters: Stoff und Form geschaffen aus dem, was die ganze Zeit in sich schloß, und selbst dem, womit sie schwanger war oder noch ist. Daher ist es ein wahrhaft mythologisches Gedicht zu nennen. Man hat mehrmals in neuerer Zeit den Gedanken gehört, daß es wohl möglich wäre, aus der Physik — natürlich, sofern sie spe- culative Physik ist — den Stoff einer neuen Mythologie zu nehmen. Hierüber ist Folgendes zu bemerken. Erstens, nach dem, was ich so eben bewiesen habe, ist das Grund- gesetz der modernen Poesie Originalität (in der alten Kunst war dieß keineswegs in dem Sinn der Fall). Jedes wahrhaft schöpferische Individuum hat sich selbst seine Mythologie zu schaffen, und es kann dieß, aus welchem Stoff es nur immer will, geschehen, also vor- nehmlich auch aus dem einer höheren Physik. Allein diese Mythologie wird doch durchaus erschaffen , nicht etwa bloß nach Anleitung ge- wisser Ideen der Philosophie entworfen werden dürfen; denn in diesem Fall möchte es unmöglich seyn, ihr ein unabhängiges poetisches Leben zu geben. Käme es nur überhaupt darauf an, Ideen der Philosophie oder höheren Physik durch mythologische Gestalten zu symbolisiren, so finden sich diese sämmtlich schon in der griechischen Mythologie, so daß ich mich anheischig machen will, die ganze Naturphilosophie in Symbolen der Mythologie darzustellen. Aber dieß wäre doch wieder nur Ge- brauch (wie bei Darwin). Die Forderung einer Mythologie ist ja aber gerade, nicht daß ihre Symbole bloß Ideen bedeuten, sondern daß sie für sich selbst bedeutend, unabhängige Wesen seyen. Vorläufig also hätte man sich nur nach der Welt umzusehen, in der sich diese Wesen unabhängig bewegen könnten. Wäre uns diese durch die Ge- schichte gegeben, so würden sich jene ohne Zweifel von selbst finden. Man gebe uns nur erst das trojanische Schlachtfeld, worauf die Götter und die Göttinnen selbst mit an dem Kampf theilnehmen können. Also: ehe die Geschichte uns die Mythologie als allgemeingültige Form wiedergibt, wird es immer dabei bleiben, daß das Individuum selbst sich seinen poetischen Kreis schaffen muß; und da das allgemeine Element des Modernen die Originalität ist, wird das Gesetz gelten, daß gerade je origineller, desto universeller; wobei man von der Ori- ginalität nur die Particularität unterscheiden muß. Jeder originell behandelte Stoff ist eben dadurch auch universell poetisch. Wer den Stoff der höheren Physik auf diese originelle Weise zu brauchen weiß, dem wird er wahrhaft- und universell-poetisch werden können. Aber eine andere Beziehung, welche Naturphilosophie auf die mo- derne Bildung hat, kommt hier in Betracht. Die dem Christenthum eigenthümliche Richtung ist vom Endlichen zum Unendlichen. Es ist gezeigt worden, wie diese Richtung alle symbolische Anschauung aufhebt und das Endliche nur als das Allegorische des Unendlichen begreift. Die in dieser allgemeinen Richtung wieder durchbrechende Tendenz, das Unendliche im Endlichen zu schauen, war ein symbolisches Bestreben, das aber wegen des Mangels an Objektivität, weil die Einheit in das Subjekt zurückfiel, sich nur als Mysticismus äußern konnte. Die Mystiker im Christenthum sind von jeher innerhalb desselben als Ver- irrte, wenn nicht gar als Abtrünnige, betrachtet worden. Die Kirche verstattete den Mysticismus nur im Handeln (Handlungen), weil er hier zugleich objektiv, universell war, statt daß jener subjektive Mysticismus eine Besonderheit von dem Ganzen, eine wirkliche Häresis war. Natur- philosophie ist gleichfalls Anschauung des Unendlichen im Endlichen, aber auf eine allgemeingültige und wissenschaftlich objektive Art. Alle speculative Philosophie hat nothwendig dieselbe der Richtung des Christen- thums entgegengesetzte Richtung, sofern man nämlich das Christenthum in dieser seiner empirisch-historischen Gestalt nimmt, in welcher es sich als Gegensatz darstellt, und nicht in dieser Entgegensetzung es selbst als Uebergang betrachtet. Das Christenthum ist aber schon jetzt durch den Lauf der Zeit und durch die Wirkungen des Weltgeistes, der sein entferntes Vorhaben nur erst ahnden, aber doch auch nicht verkennen läßt, bloß als Uebergang und bloß als Element und gleich- sam die eine Seite der neuen Welt dargestellt, in der sich die Succes- sionen der modernen Zeit endlich als Totalität darstellen werden. Wer den allgemeinen Typus kennt, nach dem alles geordnet ist und geschieht, wird nicht zweifeln, daß dieser integrante Theil der modernen Bildung die andere Einheit ist, welche das Christenthum als Gegensatz von sich ausschloß, und daß diese Einheit, welche ein Schauen des Unendlichen im Endlichen ist, in das Ganze derselben aufgenommen werden müsse. Folgendes, obgleich freilich untergeordnet ihrer besonderen Einheit, wird dienen, meine Meinung deutlich zu machen. Die realistische Mythologie der Griechen schloß die historische Be- ziehung nicht aus, vielmehr wurde sie erst in der historischen Beziehung — als Epos — wahrhaft zur Mythologie. Ihre Götter waren dem Ursprung nach Naturwesen ; diese Naturgötter mußten von ihrem Ursprung sich losreißen und historische Wesen werden, um wahrhaft unabhängige, poetische zu werden. Hier erst werden sie Götter, vorher sind sie Götzen. Das Herrschende der griechischen Mythologie blieb deßwegen doch immer das realistische oder endliche Princip. Das Ent- gegengesetzte wird in der modernen Bildung der Fall seyn. Sie schaut das Universum nur an als Geschichte , als moralisches Reich; inso- fern stellt sie sich als Gegensatz dar. Der Polytheismus, der in ihr möglich ist, ist nur durch Begrenzungen in der Zeit , durch historische Begrenzungen möglich, ihre Götter sind Geschichtsgötter. Diese werden nicht wahrhaft Götter, lebendig, unabhängig, poetisch werden können, ehe sie von der Natur Besitz ergriffen haben, ehe sie Natur- götter sind. Man muß der christlichen Bildung nicht die realistische Mythologie der Griechen aufdringen wollen, man muß vielmehr um- gekehrt ihre idealistischen Gottheiten in die Natur pflanzen, wie die Griechen ihre realistischen in die Geschichten. Dieß scheint mir die letzte Bestimmung aller modernen Poesie zu seyn, so daß auch dieser Gegensatz, wie jeder andere, nur in der Nichtabsolutheit besteht, jedes der Entgegengesetzten aber in seiner Absolutheit auch mit dem andern in Harmonie tritt, und ich verhehle meine Ueberzeugung nicht, daß in der Naturphilosophie, wie sie sich aus dem idealistischen Princip ge- bildet hat, die erste ferne Anlage jener künftigen Symbolik und der- jenigen Mythologie gemacht ist, welche nicht ein Einzelner, sondern die ganze Zeit geschaffen haben wird. Nicht wir wollen der idealistischen Bildung ihre Götter durch die Physik geben. Wir erwarten vielmehr ihre Götter, für die wir, vielleicht noch ehe sie in jener ganz unabhängig von dieser sich gebildet haben, die Symbole schon in Bereitschaft haben. Dieß war der Sinn meiner Meinung, inwiefern ich behauptete, daß in der höheren speculativen Physik die Möglichkeit einer künftigen Mythologie und Symbolik zu suchen sey. Uebrigens muß diese Bestimmung allein der Fügung der Zeit überlassen werden; denn noch scheint der Punkt der Geschichte, wo sich ihr Nacheinander in ein Zumal verwandeln wird, unbestimmbar weit entfernt, und was jetzt möglich ist, nur das schon früher Angegebene seyn zu können, nämlich daß jede überwiegende Kraft sich aus jedem Stoff, also auch aus dem der Natur, ihren mythologischen Kreis bil- den kann, welches doch wiederum nicht ohne eine Synthese der Geschichte mit der Natur möglich seyn wird. Das Letzte der reine Homeros. Da die antike Mythologie sich überall auf die Natur bezieht und eine Symbolik der Natur ist, so muß es uns interessiren zu sehen, wie in der modernen Mythologie bei ihrem vollkommenen Gegensatz mit der antiken die Beziehung auf die Natur sich ausdrücken werde. Im Allgemeinen läßt sich dieß schon aus dem Bisherigen bestimmen. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 29 — Absolutes Uebergewicht des Idealen über das Reale, des Geistigen über das Leibliche war Princip des Christenthums. Daher das un- mittelbare Eingreifen des Uebersinnlichen in das Sinnliche im Wunder . Dieselbe Oberherrschaft des Geistes über die Natur ist ausgedrückt in der Magie , soferne sie Beschwörung, Bezauberung in sich begriff. Die magische Ansicht der Dinge oder das Begreifen der Naturwirkungen als magischer war nur eine unvollständige Ahndung des höheren und absoluten Vereins aller Dinge, in welchem keins in dem andern etwas unmittelbar, sondern nur durch prästabilirte Harmonie, mittelst der absoluten Identität aller Dinge, setzt oder bewirkt. Magisch heißt eben deßwegen auch jede Wirkung, welche Dinge auf einander bloß durch ihren Begriff, also nicht auf natürliche Art ausüben, z. B. daß Be- wegungen oder gewisse Zeichen rein als solche einem Menschen verderb- lich werden können. In dem Glauben an Magie drückte sich ferner die Ahndung vom Daseyn verschiedener Naturordnungen, des Mecha- nismus, Chemismus, Organismus aus. Es ist bekannt, wie die erste Bekanntschaft mit chemischen Erscheinungen auf die Geister der neueren Welt gewirkt hat. Ueberhaupt gab das Zurücktreten der Natur als Mysterium der neueren Welt eine allgemeine Richtung auf Geheimnisse der Natur. Die geheimnißvolle Sprache der Gestirne, die sich in ihren verschiedenen Bewegungen und Conjunktionen ausdrückt, bekam unmit- telbar historische Beziehung; ihr Lauf, ihr Wechsel, ihre Verbindungen deuteten auf Schicksale der Welt im Ganzen und mittelbar des Einzelnen. Auch hier lag eine richtige Ahndung zu Grunde, daß in der Erde, da sie Universum für sich ist, die Elemente aller Gestirne seyn müssen, und daß die verschiedenen Stellungen und Entfernungen der Gestirne von der Erde besonders auf den zarteren Bildungen der Erde, wie die menschliche, schon bei der ersten Formation einen nothwendigen Einfluß haben. — Es wird in der Naturphilosophie bewiesen, daß den ver- schiedenen Ordnungen von Metallen, dem Gold oder Silber u. s. w. gleiche Ordnungen am Himmel entsprechen, sowie wir an der Con- struktion des Erdkörpers für sich nach seinen vier Seiten wirklich ein vollkommenes Bild des ganzen Sonnensystems haben. Das Beseeltseyn der Gestirne, und daß sie von inwohnenden Seelen in ihren Bahnen geführt werden, war eine Meinung, die sich noch von Plato und Aristoteles her erhalten hatte. Die Erde wurde bis zu Copernicus als Mittelpunkt des Universums angeschaut; darauf ruhte auch jene aristo- telische Astronomie, die dem Gedicht des Dante durchweg zu Grunde liegt. Es läßt sich leicht denken, welche Folge für das Christenthum, d. h. für das katholische System, die Copernicanische Theorie haben mußte, und es war gewiß nicht allein wegen des Spruchs bei Josua, daß die römische Kirche dieser reinen Lehre sich so mächtig widersetzte. — Geheimnißvolle Kräfte der Steine und Pflanzen waren im Orient allgemein angenommen. Der Glaube daran kam ebenso wie die Arznei- kunst mit den Arabern nach Europa. Ebenso der Gebrauch der Talis- mane und Amulete, womit man sich im Orient seit den ältesten Zeiten gegen giftige Schlangen und böse Geister verwahrt. Viele der mytho- logischen Ansichten der Thierwelt waren den Neueren nicht eigenthümlich. Ich werde nun, was ich von der modernen Mythologie bisher vor- getragen, in einige Sätze zusammenfassen, um dadurch die Uebersicht zu erleichtern. Zuerst haben wir des Zusammenhangs wegen auf einen früheren Satz §. 28 zurückzusehen, welcher das Princip für diese ganze Untersuchung enthält. Er setzte nämlich im Allgemeinen fest, daß die Ideen real und als Götter, die Ideenwelt demnach als eine Welt der Götter angeschaut werden könne. Diese Welt ist der Stoff aller Poesie. Wo er sich bildet, ist die höchste Indifferenz des Absoluten mit dem Besonderen in der realen Welt producirt. Hieran schließt sich nun der folgende Satz an: §. 43. Im Stoff der Kunst ist kein Gegensatz denkbar als ein formeller . Dem Wesen nach ist nämlich jener immer und ewig eins, immer und nothwendig absolute Identität des Allgemeinen und des Besonderen. Wenn also überhaupt ein Gegensatz in Ansehung des Stoffes stattfindet, so ist er bloß formell, und als solcher muß er auch objektiv sich ausdrücken als bloßer Gegensatz in der Zeit. §. 44. Der Gegensatz wird sich darin äußern, daß die Einheit des Absoluten und Endlichen (Besonderen) in dem Stoff der Kunst von der einen Seite als Werk der Natur, von der andern als Werk der Freiheit erscheint . Denn da in dem Stoff an und für sich immer und nothwendig Einheit des Unendlichen und Endlichen gesetzt ist, diese aber nur auf die gedoppelte Art möglich ist, daß das Universum im Endlichen oder das Endliche im Universum dargestellt werde, jenes aber die Einheit ist, die der Natur zu Grunde liegt, so wie dieses die, welche der ideellen Welt oder der Welt der Freiheit, so wird auch die Einheit, inwiefern sie als producirend erscheint und nach entgegengesetzten Seiten sich trennt, nach der einen nur als Werk der Natur, nach der andern als das der Frei- heit erscheinen können. Anmerkung . Daß nun dieser Gegensatz eben in der griechischen oder antiken und der modernen Poesie dargestellt ist, davon ist nur der empirische Beweis aus dem Faktum möglich, der auch in dem Vorher- gehenden geführt worden ist. §. 45. Die Einheit wird in dem ersten Fall (der Noth- wendigkeit) als Einheit des Universums mit dem Endlichen, in dem andern (der Freiheit) als Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen erscheinen . Dieser Satz ist, wie aus dem Beweis des vorhergehenden erhellt, nur ein anderer Ausdruck des vorhergehenden. Doch ist noch folgender besonderer Beweis davon zu führen: die Entgegengesetzten verhalten sich (nach §. 44) wie Natur und Freiheit; nun ist der Charakter der Natur (nach §. 18) ungetrennte, noch vor der Trennung bestehende Einheit des Unendlichen und Endlichen. Das Endliche ist in ihr herr- schend, aber in ihr liegt der Keim des Absoluten. Wo die Einheit ge- trennt ist, da ist das Endliche als Endliches gesetzt, also ist nur die Richtung vom Endlichen zum Unendlichen, also die Einheit des End- lichen mit dem Unendlichen möglich. §. 45. Im ersten Fall ist das Endliche als Symbol, im andern als Allegorie des Unendlichen gesetzt . — Folgt aus den Erklärungen, die beim §. 39 gegeben worden sind. Anmerkung . Auch so auszudrücken: Im ersten Fall ist das Endliche zugleich das Unendliche selbst, nicht bloß es bedeutend, eben darum etwas für sich, auch unabhängig von seiner Bedeutung. Im andern Falle ist es für sich selbst nichts, nur in der Beziehung aufs Unendliche. Folgesatz . Der Charakter der Kunst im ersten Fall ist im Ganzen symbolisch , im andern im Ganzen allegorisch . (Daß dieß in der modernen Kunst der Fall sey, ist in der Folge im Einzelnen zu be- weisen. Indessen fassen wir hier natürlich den reinen Gegensatz auf, also das Moderne, nicht wie es in seiner Absolutheit seyn kann, son- dern wie es sich in seiner Nicht-Absolutheit darstellt, und demnach bisher dargestellt hat, da uns alles überzeugt, daß die bisherige Erscheinung der modernen Poesie noch nicht der vollendete Gegensatz ist, in welchem eben deßwegen die beiden Entgegengesetzten auch wieder eins würden). §. 47. In der Mythologie der ersten Art wird das Universum angeschaut als Natur, in der andern als Welt der Vorsehung oder als Geschichte . — Nothwendige Folge, da die Einheit, welche der andern zu Grunde liegt, = Handeln, Vorsehung im Gegensatz gegen Schicksal : Schicksal = Differenz (Uebergang), Abfall von der Identität der Natur, Vorsehung = Reconstruktion. Zusatz . Die Entgegensetzung des Endlichen mit dem Universum muß sich in der ersten als Empörung, in der andern als unbedingte Hingabe an das Universum darstellen. Jenes kann als Erhabenheit (Grundcharakter des Antiken), dieses als Schönheit im engern Sinn charakterisirt werden. §. 48. In der poetischen Welt der ersten Art wird die Gattung sich zum Individuum oder Besondern ausbil- den, in der andern das Individuum für sich das Allge- meine auszudrücken streben . — Nothwendige Folge. Denn dort ist das Allgemeine im Besonderen als solche, hier das Besondere im Allgemeinen als bedeutend das Allgemeine. §. 49. Die Mythologie der ersten Art wird sich zu einer geschlossenen Götterwelt bilden, für die andere wird das Ganze, worin ihre Ideen objektiv werden, selbst wieder ein unendliches Ganzes seyn . — Nothwendige Folge. Denn dort ist Begrenzung, Endlichkeit herrschend, hier Unendlichkeit. — Auch: dort Seyn, hier Werden . Die Gestalten der ersten Welt bleibend, ewig, die Naturwesen einer höheren Ordnung, hier vorübergehende Er- scheinungen. §. 50. Dort wird Polytheismus durch Naturbegren- zung (von dem hergenommen, was in den Raum fällt), hier nur durch Begrenzung in der Zeit möglich seyn . Folgt von selbst. Alle Anschauung Gottes nur in der Geschichte. Anmerkung . Inwiefern das Unendliche hier in das Endliche kommt, so wird es nur seyn, um dieses an sich (selbst) und durch sein Beispiel zu vernichten, und so die Grenze der zwei Welten zu machen. Daher nothwendig die Idee der späteren Welt: Menschwerdung und Tod Gottes. §. 51. In der ersten Art der Mythologie ist die Natur das Offenbare, die ideelle Welt ist das Geheime, in der andern wird die ideelle Welt offenbar, und die Natur tritt ins Mysterium zurück . — Folgt von selbst. §. 52. Dort ist die Religion auf die Mythologie, hier vielmehr die Mythologie auf die Religion gegründet . — Denn Religion: Poesie wieder = subjektiv: objektiv. Das Endliche wird im Unendlichen angeschaut durch Religion , wodurch mir erst auch das Endliche zum Reflex des Unendlichen wird, das Unendliche im Endlichen dagegen symbolisch, und insofern mythologisch. Erläuterung . Die griechische Mythologie war nicht als solche Religion; sie ist an sich nur als Poesie zu begreifen; Religion wurde sie erst in dem Verhältniß, welches sich der Mensch nun selbst zu den Göttern (dem Unendlichen) gab in religiösen Handlungen u. s. w. Im Christenthum ist dieses Verhältniß das erste, und jede mögliche Symbolik des Unendlichen, alle Mythologie also auch, davon abhängig gemacht. Zusatz 1. Die Religion selbst mußte dort mehr als Naturreli- gion, hier konnte sie nur als geoffenbarte erscheinen. — Folgt aus §. 47 und 48. Zusatz 2. Unmittelbar aus einer solchen Religion konnte Mytho- logie entspringen, weil jene auf Tradition gegründet war. Zusatz 3. Die Ideen dieser Religion an und für sich selbst konn- ten nicht mythologisch seyn. Denn sie sind durchaus unsinnlich. Beweis an der Dreieinigkeit, den Engeln u. s. w. Zusatz 4. Nur in der Historie konnte eine solche Religion my- thologischer Stoff werden. Denn nur darin erlangen sie (die Ideen) eine Unabhängigkeit von ihrer Bedeutung. §. 53. Wie dort die Ideen vorzugsweise nur in dem Seyn, so konnten sie hier nur in dem Handeln objektiv werden . — Denn jede Idee ist = Einheit des Unendlichen und End- lichen, diese hier aber nur durch Handlung, wie dort durch das Ent- gegengesetzte, also durch Seyn. §. 54. Die Grundanschauung aller Symbolik der letz- ten Art war nothwendig die Kirche . Denn in der Mythologie der andern Art wird das Universum oder Gott angeschaut in der Ge- schichte (vergl. §. 47). Nun ist aber der Typus oder die Form der Geschichte Getrenntheit im Einzelnen und Einheit im Ganzen (etwas, das hier als in der Philosophie zu Beweisendes vorausgesetzt wird), also konnte in jener Art der Symbolik Gott überhaupt nur objektiv werden als das vereinende Princip der Einheit im Ganzen und der Getrenntheit im Einzelnen. Dieß aber konnte nur in der Kirche geschehen (wo auch unmittelbare Anschauung Gottes ), denn in der objektiven Welt war keine andere Synthese dieser Art (z. B. in der Staatsverfassung, in der Geschichte selbst könnte diese Synthese wieder nur im Ganzen objektiv werden, d.h. in der unendlichen Zeit, aber nicht gegenwärtig). Zusatz . Die Kirche ist als ein Kunstwerk zu betrachten. §. 55. Die äußere Handlung, in welcher die Einheit des Unendlichen und Endlichen ausgedrückt wird, ist sym- bolisch . — Denn sie ist Darstellung der Einheit des Unendlichen und Endlichen im Endlichen oder Besonderen. §. 56. Dieselbe Handlung, insofern sie bloß innerlich ist, ist mystisch . — Dieß der Begriff, den wir von mystisch festsetzen, und der also als Erklärung keines Beweises bedarf. Zusatz 1. Mysticismus also = subjektiver Symbolik. Zusatz 2. Mysticismus an und für sich selbst ist unpoetisch — denn er ist der entgegengesetzte Pol der Poesie, welche die Einheit des Unendlichen und Endlichen im Endlichen . — Es versteht sich, daß von Mysticismus an und für sich die Rede ist, nicht, inwiefern er selbst wieder objektiv werden kann, z. B. in sittlicher Gesinnung u. s. w. §. 57. Das Gesetz der ersten Art der Kunst ist Unwan- delbarkeit in sich selbst, das der andern Fortschritt im Wechsel . — Folgt schon aus der Entgegensetzung beider als Natur und Freiheit. §. 58. Dort ist das Exemplarische oder die Urbildlich- keit, hier die Originalität herrschend . — Denn dort erscheint das Allgemeine als Besonderes, die Gattung als Individuum, hier dagegen soll das Individuum als Gattung, das Besondere als Allge- meines erscheinen. — Dort ist der Ausgangspunkt identisch (ὅμηρος), Einer, nämlich das Allgemeine selbst, hier aber ist der Ausgangspunkt immer und nothwendig ein verschiedener, weil er im Besonderen liegt. Der Unterschied der Originalität von der Besonderheit besteht darin, daß jene vom Besonderen sich zum Allgemeinen, Univer- sellen bildet Man vergl. den Aufsatz: Ueber das Wesen der philosophischen Kritik über- haupt u. s. w. Krit. Journal I , 1, S. XI. (oben S. 8). D. H. . §. 59. Die andere Art der Kunst ist nur als Ueber- gang oder als in der Nichtabsolutheit im Gegensatz mit der ersten . — Denn die vollkommene Einbildung des Endlichen ins Unendliche wird auch die des Universums ins Endliche wieder mit sich führen. Zusatz . In diesem Uebergang, wo die Originalität das Herrschende ist, ist es nothwendig, daß das Individuum sich selbst aus der Beson- derheit den universellen Stoff schaffe. §. 60. Die Forderung der Absolutheit in Ansehung der letzten Art der Mythologie wäre die der Verwandlung des Nacheinander ihrer göttlichen Erscheinung in ein Zumal (erklärt sich aus §. 50). Zusatz . Dieß ist nur durch Integration mittelst der entgegen- gesetzten Einheit möglich. In der Natur ist zumal, was in der Geschichte nacheinander. — Absolute Identität der Natur und der Geschichte. §. 61. Wie in der Mythologie der ersten Art die Naturgötter sich zu Geschichtsgöttern bildeten, so müssen in der andern Art die Götter aus der Geschichte in die Natur, und also aus Geschichtsgöttern zu Naturgöttern sich bilden . Denn nur dann Absolutheit nach §. 60. Zusatz . Insofern diese erste wechselseitige Durchdringung der beiden Einheiten — der Natur mit der Geschichte und der Geschichte mit der Natur — in dem Epos geschieht, insofern wird das Epos, der Homeros (nach dem wörtlichen Sinn der Einigende, die Identität), welcher dort das Erste ist, hier das Letzte seyn und die ganze Bestim- mung der neuen Kunst erfüllen. Dritter Abschnitt. Construktion des Besonderen oder der Form der Kunst . Mit der vollendeten Construktion des Stoffs der Kunst, welcher in der Mythologie liegt, tritt für uns ein neuer Gegensatz ein. Wir begannen von der Construktion der Kunst als realer Darstellung des Absoluten. Diese konnte nicht real seyn, ohne jenes durch einzelne end- liche Dinge darzustellen. Wir machten die Synthesis des Absoluten mit der Begrenzung; es entstand uns daraus die Ideenwelt der Kunst, aber auch diese ist in Bezug auf die Darstellung selbst wieder nur Stoff oder Allgemeines, dem die Form oder das Besondere ent- gegensteht. Wie geht jener allgemeine Stoff über in die besondere Form und wird Materie des besonderen Kunstwerks? Es läßt sich aus dem zu Anfang aufgestellten Princip zum voraus einsehen, daß es auch hier darauf ankommen wird, die beiden Ent- gegengesetzten absolut zu synthesiren, Stoff und Form durch eine neue Synthese in Indifferenz darzustellen. Hierauf beziehen sich die folgen- den Sätze, mit denen wir zur Construktion des Kunstwerks als solches fortgehen. §. 62. Das unmittelbar Hervorbringende des Kunst- werks oder des einzelnen wirklichen Dings, durch welches in der idealen Welt das Absolute real-objektiv wird, ist der ewige Begriff oder die Idee des Menschen in Gott, der mit der Seele selbst eins und mit ihr verbunden ist . Beweis . Dieser ist aus §. 23 zu führen, nach welchem die for- male oder absolute Ursache aller Kunst Gott ist. Nun producirt aber Gott unmittelbar und aus sich selbst nur die Ideen der Dinge, wirk- liche und besondere Dinge aber nur mittelbar in der reflektirten Welt. Inwiefern also das Princip der göttlichen Ineinsbildung, d. h. Gott selbst, durch besondere Dinge objektiv wird, insofern ist nicht Gott unmittelbar und an sich selbst betrachtet, sondern nur Gott als das Wesen eines Besonderen und in der Beziehung auf ein Besonderes das, was die besonderen Dinge producirt. Nun bezieht sich aber Gott auf das Besondere nur durch das, worin es mit seinem Allgemeinen eins ist, d. h. durch seine Idee oder seinen ewigen Begriff. Diese Idee aber ist in dem vorliegenden Fall die des Absoluten selbst. Diese aber bekommt die unmittelbare Beziehung auf ein Besonderes oder wird objektiv producirt nur in dem Organismus und der Vernunft, beide als eins gedacht (denn nur jener ist das reale, diese das ideale Abbild des Absoluten in der realen oder geschaffenen Welt, nach den §§. 17 und 18). Die Indifferenz des Organismus und der Vernunft aber oder das Eine, in welchem auf gleiche Weise real und ideal das Absolute objektiv wird, ist der Mensch. Es ist also Gott, inwiefern er sich durch eine Idee oder einen ewigen Begriff auf den Menschen bezieht, d. h. es ist der ewige Begriff des Menschen selbst, der in Gott ist, wodurch das Kunstwerk hervorgebracht wird. Die Idee des Menschen ist aber nichts anderes als das Wesen oder das An-sich des Menschen selbst, welches in der Seele und dem Leib objektiv wird, und demnach der Seele unmittelbar vereinigt ist. Erläuterung . Alle Dinge sind in Gott nur durch ihre Idee, und diese Idee wird objektiv da, wo auch im Reflex die Einheit des Unendlichen im Endlichen in der Form producirt wird. Da nun dieß im Menschen der Fall ist, indem hier das Endliche, der Leib, wie die Seele die ganze Einheit ist, so wird hier die Idee als Idee objektiv, und da es ihr Wesen ist zu produciren, überhaupt produktiv. §. 63. Dieser ewige Begriff des Menschen in Gott als der unmittelbaren Ursache seiner Produktionen ist das, was man Genie, gleichsam den Genius, das inwohnende Göttliche des Menschen, nennt . Es ist so zu sagen ein Stück aus der Absolutheit Gottes. Jeder Künstler kann daher auch nur so viel produciren, als mit dem ewigen Begriff seines eignen Wesens in Gott verbunden ist. Je mehr nun in diesem für sich schon das Universum angeschaut wird, je organischer er ist, je mehr er die Endlichkeit der Unendlichkeit verknüpft, desto produktiver. Erläuterungen . 1) Gott producirt aus sich nichts, als worin wieder sein ganzes Wesen ausgedrückt ist, nichts also, das nicht wieder producirte, wieder Universum wäre. So verhält es sich in dem An- sich . Daß nun aber das Produciren Gottes, d. h. die Idee als Idee, auch in der erscheinenden Welt hervortrete, dieß hängt von Bedingungen ab, die in dieser liegen, und die uns insofern als zu- fällig erscheinen, obgleich, von einem höheren Gesichtspunkt aus be- trachtet, auch die Erscheinung des Genies immer wieder eine noth- wendige ist. 2) Das Produciren Gottes ist ein ewiger, d. h. überhaupt kein Verhältniß zur Zeit habender Akt der Selbstaffirmation, worin eine reale und ideale Seite. In jener gebiert er seine Unendlichkeit in die Endlichkeit und ist Natur , in dieser nimmt er die Endlichkeit wieder zurück in seine Unendlichkeit. Aber eben dieß wird auch in der Idee des Genies gedacht, daß es nämlich von der einen Seite ebenso als natür- liches wie von der andern als ideelles Princip gedacht wird. Es ist demnach die ganze absolute Idee, angeschaut in der Erscheinung oder Beziehung auf Besonderes. Es ist ein und dasselbe Verhältniß, durch welches in dem ursprünglichen Erkenntnißakt die Welt an sich, und durch welches in dem Akt des Genies die Kunstwelt, als dieselbe Welt an sich nur in der Erscheinung producirt wird. (Das Genie unter- scheidet sich von allem, was bloß Talent, dadurch, daß dieses eine bloß empirische Nothwendigkeit, die selbst wieder Zufälligkeit, hat, jenes absolute Nothwendigkeit. Jedes wahre Kunstwerk ist ein absolut nothwendiges; ein solches, das gleicherweise seyn und nicht seyn konnte, verdient diesen Namen nicht Vergl. die Aeußerung in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie, (2. Abth., 1. Bd.) S. 242. D. H. . §. 64. Erklärung . Die reale Seite des Genies oder diejenige Einheit, welche Einbildung des Unendlichen ins Endliche ist, kann im engern Sinn die Poesie, die ideale Seite oder diejenige Einheit, welche Einbildung des End- lichen ins Unendliche ist, kann die Kunst in der Kunst heißen . Erläuterung . Unter Poesie im engern Sinne wird, wenn wir uns auch bloß an die Sprachbedeutung halten, das unmittelbare Her- vorbringen oder Schaffen eines Realen verstanden, die Invention an und für sich selbst. Alles unmittelbare Hervorbringen oder Schaffen ist aber immer und nothwendig Darstellung eines Unendlichen, eines Begriffs in einem Endlichen oder Realen. Die Idee der Kunst beziehen wir alle mehr auf die entgegengesetzte Einheit, die der Einbildung des Besonderen ins Allgemeine. In der Invention expandirt oder ergießt sich das Genie in das Besondere; in der Form nimmt es das Beson- dere zurück in das Unendliche. — Nur in der vollendeten Einbildung des Unendlichen in das Endliche wird dieses etwas für sich Bestehendes, ein Wesen an sich selbst , das nicht bloß ein anderes bedeutet. So gibt das Absolute den Ideen der Dinge, die in ihm sind, ein unab- hängiges Leben, indem es sie in die Endlichkeit auf ewige Weise ein- bildet; dadurch bekommen sie ein Leben in sich selbst, und nur sofern in sich absolut, sind sie im Absoluten . Poesie und Kunst also sind wie die zwei Einheiten: Poesie das, wodurch ein Ding Leben und Realität in sich selbst hat, Kunst das, wodurch es in dem Hervorbringenden ist. §. 65. Erklärung . Die erste der beiden Einheiten, die, welche Einbildung des Unendlichen ins Endliche, drückt sich an dem Kunstwerk vorzugsweise als Erhaben- heit, die andere, welche Einbildung des Endlichen ins Unendliche, als Schönheit aus . Wir können dieß nicht anders beweisen, als indem wir zeigen, daß das, was nach allgemeiner Uebereinstimmung zum Erhabenen und Schönen gefordert wird, nichts anderes sey, als was durch unsere Er- klärung ausgedrückt ist. — Die Meinung ist eigentlich diese: wo die Aufnahme des Unendlichen ins Endliche als solche, das Unendliche also im Endlichen unterschieden wird, urtheilen wir, daß der Gegenstand, worin dieß der Fall ist, erhaben sey. Alle Erhabenheit ist entweder Natur oder Gesinnung (wir werden durch die weitere Betrachtung fin- den, daß das Wesen, die Substanz des Erhabenen, immer eine und dieselbe ist, und daß nur die Form wechselt). Das Erhabene der Natur findet wieder auf doppelte Weise statt: „da, wo uns ein sinn- licher Gegenstand dargeboten wird, der für unsere Fassungskraft zu hoch und in der Beziehung auf selbige unermeßlich ist, oder da, wo unserer Kraft, sofern wir lebendige Wesen sind, sich eine Macht der Natur entgegenstellt, gegen welche jene in nichts ver- schwindet“. — Beispiele des ersten Falls sind z. B. ungeheure Ge- birgs- und Felsenmassen, deren Gipfel das Auge nicht erreicht, der weite, nur vom Himmel umwölbte Ocean, das Weltgebäude in seiner Unermeßlichkeit, für welche jeder mögliche Maßstab des Menschen unzureichend befunden wird. Die gemeine Betrachtung dieses Un- ermeßlichen der Natur ist, es als das Unendliche selbst anzusehen; mit dieser Ansicht ist durchaus kein Gefühl der Erhabenheit, viel- mehr der Niederschlagung verbunden. In der Größe als solcher ist gar nichts Unendliches, bloß in ihr als Widerschein wahrer Unend- lichkeit. Die Anschauung des Erhabenen tritt dann ein, wenn die sinnliche Anschauung für die Größe des sinnlichen Gegenstandes un- angemessen gefunden wird, und nun das wahre Unendliche hervertritt, für welches jenes bloß sinnliche Unendliche zum Symbol wird. Das Erhabene ist insofern eine Unterjochung des Endlichen, welches Unend- lichkeit lügt , durch das wahre Unendliche. Es kann keine vollkom- menere Anschauung des Unendlichen geben, als wo das Symbol, in welchem es angeschaut wird, in seiner Endlichkeit die Unendlich- keit heuchelt. „Den bloß sinnlichen Beschauer kann (um mich hier Schillers Worte Ueber das Erhabene (Taschenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H. zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur an die Schranken seiner Fassungskraft, ebenso wie die furchtbare und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an seine Ohnmacht erinnern. In der bloß sinnlichen Anschauung würde er sich nun entweder mit Kleinmuth oder Entsetzen von diesem großen Bild der Natur abwenden. Aber nicht so bald erhebt er sich zur ab- soluten Contemplation, kaum steigt ihm das Unendliche einer höheren Anschauung herab in die Fluth dieser Erscheinungen und verbindet sich mit dem Ungeheuren der sinnlichen Anschauung als seiner bloßen Hülle, so fangen die wilden Naturmassen um ihn her an eine ganz andere Anschauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer ihm nur der Spiegel ist, worin er das absolut Große, das Unend- liche an und für sich selbst erblickt. Absichtlich bietet er nun das Ver- mögen, das an sich Unendliche anzuschauen, auf, um das sinnlich- Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in diesem Unter- liegen des sinnlich-Großen die Ueberlegenheit seiner Ideen über das Höchste , was die Natur aufbieten oder darstellen kann, desto unmittel- barer zu empfinden. Diese Anschauung des Erhabenen ist ihrer Verwandtschaft mit dem Ideellen und Sittlichen unerachtet eine ästhetische Anschauung, um hier einmal dieses Wort zu gebrauchen. Das Unendliche ist das Herrschende, aber es herrscht doch nur, inwiefern es in dem sinnlich-Unendlichen, das insofern wieder ein Endliches ist, angeschaut wird. Dieses Anschauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen der Natur ist die Poesie, welche der Mensch allgemein üben kann; denn es ist der Anschauende selbst, dem das relativ Große der Natur zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des absolut Großen macht. Die moralische und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit wie die Feigheit der Gesinnung wendet sich von diesen großen Anblicken ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und Verächtlichkeit vorhalten. Das Erhabene der Natur wie das der Tra- gödie und der Kunst überhaupt reiniget die Seele, indem es sie von dem bloßen Leiden befreit. Wie der tapfere Mann in dem Moment, wo alle Kräfte der Natur und des Verhängnisses auf ihn zugleich feindlich eindringen, in dem Moment selbst des höchsten Leidens zur höchsten Befreiung und zu einer überirdischen Lust übergeht, die alle Schranken des Leidens abge- legt hat, so geht dem, der das Antlitz der furchtbaren und zerstörenden Natur erträgt, das höchste Aufgebot ihrer verderbenden Kräfte selbst, die absolute Anschauung auf, welche der Sonne gleicht, die aus den Gewitterwolken bricht. Schwerlich möchte es in einem Zeitalter der Kleinlichkeit der Gesinnungen und Verkrüppelung des Sinns ein allgemeineres Mittel geben, sich selbst davor zu bewahren und immer davon zu reinigen, als diesen Verkehr mit der großen Natur, schwerlich auch eine reichere Quelle großer Gedanken und des heldenmüthigen Entschlusses als die immer erneuerte Lust in der Anschauung des sinnlich-Furchtbaren und -Großen. Wir haben in dem Bisherigen das Erhabene der beiden Arten betrachtet, jenes, in welchem die Natur durch ihre Größe für das Fassungsvermögen, und jenes, in welchem sie durch ihre Macht für unsere physische Kraft absolut groß und unendlich, in Beziehung auf das wahrhaft Unendliche aber selbst wieder nur relativ groß, relativ unendlich ist. Wir haben nun noch genauer als bisher die Form der Anschauung des Erhabenen zu bestimmen. Die Form ist, wie immer, so auch hier das Endliche, nur ist die Bestimmung hinzugefügt worden, daß es hier als relativ unendlich, und in der Beziehung auf sinnliche Anschauung als absolut groß erscheinen müsse. Es ist aber eben dadurch von dem Endlichen die Form negirt, und wir begreifen hierdurch, wie es eben das Formlose ist, welches für uns am unmittelbarsten erhaben , d. h. Symbol des Unendlichen als solchen wird. Die Form, welche als Form unterschieden wird, setzt das Endliche eben dadurch als ein Besonderes, das Endliche, welches das Unendliche aufnehmen soll, muß aber diesem als Symbol adäquat seyn, welches nun auf doppelte Weise geschehen kann, entweder wenn es absolut form- los oder absolut geformt ist, denn beides ist selbst wieder eins und dasselbe. Die absolute Formlosigkeit ist eben die höchste, die absolute Form, wo sich das Unendliche in ein Endliches faßt, ohne von seinen Schranken berührt zu werden. Eben darum aber hat auch die wirk- lich absolute Form, in der alles Beschränkende aufgehoben ist, wie in den Götterbildungen des Jupiter, der Juno u. s. w. für uns wieder dieselbe Wirkung wie die absolute Formlosigkeit. Die Natur ist allerdings nicht nur in ihrer unserer Fassungskraft unerreichbaren Größe oder in ihrer unserer physischen Gewalt unbesieg- baren Macht erhaben, sie ist es auch allgemein in dem Chaos oder, wie Schiller sich auch ausdrückt a. a. O. S. 293. D. H. , in der Verwirrung ihrer Erscheinungen überhaupt. Das Chaos ist die Grundanschauung des Erhabenen, denn wir fassen selbst die Masse, die für die sinnliche Anschauung zu groß, wie die Summe blinder Kräfte, die für unsere physische Macht zu gewaltig ist, in der Anschauung nur als Chaos auf, und nur insofern wird es uns zum Symbol des Unendlichen. Die Grundanschauung des Chaos selbst liegt in der Anschauung des Absoluten. Das innere Wesen des Absoluten, worin alles als eins und eins als alles liegt, ist das ursprüngliche Chaos selbst; aber eben auch hier begegnen wir jener Identität der absoluten Form mit der Formlosigkeit; denn jenes Chaos im Absoluten ist nicht bloße Negation der Form, sondern Formlosigkeit in der höchsten und abso- luten Form, sowie umgekehrt höchste und absolute Form in der Form- losigkeit: absolute Form, weil in jede Form alle und in alle jede gebildet ist, Formlosigkeit, weil eben in dieser Einheit aller Formen keine als besondere unterschieden wird Man vergl. zu dem Gedanken: Formlosigkeit = absolute (höchste) Form die Einleitung zum Kritischen Journal (Ueber das Wesen der philos. Kritik über- haupt u. s. w.) S. IX. (oben S. 7). D. H. . Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 30 Durch die Anschauung des Chaos, möchte ich sagen, geht der Ver- stand zu aller Erkenntniß des Absoluten, es sey in der Kunst oder in der Wissenschaft, über. Das gemeine Wissen, wenn es, nach vergeb- lichem Bestreben das Chaos von Erscheinungen in der Natur und der Geschichte mit dem Verstand auszuschöpfen, zu dem Entschluß übergeht, „das Unbegreifliche selbst, wie Schiller sagt a. a. O. S. 296. D. H. , zum Standpunkt der Beurtheilung“, d. h. zum Princip zu machen, scheint hier mit dem ersten Schritt zur Philosophie oder wenigstens zur ästhetischen Anschauung der Welt. Erst in dieser Ungebundenheit, die dem gemeinen Verstand als Gesetzlosigkeit erscheint, erst in dieser Selbständigkeit und Freiheit von Bedingungen, in welcher sich selbst jede Naturerscheinung für ihn hält, da er niemals eine vollkommen aus der andern begreifen kann und nothgedrungen jeder ihre Absolutheit zugestehen muß — erst in dieser Unabhängigkeit jeder einzelnen Erscheinung, die dem nur auf Bedingungen gebenden Verstand ein Ende macht, kann er die Welt als das wahre Sinnbild der Vernunft, in der alles unbedingt, und des Absoluten, in dem alles frei und ungezwungen ist, erkennen. Von dieser Seite stellt sich nun auch die Erhabenheit der Gesin- nung dar, vorzüglich inwiefern derjenige, in welchem sie sich zeigt, zugleich als Symbol der ganzen Geschichte dienen kann. Die selbige Welt, welche noch als Natur sich in Schranken von Gesetzen hält, die nur weit genug gezogen sind, um innerhalb derselben noch einen Schein der Gesetzlosigkeit zu behalten, scheint als Geschichte alle Gesetzmäßigkeit abgelegt zu haben. Das Reale rächt sich hier, und kehrt mit seiner ganzen strengen Nothwendigkeit zurück, um hier vielmehr alle Gesetze, welche das Freie sich selbst gibt, zu zerstören und sich ihm gegenüber frei zu zeigen. Die Gesetze und Absichten der Menschen sind hier kein Gesetz für die Natur, sie „tritt, um mich wieder einer Stelle von Schiller ebendaselbst. D. H. zu bedienen, die Schöpfungen der Weisheit und des Zufalls mit gleicher Achtlosigkeit in den Staub, und reißt das Wichtige wie das Geringe, das Edle wie das Gemeine in Einem Untergang mit sich fort. Die vollkommensten Werke und ihre eignen mühsamsten Erwerbungen ver- dirbt und verschwendet sie in dem Augenblick, und bildet dagegen an einem Werke der Thorheit Jahrhunderte lang fort. Dieser Abfall der Natur im Großen von der Regel des Verstandes ist es, (setzt Schiller hinzu) was die absolute Unmöglichkeit unmittelbar sichtbar macht, die Natur selbst wieder durch Naturgesetze zu erklären, die bloß in ihr, aber nicht von ihr gelten. Die einfache Betrachtung hievon führt das Gemüth schon unwiderstehlich hinaus über die Welt der Erscheinungen in die Ideenwelt, aus dem Bedingten ins Unbedingte“. Der Held der Tragödie, der alle Härten und Tücken des Schicksals zusammengehäuft auf sich dennoch ruhig erträgt, repräsentirt eben deßwegen jenes An- sich , jenes Unbedingte und Absolute selbst wieder in seiner Person; sicher seines Plans, den keine Zeit ausführt, aber auch keine vernichtet, blickt er auf den Strom des Weltlaufs ruhig herab. Das Unglück, welches die tragische Person sinnlich niederwirft und vernichtet, ist ein ebenso nothwendiges Element der sittlich-erhabenen als der Streit der Naturkräfte und die Uebermacht der Natur über die bloß sinnliche Fassungskraft für das physisch -Erhabene. Nur im Unglück wird die Tugend, nur in der Gefahr die Tapferkeit erprobt; der Tapfere im Kampf mit dem ersten, worin er weder physisch siegt, noch moralisch unterliegt, ist nur Symbol des Unendlichen, dessen, was über alles Leiden ist. Nur in dem Maximum des Leidens kann das Princip offenbar werden, in dem kein Leiden ist, wie alles überall nur in seinem Entgegengesetzten objektiv wird. Das wahre tragisch Erhabene ruht eben deßwegen auf den zwei Bedingungen, daß die moralische Person den Naturkräften unterliegt und zugleich durch die Gesinnung siegt; es ist wesentlich, daß der Held nur durch das siege, was nicht Naturwirkung oder Glück seyn kann, also nur durch die Gesinnung, wie bei Sophokles immer, nicht daß etwas Anderes, Fremdartiges, wie oft schon bei Euripi- des, das Herbe seines Schicksals vermeintlich wieder lindere. Die falsche Schonung, welche dem schlaffen Geschmack huldigt, der den ernsten An- blick der Nothwendigkeit nicht erträgt, ist selbst nicht nur an sich verächt- lich, sondern verfehlt auch die eigentliche Kunstwirkung, die sie beabsichtigt. Es ist jetzt hinlänglich erläutert, inwiefern das Erhabene Einbil- dung des Unendlichen im Endlichen, nur daß das Endliche immer selbst als ein relativ Unendliches erscheine (denn nur in diesem Fall wird das wahrhaft Unendliche als solches unterschieden) als relativ Unendliches, es sey nun für die Auffassung, oder für die physische Macht, oder für das Gemüth, wie in der Tragödie, wo es durch das Unend- liche der moralischen Gesinnung besiegt wird. Ich will hier nur noch in Bezug auf das Erhabene Eine Bemer- kung machen, die aus unserer bisherigen Darstellung folgt, nämlich, daß nur in der Kunst das Objekt selbst erhaben ist, da es die Natur nicht an sich ist, weil hier die Gesinnung oder das Princip, durch welches das Endliche zum Symbol des Unendlichen herabgesetzt wird, doch nur in das Subjekt fällt. Im Erhabenen, sagten wir, werde das sinnlich Unendliche durch das wahre Unendliche bezwungen. Im Schönen darf das Endliche sich wieder zeigen, indem es im Schönen nicht anders als selbst schon eingebildet dem Unendlichen erscheint. Dort (im Erhabenen) zeigt sich das Endliche noch gleichsam in der Empörung gegen das Unendliche, obgleich es in diesem Verhältniß selbst zum Symbol von ihm wird. Hier (im Schönen) ist es ihm ursprünglich versöhnt. Daß dieß das Verhältniß des Schönen zum Erhabenen seyn müsse, inwiefern beide einander entgegengesetzt werden, geht übrigens durch den Gegensatz aus dem hervor, was von dem Erhabenen bewiesen worden ist. Allein eben daraus das Folgende. §. 66. Das Erhabene in seiner Absolutheit begreift das Schöne, wie das Schöne in seiner Absolutheit das Erhabene begreift . Dieß ist allgemein schon daraus einzusehen, daß das Verhält- niß beider wie das der beiden Einheiten ist, von denen aber jede gleich- falls in ihrer Absolutheit selbst die andere begreift. Das Erhabene, inwiefern es nicht schön , wird aus diesem Grunde auch nicht erhaben , sondern nur ungeheuer oder abenteuerlich seyn. Ebenso muß die absolute Schönheit mehr oder weniger immer zugleich auch die furchtbare Schönheit seyn. Da übrigens Schönheit immer und nothwendig Begren- zung fordert, so wird die Begrenzungslosigkeit selbst zur Form wie in der Bildung des Jupiter, wo keine als die nothwendige Begrenzung ist, nur damit überhaupt ein Bild sey, denn übrigens ist alle andere Begrenzung aufgehoben, z. B. weder jung noch alt. Ebenso ist Juno nur so viel begrenzt, als nöthig ist weibliche Gestalt zu seyn. Je geringer die Begrenzung, innerhalb welcher ein Bild als Schönheit ist, desto mehr neigt es gegen das Erhabene hin, ohne doch aufzuhören Schönheit zu seyn. Apollos Schönheit hat mehr Begrenzung als Jupiters — er ist jugendlich -schön. Bei ihm ist die Begrenzung nicht bloß wie bei Jupiter so weit, daß nur überhaupt das Unendliche im End- lichen erscheint, das Endliche gilt auch schon für sich wieder als einge- bildet dem Unendlichen. Näher liegt das Beispiel der männlichen und weiblichen Schönheit; dort zeigt auch die Natur nur das Nothwendige von Begrenzung, hier ist sie freigebig mit derselben. Hieraus folgt, daß zwischen Erhabenheit und Schönheit kein quali- tativer und wesentlicher, sondern nur ein quantitativer Gegensatz. Das Mehr oder Weniger von Schönheit oder von Erhabenheit gehört (dient) selbst wieder zur Begrenzung: Juno = erhabene Schönheit, Minerva = schöne Erhabenheit. Je mehr aber die Begrenzung das Unendliche versöhnt, desto reiner schön. Indeß weil eben wegen der Indifferenz des Erhabenen und Schönen die Bestimmung auch wieder relativ wird, so daß dasselbe, was in einer Beziehung als Erhabenheit begriffen wird, z. B. das Bild der Juno, in einer andern Beziehung wieder als Schönheit im Gegensatz gegen Erhabenheit erscheinen kann (wie Juno im Vergleich mit Jupiter), so erhellt, daß überhaupt und in keiner Sphäre etwas schön genannt werden kann, das in anderer Beziehung nicht auch erhaben wäre, daß aber eben deßwegen in jedem, das nur überhaupt für sich absolut ist, beides unauflöslich voneinander durchdrungen erscheine, wie z. B. Juno, nicht verglichen, sondern für sich betrachtet, oder um aus einer andern Sphäre Beispiele zu nehmen, Sophokles im Vergleich mit Aeschylos als schön, für sich aber und absolut betrachtet, als eine ganz unauflösliche Vereinigung des Schönen und Erhabenen erscheine. Wollte man sich in Ansehung des Erhabenen etwa auf die bloße Vorstellung der Unbegrenztheit und Formlosigkeit berufen, welche damit in der Regel verbunden wird, so ist diese, wie bereits gezeigt, aller- dings eine nothwendige Bedingung des Erhabenen, aber nicht so, daß sie nicht selbst wieder innerhalb streng begrenzter Formen möglich wäre, sondern so vielmehr, daß eben die höchste Form (wo die Form in der Form nicht mehr erkannt wird) zur Formlosigkeit, wie in andern Fällen die Formlosigkeit selbst zur Form wird. Jenes, wie gesagt, in der Bildung des Jupiter und in dem Kopf der sogenannten Juno Ludovisi, wo das Erhabene so mit dem Schönen durchdrungen ist, daß es nicht geschieden werden kann. Winkelmann nimmt eine hohe Grazie an, und die Alten selbst haben die furchtbaren Grazien des Aeschylos gepriesen. Im Kunstwerk selbst als Objektivem verhalten sich Erhabenheit und Schönheit wie im Subjektiven Poesie und Kunst. Aber auch in der Poesie für sich, sowie der Kunst für sich, ist wieder derselbe Gegensatz mög- lich, dort als naiv und sentimental, hier als Styl und Manier. Daher: §. 67. Derselbe Gegensatz der beiden Einheiten drückt sich in der Poesie für sich betrachtet durch den Gegensatz des Naiven und Sentimentalen aus . Allgemeine Anmerkung . In Ansehung aller dieser Gegen- sätze muß man beständig im Auge behalten, daß sie in der Absolutheit aufhören es zu seyn. Nun ist aber der Fall eben der , daß die erste Einheit, die, in welcher das Unendliche ins Endliche eingebildet ist, immer und nothwendig als die vollendete erscheint, daß hier der Ausgangs- punkt und der der Vollendung in eins zusammenfallen, daß dagegen für das andere Glied des Gegensatzes sehr wohl der absolute Ausdruck fehlen kann, eben deßwegen, weil es nur in der Nicht-Absolutheit als Entgegengesetztes erscheint. Dieß ist der Fall z. B. mit dem Sentimen- talen und Naiven. Das Poetische und Genialische ist immer und noth- wendig naiv; das Sentimentale ist also das Entgegengesetzte nur in seiner Unvollkommenheit. Wir statuiren also nicht sowohl Naives und Sentimentales in der Poesie, sondern wir statuiren allgemein zwei Richtungen in der Poesie, die, wo das Allgemeine als ins Beson- dere gebildet erscheint, und die, wo das Besondere ins Allgemeine gebildet. In der Absolutheit müßten beide eins, d. h., nachdem naiv der einzige Ausdruck ist, den wir für die Absolutheit haben, beide müßten naiv seyn. Sentimental ist also nur der Ausdruck der andern Richtung in ihrer Mangelhaftigkeit, insofern also das Verhältniß von Naiv zu Sentimental keineswegs wie das im vorigen Satze von Erhabenheit zu Schönheit, wo jede für sich ein Absolutes bezeichnet. Es ist bekannt, daß Schiller diesen Gegensatz zuerst in einem Auf- satz über naive und sentimentalische Dichtung geltend gemacht hat, der außer diesem sehr reich ist an fruchtbaren Ideen. Ich entlehne hier folgende Sätze aus demselben, welche am besten dazu dienen, jenen Gegensatz deutlich zu machen. „Naiv ist zu erklären als Natur oder Erscheinung der Natur, so- fern sie die Kunst beschämt“. (Diese Erklärung befaßt die Bedeutung des Worts in Verhältnissen des Umgangs und die höhere, welche ihm hier in Beziehung auf Kunst gegeben wird. Schon daß der Grundcha- rakter des Naiven der ist, daß es Natur seyn muß, beweist, daß es dem ersten der beiden Gegensätze ursprünglich entspreche.) „Das Naive ist Natur, das Sentimentale sucht die Natur“. „Das naive Gemüth empfindet natürlich, das sentimentale em- pfindet das Natürliche“. Am auffallendsten ist dieser Gegensatz wieder in der Vergleichung des Antiken und Modernen, wie dieß Schiller ebenfalls sehr schön nachweist. Die Anschauung des Erhabenen in der Natur z. B. ist bei dem Griechen durchaus nicht die empfindsame, welche die bloße Rührung davon empfindet, ohne bis zur freien, kalten Betrachtung zu gehen. Da- gegen ist das rein bloß subjektive Interesse an der Natur ohne alle Ob- jektivität der Anschauung oder des Denkens Grundzug im Charakter der Modernen, und sie selbst sind in dem Verhältniß entfernt von der Natur, in welchem sie die Natur empfinden, nicht anschauen oder darstellen. Man kann den ganzen Unterschied des naiven und sentimentalen Dichters darin zusammenfassen, daß bei jenem nur das Objekt waltet, bei diesem das Subjekt als Subjekt hervortritt, daß jener über sein Objekt bewußtlos scheint , dieser es mit seinem Bewußtseyn beständig begleitet und dieses Bewußtseyn zu erkennen gibt. Jener ist kalt und fühllos bei seinem Objekt, wie die Natur, dieser gibt uns sein Gefühl mit zu genießen. Jener zeigt keine Vertraulichkeit gegen uns, nur das Objekt ist uns verwandt, er selbst entflieht uns; dieser macht, indem er das Objekt darstellt, zugleich auch sich selbst zum Reflex desselben. Ebenso wie in der Poesie selbst mischt sich dieser Gegensatz auch in die Beurtheilung ein; es gehört ebenso zum modernen Charakter, daß ihn in der Regel die Fühllosigkeit des Dichters kalt läßt (das Objekt muß schon durch die Reflexion hindurchgegangen seyn, um auf ihn zu wirken), ja daß ihn das, was eben die höchste Kraft aller Poesie ist, nur das Objekt walten zu lassen, an dem Dichter empört. Es erhellt schon aus Schillers Abhandlung, daß der Grund- charakter der Modernen im Gegensatz gegen die Alten als der sentimen- tale ausgedrückt werden kann. Daß diese Behauptung aber wenigstens Beschränkung leide, zeigt schon die einzige Ausnahme des Shakespeare, welche auch Schiller macht. Es möchte sich eben auch in dieser Be- ziehung mit Shakespeare verhalten wie in der Beziehung auf den früheren Gegensatz der bewußten und bewußtlosen Seite. Die voll- kommene Indifferenz des Naiven und Sentimentalen selbst wieder (denn ich habe schon bemerkt, daß naiv ja eben auch wieder naiv nur für den sentimentalen Beschauer) hat vielleicht überhaupt kein Neuerer erreicht, also auch Shakespeare nicht. Der Grund, der Ausgangspunkt ist hier immer die Entgegensetzung des Subjekts und Objekts, d. h. das Sentimen- tale, nur im Objekt wieder zur Naivheit reducirt. Ganz unterscheidbar liegen in Ariosto die Elemente des Sentimentalen und Naiven beieinander; man könnte von ihm sagen: er ist auf naive Weise sentimental, anstatt daß Shakespeare innerhalb des Sentimentalen ganz und gar naiv ist. Für die äußere Erscheinung des Naiven ist noch zu bemerken, daß es sich immer durch Simplicität und Leichtigkeit der Behandlung eben- so sehr als durch strenge Nothwendigkeit auszeichnen wird. Wie das Schöne in dem Maße erhaben ist, in welchem zu seiner Darstellung nur das Nothwendige erfordert wird, so gibt es kein größeres Zeichen des Genies, als daß es mit wenigen strengen und nothwendigen Zügen das Objekt zur vollkommenen Anschauung bringt ( Dante ). Für das Genie gibt es keine Wahl , weil es nur das Nothwendige kennt und nur dieses will. Ganz anders ist der sentimentale Dichter daran, welcher reflektirt, und nur rührt und selbst gerührt wird, inwiefern er reflektirt. Der Charakter des naiven Genies ist vollständige — Nach- ahmung nicht sowohl, wie Schiller sich ausdrückt a. a. O. (Taschenausgabe 1847, Bd 12, S. 188.) D. H. , als vielmehr Er- reichung der Wirklichkeit; sein Objekt ist unabhängig von ihm, an sich selbst. Der sentimentale Dichter strebt nach einem Unendlichen, das, weil es in dieser Richtung nicht zu erreichen ist, auch nie zur Anschauung kommt. §. 68. Die Poesie in ihrer Absolutheit ist an sich weder naiv noch sentimental . Nicht naiv, denn dieß ist eine Bestimmung, die selbst nur durch den Gegensatz gemacht wird (das Absolute erscheint nur dem Sentimentalen naiv), das Sentimentale aber ist an und für sich selbst eine Nicht-Absolutheit. Demnach ꝛc. Anmerkung . Der ganze Gegensatz ist also selbst ein subjektiver, ein bloßer Erscheinungsgegensatz. Dieß läßt sich selbst sogar als That- sache nachweisen. Von Sophokles z. B. wird niemand versucht werden zu sagen, daß er sentimental sey, aber gerade eben auch nicht, daß er naiv sey. Er ist mit Einem Wort der schlechthin absolute ohne alle weitere Bestimmung. Schiller hat seine Beispiele in Ansehung des Antiken vorzüglich aus dem Epos entlehnt. Nur möchte man sagen, daß es mit zur Begrenzung, zur besondern Art des Epos gehöre, daß es naiv erscheine , wie z. B. das Homerische in den meisten Zügen seiner Helden. Wollte man das Sentimentale für etwas gelten lassen, so könnte man es, in wiefern es überhaupt etwas wäre, dem Lyrischen gleichsetzen. Das dramatische Werk aber kann eben deßwegen weder naiv noch sentimental erscheinen, und eben daß Shakespeare z. B. naiv erscheinen kann, würde ihn in dieser Rücksicht wieder als Modernen charakterisiren. §. 69. Der Gegensatz der beiden Einheiten in der Kunst für sich betrachtet kann sich nur als Styl und Ma- nier ausdrücken . Anmerkung . Dieselbe Bemerkung, die ich schon bei dem vor- hergehenden Gegensatz gemacht habe, findet hier noch weit mehr statt. Von den beiden Entgegengesetzten ist Styl das Absolute, Manier das Nicht-Absolute, insoweit Verwerfliche. Die Sprache hat nur Einen Ausdruck für die Absolutheit in beiden Richtungen. Die Absolutheit in der Kunst besteht immer darin, daß das Allgemeine der Kunst und das Besondere , welches sie im Künstler als Individuum an- nimmt, absolut eins, dieses Besondere das ganze Allgemeine sey, und umgekehrt. Nun läßt sich wohl denken, daß diese Indifferenz sich auch vom Besonderen aus erlangen lasse, oder daß der Künstler die Besonder- heit seiner Form, sofern sie die seinige ist, in die Allgemeinheit des Absoluten bilden könne, ebenso wie umgekehrt gedacht werden kann, daß die allgemeine Form in dem Künstler sich bis zur Indifferenz mit der besonderen, die er als Individuum haben muß , in-eins- bilde. Im ersten Betracht könnte man alsdann Styl die absolute Manier nennen, so wie im entgegengesetzten Fall (wo jenes nicht er- reicht) Manier der nicht-absolute, der verfehlte, nicht-erlangte Styl heißen müßte. Allgemein ist anzumerken, daß dieser Gegensatz noch von dem ersten herfließt, den wir in dieser Untersuchung gemacht haben, nämlich da sich die Kunst nur im Individuum manifestiren kann, jene aber immer absolut ist, so kommt es vorzüglich wieder auf die Synthese des Absoluten mit dem Besonderen an. Die bloß empirischen Theoretiker befinden sich in nicht geringer Verlegenheit, wenn sie den Unterschied von Styl und Manier erklären sollen, und es zeigt sich hier vielleicht am deutlichsten das allgemeine Verhältniß oder die allgemeine Bewandtniß, die es mit den Gegen- sätzen in der Kunst überhaupt hat. Der eine ist immer der absolute, der andere erscheint als Gegensatz nur, sofern er nicht ist, und nur, sofern er gleichsam auf halbem Wege zur Vollendung aufgenommen wird. Nämlich die Besonderheit kann unbeschadet der Besonderheit absolut, sowie das Absolute unbeschadet der Absolutheit besonder seyn. Die besondere Form soll selbst wieder die absolute seyn, nur dann ist sie in der Indifferenz mit dem Wesen, und läßt dieses frei. Styl also schließt nicht die Besonderheit von sich aus, sondern ist vielmehr die Indifferenz der allgemeinen und absoluten Kunstform mit der besondern Form des Künstlers, und ist Styl so nothwendig, als daß die Kunst nur im Individuum sich äußern kann. Styl würde nur immer und nothwendig die wahre Form, insofern also wieder das Absolute, Manier nur das Relative seyn. Es ist aber durch die an- genommene Indifferenz eben nicht bestimmt, daß sie durch Einbildung des Allgemeinen ins Besondere oder umgekehrt durch Hineinbildung der besonderen Form in die allgemeine gesetzt sey. Es stellt sich hier, wie gesagt, nur wieder das schon Bemerkte ein, daß die Einbildung des Absoluten in das Besondere immer als das Vollendete, und also in dem gegenwärtigen Fall allein als Styl erscheint. Die entgegengesetzte Einheit kann als entgegengesetzte eben nur in der Nicht-Absolutheit erscheinen: ist sie absolut, so heißt alsdann auch sie Styl, ist sie nicht absolut, so ist sie Manier. Man wird gewiß nicht leugnen können, daß auch in der andern Richtung, nämlich die von der Besonderheit ausgeht, Styl erreichbar sey, obgleich immer noch die Spur dieser formalen Differenz übrig bleiben, und der in dieser Richtung erreichte Styl die absolute Ma- nier heißen kann. Styl wird in diesem Sinn eine absolute (zur Absolutheit erhobene) Besonderheit , wie in der ersten Bedeutung eine besondere (zur Besonderheit gebildete) Absolutheit bedeuten. Im Ganzen muß überhaupt der Styl der Modernen von der ersten Art seyn, da (nach §. 58) hier die Besonderheit immer der Ausgangspunkt ist, sowie dagegen nur die Alten den Styl der ersten Gattung haben. Dieß kann behauptet werden, ohne den Modernen zu nahe zu treten, da ihnen der Styl überhaupt zugestanden wird. Daß in der letzten Vollendung der modernen Kunst auch dieser Gegensatz verschwinden müsse, ist ohnehin offenbar. Auch die Natur, kann man sagen, hat eine Manier in diesem Sinn oder einen gedoppelten Styl. Sie hat Manier in allem, was auf die Hineinbildung des Besonderen ins Allgemeine geht, z. B. in der Färbung der Körper, vorzüglich in der organischen Welt, wo sie in der männlichen Gestalt offenbar Styl hat, dagegen sie in der weib- lichen Schönheit, wo so viele Besonderheiten mit in die Bildung auf- genommen werden mußten, in gewissem Sinn manierirt ist. Aber eben dieß ist Beweis, daß auch in dieser Richtung Schönheit, demnach Styl möglich ist. Es hat daher jemand sehr geistreich gesagt, daß, wenn z. B. Schakespeare Manier hätte, unser Herrgott auch Manier haben müßte. Man kann es von den Modernen nicht hinwegnehmen, daß sie nur in der Richtung vom Besonderen zum Allgemeinen Styl haben. Aber ebensowenig kann man den Neueren absprechen, daß sie in dieser Richtung Styl erreicht haben und zu erreichen fähig sind, so sehr, daß selbst innerhalb der modernen Kunst wieder die zwei Richtun- gen erkennbar sind. So ist derjenige der Modernen, der in der bilden- den Kunst Styl vor allen hat, ohne Zweifel Michel Angelo: sein Ent- gegengesetztester unter den großen Meistern ist ohne Zweifel Correggio; es wäre gewiß falsch, diesem Künstler unbedingt Manier zuzuschreiben, obgleich es ebenso unmöglich ist, ihm einen andern als den Styl der zweiten Gattung zuzuschreiben; er ist vielleicht das anschaulichste Bei- spiel davon, daß auch in der Richtung vom Besonderen zum Allge- meinen Styl möglich ist. Allgemein können wir nun die Manier im verwerflichen Sinne, demnach die Manierirtheit , erklären als ein Geltendmachen der be- sonderen Form statt der allgemeinen. Da dem Künstler überhaupt nur die Form zu Gebot steht, so daß er allein durch diese das Wesen er- reicht, dem Wesen aber nur die absolute Form adäquat ist, so löst sich mit der Manier in diesem Sinne unmittelbar auch das Wesen der Kunst selbst auf. Am meisten zeigt sich Manierirtheit in einem Be- streben nach oberflächlicher, nur ungeübte Augen blendender Eleganz und schwächlicher Schönheit, in dem Geleckten, Verwaschenen mancher Werke, deren einziges oder Hauptverdienst wenigstens das Saubere ist. Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Absicht das Uebertriebene, Forcirte gesucht wird. Immer ist Manier eine Be- schränkung und zeigt sich in der Unfähigkeit, gewisse Besonderheiten der Form, es sey nun im Ganzen der Figuren (denn am besten werden die Beispiele doch von der bildenden Kunst hergenommen) oder in ein- zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und stämmige, andere, die nur lang und schmal auslaufende, hagere Fi- guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne Beine machen oder dieselbe Form der Köpfe halsstarrig immer wieder bringen. Das Manierirte zeigt sich dann noch weiter in dem Verhältniß, das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigensinn der Stellungen, aber selbst in der ersten Invention und der unbieg- samen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewissen Seite, z. B. der empfindsamen, der geistreichen, oder gar witzigen aufzufassen. Das bloß Geistreiche, ebenso wie der Witz, gehört einzig zur sentimentalen Richtung, da die Kunst im großen Styl, selbst bei Aristophanes, eigent- lich nie witzig, sondern immer nur groß ist. Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Besonderheit, welche in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen Individuum, auch die der Zeit seyn kann. In diesem Sinn spricht man von dem verschiedenen Styl verschiedener Zeitalter. Der Styl, welchen sich der individuelle Künstler bildet, ist für ihn, was ein Denksystem für den Philosophen im Wissen, oder für den Menschen im Handeln ist. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein System der Kunst und sagt, daß der ältere Styl auf ein System ge- baut gewesen. Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier und den Uebergang des Einen zu unterscheiden, wäre viel zu sagen. Allein dieß ist nicht unseres Amts und geht die allgemeine Wissenschaft der Kunst nichts an. Allgemeine Anmerkung über die bis jetzt von §. 64—69 abgehandelten Gegensätze . Diese Gegensätze gehören alle zu einer und derselben Familie und gehen sämmtlich aus dem ersten Verhältniß der Kunst als absoluter Form zu der besondern Form hervor, die durch die Individuen gesetzt ist, durch welche sie sich äußert. Sie mußten daher gerade hier her- vortreten. Gleich der erste — für die Reflexion zu machende — Gegensatz der Poesie und der Kunst zeigt uns jene als absolute, diese als beson- dere Form; das was in dem Genie an sich absolut-eins ist, zerlegt sich in diese beiden Erscheinungsweisen, die übrigens in ihrer Absolut- heit wieder eins und dasselbe sind. Ebenso was in dem Schönen an und für sich schlechthin eins ist, zerlegt sich in dem besonderen Objekt, dem einzelnen Kunstwerk, in die zwei Erscheinungsweisen des Erhabenen und Schönen, die übrigens auch wieder nur in ihrer Nicht-Absolutheit verschieden sind, so daß, wie in dem vollendeten Künstler Poesie und Kunst, ebenso in den höchsten Werken sich Erhabenheit und Schönheit unauflösbar durchdringen. Als Erhabenheit erscheint überall die abso- lute und allgemeine Form der Kunst, in welcher das Besondere nur ist, um die ganze Unendlichkeit in sich aufzunehmen. Als Schönheit insbesondere erscheint die besondere Form als versöhnt der absoluten und ganz in sie aufgenommen, ganz mit ihr eins. Diesen Gegensätzen sind die folgenden nicht gleich zu setzen, die nur entweder in der Poesie für sich oder in der Kunst für sich statt- finden, und die im ersten Fall, wo sie als Naives und Sentimen- tales erscheinen, selbst bloß subjektiv sind (indem es schon eine Sub- jektivität ist, das Absolute nur als naiv zu begreifen, das Sentimentale aber als solches absolut verwerflich ist) — sowie denn in dem anderen Fall wiederum nur das Eine von beiden das Absolute bezeichnet, ob- gleich allerdings die Verschiedenheit der Richtung besteht, in welcher das Absolute, der Styl, erreichbar ist. Innerhalb dieser bloß subjektiven und formellen Entgegensetzung verhält sich aber das Naive und der Styl allerdings als absolute, wie das Sentimentale und die Manier immer als besondere Form. Man kann diese Gegensätze wieder auf einander beziehen und z. B. bemerken, daß Manier nie naiv seyn kann, sowie daß das Sentimentale immer und nothwendig manierirt ist. Man kann ferner sagen, daß Manier immer bloße Kunst ohne Poesie, d. h. nicht-absolute Kunst sey, daß mit der Manier sich keine Erhabenheit, eben deßwegen aber auch nicht Schönheit im absoluten Sinne vertrage. Ferner, daß das Sentimen- tale immer mehr als Kunst denn als Poesie erscheinen könne, und eben dadurch selbst der Absolutheit entbehre. Aber wir sind durch das Bisherige noch immer nicht bis zur Con- struktion des besonderen Kunstwerks vorgedrungen. Das Absolute bezieht sich (nach den Beweisen des §. 62) auf das hervorbringende Indivi- duum durch den ewigen Begriff, der von ihm im Absoluten ist. Dieser ewige Begriff, das An-sich der Seele, zerlegt sich in der Erschei- nung in Poesie und Kunst und die übrigen Gegensätze, oder vielmehr er ist der absolute Identitätspunkt dieser Gegensätze, die es nur für die Reflexion sind. Es war nicht um diese Gegensätze als solche zu thun, sondern um die Erkenntniß des Genies. Das, wovon alle diese Gegensätze nur entweder die einseitigen Erscheinungsweisen oder Bestimmungen sind, ist das absolute Princip der Kunst, das dem Künstler eingebildete Göttliche oder An-sich . In dem Kunstwerk an und für sich sollen diese Ent- gegensetzungen nie als solche hervortreten, in diesem soll immer nur das Absolute objektiv werden. Die bisherige Untersuchung war also bloß beschäftigt, das Genie als die absolute Indifferenz aller möglichen Gegensätze zwischen dem Allgemeinen und Besondern, die sich in der Beziehung der Idee oder des ewigen Begriffs auf ein Individuum hervorthun können , darzustellen. Das Genie ist eben selbst schon das, worin das Allgemeine der Idee und das Besondere des Individuums wieder gleich- gesetzt wird. Aber dieses Princip der Kunst, damit es dem gleiche, dessen unmittelbarer Ausfluß es ist — dem Ewigen — muß wie dieses den Ideen, die in ihm sind, dadurch eine von ihrem Princip unabhän- gige Existenz vergönnen, daß es sie als die Begriffe einzelner wirklicher Dinge existiren läßt, sie in Leiber gestaltet. Hievon ist der Beweis §§. 62 und 63 gegeben. Die Möglichkeit dieser objektiven Bildung ist es nun, was wir darzuthun haben. Erst damit wird sich uns das ganze Kunstsystem vollends entfalten. Wir haben uns hier zu erinnern, daß die Philosophie der Kunst die allgemeine Philosophie selbst ist, nur dargestellt in der Potenz der Kunst. Wir werden also die Art, wie die Kunst ihren Ideen die Ob- jektivität gibt, vollkommen nach der Weise begreifen, wie die Ideen ein- zelner wirklicher Dinge in der Erscheinung objektiv werden, oder: die gegenwärtige Aufgabe, den Uebergang der ästhetischen Idee in das con- krete Kunstwerk zu begreifen, ist dieselbe, wie die allgemeine der Philosophie überhaupt von der Erscheinung der Ideen durch besondere Dinge. Natürlich können wir hier nur gewisse Sätze als durch die allgemeine Philosophie gegeben annehmen, ohne sie zu beweisen, und wir schicken in dieser Hinsicht folgenden Lehnsatz voran. §. 70. (Lehnsatz.) Das Absolute wird in der Erschei- nung durch die drei Einheiten objektiv, sofern diese nicht in ihrer Absolutheit, sondern in ihrer relativen Differenz als Potenzen aufgenommen und dadurch zum Symbol der Idee werden . Dieser Satz, da er nur Lehnsatz aus der allgemeinen Philosophie ist, bedarf hier nur der Erläuterung . Stoff und Form ist im Absoluten eins, es hat keinen Stoff des Producirens als sich selbst in der Allheit seiner Formen. Erscheinen aber kann es nicht, als wenn jede dieser Einheiten als besondere Einheit zum Symbol von ihm wird. In der Absolutheit sind diese Einheiten nicht von einander unterschieden; hier ist bloß Stoff, reine Unendlichkeit und Idee. Sie können als die Urideen objektiv werden nur, inwiefern jede sich selbst als besondere Einheit wieder zum Leib, zum Gegenbild nimmt. Unmittelbar dadurch ist für die Erschei- nung die Differenziirung dessen gesetzt, was im Absoluten eins ist. So ist die erste der beiden Einheiten in ihrer Absolutheit Idee; inwiefern sie sich selbst als Potenz — als besondere Einheit — zum Symbol nimmt, ist sie Materie. Alles Erscheinende überhaupt ist ein Gemischtes aus dem Wesen und aus der Potenz (oder der Besonderheit); das Wesen aller Besonderheit ist im Absoluten, dieses Wesen aber erscheint durch das Besondere. Dieß vorausgesetzt folgt nothwendig, daß das Absolute als Princip der Kunst in der Sphäre der Erscheinung oder Differenz nur dadurch objektiv wird, daß ihm entweder die reale oder die ideale Einheit zum Symbol wird, also überhaupt dadurch, daß es in getrennten Er- scheinungen offenbar wird, und dort sich durch Erscheinen einer relativ- realen, hier durch Erscheinen einer relativ-idealen Welt symbolisirt. §. 71. (Lehnsatz.) Die Idee, inwiefern sie die reale Einheit als besondere Einheit zum Symbol hat, ist Materie . Der Beweis dieses Satzes wird in der allgemeinen Philosophie geführt. Die erscheinende Materie ist die Idee, aber von der Seite der bloßen Einbildung des Unendlichen in das Endliche, und so daß diese Einbildung selbst nur relativ, nicht absolut ist. Die erscheinende Materie ist nicht das An-sich, sie ist nur Form, Symbol, aber sie ist — nur als Form, als relative Differenz — wieder dasselbe mit dem, wovon sie das Symbol ist, und welches die Idee als absolute Einbildung des Unendlichen in das Endliche selbst ist. §. 72. Der Kunst also, inwiefern sie die Form der Einbildung des Unendlichen ins Endliche als besondere Form wieder aufnimmt, wird die Materie zum Leib oder zum Symbol . — Folgt unmittelbar. Zusatz 1. Die Kunst ist in dieser Beziehung = allgemein-bil- dender oder plastischer Kunst. — Gewöhnlich wird bildende Kunst in der engeren Bedeutung gebraucht, nämlich von der bildenden Kunst, wo sie sich selbst durch körperliche Gegenstände ausdrückt. Allein es ist mit der Bestimmung als bildender Kunst nicht ausgeschlossen, daß nicht innerhalb dieser allgemeinen Einheit alle Potenzen wiederkehren, die in der Materie begriffen sind, und eben auf diesem Wiederkehren beruht der Unterschied der einzelnen bildenden Künste. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 31 Zusatz 2. Die bildende Kunst ist die reale Seite der Kunstwelt. §. 73. Die ideale Einheit als Auflösung des Beson- dern ins Allgemeine, des Concreten in Begriff, wird ob- jektiv in Rede oder Sprache. — Auch der Beweis dieses Satzes gehört in die allgemeine Philosophie. Die Sprache ist, nur wieder real angeschaut, dieselbe Auflösung des Concreten in das Allgemeine, des Seyns in das Wissen, welche das Denken ideal ist. Die Sprache von der einen Seite betrachtet ist unmittelbarer Ausdruck eines Idealen — des Wissens, Denkens, Empfindens, Wollens u. s. w. — in einem Realen , insofern selbst ein Kunstwerk. Allein sie ist von der anderen Seite ebenso bestimmt ein Naturwerk, indem sie als die Eine nothwendige Form der Kunst nicht ursprünglich durch Kunst erfunden oder entstanden gedacht werden kann. Sie ist also ein natürliches Kunstwerk, wie es mehr oder we- niger alles ist, was die Natur hervorbringt. Wir werden den überzeugendsten Beweis unseres Satzes nur in einem allgemeineren Zusammenhang, vorzüglich aber durch die Entgegen- stellung der Sprache und der anderen Form der Kunst, der Materie, führen können. Folgende Verhältnisse sind es, aus denen die Bedeutung der Sprache am bestimmtesten eingesehen werden kann. Das Absolute ist seiner Natur nach ein ewiges Produciren, dieses Produciren ist sein Wesen. Sein Produciren ist ein absolutes Affirmi- ren oder Erkennen, dessen zwei Seiten die beiden angegebenen Ein- heiten sind. Wo der absolute Erkenntnißakt nur dadurch objektiv wird, daß die eine Seite desselben als besondere Einheit zur Form wird, da er- scheint er nothwendig verwandelt in ein anderes, nämlich in ein Seyn. Die absolute Einbildung des Unendlichen ins Endliche, welche die reale Seite desselben ist, ist an sich kein Seyn, sie ist in ihrer Absolutheit wieder die ganze Idee, die ganze unendliche Selbstaffirmation; nur in ihrer Relativität, also als besondere Einheit aufgenommen, erscheint sie nicht mehr als Idee, als Selbstaffirmation, sondern als Affirmirtes, als Materie; die reelle Seite als besondere wird hier zum Symbol der absoluten Idee, die erst durch diese Hülle hindurch als solche erkannt wird. Da wo der Idee die ideale Einheit selbst, als besondere, zur Form wird — in der idealen Welt — wird sie nicht in ein anderes verstellt, sie bleibt ideal, aber so, daß sie die andere Seite dagegen zurückläßt, und demnach nicht als absolut Ideales erscheint, sondern als bloß rela- tiv Ideales, das das Reale außer sich — sich entgegenstehend — hat. Als rein-Ideales wird sie aber nicht objektiv, sie fällt in das Subjek- tive zurück, und ist selbst das Subjektive; sie strebt also nothwendig unmittelbar wieder nach einer Hülle, einem Leib, durch den sie ihrer Idealität unbeschadet objektiv werde; sie integrirt sich wieder durch ein Reales. In dieser Integration entsteht das entsprechendste Symbol der absoluten oder unendlichen Affirmation Gottes, weil diese hier sich durch ein Reales darstellt, ohne daß sie aufhörte ideal zu seyn (welches eben die höchste Forderung ist), und dieses Symbol ist die Sprache, wie sich leicht einsehen läßt. Aus diesem Grunde hat nicht nur in den meisten Sprachen Sprache und Vernunft (welche eben das absolute Erkennen, das Erkennende der Ideen ist) ein und denselben Ausdruck, sondern auch in den meisten philosophischen und religiösen Systemen, vorzüglich des Orients, ist der ewige und absolute Akt der Selbstaffirmation in Gott — der Akt seines ewigen Schaffens — als das sprechende Wort Gottes, der Logos, der zugleich Gott selbst ist, bezeichnet worden. Das Wort oder Sprechen Gottes betrachtete man als den Ausfluß der göttlichen Wissenschaft, als die gebärende, in sich unterschiedene und doch zusammenstimmende Harmonie des göttlichen Producirens. Wir werden nach dieser hohen Bedeutung der Sprache, da sie nämlich der nicht bloß relative, sondern der mit seinem Entgegengesetzten wieder integrirte, in so fern wieder absolute Erkenntnißakt ist, auch die bildende Kunst der redenden nicht absolut entgegensetzen, wie die meisten thun (weßhalb sie z. B. die Musik nicht recht unter die bildenden Künste rechnen, sondern ihr noch eine besondere Stelle anweisen). Auf keine andere Weise, als wie sich in der Sprache das Wissen noch jetzt sym- bolisch fasset, hat sich das göttliche Wissen in der Welt symbolisch ge- faßt, so daß auch das Ganze der realen Welt (nämlich inwiefern sie selbst wieder Einheit des Realen und Idealen ist) auch wieder ein ursprüngliches Sprechen ist. Aber die reale Welt ist nicht mehr das lebendige Wort, das Sprechen Gottes selbst, sondern nur das gespro- chene — geronnene — Wort. So ist die bildende Kunst nur das gestorbene Wort, aber doch auch Wort, doch auch Sprechen, und je vollkommener es stirbt — bis herauf zu dem auf den Lippen der Niobe versteinerten Laut, desto höher ist die bildende Kunst in ihrer Art, während dagegen auf der tieferen Stufe, in der Musik, das in den Tod eingegangene Lebendige — das ins Endliche gesprochene Wort — noch als Klang vernehmbar wird. Auch in der bildenden Kunst also ist der absolute Erkenntnißakt, die Idee, nur gleich von der realen Seite aufgefaßt, anstatt daß sie in der Rede oder redenden Kunst ursprünglich als ideal aufgefaßt ist, und selbst in der durchsichtigen Hülle, die sie annimmt, nicht aufhört es zu seyn. Die Sprache als die sich lebendig aussprechende unendliche Affir- mation ist das höchste Symbol des Chaos, das in dem absoluten Er- kennen auf ewige Weise liegt. In der Sprache liegt alles als eins, von welcher Seite man sie auffasse. Von der Seite des Tons oder der Stimme liegen in ihr alle Töne, alle Klänge ihrer qualitativen Ver- schiedenheit nach. Jene Verschiedenheiten sind alle vermischt in der menschlichen Sprache; daher sie keinem Klang oder Ton insbesondere ähnlich ist, weil alle in ihr liegen. Noch mehr ausgedrückt ist die ab- solute Identität in der Sprache, inwiefern sie von der Seite ihrer Bezeichnungen betrachtet wird. Sinnliches und Unsinnliches ist hier eins, das Handgreiflichste wird zum Zeichen für das Geistigste. Alles wird Bild von allem und die Sprache selbst eben dadurch Symbol der Iden- tität aller Dinge. In der innern Construktion der Sprache selbst ist alles Einzelne bestimmt durch das Ganze; es ist nicht Eine Form oder einzelne Rede möglich, die nicht das Ganze forderte. Die Sprache, absolut betrachtet oder an sich, ist nur Eine, wie die Vernunft nur Eine ist, aber aus dieser Einheit gehen ebenso, wie aus der absoluten Identität die verschiedenen Dinge, die verschiedenen Sprachen hervor, deren jede für sich ein Universum, von den andern absolut gesondert, und die doch alle wesentlich eins, nicht bloß dem inneren Ausdruck der Vernunft nach, sondern auch was die Elemente betrifft, die bei jeder Sprache, wenige Nüancen ausgenommen, gleich sind. Nämlich dieser äußere Leib selbst ist in sich wieder Seele und Leib. Die Vocale sind gleichsam der unmittelbare Aushauch des Geistes, die formirende Form (das Affirmative); die Consonanten sind der Leib der Sprache oder die geformte Form (das Affirmirte). Je mehr daher in einer Sprache Vocale sind, — jedoch so, daß die Begrenzung durch die Consonanten nicht bis zu einem gewissen Grad verschwinde —, desto beseelter, und umgekehrt, je überhäufter mit Consonanten, desto seelenloser. Ich will hier noch kurz die verschiedentlich gemachte Frage berüh- ren, warum sich das Vernunftwesen eben für die Rede oder Stimme als unmittelbaren Leib der inneren Seele entschieden habe, da es auch andere äußere Zeichen, z. B. Geberden, dazu hätte brauchen können, wie nicht nur die Taubstummen sich verständlich machen, sondern auch gewissermaßen alle wilden und uncultivirten Nationen, die mit dem ganzen Leib sprechen. Schon die Frage selbst betrachtet die Sprache als Willkür und als Erfindung der Willkür. Einige haben als Grund angegeben, diese äußeren Zeichen hätten solche seyn müssen, die der, welcher sie brauchte, zugleich selbst beurtheilen konnte, also natürlich ein auf Laut und Stimme sich beziehendes Zeichensystem, damit der Sprecher sich zugleich selbst hörte, welches bekanntlich für manche Sprecher in der That ein großes Vergnügen ist. — So zufällig ist die Sprache nicht; es liegt eine höhere Nothwendigkeit darin, daß Laut und Stimme das Organ seyn müssen, die inneren Gedanken und Bewegungen der Seele auszudrücken. Man könnte jene Erklärer fragen, warum denn auch der Vogel Gesang und das Thier eine Stimme hat. Die Frage nach dem ersten Ursprung der Sprache hat bekanntlich Philosophen und Historiker, besonders neuerer Zeit, sehr stark beschäf- tigt. Sie hielten es für möglich, die Sprache aus der psychologisch- isolirten menschlichen Natur zu begreifen, da sie nur aus dem ganzen Universum begreiflich ist. Die absolute Idee der Sprache muß man also nicht bei ihnen suchen. Jene ganze Frage nach dem Ursprung der Sprache, so wie sie bis jetzt behandelt worden, ist eine bloß empirische, mit der also der Philosoph nichts zu thun hätte; nur den Ursprung der Sprache in der Idee interessirt ihn zu wissen, und in diesem Sinn entspringt die Sprache noch immer ebenso wie das Universum auf unbe- dingte Weise durch die ewige Wirkung des absoluten Erkenntnißakts, der aber in der vernünftigen Natur die Möglichkeit findet, sich selbst aus- zusprechen. Randbemerkung : Sprache überhaupt = Kunsttrieb des Menschen, und wie der Lehrer des Instinkts das Sittliche ist, so der Sprache. Beide Be- hauptungen, daß durch Erfindung der Menschen, durch Freiheit, und daß durch göttlichen Unterricht, sind falsch. Den Typus der Vernunft und Reflexion im Bau und in den inneren Verhältnissen der Sprache darzulegen gehört in eine andere Sphäre der Wissenschaft als diejenige, mit der wir uns hier beschäftigen, und in welcher die Sprache selbst wieder nur als Medium eintritt. §. 74. Die Kunst, inwiefern sie die ideale Einheit als Potenz wieder auf- und zur Form nimmt, ist redende Kunst . — Folgt unmittelbar. Zusatz . Die redende Kunst ist die ideale Seite der Kunstwelt. Allgemeiner Zusatz (zu dieser Construktion des Gegensatzes der redenden und bildenden Kunst). Da nach §. 24 die Formen der Kunst Formen der Dinge sind, wie sie in Gott sind, so ist die reale Seite des Universums selbst die plastische, die ideale die poetische oder redende, und alle besonderen For- men, welche in diesen Grundformen wiederkehren, werden wiederum nur die Art der besondern Dinge ausdrücken, im Absoluten zu seyn. §. 75. In jeder der beiden Urformen der Kunst kehren nothwendig alle Einheiten, die reale (ꝛc.), die ideale (ꝛc.), und die, worin beide gleich sind, zurück . — Denn jede der beiden Urformen ist an sich absolut, jede die ganze Idee. Zusatz . Wenn wir die erste Einheit oder Potenz die der Reflexion, die andere die der Subsumtion, die dritte die der Vernunft nennen, so ist also das System der Kunst bestimmt durch Reflexion, Subsumtion und Vernunft . Alle Potenzen der Natur und ideellen Welt kehren hier — nur in der höchsten — wieder, und es wird ganz klar, wie Philosophie der Kunst Construktion des Universums in der Form der Kunst sey. In der jetzt folgenden Construktion hatte ich zwei Möglichkeiten vor mir: entweder die parallelen Potenzen der reellen und ideellen Kunst- welt unmittelbar einander entgegenzustellen, z. B. die Lyrik zugleich mit der Musik abzuhandeln, oder jede der beiden Seiten und die Potenzen einer jeden gesondert zu betrachten. Ich habe die letztere vorgezogen, weil ich sie für den Vortrag deutlicher glaube und die Beziehung der idealen Kunstformen auf die realen doch beständig nachgewiesen werden müßten. Ich werde also vorerst in der bildenden Kunst die drei Grund- formen derselben, Musik, Malerei und Plastik, nebst allen Uebergängen der einen in die andere construiren. Jede dieser Formen wird in ihrem Zusammenhang und an ihrer Stelle construirt. Ich schicke daher keine allgemeine Eintheilung der Künste voran, wie man sonst in Lehrbüchern zu thun pflegt. Nur historisch erwähne ich, daß bis jetzt allgemein Musik von bildender Kunst getrennt worden. — Kant hat dreierlei Arten: redende, bildende und die Kunst des Spiels der Empfindungen Sehr vag. Hierher Plastik, Malerei: dorthin Beredtsamkeit und Dicht- kunst. Unter die dritte die Musik, was eine ganz subjektive Erklä- rung derselben ist, fast wie die Sulzers, der sagt, der Zweck der Musik sey, Empfindung zu erwecken, was noch auf viel andere Dinge paßt, wie auf Concerte von Gerüchen oder Geschmäcken. II. Besonderer Cheil der Philosophie der Kunst. Vierter Abschnitt. Construktion der Kunstformen in der Entgegensetzung der realen und idealen Reihe . In dem zunächst vorhergehenden Satz ist bewiesen, daß sich jede der beiden Urformen in sich aufs neue und zwar in alle Formen dif- ferenziirt. Anders ausgedrückt: jede der beiden Urformen nimmt alle andern Formen oder Einheiten als Potenz auf und macht sie zu ihrem Symbol oder Besondern. Dieß wird also nun hier vorausgesetzt. §. 76. Die Indifferenz der Einbildung des Unend- lichen ins Endliche rein als Indifferenz aufgenommen ist Klang . Oder : In der Einbildung des Unendlichen ins Endliche kann die Indifferenz, als Indifferenz, nur als Klang hervortreten. Dieses aber erhellt auf folgende Art. — Die Einpflanzung des Unendlichen ins Endliche als solche drückt sich an der Materie (dieß die gemeinschaftliche Einheit) durch die erste Dimension oder das aus, wodurch sie (als Differenz) sich selbst gleich (Indifferenz) ist. Nun ist aber die erste Dimension in der Materie nicht rein als solche, sondern mit der zweiten zugleich, demnach synthesirt durch die dritte ge- setzt. In dem Seyn der Materie kann sich also die Einbildung des Unendlichen ins Endliche nicht rein als solche darstellen. Dieß ist die negative Seite des Beweises. — Daß es nun aber der Klang sey, wodurch sich die Indifferenz in der Einpflanzung des Unendlichen ins Endliche rein als solche ausspreche, erhellt auf fol- gende Art. 1) Der Akt der Einpflanzung selbst ist an dem Körper als Mag- netismus ausgedrückt (Beweis in der Naturphilosophie), aber der Mag- netismus ist ebenso wieder, wie die erste Dimension, mit dem Körper verbunden, also nicht jene Einbildung selbst, nicht rein als solche, son- dern Differenz. Rein als solche und als Indifferenz ist er sie nur, inwiefern er von dem Körper abgesondert, als Form für sich ist, als absolute Form. Diese ist nur im Klang, denn dieser ist einerseits lebendig — für sich —, andererseits eine bloße Dimension in der Zeit, nicht aber im Raume. 2) Nur anführen will ich, daß die Sonorität der Körper im nächsten Verhältniß steht mit ihrer Cohärenz. Durch Erfahrung ist bewiesen, daß ihre Leitungsfähigkeit für Schall sich nach ihrer Cohärenz richtet. Allein aller Schall überhaupt ist Leitung, kein Körper schallt, als inwiefern er den Schall zugleich leitet. In der Cohärenz oder dem Magnetismus an und für sich war aber das ideelle Princip ganz über- gegangen ins Körperliche. Die Forderung aber war, daß die Einbil- dung der Einheit in die Vielheit rein als solche, als Form für sich erscheine. Dieß aber geschieht nur im Klang, denn dieser = Magne- tismus, aber von der Körperlichkeit abgesondert, gleichsam das An-sich des Magnetismus selbst, die Substanz. Anmerkung 1. Ich brauche den Unterschied des Klangs von Schall und Laut nicht weitläufig auseinanderzusetzen. Schall ist das Generische. Laut ist Schall, der nur unterbrochen; Klang ist Schall, der als Stetigkeit, als ein ununterbrochenes Fließen des Schalls aufgefaßt wird. Der höhere Unterschied beider ist aber, daß der bloße Schall oder Laut die Einheit in der Vielheit nicht deutlich erkennen läßt, was dagegen der Klang thut, welcher demnach Schall verbunden mit Totalität ist. Wir hören nämlich in dem Klang nicht bloß den einfachen Ton, sondern eingehüllt gleichsam oder eingeboren in diesen eine Menge von Tönen, und zwar so, daß die consonirenden über- wiegen, anstatt daß dort die dissonirenden. Das geübte Ohr unter- scheidet sie sogar und hört außer dem Unisonus oder Grundton auch noch dessen Oktave, die Oktave der Quinte u. s. w. Die Vielheit, welche in der Cohärenz als solcher mit der Einheit verbunden ist, wird also in dem Klang eine lebendige Vielheit, eine sich selbst affirmirende Vielheit. 2. Da die Sonorität der Körper durch die Cohärenz gesetzt ist, so ist auch das Schallen selbst nichts anderes als die Wiederherstellung oder die Affirmation, d. h. die Identität in der Cohärenz, wodurch sich der Körper — aus der Identität gesetzt — zur Ruhe und zum Seyn in sich selbst reconstruirt. Der Klang selbst ist nichts anderes als die Anschauung der Seele des Körpers selbst oder des ihm unmittelbar verbundenen Begriffs in der unmittelbaren Beziehung auf dieses Endliche. Die Bedingung des Klangs ist Differenziirung des Begriffs und des Seyns, der Seele und des Leibs in dem Körper, der Akt der Indifferenziirung selbst ist es, in welchem das Ideale in der Wiedereinbildung ins Reale als Klang vernehmbar wird. Bedingung des Schalls ist daher, daß der Körper aus der In- differenz gesetzt werde, welches durch Berührung eines anderen geschieht. 3. Wir müssen unmittelbar mit dieser Ansicht des Klanges die des Gehörs verbinden. — Die Wurzel des Gehörsinns liegt schon in der anorgischen Natur, im Magnetismus. Das Gehörorgan selbst ist nur der zur organischen Vollkommenheit entwickelte Magnetismus. Die Natur integrirt allgemein in der organischen Natur die anorgische durch ihre entgegengesetzte Einheit. Diese (die anorgische) ist bloß Unendliches im Endlichen. Dieß ist z. B. der Klang oder Schall. Integrirt mit dem Entgegengesetzten wird er = Gehör. Auch das Gehörorgan besteht äußerlich aus starren und sonoren Körpern, nur daß mit dieser Ein- heit die entgegengesetzte der Wiederaufnahme der Differenz im Schall in die Indifferenz verbunden ist. Der todt genannte Körper hat von dem Hören die eine Einheit, es fehlt ihm nur die andere. §. 77. Die Kunstform, in welcher die reale Einheit rein als solche zur Potenz, zum Symbol wird, ist Musik . — Folgt unmittelbar aus den beiden vorhergehenden Sätzen. Anmerkung . Die Natur der Musik läßt sich noch von ver- schiedenen Seiten her bestimmen, die angegebene Construktion aber ist die aus den früheren Grundsätzen fließende; die verschiedenen anderen Bestimmungen der Musik ergeben sich daraus als unmittelbare Folgen. Folgesatz 1. Die Musik ist als Kunst ursprünglich der ersten Dimension untergeordnet (hat nur Eine Dimension.) Folgesatz 2. Die nothwendige Form der Musik ist die Succes- sion . — Denn Zeit ist allgemeine Form der Einbildung des Unendlichen ins Endliche, sofern als Form, abstrahirt von dem Realen, angeschaut. Das Princip der Zeit im Subjekt ist das Selbstbewußtseyn, welches eben die Einbildung der Einheit des Bewußtseyns in die Vielheit im Idealen ist. Hieraus ist die nahe Verwandtschaft des Gehörsinns über- haupt und der Musik und der Rede insbesondere mit dem Selbstbe- wußtseyn begriffen. — Es läßt sich hieraus auch vorläufig, bis wir die noch höhere Bedeutung davon aufgezeigt haben, die arithmetische Seite der Musik begreifen. Die Musik ist ein reales Selbstzählen der Seele — schon Pythagoras hat die Seele einer Zahl verglichen — aber eben deßwegen wieder ein bewußtloses, sich selbst wieder verges- sendes Zählen. Daher das Leibnizische: Musica est raptus numerare se nescientis animae. (Die übrigen Bestimmungen des Charakters der Musik können erst im Verhältniß zu den andern Künsten entwickelt werden.) §. 78. Die Musik als Form, in welcher die reale Ein- heit sich selbst zum Symbol wird, begreift nothwendig wieder alle Einheiten in sich . — Denn die reale Einheit nimmt sich selbst (in der Kunst ) als Potenz auf, nur um sich, durch sich selbst , als Form wieder absolut darzustellen. Nun begreift aber jede Einheit in ihrer Absolutheit wieder alle anderen, also be- greift auch die Musik ꝛc. §. 79. Die in der Musik selbst wieder als besondere Einheit begriffene Einbildung der Einheit in die Vielheit oder reale Einheit ist der Rhythmus . Denn, um mich jetzt zum Behuf des Beweises nur des allgemein- sten Begriffs von Rhythmus zu bedienen, so ist er in diesem Sinn nichts anderes als eine periodische Eintheilung des Gleichartigen, wo- durch das Einförmige desselben mit Mannichfaltigkeit, die Einheit also mit Vielheit verbunden wird. Z. B. die Empfindung, welche ein Ton- stück im Ganzen erregt, ist eine durchaus homogene, einartige; sie ist z. B. fröhlich oder traurig, allein diese Empfindung, die für sich durch- aus homogen gewesen wäre, bekommt durch die rhythmischen Einthei- lungen Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Der Rhythmus gehört zu den bewundernswürdigsten Geheimnissen der Natur und der Kunst, und keine Erfindung scheint den Menschen unmittelbarer durch die Natur selbst inspirirt zu seyn. Die Alten haben durchaus dem Rhythmus die größte ästhetische Kraft zugeschrieben; auch wird schwerlich jemand leugnen, daß alles, was man in Musik oder Tanz (ꝛc.) wahrhaft schön nennen kann, eigent- lich von dem Rhythmus herrühre. Wir müssen aber, um den Rhythmus rein zu fassen, vorerst alles absondern, was die Musik etwa außerdem Reizendes und Erregendes hat. Die Töne z. B. haben auch an sich eine Bedeutung, sie können für sich fröhlich, zärtlich, traurig oder schmerzhaft seyn. Hievon wird bei der Betrachtung des Rhythmus ganz abstrahirt, seine Schönheit ist nicht stoffartig und bedarf der bloß na- türlichen Rührungen, die etwa in Tönen an und für sich liegen, nicht, um absolut wohlzugefallen und eine dafür empfängliche Seele zu entzücken. Um dieß recht deutlich zu sehen, denke man sich anfänglich die Elemente des Rhythmus als an sich ganz gleichgültige, wie z. B. die einzelnen Töne einer Saite für sich, oder wie der Schlag einer Trommel ist. Wodurch kann eine Folge solcher Schläge bedeutend, aufregend, wohlgefällig werden? — Schläge oder Töne, die sich ohne die geringste Ordnung succedirten, sind von keiner Wirkung auf uns. Sobald aber selbst in die ihrer Natur oder dem Stoff nach bedeutungs- losesten, nicht einmal an sich angenehmen Töne eine Regelmäßigkeit kommt, daß sie immer in gleicher Zeit wiederkehren und eine Periode zusammen bilden, so ist hier schon etwas von Rhythmus, obgleich nur ein sehr entfernter Anfang — wir werden unwiderstehlich zur Aufmerk- samkeit fortgezogen. In alles, was an sich eine reine Identität der Beschäftigung ist, sucht der Mensch daher, von Natur getrieben, Vielheit oder Mannichfaltigkeit durch Rhythmus zu legen. Wir halten es in allem an sich Bedeutungslosen, z. B. im Zählen, nicht lange bei der Gleichförmigkeit aus, wir machen Perioden. Die meisten mecha- nischen Arbeiter erleichtern sich ihre Arbeiten damit; die innere Lust des doch nicht bewußten, sondern bewußtlosen Zählens läßt sie die Arbeit vergessen; der einzelne fällt mit einer Art von Lust an seiner Stelle ein, weil es ihn selbst schmerzen würde, den Rhythmus unter- brochen zu sehen. Wir haben bis jetzt nur die unvollkommenste Art des Rhythmus bezeichnet, wo die ganze Einheit in der Mannichfaltigkeit nur auf der Gleichheit der Zwischenzeiten in der Succession beruht. Bild davon: gleich große, gleich entfernte Punkte. Unterster Grad des Rhythmus. Eine höhere Art der Einheit in der Mannichfaltigkeit ist zunächst dadurch erreichbar, daß die einzelnen Töne oder Schläge nicht gleich stark, sondern abwechselnd nach einer gewissen Regel, starke und schwache angegeben werden. Hiermit tritt als nothwendiges Element in den Rhythmus der Takt ein, der auch überall gesucht wird, wo ein Iden- tisches verschieden, mannichfaltig werden soll, und der nun wieder einer Menge von Veränderungen fähig ist, wodurch in die Einförmigkeit der Aufeinanderfolge eine noch größere Abwechslung kommt. Allgemein nun angesehen ist Rhythmus überhaupt Verwandlung der an sich bedeutungslosen Succession in eine bedeutende. Die Suc- cession rein als solche hat den Charakter der Zufälligkeit. Verwandlung des Zufälligen der Succession in Nothwendigkeit = Rhythmus, wodurch das Ganze nicht mehr der Zeit unterworfen ist, sondern sie in sich selbst hat. Artikulation der Musik ist Bildung in eine Reihe von Gliedern, so daß mehrere Töne zusammen wieder ein Glied ausmachen, welches nicht zufällig oder willkürlich von andern unterschieden ist. Dieser noch immer bloß einfache Rhythmus, der darin besteht, daß die Folge der Töne in gleich lange Glieder eingetheilt wird, wo- von jedes durch etwas Empfindbares unterschieden von dem andern, hat dennoch schon sehr vielerlei Arten, z. B. er kann gerad oder un- gerad seyn u. s. w. Aber mehrere Takte zusammen können wieder zu Gliedern vereinigt werden, welches eine höhere Potenz des Rhythmus — zusammengesetzter Rhythmus ist (in der Poesie das Distichon). End- lich können auch aus diesen schon zusammengesetzten Gliedern wieder größere (Perioden) gemacht werden (in der Poesie die Strophe) u. s. f. bis zu dem Punkt, wo diese ganze Ordnung und Zusammensetzung für den inneren Sinn noch übersehbar bleibt. — Die ganze Vollkommenheit des Rhythmus können wir indeß erst durch die folgenden Sätze einsehen lernen. Zusatz. Der Rhythmus ist die Musik in der Musik . — Denn die Besonderheit der Musik ist eben darauf gegründet, daß sie Einbildung der Einheit in die Vielheit ist. Da nun nach §. 79 der Rhythmus nichts anderes ist als diese Einbildung selbst in der Musik, so ist er die Musik in der Musik, und also der Natur dieser Kunst gemäß das Herrschende in ihr. Nur das Festhalten dieses Satzes wird uns in den Stand setzen, besonders den Gegensatz der antiken und modernen Musik wissenschaftlich zu begreifen. §. 80. Der Rhythmus in seiner Vollkommenheit be- greift nothwendig die andere Einheit in sich, welche in dieser Unterordnung Modulation (in der allgemeinsten Be- deutung) ist . — Der erste Theil des Satzes begreift sich von selbst und ist ganz allgemein einzusehen. In Ansehung des zweiten bedarf es bloß der Erklärung dessen, was Modulation heißt. Die erste Bedingung des Rhythmus ist eine Einheit in der Man- nichfaltigkeit. Diese Mannichfaltigkeit ist nun aber nicht bloß in der Verschiedenheit der Glieder überhaupt, sofern sie willkürlich oder un- wesentlich, d. h. bloß überhaupt in der Zeit stattfindet, sondern sofern sie zugleich auf etwas Reelles, Wesentliches, Qualitatives gegründet ist. Dieses liegt einzig in der musikalischen Bestimmbarkeit der Töne. In dieser Beziehung ist nun Modulation die Kunst, die Identität des Tons, welcher in dem Ganzen eines musikalischen Werks der herrschende ist, in der qualitativen Differenz ebenso zu erhalten, wie durch den Rhythmus dieselbe Identität in der quantitativen Differenz beob- achtet wird. Ich muß mich in dieser Allgemeinheit ausdrücken, weil Modulation in der Kunstsprache so verschiedene Bedeutungen hat, und damit nicht etwas von der Bedeutung sich einmische, die sie nur in der modernen Musik hat. Jene künstliche Art, durch die sogenannten Ausweichungen und Schlüsse Gesang und Harmonie durch mehrere Töne hindurchzu- führen, zuletzt aber wieder auf den ersten Hauptton zu kommen, gehört schon ganz der modernen Kunst an. Da es unmöglich ist, daß ich in alle diese technischen Erörterungen eingehe, welche nur in einer Theorie der Musik und nicht in einer allgemeinen Construktion gegeben werden können, so bemerken Sie nur im Allgemeinen , daß sich die beiden Einheiten, die durch Rhythmus und Modulation bezeichnet werden können, jene als die quantitative, diese als die qualitative zu denken ist, daß aber jene in ihrer Absolut- heit die andere schon begreifen müsse, so daß die Unabhängigkeit der anderen Einheit von der ersten jene selbst in ihrer Absolutheit aufhebt, und die bloß auf Harmonie gegründete Musik zum Produkt gibt, was durch die Folge sogleich verständlicher werden soll: — Rhythmus in dieser Bedeutung, d. h. sofern er die andere Einheit schon begreift , ist also die ganze Musik. — Wir werden hierdurch schon auf die Idee einer Differenz geleitet, die dadurch entsteht, daß in dem einen Fall die ganze Musik der ersten Einheit, dem Rhythmus, in dem andern der zweiten oder der Modulation untergeordnet wird, wodurch zwei in ihrer Art zwar gleich absolute, aber verschiedene Gattungen der Musik entspringen. §. 81. Die dritte Einheit, in welcher die beiden ersten gleich gesetzt sind, ist die Melodie . — Da dieser Satz eigentlich nur Erklärung ist, und niemand in Zweifel ziehen wird, daß Vereinigung von Rhythmus und Modulation Melodie sey, so bedarf er keines Be- weises. — Wir wollen, um das Verhältniß der drei Einheiten inner- halb der Musik anschaulich zu machen, sie vielmehr nach verschiedenen Maßstäben noch weiter zu bestimmen suchen. Man kann also sagen: der Rhythmus = erster Dimension, Mo- dulation = zweiter, Melodie = dritter. Durch den ersten ist die Musik für die Reflexion und das Selbstbewußtseyn, durch die zweite für die Empfindung und das Urtheil, durch die dritte für Anschauung und Einbildungskraft bestimmt. Wir können auch zum voraus ahnden, daß wenn die drei Grundformen oder Kategorien der Kunst Musik, Malerei und Plastik sind, der Rhythmus das Musikalische in der Musik, die Modulation das Malerische (welches ja nicht mit dem Malenden verwechselt werden darf, welches nur ein ganz verdorbener und gesun- kener Geschmack, wie der heutige z. B., der sich an dem Blöcken der Schafe in Haydns Schöpfungsmusik ergötzt, in der Musik gut finden kann), die Melodie das Plastische. Es erhellt nun aber aus dem, was in dem vorhergehenden Satz bewiesen worden ist, von selbst, daß Rhythmus in der angegebenen Bedeutung (nämlich als die entgegen- gesetzte Einheit begreifend) und Melodie selbst wieder eins und dassel- bige sind. Zusatz. Rhythmus in der Absolutheit gedacht ist die ganze Musik , oder umgekehrt: die ganze Musik ist ꝛc. — Denn dieser begreift alsdann die andere Einheit unmittelbar in sich und ist durch sich selbst Melodie, d. h. das Ganze. Rhythmus ist überhaupt die herrschende Potenz in der Musik. Inwiefern nun das Ganze der Musik, demnach Rhythmus, Modula- tion und Melodie, gemeinschaftlich wieder dem Rhythmus untergeordnet, insofern ist rhythmische Musik. Eine solche war die Musik der Alten. Es muß jedem auffallen, wie genau in dieser Construktion alle Ver- hältnisse eintreffen, und daß auch hier wieder der Rhythmus als Ein- bildung des Unendlichen ins Endliche sich auf die Seite des Antiken stellt, indeß die entgegengesetzte Einheit, wie wir finden werden, auch hier das Herrschende des Modernen ist. Von der Musik der Alten haben wir allerdings nicht die anschau- liche Vorstellung. Man sehe Rousseau in seinem Dictionnaire de Musique (noch immer das gedachteste Werk über diese Kunst), wo man findet, wie wenig wir daran denken können, eine antike Musik auch nur einigermaßen durch Aufführung anschaulich zu machen. Da die Griechen in allen Künsten groß waren, so waren sie es gewiß auch in der Musik. So wenig wir indeß davon wissen, so doch so viel, daß auch hier das realistische, plastische, heroische Princip das herrschende, und dieß einzig dadurch, daß dem Rhythmus alles untergeordnet war. Das Herrschende der neueren Musik ist die Harmonie, welche eben das Entgegengesetzte der rhythmischen Melodie der Alten ist, wie ich dieß noch bestimmter zeigen werde. Die einzige, obgleich höchst verstellte Spur der alten Musik ist noch in dem Choral übrig. Zwar hatte, wie Rousseau sagt, zu der Zeit, als die Christen anfingen in eignen Kirchen Hymnen und Psalmen zu singen, die Musik schon fast allen ihren Nachdruck verloren. Die Christen nahmen sie, wie sie dieselbe fanden, und beraubten sie noch ihrer größten Kraft, des Zeitmaßes und des Rhythmus, aber doch blieb der Choral in den alten Zeiten immer einstimmig, und dieß ist es eigentlich, was Canto Firmo heißt. In späteren Zeiten wurde er immer vierstimmig gesetzt, und die verwickelten Künste der Harmonie haben sich auch in den Kirchengesang ausgebreitet. Die Christen nahmen die Musik erst von der gebundenen Rede ab, und setzten sie auf die Prosa der heiligen Bücher oder eine völlig barbarische Poesie. So ent- stand der Gesang, der jetzt ohne Takt und mit immer einerlei Schritten fortgeschleppt wird, und verlor mit dem rhythmischen Gang alle Energie. Nur in einigen Hymnen merkte man noch den Fall der Verse, weil das Zeitmaß der Sylben und die Füße beibehalten wurden. Aber aller dieser Mängel unerachtet findet auch Rousseau in dem Choral, den die Priester in der römischen Kirche in seinem ursprünglichen Charakter er- halten haben, höchst schätzbare Ueberbleibsel des alten Gesanges und seiner verschiedenen Tonarten, soweit es möglich war sie ohne Takt und Rhythmus zu erhalten. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 32 §. 82. Der Melodie, welche die Unterordnung der drei Einheiten der Musik unter die erste ist, steht die Harmonie als die Unterordnung der drei Einheiten unter die andere entgegen . — Die Harmonie als ein Gegensatz der Melodie ist allgemein auch bei den bloß empirischen Theoretikern aner- kannt. Melodie ist in der Musik die absolute Einbildung des Unend- lichen ins Endliche, also die ganze Einheit. Harmonie ist gleichfalls Musik, insofern nicht minder Einbildung der Identität in die Differenz, aber diese Einheit wird hier durch die entgegengesetzte — die ideale Einheit — symbolisirt. Im gemeinen Sprachgebrauch sagt man von einem Tonkünstler, daß er die Melodie verstehe, wenn er einen ein- stimmigen durch Rhythmus und Modulation ausgezeichneten Gesang setzen kann, daß er Harmonie, wenn er der Identität, welche im Rhythmus in die Differenz aufgenommen wird, auch noch Breitheit (Ausdehnung nach der zweiten Dimension) zu geben weiß, also wenn er mehrere Stimmen, deren jede ihre eigne Melodie hat, in ein wohlklingendes Ganzes zu vereinigen weiß. Dort ist offenbar Ein- heit in Vielheit, hier Vielheit in Einheit, dort Succession, hier Coexistenz. Harmonie ist auch in der Melodie, aber nur in der Unter- ordnung unter Rhythmus (das Plastische). Hier ist von Harmo- nie die Rede, inwiefern sie die Unterordnung unter Rhythmus aus- schließt, inwiefern sie selbst das Ganze ist, untergeordnet der zweiten Dimension. Harmonie kommt zwar in verschiedenen Bedeutungen bei den Theo- retikern vor, so daß es z. B. die Vereinigung vieler zugleich ange- schlagenen Töne in einen einzigen Klang bedeutet; hier wird also Har- monie in der höchsten Einfachheit aufgefaßt, in welcher sie z. B. auch eine Eigenschaft des einzelnen Klangs ist, da in diesem zugleich mehrere und von ihm verschiedene Töne mitklingen, die aber so genau vereinigt sind, daß man nur Einen zu hören glaubt. Diese selbige Vielheit in der Einheit nun angewendet auf die größeren Momente eines ganzen Tonstücks, so besteht Harmonie darin, daß in jedem dieser Momente differente Tonverhältnisse dennoch wieder zur Einheit im Ganzen ge- bracht seyen, sowie dieselbe in Ansehung des ganzen Tonstücks wiederum die Resumtion aller möglichen besonderen Einheiten und aller — nicht dem Rhythmus, sondern der Modulation nach verschiedenen — Ver- wicklungen der Töne in die absoluten Einheit des Ganzen bedeutet. Aus diesem allgemeinen Begriff geht schon zur Genüge hervor, daß sich Harmonie zu Rhythmus und insofern auch zu Melodie, da Melodie nichts anderes als der integrirte Rhythmus ist, daß sich, sage ich, Harmonie zu Melodie wieder wie die ideale Einheit zur realen oder wie die Einbildung der Vielheit in die Einheit zu der entgegengesetzten der Einheit in die Vielheit verhalte, welches eben zu beweisen war. Nur ist dabei im Auge zu behalten, daß Harmonie, inwiefern sie der Melodie entgegengesetzt, wieder für sich das Ganze ist, also die Eine der beiden Einheiten bloß, inwiefern allein auf die Form reflek- tirt wird, nicht aber inwiefern auf das Wesen , denn insofern ist sie wieder die Identität an sich , also die Identität der drei Einheiten, aber ausgedrückt in der idealen. Nur insofern können Harmonie und Melodie einander wirklich entgegengesetzt werden. Wird nun etwa nach dem Vorzug der Harmonie oder Melodie in diesem Sinne gefragt, so sehen wir uns wieder in demselben Falle, wie wenn nach dem Vorzug der antiken oder modernen Kunst überhaupt gefragt wird. Sehen wir auf das Wesen, so ist freilich jedes von beiden die ganze ungetheilte Musik, sehen wir aber auf die Form, so wird unser Urtheil eben dahin ausfallen müssen, wohin das Urtheil über antike und moderne Kunst überhaupt. Der Gegensatz beider ist, daß überhaupt jene nur das Reelle, das Wesentliche, das Nothwendige, diese auch das Ideelle, Unwesentliche und Zufällige in der Identität mit dem Wesentlichen und Nothwendigen darstellt. Angewendet auf den vorliegenden Fall, so stellt sich die rhythmische Musik überhaupt als eine Expansion des Unendlichen im Endlichen dar, wo also dieses (das Endliche) etwas für sich selbst gilt, anstatt daß in der harmonischen die Endlichkeit oder Differenz nur als eine Allegorie des Unendlichen oder der Einheit erscheint. Jene bleibt gleichsam der Naturbestimmung der Musik getreuer, welche die ist, eine Kunst in der Succession zu seyn, sie ist daher realistisch; diese möchte in der tieferen Sphäre gern die höhere ideale Einheit vorausnehmen, die Succession gleichsam ideal aufheben und die Vielheit in dem Moment als Einheit darstellen. Die rhythmische Musik, welche das Unendliche im Endlichen darstellt, wird mehr Ausdruck der Befriedigung und des rüstigen Affekts, die harmo- nische mehr des Strebens und der Sehnsucht seyn. Daher es noth- wendig war, daß eben in der Kirche, deren Grundanschauung auf der Sehnsucht und dem Zurückstreben der Differenz in die Einheit beruht, das gemeinschaftliche, von jedem Subjekt insbesondere ausgehende Stre- ben, im Absoluten sich als Eins mit allen anzusehen, durch die harmo- nische, rhythmuslose Musik sich ausdrücken mußte. Dagegen ein Verein, wie in den griechischen Staaten, wo ein rein Allgemeines, die Gattung, sich völlig zum Besonderen gebildet hatte und es selbst war, gleichwie er in seiner Erscheinung als Staat rhythmisch war, so auch in der Kunst rhythmisch seyn mußte. Wer, ohne anschauliche Kenntniß von der Musik insbesondere zu haben, sich dennoch eine Anschauung des Verhältnisses von Rhythmus und rhythmischer Melodie zur Harmonie geben will, der vergleiche in Gedanken etwa ein Stück des Sophokles mit einem des Shakespeare. Ein Sophokles’sches Werk hat reinen Rhythmus, nur die Nothwendig- keit ist dargestellt, es hat keine überflüssige Breite; Shakespeare dagegen ist der größte Harmonist, Meister im dramatischen Contrapunkt; es ist nicht der einfache Rhythmus einer einzigen Begebenheit, es ist zu- gleich ihre ganze Begleitung und ihr von verschiedenen Seiten kom- mender Reflex, was uns dadurch vorgestellt wird. Man vergleiche z. B. den Oedipus und Lear. Dort nichts als die reine Melodie der Begebenheit, anstatt daß hier dem Schicksal des von seinen Töch- tern verstoßenen Lear die Geschichte eines Sohns, der von seinem Vater verstoßen, und so jedem einzelnen Moment des Ganzen wieder ein anderes Moment entgegengesetzt ist, von dem es begleitet und reflek- tirt wird. Die Verschiedenheit der Urtheile über den Vorzug der Harmonie und Melodie sind so wenig zu vereinigen, als die über antike und mo- derne Kunst überhaupt. Rousseau nennt jene eine gothische, barbarische Erfindung; dagegen gibt es Enthusiasten der Harmonie, die erst von der Erfindung des Contrapunkts an wahre Musik datiren. Dieß wird freilich allein dadurch hinlänglich widerlegt, daß die Alten eine Musik von so großer Kraft ohne alle Kenntniß oder wenigstens Gebrauch der Harmonie hatten. Die meisten sind der Meinung, daß der vielstimmige Gesang gar erst im zwölften Jahrhundert erfunden. §. 83. Die Formen der Musik sind Formen der ewigen Dinge, inwiefern sie von der realen Seite betrachtet werden. — Denn die reale Seite der ewigen Dinge ist die, von welcher das Unendliche ihrem Endlichen eingeboren ist. Aber diese selbe Einbildung des Unendlichen in das Endliche ist auch die Form der Musik, und da die Formen der Kunst überhaupt die Formen der Dinge an sich sind, so sind die Formen der Musik nothwendig Formen der Dinge an sich oder der Ideen ganz von ihrer realen Seite betrachtet. Da dieß nun allgemein bewiesen ist, so gilt es auch von den be- sonderen Formen der Musik, von Rhythmus und Harmonie, nämlich daß sie Formen der ewigen Dinge ausdrücken, sofern diese ganz von der Seite ihrer Besonderheit betrachtet werden. Inwiefern dann ferner die ewigen Dinge oder die Ideen von der realen Seite in den Welt- körpern offenbar werden, so sind die Formen der Musik als Formen der real betrachteten Ideen auch Formen des Seyns und des Lebens der Weltkörper als solcher, demnach die Musik nichts anderes als der vernom- mene Rhythmus und die Harmonie des sichtbaren Universums selbst. Verschiedene Anmerkungen . 1) Allgemein geht die Philosophie, wie die Kunst, nicht auf die Dinge selbst, sondern nur auf ihre Formen oder ewigen Wesenheiten. Das Ding selbst ist aber eben nichts anderes als diese Art oder Form zu seyn, und durch die Formen besitzt man die Dinge. Die Kunst be- strebt sich z. B. in ihren plastischen Werken nicht, mit den ähnlichen Hervorbringungen der Natur, was das Reelle betrifft, zu wetteifern. Sie sucht die bloße Form, das Ideale, von welchem aber das Ding selbst doch wieder nur die andere Ansicht ist. Dieß angewendet auf den vorliegenden Fall, so bringt die Musik die Form der Bewegungen der Weltkörper, die reine, von dem Gegenstand oder Stoff befreite Form in dem Rhythmus und der Harmonie als solche zur Anschauung. Die Musik ist insofern diejenige Kunst, die am meisten das Körperliche ab- streift, indem sie die reine Bewegung selbst als solche, von dem Ge- genstand abgezogen, vorstellt und von unsichtbaren, fast geistigen Flügeln getragen wird. 2) Bekanntlich war der erste Urheber dieser Ansicht der himmlischen Bewegungen als Rhythmus und Musik Pythagoras, aber ebenso be- kannt ist, wie wenig seine Ideen verstanden worden sind, und man kann sehr leicht schließen, wie verdorben sie auch zu uns gekommen sind. Man hat des Pythagoras Lehre von der Musik der Sphären gewöhn- lich ganz grob verstanden, nämlich in dem Sinn, daß so große Körper in ihren schnellen Bewegungen einen Schall verursachen müssen, der, weil sie mit verschiedener, jedoch abgemessener Geschwindigkeit und in immer ausgedehnteren Kreisen rotiren, eine zusammenklin- gende, nach musikalischen Tonverhältnissen geordnete Harmonie erzeuge, so daß das Sonnensystem einer siebenfach besaiteten Leyer gleiche. In dieser Vorstellung war die ganze Sache empirisch genommen. Pythago- ras sagt nicht, daß diese Bewegungen eine Musik verursachen , son- dern, daß sie es selbst seyen. Diese inwohnende Bewegung bedurfte keines äußeren Mediums, wodurch sie Musik wurde, sie war es in sich selbst. Als man nachher den Raum zwischen den Himmelskörpern leer machte, oder höchstens ein sehr zartes und feines Medium darin zugeben wollte, gegen welches keine Reibung stattfand, und das auch den erreg- ten Schall nicht aufnehmen oder in sich fortpflanzen konnte, so glaubte man damit diese Vorstellung abgethan zu haben, die man noch gar nicht erreicht hatte. Wie man es gewöhnlich darstellt, hat Pythagoras gesagt, man könne jene Musik wegen ihrer zu großen Gewalt, und weil sie beständig sey, nicht vernehmen, ungefähr so, wie Menschen, die in einer Mühle wohnen. Wahrscheinlich ist dieß gerad’ umgekehrt zu verstehen, nämlich daß allerdings die Menschen in einer Mühle leben, daß sie aber vor diesem Sinnengeräusch die Accorde jener himmlischen Musik nicht vernehmen können, wie sich denn dieß auch wirklich an solchem Verstehen gezeigt hat. Sokrates bei Platon sagt: Derjenige ist der Musiker, der von den sinnlich vernommenen Harmonien fortschreitend zu den unsinnlichen, intelligibeln und ihren Proportionen. — Noch ein größeres Problem bleibt der Philosophie zu lösen übrig, das Gesetz der Anzahl und der Distanzen der Planeten. Erst mit diesem wird auch daran gedacht werden können, Einsicht in das innere System der Töne zu erhalten, welches bis jetzt noch ein gänzlich verschlossener Ge- genstand ist. Wie wenig unser jetziges Tonsystem auf Einsicht und Wissenschaft gegründet sey, erhellt daraus, daß manche Intervalle und Fortschreitungsarten in der alten Musik üblich waren, die nach unserer Eintheilung unausführbar oder gar uns unverständlich sind. 3) Wir können jetzt erst die höchste Bedeutung von Rhythmus, Harmonie und Melodie festsetzen. Sie sind die ersten und reinsten Formen der Bewegung im Universum und, real angeschaut, die Art der materiellen Dinge den Ideen gleich zu seyn. Auf den Flügeln der Harmonie und des Rhythmus schweben die Weltkörper; was man Centripetal- und Centrifugalkraft genannt hat, ist nichts anderes als — dieses Rhythmus, jenes Harmonie. Von denselben Flügeln erhoben schwebt die Musik im Raum, um aus dem durchsichtigen Leib des Lauts und Tons ein hörbares Universum zu weben. Auch im Sonnensystem drückt sich das ganze System der Musik aus. Kepler schon schreibt die Durart den Apheliis, die Mollart den Periheliis zu. Die unterscheidenden Eigenschaften, welche in der Musik dem Baß, dem Tenor, dem Alt und Diskant zugeschrieben werden, theilt er verschiedenen Planeten zu. Aber noch mehr ist der Gegensatz der Melodie und Harmonie, wie er in der Kunst nacheinander erschien, in dem Sonnensystem aus- gedrückt. In der Planetenwelt ist der Rhythmus das Herrschende, ihre Bewegungen sind reine Melodie ; in der Kometenwelt ist die Harmonie herrschend. Wie die ganze moderne Welt allgemein der Centri- petalkraft gegen das Universum, der Sehnsucht nach dem Centrum unterliegt, so auch die Kometen, deren Bewegungen daher eine bloße harmonische Verwirrung ohne allen Rhythmus ausdrücken, und wie dagegen das Leben und Wirken der Alten gleich ihrer Kunst expansiv, centrifugal, d. h. in sich selbst absolut und rhythmisch war, so ist auch in den Bewegungen der Planeten vergleichungsweise die Centrifugalkraft — die Expansion des Unendlichen im Endlichen — herrschend. 4) Hiernach bestimmt sich nun auch die Stelle, welche die Musik in dem allgemeinen System der Künste einnimmt. — Wie sich der all- gemeine Weltbau ganz unabhängig verhält von den andern Potenzen der Natur, und je nachdem er von einer Seite betrachtet wird, das Höchste und Allgemeinste ist, worin sich unmittelbar in die reinste Ver- nunft auflöst, was im Concreten sich noch verwirrt, von der andern Seite aber auch die tiefste Potenz ist: so auch die Musik, welche, von der einen Seite betrachtet, die allgemeinste unter den realen Künsten und der Auflösung in Rede und Vernunft am nächsten ist, obgleich von der andern nur die erste Potenz derselben. Die Weltkörper in der Natur sind die ersten Einheiten, die aus der ewigen Materie hervorgehen; auch schließen sie alles in sich, obgleich sie sich in sich selbst erst contrahiren und in mehr besondere und engere Sphären zurückziehen müssen, um die höchsten Organisationen in sich darzustellen, in welchen die Einheit der Natur zur vollkommenen Selbst- anschauung gelangt. In ihren allgemeinen Bewegungen drückt sich also der in ihnen liegende Typus der Vernunft nur für die erste Potenz aus, und ebenso nimmt die Musik, welche von der einen Seite die verschlos- senste aller Künste ist, die die Gestalten noch im Chaos und ununter- scheidbar begreift, und die nur die reine Form dieser Bewegungen, ab- gesondert vom Körperlichen, ausdrückt, den absoluten Typus nur als Rhythmus, Harmonie und Melodie, d. h. für die erste Potenz, auf, obgleich sie nun innerhalb dieser Sphäre die grenzenloseste aller Künste ist. Hiermit ist die Construktion der Musik vollendet, da alle Construk- tion der Kunst nur darauf ausgehen kann, ihre Formen als Formen der Dinge an sich darzustellen, welches in Ansehung der Musik geleistet worden ist. Ehe ich weiter gehe, erinnere ich folgendes Allgemeine. Unsere gegenwärtige Aufgabe ist Construktion der besonderen Kunstformen . Da Stoff und Form im Absoluten und also auch im Princip der Kunst eins ist, so kann nur dasselbe, was in dem Stoff oder Wesen ist, auch wieder zur Form werden; die Unterscheidung von Stoff und Form aber kann nur darauf beruhen, daß, was in dem Stoff als absolute Identität gesetzt ist, in der Form als relative gesetzt werde. Nun ist schon in dem Absoluten an und für sich das Allgemeine und Besondere eins, dadurch, daß in ihm die besonderen Einheiten oder Formen der Einheit als absolut gesetzt sind. Aber eben deßwegen, weil sie in ihm selbst absolut, in Ansehung einer jeden also die Form auch das Wesen, das Wesen die Form ist, — eben deßwegen, sage ich, sind sie in ihm ununterscheidbar und ununterschieden, und jene Einheiten oder ewigen Ideen können als solche nur dadurch wahrhaft objektiv werden, daß sie in ihrer Besonderheit , als besondere Formen, sich selbst zum Symbol werden. Das, was durch sie erscheint, ist nur die absolute Einheit, die Idee an und für sich; die Form ist nur der Leib, mit dem sie sich bekleidet, und in dem sie objektiv wird. Die erste Einheit in dem absoluten Wesen ist nun allgemein die, wodurch es seine Subjektivität und ewige Einheit in die Objektivität oder Vielheit gebiert, und diese Einheit in ihrer Absolutheit oder als die eine Seite des absoluten Producirens aufgefaßt, ist die ewige Ma- terie oder ewige Natur selbst. Ohne diese würde das Absolute eine in sich verschlossene Subjektivität seyn und bleiben ohne Erkennbarkeit und Unterscheidbarkeit. Nur durch die Subjekt-Objektivirung gibt es sich selbst in der Objektivität zu erkennen, und führt sich selbst als Erkann- tes aus der Objektivität in sein Selbsterkennen zurück. Diese Zurück- bildung der Objektivität in sich selbst ist die andere Einheit, die in ihm von der ersten ungetrennt ist. Denn wie wir die vollendete Einbildung der Subjektivität in die Objektivität im Organismus unmittelbar in die Vernunft als das absolut Ideale umschlagen sehen, so verklärt sich im Absoluten, wo die Einbildung immer absolut ist, das Reale jener Sub- jekt-Objektivirung unmittelbar wieder in den Aether der absoluten Idea- lität, so daß das absolut Reale jederzeit auch das absolut Ideale und beides wesentlich ein und dasselbige ist. Das Absolute nun, inwiefern es in der Erscheinungswelt durch die erste der beiden Einheiten sich aus- prägt, ist das Wesen der Materie; und alle Kunst, sofern sie dieselbe Einheit zur Form nimmt, ist plastische oder bildende Kunst. Innerhalb derselben sind ebenso wieder wie innerhalb der Materie alle Einheiten begriffen, und drücken sich durch die besonderen Kunstformen aus. Die erste, welche die Einbildung der Einheit in die Vielheit sich zur Form nimmt, um in ihr das Universum darzustellen, ist, wie zuletzt bewiesen wurde, die Musik. Wir gehen jetzt zur andern Einheit fort, und haben die ihr entsprechende Kunstform zu construiren. Wir bedürfen auch hiezu wieder mehrerer Lehnsätze aus der allgemeinen Philosophie, die ich daher vorausschicke. §. 84. Lehnsatz. Der unendliche Begriff aller end- lichen Dinge, sofern er in der realen Einheit begriffen ist, ist das Licht . — Da der Beweis in die allgemeine Philosophie gehört, so gebe ich hier nur die Hauptmomente an. Vorläufig ist zu bemerken: a) Licht = Begriff, ideale Einheit, b) aber ideale Einheit innerhalb der realen. Der Beweis wird am kürzesten durch die Entgegensetzung mit der andern Einheit geführt. In dieser wird die Identität der ewigen Materie überhaupt in die Differenz, und demnach in unterschiedene und besondere Dinge gebildet. Hier ist die Differenz oder Besonderheit das Herrschende, die Identität kann nur als Einheit in der Vielheit aufgefaßt werden. In der entgegen- gesetzten Einheit ist die Identität, das Wesen, das Allgemeine das Herrschende. Die Realität löst sich hier wieder in die Idealität auf. Aber diese Idealität muß doch im Ganzen wieder der Realität und der Differenz untergeordnet seyn, weil es die ideale Einheit innerhalb der realen ist. Sie muß also, da die allgemeine Form des Realen in der Differenz der Raum ist, als ein Ideales des Raums oder im Raum erscheinen, sie muß demnach den Raum beschreiben, ohne ihn zu erfüllen, und als die ideale Einheit der Materie überall alle Attribute, die die Materie real an sich trägt, auf ideale Weise an sich tragen. Aber alle diese Bestimmungen treffen nur in Ansehung des Lichts zusammen, und es ist demnach das Licht die in der realen Einheit begriffene unendliche Idee aller Differenz, welches eben zu beweisen war. Das Verhältniß des Lichts zur Materie läßt sich noch auf andere Weise so deutlich machen. Die Idee nach ihren zwei Seiten wiederholt sich im Einzelnen, wie im Ganzen. Auch in der realen Seite, wo sie ihre Subjektivität in eine Objektivität bildet, ist sie Idee, obgleich sie in der Erscheinung nicht als solche, sondern als Seyn erscheint. Die Idee läßt in dem Realen der Erscheinung nur die eine Seite zurück, in dem Idealen der Erscheinung zeigt sie sich als Ideales; aber eben deßwegen nur in der Entgegensetzung gegen das Reale, also als relativ -Ideales. Das An-sich ist eben das, worin die beiden Seiten eins sind. Dieß ange- wendet auf den vorliegenden Fall, so ist die Körperreihe eben die eine Seite der Idee in ihrer Objektivität, die reale. Die andere Seite, wo die Idee als ein Ideales erscheint, fällt in das Licht, aber es erscheint als Ideales eben nur, indem es die andere Seite oder die reale zurück- läßt, und wir sehen also hier zum voraus, daß das Höhere auch in der Natur dasjenige seyn wird, worin Materie und Licht selbst wieder eins sind. Das Licht ist das in die Natur scheinende Ideale, der erste Durch- bruch des Idealismus. Die Idee selbst ist das Licht , aber abso- lutes Licht. In dem erscheinenden Licht erscheint sie als Ideales, als Licht; aber nur als relatives Licht, relativ-Ideales. Sie legt die Hülle ab, mit der sie sich in der Materie bekleidet; aber, um eben als Ideales zu erscheinen , muß sie im Gegensatz gegen das Reale erscheinen. Ich kann unmöglich diese Ansicht des Lichts hier durch alle Punkte verfolgen, und muß deßhalb auf die allgemeine Philosophie verweisen. Nur über das Verhältniß des Lichts zum Klang und über den Gesichtssinn als die nothwendige Bedingung der Existenz des Lichts für die Kunst muß ich mich hier erklären. a) Das Verhältniß des Lichts zum Klang betreffend, so ist bekannt, wie vielfache Vergleichungen darüber gemacht worden sind, obschon die wahre Identität und Verschiedenheit beider bisher meines Wissens noch nicht auseinandergesetzt ist. — In der Materie, sagten wir, bildet das Wesen, die Identität, sich in die Form; in dem Licht dagegen ist die Form oder Besonderheit wieder zum Wesen verklärt. Hieraus muß sich auch das Verhältniß des Lichts und des Klanges ein- sehen lassen. Der Klang ist, wie wir wissen, nicht absolut gesetzt, nur gesetzt unter Bedingung einer dem Körper mitgetheilten Bewegung, wo- durch er aus der Indifferenz mit sich selbst gesetzt wird. Der Klang selbst ist nichts anderes als die Indifferenz von Seele und Leib, aber diese Indifferenz nur, soweit sie in der ersten Dimension liegt. Wo dem Ding der unendliche Begriff absolut verbunden ist, wie dem Weltkörper, der auch als endlich unendlich, da entsteht jene innere Musik der Be- wegungen der Gestirne; wo bloß relativ, entsteht der Klang, welcher nichts anderes als der Akt der Wiedereinbildung des Idealen ins Reale, also die Erscheinung der Indifferenz ist, nachdem beides aus der Indif- ferenz gerissen. Das Ideale ist nicht an sich Klang , ebenso wie der Begriff eines Dings nicht an sich Seele ist. Der Begriff des Menschen wird Seele eben nur in der Beziehung auf den Leib, wie der Leib nur Leib ist in Beziehung auf die Seele. So ist das, was wir Klang des Körpers nennen, eben schon das in Beziehung auf den Körper gesetzte Ideale. Wenn also das, was im Klang sich offenbart, nur der Begriff des Dings ist, so werden wir dagegen das Licht der Idee der Dinge gleich- setzen, oder dem, worin das Endliche dem Unendlichen wahrhaft ver- knüpft ist. Der Klang ist also das inwohnende oder endliche Licht der körperlichen Dinge, das Licht ist die unendliche Seele aller körperlichen Dinge. Allein das absolute Licht, das Licht als wahrhaft absolute Auf- lösung der Differenz in die Identität, würde selbst gar nicht als Erscheinung in die Sphäre der Objektivität fallen. Nur als relativ-Ideales und demnach in seiner Entgegensetzung zugleich und relativer Einheit mit dem Körper kann es als Licht erscheinen . Es fragt sich, wie eine Einheit zwischen dem Licht und dem Körper denkbar sey. Nach unsern Grundsätzen können wir keine unmittelbare Wirkung beider aufeinander zugeben. So wenig wir annehmen können, daß die Seele unmittelbare Ursache einer Wirkung in dem Leib oder umgekehrt der Leib in der Seele werden könne, ebensowenig können wir das Licht unmittelbar auf die Körper, oder hinwiederum diese un- mittelbar auf das Licht wirken lassen. Licht und Körper können also überhaupt nur durch prästabilirte Harmonie eins seyn, und nur durch das, worin sie eins sind , nicht aber durch ein einseitiges Causalver- hältniß aufeinander wirken. Es ist die Schwere, welche hier in der höheren Potenz wieder eintritt, die absolute Identität, welche, es sey nun in Reflexion oder Refraktion, Licht und Körper vereint. Der all- gemeine Ausdruck nun des mit dem Körper synthesirten Lichts ist ge- trübtes Licht oder Farbe. Daher wäre als Zusatz zu §. 84 zu be- merken: Das Licht kann als Licht nur in der Entgegensetzung mit dem Nicht-Licht, und demnach nur als Farbe erscheinen. Der Körper ist überhaupt Nicht-Licht, sowie das Licht dagegen Nicht-Körper ist. So gewiß nun im empirischen Licht das absolute Licht nur als relativ-Ideales erscheint, so gewiß kann es überhaupt nur in der Entgegensetzung gegen das Reale erscheinen. Licht mit Nicht-Licht ver- bunden ist nun allgemein getrübtes Licht, d. h. Farbe. Die Lehre vom Ursprung der Farben ist keineswegs für die Theorie der Kunst unwichtig, obgleich es eine bekannte Sache ist, daß kein neuerer Künstler, der über seine Kunst nachgedacht, von der Newton - schen Farbentheorie je eine Anwendung machte. Aber schon dieß könnte hinreichen zu beweisen, wie gänzlich ungegründet in der Natur sie ist, denn Natur und Kunst sind eins. Der Instinkt der Künstler lehrte sie den allgemeinen Gegensatz der Farben, den sie als Gegensatz von Kälte und Wärme ausdrückten, ganz unabhängig von den Newtonschen Vorstellungen erkennen. Goethes neue Ansichten dieser Lehre sind eben- sosehr auf die Natur- als auf die Kunstwirkungen der Farben gegründet; man sieht in ihnen die innigste Harmonie zwischen Natur und Kunst, anstatt daß in den Newtonschen schlechthin kein Mittel lag, die Theorie mit der Praxis des Künstlers zu verbinden. Das Princip, welches der wahren Ansicht der Farbe zu Grunde gelegt werden muß, ist die absolute Identität und Einfachheit des Lichts . Newtons Theorie widerlegt sich für den, der überhaupt sich über den Gesichtspunkt des einseitigen Causalverhältnisses erhoben hat, schon allein dadurch, daß er bei dem Phänomen der Farbenproduk- tion in der Brechung durch transparente Körper diese als gänzlich müßig annahm und aus dem Spiel ließ. Dadurch war er nun ge- nöthigt, alle Mannichfaltigkeit der Farbe in das Licht selbst, und zwar als eine vorhandene, mechanisch vereinigte und mechanisch trennbare zu legen. Bekanntlich ist nach Newton das Licht aus sieben Strahlen von verschiedener Brechbarkeit zusammengesetzt, so daß jeder einfache Strahl ein Büschel von sieben farbigen Strahlen ist. Diese Vorstellung ist durch die höhere Ansicht der Natur des Lichts selbst genug widerlegt, daß wir kein Wort zur Widerlegung hinzuzufügen haben. Um das Farben-Phänomen ganz zu begreifen, müssen wir zuvor von dem Verhältniß der durchsichtigen und undurchsichtigen Körper zum Licht einige Begriffe haben. Der Körper trübt sich in dem Verhältniß für das Licht, in welchem er sich von der Allheit der übrigen Körper absondert und als ein selb- ständiger heraustritt. Denn das Licht ist die Identität aller Körper; in dem Verhältniß also, in welchem er sich von der Totalität absondert, sondert er sich auch von dem Licht, denn er hat mehr oder weniger die Identität in sich selbst als Besonderes aufgenommen. Dieß gilt so weit, daß die undurchsichtigsten Körper, die Metalle, eben auch diejenigen sind, die am meisten jenes innere Licht, den Klang , sich eingeboren haben. Die relative Gleichheit mit sich selbst ist das, wodurch der Körper aus der Gleichheit mit allen andern tritt. Diese relative Gleichheit aber (= Cohäsion, Magnetismus) beruht auf einer relativen Indifferenz seines Besonderen mit seinem Allgemeinen oder Begriff. Die Trübung für das Licht wird also nur da aufhören, wo diese relative Gleichheit so weit aufgehoben ist, daß entweder das rein-Allgemeine oder das rein-Besondere überwiegend ist — also an den Enden der Cohä- sionsreihe —, oder da, wo beide zur absoluten Indifferenz reducirt sind, wie im Wasser, dessen Allgemeines das ganze Besondere, das Besondere das ganze Allgemeine ist, oder da, wo auch der Streit der absoluten Cohäsion (wodurch der Körper in sich selbst) und der relativen (wodurch er dem Licht angehört) vollkommen ausgeglichen ist, und der Körper ganz Erde und ganz Sonne ist. — Die weiteren Erläuterungen dieser Sätze gehören, wie von selbst offenbar ist, in eine andere Sphäre der Untersuchung. Ein solcher Körper nun, der in der vollkommenen Identität mit dem Licht ist (und ein solcher wäre ein absolut-durchsichtiger Körper), wäre dem Licht überall nicht mehr entgegengesetzt. Nur insofern der Körper noch immer ein Besonderes bleibt oder dem Licht relativ — zum Theil — entgegengesetzt ist, synthesirt die absolute Identität, die hier als Schwer- kraft der höheren Potenz eintritt, das Licht mit ihm (daß nämlich nicht der Körper das Licht breche, folgt aus der Newtonschen Erfahrung, daß die Brechung nicht unmittelbar, sondern in einiger Entfernung von der Oberfläche des Körpers geschieht, wozu Newton eine actio in distans annimmt, die ich — im Newtonschen Sinne — nicht nur hier, sondern überall verwerfe). Diese Synthese des Lichts und des Körpers ist beim durchsichtigen und undurchsichtigen Körper gleicherweise der Fall, nur daß dieser das Licht reflektirt, der durchsichtige Körper aber nimmt es in sich selbst auf und durchdringt sich mit ihm. Da es aber keine vollkommene Durchsichtigkeit gibt, sondern in denjenigen durch- sichtigen Körpern, welche das Licht am meisten brechen, auch noch das größte Uebergewicht der Besonderheit ist, so wird das Licht oder die Identität im Licht selbst mit der Besonderheit oder Differenz synthesirt und demnach getrübt. (Alle unsere durchsichtigen Körper sind trübende Mittel). Es ist abermals weder das Licht für sich noch der Körper für sich, sondern es ist das, worin beide eins sind, was die Farbe producirt. Das Licht wird daher in diesem Proceß auf keine Weise weder zerlegt noch gespalten, nicht chemisch oder mechanisch decomponirt, sondern es selbst bleibt als der eine Faktor des Processes in seiner ab- soluten Einfachheit; alle Differenz ist durch das Nicht-Licht oder den Körper gesetzt. Farbe ist = Licht + Nicht-Licht, Positives + Ne- gatives. Das Wichtigste für die Ansicht der Kunstwirkungen der Farben ist nun das Begreifen der Totalität der Farben. Das, wodurch eine Totalität allein möglich ist, ist eine Vielheit in der Einheit, demnach ein Gegensatz, der sich in allen Farbenerscheinungen zeigen muß. Wir brauchen, um diesen Gegensatz darzustellen, nicht unmittelbar zum pris- matischen Bild zu gehen, welches bereits ein verwickeltes und zusammen- gesetztes Phänomen ist. Kein Wunder, daß Newton zu keinem andern Resultat kam, da er gerade dieses Phänomen als das erste nahm, und daß es nicht weniger als der Anschauung eines Goethe bedurfte, um den wahren Faden dieser Erscheinung wieder zu finden, den Newton in dem Knäuel so künstlich versteckt hatte, den er seine Theorie nannte. Noch jetzt ist die prismatische Erscheinung den Physikern die Grund- erscheinung; auch die Künstler werfen sich einzig auf sie, obgleich sie eine Menge Fälle unerklärt läßt, die in ihrer Kunst wiederkommen. Wir finden den Gegensatz der Farben schon in viel einfacheren Fällen. Es gehören hieher die Phänomene der gefärbten Gläser oder farbigen Flüssigkeiten, welche Newton aus einer Verschiedenheit des reflektirten und restringirten Lichts zu erklären suchte. Wenn z. B. ein blaugefärbtes Glas gegen eine dunkle Fläche gehalten wird, und das Auge sich zwi- schen dem Licht und dem Körper befindet, so geht jene Farbe bis zum tiefsten Blau hinab; derselbe Körper aber so gehalten, daß er zwischen dem Auge und dem Licht sich befindet, gibt das schönste Gelb- oder auch wohl Hochroth. Hier entsteht also die rothe Farbe unmittelbar durch ein Weniger des Getrübtwerdens, anstatt daß in dem ersten Fall die dunklere Farbe durch ein bloßes Mehr des Getrübtwerdens entsteht. Die beiden Farbenpole schließen sich hier noch aus, sie erscheinen nicht simultan, aber nacheinander. Durch eine Verbindung verschiedener Linsen, durch die man das Licht gehen läßt, und wovon die erste das Licht noch vollkommen weiß durchscheinen läßt, kann man in einem dunklen Zimmer das erst weiße Licht endlich bis zum rothen Licht trüben; durch eine weitere Fortsetzung würde man es bis ins Blaue treiben. Nach diesem Gesetze färbt sich der Himmel für uns blau, die Sonne dagegen im Aufgehen roth. Diese Phänomene, in welchen durch das bloße Mehr oder Weniger der Trübung Farbe entsteht, sind die einfachen, von denen man auszugehen hat. Von viel accidentelleren Bedingungen sind alle Arten prismatischer Erscheinungen abhängig. Sie beruhen, kann man allgemein sagen, darauf, daß ein Doppelbild gesehen wird. Wir sehen Licht und Nicht-Licht zugleich (es findet eine subjek- tive Synthese von Licht und Nicht-Licht im Auge statt). Durch die Wirkung der Refraktion wird daher das betrachtete Bild verrückt, aber es erleidet keine Veränderung, wenn es über einen andern relativ dunklen oder erleuchteten Raum geführt wird, so daß das verrückte Bild zu- gleich mit einem andern gesehen wird. Je nachdem nun dieser Raum relativ gegen den andern hell oder dunkel ist, erscheint das Bild an den Rändern verschiedentlich gefärbt; ist es nämlich der hellere Raum auf dunklem Grund, der durch die Refraktion verrückt wird, so daß — bei abwärts gekehrtem Brechungswinkel — der dunkle Raum von oben ins Helle, von unten der helle ins Dunkle geführt wird, so erscheinen an jener Stelle die warmen, an dieser die kalten Farben. Die Sonne in den Newtonschen Versuchen mit dem in einem dunklen Zimmer auf das Prisma fallenden Licht stellt in der That dabei nichts anderes als einen hellen Fleck auf dunklem Grund dar; sie wirkt in der ganz allgemeinen Qualität eines Bilds von eminenter Helligkeit auf einem durchaus dunklen Grund, dem Weltraum. Die prismatische Erscheinung, sofern sie mit dem Sonnenlicht hervorgebracht wird, ist also von den möglichen prismatischen Erscheinungen nur der Eine Fall, der nämlich, wo auf einem dunklen Grunde ein heller Raum gesehen wird. Wichtiger ist es für uns, die ganze secundäre Stelle dieser Er- scheinungen einzusehen. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 33 Die Farben bilden unter sich ein System ebenso wie die Töne. Sie sind daher an sich weit ursprünglicher als sie im prismatischen Bild erscheinen, dessen Bedingungen zufällig und abgeleitet sind. Daß unter diesen Bedingungen keine andern als eben diese Farben erscheinen, ist nothwendig, weil es die einzigen sind, die überhaupt möglich sind. Die Totalität oder das System der Farben hat also in sich betrachtet aller- dings eine Art der Nothwendigkeit; es ist nicht zufällig, aber es muß nur nicht gerade von den prismatischen Erscheinungen abstrahirt werden, noch müssen diese für das ursprüngliche Phänomen gehalten werden, in denen sich die Farben erzeugen. Der Gegensatz, welcher sich im prismatischen Bild zwischen den kalten und warmen Farben zeigt, die sich polarisch einander entgegen- stellen, ist allerdings ein nothwendiger Gegensatz und zur Totalität, welche die Farben als geschlossenes System in sich bilden, nothwendig. Allein dieser Gegensatz ist eben deßwegen auch ursprünglicher als das abgeleitete und zusammengesetzte Phänomen des Farbenspectrums. Die Polarität der Farben ist nicht als eine fertig vorhandene, sondern als eine producirte zu denken, die sich überall entwirft, sowie nur Licht und Nicht-Licht in Conflikt gesetzt werden. Das Farben-Phänomen ist die aufbrechende Lichtknospe; die Identität, die in dem Lichte ist, wird mit der Differenz, die durch das Nicht-Licht in sie gesetzt ist, verbunden zur Totalität. In einer viel höheren Beziehung erscheint die Nothwendigkeit dieser Polarität und der inneren Totalität der Far- ben in den Forderungen, die der Gesichtssinn macht, und die für die Kunst ebenso wichtig als für die Naturforschung interessant sind. Jetzt also zu dem Verhältniß des Gesichtssinns . Die beiden Seiten, die wir in der Körperreihe und dem Licht ab- gesondert herausgeworfen sehen — reale und ideale —, sind im Orga- nismus beisammen und eins. Das relativ-Ideale im Licht ist hier durch das Reale integrirt. Das Wesen des Organismus ist: Licht mit Schwere verbunden . Der Organismus ist ganz Form und ganz Stoff, ganz Thätigkeit und ganz Seyn. Dasselbige Licht, welches in der allgemeinen Natur die anschauende Thätigkeit des Universums ist, ist im Organismus dem Stoffe vermählt; es ist nicht mehr bloß rein ideelle Thätigkeit, wie in der allgemeinen Natur, sondern ideelle Thätigkeit, die, mit dem Stoffe verbunden, das Attribut eines Existi- renden ist. Ein und dasselbe ist zugleich die reelle und ideelle. Jedes von außen Einwirkende macht an den Organismus die Forderung einer bestimmten Dimension, so auch das Licht. Und wenn Sensibilität überhaupt = dritter, das Sehen aber wieder die Blüthe der Sensi- bilität ist, so ist die Forderung des Lichts an den Organismus Produkt der dritten organischen Dimension, vollkommene Indifferenz des Lichts und der Materie. Aber was ist denn Sehen auch anders? Das ideelle Princip für sich wäre reines Denken, das reelle reines Seyn. Allein das von außen sollicitirte Indifferenzvermögen des Or- ganismus setzt Denken und Seyn immer wieder gleich. Denken syn- thesirt mit Seyn aber ist anschauen . Das Anschauende ist die Iden- tität selbst, welche hier in der reflektirten Welt wieder die Indifferenz des Idealen und Realen darstellt. Es ist das Wesen, die Substanz des Organismus — aber eben deßwegen zugleich das absolut- , nicht das bloß relativ-Ideale (wie im Licht) — das Producirende, Anschauende. Es ist das fühlende, hörende, sehende Princip auch im Thier. Es ist das absolute Licht. Die allgemeine Bedingung der Anschauung dieses Lichts ist die Indifferenz des A 2 und A = B. Nach der verschie- denen Art, wie, oder den Bedingungen, unter welchen beide gleichge- setzt werden, ist es z. B. hörendes, sehendes oder fühlendes Princip. Jedes Sinnesorgan drückt für sich eine solche Indifferenz des Ideellen und Reellen, des Lichts und der Schwere aus; in jeder solchen In- differenz wird das Wesen, das An-sich des Organismus produktiv, anschauend. Auch physisch genommen schaut das organische Wesen nicht den Gegenstand außer sich an, es schaut nur die in ihm gesetzte In- differenz des Ideellen und Reellen an. Diese tritt ihm an die Stelle des Gegenstandes. Kraft der prästabilirten Harmonie zwischen der all- gemeinen und der organischen Natur ist in den Anschauungen der letz- teren dasselbe System, welches in den entsprechenden Formen der Außen- welt ist. Die Harmonie des Dreiklangs ist etwas Objektives und doch zugleich durch den Gehörsinn Gefordertes. Dasselbe ist der Fall mit dem Gesichtssinn, dessen Forderungen das tiefste Studium des Künstlers seyn müssen, der auf dieses zarteste aller Organe wirken will. Das Auge fordert in allem, was ihm als wohlgefällig dargeboten werden soll, die Harmonie der Farben nach derselben Nothwendigkeit und den- selben Gesetzen, nach welchen sie in der äußeren Erscheinung producirt wird. Die höchste Lust des Auges ist, indem es aus der ermüdenden Identität gesetzt wird, in der höchsten Differenz doch wieder durch die Totalität in ein vollkommenes Gleichgewicht gesetzt zu werden. Deß- wegen fordert das Auge im Allgemeinen in jedem Gemälde Totalität der Farben, und es bedarf nur geringes Studium und Aufmerksamkeit, um zu finden, welch ein vollkommenes Gefühl dieser Forderung die größten Meister geleitet hat. Sehr häufig findet man diese Forderung in großen Compositionen nicht bloß insofern befriedigt, als die Totalität der Farben zu denselben nothwendig war; nicht selten findet man die Forderung einer Farbe, für welche in dem Hauptgegenstand kein Grund lag, durch einen Nebengegenstand befriedigt, z. B. die Forderung des Gelb oder irgend einer andern Farbe durch Früchte, Blumen u. s. w., die in dem Gemälde angebracht sind. Aber auch da, wo das Auge von der Forderung der vollkommenen Totalität absteht, macht es doch immer die Forderung der entsprechenden Farben geltend. Dieß ist vorzüglich deutlich in der Erscheinung der sogenannten physiologischen Farben. Das Auge z. B., welches durch den Reiz des Rothen ermüdet ist, producirt, nachdem dieser Reiz entfernt ist, von freien Stücken die grüne Farbe, oder bestimmter von Blau und Gelb als Farben das, was denselben am unmittelbarsten entgegengesetzt ist, die Indifferenz. In dem Farbenbild schließen sich Grün und Purpur aus. Eben weil beide sich ausschließen, fordert sie das Auge. Ermüdet durch das Grün fordert das Auge Purpur oder die entsprechende Totalität von Violett und Roth. Durch Purpur das vollkommenste Grün. So auch in der Kunst. Die Verbindung von Purpur und Grün z. B. in Gewändern bringt die höchste Pracht hervor. — Ich stelle nun einen weiteren Satz auf, dem ich nur noch folgendes Allgemeine voranschicke. Unmittelbar aus der Idee des Lichts folgt, daß es als die be- sondere Einheit nur unter der Bedingung eines Gegensatzes erscheinen könne. Es ist die im Realen durchbrechende ideale Einheit. Soll es als diese erscheinen, so muß es als Zurückbildung der Differenz in die Identität erscheinen, aber nicht als absolute (denn in der Abso- lutheit wird die Einheit nicht als die besondere unterschieden), demnach bloß in relativer Identität. — Nun ist aber das Besondere oder die Differenz für sich nichts als die Negation des Allgemeinen oder der Identität. Nur inwiefern sich das Allgemeine, die Identität selbst in das Besondere verwandelt, ist es reell (deßwegen die Einformung der Einheit in die Vielheit die reale Einheit ist). Wenn also in der idealen Einheit oder in der Zurückbildung des Besonderen ins Absolute das Besondere noch als solches unterschieden werden soll, kann es nur als Negation unterschieden werden. Demnach wird sich das Allge- meine und Besondere in der Erscheinung der idealen Einheit nur als Realität und Privation, also, weil das Allgemeine Licht ist, nur als Licht und Nicht-Licht verhalten können, oder die Besonderheit wird in dem Allgemeinen nur als Privation oder Begrenzung der Realität dar- gestellt werden können. §. 85. Die Kunstform, welche die ideale Einheit in ihrer Unterscheidbarkeit zum Symbol nimmt, ist die Ma- lerei . — Folgt unmittelbar aus den vorhergehenden Sätzen. Denn die ideale Einheit in ihrer Relativität erscheint innerhalb der Natur durch den Gegensatz des Lichts und Nicht-Lichts. Aber eben desselben bedient sich die Malerei zum Mittel ihrer Darstellung. Anmerkung . Die ferneren Bestimmungen der Malerei folgen von selbst aus dem ersten Begriff. §. 86. Die nothwendige Form der Malerei ist die auf- gehobene Succession . — Dieser Satz fließt unmittelbar aus dem schon in §. 77 bewiesenen Begriff der Zeit. Die Einbildung der Ein- heit in die Vielheit ist Zeit. Da nun Malerei vielmehr auf der ent- gegengesetzten Einheit, der Einbildung der Vielheit in die Einheit beruht, so ist die nothwendige Form derselben die aufgehobene Succession. Die Malerei, welche die Zeit aufhebt, bedarf doch des Raumes, und zwar so, daß sie genöthigt ist den Raum zu dem Gegenstand hinzuzufügen. Der Maler kann keine Blume, keine Gestalt, überhaupt nichts darstellen, ohne im Gemälde selbst zugleich den Raum darzu- stellen, in welchem sich der Gegenstand befindet. Die Produkte der Malerei können also noch nicht als Universa den Raum in sich selbst und keinen außer sich haben. Wir werden in der Folge noch hierauf zurückkommen und zeigen, wie die Malerei sich dadurch am meisten der höchsten Kunstform annähert, daß sie den Raum als ein Noth- wendiges behandelt und ihn mit den Gegenständen ihrer Darstellung gleichsam verwachsen darstellt. In dem vollkommenen Gemälde muß auch der Raum für sich, ganz unabhängig von dem inneren oder qua- litativen Verhältniß des Gemäldes, eine Bedeutung haben. Es gibt noch eine andere Art sich dieses Verhältniß deutlich zu machen. Nach dem Bisherigen sind die beiden Künste der Musik und Malerei den beiden Wissenschaften der Arithmetik und Geometrie zu ver- gleichen. Die geometrische Figur bedarf des Raumes außer ihr, weil sie auf das Reale Verzicht thut, nur das Ideale im Raum darstellt. Der Körper, welcher eine reale Ausdehnung hat, hat seinen Raum in sich selbst, und ist unabhängig von einem Raum außer ihm zu begreifen. Die Malerei, die vom Realen nur das Ideale darstellt, keine wirklich körperlichen Gestalten, sondern nur die Schemata dieser Gestalten, bedarf nothwendig des Raumes außer ihr, wie die geome- trische Figur nur durch Begrenzung eines gegebenen Raumes möglich ist. Folgesatz 1. Die Malerei ist als Kunst ursprünglich der Fläche untergeordnet. Sie stellt nur Flächen dar, und kann nur innerhalb dieser Begrenzung den Schein des Körperlichen hervorbringen. Folgesatz 2. Die Malerei ist die erste Kunstform, welche Gestalten darstellt . — Die Malerei stellt überhaupt das Besondere im Allgemeinen oder in der Identität dar. Nun kann sich aber das Besondere vom Allgemeinen überhaupt nur durch Begrenzung oder Ne- gation unterscheiden. Aber eben Begrenzung der Identität ist, was wir Umriß, Gestalt nennen (Musik gestaltlos). Folgesatz 3. Die Malerei hat außer den Gegenständen noch den Raum als solchen darzustellen. Folgesatz 4. Wie die Musik im Ganzen der Reflexion, ist die Malerei der Subsumtion untergeordnet. Es wird in der Philosophie bewiesen, daß das, was an dem Körper Umriß und Gestalt bestimmt, eben dasjenige ist, wodurch er der Subsumtion eignet. Bloß durch seine Begrenzung hebt er sich als Besonderes ab, und ist als solches der Aufnahme unter das Allgemeine fähig. Man hat schon längst be- merkt, daß die Malerei vorzugsweise eine Kunst des Geschmacks und des Urtheils sey. Nothwendig: weil sie am meisten von der Realität sich entfernt und ganz ideal ist. Das Reale ist nur Gegenstand der Reflexion oder der Anschauung. Das Reale aber im Idealen zu schauen, ist Gegenstand des Urtheils. Folgesatz 5. Die Malerei ist im Ganzen eine qualitative Kunst, wie die Musik im Ganzen eine quantitative. Denn jene beruht auf den rein qualitativen Gegensätzen der Realität und Negation. §. 87. In der Malerei wiederholen sich alle Formen der Einheit, die reale, ideale und die Indifferenz beider . — Folgt aus dem allgemeinen Princip, daß jede besondere Kunstform wieder die ganze Kunst. Zusatz . Die besonderen Formen der Einheit, sofern sie in der Malerei zurückkehren, sind: Zeichnung, Helldunkel und Colorit . — Diese drei Formen sind also gleichsam die allgemeinen Kategorien der Malerei. Ich werde die Bedeutung jeder dieser besonderen Formen für sich und ihre Vereinigung und Zusammenwirkung zum Ganzen an- geben. — Ich erinnere auch hier, daß ich nicht in der technischen Be- ziehung davon handle, sondern die absolute Bedeutung einer jeden an- geben werde. Die Zeichnung ist innerhalb der Malerei als der idealen Kunst die reale Form, die erste Einfassung der Identität in die Besonderheit. Diese Besonderheit als Differenz wieder in die Identität zu verschmel- zen und als Differenz aufzuheben, ist die eigentliche Kunst des Hell- dunkels, welche demnach die Malerei in der Malerei ist. Allein da alle Kunstformen als solche nur besondere sind, und ihr Bestreben seyn muß, in der besonderen Form absolute Kunst zu seyn, so ist leicht ein- zusehen, daß die Malerei, wenn sie auch als besondere Form alle For- derungen erfüllte, ohne denen der allgemeinen Kunst zu genügen, durch- aus mangelhaft seyn würde. Die bildende Kunst überhaupt ist im Ganzen der realen Einheit untergeordnet; die reale Form ist also die erste Forderung an bildende Kunst, wie z. B. der Rhythmus an die Musik. Die Zeichnung ist der Rhythmus der Malerei. Die Wider- sprüche der Kunstkenner oder Kunstrichter über die größere Wichtigkeit der Zeichnung oder des Kolorits beruhen auf einem nicht geringeren Mißverstand, als etwa in Ansehung der Musik, ob Rhythmus oder Melodie wichtiger. Man sagt: es gibt Gemälde, die, obgleich der Zeichnung nach nur mittelmäßig, dennoch wegen ihrer Vortrefflichkeit von Seiten des Colorits unter die Meisterwerke gesetzt werden. Es kann nicht zweifelhaft seyn, wenn es wirklich solche Gemälde gibt, wor- auf sich ein solches Kennerurtheil gründe. Ganz gewiß nicht auf die eigentliche Bewunderung der Kunst, sondern auf den angenehmen sinn- lichen Effekt, den ein gut colorirtes Gemälde auch ohne allen Werth der Zeichnung machen kann. Die Richtung der Kunst geht aber überall nicht auf das Sinnliche, sondern auf eine über alle Sinnlichkeit erhabene Schönheit . Der Ausdruck des absoluten Erkennens an den Dingen ist die Form; bloß durch diese erheben sie sich in das Reich des Lichts. Die Form ist demnach das Erste an den Dingen, wodurch sie auch der Kunst eignen. Die Farbe ist nur das, wodurch auch das Stoffartige der Dinge zur Form wird; sie ist nur die höhere Potenz der Form. Alle Form aber hängt von der Zeichnung ab. Nur durch die Zeichnung also ist die Malerei überhaupt Kunst, so wie sie nur durch die Farbe Malerei ist. Die Malerei als solche nimmt die rein-ideale Seite der Dinge auf, aber ihr Hauptzweck ist keineswegs jene grobe Täuschung, die man gewöhnlich dafür angibt, uns den ge- malten Gegenstand für einen wirklich vorhandenen ansehen zu machen. Diese Täuschung in ihrer Vollkommenheit wäre ohne die hinzukommende Wahrheit der Farben und das daraus entspringende Leben nicht zu erreichen, und wenn wir sie forderten, würden wir eher beträchtliche Fehler der Zeichnung als des Colorits übersehen. Allein die Kunst überhaupt und auch die Malerei ist so weit entfernt auf Täuschung auszugehen, daß sie vielmehr gerade in ihren höchsten Wirkungen den Schein der Wirklichkeit, in dem dabei angenommenen Sinn des Worts, vernichten muß. Jeden, der die idealischen Bildungen der griechischen Künstler betrachtet, muß ihre Gegenwart unmittelbar mit dem Eindruck der Nicht-Wirklichkeit überfallen, er muß erkennen, daß hier etwas dargestellt sey, das über alle Wirklichkeit erhaben, obgleich in dieser Erhabenheit durch die Kunst wirklich gemacht ist. Wer zum Kunst- genuß der Täuschung bedarf und sich, um zu genießen, den Gedanken entfernen muß, daß er ein Kunstwerk vor sich habe, ist zuverlässig überhaupt nicht dessen fähig, und höchstens mag er sich an den derbsten Produktionen der niederländischen Malerei ergötzen, durch welche freilich weder eine höhere Befriedigung gewährt noch eine höhere Forderung aufgeregt wird, als die auch in den Sinnen gefunden werden kann. Es ist eine von französischen Kunstrichtern aufgebrachte Trivialität, zu sagen, daß Raphael z. B. in der Zeichnung überlegen, dagegen im Colorit nur mittelmäßig, Correggio dagegen in dem Verhältniß, in welchem er in dem Colorit überlegen, in der Zeichnung untergeordnet sey. Dieser Satz ist geradezu falsch. Raphael hat in vielen seiner Werke so vortrefflich als Correggio colorirt, Correggio in bei weitem den meisten so vortrefflich wie Raphael gezeichnet. Gerade bei Correggio, den einige Kunstrichter in Ansehung der Zeichnung unterordnen, zeigt sich, wie tief und verborgen diese Seite der Kunst ist, da jener Künstler durch die Magie des Helldunkels und Colorits sie dem gemeinen Auge wieder zu ent- ziehen wußte. Ohne die tiefere Grundlage seiner vortrefflichen Zeichnung würde auch die größte Schönheit der Farben den Kenner nicht entzücken. Ich gebe die Hauptforderungen, die an die Zeichnung gemacht werden müssen, kurz an. Die erste Forderung ist die Beobachtung der Perspektive . — Erklärung des Begriffs der Perspektive. — Gegensatz der Linienper- spektive und der Luftperspektive. Es ist vorzüglich wichtig, daß ich mich über die Grenzen erkläre, innerhalb welchen die Beobachtung der Perspektive nothwendig ist, und außerhalb deren sie eine freie Kunst oder selbst Zweck wird. Wie überall finden wir auch hier wieder einen Gegensatz der an- tiken und modernen Kunst, daß nämlich jene durchaus auf das Noth- wendige, Strenge, Wesentliche ging, diese das Zufällige ausbildete und ihm eine unabhängige Existenz gab. Es ist viel über die Frage gestritten worden, ob die Alten die Linienperspektive gekannt haben oder nicht. Wir würden uns ohne Zweifel ganz gleich irren, wenn wir den Alten die Kenntniß und Beobachtung der Perspektive soweit absprechen wollten, als sie zur Richtigkeit gehört, und wenn wir auf der an- dern Seite annehmen wollten, daß sie die Perspektive, wie die Neueren, zur Täuschung benutzt haben. Den Alten die Perspektive absprechen, auch insoweit sie zur allgemeinen Richtigkeit ohne Illusion gehört, hieße, ihnen in der Malerei die größten Unschicklichkeiten zutrauen, oder behaupten, daß sie Ungeheuer von Gestalten gemacht haben. Z. B. wenn wir einen Menschen mit ausgestreckten Armen von der Seite, aber in der Nähe sehen, so daß Eine Hand vom Auge entfernter ist als die andere, so ist es perspektivisch nothwendig, daß die entferntere kleiner ins Auge falle. Weil wir aber einmal wissen, daß in der Natur eine Hand so groß ist wie die andere, so finden wir auch in der Anschauung beide gleich groß. Wollte nun der Maler diesem zu- folge, ohne auf die perspektivische Verkürzung Rücksicht zu nehmen, beide Hände wirklich gleich groß machen, so würde er eben dadurch eine Unrichtigkeit begehen, denn ein geübtes Auge wird nun erst die näher liegende Hand kleiner als die entferntere sehen. Solche Mon- struositäten, die aus der Vernachlässigung der Perspektive im Noth- wendigen entständen, den Alten Schuld zu geben, wäre eine vollkom- mene Absurdität. Dagegen aber vermochten die Alten niemals die Illusion zum Zweck zu machen, und deßwegen etwas, das bloß als Mittel der Richtigkeit Werth hat, als eine selbständige Kunst auszu- bilden, wie es die Neueren mit der Perspektive gemacht haben. Die Perspektive dient dazu, alles Harte, Einförmige zu vermeiden, indem der, welcher sie innehat, mit leichter Mühe z. B. ein Quadrat als Trapezium, einen Cirkel als Ellipse erscheinen lassen kann. Ueber- haupt hilft sie, von den Gegenständen gerade die schönsten Theile und die größten Massen zu zeigen, das Mindergefällige oder das Kleinliche zu verbergen. Dieser freie Gebrauch muß übrigens nie soweit ausge- dehnt werden, daß durch die Perspektive allein das Angenehme gesucht, und die Strenge der Nothwendigkeit, das, worin sich die tiefste Kunst der Zeichnung äußern müßte, umgangen wird. Da die Zeichnung und Malerei zunächst auf Darstellung der For- men geht, und die Bedingung des Schönen, obgleich allerdings nicht die Vollendung des Schönen selbst, die Wohlgefälligkeit ist, so muß diese in der Zeichnung so weit gesucht werden, als sie den höheren For- derungen der Wahrheit und Richtigkeit keinen Eintrag thut. Der vor- züglich, ja der fast einzig würdige Gegenstand der bildenden Kunst ist die menschliche Gestalt. Wie der Organismus innerlich und seinem Wesen nach die sich aus sich selbst erzeugende und in sich zurückkehrende Succession ist, so drückt er diese Form auch äußerlich aus durch die Herrschaft der elliptischen, parabolischen und anderer Formen, welche am meisten die Differenz in der Identität ausdrücken. In der Zeich- nung wird gefordert, daß die einförmigen, sich immer wiederholenden Formen selbst bei geringeren Gegenständen vermieden werden, als ob der Künstler auch hier das Symbol der organischen Gestalt vor sich haben müßte. Sich selbst beständig wiederholende Formen sind die viereckigten, weil sie aus vier Linien bestehen, von welchen immer zwei und zwei einander parallel sind, aber nicht minder die vollkommen runden, weil sie von allen Seiten betrachtet immer die nämlichen sind. Das Oval und die Ellipsen drücken in der Identität noch Diffe- renz und Mannichfaltigkeit aus. Unter den regelmäßigen Figuren ist aus gleichem Grunde das Dreieck noch die am wenigsten mißfällige, weil die Winkel der Anzahl nach ungleich sind, und die Linien keine Parallele bilden. Eine Forderung der Zeichnung ist also, soviel möglich jede Wiederholung von Formen, jede Parallele, Winkel von gleichen Graden, vorzüglich aber rechte Winkel zu vermeiden, weil in diesen gar keine Mannichfaltigkeit möglich ist. Gerade Linien müssen so viel möglich in wellenförmige verwandelt werden, und zwar so, daß im Ganzen der Gestalt ein möglichst vollkommenes und verhältnißmäßiges Gleichgewicht des Concaven und Convexen, des Ein- und Ausbiegens beobachtet werde. Bloß mit diesem einfachen Mittel reicht man aus, den Gliedmaßen größere oder geringere Leichtigkeit zu geben, da das Uebergewicht des Ausgebogenen Schwere, des Eingebogenen Leichtigkeit andeutet. Diese Grundsätze, welche sich alle auf die symbolische Bedeutung der Formen selbst stützen, sind aber keineswegs so zu verstehen, wie es von den sogenannten eleganten Malern geschieht, die durch das Be- streben, so viel möglich das Eckige, Winklichte zu vermeiden, in den Fehler der Nullität und der gänzlichen Flachheit fallen. So ist es zwar gegründet, daß man bei Figuren, deren Bestimmung ist reizend zu erscheinen, die Verkürzungen meiden muß, weil hier die Muskeln vielfach unterbrochen werden, indem die erhabenen Formen die einge- bogenen verbergen. In diesem Fall bildet sich durch eine Art Abschnitt nothwendig ein Winkel. Ueberall also, wo der Charakter hart, der Ausdruck stark seyn soll, müssen diese Formen nicht gescheut werden, indem sonst die Sklaverei gegen das Angenehme den wahrhaft großen Styl verdrängt, der auf eine viel höhere Wahrheit geht als diejenige, die durch Sinnen schmeichelt. Alle Regeln, welche die Theoretiker über die Formen geben, haben bloß Werth, sofern diese Formen in der absoluten Beziehung, nämlich in ihrer symbolischen Qualität, gedacht werden. Es ist nicht zu leugnen, daß die gerade Linie auch für das Auge das Symbol der Härte, der Starrheit der Ausdehnung ist, die krumme der Biegsamkeit, die elliptische, horizontal gestellt, der Zart- heit und Flüchtigkeit, die Wellenlinie des Lebens u. s. w. Ich komme zu der Hauptforderung, welche an die Zeichnung ge- macht werden muß, die Wahrheit , welche hier freilich nicht viel sagen wollte, wenn man darunter nur die Wahrheit verstünde, inwie- fern sie durch getreue Nachahmung der Natur erreicht werden kann. Der Künstler, welcher sie im wahren Sinn erreichen will, muß sie noch viel tiefer suchen, als sie die Natur selbst angedeutet hat, und als die bloße Oberfläche der Gestalten zeigt. Er soll das Innere der natur enthüllen, und also vorzüglich in Ansehung des würdigsten Ge- genstandes, der menschlichen Gestalt, nicht bloß mit der gewöhnlichen Erscheinung sich begnügen, sondern die tiefer verborgene Wahrheit an die Oberfläche bringen. Er muß daher in den tiefsten Zusammenhang, das Spiel und die Schwingungen der Sehnen und Muskeln eindringen, und die menschliche Gestalt überhaupt nicht zeigen, wie sie erscheint, sondern wie sie in dem Entwurf und der Idee der Natur ist, welche keine wirkliche Gestalt vollkommen ausdrückt. Zu der Wahrheit der Gestalt gehört auch die Beobachtung des Verhältnisses der einzelnen Theile oder die Proportion, welche der Künstler wiederum nicht nach den zufälligen Erscheinungen der Wahrheit in der Wirklichkeit, sondern frei und dem Urbild seiner Anschauung gemäß hervorzubringen hat. Wir bemerken in der Natur überall Consequenz in Bildung der Theile, z. B. mit solchem Gesicht auch solche Füße und Hände übereinstim- mend. Da die menschliche Gestalt zusammengesetzt ist, und die symbo- lische Bedeutung, die das Ganze derselben hat, auf die einzelnen Theile vertheilt ist, so besteht die Hauptsache der Proportion darin, das ge- hörige Gleichgewicht der Theile so zu beobachten, daß jeder im Be- sonderen die Bedeutuug des Ganzen soweit ausdrückt, als ihm zu- kommt. Hierbei kann der berühmte Torso des Herkules zum Beispiel dienen. „Ich sehe,“ sagt Winkelmann Winkelmanns Werke, Ausg. von Fernow 1808, 1 Bd., S. 270. , „in den mächtigen Umrissen dieses Leibes die unüberwundene Kraft des Besiegers der gewaltigen Riesen, die sich gegen die Götter empörten, und von ihm in den phlegräischen Feldern erlegt wurden, und zu gleicher Zeit stellen mir die sanften Züge dieser Umrisse, die das Gebäude des Leibes leicht und gelenksam machen, die geschwinden Wendungen desselben in dem Kampfe mit dem Achelous vor, der mit allen vielförmigen Verwandlungen seinen Händen nicht entgehen konnte. In jedem Theile des Kör- pers offenbaret sich , wie in einem Gemälde, der ganze Held in einer besonderen That , und man siehet, so wie die richtigen Absichten in dem vernünftigen Baue eines Pallastes, hier den Gebrauch, zu welchem, und zu welcher That ein jeder Theil gedient hat.“ Win- kelmann spricht in dieser Stelle das höchste Geheimniß der zeichnenden Künste aus. Es ist das: erstens das Ganze der Darstellung sym- bolisch , also nicht als den Gegenstand eines Moments empirisch, son- dern in der Ganzheit seines Daseyns zu fassen, und so die einzelnen Theile des Leibs wieder als Repräsentanten der einzelnen Momente dieses Daseyns zu gebrauchen. Wie das Leben eines Menschen in der Idee eines ist und alle seine Thaten und Handlungen zumal ange- schaut werden, so soll das Gemälde, welches den Gegenstand, indem es ihn aus der Zeit heraus nimmt, in seiner Absolutheit darzustellen hat, das Unendliche seines Begriffs und seiner Bedeutung ganz durch die Endlichkeit erschöpfen, und im Theil das Ganze, wie alle Theile wieder in der Einheit des Ganzen darstellen. Die letzte und höchste Forderung an die Zeichnung ist endlich, daß sie nur das Schöne, das Nothwendige, das Wesentliche auffasse, das Zufällige und Ueberflüssige aber vermeide. Die größte Kraft also wird sie in der menschlichen Figur in die wesentlichen Theile legen; sie wird die Knochen sich mehr zeigen lassen als die kleinen Falten des Fleisches, die Sehnen der Muskeln mehr als das Fleisch, die wirkenden Mus- keln mehr als diejenigen, welche in Ruhe sind. Außer denjenigen Dingen, welche die Schönheit unmittelbar vernichten, wie das an sich Widrige, gibt es Dinge, die, ohne an sich häßlich zu seyn, die Schön- heit verderben, und das Vorzüglichste unter diesen ist Darstellung des Ueberflüssigen, namentlich in dem, was ganz accidentell, z. B. der Um- gebung, die mit einer Handlung zugleich vorgestellt werden soll. Z. B. in einem historischen Gemälde darf die Architektur u. s. w. nicht so fleißig als die Hauptfiguren ausgeführt seyn, indem es nothwendig ist, daß die Betrachtung von dem Wesentlichen dadurch abgelenkt wird. In näherer Beziehung mit dem Gegenstand steht die Bekleidung, die durch- aus nur in der Identität mit dem Wesentlichen ist, nämlich der Ge- stalt, die sie bald zu verhüllen, bald durchscheinen zu lassen, bald zu heben, bestimmt ist; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht wird, so kann man in denselben Fall kommen, wie jener Maler, der von dem Apelles, den er um sein Urtheil wegen eines Gemäldes der Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil du sie nicht schön zu machen wußtest, hast du sie wenigstens reich machen wollen. Noch näher an das Wesentliche sich anschließend, aber insofern nur noch störender für Darstellung desselben, ist die Beobach- tung der Kleinigkeiten der Gestalt, der Haut, der Haare u. s. w. Von dieser Art sind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländischer Meister. Sie sind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das- jenige, wodurch sie gefallen wollen, zu erkennen, sie dem Gesichte so nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf strenge Nach- ahmung des Allerkleinsten, sie scheuten sich das geringste Häärchen an- ders zu legen, als man es fand, um dem schärfsten Auge, ja wenn es möglich gewesen wäre, selbst den Vergrößerungsgläsern das Unmerk- lichste in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart- haare vorzulegen. Eine solche Kunstfertigkeit könnte etwa zu Insekten- malerei zuträglich und dem Physiker oder Naturbeschreiber erwünscht seyn. In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen abgesehen und nur das Wesentliche dargestellt wird, nähert sie sich dem Idealischen; denn die Idee ist die Nothwendigkeit und Absolutheit eines Dings. Man kann allgemein sagen, daß mit der Entfernung dessen, was nicht zum Wesen gehört, von selbst die Schönheit hervortrete, da die Schönheit das schlechthin Erste, die Substanz und das Wesen der Dinge ist, dessen Erscheinung nur durch die empirischen Bedingungen gestört ist. Die bildende Kunst hat aber überall den Gegenstand nicht in seiner empirischen, sondern in seiner absoluten Wahrheit, befreit von den Bedingungen der Zeit, in seinem An-sich darzustellen. Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und die Composition gerechnet. Ausdruck ist überhaupt Darstellung des Inneren durch das Aeußere. Allein man sieht deutlich, daß diese zwei Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage ist, welche Art des Ausdrucks in den Gegenstand gelegt werden soll, so kann dieß nur in der höheren Untersuchung über das Poetische der Malerei beantwortet wer- den — eine Untersuchung, die hier noch nicht angestellt werden kann, da bloß von den technischen Bedingungen der Kunst (soweit diese von absoluter Bedeutung) die Rede ist. Was die Composition betrifft, so versteht man darunter ent- weder die poetische Zusammensetzung des Gemäldes, von der hier auch nicht die Rede seyn kann, oder die technische. In diesem Fall wird das Hauptbestreben der Zeichnung seyn müssen, dem Raum in dem Gemälde an und für sich eine Bedeutung zu geben , und ihn zur Wohlgefälligkeit, Anmuth und Schönheit des Ganzen zu ge- brauchen. In dieser Beziehung würden die zwei Hauptbestandtheile der Kunst eines Gemäldes die Symmetrie und die Gruppirung seyn. Symmetrie bezieht sich vorzüglich auf die zwei Hälften eines Ge- mäldes. Die Identität ist das Herrschende der Malerei. Es hebt die Identität auf, wenn z. B. die eine Seite des Gemäldes mit Figuren angefüllt, die andere dagegen verhältnißmäßig leer gelassen ist; es ist ein gestörtes Gleichgewicht der Symmetrie. Diese Art von Gleichge- wicht ohne wirklichen Gegensatz ist eine bleibende Norm aller Hervor- bringungen der Natur. Aller Gegensatz ist im Individuum vertilgt; es findet keine wahre Polarität mehr statt, aber Gleichgewicht, z. B. in der Doppelheit der vorzüglichsten Gliedmaßen. Wo aber zwei Seiten sind, ist auch eine Mitte, und die Mitte des Gemäldes ist der Punkt derselben, in welchen nothwendig das Wesentliche desselben fällt. Es ist aber schon bemerkt worden, daß die bildende Kunst, vorzüglich in- wiefern sie das Lebendige darstellt, ebenso wie die Natur, in den orga- nischen Hervorbringungen das geometrisch Regelmäßige meidet. Dieß tritt erst ein, wo sie über die Grenzen des Organischen hinaus ist. Aus diesem Grunde ist die Regel keineswegs, daß die Hauptfigur in die wahre Mitte des Gemäldes — den Durchschnittspunkt der beiden Diagonalen — falle, sondern vielmehr, daß sie etwas weniges nach der einen oder andern Seite falle. Die Symmetrie ist eben deßwegen auch nicht in der vollkommenen geometrischen Gleichheit der beiden Hälften, sondern mehr in einem relativen und inneren Gleichgewicht beider zu suchen. Die Gruppirung ist schon eine höhere Synthese. Die Vereini- gung der Theile zu einem organischen Leib ist nur uneigentlich Grup- pirung, eigentlich aber ist Gruppirung nur Zusammenseyn von Theilen, deren jeder für sich unabhängig, ein selbständiges Ganzes und doch zugleich Glied des höheren Ganzen. Dieß ist das höchste Verhältniß der Dinge, von seiner Beobachtung im Gemälde also ein großer Theil seiner Vortrefflichkeit abhängig. Das Anordnen der Figuren in ein- zelne Gruppen bringt die Klarheit, Einfalt in der Auffassung hervor. Es setzt das Auge vorläufig in Ruhe, indem es nicht gezwungen ist die Figuren erst zusammenzusetzen, und in der Synthesis derselben nicht erst eine Wahl zu üben hat. Da die beste Form der Gruppi- rung die Triplicität ist, so wird die größte Mannichfaltigkeit der Fi- guren durch sie auf drei Einheiten zurückgebracht, so daß in der ersten Betrachtung die Gruppe als einzelne Figur angesehen werden kann, und so das Ganze auch in der Betrachtung den Theilen vorhergeht, wie es ihnen in der Hervorbringung vorangehen muß. Noch wichtiger ist die Gruppirung in der Rücksicht, daß sie in Ansehung des Einzelnen seine Selbständigkeit und seine Abhängigkeit vom Ganzen und den Rang, den es darin hat, zugleich ausdrückt. Der Künstler spricht da- durch seine Absicht vollständig aus, indem er nicht zweifelhaft läßt, welche Wichtigkeit er dem einzelnen Theil gegeben habe. Endlich ist die letzte, aber auch am schwersten zu erreichende Ab- sicht der Gruppirung die Synthese des Gegenstandes mit dem Raum. Da die Mannichfaltigkeit in der Gruppirung vorzüglich nur durch die verschiedene Größe der Gegenstände, die sie entweder durch ihre natür- liche Gestalt oder ihre Stellung haben, möglich ist, so ist die pyrami- dalische Form diejenige, welche alle Vortheile am vorzüglichsten ver- einigt. Obgleich sie in der Antike mehr oder weniger angedeutet ist, so ist doch ihr vorzüglichster Erfinder Correggio, der sie auch in der Art gebraucht, daß einzelne Gruppen, jede für sich betrachtet, und das Ganze wieder dieser Form gleicht. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 34 Die Bedeutung der Zahlen ist auch in der Zusammensetzung der Gruppen unverkennbar. Obgleich man die Freiheit hat, sie aus gera- den und ungeraden Zahlen zusammenzusetzen, so sind doch die doppelt geraden, z. B. 4, 8, 12 ꝛc., davon ausgeschlossen, und nur die aus un- geraden zusammengesetzten, z. B. 6, 10, 14 ꝛc., erträglich, obgleich die ungeraden immer die vorzüglicheren sind. Sonst wird noch als Regel der Gruppirung aufgestellt, daß die Gruppe die verhältnißmäßige Tiefe habe, daß also die Figuren nicht nach einer Reihe gestellt seyen, oder wenigstens nicht die äußersten Theile, wie die Köpfe, einander in geraden, horizontalen, senkrechten oder schiefen Linien begegnen. Allein diese Regel hat ihre vornehmste Beziehung auf die Spiele und Zufälligkeiten des Helldunkels, um nämlich diese desto leichter hervorbringen zu können. In der Zeichnung an und für sich, welche die reale Form der Kunst ist und nicht auf Illusion geht, ist diese Regel sehr untergeordnet (Beispiele der Alten, Raphaels). Zur Anschauung jeder dieser besondern Formen will ich nun das- jenige Individuum herausnehmen, welches am ausgezeichnetsten darin. Wenn man von Zeichnung rein als solcher sprechen will, so muß man Michel Angelo nennen. Er bewies seine tiefe Kenntniß schon in einem der frühsten Werke, einem Carton, den man nur noch durch Benvenuto kennt (Beschreibung eines Ueberfalls nackter Krieger im Arno). Michel Angelos Styl ist groß, ja schrecklich durch seine Wahr- heit. Der Tiefsinn eines reichen und durchaus unabhängigen Geistes, die stolze Zuversicht auf sich selbst, der verschlossene Ernst der Ge- müthsart, Hang zur Einsamkeit sind in seinen Werken abgedrückt; ebenso bezeugen sie sein tiefes Studium der Anatomie, dem er zwölf Jahre lang oblag, und das er immer wieder bis ins hohe Alter vor- nahm, wodurch er in den verborgensten Mechanismus des menschlichen Körpers eindrang. Seine Gestalten sind nicht zarte, weichliche, son- dern kräftige, starke und trotzige Gestalten (wie bei Dante). Beispiel: sein jüngstes Gericht. So viel also von der Zeichnung als der realen Form innerhalb der Malerei als der idealen Kunst. Die ganz ideale Form der Malerei ist das Helldunkel . Da- mit ergreift die Kunst den ganzen Schein des Körperlichen, und stellt ihn, abgehoben von dem Stoffe, als Schein und für sich dar. Das Helldunkel macht den Körper als Körper erscheinen, weil Licht und Schatten uns von der Dichtigkeit belehrt. Das natürlichste Beispiel ist die Kugel; um aber Kunstwirkungen hervorzubringen, muß sie in Flächen verwandelt werden, damit die Theile der Schatten- und Lichtseite sich mehr in sich selbst absondern. Am vollkommensten wird es durch den Cubus vorgestellt, von dessen drei gesehenen Seiten die eine das Licht, die andere die Mitteltinte und die dritte den Schatten abgesondert und nebeneinander, also flächenhaft, vorstellt. Schon aus diesem einfachsten Beispiel erhellt, daß das Helldunkel nicht allein in schwarz und weiß besteht, sondern daß die Wirkung desselben auch durch hellere und dunklere Farben erreichbar ist. Allein auch dieß ist noch nicht zureichend einen vollständigen Begriff davon zu geben, da es eben der Gebrauch dieser Farben ist, der das Helldunkel macht. Ich will nur einiges vom natürlichen Helldunkel auführen, d. h. von dem, was schon die bloße Anschauung der natürlichen Körper vom Helldunkel lehrt. Vom Unterschied der Fläche und Tiefe urtheilt unser Auge schon einfach dadurch, daß von einer Oberfläche die erhabenen Theile das Licht auf ganz andere Art, nämlich unter einem anderen Winkel, zurückzuwerfen scheinen als die flachen und tiefen Theile. Wenn also das Auge schnell von einem großen auf einen kleinen Winkel oder um- gekehrt fortgeleitet wird, so wird der Gegenstand als unterbrochen oder abgeschnitten, und jene unmerkbare Gradation von Licht und Schatten, welche das Helldunkel macht, würde zerstört erscheinen. Es ist die Wirkung des natürlichen Helldunkels, daß es in der Natur fast keinen vollkommenen Winkel gibt, und die meisten Winkel kleine krumme Linien sind, die sich in zwei sich ausbreitende Linien verlieren. Es ist die Wirkung des natürlichen Helldunkels, daß der Contur der Körper selten mit einer wirklich lichten, sondern mit einer Mittelfarbe erscheint, denn wäre der Contur in hohem Grade erleuchtet, so würde damit die Hellung des Gegenstandes selbst vernichtet. Ein allgemeines Gesetz auch des natürlichen Helldunkels ist, daß helle und dunkle Farben nicht unberührt und ohne Wirkung aufeinander nebeneinander stehen, daß eins das andere wirklich erhöht und mäßiget — vergrößert sogar (expandirt und contrahirt). Die am meisten magische Wirkung des Helldunkels entsteht durch die Reflexe, indem der Schatten, welcher im Reflex eines hellen Körpers liegt, weder ganz Schatten noch wahrhaft erleuchtet ist, und hinwiederum ein durch seine Localfarbe heller Körper durch den Schatten, den ein anderer auf ihn wirft, wiederum ganz verschieden afficirt wird; z. B. er sey weiß oder gelb, nun fällt ein Schatten auf ihn, aber jetzt ist er weder das eine noch das andere. Einer der vornehmsten Theile des Helldunkels ist die Luftper- spektive . Sie unterscheidet sich von der Linienperspektive dadurch, daß diese bloß lehrt, wie ein Bild sich aus einem angenommenen Stand- punkt darstellt, jene aber den Grad der Lichter in Proportion der Ent- fernung. Je entfernter ein Körper ist, desto mehr verliert seine Farbe an Lebhaftigkeit; die kleineren Abstufungen der Tinten und Schatten in ihm selbst verlieren sich, so daß er nicht nur einfärbig, sondern, weil alle sichtbare Erhabenheit auf dem Helldunkel beruht, flach wird (alles Relief verliert sich); in der letzten Entfernung aber verliert sich seine natürliche Farbe ganz, und alle noch so verschiedenfarbigen Gegen- stände nehmen die allgemeine Luftfarbe an. Die Verminderung des Helldunkels mit der Entfernung geschieht nach bestimmten Gesetzen. Wenn z. B. unter mehreren perspektivisch gestellten Figuren von der ersten zur zweiten ein Grad des Unterschieds ist, so wird dieser schon von der zweiten zur dritten geringer seyn, wie die Verminderung der Größe auch in der Linienperspektive in immer geringerem Verhältniß geschieht mit der größeren Entfernung. Ein Gegenstand, der mir nahe ist, ist in der Stärke des Helldunkels allerdings sehr verschieden von einem, der etwa eine oder mehrere Stunden weit entfernt ist. Wenn ich aber einen dritten Gegenstand, der noch eine oder mehrere Stunden entfernter ist als der zweite, mit diesem vergleiche, so wird der Un- terschied in Ansehung dieser beiden fast unmerklich seyn, so daß also die Abnahme des Helldunkels mit der Entfernung nicht gleichen Schritt hält. Ich glaube, daß dieß hinreichend ist, sich einen Begriff des Hell- dunkels, dessen successive Verminderung durch die Entfernung die Luft- perspektive lehrt, zu machen. Alle diese Gegenstände aber müssen das tiefste Studium des Künstlers seyn. Die Anschauung muß in diesen Dingen die Hauptsache thun, und ohne selbige reicht auch die deut- lichste Beschreibung nicht hin, einen angemessenen Begriff dieser Sache zu geben. — Ich habe nun erst von der Bedeutung des Helldunkels in der Kunst zu reden. Das Helldunkel ist der eigentlich magische Theil der Malerei, indem es den Schein aufs höchste treibt. Durch das Helldunkel lassen sich nicht nur erhabene, frei voneinander abstehende Figuren, zwischen denen das Auge sich ohne Widerstand hin- und herbewegt, sondern auch alle mög- lichen Effekte des Lichts hervorbringen. Durch die Künste des Hell- dunkels ist es sogar möglich geworden, die Bilder ganz selbständig zu machen, nämlich die Quelle des Lichts in sie selbst zu versetzen, wie in jenem berühmten Gemälde des Correggio, wo ein unsterbliches Licht, von dem Kinde ausgehend, die dunkle Nacht mystisch und geheimnißvoll erleuchtet. Bis zu dieser Höhe der Kunst reicht keine Regel, sondern nur eine für die zarteste Empfindung des Lichts und der Farben ge- schaffene Seele, eine Seele, die gleichsam selbst Licht ist, in deren inneren Anschauungen alles Widerstrebende, Widrige, Harte der Formen sich verschmilzt. Die Dinge, als besondere, können im Gegensatz der absoluten Idealität nur als Negationen erscheinen. Der Zauber der Malerei besteht aber darin, die Negation als Realität, Dunkel als hell, und dagegen die Realität in der Negation, das Helle als dunkel erscheinen und durch die Unendlichkeit der Abstufungen das eine so in das andere übergehen zu lassen, daß sie in der Wirkung unterscheidbar bleiben, ohne in sich selbst unterschieden zu seyn. Der Stoff des Malers, gleichsam der Leib, an dem er die flüch- tigste Seele des Lichtes fasset, ist das Dunkel, und selbst das Mecha- nische der Kunst treibt ihn dazu, da die Schwärzen, deren er sich bedienen kann, den Wirkungen der Finsterniß weit näher kommen als das Weiß denen des Lichts. Schon Leonardo da Vinci, der Vorläufer des himmlischen Genies Correggio sagt: Maler, wenn du den Glanz des Ruhmes begehrst, fürchte die Dunkelheit der Schatten nicht. Jene Identität, zu welcher Licht und Dunkel verschmolzen werden sollen, daß sie Ein Leib und Eine Seele sind, fordert von selbst schon, daß sie zu großen Massen vereinigt, wie aus Einem Guß seyen. Diese identische und nur in sich selbst sich abstufende Masse verleiht dem Ganzen den Ausdruck tiefer Ruhe, und setzt das Auge, wie den inneren Sinn, welchen weder das Licht allein noch das Dunkel allein befriedigt, in jenen Zustand der aus der Differenz hergestellten In- differenz, welcher die eigentlichste und wahrste Wirkung aller Kunst seyn muß. Soll für die Anschauung der höchste Gipfel in Erreichung der Kunst des Helldunkels bezeichnet werden, so ist dieß nur durch Cor- reggio möglich. Ich habe schon des faden Vorurtheiles erwähnt, welches diesen Künstler in der Zeichnung heruntersetzt. Wenn man dieß von den Gegenständen seiner Zeichnung versteht, so ist es richtig, daß er nicht die einfachen Formen der Alten gewählt hat: in ihm ist das eigentlich romantische Princip der Malerei ausgesprochen, in ihm herrscht für seine Kunst durchaus das Ideale, da in der Kunst der Alten, in der Plastik, und sicher ebenso in der Malerei, das Reale herrschend war. Ist die Rede davon, daß er nicht wie Michel Angelo in die Tiefen der Zeichnung gedrungen, das Innere des Organismus wie dieser entwickelt dargestellt, und im Nackten ebenso kühn gewesen als Michel Angelo, so ist auch dieß gegründet. Aber in keinem seiner Originalwerke ist etwas, das der wahren Zeichnung widerspräche. Dieß ist selbst das Urtheil von Mengs, obgleich er Correggio übrigens als Gegensatz betrachtete, und selbst den Eklektiker in der Kunst machte. An und für sich schon ist das Helldunkel von der Zeichnung un- zertrennlich, denn Zeichnung ohne Licht und Schatten kann niemals die wahre Gestalt eines Dings ausdrücken. Dabei mag es nun immer unentschieden bleiben, ob das tiefe Studium des Helldunkels den Correggio auch die Vollkommenheit der Formen gelehrt habe, die in seinen Werken bewundert wird, ob dieses ihn gelehrt habe, daß das Ge- bäude der menschlichen Gestalt weder in rein geraden Linien noch in Abwechslungen von krummen und geraden Linien, sondern in ab- wechselnden Krümmungen bestehe, oder ob er umgekehrt durch Zeich- nung, tiefe Kenntniß und genaue Nachahmung der Wahrheit in die Geheimnisse des Helldunkels eingedrungen sey. Genug, er vereinigte diese beiden Formen der Kunst ebenso in seinen Werken, wie sie in der Natur selbst verbunden sind. Aber Correggio hat das Höchste im Helldunkel nicht nur von Seiten der Formen und der Körperlichkeiten überhaupt, sondern auch in dem allgemeineren Theile erreicht, der in der Vertheilung der Lichter und Schatten besteht. Kraft der ihm einzig eignen Verschmelzung und Abstufung ist, wie das Licht jeder einzelnen Figur, so das Licht des ganzen Bildes bei ihm Ein Licht. Ebenso die Schatten. Wie uns die Natur niemals verschiedene Gegenstände mit einem und demselben Nach- druck von Seiten des Lichts zeigt, und die verschiedenen Lagen und Wendungen der Körper verschiedenes Licht hervorbringen, so hat Cor- reggio im Inneren seiner Bilder und in der größten Identität des Ganzen doch die größtmögliche Mannichfaltigkeit der Beleuchtung an- gebracht und niemals dieselbe Stärke, es sey im Licht oder Schatten, wiederholt. In dem schon oben bemerkten Fall, wo ein Körper durch seinen Schatten das Licht eines andern verändert, ist es nicht gleich- gültig, welche besondere Farbe der schattende Körper hat: auch dieß findet sich mit der größten Ueberlegung in den Werken des Correggio beobachtet. Außer diesen Theilen des Helldunkels übte er vorzüglich die Kenntniß seiner Verminderung so wie der der Farben durch die Entfernung, d. h. die Luftperspektive, und er kann auch hiervon als der erste Schöpfer in der Kunst selbst betrachtet werden, obgleich der tiefsinnige Leonardo da Vinci die ersten Gründe der Theorie vor ihm enthüllt hatte, und die vollkommene Ausbildung der Luftperspektive erst dadurch möglich war, daß sie unabhängig von den übrigen Theilen, vorzüglich der Zeichnung, in der Landschaftsmalerei behandelt wurde, in welcher Beziehung man sagen kann, daß Tizian den ersten Grund derselben gelegt habe. — Wir haben noch von der Nothwendigkeit des Helldunkels als der Einen Form der Malerei und den Grenzen dieser Nothwendigkeit zu reden. Daß das Helldunkel die einzig mögliche Art sey, selbst ohne Far- bengebung, in der Zeichnung, den Schein des Körperlichen zu erreichen, lehrt jeden die unmittelbare Anschauung. Dieß verhindert aber nicht, daß diese Form mehr oder weniger unabhängig behandelt, und die Wahrheit mehr dem Schein oder der Schein der Wahrheit unterge- ordnet werden könne. Die Meinung ist diese: die Malerei ist die Kunst, in der Schein und Wahrheit eins, der Schein Wahrheit und die Wahrheit Schein seyn muß. Aber man kann den Schein entweder nur wollen, soweit er vermöge der Natur dieser Kunst zur Wahrheit erforderlich ist, oder man kann ihn um seiner selbst willen lieben. Nie- mals zwar wird es in der Malerei einen Schein geben können, der nicht zugleich Wahrheit wäre; was nicht Wahrheit ist, ist hier auch nicht Schein; aber es kann entweder die Wahrheit als Bedingung des Scheins oder der Schein als Bedingung der Wahrheit dargestellt und eins dem andern untergeordnet werden. Dieß wird zwei ganz ver- schiedene Arten des Styls geben. Correggio, den wir eben als Meister des Helldunkels aufgestellt haben, hat den der ersten Art. In seiner Kunst ist durchgängig die tiefste Wahrheit, aber der Schein ist als das Erste behandelt, oder der Schein gilt weiter, als zur Wahrheit an und für sich erforderlich ist. Wir können uns auch hier wieder nicht besser als durch das Verhältniß des Antiken und Modernen erläutern. Jenes geht auf das Nothwendige, und nimmt das Ideale nur soweit auf, als es zu diesem erforderlich ist, dieses macht das Ideale selbst zu einem Selb- ständigen und Nothwendigen; es geht damit nicht über die Grenze der Kunst, aber es geht in eine andere Sphäre derselben. Es existirt keine absolute Forderung in der Kunst, daß Täuschung sey, welche ein- tritt, sowie der Schein weiter aufgenommen wird als zu der Wahrheit an und für sich selbst , wenn er also bis zur empirischen , sinnlichen Wahrheit aufgenommen wird. Es gibt keinen kategorischen Im- perativ der Illusion. Aber es existirt auch keiner dagegen. Schon dieß, daß die Kunst in der Hervorbringung der Täuschung oder des Scheins bis zur empirischen Wahrheit frei ist, beweist, daß sie hierin über die Grenze der strengen Gesetzmäßigkeit schreitet — in das Reich der Frei- heit, der Individualität, wo das Individuum sich selbst Gesetz wird. Dieß ist allgemein die Sphäre des Modernen, und deßwegen Correggio als der erste in dieser zu setzen. Der Styl in dieser Sphäre ist der Styl der Grazie, der Anmuth, für welche keine kategorische Forderung existirt, obgleich sie nie überflüssig ist. Ebenso ist er beschränkt auf gewisse Sujets, daher nur an Correggio schön. Der Styl der andern Art ist der hohe, strenge Styl, weil es für diesen eine absolute For- derung gibt, und der Schein ihm nur Bedingung der Wahrheit ist. Hieraus erhellt, daß eine sehr hohe, ja in ihrer Sphäre absolute Art der Kunst in der Malerei ohne den Gebrauch des Helldunkels ist (außer inwiefern es zur Wahrheit, nicht aber zur Täuschung erforderlich). Von dieser Art war ohne Zweifel der erste Styl der alten Malerei im Vergleich mit dem des Parrhasius und Apelles, welcher vorzugsweise der Maler der Grazie hieß. Von dieser Art ist in der neueren Zeit der Styl nicht nur des Michel Angelo, sondern auch des Raphael, dessen streng angegebene Formen vielen gegen die Weichheit der Umrisse und die rundlich sanften Formen des Correggio hart und steif geschienen haben, wie etwa, nach Winkelmanns Vergleichung, der Pindarische Rhythmus oder die Strenge des Lucretius gegen die Horazische Lieb- lichkeit und die Weichheit des Tibullus rauh oder vernachlässigt klingen mag. Dieses sage ich nicht zum Nachtheil des Correggio; er ist der erste und einzige in seiner Sphäre (ja dieser göttliche Mensch ist eigentlich der Maler aller Maler), wie Michel Angelo in der seinigen, der Zeichnung, obgleich das höchste und wahrhaft absolute Wesen der Kunst nur in dem Raphael erschienen. — Es ist nothwendig und ge- gründet in viel allgemeineren Ansichten, daß jede der besonderen For- men wieder in sich absolut, sich für sich zu einer Welt ausbilden könne, wie dieß auch historisch nach dem, was wir noch ferner finden werden, der Fall. Nur kann keine in der Besonderheit sich zur Absolutheit ausbilden, ohne die andern zu begreifen, obgleich in einer Unterordnung im Ganzen. Es ist, wie wir in der Musik gesehen haben, daß diese ganze Kunst sich in die Harmonie wirft, die an sich nur Eine Form der Musik ist, obgleich sie in der Ausartung von dem Rhythmus sich sogar unabhängig gemacht hat. Aber in der Malerei tritt noch der besondere Fall ein, daß in ihr, als an sich idealer Kunst, nothwendi- gerweise das Ideale zur Herrschaft streben muß. Sieht man daher auf die Malerei in der Malerei, so ist diese das Helldunkel, und in- sofern, wenn auf dieselbe als besondere Kunst gesehen wird, ist, wie gesagt, Correggio der eigentliche Maler κατ̕ ἐξοχήν. Wir haben uns schon oben dahin erklärt, daß die empirische Wahrheit die letzte Forderung in der Kunst sey, da diese ihrem ersten Beruf nach eine über die Sinne erhabene Wahrheit darzustellen hat. Wenn also das Helldunkel an sich eine nothwendige Form ist, ohne welche Malerei als Kunst überhaupt nicht gedacht werden kann, so kann dagegen die Luftperspektive, inwiefern sie auf eine empirische Wahrheit geht, nicht zu dem Wesentlichen der Kunst gerechnet werden; und an- ders als in der vollkommensten Unterordnung, wie von Correggio, gebraucht ist sie Mißbrauch. Die Abdämmerung der Farben in der Ferne beruht auf dem empirischen und demnach zufälligen Umstand, daß ein durchsichtiges, trübendes Medium zwischen uns und den Gegen- ständen liegt (die Linienperspektive, welche nicht auf die Farben sich be- zieht, ist in allgemeinen Gesetzen des Raumes gegründet, und bezieht sich auf Größe, Figur, demnach allgemeine Bestimmungen der Körper); es ist allerdings richtig, daß ein Bild, in welchem die Luftperspektive beobachtet ist, uns weniger als ein anderes, worin nicht, daran erinnern wird, daß es ein Werk der Kunst ist, was wir anschauen; aber wenn man dieses Princip allgemein machen wollte, so würde überhaupt keine Kunst seyn, und da es nicht allgemein seyn kann, so kann Illusion, d. h. Identification der Wahrheit mit dem Schein bis zur sinnlichen Wahrheit, überhaupt nicht Zweck der Kunst seyn. Auch haben die Alten nach allem, was wir von ihnen wissen, die Luftperspektive nicht beobachtet. Ebensowenig die Maler aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, z. B. Pietro Perugino, Raphaels Lehrer, (Gemälde in Dresden). Auch in Raphaels Gemälden ist die Luftper- spektive nur mäßig beobachtet. Das Helldunkel bezieht sich auf die Flächenwirkungen des allge- meinen Lichts, die den Schein des Körperlichen hervorbringen. Das Licht ist in dem Helldunkel noch immer das bloß Beleuchtende des Körpers, und macht bloß die Wirkung des Körpers, ohne er selbst wahrhaft zu seyn. Die dritte Form ist also, wie immer, so auch hier diejenige, welche die dritte Dimension bestimmt, oder das Licht verkörpert, Licht und Körper also als wahrhaft eins darstellt. Diese Form ist das Colorit . Das Colorit bezieht sich nicht auf das all- gemeine, hellere oder dunklere, Licht des Ganzen; seine Grundlage sind die Localfarben der Gegenstände, obgleich, wie schon bei dem Helldunkel bemerkt wurde, diese auch wieder auf das allgemeine Licht zurückwirken und auf die Erscheinungen des Helldunkels einen bestim- menden Einfluß haben. Wir werden die Stufen, in welchen das Licht sich dem Körper vermählt, in der Folge noch genauer bestimmen müssen. Hier will ich eben deßhalb bloß das Allgemeine davon angeben. An den unorganischen Körpern, den Mineralien , finden sich großentheils noch die ursprünglichsten, einfachsten und reinsten Farben. Das allgemeinste Färbungsmittel der Natur scheinen die Metalle zu seyn; da aber, wo der Charakter der Metallität am vollkommensten verschwin- det, geht sie zur völligen Durchsichtigkeit über. Eigenthümliches Colorit und lebendige Farbengebung erscheint erst an den Blüthen und manchen Früchten der Pflanzen , dann an den Federn der Vögel , welche selbst ein pflanzenartiges Gewächs sind, in den farbigen Bedeckungen der Thiere u. s. w. So einfach die Kunst des Colorits bei einfär- bigen Körpern scheint, so schwierig ist doch die Hervorbringung desselben mit allen möglichen Bestimmungen der Individualität, indem außer der Farbe auch noch die Affektionen z. B. der Mattheit und des Glanzes ausgedrückt seyn wollen. Die höchste Vermählung des Lichtes mit dem Stoffe, so daß das Wesen ganz Stoff und ganz Licht wird, geschieht in der Produktion des Fleisches . Das Fleisch ist das wahre Chaos aller Farben und eben deßhalb keiner besonderen ähnlich, sondern die unauflöslichste und schönste Mischung aller. Aber auch diese ganz einzige Art der Farbe ist noch überdies nicht unbeweglich, wie die andern Arten der Farbe, sondern lebendig und beweglich. Die inneren Regungen des Zorns, der Scham, der Sehnsucht u. s. w. bewegen gleichsam jenes Farbenmeer, und lassen es in bald sanfteren, bald stärkeren Wellen schlagen Man vergl. „Diderots Versuch über die Malerei“ bei Goethe. . Dieses also ist die höchste Aufgabe des Colorits. (Ich erinnere hier Folgendes. Jede Kunstform entspricht selbst einer Dimension, und in jeder Kunstform ist dasjenige das Wesen, die Sub- stanz, was ihrer Dimension am meisten entspricht. So fanden wir, daß in der Musik Rhythmus die eigentliche Substanz dieser Kunst ist, weil sie selbst der ersten Dimension untergeordnet ist. So wird es in der Malerei das Helldunkel seyn, und Colorit ist zwar die dritte Dimension, inwiefern darin Licht und Körper nicht bloß scheinbar, sondern wahrhaft eins sind, Helldunkel aber ist gleichwohl die Substanz der Malerei als solcher, weil diese selbst nur auf der zweiten Dimension beruht). Wer die Gemälde des Tizian gesehen hat, dessen, der in dieser Beziehung als der Erste zu nennen ist, hat von selbst die Einsicht und das Gefühl, daß eine vollkommenere Identification des Lichts und des Stoffes nicht denkbar sey, als er erreicht hat. Eine größere Ausbreitung hat die Kunst des Colorits in größeren Compositionen, wo seine höchste Vollendung im Ganzen das ist, was man Harmonie der Farben nennen kann. Die Forderung ist hier: nicht nur daß dem Einzelnen in Ansehung der Farbe sein Recht wider- fahre, sondern daß auch das Ganze wieder einen harmonischen Eindruck mache und die Seele in der höchsten Lust, zwischen gestörtem und wiederhergestelltem Gleichgewicht, in Bewegung zugleich und Ruhe, gleichsam schwebend erhalte. Schon hieraus ist einzusehen, daß weder die bloße Art der Beleuch- tung, noch die gleichförmige Dämpfung der Farben durch die Luft im Ge- mälde die Harmonie hervorbringe. Die Harmonie und harmonische Wir- kung beruht keineswegs auf dem Grad , wie manche sich einbilden, sondern auf der Art und Qualität der Farben. Durch diese sind sie fähig, eine weit höhere Art der Uebereinstimmung hervorzubringen, als durch das Gleichgewicht, welches bloß auf Graden beruhte. Nur in der Qualität sind die höchsten Gegensätze, aber eben deßwegen auch die höchste Art der Identität möglich. Die Gründe der Harmonie müssen also in dem ursprünglichen System der Farben selbst und den Forderungen des Auges gesucht werden, von denen schon früher die Rede war. Das Licht ist der positive Pol der Schönheit und ein Ausfluß der ewigen Schönheit in der Natur. Aber es wird offenbar und erscheint nur im Kampf gegen die Nacht, welche, als der ewige Grund alles Daseyns, selbst nicht ist , obgleich sie durch ihre beständige Gegenwirkung sich als Macht beweist. Die Dinge, sofern sie der Nacht oder Schwere eignen, haben ein dreifaches Verhältniß zum Licht. Das erste, daß sie sich rein als Negationen von dem Licht abschneiden und als solche sich in ihm darstellen. Dieses ist der allgemeine Umriß . Das andere, daß aus der Wirkung und Gegenwirkung von Licht und Schatten selbst der höhere Schein der Körperlichkeit producirt werde. Das Auge sieht eigentlich nicht die Körper, sondern nur ihren ideellen Entwurf im Licht, und so beruht schon die natürliche Erscheinung des Körpers durch das Licht auf dem Helldunkel. Das dritte Verhältniß ist das der absoluten Indifferenziirung der Materie und des Lichts, wo aber deßwegen in dem Stoff sich die höchste Schönheit entzündet, und das Unsterbliche sich ganz in das Sterbliche faßt. Diesen drei Verhält- nissen entsprechen die drei nothwendigen Formen der Kunst, welche die Dinge nur im Licht und durch das Licht darstellt, die Zeichnung, welche nur die Negation, den Umriß bezeichnet, wodurch das Ding sich als Besonderes abhebt, das Helldunkel, welches den Körper als solchen dennoch im Lichte und demnach in der Identität zeigt, und endlich das Colorit, welches in seiner höchsten Vollendung die Materie nicht nur oberflächlich, sondern ganz bis ins Innerste, in Licht, und das Licht in Materie verwandelt. Schon diese Verhältnisse der Form deuten auch die höheren Ver- hältnisse der Gegenstände an, welche die malerische Darstellung wählen kann. Die Malerei ist die erste Kunst, welche Gestalten und demnach auch wahre Gegenstände hat. Die Musik in ihrer höchsten Bedeutung drückt nur das Werden der Dinge, die ewige Einbildung der Einheit in die Vielheit aus. Die Malerei stellt schon gewordene Dinge dar. Eben deßhalb muß bei ihr vorzüglich von den Gegenständen die Rede seyn, denn der Gegenstand bezeichnet hier auch zugleich die Stufe der Kunst selbst. Alle Stufen lassen sich nach dem verschiedenen Verhältniß des Lichts zu den körperlichen Dingen bestimmen. Es gibt drei entgegen- gesetzte Kategorien oder Bestimmungen des Lichts in Bezug auf die Dinge. Es ist äußerlich, unbeweglich, unorganisch, oder es ist inner- lich, beweglich, organisch. Zwischen diesen beiden Extremen liegen alle möglichen Verhältnisse des Lichts. Die tiefste Stufe ist die, wo ganz unorganische Gegenstände ohne inneres Leben, ohne bewegliche Farbe dargestellt werden. Es kann hier das malerische Princip sich höchstens in der Anordnung offenbaren, kraft welcher die Dinge, ohne eben in der Unordnung zu seyn, doch in einer angenehmen zufälligen Nachlässigkeit sich befinden, welche Ge- legenheit gibt, sie in Verkürzungen, wechselseitig durch einander bedeckt, durch Schatten und gegenseitige Reflexe nuancirt darzustellen. Man nennt solche Darstellungen Still-Leben , und so untergeordnet sie sind, weiß ich doch nicht, ob man sie nicht als eine Art symbolischer Gemälde betrachten soll, da sie auf etwas Höheres hindeuten, indem sie die Spuren eines Handelns und Daseyns ausdrücken, welches nicht mit dargestellt ist. Wenigstens kann der einzige Reiz und das Poetische dieser Art von Bildern bloß darin bestehen, daß sie uns den Geist des- jenigen ahnden läßt, der diese Anordnung gemacht hat. Eine Art von poetischem Still-Leben ist in einer Scene von Goethes Faust ausgedrückt, wo dieser auf Margarethens Zimmer ist und den Geist der Ordnung, der Zufriedenheit und die Fülle in der Armuth darin schildert. Die zweite Stufe der Darstellung wäre die von solchen Gegen- ständen, wo die Farbe äußerlich und zwar organisch, aber doch unbe- weglich ist. Dieß die Blumen - und Fruchtmalerei . Es ist nicht zu leugnen, daß Blumen und Früchte in ihrer Frischheit lebendig sind, und daß mit ihnen eine concrete Malerei möglich ist. Allein von der andern Seite kann diese Art der Darstellung doch wieder nur im alle- gorischen oder symbolischen Gebrauch einen Kunstwerth haben. Die Farben sind an sich symbolisch, ein natürlicher Instinkt hat sie zu Symbolen der Hoffnung, der Sehnsucht, der Liebe u. s. w. erhoben. Inwiefern Blumen diese Farben in natürlicher Einfachheit darstellen, sind sie an sich schon eines Charakters fähig, und in der Anordnung derselben kann ein einfältiges Gemüth sein ruhiges Inneres ausdrücken. Inwiefern es möglich wäre, in die Anordnung von Blumen so viel Bedeutendes zu legen, daß wirklich ein innerer Zustand darin erkennbar wäre, wäre diese Art von Bildern zur Allegorie geeignet. Die dritte Stufe wäre Darstellung der Farbe, sofern sie beweg- lich, organisch, aber doch bloß äußerlich ist. Dieß ist der Fall mit der Thiermalerei . Beweglich, theils inwiefern überhaupt lebendige Geschöpfe ein Vermögen der Selbstbewegung und der Veränderung in sich haben, theils inwiefern die unbedeckten Theile der Thiere, z. B. das Auge, wirklich ein bewegliches lebendiges Feuer haben. Allein dabei bleibt die Farbe doch immer noch eine äußerliche, weil an den Thieren das Fleisch als solches nicht erscheint, und die Darstellung also sich auf die Abbildung ihrer farbigen Bedeckungen, ihrer Bewegungen, und bei den gewaltigeren Naturen unter den Thieren auf Abbildung des Fun- kelns ihrer Augen und des darin ausgedrückten Zustandes sich beschrän- ken muß. Die thierische Natur überhaupt und einzelne thierische Leiber sind an sich von symbolischer Bedeutung, die Natur selbst wird in ihnen symbolisch. Thierstücke können also nur entweder durch das Heraus- heben der symbolischen Bedeutung der Gestalten durch kräftige Dar- stellung oder nur durch eine höhere Beziehung einigen Kunstwerth haben. Einige holländische Maler sind bis zu Darstellung von Hühner- höfen heruntergegangen. Wenn eine solche Schilderei noch einigermaßen tolerirt wird, so ist es, weil auch ein Hühnerhof auf das Innere eines Hauses, die Armuth oder den Reichthum des Besitzers kann schließen lassen. Höhere Beziehung und Bedeutung erhalten Thierstücke, wo Thiere wirklich in Handlung und im Kampf entweder untereinander oder mit Menschen dargestellt werden. Die tiefste Note des historischen Gemäldes bezeichnen die Jagdstücke . Die folgende Kunststufe ist die, wo das Licht äußerlich unorganisch, aber beweglich, und insofern lebendig ist. Diese die Landschafts- malerei . In dieser Gattung wird außer dem Gegenstand, dem Körper, das Licht selbst als solches zum Gegenstand. Diese Gattung bedarf nicht nur des Raums zu ihrem Gemälde, sondern sie geht ausdrücklich sogar auf Darstellung des Raums als solchen aus. Die Gegenstände der zuvor genannten Gattungen sind, so untergeordnet sie in anderer Rücksicht seyn mögen, doch an und für sich selbst bedeutend; von ihnen ist eine wahrhaft objektive Darstellung möglich. In der Landschaftsmalerei ist überall nur subjektive Darstellung möglich, denn die Landschaft hat nur im Auge des Betrachters Realität. Die Land- schaftsmalerei geht nothwendig auf die empirische Wahrheit, und das Höchste, was sie vermag, ist, diese selbst wieder als eine Hülle zu gebrauchen, durch die sie eine höhere Art der Wahrheit durchscheinen läßt. Aber eben nur die Hülle wird dargestellt, der wahre Gegenstand, die Idee, bleibt gestaltlos, und es ist von dem Betrachter abhängig gemacht, sie aus dem duftigen und formlosen Wesen herauszufinden. Es ist nicht zu leugnen, daß Verhältnisse des allgemeinen Lichts zu einem ausgebreiteten Ganzen von Gegenständen, je nachdem es offen- barer oder verhüllter, stärker und unterschiedener, oder schwächer und gleichsam schwimmender über der Natur liegt, gewisse Zustände der Seele hervorrufen, auf eine indirekte Weise Ideen, oder vielmehr nur Geister von Ideen wecken, und nicht selten vor unsern Augen den Schleier hinwegheben, der uns die unsichtbare Welt bedeckt. Allein alle Anschauung dieser Art fällt ins Subjekt zurück. Wir sehen, daß je dürftiger die Poesie einer Nation, sie desto mehr sich zu diesem formlosen Wesen hinneigt. Welche Gelegenheit in Homer, Landschaften zu schildern und doch keine Spur davon! Dagegen sind die Gesänge des Ossian voll von Schildereien der Nebelwelt und der formlosen Natur, die ihn umgab. Die Schönheit einer Landschaft hängt von so vielen Zufälligkeiten ab, daß es schwer, ja unmöglich ist, ihr in der Kunst diejenige Nothwendigkeit zu geben, welche z. B. jede organische Gestalt in sich trägt. Es sind nicht innere, sondern äußere und ge- waltsame Ursachen, welche die Form, den Abhang der Berge und die Schweifungen der Thäler bestimmen. Gesetzt ein Künstler besitze so tiefe Kenntniß der Erde, daß er in der Landschaft selbst, die er vor uns ausgebreitet darstellt, uns zugleich die Gründe und Gesetze ihrer Bildung, den Lauf des Flusses, der die Berge und Thäler formirt, oder die Gewalt des unterirdischen Feuers darzustellen weiß, welches zugleich die Zerstörung und die Ströme der Ueppigkeit über eine Ge- gend ausgießt, gesetzt, er wisse dieß alles darzustellen, so bleibt doch selbst der Moment des Lichts, den er wählt, der Grad der Erleuchtung oder Dämpfung, der auf dem Ganzen liegt, eine Zufälligkeit, und da es eigentlich diese ist, die er darstellt und zum Gegenstand macht (da sie in den andern Gattungen ausdrücklich nur als Accidens des Gegen- standes erscheint), da er also überhaupt das, was bloß zum Schein gehört, als unabhängig behandelt und selbständig darstellt, so ist er dadurch einer nicht zu überwindenden Zufälligkeit unterworfen, und er kehrt in der Malerei selbst gewissermaßen zu der tieferen Stufe, der formlosen Kunst, zurück. Die Zeichnung ist in der Landschaftsmalerei als solcher eigentlich gar nicht anzutreffen; alles beruht in ihr auf den Künsten der Luft- perspektive, also auf der ganz empirischen Art des Helldunkels. Die Landschaftsmalerei ist daher als eine durchaus empirische Kunstart zu betrachten. Die Einheit, welche in einem Werk derselben Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 35 liegen kann, fällt selbst wieder in das Subjekt zurück; es ist die Einheit einer Stimmung, welche die Gewalt des Lichts und seines wundervollen Kampfes mit dem Schatten und der Nacht in der allgemeinen Natur in uns hervorbringt. — Das Gefühl der objektiven Bedeutungslosigkeit der Landschaft hat den Maler vermocht, ihr eine objektivere Bedeutung durch Belebung mit Menschen zu geben. Es versteht sich, daß dieß immer das Untergeordnete ist, so wie in den höheren Formen der Kunst der wahre Künstler es verschmähen wird, seinem Bilde noch durch die Zuthat einer Landschaft Reize geben zu wollen, da der vollkommen genügende Gegenstand für ihn die menschliche Gestalt in ihrer hohen Bedeutung und unendlichen Bedeutsamkeit ist. In dem angenommenen Fall, wo die Landschaftsmalerei ihre Schildereien mit Menschen belebt, muß doch eine Nothwendigkeit in ihr Verhältniß zu denselben gebracht werden. Schon der Anblick einer Landschaft, besonders aber die Farbe des Himmels, belehrt vom Clima, da die nördliche Welt gegen die Heiterkeit des südlichen Himmels wie in dumpfer Nacht brütet, und läßt das geübte Auge auf die Formen von Menschen schließen, die sie bewohnen. Die Menschen in der Landschaft müssen daher entweder als gleichsam auf der Stelle gewachsen, als Autochthonen geschildert werden, oder sie müssen auch durch die im Verhältniß zu der Landschaft fremde Art ihres Wesens, Aussehens, ja selbst der Bekleidung, als Fremde, als Wanderer dargestellt werden. Auf diese Weise lassen sich in der Landschaft noch in einem andern Sinn Nähe und Ferne verbinden und die eigenthümlichen Gefühle, die auf den Vorstellungen derselben beruhen, hervorrufen. Die letzte und höchste Stufe der Farbenerscheinung ist die, wo sie als innerlich, organisch, lebendig und beweglich erscheint. Da dieß nur in der menschlichen Gestalt vollkommen der Fall ist, so ist diese der letzte und vollkommenste Gegenstand der malerischen Darstellung; mit derselben betritt die Kunst ein Gebiet, in dem eigentlich erst ihre absoluten Erzeugnisse beginnen, und ihre wahre Welt sich entfaltet. Die unterste Stufe ist auch hier die bloße Nachahmung der Natur, und wo diese bezweckt wird und die vollkommene Uebereinstimmung des Bildes mit dem Gegenstand beabsichtigt ist, entsteht das Portrait . Ueber den Kunstwerth oder -unwerth des Portraits hat man sich von Zeit zu Zeit gestritten; es scheint aber, daß man sich nur über den Begriff desselben zu verstehen habe, um auch über jenen einig zu seyn. Portrait, sagt man, ist sklavische Nachahmung der Natur, und allerdings, wenn man nicht die Kunst überhaupt in bloße Nachahmung setzen und die mikroskopischen Maler, die keinen Porus der Haut übergehen, für die größten erklären will, kann es nach diesem Begriff von Portrait kein Zweifel seyn, daß dasselbe einen sehr untergeordneten Rang ein- nehme. Versteht man aber unter Portrait eine solche Schilderung, die, indem sie die Natur nachahmt, zugleich die Dolmetscherin ihrer Bedeu- tung wird, das Innere der Gestalt herauskehrt und sichtbar macht, so wird man den bedeutenden Kunstwerth eines Portraits allerdings anerkennen müssen. Das Portraitiren als Kunst würde dann freilich vorzugsweise auf solche Gegenstände eingeschränkt werden müssen, denen wirklich eine symbolische Bedeutung abzusehen ist, und bei denen man sehen kann, daß die Natur einen vernünftigen Entwurf und gleichsam den Zweck, eine Idee auszudrücken, befolgt habe. Die wahre Kunst des Portraits würde darin bestehen, die auf die einzelnen Bewegungen und Momente des Lebens zerstreute Idee des Menschen in Einen Moment zusammen zu fassen, und auf diese Weise zu machen, daß das Portrait, indem es von der einen Seite durch Kunst veredelt ist, von der andern dem Menschen, d. h. der Idee des Menschen, ähnlicher sey, als er sich selbst in den einzelnen Momenten. Plinius Hist. nat. IV, 2. erzählt von dem Euphranor, daß er ein Bild des Paris gemalt (welches freilich kein Portrait war) von der Art, daß man in ihm zugleich den Richter der drei Göttinnen, den Entführer der Helena und denjenigen, der den Achill erlegte, erblicken konnte. Diese Darstellung des ganzen Menschen in den einzelnen Erscheinungen wäre die höchste, obgleich, wie man wohl sieht, schwierigste Aufgabe des Portraits. — In Ansehung der Frage, ob die Person in Ruhe oder in Handlung dargestellt werden solle, ist es offenbar, daß, da jede mögliche Handlung die Allseitigkeit eines Bildes aufhebt und den Menschen im Moment fixirt, in der Regel die größtmögliche Ruhe vorzuziehen sey. Die einzige erlaubte Ausnahme findet da statt, wo die Handlung so mit dem Wesen des Menschen eins ist, daß sie wiederum zur Charakteristik von ihm gehört. Z. B. einen Tonkünstler in der Handlung seiner Kunst vorzustellen, würde darum vorzüglicher seyn, als einen Dichter etwa mit der Feder in der Hand, weil das musikalische Talent isolirender und mit dem Wesen dessen, der es besitzt, am meisten verwebt ist. Sonst ist die Forderung, welche das Portrait nothwendig zu erfüllen hat, die höchste Wahrheit; nur daß sie nicht im Kleinen und bloß Empirischen gesucht werde. Von dieser Art sind denn die Bilder der alten, vorzüglich unserer deutschen Maler, Holbeins z. B., dessen eines, in Dresden zu sehen- des Bild, welches einen Bürgermeister zu Basel mit seiner Familie vorstellt, indem er die heil. Jungfrau anbetet, gewiß niemand ohne Be- wegung sehen wird — nicht nur (um dieß im Vorbeigehen zu bemerken) weil er in diesem, wie in andern ähnlichen Bildern, den ächten alten deutschen Styl, der dem italienischen bei weitem näher ist als dem niederländischen und den Keim eines Höheren in sich trägt, der ohne die besonderen unglücklichen Verhängnisse Deutschlands auch sicher sich entfaltet haben würde, erkennen kann, sondern auch, weil dieses Bild eine sittliche Bedeutung hat, und so wie alle von demselben Styl, die gute alte Zeit, die strenge Zucht, den Ernst und die Frömmigkeit derselben dem Betrachtenden zurückruft. Ich bemerke noch, daß die vorzüglichsten historischen Maler Leo- nardo da Vinci, Correggio, Raphael, sämmtlich Portraits gemalt haben, ja es ist bekannt, daß Raphael in manchen seiner unabhängigen Compositionen wirkliche Portraits angebracht hat. Wir gehen endlich zu der letzten Kunststufe der Malerei über. Das höchste Bestreben des Geistes ist, Ideen hervorzubringen, die über das Materielle und Endliche erhaben sind. „Die Idee der Schönheit, sagt Winkelmann, ist wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geist, welcher sich suchet ein Geschöpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in dem Verstande der Gottheit entworfenen ersten vernünftigen Creatur.“ Wir haben zu bestimmen, welche Mittel in der Malerei liegen, diesem Streben Genüge zu thun und die Ideen darzustellen. Da die bildende Kunst überhaupt Darstellung des Allgemeinen durch das Besondere ist, so sind ihr auch nur zwei Möglichkeiten ge- geben, durch welche sie die Ideen erreichen und in wirklicher und sicht- barer Gestalt darstellen kann. Entweder daß sie das Allgemeine durch das Besondere bedeuten läßt, oder daß dieses, indem es jenes bedeutet, zugleich es selbst ist. Die erste Art der Darstellung ist die allego- rische , die andere die symbolische (nach den Erklärungen, die da- von schon früher gegeben wurden). Ich werde hier noch einiges von der Allegorie überhaupt nach- tragen und dann insbesondere von der Allegorie in der Malerei reden. Die Allegorie kann überhaupt einer allgemeinen Sprache ver- glichen werden, die nicht, wie die besonderen Sprachen, auf willkür- lichen, sondern auf natürlichen und objektiv gültigen Zeichen beruht. Sie ist Bedeutung der Ideen durch wirkliche, concrete Bilder, und demnach die Sprache der Kunst und der bildenden insbesondere, welche, da sie nach dem Ausdruck eines Alten eine stumme Dichtkunst ist, ihre Ge- danken persönlich gleichsam, durch Gestalten, vorstellen lassen muß. Der strenge Begriff der Allegorie aber, den wir auch hier voraussetzen, ist, daß das, was dargestellt wird, etwas anderes als sich selbst bedeute, etwas anzeige, das verschieden von ihm ist. Die Allegorie ist, wie von der Sprache, ebenso auch von der Hieroglyphe verschieden. Denn auch diese ist nicht nur überhaupt will- kürlich und nicht nothwendig an den wesentlichen Zusammenhang dessen, was bedeutet werden soll, und dessen, wodurch, gebunden, sondern sie ist auch noch überdieß mehr eine Sache des Bedürfnisses als der höheren Absicht, die auf Schönheit an und für sich gerichtet ist; da- her es für die Hieroglyphe genug ist, wenn sie die Sache nur über- haupt, gleichviel ob auf eine schöne oder widrige Weise, andeutet. Von der Allegorie dagegen wird gefordert, daß jedes Zeichen oder Bild nicht bloß auf allegorische Weise mit dem Gegenstand verknüpft sey, sondern daß es mit Freiheit und Absicht auf das Schöne entworfen und aus- geführt sey. Die Natur ist selbst allegorisch in allen denjenigen Wesen, denen sie den unendlichen Begriff von ihnen selbst nicht als Lebensprincip und Princip der Selbständigkeit einverleibt hat. So ist die Blume, deren Farbe die innere Natur oder die Intention der Natur, oder, was dasselbe ist, die Idee nur andeutet, wahrhaft allegorisch. Sonst hat sich auch darin der Instinkt zur Allegorie gezeigt, daß der Grund aller Sprachen, vorzüglich aber der ältesten Völker, ein allegorischer ist. Wie wären, um nur etwas ganz Allgemeines anzuführen, die Menschen je darauf gefallen, die Dinge in der Sprache nach dem Ge- schlechte zu sondern (eine Sonderung, die durch alle nicht vorzüglich unpoetischen Sprachen geht), ohne allegorische und gleichsam persönliche Vorbilder dieser Dinge zu haben? Daß nun aber Malerei insbesondere allegorisch ist, davon liegt der Grund in ihrer Natur selbst, da sie nämlich noch nicht die wahr- haft symbolische Kunst ist, und wenn sie nicht zu dieser, wie in der höchsten Kunstgattung, sich erhebt, das Allgemeine nur durch das Be- sondere bedeuten kann. In Ansehung der Allegorie in der Malerei sind aber zwei Fälle wohl zu unterscheiden. Sie wird entweder bloß als Zugabe eines im Uebrigen historischen Gemäldes gebraucht, oder die ganze Erfindung und Composition ist selbst allegorisch. Das Erste ist immer fehlerhaft, wenn nicht die allegorischen Wesen, welche einge- mischt werden, selbst eine historische Bedeutung in dem Gemälde haben können. Wenn z. B. auf einer sogenannten Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, wo die heilige Jungfrau mit dem Kind unter einem Baume, auf das Kind herabsehend und es zugleich fächelnd, ruht, auf den Zweigen Engel vorgestellt sind, so sind diese hier wirklich als histo- rische Gegenstände anzusehen. Oder wenn auf einem Gemälde des Albani, das den Raub der Helena vorstellt, Venus die Helena aus dem Hause des Menelaus an der Hand führt, und im Hintergrund Liebesgötter dargestellt sind, die sich dieses Vorfalls freuen, so treten auch diese hier als historische Wesen ein. Wenn dagegen auf einem Bilde, das den Tod eines modernen Königs vorstellt, auf dessen Sterbe- bette vielleicht sogar die Reichsinsignien liegen, an einer Seite desselben der Genius mit der gesenkten Fackel stünde, so wäre dieß ein ganz platter Gebrauch der Allegorie, weil der Genius auf keine Weise in das Gemälde historisch aufgenommen werden kann. Oder wenn Poussin in einem Gemälde, das die Aussetzung Mosis in Aegypten vorstellt, den Nil als Flußgott darstellt, der sein Haupt in den Schilf verbirgt, so ist das Letztere eine sehr schöne Allegorie, sofern dadurch angedeutet wird, daß die Quellen des Nils unbekannt seyen; wenn aber ferner der kleine Moses diesem Flußgott in die Arme gelegt wird, so hebt diese Allegorie den Sinn des Gemäldes selbst auf, indem niemand da- bei sich eine Gefahr vorstellen wird, da das Kind vielmehr der Für- sorge eines sinnigen Gottes als der blinden Gewalt eines vernunftlosen Elements überantwortet wird. Es gibt also meines Erachtens keine partielle Allegorie im Ge- mälde, weil dieß eine Dissonanz in das Gemälde bringt; und wo ein Wesen, das in anderer Rücksicht als ein allegorisches gedacht werden muß, in einem historischen Gemälde vorkommt, so muß es darin selbst die historische Bedeutung annehmen, so daß das Ganze den Charakter einer mythologischen Darstellung hat. Desto weiter ist das Feld der Allegorie in dem Gemälde, sofern sie unbeschränkter Weise gebraucht wird. Die Allegorie hat hier keine Grenzen als die allgemeinen der Kunst selbst, daß nämlich der Ueberfluß vermieden, und die Idee so einfältig wie möglich dargestellt werde. „Die Einfalt,“ sagt Winkelmann a. a. O. 2 Bd., S. 484. D. H. , „ist in Allegorien wie Gold ohne Zusatz und der Beweis der Güte derselben, weil sie alsdann mit wenigem viel erklären; wo das Gegentheil geschiehet, ist es mehren- theils ein Zeichen undeutlicher und unreifer Begriffe.“ Mit der Ein- falt zugleich entsteht die Deutlichkeit, die freilich relativ ist, und in der man nicht die allzu große Popularität verlangen muß, wie man etwa ein paar weiße Rüben finden könnte, die Guido Reni einer übrigens sehr schönen büßenden Magdalena mitgegeben hat, um ihre strenge Lebensart anzudeuten. Denn wie hat der Künstler überhaupt nöthig, uns daran zu erinnern, daß die büßende Magdalena irdische Nahrung genieße? Die höchste Regel ist aber, wie in aller Kunst, so auch hier, die Schönheit, und daß das rein Gräßliche, Abscheuliche und Widrige vermieden werde. Die wüthende Nothwendigkeit, wie sie Horatius nennt, die Wuth des Krieges bei Virgilius oder die Teufeleien des Milton wür- den in der Malerei nur mit schlechtem Erfolg ausgeführt werden können. So ist in der St. Peterskirche zu Rom ein allegorisches Gemälde, das die Ketzerei zu den Füßen der Heiligen in der häßlichsten Gestalt vor- stellt, als ob sie in einer schönen weiblichen Figur vorgestellt in dieser Unterwerfung und Beugung nicht eine viel bessere Wirkung machte. Die Allegorie in Gemälden kann nun übrigens entweder physisch seyn und sich auf Naturgegenstände beziehen, oder moralisch, oder historisch. — Als ein allegorisches Bild der Natur muß man das Bild der Diana mit den vielen Brüsten betrachten, dagegen in der bekannten Vergötterung des Homer die Natur ganz einfach unter dem Bild eines kleinen Kindes vorgestellt ist. — Die Nacht wird mit einem fliegenden Gewand voll Sterne gebildet, der Sommer im Laufen und mit zwei brennenden gerade in die Höhe gehaltenen Fackeln in den Händen. Der Nil und dessen Ueberschwemmung bis zu 16 Fuß, welches nach der alten Meinung die größte Fruchtbarkeit bedeutet, wurde in ebensoviel Kindern abgebildet, die auf der kolossalen Figur des Flusses saßen. Ich bemerke, daß die vornehmsten Allegorien der bildenden Kunst, nachdem das Schicksal der Zeit uns die Schätze der alten Malerei ent- rissen hat, durch die kleineren Denkmäler der Skulptur in geschnittenen Steinen auf uns gekommen sind. Die Plastik legt nicht mit einem- mal die Schranken der Malerei ab, sie behält noch in mehreren Gat- tungen den Raum als nothwendige Zugabe, und kann daher, wie die Malerei, in den meisten Hervorbringungen auch nur bedeutend, aber noch nicht wahrhaft symbolisch seyn. Von den moralischen Allegorien ist zu bemerken, daß sie bei den Alten nicht unsern Begriffen angemessen seyn können, da von diesen nur die heroischen Tugenden oder jene, welche die Würdigkeit des Men- schen erheben, geschätzt, andere aber von ihnen nicht gelehrt noch ge- sucht wurden. An die Stelle der Geduld und Unterwerfung tritt bei den Alten die Tapferkeit und die männliche, großmüthige Tugend, welche kleine Absichten und das Leben selbst verachtet. Von der christ- lichen Demuth war bei den Alten ohnedieß kein Begriff anzutreffen. Alle diese passiven Tugenden, wohin auch die Reue, z. B. der Magda- lena, gehört, sind nur in den christlichen Bildern zu suchen. Dagegen konnten auch bei den Alten die Werke der Kunst nicht dem Laster ge- weiht seyn, und nur mit großer Einschränkung waren allegorische Vor- stellungen davon möglich. Das berühmteste Beispiel davon ist ein Ge- mälde der Verleumdung von Apelles, dessen Beschreibung Lucian Imag. c. 6. hinterlassen hat. Apelles malte die Verleumdung, da er von einem seiner Kunstgenossen bei Ptolemäos Philostratos als Mitschuldiger einer Verrätherei fälschlich angegeben worden war. Auf seinem Gemälde saß zur Rechten eine männliche Figur mit langen Ohren und reichte der Verleumdung die Hand; um diese herum stand die Unwissenheit und der Verdacht. Von der andern Seite trat eine andere Gestalt der Verleumdung herbei, welche eine schöne Figur, aber erbost, aufgebracht war, in der rechten Hand eine brennende Fackel haltend, mit der linken einen Jüngling bei den Haaren herbeiziehend, welcher die Hände zum Himmel erhob und die Götter zu Zeugen anflehte. Vor der Verleum- dung her trat ein großer und wie von langer Krankheit ausgezehrter Mann, welcher den Neid vorstellte. Die Begleiterinnen der Verleum- dung selbst waren zwei Weiber, welche sie putzten und ihr zuredeten, nämlich die Falschheit und die Hinterlist. Hinterher ging eine andere Figur in schwarzer und zerrissener Kleidung, welche die Scham an- deutete, indem sie beschämt und weinend nach der Wahrheit sich umsah. Andere moralische Eigenschaften wurden durch entferntere Be- ziehungen angedeutet, wie z. B. die Verschwiegenheit durch die Rose, weil diese die Blume der Liebe ist, welche Verschwiegenheit liebt, oder, wie ein alter Epigrammatist sagt, weil die Liebe dem Harpokrates, dem Gott des Stillschweigens, die Rose gab, damit die Ausschweifungen der Venus möchten verschwiegen bleiben. Daher bei den Alten eine Rose bei Fröhlichkeiten über die Tische aufgehängt wurde zum Zeichen, daß, was gesprochen würde, als unter Freunden geheim bleiben sollte. Unter die moralischen Allegorien rechne ich alle, welche allge- mein menschliche Verhältnisse andeuteten. So wurde das Schicksal vor- gestellt durch die Lachesis, welche die Spindel drehend auf einer komi- schen Larve sitzt und vor sich die tragische stehen hat, um die vermischten Spiele auf der Schaubühne des Lebens anzudeuten. Ein frühzeitiger Tod wurde durch das Bild der Aurora vorgestellt, die ein Kind in den Armen fortträgt. Vermittelst der Allegorie, wie des Sinnbildlichen, kann sich die Malerei bis in die Region des Uebersinnlichen erheben. Die Belebung des Körpers durch Einflößung der Seele ist ohne Zweifel einer von den abgesondertsten Begriffen, der aber doch allegorisch-dichterisch versinnlicht ist. Prometheus bildet einen Menschen von Thon, und Minerva hält einen Schmetterling auf den Kopf desselben als Bild der Seele, welches zugleich alle die verschiedenartigen Vorstellungen zu- sammenfaßt, welche die Metamorphose dieses Geschöpfes erwecken kann. Die historische Allegorie ist vorzüglich von neueren Künstlern gebraucht, z. B. französischen (Rubens), zur Verherrlichung von Thaten ihrer Könige, z. B. das Wiederaufleben einer Stadt durch Begünsti- gung eines Fürsten auf alten Münzen vorgestellt durch eine weib- liche Figur, die durch eine männliche von der Erde aufgehoben wird. Vom höchsten Styl war das Bild des Aristides, welcher das athe- nische Volk nach seinem ganzen Charakter zugleich als leichtsinnig und ernst, tapfer und feig, klug und unweise darstellte, obgleich man ge- stehen muß, daß wir uns von diesem keinen deutlichen Begriff machen können. Nun ist noch vom symbolischen Gemälde zu reden. Da aber hievon bei der Plastik gesprochen wird, so beschränke ich mich hier auf das Allgemeinste. Symbolisch ist ein Bild, dessen Gegenstand die Idee nicht nur bedeutet, sondern sie selbst ist. Sie sehen von selbst, daß auf diese Weise das symbolische Gemälde ganz mit dem sogenannten historischen zusammenfällt und für dieses selbst die höhere Potenz be- zeichnet. Hier sind nun wieder Verschiedenheiten nach den Gegenständen. Diese nämlich können entweder etwas allgemein Menschliches seyn, was sich im Leben stets wiederholt und erneuert, oder sie können sich auf ganz geistige und intellektuelle Ideen beziehen. Von letzterer Gattung ist der Parnaß und die Schule von Athen des Raphael, welche die ganze Philosophie sinnbildlich darstellt. — Die vollkommenste symbolische Darstellung aber ist durch bleibende und unabhängige poetische Gestalten einer bestimmten Mythologie gegeben. So bedeutet die heil. Magdalena nicht nur die Reue, sondern ist die lebendige Reue selbst. So ist das Bild der heil. Cäcilia, der Schutzheiligen der Musik, nicht ein allegorisches, sondern ein symbolisches Bild, da es eine von der Bedeutung unabhängige Existenz hat, ohne die Bedeutung zu ver- lieren. So das Bild Christi, weil es die ganz einzige Identität der göttlichen und menschlichen Natur anschaulich darstellt. Ebenso ist das Bild der Madonna mit dem Kinde ein symbolisches Bild. Das sym- bolische Bild setzt eine Idee als vorausgehend voraus, die symbolisch wird dadurch, daß sie historisch-objektiv, auf unabhängige Weise an- schaulich wird. Wie nun die Idee dadurch, daß sie historische Be- deutung erhält, symbolisch wird, so kann umgekehrt das Historische nur dadurch, daß es mit der Idee verbunden und Ausdruck der Idee wird, ein symbolisches Bild werden, und so kommen wir damit auf den eigentlichen und höchsten Begriff des historischen Gemäldes , unter dem man insgemein alles zu begreifen pflegt, was wir bisher als allegorisch und symbolisch bezeichnet haben. Nach unsrer Erklärung ist das Historische selbst nur eine Art des Symbolischen. Die Historie ist ohne Zweifel der vornehmste Gegenstand der Ma- lerei, da hier das Unterscheidende von Göttern und Menschen, den wür- digsten Gegenständen der malerischen Darstellung, zugleich im Handeln erkannt wird. Allein die bloße Darstellung einer Handlung an und für sich würde die Malerei nie zu dem Range erheben, den in der Poesie die Tragödie oder das Heldengedicht hat. Jede mögliche Geschichte ist an und für sich ein einzelnes Factum, welches demnach zur Kunstdar- stellung nur dadurch erhoben wird, daß es zugleich bedeutend und wo möglich Ausdruck von Ideen, allgemein bedeutend, wird. Aristoteles sagt, Homer habe lieber das Unmögliche, welches wahrscheinlich ist, als das bloß Mögliche darstellen wollen; man fordert mit Recht das- selbe von dem Gemälde, daß es sich nämlich über das gemeinhin Mögliche erhebe und eine höhere und absolute Möglichkeit zum Maß- stab der Darstellung nehme. Das historische Gemälde, sagten wir, könne Darstellung von Ideen, also symbolisch seyn theils in dem Ausdruck, welcher den einzelnen Ge- stalten gegeben wird, theils in der Art des Geschehens der Begebenheit, welche vorgestellt wird. Was das Erste betrifft, so gewährt nichts Be- friedigung, was bloß die Sinne rührt und nicht in das Innere des Geistes dringt. Die bloße Schönheit der Umrisse vollendet das Be- deutende nicht ohne tieferen Hintergrund, der nicht gleich beim ersten Blicke erforscht wird. Eine ernsthafte Schönheit läßt niemals völlig satt und zufrieden gehen, weil man immer noch Schöneres und Tieferes an ihr entdecken zu können glaubt. Von dieser Art sind die Schön- heiten des Raphael und der alten Meister, „nicht spielend und lieb- reizend, wie Winkelmann sagt, aber wohlgebildet und erfüllet mit einer wahrhaften und ursprünglichen Schönheit“. Durch Reizungen dieser Art ist Cleopatra durch alle Zeiten berühmt geworden, und selbst in die Köpfe des Antonius haben die Alten diesen würdigen Ernst gelegt. Es gibt also eine Würde und Höhe des Ausdrucks, die noch über die Schönheit des Umrisses hinzukommt, oder diesen erst wirklich bedeu- tend macht. Eine Veredlung der gemeinen Natur fordert man auch von dem Portraitmaler, und er kann diese erreichen, ohne der Aehn- lichkeit zu schaden, d. h. ohne daß er aufhört Nachahmer zu seyn. Das, was immer und nothwendig erfunden ist, ist die Idee, und diese, wenn von ihr in dem Bilde ein Ausdruck ist, kann sogar dem Portrait durch höheren Reiz das Symbolische geben. Was die Art des Darstellens der Begebenheiten selbst betrifft, so ist die höchste Norm, wie überall, so auch hier, daß die Kunst uns die Formen einer höheren Welt und die Dinge, wie sie in dieser geschehen, darzustellen hat. Das Reich der Ideen ist das Reich der adäquaten und klaren Vorstellungen, wie das Reich der Erscheinung das der unangemessenen, dunklen und verworrenen. In dem Reich der Er- scheinung trennt sich Form und Stoff, Thätigkeit und Seyn. Im Reich des Absoluten ist beides eins, die höchste Ruhe ist die höchste Thätigkeit, und umgekehrt. Alle diese Charaktere müssen übergehen in das, was Abdruck des Absoluten seyn will. Wir würden sie schwerlich anders bezeichnen, als wie sie längst Winkelmann bezeichnet hat, der Vater aller Wissenschaft von der Kunst, dessen Ansichten noch jetzt die höchsten sind und es immer bleiben werden. Das Adäquate und Vollkommene der Vorstellungen drückt sich in dem Gegenstand durch dasjenige aus, was Winkelmann die edle Einfalt nennt, sowie jene ruhige Macht, die, um als Macht zu erscheinen, nicht nöthig hat, aus dem Gleich- gewicht ihres Daseyns zu weichen, das ist, was Winkelmann als die stille Größe bezeichnet hat. Auch hier wieder stehen uns nun die Griechen als Urbilder da. Wie die Tiefe des Meers jederzeit ruhig bleibt, das Oberste mag noch so rasch und bewegt seyn, so zeigt der Ausdruck der griechischen Figuren bei allen Leidenschaften eine ruhige und gesetzte Seele. In dem Ausdruck der Schmerzen und der körper- lichen Erstarrung selbst sehen wir die Seele siegen und als ein göttliches Licht von unverderblicher Heiterkeit über der Gestalt aufgehen. Eine solche Seele ist in dem Gesichte des Laokoon und in dem ganzen Leibe ausgedrückt (denn nur von der Plastik sind die passenden Beispiele des höchsten symbolischen Styls herzunehmen). „Der Schmerz“, sagt Win- kelmann in seiner herrlichen Beschreibung dieses Werks a. a. O. 1 Bd., S. 31 ff. , „der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubet, dieser Schmerz äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Ge- schrei, wie Virgil seinen Laokoon beschreibt; die Oeffnung des Mun- des läßt dieß nicht zu, es ist nur ein ängstliches und beklemmtes Seufzen. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Größe ausgetheilet und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktetes; sein Elend gehet uns bis an die Seele, aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.“ Diese Beschrei- bung reicht hin einzusehen, daß dieser Ausdruck der Seele nichts mehr ist, das aus der Erfahrung genommen, daß es eine über die Natur sich erhebende Idee ist, die der Künstler in sich selbst haben mußte, um sie dem Marmor einzuprägen. Ein gleiches Bild ist das der Niobe mit ihren Töchtern. Diese, auf welche Diana die tödtlichen Pfeile richtet, sind in der unbeschreiblichen Angst mit übertäubter Empfindung geschil- dert, wo die Erstarrung selbst die Ruhe und jene hohe Gleichgültigkeit zurückbringt, die sich mit der Schönheit am meisten verträgt und keine Züge der Gestalt und der Bildung ändert. Wir können nach diesen Betrachtungen alle Erfordernisse des Ge- mäldes im symbolischen Styl wieder auf das einzige zurückbringen, daß alles der Schönheit untergeordnet sey, denn diese ist immer symbolisch. Der bildende Künstler ist in Ansehung seiner Gegenstände ganz an die Gestalt gewiesen, da er diese allein ausdrücken kann. Der Dichter, welcher nicht Gestalten für die Anschauung aufstellt, beleidigt die Schönheit nicht nothwendig, wenn er auch in der Leidenschaft zum Heftigeren geht, der bildende Künstler aber, nur an die Anschauung gewiesen, ist in dem Fall, die Schönheit nothwendig zu beleidigen, wenn er sich nicht auf einen gewissen Grad des Ausdrucks der Leiden- schaften einschränkt: allerdings der plastische Künstler noch mehr als der malende, theils weil diesem viele Mittel der Milderung durch Licht und Schatten zu Gebot stehen, die jenem nicht, theils weil von der andern Seite alles Plastische eine größere Gewalt der Wirklichkeit war. Die Einschränkung jener strengen Forderungen, welche an die Plastik gemacht werden müssen, in Bezug auf Malerei ergeben sich übrigens auch schon daraus, daß sie, auch bloß allegorisch, nicht aufhört Kunst zu seyn, und daß sie, einmal mit dem Schein sich vermengend, auch mit dem Empirischen kecker als die Skulptur sich verbinden kann, — freieres Spiel hat. In allen heftigeren Bewegungen der Seele entstellen sich die Züge wie die Haltung des Körpers und alle Formen der Schönheit. Die Stille ist der der Schönheit eigenthümliche Zustand, wie die Ruhe dem ungestörten Meere. Nur in der Ruhe kann die menschliche Gestalt überhaupt und das Gesicht der Spiegel der Idee seyn. Auch hierin deutet die Schönheit auf Einheit und Indifferenz als ihr wahres Wesen hin. Das Gegentheil dieses ruhigen und großen Styls nannten die Alten Parenthyrsos, welcher einen gemeinen Styl erzeugt, dem nichts als das Ungewöhnliche in Stellungen und Handlungen, ein freches Feuer, die heftigen, flüchtigen und schreienden Gegensätze, genügen. Dieses Verwirrende der Darstellung hervorzubringen, sind die meisten artistischen Regeln der neueren Theoretiker über die Composition und das, was sie den Contrastoff nennen, erfunden. Dafür ist in den Werken dieses Styls alles in Bewegung, man befindet sich, wie Win- kelmann sagt, unter den Gegenständen derselben, wie in einer Gesell- schaft, worin alle zugleich reden wollen. Die Ruhe in der Größe und jenes höhere Symbolische des histo- rischen Gemäldes, das es als Ausdruck der Ideen erhält, hat vor allen andern neueren Meistern Raphael erreicht. Nur demjenigen, der den Sinn dafür in sich gebildet hat, wird in der Ruhe und Stille der Hauptfiguren seines Gemäldes, welche andern leblos scheinen mögen, die höchste Schönheit aufgehen. Von dieser Art ist sein Bild des Attila, auf welchem der Moment dargestellt ist, wie der römische Bischof diesen Eroberer zum Rückzug bewegt. Alles, was in diesem Bilde von erhabener Natur ist, der Pabst und seine Begleiter, wie die beiden vom Himmel her schwebenden Apostel, Petrus und Paulus, ist in jenem Sinn der Ruhe gedacht. Der Pabst erscheint in der stillen Sicherheit eines ehrwürdigen Mannes, der einen Aufruhr durch seine bloße Gegenwart stillt. Die Apostel erscheinen ohne gewaltsame Bewegung drohend und erschreckend. Im Attila ist Schrecken wahrzunehmen, und jener Ruhe und Stille der würdigeren Stelle steht die Unruhe und Bewegung auf der andern Seite entgegen, wo zum Abmarsch geblasen wird, und alles voll Verwirrung und Bestürzung sich zum Rückzug wendet. Ueberhaupt ist Raphael von Seiten der Höhe der Erfindung der einzig größte, und wenn wir im Vorhergehenden in Ansehung jeder der besonderen Kunstformen einen als den überwiegenden auszeichneten, in der Zeichnung den Michel Angelo, im Helldunkel Correggio, im Colorit Tizian, so müssen wir von Raphael behaupten, daß er alle diese Formen im Gleichgewicht besessen, und demnach der wahrhaft göttliche Priester der neueren Kunst ist. Den Michel Angelo trieb die Macht seines Geistes in der Zeichnung unwiderstehlich und fast aus- schließlich zum Gewaltsamen, Starken und Schrecklichen; nur in solchen Gegenständen konnte die wahre Tiefe seiner Kunst sichtbar werden. Den Correggio beschränkte seine große Kunst im Helldunkel im Zarten, Sanften und Gefälligen wieder in Ansehung der Gegenstände; er bedurfte derjenigen, welche vorzugsweise die Ausübung des ersten begün- stigen, und welche die Weichheit der Umrisse, das Schmeichelnde der Formen verstatten. Endlich war Tizian, als der höchste Meister im Colorit, damit am meisten auf die Wahrheit und die Nachahmung ein- geschränkt. In der Seele des Raphael ruhten alle diese Formen im gleichen Gewicht, Maß und Ziel, und da er keiner besonderen ver- bunden war, blieb sein Geist für die höhere Invention frei, sowie für die wahre Erkenntniß des Charakters der Alten, die er, der einzige unter den Neueren, bis zu einem gewissen Punkte erreicht hat. Seine Fruchtbarkeit führt ihn doch nie über die Grenze des Nothwendigen, und in aller Milde seines Gemüths bleibt doch die Strenge seines Geistes bestehen. Er verschmäht das Ueberflüssige, wirkt mit dem Ein- fachsten das Größte, und haucht damit seinen Werken ein solches objek- tives Leben ein, daß sie ganz in sich selbst bestehend, sich aus sich selbst entwickelnd und mit Nothwendigkeit erzeugend erscheinen. Daher, obgleich er sich über das gemeinhin Mögliche erhebt, doch die Wahrscheinlichkeit seiner Werke; daher in ihrer Uebernatürlichkeit doch wieder die höchste, in Unschuld übergehende Natürlichkeit, jenes letzte Kennzeichen der Kunst. Bisher war von der Kunst des historischen Gemäldes rein als solcher die Rede. Es ist nöthig, daß wir noch von den Gegenständen des historischen Gemäldes handeln. — Vorzüglich kommt dabei eine Frage in Betracht, welche nicht nur die Liebhaber, sondern selbst Kenner interessirt hat: durch welche in der Kunst selbst liegende Mittel es möglich sey, einen Gegenstand malerisch so darzustellen, daß er als dieser erkannt werde. Man setzt nämlich bei dieser Frage voraus, daß die Hauptsache im historischen Gemälde die wirkliche, empirische Er- kennbarkeit des Gegenstandes sey: allein dieß kann wenigstens nicht auf irgend eine Weise zum Gesetz gemacht werden, weil, sobald es allge- mein gedacht wird, die Forderung selbst ungereimt ist. Wer z. B. in dem oben angeführten Gemälde des Raphael den römischen Bischof nicht nur so weit als nöthig ist diesen allgemeinen Charakter zu wissen, sondern auch persönlich als den, der so oder so geheißen hat, bezeichnet wissen wollte, der müßte die Sitte der alten Maler, ihren Figuren Zettel aus dem Munde herausgehen zu lassen, worauf ihre Bedeutung geschrieben stand, für die zweckmäßigste erklären. Die Forderung, ein Gemälde bis zur empirischen Wirklichkeit zu begreifen, muß also immer eingeschränkt bleiben, und das Symbolische des historischen Gemäldes erhebt schon von selbst über diesen Gesichtspunkt. Wir würden von der hohen Schönheit der Gruppe des Laokoon nichts verlieren, wenn wir auch nicht durch Plinius und Virgilius von dem Namen des Leidenden unterrichtet wären. Die Grundforderung ist nur, daß der Gegenstand an und für sich selbst vollkommen und klar erkennbar sey. Ist das Gemälde seinem eigentlichen Gegenstande nach symbolisch, so gehört es schon von selbst zu einem gewissen mythologischen Kreis, dessen Kenntniß auf eine allgemeingültige Weise vorausgesetzt wird. Ist es der ersten Intention nach historisch, so stehen eben der malerischen Darstellung Mittel genug zu Gebot Zeitalter und Nation zu bezeichnen. Nicht eben allein durch das, was man Beobachtung des Kostüms in der Kleidung nennt, das bei antiken Gegenständen freilich darum nicht Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 36 verletzt werden darf, weil es mit zu der Schönheit gehört. Allein auch in einem Gemälde, das neuere Gegenstände vorstellt, müssen sich unabhängig von Kleidung, z. B. bei nackten Figuren oder bei einem nicht eben die Zeit charakterisirenden Kostüm Mittel genug finden lassen die Zeit zu bezeichnen. In der Schlacht des Constantin von Raphael würde ohne alle andern Merkmale das Zeichen des Kreuzes hinreichen zu belehren, daß eine Begebenheit aus der Geschichte des Christenthums vorgestellt werde. Von denjenigen Gegenständen, die nicht durch wahrhaft künstlerische Mittel bezeichnet werden können, kann man zum voraus mit Gewißheit sagen, daß sie der künstlerischen Dar- stellung überhaupt nicht werth seyen. Wenn z. B. Künstler eines neueren Staates angewiesen sind, vorzüglich edle Handlungen aus der vaterländischen Geschichte darzustellen, so ist die geforderte Nationalität (= Nicht-Universalität) ebenso sonderbar als die Forderung, die Sittlich- keit der Handlungen zu malen — und dann mögen die Soldaten auch immerhin noch in preußischen Uniformen gemalt werden. Wir müssen uns hier dessen erinnern, was in der Untersuchung über Mythologie bemerkt wurde, daß, da uns eine universelle Mythologie fehlt, jeder Künstler sich aus dem vorliegenden Stoff der Zeit eine specielle Mytho- logie schaffen kann. Daß er von der Geschichte nichts aufnehme, was nicht in demjenigen Kreis der Historie liegt, den man als allgemein- gültig annehmen kann, ist etwas, worauf er noch aus viel höheren Gründen als der bloßen Besorgniß unverstanden zu bleiben einge- schränkt ist. Außer den allgemeineren Bedingungen der Verständlichkeit des historischen Gemäldes kann aber noch die besondere hinzu kommen, daß eine Begebenheit durch eine vorhergehende bedingt ist, die zu ihrem Verständniß nothwendig erfordert wird. Fürs erste kann man auch in dieser Rücksicht zweifeln, ob eine Begebenheit, die der künstlerischen Darstellung werth ist, nicht von sich selbst so prägnant sey, daß man in der Gegenwart wenigstens die nächste Vergangenheit erblickt, wie z. B. in der Gruppe des Laokoon niemand darüber zweifelhaft seyn kann. Wer sich hiezu unfähig fühlt, dem wäre wieder ein Mittel älterer Maler zu empfehlen, welche frühere Momente der Geschichte im Hin- tergrund darstellen und den Helden derselben auf einem und demselben Bilde mehrmals vorkommen lassen. Ein anderer Fall noch wäre, wenn eine darzustellende Begebenheit auf mehrere weiter entfernte Begeben- heiten nothwendig zurückwiese, und sie zu ihrem Verständniß forderte. Ich glaube auch hieran zweifeln zu müssen, obgleich, wenn diese For- derung wirklich existiren könnte, man allerdings sich auf den Vorschlag zurückziehen müßte der in den Propyläen geschieht, nämlich den eines Cyklus historischer Darstellungen, einer Reihe von Bildern, die ver- schiedene Momente einer zusammenhängenden Geschichte fixiren. Man muß dieß freilich nicht, wie einige gethan haben, zu streng nehmen und die wirkliche absolute Stetigkeit fordern, wozu eine unendliche Reihe von Bildern nicht hinreichen würde. Das Princip, aus welchem diese ganze Untersuchung über Ver- ständlichkeit historischer Gemälde zu entscheiden ist, ist ohne allen Zweifel dieses: die historische Kenntniß der Begebenheit, welche dar- gestellt wird, nach allen ihren gegenwärtigen und vergangenen Be- dingungen trägt zum Genusse des Kunstwerks bei, allein diese Art des Genusses selbst liegt außer dem Kreis der Beabsichtigung des Künstlers. Sein Werk muß den Reiz nicht erst von diesem fremdartigen Interesse entlehnen. Viele Bildungen auf alten Kunstwerken sind unverständlich gewesen, man hat sie nachher durch gelehrten Fleiß entziffert; viele sind es noch und sie verlieren dadurch nichts an der wahrhaft künstlerischen Schönheit. Es ist gleich unrichtig, zu fordern, daß im Gemälde selbst alle Anleitung zum empirisch-historischen Verständnisse desselben gegeben sey, und der Maler für uns gleichsam ein Lehrer der Geschichte werde, und hinwiederum das Gemälde zwar davon freizusprechen, dagegen von dem Beschauer die gelehrte Kenntniß zu fordern. Das letztere ist darum fehlerhaft, a) weil man nicht weiß, wo man mit dieser Gelehrsamkeit an- fangen, und wo man enden soll, b) weil man die empirisch historische Ver- ständlichkeit dabei als etwas Wesentliches gelten läßt, und ihre Bedingung doch in etwas Zufälliges, nämlich die Kenntniß des Betrachters legt. Das Gemälde hat nur die innern Forderungen zu erfüllen, wahr, schön, ausdrucksvoll und allgemein bedeutend zu seyn, so daß es des zufälligen Reizes, selbst von der Kenntniß der besonderen empirischen Begebenheit, die es vorstellt, allenfalls entbehren kann. Ebenso fehler- haft von Seiten der Kunst ist es der Gelehrsamkeit als der Ungelehr- samkeit zu schmeicheln. Wer sich getrieben fühlt, der Kunst recht zu genießen und auch diesen höheren Antheil seines Gemüths an einer bekannten Begebenheit nicht aufzugeben, mag selbst sehen, wie er sich in den Stand setzt diese stumme Dichtkunst, die immer und nothwendig entweder allegorisch oder symbolisch bleibt, auch von ihrer historischen Seite zu verstehen. Sein Gemüth wird dadurch mehr bewegt werden, die künstlerische Anschauung aber nichts gewinnen, was sie nicht auch ohne jene Kenntniß hätte erlangen können. Wir haben die Malerei bis zu ihrer äußersten Höhe der historisch- symbolischen Darstellung begleitet. Wie aber alles Menschliche, sobald in Einer Richtung der Gipfel erreicht, sich sogleich auch von der an- deren Seite wieder herunter neigt, so ist auch die Malerei diesem Schicksal nicht entgangen. Kurze Zeit nach Erreichung der höchsten Kunst und auf dem Schauplatz selbst der herrlichsten Denkmäler der- selben bildete sich die fremdartigste Ausartung des Geschmacks in der Gattung, welche das historische Gemälde zum Niedrigen und Gemeinen herunterzieht, der Bambocciade. Den Ursprung gab ihr der Nieder- länder Peter Laar, genannt il Bamboccio, der im Anfang des sieben- zehnten Jahrhunderts nach Rom kam und sich durch seine Possen, die ein glänzendes Colorit und ein frecher Pinselstrich auszeichnete, so großen Beifall erwarb, daß diese bald allgemeiner Geschmack und von den Großen eben so sehr begünstigt wurde, als zuvor die ächte Kunst be- günstigt worden war. Man muß gestehen, daß die ersten Bamboc- cianten es an kunstvoller Behandlung nicht fehlen ließen, und ihr Ge- gensatz zu den ernsthaft-gemeinen niederländischen Gemälden war, daß jene sich selbst nur als Parodien der großen Kunst betrachteten. Die nothwendige Forderung an den, der mit seiner Kunst scherzen will, ist, daß er die Meisterschaft in hohem Grade besitze. Die Verirrung ist freilich noch immer nicht so groß als in der jetzigen Zeit, wo Bamboc- ciaden in der Poesie und andern Künsten ohne Kraft, Wahrheit und Meisterschaft die allgemeinste Wirkung machen. Die Geschichten dieser Geistesepidemien erläutern sich wechselseitig, obgleich freilich, was unsre Zeit in dem niedrigen Fach aufzuweisen hat, gegen die ähnlichen Pro- dukte jener früheren Zeit soweit absticht als diese ganze Zeit gegen jene frühere in Ansehung der Kunst überhaupt. Jene waren im Nie- drigen wenigstens meisterhaft, diese sind selbst im Allerniedrigsten nicht einmal zu einem Grad der Meisterhaft gelangt. — Verwerflichkeit Hogarths . Auf diese Weise hätten wir den ganzen Kreis der malerischen Darstellung, wie er sich von der ersten bloßen Nachahmung todter Gegenstände zum Gipfel erhebt und von da nach der andern Seite wieder zum Gemeinen herabsenkt, durchlaufen. Ich gebe nun kurz die Sätze die Malerei betreffend an. Der letzte (Zusatz zu §. 87) war: „Die besonderen Formen der Einheit, sofern sie in der Malerei zurückkehren, sind Zeichnung, Helldunkel und Colorit.“ Es bedurfte zur Erläuterung dieses Satzes nichts als des allgemeinen Begriffs der drei Einheiten selbst. Die Zeichnung ist hinlänglich da- durch charakterisirt, daß sie als die reale, das Helldunkel dadurch, daß sie als die ganz ideale Form der Malerei bezeichnet wurde. Alle Be- stimmungen einer jeden dieser Formen sowie ihr Verhältniß zueinander sind unmittelbar daraus einzusehen. Das Colorit insbesondere betref- fend, so ist es dasjenige, was den Schein und die Wahrheit, das Ideale und Reale ganz indifferenziirt und eins macht. Ich füge daher nur noch die Sätze bei, welche die Gegenstände der Malerei betreffen. §. 88. Die Malerei hat ihre Gegenstände als Formen der Dinge darzustellen, wie sie in der idealen Einheit vorgebildet sind . — Die Musik hat die realen Formen darzustellen, die Malerei die Dinge, wie sie in der rein idealen Einheit als solcher. Denn sie ergreift nur das rein-Ideale der Dinge, und sondert es von dem Realen ganz ab. Zusatz 1. Die Malerei geht also vorzüglich auf Darstellung von Ideen von der idealen Seite. — Jede Idee hat, wie das Absolute, zwei Seiten, eine reale und eine ideale, oder: sie ist ganz gleich real und ideal, aber im Realen als ein Anderes, als ein Seyn, nicht als Idee . Die Malerei also, indem sie die Gegenstände vorzugsweise von der idealen Seite darstellt, geht nothwendig auf Darstellung der Ideen als solcher. Zusatz 2. Inwiefern die Malerei alle Gegenstände überhaupt nicht unmittelbar und an sich selbst, sondern nur durch ihr Allgemeines, Ideales bedeutet, ist sie allgemein schematisirend. Auf sich selbst be- zogen oder in sich selbst ist sie aber nothwendig wieder allegorisch und symbolisch. Anmerkung . Das Schematisirende ist allgemeines Princip der modernen Religion. Daher die Malerei in der neueren Welt vor- herrschend. (Warum nicht Plastik?) Die Mutter Gottes von Michel- angelo = Juno. §. 89. Die Malerei ist bloß allegorisch in denjenigen Gegenständen, die nicht um ihrer selbst willen dargestellt werden . — Denn was nicht um seiner selbst willen, bloß um eines andern willen, ist es bedeutend . Anmerkung . Hieher gehören die untergeordneten Gattungen des Still-Lebens, der Blumen- und Frucht-, sowie im Ganzen auch der Thierstücke. Alle diese Gattungen sind entweder überhaupt keine Kunstgattungen oder von allegorischer Bedeutung. Was Thierstücke ins- besondere betrifft, so ist die Natur in der Produktion der Thiere selbst gewissermaßen allegorisch, sie deutet ein Höheres, die menschliche Ge- stalt an, es sind unvollkommene Versuche, die höchste Totalität zu pro- duciren. Selbst der Charakter, den sie in das Thier wirklich gelegt hat, spricht sich in ihm nicht vollkommen aus, sondern ist bloß ange- deutet und wird errathen. Aber auch der bekannte Charakter des Thiers ist nur eine einseitige Erscheinung des Totalcharakters der Erde, und inwiefern dieser im Menschen am vollkommensten ausgedrückt ist, des Menschen. §. 90. Die Malerei ist bloß schematisirend in der Landschaft . — Denn es wird in dieser nicht das wahrhaft Gestaltete, Begrenzte und durch dieses das Unbegrenzte dargestellt, vielmehr wird umgekehrt das Begrenzte hier durch das Unbegrenzte und Formlose an- gedeutet; das Geformte wird durch die Form symbolisirt, welche formlos. Demnach schematisirend. §. 91. Die Malerei innerhalb ihrer Grenzen erhebt sich zum Symbolischen, sofern der dargestellte Gegen- stand die Idee nicht bloß bedeutet, sondern es selbst ist . §. 92. Die unterste Gattung des Symbolischen ist, wo sie sich mit dem Symbolischen begnügt, das der natür- liche Gegenstand an und für sich selbst hat, d. h. wo sie bloß nachahmt . Zusatz . Da kein natürlicher Gegenstand außer der menschlichen Gestalt wahrhaft symbolische Bedeutung hat, so ist dieses der Fall des Portraits . §. 93. Die höhere Stufe des Symbolischen ist, wo das Symbolische der Natur wieder zur Bedingung eines noch höheren Symbolischen gemacht wird . Ist von selbst klar. §. 94. Wird das Symbolische der Natur nur zur Alle- gorie der höheren Idee gemacht, so entsteht die Allegorie der höheren Art . Bemerken Sie hiebei, daß die erste Stufe des Symbolischen hier- durch insofern doch überschritten ist als jenes schon wieder zur Bedingung oder Form und nicht zum Gegenstand der Darstellung gemacht wird. Ein allegorisches Gemälde in diesem Sinn ist im niedereren Sinne symbolisch, inwiefern es nämlich die menschliche Gestalt in ihrer Schön- heit zur Bedingung der Allegorie macht, der höheren Intention nach aber allegorisch. §. 95. Schlechthin symbolisch ist die Malerei, wenn sie absolute Ideen im Besondern so ausdrückt, daß jene und dieses absolut Eines sind . §. 96. Erklärung. Die Malerei als schlechthin sym- bolisch kann allgemein historisch heißen insofern, als das Symbolische, indem es ein anderes bedeutet, zugleich es selbst ist, und also eine von der Idee unabhängige, histo- rische Existenz an sich hat . §. 97. Das historische Gemälde ist symbolisch-histo- risch, wo die Idee das Erste ist, und das Symbol erfunden ist, um sie darzustellen . Beispiele : Das jüngste Gericht von Michel Angelo, die Schule von Athen und der Parnaß von Raphael. §. 98. Das Gemälde ist historisch-symbolisch, wo das Symbol oder die Geschichte das Erste ist, und diese zum Ausdruck der Idee gemacht wird . — Dieß ist das historische Gemälde in der gewöhnlichen Bedeutung. §. 99. Das Symbolische in dem Gemälde findet in dem Verhältniß statt, in welchem der Ausdruck des Abso- luten erreicht ist . §. 100. Die erste Forderung an das symbolische Ge- mälde ist daher Adäquatheit der Ideen, Aufhebung des Verworrenen im Concreten — was Winkelmann die hohe Ein- falt genannt hat. (Bemerken Sie , daß dieß nur vom symbolischen Gemälde im höch- sten Styl, nicht aber von der Malerei überhaupt und schlechthin be- trachtet gesagt ist). §. 101. Aus dieser Forderung folgt von selbst, daß Seyn und Thätigkeit in dem Gegenstand eins seyen . — Denn wenn durch die Thätigkeit im Gegenstand das Seyn, durch die Form das Wesen verworren wird, wird die Adäquatheit der Vorstellung aufge- hoben. Also gemäßigte Thätigkeit, die das Seyn und Gleichgewicht des Wesens nicht aufhebt. — Winkelmanns ruhige Größe. §. 102. Da die Schönheit das an und für sich und ab- solut Symbolische ist, so ist Schönheit das höchste Gesetz der malerischen Darstellung . §. 103. Die Malerei kann das Niedrige darstellen nur, inwiefern es als das Entgegengesetzte der Idee doch wieder Reflex derselben und also das umgekehrt Symbo- lische ist . — Dieser Satz hat eine allgemeine Gültigkeit für die Dar- stellung der schönen Kunst überhaupt. Sie kann sich in die Sphäre des Niedrigen nur begeben, inwiefern sie auch in dieser wieder das Ideal erreicht und es völlig umkehrt. Diese Umkehrung ist überhaupt das Wesen des Komischen . In diesem Sinn haben auch die Alten komische und niedrige Darstellungen. Es ist damit, wie mit der allge- meinen Ansicht der Welt, welcher gemäß man sagen kann, daß die Weisheit Gottes am meisten in der Thorheit der Menschen objektiv werde. So kann die höchste Weisheit und innere Schönheit des Künst- lers sich in der Thorheit oder Häßlichkeit desjenigen spiegeln, was er darstellt, und nur in diesem Sinn kann das Häßliche Gegenstand der Kunst werden, indem es durch diesen Reflex gleichsam aufhört es zu seyn. Ich gehe nun zu der dritten Form der bildenden Kunst über und verfahre in Construktion derselben ebenso wie in Construktion der vor- hergehenden. §. 104. Lehnsatz. Die vollkommene Ineinsbildung oder Indifferenz der beiden Einheiten, im Realen aus- gedrückt, ist die Materie selbst, dem Wesen nach be- trachtet . — Nach §. 71 ist die Materie, als Potenz betrachtet, die reale Einheit. Inwiefern sie aber alle Einheiten wieder in sich begreift, d. h. dem Wesen nach betrachtet, ist sie = Indifferenz = dritter Einheit. Zusatz . Um den Zusammenhang mit dem Vorhergehenden einzu- sehen, bemerke ich Folgendes: Die Construktion der Materie beruht auf drei Potenzen, aber diese sind allgemeine Kategorien, so daß, wie die Materie im Einzelnen, auch die Natur im Ganzen wieder auf densel- bigen beruht. Durch die erste Potenz ist die Materie anorgisch, dem Schema der geraden Linie untergeordnet, durch die zweite organisch, durch die dritte Ausdruck der Vernunft. Dieselben Potenzen kehren aber in Ansehung des Ganzen der Materie selbst wieder zurück. Die Materie ist im Ganzen wieder anorgisch, und organisch, und nur in der dritten Potenz, im menschlichen Organismus, Ausdruck der Vernunft. Dieß angewendet auf den vorliegenden Fall, so ist die Musik die an- orgische Kunst, die Malerei organisch, denn sie drückt in der höchsten Stufe die Identität der Materie und des Lichts aus. Erst in der dritten Kunstform wird sie absoluter Ausdruck der Vernunft. Wir behaupten nun: „die vollkommne Indifferenz der beiden Ein- heiten, im Realen ausgedrückt, sey die Materie dem Wesen nach be- trachtet.“ Das Wesen der Materie nämlich ist die Vernunft, deren unmittelbarer Ausdruck im Stoff der Organismus ist, sowie der Or- ganismus als das Wesen der anorgischen Materie sich wieder in dieser symbolisirt. Die erste Potenz ist das bloße Anorgische , Geradlinige, die Cohäsion. Der Kunst der ersten Potenz also, die bloß die erste Potenz zum Mittel der Darstellung nimmt, wird die Cohäsion im Klang zum Leib. Die zweite Potenz beruht auf dem Gleichseyn des Lichts und des Körpers durch verschiedene Stufen: organisch . Endlich die dritte Potenz ist das Wesen , das An-sich der ersten und der zweiten Potenz; denn da die verschiedenen Potenzen sich bloß dadurch von einander unterscheiden, daß in der ersten das Ganze, aber unter- geordnet der Endlichkeit, ebenso in der zweiten das Ganze, aber unter- geordnet der Unendlichkeit oder Identität erscheint, so ist in allen Po- tenzen das Wesen oder An-sich dasselbe. §. 105. Die Kunstform, welcher die Indifferenz der beiden Einheiten oder das Wesen der Materie zum Leib wird, ist Plastik in der allgemeinsten Bedeutung des Worts . — Denn die Plastik stellt ihre Ideen durch reale körperliche Gegenstände dar, anstatt daß die Musik von der Materie bloß das Anorgische (die Form, das Accidens), die Malerei das rein Organische als solches, das Wesen, das rein Ideale des Gegenstandes darstellt. Die Plastik stellt in der realen Form zugleich das Wesen und das Ideale der Dinge, demnach überhaupt die höchste Indifferenz des We- sens und der Form dar. Folgesatz 1. Die Plastik ist als Kunst ursprünglich der dritten Dimension untergeordnet. Folgesatz 2. Wie die Musik im Ganzen die Kunst der Reflexion oder des Selbstbewußtseyns, die Malerei der Subsumtion oder der Empfindung ist, so ist die Plastik vorzugsweise Ausdruck der Vernunft oder Anschauung. Folgesatz 3. Ueber das Verhältniß der drei Grundformen der Kunst kann ich mich auch so ausdrücken. Die Musik stellt das Wesen in der Form dar, insofern also nimmt sie die reine Form, das Accidens der Dinge als Substanz auf und bildet durch dasselbe. Die Malerei da- gegen stellt die Form in dem Wesen dar und bildet, inwiefern das Ideale auch das Wesen ist, die Dinge in dem Wesen vor. Jene daher ist quantitativ, diese qualitativ. Die Plastik dagegen stellt Substanz und Accidens, Ursache und Wirkung, Möglichkeit und Wirklichkeit als Eines dar. Sie drückt also die Formen der Relation aus (Quantität und Qualität als eins). Folgesatz 4. Die Plastik ist ihrem Wesen nach symbolisch. — Dieß folgt unmittelbar daraus, daß sie weder allein die Form darstellt (in welchem Fall schematisch), noch allein das Wesen oder Ideale (in welchem Fall allegorisch), sondern beides in der Indifferenz, so daß weder das Reale das Ideale noch das Ideale das Reale bedeutet, sondern beide absolut eins sind. §. 106. Die Plastik für sich allein faßt alle andern Kunstformen als besondere in sich , oder: sie ist in sich selbst wieder und in abgesonderten Formen Musik, Ma- lerei und Plastik . Dieß folgt daraus, daß die Plastik das An-sich der übrigen dar- stellt, dasjenige, aus dem die andern als besondere Formen hervor- gehen. Auch die Musik und die Malerei, jede derselben, faßt wieder alle Einheiten in sich. In der Musik z. B. ist der Rhythmus die Musik, die Harmonie die Malerei, die Melodie der plastische Antheil, aber die Musik faßt diese Formen nicht als abgesonderte Kunstformen, sondern als Einheiten von ihr selbst in sich. Ebenso die Malerei. Die Meinung ist aber, daß in der Plastik als der Totalität aller bildenden Kunstformen diese wieder abgesondert von einander enthalten seyen. Erläuterung . Die Musik, sagten wir, nimmt die Einbildung der Einheit in die Vielheit rein als solche zur Form. Aber eben diese ist ja auch wieder eine Potenz der Materie, dem Wesen nach betrachtet; sie kann also auch selbst wieder körperlich ausgedrückt werden. Die Musik stellt diese Einheit nicht durch Körper dar, sondern nur als Akt und insofern ideal. Aber sowie diese selbige Einheit in der Ma- terie auch real, nämlich in der Körperreihe dargestellt ist, so kann und muß sie auch in der Plastik wiederum, nur nicht bloß durch die Form, sondern zugleich wesentlich, also weil Wesen und Form zusammenge- nommen Körper ist, körperlich ausgedrückt werden. Dasselbe läßt sich von der Malerei zeigen. Auch diese nimmt die ideale Einheit nur als Potenz und insofern als Form auf. Aber dieselbige muß auch real, demnach körperlich und durch die Plastik ausgedrückt werden können. Ich bemerke zum voraus, daß die drei Kunstformen Musik, Ma- lerei und Plastik, sofern sie in der Plastik als abgesonderte Formen wiederkehren, die Architektur , das Basrelief und die Plastik sind, die letzte im engeren Sinn, sofern sie nämlich runde Figuren und von allen Seiten darstellt. Ich werde nun auch die Construktion der drei Formen nach der angegebenen Ordnung vortragen. §. 107. Die anorgische Kunstform oder die Musik in der Plastik ist die Architektur . — Der Beweis beruht auf mehreren Mittelgliedern, welche folgende sind: Daß die Architektur überhaupt eine Art der Plastik sey, erhellt von selbst, da sie ihre Gegenstände durch körperliche Dinge darstellt. Daß sie aber die Musik in der Plastik sey, ist auf folgende Art einzu- sehen. Es muß überhaupt eine solche Kunstform in der Plastik vor- kommen, durch welche sie zum Anorgischen zurückstrebt. Da sie aber ihrem innersten Wesen nach organisch ist, so wird dieses Zurückstreben nach keinem andern Grund oder Gesetz geschehen können, als nach welchem auch der Organismus in der Natur wieder zur Produktion des Anorgischen zurückgeht. Nun geht aber der Organismus (ein Satz, der in der Naturphilosophie bewiesen und hier nur als Lehnsatz aufge- nommen wird) zu dem Anorgischen nur in den Produktionen des Kunsttriebs der Thiere zurück. Die anorgische Form wird also innerhalb der Plastik nur nach dem Gesetz und Grund der Kunsttriebe stattfinden können. Wir haben jetzt also dieses zu bestimmen. In der Naturphilosophie ist bewiesen, daß der sogenannte Kunst- trieb der Thiere nichts anderes als eine bestimmte Richtung oder Mo- dification des allgemeinen Bildungstriebs ist; und der vornehmste Be- weis, den ich hier anführen kann, ist, daß der Kunsttrieb in den meisten Gattungen als Aequivalent des Zeugungstriebs auftritt. So sind es die geschlechtslosen Bienen, die nach außen die anorgischen Massen ihrer Zellen produciren. In andern Gattungen begleiten die Erscheinungen des Kunsttriebs die der Metamorphose oder der Geschlechts- entwicklung, so daß mit dem entwickelten Geschlecht auch der Kunsttrieb verschwindet. In andern Gattungen gehen die Aeußerungen des Kunst- triebs der Zeit der Begattung voran. — Schon die bisherige Betrach- tung führt uns darauf, eine gewisse Identität zwischen den Produkten und dem Producirenden in allen Fällen des Kunsttriebs zu erkennen. Die Biene producirt aus sich selbst den Stoff ihres Gebäudes, die Spinne und der Seidenwurm ziehen die Fäden ihres Gespinnstes aus sich selbst. Ja wenn wir noch tiefer heruntergehen, so verliert sich der Kunsttrieb ganz in anorgische Absätze nach außen, die mit dem Pro- ducirenden oder dem Thiere in Cohäsion bleiben. Von dieser Art sind die Produkte der Polypen, die die Korallen bewohnen, die Schalen der Mollusken und Austern, ja selbst die steinartigen und harten Be- deckungen mancher Insekten, wie des Krebses, dem deßhalb der Kunst- trieb versagt ist, der sich bei ihm ganz in die Produktion jener Be- deckungen verliert. Die Identität zwischen Producirendem und Produ- cirtem findet hier in dem Maße statt, daß wir, wie Steffens gezeigt hat, diese Produktionen als das nach außen gekehrte Knochengerüste der unteren Thiergattungen betrachten können. Erst auf den höheren Stufen der Organisation gelingt es der Natur diese anorgische Masse nach innen zurückzudrängen und den Gesetzen des Organismus zu unter- werfen. Sowie dieß einigermaßen erreicht ist, z. B. in den Vögeln, wo übrigens das Knochensystem noch sehr unvollkommen ausgeführt ist, erscheint die anorgische Masse nicht mehr in unmittelbarer Identität mit dem Producirenden, aber sie tritt doch nicht gänzlich aus der Co- härenz mit ihm. Der Kunsttrieb äußert sich freier in dem Nesterbauen der Vögel, es findet hier eine scheinbare Wahl statt, und das Produkt empfängt den Abdruck eines höheren, inneren Lebens. Noch weiter geht diese scheinbare Freiheit in Bildung eines von dem organischen Wesen unabhängigen, obgleich zu ihm gehörigen Pro- dukts in dem Bau des Bibers. Fassen wir alle Verhältnisse zusammen, so ergibt sich von selbst das Gesetz, daß das Organische das Anorgische überall nur in der Identität oder in der Beziehung auf sich selbst producirt, und wenn wir die Anwendung auf den höheren Fall, die Produktion des An- orgischen durch menschliche Kunst, machen, daß das Anorgische, weil es an und für sich keine symbolische Bedeutung haben kann, sie in der Produktion durch menschliche Kunst, durch die Beziehung auf den Menschen und die Identität mit ihm erhalten muß , und daß also, da diese Beziehung und mög- liche Identität, bei der Vollendung der menschlichen Natur in sich, nicht eine unmittelbare, körperliche, sondern nur eine mittelbare, durch den Begriff vermittelte Beziehung seyn kann, daß — aus diesen Grün- den — die Plastik, inwiefern sie im Anorgischen producirt, etwas Aeußeres in der Beziehung auf den Menschen und sein Bedürfniß stehendes, und doch sowohl von ihm Unabhängiges als an sich Schö- nes produciren muß, und weil dieß nur in der Architektur der Fall seyn kann, so folgt, daß sie demnach Architektur seyn muß. Verschiedene Anmerkungen . 1) Daß Architektur = Musik, folgt vorerst nur aus dem gemein- samen Begriff des Anorgischen. Denn die Musik ist allgemein die anorgische Kunstform. 2) Eine Frage, welche uns die angegebene Construktion der Archi- tektur von selbst aufdringt, ist: inwiefern eine Kunst, die dem Bedürf- niß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die schönen Künste gezählt werden könne. Schöne Kunst ist in sich absolut, also ohne äußeren Zweck, nicht Sache des Bedürfnisses. Aus diesem Grunde haben wirklich mehrere die Architektur ausgeschlossen. Folgendes ist die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs. Daß die Kunst als schöne Kunst keinem Zwecke untergeordnet seyn könne, ist ein Axiom der rich- tigen Ansicht, und inwiefern sie wirklich untergeordnet, insofern ist sie auch wirklich nicht schöne Kunst. Die Architektur z. B., sofern sie bloß das Bedürfniß und die Nützlichkeit bezweckte, wäre nicht schöne Kunst. Allein für die Architektur als schöne Kunst ist die Nützlichkeit und die Beziehung auf das Bedürfniß selbst nur Bedingung , nicht Princip. Jede Art der Kunst ist an eine bestimmte Form der Erschei- nung gebunden, die mehr oder weniger unabhängig von ihr existirt, und nur, daß sie in diese Form den Abdruck und das Bild der Schön- heit legt, erhebt sie zur schönen Kunst. So ist in Ansehung der Archi- tektur eben die Zweckmäßigkeit die Form der Erscheinung, nicht aber das Wesen, und in dem Verhältniß, in welchem sie Form und Wesen eins macht, in welchem sie diese Form, die an sich auf Nütz- lichkeit geht, zugleich zur Form der Schönheit macht, in dem Verhält- niß erhebt sie sich zur schönen Kunst. Alle Schönheit ist überhaupt Indifferenz des Wesens und der Form — Darstellung des Absoluten in einem Besondern —. Das Besondere, die Form ist nun eben die Beziehung auf Bedürfniß. Allein wenn nun die Kunst in diese Form den Ausdruck des absoluten Wesens legt, so wird nur auf diese In- differenz der Form und des Wesens selbst, keineswegs auf die Form für sich gesehen, und das besondere Verhältniß oder die besondere Beziehung dieser Form auf Nutzen und Bedürfniß fällt gänzlich hin- weg, da sie überhaupt nur in der Identität mit dem Wesen ange- schaut wird. Architektur als schöne Kunst ist also ganz wieder außer der Beziehung auf das Bedürfniß, welche bloß die Form ist (wie und in welcher Beziehung, dieß ist noch genauer in der Folge auseinander zu setzen); die Form aber wird hier gar nicht mehr an sich, sondern nur in der Indifferenz mit dem Wesen betrachtet. Noch andere zur Aufklärung dieses Punktes dienende Bemer- kungen . a) Schöne Kunst wird durch äußere Bedingungen und Beschrän- kungen nie aufgehoben oder unmöglich gemacht, z. B. bei Alfresco-Ge- mälden, wo ein bestimmter Raum nicht nur von bestimmter Größe sondern auch Form vorgeschrieben ist. b) Es gibt Gattungen der Architektur, wo das Bedürfniß, die Nützlichkeit ganz hinwegfällt, und ihre Werke selbst schon Ausdruck vom Bedürfniß unabhängiger und absoluter Ideen sind, ja, wo sie sogar symbolisch wird, in Tempelräumen (Tempel der Vesta nach dem Bild der himmlischen Umwölbung). c) Das, was an der Architektur sich eigentlich auf Bedürfniß be- zieht, ist das Innere, an dieses aber wird die Forderung der Schön- heit auch bei weitem zufälliger gemacht, als an das Aeußere. Folgesatz . Die Architektur bildet nothwendig nach arithmetischen oder, weil sie die Musik im Raume ist, nach geometrischen Verhält- nissen. — Der Beweis ist in Folgendem enthalten. 1. Es ist früher bewiesen worden, daß Natur, Wissenschaft und Kunst in ihren verschiedenen Stufen die Folge vom Schematischen zum Allegorischen und von da zum Symbolischen beobachtet. Der ur- sprünglichste Schematismus ist die Zahl, wo das Geformte, Besondere durch die Form oder das Allgemeine selbst symbolisirt wird. Was also in dem Gebiet des Schematismus liegt, ist der arithmetischen Bestim- mung unterworfen in der Natur und Kunst, die Architektur, als die Musik der Plastik, folgt also nothwendig arithmetischen Verhältnissen, da sie aber die Musik im Raume, gleichsam die erstarrte Musik ist, so sind diese Verhältnisse zugleich geometrische Verhältnisse. 2. In den tieferen Sphären der Kunst wie der Natur herrschen arithmetische und geometrische Verhältnisse. Auch die Malerei ist in der Linienperspektive noch ganz diesen unterworfen. Auf den höheren Stufen der Natur, sowie der Kunst, wo sie wahrhaft symbolisch wird, wirft sie jene Schranken einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit ab; es tritt die höhere ein, die für den Verstand irrational ist, und nur von der Vernunft gefaßt und begriffen wird: in der Wissenschaft z. B. der höheren Verhältnisse, welche nur die Philosophie, die symbolische unter den drei Grundwissenschaften, begreift: in der Natur die Schönheit der Gestalt, welche nur die Einbildungskraft faßt. Es liegt hier der Natur nicht mehr an dem Ausdruck einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit, sie wird Bild der absoluten Identität, das Chaos im Absoluten; das geometrisch Regelmäßige verschwindet und das Gesetzmäßige einer höheren Ordnung tritt ein. Ebenso in der Kunst in der eigentlichen Plastik, welche von geometrischen Verhältnissen am meisten unabhängig, ganz frei nur die der Schönheit an und für sich selbst darstellt, und in Betrach- tung zieht. Da nun aber die Architektur nichts anderes ist als ein Zurückgehen der Plastik zum Anorgischen, so muß auch in ihr die geometrische Regelmäßigkeit noch ihr Recht behaupten, die erst auf den höheren Stufen abgeworfen wird. Das zuletzt Bewiesene führt uns übrigens noch nicht weiter als eben zur Einsicht der Abhängigkeit der Architektur von der geometrischen Regelmäßigkeit. Wir begreifen sie dadurch nur von ihrer Naturseite und noch nicht als unabhängige und selbständige Kunst. Als freie und schöne Kunst kann Architektur nur erscheinen, inwie- fern sie Ausdruck von Ideen , Bild des Universums und des Absoluten wird. Aber reales Bild des Absoluten und demnach unmittelbarer Ausdruck der Ideen ist nach §. 62 überall nur die organische Gestalt in ihrer Vollkommenheit. — Die Musik, welcher die Architektur unter den Formen der Plastik entspricht, ist zwar davon freigesprochen, Ge- stalten darzustellen, weil sie das Universum in den Formen der ersten und reinsten Bewegung, abgesondert von dem Stoffe darstellt. Die Architektur ist aber eine Form der Plastik, und wenn sie Musik ist, so ist sie concrete Musik. Sie kann das Universum nicht bloß durch die Form, sie muß es in Wesen und Form zugleich darstellen. Die organische Gestalt hat ein unmittelbares Verhältniß zur Ver- nunft, denn sie ist ihre nächste Erscheinung und selbst nur die real- angeschaute Vernunft. Zum Anorgischen hat die Vernunft nur ein mittelbares Verhältniß, nämlich durch den Organismus, der ihr unmit- telbarer Leib ist. Die erste Beziehung auch der Architektur auf die Vernunft bleibt also immer nur eine mittelbare, und da sie nur Schelling , sämmtl. Werke 1. Abth. V. 37 durch den Begriff des Organismus vermittelt seyn kann, eine überhaupt durch Begriff vermittelte Beziehung. Soll sie aber eine absolute Kunst seyn, so muß sie an sich selbst und ohne Vermittlung in der Identität mit der Vernunft seyn. Dieß kann nicht dadurch geschehen, daß in dem Stoff nur überhaupt ein Zweckbegriff ausgedrückt wird. Denn auch bei dem vollkommensten Ausdruck geht der Zweckbegriff doch, wie er nicht aus dem Objekt kommt , auch nicht in das Objekt über. Er ist nicht der unmittelbare Begriff des Objekts selbst, sondern eines Anderen, das außer ihm liegt. Im Organismus dagegen geht der Begriff ganz über in das Objekt, so daß Subjektives und Objektives, Un- endliches und Endliches in ihm wahrhaft eins sind, und er dadurch in sich selbst und an sich selbst Bild der Vernunft wird. Wenn die Architektur unmittelbar durch Ausdruck eines Zweckbegriffs schöne Kunst werden könnte, so sieht man nicht ein, warum dieß nicht auch andern Künsten freistünde, warum es nicht wie es Baukünstler gibt auch z. B. Kleider- künstler geben sollte. Es muß also eine innigere, scheinbar aus dem Objekt selbst kommende Identität, eine wahre Verschmelzung mit dem Begriff seyn, was die Architektur zur schönen Kunst macht. Bei dem bloß mechanischen Kunstwerk ist dieser Zusammenhang immer nur sub- jektiv. (Hiermit ist die letzte Antwort auf jene erste Frage gegeben.) Ohne Zweifel war es das Gefühl dieses Verhältnisses, was der herrschenden Meinung über Architektur den Ursprung gab. Nämlich, solang Architektur dem bloßen Bedürfniß fröhnt und nur nützlich ist, ist sie auch nur dieses und kann nicht zugleich schön seyn. Dieß wird sie nur, wenn sie davon unabhängig wird, und weil sie dieß doch nicht absolut seyn kann, indem sie durch ihre letzte Beziehung immer wieder an das Bedürfniß grenzt, so wird sie schön nur, indem sie zugleich von sich selbst unabhängig, gleichsam die Potenz und die freie Nach- ahmung von sich selbst wird. Alsdann, indem sie mit dem Schein zugleich die Realität und den Nutzen erreicht, ohne sie doch als Nutzen und als Realität zu beabsichtigen, wird sie freie und unabhängige Kunst, und indem sie das schon mit dem Zweckbegriff verbundene Objekt, also den Zweckbegriff selbst mit dem Objekt zugleich zum Gegenstand macht, ist dieses für sie als höhere Kunst eine objektive Identität des Sub- jektiven und Objektiven, des Begriffs und des Dings, und demnach etwas, das an sich Realität hat. Obgleich die gewöhnliche Vorstellung von der Architektur als Kunst als einer beständigen Nachahmung, der Baukunst als Kunst des Be- dürfnisses nicht eben auf diese Weise abgeleitet zu werden pflegt, so muß doch dieß Raisonnement ihr zu Grunde gelegt werden, wenn sie überhaupt begründet seyn soll. Ich werde diese Ansicht in der Folge mehr im Detail angeben; vorjetzt genügt es, sie im Allgemeinen zu kennen. Um es kurz zu sagen, so sind alle scheinbar-freien Formen der Architektur, von denen niemand leugnet, daß ihnen eine Schönheit an sich zukomme, nach dieser Ansicht Nachahmungen der Formen der roheren Baukunst und insbesondere der Baukunst mit Holz als der einfachsten, und die am wenigsten Bearbeitung erfordert, z. B. die Säulen der schönen Bau- kunst Baumstämmen nachgebildet, die auf die Erde gestellt wurden, um das Dach der ersten Wohnungen zu tragen. Beim ersten Entstehen war diese Form Sache des Bedürfnisses; nachher, da sie durch freie Kunst und Bearbeitung nachgeahmt wurde, erhob sie sich zu einer Kunstform. Die Triglyphen der dorischen Säulen-Ordnung, sagt man, waren ursprünglich die hervorsehenden Köpfe der Querbalken, nachher wurde der Schein davon ohne die Realität beibehalten, wodurch also diese Form gleichfalls zu einer freien Kunstform wurde. Dieß mag indessen hinreichend seyn, diese Ansicht im Allgemeinen zu kennen. Was an dieser Meinung wahr ist, fällt auf den ersten Blick ins Auge, nämlich daß die Architektur als schöne Kunst von sich selbst als Kunst des Bedürfnisses die Potenz seyn, oder sich selbst als solche zur Form, zum Leib nehmen muß, um eine unabhängige Kunst zu seyn. Dieß ist auch von uns bereits behauptet worden. Allein eben wie die Form, deren die Baukunst als Handwerk bedurfte, unmittelbar durch die freie Nachahmung oder Parodie — durch diesen Uebergang vom Realen zum Idealen selbst eine an sich schöne Form werden könne: die Beantwortung dieser Frage liegt weit tiefer, und sicher wird man nicht behaupten wollen, daß jede nothdürftige Form einzig dadurch, daß sie, ohne Noth, nachgeahmt wird, zu einer schönen Form werden könne. Auch ist es ganz unmöglich, alle Formen der schönen Architektur aus dieser bloßen Nachahmung abzuleiten. Hiezu bedarf es also eines höhe- ren Princips, welches wir jetzt abzuleiten haben. Ich schicke zu diesem Behuf folgende Sätze voraus. §. 108. Die Architektur, um schöne Kunst zu seyn, muß die Zweckmäßigkeit, die in ihr ist, als eine objektive Zweck- mäßigkeit, d. h. als objektive Identität des Begriffs und des Dings, des Subjektiven und Objektiven, darstellen . Beweis . Denn nach §. 19 ist Kunst überhaupt nur objektive oder reale Darstellung der Identität des Allgemeinen und Besondern, des Subjektiven und Objektiven, so also, daß diese im Gegenstand selbst als eins erscheinen. §. 109. Lehnsatz. Objektive Zweckmäßigkeit oder objek- tive Identität des Subjektiven und Objektiven ist ursprünglich , d. h. unabhängig von der Kunst, nur im Organismus . Folgt aus dem, was ebenfalls früher (§. 17) bewiesen worden. §. 110. Die Architektur als schöne Kunst hat den Orga- nismus als das Wesen des Anorgischen, und demnach die organischen Formen als präformirt im Anorgischen dar- zustellen . — Dieß ist nun jenes höhere Princip, nach welchem die Formen der Architektur beurtheilt werden müssen. Der erste Theil des Satzes ist so zu beweisen: die Architektur ist die anorgische Form der Plastik nach §. 107. Nun ist aber die Plastik nach §. 105, Folgesatz 2 Ausdruck der Vernunft als des Wesens der Materie. Das unmittel- bare reale Bild der Vernunft ist aber, wie schon §. 18 bewiesen wurde, in dem Organismus ausgedrückt. Das Anorgische kann also kein unmittelbares und absolutes Verhältniß zur Vernunft, d. h. ein solches Verhältniß haben, welches nicht auf Vermittlung durch Zweckbegriff, sondern auf der unmittelbaren Identität mit der Vernunft selbst beruht, außer inwiefern, ebenso wie die Vernunft als das Wesen, das An-sich des Organismus unmittelbar in diesem, ebenso der Organismus wieder als das Wesen oder die Wurzel des Anorgischen in diesem dargestellt wird. Also kann auch die Architektur nicht Plastik, d. h. unmittelbarer Ausdruck der Vernunft als der absoluten Indifferenz des Subjektiven und Objektiven seyn, ohne den Organismus als das Wesen, das An-sich des Anorgischen darzustellen. Der zweite Theil des Satzes folgt nun aus dem Beweise des ersten von selbst. Denn da die Architektur die Grenzen des Anorgi- schen nicht übersteigen soll, da sie die anorgische Kunstform ist, so kann sie den Organismus als das Wesen des Anorgischen nur da- durch darstellen, daß sie jenen als begriffen in diesem, demnach die organischen Formen als präformirt im Anorgischen darstellt. Die weitere Erklärung, auf welche Weise sie diese Forderung er- fülle, wird durch die Folge von selbst gegeben werden. Zusatz . Dasselbe kann auch so ausgedrückt werden: die Archi- tektur als schöne Kunst hat das Anorgische als Allegorie des Organischen darzustellen . — Denn sie soll jenes als das Wesen von diesem, aber doch im Anorgischen, d. h. so darstellen, daß dieses nicht selbst organisch ist, sondern das Organische bloß bedeutet. Aber eben dieß ist die Natur der Allegorie. §. 111. Die Architektur, um schöne Kunst zu seyn, muß von sich selbst als Kunst des Bedürfnisses die Potenz oder Nachahmung seyn . Beweis . Denn ihrem letzten Grund nach bleibt sie der Be- ziehung auf Zweck untergeordnet, indem das Anorgische als solches zur Vernunft nur ein mittelbares Verhältniß, also nie symbolische Be- deutung haben kann. Um also einerseits der Nothwendigkeit zu ge- horchen, andrerseits sich über sie zu erheben, und die subjektive Zweck- mäßigkeit zu einer objektiven zu machen, muß sie sich selbst Objekt werden, sich selbst nachahmen. Anmerkung . Es versteht sich von selbst, daß diese Nachahmung nur so weit geht, als dadurch wirklich eine Zweckmäßigkeit im Ob- jekte selbst gesetzt wird. Der Beweis ist noch auf andere Art so zu führen. Die Archi- tektur (nach §. 110) hat den Organismus als die Idee und das Wesen des Anorgischen auszudrücken. Dieß heißt dem Zusatz zufolge so- viel: Sie hat das Organische durch das Anorgische anzudeuten, dieses zur Allegorie von ihm, nicht zum Organischen selbst zu machen. Sie fordert also von der einen Seite zwar eine objektive Identität des Begriffs und des Dings, von der anderen aber auch keine abso- lute , dergleichen im organischen Wesen selbst ist (denn sonst wäre sie Sculptur). Indem sie nur sich selbst als mechanische Kunst nachahmt, werden die Formen der letzteren Formen der Architektur als Kunst der Nothwendigkeit werden: denn jene sind gleichsam Naturobjekte, die unabhängig von der Kunst als solcher schon da sind, und da sie nach einem Zweck entworfen sind, drücken sie eine objektive Identität des Begriffs und des Dings aus, die insofern (durch die Objektivität) der Identität des organischen Naturprodukts gleicht, von der anderen Seite aber — da jene Identität doch ursprünglich keine absolute (sondern eine bloß durch mechanische Kunst hervorgebrachte) war — nur eine Andeutung, Allegorie des Organischen ist. Indem also die Architektur sich selbst als mechanische Kunst nach- ahmt, erfüllt sie, indem sie die Forderungen der Nothwendigkeit be- friedigt, zugleich die der Kunst. Sie ist unabhängig vom Bedürfniß und doch zugleich Befriedigung des Bedürfnißes und erreicht also die vollkommene Synthese ihrer Form oder ihres Besonderen (welches darin besteht, daß sie eine ursprünglich zweckmäßige Kunst ist) und des Allgemeinen oder Absoluten der Kunst, welches in einer objektiven Identität des Subjektiven und Objektiven besteht; sie erfüllt also die Forderung, die wir gleich anfangs (§. 107, Anm. 2) an sie gemacht haben. Folgesatz . Alle diejenigen Formen der Architektur sind an sich schön, in welchen eine Allegorie des Organischen durch das Anorgische ausgedrückt ist, es sey nun, daß diese durch Nachahmung der Formen dieser Kunst als Kunst der Nothwendigkeit oder durch freie Produktion entstehen. Dieser Satz kann nun als allgemeines Princip der Construktion und Beurtheilung aller architektonischen Formen gelten. Indem er von der einen Seite das Princip, daß die Architektur eine Parodie der mechanischen Baukunst sey, auf die Bedingung beschränkt, daß die For- men derselben durch diese Objektivirung allegorisch für das Organische werden, läßt er diese Kunst in anderer Rücksicht frei über diese Nach- ahmung hinausgehen, wofern sie nur die allgemeine Forderung, das Organische als präformirt im Anorgischen darzustellen, erfüllt. Es kann hiebei noch allgemein bemerkt werden, daß die Kunst das Anorgische auch in andern Beziehungen nur in jenem Verhältniß zum Organischen nachahmen kann. Nicht der geringste Theil der pla- stischen Kunst ist die Kunst der Draperie und Belleidung, welche als die vollkommenste und schönste Architektonik betrachtet werden kann. Aber die Kleidung um ihrer selbst willen plastisch auszudrücken, würde keine Aufgabe der Kunst seyn. Nur als Allegorie des Organischen, als andeutend die höheren Formen des organischen Leibs, ist sie einer der schönsten Theile der Kunst. §. 112. Die Architektur hat vorzugsweise den Pflan- zenorganismus zum Vorbild . — Denn sie ist nach dem Zusatz zu §. 110 eine Allegorie des Organischen, sofern dieses objektive Iden- tität des Allgemeinen und Besondern ist. Der Organismus κατ̕ ἐξοχήν aber ist nur der thierische, und in diesem wieder der menschliche Or- ganismus, zu welchem sich der der Pflanze nur als Allegorie verhält. Demnach ist Architektur vorzugsweise nach dem Vorbild des Pflanzen- organismus gebildet. Anmerkung . Die Pflanze als Allegorie des Thierischen ist vor- züglich daraus zu begreifen, daß in ihr die Besonderheit herrschend, das Allgemeine also durch die Besonderheit vorgebildet wird. (Größte Aehnlichkeit des menschlichen und Pflanzenorganismus.) Erläuterung . Die nahe Verwandtschaft der Architektur mit der Pflanzenwelt können wir von der tiefsten Stufe selbst der rohesten Kunst an verfolgen, wo sie die gleichsam bloß instinktmäßige Hinneigung zu diesem Vorbild zeigt. Die sogenannte gothische Baukunst zeigt uns diesen Instinkt noch ganz roh, indem in ihr sogar die Pflanzenwelt unverändert durch die Kunst zum Vorbild wird. Es bedarf bloß des Anblicks der ächten Werke gothischer Baukunst, um in allen Formen derselben die unveränderten Formen der Pflanze zu erkennen. Was das Hauptauszeichnende derselben betrifft, die zum Verhältniß des Um- fangs und der Höhe schmale Basis, so haben wir uns ein gothisches Gebäude, z. B. einen Thurm, wie das Münster zu Straßburg u. a. als einen ungeheuren Baum vorzustellen, der von einem verhältniß- mäßig schmalen Stamm aus sich in eine unermeßliche Krone verbreitet, die ihre Aeste und Zweige nach allen Seiten in die Lüfte streckt. Die Menge kleinerer, auf dem Hauptstamm angebrachter Gebäude, die Nebenthürmchen u. s. w., durch welche das Gebäude von allen Seiten nach der Breite sich ausdehnt, sind nur Darstellungen dieser Aeste und Zweige, eines gleichsam selbst zu einer Stadt gewordenen Baumes, sowie das überall angebrachte und gehäufte Laubwerk unmittelbarer auf dieses Urbild hindeutet. Die Nebengebäude, welche näher an der Erde den ächt-gothischen Werken zugegeben werden, wie die Nebenkapellen an den Kirchen, deuten die Wurzel an, welche dieser große Baum unten um sich verbreitet. Alle Eigenheiten der gothischen Baukunst drücken diese Beziehung aus, z. B. die sogenannten Kreuzgänge in Klöstern, welche eine Reihe von Bäumen vorstellen, deren Zweige oben gegen einander geneigt und in einander verwachsen sind, und auf diese Weise ein Gewölbe bilden. Ich bemerke nur zur Geschichte der gothischen Baukunst, daß es ein offenbarer Irrthum ist, die Gothen als die Urheber des nach ihnen genannten Geschmacks und als diejenigen zu bezeichnen, die diese Form der Architektur nach Italien gebracht. Die Gothen, als ein ganz krie- gerisches Volk, brachten weder Architekten noch andere Künstler mit sich nach Italien, und als sie sich dort niederließen, bedienten sie sich der einheimischen Künstler. Nur war unter diesen selbst der Geschmack schon im Verfall, und die Gothen strebten sogar dieß zu verhindern, indem ihre Fürsten das Kunsttalent offenbar aufmunterten und die Kunstausübung begünstigten. Die jetzt gewöhnliche Meinung ist, daß die Saracenen diese Baukunst mit nach dem Abendland und zwar zuerst nach Spanien gebracht, von wo aus sie sich über Europa verbreitet. Man beruft sich unter anderem darauf, daß diese Baukunst die eines sehr heißen Himmelstrichs seyn mußte, in welchem man Schatten und Kühle zu suchen hatte. Allein man könnte diesen Grund auch um- kehren und die gothische Baukunst für viel einheimischer halten. Wenn Tacitus von den alten Germanen sagt, daß sie keine Tempel gehabt, sondern im Freien unter Bäumen die Götter verehrt, und wenn Deutsch- land in den ältesten Zeiten ganz mit Wäldern bedeckt war, so läßt sich denken, daß auch beim ersten Anfang der Civilisation in der Bauart, vorzüglich der Tempel, die Deutschen das alte Vorbild ihrer Wälder nachgeahmt haben, daß auf diese Weise die gothische Baukunst in Deutsch- land ursprünglich heimisch war, und von da aus sich vorzüglich nach Holland und England verpflanzte, wo z. B. das Schloß in Windsor in diesem Styl gebaut ist, und wo sich die reinsten Werke desselben finden, indem anderwärts, z. B. in Italien, er nur gemischt mit dem neueren italienischen existirte. Dieß sind verschiedene Möglichkeiten, über welche nur aus historischen Gründen entschieden werden kann. Ein solcher scheint mir aber wirklich vorhanden zu seyn, da die Ursprünge der gothischen Baukunst noch weiter zurückreichen. Es ist nämlich eine verwundernswerthe und in die Augen springende Aehnlichkeit, welche die indische Bauart mit der gothischen zeigt. Sicher kann diese Bemer- kung niemand entgehen, der etwa die Zeichnungen indischer Landschaften und Gebäude von Hodges gesehen hat. Die Architektur der Tempel und Pagoden ist ganz gothischer Art; selbst gemeinen Gebäuden fehlen die gothischen Pfeiler und die spitzigen Thürmchen nicht. Das Laubwerk als architektonische Verzierung ist ohnehin orientalischen Ursprungs. Der ausschweifende Geschmack der Orientalen, der überall das Be- grenzte meidet und auf das Unbegrenzte geht, blickt unverkennbar durch die gothische Baukunst hindurch, und diese wird im Kolossalen noch von der indischen Architektur übertroffen, welche Gebäude, die einzeln dem Umfang einer großen Stadt gleichen, ebenso wie die riesenhafteste Vegetation der Erde aufzuweisen hat. Wie dieser ursprünglich indische Geschmack sich nachher über Europa verbreitet habe, die Beantwortung dieser Frage muß ich dem Historiker überlassen. Auf eine andere Weise hat sich der kolossale Geschmack in der Baukunst in Aegypten ausgedrückt. Die ewig unveränderliche Gestalt des Himmels, die gleichförmigen Bewegungen der Natur trieben dieses Volk selbst gegen das Feste, das Unveränderliche hin, ein Sinn, der sich in ihren Pyramiden verewigt hat, sowie nach allem, was wir wissen, eben dieser aufs Unwandelbare gerichtete Sinn die Aegypter verhindert hat, jemals anders als mit Stein zu bauen. Daher die cubische Form aller ihrer Werke; die leichtere und rundere Form, deren Vorbild die Architektur von Bäumen und den zur ersten Bauart mit Holz gebrauchten Baumstämmen entlehnt hat, konnte bei ihnen nicht entstehen. Wir gehen zu der höheren Nachbildung der Pflanzenform in der edleren Architektur fort. Die gothische Baukunst ist ganz naturalistisch, roh, bloße unmittel- bare Nachahmung der Natur, in der nichts an absichtliche und freie Kunst erinnert. Die erste noch rohe dorische Säule, welche einen be- hauenen Stamm vorstellt, erhebt mich schon auf das Gebiet der Kunst, indem sie mir die mechanische Bearbeitung durch freie Kunst nachge- ahmt, diese also als über das Bedürfniß und die Nothwendigkeit er- haben, auf das Schöne und Bedeutende an sich gerichtet zeigt. Der angegebene Ursprung der dorischen Säule und die Umkehrung des Ge- schmacks, der die rohe Natur nachahmt, drückt sich in ihrer Form aus. Der gothische Geschmack muß, weil er den Baum ungeformt darstellt, die Basis verengen und den obern Theil ausdehnen. Die dorische Säule ist, wie der behauene Stamm, nach unten breiter und verjüngt sich nach oben. Die Pflanze ist hier schon zur Allegorie des Thierreichs gemacht, eben weil der rohe Erguß der Natur in ihr aufgehoben und damit angedeutet ist, daß sie nicht um ihrer selbst willen, sondern um ein anderes zu bedeuten da sey. Die Kunst spricht hier die Natur voll- kommener aus und verbessert sie gleichsam. Sie nimmt das Ueber- fließende und das bloß zur Individualität Gehörige hinweg, und läßt nur das Bedeutende bestehen. Der Baum wird theils für sich selbst und in sich selbst zur Allegorie des höheren Organischen, da er, wie dieses, nach oben und unten, durch Haupt und Fuß geschlossen wird, theils wird er es in der Beziehung auf das Ganze, wo er die Säule eines organischen Ganzen bedeutet, wodurch dieses sich über die Erde in die höhere Region des Aethers erhebt. Wie in der Natur die Pflanze nur das Vorspiel und insofern gleichsam der Boden der höheren Entwick- lung im Thierreich ist, so zeigt sie sich auch hier; die Säule ist das Stützende, gleichsam die Stufe, die zu dem höheren Gebilde hinauf- leitet, das vollkommener schon die Formen der thierischen Organisation verkündet; nur auf ihrem Gipfel, da wo sie die höhere Bildung berührt, und in diese gleichsam übergeht, darf sie ihre eigne Ueppigkeit zeigen und, wie in der korinthischen Säule, in Blättern ranken, die selbst wieder, das erhabenere Gebilde tragend, durch ihre Leichtigkeit und Zartheit die höhere Natur des letzteren andeuten, und uns gleichsam vergessen lassen, daß es den Gesetzen der Schwere unterworfen ist. Es kommt nun darauf an, die Allegorie des höheren Organi- schen in den einzelnen Formen der Architektur noch bestimmter nach- zuweisen. §. 113. Die Allegorie des höheren Organischen findet sich theils in der Symmetrie des Ganzen, theils in der Vollendung des Einzelnen und des Ganzen nach oben und unten, wodurch es eine in sich beschlossene Welt wird . — Es ist schon bei der Malerei bemerkt worden, daß die Natur, wo sie die höchste Indifferenz und Totalität erreicht, im Organischen und vor- züglich im Thierleib, eine doppelte Polarität annimmt, Ost- und Westpolarität, (von oben nach unten findet Differenz statt, reelle Polarität, nach der Seite bloß ideelle). Sie producirt daher die edel- sten Organe, d. h. diejenigen, in welchen sie am meisten jene letzte Indifferenz erreicht hat, doppelt, und macht das organische Gebilde in zwei symmetrische Hälften zerfallen, die dem Entwurf der Natur nach sich mehr oder weniger gleich sind. Diese Symmetrie , welche mehr oder weniger in dem architektonischen Theil der Malerei gefordert wird, wird nur noch bestimmter in der Architektur selbst gefordert, und zwar wird sie zur vollkommensten Coincidenz mit dem Bau des mensch- lichen Leibs so gefordert, daß die Linie, welche die beiden symmetri- schen Hälften scheidet, nicht horizontal, sondern perpendikular, von oben nach unten, gehe. Diese Symmetrie wird an allen Werken der Bau- kunst, die Anspruch machen, schön zu seyn, so entschieden gefordert, als sie nur an der menschlichen Gestalt gefordert wird, und der Verstoß dagegen so wenig vertragen als ein schiefes Gesicht oder ein solches, das aus zwei gar nicht zu einander gehörigen Hälften zusammenge- setzt scheint. Die zweite das organische Verhältniß andeutende Form ist die Vollendung des Ganzen und Einzelnen nach oben und unten . Die Natur schließt keine ihrer Bildungen anders als durch eine ganz entschiedene Aufhebung der Succession oder reinen Länge, die sich durch eine concentrische Stellung andeutet. Die Pflanze würde ins Un- endliche nach der Länge fortsprossen, Knoten auf Knoten treiben — und wirklich kann jede Pflanze durch übermäßigen Zufluß roher Säfte in diesem Sprossungszustand fortwährend erhalten werden — wenn die Natur nicht einen Punkt erreichte, wo sie das, was sie zuvor successiv producirt, zumal producirt. So macht sie es bei dem Produciren der Blüthe in der Pflanze, sie bildet damit einen Kopf, ein bedeutendes Ende. Und auch im Thierreich folgt sie diesem Gesetz, sie schließt das Thier nach oben durch den Kopf, das Gehirn, und auch dieses Ende entsteht ihr nur dadurch, daß sie das, was sie zuvor (in den Nerven- knoten) successiv producirte, zumal producirt und ihm eine concentrische Stellung gibt. Dasselbe ist mehr oder weniger in den Formen der Architektur nachzuweisen. Bereits ist erinnert worden, daß die Säule, die vorzüglich nach dem Schema der Pflanze gebildet ist, in der Architektur ausdrücklich auf die Pflanze selbst als die bloße Vorbedeutung, die Stütze des höheren Organischen hindeutet. Aber wie die Natur, wie die höhere Wissenschaft und Kunst selbst überall auch das, was Theil ist, wieder zum Ganzen und als Glied in diesem wieder für sich absolut zu machen strebt, so auch die Architektur. Auch die Säule also wird in sich auf eine bedeutende Weise geschlossen. Nach unten erhält sie einen Fuß, das architektonische Gebild wird dadurch ganz aus der Cohärenz mit der Erde gerissen, es steht frei auf ihr wie das Thier, denn wäre die Säule nach unten nicht auf bedeutende Weise geschlossen, so könnte sie, als in die Erde versenkt oder ihre Wurzeln darein senkend erscheinen, das Ganze würde zur Pflanzennatur zurücksinken. Nach oben wird die Säule durch den Kopf auf verschiedene Weise geschlossen, durch das einfache Capitäl der dorischen Ordnung, durch die Schneckenwindungen der jonischen, wo gleichsam als auf der Grenze das höhere Vorspiel des Thierischen beginnt, und in der concentrischen Blätterstellung der korinthischen. Dasselbe findet sich nun wieder im Ganzen, welches nach unten durch die Säulen als die Füße geschlossen wird. Der mittlere Theil des Gebäudes bedeutet den mittleren Theil des Leibes, wo äußerlich die größte Symmetrie herrschen muß, und wo, wie im thierischen Leib, erst das wahrhaft Innere, welches wieder selbständige Ganze für sich bildet, beginnt (und schon bemerkt, daß nach innen auch hier unbe- schadet der Schönheit mehr auf das Bedürfniß als auf die Symmetrie gesehen werden kann). Je näher dem Gipfel, desto bedeutender werden alle Formen. Das Fronton bedeutet schon dem Namen nach die Stirne des Gebäudes. Dieß ist der Ort der vorzüglichsten Verzierungen durch Basreliefs, wo die Stirn gleichsam als Sitz der Gedanken äußerlich angedeutet wird. Nach innen schließt sich das Ganze durch das Gebälk, welches seiner inneren Construktion nach eine concentrische Stellung hat und ein sich selbst tragendes und haltendes Ganzes ist. Das Dach, wo es stattfindet, kann als die äußerliche, organisch indifferente Bedeckung betrachtet werden. Der vollkommenste und bedeutendste Beschluß des Ganzen aber ist ein vollkommen gewölbtes Dach, d. h. die Kuppel. Hier ist die concentrische Stellung am vollkommensten, und indem hier sich die einzelnen Theile wechselseitig tragen und unterstützen, entsteht die vollkommenste Totalität, ein Bild des allgemeinen, alles tragenden Or- ganismus und der himmlischen Umwölbung. §. 114. Die Architektur hat, als die Musik der Pla- stik, wie jene einen rhythmischen, harmonischen und me- lodischen Theil . — Folgt von selbst aus §. 107. §. 115. Der architektonische Rhythmus drückt sich in der periodischen Eintheilung des Gleichartigen , also vor- nämlich in folgenden Theilen aus : Abnahme und Verjüngung der Säulen nach oben und unten, Größe der Säulenweite, in der dorischen Ordnung insbesondere durch Verbindung der Glieder in Gesimse, Zahl der Triglyphen in einer Säulenweite u. s. w. Erläuterung . Die Verjüngung der Säule geschieht in der dorischen Ordnung nach oben in gerader Linie, an der jonischen, der korinthischen ist die Linie, nach der sie abnehmen, eine Curve. Was die Säulenweiten betrifft, so war nach Vitruvius Lib. III, Cap. 2. bei den Alten fünferlei gebräuchlich, wovon weder die zu geringe, noch die zu große die schönste ist, sondern die mittlere, denn jene gibt dem Ganzen ein zu dickes, diese ein zu mageres Ansehen. Das Rhythmische hierin einzusehen, müssen wir die Erklärung zurückrufen, daß es in einer periodischen Eintheilung des Gleichartigen besteht. In der Musik sind die Weiten Zeitentfernungen, in der Architektur Raumweiten. Die Zahl der Triglyphen ist abhängig von der Säulenweite, indem die beiden äußersten in einem Intercolumnium immer genau über eine Säule zu stehen kommen müssen. Die Glieder des Gesimses sind die verschiedenen größeren und kleineren Theile, woraus diese zusam- mengesetzt werden. Die Hauptforderung ist, daß sie rhythmisch geord- net seyen, d. h. daß die Menge und Verschiedenheit der Glieder weder das Auge verwirren, noch daß auf der anderen Seite in Ansehung der Form und Größe derselben zu große Einförmigkeit herrsche. Zwei Glie- der derselben Art und Größe dürfen daher nicht unmittelbar unter oder über einander liegen, und das Ganze muß sich gewissermaßen wieder grup- piren, wie in der Musik auch aus schon zusammengesetzten rhythmischen Gliedern wieder größere gebildet werden. Zusatz . Allgemein kann in Ansehung des rhythmischen Theils behauptet werden, daß, was das Schöne, auch zugleich das Nützliche und Nothwendige ist. — Denn das Schöne in der Architektur beruht eben auf der Synthesis des Allgemeinen mit dem Besondern dieser Kunst, welches ihre Beziehung auf Zweck oder Nutzen ist. So ist z. B. die Regel der Verjüngung der Säule nach oben durchaus auch die Regel der Sicherheit und Festigkeit. §. 117. Die drei Säulenordnungen haben unter sich wieder ein Verhältniß wie Rhythmus, Harmonie und Me- lodie , oder sie sind theils vorzugsweise nach rhythmischen theils vor- zugsweise nach harmonischen theils endlich nach melodischen Grundsätzen gebildet. — (Die nothwendige und wesentliche Besonderheit bewährt sich in Erklärung der einzelnen Formen.) Zusatz . Die dorische Säulenordnung ist vorzugsweise die rhyth- mische. Der Rhythmus ist in der Musik die reale Form, das Wesent- liche, das Nothwendige der Musik. So die dorische Ordnung, welche am meisten Nothwendigkeit, am wenigsten Zufälliges hat. Sie ist unter den drei Ordnungen die strenge, realistische, männliche und ohne Ausbildung nach der Breite. Bei ihr läßt sich daher auch der reali- stische Ursprung aus der Nachahmung der Baukunst als Kunst der Nothwendigkeit noch am meisten nachweisen. Die gewöhnliche Erklärung oder Construktion der dorischen Ordnung in ihren einzelnen Formen ist folgende aus dem bekannten Princip geführte. In der ersten Zeit der noch einfachen Baukunst begnügten sich die Menschen mit einem bloßen Dach, das ihnen Schutz gegen Sonne, Regen und Kälte gab. Die einfachste Weise, dazu zu gelangen, war ohne Zweifel, daß sie in die Erde vier oder mehrere Pfähle steckten, auf welche dann von vorn und hinten erstens ein Querbalken gelegt wurde, um die in gleicher Linie stehenden Balken zu verbinden, und zugleich die Unterlagen für die Hauptbalken zu geben. Der Querbalken bildete den Architrav. Auf diesen Querbalken wurden nun erst die Hauptbalken, die das Ge- bäude von vorn nach hinten verbinden, gelegt, und zwar in einiger Entfernung, um sie nachher mit Brettern zu überlegen. Die Hervor- ragungen oder Köpfe dieser Hauptbalken mußten nun natürlich oberhalb des Querbalkens sichtbar seyn, die man erst gerade absägte, nachher des Schmuckes halber Bretter von der nachherigen Form der Trigly- phen davor nagelte. Die Triglyphen sind also noch jetzt eine ideale Vorstellung der Köpfe vor den Hauptbalken. Die Zwischenräume zwi- schen diesen Balken blieben anfänglich in der roheren Baukunst leer, nachher wurden sie, um diesen Uebelstand für das Auge aufzuheben, gleichfalls mit Brettern bedeckt, welche dann in der Nachahmung der schönen Architektur die Veranlassung der Metopen geworden, wo- durch der gar zu große Raum zwischen den Querbalken und den ober- sten hervortretenden Brettern (deren Vorsprung, um den Regen abzu- halten, das Karnies bildete) zu einer identischen Fläche wurde, die dann den Zophorus oder Fries bildete. — Im Allgemeinen habe ich schon früher gesagt, was von dieser Erklärungsart zu halten sey. Es ist allerdings eine Nothwendigkeit darin, daß die Architektur, um schöne Kunst zu werden, sich ideal macht, und dadurch das Bedürfniß abstreift. Aber es liegt keine Nothwendigkeit darin, daß die Kunst, wenn sie sich über das Bedürfniß erhebt, die roheren Formen beibe- halte, wenn diese nicht an sich schön sind. So ist freilich offenbar die dorische Säule der behauene Baumstamm; sie verjüngt sich deßhalb nach oben, aber sie würde keine Form der schönen Architektur und in ihr beibehalten seyn, wenn sie nicht an sich selbst auf die Weise bedeu- tend wäre, wie es bereits gezeigt wurde, daß sie nämlich einen Baum vorstellt, der seine besondere Natur abgelegt hat und Vorbedeutung von etwas Höherem wird. So ist es gewiß, daß man die ältesten Säulen dieser Ordnung ohne Kapitäl und Base findet; sie stellen also noch die Bauart dar, wo man die behauenen Baumstämme unmittelbar unter das Dach und auf den flachen Erdboden stützte. Der Säulen- fuß und die Plinthe nach unten und das Kapitäl nach oben, kann man sagen, stellen nichts anderes vor als, jene das eine oder die mehreren Bretter, die man unterlegte, damit die Stämme durch die oben aufliegende Last nicht sich senkten oder von der Feuchtigkeit litten, dieses die oben über einander gelegten Bretter, damit der Stamm der zu tragenden Last eine größere Fläche darbiete. Allein das Kapitäl wie der Säulenfuß sind doch in der schönen Architektur aus einem viel höheren Grund als dem der Nachahmung beibehalten, nämlich um die Säule nach Art eines organischen Wesens nach oben und unten zu vollenden. Vorzüglich nun tritt dieß in Ansehung der Triglyphen ein; denn wie diese bestimmte Form aus den Balkenköpfen entstehen konnte, ist nicht einmal einzusehen, und man muß dabei doch eine Art von Er- findung zulassen, indem man sie zunächst von den Brettern ableitet, welche — in der späterhin durch die Triglyphen nachgeahmten Form — vor diese hervorragenden Köpfe gesetzt worden Cf. Vitruv Lib. IV, cap. 2. . Die Triglyphen haben also eine mehr oder weniger unabhängige und selbständige Be- deutung. Meine Vorstellung darüber ist diese. Wenn die Architektur überhaupt die erstarrte Musik ist, ein Ge- danke, der selbst den Dichtungen der Griechen nicht fremd war, wie schon aus dem bekannten Mythus von der Leyer des Amphion, der durch die Töne derselben die Steine bewegt habe sich zusammenzu- fügen und die Mauern der Stadt Thebe zu bilden — wenn also über- haupt die Architektur eine concrete Musik ist, und auch die Alten sie so betrachteten, so ist es ganz insbesondere die am meisten rhythmische, die dorische oder altgriechische Architektur (denn dorisch hieß überhaupt alles Altgriechische), und auch die Alten mußten sie vorzüglich unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Unmöglich konnte ihnen also auch das Allgemeine ferne liegen, diesen rhythmischen Charakter sinnbildlich durch eine Form auszudrücken, die sich der einer Leyer vorzüglich nähert, und eine solche Form sind die sogenannten Triglyphen. Ich will nicht behaupten, daß sie eine Anspielung auf die Leyer des Amphion seyn sollen, auf jeden Fall sind sie eine solche auf die alte griechische Leyer, das Tetrachord, dessen Erfindung einige dem Apollon, andere dem Mercur zuschreiben. Das älteste Musiksystem der Griechen enthielt nicht mehr als vier Töne in einer einzigen Oktave, den Grundton Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 38 nämlich, den tonus major, die Quinte und die Oktave. Daß wirklich ein solches Tonsystem in den Triglyphen ausgedrückt sey, läßt sich nicht deutlich machen, ohne die Anschauung zu Hülfe zu nehmen, da- her ich es der eignen Ansicht überlassen muß, sich davon zu überzeugen. Ich kann zur Bestätigung dieser Vermuthung noch die sogenannten Tropfen der Triglyphen zu Hülfe nehmen. Die gewöhnliche Vorstel- lung ist, in die hervorragenden Balkenköpfe seyen anfänglich darum senkrecht heruntergehende Schlitze gemacht worden, damit das Wasser desto leichter abliefe, und man beruft sich deßhalb auf die unten hängenden Tropfen. Allein die Anzahl derselben steht mit der Anzahl der Rinnen, als welche nämlich die Schlitze betrachtet werden müßten, in keinem Verhältniß. Da in dem System von vier Tönen nur sechs verschiedene Verbindungen von Tönen oder Consonanzen möglich sind, so würde die Sechszahl hier eben für das Zusammenfließen der vier Töne in sechs Consonanzen bedeutend seyn. Die genaue Zusammenstimmung der Verhältnisse der dorischen Ordnung mit musikalischen Verhältnissen ist auch noch auf andere Weise offenbar. Vitruvius gibt das Verhältniß der Breite zu der Höhe der Triglyphen wie 1 : 1½ oder 2 : 3 an, welches das Verhältniß einer der schönsten Consonanzen, der Quinte, ist, anstatt daß das andere von ihm für bei weitem weniger schön angegebene Verhältniß von 3 : 4 der Quarte in der Musik entspricht, die jener an Annehmlichkeit bei weitem nachsteht. Ob man mit solchen Vorstellungen zu viel Absichtlichkeit und Sinn in die architektonischen Formen der Griechen legt, mögen die- jenigen beurtheilen, die die Klarheit und das in allen ihren Werken herrschende Bewußtseyn sonst zu erkennen fähig sind. §. 117. Der harmonische Theil der Architektur bezieht sich vornehmlich auf die Proportionen oder Verhältnisse und ist die ideale Form dieser Kunst . — Proportionen finden in der Architektur vorzüglich wegen der An- spielung auf den menschlichen Körper statt, dessen Schönheit eben dar- auf beruht. Die Architektur, welche in der Beobachtung des Rhythmus noch die hohe, strenge Form behält und auf Wahrheit geht, nähert sich also durch Beobachtung des harmonischen Theils der organischen Schönheit, und da sie in Ansehung dieser nur allegorisch seyn kann, so ist die Harmonie eigentlich der ideale Theil dieser Kunst. (Ueber die Harmonie in der Architektur ist vorzüglich Vitruvius zu lesen.) Die Architektur schließt sich auch dadurch ganz an die Musik an, so daß ein schönes Gebäude in der That nichts anderes als eine mit dem Aug empfundene Musik, ein nicht in der Zeit-, sondern in der Raum- folge aufgefaßtes (simultanes) Concert von Harmonien und harmonischen Verbindungen ist. Zusatz 1. Die Harmonie ist der herrschende Theil der Archi- tektur. — Denn sie ist ihrer Natur nach ideal und allegorisch, und nähert sich als Musik im Raum wieder der Malerei als der idealen Kunstform, und in dieser derjenigen Gattung, welche vorzugsweise auf Harmonie (nicht auf Zeichnung) geht, — der Landschaft. Die Har- monie als die ideale Form ist also in ihr, die selbst ihrer Natur nach ideal ist, nothwendig die herrschende. Zusatz 2. Die jonische Säulenordnung ist die vorzugsweise harmonische. — Der Beweis liegt in der Schönheit aller Proportionen. Sie bildet den wahren Indifferenzpunkt zwischen der noch strengen Art der dorischen Ordnung und der überfließenden Ueppigkeit der korin- thischen. Vitruvius Lib. IV, cap. 1. berichtet, daß die jonischen Griechen, als sie den Tempel der Diana zu Ephesus bauen wollten, die Verhältnisse der alt- griechischen oder dorischen Ordnung, deren sie sich bisher bedient hatten, nicht zierlich und schön genug fanden, da diese mehr nach den Verhältnissen der männlichen Gestalt eingerichtet gewesen, indem die Säule mit Kapitäl (ohne Fuß) um sechsmal höher als die Dicke an dem untersten Ende des Stammes war. Sie gaben also ihrer Säulenordnung ein schöneres Verhältniß, indem sie dieselbe ( mit dem Fuß) achtmal höher machten, als der Stamm dick war, welches dann die Proportionen der weib- lichen Gestalt gab. Aus diesem Grunde haben sie auch die Vo- luten nach Aehnlichkeit des weiblichen Haarputzes an den Schläfen erfunden, sowie ferner die Kannelirungen die Falten weiblicher Kleider vorstellen. Daß die Proportionen der dorischen und jonischen Ordnung, jene wirklich mehr denen des gedrungenen männlichen Körpers, diese mehr denen des weiblichen Körpers nahe kommen, ist offenbar (da auch wirklich männliche Schönheit rhythmisch, weibliche harmonisch), obgleich diese Analogie von Vitruvius zu weit ausgedehnt worden ist. So haben die Schneckenwindungen des jonischen Knaufs nach meinem Bedünken eine allgemeinere Nothwendigkeit in sich als die der Nachahmung eines zufälligen Kopfschmucks, welches ohne Zweifel eine bloße Vermuthung des Vitruvius ist. Offenbar drücken diese Windungen die Präformation des Organischen im Anorgischen aus; sie sind wie die Versteinerungen der Erde Anspielungen auf das Organische, und wie diese in dem Verhältniß als sie der thierischen Form analoger werden, mehr auf den jüngeren Gebirgen und näher der Oberfläche erst gefunden werden, so bildet auch die anorgische Masse der Säule erst auf der Grenze, die sie mit dem höheren Gebilde macht, sich in Formen, die Vorbe- deutungen des Lebendigen sind. Die dorische Säule verjüngt sich, wie schon bemerkt, nach oben in einer geraden Linie — hier die Länge, die Starrheit, der Rhythmus herrschend —, die jonische nach einer Curve, welche die harmonische Form auch in der Malerei ist. Sie ist also selbst im rhythmischen Theil mehr harmonisch. Von den unendlich schönen Proportionen dieser Ordnung, die in ihrer Art wieder so vollkommen sind, als die der andern in der ihri- gen — daß man es einem deutschen Baumeister nicht übel nehmen kann, der es sogar für unmöglich hielt, daß sie menschliche Erfindungen seyen, und sie daher unmittelbar von Gott eingegeben glaubte — von diesen Proportionen der jonischen Ordnung will ich nur die ihres Säu- lenfußes oder der sogenannten Attica anführen, welche durch die Höhe ihrer Glieder, wie sie Vitruvius angibt, die vollkommenste Harmonie, nämlich den harmonischen Dreiklang ausdrückt. §. 118. Der melodische Theil der Architektur entsteht aus der Verbindung des R ythmischen mit dem Harmoni- schen . — Folgt schon aus dem Begriff der Melodie im §. 81. An- schaulich aber kann es an der dritten Säulenordnung, der korinthischen, nachgewiesen werden. Zusatz . Die korinthische Säulenordnung ist vorzugsweise die melodische. — Vitruvius, dessen Bericht vom Ursprung der jonischen Ordnung schon angeführt worden (es sey der Uebergang von den Pro- portionen der männlichen Gestalt zu denen der weiblichen gewesen), sagt, daß man in der korinthischen von den Proportionen des weiblichen Körpers zu dem des jungfräulichen fortgegangen sey, und wenn dieser Gedanke auch nicht eben der letzte Begriff ist, den man von dem Ur- sprung dieser Säulenordnung geben kann, so dient er doch vollkommen unsere Gedanken zu erläutern. Die korinthische Ordnung vereinigt mit der harmonischen Weichheit der jonischen wieder die rhythmischen For- men der dorischen, wie der jungfräuliche Leib mit der allgemeinen Weichheit weiblicher Formen die größere Herbheit und Strenge der jugendlichen Formen vereint. Schon die größere Schlankheit der korin- thischen Säulen macht in ihnen den Rhythmus bemerklicher. Die Erzählung des Vitruvius von dem Ursprung ihrer Erfindung ist bekannt. Ein junges Mädchen, das eben verheirathet werden sollte, starb, und ihre Amme setzte auf ihren Grabhügel in einem Korb einige kleine Gefässe, die dieses Mädchen im Leben geliebt hatte, und damit diese durch die Witterung nicht so bald verdorben würden, wenn jener offen stände, legte sie einen Ziegel auf den Korb. Da nun dieser zufälliger Weise auf die Wurzel einer Acanthuspflanze gesetzt war, so geschah es, daß im Frühling, da die Blätter und Ranken hervorsproßten, diese an dem auf der Mitte der Wurzel stehenden Korb rings emporwuchsen, und die Ranken, welche dem Ziegel begegneten, genöthigt wurden, sich an ihrer Extremität umzubeugen und Voluten zu bilden. Der Archi- tekt Kallimachos ging vorbei und sah den Korb, wie er von den Blät- tern umgeben, und da ihm diese Form ausnehmend gefiel, ahmte er sie in den Säulen nach, die er nachher den Korinthern machte. Das Auszeichnende der korinthischen Säule ist nämlich bekanntlich ein hohes Kapitäl mit drei übereinanderstehenden Reihen von Akanthusblättern und verschiedenen zwischen denselben sich hervordringenden Stengeln, die sich oben an dem Deckel in Schneckenformen falten. Obgleich es nicht unmöglich ist, daß ein Anblick wie der von Vitruvius erzählte einem aufmerksamen Künstler die erste Veranlassung einer solchen Er- findung gegeben, und auf jeden Fall die erzählte Geschichte, wenn nicht wahr, doch angenehm erfunden ist, so müssen wir doch diesem Blätter- schmuck in der Idee eine allgemeinere Nothwendigkeit geben. Es ist die der Anspielung auf die Formen organischer Natur. Die größere Strenge, welche die korinthische Ordnung in dem rhythmischen Theil hat, erlaubt es ihr von der andern Seite mehr die natürliche Schönheit zu suchen, wie der natürliche Putz (Blumen ꝛc.) am meisten der schönen jungfräulichen Gestalt, dagegen dem reiferen weiblichen Alter mehr der conventionelle Schmuck ziemt. Die größte Vereinigung des Entgegengesetzten in der korinthischen Ordnung, des Geraden mit dem Runden, des Glatten mit dem Gebogenen, des Einfältigen mit dem Gezierten gibt ihr eben jene melodische Fülle, durch welche sie sich vor den andern auszeichnet. Es sollte nun noch von den besonderen Zierathen der Archi- tektur die Rede seyn, von den Werken der höheren Plastik, die als Basreliefs z. B. den Fronton, oder als Statuen die Eingänge oder einzelne Gipfel des Gebäudes zieren. Allein da bereits im Vorher- gehenden angedeutet ist, inwieweit in der Architektur höhere organische Formen anticipirt werden können, so ist die Hauptsache darüber gesagt. Die Architektur braucht auch die geringeren Formen von ihr selbst zur Zierath, z. B. Schilde, womit, sowie mit Stierköpfen, die Metopen ausgefüllt wurden. Wahrscheinlich geschah dieß aus Nachahmung von wirklich aufgehangenen Schilden, wie die am Tempel des Apollon zu Delphos aus der marathonischen Beute. Von den geringeren Formen der Architektur, sofern sie sich in Vasen, Bechern, Candelabern u. s. w. ausdrückt, noch etwas zu erwäh- nen, wäre gleichfalls überflüssig. Ich gehe daher zu der zweiten Form der Plastik fort. §. 119. Die Malerei in der Plastik ist das Basrelief . — Denn das Basrelief stellt seine Gegenstände einerseits zwar auf körperliche Weise, andererseits doch nach dem Schein vor, und bedarf wie die Malerei des Grundes oder der Zugabe des Raums. Die Beschränkung, welche der Malerei eben dadurch gesetzt ist, daß sie außer den Gegenständen auch den Raum darzustellen hat, in welchem diese erscheinen, ist hier noch nicht überwunden, oder, wenn man will, die Plastik kehrt in diese Schranke freiwillig zurück. Sowohl dadurch als durch die Darstellung des Scheins ist das Basrelief als die Malerei in der Plastik anzusehen. Anmerkung . Etwas von der Unterscheidung des Haut - und Basrelief ist zu erwähnen. Beide sind dadurch unterschieden, daß bei jenem, dem erhabeneren Relief, die Figuren stark und über die Hälfte ihrer Dicke aus dem Grund hervorstehen, in diesem aber nicht einmal mit der Hälfte ihrer Dicke sich von dem Grund abheben. Da diese beiden Arten sich nicht wesentlich von einander unterscheiden, so kann das eigentliche Basrelief oder die flach erhabene Arbeit als das, was die besondere Eigenschaft der Gattung am ausgezeichnetsten darstellt, als Repräsentant derselben, genommen werden. §. 120. Das Basrelief ist selbst innerhalb der Plastik als eine ganz ideale Kunstform zu betrachten . — Folgt schon daraus, daß = Malerei. Wir werden seine Natur vollkommen erschöpft haben, wenn wir diesen idealen Charakter nach seinen einzel- nen Bestimmungen darlegen. Man kann schon zum voraus vermuthen, daß das Basrelief in seiner Art noch idealer seyn müsse als selbst die Malerei, da es von der höheren Kunstform, der Plastik, zur tieferen zurückstrebt. Es hat zwar allerdings darin, daß es uns nur die Hälfte der Figuren, nicht, wie die Plastik, die ganzen, rund gearbeiteten darstellt, sowie in der flachen Erhöhung einen Grund für sich in der Natur. Wenn wir nicht um eine Figur rund herumgehen, sehen wir nur die uns zugekehrte Hälfte, selbst wenn die Figur freisteht, wenigstens vor dem gleichför- migen Hintergrund der Luft. Daß die Figuren nicht erhabener, sondern nur mit flacher Erhöhung gearbeitet werden, hat, kann man sagen, seinen Grund darin, daß wirklich gesehene Körper in der Entfernung sich nicht mit ihrer ganzen Rundirung abheben, indem dieß von dem Helldunkel abhängig ist, das durch die Luft sich abschwächt. In gleichem Verhältniß aber auch den Umriß unbestimmt zu machen, würde theils ganz gegen den Charakter der Plastik seyn, die sich auf Luftperspektive einließe, theils bei der Homogeneität des Hinter- grunds die Figur ganz zerfließen machen. Bis hierher also hat das Basrelief den Grund in der Natur. In allem Uebrigen aber ist es eine in den meisten Regeln conventionelle Kunst, die sich von dem Betrachter ausdrücklich etwas vorgeben läßt (wie man sich im Spiel etwas vorgeben läßt), um durch falsche Mittel dem geforderten Effekt gleichzukommen. Es ist ein wechselseitiges Ver- stehen des Künstlers und Kenners. Von denjenigen, die an die Malerei die Forderung der Illusion machen, und sie in dem Grad vollkommen glauben, in welchem sie uns den empirischen Schein für Wahrheit geltend macht — uns täuscht —, sollte man nach diesem Princip einmal eine künstlerische Entwicklung des Basreliefs fordern. — Einiges von dem Conventionellen . a ) Es ist so viel möglich im Profil darzustellen; die Verkürzungen sind so viel als möglich zu umgehen, weil diese mit unauflöslichen Schwierigkeiten begleitet sind, welche hier auszuführen zu weitläuftig wäre; daher die Basreliefs der Alten meistens solche Gegenstände dar- stellen, die ihrer Natur nach die Stellung im Profil erlauben, wie Züge von Kriegern, Priestern, Opferthieren, die in Einer Richtung geschehen. b ) Da bei complicirteren Gegenständen es unmöglich ist, Stel- lungen zu vermeiden, wobei Glieder heraus oder hineinwärts gehen und Gruppirungen nothwendig werden, so nimmt sich das Basrelief die Freiheit solche Gegenstände getheilt vorzustellen, das Ganze also durch das Einzelne bloß anzudeuten. An der Pallas in Dresden, einem der herrlichsten Monumente der uralten, herben, strengen Kunst- form, ist in einem längs des Gewandes gehenden Streifen in zwölf verschiedenen Feldern ganz im Kleinen die Bezwingung der Centauren durch die Minerva vorgestellt. Das Basrelief macht also auch in dieser Eigenschaft einen beständigen Anspruch an die Besonnenheit des Beschauers und den höheren Kunstsinn, der keine grobe Täuschung verlangt. c ) Es ist schon in dem früher Gesagten angedeutet worden, daß das Basrelief keine Rücksicht auf Linienperspektive nimmt. Es geht nie auf Täuschung aus auch nur wie die Malerei. Es zeigt sich auch darin als ganz freie, ideale Kunst, daß es von dem Beschauer fordert die einzelne Figur sich gegenüber zu denken und von ihrer Mitte aus zu beurtheilen. Sollen Figuren wirklich in verschiedener Entfernung vorgestellt werden, so wird nur der Plan etwas erhöht und die Figuren um sehr weniges verkleinert und flacher gehalten, welches die durch die Entfernung verminderte Schattirung ausdrückt. d ) Der Grund, welchen das Basrelief mit der Malerei gemein hat, erfordert in ihm weit weniger Sorgfalt der Ausführung als in dieser. Gewöhnlich ist er nur angedeutet, nie perspektivisch ausgeführt. §. 121. Das Basrelief hat eine nothwendige Tendenz sich mit andern Kunstformen und vorzüglich der Architek- tur zu verbinden . — Denn da es die ganz ideale Form ist, strebt es sich nothwendig mit der realen Form zu integriren, welche die Architektur ist, sowie diese selbst hinwiederum das Bestreben hat sich so viel möglich ideal zu machen. Anmerkung . Nicht nur die größeren und kolossalen Werke der Baukunst verschönert das Basrelief, sondern auch die geringeren, die Sarkophagen, Urnen, Becher u. s. w. Das älteste Beispiel ist der Schild des Achilles bei Homer. Die Architektur integrirt sich viel unmittelbarer mit dem Basrelief als mit der Malerei, welches eine viel stärkere μετάβασις εἰς ἄλλο γένος ist. Das Basrelief ist der Architektur darum mehr verwandt, weil es zu seiner Natur gehört einen gleichförmigen Hintergrund zu haben, welchen die Malerei nur freiwillig annimmt, um sich mit der Architektur zu verbinden. Zusatz . Eine Art des Basrelief sind auch die Münzen und die geschnittenen Steine , theils die tiefgeschnittenen theils die Kameen. In Ansehung dieser genügt es, die allgemeine Kategorie anzugeben, unter die sie gehören. Jetzt zur Plastik κατ̕ ἐξοχήν oder zur Sculptur. §. 122. Die Plastik κατ̕ ἐξοχήν ist die Sculptur, sofern sie ihre Ideen durch organische und von allen Seiten unabhängige, also absolute Gegenstände darstellt . — Denn durch das erste unterscheidet sie sich von der Architektur, durch das andere von dem Basrelief, welches seine Gegenstände im Zusammenhang mit irgend einem Grunde darstellt. Zusatz 1. Das plastische Werk als solches ist ein Bild des Uni- versums, welches seinen Raum in sich selbst und keinen außer sich hat. Zusatz 2. In der Plastik fällt alle Beschränkung auf einen gewissen Gesichtspunkt hinweg, und das plastische Werk erhebt sich dadurch zu einer Selbständigkeit, die dem malerischen Werke fehlt. §. 123. Die Plastik, als der unmittelbare Ausdruck der Vernunft, drückt ihre Ideen vorzugsweise durch die menschliche Gestalt aus . Beweis . Nach §. 105 ist die Plastik diejenige Kunstform, wel- cher das Wesen der Materie zum Leib wird. Nun ist aber das Wesen der Materie Vernunft, und als ihr unmittelbarstes reales Abbild der vollkommenste Organismus, und weil dieser nur in der menschlichen Gestalt existirt, menschliche Gestalt. Anmerkung . Wollte erstens die Plastik sich durch anorgische Formen ausdrücken, so würde sie diese entweder genau nachahmen, oder sie würde sie selbst als bloße Allegorie des Organischen behandeln. Im ersten Fall wäre kein Grund der Nachahmung, denn in der an- orgischen Natur sind keine wahre Individuen, die Nachahmung würde also nichts von dem Nachgeahmten Unterschiedenes hervorbringen und sich nur die unnütze Mühe geben, das, was sie ohne Kunst durch die Natur ebenso vollkommen besitzt, durch Kunst in einem zweiten Abdruck zu besitzen. Im andern Fall fiele sie mit der Architektur zusammen. Wollte die Plastik zweitens zwar organische Wesen, aber z. B. Pflan- zen darstellen, so sänke sie dadurch wieder unter die Architektur zurück. Denn da auch die Pflanze keinen ausgezeichneten individuellen, sondern nur einen Gattungscharakter hat, so wäre hier so wenig als in An- sehung des Anorgischen ein Grund der reellen Nachahmung (ein anderes ist die ideelle in der Malerei, die mit Licht und Schatten die Farben wiedergibt); wollte sie aber die Pflanze als Allegorie des höheren Thie- rischen darstellen, so fiele sie wieder mit der Architektur zusammen. Wenn endlich die Plastik die höheren Thiergattungen nachahmt, so ist auch hier ihr Vermögen sehr durch den Gegenstand beschränkt. Denn auch im Thierreich hat jedes Thier nur den Charakter seiner Gattung, aber keinen individuellen . Wenn daher die Plastik Thiergestalten bildet, so ist es nur in folgenden Rücksichten: a ) als die allgemeinste kann die angesehen werden, daß obgleich das Thier keinen individuellen Charakter hat, doch die Gattung selbst hier das Individuum ist. Alle verschiedenen Charaktere der Thiere, welche immer ganzen Gattungen gemein sind, sind Negationen oder Beschränkungen des absoluten Charakters der Erde; sie erscheinen als besondere eben deßwegen, weil sie nicht die Totalität ausdrücken, welche nur im Menschen erscheint. Jede Gattung ist also hier Individuum, sowie dagegen im Menschengeschlecht jedes Individuum mehr oder weniger Gattung ist, oder wenigstens seyn muß, wenn es Gegenstand einer Kunstdarstellung seyn soll. Der Löwe z. B. ist nur großmüthig, d. h. die ganze Gattung hat den Charakter eines Individuums, der Fuchs ist nur listig und feig, der Tiger grausam. Wie also das Indi- viduum der Menschengattung dargestellt wird, weil es als Individuum zugleich Gattung ist, so kann die Sculptur von dem Thier zwar immer nur die Gattung, aber diese doch deßwegen darstellen, weil sie an sich eigentlich ein Individuum ist. Dieses Vcrhältniß der Thiercharaktere ist z. B. der Grund ihres Gebrauchs in der Fabel, in welcher auch das Thier nie als Individuum, sondern nur als Gattung auftritt. Die Fabel erzählt nicht: ein Fuchs, sondern der Fuchs, nicht ein Löwe, sondern der Löwe. b ) Eine andere Rücksicht, in der die Sculptur Thiergestalten bilden kann, ist die Beziehung der Thiere auf den Menschen; in dieser Rücksicht erscheinen die Thiere in der Sculptur in der Verbindung mit andern Werken derselben, z. B. der Architektur, wie die ehemaligen Löwen auf dem St. Markusplatz zu Venedig oder andere Thiergestalten, die vor die Eingänge der Paläste oder Kirchen gleichsam als Hüter gesetzt werden, wohin auch die noch symbolischeren oder bedeutenderen Gestalten der Sphinxe gehören. Ebenso die Pferde einer Quadrige als architektonischer Zierath auf dem Gipfel eines Gebäudes, eines Tempels, eines Portals u. s. w. Es versteht sich von selbst, daß die Plastik Thiergestalten bilden kann, sobald diese mit zur Darstellung des eigentlichen Gegenstandes gehören, wie z. B. in Basreliefs, die Opferfeste vorstellen, oder die Schlangen in der Gruppe des Laokoon. c ) Bisweilen bildet die Plastik Thiere als Attribute oder Neben- bezeichnungen, so den Adler zu den Füßen des Jupiter, der oft auch auf den Gipfel seiner Tempel gesetzt wurde, den Tiger in dem Zuge des Bakchos, die Pferde am Sonnenwagen u. s. w. Symbolische Bedeutung der menschlichen Gestalt . Erstens : Die aufrechte Stellung bei gänzlicher Losgerissenheit von der Erde. — Im organischen Naturreich kommt die aufgerich- tete Stellung nur der Pflanze zu, aber sie ist in der Cohäsion mit der Erde. In dem Thierreich, welches den Uebergang von der Pflanze zum Menschen macht, tritt sehr bedeutend die horizontale Stel- lung ein (es ist eine allmähliche Umkehrung der Pflanze). Mit der horizontalen Stellung ist die Abhängigkeit von der Erde angedeutet. Der Theil des Leibs, welcher die Werkzeuge der Nahrung in sich schließt, bildet ein förmliches Gewicht, wodurch der ganze Leib nieder- gezogen wird. Die Bedeutung der aufrechten Gestalt ist also wirklich die, welche schon in Ovids Metamorphosen I, 85. 86. bezeichnet ist: Os homini sublime dedit caelumque tueri Jussit, et erectos ad sidera tollere voltus. Zweitens : Symmetrischer Bau — und zwar so, daß die Linie, welche die zwei Hälften scheidet, auch perpendikular gegen die Erde gerichtet ist. Sie ist Ausdruck der vernichteten Ost- und Westpolarität; und je selbständiger ein Organ producirt wird, desto gewisser ist jener Gegensatz ohne wirkliche Entgegensetzung erreicht. Es gibt eine Sphäre der Metamorphose, wo das Auge z. B. (als Lichtorgan der höchste Ausdruck der Ost-West-Indifferenz) nur einfach oder noch zerstreut und zahlreich ohne bestimmte Symmetrie producirt ist, sowie es eben- falls merkwürdig ist, daß in denjenigen Organen, welche die unmittel- bare Beziehung auf den allgemeinen Ost-Westpolarismus haben, z. B. Respirationsorgane und Herz, Leber und Milz, jener Gegensatz in eine wirkliche Entgegensetzung ausschlägt. Drittens : Entschiedne Unterordnung der beiden Systeme, des der Nahrung und Reproduktion und des der freien Bewegung, unter das oberste, dessen Sitz der Kopf ist. Diese verschiedenen Systeme haben an sich eine symbolische Bedeutung, erlangen sie aber erst vollkommen in einer Unterordnung, wie die der menschlichen Gestalt. Diese ver- hält sich zu den Thiergestalten wieder wie das Urbild, von der jene bloß die auf verschiedene Weise verschobenen Abbilder zeigen. — Die Bedeutung der einzelnen Systeme ist diese: Der Mensch ist, wie alle organischen Wesen insofern ein Mittelwesen, als er ursprünglich zwi- schen Flüssigem und Festem gestellt ist. Die andern Gattungen leben nur auf dem Grund des Luftmeers, der Mensch erhebt sich am freiesten in ihm. Wie nun die Natur des Menschen an und für sich selbst eine Verbindung des Himmels mit der Erde ausdrückt, so ist diese, zugleich mit dem Uebergang von dem einen zum andern, auch durch seine Ge- stalt ausgedrückt. Das Haupt bedeutet den Himmel und fürnehmlich die Sonne. Wie jener die Erde durch seine Einflüsse regiert, so das Haupt den ganzen Leib durch die seinigen, und was die Sonne im Planetensystem ist, ist das Haupt unter den übrigen Gliedern. Die Brust und die dazu gehörigen Organe bezeichnen den Uebergang vom Himmel zur Erde, und bedeuten insofern die Luft. Das Athmen, in welchem die Brust wechselsweise steigt und sinkt, zeigt das erste Wechsel- verhältniß zwischen Himmel und Erde an. In dem Herz löst sich zuerst die Starrheit des bloß auf Selbstheit gerichteten Triebs in relative Cohäsion auf, daher das Herz der erste Sitz der Leidenschaft, der Zuneigung und Begierde, der Heerd der Lebensflamme. Damit aber dieses Feuer, welches durch die Berührung der Entgegengesetzten sich entzündet, gekühlt werde, wie der Platonische Timäos p. 88. d. sagt, sind die Lungen oder die Werkzeuge des Athmens zugegeben. Die Höhlung des Leibes bedeutet die Umwölbung, welche der Himmel über der Erde bildet, sowie der eigentliche Unterleib die im Inneren der Erde wirk- same Reproduktionskraft, wodurch sie beständig ihren eignen Stoff ver- zehrt und zu höheren Entwicklungen vorbereitet, die erst näher der Oberfläche und dem Anblick der Sonne sich hervorthun. Die drei Systeme sind die Grundlage und das Wesentliche des menschlichen Leibs. Außer diesem aber waren ihm noch Hülfsorgane nothwendig, worunter ich die Füße und Hände verstehe. Die Füße drücken die gänzliche Losgerissenheit von der Erde aus, und da sie die Nähe und Ferne verbinden, bezeichnen sie den Menschen als das sicht- bare Bild der Gottheit, der nichts nahe und nichts ferne ist. Homer beschreibt das Schreiten der Juno so schnell als den Gedanken eines Menschen, der viele entlegene Länder, die er bereist hat, in einem Augenblick durchfährt und sagt: hier bin ich gewesen und dort war ich. Die Schnelligkeit der Atalante wird so beschrieben, daß sie im Lauf keine Spur im Sand zurücklasse, über den ihr Fuß geschritten. (Vati- kanischer Apoll.) Die Arme und Hände bedeuten den Kunsttrieb des Universums und die Allmacht der Natur, die alles umwandelt und ge- staltet. — Wir werden späterhin finden, daß es eben diese Bedeutung der einzelnen Theile des menschlichen Leibs ist, nach welcher sie auch in der Plastik gebildet werden. Viertens : Die menschliche Gestalt auch in ihrer Ruhe deutet auf ein geschlossenes und vollkommen abgewogenes System von Be- wegungen. Man sieht auch in ihrer Ruhe, daß wenn sie sich bewegen wird, dieß mit dem vollkommensten Gleichgewicht des Ganzen geschehen wird. Auch darin wird die symbolische Bedeutung der menschlichen Gestalt als eines Bilds des Universums offenbar. Wie das Universum nach außen nur die vollkommene Harmonie, das Gleichgewicht seiner Gestalt und den Rhythmus seiner Bewegungen erkennen läßt, und da- gegen die geheimen Triebfedern des Lebens verborgen, die Werkstätte der Zubereitung und Hervorbringung nach innen gebracht sind, so auch in dem menschlichen Leib. — Das Muskelsystem läßt den Leib äußer- lich nur als ein geschlossenes System von Bewegungen erkennen, es ist dadurch Symbol des allgemeinen Weltbaus. Die Werkzeuge der Assi- milation aber wie die Triebfedern der Bewegung in diesem System sind verborgen; ja in den Göttergestalten ist sogar alle Spur von Adern und Nerven aufgehoben. Diese Beziehung ist der Grund von der Wichtigkeit des Muskelsystems in der Malerei, und vorzüglich in der Plastik. Man mag nun das Muskelsystem mit dem System der allge- meinen Bewegung der Weltkörper, oder, wie Winkelmann einmal thut, mit einer Landschaft, oder etwa mit der Ruhe und Bewegung zugleich, die die stille Fläche des Meeres beständig zeigt, vergleichen, so bleibt immer dieselbe Beziehung. In den Betrachtungen einer schönen Land- schaft erkennen wir auch nur die Wirkungen, ohne die inneren Ursachen und die fortwährend thätigen Triebfedern der Bildung zu erkennen; wir ergötzen uns an dem äußerlich dargelegten Gleichgewicht der inneren Kräfte. Ebenso im Muskularsystem. Winkelmann in der Beschrei- bung des schönen Torso vom Herkules a. a. O. Bd. 1, S. 273. sagt: „Ich sehe hier den vor- nehmsten Bau der Gebeine dieses Leibes, den Ursprung der Muskeln und den Grund ihrer Lage und Bewegung, und dieses alles zeigt sich wie eine von der Höhe der Berge entdeckete Landschaft, über welche die Natur den mannichfaltigen Reichthum ihrer Schönheiten ausgegossen. So wie die lustigen Höhen derselben sich mit einem sanften Abhang in gesenkte Thäler verlieren, die hier sich schmälern und dort erweitern: so mannichfaltig, prächtig und schön erheben sich hier schwellende Hügel von Muskeln, um welche sich oft unmerkliche Tiefen gleich dem Strome des Mäander krümmen, die weniger dem Gesichte als dem Gefühl offenbar werden.“ Anderswo vergleicht er das Muskelspiel derselben Gestalt mit einer eben anfangenden Bewegung des Meers, von der man den Grund noch nicht erkennt. „Sowie in einer anhebenden Be- wegung des Meers, sagt er, die zuvor stille Fläche in einer nebeligen Unruhe mit spielenden Wellen anwächst, wo eine von der andern ver- schlungen und aus derselben wieder hervorgewälzt wird, ebenso sanft aufgeschwellet und schwebend gezogen fließt hier ein Muskel in den andern, und ein dritter, der sich zwischen jenen erhebt, und ihre Be- wegung zu verstärken scheint, verliert sich in jenen, und unser Blick wird gleichsam mit verschlungen.“ Um es mit Einem Wort zu sagen: die menschliche Gestalt ist dadurch vorzüglich ein verkleinertes Bild der Erde und des Universums, daß das Leben als Produkt der inneren Trieb- federn sich auf der Oberfläche concentrirt und als reine Schönheit sich über sie verbreitet. Hier ist nichts mehr, was an das Bedürfniß und die Nothwendigkeit erinnerte, es ist die freieste Frucht der inneren und verborgenen Nothwendigkeit, ein unabhängiges Spiel, das nicht mehr an seinen Grund erinnert, sondern an und für sich selbst gefällt. Hierzu gehört nun nothwendig auch, daß die menschliche Gestalt der fremd- artigen Bedeckungen entbehre, die den Thieren zugegeben sind, daß sie auch auf der Oberfläche nur Organ sey, unmittelbare Empfänglichkeit mit unmittelbarem Rückwirkungsvermögen. Von manchen Philosophen ist die ursprüngliche Nacktheit des Menschen als ein Mangel, eine Zu- rücksetzung der Natur beklagt worden. Mit welchem Rechte, sieht man aus dem Bisherigen. Zu der äußeren Erscheinung des Lebens gehören auch die Sinnes- organe und unter diesen vorzüglich das Auge , durch welches gleichsam das innerste Licht der Natur hindurchsieht, und das am Haupt wieder als dem Sitz der edelsten Organe nebst der Stirne der ausgezeichnetste Punkt ist. Die menschliche Gestalt ist schon an sich selbst ein Bild des Uni- versums, und ohne noch den Ausdruck in Anschlag zu bringen, der in sie gelegt werden kann, dadurch, daß sie in Handlung gesetzt wird, daß die inneren Bewegungen des Gemüths in ihr gleichsam äußerlich widerhallen. Durch ihre erste Anlage ist sie zu einem vollkommen leiten- den Medium der Aeußerungen der Seele gemacht, und da die Kunst überhaupt, die Plastik aber insbesondere Ideen, die über die Materie erhaben sind, dennoch durch äußere Erscheinung darzustellen hat, so ist überhaupt kein Gegenstand der bildenden Kunst angemessener, als die menschliche Gestalt, der unmittelbare Abdruck der Seele und der Vernunft. §. 124. Die plastische Kunst ist vorzüglich nach drei Kategorien erkennbar. Die erste ist die Wahrheit oder das rein Nothwendige, welches im Einzelnen auf Dar- stellung der Formen geht. Die zweite ist die Anmuth, welche auf Maß und Verhältniß beruht. Die dritte, als die Synthesis der beiden ersten, ist die vollendete Schöu- heit selbst . Anmerkung . Das Nothwendige oder die Schönheit der For- men kann überhaupt als die reale Form, demnach als das rein Rhyty- mische oder die Zeichnung in der Plastik gedacht werden. — Die An- muth oder Schönheit der Verhältnisse ist das Ideale; es entspricht dem Helldunkel der Malerei (obschon es ganz von ihm verschieden ist) und der Harmonie in der Musik. Die vollendete Schönheit oder die Schönheit der Formen und der Verhältnisse zugleich ist in der Plastik wieder das rein Plastische. Die Erläuterung , die ich von diesen Sätzen gebe, wird fast ganz historisch seyn müssen. Es sind nämlich die angegebenen Kate- gorien dieselben, welche die Bildung der Kunst wirklich durchlaufen hat (bei den Griechen). Der allerälteste Styl war, wie Winkelmann sagt, in der Zeichnung nachdrücklich aber hart, mächtig aber ohne Grazie, und so, daß der starke Ausdruck die Schönheit verminderte. Schon nach dieser Beschreibung, noch mehr aber durch den Anblick solcher Werke, z. B. geschnittener Steine dieser Zeit, ist offenbar, daß in ihnen das rein Nothwendige, die Strenge und Wahrheit das Herrschende war. Die Strenge, Bestimmtheit muß in allem Kunstbestreben der Anmuth vorangehen. Wir sehen, daß dieß der Fall in der Malerei gewesen ist, und daß die Meister, die das Zeitalter des Raphael gegründet haben, Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 39 ihre Werke mit der größten Strenge und bis ins Kleine gehender Ge- duld ausgeführt haben. So mußte auch jener noch herbe Styl der Plastik vorangehen, ehe die süßen Früchte der Kunst reifen konnten. Es war der Weg, den auch Michel Angelo in der Plastik betreten hatte, der aber nicht verfolgt wurde. Der Anfang einer Kunst mit leichten, schwebenden, kaum angedeuteten Zügen deutet auf einen ober- flächlichen Kunsttrieb. Nur durch männliche, obgleich harte und stark begrenzte Züge kann die Zeichnung zur Wahrheit und Schönheit der Form gelangen — (Aeschylos). — Wohl eingerichtete Staaten fangen mit strengen Gesetzen an und werden dadurch groß. Jener älteste Styl der griechischen Kunst gründete sich auf ein wirkliches System von Regeln, und war eben deßwegen, wie alles, was nach Regeln geschieht, noch hart und unbeweglich. Der erste Schritt, sich zur Kunst und über die Natur zu erheben, ist, daß man nicht mehr nöthig hat unmit- telbar an diese, durch Nachahmung, zu recurriren, und daß man statt des einzelnen und empirischen Vorbilds gleichsam den Typus der Gesetz- mäßigkeit vor sich hat, der der Natur selbst bei der Hervorbringung zu Grunde liegt. Ein solches System von Regeln ist gleichsam das geistige Urbild, das nur mit dem reinen Verstande gefaßt wird. Weil es aber doch nur ein gemachtes System ist, so entfernt sich die Kunst dadurch von der Art der Wahrheit, welche die Natur ihren Produk- tionen gibt. Aus diesem allerältesten und herben Styl entsprang nun zuerst der große Styl, der nach der Darstellung Winkelmanns zwar die Unbiegsamkeit des ersten ablegte, die Härte und jähen Absprünge der Formen in flüssige Umrisse verwandelte, die gewaltsamen Stel- lungen und Handlungen reifer und ruhiger machte, der aber doch da- durch der große genannt zu werden verdient, daß das Nothwendige und Wahre in ihm das Herrschende blieb. Nur jenes angenommene und insofern ideale System der früheren Hervorbringungen war abge- worfen, indeß blieb ihm im Vergleich der Weichheit und Anmuth der späteren Werke noch das Gerade, das Rhythmische eigen, so daß selbst von den Alten dieser Styl noch der eckigte genannt wird. In diesem Styl sind die Werke des Phidias und Polyklet. Noch wurde der Richtigkeit und der Wahrheit der Formen ein gewisser Grad der Schönheit aufgeopfert; die Majestät und Großheit der Formen muß eben deß- wegen gegen die wellenförmigen Umrisse des anmuthigen Styls als Härte erscheinen, wie auch in der Malerei selbst Raphael gegen Correggio oder Guido Reni hart erscheinen kann. Von diesem hohen Styl ist nach Winkelmann vorzüglich die Gruppe der Niobe ein Denkmal, und zwar nicht sowohl wegen eines Scheins von Härte als wegen des gleichsam unerschaffenen Begriffs der Schönheit und der hohen Einfalt, die darin herrschend ist. Ich führe Winkelmanns Worte an zum Beweis, in welchem Grade dieser gelehrteste aller Kenner das Höhere in der Kunst erkannt hat. „Diese Schönheit, sagt er a. a. O. Bd. 5, S. 240. , ist wie eine nicht durch Hülfe der Sinne empfangene Idea, welche in einem hohen Verstande und in einer glücklichen Einbildung, wenn sie sich, anschauend, nahe bis zur göttlichen Schönheit erheben könnte, erzeuget würde, in einer so großen Einheit der Form und des Umrisses, daß sie nicht mit Mühe gebildet, sondern wie ein Gedanke erwecket und mit einem Hauche geblasen zu seyn scheinet.“ Das rein Nothwendige oder Rhythmische der Plastik bezieht sich auf die Schönheit der Formen und der Gestalt; der harmonische Theil bezieht sich auf Maß und Verhältniß. Mit der Berücksichtigung der- selben in der Kunst tritt der anmuthige oder sinnlich-schöne Styl ein, der, wo er zugleich die rhythmische Schönheit begreift, sich unmittelbar zur vollendeten Schönheit erhebt. Ich folge auch hier ganz den Angaben von Winkelmann, da ich es für ganz unmöglich halte, in den Theilen der Kunst, von welchen er gehandelt hat, höhere Principien erreichen zu wollen. Das Ausgezeichnetste dieses Styls in Vergleich mit dem hohen Styl ist die Anmuth oder Grazie , das sinnlich-Schöne. Hierzu wurde erfordert, daß in der Zeichnung alles Eckige vermieden wurde, was zuvor noch in den Werken des Polyklet und der größten Meister herrschend war. „Die Meister des hohen Styls, sagt Winkelmann a. a. O. Bd. 5, S. 243. , hatten die Schönheit allein in einer vollkommenen Uebereinstimmung der Theile und in einem erhabenen Ausdrucke und mehr das wahrhafti Schöne — worunter er das geistig-Schöne versteht — als das Lieb- liche — oder das sinnlich-Schöne — gesucht.“ Die höchste Schönheit ist aber, wie das Absolute, immer sich selbst gleich und schlechthin eins. Alle in der Anschauung derselben ent- worfenen Vorstellungen mußten sich also mehr oder weniger diesem Einen nähern und dadurch auch unter sich gleich und einförmig wer- den, wie man auch an den Köpfen der Niobe und ihrer Töchter bemerkt, die gleichsam bloß quantitativ, nämlich nach dem Alter und Grad, nicht aber nach der Art der Schönheit verschieden erscheinen. Ueberhaupt konnte, wo nur das Große, Mächtige, nicht das Reizende, sondern das an sich Hohe, das innere Gleichgewicht der Seele, die Entfernung von Empörungen des Gefühls und Leidenschaftlichkeit gesucht wurde, jene sinnliche Art der Schönheit, die wir Anmuth nennen, weder gesucht noch angebracht werden. Dieß ist aber nicht so zu verstehen, als ob die Werke der älteren Künstler der Grazie beraubt wären. Nur von dem ältesten, herbsten Styl ließe sich dieß einigermaßen sagen, aber wir müssen auch in Ansehung der Grazie wieder einen Unterschied der geistigeren und der sinnlicheren zulassen. Die ersten Nachfolger der großen Künstler des hohen Styls kannten nur die erste und erreichten sie bloß dadurch, daß sie die hohen Schönheiten an den Statuen ihrer Meister , die, wie Winkelmann sagt, wie von der Natur abstrahirte Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildete Formen waren, mäßigten, und dadurch wieder eine größere Mannichfaltigkeit erhielten. Denn der Begriff jedes Dings ist nur einer, und was nicht nach der Natur, deren Charakter Differenz, sondern nach dem Begriff gemacht ist, ist nothwendig ebenso eins als der Begriff. Von den zwei Arten der Grazie sagt Winkelmann a. a. O. Bd. 7, S. 106. 107. , es sey mit diesen wie mit der Venus, welche auch eine gedoppelte Natur habe. Die eine sey, wie die himmlische Venus, von höherer Geburt und von der Harmonie gebildet und beständig und unveränderlich wie die ewigen Gesetze von dieser. Die zweite sey, wie die von der Diana geborene Venus, mehr der Materie unterworfen, eine Tochter der Zeit und nur eine Begleiterin der ersten. Diese lasse sich herunter von ihrer Hoheit, ohne sich zu erniedrigen, und mache mit Mildigkeit denjenigen sich bekannt, die auf sie aufmerksam sind. Jene andere aber sey sich selbst genugsam und biete sich nicht an, sondern wolle gesucht seyn, und sey zu erhaben, um sich sehr sinnlich zu machen. Diese höhere und geistigere Grazie nun ist es, die in den Werken der höheren und älteren Künstler, im olympischen Jupiter des Phidias, in der Gruppe der Niobe u. a. Der zweite Styl der Kunst gesellte nun zu dem ersten oder zur geistigen Anmuth die sinnliche, welche in der Mythologie durch den Gürtel der Venus bedeutet wird. Zuerst in der Malerei (durch Parr- hasius), wie begreiflich, da diese Kunst sich unmittelbarer zu ihr hinneigt. Der Erste, der sie in Marmor und Erz ausdrückte, war Praxiteles, der ebenso wie Apelles, der Maler der Grazie, in Jonien, dem Vater- land des Homer in der Poesie und der harmonischen Säulenordnung in der Architektur, geboren war. Es erhellt schon aus der bisherigen Darstellung, daß die eigent- lichen Meister des schönen Styls unmittelbar von der hohen, rhyth- mischen Schönheit zu der vollendeten, welche die Wahrheit der Formen mit der Anmuth der Verhältnisse verbindet, fortgingen, und daß die der hohen Schönheit beraubte, bloß sinnliche Anmuth sich erst einfand, nachdem die Kunst, welche durch jene zwei Stufen zu ihrem Culmina- tionspunkt gelangt war, wieder nach der entgegengesetzten Richtung zu sinken begann. Wenigstens, wenn es Werke der ächten Kunst gibt, welche der sinnlichen Grazie vornehmlich geweiht scheinen, so ist der Grund davon mehr in dem Gegenstand als in der Kunst zu suchen. So war, wenn der Jupiter des Phidias ein Werk des hohen Styls ist, die Venus des Praxiteles allerdings ein durch die sinnliche Anmuth ausgezeichnetes Werk. Ein vollkommenes Beispiel der Verbindung der hohen und geistigen Schönheit, in welcher keine Leidenschaft, sondern nur Größe der Seele erscheint, mit der sinnlichen Anmuth ist die Gruppe des Laokoon . Winkelmann hat in Ansehung derselben vorzüglich auf die in ihr herrschende Mäßigung des Ausdrucks aufmerksam gemacht. Goethe in einem Aufsatz der Propyläen hat gezeigt, daß sie ebenso ausgezeichnet ist von Seiten einer gewissen sinnlichen Anmuth, die sie im Einzelnen und im Ganzen hat. Wir haben die zwei Kategorien der Plastik, das Reale oder Roth- wendige und das Ideale oder die Anmuth bisher bloß in ihrer Allge- meinheit betrachtet. Wir haben nun zu zeigen, wodurch sich jede der- selben im Einzelnen ausdrücke. Das Reale oder Nothwendige beruht, wie schon in dem Satz selbst angezeigt ist, auf der Wahrheit und Richtigkeit der Formen . Unter dieser Wahrheit wird hier keineswegs jene empirische, sondern jene höhere verstanden, die auf abstrakten, von der Natur und der Besonderheit abgesonderten, mit dem reinen Verstand aufgefaßten Begriffen beruht (dieß als Anmerkung zu erinnern) wie die Wahr- heit in den Werken des ältesten Styls. Die Wahrheit in dem höchsten Sinne ist das Wesen der Dinge selbst, das aber in der Natur in die Form gebildet und durch die Besonderheit mehr oder weniger verworren und unerkennbar gemacht ist. Deßwegen kann diese höhere Art der Wahrheit nicht unmittelbar aus Nachahmung der Natur entspringen, sondern nur aus einem System von Begriffen, das anfangs einen här- teren und eckigen Styl bildet, bis auch dieses System von Regeln selbst wieder zur Natur wird und die Anmuth eintritt, denn das Zeichen der Anmuth ist die Leichtigkeit; alles aber, was durch Natur geschieht, sagt ein Alter, geschieht mit Leichtigkeit. Jene höchste Art der Wahr- heit ist, wie schon §. 20 bewiesen, an sich mit der Schönheit eins, und so konnten die Meister des hohen Styls, indem sie bloß nach dieser Art der Wahrheit trachteten, dennoch eben deßwegen und unmit- telbar die geistige Schönheit erreichen. Sie ahmten nicht das Indivi- duelle nach, in welchem jederzeit mehr oder weniger Formen sich finden, die sich vollkommener finden lassen, sondern einen allgemeinen Begriff, welchem angemessen kein einzelner oder besonderer Gegenstand existi- ren konnte. Wie die Wissenschaft das Persönliche — Neigung und In- teresse — abstreifen muß, um die Wahrheit an und für sich selbst zu erreichen, so haben auch diese sie erreicht, indem sie alles die persön- liche Neigung Ansprechende aus ihren Bildern entfernten. Um nun ins Einzelne zu gehen, so beruhte jene abstrakte Wahr- heit in Bildung der einzelnen Formen des menschlichen Leibs vorzüglich darauf, das Uebergewicht des Geistes auch körperlich auszudrücken, also denjenigen Organen, welche auf geistigere Verhältnisse deuten, das Uebergewicht über die andern zu geben, die mehr eine sinnliche Be- stimmung haben. Hierauf gründet sich das sogenannte griechische Profil, welches nichts anderes als ein Uebergewicht der edleren Theile des Kopfes über die minder edlen andeutet. Hierauf gründet sich die dem hohen Styl eigenthümliche Auszeichnung der Augen, die dadurch erreicht wurde, daß sie allezeit tiefer gebildet wurden, als sie insgemein in der Natur erscheinen. Dieß geschah wirklich nach einem ganz abstrakten Begriff, um an diesem Theile mehr Licht und Schatten hervorzubringen, und dadurch das Auge, welches insbesondere an sehr großen Figuren unerkennbarer wurde, als lebhafter und wirksamer auszuzeichnen. Auch in Ansehung des Auges ging man in den früheren Zeiten nicht auf eine Nachahmung, sondern nur auf eine symbolische Bezeichnung der Natur (wie das eben Angeführte beweist), und daraus folgte auch, daß der Augenstern z. B. erst in späteren Zeiten der Kunst besonders ange- deutet wurde. Sonst, wie gesagt, bestand die Schönheit der Formen im Einzelnen vorzüglich auf der Mäßigung aller der Theile, welche näheren Bezug auf die Nahrung und überhaupt auf das Thierische oder die Wollust hatten, z. B. des Ueberflusses der weiblichen Brüste, welche die Griechinnen selbst in der Natur zu mäßigen durch künstliche Mittel sich bestrebten. Dagegen wurde die männliche Brust vorzüglich prächtig gewölbt, und zwar in einem gewissen umgekehrten Verhältniß zu der Erhabenheit des Haupts und der Stirne. Die Köpfe des Neptunus, dem die Brust geweiht war, finden sich auf allen geschnittenen Steinen bis unter die Brust ausgeführt, viel seltener die der andern Gottheiten. Der Unterleib erschien ohne eigentlichen Bauch an den edleren Gotthei- ten, der nur dem Silen und den Faunen zugetheilt wurde. Außer der allgemeinen Mäßigung besonderer Theile strebten die griechischen Künstler auch jene aus männlichem und weiblichen Wesen gemischte Naturen, welche die asiatische Weichlichkeit durch Verschneidung zarter Knaben hervorbrachte, in der Kunst nachzuahmen, und so gewissermaßen einen Zustand der Nichttrennung und der Identität der Geschlechter zu reprä- sentiren, welcher Zustand, in einer Art des Gleichgewichts erreicht, welches nicht bloße Nullität, sondern wirkliche Verschmelzung der beiden widerstreitenden Charaktere ist, mit zu dem Höchsten gehört, was die Kunst vermag. Was den zweiten Theil der plastischen Kunst, nämlich Maß und Verhältnisse der Theile betrifft, so ist dieser einer der schwersten, und worüber noch am wenigsten durch Theorie ausgemacht ist. Offen- bar zwar ist, daß die griechischen Künstler für das Verhältniß im Ganzen und Einzelnen ihre bestimmten Regeln gehabt; nur aus einem solchen Lehrgebäude über die Proportionen läßt sich die Ueberein- stimmung in den Werken der Alten begreifen, die fast alle wie aus Einer Schule zu seyn scheinen. (Die alten Theoristen sind uns verloren gegangen.) Neuere haben zwar empirische Abstraktionen von den Werken der Alten hierüber gemacht, aber allgemeine Gründe oder eine Her- leitung dieser Verhältnisse aus solchen Gründen wird noch gänzlich ver- mißt, und Winkelmann selbst hat über diesen Gegenstand in seine Ge- schichte der Kunst eine Anleitung von Mengs eingerückt, welche nach dem Zeugniß selbst von Künstlern höchst unverständlich ist. Was also die Ausübung der Kunst betrifft, so kann man bis jetzt, da in der neueren Welt nie wieder eine wahre Kunstschule und ein System der Kunst, wie unter den Alten, sich gebildet hat, den Lehrling der Kunst bloß an die empirische Beobachtung der in den schönsten Werken des Alterthums angenommenen Verhältnisse verweisen. Die Theorie aber hat hier eine Lücke, welche auszufüllen noch viel höhere Unter- suchungen erfordert werden, die sich nicht bloß auf diesen besonderen Gegenstand, die Proportionen der menschlichen Gestalt, sondern auf ein allgemeines Gesetz aller Proportionen der Natur erstrecken müßten. Die letzte, vollendete Schönheit entspringt aus der Verbindung der beiden ersten Arten, aus der Schönheit der Formen und der Schönheit der Verhältnisse. Der höchste Repräsentant dieser Schönheit unter den uns übrig gebliebenen Werken des Alterthums ist die Statue des Apollon , von der Winkelmann sagt, sie sey das höchste Ideal der Kunst unter allen. „Der Künstler, sagt er a. a. O. Bd. 6, S.- 260. , hat dieses Werk ganz auf das Ideal gebaut, und er hat nur ebensoviel von der Materie dazu genommen als nöthig war, um seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit voll- kommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder.“ In allen Werken dieser Art überhaupt zeigt sich die Hoheit und Größe durch Anmuth gemäßigt aber nicht erniedrigt, und um- gekehrt: die Anmuth ist, beseelt von jener höheren und geistigen Schön- heit, zugleich erhaben und streng. §. 125. Die plastische Kunst ist die vollendete Einbil- dung des Unendlichen ins Endliche . Denn jede Einheit, z. B. die der Einbildung des Unendlichen ins Endliche, in ihrer Vollendung schließt die andere in sich. Nun ist aber die Plastik unter den realen Kunstformen diejenige, welche die reale Einheit, die der Form, und die ideale, die des Wesens, allein vollkommen gleichsetzt (nach §. 105). Demnach ist sie auch die vollendete Einbildung des Unendlichen ins Endliche. Anmerkung . (Musik ist die Einbildung der Einheit in die Viel- heit als solche als Form , daher real; Malerei die Einbildung der Form in das Wesen als solches, daher rein ideal .) Zusatz 1. Der plastischen Kunst eignet vorzugsweise Erhaben- heit. — Nach dem Begriff der Erhabenheit §. 65. Denn diese ist wirklich das im relativen Universum angeschaute wahre Universum. Nun aber kann die Einbildung des Unendlichen ins Endliche in der Plastik wirklich nicht vollendet seyn, ohne daß das Endliche selbst als solches zugleich relativ unendlich sey. In der Plastik wird also vorzugsweise das relativ oder sinnlich Unendliche Symbol des an sich und absolut Unendlichen. Die menschliche Gestalt, welche der vornehmste Gegenstand der Plastik ist, muß, um wirklicher, sichtbarer Ausdruck der Vernunft zu seyn, schon durch das rein Endliche an ihr unendlich und ein Univer- sum seyn, wie dieß auch im Vorhergehenden bewiesen worden. Anmerkung . Die vorzüglichste Wirkung der Kunst und vor- zugsweise der plastischen ist: daß das absolut Große, das an sich Unendliche in die Endlichkeit gefaßt, und wie mit Einem Blicke gemessen wird. Dieß ist es, wodurch sich die Einbildung des Unend- lichen ins Endliche für den Sinn ausdrückt. Das an sich und absolut Große in die Endlichkeit gefaßt, wird dadurch nicht eingeschränkt und verliert nichts von seiner Größe, daß es dem Geist in der ganzen Begreiflichkeit eines Endlichen erscheint, vielmehr wird eben durch diese Faßlichkeit uns seine ganze Größe offenbar. Großentheils kommt hier- auf zurück, was Winkelmann die hohe Einfalt in der Kunst nennt. Man könnte sagen, diese Einfalt in der Größe, mit der sich uns ein hohes Kunstwerk darstellt, sey der äußere Ausdruck jener inneren Ein- bildung des Unendlichen ins Endliche, die das Wesen des Kunstwerks ausmacht. Alles Große erscheint mit Einfalt ausgeführt, sowie dagegen alles Unterbrochene, und was getheilt betrachtet werden muß, uns auch den Eindruck der Kleinheit und bei gänzlicher Ueberladung der Klein- lichkeit gibt. Zusatz 2. Der erste Satz ist auch so auszudrücken: die plastische Kunst stellt die höchste Berührung des Lebens mit dem Tode dar. — Denn das Unendliche ist das Princip alles Lebens und von sich selbst lebendig; das Endliche aber oder die Form ist todt. Da nun beide in den plastischen Werken zur größten Einheit übergehen, so begegnen sich hier Leben und Tod gleichsam auf dem Gipfel ihrer Vereinung. Das Universum, wie der Mensch, ist aus Unsterblichem und Sterblichem, Leben und Tod gemischt. Aber in der ewigen Idee ist das dort sterb- lich Erscheinende zur absoluten Identität mit dem Unsterblichen gebracht und nur Form des an sich Unendlichen. Als solche stellt es sich in den plastischen Werken dar, wie Winkelmann in der vorhin angeführten Stelle sagt, der Bildner des Apollon habe nur so viel Materie zu diesem Werke genommen, als nöthig gewesen, seine geistige Absicht auszudrücken. Die Materie und der Begriff sind hier wahrhaft eins; jene ist nur der in Objektivität verwandelte Begriff, also er selbst, nur von einer andern Seite angesehen. §. 126. In der Plastik hört die geometrische Regel- mäßigkeit auf herrschend zu seyn . — Denn hier ist nicht eine endliche, mit dem bloßen Verstande, sondern eine unendliche, nur mit der Vernunft zu fassende Gesetzmäßigkeit, die zugleich die Freiheit ist. In Bezug auf endliche Gesetzmäßigkeit ist alle Plastik transscendent. Die Malerei ist ihr (der geometrischen Regelmäßigkeit) noch unter- worfen dadurch, daß sie eine endliche, beschränkte Wahrheit darstellt. Die Malerei hat einzig darum die Linienperspektive zu beobachten, weil sie auf einen endlichen Gesichtspunkt beschränkt ist. Die Plastik geht auf eine allseitige, demnach unendliche Wahrheit. So wenig die For- men des menschlichen Leibs an und für sich selbst durch jene endliche Gesetzmäßigkeit bestimmbar sind, so wenig die des plastischen Kunstwerks. Wenn man die Formen eines schönen Körpers auf Linien ausdrücken will, so sind es solche, die ihren Mittelpunkt beständig verändern, und fortgeführt niemals eine regelmäßige Figur wie den Cirkel beschreiben. Es ist dadurch eine größere Mannichfaltigkeit zugleich und Einheit gesetzt. Größere Mannichfaltigkeit, denn der Cirkel z. B. ist immer sich selbst gleich. Größere Einheit, denn man setze, daß das Gebäude des Leibes aus Formen bestehe, die dem Cirkel gleichen, so würde eine die andere ausschließen, keine aus der andern mit Stetigkeit herfließen, dagegen in einem schönen organischen Leib jede Form als der unmittelbare Aus- fluß der andern erscheint, eben deßwegen, weil keine insbesondere eine beschränkte ist. §. 127. Die Plastik kann vorzugsweise kolossal bil- den . — Dieß ist nämlich der Fall in Vergleichung mit der Malerei und dem Basrelief. Grund : weil ganz unabhängig von einem Raume bildend, den die Malerei und das Basrelief noch mit dem Gegenstande zugleich darzustellen hat. Wollte die Malerei kolossal bilden, so würde sie den Raum, den sie dem Gegenstande gibt, entweder gleichfalls mit vergrößern, oder nicht. Im ersten Fall bliebe das Verhältniß unver- ändert, im andern würde, weil die Relation doch nicht aufgehoben ist, nur das Unförmliche entstehen, keineswegs aber das Große. Da alle Schätzung von Größe auf Relationen zu einem gegebenen empirischen Raum beruht, so kann die Kunst das Kolossale, ohne in das Unförm- liche zu gerathen, nur insofern bilden, als sie von den Beschränkungen des vom Gegenstand verschiedenen Raums innerhalb ihrer Darstellungen selbst befreit ist. Anmerkung . Denn der außer dem Gegenstand zufälligerweise befindliche große oder kleine Raum hat auf die Schätzung seiner Größe keinen Einfluß. — Neuere haben gegen den kolossalen Jupiter des Phi- dias eingewendet, daß wenn er sich (da er sitzend vorgestellt war) von seinem Thron erhoben, er das Tempeldach hätte einstoßen müssen, und haben dieß als eine Unschicklichkeit angesehen. Ganz unkünstlerisch geur- theilt. Jedes plastische Werk ist eine Welt für sich, das seinen Raum wie das Universum in sich selbst hat, und auch nur aus sich selbst geschätzt und beurtheilt werden muß; der äußere Raum ist ihm zufällig und kann zu seiner Schätzung nichts beitragen. §. 128. Die Plastik stellt ihre Gegenstände als die Formen der Dinge dar, wie sie in der absoluten Jueins- bildung des Realen und Idealen begriffen sind . Von der Musik wurde (§. 83) bewiesen, daß ihre Formen Formen der Dinge sind, wie sie in der realen Einheit existiren, von der Ma- lerei, wie sie in der idealen Einheit vorgebildet sind (§. 88). Da nun (nach §. 105) die Plastik die Kunstform ist, in welcher die absolute Jueinsbildung der beiden Einheiten objektiv wird, so stellt sie auch ihre Gegenstände als Formen der Dinge dar, wie sie in der absoluten In- einsbildung des Realen und Idealen begriffen sind. Erläuterung . Von der Malerei wurde im Zusatz 1. zu §. 88 bewiesen, sie gehe vorzugsweise auf Darstellungen der Ideen als solcher. Jede Idee nämlich, als das vollkommene Ebenbild des Absoluten, hat wie dieses selbst zwei Seiten, eine reale und ideale. Von jener Seite angeschaut erscheinen die Ideen als Dinge, nur von der idealen erschei- nen sie als Ideen , obgleich das, worin die beiden Seiten eins sind, selbst wieder die Idee ist. Die Malerei stellt also die Ideen vorzugs- weise als Ideen , d. h. von der idealen Seite dar, die Plastik aber so, daß sie zugleich ganz Idee und ganz Ding sind. Die Malerei gibt ihre Gegenstände keineswegs für real, sondern will sie ausdrücklich als ideal angesehen wissen. Die Plastik, indem sie ihre Gegenstände als Ideen darstellt, gibt sie doch zugleich als Dinge, und umgekehrt; sie stellt also wirklich das absolut Ideale auch zugleich als das absolut Reale dar , und dieß ist ohne Zweifel der höchste Gipfel der bildenden Kunst, wodurch sie in die Quelle aller Kunst und aller Ideen, aller Wahrheit und Schönheit, nämlich in die Gottheit zurückkehrt. §. 129. Die Plastik kann sich selbst in ihren höchsten Forderungen einzig durch Darstellung der Götter genügen . — Denn sie stellt vorzugsweise die absoluten Ideen dar, die als ideal zugleich real. Aber die Ideen, real angeschaut, sind Götter (§. 28), die Plastik bedarf also vorzüglich der göttlichen Naturen ꝛc. Erläuterung . Diese Behauptung ist nicht empirisch gemeint nämlich so, daß die plastische Kunst niemals ihre wahre Höhe erreicht hätte, ohne Götter darzustellen. Es ist allerdings gewiß, daß die Noth- wendigkeit, in der sich die griechischen Künstler befanden, Bilder von Göttern zu entwerfen, sie nöthigte unmittelbarer sich über die Materie zu erheben, in das Reich des Abstrakten und Körperlosen zu dringen, und das Ueberirdische und von der bedürftigen und abhängigen Natur Abgesonderte zu suchen. Allein die Meinung ist eigentlich diese, daß die Plastik an und für sich selbst, und wenn sie nur sich selbst und ihren besonderen Forderungen genügen will, Götter darstellen muß. Denn ihre besondere Aufgabe ist eben, das absolut Ideale zugleich als das Reale, und demnach eine Indifferenz darzustellen, die an und für sich selbst nur in göttlichen Naturen seyn kann. Man kann also sagen, daß jedes höhere Werk der Plastik an und für sich selbst eine Gottheit sey, gesetzt, daß auch noch kein Name für sie existire, und daß die Plastik, wenn sie nur sich selbst überlassen alle Möglichkeiten, die in jener höchsten und absoluten Indifferenz beschlossen liegen, als Wirklichkeiten darstellte, dadurch von sich selbst den ganzen Kreis göttlicher Bildungen erfüllen und die Götter erfinden müßte, wenn sie nicht wären. Von der anderen Seite betrachtet, muß man sagen, daß, da das Wesen des griechischen Polytheismus (nach dem, was §. 30 ff. bewiesen wurde) in der reinen Begrenzung von der einen und der ungetheilten Absolutheit von der andern Seite bestand, da ferner diese Götterwelt in sich wieder eine Totalität, ein beschlossenes System bildete, eben dadurch auch die Möglichkeit für die plastische Kunst begründet war sich frühzeitig zu begrenzen, ihre Gegenstände in streng abgesonderte Formen zu fassen, und ein ebenso in sich beschlosse- nes System der Götterbildungen zu entwerfen, als es schon zuvor in der Mythologie vorhanden war. Die plastische Kunst der Griechen bildet eben deßwegen für sich wieder eine Welt, der, wie sie nach innen vollendet ist, ebenso auch nach außen nichts gebricht, worin alle Mög- lichkeiten erfüllt, alle Formen gesondert und strenge bestimmt sind. Das Ansehen des Jupiter, des Neptunus und aller männlichen Gottheiten war ein für immer bestimmtes, ebenso das der weiblichen Gottheiten. (Vollkommene Aehnlichkeit der Köpfe auf allen Münzen.) Dadurch wurde die Kunst gleichsam canonisch und exemplarisch; es gab keine Wahl mehr in ihr, das Nothwendige herrschte. §. 130. Die Werke der plastischen Kunst werden vor- zugsweise die Charaktere der Ideen in ihrer Absolutheit an sich tragen . — Unmittelbare Folge aus dem Vorhergehenden. Erläuterung . Das Wesen der Ideen ist, daß in ihnen Möglichkeit und Wirklichkeit jederzeit oder vielmehr ohne Zeit eins sind, daß sie alles, was sie seyn können, in der That und zumal sind. Dadurch entsteht die höchste Befriedigung, und — weil in diesem Zu- stand kein Mangel, kein Gebrechen denkbar, also nichts vorhanden ist, wodurch sie aus ihrer Ruhe weichen könnten — das höchste Gleich- gewicht und die tiefste Ruhe in der höchsten Thätigkeit. Dieser Charakter, wie er hier angegeben ist, ist der Charakter der plastischen Götterbildungen, jeder nämlich in ihrer Art. Jede ist voll- endet, jede ruht in der höchsten Befriedigung, ohne deßwegen unthätig zu scheinen. Nur die Thätigkeit, welche das Gleichgewicht der Seele aufhebt, der Ernst und die Arbeit, welche die Stirne der Sterblichen furcht, ebenso wie die Lust und die Begier, welche sie aus sich selbst herauszieht, sind von ihrem Angesicht verschwunden. In dieser erhabe- nen Gleichgültigkeit kann keine Möglichkeit der Wirklichkeit vorangehen; deßwegen ist „mit der Neigung zugleich auch alle Spur des Willens, der nicht zugleich That und Befriedigung wäre, aus ihnen ausgelöscht“ Schiller über die ästhetische Erziehung des Menschen (Taschenausgabe von 1847, Bd. 12, S. 62). . Sie erscheinen als Wesen, die schlechthin um ihrer selbst willen und ganz in sich selbst sind. Sie erscheinen unbeschränkt von außen, denn sie sind gleichsam nicht im Raum, sondern tragen ihn selbst in sich als eine geschlossene Schöpfung. Jeder fremden Berührung entrückt, erscheint auch, was in ihnen wirklich Begrenzung ist, als ihre Vollkommenheit und Absolutheit. Eben durch diese sind sie in sich selbst. §. 131. Das höchste Gesetz aller plastischen Bildungen ist Indifferenz, absolutes Gleichgewicht der Möglichkeit und Wirklichkeit . — Unmittelbare Folge aus dem Vorhergehenden. Dieses Gesetz ist allgemein, denn das höhere plastische Werk ist schon für sich ein Gott, auch wenn es einen Sterblichen darstellen sollte. Auch der Mensch, wenn er leidet, soll leiden, wie ein Gott leiden würde, wenn er dessen fähig wäre. Schon aus dem Begriff der Götter folgt, daß sie alles Leidens entbunden erscheinen, und nur Prometheus, das Urbild aller tragischen Kunst, leidet als Gott. In den Götter- gestalten kann also an und für sich selbst kein Ausdruck angetroffen werden, der das innere Gleichgewicht der Seele aufgehoben zeigte. In der Construktion der Malerei wurde (§. 87) behauptet, daß auch in ihren Darstellungen der Ausdruck gemäßigt werden müsse. Allein in der Malerei ist dieß nicht so unmittelbar der Fall als in der Plastik. Die Malerei muß ihn mäßigen, damit er der Schönheit nicht nachtheilig werde, worunter hier die ideale Schönheit, die Grazie verstanden wird, deren die Malerei, als die ideale Form, vorzüglich sich bestrebt. Allein in der Plastik ist der gemäßigte Ausdruck und das Ansehen, welches einen innerlich abgewogenen Zustand der Seele erkennen läßt, an sich nothwendig, wegen des Berufs, ein Bild der göttlichen Natur und der in ihr wohnenden Indifferenz zu seyn. Dieses ist das Erste, die Schönheit ist die nothwendige und unmittelbare Wirkung oder Erscheinung davon. — So haben Schönheit und Wahrheit in ihrer Absolutheit einen gemeinschaftlichen Grund — die Indifferenz. Ich führe nur einige Beispiele dieses ruhigen, über Leidenschaft und Gewaltsamkeit erhabenen Ausdrucks in griechischen Werken, sowohl die Götter als, die sterbliche Naturen vorstellen, an. Das höchste Urbild der Ruhe und der Indifferenz ist der Vater der Götter; daher wird dieser in ewiger Heiterkeit, gleichsam unge- rührt von Empfindungen vorgestellt. Eine größere Thätigkeit darf dem Apollon zugeschrieben werden; da er der ideale unter den Göttern ist. Diese größere Thätigkeit wird ausgedrückt durch die Erhabenheit seines Ganges, den kühnen Schwung seines Leibes, auf dem die ewige Schönheit spielt. Uebrigens ist auch in ihm die höchste Schönheit in der tiefsten Ruhe gebildet. „Keine Adern, noch Sehnen, sagt Winkel- mann Ebendaselbst. , erhitzen und erregen diesen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllt.“ — Er ist vorgestellt, wie er den Python, gegen den er erst seinen Bogen gebraucht, verfolgt, wie sein mächtiger Schritt ihn erreicht und erlegt hat. Aber er ist nicht auf seiner Gegenstand geheftet. „Von der Höhe seiner Genügsamkeit gehet sein erhabner Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus. Verachtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, bläht sich in den Nüstern seiner Nase und steigt bis in die stolze Stirne hinauf. Aber der Friede, welcher in einer gött- lichen Stille auf ihr schwebet, bleibt ungestört u. s. w.“ Von den vornehmsten Beispielen des gemäßigten Ausdrucks in Darstellung menschlichen Handelns und Leidens, dem Laokoon und der Niobe, ist schon bei der Malerei die Rede gewesen. Aber über die Niobe will ich noch bemerken, daß sie schon dem Gegenstand nach zu den höchsten Werken gehört. Die Plastik stellt sich in ihr gleichsam selbst dar, und sie ist das Urbild der Plastik, vielleicht eben so, wie Prometheus das der Tragödie. Alles Leben beruht auf der Verbindung eines an sich Unendlichen mit einem Endlichen, und das Leben als solches erscheint nur in der Entgegensetzung dieser beiden. Wo ihre höchste oder absolute Einheit ist, ist, relativ betrachtet, der Tod, aber eben deßwegen wieder das höchste Leben. Da es nun überhaupt Werk der plastischen Kunst ist, jene höchste Einheit darzustellen, so erscheint das absolute Leben, von dem sie die Abbilder zeigt, an und für sich schon, und verglichen mit der Erscheinung, als Tod. Aber in der Niobe hat die Kunst dieses Geheimniß selbst ausgesprochen, dadurch, daß sie die höchste Schönheit in dem Tode darstellt, und die nur der göttlichen Natur eigne, der sterblichen aber unerreichbare Ruhe — diese im Tod gewinnen läßt, gleichsam um anzudeuten, daß der Uebergang zum höchsten Leben der Schönheit in der Beziehung auf das Sterbliche als Tod erscheinen müsse. Die Kunst ist also hier auf gedoppelte Weise sym- bolisch; sie wird nämlich wieder zur Auslegerin von ihr selbst, so daß, was alle Kunst wolle, hier in der Niobe ausgesprochen vor Augen liegt. Anmerkung, das Verhältniß zur Malerei betreffend . — Die Malerei ist rein ideale Kunstform. Das Wesen des Idealen = Thätigkeit. Daher ist in der Malerei mehr Thätigkeit und mehr Ausdruck der Leidenschaft erlaubt. Nur findet die Eine Beschränkung statt, daß die sinnliche Schönheit, Anmuth und Grazie nicht aufge- hoben werde. Jene letzte Schönheit, die Erhabenheit ist, und die ursprünglich als totale Indifferenz von Unendlichem und Endlichen nur in Gott wohnt, ist nur der Plastik möglich darzustellen. Noch einige Bestimmungen der plastischen Kunst. Zu erwarten ist, wegen der unendlichen Wiederholung von allem in allem, daß auch in der Plastik κατ̕ ἐξοχήν wieder die anderen Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 40 plastischen Formen, obgleich in sehr eingeschränkter Gültigkeit, zurück- kehren. — Hierauf beziehen sich die folgenden Sätze. §. 132. Der architektonische Theil der Plastik, soweit er in ihr auf eine untergeordnete Art stattfindet, ist die Draperie oder Bekleidung . Architektonisch ist die Draperie, weil sie mehr oder weniger nur eine Allegorie oder Andeutung (Echo) der Formen der organischen Gestalt ist. Diese Andeutung beruht fürnehmlich auf dem Gegensatz der Falten und des Flachen, Faltenlosen. Ein erhobenes Glied, von dem ein freies Gewand auf beiden Seiten herabfällt, ist in der Natur nie ohne Falten, und diese fallen dahin, wo eine Hohlung ist. — An Werken des alten Styls gehen die Falten meist gerade. In dem schönsten und vollen- detsten Style der Kunst gingen sie mehr in gezogenen Bogen, und der Mannichfaltigkeit halber wurden sie gebrochen, aber so, daß sie wie Zweige von einem gemeinschaftlichen Stamm und mit einem sehr sanften Schwung ausgingen. In der That kann es keine herrlichere und schö- nere Architektonik geben als die der vollendetsten Draperie in den griechischen Werken. Die Kunst, das Nackte darzustellen, potenzirt sich hier gleichsam selbst, indem sie die organische Form auch durch ein fremdartiges Medium hindurch erkennen läßt; und je weniger unmit- telbar, je mehr mittelbar sie hier darstellt, desto schöner wird dieser Theil der Kunst. Indeß bleibt die Draperie doch immer dem Nackten untergeordnet, welches die wahre und erste Liebe der Kunst ist. Die Kunst verschmäht die Verhüllung, insofern sie bloß Mittel und nicht etwa selbst wieder zur Allegorie der Schönheit gemacht wird, da sie durchaus für den höchsten Sinn gebildet ist, und den niedrigen, auch wo sie unverhüllt ist, verschmäht. Wie kein Volk einen höheren Sinn für Schönheit hatte, als die Griechen, so war auch keines, welches von jener falschen und unkeuschen Scham, die sich Decenz nennt, entfernter. Die Draperie in Kunstwerken konnte darum keinen außer der Kunst liegenden Zweck haben, und selbst nur um der Schönheit willen, nicht in sogenannter sittlicher Absicht, ausgebildet werden; daher auch die griechische Kleidung einzig schön genannt werden kann. §. 133. Der malerische Theil der Plastik, inwiefern er in ihr stattfinden könnte, müßte sich auf die Gruppi- rung oder Zusammensetzung mehrerer Gestalten zu einer gemein- schaftlichen Handlung beziehen . — Denn da es bei einer beträchtlichen Composition nicht zu vermeiden wäre, daß einzelne Figuren durch andere verdeckt und für Betrachtung des Ganzen ein gewisser, bestimmter Gesichtspunkt nothwendig würde, so würde die Plastik sich dadurch eine der Malerei ähnliche Beschränkung geben. Allein man sieht schon aus der Sache selbst, wie nothwendig die Plastik sich in Rücksicht der Com- position auf wenig Gestalten zu beschränken hat, und sie kann dieß um so eher, da sie die einzige bildende Kunst ist, welcher die Gestalt an und für sich genügt, und die nichts außer ihr bedarf. Die Malerei hat wenigstens den Grund darzustellen, und begnügt sich schon darum weniger mit Einer Gestalt, weil sie dem Raum Bedeutung geben muß. Eben deßwegen aber, weil die Malerei ihren Gegenständen den Grund zugibt, hat sie zugleich das Verbindungsmittel für sie, anstatt daß die Plastik, wo jede Gestalt für sich und von allen Seiten beschlossen ist, wenn sie zu viele Gestalten durch ein äußeres Medium, z. B. den Boden, auf den sie gestellt werden, verbinden wollte, dadurch dem Außerwesentlichen eine zu große Bedeutung geben würde. Man kann also behaupten, daß eben in der Absolutheit der Plastik der Grund liegt, warum sie sich nicht auf zusammengesetztere Compo- sitionen ausdehnt, indem in Einem oder in Wenigem ihre ganze Größe beschlossen liegt, die nicht auf der Ausdehnung im Raum, sondern allein auf der inneren Vollendung und Beschlossenheit des Gegenstandes beruht, demnach eine Größe ist, die nicht empirisch, sondern der Idee nach geschätzt wird. Wie die Natur zur Vollendung jedes einzelnen ihrer organischen Werke dadurch gelangt, daß sie Länge und Breite aufhebt, und alles concentrisch aufstellt, so schließt auch die bildende Kunst in der Plastik als ihrer Blüthe sich dadurch, daß sie alles gegen den Mittelpunkt zusammenzieht und scheinbar sich beschränkend sich zur Totalität erweitert. Ich schließe die Construktion der Plastik mit einigen Allgemeinen Anmerkungen über die bildende Kunst überhaupt . Wir haben gleich anfänglich die bildende Kunst überhaupt construirt als die reale Seite der Kunstwelt, deren zu Grunde liegende Einheit also die Einbildung der Identität in die Differenz ist. Diese ist voll- endet ohne Zweifel da, wo das Allgemeine das ganze Besondere, das Besondere das ganze Allgemeine ist. Dieß ist vorzugsweise nur in der Plastik der Fall. Wir sind also sicher, die Construktion der bildenden Kunst vollendet, d. h. in ihren Anfangspunkt zurückgeführt zu haben. Der allgemeine Umkreis, in welchen ihre Formen fallen, ist der der realen Einheit, die, in ihrem An-sich dargestellt, selbst wieder eine Indifferenz ist. Durch Differenzürung gehen aus ihr die reale und die ideale Form hervor, jene als Musik, diese als Malerei. Sie selbst drückt sich als Indifferenz erst vollkommen in der Plastik aus. Man könnte der von uns statuirten Aufeinanderfolge der drei Grundkünste folgende andere entgegensetzen. Zugegeben, könnte man sagen, und vorausgesetzt, daß die bildende Kunst der realen Einheit entspricht und in ihren Formen gemäß den Formen der letzteren construirt werden muß, so wird die Plastik in dem System der Kunst nothwendig der Materie in der Natur entsprechen und die erste Potenz der bildenden Künste bezeichnen. Das An-sich der Kunst kleidet sich hier, wie das An-sich der Natur ganz in Materie und Körper. Durch die zweite Potenz wird die Materie ideal, in der Natur durch das Licht, in der Kunst durch die Malerei. Endlich in der dritten wird die reale und ideale eins; das dem Realen oder der Materie Verbundene oder Einge- bildete wird zum Klang oder Laut, in der Kunst zur Musik und zum Ge- sang. Hier wird also der absolute Erkenntnißakt mehr oder weniger von den Fesseln der Materie befreit, und sie selbst bloß als Accidens setzend, objektiv und als Akt der Einbildung der ewigen Subjektivität in die Objektivität erkennbar. — Hier ist also die umgekehrte Ordnung der von uns angenommenen. Diese andere Ordnung schiene sich noch dadurch zu empfehlen, daß sie den Uebergang von der bildenden Kunst zur redenden unmittelbarer und stetiger machen läßt. Die Materie löst sich allmählich ins Ideale auf: — in der Malerei schon ins relativ-Ideale, in dem Licht; in der Musik, und dann noch mehr in Rede und Poesie in das wahrhaft Ideale, in die vollkommenste Erscheinung des absoluten Erkenntnißaktes. Der Mißverstand, auf welchem diese Ordnung beruhen würde, wäre der der Potenzen in der Philosophie. Die Meinung ist nicht, daß die Potenzen wahre reale Gegensätze bilden, sondern daß sie allgemeine Formen sind, die in allen Gegenständen auf gleiche Weise zurückkehren. Z. B. die Potenz des Organischen ist keineswegs bloß das organische Wesen selbst, sondern sie ist ebenso nothwendig und bestimmt auch in der Materie selbst, nur hier untergeordnet dem Anorgischen. Die Materie ist anorgisch, organisch und vernünftig zu- gleich, und dadurch ein Bild des allgemeinen Universums. Die Plastik, als die dritte Potenz der bildenden Kunst, stellt nun eben das, was in der Materie Ausdruck der Vernunft ist, als entwickelt dar, und sie geht hierin sogar durch verschiedene Stufen, indem sie, als Architektur z. B. die Materie oder das Anorgische nur bis zur Allegorie des Orga- nischen und mittelbar der Vernunft entwickelt. Die Plastik also, wenn sie auch dadurch, daß sie die Materie zum Leib nimmt, unter die erste Potenz fällt, wäre doch in dieser, nämlich unter dem gemeinschaftlichen Exponenten des ersten, wieder die dritte Potenz, indem sie die Ver- nunft als das Wesen der Materie darstellt. Auf diese Weise würde sich also, wie die Natur in Bezug auf das Universum im Ganzen wieder die erste Potenz darstellt, so die bildende Kunst in Bezug auf das Universum der Kunst im Ganzen als die erste Potenz verhalten. Was aber über die Ordnung der drei Grundformen der bildenden Kunst entscheidet, ist Folgendes. Alle bildende Kunst ist Einbildung des Unendlichen ins Endliche, des Idealen ins Reale. Da sie also überhaupt auf die Umwandlung des Idealen in das Reale geht, so muß die vollkommenste Erscheinung des Idealen als eines Realen, die absolute Verwandlung des ersten in das andere, den Gipfel aller bildenden Kunst bezeichnen. Es erhellt von selbst, daß die Kunst in dem Verhältniß, als sie real ist, also in dem Verhältniß, in welchem sie das Unendliche dem End- lichen einbildet, auch als real erscheine, dagegen daß sie im umgekehrten Verhältniß jener Umwandlung noch mehr oder weniger als ideal er- scheine. So erscheint in der Musik die Einbildung des Idealen ins Reale noch als Akt , als ein Geschehen, nicht als ein Seyn, und als bloß relative Identität. In der Malerei hat sich das Ideale bereits zu Umriß und Gestalt zusammengezogen, aber noch ohne als Reales zu erscheinen; sie stellt bloß Vorbilder des Realen dar. Endlich in der Plastik ist das Unendliche ganz in das Endliche, das Leben in den Tod, der Geist in Materie verwandelt, aber eben deßwegen, und nur weil es ganz und absolut real ist, ist das plastische Werk auch wieder absolut ideal. — Die von uns aufgestellte Ordnung ist also die in der Sache selbst gegründete, und wir werden ein gleiches Verhältniß auch wieder auf der idealen Seite in der Poesie antreffen, in welcher gleichfalls die höchste Potenz auf jener Umwandlung eines Idealen in ein gänzliches Seyn, in eine als wirklich dargestellte Realität beruht, im Gegensatz gegen welche die Lyrik z. B. weit mehr ideal erscheint. Hiermit wäre also der Kreis der bildenden Künste durchlaufen. Wir werden uns daher jetzt zu der idealen Seite der Kunstwelt wenden, welche die Poesie im engeren Sinn ist, Poesie nämlich, sofern sie durch Rede und Sprache sich ausdrückt. Ich erinnere hier an folgende Hauptsätze. 1. Das Universum ist nach den Beweisen, welche gleich anfangs (§. 8) geführt wurden, nach zwei Seiten gegliedert, welche den beiden Einheiten im Absoluten entsprechen. In der einen, für sich betrachtet, erscheint das Absolute bloß als Grund von Existenz, denn es ist die, worin es seine ewige Einheit in die Differenz gestaltet. In der andern erscheint das Absolute als Wesen, als Absolutes, denn wie dort (in der ersten Einheit) das Wesen in die Form gebildet wird, so hier da- gegen die Form in das Wesen. Dort ist also die Form das Herr- schende, hier das Wesen. 2. Die beiden Seiten des absolut-Idealen sind wesentlich eins; denn, was in der einen real, ist in der andern nur ideal ausgedrückt und umgekehrt; beide sind also, getrennt betrachtet, nur die verschie- denen Erscheinungsweisen von Einem und demselbigen. Die Natur in der Getrenntheit von der anderen Einheit (in der die Form in das Wesen gebildet wird) erscheint mehr als geschaffene, die ideale als schaffende; in dem einen ist aber eben deßwegen und nothwendig das, was in dem anderen. Die Natur ist nach §. 74 (Allg. Zus.) die plastische Seite, ihr Bild ist die Niobe der plastischen Kunst, die mit ihren Kindern erstarrt, die ideale Welt die Poesie des Universums. Dort verhüllt sich das göttliche Princip in ein anderes, ein Seyn, hier erscheint es als das, was es ist, als Leben und Han- deln. Allein dieser Unterschied ist wieder ein bloßer Formunterschied, wie anfänglich in Ansehung der bildenden und redenden Kunst bewiesen worden. Die Natur ist an sich betrachtet wieder das Ursprünglichste, das erste Gedicht der göttlichen Imagination. Die Alten und nach ihnen die Neuern nannten die reale Welt natura rerum, die Geburt der Dinge. In ihr werden die ewigen Dinge, nämlich die Ideen zuerst wirklich, und inwiefern sie die aufgeschlossene Ideenwelt ist, enthält sie die wahren Urbilder der Poesie. Aller Unterschied zwischen bildender und redender Kunst kann daher nur in Folgendem beruhen. Alle Kunst ist unmittelbares Nachbild der absoluten Produktion oder der absoluten Selbstaffirmation; die bildende nur läßt sie nicht als ein Ideales erscheinen , sondern durch ein anderes, und dem- nach als ein Reales. Die Poesie dagegen, indem sie dem Wesen nach dasselbe ist, was die bildende Kunst ist, läßt jenen absoluten Erkenntniß- akt unmittelbar als Erkenntnißakt erscheinen, und ist insofern die höhere Potenz der bildenden Kunst, als sie in dem Gegenbild selbst noch die Natur und den Charakter des Idealen, des Wesens, des Allgemeinen beibe- hält. Das, wodurch die bildende Kunst ihre Ideen ausdrückt, ist ein an sich Concretes; das, wodurch die redende, ein an sich Allgemei- nes , nämlich die Sprache. Deßwegen hat die Poesie vorzugsweise den Namen der Poesie, d. h. der Erschaffung behalten, weil ihre Werke nicht als ein Seyn, sondern als Produciren erscheinen. Daher kommt es, daß die Poesie wieder als das Wesen aller Kunst kann angesehen werden, ungefähr so wie die Seele als das Wesen des Leibes. Allein in der Beziehung, inwiefern nämlich Poesie das Erschaffende der Ideen , und dadurch das Princip aller Kunst ist, war von ihr schon in der Construktion der Mythologie die Rede. Nach der von uns ge- nommenen Methode kann also hier — im Gegensatz mit der bildenden Kunst — von Poesie nur die Rede seyn, inwiefern sie selbst besondere Kunstform, und also von der Poesie, die von dem An-sich aller Kunst die Erscheinung ist. Allein selbst innerhalb dieser Beschränkung ist die Poesie ein gänzlich unbegrenzter Gegenstand und unterscheidet auch da- durch sich von der bildenden Kunst. Z. B. um nur eines anzuführen: ein Gegensatz von Antikem und Modernem hat in der Plastik gar nicht statt, dagegen in allen Gattungen der Poesie. Die Poesie der Alten ist ebenso rational begrenzt, sich selbst gleich, als ihre Kunst. Dagegen die der Neueren nach allen Seiten hin und in allen Theilen so man- nichfaltig unbegrenzt und zum Theil irrational als es ihre Kunst über- haupt ist. Auch dieser Charakter der Unbegrenztheit beruht darauf, daß die Poesie die ideale Seite der Kunst, wie die Plastik die reale ist. Denn das Ideale = das Unendliche. Man könnte den Gegensatz des Antiken und Modernen in der eben erwähnten Beziehung so ausdrücken: die Alten sind redend in der Plastik, und dagegen plastisch in der Poesie. Die Rede ist der stillste und un- mittelbarste Ausdruck der Vernunft. Jede andere Handlung hat mehr körperlichen Antheil. Die Neueren legen in ihren Bildern den Ansdruck in ein gewaltsames, körperliches Handeln. Die Bilder der Alten sind, indem sie den Ausdruck der Ruhe tragen, eben dadurch redend, wahr- haft poetisch. Dagegen sind aber die Alten selbst in der Poesie plastisch, und drücken auf diese Weise die Verwandtschaft und innere Identität der redenden und bildenden Kunst weit vollkommner als die Neueren aus. Die innere Unbegrenztheit der Poesie bringt nun auch einen Unter- schied für die wissenschaftliche Behandlung derselben mit sich. Wie nämlich die Natur rational ist, und nach einem allgemeinen Typus dargestellt werden kann, die Geschichte aber irrational, unerschöpflich, ihr verborgenes Gesetz nur in Manifestationen aussprechend, ebenso verhält es sich mit der bildenden und der redenden Kunst. Wie in der Natur Nothwendigkeit als das Allgemeine das Besondere beherrscht, in der idealen Welt dagegen das Besondere entfesselt, frei zu dem Unendlichen strebt, so in bildender und redender Kunst. Daher uns in Betrachtung der Poesie erstens unmöglich ist, das Allgemeine so durch Construktion fort ins Besondere zu führen, wie in der bildenden Kunst. Denn die Besonderheit hat hier mehr Gewalt und Freiheit. Das Allgemeine, was hier ausgesprochen werden kann, kann daher nur mehr im Großen und in ganzen Massen ausgesprochen werden. Dagegen je weniger das Allgemeine das Besondere hier gebietend bestimmt, desto mehr verlangt zweitens das Einzelne in seiner Absolutheit dargestellt zu werden. Daher wird die Darstellung hier mehr zur Charakteristik auch von Individuen herabsteigen. Uebrigens werde ich mich nicht so sehr bei dem Einzelnen, als nur bei den Hauptsachen verweilen, und kann aus diesem Grunde auch nicht mehr einzelne Sätze, sondern nur Ansichten im Ganzen darstellen. Ich werde nun zuerst die Frage beantworten: wodurch wird die Rede zur Poesie ? Es wird in dieser Frage a ) von dem An-sich der Poesie, soweit es nicht schon im Vorhergehenden bestimmt ist, b ) von den Formen die Rede seyn müssen, wodurch sich die Poesie als solche von der Rede absondert, also vornehmlich vom Rhythmus, Sylbenmaß u. s. w. Hierauf werden wir die besonderen in der Grundeinheit der Poesie begriffenen Einheiten oder die Gattungen und Arten der Dicht- kunst, deren vornehmste die lyrische, epische und dramatische sind, im Allgemeinen zu construiren haben, und dann jede dieser Gattungen ins- besondere behandeln müssen. Wenn man die gewöhnlichen Theoretiker der schönen Künste nachsieht, findet man sie in nicht geringer Verlegenheit, einen Begriff oder eine sogenannte Definition von der Dichtkunst zu geben, und in denjenigen, welche sie geben, ist nicht einmal die Form der Poesie, geschweige das Wesen derselben ausgedrückt. Das Erste aber zur Erkenntniß der Poesie ist ohne Zweifel, ihr Wesen zu erkennen, denn die Form folgt erst aus diesem, weil nämlich nur eine solche Form diesem , dem Wesen, angemessen seyn kann. Das An-sich der Poesie ist nun das aller Kunst: es ist Darstel- lung des Absoluten oder des Universum in einem Besonderen. Wenn von manchen besondern Dichtarten eine Einwendung dagegen hergenom- men werden könnte, so würde diese nur beweisen, daß diese sogenannten Dichtarten selbst keine poetische Realität haben. Sowie nichts Kunstwerk überhaupt ist, das nicht mittelbar oder unmittelbar Reflex des Unend- lichen ist, so kann insbesondere nichts Gedicht oder poetisch seyn, was nicht irgend etwas Absolutes, d. h. eben das Absolute in der Beziehung auf irgend eine Besonderheit darstellt. Welcher Art übrigens diese Besonderheit sey, ist dadurch nicht bestimmt. Der poetische Sinn be- steht eben darin, zu der Wirklichkeit, der Realität, außer der Möglichkeit nichts zu bedürfen. Was poetisch möglich ist, ist eben deßwegen schlecht- hin wirklich, wie in der Philosophie, was ideal — real. Das Princip der Unpoesie wie das der Unphilosophie ist der Empirismus oder die Unmöglichkeit, etwas anderes als wahr und real zu erkennen, als was in der Erfahrung liegt. Ueber die großen Gegenstände der Poesie, die Ideenwelt, die für die Kunst die Welt der Götter ist, das Universum, die Natur, war schon in der Lehre von der Mythologie die Rede. Mit der Nothwen- digkeit der Mythologie für alle Kunst, die dort bewiesen ist, ist diese Nothwendigkeit vorzüglich für die Poesie dargethan. Inwiefern auch die neueren Zeiten eine Mythologie haben, und wie aus dem vorliegenden Stoff diese sich immer vermehren oder neu erschaffen lasse, wurde dort gleichfalls gezeigt. Die Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze kann aber nur bei Gelegenheit der einzelnen Dichtarten gemacht werden. Die allgemeine Form der Poesie ist nun überhaupt die, daß sie die Ideen in Rede und Sprache darstellt. Den Grund und die Bedeu- tung der Sprache betreffend, erinnere ich an §. 73, woselbst bewiesen, daß sie das entsprechendste Symbol des absoluten Erkenntnißakts. Denn er erscheint in der Sprache von der einen Seite als ideal , nicht real, wie im Seyn, und integrirt sich doch von der andern durch ein Reales, ohne daß er aufhörte ideal zu seyn. Insbesondere das Verhältniß der Sprache zum Klang überhaupt betreffend, erinnere ich Folgendes. Klang = reine Einbildung des Unendlichen ins Endliche, als solche aufgefaßt. In der Sprache ist diese Einbildung vollendet, und es beginnt schon das Reich der entgegengesetzten Einheit. Die Sprache ist daher gleichsam der po- tenzirteste, aus der Einbildung des Unendlichen ins Endliche entsprungene Stoff. Die Materie ist das ins Endliche eingegangene Wort Gottes. Dieses Wort, welches sich im Klang noch durch lauter Differenzen (in der Verschiedenheit der Töne) zu erkennen gibt und anorgisch ist, also den entsprechenden Leib noch nicht gefunden hat, findet ihn in der Sprache. Wie in dem Fleisch des menschlichen Leibs sich alle Differenzen der Farben aufheben, und die höchste Indifferenz aller entsteht, so ist die Rede der zur Indifferenz reducirte Stoff aller Töne und Klänge. — Es ist nothwendig, wie auch in dem Verlauf der allgemeinen Philosophie klar wird, daß die höchste Verkörperung und Bindung der Intelligenz zugleich der Moment ihrer Befreiung ist. In dem menschlichen Orga- nismus ist der höchste Contraktionspunkt des Universum und der in ihm wohnenden Intelligenz. Aber eben im Menschen auch bricht sie zur Freiheit durch. Deßwegen erscheint auch hier wieder Klang, Ton als Ausdruck des Unendlichen im Endlichen, aber als Ausdruck der vollendeten Einbildung — in der Sprache , die sich zum bloßen Klang ebenso verhält, wie sich der dem Licht vermählte Stoff eines organischen Leibs zur allgemeinen Materie verhält. Die Sprache für sich selbst nun ist das Chaos, aus dem die Poesie die Leiber ihrer Ideen bilden soll. Das poetische Kunstwerk soll aber, wie jedes andere, ein Absolutes im Besondern, ein Universum, ein Weltkörper seyn. Dieß ist nicht anders möglich als durch Absonderung der Rede , worin das Kunstwerk sich ausdrückt, von der Totalität der Sprache. Aber diese Absonderung einerseits und die Absolutheit anderer- seits ist nicht möglich, ohne daß die Rede ihre eigne unabhängige Bewegung und eben deßwegen ihre Zeit in sich selbst habe, wie der Weltkörper; dadurch schließt sie sich von allem andern ab, indem sie einer inneren Gesetz- mäßigkeit folgt. Die Rede bewegt sich frei und selbständig nach außen be- trachtet, und ist nur in sich wieder geordnet und der Gesetzmäßigkeit unter- worfen. Demjenigen nun, wodurch der Weltkörper in sich selbst ist, und die Zeit in sich selbst hat, entspricht in der Kunst, sowohl sofern sie Musik als redende Kunst ist, der Rhythmus. Da Musik sowohl als Rede eine Bewegung in der Zeit haben, so würden ihre Werke nicht in sich be- schlossene Ganze seyn, wenn sie der Zeit unterworfen wären, und sie nicht vielmehr sich unterwürfen und in sich selbst hätten. Diese Be- herrschung und Unterwerfung der Zeit = Rhythmus . Rhythmus überhaupt ist Einbildung der Identität in die Differenz; er schließt also Wechsel in sich, aber einen selbstthätig geordneten, der Identität dessen, worin er stattfindet, untergeordneten. (Wegen des allgemeinen Begriffs von Rhythmus ist sich zu beziehen auf das bei der Musik davon Gesagte.) Ich nehme hier vorläufig Rhythmus in der allgemeinsten Bedeu- tung, inwiefern er nämlich überhaupt eine innere Gesetzmäßigkeit der Folge der Tonbewegungen ist. Aber in dieser weitesten Bedeutung schließt er nun selbst wieder zwei Formen in sich, die eine, welche Rhythmus im engeren Sinn heißen kann, und die als Einbildung der Einheit in die Vielheit der Kategorie der Quantität entspricht, die andere, welche als die entgegengesetzte der ersten der Kategorie der Qualität entsprechen muß. Wir sehen leicht, daß Rhythmus im engeren Sinn Bestimmung der Folge der Tonbewegungen nach Gesetzen der Quantität ist, sowie nun dagegen die der Qualität entsprechende Form auf fol- gende Art näher zu bestimmen ist. Da es in den Tönen außer der Dauer oder Quantität keinen Unterschied als den der Höhe und Tiefe geben kann, die Differenzen der Töne aber nach dem, was zuvor von der Rede bewiesen wurde, in ihr aufgehoben und vertilgt sind — (denn in dem Gesang , der wieder Musik ist, wird die in der Sprache erreichte Identität wieder zerlegt, die Rede kehrt zu den Elementartönen zurück), da also in der Rede als solcher keine Höhe und Tiefe des Tons an sich stattfindet, und die Einheiten der Sprache nicht Töne, so wenig wie die Einheiten eines organischen Leibs Farben seyn können, — da also die Einheiten der Sprache schon organische Glieder, Sylben sind, und sich die qualitative Bestimmung nicht auf Höhe und Tiefe der Töne beziehen kann, so bleibt nichts übrig, worin sie bestehen könnte, als die Auszeichnung einer Sylbe durch eine Hebung der Stimme, wo- durch eine Anzahl anderer Sylben mit ihr verbunden und diese Einheit dem Gehör fühlbar gemacht wird, und dagegen — Fallenlassen der anderen Sylben durch ein Sinken der Stimme. Dieß ist aber, was Accent heißt Die nun folgenden weiteren Ausführungen über das Sylbenmaß, den Versbau, die Anwendung des rhythmischen Sylbenmaßes auf die neueren Spra- chen, ferner über die neuen Sylbenmaße (den Reim ꝛc.) wurden als nichts Eigenthümliches enthaltend (und theilweise nur in Andeutungen bestehend) hier übergangen, um so mehr, als der Verfasser im Verlauf derselben selbst erklärt sich in seinen Angaben meist nach bekannten Schriftstellern (A. W. Schlegel, Moriz) gerichtet zu haben. D. H. . Ich gehe nun zu den einzelnen Dichtarten fort, indem ich folgendes Allgemeine vorausschicke. Gedicht überhaupt ist ein Ganzes , das seine Zeit und Schwung- kraft in sich selbst hat, und dadurch von dem Ganzen der Sprache ab- gesondert, vollkommen in sich selbst beschlossen ist. Eine unmittelbare Folge dieses in-sich-selbst-Seyns der Rede durch Rhythmus und Sylbenmaß ist, daß die Sprache auch in anderer Rücksicht eigenthümlich und von der gemeinen verschieden seyn muß. Durch den Rhythmus erklärt die Rede, daß sie ihren Zweck absolut in sich selbst hat; es wäre widersinnig, wenn sie in dieser Erhebung sich nach den gewöhnlichen Verstandeszwecken der Sprache bequemen, und alle dazu dienenden Formen derselben nachahmen sollte. Sie strebt vielmehr so viel möglich auch in ihren Theilen absolut zu seyn. (Keine logische Unterordnung, Wegfallen der Verbindungspartikeln.) Ohnehin ist alle Poesie in ihrem Ursprung für das Hören gedichtet, sie sey nun lyrisch oder episch oder dramatisch. Die Begeisterung erscheint hier am unmittelbarsten als Inspiration, die den davon Ergriffenen nicht an äußere Zwecke denken läßt. Nur hörend auf die Stimme des Gottes bewegt er sich gleichsam außerhalb der gemeinen Gesetzmäßigkeit, ver- wegen und doch sicher und leicht. Es ist nur ein Vorurtheil, daß die Poesie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in der Prosa gebräuchlich ist (Gottsched, Wieland). Die Prosa überhaupt, um diese Erklärung hier einzuschalten, ist die von dem Verstand in Besitz genommene und nach seinen Zwecken geformte Sprache. In der Poesie ist alles Begrenzung, strenge Abson- derung der Formen. Die Prosa ist insofern wieder die Indifferenz und ihr vorzüglichster Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher die Aftergeburt der poetischen Prosa entsteht. Die Poesie unterscheidet sich von ihr nicht allein durch Rhythmus, sondern auch durch theils einfältigere theils schönere Sprache. Es ist damit nicht ein wildes, in der leeren Ueberspanntheit der Sprache sich ausdrückendes Feuer gemeint, welches die Alten Parenthyrsos genannt haben. Zwar es gibt Kunstrichter, die sogar von dem wilden Feuer des Homer reden. Die Einfalt ist auch in der Poesie wie in der bildenden Kunst das Höchste, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichste Kunstrichter unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyssee, die, wie er sagt, in den gemeinsten Ausdrücken abgefaßt ist, der sich etwa ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienst der poeti- schen Synthesis . Verschieden in diesem Betracht von der epischen Diktion ist aller- dings die lyrische und die dramatische, sofern sie einem großen Theile nach lyrisch ist. Aber auch hier drückt sich die Begeisterung mehr durch die kühnen Absprünge von der logischen oder mechanischen Gedankenfolge, als durch Schwulst der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren Organ, es sind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen- thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der wahren Begeisterung. Man pflegt in den poetischen Kunstlehren sonst auch von Meta- phern, Tropen und den übrigen Zierathen der Rede zu sprechen, dergleichen die Epitheta sind, die Vergleichungen und die Gleichnisse. Was die Metaphern betrifft, so gehören sie mehr der Rhetorik an. Die Rhetorik kann den Zweck haben, durch Bilder zu reden, um sich anschaulich zu machen, oder um zu täuschen und Leidenschaft zu erwecken. Die Poesie hat nie einen Zweck außer sich, obgleich sie diejenige Em- pfindung, die in ihr selbst ist, auch außer sich hervorbringt. Plato vergleicht die Wirkungen der Dichtkunst mit denen eines Magnets ꝛc. In der Poesie also ist alles, was zum Schmuck der Rede gehört, dem höchsten und obersten Princip der Schönheit untergeordnet, es läßt sich eben deßwegen über Gebrauch der Bilder, Tropen ꝛc. kein allge- meines Gesetz als eben das dieser Unterordnung aufstellen. Construktion der einzelnen Dichtarten . Das Wesen aller Kunst als Darstellung des Absoluten im Beson- deren ist reine Begrenzung von der einen und ungetheilte Absolutheit von der andern Seite. Schon in der Naturpoesie müssen die Elemente sich scheiden, und die vollendet eintretende Kunst ist erst mit der strengen Scheidung gesetzt. Am strengsten begrenzt in allen Formen ist auch hier wieder die antike Poesie, ineinanderfließender, mischender die moderne: daher durch diese eine Menge Mittelgattungen entstanden sind. Wenn wir in der Abhandlung der verschiedenen Dichtungen der natürlichen oder historischen Ordnung folgen wollten, so würden wir von dem Epos als der Identität ausgehen und von da zur lyrischen und dramatischen Poesie fortgehen müssen. Allein da wir uns hier ganz nach der wissenschaftlichen Ordnung zu richten haben, und da nach der bereits vorgezeichneten Stufenfolge der Potenzen die der Besonder- heit oder Differenz die erste, die der Identität die zweite, und das, worin Einheit und Differenz, Allgemeines und Besonderes selbst eins sind, die dritte ist, so werden wir auch hier dieser Stufenfolge getreu bleiben und machen demnach den Anfang mit der lyrischen Kunst. Daß die lyrische Poesie unter den drei Dichtarten der realen Form entspricht, erhellt schon daraus, daß ihre Bezeichnung auf die Analogie mit der Musik hinweist. Allein noch bestimmter ist dieß auf folgende Weise darzuthun. In derjenigen Form, welche der Einbildung des Unendlichen in das Endliche entspricht, muß eben deßwegen das Endliche, die Differenz, die Besonderheit das Herrschende seyn. Aber eben dieß ist der Fall in der lyrischen Poesie. Sie geht unmittelbarer als irgend eine andere Dichtart von dem Subjekt und demnach von der Besonderheit aus, es sey nun, daß sie den Zustand eines Subjekts z. B. des Dichters aus- drücke, oder von einer Subjektivität die Veranlassung einer objektiven Darstellung nehme. Sie kann eben deßwegen und in dieser Beziehung wieder die subjektive Dichtart heißen, Subjektivität nämlich im Sinn der Besonderheit genommen. In jeder andern Art des Gedichts ist seiner inneren Identität unerachtet doch ein Wechsel der Zustände möglich, in der lyrischen herrscht, wie in jedem Musikstück, nur Ein Ton, Eine Grundempfin- dung, und wie in der Musik eben wegen der Herrschaft der Besonder- heit alle Töne, welche sich mit dem herrschenden verbinden, auch wieder nur Differenzen seyn können, so spricht sich auch in der Lyrik jede Regung wieder als Differenz aus. Die lyrische Poesie ist am meisten dem Rhythmus untergeordnet, ganz abhängig, ja fortge- rissen von ihm. Sie meidet die gleichförmigen Rhythmen, während das Epos sich auch in dieser Rücksicht in der höchsten Identität bewegt. Das lyrische Gedicht ist überhaupt Darstellung des Unendlichen oder Allgemeinen im Besondern. So geht jede pindarische Ode von einem besonderen Gegenstand und einer besonderen Begebenheit aus, schweift aber von dieser ins Allgemeine ab, z. B. in den späteren mythologischen Kreis, und indem sie aus diesem wieder zum Besondern zurückkehrt, bringt sie eine Art der Identität beider, eine wirkliche Dar- stellung des Allgemeinen im Besondern hervor. Da die lyrische Poesie die subjektivste Dichtart, so ist nothwendig auch die Freiheit in ihr das Herrschende. Keine Dichtart ist weniger einem Zwang unterworfen. Die kühnsten Absprünge von der gewohnten Gedankenfolge sind ihr erlaubt, indem alles nur darauf ankommt, daß ein Zusammenhang im Gemüth des Dichters oder Hörers sey, nicht objektiv oder außer ihm. In dem Epos waltet vollkommenste Stetigkeit, im lyrischen Gedicht ist diese aufgehoben, wie in der Musik, wo lauter Differenzen, und zwischen dem einen Ton und dem folgenden eine wahre Stetigkeit unmöglich ist, dagegen in Farben alle Differenzen wieder in Eine Masse, wie aus Einem Guß, zusammenfließen. Das An-sich aller lyrischen Poesie ist Darstellung des Unend- lichen im Endlichen, aber da sie nur in der Succession sich bewegt, so entsteht dadurch gleichsam als inneres Lebens- und Bewegungsprincip der Gegensatz des Unendlichen und Endlichen. In dem Epos ist Unendliches und Endliches absolut eins, deßwegen in diesem keine An- regung des Unendlichen, nicht als ob es nicht da wäre, sondern weil es in einer gemeinschaftlichen Einheit mit dem Endlichen ruht. Im lyrischen Gedicht ist der Gegensatz erklärt. Daher die vorzüglichsten Gegenstände des lyrischen Gedichts moralisch , kriegerisch, leidenschaft- lich überhaupt. Leidenschaft überhaupt ist der Charakter des Endlichen oder der Besonderheit im Gegensatz mit der Allgemeinheit. Am reinsten und ursprünglichsten stellt uns diesen Charakter der lyrischen Kunst, sowohl ihrem Ursprung, als ihrer Beschaffenheit nach, wieder die antike Poesie dar. Die Entstehung und erste Entfaltung der lyrischen Poesie in Griechenland ist gleichzeitig mit dem Aufblühen der Freiheit und Ent- stehen des Republikanismus. Zuerst verband sich die Poesie mit den Gesetzen und diente zur Ueberlieferung derselben. Bald wurde sie als lyrische Kunst für Ruhm, Freiheit und schöne Geselligkeit begeistert. Sie wurde die Seele des öffentlichen Lebens, die Verherrlicherin der Feste. Die zuvor ganz nach außen gerichtete, in einer objektiven Iden- tität, dem Epos, verlorene Kraft wandte sich nach innen, fing an sich zu beschränken; mit diesem erwachenden Bewußtseyn und der eintreten- den Differenziirung entstanden die ersten lyrischen Töne, die sich bald zu der höchsten Mannichfaltigkeit entwickelten. Das Rhythmische der griechischen Staaten, die ganz auf sich selbst und ihr Daseyn und Wirken gerichtete Besonnenheit der Griechen entzündete die edleren Lei- denschaften, die der lyrischen Muse würdig waren. Zu gleicher Zeit mit der Lyrik belebte die Musik die Feste und das öffentliche Leben. Im Homer sind sogar noch Opfer und Gottesdienste ohne Musik. Zu Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 41 der Identität des homerischen Epos gehört auch das heroische Princip, das Princip des Königthums und der Herrschaft. Die lyrische Poesie begann mit Kallinos und Archelaos nach schon gänzlich vollendeter Ausbildung des Epos; und in Vergleichung mit dem Epos ist daher die lyrische Kunst bis zu ihrer letzten Vollendung im Pindaros ganz republikanische Poesie S. Friedr. Schlegel, Geschichte der Poesie der Griechen und Römer, S. 218. . Fast alle lyrischen Gesänge der Alten, von deren Existenz wir ent- weder nur durch historische Ueberlieferung wissen, oder die uns in Bruchstücken, oder selbst ganz übrig geblieben sind, beziehen sich auf das öffentliche und allgemeine Leben, und die selbst mehr aufs Einzelne sich beziehenden lyrischen Gedichte der Alten drücken Geselligkeit aus, wie sie nur in einem freien und großen Staate seyn und werden konnte. Alles deutet darauf, daß die im Epos noch geschlossene Knospe gebro- chen ist und die freiere Bildung des Lebens sich entfaltet. Auch in der Besonderheit der lyrischen Dichtkunst also sind die Griechen objektiv, real, expansiv. Die ersten lyrischen Rhythmen waren, wie bemerkt, diejenigen, in welchen die Gesetze freier Staaten gesungen wurden; noch bei Solon. Die Kriegslieder des Tyrtaios „spornte“ eine ganz objektive Leidenschaft. Alkaios war das Haupt der Verschworenen gegen die Tyrannen, nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit Gesängen sie bekämpfend. Von mehreren lyrischen Dichtern dieser Zeit wird erzählt, daß sie auf Rath der Götter herbeigerufen worden, bürgerliche Uneinigkeiten beizu- legen. Andere waren geehrt an Höfen der Herrscher und Tyrannen der damaligen Zeit. Arion z. B. von Periander. Die Zeit der Un- schuld war auch dadurch vorbei, daß die Sänger nicht mehr genügsam waren wie die homerischen; daß sie Lohn, Gewinn, Ansehen für das Talent forderten. Pindaros, dessen Leyer bei den öffentlichen Wett- spielen ertönte, war auch in dieser — objektiven — Beziehung der griechischen Lyrik die Blüthe. Er anticipirte in sich die Bildung des Perikleischen Zeitalters; der rohere Republikanismus ist schon zur Herrschaft der Gebildeten zurückgeführt; er vereinigt mit dem Feuer des lyrischen Dichters die Würde eines pythagoreischen Philosophen, wie auch die Sage bekannt ist, daß er die Lehre des Pythagoras geliebt habe. (Das Plastische, gleichsam Dramatische der pindarischen Oden.) Diese Objektivität der griechischen Lyrik ist es aber doch wieder nur innerhalb des allgemeinen Charakters der Gattung, welcher der der Innerlichkeit, der besonderen und gegenwärtigen Wirklichkeit ist. Das Epos erzählt die Vergangenheit. Das lyrische Gedicht besingt die Gegen- wart, und geht bis zur Verewigung der einzelnsten und vergänglichsten Blüthe derselben herunter, des Genusses, der Schönheit, der Liebe zu einzelnen Jünglingen, wie in dem Gedicht des Alkman und der Sappho, und auch hier wieder bis zur Einzelheit schöner Augen, Haare, ein- zelner Glieder, wie in den Gedichten des Anakreon. Dionys von Halikarnaß bestimmt als das Ausgezeichnetste des Epos, daß der Dichter nicht erscheine. Die lyrische Kunst dagegen ist die eigentliche Sphäre der Selbstbeschauung und des Selbstbewußtseyns, wie die Musik, wo keine Gestalt, sondern nur ein Gemüth, kein Ge- genstand, sondern nur eine Stimmung sich ausdrückt. Der Charakter der Differenz , der Scheidung und Sonderung, welcher in der Lyrik an und für sich selbst liegt, drückt sich in der ly- rischen Kunst der Griechen nicht minder bestimmt als alle andern aus. Vollkommene Ausbildung aller rhythmischen Gattungen, so daß dem Drama nichts übrig blieb. Scharfe Absonderung aller Arten, sowohl was die äußeren Verschiedenheiten des Rhythmus, als die innere Di- versität des Stoffs, der Sprache u. s. w. betrifft, scharfe Absonderung endlich in den verschiedenen Stylen der lyrischen Kunst, dem jonischen, dorischen u. d. a. Wir finden auch in Ansehung der lyrischen Kunst wieder den allgemei- nen Gegensatz des Antiken und Modernen auf gleiche Weise zurückkehren. Wie die höchste Blüthe der lyrischen Kunst der Griechen in das Entstehen der Republik, der höchsten Blüthe des öffentlichen Lebens fällt, so der erste Beginn der modernen Lyrik im 14. Jahrhundert in die Zeit der öffentlichen Unruhen und der allgemein geschehenden Auflösung des republikanischen Verbands und der Staaten in Italien. Indem das öffentliche Leben mehr oder weniger verschwand, mußte es sich nach innen richten. Die glücklichen Zeiten, welche Italien einigen großgesinnten Fürsten, vorzüglich den Mediceern verdankte, traten erst später ein, und kamen dem romantischen Epos zu gut, welches sich in Ariosto ausbildete. Dante und Petrarca, die ersten Urheber der lyri- schen Poesie, fielen in die Zeiten der Unruhe, der gesellschaftlichen Auf- lösung, und ihre Gesänge, wenn sie sich auf diese äußern Gegenstände beziehen, sprechen laut das Unglück dieser Zeit aus. Die Dichtkunst der Alten feierte vorzüglich die männlichen Tugen- den, die der Krieg und das gemeinsame öffentliche Leben erzeugt und nährt. Von allen Verhältnissen der Empfindung war daher die Freund- schaft der Männer das Herrschende und die Weiberliebe ein durchaus Untergeordnetes. Die moderne Lyrik war in ihrem Ursprung der Liebe mit all den Empfindungen geweiht, welche im Begriff der Neueren damit verbunden sind. Die erste Begeisterung des Dante war die Liebe eines jungen Mädchens, der Beatrice. Er hat die Geschichte dieser Liebe in Sonetten, Canzonen und prosaischen, mit Gedichten untermisch- ten Werken, vorzüglich der Vita nuova verewigt. Die größeren Schick- sale seines späteren Lebens, die Verbannung aus Florenz, das Unglück und das Verbrechen der Zeit, spornten seinen göttlichen Geist erst zur Hervorbringung seines höheren Werks, der Divina Comedia, obgleich der Grund und Anfang dieses Gedichts wieder Beatrice ist. Das ganze Leben des Petrarca war jener geistigen Liebe ge- weiht, die sich in der Anbetung genügt. Dieser harmonischen, von der Blüthe der Bildung und der edelsten Tugenden seiner Zeit erfüllten Seele bedurfte es, um in ihr die italienische Poesie zu dem höchsten Grad lyrischer Schönheit, Reinheit und Vortrefflichkeit auszubilden. Man würde sich sehr irren, in Petrarca einen in Liebe zerfließenden und zerschmelzenden Dichter zu suchen, da seine Formen eben so streng, präcis, bestimmt sind als die des Dante in ihrer Art. Auch Boccaccio gesellt sich zu diesem Verein; denn auch die Muse seiner Poesie ist die Liebe. Der Geist der modernen Zeit, der im Allgemeinen schon früher dargestellt worden ist, bringt die Beschränkung der modernen Lyrik in Ansehung der Gegenstände mit sich. Bild und Begleitung eines öffentlichen und allgemeinen Lebens — eines Lebens in einem organi- schen Ganzen — konnte die Lyrik in den modernen Staaten nicht mehr werden. Es blieben für sie keine andern Gegenstände als entweder die ganz subjektiven, einzelne momentane Empfindungen, worein sich die lyrische Poesie auch in den schönsten Ergüssen der spätern Welt ver- loren hat, und aus denen nur sehr mittelbar ein ganzes Leben her- vorleuchtet, oder dauernde auf Gegenstände sich beziehende Gefühle, wie in den Gedichten des Petrarca, wo das Ganze wieder eine Art von romantischer oder dramatischer Einheit wird. Die Sonetten des Petrarca sind nicht nur im Einzelnen, sondern im Ganzen wieder Kunstwerke. (Das Sonett einer bloß architektonischen Schönheit fähig.) Unverkennbar ist aber, daß Wissenschaft, Kunst, Poesie von dem geistlichen Stande ausgegangen, woraus das Unheroische, sowie daß die Liebesgeschichten mehr auf Weiber als auf unverheirathete Mädchen sich beziehen. Sonst theilt sich die lyrische Poesie in Gedichte moralischen, didak- tischen, politischen Inhalts, immer mit Uebergewicht der Reflexion, der Subjectivität, da ihr die Objektivität im Leben fehlt. Die einzige Art lyrischer Gedichte, welche auf ein öffentliches Leben sich beziehen, sind die religiösen, da nur in der Kirche noch öffentliches Leben war. — Wir kommen nun zum Epos. Das lyrische Gedicht bezeichnet überhaupt die erste Potenz der idealen Reihe, also die der Reflexion, des Wissens, des Bewußt- seyns. Es steht eben deßwegen ganz unter Herrschaft der Reflexion. Die zweite Potenz der idealen Welt überhaupt ist die des Han- delns , des an sich Objektiven, wie das Wissen des Subjektiven. Gleichwie aber die Formen der Kunst überhaupt die Formen der Dinge an sich sind, so muß diejenige Dichtart, welche der idealen Ein- heit entspricht, nicht überhaupt nur das erscheinende Handeln, sondern das Handeln absolut betrachtet, und wie es in seinem An-sich ist, darstellen. Handeln, absolut oder objektiv betrachtet, ist Geschichte. Die Auf- gabe der zweiten Art ist also: ein Bild der Geschichte zu seyn, wie sie an sich oder im Absoluten ist. Daß diese Dichtart das Epos ist, wird sich am bestimmtesten daraus ergeben, daß alle aus dem angegebenen Charakter abzuleitenden Bestimmungen sich in dem Epos vereinigen und zusammentreffen. 1) Nicht daß überhaupt nur Handlung, Geschichte dargestellt wird, sondern daß sie in der Identität der Absolutheit erscheint, ist das Auszeichnende des Epos. Das Handeln objektiv angesehen oder als Geschichte ist in dem An-sich als reine Identität, ohne Gegensatz des Unendlichen und Endlichen. Denn in dem An-sich , von dem alles Handeln die bloße Erscheinung ist, ist das Endliche im Unendlichen, und also außer Differenz mit ihm. Das Letztere ist nur möglich, wo das Endliche etwas für sich, real ist, also inwiefern das Unendliche im End- lichen repräsentirt ist. Der Gegensatz der Besonderheit und Allgemeinheit drückt sich in Bezug auf das Handeln als der der Freiheit und der Noth- wendigkeit aus. Auch diese also sind in dem An-sich des Handelns eins. Ist also im Epos kein Gegensatz des Unendlichen und Endlichen, so kann auch kein Streit zwischen Freiheit und Nothwendigkeit in ihm dargestellt seyn. Beide erscheinen eingewickelt in einer gemeinschaftlichen Einheit. Der Streit der Freiheit und Nothwendigkeit wird nur durch das Schicksal entschieden, und ruft es gleichsam hervor. Alle Entgegensetzung von Nothwendigkeit und Freiheit liegt nur in der Besonderheit, in der Differenz. Durch das Differenzverhältniß der Besonderheit erhält die Identität zu ihr das Verhältniß des Grunds, und erscheint demnach als Schicksal. In dem An-sich des Handelns, als der absoluten Identität, ist kein Schicksal. Die erste Bestimmung des Epos also ist so zu fassen: es stellt die Handlung in der Identität der Freiheit und Nothwen- digkeit dar, ohne Gegensatz des Unendlichen und Endlichen, ohne Streit und eben deßwegen ohne Schicksal . Es ist höchst auffallend, wenn man das homerische Epos selbst mit den frühesten Werken der lyrischen Poesie vergleicht, in ihm durchaus keine Anregung des Unendlichen zu finden. Das Leben und Handeln der Menschen bewegt sich von der einen Seite betrachtet in der reinen Endlichkeit, aber eben deßwegen auch in der absoluten Identität der Freiheit und Nothwendigkeit. Die Hülle, welche beide wie in der Knospe verschließt, ist noch nicht gebrochen, nirgends ist Empörung gegen das Schicksal, obgleich Trotz gegen die Götter, weil diese selbst nicht über- und außernatürlich sind, sondern mit in den Kreis menschlicher Begebenheiten fallen. Man könnte einwenden, daß doch auch Homer schon die schwarzen Keren und das Verhängniß kenne, dem selbst Zeus und die andern Götter unterworfen sind. Dieß ist wahr, aber das Verhängniß er- scheint eben deßwegen noch nicht als Schicksal, weil kein Widerstreit dagegen erscheint. Götter und Menschen, die ganze Welt, die das Epos umfaßt, sind in der höchsten Identität mit ihm dargestellt. Aeußerst bedeutend ist in dieser Rücksicht die Stelle im 16. Gesang der Ilias, 442 ff. wo Zeus seinen geliebten Sarpedon aus den Händen des Patroklos und vom Tode erretten will und Here ihn mit den Worten erinnert: Einen sterblichen Mann längst auserseh’n dem Verhängniß Denkst du anjetzt von des Tods grau’nvoller Gewalt zu erlösen. Sie führt hierauf an, daß auch andere Götter, wenn er den Sarpedon lebend entrückte, das Gleiche für ihre Söhne begehrten, und fährt fort: Auf, wofern du ihn liebst und deine Seel’ ihn betrauert, Siehe, so laß ihn zwar im Ungestümme der Feldschlacht Sterben — — — — — — — — — — — — — Aber sobald ihn verlassen der Geist und der Odem des Lebens, Gib ihn hinwegzutragen dem Tod und dem ruhigen Schlafe, Bis sie gekommen zum Volk des weiten Lykierlandes, Wo ihn rühmlich bestatten die Brüder zugleich und Verwandten, Mit Grabhügel und Säule; denn das ist Ehre der Todten. In dieser Stelle erscheint das Verhängniß in der Milde einer stillen Nothwendigkeit, gegen die es noch keine Empörung, keinen Widerstreit gibt, denn auch Zeus gehorcht der Here und — beträufelt mit blutigen Tropfen die Erde Ehrend den theuren Sohn — — — — — — Vgl. über diese Stelle Phil. der Mythologie S. 360. D. H. Noch viel weniger ist den Helden der Ilias irgend ein Gefühl oder Widerstreit gegen das Schicksal verliehen, und das Epos stellt sich auf diese Weise höchst bedeutend zwischen die zwei andern Gattungen, das lyrische Gedicht, wo der bloße Streit des Unendlichen und Endlichen, die Dissonanz der Freiheit und Nothwendigkeit ohne vollständige und andere als subjektive Auflösung herrscht, und die Tragödie, wo der Streit und das Schicksal zugleich dargestellt ist. Die Identität, die in dem Epos noch verhüllt und als milde Gewalt herrschte, entladet sich da, wo ihr der Streit gegenüber steht, in herben und gewaltigen Schlägen. Die Tragödie kann insofern allerdings als Synthese des Lyrischen und Epischen betrachtet werden, da die Identität des Letzteren in ihr durch den Gegensatz selbst sich in das Schicksal verwandelt. Das Epos, verglichen mit der Tragödie, ist also ohne Streit gegen das Unendliche, aber auch schicksallos. 2) Das Handeln ist in seinem An-sich zeitlos, denn alle Zeit ist nur Differenz der Möglichkeit und Wirklichkeit, und alles erscheinende Handeln ist nur Zerlegung jener Identität, in der alles zumal ist. Das Epos muß ein Bild dieser Zeitlosigkeit seyn. Wie ist dies mög- lich? — Die Poesie ist als Rede selbst an die Zeit gebunden, alle poetische Darstellung nothwendig successiv. Hier scheint also ein unauf- löslicher Widerspruch zu seyn. Er hebt sich auf folgende Art. Die Poesie selbst als solche muß wie außer der Zeit, von der Zeit unberührt seyn, sie muß daher alle Zeit, alles Successive rein in den Gegenstand legen und dadurch sich selbst ruhig erhalten und unbewegt von dem Strom der Aufeinanderfolge über ihm schweben. So ist in dem An- sich alles Handelns, an dessen Stelle die Poesie tritt, keine Zeit, nur in den Gegenständen als solchen ist sie, und jede Idee, indem sie aus dem An-sich als Gegenstand hervortritt, tritt in die Zeit ein. Das Epos selbst also muß das Ruhige und dagegen der Gegenstand das Bewegte seyn. — Man denke sich einmal die Umkehrung, nämlich daß das Epos Darstellung des Ruhenden durch Bewegung sey, so daß die Bewegung in die Poesie und die Ruhe in den Gegenstand fiele, so würde dieß sogleich den epischen Charakter aufheben, es entstünde da- durch die beschreibende Dichtart, das sogenannte poetische Gemälde, und fremder kann dem Epos nichts seyn als dieses. Es ist ein widerstre- bender Anblick, den beschreibenden Dichter sich anstrengen und bewegen zu sehen, während der Gegenstand immer unbeweglich bleibt. Weßhalb selbst da, wo das Epos das Ruhende beschreibt, das Ruhende selbst in Bewegung und Fortschreitung verwandelt werden muß. Beispiel: Schild des Achilles, obwohl auch nach andern Gründen dieses Stück der Ilias zu den spätesten gehört. Wenn wir nun jedoch auf den allgemeinen Typus reflektiren, der den Formen der Kunst zu Grunde liegt, so finden wir, daß das Epos in der Poesie dem Gemälde in der bildenden Kunst entspreche. Wie dieses, so ist auch jenes Darstellung des Besondern im Allgemeinen, des Endlichen im Unendlichen. Wie in diesem Licht und Nichtlicht in Eine identische Masse zusammen fließt, so in jenem auch Besonderheit und Allgemeinheit. Wie in diesem die Fläche herrschend ist, so breitet sich auch das Epos nach allen Seiten wie ein Ocean aus, der Länder und Völker verbindet. Wie ist nun dieses Verhältniß zu begreifen? Der Gegenstand des Gemäldes, könnte man einwenden, ist ruhig, in dem des Epos dagegen ein stetiger Fortschritt. Allein in diesem Ein- wurf wird das, was die bloße Grenze der Malerei ist, zu ihrem Wesen gemacht. Objektiv angesehen ist das, was wir den Gegenstand im Gemälde nennen können, nicht ohne Fortschreitung; es ist nur ein — subjektiv — fixirter Moment, aber wir sehen besonders bei affektvollen Gegenständen, aber überhaupt im historischen Gemälde, daß der nächste Moment alle Verhältnisse ändert, aber dieser nächste Moment ist nicht dargestellt, alle Figuren des Gemäldes bleiben in ihrer Stel- lung; es ist ein empirisch zur Ewigkeit gemachter Moment. Man kann aber wegen dieser in gegenwärtigem Betracht bloß zufälligen Begrenzung nicht sagen, der Gegenstand ruhe; vielmehr schreitet er fort, nur ist uns der nächste Moment entzogen. Es ist dasselbe Verhältniß wie im Epos. Im Epos fällt die Fortschreitung ganz in den Gegen- stand, der ewig bewegt ist, die Ruhe aber in die Form der Dar- stellung, wie im Gemälde, wo das stets Fortschreitende nur durch die Darstellung fixirt ist. Das Verweilen, welches bei dem Gemälde in den Gegenstand zu fallen scheint, fällt hier ins Subjekt zurück, und dieß ist der Grund einer sogleich noch weiter zu erklärenden Eigenthüm- lichkeit des Epos, daß ihm auch der Augenblick werth ist, daß es nicht forteilt, eben deßwegen, weil das Subjekt ruht, gleichsam unangerührt von der Zeit, außer ihr. Wir werden uns also über die Art wie das Epos ein Bild der Zeitlosigkeit des Handelns in seinem An-sich ist, so ausdrücken können: das, was selbst in keiner Zeit ist, faßt alle Zeit in sich, und umge- kehrt, ist aber deßwegen indifferent gegen die Zeit. Diese Indiffe- renz gegen die Zeit ist der Grundcharakter des Epos . Es ist gleich der absoluten Einheit, innerhalb der alles ist, wird und wech- selt, die aber selbst keinem Wechsel unterworfen ist. Die Kette der Ursachen und Wirkungen reicht ins Unendliche zurück, aber das, was diese Reihe der Succession selbst wieder in sich schließt, liegt nicht mit in der Reihe, sondern ist außer aller Zeit. Die weiteren Bestimmungen ergeben sich nun von selbst und sind gewissermaßen die bloße Folge der eben angegebenen. Nämlich 3) da die Absolutheit nicht auf der Extension, sondern auf der Idee beruht, und daher in dem An-sich alles gleich absolut und das Ganze nicht absoluter ist als der Theil, so muß auch diese Bestimmung auf das Epos übergehen. Es ist also der Anfang wie das Ende in dem Epos gleich absolut, und inwiefern überhaupt das Nichtbedingte sich in der Erscheinung als Zufälligkeit darstellt, erscheint beides als zufällig . Die Zufälligkeit des Anfangs und des Endes ist also in dem Epos der Ausdruck seiner Unendlichkeit und Absolutheit. Mit Recht ist derjenige Sänger, der den trojanischen Krieg von dem Ei der Leda anfangen wollte, dadurch zum Sprichwort geworden. Es ist gegen die Natur und Idee des Epos, daß es rückwärts oder vorwärts bedingt erscheine. In der Succession der Dinge, wie sie im Absoluten vorgebildet ist, ist alles absoluter Anfang, aber eben deßwegen ist hier auch kein Anfang. Das Epos, indem es absolut beginnt, constituirt sich eben dadurch selbst zu einem gleichsam aus dem Absoluten selbst herausgehörten Stück, das, in sich absolut, doch wieder nur Bruchstück eines absoluten und unübersehbaren Ganzen ist, wie der Ocean, weil er nur durch den Himmel begrenzt wird, unmittelbar an die Unendlichkeit hinausweist. Die Ilias beginnt absolut, mit dem Vorsatz den Groll des Achilleus zu singen, und sie ist ebenso absolut geschlossen, da kein Grund ist, mit dem Tod des Hektor zu enden (denn bekanntlich sind die beiden letzten Gesänge spätere Zuthaten, und auch wenn man diese mit zu dem unter dem Namen der Ilias nun vorliegenden Ganzen rechnet, so ist auch in ihnen kein eigentlicher Grund des Schließens). Ebenso absolut beginnt nun die Odyssee wieder. — Wenn man diese als Zufälligkeit erscheinende Absolutheit, die tief im Wesen des Epos ge- gründet ist, auffaßt, so reicht diese allein hin, die neuere Wolfsche Ansicht des Homer nicht so fremd und unfaßlich zu finden, als sie von den meisten gefunden wird. Sie haben sich aus den gewöhnlichen Theorien gewisse Grundsätze über die Künstlichkeit des Epos genommen, und können damit die Zufälligkeit nicht reimen, womit, nach ihrer Art sich die Wolfsche Hypothese zu deuten, der Homer zusammenge- kommen. Freilich ist diese grobe Zufälligkeit aufgehoben, sobald man sich der Idee bemächtigt, wie ein ganzes Geschlecht einem Individuum gleich seyn kann (wovon schon früher in der Lehre von der Mythologie geredet war); aber auch diejenige Zufälligkeit, die in dem Entstehen der Homerischen Gesänge wirklich gewaltet hat, trifft eben hier mit dem Nothwendigen und der Kunst zusammen, da das Epos seiner Natur nach sich mit einem Schein der Zufälligkeit darstellen muß. Dieß wird weiter bestätigt durch folgende Bestimmungen. 4) Die Indifferenz gegen die Zeit muß nothwendig auch eine Gleichgültigkeit in Behandlung der Zeit zur Folge haben, so daß in der Zeit, welche das Epos begreift, alles Raum hat, das Größte wie das Kleinste, das Unbedeutendste wie das Bedeutendste. Es ent- steht dadurch auf eine viel vollkommenere Weise als in der gemeinen Erscheinung das Bild der Identität aller Dinge im Absoluten, die Stetigkeit . Alles was zu derselben gehört, die unbedeutend schei- nenden Handlungen des Essens, Trinkens, des Aufstehens, zu Bett- gehens, des Anlegens der Kleider und des Schmucks — alles wird mit der verhältnißmäßigen Ausführlichkeit, wie alles andere beschrieben. Alles ist gleich wichtig oder unwichtig, gleich groß und klein. Dadurch vorzüglich erhebt sich die Poesie im Epos und der Dichter selbst gleich- sam zu der Theilnahme an der göttlichen Natur, vor der das Große und das Kleine gleich ist, und die mit ruhigem Auge, wie ein Dichter sagt, ein Königreich und einen Ameisenhaufen zerstören sieht. Denn 5) in dem An-sich des Handelns sind alle Dinge und alle Be- gebenheiten in gleichem Gewicht; keine wird von der andern verdrungen, weil keine größer ist als die andere. Alles ist hier absolut, als ob ihm nichts vorangegangen wäre, und ihm auch nichts folgen sollte. Dasselbe also auch im Epos. Der Dichter muß mit ungetheilter Seele, ohne Andenken des Vergangenen und ohne Voraussicht der Zukunft bei der Gegenwart weilen, und er selbst nicht forteilen, da er auch in der Bewegung ruht, sondern nur dem Gegenstand seine Bewegung lassen. Endlich faßt sich alles darin zusammen, daß die Poesie oder der Dichter über allem wie ein höheres, von nichts angerührtes Wesen schwebe. Nur innerhalb des Umkreises, den sein Gedicht beschreibt, stößt und drängt eins das andere, Begebenheit Begebenheit, Leiden- schaft Leidenschaft; er selbst tritt nie in diesen Umkreis herein, und wird dadurch zum Gott und zum vollkommensten Bild der göttlichen Natur. Ihn drängt nichts, er läßt alles ruhig geschehen, er greift dem Lauf der Begebenheiten nicht vor, denn er ist selbst nicht davon ergriffen; er schaut ruhig auf alles herab, denn ihn ergreift nichts von dem, was geschieht. Er selbst empfindet nie etwas von dem Gegenstand, und dieser kann daher das Höchste und das Niedrigste, das Außerordent- lichste und das Gemeinste, tragisch und komisch seyn, ohne daß er selbst , der Dichter, je hoch oder niedrig, tragisch oder komisch würde. Alle Leidenschaft fällt in den Gegenstand selbst; Achilles weint und wehklagt schmerzlich um den verlorenen Freund, Patroklos; der Dichter selbst erscheint weder gerührt noch ungerührt, denn er erscheint über- haupt nicht. In der weiten Umwölbung des Ganzen hat neben den herrlichen Gestalten der Helden auch Thersites, sowie neben den großen Gestalten der Unterwelt in der Odyssee auf der Oberwelt auch der göttliche Sauhirt und der Hund des Odysseus seinen Platz. Diesem geistigen, in dem ewigen Gleichgewicht der Seele schwe- benden Rhythmus muß nun auch ein gleicher hörbarer Rhythmus ent- sprechen. Aristoteles nennt den Hexameter das beständigste und gewichtigste aller Sylbenmaße. Der Hexameter hat ebensowenig einen fortreißenden, leidenschaftlichen, als einen verweilenden und zurückhal- tenden Rhythmus; er drückt auch in diesem Gleichgewicht des Verwei- lens und des Fortschreitens die Indifferenz aus, die dem ganzen Epos zu Grunde liegt. Da nun noch überdieß der Hexameter in seiner Identität wieder große Mannichfaltigkeit zuläßt, so ist er dadurch am meisten geeignet sich dem Gegenstand anzuschließen, ohne ihm Gewalt anzuthun, und insofern das objektivste aller Versmaaße. Dieß sind die vorzüglichsten und auszeichnendsten Bestimmungen des epischen Gedichts, von denen Sie eine mehr kritische und historische Ausführung in der Recension von Göthes Hermann und Dorothea von A. W. Schlegel finden können. Nun noch von einigen besonderen Formen des Epos, dergleichen die Reden, die Gleichnisse und die Episoden sind. Der Dialog neigt sich seiner Natur nach und sich selbst über- lassen zum Lyrischen hin, weil er mehr vom Selbstbewußtseyn aus und an das Selbstbewußtseyn geht. Die Rede würde also den Charakter des Epos selbst verändern, wenn nicht vielmehr umgekehrt ihr Charakter nach dem des Epos modificirt wäre. Diese Modification muß sich nun durch den Gegensatz gegen den eigenthümlichen Charakter der Rede bestimmen. Dieser ist Beschränkung auf die Absicht der Rede und darum Forteilen zum Ziel, wo etwas erreicht; Heftigkeit und Kürze, wo Leidenschaft ausgedrückt werden soll. Dieß alles ist im Epos gemäßigt und dem Hauptcharakter untergeordnet. Selbst in der leiden- schaftlichsten Rede ist noch die epische Fülle und Umständlichkeit, der Gebrauch der Beiwörter, wodurch die Sprache eine gewisse Sattheit erhält, wie in dem einfach erzählenden Gang. — Ebenso verhält es sich mit dem Gleichniß . Im lyrischen Gedicht, auch in der Tragödie wirkt es oft nur dem Blitz ähnlich, der plötzlich einen dunklen Zustand erleuchtet und von der Nacht wieder verschlungen wird. Im Epos hat es Leben in sich selbst, und ist selbst wieder ein kleines Epos. — Was endlich die Episode betrifft, so ist auch diese zunächst ein Abdruck der Gleichgültigkeit des Sängers gegen seine Gegenstände, auch die haupt- sächlichsten, der Abwesenheit der Furcht, auch die größte Verwicklung nicht mehr zu übersehen, oder über dem Nebengegenstand den Haupt- gegenstand aus dem Gesicht zu verlieren. Die Episode ist also ein noth- wendiger Theil des Epos, um es zu einem vollkommenen Bild des Lebens zu machen. In den gewöhnlichen Theorien wird auch noch das Wunderbare als ein nothwendiger Hebel der Epopee angeführt. Allein dieß kann nur von der modernen Gattung gelten und hat von dem Epos über- haupt ausgesagt eine ganz verkehrte Ansicht des alten Epos zum Grunde. Der nordischen Barbarei haben die Götter Homers und ihre Wirkungen nur als Wunder erscheinen können, wie ja auch die Kunst- richter dieser Art es für absichtliches rhetorisches und poetisches Pathos halten, wenn Homer, anstatt zu erzählen: es blitzte, sagt: Zeus habe Blitze gesendet. Den Griechen und dem alten Epos insbesondere ist das Wunder- bare gänzlich fremd, denn ihre Götter sind innerhalb der Natur. Was den eigentlichen epischen Stoff betrifft, so liegt schon in dem, was über die Bestimmung des Epos, ein Bild des Absoluten selbst zu seyn, gesagt worden ist, daß es einen wahrhaft univer- sellen Stoff fordert, und inwiefern dieser nur durch Mythologie exi- stiren kann, daß ohne Mythologie das Epos undenkbar ist. Ja die Identität beider ist so groß, daß die Mythologie nicht eher die wahre Objektivität als in dem Epos selbst erlangt. Da das Epos die objektivste und allgemeinste Dichtart ist, so fällt sie mit dem Stoff aller Poesie am meisten in eins. Wie nun die Mythologie nur Eine ist, so kann bei dieser Untrennbarkeit des Stoffs und der Form in einer gesetz- mäßigen Bildung wie die der griechischen Poesie auch das Epos nur Eines seyn und kann höchstens darin dem allgemeinen Gesetz der Er- scheinung folgen, daß es sich in seiner Identität durch zwei verschiedene Einheiten ausdrückt. Die Ilias und Odyssee sind nur die zwei Seiten eines und desselbigen Gedichts. Die Verschiedenheit der Urheber kommt hier nicht in Betracht; sie sind durch ihre Natur eins und darum auch durch den gemeinschaftlichen Namen Homeros vereinigt, der selbst alle- gorisch und bedeutend ist. Einige haben den Gegensatz der Ilias und Odyssee als den der aufgehenden und untergehenden Sonne dargestellt. Ich möchte die Ilias das centrifugale, die Odyssee das centripetale Ge- dicht nennen. Was die neueren im Sinn des alten Epos unternommenen Ge- dichte betrifft, so will ich den Uebergang zu diesen durch eine kurze Vergleichung des Virgil mit Homer machen. Man kann Virgil fast nach allen angegebenen Bestimmungen dem Homer entgegensetzen. Die erste gleich, die Schicksallosigkeit des Epos betreffend, so hat sich Virgil vielmehr bestrebt in die Handlung Schick- sal durch eine Art tragischer Verwicklung zu bringen. Die Bestimmung des Epos, die Bewegung ganz allein in den Gegenstand zu legen, ist ebensowenig erfüllt, da er nicht selten zur Theilnahme an seinem Gegen- stand herabsinkt. Die erhabene Zufälligkeit des Epos, dessen Anfang und Ende ebenso, wie die dunkle Zeit der Urwelt und die Zukunft unbestimmt ist, ist durch die Aeneis gänzlich aufgehoben. Sie hat einen bestimmten Zweck, die Gründung des römischen Reichs von Troja ab- zuleiten, und dadurch dem Augustus zu schmeicheln. Dieser Zweck ist gleich anfangs bestimmt verkündet, und wie die Absicht erreicht ist, schließt auch das Gedicht. Der Dichter überläßt hier nicht den Gegen- stand seiner eignen Bewegung, sondern er macht etwas aus ihm. Die Gleichgültigkeit in Behandlung der Zeit fehlt gänzlich, der Dichter meidet sogar die Stetigkeit und hat gleichsam beständig den Zustand seines gebildeten Cirkels vor Augen, den er durch die Einfalt der Er- zählung nicht beleidigen will. Sein Ausdruck ist daher auch künstlich, rhetorisch verflochten, prächtig. In seinen Reden ist er durchaus lyrisch oder rednerisch und in der Episode der Liebesgeschichte der Dido fast modern. — Das Ansehen des Virgil in den Schulen und bei moder- nen Kunstrichtern hat lange Zeit nicht nur die Theorie des Epos ver- fälscht (die gewöhnlichen Theorien sind ganz nach dem Virgil gemodelt, einer von den vielen Beweisen, daß die Menschen lieber aus der zweiten Hand das Verschlechterte, als aus der ersten das Treffliche wollen), dieses Ansehen Virgils hat auch auf die späteren Versuche epischer Poesie nachtheiligen Einfluß gehabt. In der That verräth Milton eine Bild- samkeit des Geistes, die kaum zweifeln läßt, daß wenn er das unver- stellte Vorbild des Epos vor Augen hatte, er sich ihm beträchtlich mehr genähert hätte, als es geschehen ist; wenn nicht etwa die tiefere Kennt- niß ihn noch weiter bis zu der Einsicht geführt hätte, daß eine Sprache, in der die alten Sylbenmaße nicht Platz greifen können, überhaupt nicht mit den Alten im Epos wetteifern kann. Milton theilt übrigens die meisten Fehler des Virgil, z. B. den Mangel derjenigen Absicht- losigkeit, die zum Epos gehört, obwohl er in Ansehung der Sprache z. B. sich verhältnißmäßig der Einfalt des Epos mehr als Virgil nähert. Zu den Fehlern, die er mit Virgil gemein hat, kommen die eigenthüm- lichen hinzu, deren Grund in den Begriffen und dem Charakter der Zeit, sowie in der Natur des Gegenstandes liegen. Nach allem, was zuvor gezeigt wurde, bedarf es keines Beweises, daß der Stoff, welchen Klopstock gewählt hat, besonders in der Art, wie er von ihm genommen ist, kein epischer Stoff sey. Klopstock wollte ihn erhaben nehmen, und die Vorstellungen nicht der mystischen, sondern der unmystischen und unpoetischen, noch mit einiger Aufklärung versetzten Dogmatik durch seine Anstrengungen zur Erhabenheit hinauftreiben. Aber wenn erstens überhaupt das Leben und der Tod Christi episch behandelt werden könnte, so müßte es rein menschlich genommen und mit der größten Einfalt — fast idyllisch — behandelt werden. Oder müßte das Gedicht ganz im modernen Geiste und von den Ideen des christ- lichen Mysticismus und Mythologie erfüllt seyn. Dann wäre es wenig- stens als absolute Entgegensetzung gegen das antike Epos in seiner Art wieder absolut. Klopstock gehört aber zu denjenigen Dichtern, in welchen Religion als lebendige Anschauung des Universums und Intuition der Ideen am wenigsten wohnt. Das Herrschende in ihm ist der Verstandes- begriff. In diesem Verstandessinn nimmt er die Unendlichkeit Gottes, die Hoheit Christi, und anstatt die Unendlichkeit und Hoheit in den Gegenstand zu legen, fällt sie vielmehr stets in den Dichter zurück, so daß beständig nur er selbst und seine Bewegung erscheint, der Gegen- stand selbst aber unbeweglich bleibt und weder Gestalt noch Fortschritt gewinnt. Das Widersinnigste ist, daß der Schluß Gottes, seinen Sohn zur Erlösung der Menschen dahin zu geben, von Ewigkeit genommen ist, daß Christus, der selbst Gott ist, ihn weiß, und daß also über das Ende bei dem Helden des Gedichts gar kein Zweifel seyn kann, wo- durch die ganze Handlung des Gedichts schleppend und die etwaige Ma- schinerie, durch welche das Ende herbeigeführt wird, als völlig nutzlos erscheint. Man kann sich übrigens von dem Anblick dieses Gedichts nicht ohne Bedauern abwenden, daß eine so große Kraft so fruchtlos verschwendet worden ist. Es war nur der Zweck, von denjenigen epischen Gedichten der Neueren zu sprechen, welche Ansprüche machen mehr oder weniger im Sinn des alten Epos gedichtet zu seyn. Ueber Goethes Hermann und Dorothea, das einzige epische Gedicht im wahren Sinn der Alten, werde ich noch besonders reden, und auch von der eigentlichen modernen Epopee kann hier noch nicht die Rede seyn. Wir haben noch einige der besondern epischen Formen zu betrach- ten. Man könnte zwar vorläufig fragen, wie das epische Gedicht als die höchste Identität einiger Differenz fähig seyn könne. Es versteht sich nun wohl von selbst, daß der Raum, in welchen das epische Ge- dicht ausweichen kann, sehr beschränkt seyn muß; es versteht sich aber noch unmittelbarer, daß es durch jene Ausweichung von dem Punkt, in den es einzig fallen kann, auch nothwendig den Charakter ablegt, der nur an jenen Punkt gebunden ist. Es liegen nun zunächst nur zwei Möglichkeiten im epischen Gedicht, welche in ihrer Differenziirung zwei besondere Gattungen bilden. Das Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth 42 Epos ist die objektivste Gattung, wenn wir unter Objektivem das ab- solut-Objektive verstehen. Es ist schlechthin objektiv, weil es die höchste Identität der Subjektivität und Objektivität ist. Aus dieser Identität also kann die Poesie heraustreten bloß dadurch, daß sie entweder rela- tiv -objektiver oder relativ-subjektiver wird. Im Epos verhält sich so- wohl das Subjekt (der Dichter) als der Gegenstand objektiv. Diese Identität kann nun nach zwei Seiten aufgehoben werden, a) so, daß die Subjektivität oder die Besonderheit ins Objekt, die Objektivität oder Allgemeingültigkeit in den Darstellenden, b) daß die Objektivität, die Allgemeinheit in den Gegenstand, die Subjektivität in den Darstellen- den gelegt ist. Diese zwei Pole sind in der Poesie wirklich dargestellt, aber sie selbst differenziiren sich in sich wieder nach der subjektiven und objektiven Seite. Die Sphäre der relativ-objektiven epischen Poesie (wo es nämlich die Darstellung ist) ist durch die Elegie und die Idylle , die sich unter sich wieder, jene als das Subjektive, diese als das Objektive verhalten; die Sphäre der relativ-subjektiveren Poesie (wo es nämlich die Darstellung ist) ist durch das Lehrgedicht und die Satyre , wovon jenes das Subjektive, diese das Objektive ist, be- schrieben. Man könnte versucht seyn, gegen diese Eintheilung anzuführen, daß es nicht einzusehen, wie die Elegie, die insgemein für eine subjektiv-lyrische Ergießung angesehen wird, objektiver seyn könne als das Lehrgedicht, welches man dagegen für das relativ-objektivste zu halten tentirt seyn könnte. Es ist also zu erinnern, daß hierbei keineswegs der gewöhn- liche Begriff der Elegie zugegeben wird, der ihr allerdings die Objek- tivität, aber auch das Epische rauben und sie zu einem bloß lyrischen Gedicht machen würde. Was aber das Lehrgedicht betrifft, so geht die Poesie in ihm zu dem Wissen als der ersten Potenz zurück, welches als Wissen immer subjektiv bleibt. Die bestimmteren Gründe dieser Eintheilung sind folgende. Vergleichen wir Elegie und Idylle einerseits und Lehrgedicht und Satyre von der andern Seite, so finden wir die ersten beiden darin übereinstimmend unter sich und darin ver- schieden von den andern beiden, daß jene ohne Zweck und Absicht sind und nur um ihrer selbst willen zu seyn scheinen, diese aber immer einen bestimmten Zweck haben, und schon dadurch sind die beiden letzten Gattungen in die Sphäre der Subjektivität gewiesen. Vergleichen wir ferner Elegie und Idylle unter sich, so sind sich beide dadurch gleich, daß sie auf einen universellen und objektiven Stoff Verzicht thun, daß jene den Zustand oder die Begebenheit eines Individuums, aber objek- tiv behandelt, diese den Zustand und das Leben einer Gattung darstellt, die überhaupt isolirt ist und eine besondere Welt bildet, nicht nur in sogenannten Hirtengedichten, sondern auch in anderen Arten, z. B. in häuslichen Idyllen, ja in denen nur z. B. eine Liebe, welche die Lie- benden ganz auf sich beschränkt und die Welt außer sich vergessen macht, dargestellt wird, wie in Voßens Luise. Verschieden sind aber beide eben dadurch wieder, daß die Elegie mehr zu dem Lyrischen, die Idylle dagegen nothwendigerweise mehr zu dem Dramatischen sich hinneigt. Man kann nun Elegie und Idylle gemeinschaftlich wieder dem Lehrgedicht und der Satyre so entgegensetzen, daß in jenen der Stoff oder Gegenstand beschränkt, und insofern, wenn man will, subjektiv, dagegen der Ort der Darstellung allgemein und objektiv ist, während in diesen der Stoff oder Gegenstand allgemein, dafür aber die Dar- stellung oder das Princip, von dem sie ausgehen, subjektiv ist. Lehrgedicht und Satyre können sich daher auch, weil sie sich von der einen Seite in Ansehung des Stoffs gleich sind, eben deßwegen von der andern Seite als subjektiv und objektiv auch nur durch den Stoff entgegengesetzt seyn. Der des Lehrgedichts ist der subjektive, weil er im Wissen liegt, der der Satyre ist der objektive, weil sie sich auf das Handeln bezieht, welches objektiver ist als das Wissen. Das Princip der Darstellung ist aber in beiden subjektiv. Dort liegt es im Geist, hier mehr im Gemüth und der sittlichen Stimmung. Kurze Betrachtung dieser Gattungen im Einzelnen . Ich will keine Definitionen geben. Jede Art der Kunst ist nur durch ihre Stelle bestimmt, diese ist ihre Erklärung. Uebrigens aber mag sie dieser Stelle entsprechen, auf welche Weise sie will. Jeder Dichtart liegt eine Idee zu Grunde. Wird nun ihr Begriff nach der einzelnen Erscheinung bestimmt, so ist er, weil diese der Idee niemals ganz angemessen seyn kann, nothwendig in der Gefahr über kurz oder lang zu eng befunden und also verworfen zu werden oder gar gebraucht zu werden, um ein in ihre Schranken nicht sich fügendes, auch vor- treffliches Kunstwerk zu verwerfen. Die Idee jeder Dichtart aber ist durch die Möglichkeit bestimmt, die durch sie erfüllt ist. Der Begriff, den die Neueren von der Elegie fast allgemein gehabt haben, ist, daß sie Klaggedichte seyen, ihr herrschender Geist empfindsame Trauer. Es ist nicht zu leugnen, daß auch die Klage und die Trauer sich in dieser Dichtart ausgesprochen hat, und daß die Elegie vorzüglich zu Klaggesängen über Verstorbene bestimmt war. Dieß aber ist nur Eine Erscheinungsweise, übrigens aber von unendlicher Mannichfaltigkeit und Bildsamkeit und so, daß diese Eine Gattung, obwohl allerdings nur bruchstücklich, das ganze Leben zu umfassen fähig ist. Die Elegie ist, als Art des epischen Gedichts, ihrer Natur nach geschichtlich ; auch als Klaggesang verleugnet sie ihren Charakter nicht, ja sie ist, könnte man sagen, der Trauer fähig eben nur, weil sie des Blicks in die Vergangenheit fähig ist, wie das Epos. Uebrigens weilt sie ebenso bestimmt in der Gegenwart, und besingt die befriedigte Sehnsucht nicht minder als den Stachel der unbefriedigten. Ihre Grenze in der Darstellung ist ihr nicht durch den individuellen und einzelnen Zu- stand gesteckt, sondern sie schweift von da wirklich in den epischen Kreis aus. Die Elegie ist durch ihre Natur schon eine der unbegrenzbarsten Gattungen, daher sich außer dem allgemeinen Charakter, der durch ihr Verhältniß zum Epos und zur Idylle bestimmt ist, nur eben diese un- endliche Bildsamkeit als ihr eigenthümlichstes und natürlichstes Wesen bezeichnen läßt. Die unmittelbarste Bekanntschaft mit dem Geist der Elegie gewinnt man durch die Muster der Alten. Einige der schönsten Bruchstücke des Phanokles, des Hermesianax sind im Athenäum über- setzt. Die Elegie hat aber auch in der römischen Sprache in Tibull, Catull und Properz wieder aufleben können, und zu unseren Zeiten hat Goethe durch seine römischen Elegien die ächte Gattung wiederher- gestellt. An Goethes Elegien ließe sich am unmittelbarsten zeigen, daß in Ansehung der Elegie die Subjektivität in das Objekt, dagegen die Objektivität in die Darstellung und das darstellende Princip fällt. Diese Elegien besingen den höchsten Reiz des Lebens und der Lust, aber auf eine wahrhaft epische Weise mit Verbreitung über den großen Gegen- stand seiner Umgebung. Die Idylle ist gegenüber von der Elegie die objektivere Gattung, und also überhaupt die objektivste unter den vier dem epischen Ge- dicht untergeordneten Gattungen. Da in ihr der Gegenstand (subjektiv) beschränkter als im Epos, und die allgemein gültige Ruhe also bloß in die Darstellung gelegt wird, so nähert sie sich dadurch schon mehr dem Gemälde , und dieß ist auch ihre ursprüngliche Bedeutung, da Idylle ein kleinstes Bild, ein Gemälde bezeichnet. Da sie ferner das Ueber- gewicht in das Objektive der Darstellung legen muß, so wird sie da- durch am meisten Idylle seyn, daß der Gegenstand sich mit roherer Besonderheit abhebt, weniger also gebildet ist als der des Epos. Die Idylle nimmt daher ihre Gegenstände nicht nur überhaupt aus einer beschränkten Welt, sondern macht sie auch in dieser noch scharf indivi- duell, ja sogar local nach Sitten, Sprache, Charakter, etwa wie die menschlichen Gestalten in einer Landschaft seyn müssen, derb, von nichts entfernter als von Idealität. Nichts ist daher der Natur der Idylle widersprechender, als den Personen Empfindsamkeit, eine Art unschul- diger Sittlichkeit mitzutheilen. Wenn die Derbheit der theokritischen Idylle verlassen werden kann, so ist es nur, wenn dafür der ganze Charakter romantisch wird, wie in den vorzüglichsten Schäferpoesien der Italiener und Spanier. Wenn aber, wie in Geßner , neben dem Aechten und Antiken zugleich das romantische Princip fehlt, so kann man die Bewunderung, die seine Idyllen besonders im Ausland gefun- den haben, nur als eine der unzähligen Aeußerungen der Unpoesie begreifen. In Geßners Idyllen, wie in sehr vielen der Franzosen, ist, ganz gegen den Geist der Idylle, eine Art von flacher, sittlich-empfind- samer Allgemeingültigkeit in den Gegenstand gelegt und die Gattung völlig verkehrt worden. Der ächte Geist der Idylle ist in einer späteren Zeit auch in Deutschland wieder aufgelebt durch Voßens Luise, ob- gleich er die Ungünstigkeit des Locals nicht überwinden konnte, und was den Reiz, die Frischheit der Farben, die Lebendigkeit natürlicher Aeuße- rungen betrifft, zu dem theokritischen Geist fast ganz das Verhältniß des nördlichen Deutschlands zu der Schönheit der sicilischen Fluren beobachtet. Die Italiener und Spanier haben auch in der Idylle das romantische Princip geltend gemacht, aber innerhalb der Begrenzung der Gattung, aber da ich nur den Pastor fido des Guarini kenne, so kann ich auch nur diesen als Beispiel anführen. Das Wesen der Ro- mantik ist, daß es durch Gegensätze zum Ziel kommt und nicht sowohl die Identität als Totalität darstellt. So auch in der Gattung der Idylle. Das Derbe, rein und streng Gesonderte ist im Pastor fido in einige Charaktere gelegt und der Gegensatz dazu in anderen gegeben. Auf diese Weise hat das Ganze das Antike überschritten und doch die Gattung behauptet. Uebrigens hat die Idylle im Pastor fido eine wirk- liche dramatische Höhe erreicht, und doch ließe sich zeigen, daß die Schicksallosigkeit der Idylle, die von der einen Seite darin aufgehoben, doch von der anderen wieder hergestellt ist. — Befreundung der Idylle mit allen Formen. Vorzügliche Hinneigung zum Dramatischen, wei die Darstellung noch objektiver. Schäferromane (Galatea des Cer- vantes). Unter denjenigen epischen Formen, welche durch ein Uebergewicht der Subjektivität in der Darstellung aus der Indifferenz der Gat- tung heraustreten, ist das Lehrgedicht selbst wieder die subjektivere Form. Wir haben vor allem ohne Zweifel die Möglichkeit eines Lehrgedichts zu untersuchen, worunter hier, wie sich versteht, die poe- tische Möglichkeit gemeint ist. Man kann erstens gegen die Gattung im Allgemeinen, also auch gegen die Satyre anführen, daß sie noth- wendig einen Zweck hat, das Lehrgedicht zu lehren, die Satyre zu strafen, und daß sie, weil alle schöne Kunst nach außen ohne Zweck ist, beide nicht als Formen derselben gedacht werden können. Allein es ist mit diesem an sich wichtigen Grundsatz nicht gesagt, daß die Kunst nicht einen von ihr unabhängig vorhandenen Zweck oder ein wirkliches Bedürfniß sich zur Form nehmen kann, wie ja auch die Architektur thut; es wird nur gefordert, daß sie sich in sich selbst wieder davon unabhängig zu machen wisse und die äußeren Zwecke bloß Form für sie seyen. Daß nun die Absicht, wissenschaftliche Lehren vorzutragen, für die Poesie nicht zur Form werden könne, dagegen existirt wenigstens von Seiten der Poesie kein denkbarer Grund, und die Forderung an das Lehrgedicht wäre nur die, in dem Werk selbst die Absicht wieder aufzuheben, so daß es um seiner selbst willen zu seyn scheinen könne. Dieß wird nun aber nie der Fall seyn können, als wenn die Form des Wissens im Lehrgedicht für sich fähig ist ein Reflex des All zu seyn. Da es eine Forderung ist, die an das Wissen, unabhängig von der Poesie, schon für sich selbst betrachtet gemacht wird, ein Bild des All zu seyn, so liegt schon im Wissen für sich die Möglichkeit, als Form der Poesie einzutreten. Wir haben demnach bloß die Art des Wissens zu bestimmen, von welchem dieß allein und vorzüglich gilt. Die Lehre, welche im didaktischen Gedicht vorgetragen wird, kann entweder sittlicher oder theoretischer und speculativer Natur seyn. Von der ersten Art ist die gnomische Poesie der Alten, z. B. die des Theognis. Hier wird das menschliche Leben als das Objektive zum Reflex des Subjektiven, nämlich der Weisheit und des praktischen Wissens gemacht. Wo sich die moralische Lehre auf Naturgegenstände bezieht, wie in dem hesiodischen Werk , in Gedichten über den Landbau u. s. w. geht das Bild der Natur als das eigentlich Objektive durch das Ganze hin- durch und ist das Reflektirende des Subjektiven. Das Entgegengesetzte geschieht in dem eigentlich theoretischen Lehrgedicht. Hier wird das Wissen zum Reflex von einem Objektiven gemacht. Da nun in der höchsten Forderung dieses Objektive nur das Universum selbst seyn kann, so muß die Art des Wissens, welches zum Reflex dient, gleich- falls von universeller Natur seyn. Es ist bekannt, wie viele Lehrge- dichte über ganz einzelne und besondere Gegenstände des Wissens ver- faßt worden sind, über die Medicin z. B. oder einzelne Krankheiten, über Botanik, über die Kometen u. s. w. Die Beschränktheit des Ge- genstandes an und für sich selbst ist hier nicht zu tadeln, wenn nur dieser selbst allgemein und in der Beziehung aufs Universum gefaßt wird. In der Ermanglung der wahrhaft poetischen Ansicht des Gegen- standes selbst hat man alsdann auf verschiedene Weise ihn poetisch zu schmücken gesucht. Man hat die Vorstellungsarten und Bilder der Mythologie zu Hülfe gerufen. Man hat der Trockenheit des Gegen- standes durch geschichtliche Episoden aufzuhelfen gesucht, und was der- gleichen mehr ist. Mit dem allem kann nie ein wahrhaftes Lehr- gedicht , nämlich ein poetisches Werk dieser Art entstehen. Das Erste ist, daß das Darzustellende an und für sich selbst schon poetisch sey. Da nun das Darzustellende immer ein Wissen ist, so muß dieses Wissen an und für sich selbst und als Wissen schon zugleich poetisch seyn. Dieß ist aber nur einem absoluten Wissen, d. h. einem Wissen aus Ideen, möglich. Es gibt daher kein wahres Lehrgedicht, als in welchem unmittelbar oder mittelbar das All selbst, wie es im Wissen reflektirt wird, der Gegenstand ist. Da das Universum der Form und dem Wesen nach nur Eines ist, so kann auch in der Idee nur Ein absolutes Lehrgedicht seyn, von dem alle einzelnen bloße Bruch- stücke sind, nämlich das Gedicht von der Natur der Dinge . Ver- suche dieses speculativen Epos — eines absoluten Lehrgedichts — sind in Griechenland gemacht worden; ob sie ihr Ziel erreicht haben, können wir nur im Allgemeinen wissen, da uns die Zeit von ihnen nichts als Bruchstücke gelassen hat. Parmenides und Xenophanes, beide trugen ihre Philosophie in einem Gedicht von der Natur der Dinge vor, wie schon früher die Pythagoreer und Thales ihre Lehren poetisch überlie- ferten. Von dem Gedicht des Parmenides ist uns fast keine Nachricht geblieben, als daß es in sehr unvollkommenen und holperigen Versen verfaßt gewesen. Mehr wissen wir von dem Gedicht des Empedokles, welcher die Physik des Anaxagoras mit dem Ernst der pythagoreischen Weisheit verband. Wir können die Grenzen, inwieweit dieses Gedicht die Idee des Universums erreichte, ungefähr eben daraus bestimmen, daß es die Physik des Anaxagoras war, die ihm zu Grunde lag. Ich muß die Bekanntschaft derselben hier voraussetzen. Aber wenn es von der wissenschaftlichen Seite das speculative Urbild nicht erreichte, so müssen wir ihm dagegen nach dem einstimmigen Zeugniß der Alten, namentlich des Aristoteles, die größte rhythmische Energie und eine wahrhaft homerische Kraft zuschreiben. Das Glück hat auch gewollt, daß uns das Gedicht des Lucretius eine Spur des darin herrschenden Geistes erhalten hat. Lucretius , der in der schlechten Schreibart des Epikurus und seiner Anhänger kein Vorbild haben konnte, hat ohne Zweifel die rhythmische Form sowohl als die poetische Kraft und Weise der Darstellung von dem Empedokles entlehnt, und ist ihm in der Form ebenso wie dem Epikurus in der Materie des Gedichts gefolgt. Das Gedicht des Lucretius nähert sich in seiner Art mehr als irgend ein römisches, z. B. das Virgilische, den wahrhaft alten Vorbildern, und selbst die Kraft des ächt epischen Rhythmus stellt uns allein Lucretius dar, da von Ennius nur Bruchstücke geblieben sind. Lucretius’ Hexameter machen den größten Contrast gegen die gefeilten und geleckten Verse des Virgil. Das Wesen seines Werks trägt durchaus das Gepräge eines großen Gemüths, und nur dem wahrhaft poetischen Geiste war es möglich in die Darstellung der Epikurischen Lehre solche Andacht und die Begeisterung eines wahren Priesters der Natur zu legen. Es ist nothwendig, daß, da der darzustellende Gegenstand an und für sich selbst unpoetisch ist, alle Poesie in das Subjekt zurückfallen muß, und aus demselben Grunde können wir auch das Gedicht des Lucretius nur als einen Versuch des absoluten Lehrgedichts ansehen, welches auch schon durch den Gegenstand selbst poetisch seyn muß. Aber diejenigen Stellen, in welchen sich wirklich seine persönliche Begeisterung ausspricht, der Eingang zum ersten Buch, welcher eine Anrufung der Benus ist, sowie alle diejenigen Stellen, in welchen er den Epikurus preist als den, welcher die Natur der Dinge eröffnet und zuerst den Wahn und Aber- glauben der Religion gestürzt habe, tragen durchaus die höchste Majestät und das Gepräge einer männlichen Kunst an sich. Wie die Alten von Empedokles sagen, daß er in seinem Gedicht mit wahrer Wuth über die Schranken der menschlichen Erkenntniß geredet, so geht das Feuer des Lucretius gegen Religion und falsche Sittlichkeit nicht selten in wahre begeisterte Wuth über. Die gänzliche Vernichtung alles Geistigen nach außen, die Auflösung der Natur in ein Spiel der Atomen und des Leeren, die er mit wahrhaft epischer Gleichgültigkeit übt, ersetzt sich durch die sittliche Größe der Seele, die ihn selbst wieder über die Natur erhebt. Die Nichtigkeit der Natur selbst läßt zugleich seinen Geist sich über alle Sehnsucht in das Reich des Verstandes erschwingen. Wahrer und vortrefflicher kann über das Fruchtlose der Sehnsucht, die Unersättlichkeit der Begier, die Leerheit aller Furcht sowie aller Hoff- nung im Leben nicht geredet werden, als von ihm geschieht, und wie die Lehre des Epikurus selbst nicht von der speculativen, sondern von der moralischen Seite groß ist, so erscheint auch Lucretius, wenn seine Begeisterung als Priester der Natur nur subjektiv seyn kann, dagegen als Lehrer der praktischen Weisheit objektiv und als ein Wesen höherer Ordnung, das den gemeinen Lauf der Dinge, die Leidenschaft und die Verwirrung des Lebens nur wie von einem höheren Standort aus be- trachtet, an dem es selbst nicht davon erreicht wird. Man kann sich der Bemerkung des Gegensatzes nicht enthalten, den in dieser Be- ziehung andere Arten der Philosophie gegen die Epikurische machen, indem sie kleinliche Gesinnungen mit Vertilgung der großmüthigen und männlichen Tugenden im Sittlichen zum Größten machen, und dagegen im Speculativen einen höheren Flug vorgeben. Man braucht diese Ver- gleichung nicht weit herzuholen und nur gleich die Kantsche Philosophie zu nehmen. Von den Lehrgedichten der Neueren zu reden, glaube ich mich freisprechen zu dürfen. Denn da wir billig zweifeln, ob irgend ein Gedicht der Alten in dieser Gattung das wahre Urbild erreicht habe, so können wir es vor den Neueren ohne Zweifel kategorisch behaupten, daß sie überhaupt kein ächt poetisches Werk dieser Art aufzuweisen haben. Dasjenige Lehrgedicht also, wo nicht bloß die Formen und die Hülfs- mittel der Darstellung, sondern das Darzustellende selbst poetisch ist, ist noch zu erwarten. Folgendes läßt sich über die Idee eines solchen bestimmen. Das Lehrgedicht κατ̕ ἐξοχήν kann nur ein Gedicht vom Uni- versum oder der Natur der Dinge seyn. Es soll den Reflex des Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universum muß also in der Wissenschaft erreicht seyn. Die Wissenschaft ist be- rufen, es zu seyn. Es ist gewiß, daß die Wissenschaft, welche diese Identität mit dem Universum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des Stoffs, sondern auch durch die Form mit der des Universum überein- stimmte, und inwiefern das Universum selbst das Urbild aller Poesie, ja die Poesie des Absoluten selbst ist, so würde die Wissenschaft in jener Identität mit dem Universum sowohl dem Stoff, als der Form nach schon an und für sich Poesie seyn und in Poesie sich auflösen. Der Ursprung des absoluten Lehrgedichts oder des speculativen Epos fällt also mit der Vollendung der Wissenschaft in eins zusammen, und wie die Wissenschaft erst von der Poesie ausging, so ist es auch ihre schönste und letzte Bestimmung, in diesen Ocean zurückzufließen. Ja nach dem, was schon früher von der einzigen Möglichkeit des wahren Epos und der Mythologie für die neuere Zeit gezeigt wurde, daß nämlich die Götter der neueren Welt, welche Geschichtsgötter sind, von der Natur Besitz ergreifen müssen, um als Götter zu erscheinen — in dieser Hinsicht, sage ich, möchte das erste wahre Gedicht von der Natur der Dinge mit dem wahren Epos gleichzeitig seyn. In der subjektiven Sphäre der dem epischen Gedicht untergeord- neten Gattungen ist die Satyre die objektivere Form, da ihr Gegen- stand das Reale, Objektive und vorzugsweise wenigstens das Handeln ist. Ich begnüge mich mit Bemerkung der epischen Natur der Satyre. Da sie nicht erzählend ist, wie das Epos, also nicht wie dieses Personen auf epische Weise redend einführen kann, und doch vorzüglich Charaktere und Handlungen darzustellen hat, so nähert sie sich eben dadurch noth- wendig dem Dramatischen, und sie muß der inneren Darstellung nach, um ihrer Aufgabe Genüge zu thun, nothwendig ein dramatisches Leben haben. Es versteht sich, daß unter den Begriff der Satyre im strengen Sinn nichts gehören kann, was absolut und an sich selbst dramatisch ist. Es wäre ebenso thöricht oder noch thörichter, die Komödien des Aristophanes zur Gattung der Satyre herunterzusetzen, als wie man sonst pflegte den Don Quixote des Cervantes zu einer Satyre zu machen. Die Satyre übrigens hat eine doppelte Gattung, die ernste und die komische. Beide Gattungen fordern die Würde eines sittlichen Cha- rakters, wie er sich in dem edlen Zorn des Juvenal und des Persius ausspricht, und die Ueberlegenheit eines durchdringenden Geistes, der Verhältnisse und Begebenheiten in der Beziehung aufs Allgemeine zu sehen weiß, da eben auf der Contrastirung des Allgemeinen und Be- sonderen die vorzüglichste Wirkung der Satyre beruht. Daß in Deutsch- land diejenigen, die selbst die Karrikaturen oder die Geschöpfe des Zeit- alters sind, je und je in sich den Kitzel empfinden, mit einer groben Feder satyrische Gemälde des Zeitalters aufs Papier zu kritzeln, ist nicht mehr zu verwundern, als daß überhaupt z. B. Menschen, die weder die Welt, noch irgend einen Gegenstand derselben erkannt haben, sich zur Poesie und den edelsten Gattungen derselben fähig glauben. Für die komische Satyre hatten die Griechen eigne Repräsentanten in den besonderen Gattungen halb thierischer, halb menschlicher Wesen, von welchen, wie das Wahrscheinlichste ist, die Satyre den Namen hat. Es ist bekannt, daß Aeschylos auch Satyrspiele geschrieben hat, wie späterhin Euripides. Das Gesetz der komischen Satyre ist in diesem Ursprung gleichsam ausgesprochen. Wenn die ernste Satyre das Laster, besonders das freche, mit Macht gepaarte züchtigt, so muß die komische dagegen ihren Gegenständen soviel möglich Schuld und Verdienst nehmen, sie ganz willenlos, soviel möglich thierisch und ganz und gar sinnlich zu machen suchen, wie die Satyrn und Faunen. Die Rohheit, die mit Bosheit und Niederträchtigkeit verbunden ist, erweckt nur Ekel und widrige Empfindung, sie kann daher nie Gegenstand poetischer Laune seyn. Dieß wird sie nur durch gänzliche Beraubung des Mensch- lichen und völlige Umkehrung, in der sie rein komisch erscheint, ohne ein Gefühl zu beleidigen, und auf der andern Seite den Gegenstand am tiefsten herabsetzt. Hiemit haben wir den Kreis der rationalen epischen Formen durch- laufen. Wir haben nun noch von dem modernen oder romanti- schen Epos zu reden, und auch dieses in seine besondern Ausbildungen zu verfolgen. Da der Gegensatz des Antiken und Romantischen, so viel es möglich war, schon früher im Allgemeinen dargestellt wurde, und da die modernen Formen immer mehr oder weniger Irrationales behalten, so glaube ich in Ansehung des romantischen Epos am besten zu verfahren, wenn ich es meist historisch betrachte, und dabei die Gegensätze so- wohl als die Uebereinstimmungen, die es mit dem alten Epos hat, heraushebe. Ich knüpfe meine Betrachtung meinem Vorsatz gemäß, die Poesie auch in den merkwürdigsten Individuen zu charakterisiren, gleich an den Ariosto an, da zuvörderst kein Zweifel ist, daß er das ächteste moderne Epos gedichtet hat. Seine Vorgänger, Bojardo vorzüglich u. a. sind nicht zu rechnen, weil sie, wenn sie auch auf dem rechten Wege waren, doch nicht das Vortreffliche darin erreichten, langweilig und überladen geblieben sind. Tassos befreites Jerusalem nach Ariost ist durchaus mehr die Erscheinung einer schönen nach Reinheit strebenden Seele als eine objektive Dichtung, und nur das ganz Beschränkte darin, das Keusche, das Katholische, ist das Gute. Die Henriade zu nennen, würde kaum etwa ein Franzos begehren. Die Portugiesen haben ein Gedicht, die Luisiade von Camoens, das ich nicht kenne. Ariosto hat eine sehr bekannte mythologische Welt, in der er sich bewegt. Der Hof Karls des Großen ist der Olymp des Jupiter der Ritterzeit. Die Sagen von den zwölf Paladinen sind und waren nach allen Seiten verbreitet und gehörten allen gebildeteren Nationen, den Spaniern, Italienern, Franzosen, Deutschen, Engländern gemein- schaftlich an. Das Wunderbare hatte sich vom Christenthum aus ver- breitet und in der Berührung mit der Tapferkeit der späteren Zeit sich zu einer romantischen Welt entzündet. Auf diesem glücklicheren Boden nun konnte der Dichter nach Willkür schalten, neu erfinden, schmücken. Alle Mittel standen ihm zu Gebot, er hatte Tapferkeit, Liebe, Zau- berei, er hatte zu dem allem noch den Gegensatz des Morgen- und Abendlandes und der verschiedenen Religionen. Wie das Individuum oder Subjekt durchgehends mehr in der modernen Welt hervortritt, mußte es auch im Epos geschehen, so daß es die absolute Objektivität des alten Epos verlor, und mit dieser Gattung nur als ihre vollkommene Negation vergleichbar ist, und auch Ariosto hat seinen Stoff nach sich modificirt, indem er ihm ein gutes Theil Reflexion und Muthwillen beigemischt hat. Da ein Hauptcha- rakter des Romantischen überhaupt in der Vermischung des Ernstes und des Scherzes liegt, so müssen wir ihm jenes zugeben, da von der an- deren Seite seine Schalkhaftigkeit, so zu sagen, wieder nur an die Stelle der Gleichgültigkeit, der Untheilnahme des Dichters im Epos tritt. Er hat sich dadurch zum Herrn seines Gegenstandes gemacht. Darin schließt sich sein Gedicht dem Begriff des alten Epos am bestimmtesten an, daß es keinen bestimmten Anfang wie kein bestimmtes Ende hat, daß es ein herausgeschnittenes Stück aus seiner Welt ist, das man sich ebenso gut früher aufgenommen, wie weiter fortgeführt denken kann. (Tadel unverständiger Kunstrichter hierüber im Vergleich der künstlichen Composition des Tasso. Hier ist freilich alles regelmäßiger zugeschnitten, daß man nie zu verirren in Gefahr ist. Ariostos Gedicht gleicht einem Irrgarten, worin man mit Lust, ohne Furcht, sich verliert.) Ein an- derer Beziehungspunkt ist: daß der Held nicht allein darin herausge- hoben ist und oft ganz vom Schauplatz entfernt steht, oder vielmehr, daß es überhaupt eine Mehrzahl von Helden gibt. Die Geschichte Eines Helden durch alle Katastrophen hindurchgeführt, wie Wielands Oberon z. B., ist, wenn wir dieser Gattung nur einige Reinheit bewahren wollen, bloß eine romantische, oft sentimentale Biographie in Versen, also weder ein wahres Epos, noch ein wahrhafter Roman (der in Prosa geschrieben seyn müßte). Der Begriff des Wunderbaren ist, wie ich schon bemerkt habe, eine neue Zuthat des Epos, denn wenn auch Aristoteles schon vom ϑαυμαςόν des homerischen Epos spricht, hat es doch bei ihm eine ganz andere Bedeutung als das moderne Wunderbare, nämlich über- haupt nur das Außerordentliche (mehr davon beim Drama). Homer hat kein Wunderbares, sondern lauter Natürliches, weil auch seine Götter natürlich sind. Im Wunderbaren zeigt sich Poesie und Prosa im Kampf; das Wunderbare ist es nur gegenüber von der Prosa und in einer getheilten Welt. Im Homer ist, wenn man will, alles , aber eben deßwegen nichts wunderbar. Allein Ariosto hat wirklich vor- trefflich verstanden, sein Wunderbares vermittelst seiner Leichtigkeit, seiner Ironie und des oft ganz ungeschmückten Vortrags in ein Natürliches zu verwandeln. Er wird auch am schwersten da zu erreichen seyn, wo er ganz trocken erzählt. Im Uebergang aber von solchen Partieen zu andern, über die er alle Anmuth und allen Schmuck seiner reichen Phantasie ergossen, malen sich die Contraste und Mischungen des Stoffs, welche im romantischen Gedicht nothwendig sind — man kann im eigent- lichsten Sinn sagen, sie malen sich, weil alles lebendige Farbe bei ihm ist, bewegliches, rasches Gemälde, an dem die Umrisse zuweilen verschwinden, zuweilen nachdrücklich hervortreten, und das immer mehr als ein buntes Aggregat von Theilen eines Ganzen erscheint, als daß sich, auch innerhalb seiner partiellen Sphäre genommen, eine gediegene Stetigkeit darin ausdrückte. Auch hat Ariosto streng genommen nur einen nationalen und leicht gemeinten Versuch gemacht, wenn man ihn mit der höheren Idee eines, wenn gleich modernen, Epos zusammen- hält, das, nicht mehr wie das Homerische durch ein Zeitalter, ein Volk gedichtet, sondern nothwendig durch einen Einzelnen, stets einen andern Charakter haben wird und das Antike und die Objektivität auf andere Art zu Stande bringen muß. Allein der Reiz eines hellen Verstandes und der unerschöpflichen Fülle von Lust und Laune löscht das Partikulare des Gedichtes wieder aus. Es ist nichts Gehäuftes in Ariosto, die edlen Züge sind schön vertheilt und halten wie Säulen das luftige Gebäude. Angelika ist die schöne Helena, der Zwist der Paladine um sie der trojanische Krieg; Orlando tritt ebenso selten auf den Schauplatz wie Achilles; es fehlt auch an einem Paris nicht, der ohne groß Verdienst und Würdigkeit die Schöne davon trägt, die be- kannte Meda nämlich. — Natürlich ist diese Parallele nicht allzu ernstlich gemeint. Die schönste Gestalt des Dichters, durchaus romantisch und zart gedacht, ist Bradamante, die Waffen anlegt und auf Abenteuer ausgeht für den Geliebten; die Tapferkeit ist in ihr das Wunderbare und die Liebe das Natürliche und also auch das Liebenswerthe das Ueberwiegende; auch ist sie Christin, dahingegen in einer anderen weib- lichen Gestalt aus dem Morgenlande die Tapferkeit mehr männlich als siegend gezeichnet ist. Auch Orlando und Rinaldo machen einen starken Gegensatz des Gebildeten und Ungebildeten. In dem Meer von Epi- soden (um auch davon zu reden) und Zufällen tauchen die mannich- fachen Gestalten unter und kommen wieder, stets kenntlich und von ein- ander gesondert. Die Episoden sind hier die Novellen, die der Dichter eingeflochten wie Cervantes in seinen Roman; sie sind sowohl sehr rührenden und pathetischen, als muthwilligen Inhalts, wobei der Dichter immer davon geht, als ob nichts geschehen wäre: mischt er Betrach- tung ein, so geschieht es nie verweilend, sondern daß es gleich wieder vorwärts geht, und ein neuer Horizont sich ihm wölbt. Die Gleichmäßigkeit und Identität des Geistes dieser Dichtart ist auch äußerlich ausgedrückt durch das am meisten identische Sylbenmaß der Neueren, die Stanze. Es verlassen, wie Wieland, heißt die Form des romantischen Epos selbst verlassen. Die durch die Charakteristik von Ariosto schon angegebenen Cha- raktere des romantischen Epos oder des Rittergedichts sind hin- reichend, seine Verschiedenheit und Entgegensetzung mit dem antiken Epos zu zeigen. Wir können das Wesen desselben so aussprechen: es ist durch den Stoff episch, d. h. der Stoff ist mehr oder weniger uni- versell, durch die Form aber ist es subjektiv, indem die Individualität des Dichters dabei weit mehr in Anschlag kommt, nicht nur darin, daß er die Begebenheit, welche er erzählt, beständig mit der Reflexion begleitet, sondern auch in der Anordnung des Ganzen, die nicht aus dem Gegen- stand selbst sich entwickelt, und weil sie die Sache des Dichters ist, über- haupt keine andere Schönheit als die Schönheit der Willkür bewundern läßt. An und für sich schon gleicht der romantisch-epische Stoff einem wild verwachsenen Wald voll eigenthümlicher Gestalten, einem Labyrinth, in dem es keinen andern Leitfaden gibt als den Muthwillen und die Laune des Dichters. Wir können schon hieraus begreifen, daß das romantische Epos weder die höchste, noch die einzige Art ist, in welcher diese Gat- tung (das Epos nämlich) in der modernen Welt überhaupt existiren kann. Das romantische Epos hat in der Gattung, zu der es gehört, selbst wieder einen Gegensatz. Wenn es nämlich überhaupt zwar dem Stoff nach universell, der Form nach aber individuell ist, so läßt sich zum voraus eine andere entsprechende Gattung erwarten, in welcher an einem partiellen oder beschränkteren Stoff sich die allgemein gültigere und gleichsam indifferentere Darstellung versucht. Diese Gattung ist der Roman , und wir haben mit dieser Stelle, die wir ihm geben, zu- gleich auch seine Natur bestimmt. Man kann allerdings auch den Stoff des romantischen Epos nur relativ-universell nennen, weil er nämlich immer den Anspruch an das Subjekt macht, sich überhaupt auf einen phantastischen Boden zu ver- setzen, welches das alte Epos nicht thut. Aber eben deßwegen auch, weil der Stoff vom Subjekt etwas fordert — Glauben, Lust, phan- tastische Stimmung — so muß der Dichter von der seinigen etwas hinzuthun, und so dem Stoff, was er in der einen Rücksicht an Uni- versalität voraus haben kann, von der andern Seite wieder durch die Darstellung nehmen. Um sich dieser Nothwendigkeit zu überheben, und der objektiven Darstellung sich mehr zu nähern, bleibt demnach nichts übrig als auf die Universalität des Stoffs Verzicht zu thun und sie in der Form zu suchen. Die ganze Mythologie des Rittergedichts gründet sich auf das Wun- derbare, d. h. auf eine getheilte Welt. Diese Getheiltheit geht noth- wendig in die Darstellung über, da der Dichter, um das Wunderbare als solches erscheinen zu lassen, selbst für sich in derjenigen Welt seyn muß, wo das Wunderbare als Wunderbares erscheint. Will also der Dichter mit seinem Stoff wahrhaft identisch werden und sich ihm selbst ungetheilt hingeben, so ist kein Mittel dazu, als daß das Indi- viduum, wie überhaupt in der modernen Welt, so auch hier ins Mittel trete und den Ertrag Eines Lebens und Geistes in Erfindungen niederlege, die, je höher sie stehen, desto mehr die Gewalt einer Mythologie gewinnen. So entsteht der Roman , und ich trage kein Bedenken, ihn in dieser Rücksicht über das Rittergedicht zu setzen, obgleich freilich von dem, was unter diesen Namen geht, das Wenigste nur Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 43 jene Objektivität der Form erreicht hat, bei welcher es näher noch als das Rittergedicht dem eigentlichen Epos steht. Schon durch die ausdrückliche Beschränkung, daß der Roman bloß durch die Form der Darstellung objektiv, allgemein gültig sey, ist angedeutet, innerhalb welcher Grenzen allein er dem Epos sich nähern könne. Das Epos ist eine ihrer Natur nach unbeschränkte Handlung: sie fängt eigentlich nicht an und könnte ins Endlose gehen. Der Roman ist, wie gesagt, durch den Gegenstand beschränkt, er nähert sich dadurch mehr dem Drama, welches eine beschränkte und in sich abgeschlossene Handlung ist. In dieser Beziehung könnte man den Roman auch als eine Mischung des Epos und des Drama beschreiben, so nämlich, daß er die Eigenschaften beider Gattungen theilte. Das Ganze der neueren Kunst zeigt sich auch darin mehr der Malerei und dem Reich der Farben gleich, da hingegen das plastische Zeitalter oder das Reich der Gestalten alles streng von einander sonderte. Die moderne Kunst hat für die objektive Form der Darstellung kein so gleichmäßiges, zwischen Entgegengesetztem schwebendes Sylbenmaß, als der Hexameter der antiken Kunst ist; alle ihre Sylbenmaße indi- vidualisiren gleich stärker und beschränken auf einen gewissen Ton, Farbe, Stimmung u. s. w. Die gleichmäßigste neuere Versart ist die Stanze, aber sie hat nicht so das Ansehen unmittelbarer Inspiration und Ab- hängigkeit von dem Fortschreiten des Gegenstandes als der Hexameter, schon darum, weil sie ein ungleichförmiges Versmaß ist, und sich in Strophen absondert, und demnach auch überhaupt künstlicher und mehr als Werk des Dichters wie als Form des Gegenstandes erscheint. Dem Roman also, der in beschränkterem Stoff die Objektivität des Epos in der Form erreichen will, bleibt nichts als die Prosa, welche die höchste Indifferenz ist, aber die Prosa in ihrer größten Vollkommen- heit, wo sie von einem leisen Rhythmus und einem geordneten Perioden- bau begleitet ist, der dem Ohr zwar nicht so gebietet wie das rhyth- mische Sylbenmaß, aber doch von der andern Seite auch keine Spur der Gezwungenheit hat, und deßwegen die sorgfältigste Ausbildung erfordert. Wer diesen Rhythmus der Prosa im Don Quixote und Wilhelm Meister nicht empfindet, der kann ihn freilich auch nicht ge- lehrt werden. Wie die epische Diktion, darf diese Prosa oder viel- mehr dieser Styl des Romans verweilen, sich verbreiten und das Geringste nicht unberührt lassen an seiner Stelle, aber auch nicht sich in Schmuck verlieren, besonders nicht in bloßen Wortschmuck, weil sonst der unerträglichste Mißstand, die sogenannte poetische Prosa, un- mittelbar angrenzt. Da der Roman nicht dramatisch seyn kann und doch von der andern Seite in der Form der Darstellung die Objektivität des Epos zu suchen hat, so ist die schönste und angemessenste Form des Romans nothwendig die erzählende . Ein Roman in Briefen besteht aus lauter lyrischen Theilen, die sich — im Ganzen — in dramatische verwan- deln, und somit fällt der epische Charakter hinweg. Da in der Form der Darstellung der Roman dem Epos so viel möglich gleich seyn soll und doch ein beschränkter Gegenstand eigentlich den Stoff ausmacht, so muß der Dichter die epische Allgemeingültigkeit durch eine relativ noch größere Gleichgültigkeit gegen den Hauptgegen- stand oder den Helden ersetzen, als diejenige ist, welche der epische Dichter übt. Er darf sich daher nicht zu streng an den Helden binden, und noch viel weniger alles im Buch ihm gleichsam unterwerfen. Da das Beschränkte nur gewählt ist, um in der Form der Darstellung das Absolute zu zeigen, so ist der Held gleichsam schon von Natur mehr symbolisch als persönlich und muß auch so im Roman genommen wer- den, so daß sich alles leicht ihm anknüpft, daß er der collective Name sey, das Band um die volle Garbe. Die Gleichgültigkeit darf so weit gehen, daß sie sogar in Ironie gegen den Helden übergehen kann, da Ironie die einzige Form ist, in der das, was vom Subjekt ausgeht oder ausgehen muß, sich am Be- stimmtesten wieder von ihm ablöst und objektiv wird. Die Unvoll- kommenheit kann also dem Helden in dieser Hinsicht gar nichts schaden; die prätendirte Vollkommenheit hingegen wird den Roman vernichten. Hierher gehört auch, was Goethe im Wilhelm Meister über die retar- dirende Kraft des Helden mit besonderer Ironie diesem selbst in Mund legt. Da nämlich der Roman von der einen Seite die nothwendige Hinneigung zum Dramatischen hat, und doch von der andern Seite verweilend wie das Epos seyn soll, so muß es diese den raschen Lauf der Handlung mäßigende Kraft in das Objekt, nämlich in den Helden selbst legen. Wenn Goethe in derselbigen Stelle des Wilhelm Meister sagt: Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Be- gebenheiten , im Drama Charaktere und Thaten vorgestellt werden, so hat dieß dieselbe Beziehung. Gesinnungen können auch wohl nur für eine gewisse Zeit und Lage stattfinden, sie sind wandel- barer als der Charakter; der Charakter drängt unmittelbarer zur Hand- lung und zum Ende, als Gesinnungen thun, und die That ist ent- scheidender als Begebenheiten sind, wie sie aus dem entschiedenen und starken Charakter kommt und im Guten und Bösen eine gewisse Voll- kommenheit desselben fordert. Allein dieß ist freilich nicht von einer gänzlichen Negation der Thatkraft im Helden zu verstehen, und die vollkommenste Vereinigung wird immer die bleiben, welche im Don Quixote getroffen ist, daß die aus dem Charakter kommende That durch die Begegnung und die Umstände für den Helden zur Begeben- heit wird. Der Roman soll ein Spiegel der Welt, des Zeitalters wenigstens, seyn, und so zur partiellen Mythologie werden. Er soll zur heiteren, ruhigen Betrachtung einladen und die Theilnahme allenthalben gleich fest halten; jeder seiner Theile, alle Worte sollten gleich golden seyn, wie in ein innerliches höheres Sylbenmaß gefaßt, da ihm das äußer- liche mangelt. Deßwegen kann er auch nur die Frucht eines ganz reifen Geistes seyn, wie die alte Tradition den Homeros immer als Greis schildert. Er ist gleichsam die letzte Läuterung des Geistes, wo- durch er in sich selbst zurückkehrt und sein Leben und seine Bildung wieder in Blüthe verwandelt; er ist die Frucht, jedoch mit Blüthen gekrönt. Alles im Menschen anregend soll der Roman auch die Leidenschaft in Bewegung setzen; das höchste Tragische ist ihm erlaubt wie das Komische, nur daß der Dichter selbst von beidem unberührt bleibe. Es ist schon früher in Ansehung des Epos bemerkt worden, daß in ihm der Zufall verstattet ist; noch mehr darf der Roman mit allen Mitteln schalten, die Ueberraschung, Verflechtung und Zufall an die Hand geben: nur darf freilich der Zufall nicht allein schalten, sonst tritt wieder ein grillenhaftes, einseitiges Princip an die Stelle des ächten Bildes vom Leben. Auf der anderen Seite ist, wenn der Ro- man vom Epos das Zufällige der Begebenheiten entlehnen darf, das Princip des Schicksals, welches in ihn durch seine Hinneigung zum Drama kommt, ebenfalls zu einseitig und dabei zu herbe für die um- fassendere und gefälligere Natur des Romans. Inwiefern Charakter auch eine Nothwendigkeit ist, die dem Menschen zum Schicksal werden kann, müssen im Roman Charakter und Zufall einander in die Hände arbeiten, und in dieser Stellung beider gegeneinander offenbart sich vor- züglich die Weisheit und Erfindung des Dichters. Der Roman, da er seiner näheren Verwandtschaft mit dem Drama gemäß mehr auf Gegensätzen beruht als das Epos, muß diese vor- züglich zur Ironie und zur pittoresken Darstellung gebrauchen, wie das Tableau im Don Quixote, wo dieser und Cardenio im Walde gegen- einander über sitzend beide vernünftig aneinander theilnehmen, bis der Wahnsinn des einen den des anderen in Aufruhr setzt. Ueber- haupt also darf der Roman nach dem Pittoresken streben, denn so kann man allgemein nennen, was eine Art von dramatischer, nur flüchtigerer, Erscheinung ist. Es versteht sich, daß es stets einen Gehalt, einen Bezug auf das Gemüth, auf Sitten, Völker, Begeben- heiten habe. Was kann in dem angegebenen Sinn pittoresker seyn, als im Don Quixote Marcellas Erscheinung auf der Spitze des Felsens, an dessen Fuß der Schäfer begraben wird, den die Liebe für sie getödtet hat? Wo der Boden der Dichtung es nicht begünstigt, muß der Dichter es erschaffen, wie Goethe im Wilhelm Meister; Mignon, der Harfner, das Haus des Onkels sind einzig sein Werk. Alles, was die Sitten Romantisches darbieten, muß herausgewendet und das Abenteuerliche nicht verschmäht werden, sobald es auch wieder zur Symbolik dienen kann. Die gemeine Wirklichkeit soll sich nur darstellen, um der Ironie und irgend einem Gegensatze dienstbar zu seyn. Die Stellung der Begebenheiten ist ein anderes Geheimniß der Kunst. Sie müssen weise vertheilt seyn, und wenn auch gegen das Ende der Strom breiter wird, und die ganze Herrlichkeit der Concep- tion sich entfaltet, so sollen sich doch die Begebenheiten nirgend drücken, drängen und jagen. Die sogenannten Episoden müssen entweder dem Ganzen wesentlich angehören, organisch mit ihm gebildet seyn (Spe- rata), nicht bloß angeflickt, um dieses und jenes herbeizuführen, oder sie müssen ganz unabhängig als Novellen eingeschaltet seyn, wogegen sich nichts einwenden läßt. Die Novelle , um dieß im Vorbeigehen zu bemerken, da wir uns auf alle diese Untergattungen nicht insbesondere einlassen können, ist der Roman nach der lyrischen Seite gebildet, gleichsam, was die Elegie in Bezug auf das Epos ist, eine Geschichte zur symbolischen Darstellung eines subjektiven Zustandes oder einer besonderen Wahr- heit, eines eigenthümlichen Gefühls.) Um einen leichten Kern — einen Mittelpunkt , der nichts ver- schlinge und alles gewaltsam in seine Strudel ziehe — muß überhaupt im Roman alles fortschreitend geordnet seyn. Es leuchtet aus diesen wenigen Zügen ein, was der Roman nicht seyn darf, im höchsten Sinn genommen: keine Musterkarte von Tugen- den und Lastern, kein psychologisches Präparat eines einzelnen mensch- lichen Gemüths, das wie in einem Kabinet aufbewahrt würde. Es soll uns an der Schwelle keine zerstörende Leidenschaft empfangen und durch alle ihre Stationen mit sich fortreißen, die den Leser zuletzt betäubt am Ende eines Wegs zurückläßt, den er um alles nicht noch einmal machen möchte. Auch soll der Roman ein Spiegel des allge- meinen Laufs menschlicher Dinge und des Lebens, also nicht bloß ein partielles Sittengemälde seyn, wo wir nie über den engen Horizont socialer Verhältnisse auch etwa der größesten Stadt oder eines Volks von beschränkten Sitten hinausgeführt werden, der endlosen schlechteren Stufen noch tiefer herabgehender Verhältnisse nicht zu gedenken. Daraus folgt natürlich, daß fast die gesammte Unzahl dessen, was man Roman nennt, — wie Fallstaff seine Miliz Futter für Pulver nennt, — Futter für den Hunger der Menschen ist, für den Hunger nach materieller Täuschung und für den unersättlichen Schlund der Geistesleere und derjenigen Zeit, die vertrieben seyn will. Es wird nicht zu viel seyn zu behaupten, daß es bis jetzt nur zwei Romane gibt, nämlich den Don Quixote des Cervantes und den Wilhelm Meister von Goethe, jener der herrlichsten, dieser der gedie- gensten Nation angehörig. Don Quixote ist nicht nach den frühesten deutschen Uebersetzungen zu beurtheilen, wo die Poesie vernichtet, der organische Bau aufgehoben ist. Man braucht sich des Don Quixote nur zu erinnern, um einzusehen, was der Begriff von einer durch das Genie eines Einzelnen erschaffenen Mythologie sagen will. Don Quixote und Sancho Pansa sind mythologische Personen über den ganzen gebil- deten Erdkreis, sowie die Geschichte von den Windmühlen u. s. w. wahre Mythen sind, mythologische Sagen. Was in der beschränkten Conception eines untergeordneten Geistes nur als Satyre einer bestimm- ten Thorheit gemeint geschienen hätte, das hat der Dichter durch die allerglücklichste der Erfindungen in das universellste, sinnvollste und pit- toreskeste Bild des Lebens verwandelt. Daß diese Eine Erfindung durch das Ganze hinläuft, und dann nur aufs reichste variirt erscheint, nir- gend also eine Zusammenstückelung sichtbar wird, gibt ihm einen beson- ders großen Charakter. Indeß ist doch in dem Ganzen ein offenbarer und sehr entschiedener Gegensatz, und die beiden Hälften könnte man weder ganz unschicklich noch ganz unwahr die Ilias und die Odyssee des Romans nennen. Das Thema im Ganzen ist das Reale im Kampf mit dem Idealen. In der ersten Hälfte des Werks wird das Ideale nur natürlich -realistisch behandelt, d. h. das Ideale des Helden stößt sich nur an der gewöhnlichen Welt und den gewöhnlichen Bewegungen derselben, im andern Theil wird es mystificirt, d. h. die Welt, mit der es in Conflikt kommt, ist selbst eine ideale, nicht die gewöhnliche, wie in der Odyssee die Insel der Kalypso gleichsam eine fingirtere Welt ist als die, in welcher die Ilias sich bewegt, und wie hier die Kirke erscheint, so im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Mystifikation geht aller- dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und so daß das Ideale in der Person des Helden, weil es da verrückt geworden war, ermattend unterliegt; dagegen zeigt es sich im Ganzen der Composition durchaus triumphirend, und auch in diesem Theil schon durch die aus- gesuchte Gemeinheit des Entgegengesetzten. Der Roman des Cervantes ruht also auf einem sehr unvollkom- menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich so edler Natur ist, und so oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, so viel überlegenen Ver- stand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her- abwürdiget. An diese Mischung (in Don Quixote) ließ sich eben das wunderbarste und reichste Gewebe knüpfen, das im ersten Moment so anziehend wie im letzten stets den gleichen Genuß gewährt und die Seele zur heitersten Besonnenheit stimmt. Für den Geist ist die noth- wendige Begleitung des Helden, Sancho Pansa, gleichsam ein unauf- hörlicher Festtag; eine unversiegbare Quelle der Ironie ist geöffnet und ergießt sich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze geschieht, versammelte in jener Zeit alle romantischen Principien, die es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geselligen Lebens. Hierin war der Spanier tausendfältig vor dem deutschen Dichter begün- stigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter- lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küste von Afrika, den Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poesie popular ist — selbst malerische Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul- thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter meist aus Ereignissen, die nicht national sondern ganz allgemein sind, wie die Begegnung der Galeerensclaven, eines Marionettenspielers, eines Löwen im Käfig seine ergötzlichen Ereignisse entstehen. Der Wirth, den Don Quixote für einen Castellan ansieht, und die schöne Mari- torne sind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erscheint immer in der eigenthümlichen romantischen Umgebung, die er in seiner Zeit vorfand, und der ganze Roman spielt unter freiem Himmel in der warmen Luft seines Klima und in erhöhter südlicher Farbe. Die Alten haben den Homer als den glücklichsten Erfinder geprie- sen, die Neueren billig Cervantes. Was hier Eine göttliche Erfindung ausrichten und aus Einem Guß schaffen konnte, das hat der Deutsche unter völlig ungünstigen, zerstück- ten Umständen durch eine große Denkkraft und Tiefe des Verstandes hervorbringen und erfinden müssen. Die Anlage erscheint unkräftiger, die Mittel dürftiger, allein die Gewalt der Conception, die das Ganze hält, ist wahrhaft unermeßlich. Auch im Wilhelm Meister zeigt sich der fast bei keiner um- fassenden Darstellung zu umgehende Kampf des Idealen mit dem Realen, der unsere aus der Identität herausgetretene Welt bezeichnet. Nur ist es nicht so wie im Don Quixote ein und derselbe sich beständig in ver- schiedenen Formen erneuernde, sondern ein vielfach gebrochener und mehr zerstreuter Streit; daher auch der Widerstreit im Ganzen gelin- der, die Ironie leiser, sowie unter dem Einfluß des Zeitalters alles praktisch endigen muß. Der Held verspricht viel und vieles, er scheint auf einen Künstler angelegt, aber die falsche Einbildung wird ihm genommen, da er die vier Bände hindurch beständig nicht als Meister, wie er heißt, als Schüler erscheint oder behandelt wird; er bleibt als eine liebenswürdige gesellige Natur zurück, die sich leicht anschließt und immer anzieht; insofern ist er ein glückliches Band des Ganzen und macht einen anlockenden Vorgrund. Der Hintergrund öffnet sich gegen das Ende und zeigt eine unendliche Perspektive aller Weisheit des Lebens hinter einer Art von Gaukelspiel; denn nichts anderes ist die geheime Gesellschaft, die sich in dem Augenblick auflöst, wo sie sichtbar wird, und nur das Geheimniß der Lehrjahre ausspricht: — der nämlich ist Meister, der seine Bestimmung erkannt hat. Diese Idee ist mit solcher Fülle, mit einem Reichthum unabhängigen Lebens bekleidet, daß sie sich nie als herrschender Begriff oder als Verstandeszweck der Dichtung ent- schleiert. Was sich in den Sitten nur irgend romantisch behandeln ließ, ist benutzt worden, herumziehende Schauspieler, das Theater überhaupt, welches allenfalls die aus der socialen Welt verbannte Unregelmäßig- keit noch aufnimmt, ein Kriegsheer von einem Fürsten angeführt, ja Seiltänzer und eine Räuberbande. Wo Sitte und Zufall, der nach jener modificirt werden mußte, nicht mehr ausreichten, da ist das Ro- mantische in den Charakter gelegt worden, von der freien anmuthigen Philine an bis zu dem edelsten Styl hinauf zu Mignon, durch welche der Dichter sich in einer Schöpfung offenbart, an der die tiefste Innig- keit des Gemüths und die Stärke der Imagination gleichen Antheil haben. Auf diesem wundervollen Wesen und der Geschichte ihrer Familie — in der tragischen Novelle der Sperata — ruht die Herrlichkeit des Erfinders; die Lebensweisheit wird gleichsam arm dagegen, und den- noch hat er in seiner künstlerischen Weisheit nicht mehr Gewicht darauf gelegt wie auf jeden andern Theil des Buchs. Auch sie nur haben, könnte man sagen, ihre Bestimmung erfüllt und ihrem Genius gedient. Was in dem Roman durch Schuld der Zeit und des Bodens der Farbengebung des Ganzen abgeht, muß in die einzelnen Ge- stalten gelegt werden; dieß ist das vorzüglichste Geheimniß in der Com- position des Wilhelm Meister; diese Macht hat der Dichter so weit geübt, daß er auch den gemeinsten Personen, z. B. der alten Barbara in dem einzelnen Moment eine wunderbare Erhöhung geliehen hat, in der sie wahrhaft tragische Worte aussprechen, bei denen der Held der Geschichte gleichsam selbst zu vergehen scheint. Was Cervantes nur einmal zu erfinden hatte, mußte der deutsche Dichter vielfach erfinden und bei jedem Schritte auf so ungünstigem Boden sich neue Bahn brechen, und da die Ungünstigkeit der Umgebung seinen Erfindungen nicht die Gefälligkeit zuläßt, die denen des Cervan- tes eigen ist, geht er desto tiefer mit der Intention und ersetzt den äußern Mangel durch die innere Kraft der Erfindung. Dabei ist die Organisation aufs Kunstreichste gebildet, und im ersten Keim das Blatt wie die Blüthe mit entworfen, und der kleinste Umstand im voraus nicht vernachlässigt, um dann überraschend wiederzukehren. Außer dem Roman in der vollkommensten Gestalt, inwiefern er bei einer gewissen Beschränktheit des Stoffes durch die Form die Allge- meingültigkeit des Epos annimmt, muß man nun allerdings noch über- haupt romantische Bücher gelten lassen. Ich verweise dahin — nicht die Novellen und Mährchen, die für sich bestehen als wahre My- then (in den unsterblichen Novellen des Boccaccio) aus wirklichem oder phantastischem Gebiet, und die ebenfalls sich im äußern Element rhyth- mischer Prosa bewegen, sondern anderes gemischtes Vortreffliches, wie den Persiles des Cervantes, die Fiammetta des Boccaccio, allen- falls auch den Werther, der übrigens ganz in die Jugend und den sich mißverstehenden Versuch der in Goethe wiedergeborenen Poesie zurück- geschoben werden muß, ein lyrisch-leidenschaftliches Poem von großer materieller Kraft, obwohl die Scene ganz innerlich und nur im Ge- müth liegt. Was die gepriesenen englischen Romane betrifft, so halte ich den Tom Jones für ein mit derben Farben aufgetragenes nicht Welt- sondern Sittengemälde, wo auch der moralische Gegensatz zwischen einem ganz niedrigen Heuchler und einem gesunden, aufrichtigen jungen Men- schen etwas grob durchgeführt ist mit mimischem Talent, aber ohne alle romantischen und zarten Bestandtheile. Richardson ist in der Pamela und dem Grandison wenig mehr als ein moralischer Schriftsteller; in der Clarissa zeigt er eine wahrhaft objektive Darstellungsgabe, nur in Pedanterie und Weitläufigkeit eingewickelt. Nicht romantisch, aber ob- jektiv und ungefähr in der Art der Idylle allgemein gültig ist der Land- prediger von Wakefield. (Erwähnung der Romanze und Ballade, deren Charakter nicht scharf gesondert ist, doch daß man jene als die subjektivere, diese als die objektivere Form ansehen kann.) Wir haben den Kreis der epischen Formen, wiefern sie im Geist der modernen und romantischen Poesie möglich sind, durchlaufen. Es ist noch die Frage übrig nach der Möglichkeit der antik-epischen Form für die Dichter der neueren Zeit. Früher schon war von den mißlungenen Versuchen dieser Art die Rede. Das erste, wornach sich der Dichter umzusehen hätte, wäre allerdings der Stoff, welcher seiner Natur nach der antik-epischen Behandlung fähig wäre. Entweder könnte er nun selbst einen antiken Stoff wählen, der sich dem epischen Ganzen der Griechen anschlöße, oder wenigstens in den Kreis der epischen Mythologie gehörte. Oder er müßte einen Stoff der neueren Zeit auswählen. Aus der Geschichte ihn zu wählen würde darum unmöglich seyn, weil 1) was auch von der Geschichte episch abgesondert wird, immer nur zufällig abgesondert scheinen wird, 2) weil die Motive, die Sitten, Gebräuche, die mit zu der Geschichte gehören, nothwendig modern seyn müßten, wie wenn ein Dichter die Geschichte der Kreuzzüge antik-episch behandeln wollte. Am ehesten vielleicht wäre der epische Stoff von der Grenze der antiken und modernen Zeit zu nehmen, weil durch den Gegensatz des Hei- denthums selbst das Christenthum eine höhere Farbe gewänne und sogar das Ansehen annehmen könnte, welches in der Odyssee das Fabelhafte der Sitten der Völker z. B. und das Wunderbare mancher Länder oder Inseln hat. Mit Einem Wort das Christenthum wäre in dieser Entgegensetzung einer wahrhaft objektiven Behandlung am fähigsten. Man würde ein solches Epos nicht als ein bloßes Studium nach der Antike betrachten können, es wäre einer einheimischen und eigenthüm- lichen Kraft und Farbe fähig. Aber abgesehen von diesem Einen Mo- ment der Zeit, welcher selbst der Wendepunkt der alten und neuen ist, möchte sich in der ganzen späteren Geschichte kein allgemein gültiges Ereigniß und eine der epischen Darstellung fähige Begebenheit finden. Sie müßte nämlich, wie der trojanische Krieg, außerdem daß sie allge- mein, zugleich national und volksmäßig seyn, da der epische Dichter vor allen andern der populärste zu seyn streben muß, und die Popula- rität nur in lebendiger Wahrheit und in der Beglaubigung durch Sitte und Ueberlieferung gefunden werden kann. Die Handlung müßte zu- gleich jener Ausführlichkeit in der Behandlung des Details der Erzäh- lung, welche zum epischen Styl gehört, fähig seyn. Aber schwerlich möchte irgend ein diese Bedingungen erfüllender Stoff in der neueren Welt aufzufinden seyn, am wenigsten der der letzten Forderung ent- spräche, da in den Kriegen z. B. die Persönlichkeit gleichsam aufgehoben ist und nur die Masse wirkt. Die epischen Versuche mit neueren Stoffen wären also an und für sich schon auf den Boden mehr der Odyssee als der Ilias gewiesen, aber auch auf jenem würden sich alterthümliche Sitten, eine Welt, wie sie zur epischen Entwicklung, Klar- heit und Einfalt erforderlich ist, nur in beschränkteren Sphären finden lassen (wie in Voßens Luise). Aber hiedurch würde das epische Gedicht mehr die Natur der Idylle annehmen, wenn nicht etwa der Dichter die Möglichkeit fände, in diese Beschränktheit wieder die Allgemeinheit einer großen Begebenheit zu ziehen. Dieß ist in Goethes Hermann und Dorothea auf solche Weise geschehen, daß man diesem Gedicht seiner Beschränktheit durch den Stoff unerachtet den epischen Charakter im ge- wissen Grade zugestehen muß; dagegen die Luise von Voß durch den den Dichter selbst als Idylle, als Gemälde , nämlich mehr als Dar- stellung des Ruhigen denn als Darstellung des Fortschreitenden charak- terisirt worden ist. Durch das Goethesche Gedicht ist also ein Problem der neueren Poesie gelöst und der Weg zu ferneren Versuchen dieser Art und Weise geöffnet. Es wäre nicht undenkbar, daß aus der Ein- zelnheit solcher Versuche, wenn sie sich gleich ursprünglich an einen be- stimmt gebildeten Kern anschlößen, in der Folge sogar durch eine Syn- these oder Ausdehnung, wie die mit den homerischen Gesängen geübte, ein gemeinschaftliches Ganzes entstehen könnte. Aber noch immer würde auch eine Totalität solcher kleineren epischen Ganzen nie die wahre Idee des Epos erreichen, das der modernen Welt so nothwendig fehlt, als die innere Identität der Bildung und die Identität des Zustandes, von dem sie ausgegangen ist. — Wir müssen daher diese Betrachtungen über das Epos mit demselben Resultat schließen, mit dem wir die über Mythologie geschlossen haben, nämlich daß der Homeros, der in der antiken Kunst der Erste war, in der modernen Kunst der Letzte seyn und die äußerste Bestimmung derselben vollenden wird. Dieses Resultat kann partielle Versuche den Homeros für eine be- stimmte Zeit zu antipiciren, nicht niederschlagen, nur ist die Bedingung, unter welcher ächte Versuche dieser Art allein möglich werden, daß man die Grundeigenschaft des Epos, Universalität, d. h. Verwandlung alles dessen, was in der Zeit zerstreut, aber doch entschieden vorhanden ist, in eine gemeinschaftliche Identität nicht aus den Augen setze. Für die Bildung der neueren Welt ist aber die Wissenschaft, die Religion, ja selbst die Kunst von nicht minder allgemeiner Beziehung und Bedeutung als die Geschichte, und in der unauflöslichen Mischung dieser Elemente würde eben das wahre Epos für die moderne Zeit bestehen müssen. Eines dieser Elemente kommt dem andern zur Hülfe; was für sich der epischen Behandlung nicht fähig wäre, wird es durch das andere, und etwas ganz und durchaus Eigenthümliches wenigstens müßte die Frucht dieser wechselseitigen Durchdringung seyn, ehe das ganz und durchaus Allgemeingültige entstehen kann. Ein Versuch dieser Art hat die Geschichte der neueren Poesie begonnen, es ist die göttliche Komödie des Dante, die so unbe- griffen und unverstanden dasteht, weil sie in der Folge der Zeit einzeln geblieben ist, und von der Identität aus, welche dieses Gedicht be- zeichnete, die Poesie sowohl als allgemeine Bildung sich nach so vielen Seiten zerstreut hat, daß es nur noch durch das Symbolische der Form allgemein gültig, durch die Ausschließung aber so vieler Seiten neuerer Bildung selbst wieder einseitig geworden ist. Die göttliche Komödie des Dante ist so ganz abgeschlossen in sich, daß die von den andern Gattungen abstrahirte Theorie für sie durchaus unzureichend ist. Sie fordert ihre eigne Theorie, sie ist ein Wesen einer eignen Gattung, eine Welt für sich. Sie bezeichnet eine Stufe, wohin sich nach Maßgabe der übrigen Verhältnisse die spätere Poesie nicht wieder erschwungen hat. Ich verhehle meine Ueberzeugung nicht, daß dieses Gedicht, so viel partiell Wahres darüber gesagt worden ist, doch allgemein und in seiner wahrhaft symbolischen Bedeutung noch nicht erkannt ist, daß es noch keine Theorie, keine Construktion dieses Gedichtes gibt. Schon darum ist es einer ganz besondern Betrachtung würdig. Es kann mit nichts anderem zusammengestellt, unter keine der andern Gattungen subsumirt werden; es ist nicht Epos, es ist nicht Lehrgedicht, es ist nicht Roman im eigentlichen Sinn, es ist selbst nicht Komödie oder Drama, wie es Dante selbst benennt hat; es ist die unauflöslichste Mischung, die vollkommenste Durchdringung von allem; es ist nicht als dieses einzelne (denn insofern eignet auch dieses Gedicht der Zeit), aber es ist als Gattung allgemeinster Repräsentant der modernen Poesie, nicht ein einzelnes Gedicht, sondern das Gedicht aller Gedichte, die Poesie der modernen Poesie selbst. Dieß ist der Grund, warum ich die göttliche Komödie des Dante zum Gegenstand einer besondern Betrachtung mache, sie unter keine Gattung subsumire, sondern hiemit als Gattung für sich selbst con- stituire. Der nun im Manuscript folgende Abschnitt „ Dantes göttliche Komödie “ ist unter den Abhandlungen des Kritischen Journals abgedruckt (oben S. 152 ff.). D. H. Von dem epischen Gedicht, welches wir bisher sowohl an sich selbst als in den Gattungen, die es durch Mischung mit andern Formen bildet, betrachtet haben — von dem epischen Gedicht als der Identität ging die Poesie aus, gleichsam als von einem Stande der Unschuld, wo alles noch beisammen und eins ist, was später nur zerstreut existirt, oder nur aus der Zerstreuung wieder zur Einheit kommt. Diese Iden- tität entzündete sich im Fortgang der Bildung im lyrischen Gedicht zum Widerstreit, und erst die reifste Frucht der späteren Bildung war es, wodurch, auf einer höheren Stufe, die Einheit selbst mit dem Wider- streit sich versöhnte, und beide wieder in einer vollkommneren Bildung eins wurden. Diese höhere Identität ist das Drama , welches, die Naturen beider entgegengesetzten Gattungen in sich begreifend, die höchste Erscheinung des An-sich und des Wesens aller Kunst ist. So gesetzmäßig ist der Gang aller natürlichen Bildung, daß, was die letzte Synthese der Idee nach, die Vereinigung aller Gegensätze zur Totalität ist, auch die letzte Erscheinung der Zeit nach ist. Daß der allgemeine Gegensatz des Unendlichen und Endlichen für die Kunst in der höchsten Potenz sich als Gegensatz der Nothwendigkeit und der Freiheit ausdrücke, ist im Allgemeinen schon beim lyrischen und epischen Gedicht bewiesen worden. Aber die Poesie hat überhaupt und in ihren höchsten Formen insbesondere diesen Gegensatz ohne Zweifel in der höchsten Potenz, also als Gegensatz von Nothwendigkeit und Freiheit darzustellen. Im lyrischen Gedicht ist, wie gesagt, dieser Widerstreit, aber so daß er als Streit und als Aufhebung des Streits nur im Subjekt ist und ins Subjekt zurückfällt; daher im Ganzen das lyrische Gedicht wieder vorzugsweise den Charakter der Freiheit an sich hat. Im epischen Gedicht ist überhaupt kein Widerstreit; hier herrscht die Nothwendigkeit als die Identität, nur daß sie, wie schon bemerkt, eben weil kein Streit ist, auch nicht als Nothwendigkeit, inwiefern diese Schicksal ist, sondern in der Identität mit der Freiheit, sogar zum Theil als Zufall, erscheinen kann. Das epische Gedicht geht durchaus mehr auf den Erfolg als auf die That. Im Erfolg kommt die Nothwendigkeit oder das Glück der Freiheit zu Hülfe, und führt aus was die Freiheit nicht ausführen kann. Hier also ist die Nothwendigkeit mit der Freiheit einstimmig ohne alle Differenz. Deßwegen kann der Held im Epos nicht unglücklich enden, ohne die Natur dieser Dichtart aufzuheben. Achill, wenn die Hauptperson der Ilias, kann nicht über- wunden werden, sowie Hektor, weil er überwunden werden kann, nicht der Held der Ilias seyn kann. Aeneas ist nur als Eroberer von La- tium und Gründer von Rom Held einer Epopee. Wenn wir behaupten, daß im Epos die Identität oder die Noth- wendigkeit das Herrschende sey, so könnte man einwenden, daß sie ihre Kraft weit mehr beweisen würde, wenn sie das, was die Freiheit nicht wollte, ausführte, als wenn sie umgekehrt mit der Freiheit eins ist und ausführt, was diese beginnt. Allein 1) kann die Nothwendigkeit im Epos nicht mit der Freiheit im Bunde erscheinen, ohne von der andern Seite gegen sie zu wirken. Achill ist nicht Sieger, ohne daß Hektor unter- liegt. 2) Wenn die Nothwendigkeit auf die angegebene Weise im Streit gegen die Freiheit erschiene, daß sie dasjenige wollte, dem diese wider- strebt, so würde der Held der Nothwendigkeit entweder unterliegen, oder sich über sie erheben. Im ersten Fall aber würde der Haupt- held unterliegen, im andern würde vielmehr die Freiheit ihre Ueber- macht über die Nothwendigkeit beweisen, welches aber nicht der Fall seyn soll. Wir können also als ausgemacht Folgendes annehmen. Im lyri- schen Gedicht ist ein Widerstreit, aber selbst bloß ein subjektiver; es kommt überhaupt nicht zum objektiven Conflikt mit der Nothwendigkeit. Im epischen Gedicht herrscht nur die Nothwendigkeit, die insofern mit dem Subjekt eins seyn muß als, ohne dieß, einer von den beiden Fällen eintreten müßte; und so also auch muß Unglück, inwiefern es auf der einen Seite stattfindet, durch ein verhältnißmäßiges Glück auf der andern ersetzt werden. Wenn wir nun diesen Grundsätzen zufolge ganz allgemein, und ohne noch irgend eine besondere Form vor Augen zu haben, fragen, von welcher Art dasjenige Gedicht seyn müßte, welches als die Tota- lität die Synthese der beiden entgegengesetzten Formen wäre, so ergibt sich gleich unmittelbar als erste Bestimmung folgende: es muß in dem Gedicht dieser Art ein wirklicher und demnach objektiver Widerstreit beider, der Freiheit und der Nothwendigkeit, da seyn, und zwar so daß beide als solche erscheinen . Es kann also in einem Gedicht, wie das angenommne, weder ein bloß subjektiver Streit noch auch eine reine Nothwendigkeit — die insofern mit dem Subjekt befreundet ist, und bloß darum aufhört Nothwendigkeit zu seyn — sondern nur eine mit der Freiheit wirk- lich im Kampf begriffene Nothwendigkeit, und dennoch so, daß ein Gleichgewicht beider, dargestellt werden. Es fragt sich nur, wie dieß möglich sey. Kein wahrhafter Streit ist, wo nicht die Möglichkeit obzusiegen auf beiden Seiten ist. Aber diese scheint in dem angenommenen Fall von beiden Seiten undenkbar: denn keines von beiden ist wahrhaft über- windlich; die Nothwendigkeit nicht, denn, würde sie überwunden, so wäre sie nicht Nothwendigkeit; die Freiheit nicht, denn sie ist eben deß- wegen Freiheit, weil sie nicht überwunden werden kann. Aber selbst Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 44 wenn es dem Begriff nach möglich wäre, daß diese oder jene unterläge, so wäre es nicht poetisch möglich; denn es wäre nicht ohne absolute Disharmonie möglich. Daß die Freiheit von der Nothwendigkeit überwunden würde, ist ein durchaus widriger Gedanke, aber ebensowenig können wir wollen, daß die Nothwendigkeit von der Freiheit überwunden werde, weil uns dieß den Anblick der höchsten Gesetzlosigkeit gibt. Es bleibt also in diesem Widerspruch schon von selbst nichts übrig als daß beide , Noth- wendigkeit und Freiheit, aus diesem Streit zugleich als siegend und als besiegt, und demnach in jeder Rücksicht gleich hervorgehen. Aber eben dieß ist ohne Zweifel die höchste Erscheinung der Kunst, daß die Freiheit sich zur Gleichheit mit der Nothwendigkeit erhebe, und der Freiheit da- gegen, ohne daß diese etwas dadurch verliere, die Nothwendigkeit gleich erscheine; denn nur in diesem Verhältniß wird jene wahre und absolute Indifferenz, die im Absoluten ist, und die nicht auf einem Zugleich- sondern auf einem Gleichseyn beruht, objektiv. Denn Freiheit und Nothwendigkeit können, sowenig als Endliches und Unendliches, anders als in der gleichen Absolutheit eins werden. Die höchste Erscheinung der Kunst ist also, da Freiheit und Nothwendigkeit die höchsten Ausdrücke des Gegensatzes sind, der der Kunst überhaupt zu Grunde liegt, — diejenige, worin die Noth- wendigkeit siegt, ohne daß die Freiheit unterliegt, und hinwiederum die Freiheit obsiegt, ohne daß die Nothwendigkeit besiegt wird. Es fragt sich nun, wie auch dieses möglich sey. Nothwendigkeit und Freiheit müssen, als allgemeine Begriffe, in der Kunst nothwendig symbolisch erscheinen, und da nur die menschliche Natur, indem sie von der einen Seite der Nothwendigkeit unterworfen ist, von der anderen der Freiheit fähig ist, so müssen beide an und durch die menschliche Natur symbolisirt werden, die selbst wieder durch Individuen dargestellt werden muß, die als Naturen, in welchen Frei- heit und Nothwendigkeit in Verbindung sind, Personen heißen. Aber eben auch nur in der menschlichen Natur finden sich die Bedingungen der Möglichkeit, daß die Nothwendigkeit siege, ohne daß die Freiheit unterliege, und umgekehrt die Freiheit überwinde, ohne daß der Gang der Nothwendigkeit unterbrochen werde. Denn dieselbe Person, welche durch die Nothwendigkeit unterliegt, kann sich durch die Gesinnung wieder über sie erheben, so daß beide, besiegt und siegend zugleich, in ihrer höchsten Indifferenz erscheinen. Im Allgemeinen also ist die menschliche Natur das einzige Mittel der Darstellung jenes Verhältnisses. Es fragt sich aber, in welchen Verhältnissen die menschliche Natur selbst fähig sey jene Macht der Freiheit zu zeigen, die, unabhängig von der Nothwendigkeit, zugleich, indem diese triumphirt, siegreich ihr Haupt erhebt. Ueber alles Günstige, dem Subjekt Angemessene wird die Freiheit mit der Nothwendigkeit einig seyn. Im Glück kann also die Freiheit weder im wahren Widerstreit noch in der wahren Gleichheit mit der Nothwendigkeit erscheinen. Nur dann wird sie auf diese Weise offenbar, wenn die Nothwendigkeit das Ueble verhängt, und die Freiheit, sich über diesen Sieg erhebend, freiwillig das Uebel übernimmt, sofern es nothwendig ist, sich also als Freiheit dennoch der Nothwendigkeit gleichstellt. Jene höchste Erscheinung der menschlichen Natur durch die Kunst wird also nie möglich seyn, als wo die Tapferkeit und Größe der Ge- sinnung über das Unglück siegt, und aus dem Kampf, welcher das Subjekt zu vernichten droht, die Freiheit als absolute Freiheit, für die es keinen Widerstreit gibt, hervorgeht. Aber ferner: welcher Art und Form wird die Darstellung dieser Erhebung der Freiheit zur vollkommenen Gleichheit mit der Nothwen- digkeit seyn müssen? — Im epischen Gedicht wird die reine Noth- wendigkeit, die deßwegen selbst nicht als Nothwendigkeit erscheint, weil Nothwendigkeit nur ein durch Gegensatz bestimmbarer Begriff ist — es wird die reine Identität als solche dargestellt. Die Nothwen- digkeit aber ist sich selbst gleich und beständig, so daß auch der Ge- danke der Nothwendigkeit in dem Sinn, in welchem sie im epischen Gedicht herrschend ist, als einer ewig gleichmäßig fließenden Iden- tität, keine Bewegung der Seele verursacht, sondern sie ganz ruhig läßt. Nur da bewegt sie die Seele, wo wirklich Widerstreit gegen sie ist. Aber in der Art von Darstellung, die wir voraussetzen, soll ja der Widerstreit erscheinen, nur nicht subjektiv — denn sonst wäre das Gedicht lyrisch — sondern objektiv ; aber auch nicht objektiv wie im epischen Gedicht, so daß das Gemüth dabei ruhig und unbewegt bleibt. Es ist also nur Eine mögliche Darstellung, bei welcher das Darzustellende ebenso objektiv als im epischen Gedicht, und doch das Subjekt ebenso bewegt ist als im lyrischen Gedicht: es ist nämlich die, wo die Hand- lung nicht in der Erzählung, sondern selbst und wirklich vorgestellt wird (das Subjektive objektiv dargestellt wird). Die vorausgesetzte Gattung, welche die letzte Synthese aller Poesie seyn sollte, ist also das Drama. Um noch bei diesem Gegensatz des Drama als einer wirklich vor- gestellten Handlung mit dem Epos zu verweilen, so ist wenn im Epos die reine Identität oder Nothwendigkeit herrschen soll, ein Erzähler nothwendig, der durch den Gleichmuth seiner Erzählung selbst von der allzugroßen Theilnahme an den handelnden Personen beständig zurück- rufe, und ihre Aufmerksamkeit auf den reinen Erfolg spanne. Die- selbe Begebenheit, welche, episch dargestellt, nur das objektive Interesse am Erfolg läßt, würde, dramatisch repräsentirt, unmittelbar das an den Personen damit vermischen, und dadurch die reine Objektivität der Anschauung aufheben. Der Erzähler, da er den handelnden Personen fremd ist, geht den Zuhörern in der gemäßigten Betrachtung nicht nur voran und stimmt sie durch die Erzählung selbst dazu, sondern er tritt auch gleichsam an die Stelle der Nothwendigkeit, und da diese ihr Ziel nicht selbst aussprechen kann, leitet er die Zuhörer darauf hin. Im dramatischen Gedicht dagegen, weil es die Natur der beiden entgegen- gesetzten Gattungen vereinigen soll, muß außer dem Antheil an der Begebenheit auch noch die Theilnahme an den Personen hinzukommen; nur durch diese Verbindung der Begebenheiten mit der Theilnahme an Personen wird sie Handlung und That. Thaten aber, um das Gemüth zu bewegen, müssen angeschaut werden, ebenso, wie Begeben- heiten, um das Gemüth ruhiger zu lassen, erzählt seyn müssen. Thaten gehen zum Theil aus inneren Zuständen der Ueberlegung, der Leiden- schaften u. s. w. hervor, die, weil sie an sich subjektiv sind, nicht anders objektiv dargestellt werden können, als inwiefern das Subjekt, in dem sie vorgehen, selbst vor Augen gestellt wird. Begebenheiten lassen die inneren Zustände weniger erscheinen und berühren sie weniger, in- dem sie den Gegenstand sowohl als den Zuschauer mehr nach außen reißen. Wir haben, wie von selbst klar ist, das Drama gleich unmittelbar als Tragödie abgeleitet; insofern also die andere Form der Komödie, wie es scheint, ausgeschlossen. Das erste war nothwendig. Denn das Drama überhaupt kann nur aus einem wahren und wirklichen Streit der Freiheit und Nothwendigkeit, der Differenz und Indifferenz hervor- gehen: es ist damit freilich nicht gesagt, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit liegt; aber die ursprüngliche und absolute Erscheinung dieses Streits ist doch die, wo die Nothwen- digkeit das Objektive, die Freiheit das Subjektive ist; und dieß das Verhältniß der Tragödie. Diese ist also das Erste und die Komödie das andere, denn sie entspringt durch eine bloße Umkehrung der Tragödie. Ich werde daher jetzt ferner auf gleiche Weise fortfahren, die Tragödie dem Wesen und der Form nach zu construiren. Das Meiste, was von der Form der Tragödie gilt, gilt auch von der der Komödie, und was sich daran durch die Umkehrung des Wesentlichen mit ver- ändert, wird sich nachher sehr bestimmt angeben lassen. Von der Tragödie . Das Wesentliche der Tragödie ist also ein wirklicher Streit der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher Streit sich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt, sondern daß beide siegend und besiegt zugleich in der vollkommenen Indifferenz erscheinen. Wir haben noch genauer als bisher zu be- stimmen, auf welche Weise dieß der Fall seyn könne. Nur da, wo die Nothwendigkeit das Uebele verhängt, bemerkten wir, könne sie mit der Freiheit wahrhaft im Streit erscheinen. Aber eben von welcher Art dieses Uebel seyn müsse, um der Tra- gödie angemessen zu seyn, ist die Frage. Bloß äußeres Unglück kann nicht dasjenige seyn, welches den wahrhaft tragischen Widerstreit hervor- bringt. Denn daß die Person über äußeres Unglück sich erhebe, fordern wir schon von selbst, und sie wird uns nur verächtlich, wenn sie es nicht vermag. Der Held, der wie Ulyß auf der Heimkehr eine Kette von Unglücksfällen und vielfältiges Ungemach bekämpft, erweckt unsre Bewunderung, und wir folgen ihm mit Lust, aber er hat für uns kein tragisches Interesse, weil das Widerstrebende durch eine gleiche Kraft, nämlich durch physische Stärke oder durch Verstand und Klugheit be- zwungen werden kann. Aber selbst Unglück, wogegen keine menschliche Hülfe möglich ist, z. B. unheilbare Krankheit, Verlust der Güter und dergl., hat, sofern es bloß physisch ist, kein tragisches Interesse; denn es ist eine nur noch untergeordnete und nicht die Schranken des Noth- wendigen selbst überschreitende Wirkung der Freiheit, solche Uebel, die nicht zu ändern sind, mit Geduld zu ertragen. Aristoteles in der Poetik Cap. XIII. stellt folgende Fälle des Glückwechsels auf: 1) daß ein gerechter Mann aus dem Zustand des Glücks in Un- glück verfalle; er sagt sehr richtig, daß dieß weder schrecklich noch be- mitleidenswürdig, sondern nur abscheulich und darum zum tragischen Stoff untauglich sey; 2) daß ein Ungerechter aus widrigem Glück in günstiges übergehe. Dieß sey am wenigsten tragisch; 3) daß ein in hohem Grade Ungerechter oder Lasterhafter aus glücklichem Zustand in unglücklichen versetzt werde. Diese Zusammensetzung könne zwar die Menschenliebe berühren, aber weder Mitleid noch Schrecken hervor- bringen. Es bliebe also nur ein mittlerer Fall übrig, nämlich daß ein Solcher Gegenstand der Tragödie sey, welcher weder durch Tugend und Gerechtigkeit vorzüglich ausgezeichnet, noch auch durch Laster und Verbrechen ins Unglück falle, sondern durch einen Irrthum , und daß derjenige, dem dieß begegnet, von solchen sey, die zuvor im großen Glück und Ansehen gestanden, wie Oedipus, Thyestes u. a. Aristoteles setzt hinzu, daß aus diesem Grunde, da vor Zeiten die Dichter alle mög- lichen Fabeln auf die Bühne gebracht haben, jetzt — zu seiner Zeit — die besten Tragödien sich auf wenige Familien beschränken, wie auf den Oedipus, Orestes, Thyestes, Telephos und diejenigen, denen überhaupt begegnet wäre Großes zu leiden oder zu verüben. Aristoteles hat, wie die Poesie überhaupt, so insbesondere auch die Tragödie mehr von der Verstandes- als von der Vernunft-Seite angesehen. Von der ersten betrachtet hat er den einzig höchsten Fall der Tragödie vollkommen bezeichnet. Derselbe Fall aber hat in allen den Beispielen, welche er selbst anführt, noch eine höhere Ansicht. Es ist die, daß die tragische Person nothwendig eines Verbrechens schuldig sey (und je höher die Schuld ist, wie die des Oedipus, desto tragischer oder verwickelter). Dieß ist das höchste denkbare Unglück, ohne wahre Schuld durch Verhängniß schuldig zu werden. Es ist also nothwendig, daß die Schuld selbst wieder Noth- wendigkeit, und nicht sowohl, wie Aristoteles sagt, durch einen Irr- thum, als durch den Willen des Schicksals und ein unvermeidliches Verhängniß oder eine Rache der Götter zugezogen sey. Von dieser Art ist die Schuld des Oedipus. Ein Orakel weissagt dem Lajos, es sey im Schicksal ihm vorherbestimmt, von der Hand seines und der Jokaste Sohns erschlagen zu werden. Der kaum geborene Sohn wird nach drei Tagen an den Füßen gebunden in einem unwegsamen Ge- birg ausgesetzt. Ein Schäfer auf dem Gebirge findet das Kind oder erhält es aus den Händen eines Sclaven von Lajos Hause. Jener bringt das Kind in das Haus des Polybos, des angesehensten Bürgers von Korinth, wo es wegen der angeschwollenen Füße den Namen Oedipus erhält. Oedipus als er ins Jünglichsalter tritt, wird durch die Frechheit eines anderen, der ihn beim Trunk einen Bastard nennt, aus dem vermeinten elterlichen Hause fortgetrieben, und in Delphoi das Orakel wegen seiner Abkunft fragend erhält er darauf keine Antwort, wohl aber die Verkündung, er werde seiner Mutter beiwohnen, ein verhaßtes und den Menschen unerträgliches Geschlecht zeugen, und den eignen Vater erschlagen. Dieß gehört sagt er, um sein Schicksal zu meiden, Korinth auf ewig Lebewohl, und beschließt bis dahin zu fliehen, wo er jene geweissagten Verbrechen niemals begehen könnte. Auf der Flucht begegnet er selbst Lajos ohne zu wissen, daß es Lajos und der König von Thebe ist, und erschlägt ihn im Streit. Auf dem Weg nach Thebe befreit er die Gegend von dem Ungeheuer der Sphinx und kommt in die Stadt, wo beschlossen war, daß wer sie erlegen würde, König seyn und Jokaste zur Gemahlin haben sollte. So vollendet sich das Schicksal des Oedipus, ihm selbst unbewußt; er heirathet seine Mutter und zeugt das unglückliche Geschlecht seiner Söhne und Töchter mit ihr. Ein ähnliches, obwohl nicht ganz gleiches Schicksal ist das der Phädra , welche durch den, von der Pasipha ë her, entbrannten Haß der Venus gegen ihr Geschlecht zur Liebe des Hippolytus ent- flammt wird. Wir sehen also, daß der Streit von Freiheit und Nothwendigkeit wahrhaft nur da ist, wo diese den Willen selbst untergräbt, und die Freiheit auf ihrem eignen Boden bekämpft wird. Man hat, anstatt einzusehen, daß dieses Verhältniß das einzig wahrhaft tragische ist, mit dem kein anderes verglichen werden kann, wo das Unglück nicht im Willen und in der Freiheit selbst liegt, vielmehr gefragt, wie die Griechen diese schrecklichen Widersprüche ihrer Tragö- dien haben ertragen können. Ein Sterblicher, vom Verhängniß zur Schuld und zum Verbrechen bestimmt, selbst wie Oedipus gegen das Verhängniß kämpfend, die Schuld fliehend, und doch fürchterlich be- straft für das Verbrechen, das ein Werk des Schicksals war. Sind, frug man, diese Widersprüche nicht rein zerreißend, und wo liegt der Grund der Schönheit, welche die Griechen in ihren Tragödien nichts desto weniger erreicht haben? — Die Antwort auf diese Frage ist folgende. Daß ein wahrhafter Streit von Freiheit und Nothwendigkeit nur in dem angegebenen Fall stattfinden kann, wo der Schuldige durch das Schicksal zum Verbrecher gemacht ist, ist bewiesen. Daß aber der Schuldige, der doch nur der Uebermacht des Schicksals unterlag, dennoch bestraft wurde, war nöthig, um den Triumph der Freiheit zu zeigen, war Anerkennung der Freiheit, Ehre , die ihr gebührte. Der Held mußte gegen das Verhängniß kämpfen, sonst war überhaupt kein Streit, keine Aeußerung der Freiheit; er mußte in dem, was der Nothwendigkeit unterworfen ist, unterliegen, aber um die Nothwendigkeit nicht über- winden zu lassen, ohne sie zugleich wieder zu überwinden, mußte der Held auch für diese — durch das Schicksal verhängte — Schuld frei- willig büßen. Es ist der größte Gedanke und der höchste Sieg der Freiheit, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so im Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unter- zugehen. Dieß, wie es hier ausgesprochen ist, und wie ich es schon in den Briefen über Dogmatismus und Kriticismus gezeigt habe, Zehnter Brief, 1. Abth., Bd. I. , S. 336. ist der innerste Geist der griechischen Tragödie. Dieß ist der Grund der Ver- söhnung und der Harmonie, die in ihnen liegt, daß sie uns nicht zer- rissen, sondern geheilt, und wie Aristoteles sagt, gereinigt zurücklassen. Die Freiheit als bloße Besonderheit kann nicht bestehen: dieß ist möglich nur, inwiefern sie sich selbst zur Allgemeinheit erhebt, und also über die Folge der Schuld mit der Nothwendigkeit in Bund tritt, und da sie das Unvermeidliche nicht vermeiden kann, die Wirkung davon selbst über sich verhängt. Ich sage: dieß ist auch das einzig wahrhaft Tragische in der Tragödie. Nicht der unglückliche Ausgang allein. Denn wie kann man überhaupt den Ausgang unglücklich nennen, z. B. wenn der Held frei- willig das Leben hingibt, das er nicht mehr mit Würde führen kann, oder wenn er andere Folgen seiner unverschuldeten Schuld auf sich selbst herbeizieht, wie Oedipus bei Sophokles thut, der nicht ruht, bis er das ganze schreckliche Gewebe selbst entwickelt und das ganze furcht- bare Verhängniß selbst an den Tag gebracht hat? Wie kann man den unglücklich nennen, der so weit vollendet ist, der Glück und Unglück gleicherweise ablegt und in demjenigen Zustand der Seele ist, wo es für ihn keines von beiden mehr ist? Unglück ist nur, so lange der Wille der Nothwendigkeit noch nicht entschieden und offenbar ist. Sobald der Held selbst im Klaren ist, und sein Geschick offen vor ihm daliegt, gibt es für ihn keinen Zweifel mehr, oder wenigstens darf es für ihn keinen mehr geben, und eben im Moment des höchsten Leidens geht er zur höchsten Befreiung und die höchste Leidenslosigkeit über. Von dem Augenblick an erscheint die nicht zu überwältigende Macht des Schicksals, die absolut-groß schien, nur noch relativ-groß; denn sie wird von dem Willen über- wunden, und zum Symbol des absolut Großen, nämlich der erhabenen Gesinnung. Die tragische Wirkung beruht daher keineswegs allein oder zunächst auf dem, was man den unglücklichen Ausgang zu nennen pflegt. Die Tragödie kann auch mit vollkommener Versöhnung nicht nur mit dem Schick- sal, sondern selbst mit dem Leben enden, wie Orest in den Eumeniden des Aeschylos versöhnt wird. Auch Orest war durch das Schicksal und den Willen eines Gottes, nämlich Apollos, zum Verbrecher bestimmt. Aber diese Schuldlosigkeit nimmt die Strafe nicht hinweg; er entflieht aus dem väterlichen Hause und erblickt gleich unmittelbar die Eumeniden, die ihn selbst bis in den geheiligten Tempel des Apollon verfolgen, wo sie, die schlafen, der Schatten der Klytämnestra erweckt. Die Schuld kann nur durch wirkliche Sühnung von ihm genommen werden, und auch der Areopag, an welchen Apoll ihn verweist, und vor dem er selbst ihm beisteht, muß gleiche Stimmen in die beiden Urnen legen, damit die Gleichheit der Nothwendigkeit und der Freiheit vor der sittlichen Stim- mung bewahrt werde. Nur der weiße Stein, den Pallas der Los- sprechungsurne zuwirft, befreit ihn, aber auch dieses nicht, ohne daß zugleich die Göttinnen des Schicksals und der Nothwendigkeit, die rächenden Erinnyen, versöhnt und von nun an unter dem Volk der Athene als göttliche Mächte verehrt werden und in ihrer Stadt selbst und gegenüber von der Burg, auf der sie thront, einen Tempel haben. Ein solches Gleichgewicht des Rechts und der Menschlichkeit, der Nothwendigkeit und der Freiheit suchten die Griechen in ihren Tragödien, ohne welches sie ihren sittlichen Sinn nicht befriedigen konnten, sowie sich in diesem Gleichgewicht selbst die höchste Sittlichkeit ausgedrückt hat. Eben dieses Gleichgewicht ist die Hauptsache der Tragödie. Daß das überlegte und freie Verbrechen gestraft wird, ist nicht tragisch. Daß ein Schuldloser durch Schickung unvermeidlich fortan schuldig werde, ist, wie gesagt, an sich das höchste denkbare Unglück. Aber daß dieser schuldlose Schuldige freiwillig die Strafe übernimmt, dieß ist das Erhabene in der Tragödie, dadurch erst verklärt sich die Freiheit zur höchsten Identität mit der Nothwendigkeit. Nachdem wir das Wesen und den wahren Gegenstand der Tragödie durch das Bisherige bestimmt haben, so ist es nöthig, zunächst von der inneren Construktion der Tragödie, und alsdann von der äußeren Form derselben zu handeln. Da dasjenige, was in der Tragödie der Freiheit entgegengesetzt wird, die Nothwendigkeit ist, so erhellt von selbst, daß in der Tragödie durchaus dem Zufall nichts zugegeben werden darf. Denn selbst die Freiheit, sofern sie die Verwicklung durch ihre Handlungen hervorbringt, erscheint doch in dieser Beziehung als durch Schicksal getrieben. Es könnte zufällig scheinen, daß Oedipus dem Lajos an einer bestimmten Stelle begegnet, allein wir sehen aus dem Verlauf, daß diese Begeben- heit zur Erfüllung des Schicksals nothwendig war. Inwiefern aber ihre Nothwendigkeit nur durch die Entwicklung kann eingesehen werden, in- sofern ist sie eigentlich auch nicht Theil der Tragödie und wird in die Vergangenheit verlegt. Uebrigens aber erscheint, im Oedipus z. B., alles, was zur Vollführung des in dem ersten Orakel Verkündeten gehört, eben durch diese Vorherverkündigung nothwendig und im Licht einer höheren Nothwendigkeit. Was aber die Handlungen der Freiheit betrifft, sofern diese erst auf die geschehenen Schläge des Schick- sals folgen, so sind auch diese nicht zufällig, eben deßwegen weil sie aus absoluter Freiheit geschehen, und die absolute Freiheit selbst absolute Nothwendigkeit ist. Da selbst alle empirische Nothwendigkeit nur empirisch Nothwen- digkeit, an sich betrachtet aber Zufälligkeit ist, so kann die ächte Tra- gödie auch nicht auf empirische Nothwendigkeit gegründet seyn. Alles, was empirisch nothwendig ist, ist, weil ein anderes ist, wodurch es möglich ist, aber dieses andere selbst ist ja nicht an sich nothwendig, sondern wieder durch ein anderes. Die empirische Nothwendigkeit würde aber die Zufälligkeit nicht aufheben. Diejenige Nothwendigkeit, die in der Tragödie erscheint, kann demnach einzig absoluter Art und eine solche seyn, die empirisch vielmehr unbegreiflich als begreiflich ist. Inwiefern selbst, um die Verstandesseite nicht zu vernachlässigen, eine empirische Nothwendigkeit in der Aufeinanderfolge der Begebenheiten eingeführt wird, muß diese doch selbst nicht wieder empirisch, sondern nur absolut begriffen werden können. Die empirische Nothwendigkeit muß als Werk- zeug der höheren und absoluten erscheinen; sie muß nur dienen für die Erscheinung herbeizuführen, was in dieser schon geschehen ist. Hierher gehört nun auch das sogenannte Motiviren , welches ein Necessitiren oder Begründung der Handlung im Subjekt ist, und welches vornehmlich durch äußere Mittel geschieht. Die Grenze dieses Motivirens ist schon durch das Vorhergehende bestimmt. Soll es etwa auf das Herstellen einer recht empirisch-be- greiflichen Nothwendigkeit gehen, so ist es ganz verwerflich, besonders wenn sich der Dichter dadurch zu der groben Fassungskraft der Zuschauer herablassen will. Die Kunst des Motivirens würde dann darin bestehen, dem Helden nur einen Charakter von recht großer Weite zu geben, aus dem nichts auf absolute Weise hervorgehen kann, in dem also alle möglichen Motive ihr Spiel treiben können. Dieß ist der gerade Weg, den Helden schwach und als das Spiel äußerer Bestimmungsgründe er- scheinen zu lassen. Ein solcher ist nicht tragisch. Der tragische Held muß, in welcher Beziehung es sey, eine Absolutheit des Charakters haben, so daß ihm das Aeußere nur Stoff ist, und es in keinem Fall zweifel- haft seyn kann, wie er handelt. Ja in Ermanglung des anderen Schick- sals müßte ihm der Charakter dazu werden. Von welcher Art auch der äußere Stoff sey, die Handlung muß immer aus ihm selbst kommen. Aber überhaupt muß gleich die erste Construktion der Tragödie, der erste Wurf so seyn, daß die Handlung auch in dieser Rücksicht als Eine und als stetig erscheine, daß sie nicht durch ganz verschiedenartige Motive mühsam fortgetrieben wird. Stoff und Feuer müssen gleich so combinirt seyn, daß das Ganze von selbst fort brennt. Gleich das Erste der Tragödie sey eine Synthesis, eine Verwicklung, die nur so gelöst werden kann, wie sie gelöst wird, und für die ganze Folge keine Wahl läßt. Welche Mittelglieder auch der Dichter ins Spiel setzen möge, um die Handlung zu ihrem Ende zu leiten, so müssen diese zuletzt selbst wieder aus dem über dem Ganzen ruhenden Verhängniß hervorgehen und Werkzeuge von ihm scheinen. Widrigenfalls wird der Geist be- ständig aus der höheren Ordnung der Dinge in die tiefere versetzt, und umgekehrt. Die Begrenzung eines dramatischen Werks in Beziehung auf das, was in ihm sittlich-möglich ist, wird durch das ausgedrückt, was man die Sitten der Tragödie nennt. Was man ursprünglich darunter verstand, ist ohne Zweifel die Stufe der sittlichen Bildung, auf welche die Personen eines Drama gesetzt, und wodurch gewisse Arten von Handlungen von ihnen ausgeschlossen, dagegen die, welche geschehen, nothwendig gemacht sind. Die erste Forderung ist nun ohne Zweifel die, welche auch Aristoteles macht, daß sie edler Art seyen, worunter er nach dem, was früherhin als seine Behauptung über den einzig höchsten tragischen Fall angeführt worden, nicht eben absolut schuldlose, sondern überhaupt edle und große Sitten fordert. Daß ein wirklicher, aber durch Charakter großer Verbrecher vorgestellt wird, wäre bloß in dem anderen tragischen Fall möglich, wo ein äußerst ungerechter Mensch aus dem Glück in Unglück gestürzt würde. Unter denjenigen Tragödien der Alten, die uns geblieben sind, kenne ich keinen Fall dieser Art, und das Verbrechen, wenn es in der wahrhaft sittlichen Tragödie vorgestellt ist, erscheint immer selbst durch Schicksal verhängt. Es ist aber aus dem Einen Grund, daß den Neueren das Schicksal fehlt, oder von ihnen wenigstens nicht auf die Weise der Alten in Bewegung gesetzt werden kann, es ist, sage ich, schon daraus einzusehen, warum die Neueren öfter zu diesem Fall recurrirt haben, große Verbrechen vorzu- stellen, ohne das Edle der Sitten dadurch aufzuheben, und deßwegen die Nothwendigkeit des Verbrechens in die Gewalt eines unbezwinglichen Charakters zu legen, wie Shakespeare sehr oft gethan hat. Da die griechische Tragödie so ganz sittlich und auf die höchste Sittlich- keit eigentlich gegründet ist, so kann in ihr auch über die eigentlich sittliche Stimmung, wenigstens in der letzten Instanz, keine Frage mehr seyn. Die Totalität der Darstellung fordert, daß auch in den Sitten der Tragödie Abstufungen stattfinden, und besonders Sophokles ver- stand mit den wenigsten Personen nicht nur überhaupt die größte Wir- kung, sondern in dieser Begrenzung auch eine geschlossene Totalität der Sitten hervorzubringen. In dem Gebrauch dessen, was Aristoteles das ϑαυμαστόν, das Außerordentliche nennt, unterscheidet das Drama sich sehr wesentlich von dem epischen Gedicht. Das epische Gedicht stellt einen glücklichen Zustand dar, eine ungetheilte Welt, wo Götter und Menschen eins sind. Hier ist, wie wir schon sagten, die Dazwischenkunft der Götter nicht wunderbar, weil sie zu dieser Welt selbst gehören. Das Drama ruht schon mehr oder weniger auf einer getheilten Welt, indem es Nothwendigkeit und Freiheit sich entgegensetzt. Hier würde die Erschei- nung der Götter, wofern sie auf dieselbe Weise wie im Epos stattfände, den Charakter des Wunderbaren annehmen. Da nämlich im Drama kein Zufall, und alles entweder äußerlich oder innerlich nothwendig seyn soll, so könnten die Götter nur wegen einer Nothwendigkeit, die in ihnen selbst läge, also nur insofern sie selbst mithandelnde oder wenig- stens in die Handlung ursprünglich verwickelte Personen sind, in ihr erscheinen, keineswegs aber um den handelnden Personen, vornehmlich aber der Hauptperson entweder zu Hülfe zu kommen, oder feindlich zu begegnen (wie in der Ilias). Denn der Held der Tragödie soll und muß den Kampf für sich allein ausfechten; nur durch die sittliche Größe seiner Seele soll er ihn bestehen, und die äußere Heilung und Hülfe, welche Götter ihm gewähren können, genügt nicht einmal seinem Zustande. Sein Verhältniß kann sich nur innerlich lösen, und wenn die Götter, wie in den Eumeniden des Aeschylos das versöhnende Princip sind, so müssen sie selbst zu den Bedingungen herabsteigen, unter welchen der Mensch ist; auch sie können nicht versöhnen oder erretten, als in- wiefern sie das Gleichgewicht der Freiheit und Nothwendigkeit herstellen und sich mit den Gottheiten des Rechts und des Schicksals in Unter- handlungen setzen. In diesem Fall aber ist in ihrer Erscheinung nichts Wunderbares, und die Errettung und Hülfe, die sie schaffen, leisten sie nicht als Götter, sondern dadurch, daß sie zu dem Loos der Menschen herabsteigen und sich selbst dem Recht und der Nothwendigkeit fügen. Wenn aber Götter in der Tragödie feindlich wirken, so sind sie selbst das Schicksal; auch thun sie es nicht in Person, sondern auch ihre feindliche Wirkung äußert sich durch eine innere Nothwendigkeit im Han- delnden, wie bei der Phädra. Die Götter also in der Tragödie zu Hülfe zu rufen, um die Handlung nur äußerlich zu enden, wahrhaft aber und innerlich zu unter- brechen oder ungeschlossen zu lassen, wäre für das ganze Wesen der Tragödie zerstörend. Dasjenige Uebel, was Götter als solche durch ihre bloße Dazwischenkunft heilen können, ist an sich selbst kein wahrhaft tragisches Uebel. Umgekehrt; wo ein solches vorhanden ist, vermögen sie nichts, und wenn sie dennoch herbeigerufen werden, so ist dieß, was man den Deus ex machina nennt, und was allgemein als eversiv für das Wesen der Tragödie erkannt ist. Denn — um mit dieser Bestimmung die Untersuchung über die innere Construktion der Tragödie zu vollenden — so muß die Handlung nicht bloß äußerlich, sondern innerlich, im Gemüth selbst, geschlossen werden, wie es eine innerliche Empörung ist, welche das Tragische eigentlich hervorbringt. Nur von dieser inneren Versöhnung aus geht jene Harmonie, die wir zur Vollendung fordern. Schlechten Poeten ge- nügt es die mühsam fortgeführte Handlung nur äußerlich zu schließen. Ebensowenig als dieß geschehen darf, darf die Versöhnung durch etwas Fremdartiges, Außerordentliches, außer dem Gemüth und der Handlung Liegendes geschehen, als ob die Herbheit des wahren Schicksals durch irgend etwas anderes als die Größe und freiwillige Uebernahme und Erhebung des Gemüths gemildert werden könnte. (Hauptmotiv der Ver- söhnung die Religion, wie im Oedipus auf Kolonos. Höchste Ver- klärung wie ihn der Gott ruft: Horch, horch, Oedipus, warum zauderst du, und er dann den Augen der Sterblichen verschwindet.) Ich gehe nun zur äußeren Form der Tragödie fort. Daß also die Tragödie nicht eine Erzählung, sondern die wirklich- objektive Handlung selbst seyn müsse, ergibt sich aus dem ersten Begriff. Aber aus diesem folgt auch mit strenger Nothwendigkeit die übrige Ge- setzmäßigkeit der äußeren Form. Die Handlung, wenn sie erzählt wird, geht durch das Denken hindurch, welches seiner Natur nach das freiste ist, und worin auch Entferntes sich unmittelbar berührt. Die Handlung, die objektiv-wirklich vorgestellt wird, wird angeschaut, und muß sich also auch den Gesetzen der Anschauung fügen. Diese aber verlangt nothwendig die Stetigkeit. Stetigkeit der Handlung ist demnach die nothwendige Eigenschaft jedes rationalen Dramas. Mit Veränderung derselben muß zugleich eine Veränderung in der ganzen übrigen Confor- mation desselben eintreten: daher es freilich thöricht ist, sich an dieses Gesetz der alten Tragödie zu binden, wenn man ihr in keinem anderen Zug auch nur von ferne nahe kommen kann, wie die Franzosen in ihren Stücken, die sie abusive Tragödien nennen, die Stetigkeit der Zeit zu beobachten. Aber die französische Bühne beobachtet sie nicht einmal, außer inwiefern sie ganz bloß beschränkend ist, dadurch, daß der Dichter zwischen den Aufzügen Zeit verfließen läßt. Die Stetigkeit der Hand- lung in diesem Fall aufheben, während man sie in anderer Rücksicht beobachten will, heißt nur Dürftigkeit und das Unvermögen verrathen, eine große Handlung concentrisch, gleichsam um einen und denselben Punkt geschehen zu lassen. Die Stetigkeit der Zeit ist eigentlich von den drei Einheiten, die Aristoteles gibt, die herrschende. Denn, was die sogenannte Einheit des Orts betrifft, so braucht diese bloß insofern stattzufinden, als sie für die Stetigkeit der Zeit nothwendig ist, und unter den wenigen uns übrig gebliebenen Tragödien der Alten existirt doch — und zwar in Sophokles selbst (im Ajax nämlich) — das Beispiel einer nothwendigen Veränderung des Orts. Die äußere Stetigkeit der Handlung, welche zur vollkommensten Erscheinung der Tragödie gehört, was auch moderne Kunstrichter aus übelverstandenem Eifer gegen die übelverstandene Einheit der Zeit in den französischen Stücken und gegen ihre übrige Bornirtheit dawider vorge- bracht haben mögen, ist nur die äußere Erscheinung der inneren Stetigkeit und Einheit der Handlung selbst. Diese kann nun schon ihrer Natur nach nicht stattfinden, als inwiefern die Zufälligkeiten einer wirklich, em- pirisch geschehenen Handlung und ihre Begleitung aufgehoben werden. Nur durch Darstellung des Wesentlichen, gleichsam des reinen Rhythmus der Handlung, ohne alle Breitheit der Umstände und des zugleich mit der Haupthandlung Vorgehenden, wird die wahrhaft plastische Vollendung im Drama erreicht. Die herrlichste und durchaus von der erhabensten Kunst einge- gebene Erfindung ist in dieser Beziehung der Chor der griechischen Tragödie. Ich nenne ihn eine hohe Erfindung, weil er den groben Sinnen nicht schmeichelt, von dem gemeinen Verlangen nach Täuschung gänzlich hinweg- und den Zuschauer unmittelbar auf das höhere Gebiet der wahren Kunst und der symbolischen Darstellung erhebt. Der Chor der griechischen Tragödie schließt zwar mehrfache Wirkungen ein, die vornehmste aber ist, daß er die Zufälligkeiten der Begleitung aufhebt, da natürlicher Weise keine Handlung vorgehen kann, die nicht außer den mithandelnden Personen auch noch andere hätte, die sich in Bezug auf die Haupthandlung unthätig verhalten. Diese bloß zuschauen oder bloße Nebendienste verrichten zu lassen, würde die Handlung, die gleichsam in jedem Punkt wie eine volle Blüthe, fruchtbar und schwanger seyn soll, leer lassen. Sollte nun dieser Uebelstand realistisch aufge- hoben werden, so mußte auch in diese Nebenpersonen ein Gewicht ge- legt und dem Ganzen dadurch die Breitheit gegeben werden, welche die Tragödie der Neueren hat. Die Alten nehmen dieses Verhältniß idea- listischer, symbolisch. Sie verwandelten die Begleitung in den Chor, und gaben diesem in ihren Tragödien eine wahre, d. h. poetische Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 45 Nothwendigkeit. Er erhielt die Bestimmung, auch noch das, was in dem Zuschauer vorging, die Bewegung des Gemüths, die Theilnahme, die Reflexion, ihm vorweg zu nehmen, ihn auch in dieser Rücksicht nicht frei zu lassen, und dadurch ganz durch die Kunst zu fesseln. Der Chor ist einem großen Theile nach die objektivirte und repräsentirte Reflexion, die die Handlung begleitet. Wie nun die freie Contemplation auch des Furchtbaren und Schmerzvollen an und für sich schon über die erste Heftigkeit der Furcht und des Schmerzens erhebt, so war der Chor gleichsam ein stetiges Besänftigungs- und Versöhnungsmittel der Tra- gödie, wodurch der Zuschauer zur ruhigeren Betrachtung geleitet und von der Empfindung des Schmerzens gleichsam dadurch erleichtert wurde, daß sie in ein Objekt gelegt und in diesem schon gemäßigt vorgestellt wurde. — Daß diese Vollendung der Tragödie, in welcher sie nichts außer sich zurückläßt und gleichsam auch die Reflexion, die sie erweckt, wie die Bewegung und Theilnahme selbst in ihren Kreis zieht, die vor- nehmste Absicht des Chors gewesen, ergibt sich aus seiner Verfassung. 1) Der Chor bestand nicht aus Einer, sondern aus mehreren Personen. Bestand er aus Einer, so mußte er entweder mit den Zu- schauern reden — aber eben diese sollten hier ja aus dem Spiel gelassen werden, um ihre eigne Theilnahme gleichsam objektivirt zu sehen, oder mit sich selbst, aber dieß konnte er wieder nicht, ohne zu bewegt zu erscheinen, welches gegen seine Bedeutung war. Er mußte also aus mehreren Personen bestehen, die aber nur Eine vorstellten, wodurch die ganz symbolische Bildung des Chors vollends offenbar wird. Der Chor war 2) nicht in der Handlung als solcher begriffen. Denn wenn er selbst der Haupthandelnde war, so konnte er nicht seine Bestimmung erfüllen, zu bewirken, daß die Gemüther der Zuhörer sich sammeln. Die Ausnahme, welche in den Eumeniden des Aeschylos stattzufinden scheint, wo diese selbst den Chor bilden, ist nur scheinbar, und gewisser- maßen gehört dieser Zug mit zu der hohen und unerreichten sittlichen Stimmung, in der diese ganze Tragödie gedichtet ist, da der Chor in gewissem Sinn die objektivirte Reflexion der Zuschauer selbst und mit ihnen einverstanden ist, Aeschylos also hier die Zuschauer als auf der Seite des Rechts und der Gerechtigkeit stehend annahm. Sonst ist der Chor mehr oder weniger indifferent. Die handelnden Personen sprechen, als ob sie ganz allein wären und keine Zeugen hätten. Auch darin zeigt sich die ganz symbolische Bedeutung des Chors. Er ist, wie der Zuschauer, der Vertraute beider Parteien und verräth keine an die andere. Wenn er aber Theil nimmt, so ist es, weil er unparteiisch ist, immer die Seite des Rechts und der Billigkeit, auf die er tritt. Er räth zum Frieden, sucht zu besänftigen, beklagt das Unrecht und unterstützt den Unterdrückten, oder gibt seine Theilnahme an dem Un- glück durch sanfte Rührung zu erkennen. (Aus dieser Indifferenz und Unparteilichkeit des Chors sieht man das Mißlungene der Nachahmung desselben in Schillers Braut von Messina.) Da der Chor eine symbolische Person ist, so kann auf ihn auch alles andere zur Handlung Nothwendige, aber nicht in ihr selbst Be- griffene übergetragen werden. Er überhebt also den Dichter einer Menge anderer zufälliger Beschwerlichkeiten. Die neueren Dichter er- sticken die Handlung gleichsam unter der Last der Mittel, die sie brauchen, sie in Bewegung zu setzen. Zum wenigsten bedürfen sie doch für die Hauptperson eines Vertrauten, eines Rathgebers. Auch dieß ist durch den Chor aufgehoben, der, da er das Nothwendige und Unvermeidliche ebenso wie das Vermeidliche sieht, im erforderlichen Fall durch Rath, Vermahnung, Antrieb wirksam ist. Endlich auch die große Last neuerer Dichter, das Theater nie leer zu lassen, ist durch den Chor hinweggenommen. Gehen wir nun, nachdem wir die Tragödie ganz von innen heraus construirt haben, bis zur letzten Erscheinung fort, so ist sie unter den drei Formen der Poesie die einzige, die den Gegenstand von allen Seiten, demnach ganz absolut zeigt, da das Epos den Zuhörer ebenso wie die Malerei doch für jeden einzelnen Fall auf einen gewissen Gesichtspunkt beschränkt, und ihn von dem Gegenstand jedesmal nur so viel sehen läßt, als dem Erzähler gefällig ist. Das Drama ist endlich unter diesen drei Formen die einzig wahrhaft symbolische, eben dadurch, daß sie ihre Gegenstände nicht bloß bedeutet, sondern selbst vor Augen stellt. Es entspricht also der plastischen Kunst unter den redenden Künsten, und schließt als die letzte Totalität ebenso diese Seite der Kunstwelt, wie die Plastik die andere geschlossen hat. Ueber Aeschylos, Sophokles, Euripides . Wenn man auf diese Weise das Wesen und die innere und äußere Form der Tragödie aus ganz allgemeinen Gründen construirt hat, und sich nun zu der Betrachtung der ächten Werke der griechischen Tragödie wendet, und sie durchaus dem, was sich darüber ganz allgemein ein- sehen läßt, angemessen findet, so begreift man erst vollständig die Reinheit und Rationalität der griechischen Kunst. Auch das Epos der Griechen trägt dieses Gepräge, aber es läßt sich in ihm, weil sein rationaler Charakter selbst mehr Zufälligkeit zuläßt, nicht so streng und bis ins Detail nachweisen, wie an der griechischen Tragödie, die man fast wie eine geometrische oder arithmetische Aufgabe ansehen kann, die völlig rein und ohne Bruch aufgeht. Zum Wesen des Epos gehört es, daß kein bestimmter Anfang noch Ende. Das Gegentheil bei der Tragödie. In ihr wird eben ein solches reines Aufgehen, ein absolutes Geschlossen- seyn gefordert, ohne daß irgend etwas noch unbefriedigt zurückbliebe. Wenn die drei griechischen Tragiker unter einander verglichen wer- den, so findet sich zwar, daß Euripides von den beiden ersten in mehr als einer Beziehung abgesondert werden muß. Das Wesen der ächten Aeschyleischen und Sophokleischen Tragödie ist durchaus auf jene höhere Sittlichkeit gegründet, welche der Geist und das Leben ihrer Zeit und ihrer Stadt war. Das Tragische ruht in ihren Werken nie auf dem bloß äußeren Unglück; die Nothwendigkeit erscheint vielmehr mit dem Willen selbst in unmittelbarem Streit und bekämpft ihn auf seinem eignen Boden. Der Prometheus des Aeschylos leidet nicht bloß durch den äußeren Schmerz, sondern viel tiefer durch das innere Gefühl des Unrechts und der Unterdrückung, und sein Leiden äußert sich nicht als Unterwerfung, da es nicht das Schicksal ist, sondern die Tyrannei des neuen Herrschers der Götter, die ihm dieß Leiden bereitet, es äußert sich als Trotz, als Empörung, und eben dadurch siegt hier die Freiheit über die Nothwendigkeit, daß ihn im Gefühl seines persön - lichen Leidens doch nur die allgemeine Empörung gegen die uner- trägliche Herrschaft des Jupiter bewegt. Prometheus ist das Urbild des größten Menschencharakters, und dadurch auch das wahre Urbild der Tragödie. Die sittliche Reinheit und Erhabenheit in den Eumeniden des Aeschylos wurde schon vorhin hervorgehoben. Aber in allen seinen Stücken ließe sich jenes Grundgesetz der Tragödie, daß das Verbrechen und die Schuld mittel- oder unmittelbares Werk der Nothwendigkeit sey, nachweisen. Die hohe Sittlichkeit, die absolute Reinheit der Sophokleischen Werke ist die Bewunderung aller Zeitalter gewesen; sie spricht sich ganz in den Worten des Chors bei Oedipus Tyrannos, V. 864—871. aus: „O möge mir das Loos gelingen, fromme Heiligkeit zu bewahren in Worten und allen Werken, wofür vorgesetzt sind die erhaben gestellten Gesetze, aus dem himmlischen Aether geboren, deren einziger Vater Olympos, und die nicht die sterbliche Natur der Menschen geboren hat, noch die Vergessenheit je begraben wird. Ein großer Gott vielmehr ist in ihnen, der vor Alter nicht welkt.“ Was beiden, dem Sophokles und Aeschylos gemein ist, ist ferner, daß die Handlung nie bloß äußerlich, sondern innerlich und äußerlich zugleich geschlossen ist. Ihre Wirkung auf die Seele ist, sie von Leiden- schaften zu reinigen, anstatt sie zu erregen, und vielmehr sie in sich zu vollenden und ganz zu machen, als nach außen zu reißen und zu theilen. Viel anders ist es hiemit in den Euripideischen Tragödien. Die hohe sittliche Stimmung ist vorbei; andre Motive treten an die Stelle. Es ist ihm nicht mehr so sehr um die erhabene Rührung, welche Sophokles be- wirkt, als um materielle und mehr mit Leiden vergesellschaftete Rührung zu thun. Er hat daher, wo er diesen Zweck verfolgt, nicht selten die rührendsten Bilder und Vorstellungen, die aber, weil es im Kern der Sache an der sittlichen und poetischen Reinheit fehlt, doch über das Ganze nicht bestechen können. Zu seinen Zwecken, die sehr oft oder fast immer außer den Grenzen der hohen und ächten Kunst liegen, reichten die alten Stoffe nicht mehr zu; er mußte also die Mythen auf eine oft frevelhafte Weise verändern, und aus diesem Grunde auch die Pro- logen in den Schauspielen einführen, welche ein anderer Beweis der in ihnen gesunkenen tragischen Kunst sind, was auch Lessing zur Empfeh- lung derselben sagen mag. Endlich ist er nie so sehr darum bekümmert, die Handlung im Gemüth als sie vielmehr nur äußerlich zu schließen, und man begreift eben daraus, sowie aus den stärkeren Mitteln mate- riellen Reizes, die er anwandte, was Aristoteles sagt, daß er auf die Zuschauer die größte Wirkung gemacht habe. In dem Bestreben, dem groben Sinne zu schmeicheln, und diesen gleichsam zu beruhigen, sinkt er nicht selten zu den gemeinsten Motiven herab, die etwa ein moderner Dichter und zwar von den schlechtesten brauchen könnte, z. B. daß er die Electra zuletzt den — Pylades heirathen läßt. Im Allgemeinen kann man also behaupten, daß Euripides vor- züglich nur groß ist in der Darstellung der Leidenschaft, nicht aber weder in der harten aber ruhigen Schönheit, welche Aeschylos, noch in der mit Güte gepaarten und zur Göttlichkeit geläuterten Schönheit, welche Sophokles eigenthümlich ist. Vergleichen wir nämlich die beiden größten tragischen Dichter untereinander, so gehn die Werke des Aeschylos den plastischen Werken des hohen und strengen Styls der Kunst, wie die des Sophokles den plastischen Werken des schönen Styls, der vor Polykleitos und Phidias anfing, parallel. Nicht als ob nicht im Aeschylos durchaus die sittliche Erhabenheit durchschiene, wenn sie auch nicht in allen Personen seiner Werke so einheimisch wohnt, als in denen des Sophokles; nicht als ob nicht diese Stimmung in der Darstellung auch da erkennbar wäre, wo er nur große Verbrechen und schreckliche Cha- raktere darstellt, wie den heimtückischen Mord des Agamemnon und den Charakter der Klytämnestra, sondern weil dieser Keim der Sittlichkeit hier noch in eine härtere Hülle verschlossen und herb und unzugänglicher ist, statt daß bei Sophokles die sittliche Güte mit der Schönheit zu- sammenfließt, und dadurch das höchste Bild der Göttlichkeit entsteht. Wenn ferner Aeschylos in strenger Begrenzung und Abgeschlossenheit jedes seiner Werke und in diesem wieder seine Gestalten hinstellt, so hat dagegen Sophokles die Kunst und Schönheit über die Theile seiner Werke gleichmäßig verbreitet, und jedem außer der Absolutheit in sich auch noch die Harmonie mit den andern gegeben. Wie aber in der plastischen Kunst die nach dem hohen und strengen Styl hervorgehende harmo- nische Schönheit eine Blüthe war, die gleichsam nur auf Einem Punkte erreicht werden konnte, und dann wieder welken, oder nach dem ent- gegengesetzten Ende der bloß sinnlichen Schönheit sich fortbilden mußte, so ist dasselbe auch in der dramatischen Kunst geschehen, in der Sophokles der wahre Gipfel ist, auf den gleich Euripides folgt, welcher weniger Priester der ungeborenen und ewigen, als Diener der zeitlichen und vergänglichen Schönheit ist. Von dem Wesen der Komödie . Es wurde gleich anfangs bemerkt, daß durch den allgemeinen Be- griff nicht bestimmt ist, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit sey, daß aber das ursprüngliche Verhältniß von Freiheit und Nothwendigkeit dasjenige ist, in welchem die Nothwendigkeit als das Objekt, die Freiheit als das Subjekt erscheint. Dieses Ver- hältniß aber ist das der Tragödie, und darum auch sie die erste und gleichsam positive Erscheinung des Drama. Durch die Umkehrung des Verhältnisses muß also diejenige Form entspringen, worin die Noth- wendigkeit oder Identität vielmehr das Subjekt , die Freiheit oder Differenz das Objekt ist, und dieß ist das Verhältniß der Komödie , wie aus folgenden Betrachtungen sich ergeben wird. Jede Umkehrung eines nothwendigen und entschiedenen Verhältnisses setzt einen in die Augen fallenden Widerspruch, eine Ungereimtheit in dem Subjekt dieser Umkehrung. Gewisse Arten der Ungereimtheit sind nun unerträglicher Art, theils inwiefern sie theoretisch pervers und verderblich sind, theils inwiefern sie praktisch nachtheilig sind und ernst- liche Folgen haben. Allein in dem angenommenen Fall der Umkehrung wird 1) eine objektive , demnach nicht eigentlich theoretische Unge- reimtheit gesetzt, 2) ist das Verhältniß in derselben so, daß das Ob- jektive nicht die Nothwendigkeit, sondern die Differenz ist oder die Freiheit. Die Nothwendigkeit erscheint aber bloß, inwiefern sie das Objektive ist, als Schicksal , und nur insofern ist sie furchtbar. Da also mit der angenommenen Umkehrung des Verhältnisses zugleich alle Furcht vor der Nothwendigkeit als Schicksal aufgehoben, und angenommen ist, daß in diesem Verhältniß der Handlung überhaupt kein wahres Schicksal möglich sey, so ist ein reines Wohlgefallen an der Ungereimtheit an und für sich selbst möglich, und dieses Wohlgefallen ist es, was man überhaupt das Komische nennen kann, und was sich äußerlich durch einen freien Wechsel des Anspannens und Nachlassens ausdrückt. Wir spannen uns an, die Ungereimtheit, die unserer Fassungskraft wider- spricht, recht ins Auge zu fassen, bemerken aber in dieser Anspannung unmittelbar die vollkommene Widersinnigkeit und Unmöglichkeit der Sache, so daß diese Spannung augenblicklich in eine Erschlaffung übergeht, welcher Uebergang sich äußerlich durch das Lachen ausdrückt. Wenn wir nun die Umkehrung jedes möglichen Verhältnisses, das auf Gegensatz beruht, überhaupt ein komisches Verhältniß nennen können, so ist ohne Zweifel das höchste Komische und gleichsam die Blüthe des- selben da, wo die Gegensätze in der höchsten Potenz, demnach als Noth- wendigkeit und Freiheit umgekehrt werden, und da ein Streit dieser beiden an und für sich objektive Handlung ist, so ist auch das Ver- hältniß einer solchen Umkehrung durch sich selbst dramatisch. Es wird nicht geleugnet, daß jede mögliche Umkehrung des Ur- sprünglichen die komische Wirkung hat. Wenn der Feige in die Lage gesetzt wird tapfer seyn zu müssen, der Geizige verschwenderisch, oder wenn in einem unserer Familienstücke etwa die Frau im Hause die Rolle des Mannes, der Mann die Rolle der Frau spielt, so ist dieß eine Art des Komischen. Wir können diese allgemeine Möglichkeit nicht in alle ihre Ver- zweigungen verfolgen, aus denen die Unzahl von Situationen entspringt, auf denen unser neueres Lustspiel gegründet ist. Wir haben nur den Gipfel dieser Erscheinung zu bestimmen. Dieser also ist da, wo ein allgemeiner Gegensatz der Freiheit und der Nothwendigkeit ist, aber so, daß diese in das Subjekt, jene ins Objekt fällt. Es versteht sich, daß, weil die Nothwendigkeit ihrer Natur nach objek- tiv ist, die Nothwendigkeit im Subjekt nur eine prätendirte, angenommene seyn kann und eine affektirte Absolutheit ist, die nun durch die Noth- wendigkeit in der Gestalt der äußeren Differenz zu Schanden gemacht wird. So wie die Freiheit und Besonderheit auf der einen Seite die Nothwendigkeit und Allgemeinheit lügt, so nimmt auf der anderen Seite die Nothwendigkeit den Schein der Freiheit an und vernichtet unter dem angenommenen Aeußeren der Gesetzlosigkeit, im Grunde aber nach einer nothwendigen Ordnung die prätendirte Gesetzmäßigkeit. Es ist nothwendig , daß wo sich die Besonderheit zur Nothwendigkeit das Verhältniß der Objektivität gibt, sie zu nichte werde; es ist also inso- fern in der Komödie das höchste Schicksal und sie selbst wieder die höchste Tragödie; aber das Schicksal erscheint eben deßwegen, weil es selbst eine der seinigen entgegengesetzte Natur annimmt, in einer erhei- ternden Gestalt, nur als die Ironie, nicht aber als das Verhängniß der Nothwendigkeit. Da jede mögliche Affektation und Prätention auf Absolutheit ein unnatürlicher Zustand ist, so ist es für die Komödie, da sie als Drama ganz nur an die Anschauung geht, die vorzüglichste Aufgabe, nicht nur diese Prätention zur Anschauung zu bringen, sondern auch, weil die Anschauung vorzüglich nur das Nothwendige faßt, ihr eine Art von Nothwendigkeit zu geben. Die subjektive Absolutheit, sie sey nun wahr und in der Harmonie mit der Nothwendigkeit, oder bloß angenommen und also im Widerspruch mit ihr, drückt sich als Charakter aus. Der Charakter ist aber wie in der Tragödie ebenso auch in der Komödie ein Postulat, eben weil er das Absolute ist; er selbst ist nicht weiter zu motiviren. Nun ist es aber nothwendig, daß gerade in den höch- sten Potenzen der Ungereimtheit und der Widersinnigkeit die Anschau- lichkeit sich gleichsam verliert, wenn sie nicht auf andere Weise darein gebracht wird. (Anders im Roman — weil episch.) Dieß ist nun bloß möglich, wenn die Person durch einen von ihr unabhängigen Grund, eine äußere Nothwendigkeit schon bestimmt ist, einen gewissen Charakter anzunehmen und ihn öffentlich vor sich zu tragen. Zur höchsten Erscheinung der Komödie bedarf es also nothwendig öffent- licher Charaktere, und damit das Maximum der Anschaulichkeit erreicht werde, so müssen es wirkliche Personen von öffentlichem Charakter seyn, die in der Komödie vorgestellt werden. In diesem Fall allein ist dem Dichter so viel vorausgegeben, daß er nun ferner alles wagen und den gegebenen Personen alle möglichen Erhöhungen der Züge ins Komische leihen kann, weil er die beständige Beglaubigung an dem un- abhängig von seiner Dichtung existirenden Charakter der Person zur Begleitung hat. Das öffentliche Leben im Staat wird dem Dichter hier zur Mythologie. Innerhalb dieser Grenze braucht er sich nichts zu versagen, und je kecker er sein dichterisches Recht gebraucht, desto mehr erhebt er sich wieder über die Begrenzung, da die Person in seiner Behandlung gleichsam den persönlichen Charakter wieder ablegt und allgemein-bedeutend oder symbolisch wird. Die einzige höchste Art der Komödie ist also die alte griechische oder die Aristophanische, sofern sie sich auf öffentliche Charaktere wirk- licher Personen gründet und diese gleichsam zur Form nimmt, worein sie ihre Erfindung ergießt. Wie die griechische Tragödie in ihrer Vollkommenheit die höchste Sittlichkeit verkündet und ausspricht, so die alte griechische Komödie die höchste denkbare Freiheit im Staat, welche selbst die höchste Sitt- lichkeit und mit dieser innig eins ist. Wenn uns auch von den drama- tischen Werken der Griechen nichts geblieben wäre außer den Komödien des Aristophanes , so würden wir doch aus diesen allein auf einen Grad der Bildung und einen Zustand der sittlichen Begriffe schließen müssen, der der modernen Welt nicht nur fremd, sondern sogar un- faßlich ist. Aristophanes ist mit Sophokles dem Geiste nach wahrhaft eins und er selbst ; nur in der andern Gestalt, worin er allein noch existiren konnte, als das vollkommene Zeitalter Athens vorbei und die Blüthe der Sittlichkeit in Zügellosigkeit und üppige Schwelgerei über- gegangen war. Beide sind wie zwei gleiche Seelen in verschiedenen Leibern, und die sittliche und poetische Rohheit, die den Aristophanes nicht begreift, vermag ja auch den Sophokles nicht zu fassen. Die gemeine Vorstellung von den Aristophanischen Komödien ist, sie entweder für Farcen und Possenspiele oder für unmoralische Stücke zu halten, theils weil er wirkliche Personen aufs Theater gebracht, theils wegen der übrigen Freiheiten, die er sich genommen. Was das Erste betrifft, so ist bekannt genug, daß Aristophanes demagogische Oberhäupter des Volks, den Sokrates selbst auf die Bühne gebracht, und die Frage ist nur, auf welche Art dieß geschehen sey. — Wenn Aristophanes den Kleon als einen unwürdigen Anführer des Volks, einen Dieb und Verschwender der öffentlichen Gelder auf das Theater bringt, so übt er hier das Recht des vollkommensten Freistaates aus, in welchem jedem Bürger das Recht freistand über öffentliche und all- gemeine Angelegenheiten seine Meinung zu sagen. Daher Kleon auch k eine andere Maßregel gegen ihn brauchen konnte, als daß er ihm das Bürgerrecht streitig machte. Allein dieses Recht, das Aristophanes als Bürger hatte, ist für ihn doch nur das Mittel zu der künstlerischen Wirkung, und wenn seine Komödie als eine bloße Anklageakte gegen Kleon begriffen wird, so wäre ja eben darin nichts Unsittliches, sie wäre nur unpoetisch. — Nicht anders verhält es sich mit den Wolken , worin Sokrates vorgestellt ist. Sokrates hatte als Philosoph einen öffentlichen Charakter; aber daß derjenige Sokrates, welchen Aristo- phanes darstellt, der wirkliche Sokrates sey, konnte keinem Athener einfallen, und Sokrates selbst konnte, ohne alle Rücksicht auf seinen persönlichen Charakter, der ihn etwa über die Satyre erheben konnte, selbst sehr wohl Zuschauer bei der Aufführung der Wolken seyn. Wenn etwa einmal unsere lieben deutschen Nachahmer auf den Einfall kämen, den Aristophanes nachzuahmen, so würden daraus freilich nichts wie Pasquillen entstehen. Aristophanes stellt nicht die einzelne Person dar, sondern die ins Allgemeine erhöhte, also von sich selbst ganz verschie- dene Person. Sokrates ist für Aristophanes ein Name , und er rächt sich an diesem Namen , ohne Zweifel weil Sokrates als Freund des Euripides bekannt war, den Aristophanes billiger Weise verfolgte. An der Person des Sokrates hat er sich auf keine Weise gerächt. Es ist ein symbolischer Sokrates, den er darstellt. Eben durch das, was man dem Aristophanes vorwirst, den Sokrates so entstellt und ihm Züge und Handlungen geliehen zu haben, die zu seinem Charakter gar nicht passen, ist sein Gedicht poetisch, anstatt daß es im entgegengesetzten Fall nur gemein, grob oder Pasquill gewesen wäre. Um seinen Erfindungen Glauben, Anschaulichkeit, Eingang zu ver- schaffen, bedurfte Aristophanes eines berühmten Namens, auf den er alle die Lächerlichkeiten häufen konnte. Daß er eben den Namen des Sokrates wählte, davon war außer der Popularität, die dieser Name hatte, ohne Zweifel der vorhin angegebene Grund der vorzüglichste. Die Komödien des Aristophanes würden, ohne allgemeine Gründe, hinreichend seyn zu beweisen, daß die Komödie in ihrer wahren Er- scheinung durchaus nur die Frucht der höchsten Bildung sey, sowie daß sie nur in einem freien Staat existiren kann. Unmittelbar nach der Erscheinung der ersten Aristophanischen Dramen, die noch zu der alten Komödie gehören, entstand in Athen die Herrschaft der dreißig Tyrannen, welche durch ein Gesetz den komischen Dichtern untersagte, die Namen wirklicher Personen auf die Bühne zu bringen. Von diesem Verbot an hörte daher, wenigstens für eine Zeitlang, der Gebrauch der Komödien- dichter auf ihre Personen nach wirklichen Menschen von öffentlichem Charakter zu benennen. (Kecke Allegorien.) Sobald Athen wieder frei war, stellte sich zwar der Gebrauch wieder her, so daß selbst in den neuen Komödien Namen wirklicher Personen vorkommen, aber auch die Dichter der sogenannten mittleren Komödie, wenn sie nicht wirkliche Namen gebrauchten, stellten doch unter erdichteten Namen wahre Per- sonen und wahre Begebenheiten dar. Die Komödie ist ihrer Natur nach an das öffentliche Leben ge- wiesen. Es gibt für sie keine Mythologie und keinen fixirten Kreis ihrer Darstellungen, wie es für die Tragödie eine tragische Periode gibt. Die Komödie muß sich also ihre Mythologie selbst aus dem Zeit- alter und dem öffentlichen Zustand schaffen, wozu denn freilich ein solcher politischer Zustand erfordert wird, der den Stoff nicht nur darbietet, sondern auch den Gebrauch verstattet. Sobald daher die alte Komödie die vorerwähnte Einschränkung erhielt, waren die Komödiendichter genöthigt, wirklich zu den alten Mythen zurückzugehen; weil sie aber diese weder episch noch tragisch behandeln konnten, mußten sie mit ihnen die Umkehrung vornehmen und sie durch Parodien behandeln, in welchen das, was in jenen als ehrwürdig oder rührend war dargestellt worden, in das Niedrige und Lächerliche gezogen wurde. Die Komödie lebt also eigentlich von der Freiheit und der Beweglichkeit des öffentlichen Lebens. In Griechenland hat sie sich so lang wie möglich gesträubt aus dem öffentlichen und politischen Leben in das häusliche herabzusteigen, womit sie auch ihre mythologische Kraft verlor. Dieß geschah in den soge- nannten neueren Komödien, da nach den gewöhnlichen Berichten zur Zeit Alexanders, wo die demokratische Verfassung ganz dahin war, durch ein neues Gesetz auch noch untersagt wurde, selbst bloß den In- halt aus öffentlichen Begebenheiten zu nehmen, und diese, unter welcher Hülle es sey, auf das Theater zu bringen. Daß noch einige Ausnahmen existirten, ist schon oben bemerkt worden, und die Hinneigung zur Parodie des öffentlichen Lebens und die Gewohnheit, alles, was in der Komödie vorgestellt wurde, darauf zu beziehen, scheint so unüberwindlich gewesen zu seyn, daß Menander, das Haupt der neueren Komödie, obwohl er sich selbst vor Beziehungen auf das öffentliche Leben in Acht nahm, doch, um auch dem Argwohn zu entgehen, anfing, die Masken in wahre Carricatur zu verwandeln. Wir kennen zwar die Produkte der neueren Komödie nur bruchstücklich, und aus dem, was uns durch die Uebersetzungen und Nachahmungen des Plautus und Terenz geblieben ist. Allein es ist an sich nothwendig und auch historisch zu beweisen, daß mit der späteren Komödie zuerst die Intriguenstücke mit gänzlich erdichteten Charakteren und Verwick- lungen entstanden, und die Komödie, die zuerst im Aether der öffent- lichen Freiheit gelebt hatte, sich in die Sphäre der häuslichen Sitten und Begegnisse herabsenkte. Von der Komödie der Römer erwähne ich nichts, da sie niemals die Oeffentlichkeit der griechischen gehabt und in ihrer gebildeten Zeit vorzüglich nur von den Bruchstücken der neueren und mittleren Komödie der Griechen gelebt hat. Ich bemerke noch: die Form der alten Komödie war der der Tragödie analog, nur daß mit der letzten Stufe der neueren auch der Chor verschwand. Von der modernen dramatischen Poesie . Ich gehe nun zur Darstellung der Tragödie und Komödie der Modernen fort. Um in diesem weiten Meer nicht ganz unterzugehen, werde ich suchen, die Aufmerksamkeit auf die wenigen großen Haupt- punkte der Differenz des modernen Drama vom antiken, seiner Coincidenz mit ihm und seiner Eigenthümlichkeiten zu bemerken, und werde auch allen diesen Beziehungen wieder gleich die bestimmte An- schauung dessen zu Grunde legen, was wir in der modernen Tragödie und Komödie als die höchsten Erscheinungen anerkennen müssen. Ich werde mich daher in Ansehung der hauptsächlichsten Punkte vorzüglich auf Shakespeare berufen. Das Erste, womit wir diese Betrachtung anfangen müssen, ist, daß die Mischung des Entgegengesetzten , also vorzüglich des Tragischen und Komischen selbst, als Princip dem modernen Drama zu Grunde liegt. Die Bedeutung dieser Mischung zu fassen, wird folgende Reflexion dienen. — Das Tragische und Komische könnte ent- weder im Zustand der Vollkommenheit, nicht aufgehobenen Indifferenz dargestellt seyn, dann aber müßte die Poesie weder als tragisch noch als komisch erscheinen; es wäre eine ganz andere Gattung, es wäre die epische Poesie. In der epischen Poesie sind die beiden Elemente, die sich in dem Drama streitend entzweien, — nicht vereinigt, sondern überhaupt noch nicht getrennt. Die Mischung beider Elemente auf solche Art, daß sie überhaupt nicht getrennt erschienen, kann also nicht die Eigenthümlichkeit der modernen Tragödie seyn. Es ist vielmehr eine Mischung, worin beide bestimmt unterschieden werden, und so daß der Dichter in beiden sich gleich als Meister zeigt, wie Shakespeare, der die dramatische Stärke nach beiden Polen hin concentrirt, und der erschütternde Shakespeare ist im Fallstaff und im Macbeth. Indeß können wir doch diese Mischung entgegengesetzter Elemente als ein Zurückstreben des modernen Drama zum Epos, ohne deßwegen Epos zu werden, betrachten; sowie dieselbe Poesie dagegen im Epos durch den Roman zum Dramatischen strebt, und also von beiden Seiten die reine Begrenzung der höheren Kunst aufhebt. Es ist zu dieser Mischung nothwendig, daß dem Dichter das Tragische und Komische nicht nur massenweise, sondern auch in seinen Nüancen zu Gebot stehe, wie dem Shakespeare, der im Komischen zart, abenteuerlich und witzig zugleich, wie im Hamlet, und derbe (wie in den Fallstaffschen Stücken) ist, ohne jemals niedrig zu werden; sowie er dagegen im Tragischen zerreißend (wie im Lear), strafend (wie im Mac- beth), schmelzend, rührend und beruhigend, wie in Romeo und Julie und mehreren gemischten Stücken ist. Sehen wir nun auf den Stoff der modernen Tragödie, so mußte auch dieser, in der vollkommenen Erscheinung wenigstens, eine mytho- logische Würde haben; es waren also nur drei Quellen möglich, aus denen er geschöpft werden konnte. Die einzelnen Mythen, welche, wie die der griechischen Tragödie, sich nicht zu epischen Ganzen vereinigt hatten, außer dem großen Kreis des universellen Epos zurückblieben: diese drückten sich in der modernen Welt durch die Novellen aus. Die Historie, die fabelhaft oder poetisch, konnte die andere Quelle seyn. Die Dritte der religiöse Mythus, die Legenden, die Heiligengeschichte. Shakespeare hat aus den beiden ersten geschöpft, da die dritte Quelle keinen seiner Zeit und seiner Nation angemessenen Stoff darbot. Aus der dritten schöpften vorzüglich die Spanier und unter diesen wieder Calderon. Shakespeare fand also seine Stoffe vor. In diesem Sinne war er nicht Erfinder ; allein indem er sie gebrauchte, anordnete und beseelte, zeigte er sich in seiner Sphäre den Alten ähnlich und als der weiseste Künstler. Man hat bemerkt, und es ist ausgemacht, daß Shakespeare sich auf das Genaueste an den gegebenen Stoff, vorzüglich der Novellen band, daß er jeden, auch den kleinsten Umstand aufnahm und nicht unbenutzt ließ (ein Verfahren, das vielleicht oft über das unergründlich Scheinende einer manchen seiner Anlagen Aufschluß geben könnte), und daß er den vorhandenen Stoff so wenig wie möglich ver- änderte. Auch hierin ist er den Alten ähnlich, unähnlich nur dem Euripi- des, der als der schon frivolere Dichter die Mythen willkürlich entstellt. Die nächste Untersuchung ist, inwiefern das Wesen der alten Tragödie in der modernen stattfinde, oder nicht. Ist in der modernen Tragödie ein wahres Schicksal, und zwar jenes höhere, welches die Freiheit in ihr selbst ergreift? Aristoteles drückt, wie bemerkt, den höchsten tragischen Fall so aus, daß ein gerechter Mensch durch Irrthum Verbrechen begehe; es muß dazu gesetzt werden, daß dieser Irrthum von der Nothwendig- keit oder von Göttern, womöglich selbst gegen die Freiheit, verhängt sey. Dieser letztere Fall scheint nun nach den Begriffen der christlichen Religion überhaupt ein unmöglicher. Diejenigen Mächte, die den Willen untergraben, und nicht nur das Ueble, sondern das Böse ver- hängen, sind selbst böse, sind höllische Mächte. Wenigstens wenn ein durch göttliche Schickung veranlaßter Irrthum Ursache von Unheil und Verbrechen seyn könnte, so müßte in derselbigen Re- ligion, nach welcher dieß möglich ist, auch die Möglichkeit einer entsprechen- den Versöhnung liegen. Diese ist nun allerdings im Katholicismus gegeben, der, seiner Natur nach eine Mischung des Heiligen und Profanen, die Sün- den statuirt, um an ihrer Versöhnung die Kraft der Gnadenmittel zu be- weisen. Hiermit war im Katholicismus die Möglichkeit des zwar von dem der Alten verschiedenen, aber doch wahrhaft tragischen Schicksals gegeben. Shakespeare war Protestant und für ihn stand diese Möglichkeit nicht offen. Wenn es also in ihm ein Fatum gibt, so kann es nur von ge- doppelter Art seyn. Entweder daß das Unheil durch die Lockung böser und höllischer Mächte heibeigeführt wird, aber nach den christlichen Begriffen können diese nicht unüberwindlich seyn, und es soll und kann ihnen Widerstand geleistet werden. Die Nothwendigkeit ihrer Wirkung, sofern sie statt hat, fällt also doch zuletzt in den Charakter oder das Subjekt zurück. So ist es auch bei Shakespeare. An die Stelle des alten Schicksals tritt bei ihm der Charakter, aber er legt in diesen ein so mächtiges Fatum, daß er nicht mehr für Freiheit gerechnet werden kann, sondern als unüberwindliche Nothwendigkeit dasteht. Den Macbeth lockt ein höllisches Gaukelspiel zum Mord, aber es liegt keine objektive Nothwendigkeit der That darin. Banquo läßt sich durch die Stimme der Hexen nicht bethören, wohl aber Macbeth. Es ist also der Charakter, der entscheidet. Die kindische Thorheit eines alten Mannes zeigt sich in Lear wie ein delphisches, verwirrendes Orakel, und die sanfte Desdemona mußte der düsteren Farbe, die mit Eifersucht gepaart ist, unterliegen. Shakespeare hat aus dem gleichen Grunde, weil er die Nothwen- digkeit des Verbrechens in den Charakter legen mußte, den von Aristoteles nicht angenommenen Fall des Verbrechers, der aus Glück in Unglück stürzt, mit einer furchtbaren Gültigkeit behandeln müssen. Statt des eigentlichen Schicksals hat er die Nemesis , diese aber in allen Gestalten, wo Gräuel von Gräueln überwältigt werden, eine blutige Welle die andere treibt, und der Fluch der Verfluchten stets in Erfüllung geht, wie vorzüglich in der englischen Geschichte im Kampf der rothen und weißen Rose. Er muß sich dann als Barbar zeigen, weil er die höchste Barbarei darzustellen unternimmt, gleichsam das rohe Schlachten der Familien untereinander, wo alle Kunst ein Ende zu haben scheint und eine rohe Naturkraft eintritt, wie es im Lear heißt: „Wenn die Tiger des Waldes oder die Ungeheuer der See aus der Dumpfheit herausträten, so würden sie auf solche Weise wirken.“ Doch sind hier Züge zu finden, wo er unter die Furien , die nur nicht persönlich auftreten, die Anmuth der Kunst gesendet hat. So ist Margarethens Liebesklage über dem Haupt des unrechtmäßigen und strafbaren Geliebten und ihr Abschied von ihm. Shakespeare endet die Reihe mit Richard III. , den er mit unge- heurer Energie sein Ziel verfolgen und erreichen läßt, bis er vom Gipfel desselben in die Enge der Verzweiflung getrieben wird und im Getümmel der Schlacht, die ihm verloren geht, rettungslos ausruft: Ein Pferd, ein Pferd, ganz England für ein Pferd. Im Macbeth dringt die Rache Schritt vor Schritt und so, daß er durch höllische Täuschungen verführt sie immer noch entfernt glaubt, auf den edleren Verbrecher ein, den die Ehrsucht mißleitete. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 46 Eine sanftere, ja die mildeste Nemesis ist im Julius Cäsar. Brutus geht nicht sowohl zu Grunde durch strafende Mächte als durch die eigne Milde des schönsten und zartesten Gemüths, das ihn nach der That falsche Maßregeln ergreifen ließ. Er hatte der Tugend das Opfer seiner That gebracht, das er ihr bringen zu müssen glaubte, und bringt ebenso ihr sich selbst dar. Der Unterschied dieser Nemesis von dem wahren Schicksal ist indeß sehr bedeutend. Sie kommt aus der wirklichen Welt und liegt in der Wirklichkeit ; es ist die Nemesis, die auch in der Geschichte waltet, und Shakespeare hat sie, wie seinen ganzen Stoff, auch in dieser aufgefunden. Es ist Freiheit mit Freiheit streitend, was sie herbeiführt; es ist Succession , und die Rache ist nicht mit dem Verbrechen unmittelbar eins. Im Cyclus der griechischen Darstellungen herrschte ebenfalls eine Nemesis, aber hier begrenzte und bestrafte sich Nothwendigkeit unmittel- bar durch Nothwendigkeit, und jede Lage für sich herausgenommen war eine beschlossene Handlung. Alle tragischen Mythen der Griechen gehörten schon von Anbeginn an mehr der Kunst an, und ein beständiger Verkehr der Götter und Menschen wie des Schicksals war in ihnen einheimisch, also auch der Begriff eines unwiderstehlichen Einflusses. Vielleicht spielt selbst der Zu- fall in dem unergründlichsten der Shakespeareschen Stücke (Hamlet) eine Rolle, aber Shakespeare hat ihn selbst mit seinen Folgen erkannt, und er ist daher wieder Absicht bei ihm und wird zum höchsten Verstande. Wenn wir nach diesem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was Shakespeare in Bezug auf die Hoheit der alten Tragödie ist, so werden wir ihn den größten Erfinder im Charakteristischen nennen müssen. Er kann nicht jene hohe, im Schicksal sich bewährende, gleichsam geläu- terte und verklärte Schönheit, die mit der sittlichen Güte in Eins fließt, — und auch diejenige Schönheit, die er darstellt, nicht so darstellen, daß sie im Ganzen erschiene, und das Ganze jedes Werks ihr Bild trüge. Er kennt die höchste Schönheit nur als einzelnen Charakter. Er hat ihr nicht alles unterordnen können, weil er als Moderner, als der das Ewige nicht in der Begrenzung, sondern im Unbegrenzten auf- faßt, zu ausgedehnt ist in der Universalität. Die Alten hatten eine concentrirte Universalität, die Allheit nicht in der Vielheit, sondern in der Einheit. Es ist nichts im Menschen, das Shakespeare nicht berührte, aber er berührt dieß einzeln, da die Griechen es in der Totalität berühren. Die Elemente der menschlichen Natur von den höchsten bis zu den niedrigeren liegen zerstreut in ihm: er kennt alles , jede Lei- denschaft, jedes Gemüth, die Jugend und das Alter, den König und den Hirten. Aus der Reihe seiner Werke würde man die verloren gegangene Erde wieder schaffen können. Allein jene alte Lyra lockte aus vier Tönen die ganze Welt: das neue Instrument ist tausendsaitig, es zerspaltet die Harmonie des Universums, um sie zu erschaffen, und darum ist es stets weniger besänftigend für die Seele. Die strenge, alles lindernde Schönheit kann nur mit Einfachheit bestehen. Der Natur des romantischen Princips gemäß stellt die moderne Komödie die Handlung als Handlung nicht rein, isolirt und in der plastischen Beschränkung des alten Drama dar, sondern sie gibt zugleich ihre ganze Begleitung. Allein Shakespeare hat dafür seiner Tragödie die gedrungenste Fülle und Prägnanz in allen Theilen, auch nach der Richtung der Breite, gegeben, doch ohne willkührlichen Ueberfluß, son- dern so, daß er als der Reichthum der Natur selbst erscheint, mit künstlerischer Nothwendigkeit aufgefaßt. Die Intention des Ganzen bleibt klar und geht dann wieder in eine unerschöpfliche Tiefe, in die alle Ansichten sich versenken können. Es folgt von selbst, daß Shakespeare bei dieser Art der Univer- salität keine beschränkte Welt hat, auch — inwiefern die idealische Welt selbst eine begrenzte, geschlossene Welt ist — keine idealische Welt, da- gegen aber auch nicht die direkt entgegengesetzte Welt der idealischen, wodurch der elende Geschmack der Franzosen die idealische Welt ersetzt, — die conventionelle. Shakespeare stellt also nie weder eine idealische noch eine conven- tionelle, sondern stets die wirkliche Welt dar. Das Idealische beruht bei ihm auf dem Bau seiner Stücke. Mit Leichtigkeit übrigens versetzt er sich in jede Nationalität und Zeit, wie wenn es die seinige wäre, d. h. er zeichnet sie im Ganzen , unbekümmert um die weniger bedeu- tenden Züge. Was Menschen beginnen, wie und wo sie es thun können, dieß alles hat Shakespeare gewußt: er ist daher allenthalben zu Haus; nichts ist ihm fremd oder wunderbar. Er beobachtet ein weit höheres Kostum als das der Sitten und Zeiten. Der Styl seiner Stücke ist nach dem Gegen- stand gebildet und verschieden von einander (nur nicht etwa nach Chro- nologie) bis auf Härte, Weichheit, Regelmäßigkeit, Ungebundenheit der Verse, die Kürze und Abgebrochenheit oder die Länge der Perioden. Denn, um nun das Uebrige, die äußere Conformation der mo- dernen Tragödie betreffend, zu erwähnen, und um uns nicht bei den nothwendigen Veränderungen derselben, die aus den vorher schon bemerk- ten Unterschieden nothwendig hervorgehen, wie die Verlassung der drei Einheiten, die Abtheilung des Ganzen in Aufzüge u. s. w. — um uns dabei nicht aufzuhalten, so ist die Mischung der Prosa und der gebun- denen Rede im modernen Drama nur wieder äußerer Ausdruck ihrer innerlich episch- und dramatisch-gemischten Natur, und um von den sogenannten bürgerlichen oder anderen inferieuren Trauerspielen nicht zu reden, wo die Personen billigerweise sich in Prosa ausdrücken, war der abwechselnde Gebrauch der letzteren selbst, eben wegen des Aus- tretens der dramatischen Fülle in secundäre Personen nothwendig. Uebrigens hat auch in dieser Mischung und in Beobachtung des Rechten in Ansehung der Sprache nicht nur im Einzelnen, sondern auch in Ansehung des Ganzen eines Werks Shakespeare sich als überlegenden Künstler gezeigt. So ist im Hamlet der Periodenbau verwirrt, abge- brochen, trüb wie der Held. In den historischen Stücken aus der älteren und neueren englischen und aus der römischen Geschichte herrscht ein in Bildung und Reinheit sehr abweichender Ton. In den römischen Stücken findet sich fast kein Reim, in den englischen dagegen zumal aus der älteren Geschichte finden sich sehr viele und äußerst pittoreske. Was man übrigens dem Shakespeare für Fehler, Verkehrtheiten und sogar Rohheit anrechnet, sind meistentheils keine, und werden nur von einem beengten und unkräftigen Geschmack dafür gehalten. Von niemand ist er indeß mehr verkannt in seiner wahren Größe als von seinen eigenen Landsleuten und den englischen Commentatoren und Bewunderern. Sie halten sich immer an einzelne Darstellungen der Leidenschaft, eines Charakters, an die Psychologie, an Scenen, an Worte, ohne Sinn für das Ganze und die Kunst. Wenn man, sagt Tieck sehr treffend, in die englischen Commentatoren einen Blick wirft, so ist es, als wenn man in einer schönen Gegend reisend vor einer Schenke vorbeifährt, wovor sich besoffene Bauern zanken. Daß Shakespeare bloß durch eine glückliche Begeisterung und in unbewußter Herrlichkeit gedichtet habe, ist ein sehr gemeiner Irrthum und die Sage einer gänzlich verbildeten Zeit gewesen, die in England mit Pope begann. Die Deutschen mißkannten ihn natürlich oft, nicht nur wenn sie ihn etwa nur aus einer formlosen Uebersetzung kannten, sondern weil der Glaube an Kunst überhaupt untergegangen war. Shakespeares Jugendgedichte, die Sonette, Adonis, Lucretia zeu- gen von einer höchst liebenswerthen Natur und einem sehr innigen, subjektiven Gefühl, keinem bewußtlosen Genie-Sturm oder Drang. Späterhin lebte Shakespeare ganz mit der Welt, so viel ihm seine Sphäre zuließ, bis er anfing sein Daseyn in einer unbeschränkten Welt zu offenbaren und in einer Reihe von Kunstwerken niederzulegen, die wahrhaft die ganze Unendlichkeit der Kunst und der Natur darstellen. Shakespeare ist so umfassend in seinem Genius, daß man ihn leicht wie den Homer für einen collektiven Namen halten könnte, und, wie sogar schon geschehen, seine Werke verschiedenen Verfassern zuschrei- ben. (Hier das Individuum collektiv, wie bei den Alten das Werk.) Wir würden Shakespeares Kunst doch immer nur mit einer Art von Trostlosigkeit anschauen können, wenn wir ihn unbedingt als den Gipfel der romantischen Kunst im Drama betrachten müßten, da man ihm doch immer vorerst die Barbarei zugeben muß, um ihn innerhalb derselben groß, ja göttlich zu finden. Shakespeare läßt sich in seiner Unbeschränkung mit keinem der alten Tragiker vergleichen, wir müssen aber auf einen Sophokles der differenziirten Welt hoffen dürfen; in der gleichsam sündlichen Kunst auf eine Versöhnung. Von einer bisher weniger bekannten Seite her scheint wenigstens die Möglichkeit der voll- ständigen Erfüllung dieser Erwartung angedeutet. Spanien hat den Geist hervorgebracht, der, wenn er auch dem Stoff und Gegenstand nach selbst schon wieder eine Vergangenheit für uns geworden ist, doch der Form und der Kunst nach ewig ist und als schon erreicht und vorhanden zeigt, was die Theorie etwa nur als eine Aufgabe für die zukünftige Kunst weissagen zu können schien. Ich rede von Calderon , und ich rede so von ihm im Grunde nach der Einen Tragödie, die ich kenne, wie sich aus Einem Werk des Sopho- kles sein ganzer Geist ahnden ließe. Sie steht in dem spanischen Theater, übersetzt von A. W. Schlegel, der zu seinem großen Verdienst, zuerst eine ächte Uebersetzung des Shakespeare gegeben zu haben, auch noch dieses hinzugefügt hat, den Calderon in deutscher Sprache erscheinen zu lassen. Was ich also über Calderon sagen kann, bezieht sich auch bloß auf dieses Werk. Es wäre zu dreist, daraus ein Urtheil über die ganze Kunst dieses großen Geistes zu formiren. Was aber in diesem Einen klar vorliegt, ist Folgendes. Man könnte auf den ersten Blick geneigt seyn, den Calderon den südlichen, vielleicht katholischen Shakespeare zu nennen, allein es ist mehr als das, was beide Dichter unterscheidet. Das Erste und gleich- sam der Grund des ganzen Gebäudes seiner Kunst ist freilich, was ihm die katholische Religion gegeben hat, zu deren Anschauungen des Univer- sums und der göttlichen Ordnung der Dinge es wesentlich gehört, daß die Sünde sey und der Sünder, damit an ihnen Gott durch Vermitt- lung der Kirche seine Gnade beweise. Damit ist eine allgemeine Nothwendigkeit der Sünde eingeführt, und in dem vorliegenden Stück des Calderon entwickelt sich das ganze Schicksal ans einer Art göttlicher Schickung. Eusebio, der Held der Tragödie, ist der unbewußte und unerkannte Sohn eines Curtio, dessen Tochter Julia von derselben Mutter zugleich mit ihm unter einem wunderthätigen Kreuz im Walde geboren ist, nachdem der Vater aus ungerechtem Verdacht die Mutter an derselben Stelle zu ermorden gesucht hatte. Die Mutter wird durch ein Wunder des Kreuzes aus dem Wald in ihr Haus entrückt, wo sie Curtio, in der Meinung zurückkommend, daß sie ermordet sey, lebendig nebst der holden Tochter, Julia, findet. Der Knabe Eusebio war bei dem Kreuz zurückgeblieben und fiel einem wackern Mann in die Hände, der ihn erzog; die Mutter erinnert sich nur dunkel, zwei Kinder geboren zu haben. Dieß ist der Grund der Geschichte, der aber in der Tragödie selbst nur historisch vorkommt, die erste Synthese, mit der alles gegeben ist. Eusebio, der Vater und Schwester nicht erkennt (denn die Mutter ist seitdem gestorben) liebt Julia; hieraus entwickelt sich das ganze Schicksal beider. Dieses Schicksal und die folgenden Unthaten beider sind an die göttliche Fügung zurückgewiesen, die gewollt hat, daß Eusebio nach der Geburt bei dem Kreuze zurückbliebe. Zugleich ist das der christlichen Religion zwar nicht ausschließlich eigenthümliche, aber bestimmt auch in ihr geltende Schicksal eingeführt, daß sich die Schuld der Väter an den Kindern rächt bis ins dritte und vierte Glied (denn auch das Geschlecht des Oedipus verfolgt der Fluch des Vaters, wie das der Pelopiden die Gräuel der Ahnherrn), auch hierdurch ist die Schuld, als subjektive, von dem Helden hinweggenommen, und an die Nothwendigkeit gewiesen. Die erste Folge der Liebe zu Julia ist, daß Lisardo, ein älterer Bruder, von Eusebio deßhalb Genugthuung fordert, daß er, der ohne Namen und Eltern, gewagt ein Liebesverhältniß mit Julia anzuknü- pfen. Lisardo fällt; dieß ist der Beginn der Tragödie, deren erste Ent- wicklung durch mehrere Zwischenfälle die ist, daß Julia sich in das Kloster begibt, Eusebio aber, der durch Verbrechen ohn’ Ende sein unendliches Leiden rächen will, Anführer einer Räuberbande wird. Mitten in diesem Verderben sendet ihm der Himmel den künftigen Retter seiner Seele, den Bischof Alberto von Trident, dem er das Leben rettet, und der ihm dafür verheißt in Todesnoth ihm nahe zu seyn und seine Beichte zu hören. Eusebio und Julia stehen beide unter der besonderen Obhut des wunderthätigen Kreuzes, mit dessen Bild beide von Natur auf der Brust gezeichnet sind. Eusebio kennt die Wirkung dieses Mals und der An- dacht zu dem Kreuz, das ihn aus den wildesten Gefahren schon errettet hat. Auch jetzt wird jenes Zeichen schicksalbestimmend für beide. Eusebio dringt bei Nacht in Julias Kloster durch die Kreuzgänge bis in ihre Zelle: aber wir sehen ihn, wieder von ihr geschreckt, durch eine Furcht, die Julia nicht begreift, über die Klostermauer zurückeilen, wo ihn seine Kameraden erwarten. Es ist das Mal des Kreuzes, welches er auf ihrer Brust, wie es auf der seinigen ist, entdeckt, welches beide trennt, und Julia von der letzten Schuld der Blutschande und des Brechens der Gelübde errettet. Aber dasselbe Zeichen treibt Julia in ein weiteres Schicksal. Da in dem Schrecken, mit dem Eusebio forteilt, die Leiter stehen bleibt, folgt ihm Julia in der Verwirrung empörter Leidenschaft und steigt herab. In einiger Entfernung erwacht ihre Besinnung, sie will zurück, aber indeß haben Eusebios Gefährten die Leiter hinweggenommen; sie ist nun in der Nonnenkleidung in die weite Welt gestoßen, und auch die zarte Julia geht nun Eusebios Weg, indem sie ihr Leiden und ihre Verzweiflung durch gehäuften Mord und Unthaten rächt, bis sie nach einer Reihe solcher Thaten endlich zu Eusebio durchdringt. Curtio zieht indeß gegen die Räuber aus; in einem allge- meinen, hin und her schwankenden Kampf, bei welchem Julia in Män- nertracht ihren Geliebten vertheidigt, wird dieser endlich tödtlich ver- wundet. Schon wie todt ruft er nach dem Bischof Alberto, der wie durch göttliche Schickung des Weges kommt und ihn Beichte hört, wor- auf er ruhig stirbt. Auch dieß geht auf dem einsamen Fleck im Walde vor bei dem Krucifix, welches seine Geburt beschirmte, sein Schicksal entschied und jetzt auch sein Ende selig macht. Curtio, Zeuge des Vor- gehenden, erkennt die Stelle, erkennt Eusebio als seinen Sohn und Julia in der Verkleidung; welche ihm bekennt, daß ihre kurze Laufbahn seit der Entweichung aus dem Kloster mit Mord und Gräuelthaten bezeichnet war. Den Sohn preist der Vater selig, sie aber verdammt er und will sie vertilgen, als sie das Kreuz umschlingt, und ihre Schuld im Kloster zu büßen versprechend, es um Hülfe fleht, worauf das Kreuz sich erhebt und sie mit sich in die Höhe nimmt. Dieß ist der kurze Inhalt dieser Tragödie, in welcher, wie offen- bar ist, das meiste durch höhere Schickung geschieht und durch ein christliches Schicksal verhängt ist, nach welchem Sünder seyn müssen, damit an ihnen die Macht der göttlichen Gnade offenbar werde. Dieß entscheidet über das Wesentliche dieser Tragödie, die weder höllischer Mächte zur Verführung, noch der bloß äußeren Nemesis zur Strafe bedarf. Wenn wir daher in Shakespeare eigentlich nur den unendlichen Verstand , der dadurch, daß er unendlich ist, als Vernunft erscheint, bewundern, so müssen wir in Calderon die Vernunft erkennen. Es sind nicht rein wirkliche Verhältnisse, in die ein unergründlicher Ver- stand den Widerschein einer absoluten Welt legt, es sind absolute Ver- hältnisse, es ist die absolute Welt selbst. Calderon, obgleich die Züge seiner Charaktere groß und mit un- gemeiner Schärfe und Sicherheit angegeben sind, bedarf doch des Charakteristischen weniger, weil er ein wahreres Schicksal hat. Aber ebenso sehr müssen wir Calderon in Rücksicht auf die innere Form der Komposition erheben. Stellen wir das angeführte Werk unter den höchsten Maßstab, den, daß die Absicht des Künstlers in das Werk selbst übergegangen, mit ihm völlig eins und eben durch diese absolute Erkennbarkeit wieder unerkennbar sey, so ist er in dieser Be- ziehung nur mit Sophokles zu vergleichen. Im Shakespeare beruht die Objektivirung und Unerkennbarkeit der Absicht als solcher nur auf der Unergründlichkeit, Calderon ist ganz durch- sichtig, man sieht bis auf den Grund seiner Absicht, ja er spricht sie nicht selten selbst aus, wie Sophokles oft thut, und doch ist sie mit dem Objekt so verschmolzen, daß sie nicht mehr als Absicht erscheint, wie in einem Krystall das vollkommenste Gewebe, aber unerkennbar, dar- gestellt ist. Diese höchste und absolute Besonnenheit, diese letzte In- differenz von Absicht und Nothwendigkeit ist unter den Neueren nur in Calderon auf solche Weise erreicht. Es gehört zu dieser Durchsichtigkeit schon, daß das Ueberflüssige der Begleitung in ihm nicht so mit ver- arbeitet seyn kann wie in Shakespeare. Die ganze Form ist con- centrirter, und obwohl auch hier die komischen Partien neben den tragischen bestehen, so haben sie von der einen Seite doch nicht das große Gewicht wie bei Shakespeare, und sind von der anderen mit den tra- gischen mehr wie aus Einem Guß unauflöslich verschmolzen. Man würde sich sehr irren, wenn man in dem Werk des Calderon eine fromme und heilige Darstellung erwartete, wie die meisten aus Unkunde solche Werke sich denken: es ist keine Genoveva, wo der Ka- tholicismus absichtlich fromm und im höchsten Grad trübe genommen ist, es ist vielmehr eine durchaus poetische und unauslöschliche Heiter- keit darin; es ist alles, im höchsten Styl, profan darin, ausgenommen die Kunst selbst, welche wahrhaft heilig erscheint. Die Construktion des Ganzen ist rationeller, in einem Maß wie man es der modernen Poesie wahrscheinlich nicht zugetraut hätte, wenn man ihren Charakter allein von Shakespeare abstrahirte. Die zerstreuten Principien der romantischen Gattung hat Calderon in eine strengere Einheit gefaßt, die sich der wahren Schönheit nähert. Er hat, ohne die alten Regeln zu beobachten, die Handlung zusammengedrängt; sein Drama ist dramatischer und daher schon reiner. Innerhalb dieser Form ist er immer reine Gestaltung neben der höchsten Farbe, so daß im Großen und im Kleinen bis auf die Wahl des Sylbenmaßes Form und Stoff aufs innigste sich durchdringen. Die Motivirung ist nicht vernachlässigt, aber sie drängt sich nicht vor, sie ist ganz integrirender Theil der Organisation des Ganzen, von dem sich nichts hinwegnehmen, und dem sich nichts zusetzen läßt. Sie ist im Ganzen immer auf Schickung gegründet, obgleich sie im Einzelnen a ) als Zufall sich zeigen kann, wie wenn Julia die Leiter nicht mehr findet, b ) als sitt- lich , da der angeregte Aufruhr ihrer Brust sie zu Verbrechen treibt, aber auch ganz absolut in der Erscheinung und Wiedererscheinung des Priesters. Endlich, was Calderon durch die höhere Welt voraus hat, auf die seine Poesie sich gründet, ist, daß die Versöhnung zugleich mit der Sünde, und mit der Differenz unmittelbar auch die Nothwendigkeit bereitet ist. Er behandelt die Wunder seiner Religion wie eine un- umstößliche Mythologie, den Glauben daran als die unbesiegbare Göttlichkeit der Gesinnung. Durch diese werden Eusebio und Julia ge- rettet, und die Versöhnung, welche er den Vater über den ersten mit wahrhaft antiker Simplicität in den Worten aussprechen läßt: Nein, du bist kein Raub des Unglücks, Du mein herzgeliebter Sohn, Dem in seinem tragischen Ende Solche Glorie ward zum Lohn — diese Versöhnung besänftigt, wie das Ende des Oedipus oder das letzte Loos der Antigone. Im Uebergang von der Tragödie der Neueren zur Komödie ist es ohne Zweifel am schicklichsten, des größten Gedichts der Deutschen, des Faust von Goethe, zu erwähnen. Es ist aber schwer, das Urtheil über den Geist des Ganzen aus dem, was wir davon besitzen, über- zeugend genug zu begründen. So möchte der gewöhnlichen Ansicht da- von die Behauptung sehr auffallend seyn, daß dieses Gedicht seiner Intention nach bei weitem mehr aristophanisch als tragisch ist. Ich begnüge mich daher, den allgemeinsten Gesichtspunkt für dieses Gedicht, soweit ich ihn einzusehen glaube, anzugeben. Es gibt nicht nur ein Schicksal für das Handeln; auch dem Wissen des Individuums als Individuum steht das An-sich des Uni- versums und der Natur als eine unüberwindliche Nothwendigkeit vor. Des Unendlichen als Unendlichen kann nicht das Subjekt als Subjekt genießen, welches doch ein nothwendiger Hang desselben ist. Hier also ein ewiger Widerspruch. Dieß ist gleichsam eine idealere Potenz des Schicksals, welches hier mit dem Subjekt nicht minder, wie im Handeln, im Gegensatz ist und im Kampfe liegt. Die aufgehobene Harmonie kann sich hier nach zwei Seiten ausdrücken, und der Streit einen gedoppelten Ausweg suchen. Der Ausgangspunkt ist der unbe- friedigte Durst, das Innere der Dinge zu schauen und als Subjekt zu genießen, und die erste Richtung die, die unersättliche Begier außer dem Ziel und Maß der Vernunft durch Schwärmerei zu stillen, wie es in der Stelle des Faust ausgesprochen ist: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab’ ich dich schon unbedingt. Der andere Ausweg des unbefriedigten Strebens des Geistes ist der, sich in die Welt zu stürzen, der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen. Auch in dieser Richtung ist der Ausgang entschieden; auch hier nämlich ist es ewig unmöglich, als Endliches des Unendlichen theilhaftig zu werden; welches in den Worten ausgesprochen ist: Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, Der ungebändigt immer vorwärts dringt, Und dessen übereiltes Streben Der Erde Freuden überspringt. Den schlepp’ ich durch das wilde Leben, Durch flache Unbedeutenheit, Und seiner Unersättlichkeit Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben, Er wird Erquickung sich umsonst erflehn. In Goethes Faust sind diese beiden Richtungen dargestellt oder vielmehr unmittelbar vereinigt, so daß aus der einen zugleich die andere entspringt. Des Dramatischen wegen mußte das Uebergewicht auf die andere Richtung, die Begegnung eines solchen Geistes mit der Welt, gelegt werden. Soweit wir das Gedicht übersehen, erkennen wir deutlich, daß Faust in dieser Richtung durch das höchste Tragische gehen soll. Aber die heitere Anlage des Ganzen schon im ersten Wurf, die Wahrheit des mißleiteten Bestrebens, die Aechtheit des Verlangens nach dem höchsten Leben läßt schon erwarten, daß der Widerstreit sich in einer höheren Instanz lösen werde, und Faust in höhere Sphären erhoben vollendet werde. In diesem Betracht hat dieses Gedicht, so fremd dieß scheinen möge, eine wahrhaft Dantesche Bedeutung, obgleich es weit mehr Komödie und mehr in poetischem Sinn göttlich ist, als das Werk des Dante. Das wilde Leben, in welches sich Faust stürzt, wird für ihn nach einer nothwendigen Folge zur Hölle. Die erste Reinigung von Qualen des Wissens und der falschen Imagination wird nach der heiteren Ab- sicht des Ganzen in einer Einweihung in die Principien der Teufelei, als der eigentlichen Grundlage der besonnenen Ansicht der Welt, bestehen müssen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über sich selbst und das Unwesentliche das Wesentliche schaut und genießen lernt. Schon dieses Wenige, was sich über die Natur des Gedichts zum Theil mehr ahnden als wissen läßt, zeigt, daß es ein ganz und in jeder Beziehung originelles, nur sich selbst vergleichbares, in sich selbst ruhen- des Werk sey. Die Art des Schicksals ist einzig und wäre eine neue Erfindung zu nennen, wenn sie nicht gewissermaßen in deutscher Art gegeben, und daher auch durch die mythologische Person des Faust ursprünglich repräsentirt wäre. Durch diesen eigenthümlichen Widerstreit, der im Wissen beginnt, hat das Gedicht seine wissenschaftliche Seite bekommen, so daß, wenn irgend ein Poem philosophisch heißen kann, dieses Prädikat Goethes Faust allein zugelegt werden muß. Der herrliche Geist, der mit der Kraft des außerordentlichen Dichters den Tiefsinn des Philosophen ver- eint, hat in diesem Gedicht einen ewig frischen Quell der Wissenschaft geöffnet, der allein hinreichend war, die Wissenschaft in dieser Zeit zu verjüngen, die Frischheit eines neuen Lebens über sie zu verbreiten. Wer in das wahre Heiligthum der Natur dringen will, nähere sich diesen Tönen aus einer höheren Welt und sauge in früher Jugend die Kraft in sich, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedicht ausgeht und das Innerste der Welt bewegt. Goethes Faust könnte man eine moderne Komödie im höchsten Styl nennen, aus dem ganzen Stoff der Zeit gebildet. Wie die Tragödie in dem Aether der öffentlichen Sittlichkeit, so lebt die Komödie in der Luft öffentlicher Freiheit. Mit der neuen Welt verschwand das öffent- liche Leben; der Staat wurde durch die Kirche, wie überhaupt das Reale durch das Ideale verdrungen. Nur in dieser war noch ein allge- meines Leben; nur aus ihr, ihren Gebräuchen, Feierlichkeiten, öffent- lichen Handlungen, wie aus ihrer Mythologie konnte die Komödie sich entwickeln. Die ersten Komödien waren daher Vorstellungen der bib- lischen Geschichte, worin der Teufel gewöhnlich die lustige Person spielte, die in Spanien, wahrscheinlich ihrem ersten Vaterlande, und wo sie sich bis in das vergangene Jahrhundert erhielten, Autos sacramen- tales genannt wurden. Auf diese Art der Komödie gründete sich die Muse des Calderon, der in der Komödie so groß als in der Tragödie ist, und fast einzig in diesem Stoff gelebt hat. Eine zweite Gattung bildete sich aus dem ersten, die Komödien der Heiligen, es sind wenige, die nicht auf die Bühne gebracht worden wären. Auch in dieser Gat- tung ist Calderon Meister. — Den ersten Uebergang von dieser idealen Welt in die gemeine und wirkliche machten in Spanien die Schäfer- spiele, und Shakespeare, kann man sagen, dem Geburt und Zeitalter jenen höheren Boden versagte, erschuf sich für das Lustspiel eine ganz eigne, romantische Welt, gewissermaßen auch eine Schäferwelt, aber von viel höherer Farbe, Kraft und Fülle. Auch hier mußte das Indi- viduum ins Mittel treten, und die Welt, die ihm nicht gegeben war, sich erschaffen. Was kann eigener und vom Conventionellen entfernter seyn, als die Welt in Wie es euch gefällt , in Was ihr wollt u. s. w. In Einem Werk, der Komödie der Irrungen, hat Shakespeare einen alten Stoff, aber noch potenzirt und mit Vervielfachung der Verwirrung behandelt. Auch Calderon hat, wo er den Stoff seiner Komödie ganz auf Erfindung gründet, wie Shakespeare zugleich eine romantische Welt als Boden angenommen, nur daß er vor Shakespeare die Nation und die Wirklichkeit voraus hatte, da in Spanien im Zeit- alter des Calderon noch eine Art von öffentlichem Leben — wenigstens im Romantischen — war, und seine Helden, so romantisch ihr Aus- sehen scheinen mag, doch zugleich die Sitten der Zeit und das Leben der damaligen Welt zum Hintergrund hatten. Wie die Franzosen in der Tragödie zuerst an die Stelle der idealischen Welt, zu der sie sich nicht erheben können, die umgekehrte idealische Welt — die conventionelle — gesetzt haben, so auch in der Komödie, und ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre absolute Komödie, diejenige, welche sich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen- stücke gekannt hätten, von denen sie vielmehr die eigentlichen Erfinder sind, aber diese gründen sich auf ein romantisches Leben. Die der Franzosen auf das gemein-sociale oder häusliche, wie sie auch die Erfinder der weinerlichen Komödie sind. Deutschland hat außer den ersten noch wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her- vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die Belege sind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und biblische Mythen komisch behandelt sind, — nach diesen ersten Regungen, und nachdem hier der Protestantismus der Oeffentlichkeit des religiösen Lebens Eintrag gethan hat, fast nur von fremdem Raube gelebt, und die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutschen in Masse bleibt es, in Familiengedichten den tiefsten Ton der Philisterei und Häuslichkeit angegeben, sowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr- schenden sittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für diese Schmach des deutschen Theaters kein Trost, als etwa daß andere Nationen nach diesem deutschen Wegwurf mit Begier gehascht haben. Nachdem im Drama nach seinen zwei Formen die höchste Totalität erreicht ist, so kann die redende Kunst nur wieder zur bildenden zurück- streben, aber selbst nicht weiter sich bilden. Im Gesang geht die Poesie zur Musik zurück, zur Malerei im Tanz, theils sofern er Ballet, theils sofern er Pantomime ist, zur eigent- lichen Plastik in der Schauspielkunst, die eine lebendige Plastik ist. Da diese Künste, wie gesagt, durch ein Zurückstreben aus der redenden zur bildenden Kunst entstehen, so bilden sie eine eigne Sphäre secundärer Künste, die ich in dem Kreis unserer Construktion darum nur erwähnen zu müssen glaube, da ihre Gesetze als zusammengesetzter Künste aus den Gesetzen derer, aus welchen sie zusammengesetzt sind, herfließen, und was an ihnen nicht auf diese Weise eingesehen werden kann, nur auf empirisch-technischen Regeln beruht, die von selbst aus unserer Construktion ausgeschlossen sind. Ich bemerke nur noch, daß die vollkommenste Zusammensetzung aller Künste, die Vereinigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesirt die componirteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Alterthums war, wovon uns nur eine Karrikatur, die Oper , geblieben ist, die in höhe- rem und edlerem Styl von Seiten der Poesie sowohl als der übrigen concurrirenden Künste uns am ehesten zur Aufführung des alten mit Musik und Gesang verbundenen Dramas zurückführen könnte. Musik, Gesang, Tanz, wie alle Arten des Drama leben selbst nur im öffentlichen Leben und verbünden sich in diesem. Wo dieses verschwindet, kann statt des realen und äußerlichen Dramas, an dem, in allen seinen Formen, das ganze Volk, als politische oder sittliche Totalität, Theil nimmt, ein innerliches , ideales Drama allein noch das Volk vereinigen. Dieses ideale Drama ist der Gottesdienst, die einzige Art wahrhaft öffentlicher Handlung, die der neueren Zeit, und auch dieser späterhin nur sehr geschmälert und beengt geblieben ist. Zu verbessern: S. 380, Z. 5. v. u. statt darnach zu lesen: demnach S. 448, Z. 16 v. u. gehören die Worte: obgleich — Einheit zum vorhergehenden Satz. S. 452, Z. 4 v. u ist statt §. 45 zu setzen §. 46. S 669, Z. 19 v. o. statt Luisiade zu lesen: Lusiade. Schelling , sämmtl. Werke. 1. Abth. V.