Der grüne Heinrich. Der grüne Heinrich. Roman von Gottfried Keller. In vier Bänden. Dritter Band. Braunschweig , Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn. 1854 . Erstes Kapitel. Ich schlief fest und traumlos bis zum Mittag; als ich erwachte, wehte noch immer der warme Suͤdwind und es regnete in Einem fort. Ich sah aus dem Fenster und erblickte das Thal auf und nieder, wie Hunderte von Maͤnnern am Wasser arbeiteten, um die Wehren und Daͤmme herzustellen, da in den Bergen aller Schnee schmelzen mußte und eine große Fluth zu er¬ warten war. Das Fluͤßchen rauschte schon an¬ sehnlich und grau gelblich daher; fuͤr unser Haus war gar keine Gefahr, da es an einem sicher ab¬ gedaͤmmten Seitenarme lag, der die Muͤhle trieb; doch waren alle Mannspersonen fort, um die Wiesen zu schuͤtzen, und ich saß mit den Frauens¬ leuten allein zu Tische. Nachher ging ich auch hinaus und sah die Maͤnner eben so ruͤstig und III. 1 entschlossen bei der Arbeit, als sie gestern die Freude angefaßt hatten. Sie handtierten wie die Teufel in Erde, Holz und Steinen, standen bis uͤber die Kniee in Schlamm und Wasser, schwan¬ gen Aexte und trugen Faschinen und Balken um¬ her, und wenn so acht Mann unter einem schwe¬ ren Werkstuͤcke einher gingen, hielten die Witz¬ bolde unter ihnen ohne Zeitverlust keinen Einfall zuruͤck; nur der Unterschied war gegen gestern, daß man keine Tabakspfeifen sah, da dies Volk bei der Arbeit wohl wußte, was guter Ton ist. Ich konnte nicht viel helfen und war den Leuten eher im Wege; nachdem ich daher eine Strecke weit das Wasser hinaufgeschlendert, kehrte ich oben durch das Dorf zuruͤck und sah auf diesem Gange die Thaͤtigkeit auf allen ihren gewohnten Wegen. Wer nicht am Wasser beschaͤftigt war, der fuhr ins Holz, um die dortige Arbeit noch schnell abzuthun, und auf einem Acker sah ich einen Mann so ruhig und aufmerksam pfluͤgen, als ob weder der Nachtag eines Festes, noch eine Gefahr im Lande waͤren. Ich schaͤmte mich, allein so muͤßig und zwecklos umherzugehen, und um nur etwas Entschiedenes zu thun, entschloß ich mich, sogleich nach der Stadt zuruͤckzukehren. Zwar hatte ich leider nicht viel zu versaͤumen und meine ungeleitete haltlose Arbeit bot mir in diesem Augenblicke gar keine lockende Zuflucht, ja sie kam mir schaal und nichtig vor; da aber der Nachmittag schon vorgeruͤckt war und ich durch Koth und Regen in die Nacht hinein wandern mußte, so ließ eine ascetische Laune mir diesen Gang als eine Wohlthat erscheinen, und ich machte mich trotz aller Einreden meiner Verwandten ungesaͤumt auf den Weg. So stuͤrmisch und muͤhevoll dieser war, legte ich doch die bedeutende Strecke zuruͤck wie einen sonnigen Gartenpfad; denn in meinem Innern erwachten alle Gedanken und spielten fort und fort mit dem Raͤthsel des Lebens, wie mit einer goldenen Kugel, und ich war nicht wenig uͤber¬ rascht, mich unversehens vor dem Stadtthore zu befinden. Als ich vor unser Haus kam, merkte ich an den dunkeln Fenstern, daß meine Mutter schon schlief; mit einem heimkehrenden Hausge¬ nossen schluͤpfte ich in's Haus und auf meine 1 * Kammer, und am Morgen that meine Mutter die Augen weit auf, als sie mich unerwartet zum Fruͤhstuͤck erscheinen sah. Ich bemerkte sogleich, daß in unserer Stube eine kleine Veraͤnderung vorgegangen war. Ein artiges Lotterbettchen stand an der Wand, welches die Mutter aus Gefaͤlligkeit von einem Bekannten gekauft, der dasselbe nicht mehr unter¬ zubringen wußte; es war von der groͤßten Ein¬ fachheit, leicht und zierlich gebaut und statt des Polsters nur mit weiß und gruͤnem Stroh uͤber¬ flochten und doch ein allerliebstes Moͤbel. Aber auf demselben lag ein ansehnlicher Stoß Buͤcher, an die fuͤnfzig Baͤndchen, alle gleich gebunden, mit rothen Schildchen und goldenen Titeln auf dem Ruͤcken versehen und durch eine starke viel¬ fache Schnur zusammengehalten, wie nur eine Frau oder ein Troͤdler etwas zusammenbinden kann. Es waren Goͤthe's saͤmmtliche Werke, welche einer meiner Plagegeister hergebracht hatte, um sie mir zur Ansicht und zum Verkauf anzu¬ bieten. Es war mir zu Muthe, als ob der große Schatten selbst uͤber meine Schwelle ge¬ treten waͤre; denn so wenige Jahre seit seinem Tode verflossen, so hatte sein Bild in der Vor¬ stellung des juͤngsten Geschlechtes bereits etwas Daͤmonisch-Goͤttliches angenommen, das, wenn es als eine Gestaltung der entfesselten Phantasie Einem im Traume erschien, mit ahnungsvollem Schauer erfuͤllen konnte. Vor einigen Jahren hatte ein deutscher Schreinergeselle, welcher in unserer Stube etwas zurecht haͤmmerte, dabei von ungefaͤhr gesagt: »Der große Goͤthe ist gestorben,« und dies unbeachtete Wort klang mir immer wieder nach. Der unbekannte Todte schritt fast durch alle Beschaͤftigungen und Anregungen und uͤberall zog er angeknuͤpfte Faͤden an sich, deren Enden nur in seiner unsichtbaren Hand ver¬ schwanden. Als ob ich jetzt alle diese Faͤden in dem ungeschlachten Knoten der Schnur, welche die Buͤcher umwand, beisammen haͤtte, fiel ich uͤber denselben her und begann hastig ihn aufzu¬ loͤsen, und als er endlich aufging, da fielen die goldenen Fruͤchte des achtzigjaͤhrigen Lebens auf das Schoͤnste auseinander, verbreiteten sich uͤber das Ruhbett und fielen uͤber dessen Rand auf den Boden, daß ich alle Haͤnde voll zu thun hatte, den Reichthum zusammen zu halten. Ich entfernte mich von selber Stunde an nicht mehr vom Lotterbettchen und las dreißig Tage lang, indessen es noch ein Mal strenger Winter und wieder Fruͤhling wurde; aber der weiße Schnee ging mir wie ein Traum voruͤber, den ich unbe¬ achtet von der Seite glaͤnzen sah. Ich griff zu¬ erst nach Allem, was sich durch den Druck als Dramatisch zeigte, dann las ich alles Gereimte, dann die Romane, dann die italienische Reise, dann einige kuͤnstlerische Monographien, und als sich der Strom hinauf in die prosaischen Gefilde des taͤglichen Fleißes, der Einzelmuͤhe verlief, ließ ich das Weitere liegen und fing von vorn an und entdeckte diesmal die einzelnen Sternbilder in ihren schoͤnen Stellungen zu einander und da¬ zwischen einzelne seltsam glaͤnzende Sterne, wie den Reineke Fuchs oder den Benvenuto Cellini. So hatte ich noch ein Mal diesen Himmel durch¬ schweift und Vieles wieder doppelt gelesen und entdeckte zuletzt noch einen ganz neuen hellen Stern: Dichtung und Wahrheit. Ich war eben mit diesem Ein Mal zu Ende, als der Troͤdler hereintrat und sich erkundigte, ob ich die Werke behalten wolle, da sich sonst ein anderweitiger Kaͤufer gezeigt habe. Unter diesen Umstaͤnden mußte der Schatz baar bezahlt werden, was weit uͤber meine Kraͤfte ging; die Mutter sah wohl, daß er mir etwas Wichtiges war, aber mein drei¬ ßigtaͤgiges Liegen und Lesen machte sie unent¬ schlossen und daruͤber ergriff der Mann wieder seine Schnur, band die Buͤcher zusammen, schwang den Pack auf den Ruͤcken und em¬ pfahl sich. Es war, als ob eine Schaar glaͤnzender und singender Geister die Stube verließen, so daß diese auf einmal still und leer schien; ich sprang auf, sah mich um und wuͤrde mich wie in einem Grabe geduͤnkt haben, wenn nicht die Stricknadeln meiner Mutter ein freundliches Geraͤusch verur¬ sacht haͤtten. Ich machte mich in's Freie; die alte Bergstadt, Felsen, Wald, Fluß und See und das formenreiche Gebirge lagen im milden Schein der Maͤrzsonne, und indem meine Blicke Alles umfaßten, empfand ich ein reines und nachhal¬ tiges Vergnuͤgen, das ich fruͤher nicht gekannt. Es war die hingebende Liebe an alles Gewor¬ dene und Bestehende, welche das Recht und die Bedeutung jeglichen Dinges ehrt und den Zusam¬ menhang und die Tiefe der Welt empfindet. Diese Liebe steht hoͤher als das kuͤnstlerische Her¬ ausstehlen des Einzelnen zu eigennuͤtzigem Zwecke, welches zuletzt immer zu Kleinlichkeit und Laune fuͤhrt; sie steht auch hoͤher, als das Genießen und Absondern nach Stimmungen und romanti¬ schen Liebhabereien, und nur sie allein vermag eine gleichmaͤßige und dauernde Gluth zu geben. Es kam mir nun Alles und immer neu, schoͤn und merkwuͤrdig vor und ich begann, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt, das Wesen und die Geschichte der Dinge zu sehen und zu lieben. Obgleich ich nicht straks mit einem sol¬ chen fix und fertigen Bewußtsein herumlief, so entsprang das nach und nach Erwachende doch durchaus aus jenen dreißig Tagen, sowie deren Gesammteindrucke noch folgende Ergebnisse ur¬ spruͤnglich zuzuschreiben sind. Nur die Ruhe in der Bewegung haͤlt die Welt und macht den Mann; die Welt ist inner¬ lich ruhig und still, und so muß es auch der Mann sein, der sie verstehen und als ein wir¬ kender Theil von ihr sie widerspiegeln will. Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es; Gott haͤlt sich maͤuschenstill, darum bewegt sich die Welt um ihn. Fuͤr den kuͤnstlerischen Menschen nun waͤre dies so anzuwenden, daß er sich eher leidend und zusehend verhalten und die Dinge an sich voruͤberziehen lassen, als ihnen nachjagen soll; denn wer in einem festlichen Zuge mitzieht, kann denselben nicht so beschreiben, wie der, welcher am Wege steht. Dieser ist darum nicht uͤberfluͤssig oder muͤßig, und der Seher ist erst das ganze Leben des Gesehenen, und wenn er ein rechter Seher ist, so kommt der Augenblick, wo er sich dem Zuge anschließt mit seinem gol¬ denen Spiegel, gleich dem achten Koͤnige im Macbeth, der in seinem Spiegel noch viele Koͤ¬ nige sehen ließ. Auch nicht ohne aͤußere That und Muͤhe ist das Sehen des ruhig Leidenden, gleichwie der Zuschauer eines Festzuges genug Muͤhe hat, einen guten Platz zu erringen oder zu behaupten. Dies ist die Erhaltung der Frei¬ heit und Unbescholtenheit unserer Augen. Ferner ging eine Umwandlung vor in meiner Anschauung vom Poetischen. Ich hatte mir, ohne zu wissen wann und wie, angewoͤhnt, Alles, was ich im Leben und Kunst als brauchbar, gut und schoͤn befand, poetisch zu nennen, und selbst die Gegenstaͤnde meines erwaͤhlten Berufes, Farben wie Formen, nannte ich nicht malerisch, sondern immer poetisch, so gut wie alle menschlichen Er¬ eignisse, welche mich anregend beruͤhrten. Dies war nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung, denn es ist das gleiche Gesetz, welches die ver¬ schiedenen Dinge poetisch oder der Widerspiege¬ lung ihres Lebens werth macht; aber in Bezug auf Manches, was ich bisher poetisch nannte, lernte ich nun, daß das Unbegreifliche und Un¬ moͤgliche, das Abenteuerliche und Ueberschwaͤng¬ liche nicht poetisch sind und daß, wie dort die Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz und Gestalten herrschen muͤssen, um etwas Poe¬ tisches oder, was gleich bedeutend ist, etwas Le¬ bendiges und Vernuͤnftiges hervorzubringen, mit einem Wort, daß die sogenannte Zwecklosigkeit der Kunst nicht mit Grundlosigkeit verwechselt werden darf. Dies ist zwar eine alte Geschichte, indem man schon im Aristoteles ersehen kann, daß seine stofflichen Betrachtungen uͤber die pro¬ saisch-politische Redekunst zugleich die besten Re¬ cepte auch fuͤr den Dichter sind. Denn wie es mir scheint, geht alles richtige Bestreben auf Vereinfachung, Zuruͤckfuͤhrung und Vereinigung des scheinbar Getrennten und Ver¬ schiedenen auf Einen Lebensgrund, und in diesem Bestreben das Nothwendige und Einfache mit Kraft und Fuͤlle und in seinem ganzen Wesen darzustellen, ist Kunst; darum unterscheiden sich die Kuͤnstler nur dadurch von den anderen Men¬ schen, daß sie das Wesentliche gleich sehen und es mit Fuͤlle darzustellen wissen, waͤhrend die Anderen dies wieder erkennen muͤssen und daruͤber erstaunen, und darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verstaͤndniß es einer besonderen Geschmacksrichtung oder einer kuͤnstlichen Schule bedarf. Ich hatte es weder mit dem menschlichen Wort, noch mit der menschlichen Gestalt zu thun und fuͤhlte mich nur gluͤcklich und zufrieden, daß ich auf das bescheidenste Gebiet mit meinen Fuß setzen konnte, auf den irdischen Grund und Boden, auf dem sich der Mensch bewegt, und so in der poetischen Welt wenigstens einen Teppichbewahrer abgeben durfte. Goͤthe hatte ja viel und mit Liebe von landschaftlichen Dingen gesprochen und durch diese Bruͤcke glaubte ich ohne Unbe¬ scheidenheit mich ein wenig mit seiner Welt ver¬ binden zu koͤnnen. Ich wollte sogleich anfangen, nun so recht mit Liebe und Aufmerksamkeit die Dinge zu behan¬ deln und mich ganz an die Natur zu halten, nichts Ueberfluͤssiges oder Muͤssiges zu machen und mir bei jedem Striche ganz klar zu sein. Im Geiste sah ich schon einen reichen Schatz von Arbeiten vor mir, welche alle huͤbsch, werth- und gehaltvoll aussahen, angefuͤllt mit zarten und starken Strichen, von denen keiner ohne Bedeutung war. Ich setzte mich in's Freie, um das erste Blatt dieser vortrefflichen Sammlung zu beginnen; aber nun ergab es sich, daß ich eben da fortfahren mußte, wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬ aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues zu schaffen, weil ich dazu erst etwas Neues haͤtte sehen muͤssen. Da mir aber nicht Ein Blatt eines Meisters zu Gebote stand und die praͤchtigen Blaͤtter meiner Phantasie sogleich in Nichts sich aufloͤsten, wenn ich den Stift auf das Papier setzte, so brachte ich ein truͤbseliges Gekritzel zu Stande, indem ich aus meiner alten Weise her¬ auszukommen suchte, welche ich verachtete, waͤhrend ich sie jetzt sogar nur verdarb. So quaͤlte ich mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer eine gute und sachgemaͤße Arbeit sehend, aber rathlos mit der Hand. Es wurde mir angst und bange, ich glaubte jetzt sogleich verzweifeln zu muͤssen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und seufzend bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen. Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten, wie schon vor zehn Jahren, immer das Gleiche wiederholend, so daß es mir selbst auffiel, als ich halblaut vor mich hin fluͤsterte. Daruͤber nach¬ sinnend hielt ich mit der hastigen Arbeit inne und sah in Gedanken verloren auf das Papier und mit einem wehmuͤthigen Laͤcheln. Da uͤber¬ schattete sich ploͤtzlich der weiße Bogen auf meinen Knieen, der vorher von der Sonne beglaͤnzt war; erschrocken schaute ich um und sah einen an¬ sehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir stehen, welcher den Schatten verursachte. Er war groß und schlank, hatte ein bedeutsames und ernstes Gesicht mit einer stark gebogenen Nase und einem sorgfaͤltig gedrehten Schnurbart und trug sehr feine Waͤsche. In hochdeutscher Sprache redete er mich an: »Darf man wohl ein wenig Ihre Arbeit besehen, junger Herr?« Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke auf¬ merksam besah; dann fragte er mich, ob ich noch mehr in meiner Mappe bei mir haͤtte und ob ich wirklicher Kuͤnstler werden wollte. Ich trug allerdings immer einen Vorrath des zuletzt Ge¬ machten mit mir herum, wenn ich nach der Natur zeichnete, um jedenfalls Etwas zu tragen, wenn ich einen unergiebigen Tag hatte, und waͤhrend ich nun die Sachen nach und nach her¬ vorzog, erzaͤhlte ich fleißig und zutraulich meine bisherigen Kuͤnstlerschicksale; denn ich merkte so¬ gleich an der Art, wie der Fremde die Sachen ansah, daß er es verstand, wo nicht selbst ein Kuͤnstler war. Dies bestaͤtigte sich auch sogleich, als er mich auf meine Hauptfehler aufmerksam machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte, mit der Natur verglich und mir an letzterer selbst das Wesentliche hervorhob und mich es sehen lehrte. Ich fuͤhlte mich uͤbergluͤcklich und hielt mich ganz still, wie Jemand, der sich vergnuͤglich eine Wohlthat erzeigen laͤßt, als er einige Laub¬ partien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es ganz anders machen muͤßte, Schatten und Licht klar machte und auf dem Rande des Blattes mit wenigen muͤhlosen Meisterstrichen das her¬ stellte, was ich vergeblich gesucht hatte. Er blieb wohl eine halbe Stunde bei mir, dann sagte er: »Sie haben vorhin den wackern Habersaat ge¬ nannt; wissen Sie, daß ich vor fuͤnfzehn Jahren auch ein dienstbarer Geist in seinem verwuͤnschten Kloster war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus dem Staube gemacht und bin seither immer in Italien und Frankreich gewesen. Ich bin Land¬ schafter, heiße Roͤmer, und gedenke mich eine Zeit lang in meiner Heimath aufzuhalten. Es soll mich freuen, wenn ich Ihnen etwas nachhelfen kann, ich habe viele Sachen bei mir, besuchen Sie mich einmal oder kommen Sie gleich mit mir nach Hause, wenn's Ihnen recht ist!« Ich packte eilig zusammen und begleitete in feierlicher Stimmung den Herrn Roͤmer, und mit nicht geringem Stolze. Ich hatte oft von ihm sprechen gehoͤrt; denn er war eine der großen Sagen des Refektoriums und Meister Habersaat that sich nicht wenig darauf zu gut, wenn es hieß, sein ehemaliger Schuͤler Roͤmer sei ein beruͤhmter Aquarellist in Rom und verkaufe seine Arbeiten nur an Fuͤrsten und Englaͤnder. Auf dem Wege, so lange wir noch im Freien waren, zeigte mir Roͤmer allerlei gute Dinge in der Natur, sei es in Licht und Toͤnen, sei es in Form und Charakter. Aufmerksam begeistert sah ich hin, wo er mit der Hand fein wegstreichend hindeutete: ich war erstaunt, zu entdecken, daß ich eigentlich, so gut ich erst kuͤrzlich noch zu sehen geglaubt, noch gar nichts gesehen hatte, und ich staunte noch mehr, das Bedeutende und Lehrreiche nun meistens in Erscheinungen zu finden, die ich vorher entweder uͤbersehen, oder wenig beachtet. Jedoch freute ich mich, sogleich zu verstehen, was mein Begleiter jeweilig meinte, und mit ihm einen kraͤftigen und doch klaren Schatten, einen milden Ton oder eine zierliche Ausladung eines Baumes zu sehen, und nachdem ich erst einige Male mit ihm spaziert, hatte ich mich bald ge¬ woͤhnt, die ganze landschaftliche Natur nicht mehr als etwas Rundes und Greifliches, sondern nur als Ein gemaltes Bilder- und Studiencabinet, als etwas bloß vom richtigen Standpunkte aus Sichtbares zu betrachten und in technischen Aus¬ druͤcken zu beurtheilen. Als wir in seiner Wohnung anlangten, welche aus ein paar eleganten Zimmern in einem schoͤ¬ nen Hause bestand, setzte Roͤmer sogleich seine Mappen auf einen Stuhl vor das Sopha, hieß mich auf dieses neben ihn sitzen und begann die Sammlung seiner groͤßten und werthvollsten III . 2 Studien eine um die andere umzuwenden und aufzustellen. Es waren alles umfangreiche Blaͤtter aus Italien, auf starkes grobkoͤrniges Papier mit Wasserfarben gemalt, doch auf eine mir ganz neue Weise und mit unbekannten kuͤhnen und geistreichen Mitteln, so daß sie eben so viel Schmelz und Duft, als Klarheit und Kraft zeig¬ ten und vor Allem aus in jedem Striche bewie¬ sen, daß sie vor der lebendigen Natur gemacht waren. Ich wußte nicht, sollte ich uͤber die glaͤn¬ zende und angenehm nahe tretende Meisterschaft der Behandlung oder uͤber die Gegenstaͤnde mehr Freude empfinden, denn von den maͤchtigen dun¬ klen Cypressengruppen der roͤmischen Villen, von den schoͤnen Sabinerbergen bis zu den Ruinen von Paͤstum und dem leuchtenden Golf von Nea¬ pel, bis zu den Kuͤsten von Sicilien mit den zauberhaften hingehauchten, gedichteten Linien, tauchte Bild um Bild vor mir auf mit den koͤst¬ lichen Merkzeichen des Tages, des Ortes und des Sonnenscheins, unter welchem sie entstanden. Schoͤne Kloͤster und Kastelle glaͤnzten in diesem Sonnenschein an schoͤnen Bergabhaͤngen, Himmel und Meer ruhten in tiefer Blaͤue oder in heitrem Silberton und in diesem badete sich die praͤchtige, edle Pflanzenwelt mit ihren klassisch einfachen und doch so reichen Formen. Dazwischen sangen und klangen die italischen Namen, wenn Roͤmer die Gegenstaͤnde benannte und Bemerkungen uͤber ihre Natur und Lage machte. Manchmal sah ich uͤber die Blaͤtter hinaus im Zimmer umher, wo ich hier eine rothe Fischerkappe aus Neapel, dort ein roͤmi¬ sches Taschenmesser, eine Korallenschnur oder einen silbernen Haarpfeil erblickte; dann sah ich meinen neuen Beschuͤtzer aufmerksam und von Grund aus wohlwollend an, seine weiße Weste, seine Manschet¬ ten, und erst, wenn er das Blatt umwandte, fuhr mein Blick wieder auf dasselbe, um es noch ein¬ mal zu uͤberfliegen, ehe das naͤchste erschien. Als wir mit dieser Mappe zu Ende waren, ließ mich Roͤmer noch fluͤchtig in einige andere blicken, von denen die eine einen Reichthum far¬ biger Details, die andere eine Unzahl Bleistift¬ studien, eine dritte lauter auf das Meer, Schiff¬ fahrt und Fischerei Bezuͤgliches, eine vierte end¬ lich verschiedene Phaͤnomene und Farbenwunder, wie die blaue Grotte, außergewoͤhnliche Wolken¬ erscheinungen, Vesuvausbruͤche, gluͤhende Lava¬ baͤche u. s. w. enthielten. Dann zeigte er mir noch im andern Zimmer seine gegenwaͤrtige Ar¬ beit, ein groͤßeres Bild auf einer Staffelei, wel¬ ches den Garten der Villa d'Este vorstellte. Dunkle Riesencypressen ragten aus flatternden Reben und Lorbeerbuͤschen, aus Marmorbrunnen und blumigen Gelaͤndern, an welchen eine einzige Figur, Ariost, lehnte, in schwarzem ritterlichen Kleide, den Degen an der Seite. Im Mittel¬ grunde zogen sich Haͤuser und Baͤume von Ti¬ voli hin, von Duft umhuͤllt, und daruͤber hinweg dehnte sich das weite Feld, vom Purpur des Abends uͤbergossen, in welchem am aͤußersten Ho¬ rizonte die Peterkuppel auftauchte. »Genug fuͤr heute!« sagte Roͤmer, »kommen Sie oͤfter zu mir, alle Tage, wenn Sie Lust ha¬ ben; bringen Sie mir Ihre Sachen mit, vielleicht kann ich Ihnen Dies und Jenes zum Copiren mitgeben, damit Sie eine leichtere und zweckmaͤ¬ ßigere Technik erlangen!« Mit der dankbarsten Verehrung verabschiedete ich mich und sprang mehr, als ich ging, nach Hause. Dort erzaͤhlte ich meiner Mutter das gluͤckliche Abenteuer mit den beredtesten Worten und verfehlte nicht, den fremden Herrn und Kuͤnst¬ ler mit allem Glanz auszustatten, dessen ich hab¬ haft war; ich freute mich, ihr endlich ein Bei¬ spiel ruͤhmlichen Gelingens als einen Trost fuͤr meine eigene Zukunft vorfuͤhren zu koͤnnen; be¬ sonders da ja Roͤmer ebenfalls aus Herrn Ha¬ bersaat's kuͤmmerlicher Pflanzschule hervorgegan¬ gen war. Allein die fuͤnfzehn in der weiten Ferne zugebrachten Jahre, welche zu diesem Gelingen gebraucht worden, leuchteten meiner Mutter nicht sonderlich ein, auch hielt sie dafuͤr, daß es noch gar nicht ausgemacht waͤre, ob der Fremde wirk¬ lich gluͤcklich sei, indem er als solcher so einsam und unbekannt in seiner Heimath angekommen sei. Ich hatte aber ein anderweitiges geheimes Zeichen von der Richtigkeit meiner Hoffnungen, naͤmlich das ploͤtzliche Erscheinen Roͤmer's unmit¬ telbar nachdem ich gebetet hatte. Hiervon sagte ich aber Nichts zu meiner Mutter, denn erstens war zwischen uns nicht herkoͤmmlich, daß man viel von solchen Dingen sprach, besonders wenn sie nach salbungsvoller Prahlerei ausgesehen haͤt¬ ten, und dann baute die Mutter wohl fest auf die Huͤlfe Gottes, aber es wuͤrde ihr nicht gefallen haben, wenn ich mich eines so eclatanten und theatralischen Falles geruͤhmt haͤtte, und als ein solcher waͤre ihr meine Erzaͤhlung ohne Zweifel erschienen, da sie viel zu schlicht und bescheiden war, um ein solches Einschreiten in solchen An¬ gelegenheiten von Gott zu erwarten. Sie war froh, wenn er das Brot nicht ausgehen ließ und fuͤr schwere Leiden, fuͤr Faͤlle auf Leben und Tod seine Huͤlfe in Bereitschaft hatte. Sie haͤtte mich wahrscheinlich ziemlich ironisch zurechtgewiesen; desto mehr beschaͤftigte ich mich den Abend hin¬ durch mit dem Vorfalle und muß gestehen, daß ich dabei doch eine gruͤbelnde Empfindung hatte. Ich konnte mir die Vorstellung eines langen Drahtes nicht unterdruͤcken, an welchem der fremde Mann auf mein Gebet herbeigezogen sei, waͤh¬ rend, gegenuͤber diesem laͤcherlichen Bilde, mir ein Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir das Ausbleiben desselben nun gar nicht mehr den¬ ken mochte. Seither habe ich mich gewoͤhnt, der¬ gleichen Gluͤcksfaͤlle, so wie ihr Gegentheil, wenn ich naͤmlich ein unangenehmes Ereigniß als die Strafe fuͤr einen unmittelbar vorhergegangenen, bewußten Fehler anzusehen mich immer wieder getrieben fuͤhle, als vollendete Thatsachen einzu¬ tragen und Gott dafuͤr dankbar zu sein, ohne mir des Genaueren einzubilden, es sei unmittelbar und insbesondere fuͤr mich geschehen. Doch kann ich mich bei jeder Gelegenheit, wo ich mir nicht zu helfen weiß, nicht enthalten, von Neuem durch Gebet solche huͤbsche faits accomplis herbeizufuͤh¬ ren und fuͤr die Zurechtweisungen des Schicksals einen Grund in meinen Fehlern zu suchen und Gott Besserung zu geloben. Ich wartete ungeduldig einen Tag und ging dann am darauf folgenden mit einer ganzen Last meiner bisherigen Arbeiten zu Roͤmer. Er em¬ pfing mich freundlich zuvorkommend und besah die Sachen mit aufmerksamer Theilnahme. Da¬ bei gab er mir fortwaͤhrend guten Rath und als wir zu Ende waren, sagte er, ich muͤßte vor Al¬ lem die ungeschickte alte Manier, das Material zu behandeln, aufgeben, denn damit ließe sich gar Nichts mehr ausrichten. Nach der Natur sollte ich fleißig vor der Hand mit einem weichen Blei zeichnen und fuͤr das Haus anfangen, seine Weise einzuuͤben, wobei er mir gerne behuͤlflich sein wolle. Auch suchte er mir aus seinen Mappen einige einfache Studien in Bleistift so wie in Farben, welche ich zur Probe copiren sollte und als ich hierauf mich empfehlen wollte, sagte er: »O! bleiben Sie noch ein Stuͤndchen hier, Sie werden den Vormittag doch nichts mehr machen koͤnnen: sehen Sie mir ein wenig zu und plaudern wir ein Bischen!« Mit Vergnuͤgen that ich dies, hoͤrte auf seine Bemerkungen, die er uͤber sein Verfahren machte, und sah zum ersten Mal die einfache freie und sichere Art, mit der ein Kuͤnstler arbeitet. Es ging mir ein neues Licht auf und es duͤnkte mich, wenn ich mich selbst auf meine bisherige Art arbeitend vorstellte, als ob ich bis heute nur Struͤmpfe gestrickt oder etwas Aehnliches gethan haͤtte. Rasch copirte ich die Blaͤtter, die Roͤmer mir mitgab, mit aller Lust und allem Gelingen, welche ein erster Anlauf giebt, und als ich sie ihm brachte, sagte er: »Das geht ja vortrefflich, ganz gut!« An diesem Tage lud er mich ein, da das Wetter sehr schoͤn war, einen Spaziergang mit ihm zu machen, und auf diesem verband er das, was ich in seinem Hause bereits eingesehen, mit der lebendigen Natur, und dazwischen sprach er vertraulich uͤber andere Dinge, Menschen und Verhaͤltnisse, welche vorkamen, bald scharf kritisch, bald scherzend, so daß ich mit einem Male einen zuverlaͤssigen Lehrer und einen unterhaltenden und umgaͤnglichen Freund besaß. Ich erzaͤhlte ihm Vieles von meinen Verhaͤltnissen und Ge¬ schichten, fast Alles, mit Ausnahme der Anna und Judith, und er faßte Alles so auf, wie ich nur wuͤnschen konnte, vom Standpunkte eines freien und erfahrenen Menschen und als Kuͤnstler. So stellte sich schnell ein ungezwungener Um¬ gang her, bei welchem ich mich ganz konnte gehen lassen und keinen Einfall zu unterdruͤcken brauchte, ohne daß ich die Bescheidenheit und Ehrerbietung zu sehr verletzte, und wenn ich dies that, so glich die widerspruchslose Bereit¬ 2 * willigkeit, welche jenes Alter den Zurechtweisungen der wahren und wohlmeinenden Autoritaͤt ent¬ gegenbringt, den Fehler bald wieder aus. Bald fuͤhlte ich das Beduͤrfniß, immer und ganz in seiner Naͤhe zu sein, und machte daher immer haͤufiger von meiner Freiheit, ihn zu be¬ suchen, Gebrauch, als er eines Tages, nachdem er mir gruͤndlich und schon etwas strenger eine Arbeit durchgesehen, zu mir sagte: »Es wuͤrde gut fuͤr Sie sein, noch eine Zeit ganz unter der Leitung eines Lehrers zu stehen; es wuͤrde mir auch zum Vergnuͤgen und zur Erheiterung ge¬ reichen, Ihnen meine Dienste anzubieten; da aber meine Verhaͤltnisse leider nicht der Art sind, daß ich dies ganz ohne Entschaͤdigung thun koͤnnte, wenigstens wenn es nicht durchaus sein muß, so besprechen Sie sich mit Ihrer Frau Mutter, ob Sie monatlich zwei Louisd'or daran wenden wollen. Ich bleibe jedenfalls einige Zeit hier und in einem halben Jahre hoffe ich Sie so weit zu bringen, daß Sie spaͤter besser vorbereitet und selbst im Stande, einigen Erwerb zu finden, Ihre Reisen antreten koͤnnten. Sie wuͤrden jeden Morgen um acht Uhr kommen und den ganzen Tag bei mir arbeiten.« Ich wuͤnschte nichts Besseres zu thun und lief eiligst nach Hause, den Vorschlag meiner Mutter zu hinterbringen. Allein sie war nicht so eilig, wie ich, und ging, da es sich um Aus¬ gabe einer erkleklichen Summe handelte und ich selbst einen Theil des an Habersaat Bezahlten fuͤr verlorenes Geld hielt, erst jenen vornehmen Herrn, bei dem sie schon fruͤher ein Mal gewesen, um Rath zu fragen; denn sie dachte, derselbe werde jedenfalls wissen, ob Roͤmer wirklich der geachtete und beruͤhmte Kuͤnstler sei, fuͤr welchen ich ihn so eifrig ausgab. Doch man zuckte die Achseln, gab zwar zu, daß er als Kuͤnstler talent¬ voll und in der Ferne renommirt sei; uͤber seinen Charakter jedoch huͤllte man sich in's Unklare, wollte nicht viel Gutes wissen, ohne etwas Naͤheres angeben zu koͤnnen, und meinte schließlich, wir sollten uns in Acht nehmen. Jedenfalls sei die Forderung zu groß, unsere Stadt sei nicht Rom oder Paris, auch hielte man dafuͤr, es waͤre ge¬ rathener, die Mittel fuͤr meine Reisen aufzusparen und diese desto fruͤher anzutreten, wo ich dann selbst sehen und holen koͤnne, was Roͤmer be¬ saͤße. Das Wort Reisen war nun schon wiederholt vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter zu bestimmen, jeden Pfennig zur Ausstattung aufzubewahren. Daher theilte sie mir die be¬ denklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche ich auch mit Entruͤstung zu Nichte machte; denn ich war schon dagegen gewaffnet, indem ich aus verschiedenen raͤthselhaften Aeußerungen Roͤmer's entnommen, daß er mit der Welt nicht zum Besten stehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja, es hatte sich schon eine verstaͤndnißvolle eigene Sprache uͤber diesen Punkt zwischen uns ausge¬ bildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme seine Klagen entgegennahm und so erwiederte, als ob ich selbst schon die bittersten Erfahrungen gemacht oder wenigstens zu erwarten haͤtte, welche ich aber festen Fußes erwarten und dann zugleich mich und ihn raͤchen wollte. Wenn Roͤmer hier¬ auf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die Menschen doch nicht besser werde kennen, als er, so mußte ich dies annehmen und ließ mich mit wichtiger Miene belehren, wie es anzufangen waͤre, sich gehoͤrig zu stellen, ohne daß ich eigent¬ lich wußte, warum es sich handelte und worin jene Erfahrungen denn bestaͤnden. Ich entschloß mich kurz und sagte zur Mutter, ich wolle das Gold, welches in meinem ehemals gepluͤnderten Sparkaͤstchen uͤbrig geblieben, fuͤr die Sache verwenden. Hiegegen hatte sie Nichts einzuwenden und schien eher froh zu sein, diesen Mittelweg zu sehen, auf welchem ich wenigstens meine Selbstbestimmung bethaͤtigen konnte. Ich nahm also die Schaumuͤnze und einige Dukaten, welche dabei waren, und trug Alles zu einem Goldschmied, welcher mir acht Louisd'ors in Silber dafuͤr bezahlte, brachte das Geld zu Roͤmer und sagte, das sei Alles, was ich ver¬ wenden koͤnnte und ich wuͤnschte wenigstens vier Monate dafuͤr seines Unterrichtes zu genießen. Zuvorkommend sagte er, das sei gar nicht so ge¬ nau zu nehmen! Da ich thue, was ich koͤnne, wie es einen Kunstjuͤnger gezieme, so wolle er nicht zuruͤckbleiben und ebenfalls thun, was er koͤnne, so lange er hier sei, und ich solle nur gleich morgen kommen und anfangen. So richtete ich mich mit großer Befriedigung bei ihm ein. Den ersten und zweiten Tag ging es noch ziemlich gemuͤthlich zu; allein schon am dritten begann Roͤmer einen ganz anderen Ton zu singen, indem er urploͤtzlich hoͤchst kritisch und streng wurde, meine Arbeit erbarmungslos her¬ unter machte und mir bewies, daß ich nicht nur noch nichts koͤnne, sondern auch laͤssig und un¬ achtsam sei. Das kam mir hoͤchst wunderlich vor, ich nahm mich ein wenig zusammen, was aber nicht viel Dank einbrachte; im Gegentheil wurde Roͤmer immer strenger und ironischer in seinem Tadel, den er nicht in die ruͤcksichtsvollsten Ausdruͤcke faßte. Da nahm ich mich ernstlicher zusammen, der Tadel wurde ebenfalls ernstlich und fast ruͤhrend, bis ich endlich mich ganz zer¬ knirscht und demuͤthig daran machte, mir bei je¬ dem Striche den Platz, wo er hin sollte, wohl besah, manchmal ihn zart und bedaͤchtig hinsetzte, manchmal nach kurzem Erwaͤgen ploͤtzlich wie einen Wuͤrfel auf gut Gluͤck hinwarf und endlich Alles genau so zu machen suchte, wie Roͤmer es verlangte. So erreichte ich endlich etwelches Fahr¬ wasser, auf welchem ich ganz still dem Ziele einer leidlichen Arbeit zusteuerte. Der Fuchs merkte aber meine Absicht und erschwerte mir unversehens die Aufgaben, so daß die Noth von Neuem an¬ ging und die Kritik meines Meisters schoͤner bluͤhte, denn je. Wiederum steuerte ich endlich nach vieler Muͤhe einer angehenden Tadellosigkeit entgegen und wurde nochmals durch ein erschwer¬ tes Ziel zuruͤckgeworfen, statt daß ich, wie ich ge¬ hofft, ein Weilchen auf den Lorbeeren einer er¬ reichten Stufe ausruhen konnte. So erhielt mich Roͤmer einige Monate in großer Unterwuͤrfigkeit, wobei jedoch die mystischen Gespraͤche uͤber die bitteren Erfahrungen und uͤber dies und jenes fortdauerten, und wenn die Tagesarbeit ge¬ schlossen war oder auf unseren Spaziergaͤngen blieb unser Verkehr der alte. Dadurch entstand eine seltsame Weise, indem Roͤmer mitten in einer traulichen und tiefsinnigen Unterhaltung mich jaͤhlings andonnerte: »Was haben Sie da ge¬ macht! Was soll denn das sein! O Herr Jesus! Haben Sie Ruß in den Augen?« so daß ich ploͤtzlich still wurde und voll Ingrimm uͤber ihn und mich selbst meine Arbeit mit verzweifel¬ ter Aufmerksamkeit wieder aufnahm. So lernte ich endlich die wahre Arbeit und Muͤhe kennen, ohne daß mir dieselbe laͤstig wurde, da sie in sich selbst den Lohn der immer neuen Erholung und Verjuͤngung traͤgt, und ich sah mich in den Stand gesetzt, eine große Studie Roͤmer's, welche schon mehr ein ganzes Bild mit den verschiedensten Bestandtheilen vorstellte, vor¬ nehmen zu duͤrfen und dieselbe so zu copiren, daß mein Lehrer erklaͤrte, es sei nun genug in dieser Richtung, ich wuͤrde ihm sonst seine ganzen Mappen nachzeichnen; dieselben seien sein einziges Vermoͤgen und er wuͤnsche bei aller Freundschaft doch nicht, eine foͤrmliche Doublette desselben in anderen Haͤnden zu wissen. Durch diese Beschaͤftigung war ich wunder¬ licher Weise im Suͤden weit mehr heimisch ge¬ worden, als in meinem Vaterlande. Da die Sachen, nach welchen ich arbeitete, alle unter freiem Himmel und sehr trefflich gemacht waren, auch die Erzaͤhlungen und Bemerkungen Roͤmer's fortwaͤhrend meine Arbeit begleiteten, so verstand ich die suͤdliche Sonne, jenen Himmel und das Meer beinahe, wie wenn ich sie gesehen haͤtte, wußte Kakteen, Aloe und Myrthenstraͤuche besser darzustellen, als Disteln, Nesseln und Weißdorn, Pinien und immergruͤne Eichen besser als Foͤhren und nordische Eichen, und Cypressen und Oel¬ baͤume waren mir bekannter als Pappeln und Weiden. Selbst der suͤdliche Boden war mir viel leichter in der Hand als der nordische, da jener mit bestimmten glaͤnzenden Farben be¬ kleidet war und sich im Gegensatze zu der tiefen Blaͤue der mittleren und fernen Gruͤnde fast von selbst herstellte, indessen dieser, um wahr und gut zu scheinen, eine unmerkliche aber verzweifelt schwer zu treffende Verschiedenheit und Feinheit in grauen Toͤnen erforderte. Am See von Nemi war ich besser zu Hause, als an unserem See, die Umrisse von Capri und Ischia kannte ich ge¬ nauer, als unsere naͤchsten Uferhoͤhen. Die rothen, mit Epheu bekleideten Bogen der Wasserleitungen III. 3 in der sonnverbrannten braungelben roͤmischen Campagne mit den blauen Hoͤhenzuͤgen in der Ferne und dem grauroͤthlichen Duft am Himmel konnte ich auswendig herpinseln. Und wie schoͤn waren alle diese Gegenstaͤnde! Auf einer sicilianischen Kuͤstenstudie war vorn zwischen goldenen Felsen eine Stelle im Meere, welche in der allerfabelhaftesten purpurnen Blaͤue funkelte, wie sie der ausschweifendste Maͤhrchen¬ dichter nicht auffallender haͤtte ersinnen koͤnnen. Aber sie war hier an ihrem rechten und gesetz¬ maͤßigen Platze und machte daher eine zehn Mal poetischere Wirkung, als wenn sie in einer er¬ fundenen Landschaft unter anderen Umstaͤnden angebracht worden waͤre. Einen besonderen Reiz gewahrten mir die Truͤmmer griechischer Baukunst, welche sich da und dort fanden. Ich empfand wieder Poesie, wenn ich das weiße, sonnige Marmorgebaͤlke eines dorischen Tempels vom blauen Himmel abheben mußte. Die horizontalen Linien an Ar¬ chitrav, Fries und Kranz, sowie die Kanelirun¬ gen der Saͤulen mußten mit der zartesten Ge¬ nauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch sicher und elegant hingezogen werden; die Schlag¬ schatten auf diesem weißgoldenen edlen Gestein waren rein blau und wenn ich den Blick fort¬ waͤhrend auf dies Blau gerichtet hatte, so glaubte ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu sehen. Jede Luͤcke im Gebaͤlke, durch welche der Himmel schaute, jede Scharte an den Kane¬ lirungen war mir heilig und ich hielt genau ihre kleinsten Eigenthuͤmlichkeiten fest. Im Nachlasse meines Vaters fand sich ein Werk uͤber Architektur, in welchem die Geschichte und Erklaͤrung der alten Baustyle nebst guten Abbildungen mit allem Detail enthalten waren. Dies zog ich nun hervor und studirte es begierig, um die Truͤmmer besser zu verstehen, und ihren Werth ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich der italienischen Reise von Goethe, welche ich kuͤrzlich gelesen, Roͤmer erzaͤhlte mir viel von den Menschen und Sitten und der Vergangenheit Italiens. Er las fast keine Buͤcher, als die deutsche Uebersetzung von Homer und einen ita¬ lienischen Ariost. Den Homer forderte er mich 3 * auf zu lesen und ich ließ mir dies nicht zwei Mal sagen. Im Anfange wollte es nicht recht gehen, ich fand wohl Alles schoͤn, aber das Ein¬ fache und Kolossale war mir noch zu ungewohnt und ich vermochte nicht lange nach einander aus¬ zuhalten. Am meisten fesselten mich nur die be¬ wegtesten Vorgaͤnge, besonders in der Odyssee, waͤhrend die Ilias mir lange nicht nahe treten wollte. Aber Roͤmer machte mich aufmerksam, wie Homer in jeder Bewegung und Stellung das einzig Noͤthige und Angemessene anwende, wie jedes Gefaͤß und jede Kleidung, die er beschreibe, zugleich das Geschmackvollste sei, was man sich denken koͤnne, und wie endlich jede Situation und jeder moralische Conflict bei ihm bei aller fast kindlichen Einfachheit von der gewaͤhltesten Poesie getraͤnkt sei. »Da verlangt man heut zu Tage immer nach dem Ausgesuchten, Interessanten und Pikanten und weiß in seiner Stumpfheit gar nicht, daß es gar nichts Ausgesuchteres, Pi¬ kanteres und ewig Neues geben kann, als so einen homerischen Einfall in seiner einfachen Klassicitaͤt! Ich wuͤnsche Ihnen nicht, lieber Lee, daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Ge¬ spielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfin¬ den lernen! Wollen Sie wissen, wie dies zu¬ geht? Halten wir das Beispiel einmal fest! Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimath und von Ihrer Mutter und Allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen, und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen: so wird es Ihnen des Nachts unfehl¬ bar traͤumen, daß Sie sich Ihrer Heimath naͤhern: Sie sehen sie glaͤnzen und leuchten in den schoͤnsten Farben; holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie ploͤtzlich, daß Sie zerfetzt, nackt und kothbedeckt einher¬ gehen; eine namenlose Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen in Schweiß gebadet. Dies ist, so lange es Menschen giebt, der Traum des kummervollen umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausge¬ nommen!« Da es mir einmal bestimmt scheint, immer ruckweise und durch kurze Blitze und Schlag¬ woͤrter auf eine neue Spur zu kommen, so be¬ wirkten diese Andeutungen Roͤmer's, besonders diejenigen uͤber das Pikante, mehr, als wenn ich den Homer Jahre lang so fuͤr mich gelesen haͤtte. Ich war begierig, selbst dergleichen aufzufinden und lernte dadurch mit mehr Bewußtsein und Absicht lesen. Inzwischen war es gut, daß das Interesse Roͤmer's, hinsichtlich des Copirens seiner Samm¬ lungen, sich mit dem meinigen vereinigte; denn als ich nun, gemaͤß seiner Aufforderung, mich wieder vor die Natur hinsetzte, erwies es sich, daß ich Gefahr lief, meine ganze Copirfertigkeit und mein italienisches Wissen zu einer wunder¬ lichen Fiction werden zu sehen. Es kostete mich die groͤßte Beharrlichkeit und Muͤhe, ein nur zum zehnten Theile so anstaͤndiges Blatt zuwege zu bringen, als meine Copien waren; die ersten Ver¬ suche mißlangen fast gaͤnzlich, und Roͤmer sagte schadenfroh: »Ja, mein Lieber, das geht nicht so rasch! Ich habe es wohl gedacht, daß es so kommen wuͤrde; nun heißt es auf eigenen Fuͤßen stehen, oder vielmehr mit eigenen Augen sehen! Eine gute Studie leidlich copiren, will nicht so viel heißen! Glauben Sie denn, man laͤßt sich ohne Weiteres fuͤr Andere die Sonne auf den Buckel zuͤnden?« u. s. f. Nun begann der ganze Krieg des Tadels gegen das Bemuͤhen, demselben zuvorzukommen und ihm boshafte Streiche zu spielen, von Neuem; Roͤmer ging mit hinaus und malte selbst, so daß er mich immer unter seinen Augen hatte. Es war hier nicht gerathen, die Thorheiten und Flausen zu wiederholen, die ich unter Herrn Habersaat gespielt hatte, da Roͤmer durch Steine und Baͤume zu sehen schien und jedem Striche anmerkte, ob derselbe gewissen¬ haft sei oder nicht. Er sah es jedem Aste an, ob derselbe zu dick oder zu duͤnn sei und wenn ich meinte, derselbe koͤnnte ja am Ende so ge¬ wachsen sein, so sagte er: »Lassen Sie das gut sein! Die Natur ist vernuͤnftig und zuverlaͤssig; uͤbrigens kennen wir solche Finessen wohl! Sie sind nicht der erste Hexenmeister, welcher der Natur und seinem Lehrer ein X fuͤr ein U machen will!« Doch ruͤckte ich allmaͤlig vorwaͤrts; aber leider muß ich gestehen, daß mehr ein aͤußerer Ehrgeiz mich dazu antrieb, als eine innere Treue. Denn es war mir hauptsaͤchlich darum zu thun, daß die Arbeiten, welche ich selbst nach der Natur machte, nicht zu sehr zuruͤckstehen moͤchten gegen meine copirte Sammlung, und recht bald ein geistiges Eigenthum von einigem Werth zu haben. Ich gelangte auch im Laufe des Sommers in Besitz von einem Dutzend starker und solider Papierbogen, auf welchen sich ansehnliche Baum¬ gruppen, Steingeroͤlle und Buschwerke ziemlich keck und sachgemaͤß darstellten, die einen Vorrath von guten Motiven enthielten, die Spuren der Natur und einer kuͤnstlerischen Leitung zeigten und desnahen, wenn sie auch weit entfernt waren, etwas Meisterhaftes zu verrathen, doch als eine erste ordentliche Grundlage zu der Mappe eines Kuͤnstlers betrachtet werden konnten, welche man nicht nur der Erinnerung, sondern auch der fort¬ dauernden Nutzbarkeit wegen aufbewahren mag. In diesen Blaͤttern war dann noch diese oder jene Lieblingsstelle, wo ich einen gluͤcklichen Ton getroffen und der Natur einen guten Blick abge¬ lauscht, ohne es zu wissen, irgend ein gutes Gruͤnlich-Grau oder ein deutliches Sonnenlicht auf einem schwaͤrzlichen Steine, womit Roͤmer so zufrieden war, daß er es der Brauchbarkeit halber fuͤr sich copirte. Er konnte dies unbe¬ schadet seiner Strenge thun: denn ich durfte nur einen Blick auf seine eigenen Studien werfen, welche er in diesem Sommer machte, so verging nur alle Ueberhebung, und wenn ich noch so viel Freude an meinen Schuͤlerwerken empfand, so war diese Freude noch viel groͤßer und schoͤner, wenn ich Roͤmer's glaͤnzende und meisterhafte Arbeiten sah. Aber duͤster und einsilbig legte er sie zu seinen uͤbrigen Sachen, als ob er sagen wollte: Was hilft das Zeug! waͤhrend ich die meinigen mit stolzer Hoffnung aufbewahrte und die Zeit nahe sah, wo ich eben solche Meisterwerke mein nennen wuͤrde. Neben den ausgefuͤhrten Studien sammelte sich noch ein artiger Schatz von kleinen und frag¬ mentarischen Bleistift- und Federskizzen, die alle wohl zu brauchen waren, und mein erstes, auf eigene Arbeit und wahre Einsicht gegruͤndetes Besitzthum vervollstaͤndigten. Weil ich die mir durch den Aufenthalt Roͤmer's zugemessene Zeit wohl benutzen mußte, so konnte ich nicht daran denken, das Dorf zu besuchen, obschon ich verschiedene Gruͤße und Zeichen von daher erhalten hatte. Um so fleißiger dachte ich an Anna, wenn ich arbeitete und die gruͤnen Baͤume leise um mich rauschten. Ich freute mich fuͤr sie meines Lernens und daß ich in diesem Jahre so reich an Erfahrung geworden gegen das fruͤhere Jahr; ich hoffte einigen wirk¬ lichen Werth dadurch erhalten zu haben, der in ihren Augen fuͤr mich spraͤche und in ihrem Hause die Hoffnung begruͤnde, die ich selbst fuͤr mich zu hegen mir erlaubte. Wenn ich aber nach gethaner Arbeit in meines Lehrers Wohnung ausruhte, seinen Erzaͤhlungen vom suͤdlichen Leben zuhoͤrte und dabei seine Sachen beschaute, worunter manches Studienbild einer schoͤnen vollen Roͤmerin oder Albanerin dunkelaͤugig glaͤnzte, so trat unversehens Judith's Bild vor mich und wich nicht von mir, bis es, von selbst Anna's Gestalt hervorrufend, von dieser verdraͤngt wurde. Wenn ich eine blendend weiße Saͤulenreihe ansah und mit lebendiger Phantasie das Weben der heißen Luft zu fuͤhlen glaubte, in welcher sie stand, so schien Judith ploͤtzlich hinter einer Saͤule hervorzutreten, langsam die verfallenden Tempelstufen herabzusteigen und, mir winkend, in ein bluͤhendes Oleandergebuͤsch zu verschwinden, unter welchem eine klare Quelle hervorfloß. Folgten meine Gedanken aber dahin, so sahen sie Anna im gruͤnen Kleide an der Quelle sitzen, das silberne Kroͤnchen auf dem Kopfe und silberblinkende Thraͤnchen vergießend. Der Herbst war gekommen, und als ich eines Mittags zum Essen nach Hause ging und in unsere Stube trat, sah ich auf dem Ruhbettchen einen schwarz seidenen Mantel liegen. Freudig betroffen eilte ich auf denselben zu, hob das leichte angenehme Ding in die Hoͤhe und besah es von allen Seiten, auf der Stelle Anna's Mantel erkennend. Ich eilte damit in die Kuͤche, wo ich die Mutter beschaͤftigt fand, ein feineres Essen, als gewoͤhnlich, zu bereiten. Sie bestaͤtigte mir die Ankunft des Schulmeisters und seiner Tochter, setzte aber sogleich mit besorgtem Ernst hinzu, daß dieselben nicht zum Vergnuͤgen gekommen waͤren, sondern um einen beruͤhmten Arzt zu be¬ suchen. Waͤhrend die Mutter in die Stube ging und den Tisch deckte, deutete sie mir mit einigen Worten an, daß sich bei Anna seltsame und be¬ aͤngstigende Anzeichen eingestellt haͤtten, daß der Schulmeister sehr bekuͤmmert sei und sie, die Mutter, selbst nicht minder, denn nach der gan¬ zen Erscheinung des armen Maͤdchens glaube sie nicht, daß das feine zarte Wesen, lange leben wuͤrde. Ich saß auf dem Ruhbette, hielt den Mantel fest in meinen Haͤnden und hoͤrte ganz verwun¬ dert auf diese Worte, die mir so unerwartet und fremd klangen, daß sie mir mehr wunderlich als erschreckend vorkamen. In diesem Augenblicke ging die Thuͤr auf, und die eben so geliebten, als wahrhaft geehrten Gaͤste traten herein. Ueber¬ rascht stand ich auf und ging ihnen entgegen, und erst als ich Anna die Hand geben wollte, sah ich, daß ich immer noch ihren Mantel hielt. Sie erroͤthete und laͤchelte zugleich, waͤhrend ich verlegen dastand; der Schulmeister warf mir vor, warum ich mich den ganzen Sommer uͤber nie sehen lassen, und so vergaß ich uͤber diesen Be¬ gruͤßungen ganz die Mittheilung der Mutter, an welche mich auch nichts Auffallendes erinnerte. Erst als wir am Tische saßen, wurde ich durch eine gewisse vermehrte Liebe und Aufmerksamkeit, mit welcher meine Mutter Anna behandelte, er¬ innert und glaubte jetzt nur zu sehen, daß sie gegen fruͤher fast groͤßer, aber auch zugleich zarter und schmaͤchtiger erschien; ihre Gesichtsfarbe war wie durchsichtig geworden und um ihre Augen, welche erhoͤht glaͤnzten, bald in dem kindlichen Feuer fruͤherer Tage, bald in einem traͤumerischen tiefen Nachdenken, lag etwas Leidendes. Sie war heiter und sprach ziemlich viel, waͤhrend ich schwieg, hoͤrte und sie ansah; denn sie hatte ein dreifaches Recht zu sprechen: als Gast, als Maͤd¬ chen und als die Hauptperson dieses Besuches, wenn auch die Ursache traurig war. Andaͤchtig und gern beschied ich mich und goͤnnte von ganzem Herzen Anna die Ehre, bei Tische mit den Ael¬ tern auf gleichem Fuße zu stehen, zumal sie durch ihr Schicksal diese Ehre mit fruͤhen Leiden zu erkaufen bestimmt schien. Auch der Schulmeister war heiter und ganz wie sonst; denn bei den Schick¬ salen und Leiden, welche uns Angehoͤrige be¬ treffen, benehmen wir uns nicht lamentabel, son¬ dern fast vom ersten Augenblicke an mit der gleichen Gefaßtheit, mit dem gleichen Wechsel von Hoffnung, Furcht und Selbsttaͤuschung, wie die Betroffenen selbst. Doch ermahnte jetzt der Schul¬ meister seine Tochter, nicht zu viel zu sprechen, und mich fragte er, ob ich die Ursache der kleinen Reise schon kenne, und fuͤgte hinzu: »Ja, lieber Heinrich! meine Anna scheint krank werden zu wollen! Doch laßt uns den Muth nicht verlieren! Der Arzt hat ja gesagt, daß vor der Hand nicht viel zu sagen und zu thun waͤre. Er hat uns einige Verhaltungsregeln gegeben und anbefohlen, ruhig zuruͤckzukehren und dort zu leben, anstatt hieher zu ziehen, da die dortige Luft angemessener sei. Fuͤr unsern Doctor will er uns einen Brief mitgeben und von Zeit zu Zeit selbst hinauskom¬ men und nachsehen.« Ich wußte hierauf rein nichts zu erwiedern, noch meine Theilnahme zu bezeugen; vielmehr wurde ich ganz roth und schaͤmte mich nur, nicht auch krank zu sein. Anna hingegen sah mich bei den Worten ihres Vaters laͤchelnd an, als ob sie Mitleid mit mir haͤtte, so peinliche Dinge hoͤren zu muͤssen. Nach dem Essen verlangte der Schulmeister, von meinen Beschaͤftigungen zu wissen und Etwas zu sehen; ich brachte meine wohlgefuͤllte Mappe her¬ bei und erzaͤhlte von meinem Meister; doch sah man jetzt wohl, daß er zu sehr von seiner Sorge befangen war, als daß er lange bei diesen Din¬ gen haͤtte verweilen koͤnnen. Er machte sich be¬ reit, einige Gaͤnge zu thun und Einkaͤufe zu ma¬ chen, welche hauptsaͤchlich in einigen auslaͤndischen Producten zu Nahrungsmitteln fuͤr Anna bestan¬ den, welche der Arzt einstweilen verordnet. Meine Mutter begleitete ihn und ich blieb allein mit Anna zuruͤck. Sie fuhr fort, meine Sachen auf¬ merksam zu beschauen; auf dem Ruhbett sitzend, ließ sie sich Alles von mir vorlegen und erklaͤ¬ ren. Waͤhrend sie auf meine Landschaften sah, blickte ich auf sie nieder, manchmal mußte ich mich beugen, manchmal hielten wir ein Blatt zusammen in den Haͤnden lange Zeit, doch er¬ eignete sich sonst gar nichts Zaͤrtliches zwischen uns; denn waͤhrend sie fuͤr mich nun wieder ein anderes Wesen war und ich mich scheute, sie nur von ferne zu verletzen, haͤufte sie alle Aeußerungen der Freude, der Aufmerksamkeit und sogar der Ehrenbezeugung allein auf meine Arbeiten, sah sie fort und fort an und wollte sich gar nicht von denselben trennen, waͤhrend sie mich selbst nur wenig ansah. Ploͤtzlich sagte sie: »Unsere Tante im Pfarr¬ haus laͤßt Dir sagen, Du sollest mit uns sogleich hinausfahren, sonst sei sie boͤse! Willst Du?« Ich erwiederte: »Ja, jetzt kann ich schon!« und setzte hinzu: »Was fehlt Dir denn eigentlich?« »Ach, ich weiß es selbst nicht, ich bin immer muͤde und leide manchmal ein wenig; die Anderen machen mehr daraus, als ich selbst!« Meine Mutter und der Schulmeister kamen zuruͤck; neben den seltsamen und fremdartigen Packeten, die er mit einem verstohlenen Seufzer auf den Tisch legte, brachte er einige Geschenke fuͤr Anna mit, feine Kleiderstoffe, einen schoͤnen großen Shawl und eine goldene Uhr, als ob er mit diesen kostbaren und auf die Dauer berechne¬ ten Sachen eine guͤnstige Wendung des Geschickes erzwingen wollte. Als Anna daruͤber erschrak, sagte er, sie habe diese Dinge schon lange ver¬ dient und das bischen Geld haͤtte gar keinen Werth fuͤr ihn, wenn er nicht ihr eine kleine Freude dadurch verschaffen koͤnnte. Er zeigte sich zufrieden, daß ich mitfahren wollte; meine Mutter sah es auch gern und legte mir einige Sachen zurecht, indessen ich das Ge¬ faͤhrt aus dem Gasthause holte, wo es eingestellt war. Anna sah allerliebst aus, als sie wohl vermummt und verschleiert dem Schulmeister zur Seite saß. Ich behauptete den Vordersitz und hatte das Leitseil des gutgenaͤhrten Pferdes er¬ griffen, welches ungeduldig scharrte: die Mutter machte sich noch lange am Wagen zu schaffen III. 4 und wiederholte dem Schulmeister ihre Anerbie¬ tungen zu jeglicher Huͤlfe und wenn es nothwen¬ dig wuͤrde, hinzukommen und Anna zu pflegen; die Nachbaren steckten die Koͤpfe aus den Fen¬ stern und vermehrten mein angenehmes Selbstbe¬ wußtsein, als ich endlich mit meiner liebenswuͤr¬ digen und anmuthigen Gesellschaft die enge Straße entlang fuhr. Es glaͤnzte ein sonniger Herbstnachmittag auf dem Lande. Wir fuhren durch Doͤrfer und Fel¬ der, sahen die Gehoͤlze und Anhoͤhen im zarten Dufte liegen, hoͤrten die Jaͤgerhoͤrnchen in der Ferne, begegneten uͤberall zahlreichem Fuhrwerke, welches den Herbstsegen einbrachte; hier machten die Leute die Gefaͤße zur Weinlese zurecht, und bauten große Kufen, dort standen sie reihenweise auf den Aeckern und gruben Kartoffeln aus, an¬ derswo wieder pfluͤgten sie die Erde um und die ganze Familie war dabei versammelt, von der Herbstsonne hinausgelockt; uͤberall war es leben¬ dig und zufrieden bewegt. Die Luft war so mild, daß Anna ihren gruͤnen Schleier zuruͤckschlug und ihr liebliches Gesicht zeigte. Wir vergaßen alle Drei, warum wir eigentlich auf diesen Wegen fuhren; der Schulmeister war gespraͤchig und er¬ zaͤhlte uns viele Geschichten von den Gegenden, durch welche wir kamen, zeigte uns die heiteren Wohnungen, wo beruͤhmte Maͤnner hausten, deren wohlgeordnete und gepflegte Raͤume und Gaͤrten die weise Klugheit ihrer Besitzer verkuͤndeten oder deren weiße Giebelwaͤnde und glaͤnzende Fenster auch von entlegenen Halden im Sonnenschein die gleiche Kunde gaben. Da und dort wohnte eine beruͤhmte Tochter oder deren zwei, von denen et¬ was zu erblicken wir im Voruͤberfahren uns be¬ muͤhten, und wenn dies gelang, so benahm sich Anna mit dem bescheidenen Anstande derjenigen, welche selbst Blumen des Landes sind. Doch dunkelte es eine geraume Weile, ehe wir an's Ziel gelangten, und mit der Dunkelheit fiel es mir ploͤtzlich ein, daß ich Judith das Ver¬ sprechen gegeben, sie jedesmal zu besuchen, wenn ich in's Dorf kaͤme. Anna hatte sich wieder ver¬ huͤllt, ich saß nun neben ihr, da der Schulmeister, welcher die Wege besser kannte, die Zuͤgel genom¬ men, und weil wir der Dunkelheit wegen nun 4* schweigsamer waren, so hatte ich Zeit, daruͤber nachzudenken, was ich thun wollte. Je unmoͤglicher es mir schien, mein Verspre¬ chen zu halten, je weniger ich das Wesen, wel¬ ches ich mir zur Seite fuͤhlte und das sich nun sanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬ leidigen und hintergehen mochte, desto dringender ward auf der andern Seite die Ueberzeugung, daß ich am Ende doch mein Wort halten muͤsse, da mich Judith nur im Vertrauen auf dasselbe in jener Nacht entlassen, und ich nahm keinen An¬ stand, mir einzubilden, daß das Brechen desselben sie kraͤnken und ihr weh thun wuͤrde. Ich mochte um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬ maͤnnlich als Einer erscheinen, welcher aus Furcht ein Versprechen gaͤbe und aus Furcht dasselbe braͤche. Da fand ich einen sehr klugen Ausweg, wie ich dachte, der mich wenigstens vor mir selbst rechtfertigen sollte. Ich brauchte nur bei dem Schulmeister zu wohnen, so war ich nicht im Dorfe, und wenn ich am Tage dasselbe besuchte, so brauchte ich Judith nicht zu sehen, welche sich nur meinen naͤchtlichen und geheimen Besuch waͤh¬ rend eines Aufenthaltes im Dorfe ausbedungen hatte. Als wir daher in des Schulmeisters Haus ankamen und dort die Muhme mit einem Sohne und zwei Toͤchtern vorfanden, welche uns erwar¬ teten, theils um sogleich zu hoͤren, was der Arzt gesprochen, theils um dem Schulmeister das Zu¬ ruͤckbringen des geliehenen Fuhrwerks zu erspa¬ ren, als sie nun mich mitnehmen wollten und der Schulmeister sich freundlich dagegen beschwerte, erklaͤrte ich unversehens, hier bleiben zu wollen, und die alte Katharine, welche jetzt Anna's wegen sehr sorgenvoll und kleinlaut war, eilte, mir ein Unterkommen zu bereiten, indessen Anna, welche ganz ermuͤdet und angegriffen war und von Hu¬ sten befallen wurde, sich sogleich zu Bett begeben mußte. Sie fuͤhrte mich an einen artig eingerich¬ teten Tisch, auf welchem ihre Buͤcher und Ar¬ beitssachen, auch Papier und Schreibzeug lagen, setzte Licht darauf und sagte laͤchelnd: »Mein Va¬ ter bleibt alle Abend bei mir, bis ich eingeschla¬ fen bin, und liest mir manchmal etwas vor. Hier kannst Du Dich vielleicht so lange beschaͤftigen. Sieh, hier mache ich etwas fuͤr Dich!« und sie zeigte mir eine Stickerei zu einer kleinen Mappe, welche sie nach jener Blumenzeichnung verfertigte, die ich vor mehreren Jahren in der Weinlaube ge¬ macht und ihr geschenkt hatte. Das naive Bild hing uͤber ihrem Tische. Dann gab sie mir die Hand und sagte wehmuͤthig leise und doch so freundlich: Gut' Nacht! und ich sagte eben so leise Gut' Nacht. Einige Augenblicke nachher, als sie gegangen, kam der Schulmeister herein und ich sah, daß er ein schoͤn eingebundenes Andachtsbuch mitnahm, als er sich wieder entfernte, um in Anna's Zim¬ mer zu gehen. Ich hingegen beschaute alle Saͤ¬ chelchen, welche auf dem Tische lagen, spielte mit ihrer Scheere und konnte mir gar nicht ernstlich denken, daß irgend eine Gefahr fuͤr Anna sein sollte. Zweites Kapitel. Da ich in dem Hause meines Liebchens zu Gaste war, so erwachte ich am Morgen sehr fruͤh, noch eh' eine Seele sich regte. Ich machte das Fenster auf und sah lange auf den See hinaus, dessen waldige Uferhoͤhen vom Morgenrothe be¬ glaͤnzt waren, indessen der spaͤte Mond noch am Himmel stand und sich ziemlich kraͤftig im dunk¬ len Wasser spiegelte. Ich sah ihn nach und nach erbleichen vor der Sonne, welche nun die gelben Kronen der Baͤume vergoldete und einen zarten Schimmer uͤber den erblauenden See warf. Zu¬ gleich aber begann die Luft sich wieder zu ver¬ huͤllen, ein leiser Nebel zog sich erst wie ein Sil¬ berschleier um alle Gegenstaͤnde, und indem er ein glaͤnzendes Bild um das andere ausloͤschte, daß sich rings ein Reigen von aufleuchtendem Scheiden und Verschwinden bewegte, wurde der Nebel ploͤtzlich so dicht, daß ich nur noch das Gaͤrtchen vor mir sehen konnte, und zuletzt ver¬ huͤllte er auch dieses und drang feucht an das Fenster. Ich schloß dieses zu, trat aus der Kam¬ mer und fand die alte Katharine in der Kuͤche an dem traulichen hellen Feuer. Ich plauderte lange mit ihr; sie ergoß sich in zaͤrtlichen Klagen uͤber Anna's bedenklichen Zu¬ stand, berichtete mir, seit wann derselbe begon¬ nen, ohne daß ich jedoch uͤber seine eigentliche Beschaffenheit klar wurde, da sie sich mancher dunkeln und geheimnißvollen Anspielung bediente. Dann begann sie mit ruͤhrender, aber ganz treff¬ licher Beredtsamkeit das Lob Anna's zu verkuͤn¬ den und ihr bisheriges Leben zu beschauen bis in die Kinderjahre zuruͤck, und ich sah deutlich vor mir das dreijaͤhrige Engelchen umherspringen, in genau beschriebener Kleidung, aber freilich auch ein fruͤhes und leidenvolles Krankenlager, auf welches das kleine Wesen dann Jahre lang gelegt wurde, so daß ich nun ein schlo weißes, laͤnglich¬ gestrecktes Leichnamchen erblickte, mit geduldigem, klugem und immer laͤchelndem Angesicht. Doch das kranke Reis erholte sich, der wunderbare Aus¬ druck der durch das Leiden hervorgebrachten fruͤ¬ hen Weisheit verschwand wieder in seine unbe¬ kannte Heimath, und ein rosig unbefangenes Kind bluͤhte, als ob nichts vorgefallen waͤre, der Zeit entgegen, wo ich es zuerst sah. Endlich zeigte sich der Schulmeister, welcher, da seine Tochter nun des Morgens laͤnger im Bette bleiben mußte und laͤnger schlief als fruͤher, sich des fruͤhen Aufstehens auch nicht mehr freute und in seiner Zeiteintheilung ganz nach derjeni¬ gen seines kranken Kindes richtete. Nach einer guten Weile erschien auch Anna und nahm ihr besonders vorgeschriebenes Fruͤhstuͤck, indessen wir das ge¬ woͤhnliche verzehrten. Es verbreitete sich dadurch eine gewisse Wehmuth uͤber den Tisch, welche nach und nach in eine ernste Beschaulichkeit uͤberging, als wir Drei sitzen blieben und uns unterhielten. Der Schulmeister nahm ein Buch, die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis, und las einige Seiten daraus vor, indessen Anna ihre Stickerei vornahm. Dann hob ihr Vater uͤber das Gelesene ein Gespraͤch an und suchte mich an demselben zu be¬ theiligen und nach der herkoͤmmlichen Weise meine Urtheilskraft zu pruͤfen, zu mildern und zu ge¬ meinsamer Erbauung auf einen belehrenden Ver¬ einigungspunkt zu lenken. Aber ich hatte durch den letzten Sommer die Lust an solchen Eroͤrte¬ rungen fast gaͤnzlich verloren, mein Blick war auf sinnliche Erscheinung und Gestalt gerichtet, und selbst die raͤthselhaften Betrachtungen uͤber die Erfahrungen, die ich mit Roͤmer anstellte, gingen in einem durchaus weltlichen Sinne vor sich. Außerdem fuͤhlte ich, daß ich nun die groͤßte Ruͤck¬ sicht auf Anna nehmen mußte, und als ich be¬ merkte, daß sie sogar froh schien, mich hier einge¬ fangen und einem angehenden Bekehrungswerke preisgegeben zu sehen, huͤtete ich mich wohl, einen Widerspruch zu aͤußern, gab denjenigen Stellen, welche eine innere Wahrheit enthielten oder tief, schoͤn und kraftvoll ausgedruͤckt waren, meinen aufrichtigen Beifall, oder uͤberließ mich einer reizenden Langweile, die schoͤnen Farben an Anna's Seidenknaͤulchen beschauend. Sie hatte sich wohl ausgeruht und schien ziemlich munter zu sein, so daß kein großer Un¬ terschied gegen ihr fruͤheres Wesen waͤhrend des Tages bemerklich war. Der angenehme Aufent¬ halt in ihrem Hause diente daher nur dazu, mei¬ nen Leichtsinn und meine Sorglosigkeit zu bestaͤr¬ ken und eine Bewegungslust in mir anzufachen, die mich hinaustrieb. Außerdem mußte ich ja am Tage meine Verwandten im Dorfe besuchen, wenn ich den kasuistischen Ausweg, Judith zu hintergehen, anwenden wollte. Als ich daher in den dichten Nebel hinaus¬ ging, war ich, noch mehr aufgeweckt durch den frischen Herbstgeruch, sehr guter Dinge und mußte lachen uͤber meine seltsame List, zumal das ver¬ borgene Wandeln in der weiß verhuͤllten Natur meinen Gang einem Schleichwege noch vollstaͤn¬ dig aͤhnlich machte. Ich ging uͤber den Berg und gelangte bald zum Dorfe; doch verfehlte ich hier des Nebels wegen den rechten Weg und sah mich bald in ein Netz von schmalen Garten- und Wie¬ senpfaden versetzt, welche bald zu einem entlege¬ nen Hause, bald wieder gaͤnzlich zum Dorfe hin¬ ausfuͤhrten. Ich konnte nicht vier Schritte vor mir sehen, Leute hoͤrte ich immer, ohne sie zu er¬ blicken, aber zufaͤlliger Weise traf ich Niemanden auf meinen Wegen. Da kam ich zu einem offen stehenden Pfoͤrtchen und entschloß mich, hindurch zu gehen und alle Gehoͤfte gerade zu durchkreuzen, um endlich wieder auf die Hauptstraße zu kom¬ men. Ich sah mich in einen praͤchtigen großen Baumgarten versetzt, dessen Baͤume alle voll der schoͤnsten reifen Fruͤchte hingen. Man sah aber immer nur einen Baum ganz deutlich, die naͤch¬ sten standen schon halb verschleiert im Kreise um¬ her, und dahinter schloß sich wieder die weiße Wand des Nebels. Es war daher, als ob man in einen weiten Tempel getreten, dessen Saͤulen von Raͤucherwolken und Seidengeweben umhuͤllt und von dessen Decke gruͤne Kraͤnze mit goldenen und rubinfarbigen Fruͤchten herabhingen. Ploͤtz¬ lich sah ich Judith mir entgegen kommen, welche einen großen Korb mit Aepfeln gefuͤllt in beiden Haͤnden vor sich her trug, daß von der kraͤftigen Last die Korbweiden leise knarrten. Das Ein¬ sammeln des Obstes war fast die einzige Arbeit, der sie sich mit Liebe und Eifer hingab. Sie hatte ihr Kleid des nassen Grases wegen etwas aufgeschuͤrzt und zeigte die schoͤnsten Fuͤße; ihr Haar war von Feuchte schwer und das Gesicht von der Herbstluft mit reinem Purpur geroͤthet. So kam sie gerade auf mich zu, auf ihren Korb blickend, sah mich ploͤtzlich, stellte erst erbleichend den Korb zur Erde und eilte dann mit den Zei¬ chen der herzlichsten und aufrichtigsten Freude auf mich zu, fiel mir um den Hals und druͤckte mir ein Dutzend voll und rein ausgepraͤgte Kuͤsse auf die Lippen. Ich hatte Muͤhe, dies nicht zu er¬ wiedern und rang mich endlich von ihrer Brust los. »Sieh, sieh! Du gescheidtes Buͤrschchen!« sagte sie froh lachend, »Du bist heute gekommen und machst Dir gleich den Nebel zu Nutze, mich noch vor Nacht heimzusuchen; das haͤtte ich Dir nicht einmal zugetraut!«— »Nein,« erwiederte ich zur Erde blickend, »ich bin gestern gekommen und wohne bei'm Schulmeister, weil Anna krank ist. Unter diesen Umstaͤnden kann ich jedenfalls nicht zu Dir kommen!« Judith schwieg eine Weile, die Arme uͤber einander geschlagen und sah mich klug und durchdringend an, daß mein Blick in die Hoͤhe gezogen und auf den ihrigen gerichtet wurde. »Das waͤre allerdings noch gescheidter, als wie ich es meinte, sagte sie endlich, »wenn es Dir nur etwas helfen wuͤrde! Doch weil un¬ ser armes Schaͤtzchen krank ist, so will ich billig sein und unsere Uebereinkunft abaͤndern. Der Ne¬ bel wird sich wenigstens zwei Wochen lang taͤg¬ lich mehrere Stunden auf dieselbe Weise zeigen. Wenn Du jeden Tag waͤhrend desselben zu mir kommst, so will ich Dich fuͤr die Nacht Deiner Pflicht entbinden und Dir zugleich versprechen, Dich nie zu liebkosen und Dich selbst zurecht zu weisen, wenn du es thun wolltest; nur mußt Du mir jedes Mal auf ein und dieselbe Frage ein einziges Woͤrtchen antworten, ohne zu luͤgen!« »Welche Frage?« sagte ich. »Das wirst Du schon sehen!« erwiederte sie; »komm', ich habe schoͤne Aepfel!« Sie ging mir voran zu einem Baume, dessen Aeste und Blaͤtter edler gebaut schienen, als die der uͤbrigen, stieg auf einer Leiter einige Sprossen hinan und brach einige schoͤn geformte und ge¬ faͤrbte Aepfel. Einen derselben, der noch im feuch¬ ten Dufte glaͤnzte, biß sie mit ihren weißen Zaͤh¬ nen entzwei, gab mir die abgebissene Haͤlfte und fing an die andere zu essen. Ich aß die meinige ebenfalls und rasch; sie war von der seltensten Frische und Gewuͤrzigkeit, und ich konnte kaum erwarten, bis sie es mit dem zweiten Apfel eben¬ so machte. Als wir drei Fruͤchte so gegessen, war mein Mund so suͤß erfrischt, daß ich mich zwingen mußte, Judith nicht zu kuͤssen und die Suͤße von ihrem Munde noch dazu zu nehmen. Sie sah es, lachte und sprach: »Nun sage: bin ich Dir lieb?« Sie blickte mich dabei fest an, und ich konnte, obgleich ich jetzt lebhaft und be¬ stimmt an Anna dachte, nicht anders und sagte Ja! Zufrieden sagte Judith: »Dies sollst Du mir jeden Tag sagen!« Hierauf fing sie an zu plaudern und sagte: »Weißt Du eigentlich, wie es mit dem guten Kinde steht?« Als ich erwiederte, daß ich aller¬ dings nicht klug daraus wuͤrde, fuhr sie fort: »Man sagt, daß das arme Maͤdchen seit einiger Zeit merkwuͤrdige Traͤume und Ahnungen habe, daß sie schon ein paar Dinge vorausgesagt, die wirklich eingetroffen, daß manchmal im Traume, wie im Wachen sie ploͤtzlich eine Art Vorstellung und Ahnung von dem bekomme, was entfernte Personen, die ihr lieb sind, jetzt thun oder lassen oder wie sie sich befinden, daß sie jetzt ganz fromm sei und endlich auf der Brust leide! Ich glaube dergleichen Sachen nicht, aber krank ist sie gewiß, und ich wuͤnsche ihr aufrichtig alles Gute, denn sie ist mir auch lieb um deinetwillen. — Aber Alle muͤssen leiden, was ihnen bestimmt ist!« setzte sie nachdenklich hinzu. Waͤhrend ich unglaͤubig den Kopf schuͤttelte, durchfuhr mich doch ein leichter Schauer, und ein seltsamer Schleier der Fremdartigkeit legte sich um Anna's Gestalt, welche meinem inneren Auge vorschwebte. Und fast in demselben Augenblicke war es mir auch, als ob sie mich jetzt sehen muͤsse, wie ich vertraulich bei der Judith stand; ich erschrak daruͤber und sah mich um. Der Ne¬ bel loͤste sich auf, schon sah man durch seine sil¬ bernen Flocken den blauen Himmel, einzelne Son¬ nenstrahlen fielen schimmernd auf die feuchten Zweige und beglaͤnzten die Tropfen, welche von denselben fielen; schon sah man den blauen Schat¬ ten eines Mannes voruͤbergehen und endlich drang die Klarheit uͤberall durch, umgab uns und warf, wie wir waren, unser Beider Schlagschatten auf den matt besonnten Grasboden. Ich eilte davon und hoͤrte in dem Hause mei¬ nes Oheims die Bestaͤtigung dessen, was mir Judith mitgetheilt; wohl aufgehoben in dem le¬ bendigen Hause und beruhigt durch das vertrau¬ liche Gespraͤch, laͤchelte ich wieder unglaͤubig und war froh, in meinen jungen Vettern Genossen zu finden, welche sich auch nicht viel aus derglei¬ chen machten. Doch blieb immer eine gemischte Empfindung in mir zuruͤck, da schon die Neigung zu solchen Erscheinungen, der Anspruch auf die¬ selben mir beinahe eine Anmaßung zu sein schien, die ich der guten Anna zwar keineswegs, aber doch einem mir fremden und nicht willkommenen Wesen zurechnen konnte, in welchem ich sie jetzt befangen sah. So trat ich ihr, als ich Abends zuruͤckkehrte, mit einer gewissen Scheu entgegen, III . 5 welche jedoch durch ihre liebliche Gegenwart bald wieder zerstreut wurde, und als sie nun selbst, in Gegenwart ihres Vaters, leise anfing, von einem Traume zu sprechen, den sie vor einigen Tagen getraͤumt, und ich daher sah, daß sie Willens sei, mich in das vermeintliche Geheimniß zu ziehen, glaubte ich unverweilt an die Sache, ehrte sie und fand sie nur um so liebenswuͤrdiger, je mehr ich vorhin daran gezweifelt. Als ich mich allein befand, dachte ich mehr daruͤber nach und erinnerte mich, von solchen Be¬ richten gelesen zu haben, wo, ohne etwas Wun¬ derbares und Uebernatuͤrliches anzunehmen, auf noch unerforschte Gebiete und Faͤhigkeiten der Natur selbst hingewiesen wurde, so wie ich uͤber¬ haupt bei reiflicher Betrachtung noch manches verborgene Band und Gesetz moͤglich halten mußte, wenn ich meine groͤßte Moͤglichkeit, den lieben Gott, nicht zu sehr bloßstellen und in eine oͤde Einsamkeit bannen wollte. Ich lag im Bette, als mir diese Gedanken klar wurden und ich mit denselben der Unschuld und Redlichkeit Anna's gedachte, als welche doch auch zu beruͤcksichtigen waͤren; und nicht so bald befiel mich diese Vorstellung, so streckte ich mich anstaͤndig aus, kreuzte die Haͤnde zierlich uͤber der Brust und nahm so eine hoͤchst gewaͤhlte und ideale Stellung ein, um mit Ehren zu bestehen, wenn Anna's Geisterauge mich etwa unbewußt erblicken sollte. Allein das Einschlafen brachte mich bald aus dieser ungewohnten Lage und ich fand mich am Morgen zu meinem Verdrusse in der behaglichsten und trivialsten Figur von der Welt. Ich raffte mich hastig zusammen, und wie man des Morgens Gesicht und Haͤnde waͤscht, so wusch ich gewissermaßen Gesicht und Haͤnde mei¬ ner Seele und nahm ein zusammengefaßtes und sorgfaͤltiges Wesen an, suchte meine Gedanken zu beherrschen und in jedem Augenblicke klar und rein zu sein. So erschien ich vor Anna, wo mir ein solch' gereinigtes und festtaͤgliches Dasein leicht wurde, indem in ihrer Gegegenwart eigent¬ lich kein anderes moͤglich war. Der Morgen nahm wieder seinen Verlauf wie gestern, der Ne¬ bel stand dicht vor den Fenstern und schien mich hinaus zu rufen. Wenn mich jetzt eine Unruhe befiel, Judith aufzusuchen, so war dies weniger eine maßlose Unbestaͤndigkeit und Schwaͤche, als eine gutmuͤthige Dankbarkeit, die ich fuͤhlte und die mich draͤngte, der reizenden Frau fuͤr ihre Neigung freundlich zu sein; denn nach der un¬ vorbereiteten und unverstellten Freude, in welcher ich sie gestern uͤberrascht, durfte ich mir nun wirk¬ lich einbilden, von ihr herzlich geliebt zu sein. Und ich glaubte ihr unbedenklich sagen zu koͤnnen, daß sie mir lieb sei, indem ich sonderbarer Weise dadurch gar keinen Abbruch meiner Gefuͤhle fuͤr Anna wahrnahm und es mir nicht bewußt war, daß ich mit dieser Versicherung fast nur das Ver¬ langen aussprach, ihr recht heftig um den Hals zu fallen. Zudem betrachtete ich meinen Besuch als eine gute Gelegenheit, mich zu beherrschen und in der gefaͤhrlichsten Umgebung doch immer so zu sein, daß mich ein verraͤtherischer Traum zeigen durfte. Unter solchen Sophismen machte ich mich auf, nicht ohne einen aͤngstlichen Blick auf Anna zu werfen, an welcher ich aber keinen Schatten eines Zweifels wahrnahm. Draußen zoͤgerte ich wie¬ der, fand aber den Weg unbeirrt zu Judith's Gar¬ ten. Sie selbst mußte ich erst eine Weile suchen, weil sie, mich gleich am Eingange sehend, sich verbarg, in den Nebelwolken hin und her schluͤpfte und dadurch selbst irre wurde, so daß sie zuletzt still stand und mir leise rief, bis ich sie fand. Wir machten Beide unwillkuͤrlich eine Bewegung, uns in den Arm zu fallen, hielten uns aber zu¬ ruͤck und gaben uns nur die Hand. Sie sam¬ melte immer noch Obst ein, aber nur die edleren Arten, welche an kleinen Baͤumen wuchsen; das Uebrige verkaufte sie und ließ es von den Kaͤu¬ fern selbst vom Baume nehmen. Ich half ihr einen Korb voll brechen und stieg auf einige Baͤume, wo sie nicht hingelangen konnte. Aus Muthwillen stieg ich auch zu oberst auf einen ho¬ hen Apfelbaum, wo sie mich des Nebels wegen nicht mehr sehen konnte. Sie fragte mich unten, ob ich sie lieb haͤtte, und ich antwortete gleich¬ sam aus den Wolken mein Ja. Da rief sie schmeichelnd: »Ach, das ist ein schoͤnes Lied, das hoͤr' ich gern! Komm herunter, du junger Vo¬ gel, der so artig singt!« So brachten wir alle Tage eine Stunde zu, eh' ich zu meinem Oheim ging; wir sprachen da¬ bei uͤber dies und jenes, ich erzaͤhlte viel von Anna und sie mußte Alles anhoͤren und that es mit großer Geduld, nur damit ich da bliebe. Denn waͤhrend ich in Anna den besseren und gei¬ stigeren Theil meiner selbst liebte, suchte Judith wieder etwas Edleres in meiner Jugend, als ihr die Welt bisher geboten; und doch sah sie wohl, daß sie nur meine sinnliche Haͤlfte anlockte, und wenn sie auch ahnte, daß mein Herz mehr dabei war, als ich selbst wußte, so huͤtete sie sich wohl, es merken zu lassen und ließ mich ihre taͤgliche Frage in dem guten Glauben beantworten, daß es nicht so viel auf sich haͤtte. Oft drang ich auch in sie, mir von ihrem Leben zu erzaͤhlen und warum sie so einsam sei. Sie that es und ich hoͤrte ihr begierig zu. Ihren verstorbenen Mann hatte sie als junges Maͤdchen geheirathet, weil er schoͤn und kraftvoll aussah. Aber es zeigte sich, daß er dumm, kleinlich und klatschhaft war und ein laͤcherlicher Topfgucker, welche Eigenschaften sich alle hinter der schweig¬ samen Bloͤdigkeit des Freiers versteckt hatten. Sie sagte unbefangen, sein Tod sei ein großes Gluͤck gewesen. Nachher bewarben sich nur solche Maͤnner um sie, welche ihr kleines Vermoͤgen im Auge hatten und sich schnell anderswohin richte¬ ten, wenn sie ein paar hundert Gulden mehr ver¬ spuͤrten. Sie sah, wie bluͤhende, kluge und hand¬ liche Maͤnner ganz windschiefe und blasse Weib¬ chen heiratheten mit spitzigen Nasen und vielem Gelde, weswegen sie sich uͤber alle lustig machte und sie schnoͤde behandelte. »Aber ich muß selbst Buße thun,« fuͤgte sie hinzu, »warum hab' ich einen schoͤnen Esel genommen!«. Nach acht Tagen kehrte ich zur Stadt zuruͤck und nahm meine Arbeit bei Roͤmer wieder auf. Da es mit dem Zeichnen im Freien vorbei und auch nichts weiter zu copiren war, leitete mich Roͤmer an, zu versuchen, ob ich aus dem Gewon¬ nenen ein Ganzes und Selbstaͤndiges herstellen koͤnne. Ich mußte unter meinen Studien ein Motiv suchen und selbiges zu einem kleinen Bilde ausdehnen und abgraͤnzen. »Da wir hier ohne alle Mittel sind,« sagte er, »außer meiner eigenen Mappe, welche Sie mir diesen Winter hindurch in die Ihrige hinuͤberpinseln wuͤrden, wenn ich es zu¬ gaͤbe, so ist es am Besten, wir machen es so: Sie sind zwar noch zu jung dazu und werden noch ein oder zwei Mal mit neuen Erfahrungen von vorn anfangen muͤssen, ehe Sie etwas Dauer¬ haftes machen. Indessen wollen wir immerhin versuchen, ein Viereck so auszufuͤllen, daß Sie es im Nothfall verkaufen koͤnnen!« Mit der ersten Probe ging es ganz ordentlich; ebenso mit der zweiten und dritten. Die frische Lust, die Einfachheit des Gegenstandes und Roͤ¬ mer's sichere Erfahrung ließen die Gruͤnde sich wie von selbst aneinander fuͤgen, das Licht wurde ohne Schwierigkeit vertheilt und jede Partie in Licht und Schatten vernuͤnftig und klar ausge¬ fuͤllt, so daß keine nichtssagenden und verworre¬ nen Stellen uͤbrig blieben. Großes Vergnuͤgen gewaͤhrte es mir, wenn ich einen oder einige Ge¬ genstaͤnde, zu denen die vorliegenden Studien im Licht gehalten waren, in Schatten setzen mußte oder umgekehrt, wo dann durch eigenes Nachden¬ ken und Berechnung ein Neues und doch einzig Nothwendiges bezweckt wurde, nach den Bedin¬ gungen der Localfarbe, der Tageszeit, des blauen oder bewoͤlkten Himmels und der benachbarten Gegenstaͤnde, welche mehr oder weniger Licht und Farbe zuruͤckwerfen mußten. Gelang es mir, den wahrscheinlichen Ton zu treffen, der unter aͤhn¬ lichen Verhaͤltnissen uͤber der Natur selbst ge¬ schwebt haͤtte — was man gleich sah, indem ein wahrer Ton immer einen ganz eigenthuͤmlichen Zauber uͤbt — so beschlich mich ein pantheistisch stolzes Gefuͤhl, in welchem mir meine Erfahrung und das Weben der Natur Eins zu sein schienen. Dazu war es hoͤchst vergnuͤglich, in Gedanken um einen schoͤnen, gemalten Baum herum zu ge¬ hen und seine andere Seite zu betrachten, um zu ermessen, wie viel Licht sie wohl auf einen be¬ nachbarten Baum werfen koͤnne. Ich sah dann allerlei Geheimnisse und Aeste saͤuseln, die nicht auf dem Papiere waren, und guckte auf diesen Wanderungen auch nebenaus in verborgene Win¬ kel und Gruͤnde der Landschaft. Dies war be¬ 5 * sonders im Winter sehr angenehm, wenn die Schneeflocken vor dem Fenster tanzten. Allein das Vergnuͤgen wurde bald schwieriger, als umfang- und inhaltsreichere Sachen unter¬ nommen wurden, und, durch diese Thaͤtigkeit her¬ vorgerufen, trotz Goͤthe, Natur und gutem Lehrer, meine Erfindungslust wieder auftauchte und uͤber¬ wucherte. Das gewichtige Wort Componiren summte mir mit prahlerischem Klang in den Ohren und ich ließ, als ich nun foͤrmliche Skizzen entwarf, die zur Ausfuͤhrung bestimmt waren, meinem Hange den Zuͤgel schießen. Ueberall suchte ich poetische Winkel und Plaͤtzchen, geist¬ reiche Beziehungen und Bedeutungen anzubrin¬ gen, welche mit der erforderlichen Ruhe und Ein¬ fachheit in Widerspruch geriethen. Roͤmer ließ mich eine solche Skizze unbeschnitten ausfuͤhren und das Bild nach allen Erfahrungen des Na¬ turstudiums und der Technik fertig machen, und als das Machwerk mir selbst nicht behagen wollte, ohne daß ich wußte warum, zeigte er mir trium¬ phirend, daß die technischen Mittel und die Na¬ turwahrheiten im Einzelnen der anspruchsvollen und gesuchten Composition wegen keine Wirkung thun, zu keiner Gesammtwahrheit werden koͤnn¬ ten und um meine hervorstechende Zeichnung hin¬ gen, wie bunte Flitter um ein Gerippe, ja daß so¬ gar im Einzelnen keine frische Wahrheit moͤglich sei, auch bei dem besten Willen nicht, weil vor der uͤberwiegenden Erfindung, vor dem anmaßen¬ den Spiritualismus (wie er sich ausdruͤckte) die Naturfrische sich sogleich sozusagen aus der Pin¬ selspitze in den Pinselstiel sproͤde zuruͤckziehe. »Es giebt allerdings, »sagte Roͤmer,« eine Richtung, deren Hauptgewicht auf der Erfindung, auf Kosten der unmittelbaren Wahrheit, beruht. Solche Bilder sehen aber eher wie geschriebene Gedichte, als wie wirkliche Bilder aus, wie es ja auch Gedichte giebt, welche mehr den Eindruck einer Malerei machen moͤchten, als eines geistig toͤnenden Wortes. Wenn Sie in Rom waͤren und die Arbeiten des alten Koch oder Reinhard's saͤhen, so wuͤrden Sie, Ihrer deutlichen Neigung nach, sich entzuͤckt den alten Kaͤuzen anschließen; es ist aber gut, daß Sie nicht dort sind, denn dies ist eine gefaͤhrliche Sache fuͤr einen jungen Kuͤnstler. Es gehoͤrt dazu eine durchaus gedie¬ gene fast wissenschaftliche Bildung, eine strenge, sichere und feine Zeichnung, welche noch mehr auf dem Studium der menschlichen Gestalt, als auf demjenigen der Baͤume und Straͤucher be¬ ruht, mit einem Wort: ein großer Styl, welcher nur in dem Werthe einer ganzen reichen Erfah¬ rung bestehen kann, um den Glanz gemeiner Na¬ turwahrheit vergessen zu lassen; und mit allem Diesem ist man erst zu einer ewigen Sonderlings¬ stellung und Armuth verdammt, und das mit Recht, denn die ganze Art ist unberechtigt und thoͤricht!« Ich fuͤgte mich diesen Reden aber nicht, weil ich ihm schon abgemerkt hatte, daß das Erfinden und ein tieferer Gehalt nicht seine Staͤrke waren; denn schon mehr als ein Mal hatte er, meine Anordnungen corrigirend, Lieblingsstellen in Berg¬ zuͤgen oder Waldgruͤnden, die ich recht bedeutsam glaubte, gar nicht einmal gesehen, indem er sie mit dem markigen Bleistifte schonungslos uͤber¬ schraffirte und zu einem kraͤftigen aber nichtssa¬ genden Grunde ausglich. Wenn sie auch stoͤrten, so haͤtte er meiner Meinung nach wenigstens sie bemerken, mich verstehen und etwas daruͤber sa¬ gen muͤssen. Ich wagte daher zu widersprechen, schob die Schuld auf die Wasserfarben, in welchen keine Kraft und Freiheit moͤglich sei, und sprach meine Sehnsucht aus nach guter Leinwand und Oel¬ farben, wo Alles schon von selbst eine respectable Gestalt und Haltung gewinnen wuͤrde. Hiemit griff ich aber meinen Lehrer in seiner Existenz an, indem er glaubte und behauptete, daß die ganze und volle Kuͤnstlerschaft sich hinlaͤnglich und vor¬ zuͤglich nur durch etwas weißes Papier und einige englische Farbentaͤfelchen bethaͤtigen und zeigen koͤnne. Er hatte seine Bahn abgeschlossen und gedachte nichts Anderes mehr zu leisten, als er schon that, daher beleidigte ihn, wie ich nun zu erkennen gab, daß ich das durch ihn Gelernte nur als eine Staffel betrachte und bereits mich dar¬ uͤber hinweg zu etwas Hoͤherem berufen fuͤhle. Er wurde um so empfindlicher, als ich einen leb¬ haften und wiederholten Streit uͤber diesen Ge¬ genstand hartnaͤckig aushielt, von meinen Hoff¬ nungen nicht abließ und seine Ausspruͤche, wenn sie in's Allgemeine gingen, nicht mehr unbedingt annahm, vielmehr ungescheut bestritt. Hieran war hauptsaͤchlich der Umstand schuld, daß seine sonstigen Gespraͤche und Mittheilungen einerseits immer deutlicher, andererseits aber immer sonder¬ barer und auffallender geworden und meine Ach¬ tung vor seiner Urtheilskraft geschwaͤcht hatten. Manches fiel zusammen mit den dunklen Geruͤch¬ ten, die uͤber ihn ergingen, so daß ich eine Zeit¬ lang in der peinlichsten Spannung mich befand, aus einem geehrten und zuverlaͤssigen Lehrer die seltsamste und raͤthselhafteste Gestalt sich heraus¬ schaͤlen zu sehen. Schon seit einiger Zeit wurden seine Aeuße¬ rungen uͤber Menschen und Verhaͤltnisse immer haͤrter und zugleich bestimmter, indem sie sich aus¬ schließlicher auf politische Dinge bezogen. Er ging alle Abende in den Lesezirkel unserer Stadt, las dort die franzoͤsischen und englischen Blaͤtter und pflegte sich Vieles zu notiren, sowie er auch in seiner Wohnung allerlei geheimnißvolle Papier¬ schnitzel handhabte und sich oft uͤber wichtigem Schreiben betreffen ließ. Vorzuͤglich machte er sich oft mit dem Journal des D é bats zu schaffen. Unsere Regierung nannte er einen Trupp unge¬ schickter Kraͤhwinkler, den großen Rath aber ein veraͤchtliches Gesindel und unsere heimischen Zu¬ staͤnde im Ganzen dummes Zeug. Daruͤber ward ich stutzig und hielt mit meinen Zustimmungen zuruͤck oder vertheidigte unsere Verhaͤltnisse und hielt ihn fuͤr einen malcontanten Menschen, wel¬ chen der lange Aufenthalt in fremden großen Staͤdten mit Verachtung der engen Heimath ge¬ fuͤllt habe. Er sprach oft von Louis Philipp und tadelte dessen Maßregeln und Schritte, wie Einer, der eine geheime Vorschrift nicht puͤnktlich befolgt sieht. Einst kam er ganz unwirsch nach Hause und beklagte sich uͤber eine Rede, welche der Minister Thiers gehalten. »Mit diesem ver¬ tracten kleinen Burschen ist Nichts anzufangen!« rief er, indem er ein Zeitungsexcerpt zerknitterte, »ich haͤtte ihm diese eigenmaͤchtige Naseweisheit gar nicht angesehen! Ich glaubte in ihm den gelehrigsten meiner Schuͤler zu haben.« — »Zeich¬ net denn der Herr Thiers auch Landschaften?« fragte ich und Roͤmer erwiederte, indem er sich bedeutungsvoll die Haͤnde rieb: »Das eben nicht! lassen wir das!« Doch bald darauf deutete er mir an, daß alle Faͤden der europaͤischen Politik in seiner Hand zusammenliefen und daß ein Tag, eine Stunde des Nachlasses in seiner angestrengten Geistesar¬ beit, die seinen Koͤrper aufzureiben drohe, sich alsobald durch eine allgemeine Verwirrung der oͤffentlichen Angelegenheiten bemerklich mache, daß eine confuse und aͤngstliche Nummer des Journal des D é bats jedesmal bedeute, daß Er unpaͤßlich oder abgespannt und sein Rath ausgeblieben sei. Ich sah meinen Lehrer ernsthaft an, er machte ein unbefangenes und ernsthaftes Gesicht, die gebo¬ gene Nase stand wie immer mitten darin, darun¬ ter der wohlgepflegte Schnurbart und uͤber die Augen flog auch nicht das leiseste ungewisse Zu¬ cken. Mein Erstaunen gewann nicht Zeit, sich auf¬ zuhellen, indem ich ferner erfuhr, daß Roͤmer, waͤhrend er der verborgene Mittelpunkt aller Weltregierung, zugleich das Opfer unerhoͤrter Tyranneien und Mißhandlungen war. Er, der vor Aller Augen auf dem maͤchtigsten Throne Europas haͤtte sitzen sollen von mehr als Eines Rechtes wegen, wurde durch einen geheimnißvollen Zwang gleich einem gebannten Daͤmon in Ver¬ borgenheit und Armuth gehalten, daß er kein Glied ohne den Willen seiner Tyrannen ruͤhren konnte, waͤhrend sie ihm taͤglich gerade so viel von seinem Genius abzapften, als sie zu ihrer kleinlichen Weltbesorgung gebrauchten. Freilich, waͤre er zu seinem Recht und zu seiner Freiheit gekommen, so wuͤrde im selben Augenblicke die Maͤusewirthschaft aufgehoͤrt haben und ein freies, lichtes und gluͤckliches Zeitalter angebrochen sein. Allein die winzigen Dosen seines Geistes, welche nun so tropfenweise verwandt wuͤrden, sammelten sich doch allmaͤlig zu einem allmaͤchtigen Meere, indem es ihre Art sei, daß keine davon wieder vergehen oder aufgehoben werden koͤnne, und in jenem allbezwingenden Meere werde sein Wesen zu seinem Rechte kommen und die Welt erloͤsen, daher er gerne seine koͤrperliche Person wolle ver¬ schmachten lassen. III. 6 »Hoͤren Sie diesen verfluchten Hahn kraͤhen?« rief er, »dies ist nur ein Mittel von Tausenden, die sie zu meiner Qual anwenden; sie wissen, daß der Hahnenschrei mein ganzes Nervensystem erschuͤttert und mich zu jedem Nachdenken un¬ tauglich macht; deshalb haͤlt man uͤberall Haͤhne in meiner Naͤhe und laͤßt sie spielen, sobald man die verlangten Depeschen von mir hat, damit das Raͤderwerk meines Geistes fuͤr den uͤbrigen Tag still stehe! Glauben Sie wohl, daß dies Haus hier ganz mit verborgenen Roͤhren durchzogen ist, daß man jedes Wort hoͤrt, das wir sprechen, und Alles sieht, was wir thun?« Ich sah mich im Zimmer um und versuchte einige Einwendungen zu machen, welche jedoch durch seine bestimmten, geheimnißvollen und wich¬ tigen Blicke und Worte unterdruͤckt wurden. So lange ich mit ihm sprach, befand ich mich in der wunderlichen Stimmung, in welcher ein Knabe halbglaͤubig das Maͤhrchen eines Erwachsenen anhoͤrt, welcher ihm lieb ist und seiner Achtung genießt; war ich aber allein, so mußte ich mir gestehen, daß ich daß Beste, was ich bisher gelernt, aus der Hand des Wahnsinns empfangen habe. Dieser Gedanke empoͤrte mich und ich be¬ griff nicht, wie Jemand wahnsinnig sein koͤnne. Eine gewisse Unbarmherzigkeit erfuͤllte mich, ich nahm mir vor, mit Einem klaren Worte die ganze unsinnige Wolke gewiß zerstreuen zu wollen; stand ich aber dem Wahnsinne gegenuͤber, so mußte ich seine Staͤrke und Undurchdringlichkeit sogleich fuͤhlen und froh sein, wenn ich Worte fand, welche, auf die verirrten Gedanken einge¬ hend, dem Leidenden durch Mittheilung einige Erleichterung gewaͤhren konnten. Denn daß er wirklich ungluͤcklich und leidend war und alle eingebildeten Qualen wirklich fuͤhlte, konnte ich nicht verkennen. Unter seinen Einbildungen war eine einzige, welche ihm ein Ersatz fuͤr den uͤbri¬ gen Schaden zu sein schien und zugleich so ko¬ misch, daß sie mich zum Gelaͤchter reizte. Er lebte naͤmlich der Ueberzeugung, daß er bei allen hohen diplomatischen Verheirathungen eine Art Recht der ersten Nacht genoͤsse, theils um einer je¬ den europaͤischen Verbindung durch seine persoͤnliche Einwirkung die rechte Weihe zu geben, theils 6* um ihn durch solche Annehmlichkeit einzuschlaͤfern und ihn abzuhalten, eine eigene hohe Heirath einzugehen, um seine Selbstaͤndigkeit zu verhin¬ dern, da, wie er behauptete, durch die feste Ver¬ bindung des Mannes mit dem Weibe, jener erst seine volle Freiheit und Bedeutung erhielte. Wenn daher in den Zeitungen eine wichtige politische Heirath gemeldet wurde, so machte er sich fuͤr eine kurze Zeit unsichtbar und uͤberließ sich nach¬ her noch lange einer geheimnißvollen suͤßen Traͤu¬ merei, deren Schleier er mich nur mit verhuͤllten Worten durchblicken ließ. Ich mußte mir als¬ dann die Moͤglichkeit vorzustellen suchen, wie er an einem Tage an das entfernteste Ende Europas und wieder zuruͤckgelangen konnte. Jedoch fiel aus dem Unsinne manch vernuͤnf¬ tiges Gespraͤch, und die Eroͤrterungen uͤber sein Ungluͤck und die dasselbe veranlassenden Menschen waren oft lehrreich. Einst sagte er: »Ich kann mich ganz genau des Wendepunktes entsinnen, wo mein Geschick sich verfinsterte. Ich war in Rom und lag auf diesem alten Weltplatze meinen tiefen Studien ob. Nebenbei betrieb ich die Landschaftmalerei, theils um durch sie nach und nach das Terrain von ganz Europa auf die ge¬ naueste Weise kennen zu lernen, theils um, wie ich selbst fuͤr noͤthig fand, das Geheimniß meiner Person zu verhuͤllen. Die diplomatische Welt hatte diese Maske acceptirt und nahm mich unter derselben bei sich auf. Wenn von meinen Ar¬ beiten gesprochen wurde, so war dies nur eine symbolische Blumensprache, die jeder Eingeweihte verstand. Ich glaubte mich auf dem besten Wege, zu meiner offenen und freien Thatkraft zu gelangen, als ich einen hochgestellten Mann un¬ versehens gegen mich einnahm; es war der . . . 'sche Gesandte, welcher zum Zeitvertreibe Kunstnotizen in ein auswaͤrtiges weitverbreitetes Blatt schrieb und in einer solchen auch meiner er¬ waͤhnte, dessen geniale Aquarellen in roͤmischen Krei¬ sen ein guͤnstiges Aufsehen fuͤr den »bescheidenen« jungen Mann erregten. Er legte ein Hauptge¬ wicht auf meine vermeintliche Bescheidenheit, ob¬ gleich der Esel gar nicht wissen konnte, ob ich bescheiden oder nicht bescheiden sei. Die Be¬ sprechung meiner Arbeiten war insofern nicht uͤbel, als man in Paris, London und Petersburg leidlich verstehen konnte, was darunter gemeint sei; die ausfuͤhrliche Beschreibung meiner Be¬ scheidenheit hingegen war die erste Sonde, die man an mich legte, um zu erfahren, ob ich das volle Gefuͤhl meiner Groͤße in mir trage. Ich ging richtig in die Falle und warf dem unbe¬ scheidenen Geschaͤftsmacher seine Anmaßung vor, indem ich ihm erklaͤrte, ich sei gar nicht beschei¬ den und er habe kein Recht, dies von mir zu sagen. Von diesem Tage an desavouirte mich die große Welt oͤffentlich und fesselte mich an mein ungluͤckseliges Joch; denn sie fuͤhlte wohl, daß das Bewußtsein meiner Groͤße sie bald aus¬ einander blasen wuͤrde. Ich rathe Ihnen wohl¬ meinend, junger Mann! wenn einst ein einfaͤltiger Goͤnner von Ihnen sagen sollte, Sie seien ein be¬ scheidener Mensch, so widersprechen Sie nicht, sonst sind Sie verloren!« Ich verschwieg Roͤmer's Irrsinn lange gegen Jedermann und selbst gegen meine Mutter, weil ich meine eigene Ehre dabei betheiligt glaubte, wenn ein so trefflicher Lehrer und Kuͤnstler als toll erschien, und weil es mir widerstrebte, den schlimmen Geruͤchten, die uͤber ihn im Umlauf waren, entgegen zu kommen. Es war mir auch aufgefallen, daß Roͤmer ganz vereinsamt lebte und trotzdem, daß er mehrere Herren aus ange¬ sehenen Haͤusern kannte, die sich zu gleicher Zeit mit ihm in jenen großen Staͤdten aufgehalten, doch von denselben gemieden wurde. Daher wollte ich seine Lage nicht noch verschlimmern. Doch verlockte mich einst ein unwilliges republikanisches Gefuͤhl zum Plaudern. Nachdem er naͤmlich oͤfter bedeutungsvoll bald von den Bourbonen, bald von den Napoleoniden, bald von den Habs¬ burgern gesprochen, ereignete es sich einst, daß die Koͤnigin-Mutter aus Neapel, eine alte Frau mit vielen Dienern und Schachteln, einige Tage sich in unserer Stadt aufhielt. Sogleich gerieth Roͤmer in eine große Aufregung, lenkte auf Spaziergaͤngen unsern Weg an dem Gasthofe vorbei, wo sie logirte, ging in das Haus, als ob er mit der Dame, die er als sehr intrigant beschaͤftigt und seinetwegen hergekommen schilderte, wichtige Unterredungen haͤtte, und ließ mich lange unten warten. Doch bemerkte ich, daß er sich nur an dem geheimsten und zugleich zugaͤnglichsten Ort des Hauses aufhielt, welches ein unange¬ nehmer Duft verrieth, den er an die frische Luft mit sich brachte. Diese Narrenspossen, von einem Manne mit so edlem und ernstem Aeußern, em¬ poͤrten mich um so mehr, da sie mit einer laͤcher¬ lichen Listigkeit betrieben wurden. Ein ander Mal, nach dem Straßburger Attentat, als Frank¬ reich die Auslieferung des Urhebers Louis Na¬ poleon verlangte, mit Gewalt drohte und des¬ halb zum Schutze des Asylrechtes oder vielmehr des Buͤrgerrechtes eine große Aufregung herrschte und sogar schon Truppen aufgeboten wurden, stellte er sich, als ob Thiers nur nach seinen, des Schweizers, Vorschriften handelte und das Ganze nur ein berechneter Zug in seinem großen Schachspiele waͤre. Dazumal hielt sich der be¬ sagte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um seine Angelegenheit auch in unserm Canton zu empfehlen; denn er hatte sich noch nicht ent¬ schlossen, freiwillig das Land zu verlassen. Wir trafen ihn auf der Straße als einen jungen bleichen Mann mit einer großen Nase, der in Begleitung eines aͤlteren Mannes ging, welcher ein rothes Baͤndchen im Knopfloch trug. Die Leute blickten ihm ernsthaft nach, besonders die Frauen sahen gar bedenklich darein, da ihre Maͤnner und Soͤhne schon in Waffen umhergingen und bereits Stunden lang im Regen standen, um zum Abmarsche Pulver und Blei, Aexte, Kessel u. d. gl. zu fassen. Nur Roͤmer fuͤhlte von Allem Nichts und gruͤßte im Voruͤbergehen den Fremdling vertraulich laͤchelnd wie ein eben¬ buͤrtiger Vornehmer, wobei ich zugleich bemerkte, daß er vor Aufregung zitterte, einem Napoleoni¬ den so nahe zu sein. Wenn ich den Wahnsinn verzeihen und tragen mußte, so konnte ich hier die innere Ursache nicht verzeihen, welche demselben zu Grunde zu liegen und nichts Anderes zu sein schien, als jene un¬ ertraͤgliche Sucht eitler Menschen, von der we¬ sentlichen und inhaltvollen Einfachheit der Hei¬ math abzufallen und dem laͤcherlichen Schatten auslaͤndisch-diplomatischer Klug- und Feinthuerei nachzutrachten. Die aufbrausende Jugend war dazumal so schon erzuͤrnt uͤber einige gereiste Gelbschnaͤbel, welche sich eine Zeit lang darin ge¬ fielen, in dem laͤppischen Style muͤßiger Gesandt¬ schaftsbedienter Berichte uͤber unsere Heimath in fremde Blaͤtter zu senden und sich dabei das An¬ sehen zu geben, als ob sie durch ihre Diplomatie dem Lande oder ihrer Partei Wunder was genuͤtzt haͤtten. Als Roͤmer sich ein Stuͤckchen rothes Band an einem Frack befestigte und diesen wie von ungefaͤhr auf einen Stuhl legte, schien er mir die zusammengezogene Erscheinung jenes ver¬ werflichen Unsinnes zu sein, und ich ging mit großem Zorne weg und beklagte mich zu Hause uͤber den Ungluͤcklichen. Es waren gerade Leute da, welche mehr von ihm wußten, und ich er¬ fuhr, daß es laͤngst von ihm bekannt sei, daß er sich bald fuͤr einen Sohn Napoleon's, bald fuͤr den Sproͤßling dieser oder jener aͤlteren Dynastie halte. Von seinen einzelnen und ausfuͤhrlichen Narrheiten wußten nur wenig Leute, hingegen hielt man jene fixe Idee fuͤr eine absichtliche Ver¬ stellung, um mittelst derselben sich ungehoͤrige Vortheile zu verschaffen, Andere um's Geld zu bringen und ein muͤßiges, abenteuerliches Leben zu fuͤhren, da er nicht gern arbeite und vom Hochmuthe besessen sei, und man schrieb ihm dem¬ zufolge einen gefaͤhrlichen Charakter zu. Diese Beurtheilung war im hoͤchsten Grade oberflaͤchlich und ungerecht, und ich habe mit Muͤhe nach und nach folgenden Sachverhalt herausbringen koͤnnen. Er war auf dem Lande geboren und als ein kleiner Junge nach der Stadt zu Habersaat ge¬ bracht worden, da er große Neigung verrieth, etwas Anderes zu werden, als ein Ackerbauer. Es war in der Restaurationszeit, wo arme Bauernkinder, wenn sie etwas lernen wollten, nur die Wahl hatten zwischen einem Handwerk und einem Plaͤtzchen in einem staͤdtischen Gewerbe. Es war ein Gluͤck fuͤr sie, wenn sie als Lauf¬ buͤrschchen in Handelshaͤusern, Fabriken oder Kanzleien ein Fleckchen fanden, auf dem sie Fuß fassen und, wenn etwas an ihnen war, sich auf¬ arbeiten konnten. Da Habersaat's Anstalt auch eine Unterkunft dieser Art war, obgleich eine schlimme, so gerieth Roͤmer ganz zufaͤllig dahin, ohne viel zu wissen, was man aus ihm machen wuͤrde. Er war fleißig und hielt seine Zeit aus, nach welcher ihn ein franzoͤsischer Kunsthaͤndler, welcher durchreiste, um ein Werk schweizerischer Prospecte vorzubereiten, nebst einigen anderen jungen Leuten mit nach Paris nahm, indem der Mann dort die Habersaat'sche Art, welche er sehr praktisch fand, anwenden wollte. Roͤmer hielt sich tapfer; nach wenigen Jahren hatte er eine artige Summe erspart, mit welcher er nach Rom ging, entschlossen, etwas Rechtes zu werden. Indem er sich umsah, ergriff er alsobald die eng¬ lische Art, in Aquarell zu malen, hielt sich aber dabei gruͤndlich an die Natur und verbesserte das Mittel durch einen reineren Zweck, so daß seine Arbeiten einiges Aufsehen erregten und er unter dem Zusammenfluß von Kuͤnstlern aller Nationen bald seine eigenthuͤmliche Stellung einnahm. In¬ dessen suchte er sich auch sonst auszubilden und stellte sich endlich als ein feiner und unterrichteter Mann in jeder Weise dar. Seine geistreichen und zugleich eleganten Zeichnungen kamen be¬ sonders dem Beduͤrfniß der vornehmen Welt ent¬ gegen; einer roͤmischen Prinzessin gefielen sie so sehr, daß er berufen wurde, ihr in seiner Technik Unterricht zu geben, und taͤglich in den Palast ihres Gemahles gehen mußte. Dies verdrehte ihm den Kopf oder lenkte ihn vielmehr auf den Weg, dessen Anfang von je in ihm war; er machte irgend eine Dummheit, auch mochte der Vorfall mit der Bescheidenheit, den er auf seine Weise mir erzaͤhlt, dazukommen: sein Gluͤck ver¬ ließ ihn ploͤtzlich, er wurde vermieden und ging nach Paris zuruͤck. Dort gelang es ihm durch den Kunsthaͤndler, auf guͤnstige Weise bekannt zu werden; er mußte eines Tages in die Tuilerien gehen, seine Mappen vorlegen und sah sich in einen allerliebsten kleinen Salon versetzt, in welchem die bluͤhenden Kinder des Koͤnigs, Maͤdchen und Soͤhne, scherzend und lachend um seine Arbeiten sich draͤngten und Blaͤtter fuͤr ihre Albums aus¬ waͤhlten. Diese Auszeichnung wurde in den Pariser Journalen gemeldet und er las seinen Namen im Journal des D é bats, aber zum ersten und letzten Male, obgleich er seither keinen Tag ruhig schlafen konnte, wenn er dies Blatt nicht gelesen. Von nun an nahm der Irrsinn vollstaͤndig Platz in ihm, er behandelte seinen Beruf als Nebensache und trachtete mehr danach, seinen ein¬ gebildeten Rechten Geltung zu verschaffen. Zum zweiten Mal von der vornehmen Welt zuruͤckge¬ wiesen, mußte er in einen nachtheiligen Verkehr mit Haͤndlern treten, um nur dann und wann ein Blatt zu verkaufen. Von wohlhabenden Landsleuten, die sich zum Vergnuͤgen in Paris aufhielten und den Umgang des Kuͤnstlers ge¬ sucht hatten, lieh er Geld, wenn er in Noth war, und da er dieses mit ernsthaften und anstaͤndigen Manieren that, das Geliehene aber nicht zuruͤck¬ gab, vielmehr von großen und wichtigen Dingen sprach, waͤhrend er doch sonst ein kluger und ein¬ sichtiger Mann schien, so hielt man ihn bald fuͤr einen durchtriebenen und gefaͤhrlichen Schelm, der nur darauf ausgehe, Andere auf tuͤckische Weise um das Ihrige zu bringen. Daß er in der festen Ueberzeugung lebte, jeden Tag sein großes Schicksal aufgehen zu sehen, wo er als ein Koͤnig dieser Welt alles Empfangene hundert¬ fach vergelten koͤnne, wurde ihm nicht angerech¬ net; vielmehr verzieh man ihm nicht, wenn er einmal verruͤckt sei, daß er doch mit so viel schlauem Anstand und wahrer Menschenkenntniß seine wohlhabenden Bekannten wiederholt habe anfuͤhren koͤnnen. Er fuͤhlte dies recht gut mit seiner vernuͤnftigeren Haͤlfte, welche durch die Noth immer zur Noth wach gehalten wurde; denn waͤhrend, unserer seltsamen Gespraͤche uͤber die Er¬ fahrungen sagte er mir einst: »Wenn Sie einst in Verlegenheit gerathen und Geld leihen muͤssen, so thun Sie dies ja nicht auf eine anstaͤndige und geschickte Weise, wie es ernsten Leuten ge¬ ziemt, wenn Sie nicht ganz sicher sind, es auf den bestimmten Tag zuruͤckzugeben, sonst wird man Sie fuͤr einen abgefeimten Betruͤger halten! vielmehr thun Sie es ohne alle Scham und auf liederliche, naͤrrische Weise, damit die Leute sagen koͤnnen: Es ist ein Lump, aber ein guter Teufel, man muß ihm helfen!« Ueberhaupt erschien er sonst in allen Dingen als ein gewandter und verstaͤndiger Mann und wußte seinen Irrsinn lange zu verbergen. Auch hatte er nach Art der Irren doch immer ein boͤses Gewissen, welches ihn trachten ließ, die Leute uͤber ihn im Unklaren zu halten, um nicht gewaltsam in seinen Gedankengaͤngen gestoͤrt zu werden, und jene List, welche sich manchmal ver¬ nuͤnftig stellt, um einen freieren Spielraum zum Unsinne zu gewinnen. In einem solchen Ge¬ fuͤhle war er endlich in seine Heimath zuruͤckge¬ kehrt, um sich da auszuruhen und durch fleißige Arbeit und ein vernuͤnftiges Leben zu Kraͤften und zu einem festeren Standpunkte zu gelangen, von dem aus er seinen Stern erwarten koͤnnte. Allein er fand durch die Familien von einem oder zweien jener Muttersoͤhnchen, denen er maͤ¬ ßige Summen schuldete, die Stimmung so gegen sich eingenommen, daß er uͤberall abgestoßen und mit Verdacht umgeben ward. Er schrieb dies Mißgeschick den Kabalen der europaͤischen Kabinette zu, hielt sich ganz still, um diese zu taͤuschen und einzuschlaͤfern, und machte dabei die schoͤnsten Zeichnungen. Diese sandte er aber nicht an nam¬ hafte Plaͤtze, weil er der Meinung war, seine Feinde wuͤrden den Verkauf verhindern, sondern an entlegene Orte, von wo sie immer unverkauft zuruͤckkamen. Ich glaube, daß Roͤmer waͤhrend der Zeit seines Aufenthaltes keine anderen Mittel hatte, als das wenige Geld, was er von mir empfangen. Es stellte sich erst nachher heraus, daß er nie etwas Warmes genossen, sondern sich heimlich mit Brot und Kaͤse ernaͤhrte, und seine groͤßte Ausgabe bestand in der Unterhaltung sei¬ ner feinen Waͤsche und der Handschuhe. Zu sei¬ nen Kleidern wußte er so Sorge zu tragen, daß sie bei seiner Abreise noch eben so gut aussahen, wie bei der Ankunft, obschon er immer dieselben trug. Nachdem ich vier Monate unter seiner Lei¬ tung zugebracht, wollte ich mich zuruͤckziehen, in¬ dem ich die bezahlte Summe nun als ausgegli¬ chen betrachtete. Doch er wiederholte seine Aeu¬ ßerung, daß es hiemit nicht so genau zu nehmen und die Studien deshalb nicht abzubrechen waͤ¬ ren; es sei ihm im Gegentheil ein angenehmes Beduͤrfniß, unsern Verkehr fortzusetzen. So ar¬ beitete ich zwar nicht mehr anhaltend in seiner Wohnung, besuchte ihn aber jeden Tag, empfing III . 7 seinen Rath und richtete mich manchmal auch voruͤbergehend bei ihm ein. Weitere vier Monate vergingen so, waͤhrend welcher er, durch die Noth gezwungen, aber leicht hin und beilaͤufig mich anfragte, ob meine Mutter ihm mit einem kleinen Darlehen auf kurze Zeit aushelfen koͤnne? Er bezeichnete ungefaͤhr eine gleiche Summe, wie die schon empfangene, und ich brachte ihm dieselbe noch am gleichen Tage. Im Fruͤhjahr endlich gelang es ihm, aber erst in Folge eines muͤhseli¬ ligen Briefwechsels, wieder einmal eine Arbeit zu verkaufen, wodurch er zum ersten Mal seit lan¬ ger Zeit eine Summe in die Haͤnde bekam. Mit dieser beschloß er, wieder nach Paris zu gehen, da ihm hier kein Heil bluͤhen wollte und ihn sonst auch der Wahn forttrieb, durch Ortsveraͤn¬ derung ein besseres Loos erzwingen zu koͤnnen. Denn trotz allem scharfsinnigen Instincte, den ein Irrsinniger und Ungluͤcklicher hat, ahnte er von ferne nicht, daß sein wirkliches Geschick viel schlim¬ mer, als sein eingebildetes Leiden, und daß die Welt uͤbereingekommen war, seine armen schoͤnen Zeichnungen und Bilder entgelten zu lassen, was man von seiner vermeintlichen Schlechtigkeit hielt. Ich fand ihn, wie er seine Sachen zusammen¬ packte und einige Rechnungen bezahlte. Er kuͤn¬ digte mir seine Abreise an, die am andern Tage erfolgen sollte, und verabschiedete sich zugleich freundlich von mir, noch einige geheimnißvolle Andeutungen uͤber den Zweck der Reise beifuͤgend. Als ich meiner Mutter die Nachricht mittheilte, fragte sie sogleich, ob er denn nichts von dem ge¬ liehenen Gelde gesagt habe? Ich hatte bei Roͤmer einen entschiedenen Fort¬ schritt gemacht, mein ganzes Koͤnnen abgerundet und meinen Blick erweitert, und es war gar nicht zu berechnen und schon nicht mehr zu denken, wie es ohne dies Alles mit mir haͤtte gehen sollen. Des¬ wegen haͤtten wir das Geld fuͤglich als eine wohlan¬ gewandte Entschaͤdigung ansehen muͤssen, und dies um so mehr, als Roͤmer mir die letzte Zeit nach wie vor seinen Rath gegeben hatte. Allein wir glaubten nur einen Beweis von der Richtigkeit jener Geruͤchte zu sehen und wußten auch dazumal noch nicht, wie kuͤmmerlich er lebte; wir dachten 7 * ihn im Besitze guter Mittel, denn er hatte seine Armuth sorgfaͤltig verborgen. Meine Mutter be¬ stand darauf, daß er das Geliehene zuruͤckgeben muͤsse, und war zornig, daß Jemand von dem zum Besten ihres Soͤhnleins bestimmten kleinen Geldvorrathe sich ohne Weiteres einen Theil an¬ eignen wolle. Was ich gelernt, zog sie nicht in Betracht, weil sie es fuͤr die Schuldigkeit aller Welt hielt, mir mitzutheilen, was man irgend Gutes wußte. Ich dagegen, theils weil ich zuletzt auch ge¬ gen Roͤmer eingenommen war und ihn fuͤr eine Art Schwindler hielt, theils weil ich meine Mut¬ ter zur Herausgabe der Summe beredet, und end¬ lich aus Unverstand und Verblendung, hatte nichts einzuwenden und war vielmehr fast schadenfroh, Roͤmer etwas Feindliches anzuthun. Als daher die Mutter ein Billet an ihn schrieb und ich ein¬ sah, daß er, wenn er entschlossen war, das Geld zu behalten, die Mahnung einer in seinen Augen gewoͤhnlichen Frau nicht beachten werde, cassirte ich das Schreiben meiner Mutter, welche ohne¬ dies verlegen war, an einen so ansehnlichen und fremdartigen Mann zu schreiben, und entwarf ein anderes, welches, ich muß es zu meiner Schande gestehen, hoͤchst zweckmaͤßig eingerichtet war. In hoͤflicher und geistreicher Sprache berechnete ich halb seine fixen Ideen, halb seinen Stolz und sein Ehrgefuͤhl (dieses dachte ich durch jene zu zwingen) und indem das bescheidene Billet erst zu einer Bitterkeit wurde, wenn es unberuͤcksich¬ tigt blieb, war es, wenn Roͤmer alles das ver¬ lachen sollte, schließlich so beschaffen, daß er doch nicht lachen, sondern sich durchschaut sehen konnte. So viel brauchte es indessen gar nicht; denn als wir das Machwerk hinschickten, kehrte der Bote augenblicklich mit dem Gelde zuruͤck. Ich war etwas beschaͤmt; doch sprachen wir jetzt alles Gute von ihm, er sei doch nicht so uͤbel u. s. f., nur weil er uns das elende Haͤufchen Silber heraus¬ gegeben. Ich glaube, wenn Roͤmer sich eingebildet haͤtte, ein Nilpferd oder ein Speiseschrank zu sein, so waͤre ich nicht so unbarmherzig und undankbar gegen ihn gewesen; da er aber ein großer Prophet sein wollte, so fuͤhlte sich meine eigene Eitelkeit dadurch verletzt und waffnete sich mit den aͤußerli¬ chen scheinbaren Gruͤnden. Nach einem Monate erhielt ich von Roͤmer folgenden Brief aus Paris: »Mein werther junger Freund! Ich bin Ihnen eine Nachricht uͤber mein Befinden schuldig, da ich gern annehme, mich Ihrer ferneren Theilnahme und Freundschaft er¬ freuen zu duͤrfen. Bin ich Ihnen doch meine endliche Befreiung und Herrschaft schuldig. Durch Ihre Vermittlung, indem Sie das Geld von mir zuruͤckverlangten (welches ich nicht ver¬ gessen hatte, aber Ihnen in einem freieren Au¬ genblicke zuruͤckgeben wollte), bin ich endlich in den Palast meiner Vaͤter eingezogen und meiner wahren Bestimmung anheimgegeben! Aber es kostete Muͤhseligkeit. Ich gedachte jene Summe zu meinem ersten Aufenthalte hier zu verwenden; da Sie aber selbige zuruͤckverlang¬ ten, so blieb mir nach Abzug der Reisekosten noch 1 Franc uͤbrig, mit welchem ich von der Post ging. Es regnete sehr stark und ver¬ wandte ich daher den besagten Franc dazu, nach dem Mont piété zu fahren und dorten meinen Koffer zu versetzen. Bald darauf sah ich mich genoͤthigt, meine Sammlungen einem Troͤdler fuͤr ein Trinkgeld zu verkaufen und erst jetzt, als ich endlich von aller angenommenen Kuͤnst¬ lermaske und allem Kunstapparate gluͤcklich be¬ freit und hungernd in den Straßen umherlief, ohne Obdach, ohne Kleider, doch jubelnd uͤber meine Freiheit, da fanden mich treue Diener meines erlauchten Hauses und fuͤhrten mich im Triumph heim! Aber noch beobachtet man mich zuweilen und ich benutze eine guͤnstige Gelegenheit, dies Zeichen zu senden. Sie sind mir werth geworden und ich habe etwas Gu¬ tes mit Ihnen vor! Inzwischen nehmen Sie meinen Dank fuͤr die guͤnstige Wendung, die Sie herbeigefuͤhrt! Moͤge alles Elend der Erde in Ihr Herz fahren, jugendlicher Held! Moͤ¬ gen Hunger, Verdacht und Mißtrauen Sie liebkosen und die schlimme Erfahrung Ihr Tisch- und Bettgenosse sein! Als aufmerksame Pagen sende ich Ihnen meine ewigen Verwuͤn¬ schungen, mit denen ich mich bis auf Weiteres Ihnen treulichst empfehle! Ihr wohlgewogener Freund. Dies nur in Eile, ich bin zu sehr beschaͤftigt!« Erst vor einem Jahre erfuhr ich, daß Roͤmer in einem franzoͤsischen Irrenhause verschollen sei. Wie es dazu kam, wird in obigem Briefe ziem¬ lich klar. Meine Mutter, welcher ich Alles ver¬ hehlte, konnte keine Schuld treffen, als diejenige aller Frauen, welche aus Sorge fuͤr ihre Ange¬ hoͤrigen engherzig und ruͤcksichtslos gegen alle Welt werden. Ich hingegen, der ich gerade zu dieser Zeit mich gut und strebsam glaubte, sah nun ein, welche Teufelei ich begangen hatte. Ich log, verlaͤumdete, betrog oder stahl nicht, wie ich es als Kind gethan, aber ich war undankbar, ungerecht und hartherzig unter dem Scheine des aͤußeren Rechtes. Ich mochte mir lange sagen, daß jene Forderung ja nur eine einfache Bitte um das Geliehene gewesen sei, wie sie alle Welt versucht, und daß weder meine Mutter, noch ich je gewaltsam darauf bestanden haͤtten, ich mochte mir lange sagen, daß Erfahrung den Meister mache und man auch diese Art Unrecht, als die gangbarste und am leichtesten zu begehende, am besten durch ein tuͤchtiges Erlebniß recht einsehen und vermeiden lerne, mochte ich mich auch uͤber¬ reden, daß Roͤmer's Wesen und Schicksal mein Verhalten hervorgerufen und auch ohne diesen Vorgang seine Erfuͤllung erreicht haͤtte; alles dies hinderte nicht, daß ich mir doch die bittersten Vorwuͤrfe machen mußte und mich schaͤmte, so oft Roͤmer's Gestalt vor meinen Sinn trat. Wenn ich auch die Welt verwuͤnschte, welche dergleichen Handlungen als klug und recht anerkennt (denn die rechtlichsten Leute hatten uns zu der Wieder¬ erlangung der Summe begluͤckwuͤnscht), so fiel doch alle Schuld wieder auf mich allein zuruͤck, wenn ich an die Anfertigung jenes Billets dachte, welches ich so recht con amore und ohne die mindeste Muͤhe geschrieben und gleichsam aus dem Aermel geschuͤttelt hatte. Ich war bald acht¬ zehn Jahre alt und entdeckte jetzt erst, wie ruhig und unbefangen ich seit den Knabensuͤnden und Krisen gelebt, sechs lange Jahre! Und nun ploͤtzlich diese Teufelei! Wenn ich schließlich be¬ dachte, wie ich jenes unverhoffte Erscheinen Roͤmer's als eine hoͤhere Fuͤgung angesehen, so wußte ich nicht, sollte ich lachen oder weinen uͤber den Dank, den ich dafuͤr gespendet. Den unheimlichen Brief wagte ich nicht zu verbrennen und fuͤrchtete mich ihn aufzubewahren; bald begrub ich ihn unter entlegenem Geruͤmpel, bald zog ich ihn hervor und legte ihn zu meinen liebsten Papieren, und noch jetzt, so oft ich ihn finde, veraͤndere ich seinen Ort und bringe ihn anderswo hin, so daß er auf steter Wanderschaft ist. Drittes Kapitel. Diese Demuͤthigung traf mich um so staͤrker, als ich, in Anna's Traͤumen und Ahnungen rein und gut zu erscheinen, den Winter uͤber ein pu¬ ritanisches Wesen angenommen hatte und nicht nur meine aͤußerliche Haltung, sondern auch meine Gedanken sorgfaͤltig uͤberwachte und mich bestrebte wie ein Glas zu sein, das man jeden Augenblick durchschauen duͤrfe. Welche Ziererei und Selbst¬ gefaͤlligkeit dabei thaͤtig war, wurde mir jetzt erst bei dieser gewaltsamen Stoͤrung deutlich, und meine Selbstanklage wurde noch durch das Ge¬ fuͤhl der Narrheit und Eitelkeit verbittert. Anna hatte waͤhrend des Winters streng das Zimmer huͤten gemußt und wurde im Fruͤhling bettlaͤgerig. Der arme Schulmeister kam in die Stadt, um meine Mutter abzuholen; er weinte als er in die Stube trat. Wir schlossen also unsere Wohnung zu und fuhren mit ihm hinaus, wo meine Mutter wie ein halbes Meerwunder empfangen und geehrt wurde. Sie enthielt sich jedoch, alle die Orte, die ihr theuer waren, auf¬ zusuchen und ihre gealterten Bekannten zu sehen, sondern eilte, sich bei dem kranken Kinde einzu¬ richten; erst nach und nach benutzte sie guͤnstige Augenblicke, und es dauerte Monate lang, bis sie alle Jugendfreunde gesehen, obgleich die meisten in der Naͤhe wohnten. Ich hielt mich im Hause des Oheims auf und ging alle Tage an den See hinuͤber. Anna litt Morgens und Abends und in der Nacht am meisten; den Tag uͤber schlummerte sie oder lag laͤchelnd im Bette und ich saß an demselben, ohne viel zu wissen, was ich sagen sollte. Unser Ver¬ haͤltniß trat aͤußerlich zuruͤck vor dem schweren Leiden und der Trauer, welche die Zukunft nur halb verhuͤllte. Wenn ich manchmal ganz allein auf eine Viertelstunde bei ihr saß, so hielt ich ihre Hand, waͤhrend sie mich bald ernst, bald laͤchelnd ansah, ohne zu sprechen, oder hoͤchstens, um ein Glas oder sonst einen Gegenstand von mir zu verlangen. Auch ließ sie sich oft ihre Schaͤchtelchen und kleinen Schaͤtze auf das Bett bringen, kramte dieselben aus, bis sie muͤde war, wo sie mich dann Alles wieder einpacken ließ. Dies erfuͤllte uns mit einem stillen Gluͤcke und wenn ich dann beinahe stolz auf dies so zarte und reine Verhaͤltniß fortging, so konnte ich nicht begreifen, wie und warum ich Anna in Er¬ wartung schmerzenvoller Qualen zuruͤckließ. Der Fruͤhling bluͤhte nun in aller Pracht; aber das arme Kind konnte kaum und selten an's Fenster gebracht werden. Wir fuͤllten daher die Wohnstube, in welcher ihr weißes Bett stand, mit Blumenstoͤcken und bauten vor dem Fenster ein breites Geruͤste, um auf demselben durch groͤ¬ ßere Toͤpfe moͤglichst einen Garten einzurichten. Wenn Anna an sonnigen Nachmittagen eine gute Stunde hatte und wir der warmen Mai¬ sonne das Fenster oͤffneten, der silberne See durch die Rosen und Oleanderbluͤthen herein glaͤnzte und Anna in ihrem weißen Kranken¬ kleide dalag, so schien hier ein sanfter trauernder Kultus des Todes begangen zu werden. Manchmal aber wurde Anna in solchen Stunden ganz munter und verhaͤltnißmaͤßig red¬ selig; wir setzten uns dann um ihr Bett herum und fuͤhrten ein gemaͤchliches Gespraͤch uͤber Per¬ sonen und Begebenheiten, bald heiterer Natur, und bald ernster, so daß Anna Bericht erhielt von dem, was unsere kleine Welt bewegte. Eines Tages, als meine Mutter in das Dorf gegangen war, fiel das Gespraͤch auf mich selbst, und der Schulmeister wie seine Tochter schienen es auf diesem Gegenstande so wohlwollend festhalten zu wollen, daß ich mich aͤußerst geschmeichelt fuͤhlte, und aus behaglicher Dankbarkeit die groͤßte Auf¬ richtigkeit entgegen brachte. Ich benutzte den An¬ laß, mein Verhaͤltniß zu dem ungluͤcklichen Roͤmer zu erzaͤhlen, uͤber welches ich seit jenem Briefe mit Niemanden gesprochen, und ich brach in die heftigsten Klagen uͤber den Vorfall und mein Verhalten aus. Der Schulmeister verstand mich aber nicht recht; denn er wollte mich beruhigen und die Sache als nicht halb so schlimm dar¬ stellen, und was darin noch gefehlt war, sollte mich aufmerksam machen, daß wir eben allzumal Suͤnder und der Barmherzigkeit des Erloͤsers beduͤrftig seien. Das Wort Suͤnder war mir aber ein fuͤr alle Mal verhaßt und laͤcherlich und ebenso die Barmherzigkeit; vielmehr wollte ich ganz unbarmherzig die Sache mit mir selbst aus¬ fechten und mich verurtheilen auf gut weltlich ge¬ richtliche Art und durchaus nicht auf geistliche Weise. Ploͤtzlich aber bekam Anna, welche sich bisher still verhalten, aufgeregt durch meine Er¬ zaͤhlung und durch mein Gebaren, einen heftigen Anfall ihrer Kraͤmpfe und Leiden, daß ich das arme zarte Wesen zum ersten Mal seiner ganzen huͤlflosen Qual verfallen sah. Große Thraͤnen, durch Noth und Angst erpreßt, rollten uͤber ihre weißen Wangen, ohne daß sie dieselben aufhalten konnte. Sie war ganz durch die Bewegungen ihrer Leiden beschaͤftigt, so daß bald alle Ruͤcksicht und Haltung verschwinden mußten, und nur dann und wann richtete sie einen kurzen irrenden Blick auf mich, wie aus einer fremden Welt des Schmerzes heraus; zugleich schien sie dann eine zarte Scham zu aͤngstigen, so maßlos vor mir leiden zu muͤssen; und ich muß bekennen, daß meine Verlegenheit, so gesund und ungeschlacht vor dem Heiligthume dieser Leidensstaͤtte zu stehen, fast so groß war, als mein Mitleiden. Ueberzeugt, daß ich ihr dadurch wenigstens einige Befreiung verschaffe, ließ ich sie in den Armen ihres Vaters und eilte bestuͤrzt und beschaͤmt da¬ von, meine Mutter herbeizuholen. Nachdem diese mit einer Nichte sich fortbe¬ geben, um das kranke Kind zu pflegen, blieb ich den Rest des Tages im oheimlichen Hause, mir Vorwuͤrfe machend uͤber mein plumpes Ungeschick. Nicht nur mein Unrecht gegen Roͤmer, sondern sogar das Bekenntniß desselben und seine heutigen Folgen warfen einen gehaͤssigen Schein auf mich, und ich fuͤhlte mich gebannt in einer jener dunklen Stimmungen, wo Einem der Zweifel aufsteigt, ob man wirklich ein guter, zum Gluͤck bestimmter Mensch sei? wo es scheint, als ob nicht sowohl eine Schlechtigkeit des Herzens und des Charakters, als eine gewisse Schlechtigkeit des Kopfes, des Geschickes Einem anhafte, welche noch ungluͤck¬ licher macht, als die entschiedene Teufelei. Ich konnte nicht einschlafen vor dem Beduͤrfnisse, mich zu aͤußern, da das immerwaͤhrende Verschweigen, wie die mißlungene Aufrichtigkeit den Anstrich des Unheimlichen noch vermehrt. Ich stand nach Mitternacht auf, kleidete mich an und schlich mich aus dem Hause, um Judith aufzusuchen. Unge¬ sehen kam ich durch Gaͤrten und Hecken, fand aber Alles dunkel und verschlossen bei ihr. Ich stand einige Zeit unschluͤssig vor dem Hause; doch kletterte ich zuletzt am Spalier empor und klopfte zaghaft an das Fenster; denn ich fuͤrchtete mich, das gereifte und kluge Weib aus dem geheimni߬ vollen Schleier der Nacht aufzuschrecken, ich be¬ sorgte zu meiner Beschaͤmung erfahren zu muͤssen, daß ein solches Weib zuletzt doch manchmal zu thun fuͤr gut finden koͤnne, was nicht jeder Junge zu wissen brauche. Aber sie war ganz allein, hoͤrte und erkannte mich sogleich, stand auf, zog sich leicht an und ließ mich zum Fenster hinein. Dann machte sie Licht, Helle zu verbreiten, weil sie glaubte, ich sei in der Absicht gekommen, ir¬ gend einige Liebkosungen zu wagen. Aber sie III . 8 war sehr verwundert, als ich anfing, meine Ge¬ schichten zu erzaͤhlen, erst die gewaltsame Stoͤrung, welche ich heute in die stille Krankenstube ge¬ tragen, und dann die ungluͤckliche Geschichte mit Roͤmer, deren ganzen Verlauf ich schilderte. Nach¬ dem ich meinen kunstreichen Mahnbrief und den darauf erhaltenen Pariserbrief beschrieben, aus dessen Inhalt wir wohl Roͤmer's Schicksal ahnen konnten, nur daß wir statt des Irrenhauses gar ein Gefaͤngniß vermutheten, rief Judith: »Das ist ja ganz abscheulich! Schaͤmst Du Dich denn nicht, Du Knirps?« Und indem sie zornig auf und niederging, malte sie recht genau aus, wie Roͤmer sich vielleicht erholt haͤtte, wenn man ihm nicht die Mittel zu seinem ersten Aufenthalte in Paris entzogen, wie ihn der Erhaltungstrieb vielleicht, ja sicher eine Zeitlang haͤtte klug sein lassen und hieraus unberechenbar eine bessere Wendung auf diese oder jene Weise moͤglich ge¬ wesen. »O haͤtte ich den armen Mann pflegen koͤnnen,« rief sie aus, »gewiß haͤtte ich ihn kurirt! Ich haͤtte ihn ausgelacht und ihm geschmeichelt, bis er klug geworden waͤre!« Dann stand sie still, sah mich an und sagte: »Weißt Du wohl, Heinrich, daß Du allbereits ein Menschenleben auf Deiner gruͤnen Seele hast?« Diesen Gedanken hatte ich mir noch nicht einmal klar gemacht, und ich sagte betroffen: »Ho, so arg ist es wohl nicht! Im schlimmsten Falle waͤre es ein ungluͤcklicher Zufall, den ich nicht herbeizufuͤhren je waͤhnen konnte!« —»Ja,« erwiderte sie sachte, »wenn Du eine einfache, sogar grobe Forderung gestellt haͤttest! Durch Deinen sauberen Hoͤllenzwang aber hast Du ihm foͤrmlich den Dolch auf die Brust gesetzt, wie es auch ganz einer Zeit ge¬ maͤß ist, wo man sich mit Worten und Brieflein todt sticht! Ach, der arme Kerl! er war so fleißig und gab sich Muͤhe, aus der Patsche zu kommen, und als er endlich ein Roͤllchen Geld erwarb, nimmt man es ihm weg! Es ist so natuͤrlich, den Lohn der Arbeit zu seiner Er¬ naͤhrung zu verwenden; aber da heißt es: gieb erst zuruͤck, wenn Du geborgt hast, und dann verhungere!« Wir saßen Beide eine Weile duͤster und nach¬ denklich da; dann sagte ich: »Das hilft nichts, geschehene Dinge sind einmal nicht zu aͤndern. Die Geschichte soll mir zur Warnung dienen; aber ich kann sie nicht ewig mit mir herum¬ schleppen, und da ich mein Unrecht einsehe und bereue, so mußt Du es mir endlich verzeihen und mir die Gewißheit geben, daß ich deswegen nicht hassenswerth und garstig aussehe!« Ich merkte naͤmlich erst jetzt, daß ich darum hergekommen und allerdings beduͤrftig war, durch Mittheilung und durch die Vermittlung eines fremden Mundes die Vertilgung eines druͤckenden Gefuͤhles oder Verzeihung zu erlangen, wenn ich mich auch gegen des Schulmeisters christliche Vermittlung straͤubte. Aber Judith antwortete: »Daraus wird Nichts! Die Vor¬ wuͤrfe Deines Gewissens sind ein ganz gesundes Brot fuͤr Dich, und daran sollst Du Dein Leben lang kauen, ohne daß ich Dir die Butter der Verzeihung darauf streiche! Dies koͤnnte ich nicht einmal; denn was nicht zu aͤndern ist, ist eben deswegen auch nicht zu vergessen, duͤnkt mich, ich habe dies genugsam erfahren! Uebrigens fuͤhle ich leider nicht, daß Du mir irgend wider¬ waͤrtig geworden waͤrest; wozu waͤre man da, wenn man nicht die Menschen, wie sie sind, lieb haben muͤßte?« Und sie druͤckte, da sie auf dem Rande des Bettes und ich auf einer altmodisch bemalten Kiste zu ihren Fuͤßen saß, meinen Kopf auf ihren Schoß und verband ihre Haͤnde liebe¬ voll unter meinem Kinn. Diese seltsame Aeußerung in Judith's Munde machte mich tief betroffen und verursachte mir ein langes Nachsinnen; je laͤnger ich sann, desto gewisser wurde es mir, daß Judith das Rechte getroffen, und ich gelangte zu einem Schluß, welcher, indem er zugleich zu einem Entschluß wurde, naͤmlich das Bewußtsein des begangenen Unrechtes nie mehr vergessen und immer in seiner ganzen Frische tragen zu wollen, mir die einzig moͤgliche Ausgleichung zu sein schien. Nur Einer kann und soll verzeihen und vergessen, der von Unrecht Betroffene selbst, der Thaͤter und alle Anderen koͤnnen es niemals, so lange eine innere oder aͤußere Spur uͤbrig bleibt. Dies kann man am deutlichsten an den großen Beispielen der Geschichte sehen. Die Tausende, welche Philipp der Zweite verbrennen ließ, haben ihm gewiß laͤngst verziehen und betrachten ihn wie einen anderen Mann, der gefehlt hat , waͤhrend die Millionen Protestanten, welche leben, ihm immer noch nicht verzeihen koͤnnen, weil die Wirkungen seiner That noch taͤglich vor unser Aller Augen sind, und, ihn selbst betreffend, ist es gar nicht denkbar, daß er sein weltgeschicht¬ liches Unrecht habe vergessen koͤnnen; denn wenn er auch mit seinem Tode als Koͤnig abgesetzt und in den Wirbel der anderen Wesen gerissen wurde, so hoͤrte er darum nicht auf, Philipp der Zweite zu sein, vielmehr, wenn er es je gewesen ist, wird er es ewig bleiben. Dadurch aber, daß nur die vom Unrecht Betroffenen unmittelbar verzeihen, was man so verzeihen nennt, bleibt zuletzt doch kein Haß uͤbrig, als derjenige gegen das Boͤse, das man in sich selber hat; denn das Nichtverzeihen der Uebrigen ist wieder etwas Anderes. Es ist merkwuͤrdig, daß die Menschen immer nur große Dummheiten, die sie begangen, glauben nicht vergessen zu koͤnnen, sich bei deren Erin¬ nerung vor den Kopf schlagen und kein Hehl daraus machen, zum Zeichen, daß sie nun kluͤger geworden; begangenes Unrecht aber machen sie sich weiß, allmaͤlig vergessen zu koͤnnen, waͤhrend es in der That nicht so ist, schon deswegen, weil das Unrecht mit der Dummheit nahe verwandt und aͤhnlicher Natur ist. Ja, dachte ich, so un¬ verzeihlich mir meine Dummheiten sind, wird es auch mein Unrecht sein! Was ich an Roͤmer ge¬ than, werde ich von nun an nie mehr vergessen und, wenn ich unsterblich bin, in die Unsterblich¬ keit hinuͤbernehmen, denn es gehoͤrt zu meiner Person, zu meiner Geschichte, zu meinem Wesen, sonst waͤre es nicht passirt! Meine einzige Sorge wird sein, zu trachten, daß ich noch so viel Rech¬ tes thue, daß mein Dasein ertraͤglich bleibt! Ich sprang auf und verkuͤndete der Judith diese Ausfuͤhrung und Anwendung ihrer einfachen Worte; denn es duͤnkte mir ein wichtiges Ereig¬ niß, so fuͤr immer auf das Vergessen einer Uebel¬ that zu verzichten. Judith zog mich nieder und sagte mir in's Ohr: »Ja, so wird es sein; Du bist jetzt erwachsen und hast in diesem Handel schon Deine moralische Jungfernschaft verlo¬ ren! Nun kannst Du Dich in Acht nehmen, Buͤrschchen, daß es nicht so fort geht!« Der drollige Ausdruck, den sie gebrauchte, stellte mir die Sache noch in ein neues und laͤcherlich deut¬ liches Licht, daß ich einen großen Aerger empfand und mich einen ausgesuchten Esel, Laffen und aufgeblaͤheten Popanz schalt, der sich so blindlings habe uͤbertoͤlpeln lassen. Judith lachte und rief: »Denke daran, wenn man am gescheidtesten zu sein glaubt, so kommt man am ehesten als ein Esel zum Vorschein!« — »Du brauchst nicht zu lachen!« erwiederte ich aͤrgerlich, »ich habe Dir so eben, als ich kam, auch einen Tort angethan: ich habe gefuͤrchtet, daß Du vielleicht einen frem¬ den Mann bei Dir haben koͤnntest!« Sie gab mir sogleich eine Ohrfeige, doch wie es mir schien, mehr aus Vergnuͤgen, als aus Zorn und sagte: »Du bist ein recht unverschaͤmter Gesell und glaubst wohl, Du brauchst Deine schaͤndlichen Gedanken nur einzugestehen, um von mir absolvirt zu sein! Freilich sind es nur die beschraͤnkten und vernagelten Leute, welche nie etwas eingestehen wollen; aber die Uebrigen machen deswegen damit auch nicht Alles gut! Zur Strafe gehst Du mir jetzt gleich zum Tempel hinaus und machst, daß Du nach Hause kommst! Morgen des Nachts darfst Du Dich wieder zeigen!« Sie trieb mich unerbittlich aus dem Hause; denn sie hatte jetzt genugsam gemerkt, daß es mich stark zu ihr hin zog und daß ich eifersuͤchtig auf sie war. Ich begab mich nun, so oft es anging, des Nachts zu ihr; sie brachte den Tag meistens allein und einsam zu, waͤhrend ich entweder weite Streif¬ zuͤge unternahm, um zu zeichnen, oder in des Schulmeisters Haus, als in einer Schule des Leidens, mich still und gemessen halten mußte. So hatten wir in diesen Naͤchten vollauf zu plau¬ dern und saßen oft stundenlang am offenen Fen¬ ster, wo der Glanz des naͤchtlichen Himmels uͤber der sommerlichen Welt lag, oder wir machten dasselbe zu, schlossen die Laden und setzten uns an den Tisch und lasen zusammen. Ich hatte ihr im Herbst auf ihr Verlangen nach einem Buche eine deutsche Uebersetzung des rasenden 8 * Roland zuruͤckgelassen, welchen ich selbst noch nicht naͤher kannte; Judith hatte aber den Winter uͤber oft darin gelesen und pries mir jetzt das Buch als das allerschoͤnste in der Welt an. Judith zweifelte nicht mehr an Anna's baldigem Tod und sagte mir dies unverholen, obgleich ich es nicht zugeben wollte; durch diesen Gegenstand und meine Berichte von jenem Krankenlager wurden wir truͤbselig und duͤster, jedes auf seine Weise, und wenn wir nun im Ariost lasen, so vergaßen wir alle Truͤbsal und tauchten uns in eine frische glaͤnzende Welt. Judith hatte das Buch erst ganz volks¬ thuͤmlich als etwas Gedrucktes genommen, wie es war, ohne uͤber seinen Ursprung und seine Be¬ deutung zu gruͤbeln: als wir aber jetzt zusammen darin lasen, verlangte sie Manches zu wissen, und ich mußte ihr, so gut ich konnte, einen Begriff geben von der Entstehungsweise und der Geltung eines solchen Werkes, von dem Wollen und den bewußten Absichten des Dichters, und ich erzaͤhlte, so viel ich wußte, von Ariost. Nun wurde sie erst recht froͤhlich, nannte ihn einen klugen und weisen Mann und las die Gesaͤnge mit verdop¬ pelter Lust, da sie wußte, daß diesen so heiteren und so tiefsinnigen Wechselgeschichten eine helle und tiefgefuͤhlte Absicht zu Grunde lag, ein Wol¬ len, Schaffen und Gestalten, eine Einsicht und ein Wissen, das ihr in seiner Neuheit wie ein Stern aus dunkler Nacht erglaͤnzte. Wenn die in Schoͤnheit leuchtenden Geschoͤpfe rastlos an uns voruͤberzogen, von Taͤuschung zu Taͤuschung und leidenschaftlich sich jagend und haschend, immer Eins dem Anderen entschwand und ein Drittes hervortrat, oder wenn sie in kurzen Augenblicken bestraft und trauernd ruheten von ihrer Leiden¬ schaft, oder vielmehr sich tiefer in dieselbe hinein zu ruhen schienen an klaren Gewaͤssern, unter wundervollen Baͤumen, so rief Judith: »O klu¬ ger Mann! Ja, so geht es zu, so sind die Men¬ schen und ihr Leben, so sind wir selbst, wir Narren!« Noch mehr glaubte ich selbst der Gegenstand eines poetischen Scherzes zu sein, wenn ich mich neben einem Weibe sah, welches ganz wie jene Fabelwesen auf der Stufe der voll entfalteten Kraft und Schoͤnheit still zu stehen und dazu an¬ gethan schien, unablaͤssig die Leidenschaft fahren¬ der Helden zu erregen. An ihrer ganzen Gestalt hatte jeder Zug ein siegreiches festes Gepraͤge, und die Faltenlagen ihrer einfachen Kleider waren immer so schmuck und stattlich, daß man durch sie hindurch in der Aufregung wohl goldene Span¬ gen oder gar schimmernde Waffenstuͤcke zu ahnen glaubte. Entbloͤßte jedoch das uͤppige Gedicht seine Frauen von Schmuck und Kleidung und brachte ihre bloßgegebene Schoͤnheit in offene Be¬ draͤngniß oder in eine muthwillig verfuͤhrerische Lage, waͤhrend ich mich nur durch einen duͤnnen Faden von der bluͤhendsten Wirklichkeit geschieden sah, so war es mir vollends, als waͤre ich ein thoͤrichter Fabelheld und das Spielzeug eines aus¬ gelassenen Dichters; nicht nur das platonische Pflicht- und Treuegefuͤhl gegen das von christ¬ lichen Gebeten umgebene Leidensbett eines zarten Wesens, sondern auch die Furcht, schlechtweg durch Anna's krankhafte Traͤume verrathen zu werden, legten ein Band um die verlangenden Sinne, waͤhrend Judith aus Ruͤcksicht fuͤr Anna und mich und aus dem Beduͤrfnisse sich beherrschte, in dem zierlich platonischen Wesen der Jugend noch etwas mit zu leben. Unsere Haͤnde bewegten sich manch¬ mal unwillkuͤrlich nach den Schultern oder den Huͤften des Anderen, um sich darum zu legen, tappten aber auf halbem Wege in der Luft und endigten mit einem zaghaften abgebrochenen Wan¬ genstreicheln, so daß wir naͤrrischer Weise zwei jungen Katzen glichen, welche mit den Pfoͤtchen nach einander auslangen, elektrisch zitternd und unschluͤssig, ob sie spielen oder sich zerzausen sollen. In solchen Augenblicken rafften wir uns auf; Judith zog ihre Schuhe an und begleitete mich in die Sommernacht hinaus; es reizte uns, un¬ gesehen in's Freie zu gelangen und auf naͤchtliche Abenteuer durch den Wald und uͤber die Hoͤhen zu gehen. Solche romantische Gewohnheiten ver¬ gnuͤgten meine Begleiterin um so mehr, als sie ihr neu waren und sie noch nie ohne einen be¬ stimmten und außerordentlichen Zweck naͤchtlicher Weise aus dem Dorfe gegangen war. Sie freuete sich aber dieser Freiheit um ihrer selbst willen und nicht aus Naturschwaͤrmerei, weil sie einmal ein abgesondertes und eigenes Leben fuͤhrte, obgleich urspruͤnglich Niemand besser als sie zu einem fri¬ schen Zusammenleben geschaffen war. Sie stellte daher keine gefuͤhlvollen Betrachtungen uͤber den Mondschein an, sondern sie rauschte muthwillig und rasch durch die Gebuͤsche, oder knickte halb unmuthig manchen gruͤnen Zweig, mit dem sie mir in's Gesicht schlug, als ob sie damit Alles wegzaubern wollte, was zwischen mir und ihr lag, die Jahre, die fremde Liebe und den un¬ gleichen Stand. Sie wurde dann ganz anders, als sie erst in der Stube gewesen, und foͤrmlich boshaft, spielte mir tausend Schabernack, verlor sich im dunkeln Dickicht, daß ich sie ploͤtzlich zu fassen bekam, oder hob beim Springen uͤber einen Graben das Kleid so hoch, daß ich in Verwir¬ rung gerieth. Einmal erzaͤhlte ich ihr das Aben¬ teuer, das ich als kleiner Junge mit jener Schau¬ spielerin gehabt, und vertraute ihr ganz offen, welchen Eindruck mir der erste Anblick einer blo¬ ßen Frauenbrust gemacht, so daß ich dieselbe noch immer in dem weißen Mondlicht vor mir sehe und dabei der laͤngst entschwundenen Frau fast sehnsuͤchtig gedenke, waͤhrend ihre Gesichtszuͤge und ihr Name schon lange bis auf die letzte Spur in meinem Gedaͤchtniß verwischt. Wir gingen ge¬ rade dem Waldbache entlang, uͤber welchem der Mond ein geheimnißvolles Netz von Dunkel und Licht zittern ließ; Judith verschwand ploͤtzlich von meiner Seite und huschte durch die Buͤsche, waͤh¬ rend ich verbluͤfft vorwaͤrts ging. Dies dauerte wohl fuͤnf Minuten, waͤhrend welcher ich keinen Laut vernahm außer dem leisen Wehen der Baͤume und dem Rieseln der Wellen. Es wurde mir zu Muthe, wie wenn Judith sich aufgeloͤst haͤtte und still in die Natur verschwunden waͤre, in welcher mich ihre Elemente geisterhaft neckend umrausch¬ ten. So gelangte ich unversehens in die Gegend der Heidenstube und sah nun die graue Fels¬ wand im hellen Vollmond, der uͤber den Baͤumen stand, in den Himmel ragen; das Wasser und die Steine zu meinen Fuͤßen waren ebenfalls be¬ schienen. Auf den Steinen lagen Kleider, zu oberst ein weißes Hemd, welches, als ich es auf¬ hob, noch ganz warm war, wie eine so eben ent¬ seelte irdische Huͤlle. Ich vernahm aber keinen Laut, noch sah ich etwas von Judith, es wurde mir wirklich unheimlich zu Muthe, da die Stille der Nacht von einer daͤmonischen Absicht ganz getraͤnkt erschien. Ich wollte eben Judith beim Namen rufen, als ich seltsame, halb seufzende, halb singende Toͤne vernahm, aus denen zuletzt ein deutliches altes Lied wurde, das ich schon hundertmal gehoͤrt und jetzt doch einen zauberhaf¬ ten Eindruck auf mich machte. Sein Inhalt war die Tiefe des Wassers, etwas von Liebe und sonst nichts weiter; aber zuletzt war es von einem fast sichtbaren verfuͤhrerischen Laͤcheln durchdrungen und von einem silbernen Geraͤusch begleitet, wie wenn Jemand im Wasser plaͤtschert und sich das¬ selbe in sanften Wellen gegen die Lenden schlaͤgt. Wie ich so hinhorchte, entdeckte ich endlich mir gegenuͤber eine undeutliche weiße Gestalt, welche sich im Schatten hinter dem Felsen bewegte, sich an uͤberhaͤngende Zweige hing und den Koͤrper im Wasser treiben ließ oder ploͤtzlich sich hoch aufrichtete und eine Weile gespenstisch unbeweglich hielt. Es fuͤhrte ein untiefer Damm des Ge¬ schiebes zu jener Stelle und zwar in einem ziem¬ lich weiten Bogen, und als ich einen Augenblick mich vergessen hatte, sah ich unversehens die nackte Judith schon auf der Mitte dieses Weges angelangt und auf mich zukommen. Sie war bis unter die Brust im Wasser; sie naͤherte sich im Bogen und ich drehete mich magnetisch nach ihren Bewegungen. Jetzt trat sie aus dem schief uͤber das Fluͤßchen fallenden Schlagschatten und erschien ploͤtzlich im Mondlichte; zugleich erreichte sie bald das Ufer und stieg immer hoͤher aus dem Wasser und dieses rauschte jetzt glaͤnzend von ihren Huͤften und Knieen zuruͤck. Jetzt setzte sie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen Steine, sah mich an und ich sie; sie war nur noch drei Schritte von mir und stand einen Au¬ genblick still; ich sah jedes Glied in dem hellen Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergroͤßert und verschoͤnt, gleich einem uͤber lebensgroßen alten Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Bruͤ¬ sten und auf den Huͤften schimmerte das Wasser, aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die sie schweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob sie die Arme und bewegte sich gegen mich; aber ich, von einem heißkalten Schauer und Respect III. 9 durchrieselt, ging mit jedem Schritt, den sie vor¬ waͤrts that, wie ein Krebs einen Schritt ruͤck¬ waͤrts, aber sie nicht aus den Augen verlierend. So trat ich unter die Baͤume zuruͤck, bis ich mich in den Brombeerstauden fing und wieder still stand. Ich war nun verborgen und im Dunkeln, waͤhrend sie im Lichte mir vorschwebte und schim¬ merte; ich druͤckte meinen Kopf an einen kuͤhlen Stamm und besah unverwandt die Erscheinung. Jetzt ward es ihr selbst unheimlich; sie stand dicht bei ihrem Gewande und begann wie der Blitz sich an¬ zuziehen. Ich sah aber, daß sie erst jetzt in Verlegen¬ heit gerieth, und trat unwillkuͤrlich, meine eigene Ver¬ wirrung vergessend, hervor, half ihr zitternd den Rock uͤber der Brust zuheften und reichte ihr das große weiße Halstuch. Hierauf umschlang ich ihren Hals und kuͤßte sie auf den Mund, gewis¬ sermaßen um keinen muͤssigen Augenblick aufkom¬ men zu lassen; sie fuͤhlte dies wohl; denn sie war nun uͤber und uͤber roth bis in die noch feuchte Brust hinein; sie steckte hastig ihre feinen Struͤmpfe in die Tasche und schluͤpfte mit bloßen Fuͤßen in die Schuhe, worauf sie mich noch einmal um¬ schloß und heftig kuͤßte, dann quer durch die Baͤume die Halde hinan eilte und verschwand, indessen ich das Wasser entlang nach Hause ging. Ich fuͤhlte sonderbarer Weise die Schuld dieses Abenteuers allein auf mir ruhen, obgleich ich mich leidend dabei verhalten, waͤhrend ich schon empfand, wie unausloͤschlich der naͤchtliche Spuk, die glaͤnzende Gestalt fuͤr immer meinen Sin¬ nen eingepraͤgt sei und wie ein weißes Feuer in meinem Gehirne und in meinem Blute um¬ ging. Zu diesen so ganz entgegengesetzten Aufre¬ gungen der Tage und der Naͤchte kamen diesen Sommer noch verschiedene Auftritte im laͤndlichen Familienleben, welche bei aller Einfachheit doch den gewaltigen Wechsel des Lebens und sein un¬ aufhaltsames Voruͤbergehen in's Licht stellten. Der Haushalt des jungen Muͤllers ließ seine Hei¬ rath nicht laͤnger aufschieben, und es wurde also eine dreitaͤgige Hochzeit gefeiert, bei welcher die spaͤrlichen Ueberreste staͤdtischen Gebrauches, so die Braut aus ihrem Hause mitbrachte, gar jaͤmmer¬ lich dem laͤndlichen Pomp unterliegen mußten 9 * Die Geigen schwiegen nicht waͤhrend der drei Tage; ich ging jeden Abend hin und fand Judith festlich geschmuͤckt unter dem Gedraͤnge der Gaͤste; ein und das andere Mal tanzte ich bescheiden und wie ein Fremder mit ihr, und auch sie hielt sich zuruͤck, obgleich wir waͤhrend der geraͤusch¬ vollen Naͤchte Gelegenheit genug hatten, uns un¬ bemerkt nahe zu sein. Aber erst dadurch empfand ich recht, welch ein zwingender Reiz in einem solchen Doppelleben und welch ein Zauber in dem Geheimniß liegt; ich war innerlich wie berauscht, und die schoͤne Judith sah es wohl und bewegte sich um so ruhiger und mit allen Leuten lachend, plaudernd herum, wobei es mir doch wohlgefiel, daß sie im Geheimen doch auch ernster und lei¬ denschaftlich bewegt schien. Alles war mir wie ein Maͤhrchen; die Geigen und die Glaͤser klan¬ gen, die Leute sangen und tanzten, uͤberall faßte man sich bei den Haͤnden und lachte sich an, und wenn mich so eben ein lustiges Maͤdchen gestellt und angeredet, und ich schweigend etwa das gol¬ dene Herzchen, das ihr vor der klopfenden Brust tanzte, in die Hand genommen und von allen Seiten beschaut, bis sie mir auf die Finger schlug, so ging ich um so nachdenklicher weiter. Dann kam die gluͤckliche Braut, welche der Reihe nach mit aller Welt einer geheim vertraulichen Unterhal¬ tung pflag, zog auch mich bei Seite, fragte, warum ich nicht lustiger sei und versicherte mir angele¬ gentlich, daß ich ein guter Junge und ihr sehr lieb sei. Ich ward geruͤhrt und betroffen und mußte mich von ihr wenden, da mir die Thraͤnen nahe waren, ohne daß ich eigentlich wußte, warum, und sie noch weniger. Noch tiefer fuͤhlte ich mich betroffen, als ich an einem der Tage meine Mut¬ ter, welche auf ein halbes Stuͤndchen erschienen war, fortbegleitete und ploͤtzlich aus dem Laͤrm und Gedraͤnge der Hochzeit heraus mich auf die stillen gruͤnen Sommerpfade versetzt sah. Meine Mutter war so ruhig, zufrieden und gespraͤchig im Gefuͤhle der erfuͤllten Pflicht und eines immer gleichen anspruchlosen Lebens, daß mein leiden¬ schaftlich bewegtes Treiben im grellsten Lichte da¬ gegen abstach, und ich, obgleich ich nun schon ein anderes Sittengesetz zu kennen glaubte, als das uͤberkommene, mir den Gedanken nicht verwehren konnte, daß ich sie mit dem hintergehe, wovon sie keine Ahnung hatte. Kaum war die Hochzeit voruͤber, so erkrankte die Muhme, welche noch nicht funfzig Jahre alt war, und starb in Zeit von drei Wochen. Sie war eine starke und gesunde Frau, daher ihre Todeskrankheit um so gewaltsamer, und sie starb sehr ungern. Sie litt heftig und unruhig und ergab sich erst in den letzten zwei Tagen, und an dem Schrecken, der sich im Hause verbreitete, konnte man erst sehen, was sie Allen gewesen. Aber wie nach dem Hinsinken eines guten Sol¬ daten auf dem Felde der Ehre die Luͤcke schnell wieder ausgefuͤllt wird und der Kampf ruͤstig fortgeht, so erwies sich die Art des Lebens und des Todes dieser tapfern Frau auch auf das Schoͤnste dadurch, daß die Reihen ohne Lamen¬ tiren rasch sich schlossen, die Kinder theilten sich in Arbeit und Sorge und versparten den beschau¬ lichen Schmerz bis auf die Tage, wo geruht und wo ihnen der Verlust ihrer Mutter erst ein schwe¬ res Wahrzeichen des Lebens werden wird. Nur der Oheim aͤußerte erst einige tiefere Klagen, faßte diese aber bald in das Wort »meine selige Frau« zusammen, das er nun bei jeder Gelegen¬ heit anbrachte. An dem Leichenbegaͤngnisse sah ich Judith unter den fremden Frauen. Sie trug ein staͤdtisches schwarzes Kleid bis unter das Kinn zugeknoͤpft, sah demuͤthig auf den Boden und ging doch hoch und stolz einher. Wenige Wochen spaͤter erschien der junge philosophische Schullehrer im Hause und bewarb sich unversehens um die juͤngste Tochter. Die Jungen wußten zwar schon laͤngst, daß die Bei¬ den sich leidenschaftlich verbunden; allein dem Vater kam es ganz unerwartet und man sah nun an seinem Erstaunen und an seinem Unwillen, den er wenig verhehlte, welch ein unwillkommener Gast er bei allem Scherz fuͤr eine engere Ver¬ bindung war. Der Oheim wies ihn ab oder wenigstens auf die Zukunft, wegen des kuͤrzlichen Todes seiner Frau und weil er auch deswegen jetzt keine Tochter mehr entbehren koͤnne, am we¬ nigsten die juͤngste. Doch der Philosoph gab sich nicht zufrieden, sondern wandte ein, daß er, zum Oberlehrer vorgeruͤckt, nun einen eigenen Haus¬ halt zu fuͤhren und eine Frau zu haben wuͤnsche, uͤberhaupt er kein Hinderniß sehe, zu heirathen, da er und das Maͤdchen einverstanden seien. Hierauf setzte er eine lange Denkschrift auf, in welcher er durch philosophische und rechtliche Gruͤnde seine Sache vertheidigte, mit großer Logik vom naturrechtlichen Standpunkt aus in die ver¬ wickelteren Verhaͤltnisse unseres Land- und Fa¬ milienrechtes uͤberging und alle Consequenzen in Aussicht stellte, welche er zu benutzen oder her¬ vorzurufen wissen werde. Alles war in den kunst¬ reichsten und ernsthaftesten Phrasen abgefaßt, und er erschien mit der Schrift und las dieselbe nach verlangter Erlaubniß mit seinem Silberstimmchen vor. Der Vater und die Soͤhne, welche letztere durch sein ruͤcksichtsloses Benehmen nun auch ge¬ gen ihn eingenommen waren, glaubten nun ihre Sache gewonnen und entschieden, da sie, beson¬ ders wenn sie das immer noch zierliche Miniatur¬ gesichtchen des Philosophen ansahen, einer so spa߬ haften Wendung unmoͤglich eine ernste Folge zu¬ schreiben mochten. Aber sie taͤuschten sich sehr. Sie warfen ihn zwar aus dem Hause, wobei sie auf das Schwesterchen keine große Ruͤcksicht nah¬ men, allein der seltsame Werber verklagte sie so¬ gleich und begann einen Proceß um sein Recht, den er mit solcher Consequenz und Energie durch¬ fuͤhrte, daß der Oheim entruͤstet und aufgeregt schon auf halbem Wege erklaͤrte, das Kind koͤnne laufen, wohin es wolle. Noch glaubte man, das junge Maͤdchen, das man immer noch als Kind anzusehen gewohnt war, wuͤrde jetzt wenigstens noch eine Zeit bleiben, bis es im Frieden gehen koͤnne, und man konnte seinen Abfall von der Familie nicht begreifen und schrieb denselben einem stoͤrrischen und mangelhaften Herzen zu; aber es kuͤmmerte sich nicht darum, sah nicht Vater, noch Schwestern und Bruͤder und kaum das Grab seiner Mutter an und zog ohne Aussteuer, ohne Sang und Klang mit dem Philosophen aus dem Dorfe. Mit Verwunderung sah ich, wie Logik und Leiden¬ schaft im Bunde in noch so jungen Koͤpfchen wohl so viel Bewegung verursachen koͤnnen, als Erfahrung und gereifter Wille der Alten. Denn das Philosoͤphchen hatte sich vorgenommen, streng nach seiner Vernunft und seinem Naturrechte zu handeln und auch seine Handlungen ganz in die¬ sem Sinne durchgefuͤhrt, so daß er sich unter der ganzen Lehrerschaft ein großes Ansehen erwarb, als ein Besieger des Vorurtheils, waͤhrend das Maͤdchen durch seine unerwartete und ruͤcksichtslose Leidenschaft, fuͤr die es auf der ganzen Welt keine Richtschnur mehr gab, als der Wille des Gelieb¬ ten, weit herum ein wunderliches Aufsehen er¬ regte. So war in kurzer Zeit die Gestalt des oheim¬ lichen Hauses veraͤndert und durch die verschiede¬ nen Vorgaͤnge Alles aͤlter und ernster geworden. Von der traurigen Schaubuͤhne ihres Kranken¬ bettes sah die arme Anna alle diese Veraͤnderun¬ gen, aber schon mehr als aͤußerlich getrennt von den Ereignissen. Sie hatte eine geraume Zeit im gleichen Zustande verharrt und Alle hofften, daß sie am Ende wieder aufleben wuͤrde. Aber da man es am wenigsten dachte, erschien eines Morgens im Herbste der Schulmeister schwarz ge¬ kleidet bei dem Oheim, welcher selbst noch schwarz ging, und verkuͤndete ihren Tod. In einem Augenblicke war nicht nur das Haus von Klagen erfuͤllt, sondern auch die benachbarte Muͤhle, und die Voruͤbergehenden verbreiteten das Leid im ganzen Dorfe. Seit bald einem Jahre war der Gedanke an Anna's Tod groß gezogen worden, und die Leute schienen sich ein rechtes Fest der Klage und des Bedaurens auf¬ gespart zu haben; denn fuͤr eine allgemeine Tod¬ tentrauer war dieser anmuthige, schuldlose und geehrte Gegenstand geeigneter, als die eigenen Verluste. Ich hielt mich ganz still im Hintergrunde; denn wenn ich auch bei freudigen Anlaͤssen laut wurde und unwillkuͤrlich eine anmaßende Rolle spielte, so wußte ich dagegen, wo es traurig her¬ ging, mich gar nicht vorzudraͤngen und gerieth immer in die Verlegenheit, fuͤr theilnahmlos und verhaͤrtet angesehen zu werden, und dies um so mehr, als mir von jeher nur die aus Schuld oder Unrecht entstandenen Mißstimmungen, die innere Beruͤhrung der Menschen, nie aber das unmittelbare Ungluͤck oder der Tod Thraͤnen zu entlocken vermochten. Jetzt aber war ich erstaunt uͤber den fruͤhen Tod und noch mehr daruͤber, daß dies arme todte Maͤdchen meine Geliebte war. Ich versank in tiefes Nachdenken daruͤber, ohne Schrecken oder heftigen Schmerz zu empfinden, obgleich ich das Ereigniß mit meinen Gedanken nach allen Seiten durch¬ fuͤhlte. Nicht einmal die Erinnerung an Judith verursachte mir Unruhe. Nachdem der Schulmei¬ ster einige Anordnungen getroffen, wurde ich end¬ lich aus meiner Verborgenheit hervorgezogen, in¬ dem er mich aufforderte, nunmehr mit ihm zu¬ ruͤckzugehen und einige Zeit bei ihm zu wohnen. Wir machten uns auf den Weg, indessen die uͤbrigen Verwandten, besonders die noch im Hause lebende Tochter und die junge Muͤllerin, versprachen, sogleich nachzukommen. Auf dem Wege faßte der Schulmeister sein Leid zusammen und gab ihm durch die nochmalige Schilderung der letzten Nacht und des Sterbens, das gegen Morgen eintraf, Worte. Ich hoͤrte Alles aufmerksam und schweigend an; die Nacht war beaͤngstigend und leidenvoll gewesen, der Tod selbst aber fast unmerklich und sanft. Meine Mutter und die alte Katherine hatten die Leiche schon geschmuͤckt und in Anna's Kaͤm¬ merchen gelegt. Da lag sie, nach des Schulmei¬ sters Willen, auf dem schoͤnen Blumenteppich, den sie einst fuͤr ihren Vater gestickt und man jetzt uͤber ihr schmales Bettchen gebreitet hatte; denn nach solchem Dienste gedachte der gute Mann diese Decke immer zunaͤchst um sich zu haben, so lange er noch lebte. Ueber ihr an der Wand hatte Katherine, deren Haar nun schon ganz er¬ graut war und die auf's Heftigste und Zaͤrtlichste lamentirte, das Bild hingehaͤngt, das ich einst von Anna gemacht, und gegenuͤber sah man immer noch die Landschaft mit der Heidenstube, welche ich vor Jahren auf die weiße Mauer gemalt. Die beiden Fluͤgelthuͤren von Anna's Schrank standen geoͤffnet und ihr unschuldiges Eigenthum trat zu Tage und verlieh der stillen Todtenkam¬ mer einen wohlthuenden Schein von Leben. Auch gesellte sich der Schulmeister zu den beiden Frauen, die vor dem Schranke sich aufhielten, und half ihnen, die zierlichsten und erinnerungsreichsten Saͤchelchen, deren die Selige von fruͤher Kindheit an gesammelt, hervorziehen und beschauen. Dies gewaͤhrte ihm eine lindernde Zerstreuung, welche ihn doch nicht von dem Gegenstande seines Schmer¬ zes abzog. Manches holte er sogar aus seinem eigenen Verwahrsam herbei, wie z. B. ein Buͤn¬ delchen Briefe, welche das Kind aus Welschland an ihn geschrieben; diese legte er, nebst den Ant¬ worten, die er nun im Schranke vorfand, auf Anna's kleinen Tisch, und ebenso noch andere Sachen, ihre Lieblingsbuͤcher, angefangene und vollendete Arbeiten, einige Kleinode, jene silberne Brautkrone. Einiges wurde sogar ihr zur Seite auf den Teppich gelegt, so daß hier unbewußt und gegen den sonstigen Gebrauch von diesen ein¬ fachen Leuten eine Sitte alter Voͤlker geuͤbt wurde. Dabei sprachen sie immer so miteinander, als ob die Todte es noch hoͤren koͤnnte und Keines mochte sich gern aus der Kammer entfernen. Indessen verweilte ich ruhig bei der Leiche und beschauete sie mit unverwandten Blicken; aber ich ward durch das unmittelbare Anschauen des Todes nicht kluͤger aus dem Geheimniß des¬ selben, oder vielmehr nicht aufgeregter, als vor¬ hin. Anna lag da, nicht viel anders, als ich sie zuletzt gesehen, nur daß die Augen geschlossen waren und das bluͤthenweiße Gesicht auf den Wangen wunderbarer Weise mit einem leisen ro¬ sigen Hauche uͤberflogen, wie vom Widerschein eines fernen, fernen Morgen- oder Abendrothes. Ihr Haar glaͤnzte frisch und golden, und ihre weißen Haͤndchen lagen gefaltet auf dem weißen Kleide mit einer weißen Rose. Ich sah Alles wohl und empfand beinahe eine Art gluͤcklichen Stolzes, in einer so traurigen Lage zu sein und eine so poetisch schoͤne todte Jugendgeliebte vor mir zu sehen. Erst als mir die alte Katherine jene Stickerei in die Haͤnde gab, welche Anna zu einer Mappe fuͤr mich bestimmt und muͤhsam vollendet hatte, mit dem Bericht, daß die Lei¬ dende waͤhrend der verwichenen Nacht ploͤtzlich einmal gesagt, man solle nicht vergessen, mir das Geschenk zu uͤbergeben, so bald ich wieder komme, erst jetzt fiel es mir ein, daß wir unsterblich sind und fuͤhlte mich durch ein unaufloͤsliches Band mit Anna verbunden. Auch meine Mutter und der Schulmeister schie¬ nen stillschweigend mir ein nahes Recht auf die Verstorbene zuzugestehen, als man verabredete, daß fortwaͤhrend Jemand bei der Todten weilen und ich die erste Wache halten sollte, damit die Uebrigen sich in ihrer Erschoͤpfung einstweilen zu¬ ruͤckziehen und etwas erholen konnten. Ohne jene Voraussetzung haͤtten sie mir eine solche zugleich zarte und ernste Zumuthung wohl nicht gestellt. Ich blieb aber nicht lange allein mit der Anna, da bald die Basen aus dem Dorfe kamen und nach ihnen viele andere Maͤdchen und Frauen, denen ein so ruͤhrendes Ereigniß und eine so be¬ ruͤhmte Leiche wichtig genug waren, die draͤn¬ gendste Arbeit liegen zu lassen und dem ehrfurchts¬ vollen Dienste des Menschengeschickes, des Todes, nachzugehen. Die Kammer fuͤllte sich mit Frauens¬ leuten, welche erst einer feierlich fluͤsternden Un¬ terhaltung pflagen, dann aber in ein ziemliches Geplauder geriethen. Sie standen dicht gedraͤngt um die stille Anna herum, die Jungen mit ehr¬ bar aufeinander gelegten Haͤnden, die Aeltern mit untergeschlagenen Armen. Die Kammerthuͤr stand geoͤffnet fuͤr die Ab- und Zugehenden und ich nahm die Gelegenheit wahr, mich hinaus zu machen und im Freien umher zu schlendern, wo die nach dem Dorfe fuͤhrenden Wege ungewoͤhn¬ lich belebt waren. Erst nach Mitternacht traf mich die Reihe wieder, die Todtenwache zu versehen, welche wir seltsamer Weise nun einmal eingerichtet. Ich blieb nun bis zum Morgen in der Kammer; aber so schnell mir die Stunden voruͤbergingen, wie ein Augenblick, so wenig wuͤßte ich eigentlich zu sa¬ gen, was ich gedacht und empfunden. Es war so still, daß ich durch die Stille hindurch glaubte das Rauschen der Ewigkeit zu hoͤren; das todte weiße Maͤdchen lag unbeweglich fort und fort, die farbigen Blumen des Teppichs aber schienen zu wachsen in dem schwachen Lichte. Nun ging der Morgenstern auf und spiegelte sich im See; ich loͤschte die Lampe ihm zu Ehren, damit er allein Anna's Todtenlicht sei, saß nun im Dun¬ keln in meiner Ecke und sah nach und nach die Kammer sich erhellen. Mit dem Morgengrauen, welches in das reinste goldene Morgenroth uͤber¬ ging, schien es zu leben und zu weben um die stille Gestalt, bis sie deutlich und reglos im gol¬ III . 10 denen Tage da lag. Ich hatte mich erhoben und vor das Bett gestellt und indem ihre Gesichts¬ zuͤge klar wurden, nannte ich ihren Namen, aber nur hauchend und tonlos; es blieb todtenstill und als ich zugleich zaghaft ihre Hand beruͤhrte, zog ich die meinige entsetzt zuruͤck, als ob ich an gluͤ¬ hendes Eisen gekommen waͤre; denn die Hand war kalt, wie ein Haͤuflein kuͤhler Thon. Wie dies abstoßende kalte Gefuͤhl meinen gan¬ zen Koͤrper durchrieselte, ließ es mir nun auch ploͤtzlich das Gesicht der Leiche so seelenlos und abwesend erscheinen, daß mir beinahe der erschreckte Ausruf entfuhr: »Was hab' ich mit Dir zu schaf¬ fen?« als aus dem Saale her die Orgel in mil¬ den und doch kraͤftigen Toͤnen erklang, welche nur manchmal in leidvollem Zittern schwankten, dann aber wieder zu harmonischer Kraft sich er¬ mannten. Es war der Schulmeister, welcher in dieser Morgenfruͤhe seinen Schmerz und seine Klage durch die Melodie eines alten Liedes zum Lob der Unsterblichkeit zu lindern suchte. Ich lauschte der Melodie, sie bezwang meinen koͤrper¬ lichen Schrecken, ihre geheimnißvollen Toͤne oͤffne¬ ten die unsterbliche Geisterwelt, und reuevoll ge¬ lobte ich Anna ewige Treue. Ich fuͤhlte mich stolz und gluͤcklich durch die¬ sen Entschluß; aber zugleich wurde mir nun der Aufenthalt in der Todtenkammer zuwider und ich war froh, mit dem Gedanken der Unsterblichkeit hinaus zu kommen in's lebendige Gruͤne. Es er¬ schien an diesem Tage ein Schreinergesell aus dem Dorfe, um hier den Sarg zu machen. Der Schulmeister hatte vor Jahren schon eigenhaͤndig ein schlankes Taͤnnlein gefaͤllt und zu seinem Sarge bestimmt. Dasselbe lag in Bretter gesaͤgt hinter dem Hause, durch das Vordach geschuͤtzt, und hatte immer zu einer Ruhebank gedient, auf welcher der Schulmeister zu lesen und seine Toch¬ ter als Kind zu spielen pflegte. Es zeigte sich nun, daß die obere schlankere Haͤlfte des Baumes den schmalen Todtenschrein Anna's abgeben koͤnne, ohne den zukuͤnftigen Sarg des Vaters zu beein¬ traͤchtigen; die wohlgetrockneten Bretter wurden abgehoben und eines nach dem anderen entzwei gesaͤgt. Der Schulmeister vermochte aber nicht lange dabei zu sein, und selbst die Frauen im 10* Hause klagten uͤber den Ton der Saͤge. Der Schreiner und ich trugen daher die Bretter und das Werkzeug in den leichten Nachen und fuhren an eine entlegene Stelle des Ufers, wo das Fluͤ߬ chen aus dem Gehoͤlze hervortritt und in den See muͤndet. Junge Buchen bilden dort am Wasser eine lichte Vorhalle, und indem der Schreiner einige der Bretter mittelst Schraubzwingen an den Staͤmmchen befestigte, stellte er eine zweckmaͤßige Hobelbank her, uͤber welcher die goldenen Laub¬ kronen der Buchen sich woͤlbten. Zuerst mußte der Boden des Sarges zusammen gefuͤgt und ge¬ leimt werden. Ich machte aus den ersten Hobel¬ spaͤnen und aus Reisig ein Feuer und setzte die Leimpfanne darauf, in welche ich mit der Hand aus dem Bache Wasser traͤufelte, indessen der Schreiner ruͤstig darauf los saͤgte und hobelte. Waͤhrend die gerollten Spaͤne sich mit dem fal¬ lenden Laube vermischten und die Bretter weiß wurden, machte ich die naͤhere Bekanntschaft des jungen Gesellen. Es war ein Norddeutscher von der fernsten Ostsee, groß und schlank gewachsen, mit kuͤhnen und schoͤn geschnittenen Gesichtszuͤgen, hellblauen aber feurigen Augen und mit starkem goldenem Haar, welches man immer uͤber die freie Stirn zuruͤckgestrichen und hinten in einen Schopf gebunden zu sehen glaubte, so urgerma¬ nisch sah er aus. Seine Bewegungen bei der Arbeit waren elegant und dabei hatte sein Wesen doch etwas Kindliches. Wir wurden bald ver¬ traut und er erzaͤhlte mir von seiner Heimath, von den alten Staͤdten im Norden, vom Meere und von der maͤchtigen Hansa. Wohl unterrich¬ tet, erzaͤhlte er mir von der Vergangenheit, den Sitten und Gebraͤuchen jener Seekuͤsten; ich sah den langen und hartnaͤckigen Kampf der Staͤdte mit den Seeraͤubern, den Vitalienbruͤdern, und wie Klaus Stuͤrzenbecher mit vielen Gesellen von den Hamburgern gekoͤpft wurde; dann sah ich wieder, wie am ersten Mai aus den Thoren von Stralsund der juͤngste Rathsherr mit einem glaͤn¬ zenden Jugendgefolge im Waffenschmuck zog und in den praͤchtigen Buchenwaͤldern zum Maigrafen gekroͤnt wurde mit einer gruͤnen Laubkrone, und wie er Abends mit einer schoͤnen Maigraͤfin tanzte. Auch beschrieb er die Wohnungen und Trachten nordischer Bauern, von den Hinterpommern bis zu den tuͤchtigen Friesen, bei welchen noch Spu¬ ren maͤnnlichen Freiheitsinnes zu finden; ich sah ihre Hochzeiten und Leichenbegaͤngnisse, bis der Geselle endlich auch von der Freiheit deutscher Nation redete, und wie bald die stattliche Re¬ publik eingefuͤhrt werden muͤßte. Ich schnitzte unterdessen nach seiner Anleitung eine Anzahl hoͤl¬ zerner Naͤgel, er aber fuͤhrte schon mit dem Dop¬ pelhobel die letzten Stoͤße uͤber die Bretter, feine Spaͤne loͤsten sich gleich zarten glaͤnzenden Sei¬ denbaͤndern und mit einem hell singenden Tone, welcher unter den Baͤumen ein seltsames Lied war. Die Herbstsonne schien warm und lieblich drein, glaͤnzte frei auf dem Wasser und verlor sich im blauen Duft der Waldnacht, an deren Eingang wir uns angesiedelt. Jetzt baueten wir die glatten weißen Bretter zusammen, die Ham¬ merschlaͤge hallten wieder durch den Wald, daß die Voͤgel uͤberrascht aufflogen und die Schwalben erschreckt uͤber den Seespiegel streiften, und bald stand der fertige Sarg in seiner Einfachheit vor uns, schlank und ebenmaͤßig, der Deckel schoͤn gewoͤlbt. Der Schreiner hobelte mit wenigen Zuͤ¬ gen eine schmale zierliche Hohlkehle um die Kan¬ ten, und ich sah verwundert, wie die zarten Li¬ nien sich spielend dem weichen Holze eindruͤckten; dann zog er zwei schoͤne Stuͤcke Bimsstein hervor und rieb sie aneinander, indem er sie uͤber den Sarg hielt und das weiße Pulver uͤber denselben verbreitete; ich mußte lachen, als er die Stuͤcke gerade so gewandt und anmuthig handhabte und abklopfte, wie ich bei meiner Mutter gesehen, wenn sie zwei Zuckerschollen uͤber einem Kuchen rieb. Als er aber den Sarg vollends mit dem Steine abschliff, wurde derselbe so weiß, wie Schnee, und kaum der leiseste roͤthliche Hauch des Tannenholzes schimmerte noch durch, wie bei einer Apfelbluͤthe. Er sah so weit schoͤner und edler aus, als wenn er gemalt, vergoldet oder gar mit Erz beschlagen gewesen waͤre. Am Haupte hatte der Schreiner der Sitte gemaͤß eine Oeffnung mit einem Schieber angebracht, durch welche man das Gesicht sehen konnte, bis der Sarg versenkt wurde; es galt nun noch eine Glasscheibe einzu¬ setzen, welche man vergessen, und ich fuhr nach dem Hause, um eine solche zu holen. Ich wußte schon, daß auf einem Schranke ein alter kleiner Rahmen lag, aus welchem das Bild lange ver¬ schwunden. Ich nahm das vergessene Glas, legte es vorsichtig in den Nachen und fuhr zuruͤck. Der Geselle streifte ein wenig im Gehoͤlze umher und suchte Haselnuͤsse; ich probirte indessen die Scheibe, und als ich fand, daß sie genau in die Oeffnung paßte, tauchte ich sie, da sie ganz bestaubt und verdunkelt war, in den klaren Bach und wusch sie sorgfaͤltig, ohne sie an den Steinen zu zer¬ brechen. Dann hob ich sie empor und ließ das lautere Wasser ablaufen, und indem ich das glaͤn¬ zende Glas hoch gegen die Sonne hielt und durch dasselbe schaute, erblickte ich das lieblichste Wun¬ der, das ich je gesehen. Ich sah naͤmlich drei reizende, musicirende Engelknaben; der mittlere hielt ein Notenblatt und sang, die beiden anderen spielten auf alterthuͤmlichen Geigen, und Alle schaueten freudig und andachtsvoll nach oben; aber die Erscheinung war so luftig und zart durch¬ sichtig, daß ich nicht wußte, ob sie auf den Son¬ nenstrahlen, im Glase, oder nur in meiner Phan¬ tasie schwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte, so verschwanden die Engel auf Augenblicke, bis ich sie ploͤtzlich mit einer anderen Wendung wie¬ der entdeckte. Ich habe seither erfahren, daß Kupferstiche oder Zeichnungen, welche lange, lange Jahre hinter einem Glase ungestoͤrt liegen, waͤh¬ rend der dunklen Naͤchte dieser Jahre sich dem Glase mittheilen und gleichsam ihr dauerndes Spiegelbild in demselben zuruͤcklassen. Ich ahnte jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme Schraffirung altdeutscher Kupferstecherei und in dem Bilde die Art Van Eyck'scher Engel entdeckte. Eine Schrift war nicht zu sehen und also das Blatt vielleicht ein seltener Probedruck gewesen, der in diese Thaͤler auf ebenso wunderbare Weise gekommen, als er wieder verschwunden war. Jetzt aber war mir die kostbare Scheibe die schoͤnste Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und ich befestigte sie selbst an dem Deckel, ohne Je¬ mandem etwas von dem Geheimniß zu sagen. Der Deutsche kam wieder herbei; wir suchten die feinsten Hobelspaͤne, unter welche sich manches gefallene Laub mischte, zusammen, und breiteten sie zum letzten Bett in den Sarg; dann schlossen wir ihn zu, trugen ihn in den Kahn und schiff¬ ten mit dem weithin scheinenden weißen Geraͤth uͤber den glaͤnzenden stillen See, und die Frauen mit dem Schulmeister brachen in lautes Weinen aus, als sie uns heranfahren und landen sahen. Am folgenden Tage wurde die Aermste in den Sarg gelegt, von allen Blumen umgeben, welche in Haus und Garten augenblicklich bluͤ¬ heten; aber auf die Woͤlbung des Sarges wurde ein schwerer Kranz von Myrthenzweigen und wei¬ ßen Rosen gelegt, welchen die Jungfrauen aus der Kirchgemeinde brachten, und außerdem noch so viele einzelne Straͤuße weißer duftender Bluͤthen aller Art, daß die ganze Oberflaͤche davon bedeckt wurde und nur die Glasscheibe frei blieb, durch welche man das weiße zarte Gesicht der Leiche sah. Das Begraͤbniß sollte vom Hause des Oheims aus stattfinden, und zu diesem Ende hin mußte Anna erst uͤber den Berg getragen werden. Es erschienen daher eine Anzahl Juͤnglinge aus dem Dorfe, welche die Bahre abwechselnd auf ihre Schultern nahmen, und unser kleines Gefolge der naͤchsten Angehoͤrigen begleitete den Zug. Auf der sonnigen Hoͤhe des Berges wurde ein kurzer Halt gemacht und die Bahre auf die Erde ge¬ setzt. Es war so schoͤn hier oben! der Blick schweifte uͤber die umliegenden Thaͤler bis in die blauen Berge, das Land lag in glaͤnzender Far¬ benpracht rings um uns. Die vier kraͤftigen Juͤnglinge, welche die Bahre zuletzt getragen, saßen ruhend auf den Tragewangen derselben, die Haͤupter auf ihre Haͤnde gestuͤtzt, und schaueten schweigend in alle vier Weltgegenden hinaus. Hoch am blauen Himmel zogen leuchtende weiße Wolken und schienen uͤber dem Blumensarge einen Augenblick still zu stehen und neugierig durch das Fensterchen zu gucken, welches fast schalkhaft zwi¬ schen den Myrthen und Rosen hervorfunkelte im Widerscheine der Wolken. Wir saßen, wie es sich traf, umher und selbst mich ruͤhrte jetzt eine große Traurigkeit, so daß mir einige Thraͤnen entfielen, als ich bedachte, daß Anna nun zum letzten Mal und todt uͤber diesen schoͤnen Berg gehe. Als wir in's Dorf hinunter gestiegen, laͤutete die Todtenglocke zum ersten Mal; Kinder beglei¬ teten uns in Schaaren bis zum Hause, wo man den Sarg unter die Nußbaͤume vor die Thuͤr hinstellte. Wehmuͤthig gewaͤhrten die Verwandten der Todten das Gastrecht bei dieser letzten Ein¬ kehr; es waren nun kaum anderthalb Jahre ver¬ gangen, seit jener froͤhliche Festzug der Hirten sich unter diesen selben Baͤumen bewegte und mit bewundernder Lust Anna's damalige Erschei¬ nung begruͤßte. Bald war der Platz voll Men¬ schen, welche sich herandraͤngten, um der Seligen zum letzten Mal in's Angesicht zu schauen. Nun ging der Leichenzug vor sich, welcher außerordentlich groß war; der Schulmeister, wel¬ cher dicht hinter dem Sarge ging, schluchzte fort¬ waͤhrend wie ein Kind. Ich bereute jetzt, keinen schwarzen ehrbaren Anzug zu besitzen, denn ich ging unter meinen schwarz gekleideten Vettern in meinem gruͤnen Habit, wie ein fremder Heide. Die Kirche war ganz mit Leuten angefuͤllt, ob¬ gleich es im Felde viel zu thun gab. Nachdem die Gemeinde den gewohnten Gottesdienst be¬ endigt und mit einem Choral beschlossen, schaarte man sich draußen um das Grab, wo die ganze Jugend, außergewoͤhnlicher Weise, einige sorgfaͤltig eingeuͤbte Figuralgesaͤnge mit heller und reiner Stimme sang. Ich hatte mich dicht an den Rand des Grabes gestellt, waͤhrend die uͤbrigen Ver¬ wandten mit dem leidvollen Vater in der Kirche blieben. Jetzt ward der Sarg hinabgelassen: der Todtengraͤber reichte den Kranz und die Blumen herauf, daß man sie aufbewahre, und der arme Sarg stand nun blank in der feuchten Tiefe. Der Gesang dauerte fort, aber alle Frauen schluchzten. Der letzte Sonnenstrahl leuchtete nun durch die Glasscheibe in das bleiche Gesicht, das darunter lag; das Gefuͤhl, das ich jetzt empfand, war so seltsam, daß ich es nicht anders, als mit dem fremden hochtrabenden und kalten Worte »objectiv« benennen kann, welches die deutsche Aesthetik er¬ funden hat. Ich glaube, die Glasscheibe that es mir an, daß ich das Gut, was sie verschloß, gleich einem in Glas und Rahmen gefaßten Theil meiner Erfahrung, meines Lebens, in gehobener und feierlicher Stimmung, aber in vollkommener Ruhe begraben sah; noch heute weiß ich nicht, war es Staͤrke oder Schwaͤche, daß ich dies tra¬ gische und feierliche Ereigniß viel eher genoß, als erduldete und mich beinahe des nun ernst werden¬ den Wechsels des Lebens freute. Der Schieber wurde zugethan, der Todten¬ graͤber und sein Gehuͤlfe stiegen herauf und bald war der braune Huͤgel aufgebaut. Judith ließ sich nicht sehen am Grabe; in einem demuͤthigen und entsagenden Gefuͤhle der Fremdheit hielt sie sich in ihrem Hause verschlossen. Am anderen Tage, als der Schulmeister zu erkennen gab, daß er nun seinen Schmerz in der Einsamkeit allein mit seinem Gott uͤberwinden wolle, schickte ich mich an, mit der Mutter nach der Stadt zuruͤck zu kehren. Vorher ging ich zur Judith und fand sie beschaͤftigt, ihre Baͤume zu mustern, da die Zeit wieder gekommen war, wo man das Obst einsammelte. Der Herbstnebel traf gerade heute zum ersten Mal ein und verschleierte schon den Baumgarten mit seinem silbernen Ge¬ webe. Judith war ernst und etwas verlegen, als sie mich sah, da sie nicht recht wußte, wie sie sich zu dem traurigen Erlebniß stellen sollte, waͤh¬ rend sie doch schon die Zeit vor sich sah, wo ich mich wenigstens so lange ihr ohne Ruͤckhalt hin¬ geben konnte, bis das Leben mich weiter fuͤhrte. Ich sagte aber ernsthaft, ich waͤre gekommen, um Abschied von ihr zu nehmen, und zwar fuͤr immer; denn ich koͤnnte sie nun nie wieder sehen. Sie erschrak und rief laͤchelnd, das werde nicht so unwiderruflich feststehen; sie war bei diesem Laͤcheln so erbleicht und doch so freundlich, daß dieser Zauber mich beinahe umkehrte, wie man einen Handschuh umkehrt. Doch ich bezwang mich und fuhr fort: daß es ferner nicht so gehen koͤnne, daß ich Anna von Kindheit auf gern ge¬ habt, daß sie mich bis zu ihrem Tode wahrhaft geliebt und meiner Treue versichert gewesen sei. Treue und Glauben muͤßten aber in der Welt sein, an etwas Sicheres muͤßte man sich halten, und ich betrachte es nicht nur fuͤr meine Pflicht, son¬ dern auch als ein schoͤnes Gluͤck, in dem Andenken der Verstorbenen, im Hinblick auf unsere gemein¬ same Unsterblichkeit, einen so klaren und lieblichen Stern fuͤr das ganze Leben zu haben, nach dem sich alle meine Handlungen richten koͤnnten. Als Judith diese Worte hoͤrte, erschrak sie noch mehr und wurde zugleich schmerzlich beruͤhrt. Es waren wieder von den Worten, von denen sie behauptete, daß niemals Jemand zu ihr welche gesagt habe. Heftig ging sie unter den Baͤumen umher und sagte dann: »Ich habe geglaubt, daß Du mich wenigstens auch etwas liebtest!« »Gerade deswegen,« erwiederte ich, »weil ich wohl fuͤhle, daß ich heftig an Dir hange, muß ein Ende gemacht werden!« »Nein, gerade deswegen mußt Du erst an¬ fangen, mich recht und ganz zu lieben!« »Das waͤre eine schoͤne Wirthschaft!« rief ich, »was soll dann aus Anna werden?« »Anna ist todt!« »Nein! Sie ist nicht todt, ich werde sie wie¬ dersehen und ich kann doch nicht einen ganzen Harem von Frauen fuͤr die Ewigkeit ansammeln!« Bitter lachend stand Judith vor mir still und sagte: »Das waͤre allerdings komisch! Aber wissen wir denn, ob es eigentlich eine Ewigkeit giebt?« »So oder so,« erwiederte ich, »giebt es Eine, und wenn es nur diejenige des Gedankens und der Wahrheit waͤre! Ja, wenn das todte Maͤdchen fuͤr immer in das Nichts hingeschwunden und sich gaͤnzlich aufgeloͤst haͤtte, bis auf den Namen, so waͤre dies erst ein rechter Grund, der armen Ab¬ wesenden Treue und Glauben zu halten! Ich habe es gelobt und Nichts soll mich in meinem Vor¬ satz wankend machen!« »Nichts!« rief Judith, »o Du naͤrrischer Ge¬ sell! Willst Du in ein Kloster gehen? Du siehst mir darnach aus! Aber wir wollen uͤber diese heikle Sache nicht ferner streiten; ich habe nicht gewuͤnscht, daß Du nach der traurigen Begeben¬ heit sogleich zu mir kommest und habe Dich nicht erwartet. Geh' nach der Stadt und halte Dich ein halbes Jahr still und ruhig, und dann wirst Du schon sehen, was sich ferner begeben wird!« »Ich seh' es jetzt schon,« erwiederte ich, »Du wirst mich nie wieder sehen und sprechen, dies schwoͤre ich hiermit bei Gott und Allem, was heilig ist, bei dem besseren Theil meiner selbst und — « »Halt inne!« rief Judith aͤngstlich und legte III . 11 mir die Hand auf den Mund; »Du wuͤrdest es sicher noch einmal bereuen, Dir selbst eine so grausame Schlinge gelegt zu haben! Welche Teu¬ felei steckt in den Koͤpfen dieser Menschen! Und dazu behaupten sie und machen sich selber weiß, daß sie nach ihrem Herzen handeln. Fuͤhlst Du denn gar nicht, daß ein Herz seine wahre Ehre nur darin finden kann, zu lieben, wo es geliebt wird, wenn es dies kann? Du kannst es und thust es heimlich doch, und somit waͤre Alles in der Ordnung! Sobald Du mich nicht mehr leiden magst, sobald die Jahre uns sonst auseinander fuͤhren, sollst Du mich ganz und fuͤr immer verlassen und vergessen, ich will dies uͤber mich nehmen; aber nur jetzt verlaß mich und zwinge Dich nicht, mich zu ver¬ lassen, dies allein thut mir weh, und es wuͤrde mich wahrhaft ungluͤckich machen, allein um un¬ serer Dummheit willen nicht einmal ein oder zwei Jahre noch gluͤcklich sein zu duͤrfen!« »Diese zwei Jahre,« sagte ich, »muͤssen und werden auch so voruͤbergehen, und gerade dann werden wir beide gluͤcklicher sein, wenn wir jetzt scheiden; es ist nun gerade noch die hoͤchste Zeit, es ohne spaͤtere Reue und das Bisherige gut zu machen, zu thun. Und wenn ich Dir es deutsch heraus sagen soll, so wisse, daß ich mir auch Dein Andenken, was immer ein Andenken der Verirrung fuͤr mich sein wird, doch noch so rein und schoͤn als moͤglich retten und erhalten moͤchte, und das kann nur noch durch ein rasches Schei¬ den in diesem Augenblicke geschehen. Du sagst und beklagst es, daß Du nie Theil gehabt an der edleren und hoͤheren Haͤlfte der Liebe! Welche bessere Gelegenheit kannst Du ergreifen, als wenn Du aus Liebe zu mir mir freiwillig erleichterst, Deiner mit Achtung und Liebe zu gedenken und zugleich der Verstorbenen treu zu sein? Wirst Du Dich dadurch nicht an jener tieferen Art der Liebe betheiligen?« »O Alles Luft und Schall!« rief Judith, »ich habe nichts gesagt, ich will nichts gesagt haben! Ich will nicht Deine Achtung, ich will Dich selbst haben, so lange ich kann!« Sie suchte meine beiden Haͤnde zu fassen, er¬ griff dieselben, und waͤhrend ich sie ihr vergeblich zu entziehen mich bemuͤhte, indeß sie mir ganz flehentlich in die Augen sah, fuhr sie mit leiden¬ schaftlichem Tone fort: »O liebster Heinrich! Geh' nach der Stadt, aber versprich mir, Dich nicht selbst zu binden und zu zwingen durch solche schreckliche Schwuͤre und Geluͤbde! Laß Dich — « Ich wollte sie unterbrechen, aber sie verhinderte mich am Reden und uͤberfluͤgelte mich: »Laß es gehen, wie es will, sag' ich Dir! Auch an mich darfst Du Dich nicht binden, Du sollst frei sein, wie der Wind! Gefaͤllt es Dir — « Aber ich ließ Judith nicht ausreden, sondern riß mich los und rief: »Nie werd' ich Dich wieder sehen, so gewiß ich ehrlich zu bleiben hoffe! Judith! leb' wohl!« Ich eilte davon, sah mich aber noch ein Mal um, wie von einer starken Gewalt gezwungen, und sah sie in ihrer Rede unterbrochen dastehen, die Haͤnde noch ausgestreckt von dem Losreißen der meinigen, und uͤberrascht, kummervoll und beleidigt zugleich mir nachschauend, ohne ein Wort hervorzubringen, bis mir der von der Sonne durchwirkte Nebel ihr Bild verschleierte. Eine Stunde spaͤter saß ich mit meiner Mut¬ ter auf einem Gefaͤhrt, und einer der Soͤhne mei¬ nes Oheims fuͤhrte uns nach der Stadt. Ich blieb den ganzen Winter allein und ohne allen Umgang; meine Mappe und mein Handwerkszeug mochte ich kaum ansehen, da es mich immer an den ungluͤcklichen Roͤmer erinnerte und ich mir kaum ein Recht zu haben schien, das, was er mich gelehrt, fortzubilden und anzuwenden. Manch¬ mal machte ich den Versuch, eine neue und eigene Art zu erfinden, wobei sich aber sogleich heraus¬ stellte, daß ich selbst das Urtheil und die Mittel, die ich dazu verwandte, nur Roͤmern verdankte. Dagegen las ich fort und fort, vom Morgen bis zum Abend und tief in die Nacht hinein. Ich las immer deutsche Buͤcher und auf die seltsamste Weise. Jeden Abend nahm ich mir vor, den naͤchsten Morgen, und jeden Morgen, den naͤch¬ sten Mittag die Buͤcher bei Seite zu werfen und an meine Arbeit zu gehen; selbst von Stunde zu Stunde setzte ich den Termin; aber die Stunden stahlen sich fort, indem ich die Buchseiten um¬ schlug, ich vergaß sie buchstaͤblich; die Tage, Wo¬ chen und Monate vergingen so sachte und heim¬ tuͤckisch, als ob sie, leise sich draͤngend, sich selbst entwendeten und zu meiner fortwaͤhrenden Beun¬ ruhigung lachend verschwaͤnden. Sonst, wenn ich die Buͤcher alter und fremder Voͤlker las, fuͤllten mich dieselben stets mit frischer Lust zur Arbeit, und selbst die neueren franzoͤsischen oder italieni¬ schen Sachen waren, selbst wenn ihr Gehalt nicht vom erlauchtesten Geiste, doch von solcher Gestal¬ tungslust getraͤnkt, daß ich sie oft froͤhlich weg¬ warf und auf eigenes Thun sann. Durch die deutschen Buͤcher hingegen wurde ich tief und tiefer in einen schmerzlichen Genuß unrechtmaͤßiger Ruhe und Beschaulichkeit hineingezogen, aus wel¬ chem mich der immer wache Vorwurf doch nicht reißen konnte. Ja, ich empfand trotz des boͤsen Gewissens sogar mehr und mehr eine Sehnsucht, selbst uͤber den Rhein zu setzen und erst recht mitten in diese Welt zu gerathen. Jedoch brachte der Fruͤhling eine kraͤftige Er¬ loͤsung aus diesem unbehaglichen Zustande; ich hatte nun das achtzehnte Jahr uͤberschritten, war militaͤrpflichtig geworden und mußte mich am fest¬ gesetzten Tage in der Kaserne einfinden, um die kleinen Geheimnisse der Vaterlandsvertheidigung zu lernen. Ich stieß auf ein summendes Gewim¬ mel von vielen hundert jungen Leuten aus allen Staͤnden, welche jedoch bald von einer Handvoll grimmiger Kriegsleute zur Stille gebracht, abge¬ theilt und waͤhrend vieler Stunden als ungefuͤger Rohstoff hin und her geschoben wurden, bis sie das Brauchbare zusammengestellt hatten. Als so¬ dann die Uebungen begannen und die Abtheilun¬ gen zum ersten Mal unter den einzelnen seltsamen Vorgesetzten, welches vielumhergerathene Sol¬ datennaturen waren, zusammen kamen, wurde mir, der ich nichts bedacht hatte, unter Gelaͤchter mein langes Haar dicht am Kopfe weggeschnitten. Aber ich legte es mit dem groͤßten Vergnuͤgen auf den Altar des Vaterlandes und fuͤhlte behag¬ lich die frische Luft um meinen geschorenen Kopf wehen. Jetzt mußten wir aber auch die Haͤnde darstrecken, ob sie gewaschen und die Naͤgel ordent¬ lich beschnitten seien und nun war die Reihe an manchem biederen Handarbeiter, sich geraͤuschvoll belehren zu lassen. Dann gab man uns ein klei¬ nes Buͤchelchen, das erste einer ganzen Reihe, in welchem Pflichten und Haltung des angehenden Soldaten in wunderlichen Saͤtzen als Fragen und Antworten deutlich gedruckt und numerirt waren. Jeder Regel war aber eine tuͤchtige kurze Be¬ gruͤndung beigefuͤgt und wenn auch manchmal diese in den Satz der Regel, die Regel aber hintennach in die Begruͤndung hineingerathen war, so lernten wir doch Alle jedes Wort eifrig und andaͤchtig auswendig und setzten eine Ehre darein, das Pensum ohne Stottern herzusagen. Endlich verging der Rest des ersten Tages uͤber den Be¬ muͤhungen, von Neuem gerade stehen und einige Schritte gehen zu lernen, was unter dem Wechsel von Muth und Niedergeschlagenheit sich vollendete. Es galt nun, sich einer eisernen Ordnung zu fuͤgen und sich jeder Puͤnktlichkeit zu befleißen, und obgleich dies mich aus meiner vollkommenen Frei¬ heit und Selbstherrlichkeit herausriß, so empfand ich doch einen wahren Durst, mich dieser Strenge hinzugeben, so komisch auch ihre naͤchsten kleinen Zwecke waren, und als ich einige Mal nahe an der Strafe hinstreifte, und zwar nur aus Ver¬ sehen, uͤberkam mich ein wahrhaftes Schamgefuͤhl vor den Kameraden, welche sich ihrerseits ganz aͤhnlich verhielten. Als wir soweit waren, mit Ehren uͤber die Straße zu marschiren, zogen wir jeden Tag auf den Exercierplatz, welcher im Freien lag und von der Landstraße durchschnitten wurde. Eines Ta¬ ges, als ich mitten in einem Gliede von etwa fuͤnfzehn Mann nach dem Kommando des In¬ struktors, der unermuͤdlich ruͤckwaͤrts vor uns her ging, schreiend und mit den Haͤnden das Tempo schlagend, so schon stundenlang den weiten Platz nach allen Richtungen durchmessen und vielfach in unseren Schwenkungen die vielen anderen Ab¬ theilungen gekreuzt hatte, kamen wir ploͤtzlich dicht an die Landstraße zu stehen und machten dort Halt und Front gegen dieselbe. Der Exercier¬ meister, welcher hinter der Front stand, ließ uns eine Weile regungslos verharren, um einige nicht schmeichelhafte Bemerkungen und Ausstellungen an unseren Gliedmaßen anzubringen. Waͤhrend er hinter unserm Ruͤcken laͤrmte und fluchte, so weit es ihm Gesetz und Sitte nur immer erlaubten, 11 * und wir so mit dem Gesichte gegen die Straße gewendet ihm zuhoͤrten, kam ein großer, mit sechs Pferden bespannter Wagen angefahren, wie die Auswanderer ihn herzurichten pflegen, welche sich nach den franzoͤsischen Haͤfen begeben. Dieser Wagen war mit ansehnlichem Gute beladen und schien einer oder zwei stattlichen Familien zu die¬ nen, die nach Amerika gingen. Zwei kraͤftige Maͤnner gingen neben den Pferden, vier oder fuͤnf Frauen saßen auf dem Wagen unter einem bequemen Zeltdache, nebst mehreren Kindern und selbst einem Greise. Aber diesen Leuten hatte sich Judith angeschlossen; denn ich entdeckte sie, als ich zufaͤllig hinsah, hoch und schoͤn unter den Frauen, mit Reisekleidern angethan. Ich erschrak heftig und das Herz schlug mir gewaltig, waͤh¬ rend ich mich nicht regen noch ruͤhren durfte. Judith, welche im Voruͤberfahren, wie mir schien, mit finsterem Blicke auf die Soldatenreihe sah, erschaute mich mitten in derselben und streckte so¬ gleich die Haͤnde nach mir aus. Aber im gleichen Augenblicke kommandirte unser Tyrann »Kehrt Euch!« und fuͤhrte uns wie ein Besessener im Geschwindschritte ganz an das entgegengesetzte Ende des weiten Platzes. Ich lief immer mit, die Arme vorschriftsmaͤßig laͤngs des Leibes ange¬ schlossen, »die kleinen Finger an der Hosennaht, die Daumen auswaͤrts gekehrt,« ohne mir was ansehen zu lassen, obgleich ich heftig bewegt war; denn in diesem Augenblicke war es mir, als ob sich mir das Herz in der Brust wenden wollte. Als wir endlich das Gesicht wieder der Straße zukehrten, nach den maßgebenden Zickzackgedanken im Gehirne des Fuͤhrers, verschwand der Wagen eben in weiter Ferne. Gluͤcklicher Weise ging man nun auseinander, und indem ich mich sogleich entfernte und die Einsamkeit suchte, fuͤhlte ich, daß jetzt der erste Theil meines Lebens fuͤr mich abgeschlossen sei und ein anderer beginne. In diesem Fruͤhling traf es sich noch, daß ich mich zugleich in anderer Weise zum ersten Mal als Buͤrger geltend machen durfte, indem eine Integral-Erneuerung der gesetzgebenden Behoͤrde und die von dieser abhaͤngige Erneuerung der verwaltenden und richterlichen Gewalt vor sich ging und die Wahlen dazu festgesetzt waren. Als ich mich aber, hierzu aufgefordert, in einige Vorversammlungen und endlich am ersten Maisonntage in die Kirche begab, um meine Stimme abzugeben, fand ich darin nicht jene Er¬ hebung, auf welche ich mich schon lange gefreut, obgleich ich von den immer noch lebensfrohen Freunden meines Vaters tapfer begruͤßt und auf¬ gemuntert wurde. Ich sah, daß alle anderen jungen Leute, die zum ersten Mal hier erschienen, als Handwerker, Kaufleute oder Studirende ent¬ weder schon selbstaͤndig oder durch ihre Vaͤter oder durch einen bestimmten, nahe gesteckten Zweck mit der oͤffentlichen Wohlfahrt in einem klaren und sicheren Zusammenhang standen; und wenn selbst diese Juͤnglinge sich hoͤchst bescheiden und still verhielten bei der Ausuͤbung ihres Rechtes, so mußte ich dies noch weit mehr thun und sogar von einer gewissen kuͤhlen Schuͤchternheit befangen werden, da ich noch gar nicht absah, wie bald und auf welche Weise ich ein nuͤtzliches und wirk¬ sames Glied dieser Gesammtheit werden wuͤrde. Bis jetzt war durch mich noch nicht ein Bissen Brod in die Welt gekommen, und mein bisheri¬ ges Treiben hatte mich weit von dem betriebsa¬ men Verkehr abgefuͤhrt; ich gab also ohne großen Aufwand von Gefuͤhlen meine Erstlingsstimme in oͤffentlichen Dingen, mehr um einstweilen mein Recht zu wahren und dasselbe bloß andeutungs¬ weise einmal auszuuͤben, ehe ich in die Weite ging, um erst etwas zu werden. Indessen be¬ trachtete ich mit Vergnuͤgen die versammelten Maͤnner und ihr Behaben, und freute mich an ihnen sowohl, wie an den zahllosen Bluͤthen, welche uͤberall die Erde bedeckten und an dem blauen Maihimmel, welcher uͤber Alle sich aus¬ spannte. Mein einziges Trachten ging aber von nun an dahin, so bald als moͤglich uͤber den Rhein zu gelangen, und um mir bis dahin die Stunden zu verkuͤrzen, habe ich mir diese Schrift geschrieben. Ende der Jugendgeschichte. Viertes Kapitel. Das zweite Jahr ging seinem Ende entgegen, seit Heinrich in der deutschen Hauptstadt, dem Sitze eines vielseitigen Kunst-, Gelehrten- und Volkslebens, sich aufhielt, mitten in einem Zu¬ sammenflusse von Fremden aller Gegenden in und außer Deutschland. Er hatte laͤngst sein Sam¬ metbaret und den beschnuͤrten gruͤnen Rock abge¬ legt und ging in schlichten Kleidern und mit einem Hute, der nur durch etwas breitere Kraͤmpen und durch die sorglose Art, mit welcher er behandelt und getragen wurde, den Kuͤnstler bezeichnete. Aber desto tiefer hatte sich der inwendige gruͤne Heinrich das Baretchen in die Augen gezogen und in das naͤrrische Roͤckchen eingeknoͤpft, und wenn unser Held in der großen Stadt rasch die Frei¬ heit und Sicherheit der aͤußerlichen Bewegung unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte, so verkuͤndete dagegen sein selbstvergessenes und wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht mehr der durch Einsamkeit fruͤhreife und unbe¬ fangene Beobachter seiner selbst und der Welt war, wie er sich in seiner Jugendgeschichte gezeigt, sondern daß er von der Gewalt einer großen Na¬ tionalkultur, wie diese an solchem Punkte und zu dieser Zeit gerade bestand, gut oder schlecht, in ihre Kreise gezogen worden. Er schwamm tapfer mit in dieser Stroͤmung und hielt Vieles, was oft nur Liebhaberei und Ziererei ist, fuͤr dauernd und wohnlich, dem man sich eifrig hingeben muͤsse. Denn wenn man von einer ganzen Menge, die eine eigene technische Sprache dafuͤr hat, irgend eine Sache ernsthaft und fertig betreiben sieht, so haͤlt man sich leicht fuͤr geborgen, wenn man dieselbe nur mitspielen kann und darf. Da ihn aber dennoch irgend ein Gefuͤhl ahnen ließ, daß auch diese Zeit mit ihren Anregungen voruͤbergehen werde, so gab er sich nur mit einem bittersuͤßen Widerstreben hin, von dem er nicht wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen, die große Germania selbst zu kuͤssen, und hatte sich statt dessen in einem der schimmernden Haar¬ netze gefangen, mit welchen sie ihre seltsamen Soͤhne zu schmuͤcken pflegen. Sein taͤglicher Umgang bestand in zwei Ge¬ nossen, welche, gleich ihm vom aͤußersten Saume deutschen Volksthumes herbeigekommen, in ver¬ schiedener und doch aͤhnlicher Lage sich befanden. Der Zufall, welcher das Kleeblatt zusammenge¬ fuͤhrt, schien bald ein nothwendiges Gesetz zu sein, so sehr gewoͤhnten sie sich an einander. Der Erste und Hervorragendste an koͤrperlicher Groͤße und Wohlgestalt war Erickson, ein Kind der noͤrdlichen Gewaͤsser, ein wahrer Riese, wel¬ cher selbst nicht wußte, ob er eigentlich ein Daͤne oder ein Deutscher sei, indessen gern deutsch ge¬ sinnt war, wenn er um diesen Preis den großen Stock der Deutschen, gewissermaßen das Reich der Mitte, wie er es nannte, als charakterlos und aus der Art geschlagen tadeln durfte. Er war ein vollkommener Jaͤger, ging stets in rauher Jaͤgertracht und hielt sich haͤufig auf dem Lande, im Gebirge auf, um Birkhuͤhner zu schießen, sich in der Gemsjagd zu versuchen oder sich selbst den Maͤnnern des Gebirges anzuschließen, wenn sie nach einem seltenen Baͤren auszogen. Alle Vier¬ teljahr malte er regelmaͤßig ein Bildchen vom allerkleinsten Maßstabe, nicht groͤßer, als sein Handteller, das in einem oder anderthalb Tagen fertig war. Diese Bildchen verkaufte er jedesmal ziemlich theuer, und aus dem Erloͤse lebte er und ruͤhrte dann keinen Pinsel wieder an, bis die Baarschaft zu Ende ging. Seine kleinen Werke enthielten weiter nichts, als ein Sandbord, einige Zaunpfaͤhle mit Kuͤrbissen oder ein paar magere Birken mit einem blassen schwindsuͤchtigen Woͤlk¬ chen in der Luft. Warum sie den Liebhabern ge¬ fielen und wie er selbst dazu gekommen, sie zu malen, wußte er nicht zu sagen und Niemand. Erickson war nicht etwa ein schlechter Maler, dazu war er zu geistreich; er war gar kein Maler. Das wußte er selbst am besten, und aus humori¬ stischer Verzweiflung verhuͤllte er die Nuͤchternheit und Duͤrre seiner Erfindungen und seine gaͤnzliche Unproduktivitaͤt mit so verzwickten zierlichen Pin¬ selstrichen, geistreichen Schwaͤnzchen und Schnoͤr¬ III. 12 kelchen, daß die reichen Kenner ihn fuͤr einen aus¬ gesuchten Kabinetsmaler hielten und sich um seine seltsamen Arbeiten stritten. Seine groͤßte, tief¬ sinnigste Kunst, und von wahrhaftem Verdienst, bestand in der weisen Oekonomie, mit welcher er seine Bildchen so anzuordnen wußte, daß weder durch den Gegenstand, noch durch die Beleuchtung Schwierigkeiten erwuchsen und die Inhaltlosigkeit und Armuth als elegante Absichtlichkeit erschienen. Aber trotzdem waren jedesmal die anderthalb Tage Arbeit ein hoͤllisches Fegefeuer fuͤr den bie¬ deren Erickson. Seine Huͤnengestalt, die sonst nur in ruhig kraͤftiger That sich bewegte, aͤngstigte sich alsdann in peinlicher Unruhe vor dem kleinen Raͤhmchen, das er bemalte: er stieß maͤchtige Rauchwolken aus der kurzen Jaͤgerpfeife, welche ihm an den Lippen hing, seufzte und stoͤhnte, stand hundert Mal auf und setzte sich wieder und klagte, rief oder brummte: »O heiliges Donner¬ wetter! Welcher Teufel mußte mir einblasen, ein Maler zu werden! Dieser verfluchte Ast! Da hab' ich zu viel Laub angebracht, ich kann in meinem Leben nicht eine so ansehnliche Masse Baumschlag zusammenbringen! Welcher Hafer hat mich ge¬ stochen, daß ich ein so complicirtes Gestraͤuch wagte? O Gott, o Gott, o Gott, o Gott! O waͤr' ich wo der Pfeffer waͤchst! ei, ei, ei, ei! Das ist eine saubere Geschichte — wenn ich nur dies¬ mal noch aus der Tinte komme! Oh! warum bin ich nicht zu Hause geblieben und ein ehrlicher Seemann geworden!« Dann fing er aus Verzweiflung an zu singen; denn er sang so schoͤn und gewaltig, wie ein alter Seekoͤnig, und sang mit maͤchtiger Stimme: »O waͤr' ich auf der hohen See Und saͤße fest am Steuer!« Er sang Lied auf Lied, Trinklieder, Wander¬ lieder, Jagdlieder, der Glanz und Duft der Na¬ tur kam uͤber ihn, er pinselte in seiner Angst kuͤhn darauf los, und seine winzige Schilderei er¬ hielt zuletzt wirklich einen gewissen Zauber. War das Bildchen fertig, so versah es Erickson mit einem prachtvollen goldenen Rahmen, sendete es weg, und so bald er die gewichtigen Goldstuͤcke in der Tasche hatte, huͤtete er sich, an die uͤber¬ standenen Leiden zu denken oder von Kunst zu 12 * sprechen, sondern ging unbekuͤmmert und stolz einher, war ein herrlicher Kumpan und Zechbru¬ der und machte sich bereit, in's Gebirge zu ziehen, aber nicht mit Farben und Stift, sondern mit Gewehr und Schrot. Der Hervorragendste an feinem Geiste und uͤberlegenem Koͤnnen in dem Bunde war ein Hol¬ laͤnder aus Amsterdam, Namens Ferdinand Lys, ein junger Mann mit anmuthigen, verfuͤhrerischen Gesichtszuͤgen, der letzte Sproͤßling einer reichen Handelsfamilie, ohne Aeltern und Geschwister, schon fruͤh in der Welt alleinstehend und von halb schwermuͤthiger, halb lebenslustiger Gemuͤthsart, gewandt und selbstaͤndig und wegen des Zusam¬ mentreffens seines großen Reichthumes, seiner Einsamkeit und seines genußduͤrstigen Witzes ein großer Egoist. Waͤhrend mehrerer Jahre, welche Ferdinand in der Werkstatt eines beruͤhmten genialen Mei¬ sters zugebracht, hatte sich sein glaͤnzendes Talent immer bestimmter und siegreicher hervorgethan; indem er sich eifrig und aufrichtig der neuen deut¬ schen Kunst anschloß, schrieb er mit seiner Kohle schon fast eben so schoͤn und sicher, wie der Mei¬ ster, auf den Karton die menschliche Gestalt, nackt oder bekleidet, in Einem Zuge, langsam, fest und edel, gleich dem Zuge des Schwanes auf dem glatten Wasserspiegel. Ebenso zeigte er sich in Aneignung und Verstaͤndniß der Farbe von Tag zu Tag bluͤhender und maͤnnlicher, und die seltene Reife in der Vereinigung beider Theile uͤberraschte Jedermann, erwarb ihm die Achtung von Alten und Jungen und erweckte die groͤßten Hoffnungen, wenn Erfahrung und Jahre ihm auch den tieferen Inhalt und das Ziel fuͤr diese glaͤnzenden Fort¬ schritte braͤchten. Als Ferdinand aber von einem vorlaͤufigen einjaͤhrigen Aufenthalt in Italien zuruͤckkehrte, war er wie umgewandelt. Er zerriß alle seine fruͤheren Entwuͤrfe und Skizzen von Schlachten, Staatsaktionen, mythologischen Inhalts und die¬ jenigen, welche nach Dichtungen gebildet waren, was er Alles in seiner alten Wohnung aufgehaͤuft fand, in tausend Stuͤcke und ließ Nichts bestehen, als seine schoͤnen musterhaften Studien nach der Natur und seine Kopien nach den alten Italie¬ nern. Eh' er nach Rom gegangen, war er ein stolzer und sproͤder Juͤngling, der mit jugendlichem Ernste nach dem Ideale der alten herkoͤmmlichen großen Historie strebte und von Zeit und Leben keine Erfahrung hatte. Italien, seine Luft und seine Frauen lehrten ihn, daß Form, Farbe und Glanz nicht nur fuͤr die Leinwand, sondern auch zum lebendigen Gebrauch gut und dienlich seien. Er wurde ein Realist und gewann von Tag zu Tag eine solche Kraft und Tiefe in der Empfin¬ dung des Lebens und des Menschlichen, daß die Ueberlieferungen seiner Jugend und Schuͤlerzeit dagegen erbleichen mußten. Wohl draͤngte sich diese Kraft gleich in die Malerhand; aber indem er mit gewissenhaftem Fleiße sich in die Werke der Alten vertiefte, mußte er sich uͤberzeugen, daß diese großen Realisten schon Alles gethan, was in unserem Jahrtausend vielleicht uͤberhaupt er¬ reicht werden konnte, und daß wir einstweilen weder so erfinden und zeichnen werden, wie Ra¬ phael und Michel Angelo, noch so malen, wie die Venetianer. Und wenn wir es koͤnnten, sagte er sich, so haͤtten wir keinen Gegenstand dafuͤr. Wir sind wohl Etwas, aber wir sehen wunderlicher Weise nicht wie Etwas aus, wir sind bloßes Uebergangsgeschiebe. Wir achten die alte Staats- und religioͤse Geschichte nicht mehr und haben noch keine neue hinter uns, die zu malen waͤre, das Gesicht Napoleon's etwas ausgenommen; wir haben das Paradies der Unschuld, in welchem Jene noch Alles malen konnten, was ihnen unter die Haͤnde kam, verloren und leben nur in einem Fegefeuer. Wenigstens war es bei ihm wirklich der Fall. Lys gaͤhnte schon, wenn er von Wei¬ tem ein historisches, allegorisches oder biblisches Bild sah, war es auch von noch so gebildeten und talentvollen Leuten gemacht, und rief: »Der Teufel soll den holen, welcher behauptet, ergrif¬ fen zu sein von dieser Versammlung von Baͤrten und Nichtbaͤrten, welche die Arme ausrecken und gestikuliren!« Von dem Anlehnen des Malers an die Dichtung oder gar an die Geschichte der Dich¬ tung wollte er jetzt auch nichts mehr wissen; denn seine Kunst sollte nicht die Bettlerin bei einer anderen sein. Alle diese Widerspruͤche zu uͤber¬ winden und ihnen zum Trotz das darzustellen, was er nicht fuͤhlte noch glaubte, aber es durch die Energie seines Talentes doch zum Leben zu bringen, nur um zu malen, dazu war er zu sehr Philosoph und, so seltsam es klingen mag, zu wenig Maler. So schloß er sich nach seiner Ruͤckkehr ab, malte nur wenig und langsam, und was er malte, war wie ein Tasten nach der Zukunft, ein Suchen nach dem ruhevollen Ausdruck des menschlichen Wesens, in dem Beseligtsein in seiner eigenen koͤrperlichen Form, sei sie von Lust oder Schmerz durchdrungen. Er malte am liebsten schoͤne Wei¬ ber nach der Natur, oder solche maͤnnliche Koͤpfe, deren Inhaber Geist, Charakter und etwas Erleb¬ niß besaßen. Die wenigen Bilder, welche er Jahre lang unvollendet und doch mit großem Reiz uͤbergossen bei sich stehen hatte, enthielten einzelne oder wenige Figuren in ruhiger Lage, und zuletzt verfiel er ganz auf einen Kultus der Persoͤnlichkeit, dessen naive Andacht, verbunden mit der Ueberlegenheit des Machwerkes, allein das Lachen der Anderen verhindern konnte. Die¬ ser Kultus, heiße Sinnlichkeit und eine geheim¬ nißvolle Trauer waren ziemlich die Elemente sei¬ ner Thaͤtigkeit. Er hatte drei oder vier Bilder, die er nie ganz vollendete, die Niemand außer seinen naͤch¬ sten Freunden zu sehen bekam, aber auf Jeden, welcher sie sah, einen immer neuen tiefen Ein¬ druck machten. Das erste war ein Salomo mit der Koͤnigin von Saba. Es war ein Mann von wunderbarer Schoͤnheit, der sowohl das hohe Lied gedichtet, als geschrieben haben mußte: es ist Alles eitel unter der Sonne! Die Koͤnigin war als Weib, was er als Mann, und Beide, in reiche, uͤppige Waͤnder gehuͤllt, saßen allein und einsam sich gegenuͤber und schienen, die brennenden Augen Eines auf das Andere geheftet, in heißem, fast feindlichem Wortspiele sich das Raͤthsel ihres Wesens, der Weisheit und des Gluͤckes heraus¬ locken zu wollen. Das Merkwuͤrdige dabei war, daß der schoͤne Koͤnig in seinen Gesichtszuͤgen ein zehnmal verschoͤnter und verstaͤrkter Ferdinand Lys zu sein schien. Ein anderes Bild stellte einen Hamlet dar, aber nicht nach einer Scene des großen Trauer¬ spieles, sondern als Portrait und so, als ob ein anachronischer Vandyk den Prinzen in seinen Staatsgewaͤndern gemalt hatte, ganz jung, bluͤ¬ hend und hoffnungsvoll, und doch mit seinem ganzen Schicksal schon um Stirn und Augen. Dieser Hamlet glich ebenfalls stark dem Maler selbst. Obgleich im strengsten Styl gehalten, machte doch einen uͤberwaͤltigenden, verfuͤhrerischen Ein¬ druck eine Koͤnigin, welche, schon von jeder Huͤlle entbloͤßt, eben mit dem Fuß in einen klaren Bach zum Bade tritt und vergessen hat, ihre goldene Krone vom Haupte zu thun. So trat sie, mit derselben geschmuͤckt, dem Beschauer gerade ent¬ gegen, jeder Zoll ein majestaͤtisches Weib, aus einem Lorbeergebuͤsch hervor, den ruhigen Blick auf das kuͤhle Wasser gesenkt. Dies Bild, so gewaltig es war, war doch mit wahrhaft klassi¬ scher Liebe und Kindlichkeit ausgeschmuͤckt und ausgefuͤhrt. Das Beiwerk, die glaͤnzenden Steine im Bach, die durchsichtigen spielenden Wellen, die stahlblauen Libellen daruͤber, die Blumen am Ufer, die Lorbeerbaͤumchen und endlich die Wolken am tiefblauen Himmel, Alles war so frisch und leuchtend und doch so streng und fromm geformt, daß die sinnliche Gewalt, welche auf den reichen Gliedern der Hauptfigur herrschte, auf dem hei¬ ligsten Rechtsboden zu stehen schien. Das Hauptbild aber und auf welches er den meisten Fleiß verwandte, war eine groͤßere Kom¬ position, deren Veranlassung die Psalmworte ge¬ geben: Wohl dem, der nicht sitzet auf der Bank der Spoͤtter! Auf einer halbkreisfoͤrmigen Stein¬ bank in einer roͤmischen Villa, unter einem Re¬ bendache, saßen vier bis fuͤnf Maͤnner in der Tracht des achtzehnten Jahrhunderts, einen an¬ tiken Marmortisch vor sich, auf welchem Cham¬ pagner in hohen venetianischen Glaͤsern perlte. Vor dem Tische, mit dem Ruͤcken gegen den Be¬ schauer gewendet, saß einzeln ein uͤppig gewachse¬ nes junges Maͤdchen, festlich geschmuͤckt, welches eine Laute stimmt und, waͤhrend sie mit beiden Haͤnden damit beschaͤftigt ist, aus einem Glase trinkt, das ihr der naͤchste der Maͤnner, ein kaum neunzehnjaͤhriger Juͤngling, an den Mund haͤlt. Dieser sah beim laͤssigen Hinhalten des Glases nicht auf das Maͤdchen, sondern fixirte den Be¬ schauer, indessen er sich zu gleicher Zeit an einen silberhaarigen Greis mit kahler Stirn und roͤth¬ lichem Gesicht lehnte. Der Greis sah ebenfalls auf den Beschauer und schlug dazu spoͤttisch muth¬ willig Schnippchen mit der einen Hand, indessen die andere sich gegen den Tisch stemmte. Er blinzelte ganz verzwickt freundlich mit den Augen und zeigte allen Muthwillen eines Neunzehnjaͤh¬ rigen, indessen der Junge, mit trotzig schoͤnen Lippen, matt gluͤhenden schwarzen Augen und unbaͤndigen Haaren, deren Ebenholzschwaͤrze durch den verwischten Puder glaͤnzte, die Erfahrungen eines Greises in sich zu tragen schien. Auf der Mitte der Bank, deren hohe zierlich gemeißelte Lehne man durch die Luͤcken bemerkte, saß ein ausgemachter Taugenichts und Hanswurst, wel¬ cher mit offenbarem Hohne, die Nase verziehend, aus dem Bilde sah, und seinen Hohn dadurch noch beleidigender machte, daß er sich durch eine vor den Mund gehaltene Rose das Ansehen gab, als wolle er denselben gutmuͤthig verhehlen. Auf diesen folgte ein stattlicher ernster Mann; dieser blickte ruhig, fast schwermuͤthig, aber mit mitlei¬ digem, bedauerlichem Spott drein, und endlich schloß den Halbkreis, dem Juͤngling gegenuͤber, ein eleganter Abb é in seidener Soutane, welcher, wie eben erst aufmerksam gemacht, einen forschen¬ den stechenden Blick auf den Beschauer richtete, waͤhrend er eine Prise in die Nase druͤckte und in diesem Geschaͤft einen Augenblick anhielt, so sehr schien ihn die Laͤcherlichkeit, Hohlheit oder Unlau¬ terkeit des Beschauers zu frappiren und zu heil¬ losen Witzen aufzufordern. So waren alle Blicke, mit Ausnahme derer des Maͤdchens, auf den gerichtet, welcher vor das Bild trat, und sie schienen mit unabwehrbarer Durchdringung jede Selbsttaͤuschung, Halbheit, Schwaͤrmerei, jede verborgene Schwaͤche, jede unbewußte Heuchelei aus ihm herauszufischen oder vielmehr schon ent¬ deckt zu haben. Auf ihren eigenen Stirnen und uͤber ihren Augen, um ihre Mundwinkel ruhte zwar unverkennbare Hoffnungslosigkeit: aber trotz ihrer Marmorblaͤsse, die alle, ohne den roͤthlichen Greis, uͤberzog, staken sie in einer so unverwuͤst¬ lichen muntern Gesundheit, und der Beschauer, der nicht ganz seiner bewußt war, befand sich so uͤbel unter diesen Blicken, daß man eher versucht war auszurufen: Weh' dem, der da steht vor der Bank der Spoͤtter! und sich gern in das Bild hinein gefluͤchtet haͤtte. Waren nun Absicht und Wirkung dieses Bil¬ des durchaus verneinender Natur, so war dagegen die Ausfuͤhrung mit der positivsten Lebensessenz getraͤnkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle eigenthuͤmlichste Individualitaͤt und war fuͤr sich eine ganze tragische Welt oder eine Komoͤdie, und nebst den schoͤnen arbeitlosen Haͤnden vor¬ trefflich beleuchtet und gemalt. Die gestickten Kleider der wunderlichen Herren, der gruͤne Sammet und der rothe Atlaß an der reichen Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die Korallenschnur darum, ihre von Perlenschnuͤren durchzogenen schwarzen Zoͤpfe und Locken, die goldene sonnige Bildhauerarbeit an dem alten Marmortische, die Glaͤser mit den aufschaͤumenden Perlen, selbst der glaͤnzende Sand des Bodens, in welchen sich der reizende Fuß des Maͤdchens druͤckte, diese zarten weißen Knoͤchel im rothseide¬ nen Schuh: Alles dies war so zweifellos, breit und sicher und doch ohne alle Manier und Unbe¬ scheidenheit, sondern aus dem reinsten naiven Wesen der Kunst und aus der Natur heraus¬ gemalt, daß der Widerspruch zwischen diesem freudigen, kraftvollen Glanz und dem kritischen Gegenstand der Bilder die wunderbarste Wirkung hervorrief. Dies klare und frohe Leuchten der Formenwelt war Antwort und Versoͤhnung, und die ehrliche Arbeit, das volle Koͤnnen, welche ihm zu Grunde lagen, waren der Lohn und Trost fuͤr den, der die skeptischen Blicke der Spoͤtter nicht zu scheuen brauchte, oder sie tapfer aushielt. Lys nannte dies Bild seine »hohe Commis¬ sion,« seinen Ausschuß der Sachverstaͤndigen, vor welchen er sich selbst zuweilen mit zerknirschtem Herzen stelle; auch fuͤhrte er manchmal einen armen Suͤnder, dessen gezierte Gefuͤhligkeit und Weisheit nicht aus dem lautersten Himmel zu stammen schien, vor die Leinwand, wo dann der Kauz mit seltsamem etwas einfaͤltigem Laͤcheln seine Augen irgendwo unterzubringen suchte und machte, daß er bald davon kam. Heinrich wurde von seinen beiden Freunden und anderen Gesellen auch hier der gruͤne Hein¬ rich genannt, da er sie einst mit diesem Titel bekannt gemacht, und er trug ihn, wie man ihn gab, um so lieber, als er seiner gruͤnen Baͤume und seiner hoffnungsvollen Gesinnung wegen den¬ selben wohl zu verdienen schien und sich uͤberdies heimathlich dadurch beruͤhrt fuͤhlte. Uebrigens war er, wie es einst der ungluͤckliche Roͤmer prophezeit, richtig in den Hafen der gelehrten und stylisirten Landschaften eingelaufen und gab sich, indem er seit seinem Hiersein nicht mehr aus den Mauern der großen Stadt gekommen, ruͤckhaltlos einem Spiritualismus hin, welcher seinen gruͤnen, an den frischen Wald erinnernden Namen fast zu einem bloßen Symbol machte. Sobald er die angehaͤuften Kunstschaͤtze der Residenz und dasjenige, was von Lebenden taͤg¬ lich neu ausgestellt wurde, gesehen, auch sich in den Mappen einiger jungen Leute umgeschaut, welche aus poetischen Schulen herkamen, ergriff er sogleich diejenige Richtung, welche sich in rei¬ cher und bedeutungsvoller Erfindung, in mannig¬ faltigen, sich kreuzenden Linien und Gedanken bewegt und es vorzieht, eine ideale Natur fort¬ waͤhrend aus dem Kopfe zu erzeugen, anstatt sich die taͤgliche Nahrung aus der einfachen Wirklich¬ keit zu holen. Der Verfasser dieser Geschichte fuͤhlt sich hier veranlaßt, sich gewissermaßen zu entschuldigen, daß er so oft und so lange bei diesen Kuͤnstler¬ sachen und Entwickelungen verweilt, und sogar eine kleine Rechtfertigung zu versuchen. Es ist nicht seine Absicht, so sehr es scheinen moͤchte, einen sogenannten Kuͤnstlerroman zu schreiben und diese oder jene Kunstanschauungen durchzu¬ fuͤhren, sondern die vorliegenden Kunstbegeben¬ heiten sind als reine gegebene Facta zu betrachten, und was das Verweilen bei denselben betrifft, so hat es allein den Zweck, das menschliche Verhalten, das moralische Geschick des gruͤnen Heinrich, und somit das Allgemeine in diesen scheinbar zu absonderlichen und berufsmaͤßigen Dingen zu schildern. Wenn oft die Klage er¬ hoben wird, daß die Helden mancher Romane sich eigentlich mit Nichts beschaͤftigen und durch III. 13 einen andauernden Muͤßiggang den fleißigen Leser aͤrgern, so duͤrfte sich der Verfasser sogar noch begluͤckwuͤnschen, daß der Seinige wenigstens etwas thut, und wenn er auch nur Landschaften verfertigt. Das Handwerk hat einen goldenen Boden und ganz gewiß in einem Romane eben¬ sowohl wie anderswo. Uebrigens ist nur zu wuͤnschen, daß der weitere Verlauf die Endabsicht klar machen und der aufmerksame Leser inzwischen solche Stellen dulden und von besagtem Stand¬ punkte aus ansehen moͤge. Also Heinrich versenkte sich nun ganz in jene geistreiche und symbolische Art. Da er seine Jugendjahre meistens im Freien zugebracht, so bewahrte er in seinem Gedaͤchtnisse, unterstuͤtzt von einer lebendigen Vorstellungskraft und seinen alten Studienblaͤttern, eine ziemliche Kenntniß der gruͤnen Natur, und dieser Jugendschatz kam ihm jetzt gut zu Statten; denn von ihm zehrte er diese ganzen Jahre. Aber dieser Vorrath blaßte endlich aus, man sah es an Heinrichs Baͤumen; je geistreicher und gebildeter diese wur¬ den, desto mehr wurden sie grau oder braͤunlich, statt gruͤn; je kuͤnstlicher und beziehungsreicher seine Steingruppirungen und Steinchen sich dar¬ stellten, seine Staͤmme und Wurzeln, desto blasser waren sie, ohne Glanz und Thau, und am Ende wurden alle diese Dinge zu bloßen schattenhaf¬ ten Symbolen, zu gespenstigen Schemen, welche er mit wahrer Behendigkeit regierte und in im¬ mer neuen Entwuͤrfen verwandte. Er malte uͤberhaupt nur wenig und machte selten etwas ganz fertig; desto eifriger war er dahinter her, in Schwarz oder Grau große Kartons und Skiz¬ zen auszufuͤhren, welche immer einen bestimmten, sehr gelehrten oder poetischen Gedanken enthielten und sehr ehrwuͤrdig aussahen. Und merkwuͤrdiger Weise waren diese Gegen¬ staͤnde fast immer solche, deren Natur er nicht aus eigener Anschauung kannte, ossianische oder nordisch mythologische Wuͤsteneien, zwischen deren Felsenmaͤlern und knorrigen Eichenhainen man die Meereslinie am Horizonte sah, duͤstere Haidebil¬ der mit ungeheuren Wolkenzuͤgen, in welchen ein einsames Huͤnengrab ragte, oder foͤrmliche Kultur¬ bilder, welche etwa einen deutschen Landstrich im 13 * Mittelalter, mit gothischen Staͤdtchen, Bruͤcken, Kloͤstern, Stadtmauern, Galgen, Gaͤrten, kurz ein ganzes Weichbild aus einem andern Jahrhundert ausbreiteten, endlich sogar hochtragische Scenen aus den letzten Bewegungen der Erdoberflaͤche, wo dann die ruͤstige Reißkohle gaͤnzlich in Hypo¬ thesen hin und wieder fegte. Daß Heinrich, dem doch so fruͤh ein guter Sinn fuͤr das Wahre und Natuͤrliche aufgegangen war, sich dennoch so schnell und anhaltend diesem kuͤnstlichen und absonderlichen Wesen hingeben konnte, davon lag einer der Gruͤnde nahe genug. Er hatte von Jugend auf, seit er kaum sein inneres Auge aufgethan, alle Ueberlieferung und alles Wunder von sich gestoßen und sich einem selbstgemachten, manchmal etwas flachen Ratio¬ nalismus hingegeben, wie ihn eben ein sich selbst uͤberlassener Knabe einseitig gebaͤren kann. In dem zweifelhaften Lichte dieser Aufklaͤrung stand einsam und unvermittelt sein Gott, ein wahrer Diamantberg von einem Wunder, in welchem sich die Zustaͤnde und Beduͤrfnisse Heinrichs abspiegel¬ ten und in fluͤchtigen Regenbogenfarben ausstrahl¬ ten. Er glaubte diesen Diamantfels ureigen in seiner Menschenbrust begruͤndet und angeboren, weil unvorbereitet und ungezwungen ein inniges und tiefes Gefuͤhl der Gottheit ihn erfuͤllte, so¬ bald er nur einen Blick an den Sternenhimmel warf oder Beduͤrfniß und Verwirrung ihn draͤngten. Er wußte oder bedachte aber nicht, daß das Angeborne eines Gedankens noch kein Beweis fuͤr dessen Erfuͤllung ist, sondern ein bloßes Er¬ gebniß der langen Fortpflanzung in den Geschlechts¬ folgen sein kann; wie es denn wirklich sittliche oder unsittliche Eigenschaften giebt, welche sich unbestritten in einzelnen Familien wie in ganzen Staͤmmen fortpflanzen und oft ganz nah an das Gebiet der Ideen streifen, aber dennoch nicht un¬ austilgbar sind. Es ist wahrscheinlich, daß die angelsaͤchsische Race nahezu lange genug frei ge¬ wesen ist, um das Freiheitsgefuͤhl physisch an¬ geboren zu besitzen, ohne es deswegen fuͤr alle Zukunft gesichert zu haben, waͤhrend den Russen die Zusammenfassung und Verherrlichung der Nationalitaͤt in einer absoluten und despotischen Person und der daraus entspringende Unterwuͤrfig¬ keitstrieb ebensowohl angeboren ist, ohne deswe¬ gen unsterblich zu sein. Da also beide, der Frei¬ heitssinn sowohl, wie das Unterthanenbewußtsein im Menschen angeboren vorkommen, so kann kei¬ nes sich darauf berufen, um sich als die unbe¬ dingte Wahrheit darzustellen; aber beide bestehen in der That um so kraͤftiger, als ihr Dasein eben die Frucht tausendjaͤhrigen Wachsthumes ist. Wo nun der Fall eintritt, daß der Gegenstand eines angeborenen Glaubens und Fuͤhlens, wel¬ ches durch Jahrtausende sich im Blut uͤberliefert, außer dieser koͤrperlichen Welt sein soll, also gar nicht vorhanden ist, da spielt das erhabenste Trauer- und Lustspiel, wie es nur die ganze Menschheit mit Allen, die je gelebt haben und leben, spielen kann, und zu dessen Schauen es wirklicher Goͤtter beduͤrfte, wenn nicht eben diese Menschheit aus der gleichen Gemuͤthstiefe, aus welcher sie die große Tragikomoͤdie dichtete, auch das volle Verstaͤndniß zum Selbstgenuß schoͤpfen koͤnnte. Zahllos sind die Verschlingungen und Varia¬ tionen des uralten Themas und erscheinen da am seltsamsten und merkwuͤrdigsten, wo sie mit Bildung und Sinnigkeit verwebt sind. Weil Heinrich auf eine unberechtigte und will¬ kuͤrliche Weise an Gott glaubte, so machte er un¬ ter anderem auch allegorische Landschaften und geistreiche, magere Baͤume; denn wo der wunder¬ thaͤtige Spiritualismus im Blute steckt, da muß er trotz Aufklaͤrung und Protestation irgendwo heraustreten. Der Spiritualismus ist diejenige Arbeitsscheu, welche aus Mangel an Einsicht und Gleichgewicht der Erfahrungen und Ueber¬ zeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirk¬ lichen Lebens durch Wunderthaͤtigkeit ersetzen, aus Steinen Brot machen will, anstatt zu ackern, zu saͤen, das Wachsthum der Aehren abzuwarten, zu schneiden, dreschen, malen und zu backen. Das Herausspinnen einer fingirten, kuͤnstlichen, allegorischen Welt aus der Erfindungskraft, mit Umgehung der guten Natur, ist eben nichts an¬ deres als jene Arbeitsscheu; und wenn Roman¬ tiker und Allegoristen aller Art den ganzen Tag schreiben, dichten, malen und operiren, so ist dies alles nur Traͤgheit gegenuͤber derjenigen Thaͤtig¬ keit, welche nichts anderes ist, als das nothwen¬ dige und gesetzliche Wachsthum der Dinge. Alles Schaffen aus dem Nothwendigen und Wirklichen heraus sind Leben und Muͤhe, die sich selbst ver¬ zehren, wie im Bluͤhen das Vergehen schon her¬ annaht; dies Erbluͤhen ist die wahre Arbeit und der wahre Fleiß; sogar eine simple Rose muß vom Morgen bis zum Abend tapfer dabei sein mit ihrem ganzen Corpus und hat zum Lohne das Welken. Dafuͤr ist sie aber eine wahrhaf¬ tige Rose gewesen. Es war so artig und bequem fuͤr Heinrich, daß er eine so lebendige Erfindungsgabe besaß, aus dem Nichts heraus fort und fort schaffen, zusammensetzen, binden und loͤsen konnte! Wie schoͤn, lieblich und muͤhelos war diese Thaͤtigkeit, wie wenig ahnte er, daß sie nur ein uͤbertuͤnchtes Grab sei, das eine Welt umschloß, welche nie gewesen ist, nicht ist und nicht sein wird! Wie wunderbar duͤnkte ihm die schoͤne Gottesgabe des vermeintlichen Ingeniums, und wie suͤß schmeckte das Wunder dem rationellen aber dankbaren Gottglaͤubigen! Er wußte sich nicht recht zu er¬ klaͤren und ging daruͤber hinweg, daß sein Freund Lys, wenn er nur einige Stunden in der Woche still und aufmerksam gemalt hatte, viel zufriedener und vergnuͤgter schien, obgleich er ein arger Atheist war, als Heinrich, wenn er die ganze Woche componirt und mit der Kohle gedichtet. Desto bescheiden wohlgefaͤlliger nahm er die Achtung vieler jungen Deutschen hin, welche sein tiefsin¬ niges Bestreben lobten und ihn fuͤr einen hoͤchst respectablen Scholaren erklaͤrten. Warum Heinrich nicht auf dem kuͤrzesten Wege, durch das gute Beispiel Ferdinand's, das ihm so nahe war, zur gesunden Wahrheit zuruͤck¬ kehrte, fand seinen Grund eben in der Verschie¬ denheit ihrer religioͤsen Einsichten. Der Hollaͤn¬ der hatte ohne besondere Aufregungen abgeschlossen und war ruhig; Heinrich griff ihn bestaͤndig an; aber Ferdinand setzte ihm jene Art von Ueber¬ legenheit entgegen, welche nicht sowohl aus der Wahrheit als aus der Harmonie der Grundsaͤtze mit dem uͤbrigen Thun und Lassen entspringt, waͤhrend Heinrich die Unruhe einer einzelnen, verfruͤhten oder verspaͤteten Ueberzeugung aͤußerte und sonderbarer Weise, um dem Spotte, an wel¬ chen vielleicht Niemand dachte, zuvorzukommen, Scharfsinn und Phantasie aufbot. Andersdenkende durch Witze in die Enge zu treiben. Wenn er vor Ferdinands hoher Commission, vor der ge¬ malten Bank der Spoͤtter stand, so lachte er den wunderlichen Kaͤuzen in's Gesicht und freute sich uͤber sie; denn er hielt sich wegen seines Rationalismus, auf den er sich guthmuͤthig viel zu gut that, halb und halb von der Gesellschaft, bis ihn ploͤtzlich die zornige Ahnung uͤberkam, daß es auch auf ihn gemuͤnzt waͤre, und der gute Lys, welcher Heinrich wirklich liebte und wohl wußte, daß er nicht vor dies Tribunal gehoͤre, mußte dann hundert Angriffe und Sarkasmen aushalten. Außer diesem Umstande verursachte noch ein anderer eine Ungleichheit zwischen beiden Freunden. Lys, der wie Erikson um sechs bis sieben Jahre aͤlter war, als Heinrich, liebte das Gluͤck bei den Weibern und sah, wo er es fand, ohne bisher ein Gefuͤhl fuͤr Treue und bindende Dauer empfun¬ den zu haben. Er war hoͤflich und aufmerksam gegen sie, ohne fuͤr sie eine allzugroße Achtung in sich zu beherbergen, waͤhrend Heinrich zuruͤck¬ haltend, scheu und fast grob gegen sie war und doch eine herzliche Achtung fuͤr jedes weibliche Wesen hegte, das sich nur einigermaßen zu halten wußte. So seltsam vertraut und sinnlich sein Umgang mit Judith gewesen, hatte ihn doch der Instinct der Jugend und die ganze Lage der Dinge vor dem Aeußersten bewahrt, und diese Rettung, auf die er sich nun mit der Coquetterie der Zwanzigjaͤhrigen viel zu gute that, betrachtete er nun als ein zu erhaltendes Gluͤck und als eine Erleichterung, dem reineren Andenken Annas leben zu koͤnnen. Denn obgleich er nun auch bereits merkte, daß jenes jugendliche Geluͤbde ein Traum gewesen sei, so war er doch weit entfernt, irgend eine neue Liebe zu hoffen und nahe zu sehen, und seine Sehnsucht ging mit ihren Bildern und Traͤumen daher immer in die Vergangenheit zuruͤck. Dies gab seiner Denkungsart etwas Zar¬ tes und Edles, welches er wirklich fuͤhlte und ihn uͤber sich selbst taͤuschte. Wenn daher Ferdinand die Weiber beurtheilte, wie ein Kenner eine Sache, wenn er in galanten, eleganten und ausgesuchten, ja frivolen Dingen, Geraͤthschaften, Gespraͤchen und Gebraͤuchen sich gefiel, wenn er wirklich auf ein Abenteuer aus¬ ging oder von einem solchen erzaͤhlte, so wurde Heinrich in seiner Gesinnung betroffen und ver¬ legen. Ferdinand besaß ein mit einem Schlosse versehenes Album, in welches er alle seine Liebes¬ abenteuer in verschiedenen Laͤndern gezeichnet hatte. Man erblickte die bald empfindsamen, bald leicht¬ fertigen Schoͤnen in den verschiedensten Lagen, bald schmollend, zornig, weinend, bald uͤber¬ muͤthig und zaͤrtlich in Ferdinand's Armen, diesen aber immer mit der groͤßten Sorgfalt aͤhnlich gemacht bis auf die Kleidungsstuͤcke, und nicht zu seinem Nachtheile, waͤhrend den zornigen und schmollenden Schoͤnen durch allerlei Schabernack, entbloͤßte Waden oder triviale Faltenlagen in den Gewaͤndern weniger ein Reiz, als ein Anflug von Laͤcherlichkeit und Erniedrigung gegeben war. Dies Buch konnte Heinrich nicht ausstehen; sein Freund schien ihm darin sich selbst herabgewuͤrdigt zu haben; aber weit entfernt, mit ihm daruͤber zu disputiren oder den Sittenrichter zu spielen, laͤchelte er vielmehr dazu. Anders, als in den religioͤsen Fragen, wo er die Existenz seines Be¬ wußtseins auf dem Spiele glaubte, zwang er sich hier, die Art und Weise Anderer gelten zu lassen und sie sogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen seiner gaͤnzlichen geistigen Unschuld; denn bei mehr Erfahrung haͤtte das Verhaͤltniß gerade umgekehrt sein muͤssen. Aber alles zusammengenommen bewirkte, daß Heinrich glaubte, sich seinen eigenen Weg in je¬ der Hinsicht frei halten zu muͤssen, und fuͤr Fer¬ dinand's kuͤnstlerisches Beispiel unzugaͤnglich wurde, zumal in dessen fertiger und bewußter Tuͤchtigkeit etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife, von dem Liebesgluͤcke Ferdinand's zu liegen schien. Sonst waren die Drei, Lys, Erikson und Heinrich, die besten Freunde von der Welt, und Jeder gab seinen Charakter in der unbefangensten Weise dem Andern zum besten. Sie waren um so lieber und unzertrennlicher zusammen, als noch ein besonderes gemeinsames Band sie vereinigte. Jeder von ihnen stammte aus einer Heimath, wo germanisches Wesen noch in ausgepraͤgter und alter Feste lebte in Sitte, Sprachgebrauch und persoͤnlichem Unabhaͤngigkeitssinne; alle Drei waren von dem Sonderleben ihrer tuͤchtigen Heimath abgefallen und zu dem großen Kern des beweg¬ lichen deutschen Lebens gestoßen, und alle Drei hat¬ ten dasselbe, erstaunt und erschreckt uͤber dessen Art, in der Naͤhe gesehen. Schon die Sprache, welche der große Haufen in Deutschland fuͤhrt, war ihnen unverstaͤndlich und beklemmend; die tausend und aber tausend »Entschuldigen Sie gefaͤlligst, Er¬ lauben Sie guͤtigst, Wenn ich bitten darf, Bitt' um Entschuldigung«, welche die Luft durchschwirr¬ ten und bei den nichtssagendsten Anlaͤssen unauf¬ hoͤrlich verwendet wurden, hatten sie in ihrem Leben nie und in keiner anderen Sprache gehoͤrt, selbst das »Pardon Monsieur« der hoͤflichen Fran¬ zosen schien ihnen zehnmal kuͤrzer und stolzer, wie es auch nur in dem zehnten Falle gebraucht wird, wo der Deutsche jedesmal um Verzeihung bittet. Aber durch den duͤnnen Flor dieser Hoͤflichkeit brachen nur zu oft die harten Ecken einer inneren Grobheit und Taktlosigkeit, welche ebenfalls ihren eigenthuͤmlichen Ausdruck hatten. Sie erinnerten sich, niemals weder in ihrer Heimath noch in fremden Sprachen die in Deutschland so gelaͤu¬ figen Gesellschaftsformeln gehoͤrt zu haben: »Das verstehen Sie nicht, mein Herr! Wie koͤnnen Sie behaupten, da Sie nicht einmal zu wissen scheinen! Das ist nicht wahr!« oder so haͤufige leise Andeutungen im freundschaftlichen Gespraͤche, daß man das, was ein Anderer so eben gesagt, fuͤr erlogen halte, — welches wieder auf einen anderen noch tieferen Uebelstand schließen ließ. Auch die allgemeine deutsche Autoritaͤtssucht, welche so wunderlich mit der unendlichen Nach¬ giebigkeit und Unterwuͤrfigkeit contrastirte, machte einen peinlichen Eindruck auf die Deutschen vom Graͤnzsaume des großen Volkes; Einer donnerte, die Vortheile seiner Stellung benutzend, den An¬ dern an, und wer Niemand mehr um sich hatte, den er anfahren, dem er imponiren konnte, der pruͤgelte seinen Hund. Recht eigentlich weh aber that den Freunden die gegenseitige Verachtung, welche sich die Suͤd- und Norddeutschen bei jeder Gelegenheit angedeihen ließen, und welche ihnen ebenso auf ganz grundlosen Vorurtheilen zu be¬ ruhen als schaͤdlich schien. Bei Voͤlkerfamilien und Sprachgenossenschaften, welche zusammen ein Ganzes bilden sollen, ist es ein wahres Gluͤck, wenn sie unter einander sich etwas aufzuruͤcken und zu sticheln haben; denn wie durch alle Welt und Natur bindet auch da die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, und das Ungleiche und doch Verwandte haͤlt besser zusammen; aber es muß Gemuͤth und Verstand in dem Scherzkampfe sein und dieser zutreffend auf das wahre Wesen der Gegensaͤtze. Das, was die Nord- und Suͤddeut¬ schen sich vorwerfen, ist toͤdtlich beleidigend, in¬ dem diese jenen das Herz, jene aber diesen den Verstand absprechen, und zugleich kann es keine unbegruͤndetere und unbegreiflichere Tradition und Meinung geben, die nur von wenigen der tuͤch¬ tigsten Maͤnner beider Haͤlften nicht getheilt wird. Wo im Norden wahrer Geist ist, da ist immer und zuverlaͤssig auch Gemuͤth, wo im Suͤden wahres Gemuͤth, da auch Geist. Es giebt in Norddeutschland Unwissende und Strohkoͤpfe un¬ ter den Gebildeten und in Suͤddeutschland unter den Bauern Witzbolde und Spekulanten. Wenn nun die Drei so oft hoͤren mußten, wie die Nord¬ maͤnner die Suͤddeutschen fuͤr einfaͤltige Leutchen, fuͤr eine Art gemuͤthlicher Duseler ausgaben, und diese ihre nordischen Bruͤder hinter dem Ruͤcken anmaßende Schwaͤtzer und unertraͤgliche Prahl¬ haͤnse schalten, so schnitt ihnen dies widerliche Schauspiel in's Herz, weil sie gekommen waren, den Herd des guten lebendigen deutschen Geistes zu finden und nun eine große Waschkuͤche voll unnuͤtzen Geplauders zu sehen glaubten. Wie es Fremdlingen oft zu ergehen pflegt, welche in einem Lande oder in einer Stadt im Genusse des Gastrechtes zusammentreffen, daß sie, dasselbe uͤbel vergeltend, Geist und Sitten, welche sie vorfinden, mit der entfernten Heimath ver¬ gleichen und sich in gemeinsamem Tadel auf Kosten des gastlichen Landes einigen, uͤbertrieben auch die drei Freunde vielfach ihren Tadel, nach¬ dem sie einmal den Schmerz einer großen Ent¬ taͤuschung empfunden zu haben glaubten, und sie redeten sich oft in einen großen Zorn hinein und sagten Deutschland feierlich ab. Erikson sagte, III. 14 er wolle seiner Zwitternatur ein Ende machen und ein guter Daͤne werden; Lys behauptete, man muͤsse an den Deutschen ihr Großes und Eigenthuͤmliches benutzen und sich im Uebrigen Nichts um sie bekuͤmmern; nur der gruͤne Hein¬ rich hing mit seinem ganzen Herzen an Deutsch¬ land. Er schmaͤhte es zwar auch mit dem Munde und sprach vielleicht noch Staͤrkeres als die An¬ deren; er sagte, da er vor allem aus Schweizer sei, wuͤnsche er manchmal ein Waͤlscher zu sein, um nicht mehr deutsch denken zu muͤssen, und er sei beinahe versucht, franzoͤsisch schreiben und den¬ ken zu lernen. Aber gerade weil es ihm hiermit bitterer Ernst war und mehr, als den Freunden, war auch sein Verdruß tiefer und gruͤndlicher. In der Sprache, mit der man geboren, welche die Vaͤter gesprochen, denkt man sein ganzes Le¬ ben lang, so fertig man eine andere spricht; und dies anders zu wuͤnschen, die Sprache, in der man sein Geheimstes denkt, vergessen zu wollen, zeigt, wie tief man getroffen ist und wie sehr man gerade diese Sprache liebt. Aber dessen ungeachtet ward er mit jedem Tage traͤumerischer und deutscher und baute alle Hoffnung auf das Deutsche; denn seit er in Deutschland war, hatte er die Krankheit uͤber¬ kommen, aller Einsicht zum Trotz das Gegentheil von dem zu thun, was er sprach, und Theorie und Praxis himmelweit von einander zu trennen. 14 * Fuͤnftes Kapitel. Die beste Gelegenheit, ihren Unmuth und Groll zu vergessen und sich wenigstens an dem herauf¬ beschworenen Glanze fruͤherer deutscher Herrlich¬ keit zu erheitern, fanden sie, als die ganze reich geartete Kuͤnstlerschaft sich zusammenthat, um in einem großen Schau- und Festzuge fuͤr die kom¬ mende Faschingszeit ein Bild untergegangener Reichsherrlichkeit zu schaffen; denn es war ein wirkliches Schaffen, nicht mittelst Leinwand, Pin¬ sel, Stein und Hammer, sondern wo man die eigene Person als Stoff einsetzte und in vielhun¬ dertfaͤltigem Zusammenthun Jeder ein lebendiger Theil des Ganzen war und das Leben des Gan¬ zen in jedem Einzelnen pulsirte, von Auge zu Auge strahlte und eine kurze Nacht sich selber zur Wirklichkeit traͤumte. Es sollte das alte Nuͤrnberg wieder auferweckt werden, wie es wenigstens in beweglichen Men¬ schengestalten sich darstellen konnte und wie es zu der Zeit war, als der letzte Ritter, Kaiser Maxi¬ milian I , in ihm Festtage feierte und seinen besten Sohn, Albrecht Duͤrer, mit Ehren und Wappen bekleidete. In einem einzelnen Kopfe entstanden, wurde die Idee sogleich von achthun¬ dert Maͤnnern und Juͤnglingen, Kunstbeflissenen aller Grade, aufgenommen und als tuͤchtiger Handwerksstoff ausgearbeitet, geschmiedet und aus¬ gefeilt, als ob es gaͤlte, ein Werk fuͤr die Nach¬ welt zu schaffen. Das Vollkommene hat in dem Augenblicke seinen ganzen Werth, wo es gewor¬ den ist, und in diesem Augenblicke liegt eine Ewigkeit, welche durch eine Dauer von Jahren nur weggespottet wird; die Kuͤnstler empfanden daher in der sachgerechten und allseitigen Vor¬ bereitung eine anhaltend wachsende Lust und Ge¬ selligkeit, welche wohl von der Freude der eigent¬ lichen Feststunden uͤberboten wurde, aber in der Erinnerung endlich der hellere und deutlichere Theil vom Ganzen blieb. Der große Festzug zerfiel in drei einzelne Haupt¬ zuͤge, von denen der erste die Nuͤrnbergische Buͤr¬ ger-, Kunst- und Gewerbswelt, der zweite den Kaiser mit Reichsrittern und Helden und der dritte einen mittelalterlichen Mummenschanz um¬ faßte, wie von der reichen Stadt dem gekroͤnten Gast etwa gegeben wurde. In diesem letzten Theile, welcher recht eigentlich ein Traum im Traume genannt werden konnte, in welchem die in historische Vergangenheit sich Zuruͤcktraͤumen¬ den mit den Sinnen dieser Vergangenheit das Maͤhrchen und die Sage schauten, hatten die drei Freunde ihren Raum gewaͤhlt, um als verdop¬ pelte Phantasiegebilde dem Phantasiebilde der gestorbenen Reichsherrlichkeit vorzutanzen. Die Toͤchter, Schwestern und Braͤute vieler Kuͤnstler hatten sich artig und froh ergeben, dem lebendigen Kunstwerke zum hoͤchsten Schmucke zu gereichen, in manchem Hause waren die Haͤnde geschaͤftig, schoͤne Frauenkoͤrper in die weiblichen Prachtgewaͤnder der alten Reichsstadt zu kleiden, und es war nicht das geringste Vergnuͤgen der Kuͤnstler, auch hier die Hand anzulegen und, die alten Trachtenbuͤcher und den Weißkunig vor sich, in Stoff, Schnitt und Schmuck die eigensinnigen Neigungen, den unkundigen Modegeschmack der Frauensleute im Zaum zu halten. Wo Liebe mithalf, da spielte der anmuthigste Roman in den Sammet- und Goldstoffen und um die Per¬ lenschnuͤre, und manche zur Probe Vollgeschmuͤckte entzog sich den verlangenden Armen ihres augen¬ seligen Geliebten mit einem Laͤcheln, welches den weisen Sinn der Schoͤnen verrieth, daß sie auf einen bessern Augenblick zu hoffen wisse, wann Pauken und Trompeten ertoͤnten und die glaͤnzen¬ den Paarreihen sich schwaͤngen. Heinrich sah solchem Gluͤcke halb gleichguͤltig, halb sehnsuͤchtig zu und war, als frei und ledig und mit seinen eigenen Sachen handlich und ohne Geraͤusch bald fertig, Anderen dienstbar in ihren vermehrten Geschaͤften. Es war sein muͤt¬ terliches Erbtheil, daß er still und rasch seine eigene Person zu versehen und zugleich alle Auf¬ merksamkeit Anderen zu schenken wußte. Solche Zuͤge verkuͤnden ein tuͤchtiges Gebluͤt und weit mehr ein wahrhaft gutes Herkommen, als alle angelernten Hoͤflichkeiten und Anstandsformen. Wo sie sich, wie hier, in unwichtigen Dingen, sogar nur in Sachen des Vergnuͤgens aͤußern, waͤhrend ihre Ausbildung und Bethaͤtigung in den großen Lebenslagen stockt, da muß ein ern¬ stes Schicksal, eine tiefe Verirrung im Anzuge sein, welche sich nur dem unkundigen Beobachter verbergen. Beide Freunde Heinrich's waren zwei reizen¬ den Wesen fuͤr das kommende Fest verpflichtet. In einer vergessenen alterthuͤmlichen Gegend der Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter sonniger Platz, wo zwischen anderen ein schmales Haͤus¬ chen im Renaissance-Styl zierlichst sich auszeich¬ nete, in der Breite ein einziges Fenster von den schoͤnsten Verhaͤltnissen zeigend. Beide Stockwerke bildeten zusammen einen kleinen Thurm oder eher ein Monument und waren durch den Gedanken der Gliederung ein Ganzes; die wohlgefuͤgten, von der Zeit geschwaͤrzten Backsteine zeigten eine scharfe und gediegene Arbeit, und selbst der Thuͤrklopfer von Erz, welcher ein schlankes, den schmalen Leib kuͤhn hinausbiegendes Meerweibchen vorstellte, verrieth die Spuren vortrefflicher Kuͤnstlerarbeit. Ueber der reich verzierten Thuͤr ragte ein mor¬ genlaͤndisches Marienbild von schwarzem Marmor, das auf einem stark im Feuer vergoldeten metal¬ lenen Halbmonde stand. So erinnerte das Ganze an jene kleinen zierlichen Baudenkmaͤler, welche einst große Herren fuͤr irgend eine Geliebte, oder beruͤhmte Kuͤnstler zu ihrem eigenen Wohnsitze bauten. Hierher hatte Ferdinand seine Schritte zu lenken; denn in dem reich gesimsten Fenster sah man ein dunkles Maͤdchenhaupt auf schmalem Koͤrper schwanken, wie eine Mohnblume auf ihrem Stengel. Die Wittwe eines Malers aus der vorhergegangenen Periode wohnte in dem Haͤuschen, eines Malers, der zu seiner Zeit oft genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr die Werke zu finden waren; sogar seine seltsame Wittwe, die einst nur außerordentlich schoͤn ge¬ wesen, hatte das letzte Fetzchen gefaͤrbter Lein¬ wand weggeraͤumt und dafuͤr das alte Haus in¬ wendig bekleidet mit allen Erzeugnissen der Mo¬ denindustrie und den Spielereien der Bequemlich¬ keit. Nur ihr pomphaftes Bildniß, wie der Ver¬ 14 * storbene sie einst als geschmuͤckte Braut gemalt in aller ihrer Schoͤnheit, bewahrte sie an einem altaraͤhnlichen Platze und betete das Bild unver¬ drossen an. Sonst war die achtzehnjaͤhrige Toch¬ ter Agnes der einzige aͤsthetische Nachlaß des Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick den Aermsten, daß er dieses sein bestes Kunstwerk nicht selber mehr sehen konnte, und man bedauerte um so tiefer, als die Wittwe gar kein Auge fuͤr das liebliche Wunder zu haben schien, sondern, in die Betrachtung ihrer eigenen fruͤheren Schoͤn¬ heit versunken, die zarte Blume des Kindes schwanken und bluͤhen ließ wie sie eben wollte. Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie aus Elfenbein gedrechselt und rund, wie die zwei kleinen vollkommenen Bruͤstchen, und wie die schlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlaͤnke ein anmuthiges Gruͤbchen zeigten. Bis zu den Huͤften wurde der Leib immer schlangenartiger und selbst die Huͤften verursachten eine fast un¬ merkliche Woͤlbung; aber diese war so schoͤn, daß sie beinahe mehr Kraft und Leben verrieth, als die breitesten Lenden. Das Gewand saß ihr schoͤn und sicher auf dem Leibe; sie liebte es ganz knapp zu tragen, so daß ihre ganze Schmalheit erst recht zu Tage trat, und doch berauschten sich die Augen dessen, der sie sah, mehr in dieser Er¬ scheinung, als in den reichen Formen eines uͤppi¬ gen Weibes, und wer einer vollen Schoͤnheit kalt voruͤberging, glaubte dies schmale Wesen augen¬ blicklich in die Arme schließen zu muͤssen. Auf solchem schwanken Stengel aber wiegte sich die wunderbarste Blume des Hauptes. In dem marmorweißen Gesicht glaͤnzten zwei große dun¬ kelblaue Augen und ein kirschrother Mund, und das Rund des Gesichtes spitzte sich stark in dem kleinen reizenden Kinne zu, und doch war dies Kinn nicht so klein, daß es nicht noch die rei¬ zendste Andeutung einer Verdoppelung geziert haͤtte. Aber der breiteste Theil der ganzen Ge¬ stalt im woͤrtlichen Sinne schien das große volle Haar zu sein, welches sie kroͤnte; die gewaltige, tiefschwarze Last, vielfach geflochten und gewunden und immer mit gruͤnem Seidenbande durchzogen, wuchtete rund um den kleinen Kopf, und da, wenn die schlanke Geschmeidige sich anmuthig und leicht bewegte und das schoͤne Haupt senkte, dies unwillkuͤrlich die Vorstellung erregte, das Gewicht des dunklen Haarbundes verursache das liebliche Schwanken und Beugen, so rief sie von selbst das Bild einer Blume hervor; aber noch froher uͤberraschte es, wenn sie sich unversehens frei aufrichtete und die schwere Krone so leicht und unbewußt trug, wie ein schlanker Hirsch sein Geweih. In ihr geistiges Leben war noch kein sicherer Blick zu thun. Meist schien sie kindlicher zu sein, als es ihrem Maͤdchenalter eigentlich zukam; ge¬ lernt hatte sie auch nicht viel und las nicht gern, ausgenommen komische Erzaͤhlungen, wenn sie deren habhaft werden konnte; aber sie mußten gut, ja klassisch sein, und alsdann studirte sie die¬ selben sehr ernsthaft und verzog nicht den Mund. Manchmal schien sie entschieden beschraͤnkten Ver¬ standes und unbehuͤlflich; sobald aber Ferdinand da war, uͤberfloß sie von klarem krystallenem Witze, der noch in der Sonne der Kindheit funkelte, in¬ dessen ihre Augen eine reife Sinnenwaͤrme aus¬ strahlten, wenn sie neckend und zaͤrtlich an seinem Halse hing. Er durfte aber alsdann nicht wagen, sie kosend ebenfalls zu umfassen, wie er uͤberhaupt sich leidend verhalten mußte, wenn er sie nicht erzuͤrnen und von sich scheuchen wollte. Wie Ferdinand in das Haus gekommen, wußte er selber kaum mehr zu sagen; er hatte das seltene Gebilde im Rahmen des alten Fen¬ sters gesehen, und es war ihm nachtwandlerhaft gelungen, sich alsogleich einzufuͤhren und der taͤg¬ liche Besucher zu werden. Aber bald mußte er in einen Zwiespalt mit sich selbst gerathen, da das eigenthuͤmliche und raͤthselhafte Wesen nicht die gewohnte Art zuließ, das Gluͤck bei Frauen zu erhaschen. Diese Er¬ scheinung war zu koͤstlich, zu selten und zugleich zu kindlich und zu unbefangen, als daß sie durfte zum Gegenstande einer voruͤbergehenden Neigung gemacht werden, und auch wieder zu eigen und absonderlich unbestimmt, um gleich den Gedanken einer Verbindung fuͤr das Leben zu erlauben. Ferdinand sah, daß das Kind ihn liebte, und er fuͤhlte auch, daß er ihr von Herzen gut war, noch uͤber das leidenschaftliche Wohlgefallen hin¬ aus, welches ihr Aeußeres erregte; aber er glaubte uͤberhaupt nicht an seine Liebe, er bil¬ dete sich ein, nicht dauernd lieben zu koͤnnen oder zu duͤrfen, und wußte nicht, daß Liebe im Grunde leichter zu erhalten, als auszuloͤschen ist; und gerade dieser verzweifelte Zweifel an sich selbst ließ keine tiefere Neigung in ihm reif werden. »Sie ist ein Phaͤnomen!« sagte er sich und glaubte zu erschrecken bei dem Gedanken, sich fuͤr immer ein solches zu verbinden oder, einfach ge¬ sagt, ein Phaͤnomen zur Frau zu haben. Und doch war es ihm unmoͤglich, nur einen Tag vor¬ uͤbergehen zu lassen, ohne das reizende Wunder zu sehen. Nun beschuldigte er sich wieder, daß solches Beduͤrfniß nur die geheime Begierde sei, die Blume zu brechen, um sie dann zu vergessen, und da er fest gewillt war, sich treu und ehrlich zu verhalten, schon aus einer Art von kuͤnstleri¬ schem Gewissen die Verpflichtung fuͤhlend, dies außergewoͤhnliche Dasein nicht zu verwirren und zu stoͤren, so hielt er sich standhaft in seiner pas¬ siven Stellung und suchte derselben einen bruͤder¬ lich freundschaftlichen Anstrich zu geben. Er be¬ handelte sie mehr als Kind und nahm scheinbar ihre Liebkosungen als diejenigen einer kleinen Freundin hin, suchte sie zu unterrichten und nahm hin und wieder ein kaltes und ernsthaftes Anse¬ hen an. Aengstlich vermied er, das Wort Liebe auszusprechen oder es zu veranlassen und ver¬ mied mit dem Maͤdchen allein zu sein. So glaubte er als ein Mann zu handeln und seiner Pflicht und Ehre zu genuͤgen und ahnte nicht, daß er aͤcht weiblich zu Werke ging. Denn er war nun wirklich auf dem Punkte angelangt, wo liebenswuͤrdige und geistreiche Maͤnner gerade so auf eigennuͤtzige Weise mit weiblichen Wesen spielen, wie es tugendhafte Coquetten mit jungen Maͤnnern zu thun pflegen. Auch wußte das aͤrmste Kind ihm keinen Dank dafuͤr. Sie achtete nicht auf seinen Unter¬ richt und wurde traurig oder unmuthig, wenn er die vaͤterliche Art annahm. Hundertmal suchte sie das Wort auf Liebe und verliebte Dinge schuͤchtern zu lenken; allein er stellte sich, als kennte er dergleichen nicht, und der erwachende Trotz verschloß ihr den Mund. Hundertmal liebkoste sie ihn jetzt und hielt sich dann ein Weil¬ chen geduckt und still, damit er das Kosen erwi¬ dern solle, und sie war nicht mehr bereit, zornig davon zu fliehen; allein er ruͤhrte sich nicht und ertrug das ungeduldige Spiel des schmalen schlangenaͤhnlichen Koͤrpers mit der groͤßten Standhaftigkeit. Dennoch sah die Arme recht gut, daß er mit ganz anderen Gefuͤhlen zu ihr kam, als mit denen eines Bruders oder schul¬ meisterlichen Freundes, und sah wohl das verhal¬ tene Feuer in seinen Augen, wenn sie ihm nahe trat und das unablaͤssig betrachtende Wohlgefallen, wenn sie umherging; und sie war nur bekuͤmmert, den Grund seines Betragens nicht zu kennen und fuͤrchtete, da sie die Welt nicht kannte, ihr ver¬ borgene, unheilvolle Dinge, die gar in ihr selbst laͤgen, duͤrften ihrem Gluͤcke im Wege stehen. In dem Maße aber, in welchem sie taͤglich verliebter und trauriger wurde, gewann ihr Wesen an Entschiedenheit und Klugheit, und im gleichen Maße wuchs die Verlegenheit Ferdinand's; denn er sah nun ein, daß er nicht laͤnger sich also verhalten durfte. Ihr verliebtes und sich hin¬ gebendes Wesen schreckte ihn durchaus nicht ab, weil er dessen Grund und Natur durchschaute und sie darum nur um so reizender fand; dagegen mußte er nun gestehen, daß wohl eine artige und koͤstliche Frau aus ihr zu machen waͤre und schuͤt¬ telte sich innerlich bei dem Gedanken, sie je in eines Andern Haͤnden zu sehen, waͤhrend der Un¬ selige doch immer noch sich nicht entschließen konnte, seine Selbstherrlichkeit mit einem anderen Wesen fuͤr immer zu theilen und noch fuͤr eine zweite Haͤlfte zu leben. Beide Wagschalen standen sich vollkommen gleich und das Zuͤnglein seiner Unentschlossenheit schwebte still in der Mitte, als das Kuͤnstlerfest herannahte. Agnes sollte daran Theil nehmen; Ferdinand war beflissen, ihre Gestalt vollends zu einem Feenmaͤhrchen zu machen und faßte dabei den Vorsatz, es nunmehr darauf ankommen zu lassen, ob das Fest eine Entscheidung herbeifuͤhre oder nicht; er wollte eine solche weder suchen noch ihr widerstehen; denn noch immer hielt er sich in III . 15 seiner Selbstsucht fuͤr vollkommen frei. Wenn er aber das Maͤdchen nur ein einziges Mal ge¬ kuͤßt habe, gab er sich das Wort, so solle sie un¬ verbruͤchlich die Seinige sein. Agnes aber hatte einen aͤhnlichen Plan in ihrem Herzchen ausgesponnen, der indessen sehr einfach war. Sie gedachte, in einem geeigneten guͤnstigen Augenblicke ohne Weiteres mit ihren Armen den Geliebten zu umstricken und zum Ge¬ staͤndniß seiner Neigung zu zwingen, und falls dies noch nicht huͤlfe, die Aufregung der Festfreude benutzend, ihn so mit Liebeschmeicheln zu berau¬ schen und foͤrmlich zu verfuͤhren, daß er das Opfer ihrer Unschuld naͤhme. Dieser verzweifelte Plan gohr und rumorte in ihrem pochenden Busen, daß sie wie eine Traͤumende umherging und nicht einmal bemerkte, wie Ferdinand starr auf ihren jungen Busen hinsah, als er einen Augenblick beim Probiren der schimmernden Festgewaͤnder entbloͤßt wurde. Sie war in ihrer Unschuld fest uͤberzeugt, daß Ferdinand, wenn ihr Plan ge¬ laͤnge, alsdann fuͤr immer der Ihrige wuͤrde. In nicht so bedenklicher Lage fand sich Erik¬ son, welchem sich alle Dinge, außer seinen Bil¬ dern, muͤhelos und koͤrnig gestalteten; er schritt auch mit ausreichenden Waidmannsschritten, ob¬ wohl nicht ohne die noͤthige Behutsamkeit, durch sein Liebesverhaͤltniß und auf das Theil zu, das er oder das Schicksal sich erwaͤhlt. Eine reiche und schoͤne Brauerswittwe hatte bei der Verloosung der großen Gemaͤldeausstellung ein Bildchen von ihm gewonnen, welches ihm theuer bezahlt worden war. Die Dame stand nicht im Rufe einer besonderen Kunstfreundin, und Erikson hoffte, sie wuͤrde froh sein, ihm den Gewinnst um einen ermaͤßigten Preis wieder ab¬ zutreten; er gedachte dann das Bild anderwaͤrts zu versenden zu erhoͤhtem Preise und so abermals eine Summe einzunehmen, ohne der Qual und Muͤhsal des Erfindens und der Ausfuͤhrung eines neuen Gegenstandes ausgesetzt zu sein. Diese Aussicht gewaͤhrte ihm so viel Vergnuͤgen, daß er sich unverweilt aufmachte und mit dem Wunsche, alle seine sauern Arbeiten noch einmal und immer wieder verkaufen zu koͤnnen, das Haus der Wittwe aufsuchte. 15 * Bald stand er auf dem Vorsaale des statt¬ lichen Wittwensitzes, dessen Pracht das Geruͤcht von dem unmaͤßigen hinterlassenen Vermoͤgen des verstorbenen Bierbrauers zu bestaͤtigen schien. Eine alte Aufwaͤrterin, welcher er sein Anliegen mittheilen mußte, brachte ihm indessen gleich den Bericht, daß die Herrin das Bild mit Vergnuͤgen wieder abtrete, daß er aber ein ander Mal vor¬ sprechen moͤge. Weit entfernt, uͤber diese Will¬ faͤhrigkeit und Geringschaͤtzung empfindlich zu sein, ging Erikson ein zweites und drittes Mal hin, und erst das dritte Mal wurde er etwas betroffen und erbost, als dieselbe Aufwaͤrterin endlich kund that, daß die bequeme Dame das Bild um ein Viertel des angegebenen Werthes wieder verkaufe und die Summe fuͤr die Armen bestimme, daß der Herr Maler, um ihm nicht fernere Muͤhe zu machen, es am anderen Tage bestimmt abholen und das Geld mitbringen moͤchte. Er troͤstete sich indessen mit der Aussicht, nunmehr sicher ein Vierteljahr nicht malen zu muͤssen, und das Wet¬ ter betrachtend, ob es gute Jagdtage verspraͤche, machte er sich zum vierten Male auf den Weg. Die unvermeidliche Alte fuͤhrte ihn in ihr kleines Waͤrtergemach und ließ ihn da stehen, um das Kunstwerkchen herbeizuholen. Dieses war aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienstete, Koͤchin, Kammermaͤdchen und Hausknecht rann¬ ten umher und suchten in Kuͤche, Keller und Kammern. Endlich rief das Geraͤusch die schoͤne Wittwe selbst herbei, und als sie, die, nach dem kleinen wunderlichen Bildchen urtheilend, gewaͤhnt hatte, einen ebenso kleinen und duͤrftigen Urheber zu finden, als sie nun den gewaltigen Erikson dastehen sah, der mit der Stirn beinahe die Decke des niedern Verschlages beruͤhrte, indessen sein nordisches Goldhaar glaͤnzend auf die breiten Schultern fiel, da gerieth sie in die groͤßte Ver¬ legenheit, zumal er, aus einem ruhigen Laͤcheln erwachend, sie jetzt mit festem und wohlgefaͤlligem Blick betrachtete. Sie war aber auch des laͤng¬ sten Anschauens werth; kaum sechs und zwanzig Sommer alt, stand Rosalie liebreizend da, von der Rosenfarbe der Gesundheit und Lebensfrische uͤberhaucht, von freundlichen Gesichtszuͤgen, mit braunem Seidenhaar und noch brauneren lachen¬ den Augen. Indessen, um ihre Verlegenheit zu endigen, lud sie den Maler ein, in das Zimmer zu kommen, und wie sie eintraten, sahen sie Beide zugleich die kleine Gemaͤldekiste, welche als Fu߬ schemel unter dem Arbeitstischchen der Wittwe stand, dieser selbst unbewußt und vergessen, daß sie schon seit einigen Tagen mit ihren Fuͤßchen muthwillig darauf getrommelt. Erroͤthend lachte sie und zog das Bild eigen¬ haͤndig hervor. Zugleich aber sagte sie, indem sie einen fluͤchtigen Blick auf Erikson warf, sie haͤtte sich eines anderen besonnen und bedaure, ihm das Bild nicht mehr fuͤr ein Viertel, sondern nur fuͤr die Haͤlfte des Werthes lassen zu koͤnnen. Besorgt, sie moͤchte noch mehr den Preis steigern, zog er seine Boͤrse und legte die Goldstuͤcke auf den Tisch, indessen sie das Bild anscheinend auf¬ merksam betrachtete und wieder begann. Je mehr sie die Arbeit, welche sie bisher nur oberflaͤchlich be¬ sehen, in's Auge fasse, desto besser gefiele sie ihr, sie muͤsse nunmehr wirklich die volle Summe for¬ dern ! Seufzend bot er drei Viertheile der Summe. Allein die schoͤne Wittwe war unerbittlich und sagte: »Ihr Eifer, mein Herr, durch baares Geld ihr eigenes Bild wieder zu erwerben, beweist mir den Werth, den ich erst verkannt habe. Ich fordere nun die doppelte Summe, die Freiheit der Frauenlaune benutzend, oder ich will das Werk lieber behalten.« Als Erikson diese seltsame Steigerung auffiel und er sie zu seinen Gunsten auszulegen und zu wenden beschloß, verbeugte er sich laͤchelnd, strich sein Geld wieder ein und erwiederte: »Da mein kleines Bild eine so gute Stelle gefunden, waͤre es lieblos von mir, es derselben zu berauben!« Die Schoͤne aber fuhr fort: »Und damit Sie sehen, daß nicht Habsucht mich zu dieser Steige¬ rung antrieb, bitte ich, mir ein Seitenstuͤck um diesen verdoppelten Preis zu malen, so bald als moͤglich, und mir jetzt gleich den Platz fuͤr beide Bilder aussuchen zu helfen!« Erikson spazierte wohl eine Stunde mit ihr in den Gemaͤchern herum, bis er den geeigneten Platz gefunden, und als er sich verabschiedete, gruͤßte sie ihn freundlich, aber kurz, und lud ihn nicht ein, sonst wieder zu kommen. Aber er hatte wohlweislich vergessen, das Maß des Bildchens gleich zu nehmen, und sah sich daher gezwungen, am zweiten Tage sich wie¬ der hinzubegeben, um Vieles sorgfaͤltiger gekleidet. Sie erschien sogleich selbst und fuͤhrte ihn zu dem Bildchen, hielt ihn aber nach gethaner Verrich¬ tung durchaus nicht weiter auf. Und doch schien sie dem Weggehenden so froh und munter waͤh¬ rend des kurzen Besuches, daß er hoͤchst zufrieden nach Hause ging und die neue Arbeit begann. Auch vergingen kaum einige Tage, als ihn Ro¬ salie hoͤchst dringend rufen ließ, um sich wegen des Rahmens mit ihm zu besprechen; derjenige des ersten Bildes gefiele ihr ausnehmend wohl und sie wuͤnsche einen ganz gleichen zum zweiten zu bekommen. Als er sie uͤber diesen Punkt einigermaßen beruhigt, entließ ihn die ihn stets schoͤner duͤn¬ kende Rosalie auf das Freundlichste, doch nicht ohne ihn auf den kommenden Sonntag zu Tische gebeten zu haben, indem sie, wie sie anmuthig sich ausdruͤckte, diese Gelegenheit nun zu benutzen wuͤnsche, ihr Haus mit einiger Kuͤnstlerschaft zu zieren und etwas zu lernen, damit solche grobe Verstoͤße, wie der begangene, immer weniger wiederkehren koͤnnten. Erikson betrug sich ruhig und bescheiden, und wie ein Jaͤger auf ein edles Wild ging er auf sein schoͤnes Ziel los mit klopfendem Herzen, aber ohne einen Schritt zu viel, noch zu wenig zu thun, und zwar nicht aus allzutiefer Berechnung, sondern aus natuͤrlicher Klugheit. Inzwischen malte er das bestellte Bildchen und ließ sich alle Zeit dazu; er malte diesmal mit wahrer Zufriedenheit ein recht hoffnungsgruͤnes Fruͤhlingslandschaͤftchen, welches fast reich und anmuthig zu nennen war; denn es schwante ihm, daß dieses seine letzte Schilderei sein werde. Es war im Spaͤtherbste, als ihm dies Aben¬ teuer begegnete, und im Februar war er schon so weit, daß Rosalie unter seinem offenen Schutze an dem Kuͤnstlerfeste erscheinen wollte. Noch hatte weder Erikson Ferdinand's wundersame Agnes, noch dieser die anmuthsvolle und freund¬ liche Wittwe gesehen, und Beide waren uͤberein¬ gekommen, daß dies am Feste zum ersten Male geschehen sollte, Heinrich hingegen war beiden Geliebten als ein ungefaͤhrliches junges Blut ge¬ legentlich vorgestellt worden und er freute sich, ohne leidenschaftlich betheiligt zu sein, die kom¬ mende Festzeit in dem Scheine solcher zwei Sterne mit genießen zu koͤnnen. Sechstes Kapitel. Das große Theater war in einen Saal um¬ gewandelt und hatte, voll erleuchtet, bereits die beiden Hauptkoͤrper des Festheeres, die, welche das Festgeben, und die, welche es sehen sollten, in sich aufgenommen. Waͤhrend in den Logenreihen die wohlhabendere und gebildete Haͤlfte der Stadt in vollem Schmucke versammelt harrte, den koͤnig¬ lichen Hof in der Mitte, waren die Seitensaͤle und Gaͤnge dicht angefuͤllt von den sich ordnen¬ den Kuͤnstlerschaaren. Hier wogte es hundert¬ farbig und schimmernd durcheinander. Jeder war fuͤr sich eine inhaltvolle Erscheinung, und indem er selber etwas Rechtem gleich sah, betrachtete er freudig den Naͤchsten, welcher, durch die schoͤne Tracht gaͤnzlich umgewandelt, nun ebenfalls so vortheilhaft und kraͤftig erschien, wie man es gar nicht in ihm gesucht haͤtte. Allen klopfte das Herz vor froher Erwartung, und doch hielten sie sich ruhig und gemessen, wie Leute, welche fuͤhlten, daß ihnen eine schoͤnere aͤußere Erscheinung fuͤr das ganze Leben gebuͤhrte und nicht bloß fuͤr eine Nacht. Seltsame Zeit, wo die Menschen, wenn sie sich freudig erheben wollen, das Gewand der Vergangenheit anziehen muͤssen, um nur anstaͤndig zu erscheinen! Und allerdings ist es ein prickliches Gefuͤhl, zu wissen, daß die Nachkommen unsere jetzige Tracht nur etwa hervorziehen werden, um sich im Spotte zu ergehen, wie wir dies jetzo mit derjenigen des achtzehnten Jahrhunderts thun, welches sich selbst doch so wohl gefiel. Und wir koͤnnen uns nicht anders raͤchen, als indem wir, wie oͤfter geschieht, die verborgene Zukunft in muthmaßenden Zerrbildern laͤcherlich machen und zum Voraus beschimpfen! Wann wird wieder eine Zeit kommen, wo wir uns um die eigene Achse drehen und uns in eigener Gegenwart genuͤ¬ gen? Nun oͤffneten sich endlich die Thuͤren und die Trompeter und Pauker, welche klangvoll erschie¬ nen, verbargen in ihrer Breite den hinter ihnen anschwellenden Zug, so daß man ungeduldig harrte, bis sie weiter vorgeschritten und der reichen Entfaltung Raum gaben. Ihnen folgten zwei Zugfuͤhrer mit dem alten Wappen von Nuͤrnberg, dem Jungfernadler auf den weißen und rothen Wappenroͤcken, und hinter ihnen schritt schlank und zierlich einher, in dieselben Farben gekleidet, aber mit einem maͤchtigen Laubkranze auf dem Kopfe, der Zunftfuͤhrer, welcher der stattlichen Zunft der Meistersaͤnger voranging mit seinem goldenen Stabe. Alle bekraͤnzt, ging jetzt die gute Schaar der nuͤrnbergischen Meistersaͤnger da¬ her mit ihrer Spruchtafel, die Jugend, in welcher noch das abenteuernde Wanderblut wallte, voran in kurzer Tracht mit der Zither auf dem Ruͤcken; dann aber folgten die Alten, um den ehrwuͤrdigen Hans Sachs gesellet; dieser stellte sich dar in dunkelfarbigem Pelzmantel, ehrbar und stattlich wie ein wohlgelungenes Leben und doch mit dem Sonnenschein ewiger Jugend um das weiße Haupt. Das junge Weib mit voller Brust und rundem Leib, wie Goͤthe sang, hatte ihm gezeigt: »Der Menschen wunderliches Weben, Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben, Schieben, Reißen, Draͤngen und Reiben, Wie kunterbunt die Wirthschaft tollert, Der Ameishauf' durcheinander kollert! — Unter dem Himmel allerlei Wesen, Wie ihr's moͤcht in sein'n Schriften lesen.« Welcher auch das alte Weiblein zu ihm gleiten sah: »Man nennet sie Historia, Mythologia, Fabula. Sie ist rumpfet, strumpfet, bucklet und krumb, Aber eben ehrwuͤrdig darumb« — auch welcher that einen Narren spuͤren »mit Bocks- und Affen-Spruͤngen hofiren;« welchem endlich stieg »auf einer Wolke Saum Herein zu's Oberfensters Raum Die Muse, heilig anzuschau'n Wie'n Bild unsrer lieben Frau'n. Die umgiebt ihn mit ihrer Klarheit, Immer kraͤftig wirkender Wahrheit«. — Und obgleich hier der Saͤngergreis ganz erschien, wie ihn sein wackerer Schuͤler Puschmann be¬ schrieben: »In dem Saal stund unecket bedecket ein Tisch mit seiden gruͤne, an selbem saß ein Alt Mann, was Grau und weiß, wie ein Daub dermaß, der hett ein'n großen Bart fuͤrbas; in ein'm schoͤnen großen Buch las mit Gold beschlagen schoͤn;« so verstand der Darsteller doch sein Urbild so wohl, daß man ihm noch ansah, was Goͤthe wie¬ der sang: »Ein holdes Maͤgdlein sitzend warten Am Baͤchlein bei'm Hollunderstrauch; Mit abgesenktem Haupt und Aug Sitzt's unter einem Apfelbaum Und spuͤrt die Welt ringsum sich kaum; Hat Rosen in ihr'n Schooß gepfluͤckt Und bindet ein Kraͤnzlein gar geschickt, Mit hellen Knospen und Blaͤttern drein. Fuͤr wen mag wohl das Kraͤnzel sein. — — Wie er den schlanken Leib umfaßt, Von aller Muͤh er findet Rast; Wie er in's runde Aermlein sinkt, Neue Lebenstaͤg und Kraͤfte trinkt. — — So wird die Liebe nimmer alt Und wird der Dichter nimmer kalt«. — So ging er jetzt im Schmucke des Alters und der Poesie daher, ein großes Buch tragend. Aber das buͤrgerliche Lied war dazumal so reich und uͤberquellend, daß es mit jeder Meister¬ schaft unzertrennlich war und hauptsaͤchlich auch unter dem Banner der nun folgenden Baderzunft hinter Scheermesser und Bartbecken herging. Da war unter den Kraͤnze-geschmuͤckten Gesellen Hans Rosenpluͤt, genannt der Schnepperer, der vielgewanderte Schalks- und Wappendichter, ein krumbuckliger munterer Gesell mit einer großen Klystirspritze im Arm. Mit langen Schritten folgte diesem der hochbeinige magere Hans Foltz von Worms, der beruͤhmte Barbier und Dichter der Fastnachtsspiele und Schwaͤnke und als sol¬ cher Genoß des Rosenpluͤt und Vorzuͤnder des Hans Sachs. Zwei Bartscheerer und ein Schuh¬ macher pflegten so das zarte Schoß des deutschen Theaters. Liederreich waren alle die alten Zuͤnfte, die jetzt folgten in ihren bestimmten Farben an Kleid und Banner; die Schaͤffler und Brauer, die Metz¬ ger, welche in rothem und schwarzem, mit Fuchs¬ pelz verbraͤmten Zunftgewande hoͤchst tuͤchtig aus¬ sahen, so wie die hechtgrauen und weißen Baͤcker; die Wachszieher, lieblich in gruͤn, roth und weiß, und die beruͤhmten Lebkuͤchler, hellbraun mit dun¬ kelroth gekleidet; die unsterblichen Schuster, schwarz und gruͤn, in die Farbe des Peches und der Hoff¬ nung gehuͤllt; buntflickig die Schneider; die Da¬ mast- und Teppichwirker, bei welchen das Kuͤnst¬ lichere den Anfang nahm und schon meisterliche Namen aufzeichnete; denn diese webten und wirk¬ ten die fuͤrstlichen Teppiche und Tuͤcher, mit denen die Haͤuser der großen Kaufherren und Patricier angefuͤllt waren. Alle nun folgenden Zuͤnfte waren angefuͤllt mit einer wahren Republik kraftvoller, erfindungs¬ reicher und arbeittreuer Handwerks- und Kunst¬ maͤnner. Die Tuͤchtigkeit theilte sich sowohl un¬ ter die Gesellen, welche manchen handlichen be¬ ruͤhmten Burschen aufzuweisen hatten, als unter die Meister. Schon die Dreher zeigten den Mei¬ ster Hieronimus Gaͤrtner, welcher mit kindlich frommem Eifer aus einem Stuͤcklein Holz eine Kirsche schnitzte, so zart, daß sie auf dem Stiele III. 16 schwankte, und die Fliege, welche auf ihr saß, mit den Fluͤgeln wehte und auf den Fuͤßen sich be¬ wegte, wenn man daran hauchte — der aber zu¬ gleich ein erfahrener Meister und Errichter von Wasserwerken und kunstreichen Brunnen war. Unter den Hufschmieden, roth und schwarz gekleidet wie Feuer und Kohle, ging Meister Mel¬ chior, der die großen eisernen Schlangengeschuͤtze aus freier Hand schmiedete; unter den Buͤchsen¬ machern der erfindungsreiche Geselle Hans Dan¬ ner, welcher schon dazumal von den harten Me¬ tallen Spaͤne trieb, als haͤtte er weiches Holz unter den Haͤnden, und sein Bruder Leonhard, der Erfinder von mauerstuͤrzenden Brechschrauben. Da ging auch der Meister Wolff Danner, der Erfinder des Feuersteinschlosses an den Gewehren und Buͤchsen, die er trefflich schmiedete und kuͤnst¬ lich ausbohrte, und neben ihm Boͤheim, der Mei¬ ster der Geschuͤtzgießer, welche ihre gleißenden, wohlverzierten Geschuͤtzroͤhren, Kanonen, Metzen und Karthaunen durch alle Welt beruͤhmt machten. Ueberhaupt war der Krieg die zehnte Muse. Die Zunft der Schwertfeger und Waffenschmiede allein umfaßte eine mehrfach gegliederte Welt kunstreicher, feiner und fleißiger Metallarbeiter. Der Schwertfeger, der Haubenschmied, der Har¬ nischmacher, jeder von diesen brachte den Theil der kriegerischen Ruͤstung, der seinem Namen ent¬ sprach, zur groͤßten Gediegenheit und Zierlichkeit und bewaͤhrte darin ein nachhaltiges Kuͤnstlerda¬ sein. Wunderbar loͤste sich diese strenge Einthei¬ lung und Beschraͤnkung in die Freiheit und All¬ seitigkeit, mit welcher die schlichten Zunftmaͤnner wieder zu den wichtigsten Thaten und Erfindun¬ gen vorschritten und Alle wieder Alles konnten, oft ohne lesen und schreiben zu koͤnnen. So der Schlosser Hans Bullmann, der Verfertiger großer Uhrwerke mit Planetensystemen und musicirenden Figuren, und der Vervollkommner dieser, Andreas Heinlein, welcher auch so kleine Uhren zu wege brachte, daß sie im Knopfe der Spazierstoͤcke Platz fanden; auch Peter Hele, der eigentliche Erfinder der Taschenuhren, ging hier unter dem handfesten Namen eines Schlossermeisters. Gleich auf dies handlich sinnige Zunftwesen folgte dasjenige, welches am schaͤrfsten diese Zeit 16 * von einem fruͤheren Jahrtausend unterschied, naͤm¬ lich das der Buchdrucker und Formschneider, welche fuͤr Wort und Bild die Schleusen der unendlichen Vervielfaͤltigung aufthaten und den Strom los¬ ließen, der nun die Welt uͤberschwemmt. Vor bald vierhundert Jahren haben sie den Zapfen ausgestoßen, daß das Bruͤnnlein sprang, und wo stehen wir jetzt? Es ist ein großes unentbehrliches Mittel geworden, welches der Unsinn ebenso be¬ hende braucht, als die Vernunft; es ist die Luft, welche der Gerechte, wie der Ungerechte athmet, und der Tischklopfer badet sich so munter und un¬ befangen in seiner Fluth, wie der Sperling im Bache. Weit hinter dieser Fluth ist die lang¬ same aber staͤte Bewegung des eigentlichen Gei¬ stes geblieben, des Geistes, der nicht auf dem Papier, sondern in Fleisch und Blut lebt und sich nur von Leib zu Leib, von Auge zu Auge, von Ohr zu Ohr mittheilt, uͤberzeugt, trennt und einigt. Auch hier kommt zuletzt alles wieder auf den persoͤnlichen Menschen an, wie er leibt und lebt und zu dem Anderen hintritt mit seiner Wahrheit oder Taͤuschung. Aber nichts desto minder wollen wir die Gruppe der Meister hoͤchlich ehren, welche nun schwarz und weiß gekleidet daher kam. Es wa¬ ren die Maͤnner, welche nebst der unschaͤtzbaren Bibel freilich auch das Corpus juris druckten, aber daneben auch eifrig bemuͤht waren, stattliche Aus¬ gaben der wieder erstandenen Klassiker herzustellen, und eine Ehre darein setzten. So wackere und faͤhige Werkleute waren sie, daß sie nicht nur das kitzliche und zusammengesetzte Handwerkszeug selbst anfertigten und verbesserten, sondern auch die griechischen und lateinischen Buͤcher selbst zu corrigiren verstanden. Es lag aber etwas Griechisches in der Luft jener Zeit, und wie alle Gewerke schon durch den Meistergesang mit der Kunst verbunden waren, so ging beinahe jedes Einzelne unmittelbar in die bildende Kunst uͤber und hatte bei derselben als Legaten die Sproͤßlinge seiner Werkstatt. So waren hier mit den Buchdruckern die Formschnei¬ der gepaart, deren Kunst alsobald der jungen Buchdruckerei zur Seite ging und in dem dama¬ ligen Drange, jedem geeigneten Raume Form und Bild aufzudruͤcken, sich bluͤhend entfaltete. Ein toͤdtlicher Frost ist dann lange Jahre hindurch auf diesen Bluͤthendrang, der in allem Handwerk trieb, gefallen, und erst in neuester Zeit erholt er sich wieder ein wenig und faͤngt gerade, die bis zur Ueberfeinerung gediehene Kupferstecherei der verdunkelten Jahre uͤberspringend, wieder da an, wie ehemals, naͤmlich beim Holzschnitt. Aber noch wuchert mit der zehnfachen Muͤhe, mit wel¬ cher das Gute zu thun waͤre, das Krabbeliche, Charakterlose und Schwaͤchliche und uͤberwuchert das Klare und Feste, und das Uebel scheint von oben zu kommen, wo man den festen Gedanken, der zur festen Form gehoͤrt, nicht freigeben will. Bezeichnend hiefuͤr ist ein Zug, welcher sich un¬ laͤngst zutrug. Der Koͤnig eines großen deutschen Staates hatte uͤber seine eigenen Porzellanwerk¬ staͤtten in ernster Kunst ergraute Maͤnner gesetzt, daß sie die Formen der Gefaͤße uͤberwachten und den unreinen Geschmack austrieben und fernhiel¬ ten. Allein eine uͤberroyalistische Zeitung tadelte des Koͤnigs Maßregel und bemerkte ziemlich un¬ botmaͤßig, daß sich die vornehme Welt wohl keinen Geschmack vorschreiben ließe, und den Rococostyl, welchen sie einmal zu ihrem Zeichen erhoben, auf¬ recht zu halten wissen werde. Diese Palastrevo¬ lution gelang denn auch insofern, als die Pairs des Landes nicht des Koͤnigs rein geformte Blu¬ mengeschirre kauften, sondern sich anderwaͤrts mit solchen versahen, welche einem aufrechtstehenden gefrorenen Waschlappen gleichen, und die Waͤchter des Geschmackes bewachten trauernd des Koͤnigs Ladenhuͤter. Neben Hans Schaͤufelein, dem fleißigen Schuͤ¬ ler Albrecht Duͤrers, ging unter den Holzschnei¬ dern ein kleines Maͤnnchen in einem Maͤntelchen von Katzenpelz und einer eben solchen Zipfelkappe. Dies war Hieronimus Roͤsch, ein großer Katzen¬ freund, in dessen stiller Arbeitsstube uͤberall spin¬ nende Katzen saßen, am Fenster, auf Baͤnken und auf dem Tische. Auf das dunkle Katzenmaͤnnchen folgte eine lichte Erscheinung, die Silberschmiede in himmel¬ blauem und rosenrothem Gewand mit weißem Ueberwurf, die Klarheit und das kunstweckende Wesen ihres Metalles verkuͤndend, waͤhrend die Goldschmiede, ganz roth gekleidet in schwarz-da¬ mastenem Mantel und reich mit Gold gestickt, den tieferen Glanz ihres Stoffes zur Schau tru¬ gen. Silberne Bildtafeln und goldgetriebene Schalen wurden ihnen vorangetragen; die plasti¬ sche Kunst laͤchelte hier aus silberner Wiege und die neugeborene Kupferstecherkunst hatte hier ihren metallischen Ursprung, wunderlich getrennt von dem Holzschnitt, welcher mit der schwaͤrzlichen Buchdruckerei ging. Mit Holz und Kupfer nur hatten es die nun auftretenden Kupfertreiber und Ornamentschneider zu thun, dafuͤr waren sie aber schon ganz Kuͤnstler und unbezweifelte Bildwerker. Sebastian Lin¬ denast arbeitete seine kupfernen Gefaͤße und Scha¬ len so schoͤn und kostbar, daß ihm der Kaiser das Vorrecht verlieh, sie zu vergolden, welches sonst Niemand durfte. Obgleich dergleichen fuͤr heute nicht mehr ziemte, so kann es doch keine sinnigere Beschraͤnkung und Befreiung von derselben geben, als diese, wo ein kunstreicher treuer Mann vom obersten Haupte der Nation, des Reiches die Be¬ fugniß erhielt, sein geringes Metall der edlen Form wegen, die er ihm zu geben wußte, mit Goldglanz zu umgeben und es so zum Golde zu erheben. Neben dieser, um dieses Umstandes willen so lieblichen und wohlthuenden Gestalt des Lindenast (wie deutsch und gruͤn wehend war schon dieser Name!) ging Veit Stoß, der Mann von wunder¬ lichster Mischung. Dieser schnitzte aus Holz so holde Marienbilder und Engel, und bekleidete sie so lieblich mit Farben, guͤldenem Haar und Edel¬ steinen, daß damalige Dichter begeistert seine Werke besangen. Dazu war er ein maͤßiger und stiller Mann, der keinen Wein trank und fleißig seines Werkes oblag, die frommen Wunderbilder fuͤr die Altaͤre zu Tage foͤrdernd. Welch reines Gemuͤth mußte dieser Kuͤnstler in sich tragen. Aber er machte eifrigst falsche Werthpapiere, um sein Gut zu erhoͤhen, und als er ertappt ward, durchstach man ihm beide Wangen oͤffentlich mit gluͤhendem Eisen. Aber weit entfernt, von solcher Schmach gebrochen zu werden, erreichte er in aller Gemaͤchlichkeit ein Alter von fuͤnf und neunzig Jahren und schnitt nebenbei schoͤne und lehrreiche Reliefkarten von Landschaften mit Staͤdten, Ge¬ birgen und Fluͤssen; auch malte er und stach in Kupfer. Noch ein sinnreicher Arbeiter in Kupfer war Hans Frei, Duͤrer's Schwiegervater, welcher rei¬ zende und muthwillige Frauenfiguren in Kupfer trieb, die aus den Bruͤsten und aus dem Kopf¬ putze Wasser springen ließen; zugleich spielte er trefflich die Harfe und war in Musik und Poesie wohl erfahren. Seine schoͤne boͤse Tochter Agnes aber, in welcher sich Liebreiz und Unertraͤglichkeit unablaͤssig vermaͤhlten, brachte den Schoͤnheit be¬ duͤrftigen und sanftmuͤthigen Albrecht unter den Boden. Doch als ein ganzer und klassischer Genoß trat nun, unter dem schlichten Namen der Gelb- und Rothgießer, Peter Bischer einher mit seinen fuͤnf Soͤhnen, die Handtierer in glaͤnzendem Erze. Er sah aus mit seinem kraͤftig gelockten Bart, seiner runden Filzmuͤtze und seinem Schmiedefell, wie der wackere Hephaͤstos selber. Sein freund¬ liches großes Auge verkuͤndete, daß es ihm gelang, aus reinlichem Erz sich ein unvergaͤngliches Denk¬ mal zu setzen, reich in der Arbeit vieler Jahre und beschienen von der fernen Sonne griechischer Welt. Noch heute steht sein Grabmal des hei¬ ligen Sebaldus, ein schlank edler Aufbau von romantischer Phantasie und klassischer Anmuth, der reiche Wohnsitz einer Schaar edler mannig¬ faltiger Bildwerke, die in lichtem Raume den silbernen Sarg des Heiligen huͤten. Er wohnte mit seinen fuͤnf Soͤhnen sammt deren Weibern und Kindern in Einem Hause, an Einer Werk¬ statt, und konnte so mit seiner Familie einem ge¬ heiligten Baume verglichen werden, in dessen Aesten die koͤstlichen Fruͤchte von Erz reiften, die in alle Laͤnder hin sich verbreiteten. Die Wiege eines Helden, Staatsmannes oder Dichters muͤßte einmal in solcher Werkstatt stehen, wo unter lei¬ denschaftlich bewegter Arbeit die ehernen Gestalten und eine Welt ebenmaͤßiger Zierrathen aus Einem Kerne sich bilden und das lang ausdauernde Schaffen einem lebendigen Epos gleicht. Zu den edelsten und vertrauenswerthesten Ge¬ stalten einer wohlbestehenden Stadt gehoͤren die kundigen Baumeister. Sie stehen unter allen Kuͤnstlern dem Rath am naͤchsten und sind dem Buͤrgerkinde stets eine werthe Erscheinung, welche ihm Einsicht, Maß und Zierde bedeutet, Rath und That fuͤr das oͤffentliche Ganze, wie fuͤr das Beduͤrfniß des Einzelnen. Sie sind am innigsten mit Land und Boden verbunden; denn sie bauen das Unbewegliche und muͤssen daher kundig sein in Fels und Wald, wie am rauschenden Wasser. Ganz in diesem Sinne erschien in dem Zuge mit den Maurer- und Zimmermeistern besonders der Eine der beiden Behaims, Hans, von dem die Nachrichten sagen, er sei angesehen gewesen bei Rath und Gemeinde, freundlich und guͤtigen Be¬ scheids gegen Jedermann, wie gegen die geringsten seiner Arbeitsleute. Wenn man an die zierbe¬ gabten und gewaltigen Bauwerke jener Glanzzeit denkt, so muß man dieses Mannes vorzuͤglich zu¬ gleich gedenken. Wir aber, die wir nach mensch¬ licher Schwachheit immer lieber das auffallende und seltsame Gute, als das in gereihter sicherer Ordnung erwachsene, betrachten, sehen jetzt mit Vorliebe jenen großen dickstarken Mann heran¬ schreiten, den Zimmermann Georg Weber, zu dessen grauem Kleide es einer Unzahl von Ellen handfesten Tuches bedurfte. Dieser war ein rech¬ ter Waͤldervertilger; denn mit seinen Werkleuten, die er alle so groß und stark aussuchte, wie er selber war, mit dieser Riesenschaft werkte er so maͤchtig in Baͤumen und Balken und zugleich so sinnreich und kuͤnstlich, daß er seines Gleichen nicht fand. Aber er war auch ein trotziger Volks¬ mann und machte im Bauernkrieg den Bauern Geschuͤtze aus gruͤnen Waldbaͤumen, aus welchen sie ganz emsig auf die Adeligen schossen. Er sollte desnahen zu Dinkelsbuͤhl gekoͤpft werden. Allein der Rath von Nuͤrnberg loͤste ihn wegen seiner Kunst und Nutzbarkeit aus und machte ihn zum Stadtzimmermeister; denn er baute nicht nur schoͤnes und festes Sparren- und Balkenwerk, sondern auch Muͤhl- und Hebemaschinen und ge¬ waltige lasttragende Wagen und fand fuͤr jedes Hinderniß, eine jede Gewichtmasse einen Anschlag unter seiner starken Hirnschale. Das Merkwuͤr¬ digste war nun, daß er weder lesen noch schreiben konnte und bei aller dieser trotzigen Staͤrke doch so genau, maßtreffend, sorgfaͤltig und fast zart in seinem Werke war, wie es nur die mit frommer Kindesunschuld gepaarte Kraft des Volkes sein kann. Endlich erschien, eroͤffnet von zwei »Lehrbu¬ ben«, die eigentliche Zunft der Maler und Bild¬ hauer; wie bei allen anderen Zuͤnften folgten auch hier nach den Lehrlingen die Traͤger der Zunft¬ zeichen, und nach diesen zwei Gesellen, der Maler Hans Spring in Klee, Duͤrer's Schuͤler und Hausgenoß und kunstreich im Malen auf Perga¬ ment, in zierlich goldschimmernden und azurblauen Arabesken und Figuren; dann der Bildhauer Pe¬ ter Floͤtner, ein geistvoller handsicherer Gesell und Kuͤnstler. Einzeln ging jetzt ein schoͤner Edel¬ knabe mit dem Wappen, das in himmelblauem Felde drei silberne Schildchen zeigt, und von Maximilian dem großen Meister fuͤr die ganze ge¬ ehrte Kuͤnstlerschaft gegeben worden ist. Der Sinn dieses Wappens duͤrfte sich am einfachsten in den Begriff von Tafeln oder Schilderei auf¬ loͤsen. Hatten die Maler selbst es bestimmen duͤrfen, so wuͤrden sie wahrscheinlich in hergebrach¬ tem Sinne eine Trophaͤe der bekannten Maler¬ geraͤthschaften gewaͤhlt haben; der wappenkundige und poetische Kaiser aber wußte das einfache Be¬ sondere in die einfachste allgemeine sinnige Form zu kleiden. Hinter diesem anmuthigen Wappen schritt nun Albrecht Duͤrer, zwischen seinem Lehrer Wohl¬ gemuth und Adam Kraft, wie zwischen den guten Genien seines eigenen Namens. Fuͤr seine Per¬ son hatte sich ein Maler gefunden, der sein Aeu¬ ßeres, mit Ausnahme der Kleidung, nicht zu aͤndern brauchte, um dem Bildnisse des deutschen Meisters, das dieser selbst von sich gefertigt, bei¬ nahe ganz zu gleichen. Die hellen Ringellocken fielen zu beiden Seiten gleich gescheitelt ganz so auf die breiten Pelz geschmuͤckten Schultern nie¬ der, das gedankentiefe, fromme heitere Antlitz schien aus jenem Bilde herausgeschnitten, und ein schlank geformter geschmeidiger Leib bewegte sich in dem schwarzen Untergewande. Diese Erschei¬ nung war ganz germanisch und ganz christlich, und wenn sich auch in den geringelten Haaren ein anmuthiger Schalk ahnen ließ, so war auch dieser christlich und ließ sich von der kirchlich an¬ getrauten boͤsen Ehehaͤlfte geduldig unter die Erde zanken. Wie anders jener roͤmische Raphael, der, vom Anschauen des alten Marmors gesaͤttigt, im Christ¬ lichen nur das Menschliche sah und sein kurzes bluͤhendes Leben in freudebringendem gewaltigen Schaffen und freier Frauenliebe verzehrte. Albrecht war ein eifriger Reformationsmann, eben weil er ein tiefer Christ war; haͤtte Raphael die Refor¬ mation empfunden und mitgelebt, er wuͤrde viel¬ leicht nicht Raphael gewesen sein. Der Gluͤckliche traͤumte in einer anderen Welt, und Papst wie Luther gingen wie Schatten an seinem Auge vor¬ uͤber. Albrecht Duͤrer schloß als der letzte die vor¬ uͤberwandelnde Schaar der Bildner und Werk¬ leute. Sie war der bedeutsamste Theil des gan¬ zen Zuges gewesen, weil sie fuͤr Alle noch eine Wahrheit war. Wenn auch nicht als organisches, republikanisch buͤrgerliches Gemeinwesen erwachsen, wie jenes reichsstaͤdtische, sondern durch das Wort eines zufaͤlligen Fuͤrsten zusammengerufen, gepflegt und bestaͤrkt, hatten alle diese Maͤnner und Juͤng¬ linge nicht nur durch die ungebrochene aͤußere Ge¬ stalt, sondern auch durch ihr Koͤnnen und Wollen die Faͤhigkeit und das Recht, jene bewaͤhrten Vor¬ fahren darzustellen. Denn es war kein dilletan¬ tisches Bestreben, was in dieser Stadt herrschte, sondern die Meisterschaft bluͤhte in hundert Zwei¬ gen in glaͤnzend reifender Technik. Außer den vielen Malern und Bildhauern gingen Baumei¬ ster, Erzgießer, Glas- und Porzellanmaler, Holz¬ schneider, Kupferstecher, Steinzeichner, Medailleure und viele andere Angehoͤrige eines vollen Kunst¬ lebens. In den Gießhaͤusern standen zwoͤlf Ah¬ nenbilder fuͤr den Palast des Koͤnigs, so eben vollendet, jedes zwoͤlf Fuß hoch und vom Scheitel bis zur Zehe im Feuer vergoldet; zahlreiche kolos¬ sale Statuen von Fuͤrsten, Dichtern und anderen Großen der Nation, zu Roß und Fuß, sammt den reichen Bildwerken ihrer Fußgestelle, waren schon vollendet und uͤber Deutschland zerstreut, riesenhafte Unternehmungen begonnen und es ging in diesen Feuerhaͤusern wohl schon so gewaltsam und kraftvoll her, wie an jenem Gußofen zu Flo¬ renz, als Benvenuto seinen Perseus goß. In III. 17 Fresko und in Wachs waren schon unabsehbare Waͤnde bemalt, ja in diesem Gebiete war ein Unerhoͤrtes und Neues geschehen, indem ein schlich¬ ter Meister lange Hallen mit italienischen und hellenischen Landschaften auf eine maßgebende und bleibende Weise und zwar so bemalt hatte, daß die Griechen, deren plastischem Auge unsere heutige Land¬ schafterei wahrscheinlich ungenießbar waͤre, diese Bil¬ der verstanden und genossen und darin unserer Zeit einen Vortheil beneidet haͤtten. Haushohe Glas¬ fenster wurden hier gebrannt und zusammengesetzt in einem Farbenfeuer und mit solch bewußtem Ge¬ schmacke, daß sie gegen die alten Reste, die wir besitzen, als eine neue That gelten konnten, und was die Gemaͤldesammlungen des Staates an seltenen und unersetzbaren Schaͤtzen auf verwit¬ terter Leinwand bewahrten, wurde zur Erhaltung von bewaͤhrten Arbeitern mit anspruchlosem Fleiße auf Porzellanplatten und edle Gefaͤße getreu uͤber¬ getragen mit einer Kunst, die man selbst vor zwanzig Jahren nicht geuͤbt hatte. Neue bedeut¬ same Sammlungen entstanden auf diese Art. Nachdem nun, was eine Stadt baut und ziert und von ihr liebend gehegt wird, vorangegangen, trat gewissermaßen die Stadt selbst auf, wenn der nun folgende Zug von jenem irgend noch zu trennen ist; denn beide zusammen machten ja das Ganze aus, und sein ruͤhmliches Wohl kannte nur Einen Boden fuͤr seine Wurzeln. Von zwei baͤrtigen Helebardirern begleitet wurde das große Stadtbanner getragen. Hoch trug der kecke Traͤger im weiß und rothen, uͤppig geschlitzten Kleide die wallende Fahne, die eine Faust stattlich in die Seite gestemmt und anmu¬ thig den Fuß vorsetzend. Alsdann kam der Stadt¬ hauptmann, kriegerisch prachtvoll in roth und schwarz gekleidet, mit einem Brustharnisch ange¬ than und den Kopf mit breitem, von Federn wo¬ genden Baretthute bedeckt. Ihm folgten gleich die beiden Buͤrgermeister, staatsmaͤnnischen und weisen Ansehens, dann der Syndikus und die Rathsherren, unter denen manch ein im weiten Reich angesehener und dem¬ selben ersprießlicher Mann war. Von den beiden Stadtschreibern, welche neben einander gingen, war der eine schmaͤchtige Schwarz¬ gekleidete, mit der schoͤn geschnitzten Elfenbein¬ brille auf der Nase, in Wirklichkeit der Literator der Kuͤnstlerschaft und der gelehrte Beschreiber des Festes. Sein ruͤhmliches Gedenkbuch ist un¬ serem Gedaͤchtniß dankbar zur Huͤlfe genommen. Den Schluß bildeten nun die festlichen Reihen der ehrbaren Geschlechter. Seide, Gold und Ju¬ welen glaͤnzten hier in schwerem Ueberfluß. Diese kaufmaͤnnischen Patricier, deren Guͤter auf allen Meeren schwammen, die zugleich in kriegerischer Haltung mit dem selbst gegossenen trefflichen Ge¬ schuͤtze ihre Stadt vertheidigten und an Reichs¬ kriegen Theil nahmen, uͤbertrafen den Adel an Pracht und Reichthum und unterschieden sich von ihm durch Gemeinsinn und sittliche Wuͤrde, vom gemeinen Buͤrger aber durch weitsehenden Blick und umfassenden erhaltenden Sinn. Ihre Frauen und Toͤchter rauschten wie große lebende Blumen einher, und die Damen mußten sich selbst gestehen, daß man vor vierhundert Jahren sich auch zu putzen wußte. Einige gingen mit goldenen Netzen und Haͤubchen um die schoͤn gezoͤpften Haare, andere mit federwallenden Baretten und Huͤten; manche die Bruͤste straff in Goldstoff und Perlen¬ stickerei gespannt, zwei Rubinen auf den hoͤchsten Punkten, mit feinstem Linnen den Hals umschlos¬ sen, manche aber mit praͤchtig entbloͤßten Schul¬ tern, von koͤstlichem Rauhwerk eingefaßt. Das Fremde und Eigensinnige im Schnitt der Gewaͤn¬ der entstellte nicht, wie sonst verjaͤhrte oder un¬ kluge Moden, sondern es schmuͤckte auf das Hoͤchste und berauschte den Blick durch Eigenthuͤmlichkeit und Phantasie. Diese Trachten waren allerdings den klassischen einfachen Gewandmassen griechischer Welt gerade entgegengesetzt; aber nichts desto minder verkuͤndeten sie eine kecke Freude am Leben und am Leiblichen, nur daß der persoͤnliche Sinn, der im Christenthume liegt, sich in den wunderlich ausgedachten Umspannungen und Angehaͤngseln des schoͤnen Koͤrpers zeigte. Ueberhaupt machte der ganze Festzug durch die bloße Tracht, welche auf das Genaueste wie¬ dergegeben war, einen ganz anderen Eindruck, als unsere neuesten froͤmmelnden Romantiker in ihren unkundigen und siechen Schilderungen des Mittel¬ alters beabsichtigen. Inmitten diesen glaͤnzenden Reihen gingen einige venetianische Patricier und Maler, als Gaͤste gedacht, poetisch in ihre waͤlschen, purpurnen und schwarzen Maͤntel gehuͤllt um Haupt und Schultern. Diese Gestalten lenkten trefflich die Vorstellungskraft auf die Lagunenstadt und von da in's ungemessene Weite an die Kuͤsten der alten und neuen Welt, um von da wieder zuruͤckzukeh¬ ren zur spitzbogigen Wunderstadt mitten im Fest¬ lande. Trompeter und Pauker, gefolgt von drei Zug¬ fuͤhrern in Gold und Schwarz mit dem Reichs¬ adler, eroͤffneten jetzt den Zug des Kaisers und Reiches, mit Allem was dieses an Tapferkeit und Glanz um jenen geschaart hatte. Ein Haufen Landsknechte mit seinem robusten Hauptmann gab sogleich ein lebendiges Bild jener Kriegszeit und ihres unruhigen, auf Abenteuer gehenden, wilden und doch sanglustigen kindlichen Volksthumes, Diese frommen Landsknechte, einen Wald von achtzehn Schuh langen Spießen tra¬ gend, sahen sehr unfromm aus in ihrer bunten, aus aller Herren Laͤndern zusammengeraubten Tracht. Die rechte und linke Seite an demselben Mann war nicht nur ungleichfarbig, sondern auch ungleich geschnitten; das rechte Bein, der linke Arm steckten in ungeheuer aufgebauschten, fabel¬ haft zerschlitzten und bebaͤnderten Gewandstuͤcken, waͤhrend der rechte Arm und das linke Bein in knappester Umhuͤllung sich formten. Der Eine trug Hals und Schultern nackt und sonnenver¬ brannt, der andere mit einem erbeuteten Panzer¬ stuͤck bedeckt; diesem saß das leichtfertig gekerbte Barett schief auf dem Kopfe, indessen die langen angehaͤuften Federn ihm unten an die Kniekehle schlugen; Jener hatte es auf dem Ruͤcken haͤngen und schleifte die gestohlenen Federn gar am Bo¬ den. Sonst nannten sie nichts ihre, als den sicheren Tod im Felde, und auf dies schlimme Gut, auf Wein und Weibsbilder und etwa noch auf ihren geliebten Fuͤhrer Frundsberg dichteten sie die artigsten Liedchen. In diesen weithinzie¬ henden Fußknechten sah der innere Blick Berg und Thal, Waͤlder, Burgen und Vesten, deutsches und waͤlsches Land sich ausbreiten, nachdem die schoͤngebaute, mauergeschuͤtzte und maßvolle Stadt sich vorhin kund gethan. Vier Edelknaben mit den Wappenschildern von Burgund, von Holland, von Flandern und von Oesterreich, dann vier Ritter mit den Ban¬ nern von Steyer, Tyrol, Habsburg und mit dem kaiserlichen Paniere folgten; dann ein Schwert¬ traͤger und zwei Herolde mit dem schwarzen Dop¬ peladler auf dem goldenen Brust- und Ruͤckentheil ihrer Roͤcke. Auf die Flamberge tragende Leib¬ wache des Kaisers kam eine zarte Schaar Edel¬ knaben in kurzen goldstoffenen Waͤmsern, goldene Pokale tragend, dem kaiserlichen Mundschenk vor¬ auf. Ebenso gingen gruͤne Jaͤger und Falkoniere dem Oberjaͤgermeister voran, und wiederum Edel¬ knaben dem Kaiser selbst. Fackeltraͤger mit vergitterten Gesicht umgaben diesen. Rock und Hermelinmantel von schwarz¬ durchwirktem Goldstoff, einen goldenen Brusthar¬ nisch tragend, nebst goldenem Schwert in rother Sammetscheide, und auf dem Barett den koͤnig¬ lichen Zackenreif, ging Maximilian I . heroisch da¬ her, das edle Angesicht auf das Heldenmuͤthige, Ritterhafte, Gemuͤth- und Sinnreiche gerichtet. So konnte man sagen selbst bei diesem lebenden Konterfei. Denn es hatte sich fuͤr das Bild des Kaisers ein junger Mann aus den fernsten Gauen des ehemaligen Reiches eingefunden, der, ein merk¬ wuͤrdiges Naturspiel, von edler Haltung und edlem Angesicht, wie dazu geschaffen war, ganz dasselbe offene, mannhafte und angenehme Gesicht, die starke gebogene Nase, die bei den besseren Habs¬ burgern immer angenehm hervortretende Unter¬ lippe und das kraͤftige schlichte, rund um den Kopf gleichgeschnittene Haar. Unmittelbar hinter dem Kaiser ging sein lusti¬ ger Rath Kunz von der Rosen, aber nicht gleich einem Narren, sondern wie ein kluger und wehr¬ barer Held launiger Weisheit. Er war ganz in rosenrothen Sammet gekleidet, knapp am Leibe, aber mit weiten ausgezackten haͤngenden Ober¬ aͤrmeln. Auf dem Kopfe trug er ein azurblaues Barett mit einem Kranze von je einer Rose und einer goldenen Schelle; an der Huͤfte aber hing an rosenfarbenem Gehaͤnge ein breites langes Schlachtschwert von gutem Stahl. Wie sein Held 17 * und Kaiser war er nicht sowohl ein Dichter, als was schoͤner ist, selbst ein Gedicht. Der Erbschenk von Kaͤrnthen und Statthalter der inneroͤsterreichischen Lande, Sigmund von Dietrichstein, der als vertrautester und treuester Rath Maximilian's zu dessen Seite begraben liegt, und der zum tuͤchtigen Feldherrn gediehene ge¬ lahrte Doktor der Rechte, Ulrich von Schellenberg, eroͤffneten nun die lange Reihe dessen, was die Tafelrunde Maxens an glaͤnzenden Ritter- und Fuͤrstengestalten aufzuweisen hatte. Da schritt in Stahl gehuͤllt und waffenklirrend einher, was von der Luͤneburger Haide bis zur alten Stadt Rom, von den Pyrenaͤen bis zur tuͤrkischen Donau ge¬ fochten, geblutet und gesiegt hatte. Schlachten und harte Belagerungen, Schießen, Mauerbrechen, Haͤngen und Koͤpfen, ritterlich treues Leben und ruhmreiche Thaten knuͤpften sich an die Namen aller dieser Kaͤmpen, welche alle jedoch von den rastlosen wunderbaren Abenteuern und Thaten des einzigen Kaisers uͤbertroffen wurden. Den Feldherrnstab auf die Huͤfte gestuͤtzt, trat zuerst auf Georg von Frondsberg, allein schon eine ganze Kriegszeit und Historie. Das Schwert Franz I . von Frankreich wurde ihm auf goldenem Kissen vorangetragen mit der Inschrift: Pavia 1525 . Ein baͤrtiger Landsknecht trug seine Helle¬ barte; denn er liebte es, mit gutem Werkzeug in der Schlacht hie und da selbst mit einigen Strei¬ chen nachzuhelfen und auszubessern, wie ein guter Handwerksmeister, und man sah ihn dann dergestalt handtieren, daß er mit jedem Schlage einen Mann niederschlug und dazu hauchte, wie ein Holzhacker. Ein Bergschuͤtz aus seinem Stammland Tyrol, mit Armbrust, Koͤcher, Panzerhemd und Schwert, trug seinen Wappenschild. Ihm folgte ein hoher gewaltiger Ritter, Her¬ zog Erich von Braunschweig; seinen Stahlhelm zierte die Herzogskrone, aus welcher ein schillern¬ der Busch von Pfauenfedern empor schwankte, und uͤber diesem schwebte hoch ein goldener Stern. Voraus ging ein Edelknabe mit einer boͤhmischen Fahne, auf welcher geschrieben stand: Regens¬ burg 1504 . Die wilde Boͤhmenschlacht, in wel¬ cher er dem Kaiser das Leben gerettet, trat hiemit vor das geistige Auge. Schwer an Erinnerung und Bedeutsamkeit folgte Franz von Sickingen, in Eisen gehuͤllt, mit seinem langen, gerechten und Freiheit liebenden Schwert, seinem langen Arm. Ein Edelknabe trug die Fahne der Picardie voran mit der In¬ schrift: Bouillon 1518 . Zwei geharnischte Reiterknechte gingen hinter ihm mit Waffen und Schild, der seinen Wahlspruch glaͤnzen ließ: Got¬ tes Freund , aller Welt Feind . Er selbst aber sah wohl aus wie der, welcher in der Noth eines blutigen wilden Belagerungstodes im Har¬ nischkasten begraben wurde. Wilhelm von Roggendorf und Graf Niklas Salm, jener von maurischen Siegeszeichen und der Inschrift: Berg Spadan 1522 , dieser mit tuͤrkischen und der Inschrift: Wien 1529 begleitet, gaben das Bild einer schoͤnen Helden¬ freundschaft. Denn der Eine, welcher als Juͤng¬ ling in die Waffenlehre des Anderen gegeben ward, wurde in seltsam leidenschaftlicher Umkeh¬ rung des Weltlaufes der jugendliche Schwieger¬ vater des Heldengreises, der seine Tochter liebte und auch vor ihm, in heißer Tuͤrkenschlacht in seinen Armen starb. Beide aber ruhen in der¬ selben Gruft. Dem Grafen Andreas von Sonnenburg ward die franzoͤsische Fahne mit der Inschrift: Guine ¬ gaste 1479 vorgetragen. Ein Bergschuͤtz aus seiner tyrolischen Grafschaft, in Panzerhemd und Jaͤgerhut, mit breitem Guͤrtel, langem Bogen und Koͤcher folgte und trug den Schild mit dem alten schwaͤbischen Wappen, zu Ehren seines Ahn¬ herrn, der den letzten Hohenstaufen im Tode bei¬ stand. Dem Fuͤrsten Rudolph von Anhalt ging eine Fahne mit der Inschrift: Stuhlweißenburg 1490 voran, und seine Knappen trugen Lanze und Schild mit den Worten: Anhalt das treue Blut . Und endlich trug dem in blauer Ruͤstung und schwarzem Helmbusch schreitenden Marx Sit¬ tich von Hohenems ein Edelknabe die venetianische Fahne mit der Inschrift: Verona 1516 voran. Jetzt erschienen die gelehrten Raͤthe des Kai¬ sers; allein gleich der erste derselben, der beruͤhmte Wilibald Pirkheimer war wieder ein Stuͤck Krieg, und nicht nur Schriftsteller, Alterthumskenner und Beschuͤtzer aller Gelehrten und Kuͤnstler, son¬ dern auch zuweilen Feldherr; der edle und treue Freund Duͤrer's fuͤhrte eine Kriegsschaar seiner Vaterstadt Nuͤrnberg, ein zweiter Xenophon, gegen die Schweizer im Schwabenkriege; und der ge¬ lehrte Mann mußte sich freilich mit noch bewaͤhr¬ teren Kriegsfuͤrsten troͤsten, wenn er in dieser schlimmen Gegend nicht die Lorbeeren holte, wie auf den ruhigen Gefilden der Wissenschaft. Melchior Pfinzing, Verfasser des Teuerdank, und Marx Treitzsauerwein, der Geheimschreiber des Kaisers und Ordner des Weißkuniges, erschie¬ nen als die Zeugen der sinnreichen und fabelwei¬ sen Gemuͤthsrichtung des roͤmischen Koͤnigs. Ein reicher Hof von Rittern und Edelfrauen und endlich ein einsamer fahrender Ritter, gehar¬ nischt und die Zither uͤber der Schulter, schlossen das Gefolge des Kaisers, welches ein zweiter Haufen Landsknechte von dem folgenden Zuge trennte. Auch diese Ritter- und Kriegswelt, von fried¬ lichen Kuͤnstlern dargestellt, zeigte sich dessen un¬ geachtet wahr und wesentlich, getragen von statt¬ lich koͤrperlicher Befaͤhigung. Hier waren vor¬ zugsweise die in maͤnnlicher Reife, Kunst und buͤrgerlicher Stellung vorgeruͤckten Mitglieder ver¬ treten, deren durch ruͤstiges und gelungenes Schaf¬ fen erreichter Wohlstand die kostbaren Gewaͤnder moͤglich machte. Sie trugen mit kriegerischem Anstand die reichgeschmiedeten Ruͤstungen aus dem Zeughause, und die kecken, mannigfach geschnitte¬ nen Baͤrte schienen weniger die Zeichen malerischen Behabens, als die Zierden wirklich thatenreicher Kaͤmpen zu sein. Da nun aber jeder einzelne Mann nicht etwa ein schoͤngewachsenes Schema, ein bloßer Statist, sondern eine bedeutende Per¬ soͤnlichkeit, ein rechter Schmied seines Gluͤckes war, der aus diesem, der aus jenem Winkel deut¬ schen Volksthumes hervorgekommen, so mußte man beim Anblick so Vieler unwillkuͤrlich die Hoff¬ nung fassen, daß ein solches Volk doch noch zu was Anderem faͤhig sei, als zur Darstellung der Vergangenheit, und daß diese koͤrperliche Wohlge¬ stalt, welche so aͤhnliche Bilder todter Helden und Kaiser zeigte, unausbleiblich einst die wahren Kai¬ ser, die rechten Schmiede und Herrscher des eige¬ nen Geschickes, die selbstaͤndigen Maͤnner der Zu¬ kunft hervorbringen werde. Waͤhrend die Schaaren aller bisher Voruͤber¬ geschrittenen weithin dem Blicke entschwanden und im weiten Rundgange sich kreuzten, rauschte und tanzte jetzt die Mummerei heran, in welcher alles, was die Kuͤnstlerschaft an uͤbermuͤthigen Sonder¬ lingen, Witzbolden, seltsamen Luͤckenbuͤßern und Kometennaturen in sich hegte, Platz gewaͤhlt hatte. Der Mummereimeister Peter von Altenhaus eroͤffnete auf einem launischen Esel den traͤumeri¬ schen Zug, und hinter ihm kollerten die altdeut¬ schen Narrengestalten, die zierlichen bunten Nar¬ ren Gylyme, Poͤck und Guggerillis und die verwachsenen Schaͤlke Metterschi und Duweindel daher nebst vielen anderen Narren, welche aber nie beisammen blieben, sondern unaufhoͤrlich zwi¬ schen den Gruppen des Zuges herumfuhren. Dann kam der bekraͤnzte Thyrsustraͤger, wel¬ cher die behaarte, gehoͤrnte und geschwaͤnzte Mu¬ sikbande fuͤhrte. In ihren Bockshaͤuten nach der eigenen Musik huͤpfend und hopsend, brachten diese Gesellen eine uralte, seltsam schreiende und brummende Musik hervor, bald in der Octave, bald in lauter Quinten pfeifend und schnarrend, jetzt in schwindelnder Hoͤhe, dann in der tiefsten Tiefe. Mit goldenem umlaubten Thyrsusstabe schritt der Anfuͤhrer des Bacchuszuges vor. Ein Kranz blauer Trauben umschattete tief seine gluͤhende Stirn; von den Schultern flatterte und wallte eine festliche Last buntgestreifter Seidenbaͤnder bis auf die Fuͤße und verhuͤllte wehend den unbeklei¬ deten Koͤrper. Nur die Fuͤße waren mit goldenen Sandalen versehen. In biblischer Erinnerung trugen hierauf, um¬ tanzt von halb mittelalterlich, halb antik geschuͤrz¬ ten Winzern mit Kruͤgen, Traubenbutten, die zwei Kundschafter aus dem gelobten Lande an schwer gebogener Stange die große Traube. Vier noch kernhaftere Maͤnner trugen an vier aufrech¬ ten Fichten eine noch viel groͤßere Traube. Auch der dicke Silen, welcher unbehuͤlflich und aͤngstlich zu Fuß ging und die tobende Schaar von Schen¬ ken, Faunen und Winzern, welche den Wagen des Bacchus zogen, schoben und umschwaͤrmten, III. 18 Schalen, Becken und Staͤbe zusammenschlagend, waren halb modern, halb mythologisch gekleidet Selbst der junge, epheubekraͤnzte Bacchus, sonst ganz nackt, trug mittelalterlich gedacht ein zier¬ liches Kuͤferschuͤrzchen um die runden Huͤften. Eine Rebenlaube woͤlbte sich und die dichten Trau¬ ben bildeten einen dunkelblauen Himmel uͤber ihm, in den er sehnsuͤchtig hineinlaͤchelte. Es war ein schoͤner rosiger Juͤngling mit schwarzgelocktem Haar. Koͤnige mit Krone und Scepter, zerlumpte Bettler mit dem Schnappsack, Pfaffen und Juden, Tuͤrken und Mohren, Knaben und weiße Greise zogen nun den Triumphwagen der Venus herbei. Diese war Niemand anders als die schoͤne Rosalie in aller Anmuth ihres rosig lachenden Wesens. Sie ruhete auf einem Rosenlager unter durchsich¬ tiger Blumenlaube, in ein seidenes antikes Pur¬ purkleid gehuͤllt, mit bloßen Armen und Fuͤßen. Ueber der Stirn strahlte ein goldener Stern aus den dunklen Locken, in der Hand hielt sie eine goldene Weltkugel, auf welcher zwei silberne Taͤubchen saßen, die mit den Fluͤgeln schlagend sich schnaͤbelten. Zwei Kreuzfahrer gingen unter den Gefangenen der Venus zu beiden Seiten des Wagens und gereichten ihr mit aufmerksamer Haltung zu besonderem Schutzgeleit. Sie aber sah sich dann und wann begierig und laͤchelnd um, da gleich hinter ihrem Wagen der biedere Erikson, welcher den Zug der Diana anfuͤhrte, als wilder Mann einherschritt, seinen kraftvollen schoͤnen Koͤrper nur um Lenden und Stirn mit dichtem Eichenlaub geziert; er uͤberragte um einen Kopf seine Umgebung, obgleich noch manche statt¬ liche Gestalt dabei war. Viele Jaͤger folgten ihm mit gruͤnen Zweigen auf Huͤten und Kappen, die großen Hifthoͤrner mit Laubwerk umwunden, das Jagdkleid aber mit Iltisfellen, Luchskoͤpfen, Reh¬ pfoten und Eberzaͤhnen besetzt. Einige fuͤhrten Ruͤden und Windspiele, einige, mit Gebirgsschuhen und Steigeisen am Guͤrtel, trugen Gemsboͤcke auf dem Ruͤcken, andere Auerhaͤhne und Buͤndel von Fasanen und wieder andere auf Bahren Schwarzwild und Hirsche mit versilberten Hauern, Geweihen und Pfoten. Dann trug eine Schaar trotziger wilder Maͤnner einen wandernden Wald belaubter Baͤume aller Gattung, in welchen Affen, 18* wilde Katzen und Eichhoͤrnchen kletterten und Voͤ¬ gel nisteten. Durch die Staͤmme dieses Waldes aber sah man bereits die silberne Gestalt der schmalen Diana schimmern, der lieblichen Agnes, wie sie von Ferdinand geschmuͤckt worden war. Ihr Wagen war von allem moͤglichen Wilde be¬ deckt und dessen Koͤpfe umkraͤnzten ihn mit ver¬ goldetem Gehoͤrn und bunten Federn. Sie selbst saß mit Bogen und Pfeil auf einem bemosten Fels, aus welchem ein lebendiger Quell in ein natuͤrliches Becken von Tropfsteinen sprang, an welches die wilden Maͤnner und Jaͤger sich manch¬ mal durstig niederbeugten und aus der Hand tranken. Agnes war in ein Gewand von Silberstoff gekleidet, welches bis tief auf die Huͤften ganz anliegend war und alle ihre geschmeidigen Formen wie in Silber gegossen erscheinen ließ. Die kleine klare Brust war wie von einem Silberschmied zierlich getrieben. Vom Schooße abwaͤrts aber, der von einem gruͤnen Guͤrtel mehrfach umwun¬ den war, floß das Gewand weit und faltig, mehr¬ fach geschuͤrzt, doch bis auf die Fuͤßchen, welche mit silbernen Sandalen keusch hervorguckten. Im schwarzen, griechisch geknuͤpften Haare machte sich mit Muͤhe die strahlende Mondsichel sichtbar, und wenn sich Agnes nur ein bischen regte, so wurde sie von den dunklen Locken zeitweise ganz bedeckt. Ihr Gesicht war weiß wie Mondschein und noch bleicher als gewoͤhnlich; ihr Auge flammte dunkel und suchte den Geliebten, waͤhrend in dem silber¬ glaͤnzenden Busen der kuͤhne Anschlag, den sie gefaßt, pochte und rumorte. Ferdinand aber, welcher das Gewand eines jagdliebenden Koͤnigs gewaͤhlt hatte, um der Diana nahe zu sein, hatte sich laͤngst unter den Triumph¬ zug der Venus gemischt, betrachtete sie wie ein Traͤumender unverwandt und wich keinen Schritt von ihrem Wagen, ohne sich dessen inne zu wer¬ den; denn kaum hatte er Rosalien beim Beginne des Festes gesehen, so ließ er Agnes, die er ge¬ schmuͤckt und so eben auf den Wagen gehoben, wie sie war, und folgte jener gleich einem Nacht¬ wandler. Heinrich hatte sich in ein laubgruͤnes Narren¬ kleid gehuͤllt und trug einen Jagdspieß statt des Kolbens; um die Schellenkappe hatte er ein Ge¬ flecht von Stachelpflanzen und Stechpalme mit ihren rothen Beeren geschlungen als eine gruͤnende Dornenkrone. Was er damit wollte, wußte er selbst kaum zu sagen; es war eine mehr unwill¬ kuͤrliche Geschmacksaͤußerung, welche der innersten Seelenstimmung entsprang. Er ging, nur hie und da sich umsehend und durch den wandelnden Wald huschend, immer der Diana zur Seite, da sonst kein Befreundeter um sie war; denn Erik¬ son, der wilde Mann, hielt sein Auge auf Ro¬ salien und Ferdinand gerichtet, ohne indessen stark aus seiner Gemuͤthsruhe zu gerathen. Als nordisches Maͤhrchen folgte diesen suͤdlichen Bildern der Zug des Bergkoͤnigs. Ein ansehn¬ liches Gebirge von glaͤnzenden Erzstufen und Kry¬ stallen war auf seinem Wagen errichtet und dar¬ auf thronte die riesige Gestalt in grauem Pelz¬ talar, den schneeweißen Bart, wie das Haar bis auf die Huͤften gebreitet und diese davon umwallt. Das Haupt trug eine hohe goldene Zackenkrone. Um ihn her schluͤpften und gruben kleine Gno¬ men in den Hoͤhlen und Gaͤngen; dieses waren wirkliche kleine Buͤbchen; aber der kleine Berg¬ geist, welcher vorn auf dem Wagen stand, ein strahlendes Grubenlicht auf dem Koͤpfchen, den Hammer in der Hand, war ein kaum drei Span¬ nen hoher, ausgewachsener Kuͤnstler, aber dennoch ebenmaͤßig fein gebaut, mit maͤnnlich schoͤnem Gesichtchen, wundervollen blauen Augen und blon¬ dem Zwickelbart; das kleine Wesen, einem Zau¬ bermaͤhrchen gleichend, war nichts weniger als eine bloße Seltsamkeit, vielmehr ein wohlbewu߬ ter und ruͤhmlicher Maler. Hinter dem Bergkoͤnig auf demselben Wagen schlug der Praͤgemeister aus Silber und blankem Kupfer (statt des Goldes) kleine Denkmuͤnzen auf das Fest; ein Drache speiete sie in ein klingendes Becken und sie diesem entnehmend, warfen zwei Pagen » Gold « und » Silber «, die schimmern¬ den Muͤnzen, unter das schauende Volk. Ganz zuletzt und einsam schlich der Narr Guͤlichisch her, traurig und achselzuckend den ge¬ leerten Beutel schuͤttelnd, umkehrend und rings umher zeigend. Es war aber noch nicht ernst gemeint mit diesem Bedauern; denn dem nach¬ hinkenden Narren auf dem Fuße folgte wieder der glaͤnzende Anfang; wieder gingen die Zuͤnfte, das alte Nuͤrnberg, Kaiser und Reich und die Fabelwelt voruͤber, und so zum dritten Male, bis aller Augen sich an dem Gestaltenwechsel gesaͤttigt hatten. Dann schaarte sich die ganze Masse in ge¬ draͤngte Ordnung; die sangkundige Menge der Kuͤnstler ließ die Festlieder ertoͤnen und brachte dem vergnuͤgten wirklichen Koͤnige, in dessen Machtkreis zuletzt diese ganze Traumwelt hing, ein opferndes Lebehoch. Durch den Logensaal der koͤniglichen Familie, wo diese versammelt war, bewegte sich nun der ganze Zug und auf bedeckten Gaͤngen in die Residenz hinuͤber, durch deren Saͤle und Korridore, welche alle von beguͤnstigten Zu¬ schauern angefuͤllt waren. Als Heinrich in die Naͤhe des zufriedenen Koͤnigs kam, gedachte er jenes wunderlichen Auf¬ trittes, wo dieser ihm die Muͤtze heruntergeschlagen hatte. Er hatte ihn nie wieder so nahe gesehen bis jetzt, und ihm laͤngst verziehen; denn wenn die Koͤnige nicht beleidigt werden duͤrfen, so koͤn¬ nen sie auch nicht beleidigen noch beschimpfen, da ihre einsame Willkuͤr alle gewoͤhnliche Wirkung aufhebt. Doch mußte er jetzt lachen, als er sich vorstellte, wie schoͤn der Koͤnig sich nun vergreifen wuͤrde, wenn er ihm die stachlichte Schellenkappe abschlagen wollte. Muthwillig bot er ihm sein bestechpalmtes Haupt hin und sagte leise: He Koͤnig! schlag' mir die Kappe 'runter! Der Koͤ¬ nig sah ihn betroffen an, schien sich zu erinnern und sagte kein Wort. Heinrich sah ihn ernsthaft an, klingelte bedeutsam mit den Schellen auf sei¬ nem Kopfe und sprang davon. In den Gemaͤchern und Gaͤngen des Palastes, wie in den Gartenarkaden gingen die Kuͤnstler recht durch ihr eigenes Werk, das in vielfaͤltiger Gestalt, von Saͤulen, Waͤnden, Decken und Trep¬ pen, in Gold, Farben und Marmor sie umglaͤnzte. Und als sie uͤber den von Pechflammen erleuch¬ teten Platz zogen, durch das Gewoge des Stadt¬ volkes hin, ragte wieder uͤberall ihr Werk in Erz¬ bildern und hohen Gebaͤuden. Doch muͤndete nun der Zug in das benach¬ barte große Odeon und ergoß sich froh aufathmend in den zu Bankett und Spiel geschmuͤckten maͤch¬ tigen Saal. Mit Muͤhe gelang es den Fuͤhrern und Ceremonien-Meistern die Plaͤtze zu ordnen, da die traumhafte Selbsttaͤuschung auch hier fort¬ dauern und die Theilnehmer nach Rang und Be¬ deutung bankettiren sollten. Ein erhoͤhtes Halb¬ rund war mit des Koͤnigs kostbaren Teppichen, welche er sammt reichem Tischzeug, Silbergeschirr und goldenen Pokalen und Kannen aus seinen Kammern gegeben, bekleidet, um den Kaiser mit seinen Grafen und den Patriziern aufzunehmen. Mit großem Anstande nahmen sie Platz, und noch mehr, als der glaͤnzende Kaiser, welcher sich mit wirklich monarchischem Behagen gefiel, wußten sich die schoͤnen Damen in adelichem Thun zu ge¬ fallen. Die Mundschenken und Edelknaben aber dienten und warteten auf und fanden hierin, unter Lust und Scherz, ihre volle Zufriedenheit. An langen Tafeln saßen die Zuͤnfte und die Landsknechte; nur Albrecht Duͤrer hatte seinen Platz neben dem Kaiser, wo auch der majestaͤtische maͤhrchenhafte Bergkoͤnig ragte. Von hohen, mit goldgestickten Teppichen be¬ hangenen, blumenuͤberwoͤlbten Gallerien toͤnten die lauten Musikchoͤre, bald selbstaͤndig, bald die Ban¬ kettlieder begleitend; es war nicht ein Schuh von moderner prosaischer Kleidung im Saale, und selbst in den Nebengemaͤchern, wo noch viele klei¬ nere Kreise tafelten und zechten, sah man nichts als Mittelalter bis auf die Leute des Wirthes, welche alle kostuͤmirt waren. Darum verbreitete sich ein praͤchtig rauschender Strom der Freude uͤber die Menge, in welchem sie sich froh und auf¬ bluͤhend badete. Kaum konnte der Kaiser mit der schoͤnsten Dame den alterthuͤmlichen Fackeltanz eroͤffnen, bis die Reihen der Handwerksmaͤnner und Landsknechte, welche an den springenden gol¬ denen Weinquellen saßen, allmaͤlig sich zuruͤck¬ draͤngen ließen, und sie thaten es endlich um so williger, als die praͤchtigen Damen sich weigerten, mit den Schustergesellen und wilden Fußknechten zu tanzen. Denn die Schoͤnen hatten sich schon so tief in ihre Gewaͤnder hineingelebt, daß sie ver¬ gaßen, wie mancher der Verschmaͤhten von glei¬ chem Range mit ihnen war und obgleich er ein reinliches neues Schurzfell trug und in weißen Hemdsaͤrmeln ging, doch gleich ihnen sich freute, von einem wuͤrdigen Kaufmann, Professor oder geheimen Registrator abzustammen. Fuͤr den An¬ blick gewann jedoch durch diese Wunderlichkeit der Tanz an Schoͤnheit, als die Ritterpaare, Raum gewinnend, mit wogenden Federn und wehenden Maͤnteln in langsamem Walzer oder anderen Taͤnzen sich feierlich bewegten. Doch wurde der Tanz oͤfters unterbrochen durch die Schauzuͤge, welche in immer neuer Ge¬ staltungslust durch den Saal tosten. Bald er¬ schien der Mummenschanz, welcher nicht satt wurde, sich in neue Maͤhrchen umzubilden und seine einzelnen Theile fabelhaft zu vermischen, bald stuͤrmten die singenden Landsknechte vorbei, welche es so gut trieben, daß sich von diesem Feste her noch lang eine foͤrmliche Landsknechts¬ cultur erhielt in Bild und Lied, und deren Zech¬ weise und verlorenes Leben als das loͤblichste Bild deutscher Romantik erschien. Bald gaben die Zuͤnfte eine Schaustellung, bald fuͤhrten die Narren dem Kaiser ihre Schwaͤnke auf. Die Meistersaͤnger hielten in einem kleineren Saale bei offenen Thuͤren eine Singschule. Es wurde unter den zuͤnftigen Gebraͤuchen wettge¬ sungen, ein Schulfreund oder Singer zum Meister gesprochen u. dergl. Die vorgetragenen Gedichte enthielten Lobpreisungen und Danksagungen gegen den kunstsinnigen Koͤnig, dann aber hauptsaͤchlich Hecheleien der verschiedenen Kunstrichtungen, Ver¬ spottung irgend einer anmaßlichen oder eigensin¬ nigen Gestalt der Kuͤnstlerschaft, Klagen uͤber Verwaltung gemeinsamer Anstalten, gesellige Uebelstaͤnde und solches mehr. Es war so zu sagen eine allgemeine Abrechnung, und vorsorg¬ lich hatte jede Richtung und jede Groͤße ihren Vertreter mit fertigem Gedicht unter die Meister¬ saͤnger gesteckt. Es erklangen oͤfter ganz scharfe und satyrische Verse, aber dieser Inhalt nahm sich hoͤchst seltsam aus in den trockenen und feier¬ lichen Formen, in denen er vorgebracht wurde, und mit dem komischen Wesen dieser Formen. Denn waͤhrend alle Singenden in demselben ein¬ toͤnigen und schalkhaften Leierton ihr Gedicht san¬ gen, und in denselben Knittelversen, so wurde doch bei jedem vorher mit lautem Ausruf eine andere neue Weise angegeben, wie sie ehemals von den wackeren Meistersaͤngern erfunden und getauft wurden. Da wurde angeblich gesungen in der »glatten Seidenweise, der rothbacketen Oepfelinweise, der Strohhalmweise, der Schreib¬ papierweise, in der Stechpalmweise, suͤßen Pfir¬ sichweise, blauen Traubenweise, Silberweise, uͤber¬ hohen Bergweise, glitzerigen Thurngockelweise, Rosentonweise, spitzigen Pfeilweise, krummen Zin¬ kenweise, Orpheus sehnlicher Klagweise«, in der »gelben Loͤwenhautweise, stachlichten Igelweise«, in der »schwarzen Agatsteinweise, blauen Korn¬ bluͤmelweise«, wie in der »verschlossenen Helm¬ weise«. Das Gelaͤchter war groß, wenn nach diesen pomphaften, malerischen und poetischen Ankuͤndigungen sich immer der alte graͤmliche Leierton mit den trockenen Witzen hoͤren ließ. Aber nicht alle Gedichte waren dieses satyrischen Inhaltes. Einige blutjunge Meistersingerlein wagten es, ihre durch den lauschenden Frauen¬ kranz angeregten Gefuͤhle zu aͤußern und diese oder jene Gestalt nicht undeutlich zu besingen. Ein bluͤhendes Schuhmaͤcherlein pries, um Rache zu nehmen fuͤr den Stolz, welchen die Damen beim Tanz gezeigt hatten, sein heimliches Gluͤck bei mehr als einer goldenen Graͤfin, und sogleich nahm ein lustiger Schneiderlehrling den Kampf mit ihm auf in Festsetzung der Liebes- und Gluͤcksregeln im Frauendienst. Der Schuster be¬ hauptete, daß Tiefsinnigkeit, poetisches Wesen und stolze Bescheidenheit die Frauen gewaͤnnen; der Schneider hingegen verlangte zu solchem Gluͤcke Anmaßung, Muthwillen und leichtsinniges Auf¬ geben der eigenen Person. Hans Rosenpluͤth, der Schnepperer, aber schlichtete den Streit und erklaͤrte die Frauen fuͤr wunderliche Wesen, welche stets die eine Art liebten, wenn die andere gerade nicht zu haben waͤre, und daß beide abwechselnd ihres Gluͤckes genoͤssen. In einer schoͤn geschmuͤckten großen Nische war um Rosalien ein ordentlicher Venushof ver¬ sammelt. Zwei oder drei anmuthige Frauen hat¬ ten sich ihr zugesellt, weil es hier froͤhlich und galant herging und sich der ganze Schwarm der Gefangenen der Schoͤnheit mit großer Geschick¬ lichkeit und Aufrichtigkeit in seine Rolle fand. In einer anderen Nische, welche mit dieser durch eine offene Thuͤr verbunden war, hatten die Jaͤger ihren Sitz aufgeschlagen, und einige lustige junge Maͤdchen zur Gesellschaft der Diana herbeigelockt. Heinrich saß Agnes zur Seite und beschuͤtzte sie insbesondere. Erikson, der wilde Mann, ging ab und zu; er konnte seiner selt¬ samen Tracht wegen nicht wohl tanzen, noch sich in zu große Naͤhe der Frauen setzen und be¬ schraͤnkte sich daher, hier und dort einen Becher zu trinken oder an den improvisirten Spielen Theil zu nehmen. Fast bereute er, diese Rolle gewaͤhlt zu haben, und sah ziemlich unbehaglich, wie Ferdinand fort und fort Rosalien den Hof machte; sie hatte sich mit weißen Atlasschuhen versehen und tanzte zuweilen mit Ferdinand, der in seinem Hubertusgewande sehr wohl aussah und sich mit sicherem Anstande betrug. Er hatte einige kostbare Brillanten, Zeichen seines hollaͤn¬ dischen Reichthumes, in Ringen und Spangen angelegt, und die reiche Rosalie benahm sich ge¬ gen ihn mit der heiteren Ungezwungenheit, welche die gesicherten Reichen gegenseitig zu uͤben pflegen. Sie lachte, scherzte und strahlte von freundlichem Liebreiz, indem sie gegen Alle sich hold und froh zeigte, gegen Ferdinand aber ihre Unwissenheit beklagte und bedauerte, welche sie so lange von den wahrhaft frohen und klugen Kreisen der Kuͤnstler fern gehalten habe und sie selbst jetzt nur ihre Freude, nicht aber den Ernst ihrer Ar¬ beit verstehen lasse. Sie druͤckte sich aber mit so artigen und klugen Worten aus, daß Ferdi¬ nand von ihrem naiven, anmuthigen Geiste ent¬ zuͤckt wurde und immer weniger seine Blicke von ihr wandte oder von ihrer Seite wich. Es wehte ein suͤßer Hauch der Frauenhaftigkeit ihn an, wenn sie laͤchelte und sprach, und der Stern in ihren Locken glaͤnzte wirklich wie der Stern der Venus. Er fuͤhlte eine Fesselung aller Sinne, welche ihn alles Andere vergessen und alles Trachten auf das reizende Weib richten ließ, von dem sie aus¬ ging, als ob sonst kein Heil in Zeit und Ewig¬ keit zu finden waͤre. Bei den meisten Maͤnnern ist dies ein voruͤbergehendes inneres Begehren, eine rasche, allmaͤlig verwehende Aufwallung des III. 19 Denkens, die hundertmal entsteht und hundertmal verschwindet. Ferdinand war aber Einer von denen, welche, in allen anderen Dingen klar und besonnen, in diesem Einen Punkte die Verblen¬ dung und Aufwallung mit schrankenloser und un¬ verhuͤllter Selbstsucht kund geben. Rosalie lieh seiner beredten Aufmerksamkeit ein williges Ohr und blickte ihn dabei mit großem Wohlwollen an, nur zuweilen einen fluͤchtigen, aber zufriede¬ nen Blick auf die prachtvoll und maͤchtig geformte Gestalt Erikson's werfend, wenn er voruͤber ging, so daß dieser mit der Wahl seines Kostuͤmes sich ausgesoͤhnt, wenn er diese Blicke gesehen haͤtte. Er ließ aber den Unmuth nicht uͤber sich Herr werden, sondern betrug sich gleichmuͤthig und stolz, und nur wenn sein Blick denjenigen Ro¬ saliens traf, sah er sie mit großen fragenden Au¬ gen an. Agnes hatte schon lange stumm neben Hein¬ rich gesessen; sie wiegte trauernd, und den Busen von ungestuͤmem Schmerze bewegt, das schwarz gelockte Haupt auf den schmalen Silberschultern, und nur zuweilen schoß sie einen flammenden Blick zu Ferdinand und Rosalien hinuͤber, zuwei¬ len sah sie verwundert und wehmuͤthig hin, aber immer sah sie dasselbe Schauspiel. Heinrich, welcher aus Ferdinand's Betragen nicht klug wurde, indem ihm eine solche Unmit¬ telbarkeit des Wechsels und unter solchen Umstaͤn¬ den doch nicht glaubhaft schien, versank in tiefes Sinnen. Die vergangene Zeit kam uͤber ihn, und indem er an die bemalte Decke des Saales empor sah, erinnerte er sich jener Fastnacht, wo er unter dem freien Himmel der Heimath, auf luftigen Bergen unter Vermummten sich umgetrieben oder neben der todten Anna durch den Wald geritten. Er verfiel mehr und mehr auf das Andenken dieses guten Maͤdchens, und eine große Verliebt¬ heit erfuͤllte ihn, wie er sie lange nicht empfunden. Ein tiefer Seufzer weckte ihn auf, welchen die silberne Agnes neben ihm that, und sogleich schlossen sich seine Empfindungen, die aus dem Schattenreiche gleich Abendnebeln aufgestiegen, an diesen lebendigen Kern; er sah ihre seltsame Schoͤnheit und trank verwirrt aus seinem Wein¬ glase, als Agnes ihn ploͤtzlich aufforderte, mit ihr 19 * zu tanzen. Schon drehten sie sich rasch durch die rauschende Menge, und Jedermann lachte voll Vergnuͤgen, als der gruͤngekleidete Narr mit der elfengleichen Diana dahin walzte. Sie tanz¬ ten zwei und dreimal um den Saal und begeg¬ neten jedesmal der rosigen Venus, deren Pur¬ purgewand flog und den mit ihr tanzenden Lys zeitweise halb verhuͤllte. Dieser gruͤßte das Dia¬ nenpaar froh und zufrieden, wie man Kinder gruͤßt, welche sich gut zu unterhalten scheinen, denn er war in dieser Sache so verblendet, daß er sich vollkommen unverpflichtet und frei glaubte, bloß weil er mit dem armen Maͤdchen absichtlich noch nie von Liebe gesprochen hatte. Rosalie hingegen, welche von der fruͤheren Bewandtniß dieses Verhaͤltnisses nichts wußte, freute sich uͤber das zierliche Kind und verlangte dasselbe in ihrer Naͤhe zu haben, als Heinrich mit Anderen an einigen lustigen Spielen, die aufgefuͤhrt wurden, theilnehmen mußte. Kunz von der Rosen fuͤhrte an einem langen Seile alle vorhandenen Narren durch das Ge¬ draͤnge; jeder trug auf einer Tafel geschrieben den Namen seiner Narrheit, und von den leich¬ teren und liebenswuͤrdigeren Narrheiten schied der lustige Rath neun schwere aus und stellte mit ihnen vor dem Kaiser ein Kegelspiel auf. So standen da vor Aller Augen: Hochmuth, Neid, Vielwisserei, Grobheit, Eitelkeit, Wankelmuth in der Hoffnung, Halsstarrigkeit, thatlose Verglei¬ chungssucht und unfruchtbare Selbstbespiegelung. Mit einer ungeheuren Kugel, welche die leichteren Narren mit komisch heftigen Geberden herbei¬ waͤlzten, versuchte nun mancher Ritter und Buͤr¬ ger, nach den neun Narren zu schieben, aber nicht Einer wankte allen diesen Einzelwuͤrfen, bis endlich der kaiserliche, tadellose Held, in welchem sich gewissermaßen das ganze deutsche Volk dar¬ stellte, sie alle mit Einem Wurfe uͤber den Hau¬ fen warf, daß sie possierlich uͤbereinander purzelten. Kunz von der Rosen richtete die Gefallenen halb auf und ordnete sie zu einer plastisch-mimi¬ schen Darstellung der Niobiden-Gruppe, und von diesem Scherze ging er zur Bildung anderer beruͤhmten Gruppen uͤber; drei reizende, nicht voͤllig ausgewachsene Schuͤler im Narrenhabit stellten die Grazien dar, und das so anmuthig schalkhaft, daß sie, kaum auseinander gegangen, in den Kreis der Damen gelockt wurden, ohne zu wissen wie, und sich dort auf's liebreichste ge¬ schmeichelt und gehaͤtschelt sahen. Des gleichen Vorzuges genoß ein schoͤner Zwerg, der kleinere Bruder jenes Koboldes auf dem Wagen des Bergkoͤnigs, und welcher mit klassischem Anstande den sterbenden Fechter machte in seinem Schellen¬ kleidchen. Dann stellte Erikson den Laokoon vor durch maͤchtige Papierschlangen mit zwei jungen Narren verbunden. Als er in der beschwerlichen Stellung da saß und sich nicht ruͤhren durfte, indessen seine kraͤf¬ tigen Muskeln alle in wunderschoͤnem Spiele sei¬ ner Bewegung gehorchten, sah er, wie Rosalie, deren Augen unverwandt an ihm gehangen, fast gewaltsam von Ferdinand weggezogen und durch die Raͤume gefuͤhrt wurde. Er hielt es nun nicht laͤnger aus, und kaum von den Schlangen los¬ gewickelt, durchstuͤrmte er das Haus und bettelte sich von befreundeten Gestalten Gewandstuͤcke zu¬ sammen, die sie in der vorgeruͤckten Stunde nun wohl entbehren konnten, und warf sich dieselben hastig uͤber. Wunderlich gekleidet, theilweise ein Moͤnch, ein Jaͤger und ein wilder Mann, den Kopf noch gruͤn belaubt, suchte er die engere Ge¬ sellschaft auf und setzte sich dicht an die andere Seite Rosaliens; denn die Bacchusleute, die Jaͤ¬ ger und der Hof der Venus hatten sich nun in einem großen Kreise vereinigt, um bis zum na¬ henden Morgen gemeinsam zu jubiliren, und Ferdinand wich nicht von der Seite der schoͤnen Wittwe. Mit der groͤßten Tollheit fuhr er fort, ihr den Hof zu machen, obgleich er die Hoff¬ nungen Erikson's wohl kannte. Dieser saß und lauschte seinen Worten, ohne daß er sich seine Unruhe anmerken ließ und ohne seine Schoͤne zu be¬ laͤstigen, welche ebenfalls fortfuhr, Ferdinand's Huldigungen ihre Freundlichkeit entgegen zu setzen und sich von ihm aufs Angenehmste unterhalten zu lassen. Erikson besorgte wohl, daß der Teufel sein Spiel treiben und ihm die Jagd verderben koͤnnte; aber als ein erfahrener Jaͤger verharrte er unbeweglich auf dem Anstande, weil ihm das zu erjagende Wild zu kostbar und edel war, als daß er sich durch Leidenschaftlichkeit verwirren wollte. Gegenuͤber an dem großen Tische saß Agnes, welche den gruͤnen Heinrich aͤngstlich bei sich fest¬ hielt, da er Ferdinand's Freund und das einzige Band war, welches sie mit diesem Ungetreuen einigermaßen zusammenhielt. Alles freute und er¬ goͤtzte sich, klang und jubelte in gewichtiger rau¬ schender Pracht um sie her, nur sie allein ver¬ z ehrte sich in ungestillter Begierde. Die Nacht naͤherte sich ihrem Ende, und statt die gehoffte Liebesentscheidung zu bringen, sah sie ihr Gluͤck deutlich entfliehen. In der schmerzlichsten Aufregung verlangte sie wieder zu tanzen und zog Heinrich fort. Die¬ ser berauschte sich, indem er sie zum Tanze um¬ fing, an ihrem Anblick; ein heftiges Begehren wallte durch seinen ganzen Koͤrper, daß der aͤußerste Zipfel an seiner gruͤnen Kappe erzitterte und die Schelle daran leise erklang. Als aber Agnes ploͤtzlich anhielt, ihm die Hand auf die Schulter legte und leidenschaftlich schmeichelnd bat, er moͤchte doch sogleich hingehen und Ferdi¬ nand bitten, daß er nur ein Mal mit ihr tanze, lief er gehorsam, ja eifrig hin, zog seinen Freund zur Seite und beschwor ihn mit zaͤrtlichen Wor¬ ten, es zu thun. Lys bat ihn angelegentlich, statt seiner mit Agnes zu tanzen, und entzog sich ihm rasch. Die beiden jungen Leute drehten sich nun wieder heftig und lustig herum. Das Maͤdchen athmete so hoch, daß die schmale Spanne ihrer Silberbrust wogte und funkelte, wie die glaͤn¬ zenden Wellen im Mondschein, und alle Gloͤckchen an Heinrich's Kleid und Kappe zitterten und klangen. Abermals sandte sie ihn zu Ferdinand mit dem naͤmlichen Auftrag, und da Heinrich diesen mit eindringlichen und tadelnden Worten, sehr aufgeregt, ausrichtete, fuhr ihn jener an und sagte: Was ist denn das fuͤr eine Sitte von einem jungen Maͤdchen? Tanzt mit einander und laßt mich zufrieden!« Heinrich fuͤhlte sich halb erzuͤrnt und halb erfreut uͤber diese Antwort, und die daͤmonische Lust, eine schlimme Sachlage zu benutzen, stieg in ihm auf; doch bis er zu dem harrenden Maͤd¬ chen gelangte, siegte das Mitleid und die natuͤr¬ liche Artigkeit, und er hinterbrachte ihr nicht Ferdinand's harte Worte, sondern suchte sie zu vertroͤsten. Noch einmal tanzten sie und noch bewegter und ungestuͤmer herum, und noch einmal sandte sie ihn zu dem Wankelmuͤthigen und ließ diesen bitten, sie nach Hause zu bringen. Ferdinand eilte jetzt sogleich herbei, besorgte den warmen Mantel des Maͤdchens und ihre Ueberschuhe, und als sie gut verhuͤllt war, fuͤhrte er sie unter die Hausthuͤr, legte ihren Arm in denjenigen Heinrich's und bat diesen, indem er sich von Agnes in freundlich vaͤterlichem Wohl¬ wollen verabschiedete, seine kleine Schutzbefohlene recht sorgsam und wacker nach Hause zu geleiten. Zugleich verschwand er, nachdem er Beiden die Haͤnde gedruͤckt, wieder in der Menge, welche die breite Treppe auf und nieder stieg. Da standen sie nun auf der Straße; der Wagen, welcher sie hergebracht, war nicht zu finden, und nachdem Agnes traurig an das er¬ leuchtete Haus, in welchem es sang und klang, hinaufgesehen, kehrte sie ihm noch trauriger den Ruͤcken und trat, von Heinrich gefuͤhrt, den Ruͤck¬ weg an durch die stillen Gassen, in denen der Morgen graute. Sie hielt das Koͤpfchen tief gesenkt und ver¬ mochte nicht auf den Mantel Acht zu geben, wel¬ cher alle Augenblicke von den Schultern sank, so daß ihr feiner Oberkoͤrper durch das Zwielicht schimmerte, bis Heinrich sie wieder verhuͤllte. In der Hand trug sie unbewußt den großen eisernen Hausschluͤssel, welchen ihr Lys in der Zerstreuung zugesteckt, statt ihrem Begleiter. Sie trug ihn fest umschlossen in dem dunklen Gefuͤhle, daß Ferdinand ihr das kalte rostige Eisen gegeben. Als sie bei dem Hause angekommen waren, stand sie schweigend und ruͤhrte sich nicht, obgleich Heinrich sie wiederholt fragte, ob er die Glocke ziehen sollte, und erst als er den Schluͤssel in ihrer Hand entdeckte, aufschloß und sie bat, hin¬ einzugehen, legte sie ihm langsam die Arme um den Hals und kuͤßte ihn, aber wie im Traume und ohne ihn anzusehen. Sie zog hierauf die Arme enger zusammen und kuͤßte ihn heißer und heißer, bis Heinrich unwillkuͤrlich sich regte und sie auch in die Arme schließen wollte. Da er¬ kannte sie ihn, eilte wie wahnsinnig in's Haus und schlug die Thuͤr zu. Heinrich hoͤrte, wie sie, die Treppe hinaufgehend, sich wiederholt an den Stufen stieß. Alles war dunkel und still in dem romantischen Hause; die Mutter schien fest zu schlafen, und nachdem Heinrich eine Weile auf dem kleinen Platze, von seltsamen Empfin¬ dungen und Gedanken erfuͤllt, umhergegangen, schlug er endlich den Ruͤckweg nach dem Odeon ein. Die Sonne ging eben auf, als er in den Saal trat. Alle Frauen und viele aͤltere Maͤnner waren schon weggegangen; die große Menge der Jungen aber, von hoͤchster Lust bewegt, tummelte sich singend durch einander und schickte sich an, eine Reihe von Wagen zu besteigen, um unver¬ zuͤglich, ohne auszuruhen, in's Land hineinzufah¬ ren und das Gelage in den Forsthaͤusern und Waldschenken fortzusetzen, welche romantisch an den Ufern des breiten Gebirgsstromes lagen. Rosalie besaß in jener Gegend ein Landhaus, und sie hatte die froͤhlichen Leute der Mummerei eingeladen, sich auf den Mittag dort einzufinden, bis wohin sie als bereite Wirthin ebenfalls da sein wuͤrde. Insbesondere hatte sie viele Damen gebeten, und diese hatten ausgemacht, da es ein¬ mal Fasching sei, in der mittelalterlichen Tracht hinaus zu fahren; denn auch sie wuͤnschten so lange als moͤglich sich des schoͤnen Ausnahmezu¬ standes zu erfreuen. Erikson war nach Hause geeilt, um sich nun gaͤnzlich umzukleiden; mit Huͤlfe einer ganzen Schneiderwerkstatt brachte er in einigen Stunden noch ein gutes ehrbares Jaͤgergewand zu Stande, in welchem er hinaus eilte. Aber auch Ferdinand war nicht muͤssig. Er nahm einen Wagen, kaufte theure Stoffe ein und fuhr von Schneider zu Schneider, jedem ein Stuͤck in die Arbeit gebend und dieselben zur groͤßten Eile anspornend. In kaum einer Stunde war die Tracht eines alt¬ orientalischen Koͤnigs fertig, von feinster weißer Leinwand und Purpurseide. Dann fuhr er zu einem Banquier und von da zu allen Juwelie¬ ren, den tauglichsten Schmuck aussuchend und sich mit demselben bedeckend; er verwandte eine solche Summe fuͤr Gold und Steine, als ob er damit handeln wollte, und doch wußte er recht gut, daß es nur eine voruͤbergehende Leidenschaft, eine Art Tollwuth sei, fuͤr welche er so hartnaͤckig alles daran setzte, der sonst kein Verschwender war, sondern vielmehr mit großer Sparsamkeit und sehr zweckmaͤßig die Mittel abwog, welche er an sein Leben und Vergnuͤgen wandte. Zuletzt ließ er sich das lockige Haar salben mit den koͤstlichsten Oelen; die Arme trug er bloß und mit goldenen Spangen geschmuͤckt, und so erschien er Mittags, ohne vorher die im Walde lagernden Kuͤnstler aufgesucht zu haben, in Ro¬ saliens Landhaus. Heinrich hingegen fuhr gleich in der Morgen¬ fruͤhe mit der uͤbrigen Schaar hinaus. Große Wagen mit Landsknechten uͤber und uͤberladen und von deren Spießen starrend, fuhren voraus, und ihnen nach die lange Reihe der bunten Ge¬ stalten in die helle Morgensonne hinein, am Rande der schoͤnen Buchenwaͤlder, hoch auf dem Ufer des tiefliegenden Stromes, der in glaͤnzenden Windungen sich um die Geschiebe- und Gebuͤsch¬ inseln waͤlzte. Ueber den Waͤldern sah man wie blaue Schatten die Kuppen des fernen Hoch¬ landes. Es war ein milder Februartag und der Him¬ mel blau; die herrlichen Buchen wurden bald von der waͤrmenden Sonne durchschossen, und wenn ihnen das Laub fehlte, so glaͤnzte das weiche Moos am Boden und auf den Staͤmmen um so gruͤner, und in der Tiefe dampfte und leuch¬ tete das blaue Bergwasser. Der Zug ergoß sich uͤber eine malerische Gruppe von Haͤusern, welche vom Wald um¬ geben auf der Uferhoͤhe lag. Ein Forsthof, ein alterthuͤmliches Wirthshaus und eine Muͤhle an schaͤumendem Waldbach waren bald in ein ge¬ meinsames, von Farben glaͤnzendes Freudenlager verwandelt und verbunden; die stillen Bewohner sahen sich wie von einem lebendig gewordenen Traume uͤberfallen und umklungen; den Kuͤnst¬ lern aber weckte die freie Natur, der erwachende Lenz den Witz in der tiefsten Seele. Die frische Luft verwehte den Rausch der Nacht und legte die zartesten und beweglichsten Fuͤhlfaͤden der Freude und Aufgeregtheit bloß; wenn die Lust der verschwundenen Festnacht zum groͤßten Theil auf Verabredung und Einrichtung beruhte, so lockte dagegen die heutige ganz frei und in sich selbst gegruͤndet, wie eine am Baume prangende Frucht zum laͤssigen Pfluͤcken. Die schoͤnen, dem phantastischen Fuͤhlen und Genießen angemessenen Kleider waren nun wie etwas Hergebrachtes, das schon nicht mehr anders sein kann, und in ihnen begingen die Gluͤcklichen tausend neue Scherze, Spiele und Tollheiten von der geistreichsten, wie von der allerkindlichsten Art, oft ploͤtzlich unter¬ brochen durch den wohlklingenden, festen Maͤnner¬ gesang. Heinrich trieb sich uͤberall umher und vergaß sich selber; er war uͤberwacht und doch nicht muͤde, vielmehr neugierig und begierig, erst recht in den glaͤnzenden Becher des Lebens zu schauen. Das klare Licht, das Land, die Leute, der Gesang umwirkten ihn seltsam. Als alle die Hundert auf den naͤrrischen Einfall eines Einzelnen ploͤtz¬ lich auf die Baͤume geklettert waren und wie ein großer Schwarm fremder, farbiger Voͤgel in den kahlen Aesten saßen, blieb er, nachdem sie voll Gelaͤchter hinabgesprungen, in Gedanken auf einer schwanken Birke sitzen; denn er verwunderte sich, wie nun das ganze Wesen in die Runde gleich einer stillen weiten Ferne um ihn war und die Rufe und Lieder selbst wie uͤber eine weite See her klangen, auch die Gestalten wirr und traum¬ haft sich bewegten. Es war einer jener Augen¬ blicke, wo die Zeit eine Minute still zu stehen scheint und man von aller Außenwelt losgeloͤst endlich sich selbst sieht, fuͤhlt und bemerkt. Es fiel ihm auf, daß er nun schon bei fuͤnf und sechs Jahren zuruͤckzaͤhlen konnte, ohne aus dem Bereiche des bewußten, reifenden Alters zu ge¬ rathen ; er fuͤhlte zum ersten Male die Flucht des Lebens. Er war nun zwei und zwanzig Jahre alt; ploͤtzlich kam es ihm in den Sinn, daß er in seiner Wohnung diese und jene kleine Gegen¬ staͤnde besaß, ein Pappdeckelchen, eine Schachtel oder gar etwas, das an Spielzeug graͤnzte, welche unmittelbar aus der Kinderzeit stammten und lll. 20 die er in fortwaͤhrendem Gebrauche um sich ge¬ habt, ohne sich dessen inne zu sein. Er sah deutlich ihre Gestalt, kleine Beschaͤdi¬ gungen, und erinnerte sich, wo und wann er sie verfertigt, ein Stuͤckchen Papier abgerissen oder mit dem Federmesser daran gekritzelt hatte. Sogleich glaubte er vom Baume herunter¬ springen, nach Hause laufen und die unschuldigen Sachen vernichten zu muͤssen. Denn sie kamen ihm nun ganz unertraͤglich vor. Er sah auch seine Jugendgeschichte vor Augen, ihren Einband, den er selbst verfertigt, das Geschreibsel, Alles wuͤrde er sogleich zerrissen und vernichtet haben, wenn er es in Haͤnden gehabt haͤtte. Alles Vergangene erschien ihm thoͤricht, dumpf und beschaͤmend, auch erinnerte er sich genau aller Dummheiten, die er gemacht, sogar solcher, die er im Kinderroͤckchen begangen, und er fuͤhlte sich roth werden uͤber alle, weil er sich jetzt un¬ endlich klug und gereift vorkam. Auch nahm er sich vor, von diesem Augenblicke an ganz klug zu sein und durchaus nichts Thoͤrichtes mehr anzustellen. Aber alles dies geschah mit reißender Schnel¬ ligkeit in wenig Augenblicken, und er ließ sich, schon von anderen Gedanken ergriffen, von der Birke herunter, als eben Erikson aus der Stadt herangeschritten kam. Ihr erstes Gespraͤch war das Benehmen Fer¬ dinand's. Erikson sagte nicht viel, waͤhrend Hein¬ rich mit großer Beredsamkeit sein Erstaunen aus¬ druͤckte, wie jener ein solches Wesen, wie Agnes sei, also behandeln koͤnne. Er ergoß sich in den bittersten Tadel und um so lauter, als er selbst in das schoͤne Kind verliebt war und sein Gewis¬ sen ihm sagte, daß das nichts weniger als in der Ordnung sei. Erikson hoͤrte nicht viel darauf, sondern sagte: »Ich will wetten, daß er das arme Ding heute sitzen laͤßt und nicht mitbringt. Wir sollten ihm aber einen Streich spielen, damit er zur Vernunft kommt. Nimm einen der Wagen, fahre in die Stadt und sieh ein wenig zu! Findest Du den verliebten Teufel nicht zu Hause, noch bei dem Maͤdchen, so bring' dieses ohne Weiteres mit, und zwar in Rosaliens Namen und Auftrag, so kann die Mutter nichts dagegen haben; ich werde dies verantworten. Zu Lys wirst Du nachher einfach sagen, daß Du das fuͤr Deine Pflicht gehalten, da er Dir die Schoͤne am Abend vorher so hart¬ naͤckig anvertraut.« Heinrich ließ sich nicht zweimal auffordern und fuhr sogleich in die Stadt. Auf dem Wege traf er Ferdinand ganz allein in einer Kutsche. »Wohin willst Du?« rief er Heinrich zu. »Ich soll,« erwiderte dieser, »Dich aufsuchen und sehen, daß Du das feine Maͤdchen mitbringst, im Fall Du es nicht ohnehin thun wuͤrdest. Dies scheint nun so zu sein und ich will sie holen, wenn Du nichts dagegen hast Erikson's schoͤne Wittwe wuͤnscht es.« »Thu' das, mein Sohn!« erwiderte Ferdinand ganz gleichguͤltig, indem er sich dichter in seinen Mantel huͤllte und fuhr seines Weges, und Hein¬ rich hielt bald darauf vor Agnesens Wohnung an. Das Rollen und ploͤtzliche Stillstehen der Raͤder widerhallte auffallend auf dem kleinen stillen Platze, so daß Agnes im selben Augenblicke mit strahlenden Augen an's Fenster fuhr. Als sie Heinrich aussteigen sah, verschleierte sich der Blick wieder, doch harrte sie neugierig, daß er in die Stube traͤte. Ihre Mutter empfing ihn, beschaute ihn um und um, und indem sie fortfuhr, mit einer Straußfeder, die sie in der Hand hielt, ihren Altar, das darauf stehende Bild ihrer vergangenen Schoͤnheit, die Porzellansachen und Prunkglaͤser davor, abzustaͤuben und zu reinigen, begann sie mit einem seelenlosen, singenden Tone zu plau¬ dern: »Ei, da kommt uns ja auch ein Stuͤck Carneval in's Haus, gelobt sei Maria! Welch' allerliebster Narr ist der Herr! Aber was tausend habt Ihr denn, was hat Herr Lys nur mit mei¬ ner Tochter angefangen? Da sitzt sie den ganzen Morgen, sagt nichts, ißt nichts, schlaͤft nicht, lacht nicht und weint nicht! Dies ist mein Bild, Herr! wie ich vor zwanzig Jahren gewesen bin! Dank sei unserem Herrn Jesus Christ, man darf es ansehen! Sagen Sie nur, was ist es mit dem Kinde? Gewiß hat sie Herr Lys zurechtweisen muͤssen, ich sag' es immer, sie ist noch zu unge¬ bildet fuͤr den feinen Herrn, sie lernt nichts und betraͤgt sich unanstaͤndig. Ja, ja, sieh nur zu, Nesi! lernst Du das von mir? Siehst Du nicht auf diesem Bild, welchen Anstand ich hatte, als ich jung war? Sah ich nicht aus, wie eine Edeldame?« Heinrich antwortete auf alles dies mit seiner Einladung, welche er sowohl in Ferdinand's als in Rosaliens Namen ausrichtete; er suchte einige Gruͤnde hervor, warum er und nicht jener selbst komme, indessen die Mutter einmal uͤber das an¬ dere rief: »So mach', so mach', Nesi! Jesus Maria, wie reiche Leute sind da beisammen! Ein Bischen zu klein, ein kleines Bischen ist die gnaͤ¬ dige Frau, sonst aber reizend! Nun kannst Du nachholen, was Du gestern etwa versaͤumt und verbrochen! Geh, kleide Dich an, Undankbare! mit den kostbaren Kleidern, die Herr Ferdinand Dir geschenkt! Da liegt der koͤstliche Halbmond am Boden. Aber komm, jetzt muß ich Dir das Haar machen, wenn's der Herr erlaubt!« Agnes setzte sich mitten in die Stube; ihre Augen funkelten und die Wangen roͤtheten sich leis von Hoffnung. Ihre Mutter frisirte sie nun mit großer Geschicklichkeit; sie fuͤhrte mit großer Anmuth den Kamm und Heinrich mußte gestehen, als er die hochgewachsene Frau betrachtete und die immer noch schoͤnen Anlagen und Zuͤge ihres Gesichtes sah, daß sie wenigstens einen wahren Grund ihrer Eitelkeit gehabt. Doch wurde sein Auge bald von Agnes allein beschaͤftigt. Sie saß mit bloßem Halse, von der Nacht der aufgeloͤsten Haare umschattet; um die langen Straͤnge zu kaͤmmen und zu salben, mußte die Mutter weit von ihr zuruͤcktreten. Sie sprach fortwaͤhrend, indessen weder Heinrich noch Agnes etwas sagten. Er haͤtte gewuͤnscht, ein Jahr in dieser Ruhe zu verharren und keinen anderen Anblick zu haben, als diesen. Endlich war das Haar gemacht und Agnese ging in ihre Kammer, das Dianengewand wieder anzuziehen; die Mutter ging mit, ihr zu helfen; allein sobald sie einigermaßen damit zu Stande gekommen, erschienen sie wieder und vollendeten den Anzug in der Stube, weil die Alte sich un¬ terhalten wollte. Agnes sah nun wo moͤglich noch wunderbarer aus, als gestern; denn ihr seltsamer Zustand, in dem sie nicht geschlafen hatte, waͤhrend sie doch von neuer Hoffnung und Sehnsucht belebt und durchgluͤht war, warf einen geisterhaften Glanz uͤber sie. Sie fuhren in verschlossenem Wagen durch die Stadt; sobald sie aber im sonnigen Freien waren, ließ Heinrich die Decke zuruͤckschlagen. Agnes athmete auf und fing an zu plaudern. Heinrich mußte ihr erzaͤhlen, wie die heutige Lust¬ barkeit sich veranlaßt habe, wer draußen zu tref¬ fen und wo Ferdinand sei. Sie wurde immer vertraulicher, sah ihm freundlich laͤchelnd in die Augen und ergriff seine Hand; denn er war ihr wie ein guter Engel erschienen, der sie zum Gluͤcke fuͤhren sollte. Die Landleute am Wege sahen mit Verwunderung das einzelne Paͤrchen dahin fahren, das wie aus einer anderen Welt kam, und Heinrich fuͤhlte sich zufrieden und begluͤckt. Der Mensch naͤhrt sich, wird gut oder boͤse, vom Schein. Wenn ihm das Gluͤck eine bloße Situation giebt, so wurzelt er daran, wie eine Pflanze am nackten Felsen. Weil Heinrich nun wieder mit einem reizenden und ungewoͤhnlichen Maͤdchen, in schoͤner Tracht, in vertrautem Zu¬ sammensein unter dem blauen Himmel dahin fuhr wie vor Jahren, als er mit einem wirklichen Liebchen uͤber den Berg geritten, erklaͤrte sich sein Herz zufrieden und verlangte nichts Besseres. Er faßte sich also zusammen und nahm sich vor, ordentlich zu sein. Zwar fuͤhlte er sich noch mehr als gestern in Agnes verliebt, aber er fuͤhlte nun auch, daß er ihr herzlich gut war und nur Gutes wuͤnschte. Daher entschloß er sich, ihr als treuer Freund zu dienen und Alles daran zu setzen, daß ihr kein Unrecht geschaͤhe. Als sie schon das weiße Landhaus in geringer Entfernung glaͤnzen sahen, gerieth Agnes auf's Neue in große Aufregung; sie wurde bald roth, bald blaß, und da sich eine kleine laͤndliche Ka¬ pelle am Wege zeigte, verlangte sie auszusteigen. Sie eilte, ihr langes Silbergewand zierlich zusammennehmend, in die Kapelle; der Kutscher nahm seinen Hut ab und stellte ihn neben sich auf den Bock, um die fromme Muße auch zu einem Vaterunser zu benutzen, und Heinrich trat 20 * verlegen unter die offene Thuͤr. Das Innere der Kapelle zeigte nichts, als einen wurmstichigen Altar, bedeckt mit einer verblichenen veilchen¬ blauen Decke. Das Altarbild enthielt einen eng¬ lischen Gruß, und vor demselben stand noch ein kleines Marienbildchen in einem starren Reif¬ roͤckchen von Seide und Metallflittern in allen Farben. Rings um den Altar hingen geopferte Herzen von Wachs, in allen Groͤßen und auf die mannigfaltigste Weise verziert; im einen stak ein Papierbluͤmchen, im anderen eine Flamme von Rauschgold, das dritte durchbohrte ein Pfeil, wie¬ der ein anderes war ganz in rothe Seidenlaͤpp¬ chen gewickelt und mit Goldfaden umwunden, eines war gar mit großen Stecknadeln besteckt, wie ein Nadelkissen, wohl zum Zeichen der schmerz¬ vollen Pein seiner Spenderin. Auf den Baͤnken aber lagen zahlreiche Ab¬ druͤcke eines Gebetes, das auf Pappe gezogen auch an der Thuͤr hing und folgende Ueberschrift trug: Gebet zur allerlieblichsten, allerseligsten und allerhoffnungsreichsten heiligen Jungfrau Maria, der gnadenreichen und huͤlfespendenden Fuͤrbitterin Mutter Gottes. Approbirt und zum wirksamen Gebrauche empfohlen fuͤr bedraͤngte weibliche Her¬ zen durch den hochwuͤrdigsten Herrn Bischof ꝛc. Dazu war noch eine Gebrauchsanweisung ge¬ fuͤgt, wie viele Ave und andere Spruͤche dazwi¬ schen zu beten seien. Agnes lag auf den Knieen vor dem Altare, und den Rosenkranz, den sie aus dem Busen ge¬ zogen, um die Haͤnde gebunden, betete sie leise aber inbruͤnstig, das Gebet vor sich auf dem Boden. Wenn sie einige Worte abgelesen hatte, so schaute sie flehend auf zu dem Marienpuͤppchen und bat die goͤttliche Frau mit heiligem Ernst, ihr beizustehen in ihrer Bedraͤngniß und in ihrem Vorhaben. Endlich stand sie mit einem großen Seufzer auf und ging nach dem Weihkessel, in welchen sie ihre weißen Finger tauchte. Da sah sie Hein¬ rich in die Thuͤr gelehnt, wie er sie unverwandt betrachtete und an seiner Haltung sah sie, daß er ein Ketzer sei. Aengstlich tauchte sie den vor¬ handenen Wedel tief in den Kessel, eilte damit auf Heinrich zu, wusch ihm foͤrmlich das Gesicht und besprengte ihn uͤber und uͤber mit Wasser, indem sie mit dem Wedel unaufhoͤrliche Kreuze schlug. Nachdem sie so die schaͤdliche Einwirkung seiner Ketzerei auf ihre Andacht gebannt, ergriff sie beruhigter seinen Arm und ließ sich wieder in die Kutsche heben. Heinrich zog sein Taschentuch und trocknete sich das Gesicht, welches von Weihwasser troff: Agnes wollte ihn daran verhindern und zog ihm das Tuch weg, und indem sie so in einen Streit geriethen, der zuletzt zum muthwilligen Scherz wurde, vergaßen sie ganz, daß sie bereits an dem Garten Rosaliens angekommen waren. Die zahlreiche Gesellschaft, welche schon in dem Landhause versammelt war, begruͤßte die liebliche Erscheinung mit lauter Freude. Rosalie hatte außer den Kuͤnstlern und den Damen von gestern noch mehrere ihrer Verwandten und Freunde holen lassen, welche sich nun in sonntaͤg¬ licher moderner Kleidung unter die Vermummten mischten, wovon die Gesellschaft ein zufaͤlliges und leichtes Ansehen gewann. Rosalie selbst, um ihren Pflichten als Wirthin besser nachzukommen, zeigte sich in einfacher haͤuslicher Tracht, welcher sie auf das Anmuthvollste einigen heiteren Schmuck beigefuͤgt hatte. Als Agnes Ferdinand in seinem fremdartigen und fast weiblichen Schmucke erblickte, blieb sie einen Augenblick offenen Mundes stehen und ge¬ rieth in eine verwirrte Berauschung, da er zaͤrt¬ lich auf sie zueilte, Heinrich fuͤr seine Muͤhe dankte und mit voller Aufmerksamkeit fuͤr sie be¬ sorgt war. Erst nach und nach kam sie wieder zum Bewußtsein, wachte nun auf in froher Hoff¬ nung und ging, indem es ihr wie ein Stein vom Herzen fiel, in eine bluͤhende Froͤhlichkeit uͤber. Sie fing an zu zwitschern, wie ein Voͤ¬ gelchen im Fruͤhling, und schaute vergnuͤgt um sich; denn sie sah nun wirklich Ferdinand neben sich sitzen und hoͤrte seine vertraute Stimme in artigen Worten, die er an sie richtete. Das kleine, schoͤn gebaute Haus war mit Gaͤsten angefuͤllt. In dem maͤßigen Saale und den wohnlichen Zimmern brannte lockendes Ka¬ minfeuer, indessen die Sonne waͤrmend durch die Fenster schien und auf dem Garten lag, so daß man durch die offenen Glasthuͤren aus und ein ging. Ueberall bluͤhten Hyacinthen und Tulpen, und das Treibhaus, welches im schoͤnsten Flore stand, war zwischen seinen gruͤnen Gebuͤschen mit gedeckten Tischchen versehen. Einige Musiker waren bestellt und man tanzte in dem Saale, jedoch ohne Hast und ohne Ceremonien, sondern behaglich und abwechselnd. Es war anmuthig zu sehen, wie ein Theil der Gesellschaft zierlich und froͤhlich tanzte, waͤhrend ein anderer Theil sich in Spielen und Erfindungen erging in Haus und Garten, indessen ein dritter sich im traulichen Zimmer in weitem Ringe um den runden Tisch reihte und die Champagnerglaͤser hob. Die Wir¬ thin war so unermuͤdlich und liebenswuͤrdig, daß der Fremdeste sich bald zu Hause fuͤhlte. Jedem wußte sie durch einen einzigen Blick, durch ein Wort oder eine Frage dies Gefuͤhl zu geben, und diejenigen jungen Leute, welche aus duͤrftiger Dachkammer herabgestiegen, nur durch ihr Fa¬ schingsgewand in diese Raͤume der Wohlhaben¬ heit und Zierlichkeit gefuͤhrt und wenig an die Gebraͤuche der sogenannten guten Gesellschaft ge¬ woͤhnt waren, richteten sich nichts desto minder mit großer Unbefangenheit an ihren Trinktischen ein, und Rosalie schien geehrt und erfreut zu sein durch das treuherzige Schenkeleben, welches sie mit Maß und Sitte zur Schau stellten. Dadurch gewann sie sich die Herzen aller An¬ wesenden, so daß sich alle mehr oder weniger in sie verliebten. Sie war so zu sagen die Frau von Gottes Gnaden, deren Anmuth Wohlwollen und Trost ausstrahlte und allgemeines Wohlwol¬ len erntete, und indem in ihrer Umgebung jeder Einzelne bei ihrem Anblick des Glaubens wurde, daß sie ihm besonders freundlich sei, so begnuͤgte er sich mit diesem Gefuͤhle, und sie sah sich von der Bescheidenheit und Sitte Aller umgeben. Nur Ferdinand verhaͤrtete sich immer mehr in seiner Leidenschaft. Er hatte sein Benehmen gegen Agnes nur geaͤndert, um ihren Werth und ihre Schoͤnheit erst recht an das Licht zu stellen, zu zeigen, welch' ein seltenes Wesen er so gut wie in der Hand haͤtte, wie dieses ihn aber ganz unberuͤhrt lasse, ja, wie er sie ganz und gar nur als ein liebliches Kind betrachte, welches neben der gereiften Schoͤnheit Rosaliens nicht in Rede kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬ heit seine Rolle gespielt, so daß Niemand deren Falschheit bemerkte, als Rosalie und Agnes selbst, welche bald nach ihrer ersten Freude die alte Weise Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich erschrak. Rosalien war seine veraͤnderte kokette Tracht aufgefallen, und sie fuͤhlte sich dadurch beleidigt; auch hatte sie von Erikson, so viel dieser davon wußte, sein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und war erst Willens, durch ein kluges Verfahren dem jungen seltsamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬ fiel, zu seinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des Tages sah sie aber ein, daß er kein Gluͤck sei fuͤr ein so naives Kind und daß sie mit gutem Ge¬ wissen nicht in dessen Geschick eingreifen duͤrfe, und sie entschloß sich, den selbstsuͤchtigen Untreuen seinen Weg gehen zu lassen und ihn auf ihre Weise zu bestrafen. Als er daher Agnes, nachdem er sie der Ob¬ hut Heinrich's uͤbergeben, ploͤtzlich wieder verließ und begann, seine Bewerbungen um Rosalien fortzusetzen, empfing sie ihn mit alter Freundlich¬ keit, und als er sie auf Schritt und Tritt be¬ gleitete, hoͤrte sie ihn holdselig an und that, als ob sie weder dies, noch die mißbilligende Verwun¬ derung der Gesellschaft bemerkte. In einem Seitengemache gefiel sich eine ge¬ waͤhlte Gesellschaft darin, in den glaͤnzenden Fa¬ belgewaͤndern ruhig eine Partie Whist zu spielen. Rosalie und Ferdinand traten ein, um sich hier umzusehen, und betheiligten sich am Spiele. Er benutzte dasselbe, um allerlei Galanterien zu be¬ gehen und ungestoͤrt eine Weile ihr gegenuͤber zu sitzen. Sie laͤchelte ihm zu und hielt gut mit ihm zusammen Als die Partie geendet, ergriff sie die Karten und bat die Spieler und Andere, welche in der Naͤhe waren und welche alle aus vermoͤglichen Personen bestanden, eine kleine Rede von ihr anzuhoͤren. »Ich habe mich,« sagte sie, bisher arg gegen die Kunst versuͤndigt und trotzdem, daß ich mit Gluͤcksguͤtern gesegnet bin, so viel wie nichts fuͤr sie gethan; ich bin um so tiefer beschaͤmt, als ich III . 21 durch dieses Fest die sinnige, treuliche Lebenslust empfinden gelernt habe, welche in den Kuͤnstlern ist und von ihnen ausgeht, und ich moͤchte einen besseren Anfang machen und wuͤnsche in meiner Dankbarkeit, daß heute in meinem Hause, wel¬ ches durch die froͤhliche Anwesenheit so vieler Kuͤnstler geehrt wird, etwas Gutes geschaͤhe und daß ich, was wie ich glaube fuͤr die rechte Kunst¬ befoͤrderung eben so nothwendig ist, auch Andere veranlasse, etwas Gutes zu thun. Ich sehe unter meinen Gaͤsten so manches junge Buͤrschchen mit glaͤnzenden Augen, dem es aber, nach seiner schuͤchternen Haltung zu urtheilen, nicht zum Be¬ sten geht. Wie schoͤn waͤre es, wenn wir wenig¬ stens einen oder zwei dieser fluͤggen Voͤgel unmit¬ telbar aus dieser Festfreude heraus nach Italien schicken koͤnnten! Da ich aber an Niemanden be¬ stimmte Anforderungen machen darf, so will ich hier Bank halten und diejenigen, welche es koͤn¬ nen, zum Spiele einladen. Was gewonnen wird, legen wir zusammen, ich verdoppele die Summe alsdann, und je nach dem Befunde waͤhlt dann die anwesende Gesellschaft denjenigen aus ihrer Mitte, welchen sie fuͤr den Wuͤrdigsten und Be¬ duͤrftigsten haͤlt!« Und mit verbindlichem Laͤcheln sich zu Ferdi¬ nand wendend und ihn zum Tische ziehend, sagte sie: »Herr Lys, sie sind ein reicher Mann! Geben Sie ein gutes Beispiel und fangen Sie an!« Ferdinand hatte von der bedeutenden Summe, welche er in seiner Narrheit bei den Juwelieren ausgegeben, noch zehn bis zwoͤlf Louisd'ors uͤbrig, die er in ein Papier gewickelt in den Busen ge¬ steckt hatte, da in der Eile an seinem ganzen Co¬ stuͤm nicht eine Tasche angebracht worden. Ver¬ legen zog er das Geld hervor, wie ein Maͤdchen einen Liebesbrief, und verlor es schnell an die schoͤne Bankhalterin. Sie warf es in eine leere Fruchtschale und dankte ihm, indem sie zugleich bedauerte, daß er nicht mehr zu verlieren habe. Ihm schien aber das Verlorene schon zu viel zu sein und um wie¬ der etwas davon zu gewinnen, warf er, scheinbar um noch mehr beizutragen, den kleinsten seiner Ringe hin. Allein er verlor auch diesen, Rosalie hatte 21 * zu ihrer großen Freude ein merkwuͤrdiges Gluͤck, Ferdinand verlor Stuͤck um Stuͤck von seinem Schmucke; Armspangen, Agraffen, Ringe und Ketten warf er auf den Tisch in dem aufgeregten Bestreben, wieder zu dem Seinigen zu kommen; Rosalie setzte gemuͤnztes Gold dagegen, aber nach wenigen Schwankungen lag der ganze Schmuck Ferdinand's, im Werth von uͤber drei tausend Gulden, schimmernd in der Schale. Rosalie klatschte in die Haͤnde und verkuͤndete unverhohlen ihre Freude uͤber dies unverhoffte Ge¬ lingen, und als sie Ferdinand holdselig dankend die Hand reichte, mußte auch dieser eine gute Miene machen, obgleich er nun eine seltsame Fi¬ gur spielte, da der noch seltsamere Schmuck jetzt erst recht die Aufmerksamkeit erregte. Aber nun ging es erst recht an. Die Damen wurden von den Edelsteinen maͤchtig angezogen, und in der Hoffnung, dies oder jenes, was ihnen besonders gefiel, zu gewinnen, draͤngten sich bald alle um den Tisch und spielten eifrig um den Schmuck; denn sie nahmen sich sammt und son¬ ders vor, ihre Maͤnner oder Vaͤter zu bewegen, den verhofften Gewinnst mit baarem Gelde aus¬ zuloͤsen. Allein Rosalie hatte unverwuͤstliches Gluͤck und haͤufte endlich fast alles vorhandene Geld zu dem Schmuck in die Schale, und als zuletzt Niemand mehr spielte, rief sie: »Obgleich mein Unternehmen einen Umfang gewonnen hat weit uͤber das erwartete Ziel hinaus, so freue ich mich dennoch, mein Wort zu halten und diesen ganzen Gewinnst zu verdoppeln!« Einige angesehene aͤltere Kuͤnstler und ein an¬ wesender Kaufmann beriethen nun die Sache, und es fand sich, daß man zwei junge Leute reichlich ausstatten koͤnne auf einige Jahre. Das Ereigniß erregte das groͤßte Erstaunen und den freudigsten Jubel im ganzen Hause, und die Freude war so ploͤtzlich gekommen, daß nicht der leiseste Schatten von Neid sich darunter mischte, als man nun auf Rosaliens Wunsch die zwei jungen Maler auswaͤhlte, welche die Reise nach Italien machen sollten. Die Wahl war ein neues und das edelste Vergnuͤgen von allen bisherigen, und es wurde auf das Sinnreichste und Lieblichste hin und her gewandt, da es so gut schmeckte, und endlich wur¬ den zwei Bruͤder gewaͤhlt, welche sich ebenso durch ihren Fleiß, als durch ihre Armuth aus¬ zeichneten, zwei liebenswuͤrdige Buͤrschchen aus Sachsen, welchen waͤhrend ihres Aufenthaltes in der Kunststadt Vater und Mutter gestorben und jeder Unterhalt verloren war. Man begriff nicht, wie sie leben konnten, so kuͤmmerlich naͤhrten sie sich, und doch waren sie der Kunst so anhaͤnglich und treu und immer so guten Muthes, daß sie bei aller Armuth und Sparsamkeit doch immer einige blanke Gulden bereit hatten, jedes Kuͤnst¬ lerfest mit zu feiern und Jedermann durch ihre bescheidene Froͤhlichkeit zu erfreuen. Die zwei Kirchenmaͤuse wußten nicht, wie ihnen geschah und kuͤßten in ihrer Verwirrung der reizenden Urheberin dankbar die Hand. Ro¬ salie konnte sich nicht enthalten, den schuͤchternen jungen Buͤrschchen die Wangen zu streicheln und haͤtte sie gern gekuͤßt, wenn es sich haͤtte thun lassen. Sie wurden im Triumph herumgefuͤhrt, woraus sich ein neues Anordnungs- und Wandervergnuͤ¬ gen ergab. Indessen verfiel Ferdinand gaͤnzlich seinem Geschick. Es begab sich mit ihm, was sich immer begeben hat, er gerieth durch das Schiefe und Unrechte der einen Leidenschaft in eine Niedrigkeit des Empfindens und Denkens, welche sonst nicht in ihm lag. Er war allerdings selbstsuͤchtig und sparsam gegen Andere, sobald es Geld oder Gut betraf, aber doch nicht in dem Grade, daß es sich nicht im Allgemeinen mit einem anstaͤndigen und liebenswuͤrdigen Charakter vertragen haͤtte; er wuͤrde uͤber den erlittenen Verlust unter allen Umstaͤnden verdrießlich geworden sein, aber nicht so sehr, daß der Verdruß im mindesten auf an¬ dere Ideen und Vorstellungen eingewirkt oder die¬ selben getruͤbt haͤtte. Jetzt aber verband sich mit seinem geheimen Aerger sogleich der Gedanke, sich zu entschaͤdigen; er machte in seinem Inneren Rosalien sich verpflichtet und hielt sie durch den Vorfall fuͤr gebunden an ihn durch ein starkes Band. Diese bedenkliche Ausschweifung verwirrte ihn ganz und trieb ihn demgemaͤß zum Handeln. Er nahm sich also aͤußerlich zusammen, da er in sei¬ ner Thorheit seiner Sache sicher zu sein glaubte, und beobachtete Rosalien mit mehr Ruhe, um den guͤnstigen Augenblick zu finden, sie allein zu sehen. Rosalie schien ihn hierin zu unterstuͤtzen; denn er bemerkte, daß sie mehrmals allein wegging auf eine Weise, als ob sie wuͤnsche, daß Jemand ihr folge und sie aufsuche. Sie hatte Spiel, Schmuck und Ferdinand vergessen und war jetzt mit einem anderen Ge¬ danken beschaͤftigt, und dieser Gedanke roͤthete ihre Wangen und entfachte ihre Augen in holder Gluth. Sie wuͤnschte, daß Erikson sie suchte und allein spraͤche, ohne daß sie ihn geradezu auffor¬ derte. Aber dieser merkte von allem nichts, und anstatt daß er selber auf den Gedanken kam, den er vielmehr beinahe scheute, wie eine gefaͤhrliche Ent¬ scheidung, beobachtete er Ferdinand, der sich nun ruhiger hielt, und glich einem Jaͤger, der nach einer anderen Seite sieht, wo er etwa einen Fuchs vermuthet, waͤhrend das schoͤne Reh in Schu߬ weite vor ihm hinspringt. Ferdinand aber verlor nun keine Zeit mehr, sondern verschwand unversehens aus dem Saale, als er gesehen, daß Rosalie sich wiederum entfernt habe. Sobald er auf dem Gange war, folgte er ihr mit stuͤrmischen Schritten, daß seine assyrischen Gewaͤnder nur so flogen, erreichte sie in einem abgelegenen stillen Zimmerchen, welches zur Som¬ merzeit ihr Boudoir war, ergriff ihre beiden Haͤnde und begann dieselben leidenschaftlich zu kuͤssen. Sie hatte gehofft, daß Erikson hinter ihr her kaͤme; aber bald erkannte sie an dem leichten Schritte, daß er es nicht sei, und wußte nun in der Verwirrung nicht sogleich, was sie anfangen sollte. Doch entzog sie ihm die Haͤnde, indessen er sagte: »Schoͤnste Frau! Sie haben zwei Gluͤck¬ liche gemacht! Begluͤcken Sie den dritten, indem Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen, wie tief ich von Ihrer Schoͤnheit und Anmuth, von Ihrem ganzen Wesen ergriffen bin!« Rosalie zappelte mit ihren Haͤndchen, ihn abwehrend, und rief halb aͤngstlich, halb lachend: »Herr Lys! Herr Lys! ich bitte Sie! Sehen Sie denn nicht, daß ich heute in meinen Alltags¬ kleidern stecke und nicht mehr die Goͤttin der Liebe bin?« »O schoͤne, liebe Rosalie!« rief Lys und fuhr fort mit schoͤner Beredsamkeit, »mehr als je sind Sie die Schoͤnheit und Liebe selbst und alles das, was die Alten so tiefsinnig vergoͤttert haben! Sie sind eine ganze Frau im edelsten Sinne des Wortes, in Ihnen ist nur Anmuth und Wohl¬ wollen, und Sie verwandeln alles dazu, was um Sie ist. O jetzt begreife ich, warum ich ein Un¬ getreuer und Wankelmuͤthiger war mein Leben lang! Wie kann man treu und ganz sein, wo man immer nur das halbe und durch Sonder¬ lichkeit getruͤbte Weib trifft, bald unfertig in sei¬ nem Bewußtsein, bald eigensinnig und uͤberreif in demselben? Sie sind das wahre Weib, in dem der Mann seine Ruhe und seinen dauernden Trost findet, Sie sind heiter und sich selber gleich, wie der Stern der Venus, den Sie gestern trugen! O verkennen Sie sich nicht, erkennen Sie Ihr eigenes Wesen! Diese goͤttliche Freundlichkeit, welche Sie beseelt, ist nichts als Liebe, welche gewaͤhren muß, sobald sie erkannt und verstanden wird! Sie muß sich aͤußern hoch uͤber der truͤben Welt von Tugend und Suͤnde, Pflicht und Ver¬ rath, in der Hoͤhe des klaren unveraͤnderlichen Lebens ihres eigenen Wesens!« Er hatte wieder ihre Hand ergriffen und sah jetzt so schoͤn und aufrichtig aus, daß sie ihm nicht gram werden konnte; sie ließ ihm desnahen noch eine Weile die Hand und sagte mit großer Anmuth und Freundlichkeit: »Sie sind jetzt sehr liebenswuͤrdig, Herr Lys! und ich will deshalb vernuͤnftig mit ihnen sprechen. Ich bin weit ent¬ fernt, Ihre Grundsaͤtze zu verdammen, oder Ihnen eine zimperliche Predigt halten zu wollen, da ich sehe, daß dieselben nicht leere Worte eines un¬ sicheren Mannes, vielmehr nur zu deutlich die Aeußerung einer tiefer begruͤndeten Lebensrichtung sind. Sehen Sie zu, wie Sie dabei ihr Gluͤck und Ihre Ruhe finden, von der Sie sprechen! Aber ich muß Ihnen wenigstens sagen und kann Sie auf das Heiligste versichern, daß ich mich selber sehr wohl kenne und daß Sie sich hin¬ sichtlich meines Wesens vollkommen getaͤuscht ha¬ ben. Sehen Sie, Herr Lys! (und hier zog sie ihre Hand zuruͤck und maß ihm eine rosige Fin¬ gerspitze vor, indessen sie etwas ungeduldig mit den Fuͤßchen strampelte) ich empfinde nicht so viel Neigung fuͤr Sie, und ich schwoͤre Ihnen, daß, was meine Freundlichkeit betrifft, dieselbe nun und nimmermehr das fuͤr Sie sein wird, was Sie Liebe nennen oder was ich Liebe nenne! Ja vielmehr steht sie auf dem Punkte, in Haß und Abscheu umzuschlagen, wenn Sie Ihr Benehmen nicht sogleich aͤndern! Entschließen Sie sich dazu, oder ich bitte Sie, mein Haus zu verlassen, denn Sie stoͤren mir alle Freude und machen ein un¬ nuͤtzes Aufsehen!« Als sie dies sprach, funkelte zuletzt durch alle laͤchelnde Freundlichkeit ein lichter Zorn in ihren Augen, gleich einen Blitz im Sonnenschein, wel¬ cher zwar bezaubernd, aber auch so deutlich und entschieden war, daß Lys nicht ein Wort zu er¬ widern wußte. Er sah sie erstaunt und wehmuͤ¬ thig an, wie einer, der aus seiner ganzen persoͤn¬ lichen Beschaffenheit und Ueberzeugung heraus gehandelt hat und daruͤber traurig ist, daß er keinen Anklang findet. Dann ging er ohne ein Wort zu sagen langsam aus dem Zimmer. Rosalie schaute ihm nach, und waͤhrend sie aufathmend sich auf ein Sopha warf, mischte sich in den freundlichen Spott, den sie empfand, doch ein geheimstes bedauerndes Gefuͤhl, daß ihr Wohl¬ wollen nicht etwas der Art sein duͤrfe, fuͤr was Lys es gehalten wissen wollte. Inzwischen hatte Erikson endlich ihre und Ferdinand's gleichzeitige Abwesenheit entdeckt und da er Rosalien zu sehr ehrte und liebte in seiner breiten Brust, um sie genauer zu kennen, und auch ein ziemlicher Neuling in dieser Lage war, so verließ ihn ploͤtzlich sein bisheriges Phlegma und er gerieth in die heftigste Aufregung. Die abenteuerlichsten und graulichsten Ge¬ schichten von der geheimen Verworfenheit und Schwachheit der Weiber, welche er in Schenken und Maͤnnergesellschaften gehoͤrt, fuhren ihm wie Gespenster durch den Kopf, die wunderlichsten Eroberungen und Ueberrumpelungen durch kuͤhne Gesellen, unter den schwierigsten Umstaͤnden, kamen ihm in den Sinn und wechselten mit dem Bilde der sich immer gleichen Rosalie, und dies Bild verscheuchte dann alle jene Schrecken fuͤr einen Augenblick; aber sie kehrten wieder und peinigten ihn auf das Aergste. Und als er sie endlich gewaltsam unterdruͤckte, sagte er sich: Und was waͤre es denn, wenn mir dieser Teufel zuvorkaͤme und das thaͤte, was ich schon laͤngst haͤtte wagen sollen? Wer waͤre zu tadeln, als ich selbst? Soll mir die liebe Schoͤne sich selbst auf einem Teller praͤsentiren? Hole der Henker das Geld! Ich glaube, ich waͤre nicht halb so bloͤde, wenn sie nicht so reich waͤre! Aber was thut das zur Sache? Sie ist ein Weib, ich ein Mann, Himmel! sie wird mir den Kopf nicht abbeißen! Als ob seine Seligkeit auf dem Spiele staͤnde, durchmaß er alle Zimmer, und als er sie nirgends fand, riß er voll Furcht und Zorn die letzte Thuͤr auf, die ihm noch uͤbrig blieb, trat hastig in das schwach erleuchtete Stuͤbchen und fand Rosalien auf dem Sopha sitzend. Sie hielt sich ganz still und sah ihn an, und Erikson stand ploͤtzlich rath¬ los da. Nachdem er eine Weile gestanden, indessen sich die Schoͤne nicht geruͤhrt, gewann er uͤber ihrem Anblicke seine Bewegung wieder, staͤrker als vorhin, aber nun rein und gleichmaͤßig, eine schoͤne, maͤchtige Wallung. Er that einen Schritt auf sie zu, ergriff ihren Arm so fest, daß es sie schmerzte und gab nun seinen Gefuͤhlen und Mei¬ nungen Worte, so gut er sie zu finden vermochte. Rosalie beklagte sich nicht uͤber den Druck seiner starken Hand, es schien sogar, als ob ihr der kleine Schmerz das groͤßte Vergnuͤgen ge¬ waͤhre. Sie hoͤrte ihn mit schwerverhaltenem Laͤ¬ cheln an, und eine Viertelstunde nachher sah man ihn feierlich und zufrieden durch die Raͤume kom¬ men, mit glaͤnzenden Augen einige Verwandte Rosaliens zusammen zu suchen und zu ihr zu berufen, und abermals eine Viertelstunde nachher erschienen diese wieder und ordneten in dem Saale eine Abendtafel fuͤr die gesetztere Haͤlfte der Ge¬ sellschaft und besonders fuͤr saͤmmtliche Verwandte und Freunde Rosaliens, deren noch manche schnell geholt wurden: und als alles dies zu Stande ge¬ kommen, indessen auch die Lichter angesteckt wur¬ den, verkuͤndete ein ehrwuͤrdiger Oheim die un¬ verhoffte Verlobung, und das gluͤckliche Paar nahm die uͤberraschten Gluͤckwuͤnsche von allen Seiten frohlauschend auf. Alle, die in gewoͤhnlicher Kleidung anwesend waren, fuͤhrten unter sich alsbald eine gelinde Kritik uͤber die seltsame Verlobung und die kuͤnst¬ lerischen Neigungen der reichen Wittwe, die so rasch nach einander zu Tage traͤten: doch wenn sie, besonders die Schoͤnen, auf Erikson blickten, so blieben ihre Worte nur noch toͤnende, waͤhrend das Auge gestehen mußte, daß die feine Rosalie wohl zu waͤhlen gewußt habe. Die Kuͤnstler aber freuten sich unbaͤndig uͤber diese neue gluͤckliche Wendung zu Ehren ihres Standes und machten Erikson gluͤckwuͤnschend zu ihrem Helden, nicht ahnend, welcher Abfall von Pinsel und Palette mit dieser Verlobung sich vollende. Denn Erikson hat in der That nie wieder gemalt, obgleich er den Kuͤnstlern zuge¬ than blieb und mit vieler Behaglichkeit sich spaͤ¬ ter eine Bildersammlung anlegte. Nur Ferdinand ertrug diesen Vorfall nicht; er verlor sich in der groͤßten Uneinigkeit mit sich selbst aus dem Hause und stuͤrmte in den Bu¬ chenwald hinaus, in welchem viele einzelne Mas¬ ken umherirrten und laͤrmten Viele kamen auch von den Forsthaͤusern auf die Kunde von den artigen Begebenheiten in das Landhaus der Wittwe oder nunmehrigen Braut und wurden da bewir¬ thet. Erikson ruͤhrte sich sogleich lustig als kuͤnf¬ tiger Herr des Hauses und schaffte mit ausgiebi¬ ger Bewegung Raum und Stoff in die Verwir¬ rung, die rauschend hereingebrochen war. Dann aber geleitete er Rosalien, die sich zu¬ ruͤckziehen wollte, als sie Alles im besten Gange und durch treue Freunde und Diener uͤberwacht sah, nach der Stadt. Sie erbebte in der Dun¬ kelheit vor Vergnuͤgen, als er sie in den Wagen hob und als der leichte Kasten heftig schaukelte, da der huͤnenmaͤßige Erikson einstieg. Waͤhrend sich dies Alles begeben, hauste in dem Gewaͤchshause ein kleines Truͤppchen Leute, III. 22 abgelegen und vergessen von der großen Gesell¬ schaft, und fuͤhrte zwischen den Myrthen- und Orangenbaͤumen ein wunderlich verborgenes Le¬ ben. Da saß an einem Tischchen der fabelhafte Bergkoͤnig, welcher mit seiner Krone und seinem weißen Barte aussah, als waͤre er eben aus den Fluthen des Rheines, aus der Nibelungenzeit heraufgestiegen, und sang, indem er das lange Kelchglas schwenkte, die lustigsten Lieder; neben ihm zechte ein Winzer aus dem Bacchuszuge, ein wirklicher Rheinlaͤnder, welcher eine Anzahl Cham¬ pagnerflaschen erhascht und unter den Myrthen verborgen hatte. Es war ein untersetzter Mann von dreißig Jahren mit einem braunen Kraus¬ kopfe und kindlich lachenden Augen, welche bald mit frommem Ausdrucke in die Welt schauten, bald in schlauer Lustigkeit funkelten. Seine Haͤnde verkuͤndeten einen fleißigen Metallarbeiter und der weichgeschnittene Mund einen andaͤchtigen Trin¬ ker, indessen doch die Mundwinkel einen sinnenden festen Zug hatten vom haͤufigen Verschließen und Verziehen des Mundes uͤber der beharrlichen pla¬ stischen Arbeit. Man nannte ihn den kleinen Gottesmacher, weil er nicht nur alle fuͤr den ka¬ tholischen Cultus nothwendigen Silbergefaͤße, son¬ dern auch sehr wohlgearbeitete Christusbilder in Elfenbein verfertigte. Nebenbei war er ein trefflicher Musikus, der mehrere Instrumente spielte und ein Kenner der alten Kirchenmusik sowohl, als einer Menge melancholischer Volks¬ lieder war. Diese sang er jetzt abwechselnd mit dem Bergkoͤnig und dem gruͤnen Heinrich, wel¬ cher mit Agnes den kleinen Kreis vervollstaͤndigte. Das verzweifelte Maͤdchen hatte sich hieher zuruͤckgezogen, weil sie nicht unter den anderen Frauensleuten sein mochte, die alle gluͤcklich waren und sich ihres Lebens freuten. Sie saß nun wieder stumm und still und lauschte auf die Worte Heinrich's, welcher ihr fortwaͤhrend Hoffnung machte und zufluͤsterte, sie solle nur Geduld ha¬ ben; wenn erst diese tolle Zeit voruͤber sei, so wuͤrde sich Ferdinand schon besinnen und muͤsse es, er wolle ihn dazu zwingen. Als das Geraͤusch der Verlobung sich verbreitete, eilte Heinrich weg, um Ferdinand aufzusuchen, waͤhrend Agnes mit banger Hoffnung und aufblitzender Lebenslust sei¬ 22 * ner harrte. Aber er fand ihn nirgends und kehrte allein zuruͤck. Agnes versank in eine tiefe Erstarrung, alles vergessend, was um sie war. Der Bergkoͤnig und der Winzer begannen jetzt ihren Zustand zu er¬ kennen und bewaͤhrten sich als bescheidene und treuherzige Gesellen, welche mit herzlicher Schick¬ lichkeit ihrer schonten und zugleich mit derselben sie aufzuwecken und zu beleben suchten. Heinrich bot ihr an, sie nach Hause zu brin¬ gen; allein sie verweigerte es und ging nicht von der Stelle, indem sie behauptete, Ferdinand muͤsse sie nach Hause begleiten und wuͤrde gewiß noch kommen. Sie trank nun mehrere Mal von dem brausenden Weine, den sie in ihrem Leben noch nie getrunken, und als derselbe seine Waͤrme durch ihr Blut ergoß, wurde sie allmaͤlig laut und ergab sich einer selbstbetaͤubenden Freude. Sie sang nun selbst mit den Gesellen und ließ eine so wohlklingende Stimme ertoͤnen, daß alle bezau¬ bert wurden. Sie wurde immer lustiger und trank in kurzer Zeit einige Glaͤser aus. Die drei Burschen, wenig erfahren in so be¬ denklichen Sachen, ließen sich nun ohne Arg von ihrer Ausgelassenheit hinreißen und freuten sich uͤber das reizende lustige Maͤdchen, uͤber welches ein eigenthuͤmlicher daͤmonischer Zauber gegossen war. Sie brach bluͤhende Myrthen- und Lorbeer¬ zweige und flocht Kraͤnze daraus; sie pluͤnderte das ganze Gewaͤchshaus, um Straͤuße zu binden, und indem sie ihre Zechbruͤder mit den fremden Wunderblumen aufputzte und ihnen die Kraͤnze aufsetzte, sowie sich selbst, tanzte sie nicht wie eine Diana, sondern wie eine kleine angehende Bac¬ chantin herum, ohne daß indeß die ganze Scene das Geringste von ihrer Unschuld und Harmlosig¬ keit verloren haͤtte. Aber ploͤtzlich, als die Lust am groͤßten war, veraͤnderte sich ihr Gesicht und sie fing bitterlich an zu weinen; sie warf sich auf einen Stuhl und weinte mehr und mehr, es war als ob alle Quel¬ len des Leides sich geoͤffnet haͤtten, und bald war das Tischtuch, auf das sie ihr schluchzendes Haupt niederbeugte, von ihren stroͤmenden Thraͤnen be¬ netzt, die sich mit dem Champagner ihres umge¬ stuͤrzten Glases vermischten. Mit durchdringender, klagender Stimme rief sie, vom Schluchzen unterbrochen, nach Ferdinand, nach ihrer Mutter. In groͤßter Rathlosigkeit such¬ ten die Gesellen sie zu beruhigen und aufzurich¬ ten, zugleich befuͤrchtend, daß andere Gaͤste her¬ beikommen und Agnesens bedenklichen Zustand sehen moͤchten. Allein ihr Schrecken wurde noch groͤßer, als die Thraͤnen unversehens versiegten, Agnes vom Stuhle sank und in wilde Kraͤmpfe und Zuckun¬ gen verfiel. Sie warf ihre feinen weißen Arme umher, die Brust drohte das spannende Silber¬ gewand zu sprengen, und die schoͤnen dunkelblauen Augen rollten wie irre Sterne in dem bleichen Gesicht Heinrich wollte nach Huͤlfe rufen, aber der Bergkoͤnig, welcher der aͤlteste war, hielt ihn davon ab, um einen allgemeinen Auftritt zu ver¬ huͤten. Sie hofften, der Anfall wuͤrde voruͤber¬ gehen, sprengten ihr Wasser in's Gesicht und luͤf¬ teten das Brustgewand, daß der kleine pochende Busen offen leuchtete. Heinrich hielt das schoͤne tobende Maͤdchen, das mehr dem Tode, als dem Leben nahe schien, auf seinen Knieen, da kein geeigneter Ruhesitz im Treibhause war, und in¬ dem er das zaͤrtlichste Mitleid fuͤr sie fuͤhlte, ver¬ wuͤnschte er den eigensuͤchtigen Ferdinand, welcher nun weiß Gott wo umherschweifen mochte. Als aber der ungluͤckliche Zustand, anstatt voruͤberzugehen, immer schlimmer und bedrohlicher wurde, indem die Zuckende kaum mehr zu halten war, entschlossen sie sich in der groͤßten Angst, die Kranke vorsichtig nach dem Hause zu tragen. Der Bergkoͤnig und der Winzer hoben sie auf ihre Arme und trugen die tobende Diana auf dem dunkelsten Seitenwege durch den Garten, indessen Heinrich voranging und die Gelegenheit erspaͤhte. So gelangten sie mit der verraͤtherisch glaͤnzenden und aͤchzenden Last mit Muͤhe endlich durch eine Hinterthuͤr in das Haus und in das obere Stockwerk, wo sie ein mit Betten versehe¬ nes Zimmer fanden. Sie legten dort das arme Kind hin und suchten in der Stille einige weib¬ liche Huͤlfe herbei. Es war auch die hoͤchste Zeit, denn sie lag nun in tiefer Ohnmacht; zugleich er¬ regte aber die herbeigeeilte Gaͤrtnersfrau, die Heinrich gefunden, ein solches Lamento, daß bald alle noch anwesenden Damen in dem Zimmer waren, der Vorfall nun mit dem groͤßten Auf¬ sehen bekannt ward und die betroffenen drei Zecher sich in den Hintergrund ziehen mußten. Es gelang endlich, die Ohnmaͤchtige wieder in's Leben zu rufen, und da sich auch zweckmaͤßige Huͤlfsmittel fanden, erholte sie sich in etwas, ohne jedoch zum klaren Verstande zu kommen. Doch konnte keine Rede davon sein, sie noch heute nach Hause zu bringen, obgleich ein schnell herbeigekommener Arzt die Sache nicht fuͤr ge¬ faͤhrlich erklaͤrte und Ruhe und Schlaf als die sicherste Huͤlfe zur gaͤnzlichen Erholung bezeichnete. Heinrich machte sich auf den Weg nach der Stadt, um Agnesens Mutter zu benachrichtigen. Die Fahrstraße war bedeckt mit Wagen, die, mit Tannenreis geschmuͤckt, die heimkehrenden Masken trugen, und dazwischen von vielen Fußgaͤngern. Um schneller vorwaͤrts zu gelangen und ungestoͤr¬ ter zu sein, schlug Heinrich einen Fußpfad ein, welcher im lichten Walde sich hinzog zur Seite der Straße. Als er einige Zeit gegangen, holte er Ferdinand ein, dessen weiter seidener Mantel, sowie der Saum des battistenen langen Rockes sich unablaͤssig in den Straͤuchern und Dornen verwickelten und zerrissen und so sein Fortkommen erschwerten. Fluchend schlug er sich mit dem Ge¬ struͤpp herum, als Heinrich zu ihm stieß. Sobald sie sich erkannten, erzaͤhlte Heinrich das Vorgefallene und in einem Tone, welcher deutlich verrieth, wo der Erzaͤhler hinaus wollte. Ferdinand, welcher ein ausdauernder Trinker war, aber alle eigentliche Betrunkenheit schon an Maͤnnern verabscheute, empfand einen tiefen Ver¬ druß und suchte uͤberdies mit der Aeußerung des¬ selben den weiteren Auslassungen Heinrich's zu¬ vorzukommen. »Das ist eine schoͤne Geschichte!« rief er, »ist das nun Deine groͤßte Heldenthat? Ein unerfah¬ renes Maͤdchen berauscht zu machen? Wahrhaf¬ tig, ich habe das arme Kind guten Haͤnden uͤber¬ geben!« »Uebergeben! Verlassen, verrathen willst Du sagen!« rief Heinrich und uͤbergoß nun seinen Freund mit einer Fluth der bittersten Vorwuͤrfe. »Ist es denn so schwer,« schloß er, »seinen Neigungen einen festen Halt zu geben und gerade dadurch die Gesammtheit der Weiber recht zu lie¬ ben und zu ehren, daß man Einer treu ist? Denn es ist ja doch Eine wie die Andere und in der Einen hat man Alle!« Ferdinand hatte sich indessen aus den Dor¬ nen losgewickelt; er sah nun aus wie ein zer¬ zauster und gerupfter Vogel. Da er sah, daß er Heinrich nicht einschuͤchtern konnte, ergab er sich und sagte ruhig, indem sie weiter gingen: »Laß mich zufrieden, Du verstehst das nicht!« Heinrich brauste auf und rief: »Lange genug habe ich mir eingebildet, daß in Deiner Sinnes- und Handlungsweise etwas liege, was ich mit meiner Erfahrung nicht uͤbersehen und beurtheilen koͤnne! Jetzt aber sehe ich nur zu deutlich, daß es die trivialste und nuͤchternste Selbstsucht und Ruͤcksichtslosigkeit ist, welche Dich treibt, so leicht erkennbar, als verabscheuenswerth. O wenn Du wuͤßtest, wie tief Dich diese Art entstellt und be¬ fleckt und allen Denen weh thut, welche Dich ken¬ nen und achten, Du wuͤrdest aus eben dieser Selbstsucht heraus Dich aͤndern und diesen haͤ߬ lichen Mackel von Dir thun!« »Ich sage noch einmal,« erwiderte Lys, »Du verstehst das nicht! Und das ist Deine beste Ent¬ schuldigung in meinen Augen fuͤr Deine unziem¬ lichen Reden! Nun, Du Tugendheld! ich will Dich nicht an Deine Jugendgeschichte erinnern, die Du so artig aufgeschrieben hast, erstens um Dein Vertrauen nicht zu mißbrauchen, und zwei¬ tens, weil Dir nach meiner Ansicht aus derselben wirklich nichts vorzuwerfen ist. Denn Du hast gethan, was Du nicht lassen konntest, Du thust es jetzt, und Du wirst es thun, so lange Du lebst. —« »Halt,« sagte Heinrich, »ich hoffe wenigstens, daß ich immer weniger das thue, was ich lassen kann, und daß ich zu jeder Zeit etwas lassen kann, das schlecht und verwerflich ist, sobald ich es nur erkenne!« »Du wirst zu jeder Zeit,« erwiderte Ferdi¬ nand kaltbluͤtig, »das lassen, was Dir nicht an¬ genehm ist!« Heinrich wollte ihn ungeduldig nochmals un¬ terbrechen, allein Lys uͤbersprach ihn und fuhr fort: »Angenehm oder unangenehm aber ist nicht nur alles Sinnliche, sondern auch die moralischen Hirngespinnste sind es. So bist Du jetzt sinnlich verliebt in das eigenthuͤmliche Maͤdchen, dessen absonderliche Gestalt und Art die aͤußersten Sinne reizt, wie ich nun an mir einsehe; dies ist Dir angenehm; aber weil Du wohl merkst, daß Du dabei kein rechtes Herz hast, nicht in Deinem eigentlichen Sinne liebst, so verbindest Du mit jenem Reiz noch die moralische Annehmlichkeit, Dich fuͤr das schmale Wesen in's Zeug zu wer¬ fen und den uneigennuͤtzigen Beschuͤtzer zu machen. Wisse aber, wenn Du einen Funken eigentlicher Leidenschaft verspuͤrtest, so wuͤrdest und muͤßtest Du allein darnach trachten, Deinen Schuͤtzling meinem Bereiche ganz zu entziehen und Dir an¬ zueignen. Du hast aber die wahre Leidenschaft noch nie gekannt, weder in meinem noch in Dei¬ nem Sinne. Was Du als halbes Kind erlebt, war das bloße Erwachen Deines Bewußtseins, das sich auf sehr normale Weise sogleich in zwei Theile spaltete und an die ersten zufaͤlligen Ge¬ genstaͤnde haftete, die Dir entgegen traten. Die sinnliche Haͤlfte an das reife kraͤftige Weib, die zartere geistige an das junge transparente Maͤd¬ chen, das Du an jenes verrathen hast. Dies wuͤrdest Du, trotz Deiner selbst, nie gethan ha¬ ben, wenn eine wirkliche ganze Liebe in Dir ge¬ wesen waͤre! Wisse ferner, was mich betrifft: jeder ganze Mann muß jedes annehmliche Weib sogleich lieben, sei es fuͤr kuͤrzer, laͤnger oder im¬ mer, der Unterschied der Dauer liegt bloß in den aͤußeren Umstaͤnden. Das Auge ist der Urheber, der Vermittler und der Erhalter oder Vernichter der Liebe; ich kann mir vornehmen, treu zu sein, aber das Auge nimmt sich nichts vor, das ge¬ horcht und fuͤgt sich der Kette der ewigen Natur¬ gesetze. Luther hat nur als Normalmann, als einer von Denen gesprochen, welche Religionen stiften, oder saͤubern und die Welt veraͤndern, wenn er sagte, er koͤnne kein Weib ansehen ohne ihrer zu begehren! Erst durch ein Weib, welches durch specifisches Wesen, durch Reinheit von allem eigensinnigen, kraͤnklichen und absonderlichen Bei¬ werke, eine Darstellung einer ganzen Welt von Weibern ist, durch ein Weib von so unverwuͤst¬ licher Gesundheit, Heiterkeit, Guͤte und Klugheit, wie diese Rosalie — kann ein kluger Mann fuͤr immer gefesselt werden. Wie beschaͤmt sehe ich nun ein, welche vergaͤngliche Specialitaͤt, welch phaͤnomenartiges Wesen ich in dieser Agnes mir zu verbinden im Begriffe war! Du aber schaͤme Dich ebenfalls, als solch ein zierlich entworfenes, aber noch leeres Schema in der Welt umherzu¬ laufen, wie ein Schatten ohne Koͤrper! Suche, daß Du endlich einen Inhalt, eine solide Fuͤllung bekommst, anstatt Anderen mit Deinem Wortge¬ klingel beschwerlich zu fallen!« Vielfach beleidigt schwieg Heinrich eine Weile; er war tief gereizt und es kochte und gaͤhrte ge¬ waltig in ihm; denn er war in seinem besten Bewußtsein angegriffen und fuͤhlte sich um so verletzter und verwirrter, als in Ferdinand's Wor¬ ten etwas lag, das er im Augenblick nicht zu er¬ widern wußte. Der genossene Wein und die nun schon vierundzwanzigstuͤndige ununterbrochene Auf¬ regung thaten auch das ihrige, seine Lust, die Sache vollends auszufechten, zu entflammen, und er begann daher wieder mit entschiedener Stimme: »Nach Deiner vorhinnigen Aeußerung zu urtheilen, bist Du also nicht sehr Willens, dem Maͤdchen die Hoffnungen, die Du ihr leichsinniger Weise angeregt, zu erfuͤllen?« »Ich habe keine Hoffnungen angeregt,« sagte Lys, »ich bin frei und meines Willens Herr, ge¬ gen ein Weib sowohl wie gegen alle Welt! Uebri¬ gens werde ich fuͤr das gute Kind thun, was ich kann, und ihr ein wahrer und uneigennuͤtziger Freund sein, ohne Ziererei und ohne Phrasen! Und zum letzten Mal gesagt: Kuͤmmere Dich nicht um meine Liebschaften, ich weise es durchaus ab!« »Ich werde mich aber darum kuͤmmern,« rief Heinrich, »entweder sollst Du einmal Treue und Ehre halten, oder ich will es Dir in die Seele hinein beweisen, daß Du Unrecht thust! Das kommt aber nur von dem trivialen trostlosen Atheismus! Wo kein Gott ist, da ist kein Salz und kein Schmalz, nichts als haltloses Zeug!« Ferdinand lachte laut auf und rief: »Nun Dein Gott sei gelobt! Dacht' ich doch, daß Du endlich noch in diesen gluͤckseligen Hafen einlaufen wuͤrdest! Ich bitte Dich aber jetzt, gruͤner Hein¬ rich, laß den lieben Gott aus dem Spiele, der hat hier ganz und gar nichts damit zu thun! Ich versichere Dich, ich wuͤrde mit oder ohne Gott ganz der Gleiche sein! Das haͤngt nicht von mei¬ nem Glauben, sondern von meinen Augen, von meinem Hirn, von meinem ganzen koͤrperlichen Wesen ab!« »Und von Deinem Herzen!« rief Heinrich zornig und außer sich, »ja, sagen wir es nur her¬ aus, nicht Dein Kopf, sondern Dein Herz kenn e keinen Gott! Dein Glauben oder vielmehr Dein Nichtglauben ist Dein Charakter!« »Nun hab' ich genug, Verlaͤumder!« donnerte Ferdinand mit starkem und erschreckendem Tone, »obgleich es ein Unsinn ist, den Du sprichst, wel¬ cher an sich nicht beleidigen kann, so weiß ich, wie Du es meinst; denn ich kenne diese unver¬ schaͤmte Sprache der Hirnspinner und Fanatiker, die ich Dir nie, nie zugetraut haͤtte! Sogleich nimm zuruͤck, was Du gesagt hast! Denn ich lasse nicht ungestraft meinen Charakter antasten!« »Nichts nehm' ich zuruͤck und werfe Dir Dei¬ nen Verlaͤumder zu eigenem Gebrauche zu! Nun wollen wir sehen, wie weit Dich Deine gottlose Tollheit fuͤhrt!« Dies sagte Heinrich, waͤhrend eine wilde Streitlust in ihm aufflammte Ferdi¬ nand aber antwortete mit bitterer verdrußvoller Stimme: »Genug des Schimpfens! Du bist von mir gefordert! Und zwar mit Tagesanbruch halte Dich bereit, einmal mit der Klinge in der Hand fuͤr Deinen Gott einzustehen, fuͤr den Du so weidlich zu schimpfen verstehst! Sorge fuͤr Deinen Beistand, und nun geh' Deines Weges und laß mich allein!« Er brauchte dies nicht zweimal zu sagen; denn Heinrich hatte unter anderen Thorheiten, als er fechten gelernt, sich auch das großlaͤndische Benehmen in sogenannten Ehrensachen gemerkt und angeeignet, ohne daß er es bis jetzt bethaͤti¬ gen konnte; und obgleich er noch genug auf dem Herzen hatte und gern noch lange gesprochen und gezankt haͤtte, gleich den alten Helden, welche wenigstens eben so viele Worte als Streiche aus¬ zugeben wußten und bei aller Thatkraͤftigkeit doch gern vorher den Streit gruͤndlich besprachen, III. 23 so ging er doch jetzt eben so stramm und lautlos von hinnen, wie ein geforderter Student oder Gardeofficier, waͤhrend der Zipfel seiner Kappe gemuͤthlich klingelte und sein Herz gewaltig klopfte. Beide erzuͤrnte Freunde fanden nur zu leicht und bald andere Thoͤrichte unter den heimwaͤrts schwaͤrmenden Kuͤnstlern, welche sogleich mit feier¬ licher Bereitwilligkeit die erforderlichen Verabre¬ dungen und Vorbereitungen trafen. Das Duell sollte in Ferdinands Wohnung stattfinden. Dieser begab sich nach Hause und blieb den uͤbrigen Theil der Nacht auf, ohne sich umzuklei¬ den. Er schrieb einige Briefe und versiegelte sie, warf das erotische Album, das ihm in die Haͤnde fiel, unwillkuͤrlich und erroͤthend in's Feuer, ord¬ nete dies und jenes, und als er damit zu Ende war, loͤschte er das Licht, setzte sich an das Fen¬ ster und erwartete den anbrechenden Morgen. Ohne Haß gegen Heinrich zu empfinden, war er doch sehr traurig und gekraͤnkt durch das unbe¬ dachte und boͤsartige Wort, welches dieser ihm in's Gesicht geworfen. Er unterdruͤckte daher den Gedanken, als der Aeltere die Beleidigung zu verzeihen und sich bei kaltem Blute mit dem jun¬ gen Freunde auszugleichen, und gedachte dem Unbesonnenen als einem Vertreter einer ganzen Gattung und Lebensrichtung einmal eine Lection zu geben, oder wenigstens durch den Ernst des Vorfalles ihm die Augen zu oͤffnen. Fuͤr sich war er nicht besorgt und es war ihm in seiner jetzigen Stimmung gleichguͤltig, was ihn betreffen moͤchte, ja er wuͤnschte, daß Heinrich ihn traͤfe und sein Blut vergoͤsse, damit er recht empfindlich fuͤr seine leichtsinnige Kraͤnkung bestraft wuͤrde. Dann richtete er seine Gedanken auf Rosalien, die ihm nun, da sie liebte und verlobt war, noch schoͤner und wuͤnschenswerther erschien. Er glaubte uͤberzeugt zu sein, daß er sie dauernd geliebt haͤtte und sah sich die schoͤne Frau wie ein guter Stern entschwinden, der nie wiederkehrt. Heinrich fuͤhlte sich so aufgeregt und munter, daß er, anstatt nach Hause zu gehen und auszu¬ ruhen, sich bis zum Morgen in verschiedenen Zechstuben herumtrieb, wo die unermuͤdlichsten der Kuͤnstler die zweite Nacht ohne Schlaf bei Wein und Gesang vollendeten. Auch sagte ihm ein schlauer Instinkt, daß er, wenn er anders das tuͤchtige Erlebniß, das thatkraͤftige Gebaren, das ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte, die Sache nicht vorher beschlafen und mit der Einkehr in seine Behausung und bei sich selbst etwa auf nuͤchterne Gedanken kommen duͤrfe. Er sah jetzt nur das Kreuzen der glaͤnzenden Klingen, mit welchem er das Dasein Gottes ent¬ weder in die Brust des liebsten Freundes schrei¬ ben, oder es mit seinem eigenen Blute besiegeln wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und er dachte daher an Ferdinand mit ungewoͤhnlicher Zaͤrtlichkeit, wie an ein koͤstliches Pergament, auf welches man seine heiligste Ueberzeugung schreiben will. Der Morgen ging endlich auf und Heinrich eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam er an seiner Wohnung vorbei; aber er ging nicht hinein, um nur das Geringste zu besorgen, son¬ dern eilte hastig weiter. An einem Brunnen wusch er sich sorgfaͤltig Gesicht und Haͤnde und ordnete seine Kleider, und darauf trat er frisch und munter, mit seltsam gespannter Lebenskraft in Ferdinand's großes Atelier, wo schon alle Be¬ theiligten versammelt waren. Man hatte kurze dreikantige Stoßdegen ge¬ waͤhlt, welche mit einer vergoldeten Glocke ver¬ sehen waren, sehr huͤbsch aussahen und Pariser genannt wurden. Jeder nahm seine Waffe, ohne den Anderen anzusehen; doch als sie sich gegenuͤber¬ standen, mußten sie unwillkuͤrlich laͤcheln und be¬ gannen mit sehnsuͤchtiger Lust die Klingen in behag¬ licher Langsamkeit aneinander hingleiten zu lassen. Sie standen gerade vor dem wandgroßen Bilde, auf welchem die Bank der Spoͤtter gemalt war. Das schoͤne Bild glaͤnzte im Morgenlicht und in all' seiner festen, vollen Farbenpracht, und die Spoͤtter schienen die Kaͤmpfenden neugierig und launig zu betrachten. Der Abbé nahm seine Prise, der Alte schlug ein Schnippchen und der Taugenichts hielt die Rose vor den hoͤhnischen Mund. Bis jetzt war das Fechten ein Spiel gewesen, bei welchem nichts herauskommen konnte, da Jeder mit Leichtigkeit die Stoͤße des Anderen uͤbersah und parirte. Die scharfgeschliffenen Spitzen, welche vor ihren Augen herumflirrten, uͤbten aber eine unwiderstehliche Lockung, und Beide gingen fast gleichzeitig in ein rascheres Tempo uͤber. Hein¬ rich, welcher der Hitzigere und Bethoͤrtere war, in welchem auch eine Menge Weines gluͤhte, wurde noch ungestuͤmer und entschiedener, und unver¬ sehens trat Lys mit einem leisen Schrei einen Schritt zuruͤck und sank dann auf einen Stuhl. Er war in die rechte Seite getroffen, das Blut tropfte erst langsam durch das weiße Kleid, bis der Arzt die Wunde untersuchte und offen hielt, worauf es in vollen Stroͤmen sich ergoß. Nach einigen Minuten, waͤhrend welcher Ferdinand sich munter und aufrecht hielt, beruhigte der Arzt die Anwesenden moͤglichst und erklaͤrte die Ver¬ letzung zwar fuͤr gefaͤhrlich und bedenklich, aber nicht fuͤr unbedingt toͤdtlich. Die Lunge sei ver¬ letzt und alle Hoffnungen oder Befuͤrchtungen eines solchen Falles muͤßten mit ruhiger Vorsicht abgewartet werden. Heinrich hoͤrte dies aber nicht, obgleich er dicht bei dem Verwundeten stand und denselben umfaßt hielt. Er war nun todtenbleich und sah sich ganz verwundert um. Die Kraft verließ ihn und er mußte sich selbst auf einen Stuhl setzen, wo er wie durch einen Traum hindurch das rothe Blut fließen sah. Erikson, welchen es trieb, die Freunde aufzu¬ suchen und, da er sich nun geborgen sah, in ge¬ muͤthlichem Scherze den verungluͤckten Ferdinand zu troͤsten und etwas zu haͤnseln, trat jetzt ein und sah mit Schrecken das angerichtete Unheil, nicht wissend, was es bedeute. »Was zum Teufel treibt ihr denn da?« rief er und eilte bestuͤrzt und besorgt auf Ferdinand zu. »Nichts weiter,« sagte dieser schmerzlich laͤ¬ chelnd, »der gruͤne Heinrich hat nur die Feder, mit welcher er seine Jugendgeschichte geschrieben, an meiner Lunge ausgewischt — ein komischer Kauz. — « Weiter konnte er nicht sprechen, da ihm Blut aus dem Munde drang und eine tiefe Ohnmacht ihn befiel. Ende des dritten Bandes.