Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Von Leopold Ranke. Dritter Band. Berlin, 1840. Bei Duncker und Humblot. Vorrede. I m Fortgange der Arbeit wurde ich inne, daß ich aus den mir zu Gebote stehenden Sammlungen noch immer nicht zu einer sichern Anschauung der allge- meinen europäischen Verhältnisse in meiner Epoche gelangen könne. Und doch zeigte mir jeder Tag aufs neue, welch einen weitgreifenden Einfluß diese Verhältnisse so damals wie fast immer auf den Gang unserer innern Angelegenheiten ausgeübt haben. Wie hätte es auch anders seyn können, in einer Zeit, wo ein Kaiser regierte, dem so viele andere Länder gehorchten, und dessen Politik bei weitem mehr von den Gesichtspunkten bestimmt ward, die ihm seine persönliche, allgemeine Lage an die Hand gab, als von deutschen Interessen? Bei der ins Einzelne gehenden Darstellung, die ich unternommen, mußte ich wünschen, seine Beziehungen zu den mäch- *2 Vorrede . tigeren Fürsten von Europa in jedem Moment so ge- nau wie möglich zu kennen. Um nun dem Mangel, den ich empfand, abzu- helfen, besuchte ich im Herbst 1839 Brüssel. Hier in einem Hauptsitz der burgundischen Macht durfte ich hoffen, Denkmale nicht allein seiner provinciellen, sondern auch seiner allgemeinen Staatsverwaltung zu finden. Glücklicherweise hatte mir ein durch germanischen Eifer ausgezeichneter Beamter des dortigen Archivs auf das trefflichste vorgearbeitet. Eine Reihe ver- gessener Papiere aus dem sechszehnten Jahrhundert war vor kurzem aufgefunden, in Ordnung gebracht, und unter dem Titel: Documens relatifs à l’hi- stoire de la réforme religieuse in 25 prächtigen Bänden aufgestellt worden. Da fanden sich nun Correspondenzen zwischen Carl V und seinem Bru- der, zwischen den beiden Brüdern und ihrer Schwe- ster Maria, Regentin der Niederlande, die auf alle europäischen Angelegenheiten Bezug nahmen; An- weisungen an ihre Bevollmächtigten in Deutschland, Dänemark, der Schweiz, der Türkei und deren Be- richte; Aufsätze, zuweilen von Granvella in der Mitte der Geschäfte entworfen; eine Fülle von mehr oder minder wichtigen Literalien über die Beziehun- gen der niederländischen Regierung, wie zu ihren übrigen Nachbarn, so denn auch zu deutschen Für- Vorrede . sten und Feldhauptleuten. An vielen Stellen, wo mir noch Zweifel übrig geblieben, sah ich die Noti- zen, die wir Bucholz verdanken, oder meine eignen ältern Sammlungen auf das erwünschteste ergänzt. Wie hätte ich aber vollends hoffen dürfen, die in Weimar unterbrochene Arbeit in Brüssel fortsetzen zu können? — Als Carl V den Churfürsten Johann Friedrich bei Mühlberg gefangen nahm, fielen auch dessen Papiere in seine Hände, und er nahm sie nach den Niederlanden mit. Sie bilden jetzt den 7ten, 8ten und 9ten Band der bezeichneten Samm- lung. Ich durchlief die mir wohlbekannten Schrift- züge der Canzlei Johann Friedrichs mit um so grö- ßerer Genugthuung, da ich unerwartet zwar sehr einfachen, aber doch unentbehrlichen Aufschlüssen über die Katastrophe des schmalkaldischen Bundes begegnete. Neben dem Kaiser wirkte aber auch dessen Ne- benbuhler, der König von Frankreich, der ihm einst die Krone streitig gemacht, unaufhörlich auf Deutsch- land ein. So nahe bei Paris konnte ich unmöglich versäumen, mein Glück auch in den dortigen Samm- lungen zu versuchen. Was man in Deutschland von jeher in die Archive verschlossen, hat man früherhin in Frank- reich, wie in Italien, nicht selten den Bibliotheken anvertraut. Die königliche Bibliothek in Paris ist für die Vorrede . neuere Geschichte, so gut wie für so viele andere Zweige der Literatur und Gelehrsamkeit eine noch lange nicht erschöpfte Fundgrube. Nur sind die Ac- tenstücke, die sich in dem Archiv vielleicht in chrono- logischer Ordnung beieinander finden würden, in der Bibliothek in verschiedene Handschriftensammlun- gen, zerstreut. Die Sammlungen: Dupuis, Be- thune, Brienne, Melanges de Colbert, Colbert Cinq Cent mußten für den kleinen Zeitraum, den ich im Auge hatte, sämmtlich durchgegangen werden. Die Ausbeute war in der Regel nur fragmentarisch, aber immer sehr willkommen. Dann und wann boten sich auch zusammenhängende Correspondenzen dar; z. B. Castillon’s von dem englischen Hofe, Ma- rillac’s von dem kaiserlichen die man mit eben so viel Vergnügen wie Belehrung studirt. Von Ma- rillac fand ich auch zuletzt noch eine Art Finalrela- tion, die ich im Anhange mitzutheilen denke. Bei diesem Reichthum der Bibliothek können nun aber die Archive für jene Zeiten nicht so er- giebig seyn, wie man sonst erwarten dürfte. Der Vorsteher des Archivs der auswärtigen Angelegen- heiten versicherte mich, daß sich für meinen Zweck nichts von Belang darin finde. In den dem allge- meinen Gebrauch zugänglichen Archives du ro- yaume war auch wirklich für die deutsch-franzö- sischen Angelegenheiten nur eine Nachlese zu hal- Vorwort . ten. Dagegen giebt es dort andere Documente von unschätzbarem Werth. Es ist bekannt, daß ein Theil des Archives von Simancas einst nach Frankreich wandern mußte. Nach dem Frieden ist das Meiste davon zurückgegeben worden; anderes jedoch, na- mentlich alles was sich unmittelbar auf Frankreich bezieht, daselbst zurückgeblieben. Das hat nun we- nigstens den Vortheil, daß man es leichter benutzen kann. Ich fand hier zu dem, was aus Wien be- kannt geworden, und was Brüssel mir selbst dar- geboten, gleichsam den dritten Theil: — Eingaben von Gelehrten und Staatsmännern: Aufzeichnungen der an dem spanischen Hof über die Geschäfte gepflo- genen Deliberationen: Vorschläge des geheimen Ra- thes und kurze Entscheidungen, mit der großen und etwas unleserlichen Handschrift Carls V an den Rand gezeichnet. Die Hauptsache ist aber auch hier der ge- sandtschaftliche Verkehr; und es machte mir nicht ge- ringes Vergnügen, mit den Briefen der französischen Gesandten vom kaiserlichen Hofe, die des kaiserlichen vom französischen Hofe zu vergleichen: St. Mauris ge- wann mir nicht geringere Theilnahme ab als Marillac. Wer auch sonst nicht eine natürliche Neigung zur Unparteilichkeit hätte, müßte sich doch durch diese nahe Zusammenstellung des Entgegengesetzten aufge- fordert fühlen, einem Jeden sein Recht angedeihen zu lassen. Vorwort . Indem ich nun den Reichthum dieser Samm- lungen preise, so wie die Bereitwilligkeit, mit der sie mir eröffnet wurden, brauche ich wohl kaum hin- zuzufügen, daß mir doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten gehoben, alle Zweifel gelöst worden sind; immer aber fühlte ich mich wesentlich gefördert, und konnte nun mit um so größerer Zuversicht zu den deutschen Studien zurückkehren. Auch für diese fand ich in dem reichen und wohlgeordneten Archive zu Düsseldorf, namentlich für die clevisch-cölnischen Sachen, neue und gern mitgetheilte Ausbeute. Denn bei aller Einwirkung von außen her, kommt doch noch bei weitem mehr auf die selbstän- dige innere Entwickelung der deutschen Angelegenhei- ten an: wo sich eigenthümliche Kräfte in ihren ur- sprünglichen Trieben erheben und geltend machen. Der Zeitraum ist überhaupt einer von denen, in welchen der große Impuls, der Europa beherrschte, nicht, wie sonst öfter, von außen her auch in Deutsch- land vordrang, sondern wo er vielmehr von Deutsch- land ausging, und zwar von der ächten reinen Tiefe und eingebornen Macht des deutschen Geistes; von unserm Vaterland aus ergriff die religiöse Bewe- gung Europa. Inhalt . Seite Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholischen Majoritaͤt . 1527 — 1530 1 Erstes Capitel. Schwankungen der allgemeinen politischen Verhaͤltnisse Europa’s 10 Zweites Capitel. Zeiten der Packischen Haͤndel in Deutschland 34 Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz 54 Anfaͤnge Zwingli’s 55. Emancipation der Stadt Zuͤrich vom Bisthum Constanz 65. Abendmahlsstreitigkeit 77. Siege der Reform in der Schweiz 96. Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529 102 Spanischer Katholicismus 109. Verbindung des Kaisers mit dem Papst 119. Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1529 142 Protestation 153. Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Pro- testanten 161 Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien 187 Achtes Capitel. Reichstag von Augsburg im Jahr 1530 226 Augsburgische Confession 241. Confutation 249. Bedrohungen 257. Widerstand 258. Vermitteluugsversuch 275. Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt 291. Inhalt . Seite Sechstes Buch. Emporkommen des schmalkal- dischen Bundes . 1530—1535 297 Erstes Capitel. Grundlegung des schmalkaldi- schen Bundes 302 Zweites Capitel. Fortschritte der Reformation in der Schweiz 321 Drittes Capitel. Versuch einer Vermittelung zwischen den protestantischen Parteien 339 Viertes Capitel. Katastrophe der Reformation in der Schweiz 352 Fuͤnftes Capitel. Reform in den niederdeut- schen Staͤdten, Vollziehung des schmal- kaldischen Buͤndnisses 375 Magdeburg 377. Braunschweig 379. Ham- burg 381. Bremen 382. Luͤbeck 384. Ver- fassung des Bundes 393. Sechstes Capitel. Angriff der Osmanen. Er- ster Religionsfriede 399 Verhandlungen zu Nuͤrnberg 412. Zugestaͤnd- nisse beider Theile 417. Siebentes Capitel. Einwirkung von Frankreich. Restauration von Wirtemberg 434 Achtes Capitel. Fortschritte der Kirchenrefor- mation in den Jahren 1532—1534 469 Einrichtungen in den evangelischen Laͤndern 471. Irrungen mit dem Kammergericht 477. Re- formation in Wirtemberg 485. Augsburg 487. Anhalt 488. Pommern 490. Westfaͤlische Staͤdte 492. Neuntes Capitel. Wiedertaͤufer in Muͤnster 505 Zehntes Capitel. Der Buͤrgermeister Wullen- weber in Luͤbeck 565 Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholischen Majorität. 1527 — 1530. Ranke d. Gesch. III. 1 I n der Einleitung zu dieser Geschichte überblickten wir die früheren Schicksale der deutschen Nation, besonders in Bezug auf den Kampf der geistlichen und der weltlichen Macht. Wir bemerkten wie das Papstthum nicht allein den Sieg davon trug, sondern sich zu einer wahrhaften Gewalt im Reiche und zwar zur mächtigsten von allen erhob; wie aber dann, selbst als es sich mit dem über- wundenen Kaiserthum verständigt und verbündet hatte, das Reich nicht mehr regiert werden konnte , im Innern in Verwirrung und Anarchie gerieth , sein Ansehn nach Außen von Jahr zu Jahr mehr verlor; bis endlich das National- Gefühl, das weiter keinen Raum zu wahrer Thätigkeit fand, sich nur noch in der allgemeinen Ueberzeugung kund- gab, daß dieser Zustand unhaltbar und verderblich sey. In den letzten Decennien des funfzehnten und den ersten des sechszehnten Jahrhunderts machte man die ernst- lichsten Versuche denselben zu verbessern. Wir beobachte- ten in unserm ersten Buche, wie man die Sache zunächst von der weltlichen Seite angriff. Die Absicht wurde ge- faßt, eine zugleich auf kaiserlichen und ständischen Berech- tigungen beruhende, vornehmlich aber auf die Mitwirkung 1* Fuͤnftes Buch . der Stände gegründete Reichsgewalt zu erschaffen: nicht etwa um eine Centralisation im Sinne späterer Zeiten her- vorzubringen, sondern nur um die dringendsten Bedürfnisse zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, sich gegen die Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht zum Ziele. Einige Formen der Verfassung, welche für die folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung gewesen sind als für die damaligen, wurden aufgestellt: wir sahen jedoch, wie wenig sie zu Wirksamkeit gelangten. Der Er- folg war nur, indem so tiefgreifende Umwandlungen ver- sucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge- meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be- schränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr wurde, so erhob sich der alte Geist der Gewaltsamkeit und Selbsthülfe noch einmal in aller seiner Kraft, nur mit dem merkwürdigen Unterschiede, daß er jetzt zugleich mit einem lebendigen Sinne für das Gemeinwesen, und einem Wi- derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an Ingrimm streifte, verbunden war. Und in dieser Stimmung nun warf sich der natio- nale Geist, wie wir in unserm zweiten Buche sahen, da es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältnisse nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At- tribute des Papstthums, das einen so großen Theil der öffentlichen Gewalt im Reiche besaß. Hier aber traf er mit noch umfassendern Regungen des allgemeinen Lebens zusammen. War das Papstthum noch immer in strengerer Ausbildung des Particularismus seiner Dogmen und Dienste Ruͤckblick . und der gewaltsamsten Handhabung derselben begriffen, so regten sich doch auch innerhalb seines Kreises Tendenzen der Wissenschaft, die sich dem herrschenden System der Schulen entgegensetzten, und Bedürfnisse des religiösen Gei- stes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienste keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geschick war, daß eben als der Mißbrauch am ärgsten geworden, dage- gen auch die reine Idee des Christenthums, in Folge eines neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Ursprache auf das hellste hervorleuchtete. Alle diese Momente wirkten zusammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein- heit der religiösen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf die er lebte und starb, zu verfechten unternahm, der aber, da man sie ihm zu entreißen suchte, auch die andern Elemente der Opposition an sich zog, wissenschaftliche und nationale, und ihnen einen Ausdruck gab, der von seiner Stelle aus die ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Mensch eine ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papst- thum ohnehin nicht durch Verfassungsformen zu beschränken. Wollte man der Uebergriffe desselben sich entledigen, so mußte man den geistigen Grund bestreiten, aus dem sie hervorgingen. Die vornehmste Frage war dann, welche Stellung die Reichsgewalten in diesem Kampfe ergreifen würden. Der junge Kaiser blieb dem alten System treu; da er aber Deutschland nach kurzer Anwesenheit verließ, und jene stän- dische Regierung nun zur Ausführung kam, welche man früher beabsichtigt, so hing zunächst alles von der Hal- tung ab, welche diese nehmen würde. Wir sahen in un- serm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur- Fuͤnftes Buch . zem Schwanken sich doch unzweifelhaft für Luther entschied. Als in der Versammlung der Stände die Rede davon war, die Prediger wenigstens auf die Schriften der vier ältesten canonischen Lehrer der lateinischen Kirche zu verpflichten, wußte das Regiment selbst dieß zu verhüten; so weit war man davon entfernt, an eine Festhaltung der im Laufe der späteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrsätze zu den- ken. Diese Regierung faßte überhaupt die großartigsten Absichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage hoffte sie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann würde sie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei- ten, der geistlichen sowohl wie der weltlichen, kraftvoll in die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus einem Nationalconcilium, wie ein solches bereits angesetzt war, unter ihrer Leitung hervorgegangen seyn! Allein zu lange schon war man in Deutschland der Ordnung ent- wöhnt. Weder die Ritterschaft, noch die Fürsten, noch auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor- kommen lassen, der sie hätten gehorchen müssen. Den Be- schlüssen der Reichstage zum Trotz vereinigten sich einige Fürsten auf das engste mit dem Papst; von Spanien her verbot der Kaiser jenes Nationalconcilium; die ganze Re- gierung ward gesprengt. Der Bauernkrieg war das Sym- ptom der allgemeinen Auflösung, die hieraus erfolgte. Auch ist er nicht durch die Reichsgewalt besiegt worden, sondern durch die angegriffenen Fürsten und Stände in ihren besondern Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das Reichsregiment sie beabsichtigt, war nicht mehr zu denken. Ruͤckblick . Ebendarum aber ließ sich auch eine Einrichtung der- jenigen Landschaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im Sinne derselben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai- ser selbst des Beistandes dieser Ideen nicht entbehren. Bei dem Versuch die Rechte des Reichs in Italien herzustellen, die er Anfangs im Einverständniß mit der päpstlichen Gewalt un- ternommen, gerieth er, wie wir in unserm vierten Buche er- örterten, allmählig in die bittersten Irrungen mit derselben, in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an- wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre ihm nicht jene populare Entrüstung wider das Papstthum, die von Jahr zu Jahr noch gewachsen, zu Hülfe gekommen. Um sie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeständnisse machen. Es war ein feierlicher Reichstagsschluß, wodurch den Fürsten und Ständen in ihren Gebieten eine fast unbedingte religiöse Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand. Während ein deutsches Heer in Italien vordrang, Rom er- oberte, den Papst daselbst zum Gefangenen machte, richtete sich diesseit der Alpen eine große Anzahl fürstlicher und städti- scher Gebiete nach den Grundsätzen Luthers ein; sie sagten sich auf immer von den römischen Satzungen los und grün- deten ihre eigenen kirchlichen Organisationen. Auf diese Weise geschah, daß der Kreis jener Hierar- chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft- vollsten und entwickeltsten derselben eine neue Bildung ver- sucht ward, deren Sinn es war, die religiöse Ueberzeugung aus den reinsten und ersten Quellen zu schöpfen und das bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geistlichen Institute zu Fuͤnftes Buch . befreien. Ein Unternehmen, für die Fortentwickelung der Welt von der größten Bedeutung und Aussicht. Aber es leuchtet ein, auf wie mannichfaltige Hinder- nisse man dabei nun auch stoßen mußte. Einmal, wie sollte es möglich seyn, auch unter De- nen, die sich demselben anschlossen, Verschiedenheiten der Auffassung, Entzweiungen zu vermeiden? Durfte man ferner wohl verständiger Weise voraus- setzen, daß die thatkräftigen Fürsten, welche die Neuerung vollzogen, sich in dem neuen Verhältniß ganz ohne Tadel, ohne Gewaltsamkeiten, die dem Zeitalter so natürlich gewor- den, bewegen würden? Vor allem aber, wie ließ sich erwarten, daß der Geist der Alleinherrschaft, der in der römischen Kirche von jeher vorgewaltet, kraft dessen sie noch immer eine höchste Auto- rität über die Welt in Anspruch nahm, sich in Verluste so drohender Art finden, nicht alle seine Kräfte anstrengen sollte, die Abgewichenen wieder herbei zu bringen? Der Sinn der Nation wäre gewesen, daß der Kaiser seine in Italien erworbene Macht behauptet, ihr dagegen gestattet hätte, ihre kirchlichen Ideen, womit sie den Wil- len und das Geheiß Gottes zu vollziehen überzeugt war, durchzuführen. Dazu hätte aber gehört, daß der Kaiser persönlich einen lebendigen, und über die Berechnungen der Politik erhabenen Antheil an ihren Ideen genommen hätte. War dies nicht der Fall, wie sich denn davon keine Spur zeigt, so stand seine eigene Gewalt in viel zu engen und mannichfaltigen Beziehungen zu dem Papstthum, als daß er lange im Kriege mit demselben hätte verharren können. Lage der Dinge . Endlich das Reich war sehr hierarchischer Natur; alle die Jahrhunderte daher hatte es sich unter dem vorherrschen- den Einfluß des römischen Stuhles entwickelt. Da es mit dem Versuch, eine Regierung zu gründen, welche die Oppo- sition gegen Rom selber durchgeführt hätte, nicht gelungen war, so mußten die hierarchischen Sympathien sich noch ein- mal regen. Schon waren, wie berührt, neue Verbindungen mit dem Papst geschlossen, die Bischöfe waren entrüstet, daß sie ihre geistliche Gerichtsbarkeit verlieren sollten. Es war wohl nicht zu vermeiden, daß Kaiser und Reich noch einmal die Sache der Hierarchie ergriffen; dann mußte die bittersten und gefährlichsten Kämpfe eintreten. In der That sind Zeiten gekommen, wo es der unter- nommenen evangelischen Organisation nicht anders ergehn zu können schien, als alle den früheren Bildungen, welche den Versuch gemacht, sich von Rom getrennt zu behaup- ten, aber entweder vernichtet, oder doch auf sehr enge Gren- zen beschränkt worden waren. Diese Zeiten haben wir nunmehr zu betrachten: die Schwankungen in denen die Dinge sich bewegten, den An- griff welcher geschah, den Widerstand welcher geleistet wor- den ist. Die Gründung haben wir wahrgenommen: sehen wir nun, ob sie fähig seyn wird sich zu behaupten, nachhalti- gen Einfluß in der Welt zu gewinnen. Wir gehen aus von den auswärtigen Verhältnissen, von denen die allgemeine Stellung des Kaisers bestimmt ward, und die deshalb, so wie er sich den deutschen Dingen wid- mete, die größte Rückwirkung auf diese ausüben mußten. Erstes Capitel . Schwankungen der allgemeinen politischen Verhält- nisse Europa’s. 1527, 28. Das Heer Carls V hatte Rom erobert, und welches auch das Bezeigen des Kaisers gewesen seyn mag, als er die Nachricht von diesem Siege empfing, so ist doch gar nicht zu läugnen, daß er eine Zeitlang sehr weit aussehende politische Entwürfe daran knüpfte. Vor Kurzem ist die Instruction bekannt geworden, mit welcher er einen seiner Hofleute Pierre de Verey an den Vicekönig von Neapel sendete. Der Kaiser bemerkt darin, daß er wohl wünschte, entweder selbst unverzüglich nach Italien zu gehen oder den Papst nach Spanien kom- men zu lassen, um alle Streitigkeiten persönlich und münd- lich auszugleichen. Und noch immer würde ihm das Liebste seyn, wenn der Vicekönig den Papst sicher nach Spanien zu bringen wüßte, nur schreckt ihn die Gefahr, daß er etwa unterwegs einem feindlichen Geschwader in die Hände falle. Unter diesen Umständen erklärt er für das Beste, den Papst in seine Freiheit auf seinen Stuhl wiederherzustellen. Aber hören wir unter welchen Bedingungen. Diese Freiheit, sagt Absicht Carls V auf den Kirchenstaat . der Kaiser ausdrücklich, sey nur zu verstehen von der geist- lichen Amtsführung, und auch in dieser Hinsicht müsse man, ehe man sie ihm gebe, hinreichende Sicherheit haben, daß man nicht von ihm betrogen werde. Instruction an Pierre de Verey, Baron von Mont St. Vincent excerpirt bei Bucholz Ferdinand III , 97 — 104. Besonders p. 101. Haben wir bedacht — falls kein Mittel ist, daß S. H. mit Sicherheit hieher kommen koͤnne, gegen S. Heiligkeit ungeachtet des Vorgefallenen so großer Freigebigkeit zu gebrauchen, ihm die Freiheit zuruͤckzugeben und daß er durch die Hand meines Vicekoͤnigs als Repraͤsentanten unserer Person auf seinen Stuhl zu Rom wie- derhergestellt werde. Aber bevor er in diese Freiheit herzustellen waͤre, welche zu verstehen ist von der geistlichen Amtsfuͤhrung, muͤßte unser Vicekoͤnig so gut von ihm versichert seyn in allen Dingen, welche menschlicher Weise und mit weltlicher Macht geschehen koͤn- nen, daß wir dabei nicht betrogen wuͤrden, und daß wenn derselbe den Willen haben sollte, er nicht das Vermoͤgen haͤtte uns Uebles zu thun, damit wir nicht fuͤr ihm Erwiesenes Gute allezeit Nach- theil und Schaden empfiengen, wie die Erfahrung der Vergangen- heit es gezeigt hat. Bucholz setzt die Instruction 3 Wochen nach dem 30sten Juni, also 21. Juli 1527. Er giebt an, wodurch er sich gesichert glauben würde: es ist die Ueber- lieferung der Städte Ostia und Civitavecchia, Parma und Piacenza, Bologna und Ravenna, endlich auch von Civita- castellana. Er fordert, wie man sieht, alle wichtigern Plätze des damaligen Kirchenstaats. Denn der Grundsatz des Kai- sers ist, daß falls auch der Papst jemals wieder des Willens seyn sollte zu schaden, er doch das Vermögen dazu nicht haben dürfe. Die genannten Plätze will er in seinen Hän- den behalten, bis der Papst ein Concilium beruft, um eine Reformation der Kirche zu bewirken. Absichten welche den Ideen der deutschen Nation in der That nicht übel ent- sprachen . Die Kirchenreform die der Kaiser forderte, war allerdings nicht die lutherische, namentlich nicht doctrineller Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . Natur; er wollte nur die Mißbräuche der Verwaltung ab- gestellt wissen: wie das frühere Könige und Kaiser so oft verlangt, Glapio noch zuletzt in Worms gerathen: aber au- genscheinlich ist doch, daß die beiden Gedanken sich gegen- seitig unterstützen. Ueberdieß aber, welch eine neue Aussicht für die weltliche Macht des Kaisers, wenn er den Kirchen- staat bis auf ein so fernes unbestimmtes Ziel in Händen be- hielt! So hatte Ferdinand vor Kurzem das Bisthum Brixen bis auf eine künftige Vereinbarung besetzt und die Meinung erweckt, er wolle es auf immer behalten. So überließ in eben diesem Jahr der Bischof von Utrecht, durch seinen kriegerischen Nachbar von Geldern verjagt, alle Rechte der weltlichen Herrschaft über sein Bisthum gegen eine jähr- liche Geldzahlung an die niederländische Regierung des Kaisers. Die Unterhandlungen von Schoonhoven (October 1527) erhellen aus dem Vortrag in der Versammlung der hollaͤndischen Staͤnde bei Wagenaar II, 349. Nicht anders schien es jetzt der größten geist- lichen Pfründe dem Kirchenstaat selbst gehn zu müssen. Man glaubte, der Kaiser werde seinen Sitz in Rom nehmen, die Weltlichkeit des Kirchenstaats für sich behalten und den Papst absetzen oder wegführen. Was sollte man auch denken, wenn der Kaiser den Herzog von Ferrara einmal ohne Rückhalt aufforderte die Herstellung der verjagten Dy- nasten im Kirchenstaat zu unternehmen, der Sassatelli in Imola, der Bentivogli in Bologna. Der Vicekönig von Neapel hat wirklich dem spanischen Obersten Alarcon, dem die Hut des Papstes in der Engelsburg übertragen war, den Vorschlag gemacht, denselben nach Ga ë ta zu bringen. Alarcon schlug es jedoch ab, „nicht aus bösem Willen“, Absicht Carls V auf den Kirchenstaat . bemerkt der Berichterstatter „sondern weil er Gewissens- angst empfand“. „Gott wolle nicht,“ sagte der tapfere Oberst „daß ich den Leib Gottes gefangen führe“. Schreiben Vereys bei Bucholz p. 110, p. 118. Es ist nicht eben allemal nöthig, daß die Pläne einer Macht genau bekannt seyen um Widerstand zu erwecken; dieselbe Möglichkeit, welche auf der einen Seite den Gedan- ken einer Unternehmung hervorbringt, erzeugt auf der andern auch die Furcht davor, den Entschluß sich ihr zu widersetzen. Carl V hatte, wie wir uns erinnern, noch mit den mächtigsten Feinden zu kämpfen. Die Liga lag noch in voller ungebrochner Macht gegen ihn zu Felde. So eben hatte der zweifelhafte Freund, welcher schon in der letzten Zeit immer zu ihr geneigt, der König von England, sich ihr auf eine entschiedene Weise genähert. Daß Carl sich weigerte, denselben an den Vortheilen des Sieges von Pavia Antheil nehmen zu lassen, oder die Vermählung zu vollziehn, welche zwischen ihm und der englischen Prinzessin Maria verabredet worden — eine Weigerung die sogar, wofür Heinrich sehr empfindlich war, einen pecuniären Nachtheil einschloß, denn eine alte Schuld des Kaisers hatte als Mitgift angerech- net werden sollen — schien dem König Grund genug sich gänzlich von dem alten Verbündeten zu trennen. Schon am 30sten April war ein Bund zwischen Heinrich VIII und Franz I zu Stande gekommen, als dessen Motiv sie die gegenseitige Zuneigung nennen, welche ihnen die Na- tur, die sie an Geist und Körper ähnlich geschaffen, einge- pflanzt habe und die durch die letzte Unterbrechung guter Verhältnisse nur um so mehr gewachsen sey. Sie vereini- Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . gen sich darin den Kaiser durch gemeinschaftliche Gesandte zur Herausgabe der französischen Prinzen unter annehm- baren Bedingungen und zur Befriedigung der englischen Geldansprüche aufzufordern, und wenn er ihrem Vorschlage kein Gehör gebe ihm ohne Verzug den Krieg anzukündi- gen. Traité de Westminster 30 April 1527 Du Mont IV, 1, 476. Wie viel mehr aber mußte nun ihr Kriegseifer durch die Eroberung von Rom entflammt werden. Hein- rich VIII sagt in der Vollmacht zu neuen Tractaten, die er dem Cardinal Wolsey ertheilt: die Sache des heiligen Stuhles sey eine gemeinschaftliche aller Fürsten; nie sey aber demselben eine größere Schmach zugefügt worden als jetzt; und da diese nun von keiner Art von Beleidigung veranlaßt sey, sondern lediglich in ungezähmter Herrschsucht ihren Grund habe, so müsse man solchem seiner selbst nicht mächtigen Ehrgeiz bei Zeiten mit gemeinschaftlichen Kräf- ten begegnen. Ad tractandum super quocumque foedere pro resarcienda romanae sedis dignitate commissio regis bei Rymer VI, II, p. 80. Seine erste Idee war, daß die noch freien Cardinäle sich in Avignon versammeln möchten, wo auch Wolsey erscheinen werde; er rieth gleichsam einen neuen Mittelpunct für die Kirche zu erschaffen. Da aber die Cardinäle nicht darauf eingingen, so versprachen einander wenigstens die beiden Könige, in keine Ankündigung eines Conciliums zu willigen, so lange der Papst nicht frei sey; sich überhaupt jeder im Interesse des Kaisers versuchten Anwendung der kirchlichen Gewalt gemeinschaftlich zu wi- dersetzen. Praesertim cum juris naturalis aequitate pensata non proprie a summo pontifice factum dici possit, quod ad aliorum Jetzt endlich beseitigten sie definitiv die alten Bund zwischen England und Frankreich . Streitigkeiten zwischen den beiden Reichen. Wolsey, der zu Amiens erschienen war, gab in seines Königs Na- men alle Ansprüche desselben auf die französische Krone auf. Als Entschädigung wurde eine Geldzahlung festge- setzt, welche dem König Heinrich und allen Nachfolgern desselben zu leisten sey, „ohne Unterlaß, bis zu dem Ab- lauf der Jahre, welche die göttliche Vorsicht dem mensch- lichen Geschlecht gesetzt hat.“ Früher hatten sie ihren An- griff vornehmlich gegen die Niederlande zu richten gedacht; jetzt kamen sie überein, alle ihre Kräfte nach Italien zu wenden. Heinrich ließ sich geneigt finden, Hülfsgelder zu zahlen; er hoffte durch eine immerwährende Pension, die dem Herzogthum Mailand aufzulegen sey, reichlich dafür entschädigt zu werden. Vorschläge die der Kaiser in die- sem Augenblick machte, so billig sie lauteten, wurden zu- rückgewiesen. Im August 1527 erschien ein neues fran- zösisches Heer unter Lautrec in Italien, nahm Bosco, Ales- sandria und das feste Pavia, an dem jetzt der Widerstand grausam gerächt wurde, den es vor dritthalb Jahren ge- leistet: im October 1527 überschritt Lautrec den Po; er wollte nur noch einige Verstärkungen abwarten, um als- dann in den Kirchenstaat vorzudringen. Schreiben von Angerer 5. Nov. in Hormayrs Archiv 1812, 456. „Wir lassen uns mit Worten aufhalten und die Liga prose- quirt ihren Sieg. — — Hab warlich keine Hofnung oder Herz mehr.“ Ein Schreiben Leiva’s vom 23. October zeigt jedoch, daß der das Herz nicht verloren hatte. Es wäre schon an und für sich dem Kaiser sehr un- angenehm gewesen, wenn der Papst, mit ihm noch unver- arbitrium facit captivus, etiamsi verbis diversissimum profiteatur. Traité d’Amiens 18 Août bei Dumont IV, 1, 494. Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . söhnt, durch dieses Heer aus dem Castell befreit worden wäre; was so unmöglich nicht schien, da die deutschen Truppen in Folge ihrer Unordnungen und durch die Krank- heiten des italienischen Sommers große Verluste erlitten hatten und niemals ganz zufrieden waren; — aber noch besonders verdrießlich und unbequem wäre ihm dieß durch einen Gedanken geworden, den König Heinrich gefaßt hatte und mit Eifer ja mit Heftigkeit verfolgte. König Heinrich VIII war mit Katharina von Ara- gonien, die früher die Gemahlin seines Bruders Arthur gewesen, — einer Tante des Kaisers verheirathet. Nicht ohne Dispensation des Papstes hatte dieß geschehen kön- nen. Julius II hatte dieselbe gegeben, „kraft apostolischer Autorität, jener höchsten ihm verliehenen Macht, welche er verwalte, wie Zeit und Umstände es erfordern.“ Breve bei Burnet: Collection p. 9. es heißt da: cum matrimonium contraxissetis illudque carnali copula forsan con- summavissetis. Es ist klar, daß die Dispensation auch auf diesen Fall berechnet war. Allein in der Nation ja in der nächsten Umgebung des Königs waren wohl nie alle Scrupel verschwunden. Ein Spruch im dritten Buch Mose bedroht Den mit Kinderlosigkeit, der das Weib seines Bruders nehme. Leviticus XX, 21. Von Johannes dem Taͤufer dem He- rodes in Erinnerung gebracht Marci VI, 18. Eben an dem Kö- nig, dem die Söhne welche ihm Katharina brachte alle bald wieder starben, schien sich dieß zu bewähren. Ob der Papst von einem Gesetz der Schrift entbinden könne, war selbst bei Thomas von Aquino zweifelhaft; wie viel mehr aber mußten die Reformationsideen, welche auch in Eng- land eindrangen, und von verwandten Fragen ausgegan- Ehescheidung Heinrichs VIII. gen waren, diesen Zweifel verstärken! Der Beichtvater des Königs sagte schon lange seinen Freunden, jene Ehe des Herrn werde nicht bis aus Ende bestehen. Polydorus Virgilius Historia Anglica, Henricus VIII p. 82. Jam pridem conjugium regium velut infirmum labefactatum iri censebat idque clam suis saepe intimis amicis insusurrabat. Da geschah nun daß Cardinal Wolsey, der Vertraute des Königs sich mit dem Kaiser entzweite. Der Kaiser hatte ihm einst in Windsor angetragen ihn zum Papstthum zu befördern und dann, als der Fall eintrat, wenig oder nichts für ihn gethan. In Spanien hat man immer be- hauptet, Wolsey habe dem Kaiser dafür ewige Rache ge- schworen, er habe sich gerühmt, einen solchen Umschwung in den Geschäften hervorzubringen, wie seit 100 Jahren nicht Statt gefunden, — und sollte das Königreich Eng- land darüber zu Grunde gehn. Respuesta del emperador al cartel presentado por Cla- rençao bei Sandoval lib. XVI, Tom. I, p. 358. So viel ist gewiß, er faßte die Idee, seinen Herrn, auf den, wie wir sahen, auch sonst mannichfaltige Beweggründe wirkten, auf immer von dem Kaiser zu trennen. Dazu aber war eine Auflösung der Ehe, durch welche einst Ferdinand der Katholische und Heinrich VIII die Verbindung beider Familien zu verewigen gedacht, vor allem nothwendig. Wir können es Wolsey glauben, wenn er später vor Gericht behauptete, er sey es nicht, der zuerst von der Ehescheidung geredet: aber eben so gewiß ist, daß er dieselbe zuerst ernstlich in Vorschlag gebracht hat, und zwar in der bezeichneten Ab- sicht; er selbst hat das dem französischen Gesandten, Jean du Bellai, mit der größten Bestimmtheit versichert. Depeche de l’evêque de Bayonne, J. du Bellay, 28. Oc- Ranke d. Gesch. III. 2 Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . Die Leidenschaft, welche der König indeß für ein Hoffräu- lein seiner Gemahlin, Anna Boleyn faßte, kam Wolsey zu Stat- ten, doch lag sie nicht in seinem Plan. Er hätte lieber eine fran- zösische Verwandtschaft an die Stelle der spanischen gesetzt. Als er in Amiens war, sagte er der Mutter des Königs, wenn sie noch Ein Jahr lebe, werde sie eine ewige Verbindung Englands mit der einen, der französischen und eine eben so vollkommene Trennung von der andern Seite erleben. Er drückte sich noch geheimnißvoll aus: er bat sie, seine Worte im Gedächtniß zu behalten, er werde sie zu seiner Zeit daran erinnern. In dieser Stimmung kamen ihm die Entzweiungen des Papstes mit dem Kaiser eben erwünscht; in dieser Ab- sicht beförderte er die neue Allianz und die italienische Un- ternehmung. Man kann aber denken, wie ein Plan ein Verfahren dieser Art nun auf den Kaiser zurückwirken mußte und eine Bemerkung dringt sich uns auf, die wohl sehr paradox lautet, aber wenn wir nicht irren eine einleuchtende Wahrheit hat. Jedermann weiß und wir werden öfter davon zu hören tobre 1528. Wolsey klagt uͤber einige Maaßregeln der Franzosen, aus denen erfolgt sey: totale alienation de N re dit St. Père avec rompture dudit mariage (der Unterhandlung uͤber die Ehesache). La quelle rompture encore, que la perte de N re dit St. père ne soit pour rien comptée, est de telle importance, ce dit mon dit Seigneur Legat (Wolsey) , que tout homme en pourra juger, qui saura, que les premiers termes du divorce ont eté mis par luy en avant, afin de mettre perpetuelle separation entre les maisons d’Angleterre et de Bourgogne. Schon abgedruckt in Le Grand: Histoire du divorce III, p. 185. Ich habe die Hand- schrift ( Depesches de Messire J. du Bellay Koͤnigl. Bibl. zu Pa- ris Colbert V c 468 ) welche Le Grand benutzt neuerdings durchgesehn und noch manchen neuen Moment darin gefunden. Ehescheidung Heinrichs VIII. haben, wie so höchst verderblich für die Fortdauer des Papstthums in England der Gedanke jener Ehescheidung ge- worden ist. Stellen wir uns aber auf einen höheren Stand- punkt, fassen wir die allgemeinen Verhältnisse ins Auge, so können wir uns dagegen auch wieder nicht verhehlen, daß die die Absicht Heinrichs VIII in Beziehung auf das übrige Eu- ropa der päpstlichen Herrschaft in diesem entscheidenden Au- genblick sogar Vortheil gebracht hat. Der Kaiser, der eine so gebieterische, ja gewaltsame Haltung gegen den Papst an- genommen, ward nun doch inne, daß derselbe, auch noch in seinem Gefängniß, etwas zu bedeuten habe und ihm eine em- pfindliche Beleidigung zufügen könne. Der Kaiser hörte gegen Ende Juli 1527 von der Sache. In der Instruction für Verey vom 21sten dieses Monats findet sich, wenn wir uns auf unsere Auszüge verlassen können, noch keine Spur davon: schon vom 31sten aber haben wir einen Brief des Kaisers, der sich ausdrücklich damit beschäf- tigt. Er trägt darin dem Vicekönig auf, mit dem Papst von der Sache zu reden, aber vorsichtig, damit sie dieser nicht als „Mittel zu unheilvollem Verständniß mit dem König“ ergreife. Carl hätte gewünscht, daß der Papst den Plan durch ein paar verbietende Breven an den König und den Cardinal sofort niedergeschlagen hätte. Excerpt dieses Schreibens bei Bucholz III, 94 Note. Es springt in die Augen, welch ein bedeutendes Ge- wicht zu Gunsten des Papstes dadurch in die Wagschale ge- worfen wurde, daß der Kaiser desselben in einer so wichti- gen häuslichen Angelegenheit bedurfte. Dazu kam nun aber auch, daß das Gefangenhalten 2* Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . des obersten Priesters in Spanien keinen günstigen Eindruck machte. Die Großen des Reiches, die sich am Hofe be- fanden, sowohl weltlichen wie geistlichen Standes, nahmen Gelegenheit, mit dem Kaiser darüber zu sprechen, ihn an die Ergebenheit der spanischen Nation gegen den römischen Stuhl zu erinnern. Der Nuntius durfte den Gedanken hegen, die kirchlichen Functionen in Spanien einstellen zu lassen; die Prälaten sollten in Trauer gekleidet vor dem Kaiser erscheinen, um den Vicarius Christi von ihm zu fordern. Es gehörte ein unmittelbares Einschreiten des Hofes dazu, um eine Manifestation so auffallender Art zu verhindern. Castiglione 10. Dez. 1527, bei Pallavicini lib. II, c. 14. Unter diesen Umständen konnte der kaiserliche Staats- rath nicht mehr so schlechtweg bei jenen ersten Instructio- nen stehen bleiben. Gattinara meinte, man dürfe den Papst nicht gefangen halten, wenn man anders in ihm den wahren Papst sehe. De Praet machte darauf aufmerk- sam, daß man die in Rom liegenden Truppen zur Verthei- digung des Königreichs Neapel brauche, und sie nur dann wegführen könne, wenn man den Papst befreit habe. Er rieth die Ausführung der Instruction durch den vielbedeu- tenden Zusatz: so viel als thunlich, zu ermäßigen. Der Staatsrath beschloß, daß der Papst auf jeden Fall befreit werden müsse. Notiz bei Bucholz III, p. 119. In diesem Sinne ward nun auch bereits durch den Franciscaner-General degli Angeli mit dem Papst verhan- delt. Unglücklicherweise besitzen wir keine nähere Nachricht Befreiung des Papstes . über den Gang der Unterhandlung. Wir haben nur den Vertrag, der am 26. November zu Stande kam, kraft des- sen der Papst nun nicht allein in seine geistliche Amtsfüh- rung, sondern auch in seine weltliche Gewalt wiederherge- stellt werden sollte. Der Kaiser begnügte sich mit der Ueber- lieferung einiger wenigen festen Plätze, Ostia, Civitavecchia, Civitacastellana. Der Papst versprach ein Concilium zur Einigung und Reformirung der Kirche zu berufen und zur Befriedigung des Kriegsvolkes so viel als möglich beizu- tragen. Vereinigungsbrief zwischen Papst Clemens und Carl V bei Reisner p. 155. Die Worte des Eingangs sind jedoch mehr eine Formel des Ausdrucks, als eine historische Wahrheit. Die definitive Bezahlung desselben sollte durch eine große Säcularisation geistlicher Güter im Neapolitani- schen bewirkt werden. Auch noch über einen andern Punct, dessen die Tractate nicht gedenken, soll hier verhandelt worden seyn. Der Papst soll gleich damals dem Kaiser versprochen haben, nicht in die Ehescheidung des Königs von England zu willigen. Hierauf ward Clemens VII wieder frei. Er besetzte die Engelsburg mit seinem eigenen Volke, ließ alle Glocken läuten, und ernannte aufs neue die Beamten der Kammer und der Stadt. Mit jenen weitaussehenden Plänen einer Beschränkung des Papstes auf seine geistliche Gewalt, einer Abführung desselben nach einer Festung war es vorbei; viel- mehr kam jetzt die Zukunft der eigenen Macht des Kai- sers in Italien aufs neue in Frage. Zunächst fehlte noch viel, daß der Papst dem Kaiser oder den Beamten desselben getraut, daß er sich im Frie- Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . den mit ihnen zu befinden geglaubt hätte. Man war übereingekommen, daß er sich nach Orvieto begeben solle. Aber er besorgte noch immer, Hugo Moncada, der nach Lannoys Tode Vicekönig von Neapel geworden war, werde sich seiner Person auf dem Wege bemächtigen und ihn nach irgend einer kaiserlichen Festung abführen. Jovius Vita Pompeji Columnae 197 f. Guicciardini lib. 18, p. 469. Er entschloß sich, in der Nacht vor dem bestimmten Tag durch die Pforte des vaticanischen Gartens verkleidet zu entfliehen. So kam er nach Orvieto 10 Dezember 1527. Hier gelangte er nun wohl wieder zu dem Gefühl ei- ner Möglichkeit von Selbstbestimmung, allein so wie er seine Augen erhob, fand er sich doch allenthalben von Ge- fahr umgeben. Auf der einen Seite sah er sein Land größtentheils in den Händen des Siegers, der ihn mißhandelt hatte. Wäh- rend des Winters ward seine Hauptstadt von den kaiserli- chen Truppen, die noch immer nicht vollständig besoldet worden, erst recht zu Grunde gerichtet. Auf der andern Seite waren aber auch seine Freunde, welche die Miene angenommen ihn zu beschützen, ihm wider- wärtig und verderblich. Florenz, welches das Haus Medici aufs neue verjagt hatte und eine Republik im Sinne Sa- vonarolas zu gründen versuchte, fand Schutz bei Frankreich. Die Venezianer hatten sich der Städte Ravenna und Cer- via bemächtigt, welche Julius II wieder erworben zu ha- ben, sich zu so hoher Ehre gerechnet. Clemens fürchtete jetzt die eine wie die andere Partei. Italienischer Krieg im J. 1528. Es schien ihm höchst gefährlich, daß der Kaiser zugleich Mailand und Neapel besitzen solle; Literae Gregorii de Cassellis bei Fiddes Life of Wolsey p. 467. Et cum ei persuasissem, ut nihil dubitaret, et quod to- tum se rejiceret in manus regiae majestatis et rev. D. Legati, dixit se ita velle facere et quod in eorum brachia se et omnia sua remittat. Et caput jam ponit sub supplicio, nisi a regia Ma- jestate adjuvetur. Si Caesar permittatur aliquid possidere in Ita- lia praeterquam in regno Neapolitano, omnium rerum semper erit dominus, nisi mature confundatur: man sieht er war noch der Mei- nung, daß dem Kaiser Mailand zum Heile des roͤm. Stuhls entris- sen werden muͤsse. dann werde er doch „Herr aller Dinge“ seyn. Jede Begünstigung der Feinde des Kaisers werde sein Haupt unter das Beil bringen. Aber fast noch mehr verstimmten ihn die Schritte der Liga. Als ihn die Franzosen aufforde r ten, die Liga wie sie nunmehr war zu bestätigen, sich zu ihr zu bekennen, entgegnete er, es sey ein sonderbarer Vorschlag, daß er das billigen, dem beitreten solle, was gegen ihn gethan sey. In Florenz habe man seine Familie zu Grunde gerichtet, Ferrara befehde ihn jeden Augenblick, dennoch solle er sich mit ihnen verbünden. Die Franzosen sagten ihm, sie seyen entschlossen, dem Kaiser nicht allein Mailand sondern auch Neapel zu ent- reißen, und die Verfügung über Neapel ganz in des Pap- stes Willen zu stellen. Sie fragten ihn, ob er sich wenig- stens dann erklären wolle, wenn Lautrec in Neapel einge- drungen sey und die Feinde von da verjagt habe. Der Papst vermied sich bestimmt zu äußern, doch sah man an seinen Gebehrden, daß er es auch dann nur unter gewis- sen Bedingungen thun werde. Nicolas Raince au Grandmaitre 28 Janv. 1528 MS. Bethune 8534. Alles kam nun zunächst auf den Ausgang der fran- zösischen Unternehmung, auf das Glück der Waffen an. Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . Noch im Januar 1528 drang Lautrec ins Königreich Neapel ein. Das deutsche Heer, das der Prinz von Ora- nien nicht ohne große Mühe endlich aus Rom weggeführt hatte, stellte sich ihm bei Troja in den Weg, und wünschte es zu einer Feldschlacht zu bringen. Aber Lautrec erwartete venezianische Verstärkungen und begnügte sich indeß, die Kaiserlichen das Uebergewicht seines Geschützes fühlen zu lassen. Nachdem die Verstärkungen angekommen, bei der starken Hinneigung, die sich im ganzen Reiche zu Gunsten Frankreichs offenbarte, selbst von Geschütz entblöst, hielten es endlich die Kaiserlichen für nothwendig sich nach Nea- pel zurückzuziehen, vor allem dieß zu vertheidigen; denn das Haupt folge nicht den Gliedern nach, sondern die Glieder dem Haupte. Gegen Ende April langte Lautrec vor Nea- pel an, schlug sein Lager zu beiden Seiten der Heerstraße von Capua auf und eröffnete die Belagerung. Es schien fast unmöglich, daß die volkreiche, für den Mangel an Nahrungsmitteln mehr als jede andere empfindliche Stadt sich einem siegreichen Heere gegenüber lange würde halten kön- nen. Schon war der größte Theil des Reiches in den Hän- den der Verbündeten. Die Venezianer nahmen die apu- lischen Häfen in Besitz. Filippino Doria brachte den Kai- serlichen in den Gewässern von Amalfi eine Niederlage bei. In England berechnete man bereits die Zeit, wo Neapel ge- fallen, wo alles beendigt seyn würde. Ueberhaupt hegte man dort die kühnsten Hoffnungen. Wolsey meinte einmal, man müsse den Papst vermögen, den Kaiser wegen der schweren Beleidigungen, die er von ihm erfahren habe, geradezu ab- zusetzen. Er möge nur erklären, daß den Churfürsten wie- Italienischer Krieg im J. 1528. der das Recht zustehe, zu einer Wahl zu schreiten, und sie ermahnen, Einen aus ihrer Mitte zu wählen. Damit werde man sie gewinnen. Zugleich werde dadurch ein solcher Zwie- spalt zwischen dem Kaiser und dem Papst entstehen, daß dann niemals mehr an eine Aussöhnung zwischen ihnen zu denken sey. Bellay au Grandmaitre. 2 Janv. 1528 (MS. Colbert V e ). Es ist in der That dem Papst hierüber eine Eröffnung gemacht worden. Er hielt es nur für nothwen- dig, daß beide Könige sich über den zu Wählenden verei- nigen möchten, damit nicht wieder ein ähnlicher Irrthum geschehe, wie bei der ersten Wahl (Carls V ); er meinte auf vier Churfürsten zählen zu können. Gardiner et Cassalis to C. Wolsey, o. D., jedoch vom April 28, bei Strype Eccles. Memorials 5, 427. It were, sagt der Papst, to be foreseen before sentence of privation, who were most meet to be chosen. Allein auch dieß Mal blieben dem Kaiser seine glück- lichen Gestirne getreu. Vor allem gelang es ihm, eins der mächtigsten Häup- ter von Italien, den Genuesen Andrea Doria für sich zu gewinnen. Schon längst war darüber unterhandelt wor- den; schon ehe Doria zuletzt in die Dienste der Liga trat; aufs neue während einer Anwesenheit des kaiserlichen Kanz- lers Gattinara in Oberitalien im Mai 1527; ein Augu- stiner-Eremit, mit einem Diener Doria’s, des Namens Erasmo einverstanden, war das eine wie das andere Mal der geheime Vermittler. Die Nachrichten, die wir hieruͤber in Hormayrs Archiv 1810 p. 61, und bei Bucholz finden, fließen ohne Zweifel aus denselben Documenten des Wiener Archivs. Die Verpflichtungen Dorias zu Franz sollen aufhoͤren 1sten Julius 1528 und dann die zum Kaiser Man kann sich nicht wundern, Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . wenn unter diesen Umständen der König von Frankreich die Wärme und den Eifer in Doria vermißte, die man wohl sonst von ihm hätte erwarten dürfen. Auch Doria seinerseits führte mancherlei Beschwerden, über persönliche Kränkungen, so wie über die Behandlung seiner Vaterstadt, der man ihre alten Rechte auf Savona streitig machte. In England, wo damals viele Genuesen lebten und man alle diese Dinge auf das genaueste kannte, war man außer sich darüber. Wolsey meinte, man solle dem Doria so viel Geld geben, so viel Ehre erweisen, als er nur irgend verlange, Sa- vona lieber sechs Mal fahren lassen, nur diesen Mann nicht aufgeben in einer Zeit, wo man seiner am meisten bedürfe. Allein die französische Politik ward nicht so streng aus Ei- nem herrschenden Gesichtspunkt geleitet, daß man diesen Verlust in aller seiner Bedeutung erwogen hätte. Dage- gen unterschrieb der Kaiser alle Bedingungen, die Doria vorschlug; er stellte das Schicksal Genua’s, so wie das persönliche Dorias vollkommen sicher; von freien Stücken fügte er noch einige Gnadenerweisungen z. B. ein nicht unbedeutendes Landgeschenk im Neapolitanischen hinzu. Schreiben an Salviati L. d. principi II, 129. In einer handschriftlichen Lebensbeschreibung Guasto’s in der Bibliothek Chigi zu Rom findet sich auch ein Abschnitt uͤber das Cambiamento di A. Doria, der freilich etwas abenteuerlich lautet. Die Gefangenen Do- Er wußte sehr wohl was er that. Gar bald pflanzte An- drea Doria die Fahnen, welche Filippino in jener See- schlacht den Kaiserlichen abgenommen, im Dienste des Kai- sers auf seiner Flotte auf. Sein Uebertritt allein reichte hin um das Uebergewicht in den spanisch-italienischen Ge- anfangen. Vgl. uͤbrigens Folieta historia Gennensis p. 309. Si- gonius de rebus gestis Andreae Auriae Opp. Sigonii I, 241. Italienischer Krieg im J. 1528. wässern an den Kaiser zu bringen. Aber überdieß war es ein großer Vortheil, daß sich eine Stadt wieder an den Kaiser anschloß, welche eine unmittelbare Verbindung zwi- schen Spanien und Mailand möglich machte. In diesem Moment war nun auch schon über Neapel entschieden. Ansteckende Krankheiten, wie sie immer im Gefolge ver- wüstender Kriege entstehen, brachen in dem französischen Heere vor Neapel aus und griffen auf das verderblichste um sich. „Gott schickte unter sie“, sagt ein deutscher Be- richt, „eine solche Pestilenz, daß von 25000 nicht über 1000 übrig blieben.“ Lautrec selbst erlag: Vaudemont, dem man die Krone zugedacht, kam vor den Thoren um, in die er als König einzuziehen gehofft hatte. Dazu kamen dann die glücklichen Ausfälle der Belagerten. Die kaiserlichen Deutschen suchten wie bei Pavia vor allem ihre Landsleute auf, welche unter dem Grafen von Lupfen den Franzosen dienten, und brachten deren Fähnlein als Siegeszeichen in die Stadt zurück; — endlich sah der Rest der französischen Armee sich genöthigt, auf seinen Rückzug Bedacht zu neh- men; in diesem Augenblick aber wurde er angegriffen und vollends zu Grunde gerichtet; 29. Aug. 1528. Sepulveda der damals in Gaeta war, VIII, 34 f. Reisner, p. 173. rias hoͤren ihn im Schlafe sich uͤber Koͤnig Franz beklagen: non ba- sta al rè Francesco, avermi tolti i ricatti guadagnati col rischio del mio sangue, ma vuol Genova sottoporre a Savona — ma io cambiarò la bandiera, sarò signore del mare, farò libero non che soggetta la patria mia; man sieht aber auch hier die Motive. Nach jener Erzaͤhlung bediente sich ihrer Guasto im Gespraͤch mit Doria, fuͤhrte ihm die Beispiele von La Palice und Joh. Jacob Trivulzio an, die auch von Koͤnig Franz hoͤchst undankbar behandelt worden und brachte ihn auf seine Seite. Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . Die Kaiserlichen, die so eben verloren geschienen, blieben vollkommen Sieger und nahmen das Königreich wieder ein. Wie glücklich war der Papst, daß er sich dieß Mal neutral gehalten! Ohne dieß, schrieb sein Staatssecre- tär Sanga, jetzt sein vornehmster Minister, Al C l Campeggio Lettere di principi II, 127. Se sua San- tità non faceva cosi, hora si sarebbe nel profondo della total ruina. in welchem Abgrund von Verderben würden wir seyn! Es war in einer Conferenz zwischen Clemens VII und Sanga, am 6. September, daß der Entschluß gefaßt wurde, sich nun ernstlicher an den Kaiser anzuschließen. Schon öfter hatte man den Papst ersucht nach Rom zurückzukommen, wo man ihn nach dem Befehl des Kaisers gegen Jedermann vertheidigen werde. Lra di Roma a B. Castiglione L. d. p. II, 140. Jetzt entschloß er sich dazu. Am 6. October finden wir ihn wieder in Rom. Aber wir dürften nicht glauben, daß er nun schon ein Verbündeter des Kaisers gewesen sey. Noch im Novem- ber 1528 ermunterte er Franz I , die Bewegungen in Deutschland, durch welche Carl in seiner kaiserlichen Würde gefährdet werde, zu unterhalten, den Woiwoden von Sie- benbürgen zu unterstützen. Gio Joachim a Montmorency Roma 7 Nov. 1528 bei Mo- lini II, 122. Mi disse S. Santità, che l’imperatore fosse quasi costretto, in persona trovarsi ben tosto in Alamagna, per dar ordine a molte cose, — le quali non ordinate — producevano gran pregiudizio e non minor movimento, minacciavano a l’impe- ratore suo stato, titulo e dignità (er zielt ohne Zweifel auf die Absichten des Hauses Baiern, zum Roͤmischen Koͤnigsthron zu gelan- gen) — Se mo le cose in Germania fussero nel stato che si dice, a S. S à parrebbe chel chr mo re per ben degli suoi affari le mantenesse, augumentasse e fomentasse . Im December 1528 versichert der französische Gesandte, wie ganz anders die Sache auch Italienischer Krieg im J. 1528. scheinen möge, der Papst sey den Franzosen so geneigt, wie jemals; es mißfalle ihm in seinem Herzen, daß die Sachen so schlecht gegangen: hätte man seinen Rath be- folgt, so wäre es nicht dahin gekommen. Ich wage zu behaupten, fügt der Gesandte hinzu, daß dabei keine Täu- schung obwaltet. Raince 14 Dec. 1528. qu’il n’y a fiction aucune. Cardinal Campeggi der nach England gegangen, um den Proceß über des Königs Ehescheidung zu führen, wiederholte dort unaufhörlich, der Kaiser sey voll bösen Willens, entschlossen, so viel Uebel zu thun als er könne; man müsse ihm ernstlich zu Leibe gehn; das sey der wahre Weg, ihn zur Vernunft zu bringen; könnte man ihm nur in Spanien wehe thun! aber sehr zu loben sey auch eine Unternehmung in Deutschland wider ihn, möge sie nun geführt werden wie sie wolle. Bellay 1 Janv. 1529. louant fort l’entreprise d’Allemagne par quel moyen qu’elle se puisse conduire. Noch hätte Niemand einen baldigen Frieden weissa- gen können. Zwischen dem Kaiser und dem König kam es zu einer förmlichen Herausforderung, und es lag in der That nicht an dem Kaiser, daß nicht ein wirklicher Zweikampf erfolgte. Relacion da Borgoña bei Sandoval 888. Er wird von dem Koͤnig feierlich empfangen: der ihm sagt: bringst du mir den Kampfplatz? Der Herold antwortet: Sire die heil. Maj. des Kai- sers. Der Koͤnig faͤllt ein: ich sage dir, daß du mir von keiner Sache redest, ehe du mir die Sicherheit des Kampfplatzes gebracht. Der Herold konnte seinen Auftrag nicht völlig ausfuͤhren und es geschah zuletzt was Wolsey gemeint: 21 July St. P. p. 320. I trust to God these youg couragious passions shal be finally converted into fume. In Italien war der König jenem neapolitanischen Verluste zum Trotz, in den letzten Mona- ten von 1528 und den ersten von 1529 noch immer sehr Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . stark. Die nemlichen Krankheiten, welche bei Neapel das französische Heer zerstörten, ergriffen auch die deutschen Truppen, welche im Sommer 1528 unter Heinrich von Braunschweig und Marx Sittich von Ems dem Kaiser zu Hülfe über die Alpen stiegen und in der Lombardei erschie- nen. Herzog Heinrich war ohnehin nicht der Mann, eine Unternehmung zu Ende zu führen, wobei er mit der Ei- fersucht seiner Verbündeten, der Abneigung des Landvolks, dem Klima und den Feinden zugleich zu kämpfen hatte. Gar bald sah man ihn mißmuthig über die Alpen zurück- kehren; seine Haufen lösten sich auf, und traten zum Theil in venezianische Dienste. Hierauf erschien ein neues französisches Heer unter St. Pol in Ivrea, dem die Venezianer Geld und Truppen ent- gegen sandten: so daß man Pavia, das wieder verloren gegan- gen, aufs neue eroberte und gar bald die größten Hoffnungen faßte. St. Pols Meinung wäre gewesen, sogleich nach dem Neapolitanischen vorzudringen, wo noch eine Anzahl fester Plätze sich in den Händen der Franzosen befanden: er zwei- felte nicht, das ganze Königreich werde ihm dann zufallen. Die französische Regierung dagegen hielt es für nöthiger, zuerst einen Versuch gegen Genua und Andrea Doria zu machen. Obwohl es damit nicht gelang, so beherrschte doch das Heer den größten Theil der Lombardei in der That, und in England hoffte man noch, daß es in Kurzem Mailand einnehmen, ja durch die Besetzung von Parma und Piacenza sich wieder Einfluß auf den Papst verschaffen werde. Und in nicht minderer Verwirrung war das östliche Europa. Unruhen in Ungarn 1528. So lange Ferdinand selbst in Ungarn anwesend war, wurde die Ordnung einigermaaßen erhalten. So wie er sich aber entfernt hatte, brach die allgemeine Gährung wie- der hervor. Schon seine eigenen Anhänger konnten sich nicht unter einander verstehen. Der Bischof von Erlau klagte über Andreas Bathory, der ihn schmähe und ihn zerreiße; „kein Sokrates habe mehr Geduld üben müssen als er.“ Franz Batthyan konnte die Schlösser nicht erlangen, die Ludwig Pekry für ihn in Besitz genommen. Ein allgemeines Ge- schrei erhob sich gegen die Gewaltthätigkeit des deutschen Heeres unter Katzianer, welches seinen Sold unmittelbar von dem Lande eintrieb und dann doch gegen die Johan- nisten nur sehr langsamen Schrittes vorrückte; Katzianer replicirte energisch und rauh. Briefwechsel bei Bucholz III, 269—279. Bei Ursinus Ve- lius de bello Pannonico p. 91 sieht man, daß die Ungarischen Gro- ßen stritten „de bonis hostis Joannis jam olim inter se partitis.“ Schon die Behauptung, wenn sie auch nicht wahr seyn sollte, daß man den Deutschen mit Kalk gemengtes Brot gebe, um sie zu vergiften, zeugt von der starken nationalen Antipathie, welche sich ausge- bildet hatte. Wie viel weniger konnten da die Anhänger Zapolya’s in Zaum gehalten werden! Auf dem Reichstag von Ofen im Januar 1528 unterschied man drei Classen derselben, geheime, welche dem Eid zu Trotz, den sie dem König Ferdinand geleistet, die Getreuen desselben zu ver- führen trachten; zweifelhafte, welche um sicheres Geleit nachgesucht, um dem Könige zu huldigen und dann nicht erschienen sind; endlich ganz offene, welche Plünderungen vollziehen und das Land unsicher machen. Es findet sich nicht, daß gegen die einen oder die andern etwas Nach- Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . drückliches geschehen sey. Dagegen versäumte Johann Za- polya nichts, um auch von seinem Exil zu Tarnow aus Ungarn in Bewegung zu erhalten. Ein Paulinermönch, Georg Martinuzzi, der früher im Dienste der Mutter Za- polyas gewesen, besaß Hingebung genug, sich drei Mal zu Fuß nach Ungarn zu wagen. Er rühmt die gute Auf- nahme, die er bei Jacob von Thornaly, Stephan Bathory von Somlyo, Paul Arthandy gefunden. Er wanderte von Schloß zu Schloß, belebte die alten Verbindungen, berei- tete alles zur Aufnahme seines Herrn vor. Sein Schreiben an Verantius bei Pray und daraus bei Katona XX, I, 409. Vgl. Isthuanfi p. 126. Die Haupt- sache war, daß er die Versicherung osmanischer Hülfe brachte. Schon im Anfang des Jahres 1528 war nemlich eine Uebereinkunft zwischen Zapolya und Suleiman geschlos- sen worden. Sie war nicht der Erfolg von Geschenken, deren der Gesandte Hieronymus Lasko überhaupt keine mit- gebracht, noch auch des Versprechens zinsbar zu werden, wozu er sich nicht verstand, sondern lediglich der Politik. Zapolya hatte erklärt mit allen Kräften seines Reiches, sei- nen Erbgütern, ja seiner Person dem mächtigen Sultan unaufhörlich dienen zu wollen. Ich dagegen, sagte Sulei- man in der feierlichen Abschiedsaudienz, will deinem Herrn ein wahrer Freund und Verbündeter seyn, ihm mit allen meinen Kräften gegen seine Feinde beistehn: bei dem Pro- pheten, bei dem großen von Gott geliebten Propheten Mu- hamed, bei meinem Schwerd. Relation Laskys bei Katona XX, I. In Zapolyas Namen erklaͤrte Lasky: non solum Ungariae regnum non solum dominia patrimonii sui, sed et personam suam propriam non suam csse vult sed vestram p. 319. Sehr wohl sah Suleiman, Italienischer Krieg im J. 1528. was ihm die entschiedene Verbindung mit einem so ange- sehenen Häuptling nützen könne. Er betrachtete sich als den Mittelpunct der Opposition gegen Oestreich, als deren Mit- glieder er Frankreich, Venedig, Polen und den Papst selbst nannte, „diesen armen Priester, von welchem der Glaube der Christen ausgeht, und den sie doch so schonungslos mißhandele.“ Er war überzeugt, er müsse sich bei Zeiten der Macht des Kaisers entgegensetzen. Denn sie sey, sagt er, „wie ein aus kleinen Bächen und schmelzendem Schnee zusammenströmendes Gewässer, das zuletzt das feste Haus in der Bergkluft untergrabe.“ Bericht des Habordancz bei Bucholz III, 596. Die östreichischen Gesand- ten behaupten, der König von Polen habe den Sultan noch im October 1528 durch eine eigne Botschaft auffordern las- sen, den Krieg gegen den Kaiser im nächsten Jahr zu un- ternehmen, da werde auch er ihm zu Hülfe kommen. Su- leiman war wohl schon ohnehin entschlossen dazu. Dem Gesandten Ferdinands, Habordancz, der nach Constantino- pel gekommen war, um die Zurückgabe von 24 altungrischen Plätze zu fordern, und dafür nichts als eine Geldentschä- digung anzubieten, antwortete er: er werde in eigner Per- son mit aller seiner Macht sich erheben um die Festungen zurückzustellen. Man kann denken, welch eine Gährung bei dieser Kriegsaussicht in Ungarn entstand. Schon im Sep- tember 1528 schrieb Andreas Bathory dem König Ferdi- nand, er stehe in Mitte der Rebellen, und habe den Tod vor Augen. Es war noch in demselben Jahr, daß der Hospodar der Moldau, Peter Raresch, lange Zeit ein Fi- scher, aber jetzt als wahrer Dragoschide vom Hause des Ranke d. Gesch. III. 3 Fuͤnftes Buch. Erstes Capitel . großen Stephan anerkannt, in den Szekler Stühlen verwü- stend einbrach. Engel Geschichte der Wallachei p. 170. Alles ließ sich zu einer großen Entschei- dung an. Und war nun dergestalt Ost und West in allgemeiner Gährung, wie wäre es möglich gewesen, daß nicht auch das stürmische Deutschland davon wäre ergriffen worden? Betrachten wir näher wie das geschah. Zweites Capitel . Zeiten der Packischen Händel in Deutschland. Zuerst geschah es politisch. Die Herzoge von Baiern finden wir nach wie vor in der engsten Beziehung zu der Opposition gegen Oestreich, zu dem Papst, dem König von Frankreich, Lettre de Breton au Grmtre 17. May 1528 (MS. Bethune.) Le secretaire du duc de Bavière, que vous savez, est depuis deux (jours?) ici et a eu fort bonne audience du roi. dem Woiwoden. Noch immer hatten sie das Kaiserthum nicht aufge- geben. Sie unterhandelten unaufhörlich mit den leitenden Churfürsten und machten ihnen die weitaussehendsten Ver- sprechungen; auch den König von Frankreich suchten sie noch einmal dazu in Bewegung zu setzen. Es ist ein Plan in unsern Händen, den sie zur Er- reichung ihres Zweckes dem französischen Hofe eingaben. Forme et manière de conduire et mener l’affaire d’élection au nom du roi de France MS. Bethune 6593 f. 93. Vgl. die Ver- handlung mit Mainz bei Stumpf p. 50. Französische Gesandte, von lothringischen und englischen un- terstützt, sollten an dem nächsten Reichstag erscheinen, den Ständen in Erinnerung bringen, wie viele Verluste erlitten worden, seit das Haus Oestreich das Kaiserthum besitze; — da sey Constantinopel, Rhodus, und nunmehr Ungarn der 3* Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . Christenheit, Basel und Costnitz dem Reiche verloren ge- gangen; die einzige Absicht der östreichischen Brüder sey, das Reich erblich zu machen, und sich auf alle Weise zu vergrößern, wie denn Don Ferdinand vor kurzem Salzburg an sich zu ziehn gesucht; — hierauf sollen sie dieselben auf- fordern, zur Wahl eines neuen Kaisers zu schreiten, einen Mann dazu zu erheben, der Gerechtigkeit handhabe und das deutsche gemeine Wesen wieder in seinen alten Zustand brin- gen könne, der zugleich gut katholisch gesinnt und fähig sey, die Ketzereien zu vertilgen. Mit einem solchen Kaiser soll der König von Frankreich versprechen, sich auf das engste zu verbinden. Der Schluß lautet. Au surplus nos princes sont delibe- rés de n’obmettre rien de leur labeur et vigilance, et d’essayer tous les moyens, qu’ils verront être necessaires pour la fin de cette affaire et qu’ils ont esperance, dieu aidant et la bonté du roi tres chrétien achever l’affaire ainsi qu’ils le desirent. Merkwürdig aber, indessen hatte sich auch die entgegen- gesetzte evangelische Partei den Oppositionsmächten genähert. Auch einen Gesandten des Landgrafen von Hessen Dr. Walter finden wir in Frankreich. Einen andern sehen wir den Weg zu Johann Zapolya einschlagen. Wir begleiten ihn — es ist Doctor Pack — auf seiner ganzen Reise. In der Charwoche 1528 finden wir ihn in Senftenberg, wo er sich für einen meißnischen Domherrn ausgiebt; Ostern zu Breslau wo er sich mit einem Diener versieht, der pol- nisch spricht; 18. April in Cracau. Hier, in der Kirche St. Barbara hat er seine erste Zusammenkunft mit einem Angehörigen des Woiwoden; sie finden nöthig, daß er die- sen selbst besuche. Wie nun Pack in der Nähe von Tar- Deutsche Opposition gegen Oestreich . now kommt, wo der Woiwode sich aufhält, steigt er von seinem Wagen ab, und geht zu Fuß in die Stadt um nicht bemerkt zu werden. Dem 26. und 27. April finden wir ihn dann mit dem Woiwoden in Unterhandlung; es ward ein förmlicher Vertrag entworfen, dem nur noch die Rati- fication des Landgrafen fehlte. Das ganze Detail entnehmen wir aus dem Bekenntniß des Hans Schuoch aus Breslau, desselben, welchen Pack zu seinem Die- ner annahm. Der Landgraf hatte Geld gefordert, um Ferdinand in Deutschland angreifen zu kön- nen. Der Woiwode versprach, 100000 G. von seinem Schwager dem König von Polen aufzubringen. Wenn wir hören, Polen habe dem Sultan versprochen, König Ferdinand mit deutschen Truppen anzugreifen, so mag sich das auf diese Unterhandlungen beziehen. Was hätte es für Folgen haben müssen, wenn diese Dinge weiter geführt worden wären, die eine Partei sich wirklich gegen die kaiserliche Würde Karls V aufgelehnt, die andere Ferdinand in seinen Erblanden angegriffen hätte. Man war der Meinung, die Unruhen in der Mark, die minkwitzischen Befehdungen von Lebus seyen damit in Zusammenhang. Herzog Georg schreibt an Hoyer von Mansfeld Maͤrz 1529. „Uns langt glaublichen an, wye noch gar eyn groß gewerb vorhanden und wyewol es im Namen etzlicher von Adel angestellt, so khuͤnen wir es doch davor nicht achten, dyeweil den Bestellten viel Geld heraus- gegeben wird. Man sagt es solle solch gewerb dem Wayda zu gut und wyder das Land zu Laußnitz und den Churfuͤrsten von Branden- burg vorgenommen seyn.“ Der Herzog war eben im Begriff, mit dem Churfuͤrsten eine Zusammenkunft zu halten. Er ist es, der Mink- witz gefangen genommen. Und zwar in jenen Momenten, wo auch alle anderen Ver- hältnisse erschüttert waren. Indessen geschah das nicht. Die Herzoge von Baiern Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . und der Landgraf von Hessen wußten nichts davon, daß sie Verbündete waren. Die religiösen Antipathien der verschie- denen Fürsten waren vielmehr so stark, daß eine der selt- samsten Verwickelungen, die wohl jemals vorgekommen ist, unter ihnen selbst entstand. Das ist ganz richtig, daß jene Emancipationen von der geistlichen Jurisdiction, zu der die evangelischen Für- sten geschritten waren, Klagen am kaiserlichen Hofe veran- laßt hatten, daß daselbst von Bestrafungen, selbst von der Acht die Rede war. Schon suchte sich Nassau, das in al- ten Territorialstreitigkeiten mit dem Landgrafen von Hessen lag, für diesen Fall durch Mandate sicher zu stellen. Heinrich v. Nassau an Joh. v. Nassau, Arnoldi Denkwuͤr- digkeiten p. 200. Das Schreiben ist vom 13. April, vor den Pa- ckischen Unruhen, von denen man damals uͤberhaupt noch nichts wußte, am wenigsten in Spanien. Davon drang nun ein dunkles Gerücht auch nach Deutsch- land. Der Landgraf ward gewarnt, von einem Manne gro- ßen Ansehens, wie er sagt, „den er nicht nennen könne, der aber gut Wissens darum trage, es sey etwas im Werke eine merkliche Practica gegen die Lutherischen.“ Der Landgraf suchte jedoch den Ursprung der Gefahr nicht so in der Ferne; er faßte nur die Feindseligkeiten ins Auge, welche in Baiern und ganz Oberdeutschland gegen die Be- kenner der Lehre ausgeübt wurden — die heftigen Drohungen, welche Herzog Georg von Sachsen gegen seinen Vetter den Churfürsten ausstieß, als mit dem er seine Zwistigkeiten nicht austragen wolle, wenn er nicht von Luthers Sekte ablasse, gegen den er nur einen Befehl des Kaisers erwarte; es war Packische Haͤndel . ihm verdächtig, daß einige eifrige katholische Fürsten im Mai 1527 den König Ferdinand in Breslau besucht und ihm dann Hülfe in Ungarn geleistet hatten; er glaubte nicht anders als daß ein Bund seiner Nachbarn wider ihn im Werke sey. Da geschah es nun, daß der Canzleiverweser des Her- zogs Georg, Otto von Pack, — derselbe der jene Reise nach Tarnow unternahm — wohl noch im Laufe des Jahres 1527 zu dem Landgrafen nach Cassel kam, um ihm in der nassauischen Sache rechtlichen Rath zu ertheilen. Der Land- graf eröffnete demselben seine Befürchtungen und drang in ihn, ihm zu sagen ob er nichts davon wisse. Pack seufzte und schwieg. Um so eifriger redete der Landgraf ihm zu. Pack erklärte endlich, ja es sey ein Bündniß wider die Lutheri- schen nicht allein im Werke, sondern bereits geschlossen. Er versprach, dem Landgrafen das Original der Urkunde zu schaffen; der sagte ihm dafür seinen Schutz und eine Beloh- nung von 10000 Gulden zu. Landgraf Philipp war nun Feuer und Flamme geworden. Im Februar 1528 finden wir ihn in Dresden; und in der That brachte hier Pack zwar nicht das Original des Bündnisses, das der Canzler wegge- legt habe, aber eine Copie desselben zum Vorschein, die auch alle äußeren Zeichen der Authentie hatte. Der schwarzsei- denen Schnur, welche die Schrift durchzog, war an beiden Seiten das sächsische Canzleisiegel aufgedrückt; unter dem hing das Siegel des Handringes, den Herzog Georg trug, und den der Landgraf sehr wohl kannte, mit seinen drei Schilden, in dem obern den Rautenkranz, in den untern zwei Löwen. Pack gestattete, daß der landgräfliche Secre- tär eine Copie davon nahm und empfing 4000 G. Erzaͤhlung des Landgrafen in einem Schreiben an Herzog Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . In dieser Urkunde war nun aber das Allergefähr- lichste und Feindseligste zu lesen. Danach hatten sich die Churfürsten von Mainz und Brandenburg, die Herzoge von Sachsen und Baiern, die Bischöfe von Salzburg, Würzburg, und Bamberg mit dem König Ferdinand verbündet, um zuerst den Churfürsten von Sachsen, wenn er sich nach erneuerter Aufforderung weigere, Luther und dessen Anhän- ger auszuliefern, mit vereinigten Kräften zu überziehen und sein Land zu theilen: demnächst auch den Landgrafen anzu- gehn, und wenn er nicht widerrufe, ihn aus seinem Lande zu verjagen, das dann an Herzog Georg fallen solle. Auch die Stadt Magdeburg solle ihrem Erzbischof unterwürfig gemacht werden. Die Art und Weise, so wie die Stärke des Angriffs war genau bestimmt. Der Landgraf, schon längst erfüllt mit Vermuthungen dieser Art, zweifelte keinen Augenbllck an der Authentie des ihm vorgelegten Actenstückes; stürmisch eilte er, um auch dem Churfürsten davon Nachricht zu geben, nach Weimar; auch hier wirkte das Ueberraschende, Bestimmte, Dringende der Gefahr betäubend und fortreißend; schon am 9. März kam ein Bund zwischen den beiden Fürsten zu Stande, worin sie einander versprachen, zu gegenseitigem Schutz 6000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferd zusammenzubringen. Man faßte die Ab- sicht, den Angriff nicht allein zu erwarten, sondern ihm zuvor- zukommen. Der Landgraf selbst reiste nach Nürnberg, nach Ansbach. Unter diesen Umständen war es, daß er den Otto Georg vom 28. Juni, welches Rommel ( III, 21) als verloren be- trachtet, das sich aber im Archiv zu Dresden findet; ich werde es im Anhang mittheilen. Packische Haͤndel 1528. Pack, den er nun näher an sich gezogen, an den Woiwoden schickte. Unverweilt begannen die Rüstungen. Die hessischen Truppen versammelten sich bei Herrenbreitungen, die säch- sischen am Thüringer Wald. Ganz Deutschland gerieth in Bewegung. Die Lage der Dinge in dem evangelischen Deutschland war aber nicht so beschaffen, daß es allein auf den raschen Muth eines oder des andern Fürsten angekommen wäre. Auch die Theologen, vor allen Luther hatten eine Stimme zu füh- ren; und es fragte sich erst, was diese dazu sagen würden. Luther zweifelte so wenig, wie die Fürsten an der Aecht- heit des Vertrages, den man ihm vorlegte, allein er fand, man werde dadurch noch nicht berechtigt, sofort zu den Waf- fen zu greifen. Dieß stürmische Zuschlagen widerstritt seinen Begriffen von Recht und Sitte. Er meint, man müsse den Fürsten ihr Vorhaben vorhalten und sie bitten, davon ab- zustehn; man müsse sie verklagen und ihre Antwort verneh- men. Sonst könnte ein Fürsten-Aufruhr entstehn, der zur Freude des Satans Deutschland verwüste. Luther ist von Allen, die sich jemals an die Spitze einer Weltbewegung gestellt haben, vielleicht Derjenige, der am wenigsten von Gewalt und Krieg hat wissen wollen. Er hielt dafür, man könne sich vertheidigen, namentlich gegen Fürsten, wie die genannten, welche als die Gleichen seines Herrn nicht dessen Obrigkeit seyen, aber daß man die Waffen zuerst in die Hand nehme, zu einem Angriff schreiten solle, das war über seine Vorstellung. Bedenken bei de Wette III, 316, nr. 986, 987; ohne Zwei- fel aber noch in den Maͤrz zu setzen, nicht in den Mai. Sie wer- Er wandte den Spruch: selig sind die Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . Sanftmüthigen, die Friedfertigen, auch auf die politischen Verhältnisse an. „Wer das Schwerd nimmt, soll durch das Schwerd umkommen.“ Der Krieg, sagt er, wagt alles, gewinnt wenig, und verliert gewiß, aber „Sanftmuth ver- liert nichts, wagt wenig und gewinnt alles.“ Damit war nun Churfürst Johann leicht zu überzeu- gen, der das Evangelium eben so verstand, wie Luther, und von ganzem Herzen liebte; er war nur durch den heftigen Verbündeten mit fortgerissen worden. Jetzt stellte er dem- selben vor, ein Angriff könne dem Evangelium Unehre brin- den und man müsse davon abstehn. Der Landgraf erwie- derte, das Bündniß der Feinde, von ihnen versiegelt und beschworen, sey so gut wie der Angriff selbst; er machte auf die Vortheile aufmerksam, die ein rasches Vorschreiten mit sich bringe; das würde Manchen aufwecken, der jetzt schlafe; auf diese Weise werde man zu sicherem Vertrage gelangen. Der Churfürst war aber nun nicht mehr zu be- wegen. Er sendete seinen Sohn, von einem zuverlässigen Rath, des Namens Wildenfels, begleitet, nach Cassel, mit so bestimmter Anweisung, daß der Landgraf sich endlich ent- schließen mußte, Luthers Rath zu befolgen und vor allem das Bündniß bekannt zu machen, die darin genannten Für- sten zur Verantwortung aufzufordern. Zunächst sandte er es seinem Schwiegervater zu. Schreiben im Weim. Arch. undatirt, aber von der ersten den nemlich schon in einer Instruction in Neudeckers Actenstuͤcken p. 33 erwaͤhnt; einer Urkunde, die zwar auch undatirt ist, aber ohne Zweifel noch in den Maͤrz faͤllt, da der Churfuͤrst darin sagt, er habe einige seiner Freunde auf Freitag nach Judica schirstkuͤnftig (3. April) zu sich beschieden. Packische Haͤndel 1528. Man kann das Erstaunen nicht schildern, das die deut- schen Höfe bei dem Erscheinen dieser Anklage dieses Acten- stückes ergriff. Auf der Stelle antwortete Herzog Georg, und bezeich- nete den, der das Original eines solchen Bündnisses gese- hen zu haben behaupte, als einen ehrlosen und meineidigen Bösewicht. Churfürst Joachim drang wie Herzog Georg auf die Nennung des verlogenen Mannes, der dieß Bünd- niß erdichtet, damit man nicht glaube, der Landgraf selbst habe es ersonnen. So antworteten alle die Andern. Der Landgraf sah sich genöthigt, seinen Gewährsmann festneh- men und gerichtlich verhören zu lassen. Die Antworten, wie der angebliche Vertrag selbst, stehen bei Hortleder und Walch. Im Dresdner Archiv findet sich noch eine Instruction Ferdinands, in welcher er Herzog Georg auffordert, der Sache auf den Grund zu kommen, wo sie ihren Anfang und Ur- sprung habe. Auch wir müssen hier wohl die Frage erörtern, die bis auf den heutigen Tag nicht erledigt scheint, was an dieser Sache, diesem Bündniß ist. Vor allem enthält es in sich die größten Unwahrschein- lichkeiten. Churfürst Joachim z. B. soll Hessen, auf das er kraft der Erbeinigung dieser Häuser ebenso viel Ansprüche hatte, dem Herzog von Sachsen überlassen und sich dagegen Beeskow und Storkow ausbedungen haben, die doch schon seit Haͤlfte Aprils: Antwort auf jene Instruction. „Ich versehe mich ge- wißlich, dasselbe (das Original) zu bekommen in der Kurz. Hett aber F. L. mir u. andern zu Weimar gefolgt und sich ein klein Kosten nicht dauern lassen, so wulte ich es uf diese Tage haben.“ Man sieht daß Pack gleich anfangs Geld gefordert haben muß. Philipp ver- sichert in einem spaͤtern Briefe an Herzog Georg bei Rommel III, 17, erst uͤber 3 oder 4 Wochen habe er dem Pack Geld anbieten lassen. Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . einigen Jahren ein Eigenthum des Bisthums Lebus gewor- den waren. Wohlbruͤck Geschichte von Lebus. II, 414. Die Herzoge von Baiern sollen mit Ferdi- nand im Bunde seyn, um ihm Ungarn zu verschaffen, was sie ihm eben zu entreißen dachten. Auch der Kriegsplan ist höchst wunderlich, und es liegt eine gewisse Wahrheit der Ironie darin, wenn Pack später, um sich zu entschuldigen, den ganzen Entwurf als „närrisch gestellt“ bezeichnete. Abgedruckt in den Acten von Doctor Ottens v. Pack Abhoͤrung in Cassel in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten p. 98. Ferner aber, was für ein Mensch war doch dieser Pack! Im Dresdner Archiv finden sich Acten über ihn, in denen er höchst unzuverlässig, betrügerisch, ja eigentlich als ein schlechtes Subject erscheint. Er benutzte seine Stellung am Hofe, um Geld zu erpressen. Dem Rath von Tennstädt z. B. borgte er unter sehr glänzenden Vorwänden, haupt- sächlich dem, daß er seinen Fürsten bei der Auslösung von Weißensee unterstützen müsse, ein paar hundert Gulden ab, deren Wiedererstattung er dann von Termin zu Termin ver- schob. In dem Verzeichniß seiner Gläubiger stehen noch vier andre Landstädte, Pirna, Meißen, Oschatz und Chem- nitz. Missive so in Dr. Packs Hause, als er gefangen angenom- men, gefunden worden im Dresdner Archiv nr. 7398. Aber noch viel mehr fällt ihm folgende Geschichte zur Last. Als er einst in Geschäften seines Herrn nach Nürnberg reiste — mehr als einmal finden wir ihn als Reichstagsgesandten — gab ihm der Bischof von Merse- burg seinen Anschlag für Regiment und Kammergericht mit, einen Betrag von 103½ Gulden. Der Reichstag war zu Ende, Pack schon lange zurückgekehrt, als der Bischof wegen eben Packische Haͤndel 1528. jenes Anschlages von Reichswegen gemahnt ward. Pack hierüber angegangen, erklärte ohne Verlegenheit, er habe das Geld einem Nürnberger Bürger, des Namens Friede- mann, eingehändigt, der es auch in der That dem Regi- ment abgeliefert, aber von diesem keine Quittung bekommen habe, weil noch alte unbezahlte Reste da seyen. Er legte hierüber Brief und Siegel Friedemanns bei. Natürlich ging man nun diesen selber an. Wie sehr mußte man er- staunen, als der ehrsame Bürger erklärte, er kenne Doctor Pack so gut wie gar nicht, habe nie mit ihm Geschäfte ge- habt, nie von ihm Geld empfangen; auch würde ihm ja das Regiment eine Quittung für die Summe, die er wirk- lich erlegt hätte, wenn gleich nicht für die ganze Schuld gezahlt haben; Handschrift und Siegel, welche der Doctor eingesandt, könne unmöglich den seinen gleich seyn. Dort im Archiv finden sich beide Actenstücke, und in der That ist die Handschrift, welche Pack beigebracht, von der ächten des Friedemann gänzlich verschieden. Genug, Pack war schon in Verfälschungen geübt, als sich ihm diese neue Ge- legenheit, grandioser als jemals, darbot, Geld zu machen. Er benutzte sie, wie wir sahen, auf eine Weise, daß Deutsch- land darüber beinahe in innerlichen Krieg gerathen wäre. Er selbst hat später nicht mehr auf der Aechtheit seines Mach- werks bestanden. Er ließ die Behauptung, daß er ein mit den Siegeln aller Fürsten bekräftigtes Original in Händen gehabt, am Ende fahren, und gab nur an, ein böhmischer Verhoͤr Wurisyns in einem Convolut des Dresdner Archivs betitelt Haͤndel betreffend des Dr. Otto Pack mit Caspar Wurisyn. Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich mich in der ganzen Darstellung auf nichts stuͤtze, was Pack auf der Folter bekannt hat. Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . Schreiber Wurisyn habe ihm eine Copie aus Schlesien ge- bracht. Allein auch dieß zeigte sich unwahr. Der Schrei- ber bewies, daß er in der Zeit, welche Pack bezeichnet, gar nicht nach Dresden gekommen war. Er war damals aus Furcht vor den Gläubigern, die ihn verfolgten, auf flüch- tigem Fuß gewesen. Ein in sich so mit Widersprüchen angefülltes, von ei- nem so unzuverlässigen betrügerischen Menschen dargebotenes Actenstück muß ohne Zweifel völlig verworfen werden. Ich finde auch, daß die Meinung Pack habe einen Betrug aus- geübt, sich damals sehr bald auch diesseit geltend machte. Melanchthon war davon sogleich überzeugt, als er die ersten Verhöre gelesen hatte. An Camerarius Corp. Ref. I, 988. Alter sane odiose ex- torsit pecuniam nobis valde dissuadentibus: αἰδὼς δ̕ οὐκ ἀγαϑὴ κεχϱημένῳ ἀνδϱὶ. Camerarius hatte diese Ausdruͤcke sehr ermaͤßigt; Hr. Dr. Bretschneider hat sie wieder hergestellt. Der Landgraf Philipp hat es mehr als einmal unumwunden bekannt. Man warf ihm wohl später einmal vor, er habe da viel vorgenommen und wenig ausgerichtet. „Das geschah, darum,“ sagt er, „daß wir fühleten, daß wir betrogen waren.“ Dritte Verantwortung bei Hortleder IV, 19 nr. 26 p. 567. „Wir befanden, daß wir zu milde“ (d. i. falsch) „berichtet waren.“ Und hätte er dieser Ueberzeugung nur noch früher Raum gegeben, als er wirklich that! Allein ehe noch die Nichtigkeit jenes Entwurfes voll- kommen klar geworden, war er schon ins Würzburgische eingefallen, und bedrohte die Gebiete von Bamberg auf der einen, von Mainz auf der andern Seite. Von denen, welche durch ihre Drohungen seine Rüstungen veranlaßt, forderte Packische Haͤndel 1528. er jetzt die Kosten derselben. Da Niemand gerüstet war, um ihm zu Widerstand zu leisten, so mußten unter Vermittelung von Pfalz und Trier die Bischöfe sich in der That zu Geld- zahlungen und ungünstigen Verträgen verstehn. So glücklich man in Wittenberg war, daß ein unge- rechter Krieg vermieden wurde, so tief empfand man doch das Unzulässige eines so gewaltsamen Verfahrens: die Ueber- eilung, die in der ganzen Sache geherrscht hatte. „Es ver- zehrt mich fast,“ sagt Melanchthon, „wenn ich bedenke, mit welchen Flecken unsre gute Sache dadurch behaftet wird. 13. Spt. a. a. O. p. 998. Nur durch Gebet weiß ich mich aufrecht zu erhalten.“ Auch der Landgraf war wohl späterhin selbst davon beschämt. „Wäre es nicht geschehen, sagt er einmal, jetzt würde es nicht geschehen. Wir wissen keinen Handel, den wir unser Lebelang begangen, der uns mehr mißfiele.“ Acta Handlungen Legation und Schriften, so durch den durchlauchtigen Herrn Philipsen in der Muͤnsterschen Sache gesche- hen: — Cassel im Mai 1535. „Die Bischoffe betreffend, ist uns ein Handel fuͤrkommen, den haben wir nebst vielen vor warhaftig gehal- ten und demnach unsere unterthanen retten wollen, da wir aber be- funden, das wir zu milde berichtet gewesen, seind wir mit unserm Fuͤrhaben still gestanden; — — daß uns aber Geld geworden ist, haben uns die Churfuͤrsten mit gutem Willen getaͤdingt und duͤrfet euch diese unsre Handlung zu keinem exempel fuͤrbilden, denn wir wissen keinen Handel, der uns mehr mißfaͤllt, den wir unser Lebe- lang begangen, denn eben dieser, were er nicht geschehen, er wuͤrde nunmals nicht geschehen. — Allein damit war die Sache doch nicht wieder gut ge- macht. Sie zog vielmehr die ernstlichsten und gefährlichsten Folgen nach sich. Man hatte kühne Pläne einer Theilnahme an den gro- ßen europäischen Verwickelungen gehegt; oder man hatte ge- Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . sucht, einen Ausschlag in den innern religiös-politischen Ir- rungen herbeizuführen. Es war nichts als ein grober Land- friedensbruch erfolgt, der auf alles Bestreben der religiösen Partei ein nachtheiliges Licht warf. Denn dagegen regte sich nun natürlich das Gefühl des Rechtes und des Reiches. Vor allem war man im schwäbischen Bunde mißver- gnügt, zu welchem sowohl der Landgraf als die Bischöfe gehörten. Der Landgraf schickte entschuldigende Schrei- ben: er erbot sich, vor Churfürst Ludwig zu Recht zu stehn. Der Bund antwortete (Nov. 1528): es bedürfe keines Rechtens: er werde auf dem Buchstaben der Einigung verharren. „Ich wollte, daß der jüngste Tag hereinbräche,“ ruft ein Abgeordneter in seinem Eifer aus, „damit man nur dieser und anderer Gefahren überhoben würde.“ War in den Oberhäuptern beider Parteien eine gewisse Tendenz, sich dem Haus Oestreich entgegenzusetzen, der eu- ropäischen Opposition wider dasselbe anzuschließen, so sehen wir nun, wie die Bewegungen eine ganz andre Richtung nahmen, und eigentlich durch einen Irrthum, einen Be- trug, eine Uebereilung, alle gegenseitigen Leidenschaften auf- geregt wurden. Freilich hätte das nicht geschehen können, wenn nicht die inneren Gegensätze sich jeden Augenblick mehr befestigt hätten. Eben wie auf der evangelischen Seite Organisationen im Sinne der Neuerung unternommen wurden, so war man auf der andern bedacht, die wankenden katholischen Ueber- zeugungen neu zu begründen. Verfolgungen der Evangelischen . Hie und da brauchte man dieselben Mittel. In Oestreich finden wir 1527 und 1528 Kirchenvisitationen, wie in Sach- sen, aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern zusammenge- setzt; nur ganz im entgegengesetzten Sinne. Man suchte da- durch die Beobachtung des Regensburger Edicts und der dar- auf gegründeten erzherzoglichen Mandate zunächst gütlich in Gang zu bringen; Bucholz VIII, 139. gar bald aber sah man, daß die neuen Mei- nungen schon sehr weit vorgedrungen waren und schritt zu Strafen. Am 20. Juli 1528 ward verordnet, daß die Ketzer nicht nur gemein, sondern hochmalefizisch zu strafen seyen; Raupach Ev. Oestr. II, 49. am 24. Juli wurden alle Drucker, ja alle Feilhaber sectireri- scher Bücher bedroht, als Vergifter der Länder mit dem Tod im Wasser bestraft zu werden. Es ergingen Edicte, um die schon sehr herabgekommene geistliche Autorität herzustellen. Z. B. bei Raupach II, Beil. nr. VIII. In Tyrol legte man den Reichsschluß von 1526 zu Gunsten des Katholicismus aus, und wollte an die das Jahr zuvor gemachten Zugeständnisse nicht mehr gebunden seyn. In Baiern war die Hauptsache schon gethan und man trug nur Sorge, die verhaßten Richtungen nicht aufs Neue eindringen zu lassen. Die Straßen wurden bewacht, um Diejenigen, welche zu den evangelischen Predigten in der Nachbarschaft gingen, zu fangen und zu strafen. Anfangs um Geld; da man aber wohl sagte, der Herzog thue das aus Geiz, so nahm er kein Geld weiter. Jetzt ließ er in Landsberg 9 Männer zum Tode im Feuer, in München 29 Männer zum Tode im Wasser verdammen. Wer kennt nicht Schelhorn bei Winter I, 258. Ranke d. Gesch. III. 4 Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel . den Namen des unglücklichen Bernhard Käser? Er war nur darum von Wittenberg in seine Heimath nach Schärding ge- reist, um seinen todtkranken Vater zu besuchen; hier aber ward er gar bald verrathen und ergriffen, auf dem Schrammenplatz zu Passau verurtheilt und bald darauf verbrannt. So fuhr denn auch der schwäbische Bund in seinen Executionen fort. Die Bundeshauptleute bekamen im Fe- bruar 1528 Befehl, Alle, welche der Wiedertaufe verdäch- tig, aus ihrer ordentlichen Gerichtsbarkeit abzuführen, und ohne Proceß vom Leben zum Tode zu bringen. Der Rath in Nürnberg protestirte hiegegen; wahrhaftig nicht aus Hin- neigung zu den Wiedertäufern, sondern, weil er meinte, man gebe vor die Wölfe zu jagen und fange die Schaafe, man werde auf diese Weise auch die Bekenner und Prediger des Wortes verfolgen. Der Bischof von Costnitz brachte ein kaiserliches Man- dat aus, durch welches Alle, die in dem Kreise dieses Stif- tes gesessen, angewiesen wurden, demselben „seine geistlichen Jurisdictionen, Bannalen, Präsentationen, erste Frucht, an- dere Altherkommen und gute Gewohnheit“ folgen zu lassen. Und sehr ernstlich verfuhr dieser Bischof gegen die Abtrünnigen. Johann Hüglin von Lindau ward in Mörsburg als „ein Gegner der heiligen Mutter Kirche,“ den weltlichen Gerichten und dem Feuer übergeben. So gieng es den Rhein hinab. Ein Prediger von Halle, der nach Aschaffenburg citirt worden, wurde auf dem Rückweg ermordet; man trug kein Bedenken diese Unthat dem Capitel von Mainz Schuld zu geben. In Cöln ward Adolf Clarenbach verurtheilt, weil er Verfolgungen der Evangelischen . nicht glauben wollte, daß der Papst das Haupt der heili- gen Kirche sey, zu zweifeln schien, ob nicht in den Con- cilien zuweilen etwas festgesetzt worden sey, oder doch festgesetzt werden könne, was dem göttlichen Worte entgegenlaufe; Die erste Frage, die ihm gegeben ward. Montag nach Palm- sonntag 1528. und was dem mehr ist. Die Ueberlegenheit, die Einsicht und der besonnene Muth, welche der Angeklagte in seinem Verhöre bewies, sind wahrhaft bewunderungswürdig. Auch zögerte der Rath zu Cöln lange Zeit, in die Execution zu willigen. Man behauptet, er sey nur dadurch zuletzt dazu vermocht worden, daß die Priester die Verwüstungen, welche der englische Schweiß in Cöln anrichtete, als eine Rache Gottes über die Stadt, weil sie die Ketzerei nicht strafe, bezeichneten. „O Cöln, Cöln,“ rief Clarenbach aus, als er zum Hochgericht hingeführt ward, „was verfolgst du Gottes Wort? Es ist noch ein Nebel in der Luft, aber er wird einmal reißen.“ Rabi Martyrerbuch Thl. II, fol. 243, 249. Es ist auch hier wie sonst eine alte, gleichzeitige, alle Spuren der Glaubwuͤrdig- keit tragende, sehr ausfuͤhrliche Erzaͤhlung, was wir bei Rabus finden. Zu so grausamen Excessen priesterlicher Verfolgung kam es nun in dem nördlichen Deutschland wohl nicht mehr, allein noch immer ließ Herzog Georg die armen Leute, welche das Abendmahl nicht nahmen, weil sie es nicht unter bei- derlei Gestalt empfangen durften, im schimpflichsten Auf- zug mit Staupenschlag von Scharfrichter und Büttel aus dem Lande bringen. In Brandenburg vereinigten sich auf dem Landtag Visitationis Mariä von 1527 noch einmal Churfürst und Stände, mit allen ihren Kräften über die 4* Fuͤnftes Buch Zweites Capitel . Beobachtung der alten Cerimonien zu halten; keinen Pfarrer ohne Zulassung des Ordinarius anzunehmen, die Geistlichen in ihrem Besitz zu schützen, gegen die Uebertreter nach den Mandaten päpstlicher Heiligkeit und kaiserlicher Majestät zu verfahren. Mandat. Donnerstag nach V. M. 4. Juli neuerdings bei Muͤller Gesch. der Reform. in der Mark p. 138. Jedoch war nicht das ganze Land wie Fürst und Stände gesinnt. Die erste nahmhafte Widersetzlichkeit erfuhr Joachim II von seiner eigenen Gemahlin Elisabeth. Sie schloß sich lieber an das ernestinische Haus Sachsen, von dem sie stammte, an ihren Oheim Churfürst Johann an als an ihren Gemahl, gegen den sie manche andre Klage hatte; ihr Leibarzt Ratzenberger, Physicus zu Brandenburg, einer der eifrigsten Bekenner der neuen Lehre vermittelte ihre Verbindung mit Dr. Luther, dessen Bücher sie längst bewun- derte und verehrte; endlich wagte sie es, insgeheim, in ihren Gemächern, auf dem Schlosse zu Berlin das Abendmahl un- ter beiderlei Gestalt zu nehmen; aber die Sache blieb nicht verborgen: die ganze Heftigkeit ihres Gemahls erwachte; es schien als wollte er die ergangenen Mandate auch an seiner Gemahlin ausführen; er ließ sie in ihrem Zimmer einschlie- ßen und soll sie bedroht haben, sie einmauern zu lassen. Es gelang ihr jedoch zu entkommen. Mit einem Kammer- diener und einer Jungfer, als Bäuerin, auf einem Bauerwa- gen langte sie am 26. März 1528, zu Nacht in Torgau bei dem Churfürsten von Sachsen an. Nachricht Spalatins bei Menken II, 1116. Die Auszuͤge Seckendorfs II, 42, add. III, sind nicht ganz genau. Auch glaube ich an der Erzaͤhlung zweifeln zu duͤrfen, die sich dort findet und in so viele Geschichten der Mark und ihrer Reformation verbreitet hat, daß die Tochter der Churfuͤrstin, des Namens Elisabeth, es gewesen sey, die sie verrathen habe. Ein Maͤdchen von 14 Jahren war sie wenigstens Sie erklärte ihm, wenn Verfolgungen der Evangelischen . sie ihm lästig falle, oder gar Gefahr zuziehe, wolle sie weiter gehen, so weit ihre Augen sie weisen würden. Churfürst Johann behielt sie jedoch bei sich und gab ihr Lichtenburg ein, wo sie ganz ihrer frommen Ueberzeugung leben konnte. So stand es aber in Deutschland: was man in einem Theile besselben für die Summe der Frömmigkeit hielt, be- strafte man in dem andern als das abscheulichste Verbre- chen. Was man dort zu gründen trachtete, suchte man hier unter jeder Bedingung durch jedes Mittel auszurotten. Die Irrungen, welche Pack veranlaßte, sind recht be- zeichnend für die politischen Rückwirkungen, die aus dem geistlichen Streite entsprangen. Allein dieß waren nicht die einzigen Feindseligkeiten, welche es in Deutschland gab. Nicht minder lebhaft waren die Zerwürfnisse, der in Folge der Entwickelung der schwei- zerischen Kirche bereits unter den Evangelischen selbst aus- gebrochen waren, und nach und nach auch schon zu politi- schen Bedeutung heranwuchsen. Wir können keinen Schritt weiter gehen, ohne sie nä- her ins Auge zu fassen. Es liegt darin einer der wichtig- sten Momente für den Fortgang des ganzen Ereignisses. nicht, wie man gesagt hat. Sie war 1510 geboren und bereits im Jahre 1527 (7. Juli) an Herzog Erich von Kalenberg verheirathet worden. (Buͤnting Braunschw. Chronik II, 68 b ). Sollte sie im Maͤrz 1528 in Berlin gewesen seyn? Wenigstens im August die- ses Jahres brachte sie ihren erstgeborenen Sohn zu Muͤnden zur Welt. Ihr Gemahl, 40 Jahr aͤlter als sie, entzuͤckt daruͤber, daß er einen Erben hatte, gestattete ihr eine Bitte. Sie bat um die Be- freiung eines Pfarrers, den man festgenommen, weil er das Abend- mahl unter beiderlei Gestalt ausgetheilt hatte. (Vgl. Havemann Her- zogin Elisabeth p. 13.) Und diese Fuͤrstin soll ein paar Monate vor- her die eigene Mutter angeklagt haben? Es ist alles gleich unwahr- scheinlich. Drittes Capitel . Reformation in der Schweiz. Obgleich die Schweiz ein eigenthümliches Gemeinwesen bildete, und eine von dem Reiche unabhängige Politik ver- folgte, so war sie doch von denselben geistigen Trieben durch- drungen, welche unter den Deutschen namentlich den Ober- deutschen vorwalteten. Die anticlericalischen Bestrebungen des Jahrhunderts hatten auch hier schon früh um sich gegriffen. Man bestritt die Exemtionen der Geistlichkeit von dem weltlichen Gericht, wie sie der Bischof von Chur, oder von außerordentlichen Auflagen, wie sie die im Thurgau possessionirten Prälaten und Capitel in Anspruch nahmen. Eben so hatte das literarische Treiben der deutschen Poe- tenschulen hier gar bald Eingang gefunden. In Luzern, St. Gallen, Freiburg, Bern, Chur und Zürich finden wir ähnliche Anstalten. Es entstand auch hier ein ziemlich verbreitetes li- terarisches Publicum, für welches Erasmus, seitdem er sich in Basel niedergelassen, den lebendigen Mittelpunct bildete. Daher kam es nun auch, daß die ersten Schriften Lu- thers in der Schweiz eine so große Theilnahme fanden. In Basel hat man sie zum ersten Mal zusammengedruckt. Schon Zwingli . 1520 finden wir „ein kurz Gedicht Luthern zu Lob, und seinen Widerwärtigen zu Spott“ von einem thurgauischen Bauer. Diesen Geist nährten dann die von Wittenberg zu- rückkehrenden Studirenden. Man hat die Namen Derjeni- gen aufgezeichnet, die dabei waren als Luther die Bulle ver- brannte. Von der Ebene und den Städten drang die Pre- digt ins Gebirg, nach Graubündten, Appenzell, Schwytz. Der Administrator von Einsiedeln, ein Geroldseck, wird von Zwingli als der Vater aller, welche Gott lieben, bezeichnet. Brief an Myconius 26. Aug. 1522. Zwinglii Opera, cu- rantibus Melch. Schulero et Jo. Schulthessio Tom. VII. Epp. vol. I, p. 218. Wenn nun dennoch die Bewegung, die in der Schweiz eintrat, einen andern Character, auch in Bezug auf die re- ligiösen Fragen, entwickelte als die deutsche, so hing das vor allem von der Sinnesweise und dem Bildungsgange desjenigen Mannes ab, der daselbst den Kampf über sich nahm und durchführte, Ulrich Zwingli’s. Anfänge Zwingli’s. Zwingli ist in der Gemeinde Wildenhaus in Toggen- burg geboren, in deren Markung die Thur entspringt; in einer Höhe, wo keine Feldfrüchte noch Obstbäume mehr fort- kommen, zwischen grünen Alpenwiesen, über welche die kahlen, kühnen Firsten emporstreben. Seine Kindheit (er ist einige Wochen jünger als Lu- ther, geboren am Neujahrstag 1484) fiel in Zeiten, in welchen sich die Gemeinde von den drückendsten feudalen La- sten, zu denen sie dem Abt von St. Gallen verpflichtet war, Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . nach und nach freimachte. Hauptsächlich unter der Leitung seines Vaters geschah dieß, welcher der vornehmste Mann im Orte war, Ammann daselbst, viele Wiesen und Alpen ei- genthümlich besaß, und von einer großen Familie umgeben — er hatte acht Söhne — patriarchalisch würdig Haus hielt. Von so vielen Brüdern pflegte sich aber in jenen Zei- ten immer Einer oder der Andere dem geistlichen Stande zu widmen: dazu ward unser Huldreich Zwingli bestimmt: sein Oheim, welcher der erste Pfarrer gewesen, den die Wilden- hauser sich selbst gewählt, und der jetzt in Wesen stand, übernahm seine Vorbereitung. Unter den Zügen, die uns aus Zwingli’s Jugend über- liefert worden, ist wohl der der merkwürdigste, daß er von Natur einen besonders reinen Sinn für die Wahrheit be- saß. Er erzählt einmal, daß ihm — bei dem ersten Er- wachen des Denkens über öffentliche Dinge — der Gedanke aufgestiegen, ob nicht die Lüge eigentlich härter zu bestrafen wäre als der Diebstahl. Denn Wahrhaftigkeit, fügt er hinzu, sey doch die Mutter und Quelle aller Tugenden. Mit diesem unverdorbenen Sinn, den er aus der reinen Luft seiner Berge mitbrachte, trat er nun in Literatur, öf- fentliches Leben und Kirche ein. Er studirte auf den Schulen zu Basel und zu Bern, und den Universitäten zu Wien und wieder zu Basel. Sein vornehmster Lehrer in Basel war Thomas Wittenbach, selbst ein Schuͤler des Paul Scriptoris in Tuͤbingen. Gualtherus Prae- fatio ad priorem partem homiliarum in Ev, Matthaei ad Josuam Wittenbachium (Misc. Tigur. III, p. 103.) Eben trat die Epoche ein, in welchen die classischen Studien, im Gegensatz mit der Scholastik des Mittelalters allenthalben Zwingli . in Aufnahme kamen. Zwingli schloß sich wie seine Lehrer, alle seine Freunde, dieser Richtung an; und hielt sie fest, auch als er noch sehr jung im Jahr 1506 Pfarrer in Gla- rus wurde. Alle Muße, die sein Amt ihm ließ, widmete er den Studien. Zuweilen hat er sich in schriftstellerischen Productionen im Sinne der Latinisten jener Zeit versucht; doch ist es ihm nicht gelungen, sich der Antike mit voller Freiheit anzuschließen. De gestis inter Helvetios et Gallos ad Ravennam Pa- piam aliisque locis relatio bei Freher-Struve III, 171. Hauptsächlich las und studirte er die Alten. Mehr noch ihr Inhalt, ihr großer Sinn für das Einfache und Wahre fesselte ihn, als ihn ihre Form zur Nachahmung reizte. Er meinte wohl, der göttliche Geist sey nicht auf Palästina beschränkt gewesen, auch Plato habe aus dem göttlichen Born getrunken, Seneca nennt er einen heiligen Mann: vor allem verehrt er Pindar, der so erha- ben von seinen Göttern rede, daß ihm eine Ahnung von der einen heiligen Gotteskraft beigewohnt haben müsse, Nihil est in omni opere, quod non sit doctum, amoenum, sanctum. — — Quum aliquando dei munere oculos recipimus eos- que ad vetustissimos scriptores attollimus, jam videntur lux et virtus in conspectum venisse. Siehe die Vorrede und Nachrede, welche Zwingli unter dem Namen Huldrychus Geminius ber Ausgabe des Pindar von Ceporin 1526 hinzufuͤgte Tig- III, 207. er ist ihnen allen dankbar, weil er von ihnen allen gelernt, weil sie ihn zur Wahrheit geführt. In diesen Studien be- griffen nahm er nun auch das griechische neue Testament, in der Ausgabe von Erasmus, zur Hand und widmete ihm den größten Fleiß. Um sich mit den Episteln Pauli vertraut zu machen, ließ er sich die Mühe nicht verdrießen, sie mit eigner Hand sauber abzuschreiben; Schuler: Huldreich Zwingli: Geschichte seiner Bildung zum Reformator. Anmerkungen p. 7. am Rande merkte er Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . sich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen stör- ten ihn noch die theologischen Begriffe, die er von den Uni- versitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entschluß, von allem andern abzusehn, und die Meinung Gottes aus dessen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm heller, wenn er sich so unbedingt dem Texte hingab. Aber zugleich bildete sich eine von dem bisherigen Kirchenwesen abgewandte Gesinnung ganz von selbst in ihm aus. In Einsiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, sagte er einst dem Cardinal Schiner unverholen, das Papstthum habe keinen Grund in der Schrift. Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un- aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinwesen aufgewachsener Republikaner gewesen seyn, wenn er sich da- mit allein hätte beschäftigen, dabei hätte stehen bleiben sol- len. In jenen Jahren brachten die italienischen Kriege alle Lebenskräfte der Eidgenossenschaft in Bewegung, erhoben sie zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein- mal hat Zwingli seine kriegerische Gemeinde ins Feld beglei- tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege war nun zugleich das Unwesen des Reislaufens und der Jahrgelder eingerissen So sehr es von dem Geiste des Vol- kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewiesen, die von Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich ausbrachen; — die gemeinen Leute wollten von Bündnissen nichts wissen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde Länder, in den Tod geführt würden; sie forderten die Be- strafung der „Deutschfranzosen, der Kronenfresser;“ zuwei- len mußten die großen Räthe wirklich „Miethe und Gaben“ Zwingli . verschwören: nicht selten die Tagsatzungen sich dagegen erklä- ren — so knüpften sich doch zu starke Vortheile der Macht- haber in den Cantonen daran. Eine kriegslustige Jugend fand sich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der sich wie der latinistischen gelehrten, so auch der deutschen populären Li- teratur anschloß, die sich, wie wir uns entsinnen, überhaupt in der Opposition gegen die obwaltenden Mißbräuche be- wegte, schrieb schon im J. 1510 eine ziemlich ausgespon- nene Fabel, worin er der Eidgenossenschaft die Umtriebe vor- stellt, deren Opfer sie sey, wie sie von listigen Katzen ver- führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie sie darüber ihre Freiheit verlieren müsse, die Freiheit, eine so hohe Gnade, daß man sie mit Spieß und Streitaxt nach dem Beispiel der Alten vertheidigen sollte, und welche nicht bestehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe alle Bundesbrüderschaft zu Grunde. Huldrychen Zwingli, priesters, fabelisch gedicht von einem ochsen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich. Es war jedoch in dem wüsten Treiben jener Zeit wohl sehr schwer, sich nur selber von diesem Unwesen frei zu halten, und auch Zwingli band sich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpstlichen Pen- sion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach- kommenschaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor- kämpfers nichts als Licht sieht, so unbedingt nicht beitreten. In den Briefen Zwingli’s finden sich Geständnisse von sinn- lichen Vergehungen, die sogar etwas Widerwärtiges haben. An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55. Es ist sehr sein Ernst und sehr die Wahrheit, wenn er sich selbst öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber schon aus Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . diesem Geständniß ergiebt sich, daß er mit keiner Heuchelei umging, weder in sich noch gegen andere. Aus seinem Brief- wechsel sehen wir, daß er an sich arbeitet, sich doch so viel wie möglich hütet, die ausdrücklichen Gebote der Schrift zu verletzen, Vorsätze faßt, und eine Zeitlang hält; am Ende finden wir ihn ohne Tadel leben. So konnte denn auch jene Pension, die er damit entschuldigte, daß der Papst die geistliche Obrigkeit der Eidgenossenschaft sey, seine Gesinnung nicht fesseln. Etwas ganz anders war es ohnehin, von ei- nem völlig fremden Fürsten, wie der König von Frankreich Geld zu nehmen. Im Jahr 1516 widersetzte sich Zwingli der französischen Faction, die wie im größten Theile der Schweiz so auch in Glarus das Uebergewicht bekam, aus allen Kräften. Er unterlag zwar, da der König die mächtigsten Eingebornen gewonnen; er kann nicht genug klagen, wie viel er darüber habe aushalten müssen; er sah sich am Ende sogar genöthigt, seine Pfarre vorläufig zu verlassen und eine untergeordnete Vicarstelle zu Einsiedeln anzunehmen. Allein eben das führte ihn um so früher und vollständiger zu seiner ursprünglichen Gesinnung zurück. Da die franzö- sische Partei allmählig die herrschende wurde, so entwickelte sich der Widerstand gegen dieselbe in ihm zu einer Bekäm- pfung des Pensionswesens überhaupt. Die Bildung einer über die ganze Eidgenossenschaft verbreiteten Verbindung von Familien und Oberhäuptern, in einem doch vorzüglich per- sönlichen Interesse sah er mit Recht als eine Neuerung an, welche die allgemeine Freiheit gefährde. Die öffentliche Mo- Epistola ad Joachimum Vadianum: ex Eremo 13 Jun. 1517. Epp. I, p. 24. Locum mutavimus Gallorum technis. Fuimus pars rerum gestarum: calamitates multas vel tulimus vel ferre didicimus. Zwingli . ral, die durch dieß Unwesen beleidigt war, die Meinung des Volkes fand in ihm ihren beredtesten Sprecher. Das Studium der Alten und der Schrift, im Gegensatz gegen die um sich greifende sittliche und religiöse Verwilderung, das Bewußtseyn einer redlichen Vaterlandsliebe im Kampfe mit erkaufter Dienstbeflissenheit gegen fremde Höfe, bildete in ihm eine Gesinnung aus, in der sich schon der zukünftige Versuch, die kirchlichen wie die weltlichen Zustände umzuge- stalten, ankündigte: es kam nur darauf an, daß er freien Raum bekam, an die rechte Stelle gelangte. Die ward ihm im J. 1519 in Zürich zu Theil. Zürich war wenn damals noch nicht der einzige, doch der vornehmste Ort in der Eidgenossenschaft, der sich nicht wieder zur Annahme französischer Jahrgelder überreden ließ. Ein Chorherr am Münster, Conrad Hofmann, der ein au- ßerordentliches Ansehen genoß, hielt hier die vaterländischen Grundsätze gegen den Fremdendienst und die Pensionen auf- recht; er war ein Redner, welcher der Menge auch bittere Wahrheiten nicht ersparte. Durch diesen hauptsächlich ge- schah es, daß Zwingli manchen Einwendungen zum Trotz, aber eben wegen seiner politischen Gesinnung zum Leutprie- ster am großen Münster gewählt wurde. Bullinger: Reformationsgeschichte p. 11 furnamlich darum das er vernommen, wie er heftig wider pensionen pensioͤner, der fuͤr- sten puͤndtnissen und kriegen prediget. Und hier nahm nun Ulrich Zwingli sogleich nach beiden Seiten hin die Stellung ein, die er darnach behauptet hat. Zunächst bekämpfte er alle jene Partei-Verbindungen mit den auswärtigen Mächten, selbst mit dem Papst. Er soll gesagt haben: der Cardinal von Sitten, der für den Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Papst warb, trage nicht mit Unrecht rothen Hut und Man- tel; man dürfte sie nur winden, so würde man das Blut der nächsten Verwandten daraus rinnen sehen. Er spottete dar- über, daß man wider einen Wolf stürme, der doch nur Thiere anfalle, gegen die Wölfe aber still sitze, durch welche Men- schen zu Grunde gehn. Dann drangen die Wirkungen der lutherischen Bewe- gung auch in die Schweiz. Niemand war vorbereiteter und eifriger, daran Theil zu nehmen, als eben Zwingli. Auch er hatte an seiner Stelle mit einem Ablaßverkäufer zu käm- pfen und wußte ihn entfernt zu halten. Er schrieb gegen das Verfahren, das der römische Hof gegen Luther beobach- tete, uud gab eine Apologie desselben gegen die Bulle heraus. Eine ungemeine Wirkung hatten seine Predigten, zu denen er eine große natürliche Gabe besaß. Er griff die obwaltenden Mißbräuche mit einem Ernst an, der keine Rück- sicht kannte. Er schilderte die Verantwortlichkeit der Geist- lichen eines Tages so lebhaft, daß junge Leute unter seinen Zuhörern wohl auf der Stelle die Absicht fahren ließen, geistlich zu werden; ich fühlte mich, sagt Thomas Plater, wie an den Haaren emporgezogen. Autobiographie Platers Misc. Tig. III, 253. Zuweilen glaubte wohl Einer und der Andre, der Prediger ziele persönlich auf ihn und Zwingli hielt es für nothwendig, ein Wort darüber zu sagen: Frommer Mann, rief er aus, nimm dir’s nicht an; dann fuhr er in seinem Eifer weiter fort, ohne der Gefahren zu achten, die zuweilen sein Leben bedrohten. Hauptsächlich aber war doch sein Bemühen, den Sinn der Schrift seinen Zuhörern näher zu bringen. Mit Er- Zwingli . laubniß des Stiftes In der zweiten Zuͤricher Disputation erinnert er daran; — er begann mit Matthaͤus. erklärte er nicht mehr die Perikopen allein, sondern die ganzen Bücher der Schrift, wie er sie studirt hatte; denn den Zusammenhang des göttlichen Ge- dankens suchte er zu ergreifen und mitzutheilen. Seine Lehre war, daß die Religion in Gottvertrauen, Gottesliebe und Unschuld bestehe. De vera et falsa religione: „Veram pietatem, quae nihil aliud est quam ex amore timoreque dei servata innocentia“ ed. Gualth. p. 202. Er vermied alles was fremdartig oder allzugelehrt lautete; es gelang ihm die allgemeine Verständ- lichkeit zu erreichen, nach der er strebte, und in einem wei- ten Kreise von Zuhörern eine Ueberzeugung zu begründen, die dann in den Tagen des Sturmes aushielt, und ihm zu allen seinen Unternehmungen eine feste Grundlage gab. In seinem täglichen Leben zeigte er sich bequem und heiter. In den republikanischen Gemeinden, dem Feldla- ger, jenem Zusammenfluß mannichfaltiger Fremden bei Ein- siedeln hatte er mit Menschen umgehn, sie behandeln gelernt. Aufwallungen des Zorns, wie andre Wallungen der Lei- denschaft war er bemüht zu beherrschen; aufsteigende Gril- len verscheuchte er durch Musik; denn auch er war ein gro- ßer Musikfreund, und auf gar manchem Instrumente Mei- ster: in Toggenburg ist das so gewöhnlich wie in Thürin- gen. Bullinger Reformationsgeschichte p. 31. Am liebsten lebte er häuslich eingezogen, auf die Weise seines Vaterlandes, etwa von Milchspeisen, wie dort herkömmlich; doch schlug er darum nie eine Einladung aus: er ging auf die Zünfte mit den Bürgern, man sah ihn auf den Gastereien der Bauern, die er mit munterem Geist und Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . vergnügtem Gespräch erheiterte. Myconius in Staͤudlins und Tzschirners Archiv I, II: inge- nio amoenus, ore jocundus. So arbeitsam er war, so viel er auch unternahm und zu Stande brachte, so wies er doch Niemand von sich, er wußte einem Jedem etwas Zufriedenstellendes zu sagen. Ein wohlgestalteter, kerngesun- der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich lebensfroh und dabei von den großartigsten Gedanken er- füllt; ein ächter Republikaner. Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, so hatte er nicht so gewaltige Stürme zu bestehen, wie sie in Luther die geheimsten Tiefen des inneren Seelenlebens erschütterten. Da er sich nie so unbedingt dem bestehenden Kirchenwesen hingegeben, so hatte er sich auch jetzt nicht mit so gewalt- samer und schmerzlicher Anstrengung davon loszureißen. Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie- fere Verständniß der Idee des Glaubens und ihres Ver- hältnisses zur Erlösung, von welchem Luther ausgegangen, sondern vor allem, daß er bei seinem wahrheitsuchenden Stu- dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen Inhalt derselben in Widerspruch begriffen sah. Auch war Zwingli kein Universitätsgelehrter; die herrschenden Lehrmei- nungen hatte er niemals ernstlich getheilt: eine hohe Schule umzubilden, festhaltend an allem was sich erhalten ließ, und abweichend nur in den wesentlichsten Puncten, war nicht sein Beruf. Die Aufgabe seines Lebens sah er vielmehr darin, die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und sittlich um- zubilden, die Eidgenossenschaft zu ihren ursprünglichen Grund- sätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbes- serung der Lehre beabsichtigte, welcher Leben und Sitte dann Zwingli . von selbst nachfolgen müsse, so nahm Zwingli einen unmittel- baren Anlauf auf die Verbesserung des Lebens; er faßte vor- nehmlich die praktische Bedeutung des allgemeinen Inhalts der Schrift ins Auge; seine ursprünglichen Gesichtspunkte waren moralisch-politischer Natur: wodurch denn auch sein religiöses Bestreben eine eigenthümliche Färbung empfing. Und berühren wir hier auch mit einem Worte die Frage über die Priorität seiner Reformbestrebungen, so läßt sich nicht läugnen, daß er schon vor dem Jahre 1517 da- hin zielende Gesinnungen entwickelt Lehren ausgesprochen hatte. Indeß theilten auch viele Andre Ueberzeugungen die- ser Art. Worauf alles ankommt, das ist der Kampf mit der geistlichen Gewalt, die Befreiung von derselben. Die- sen Kampf hat Luther allein und zuerst ausgehalten; er hat der Lehre zuerst in einem nahmhaften deutschen Fürstenthum freien Raum gemacht und die Emancipation begonnen. Als Luther von Rom verdammt wurde, bezog Zwingli noch eine Pension von Rom. Luther hatte schon vor Kaiser und Reich gestanden, ehe Zwingli eine Anfechtung erfuhr. Der ganze Kreis, in dem sich dieser bewegte, war ein anderer. Wäh- rend wir dort immer die obersten Gewalten der Welt in Thätigkeit erblicken, ist hier zunächst von der Lossagung ei- ner Stadt von ihrem Bisthum die Rede. Diese haben wir nunmehr zu betrachten. Emancipation der Stadt Zürich von dem Bisthum Constanz. Wie die übrigen schweizerischen Städte, behauptete auch Zürich schon längst dem Bisthum Constanz zu dem es ge- Ranke d. Gesch. III. 5 Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . hörte gegenüber, eine gewisse hauptsächlich auf dem Colle- giatstift am Münster ruhende Selbständigkeit, deren Gefühl und Ausübung aber in den letzten Jahren durch besondere Umstände außerordentlich gewachsen war. Der Ablaßhandel war dem Bischof in seiner Diöcese so verhaßt, wie er der Stadt nur immer seyn konnte. Er war ganz damit einverstanden, daß der Rath von Zürich den Ablaßverkäufer Samson, der schon bis an die Sil, an ein zürcherisches Wirthhaus herangekommen, zurückwies. Zwingli bewahrte sorgfältig die Briefe auf, in denen er von Seiten der geistlichen Behörde selbst aufgefordert worden, je- nem Emissar der Curie Widerstand zu leisten. Es liegt am Tage wie sehr hiedurch der Bischof die Autonomie der Stadt in kirchlicher Hinsicht beförderte. Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i , p. 7; ferner die Antwort an Faber 30. April 1526. Indessen bewirkten die politischen Verhältnisse, daß Zü- rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward. Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits sehr weit und erfreute sich einer nicht geringen Anzahl entschiedener An- hänger. Wirklich hat der Rath schon damals den Leutprie- stern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande die Erlaubniß gegeben, „Daß sie alle insgemein frey, wie dieses auch die paͤpstlichen Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epistel der Apostel gleich- foͤrmig nach dem Geiste Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al- ten und neuen Testamentes predigen und was sie mit gemeldeter Schrift erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli- gen Neuerungen und Satzungen schweigen sollen.“ Antworten, die ein Buͤrgermeister, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih- ren Eidgenossen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl. Bullinger I, p. 20. nach der göttlichen Schrift des Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520. alten und neuen Testamentes zu predigen, zufällige Neue- rungen und Satzungen fahren zu lassen: eine Anordnung, welche schon den Abfall von der römischen Kirche in sich schließt. Man könnte nicht sagen, daß die Sache dem rö- mischen Hofe unbekannt geblieben sey; es waren ein Paar päpstliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anwesend, doch wagten sie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt sich recht an dem Beispiele Zwingli’s. Sie versprachen ihm seine Pension von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch sollte er nicht mehr gegen den Papst predigen. Zwingli hätte die- ses Zuschusses wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor- schlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne diese Bedingung an; allein auch so wollte es Zwingli nicht mehr annehmen. Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359. Den Nunzien lag jedoch mehr an der Werbung der Mannschaft, mit der sie Mailand zu erobern ge- dachten, als an allen theologischen Fragen. Obwohl die Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, so traten sie doch mit derselben in eben diesem Momente in Bund. „Wir wurden,“ sagt Zwingli, „nicht abgefallen abtrünnig geschol- ten, sondern mit hohen Titeln gepriesen.“ Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papstes Schrei- ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393. Da nun hier das Decret von Worms schon an sich keine Wirkung hatte, und die Repräsentanten des römischen Stuhles still schwiegen, so konnte die Lehre ungehindert ge- predigt werden und in den Gemüthern feste Wurzel schlagen. Die Sache machte erst Aufsehen, als endlich auch die äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März 5* Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . 1522 in Zürich die Fasten brach und sich erlaubte Eier und Fleisch zu genießen. Da erst regte sich der Bischof. Durch eine besondere Gesandtschaft forderte er den Rath auf, die bisherigen Cerimonien der Kirche aufrecht zu erhalten. Sollte das aber überhaupt noch möglich seyn? Soll- ten sich in dieser Epoche voll feurigen Religionseifers die von Grund aus umgewandelten Ueberzeugungen einfach dem Worte eines Bischofs unterwerfen? In der Discussion vor dem großen Rathe behauptete Zwingli, viele kirchliche Cerimonien seyen eben solche, welche Petrus einst für unerträglich erklärt habe. Nicht einmal bei den Gesandten fand er nachhaltigen Widerspruch hiegegen; einer von ihnen, der Prädicant des Stiftes zu Costnitz, Wan- ner, war im Herzen der nemlichen Meinung. Zwinglii ad Fabricium de actis legationis Opp. I, p. 12. Der große Rath, der den Bischof nur nicht geradezu beleidigen wollte, faßte den ausweichenden Beschluß, es solle Niemand die Fa- sten brechen „ohne merkliche Ursach“ und ersuchte den Bi- schof, bei den kirchlichen Gewalten oder bei den Gelehrten eine Erläuterung auszubringen, wie man sich in Hinsicht der Cerimonien zu verhalten habe, um nicht zugleich gegen die Satzungen Christi zu verstoßen. Bei Fuͤßli: Beitraͤge II, 15. Natürlich gab darum der Bischof nicht nach. Im Mai schärfte er dem Rath aufs neue die Nothwendigkeit ein, die Ordnungen und guten Ge- wohnheiten der h. Kirche zu beobachten; das erachte er dem h. Evangelio gleichförmig. In einem noch feurigern Schrei- ben an das Chorherrnstift gestand er wohl zu, daß sich ei- niges eingeschlichen haben könne, was der heiligen Schrift Emancipation von Zuͤrich 1522. nicht sehr gemäß sey; aber der gemeinschaftliche Irrthum bilde ein Recht; auf keine Weise dürfe man Lehren anneh- men, die von Kaiser und Papst verdammt seyen; wer sich nicht zu den Bischöfen halten wolle, möge denn auch ganz von ihnen geschieden werden. Sein Grundsatz war: Communis error facit jus . Haec dogmata non praedicentur, nihil innovetur contra ecclesiae ritum. Noch waren einige Klöster in der Stadt, die von je- nem ersten Beschluß des großen Rathes unberührt geblie- ben; noch hielten sich gar Manche, Vornehmere oder Ge- ringere, zu dem bisher Gebräuchlichen; und so geschah, daß diese Anmahnung doch nicht ganz ohne Wirkung blieb. Die heftigsten Widersacher der Mönche bekamen die Weisung, sich auf der Kanzel oder bei Disputationen zu mäßigen. Allein es bedurfte nur eines im Grunde sehr zufälli- gen Ereignisses, um doch eine ganz entgegengesetzte Entschei- dung herbeizuführen. In diesen Tagen erschien ein Franziscanermönch von Avignon, derselbe Franz Lambert, dessen wir bei der Sy- node von Homberg gedacht, in der Schweiz. In einem Kloster strengerer Observanz, in das er in frühen Jahren getreten war, hatte er statt der Ruhe und Frömmigkeit, die er suchte, nichts als geheime Laster und Neid gefunden; Francisci Lamberti rationes propter quas minoritarum con- versationem traditumque rejecit. Bei Schelhorn: commentatio de vita Lamberti Amoenitatt. literariae III, p. 312. da waren ihm einige Schriften Luthers zugekommen, und er hatte sich entschlossen, sein Kloster zu verlassen, und Lu- thern selbst in Wittenberg aufzusuchen. Dieser Mönch, noch immer in seiner Kutte auf einem Esel reitend, er- schien jetzt in Zürich. Seine katholische Rechtgläubigkeit Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . war erschüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt wollte er weder die Cerimonien fallen lassen noch die Für- bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün- sters, am Frohnaltar sitzend, hielt er einige lateinische Pre- digten in diesem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort mit dem Ausruf, „Bruder du irrst.“ Die Altgläubigen mein- ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er sich gelehrt und sprachfertig zeigte, so veranstalteten sie eine Dis- putation zwischen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines Donnerstags, in der Trinkstube der Chorherrn ging dieselbe vor sich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte. Dieser Franciscaner war ein Mensch, der die Wahrheit wirk- lich liebte und suchte. Er sah sehr bald ein, daß Zwingli’s Gründe die seinen überwogen: durch die Stellen der Schrift, die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt. Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein anzurufen, allen Rosenkränzen zu entsagen. Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42. Hierauf ver- ließ er Zürich auf seinem Thiere; wir finden ihn nach eini- ger Zeit in Eisenach, in Wittenberg, später wie gesagt in Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Versuch, der Kirchenverfassung in Deutschland eine andre Form zu ge- ben, als die lutherische, wird ihn für alle Zeiten unvergeß- lich machen. Diese Disputation hatte nun den größten Erfolg in Zürich. Des Donnerstags war sie gehalten worden: Mon- tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Lesemeister der Orden, die Chorherrn und die Weltpriester noch ein- mal in der Propstei zusammen. Zwingli fühlte sich jetzt stark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre- Emancipation von Zuͤrich 1522. digten in den Klöstern zu beginnen. Der Bürgermeister schlug den beiden Theilen aufs neue vor, ihre Streitig- keiten der Entscheidung von Propst und Capitel anheimzu- stellen. Aber Zwingli erklärte, er sey der Prediger, der Bi- schof der Stadt; er habe die Seelsorge derselben mit seinem Eid übernommen; er werde nicht dulden, daß in den Klö- stern, wo man ohnedieß keinen rechten Beruf habe, wider Gottes Wort gepredigt werde, und sollte er an der Kan- zel erscheinen und öffentlich widersprechen. Schon war Je- dermann auf seiner Seite; der Bürgermeister erklärte end- lich im Namen des Rathes, dessen Wille sey, daß das reine Gottes Wort und nichts anderes in der Stadt gepre- digt werde. Früher war die Predigt nach der Schrift nur erlaubt, den Leutpriestern anempfohlen worden; jetzt ward sie gebo- ten, und zwar auch den Mönchen. Und fragen wir, worauf Zwingli bei diesem Verfah- ren sich gründete, welches Recht er den Anordnungen des Bi- schofs entgegensetzte, — so entspringt dieß vor allem aus dem Begriff von der Gemeinde. Er ist der Meinung, daß alles, was die Schrift von der Kirche sage, eben hauptsächlich auch von den einzelnen Gemeinden gelte. Er scheint angenom- men zu haben, Zweite Disputation Zw. W. I, p. 470. Hieraus folgt auch, daß diese unsere Zusammenrufung, die nit zu nachteil einiger Chri- sten, sondern das Wort Gottes zu verhoͤren versammelt ist, nit irren mag: denn sy nit setzen noch entsetzen undernimmt, sunder allein hoͤren will, was in gemeldten spaͤnen im Worte Gottes erfunden wird. daß eine solche, sobald sie nur nichts Neues aufzubringen suche, sondern sich damit begnüge, das Wort Gottes zu hören und danach in streitigen Fällen zu urthei- Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun schon eine so hohe Autorität in Glaubensstreitigkeiten zu, wie viel mehr mußte er das in Hinsicht der Verfassung thun! Das Recht der Gesammtheit sah er aber nicht minder kirchlich als po- litisch in dem großen Rathe repräsentirt. Sein Verfahren war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu- erst durch die Predigt so lange zu verhandeln, bis Jeder- mann von der Sache überzeugt worden: alsdann sie erst vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver- ständniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche nothwendig sey. Der Rath, sagt er, hat die höchste Ge- walt anstatt der Gemeinde. Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere ita factum est, ut quicquid diacosii (der gr. Rath) cum verbi ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia Opp. III, 339. Man sieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage einer neu zu errichtenden kirchlichen Genossenschaft dieß gab, als die war, auf die man in Deutschland baute. Factisch ist der Unterschied am Ende so groß nicht. Dort vereini- gen sich die Prediger mit der fürstlichen Gewalt im Lande, hier mit der städtischen Behörde in einer Stadt; aber daß man dort auf die Reichsabschiede angewiesen ist, hier da- gegen die Souveränetät schon durch die That besitzt und sie auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterschied. Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Bischof die Meinung, ein Christ sey nicht gehalten nach menschli- Emancipation von Zuͤrich 1523. chen Kirchensatzungen zu leben, durch ein neues Decret ver- dammte; an eben dieser Meinung hielt die freie Gemeinde fest, welche sich von ihm lossagte. Die einzige wahre Schwierigkeit, welche sich dieser auf ihrem Wege entgegenstellte, lag in der Hartnäckigkeit ein- zelner abweichenden Meinungen in ihrem Innern. Noch immer fanden sich Leute, welche Zwingli für einen Ketzer erklärten. Um dem ein Ende zu machen und auf den Grund ge- stützt, daß die von ihm begehrte Erläuterung niemals ausge- bracht worden, veranstaltete der Rath im Februar 1523 eine Disputation seiner Leutpriester, Seelsorger, Pfarrer und Prä- dicanten. Ohnehin entsprach das dem Begriffe Zwingli’s. Er meinte, Gott werde einmal nicht fragen, was der Papst mit seinen Bischöfen, was Concilien und Universitäten sta- tuirt, sondern was in seinem Worte enthalten sey. Der Bischof, der noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben scheint, sendete auch einige Abgeordnete, unter ihnen seinen Generalvicar Faber, zwar nicht um an der Disputation eigentlich Theil zu nehmen, aber um ihr beizuwohnen und den Zwist der Parteien zu schlichten. „nit zu disputiren, sondern allein uffhoͤren, rath geben und schidluͤt zu seyn. Faber Warlich Unterrichtung bei Hottinger I, 437. Die Disputation fiel jedoch vollkommen zu Gunsten Zwingli’s aus. Was wollte man auch sagen, so wie man ihm seinen Grundsatz zugab, daß die Schrift „die nicht lüge noch trüge“ die einige Richtschnur des Glaubens sey. Ich wundre mich, daß sich der kluge Faber auf diesen schlüpfrigen Boden wagte. Er rühmte sich, die Anrufung der Heiligen einem Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . gefangenen Pfarrer aus der Schrift nachgewiesen zu haben; es war einer der größten Triumphe Zwingli’s, daß Faber, von ihm aufgefordert, diesen Beweis doch noch einmal zu führen und zwar hier zur Stelle, damit natürlich nicht zum Ziel kommen konnte. Ueberhaupt gestanden selbst eifrige Gegner damals ein, und noch heute kann es Niemand, der die Verhandlungen liest, in Abrede stellen, daß Zwingli vollkommen den Platz behielt. Daraus folgte dann, daß der Rath ihn ausdrücklich ermächtigte, fortzufahren, wie bisher, und die Geistlichkeit aufs neue anwies, nichts vor- zunehmen oder zu lehren, was sie nicht aus dem Worte Gottes beweisen könne. Bemerken wir wohl die Worte vornehmen oder lehren, sie schließen so gut eine Aenderung der Cerimonien wie der Predigt ein. Schon war die Umwandlung der Aeußerlichkeiten des Kirchenwesens in vollem Gange. Die Geistlichen verhei- ratheten sich: den Klosterfrauen ward freigestellt, auszutre- ten oder zu bleiben: — „Wisset lieber Meister Ulrich,“ schrieb der Schaffner des Kloster Cappel an Zwingli, „wir sind alle mit dem Abt einhellig geworden, anzunehmen das heilig Evangelium und göttlich Wort, und dabei zu ster- ben.“ Chunrad Hofmanns schriftlicher Fuͤrtrag wider Zwingli’s Reformation: Fuͤßli Beitraͤge III, 93. Obwohl im Stift am Münster noch sehr eifrige Anhänger des Alten lebten, so ward doch am Ende von den Chorherrn selbst der Beschluß, dasselbe zu reformiren, Handlung der Versammlung in der loͤblichen Stadt Zuͤrich von Hegenwaldt, mit Auszuͤgen aus Fabers warlicher unterrichtung in Zwingli’s Werken I, p. 105. Jakob Leu der Schaffner an Zwingli Epp. I, 367. Emancipation von Zuͤrich 1523. gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem zum größten Theil erlassen; über die Zehnten und übrigen Renten ward eine solche Verfügung getroffen, daß sich eine recht bedeutende und einflußreiche Lehranstalt da entwickeln konnte. Noch mehr Aufsehn aber als alles Andre machten die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die Messe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage stärker her- vortraten. Schon erschienen Schriften gegen den Meßcanon; an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt für nothwendig, diese Fragen einer besondern geistlichen Ver- sammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand. Und schärfer konnte nun wohl die Autonomie einer sich von dem großen hierarchischen Zusammenhang trennenden und selber constituirenden Genossenschaft nicht hervortreten, als bei dieser Versammlung. Der Bischof von Costnitz hü- tete sich wohl, abermals Gesandte zu schicken. Der alte Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt sey, über Dinge dieser Art zu disputiren. „Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg gewesen, — — so bin ich bei einem gelehrten Mann gewesen, derselbige hieß Doc- tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demselbigen habe ich geessen und getrunken dick, — — da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es zieme sich nicht von diesen Dingen zu disputiren.“ Eben das war Zwingli’s Prin- zip, daß die Kirche nicht in Papst, Cardinälen, Bischöfen und deren Versammlungen bestehe, sondern die Gemeinde, die Kilchhöri, das sey die Kirche wie die erste Kirche zu Jerusalem: Actorum XV. „Ja Hoͤng und Kuͤßnacht ist eine gewissere Kirche, denn alle zusammengerottete Bischoͤfe und Paͤpste.“ Die Versammlung selbst Jetzt waren es in der That Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . nur Zürcherische Geistliche aus der Stadt und vom Lande, mit wenigen Fremden — wie dort Boten von Antiochien zuge- gen gewesen — die sich unter Leitung des Bürgermeisters Marx Röust auf dem Rathhause versammelten, um über zwei der wichtigsten Fragen, welche die Christenheit beschäftigen konn- ten, zu Rathe zu gehn. Meister Leu (Leo Judä) Leutprie- ster zu St. Peter und Zwingli stellten die Sätze auf, welche sie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder zum Gottesdienst machen dürfe, der andre, daß die Messe kein Opfer sey; und luden einen Jeden der eine andre Mei- nung hege ein, sie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl erhob sich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe leicht beseitigt. Dann wurden die, welche sich den Neue- rungen besonders eifrig entgegengesetzt und sie etwa ketzerisch gescholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre Rede zu beweisen. Einige waren nicht erschienen: Andre schwiegen: noch Andere erklärten sich zuletzt überzeugt und entschuldigten sich nur, daß sie den allgemeinen Irrthum getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum Schluß die Herren von Zürich ermahnte, sich nun auch unerschrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats) Zwingli’s Werke I, 539. Es existirt auch ein Bericht daruͤber von Johann Salat, Gerichtschreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen III, 1 ist demselben sein Recht geschehn. Hierauf ward den Seelsorgern befohlen, nicht wider die Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für sie, die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde, ist freilich auch keine Kirche, aber sie vindicirt der Gemeinde das Recht der Autonomie. Sie ist der erste Ansatz zur Presbyterialverfassung. Verhaͤltniß zu Luther . und als das erste aller symbolischen Bücher der evangeli- schen Kirche betrachtet werden kann. So riß sich Zürich von dem Bisthum und damit von dem ganzen Complex der lateinischen Hierarchie los, und unternahm eine neue Kirchenverfassung auf die Idee der Gemeinde zu gründen. Wir müssen zwar anerkennen, daß diese Idee nicht vollkommen nach ihrem theoretischen Inhalt realisirt ward. Im Grunde trat sie nur in so weit hervor, als sie politi- sche Bedeutung gewonnen. Aber unläugbar ist doch, daß Stadt und Land den größten selbstthätigen Antheil an der Um- wandlung nahmen. Keine Neuerung ward ins Werk gesetzt, die nicht durch den ausgesprochenen Beifall der städtischen Gemeinde ihres Erfolges sicher gewesen wäre: der große Rath rief die Meinung nicht hervor, er folgte ihr nur nach. Schon früher hatte die Geistlichkeit des Zürcher Capitels die Beschlüsse der Stadt wiederholt. Hottinger Helvetische Kirchengeschichte III, 109. Später sprachen die ein- zelnen Gemeinden in eigenen Adhäsionsurkunden ihre Ueber- einstimmung mit dem Vorgange der Bürgerschaft aus. Die ganze Bevölkerung erfüllte sich mit dem positiven evange- lischen Geiste, der ihr seitdem eigen geblieben, und der seine uralte Spontaneität von Zeit zu Zeit auf das merkwürdigste kund gegeben hat. Verhältniß zu Luther. Abendmahlsstreitigkeit. Es leuchtet ein, daß hier keine Wiederholung der Wit- tenberger Doctrinen zum Vorschein gekommen war. Wie die persönliche Entwickelung der beiden Reformatoren, so Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . waren auch die Verhältnisse der öffentlichen Gewalt, an die sie sich anschlossen, und die Gegensätze, welche sie zu bekäm- pfen hatten, sehr verschieden. Auch in der Richtung der Ideen und der Auffassung der Lehre zeigten sich bei aller Analogie doch sehr bald wesentliche Abweichungen. Der vornehmste Unterschied ist, daß Luther an dem bestehenden geistlichen Institut alles festhalten wollte, was nicht durch einen ausdrücklichen Spruch der Schrift wider- legt werde; Zwingli dagegen alles abzuschaffen entschlossen war, was sich nicht durch die Schrift beweisen lasse. Lu- ther blieb auf dem gewonnenen Grund und Boden der la- teinischen Kirche stehen; er wollte nur reinigen, die Lehre außer Widerspruch mit dem Evangelium setzen; Zwingli hielt dagegen für nothwendig, die ersten einfachsten Zustände der christlichen Kirche so viel wie immer möglich herzustellen; er schritt zu einer totalen Umwandlung fort. Wir wissen, wie weit Luther entfernt war, auf die Abschaffung der Bilder zu dringen; er begnügte sich den Aberglauben zu bekämpfen, der sich daran geknüpft hatte. Zwingli dagegen betrachtete diesen Dienst schlechthin als Ab- götterei und verdammte die Bilder selbst und an sich. Im Einverständniß mit ihm erklärte der Rath zu Pfingsten 1524, er wolle die Bilder abschaffen, er halte dieß für ein gött- liches Werk. Glücklich vermied man die Unordnungen, welche ein ähnliches Vorhaben an so manchen andern Orten hervorgebracht hat. Die drei Leutpriester mit zwölf Raths- gliedern, einem aus jeder Zunft, begaben sich nach den Kirchen, um die Sache unter ihrer Aufsicht ausführen zu lassen. Die Kreuze bei den Frohnaltären verschwanden. Veraͤnderung der Gebraͤuche 1524, 25. Die Bilder wurden von den Altären genommen, die Fres- co’s an den Mauern abgepickt, die Mauern weiß vertüncht. In den Landgemeinden hat man die köstlichsten Tafeln hie und da wohl geradezu verbrannt; „Gott zu Lob und Ehre.“ Bernhard Weiß a. a. O. p. 49. Bullinger Reform. Gesch. I, p. 102. Leben Leonis Judaͤ Misc. Tigur, III, 33. Anno 24 stalt man ab die Processionen der Moͤnchen und Pfaffen, — ordnet Leut, die uͤber die Saͤrch (Reliquienkaͤsten) gingend und vergrubind die Ge- bein oder Heilthum. Man taͤht die Orglen auß den kilchen, das tod- tenlaͤuten ward abgestellt, das wychen des Saltzes Wassers Palmen; das verrichten der Krankeen; — hernach that man in der Stadt die Bilder us den Kilchen und uf dem Land wo es das Mehr werden moͤcht. Auch das Spiel der Orgeln fand keine Gnade, wegen der Superstition, die sich damit verbunden habe. Man wollte nur den ersten einfachen Dienst am Worte. In allen Kir- chengebräuchen setzte man sich nun das nemliche Ziel. Es ward eine neue Formel der Taufe aufgestellt, ohne alle die Zusätze „welche in Gottes Wort nicht Grund haben.“ Zwingli’s Werke II, ii , p. 230. Dann schritt man zu einer Veränderung der Messe. Lu- ther hatte sich mit Weglassung der auf die Lehre vom Opfer bezüglichen Worte, mit der Herstellung des Kelchs begnügt. Zwingli richtete — Ostern 1525 — ein förmliches Liebes- mahl ein. Die Communicanten saßen, in einer besondern Abtheilung der Stühle, zwischen Chor und Durchgang, rechts die Männer, links die Frauen; das Brot wurde in breiten hölzernen Schüsseln herumgetragen; ein jeder brach sich einen Bissen ab; dann trug man den Wein in hölzer- nen Bechern umher. Vorrede p. 234 ebenda. So glaubte man sich der ursprüng- lichen Einsetzung am meisten anzunähern. Und hier kommen wir noch auf eine tiefer liegende Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Differenz, die nicht allein die Anwendung, sondern auch die Auffassung der Schrift eben in Bezug auf diese wich- tigste aller geistlichen Handlungen betraf. Es ist bekannt, wie mannichfaltig dies Mysterium auch in frühern Zeiten aufgefaßt worden ist, namentlich vom neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der Transsubstantiation die Alleinherrschaft errang. Kein Wun- der, wenn nun, nachdem diese erschüttert worden, auch neue Verschiedenheiten der Auffassung erschienen. Damals waren sie mehr speculativer, jetzt, der veränder- ten Richtung der Gelehrsamkeit gemäß, mehr exegetischer Art. Bald nachdem Luther das Wunder der Transsubstan- tiation verworfen, regte sich in mehrern Köpfen zugleich die Idee, ob nicht überhaupt auch abgesehen davon sich den Einsetzungsworten eine andre Deutung geben lasse. Luther selbst bekennt, eine Anwandlung nach dieser Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern und innern Kämpfen seine allezeit siegreiche Waffe der Grund- text gewesen war, dessen wörtlicher Verstand, so gab er seine Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie weiter bestimmen zu wollen. Nicht Alle aber waren so zurückhaltend, dem Wort- verstande so unterwürfig wie Luther. Zuerst wagte sich Carlstadt, als er im Jahr 1524 aus Sachsen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor, die nun freilich exegetisch unhaltbar, ja abenteuerlich aus- fiel, die er auch zuletzt selber wieder aufgegeben hat, bei deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente Abendmahlsstreitigkeit . von besserm Gehalt vorbrachte, Dialog von dem abgoͤttischen Mißbrauch des Sacraments bei Walch XX, 2878. Von dem widerchristlichen Mißbrauch des Herrn Brot und Kelch Ibid. 138. und mit der er überhaupt der diesem Punkte schon zugewandten Richtung der Geister einen großen Anstoß gab. Der bescheidene Oekolampadius zu Basel, in dessen Kreise sich verwandte Ansichten geregt, fing an sich zu schä- men, daß er seine Zweifel so lange unterdrückt, Lehren gepre- digt, von denen er nicht vollkommen überzeugt gewesen, und faßte sich das Herz, den Sinn der geheimnißreichen Einsetzungs- worte, wie er ihn verstand, nicht länger zu verläugnen. Zusammenstellung der verschiedenen Aeußerungen des Oeko- lampadius in dessen Leben von Heß p. 102. Von einer andern Seite kam der junge Bullinger an diese Frage. Er studirte die Acten des berengarischen Strei- tes, und urtheilte, daß Berengar’n in jenem wichtigen Mo- mente — wo die spätere Lehre sich festsetzte — Unrecht gesche- hen sey. Er glaubte Berengar’s Meinung schon bei Au- gustinus nachweisen zu können. Lavater vom Laͤben und Tod Heinrychen Bullingers 1578 p. 8. Die Hauptsache aber war, daß Zwingli das Wort er- griff. In dem Studium der Schrift, wie er es trieb, mehr im Ganzen, als stellenweise, und nicht ohne unaufhörlich auf das classische Alterthum zurückzukommen, hatte er die Ueberzeugung gefaßt, daß das Ist der Einsetzungsworte nichts anders heiße, als bedeutet. Schon in einem Briefe vom Juni 1523 äußert er, der wahre Verstand der Eu- charistie könne erst dann begriffen werden, wenn man Brod und Wein im Nachtmal nicht anders betrachte als das Ranke d. Gesch. III. 6 Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Wasser bei der Taufe. An Hans Wyttenbach 15. Juni 1523. Panem et vinum vere esse puto ac edi etiam, sed frustra, nisi edens firmiter cre- dat, hunc solum esse animae cibum. Omnia sunt planiora si τὰ σῦκα σῦκα i. e. ficus ficus appellaverimus, panem dixerimus panem, vinum vinum (Epp. I, 258). Indem er die Messe angriff, hatte er schon die Absicht gefaßt, darnach auch die Eucha- ristie, wie er sagt, sich selber zurückzugeben. Deliberavimus usui esse futurum si missa everteretur, qua eversa speravimus etiam eucharistiam sibi restitui posse. De vera et falsa religione p. 269. Da nun jetzt Carlstadt mit einer sehr nahe verwandten Meinung hervor- trat, die er jedoch nicht zu erhärten vermochte, so glaubte Zwingli nicht länger schweigen zu können. Zuerst in einem gedruckten Schreiben an einen Pfarrer in Reutlingen (No- vember 1524), dann ausführlich in seiner Schrift von der wahren und falschen Religion trug er seine Erklärungsweise vor. So wenig er die Auslegung Carlstadts billigte, so be- diente er sich doch einiger Argumente, die derselbe gebraucht, z. B. Christi Körper sey im Himmel und könne unmöglich auf Erden den Gläubigen so schlechthin, realiter, ausge- theilt werden. Hauptsächlich stützte er sich auf das sechste Capitel im Evangelium St. Johannis, das ihm erst hie- durch volles Licht zu erlangen schien. Welch ein Moment war der im Spätjahr 1524, in dem sich auf der einen Seite die Entzweiung zwischen einem katholischen und einem evangelischen Theile festsetzte, und nun diese Meinung hervortrat, welche die Evangelischen wie- der so gewaltsam trennen sollte. Luther trug kein Bedenken, auch Zwingli für einen jener Schwärmer zu erklären, mit denen er so oft zu käm- Abendmahlsstreitigkeit . pfen gehabt; er nahm keine Rücksicht darauf, daß man dort die Bilder unter öffentlicher Autorität abgeschafft und allerdings einen Punct gefunden hatte, wo die weltliche Ordnung bestehn konnte, nur ein paar Schritte weiter als er; er hatte überhaupt von den schweizerischen Zuständen nur dunkle Begriffe. Mit großer Heftigkeit begann er den Krieg. Es würde nun nicht hieher gehören, die Streitschrif- ten aufzuführen, welche gewechselt, die Argumente, welche von beiden Seiten gebraucht worden; es sey dem Betrach- tenden nur erlaubt eine Bemerkung zu machen. Unläugbar scheint mir, daß die Sache durch das le- diglich exegetische Verfahren nicht auszumachen war. Daß das Ist einen tropischen Sinn haben könne, ist an sich nicht in Abrede zu stellen, und stellt auch Luther im Grunde nicht in Abrede. Er giebt es bei Ausdrücken zu, wie: Christus ist ein Fels ist ein Weinstock: „darum weil Christus nicht seyn kann ein natürlicher Fels.“ Er läugnet nur, daß das Wort diesen Sinn im vorliegenden Falle habe, ihn haben müsse. Große Confession in Walchs Sammlung der Werke Luthers Thl. XX, p. 1138. Dadurch springt nun weiter ins Auge, daß der Grund der Streitigkeit in einer allgemeinen Auffassung lag. Zwingli hat gegen die Gültigkeit der wörtlichen Er- klärung vor allem eingeworfen, daß Christus ja selbst ge- sagt habe, „ich werde nicht bei Euch seyn alle Tage,“ mithin auch im Abendmahl gar nicht gegenwärtig seyn wolle; daß er ferner dann allenthalben seyn müßte, eine locale Allenthalbenheit sich aber nicht denken lasse. Lu- 6* Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen klaren Wortsinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in der Regel, daß er sich an das untrügliche Wort halte, daß bei Gott kein Ding unmöglich sey. Es ist aber wohl nicht denkbar, daß er dabei stehen geblieben wäre, hätte er sich nicht durch eine höhere Auffassung über jene Einwürfe er- hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch am Ende auch mit dieser hervor; es ist die Lehre von der Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in Christo. Er findet, diese Vereinigung sey noch viel enger, als die zwischen Leib und Seele; auch durch den Tod habe sie nicht aufgelöst werden können; die Menschheit Christi sey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor- den. Wir haben hier einen Fall, der auch sonst wohl ein- tritt, wo Luther, selbst ohne es zu wissen, auf die vor der Entwickelung der hierarchischen Alleinherrschaft und der Ausbildung ihres Systemes in Gang gewesenen Meinun- gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch sehr ähnliche Weise mit einander in Verbindung gebracht. De divisione naturae bei Neander Kirchengeschichte IV, 472. Der Unterschied liegt wohl hauptsaͤchlich darin, daß Scotus noch ent- schiedener eine Verherrlichung der menschlichen Natur durch die goͤttliche annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur. Lu- thers Lehre ist nun, daß sich die Identität der göttlichen und der menschlichen Natur in dem Mysterium des Sa- craments darstelle. Der Leib Christi ist der ganze Chri- stus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea- Abendmahlsstreitigkeit . tur erhaben, und daher auch in dem Brode füglich mit- theilbar. Die Einwendung, daß Christus gesagt, er werde nicht immer gegenwärtig seyn, hebt er ohne Zweifel mit Recht durch die Bemerkung, daß Christus dort nur von sei- nem irdischen Daseyn rede. Es ist deutlich, in wie fern Zwingli’s Beweisführung nun weiter für Luther nichts Schlagendes hatte. Er konnte wie er es liebte, bei dem Wortsinn bleiben, der ihm keinen Widerspruch darbot. Durch eine Auffassung, welche die höchsten Mysterien der Religion berührt, wiewohl er sie mit einer ehrwürdigen Scheu, das Geheimnißvolle in den Streit des Tages zu ziehen, nur dann und wann hervorhob, war er seiner Sache sicher. Ueberhaupt erscheint uns Luther hier in seinem eigen- sten Wesen. Wir haben oft bemerkt, er weicht nur so viel von dem Herkömmlichen ab, als die Worte der Schrift ihn un- bedingt nöthigen. Z. B. fragt Carlstadt: wo hat Christus geboten, daß man sein Abendmahl in die Hoͤhe aufheben und dem Volke zeigen solle? (Walch 2876), Luther antwortet: wo verbietet es Christus? ( p. 252). Etwas Neues aufzubringen oder das Bestehende umzustürzen, was der Schrift nicht geradezu un- gemäß, wären Gedanken, die seine Seele nicht kennt. Er würde die ganze Entwickelung der lateinischen Kirche be- haupten, wenn sie nur nicht durch fremdartige, dem ächten Sinn des Evangeliums widersprechende spätere Bildungen verunstaltet wäre, er würde die Hierarchie selbst anerkennen, wofern sie ihm nur das Wort frei ließe. Da das aber nicht seyn kann, so hat er das Amt der Reinigung noth- gedrungen selber übernommen. Er hat sich, denn seine Seele Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . lebt und webt in den kirchlichen Ueberlieferungen, nicht ohne die heftigsten inneren Stürme von dem Zufälligen, dem unbegründeten Zusatz frei gemacht. Aber um so uner- schütterlicher hält er nun auch an dem Mysterium fest, in so fern es mit dem Wortsinn der Schrift übereinstimmt und dadurch bewährt wird. Er weiß es mit alle dem Tief- sinn aufzufassen, der ihm ursprünglich zu Grunde gelegen; er ist empfänglich für die großartigste Mystik, ja durch- drungen davon. Es ist wahr, Luther fiel von der römischen Kirche ab, oder vielmehr er ward von ihr ausgestoßen, und hat ihr mehr geschadet als ein andrer Mensch. Allein er verläug- nete nie seinen Ursprung. Wenn wir die welthistorische Be- wegung der Meinung und Lehre ins Auge fassen, so ist eben Luther das Organ, durch welches sich das lateinische Kirchenwesen zu einer freieren minder hierarchischen, mit den ursprünglichen Tendenzen des Christenthums wieder au- ßer Widerspruch gesetzten Entwickelung umbildete. Gestehen wir aber, daß seine Auffassung besonders in diesem Stück doch immer etwas Individuelles behielt, nicht einem Jeden einleuchten konnte, wie denn auch seine Stel- lung keineswegs von Allen getheilt wurde. Auch die tie- fern und bedeutendern Geister, die an der Thätigkeit des Jahrhunderts lebendigen Antheil nahmen, waren mit nich- ten alle so kirchlich gesinnt wie Luther. So wie Zwingli’s Beweisführung Luther’n nicht überzeugen konnte, so ging die Auffassung Luthers an Zwingli vorüber, ohne auf ihn Eindruck zu machen. Zwingli lebte, wie berührt, überhaupt nicht so tief in Abendmahlsstreitigkeit . dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zusammenhanges mit den Doctrinen der verflossenen Jahrhunderte. Wir sa- hen schon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be- griff der Gemeinde um vieles mehr beschäftigte: wie er denn auch jetzt beschäftigt war, seine Zürcherische Gemeinde durch strengere Kirchenzucht zusammenzuhalten. Er suchte die öf- fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Asyle auf, ließ unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt schaf- fen. Mit den Gesichtspuncten, die ihm daher entsprangen, verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog- matik absehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht, so bewieß er in der That für den Zusammenhang des ur- sprünglichen Gedankens derselben einen feinen und treffenden Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, sah er das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtnisses und der Liebe an. Er hielt sich an das Wort Pauli, daß wir Ein Leib sind, weil wir von Einem Brode essen. Denn ein Je- der, sagt er, bekenne sich dadurch zu der Gemeinschaft, die in Christus ihren Heiland erkenne, in der alle Christen Ein Leib seyen; das sey die Gemeinschaft des Blutes Christi. Wenigstens er selbst wollte nicht Wort haben, daß er die Eucharistie für bloßes Brod halte. „Wenn Brod und Wein, „die durch Gottes Gnade geheiligt sind, ausgetheilt wer- „den, wird da,“ sagt er, „nicht der ganze Christus gleich- „sam fühlbar den Seinen dargeboten?“ Es gereichte ihm zu besonderer Genugthuung, daß er durch diese Auffassung unmittelbar zu einer praktischen Wirkung gelangte. Denn wie sollte es nicht zu christlichem Leben und christlicher Liebe anleiten, wenn man wisse, daß man zu seinem Leibe gehöre? Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Der Unwürdige werde schuldig an Christi Leib und Blut. Er erlebte die Freude zu sehen, daß sein Ritus und diese seine Ansicht zur Beilegung alter und verhärteter Feindschaf- ten beitrugen. Expositio fidei Werke II, II, 241. Obgleich Zwingli gern das Uebernatürliche hervorhebt, das seine Auffassung noch darbot, so ist doch klar, daß dieß nicht das Mysterium war, welches bisher den Mittelpunkt des Cultus in der lateinischen Kirche gebildet hatte. Man kann begreifen, welchen Eindruck es auf den gemeinen Mann machte, daß man ihm die sinnliche Gegenwart Christi entreißen wollte; es gehörte ein gewisser Muth dazu, sich dazu zu entschließen; als das aber einmal geschehen, so zeigte sich, wie wenigstens Oekolampadius sagt, eine weit größere Empfänglichkeit dafür, als man hätte vermuthen sollen. Auch dieß ist auf der andern Seite wohl zu erklä- ren. Da man sich einmal im Abfall von der römischen Kirche begriffen sah, so gewährte es eine gewisse Befriedi- gung des Selbstgefühles, welches sich dabei entwickelte, daß dieß so vollständig wie möglich geschah, daß man in einen vollkommenen Gegensatz trat. Luther war von dem römischen Hofe vom ersten Au- genblicke an mit großer Härte, Zwingli dagegen mit äußer- ster Schonung behandelt worden; noch im Jahr 1523 em- pfing er ein überaus gnädiges Breve Adrians VI , in wel- chem alle seine Neuerungen ignorirt wurden. Dessenun- geachtet liegt am Tage, daß Zwingli dem bisherigen Kir- chenwesen bei weitem schärfer und unversöhnlicher entgegen- trat als Luther. Auf ihn machten Dienst und Dogma, wie Abendmahlsstreitigkeit . sie im Laufe des Jahrhunderts sich gebildet, ganz und gar keinen Eindruck mehr; Abwandlungen, die an sich unschäd- lich waren, an die sich aber der Mißbrauch geknüpft hatte, verwarf er mit so durchgreifender Raschheit, wie den Miß- brauch selbst; die ältesten Formen, in denen sich das christliche Princip zuerst ausgesprochen, suchte er herzustellen: gewiß auch Formen, und nicht das Wesen, aber die doch wie die nächsten, so auch die reinsten und angemessensten waren. Luther war bei alle seinem Eifer gegen den Papst, bei aller seiner Abneigung gegen die weltliche Herrschaft der Hierarchie, doch übrigens selbst in Lehre und Ritus so viel als möglich conservativ, historisch gesinnt; er war tiefsin- nig und von dem Mysterium durchdrungen; Zwingli war bei weitem durchgreifender im Verwerfen und Umbilden, den Bedürfnissen des täglichen Lebens zugewandt, nüchtern, verständig. Wäre Luther mit seinen Schülern allein geblieben, so würde das reformirende Prinzip wohl sehr bald zur Sta- bilität gelangt seyn, seine lebendig fortschreitende Kraft viel- leicht bald eingebüßt haben. Daß Zwingli allein gewesen wäre, kann man sich so eigentlich nicht denken. Wäre aber eine Ansicht, wie die seine, ohne Luther emporgekommen, so würde die Continuation der kirchenhistorischen Entwickelung dadurch gewaltsam unterbrochen worden seyn. So war es, wenn wir uns so weit erheben dürfen, von der göttlichen Vorsehung bestimmt, daß beide Auffassun- gen mit einander ihren Gang zu machen hatten. Sie wa- ren neben einander jede an ihrer Stelle, jede mit einer ge- wissen innern Nothwendigkeit entsprungen, sie gehörten zu- sammen, ergänzten sich wechselsweise. Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Aber seit den Zeiten der Inquisitionsgerichte, der fest- gesetzten, intoleranten Herrschaft eines dogmatischen Sy- stems, war ein so starrer Begriff von Rechtgläubigkeit in die Welt gekommen, daß sich beide doch zunächst, ohne Rück- sicht auf ihre gemeinschaftlichen Gegner, unter einander mit heftigem Eifer befehdeten. Wir werden später der Wechselfälle gedenken, in de- nen dieser Streit sich bewegt hat; jetzt fassen wir ins Auge, wie Zwingli sich an seiner Stelle weiter Raum machte. Vertheidigung. Ausbreitung. Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther, so erhob sich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei- nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen. Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft- gläubigen abzusondern, denn nur denen allein gelte die Ver- heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel nicht auf Erden einführen, Christus habe gelehrt, das Un- kraut mit dem Waizen aufwachsen zu lassen. Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362. Man verlangte dann wenigstens, daß er die ganze Zür- cherische Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, sich nicht mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie- dern bestand, begnügen solle. Aber Zwingli fürchtete den Einfluß der geistvorgebenden leidenschaftlichen Demagogen auf eine größere Versammlung. Er hielt dafür, daß die Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich so wie politisch hinreichend repräsentirt sey. Das stillschweigende Einver- ständniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende Wiedertaͤufer . Sanction der Beschlüsse des großen Rathes. Dieser übe die kirchliche Gewalt aus, aber unter der Bedingung, daß er die Regel der heiligen Schrift nicht verletze, auch nicht im Minde- sten, denn das sey der Gemeinde von ihren Predigern verhei- ßen worden. Zwingli ging, wie gesagt, von dem Begriff der Gemeinde aus, realisirte ihn aber nicht vollständig; wie man wohl in neuern Zeiten, auf das Prinzip der Natio- nalsouveränetät sich stützend, es gleichwohl vermeiden hat, die Nation selbst thätig auftreten zu lassen. Um der bestehenden äußeren Ordnung doch wenigstens Einen Vortheil abzugewinnen, forderten die Nichteinver- standenen hierauf, daß der Zehnte abgeschafft würde, der ja keineswegs von göttlichem Rechte sey. Zwingli bemerkte, der Zehnte sey entweder durch bürgerlichen Vertrag schon in die dritte Hand übergegangen, oder die Unterhaltung von Kirchen und Schulen sey darauf gegründet. Fuͤßli’s Beitraͤge I, 235. Er wollte die öffentliche Ordnung so wenig erschüttern lassen wie Luther. Er stützte sich nicht so gewaltig wie dieser auf den Begriff der Obrigkeit; aber auch er war entschlossen, die einmal gebildete politische Welt nicht gefährden zu lassen. Irgendwo mußte die Bewegung einhalten, wenn nicht alles in Frage gestellt werden sollte. Er war an diesem Punkt angekom- men, ließ sich keinen Schritt weiter bringen und hatte da- bei den allgemeinen Willen, von der in der Republik alles abhing, auf seiner Seite. Da nun aber hiedurch alle weiter vordrängenden Be- strebungen zurückgehalten wurden, so machten die Mißver- gnügten Versuche, sich für sich selber zu constituiren. Die Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Wiedertaufe trat auch in Zürich sehr stark auf. Der Ritus der Wiedertaufe ist nur das Wahrzeichen jener Lehre, die zur Bildung der Gemeinde volle Gleichheit der Gesinnung, wahrhafte Christlichkeit fordert. Allein da die Gemeinschaft der Wiedertäufer zugleich ihr Staat war, so geriethen sie mit den bestehenden Gewalten in unmittelbaren Gegensatz. Wur- den sie vor Gericht gestellt, so erklärten sie wohl, sie seyen der irdischen Macht nicht unterthan: Gott allein sey ihr Oberer. Sie behaupteten vielleicht nicht geradezu, daß man keine Obrigkeit dulden solle, aber sie lehrten, ein Christ könne solch ein Amt nicht verwalten, das Schwerd nicht führen; so daß sie die Christlichkeit der weltlichen Gewalt nicht mehr anerkannten. Als das Ideal alles irdischen Zustandes, nach welchem man trachten müsse, stellten sie die Gemeinschaft der Güter dar. Bekenntnisse und Actenstuͤcke in Fuͤßli’s Beitraͤgen I. 229, 246, 258. II, 263. Da nun Ideen dieser Art eben in dem Bauernaufruhr so furchtbare Wirkungen geäußert, und auch hier die Wiedertäufer, wie wenigstens Zwingli genau zu wissen behauptet, mit der Lehre hervortraten, daß man tödten dürfe, die Pfaffen tödten müsse, so erhob sich endlich, mit den Predigern einverstanden, die ganze Gewalt der bestehenden Ordnung der Dinge, um sich ihrer zu entledigen. Einige wurden verbannt, andere entflohen; einer und der andere der Hauptanführer wurde ohne Erbarmen ertränkt. In Rodolphi Gualtheri Epistola ad lectorem, vor dem zweiten Theile der Werke 1544 wird protestirt, daß Zwingli dieß nicht gewuͤnscht. Quod homines vaesani, non jam infideles modo, verum etiam seditiosi, reipublicae turbatores, magistratuum ho- stes justa senatus sententia damnati sunt, num id Zwinglio fraudi esse poterit? Die Politischer Widerstand . neue Kirchenform setzte sich fest, ohne daß das Bestehen, die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er- schüttert, gefährdet worden wären. Mittlerweile hatte sich aber von einer andern Seite her, aus politischen Motiven noch ein gefährlicherer Wi- derspruch geregt. Zwingli hatte nicht allein religiöse, sondern auch pa- triotische Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch- gedrungen; die Priester mußten einst alle Pensionen feier- lich verschwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von allen Cantonen den neuen französischen Bund nicht an. Die Unglücksfälle, welche dieser Bund nach sich zog, suchte Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für sein Sy- stem zu gewinnen. Man muß die „göttliche Vermahnung“ lesen, die er nach der Schlacht von Bicocca „an die ältesten ehrenfesten Eidgenossen zu Schwytz“ ergehen ließ, um den Zusammenhang zu bemerken, der seine religiösen und poli- tischen Bestrebungen verband. Seine Ueberzeugung war, daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht gestiftet werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban- nen müsse. Und frage Jemand, wie dieß möglich sey, da der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, so sey die Antwort, man müsse dafür sorgen, daß das göttliche Wort gelehrt werde, klar und verständlich, ohne den Zwang mensch- licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein. „Wo aber Gott in des Menschen Herzen nicht ist, da ist Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . nichts als der Mensch selbst, und er gedenkt an nichts, als was ihm zu Nutzen und Wollust dient.“ Es ist ganz die höhere Moral, die zugleich Mystik und Religion ist, und seine Ideen überhaupt belebt, was ihn auch zu seiner po- litischen Tendenz führt. In Schwytz, wo er eine Anzahl persönlicher Freunde hatte, machte sein Schreiben so viel Eindruck, daß die Landsgemeinde am 18. Mai 1522 den französischen Bund abkündigte und auch Andere davon ab- zustehn mahnte, „alle die, welche es zu mahnen habe.“ Es war sehr zu erwarten, daß Schwytz, wo Geroldseck und Zwingli und Leo Judä so lange gewirkt, nun auch in den eigentlich religiösen Angelegenheiten dem Beispiele von Zürich folgen werde. Es liegt jedoch am Tage und kein Mensch konnte sich verbergen, daß diese politische Richtung, so vernünftig sie auch an sich war, doch zunächst dem Fortgange der reli- giösen Bewegung wieder hinderlich werden mußte. Allent- halben hatten sich aus den Vorstehern der Gemeinden, welche die Pensionen empfingen, und den Hauptleuten, welche die kriegslustige Jugend ins Feld führten, Factionen gebildet, die ihren Vortheil nicht so leicht fahren zu lassen gemeint waren: — Oligarchien die dann vereinigt die Tagsatzungen be- herrschten. Zwingli fand, es sey ein neuer Adel so gefährlich wie der alte. Und allerdings waren diese Machthaber stark ge- nug, um zunächst die Schwytzer dahin zu bringen, daß sie ih- ren wider die fremden Dienste gefaßten Beschluß zurücknahmen. Besonders der Einfluß des Schultheißen Hans Hug in Lucern, hielt die bisherige Politik in den Waldcantonen aufrecht. Klagen Zwingli’s 19. Febr. 1523 an Steiner. Epp. I, p. 275. Auf Politischer Widerstand . der Tagsatzung von 1523 ward förmlich Klage gegen Zwingli erhoben; so gegen seine religiösen wie seine politischen Un- ternehmungen. Im Jahre 1524 forderte die Tagsatzung die Zürcher auf, von ihren Neuerungen abzustehn. Da sie eine ausweichende Antwort gaben, drohte man ihnen, in Zukunft auf Tagen nicht mehr neben ihnen zu sitzen, ihnen die Bundesbriefe zurückzugeben. Nicht als ob nun die Tag- satzung entschiossen gewesen wäre, alles beim Alten zu las- sen; vielmehr kam noch 1525 ein sehr merkwürdiger Be- schluß zu Stande, durch welchen man die geistliche Gerichts- barkeit zu beschränken gedachte, Z. B. soll der Geistlichkeit zwar vorbehalten bleiben, was Ehesachen oder Gotteshaͤuser und Sacramente, oder Irrungen im Glauben betrifft, aber auch dieß soll erst der weltlichen Obrigkeit vorgelegt werden, die nur, wenn es ihr nothwendig scheint, an den geistlichen Richter verweisen mag. Artikel bei Bullinger I, 203. nach Art und Weise der deutschen Reichstage. Das zeigt aber nur, daß auch in der Tagsatzung verschiedene Meinungen obwalteten. Wer so recht streng an Rom fest hielt, wollte auch von keiner Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit wissen. Vor- übergehend konnte man einmal nachgeben, allein im Gan- zen setzte sich die engste Verbindung jener Oligarchen mit den Prälaten durch, die eine Zeit daher nicht wenig ge- fährdet, plötzlich wieder Grund unter ihren Füßen fühlten. Wir stoßen hier auf die merkwürdige Thätigkeit des General- vicars zu Costnitz, Johann Faber, eines Mannes, der frü- her die literarische Richtung seiner oberdeutschen Zeitgenos- sen getheilt, Zwingli selbst zum Widerstand gegen den Ab- laß ermuntert hatte, aber im Jahre 1521 ganz umgewan- delt von Rom zurückgekommen war, und es sich nun zum Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . Beruf seines Lebens machte, die alte Religion aufrecht zu erhalten; dessen Bemühen war es, jene Verbindung zu Stande zu bringen und wirksam zu machen. Das Gespräch zu Baden, im Mai 1526, bei welchem auch Eck erschien, war der Ausdruck des neuen Einverständnisses der Oligar- chen und der geistlichen Gewalt. Zwingli an Vadian I, 485. Istud unum caveo, ne optima plebs Helvetica horum nebulonum Fabri videlicet et Ecciorum stro- phis committatur, id autem Oligarcharum perfidia 3 Kal. Apr. 1526. Trotziger und mit grö- ßerem Schein als jemals behaupteten die Altgläubigen, daß der Sieg auf ihrer Seite geblieben sey. Aber eben dieses Gespräch sollte ihnen höchst verderb- lich werden. Zwingli war daselbst nicht erschienen: wahrscheinlich schreckten ihn die Executionen, welche man so eben im Cost- nitzer Sprengel z. B. an Hans Hüglin vornahm; dage- gen hatten Bern und Basel ein paar Vertreter der neuen Lehre, Berthold Haller und Oekolampadius geschickt, die nun aber nicht allein weit davon entfernt waren, ihren Geg- nern den Sieg zuzugestehn, sondern wie sie nach Hause ka- men, auch in ihren Mitbürgern ein patriotisches Mitgefühl für ihre Sache erregten. Wie das Lied des Nicolaus Manuel beweist: ain Lid in schilers Hofthon; bei Gruͤneisen p. 409. „Egg zablet mit fuͤßen und henden, fing an schelken und schenden: — — er sprach ich blib by dem verstand, den Baͤpst Cardinaͤl Bischof hand.“ Es erscheint in Baden just wie in Leipzig. Bern und Basel forderten auch ih- rerseits Theilnahme an der Herausgabe der Acten des Ge- sprächs, und wollten sie der katholischen Majorität nicht so ohne Weiteres überlassen. Schon in der jurisdictionellen Frage waren jene Städte mit derselben in Mißverständniß gerathen; jetzt bahnte sich eine völlige Entzweiung an. Siege der Reformation . Sie zum Ausbruch zu bringen trat jetzt ein weiterer politischer Moment hinzu. War der Lehre ihre Verbin- dung mit der Politik in der Schweiz bisher hinderlich ge- wesen, so kam sie ihr endlich auch zu Gute. Jenen Oligarchien stand überall in den Städten ein mächtiges demokratisches Element in den großen Räthen und Bürgerschaften entgegen. Wie sich die Ersten an die geist- liche Macht anschlossen, so neigten sich die Andern zur Re- form. Die allgemeine Stimmung des Volkes, der Beistand der Prediger waren auf ihrer Seite. Da wurde es nun entschei- dend, daß sich nach langem Schwanken diese Tendenz, hauptsächlich durch die Irrungen über das Badener Ge- spräch begünstigt, in dem mächtigen Bern durchsetzte. Bei den neuen Wahlen des Jahres 1527 drang eine nicht ge- ringe Anzahl von Anhängern der Reform, Gegner der Oli- garchen, in den großen Rath ein. Die erste Folge hievon war, daß der große Rath alle seine alten Rechte zurückfor- derte. Zwanzig Jahre lang hatte er es sich gefallen lassen, daß der kleine Rath von Vennern und Sechzehnern gesetzt wurde, jetzt nahm er das Recht, das ihm zustand, densel- den zu wählen, wieder an sich. Ad viginti annos 4 Pandareti cum 16 e civibus senatum minorem elegerunt, ea conditione ut per eos delectos civium turma non haberet abjicere; nunc ablata est illis potestas et concio universa civium senatum deligit. Schreiben B. Hallers an Vadian, in Kirchhofers Berthold Haller p. 89. Nachdem er dergestalt die Summe der bürgerlichen Gewalt, der Verfassung ge- mäß, in sich vereinigt, griff er zu den religiösen Angele- genheiten. Die Mandate, den alten Glauben festzuhalten, wurden zurückgenommen; eine Disputation veranstaltet, bei Ranke d. Gesch. III. 7 Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel . der auch Zwingli erschien, und die nun ganz zu Gunsten seiner Meinung ausfiel; alle Einrichtungen die er in Zürich gestattete, eignete man in Bern sich an. Im Jahre 1528 ward noch vollends aus den beiden Räthen entfernt, was an dem alten Glauben festhielt. Die Gemeinde ward in der Kirche versammelt; Kopf bei Kopf, Herren, Meister und Knechte ge- lobten Alle den beiden Räthen Gehorsam. Stettler II, 6. Dann griff man, nach dem zwiefachen Charakter dieser Reform über- haupt, die Jahrgelder an, welche in Bern auch unter den Evangelischgesinnten mächtige Anhänger zählten. Nicht ohne lebhaften Kampf, und erst nachdem man aufs neue die Mei- nung des Volkes in Stadt und Land befragt, wurden die Jahrgelder aberkannt (24. Aug.) und dem König von Frank- reich aufgekündigt. Bullinger II, 13. Haller nennt es pecunia sanguinaria; Hofmeister redet von execrabile foedus Gallicum. Auch Manuel gehoͤrte zu den Verfechtern der Pensionen. Gruͤneisen 109. Kirch- hofer 133. Einen Augenblick länger hielt sich die bisherige Regie- rung in Basel; sie schmeichelte sich noch ein Gleichgewicht zwischen beiden Bekenntnissen zu behaupten. Allein allmäh- lig ward die evangelische Gemeinde ihre Ueberlegenheit inne: bei einer Volksversammlung im Januar 1529 zeigten sich nur 800 Katholische, dagegen bei 3000 Evangelische. Hier- auf, im folgenden Februar, brach eine aufrührerische Bewe- gung aus. Zuerst ward die Verfassung geändert. Die Zünfte nahmen ihre frühere Selbständigkeit wieder an sich und beka- men das Recht, künftig immer 60 der Jhren dem großen Ra- the beizuordnen; Niemand sollte in dem kleinen Rathe seyn, Siege der Reformation . der nicht durch den großen dazu vorgeschlagen würde; alle Katholisch-gesinnten verließen den kleinen Rath. Vgl. Ochs Geschichte von Basel V, p. 626 f. Das dioece- sium suffragio, cum dioecesiis disponenda in Oekolampads Be- richt, womit sich Ochs V, 653 so viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia- cosion suffragio, cum diacosiis, mit welchem Wort Zwingli und auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich den großen Rath bezeichnen. Auf der Stelle hörte man in den Kirchen deutsche Psalmen singen und schon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes- dienstes nach dem Muster von Zürich publicirt, die ganz den religiösen Ernst und die sittliche Zucht athmet, welche eins der vornehmsten inneren Motive dieses Unternehmens war, und in der man zugleich auf die Abstellung der muth- willigen Kriege Bedacht nahm. Zwischen den drei Städten ward nun ein Burgrecht abgeschlossen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an- deren Eidgenossen aufzunehmen gedenke, „wenn sie,“ wie es hier heißt, „des göttlichen Wortes so viel berichtet seyen.“ Dazu war in der That viele Aussicht vorhanden. In Glarus, Appenzell, Graubündten regten sich die Anhänger der Neuerung gewaltig; in Schafhausen schwankte der Rath unaufhörlich zwischen den entgegengesetzten Richtungen; Diese unentschiedene Gesinnung stellt sich individuell in dem 1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar. in St. Gallen war der Sieg schon entschieden. Noch im Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende- rung des Rathes, die katholischen Cerimonien abgestellt, Ar- tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt. Arx Geschichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptsache fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤssigen Nebendingen ausfuͤhrlich. Dasselbe 7* Fuͤnftes Buch Drittes Capitel . geschah in Mühlhausen, wo einer jener Staatsmänner, welche an den eidgenössischen Angelegenheiten sowohl in dem In- nern als in den Verhältnissen zu Kaiser und Papst thätigen Antheil genommen, der Stadtschreiber Gamshorst der Be- wegung mit seiner wohlgegründeten Autorität zu Hülfe kam. In den Jahren 1528 und 1529 wurden St. Gallen, Bern und Mühlhausen, das letztere nicht ohne eine gewisse Schwie- rigkeit, und nur auf besondere Verwendung von Bern in das christliche Bürgerrecht aufgenommen. Bullinger Reformationsgeschichte II, p. 46. In denselben Zeiten, in welchen sich in dem östlichen Deutschland an so vielen Stellen evangelische Organisatio- nen in Luthers Sinne erhoben, traten diese nahe verwandten Bildungen in der Schweiz im Geiste Zwingli’s ins Leben. Und schon griffen die Ideen der Zürcher Reform in ganz Oberdeutschland mächtig um sich. War doch die Eid- genossenschaft selbst noch immer ein Glied des Reiches. Die Reformatoren von Straßburg, Buzer und Capito hat- ten an dem Gespräch zu Bern Antheil genommen, und wa- ren lange Zeit eifrige Anhänger der zwinglischen Auffas- sung des Abendmahls. Gar bald schlossen sich Lindau und Memmingen an Strasburg an. In demselben Sinne predig- ten Somius in Ulm, Cellarius in Augsburg, Blaurer in Costnitz, Hermann in Reutlingen, und wie viele andere in den meisten Städten jener Gegenden! Hie und da regte sich der Gedanke, sich an die evangelischen Orte der Eidgenos- senschaft auf das engste und für immer anzuschließen. Gewiß es war ein Unglück, daß die beiden Bildungen in dem östlichen und in dem westlichen Deutschland einander wie- Siege der Reformation . der entgegengesetzt waren. Die Streitschriften der beiden Theile erfüllten alle Gemüther mit gegenseitigem Widerwillen. Jedoch ist das nicht die einzige Betrachtung, die wir an das Ereigniß knüpfen. Die Differenz beruhte nicht al- lein auf der verschiedenen Auffassung eines Dogma, sondern sie war in dem Ursprung der beiderseitigen Bewegung, in dem politischen und kirchlichen Zustand, von dem man sich hier und dort losriß, gegeben. Ob man nicht in dem Dogma eine befriedigende Verständigung finden würde, stand noch dahin. Daß aber die Reform in der Schweiz aus ursprünglichen Trieben hervorgegangen war, ihre eigenthüm- lichen Wurzeln schlug, und dem gemäß sich in eignen Bil- dungen versuchte, war ohne Zweifel ein Glück; es gab dem Prinzip derselben eine neue Nachhaltigkeit und innere Kraft. Viertes Capitel . Politik des Jahres 1529. Das war nun die Lage der damaligen Welt. Das große Weltverhältniß, von welchem im Laufe der mittleren Jahrhunderte alles abgehangen, zwischen Orient und Occident war noch einmal zweifelhaft geworden. Der mächtige Fürst, in welchem sich die kriegerischen Kräfte des Orients concentrirten, stand wieder im Begriff, einen An- fall auf die Christenheit zu versuchen, von dem er sich ei- nen so großen Erfolg versprechen durfte, wie ihn seine letzte Unternehmung nur immer gehabt; es ließ sich schon gar nicht erwarten, daß ihn die nur sehr schwachen Vorkehrungen, die seitdem von der deutschen Seite her in Ungarn getroffen wa- ren, aufhalten würden. Ein unmittelbares Zusammentreffen der germanischen Kräfte zu Lande und der romanischen zur See mit den osmanischen stand nunmehr bevor. In der Christenheit selber aber war alles in Entzweiung. Noch war der Friede zwischen den beiden obersten Häup- tern nicht hergestellt. Der Kaiser hatte wohl einmal den Gedanken gehegt, den Papst aller weltlichen Herrschaft zu berauben; in den Gegnern des Kaisers war dagegen der Lage der Welt . Plan aufgestiegen, mit Hülfe des Papstes ihn den Kaiser sel- ber abzusetzen. Noch waren diese Pläne nicht ganz beseitigt. Eben so wenig war das militärische Uebergewicht der einen oder der andern von den beiden großen Mächten, die schon so lange gegen einander unter den Waffen standen, entschieden. Von Jahr zu Jahr immer glücklicher hatte sich das Haus Oestreich erhoben, noch wollte sich aber Frank- reich mit nichten in den Verlust des vorwaltenden Ansehens finden, das es bisher besessen, oder seinen Besitz in Ita- lien aufgeben. Zu diesen Kämpfen der Staatsinteressen kam nun aber, wenn auch für den Augenblick nicht so geräuschvoll, aber in sich selber doch noch bedeutender die religiöse Bewegung. Die Autorität der römischen Kirche, welche so viele Jahr- hunderte daher das Abendland beherrschte, fand jetzt einen Widerstand wie noch niemals. Schon öfter hatten sich ihr Feinde erhoben, aber niemals hatten dieselben eine zugleich so energische und so gut begründete Religiosität entwickelt; nie- mals waren ihre Bestrebungen mit dem allgemeinen Leben des Geistes, dem Gange der europäischen Cultur so ver- bündet gewesen; auch hatten sie noch nie so rasch und le- bendig in allen Nationen um sich gegriffen. Da war nun aber auch überdieß noch geschehen, daß diese Reformationsideen in zwei verschiedenen einander zu- widerlaufenden Richtungen emporkamen. Die eine schloß sich so viel wie möglich an die entwickelte Lehre, den be- stehenden Staat an, die andere war von Anfang mit dem Gedanken einer Umbildung der Staatsverhältnisse verschmol- zen und setzte sich zum Ziel, die ursprünglichen Zustände Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . der Christenheit wiederherzustellen. In der abweichenden Auf- fassung des vornehmsten Dogmas traten sie einander entgegen. Es waren nicht Irrungen über eine und die andere Modification, ein oder das andere Besitzthum, sondern Strei- tigkeiten über die wichtigsten Angelegenheiten, über die Summe der Dinge — die Verhältnisse des Orients und Occidents, des Kaiserthums und des Papstthums, der beiden vorwal- tenden Mächte unter einander, die Fortdauer der hierarchi- schen Gewalten oder das Emporkommen neuer kirchlicher Formen; und auch in dieser letzten Hinsicht über die Beibe- haltung des Irgend-haltbaren oder eine totale Veränderung. Wie nun aber am Tage liegt, daß alle diese Gegen- sätze, so weltumfassend sie auch sind, doch hauptsächlich die deutsche Nation berührten, in ihr zusammentrafen — denn wir zunächst hatten den Kampf mit den Osmanen auf dem Continent auszufechten, das Uebergewicht in Italien zu be- haupten, den religiösen Streit zur Entscheidung oder zum Austrag zu bringen, — so kam nun für den Fortgang der Dinge alles darauf an, welche Haltung unser Kaiser in dem Getümmel so mannichfaltiger Bewegungen annehmen würde. Bisher war seine Politik, nach den Nothwendigkeiten der verschiedenen Momente, auf eine nicht immer zusam- menstimmende Weise geleitet worden; jetzt aber, da die Ent- scheidung um so viel näher gekommen, mußte ein System ergriffen und durchgesetzt werden. Wie oben bemerkt, der Wunsch der Deutschen wäre gewesen, daß der Kaiser sich mit dem Widerstande wider die Hierarchie verbündet, und von den frischen Kräften der Na- tion unterstützt, die Rechte des Kaiserthums nach allen Sei- Stellung des Kaisers . ten hin wahrgenommen, den Barbarenstaat die Donau hinunter zurückgewiesen hätte. Und mußte nicht der Kai- ser in der That hiezu eine gewisse Hinneigung empfinden? Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie- derholt? War nicht in denjenigen deutschen Fürsten, die auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichste Ei- fersucht gegen sein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn darin gelegen hätte, sich mit den populären Tendenzen zu verbünden, von deren unaufhaltsamen Um-sich-greifen alle Briefe redeten, die ihm aus Deutschland kamen, und die sich nichts Besseres wünschten als unter seinen Fahnen zu dienen? Selten jedoch ist ein Mensch fähig, in dem Kampfe entgegengesetzter Weltkräfte sich mit voller Freiheit für die eine oder die andre Seite zu entscheiden; ich glaube nicht, daß sich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutschen Nation war es nicht bestimmt, sich unter der Führung eines gemein- schaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch seine persönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik sah sich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünschen entgegen- gesetzten Systeme hingedrängt. Die Erfahrung hatte so eben gezeigt, in welche gar nicht abzusehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den Papst ferner zu bekämpfen. Im Angesicht einer unüber- windlichen Nothwendigkeit hatte er sich zu einem nachgie- bigern Verhalten gegen denselben, zu einer Verbindung mit ihm entschlossen. Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Es ist merkwürdig, wie alle auswärtigen Verhältnisse zusammenwirkten, um ihn dabei festzuhalten. Wir berührten schon, daß er der Ehre seines Hauses wegen den Zweifel gar nicht aufkommen lassen durfte, ob der Papst befugt gewesen sey, Heinrich VIII jenen Ehedis- pens zu geben, den dieser jetzt selbst für unstatthaft erklärte. In den nordischen Reichen offenbarten die Gegner, welche seinen Schwager Christiern von da vertrieben hatten, eine starke Hinneigung zu den Reformideen der Deutschen, die sogar in Schweden schon beinahe zur Herrschaft gelangt waren. Wollte der Kaiser seinen Schwager und den Einfluß des Hauses Oestreich im Norden wiederherstellen, so war das nur durch eine Verbindung mit den dem Katholicis- mus zugethan verbliebenen Elementen möglich. Ferner aber: die Verbindung, in welche die reformir- ten Städte der Schweiz mit ihren Glaubensgenossen in dem benachbarten Oberdeutschland traten, veranlaßte die katho- lischen Cantone, sich einen Rückhalt an dem Hause Oestreich zu suchen; sie vergaßen die gleichsam ererbte Feindseligkeit gegen dasselbe und schlossen in den ersten Monaten des Jah- res 1529 mit König Ferdinand einen förmlichen Bund ab. Auch in dem Streite mit dem Woiwoden und dessen Anhängern in Ungarn konnte es diesem Hause nicht anders als sehr vortheilhaft seyn, wenn die Kirche seine Rechte anerkannte. Und warf der Kaiser die Augen auf das deutsche Reich selbst, so konnte er nicht verkennen, daß seine Au- torität das Meiste von einer Verbindung mit den geist- Stellung des Kaisers . lichen Fürsten zu erwarten hatte. Wir erinnern uns, wie angelegen es sich schon Maximilian seyn ließ, die bischöf- lichen Stühle mit ergebenen Leuten zu besetzen, den geistli- chen Stand zu gewinnen. Um wie viel besser aber mußte dieß jetzt gelingen, sobald die Bischöfe, von den Ideen des Jahrhunderts in ihren geistlichen Gerechtsamen bedroht, an der kaiserlichen Macht einen sichern Rückhalt fanden. Bei der Bedeutung, welche dieser hierarchische Bestandtheil in der deutschen Reichsverfassung noch behauptete, war es in der That kein geringer Gewinn denselben für sich zu haben. Ich könnte nicht urkundlich nachweisen, daß Carl V diese Be- trachtung gemacht habe, allein sie liegt zu nahe, als daß sie ihm entgangen seyn sollte. Wer weiß nicht, daß in ei- ner spätern Epoche mit der Auflösung der geistlichen Für- stenthümer auch das Kaiserthum zu Grunde gegangen ist, Etwas Aehnliches hätte sich schon damals erwarten lassen. Das Kaiserthum hatte nicht Wurzel genug, um sich unter lau- ter weltlichen Gewalten, selbst wenn sie nicht alle erblich ge- wesen wären, zu behaupten, wenigstens hätte dazu die größte Anstrengung gehört; — unendlich viel leichter war es, die her- kömmlichen Verhältnisse zu benutzen. Nicht mit Unrecht sagte Zwingli einmal, Kaiserthum und Papstthum seyen so enge in einander verflochten, daß man letzteres nicht be- kämpfen könne, ohne auch das erste anzugreifen. So geschah es, daß die Politik des Kaisers eine durchaus andere ward, als die deutsche Nation gewünscht hatte. Er dachte auf Aussöhnung mit dem Papst — Erhebung des Kai- serthums, aber lediglich auf den bisherigen hierarchischen Grundlagen — Widerstand gegen die Osmanen, aber ganz in Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . dem gewohnten Sinne der lateinischen Christenheit; zu den deutschen Reformationsideen hatte er keine Sympathie; sie waren ihm vielmehr widerwärtig und wir werden sehen, wie er sich entschloß sie zu beseitigen. Dazu wirkte in ihm vor allem, daß er ja nicht allein deutscher Kaiser war, sondern König von Spanien. Er hatte die entscheidenden Jahre männlicher Jugend, in denen der Mensch seine Lebensrichtung definitiv einschlägt, in Spa- nien zugebracht und wesentliche Elemente der nationalen Ge- sinnung in sich aufgenommen. Wäre der Katholicismus allenthalben in seiner tiefern Bedeutung erstorben gewesen, so hätte er dem Sturme die- ses Jahrhunderts erliegen müssen. Wie aber in einigen andern Theilen des romanischen Europa, so hatte er vor allem in Spanien lebendige Wurzel. In Spanien war der Staat des Mittelalters, in wel- chem sich Königthum und Priesterthum durchdrangen, noch in vollen kräftigen Trieben. Jener Kampf mit dem Islam, der so wesentlich zur Entwickelung dieser Staats- und Kirchenform beigetragen, dauerte hier noch immer fort; man war noch fortwährend beschäftigt, das Land zu christianisiren: man nahm sich keine Gewaltsamkeit dabei übel. Im Jahre 1524 ließ sich Carl von dem Eide entbinden, der ihn verpflichtete, die Mau- risken der Krone Aragon zu schonen. Breve des Papstes vom 12. Maͤrz 1524 bei Llorente I, 427. Noch besonders feuerte ihn der Sieg von Pavia an; er braucht in dieser Beziehung einmal den Ausdruck, weil Gott ihm seine Feinde in die Hand gegeben, müsse er die Feinde Gottes bekeh- Spanischer Katholicismus . ren; Bei Sandoval I, 673, uͤberhaupt hier unserm Gewaͤhrsmann. zunächst schritt er in Valencia zum Werke. Hier lebten noch 26000 maurische Familien, — während man nur 22000 christliche zählte; — es kam zu einer Art von Krieg; nur dadurch konnten die Mauren auf der Sierra Espadan endlich besiegt werden, daß man die Deutschen an- rücken ließ, die dem Kaiser nach Spanien gefolgt waren. Hierauf wurden die Moscheen zu Kirchen gemacht; der Zehn- ten ward zu Gunsten der doppelseitigen Hierarchie eingeführt. Von so viel Tausenden, meint Sandoval, waren nicht Sechs, die sich mit gutem Willen taufen ließen; aber wehe dem, der sich nicht bei dem Anblick des Hochwürdigsten auf der Stelle niedergeworfen hätte! Die strengste Inquisition wachte über ihr äußeres Bezeigen. Wohl mochte das auch sonst nothwendig seyn. Noch 1528 entdeckte man unter den Mauren von Valencia einen Menschen, der als der geheime König der Mauren betrach- tet wurde. Uno que se dize rey encubierto, que es nombre de baxa suerte, — publican, que eran muchos con el que estaban deter- minados depassando el emperador de matar a la reyna Germana y el duque de Calavria su marido e levantarse por rey esto di- cho rey encubierto. — Han fecho morir ata 50 hombres que se dezia ser de su lignage y tienen presos mas de ata ciento. Ad- vertimiento de la corte del emp r . K. Biblioth. zu Paris, Samm- lung Bethune 8531 f. 110. Seine Absicht soll gewesen seyn, sich bei der ersten Entfernung des Kaisers zu empören. Er ward mit seinem ganzen Stamme umgebracht. Und in demselben Sinne ward nun auch Amerika co- lonisirt. Hatte man nicht den Entdecker selbst, wenn er nach Sevilla zurückgekommen, im Franciscanerhabit an den Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Processionen Theil nehmen sehn? Columbus hielt sich für bestimmt in den Ländern des Großchan, die er gefunden zu haben glaubte, den christlichen Glauben auszubreiten. Wie oft spricht er die Absicht aus, der Krone die Mittel zu verschaffen, um das heilige Grab zu erobern. Humboldt, III, 260. So ist denn auch in allen seinen Fortsetzern mit der Begier, reich, mächtig und berühmt zu werden, ein sehr besonderer Eifer, das römische Christenthum auszubreiten, vereinigt. Prescott History of Ferdinand and Isabella III, 418 citirt eine hiefuͤr sehr bemerkenswerthe Stelle von Gonzalo von Oviedo: who can doubt, that powder against the infidels, is incense to the Lord? Für die Krone war das eine Art von Nothwendigkeit: ihr ge- sammtes Recht leitete sie von dem römischen Stuhle her; das war die offizielle Doctrin, die sie den Indianern verkündigen ließ. Sie übertrug das ganze lateinische Kirchenwesen, nur wo möglich noch prächtiger und reicher, auf die neue Welt. Man dürfte das nicht so verstehn, als ob Jedermann von diesen Tendenzen durchdrungen gewesen wäre. Unter andern ist es von Cortez merkwürdig, daß er die voll- ständige Uebertragung der Hierarchie nicht billigte; er wollte keine Bischöfe, sondern nur eine thätige niedere Geistlich- keit, eifrige Mönche; wobei er wohl selbst an die Mittel dachte, die bischöfliche Ordination entbehrlich zu machen. Bericht des Cortez 15. October 1524. Bei Koppe p. 487. Aber so mächtig war die Vorliebe für die Gesammtheit des Herkömmlichen, daß selbst er, der Eroberer und Gesetzgeber, nichts dagegen ausrichtete. Wohl war Spanien nicht so abgeschlossen von dem übrigen Europa, daß sich die Bestrebungen der neuernden Literatur gar nicht daselbst geregt hätten. Antonio von Le- Spanischer Katholicismus . brixa verdient es z. B., neben Erasmus und Reuchlin ge- nannt zu werden. Auch er widmete seinen Fleiß den hei- ligen Urkunden, und gab ein Werk unter dem Titel heraus: Dreimal funfzig besser erklärte Stellen der heiligen Schrift. Quinquagenae tres locorum sacrae scripturae non vulga- riter enarratorum. Allein jene Inquisition der Dominikaner, die in Deutsch- land nicht durchdringen konnte, herrschte in Spanien un- bedingt. Der Großinquisitor, Bischof von Palencia, Diego Deza, nahm dem gelehrten Autor den größten Theil seines Buches weg, und verhehlte nicht, daß er denselben damit von allem weiterem Schreiben über diesen Gegenstand ab- zuhalten gedenke. Dieser Bischof, behauptet man, hätte lie- ber die Ursprache der heiligen Schrift selber ausgerottet. Deza’s Nachfolger, Ximenes, war wie man weiß mit nich- ten so beschränkt; er hatte Sinn für das Originale, dessen durch keine Uebertragung zu ersetzende innere Kraft, und ging selbst an die Herausgabe des Grundtextes in seiner Polyglotte. Allein der Vulgata, der angenommenen Ueber- setzung der lateinischen Kirche, maß doch auch er einen höchst übertriebenen Werth bei. Er vergleicht den griechischen und den hebräischen Text, in deren Mitte er den lateinischen ab- drucken ließ, mit den beiden Schächern zur Rechten und Linken des Heilands; Prologus ad lectorem. Medium autem inter has (den hebraͤi- schen und den griechischen Text) latinam beati Hieronymi translationem es ist nicht in Abrede zu stellen, Bonus ille praesul in tota quaestione sua nihil magis la- borabat, quam ut duarum linguarum, ex quibus religio nostra pen- det, neque ullum vestigium relinqueretur, per quod ad dignoscen- dam in rebus dubiis certitudinem pervenire possemus. (Apolo- gia pro se ipso. N. Antonii Bibl. Hisp. Nova I, p. 138.) Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . daß er die Worte der Septuaginta, ja sogar den griechi- schen Text des neuen Testamentes nach der Vulgata abge- ändert hat; eine dogmatische Hauptbeweisstelle, die sich in keiner Handschrift finden will, hat er wohl geradezu nur der Vulgata zu Ehren aufgenommen. Semlers genauere Untersuchung der schlechten Beschaffenheit des zu Alcala gedruckten griech. n. Testamentes 1766. Bei der Doxo- logie Matth. 6 ließen sie weg, was, wie sie meinten, obwohl es schon Chrysostomus gelesen, doch wohl schon damals ex corruptis origina- libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle ist bekanntlich 1 Joh. 5, 7. Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron sagt: videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis. Denn an dem re- cipirten Systeme der lateinischen Kirche hätte man hier auch nicht die mindeste Aenderung verstattet. Es ist sehr merk- würdig, daß die Scholastik eben in unserer Epoche, als sie in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erst emporkam. Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonso von Cor- dova die nominalistischen, Francisco von Vittoria die rea- listischen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erst durchzusetzendes vor; sie wollten die hohe Schule von Pa- ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte Franz Vittoria den größten Erfolg; den philosophisch-prak- tischen, moralischen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung; Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei- ster; die vornehmsten spanischen Theologen sind aus seiner Schule hervorgegangen. Es ist ungefähr, wie ein großer Theil des allgemeinen Romanzenbuches seinen Ursprung erst dem sechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li- velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive latinam ecclesiam collocantes. Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus. Spanischer Katholicismus . teratur dauerte die Herrschaft der exclusiven Doctrinen der lateinischen Kirche ununterbrochen fort. Und nothwendig brachte nun dieser Zustand der herr- schenden Ueberzeugungen auch eine um so feindlichere Hal- tung gegen die Abweichungen der übrigen Welt hervor. Nicht allein, daß man hier die Verordnungen gegen Luther in aller Strenge ausführte; sondern auch Erasmus, der Gunst zum Trotz, welche ihm der Hof erwies, fand bei der mönchischen Gelehrsamkeit keine Gnade. Ein in beiden Sprachen sehr wohl bewanderter Mann, Diego Lopez Zu- niga machte es gleichsam zum Zweck seines Lebens, die Neuerungen dieses Autors zu bekämpfen. Auch er hielt an dem Vorzug der Vulgata fest. Sciendum est, sagt er von 1 Joh. 5, 7, Graecorum codices apertissime esse corruptos, nostros vero veritatem ipsam continere. Eben hier je- doch ist die Vulgata selbst interpolirt. Vgl. Griesbach App. 12. In der Fasten 1527 klagten ein paar Dominicaner den Erasmus, oder vielmehr, denn er selber war glücklicherweise außer dem Be- reiche ihrer Angriffe, seine Schriften förmlich bei der In- quisition der Irrlehre an. Es ward ein Gericht niederge- setzt, und obgleich sich dieses nicht sofort zu einem einmü- thigen Urtheil vereinigen konnte, so hielt sich doch die In- quisition für berechtigt, von jenen Schriften wenigstens ei- nige, die Colloquien, das Lob der Narrheit und die Pa- raphrase des N. Testaments zu verbieten. Llorente I, 459. Erasmi Epistolae 989. 1032. Er bezeich- net besonders Peter von Victoria als seinen Gegner. Es giebt überall eine geistige Atmosphäre, deren Ein- flusse man sich nicht entziehen kann. Woher hätte namentlich dem jungen Kaiser die ener- gische Selbständigkeit des Geistes dazu kommen sollen? Ranke d. Gesch. III. 8 Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . In dem Brüsseler Archiv findet sich eine spanische Dia- tribe gegen Luther und Oekolampadius, die man dem Kaiser eingab, um ihn gegen alle Einwirkung der neuen Meinungen zu befestigen. Siguense los errores de Luther y Colampadio su disci- pulo con la determinacion de l’iglesia. — — Die verschiedenen Ar- tikel werden nach einander abgehandelt, z. B. Art. 3 wie oben; Art. 6 Santo es y justo commendarnos a los santos y adorar sus ima- gines. 7. La iglesia puede licitamente tener patrimonio y poseer bienes temporales. 8. Justa pena es por los hereges, que seen quemados. Darin wird vor allem das gute Recht der Kirche, bei Strafe einer Todsünde zu verpflichten, erhärtet; denn ohne dieß würde ein Jeder bloß seinem Belieben fol- gen wollen. Hierauf werden die angegriffenen Glaubens- artikel in aller ihrer Strenge verfochten, z. B. daß Ehe, Firmelung, Weihe, letzte Oelung Sacramente seyen, von Christus eingesetzt. Zum Schluß wird gezeigt, die gerechte Strafe der Ketzer sey verbrannt zu werden. Diese Gesinnung mußte sich natürlich mit mehr oder minder Schärfe des Kaisers bemächtigen. Gleich bei der ersten Instruction seiner Gesandten an den gefangenen Papst ist von der Nothwendigkeit die Rede, die irrige Secte Luthers auszurotten. Bei Bucholz III, 99. In dem Vertrag vom 26. Nov. 1527 verspricht demzufolge der Papst ein Concilium „damit die Kirche wiederum zu recht gebracht und die lu- therische Ketzerei ausgerottet werde.“ Schon im Frühjahr 1528 erschien der kaiserliche Vicekanzler, Propst von Wald- kirchen, in Deutschland, um die katholischen Tendenzen wie- derzubeleben. Er erklärte unter anderm in Augsburg, daß der Kaiser eine Ungnade auf die Stadt geworfen, weil sie die Religion verändert habe. Indem er von Hof zu Hof Erste Wirkung auf Deutschland . reiste, glaubte man nicht anders, als er wolle nun erst ein Bündniß wider die Evangelischen zu Stande bringen. Stetten p. 308. Von der Lith p. 217. Al- lein auch mit diesen Bezeigungen war der Papst noch nicht zufrieden. Wir haben ein Schreiben Sanga’s vom Octo- ber 1528, worin er den Nuntius am kaiserlichen Hofe an- weist, den Kaiser auf das dringendste aufzufordern, sich der Religion mehr als bisher anzunehmen. Schon gehe man weiter als Luther gegangen, läugne bereits Abendmahl und Kindertaufe. Was werde die Nachwelt sagen, wenn sie einmal lese, daß Deutschland gerade unter dem größten Kai- ser, den es seit vielen Jahrhunderten gehabt, sich mit Ketze- reien erfüllt habe! Lettere di diversi, 56. An dem guten Willen des Kaisers ließ sich nicht zwei- feln. Man brauchte nur die Executionen ins Auge zu fassen, die in den Niederlanden, wo er Herr war, verhängt wurden. Erasmus der ihn kannte, war überzeugt, er werde nicht glau- ben Kaiser zu seyn, wenn er das Lutherthum nicht dämpfe. Erasmi Epp. p. 963. „In Hollandia mire fervet carnificina.“ Das klingt doch anders, als was Le Glay Correspondance de Maximi- lian et Marguerite II, p. 449 zur Entschuldigung Margaretha’s bemerkt. Je mehr sich nun aber diese Idee in dem Kaiser fest- setzte, — wohlverstanden jedoch, nicht ohne daß er zugleich ein Concilium, eine Reinigung der Kirche von so viel ein- gerissenen Mißbräuchen gefordert hätte, — um so dringen- der ward es für den Frieden zu sorgen. Wir sahen, wie kriegerisch die Aussichten noch im An- fange des Jahres 1529 waren. 8* Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Allein das fortdauernde Glück des Kaisers machte die neuen wie die alten Unternehmungen seiner Feinde zu Schan- den und brach ihren Muth. Noch immer hatten Venezianer und Franzosen den Ge- danken, Mailand zu erobern: von beiden Seiten rückten sie im Frühjahr 1529 noch einmal gegen die Hauptstadt heran: sie rechneten auf die Erschöpfung und den Unmuth der Bür- ger, und die geringe Anzahl der Truppen: sie waren zu baldigem Angriff entschlossen. Allein so eben zeigte sich, was es auch für Mailand be- deute, Genua verloren zu haben. Der Kaiser gewann dadurch den Vortheil, nicht so ausschließend auf deutsche Hülfstrup- pen angewiesen zu seyn, wie früher. Er konnte jetzt ein paar tausend Mann aus Spanien nach Genua schicken, die doch hernach, — denn dazu beherrschten die Feinde das Feld nicht entschieden genug, — nicht abgehalten wer- den konnten, nach Mailand vorzudringen. Es waren Leute von dem schlechtesten Aussehn, ohne Schuhe und auch übri- gens halbnackt, schwarz und verhungert. Für den Kaiser aber zeigten sie sich unschätzbar. Seinem Befehlshaber, An- tonio Leiva, kamen sie, wie sie waren, höchst erwünscht. Leiva hatte sich bisher hauptsächlich mit Deutschen vertheidigt; er zählte ihrer im September 1528 bei 5000, Spanier nur noch 800; Schreiben Leiva’s an den Kaiser bei Sandoval II, 19. man kann denken, wie willkommen ihm eine Verstärkung von Landsleuten war, die sich um so tapferer schlagen mußten, je mehr sie noch ihr Glück zu machen hatten. Zuerst sahen nun die Verbündeten ein, daß sie unter diesen Umständen nicht stark genug wären, Mailand ernst- Italienischer Krieg 1529. lich anzugreifen. Sie entschlossen sich es von ferne einzu- schließen, und ihm vor allem die Zufuhr abzuschneiden. St. Pol hegte zugleich die Hoffnung, indem er sich von Mailand entfernte, etwas gegen Genua auszurichten. Eben diesen Augenblick aber hielt Leiva für gün- stig, um einen Schlag auszuführen, wie er ihm öfter ge- lungen. Bei Nacht, ohne Trompeten und Trommeln setz- ten sich seine Leute, weiße Hemden über dem Harnisch, in Bewegung; er selbst, so sehr ihn das Podagra plagte, wollte nicht fehlen; in voller Rüstung, an der man einen wallen- den Helmbusch nicht vermißte, ließ er sich auf einer Sänfte daher tragen; es gelang ihm glücklich, die Franzosen bei Landriano zu überraschen, als sie noch im Aufbruch begrif- fen waren, in einem Augenblick, wo St. Pol eben ein Haus abzubrechen befahl, um mit den Balken des Daches ein Stück Geschütz hervorzuarbeiten, das im Schlamm stecken geblieben war. Fruͤh am 27. Juni ; „in sul passar dell’ Ambra. Varchi p. 214. Nach Leoni ruͤhrte der Verlust daher, weil S. Pol den Rath des Herzogs von Urbino, das Geschuͤtz vorausgehen zu lassen und seine uͤbrigen Truppen in ein paar Colonnen zu vertheilen, von denen eine die andere unterstuͤtzen könne, nicht befolgt habe. Vita di Fran- cesco Maria 414. Leiva erfocht einen vollkommenen Sieg; St. Pol und die vornehmsten Befehlshaber führte er gefangen mit sich nach Mailand zurück. In der Lombardei ward der Kaiser hierdurch so gut Herr wie in Neapel. Wollte man ihn noch einmal bekäm- pfen, so hätten dazu neue gewaltige Anstrengungen gehört, zu denen sich Niemand mehr fähig oder geneigt fühlte. Denn schon waren auf allen Seiten Friedensunter- handlungen angeknüpft. Eben in den Tagen der Entschei- dung in Mailand kam man mit dem Papst zum Abschluß. Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Dem Papst waren, wie wir wissen, die vortheilhaf- testen Vorschläge gemacht worden, wie über die deutschen, so über die italienischen Verhältnisse: er solle darüber zu ver- fügen haben; der Kaiser werde in jeder Beziehung seinem Rathe folgen, ihm besonders die kirchlichen Güter zurück- geben, unter seiner Vermittelung den allgemeinen Frieden schließen, und was dem mehr ist: allein man dürfte nicht glauben, daß dieß allein auf denselben gewirkt habe. Was ihn bestimmte war zugleich die Furcht. Noch im April 1529 beschwerte er sich gegen den Cardinal Triulzio über den Ei- fer, mit welchem er von den kaiserlichen Agenten zum Ver- trag gedrängt werde; er versicherte, er würde nimmermehr darauf eingehn, wenn er nur Kräfte hätte, ihnen zu wi- derstehen; aber er sey von den Anhängern des Kaisers auf allen Seiten umgeben, jeden Augenblick könne er einen neuen Anfall erfahren; er sey im Grunde noch immer ihr Ge- fangener: er sehe da keinen Unterschied, außer etwa, daß er früher nicht habe davon gehen können, und dieß jetzt al- lenfalls auszuführen im Stande wäre; in der That müsse er entweder fliehen, und den Kirchenstaat dem Feinde über- lassen, oder sich mit demselben auf die am wenigsten nach- theilige Art verständigen. Er drückte sich so lebhaft aus, daß er den Cardinal vollkommen überzeugte. „Ich weiß nicht, sagt Triulzio, was S. Heiligkeit thun wird. Aber wenn er ja zum Abschluß schreitet, so sehe ich wohl, daß er es nur thun wird in Folge der Gewalt und bei den Haaren dazu gezogen.“ Lettera del Cardinale Triulzio a M. Hieronymo, Roma 9 Avr. 1529. Bibliothèque du roi, MS Bethune. Unterhandlungen mit dem Papst . Ich möchte zwar nicht behaupten, daß dieß das Ge- fühl gewesen sey, was den Papst während jener Unterhand- lungen durchaus beherrscht habe, — er wußte wohl, daß der Cardinal Triulzio, gegen den er so sprach, ein Anhän- ger von Frankreich war; — aber so ganz ohne Wahrhaftig- keit war er doch auch nicht, daß er es erheuchelt hätte; in der Regel unterdrückt mochte es ihn zuweilen übernehmen. Dazu gesellten sich aber auch Betrachtungen des eig- nen persönlichen Vortheils. Die Verbindung mit dem Kai- ser gewährte ihm die einzige Aussicht, über seine Feinde in seiner Vaterstadt Florenz Herr zu werden. Eine Zeitlang zwar hatte er die Hoffnung gehegt, zu diesem vornehmsten Begehren seines Herzens auf friedlichem Wege durch eine innere Umwandlung der Republik zu ge- langen: er stand wenn nicht unmittelbar doch durch einige Freunde mit dem Gonfaloniere Capponi in einer gewissen Verbindung. Durch Mäßigung der gegenseitigen Ansprüche ließ sich noch ein friedliches Abkommen zwischen der medi- ceischen und der republikanischen Partei erwarten. Aber eben in diesem Zeitpunkte erfolgte in Florenz eine entgegengesetzte Bewegung. Eine exaltirte republikanische Partei, welche sich unter so ganz veränderten Umständen doch die Meinung nicht entreißen ließ, daß sie sich jetzt so gut behaupten werde, wie früher, machte dem Gonfalo- niere eben jene Verbindungen und Absichten zum Verbre- chen und bewirkte seine Absetzung (April 1529), obwohl man ihn zuletzt von aller eigentlichen Schuld freisprechen mußte. Seitdem kamen nur noch die entschiedensten Geg- ner der Medici in die Aemter: von dem Papst redete man Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . nur noch mit Haß und Verachtung; an eine Aussöhnung mit demselben war nicht weiter zu denken. Papst Clemens VII gerieth in Ingrimm, wenn er daran dachte. Hatte man doch unter andern die Geschichte von seiner unächten Geburt wieder hervorgezogen; man sagte, er habe gar nicht das Recht gehabt, den päpstlichen Stuhl zu besteigen; man nannte ihn dort nicht mehr Papst. Varchi Storia Fiorentina 208. Jovius Historiae 27, 45. In sehr aufgeregter Stimmung traf ihn einst der englische Gesandte. Clemens sagte, er wolle lieber der Caplan, ja der Stallknecht des Kaisers seyn, als sich von seinen ungehorsamen Untertha- nen beschimpfen lassen. Casalis bei Herbert 233. Mit der Unmöglichkeit das Joch ab- zuwerfen, das man ihm auflegte, verband sich in ihm Rach- sucht und Ehrgeiz, die er auf eine andere Weise nicht be- friedigen konnte. Am 29. Juni kam der Friede zwischen dem Kaiser und dem Papst zu Barcellona zu Stande. Der Papst fand sich in die Herrschaft des Kaisers in Italien. Er erneuerte die Belehnung mit Neapel und hob den dafür herkömmlichen Zins auf; die Darbringung des Zelters war das einzige was er sich vorbehielt. Auch bestand er nicht mehr gera- dezu auf die Aufrechthaltung Sforza’s in Mailand. Er gab zu, daß ein förmliches Gericht über Schuld oder Unschuld desselben entscheiden solle. Schon genug, daß dann der Kaiser bei der neuen Besetzung des Herzogthums nicht ohne seine Zustimmung verfahren zu wollen erklärte. Den kaiserli- chen Truppen bewilligte er freien Durchzug von Neapel nach Toskana oder der Lombardei. Dagegen versprach der Kai- Friede von Barcellona . ser nun auch den römischen Stuhl in den Besitz der ihm von Ferrara und Venedig entrissenen Landschaften — jedoch mit ausdrücklichem Vorbehalt der Rechte des Reichs, — und die mediceische Familie in den Besitz von Florenz wieder- herzustellen. Tractatus confoederationis inter Carolum V Imperatorem Romanorum — — et Clementem VII Romanum pontificem con- clusus bei Du Mont IV, II, 1. In die engste Verbindung trat der Kaiser mit diesem Hause. Er sagte seine natürliche Tochter dem jungen Alessandro Medici zu, an den die Herrschaft in Flo- renz kommen sollte. Denn so sehr hatten sich die Dinge geändert, daß der Kaiser jetzt selbst den Papst gegen die unmittelbaren Wirkungen der Ligue in Schutz nehmen mußte. Aufs neue vereinte er sich mit einem Papst vom Hause Medici, wie im Jahre 1521. Allein welch ein Unterschied gegen damals! Leo X hatte hoffen dürfen, in Mailand und Genua Herr zu werden, Ferrara zu erobern: Clemens VII mußte sich begnügen, daß ihm durch fremde Hülfe der Kirchenstaat wieder zurückgegeben, seine Vaterstadt wieder- erobert werden sollte. Dieser Anordnung der italienischen Angelegenheiten gin- gen nun noch andere Verabredungen zur Seite, obwohl sie nicht eben alle in den Vertrag aufgenommen worden sind. Johann Zapolya, der bis jetzt die Gnade des aposto- lischen Stuhles genossen, ward nunmehr verlassen, und bald darauf mit den strengsten kirchlichen Censuren heimgesucht Bei Katona XX, I, 551 die Klage Zapolya’s uͤber die Bulle, aus der er sah, S. S em — — me et incolas regni per censuras ecclesiasticas devovisse et a capite nostro Jesu Christo quod in ea erat resectos declarasse. In der englischen Sache vereinigte der Gesandte Ferdinands Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . seine Bitten mit denen des kaiserlichen. Schon hatte dort kraft der früheren Commission der Proceß begonnen; aber der Papst gab den beiden Brüdern das Wort, daß es zu keinem Urtheil kommen sollte. Dagegen sagten sie ihm in der Religionssache ihre Hülfe auf das unzweifelhafteste zu. Der Kaiser erklärt in dem Vertrage von Barcellona, auch ihm liege es am Herzen, daß der verpestenden Krankheit der neuen Meinungen ein Ziel gesetzt werde. Cum Caesareae M ti cordi sit, ut huic pestifero morbo congruum antidotum praeparari possit. Sollte es aber nicht möglich seyn, die Gemüther der Irrenden in Güte herbeizuziehen, sollten sie die Stimme des Hirten nicht hö- ren und hartnäckig bleiben, „so werden,“ heißt es daselbst weiter, „sowohl der Kaiser als der König von Ungarn und Böhmen, ihre ganze Macht gegen sie in Bewegung setzen, und das Unrecht, das Christo zugefügt worden, nach Kräften rächen.“ Einen so unerwarteten Umschwung nahmen diese Er- eignisse. Der Kaiser hatte seine Siege vornehmlich dem Antheil zu verdanken, den die lutherische Gesinnung seiner Sache in der deutschen Nation verschaffte. Nur durch dieß Uebergewicht zwang er den Papst zum Frieden. In dem Vertrage jedoch, den der Kaiser nun mit dem Papste schloß, versprach er demselben die Ausrottung eben dieser lutheri- schen Meinungen. Indessen würde es auch jetzt noch nicht so weit ge- kommen seyn, hätte der Papst nicht die Aussicht und gleich darauf die Gewißheit gehabt, daß König Franz seinem Bei- spiele folgen und ebenfalls Frieden schließen würde. Unterhandlungen mit Frankreich . Auch König Franz ging nur mit schwerem Herzen daran. Bei den Unterhandlungen im Jahre 1527 hatte der Kaiser schon nicht mehr so unbedingt wie früher die Zu- rückgabe seines Stammlandes gefordert, sondern die Nei- gung gezeigt, sich statt dessen mit einer Zahlung von zwei Millionen Scudi zu begnügen. Alles hatte sich daran ge- stoßen, daß der König nicht auch Mailand und Genua auf- geben, seine Truppen überhaupt nicht aus Italien zurück- ziehen wollte. Ce qui a été dit en la communication tenue à Palencia bei Du Mont IV, I, 502. Es schien, als betrachte man in Frankreich die Wiedereroberung von Mailand als eine Pflicht und als eine Ehrensache. Der Kanzler Du Prat hat erklärt, er werde sich nie an den Schimpf gewöhnen, daß dieses Land zur Zeit seiner Verwaltung der französischen Krone verloren ge- gangen; habe er es ihr aber wieder verschafft, so sey er zu- frieden, in der nächsten Stunde darauf zu sterben. Bellay 13 Juill. 1529. MS. Maitre de Barre sagt ihm, daß diese Aeußerung, welche Margaretha und also auch der Kaiser wisse, den Frieden verhindere. Sie lautet: puisque le roi avoit perdu Mi- lan, estant luy en administration des affaires, il aimeroit mieux la mort que de faillir à le luy faire recouvrer: cela fait il étoit con- tent de mourir une heure après. Trotz alle dem war jetzt die Nothwendigkeit gekom- men, sich diesen Verlust gefallen zu lassen. Einmal bot die Fortsetzung des Kriegs keine Aussicht mehr dar. Selbst die Anhänger des Königs in Italien brachten in Erinnerung, daß es unmöglich seyn werde, ein Heer ins Feld zu stellen, ehe der Kaiser in Italien erscheine; durch seine Verbindung mit dem Papst werde derselbe Herr in dem mittlern wie in dem obern und dem untern; Flo- Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . renz werde ihm nicht zu widerstehn vermögen; Venedig sey durch den Uebertritt von Mantua selbst gefährdet und könne auf nichts denken als auf die eigne Vertheidigung: ganz allein würde man es mit dem Kaiser zu thun haben, und der habe nun einmal die tapfersten Truppen und die Gunst des Glückes. Ottaviano Sforza al vescovo di Lodi. Molini II, 210. Vgl. Instruzione di Teodoro Triulzio Guido Rangoni et Joachim a Mess. Mauro da Nova; Venezia 15 Luglio bei Molini II, 219. „In effecto quest’ impresa de tanta extrema importantia si deve extimare, quanta possa essere da l’onore al disonore o per me- glio dirlo dal vivere al morire de la prima corona, re et regno di Christianità. Sodann aber war es auch dem Reiche und dem Hofe unerträglich, die Prinzen von Frankreich länger in Spanien zu lassen. Zuweilen liefen von ihrer Gesundheit beunruhi- gende Nachrichten ein. Indem man sich noch rüstete, die Italiener die per- sönliche Ankunft des Königs hoffen ließ, einen Einfall in Deutschland vorbereitete, mußte man doch zugleich auf Frie- den denken. Hieronymus Niger an Sadolet V. Cal. April. 1529 quo- tidie in ore habet (pontifex) divinum consilium suum, de pro- fectione ad Caesarem, et de pace publica, quo quidem consilio si integris rebus usus fuisset, non laboraremus. (Sadoleti Epp. lib. VIII, p. 323.) In Rom war lange davon die Rede, daß der Papst die Vermittelung übernehmen müsse. Er sollte an irgend einem Platze an der spanisch-französischen Gränze, etwa in Perpignan, die Sache persönlich führen. Auch schien er dazu sehr geneigt zu seyn; noch im März 1529 bezeichnete man die Galeeren, die ihn hinüberbringen sollten. Zuletzt aber unterblieb das doch; die Sache kam in ganz andre Hände. Unterhandlungen mit Frankreich . Schon früher nemlich finden wir einen geheimen Agen- ten Franz I in Spanien, durch den er sich unmittelbar an seine Verlobte, Königin Leonora wendet, ihr seinen Wunsch erklären läßt, sobald wie möglich die Hindernisse hinweg- geräumt zu sehen, die sich ihrer Vermählung entgegenstellen, und seine ganze Sache mit dem Kaiser in ihre Hände legt. Die Königin ist wie man denken kann sehr erfreut über diese Botschaft; sie versichert, sie habe immer auf den gu- ten Willen des Königs vertraut und damit sey sie über al- les bisher Geschehene hinweggekommen. Man fragt den Agenten, ob er keine Aufträge an den Großkanzler habe. Er weigert sich mit demselben zu unterhandeln, weil der ein Mann sey, welcher den Krieg liebe; — wie ihm denn auch die Entfernung angesehener Leute vom Hof, die daher ent- springen, sehr zu Statten komme — die Königin Leonora versichert ihn, es sey jetzt ihre Sache, Niemand solle sich einmischen: sie werde allein den Abschluß herbeiführen. Dechiffrement d’une depesche écrite d’Espagne Bibl. d. R. MS Bethune 8543 f. 182, ohne Datum, Ort, noch Unterschrift. Vielleicht sogar schon von 1527, auf jeden Fall von einer Zeit, in welcher die franzoͤsischen Prinzen in Gefangenschaft waren. „Elle me demanda, si vous vouliez mettre en sa main l’affaire d’entre vous et l’empereur; je luy ai dit que pour cet effet m’aviez de- pesché vers elle. — — Elle m’a dit, que la fiance quelle avoit toujours eu en votre bonne voulonté envers elle l’avoit tenue en bonne esperance et lui avoit fait porter patiemment tout ce qui avoit passé. Qu’elle vouloit mener cette affaire et que autre ne se meslat qu’elle, et c’estoit son propre fait. Ich kann nicht genau angeben, in welche Epoche diese Mission fiel; bemerken wir nur, daß sie den Versuch ent- hält, die Unterhandlung den gewohnten Wegen, einem re- gelmäßigen Verfahren zu entziehen. Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . So wendete sich nun auch jetzt Herzogin Luise, ohne Zweifel vornehmlich aus persönlichen Motiven, denn bei der Gefangenschaft ihrer Enkel wäre ihr ein neuer Kriegs- zug ihres Sohnes, der sich fast nicht vermeiden ließ, un- erträglich geworden, an die „Gouvernante“ der Niederlande, Margaretha, die Tante des Kaisers, und stellte ihr vor, daß es ihnen, den beiden nächsten ältern Verwandtinnen der streitenden Fürsten, vor allen zukomme, deren Aussöhnung zu versuchen. Teneur du pouvoir, donné a l’archiduchesse: DM. IV, 2, 15. Auch Margaretha fand, die Erbitterung zwischen den beiden Fürsten sey durch die langen Feindse- ligkeiten, die Schriften die man gewechselt, die ergangenen Herausforderungen, in einem Grade gestiegen, daß es wohl nur ihnen, den Frauen, gelingen werde, eine Uebereinkunft zu Stande zu bringen. Ihre Aeußerungen bei Hormayr Archiv 1810 p. 108. Es ward ihr nicht ganz leicht, den Kaiser zu gewinnen: wenigstens hat sie sich später ein Verdienst daraus gemacht. Endlich aber, am 8. April empfing sie den vollständigsten Auftrag, der sich denken läßt. Karl V versprach bei seinem kaiserlichen Wort, auf seine Ehre, unter Verpfändung seiner Güter, alles zu ge- nehmigen, worüber sie abschließen würde. Leichter ward es wohl Franz I , seine Vollmacht zu geben. Unter den Grün- den, weshalb nicht der König, sondern seine Mutter die Unterhandlung führen müsse, war es einer der vornehmsten, daß sie nicht gleichsam persönlich, wie er, Verpflichtungen Als Procuratrix généralle et especialle avec plein pou- voir auctorité et mandement especiall pour et en nom de nous pour parler — et finallement traiter et conclure bonne ferme sceure paix amitié ligue et conféderation. Friede von Cambrai . gegen die italienischen Mächte, Mailand, Florenz oder Ve- nedig übernommen habe. Am 5. Juli zogen die beiden Damen von entgegen- gesetzten Seiten kommend, in Cambrai ein, und nahmen ihre Wohnungen in zwei durch einen bedeckten Gang verbunde- nen Häusern, so daß sie einander sehen und sprechen konn- ten, ohne bemerkt zu werden. Die Unterhandlung konnte nicht sehr schwer seyn, da man über die Präliminarien einverstanden seyn mußte, ehe man sie anfing. Frankreich verstand sich nun wirklich dazu, jene zwei Millionen zu zahlen, auf alle Rechte und Ver- bindungen in Italien Verzicht zu leisten, endlich seiner Lehns- herrschaft über Flandern und Artois zu entsagen. Dage- gen ließ auch Carl V einige freilich weit weniger bedeutende Ansprüche, z. B. auf Peronne und Boulogne fallen, und gab fürs Erste die Eroberung von Burgund auf. In seinem Gegenbericht von 1536 bemerkt der Kaiser jedoch, daß er wohl damals „ursach und gewalt gehabt haͤtte, noch groͤßers und mehrers von ihm (dem Koͤnig) zu begeren und abzunehmen, die- weil ich damals zu wasser und zu land sighaft von Gott und mit treffenlicher ruͤstung gefaßt und — vil sterker denn er gewesen bin. Das Prinzip, welches in Europa überhaupt herrschte, die ver- schiedenen Staaten zu sondern, einen von dem andern un- abhängig zu machen, war auch bei diesem Friedensschlusse zu bemerken. Indem Frankreich seine auswärtigen Unter- nehmungen aufgab, blieb es doch in seinem Innern unan- getastet. Burgund und Valois setzten sich nach so langen blutigen Kriegen endlich auseinander. Burgund hatte zwar nicht alle seine Prätensionen erreicht, aber es war doch in unermeßlichem Vortheil. Es war ihm gelungen, das Haus Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . seiner Nebenbuhler, es ringsum einschließend, auf Frank- reich allein zu beschränken. Wohl dürfte man nicht glauben, es sey nun damit alles beendigt gewesen. Franz I hat gegen den Vertrag von Cambrai, so gut wie gegen den Madrider protestirt. Er ist dabei geblieben, Asti und Mailand seyen sein und seiner Kinder unveräußerliches Erbtheil, Genua gehöre ihm an, unmöglich könne ein erst durch die eigne, dann durch die Gefangenschaft seiner Kinder ihm abgezwungener Ver- trag ihn verpflichten. Protestation du roy François contre les traités de Ma- drid et de Cambray. So lautet der Titel der bei Du Mont ab- gedruckten Urkunde in der Sammlung von Dupuy 179. Als die Verification desselben im Parlamente vor sich gehen sollte, protestirte der General- procurator Maitre Franz Rogier feierlich dagegen; denn die Gewaltthätigkeit eines Lehnsmannes gegen seinen Lehns- herrn habe denselben bewirkt, er streite gegen die Grund- gesetze des Reiches. Protestation du procureur général DuM. IV: II, 52, nr. 39. Allein in diesen Protestationen liegt nur der Ausdruck des Gefühls, daß man der Gewalt, und zwar sehr ungern weiche; sie sind ein Vorbehalt für die Zukunft, der für den Augenblick nichts bedeutet und ganz unbemerkt bleibt. Zunächst war Jedermann glücklich, daß der Friede wirklich zu Stande gekommen. In allen Punkten, wo man nicht eine ausdrückliche Veränderung beliebt hatte, deren es doch im Ganzen nur vier gab, war der Madrider Ver- trag bestätigt worden; sie wurden jetzt beide mit einander ausgerufen und in die Staatsregister eingetragen. Sehr bezeichnend ist der Brief, mit welchem Herzogin Luise ihrem Friede von Cambray . Sohne den Abschluß ankündigte: die Sicherheit seiner Per- son, schreibt sie ihm, welche aus dem Frieden entsprungen, den Gott ihnen gegeben, sey ihr lieber, als ihr eignes Le- ben; Lettre de Madame au roi après le traité de Cambray. Bethune 8471. Copie. „La seureté, Monseigneur, en la quelle je cognois votre personne par la paix que j’estime plus que ma propre vie.“ in der persönlichen Gefahr, in die sich der König zu stürzen im Begriff gewesen, lag eins der vornehmsten Motive ihrer Bemühungen. Die Niederländer wußten sich viel damit, daß ein solcher Act von ihrer Regentin ausge- gangen; bei einem Mittagsmahl ward der französische Ab- geordnete gefragt, ob man das dieser Dame wohl zuge- traut habe, ob man in Frankreich damit zufrieden sey. Der Franzose hob hervor, daß auch seinem Könige einiges Verdienst zukomme: auf das bloße Wort der Erzherzogin habe er 15000 Landsknechte, mit denen er einen entschei- denden Schlag hätte führen können, aus seinen Diensten entlassen. De la Pommeraye au connetable 17 Sept. 1529. Beth. 8610. Vor allem war der Papst erfreut; er fand nicht Worte genug, um die Dienste zu preisen, welche Luise der öffentlichen Sache geleistet. Zu besonderer Genugthuung gereichte ihm, daß die Mitglieder der Ligue, über die er sich zu beklagen hatte, bei dem Vertrag nicht berücksichtigt worden. Allen Bestimmungen desselben zum Trotz, glaubte er doch an keine lange Dauer der Herrschaft des Kaisers. Zu den französischen Protestationen paßt es sehr gut, daß Cle- mens VII zu verstehn gab, wenn der König nur erst seine Söhne wieder habe, so werde sich gegen alle andern Uebel ein Heilmittel finden lassen. Lettre de Raince 12 Aôut 1529. Surtout ne pourroit Ranke d. Gesch. III. 9 Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Und noch einen andern Grund der Zufriedenheit hatte der Papst. In den Verhandlungen wie in dem Tractat erschien der König so gut wie der Kaiser als ein Gegner der religiösen Neuerungen. In seiner Vollmacht führt Franz I unter den Gründen seiner Friedensliebe an, daß er die Ketze- reien unterdrücken wolle, die in der Christenheit aufkom- men, damit die Kirche verehrt werde, wie es sich zum Heile der Seelen gebühre. Pour extirper les heresies qui pullulent en la Chrestienté et que l’eglise soit reverée et honorée ainsi qu’il appertient pour le salut de nos ames. DuM. II, IV, p. 16. In dem 43sten Artikel des Friedens heißt es, daß Kaiser und König entschlossen seyen, den heiligen Stuhl in seinem Ansehn und seiner Würde zu erhalten, wie es ihrem kaiserlichen und königlichen Stande zukomme. Unter den bestätigten Artikeln des Madrider Ver- trags war auch der, in welchem der König dem Kaiser seine Hülfe wider die Ketzer nicht minder, als gegen die Türken zusagte. So glücklich entging der Papst bei seiner Pacification mit dem Kaiser der Gefahr, welche ihm gedroht hatte, mit Frankreich brechen zu müssen. Der Kaiser legte Bei- den die nemliche Nothwendigkeit auf, unter deren Einfluß sie sich dann wieder begegneten. etre plus content, qu’il est de ce, qu’il entend qu’on a eu me- moire de luy et semble qu’il ayt quelque advis que aucuns des confederes soient aucunement (einigermaaßen) demeurés en der- riere; que luy confirme la satisfaction en quoi il est autant ou plus que nulle autre chose et fait bien compte, s’ils vouloient aller le chemin qui sera requis, que delivrés et retournés en France Mess rs que à tout se aura bon remède. Friede von Cambray . Auch mit England ward in Cambray unterhandelt. Heinrich VIII hatte jedoch zuletzt an dem Kriege so wenig ernstlichen Antheil genommen, daß sein Friede nur als ein Anhang zu dem französischen erschien; in der englischen Ge- schichte wird er kaum erwähnt. Es war schon genug, daß Frankreich die Schulden, welche der Kaiser bei dem König contrahirt hatte, von jenen zwei stipulirten Millionen zu zahlen übernahm. Vgl. Commissio ad tractandum de jocalibus recipiendis bei Rymer VI, II, 19. „cum oratoribus sagt Franz I — Angliae regis, pro omnibus obligationibus absque pignore contractis con- venimus. Nichts desto minder hatte die Wendung der Dinge den größten Einfluß auf England, sie rief eine Catastro- phe hervor, die für den Augenblick und für immer von unberechenbarer Wirkung gewesen ist. Wir wissen, unter welcher Conjunctur politischer Um- stände der englische Hof die Idee der Ehescheidung des Kö- nigs gefaßt hatte. Im Anfang des Jahres 1528 hoffte Wolsey alles von dem Einfluß des französischen Hofes auf den römischen Stuhl und von dessen Dankbarkeit und Rücksicht für Eng- land. Der Papst war im Grunde der Meinung, der Kö- nig würde am besten thun, wenn er ohne so viel zu fra- gen eine zweite Frau nähme, und alsdann den apostolichen Stuhl zu richterlicher Entscheidung auffordere; Casalis 13 Jan. 1513 bei Fiddes p. 461. Quia nullus do- ctor in mundo est, qui de hac re melius decernere possit, quam ipse rex; itaque si in hoc se resolverint, ut pontifex credit, statim committat causam (in England), aliam uxorem ducat, litem se- quatur, mittat pro legato. der Geist 9* Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . buchstäblicher Gesetzlichkeit, den England schon damals be- herrschte, ließ das jedoch nicht zu; der König wünschte die Legitimität der aus einer neuen Ehe zu erwartenden Nach- kommen im Voraus gesichert zu sehn; von dem, der ge- bunden hatte, wollte er auch gelöst seyn. Wolsey hoffte, daß die Fortschritte der Ligue den Papst hiezu vermögen würden. Mehr als einmal forderte er den König von Frankreich auf, eben so viel für die Auflösung der Ehe zu thun, wie England für die Herausgabe der Kinder von Frankreich: er möge nur dem Papst erklären, daß er die Sache Heinrichs VIII für gerecht halte, und daß, wenn man sie zu Rom abschlage, er so gut wie dieser sich für beleidigt halten und es niemals vergessen werde. Wohl wußte Franz I , wie viel Wolsey ihm in England werth war. Wolsey erinnerte denselben, er werde verloren seyn, wenn diese Sache nicht durchgehe, allzustarke Versicherungen habe er dem König darüber gegeben. Bellay à Montmorency 22 Mai 1528, en la quelle (l’af- faire du divorce) s’il ne s’employoit tant et si avant, qu’il von- droit faire pour le recouvremt de Ms s les enfans il pourroit étre sur, d’avoir causé a mon d. S r le legat une totale ruine, pour les grandes asseurances qu’il en a toujours baillé à son dit maistre. Und in der That hätte der Papst selbst, z. B. bei Lautrecs Annäherung nur rrcht ernst- lich angegangen zu werden gewünscht: er würde sich dann mit einer Art von moralischem Zwang bei dem Kaiser haben entschuldigen können. Allein es scheint nicht, als hätten die Franzosen für nützlich gehalten, so weit zu gehn. Sie D. Knigt bei Herbert 218: The Pope thinketh he might by good colour say to the emperor, that he was required by the english ambassadeurs et M r de Lautrech to proceed in the business Verhandlungen zwischen Rom und England . hatten den Gedanken noch nicht aufgegeben, die englische Prinzessin Maria, die präsumtive Erbin des Reiches, mit einem ihrer Prinzen zu vermählen. Bellay erwaͤhnt dieß Motiv in einer Depesche vom 8. Nov. Er traͤgt fuͤr seine Person Bedenken, die Nullitaͤt der Ehe mit Ca- tharinen zuzugeben, weil man sich dieses Bekenntnisses bedienen koͤnne, „ou le mariage de Mr. d’Orleans tireroit. Aucuns de deça disent, que, quoique on fasse, qui espousera la princesse sera aprês roi d’Angleterre. Da man nun weder ohne den Papst vorschreiten wollte, noch auch Anstalt machte, ihm Zwang anzuthun, so kam es zu diplomatischen Verhandlungen, die ihrer Na- tur nach zweifelhaft seyn mußten, so lange es die Ereig- nisse waren. Die englischen Abgeordneten, die sich im März und April 1528 in der Nähe des Papstes aufhielten, täuschten sich nicht darüber. „Alle Schwierigkeiten, aller Verzug, sa- gen sie, auf die wir in dieser Sache stoßen, kommt ledig- lich von Furcht her: wir finden bei Jedermann so viel Neigung als möglich die Sache zu fördern, aber man be- sorgt, wenn man dem König eine ungewöhnliche Vergün- stigung gewährt, so könne dieß zu einer neuen Gefangen- schaft führen, wofern der Kaiser den Platz behält.“ Gardiner a. Fox Orviet the last day of March bei Strype Ecclesiastical Memorials. Tom. V p. 402. „that if there were any thing doon novum et gratiosum agaynst the emperors purpose, it should be materia novae captivitatis. Die Gesandten machten noch einmal einen Versuch, Furcht mit Furcht zu bekämpfen. Eines Tages stellten sie dem Papst vor, er werde den einzigen Fürsten verlieren, der ihm noch wahrhaft zugethan sey, — wie Wolsey einst sich ausgedrückt, nicht allein den König von England, son- Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . dern den Vertheidiger des Glaubens; — dann werde das schon gebeugte Papstthum vollends zusammenbrechen, zu allgemeiner Freude. Der Papst war nicht unempfänglich für diese Gefahr; unter lebhaften Gesticulationen ging er in dem Zimmer auf und ab, und es dauerte eine Weile, bis seine Bewegung sich legte. Dieselben; Monday in Esterwoke ibid. 423. Auch dem franzoͤsischen Gesandten ließ der Papst 8. April hoffen, qu’entre cy et demain prendra quelque bonne forme de conclusion, qui pourra satisfaire au roy l’Angleterre. Raince bei Le Grand III p. 190. Er trat wirklich den Eng- ländern einen Schritt näher. Er ernannte den Cardinal Campeggi, der ohnehin im besten Vernehmen mit Hein- rich VIII stand und von dessen Abgeordneten dazu vorge- schlagen war, zum Legaten von England, und gab ihm die Erlaubniß, zugleich mit Cardinal Wolsey die päpstliche Dis- pensation, auf welche sich die Ehe Heinrichs VIII gründete, nach Befinden für wirksam oder für unwirksam, die Ehe selbst für gültig oder für ungültig zu erklären. Er that dieß im Anfang des Juni 1528, als die Sachen der Franzosen vor Neapel noch vortrefflich standen. Commission Viterbii VI Junio (8. Juni) abgedruckt bei Her- bert p. 233. Man hatte ihm ver- sprochen, wenn er den Legaten sende, werde man die Ve- nezianer bewegen, ihm seine Städte herauszugeben. Man sieht das aus dem Briefe von Casalis bei Burnet: History of the Reformation Records II, nr. 17. Der Papst sagt den Gesandten: vos scire volo, promissum mihi fuisse, si legatns hic in Angliam mitteretur, futurum ut mihi civitates a Venetis re- stituerentur. Bald hierauf aber erfolgte die Niederlage Lautrecs vor Neapel; wir sahen, welchen Umschwung die päpstliche Po- litik hierauf augenblicklich zu Gunsten des Kaisers nahm. Verhandlungen zwischen Rom und England . Schon am 2. September ward Campeggi erinnert, daß, so verpflichtet sich auch Seine Heiligkeit dem König von England fühle, sie doch auch auf den siegreichen Kai- ser Rücksicht zu nehmen habe, und ihm nicht neuen Anlaß zum Bruch geben dürfe, was nicht allein den Frieden ver- hindern, sondern auch zum äußersten Ruin des Kirchen- staats gereichen würde. Sanga an Campeggi, Viterbo 2. Sptr. 1528. Paͤpste I, 126. Im October 1528 kam Campeggi in England an. So stark auch zuweilen die Ausdrücke waren, deren er sich gegen den Kaiser bediente, so zeigte sich doch gar bald, daß er nichts Ernstliches wider ihn vornehmen würde. Er er- mahnte noch zuweilen den König, zuweilen Wolsey, von ihrem Vorhaben abzustehen. Eine Bulle, mit welcher Wol- sey dem geheimen Rathe des Königs den guten Willen des Papstes zu beweisen hoffte, weigerte er sich schlechterdings vorzuzeigen; Pallavicini laͤugnet lib. II, c. XV die Existenz dieser Bulle, welche Guicciardini behauptet hatte. Allein man braucht nur den schon erwaͤhnten Bericht von Casalis uͤber seine Verhandlungen mit dem Papst im December 1528 zu lesen, um alle Zweifel fahren zu lassen. S. D. N. injecta in meum brachium manu, — dixit — bullam decretalem dedisse, ut tantum regi ostenderetur concremaretur- que. Burnet. Records II, 17, p 42. Was nun aber diese Bulle ent- hielt, ist natuͤrlich nicht auszumachen, da sie Niemand gesehen hat, als der Koͤnig und Campeggi. Da moͤchte ich denn freilich den Ver- sicherungen Guicciardinis auch nicht glauben. er hat sie wahrscheinlich selber verbrannt; bei jedem Schritte machte er Miene, nach Rom zu recur- riren. Die Meinung, die sich allmählig Bahn brach, da eine Vermählung mit des Bruders Wittwe im alten Testa- mente verboten worden, so sey das ein Fall, wo der Papst gar nicht dispensiren könne, verwarf er mit großer Lebhaf- Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . tigkeit. Er wollte nicht sagen hören, daß die Macht des Papstes auf irgend eine Weise beschränkt sey. Es blieb nur übrig zu beweisen, daß jene Dispensation nicht gehö- rig begründet gewesen. Aber auch dabei fanden sich un- übersteigliche Schwierigkeiten, da die Königin — worauf alles ankam — fortwährend behauptete, ihre Ehe mit dem Bruder Heinrichs sey nie vollständig vollzogen worden. Sie hatte so viel Würde und Haltung, daß man ihr das allgemein glaubte. Auch versäumte sie nicht das Rechts- mittel der Protestation gegen die beiden Richter, die sie für parteiisch erklärte, zu gebrauchen. Während dieser Zögerungen aber schloß sich der Papst besonders seit jenen florentiner Ereignissen immer enger an den Kaiser an, der die Sache seiner Tante für seine eigne erklärte. Im Mai 1529 fürchtete der englische Abgeord- nete, die Commission der beiden Cardinäle werde förmlich widerrufen werden. Bellay: 17. Nov. 1528. Wahrscheinlich war dieß der Grund, weshalb der Kö- nig, ohne länger zu zögern, die Verhandlungen in aller Form eröffnen ließ. Am 31. Mai 1529 fingen sie an, aber schon unter dem 29sten ward Campeggio von Rom aus angewiesen, so langsam wie möglich vorzuschreiten, und auf keine Weise das Urthel ergehen zu lassen. Gardiner 4 Mai. Which was confirmed by divers other letters from our agents. Herbert p. 232. Er führte dieß wörtlich aus. Es war zu nichts als zu Vorbereitungen und For- Sanga al Cl Campeggio 29 Maggio 1529. Sua Beatitu- dine ricorda, che il procedere sia lento et in modo alcuno non si venghi al giudicio. Lettere di principi II. Bruch zwischen Rom und England . malitäten gekommen, als Campeggi am 28sten Juli die Sitzungen bis auf den 1sten October verlegte. Er nahm die Ferien der Römischen Rota auch für sich in Anspruch. Als nun der Papst seinen Frieden mit dem Kaiser ge- schlossen, blieb ihm noch immer Zeit, den Proceß aus Eng- land an die Tribunale der Curie zu avociren. Am 9ten Juli eröffnete der Papst den englischen Ab- geordneten, es sey die allgemeine Meinung der Römischen Rechtsgelehrten, daß die Avocation bei der Lage der Dinge nicht mehr abgeschlagen werden könne. Die Gesandten ver- säumten nichts, um ihn davon zurückzubringen. Er erwie- derte ihnen, er sey rings von der Macht des Kaisers um- geben, der ihn nicht allein nöthigen könne, zu thun was Rechtens sey, sondern in dessen Händen er sich befinde. „Ich sehe,“ sagt er, „die Folge so gut voraus wie ihr; aber ich bin zwischen Hammer und Amboß. Wenn ich dem Kö- nig gefällig bin, ziehe ich den verderblichsten Sturm über mich und die Kirche herbei.“ Burnet aus den Depechen des Gesandten p. 76. Am 18. Juli ward der Friede zwischen Kaiser und Papst in Rom ausgerufen. Am 19ten meldete der Papst dem Car- dinal Wolsey, daß er zu seinem großen Schmerze sich genö- thigt sehe, die Sache von England an die Curie zu avociren. Wolsey hatte Heinrich VIII immer versichert, seine große, seine geheime Angelegenheit ihm in Rom durchsetzen zu kön- nen: jetzt sah sich der König selber nach Rom citirt, und zwar, was ihn noch besonders verdroß, bei einer nahm- haften Geldstrafe; The K. Highness supposeth — that it should not er wollte das seine Unterthanen nicht wissen lassen; er fand seine Würde dadurch beleidigt. Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . Ueberdieß aber hatte ihm Wolsey auch versichert, daß sich Frankreich niemals von ihm trennen werde. Noch im Mai 1529 wollte er nicht glauben, daß dieß geschehe; leb- haft ergriff er jedes Gerücht einer neuen Entzweiung und gründete Pläne darauf; allein zuletzt geschah es denn doch. Die Politik Wolseys, die auf eine Vereinigung zwi- schen England, Frankreich und dem Papst berechnet war, scheiterte vollkommen. Gewiß wäre es für jeden Minister schwer gewesen, nach einem so vollständigen Mißlingen sich länger zu hal- ten; für Wolsey entsprangen aber aus den übrigen Ver- hältnissen seiner Stellung noch besondere Gefahren. Man muß wissen, daß alle seine anti-östreichischen Maaßregeln so in dem geheimen Rathe des Königs wie in der Nation Widerstand fanden. Jede Feindseligkeit gegen die Niederlande war in England unbeliebt; einst konnten die über den Friedensbruch mißvergnügten Kaufleute des eignen Landes nur durch eine Art von Zwang dahin ge- bracht werden, die Märkte nach wie vor zu besuchen. Der König selbst war hauptsächlich dadurch überredet worden, daß ihm Wolsey einen unmittelbaren pecuniären Vortheil aus der Allianz nachwies. Der Cardinal stellte oft dem französischen Gesandten vor, welch eine große Gewandtheit, wie er sich ausdrückte, „schreckliche Alchemie“ dazu gehöre, seinen Gegnern Widerstand zu leisten. Aber jetzt waren be nedeful any such letters citatorial, conteyning matier pre- judicial to his persone and royal estate to be showed to his sub- jects. Gardiner to Wolsey 4 Aug. Statepapers I, p. 336. Bellay 16. Februar 1528, bei Le Grand, Hist. du divorce, III, p. 84. Fall Wolsey’s . alle seine Kräfte erschöpft. Selbst die allmählig zur herr- schenden Leidenschaft gewordene Neigung des Königs, von Anna Boleyn einen Erben zu haben, hatte der Cardinal zuletzt beleidigt; es ist wohl nicht zu läugnen, daß er am Ende, als er sah die Sache werde nicht durchzusetzen seyn, dem Könige selbst gerathen hat, davon abzustehn. Aber damit hatte er die ganze Partei, welche Anna schon für sich gewonnen, ihren Vater, der zum Marquis von Ro- chefort ernannt worden, erbittert; eben kam Suffolk aus Frankreich zurück, der schon dort sich ihm wenig günstig gezeigt, und nun in offenbaren Zwist mit ihm gerathen; Nach einem Schreiben Bellays vom 29. Mai war der Koͤ- nig vom Cardinal uͤberredet, qu’il n’a tant avancé le mariage, qu’il eust fait, s’il eust voulu. Bei Le Grand p. 313. Norfolk war nie sein besonderer Freund gewesen. So geschah es, daß Wolsey fiel. Im November 1529 ward ihm das Siegel genommen: im December ward er schuldig befunden, die Privilegien des Reichs durch unge- bührliche Legatengewalt verletzt zu haben: weder die wie- derbeginnende Unterstützung der Franzosen, noch wie Nor- folk sich ausdrückt, der Rath seiner Sternseher konnten ihn schützen. Die Bewegung, welche Wolsey veranlaßt, hatte schon eine innere Kraft gewonnen, der er selber unterlag. Wir werden darauf zurückzukommen haben, welch mäch- tigen Fortgang sie nahm; denn unaufhörlich ward unser Deutschland davon berührt. Zunächst war es für den Kai- ser schon von hoher Bedeutung, daß er des verhaßten Fein- des entledigt war. Mußte doch dieser Feind ihn selber un- terstützen. Wolsey soll den Papst noch aufgefordert haben, Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel . den König von England zu excommuniciren, weil das Volk sich alsdann gegen denselben empören würde. Vgl. die Auszuͤge aus dem Schreiben von Chapuis an Carl in Hormayrs Archiv 1810 p. 131. Der Joncquim, dessen dort ge- dacht wird, ist wohl kein anderer als der Genuese Johann Joachim, der auch sonst oft vorkommt. Aber auch ohnedieß ward England durch diese Sache so lebhaft in sich selbst beschäftigt, daß es an den allgemeinen Verwickelun- gen zunächst wenig Theil nehmen konnte. Hatte der Kaiser Frankreich und den Papst zum Frie- den genöthigt, so behielt er auch in Bezug auf England freie Hand. Eben darauf kam es ihm jetzt vor allem an. Er trug Sorge auch noch eine andre Streitigkeit zu besei- tigen, die im entfernten Orient zwischen Castilien und Por- tugal ausgebrochen war. Beide Kronen glaubten Anspruch auf den Besitz der Molukken machen zu dürfen, und hat- ten militärische Besatzungen dahin gesendet. Zwischen diesen war es dort zu lebhaften und mörderischen Feindseligkeiten gekommen, die schon in den Eingebornen den Gedanken erweckten, die Einen so gut wie die Andern zu verjagen. Noch kannte man nicht die volle Bedeutung dieser Inseln. Carl V entschloß sich seine Ansprüche fallen zu lassen. Die Portugiesen kauften ihm dieselben um 350000 Duc. ab, und machten sich anheischig, ihm diese Summe in kurzen Fristen zu bezahlen. Herrera Historia de las Indias Diec. IIII, lib. V, p. 117. Carl war nunmehr entschlossen, wenn wir nicht sagen wollen zur Vollführung weiterer Plane, doch gewiß zu vollständigerer Ergreifung seiner großen Stellung, sich nach Der Kaiser in Italien . Italien und Deutschland zu begeben. In Italien wollte er die Krone empfangen: nach Deutschland rief ihn, wie er sich in seinem Ausschreiben ausdrückte, die Betrach- tung, daß ein großer Theil des Reiches in Gefahr sey, nicht allein sich von der Einheit der römischen Kirche zu trennen, sondern auch von den Türken überzogen und er- obert zu werden. Sandoval II, p. 25. Am 27. Juli 1529 stieg der Kaiser zu Schiff; am 9. Aug. langte er zu Savona, am 12. zu Genua an. Ueberaus mächtig, jedoch nicht, wie die alten Kaiser, allein durch deutsche Kräfte, sondern durch eine wunder- bare Combination des Südens und des Nordens, erschien er an den Grenzen des alten Reiches. In seinem Gefolge finden wir alle die berühmten Namen der castilianischen Geschichte: Mendoza, Guzman, Pacheco, Manrique, Zuniga, Toledo, Cueva, Rojas, Ponce de Leon; jedes große Haus hatte gleichsam seinen Repräsentanten geschickt; der Glän- zendste von allen war Alvarez Ossorio, Marques von Astorga; Navaresen, Catalanen, Aragonesen schlossen sich an. Schon hatte Antonio de Leiva dafür gesorgt, daß auch Mailand nicht mehr in deutschen, sondern in spanischen Händen war. Die Reichsgewalt, die sich in dem Kaiser darstellte, bekam durch diesen Einfluß fremder Elemente einen ganz neuen, romanischen, nunmehr sehr katholischen Charakter Sah man diesen Hof nur an, so konnten seine Intentionen nicht zweifelhaft seyn. Und schon hatte sich in Deutschland eine Entwickelung vollzogen, die denselben begünstigend entgegenkam. Fuͤnftes Capitel . Reichstag zu Speier im J. 1529. Seitdem der Reichstag im Jahre 1526 selbst daran verzweifelt hatte, allgemein verbindliche Maaßregeln in re- ligiöser Hinsicht durchzusetzen, hatte es zu keiner nachhal- tigen und wirksamen Reichshandlung weiter gebracht wer- den können. Die Gesandtschaft an den Kaiser, die man damals beschlossen, war unter nichtigen Vorwänden zurückgehalten worden. Wenigstens sächsischer Seits behauptete man zu- versichtlich, daß dieß lediglich in Folge geheimer Betrei- bungen der geistlichen Stände geschehen sey. Bei den da- mals noch wachsenden Irrungen zwischen Kaiser und Papst schienen sie zu fürchten, die kaiserliche Entscheidung möchte zu ihrem Nachtheil ausfallen. Eine Fürstenzusammenkunft zu Eßlingen im Dec. 1526 bezog sich nur auf die Vertheidigung gegen die Osmanen; die Beschlüsse, welche sie faßte, waren weder an sich be- deutend, noch ward ihnen die mindeste Folge gegeben. Im Mai 1527 kam ein Reichstag zu Regensburg zu Reichshandlungen 1528. Stande, aber er war so schlecht besucht, daß die Versam- melten sich nicht einmal für befugt hielten, Gegenstände, welche ausdrücklich an sie verwiesen worden waren, vorzu- nehmen, z. B. jene Gesandtschaft, sondern den Beschluß faßten, „sich überhaupt keiner Handlung zu unterziehen.“ Ich bemerke daß der Auszug aus diesem Abschied bei Haͤ- berlin XI, 46 dem Inhalt desselben (Reichsabschiede II, 185) nicht eben sehr adaͤquat ist. Auf den März 1528 war ein neuer Reichstag nach Regensburg ausgeschrieben: allein noch immer waren die Anhänger des Papstes nicht ohne Besorgniß vor den Be- schlüssen der versammelten Stände; zuerst verschob König Ferdinand die Eröffnung der Versammlung vom März in den Mai; Neudecker Actenstuͤcke I, 26. dann erschien ein Edict des Kaisers, welches sie, ohne viel Gründe anzugeben, nur, wie die Worte lauten, „aus merklichen Obligen und Ehaften“ geradezu verbot. Abkuͤndigung in den frankfurter Acten vom 10. April, die jedoch in Deutschland noch immer zur rechten Zeit eintraf. Vom päpstlichen Hofe aus hören wir, das man da eine „nicht gute Beschlußnahme“ gefürchtet habe. Sanga a Castiglione: Lettere di diversi autori p. 56. Pru- dentemente pensò, poter facilmente essere, che ne succedesse qualche non buona determinatione. Jene packischen Unruhen waren eben ein Symptom dieser Nichtigkeit der Reichsgewalt. Jetzt aber hatte sich die Lage der Dinge geändert. Die Siege des Kaisers, seine allmählig sich erneuernde Ver- bindung mit dem Papst äußerten, so entfernt er auch war, eine unmittelbare Rückwirkung auf Deutschland. War nicht eben die Entzweiung der beiden höchsten Gewalten, das Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . Schwanken der allgemeinen Verhältnisse für Aufkommen und Festsetzung der religiösen Reformen von entscheiden- dem Einfluß gewesen? Eben so gefährlich mußte nun der Umschwung der Dinge denselben werden. Ich berührte schon die Thätigkeit Waldkirchs. In Strasburg hat er die Adlichen, die im Rathe saßen, mit Verlust ihrer Lehen bedroht, wenn sie sich der Abschaffung der Messe nicht wi- dersetzen würden. Roͤhrich Gesch. d. Reform. im Elsaß I, 360. Im October 1528 forderte nun der Papst den Kaiser förmlich auf, sich der Sachen der Reli- gion auf einem demnächst zu haltenden Reichstage kräftiger anzunehmen, als bisher. Schon verwerfe man, woran auch nur zu zweifeln ein Verbrechen sey, Abendmahl und Kin- dertaufe. Fürs Erste lasse sich wenigstens dafür sorgen, daß das Uebel nicht weiter um sich greife. Und so erging denn auch noch am letzten Tage des November das Ausschreiben zu einem neuen Reichstage auf den 21. Febr. 1529 nach Speier. Die Stände wurden bedeutet, daß man keine Rücksicht auf die Ausbleibenden nehmen, mit den Anwesenden nichts desto minder zu Berathung und Beschluß schreiten werde. Der Druck des Ausschreibens setzt den 1sten, die Nachschrift den 21sten fest. „Und wo yhr in zehen Tagen, den nechsten nach dem benannten angesetzten Tag nicht erscheinet, so wird nichts dest- minder durch gedacht unser Potschafft und Comissari mit den anwe- senden Stenden gehandlet und beschlossen in allermassen als ob ihr und andre so aus geringen Ursachen auspleyben moͤchten, entgegen (zugegen) gewest waͤren. Welchs alles wir fest stet und crefftig in- massen als ob alle Stend die an- und abwesenden darin bewilligt haͤt- ten achten und vollziehen wollen. Als Gegenstände der Verabredungen machte man die Rüstung gegen die Türken, die gewaltigen Handlungen, die wider Reichstag zu Speier 1529. den Landfrieden vorgenommen worden und vor allem die Religionsneuerungen namhaft. Und dießmal war es nun Ernst auf allen Seiten. Die kaiserlichen Commissarien erschienen zur bestimmten Zeit: die Stände trafen sehr zahlreich ein. Kaum waren sie aber beisammen, so sah man auch, wie sehr sich ihre Meinung und Tendenz verändert hatte. Die geistlichen Fürsten waren in größerer Anzahl zu- gegen als sonst; Die welche nicht persönlich kamen, hatten an ihrer Stelle die Eifrigsten von ihren Beamten geschickt, z. B. der Bischof von Costnitz denselben Faber, dessen au- ßerordentlich wirksame politisch-religiöse Thätigkeit in den schweizerischen Irrungen wir oben wahrnahmen. Es war wohl nicht ohne Bedeutung, daß der kaiserliche Commissar Waldkirch zum Coadjutor von Costnitz ernannt worden war. Unterweges hatte Faber bei Erasmus eingesprochen, und sich auf eine Weise ausgedrückt, daß dieser nichts als Krieg und Gewaltthaten erwartete. Erasmi Epistolae II, 1220. Wir wissen wie so man- cher weltliche Fürst den Haß der Geistlichen gegen die Neue- rungen theilte. Der schwäbische Bund war durch die letz- ten Gewaltsamkeiten des Landgrafen in seinem anti-evange- lischen System noch mehr bestärkt worden. Er schloß so eben den Abgeordneten von Memmingen aus dem Bundes- rath aus, weil Memmingen die Messe abgeschafft hatte und sich zu den Meinungen Zwingli’s bekannte. Auch einige neue Anhänger hatte das katholische Prinzip gewonnen. Herzog Heinrich von Meklenburg, der bisher für evangelisch ge- golten, stimmte jetzt mit seinem Sohne Magnus, Bischof Ranke d. Gesch. III. 10 Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . von Schwerin, der sich den Veränderungen heftig wider- setzte. Der Churfürst von der Pfalz, ehedem so gut wie einverstanden, verbot jetzt seinen Leuten, die Predigt zu be- suchen. Man glaubte, er werde von seinem Bruder, Pfalz- graf Friedrich, der sich aufs neue Hoffnung auf eine östrei- chische Prinzessin machte, dazu bestimmt. „Pfalz,“ heißt es in einem Schreiben aus Speier, „kennt kein Sachsen mehr.“ Unter diesen Umständen, von einer ihren Wünschen ent- sprechenden Stimmung umgeben, konnten nun die kaiserli- chen Commissarien in ihrer Proposition — 15. März — mit einem Antrag von entscheidendem Inhalt hervortreten. „Damit aber“ etc. — — heißt es in der Proposition, „so hebt J. Kais. Maj. angezaigten Artikel, wie der in gedachten Ab- schied begriffen ist, hiemit auf, cassirt und vernichtet denselben, jetzt als dann, dann als jetzt alles aus Kaiserlicher Machtvollkommenheit.“ — Muͤller Historie von der evangelischen Staͤnde Protestation und Appellation p. 22. Indem sie ein Concilium mit größerer Bestimmtheit als früher, da nun auch der Papst damit einverstanden sey, ankündigten, und dabei die alte Frage berührten, wie es bis zu demselben gehalten werden solle, schlugen sie vor, jenen Artikel des Abschieds von 1526, kraft dessen alle bis- herigen Neuerungen unternommen worden, weil er „zu gro- ßem Unrath und Mißverstand“ Anlaß gegeben, förmlich zu widerrufen und ihn gegen eine andre, geradezu entgegenge- setzte, die geistliche Obrigkeit begünstigende Anordnung zu vertauschen. Es war das wohl ein Gedanke, den die meisten Alt- Besorg, schreibt Jacob Sturm an Peter Buͤtz, Mitte Maͤrz, wie ich die Personen, so hie sind ansehe, es werd nitt vil zu erlan- gen sinn. In Summa, Christus est denuo in manibus Caiphae et Pilati, bei Jung: Gesch. des Reichstags zu Speier, Beil. nr. 4. Beschluͤsse der Majoritaͤt . gläubigen hegten. Wenigstens finden wir in der Instruc- tion, die Herzog Georg von Sachsen seinem Gesandten an den Reichstag mitgab, daß auch er in jenem Artikel die Ursache aller Irrungen sah. Denn dieweil es ein Jeder sol machen wie er wil und ge- gen Gott und kais. Maj. vornimmt zu verantworten, so kann kein Einigkeit seyn. Instr. im Dresdner Archiv. Er fordert, daß denselben Maaß gesetzt werde, namentlich, daß sich Statthalter und Regiment Kais. Maj. ihrer Gewalt nicht so ganz begeben. Zunächst ward nun ein Ausschuß zur Begutachtung der Proposition niedergesetzt. Darin hatten die Altgläubigen, wie es nicht anders zu vermuthen war, auf der Stelle die Oberhand. Von den churfürstlichen Stimmen war nur die sächsische evangelisch; unter den neun fürstlichen waren fünf geistliche, drei welt- liche entschieden katholisch: wie Faber, so saß auch Leon- hard von Eck darin, der die Reaction in Baiern geleitet. Da konnte es denn wenig Zweifel geben. Schon am 24. März erklärte sich der Ausschuß mit dem Vorschlag ein- verstanden, und fügte nur einige nähere Bestimmungen hinzu. „Wer bis jetzt das Wormser Edict gehalten, solle dieß auch ferner thun. In den Landschaften, wo man davon abgewichen, solle man doch keine weitere Neuerung machen, und Niemandem verwehren, Messe zu halten. Kein geist- licher Stand solle seiner Obrigkeit, Rente und Gült entsetzt werden dürfen, bei Acht und Aberacht. Die Secten end- lich, welche dem Sacramente des wahren Leibes und Blu- tes widersprechen, solle man ganz und gar nicht dulden, so wenig wie die Wiedertäufer.“ Mit diesen Erläuterungen ward das Gutachten an die Stände gebracht. 10* Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . Alles was einst zu Gunsten der evangelischen Lehre geschehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit in den Ständen zu derselben beruht. Wie ganz aber war jetzt diese Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be- schlossen, suchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen vom 6. und 7. April nahm sie das Gutachten an, wie es ihr aus dem Ausschuß zukam. Und nun dürfte man sich nicht von dem Wortlaut täuschen lassen, nach welchem es wohl scheinen konnte, als solle nur der Fortschritt der Bewegung gehemmt wer- den. Allerdings war dieß die nächste Absicht; faßt man aber die Bestimmungen, die man festsetzte, näher ins Auge, so konnten sich die Veränderungen, die auf den Grund der frühern Reichsabschiede in den einzelnen Landschaften bereits getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten. Ein Hauptmotiv des vorigen Abschiedes hatte in der Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den Land- fchaften beizulegen; deshalb war es Fürsten und Untertha- nen überlassen worden, sich mit einander in religiöser Hin- sicht zu vereinigen; jetzt sollten alle die, welche die lateini- nische Messe abgeschafft hatten, sie doch wieder zulassen. Was ließ sich davon anders erwarten, als eine völlige Auf- ösung des eben Gegründeten? Ferner beruhte das Wesen der getroffenen Verände- rung in einer stillschweigenden Ausschließung der bischöfli- chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Bischöfe, d. i. auch die geistliche, ward jetzt aufs neue bestätigt. Man konnte sich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht, Beschluͤsse der Majoritaͤt . Prediger zu setzen oder abzusetzen, an sie zurückkam. Fuͤrstenberg Mitwoch nach Quasimodogeniti 7. April: „Es werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeschlichen, die den Staͤdten als den man ufsetzig und gefer ist nit treglich noch leidlich seyn; mit Na- men daß man niemand an seiner Oberkeyt und Herkommen vergwel- tigen soll, damit wird den Geistlichen, so solcher Artikel angenom- men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu setzen und zu entsetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an- zurichten. Frankf. Acten. Wie hätte man dabei einen Augenblick länger bestehen können? Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in bestem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge- zögert, weil sie von dem Reichstage noch irgend ein neues ausdrückliches Zugeständniß, z. B. die Erlaubniß beider Gestalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei dem Hergebrachten unbedingt und auf immer festzuhalten. Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie- den des Reiches geradezu ausgeschlossen. Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab- schiede auch nicht ausdrücklich angewiesen wurden, in den Schooß der verlassenen Kirche zurückzukehren, so ist doch un- läugbar, daß, wenn sie ihn annahmen, die noch in den An- fängen ihrer Bildung begriffene evangelische Welt dadurch in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte. Da war nun die Frage, ob man sich dieß gefallen lassen müsse, ob ein Beschluß der Mehrheit der Reichs- stände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich sey. Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn auf gesetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi- ges Daseyn gepflanzt worden ist, darf alsdann die gesetzliche Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders consti- Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . tuirt, die Befugniß in Anspruch nehmen, das Gegründete wieder umzustürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr das zum Daseyn Gelangte nun auch das Recht, zu seyn, sich zu vertheidigen? Die Reichsgewalt hatte sich in einem frühern Zeitpunkt unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen; mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel- nen Territorialgewalten übergegangen; war sie nun wohl berechtigt, das was in Folge dieser ihrer Delegation ge- schehen, nachdem sie zu größerer Energie gelangt, wieder zu zerstören? Niemand könnte dieß zugeben; sonst würde bei dem natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beschließenden Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes selbst das Lang- hergebrachte in Frage gestellt werden können. Nichts würde seines Daseyns einen Augenblick sicher seyn. Denn wo- durch unterschiede sich dem Prinzipe nach das neu zu Stande Gekommene, in den Kreis der Gesetzlichkeit Aufgenommene, von dem Althergebrachten, Länger-bestehenden? Hier war nun noch besonders bedenklich, daß von ei- ner der wichtigsten jener Anordnungen — der Erlaubniß der Messe — weder in Proposition, noch Commission, noch Ausschreiben etwas verlautet war. Auszug aus der Beschwerungsschrift bei Muͤller p. 33. Landgraf Philipp wollte der Mehrheit der Stände nicht zugestehn, über die Ge- biete der Minderheit so tief in ihr Inneres eingreifende Be- schlüsse fassen zu dürfen, ohne deren Beistimmung. Wie Hessen, so erklärten sich Chur-Sachsen, Lüneburg, Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg. Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache Widerspruch der Evangelischen . auf. Ihre Abgeordneten in dem Ausschuß bemerkten, wie Faber besonders dadurch auf die Fürsten gewirkt, daß er die gefährlichen Folgen jenes früheren Zugeständnisses her- vorhob und übertrieb. Matthias Pfarrer bei Jung nr. VII. Der Doctor Faber bildt mit solcher Unworheit und Luͤgen in die Fuͤrsten — was uß der Ler gefolgt hab und noch folgen werd, das do frilich in keines menschen gedanken ich geswige thun file und verbittert die Fuͤrsten mit solchen Reden. Diesem Argumente setzten sie nun die Bemerkung entgegen, daß es eben dem letzten Abschiede zu verdanken sey, wenn seitdem in Deutschland Ruhe ge- blieben. Wolle man aber „so ernstliche Satzung in die- sen geschwinden Zeiten“ vornehmen, so müsse Zertrennung und unbeschreibliche Beschwerde daraus erfolgen. Der erbern Frei und Reichsstaͤte Gesandten Bedenken (8. April) bei Jung nr. 26. Noch waren sie alle einmüthig, die, welche katholisch geblieben, mit denen, die evangelisch geworden. Die erwähnte Entgegnung ist ihr gemeinschaftliches Werk. Vergebens hielt Pfalzgraf Friedrich den Evangelischen vor, daß sie ja dem kaiserlichen Edict ungehorsam, ihre Neuerungen mehr zu Unfrieden, als zu Gottes Ehre dienlich seyen; sie entgegneten: was sie gethan, sey nicht dem Kaiser zuwider geschehn, sondern nur um den Frieden unter den Ihren zu erhalten und um des Gewissens willen; Empörung könne Niemand we- niger leiden, als eben sie. König Ferdinand selbst bat sie zwei oder drei Mal, das vorgetragene Gutachten zu billi- gen, der Kaiser werde ihnen das zu allen Gnaden geden- ken; sie antworteten ihm, sie würden dem Kaiser in alle dem gehorsam seyn, was zur Erhaltung des Friedens und zur Ehre Gottes diene. Fuͤrstenberg Montag nach Quasimodogeniti (7. Apr.) Key- Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . So überwiegend auch die Majorität seyn mochte, so schien es ihr doch nicht gut, sich um einen so starken Wi- derspruch ganz und gar nicht zu kümmern. Besonders hat- ten sich die Städte bei dem Artikel von der geistlichen Ge- walt wider das Wort Obrigkeit gesetzt, das im Abschied von 1526 sorgfältig vermieden worden. Auch der Ma- jorität schien es am Ende besser, dieses Wort wegzulas- sen, und wie früher nichts als die Entziehung der Renten Zinsen und Güter zu verbieten. Doch fügte sie hinzu, daß Niemand eines andern Standes Verwandte und Untertha- nen wider denselben in Schutz nehmen solle. So ist es in den Abschied gekommen § 10. Unterthanen und Verwandte. Allein auch diese Fassung schien der evangelischen Minorität unzulässig. Sie fürchtete, wenn man die Worte genau nehme, werde ein Bischof die Prediger als seine Untergebenen und Ver- wandten betrachten dürfen; man werde sie dem Reichsab- schied zufolge ihm ausliefern müssen, eine Pflicht, die man lange vor diesen Neuerungen verweigert habe; schon vor 40 Jahren habe das Frankfurt dem Erzbischof Berthold abgeschlagen. Ueberdieß war dieß nur ein einziger Punkt, und sie hatten sich über so viele andre zu beschweren. Da aber die Majorität unerschütterlich blieb, sollte nun wohl die evangelische Partei einen Beschluß zu gesetzlicher Kraft gelangen lassen, der sie mit dem Verderben bedrohte? Schon am 12. April erklärte der sächsische Gesandte Minkwitz in voller Reichsversammlung, daß sie das nicht serlich Maj. begeren halber wiren sie urbittig, weß sie zu der ere Gottes, auch frieden und ruhe dienlich gehelfen mochten, sollt man sie allerunterthaͤnig gehorsam spuͤren. Widerspruch der Evangelischen . thun würde. Er führte hauptsächlich die religiösen Gründe auf. In Sachen des Gewissens dürfe man überhaupt der Majorität nicht Statt geben; — wie komme aber vollends der Reichstag dazu, eine Lehre, die von einem Theile der Stände für christlich gehalten werde, noch vor allem Con- cilium, auf das so oft provocirt worden, für unchristlich zu erklären? — man werde sich das auf der andern Seite nicht gefallen lassen, man werde z. B. nicht darin willigen, daß Denen, welche das Edikt von Worms bisher gehalten, ge- boten werde, dabei zu bleiben: denn damit würde man in gewissem Sinne die eigene Lehre verdammen Die Gleich- gesinnten waren hocherfreut, daß sie ihre Sache so eifrig führen sahen. Fuͤrstenberg: Er habe ihre Sache „mit hoͤchstem Ernst weid- lich und zum Besten herausgestrichen.“ Minkwitz forderte die Reichsstände noch auf, an dem früheren Beschlusse fest zu halten; sey er gemiß- braucht worden, was auf der evangelischen Seite wahrhaf- tig nicht geschehen, so könne man dem durch eine Declara- tion abhelfen. Er versprach, daß man alsdann auch auf dieser Seite den übrigen Beschlüssen anhangen werde. Allein es war alles vergebens. Am 19. April erschienen König Ferdinand, Waldkirch und die übrigen Commissarien in der Versammlung der Stände, dankten ihr für ihre „christlichen getreuen und em- sigen Dienste“ und erklärten ihre Beschlüsse für angenommen, so daß man sie nur in die Form eines Abschiedes zu bringen habe. Den Churfürsten von Sachsen und dessen Anhän- ger mit ihren Eingaben und Widerreden verwiesen sie le- diglich darauf, daß doch jene Beschlüsse „altem löblichen Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . Gebrauch nach durch den mehrern Theil der Churfürsten und Fürsten gefaßt worden,“ so daß auch die übrigen sich den- selben zu unterwerfen haben würden. Vermeinter Bescheid, so koͤnigl. Durchlauchtigkeit etc. haben vorlesen lassen in dem Instrumentum Appellationis bei Muͤller p. 72. Die evangelischen Fürsten, durch eine so völlig abschlägliche Antwort, die wie eine Zurechtweisung aussah, Sie nennen es „fast eine angemaßte Weisung.“ und nun, wie sie vor allen Ständen verlesen worden, zu den Acten des Reiches ge- legt werden sollte, traten einen Augenblick in ein Nebenzim- mer, um sich unverzüglich zu einer Antwort zu vereinigen. Allein der König und die kaiserlichen Commissarien waren nicht gemeint, dieselbe zu erwarten. Auf die Bitte der Für- sten, sich einen kurzen Verzug nicht beschweren zu lassen, antwortete König Ferdinand: er habe einen Befehl von kai- serlicher Majestät: den habe er ausgerichtet und dabei müsse es sein Verbleiben haben: die Artikel seyen beschlossen; Erzaͤhlung in dem Appellationsinstrument p. 75 und in dem Schreiben der Strasburger Gesandten 21. April bei Jung nr. 44. hierauf verließ er sammt den Commissarien das Haus. Durch die Mißachtung ihrer Würde und ihrer Rechte, die in diesem Verfahren lag, noch mehr gereizt, beschlossen nun die evangelischen Stände, einen Gedanken auszuführen, den sie schon einige Wochen früher, so wie sie sahen, welche Wendung die Geschäfte am Reichstag nehmen würden, ge- faßt hatten. Rückgängig machen ließen sich, wie vor Au- gen lag, die Beschlüsse der Versammlung nicht; sich ihnen unterwerfen, hieß das eigene Daseyn aufgeben. Sie beschlossen das Rechtsmittel der Appellation zu ergrei- fen. Noch in derselben Sitzung erschienen sie, zwar nicht Protestation . mehr vor König und kaiserlichen Commissarien, aber noch immer vor versammelten Ständen, und ließen die Prote- station verlesen, die ihnen den Namen der Protestanten ge- geben hat. Darin hoben sie nun besonders den reichsrechtlichen Gesichtspunkt hervor. Ein allgemeiner juridischer Grund, den sie anfuͤhren ist: daß „auch in menschen Handlungen und Sachen das mirer wider das minder nicht fuͤrdruͤcken moͤcht, da die Sachen nit ir vil in ein gemein, sundern ieden sunderlich belangt. Muͤller p. 114. Sie erklärten, daß sie nicht ver- pflichtet seyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächst zu Speier gemachten Abschied zu schreiten, den man mit so starken Clauseln gegenseitiger Versprechungen bekräftigt und gemeinschaftlich versiegelt habe; das Vorhaben der übrigen Stände, denselben einseitig aufzuheben, sey machtlos, nich- tig und in Rücksicht auf sie unverbindlich: sie würden fort- fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abschiedes, mit ihren Unterthanen in Hinsicht der Religion sich so zu verhalten, wie sie es gegen Gott und den Kaiser zu verantworten ge- dächten. Lasse man sich nicht abhalten, den Abschied nach den genommenen Beschlüssen zu verfassen, so möge man auch diese ihre Protestation demselben einverleiben. Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem sehr merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück- sicht abgefaßt. Die Stände werden „lieben Herren Vet- tern, Oheime, Freunde,“ genannt; sorgfältig sondernd titu- lirt man sie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter- scheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge- sinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick seine fürstliche Würde aus den Augen setzt, bittet man die Geg- Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . ner doch, das Verfahren zu dem man sich genöthigt sieht, nicht falsch zu verstehen; das wird man um die Einen freundlich verdienen, und gegen die Andern mit günstigem Willen erkennen. Die Actenstücke dieses Jahrhunderts sind gewiß weit entfernt, schön oder classisch genannt werden zu können, aber sie sind den Umständen angemessen und haben Charakter; wie die Menschen selbst, so alles was sie thun. Der König, dem diese Protestation mit einigen Zu- sätzen des andern Tages übergeben ward, hielt es nicht für gut sie anzunehmen; aber sie hatte doch den größten Eindruck gemacht; daß ein Reichstag in so offenbarer Ent- zweiung endige, schien wohl gar zu unmittelbarem Unfrie- den führen zu können; noch am 20sten erschienen, im Auf- trag der Mehrheit Heinrich von Braunschweig und Philipp von Baden, um eine Vermittelung zu versuchen. Und sehr merkwürdig sind die Punkte, über welche sie sich hiebei mit den Evangelischen vereinigten. Sie gaben zu, daß der Artikel über die Gerechtsame der Geistlichkeit auf deren weltliche Verwandte und Unter- thanen beschränkt werde. Die Evangelischen dagegen willigten ein, daß bis auf das Concilium keine weitere Neuerung vorgenommen, be- sonders keine Secte zugelassen werde, die dem Sacramente des wahren Fronleichnams und Blutes entgegen sey. Die Verschiedenheiten der Messe sollten beide Theile an einander dulden; Niemand sollte in dieser Hinsicht au- ßerhalb seines weltlichen Gebietes etwas zu sagen haben. „Also daß kein Churfuͤrst noch andre Staͤnde ußerthalb ih- Vermittlungsversuch . Diese Vorschläge haben die evangelischen Fürsten wirk- lich genehmigt: auch die zu den Ansichten Zwinglis nei- genden Städte glaubten dabei bestehen zu können. Man sieht wohl: wäre es blos darauf angekommen, sich einen Einhalt in dem Lauf der Neuerung, in so fern er gesetzlich bewirkt werden konnte, gefallen zu lassen, so würden sie nachgegeben haben; ihr Standpunkt war ledig- lich der der Vertheidigung: es war nur der Einfluß der von dem Reichstag wieder anerkannten geistlichen Juris- diction, gegen den sie sich zur Wehre stellten. Allein bei der Zusammensetzung der Majorität war wohl wenig Hoffnung, mit diesen Vorschlägen bei ihr durch- zudringen. Ein paar weltliche Fürsten konnten sie billigen: die geistlichen, die in der Umwandlung der allgemeinen An- gelegenheiten so eben eine glänzende Aussicht zur Herstellung ihrer Gewalt wahrnahmen, verschmähten darauf einzugehn. Waren doch auch die weltlichen Fürsten noch nicht einmal alle mit den ersten Bestimmungen des Ausschusses zufrieden. Herzog Georg von Sachsen forderte eine nähere Festsetzung über die verlassenen Klöster, die beweibten Priester, er wollte alle von dem Herkömmlichen abweichende Deutungen der hei- ligen Schrift verboten wissen. Schreiben an seinen Gesandten 17. April. Er fordert den Zusatz, „daß sich niemands unterstehe, die h. Schrift weiter zu deu- ten oder Disputation einzufuͤhren, denn wie dieselbigen angenomme- nen Lerer oder der merer Tail unter inen thut anzeigen und beschließen.“ Am wenigsten wäre König rer weltlichen Oberkeiten (Gebiete) den andern zu oder von sinem alten oder neuen Fuͤrnemen oder Haltung der Messen in eynichem Wege vergweltigen, darzu oder davon dringen sol. Compositionsar- tikel bei Muͤller p. 42, bei Walch XVI , 422, wo jedoch sehr falsche arten vorkommen (z. B. bessern statt besten). Jung 45. Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . Ferdinand zu gewinnen gewesen. Es verdroß ihn, daß man zur Protestation geschritten war, ohne erst mit ihm zu un- terhandeln, ihm dieselbe so ohne weiteres zugesendet, Un- terhandlungen die er selber durch Planitz eröffnet, zurück- gewiesen hatte. Auch auf die evangelischen Städte war er sehr unwillig, namentlich auf Strasburg, das noch kurz vor dem Reichstag die Messe abgeschafft hatte, er ließ sich nicht bewegen, dem Abgeordneten dieser Stadt, Daniel Mieg, seinen Sitz in dem Reichsregiment zuzugestehn. So lehnte er denn auch jetzt jede weitere Annäherung ab, und verwarf die Vorschläge der beiden Vermittler. Er verwei- gerte, die Protestation dem Abschiede einzuverleiben, oder auch nur derselben darin Meldung thun zu lassen. Da nahmen nun auch die Evangelischen auf das Er- suchen Ferdinands, die Protestation nicht weiter zu exten- diren, noch sie bekannt zu machen, keine weitere Rücksicht. Es ward ein ausführliches, mit allen Actenstücken ver- sehenes Instrument aufgenommen, in welchem die vereinig- ten Fürsten, Churfürst Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg, die Herzoge Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg, Landgraf Philipp zu Hessen und Fürst Wolfgang zu Anhalt, von den Beschwerden, die ihnen am gegenwärtigen Reichstag begegnet, und allen Be- schlüssen desselben an den Kaiser, die nächste gemeine freie Versammlung der heiligen Christenheit, oder auch ein Zu- sammenkommen der deutschen Nation appellirten. Den nächsten Sonntag, 25. April, ward dieser Ap- pellation in der Behausung des Caplan Peter Mutterstadt an der Johanniskirche zu Speier, in der Johannisgasse Trennung der Staͤdte . daselbst, in der untern kleinen Stube des Hauses, die nöthige gerichtliche Form gegeben. Bald darauf ward sie öffentlich bekannt gemacht, denn Jedermann solle wissen, daß die Für- sten in den neuen Abschied mit nichten gewilligt, sondern entschlossen seyen, an dem früheren festzuhalten. Und diese Erklärung bekam nun noch dadurch ein be- sonderes Gewicht, daß ihr eine große Anzahl von Reichsstäd- ten beitrat. Anfangs hatte es nicht anders geschienen, als wür- den sie alle noch einmal für Einen Mann stehen. Denn das war ihre alte Regel, wenn Eine von ihnen eine Be- schwerde hatte, sich alle für dieselbe zu verwenden, sich auf keine Weise von einander abzusondern. Wir bemerkten, daß in der That die erste Eingabe der Städte, so anti- clericalisch auch ihr Inhalt lautete, doch von allen unter- zeichnet war. Allein die Religionsinteressen gingen zu tief in Fleisch und Blut, als daß die alten Regeln dagegen aus- gehalten hätten. Die kaiserlichen Commissarien ließen die Abgeordneten der katholisch-gebliebenen Städte zu sich kom- men, lobten sie wegen ihrer Treue, ermunterten sie darin zu beharren. Auf einige kleinere, wie Rottweil, Ravens- burg, hatte Joh. Faber viel persönlichen Einfluß. Von andern behauptete man, die Hoffnung bei dem Reichsan- schlag erleichtert zu werden, habe sie nachgiebiger gestimmt. Genug in der entscheidenden Stunde, als der Mainzische Canzler fragte, welches nun die Städte seyen, die sich be- schwert fühlten, zögerte man zwar einen Moment, in Er- innerung an die alten Grundsätze, aber nur einen Moment. Zuerst erklärte der Gesandte von Rottweil, es gebe unter den Städten auch viele mit dem Beschlusse Einverstandene. Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel . Andre stimmten ihm bei. Es ward ein Verzeichniß ange- legt, in das die, welche sich beschwert glaubten, ihre Na- men eintrugen. Anfangs schrieb sich selbst Cöln ein, nicht sowohl, weil es die neuen Meinungen getheilt hätte, als weil es in Streitigkeiten mit seiner Geistlichkeit begriffen war; doch zog es sich später zurück. Auch Frankfurt schrieb sich anfänglich ein und hier waren denn wirklich die neuen Meinungen schon fest gewurzelt; später trat es zurück, weil es sich nicht von dem Kaiser zu scheiden gedenke. Aber die übrigen blieben standhaft. In dem Instrument werden ihrer vierzehn als Theilnehmer der Protestation genannt: Strasburg, Nürnberg, Ulm, Costnitz, Lindau, Memmin- gen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, das hier noch einmal als Reichsstadt auftritt, Weißenburg und Windsheim. Es sind, wie man sieht, auch alle die dabei, welche sich zu der Zwinglischen Auf- fassung hielten. In dem dringenden Momente hatten die Fürsten kein Bedenken getragen, sich mit ihnen zu verbinden. So bedeutende Fürsten hauptsächlich in dem nördlichen, so ansehnliche und reiche Städte vornehmlich in dem südlichen und westlichen Deutschland, alle in Einem Sinn vereinigt, bildeten noch immer eine sehr respectable Macht. Sie wa- ren entschlossen sich gegen jede Gewaltthat von Seiten der Majorität mit gemeinschaftlichen Kräften zu vertheidigen. Berichte Fuͤrstenbergs in den frankfurter und des Matthis Pfarrer in den strasburger Acten. „Auf den Tag ist die Sonderung un- ter den Staͤdten vor sich gegangen, ruft M. aus, das haben die Geist- lichen bisher gesucht.“ Sechstes Capitel . Spaltungen unter den Protestanten. Fragt man nach dem reinen Resultate des Reichs- tags von 1529, so ist es folgendes. An ein Einverständniß des Reiches in religiöser Hinsicht war schon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien setzten sich einander immer schärfer gegenüber. Die Reichsgewalt selbst hatte dieß gestattet; wie sie sich 1526 ausgesprochen, konnte sie als neutral angesehen werden. Jetzt aber, nachdem der erste Sturm vorüber gegangen war, der geistliche Stand nach eigenen lebhaften Irrungen sich zur Handhabung sei- ner gemeinschaftlichen Interessen wieder vereinigt, der Kai- ser mit dem Papst wieder freundschaftliche Verhältnisse an- geknüpft hatte, gelang es der katholischen Gesinnung sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholische Farbe und Haltung an. Die Evangelischen, die noch eben auf das Bewußt- seyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und sich die Hof- nung gemacht hatten, auf diesem Wege immer weiter zu schreiten, sahen sich plötzlich nicht allein von jedem Antheil Ranke d. Gesch. III. 11 Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . an der Reichsverwaltung, die sie vor einigen Jahren sogar geleitet hatten, ausgeschlossen, sondern von derselben in ih- rem Daseyn bedroht. Es blieb ihnen nur übrig, sich als Minorität zu con- stituiren, und zwar als eine solche, die sich keine Zurück- setzung gefallen lassen will und alle ihre Kräfte dagegen zu- sammenzunehmen entschlossen ist. Man darf nie vergessen, daß der muthige Gedanke, diese Stellung zu ergreifen, sich auf dem Boden der Reichs- gesetze zur Wehre zu stellen, von welchem die folgende Ent- wickelung des Protestantismus abhängt, in der Idee einer Vereinigung des sächsischen und des schweizerischen Bekennt- nisses gefaßt und ausgeführt ward. Am 21. April wies König Ferdinand die braunschwei- gisch-badensche Vermittelung zurück; am 22sten schlossen Sachsen und Hessen eine, wie es in der Urkunde heißt, „sonderlich geheime Verständniß“ mit den Städten Nürn- berg, Ulm und Strasburg. Man war darüber einig, daß man sich vertheidigen wolle, wenn man des göttlichen Wor- tes halber angegriffen werde, möchte das nun durch den schwäbischen Bund, oder von Seiten des Kammergerichts, oder selbst durch die Reichsregierung geschehen. Gesandte, die im Juni zu Rotach an dem fränkischen Gebirge zu- sammenkommen würden, sollten näher bestimmen, wie man einander Hülfe zu leisten habe. Artikel des Bedenkens auf die vertraute Unterrede im W. A. Zwischen Nürnberg, welches dem lutherischen, und Strasburg, welches dem schweizerischen Begriff anhing, ward hier, wie man sieht, noch kein Unterschied gemacht. Entwurf eines protest. Buͤndnisses . Auch säumte man nach dem Reichstag nicht, den beschlossenen Bund näher in Ueberlegung zu ziehen. Es sind zwei Entwürfe dazu in unsern Händen, der eine von städtischer, der andere von fürstlicher Seite. Jener geht davon aus, daß ein Bundesrath aus den Gesandten der verschiedenen Stände gebildet werden müsse, der, seiner besondern Pflichten entledigt nur in Rücksicht auf das all- gemeine Beste Beschluß zu fassen habe; der angegriffene Theil solle immer den Feldhauptmann setzen. In diesem dagegen wird eine der Reichsverfassung entsprechende An- ordnung vorgeschlagen. Ein Fürst soll zum Hauptmann ernannt werden und einen Kriegsrath von 6 Mitgliedern zur Seite haben, drei von den Fürsten, einen von den Gra- fen, zwei von den Städten. Der städtische Entwurf sucht besonders zu verhüten, daß man nicht um anderer als re- ligiöser Gründe willen zu den Waffen greife; nur dann dürfe dieß geschehn, „wenn man des Glaubens wegen ange- griffen, oder unter dem Scheine geistlicher Jurisdiction ver- hindert werden solle, die Kirchen zu visitiren.“ In dem fürstlichen, der von der Hand des Churprinzen ist, wird besonders das Recht hervorgehoben, das man zur Gegen- wehr habe; des Kaisers wird darin noch nicht gedacht; die letzten Beschlüsse werden nur als Unternehmungen der Stände betrachtet, denen man auch diesseit in aller Hin- sicht ebenbürtig und gleich, denen sich entgegenzustellen man nicht allein berechtigt, sondern sogar verpflichtet sey. Bedenken der Eynung des Evangeliums halber; im W. A., und erstgestellte Notel des Verstendnuß, von den von Nuͤrnberg uͤber- geben, bei Muͤller. Welcher von beiden nun aber auch beliebt worden 11* Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . wäre, so würde man alle Mal eine bedeutende Macht ha- ben aufstellen können. Der Churprinz berechnete, daß man 10000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferde aufbringen müsse; er rieth nahe und ferne Freunde dazu einzuladen. Zunächst würde man die Schweiz zur Seite gehabt haben. St. Gallen, eine schweizerische Stadt, hatte auch die Protesta- tion mitunterzeichnet. Die Reichsstädte Costnitz und Straß- burg traten in Bürgerrecht mit Zürich und Bern. Land- graf Philipp stand in engem Verhältniß zu Zürich und na- mentlich zu Zwingli. So ganz harmlos und ohne Bezug auf den Kaiser würde wohl der Bund nicht lange geblie- ben seyn. Landgraf Philipp und der Rath von Zürich hat- ten ganz offenbar die Herstellung Herzog Ulrichs von Wir- temberg ins Auge gefaßt. Von Zürich aus wendete man sich an Venedig, an Frankreich. Bei den Unterhandlungen mit Frankreich trug Zwingli darauf an, daß auch der Land- graf von Hessen in den Bund aufgenommen würde, den er als großherzig, standhaft und klug schilderte. Hottinger, II, 282, 313. Indem der Kaiser in dem südlichen Europa entschieden die Ober- hand behielt, schien es als würde sich ihm sofort in der Schweiz und in Deutschland eine religiös-politische Partei entgegenstellen und den Mittelpunkt für eine neue euro- päische Opposition bilden. Auf jeden Fall durfte man die Zuversicht hegen, in dieser Vereinigung dem Kaiser und der Majorität der Reichsstände einen unüberwindlichen Wi- derstand entgegensetzen zu können. Allein wie bald sollte doch die neue Partei, und zwar in Folge ihrer eignen Zusammensetzung, diese Aussichten fahren lassen! Theologische Bedenklichkeiten . Indem man sie faßte, hatte man die Entzweiung aus den Augen gesetzt, welche zwischen den beiden Bekenntnissen obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte. Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz- lich aufsteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen- über fühlte man seine Gemeinschaft und die Nothwendig- keit sich politisch zusammenzuhalten. Aber so wie man wieder allein war, jener Eindruck wieder verlosch, mußte auch die alte Stimmung wieder aufsteigen. Der Charakter des Jahrhunderts ist eben, daß indem man sich von der Herrschaft der Geistlichkeit zu emancipi- ren sucht, doch das theologische Element, durch dessen Ener- gie dieß geschieht, hinwieder sich von keiner politischen Be- trachtung beseitigen läßt. Man hatte in Speier den Theologen anfangs das neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen dann mittheilte, sie vermocht, es sich gefallen zu lassen Aber sie waren auch die ersten, in denen nun Scru- pel aufstiegen. Melanchthon, ein Mensch, der jede Schwie- rigkeit, auf die er stieß, innerlich durcharbeitete, und sich da- bei keine Pein ersparte, kam schon ohne die gewohnte Hei- terkeit nach Hause. Er bildete sich ein, wenn man nur die Anhänger Zwingli’s hätte fallen lassen, so würde sich die Ma- jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es sich selber Schuld, daß dieß nicht geschehen sey, denn seine Pflicht wäre gewesen darauf zu dringen. Er erschrak bei dem Gedan- ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion daraus hervorgehn könne. In Wittenberg sprach er mit Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm. Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Melanchthon gerieth in die schmerzlichsten innern Beküm- mernisse. „Mein Gewissen,“ schreibt er am 17. Mai, „ist durch diese Dinge beunruhigt; ich bin halb todt, indem ich sie mir überlege.“ Am 11. Juni: „meine Seele ist von so bitteren Schmerzen ergriffen, daß ich darüber alle Pflichten der Freundschaft, meine Studien versäume.“ Am 14ten: „ich fühle mich in solcher Unruhe, daß ich lieber sterben, als sie länger ertragen wollte.“ Gleich, als wollte er das begangene Unrecht wieder gut machen, ersuchte er endlich auf seine eigne Hand seine Freunde in Nürnberg, den Abschluß der entworfenen Verbindung lieber zu verhü- ten. „Denn die gottlose Meinung Zwingli’s dürfe man nimmermehr vertheidigen.“ Seinen Herrn, den Churfürsten, konnte er getrost der Einwirkung Luthers überlassen. Luther, wie gesagt, hatte keinen Augenblick gezögert, die Verbindung mit den Anhängern Zwingli’s zu verdam- men. Auf der Stelle, und unaufgefordert, nur auf die Erzählung Melanchthons wandte er sich an Chf. Johann, um die zu Speier geschlossene Abkunft auch jetzt noch rück- gängig zu machen. Er stellte ihm vor, daß alle Bündnisse überhaupt gefährlich seyen; erinnerte ihn, wie schon das vorige von dem unruhigen jungen Landgrafen mißbraucht worden. „Wie sollte man sich aber vollends mit Leuten verbinden dürfen, welche wider Gott und das Sacrament streben? Da gehe man mit Leib und Seele der Verdamm- niß entgegen.“ Schreiben Melanchthons an Camerar: 17 Maji redii neu- tiquam afferens domum illam, quam solebam, hilaritatem. An Baumgaͤrtner C. Ref. p. 1070. An Spengler und Justus Jonas 1069. 1075, 76. Theologische Bedenklichkeiten . Und dürfte man wohl diese theologischen Bedenklich- keiten so schlechthin verwerfen? Es namentlich Luthern zum Vorwurf machen, daß er sie hegte? Wir müssen bedenken, daß der Grund der ganzen Re- formbewegung in der religiösen Ueberzeugung lag, die nicht mit sich unterhandeln, sich keine Bedingung noch Ermäßi- gung abgewinnen ließ. Der Geist einer exclusiven, in For- meln festgesetzten, den Gegner verdammenden Rechtgläubig- keit, herrschte nun einmal in der Welt vor. Ebendarum war der Streit zwischen den beiden Bekenntnissen, die sich doch sonst nahe standen, so heftig geworden. Eine Verbindung der Anhänger derselben war nur ent- weder dadurch ausführbar, daß man über die Differenz hin- wegsah oder dadurch daß man sie beilegte. In Speier in dem Tumulte des Reichstags, im An- gesicht der gemeinschaftlichen Gefahr hatte man das Erstere für möglich gehalten. Allein wie sollte es sich durchführen lassen, da noch immer die heftigsten Streitschriften zwischen den Oberhäuptern gewechselt wurden? Bei der Ueberzeu- gung, die nun einmal beide Parteien hegten und nicht fahren ließen, hätte darin fast ein Beweis gelegen, daß das ursprüngliche religiöse Motiv nicht so ganz rein gewesen sey. Luther war weit davon entfernt und es bedurfte nur seiner Anmahnung, um auch den Churfürsten davon zurück zu bringen. Churfürst Johann schickte wohl zur bestimmten Zeit seine Abgeordneten nach Rotach, aber mit dem Auftrage, nur zu hören und ihm zu berichten; er werde dann mit den Gelehrten berathschlagen, ob die Sache ohne Beschwe- rung des Gewissens auszuführen sey. Er meinte, vielleicht Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . würden auch in den Nürnbergern ähnliche Scrupel erwacht seyn. Instruction auf Herr Hansen Minkwitz Ritter gen Rotach. Er soll aufmerken, ob nicht vielleicht die Nuͤrnbergischen Gesandten von selbst ihm sagen werden „„daß sie befunden, beschwerlich seyn, sich mit den Ihenen, so der Zwinglischen Meinung des Sacraments halber (anhangen) in Buͤndniß zu begeben, dergestalt wo sie des goͤttlichen Worts des Glaubens halben beschwert wollten werden, als were dieser Artikel im goͤttlichen Wort und im Glauben auch gegruͤn- det, das dann wider die Gewissen stillschweigend bekannt must wer- den;““ und ihnen dann sagen, „daß uns dergleichen Beschwerung und Bedenken seyther dem naͤchsten Reichstag zu Speier auch zuge- fallen.“ — — Der Abschied ist Dienstag nach Bonifacii (8. Juni). Wirklich war die Meinung der Nürnberger Theolo- gen ganz wie die der sächsischen. Auch sie überzeugten ih- ren Rath, daß man mit den Sacramentirern nichts zu schaffen haben müsse. Canzler Bruͤck sagte zu Schmalkalden, es komme alles aus dem Rathschlag v. Nuͤrnberg. Strobel Miscellaneen IV, 130. Daher kam es in Rotach zu nichts als zu allgemeinen Zusicherungen gegenseitiger Hülfe, vorläufigen Besprechun- gen; nähere Berathung verwies man auf eine andre Zu- sammenkunft im August nach Schwabach, die aber gleich gar nicht zu Stande kam. Sie war schon abgekündigt, als die oberländischen Gesandten anlangten: sie hatten den weiten Weg vergeblich gemacht. Schreiben an Nuͤrnberg 23. Aug. Sie wollen die Sache ihren Freunden daheim melden, obwohl sie „uns den Gesandten nit allein unser Leibs Schwacheit, sondern auch Ferne des Wegs und der schwebenden sorglichen Laͤufe halber ganz beschwerlich ist“ (W. A.). So mächtig setzte sich das theologische Element, wie jenem Kriegsunternehmen in den Packischen Händeln vor drei Jahren, so jetzt einem Bündniß entgegen, das zur Ret- tung vor der überlegenen Gewalt das einzige Mittel schien. Gespraͤch zu Marburg . Wie damals den Angriff, so verhinderte es jetzt alle Maaß- regeln der Vertheidigung. Kein Wunder, wenn sich Landgraf Philipp, der jene Aussichten schon mit seinem ganzen Ehrgeiz ergriffen hatte, darüber betroffen, unglücklich fühlte. Er that alles, um seinen sächsischen Verbündeten bei dem einmal gefaßten Ent- schluß festzuhalten. Jedoch es war alles vergebens. Gruͤnde und Gegengruͤnde in den Schreiben des Churfuͤr- sten und des Landgrafen bei Muͤller. Gesch. d. Protest. p. 256, 261. Und glauben wir darum nicht, daß Landgraf Philipp dem Geist seines Jahrhunderts untreu geworden sey. Der Grund seiner Nachgiebigkeit lag darin, daß er von der Lu- therschen Auffassung nicht so vollkommen durchdrungen war, wie die Uebrigen. War nun aber das Ignoriren der Zwistigkeit nicht möglich, so wurde es doppelt dringend noch einen Versuch zu machen, ob sich nicht eine Vereinigung zwischen den streitenden Theologen stiften lasse. Schon in Speier hatte Landgraf Philipp diesen Ge- danken gehabt, und darüber an Zwingli geschrieben. Jetzt schritt er zu einer definitiven Einladung beider Parteien, zum Michaelisfest 1529 auf sein Schloß zu Marburg. Merkwürdig wie verschieden beide seine Einladung auf- nahmen. Zwingli hätte gefürchtet, von dem großen Rathe Auch eine Versammlung zu Zerbst unterblieb: sie war anberaumt weil der Churfuͤrst „fuͤr gut angesehn, dasjenige was er sich mit etzlichen Fuͤrsten und Staͤnden einer freundlichen Verstaͤndniß halber unterredet, hinter denen so in die Magdeburgische Vereinigung gehen nicht zu schließen.“ Ich finde, daß dahin auch Erich, Bischof von Paderborn und Osnabruͤck eingeladen war, der sich schon zu Speier den ersten Protestationsschritten angeschlossen hatte. Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . seiner Stadt, wenn er seine Absicht kund gethan hätte, zu- rückgehalten zu werden; man hätte ihn schwerlich auf eine so weite Reise durch so manches zweifelhafte oder feindse- lige Gebiet ziehen lassen; nur im Einverständniß mit eini- gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur seiner Frau seine Absicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein hessisches sicheres Geleit erhalten, machte er sich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber gesehen, sein Fürst hätte ihnen die Reise verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zusammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen gewesen, weiter zu gehn, ehe er nicht das sichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em- pfang genommen hatte. Nach Bullinger, der fuͤr dieses Gespraͤch uͤberhaupt sehr merk- wuͤrdig ist, p. 214 bemerkte der Landgraf selbst diesen Unterschied. Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten sie doch, daß der Fürst, bei dem sie mit ihren Geg- nern zusammentreffen sollten, politisch ohne Frage, und bei- nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß sie sich im Widerspruch mit den Wünschen Philipps befanden; sie waren entschlossen, nicht zu weichen, sondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten. So kam man in sehr entgegengesetzter Stimmung zu- sammen. Denn das ist nun einmal die Natur des Men- schen, daß er in alle seinem Thun unter den Einflüssen des Momentes zu Werke geht. Erhob man sich aber einmal darüber, so hatte die Versammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes. Gespraͤch zu Marburg . Die trefflichen Geister, die auf beiden Seiten mit so großer Kraft die Bewegung geleitet, zwischen denen aber Mißverständnisse ausgebrochen, kamen zusammen, um in persönlichem Zwiegespräch eine Ausgleichung zu versuchen, dem Hader, der dem Fortgang der gemeinschaftlichen Sache nicht anders als überaus hinderlich seyn konnte, ein Ende zu machen. So faßte Euricius Cordus diese Sache, wenn er sie alle anredet, die Fürsten des Wortes, „den scharfsinnigen Luther, den sanften Oecolampad, den großherzigen Zwingli, den braven Melanchthon,“ und die Uebrigen, welche ange- kommen — Schnepf, Brenz, Hedio, Osiander, Jonas, Crato, Menius, Miconius, deren jeden er mit einem entsprechenden Worte des Lobes schmückt — und sie dann ermahnt, das neue Schisma zu heben. „Die Kirche fällt Euch weinend zu Füßen, fleht Euch an und beschwört Euch bei den Einge- weiden Christi, die Sache mit reinem Ernst, zum Heile der Gläubigen zu unternehmen, einen Beschluß zu Stande zu bringen, von dem die Welt sagen könne, er sey vom heiligen Geiste ausgegangen.“ Das Gedicht ist von Melanchthon in das Paralipomenon zum Chronikon Urspergense aufgenommen ( p. 495). Es war eine Kirchenver- sammlung Derer, die vom Katholicismus abgewichen. Wäre es einmal damit gelungen, so würde das Mittel gefunden gewesen seyn, auch fortan in der neuen Partei die kirchliche Einheit zu erhalten. Zuerst wurden einige vorläufige Zweifel beseitigt. Man hatte Zwingli’n Irrthümer über die Gottheit Christi beige- messen; er sprach sich ganz in dem Sinne des Nicenischen Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Glaubensbekenntnisses aus. Auch über den Begriff der Erb- sünde, auf welchen die gesammte Heilsordnung basirt ist, die Wirksamkeit des äußerlichen Wortes, die Taufe, welche nicht ein bloßes Zeichen sey, erklärte er sich mit den Wit- tenbergern einverstanden. Es ist wohl unläugbar, daß Zwingli in allen diesen Punkten, indem er zu einem unver- mittelten Verständniß der Schrift zu gelangen suchte, sich von den angenommenen kirchlichen Begriffen ziemlich weit entfernt hatte. Er kehrte hierin, wie Luther, auf die Basis der lateinischen Kirche zurück. Loͤscher Historia Motuum setzt p. 103 auseinander, in wie fern fruͤhere Aeußerungen der Oberlaͤnder mit den damaligen Fest- setzungen in Widerspruch standen. Selbst Planck, sonst ein großer Verfechter der Oberlaͤnder, ist uͤberzeugt, daß Loͤscher hier Recht hat. Nur in dem Einen Punkte, auf den es vor allem ankam, welcher die allgemeine Auf- merksamkeit beschäftigte, in der Frage über die Eucharistie, wich er keinen Schritt breit; da hoffte er vielmehr den Sieg davon zu tragen. Mit großer Lebhaftigkeit brachte er seine Argumente vor, die figürliche Bedeutung des Ist in andern Stellen, die Erläuterung, die Christus im 6ten Capitel Jo- hannis selbst gebe, — von welcher er sich wohl vernehmen ließ, sie breche Luthern den Hals ab, was dieser fast miß- verstanden hätte; — die Uebereinstimmung mehrerer Kirchen- väter; endlich die Unmöglichkeit, daß ein Leib anders als an Einem Ort sey. Allein Luther hatte vor sich auf die Tafel die Worte geschrieben „das ist mein Leib;“ er blieb dabei, daß das Gottes Worte seyen, an denen man nicht deuteln müsse, vor denen der Satan nicht vorüber könne; er ließ sich auf die tiefergreifenden Erklärungen, mit denen er das Argument von der Localität, ohne die ein Körper nicht Gespraͤch zu Marburg . zu denken sey, wohl sonst bestritten hatte, dieß Mal nicht ein; das „Bedeutet“ wollte er schlechthin nicht dulden, denn das nehme den Leib hinweg. Der Unterschied ist: auch Zwingli’n ist die Gegenwart Christi an das Brod geknüpft; Luther’n da- gegen ist das Brod selbst die Gegenwart, und zwar der gegen- wärtige Leib; das Sichtbare enthält das Unsichtbare, wie die Scheide das Schwert. Wohl verstand auch er das Ge- nießen spirituell, er wollte sich aber das Mysterium, das in dem Zeichen liegt, nicht entreißen lassen. Er meinte, die Gegner möchten wohl noch nicht in den Fall gekom- men seyn, ihre Erklärung in geistigen Anfechtungen zu er- proben. Erklaͤrung Luthers an Landgraf Philipp bei de W. III, p. 510. Er dagegen war sich bewußt, damit gegen Sa- tan und Hölle gekämpft, und den Trost daraus geschöpft zu haben, dessen die Seele in ihren verzweiflungsvollsten Stürmen bedarf. Für die Fortentwickelung der religiösen Ideen wäre es, dünkt mich, nicht einmal zu wünschen gewesen, wenn Zwingli seine Auffassung, die durch die Zurückführung des Als eine Hauptstelle fuͤr die Differenz moͤchte ich folgende in dem Auszug aus den Acten bei Scultetus ansehen, p. 143. Lu- therus affirmat (die Rede ist vom 6ten Capitel Johannis) non ip- sam manducationem oralem, sed manducationis modum, crassum illum, qualis est carnis suillae aut bovinae rejici. Oecolampadius arrepta inde occasione de duplici verborum Christi intelligentia disserit, humili sive carnali, et sublimi sive spirituali: humilem sive carnalem verborum Christi intellectum eum esse, quem Lu- therus asserat a Christo repudiatum: spiritualem sive sublimem esse illum, quem Christus jusserit amplecti. Contra Lutherus fieri non posse nec debere, ut ad spiritualem tantum intellectum verba coenae referantur, siquidem remissio peccatorum, vita ae- terna ac regnum coelorum carnalibus istis ac humilibus ut ap- pareant rebus per verbum dei annexa sint. Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Mysteriums auf die ursprünglichen, historisch überlieferten Momente der Einsetzung eine so unermeßliche Bedeutung für die ganze Auffassung des Christenthums außerhalb der constituirten Kirchlichkeit in sich schloß, aufgegeben hätte. In den übrigen Punkten, wo er nachgab, war er noch nicht so sicher, so fest geworden; diesen aber hatte er nach allen Seiten durchdacht; hier war er sei- nes Gegenstandes Meister, er enthielt sein Prinzip; den ließ er sich nicht entreißen. Eben so wenig wäre es aber auch von Luther zu er- warten, oder gar zu fordern gewesen, daß er der andern Erklärung beigetreten wäre. Sein Standpunkt ist überhaupt, daß er ein Inwohnen des göttlichen Elementes in der christ- lichen Kirche festhält, wie die Katholischen. Er sieht es nur nicht in den mancherlei Zufälligkeiten, welche phantastische und sophistisirende Jahrhunderte überliefert hatten. Da diese ihm die Gewißheit nicht gewähren, deren er bedarf, so geht er auf die ursprünglichen Quellen zurück, auf welche auch sie sich beziehen; und nur das nimmt er an, was er da findet. Von den sieben Sacramenten hält er nur die zwei fest, von denen das neue Testament unläugbare Meldung thut. Aber diese will er sich nun auch um keinen Preis entwinden, oder in ihrer geheimnißvollen Bedeutung schmä- lern lassen. Es sind, wie gesagt, zwei von verschiedenen Gesichts- punkten, aber mit gleicher Nothwendigkeit entstandene Auf- fassungen. Gewinn genug, wenn man nun aufhörte, sich ge- genseitig zu verketzern. Luther hatte gefunden, daß die Gegner es nicht so böse meinten, wie er geglaubt. Auch Gespraͤch zu Marburg . die Schweizer gaben jene grobe Vorstellung auf, die sie von der lutherischen Auffassung bisher gehegt hatten. Lu- ther meint, die Heftigkeit der Streitschriften werde sich nun legen. Melanchthon sagt in dem Anhang zum Chron. Urspergense: Triduo duravit colloquium et durasset diutius spe uberioris tum concordiae futurae, nisi horrendus ille morbus sudatorius — — vocatos dispersisset. Das ist dann in Bullinger uͤbergegangen. Es zeigt wenigstens, welcher Eindruck bei Melanchthon geblieben war. Zunächst wurden alle die wichtigsten Glaubensartikel, in denen man übereinstimmte, verzeichnet und von den Theo- logen beider Parteien unterschrieben; die Abweichungen von dem römischen Bekenntniß sowohl, wie von den wiedertäu- ferischen Secten sind darin sorgfältig bemerkt; es war doch auch dieß eine erwünschte Grundlage gemeinschaftlicher Fort- entwickelung, und das Marburger Gespräch ist durch die Feststellung derselben auf immer wichtig. Der funfzehnte und letzte dieser Artikel betrifft das Abendmahl. Man ist über die Art und Weise der Feier, und den Zweck der- selben, selbst darin einstimmig, daß hier der wahre Leib und das wahre Blut Christi geistlich genossen werde; nur über die Eine Frage kann man sich nicht vereinigen, ob dieser wahre Leib nun auch leiblich im Brode sey. Da trennt sich eine freiere Auffassung der Schrift von dem in der Kirchengemein- schaft geltend gewordenen Begriff des Mysteriums. Doch will ein Theil gegen den andern christliche Liebe ausüben. Nur so weit gab Luther nicht nach, daß er auch brü- derliche Liebe gewährt, d. i., daß er anerkannt hätte, man bilde nun eine einzige Gemeinschaft. Luther an Gerbellius 4. Oct.: Denuntiatum est eis, nisi et hoc articulo resipiscant, charitate quidem nostra posse eos uti Dazu war ihm die Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Differenz bei weitem zu tiefgreifend, das Mysterium, der Mittelpunkt des Glaubens und Dienstes, viel zu wesentlich. Für die Zukunft demnach, für das Bewußtseyn, daß man der Abweichung zum Trotz im Grunde doch dem nemlichen Bekenntnisse angehöre, war durch das Gespräch nicht wenig gewonnen; der politische Zweck dagegen, den Landgraf Philipp im Auge gehabt, wie er von dem Mo- ment geboten wurde, war und blieb verfehlt. So eben hielten Churfürst Johann von Sachsen und Markgraf George von Brandenburg eine Zusammenkunft zu Schleiz, um über die Zulässigkeit des oberländischen Bündnisses zu rathschlagen. Dahin begab sich auch Luther. Man ward eins, daß eine vollkommene Einheit des Glau- bens dazu gehöre, wenn man sich gegenseitig vertheidigen wolle; — beschloß, die Artikel, worauf jene Einheit be- ruhe, gegen einander zu bekennen, und Niemand in die Verbindung aufzunehmen, wer auch nur in dem einem oder dem andern derselben abweiche. Der Abschied in Schleiz war wohl nur muͤndlich. Man ersieht seinen Inhalt aus der Instruction fuͤr die churf. und mggf. brandenburgischen Raͤthe zu dem schwabacher Convent bei Muͤller p. 281 und bei Walch Bd. 17 p. 669. Erster Artikel. Und auf der Stelle ging man an dieses Werk. Als die oberländischen Gesandten zu einem neuen Convent in Schwabach, im October, eintrafen, ward ihnen vor allen Dingen ein Bekenntniß zur Unterschrift vorgelegt. Es sind die sogenannten schwabacher Artikel. So wie man diesel- ben durchsicht, bemerkt man, daß sie die größte Aehnlich- keit mit der marburger Uebereinkunft haben. Die Folge sed in fratrum et Christi membrorum numero a nobis censeri non posse. Schwabacher Artikel . ist von vorn herein, z. B. in den ersten neun Artikeln die nemliche; Was die schwabacher Art. VIII mehr zu haben scheinen, findet sich in den marburgischen unter dem Titel: de usu sacramenti. Vgl. den Abdruck der 17 Artikel bei Walch Tom. 16, 778 und di- plomatisch genau in Webers Kritischer Geschichte der Augsb. Confes- sion, Bd. I, Anh. 1. auch die Ausdrücke stimmen meistentheils wörtlich zusammen; nur einige wenige Veränderungen fin- den sich, unter denselben aber die entscheidende im 10ten Artikel, die Lehre, „daß der wahre Leib und Blut Christi wahrhaftiglich im Brod und Wein gegenwärtig sey,“ so- gar mit der polemischen Bemerkung, daß der Widertheil vorgebe, es sey eben nur Brot und Wein. Die schwaba- cher Artikel sind eine etwas umgearbeitete Redaction der marburgischen Uebereinkunft, in der jedoch der Begriff Lu- thers als allein gültig angenommen worden. Riederer fand bei dem Autograph einer in das Jahr 1530 fallenden Vorrede Luthers zu den 17 Artikeln folgende Worte von Veit Diedrichs Hand: Praefatio ad 17 articulos Marburgi scriptos, und gruͤndete darauf die Behauptung, daß die 17 Artikel selbst zu Marburg verfaßt worden. Dann wuͤrde sie Luther schon fertig nach Schleiz mitgebracht haben. In der That, sehr beschaͤftigt wuͤrde Lu- ther gewesen seyn. Am 30. Spt. kam man, am 1, 2, 3. October dibputirte man, am 4ten wurde die Marburgische Uebereinkunft un- terschrieben, am 5ten reiste er ab. Mit dem Charakter der 17 Ar- tikel stimmt aber die dortige Abfassung nicht uͤbel zusammen. Nur muͤssen sie spaͤter revidirt, hie und da naͤher bestimmt worden seyn, wenn es wahr ist, was man in Schmalkalden den Staͤdten sagte, „die Artikel seyen sere wolbedaͤchtig und mit tapferm Rath gelerter und ungelerter Raͤthe gestellt.“ Natürlich konnten die Gesandten von Ulm und Strasburg dieß Be- kenntniß nicht unterschreiben. Sie bemerkten, es stimme mit der bei ihnen herrschenden Predigtweise nicht überein, sie seyen auf die Veränderung nicht instruirt; sie könnten Ranke d. Gesch. III. 12 Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . erst auf der nächsten Zusammenkunft eine Erklärung darüber beibringen. Es ließ sich voraussehen, daß unter dirsen Bedingun- gen der entworfene Bund wieder aufgegeben werden mußte. Und gerade in einem Momente geschah dieß, in wel- chem die kaiserliche Gewalt sich immer feindseliger zeigte. Der Kaiser hatte noch von Spanien aus seine Miß- billigung der Protestation ausgesprochen; die vereinigten Stände hatten sich hierauf entschlossen, eine Gesandtschaft nach Italien an ihn zu schicken, um ihre Schritte zu recht- fertigen; allein wie war das spanisch-katholische Weltele- ment, auf das die Gesandten in der Umgebung des Kai- sers stießen, ihren Absichten so ganz entgegengesetzt. Der Kaiser wiederholte nur seine früheren Erklärungen. Er wollte die Protestation nicht annehmen, und war sehr un- willig, als die Gesandten dieselbe dem Secretär, der mit ihnen unterhandelte, auf den Tisch legten. Den ganzen Hof entrüstete es, daß der eine der Gesandten, Michael Ka- den, eine ihm von dem Landgrafen mitgegebene Schrift pro- testantischen Inhalts dem rechtgläubigen Kaiser, der als das weltliche Oberhaupt der katholischen Christenheit daher zog, in die Hände brachte. Die Gesandten mußten dem Hofe eine Zeitlang als Gefangene folgen; nur durch eine Art von Flucht konnten sie sich retten. Es wäre jedoch ein Irrthum gewesen, wenn man ge- hofft hätte, daß so feindselige und drohende Begegnisse die Protestanten wieder vereinigen würden. Auf eben der Versammlung, auf welcher über diesel- Spaltung . ben Bericht erstattet wurde, zu Schmalkalden im Dezbr. 1529, brach unter ihnen erst der volle Zwiespalt aus. Den Oberländern — die sich hier bei weitem zahlrei- cher eingefunden hatten, als zu Schwabach — wurden die siebzehn Artikel neuerdings vorgelegt; Ulm und Strasburg, deren Beispiel die übrigen zu folgen pflegten, erklärten de- finitiv, daß sie dieselben nicht unterschreiben würden. Hier- auf ward ihnen eben so bestimmt erwiedert, daß man dann auch nicht mit ihnen in Bund treten könne. So leb- haft sie dennoch darum baten, so dringend sich der Land- graf für sie verwandte, denn von dem Kaiser habe man nichts anderes zu erwarten, als Ungnade und Gewalt, so war doch alles vergeblich. Nicht einmal die Relation der Gesandten wollte man ihnen mittheilen, wenn sie sich nicht zuvor im Glauben einhellig bekennen würden. Protocoll der Versammlung Sonntag nach Katharinaͤ 1529 bei Strobel IV, 113. Und im Laufe dieser Verhandlungen war nun auch noch eine andre Frage von mehr politischer Natur zur Sprache gekommen. Als Luther seinen Herrn von dem Bunde mit den Oberländern abmahnte, hegte er noch die Hoffnung, daß ein Verständniß mit dem Kaiser möglich sey. Er faßte dabei die reformatorische Thätigkeit nur in ihrer allgemeinsten Bedeutung auf, in wie fern sie sich auf eine Be- freiung des weltlichen Standes von der Hoheit und dem An- spruch eines religiösen Vorzuges bezog, welchen die Geistlich- keit bisher gemacht hatte. Er stellte vor, wie unzählige von Jedermann gerügte Mißbräuche er gehoben, und doch dabei 12* Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . nach der andern Seite hin Wiedertaufe und Bildersturm rit- terlich bekämpft; hauptsächlich aber und ganz mit Recht rech- nete er sich als ein Verdienst an, daß er den Begriff von Obrig- keit und weltlicher Majestät wieder erweckt und zu allgemei- ner Anerkennung gebracht habe. Von dem Kaiser hatte er eine so hohe Meinung, daß er glaubte, es müsse ihm ein- leuchten, wenn man ihm vorstelle, daß in den evangelischen Ländern die Lehre des Christenthums reiner gepredigt werde, als seit tausend Jahren. Luther war von dem Begriffe des Reiches nicht viel minder durchdrungen, als von dem der Kirche — ich sage nicht von der momentanen Erscheinung desselben, sondern von seinem Inhalt und Wesen — und er fühlte eine ähnliche Pein, sich von demselben losreißen zu sollen. In der That sind hierauf Unterhandlungen zwischen dem Churfürsten und König Ferdinand angeknüpft worden. Bei Ferdinand gingen sie, wie er seinem Bruder mehr als einmal schreibt, hauptsächlich von der Besorgniß aus, daß etwa vor dessen Ankunft eine Bewegung der Protestanten erfolge, was ihm sehr verderblich hätte werden können; bei dem Churfürsten von der natürlichen Scheu, sich von dem Oberhaupte des Reiches zu trennen, die Luther noch besonders in ihm erweckt hatte. Dem Landgrafen kam die Sache zuweilen bedenklich vor. Er fragte einst sehr trotzig bei dem Churfürsten an, wessen er sich zu ihm zu versehen habe, wenn er angegriffen werden sollte. Rommel Urkundenbuch nr. 9. Aber allmählig mußte sich doch zeigen, wie wenig sich von diesen Unterhandlungen erwarten ließ. Es war klar, Reichsrechtliche Streitfrage . daß man nicht, wie der Churprinz bei jenem Entwurf des Bundes vorausgesetzt hatte, blos mit den Ständen zu thun haben werde. Schon in der Instruction des Churfürsten für seine Gesandtschaft nach Schwabach heißt es: die große Gefahr werde jetzt an der höchsten Stelle seyn. Da trat nun erst jene weitere Frage ein, ohne de- ren Beantwortung auch die im Glauben Gleichförmigen sich nur vergeblich verbanden, in wie fern es nemlich überhaupt erlaubt sey, dem Kaiser zu widerstehn. Mit Recht bemerkte Sachsen, daß wenn man sich nicht vor allen Dingen hierüber verstehe, jedes Bündniß nur zum Schein dienen, keine Zuversicht geben, keine Rettung mög- lich machen werde. War aber nicht der Kaiser die höchste Obrigkeit? Mußte man ihm nicht nach den Worten der Schrift, die man selbst so oft aufgerufen, in jedem Falle Gehorsam leisten? Keinesweges war dieß etwa vergessen. So eben ward die Frage auf das scrupulöseste untersucht. In Sachsen war man noch zur Zeit der schwabacher Zusammenkunft für das Recht des Widerstandes. Die Ju- risten stützten sich auf den Grundsatz des Rechtes, daß dem Bedrängten die Gegenwehr gestattet sey. Dann ward die Frage auch den Theologen vorgelegt, jedoch in Luthers und Melanchthons Abwesenheit, die sich eben in Marburg be- fanden. Bugenhagen, dem nun die Entscheidung oblag, kam den Juristen mit einem theologischen Grunde zu Hülfe. Er urtheilte, wenn eine Gewalt, die allerdings von Gott stamme, sich wider Gott auflehne, so könne sie nicht mehr als eine rechte Obrigkeit betrachtet werden. Instruction nach Schwabach bei Muͤller 282. Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Ganz eine andre Meinung aber stellte Luther auf, als er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtssprüchen, welche den Widerstand gut heißen, andere entgegenstehen, welche ihn verbieten; mit diesen aber stimme die Schrift überein. Wolle man sich gegen einen Fürsten auflehnen, der wider Gottes Wort handle, so werde man sich am Ende heraus- nehmen, nach eignem Ermessen alle Obrigkeit zu verwerfen. In demselben Sinne erklärten sich auch die Theologen von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein ebendahin zielendes Gutachten. Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden- den Gehorsam und vom Rechte des Widerstandes, welche hier einander entgegentraten. Man weiß, wie viel diese Lehren und zwar eben in ihrer Verbindung mit geistlichen Gesichtspunkten zur Ent- wickelung der politischen Theorien in Europa beigetragen ha- ben; sehr merkwürdig, daß sie so früh und zunächst in Deutschland zur Sprache kamen. Doch konnten sie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil- dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus- gegangen ist, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält- niß von Fürst und Unterthan. Diese konnte hier gar nicht erhoben werden. Hier bewegte sich die Differenz in an- dern Kreisen; es war ein Streit zwischen einer tiefer ge- stellten Regierung und einer höheren, zwischen den Reichs- fürsten und dem Kaiser. In Deutschland hatte die Frage mehr einen reichs- rechtlichen als einen allgemeinen staatsrechtlichen Inhalt. Sie lag eigentlich darin, ob die höchste Gewalt im Reiche monarchischer oder aristokratischer Natur sey. Reichsrechtliche Streitfrage . Luther, der im Kaiserthum eine Fortsetzung des alt- römischen sah, wie es in der Schrift vorkommt, hielt an dem Begriffe der Monarchie fest, welcher dort vorwaltet. Er verglich wohl das Verhältniß seines Churfürsten zum Kaiser mit dem Verhältniß eines Bürgermeisters in Torgau zum Churfürsten selbst. Brenz meinte, die Fürsten seyen so wenig berechtigt, gegen den Kaiser die Waffen zu ergreifen, wie einst die Bauern gegen Adel und Prälaten. Eben bei diesen Vergleichungen aber sprang ins Auge, wie wenig damit das Wesen der Sache bezeichnet wurde. Von der andern Seite machte man geltend, daß die Für- sten auch nicht einmal mit den römischen Landpflegern in der Schrift, geschweige denn mit Bürgermeistern oder gar Bauern zu vergleichen seyen; sie seyen dem Kaiser mit Be- dingung ihrer Freiheit und Rechte, mit Maaß und Be- schränkung, nach den ihnen verliehenen Gerechtsamen un- terworfen. Ueberdieß seyen auch sie Obrigkeit und ihre Pflicht das Evangelium zu beschützen. Einrede auf das gestellte Bedenken, als ob Kaiserlicher Ma- jestaͤt nicht moͤg Widerstand geschehen. Bei Hortleder II, II, 12. H. setzt es „etwan 1531,“ da es sich aber auf die Begegnung be- zieht, welche die juͤngste der protestirenden Rathbotschaft erfahren, so sollte ich glauben, es muͤßte Ende 1529 oder Anfang 1530 gesetzt werden. Auf dem Convente zu Nürnberg äußerte der sächsische Kanzler, aber unter der ausdrücklichen Verwahrung, daß er damit nur eine persönliche Meinung ausspreche, er sey allerdings von der Rechtmäßigkeit eines Widerstandes ge- gen den Kaiser überzeugt. Er führte die beiden erwähn- ten Gründe an: einmal, auch die Gewalt der andern Für- sten stamme von Gott; und sodann, wolle der Kaiser zur Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . Wiederannahme des Papstthums zwingen, so sey er mehr ein Feind und man dürfe es nicht dulden. Er fand jedoch damit wenig Beifall. Als er sich eines Tages in seine Kanzlei verfügte, trat ihn der nürn- bergische Stadtschreiber Spengler an, den wir doch als einen in Rechtsgeschäften sehr geübten Mann kennen, und beschuldigte ihn des Irrthums. Sie geriethen mit einan- der in lebhaften Wortwechsel, den sie der Umstehenden hal- ber die Besonnenheit hatten lateinisch zu führen. Wie Nürnberg so war auch Brandenburg gesinnt. Kanzler Vogler versicherte, sein Herr sey entschlossen, wenn der Kaiser ihn überziehe, sich nicht zu wehren, sondern al- les zu dulden was Gott ihm auflege. Diese Meinung behielt damals selbst in Sachsen den Platz. Luther erklärte, auch wenn der Kaiser seinen Eid übertrete, so bleibe er dennoch Kaiser, die von Gott ge- setzte Obrigkeit: wolle man ihm nicht mehr gehorchen, so müsse man ihn absetzen. Aber wohin könne es führen, wenn man ihn angreife. Man müßte ihn verjagen und sel- ber Kaiser werden, was denn Niemand dulden werde. Luther wußte keinen andern Rath, als wenn der Kai- ser erscheine, um Gewaltsamkeiten zu verüben, so dürfe ihn freilich kein Fürst dabei unterstützen, denn damit würde er selber gegen den Glauben sündigen; aber man dürfe sich auch nicht weigern, ihm das Land zu öffnen und ihn darin nach seinem Willen verfahren zu lassen. Er wiederholte, wenn der Kaiser ihn und die Andern fordere, so würden sie erscheinen; der Churfürst solle ihrethalben keine Sorge haben. Denn ein Jeder müsse auf seine Gefahr glauben. Haltung der Protestanten . Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erschüttern zu müssen geschienen. Es war ganz aufgelöst. Selbst die territoriale Verbindung schien gegen den Kaiser nicht schützen zu können. Wir sehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müs- sen glaubten. Man mag das tadeln wenn man will, wie es so oft getadelt worden ist. Politisch-klug war es nicht. Allein nie trat wohl die reine Gewissenhaftigkeit rück- sichtsloser, großartiger hervor. Man sieht den Feind gerüstet herannahen, man ver- nimmt sein Drohen, man täuscht sich nicht über seine Ab- sichten, man ist fast überzeugt, daß er das Aeußerste ver- suchen werde. Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erschüttern, an dessen Spitze man dem zur Weltherrschaft Aufstrebenden mächtig gegenübertre- ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verschmäht es. Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das sind Rücksichten, welche diese See- len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion. Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Interessen vereinigen; man will sich nicht zu Dingen, die man nicht übersehen kann, fortreißen lassen. Ferner aber, man will nur den Glauben, den man selber glaubt, vertheidigen; man würde zu sündigen fürch- ten, wenn man sich mit Denen verbände, welche, wenn Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel . auch nur in Einem, aber in einem wesentlichen Punkte abweichen. Endlich, man zweifelt an dem Rechte, dem Oberherrn zu widerstehn, die altherkömmlichen Ordnungen des Reiches zu verletzen. So nimmt man mitten in den wider einanderlaufen- den, getümmelvollen Interessen der Welt eine Haltung ein, die nur mit Gott und dem Gewissen berathen wird. So erwartet man die Gefahr. Denn Gott ist treu, sagt Lu- ther, und wird uns nicht lassen. Er führt den Spruch des Jesaias an, „wenn ihr still bliebet, so würde euch ge- holfen.“ Gewiß, klug ist das nicht, aber es ist groß. Siebentes Capitel . Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien. Wie die Beschlüsse, so waren denn auch die Erfolge der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durch- aus entgegengesetzt. Der erste führte die Evangelischen unter Gewährlei- stung des Reichs zu ihren großen Gründungen; der zweite, der ihnen diese Gewähr entzog, zersetzte sie zugleich unter- einander. Der Zwiespalt, der seit jenen Regensburger Satzun- gen begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen. Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir auch in Hinsicht der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegensatz zwischen den Folgen der beiden Reichs- tage zu bemerken glauben. Denn fast alle Zeit ist mit einer entsprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden innern Entwickelung auch eine glückliche Tendenz nach Außen verbunden. Das Haus Oestreich, das damals den Fortgang der Evangelischen guthieß, war dafür auch mit Hülfe der deut- schen Nation zur Herrschaft in Italien und in Ungarn er- Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . hoben worden. Es ließ sich nicht erwarten, daß nachdem dieses Haus eine so ganz andre Richtung eingeschlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zu Gute kommen würde. „Ich habe gehört,“ schrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeschlossen worden, an den Altam- meister zu Strasburg, „die Königl. Majestät habe um Pulver angesucht; mein Rath wäre, es ihr nicht zu be- willigen, da uns solch eine Schmach geschehen ist. Es wird gut seyn, daß wir unser Geld und unser Pulver selbst behalten, wir werden es selber brauchen.“ Samstag vor Jubilate 1529. Bei Jung Beil. nr. 37. Schon machte das Verfahren, das Umsichgreifen des Hauses Oestreich eine allgemeine Besorgniß rege; und man hatte keine Lust, es ernstlich zu unterstützen. Ein Beisitzer des Reichsregiments, Abgeordneter der sonst so gut kaiser- lich gesinnten Frankfurt, Hammann von Holzhusen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen sie nun lutherisch seyn oder nicht, nicht wissen was sie von Oestreich zu erwarten ha- ben; sie besorgen, die Hülfe welche sie leisten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. Speier 9. Oct. E. W. werden auch fleissik bedenken und ermessen die schwinnen (geschwinden) laͤuf und brattig (Practiken) so in etlich Jaren vorhanden gewest und noch sint, also, das alle Chff. und Fuͤrsten geistlich und weltlich, auch ander Praͤlaten Herrn und Staͤdt sie seyen lotters (lutherisch) wie man denn die nennen will oder nit, nit wol wissen moͤgen, wes sie sich versehen sollen und also das dieselbig Hilf, so gemelt mein gnst. und gn. Herrn, Chur und Fuͤrsten, auch andre Stende und Stet thun werden, dem hilligen Reich und Teutzer Nation und inen selber zu großen unuͤberwind- lichen Schaden und nachtail reichen und kommen moge. — Er traͤgt auf eine Versammlung der Staͤdte an: „von der und andern Sachen rede zu haben und zu beratschlagen, sich vorgleichen einer Meinung und was hierin zu thun sie und Antwort zu geben were.“ Osmanische Rechtglaͤubigkeit . Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensstreitigkeiten, in welche Ferdi- nand mit den Großen in Deutschland gerathen, die Un- möglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn vertheidige. Bei Katona XX, I, p. 634. Rex Ferdinandus propter dissensionem suam cum imperio et aliis magnatibus Alemanniae propter fidem, nullum habere potest populum. Und indem nun diese Stimmung herrschend wurde, erschien der mächtigste Feind, den das Reich seit vielen Jahrhunderten gehabt, Repräsentant einer andern, der christ- lichen entgegengesetzten Welt an den Pforten desselben. Eben in diesen Jahren trat in Constantinopel ein Ge- setzgelehrter, des Namens Katib, mit der Behauptung auf, dem Propheten Jesus komme der Vorrang zu vor dem Propheten Mohammed. Der Divan, vor dem dieser Neue- rer angeklagt wurde, versuchte vergebens ihn zu widerle- gen. Auch der Mufti, an welchen die Sache alsdann kam, widerlegte ihn nicht, hörte ihn aber in aller Form ab, und verurtheilte ihn zum Tode. Das Urtheil stimmte ganz mit der Meinung des Sultans überein. Ohne zu widerrufen erlitt Katib in Mitte der Mos- lems den Tod für den Namen Jesu. Denn Suleiman, der erste von den osmanischen Sul- tanen, der sich um Mecca bekümmert hat; — er ließ dort das heilige Haus der Kaaba, die Moschee der Chadidscha erneuern, Wasserleitungen bauen, Collegien einrichten — sah sich vor allen gern als den Stellvertreter des Prophe- ten an. „Ich, dessen Macht aufrecht erhalten wird durch die Gnade des Allmächtigen, durch die Segnungen des Größten seiner Propheten, durch den Schutz der vier ersten Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Begünstigten desselben, ich, Schatten Gottes über beide Welten.“ So bezeichnete er sich in einem Schreiben an den König von Frankreich. Darauf gründete er seine An- sprüche. „Weißt du nicht,“ sagte sein Schwiegersohn Mu- stapha 1528 zu Lasky, „daß unser Herr der nächste ist nach Allah, daß wie nur Eine Sonne am Himmel, so auch er der einzige Herr auf Erden ist?“ Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede ge- schlossen war, wo er erwarten konnte, die ganze Oppo- sition gegen Carl V in voller Thätigkeit zu finden, 4. Mai 1529, erhob sich Suleiman mit einem Heere, das man auf dritthalbhunderttausend Mann berechnet hat, zum heiligen Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands auseinander; dann stieg Johann Zapolya mit der kleinen Truppe, die sich um ihn gesammelt, von den Karpathen herunter; er hatte das Glück, auf die Ferdinandeischen Un- garn zu treffen, ehe sie sich mit den Deutschen vereinigt, und sie zu schlagen; auf dem Schlachtfelde von Mohacz kam er mit dem Sultan zusammen. Suleiman fragte ihn, wodurch er sich bewogen fühle zu ihm zu kommen, der Ver- schiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. „Der Padischah,“ antwortete Johann, „ist die Zuflucht der Welt und seine Diener sind unzählig, sowohl Moslems als Ungläubige.“ Von dem Papst und der Christenheit ausgestoßen, floh Za- polya unter den Schutz des Sultans. Eben dieses Be- dürfniß momentanen Schutzes war es von jeher gewesen, was das osmanische Reich groß gemacht hatte. In Ungarn fand Suleiman dieß Mal so gut wie gar Suleiman in Ungarn . keinen Widerstand. Die östreichische Regierung wagte nicht die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünstigen Stim- mung des Landes fürchtete sie einen Aufruhr zu veranlas- sen. Aber eben so wenig hatte sie auch eigene Kräfte um das Land zu vertheidigen. Dem Befehlshaber der Flotte, welcher seinen Leuten 40,000 G. zahlen sollte, konnten nach langer Mühe nicht mehr als 800 G. übersendet werden. Man hatte die Mittel nicht, um die Festungen ordentlich zu besetzen. Der Wesir Suleimans lachte über die abendländischen Fürsten, welche, wenn sie einen Krieg zu führen hätten, das nöthige Geld erst von armen Bauern erpressen müß- ten; er zeigte auf die sieben Thürme, wo seinem Herrn Gold und Silber in Fülle liege, während sein Wort hin- reiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu stellen. Man darf sich wohl so sehr nicht verwundern, wenn unter diesen Umständen die starke Partei, die sich zu Za- polya hielt, das volle Uebergewicht bekam. Wetteifernd eilten die Magnaten, die ungrischen Begs, wie Solimans Tagebuch sie nennt, in dessen Lager, um ihm die Hand zu küssen. Peter Pereny wollte wenigstens die heilige Krone für Oestreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Ver- wandter Zapolya’s, der Bischof von Fünfkirchen, nahm ihn mit allen seinen Kleinodien gefangen und brachte sie ins osmanische Lager. Zermegh Historia rerum inter Johannem et Ferdinandum gestarum bei Schwandner II, lib. I, § 12. Wer kennt nicht die ungemeine Ver- ehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die sie ei- ner unmittelbar göttlichen Sendung zuschreiben, bei deren Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter in die Scheide zurückgekehrt waren. Nicht stärker, sagt Rewa, zieht den Magnet das Eisen an, als die Krone die Verehrung der Ungarn; sie halten für ihre Pflicht, ohne Rücksicht auf Kosten und Gefahr, sie allenthalben schützend zu begleiten. Rewa de sacra corona regni Hungariae bei Schwandner II, 456. Vgl. Tuberonis Commentarii ibid. 113, 114. Die Türken verstanden, sie werde hergelei- tet von Nuschirwan dem Gerechten. Und dieß Palladium nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer Nationalität und ihres Reiches sahen, befand sich jetzt in dem Lager Solimans, ward auf dessen Zuge mitgeführt. Bei diesem allgemeinen Abfall konnte man in der That nicht darauf rechnen, daß die deutschen Besatzungen, die es in einigen festen Plätzen gab, dieselben zu behaupten ver- mögen würden. In Ofen standen ungefähr 700 vor kur- zem angeworbene Landsknechte unter dem Oberst Besserer. Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt ge- nommen und die Burg vom St. Gerhardsberg her, den sie beherrschte, fast in Grund geschossen war, verzweifelten sie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes be- stehen zu können, und hielten sich für berechtigt, auf ihre Rettung zu denken; sie nöthigten ihren Anführer, zu capi- tuliren. Sie wußten jedoch nicht, mit wem sie zu thun hatten. Ibrahim Pascha versprach ihnen auf das feierlichste freien Abzug: noch in den Thoren von Ofen wurden sie sämmtlich niedergehauen. Die etwas dramatisch ausgeschmuͤckten Klagen des Ursinus Velius, ( lib. VI ), daß die Landsknechte die alte deutsche Tapferkeit hier vergessen, welche in neuere Geschichtsbuͤcher uͤbergegangen, ver- Suleiman in Deutschland . Und von da wälzte sich nun ohne weitern Widerstand das barbarische Heer nach den deutschen Grenzen, nach ei- nem Lande, sagen die osmanischen Geschichtschreiber, das noch nie von den Hufen moslimischer Rosse geschlagen worden. Da traf die orientalische Weltmacht, die über zertrüm- merten, in den unentwickelten Anfängen oder dem schon wieder halbbarbarisirten Absterben der Cultur begriffenen Rei- chen errichtet worden, zuerst mit den Kernlanden des occiden- talischen Lebens, in denen die ununterbrochene Continua- tion des Fortschrittes des allgemeinen Geistes ihren Sitz genommen und in vollen Trieben war, zusammen. Die Osmanen empfanden doch einen Unterschied als sie unser Vaterland berührten. Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, — denn ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als derselbe Unglaube, — als ein waldiges Reich, schwer zu durch- ziehen; aber sie bemerken doch, daß es von den Fackeln des Unglaubens ganz besonders erleuchtet, von einem streit- baren Volke unter grausamen Fahnen bewohnt, allenthal- schwinden, wenn wir einfachere Berichte jener Zeit zur Hand nehmen, z. B. den des Pagenhofmeisters bei Schardius III, 238. „Arx ad voluptatem magis, quam vim instructa erat etc.“ oder bei Sebast. Frank; (wohl identisch mit einem der damals herausgekommenen flie- genden Blaͤtter) p. CCLVI: das Schloß sey mit vier Faͤhnlein besetzt gewesen, „die nitt so vil man oder einzelich personen vermoch- „ten, als der Tuͤrk tausend; noch hat er eilf gewaltiger stuͤrm davon „verloren, daß er meynet es weren eitel Teufel im Schloß. — Wo „die nit gewest,“ fuͤgt Pessel hinzu, „wer vielleicht die Stat Wien „uͤbereilet worden.“ Achthundert frummer deutscher Knecht, die hiel- ten sich redlich und recht; sagt das Lied bei Soltau p. 337. Ranke d. Gesch. III. 13 Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . ben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beschützt sey; es macht auf sie Eindruck, daß sie, so wie sie die Grenze überschritten haben, alles in Ueberfluß finden, des- sen das tägliche Leben bedarf. Ssoloksade bei Hammer: Wiens erste tuͤrkische Belagerung p. 101. Vgl. das Tagebuch Suleimans 22. Septemb, Osm. Gesch. III, 650. Sie nehmen wahr, daß sie ein von den Elementen der Cultur durchdrungenes, in sei- nen Wohnsitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöses Volk vor sich haben. Ibrahim erzählte ein Jahr später östreichischen Ge- sandten, dem Sultan sey von ihrer Seite angesagt worden, er möge nicht vorrücken: schon halte ihr Herr, Ferdinand, das Schwert in der Rechten, um ihn zu empfangen. Diese Drohung aber habe den Sultan erst recht angefeuert, den- selben zu suchen. Er habe ihn in Ofen zu finden gedacht, wo ein König von Ungarn seinen Sitz haben sollte, jedoch vergebens. Er sey weiter gerückt an die östreichische Grenze, da, habe er gemeint, werde Ferdinand seiner warten; man habe dem anrückenden Sultan aber vielmehr die Schlüssel von Bruck entgegengetragen. So sey er bis nach Wien gelangt, aber auch auch da habe er weder Ferdinand noch sein Heer getroffen; er habe vernehmen müssen, derselbe sey nach Linz oder nach Prag geflüchtet. Als er nun Wien ge- sehen, — so schön gelegen zwischen Weingärten und Bergen, und doch in der Mitte einer fruchtbaren Ebene, — habe er gesagt, hier wolle er ausruhn, das sey ein Ort, würdig eines Kaisers; er habe seinen Schoos ausgebreitet, d. i. seine leichten Truppen nach allen Seiten hin ausgehn las- Suleiman in Deutschland . sen, um anzuzeigen, der wahre Kaiser sey gekommen in sei- ner Macht. Lamberg und Jurischitsch bei Gevay 1830 p. 36. Lateinisch, zwar uͤbereinstimmend aber doch eigenthuͤmlich p. 80. So stellt auch Suleiman selbst in einem Schreiben an Venedig das Ereigniß vor. Er erzählt, wie er Ofen ge- wonnen, Ungarn an sich gebracht, dieses Reich dem Kö- nig Johann gegeben habe, wie die alte Krone in seine Hand gefallen sey. „Aber mein Vorsatz war nicht, diese Dinge zu suchen, sondern mit König Ferdinand zusammenzutref- fen.“ Copia della lettera del Sultan Solimano. Belgr. 9 Nov. bei Hammer Belagerung p. 77. Den ersten deutschen Gefangenen, die vor ihn ge- bracht wurden, sagte er, er werde Ferdinand aufsuchen und wenn derselbe mitten in Deutschland wäre. Am 26. September langte er vor Wien an und schlug daselbst sein Lager auf. Vom Stephansthurme aus sah man ein paar Meilen über Berg und Thal nichts als Zelte, und auf dem Flusse die Segel der türkischen Donauflotte. Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Haupt- gezelt Suleimans stand, dessen innere Pracht die goldenen Knäufe verriethen, mit denen es auswendig geschmückt war. Er lagerte wie er gezogen war. Ihn zunächst umgaben die Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte sich das anatolische Heer unter seinem Beglerbeg aus; vor ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäischen Si- pahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandschaks von Mostar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegs- heer ist, so repräsentirt das Lager selbst in seiner Anord- nung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch 13* Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . immer wetteiferten „sich mit dem Halsbande der Unterthä- nigkeit zu schmücken,“ in diesem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das westliche Asien und das östliche Europa, wie sie unter dem Einfluß des erobernden Islam sich gestaltet hatten und gestalteten; jetzt machten sie einen er- sten Versuch auf das Herz des christlichen Europa’s. Die leichten Truppen suchten höher an der Donau hinauf die fa- belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze der phantastischen Welt der orientalischen Mythe. Das Lastthier der arabischen Wüste ward mit Mundvorrath und Munition an die Mauern einer deutschen Stadt herange- trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele. Mit orientalischem Pomp feiert man das Andenken der vor Wien Gefallenen; vom Iskendertschausch Farfara heißt es in der Geschichte Potschewi’s, er habe hier bei der An- kunft den Becher des islamitischen Martyrthums getrun- ken, und der Welt vergessen. Denn einen heiligen Krieg „gegen die staubgleichen Ungläubigen“ glaubte man zu füh- ren. Im Angesicht der vornehmsten Burg der letzten deut- schen Kaiser erscholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müsse, wie nur Ein Gott im Himmel sey, und Soliman ließ sich verneh- men, der Herr wolle er seyn; er werde sein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Christenheit mit seinem Säbel bezwungen. Man erzählte sich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abwesenheit von Constantinopel, um diesen Plan auszuführen. So stumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht die Größe dieser Gefahr zu fühlen. Entwuͤrfe des Widerstandes . Es erlebte einen ähnlichen Moment, wie damals, als die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert hatten, nach Frankreich vordrangen, oder damals, als die mongolische Weltmacht, nachdem sie den Nordosten und Südosten von Europa überfluthet, zugleich an der Donau und an der Oder das christliche Germanien angriff. In die Augen sprang, daß Europa jetzt bei weitem stär- ker war; es wußte sehr gut, daß es die Kraft besaß, „diese Teufel,“ wie man sich ausdrückte, „aus Griechenland zu ver- jagen;“ aber es konnte sich nicht dazu vereinigen. Wir haben ein Schreiben des Königs Franz aus die- sen Tagen, worin er erklärt, die Absicht, die er immer ge- hegt, seine Kräfte und seine Person gegen die Türken zu verwenden, wolle er jetzt ins Werk setzen; er hoffe auch seinen Bruder, den König von England dazu zu bewegen; er denke dann 60,000 Mann ins Feld zu stellen, eine Macht, die wahrhaftig nicht zu verachten sey. Er drückt sich so lebhaft aus, als wäre es ihm wahrer Ernst damit, doch fügt er eine Bedingung hinzu, die alles wieder ver- nichtet. Er meint, der Kaiser müsse ihm dafür von den beiden Millionen, die er ihm kraft des Tractats zu bezah- len habe, die eine erlassen. Lettres de Gilles de Pommeraye, MS Bethune 8619. En cas, que led. empereur pour m’ayder à souldoyer les gens que je menerois en ma compaignie, me voulut sur lesd. 2 Millions d’escus en rabattre ung million, je me faisois fort etc. etc. Wie wäre das jemals zu er- warten gewesen. Auch auf der kaiserlichen Seite, wo man noch drin- gendern Anlaß dazu hatte, und es unerträglich fand, daß alles Land dem Sultan zufalle, das er nur durchziehen Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . wolle, dachte man auf Mittel, um die gesammte Christen- heit in die Waffen zu bringen. Und sehr merkwürdig ist wor- auf man hier verfiel. Der leitende Minister in den Nie- derlanden, Hoogstraten, eröffnete sich einst darüber dem fran- zösischen Gesandten. Er meinte, der wahre Weg, den Türken zu widerstehn, sey, daß man den Papst zu einer allgemeinen Säcularisation bewege. Ein Drittel der geist- lichen Güter, an den Meistbietenden verkauft, werde hinrei- chen um ein Heer ins Feld zu bringen, das die Türken zu verjagen und Griechenland wieder zu erobern vermöge. Que ces deux princes conduississent le pape jusques à ce point que 1° il se contente de ce, qu’il a 2° qu’il permette qu’à l’eglise des six mille duc. de rente on preigne les deux uni. versellement par toute la Chretienté; les quelles seront vendus au plus offront et avec l’argent que les princes fourniront (denn etwas sollen sie doch thun) sera suffisant pour deloger ce diable de la Grèce qui seroit grandement accroistre l’eglise d’y adjoin- dre un tel pays que celui là. Lettre de Pommeraye 17. Spt. Man braucht nur diese Vorschläge ins Auge zu fassen, um einzusehn, wie unmöglich es war sie auszuführen, eine Unternehmung zu bewerkstelligen, die an Bedingungen so weitaussehender Art geknüpft wurde. Wollte Deutschland sich vertheidigen, sv war es ohne Zweifel lediglich auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Aber standen die Dinge nicht auch hier sehr zweifelhaft? Gab es nicht in der That Leute, welche das Mißvergnügen mit der bestehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, sich eine türkische Herrschaft zu wünschen? Hatte nicht Luther einst selbst gesagt, es stehe dem Christen nicht zu, sich den Türken zu widersetzen, die er vielmehr als eine Ruthe Gottes ansehn müsse? Es ist das einer jener Sätze, welche die päpstliche Meinung Luthers . Bulle verurtheilt. Der Reichstag von Speier hatte so eben eine Wendung genommen, durch die sich alle An- hänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet fühlten. Es war ihnen wie berührt sehr bedenklich, daß sie dem Oberhaupt jener Majorität, welche sie von sich stieß, dem König Ferdinand, Hülfe leisten sollten. Was nun Luther anbetrifft, so ist ganz wahr, daß er jene Meinung geäußert hat, allein er redet da nur von den Christen als solchen, von dem religiösen Prinzip an und für sich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums erscheint. Jenes frommthuende Geschrei, welches um der christlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Tür- ken anreizte und dann die Beiträge der Gläubigen zu fremd- artigen Zwecken verwandte, hatte seinen Widerwillen er- weckt. Er sagte sich überhaupt los von dem kriegerischen Christenthum; er wollte die religiöse Gesinnung nicht so un- mittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War aber nun von einer wirklichen Gefahr und von den An- strengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, so erklärte er desto entschiedener, daß man sich mit allem Ernst den Türken entgegenstellen müsse. „Darum sol man auch das reizen und hetzen lassen anstehen, da man den Kaiser und Fuͤrsten bisher gereizt hat, zum Streit wi- der die Tuͤrken, als das Haupt der Christenheit, als den Beschirmer der Kirchen, und Beschuͤtzer des Glaubens, daß er sol des Tuͤrken Glauben ausrotten.“ — Vom Kriege wider die Tuͤrken. Erschienen gegen Ostern 1529. Altenb. IV, 525 Dazu sey das Reich dem Kaiser anvertraut, er und die Fürsten würden sonst schuldig seyn an dem Blute ihrer Unterthanen, das Gott von ihnen fordern werde. Es kommt ihm sonderbar vor, daß man sich in Speier wieder so viel darum bekümmert hat, ob Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Jemand in den Fasten Fleisch esse, ob eine Nonne sich verheirathe, und indeß den Türken vorrücken, Länder und Städte, so viel er wolle erobern läßt. Er fordert die Für- sten auf, das Panier des Kaisers nicht mehr für ein blo- ßes seidenes Tuch anzusehn, sondern demselben pflichtgemäß in das Feld zu folgen. Er nimmt sich die Mühe, zur Be- kehrung Derjenigen, welche die Regierung der Türken wün- schen möchten, die Gräuel aufzuzählen, die der Koran enthalte. Die Uebrigen ermahnt er, in des Kaisers Na- men getrost auszuziehen; wer in diesem Gehorsam sterbt, dessen Tod werde Gott wohlgefällig seyn. Denn es ist wohl erlaubt, in dieser großen Gefahr der deutschen Nation auch den Mann reden zu lassen, wel- cher damals in derselben am meisten gehört ward. Die Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geist, der die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu scheiden un- ternahm, in aller seiner durchgreifenden Schärfe. Und so viel wenigstens bewirkte er, daß die Protesti- renden, obwohl sie die Furcht hegten, von der Majorität mit Krieg überzogen zu werden und in den Reichsschluß nicht gewilligt hatten, doch so gut wie die andern ihre Hülfe ausrüsteten. Auch Churfürst Johann stellte ein paar tausend Mann unter der Anführung seines Sohnes ins Feld. Spalatin Vita Johannis Electoris bei Menken II, 1117. Von allen Seiten zog die eilende Hülfe dem Feldhaupt- mann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indeß zu Linz bei König Ferdinand angelangt war. Hubert Thomas Leodius de vita Friderici p. 119, woͤrt- lich abgeschrieben in Melchior Soiter de Vinda Bellum Pannonicum lib. I, bei Schardius III, p. 250. Belagerung von Wien . Zunächst kam es jedoch noch darauf an, wie die Be- satzung in Wien sich halten würde, die sich so plötzlich von Suleiman eingeschlossen gesehn. Denn daran fehlte viel, daß die deutschen Mannschaf- ten so stark gewesen wären, namentlich in dem ersten Schrecken und Getümmel, um einen Entsatz zu versuchen. Bleiben wir einen Augenblick bei dieser Belagerung stehen, welche damals die Aufmerksamkeit der Welt fesselte und der in der That eine hohe Bedeutung beiwohnt. Wenn Suleiman Wien erobert hätte, würde er es auf eine Weise zu befestigen gewußt haben, daß man es ihm nicht so leicht wieder hätte entreißen können. Welch eine Station wäre das für ihn geworden, um die gesammten Gebiete der mitt- leren Donau in Athem zu halten. Man dürfte aber nicht glauben, daß Wien sehr fest gewesen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ring- mauer umgeben, noch ohne alle alle Vorkehrungen der neue- ren Befestigungskunst; selbst ohne Basteien, auf denen man Geschütz hätte aufpflanzen können, um ein feindliches Lager zu beschießen. Die Gräben waren ohne Wasser. Die Feld- hauptmannschaft von Niederöstreich hatte anfangs gezwei- felt, ob sie „den weitschichtigen unverbauten Flecken“ werde behaupten können; sie hatte einen Augenblick den Gedan- ken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten, um sich im Nothfall auf die frischen Truppen zurückziehen zu können, welche der Pfalzgraf und der König zusammen- zubringen beschäftigt waren: am Ende aber hatte sie doch gefunden, daß sie ihre alte Hauptstadt nicht aufgeben dürfe, und sich entschlossen, die Vorstädte zu verbrennen, die in- nere Stadt zu halten. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Waren aber die Befestigungen untüchtig, so kam da- gegen die Liebhaberei Maximilians für das Geschützwesen jetzt nach seinem Tode seiner Hauptstadt zu Gute. Auf allen Thürmen an den Thoren, auf den Häusern an den Mauern, von denen man die Schindeln abgerissen, unter den Dächern, ja in den Schlafhäusern der Klöster, wie sich versteht in der Burg und hinter den Schießlöchern, die man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonete, Halb- schlangen, Carthaunen, Mörser, Singerinnen, den Anlauf des Feindes. Die Besatzung bestand aus 5 Regimentern: vier deut- schen, von denen zwei auf Kosten des Reiches, zwei von Ferdinand selbst angeworben waren, und einem böhmischen. Die Reichstruppen, unter dem Pfalzgrafen Philipp, dem Stellvertreter Friedrichs, besetzten die Mauer vom rothen Thurm bis gegen das Kärnthnerthor, von da dehnten sich die königlichen Haufen unter Eck von Reischach und Leonhard von Fels gegen das Schottenthor hin aus. Es waren Leute von allen deutschen Landesarten, viele nahm- hafte Oestreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meiß- ner, Hamburger, besonders Franken und Schwaben; wir finden Hauptleute von Memmingen, Nürnberg, Anspach, Bamberg, einen Wachtmeister von Gelnhausen; der Schult- heiß über den ganzen Haufen war aus dem frundsbergi- schen Mindelheim, der oberste Profoß von Ingolstadt. Vom Schottenthor bis zum rothen Thurm standen die Böhmen. Auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei vertheilt, unter den trefflichen Hauptleuten, Niclaus von Salm, Wil- helm von Rogendorf, Hans Katzianer. Es mochten 16 bis 17000 Mann seyn. Belagerung von Wien . Ob nun aber diese Mannschaft den an Zahl so un- endlich überlegenen Feind zu bestehen vermögen würde, war doch sehr zweifelhaft. Suleiman ließ der Besatzung ankündigen, wolle sie ihm die Stadt übergeben, so verspreche er weder selbst hinein- zukommen, noch sein Volk hineinzulassen, sondern er werde dann weiter vorrücken und den König suchen. Wo aber nicht, so wisse er doch, daß er am dritten Tage (am Mi- chaelisfest) sein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verschonen. In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort der Besatzung sey gewesen, er möge nur zum Mahle kom- men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an- richten. Doch ist das nicht so ganz wahr. Man hatte nicht Unbenommenheit des Geistes genug, um eine so kecke Antwort zu geben. Die Antwort, sagt ein authentischer Be- richt der Befehlshaber, ist uns in der Feder stecken geblie- ben. Man rüstete sich alles Ernstes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man siegen werde; man sah die ganze Gefahr ein, in der man sich be- fand, aber man war entschlossen sie zu bestehen. Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein officieller Bericht, wie die Nachschrift und die ganze Fassung zeigt, schon am 19. October verfaßt. Und so mußte sich denn Suleiman anschicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern. Zuerst stellten sich die Janitscharen mit ihren Halb- hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer- störten Vorstädte auf: sie schossen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenschützen gesellte sich ihnen zu; es hätte Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . sich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken lassen. Sie beherrschten den ganzen Umkreis derselben; die Gie- bel der benachbarten Häuser waren mit Pfeilen wie bepflanzt. Unter dem Dunst und Hall dieses Schießens bereite- ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An- griff vor. — Welches auch die Meister gewesen seyn mö- gen, von denen sie ursprünglich darin unterwiesen wor- den sind, Armenier oder andere, eine Hauptstärke ihrer damaligen Belagerungskunst bestand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. Spaͤter hat sich Marsigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah- ren der Tuͤrken hiebei zu erforschen. Vgl. Stato militare degli Ot- tomanni II, c. XI, p 37. Das Corps der Lagumdschi, Minengraͤber, war belehnt nicht besoldet und um so mehr in Ehren. Hammer Staatsverfassung der Osm. II, 233. Die Abend- länder erstaunten, wenn sie dieselben später einmal ansich- tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemessene, weite Höhlungen; zugleich darauf berechnet, daß das stürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Diese Kunst — denn eigent- liches Belagerungsgeschütz führten sie nur wenig bei sich — wendeten sie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen sie auf ein Volk, das sich ebenfalls auf unterirdische Arbeiten verstand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor- haben des Feindes; Wasserbecken und Trommeln wurden aufgestellt, um die geringste Erschütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauschte in allen Kellern und unterirdischen Gemächern — es sind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange — und grub ihnen dann entge- gen. Es begann gleichsam ein Krieg unter der Erde. Belagerung von Wien . Schon am 2. October ward eine halbvollendete Mine des Feindes gefunden und zerstört. Bald darauf ward eine an- dere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man schon anfing sie mit Pulver zu füllen. Die Minirer ka- men einander zuweilen so nahe, daß eine Partei die andre arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer andern Richtung bei Seite. Um den Kärnthner Thurm auf alle Fälle zu sichern, hielten die Deutschen für nothwendig, ihn mit einem Graben von hinreichender Tiefe zu umgeben. Natürlich aber war das nicht allenthalben möglich. Am 9. October gelang es den Türken wirklich, einen nicht unbedeutenden Theil der Mauer zwischen dem Kärnth- ner Thor und der Burg zu sprengen; in demselben Mo- ment traten sie unter wildem Schlachtruf den Sturm an. Allein schon war man auch hierauf vorbereitet. Eck von Reischach, der bei der Vertheidigung von Pavia ge- lernt, wie man stürmenden Feinden begegnen müsse, hatte die Leute unterwiesen, mit welchem Geschrei und Anlauf der Sturm geschehe, und wie man ihm zu begegnen habe. Diese jungen Landsknechte, von denen uns ein Be- richt versichert, daß Reischachs Anweisung ihnen „ein tapfer männlich Herz“ gemacht, standen in der That vortreff- lich. Mit einem furchtbaren Her erwiederten sie das os- manische Schlachtgeschrei. Hallbarden, Handröhre und Kanonen unterstützten einander mit dem glücklichsten Er- folg. „Die Kugeln der Karthaunen und Flinten,“ sagt Dschelalsade, „flogen wie die Schwärme kleiner Vögel durch die Luft; es war ein Festgelage, bei dem die Genien des Todes die Gläser credenzten.“ Die deutschen Berichte Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . rühmen besonders die Tapferkeit, die der alte Salm, Ver- walter der niederöstreichischen Feldhauptmannschaft, in die- ser heißen Stunde bewies. Besonders in dem Tagebuche bei Anton p. 34, uͤber Rei- schach p. 32 beim 4. October. Die Osmanen erlitten so mör- derische Verluste, daß sie sich zurückziehen mußten. Die niedergeworfene Mauer ward auf der Stelle so gut wie möglich hergestellt. Was aber hier nicht gelungen, versuchte der Feind gleich darauf an der andern Seite des Kärnthnerthurms. Nach manchem falschen Lärm sprengte er am 11. Octo- ber einen guten Theil der Mauer gegen das Stubenthor hin, und erneuerte unverzüglich seinen Sturm. Dießmal waren die Colonnen dichter formirt; zu den Asafen und Janitscharen hatten sich Sipahi von Janina und Awlona, albanesischer Herkunft gesellt; mit ihren krummen Schwer- tern und kleinen Schilden drangen sie, dem Haufen voran, über die gefallenen Mauern daher. Allein hier stellte sich ihnen Eck von Reischach mit vier Fähnlein muthiger Lands- knechte selber in den Weg. Zur Seite hatte er, wie einst in Pavia, geübte spanische Schützen; S. besonders den ersten venezianischen Bericht bei Hammer p. 158; er nennt Rogendorf, Erich de Rays et alcuni nobili con 4 bandiere de fanti insieme cum li Spagnoli. auch der Feldmarschall Wilhelm von Rogendorf war zugegen. Dieß Mal kam es zum ernstlichen Handgemenge. Man sah die langen Schlacht- schwerter der Deutschen, die sie mit beiden Händen führ- ten, sich messen mit dem Türkensäbel. Ein türkischer Ge- schichtschreiber redet von ihrer feuerregnenden Wirkung. Dreimal erneuerten die Osmanen ihren Anlauf. Jovius, Belagerung von Wien . der so viele Schlachten beschrieben hat, bemerkt doch, daß man in diesem Jahrhundert kaum jemals ernstlicher an ein- ander gerathen sey. Jovius 28, 69 folgt uͤberhaupt eigenthuͤmliche Relationen. Die Erwaͤhnung des Grafen von Oettingen beweist, daß er vom 11. October redet. Aber alle Anstrengungen der Osmanen waren vergebens, sie erlitten noch bei weitem stärkere Ver- luste als das erste Mal. Und damit war nun eigentlich ihr guter Muth er- schöpft. Am 12. October ward abermal ein Theil der Mauer gefällt, aber als sie dahinter die Deutschen und Spanier mit aufgereckten Fähnlein erblickten, wagten sie sich nicht ernstlich heran. Schon regte sich bei den Osmanen die Meinung, in Gottes des Allmächtigen Rathschluß sey für dieß Mal die Er- oberung von Wien dem Islam nicht bestimmt. Die Nächte wurden bereits ungewöhnlich kalt; am Morgen sah man die Berge mit Reif bedeckt; „Pomis uvisque immaturis vescebantur: equi strictis ar- borum frondibus et vitium pampinis tolerabantur.“ Vrsinus Velius. mit Besorgniß dachte Je- dermann an die Länge und Gefahr des Rückwegs, denn zu jener dreijährigen Abwesenheit war doch in der That nichts vorbereitet. Dazu kam, daß sich Nachrichten von einem nahen Entsatz vernehmen ließen. Ein erbländisches Heer sammelte sich in Mähren; in den Bezirken des schwäbischen Bundes ward eifrig gerüstet, wie denn Schärtlin von Bur- tenbach berichtet, was für treffliche Leute er in Würtem- berg zusammengebracht; Pfalzgraf Friedrich, der ganz in der Nähe geblieben, nahm eine drohendere Haltung an. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Schon lernten die Bauern den streifenden Reitern Wider- stand leisten. Suleiman entging es nicht, in welche ge- fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im feindlichen Lande, ohne feste Plätze, in der schlechten Jah- reszeit von einem Feinde angegriffen würde, dessen Tapfer- keit er so eben kennen gelernt. Er beschloß noch einen letz- ten Versuch auf Wien zu machen, und wenn derselbe miß- linge, sofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit- tagsstunde versammelte sich ein guter Theil des Heeres im An- gesicht der Mauern; Tschausche riefen Belohnungen aus, Mi- nen sprangen, Breschen öffneten sich, und das Zeichen zum Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen mehr, sie mußten fast mit Gewalt herbeigetrieben werden, wo sie dann unter das Feuer des Geschützes geriethen, und ganze Haufen erlagen, ehe sie nur den Feind erblickt hat- ten. Gegen Abend sah man eine Schaar aus den Wein- gärten hervorkommen, aber sich auf der Stelle wieder zu- rückziehn. Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, sagt der of- ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten Laune eines siegenden Kriegsmannes abgefaßt ist. Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana- tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der Sultan selbst auf; auch die Janitscharen zündeten ihr La- ger in den Vorstädten an und eilten ihren Herrn zu beglei- ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Rest der europäischen Truppen nach. Es war das erste Mal, daß dem siegreichen Sultan Ruͤckzug der Osmanen . ein Unternehmen so ganz gescheitert war. Er konnte inne werden, daß er nicht so geradezu, wie seine Dichter rühm- ten, das Gold im Schachte der Welt, die Seele im Wel- tenleibe sey, Baki’s Kasside uͤbers. v. Hammer p. 7. daß es außer ihm gewaltige und unbezwing- liche Kräfte gab, die ihm noch zu schaffen machen sollten. Zunächst aber konnte er sich wohl trösten. Er hatte Ungarn den Deutschen entwunden. Aus den Händen os- manischer Beamten empfing Johann Zapolya die heilige Krone. Obwohl er König hieß, so war er doch in der That nichts anders, als ein Verweser des Sultans. Es hätte wohl scheinen sollen, als würde Ferdinand die Unordnung dieses Abzugs, und das zum Entsatz von Wien gesammelte Heer zur Wiedereroberung des Reiches benutzen können; auch fielen die Grenzplätze, Altenburg, Trentschin in seine Hände; aber gleich das Schloß Gran behauptete sich; Ofen zu erobern, waren die dagegen her- anrückenden Truppen viel zu schwach. Vrsinus Velius lib. VIII. Der Grund des Mißlingens liegt am Tage: es fehlte dem König auch jetzt an allem Gelde. Er hätte wenigstens 20,000 Gulden ge- braucht, um die Truppen in Bewegung zu setzen; er konnte endlich nicht mehr als 1400 Gulden aufbringen, und selbst so viel nur in schlechten Münzsorten, wozu er noch für ein paar Tausend Gulden Tuch hinzufügte. Alles war mißvergnügt. Der Tyrolische Haufe, den man auf das dringendste er- suchte, an jener Unternehmung Theil zu nehmen, hatte es in voller Gemeinde abgeschlagen; die Leute erklärten geradezu, sie hätten keine Lust ferner zu dienen. Instruction der Kriegscommissarien zu Presburg fuͤr Graf Als Suleiman Ranke d. Gesch. III. 14 Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . von Wien abzog, hatte er die Janitscharen für ihre An- strengungen, so erfolglos sie auch gewesen waren, mit ei- nem reichen Geschenk belohnt; den Landsknechten dagegen, welche die Stadt so wacker und glücklich vertheidigt, konnte man den Sturmsold nicht zahlen, auf den sie wohl ein ge- wisses Recht besaßen, und es entstand ein wilder Aufruhr unter ihnen. Das war überhaupt das Verhältniß. Sehr bald behielten die Gegner in Ungarn das Uebergewicht. In den oberen Landstrichen finden wir schon namhafte deutsche Hauptleute, namentlich jenen Nickel Minkwitz, der dem Churfürsten von Brandenburg so viel zu schaffen machte, in den Diensten Zapolya’s; von Kesmark aus durchzog er das Land; es gelang ihm Leutschau in Brand zu stecken. Sperfogel und das Tagebuch des Pfarrers Moller zu Leut- schau, dessen eigene volle Scheunen angezuͤndet wurden bei Katona XX, I, p. 540, 546. Minkwitz heißt hier Nicolaus Mynkowitz: er ging bald darauf von Kesmark nach Ofen. Indessen brachen die Türken von Bosnien her in den Gren- zen ein: auch Croatien war in Gefahr, in ihre Hand zu fallen. Ja selbst auf die entlegenen Landschaften dehnte dieß Mißgeschick seine Rückwirkung aus. In Böhmen gab es unter den Vornehmsten des Reiches warme Anhänger Zapolya’s. Als Ferdinand Ende Januar 1530 nach Prag ging, war er überzeugt, daß er Alle, die an der Regierung von Böhmen Antheil nahmen, entfernen müsse, wenn er Herr im Lande bleiben wolle. Schreiben Ferdinands an Carl 21. Januar 1530 bei Ge- vay p. 68. Entre tant, que ils ont le gouvernement, je ne sa- roie avoir obeisance ne poroie meintenir la justice — — In der That, es war für ihn dringend nothwendig, daß sein Bruder in Deutschland er- Niclas zu Salm d. juͤngern, kais. Rath und Caͤmmerer an Koͤnig Ferdinand bei Hormayr Taschenbuch auf 1840 p. 506. Carl V in Italien . schien, um seiner schwankenden erschütterten Macht einen neuen Rückhalt zu geben. Während dieser ganzen Zeit war Carl V in Italien. Er hatte so viel wir sehen anfangs gehofft, die dortigen Geschäfte rasch beendigen und seinen Bruder noch gegen den Anfall Suleimans vertheidigen zu können; er stieß aber auf Schwierigkeiten, die eine bei weitem längere Zeit seine ganze Thätigkeit beschäftigen sollten. So viele Siege er auch erfochten, so wäre man in Italien, selbst nachdem man von Franz I so plötzlich und wider alle Zusage verlassen war, wohl noch fähig gewesen, ihm Widerstand zu leisten. Venedig war im Besitz seiner gesammten Terra ferma, einiger Städte im Kirchenstaat, mehrerer festen Plätze im Neapolitanischen, die es so eben mit vielem Glück verthei- digte; es hielt ein stattliches Heer im Felde, das wenn es keine namhaften Siege erfochten, sich doch auch nicht hatte schlagen lassen, und an dessen Spitze einen General, der es vollkommen verstand, zugleich dem bedächtigen eifersüch- tigen Senate zu genügen und seinen Ruhm zu behaup- ten. Auch ihre Seemacht befand sich in blühendem Zu- stande; in Corfu war man mit einer Expedition nach den neapolitanischen Küsten, zunächst gegen Brindisi beschäftigt. Der Herzog von Mailand besaß nach so langem ver- derblichen Kriege doch noch immer den größten Theil sei- nes Landes, und außer einigen andern minder bedeutenden die stärksten Plätze des damaligen Italiens, Cremona, Lodi und Alessandria. 14* Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Sollte der Herzog von Ferrara, der ein durch Natur und Kunst sehr wohl befestigtes Gebiet gegen so unzählige Anfälle beschützt hatte, sich nicht auch dieß Mal zu ver- theidigen wissen? In Florenz herrschte eine zur Behauptung ihrer Frei- heit, und sollte es einen Kampf auf Leben und Tod kosten, entschlossene Partei; Michelangelo Buonarotti, der selber zu ihr gehörte, befestigte die Stadt mit einer Erfindungsgabe und Tüchtigkeit in der Ausführung, die nach anderthalb Jahrhunderten wohl noch einem Vauban bemerkenswerth schienen; in dem Gebiete war eine Art von Landsturm ein- gerichtet. Mit Perugia waren die Florentiner bereits ver- bündet, und sie hofften wohl, es ganz zu gewinnen. Auch mit Siena, das sich ebenfalls von dem Papst bedrängt sah, standen sie in ziemlich gutem Vernehmen. Relatio n. v. Antonii Suriani de legatione Florentina 1529. „Et pero cum questo fondamento de inimicitia con il papa, queste republiche hanno trattato insieme qualche intelligentia. Der Kirchenstaat und Neapel waren noch erfüllt von Unruhe und Gährungen. Wie oft hatte Italien den kriegerischen Kaisern, die mit einem bei weitem überlegenen Heere über die Alpen ka- men, selbst dann, wenn sich eine Partei im Lande für sie erklärte, Widerstand geleistet! Eben wenn ein Kaiser einmal festen Fuß gefaßt hatte, so war das für die Einheimischen der Anlaß gewesen, alle ihre Kräfte aufzubieten, um ihn wieder zu entfernen. Keine Tapferkeit und kein Talent, we- der Friedrich I noch Friedrich II hatten die Herrschaft zu befestigen, fortzupflanzen vermocht. Vasari Vita di Buonarotti. (Vite d. P. X, 110.) Unterhandlungen in Italien . Jetzt kam dieser junge Kaiser an, der noch keinen recht ernstlichen Krieg gesehen, der sich auch mit seinem bleichen Antlitz, seinem wohlgehaltenen und noch gesunden, aber kei- neswegs kräftigen Körper, mit seiner schwachen Stimme, mehr wie ein Hofmann als wie ein Krieger ausnahm; der von nichts als von Frieden sprach: der setzte es durch. Er hatte für sich, daß er durch die florentinische Sache mit dem Papst auf das engste vereinigt war. Die Flo- rentiner schickten, so wie er nach Genua gekommen, eine Gesandtschaft an ihn, aber natürlich mit einer beschränkten Vollmacht; ihre jetzige Verfassung wollten sie auf keine Weise gefährden: der Kaiser antwortete ihnen, sie möchten vor allen Dingen die Medici zurückrufen und in den Rang einsetzen, den dieselben vor ihrer letzten Verjagung einge- nommen . Nach Jacopo Pitti: Apologia de capucci, einem MS voll trefflicher Nachrichten hatten die Gesandten die „segreta commis- sione, di non pregiudicare ne alla libertà ne al dominio; il che notificato con piu segretezza a Cesare hebbono per ultima rispo- sta che se volevano levarsi da dosso la guerra, rimettessero i Medici nello stato che erano avanti si partissero dalla città; onde li oratori se ne partirono subito. Vgl. Varchi IX, 234. Schon befand sich der junge Alessandro, den er zu seinem Schwiegersohn und zum Herrn in Florenz be- stimmt hatte, in seiner Umgebung. Carlo V a Clemente VII 29 d’Agosto. Similmente dico, ch’io sto molto contento della persona del Duca Alessandro. Lettere di principi II, p. 185. Auch ohnehin konnte er eine Regierung nicht dulden, die sich von jeher guelfisch, französisch gezeigt. — So lange nun bis diese Sache ge- schlichtet wurde, war der Kaiser des Papstes, der die Geg- ner seines Hauses in Florenz leidenschaftlich haßte, voll- kommen sicher. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . Eine Zeitlang stieß sich alles daran, daß das Vor- rücken des Großsultans bei den italienischen Mächten die Hoffnung erweckte, in den Türken den Rückhalt gegen das Haus Oestreich zu finden, den ihnen Frankreich nicht mehr gewährte. Da schlossen sich Mailand und Venedig noch einmal enger an einander. Sie setzten gegenseitige Hülfs- leistungen fest und versprachen, ein Theil nicht ohne den andern Frieden zu machen. Der Krieg erneuerte sich in der Lombardei; Leiva nahm Pavia weg; ein paar tausend Landsknechte unter Graf Felix von Werdenberg drangen den Gardasee entlang in das Venezianische ein, und plün- derten das Gebiet von Brescia. Leoni Vita di Francesco Maria 419. Allein nach dem Abzug Suleimans verlor man in Oberitalien die Lust, sich länger und zwar im Grunde doch um eines geringen Vortheils willen zu schlagen. Jacopo Pitti: tutti calarono le bracche per la fuga Tur- chescha, altrimente l’imperatore haberebbe havuto che fare molto piu che non si pensasse. Denn schon zeigte sich der Kaiser zu den billigsten Bedingungen bereit. Von allem Anfang hatte ihm dieß der Papst wenig- stens in Hinsicht auf Venedig und Mailand gerathen. Er hatte ihm vorgestellt, daß er die festen Plätze der Venezia- ner nicht ohne große Anstrengung und unverhältnißmäßige Kosten angreifen könne, und ihn ersucht, den Schadener- satz, den er von ihnen fordere, fallen zu lassen. Er war auf die Frage eingegangen, ob es gut sey, Mailand zu theilen, oder es in seiner Integrität an Sforza zurückzugeben, und hatte ihm bewiesen, daß das letzte das sicherste sey, indem Unterhandlungen in Italien . jede andre Combination neue Feindseligkeiten erwecken dürfte. Schreiben von Rom, doch ohne Zweifel von Sanga, an den ppl. Nuntius, Bischof von Vasona, bei dem Kaiser. Lettere di principi II, 181—185. Es waren hierauf Unterhandlungen hauptsächlich unter päpst- licher Vermittelung angeknüpft worden. Der Herzog von Ferrara, der auf ein ähnliches Für- wort des Papstes nicht rechnen durfte, bahnte sich selbst seinen Weg. Andrea Doria soll ihm geschrieben haben, er könne den Kaiser nur dadurch gewinnen, daß er ihm Vertrauen zeige. Der Herzog sah den Kaiser in Modena; er trug ihm selbst die Schlüssel der Stadt entgegen; und in der That fand man von Stund an, daß sich ihm der Kaiser geneigt erweise. So war alles vorbereitet, als der Kaiser am 5. Novem- ber 1529 in Bologna einzog, wo der Papst seiner wartete. Aehnlich, wie die beiden Damen in Cambray, wohnten jetzt Kaiser und Papst in zwei an einanderstoßenden Häu- sern, die durch eine innere Thür verbunden waren, zu der beide den Schlüssel hatten. Romischer keyserlicher Majestat eynreyten gen Bolonia, auch wie sich bebstliche Heyligkeit gegen seyne Keyserliche Majestat gehal- ten habe 1529. Am Schluß: Und liegen der Keyser und der Bebst also nah bei einander, das nit mer dan ein kleyn wand zwyschen inen ist und haben ein Thuͤr zusamengehn und jeder ein schluͤssel darzu. Der Kaiser bereitete sich gleichsam vor, so oft er mit dem alten Politiker, dem Papst, persönlich verhandeln wollte. Er erschien dann mit einem Zettel in der Hand, worauf er sich alle Punkte verzeichnet hatte, welche dieß Mal in Betracht kamen. Das Erste, worin er den Rathschlägen des Papstes Gehör gab, war, daß sein Rebell, Franz Sforza, den er Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . einst schon des Herzogthums verlustig erklärt, vor ihm er- scheinen durfte. Es schadete dem Sforza wohl nicht, daß er sehr krank war. Er mußte sich auf einen Stab stützen, wenn er mit dem Kaiser redete; der Papst vermied, sich den Fuß von ihm küssen zu lassen. Aber übrigens zeigte er sich gescheidt und wohlgesinnt; er sprach sehr gut und verstand sein In- teresse hinreichend, um eine völlige Hingebung gegen den Herrn zu zeigen. Confidarsi in lei (S. M.) ponersi in man sua. Conta- rini Relatione di Bologna 1530. Den Großen des Hofes kam er mit andern Mitteln bei. Allmählig ließ man da den alten Wi- derwillen gegen ihn fallen. Indessen bemühte sich auch der venezianische Gesandte die Verstimmung zu beseitigen, die der Kaiser gegen seine Republik fühlen mochte. Er hatte wohl einmal eine zwei Stunden lange Audienz; er fand doch, daß der Kaiser die Lage der Republik einsah, ihre Rechtfertigung begriff. So ward man denn sehr bald über die Grundlage eines Abkommens einig; die Venezianer sollten herausge- ben, was sie vom Kirchenstaat oder von Neapel besaßen, aber übrigens ohne Anfechtung bleiben. Auch Franz Sforza sollte mit dem Staat von Mailand belehnt werden. Die einzige Schwierigkeit machten die Geldforderun- gen, sowohl an Venedig als an Mailand. Um der mai- ländischen Zahlungen sicher zu seyn, wünschte der Kaiser für’s Erste die Castelle von Mailand und Como mit seinen Truppen besetzt zu halten. Am 12. Dez. traf der Courier ein, welcher die Einwilligung des venezianischen Senates Friedensschluͤsse zu Bologna . sowohl in die ihm auferlegten Zahlungen, als in die mai- ländischen Verpflichtungen brachte. Gregorio Casale 13 Dc. Bei Molini II, p. 263. Hierauf ward am 23. Dez. ein Vertrag abgeschlossen, der zugleich ein Bündniß war. Die Venezianer verstanden sich dazu, die Rückstände an Hülfsgeldern, welche sie kraft der Verträge von 1523 schuldig geworden, im Laufe der nächsten 8 Jahre allmählig abzutragen; überdieß in dem nächsten Jahre noch andre 100,000 Sc. Tractatus pacis ligae et perpetuae confoederationis bei Du Mont IV, II, p. 53. Bei weitem stärker ward Franz Sforza heimgesucht. Er sollte in be- stimmten Terminen nach und nach 900,000 Sc., und da- von gleich im nächsten Jahre 400,000 Sc. zahlen. Man sicht, das war jetzt das System des Kaisers; er behandelte Mailand und Venedig, wie Portugal und Frankreich; die Ansprüche, die er hätte machen können, ließ er sich durch Geld vergüten. Wie der Kaiser Mailand und Venedig, so versprachen die Venezianer Neapel und Mailand im Fall eines Angriffs zu vertheidigen. Bei weitem minder versöhnlich als der Kaiser, zeigte sich der Papst. Nur mit großer Mühe ward er bewogen, seine Streitigkeiten mit Ferrara einer neuen Erörterung durch den Kaiser selbst zu überlassen. Der Herzog hatte sich be- quemt, Modena sogleich als ein Depositum in dessen Hand zu stellen. In der florentischen Sache wich Clemens aber vollends keinen Schritt breit. Noch einmal erschienen Gesandte der Republik in Bologna; aber sie hatten nur die Aufwallun- Galeacius Capella lib. VIII, p. 218. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . gen des Papstes zu vernehmen, der ihnen alle die persön- lichen Beleidigungen vorrückte, welche man sich dort gegen ihn und seine Freunde, die ihn hier umgaben, erlaubt habe. Der Kaiser sagte, er sey nicht nach Italien gekommen, um Jemand etwas zu Leide zu thun, sondern nur, um Frie- den zu machen, aber er habe dem Papst nun einmal sein Wort verpfändet. Jacopo Pitti: rispose loro Cesare gratamente dolerli del male pativa la Citta, perche egli non era venuto in Italia, per nuocere ad alcuno, ma per metterci pace, non poter gia in que- sto caso mancare al papa — ne credere che voglia il papa cose inconvenienti; replicaronli li oratori, che la citta desiderava so- lamente mantenere il suo governo — — Cesare disse, che forse il governo parerebbe loro ragionevole, nondimeno haberebbe bi- sogno di qualche corretione. Die Sache war in seinem geheimen Rathe öfters erwogen worden. Man hatte geurtheilt, ein- mal sey Florenz durch die Rebellion seiner Privilegien ver- fallen, und der Kaiser völlig in seinem Recht, wenn er es strafen lasse, sodann werde die Forderung des Papstes auch ohnehin die Gerechtigkeit für sich haben, da ja der Vica- rius Christi nichts ungerechtes beginnen werde. Erklaͤrung des kais. Beichtvaters bei Varchi p. 338. Schon längst waren Perugia, Arezzo, Cortona in den Händen der Kaiserlichen; der Prinz von Oranien, obwohl er von der Rechtmäßigkeit der Ansprüche des Papstes nicht so über- zeugt war, wie sein Herr, war demselben doch gehorsam und lagerte mit dem Heer im Februar in der Nähe von Florenz. Während des Carnevals gab es alle Tage Schar- mützel an den Thoren. Und nun konnte der Kaiser keinen Augenblick länger in Italien verweilen. Er hatte wohl daran gedacht, sich Kroͤnung Carls V. in Rom selbst krönen zu lassen, und dann nach Neapel zu gehn, aber immer dringender wurden die Aufforderungen seines Bruders, die Vorstellungen desselben, daß seine An- wesenheit in Deutschland für alle religiösen und politischen Angelegenheiten unbedingt nothwendig sey. Es ward be- schlossen, daß die Krönung in Bologna vor sich gehen sollte; seinen Geburtstag, den Jahrestag der Schlacht von Pavia, wollte der Kaiser mit diesem Acte bezeichnen. Feierliche Handlungen dieser Art haben das Eigene, daß sie mit der Bedeutung, die sie für den Moment ha- ben, unmittelbare Beziehungen mit den fernsten Jahrhun- derten verknüpfen. Dieß Mal hatte die Krönung viel Besonderes. Sie geschah nicht in Rom, wie sonst immer, sondern in Bo- logna. Die Kirche S. Petronio sollte die Stelle der Pe- terskirche vertreten; die Capellen, welche zu den verschie- denen Functionen gebraucht wurden, empfingen die Namen der Capellen von S. Peter. Es ward ein Ort in der Kirche bestimmt, der die Confession Petri vorstellte. Consurgens electus venit ad confessionem B. Petri — — et in loco humili et depresso ad instar loci ante ingressunr ca- pellae S. Petri de urbe procubuit. Rainaldus XX, 568. Auch der Kaiser war nicht wie seine Vorgänger er- schienen. Er hatte versäumt die Churfürsten einzuberufen; ein einziger deutscher Fürst war zugegen, der noch zu gu- tem Glück den Tag vor der Krönung eintraf, Philipp von der Pfalz, derselbe, der sich bei der Vertheidigung von Wien so eben einen gewissen Namen erworben, auch dem aber kam keine amtliche Bedeutung zu. An eine deut- sche Ritterschaft, wie sie sonst ihren Kaiser an die Tiber- Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . brücke zu begleiten pflegte, war nicht zu denken; unten auf dem Platz hielten 3000 deutsche Landsknechte, wackere Kriegs- leute, von guter Haltung, aber von einem Spanier befeh- ligt: es war Antonio de Leiva, der auf seinem Tragsessel von schwarzbraunem Sammet seinen Einzug vor ihnen her ge- halten hatte. Alles Glänzende, was den Kaiser umgab, war von Spanien mitgekommen, oder hatte sich in Italien zu ihm gesellt. Den Zug, mit welchem er sich am 24. Februar 1530 — zwei Tage vorher war ihm unter etwas modificir- ten Feierlichkeiten die eiserne Krone aufgesetzt worden — zur Kaiserkrönung nach der Kirche begab, eröffneten spanische Edelknaben; dann folgten jene spanischen Herren, deren wir gedacht, wetteifernd in Pomp und Glanz; hierauf die He- rolde, nicht etwa der deutschen, sondern vornehmlich der verschiedenen spanischen Provinzen; das Scepter trug der Markgraf von Montferrat, das Schwert der Herzog von Urbino, den Reichsapfel jener Pfalzgraf Philipp, endlich die Krone der Herzog von Savoyen. Die Churfürsten ver- wunderten sich, daß man ihre Aemter Andern zu verwal- ten gegeben, ohne sie nur zu fragen. Hinter ihnen trat dann der Kaiser in der Mitte zweier Cardinäle daher: die Mitglieder seines geheimen Raths folgten ihm nach. Als wenig Schritte hinter dem Kaiser der hölzerne Gang, durch den man den Pallast mit S. Petronio verbunden, zusammen- brach, deuteten das Viele dahin, daß er wohl der letzte Kaiser seyn werde, der zu einer römischen Krönung gehe, wie das denn in der That wahr geworden ist; er selbst sah sich lächelnd um: er meinte sein Glück zu erkennen, das ihn auch in diesem Augenblick vor einem Unfall geschützt hatte. Jovius 27stes Buch. De duplici coronatione Caroli V Kroͤnung Carls V. Und nun ward er mit den Sandalen und dem von Edelsteinen starrenden Kaisermantel bekleidet, der von dem byzantinischen Hofe herübergenommen worden; er ward mit dem exorcisirten Oel gesalbt, mit einer Formel, fast noch ganz der nemlichen, welche einst Hinkmar von Rheims ge- braucht; Die Worte der Salbung in dem Ritual: ipse — super caput tuum infundat benedictionem, eandem usque ad interiora cordis tui penetrare faciat (bei Rainaldus p. 569 nr. 23, erinnert sehr an Hinkmars Formel von 877) „cujus sacratissima unctio su- per caput ejus defluat atque ad interiora ejus descendat et in- tima cordis illius penetret. Doch ist die alte Formel durchaus schoͤner. er empfing die Krone Carls des Großen, die Insignien jener alten geheiligten Würde, in der er als das Oberhaupt der Christenheit erschien; aber zugleich leistete er auch den Schwur, den einst in den Zeiten der Siege der Hierarchie die Päpste den Kaisern aufgelegt, daß er den Papst und die Römische Kirche, alle ihre Besitzthümer, Ehren und Rechte vertheidigen wolle; er war ein gewissen- hafter Mensch und wir können nicht zweifeln, daß er den Eid mit allem Ernst seines Gemüthes ablegte. Jene Ver- einigung der geistlichen und weltlichen Hierarchie, welche die Idee der lateinischen Christenheit fordert, ward noch einmal vollzogen. Während der Cerimonie stand der französische Gesandte, Bischof von Tarbes, zwischen dem Stuhl des Kaisers und dem des Papstes neben dem Grafen von Nassau; sie spra- chen viel von der Freundschaft, die nun zwischen ihren Fürsten bestehe, von der nichts zu wünschen sey, als daß sie lange dauere. Man braucht aber nur den Bericht Caesaris ap. Bononiam, historiola, autore H. C. Agrippa bei Schardius III, 266. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . zu lesen, den der Bischof darüber an seinen Hof erstattet, um sich zu überzeugen, daß er wenigstens davon eben das Gegentheil meinte. Er wollte wahrnehmen, daß der Papst seufze, wenn er sich unbemerkt glaube. Er versichert in demselben Briefe, das lange Beisammenseyn der beiden Fürsten habe eher Widerwillen als Freundschaft zwischen ihnen erzeugt: der Papst habe ihm gesagt, er sehe daß man ihn betrüge, aber er müsse thun, als bemerke ers nicht. Genug, er erklärt es für gewiß, daß die Zeit bei dem Papst Wirkungen hervorbringen werde, mit denen der König von Frankreich zufrieden seyn könne. Lettre de Mr. de Gramont Ev. de Tarbes à M. l’Admiral Boulogne 25 Fevrier in Le Grand Histoire du divorce tom. III, p. 386. Auch aus der Correspondenz des Kaisers mit seinem Bruder sehen wir, daß er sich des Papstes mit nichten für versichert hielt. Ueberhaupt dürfte man nicht glauben, daß er als Herr in Italien hätte handeln können: aber den geeigneten Mo- ment, wo die Gegner erschöpft und muthlos waren, er da- gegen vollkommen siegreich, wußte er auf das geschickteste zu benutzen, um sein Uebergewicht zu befestigen, eine künf- tige Herrschaft vorzubereiten. Der Widerstand, welchen Florenz leistete, fesselte den Papst, er mochte sich in Momenten des Unmuths anstellen wie er wollte, doch an den Kaiser. Als es endlich unter- worfen war, gab der Kaiser dem Hause Medici eine staats- rechtlich fester begründete Macht daselbst, als es jemals gehabt, eine Familienverbindung ward vollzogen, die es zu Entzweiungen, wie ehedem, schwerlich mehr kommen ließ. Festsetzung italienischer Verhaͤltnisse . Auch Mailands konnte der Kaiser sicher seyn. Sforza wußte sehr wohl, daß Franz I seine lombardischen Ansprüche nicht völlig aufgegeben hatte; wie denn auch vornehme Mi- lanesen ihre Verbindung mit Frankreich so bald wie möglich zu erneuern suchten. So mußte sich Sforza wohl unbe- dingt an den Kaiser, der ihn allein schützen konnte, an- schließen. In Kurzem trat auch er in östreichische Ver- wandtschaft; ein kaiserlicher General commandirte fortwäh- rend die Truppen in der Lombardei. Bei weitem unabhängiger hielt sich Venedig. Aber auch hier hatte im Gegensatz mit dem Dogen eine Partei den Frieden bewirkt, die der freundschaftlichen Verhältnisse mit Oestreich und Spanien bedurfte, um sich zu behaupten. Ueberdieß ward die Republik durch die Osmanen in die Nothwendigkeit gesetzt, einen Rückhalt in Europa zu suchen, den ihr keine andre Macht gewähren konnte als die spa- nische. Sie hatte sich allmählig überzeugt, daß die Zeit der Eroberung und Ausbreitung für sie auf immer vorüber sey; für Venedig begann eine neue Aera, deren Charakter durch die Verhältnisse zu Spanien bestimmt wurde. Und nicht minder hatte der Kaiser Sorge getragen, die kleineren Fürsten und Republiken an sich zu fesseln. Der Markgraf von Mantua empfing die herzogliche Würde; dem Herzoge von Ferrara überließ der Kaiser Carpi; dem Herzog von Savoyen, seinem Schwager, übergab er Asti, das Franz I abgetreten hatte, zu dessen nicht geringem Ver- druß; dem Herzoge von Urbino, damals dem namhaftesten italienischen Kriegsmanne, hatte er seine Dienste angeboten und in Bologna persönlich viele Gnade erwiesen. Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel . In Siena und Lucca lebte der alte gibellinische Geist wieder auf; er ward von dem Kaiser so viel als thunlich be- günstigt. Was man auch von der wiederhergestellten Frei- heit von Genua sagen mochte, so war doch der Erfolg der Veränderungen, daß Andrea Doria alles leitete. Basadonna: Relatione di Milano 1533. Esso Doria fa il privato e guberna absolutamente Genoa. Del che si doleno Genoesi. Der Zuname, den man ihm noch gab, Il Figone, der Gärtner, denn er war von der Riviera, machte gar bald einem andern Platz: man nannte ihn den Monarchen. Und dieser Monarch von Genua war der Admiral des Kai- sers. Die großen Geldbesitzer traten auf eine andere, nicht minder bindende Weise — durch die Anleihen, die der Kai- ser bei ihnen machte — mit demselben in Verhältniß. Ohne Zweifel: unabhängig konnten sich diese Gewal- ten noch alle dünken: sie hätten auch eine andere Politik ergreifen können; und zuweilen dachten sie daran. Aber in ihrer innern oder äußern Lage gab es Beweggründe, die sie zu einer Vereinigung mit dem Kaiser trieben; und diese wurden jetzt theils mit Absicht gepflegt, theils auch durch die bloße Natur der Dinge entwickelt, indem Carl so mäch- tig war, daß es eine Sache des Ehrgeizes wie des Nutzens wurde, mit ihm in Verbindung zu stehen. So ward die Gewalt eines Kaisers erneuert, doch war es nicht das alte Kaiserthum. Am wenigsten hätte das Reich sich rühmen dürfen, daß ihm seine Gewalt wiedergegeben worden. Die Churfürsten beklagten sich, daß sie weder zu der Krönung berufen, noch zu den Verträgen herbeigezogen wor- Festsetzung italienischer Verhaͤltnisse . den, die der Kaiser mit den italienischen Mächten geschlos- sen habe. Sie protestirten in aller Form, wenn etwas in jenen Verträgen angenommen sey, das jetzt oder künftig dem h. römischen Reiche zum Abbruch oder Nachtheil ge- reichen könne, so wollen sie nicht darin gewilligt haben. Protestation vom 30. Juli 1530 im Coblenzer Archiv. Schon früher hatte man bei dem Kaiser in Erinne- rung gebracht, daß was in Italien erobert worden nicht ihm, sondern dem Reiche gehöre, man hatte ihn aufgefordert, dem Reiche seine Kammern, namentlich Mailand und Ge- nua zurückzustellen; dieß werde dann den Gubernator setzen, und den Ueberschuß der Verwaltung zur Handhabung von Frieden und Recht verwenden. Das waren aber nicht die Gedanken des Kaisers oder seiner spanischen Haupt- leute. Der Herzog von Braunschweig behauptete, mit Absicht seyen ihm bei seinem italienischen Zuge im Jahre 1528 von Antonio Leiva Hindernisse in den Weg gelegt worden; der Spanier habe keinen deutschen Fürsten im Mailändischen dulden wollen. Und dieser Leiva nun ward jetzt mit Pavia belehnt, er behielt den Oberbefehl und fürs Erste die Waffen in den Händen. An deutschen Einfluß war weder damals noch auch später zu denken. Man sieht: auch politisch erschien der Kaiser nicht als der Repräsentant der nationalen Macht, als er Anfang Mai 1530 über die Tridentiner Alpen nach Deutschland zurück- kehrte. Bucholz III, 92 Anmerkung. Ranke d. Gesch. III. 15 Achtes Capitel . Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530. Ankunft, Absichten des Kaisers. In welchem Gegensatz standen nun der Kaiser und die Protestanten. Die Protestanten hatten sich unter einander entzweit, von einander isolirt, sie glaubten nicht einmal das Recht des Widerstandes zu haben. Granvella sagte noch in Ita- lien, bei dem ersten Sturme würden sie auseinander flie- gen, wie Tauben, wenn der Geier unter sie fährt. Leodius lib. VII p. 139. Vgl. wie sich Erasmus gegen Sa- dolet aͤußert: Duae res nonnullam praebent spem, una est genius Caesaris mire felix, altera, quod isti in dogmatibus mire inter se dissentiunt. Ende 1529 oder Anfang 1530. Epp. II, 1258. Dagegen concentrirte sich, wenn wir so sagen dürfen, die Energie der lateinischen Christenheit in dem Kaiser; sie sah in ihm noch einmal ein mächtiges Oberhaupt an ih- rer Spitze. Unter den großen Mächten war fürs Erste Friede, und da man auch von den Osmanen für das nächste Jahr keinen neuen Angriff zu besorgen brauchte, so konnte Reichstag zu Augsburg 1530. Carl V alle seine Aufmerksamkeit auf die innern Angele- genheiten von Deutschland wenden. Fragen wir nun, welche Absichten er hegte, indem er über die Alpen nach Deutschland zurückkam, so kann hier nicht von weit in die Zukunft reichenden Plänen die Rede seyn, die überhaupt nicht so sehr in seiner Natur lagen, wie man wohl glaubt; er hielt im Grunde nur an eini- gen Maximen fest, die durch die Verträge schon festgestellt, oder sonst durch seine Lage ihm geboten waren. Seinem Bruder, der sich ihm in allen italienischen Ver- wickelungen unerschütterlich treu, bei schwachen Kräften doch immer zur Hülfe bereit, und überaus nützlich erwiesen, hatte er dafür versprochen, ihn zum römischen Könige zu erhe- ben. Den Absichten, diese Würde an ein anderes Haus zu bringen, die sich nicht ohne Gefahr immer wieder er- neuerten, mußte ein Ende gemacht werden. Eben jetzt war dazu die Zeit, in dieser Fülle von Macht und Sieg. Ferner mußte man endlich einmal daran gehn, eine aus- reichende Maaßregel gegen die Türken ins Werk zu richten. Die letzten Ereignisse hatten den Deutschen gezeigt, daß es jetzt nicht mehr Ungarn allein gelte, sondern ihr eignes Vaterland; die in die Augen fallende Noth mußte sie will- fähriger machen. Für das Bestehen des Hauses Oestreich war das eine unerläßliche Bedingung. Noch dringender aber zeigte sich die Nothwendigkeit in den kirchlichen Angelegenheiten irgend eine Ordnung zu treffen. Und da hatte sich nun der Kaiser in Barcellona ver- pflichtet, zuerst noch einmal die Herbeiziehung der Abge- wichenen zu versuchen, sollte ihm das aber nicht gelingen, 15* Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . alsdann alle seine Macht anzuwenden, Vim potestatis distringent (Carl und Ferdinand). „um die Schmach, die man Christo angethan, zu rächen.“ Ich zweifle nicht, daß dieß wie seine Verpflichtung, so in der That seine Absicht war. Wie anstößig und gewaltsam auch das Gutachten lau- tet, das ihm sein Begleiter der päpstliche Legat, Campeggi, überreichte, so ist das doch der Grundgedanke, auf dem es beruht. Zuerst giebt Campeggi darin die Mittel an, durch welche man die Protestanten wieder gewinnen könne: Versprechungen, Bedrohungen, Verbindung mit den katho- lisch gebliebenen Ständen: für den Fall aber, daß dieß nichts fruchte, hebt er auf das stärkste die Nothwendigkeit hervor, sie mit Gewalt, wie er sich ausdrückt, mit Feuer und Schwert zu züchtigen; er fordert, daß man ihre Gü- ter einziehe, und die Wachsamkeit einer Inquisition wie die spanische über Deutschland verhänge. Instructio data Caesari dal rev mo Campeggio con offerte prima, poi con minaccie ridurli nella via sua cioè del Dio omni- potente. Das Gutachten ist wohl der Rathschlag zu Bononien be- schlossen, welchen Eck kannte. Vgl. Luther: Warnung an seine lie- ben Deutschen. Altenb. V, 534. Eben dahin zielt alles, was uns aus der Correspon- denz des Kaisers mit seinem Bruder bekannt geworden ist. Ferdinand hatte, wie wir wissen, sich in Unterhand- lungen mit Churfürst Johann von Sachsen eingelassen, aber er versichert den Kaiser, er thue es nur, um die Sache hinzuhalten. Ihr könntet meinen, fügt er hinzu, es sey zu viel was ich gewähre, und Ihr möchtet dadurch gehindert werden zur Strafe zu schreiten. Monseigneur, ich werde so lange wie möglich unterhandeln und nicht abschließen; Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen . sollte ich aber auch abgeschlossen haben, so giebt es viele andre Anlässe, sie zu züchtigen, so oft es Euch gefällt, Rechtsgründe, ohne daß Ihr der Religion zu gedenken braucht; so manchen schlimmen Streich haben sie auch au- ßerdem ausgeübt, und Ihr werdet Leute finden, die Euch dazu gern behülflich sind. Schreiben Ferdinands an den Kaiser, Budweis 18. Januar bei Gevay Urkunden von 1531 p. 67. Vgl. das Excerpt aus dem Schreiben des Kanzlers bei Bucholz III, 427. Das war also die Absicht, zuerst in aller Güte einen Versuch zu machen, ob man nicht die Protestanten zur Ein- heit der lateinischen Christenheit, die nun wieder in Frie- den gesetzt war, und als ein großes System erschien, zu- rückführen könne; für den Fall aber, daß das nicht gelinge, stellte man sich selbst die Anwendung von Gewalt in Aus- sicht, und behielt sich das Recht dazu sorgfältig vor. Doch wäre es nicht gerathen gewesen, die Antipathien eines beleidigten Selbstgefühls durch Bedrohungen zu rei- zen. Milde ist nur dann Milde, wenn sie allein erscheint. Zunächst beschloß man, nur diese Seite hervorzukehren. In Wahrheit, es kann nichts Friedeathmenderes ge- ben als das Ausschreiben des Kaisers zum Reichstag, worin er seinen Wunsch ankündigt, „die Zwietracht hin- zulegen, vergangene Irrsal unserm Heiland zu ergeben, und ferner eines jeden Gutdünken, Opinion und Meinung in Liebe zu hören, zu erwägen, zu einer christlichen Wahrheit zu bringen, alles abzuthun, was zu beiden Seiten nicht recht ausgelegt worden.“ In dem Pallast, wo der Kaiser neben dem Papst wohnte, ward dieser Erlaß unterzeichnet. Der Papst ließ dem Kaiser freie Hand. Auch er wäre Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . höchlich zufrieden gewesen, wenn die Maaßregeln der Milde Erfolg gehabt hätten. Auch brachte dieses Ausschreiben eine sehr gute Wir- kung hervor. Die altgläubigen Fürsten hatten von der Stimmung des kaiserlichen Hofes, seiner Verbindung mit dem päpstlichen hinreichende Kenntniß, um bei der Erschei- nung Carls die lebhaftesten Hoffnungen zu fassen, wie er sich auch immer ausdrücken mochte. Sie eilten, ihre Be- schwerden zusammenzustellen, die alten Gutachten und Rath- schläge zur Abstellung der lutherischen Bewegung noch ein- mal zu revidiren. „Es gefällt uns wohl,“ heißt es in der Instruction des Administrators von Regensburg an sei- nen Reichstagsgesandten, „daß die Neuerung wider die wohl und lang hergebrachten Gebräuche der Kirche ausgerot- tet und zum besten gewandt werde.“ Foͤrstemann Urkundenbuch zur Geschichte des Reichstags von Augsburg Bd. I, p. 209. Zunächst hielt der Kaiser in Insbruck Hof, um sich nach dem Rathe seines Bruders den Erfolg der Reichstagsgeschäfte durch vorbe- reitende Verhandlungen zu sichern. Welcher Art dieselben wenigstens zum Theil gewesen sind, läßt sich unter andern daraus abnehmen, daß der venezianische Gesandte eine Rech- nung sah, nach welcher der kaiserliche Hof von seiner Ab- reise aus Bologna bis zum 12. Juli 1530 270,000 Schild- thaler an Geschenken verausgabt hatte. Zu der Erscheinung des Glückes und der Macht, welche durch eine natürliche Kraft anziehen, kam nun, wie es seit Jahrhunderten in Deutschland der Gebrauch war, Gnade und Begabung. Al- les was von dem Hofe Gunst zu erwarten hatte, strömte da- Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen . hin, und man vergaß fast, daß der Reichstag schon längst hätte angehn sollen; ein jeder suchte hier ohne Verzug seine Geschäfte abzumachen. Schon glaubte man an einem Beispiel abnehmen zu können, welche Wirkung die Erscheinung des Kaisers auch auf die religiösen Angelegenheiten ausüben werde. Der Schwager desselben, der verjagte König Christiern von Dä- nemark, der sich bisher an Luther gehalten, mit diesem in Briefwechsel gestanden, und sich unumwunden zu dessen Lehre bekannt hatte, fühlte sich in Insbruck bewogen, zu dem alten Glauben zurückzukehren. Der Papst war entzückt, als er es vernahm. „Ich kann nicht ausdrücken,“ schreibt er dem Kaiser, „mit welcher Rührung mich diese Nachricht erfüllt hat. Der Glanz der Tugenden Ew. Majestät be- ginnt die Nacht zu verscheuchen, dieß Beispiel wird auf Unzählige wirken.“ Relatio viri nobiiis Nic. Theupulo doctoris, 1533: ne in esso vi erano spese se non di doni fatti a diversi signori (wohl auch italienische). Er genehmigte die Absolution Chri- stierns und legte demselben eine Buße auf, die er nach der Herstellung in seinem Reiche zu vollziehen habe. Der Kai- ser selbst hoffte, wie es ihm wider sein eignes Erwarten gelungen, Italien zu beruhigen, so werde es ihm auch in Deutschland nicht fehlen. In Rom erwartete man alles von dem glücklichen Gestirn, unter dem er zu stehen schien. Und ließen sich nicht die Dinge in der That auch hiezu sehr günstig an? Auch bei den Protestanten hatte das Ausschreiben des Kaisers die beste Aufnahme gefunden. Von allen Fürsten Roma 3 Giugno 1530. Lettere di principi II, p. 194. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . war der, auf welchen das Meiste ankam, der Churfürst von Sachsen, auch der Erste der in Augsburg eintraf. Er versäumte nicht, dem Kaiser, der in denselben Tagen die Alpen überstiegen, zu seiner Ankunft im Reiche Glück zu wünschen, die er „mit unterthäniger Freude“ vernommen; er werde Sr. Majestät, seines einigen Obern und Herrn, zu Augsburg in Unterthänigkeit warten. An Nassau und Waldkirch, 14. Mai bei Foͤrstemann I, 162. 164. Er hatte auch seine Bundesgenossen aufgefordert, ihm zu folgen; denn der Reichstag zu Augsburg scheine das Nationalconcilium zu seyn, das man so lange erwartet, das man schon so oft vergebens gefordert habe; wo man nun die Beilegung des religiösen Zwiespaltes hoffen könne. 13. Maͤrz ibid. p. 24. Vgl. das Gutachten von Bruͤck, p. 11. In einer Ermanung reymenweiß von Hans Marschalk 1530, wird Gott gebeten offenbar zu machen sein Wort, „damit es komme an ein Ort in diesem Reichstag und Concilio.“ Da erscheinen noch einmal die Hoffnungen der fruͤhern Jahre. Der Kaiser wird ermahnt sich des göttlichen Wortes anzunehmen, „damit nicht weyter werd ge- plent das arm volk der Christenheit, welches lang auf schmaler weyd des Glaubens halb irr gangen ist.“ Die Unterhandlungen des Churfürsten mit König Fer- dinand hatten, wie man schon nach obigen Aeußerungen vermuthen kann, zu keinem Abschluß geführt, doch waren sie eben so wenig abgebrochen worden. Auch Churf. Johann hatte gar manche anderweite Geschäfte mit dem kaiserli- chen Hofe: auch von ihm erschien ein Gesandter in Ins- bruck. Sollte es da nicht möglich seyn, ihn zu gewin- nen? Man machte einen Versuch, ihn selber nach Ins- bruck zu ziehn. Der Kaiser ließ ihm sagen, er möge sich aller Freundschaft zu ihm versehen, ihn auffordern, Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen . so gut wie viele andre zu ihm an den Hof zu kommen. „In den Sachen, die durch sie beide ausgerichtet werden können, denke er wohl sich mit ihm zu vereinigen.“ Hier aber zeigte sich nun auch der erste Widerstand. Es hatte den Churfürsten unangenehm berührt, daß der Kaiser durch eine andre Gesandtschaft in ihn gedrungen, den Predigern, die er mit sich gebracht, Stillschweigen auf- zuerlegen. Er hielt diese Forderung für den Versuch einer unbefugten Entscheidung vor aller Untersuchung, und glaubte nicht anders, als daß man diesen Act der Nachgiebigkeit, den er in Augsburg zurückgewiesen, in Insbruck von ihm erzwingen werde, falls er daselbst erscheine. Ferner sah er den Hof mit seinen persönlichen Gegnern bereits er- füllt. Auch schien es ihm nicht gut, Reichstagsgeschäfte an einem andern Orte vorzunehmen, als der dazu bestimmt war. Genug er blieb dabei, er wolle des Kaisers in Augs- burg warten. Ueberhaupt war die Haltung, welche die in Augsburg angekommenen Protestanten annahmen, der Beifall, welche die Predigten in der Stadt fanden, die allgemeine Gunst, welche sie in Deutschland genossen, dem kaiserlichen Hofe unerwartet. Gattinara sah bald, daß der Kaiser mehr Schwierigkeiten finden werde, als er wohl selber geglaubt. Gattinara, ein alter Gegner der päpstlichen Politik, und ohne Zweifel der gewandteste Politiker, den der Kaiser besaß, wäre vielleicht der Mann gewesen, den Absichten des Hofes eine Modification zu geben, in der sie sich er- reichen ließen; selbst die Protestanten rechneten auf ihn. Gerade in diesem Augenblick aber starb er; eben hier, zu Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Insbruck. Den Uebrigen machte die Lage der Dinge so viele Bedenklichkeiten nicht. Was zu Insbruck nicht ge- lungen, hofften sie auf die eine oder die andre Weise in Augsburg durchzusetzen. Am 6. Juni brach der Kaiser dahin auf. Er nahm seinen Weg über München, wo er prächtig empfangen ward. Mit den weltlichen und geistlichen Fürsten von Oestreich und Baiern, denselben, die einst das Regensburger Bünd- niß geschlossen hatten, langte er am 15ten gegen Abend an der Lechbrücke vor Augsburg an. Schon ein paar Stunden wartete seiner die glänzendste Versammlung von Reichsfürsten, die man seit langer Zeit gesehn; geistliche und weltliche, von Ober- und von Nie- derdeutschland, besonders zahlreich auch die jungen Fürsten, die noch nicht zur Regierung gelangt waren. So wie der Kaiser sich näherte, stiegen sie sämmtlich vom Pferde und gingen ihm entgegen; auch der Kaiser stieg ab und reichte einem jeden freundlich die Hand. Der Churfürst von Mainz begrüßte ihn im Namen aller dieser „versammelten Glieder des heiligen römischen Reichs.“ Hierauf setzte sich alles zu dem feierlichen Einzuge in die Reichsstadt in Bewegung. Haben wir der dem deutschen Wesen schon fast entfrem- deten Kaiserkrönung unsre Aufmerksamkeit gewidmet, so mö- Raince, Rome 1. Juin. Le s. père est adverti, que le chancelier se trouvoit aucunement (einigermaaßen, wie Raince das Wort oft braucht) deçu de l’oppinion facille, en quoy il en avoit été et qu’il commençoit à confesser qu’il s’appercevoit les choses en tout cas y être plus laides, qu’ils ne pensoient. MS Be- thune 8534. Reichstag zu Augsburg. Einzug . gen wir auch bei dieser noch wesentlich vaterländischen Ce- rimonie des Einzuges einen Augenblick verweilen. Wir haben daruͤber vier verschiedene Berichte, 1) in der Altenb. Sammlung lutherischer Werke, 2) in Cyprians Geschichte der augsburgischen Confession, und zwei fliegende Blaͤtter, 3) Kaiserl. Maj. Einreitung zu Muͤnchen etc. , 4) Kais. Maj. Einreiten zum Reichstag gen Augsburg. Die ersten beiden sind auch bei Walch, die beiden andern bei Foͤrstemann abgedruckt. Einige Momente ent- nahm ich noch aus den Briefen Fuͤrstenbergs. Voran zogen zwei Fähnlein Landsknechte, denen der Kaiser, der nun als der gekommene Herr dieser kaiserlichen Stadt betrachtet seyn wollte, die Wache derselben anzuver- trauen gedachte. Sie waren jetzt erst geworben, und nicht alle hatten bereits die militärische Haltung, die man in Deutschland fordert, jedoch fanden sich viele unter ihnen, welche die italienischen Kriege mitgemacht, einige, die darin reich geworden waren. Vor allem bemerkte man einen Augs- burger Bürger, Simon Seitz, der dem Kaiser als Feld- schreiber gedient, und der jetzt, prächtig in Gold gekleidet auf brauner Jenete mit kostbar gestickter Decke, nicht ohne glänzenden Troß zurückkehrte. Hierauf folgten die reisigen Mannen der sechs Chur- fürsten. Die sächsischen führten nach altem Herkommen den Zug an; ungefähr 160 Pferde, alle mit ihrem Schieß- zeug, in Leberfarbe gekleidet. Es waren zum Theil das Hofgesinde, Fürsten und Grafen, Vierrosser, Zweirosser und Einrosser; zum Theil die Grafen, Räthe und Edelleute, die vom Lande einberufen waren. Man bemerkte bereits den Churprinzen, der das erste Bündniß mit Hessen vermittelt. Dem sächsischen folgten die pfälzischen, brandenburgischen, cölnischen, mainzischen und trierischen Haufen, alle in ihrer Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . besondern Farbe und Rüstung. Nach der Hierarchie des Reiches hätten die Baiern nicht hieher gehört. Aber sie hatten, ehe man sie verhindern konnte, ihren Platz sich sel- ber genommen; und wenigstens stellten sie sich vortrefflich dar. Sie waren alle in lichtem Harnisch, rothen Leibröcken gekleidet; je fünfe ritten in einem Gliede; große Federbüsche kündigten sie von fern an: es mochten 450 Pferde seyn. Man bemerkte den Unterschied, als nun nach dieser so durchaus kriegerischen Pracht die Höfe des Kaisers und des Königs anlangten; voran die Pagen, in gelbem oder rothem Sammet gekleidet, dann die spanischen, böhmischen und deutschen Herrn, in sammetnen und seidnen Kleidern, mit großen goldnen Ketten, aber fast alle ohne Harnisch. Dagegen ritten sie die schönsten Pferde; türkische, spanische und polnische. Die Böhmen versäumten nicht, ihre Hengste wacker zu tummeln. Dem Geleite folgten nun die Herren selbst. Ein paar Reihen Trompeter, zum Theil in des Kö- nigs, zum Theil in des Kaisers Farben, Heerpauker mit ihren Trommelschlägern, Persevanten und Herolde kündig- ten sie an. Es waren alle die mächtigen Herren, die in ihren wei- ten Gebieten fast ohne Widerspruch herrschten, deren nach- barliche Entzweiungen Deutschland mit Getümmel und Krieg zu erfüllen pflegten; Ernst von Lüneburg und Heinrich von Braunschweig, die noch wegen der Hildesheimischen Fehde in unausgetragenem Zwiste lagen; Georg von Sachsen und sein Schwiegersohn Philipp von Hessen, die aber vor Kur- zem in den Packischen Unruhen so hart an einander gera- Reichstag zu Augsburg. Einzug . then waren; die Herzoge von Baiern und ihre Vettern, die Pfalzgrafen, die nach flüchtiger Annäherung sich wieder von einander zu entfernen begannen; neben den Brandenburgern die Herzoge von Pommern, die jenen zum Trotz auf dem Reichstag zu einer unmittelbaren Belehnung zu gelangen gedachten. Jetzt erkannten sie einmal sämmtlich einen Hö- heren über sich an, und erwiesen ihm gemeinschaftliche Ver- ehrung. Den Fürsten folgten die Churfürsten, sowohl welt- liche wie geistliche. Neben einander ritten Johann von Sachsen und Joachim von Brandenburg, die einander nicht wenig grollten, und wäre es nur wegen der Irrungen gewe- sen, welche die Flucht der Gemahlin des Markgrafen ver- anlaßt hatte; schon war diese Sache bei dem Kaiser zur Sprache gekommen; noch einmal trug da Churfürst Hans seinem Kaiser das bloße Schwert vor. Denn den Chur- fürsten folgte ihr erkorner und nun gekrönter Kaiser, un- ter einem prächtigen dreifarbigen Baldachin, welchen sechs Herren vom Augsburger Rathe trugen, auf einem polnischen weißen Hengste. Man bemerkte, daß er allein in dieser Umgebung fremd erschien; vom Kopf bis auf den Fuß war er spanisch gekleidet. Er hätte seinen Bruder auf der einen und den Legaten auf der andern Seite neben sich zu haben gewünscht; denn diesem wollte er überhaupt die höchste Ehre erweisen: die geistlichen Churfürsten sollten demselben den Vor- rang lassen. Allein sie waren dahin nicht zu bringen gewesen. Es schien ihnen schon Ehre genug, daß, als der Legat er- schien, der Gelehrteste aus ihrem Collegium, Churfürst Joa- chim, der sich im Lateinischen mit hinreichender Geläufig- keit ausdrückte, und wenigstens bei weitem besser als die Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Geistlichen, ihn begrüßte. Außerhalb des Baldachins ritten nun König Ferdinand und der Legat neben einander. Ihnen folgten die deutschen Cardinäle und Bischöfe, die fremden Gesandten und Prälaten. Man nahm darunter den stolzen Beichtvater des Kaisers, den Bischof von Osma wahr. Contarini: di spirito molto alto. An den Zug der Fürsten und Herrn schlossen sich aufs neue die Reisigen an, die des Kaisers alle in Gelb, die des Königs alle in Roth gekleidet, mit denen hier die Reiter der geistlichen und weltlichen Fürsten wetteiferten; jede Schaar in ihrer besondern Farbe, alle entweder mit Harnischen und Spießen, oder als Schützen mit Schießzeug gerüstet. Die Augsburger Mannschaften, die am Morgen aus- gezogen, den Kaiser zu empfangen, zu Fuß und zu Pferd, Söldner und Bürger, machten bei dem Einzug den Beschluß. Denn das war überhaupt der Sinn der Cerimonie, daß das Reich seinen Kaiser einholte. Bei St. Leonhard empfing ihn die Clerisey mit dem Gesang: Advenisti de- siderabilis; die Fürsten begleiteten ihn noch in den Dom, wo ein Tedeum gesungen und der Segen über ihn ausge- sprochen ward, und verließen ihn erst, als er in seiner Woh- nung in der Pfalz angekommen war. Aber gleich hier, nachdem man kaum noch einmal, und zwar auch in der Kirche, vereinigt gewesen, trat die große alles zersetzende Frage, welche die Versammlung beschäfti- gen sollte, in aller ihrer Schärfe hervor. Die Protestanten hatten den geistlichen so wie den welt- lichen Cerimonien beigewohnt, und es mochte dem Kaiser Reichstag zu Augsburg. Erste Irrung . rathsam scheinen, den ersten Moment seiner Anwesenheit, den Eindruck seiner Ankunft zu benutzen, um sie zu einer wesentlichen Nachgiebigkeit zu vermögen. Indem die übrigen Fürsten sich entfernten, ließ der Kaiser den Churfürsten von Sachsen, den Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzog Franz von Lüneburg und Landgraf Philipp in ein besonderes Zimmer rufen, und sie durch seinen Bruder auffordern, die Predigten nunmehr abzustellen. Die älteren Fürsten erschraken und schwiegen. Der Landgraf ergriff das Wort und suchte die Weigerung darauf zu begründen, daß ja in den Predigten nichts an- deres vorkomme, als das reine Gotteswort, wie es auch S. Augustinus gefaßt habe. Argumente, die dem Kaiser höchst widerwärtig waren. Das Blut stieg ihm darüber ins Gesicht, und er wiederholte seine Forderung um so stär- ker. Allein er stieß hier auf einen Widerstand ganz an- derer Art, als ihm jene italienischen Mächte leisteten, die nur Interessen eines schon sehr zweifelhaft gewordenen Be- sitzes verfochten. Herr, sagte jetzt der alte Markgraf Ge- org, ehe ich von Gottes Worte abstünde, wollte ich lieber auf dieser Stelle niederknien, und mir den Kopf abhauen las- sen. Der Kaiser, der nichts als Worte der Milde von sich hören lassen wollte, und von Natur wohlwollend war, erschrak selbst über die Möglichkeit, die ihm hier aus frem- dem Munde entgegentrat. Lieber Fürst, erwiederte er dem Markgrafen in seinem gebrochenen Niederdeutsch, nicht Köpfe ab. Eine sehr glaubwuͤrdige Nachricht hieruͤber in dem Schrei- ben des nuͤrnbergischen Gesandten, die der Landgraf in derselben Nacht Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Auch an der Frohnleichnamsprocession, die des an- dern Tages gehalten ward, weigerten sich die Protestanten Theil zu nehmen. Hätte der Kaiser ihre Begleitung ver- langt als einen Hofdienst, so würden sie ihm dieselbe wahr- scheinlich geleistet haben, sie sagten selbst, wie Naman in der Schrift seinem König, allein er forderte sie auf, „dem allmächtigen Gott zu Ehren.“ Auf einen solchen Grund hin sich einzustellen, würde ihnen als eine Verletzung des Gewissens erschienen seyn. Sie erwiederten, nicht dazu habe Gott das Sacrament eingesetzt, daß man es anbete. Die Procession, der es überhaupt an dem alten Glanze fehlte, fand ohne sie Statt. In Hinsicht der Predigt gaben sie zwar zuletzt nach, aber erst dann, als der Kaiser versprochen, auch der ent- gegengesetzten Partei Stillschweigen zu gebieten. Er selbst ernannte einige Prediger, die aber nur den Text ohne alle Auslegung verlesen sollten. Und auch so weit würden sie nicht zu bringen gewesen seyn, wenn man ihnen nicht bemerk- lich gemacht hätte, daß der Reichsschluß von 1526, auf den sie sich immer bezogen, den sie nicht hatten widerrufen lassen wollen, dieß rechtfertige. Der Kaiser ward wenig- stens, so lange er anwesend war, als die rechtmäßige Obrig- keit einer Reichsstadt betrachtet. Schrift aus Augsburg. Altenb. V , 26. Walch 16, 873. (Bei W. unter Spalatins Namen aber nicht vollstaͤndig.) Brenz an Isenmann 19. Juni Corp. Ref. II, 117. Wir sehen wohl: keinen Schritt breit ließen sich die Protestanten von ihrer Ueberzeugung, von ihrem guten Recht noch hatte wecken und ihnen den Vorgang melden lassen, 16. Juni bei Bretschneider C. Ref. III, 106. Ein wenig abweichend, Heller bei Foͤrstemann. Augsburgische Confession . verdrängen. Die Forderungen des anwesenden Kaisers mach- ten bei ihnen nicht im mindesten mehr Eindruck, als die Anmuthungen des noch entfernten gethan. Hatte der Kai- ser auf Nachgiebigkeit gerechnet, so waren dieß keine Vor- zeichen, die ihm Hoffnung geben konnten. Endlich am 20. Juni wurden die Verhandlungen er- öffnet. In der Proposition, die an diesem Tage verlesen ward, drang der Kaiser, wie billig, vor allem auf eine dem Zwecke entsprechende Rüstung wider die Türken; zugleich er- klärte er aber seine Absicht, die religiösen Irrungen in Milde und Güte beizulegen, und wiederholte die Aufforderung des Ausschreibens, daß zu dem Ende ein jeder „seine Mei- nung, Gutbedünken, Opinion“ ihm in Schriften überant- worten möge. Da der Reichsrath den Beschluß faßte, zuvörderst die Religionssache vorzunehmen, so mußte nun sofort der große Kampf sich eröffnen. Augsburgische Confession. Die Protestanten eilten zunächst eine Schrift vollends fertig zu machen, in der sie ihre religiöse Ueberzeugung den Reichsständen zusammengefaßt darzulegen gedachten. J. Mt. hat „aus angeporner Guͤte und Miltigkeit diesen Weg (der Guͤte) nach vermoͤge des Ausschreibens furgenommen, der ent- lichen Hofnung, der soll bei allen verstendigen ein billiges ansehn ha- ben und menniglich dahin bewegen und leitten, daß alle Sachen wie- der zum Besten gekehrt und gewendet werden, damit J. Mt. inn irem gnedigen Fuͤrhaben verharren und pleiben.“ Bei Foͤrstemann I , 308 sieht man, wie manche Abweichungen die Copien darbieten. Die Frankfurter hat deren noch viel mehr z. B. „aus eingeborner Gun- stigkeit, der moͤglichen Hofnung u. s. w.“ Doch ist der Sinn der nemliche. Ranke d. Gesch. III. 16 Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Es ist dieß die Augsburgische Confession und ihr Ur- sprung folgender. Unmittelbar nach Empfang des kaiserlichen Ausschrei- bens hatte man in Sachsen für gut gehalten, die Meinung, „auf welcher man bisher gestanden und auf welcher man verharre,“ in der regelmäßigen Form einer Schrift zusam- menzustellen. So faßte zuerst Kanzler Bruͤck den Gedanken, wie sein „Zeddel“ ausweist; bei Foͤrstemann I, 39. So hatte man sich einst zu jener Nationalversammlung im J. 1524 von allen Seiten vorbereitet; etwas Aehnliches geschah auch in diesem Augenblick wieder auf der entgegen- gesetzten Seite, z. B. in Ingolstadt. 19. Februar 1530. Auszug bei Winter I, 270. In Wittenberg legte man nun in Hinsicht der Lehre jene schwabacher Artikel zu Grunde, in denen sich die Tren- nung der lutherischen von den oberländischen Theologen aus- gesprochen. Es ist sehr merkwürdig, daß bei Abfassung der Confession das Gefühl einer Absonderung von den Na- heverwandten wenigstens nicht minder lebhaft war, als das Bewußtseyn des ursprünglichen Gegensatzes, welcher die große Bewegung hervorgebracht hatte. Die Absonderung erschien um so stärker, da indeß Zwingli und die Seinen von einigen Zugeständnissen, die sie in Marburg gemacht, und die von der marburger Uebereinkunft in die schwaba- cher Artikel übergegangen, wieder zurückgetreten waren. Diese schwabacher Artikel überarbeitete nun Melanch- thon mit dem Geiste der Gründlichkeit und Ordnung, der ihm eigen war, und in der unläugbaren Absicht möglichster Näherung an den katholischen Lehrbegriff. Die Erläuterun- gen über die Lehre vom freien Willen und vom Glauben, Augsburgische Confession . die er neu hinzufügte, waren höchst gemäßigt; er bezeich- nete ausführlicher, welche Irrthümer der Ketzer, die dann auch immer von der römischen Kirche verworfen waren, man bei den verschiedenen Artikeln verdamme; er suchte diese Artikel nicht allein mit der Schrift, sondern auch mit den Lehren der Kirchenväter, namentlich des Augusti- nus zu bewähren; das Gedächtniß der Heiligen verwarf er nicht durchaus, er suchte es nur näher zu bestimmen; die Würde der weltlichen Obrigkeit hob er auf das nachdrück- lichste hervor, und schloß endlich mit der Behauptung, daß diese Lehre nicht allein in der Schrift klar gegründet sey, sondern auch der römischen Kirche, so weit sich das aus den Vätern abnehmen lasse, nicht widerstreite; unmöglich könne man darüber mit ihnen uneins seyn, oder gar sie Ketzer nennen. Und meines Dafürhaltens kann man gar nicht läug- nen, daß die Lehre, wie sie hier erscheint, noch ein Pro- dukt des lebendigen Geistes der lateinischen Kirche ist, das sich sogar noch innerhalb der Grenzen derselben hält, von allen seinen Hervorbringungen vielleicht die merkwürdigste, innerlich bedeutendste. Es liegt in der Natur der Sache, daß sie die Farbe ihres Ursprunges trägt, daß ihr nament- lich der Grundbegriff, von dem Luther in dem Artikel von der Rechtfertigung ausgegangen, etwas Individuelles ver- leiht; aber ohne dieß entstehen menschliche Dinge nun ein- mal nicht. Derselbe Grundbegriff war in der lateinischen Kirche mehr als einmal überaus wirksam hervorgetreten; Luther hatte ihn nur wieder mit aller Gewalt des religiö- sen Bedürfnisses ergriffen, und in dem Kampfe mit ent- 16* Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . gegengesetzten Meinungen so wie in der Ueberlieferung an das Volk bis zur Allgemeingültigkeit ausgebildet; kein Mensch könnte sagen, daß ihm, wie er hier erscheint, etwas Sectireri- sches beiwohne. Dabei blieb es, daß man sich den Ausbildun- gen des Dogma’s, welche in den letzten Jahrhunderten herr- schend geworden, widersetzte; man war weit entfernt, auch nur den Aussprüchen eines Kirchenvaters maaßgebende, be- weisende Autorität zuzuschreiben; aber man war sich bewußt, daß man sich von ihrer Auffassung nicht wesentlich entfernt habe. Es giebt eine geheime Tradition, die sich nicht so- wohl in Formeln ausspricht, als in der ursprünglichen Fas- sung des Begriffes, welcher nicht immer alle die Nothwen- digkeit hat, die ihm beizuwohnen scheint, und doch die in- nere Thätigkeit des denkenden schaffenden Geistes beherrscht. Man fühlte sehr wohl, daß man noch auf dem alten Grund und Boden stand, wie er durch Augustinus befestigt wor- den. Man hatte den Versuch gemacht, den Particularis- mus zu durchbrechen, dessen Fesseln die lateinische Kirche in den letzten Jahrhunderten sich hatte auflegen lassen, sein Joch von sich zu werfen; man war ganz allein auf die Schrift zurückgegangen, an deren Buchstaben man sich hielt. Aber war nicht die Schrift lange Zeiträume hindurch auch in der lateinischen Kirche eifrig studirt, als die Norm des Glaubens betrachtet worden? War nicht vieles, was diese Kirche annahm, wirklich in der Schrift gegründet? Daran hielt man sich; das übrige ließ man fallen. Ich wage nicht zu sagen, daß die augsburgische Con- fession den reinen Inhalt der Schrift dogmatisch feststelle; sie ist nur eine Zurückführung des in der lateinischen Kirche Augsburgische Confession . entwickelten Systems bis zur Uebereinstimmung mit der Schrift, oder eine Auffassung der Schrift in dem ursprüng- lichen Geist der lateinischen Kirche: — der jedoch mehr un- bewußt wirkte, als daß man sich an irgend eine schon da- gewesene Manifestation desselben gebunden hätte; unser Be- kenntniß ist selber seine reinste, der Quelle am nächsten kom- mende, am ächtesten christliche Manifestation. Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß man damit nicht gemeint war, eine Norm auf immer anzuge- ben. Es ist nur eine Feststellung des Factums; „Unsre Kirchen lehren;“ „es wird gelehrt; es wird einmüthig ge- lehrt; man beschuldigt die Unsren fälschlich:“ das sind die Ausdrücke, deren sich Melanchthon bedient; er will nur die bereits entwickelte Ueberzeugung aussprechen. Und in demselben Sinne hat er nun auch den zweiten Abschnitt geschrieben, in welchem er die Mißbräuche erör- tert, die man abgeschafft hat. Welch ein weites Feld bot sich hier einer gehässigen Polemik dar! Was ließ sich alles über die Eingriffe der päpstlichen Gewalt sagen, zumal an dem Reichstag, dessen Antipathien dagegen man vielleicht hätte erwecken können, über die Ausartungen eines falschen Gottesdienstes, — wie wir denn in der That unter den Entwürfen der Schrift ein langes Register derselben vorfinden — doch hielt man für besser, dieß zu vermeiden. Melanchthon blieb dabei stehen, den kirchlichen Zustand zu rechtfertigen, in den man diesseit allmählig gekommen war. Er erörterte, weshalb man beiderlei Gestalt und die Priesterehe zulasse, Gelübde und Privatmessen verwerfe, weder Fasten noch Ohrenbeichte Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . gebiete; er suchte überall zu zeigen, wie neu und gefährlich die entgegenstehenden Einrichtungen, wie sie selbst mit den alten canonischen Satzungen in Widerspruch seyen. Mit gutem Vorbedacht schwieg er von dem göttlichen Recht des Papstes, oder dem Charakter indelebilis, selbst von der Zahl der Sacramente; er wollte nicht bekehren, sondern nur ver- theidigen. Schon genug, daß er den Unterschied des geist- lichen Berufes der Bischöfe von deren weltlicher Gewalt hervorhob; indem er jene nach dem Inhalt des Evange- liums bestimmte, hütete er sich doch wohl diese anzutasten. Er behauptete, daß die Evangelischen auch hierin von den ächten Grundsätzen der katholischen Kirche nicht abgewichen seyen, daß der Kaiser die neue Einrichtung der Kirche sehr wohl dulden könne. Es ist bekannt, daß die beiden von den Fuͤrsten unterzeich- neten Originale der Augsburgischen Confession sich nirgend mehr vor- finden. Man glaubte lange das Eine, deutsche in Mainz entdeckt zu haben, doch hat Weber in der Kritischen Geschichte der Augsburger Confession mit scrupuloͤsem Fleiße gezeigt, daß das so gut eine Ab- schrift ohne authentischen Werth ist, wie viele andere. Diese Ab- schriften bieten eine Menge Abweichungen dar, sowohl unter einan- der, als von der ersten Ausgabe, die Melanchthon noch im Jahre 1530 besorgte. Gluͤcklicherweise sind die Abweichungen wohl zahlreich aber nicht wichtig. Die Schreiber jener Zeit erlaubten sich kleine Ei- genmaͤchtigkeiten, namentlich in der Rechtschreibung, die noch so we- nig fixirt war. Fuͤr Sinn und Inhalt traͤgt das beinah nie etwas aus. Eine sehr fleißige Collation einiger Handschriften findet sich in Foͤrstemanns zweitem Bande. Es ließe sich fragen, ob die Protestanten nicht viel- leicht besser gethan haben würden, wenn sie statt sich so entschieden in der Vertheidigung zu halten, wieder einmal muthig die Offensive ergriffen, und alle die starken refor- matorischen Sympathien aufgerufen hätten. Augsburgische Confession . Bekennen wir aber: — seit dem Tage, daß sie sich entschlossen hatten, den Anhängern Zwingli’s ihr Bündniß zu versagen, war dieß unmöglich. Von der Gunst, welche die Zwinglischen Lehren fanden, sahen sie sich fast überflü- gelt, in Schatten gestellt; in Augsburg hing der größte Theil der Einwohner denselben an; man sprach von einem Bunde der Oberdeutschen und der Schweizer zum Umsturz der ganzen Hierarchie des Reichs. War doch eins ihrer vornehmsten Oberhäupter, Landgraf Philipp selbst, wenn man ihn reden hörte, mehr auf der Seite Zwingli’s! Schreiben des Urban Rhegius an Luther 21. Mai 1530. Landgraf Philipp fuͤhrt „innumera Sacramentariorum argumenta“ an. „Sentit cum Zwinglio ut ipsi mihi est fassus.“ Doch hat weder dieß noch auch ein Schreiben Melanchthons Luthern vermocht, sich selbst an den Landgrafen zu wenden. Er that dieß schon am 20. Mai. ( D W. IV p. 23.) Es gehörte noch eine besondere Anmahnung Luthers dazu, um ihn nur zu bewegen, die Confession zu unterschreiben. Auch konnten sie nicht daran denken, die Majorität der Reichsstände, die allzu entschieden Partei genommen, zu gewinnen, auf ihre Seite zu ziehen. Sie wünschten nichts als Friede und Duldung; sie meinten gezeigt zu haben, daß man ihre Lehre mit Unrecht verdamme, ketzerisch schelte. Luther gewann es über sich, dieß seinem alten Gegner, dem Erzbischof von Mainz, der jetzt milder gestimmt zu seyn schien, aus Herz zu legen. Im Namen der Fürsten wendete sich Melanchthon an den Legaten Campeggi, und beschwur ihn, bei der Mäßigung, zu verharren, die er noch an demselben wahrzunehmen glaubte: jede neue Bewegung könne eine unermeßliche Ver- wirrung der Kirche hervorbringen. Philipps Fuͤrstenberg an Frankfurt, 27 Juni berichtet, daß Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . In diesem Sinne der Annäherung, dem Gefühle des Nochnichtvollkommengetrenntseyns, dem Wunsche, eine wie im tiefern Grunde der Dinge waltende, so in einigen Ein- zelnheiten des Bekenntnisses sichtbare Verwandtschaft geltend zu machen, war die Confession gedacht und abgefaßt. Am 25. Juni 1530 Nachmittags ward sie in der Ver- sammlung des Reiches verlesen. Die Fürsten baten den Kaiser, dieß in dem größern Locale geschehen zu lassen, wo auch Fremde zugelassen wurden, so zu sagen in einer öffentli- chen Sitzung; der Kaiser beliebte das kleinere, die Capi- telstube des bischöflichen Hofes, wo er wohnte, und wo nur die Mitglieder der Reichsversammlung Zutritt fanden. Aus einem ähnlichen Grunde hätte er es gern gesehen, daß die lateinische Abfassung verlesen worden wäre, aber da erinnerten ihn die Fürsten, auf deutscher Erde möge Seine Majestät die deutsche Sprache erlauben. Hierauf verlas der jüngere sächsische Kanzler, Dr. Christian Baier, das deutsche Bekenntniß mit einer Vernehmlichkeit der Stimme, die der Klarheit und Festigkeit der darin ausge- drückten Ueberzeugung entsprach. Fuͤrstenberg „hell und klar, daß menniglich, so dabei was, der anders deutsch verstunde, alle Wort eigentlich, was doch in sol- cher Versammlung selten geschieht, verstehen mocht.“ Auch den Ka- tholiken erschien die Verlesung als eine große und zwar sehr unver- diente Ehre. Noch zwei Jahr spaͤter schmaͤhlt Eck daruͤber. Luthe- ranismus in arcem dignitatum evectus ita invaluit, ut assertores Die geistlichen Fürsten waren nicht sehr zahlreich zugegen: sie hatten gefürchtet, daruͤber foͤrmlich unterhandelt worden. Der Churfuͤrst und seine Mit- verwandten baten: J. Mt. wolt morgen wieder an dem Ort, (im Pallast) erscheinen und den Umbstand (die Umstehenden) ire Verant- wortung vernehmen zu lassen gestatten, denn sie weren von iren Wid- derwertigen nit alleyn bei J. M., sondern auch bei menniglich verun- glimpft; aber endlich ist es bei dem Bescheyd blieben. Augsburgische Confession . manchen unbequemen Vorwurf anhören zu müssen. Die Einverstandenen fühlten sich glücklich, daß es so weit ge- kommen, und hatten ihre Freude so am Inhalt wie am Vortrag des Bekenntnisses. Andere benutzten wohl die Ge- legenheit, sich die Hauptpunkte aufzuzeichnen. Nachdem man zu Ende gekommen, wurden die beiden Exemplare dem Kaiser überreicht: das deutsche gab er dem Reichserzkanz- ler, das lateinische behielt er zu eignen Händen. Beide waren von dem Churfürsten und dem Churprinzen von Sachsen, dem Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzogen Franz und Ernst von Lüneburg, dem Landgrafen Philipp, dem Fürsten Wolfgang von Anhalt und den Ab- geordneten der Städte Nürnberg und Reutlingen unterzeichnet. Confutation, Bedrohungen. Die evangelischen Fürsten erwarteten, daß auch die Partei ihrer Gegner mit einer ähnlichen Erklärung hervor- treten und der Kaiser sich alsdann bemühen würde, den Zwiespalt zwischen beiden Theilen zu vermitteln. So lau- tete die Proposition und noch deutlicher als diese das Aus- schreiben, in dessen Folge sie sich eingefunden hatten. Höchstwahrscheinlich war das auch die Meinung des Kaisers. Er hätte sogar gewünscht, daß der katholische Theil mit einer Anklage wider den evangelischen hervorgetreten wäre, er würde dann die Rolle eines Schiedsrichters zwi- schen beiden übernommen haben. In der Versammlung der Stände hat Ferdinand einmal einen darauf zielenden Antrag gemacht. erroris non vererentur in publicis comitiis Augustae offerre Cae- sari novi dogmatis confessionem. Praefatio in homilias V con- tra Turcam. A. III. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . So vollkommen aber waren die beiden Brüder mit nichten Meister der Versammlung, um dieß durchsetzen zu können. Die Majorität, die sich in Speier gebildet, und sich hier noch enger zusammenschloß, sah sich als rechtmäßige In- haberin der Reichsgewalt an. Gegen die beiden Brüder, deren katholischer Eifer ihr höchlich erwünscht war, fand sie doch sonst gar manches Andre zu erinnern. Namentlich hatte Ferdinand päpstliche Bewilligungen geistlicher Einkünfte ausgebracht, wie sie wohl in Spanien durchgingen, aber in Deutschland unerhört waren, und die nun in der ge- sammten Geistlichkeit Mißvergnügen und Widerstand her- vorriefen. Die Majorität lehnte ab, sich als Partei zu constituiren, und den Kaiser als Richter zwischen ihr und den Protestanten anzuerkennen. Sie meinte, sie habe nichts Neues vorzutragen; sie habe sich nur an das kaiserliche Edict gehalten: brauche der Kaiser eine Anklage, so möge er sie von der Uebertretung seines Edictes hernehmen. Viel- mehr, wie es immer das Herkommen gewesen, daß der Kaiser den Meinungen der Reichsversammlung beitrat, so war sie der Ansicht, daß der Kaiser auch jetzt ihr Interesse zu dem seinigen zu machen habe. Das wollte es sagen, wenn sie ihn ersuchte, in dieser Sache mit der Churfürsten Fürsten und Stände Rath aus kaiserlicher Machtvollkom- menheit zu procediren. Es kümmerte sie wenig, daß dieß den Worten des Ausschreibens widersprach. Waren diese doch nicht von ihr ausgegangen. Der Kaiser konnte in der That nicht anders als jene Idee einer gleichsam rich- terlichen Vermittelung fahren lasfen . Berathungen der Majoritaͤt . Man glaubt wohl in der Regel an dem Reichstage selbständige Verhandlungen des Kaisers mit den Protestan- ten wahrzunehmen. In der That aber handelt von diesem Augenblick an nur noch die Majorität der Stände. Ueber die geringsten Dinge, z. B. die Mittheilung eines Acten- stückes, muß der Kaiser mit der Majorität Rücksprache nehmen; er verfügt zuletzt nur, wie diese für gut gehalten. Schade, daß wir von den Sitzungen der katholischen Majorität keine Protocolle haben: weiß man doch nicht einmal, ob deren überhaupt aufgenommen worden sind. Auch ausführliche Berichte findet man nicht und hat sie schwerlich zu erwarten, da die bedeutendsten Fürsten per- sönlich zugegen waren, die Gesandten der Städte aber an den Sitzungen nicht Theil nahmen. Nur so viel wissen wir, daß sich zwei verschiedene Meinungen einander entgegensetzten. Der Sinn der Einen wäre gewesen, daß der Kaiser auf der Stelle zu den Waf- fen gegriffen und sein altes Edict auf dem Wege der Ge- walt zur Ausführung gebracht hätte. Der Erzbischof von Salzburg sagte: Entweder müssen wir sie heben oder sie heben uns: welches von beiden kommt uns zu? Ein nicht minder heftiges Mitglied der Versammlung hörte man über diese Confession spotten, die mit schwarzer Tinte geschrie- ben sey: „wären wir Kaiser, wir wollten die rothen Rubri- ken dazu machen.“ Herr, fiel ihm ein Anderer ins Wort, daß Euch nur nicht da das Roth selber unter die Augen sprützt. Denn keineswegs Alle waren von so entschiedner Feindselig- keit. Namentlich der Erzbischof von Mainz stellte die Gefahr vor, in die ein Anfall de r Türken stürzen werde, wenn Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . zugleich diese offene Entzweiung ausbreche. Es ward endlich beschlossen, dem Kaiser zu rathen, die Confession vor allen Dingen widerlegen zu lassen: indessen wolle man einen Ver- such machen, die Irrungen zwischen geistlichen und welt- lichen Ständen unter einander zu schlichten. Der Kaiser nahm diesen Rath an. Er gab sich der Hoffnung hin, daß beides vereinigt, zusammentreffend, — die Beilegung der Irrungen und die Widerlegung — auf die Protestanten ei- nen Eindruck machen werde, der sie nachzugeben bestimme. Diese Verhandlungen lernen wir besonders aus den Auszuͤ- gen bei Bucholz III kennen. Ein merkwuͤrdiges Actenstuͤck daraus findet sich in seiner Integritaͤt bei Foͤrstemann Bd. II p. 9. Es ist ohne Datum, doch muß es vom 9ten oder 10ten Juli seyn; da der Kaiser einer Anfrage an die Protestanten gedenkt, ob sie nemlich noch mehr Artikel einzubringen gesonnen, die er am 9ten erlassen hat, auf die er doch noch keine Antwort habe. Die Antwort erfolgte un- ter dem 10ten, mag aber vielleicht erst den Tag darauf eingelaufen seyn. Vgl. die Nachrichten bei Schmidt VIII, 244. Melanchthon an Luther 8. Juli C. R. II, 175. Wie war hiemit die Lage der Protestanten plötzlich so ungünstig verändert! Bisher hatten sie von der höhern Stellung des Kai- sers Anerkennung und Vermittlung erwartet: aber gar bald bemerkten sie, daß er nicht treibe, sondern getrieben werde; die alten erbitterten Gegner, mit denen sie schon so lange gestritten, als Mehrheit constituirt, leiteten jetzt auch alle Schritte der kaiserlichen Autorität. Und auf das eifrigste ging man nun an die Wider- legung. An Arbeitern konnte es nicht fehlen. Von allen Seiten waren auch die Gegner der reformirenden Theolo- gen mit ihren Fürsten eingetroffen: Faber von Wien, — er war jetzt Probst zu Ofen geworden — Eck von Ingol- stadt, Cochläus von Dresden, Wimpina von Frankfurt Katholische Theologen . a. d. O.; mit den Bischöfen waren ihre Vicarien oder ge- lehrten Weihbischöfe angelangt: man sah einige nahmhafte Mönche, Barfüßer, Carmeliter, besonders Dominikaner, den Provincial Paul Haug, den Vicarius Johann Burk- hard, den Prior Conrad Colli, der einst wider Luthers Ehe geschrieben. Unter andern brachte Eck eine schon in Ingolstadt gedruckte Schrift mit, unter folgendem Titel: Sub domini Jhesu et Mariae pa- trocinio. Articulos 404 partim ad disputationes Lipsicam, Ba- den. et Bernen. attinentes partim vero ex scriptis pacem ecclesiae perturbantium extractos coram divo Caesare Carolo V Ro. Imp. semper Augu. ac proceribus imperii Joan. Eckius minimus eccle- siae minister offert se disputaturum ut in scheda latius explicatur; Augustae Vindelicorum die et hora consensu Caesaris posterius publicandis. Er fuͤhrt dann erst zuerst die vom Papst verurtheilten 41 Artikel auf: assero, qui bullae contradixerint, schismaticos esse ac fidei hostes, quos catholicus habet pro ethnicis et publicanis. Dann bringt er die Artikel vor, die er in Leipzig und Baden ver- theidigt, so wie die, welche er den Berner Schluͤssen entgegenge- setzt; endlich errores novi et veteres jam ventilati unter gewissen Ru- briken. Er bringt ihrer 404 zusammen: ex infinitis eorum erro- ribus hos paucos subitarie excerpsi. In der Eile hat er da auch erasmische Saͤtze mit aufgerafft. — Man setzte ihm Propositiones de vino venere et balneo entgegen, die wir auch in den Gesellschaften der Katholiken circuliren sehen, und die ihn dem oͤffentlichen Gelaͤch- ter Preis gaben. Es begreift sich, wenn ein Mann wie Eras- mus, den man auch eingeladen, keine Neigung fühlte, sich diesen Namen beizugesellen. Es waren eben die Repräsen- tanten des aristotelisch-dominikanischen Systems, das die Schulen von Europa so lange beherrscht, das er selber be- kämpft hatte, die hier das Wort führen sollten. Mit der literarischen Fehde, in der sie sich bisher bewegt, hatten sie wenig ausgerichtet. Ihre ganze Stärke lag in ihrer Ver- bindung mit der Gewalt. Jetzt waren sie nicht eigentlich mehr Privatleute; im Namen des Reiches sollten sie spre- chen und schreiben. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Allerdings ließ man ihnen nicht völlig freie Hand. Sie waren viel zu heftig, zu weitläuftig. Ein jeder brachte seine alten Feindseligkeiten, Widerlegungen lutherischer Mei- nungen, von denen hier gar nicht die Rede war, herbei. Cochlaͤus hat in seinem Buche: Philippicae quatuor in apo- logiam Melanchthonis Lipsiae 1534 einige Artikel dieser Confutation drucken lassen. Beim dritten Artikel Bog. D wird darin gefordert: damnent diras blasphemias — Lutheri errorem — suum Pugen- hagium — Melanchthonem suum — Antonium Zimerman, hominem insigniter Lutheranum — studiosum Lutheri discipulum Burgue- rum. Von Allen werden die zu verdammenden Stellen angefuͤhrt. Daher kam eben, wie Cochlaͤus sagt, quorundam consilium qui ju- dicabant ejusmodi responsionem fore nimis acrem et prolixam. Den ersten Entwurf gab ihnen die Reichsversammlung ge- radehin zurück, und wies sie an, sich nur an die Artikel der Confession zu halten. Auch einen zweiten kürzern, der darnach einlief, unterwarf die Versammlung, Artikel für Artikel, ausführlicher Berathschlagung. Es dauerte bis den dritten August, ehe man mit der Confutation zu Stande kam, und sie nun auch in jenem Saal des bischöflichen Hofes verlesen lassen konnte. Sie besteht, wie die Confession aus zwei Theilen, von denen sich der eine auf den Glauben, der andere auf die Gebräuche bezieht. In dem ersten näherte sich die Streitfrage bereits den Standpunkten, auf welchen sie seitdem festgehalten worden ist. Man behauptete nicht mehr, daß das Sacrament, das bloße Vollziehen der Handlung, das Opus operatum Gnade verdiene. Man lehrte nicht mehr, daß ein gutes Werk ohne Gnade gethan, von derselben Gattung sey, wie eins mit Gnade gethan, daß zwischen beiden nur ein gra- dueller Unterschied sey. Das waren die Lehren, gegen die Confutation . sich Luther erhoben. Man ging vielmehr auf die tiefern Begriffe der Rechtfertigung durch Christum, wie sie seitdem in aller Welt gäng und gebe geworden, näher ein. Wenn man zugleich die Nothwendigkeit der guten Werke festzuhalten suchte, so geschah das doch in einem andern Sinne als früher. Vgl. außer der Confutation De principum protestantium confessione Joannis Eccii censura archiepiscopo Moguntino et Georgio D. S. Augustae exhibita bei Coelestin III, 36. Da diese Schrift, an ein paar katholische Fuͤrsten gerichtet, schon das Wesent- liche der spaͤtern Zugestaͤndnisse enthaͤlt, so hebt sich damit die Ver- muthung der Heuchelei, die man wohl vorgebracht hat. Dieß ist aber auch die einzige Modification, zu der man sich verstand. Denn in allen übrigen Punkten blieb man dem einmal festgestellten Systeme treu. Man forderte die Anerkennung der Transsubstantiation, der sieben Sacramente, die An- rufung der Heiligen; man blieb bei der Versagung des Kelchs und der Nothwendigkeit des Cölibats stehn, und machte sogar einen Versuch, der freilich nicht anders als mißlingen konnte, sie aus Aussprüchen der Schrift, oder dem Gebrauch der ältesten Jahrhunderte, wobei man sich denn wieder auf die falschen Decretalen stützte, herzu- leiten; das Meßopfer ließ man sich nicht entreißen; vor al- lem hielt man an dem Begriffe der lateinischen Kirche als der allgemeinen fest. Den lateinischen Ritus in der Messe vertheidigte man damit, daß der fungirende Priester bei wei- tem mehr der ganzen Kirche angehöre, als der Gemeinde die ihn umgebe. Genug, wenn man auf der protestantischen Seite, durch den Mißverstand der Lehre, und die eingerissenen Mißbräuche veranlaßt worden war, unmittelbar auf die Schrift zurück- Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . zugehen, die man zwar in einem Sinne faßte, der den Grundanschauungen der alten lateinischen Kirche entsprach, aber bei dem die Ideen und Bildungen der letzten hier- archischen Jahrhunderte nicht bestehen konnten, so bequem- ten sich jetzt auch die Gegner, einige der schroffsten Aus- wüchse der Lehre fallen zu lassen, auf die Abschaffung der Mißbräuche zu denken, welche ohnehin zu so vielen Irrun- gen zwischen geistlichen und weltlichen Fürsten geführt hat- ten, aber übrigens blieben sie dabei, daß das ganze hierar- chische System von unmittelbar göttlichem Ursprung sey. Wir sehen sie nach einer Methode suchen, denn in der That hatten sie eine solche noch nicht gefunden, um die Ueberein- stimmung ihres Systemes mit der Schrift nachzuweisen. Und dieß hätte nun so viel nicht zu sagen gehabt, wenn es dabei blos auf Vertheidigung abgesehen gewesen wäre. Allein mit Nichten. Die Majorität erklärte nicht allein, sie finde diese Meinung recht und katholisch, mit dem Evangelium übereinstimmend, sondern sie forderte nun auch, daß die protestantische Minorität die widerlegten Ar- tikel ihrer Confession fahren lassen, und mit der allgemei- nen rechtgläubigen Kirche einförmig glauben solle. Auf den Nachweis der Uebereinstimmung mit dem Wesentlichen, Al- ten, Ursprünglichen ward keine Rücksicht genommen, so lange noch die geringste Differenz, wenn auch nur in dem Zufälligen, Unwesentlichen zu bemerken war. Alles was im Laufe der Zeit, entweder in dem unabweislichen Drange der Ereignisse oder auf den Grund legaler Bestimmungen einer andern Reichsversammlung abgeändert worden, sollte wieder hergestellt werden. Der Kaiser, dem die Idee als Bedrohungen . als Richter zwischen den beiden Parteien aufzutreten, ver- leidet worden, erklärte sich ganz im Sinne der Majorität. Am Schluß der Confutation, die in seinem Namen publi- cirt ward, ermahnte er die Evangelischen, sich nun der rö- mischen und katholischen Kirche wieder gehorsam zu be- zeigen. Wo nicht, so werde er gegen sie verfahren müssen, wie einem römischen Kaiser, Schutzherrn und Vogt der Kirche zukomme. Die Zeit der Milde war vorüber, die Zeit der Strenge schien gekommen. Schon hatte der Papst gesprochen. Es war ein Brief Campeggi’s in Rom eingegangen, in welchem die vornehmsten Forderungen der Protestanten nahmhaft gemacht worden waren. Gleich im Anfang der Versammlung nemlich hatte der Kaiser sich eine kurze An- gabe derselben von Melanchthons Hand verschafft und diese dem Legaten mitgetheilt. Am 6. Juli kam die Sache im Consistorium des Papstes und der Cardinäle zum Vor- trag. So viel wir wissen, forderten die Protestanten bei- derlei Gestalt, Priesterehe, Weglassung des Canons in der Messe, Ueberlassung der eingezogenen geistlichen Güter und Erörterung der übrigen Streitpunkte auf einem Concilium. In Rom aber hielt man nicht für gut, darauf einzugehn. Man fand diese Artikel im Widerstreit mit dem Glauben und der Disciplin, so wie mit dem Interesse der Kirche. Man beschloß sie zurückzuweisen und dem Kaiser einfach für den bewiesenen Eifer zu danken. Pallavicini aus einem gleichzeitigen Diario III, IV, 280. Articoli opposti — alla ragion della chiesa. Eine Art kirchlicher Staatsraison. Ranke d. Gesch. III. 17 Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Die Reichsversammlung selbst hatte den Kaiser auf- gefordert, als Vogt der Kirche aufzutreten. Von beiden Seiten angeregt, durch seine Verträge ge- bunden, und nur von Leuten umgeben, die entweder keinen Begriff von dem Thun und Lassen der Protestanten hat- ten, oder vorlängst ihre Feinde waren, nahm er die ernst- lichste Haltung an. Den allgemeinen Erklärungen fügte er ungnädiges Bezeigen gegen die Einzelnen hinzu; nament- lich dem Churfürsten Johann gab er durch eine besondere Abordnung sein Mißfallen zu erkennen, daß er sich von dem Kaiser, der doch Schützer des Glaubens sey, getrennt, Neuerungen vorgenommen, Bündnisse gesucht habe. „Auch S. Majestät habe eine Seele und ein Gewissen, und wolle nichts gegen Gottes Wort thun.“ Werde daher der Chur- fürst nicht zu dem Glauben zurückkehren, den man seit zwei, drei Jahrhunderten gehalten, Im Abdruck bei Muͤller p. 672 heißt es seit 20, 30 Jahren, was ohne Zweifel ein Schreibfehler ist. so sey es auch Sr. Maje- stät nicht gelegen, ihn zu belehnen, oder ihm irgend eine von den andern Gnaden zu gewähren, die er begehre. Widerstand. Es konnte wohl zweifelhaft scheinen, ob deutsche Für- sten und Herren, in dem ritterlichen Leben der Höfe er- wachsen, und in spätern Jahren durch fremde Unterwei- sung zur Lehre gelangt, des guten Verständnisses mit ihren Nachbarn und in ihren wichtigsten Angelegenheiten der Gnade des Kaisers bedürftig, ob diese wirklich standhaft genug seyn würden, dem ausgesprochenen Unwillen des letztern, und einer immer engeren Vereinigung der ständischen Ma- Widerstand . jorität gegenüber, ohne durch einen haltbaren Bund auch nur unter einander gesichert zu seyn, ihre Ueberzeugung mit der nöthigen Festigkeit zu behaupten. Zunächst kam es hiebei auf den vornehmsten von ihnen an, auf welchen die Andern blickten, und den auch der Kaiser am härtesten anging, den Churfürsten Johann von Sachsen. Churfürst Johann von Sachsen, der letzte von den vier trefflichen Söhnen des Churfürsten Ernst, die einst zu Grimma mit großer Sorgfalt zu geistlichen oder weltlichen Reichswürden erzogen worden, der Stammvater des noch heute in mannichfaltigen Zweigen blühenden ernestinischen Hauses, besaß nicht die politische Genialität seines Bruders Friedrich, dessen feinen durchdringenden Geist; dagegen zeigte er sich von Jugend auf gutmüthig und treuherzig, ohne alles Falsch — wie Luther sagt, ohne Galle, aber dabei erfüllt von dem sittlichen Ernst, der einer so einfachen Seele erst ihren Werth verleiht. Man weiß nicht an- ders, als daß er bis zu seiner Vermählung in seinem 32sten Lebensjahre vollkommen keusch gelebt hat. Spalatin von Herzog Hansen zu Sachsen Churfuͤrsten in Struve’s neu eroͤffnetem Archiv III, 16, leider weit unergiebiger, als desselben Verfassers Nachricht uͤber Friedrich d. W. Die rauschenden ritterlichen Festlichkeiten, an denen er zuwei- len am Hofe Maximilians Theil nahm, obwohl auch er sich dabei hervorthat, befriedigten ihn doch nicht; er meinte später, von diesen Tagen sey doch auch keiner ohne irgend ein Herzeleid vergangen. Eine Aeußerung von ihm in Beckmanns Anhaltischer Ge- schichte II, V, p. 140. Man sieht, für Vergnügun- 17* Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . gen und Weltlust war er nicht geboren; das Unangenehme, das dabei nicht zu vermeiden ist, ging ihm allzutief, und quälte ihn mehr, als ihn der leichte Genuß erfreute. Mit seinem Bruder, dessen Mitregent er war, hat er sich nie entzweit; nie hat Einer einen Diener angenommen, ohne daß der Andere damit einverstanden gewesen wäre. Vom ersten Aufgang Luthers an, widmete er der Lehre desselben die freudigste Theilnahme; sein von Natur ernstes und in der Tiefe religiöses Gemüth ward von derselben allmählig ganz durchdrungen. Es war ihm Vergnügen und Genug- thuung, sich die h. Schrift, die ihm nun erst bekannt ward, in den Abendstunden vorlesen zu lassen. Er schlief darüber zuweilen ein, denn schon war er bejahrt; wenn er auf- wachte, wiederholte er den letzten Spruch, der ihm im Ge- dächtniß geblieben. Die Predigten Luthers schrieb er zu- weilen nach: man hat ein von seiner Hand geschriebenes Exemplar des kleinen Catechismus Lutheri. Cyprian Geschichte der Augsburgischen Confession p. 184. Früher und später hat es Fürsten gegeben, die durch eine Hingebung dieser Art in ihrer Thatkraft gelähmt worden; bei ihm war das nicht der Fall. Bei aller Einfachheit entwickelte seine Seele doch auch Schwung und Willen. Als in dem Bauern- kriege die Sache der Fürsten so schwankend stand, verbarg er sich nicht, daß es zu einem völligen Umschlag kommen könne; er war sogar darauf gefaßt und man hörte ihn sa- gen, auch er könne sich am Ende mit ein paar Pferden be- gnügen und ein Mann seyn wie ein anderer Mann, aber das hielt ihn nicht ab, sein gutes Recht doch so tapfer zu vertheidigen wie irgend ein Andrer; nur in dem Siege Churfuͤrst Johann von Sachsen . zeigte er sich milder. Und wann wäre in den folgenden Jahren ein Moment eingetreten, wo eine blos beschauliche Frömmig- keit auch nur möglich gewesen wäre. Wir kennen keinen Für- sten, der sich um die Feststellung der protestantischen Kirche ein größeres Verdienst erworben hätte. Sein Bruder und Vorgänger hatte die Lehre nur nicht unterdrücken lassen, sie in seinem Lande und so viel er vermochte im Reiche in Schutz genommen. Doch gab es auf jeder Seite noch Klip- pen, an denen alles scheitern konnte, als Johann zur Re- gierung kam. Nur durch eine Politik, die von einer in je- dem Augenblicke bewußten höhern Ueberzeugung getragen war, konnten sie vermieden werden. Nach dem Bauernkriege erhoben sich die Ideen der Reaction auf das gewaltigste; so sehr sie ihm von seinem weltklugen und in den Geschäf- ten geübten Vetter empfohlen wurden, so ließ Johann sich nicht von ihnen übermeistern. Auf dem nächsten Reichstage nahm er vielmehr eine Haltung an, durch welche er jenen Ab- schied, auf dem alle weitere gesetzliche Entwickelung beruht hat, herbeiführen half. Bald darauf schien es wohl, als werde der Ungestüm seines hessischen Verbündeten auch ihn ergreifen, und ihn nach der andern Seite hin auf eine nicht mehr abzusehende Bahn politischer Verwickelungen fort- reißen, aber noch zur rechten Zeit nahm er bessern Bedacht, und kehrte in die defensive Stellung zurück, die ihm na- türlich war und die er behaupten konnte. Sein Bemü- hen ging allein dahin, der Lehre in seinem Lande Ausdruck und ein entsprechendes öffentliches Daseyn zu geben. Er führte die erste evangelische Kirchenform in Deutschland ein, die allen andern mehr oder minder zum Muster gedient hat. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Er versäumte nicht, die Uebergriffe seines Adels zu verhin- dern: so mild und gutmüthig er war, so ließ er sich doch keine ungerechte Begünstigung abgewinnen; er tadelte an sei- nem Sohn, daß derselbe seiner Umgebung wohl mehr als billig Gehör gebe. In alle dem hatte nun Luther den größ- ten Einfluß auf ihn: Luther wußte die inneren Motive, welche diese Seele beherrschten, zur rechten Zeit in Anre- gung zu bringen, und in frischem Bewußtseyn zu erhalten. So geschah denn auch unter Johanns Vortritt die Pro- testation, die der ganzen Partei Namen und Weltstellung gegeben hat. Denn wo Recht und Religion auf seiner Seite war, da hatte er kein Bedenken. Da führte auch er wohl das Sprichwort: „gradaus giebt einen guten Ren- ner.“ — Eine zur Zurückgezogenheit geneigte, friedfertige, anspruchlose Natur, in der aber durch ein großes Vorha- ben eine Entschlossenheit und Thatkraft geweckt waren, die sich demselben vollkommen gewachsen zeigten. Hier zu Augsburg hatte nun Churfürst Johann die Prüfung zu bestehen, ob diese Gesinnung wahres gediegenes Gold sey, oder auch mit Schlacken vermischt. Er fühlte eine natürliche reichsfürstliche Verehrung für den Kaiser, nnd anfangs zweifelte er nicht, diese mit seiner religiösen Ueberzeugung ohne Schwierigkeit vereinigen zu können. Sehr bald aber sah man ein, daß das unmöglich seyn werde, und um die Gefahr wenigstens zunächst von dem Haupte des Fürsten abzuwenden, kamen einige seiner Gelehrten auf den alten Gedanken zurück, daß er sich ihrer nicht annehmen, sie für sich selbst stehen lassen Churfuͤrst Johann von Sachsen . solle. Sie waren bereit, die Confession blos in ihrem eig- nen Namen einzugeben. Der Churfürst erwiederte ihnen: „ich will meinen Christus auch mit bekennen.“ Seitdem zeigte sich aber der Kaiser von Tag zu Tag abgeneigter. „Wir haben,“ sagt der Churfürst in einem seiner Briefe, An Nicol. v. Ende, Amtmann in Georgenthal. 28. Juli. „S. Kaiserl. Majestät gebeten, uns mit der Churwürde zu belehnen: das ist uns abgeschlagen wor- den. Wir liegen mit großen Kosten hier, haben eben 12000 Gulden aufnehmen müssen: Kaiserl. Majestät hat uns noch mit keinem Worte zugesprochen. Wir können nicht anders denken, als daß wir bei Kaiserlicher Majestät schwer ver- unglimpft sind, und daß uns dieß durch unsere eignen Ver- wandten geschehen ist.“ Wir sehen, in welche Stimmung man ihn bereits ge- setzt hatte, und darauf folgte nun die Confutation und die derselben beigefügte drohende Erklärung. Daß er dem Kaiser, der so eben den König von Frank- reich besiegt, Italien zur Ruhe gebracht hatte, der jetzt mit der Majorität des Reichs auf das engste verbündet war und in ihrem Namen handelte, Widerstand leisten könne, er mit dem schmalen Strich Landes an der Elbe und sei- nem kleinen Thüringen, ohne zuverlässige Verbündete, daran ließ sich gar nicht denken. Und lähmte ihn nicht über- dieß der Zweifel, ob er auch nur das Recht habe, sich zu widersetzen? Er neigte sich zu der Meinung, daß es ihm nicht zukomme. Man trug Sorge, ihn ganz deutlich wissen zu lassen, Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . was ihm bevorstehe. Ein mit dem Hofe sehr vertrauter Fürst erklärte ihm eines Tages, werde er sich nicht fü- gen, so werde ihn der Kaiser mit gewaffneter Hand an- greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an seiner Per- son das äußerste Recht vollstrecken. Muͤller Geschichte der Protestation p. 715. Wie verbreitet Besorgnisse dieser Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach- richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die Absichten des Kaisers geschildert wurden: der Kaiser wolle Herzog Joͤrgen von Sachsen an Herzog Hansen (bringen), „dem er seinen Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrst sey, zu nehmen und Herzog Joͤrgen zu geben, unterstehen wird.“ Archiv fuͤr schweiz. Geschichte I, p. 278. Der Churfürst zweifelte nicht, daß es dahin kommen könne. In großer Bewegung kam er nach Hause; er zeigte sich entsetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver- läugnen müsse, oder sich mit den Seinen in ein unvermeid- liches Verderben stürzen werde. Luther versichert, hätte er gewankt, so würde keiner seiner Räthe festgehalten haben. Allein eben das entschied ihn, daß er sich die Frage, die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen schneidenden Schärfe vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, sagte er: wer kann zweifeln, was das Beste sey? — Gott hat mich zu einem Churfürsten des Reichs gemacht, was ich niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir, was ihm gefällt. Was in seiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein Traum, den er in dieser Zeit hatte. Es ergriff ihn jene Beklemmung, in welcher der Mensch unter einer seine Brust niederdrückenden Last zu vergehen meint. Er glaubte, er Luther in Coburg . liege unter einem hohen Berg, auf dessen Spitze sein Vet- ter Georg stehe; gegen Morgen sank der Berg zusammen, und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder. Genug, der alte Fürst wich und wankte nicht. Große Ereignisse geschehen überhaupt nicht ohne eine große mo- ralische Anstrengung. Neue Bildungen bedürfen dieses ge- heimnißvollen innern Kerns. Churfürst Johann erklärte nach wie vor, der Kaiser solle in ihm in allen Stücken einen getreuen friedlichen Fürsten finden, aber dazu werde er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got- teswort zu betrachten. Der Mann, der ihn hiebei am meisten festhielt, ist ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war. Luther war von der Acht, mit der er belegt worden, noch nicht freigesprochen; so sicher er demungeachtet auch seitdem geblieben, so konnte ihn der Churfürst doch nicht an den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen sei- nes Landes, in Coburg. Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge- dränge der Geschäfte und Tagesbegebenheiten fortgerissen, die Ereignisse von einem höhern Standpunkte aus über- blicken konnte. Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiser so enge verbündet mit dem Papst, der Franzosen so sicher schien, daß auch die Reichsstände die Partei des Papstes wieder ergriffen. Er betrachtet diese Dinge mit einer ge- wissen Ironie. Der Herr: par ma foi , wie er den Kö- nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . von Pavia niemals vergessen; der Herr: in nomine do- mini , der Papst werde an dem zerstörten Rom keine Freude haben; ihre Eintracht mit dem Kaiser gehöre in das Capitel: non credimus. An Teutleben 19. Juni. Er fand die Fürsten unbegreiflich, die es so hinnahmen, daß der Papst den Kaiser so eben ohne ihr Beiseyn gekrönt hatte. An den Churfuͤrsten von Mainz 6. Juli. Er verglich die Versammlung mit dem Lärm der Dohlen vor seinem Fenster: da sehe er das- selbe Zu- und Abreiten, das Schreien und Scherwänzen der Scharrhanse, das eintönige Predigen der Sophisten; An seine Tischgesellen 28. April und Spalatin 9. Mai. „ein nützliches Volk, alles zu verzehren was auf Erden ist, und dafür ihre Beschlüsse in die Luft zu rufen für die lange Weile.“ Es deuchte ihm sehr besonders, daß man so ganz vergessen haben wollte wie die Sachen standen, als er auf- trat, und er rief wohl wieder ins Gedächtniß, wie damals der Ablaß in Schwang gegangen und die Lehre, daß man durch fromme Werke Gott genug thue; wie damals täglich neue Dienste, Wallfahrten, Reliquien, zuletzt noch die Fa- bel vom Rocke Christi aufgekommen; wie man die Mes- sen doch in der That für ein paar Pfennige mehr oder minder verkauft, und das für ein Gott wohlgefälliges Opfer gehalten, ohne der tieferen Begriffe auch nur zu gedenken, die man jetzt wieder hervorsuche. Er brachte in Erinne- rung, daß von den Protestanten, wenigstens literarisch, das Beste gegen den Bauernaufruhr geschehen sey, dafür aber wolle man sie nun vertilgen. Denn keinen Augenblick war ihm zweifelhaft, wohin diese Sache führen werde. So wie der Kaiser die Predigten verboten, hoffte er auf keine Ver- Stimmung Luthers . söhnung mehr. Er sah voraus, daß er in seine Fürsten dringen werde, eben so gut die ganze Lehre fahren zu las- sen. Nicht daß er den Kaiser selbst für gewaltsam gehal- ten hätte, er spricht von dem edlen Blut „Kaiser Carolus“ nie ohne Ehrerbietung, aber er weiß, in welchen Händen der Herr ist; er erblickt in ihm nur die Larve, hinter der sich die alten Feinde verbergen. Er bezweifelt nicht, daß diese nur auf Gewalt denken, auf ihre Mehrzahl trotzen. Er meint, jener Florentiner auf dem päpstlichen Stuhl werde wohl noch Gelegenheit finden, den Deutschen ein Blutbad anzurichten. Aber diese Absichten schrecken ihn nicht. „Laß sie nur machen, sie sind noch nicht am Ende.“ Daran könnte er nicht denken, einen Schritt breit wei- ter nachzugeben: „Tag und Nacht lebe ich in diesen Din- gen. Ich durchsuche die Schrift, überlege, disputire: täg- lich wächst mir die Gewißheit: ich werde mir nichts mehr nehmen lassen, es gehe mir darüber wie Gott will.“ Es macht ihn lachen, daß sie auf Restitution dringen. „Sie mögen erst das Blut des Leonhard Kaiser herausgeben und so vieler Andern, die sie unschuldig ermordet.“ Daß er aber so wenig fürchtet, ist allein die Folge der Ueberzeugung, daß seine Sache Gottes Sache ist. „Ei- nige sind wehmüthig, als habe Gott unser vergessen; da er doch uns nicht vergessen kann, er müßte denn zuvor sein selbst vergessen: unsre Sache müßte nicht seine Sache, unsre Lehre nicht sein Werk seyn. Wäre aber Christus nicht mit uns, wo wäre er denn in der Welt? Hätten wir nicht Gottes Wort, wer hätte es denn. — Er tröstet sich des Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Spruchs, verlaßt Euch auf mich, ich habe die Welt über- wunden.“ „Der Herr wohnt im Nebel; im Dunkel hat er seine Zuflucht. Man sieht nicht wer er ist, aber er wirds seyn, so werden wirs sehen.“ „Und sollten wir ja nicht würdig seyn, so wird es durch Andre geschehen. — Haben etwa unsre Vorfahren gemacht, daß wir sind, was wir sind. Gott allein macht es, wel- cher der Schöpfer seyn wird nach uns wie vor uns, wie er es mit uns ist. Denn nicht mit uns wird er sterben, der Gott, der die Gedanken regiert. Werden die Feinde mich umbringen, so werde ich schon besser gerächt werden als ich wünschte; es wird Einer seyn, der da spricht: wo ist Abel dein Bruder.“ In dieser Stimmung sind alle seine Briefe in diesen Tagen geschrieben. Nie war ein Mensch von dem Gefühl der Unmittelbarkeit des göttlichen Wesens lebendiger durch- drungen. Er kannte die ewigen, siegreichen Mächte, in deren Dienst er stand, er kannte sie, wie sie sich geoffen- bart und rief sie bei ihren Namen. Er trotzte auf das Wort, das sie in den Psalmen oder in dem Evangelium dem menschlichen Geschlechte gegeben. Er sprach mit Gott, wie mit einem gegenwärtigen Herrn und Vater. Sein Amanuensis in Coburg hörte ihn einst unbemerkt, als er einsam betete. „Ich weiß daß du unser Gott bist, daß du die Verfolger der Deinen zer- stören wirst; thätest du es nicht, so gäbst du deine eigene Sache auf; sie ist nicht unser, wir sind nur gezwungen dazu getreten; du mußt sie auch vertheidigen.“ Er betete Stimmung Luthers . mit dem männlichen Muthe, der ein gutes Recht zu haben glaubt auf den Schutz der ewigen Gotteskraft, der er sich gewidmet: sein Gebet ist ein Versenken in den Abgrund der Tiefe der dennoch persönlichen Gottheit; er läßt nicht ab, bis er das Gefühl der Erhörung hat, das größte, des- sen das menschliche Herz, über alle Täuschung erhaben, in seinen heiligsten Augenblicken fähig ist. Ich habe für dich gebetet, schreibt er an Melanchthon, ich habe das Amen gefühlt in meinem Herzen. Ein ächter Ausdruck dieser Stimmung ist das Lied „eine feste Burg ist unser Gott,“ dessen Entstehung man von jeher sehr mit Recht in diese Zeiten gesetzt hat. Schon Coͤlestin giebt es an. Olearius hat dagegen erinnert, daß das Lied sich bereits in einer Sammlung von 1529 befinde. Er meinte damit wohl nichts, als die mit der Jahrzahl 1529 bezeichnete Sammlung lutherischer Lieder in der Jen. und Altb. Ausg. luth. Werke, die aber hier, wie so manches andere auf einem Irrthum beruht. Niemals ist eine Sammlung von 1529 wieder bekannt geworden, und es laͤßt sich an ihrer Existenz zweifeln. Diejenige, welche man dafuͤr ausgiebt, enthaͤlt auch spaͤtere Lieder. Es kün- digt sich als eine Bearbeitung des 16ten Psalmes an, an den es jedoch nur erinnert: es ist ganz das Produkt des Momentes, wo man im Kampfe mit einer Welt voller Feinde sich auf das Bewußtseyn zurückzieht, daß man eine göttliche Sache vertheidigt, die nicht untergehen kann. Es scheint, als lege man die Waffen nieder, aber es ist die männlichste Verzichtleistung, die es geben kann, nur auf den momentanen Erfolg; des ewigen ist man gewiß. Wie erhebt sich die Melodie so freudig und muthvoll, treuher- zig in ihrer Sicherheit, gottinnig und weltverachtend! Sie ist identisch mit dem Gesange; in den Stürmen jener Tage entstanden sie mit einander. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Und in dieser Stimmung sprach er nun wie seinen nächsten Freunden, so auch dem Fürsten und dessen Räthen Muth ein. Er tröstet den Fürsten damit, daß man ihm ja keine andere Schuld beimesse, als die Vertheidigung des reinen lebendigen Wortes Gottes. Darin liege aber vielmehr alle seine Ehre. In seinem Lande habe er die besten Prediger; die zarte Jugend wachse daher mit Catechismus und Gottes- wort, daß es eine Freude sey; das sey das Paradies, über welches ihn Gott zum Wächter gesetzt; er schütze das Wort nicht allein, er erhalte und ernähre es auch; dafür komme es ihm auch wieder zu Hülfe. „O das junge Volk wird es thun, das mit seinem unschuldigen Zünglein so herzlich gen Himmel ruft.“ Ich habe neulich zwei Wunder gesehen, schrieb er an den Kanzler Brück. Das erste, da ich zum Fenster hin- aussah, die Sterne am Himmel und das ganze schöne Ge- wölbe Gottes, und sah doch nirgend einen Pfeiler, darauf der Meister solch Gewölb gesetzt hatte, und doch steht es fest. Das andre, ich sah große dicke Wolken über uns schweben, und doch keinen Boden, darauf sie ruhten, keine Kufen, darin sie gefaßt waren: noch fielen sie nicht herab, sondern grüßten uns mit einem sauren Angesichte und flo- hen davon. — Denn Gottes Gedanken sind weit über un- sern Gedanken — sind wir nur deß gewiß, daß unsre Sache seine Sache ist, so ist auch unser Gebet schon erhört und die Hülfe schon beschlossen — gäbe uns der Kaiser Frie- den, wie wir wünschen, so würde der Kaiser die Ehre ha- Haltung der protestantischen Fuͤrsten . ben; aber Gott selbst will uns Frieden schaffen, daß er allein die Ehre habe. 4. Aug. de W. IV. In einem entschlossenen Willen liegt jedesmal eine die Gemüther mit sich fortreißende Gewalt. Wie viel mehr in einem solchen, der sich so gotterfüllt zeigt! Luther übte von Coburg her vielleicht einen größern Einfluß auf die Seinen aus, als ihm tägliche persönliche Gegenwart nur immer hätte verschaffen können. Alle die andern Fürsten wetteiferten mit Churfurst Jo- hann in Standhaftigkeit. Herzog Ernst von Lüneburg erwarb sich hier den Na- men des Bekenners. Statt einen Schritt zurückzuweichen, setzte er sich mit dem Manne in Verbindung, der dann die Reformation seines Landes vorzüglich geleitet hat, mit Ur- banus Rhegius. Er nahm ihn mit sich „als das beste Kleinod,“ das er von Augsburg den Seinen habe mit- bringen können. Dem Markgrafen Georg von Brandenburg hatten Kai- ser und König Begünstigung in seinen Angelegenheiten ver- sprochen, wenn er von der Lehre abstehe; das Haus Brandenburg hatte schon damals Ansprüche auf schlesische Besitzungen; der Markgraf wies jeden Antrag dieser Art von sich. Schreiben an die Stammesvettern 19. Juli bei Foͤrstemann II, 93. Aber nicht minder lebhaft drang nun sein an- gesehener und noch eifrig katholischer Vetter, Churfürst Joa- chim in ihn: es kam zwischen beiden zuweilen zu bitterer Zwiesprache. Der Markgraf erklärte sich überzeugt, daß die Lehre kein Irrthum genannt werden könne, wenn Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . anders Christus noch Christus sey: sie weise nur auf Chri- stum: er habe sie selber an sich erprobt. Ohne hierauf ernst- lich einzugehn, hielt ihm der Churfürst hauptsächlich entge- gen, daß der Kaiser alles in den vorigen Stand zu setzen ent- schlossen sey. Der Markgraf erwiederte, der Kaiser möge ab- schaffen was er wolle, er müsse es geschehen lassen, doch werde er nicht dazu helfen. Der Churfürst fragte, ob der Markgraf auch bedenke, was ihm auf dem Spiele stehe; die- ser versetzte: „man sagt, ich soll aus dem Lande verjagt werden: ich muß es Gott befehlen.“ Gleichzeitige Aufzeichnung uͤber diese Verhandlungen a. a. O. 630. Nur von geringer Macht war Fürst Wolfgang von Anhalt. Ganz angemessen ließ er sich vernehmen: er habe für gute Freunde und Herrn gar manchen Ritt gethan; sein Herr Christus verdiene wohl auch, daß er etwas für ihn wage. Herr Doctor, sagte er zu Eck, denkt ihr auf Krieg, so werdet ihr diesseit auch Leute finden. Beckmann Anh. Chronik II, V, 142. Und wie hätte sich, zumal bei dieser Stimmung der Ue- brigen, der muthvolle Landgraf etwas abgewinnen lassen sol- len? Der hessische Chronist Lauze erzählt, nach der Uebergabe der Confession habe man den Landgrafen auf den hohen Berg geführt, und ihm die Güter der Welt gezeigt, — d. i. ihn Begünstigungen in der Nassauischen und der Würtember- gischen Sache hoffen lassen, aber er habe alles abgelehnt. Schreiben der nuͤrnbergischen Gesandten C. R. II, 167. Eines Tages hörte er, der Kaiser wolle ihn zur Rede stel- len; allezeit fertig wie er war, säumte er nicht selbst nach Hofe zu gehn, und den Kaiser zu ersuchen, ihm die Punkte nahmhaft zu machen, wegen deren er ungehalten sey. Der Der Landgraf, die Staͤdte . Kaiser nannte einige; der Landgraf gab eine Auskunft, mit der sich jener zufrieden zeigte: die Hauptsache war, daß der Kaiser ihn aufforderte, in dem Artikel des Glaubens sich unterthänigen Gehorsams zu erzeigen: wo nicht, so werde er verfahren, wie ihm als römischen Kaiser gebühre. Noch weniger aber wirkten Drohungen auf ihn als Versprechun- gen. Ueberdieß ward es ihm von Tag zu Tag unbequemer, bei einer Versammlung auszuhalten, wo er vermöge der hier- archischen Ordnungen des Reiches keineswegs eine Stellung einnahm, die seiner Macht entsprach. Er ersuchte den Kaiser ihn zu entlassen, der schlug es ihm ab; er ritt nichts desto minder eines Abends von dannen. 6. Aug. Am 30. Juli war er in Buͤrgerrecht mit Zuͤrich getreten, was hierauf wohl den meisten Einfluß hatte. Vgl. Escher und Hottinger Archiv fuͤr schweiz. Gesch. und Landeskunde I, 426. Aus der Ferne versicherte er dem Churfürsten von Sachsen, er wolle Leib und Gut, Land und Leute bei ihm und bei Gottes Wort lassen. „Sa- get den Städten,“ schrieb er an seine Räthe, „daß sie nicht Weiber seyen, sondern Männer: es hat keine Noth, Gott ist auf unsrer Seite.“ Und in der That, die Städte machten den Fürsten keine Schande. „Unsres Erachtens,“ schreiben die Nürnber- ger Abgeordneten, „ist nicht zu weichen, man wollte denn des Kaisers Gnade höher anschlagen, als die Huld Gottes: Gott wolle nunmehr Beständigkeit verleihen.“ Bürgermeister und Rath waren gesinnt, wie ihre Bevollmächtigten. In weiter Ferne nahmen andere in gleichem Sinne an diesen Ereignissen Antheil. Ew. Gnaden, schreiben die Rathmannen von Magdeburg dem Churfürsten von Sach- Ranke d. Gesch. III. 18 Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . sen, stehen in Angelegenheiten der ganzen Christenheit un- ter dem Heerbanner unsres Heilands in schwerem Kampfe: wir bitten täglich von Gott dem Herrn Geduld und Stärke. Und hiedurch waren nun die Dinge in Deutschland bereits zu einer entschiedenen Gestalt entwickelt. Einer alle Rechte des Reichs in Anspruch nehmenden, mit dem Kai- ser vereinten, mit den Kräften des alten Europa verbün- deten Majorität gegenüber, suchte eine Minorität sich zu halten, noch vereinzelt und formlos, aber voll von religiö- ser Entschlossenheit. Die Majorität, den Kaiser an der Spitze, schien gesonnen, Gewalt zu brauchen; Butzer fuͤrchtet eine „laniena sanctorum qualis vix Diocle- tiani tempore fuit.“ 14. Aug. 1530 bei Roͤhrich II, p. 136. schon ward über eine Werbung leichter Reiterei in Italien unterhan- delt. Nicc. Tiepolo Relatione. Essendo in Augusta intesi che si offersero (die beiden Herzoge von Baiern) all imperatore vo- lendo lui muover guerra a Lutheranis e seppi che tentorno col duca di Mantova d’haver il modo di condur 1000 cavalli leggieri d’Italia in caso si facesse guerra in Germania. Die Minorität hatte noch keine Absicht; sie wußte nur, daß sie nicht weichen werde. War aber nicht jeder Schritt der Gewalt auch für die Majorität der Stände höchst gefährlich? Sie war ihrer eignen Unterthanen nicht sicher: die Erinnerung des Chur- fürsten von Mainz an die Gefahr, mit der ein im rechten Moment eintreffender Angriff der Türken beide Theile be- drohe, machte einen allgemeinen Eindruck. Wie die fried- liche Partei gleich anfangs beabsichtigt und den Beschlüssen einverleibt hatte, so zog man es doch vor, noch einen Ver- such der Vermittelung zu machen. Vermittelungsversuch von Seiten der Stände. Am 16. August begann eine Conferenz, an der von jeder Seite zwei Fürsten und fünf Gelehrte, nemlich zwei Doctoren des canonischen Rechtes und drei Theologen Theil nahmen, und die sehr bald einen vielversprechenden Gang nahm. Die eigentlich dogmatischen Streitpunkte machten dieß Mal keine unüberwindliche Schwierigkeit. In dem Artikel von der Erbsünde stimmte Eck bei, als ihm Melanchthon zeigte, daß ein angefochtener Ausdruck seiner Definition nur die populäre Erklärung einer ältern scholastischen enthalte. Bei dem Artikel von der Rechtfertigung „allein durch den Glauben“ erklärte Wimpina ausdrücklich, kein Werk sey verdienstlich, wenn es ohne Gnade geschehe; Auch Eck sagt in seinem Gutachten: de principum pro- testantium confessione Johannis Eccii censura (bei Coͤlestin III, 36): quod opera de sui natura et in se non essent meritoria, sed solum ex deo ex gratia dei assistente. er forderte nur die Verbindung der Liebe mit dem Glauben; nur in so fern bestritt er das Wort „allein.“ In diesem Sinne dachten aber auch die Protestanten nicht es festzuhalten: sie ließen sich gefallen daß es gestrichen wurde; war doch ihr Sinn von jeher nur gewesen, daß die Versöhnung mit Gott durch eine innerliche Hingebung, nicht durch äußer- liches Bezeigen geschehen könne. Dagegen erläuterte dann auch Eck, daß die Genugthuung, welche man katholischer Seits bei der Buße fordere, nichts anders als die Besse- rung sey; eine Erklärung, bei der sich freilich nichts mehr 18* Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. Spalatin, der in den ersten Sitzungen das Amt eines No- tars versah, bei Foͤrstemann II, p. 228. So ist denn auch Ecks ei- gene Aeußerung zu verstehen: Coͤlestin p. 36 nos ponimus satisfa- ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non realis. Selbst über den schwierigen Punkt des Meßopfers kam man einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für ein sacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel- ches am Kreuzesstamm vollzogen worden. Relation bei Coͤlestin III, 45. Est ergo missa non revera victima sed mysterialis et repraesentativa. Ueber die Ge- genwart Christi im Abendmahl stritt man ohnehin nicht. Gern ließen sich die Protestanten bestimmen, nicht allein eine wahrhaftige, sondern auch eine reale Gegenwart zu be- kennen. Dieser Zusatz findet sich in dem Anspacher Exem- plar der Confession bereits eingetragen. Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtseyn ge- bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateinischen Kirche oh- nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchischen Systeme der spätern Zeit und den überhandnehmenden Miß- brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie diese konnte man an einander dulden, wie ja immer verschiedene Meinungen neben einander bestanden hatten. Der ganze Zwiespalt lag vielmehr in der Verfassung und den Gebräuchen. Und da gaben nun die Protestanten ihrerseits so viel nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt, daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal- Vermittelungsversuch . tung erschwert, daß auch das Kirchenregiment von den Für- sten nicht hinreichend gehandhabt werden könne, ihnen so- gar zu viel koste. Die protestantischen Theologen und Für- sten erklärten sich bereit, den Bischöfen ihre Jurisdiction, geistlichen Bann, Aussicht über die Pfarren zurückzugeben, vorausgesetzt, daß man das Evangelium frei verkündigen dürfe. Unvorgreifliche Antwort bei Foͤrstemann II, 256. Vgl. mit dem Bedenken, ebendas. p. 245, p. 75. Aus dem letzten ergiebt sich, daß sie doch alle hierarchischen Einrichtungen ausdruͤcklich vom mensch- lichen Rechte herleiten wollten, gleichwie das Papstthum selbst, das man aber dann dulden koͤnne. In wie fern Luther hiemit uͤberein- stimmte, zeigt ein von ihm unterzeichnetes Bedenken bei Walch XX, 2178 Sie waren selbst geneigt, nicht weil es ein Got- tesdienst sey, aber der guten Ordnung halber, die Fasten beobachten und in Hinsicht der Beichte die Leute anweisen zu lassen, alle Fälle zu bekennen, in denen sie besondern Trostes bedürftig seyen. Vorschläge, die doch in der That eine Herstellung der Aeußerlichkeiten der Kirche einschlossen, welche man gar nicht mehr hätte erwarten sollen. Und auch den Vorwurf sollte man nicht wiederholen, daß die Herstellung der eingezogenen Klostergüter die Ver- söhnung verhindert habe. Obwohl die Protestanten den Gegnern einwarfen, daß von ihrer Seite noch schlimmere Beraubungen vorgekommen, z. B. die Besetzung des Bis- thums Utrecht durch den Kaiser, was bei weitem mehr sagen wolle, als Einziehung von ein paar Klöstern, da die Kirche auf die Bischöfe, nicht auf die Mönche gegrün- det sey, so erbot sich am Ende doch der Churfürst von Sachsen, alle eingezogenen Klöster einer Sequestration zu Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . unterwerfen; die Sequestrirenden, ehrbare Leute aus dem Landesadel, sollten dem Kaiser verpflichtet seyn, nichts von den Gütern abkommen zu lassen, bis zu einer Bestimmung des Conciliums. Saͤchsische Apologia bei Muͤller p. 861 und in dem Archiv von Foͤrstemann p. 150. So weit näherten sich die Protestanten noch einmal dem römischen Kirchenwesen, der Majorität des Reiches. Es ist kaum zu verstehen, daß man sie dabei nicht festhielt. Trat doch der Ausschuß der Majorität von einer an- dern Seite hinwiederum den Protestanten sehr nahe. Er sprach die Hoffnung aus, bei dem künftigen Concilium die Zulassung verheiratheter Priester ganz im Allgemeinen aus- zuwirken, wie das in der alten Kirche Statt gefunden. Das die conjugati mochten zu priesterlichem stand genomen und ordiniret werden, inmaassen wie vor allters In der ersten kirchen etlich hundert jar Im Gebrauch gewesen. Unschluͤssige unnd unver- griffliche christliche Mittel (Vorschlaͤge des katholischen Ausschusses) bei Foͤrstemann II , p. 250. Er sah kein Bedenken dabei, beide Gestalten zuzulassen. War man einander so nahe gekommen, was lag im Grunde an ein paar abweichenden Gebräuchen? Mußte man darum die Einheit des Reichs und der Nation, und den gegenseitigen Frieden aufgeben? Daß man dieß doch am Ende that, kam wohl haupt- sächlich daher, weil die Führer der Katholischen nicht han- deln konnten, wie sie vielleicht gewollt hätten. Wir wissen, daß die Sache am päpstlichen Hofe bereits in Berathung gezogen und entscheiden war. Der päpstliche Legat, Campeggi, säumte nicht, in dem dringenden Augenblick den Kaiser zu be- suchen, seinen ausschließend katholischen Eifer zu entflammen, Vermittelungsversuch . ihn zu den Gesichtspunkten der Curie zurückzurufen. Thom. Leodius Vita Friderici Palatini VII, 151. Ut in- tellexit, ita rejecit. Vgl. Melanchthon an Camerar ( Corp. Ref. II, 590.) Dahin ging auch das erste Gutachten Campeggi’s. I Santi padri, sagt er, con la santità della vita osservantia delli precetti divini con summa vigilantia e studio si sono sforzati a partecipare del spirito santo, dal quale senza dubio spinti hanno cosi santamente ordinate tutte le cose della chiesa. Nach seiner Lehre waren alle Ordnungen der Kirche vom heili- gen Geist eingegeben. In diesem Sinne bearbeitete er auch die Stände. Zuletzt forderten diese nun doch, daß auf der protestantischen Seite bis zum Ausspruch des Conci- liums keine verheiratheten Priester mehr angestellt werden sollten; sie bestanden auf dem Beichtzwang; sie wollten sich weder die Auslassung des Canons in der Messe, noch die Abstellung der Privatmessen in den protestantischen Ländern gefallen lassen; sie verlangten endlich, in den Pre- digten der Protestanten solle der Genuß des Abendmahls unter Einer Gestalt für eben so richtig erklärt werden, wie der unter beiden. Dieß waren aber alles Dinge, welche die bereits be- gonnene Bildung protestantischer Organisationen so gut zer- setzt haben würden, wie die Forderungen vom Jahre 1529. Die kaum gewonnene Ueberzeugung wäre dadurch wieder in ihrer Grundlage erschüttert worden. Die Protestanten waren bereit, den Genuß des Abendmahls unter Einer Gestalt nicht zu verdammen; aber sie konnten sich unmöglich entschließen, ihn für gleich richtig mit dem ihren zu erklären, „da ja Christus beiderlei Gestalt eingesetzt habe.“ Und wie sollten sie vollends die Privatmesse wieder einführen, die sie als dem Begriffe des Sacraments widersprechend, mit so gro- Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem sie doch überzeugt waren, daß sie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerstört haben. Auch zeigte sich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verschiedenheit der Grundansicht, als man sich eingestand. Die Katholischen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchstens einstweilige Ausnahmen zu gestatten seyen. Die Protestan- ten sahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al- lein in der Schrift; die Besonderheiten der römischen Kirche wollten sie nur bedingungsweise, nur in so fern es ganz unvermeidlich sey, zulassen. Brenz sprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis . Die Nothwendigkeit ist ihm der Beschluß der römischen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet. Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; diese sahen darin nur menschliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote- stanten das Papstthum als eine irdische menschliche, daher zu beschränkende Institution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiösen Begriffe der katholischen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Christi. Und selbst, wenn man sich einigermaaßen verstanden, Bedingungen eines Vergleiches festgestellt hätte, wie schwer wäre es geworden dieselben auszuführen. Welche Uneben- heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbständigkeit des niedern Clerus und des- sen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob sich die Antipathie der Städte dagegen. Die Vermittelungsversuch . Nürnberger äußerten, sie würden sich der Herrschaft eines Bischofs niemals wieder unterwerfen. Gutachten Spenglers in Hausdorfs Leben Spenglers p. 65. Wohl hat man nun, nachdem die ersten Verhandlun- gen abgebrochen worden, gegen Ende August eine noch engere Versammlung gebildet, nur von drei Mitgliedern von jeder Seite; aber es ist nicht nöthig, ihre Besprechungen zu be- gleiten; sie führten nicht einmal bis zu dem Punkt, der schon früher erreicht war. Es sind dann noch einige einzelne Versuche der An- näherung gemacht worden. Im Garten eines Augsburger Bürgers hielt Herzog Heinrich von Braunschweig eine Zu- sammenkunft mit dem Sohne des Churfürsten, Johann Frie- drich; in der Kirche zu St. Moritz machte der Kanzler von Baden dem sächsischen, welchen Melanchthon begleitete, Er- öffnungen, die sich dann eine Weile fortspannen, aber zu keinem Ziele führen konnten. Der protestantische Theil hatte so weit nachgegeben, als es die religiöse Ueberzeugung nur irgend zuließ; er hatte aber die äußerste Grenze bereits erreicht, ja schon regte sich in seinem eignen Innern Widerspruch gegen die gemach- ten Zugeständnisse; er war nun um kein Haarbreit weiter zu bringen. Auch bei diesen Verhandlungen erinnerte Chur- fürst Johann die Theologen, nur die Sache im Auge zu behalten, auf ihn und sein Land keine Rücksicht zu nehmen. Eben so wenig aber wäre auf der andern durch den Papst gefesselten Seite irgend eine weitere Concession zu er- reichen gewesen. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Verhandlungen des Kaisers. Unmöglich konnte der Kaiser geneigt seyn, es hiebei bewen- den, den Reichstag auf diese Weise auseinandergehn zu lassen. Gleich im Anfange der Berathungen hatte die katho- lische Majorität die alte Forderung eines Conciliums wie- derholt und der Kaiser darüber an den Papst geschrieben. Clemens VII legte die Forderung einer Congregation vor, die er für die Glaubenssachen niedergesetzt. Hier sprachen sich jedoch noch Viele dagegen aus und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal weil Leute, welche die frühern Con- cilien verworfen, sich auch einem neuen nicht fügen wür- den, sodann weil ein etwaniger Anfall der Türken, wäh- rend man seine ganze Aufmerksamkeit auf diese inneren Sa- chen wende, um so gefährlicher werden müsse. Allein der Papst war durch vorläufigen Zusagen, die noch von sei- ner Gefangenschaft im Castell herrührten, so wie durch mündliche Erörterungen, die zu Bologna vorgekommen, ge- bunden; er bat zwar den Kaiser die Sache ja noch einmal auf allen Seiten zu erwägen: sollte aber S. Majestät, die am Orte und so gut katholisch sey, es für unumgänglich nothwendig erachten, so willige auch er ein; jedoch nur unter der Bedingung, die von Kaiser und Ständen selbst angegeben worden, daß die Protestanten bis dahin zu dem Ritus und den Lehren der heil. Mutter Kirche gehorsam zurückkehren müßten. Als den geeignetsten Ort für die Ver- sammlung brachte er Rom in Vorschlag. All’ imperatore di man propria di Clemente (L. di pr. II, 197) Pregatala prima che esamini maturamente — dico a V. Vorschlag des Conciliums . Es war in Folge dieses Briefwechsels, daß der Kai- ser am 7. September den Protestanten eine Eröffnung zu- gehn ließ, in der er ihnen das Concilium ankündigte, aber mit dem Zusatz, „daß sie sich mittler Zeit dem Kaiser, den Ständen und der gemeinen christlichen Kirche gleichförmig würden zu halten haben.“ Glaubte Carl wirklich, nach allem was vorgegangen, mit einem solchen Befehle Gehör zu finden? Es würde verrathen, daß ihm Stimmung und Gesinnung der Prote- stanten noch immer verschlossen und ganz unverständlich ge- blieben waren. Diese aber hatten schon von dem Vorha- ben eines solchen Antrags gehört und waren vorbereitet. Sie antworteten: „sich in diese Forderung zu fügen, würde wider Gott und Gewissen laufen, überdieß aber seyen sie auch rechtlich dazu nicht verpflichtet. In Folge früherer Reichsschlüsse werde jetzt ein Concilium bewilligt; nie sey da von einer ähnlichen Bedingung die Rede gewesen. Was nun auch immer die Majorität zuletzt in Speier in dieser Hinsicht beschlossen haben möge, so könne das sie, die sie dagegen feierlich protestirt, nicht binden.“ In dem münd- lichen Vortrag hatte sie der Kaiser als Secte bezeichnen las- sen, sie säumten nicht, sich darüber ernstlich zu beschweren. Anmerkung zu den Anspachischen Acten in Foͤrstemanns Ur- kundenbuch II, 393. Saͤchsische Apologia in Foͤrstemanns Arch. 136. Wir haben das Schreiben, das nun der Kaiser hin- wieder an den Papst erließ. Wir sehen, daß er über die M. che son contento, che quella in caso giudichi esser cosi ne- cessario, offerisca e prometta la convocatione del concilio, con conditione però, che appartandosi da’ loro errori tornino incon- tinente al viver catholicamente. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Antwort so verwundert wie entrüstet war. „Sie haben mir,“ schreibt er, „in ihrem hartnäckigen Irrthum geant- wortet, worüber ich in Gedanken bin.“ Indem sich ihm schon die Aussicht erhob, daß es zur Anwendung der Gewalt kommen werde, hielt er doch noch für möglich, da ja nur die Vermittelung der Stände frucht- los abgelaufen, etwas auszurichten, wenn er selbst persön- lich hervortrete. „Damit alles desto mehr gerechtfertigt sey,“ schreibt er dort weiter, „scheint es mir gut, daß ich selbst mit ihnen rede, sowohl Allen zusammen, als einem Je- den allein: was ich auf der Stelle ins Werk zu setzen denke.“ Nicht ohne dem römischen Hof davon Nachricht gegeben zu haben, bot er demnach den Protestanten seine persön- liche Bemühung an, um Mittel der Einigkeit bis auf das Concilium zu finden. Wie sehr aber täuschte er sich auch jetzt, wenn er mit ei- ner Schrift, wie er sie nunmehr an die Protestanten erließ, et- was bei ihnen auszurichten hoffte. Er behauptete darin die Nichtigkeit der Protestation, ohne auf die Gründe für dieselbe einzugehn, nur deshalb, weil ein so gar geringer Theil dem größern billig nachfolgen müsse. Zugleich gab er seine Ver- wunderung zu erkennen, daß die katholischen Deputirten noch so weit nachgegeben. Da die Protestanten bereits ihr letztes Wort ausgesprochen, so mußten sie wohl eine Verhandlung zurückweisen, die auf diesen Voraussetzungen beruhte. Die religiösen Fragen erörterten sie in ihrer Antwort nicht mehr; sie suchten dem Kaiser nur ihren rechtlichen Standpunkt klar zu machen. Sie entgegneten ihm, sie seyen entschlossen auf den Abschieden der Reichstage von 1524 und 1526 zu ver- Kriegsgefahr . harren, deren sie keine Majorität entsetzen könne, und ba- ten übrigens lediglich um den äußern Frieden. Antwort der Protestanten, datirt vom 8. Septemb. Foͤrste- manns Urkunden II, 411. So unvermeidlich eine Antwort dieser Art war, so fühlte sich doch der Kaiser dadurch nicht wenig gekränkt. Er ließ die Protestanten wissen, er habe dieselbe „mit merk- lichem Mißfallen“ vernommen. Er sagt in einem seiner Briefe, er könne nicht beschreiben, wie viel Verdruß ihm diese Angelegenheit mache. Er hätte an den Ideen der la- teinischen Christenheit festhaltend, über alle seine Gegner zu triumphiren gewünscht; sein Ehrgeiz war ritterlicher Natur; statt dessen sah er sich in diese ihm wesentlich unverständ- lichen, auf jeden Fall höchst unerfreulichen Händel verwickelt. Bericht Hellers ibid. 422. In der That glaubte er nunmehr alle Mittel erschöpft zu haben und zu den Waffen greifen zu müssen. Bereits in dem obenangeführten Schreiben an den Papst sagt er: „Gewalt wäre jetzt, was die meiste Frucht bringen würde“; es hielt ihn nur noch zurück, daß man nicht hinreichend dazu vorbereitet war. Nachdem die neue Antwort der Protestanten eingegangen, eröffnete er der Majorität der Stände, da er nichts nachgeben könne, was das Wesen des Glaubens verletze, und da alle gnädige Handlung nichts geholfen, so sey er bereit, Leib und Gut daran zu strecken und mit Hülfe und Rath der Stände alles zu thun, was nothwendig sey. Auch beim Papst und bei andern Fürsten werde er um Hülfe zu diesem Zwecke ansuchen. Er schien die Protestanten behandeln zu wollen, wie seine Mauren in Valencia. Hätte er sofort Kriegsmittel Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . bereit gehabt, wäre er nicht an die Beschlüsse der Majo- rität gebunden gewesen, so würde er sich aller seiner Milde zum Trotz durch die Consequenz seiner Verpflichtungen wahr- scheinlich haben bewegen lassen, an dieß Werk zu schreiten. Es ist aber wohl sehr erklärlich, wenn die Majorität des Reichstags doch einiges Bedenken trug, hierauf einzu- gehen. Es hatten sich doch, wie berührt, Interessen erge- ben, in denen die Stände mit dem Kaiser nicht völlig über- einstimmten; Koͤnigklich wirde zu Hungern etc. Revocation der babstlichen bulle so auf den vierten Tail d’ geistlichen gutter erlangt bei Foͤrste- mann Urk. II, 843. sich ihm zu einem Kriegszug so unbedingt anzuschließen waren sie nicht gemeint. So durchaus hat- ten die alten reichsständischen Gesinnungen dem religiösen Hasse noch nicht Platz gemacht. Vielmehr erregte so eben der Plan der römischen Königswahl, wir werden darauf zurückkommen, neue Verstimmung. Die Stände brachten einen Abschied in Vorschlag, der den Krieg zwar in Aussicht stellte, aber noch ver- schob: den Protestanten sollte bis den nächsten 5. Mai Be- denkzeit gestattet werden, um sich über die unverglichen ge- bliebenen Artikel zu erklären. Unglücklicherweise war aber auch dieser Entwurf wie- der in Ausdrücken abgefaßt, welche das Selbstgefühl der Protestanten verletzten. Es hieß darin, sie sollten Nie- mand zu ihrer Secte nöthigen; Wort und Sache war ihnen gleich verhaßt; er enthielt Anordnungen, denen sie sich schlech- terdings nicht unterwerfen zu dürfen glaubten, z. B. in Sa- chen des Glaubens binnen dieser Zeit nichts Neues drucken zu lassen, den Mönchen Beichte und Messe zu gestatten; Vorschlag des Abschieds . endlich ward darin ausgesprochen, die Confession sey mit gutem Grunde der heiligen Schrift widerlegt worden. Hät- ten sie diesen Abschied angenommen und unterschrieben, so hätten sie ihre eigne Sache verurtheilt. Ohne Beden- ken wiesen sie ihn weit von sich. Indem sie die übrigen Gründe ihrer Weigerung ausführlich deducirten, nahmen sie von der Behauptung, daß sie widerlegt worden, zugleich Gelegenheit, dem Kaiser eine Apologie ihrer Confession zu überreichen. Der Hauptsache nach ist diese Schrift der Con- fession gleichartig; irre ich aber nicht, so ist doch die Art und Weise der Abfassung in einem sich von dem Katholi- cismus wieder mehr entfernenden Sinne ausgefallen. Darüber hatten sie denn noch einmal einen Sturm zu bestehen. Churfürst Joachim von Brandenburg kündigte ihnen an, würden sie den Abschied nicht annehmen, so seyen Kaiser und Stände entschlossen, Leib und Gut, Land und Leute daran zu setzen, daß dieser Sache geholfen werde. Der Kaiser erklärte, weitere Aenderungen könne er sich nicht gefallen lassen: wolle die protestantische Partei den Abschied annehmen, da sey er: wo nicht, so müsse er der Kaiser sammt den übrigen Ständen unverzüglich auf die Ausrot- tung ihrer Secte Bedacht nehmen. Waren aber die frühern Drohungen fruchtlos gewe- sen, so konnten auch diese keinen Eindruck weiter machen. Das religiöse Element, das in Strenge seiner Gewissenhaf- tigkeit jedes Bündniß verschmäht hatte, welches ihm nicht ganz gleichartig war, erwies sich nun auch dem Sy- stem, von dem es ausgeschieden, gegenüber eben so uner- schütterlich. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Und so war jeder Versuch der Annäherung mißlun- gen; die Minorität war entschlossen ihren Standpunkt voll- ständig zu behaupten, und es darauf ankommen zu lassen was man wider sie unternehmen würde. So mußte man auseinandergehn. Es wäre sehr falsch zu glauben, dem Churfürsten von Sachsen habe politisch daran gelegen, dem Kaiser Oppo- sition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid, sich von seinem Kaiser und Herrn so trennen zu müssen: aber es konnte nun nicht anders seyn. Endlich war der Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureisen, an ihn herantrat, um sich von ihm zu beurlauben. „Oheim, Oheim,“ sagte der Kaiser, „das hätte ich mich zu Ew. Liebden nicht versehen.“ Der Churfürst erwiederte nichts darauf: die Augen füllten sich ihm mit hellen Thränen; Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den Pallast und gleich darauf die Stadt. Erzaͤhlung der saͤchsischen Apologia in Foͤrstemanns Archiv p. 206. Granvella erinnerte 1542 an diesen Zug, als an ein Zeichen der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrsten gegen kais. Majestaͤt. Es war eine vollkommene Trennung zwischen den Für- sten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die Fürsten allein, jetzt war auch der Kaiser zugegen und darin verflochten. Der Zwiespalt, den bisher die Aussicht einer Versöh- nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage. Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen. Wie zuerst Reutlingen, so hatten sich allmählig auch Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord- gau an Nürnberg angeschlossen. Spaltung der Staͤdte . Vier andere Städte, Strasburg, Memmingen, Con- stanz und Lindau, die sich bisher zu der schweizerischen Auf- fassung des Abendmahls gehalten, hatten ihre eigene Con- fession eingegeben, die sogenannte Tetrapolitana, auf de- ren für die innere Geschichte des Protestantismus höchst merkwürdigen Inhalt wir später zurückkommen werden; auch ihnen ließ der Kaiser eine katholische Widerlegung vorlesen; natürlich ohne alle Frucht. Strasburg zeigte so viel Muth, wie Nürnberg und andere Städte. Wäre zwischen Lutheranern und Katholiken die beabsichtigte Ver- söhnung zu Stande gekommen, so würden die vier Städte wohl in nicht geringe Bedrängniß gerathen seyn. Wie aber die Sachen in Augsburg gegangen waren, hatten sie weniger zu fürchten, als im Anfang, und um so weniger gaben sie einer Einschüchterung Gehör. Es waren nur die übrigen Städte, denen der Kaiser am 24. September vorstellen ließ, wie so ganz mit Unrecht Sachsen und seine Mitverwandten einen im Grunde zu ih- ren Gunsten verfaßten Abschied ausgeschlagen, ohne Zweifel hauptsächlich deshalb, weil sie darin zur Restitution der Klo- stergüter angehalten worden: allein er sey entschlossen, diese Sache zu Ende zu bringen. Wie die andern Stände Leib Fuͤrstenberg 5. Juli meldet noch folgendes: „Es haben die von Strasburg vergangener Tag uns und etlich mehr von Staͤdten bei sich erfordert, und die Bekanntniß irer Lere und Predig so sie der Keys. Mt. zu uͤbergeben willens zuvor anhoren lassen, ob sich jemand villeicht mit inen unterschreiben wolt. Wie wol nun dieselbig fast wol gestellt und etwas subtiler und zugtiger dan der Fursten ge- west, so haben wir doch diweyl bis anher bei uns des Sacraments halber ire Opinion nit gepredigt, das underschreyben abgeschlagen; dergleichen haben auch andere gethan, uß ursachen von jeglichen in- sonderheit furgewandt.“ Ranke d. Gesch. III. 19 Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . und Gut dabei zuzusetzen versprochen, so hoffe er, werde das auch von ihnen geschehen. Die Städte baten sich aus, erst bei ihren Oberen anfragen zu dürfen; der Kaiser drang auf unverzügliche Antwort. Hierauf trugen nun diejenigen, die noch katholisch ge- blieben, kleinere so gut wie größere, Rottweil, Ueberlin- gen, Cöln, Hagenau, selbst Regensburg kein Bedenken, sich dem Kaiser anzuschließen. In nicht geringe Verlegenheit dagegen geriethen die an- dern, die dem Bekenntniß bisher Raum gegeben, ohne doch, so viel es irgend möglich, mit dem Kaiser und der Majorität in Opposition zu treten. Jetzt aber zogen sie in Betracht, daß sie durch die Annahme des Abschieds die Confession für widerlegt erklären, daß sie dann gezwungen werden wür- den, wider ihre eigenen Glaubensgenossen zu fechten; nach und nach erklärten sich Frankfurt, Ulm, Schwäbisch-Hall, endlich auch Augsburg verweigernd. In Augsburg hatte das, wie sich denken läßt, bei der Anwesenheit des Kaisers die meiste Schwierigkeit; man hielt für nothwendig, was hier nur selten geschah, den größern Rath zu berufen, an welchem Mitglieder aller Zünfte Theil nahmen. Aber schon war der protestanti- sche Geist allzutief in die Bürgerschaft gedrungen, als daß sie ihn hätte verläugnen können. Im Angesichte des Kai- sers verweigerte Augsburg seinen Abschied anzunehmen. Kreß und Volkamer an Nuͤrnberg im Corp. Ref. II, 422. Besonders merkwuͤrdig ist der Briefwechsel zwischen der Stadt Frank- furt und ihren Abgeordneten. „Sollte es aber mit sich bringen, wie es on Zweyfel thut,“ schrieb Fuͤrstenberg am 3. October, „daß wir stillschweygend gehellen, daß die Bekenntniß des Churfuͤrsten und sey- nes Anhangs mit den heyligen Evangelien und Geschriften gruͤndlich abgeleynet worden, welche Ableynung wir doch nie gesehn noch an Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt . Es waren nunmehr vierzehn Städte, und gerade die reichsten und blühendsten unter ihnen, Strasburg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Nürnberg, welche sich dem Abschied widersetzten. Eine Minorität, doch nicht mehr so unbedeu- tend, wie sie anfangs ausgesehen. Mittlerweile hatte der Kaiser einige besondere Geschäfte mit der Majorität verhandelt, die sich wie gesagt nicht so ganz unbedingt an ihn und sein Haus anschloß, wie die Unterstützung es mit sich zu bringen schien, welche sie jetzt von ihm erfuhr. Jene Bewilligung, die der Papst dem König Ferdi- nand von den geistlichen Gütern in Deutschland und Oestreich zugestanden, wurde hartnäckig zurückgewiesen. Zuerst er- klärten die Geistlichen sich entschlossen, sie nicht zu ge- Tag kommen ist, daß ist unsers Erachtens wider unser Gewissen und Verstand und deshalb zu bewilligen ganz beschwerlich und nit thun- lich und wan es gleich deßfalls nit zu widerfechten were, khan E. W. on Zweyffel wol ermessen, wo es zur Handlung kommen solt, was E. W. derwegen mit Pulver Buxen Geld und andern zu leihen und darzustrecken zugemut woed werden: wir wollen geschweygen was das uf im hab zuzusagen und zu halten was weiter beschlossen wird.“ Der hoͤchst bedaͤchtige Rath zu Frankfurt entschließt sich hierauf den 14. Oct. zu folgender Antwort an den Kaiser. „Dieweil Kais. Mt. ein Concilium zu verschaffen, sich allergnediglichst erpotten und ein erparer Rath kainswegs sich ye versehen, daß Kays. Mt. dem ewigen Gottes Wort etwas zuwider werde aufrichten oder handhaben helffen, so wolle ein erbarer Rath in Bedacht hochgedachter Kays. Mt. als eines allergnedigsten guͤtigen milten Kaisers selbß erpieten sich dessel- bigen getroisten, auch fuͤran, als einem christlichen Magistrat wol ge- ziemt, und so viel sie gegen Gott der Seelen und Gewissen halb und dem Kays. Mt. von des Reichs wegen Gehorsam zu leisten schuldig wie pillig allerunterthaͤnigst gehorsamen.“ In so faltenreiches Dun- kel huͤllen sie ihre abschlaͤgliche Antwort. Im Ganzen sind sie mit ihren Gesandten einverstanden. 19* Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . nehmigen; dann machte die ganze Versammlung diese Sache zu der ihren. In einer Aufzeichnung mit Rand- bemerkungen Granvella’s findet sich, daß sie keine Türken- hülfe leisten zu wollen drohte, wenn man dabei verharre. Weder im Reiche noch auch in den östreichischen Erblan- den könne eine solche Neuerung, eine solche Anmaßung des Papstes geduldet werden. Les deputés ont dit clerement, que la dite hastive ayde ne sera en manière nulle consentie si premierement le roi (Fer- dinand) n’abolit entierement la bulle du pape et ce non seule- ment en l’empire mais aussi a l’encontre des subjects de tous les états qui sont demourans et habitans en pays d’Autriche, car ils donnent à entendre que de la sorte ils ne veulent nullement être en subjection du pape. (Archiv zu Bruͤssel.) Granv. macht die Anmerkung: au roi, que S. M. regarde etc. Granvella setzte den König da- von in Kenntniß. Ferdinand mußte sich wirklich entschlie- ßen, die Bulle fallen zu lassen. Erst hierauf ward die Türkenhülfe zugestanden. Zwar auch jetzt noch nicht, wie der Kaiser gewünscht hatte, eine beharrliche; eine solche, sagten die Stände, werde erst durch den Beitritt der gesammten Christenheit möglich wer- den. Dagegen ward ihm eine eilende Hülfe in ganz be- deutender Anzahl bewilligt; noch einmal so stark, als zum Römerzug von 1521, 40,000 M. zu Fuß, 8000 M. zu Pferde; zwar zunächst nur auf sechs Monat, die man aber nöthigen Falls auch erstrecken wolle; die Hülfe sollte nicht in Geld, sondern in Mannschaften, und zwar nach der Abtheilung der Kreise geleistet werden. Auch mit einigen andern innern Geschäften kam man zu Stande. Eine von dem Ausschreiben angekündigte Hauptabsicht Verhandlungen der Majoritaͤt . des Reichstags war, die Irrungen zwischen geistlichen und weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren so viel Lär- men gemacht, beizulegen. Die geistlichen Stände waren früher sehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch sie ihre Beschwerden ein. Früher würde das die heftigsten Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenseitigen Animositäten einer andern gemeinschaftlichen Antipathie ge- wichen waren, ward ein Ausschuß aus beiden Theilen nie- dergesetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht, den der Kaiser als Constitution in das Reich zu verkün- digen Willens war. Concordata der geistlichen und weltlichen Beschwerung, con- stitutionsweis zusammengezogen bei Bucholz III, 636. Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürsten, gewohnt auf ihre Beschlüsse zu bestehn, überreichten sie aufs neue. Da der päpstliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber ermächtigt war, so übernahm der Kaiser sie durch seinen Gesandten in Rom in Anregung zu bringen. In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr. 296 (p. 93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se- dem ap. inferuntur, die hieher gehoͤren wird. Es scheint fast, als habe man die Abschaffung der Be- schwerden später als bewilligt angesehen, als habe selbst jene Constitution eine gewisse Autorität gehabt. Spittler Geschichte der Fundamentalgesetze der deutsch-ka- tholischen Kirche (Werke VIII, p. 501) versichert, daß die beiden Ac- tenstuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeschlossen betrach- tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiserl. Hofraths zum taͤg- chen Gebrauch gelegen. Allein wie sehr verschwanden jetzt diese Interessen vor den bei weitem mächtigern der Reform. Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . Die vornehmste Frage blieb, welche Haltung Kaiser und Majorität in ihrem Verhältniß zu den Ständen, die ihren Abschied verworfen hatten, nunmehr ergreifen würden. So viel ich sehe, war der Kaiser mehr für einen un- mittelbaren Angriff, die Majorität mehr für weiteres Ver- schieben der Waffengewalt. Auf wiederholtes Anfragen gab sie ihr Gutachten da- hin ab, daß der Kaiser ein neues Religionsmandat auf den Grund des Edictes von Worms ausgehen lassen möge. Verweigere Sachsen mit seinen Anhängern demselben seinen Gehorsam, so möge der Kaiser sie vorladen, die gebühr- liche Pön gegen sie erkennen und zur Ausführung dersel- ben schreiten. In diesem Sinne ist nun auch der Reichsabschied ver- faßt worden. Der Kaiser verkündigt darin den ernstlichen Entschluß, sein Edict von Worms zu vollziehn; eine Menge Abwei- chungen von demselben führt er an, die er alle verwirft, gleichviel ob sie lutherisch, zwinglisch oder wiedertäuferisch lauten; er schärft die Handhabung der angegriffenen Ge- bräuche und Lehren einzeln ein, und bestätigt aufs neue die Gerechtigkeiten der geistlichen Fürsten. Gegen die Un- gehorsamen soll der kaiserliche Fiscal gerichtlich und zwar bis zur Strafe der Acht, die nach den Anordnungen des Landfriedens auszuführen ist, procediren. Man versäumte nicht, und das ist einer der Haupt- punkte, auf den wir sogleich zurückkommen werden, das Kammergericht neu zu constituiren und auf diesen Abschied zu verpflichten. Briefe Carls an den roͤm. Hof . Dabei blieb nun aber, wie schon hieraus hervorgeht, ein Angriff mit den Waffen noch immer vorbehalten; mit diesem Gedanken ging der Kaiser unaufhörlich um. In einem Schreiben an den Papst vom 4. October drückte er sich aufs neue sehr lebhaft aus. Er meldete ihm, die Unterhandlungen seyen abgebrochen, die Gegner hart- näckiger als jemals, er aber entschlossen, alle seine Kraft zu ihrer Unterdrückung anzuwenden. Der Papst möge die übrigen Fürsten der Christenheit ermuntern an dieser Sache Theil zu nehmen. Raince 18. October. „Lui (au Pape) escrivoit le dit em- perereur estre deliberé employer tous ses biens et forces et sa pro- pre personne à leur faire la guerre, priant S. Stà vouloir admone- ster et requerir tous les princes chretiens vouloir aider et entrer à l’expedition de la dite emprise, et sur cela s. d. Sté fait dimanche congregation de cardinaux.“ MS. Bethune zu Paris. Wir haben ein anderes Schreiben Carls vom 25sten October an die Cardinäle, in welchem er sie vor allem um die Beförderung des Conciliums bittet. Zugleich aber er- sucht er sie zu berathschlagen, wie man bis dahin mit den Lu- therischen verfahren müsse, um weitere Gefahren zu verhüten, und besonders wie er das ihm obliegende Amt eines Kaisers verwalten solle. „Wir kündigen Euch an,“ fügt er hinzu, „daß wir zur Vollendung dieser Sache weder Königreiche noch Herrschaften sparen, ja daß wir Leib und Seele da- bei anwenden wollen, die wir dem Dienst Gottes, des All- mächtigen vollkommen gewidmet haben.“ Il vous plaira, selon votre prudence et bonté, adviser comment on se peut gouverner avec Eux — (les Lutheriens) — — tant pour empescher, qu’il n’advienne plus detriment à la chose publique, que partiellement pour la satisfaction de charges et of- fices, esquels par la divine clemence fumes constitués, vous ad- visans que n’epargnerons ni royaumes ni seigneuries pour la con- sommation de chose tant necessaire etc. Bethune 8539. Am 30. Oc- Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel . tober sendete er seinen Mayordomo Pedro de la Cueva nach Rom, um dem Papst anzuzeigen, die Meinung der katholischen Fürsten sey zwar, daß das Jahr zu weit vor- gerückt sey, um auf der Stelle etwas gegen die Lutheri- schen zu unternehmen, aber er möge deswegen nicht die Vorbereitungen zu einem solchen Unternehmen unterlassen. Seinerseits werde er, so wünschenswerth es auch für ihn wäre, nach Spanien zurückzukehren, doch alles andre hint- ansetzen, um zunächst nach dem Rathe des Papstes das- jenige auszuführen, was zum Dienste Gottes und Seiner Heiligkeit gereiche. Damit war man in Rom längst einverstanden. Cam- peggi hatte dem Kaiser vor allem Anfang gesagt, ohne ir- gend ein muthiges Unternehmen werde er schwerlich zu Ende kommen. Er hatte ihn an Kaiser Maximilian erinnert, der erst Gehorsam gefunden, nachdem er die Waffen gegen das Haus Pfalz ergriffen und glücklich geführt. Molto più a V. Mà conviensi in questa impresa santa e christiana a farsi obedire con tutte le vie e modi che si ponno trovare, che fece la felice memoria di Maximiliano suo avo, nelle imprese che contra i Palatini si gloriosam. fini, dipoi la quale sem- pre fu poi tenuto e riverito e obedito, — — Ricordando sempre che è impossibile senza qualche gagliarda exeactione et ordine estirpare le heresie. Genug: die abendländische Christenheit und das deut- sche Reich, in Kaiser und Papst und Reichsversammlung repräsentirt, zeigten sich entschlossen, die Protestanten, die sich ihnen nicht in Güte fügen wollten, durch rechtliches Verfahren und Anwendung der Gewalt zu unterdrücken. Es mußte sich nun zeigen, ob diese Kräfte haben und es verstehen würden sich zu behaupten. Sechstes Buch. Emporkommen des schmalkaldischen Bundes. 1530 — 1535. W ie es bei den Deutschen schon in den Zeiten, welche Tacitus schildert, von allen Strafen beinahe die vornehmste gewesen, den öffentlichen Versammlungen und Opfern nicht beiwohnen zu dürfen, so ward es während des Mittelalters für ein unerträgliches Mißgeschick gehalten, die Mitgenos- senschaft der Kirche, den Frieden des Reiches zu verlieren. Diese beiden Gemeinschaften schienen alles jenseitige und diesseitige Heil zu umfassen. Die evangelischen Stände sahen sich jetzt auf dem Punkt, sowohl von der einen als von der andern ausgeschlossen zu werden. Von der Kirche, die mit Mißbräuchen überladen war, die sie zu reformiren gedacht, hatten sie sich, da es ihnen damit nicht gelang, durch eigenen Entschluß losgesagt. Sie hielten in ihrem Herzen nur noch an der Idee der verbes- serten Kirche fest. Die bestehende Kirche dagegen wollte bleiben wie sie war, und wies jede Annäherung ohne voll- kommene Unterwerfung von sich. Deshalb geschah nun aber jetzt den Evangelischen, daß die Reichsgewalt, auf welche sie sich bei ihrem Vorhaben Sechstes Buch . anfangs zu stützen gedacht, die sich aber wieder an Rom angeschlossen, sie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte. Betrachten wir die Evangelischen allein, mit ihren ge- ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der Stände, dem mächtigen Kaiser und der vereinigten lateini- schen Christenheit gegenüber, so mußten sie, so bald es zu ernstlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren scheinen. Eben darin liegt das vornehmste Ereigniß des Reichs- tags zu Augsburg, daß sie im Angesicht dieser Gefahr sich doch entschlossen, den einmal gewonnenen religiösen Stand- punkt, dessen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder zu verlassen. Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben hat, als von der moralischen Energie, die ihrer selbst ge- wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen trachtet, oder den feindseligen Kräften wenigstens einen un- überwindlichen Widerstand entgegenstellt? So wie nun aber einmal dieser Entschluß gefaßt wor- den, so war auch, wenn man um sich her sah, bei aller Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte, doch mit nichten verloren. Vor allem lag die reformatorische Tendenz nun einmal in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die Kraft des Prinzipes, das die Protestirenden vertheidigten, mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen. Sodann war das gesammte germanisch-romanische Vorwort . Abendland eben von dem gewaltigsten Feinde angegriffen, den es jemals gehabt. Mochte man nun auch sagen was man wollte, so gehörten auch sie, obwohl man sie ver- warf, zu der gefährdeten, angegriffenen Gesammtheit; eben in ihnen repräsentirte sich ein neuer Moment der Cultur, welche der barbarische Feind zu vertilgen gesonnen war; Europa konnte und wollte ihrer Hülfe nicht entbehren. Endlich aber: die Einheit, in der die katholische Chri- stenheit noch einmal erschien, war nur das Produkt eines Momentes, glücklicher Siege, und rascher, treffender Po- litik. Ließ sich wohl erwarten, daß dieser Friede zu ernst- lichem Zusammenwirken führen, oder auch daß er nur lange dauern würde? Ich glaube nicht, daß irgend Jemandem von den da- mals Lebenden diese Lage der Dinge zu vollem Bewußt- seyn gekommen ist. Ein Gefühl davon hatte wohl am er- sten noch Landgraf Philipp. Die Uebrigen gingen, ohne weiter viel um sich zu sehen, mit ihrem Gewissen zu Rathe. Sowohl für diese aber, als für die allgemeine Ent- wickelung kam nun zunächst alles darauf an, daß sich ein Kern des Widerstandes festsetzte, um nicht von dem ersten Sturme überwältigt zu werden, um die Gunst der Um- stände, die jetzt den Gegnern zu Statten gekommen, für ein ander Mal auch diesseit benutzen zu können. Erstes Capitel . Grundlegung des schmalkaldischen Bundes. Die Kirche hatte an und für sich keine politische Macht; sie bekam deren nur dann, wenn das Reich ihr seinen Arm lieh. „Der Bann,“ sagt der Sachsenspiegel, „schadet nur der Seele; Kränkung an Landrecht und Lehnrecht erfolgt erst aus des Königs Acht.“ So feindselig auch die Stimmung der Majorität auf dem Reichstage den Protestanten war, so kam es daselbst, trotz der Abweichung derselben von der Kirche, doch nicht zu dieser Acht. Die Majorität, die den Kaiser schon nicht hatte wollen Richter seyn lassen, trug Bedenken, ihm die Waffen in die Hände zu geben. Sie faßte die Absicht, während ein kriegerisches Un- ternehmen doch immer als nahe bevorstehend erschien, den Streit zunächst auf ein andres Feld zu versetzen: sie wollte wie man sich ausdrückte, „nicht fechten sondern rechten.“ Von jenen großen Reichsinstituten, welche zur Erhaltung der nationalen Einheit mit so vieler Mühe gegründet wor- den, das einzige, das sich in Ansehn erhalten, das Reichs- Umgestaltung des Kammergerichtes . kammergericht, welches den kaiserlichen Gerichtszwang aus- übte, und doch vorzugsweise ständischer Natur war, dachte sie zu diesem Zwecke zu benutzen. Noch in Augsburg ward das Kammergericht vor allen Dingen erweitert, zu seinen Geschäften besser ausgerüstet. Man vermehrte die Anzahl der Beisitzer von 18 auf 24; wie sich versteht, mit Beibehaltung des Wahlrechts der Kreise; noch außerdem aber hielt man für nothwendig, um die alten Händel zu erledigen, acht erfahrene Doctores an- zustellen. Ferner beschloß man das Gericht einer neuen Vi- sitation zu unterwerfen. Wir erinnern uns, in welchem Sinne es schon damals, als das alte Regiment fiel, ge- reinigt worden war. Bd. II, p. 138. Die nemliche Tendenz herrschte auch jetzt vor. Unter den Procuratoren und Advocaten waren sieben, die wegen ihrer religiösen Haltung ernstlich gewarnt wurden; ein achter mußte sich eine Zeitlang entfernen. Harpprecht, Staatsarchiv des Kammergerichts V, 82. Und dieses verstärkte, von aller Hinneigung zu den neuen Meinungen gereinigte Gericht, ward nun auf das ernst- lichste angewiesen, den Augsburger Reichsabschied besonders in dem Artikel über den Glauben zu beobachten; wer den- selben übertrete, den solle der Kammerrichter nicht allein die Befugniß, sondern auch die Pflicht haben abzusetzen, bei Vermeidung kaiserlicher Ungnade. Reichsabschied vom 19. Nov. 1530 § 76, § 82, § 91. Alle Kammergerichtspersonen sollen sich „des Abschieds dieses jetzo allhie gehaltenen Reichstages, sonderlich in dem Articul des Glaubens und Religion gemaͤß halten.“ Das Kammergericht ward hiedurch so recht zum Aus- Sechstes Buch. Erstes Capitel . druck der in der Majorität der Stände herrschenden Gesin- nung gemacht. Sehr wohl bemerkten dieß die Protestanten. In einem ihnen am Schlusse des Reichstags über den Frieden mit- getheilten Entwurf hieß es, es solle Niemand den Andern ohne Recht überziehen. Sie schlossen daraus, daß es auf einen Spruch des Kammergerichts, der nicht zweifelhaft seyn konnte, allerdings geschehen dürfe. Zugleich war nun aber auch wegen der Reichsregie- rung eine neue Maaßregel genommen worden. Das Haus Oestreich hatte in den letzten Jahren mehr als einmal die Besorgniß hegen müssen, daß man bei der Nichtigkeit des Reichsregimentes und der Entfernung des Kaisers entweder zur Wahl eines neuen Hauptes schreiten oder die Rechte der Reichsvicarien, von denen der eine der Churfürst von Sachsen war, hervorziehen und anerken- nen werde. Um Plänen dieser Art auf immer ein Ende zu machen, setzte der Kaiser alles bei Seite, was sich wegen der der- einstigen Nachfolge dagegen sagen lassen mochte, und faßte, wie wir schon berührten, den Entschluß, seinen Bruder zum römischen König erheben zu lassen. Da man Maximilian I bei einem ähnlichen Vorha- ben eingewendet hatte, daß er selber ja eigentlich nur rö- mischer König, nicht gekrönter Kaiser sey, so war das ein Grund mehr, weshalb sich Carl in Bologna krönen ließ. Auch machten hierauf die fünf katholischen Churfürsten wenig Schwierigkeit; vorausgesetzt, daß ihre Beistimmung mit Gnadenerweisungen erwiedert wurde. Der Pfalz wurde Vorbereitung der Koͤnigswahl . eine Entschädigung für ihre Verluste im Landshuter Kriege und überdieß die Summe von 160,000 G. versprochen. Dem Churfürsten von Brandenburg ward ein endlicher Ver- trag über Zossen und die böhmischen Lehen, so wie eine Verbesserung an Züllichau und Crossen zugesagt; mit Freu- den meldete er nach Hause, welch einen gnädigen Kaiser und König er habe. Schreiben vom 18. Aug. 1530. Archiv zu Berlin. Für den Churfürsten von Mainz finden sich eine ganze Anzahl außerordentlicher, ja beinahe widersprechender Vergünstigungen; z. B. ihm von dem rö- mischen Stuhle die Facultäten eines Legatus a Latere für seine Diöcesen zu verschaffen, und zugleich einzuwilligen, daß er diese seine Diöcesen an Coadjutoren überlassen und sich einen Complex von Gütern zu fortwährendem Genuß vor- behalten könne. Die letzte in dem Gnadenbrief vom 6. Sept. bei Bucholz III, 662. Die erste im Archiv von Bruͤssel; 7. Sept. Contendemus obtinere a. D. N. Clemente VII, facultates ad instar legati a la- tere pro electore antedicto in omnibus suis dioecesibus, nempi Moguntina, Magdeburgensi et Halberstadiensi. Trier war seit einigen Jahren durch ein Dienstgeld gewonnen. Am längsten zögerte Cöln, dem die vor eilf Jahren bei der Wahl Carls V geschehenen Versprechun- gen noch nicht erfüllt waren, mit seiner Einwilligung; aber endlich auf hinreichende Bürgschaft stimmte es bei. Es fehlte nur noch Sachsen. Sollte es nicht am gerathensten scheinen, denn auf keinen Fall ließ sich Sachsen ohne Concessionen gewinnen, die man ihm nicht gewähren wollte, den Abfall des Chur- fürsten von der römischen Kirche zu benutzen, um ihn ge- radezu auszuschließen? Wirklich übersendete der Papst ein Breve, nach welchem Churfürst Johann auf den Grund Ranke d. Gesch. III. 20 Sechstes Buch. Erstes Capitel . der Bulle Leo’s X , welche die Vertheidiger Luthers der Strafe der Ketzer unterwarf, seines Wahlrechts beraubt werden konnte. Auszug bei Bucholz IX, 17. Auch ist darüber förmlich berathschlagt worden. Dahin aber war es mit den Churfürsten doch nicht gekommen, daß sie sich ein so formloses Verfahren, das bei einem jeden von ihnen ein ander Mal wiederholt werden konnte, hätten gefallen lassen. So viel wir finden, setzte sich vor allem die Pfalz dagegen, Taubenheim an Chf. Johann bei Foͤrstemann II, 821. Wie ichs vermerke, so szolle Pfalz die vornehmste Ursach sein, damit E. Ch. G. nicht ausgeschlossen werden. und Johann von Sachsen wurde wirklich eingeladen. Auch für diesen Fall hatte der beugsame Papst ein Breve gegeben, worin er er- klärte, daß die Theilnahme desselben, wenn er gleich kraft der Bulle Leo’s als excommunicirt betrachtet werden könnte, der Gültigkeit der Wahl nicht nachtheilig seyn solle. Diese Anmahnung nun und die Bedrohung, welche in der neuen Weisung des Kammergerichts lagen, waren es zunächst, was dem schmalkaldischen Bunde seinen Ur- sprung gab. Wir wissen, wie wenig es die evangelischen Fürsten bis dahin zu nachhaltigen Verbindungen gebracht hatten; auch jetzt schwankten sie, so lange der Kaiser noch in Augsburg ver- weilte, und es nicht ganz außer Zweifel war, welche Maaß- regeln er im Verein mit der Majorität ergreifen würde. Eine schon ausgeschriebene Zusammenkunft Sie war auf Montag nach Catharinaͤ (28. Novemb. 1530) anberaumt. wurde wieder aufgegeben, als der Kaiser sich einmal friedlich geäußert hatte. Als nun aber der Abschied erschien, der so entschie- Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . den feindselig lautete, als zu gleicher Zeit auch jene Ci- tation an den sächsischen Hof einlief, konnte man nicht län- der zögern, zusammenzutreten. In einem Schreiben an Georg von Brandenburg giebt Churfürst Johann folgende Gründe an. Einmal: auf eine Anfrage wegen der dem Fiscal des Kammergerichts gegebenen Weisungen habe der Kaiser geantwortet, es solle demselben unverboten seyn, wider diejenigen zu procediren, die sich seinem Reichsabschied nicht unterwerfen würden: man müsse daher auf eine einhellige Exception gegen ein solches Verfahren Bedacht nehmen. Sodann aber: die Einladung zur Wahl mache nöthig, daß man sich unverzüglich darüber bespreche und zu gemeinschaftlichen Gegenschritten vereinige. Im Grunde geschieht es in dem Zettel, der dem Schreiben Torgau St. Andreaͤ Abend 29. Nov. beiliegt. Der Churfuͤrst ladet den Markgrafen ein „ir (S. Gn.) selbst und der sachen zu gut.“ (W. A.) Ich weiß nicht, ob ich irre, wenn ich annehme, daß in dieser Wendung der Dinge schon an und für sich ein Vortheil für die Protestanten lag. Eben darauf kam alles an, daß sie durch die kirchli- chen Veränderungen nicht auch von dem Frieden des Reichs ausgeschlossen wurden. Wären die alten Ideen herrschend gewesen, so würde man einen Kreuzzug gegen sie begonnen haben. Indem aber die Majorität sich entschloß, sie mit dem ständischen Gericht anzugreifen, auf dem Boden der alten Reichsgesetze, indem der Kaiser sie zur Wahl seines Bru- ders herbeizuziehen suchte, wurde die Rechtmäßigkeit ihrer Theilnahme an den Reichsgeschäften ihrer kirchlichen Abwei- chung zum Trotz noch anerkannt. 20* Sechstes Buch. Erstes Capitel . Der ganze Streit ward aus einem kirchlichen, allge- meinen, ein politischer, reichsrechtlicher; und zunächst auf diesem Boden hatten nun die Protestanten sich zu vereini- gen und ihren Widerstand zu organisiren. Am 22. Dez. 1530 kamen Johann von Sachsen, Ernst von Lüneburg, Philipp von Hessen, Wolfgang von Anhalt, die Grafen Gebhard und Albrecht von Mansfeld, von de- nen der letztere zugleich die Stimme von Grubenhagen führte, so wie Abgeordnete Georgs von Brandenburg und meh- rerer Städte in Schmalkalden zusammen. Der Schnee mochte schon die Anhöhen bedecken, welche die Stadt um- geben. Es war kein Vergnügen, das Weihnachtsfest in diesem rauhen Bergland, diesem kleinen Grenzort zuzubringen. Vor allem beschlossen sie nun hier, sobald Einer von ihnen in Sachen des Glaubens, von wem es auch seyn möge, namentlich von dem kaiserlichen Fiscal rechtlich be- langt werde, dem Angegriffenen sämmtlich gemeinschaftlichen Beistand zu leisten. Wo der kais. Fiscal, der Bund zu Schwaben oder Jemand anders J. Chf. und Fuͤrstlichen Gnaden oder die gemeldten Staͤdte, eine oder mehre, oder jemand von den Iren in Sachen unsern heil. Glauben oder was demselben anhanget (belangend), auf den aus- gegangenen Abschied fuͤrnehmen und im Schein des Rechtens oder andere Wege beklagen wuͤrde — das Ire aller Gn. und Gunsten ein- ander in solche beistendig raͤthlich und huͤlflich seyn sollen. Sie setzten einige Exceptionen fest, die sie gleichmäßig vorwenden wollten; ein oder zwei Pre- curatoren am Kammergericht sollten mit der Sache beauf- tragt werden. Dieß ist der Kern des Bundes; er zeigt am deutlich- sten, wie sich der Religionsstreit in einen Rechtsstreit ver- wandelte. Hiezu vereinigten sich alle, welche die augsbur- Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . gische Confession unterzeichnet, oder sich seitdem hinzuge- sellt hatten. Auch darin kamen sie überein, daß man den Kaiser um Milderung des Abschieds ersuchen, vielleicht dagegen protestiren müsse. Wäre nur unverzüglich ans Werk gegangen worden, so würde wahrscheinlich auch in den neuen Kirchen eine gleichförmig äußere Einrichtung zu Stande gekommen seyn. Die Meisten waren dafür, daß eine allgemeine Kirchenord- nung eingeführt würde, hauptsächlich um eine kirchliche Züch- tigung der öffentlichen Laster möglich zu machen. Dagegen konnte man sich über den zweiten Hauptge- genstand der Berathung, die Wahl des Königs nicht so ganz einverstehen. Sachsen trug vor, daß man dem Kaiser nicht so weit Raum lassen dürfe, um eine Sache dieser Art einseitig durch- zusetzen; sonst würde es bald um die Reichsfreiheiten ge- than seyn. Anders verhalte es sich mit einer Wahl nach förmlicher Vacanz; anders wenn einem noch lebenden Kai- ser ein römischer König zur Seite gesetzt werden solle. In dem letzten Falle müsse dem Ausschreiben eines Wahltags Berathung sämmtlicher Churfürsten, einstimmiger Beschluß derselben vorhergehn. Daran sey aber jetzt nicht gedacht worden. Selbst die Citation, die an den Churfürsten gelangt, bestimme ihm viel zu kurze Zeit, und sey so nichtig wie das ganze Verfahren. Am wenigsten endlich dürfe man Fer- dinand sich aufdringen lassen, der sich als ein Feind des Evangeliums zeige; schon als Statthalter habe er aben- teuerliche Ränke angesponnen; als König werde er das Spiel selbst in die Hand nehmen: Ferdinand, so ohne Be- Sechstes Buch. Erstes Capitel . dingung wählen, würde heißen, seinen eignen Feinden das Messer reichen. Man müsse für Einen Mann stehn und sich gemeinschaftlich der Obedienz erwehren. Später werde es an Unterhandlung doch nicht fehlen. Da habe man dann gute Gelegenheit den König zu verpflichten, daß er dem Fiscal Stillstand gebiete, oder den Abschied gänzlich aufhebe. Artikel, so auf kuͤnftigen Tag zu Schmalkalden seind zu han- deln (Weim. Arch.). Man könne ihm, so ist der Ausdruck, „ein Ge- biß ins Maul legen.“ Ansichten, welche sich sehr gut hören ließen, besonders den Meinungen Landgraf Philipps entsprachen, auch den Beifall bei weitem der meisten Stände für sich hatten. Nur Markgraf Georg und seine Nachbarn zu Nürn- berg wollten so weit nicht gehen. Der eine stand in zu mannichfaltigen und eigenthümlichen Verhältnissen zu Fer- dinand, als daß er hätte wagen sollen, ihn persönlich zu beleidigen. Die andern liebten, sich ganz besonders als Un- terthanen des Kaisers anzusehn. Auf die erste kaiserliche Aufforderung hatten sie bereits den Krönungsornat, der bei ihnen verwahrt wurde, verabfolgt, und ihre Gesandten zu dem Acte selber an den kaiserlichen Hof gesandt. Und damit stand nun noch eine andre Frage in enger Verbindung. Wenn gleich die nächsten Angriffe, die man zu besor- gen hatte, mehr juridischer Natur waren, so ließ sich doch nicht verkennen, daß der Kaiser im Nothfall Gewalt zu brauchen gedenke. Man bemerkte, daß er im Reichsabschiede zwar Andern Frieden geboten, aber nicht selber zugesagt Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . hatte. Schreiben der saͤchsischen Gesandten bei Foͤrstemann II, 711. Die Nuͤrnberger meldeten schon am 21. October, alles sey „dahin gericht, wie man die thatliche Handlung wider die Anhenger des Evangeliums zum tapfersten anfange.“ Wirklich sind im Anfange des Jahres 1531 zwi- schen Ferdinand und dem päpstlichen Hofe Verhandlungen über die Nothwendigkeit einer Kriegsrüstung gepflogen wor- den. Man wollte Heinrich von Braunschweig haben sa- gen hören, er und Eck von Reischach würden die Heer- führung übernehmen. Vor allen Dingen mußte nun die Frage erwogen wer- den, ob es erlaubt sey dem Kaiser Widerstand zu leisten. Die Meinung der Theologen, welche ihre Begriffe vom Kaiserthum aus dem neuen Testament nahmen, war, wie wir wissen, dagegen. Allein in einer Zeit so großer Umwandlung, bei dieser allgemeinen Emancipation der weltlichen Elemente von der Hierarchie, mußten nun auch die staatsrechtlichen Begriffe sich von der theologischen Auffassung losreißen. Die Juristen führten einige Gründe privatrechtlicher Natur auf, betreffend den Widerstand, der einem auf ge- setzmäßige Appellation nicht Rücksicht nehmenden Richter geleistet werden könne; hauptsächlich aber zogen sie in Frage, ob dem Kaiserthum wirklich jene Gewalt von Rechtswegen zukomme, welche die Theologen voraussetzten. Etlicher fuͤrtrefflicher Rechtsgelehrten in Wittenberg Sentenz. Hortleder Buch II, cp. VI. Sechstes Buch. Erstes Capitel . Hatten die Theologen den Fürsten gerathen, den Kai- ser in ihren Ländern nach Belieben schalten, sie, die Predi- ger selbst vorfordern zu lassen, so wandte man ihnen ein, daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her- kommens seyn würde, daß der Kaiser eine solche Gewalt gar nicht besitze. Allmählig brachen sich überhaupt neue Ideen über die Natur der deutschen Verfassung Bahn. Man bemerkte, wenn die Fürsten dem Kaiser gehuldigt, so habe auch die- ser dagegen ihnen einen Eid geleistet, den er halten müsse: die Fürsten seyen die Erbherrn, der Kaiser gewählt. Eine Lehre, die noch lange brauchte um sich durchzuarbeiten, die erst bei dem westfälischen Frieden in staatsrechtliche Gel- tung kam, ward gleich damals aufgestellt: die Lehre, daß die Verfassung des deutschen Reiches nicht monarchischer, son- dern aristokratischer Natur sey. Das Verhältniß der Fürsten sey nicht viel anders, als der altrömischen Senatoren zu den Consuln, oder der venezianischen zu ihrem Dogen, oder eines Capitels zu seinem Bischof. Niemals aber seyen die Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorsam verpflichtet gewesen. „Die Stände regieren mit dem Kai- ser, und der Kaiser ist kein Monarch.“ Juristischer Rathschlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap. VIII. Am Schluß. Diesen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts mehr entgegenzusetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn- ten sie jetzt festhalten, und brauchten darum doch den Wi- derstand gegen den Kaiser nicht zu verdammen. „Wir Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . haben nicht gewußt,“ sagten sie, „daß solches der Obrig- keit Rechte selbst geben.“ Den Ernst ihrer Bedenklichkeiten bewies es, daß diese so lange festgehalten wurden und auch später von Zeit zu Zeit wieder emporstiegen. Auf Luther machte es noch besondern Eindruck, daß wie er schon immer bemerkt hatte, der Kaiser gar nicht selbständig verfuhr, sondern nach dem Rathe des Papstes und der deutschen Fürsten. Man urtheilte, er sey kein Meh- rer des Reichs, sondern ein Hauptmann und Geschworner des Papstes. Und sollte man den alten Feinden, den bö- sen Nachbarn, die sich nun der Autorität des kaiserli- chen Namens bedienen wollten, damit Muth machen, daß man den Widerstand für unerlaubt erklärte? Sie hoffen, sagt Luther, daß man sich nicht wehren werde: wollen sie aber Ritter werden an dem Unsern Blut, so sollen sie es mit Gefahr und Sorgen werden. Vgl. Warnung an seine lieben Deutschen Altb. V p. 538. „Alles ist ein Getrieb des obersten Schalks in der Welt.“ Er rieth nicht, die Waffen zu ergreifen, sondern wie er an Spengler schreibt, Ego pro mea parte dixi: ego consulo ut theologus sed si juristae possent docere legibus suis, id licere, ego permitterem eos suis legibus uti. Ipsi viderint. Und auf diesen Grund nun trug Sachsen bei den ver- sammelten Ständen auf ein Bündniß zur Gegenwehr selbst wider den Kaiser an. Man habe ihn bei früheren Verei- nigungen immer ausgenommen, doch könne das nichts hel- fen, da die Partei der Gegner sich des kaiserlichen Na- mens bediene. „Dieselbig Widerpartei die Sachen in die kaiserlich Majestaͤt, als ob sy diselbig gar nicht zu thun haͤtte schieben wil.“ Bedenken der Theologen ibid. cap. 9. Sechstes Buch. Erstes Capitel . Auch diese Ansicht theilten Nürnberg und Markgraf Georg keinesweges. Die Gutachten ihrer Theologen und Juristen waren bei weitem nicht so unzweifelhaft ausgefal- len. Nürnberg erklärte, auf widerwärtige Rathschläge wie diese könne es einen so wichtigen Beschluß nicht gründen. Wir wissen daß eine ähnliche Differenz schon vor dem Jahr die beiderseitigen Gelehrten getrennt hatte. Muͤllers Annales norici. Eine Streitfrage war, in wie fern die kaiserliche Autoritaͤt sich auf Religionssachen erstrecke. Na- mentlich der Landgraf von Hessen wollte das leugnen. Das bran- denburgische Gutachten aber besteht darauf. In jenem Antrag sagt nun Sachsen: wo sich gleichwol J. Mt. Amt in des Glaubens Sa- chen erstrecken sollt, waͤre das doch burch die Appellation, so an J. Maj. und ein Concilium saͤmtlich nach rechtlicher Ordnung erschienen ist, suspendirt. Die übrigen aber, schon immer gewohnt sich an Sach- sen zu halten, oder sogar erfreut, daß es frühere Wider- sprüche jetzt selber aufgegeben, erklärten sich vollkommen ein- verstanden. Es ward sogleich der Entwurf eines Verständnisses gemacht, worin man sich zwar sehr hütete den Kaiser zu nennen, die Absichten, welche gefürchtet wurden, nur un- bestimmt andeutete, „es lasse sich an, als werde darauf ge- dacht, die Anhänger des reinen Wortes Gottes zu unter- drücken,“ allein ihn in Hinsicht der Gegenwehr doch auch nicht mehr ausnahm. Die Verbündeten verpflichteten sich, Demjenigen von ihnen, der um dieses göttlichen Wortes willen angegriffen werde, zu Hülfe zu eilen. Ja sie wol- len das auch dann thun, wenn der Angriff unter einem andern Vorwand geschieht, sie aber ermessen, daß der ei- gentliche Grund eben dieses göttliche Wort ist. Hieß es Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . dann weiter, der Bund solle nicht wider den Kaiser noch sonst Jemand gerichtet seyn, so wollte das nichts anders sagen, als daß man Niemand angreifen, sondern sich nur vertheidigen werde. Dieses Bündniß nun nahmen Sachsen, Hessen, Lüne- burg, Wolfgang von Anhalt, die beiden Grafen von Mans- feld, die Städte Magdeburg und Bremen unverzüglich an. Die übrigen Versammelten versprachen sich binnen einiger Zeit darüber zu erklären. So schied man am 31. Decem- ber 1530 von einander. Abschied auf gehaltenen Tag zu Schmalkalden. 1530 letzte Dec. Weim. Arch. Neun Tage von der größten Bedeutung für die Welt. Die geängstigte, verachtete Minorität, die aber einer reli- giösen Idee, auf welcher die Fortentwickelung des mensch- lichen Geistes beruhte, bei sich Raum gegeben, nahm eine kraftvolle und sogar kriegerische Haltung an. Sie war ent- schlossen, wie sie die Lehre bekannt und sich von derselben nicht hatte treiben lassen, so nun auch den gesammten Zu- stand, in den sie dadurch gekommen, vor allem rechtlich zu vertheidigen, sollte es aber nothwendig werden, auch mit den Waffen in der Hand. Zu dem Ersten waren alle verbün- det, zu dem Zweiten, — denn nicht bei allen waren die Bedenklichkeiten über ihre rechtliche Befugniß dazu gehoben — wenigstens die Meisten; eben um den Ursprung der Neuerung her bildete sich eine compacte zur Handhabung derselben entschlossene Vereinigung, welche zu überwältigen den Gegnern wahrhaft schwer werden sollte. Schon zeigte sich in der Wahlsache, was dieser Wi- derstand zu bedeuten habe. Sechstes Buch. Erstes Capitel . Noch während der Berathungen in Schmalkalden war der Erbe der Chur, Johann Friedrich von Sachsen, nach Cöln gereist, um daselbst im Namen seines Vaters zu wi- dersprechen. Sein Widerspruch hinderte, wie man denken kann, die einmal beschlossene Sache mit nichten. Von den fünf übri- gen Churfürsten ward Ferdinand am 5. Januar 1531 zu Cöln gewählt; ein paar Tage darauf ward er zu Aachen gekrönt. Spalatin Verzeichniß der Handlung in Coͤln in Struve’s Archiv I, 62. In seiner Wahlcapitulation ward er ausdrück- lich auf den augsburgischen Reichsabschied verpflichtet. Denn dieser Abschied, in welchem alle Interessen der ka- tholischen Majorität zusammengefaßt waren, die vornehm- sten Waffe in ihren Händen, erschien jetzt als das wich- tigste Reichsgesetz. Hierauf überließ der Kaiser die Reichs- verwaltung zum größten Theil seinem Bruder. Auszug der Urkunden. Bucholz IX, 19. Mir faͤllt die Be- stimmung auf: imperium per Germaniam superiorem regat. Nahm man das niedere Germanien aus, weil der saͤchsische Reichs- vicar nicht eingewilligt? Oder vielmehr nur deshalb, weil der Kai- ser keine Einmischung der Reichsgewalt in seine niederlaͤndische Re- gierung dulden wollte? Er be- hielt sich nur vor, in einigen wichtigen Fällen, z. B. bei Ertheilungen von Fahnenlehen, oder von vornehmen Adelsti- teln, bei den Bestimmungen über die Monopolien, — den bedeutendsten mercantilen Interessen der damaligen Zeit, — und etwa bei solchen Achtserklärungen oder Verbindungen, die in einen förmlichen Krieg verwickeln könnten, consultirt zu wer- den. Im Bruͤsseler Archiv findet sich das Sommaire mémoire au roi des Romains d’aucuns points esquels il semble à l’em- Wie vollständig aber auch hiedurch die Wahlhandlung Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . zu werden schien, so blieb doch jener sächsische Widerspruch nicht ohne die größte Wirkung. Ohnehin war die öffentliche Stimme gegen das Verfahren der Churfürsten. Vornehmlich aber bekamen die alten Nebenbuhler, die Herzöge von Baiern, die es gar nicht verhehlten, daß auch sie nach der Krone getrachtet, denn Mitglieder ihres Stammes seyen schon Kai- ser und Könige gewesen, als die Ahnherrn der Habsbur- ger noch unter den Grafen gesessen, einen gesetzlich gegründe- ten Anlaß, auch ihrerseits die Anerkennung abzulehnen. Es kümmerte sie wenig, von welchem Motiv der Widerspruch Sachsens ausging. Merkwürdig daß in diesem Punkt die äußersten Katholiken mit den Führern der Protestanten verei- nigt waren. Auf einer zweiten Versammlung, welche die Ver- bündeten zu Schmalkalden kurz vor Ostern 1531 (29. März) hielten, erklärten Grubenhagen, Hessen und Anhalt, noch nachdrücklicher als früher, mit Sachsen bei der Verweigerung der Obedienz gegen Ferdinand verharren zu wollen. Die Städte waren nicht alle so entschlossen, jedoch enthielten auch sie sich größtentheils, demselben den Titel eines rö- mischen Königs zu geben. Sehr bald klagte Ferdinand seinem Bruder, er führe diesen Titel zwar nun, aber ohne Anerkennung zu finden; er gelte für nichts mehr als ein anderer Reichsfürst. Yo no soy mas que un principe de los del ymperio por agora, no siendo obedecido por rey de Romanos. (B. A.) Und auch übrigens nahm der Bund von Tag zu Tag eine bedeutendere Haltung an. Auf der zweiten Versammlung ward das Bündniß zur pereur que le dit S. roi doit avoir consideration et regard tou- chant le gouvernement de l’empire, pour lequel l’empereur luy envoye ample pouvoir. Sechstes Buch. Erstes Capitel . Gegenwehr, dessen Dauer vorläufig auf sechs Jahr bestimmt worden, von Sachsen, Hessen, Lüneburg und Grubenha- gen versiegelt. Für die Ratification in den Städten ward ein bestimmtes Verfahren angeordnet, welches darnach auch ausgeführt worden ist. Da man sich noch nicht über eine förmliche Kriegsverfassung vereinigte, und doch die Geg- ner sich regten, so hielt man vorläufig für nothwendig, eine Anzahl Reiter in Sold zu nehmen, bis man sehe, „wohinaus sich diese geschwinden und seltsamen Läufe er- strecken würden.“ Auf einer dritten Versammlung zu Frankfurt a. M. am 5. Juni, zog man dann vor allem die kammergericht- lichen Angelegenheiten in Berathung. Man war noch nicht ganz einig, wem man die Procuration auftragen wolle; gegen die Vorgeschlagenen wurden einige Einwen- dungen gemacht, aber in der Hauptsache hatte man kein Bedenken; die Procuratoren sollten ermächtigt werden, „alle Sachen, den Glauben und die Religion betreffend, welche der Fiscal wider einen von den Verbündeten vorbringen dürfte, in ihrer aller Namen zu vertreten, und ausführen zu helfen.“ Alle und jede Sachen die Religion Cerimonien und was dem anhangt anlangend, so der ks. Fiscal vielleicht us befel ks. Me. oder uf anhalten sonderer Personen oder Parteien wider die ernann- ten Staͤdte eine oder mehr fuͤrgewendt hette oder noch fuͤrpringen wuͤrde, in irer aller Namen semptlich und sonderlich zu vertreten und usfuͤhren zu helfen. Der Entwurf war schon zu Schmalkalden gemacht, ward aber hier angenommen. Man vereinte sich zu einer kleinen Anlage, um die Procuratoren zu besolden. Sonderbarer Weise war die erste fortwährende Leistung, zu der man sich verstand, im Bunde wie im Reiche jurisdictioneller Bestimmung. Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . So begann der Bund sich nach seinen beiden Rich- tungen hin, nach der juridischen und der militärischen, in den ersten Grundzügen zu entwickeln. Nicht alle Mitglie- der jedoch gehörten beiden Tendenzen an. Brandenburg und Nürnberg wollten von eigentlicher Gegenwehr nichts wissen. Die Verfassung war, daß deshalb auch ihre Ge- sandten zu den Versammlungen nicht zugelassen wurden, in welchen man von der Gegenwehr handelte. Es wurden zweierlei Abschiede gemacht, von denen der eine als der all- gemeine, „gemeine,“ der andere als der besondere, „sunder- liche“ bezeichnet wird. Jener bezog sich auf das weitere, le- diglich friedliche, dieser auf das engere und zugleich kriegeri- sche Verständniß. Noch hoffte man aber auch, Branden- burg und Nürnberg in den engern Verein zu ziehen. Bran- denburg ward zuerst von dem schwäbischen Bunde bedroht; man hielt dem Markgrafen vor, hätte er sich auch zur Ge- genwehr verbündet, so würde ihn der schwäbische Bund wohl ungeirrt lassen. Ueberhaupt war noch alles im Werden. Wir haben bis jetzt hauptsächlich die Verhältnisse der Fürsten ins Auge gefaßt; aber nicht minder merkwürdig waren die Verhältnisse der Städte in dem obern und in dem niedern Deutschland. Namentlich ziehen sich durch alle diese Bundestage Verhandlungen mit den oberdeutschen Untertheniger Bericht der Sachen so sich in der Handlung zu Frankfurt Trinitatis 1531 zugetragen und im Abschiede nit ver- zeichnet sind. (W. A.) Man sieht, es existiren uͤber diese Versamm- lung drei Actenstuͤcke, der allgemeine, der sunderliche Abschied und endlich dieser Bericht. Sechstes Buch. Erstes Capitel . Städten, welche die glücklichsten Resultate gewähren und zu den größten Aussichten berechtigen. Wir würden dieselben jedoch nicht richtig zu würdigen vermögen, wenn wir nicht zuvor den Gang, den die Sache der Reform indeß in der Schweiz genommen, einen Au- genblick ins Auge fassen wollten. Zweites Capitel . Fortschritte der Reformation in der Schweiz. Die erneuerte Einheit der lateinischen Christenheit war, wie sich von selbst versteht, den von derselben Abgewichenen in der Schweiz so gefährlich, wie Denen in Deutschland. Wenn sich die katholische Bewegung zunächst gegen Deutschland wendete, so geschah das, weil das Oberhaupt der Christenheit, der Kaiser hier im heil. römischen Reiche eine allgemein anerkannte und verehrte Autorität genoß: aber von jedem Fortschritt, den er machte, fühlte man sich auch in der Schweiz unmittelbar bedroht. Allein die Dinge lagen doch in der Schweiz bei wei- tem anders. Auch da stellte sich der Reformation eine mit herkömmlichen Vorrechten versehene Majorität entgegen: nach und nach hatte sie aber bereits die größten Verluste erlitten. Wir haben gesehen, wie Zwingli von den acht äl- tern Orten die beiden mächtigsten, Bern und Zürich, von den später hinzugekommenen Basel, und von den in weite- Ranke d. Gesch. III. 21 Sechstes Buch. Zweites Capitel . rem Verbande stehenden St. Gallen, Biel und Mühlhau- sen, für seine Ideen gewann nnd kirchlich umgestaltete. Dagegen aber fand er bei den übrigen Cantonen hart- näckigen Widerstand; besonders zeigten sich von den alten Or- ten ihrer fünf, die vier Waldstätte und Zug entschieden feind- selig. Wir erinnern uns, welche Partei dort gleich im Jahr 1522 die Oberhand behalten hatte. Sie wollte sich die Jahrgelder, das Recht fremder Kriegsdienste nicht entreißen lassen und war entschlossen, den alten Glauben in allen seinen Aeußerlichkeiten aufrecht zu erhalten. Wären die verschiedenen Cantone vollkommen geson- dert gewesen, so hätte man allenfalls ohne offene Zwie- tracht neben einander bestehen können. Allein es gab Ge- biete, in welchen die Regierung beiden Theilen angehörte: die gemeinen Herrschaften und Vogteien; auf denen muß- ten nun die entgegengesetzten Kräfte einander begegnen. Bedenken wir, daß die Eidgenossenschaft hauptsächlich da- durch erstarkt und zusammengewachsen war, daß sie ge- meinschaftliche Eroberungen gemacht hatte, daß in diesen der den Bund zusammenhaltende Moment lag, so leuchtet auch ein, wie wichtig eine Entzweiung werden mußte, die hier zum Ausbruch kam. Eben hier hatte die Majorität von jeher ein vorwaltendes Ansehn; es mußte sich zeigen, ob sie es behaupten würde. Die fünf alten Orte duldeten die neue Lehre weder in den Vogteien noch in den freien Aemtern. Die Landvögte Joseph am Berg von Schwytz und Jacob Stocker von Zug straften die Neugläubigen an Geld, warfen sie in Thurm, ließen sie mit Ruthen schlagen, des Landes ver- Fortschritte der Reformation in der Schweiz . weisen. Die Prediger wurden mit aufgeschlitzter Zunge ver- jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge, die sich von der deutschen Seite nach der Schweiz gerettet, wurden der östreichischen Regierung der Vorlande ausgelie- fert, die sie ohne Weiteres umbringen ließ. Ausschreiben von Zuͤrich 3. Maͤrz 1529. Vgl. Bullinger II, p. 31. Alle Bücher der neuen Lehre, auch Testamente und Bibeln wurden wegge- nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verstor- benen, wenn sie evangelisch gewesen, ein ehrliches Begräb- niß versagt. Schon längst hatten das die Züricher mit Unwillen wahrgenommen; so wie sie einigermaaßen die Kraft dazu fühlten, beschlossen sie es nicht mehr zu leiden. Es ist einer der vornehmsten Artikel in dem Bunde zwischen Zürich und Bern, daß man in den gemeinen Herrschaften und Vog- teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören, fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit beschließen sich zu dem Evangelium zu halten, durch keine Gewalt daran verhindern lassen wolle. Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11. Hierauf regten sich allenthalben in Thurgau und Rhein- thal die unterdrückten evangelischen Neigungen. Die fünf Orte verzweifelten, sie lediglich mit ihrer landvogtlichen Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 versammelten sie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von Thurgau in Frauenfeld, um sie zu ermahnen, sich von dem Mehrtheil der Orte, denen sie Gehorsam schuldig, in Hin- sicht des Glaubens nicht zu sondern, vielmehr dem Land- vogt zur Bestrafung der Abtrünnigen beizustehn. An die- 21* Sechstes Buch. Zweites Capitel . sem Tage hatten sich aber, ohne berufen zu seyn, auch Zü- richer und Berner Abgeordnete eingefunden; sie ließen es an entgegengesetzten Anmahnungen und Zusicherungen nicht fehlen. Die Landleute baten sich Bedenkzeit bis Nicolai aus, wo sie wieder in Winfelden zusammenkamen. Hier zeigte sich anfangs einiges Schwanken; allmählig aber stellte sich eine Mehrheit heraus, welche an dem Evangelium hal- ten zu wollen entschlossen war; Zürich und Bern sagten derselben ihre Hülfe offen zu. Auch den Rheinthalern, die sich zunächst an Zürich als den vordersten Ort der Eidge- nossenschaft gewandt, versprach diese Stadt, sie von Got- tes Wort nicht treiben zu lassen. Abschied zu Frauenfeld, und Instruction der Zuͤricher nach Winfelden bei Bullinger II, 27. Bernh. Weiß p. 93. Es war noch einmal ein Act der Autonomie, den die Unterthanen ausübten. Da die Regierenden entzweit wa- ren, kam es auf ihren freien Entschluß an, welche Partei sie ergreifen wollten. Sie wählten die Sache der Reform. In Thurgau gab es bald nur noch 9 Edelleute, welche nicht beigetreten, und auch diese baten lediglich um Auf- schub; im Rheinthal fand sich ein einziges Kirchspiel, wo die Mehrheit nicht für die Verbrennung der Bilder und die Abstellung der Messe stimmte; für die freien Aemter ward es entscheidend, daß in Bremgarten die reformirt gesinnte Gemeinde mit Hülfe von Zürich über den katholisch und fünfortisch gesinnten Rath den Sieg davontrug; hierauf folgte die umliegende Landschaft nach. So stark man nun auch hiebei versichern mochte, daß der weltliche Gehorsam, den man den bisherigen Ober- Fortschritte der Reformation . herren schuldig sey, darunter nicht leiden solle, so ist doch offenbar, daß die Grundlage der Macht, d. i. der Einfluß, dem der Unterthan sich willig unterwirft, den fünf Orten hiebei verloren gehen mußte. Und schon war auf einem andern Gebiete eine Irrung eingetreten, die ihnen nicht minder nachtheilig ward. Unterwalden hatte es gewagt, dem Berner Oberlande, wo die Maaßregeln, welche die Stadt zur Einführung der Reform traf, namentlich die rasche Einziehung des Klosters Interlachen, Mißvergnügen und Widerstand erweckte, zu Hülfe zu kommen, und in das Gebiet eines ihrer Eidgenossen, mit aufgereckten Fahnen, unabgesagt einzufallen. Die Unterwaldner und Walliser hatten dabei freilich das Meiste zu verlieren, wenn es wahr ist, daß sie fruͤher fleißige Hasle- rinnen heimfuͤhrten, und spaͤter mit Urnerinnen vorlieb nehmen muß- ten, die nicht so gut einschlugen. Kirchhofer B. Haller p. 142. Bern setzte sich zur Wehre, brachte die Unterthanen zum Gehorsam, die Eingedrungenen zum Rückzug: aber es läßt sich erachten, welche Nachwirkungen ein so offenbarer Bruch des alten Bundes haben mußte. An den vier Orten, mit denen Unterwalden überhaupt verbündet war, fand es auch dieß Mal Rückhalt. Aber alle Bürgerstädte waren der Meinung, daß man Unterwal- den strafen müsse. Auch Solothurn und Freiburg verspra- chen ihren Verpflichtungen gemäß den Bernern hiezu ihren Beistand. Dergestalt politisch und kirchlich überflügelt, mit Rache bedroht, faßten die fünf Orte den Gedanken, bei dem Hause Oestreich Hülfe zu suchen. War es doch ohnehin ihr Prin- zip, die Verbindungen mit fremden Mächten nicht aufzugeben. Sechstes Buch. Zweites Capitel . An den schweizerischen Grenzen befanden sich noch alle Die im Besitz der Gewalt, welche den Bauernaufruhr ge- dämpft und der Predigt in diesen Gegenden ein Ende gemacht hatten; Graf Sulz und Graf Fürstenberg, so wie der Vogt zu Bregenz Marx Sittich von Ems. Die Emser Verwandt- schaft, die sich so eben durch den Castellan von Musso ver- stärkt, hielt überhaupt in den Gebirgen die Fahne des Ka- tholicismus aufrecht. Den Fünforten ward es ohne Zwei- fel nicht schwer, bei diesen Herrn Eingang zu finden. Man hielt Zusammenkünfte in Feldkirch und Waldshut; das schweizerische und das östreichische Wappen waren neben- einander aufgeschlagen; man behauptet, die alten Bekäm- pfer des östreichischen Zeichens der Pfauenfeder jetzt mit der- selben geschmückt gesehen zu haben. Es kam ein Bund zu Stande, in welchem König Ferdinand und die fünf Orte einander das Wort gaben, bei dem alten Glauben festzu- halten, einen jeden, der denselben in ihrem Gebiete antaste, zu züchtigen, und sich auf den Fall, daß sie darüber an- gegriffen würden, gegenseitige Hülfe zu leisten. Alles was dann innerhalb der Eidgenossenschaft erobert werde, solle den fünf Orten, alles was außerhalb, dem König verbleiben. Die vornehmste Bedingung des Bundes ist wohl, daß Ferdinand den Fünforten alles das garantirte, „was ihnen verpflichtet und verwandt sey,“ — also auch die gemein- schaftlichen Vogteien, auch den Thurgau, — die Fünf- orte dagegen ausdrücklich erklärten, Constanz als nicht eid- genossisch betrachten, es dem König überlassen zu wollen. Urkunde des Bundes bei Hottinger II, 475. Die Fünforte hatten nicht Unrecht, wenn sie den Bür- Bund der fuͤnf Orte mit Oestreich . gerstädten, die ihnen dieß Bündniß zum Vorwurf machten, entgegneten, daß ja auch sie selbst sich mit Auswärtigen verbündet; aber ein großer Unterschied war da doch alle- mal. Durch das Burgrecht, das Zürich mit Constanz ge- schlossen, ward diese Stadt auf das engste mit der Eidge- nossenschaft verbunden. Es war immer ein Gesichtspunkt der östreichischen Politik gewesen, dieß nicht zu gestatten, und Maximilian hatte einst deshalb einen großen Theil der Gemeinde in seine Dienste genommen; die Fünforte über- ließen jetzt Constanz an Oestreich. Merkwürdig, daß dieß in denselben Zeiten geschah, in den ersten Monaten des Jahres 1529, in welchen auch die Majorität der Reichsstände sich wieder an das Haus Oestreich anschloß. Aller politische Widerwille verschwand in diesem Augenblick vor der religiösen Gemeinschaft. Ferdinand suchte die schweizerische Vereinigung so gut wie möglich zu befestigen. In Insbruck, wo sie beschlos- sen ward, hatte er auch einen Theil der tyroler Landsas- sen zu Rathe gezogen; alle vordern Länder, Würtemberg eingeschlossen, sollten in dieselbe eintreten. Er hoffte damit vielleicht die Macht der Eidgenossen anf immer zu brechen, Werbung an die Wuͤrtemberg, Landschaft II , Urk. nr. 144. „das dieselbig eidgenossenschaft durch bemelte Vereynigung in irer Macht zertrennt, S. Koͤn. Maj. und die Iren, so dem alten christ- lichen Glauben anhangen mit frembder Hilf als obgemeldter fuͤnf Orte erstaͤrkt.“ gewiß aber den weiter vordringenden neuen Meinungen ein unüberwindliches Bollwerk entgegenzusetzen. Konnte jedoch ein Bund dieser Art den fünf Orten wohl wirklich Schutz gewähren? Ihre Schritte waren, wenn Sechstes Buch. Zweites Capitel . wir sie vom eidgenössischen Standpunkt aus betrachten, im Grunde durchaus falsch; jener erfolglose Einfall ins berne- rische Gebiet nicht minder, als der Bund mit Ferdinand. Sie liefen wider das Bestehen und die Idee der gesamm- ten Eidgenossenschaft. Zu dem glücklichen Fortgang, in welchem die Bürgerstädte vermöge der siegreichen Lehre, die sie verfochten, begriffen waren, kam noch die Macht des vaterländischen Interesses und ein unläugbares Recht. Auf keinen Fall war nun an weiteren Frieden in der Eidgenossenschaft zu denken. Die Gesandten der Bürger- städte, welche sich in das hohe Land begaben, um die al- ten Bundesbrüder von dieser Vereinigung abzumahnen, fan- den da wohl ihre Wappen an dem Galgen angeschlagen, sie sahen sich als Ketzer und Verräther behandelt; ihnen zum Trotz verhing man gegen die Abgewichenen die furchtbarsten Strafen. Auch die Reformirten der innern Schweiz haben ihre Märtyrer; ein Prediger aus dem Züricher Gebiet, Ja- cob Keyser, der von Zeit zu Zeit nach Gaster ging, um auch da eine evangelische Kirche zu versehen, ward auf diesem Weg, auf freier Reichsstraße, in dem Eschibacher Holz aufgegrif- fen und nach Schwytz geschleppt. Die Schwytzer hatten damals Gaster gar nicht zu belandvogten. Wäre dieß auch der Fall gewesen, so hätte die Sache doch vor die Utzna- cher Gerichte gehört. Nichts desto minder verdammte die Landsgemeinde den armen unschuldigen Mann zum Tode im Feuer, den er standhaft erlitt. Bullinger Ref. Gesch. II, p. 148. Eidgenoͤssische schweize- rische Maͤrtyrer. Misc. Tig. II, p. 35 (unbedeutend). Da hielt nun aber auch Zürich nicht länger an sich. Als im Juni 1529 ein neuer Vogt von Unterwalden in Kriegsgefahr , 1529. Baden aufreiten sollte, erklärte es geradezn, dieß nicht dul- den zu wollen. Es wolle mit den Unterwaldern überhaupt keine Gemeinschaft mehr haben; es werde ihnen fortan in den Herrschaften, die auch ihnen gemein seyen, keine Be- vogtung mehr gestatten. Ecks Repulsio macht ihnen das besonders zum Vorwurf. Den Schwytzern hatte Zürich längst angekündigt, sich rächen zu wollen, wenn dem Prediger ihrem Hintersassen Gewalt geschehe. Seine Hinrichtung war das Zeichen des Krieges. Am 5. Juni rückte das erste zürcherische Fähnlein aus, um die freien Aemter vor einer blutigen Wieder- herstellung des alten Glaubens zu schützen; bald darauf ein zweites nach Thurgau und Rheinthal, ein drittes, um den schwytzerischen Antheil an Gaster, der zu dem Tode des Predigers Anlaß gegeben, zu besetzen. Da hierauf auch die Feinde sich unverweilt zu Bar am Boden sammelten, so zog am 9. Juni auch das große Banner der Stadt aus, unter dem Bannerherrn Hans Schweizer, der es schon in den mailändischen Kriegen getragen. So standen, zum ersten Mal in Folge der religiösen Unruhen, ein paar schlagfertige Heere, nicht von Bauern und Herren wie früher, sondern von gleich berechtigten Gegnern, einander gegenüber. „Sie sind so voll Haß ge- geneinander,“ sagt König Ferdinand, „daß man nichts anders als Thätlichkeiten erwarten darf.“ Ohne Zweifel aber hatten die Evangelischen in diesem Augenblicke das Uebergewicht. Das zürcherische Heer hatte seines Gleichen nicht. Es Sechstes Buch. Zweites Capitel . bestand aus den wackeren Männern, welche die Reform mit alle dem sittlichen Ernst in sich aufgenommen, mit welchem Zwingli sie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet; man hörte kein Fluchen noch Schwören; selbst das Würfel- spiel war verbannt; die Erholung bestand in Leibesübungen, Springen, Werfen, Steinstoßen. Streitigkeiten fielen bei- nahe nicht vor; Niemand hätte versäumt, vor und nach Tische zu beten. Zwingli selbst war zugegen; man hatte ihn der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus- zuziehn; aber er hatte sich aus freien Stücken zu Pferd ge- setzt und die Hallbarde über die Achsel genommen. Zwingli war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei- ten darin bestätigten — denn wenigstens von Ferdinand, welcher anderweit beschäftigt war, und sich zu wenig ver- sprechenden Anforderungen an seine Stände genöthigt sah, hatten die Fünforte nichts zu erwarten — so faßte er die kühnsten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge- langen, welches er sich von Anfang an vor Augen ge- stellt. Er wollte von keinem Frieden wissen, es würden denn die beiden großen Zugeständnisse eingegangen, auf die er schon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderwesen sollte auf ewig verschworen werden; die Predigt des Evan- geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt seyn. Er stellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf diese Weise Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be- wirken sey; „Steht fest in Gott,“ ruft er ihnen zu: „jetzt geben sie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen; gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet ist. Erster Friede von Cappel . Dann werden wir einen Krieg geführt haben, vortheilhaf- ter als je ein anderer gewesen ist; Dinge ausgerichtet ha- ben, die Gottes und der Städte Ehre nach viel hundert Jahren noch verkündigen werden.“ Gutachten und Schreiben im Anhang zu Hottinger: Ge- schichte der Eidgenossen II, 482. Wäre es auf Zwingli und auf Zürich allein ange- kommen, so würden sie alles daran gewagt, und ihren Vortheil bis zum äußersten Ziele verfolgt haben. Allein, Krieg zu beginnen, Blut zu vergießen hat man natürlich immer eine gerechte Scheu. Indem die Züricher schon im Anzug waren, erschien der Ammann Ebli von Glarus bei ihnen, und stellte ihnen vor, wie oft sie Liebes und Leides mit denen erfahren, denen sie jetzt abgesagt. Er machte um so mehr Eindruck, da er als ein braver Mann bekannt war, der im Grunde dieselben Ansichten hegte, wie in Zürich herrschten. Man bewilligte ihm einen Stillstand. Nur Zwingli, der weiter in die Zukunft sah als die Andern, war mit einer Nachgiebigkeit nicht zufrieden, die ihm sehr unzeitig erschien. „Gevatter Ammann,“ sagte er zu Ebli, „du wirst Gott müssen Rechenschaft geben.“ Bullinger II, 170. Und indessen sprach sich auch Bern aus. Das ge- waltige Umsichgreifen Zürichs war ihm nicht angenehm. Bern erklärte, es werde seine Hülfe leisten, aber nur wenn Zürich angegriffen werde, nicht wenn es angreife. Auch in der Schweiz machte sich der Gedanke der Standesabgeschlossenheit geltend, der in Deutschland herr- schend geworden. Bern hielt die Bedingungen, welche Zwingli Sechstes Buch. Zweites Capitel . vorschlug, nicht für angemessen, weil man nicht so tief in die Regierung der einzelnen Orte eingreifen dürfe. Aus der eignen evangelischen Partei gingen die Hin- dernisse hervor, die den Reformator abhielten, seine Ab- sichten mit den Waffen in der Hand durchzusetzen. Es kam zu Unterhandlungen, die bei der Kraft, welche die Gegenpartei noch immer besaß, und bei der Gesinnung, die in den Verbündeten noch überwog, Hans Stockar von Schafhausen Tagebuch 199. „Dye von Zuͤrych mianttend, uns hye och jn zu zychen, das nun wyder unser Bunntbryef was und uns nitt zustund.“ nicht zu dem reinen Resultat führen konnten, das Zwingli vor Augen hatte. Es war schon genug, daß die Fünforte sich bequem- ten das Ferdinandische Bündniß auszuliefern, Erstattung der Kriegskosten, Bestrafung der Schmähreden versprachen, und in die Satzung der Bürgerstädte, daß in den gemeinen Herrschaften die Mehrheit in einem Kirchspiel über den Glauben zu entscheiden habe, förmlich einwilligten. Auch von dem Verbot der Jahrgelder und der Freiheit des Evan- geliums war die Rede. Aber sie wurden bei weitem nicht so unumwunden zugestanden, wie Zwingli gewünscht hätte. Die Abschaffung der Pensionen erschien nur als eine Bitte der Bürgerstädte an die Fünforte. Statt der Freiheit der Predigt hieß es nur, kein Theil wolle den Glauben des andern strafen. Landsfried zu Cappel ufgericht: 25. Juni 1529 bei Bullin- ger II, 185. Und auch so schien nun doch nicht wenig erreicht zu seyn. Die fünf Orte mußten sich entschließen, die Urkunde Weitere Fortschritte der Reform . ihres Bundes mit Ferdinand noch in Cappel herauszuge- ben. Die Vermittler verhinderten, daß sie verlesen würde; sie hätten gefürchtet, der alte Widerwille möchte dadurch wieder angefacht werden. Ammann Ebli durchstach den Bundesbrief als er zum Vorschein kam mit seinem Messer und zerriß ihn; die Umstehenden griffen nach dem Wachs der Siegel. In Folge des unläugbaren Vortheils der Evangeli- schen nahm nun die Reform nach dem Frieden einen noch viel raschern Fortgang. Bei Bullinger kann man sehen, in wie viel gemein- schaftlichen Orten sich eine Majorität für dieselbe bildete, wie er sich ausdrückt, „das Gotteswort ermehret ward.“ Noch im Jahre 1529 konnte Zwingli eine Synode im Thur- gau halten und das Land evangelisch einrichten. Große Abteien wie Wettingen und Hitzkirch traten über; in Wet- tingen waren in allem nur zwei Mönche, die sich weiger- ten. Der Abt Georg Müller in Baden sorgte nur, daß die Bilder, die er aus der Kirche schaffte. nicht wie an so vielen andern Orten vernichtet würden. Aus N. Manuels Missiven bei Gruͤneisen p. 135. Endlich ward von Groß- und Kleinräthen in Schafhausen beschlossen, daß man die Messe und Bilder abschaffen sollte. Nicht ohne verhaltenen Schmerz berichtet Hans Stockar, wie Freitag nach Michaelis „der groß Gott im Münster“ von dannen gethan ward. Tagebuch 201. Die Stadt trat in das Bürger- recht von Bern, Basel und Zürich. In Solothurn mußte den Neugläubigen fürs Erste wenigstens eine Kirche bewil- Sechstes Buch. Zweites Capitel . ligt werden, und nur ein vermeintes Wunder konnte die Verehrung von St. Urs noch retten. Unter dem Schutz von Bern erhoben sich die Evangelischen in Neuenburg; schon griffen auch die Katholischen zu den Waffen, und es schien zu Blutvergießen kommen zu wollen, als man den Beschluß faßte, die Majorität entscheiden zu lassen. Chambrier Histoire de Neuchatel p. 296. Sie entschied für die Reform. Oft war die Majorität frei- lich nur schwach. In Neuenburg betrug sie nur 18, in Neuenstadt 24 Stimmen. Stettler II, 36. So war es aber auch auf der andern Seite, unter entgegengesetzten Einflüssen. Ganz in der Nähe, in Rottweil, übten die 6 katholischen Zünfte gegen die fünf evangelischen die größten Gewaltsamkeiten aus; mehrere Hundert Bürger mußten die Stadt verlassen. Wichtiger als alles andere für den Fortgang der Ideen Zwingli’s war nun aber, daß auch in einem der acht alten Orte, der sich bisher neutral gehalten, in Gla- rus die evangelische Majorität, die jedoch um vieles ausge- sprochener war, zur Alleinherrschaft gelangte. Schon war die reformirte Lehre so weit vorgedrungen, daß nur noch ein paar Kirchen ihre Heiligenbilder behalten hatten. Ob- wohl die Genossen derselben um nichts als kurzen Aufschub ba- ten, bis etwa Kaiser und Reich wegen der Mißbräuche Ver- fügung träfen, so beschloß doch die Landgemeinde im April 1530, daß auch diese Kirchen zu reinigen und dem übri- gen Lande gleichförmig zu machen seyen. Es mochte noch Tschudi bei Hottinger p. 287 nota 30. Bullinger p. 289. Meßaltaͤre und Goͤtzen wurden abgemant: etlich Goͤtzen uf besser Gluͤck entzuͤckt und verborgen.“ Fortschr. der Reform. Glarus. St. Gallen . einige Widerstrebende geben, staatsrechtlich aber ward Gla- rus hiedurch wirklich evangelisch. Zu dem Vortheil, diesen Ort, von welchem Zwingli im Anfang seines Unternehmens hatte weichen müssen, ge- wonnen zu haben, kam noch, daß der Kreis einer gesetz- mäßigen Einwirkung auf Andere dadurch erweitert ward. Der Abt Geißberger in St. Gallen hatte in seinem Gebiete — nicht der Stadt, welche bereits übergetreten — sondern dem Lande den Lauf der Lehre so viel wie möglich zurückgehalten, doch war sie daselbst so mächtig wie an- derwärts vorgedrungen. Der Abt war Fürst des heiligen Reiches, aber Glarus, Lucern, Schwytz und Zürich übten das Schutzrecht über ihn aus, und maßten sich deshalb auch einen nicht geringen Einfluß auf die innern Ange- legenheiten an. Jetzt starb nun der Abt, und besonders für diesen Fall war es wichtig, daß von den vier schützen- den Orten zwei evangelisch waren. Zwar wußten die Conventualen wider deren ausdrücklichen Wunsch eine Wahl zu bewerkstelligen, welche die Bestätigung der höch- sten Autoritäten des Kaisers und des Papstes und die Billigung von Schwytz und Lucern fand, aber Zürich und Glarus weigerten sich dieselbe anzuerkennen. Sie fühl- ten sich bei weitem mehr mit der Landschaft, wo nun die evangelischen Regungen die Oberhand bekamen, als mit den Conventualen verbündet. Zürich ging von dem Grund- satz aus, nicht der Abt sey das Gotteshaus, sondern alle Landleute, Gerichte und Gemeinden, die seyen den Schirm- herren zu schirmen befohlen. In Einverständniß mit den Ein- gebornen ward eine Landesordnung gemacht, nach welcher Sechstes Buch. Zweites Capitel . immer ein Hauptmann aus den vier Schirmorten und ein Landrath von zwölf Mitgliedern die Regierung führen soll- ten. Um aber nicht aus Schwytz oder Lucern etwa einen Feind der neuen Lehre zum Hauptmann zu bekommen, setzte man zugleich die Bedingung fest, daß der Hauptmann der evangelischen Lehre zugethan seyn müsse; nicht eher sollte ihm gehuldigt werden, ehe er nicht geschworen, die Unter- thanen des Gotteshauses bei dem göttlichen Wort bleiben zu lassen. Auch auf Toggenburg erstreckte sich die neue Freiheit; es kaufte sich, womit es während Zwinglis Jugend begonnen, von den Pflichten gegen das Kloster nun voll- kommen los. Zwingli erlebte die Freude, im Anfang des Jahres 1531 in seinem völlig freien Vaterlande erscheinen und es nach seiner Weise kirchlich einrichten zu können. So umfassend nun aber auch diese Fortschritte waren, ren, so erfüllten sie doch immer noch nicht die Absicht, welche er ursprünglich gehegt und an deren Erreichung alles lag. Die herrschende Partei in den Fünforten zeigte sich unerschütterlich; noch auf dem Felde zu Cappel sol- len die Machthaber einander versprochen haben, dem er- sten Artikel des Landfriedens zum Trotz, den neuen Mei- nungen nicht Raum zu geben, ja einen Jeden umzu- bringen, der ihnen davon rede. Gewiß ist wenigstens, daß Niemand sich in ihrem Gebiete damit hervorwagte, ob- wohl es gar nicht an Leuten fehlte, denen sie zusagten. An die Abstellung der Schmähreden war nicht zu denken. Ordnung und Satzung wie hinfuͤro by den Gottshusluͤten Rat und Gericht zhalten. Bullinger II, 271, 344. Grundlegung des schmalkaldischen Bundes . Züricher und Berner wurden als ein verrätherisches ketze- risches Krämervolk, ihre Prediger als Kelchdiebe Seelenmör- der bezeichnet; Zwingli, sagte man im Gebirg, sey ein Gott der Lutherischen. Dem Eifer der dortigen Priester galten zwinglische und lutherische Meinung noch gleich viel. War auch der Bundesbrief mit Oestreich herausgegeben, so wurden doch fortwährend neue Unterhandlungen gepflogen. Auf dem Reichstag von Augsburg erschienen die Gesandten von Lucern und Zug. Sie waren auf ihrer Reise von den Gleichge- sinnten sehr ehrenvoll empfangen worden; in Augsburg wohnten sie auf Befehl des Kaisers in dessen Nähe; man bemerkte, daß sie ihm Schriften einreichten. An ihren alten Verbündeten, Marx Sittich, Eck von Rei- schach, Hans Jacob von Landau fanden sie auch jetzt Rück- halt, und man trug sich aufs neue mit weitaussehenden Plänen, wie Strasburg angegriffen, und den Eidgenossen, die demselben zu Hülfe kommen würden, der Tod bereitet, wie dann die reformirte Schweiz zugleich von Savoyen, dem Rheinland und dem Gebirg angefallen werden solle. Christian Friedbold von St. Gallen, Augsburg 16 Juli in Escher und Hottingers schweizerischem Archiv I, p. 433. Diese Dinge fanden um so mehr Glauben, da der Adel von Savoyen wirklich zu einem Angriff auf Genf schritt, und zu gleicher Zeit der Castellan von Musso mit sei- nen emsischen Verwandten Graubünden anfiel. Die fünf Orte hüteten sich wohl den Gefährdeten Hülfe zu leisten. Die Walliser erklärten ohne Rückhalt, daß ihnen das des Glaubens halber nicht zu thun sey. Natürlich beachte man Ranke d. Gesch. III. 22 Sechstes Buch. Zweites Capitel . in Bern und Zürich alle diese Dinge in Verbindung. Aus dem Schreiben von Bern an Zuͤrich 16. Octob. 1530 bei Hottinger II, 326. „Das Spiel sey zu fruͤh angefangen; ein Savoyer habe sich merken lassen, es sey der Geistlichen Anschlag. Vgl. Instruetion Landgraf Philipps in Eschers Archiv II, p. 304. Auch auf der andern Seite aber geschah dies. König Ferdinand fürchtete, würden die Bürgerstädte in Graubünden Herrn bleiben, so würden sie alsdann die fünf Orte angreifen; so- bald sie aber diese bezwungen, ihre Unternehmungen gegen die Erblande und das Reich richten. Er ersuchte den Kai- ser, hauptsächlich aus diesem Grunde den fünf Orten wenn es nöthig werde Hülfe zu leisten. Auszug aus dem Schreiben Ferdinands an Carl bei Bucholz V, 258. Drittes Capitel . Versuch einer Vermittelung zwischen den beiden protestantischen Parteien. In sehr naher Beziehung finden wir nun die Eidge- nossenschaft zu dem Reiche. Einer aufstrebenden mit der öffentlichen Meinung ver- bündeten Minorität stand auf den Tagsatzungen, wie auf dem Reichstag eine altgläubige Mehrheit gegenüber. Der nächste Unterschied lag darin, daß Kaiser und Reich zugleich eine kirchliche Autorität besaßen, welche der Tag- satzung, die sich hiebei auch nicht auf den Kaiser berufen konnte, zu dem sie als solche kein gesetzliches Verhältniß hatte, mit nichten zukam. Dagegen hatte aber auch die Minorität in der Schweiz nicht wie die deutsche frühere allgemeine Beschlüsse für sich. Der Kampf war in der Schweiz mehr factischer, in Deutschland mehr rechtlicher Natur. Beide Majoritäten suchten ihre vornehmste Hülfe bei dem Hause Oestreich. Sollten da nicht auch die Minori- täten auf das ernstlichste daran denken, die alte Zwietracht, die sich zwischen ihnen erhoben, fallen zu lassen? 22* Sechstes Buch. Drittes Capitel . Das Unglück war nur, daß Zwingli sich im Jahr 1530 auf eine Weise ausgesprochen hatte, welche eher Widerwillen und weitere Entfernung als Annäherung ir- gend einer Art hervorbringen mußte. Sey es, daß ihn die ungünstigen Berichte reizten, welche lutherischer Seits über das marburger Gespräch verbreitet wurden, oder daß die Anwesenheit Carlstadts, der eben damals bei Zwingli an- gekommen und kurz darauf in der Schweiz wieder zu ei- nem Amte gelangte, auf ihn wirkte: — genug, kaum war ihm die augsburgische Confession zu Händen gekommen, so sandte auch er, ohne daß er gerade eine dringende Auffor- derung dazu gehabt hätte, eine Rechenschaft über seinen Glauben an den Kaiser, worin er nicht allein der ka- tholischen Kirche lebhafter entgegentrat, als Melanchthon es gethan, z. B. die bischöfliche Verfassung ohne weiteres verwarf, sondern auch von einigen frühern Zugeständnissen, namentlich in dem Artikel von der Erbsünde weiter abwich, ja Luthern fast ausdrücklich den Vorwurf machte, er sehne sich nach den Fleischtöpfen Aegypti zurück, und ihm die crasseste Auffassung beimaß. Ad Carolum Romanum Imperatorem Fidei Huldrychi Zwinglii Ratio. Quod Christi corpus per essentiam et realiter h. e. corpus ipsum naturale in coelo aut adsit aut ore dentibus- que manducetur, quemadmodum Papistae et quidam qui ad ollas Egyptiacas respectant pernibent, id vero neque tantum negamus sed — — — Mitratum genus atque pedatum, sagt er weiterhin, credimus νόϑον. Kein Wunder wenn nun auch die Lutheraner eine ver- stärkte Abneigung gegen die Anhänger Zwingli’s kund gaben. Das Bedürfniß des Friedens war aber so dringend, daß in eben diesem Augenblick an einer andern Stelle doch Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . die Absicht gefaßt ward, eine Vermittelung des Streites zu versuchen. Die oberländischen Stände, namentlich Strasburg, ge- hörten im Grunde beiden Theilen an. Auf der einen Seite waren hier die eigenthümlichen Verhältnisse deutscher Städte, besonders der Wunsch, die Geistlichen in bürgerliche Pflicht zu nehmen, die Einwirkung der hohen Stifter auf die Besetzungen der Pfarren zu be- seitigen, so wirksam gewesen, wie irgend wo sonst; und in allem was man gethan, hatte man sich auf die Abschiede der Reichsversammlungen bezogen. In Folge des Abschieds von 1523 hatte der Rath den Predigern die Weisung zu- gehn lassen, „hinfüro die heilige Schrift lauter und unver- mischt mit Menschenfabeln zu predigen, unerschrocken, denn ein ehrsamer Rath wolle sie dabei handhaben.“ Roͤhrich I, 175, 455. Im ersten Capitel der Tetrapolitana wird als Motiv der Veraͤnderung angefuͤhrt, daß der große Reichs- tag von 1523 die Predigten aus der heiligen Schrift zu nehmen und zu beweisen befohlen habe. Aus dem Abschied des Jahrs 1526 leiteten die Strasburger ferner das Recht her auch in den Cerimonien Aenderungen zu treffen, namentlich die Messe abzustellen, wovon sie sich durch keine Mahnungen König Ferdinands oder des Reichs- regiments abhalten ließen. Relation der Abgeordneten des Reichsregimentes bei Jung: Actenstuͤcke p. 66. Dafür gehörten sie auch zu den ersten, welche bei dem Kammergericht verklagt wurden. In allen diesen Beziehungen mußten sie sich nun ganz wie andre deutsche Städte zu vertheidigen suchen. Auf der andern Seite aber hatten die dogmatischen Vorstellungen Zwingli’s den größten Einfluß auf Stras- Sechstes Buch. Drittes Capitel . burg, und gewannen daselbst nach und nach völlig die Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre weg, übertünchte die mit Gemählden geschmückten innern Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild geduldet werden dürfe; keine Instrumentalmusik ward wei- ter zugelassen; die Orgel verstummte. Roͤhrich Ref. v. Strasburg II, p. 8. — Auch politisch hatte Strasburg in so fern dieselben Interessen mit den Schweizern, als die östreichische Macht im Elsaß beiden gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das Bürgerrecht der Schweizerstädte; sie versprachen einander wechselseitige Hülfleistung; namentlich machte sich Stras- burg anheischig, den Schweizern Pulver zuzuführen. Bei dieser Doppelseitigkeit der politischen und religiö- sen Haltung war es nun wohl sehr natürlich, daß man nirgends dringender eine Aussöhnung der streitenden Par- teien wünschte, als eben in Strasburg. Und schon war auch der Mann gefunden, der es sich zu einer Lebensangelegenheit machte, eine solche doctrinell durchzuführen. Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin- gens, in dessen Diensten er gestanden, überall verfolgt, mit einer schwangern Frau — er war einer der ersten evan- gelischen Prediger, die sich verheiratheten — und in großer Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein Aufnahme, sondern einen großen Schauplatz höherer Thä- tigkeit gefunden hatte. Man sagt von ihm, er habe sich in der Jugend, bei den scholastischen Disputationen die Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . Methode zu eigen gemacht, das Wesentliche und Nothwen- dige von dem Minder-Wesentlichen und Zufälligen zu un- terscheiden. Adami Vitae theologorum 102. Indem er nun das einfache Wesen zwei ein- ander entgegenstehender Behauptungen verglich, fand er wohl einen dritten Moment, der dieselben wieder vereinigte. Butzer steht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen- den Beugsamkeit. Die Meisten urtheilen, er habe den For- derungen der Umstände zuweilen mehr als billig nachgege- ben. Unläugbar ist, daß seine Vermittelungsversuche zu- gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in- nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm selber haben sie alle mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffassung fremder Ideen und Weiterbildung derselben, man möchte sagen, für secundäre Production, besaß er ein unzweifelhaftes Talent. Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom Abendmahl, wie er selbst einmal sagt, nichts als eine neue Verbrotung Christi gesehn; allein bei einem tiefern Studium, namentlich des großen Bekenntnisses vom Abendmahl war ihm klar geworden, daß sich das nicht so verhalte; schon in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk- sam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer sey, als man meine. Fragment eines Schreibens von Butzer an die Bruͤder in Chur bei Roͤhrich II, 135. Recht bezeichnend ist auch das Schrei- ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae- sentiam tueri voluerunt, — iis verbis eam affirmarunt, quae si ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo- luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror- sus excludere. In dieser Ansicht bestärkte ihn das Gespräch von Marburg. Sechstes Buch. Drittes Capitel . Eben so wenig aber wollte auch er nun die Meinung zugeben, die man lutherischer Seits hegte, daß von den Oberländern nichts als Brod und Wein im Abendmahl angenommen werde. Auf dem Reichstag von Augsburg sahen sich die vier Städte, wie wir wissen, genöthigt, da man ihre Mitunterzeichnung der sächsischen Confession ab- schlug, ein eignes Bekenntniß einzugeben. Butzer, der an der Abfassung desselben den vornehmsten Antheil hatte, wählte solche Ausdrücke, welche jenen Vorwurf ferner un- möglich machten. In dem 18ten Artikel der „Bekenntniß der vier Frei- und Reichsstädte, Strasburg, Constanz, Memmingen und Lindau,“ oder der sogenannten Tetrapo- litana, heißt es: „der Herr gebe in dem Sacrament seinen wahren Leib und sein wahres Blut wahrlich zu essen und zu trinken zur Speise der Seelen, zum ewigen Leben.“ Zuerst gedruckt 1531; mit einer Apologie Bucers, in wel- cher Hospinian, ein eifriger Zwinglianer, die vera et orthodoxa sen- tentia de coena domini findet. Historia sacramentaria II, 221. Man sieht, das Wort „wahr“ ist recht mit Absicht wie- derholt, ohne daß man doch darum die geistige Bedeutung des Genusses fallen ließe. Denn eben darauf beruhte die Vermittelungsidee Bu- tzers, daß auch Luther den Leib nicht räumlich in das Brot einschließen wolle, sondern nur eine sacramentale Einheit des Leibes und Blutes Christi mit dem Brot und Wein annehme; und daß hinwieder der geistige Genuß die wahr- hafte Anwesenheit des Leibes Christi nicht aufhebe. In so fern als Luther dem Leibe Christi eine geistigere Wesenheit Vergleichung Doctor Luthers und seines Gegentheyls — Dia- logus 1528. Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . zuschrieb, trat ihm Butzer bei. Er gab zu, der Leib könne allerdings eine andere, als eine locale Gegenwart haben: Brot und Wein hören darum nicht auf Zeichen desselben zu seyn, aber des anwesenden, nicht des abwesenden; leibliche Gegenwart das heiße: wahrhafte Gegenwart. Melanchthon de Buceri sententia. Corp. Ref. II, 316. Vgl. Literae Buceri ad Pontanum 4 Aug. 1530 bei Coͤlestin II, 302. Schreiben Butzers an Herzog Ernst von Luͤneburg bei Heß: Leben Oekolampads p. 317. Es fragte sich nun, ob Butzer diese Erläuterungen nach beiden Seiten hin annehmbar machen würde. In Augsburg legte er sie zuerst Melanchthon vor, dann eilte er zu Luther nach Coburg, dem er die Stellen seiner Schriften, die von dem sacramentalen, geistigen Ge- nuß am deutlichsten lauteten, vorhielt; er berichtet, daß er von Beiden Versicherungen erhalten habe, welche alles Beste hoffen ließen. Leicht machte es jedoch Luther dem Vermittler nicht. Um nicht getäuscht zu werden stellte er zwei Fragen auf, die weiter keinem Zweifel Raum ließen: die eine, ob der Leib wahrhaft bei den Zeichen sey, die andre, ob er auch von den Gottlosen empfangen werde. Es ist merkwürdig, daß die letzte und schwerere dieser Fragen schon im 12ten Jahrhundert erhoben worden; schon Otto von Freisingen gedenkt ihrer, doch hält er für besser, sie zu vermeiden, als ihre Bejahung zu gebieten. Chronicorum liber VIII, prologus: utrum mali veraciter sacramentis communicent, an exterius tantum ea accipiant. Luther meinte, diese Bejahung könne so schwer nicht seyn, da man doch zugeben müsse, daß Gottes Wort von den Gottlosen gehört werde, daß Gottes Sonne auch über die Blinden scheine. Und in der That er- Sechstes Buch. Drittes Capitel . klärte sich Butzer in beiderlei Hinsicht genügend. Er bekannte, Christus sey im Sacrament auch dem Brot und dem Mund wahrhaft zugegen; da alle Verheißung Christi wahr seyn müsse, so zweifle er nicht, daß Gottlose, gleich wie Gläubige, den Leib und das Blut Christi genießen. Für seine Person bekannte er beides. Wegen seiner „Mitdiener am Wort“ aber bemerkte er, daß sie zwar von dem ersten Punkte über- zeugt, dagegen in Hinsicht des zweiten nicht von allem Zwei- fel frei seyen. Wir haben zwar die Schreiben Butzers nicht selbst, aber die Aeußerungen Luthers, an den sie gerichtet waren, lassen keinen Zweifel uͤber ihren Inhalt uͤbrig. An Wenceslaus Link bei de Wette IV, 327. Ferner an Menius: Bucerus effecit tantum, ut conce- dant omnes vere adesse et porrigi corpus domiui, etiam corpo- rali praesentia; caeteri tantum, fideli animae ac piae; Bueerus vero consentit et impiorum mann porrigi et ore sumi. Bei Planck III, 340 sind diese Briefe offenbar uͤbersehen. Luther hatte schon früher nachgegeben, auf die letzte Frage zunächst noch nicht dringen zu wollen, wenn man sich nur in Hinsicht der ersten mit einander einver- stehe. So wiederholte er auch jetzt: durch das Bekenntniß daß das Sacrament bei dem Zeichen sey, werde demselben seine gebührende Eigenschaft gegeben; die Frage, was die Gottlosen empfangen, wolle man für dieß Mal vertagen. Wir beschäftigen uns mit einer Epoche, in welcher politische und kirchliche, ja dogmatische Entwickelungen auf das engste mit einander verwebt sind. Schon die erste Annäherung Butzers hatte die Folge, daß die Abgeordneten der oberländischen Städte bei der Zusam- menkunft in Schmalkalden Dezbr. 1530 zu den Berathun- gen zugezogen wurden. Nachdem nun aber eine Erklärung wie die eben berührte eingegangen, blieb kein Bedenken übrig, Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . sie bei der zweiten Zusammenkunft förmlich in das Bünd- niß aufzunehmen. Instruction uf den angesetzten Tag gegen Schmalkalden. Tor- gau 25. Maͤrz. Uns ist itzo wieder ein Schreiben von Wittenberg zukommen, so der Butzer an Dr. Martin und Phil. Mel. gethan, daraus die zween wie uns angezeigt ist worden, nit anders zu ver- nehmen wissen, denn das der Artikel der hinterstelligen Punkt halber auch vollend verglichen. (W. A.) Johann Friedrich, der hier die Stelle seines Vaters versah, ließ es sein erstes Geschäft seyn, sich mit den Abgeordneten der vier Städte zu besprechen; er forderte sie auf, diese Vergleichung nun auch öffentlich pre- digen, in alle Welt verkündigen zu lassen. Diese versicher- ten, da Butzer nicht allein für sich, sondern im Auftrag seiner Herren handle, so sey daran kein Zweifel. Verzeichniß der Handellung auf gehaltenem Tage zu Schmal- kalden in der Woche nach Judica. „Haben keinen Zweivel, sie (ihre Herrn) werden verschaffen, daß dergleichen gepredigt gelehrt und ver- kuͤndigt werde, auch solches lautbar zu machen.“ Zu Stras- burg, Lindau, Costnitz, Memmingen, hatten sich nicht al- lein Biberach, Ysni, Reutlingen, sondern auch das mächtige Ulm gesellt. Auch Ulm nemlich hatte gegen den Abschied von Speier protestirt, und den Abschied von Augsburg allen Mahnungen des Kaisers zum Trotz nicht unterschrieben. Es leuchtet ein, wie stark daselbst die reformatorische Tendenz bereits seyn mußte, um diese entschiedenen Schritte hervorzu- bringen. Aber auch die entgegengesetzte Partei war lange Zeit nicht schwach, und es fehlte nicht an unruhigen Gegenwir- kungen. Endlich gab die Bürgerschaft dem Rathe Voll- macht, die Ordnung herzustellen. Gar bald sehen wir dann ein Bekenntniß in evangelischem Sinne erscheinen, das sich in dem Artikel vom Abendmahl an die Tetrapolitana an- schließt. In Schmalkalden unterschrieben diese Städte nun sämmtlich das Bündniß zur Gegenwehr. Sechstes Buch. Drittes Capitel . Nach der sächsischen Seite hin war demnach die Be- mühung Butzers gelungen; und er ging nun daran, seine Ansicht auch in der Schweiz geltend zu machen. Ohne Mühe gewann er von den beiden vornehmsten Reformatoren in der Schweiz wenigstens den Einen. Der friedfertige Oekolampadius urtheilte, Vtriusque (veritatis et caritatis) Bucerus mea sententia observantissimus est. Proinde confido non ingratum tibi fore, quicquid ille in medium attulit. 19. Nov. 1530 bei Hottinger II, 320. Butzer befleißige sich eben so sehr der Wahrheit, wie der Liebe; er empfahl des- sen Auffassung seinem zürcherischen Collegen Zwingli. Unmöglich aber konnte auch Zwingli so geneigt seyn. Einmal hatte er Luthern allzuhäufig und allzubestimmt jene grobe Vorstellung Schuld gegeben, als daß er davon so leicht hätte zurückgebracht werden können. Sodann war auch nicht zu läugnen, daß sich Butzer bei allem Fest- halten des Begriffes vom geistlichen Genuß doch der luthe- rischen Vorstellung vom Mysterium auf eine Weise näherte, die Zwingli nicht billigen konnte. Er war sich zu gut be- wußt, daß seine Ansicht von ganz anderem Ursprung aus- gegangen. Er verwarf die Formel Butzers nicht geradezu, aber sehr anstößig war ihm die dreimalige Wiederholung des Wortes wahr; er meinte, man werde darunter nichts anders verstehn, als natürlich. Er hatte nichts dagegen, daß Butzer einen Brief, den er über die Identität beider Leh- ren verfaßt und den Schweizern mitgetheilt, ausgehn lasse, aber er behielt sich vor darüber eine Erläuterung zu geben, die seinen eigenthümlichen Sinn ausspreche. Wenn er sich zu der Formel bequemte, der Leib Christi sey im Nacht- mahl gegenwärtig, so geschah das doch immer mit dem Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . Beisatz „nur der gläubigen Seele;“ die Anmuthung, zu be- kennen, Christi Leib werde dem Munde dargereicht, wies er weit von sich. Schreiben bei Heß, Oekolampadius p. 341. In ihm, dem Urheber, erhob sich die ganze Energie seiner ursprünglichen Idee, und er war um keinen Schritt weiter zu bringen. Das hinderte jedoch nicht, daß Basel, von Oekolam- padius geleitet, sich nicht jener Vermittelung zugeneigt hätte. Schon sprach man in der Schweiz von einer eigenthüm- lichen Lehre Oekolampads, die doch auch ziemlich zahlreiche Anhänger habe. Aus der uͤbrigens sehr inhaltsleeren Schrift Fabers de ad- mirabili catholicis — — data victoria, ersieht man dieß ( cap. VI. Opp. III, 145). In einem Schreiben Landgraf Philipps Freitag nach Palmarum (W. A.) wird Oekolampadius ganz als einverstan- den betrachtet, „weil nun Oekolampadius und die andern in Sachen des Sacraments mit uns eins Verstand sein, und zu hoffen ist, daß die andern auch noch zu uns kommen werden. Ueberhaupt war von einem engern Bündniß zwischen beiden reformirten Parteien unaufhörlich auf das ernst- lichste die Rede. — In gewissem Sinne bestand es schon dadurch, daß Strasburg und seit dem Juli 1530 auch Landgraf Philipp in das schweizerische Bürgerrecht getre- ten und zugleich Mitglieder des schmalkaldischen Bundes waren. Besonders auffallend finde ich Folgendes. In dem Geschichtsbuch Bullingers wird ein Bundesbrief mit- getheilt, welchen Zürich im Februar 1531 bei einer Zu- sammenkunft mit Bern und Basel vorlegte, mit der Be- merkung, daß er von einigen Deutschen schon angenommen worden. Indem ich denselben näher betrachte, finde ich, daß er von Wort zu Wort, von Anfang bis Ende nichts anderes ist, als die Formel des schmalkaldischen Bünd- Sechstes Buch. Drittes Capitel . nisses. Wie merkwürdig, daß Zürich seinen nächsten Ver- bündeten den Eintritt in das schmalkaldische Bündniß, wie es wenigstens scheint, so ernstlich vorgeschlagen hat. Es giebt wohl keinen Zeitpunkt, in welchem die Eid- genossenschaft wie einer innern Umgestaltung in Folge der fortschreitenden Kirchenreform, so auch ihrer Wiederverei- nigung mit Deutschland so nahe gewesen wäre wie damals. Die beiden Factionen, in welche sie zerfiel, waren von den entsprechenden Elementem des deutschen Mutterlandes ge- waltig angezogen. Zwingli meinte, man müsse die Sache in der Schweiz zu Ende bringen, ehe der Kaiser in Deutsch- land freie Hand bekomme. Ferdinand fürchtete eine allge- meine Vereinigung der Evangelischen. In dem ungewöhn- lich lebhaften Widerstand, den er überall fand, glaubte er schon die Wirkungen des Selbstvertrauens wahrzunehmen, das ein solcher Bund ihnen einflöße. Es cierto que se haran todos unos y peores que nunca por las fuerças y ventaja que de dia en dia van cobrando los que siguen estas sectas Prina 27. Maͤrz 1531. Allein die religiöse Differenz verhinderte die Vereini- gung auch dieß Mal. Auf der Versammlung zu Frankfurt a. M. im Juni 1531 kam die Sache noch einmal zur Sprache. Bern und Zürich hatten aufs neue erklärt, die Butze- rische Formel nicht annehmen zu wollen; nicht weil sie ihnen unchristlich erscheine, sondern weil sie zu dunkel sey und leicht zu gefährlichen Mißverständnissen Anlaß geben könne. Briefwechsei zwischen Bern, Basel und Zuͤrich bei Escher und Hottinger Archiv II, p. 290. Basel besteht darauf, Butzers Er- klaͤrung sey „also luter, das sie mit irem (der Gegner) natuͤrlichen lyb- lichen substanzlichen oder wesentlichen Lyb gar keine Gemeinschaft hat.“ Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien . Dagegen hatte der Churfürst von Sachsen seine Ge- sandten instruirt, wenn die Eidgenossenschaft nicht ein dem augsburgischen gleichförmiges Bekenntniß ablege, über eine Verbindung mit derselben nicht weiter zu unterhandeln; nicht einmal anzunehmen, darüber etwas an ihn zu bringen. Nothwendig hatte das dann auch auf die innern Ver- handlungen des schmalkaldischen Bundes selber wieder Einfluß. In Frankfurt ward ein Entwurf zu einer Kriegsver- fassung vorgelegt; die Oberländer fanden ihn sehr verstän- dig und angemessen; allein sie weigerten sich ihn zu unter- zeichnen, da die Eidgenossen nicht aufgenommen worden. Sie erklärten, ihre Widerwärtigen rings um sie her seyen zu stark; so entfernte Verbündete würden ihnen nicht hin- reichende Hülfe leisten können. Ohne Zweifel wollten sie erst den Ausgang der Dinge in der Schweiz abwarten. Denn schon ließ sich dort alles zu einer Entscheidung durch die Waffen an, von der dann auch Action und Re- aetion in dem obern Deutschland abhing. Viertes Capitel . Katastrophe der Reformation in der Schweiz. Der Angriff Savoyens auf Genf ward noch 1530 zurückgeschlagen; im Frühjahr 1531 ward auch der Castel- lan von Musso aus Graubünden vertrieben. So wenig die Städte in den schmalkaldischen Bund getreten, so we- nig war eine wirkliche Verbindung der fünf Orte mit Oestreich geschlossen worden. Auf sich allein beschränkt, standen die beiden Theile der Eidgenossenschaft einander ge- genüber; aber erbitterter als je. Die fünf Orte klagten, und in der That nicht mit Un- recht, daß man ihre Mehrheit nicht mehr anerkenne, sie ihres Rechtes entsetze. Sie weigerten sich, in Ordnungen zu willigen, wie sie z. B. in St. Gallen getroffen worden. Der erste Hauptmann, der nach der neuen Einrichtung da- selbst antreten sollte — er war von Lucern — verschmähte den Bauern zu schwören und ritt davon. Dagegen waren die evangelischen Städte wohl noch mit augenscheinlicherm Rechte entrüstet, daß man sie in je- nen gemeineidgenössischen Sachen nicht unterstützt hatte; Idee einer politischen Reform . sie fanden, dadurch seyen die Bünde im Grunde schon gebro- chen; und sollte man die „groben unmenschlichen“ Schmäh- reden sich noch länger gefallen lassen? Die Verantwortun- gen der fünf Orte darüber seyen selber ein Schimpf. Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der christlichen Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362. Zwingli’s Meinung wäre gewesen, der Sache ohne längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen. In politischer Beziehung waltete wenigstens ein nicht minderer Unterschied zwischen Luther und Zwingli ob, als in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden können, hing ganz vom religiösen Gesichtspunkte ab, und war auf die nächste Vertheidigung beschränkt. Zwingli da- gegen verfolgte von Anfang an zugleich positiv politische Zwecke; eine Umgestaltung der Eidgenossenschaft war der Mittelpunkt aller seiner Ideen; er hatte dazu die weit- aussehendsten Pläne gefaßt; er ist ohne Zweifel in beider- lei Hinsicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge- habt hat. Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge- kommen, welches darin lag, daß die Waldstädte, die in den eidgenössischen Kriegen an Mannschaft und Geld so viel weniger leisteten, als die volkreichen Bürgerstädte, doch an den Vortheilen des Sieges und der Herrschaft gleichen Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun- gen nach den Burgunderkriegen gewesen. Schon damals muß- ten die Wunder der Religion in Thätigkeit gesetzt werden: der Bruder Claus mußte erscheinen, um die Aussöhnung zu be- wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgesprochen ist. Ranke d. Gesch. III. 23 Sechstes Buch. Viertes Capitel . Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß seitdem noch unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß sich zu den vier andern Waldcantonen auch Zug gesellt, hatte sich eine Majorität gebildet, die über alle Geschäfte der Tagsatzungen entschied, und gegen die kein gesetzliches Mittel anzuwen- den war. Zwingli urtheilte, daß dieser Vortheil, der so ruchlos gemißbraucht werde, auch höchst ungerecht sey. Die Leitung der Eidgenossenschaft gebühre vielmehr den beiden Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beste ge- than und die Stärkern gewesen; die müßten die Eidgenos- senschaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man müsse den fünf Orten den Bund zurückgeben, und sie bei einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinschaftlichen Vogteien, wenigstens diesseit des Gebirges, geradezu aus- schließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall ihre Mehrheit abstellen. Was Zuͤrich und Bern Not zu betrachten sey in dem fuͤnf- ortischen Handel; bei Hottinger II, 487. Wir sehen: Zwingli wollte der Verfassung einen ganz andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber- gewicht der factischen Macht begründen. In dem gesamm- ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politischen Grundsätze herrschend geworden seyn. Pläne dieser Art lassen sich natürlich nicht ausfüh- ren, ohne ein energisches Zusammenwirken aller Kräfte in dem günstigen Augenblick. Es fragte sich erst, ob Meister Ulrich Zwingli, so mächtig und angesehn er auch war, dieß in einem Grade seyn würde, um seine eigne Partei zu ei- ner Unternehmung dieser Art zu vereinigen. Selbst in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge- Gegenwirkung in Zuͤrich . gengesetzten Gesinnungen und hartnäckigen Privatinteressen zu kämpfen. Im großen Rathe, der doch die kirchlichen Angelegenheiten leitete, gab es noch gegen Ende des Jah- res 1528 Leute, welche die alten Gebräuche vorzogen. Zwingli forderte auf dem Predigtstuhl die Reinigung des Rathes von den Gottlosen, denen das Wort Gottes nicht munden wolle. In der That schritt man endlich dazu, in den Zünften Einen nach dem Andern zu verhören, ob er sich zum Tisch des Herr halten wolle, wie andre Chri- stenmenschen, und schloß diejenigen von dem Rathe aus, die das verweigerten. Bernhard Weiß p. 91 gluͤcklicherweise umstaͤndlicher als Bul- linger. Die Schwierigkeit des Zustandes deutet auch folgende Stelle bei Zwingli selbst an; An non optimi quique acinnocentissimi cum senatores tum plebei sic me colunt ac tuentur, ut nisi id con- stantissime facerent, minor esset publica tranquillitas. Respon- sio ad amici haud vulgaris epistolam. Gualth. II, 323 Doch war damit noch nicht alles geschehn. Unter den adlichen Geschlechtern gab es noch gar Manche, welche die frühern Jahrgelder nur ungern entbehrten, und nicht alle Verhältnisse zu den Oberhäup- tern in den fünf Orten abgebrochen hatten. Konnte Zwingli diesen Zusammenhang nicht zerreißen, so war er doch ent- schlossen ihn unschädlich zu machen. Der Einfluß der Ge- schlechter in Zürich beruhte darauf, daß während von je- der der übrigen Zünfte nur immer drei Mitglieder in den kleinen und zwölf in den großen Rath traten, die adliche Zunft, die Constafel das Vorrecht besaß, aus ihrer Mitte sechs in jenen, und achtzehn in diesen treten zu lassen. Vgl. Bluntschli Staats- und Rechtsgeschichte von Zuͤrich I, 359. Leider werden die obigen Verhaͤltnisse in diesem Buche spaͤter nicht eroͤrtert. Zwingli war mächtig genug, diese Ungleichheit abzuschaffen; 23* Sechstes Buch. Viertes Capitel . er setzte durch, daß die Constafel den übrigen Zünften gleich gestellt wurde. Nur durch so strenge Maaßregeln konnte in Zürich selbst die politisch-religiöse Einheit der öffentlichen Gewalt zu Stande gebracht werden, deren Zwingli bedurfte. Allein waren da nicht statt der offenen, geheime Gegenwirkungen unvermeid- lich? Gar bald sollte er sie zu fühlen bekommen. Und noch bei weitem größere Schwierigkeiten setzte ihm das verbündete Bern entgegen, wo die Neigung zu den Jahrgeldern an und für sich tiefer eingewurzelt war, eine gewisse Eifersucht gegen Zürich sich immer wieder zeigte, die bisherige Absonderung der verschiedenen Cantone, wenn nicht eifrige doch zähe Vertheidiger fand. Ich weiß nicht ob jener Plan, der doch so vortheilhaft für die Berner lautete, ihnen auch nur vorgelegt worden ist; in den Verhandlungen der Tagsatzungen wenigstens finde ich keine Spur desselben. Da beschränkten sich die Forderungen der Bürgerstädte nur immer auf folgende drei: erstlich, daß die Lästerer ge- straft, zweitens, daß die armen Leute, die um des Glau- bens willen von Haus und Hof verjagt worden, wieder aufgenommen, endlich, daß auch in den jenseitigen Gebie- ten die Glaubenslehren der diesseitigen geduldet würden. In Bullingers Chronik, welche schon fuͤr die fruͤhern Au- toren fast immer die Hauptquelle und welche jetzt gedruckt ist, finden sich alle Verhandlungen. Sehr ungern entbehrt man die Fortsetzung des Zwinglischen Briefwechsels. Forderungen, die ohne Zweifel in der Natur der Sache lagen. Denn welche Eidgenossenschaft konnte es geben, wo die Ei- nen den Eid der Andern nicht anerkannten; welche Rechtsge- Forderungen der Buͤrgerstaͤdte . meinschaft in den Vogteien, sobald der eine Theil der Herr- schaften den Glauben verfolgte, in welchem der andere sein Heil erblickte? Wie konnten die evangelischen Mitglieder des Bundes überhaupt zusehen, daß ihre Glaubensgenossen ein paar Meilen von ihnen mit Gefängniß bestraft wurden? Darin lag doch im Grunde nichts, als eine Anerkennung der Christlich- keit des neuen Zustandes; nur diese nahmen sie in Anspruch. In diesen Zeiten hatte sich aber das religiöse Bekenntniß viel zu enge mit der Staatsgewalt vereinigt, als daß Zuge- ständnisse auch nur solcher Art anders als auf dem Wege des Zwanges hätten durchgesetzt werden können. Die Staats- gewalt in den fünf Orten beruhte auf der ausschließenden Herrschaft des Katholicismus. Hätten die Machthaber sich bequemt, die entgegengesetzten Meinungen zuzulassen, so würde sich unter ihren Augen ein ihnen feindseliges Element in der Bevölkerung gebildet haben, das von den Tendenzen der Zeit getragen, und von außen her unterstützt ihnen leicht selbst hätte gefährlich werden können. Sie wiesen alle jene Anmuthungen entschieden von der Hand. Da trug nun Zwingli kein Bedenken, Krieg zu fordern, unverzüglichen Angriff, so lange man den Vortheil in Hän- den habe; er bewirkte, daß Zürich, wo jetzt Niemand mehr ihm offen widersprach, sich in seinem Sinn erklärte. In Bern jedoch war seine Autorität nicht so groß. Zwangsmaaßregeln hielt auch Bern für nothwendig, aber es wollte nicht zu den äußersten Mitteln schreiten. Es setzte durch, daß man, wie es auch in dem Landfrieden schon vor- gesehen war, die fünf Orte zuerst durch Entziehung der Zu- fuhr zu bekämpfen beschloß. Wie hätte das aber Zwingli befriedigen sollen? Er Sechstes Buch. Viertes Capitel . sah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon fühlte er aufs neue seine einheimischen Gegner sich regen und zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den Zü- rich selbst dem Feinde gewähre: alles Ernstes wollte er ein- mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver- hindert worden, machte er noch einmal den Versuch, die Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem- garten eine Zusammenkunft mit einem paar Berner Abgeord- neten halten, bei Nacht, im Hause des Prädicanten Bullinger; Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute, brachte Bullinger seinen Meister durch eine Pforte beim Schü- tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine schmerzliche Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abschied nahm: „Gott behüte dich Heinrich,“ sagte er, „und bleib nur treu am Herrn Christo und seiner Kirche.“ Erzaͤhlung Bullingers III, 49. Im August war ein Comet erschienen: der Abt Georg Müller von Wettingen fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münster Zwingli’n, was der wohl bedeuten möge. „Mein Georg,“ antwortete Zwingli, „mich und manchen Ehrenmann wird es kosten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr darum von Christo nicht verlassen werden.“ In einer Note sey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht eines Zeitgenossen zu erinnern, der im Schw. Mus. II, 535 abge- druckt ist. Er schildert da, wie er in diesen Tagen in St. Gallen mit dem Freunde Zwingli’s Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt und einigen Andern einst zu Nacht auf die Bernegh stieg und dann noch weiter hinauf auf die Hoͤhe, wo sich der Doctor unter sie setzte, auf den Boden in den Thau, ihnen die Namen der Gestirne, die entgegengesetzte Bewegung des Zodiacus und des uͤbrigen Firmaments Widerstand der fuͤnf Orte . Die Dinge gingen, wie Zwingli vorausgesehn, und wie sie gehen mußten. Wenn Bern gehofft hatte, das ge- meine Volk in den fünf Orten werde den Mangel nicht aushalten können und sich wider die Machthaber empören, so geschah eher das Gegentheil. Auch der gemeine Mann wurde dort nun erbittert, weil man ihm unter dem Schein des Christenthums die Früchte entziehe, die Gott frei wach- sen lasse. Hallwyl in Kirchhofers Haller 107. Die Gewalthaber brauchten jedes Mittel, um ihr Ansehen aufrecht zu erhalten. Die Züricher hatten ein Manifest zu ihrer Rechtfertigung ausgehn lassen und es auch nach Lucern geschickt: der Rath von Lucern behan- delte alle Die, die es empfangen und etwa Andern mit- getheilt, als Verräther, und spannte sie an das Folterseil. Auch schon an und für sich mußte durch das Gefühl der fort- dauernden Beleidigung die feindselige Stimmung von Tage zu Tage wachsen. So scheiterten denn alle Unterhandlungen. Die Fünforte blieben dabei, die Städte bei ihrem Bund zu mahnen, ihnen den Proviant zu eröffnen oder ihnen Recht zu gestatten. Die Städte verweigerten auf die Rechtsforde- rung einzugehn, da ja der Friede ausdrücklich das Abschla- erklaͤrte, die Wunder des Schoͤpfers, den er bald zu sehen wuͤnsche, worauf er seine Augen auf die Landschaft richtete, des ersten Anbaues durch die Roͤmer gedachte, der Gruͤndung und der Schicksale der Stadt, wie oft sie verbrannt, woher ein jedes Thor seinen Namen habe, wie sie den nahen Wald ausgerodet, das eintraͤgliche Leinwand- gewerb gegruͤndet; — bei diesem Gedanken wieder sich zu dem Co- meten wandte, von dem man nicht anders glaubte, als daß er den Zorn Gottes andeute. Theophrastus von Hohenheim, damals zu St. Gallen und Andere erklaͤrten, er zeige nicht allein Blutvergießen, Aen- derung des Regiments, sondern auch besonders einen Abgang gelehr- ter Maͤnner an. Sechstes Buch. Viertes Capitel . gen des Proviants als Strafe für die fortdauernden Schmä- hungen festgesetzt hatte; eben diese Strafe wollten sie nun vollziehen. Die Vermittler, bei denen wir auch straßbur- gische Abgeordnete finden, machten den Vorschlag, daß man die Züchtigung der Schmähreden ihnen überlassen möge. Die Städte gingen das ein, die Länder waren nicht dazu zu bringen. Es war kein Mittel zu erdenken: es mußte, und zwar nunmehr unter ganz andern Auspicien, als Zwingli ge- wünscht, zum Kriege kommen. Im September hielten die Fünforte eine Tagsatzung zu Lucern, um darüber zu berathschlagen. Anfangs waren Uri, Schwytz, Unterwalden ob dem Wald gegen einen na- hen Aufbruch: Uri schlug sogar vor, die Beschlüsse des nächsten Reichstags zu erwarten. Aber Unterwalden nied dem Wald drang darauf, daß man unverzüglich den Krieg an die Hand nehmen müsse: und dahin ging zuletzt die all- gemeine Meinung. „Denn man könne nicht Hungers ver- derben, man müsse sich Leibesnahrung holen, man werde Leib und Leben daran binden.“ Bullinger III, 73. Der erste Angriff auf Bern war mehr von Obwalden ausgegangen. Die Freunde der fünf Orte sahen ihr Vorhaben nicht ohne einige Furcht an. König Ferdinand besorgte, sie wür- den unterliegen und alsdann erst die allgemeine Verwirrung überhand nehmen. Und gewiß waren sie die bei weitem geringere Anzahl: aber vor allem: sie hielten zusammen; die Oberhäupter waren durch gemeinschaftliches Interesse und gemeinschaftliche Ge- fahr auf das engste verbunden, ihre Gewalt durch die allge- Ausbruch des Krieges. Octob . 1531. meine Entrüstung noch verstärkt. Dann hatten sie den Vor- theil, während in den Städten nichts geschah, von der Burg ihrer Alpen her den Angriff plötzlich auf die verwund- barste Stelle ausführen zu können. Einige Tage hindurch hörte man nichts von ihnen; die Pässe wurden auf das strengste bewacht, kein Verdächtiger ward ein- oder auch nur ausgelassen. Es gab auch im hohen Land Freunde der Züricher, die ihnen Nachricht zu geben versprochen, wenn etwas gegen sie im Werke sey; durch die strenge Auf- sicht ward ihnen das unmöglich. Und nur wenige Tage reichten schon hin, um dort alles zum Aufbruch fertig zu machen. Plötzlich, am 9. October überschritt von Lucern her ein Fähnlein die Grenzen und fiel plündernd in die freien Aemter ein; am 10 sah man auf dem Zuger See Schiffe mit Kriegsleuten daher fahren; der Klang der Hör- ner kündigte ihre Ankunft in Zug an; an den Grenzen ward das Luyen des Uristiers vernommen. Gleich auf der oben- berührten Tagleistung zu Lucern war beschlossen worden, die Hauptmacht in Zug zu vereinigen; die Kriegsräthe hat- ten nur den Tag zu bestimmen und die Dinge dann in Gang zu bringen. Kurze Beschreibung der 5 katholischen Orte Kriegs wider ihre Eidgenossen der fuͤnf zwinglischen Orte; die man seit Haller dem Gilg Tschudi zuschreibt, waͤhrend sie handschriftlich auch unter dem Namen von Cysat, und andern erscheint; in Balthasar’s Helvetia II, p. 186. Wären die Städte auf diesen Anfall vorbereitet gewe- sen, so würden sie ihn leicht abgewehrt haben: Zürich dnrfte nur den Paß über den Albis besetzen, so behielt es Zeit sich auf das beste zu rüsten. Allein man war bisher noch immer mit den einmal ergriffenen Zwangsmaaßregeln be- Sechstes Buch. Viertes Capitel . schäftigt gewesen: man hatte so eben auf die Mittel gedacht, die Zufuhr auch aus dem Elsaß her, zu beiden Seiten der Reuß zu verhindern. Indem man noch zu zwingen gedachte, sah man sich plötzlich selber angegriffen. Daß der Angriff auf verschiedene Seiten geschah, brachte eine um so größere Verwirrung hervor, da man nicht wußte, wohin er haupt- sächlich gerichtet sey. Am 11. October 1531 des Morgens schwuren die Mannschaften der fünf Orte auf der Zuger Allmende ihre Ordinanz, und setzten sich, 8000 Mann stark, unter ihren fünf Bannern in Bewegung, um in das Gebiet ihrer vor- nehmsten Feinde der Züricher vorzudringen. Vor ihnen bei Cappel hatten sich bei dem Zürcher Fähnlein nur ungefähr 1200 Mann gesammelt. Zwar hatte man an demselben Morgen in der Stadt Zürich selbst das große Banner ausgesteckt und die dazu ge- hörigen Mannschaften fingen an sich zu sammeln: allein alles geschah mit Unordnung und Uebereilung. Noch in der nemlichen Stunde zog ein Theil der Truppen nach den freien Aemtern. Jetzt, an dem entscheidendem Tage zeigte sich, daß nicht Alle gleichgesinnt waren. Eine geheime Ge- genwirkung hatte jede rasche Maaßregel gelähmt. Verantwortung Rudolf Lavaters bei Escher II, 311. Da Botschaft auf Botschaft einlief, daß die gesammte Macht des Feindes das Fähnlein bei Cappel bedrohe, und es ver- nichten werde, wenn man ihm nicht zu Hülfe komme, so mußte die Mannschaft bei dem Banner, so schwach sie auch noch war, — man behauptet, sie habe kaum 700 M. ge- zählt, — sich doch entschließen auf der Stelle ins Feld zu rücken. Schlacht bei Cappel . Die einzige Rettung wäre gewesen, Cappel aufzuge- ben, das Fähnlein zurückzuziehen. Auch geschah wohl bei dem Fähnlein der Vorschlag, vor der Uebermacht auszuweichen. Es hätte aber den tapfern Leuten eine Feigheit geschienen, selbst in diesem offenbaren Nachtheil einen Schritt rückwärts zu thun. Rüdy Gallmann stampfte bei dem Vorschlag mit dem Fuß auf den Boden. „Gott lasse mich den Tag nicht erleben,“ rief er aus, „wo ich den Leuten einen Schritt breit weiche Da muß mein Kirchhof seyn.“ Schon näherte sich der überlegene Feind, und das Schießen fing an, als der Banner auf dem Albis ankam. Wie gesagt, noch war er sehr schwach. Der Schützenhaupt- mann Wilhelm Töning sah um sich her und meinte, man würde am besten thun eine Weile zu halten, und sich erst mit dem zusammenlaufenden Volke zu verstärken, ehe man weiter rücke. Aber Meister Ulrich Zwingli, der auch jetzt wieder mit dem Banner ausgezogen, dieß Mal jedoch als Prediger, von seines Amts wegen, das man ihm nicht wie- der abgenommen, entgegnete: es würde sich schlecht schicken, dem Schießen der biderben Leute von der Höhe unthätig zuzusehn. „Ich will im Namen Gottes zu ihnen hin, mit ihnen sterben oder sie retten helfen.“ — „Warte Töning bis du wieder frisch bist,“ sagte der Bannerherr. „Ich bin so frisch wie ihr,“ antwortete Töning, „und will mich bei Euch finden lassen.“ Das Fähnlein hatte eine von Wald umkränzte Anhöhe besetzt, der Schürenberg genannt; In der kurzen Beschreibung: Schoͤnenberg; soll aber wohl auch da heißen Schuͤrenberg „ist ein ziemlich hoher Buͤhel, daruff da stieß nun der Ban- Sechstes Buch. Viertes Capitel . ner zu ihm. Wohl war es die Macht von Zürich, die hier den fünf Orten gegenüberstand, aber Unbedachtsamkeit frü- her, Uneinigkeit und Ungestüm zuletzt hatten bewirkt, daß sie kaum etwa 2000 Mann betrug, während die Stadt leicht über 10,000 ins Feld stellen konnte. Auf diese kleine Schaar nun rückte jetzt der vierfach größere, wenigstens nicht minder kriegsfertige, und bei wei- tem besser geführte Haufe der fünf Orte heran. Was ist da viel von der Schlacht zu berichten? Sie war durch die Umstände entschieden, ehe sie begann. Die Züricher hatten das Wäldchen am Fuß des Hügels unbesetzt gelas- sen; durch dieses drangen die Feinde, wenig bemerkt, hervor, und machten von zwei Seiten im vollen Gefühl der Ueber- legenheit ihren Angriff. Die Tapferkeit der Züricher konnte sie nicht retten; gleich im ersten Moment sahen sie sich ge- worfen, übermannt; ein wildes Gemetzel begann. Von den 2000 Zürchern sind 500 umgekommen; was aber das schmerzhafteste, darunter waren eben die namhaftesten Män- ner, die eifrigsten Evangelischen; denn eben diese hatten sich zuerst unter die Waffen gestellt. Da fand denn Rüdy Gall- mann seinen Kirchhof; der Bannerherr Schweizer und Wil- helm Töning fielen (kaum konnte der Banner selbst geret- tet werden): der Zunftmeister Funk, der wackere Bernhard Weiß, dem wir so manche gute Nachricht verdanken, der Pfleger Geroldseck, mehrere Prädicanten, Nach Accolti ( in Epistolis Sadoleti VII, 273) blieben von 300 Senatoren nur sieben uͤbrig. Die Wahrheit ist, daß 7 Mit- glieder des kleinen und 19 Mitglieder des großen Rathes in der in der Mitte sei- vor Zyten ettliche huͤser und schuͤren gestanden sind, daher mans ge- nambt hat, wie es noch heißt zu oder uff Schuͤren. Bulling III, 111. Zwingli’s Tod . ner Heerde auch Zwingli. Die Feinde durchzogen schon siegestrunken und plündernd das Schlachtfeld, als er noch athmend dalag, unter einem Birnbaum; „die Hände ge- faltet, die Augen gen Himmel gerichtet.“ Wagen wir zu viel wenn wir annehmen, daß, als er so verblutend da- lag, seine Seele sich noch einmal einen Gedanken vergegen- wärtigte, den er zuletzt in trüben Ahnungen ausgesprochen? Die Zukunft der Eidgenossenschaft, in dem Sinne, wie er sie beabsichtigt, mußte er wohl aufgeben, die Zukunft der Kirche und des Evangeliums wird er unerschütterlich fest- gehalten haben. So fanden ein paar gemeine Kriegsleute den Sterbenden, ermahnten ihn, einem Priester zu beich- ten, oder da das schon zu spät schien, wenigstens die Jung- frau Maria und die Heiligen in sein Herz zu fassen. Er antwortete nicht mehr, er schüttelte nur mit dem Kopfe; sie wußten nicht, daß er der Zwingli war; sie meinten ir- gend einen namenlosen „verstockten Ketzer“ vor sich zu ha- ben, und gaben ihm den Todesstoß. Erst den andern Tag bemerkte man, daß man unter so viel andern namhaften Männern auch Zwingli getödtet; alles kam herbei ihn zu sehen. Einer seiner Bekannten aus Zug versichert, das Gesicht des Todten habe den Ausdruck gehabt, wie wenn ihn in der Predigt das Feuer des Gedankens ergriff. Was hätte aber den Gegnern, den Jahrgeldsbeziehern erwünsch- ter seyn können als dieser Anblick? Sie besetzten ein Un- gericht über Zwingli, viertheilten seinen Leib, verbrannten denselben und ließen die Asche vom Winde verwehen. Schlacht geblieben sind; außerdem 60 gemeine Ehrenbuͤrger und 7 Geist- liche ( quam plurimi sacerdotes !). Bullinger zaͤhlt sie alle auf. Die uͤbrigen waren von der Landschaft. Acc. rechnet freilich die Zuͤricher auf 20,000 M. Sechstes Buch. Viertes Capitel . Damit waren jedoch die fünf Orte noch nicht voll- kommen Sieger und Herren in der Eidgenossenschaft. Die Züricher entschlossen sich jetzt, den Paß über den Albis zu besetzen, und sammelten unter diesem Schutz ihre Kräfte. Gar bald hatten sie aus Eingebornen und Bundesgenossen ein Heer von 12000 M. im Feld. Indeß war auch Bern aufgebrochen. Man berechnet die Schaar von Bern, Ba- sel und Biel auf eine gleiche Anzahl. Wie nun diese Heere sich zu Bremgarten vereinigten, sahen die fünf Orte wohl, daß sie gegen so große Massen nichts ausrichten würden, verließen die ausgeplünderten Gebiete und begaben sich wie- der nach Zug, wo sie bei Bar am Boden lagerten. Und nun schien es wohl, als könne von städtischer Seite ein Angriffskrieg geführt werden, wie ihn Zwingli immer gerathen hatte. Die Städte zogen in der That ihren Feinden nach. Allein wie sehr waren nun die Umstände verändert. Die fünf Orte waren durch den ersten Sieg trotziger geworden, als sie jemals gewesen; dagegen bemerkte man, daß es unter den Städten an einem Antrieb fehlte, wie ihn Zwingli vielleicht gegeben haben würde. Zürich vermißte überhaupt seine besten Leute; man sagte da wohl, man habe aus seinem Getreide den Roggen verloren; die Ber- ner hatten niemals großen Kriegseifer gezeigt. So kam es, daß man nicht mit dem nöthigen Nachdruck zu Werke ging. Man versäumte den Feind in dem günstigen Mo- ment anzufallen, als er seine Stellung veränderte. Als man sich dann entschloß, das nunmehr sehr feste Lager des- selben von zwei Seiten zugleich, vom Zuger Berg und vom Treffen am Zuger Berg . Thal her, anzugreifen, und zu dem Ende den Berg besetzte, that man das doch mit so wenig Gewandtheit und Vorsicht, daß der Feind, den man hatte überraschen wollen, selber Gelegenheit bekam, einen Ueberfall auf die Heeresabtheilung am Berg auszuführen „Das was ungfar um die zwei nach Mitternacht Morgens Zinstag den 24. Octobris.“ „Maria, die Mutter Gottes war dero Nacht ihr Kriegszeichen.“ Kurzer Bericht. und ihr einen nicht geringen Verlust beizubringen. Die Städte fühlten trotz ihrer Uebermacht hierauf nicht mehr den Muth, dem tapfern und siegreichen Feind ernstlich zu Leibe zu gehn. Sie dachten nur noch ihn durch ein Winterlager, das sie um ihn her ziehen wollten, allmählig zu ermüden. Wie waren da die kühnen Plane, die Zwingli einst gehegt, so völlig gescheitert! Wir sehen wohl, daß das politisch-religiöse Prinzip, das er repräsentirte und verthei- digte, doch auch in Zürich nicht so stark war, wie er ge- wünscht hatte, noch viel weniger aber in Bern. Es ver- mochte die nun einmal vorhandenen Elemente nicht ganz zu beleben, zu durchdringen. In den entscheidenden Momenten wurden falsche Maaßregeln ergriffen, deren Grund immer der Mangel an Eintracht und großartiger Energie war, die allein zum Ziele hätten führen können. Hatte man aber bei dem Beginn dieser Bewegungen katholischer Seits Unfälle gefürchtet, so machte eiue so un- erwartete glückliche Wendung derselben auch die größten Hoffnungen rege. Mit unverhehltem Jubel gab Ferdinand seinem Bru- der von dem Tode des großen Ketzers Zwingli und der Sechstes Buch. Viertes Capitel . Schlacht bei Cappel Nachricht. „Es sey das Erste, was wieder einmal zu Gunsten des Glaubens und der Kirche geschehn.“ Als auch aber hierauf die Nachricht von dem zweiten glücklichen Treffen einlief, fing er an Pläne zu entwerfen. Er erinnerte seinen Bruder, wie gnädig sich Gott den Ver- theidigern seiner Sache beweise. Wäre der Kaiser nicht so nahe, so würde er selbst, so schwach und arm er auch sey, zur Fortsetzung so heiliger Unternehmungen schreiten. Jetzt aber könne er wenigstens nicht unterlassen ihn dazu zu er- mahnen, ihn, das Haupt der Christenheit; nie könne eine schönere Gelegenheit sich zeigen, Ruhm zu erwerben. Ohne die Schweiz seyen die deutschen Secten leicht zu bezwin- gen. Er räth ihm, den katholischen Kantonen offen oder insgeheim zu Hülfe zu kommen. Er geht so weit, dem Kaiser zu sagen, das sey der wahre Weg für ihn, die Glau- bensstreitigkeiten zu beendigen und Herr von Deutschland zu werden. 1. Nov. Vra Magestad a la qual suplico quiera mirar lo que ymporta y usar de la occasion y opportunidad del tiempo, pues es el mas a proposito, que se pudo desear i camino para remediar las quiebras de nuestra fe y ser Va Md senor de Alemanna y hazer una cosa la mas sennalada que in nuestros tempos se ha hecho. Und keineswegs unempfänglich war Carl V für Com- binationen dieser Art. Er antwortete, der gute Rath sei- nes Bruders leuchte ihm immer mehr ein, je länger er ihn überlege; etwas zu thun verpflichte ihn die Würde die er bekleide, die Fürsorge für die rechtgläubigen Fürsten, die Pflicht, die Christenheit und das gemeine Wesen zu verthei- digen, und die Rücksicht auf ihr Haus Oestreich. Einwirkung des Kaisers . Den fünf Orten waren im Lager am Zuger Berg einige italienische Fähnlein zugezogen; wir erfahren aus dem Briefe, daß dieß mit Vorwissen des Kaisers geschehn war; er meint, daß auch jede künftige Hülfe im Namen des Papstes geschehen müsse. Bruxelles 2 Nov. 1531. Archiv zu Bruͤssel. Indessen blieb er hiebei nicht stehen. Unverzüglich ließ er den König von Frankreich auffordern, die fünf Orte zu unterstützen, und den ungläubigen Cantonen förmlich den Krieg zu machen. Bei König Franz aber, der die enge Verbindung der fünf Orte mit Oestreich sehr ungern gesehen, ein Gegen- gewicht gegen dieselben in den übrigen Cantonen zu erhal- ten wünschte, mit diesen sogar noch kurz vor der Kata- strophe in Unterhandlung getreten war, fand er wenig An- klang. Der König rechnete dem Gesandten alle die Zahlun- gen her, die er in Folge seiner Verpflichtungen von Cam- brai habe machen müssen. Habe er jetzt von seiner Mut- ter etwas geerbt, so wolle er das zur Vertheidigung seines Reiches aufbewahren. Der Kaiser, fuhr er dann immer bitterer und gereizter fort, habe ihm die Hände für alle Dinge gebunden, wo etwas zu gewinnen seyn würde; nur da finde er ihn gut, wo es nichts davon zu tragen gebe als Schläge und Kosten, gegen die Türken und die Schweizer. Lettre du roi a Mr. d’Auxerre21 Nov. MS. Bethune 8477. Pour la guerre du Turc ou des Suisses, ou il n’y a que coups et despenses d’argent. Auch mit dem venezianischen Gesandten in Mailand ward unterhandelt. Der päpstliche Nuntius, Bischof von Ranke d. Gesch. III. 24 Sechstes Buch. Viertes Capitel . Veroli, bat die Republik um die Erlaubniß, zweitausend Spanier durch das Gebiet von Bergamo in die Schweiz zu schicken. Gleich der Gesandte, Johann Basadonna, ging jedoch nicht darauf ein. Er wollte die Vollmacht des Nun- tius sehen, machte demselben bemerklich, daß die Spanier eingreifend in den innern Krieg der Eidgenossenschaft, sich leicht zu Herren derselben aufwerfen könnten, und bewirkte, daß er sein Gesuch selber wieder fallen ließ. Der Nuntius begab sich persönlich in die Schweiz. Er äußerte die Hoff- nung, die Abgefallenen durch Freunde und Geld wieder zum alten Gehorsam gegen den römischen Stuhl zu vermögen. Relatio V. N. Joannis Basadone. Come el mi disse, an- dava cum proposito di rimover Lutherani dalla loro mala opi- nione con mezzo di alcuni suoi amici e cum danari. Archiv zu Venedig. Man sieht: an dem Kaiser und seinem Bruder lag es nicht, daß sich an den Sieg der fünf Orte nicht sogleich ein allgemeines Unternehmen zur Wiederherstellung des Katho- licismus in der Schweiz knüpfte. Indessen hatten aber die Schweizer schon selbst auf eine Beilegung ihrer Streitigkeiten Bedacht genommen. Das städtische Heer war viel zu wenig in Ordnung, um das Feld zu behaupten, als die schlechte Jahreszeit an dem Gebirg eintrat. Da nun die fünf Orte wieder zum Angriff schritten, mußte erst Zürich, dann auch Bern sich zu dem Frieden bequemen, den dieselben vorschrieben. Er war eben das Widerspiel des letzten Landfriedens. Jetzt mußten die Städte die Bündnisse herausgeben, die sie mit Auswärtigen geschlossen, und in einer oder der an- dern Form Kriegskosten zahlen. Restaurat. des Katholicismus in der Schweiz . Ihre Religion ward ihnen gelassen. So tief waren sie nicht heruntergebracht, daß man ihnen selbst die hätte antasten dürfen; sie hatte einige Verluste erlitten, ihr An- griff war mißlungen, aber besiegt, überwältigt waren sie nicht. Allein dahin waren sie doch gebracht, daß sie in eine gewaltige Beschränkung ihres politisch-religiösen Einflusses willigten. Die fünf Orte behielten sich vor, nicht allein die Landschaften, welche ihnen näher zugehörten, Rapperschwyl, Toggenburg, Gaster und Wesen, sondern auch die, wo die Städte an der Gewalt Antheil gehabt, die freien Aemter in Aargau, Bremgarten und Mellingen, für ihren Abfall zu züchtigen. In den übrigen gemeinen Vogteien, sollte es denen, welche den neuen Glauben angenommen, zwar nicht geboten, aber doch gestattet seyn, zu dem „alten wah- ren christlichen“ Glauben zurückzutreten. Ausdrücke dieser Art ließen sich die Städte in der ganzen Urkunde gefallen. Die Urkunde des Landfriedens in Hottingers Anhang zu Bd. II, neu mit dem Original collationirt. Und schon hatte, als Bern diesen Frieden annahm, die Restauration des Katholicismus allenthalben begonnen. Gleich nach der Cappeler Schlacht hatte sich die ka- tholische Minorität in Glarus geregt, die schon beschlossene Hülfleistung des Cantons rückgängig gemacht, auch die dem- selben Zugehörigen abgemahnt, und ihrerseits so viel wie möglich die Wendung befördert, welche die Dinge nahmen. Gar bald mußten ihr wieder eine Anzahl von Kirchen ein- geräumt werden, und auf die allgemeinen Geschäfte des Can- tons übte sie seitdem bei weitem größern Einfluß aus, als die evangelische Partei, die sich durch die großen Verluste ihrer 24* Sechstes Buch. Viertes Capitel . Glaubensgenossen gelähmt fühlte. Daher fand Schwyz kei- nen Widerstand mehr, als es sich Gaster und Wesen unter- warf, die alten Freiheiten vernichtete, Altäre, Bilder und Messe wiederherstellte. Mit Schwyz und Uri bildete Glarus jetzt die Mehrheit unter den Schirmherrn, welche den Abt von St. Gallen wieder zurückzuführen unternahm. Sein Klo- ster ward ihm zurückgegeben, die Stadt mußte sich zu schwe- ren Entschädigungen verstehen. Die Gotteshausleute wur- den aufs neue als Unterthanen betrachtet und der Abt behaup- tete, selbst daran nicht gebunden zu seyn, was etwa im Landfrieden zu ihren Gunsten vorkam, denn er sey ein freier Herr und der Schirm der Orte könne ihm für seine Regie- rung kein Maaß geben: sie sind allmählig wieder katholisch geworden. Glücklicherweise hatte sich Toggenburg noch in dem letzten Moment, bei seinem Abzuge von den Städten, besser gesichert; es ward seiner Religion und seiner Frei- heiten nicht vollkommen entsetzt, wie viel es auch daran verlor. Der Abt bediente sich aller derer, die in den letz- ten Unruhen aus dem Lande getrieben worden waren, jetzt zur Regierung desselben. Indessen war auch Rapperschwyl wieder herbeigebracht worden. Bei der Nachricht von den Vortheilen ihrer Glau- bensgenossen erhoben sich die Katholischen; durch einen Zu- satz von Schwytz verstärkt, bekamen sie völlig die Ober- hand. Die Häupter der evangelischen Partei mußten flie- hen oder sie wurden getödtet. Damals lebte dort ein ge- schickter Büchsenschmidt, Michael Wohlgemuth aus Cöln, der den Muth hatte, sich im Styl der alten Zeit zu ver- theidigen; er verbollwerkte sein Haus, legte seine Büchsen Restaurat. des Katholicismus in der Schweiz . an die Fenster und wehrte sich eine Zeitlang tapfer und glücklich, bis man endlich große Stücke auf Rädern gegen ihn auffuhr und ihn gefangennahm. Unter gräulichen Mar- tern ward er umgebracht. Von den Uebrigen unterwarfen sich Einige; Andere wurden in den Thurm gelegt, noch Andere verjagt. 1 Schon am 19. November hielt man wieder Messe. In Aargau machten die fünf Orte das volle Recht des Siegers geltend. So wie ihre Fähnlein erschienen, wi- chen die Prädicanten, es ward ihnen von den Deutschen, besonders aber von den Wälschen der Tod gedroht. Brem- garten und Mellingen mußten sich ausdrücklich verpflichten, die bisherigen Gebräuche herzustellen. Der alte Schultheiß Mütschli, der Bremgarten bisher regiert, lag im Sterben, als ihm die neueingesetzte katholische Behörde den Befehl zugehn ließ, Bremgarten zu verlassen. Er antwortete, er wolle ihr nicht mehr lange beschwerlich seyn. Er starb sehr bald und ist in Oberwyl begraben worden. In Thurgau und Rheinthal ließ der Friede den fünf Orten nicht so freie Hand; sie mußten sich begnügen die Klöster herzustellen, die nun aber ihre alten Gerechtsame wiedererlangten. Dagegen bekamen die Katholischen zu Solothurn voll- kommen das Uebergewicht. Bei siebzig evangelische Fami- lien mußten die Stadt verlassen. Es war die zweite Restauration des Katholicismus, der wir in unserer Geschichte begegnen, nicht so blutig wie die erste, die in Oberdeutschland nach dem Bauernkrieg ein- trat, aber eben so durch Kriegsereignisse hergeführt, doch auch gewaltsam, und bei weitem nachhaltiger. Hier an den Alpen Sechstes Buch. Viertes Capitel . wurde gleich damals das Verhältniß der beiden Bekenntnisse im Ganzen so festgestellt, wie es dann die folgenden Jahr- hunderte ausgehalten. Selbst auf die evangelischen Cantone wirkten die Ideen der Restauration zurück. Die Constafel in Zürich trat wie- der in die verlornen Rechte ein. Man war schon zufrie- den, wenn nur der Katholicismus sich nicht wieder regte. Der große Rath mußte der Landfchaft Versicherungen ge- ben, durch die er sich nicht wenig beschränkte. Der Krieg hatte nur anderthalb Monate gedauert, aber er hatte die Zukunft der Schweiz vollkommen umgewan- delt. In Bullingers Chronik findet sich am Schluß eine kurze Zusammenstellung dessen, was beabsichtigt worden, und dessen was wirklich eingetreten war. Gewollt hatte man die einhellige Einführung des Evangeliums, die Er- niedrigung der Oligarchen, die Abschaffung der Mehrheit der fünf Orte; der Erfolg war, daß die neue Lehre in vielen Gegenden, wo sie schon herrschte, ausgerottet, das Papstthum dagegen wieder hergestellt wurde, daß die fünf Orte nunmehr erst zu einem vollen Uebergewicht gelang- ten, die Oligarchen mehr vermochten als jemals. Bullinger III , 353. Den Zustand schildert besonders ein Aufsatz, den Leo Judaͤ zu seiner Rechtfertigung verfaßte. „Es sind zwo große Parteien in Zuͤrich, die eine wil Gottes wort schirmen und aller Gerechtigkeit wieder herfuͤr helfen, die andere wil alle unerbar- keit pflantzen und das Wort Gottes ußruͤthen, das Bapstthum wie- der aufrichten, wieder kriegen und pensionen nemen. Da wil nun die Frommen bedunken, daß die Partei allweg mehr Gunst und Foͤrde- rung habe denn sie.“ „Die Ehrbarkeit ist zerrüttet, ein muthwillig Regiment ist ange- richtet worden,“ sagt Bullinger: — „des Herrn Rath- schläge sind wunderbar.“ Fuͤnftes Capitel . Reformation in den niederdeutschen Städten. Vollziehung des schmalkaldischen Bündnisses. Der reformatorische Geist hatte zwei von einander sehr verschiedene Bildungen entwickelt; die eine, von weitausse- hendern positiven Tendenzen; wie in der Lehre, so in ih- rer politischen Haltung, zu unbedingtem Verwerfen des Her- kömmlichen geneigt, und zum Angriff fertig; die andere auch in der Lehre so viel wie möglich conservativ, politisch nur mit Mühe zu entschlossener Vertheidigung zu bringen. Von diesen war nun die eine in ihrem Vorhaben ge- scheitert. Ganz von selbst mußte geschehen, daß die Kraft des sich vollziehenden Ereignisses sich hierauf an die andre anschloß. Der schmalkaldische Bund trat den Wi- dersachern gegenüber um so nachdrücklicher auf, da die al- ten Nebenbuhler fürs Erste nicht mehr mit ihm wetteiferten. Die oberländischen Städte hatten sich schon in den confessionellen Bewegungen dem religiösen Prinzip des schmal- kaldischen Bundes so viel wie möglich angenähert; — jetzt war ihnen auch politisch, da ihre schweizerischen Verbün- deten genöthigt worden, das mit ihnen geschlossenen Bür- Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . gerrecht aufzulösen, kein andrer Rückhalt übrig geblieben, als die Macht der einverstandenen deutschen Stände. Ihre eigne Gefahr war durch das Unglück der Schwei- zer noch gewachsen. Man kannte die Theilnahme, welche am Hofe König Ferdinands den eidgenössischen Angelegen- heiten gewidmet worden war, man wollte von Rüstungen wissen, die im Elsaß, Breisgau und Sundgau vorgenom- men würden. Jetzt trugen nun die Oberländer kein Bedenken mehr, auf die definitive Berathung der Kriegsordnung einzugehn. Es geschah zunächst auf einer Versammlung zu Nordhau- sen im November 1531. Ehe wir aber die Verfassung, die der Bund sich als- dann gab, betrachten, müssen wir uns noch die Entwicke- lung vergegenwärtigen, welche die Sache der Reform mitt- lerweile in den niederdeutschen Städten genommen hatte. Reform in den niederdeutschen Städten. Die erste Stadt, die zu den Fürsten getreten, war, wie wir wissen, Magdeburg. Hier, wo man auf Reichs- unmittelbarkeit Anspruch machte, und sich erst seit Kurzem mit vielem Verdruß dem Anschlag des Erzbischofs zuge- wiesen sah, wo Luther zur Schule gegangen, und ihm von dieser Zeit her persönliche Freunde lebten, die nun auch zu Aemtern und Ansehn gelangt waren, hatten seine Ideen sehr früh die ganze Bürgerschaft ergriffen. Eines Tages sang ein alter Tuchmacher dort am Denkmal Otto’s des Gr. ein lutherisches Lied, und bot zugleich Exemplare davon feil. Der Bürgermeister Rubin, der aus der Messe kom- Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Magdeburg . mend da vorüberging, ließ ihn festnehmen. Aber schon be- durfte es nichts mehr, um das schlummernde Feuer zu wecken. Von den Zuhörern des Alten breitete sich die Be- wegung über die ganze Stadt aus. Die Bürger, welche hier schon seit 1330 wesentlichen Antheil an den weltlichen Angelegenheiten nahmen, waren der Meinung, daß ihnen ein nicht geringerer auch an der Verwaltung der geistlichen zukomme. Zuerst, noch an demselben Tage, 6. Mai 1524, schritt die St. Ulrichsgemeine dazu, sich in den Besitz die- ses Rechtes zu setzen. Sie kam auf dem Kirchhof zusam- men und beschloß, acht Männer aus ihrer Mitte zu wäh- len, die mit ihrer Zustimmung in Zukunft das Kirchenre- giment versehen und Prediger wählen sollten. Diesem Bei- spiele folgten alle andern Gemeinden; der Rath fand sich nicht berufen, es zu verhindern. Zur Seite der katholi- schen Pfarrer wurden allenthalben evangelische Prediger gewählt. Unmöglich aber ließ sich ein Zustand dieser Art lange behaupten. Die Pfarrer verwalteten die Messe nach altem Ritus; die Prediger griffen nichts eifriger an als eben die Messe. Es wurde keine Ruhe, bis die Pfarrer entweder übertraten, wie M. Scultetus bei der Petrigemeinde, oder schwiegen oder entfernt wurden. Die Kirchspiele St. Jo- hann und St. Ulrich, eröffneten eine förmliche Verhandlung mit dem Probst zu U. L. Fr., und da sich dieser weigerte, ihnen Pfarrer nach ihrem Sinne zu bewilligen, so sagten sie sich feierlich von ihm los, „um ihre Zuflucht zu nehmen zu dem einigen ewigen, mit dem göttlichen Eide bestätigten allerhöchsten Pfarrer, Seelsorger, Bischof und Papst, Jesu Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . Christo, bei dem als bei ihrem Hauptmann wollen sie rit- terlich fechten.“ Ursach und Handlung in der kais. loͤbl. und christl. Stadt Magdeburg ein christlich wesen und wandel belangende. Von Wolff Cycloff den Erznei Dr. 1524. Abgedruckt in Hahn’s Collectio Monumentorum II, 459. Am 17. Juli 1524 ward in allen Kir- chen der Altstadt ein Abendmahl nach Luthers Weise ge- halten. Hierauf versammelten sich Rathsherrn und Hun- dertmänner in ihrem Harnisch; die Bürgerschaft nach ihren fünf Vierteln mit Büchsen und Hallbarden; sie schwuren einander, sich treulich beisammen finden zu lassen, wenn der Stadt durch die Abschaffung der Messe Noth entstehe. Man zweifelte nicht, der Erzbischof Cardinal Albrecht werde Ernst gegen sie brauchen. Sie eilten einen Canal von der Elbe nach den Stadtgräben zu ziehen, um diese nöthigenfalls mit Wasser zu füllen; die Wälle wurden erhöht, die Pallisaden mit Böcken versehen, die Arbeiter in den Werkstätten mit einer kleinen Besoldung in Dienst genommen. Sie waren entschlossen, die in Besitz genommene geistliche Autonomie mit Leib und Leben zu vertheidigen. Die Zeit sollte ein ander Mal eintreten, wo ihr Entschluß geprüft werden würde; damals kam es nicht so weit. Sebastian Langhans, damaliger Moͤllenvoigt hat eine Ge- schichte des Jahres 1524 hinterlassen, deren Abdruck wohl zu wuͤn- schen waͤre. Bis dahin sind Rathmanns Auszuͤge und sonstige Zu- sammenstellungen ( III, 346—400) sehr brauchbar. Einen sehr ähnlichen Gang nahm die Sache ein paar Jahre später in Braunschweig. Man las unter den Bür- gern die Bücher Luthers, die Bibelübersetzung; hauptsäch- lich fühlte man sich von seinen Liedern ergriffen; in allen Häusern sang man sie, die ganze Schuhstraße erscholl da- Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Braunschw . von. Nun hatte sich auch hier eingeführt, daß die Pfar- rer, welche die Pfründe genossen, das Amt der Predigt ge- mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen nannte. Man darf sich in der That nicht wundern, wenn diese sich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür- gerschaft anschlossen. Zuweilen stimmte wohl einer von ihnen selbst statt des Hymnus zum Lobe der Maria eins von jenen neuen deutschen Liedern an, in welches dann die Gemeinde feurig einfiel. Schon wollte diese keine Predigten von anderm Inhalt mehr dulden. Scholastische Demonstrationen wurden mit Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Klerisei berief einen der angesehensten altgesinnten Prediger, den man in diesen Gegenden kannte, der in Behandlung dieser Streitfragen schon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver- mochte derselbe nichts auszurichten; beim Schluß seiner Pre- digt rief ihm ein Bürger zu: „Pfaffe du lügst“ und stimmte das neue lutherische Lied an, „ach Gott vom Himmel sieh darein,“ was die Gemeinde freudig nachsang. Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel, als daß sie den Rath ersuchten, sie ihrer abgefallenen Ver- weser wieder zu entledigen. Aber eben darum schloß sich die Gemeinde nur desto enger an diese an. Stadt und Vorstädte vereinigten sich, ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der noch jener ältern literarischen Richtung der Neuerung an- gehörte; sie ersuchten nun ihrerseits den Rath, die Pfarrer zu entfernen. Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . Anfangs neigte sich der Rath mehr zu der bestehen- den Ordnung der Dinge; aber am Ende riß auch ihn die populäre Bewegung mit sich fort. Es waren die Zeiten, wo man in Folge des Reichsschlusses von 1526 allenthal- ben reformirte, namentlich auch in dem nahen Lüneburgi- schen: Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der sich ohne Zweifel widersetzt haben würde, war gerade auf seinem Kriegszuge in Italien begriffen. Unter diesen Umständen faßte der Rath 13. März 1528 den Beschluß, daß in Zukunft nur das lautere Gotteswort gepredigt wer- den solle, und man das Abendmahl wohl auch unter bei- derlei Gestalt austheilen, die Taufe deutsch verwalten möge. Von Wittenberg kam Dr. Bugenhagen herüber, um der neuen Ordnung der Dinge eine Form auf immer in Lu- thers Sinne zu geben. Am ausfuͤhrlichsten berichtet hieruͤber Rehtmeiers Kirchenhi- storie der Stadt Braunschweig Thl. III, deren Quelle hiebei einen gleichzeitigen Bericht von Heinrich Lampe, Prediger zu St. Michae- lis ist, „was sich kurz vor und nach Annemung des h. Evangelii all- hie zu Braunschweig in Kirchensachen zugetragen;“ auch Gasmers Leichenrede auf Lampe, die bei Lenz: Braunschweigs Kirchenreforma- tion 1828, zu Grunde liegt, ist wohl hauptsaͤchlich aus jenem Be- richt gezogen. Der Herzog von Lüneburg ver- sprach der Stadt seinen Schutz. Herzog Ernst erwaͤhnt in einem Briefe 2. Februar 1531 ei- ner fruͤhern Verschreibung mit Braunschweig, worin sie einander zu- gesagt: „in Sachen das goͤttliche Wort betreffend und was dem an- hengig irs Leibs und Guts Vermoͤgen bei einander aufzusetzen.“ (W. A.) So ging es nun in den meisten Städten dieser Lan- desart. Ueberall erscheinen einzelne Prediger, dringen die Lieder ein, nimmt die Gemeinde Antheil. Der Rath setzt anfangs mehr oder minder Widerstand entgegen, fügt sich aber am Ende. In Goßlar wurden funfzig Männer aus Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Hamburg . den verschiedenen Pfarren aufgestellt, welche die Sache durch- setzten; in Göttingen kam es zu einem Aufruhr, da die Vorsteher der Gemeinde ihr anfangs selbst Widerpart hiel- ten; in Eimbeck bequemte sich der Rath auf Andringen der Gemeinde eben die Prediger wieder zu berufen, welche er auf Bitte der Chorherrn vor kurzem entfernt hatte. Wir erinnern uns der heftigen Bewegungen, welche 1510—16 in allen Städten, auch in den niederdeutschen ausgebrochen waren. Jetzt entstand die Frage, in wie fern der religiöse Impuls sich mit dieser demokratischen Regung vereinigen, ob nicht alsdann eine vorzugsweise politische Tendenz die Oberherrschaft bekommen werde. In dieser Hinsicht finden wir nun einen großen Un- terschied unter den Städten. Es gab solche, wo sich Rath und Gemeinde noch zur rechten Zeit vereinigten. Da wurden die Städtever- fassungen erst während der Bewegungen wahrhaft stark. Denn nicht allein, daß sie sich des Einflusses der fremden Prälaten, der ihnen immer beschwerlich gewesen, entledigten, sondern durch die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten und der Kirchengüter, die ihnen zufiel, bekamen sie auch ein gemeinschaftliches Interesse, das sie noch enger verei- nigte. In Magdeburg bildeten sich aus Mitgliedern des bisherigen Rathes und den neugewählten Vorstehern der Gemeinden die Kirchencollegien aus, Vgl. Rathmann IV, II, 28. welche der ohnehin etwas demokratischen Stadtverfassung noch eine neue Stärke verliehen. Ohne Zweifel am merkwürdigsten ist in dieser Hinsicht Hamburg. Man folgte auch hier dem Rathe Lu- Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . thers, welchen Bugenhagen dann theoretisch in Büchern In dem Anhang zu der Schrift vom rechten Glauben, welche Bugenhagen 1526 hochdeutsch und niederdeutsch herausgab und Buͤr- germeister, Rathsleuten und der ganzen Gemeinde der ehrenreichen Stadt Hamburg widmete. und praktisch durch seine Einrichtungen in Braunschweig weiter ausgebildet, bei jedem Kirchspiele Gotteskasten zu errichten, um aus dem Kirchenvermögen die Bedürfnisse der Pfarrer und Schulen zu bestreiten, und Fürsorge für die Armen zu tragen, und wählte zu Vorstehern derselben zwölf angesehene Bürger, die zum Theil schon früher das Amt von Kirchengeschwornen bekleidet, denen man aber jetzt noch 24 Mitglieder jedes Kirchspiels an die Seite setzte. Aehn- lich war man auch in den meisten andern Städten ver- fahren: Hamburg unterscheidet es, daß die Einrichtung zu einer neuen politischen Organisation diente. Die Kirch- spielsvorsteher bildeten das Collegium der Acht und vierzig und mit ihren Beigegebenen vereinigt das der Hundert vier und vierzig, zwei Collegien, die als eine wahre Re- präsentation der erbgesessenen Bürgerschaft angesehen wer- den konnten. Ueberdieß richtete man noch einen fünften Hauptkasten ein, bei welchem die Verwaltung des gesamm- ten Kirchenvermögens sich vereinigen sollte, Nichtesdeweyniger schollen de veer Kisten in den Carspel- karcken, wo se nu stahn, tho Versamelinge der Almiszen blyven, so doch, dathme allendt wes bether tho daeinn gegeven, und hyrnamals tho allen Tyden darinn gegeven werden mag, alles getrouwlik in und by de Hoͤvetkysten presentere und averantwehrde — — Urkunde der Stiftung der Overalten; Michaelistag 1528. und ernannte hiezu die drei Oberalten der verschiedenen Kirchspielvorste- her. Dieß geschah mit Vollwort eines ehrbaren Rathes, am Michaelistag 1528. Es leuchtet ein, welche Bedeutung Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Bremen dieses Collegium für die Ewickelung der Stadt bekommen konnte, und man weiß, daß es dieselbe wirklich gehabt hat. Nach dreihundert Jahren hat man noch den Tag der ersten Einrichtung derselben mit städtischen Festlichkeiten begangen. Lappenberg: Programm zur dritten Saͤcularfeier der buͤrger- schaftlichen Verfassung Hamburgs am 29. September 1528, worin gelehrt und belehrend ausgefuͤhrt wird, was die Reden des Buͤrger- meisters Bartels und des Praͤses der Oberalten Ruͤcker populaͤrer an- deuten oder entwickeln. Auch in Rostock schlossen sich Rath und Bürgerschaft im Gegensatz gegen die meklenburgischen Fürsten, welche sich im Jahr 1531 einen Augenblick der katholischen Geist- lichkeit annahmen, nur um so enger an einander. Rudlof N. Gesch. Mklnbg. I, 81. Aber nicht allenthalben kam es zu diesem friedlichen Einverständniß. In Bremen, wo die Kirchen schon 1525 in die Hände lutherischer Prediger gerathen, schon 1527 die beiden Klöster der Stadt, das eine in eine Schule, das andre in ein Spital verwandelt worden waren, hatte sich in der Bürgerschaft, während der unaufhörlichen Streitig- keiten, in die sie mit der Geistlichkeit am Dome verwickelt war, ein so heftiger Widerwille gegen dieselbe gebildet, daß ihr noch nicht genügte, sie ihres geistlichen Einflusses auf die Stadt beraubt zu haben. Sie erhob vielmehr Anspruch auf eine ganze Anzahl von Wiesen, Gärten und Kämpe, welche der Dom der Stadt unrechtmäßig entrissen habe; und da der Rath ihr hierin nicht beipflichtete, so wählte sie sich einen demokratischen Vorstand von hundert und vier Männern, der nun nicht allein diese Sache durch- zufechten, sondern die gesammte Verfassung zu ändern Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . suchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um- stürzte, überhaupt auf das gewaltsamste verfuhr und end- lich nur durch die entschlossene Entwickelung einer bewaff- neten Macht beseitigt werden konnte. Roller Geschichte von Bremen II, p. 380 u. f. Und noch viel weitaussehender waren die Bewegungen in Lübek. Hier hatten sich die vornehmen Geschlechter auf das engste mit der Geistlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun- ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. Die Priesterschaft war besonders durch die Stiftung der Vicarien sehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts gab es in Luͤbek am Dom 59, an Marien 51, an Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen noch 8 Vicare. Es waren meistens Verwandte Derjenigen, welche das Capital zur Lesung einiger Seelmessen gestiftet. Vgl. Grautoff Schriften I, 266. Die Verschreibung uͤber das Capital blieb in den Haͤnden der Provisoren. Da- gegen regte sich das religiöse Begehren hier eben so gut wie anderwärts in der Bürgerschaft; es ward aber mit un- nachsichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge- straft, wo nur das Gesinde einen deutschen Psalm gesun- gen: Luthers Postille ward 1528 auf öffentlichem Markt verbrannt. Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß sie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen lassen, und sich genöthigt sahen, die Bürgerschaft zu ver- sammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anspruch zu nehmen. Wohl ging die Bürgerschaft hierauf ein; sie ernannte 1529 einen Ausschuß, der nach und nach auf 64 Mit- Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Luͤbeck . glieder anwuchs, um mit dem Rath dessen Geldvorschläge zu überlegen; allein sie ergriff zugleich diese Gelegenheit, um nicht allein eine größere politische Macht, sondern auch re- ligiöse Veränderungen in Anspruch zu nehmen. Sie for- derte, daß ihr Ausschuß auch an Einnahme und Ausgabe gebührenden Antheil habe, und daß ihr die freie Predigt gestattet werde. Gar bald erhob sich hiefür die allgemeine Stimme. Man drang auf die Wiederherstellung der Pre- diger, die vor einigen Jahren verwiesen worden; auch hier unterbrach der Psalm „ach Gott vom Himmel sieh darein“ den fungirenden Priester; man sang Spottlieder gegen Jo- hann Rode, Kirchherrn zu unserer Frauen, als welcher be- haupte, Christus habe nur die Altväter erlöst, von Spä- tergebornen müsse das Heil ihm abverdient werden: „die uns sollen weiden,“ heißt es in einem dieser Lieder, „das sind, die uns verleiten;“ Das Lieb in Regkmanns Chronik p. 133. als man einst in einer großen Ver- sammlung von Bürgern diejenigen bei Seite treten hieß, welche katholisch bleiben wollten, that das nur ein Einziger. Von diesen Manifestationen gedrängt und durch seine finanziellen Bedürfnisse aller nachhaltigen Kraft zum Wi- derstand beraubt, mußte der Rath Schritt für Schritt nachgeben. Noch im Dec. 1529 rief er die verjagten Prediger zurück; im April 1530 entfernte er die Katholiken von allen Kanzeln der Stadt; im Juni dieses Jahres sah er sich genöthigt, den Kirchen und Klöstern zur Unterlassung ihrer bisherigen Gebräuche anzuweisen. Eben indem Carl der V zu Augsburg den alten Glauben in Deutschland Ranke d. Gesch. III. 25 Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . wiederherzustellen gedachte, ward derselbe in einer der wich- tigsten Städte des Nordens abgeschafft. Wohl blieb das zu Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiser befahl durch ein Pönalmandat den Vier und sechzig auf das ernstlichste, „ih- res Thuns abzustehn,“ und wies den Rath, falls das nicht geschehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürsten an. Es läßt sich aber denken, welche Wirkung diese Drohun- gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben mußten. Die Bewegung erhob sich mit doppeltem Ungestüm; sie wuchs so gewaltig an, daß der Rath sich in der Nothwen- digkeit sah, die Vier und sechszig selbst um Beibehaltung ihrer Functionen zu ersuchen, ja ihre Verstärkung durch einen neuen Zusatz von 100 Bürgern gutzuheißen. In der Antwort der verordneten Buͤrger bei Regkmann 139 heißt es, daß dieß vom Rath vorgeschlagen worden sey „um vieler ungestuͤmheit willen, muͤh und verdrieß zuvorzukommen.“ Dann ward Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um mit einer Commission aus Rath und Bürgerschaft die neue Kirche einzurichten. Die Klöster wurden in Schulen und Krankenhäuser verwandelt; die Klosterjungfern zu St. Jo- hannis, die man bestehen ließ, zum Unterricht der Jugend verpflichtet; in allen Kirchspielkirchen wurden Pfarrer und Caplane angestellt, die sich zur augsburgischen Confession hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou- nus vorstand. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und Sechzig, deren Ursprung politisch-religiöser Natur war, sich Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der bei G. einer milden Partei im Rath zugeschrieben wird, muͤßte wohl noch naͤher bewiesen werden. Ref. in d. niederdeutsch. Staͤdten. Luͤbeck . nun mit kirchlichen Concessionen nicht begnügten; der Rath mußte versprechen, ihnen Rechenschaft zu legen, ohne ihre Einwilligung kein Bündniß zu machen, sie auch in militä- rischen Angelegenheiten Mitaufsicht führen zu lassen, genug seine wesentlichsten Befugnisse mit ihnen zu theilen. Der Gemeinde Articul 13. Oct. 1530 gemacht bewilligt und confirmirt bei Regkmann 151. Becker Luͤb. Gesch. III, 27 sagt, nicht alle Forderungen der Gemeinde seyen bewilligt worden, unb dann fuͤhrt er blos die Punkte an, deren in dem Tagebuche bei Kirchring und Muͤller p. 166 ausdruͤcklich gedacht wird. Sollte der Titel der Articul so falsch seyn? Un- gern fügten sich die eines ziemlich unumschränkten Regimen- tes gewohnten Herren. Zwar versöhnten sich die Bürger- meister noch einmal öffentlich mit den Vorstehern der Vier und sechzig und der Hundert; allein feierliche Handlungen dieser Art haben niemals gedient, den einmal eingewurzelten innern Widerwillen zu beseitigen; wenige Wochen darauf fan- den nichtsdestominder die beiden worthaltenden Bürgermeister, Claus Brömse und Herrmann Plönnies, den Zustand der Machtlosigkeit, in den sie gerathen waren, das Mißrauen das man ihnen bewies, so unerträglich, daß sie die Stadt verließen. Es war zu Ostern 1531. Aber welch ein Sturm trat ein, als diese Entfernung der Bürgermeister unter der Bürgerschaft ruchtbar wurde. Man setzte ein Einverständniß derselben und des gesammten Rathes mit den benachbarten Fürsten voraus, und glaubte einen Angriff auf die Stadt erwarten zu müssen. Erst wurden die Vier und sechzig, dann die Hundert, dann aufs neue alle Mitglieder der Gemeinde zu- sammenberufen, die Thore verschlossen, die Rathsglieder entweder in ihren Häusern oder auf dem Rathhaus selbst 25* Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . festgehalten, bis endlich dieser besiegte, beschränkte, gepei- nigte, und seiner Vorsteher beraubte Rath sich entschloß, das große Insiegel der Stadt an die Vier und sechzig zu überliefern. Die Gemeinde ging nicht so weit, ihn abzu- setzen, niemals hätten das die lutherischen Prediger gutge- heißen. Aber indem sie eine Satzung hervorsuchte, nach welcher der Rath aus einer größern Anzahl von Mitglie- dern bestehen sollte, als die er wirklich zählte, und sogleich zur Ernennung der fehlenden schritt, indem sie auch an die Stelle der zwei ausgetretenen Bürgermeister zwei neue er- nannte, kam sie doch dahin, den Rath umzuwandeln, und der siegreichen Meinung einen überwiegenden Einfluß auf die Beschlüsse desselben zu verschaffen. Nur widerstrebend gaben die Prediger nach, die ihren Begriff von der hohen Würde der Obrigkeit auch auf die Stadträthe ausdehnte, und bei jeder Bewegung auf der Kanzel eifrig davor warn- ten, daß man sich an der Obrigkeit vergreife. In der Chronik des Hermannus Bonnus heißt es sogar, es gebe kein besseres Mittel ein bestaͤndiges Regiment zu erhalten, als daß die Wahl des Rathes bei der Obrigkeit selbst stehe. Herzog Ernst von Lüneburg war höchlich erfreut, als er von Augsburg nach Hause kam, und rings um sich her wahrnahm, wie wenig man sich aus kaiserlicher Gnade oder Ungnade mache, wie vielmehr in allen jenen Städten die Predigt eben jetzt bessern Fortgang habe als jemals vorher. Ernst an Chf. Johann, Zelle Montag nach Galli (17. Oct.) Befinde, das wynzig Gottlob in diesen umliegenden Staͤdten kais. Maj. Gnaden oder Ungnaden gescheuet; denn sye itzunder heftiger als vor nie, in allen Staͤdten predigen und das Wort Gottes fuͤrdern. (W. A.) Der Kaiser hatte so eben die Stadt Lüneburg durch ein besonderes Schreiben ermahnt, bei dem alten Reform. in den niederdeutschen Staͤdten . Glauben zu verharren; die Folge war, daß sie den Her- zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit- gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlassen, um auch ihre Kirche einzurichten; was dieser dann nach und nach wirklich ausführte. Obiges Schreiben: „haben heud der Rath und die Gemeyne mir semptlich geschrieben.“ So gewaltig drang der protestantische Geist in den niederdeutschen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil der Fürstenthümer inne; schon war er in den wendischen Städten zur Herrschaft gelangt; er griff in Westfalen — wir werden darauf zurückkommen — mächtig um sich; er machte den Versuch, das norddeutsche Wesen ganz zu durchdringen. Es ließ sich jedoch vorhersehen, daß ehe dieß gelingen konnte, noch manche Stürme zu bestehen waren. Dem kirchlichen Bestreben hatten sich überaus starke politische Tendenzen beigemischt, und es war erst die Frage, in wie fern sich dieselben in das Geleis der herkömmlichen Zustände lenken, oder umwälzende Kräfte in sich entwickeln würden. Damit hingen auch Abwandlungen der religiösen Mei- nung zusammen, die sich nicht immer innerhalb der Schran- ken des lutherischen Systems hielten, und von denen nicht ab- zusehen war, welche Richtung sie noch einschlagen konnten. Wir werden diese Entwickelungen, die so höchst merk- würdig geworden sind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit, wo der mächtig aufgeregte Geist sich noch einmal auf ganz ungewohnten Bahnen versuchte. Zunächst war jedoch davon noch nicht die Rede. Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . Zunächst bemerkte man nur die Unterstützung, welche der ruhig sich entwickelnde Protestantismus in einem Au- blicke, wo er von dem Kaiser aufs äußerste bedroht ward, in dieser neuen Erweiterung fand. Vor allem ward der schmalkaldische Bund dadurch gefördert, auf den wir jetzt unsere Augen zurückwenden müssen. Vollziehung des schmalkaldischen Bundes. Die Magdeburger waren schon in den frühern Ver- ständnissen begriffen gewesen. Im Jahr 1531 von ihrem Erzbischof mit der Anmuthung heimgesucht, sich nach dem Abschied von Augsburg zu halten, sahen sie ihre einzige Rettung in dem Churfürsten von Sachsen, den sie anriefen, „sie bei dem ewigen Gotteswort zu schützen.“ Sie zöger- ten keinen Augenblick dem Bunde beizutreten. Magdeburg Sonnabend nach Estomihi 1531. „Hat sich zugetragen, daß unsers gnaͤdigsten Herrn des Eardinals Mullin- voigt, Mitwoch Cineris, vor uns, dem ganzen sitzenden Rathe er- schienen und eyn Missiven nach Vermeldung eyngelegter Copeyen von hochgedachten unsern gnaͤdigsten Herren uͤberantwort, und darbeneben angezeygt, daß er einen Truck haͤtte, wollte denselbigen uns auch uͤberantworten; und als er sich zuvor gegen unsern Buͤrgermeister und Rathsverwandte verlauten lassen, das solchem Druck der Abschied des gehaltenen Tags zu Augspurg auch das man an den alten Ge- brauch halten sollte, inserirt waͤre, haben wir solchen Truck nicht an- nemen wollen.“ Unaufgefordert ersuchte Bremen den Herzog von Lü- neburg, ihm den ersten Entwurf des Bundes zukommen zu lassen, und erklärte sich sehr bereit, die Versammlung zu beschicken, die ihm aufgelegte Hülfe zu tragen. Schreiben des Herzogs Ernst, Dienstag nach Clement. Mit Lübeck dagegen mußte der Herzog die Unterhand- lung eröffnen. Es geschah noch in einer Zeit, wo der alte Vollziehung des schmalkaldischen Bundes . Rath einige Macht besaß; der hatte aber ganz andere Sym- pathien, und trug natürlicher Weise Bedenken darauf ein- zugehn. Allein die Hundert vier und sechzig waren desto leichter gewonnen. Auf deren Antrieb erschien schon bei der zweiten Versammlung zu Schmalkalden im März 1531 ein Abgeordneter der Stadt, der nur noch im Voraus zu wissen wünschte, welche Unterstützung sie sich in ihren Strei- tigkeiten mit dem vertriebenen König von Dänemark, wenn der Kaiser ihn zurückzuführen suche, von den Fürsten ver- sprechen könne, und an die Nothwendigkeit erinnerte, die Stadt dagegen bei der von ihr zu leistenden Hülfe nicht zu stark anzusehn. Und auch diesen Vorbehalt ließ man fallen, als indeß jene große Veränderung in Lübeck einge- treten war. Obgleich der Abgeordnete auf seine Fragen nur sehr ungenügende Antworten empfing, so nahm doch Lübeck das Verständniß unmittelbar hierauf an. Diese drei Städte finden wir gleich in der ersten besiegelten Bundes- formel aufgeführt. In der folgenden Versammlung, im Juni, traten Göt- tingen und Braunschweig bei. Braunschweig meinte an- fangs, durch seine Verbindung mit dem Herzog von Lüne- burg dem Bunde schon genugsam anzugehören; allein die Verbündeten urtheilten, daß sie der Stadt einmal im Noth- fall mit besserem Grunde würden Hülfe leisten können, wenn sie selbst in das Verständniß eintrete. Ein Abgesandter des Landgrafen beseitigte dann vollends ihre Bedenklichkeiten. Schreiben der Stadt an Ernst von Luͤneburg 22. Maͤrz 1531. „Dieweil wir mit E. F. Gn. uͤber unsre natuͤrliche untertaͤnige Ver- wandniß und sonderlich aufgerichtete Vertraͤge der christlichen ange- fangen Sachen halber im Namen Gottes zusammengesetzt haben.“ Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . Einige Zeit darauf folgten auch Goslar und Eimbeck nach. So mächtig breitete sich das Verständniß der Für- sten über beide Theile von Deutschland aus. Es umfaßte jetzt sieben oberländische und sieben niederländische Städte. Länger konnte man nicht verschieben, dem Bunde nun auch eine Verfassung zu geben. Wir wissen, wie sehr die schweizerischen Ereignisse dazu aufforderten, Melanchthon an Camerarius 30 Dec. Scis ejus periculi partem ad nos pertinere. Ein Schreiben von Ulm (Samstag nach Simon und Judaͤ) meldete, daß am Hofe Ferdinands daruͤber die groͤßte Freude herrsche; im Sundgau, Breisgau, Elsaß habe man das Volk ermahnt, sich geruͤstet zu halten; in des Abt von Kempten Land sey befohlen, wenn der Sturm angehe, des naͤchsten aufzusein, und zuzuziehn. wie auch die Oberländer jetzt dazu bereit waren. Vorläufig ist darüber im November 1531 zu Nord- hausen, definitiv im December darauf zu Frankfurt am Main berathschlagt worden. Die erste Frage betraf die Bundeshauptmannschaft. Und da lag es nun, wie in der Natur der Sache, so in dem bisherigen Herkommen, daß man nur einen ein- zigen Bundeshauptmann, der ja auch im Krieg anführen sollte, zu ernennen gedachte. Sachsen wünschte, daß einer der beiden Welfen, entweder der Lüneburger oder der Gru- benhagener gewählt würde. Den Landgrafen, den man für zu rasch, für zu enge mit den Schweizern verbunden hielt, wünschte man lieber zu vermeiden. Allein das war doch nicht recht ausführbar. Viel zu mächtig und kriegerisch gesinnt war der Landgraf, als daß er sich von der Hauptmannschaft des Bundes hätte Verfassung des schmalkaldischen Bundes . ausschließen lassen. Nach der Niederlage der Schweizer hatte man von einer Hinneigung nach jener Seite nichts mehr zu fürchten. Da aber auch der Churfürst von Sachsen neben dem Landgrafen nicht in Schatten treten wollte, so verei- nigte man sich in Nordhausen, zwei Hauptleute zu ernen- nen, eben diese Fürsten. Jeder von beiden soll die Hälfte der Hülfe aufbringen; einer um den andern soll die allge- meinen Geschäfte leiten; ist der Krieg in Sachsen und West- falen zu führen, so soll der Churfürst, ist er in Hessen und in Oberdeutschland, so soll der Landgraf den Oberbefehl haben. Es wäre aber nicht daran zu denken gewesen, daß man nun den beiden Hauptleuten volle Macht nach ihrem Gutdünken zu verfahren gegeben hätte; mit nicht minde- rem Ernst ward die andere Frage erörtert, wie die Bera- thungen gehalten, die Stimmen vertheilt werden, in welchem Verhältniß diese zu den Leistungen stehen sollten. Der erste Vorschlag von der fürstlichen Seite war, fünf Stimmen einzurichten, zwei für Sachsen und Hessen, zwei für die Städte, die letzte für die übrigen Fürsten und Grafen zusammen. Die einfache Hülfe, zunächst auf 2000 zu Pferd, 10000 zu Fuß berechnet, ward auf 70000 Gul- den des Monats angeschlagen, wovon die Fürsten 30000, die Städte 40000 zu tragen haben würden. Auf den ersten Blick sieht man, was sich gegen die- sen Entwurf einwenden läßt. Den Herren wäre die grö- ßere Hälfte der Stimmen, und nur die kleinere der Leistungen zugefallen. Die Städte säumten nicht einen Gegenentwurf einzubringen, bei dem es auf volle Gleichheit abgesehen Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . war. Jeder Theil sollte 35000 G. übernehmen, und von acht Stimmen vier haben. Wie aber dann, wenn diese Stimmen sich bei irgend einer Frage nach ihrer Gleichzahl trennten? Ein Uebel- stand, den man damals bei allen Deliberationen geflis- sentlich zu vermeiden suchte. Die Städte schlugen vor, in einem solchen Falle solle dem Churprinzen von Sachsen, der ohnehin sonst nichts werde zu sagen haben, die Ent- scheidung überlassen bleiben. Dazu aber war der Landgraf nicht zu bringen. Er entgegnete, er wünsche seinem Freund und Bruder alles Wohlergehn der Welt: Johann Friedrich möge Römischer König und Kaiser werden, in dieser Sache aber müsse man nach der ersten Zusage auf volle Gleich- heit halten. Und so kam man doch zuletzt wieder auf einen dem ersten sehr ähnlichen Entwurf zurück. Man errichtete neun Stimmen, von denen vier zwischen Sachsen und Hessen, vier zwischen den Städten getheilt wurden, die neunte sollte den übrigen Fürsten und Herren gemeinschaftlich seyn. Die Städte hatten nur den Vortheil, daß die Beiträge gleichmäßiger getheilt waren. Von ihren vier Stimmen bekamen die oberländischen zwei, die niedersächsischen die beiden andern, wie sie denn auch die Beiträge zu gleichen Theilen über sich nahmen. Von den beiden niedersächsischen Stimmen führten Magdeburg und Bremen die eine, Lübeck und die übrigen Städte die andere. So ordnete man, nachdem der Bund sich nun erst einmal vereinigt, die gemeinschaftlichen Angelegenheiten des- selben. Die Verfassung ist nur der Ausdruck des Ereig- nisses und der Verhältnisse; des einen, in wie fern die- Verfassung des schmalkaldischen Bundes . jenigen, auf deren erster Vereinigung alles beruhte, nun auch als die Häupter auftreten; der anderen, indem die Macht und die Summe des Beitrags auch den gesetzlichen Einfluß auf die Beschlüsse bestimmte. Wir brauchen nach allem was wir wahrgenommen nicht weiter zu erörtern, daß sich nun hier jenes zugleich erhaltende und defensive Prinzip der Reform, wie es der Sinnesweise Luthers entsprach, zu der stärksten Repräsen- tation erhob; irre ich aber nicht, so läßt sich hinzufügen, daß dieser Bund, der die beiden sonst noch immer vielfach getrennten großen Provinzen Oberdeutschland und Nieder- deutschland umfaßte, auch für die Einheit der Entwickelung des deutschen Geistes von hohem Werth war. Neben den Reichstagen bildete sich nun ein anderer Mittelpunkt, eine Einheit, die nicht durch ein Gebot der höchsten Gewalt auf- erlegt war, sondern kraft einer innern Nothwendigkeit von unten her emporstieg; zugleich politisch-militärischer, haupt- sächlich aber doch intellectueller Natur. Luther war der große Autor, der beiden Theilen verständlich, bei beiden Eingang fand, und eine gleichartige Bildung zu begründen vorzüglich beitrug. Es war ein Verein, der nach beiden Seiten bis an die äußersten Grenzen reichte. Wie das nahe Magdeburg, wie Strasburg im Elsaß, so suchten auch Bürgermeister und Rathmannen von Riga, zugleich im Namen der Evangelischen von Dorpat und Reval, ge- gen die Versuche ihres Erzbischofs, der sie mit der Aus- führung des augsburger Abschieds bedrohte, bei dem Chur- fürsten von Sachsen, auf dem nach Gott alle ihre Hoff- nung stehe, Hülfe und Schutz. Schreiben des Rathes, Mittwoch vor Palmarum, so wie Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . Zugleich hatte der Bund eine große politische Bedeu- tung. Alles was von Oestreich zu fürchten oder über dieß Haus zu klagen hatte, näherte sich den Verbündeten, der Herzog von Geldern, Jülich, dem man so eben Raven- stein entzogen, der König von Dänemark, der täglich ei- nen neuen Angriff Christiern des II mit östreichischer Hülfe fürchtete; — endlich jene Wahl-Opposition, welche Bai- ern leitete. Im Februar 1531 finden wir den baieri- schen Rath Weichselfelder in Torgau; Man erwartete die baierischen Raͤthe auf der zweiten Zu- sammenkunft zu Schmalkalden, wie ein Schreiben Philipps an Dr. Leonh. Eck (undatirt aber ohne Zweifel vom Jan. 31) ausweist. im August Leon- hard Eck bei Landgraf Philipp zu Gießen; im October ward eine Zusammenkunft sämmtlicher antiferdinandischen Stände zu Saalfeld gehalten. Hier versprachen sie einander, „bei ihren churfürstlichen, fürstlichen und gräflichen Neudeckers Urkunden p. 60. Man muß aber nicht brieflichen lesen; es sind die Grafen von Mansfeld gemeint. wahren Worten auf Ehre, Treue und Glauben in die Wahl und besonders in die Administration Ferdinands nicht zu willigen, und sich, im Fall sie hierüber angegriffen würden, gegenseitig zu unterstützen. Einige Monate darauf ward auch die Form dieser Hülfe näher verabredet. Mai 1532. Urkunde bei Stumpf nr. V, p. 20. Es ist merkwürdig, wie diese Dinge in der Ferne er- schienen, wie sich unter anderm Heinrich VIII in einem Gespräch mit dem dänischen Gesandten, Peter Schwaben darüber ausdrückte. Der Kaiser, meinte Heinrich VIII hätte wohl zu Augsburg in den wenigen Artikeln nachge- ben sollen, über die man sich nicht vereinigen konnte; des Syndicus Lehnmuͤller, Mittw. nach Palm. 29. Maͤrz, 5. April 1531 im Weim. Arch. Verfassung des schmalkaldischen Bundes . Campeggi möge ihn daran gehindert haben. Der Kai- ser ist einfältig, fuhr er fort, er versteht kein Latein. Man hätte mich und den König von Frankreich zu Schieds- richtern nehmen sollen; wir würden die gelehrtesten Leute aus ganz Europa berufen und die Sache bald zur Ent- scheidung gebracht haben. Dann kam er auf die Wahl zu reden. Warum wählen die Fürsten, sagte er, nicht einen Andern zum König, etwa den Herzog von Baiern, der ganz dazu passen würde? Sie mögen sich nicht von dem Kaiser betrügen lassen, wie dieser den Papst betrogen hat. Herr, setzte er hinzu, gleich als sey er selbst über diese Offenherzigkeit erschrocken, es darf Niemand erfah- ren, daß ich dieß gesagt habe, ich bin der Verbündete des Kaisers. — In der That, fuhr er nach kurzer Pause fort, es wäre dem Kaiser ein Schimpf, wenn er Deutsch- land verlassen müßte, ohne diese Unruhen beigelegt zu ha- ben. Ich sehe, die Zeit ist da, wo entweder der Kaiser sich berühmt machen wird, oder der Chürfürst von Sachsen. Dahin war es gekommen, daß ein benachbarter geist- reicher Fürst die Aussicht auf Ruhm und Weltbedeutung, welche der Churfürst habe, mit der des Kaisers vergleichen konnte. Wir lassen uns davon nicht irren: es entgeht uns nicht, daß der König mit Gedanken dieser Art seinem dem Kaiser feindseligen Herzen schmeichelte. Aber so viel ist doch auch klar, daß die föderative Stellung, welche der alte Churfürst jetzt am Ende seiner Tage eingenommen, eine hohe Bedeutung in sich schloß. Hatte die erobernde Tendenz der schweizerischen Re- form bei dem Versuche, die gegenüberstehenden Feindselig- Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel . keiten zu brechen, unterliegen müssen, so war ein ähnliches Unglück bei der durchaus defensiven Haltung, die der Bund nahm, nicht zu besorgen. Selbst wenn der Kaiser den schwei- zerischen Glückswechsel benutzt und den großen Krieg begon- nen hätte, so wäre es ihm so leicht nicht geworden, wie Ferdinand vielleicht meinte, den Protestantismus zu unter- drücken, Herr in Deutschland zu werden. Allein überdieß waren Umstände eingetreten, die das auch an sich ganz unmöglich machten. Sechstes Capitel . Angriff der Osmanen. Erster Religionsfriede. 1531, 32. Das Schicksal hatte, wenn wir so sagen dürfen, dem Kaiser eine Zeitlang freie Hand gelassen, um die religiöse Irrung auf eine oder die andere Weise zu beseitigen. Er hatte zwei Jahre lang Friede gehabt. Ein auffallendes Schauspiel aber bietet diese Zeit dar. Diejenigen, welche mit Krieg und Verderben gedroht, sehn wir auseinandergehn, einen Jeden seine besonderen Ge- schäfte besorgen. Die Bedrohten dagegen halten ihre Gesichtspunkte unerschütterlich fest; und es gelingt ihnen eine religiös-po- litische Vereinigung von wahrhafter Energie zu gründen. Der Nachtheil, den die Reform in der Schweiz erleidet, muß ihrer Organisation in Deutschland zum Vortheil ge- reichen. Das ist nun aber einmal immer so, und namentlich bringt es die Natur deutscher Verhältnisse mit sich, daß die erkannte Nothwendigkeit gemeinschaftlicher Vertheidigung bei weitem besser vereinigt, als ein Plan des Angriffs. Sechstes Buch. Sechstes Capitel . Hier kam hinzu, daß die alten Irrungen in der ka- tholischen Partei noch nicht ganz beschwichtigt waren. Wir wissen, daß die Reichsstände keineswegs vollkommen mit dem Kaiser übereinstimmten; die gesandtschaftliche Cor- respondenz zeigt, daß auch nach allen andern Seiten hin Bezeigen und in Anspruch nehmen von Freundschaft durch geheime Feindseligkeiten unterbrochen ward. Vornehmlich ward jedes Unternehmen gegen die Pro- testanten durch die Gefahr unmöglich gemacht, welche von der östlichen Welt unaufhörlich drohte. Endlich erhob sich nun dieser mächtigste und gefähr- lichste Feind noch einmal in aller seiner Kraft. Sein letz- ter Versuch auf Wien hatte ihn eher angereizt als ab- geschreckt. Wir haben zugleich mit dem Kriege auch die Rück- wirkung, die er auf Deutschland hat, zu betrachten. War schon die Befürchtung den Protestanten förderlich gewesen, so läßt sich erwarten, daß ihnen der Ausbruch des Krie- ges noch viel mehr zu Statten kommen mußte. Aufbruch der Osmanen. Im Jahre 1530 war die Idee Ferdinands und so- gar des Kaisers, die ungarische Sache durch Vertrag mit der Pforte zu beendigen. Da Johann Zapolya sich rühmte, daß er derselben keinen Tribut zahle, so faßte man in Wien die Hoffnung, sie durch Erbieten einer Geldsumme für sich zu gewinnen. Man schmeichelte sich sogar, das ganze Ungarn, wie es König Wladislaw besessen, wieder zu bekommen. In diesem Sinn war der Auftrag abge- Unterhandlungen mit den Osmanen . faßt, mit dem Ferdinand bereits im Mai 1530 eine Bot- schaft nach Constantinopel schickte. Instruction an Lamberg und Jurischitz bei Gevay, Urkun- den und Actenstuͤcke Heft I. Von dem Kriege mit dem Woiwoden hoffte er in der That nichts mehr. Ein neuer Versuch auf Ofen war fehlgeschlagen. Die Ungarn beider Parteien zeigten sich der innern Fehde müde: ja sie hatten sogar einmal den Plan zur Wahl eines neuen, dritten Königs zu schreiten, den sie dann sämmtlich anerkennen würden. Ferdinand be- quemte sich zu einem Stillstand mit Zapolya. Seine Hoff- nungen waren nur auf Constantinopel gerichtet. Aber wie sehr sah er sich da getäuscht! Man wußte in Constantinopel sehr gut, daß in Deutschland, Italien und Spanien unaufhörlich von einer allgemeinen Unternehmung gegen die Türken die Rede war, daß der Papst und das Reich Geld dazu bewilligten, der Kaiser den Ruhm seines Namens durch einen solchen Feldzug zu verherrlichen dachte. Allein man wußte auch, daß die bewilligten Gelder entweder nicht eingingen, oder doch nicht zu ihrem Zweck verwendet werden konnten, daß die Christenheit, allen Friedensschlüssen zum Trotz, doch voll geheimer oder offener Entzweiungen war, und spottete der Drohung, daß sie einmal ihre Kräfte gegen die Osmanen vereinigen werde. „Der König der Spa- nier habe sich das Stirnband der kaiserlichen Krone um- gelegt; aber was wolle das sagen? Gehorche man ihm darum wohl mehr? Kaiser sey wer sein Reich mit dem Schwert erweitere.“ Als die Gesandten mit jenen Anträ- Ranke d. Gesch. III. 26 Sechstes Buch. Sechstes Capitel . gen hervortraten, verfärbte sich der Großwesir Ibrahim und widerrieth ihnen, sie dem Sultan auch nur vorzulegen. Denn gar nicht dem Janusch Kral, wie er den König-Woi- woden nannte, gehöre Ungarn, sondern dem Sultan, der eben darum auch keinen Tribut ziehe, sondern vielmehr je- nem seinem Knecht und Verweser Beihülfe gebe. Der Sultan habe Ungarn mit dem Schwert, mit seinem und sei- ner Kriegsleute Schweiß und Blut, zweimal erobert und es gehöre ihm von Rechtswegen. Ja auch Wien und alles was Ferdinand in Deutschland besitze gehöre ihm, nachdem er diese Länder in Person heimgesucht und seine Jagd daselbst gehalten habe. Carl V drohe die Tür- ken anzugreifen; er solle nicht weit zu gehn brauchen, man bereite sich vor, ihm entgegenzukommen. Bericht der beiden Gesandten, und die Briefe Suleimans und Ibrahims bei Gevay ibid. „Ich bin der Sultan“ hieß es unter anderm in dem Schreiben, das Suleiman den Gesandten mitgab „der große Kaiser, der höchste und vortrefflichste, ich habe mir die griechische Krone unterworfen, das weiße und das schwarze Meer; — mit Gottes Hülfe und meiner Arbeit, nach der Weise mei- nes Vaters und Großvaters mit meiner Person und mei- nem Schwert habe ich auch das Reich und den König von Ungarn an mich gebracht.“ Dem östreichischen Antrag be- gegnete er mit der viel ernstlicher gemeinten Forderung, daß Ferdinand alle die Festungen herauszugeben habe, die er in einem Theil von Ungarn noch besitze. Aus dem Schreiben Suleimans ib. p. 91. Schade daß das mehr ein Auszug ist, so wie auch Nr. VII, als eine Uebersetzung. Suleiman lebte und webte in dem Gedanken, Constan- Unterhandlungen mit den Osmanen . tinopel noch einmal zur Hauptstadt der Welt zu machen; er nannte Carl V nur König von Spanien; den Titel eines Kaisers nahm er, den der Orient den Chalifen von Rum nannte, allein in Anspruch und war entschlossen, demselben seine ganze Bedeutung zurückzugeben. Aus einem Schreiben Ferdinands vom 17. März 1531 sieht man, welch einen gewaltigen Eindruck die wider- wärtige Antwort, die seine Gesandten ihm zurückbrach- ten, auf ihn machte. Er stellt seinem Bruder darin vor, wie es gegen alle Vernunft und Ehre streite, ein Reich wie Ungarn, so groß und edel und fruchtbar, und so viele unschuldige Seelen, alles Bilder des lebendigen Got- tes, in die Hände des türkischen Tyrannen gelangen zu lassen. Aber man öffne demselben überdies damit zugleich ganz Europa. Der Sultan werde auf der einen Seite Böhmen und Mähren, auf der andern Inneröstreich und Istrien in Be- sitz nehmen; von Signa habe er nicht weit nach der Mark Ancona und nach Neapel. Bei Gevay I, p. 99. Umgearbeitet erscheint dasselbe Gut- achten noch einmal im zweiten Heft. In einem folgenden Briefe beschwört er den Kaiser, deshalb, weil das Anrücken der Osmanen noch zweifelhaft sey, nicht etwa die Vorbereitung zum Widerstand gegen sie aufzuschieben. „Denn die Gefahr ist groß, sagt er, die Zeit kurz, und meine Macht geringfügig oder null und nichtig.“ 27 Maͤrz. V ea V. M d si es razon ni cordura, de estar assi desapercebidos y desunidos, alla defensa necessaria debaxo desta sombra de operation dudosa, cerca de lo qual suplico a V. M o quiera mirar y tener proveydo lo que convenga, porque el peligro es muy grande y el tiempo breve, y mi pusanza muy poca o ninguna. (Br. A.) 26* Sechstes Buch. Sechstes Capitel . So wie man sah, daß es mit der Absicht des Sul- tans Ernst sey, daß er wirklich daran denke, entweder so- gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut- schen Grenze einzuschlagen, mußte dieß der Gesichtspunkt werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrschte. Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten Jahrhunderts, als die Ungarn zuerst ihre Sitze eingenom- men, und von da plündernd und zerstörend in das Abend- land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor- geschritten, bei weitem besser gerüstet, aber auch der Feind war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher. Ueberlegte man nun aber, wie demselben zu begeg- nen sey, so stellte sich die Entzweiung von Deutsch- land als die vornehmste Schwierigkeit vor Augen. Die Hülfe des Reichs, sagt Ferdinand in seinem ersten Schrei- ben, wird nur langsam erscheinen. Man muß für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers, selbst wenn sie die Noth- wendigkeit der Hülfe einsehn und geneigt sind, sie zu lei- sten, doch damit an sich halten, weil sie fürchten, daß, wenn man die Türken besiegt hat, und der Frieden mit Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf- fen gegen sie richten wird; sie denken, das Kriegsvolk werde sich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver- gossenen Blute begnügen, sondern noch Andere aufsuchen, um seine Lust zu büßen. Wir wissen schon, wie viel die Rathschläge Ferdinands bei Carl V vermochten. Sie entspringen immer aus dem Moment: sie sind gut begründet und haben das Gepräge der Entschlossenheit und Raschheit. Jetzt trug Ferdinand Erste Annaͤherung an die Protestanten . kein Bedenken, seinem Bruder ein friedliche Abkunft mit den Protestanten anzurathen, so fern solche ohne Verlet- zung der wesentlichen Punkte des katholischen Glaubens möglich sey. Man müsse ihren Eifer austoben lassen, der sich nur um so mehr entzünde, je mehr man Wasser dazu gieße. Auf einem Reichstag müsse man sie zu ge- winnen suchen. Sie werden gerne Hülfe gegen die Tür- ken leisten, sobald sie sich in dem gesichert sehn, was „ihre eitlen Glaubensmeinungen“ angeht. Assentandose esto avria mas disposition y menos ym- pedimento para resistir al Turco assi in los principes como en las otras personas; a lo qual ajudaran de mejor gana, estando as- securados dello que toca a sus vanas creencias. (Prima 27 Marzo.) Schon im Februar 1531 war, wie das in Deutsch- land zu geschehen pflegte, sobald irgend eine Entzweiung eine drohende Gestalt annahm, durch Pfalz und Mainz eine Vermittelung bei dem Kaiser versucht worden; da aber die Protestanten als eine Vorbedingung zu allen Verhand- lungen wenigstens eine einstweilige Einstellung der kammer- gerichtlichen Processe forderten, so war man nicht weiter gekommen. Der Kaiser meinte es sey ihm schwer, etwas aufzuthun, was von den Ständen des Reichs beschlossen worden. Instruction was wir beide Ludwig Graf zu Stolberg und Wolf von Affenstein, Ritter, bei Ks. Mt. handeln sollen. Dienstag nach Estomihi (23. Fbr.) — Ferner: Summarische Aufzeichnung, was wir beide bei Ks. Mt. gehandelt haben — (Weim. A.) Nunmehr aber drang auch Ferdinand darauf. Am 27 April sandte er dem Kaiser ein Gutachten der Kriegs- räthe über die Vertheidigung gegen die Türken. Um aber indeß die Gefahr zu heben, welche aus den Verbindungen Sechstes Buch. Sechstes Capitel . und Practiken der Lutheraner entspringe, rieth er ihm jenes Zugeständniß nicht länger zu verzögern. Indem nun der Kaiser den Reichstag nach Regensburg ausschrieb, wies er in der That seinen Fiscal an, „mit den Processen, zu dem ihn der augsburgische Abschied in der Re- ligionssache ermächtigt habe, bis auf den nächsten Reichs- tag inne zu halten.“ „Aus trefflichen redlichen Ursachen gebieten wir dir mit Ernst, daß du mit solchem Procediren, so du laut unseres augsburgischen Abschiedes des Artikels der Religion halb Gewalt hast, zwischen hier und dem naͤchstkommenden Reichstag gaͤnzlich stillstehest.“ Copie bei einem Schreiben des Churfuͤrsten von Mainz 25. Juli. Wenigstens konnte man nun un- terhandeln, und es war Aussicht da, die Kräfte des Reichs im dringenden Fall noch einmal zu vereinigen. Noch lag sie jedoch sehr im Weiten. Dem Urheber der Annäherung, dem König Ferdinand, wäre es zuweilen noch lieber gewesen, wenn er eine Abkunft mit den Türken, auch unter ungünstigen Bedingungen, hätte treffen können. In den Tagen, in welchen die schweizerischen Er- eignisse seinen Religionseifer und Ehrgeiz gegen die Neugläu- bigen so lebhaft erweckt hatten, entschloß er sich zu den größ- ten Concessionen in Bezug auf Ungarn. In einer In- struction vom 5 November 1531 wies er die Gesandt- schaft, die er nach Constantinopel abordnete, fürs Erste allerdings an, jede Abtretung in Ungarn abzulehnen; — für den Fall aber, daß der Sultan unter dieser Bedingung keinen Anstand bewilligen wolle, ermächtigte er sie doch wirklich auch darauf einzugehn. Sie sollten nur wenig- stens die Schlösser retten, die der deutschen Grenze zu- nächst liegen; — oder doch die Summe sich ausbedingen, Vergebliche Erbietungen . welche der Woiwode früher angeboten. Würde aber auch dies nicht zu erlangen seyn, der Sultan Gemüth und Hals stärken, und auf eine freie Ueberlassung aller Schlösser an den Woiwoden dringen, so sollten sie Vollmacht ha- ben, selbst darin einzuwilligen; nur unter dem Vorbehalt, daß so diese Schlösser, wie das ganze Königreich, nach dem Tode des Woiwoden an Ferdinand gelangen sollen. Instructio de iis, quae — Leonardus Comes de Nogaro- lis et Josephus a Lamberg — apud ser mum Turcarum imperatorem nomine nostro agere debent bei Gevay II (1531). Sicubi vero de hac quoque conditione fuerit desperatum, videlicet quod Turcus gratuito et sine pecunia castra illa omnia Waywodae reddi vo- luerit, tum demum sic fortuna volente fiat per eosdem oratores nostros de iis omnibus promissio. So weit ließ sich Ferdinand herbei. Auf eine so weit aussehende Bedingung hin, wie der Tod des Nebenbuhlers war, wollte er alles herausgeben, was ihm in Ungarn noch gehörte. So hoch schlug er den türkischen Frieden an. Er wünschte, daß auch der Papst und sein Bruder in den Stillstand aufgenommen würden; sollte sein Bru- der ihn brechen, so solle das eben so viel seyn, als wenn er ihn selbst breche. Wirklich erinnerte ihn Carl V nichts unversucht zu lassen, um es zu einem Vertrag mit den Türken zu bringen. Allein schon waren alle diese Erbietungen vergebens. Ehe noch ein Gesandter an die osmanische Grenze ge- kommen, lief die gewisse Nachricht von den großartigsten Rüstungen des Sultans zu Land und zur See ein. Am 26. April 1532 erhob sich Suleiman in der That zu dem entscheidenden Feldzug wider den mächtigsten Feind, den er Sechstes Buch. Sechstes Capitel . noch auf Erden hatte, den Kaiser Carl, in dem sich, so weit dieß noch möglich, die Kraft des Abendlandes darstellte. Ein Venezianischer Chronist hat uns eine Beschreibung dieses Auszugs hinterlassen, die noch an den Pomp der ältesten orientalischen Herrscher erinnert. Avviso venuto di Ragusi di un nuovo esercito messo da Solimano per ritornar una secunda volta alla citta di Vienna l’anno nuovo 1532 in der Chronica Ven. welche Guazzo benutzt, aber doch sehr frei. Hundertundzwanzig Stücke Geschütz eröffneten ihn; dann folgten 8000 Janitscharen, denen man das Vergnügen ansah, das es ihnen machte, gegen die Deutschen geführt zu werden; marchiando con gran solazzo verso Vienna. hinter denen trugen Schaaren von Cameelen ein unermeßliches Gepäck. Hierauf kamen die Sipahi der Pforte, 2000 Pferde stark; ihnen war die heilige Fahne anvertraut, der Adler des Propheten, die schon bei der Eroberung von Rhodus geweht, mit Edelsteinen und Per- len auf das reichste geschmückt. An diese schlossen sich die jungen Knaben an, die eben als ein Tribut der unter- worfenen christlichen Bevölkerung ausgehoben worden, und an der Pforte ihre Erziehung bekamen; in Goldstoff ge- kleidet, mit langen Locken wie die Frauen, rothe Hüte mit weißen Federbüschen auf dem Kopf, alle mit gleichen, auf die Weise von Damascus künstlich gearbeiteten Lan- zen. Hinter denen ward die Krone des Sultans getragen, die vor Kurzem ein Sanuto von S. Canzian zu Venedig für 120000 Ducaten nach Constantinopel gebracht hatte. Dann erblickte man das unmittelbare Hofgesinde des Sul- tans, tausend Männer, die schönsten Leute die man hatte finden können, von gigantischer Gestalt; die Einen hat- Aufbruch der Osmanen . ten Jagdhunde an Leitriemen, die Andern führten Fal- ken zur Vogelbaize; alle waren mit Bogen bewaffnet. In deren Mitte nun ritt Suleiman in goldverbrämtem carmo- sinen Gewand, mit schneeweißem edelsteinbesetzten Turban; Dolch und Schwert an seiner Seite, auf kastanienbraunem Roß. Dem Sultan folgten die vier Wesire, unter denen man Ibrahim bemerkte, der sich obersten Rathgeber des Sul- tans nannte, Befehlshaber des ganzen Reichs desselben und aller seiner Sklaven und Baronen; und diesen dann die übrigen Herren des Hofes mit ihren Dienern. Der An- blick drückte Zucht und Gehorsam aus; ohne Geräusch, in stiller Ordnung bewegte der Zug sich vorwärts. So erhob sich die hohe Pforte von ihrem Sitz, um das Kaiserthum der Welt an sich zu bringen. Von allen Seiten eilten die bewaffneten Schaaren des Reichs ihr zu. Man berechnete das Heer, als es im Juni die Grenze von Ungarn überschritt, auf dritthalbhundertausend Mann. Da waren endlich auch jene Gesandten in dem Lager eingetroffen. Aber wie hätten jetzt noch Unterhandlungen den daherfluthenden Strom aufhalten können? Ich finde nicht, daß sich die Gesandten sehr genau an ihre Instruction gehalten hätten. Aber so weit gin- gen sie wirklich, daß sie sowohl dem Sultan als dem Wesir eine jährliche Zahlung für denjenigen Theil von Un- garn versprachen, der noch in Ferdinands Händen sey. Auf den Wesir machten sie damit allerdings einigen Eindruck; der Sultan wies aber auch dies Erbieten von sich. Denn wer wolle ihm dafür gut sagen, daß nicht, während er mit Ferdinand Frieden habe, der Bruder desselben, der Kö- Sechstes Buch. Sechstes Capitel . nig von Spanien, ihn angreife. Diesen aber, der sich seit drei Jahren großer Dinge wieder rühme, wolle er aufsu- chen. „Wenn der König von Spanien Muth hat, so er- warte er mich im offenen Felde. Mit Gottes Gnade ziehe ich wider ihn. Es wird geschehn, was Gott gefällt!“ Die Gesandten wurden gefragt, wie lang man brauche, um nach Regensburg zu kommen: sie antworteten, man reite einen Monat, wenn man den kürzesten Weg nehme. Die Osmanen zeigten sich entschlossen, den weiten Weg zu machen. Eben in Regensburg nemlich waren indessen die Stände des Reichs zu dem lange verschobenen Reichstag zusam- mengekommen; am 17. April hatte man die Verhandlun- gen eröffnet. Der Kaiser wünschte die ihm in Augsburg bewilligte Hülfe noch zu steigern. Es war ein Gutachten der Kriegs- räthe eingegangen, nach welchem 90000 Mann, wobei 20000 M. leichte Reiterei, erforderlich waren. Zu Fuß forderten sie 32000 M. mit langen Spießen, 10000 mit kurzer Wehr, 8000 gute Schuͤtzen, 500 Halbhaken und ein paar tausend Mann, um das Feldgeschuͤtz zu bedienen. Dieß berechneten sie auf 118 Stuͤck. 34 Falconen, 32 Falconet, 12 Schlangen, 8 Rothschlangen, 8 Singerin, 8 Carthaunen, 8 Scharfwetzen, 8 Moͤr- ser. Gutachten der Kriegsraͤthe. Ueber die ersten Verhandlungen des Reichstags enthaͤlt das Berliner Archiv die Briefe von Barfuß, wo wir sehn, daß die Eroͤffnung desselben schon am 17. April geschah. Der Kai- ser wünschte nun, von dem Reiche 60000 M. zu erhal- ten; dann versprach er auf eigne Kosten 30000 M. ins Feld zu stellen. Es wäre aber ganz gegen das Herkom- men des Reiches gewesen, eine frühere Bewilligung noch zu erhöhen. Darauf war keine Gesandtschaft angewiesen. Reichstag zu Regensburg . Auch die schon bewilligte Hülfe, 40000 M. zu Fuß, 8000 M. zu Pferde war größer als jemals eine andere. Am 28. Mai erklärte sich der Kaiser damit zufrieden, und drang nur darauf, daß die Mannschaften so rasch und vollstän- dig wie möglich aufgebracht würden. Zum Sammelplatz ward nicht, wie Anfangs der Plan gewesen, Regensburg, sondern dem Feinde näher, Wien bestimmt; am 15. Aug. sollte alles Volk daselbst zusammentreffen. Zum ersten Mal trat hierbei die Kreisverfassung in einer wahren und be- merkenswerthen Thätigkeit auf. Noch während des Reichs- tags wurden Kreistage berufen, Hauptleute ernannt, und mit Gehalt versehen; die Rüstungen allmählig in Gang gebracht. Worauf nun aber bei der Ausführung dieser Be- schlüsse alles ankam, das waren die Unterhandlungen mit den Protestanten. Was ihre Weigerung zu bedeuten habe, sah man so- gleich, als der Kaiser sein eigenes Heer ins Feld zu bringen Anstalt machte. Es mangelte ihm vor allem an Geschütz und Pulver und er mußte sich entschließen, die Städte Straßburg, Augsburg, Ulm, Nürnberg, Costnitz, Frankfurt anzugehn, ihm dabei mit dem ihrigen zu Hülfe zu kommen. Das waren sämmtlich Protestanten. Fuͤrstenberg an Frankfurt 7. Juni. Aber auch die katholischen Stände machten den Kai- ser aufmerksam, daß man des innern Friedens sicher seyn müsse, um den äußeren Krieg zu führen. Ja man darf wohl sagen, daß die religiöse Entzweiung der Deutschen unter den Beweggründen Suleimans zu sei- Sechstes Buch. Sechstes Capitel . nem Unternehmen nicht der letzte war. Als die Gesandten in dem türkischen Lager viel davon sprachen, daß der Kai- ser sich des Gehorsams und der Liebe seiner Unterthanen erfreue, fragte man sie, ob er Friede mit Martin Luther gemacht habe. Die Gesandten entgegneten, es geschehe wohl zuweilen, daß in der Christenheit eine Irrung entstehe, doch verhindere dieß nicht die gemeine Wohlfahrt: solch ein Friede werde sich bald schließen lassen. Bericht der Gesandten p. 31. Das mußte man nun eben sehen. Wenden auch wir unsere Aufmerksamkeit diesen Unterhandlungen zu, welche für uns, so wichtig und dringend auch der Moment ist, doch noch eine andere darüber hinausreichende Bedeutung haben. Verhandlungen zu Nürnberg. Als man im Sommer 1531 die Unterhandlungen er- öffnete, dachte man sie katholischer Seits da wieder aufzu- nehmen, wo sie in Augsburg abgebrochen worden waren. Aber es zeigte sich sogleich der ganze Unterschied der Verhältnisse. Die Protestanten baten jetzt nicht mehr, sie wurden gebeten. Sie erklärten, auf einen Vergleich in der Religion zu denken, scheine ihnen jetzt nicht mehr rathsam; sie seyen entschlossen, an ihrer Protestation und Confession festzuhalten; vor einem christlichen Concilium würden sie davon weiteren Bescheid geben. Denken Chf. FF. und Staͤnde, wo der eußerlich Krieg stat- lichen sol volnbracht werden, daß zuvor die hohe Notdurft erfordern wolle, anheym den Frieden zu halten, damit ein yder wiss, wie er neben dem andern sitz. — — — daß auch in allen andern Artikeln vermoͤg E. K. M. Ausschreybens daneben furgeschritten, gehandelt, — einer mit dem andern beschlossen werde. Differenzpunkte in der prot. Unterhandl . Auch auf alle andern Anträge hatten sie eine entspre- chende Antwort bereit. Man muthete ihnen an, die Geistlichen „des Ihren“ nicht weiter zu entsetzen. Sie entgegneten, sollte den Bi- schöfen ihre Jurisdiction verbleiben, — denn diese haupt- sächlich verstand man unter dem Ihren, — so würden die- selben ein Schwert in der Hand behalten, um damit die Lehre jederzeit auszurotten. Ferner erneuerte der Kaiser die Forderung, daß in den protestantischen Ländern die Ausübung des alten Ri- tus, namentlich der Communion unter Einer Gestalt ge- stattet werde. Der sächsische Canzler Brück erwiederte, daß dann auch in dem ganzen Reiche beide Gestalten erlaubt seyn müßten: erst das werde ein Frieden zu nennen seyn, wenn man sich in den beiden wichtigsten Sacramen- ten in der ganzen Nation gleichförmig halten dürfe. Endlich gedachte man auch der Wahl: der mainzische Canzler Türk äußerte die Ansicht, daß die protestantische Partei durch ihre Opposition in dieser Sache wohl nur die Religionsangelegenheit zu fördern gedenke. Dr. Brück versetzte, er müsse ihm sagen, man habe diesseit der Reli- gion halber keinerlei Furcht; sie sey zu tief in das Volk gedrungen; Jedermann wisse Recht oder Unrecht zu unter- scheiden. Die Meinung der Protestanten gehe ernstlich dahin, daß der König die Sache entweder zum rechtlichen Austrag kommen lassen, oder zufrieden seyn möge über die zu herrschen, welche ihn gewählt. Dr. Brucken Bericht, was er mit Dr. Tuͤrken in Bitterfeld Sechstes Buch. Sechstes Capitel . Das sind die wichtigsten Punkte dieser Unterhandlun- gen, welche in mehr als Einem Archiv dicke Actenstöße anfüllen. In Weimar, Cassel, Magdeburg, Wien. (Vergl. Bucholz Bd. IX. Erhard Ueberlieferungen Bd. I. ) Unaufhörlich correspondirten der Churfürst von der Pfalz mit dem Landgrafen, der Churfürst von Mainz mit dem Churfürsten von Sachsen; diese beiden unterein- ander und mit ihren Bundesgenossen. Zuweilen trafen kaiserliche Bevollmächtigte in Weimar ein; der Churfürst von Mainz nahm auf seinen Reisen zwischen Halle und Aschaffenburg Gelegenheit, mit einem oder dem andern ein- flußreichen sächsischen Beamten zu sprechen; dann kamen die Canzler in Bitterfeld zusammen, und faßten neue Vor- schläge ab, die sie nach Brüssel überbringen ließen. Der Kaiser erblaßte, wenn ihm diese widerwärtige Sache wie- der einmal vorgetragen werden mußte, doch entzog er sich ihr nicht, holte seines Bruders Rath ein, ermäßigte oder bestätigte seine Anträge. So lange nun nicht alle Möglichkeit einer Abkunft mit den Osmanen verschwunden war, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Sachen doch nicht fortschreiten wollten. In Schweinfurt, wo in den ersten Monaten des Jahres 1532 die Conferenzen gehalten wurden, kam man im Grunde keinen Schritt vorwärts; die Vermittler hiel- ten für das Beste die Sache der Wahl ganz und gar fal- len zu lassen. Auch in Nürnberg, wohin man die Ver- handlungen verlegte um dem Kaiser näher zu seyn, erneuer- gehandelt. Mittwoch in den Weihnachtsfeiertagen; 27. Dzr. 1531. Eine zweite Zusammenkunft war Donnerstag nach Purificationis; 5. Fbr., woruͤber sich im Weim. Arch. ein aͤhnlicher Bericht findet. Verhandlungen zu Nuͤrnberg . ten die Vermittler anfangs nur die alten Vorschläge, und zwar noch etwas eingeschränkt. Endliche Mittel und Fuͤrschlaͤg, worauf Kais. Mt. uf d’ Schweinfurtischen Handlung empfangenen Bericht — — zu handeln befohlen. Montag nach Bonifacii 10. Juni. Es ist ein Irrthum in den meisten Ausgaben lutherischer Werke, (z. B. Walch XVII, p. 2202) daß sie zu Schweinfurt eingegeben seyn. Darauf antworteten nun die Protestanten am 12. Juni. — Art. 1 vermißten sie die Worte, „die so sich kuͤnftiger Zeit in der Lehre ihrer gethanen Confession und Apologia einlassen, deren sie sich aus christlicher Pflicht anzunehmen schuldig erkennen.“ Art. 2 fehlen beim Concilium die Worte: „daß es allein nach Gottes reinem Wort determiniren solle“; so geht das fort; und man sieht, daß sie keineswegs nachgaben. Am 18. Juni baten sie vielmehr, „daß in den aͤußerlichen Sachen, so Gottes Wort und die Gewissen nit belangen, uf einen gemeinen bestaͤndigen Landfrieden ge- handelt, und derselbe ufgericht mocht werden.“ Diese Wendung der Dinge wird noch ausdruͤcklich durch ein Schreiben Johann Friedrichs an den Grafen von Nuenar, Sonntag nach Jacobi 30. Juli 32 be- staͤtigt, worin er sich beklagt, daß er nun schon in die achte Woche zu Nuͤrnberg liege; und dann die Verhandlungen berichtet. „Ist von den zwei Churfuͤrsten Ks. Mt. Gemuͤt so weytleuftigk eingebracht, das nichts Nutzliches darauf hat gehandelt mugen werden, dan wyr an unsern Teyl so vil Beschwerungen darynnen vermerket, das wir myt Got und gutem Gewissen dyselbigen Artikel nicht haben handeln koͤnnen. Deßhalben man letzlichen von den Artikeln, die zur Eynigkeit dynstlyck syn solten, da man sich dergestalt vergleychen sollte, ganz abgestanden, und davon geredet, wie eyn gemeyner Fried im Reych aufgericht solt werden.“ (Weim. Arch.) Erst als die sichere Kunde einlief, daß der Sultan nicht abzuhalten sey, daß er stärker als jemals vorrücke, begann man sich einander ernstlich zu nähern. Nicht als ob man daran gedacht hätte, zu einer voll- ständigen Ausgleichung zu gelangen. Die Protestanten wünschten nichts als die Stellung, die sie eingenommen, wenigstens vorläufig von dem Kaiser anerkannt zu sehn. Sie forderten die Verkündigung eines allgemeinen Friedens Sechstes Buch. Sechstes Capitel . und die Einhaltung der Processe am Kammergericht, durch die sie sich bedrängt fühlten. Allein auch schon dieß zeigte sich unendlich schwer zu erreichen. Die Vermittler hatten aufs neue den Ausdruck ge- braucht, „Niemand solle den Andern des Seinen entsetzen;“ kein Wunder, wenn die Protestanten widersprachen. Es war abermals nur von dem Frieden unter den Ständen die Rede; die Protestanten forderten, daß der Friede „zwi- schen J. Kais. Maj., auch allen Ständen der deutschen Na- tion“ verkündigt würde. Eine andere Weiterung machte die Bezeichnung des Conciliums. Die Protestanten hatten vorgeschlagen, ein Concilium, worin nach dem reinen Wort Gottes determi- nirt würde. Man fand eine solche Bezeichnung verfänglich und nicht katholisch. Indem man aber dafür schrieb, „ein gemeines freies Concilium, wie solches auf dem Reichstag von Nürnberg beschlossen worden ist,“ konnten die Prote- stanten sich leicht zufrieden geben, da sie immer auf jenen alten Beschlüssen verharrt waren. Noch viel größer aber war die Schwierigkeit, die nun in Hinsicht der Processe entstand. Der Gedanke, die Protestanten rechtlich anzugreifen, gehörte bei weitem mehr der Majorität an als dem Kai- ser. Das Gericht selbst war, wie wir wissen, ein ständi- sches Institut. Wir erinnern uns, wie viel Mühe es ge- kostet hatte, den Einfluß des kaiserlichen Hofes darauf zu beschränken. In dem zu Augsburg beschlossenen und schon in vollem Gange begriffenen Verfahren des Gerichtes ge- Zugestaͤndniß des Kaisers . gen die Protestanten, sah die katholische Partei ihre vor- nehmste Waffe. Und noch fortwährend beharrte sie darauf, so sehr sie auch zuweilen die Nothwendigkeit des Friedens hervorhob. In dem Entwurf eines Abschieds, den sie dem Kaiser am 10. Juli vorlegte, lautet ein Artikel darauf, daß es in Sachen der Religion nach dem Augsburger Ab- schiede gehalten werden müsse, wie überhaupt, so besonders am Kammergericht. Schreiben von Planitz an Taubenheim; am 11. Juli. Auch der päpstliche Legat weigerte sich zu einer Inhibition des kaiserlichen Fiscals in Glau- benssachen seine Beistimmung zu geben. Wir sehen, in welche Verlegenheit der Kaiser hiedurch gerieth. Um den Türken zu widerstehen, war die Ruhe im Reich schlechterdings nothwendig. Aber die einzige Bedin- gung, welche die Protestanten des Friedens versichern konnte, schlugen ihm die Katholischen ab. Erklaͤrung des Kaisers mitgetheilt von Planitz nach Sach- sen, Donnerstag nach Joannis Baptistaͤ (27. Juni). „Und nachdem die gemelten Staͤnde fuͤr gut ansehen, zu unterlassen alle weitere Mittel und Handlung des Friedens und verharren auf dem Abschiede von Augsburg, begert J. Mt. mit sonderem Fleiß an die gemelten Staͤnde, sie wollen bedenken, was hernach des Glaubens halber ge- folgt sey.“ Endlich entschloß man sich am kaiserlichen Hofe zu der Auskunft, in dem öffentlichen Erlaß nur den Frieden zu verkündigen, über den Stillstand der Processe aber den Protestanten eine abgesonderte Versicherung zu geben. Auch diese fiel nicht ganz so vollständig aus wie die Protestan- ten wünschten. Sie hatten die Erklärung gefordert, daß der Kaiser weder durch seinen Fiscal, noch durch sein Kam- mergericht, noch an andern Gerichtsstühlen, und zwar weder Ranke d. Gesch. III. 27 Sechstes Buch. Sechstes Capitel . von Amtswegen, noch auf Jemandes Ansuchen gegen Sach- sen und dessen Mitgewandte procediren lassen solle. Der Kaiser war zur Annahme so vieler ausdrücklichen Clauseln nicht zu bringen. Er versprach nur, daß er alle Rechtferti- gungen in Sachen des Glaubens, „durch J. Mt. Fis- cal und Andre“ Nur den Zusatz „Und Andere“ ließ er sich abgewinnen. In dem urspruͤnglichen Entwurfe war nur von J. Mt. Fiscal die Rede. Die Unterhandlung schwankte bis auf den Tag des Abschlus- ses, Dienstag nach Mariaͤ Magdalenaͤ. wider den Churfürsten von Sachsen und dessen Zugewandte bis zum Concilium einstellen wolle. Diese Zusage verletzte die Majorität nicht geradezu, ließ sich aber doch auch nach dem Sinne der Protestanten ausle- gen, und erfüllte ihre vornehmste Forderung. Dagegen hatten nun aber auch diese sich zu einem großen Schritte der Nachgiebigkeit, der schon in jenen Worten begriffen ist, entschlossen. Ihre ursprüngliche Mei- nung war gewesen, daß die Versicherungen, die ihnen ge- schähen, auch allen Denen zu Gute kommen sollten, die noch in Zukunft zu ihrer Confession treten würden; ja sie hatten die Freiheit der Predigt und des Abendmahls nach ihrem Ritus auch für die Unterthanen fremder Gebiete ge- fordert. Das ließ sich nun aber hinwiederum bei dem Kai- ser nicht erreichen. Darin, daß man den Protestantismus durch den Vertrag doch auch wieder beschränke, lag das vornehmste Motiv, durch welches er den Widerspruch des Legaten beseitigen konnte. Granvella hob hervor das inconvenient irremediable, sans quelque traité pour (?) infecter le reste de la chretienté; comme l’experience l’a evidemment demontré. Bucholz IX, p. 32. Und war namentlich die zweite Forderung nicht im Ganzen dieselbe, welche die Bürger- Zugestaͤndniß der Protestanten . städte der Schweiz aufgestellt, — die dort den Krieg veran- laßte, der zu einem so unglückseligen Ausgang führte? Luther selbst sprach aus, es könne von den Gegnern nicht zuge- standen werden: oder dürfe man hoffen, daß Herzog Georg das Evangelium in Leipzig freigebe? — unmöglich; — würde man doch auch diesseit den benachbarten Fürsten keinen Eingriff in die innern Landes-Angelegenheiten gestatten! Luther war, wie man sieht, mit der Territorialmacht der Fürsten wahrhaft verbündet. Aber auch sein Begriff vom Reiche verhinderte ihn, jene Forderung gutzuheißen. Er sagt, es sey als wolle man sich diesseit das Kaiserthum anmaaßen; das heißt wohl, als nehme man einen über die Vertheidigung hinausgehenden Einfluß auf die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Anspruch. Vielmehr fühlte er sich in seiner Seele getröstet, daß „der Kaiser, die höchste von Gott geordnete Obrigkeit sich so gnädiglich erbiete, und so milden freien Befehl gebe, Friede zu ma- chen.“ „Ich achte es nicht anders, als biete uns Gott seine Hand.“ Daß man damit dem Evangelium seinen weiteren Lauf hemme, machte ihm wenig Sorge: er meinte, „ein Jeder müsse auf seine Gefahr glauben,“ d. i. sein Glaube müsse so stark seyn, daß er in der Gefahr aushalte. Bedenken von Luther und Justus Jonas. De Wette IV, 339. In einem etwas spaͤtern Bedenken fuͤhrt er seinen Fuͤrsten im Verhaͤltniß zu ihren Nachbarn den Grundsatz zu Gemuͤthe: quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris. Ganz dieser Meinung war nun auch Churfürst Johann: sie entsprach der nur defensiven Haltung, welche er von Anfang an genom- men: seine Gesinnung war eine vollkommene innere Rechtfer- tigung Bedürfniß. Durch die glänzende Ausbreitung des 27* Sechstes Buch. Sechstes Capitel . Bündnisses, an dessen Spitze er stand, ließ er sich doch nicht hinreißen, über die Grundsätze hinauszugehn, auf denen es ur- sprünglich beruhte. Auch er meinte wie Luther, daß man nicht um der vielleicht künftig einmal Hinzutretenden willen, das ge- genwärtige Gut, das höchste irdische, den Frieden aufgeben müsse. Und so ließ er geschehn, nicht, daß in den Vertrag eine beschränkende Clausel aufgenommen würde, — durch ein Versprechen band er sich nicht für die Zukunft, — sondern nur daß ausschließlich diejenigen Stände in demselben ein- begriffen wurden, die zum Bunde gehörten, auch Mark- graf Georg und Nürnberg, alle die Fürsten und Städte, die wir bereits kennen, zu denen jetzt noch Nordhausen und Hamburg gekommen waren. Der Landgraf von Hes- sen, der die entgegengesetzte Meinung hegte, war anfangs nicht zufrieden, doch trat er später hinzu. Gutachten seiner Theologen bei Neudecker Urkk. 199. Man darf es wohl als eine besondere Gunst der Vor- sehung betrachten, daß der alte Churfürst von Sachsen diese Tage des Friedens noch erlebte. Wir sahen oben, welch großes Verdienst sich dieser einfache Mann um die Grün- dung der evangelischen Kirche erworben hat. Er genoß nun eines hohen Ansehens im Reiche. Selbst ein Mitglied des kaiserlichen Hofes, Graf von Nuenar, bezeichnet ihn als „den einigen Vater des deutschen Vaterlandes in gött- lichen und menschlichen Dingen.“ Wilh. von Nuenar an Johann Friedrich 11. Juni. (W. A.) „Dann wir haben leyder keynen mynschen, den wir fuͤr ein vater des duytschen vaterlandes in gotlichen und menschlichen Sachen ach- ten mogen, denn alleyn U. F. G. Herr Vater und U. F. G. wir wol- len widder mit gotlicher Huͤlfe um U. F. G. stan. etc. Doch war sein reichs- Tod Johann des Bestaͤndigen . fürstliches Gemüth nicht befriedigt, so lange er sich noch im Widerspruch mit seinem Kaiser befand. Es gehörte zur Vollendung seines Schicksals, daß auch der wieder sein Freund wurde, daß er auch in Beziehung auf die höchste Gewalt im Reiche den Boden der anerkannten Legalität wieder gewann, von dem man ihn hatte verdrängen wol- len; für die Fortdauer der religiösen Stiftung, die von ihm ausgegangen, war dadurch ein neuer großer Schritt geschehn. Im August erschienen sowohl die öffentlichen Erklärungen als die private Versicherung des Kaisers. Kurz darauf, nachdem der Churfürst sich noch einmal mit seinen beiden Töchtern und der geflüchteten Churfürstin von Brandenburg auf der Jagd vergnügt — er kam sehr hei- ter zurück — überraschte ihn ein plötzlicher Tod am Schlag- fluß. „Wer nur auf Gott vertrauen kann,“ sagt Luther in seiner Grabschrift, „der bleibt ein unverdorben Mann.“ Indem nun aber der Kaiser, von der Nothwendigkeit gedrängt, sich entschloß, den Protestanten Concessionen zu machen, die von der Majorität nicht ausgegangen waren noch gebilligt wurden, veränderte sich seine ganze Stellung. Was er in Augsburg versucht hatte, mit der Majorität zu regieren, gab er jetzt auf. Aber auch die Majorität sah, daß sie an ihm den Schutz nicht fand, den sie erwar- tete; sie setzte ihm auf dem Reichstag von Regensburg ei- nen Widerspruch entgegen, wie er noch nie erfahren. Die Stände machten dem Kaiser tadelnde Vorstellungen über seine ganze Regierungsweise, die Verzögerung der Geschäfte, die Anstellung von Fremden, selbst in der Kanzlei, die Rück- stände seines Antheils an der Besoldung des Kammerge- Sechstes Buch. Sechstes Capitel . richts, sein eigenmächtiges Verfahren gegen Würtemberg, Maastricht, das er wirklich wieder von Brabant trennen, und in seine Libertäten herstellen mußte, so wie gegen Utrecht. Schreiben von Fuͤrstenberg 8. Juli. Auf einen Vorwurf dieser Art antwortete der Kaiser, die Erinnerung sey ganz „onzeitig und onbesonnen, und wie J. Mt. achten moͤge nit mit Fuͤrwissen al- ler Stende beschehen, alles mit spitzigen und scharpfen Worten.“ Fuͤrstenberg findet die Vorwuͤrfe sehr wahr, doch hat er kein Gefal- len daran, weil man den Kaiser leicht erzuͤrnen koͤnne, der doch Weib und Kind verlassen habe, um die Reichsgeschaͤfte zu verwalten. Er durfte nicht allein jene Versicherung zu Gun- sten der Protestanten nicht publiciren, sondern in offenem Widerspruch mit derselben war er genöthigt, die Beschlüsse zu bestätigen, die bei der so eben beendigten Visitation des Kammergerichts gefaßt worden waren, worin die Ausfüh- rung des Augsburger Abschieds neuerdings geboten ward. Ja schon ließ man in der Ferne eine Möglichkeit der Ver- einigung der beiden Religionsparteien gegeu ihn erscheinen. Wenn man in dem Reichsabschied liest, daß die Stände leb- haft auf das Concilium gedrungen, so macht das einen so großen Eindruck nicht. Erwägt man aber die Worte näher und kennt man ihren Ursprung, so hatte das eine große Be- deutung. Schon im Sommer 1531 nemlich hatte sich Baiern und Hessen hiezu vereinigt; auf einer Zusammenkunft, welche Landgraf Philipp mit Dr. Leonhard von Eck zu Gießen hielt, war beschlossen worden, wenn der Papst das Concilium noch länger verzögere den Kaiser anzugehn, es aus eigner Macht zu berufen: würde es aber auch der Kaiser aus einem oder dem andern Grunde unterlassen, so solle eine Ständever- sammlung berufen werden, um sowohl von der Einigkeit in der Religion als von der Abstellung anderer Gebrechen Reichsabschied . zu verhandeln. Correspondenz im Weim. Arch. Auszuͤge daraus im Arti- kel der Uebereinkunft von Gießen und Anhang. Es fällt in die Augen, daß die Oppo- sition gegen den Kaiser dazu gehörte, um zwei Oberhäup- ter der entgegengesetzten Parteien zu diesem Beschluß zu ver- einigen; aber merkwürdig ist immer, daß es geschah. In der That, es war nicht des Kaisers guter Wille, daß er in dem Reichsabschied zu Regensburg versprach, wenn das allgemeine Concilium nicht binnen sechs Monaten von dem Papst ausgeschrieben, und binnen einem Jahr nicht wirk- lich gehalten werde, eine Reichsversammlung zu berufen, wo über die gemeine Nothdurft deutscher Nation berath- schlagt und Mittel zu ihrer Abhülfe gesucht werden sollten. Er fühlte sehr wohl, daß dieser Beschluß ihm aufgedrun- gen war und höchst gefährlich werden konnte. Auch hat er acht Jahre lang vermieden, wieder einen Reichstag zu berufen, aus Besorgniß, daß derselbe sich als Nationalver- sammlung constituiren und im Widerspruch mit ihm religiöse Beschlüsse fassen würde. Erklaͤrung des Kaisers an den Papst im J. 1539. Rai- naldus XXI, 104, rempesse periculi plenam, alia indicere comitia, perpensa maxime sanctione ordinum imperii, — ut Op. Clemens de convocando concilio rogaretur; quo non convocato Caesar illud convocaret, — ac si huic muneri is deesset ut concilium natio- nale cogerent. So sah es nun in diesem Augenblick in Deutschland aus. Die beiden religiösen Parteien standen einander nicht nur feindselig gegenüber, sondern in ihrer Mitte selbst waren neue Entzweiungen ausgebrochen. Die katholische Majorität war mißvergnügt über den Kaiser: der Landgraf von Hessen wechselte in diesen Tagen anzügliche, ja beleidigende Briefe Sechstes Buch. Sechstes Capitel . mit dem Churprinzen Johann Friedrich von Sachsen, der nach dem Tode seines Vaters nun selbst an dessen Stelle trat. Ein ganzes Convolut dieser Briefe findet sich copirt im W. A. Hessen und Baiern waren dagegen in ein näheres politisches Verhältniß getreten; allein wohin konnte dieß führen, da der Gegensatz der religiösen Tendenzen gerade zwischen diesen Fürsten am stärksten war. Der Kaiser und Sachsen hatten eine Abkunft getroffen: es läßt sich aber schon voraussehn, welche Schwierigkeiten die Ausführung derselben haben mußte. Der Kaiser selbst erschien nicht mehr, wie noch zuletzt in Augsburg, in der Fülle der Kraft, wie die jugendlichen Jahre, in denen er noch stand, es mit sich zu bringen schie- nen; den ganzen Sommer über war er leidend. Eine Ver- letzung am Bein, die er sich durch einen Sturz auf der Wolfsjagd zugezogen, nahm eine so gefährliche Wendung, daß man meinte, man werde ihm den Schenkel ablösen müssen, und ihm einst in der Nacht bereits die Sacramente gab. Das Uebel hatte sich später durch unzeitige Theil- nahme an einer Procession, vielleicht auch durch Excesse anderer Art wieder erneuert; während des Reichstags suchte er in dem Bade von Abach Heilung und war zuweilen selbst für seinen Bruder unzugänglich. Als die Stände ihn auf- suchten, um ihm die Bewilligung der Türkenhülfe anzukün- digen, fanden sie ihn in seiner Schlafkammer, auf einer ungepolsterten Bank sitzen, ohne allen Schmuck, mit einem Maienreis in der Hand, womit er sich die Fliegen ab- wehrte, „in seinem Leibröcklein,“ sagt der Frankfurter Ge- Feldzug gegen die Osmanen 1532. sandte, „so demüthiglich, daß der geringste Diener nicht so gebaren konnte.“ Fuͤrstenberg, Dienstag nach Pfingsten und in andern Brie- fen. Ferdinand an Maria 3. April 1532. Gevay II, 74. Feldzug gegen die Osmanen. Und dieser körperlich so schwache Kaiser, dieß durch so tiefeingreifende Zwistigkeiten gespaltene Reich waren es nun, die der gewaltige Fürst der Osmanen an der Spitze seiner unzählbaren Kriegsbande überzog. Wie ganz anders nahm dieser sich aus! Als die Gesandten Ferdinands un- fern Belgrad bei ihm Audienz haben sollten, zogen sie erst weit und breit durch das Lager so der Fußvölker wie der Reisigen, die auf das prächtigste herausgeputzt waren, dann durch die Reihen der Janitscharen, die ihnen ziemlich über- müthig begegneten, bis sie, in der Nähe des kaiserlichen Gezeltes von Heerpaukern und Trommetern empfangen, endlich daselbst eintraten, und nun den Herrn in sei- ner Pracht erblickten, sitzend auf einem goldnen Thron, neben sich eine kostbare Krone, vor sich an den Säulen oder Stollen des Throns zwei prächtige Säbel in perlen- besetzten Scheiden, reichgeschmückte Köcher und Handbogen. Die Gesandten schätzten den Schmuck, den sie sahen, auf 1,200,000 Ducaten. Am 20. Juli ging das türkische Heer auf 12 Schiffbrücken in der Gegend von Essek über die Drau. Suleiman zog Ungarn aufwärts, als in seinem eignen Gebiet. Die Schlösser, die er vorüberkam, schick- ten ihm ihre Schlüssel entgegen. Er bestrafte die Magna- ten, die etwa von Zapolya abgefallen. Seine Ankunft Sechstes Buch. Sechstes Capitel . machte auch auf die Uebrigen großen Eindruck, und Viele von Denen, die bis jetzt zu Ferdinand gehalten und sich verlassen sahen, wurden irre. Denn erst jetzt fing man in Deutschland ernstlich an sich zu rüsten. Die Ersten, welche im Feld erschienen, noch ehe man mit den Unterhandlungen zu Ende gekommen, waren die Nürnberger. Sie hätten nur ein Fähnlein zu stellen ge- habt; allein „dem Kaiser zu Ehren und gemeiner Christen- heit zum Besten,“ hatten sie deren zwei gerüstet; zusammen 800 Mann; bei denen 200 M. mit Handröhren und 50 M. mit Halbhacken waren. Indeß ließen sie, mit einigen ihrer Nachbarn zusammen, im Braunschweigischen eine Schaar von 100 Reitern werben, bei denen wir einen Kamp, ei- nen Bürsberg, zwei Münchhausen finden, die bei ihrer Ankunft in der Stadt gastlich empfangen, mit Bier und Wein und Haber verehrt, am 21. Aug. unter Sebastian von Jessen und Martin Pfinzing ihren Weg gegen den Feind nahmen. Ueberdieß gab Nürnberg dem Kaiser 15 Stück grobes Geschütz, 175 Centner Pulver, 1000 Fuß- knechtspieße, 200 Harnische für die Trabanten, und einen großen Vorrath von Mehl. Muͤllners Annales: „dieß alles ist zu Besetzung und Ver- proviantirung der Stadt Wien angesehn worden.“ Man sieht was eine einzige Stadt leistete. Und alle andern wetteiferten mit Nürnberg. Der kaiserliche Abgeordnete, welcher der Stadt Ulm die Aufforderung zur Rüstung gebracht, war noch nicht wie- der nach seiner Herberge zurück, als er schon die Trommel rühren hörte, um das geforderte Volk zu werben. Augs- Ruͤstungen in den Kreisen . burg erklärte sich auf der Stelle bereit, sein Geschütz nach Wien abgehen zu lassen. Aus einem Schreiben des Frank- furter Gesandten sehen wir, daß die feste Haltung, die der Kaiser der Majorität gegenüber genommen, auf die Städte den größten Eindruck machte. Es erwindet fuͤrwahr nicht an Ks. Mt. und wird J. Mt. gnedig Gemuͤth und Herz auch von den Staͤdten dermaaßen gespuͤrt, daß sie J. Mt. mehr als ihre gebuͤhrliche Huͤlfe senden. Einen Augenblick warfen die Protestanten die Frage auf, ob es für sie nicht rathsam sey, sich zusammenzuhalten und unter Einem Hauptmann zu stehn; allein bald wies man diesen Gedanken von sich; es hätte darin eine neue Trennung gelegen: man unterwarf sich der Ordnung der Kreise. Allenthalben wurden die Kreistage gehalten. Es ward ein Hauptmann ernannt, dem jeder Stand im Kreise ein Verzeichniß der Leute überlieferte, die er stellen wollte; der denn darauf sah, daß sie vollständig waren. Der Stand wies sie an, dem ernannten Haupt- mann gehorsam zu seyn. Dieser hatte das Recht, die Aem- ter mit den tüchtigsten Leuten des Kreises zu besetzen. Es ward bestimmt, von wem er seine Besoldung empfangen, wie diese dann hinwiederum den Zahlenden zu Gute kom- men sollte. Verhandlungen des oberrheinischen Kreistags, wo Philipp von Ohun ernannt ward, in den frankfurter Acten. In dem niedersächsischen Kreise konnte man es, ohne Zweifel der täglich überhandnehmenden religiösen Irrungen wegen, nicht zur einmüthigen Wahl eines Haupt- manns bringen; der Kaiser ernannte, kraft seines in die- sem Fall eintretenden Rechtes, den jungen Markgrafen Joa- chim von Brandenburg. Anfang August war das ganze Reich in kriegerischer Bewegung. Täglich sehen wir, schreibt Sechstes Buch. Sechstes Capitel . der Cardinal Campeggi am 8ten, hier in Regensburg die schönsten Compagnien zu Pferd und zu Fuß durchziehen: sie gehen mit großem Muth zu ihrer Unternehmung und zweifeln nicht an dem Siege. Auch der Kaiser war voll guten Muthes. Er machte die Bemerkung, daß er bei die- sem Krieg nur gewinne, möchte er nun siegen oder unter- liegen. Sollte er unterliegen, so werde er doch einen gu- ten Namen auf der Welt zurücklassen und in das Para- dies eingehen; sollte er aber siegen, so werde er nicht al- lein ein Verdienst bei Gott erwerben, sondern vielleicht das Kaiserthum bis an seine alten Grenzen wieder ausdehnen; auf Erden glorreich leben, der Nachwelt einen großen Na- men hinterlassen. Niccolo Tiepolo Relatione di 1533: il che diceva sem- pre, che si vedeva non solamente pronto a questa impresa ma quasi arder di desiderio che li venisse occasione di sorte che potesse honestamente esponere la persona sua a tal fortuna. Er schien nichts sehnlicher zu wünschen, als diesen Gegner persönlich zu bestehn. Indessen war es bereits in Ungarn zu einer überaus ruhmwürdigen, ja fast wunderbaren Waffenthatgekommen. Wir kennen schon den Namen des Niklas Jurischitz, des einen von den beiden Gesandten König Ferdinands an den Sultan 1530, 31. Als damals alle Unterhandlun- gen vergeblich waren, sagten die Gesandten, sie sähen wohl, Ungarn solle der Kirchhof der Türken und Christen werden. Jurischitz schien jetzt dieses Wort selbst bewähren zu wol- len. Er war eben im Begriff Stadt und Schloß Günz, wo er die Stelle eines Hauptmanns bekleidete, einem Stell- vertreter zu überlassen, und mit einer kleinen Reiterschaar, Jurischitz in Guͤnz . zehn schweren, zwanzig leichten Pferden, seinem König zu- zuziehen, als die Türken in die Nähe kamen und der Ort sich mit Schaaren von Flüchtlingen anfüllte. Da beschloß auch er zu bleiben, so viele Unglückliche wenigstens eine Zeit- lang zu vertheidigen, den großen Zug ein paar Tage auf- zuhalten. Denn den Feind wirklich abwehren zu können, traute er sich nicht zu; ich hatte meine Sache, sagt er, in ge- wissen Tod gestellt. Hierauf erschienen die Türken mit al- ler ihrer Macht und begannen die Belagerung auf ge- wohnte Weise, pflanzten ihr Geschütz auf den nächsten An- höhen auf, gruben Minen, und suchten durch die Bre- schen einzudringen. Jurischitz hatte keine andern Soldaten als jene 30 Reiter; die übrigen waren alle Einwohner des Ortes oder zusammengelaufene Bauern; es mochten ihrer siebenhundert seyn. Aber eilfmal schlugen sie den Sturm der Türken ab, sie leisteten den beherzten Widerstand, welchen allein der Entschluß, sich bis zum Tode zu vertheidigen, einflößen kann; zuletzt aber war, wie natürlich, doch alles vergebens. Die Türken hatten zwei große Schütten von Reisig bis zur Höhe der Mauer aufgeworfen; auf der ei- nen pflanzten sie ihr Hauptgeschütz auf, das nun die Mauer beherrschte, und unter dessen Schutze von der andern ein breiter Weg nach der Mauer geführt werden konnte. Den so vorbereiteten Sturm liefen am 28sten August Janit- scharen und Reisige an; wie hätte ihrer Ueberzahl, bei die- sem Vortheil, Widerstand geleistet werden können. Bald waren die Vertheidiger in einen letzten Verhau zurückge- drängt, wo sie sich noch mit sinkenden Kräften schlugen; schon weheten die türkischen Banner an acht Stellen auf Sechstes Buch. Sechstes Capitel . der Mauer; Jurischitz erwartete nur den Tod: ich freue mich, sagte er, daß mir die Gnade Gottes ein so ehren- volles Ende bestimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch rettete. Jene wehrlosen Flüchtlinge, Weiber, Greise und Kinder, sahen sich nun doch der Wuth des entsetzlichen barbarischen Feindes preisgegeben. Indem er auf sie ein- drang, stießen sie ein Geschrei aus, in dem sich das Anru- fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermischte, jenes durchdringende Geschrei, wie es die Natur aus dem lebendigen Geschöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es sich von dem unabwendbaren Verderben bedroht sieht. Kann man dieß ein Gebet nennen, so ward nie ein Gebet un- mittelbarer erhört. Die siegreichen Osmanen erschraken vor der Verzweiflung. Längst war ihnen der Widerstand, den sie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten sie, aus dem Schlosse, aus jedem Hause frische Mannschaften vordringen zu sehen, sie glaubten in den Lüften einen Rit- ter in seinem Harnisch zu erblicken, der ihnen mit gezück- tem Schwerte drohe. So wichen sie zurück. „Der allmäch- tige Gott,“ ruft Jurischitz aus, „hat uns sichtbarlich gerettet.“ Schreiben von Jurischitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer- ner was Jovius aus seinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se- pulveda X, 17—23. Ein Ereigniß, welches an die Delphischen Götter ge- mahnen könnte, die sich dem Einbruch der Gallier in Grie- chenland entgegenstellten; an die Erscheinung, die dem Dru- sus mitten in Deutschland zurief: „Bis hieher und nicht weiter;“ an andere Wendungen des Geschicks, welche die Meinung der Menschen in dem Moment ihres Geschehens mit einer höhern Waltung, wie sie dieselbe nun auch auf- Das Heer des Kaisers . fassen mochte, in Verbindung gebracht hat: — jedoch wir wollen so weit nicht gehn; genug, daß selbstvergessene Ta- pferkeit und vollkommene Hingebung auch hier einen gro- ßen Erfolg nach sich zogen. Suleiman entschloß sich, dem wackern Feinde, der sich allerdings keine Stunde länger hätte wehren können, eine Schutzwache zu geben und vorüberzuziehen. Aber indessen hatte nun der Kaiser Zeit gehabt, seine Streitkräfte zu sammeln. Er selbst hatte 12000 Lands- knechte geworben und in der Gegend von Augsburg mu- stern lassen. Spanische Granden waren eingetroffen, um unter den Augen ihres Königs im Kriege gegen die Un- gläubigen Ruhm zu erwerben. Der Herzog von Ferrara hatte 100 italienische Huomini d’armi gesendet. Andere Italiener führte der junge Hippolyt Medici, Neffe Papst Clemens VII. Die Erblande König Ferdinands hatten ihr Bestes gethan, und kein Mittel war versäumt worden, Geld herbeizuschaffen; selbst an einzelne niederländische Große, an devote, reiche Frauen, denn eine bessere Anwendung könne Niemand von seinem Reichthum machen, hatte er sich ge- wendet. Schreiben Ferdinands an Maria. Gevay II, 83. Doch den Kern des Heeres bildeten ihm im- mer die Mannschaften des Reiches. Auf dem Tulnerfeld in der Nähe von Wien geschah die große Versammlung. Die Gesammtzahl der Truppen läßt sich nicht genau be- stimmen, die glaubwürdigsten Angaben schwanken zwischen 76000 und 86000 Mann. Darin aber kommen alle über- ein, daß es das schönste Heer war, das man seit Jahr- hunderten in der Christenheit gesehn hatte. Es vereinigte die Elemente, welche in Italien die großen Siege davon Sechstes Buch. Sechstes Capitel . getragen, deutsche Kraft und Ordnung, italienische Beweg- lichkeit, und die beharrliche Verschlagenheit der Spanier. Doch war der deutsche Bestandtheil bei weitem überwiegend. Suleiman war in der Erwartung ausgezogen, daß die Entzweiungen der Christenheit, namentlich die deutschen, dem Kaiser die Hände binden, ihm jeden großartigen Wi- derstand unmöglich machen würden. Da er ein so zahl- reiches, trefflich gerüstetes Heer sich gegenüber sah, hatte er nicht den Muth, wie er sich so oft vermessen, es im Felde aufzusuchen. Indem er nun seine Akindschi, an Zahl 15000, — leichte Truppen unter einem Anführer, auf dessen Helme man Geierflügel erblickte, Flüchtigkeit und Raub zu bezeichnen, — nach Oestreich schickte, wandte er sich selbst nach Steier- mark und erschien vor Gräz. Wahrhaftige Beschreibung des andern Zuges in Oestreich. Aus einem alten Nuͤrnberger Druck von 1539 in Goͤbels Beitraͤgen p. 309. Die Schrift ist aus dem Briefwechsel des Pfalzgrafen ge- zogen. Aber die Akindschi wur- den von einem Haufen der Deutschen einem andern in die Hände gejagt, und fast völlig vernichtet; Gräz leistete Wi- derstand; und indessen mögen auch von der See her, wo Doria in den ionischen Gewässern über Zai-begh offenbar die Oberhand hatte, ungünstige Nachrichten eingelaufen seyn. Suleiman glaubte die glücklichen Gestirne seines Nebenbuh- lers zu erkennen, und entschloß sich, dem gefährlichen Kam- pfe durch raschen Rückzug auszuweichen. Schaͤrtlins Lebensbeschreibung p. 35. Hammer III, p. 118. Der Kaiser hätte, wie wir wissen, dem Feind zwar eine Schlacht zu liefern gewünscht; ein entschiedener Sieg Ruͤckzug Suleimans . hätte seinem Bruder Ungarn wieder verschaffen können. Aber auch schon mit dem geringern Erfolg war er zufrie- den. Gottes Gnade hat uns, schrieb er dem Papst, die Ehre und das Glück verliehen, daß wir den gemeinschaft- lichen Feind der Christenheit zur Flucht genöthigt, und das Unglück verhütet haben, was er uns zuzufügen im Sinne hatte. Bei Sandoval II. Auch fühlte er wohl, daß man nicht blos einen Vortheil für den Augenblick davon getragen. Es war ein Gewinn auf immer, daß die Furcht vor den Kriegsrüstungen der Deutschen, der Eindruck ihrer Ueberle- genheit, dem Sultan den Kampf verleidet, ihn zum Rück- zug bewog. Und indessen hatte auch Doria dem Kaiser glänzende Vortheile erfochten. Er hatte das osmanische Geschwader aus dem ionischen Meere verjagt, bis nach Cerigo verfolgt, und dann rasch hinter einander Coron, Patras und die Dardanellen von Morea erobert. Gewaltige Kanonen mit arabischen Inschriften wurden nach Genua gebracht, und in der Capelle der Doria am Molo aufgestellt. Jovius lib. XXXI. Historia del Guazzo, p. 124. Bei weitem minder zufrieden war König Ferdinand. Seine Hoffnung war wirklich gewesen im Sturm des Sieges ganz Ungarn wieder einzunehmen, Belgrad nicht ausgeschlos- sen. Allein die Truppen glaubten schon genug gethan zu haben, daß sie den Feind von der deutschen Grenze entfernt hatten. Die Kriegshauptleute zogen ihre Instructionen hervor, in denen von einer Eroberung Ungarns nicht die Rede war. Der oberste Feldhauptmann, Pfalzgraf Fried- Ranke d. Gesch. III. 28 Sechstes Buch. Sechstes Capitel . rich, weigerte sich vorzurücken. Das machte hauptsächlich, daß Ferdinand durch den Eifer für das Papstthum, den er bewies, die Gunst der Nation wieder verloren hatte: sie wollte keine Eroberungen für ihn machen. Sie wollte ihn lieber schwächer als stärker sehn, wie sich das sogleich weiter an den Tag legte. Siebentes Capitel . Einwirkung von Frankreich, Restauration von Wirtemberg 1533, 34. Es hatte geschienen, als werde die lateinische Chri- stenheit, unter Kaiser und Papst vereinigt, sich auf die von ihr Abgewichenen stürzen, um sie zu vernichten. Statt dessen sah sich das eine ihrer Oberhäupter ge- nöthigt, um den Anfall einer entgegengesetzten Weltmacht, der doch zunächst ihm und seinem Hause galt, abzuweh- ren, mit den Protestanten in Vertrag zu treten, und ihnen einstweilige Sicherheit zuzugestehen. Die positive Conces- sion war nicht das Einzige, was diese hiebei gewannen; einen nicht mindern Vortheil gewährte es ihnen, daß sie sich der großen nationalen Unternehmung zugesellt, zu der glücklichen Vertheidigung des Vaterlandes so viel wie ir- gend Jemand sonst beigetragen hatten. Aber indessen waren nun in jener Welt, welche sie bedroht, die inneren Feindseligkeiten, deren Regung wir er- wähnten, noch einmal ausgebrochen. König Franz wäre durch die Verträge allerdings ver- pflichtet gewesen, dem Hause Oestreich gegen die Türken 28* Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Hülfe zu leisten. Aber es widerstrebte seinem Stolze, dieß auf eine Weise zu thun, wie der Kaiser gewünscht hätte. Franz I erbot sich, die Türken in Egypten anzugreifen. Aber die Kaiserlichen meinten, sein Zweck sey wohl nur, sich unter diesem Vorwand zu rüsten und dann Genua und Neapel anzufallen: und alles zerschlug sich. Schreiben des A. de Burgo an Ferdinand. Rom 2. Maͤrz 1531 bei Bucholz IX, p. 90. Wir wissen, wie heftig er jene Anträge auf einen ge- meinschaftlichen Krieg gegen die Schweiz zurückwies. Auch in Hinsicht des Conciliums gab er nur eine ausweichende Erklärung. Ihm lag bei weitem mehr an der Gunst des Papstes, der es vermeiden wollte, als an der Freundschaft des Kaisers, der es wünschte. Gregorio Casali au Grand Maistre bei Le Grand Histoire è divorce III, 542. 5. Maggio 1531. Questa corte fin adesso è stata in gran timore del concilio, hora sono alquanto assecurati, si per le ultime lettere del’ imperatore, che sono state meno fu- riose delle altre, si anche per quello si spera in voi altri. Denn keinen Augenblick war seine Meinung, die Ab- tretungen, zu denen er sich in Cambray hatte verstehen müssen, namentlich die Verzichtleistung auf Genua und Mailand, als definitiv zu betrachten. Er sah diese Herr- schaften als sein gutes Eigenthum an, dessen er seine Kin- der gar nicht einmal habe berauben dürfen. Er fühlte seine Ehre gekränkt, so oft er daran dachte, daß er sie ver- loren hatte. Um sie aber wieder zu erwerben, schien ihm eine neue Verbindung mit dem Papst das einzige Mittel. Schon zeigten sich von Tag zu Tage neue Differen- zen zwischen Papst und Kaiser. Differ. zwisch. Clemens VII u. Carl V 1531, 32. In Rom war man unglücklich, daß der Kaiser so eifrig auf das Concilium drang. Man hat ihm wohl einmal vorgestellt, daß er Geld vom Papst fordere, und demselben doch zugleich die Mittel entreiße, dessen aufzu- bringen. Kein Mensch wollte sich verstehn auf die kirch- lichen Einkünfte etwas darzuleihen, deren Reduction man von dem Concilium erwartete. Ueberdieß fühlte sich Cle- mens VII gekränkt, daß man auf seine Empfehlungen we- nig achtete, bei den Verleihungen vacanter Pfründen auf seinen Neffen Hippolyt nicht die Rücksicht nahm, auf die er gerechnet, daß man in Neapel dem Cardinal Colonna freie Hand ließ, der ein geschworener Feind des römischen Hofes war. Was nun aber den alten Widerwillen am meisten erweckte, das war der Ausspruch des Kaisers in der Sache von Ferrara. Der Kaiser soll dem Papst zugesagt haben, wenn er sehe, daß das Recht nicht auf Seiten Sr. Heiligkeit sey, einen Ausspruch überhaupt nicht zu thun. Nichts desto minder entschied er nun zu Gunsten von Fer- rara. Dieß, sagt ein Vertrauter des Papstes, hat das Herz Sr. Heiligkeit verwundet. „Wollte Gott“, ruft der Geschäftsträger des Königs Ferdinand aus, „der Kaiser hätte diesen Spruch nicht gethan;“ er will bemerken, daß sich die kaiserliche Partei bei Hofe und im Collegium deshalb vermindere. A. de Burgo 8. Juni 1531. a. a. O. p. 99. Dagegen schlug nun der König von Frankreich dem Papst die ehrenvollste Verbindung vor, die je einem päpst- lichen Hause angetragen worden. Einen seiner Söhne, Hein- rich Herzog von Orleans, der eine nicht allzu entfernte Aussicht auf den französischen Thron hatte, wie er ihn Sechstes Buch. Siebentes Capitel . denn wirklich bestiegen hat, bot er der Nichte des Papstes, Catharina Medici, zum Gemahl an. Wie viel das dem Papst werth war, sieht man aus dem Vertrage, der am 9. Juni 1531 hierüber abgeschlos- sen worden ist. Der König hatte nicht wenig gefordert: vor allem die Bildung eines Fürstenthums für das künftige Ehe- paar, bestehend aus Pisa und Livorno, Reggio, Modena, Rubiera, Parma und Piacenza; damit sollte denn auch Urbino, das dem Vater Catharinas eine Zeitlang ge- hört hatte, ja selbst Mailand und Genua vereinigt wer- den. Der Papst sollte seine Hülfe zur Wiedereroberung dieser Landschaften versprechen. Articles secrets zu dem Heirathsvertrag, unterzeichnet wie dieser am 24. April. Unter andern ward gefordert Ayde et se- cours audit futur epoux pour lui ayder à recouvrer l’etat et du- ché de Milan et la seigneurie de Gennes, qui luy appartiennent. Der Papst ging nun hierauf in der That ein. In Gegenwart der französischen Gesandten, Cardinal Gram- mont und Herzog von Albany, erklärte er sich bereit, nach- dem die Vermählung vollzogen worden, Pisa, Livorno, Modena, Reggio und Rubiera dem jungen Ehepaar zu übergeben, sobald als er und der König es thunlich und nützlich erachten würden, auch Parma und Piacenza, wofür jedoch der König der Kirche einen Ersatz gewähren müsse, über den ihre beiderseitigen Commissare sich zu einigen hät- ten; er zeigte sich sehr willig, zur Wiedereroberung von Urbino das Seine beizutragen. Nur über Mailand und Genua sprach er sich nicht bestimmt aus. Aber er er- klärte doch, daß er die geheimen Artikel, in denen diese Verbindung zwischen Clemens u. Franz I. Forderung vorkam, überhaupt billig und recht finde, und ihre Ausführung wünsche, sobald sich nur eine gute Ge- legenheit dazu zeige. N re St. père ayant veu les articles secrets les a trou- vés et trouve très raisonnable. — Artikel und Erklaͤrung fand ich in der K. Bibl. z. Paris. MS. Bethune 8541. f. 36. Man sieht, welch ein enges gemeinschaftliches Inter- esse sich hiedurch zwischen König und Papst für die Um- gestaltung Italiens bildete, wie sehr dieß aber mit dem Prinzip und Vortheil des Kaisers in Widerspruch stand. Es versteht sich, daß der Papst seine Verabredungen mit Frankreich so geheim wie möglich hielt. Im August 1531 wagte er einmal den östreichi- schen Bevollmächtigten zu sagen, er halte es für schlech- terdings nothwendig, etwas zur Befriedigung des Königs von Frankreich zu thun: er sehe wohl, der Kaiser werde dem König Mailand und Genua niemals abtreten, aber könne man ihm nicht wenigstens Hoffnung dazu machen, ohne es ihm wirklich zu geben? Burgo 11. August. a. a. O. 101. Aber der Eindruck, den selbst ein solcher Vorschlag machte, war wohl sehr ungünstig. Wenigstens sagte der Papst den französischen Gesandten hierauf, er sehe sich in der Nothwendigkeit, seine gute Gesinnung noch zu verheimlichen, um Aufschub zu bitten. An seiner Gesinnung brauchten darum die Franzosen keinen Augenblick zu zweifeln. Im Vertrauen gestand er zu wiederholten Malen ein, der Kaiser habe in dem letzten Tractate seinen Vortheil zu weit getrieben, es sey zu wünschen, daß er dem König dessen Eigenthum zurückgebe. Der Gesandte hielt sich im März 1532 über- Sechstes Buch. Siebentes Capitel . zeugt, des Papstes wahrhafter Wunsch sey, daß der König in Mailand, der Kaiser in Neapel herrsche; dann werde er glauben, in der Mitte von beiden etwas zu vermögen. Depesches de l’eveque d’Auxerre Ambassadeur pour le r. François I près le Pape Clement 11. Spt., 28. Octbr., 4. Jan., 20. März. Bibl. Royale. MS. Dupuis nr. 260. Man erwartet in diesen Jahren Pläne gar nicht mehr, wie die, zu denen den Papst alle dieß Hin- und Herüber- legen seines Vortheils, diese Hinneigung zu Frankreich, die er doch zu verheimlichen suchte, am Ende geführt hat. Im Mai 1532 ließ er dem König Ferdinand den Vorschlag machen, Ungarn, wie er es noch besitze, dem Woiwoden zu überlassen, und sich dafür in Italien und zwar im Venezianischen zu entschädigen. Wie ganz vergessen hatte er doch die Lehre, die Andere aus dem Kriege der Ligue von Cambray gezogen. Der Woiwode, den er, obwohl geheim vor dem Richterstuhl des Gewissens, von jenen Censuren befreit hatte, die er einst, den östreichischen Brü- dern zu Gunsten, ausgesprochen, sollte sich jetzt mit densel- ben wider Venedig verbinden. Auch der König von Frank- reich sollte das thun. Dafür sollte er den größten Theil von Mailand und einen Theil von Piemont bekommen. Franz Sforza sollte zum Herzog von Cremona gemacht und mit einem aus Mailändischen und Venezianischen Besitz- thümern gebildeten Gebiete befriedigt werden. In der That, ganz ein Anschlag im Sinne seiner letzten politisch so unruhigen Vorfahren. Auf das sonderbarste hatte sich der Wunsch verhüllt, den König von Frankreich noch ein- mal in Italien mächtig zu sehen. Andreas de Burgo an den Cl. v. Trient 23. Mai 1532, sehr ausfuͤhrlich; vgl. die Schreiben vom 29. Aug. u. 14. Septbr. Zusammenkunft in Bologna 1532. Wirklich hat man darüber unterhandelt; den Bevoll- mächtigten Ferdinands und wahrscheinlich auch ihm selbst kam die Sache nicht so ganz unannehmbar vor; aber in- deß näherte sich der Anfall der Osmanen; alle Aufmerk- samkeit mußte auf die Abwehr derselben gewendet werden, und indeß waren die Umstände verändert. Auf der Stelle erschien auch der Kaiser selber wieder in Italien. Es mag wahr seyn, was man behauptet, daß Man- gel an hinreichenden Geldmitteln ihn bewog, das große Heer wieder aufzulösen, und seinen Bruder nur mit unzu- reichenden Kräften zurückzulassen: ein anderes Motiv lag aber ohne Zweifel darin, daß persönliche Unterhandlungen mit dem Papst noch einmal sehr dringend geworden wa- ren. Am 5. Dezember traf er zu einer neuen Zusammen- kunft mit demselben in Bologna ein. Vor allem mußte hier die Sache des Conciliums vor- genommen werden. Der Kaiser täuschte sich darüber nicht, daß der Papst es zu vermeiden wünsche. Schon am 29. Juli 1531 schrieb er dieß seinem Bruder. Plus va l’on avant, plus l’on appercoit que le pape n’y (fuͤr das Concil) a voulenté et que le roy de France luy ne veult de- plaire, pensant par ce moyen le tenir gaigné. (A. z. Bruͤssel.) Aber er mochte hoffen, seine persönliche Gegenwart, erneuerte Vorstellun- gen über die Lage der Dinge in Deutschland, namentlich die Gefahren einer Nationalversammlung, würden dem Papst doch etwas abgewinnen. Unverzüglich begannen die Conferenzen; der Papst bildete eine Congregation dafür, die aus den Cardinälen Farnese, Cesis, Campeggi, und je- Sechstes Buch. Siebentes Capitel . nem Erzbischof von Brindisi, Aleander bestand; Consisto- rien wurden darüber gehalten. Die Frage war, ob man das Concilium definitiv berufen, oder erst den Versuch ma- chen wolle, die noch obschwebenden Feindseligkeiten zwi- schen den christlichen Fürsten beizulegen. Denn mit die- sen Zwistigkeiten pflegte der Papst seine Verzögerung zu entschuldigen. In dem ersten Consistorium erklärten sich in der That die Cardinäle für unverzügliche Berufung; denn zu weit aussehend sey der Versuch jener Versöhnung. Der Papst verschob die Beschlußnahme bis auf die nächste Sitzung. In dieser, am 20. Dezember, fiel dann die Ent- scheidung im Sinne des Papstes aus. Die Stimmenmehr- heit erklärte, daß vor der Versöhnung das Concilium nicht gehalten, ja sogar keine gemeinschaftliche Maaßregel ge- gen die Türken oder gegen die Lutheraner genommen wer- den könne. Diese Nachrichten finden sich freilich nicht bei Pallavicini, allein sie sind authentisch. Ich entnahm sie aus dem Schreiben des franzoͤsischen Gesandten, Bischof von Auxerre, 24. Dez. 1532. Sire, au premier consistoire, on partie des Cardinaux opina, qu’il fal- loit pourvoir de faire ung concille tant pour obvier aux Luthe- riens que au Turc, disans que la chose seroit trop longue de vouloir à cette heure appoincter les princes chretiens, fut par notre st. père la chose remise a correcture jusqu’au pronchain consistoire qui fut vendredi dernier, auquel fut conclu par sez S té et à la pluralité des voix que sans accorder lad. princes chretiens ne se pouvoit faire ny concille ny pourvoir au Turc ny auxd. Lutheriens. Es läßt sich denken, wie mißvergnügt der Kaiser hierüber war. Man suchte nur den Schein zu retten, erließ Erklärungen, daß das Concilium auf jeden Fall gehalten werden solle, schickte Abgeordnete, um es scheinbar vorzubereiten, nach Deutschland; das war aber, Zusammenkunft in Bologna 1533. wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, alles Spie- gelfechterei. Ernstlich beabsichtigte man durch diese Missio- nen nichts weiter, als den Deutschen den Gedanken des Nationalconciliums auszureden. Darin allein verstanden sich Kaiser und Papst. Auszug aus der Instruction fuͤr den Nuntius Ugo Rangoni bei Pallavicini lib. III, c. XIII (V. I, p. 327). Hierauf kam die Erhaltung des Friedens in Italien zur Sprache. Der Kaiser glaubte einen Angriff Franz I auf Genua erwarten zu müssen; und sein Entwurf war, denselben durch ein gegenseitiges Vertheidigungsbündniß aller italienischen Staaten zu verhüten. Allein auch hier- bei sah er sich von dem Papst nur wenig unterstützt. In Gegenwart des Kaisers sprach sich Clemens wohl für diesen Bund aus, aber insgeheim ließ er den veneziani- schen Gesandten wissen, was er da geäußert, habe er nur als die Meinung des Kaisers gesagt, nicht als die seine, er möge davon der Republik vorsichtige Meldung thun. que ce qu’il avoit dict present l’empereur, il l’avoit dict comme opinion de l’empereur, mais non pas comme la sienne et qu’il le fist entendre saigement à la S rie. L’eveque d’Auxerre 1. Janv. 1533. Die Venezianer erklärten, ihr Verhältniß zu den Osmanen hindere sie in ein Bündniß zu treten, das zu Gunsten Andrea Doria’s geschlossen werde. Eine andere Schwierigkeit machten die Mißverhältnisse des Papstes mit Ferrara. Nur mit großer Mühe konnte Clemens dahin gebracht werden, dem Herzog auf 18 Monat Sicherheit zuzusagen. Vergl. Guicciardini (damals Vicelegat in Bologna und zu den Conferenzen zugezogen) lib. XX, p. 109. Endlich ward denn der Bund geschlossen; es Sechstes Buch. Siebentes Capitel . wurden die Beiträge bestimmt, die ein jeder besonders im Fall des Krieges zu leisten habe. Aber schon die Ver- handlungen zeigen, wie wenig zusammenhaltende Kraft dem- selben inwohnen konnte. Franz hatte eher den Vortheil davon, daß er Gelegenheit bekam, sich über die Feindselig- keit des Kaisers, die sich in diesen Vorkehrungen ausspreche, zu beklagen. Und hätte der Kaiser gehofft, durch eine Abkunft die- ser Art das Verhältniß zwischen dem Papst und dem Kö- nig aufzulösen, so wäre er in einer schweren Täuschung be- fangen gewesen. Gegen eine so ehrenvolle Familienverbin- dung, wie die vorgeschlagene, vermochte keine Einwendung etwas auszurichten. Im folgenden Herbst machte sich der Papst per- sönlich auf den Weg, um seine Nichte nach Frankreich zu führen. In Marseille hielt er eine Zusammenkunft mit König Franz, die ohne Vergleich wichtiger geworden ist, als die letzte mit dem Kaiser. Die Natur der Sache bringt es leider mit sich, da die Verhandlungen mündlich gepflogen wurden, daß wir keine Aufzeichnungen finden, die uns darüber eine authen- tische Kunde zu gewähren vermöchten. Allein wie man den Kaiser von Rom aus warnte, denn es sey nicht anders möglich, als daß der Papst mit dem König etwas gegen ihn vorhabe, Schreiben bei Sandoval XX, § 20: que no se descuy- so versichern uns die florentinischen Vertrauten des Papstes, und ein so schar- fer und guter Beobachter wie der venezianische Gesandte, einstimmig, daß dieß geschehen sey. Zusammenkunft in Marseille 1533. In Marseille wurden nicht allein französische Cardi- näle ernannt; bei weitem mehr hatte zu bedeuten, daß der Papst sich entschloß seinen Nuntius in der Schweiz, den Bischof von Veroli, welcher für kaiserlich gesinnt galt, auf Bitten des Königs zurückzurufen. Sanchez bei Bucholz IX, 122. Bald aber stellte sich noch weiter heraus, was zwi- schen den beiden Fürsten verabredet seyn mochte. Der Herzog von Orleans, Gemahl der Nichte des Papstes, machte auf Urbino Anspruch, welches das Erb- theil seiner Gemahlin sey, und der päpstliche Nuntius in Deutschland verhehlte nicht, daß der Papst denselben un- terstützen werde. Allerdings sey ihm durch die Tractate verboten, Neuerungen anzufangen, aber unmöglich könne man es eine Neuerung nennen, wenn Jemand das Seine zurückfordere. Sey doch Urbino ein Lehen der Kirche; ge- wiß werde sich der Kaiser keines päpstlichen Vasallen gegen dieselbe annehmen. Schreiben des Erzbischofs von Lunden an Granvella, 15. Febr. 1534. Der Nuntius hatte gesagt: scire se, ob id bellum futurum in Italia et pontificem auxilia daturum duci Aurelianensi contra quoscunque pro recuperatione dicti ducatus. Das bekam aber eine noch weit höhere Bedeu- tung, als auch der König seine Ansprüche auf Mailand bald darauf stärker als bisher erneuerte. Er forderte, daß Sforza durch ein Jahrgeld abgefunden und Mailand ihm auf der Stelle eingeräumt werde. Excerpte bei Raumer; Briefe aus Paris I, 262. asse porque no era possible se no que el papa y el rey avian tratado algun negocio contra el. Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Bemerken wir nun, daß dieß die Stipulationen des Ehe- vertrags waren, so wird wohl höchst wahrscheinlich, daß die Besprechungen in Marseille eben die Vollziehung desselben zur Absicht hatten. Wie sollte es nicht auch dem Papst erwünscht seyn, seine Nichte als mächtige italienische Für- stin zu begrüßen? Den Kaiser brauchte er wegen seiner Annäherung an Frankreich nicht sogleich zu fürchten; wir werden sehen, wie er demselben durch Erfüllung seiner Wünsche in der englischen Sache doch wieder die Hände band, ja seiner Politik eine andere Richtung zu geben suchte. Es fragte sich nur, wie man ihn in den italienischen Angelegenheiten zur Nachgebigkeit nöthigen wollte, ob durch offene Gewalt oder durch indirecte Mittel. Die Versicherung des venezianischen Gesandten ist, daß der Papst das erste abgelehnt, aber zu dem letzten seine Zustimmung gegeben habe. Nachdem die politische Opposition gegen das Haus Oestreich, welches dem katholischen Europa zuletzt mit den Waffen seinen Willen aufgenöthigt hatte, einen Augenblick beschwichtigt gewesen, erwachte sie wieder, und nahm die alten Pläne auf. Der Gedanke des Papstes und des Kö- nigs war, sich zunächst fremder Feindseligkeiten zu ihrem Zwecke zu bedienen. Der venezianische Gesandte urtheilt, daß in Marseille auch von einer Bewegung von Seiten der Osmanen die Rede gewesen sey, doch will er es nicht behaupten; ohne allen Zweifel dagegen versichert er, daß eine Erhebung der Waffen in Deutschland hier berathen worden sey. Auch Einwirkungen auf Deutschland . Guicciardini behauptet, daß der König dem Papst seine Absicht, die deutschen Fürsten gegen den Kaiser in Bewe- gung zu setzen, mitgetheilt habe. Relatione di Francia di M. Marino Giustiniani, 1535. Giudico, che l’intelligentia coi Turchi fusse medesima m delibe- rata in Marsiglia con Clemente Pontifice, come fu ancora quella di Germania. Guicciardini XX, 111. havendogli (al papa) com- municato il re di Francia molte di suoi consigli, e specialmente il disegno che haveva di conciliare contro Cesare alcuni di principi di Germania, massima m il Landgravio d’Hassia. Vgl. Sandoval lib. XX, § 20. Mai. Sie trennten sich hierauf in vollkommner Satis- faction von einander. Ich finde nichts, was diesen Versicherungen ihre Glaubwürdigkeit nehmen, ihnen mit Grund entgegengesetzt werden könnte. Denn zunächst waren die Verbindungen, welche der König mit den deutschen Fürsten unterhielt, doch lediglich politischer Natur. Vor allem unterstützte er den Widerspruch gegen die Wahl König Ferdinands. Als sich die opponirenden Für- sten im Mai 1532 enger vereinigten, und sogar eine förm- liche Kriegsverfassung verabredeten, machte sich Franz I verbindlich, für den Fall des Krieges 100000 Kronen bei den Herzogen von Baiern niederzulegen. Die kühnsten und umfassendsten Pläne tauchten zuweilen auf; z. B. im Fe- bruar 1533 eines Anfalls der Franzosen auf die Besitz- thümer Carls, und zugleich der deutschen Fürsten und Za- polya’s auf Ferdinand. Stumpf, Baierns politische Geschichte I, 94. Unaufhörlich durchzogen könig- liche Agenten, besonders Gervasius Wain, ein geborner Memminger, und Wilhelm von Bellay, das deutsche Reich, Sechstes Buch. Siebentes Capitel . um die Opposition in Gang zu erhalten, diese Fäden en- ger zu knüpfen. Noch wichtiger aber als die Wahl wurde bald die Wirtembergische Angelegenheit. Seit dem Tage, an welchem der Herzog von Wir- temberg aus seinem Lande getrieben worden, hatten auch die Versuche begonnen, ihn wieder herzustellen. Unzählige Verhandlungen und Verabredungen hatte man darüber ge- pflogen, Z. B. die Verhandlungen zwischen Landgraf Philipp und Heinrich Herzog von Braunschweig im Jahre 1530; die spaͤter in den Streitschriften ausfuͤhrlich eroͤrtert worden sind. doch war noch alles an der entschiedenen Feind- seligkeit des schwäbischen Bundes gescheitert. Auf dem Reichstag von Augsburg war Ferdinand von seinem Bru- der auf das feierlichste mit Wirtemberg belehnt worden. Im Jahre 1532 trat nun ein Ereigniß ein, das allen Ansprüchen des Fürstenhauses einen neuen Nachdruck gab. Nach der Verjagung Herzog Ulrichs war auch dessen Sohn Christoph, ein fünfjähriger Knabe, aus Wirtem- berg weggeführt worden. Man erzählte sich, bei seinem letzten Nachtlager im Lande, habe er mit einem Lamm ge- spielt, und dieß dann beim Abschiede dem Wirth dringend anempfohlen; wenn er wiederkomme, werde er ihm die Bemühung vergelten. Dieser kindische Traum sollte jedoch lange unerfüllt bleiben. Der Knabe wuchs in Insbruck und Neustadt unter der Obhut Ferdinands auf. Man hat da nicht immer aufs Beste für ihn Sorge getragen; we- niger vielleicht aus üblem Willen, als weil die Hofhal- tung überhaupt nicht ganz in Ordnung war; er hat zu- Christoph von Wirtemberg . weilen Mangel gelitten; er sagt selbst, sein Zustand habe bei Jedermann Mitleiden erregt; er ist sogar einmal in Ge- fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber frühes Mißgeschick ist einem Fürsten oft nützlicher als der Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte das Glück in der Hauptsache doch wohl. Er bekam einen Lehrer, der gute Wissenschaften besaß und sich mit voller Hingebung an ihn anschloß, Michael Tifernus. Das Schick- sal dieses Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zustand jener Zeiten. Als Kind war dieser Michael von den Tür- ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch hatten sie ihn zuletzt wieder liegen lassen. Man brachte den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er sei- nen Namen führt, unfern von Triest; da ist er von guten Menschen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge- bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der Gefahr hatte er hauptsächlich seinen Zögling gerettet. Un- ter seiner Leitung gedieh derselbe nun vortrefflich. Und all- mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürst- lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiser in Augsburg. Da mußte sich ihm aber allmählig auch die Welt aufschließen; es konnte nicht an Leuten fehlen, die ihm seine Ansprüche in Erinnerung brachten. Wie mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen von Wirtemberg und Teck in dessen Händen ansehn! Das Gefühl seines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme seiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es zurückdrängen, verschlossen halten. Und in dieser gespann- ten Stimmung nun geschah ihm der Vorschlag, den Kaiser Ranke d. Gesch. III. 29 Sechstes Buch. Siebentes Capitel . auch nach Italien, nach Spanien zu begleiten! Man braucht nicht anzunehmen, daß das Betragen der Spanier ihm auch sonst Verdacht erweckt habe; er war ohnedieß entschlossen, wie er sich ausdrückt, „seine Gerechtigkeiten in Deutschland“ nicht zu verlassen. Als sich der kaiserliche Hof nach dem Türkenkrieg im Herbst 1532 durch die Alpen nach Italien begab, fand er mit seinem Hofmeister Gelegenheit zu entfliehen. Unbemerkt verloren sie sich aus dem Gefolge und schlugen den Weg nach Salzburg ein. Von wegekundigen Bauern wurden sie geführt und waren schon weit entfernt, als man sie vermißte und ihnen nachsetzte. Sie hatten, wie man erzählt, das Unglück, daß eins ihrer Pferde erkrankte, und waren resolut genug, um durch dasselbe nicht etwa ver- rathen zu werden, es in einem See zu ersäufen. Während der Herzog auf dem andern seinen Verfolgern entging, — denn schon waren ihnen diese auf der Spur, — verbarg sich Tifernus im hohen Rohr eines Weihers. Da man sie nicht fand, meinte man wohl, sie seyen im Gebirge er- schlagen. Die Grundlage dieser Erzaͤhlung ist Gabelkofer, excerpirt bei Sattler und Pfister: Herzog Christoph. Nur muß man es nicht glauben, wenn bei Pfister p. 80 gesagt wird, Carl sei in Wien auf Christoph aufmerksam geworden, habe ihn dann nach Bononien zu einer Zusammenkunft mit Hadrian VI mitgenommen. Aber indeß gelangten sie an einen sichern Zu- fluchtsort, wahrscheinlich unter dem Schutze der Herzoge von Baiern; und von da erschollen nun plötzlich die Kla- gen Christophs, der sein Erbe zurückforderte in alle Welt. Das erste Schreiben von 17. Nov. Sattler II, 229. Es war an sich ein weitaussehendes Ereigniß, daß ein Fürst von Wirtemberg wieder erschien, mit gerechten unver- Aufloͤsung des schwaͤbischen Bundes . jährten Ansprüchen, von dem alten Stamm und Namen, der die Zuneigung der angebornen Unterthanen besaß. Für den Moment bekam es aber erst dadurch rechten Nachdruck, daß auch die Herzoge von Baiern, denen der Vater höchst widerwärtig gewesen, deren Vereinignng mit dem schwäbi- schen Bund hauptsächlich die Vertreibung desselben bewirkt hatte, dem Sohne ihre Unterstützung gewährten. Ueberhaupt stand der schwäbische Bund bereits auf dem Punkte sich aufzulösen. Ein Motiv dazu war das alte, daß sich die Fürsten nicht gewöhnen konnten, dem Bun- desrath unterworfen zu seyn, in welchem Prälaten und Städte so viel wie sie galten. Hessen, Trier und Pfalz schlossen 1532 eine besondere Vereinigung, in der sie einander ver- sprachen, in die Erneuerung des Bundes nicht zu willigen. Freitag nach Bernhardi. Die Einigung im Trierischen Ar- chiv zu Coblenz. Aber auch die Städte waren mißvergnügt, namentlich über die streng katholische Haltung des Bundesgerichts: Ulm, Augsburg und Nürnberg sehen wir sich unter einander selbst zu gemeinschaftlicher Vertheidigung vereinigen. Die vor- nehmste Verstimmung jedoch bewirkten eben die Verhältnisse von Wirtemberg. Im Jahr 1530 war Wirtenberg mit allen Vorrechten von Oestreich begabt, sogar aus der Kam- mergerichtsmatrikel weggelassen worden; aller Lasten des Reiches sollte es überhoben seyn. Und indessen waren dem Bunde die Kriegskosten, die er 1519 bei der Eroberung aufgewendet, noch immer nicht erstattet. Ferdinand an Carl 27. Apr. V. Md. sabe la d i cha liga no quire mas servir en esto hasta ser pagados dello que por ello Der Kaiser und 29* Sechstes Buch. Siebentes Capitel . der König sahen wohl wie viel ihnen für den Besitz des Landes daran liege, den wohlgeordneten, kriegsfertigen Bund in die Waffen rufen zu können; ihr Bevollmächtigter, der Bischof von Augsburg gab sich im Frühjahr 1533 alle mögliche Mühe ihn zusammenzuhalten. Im Bruͤsseler Archiv sind Instruction und Relation. Siehe den Anhang. Aber da die Be- schwerden wegen Wirtembergs nicht gehoben wurden, wollte Niemand mehr die Vertheidigung desselben übernehmen. Baiern erklärte, es halte die Sache des Herzogs Christoph für seine eigene. Im December 1533 ward noch ein Bundestag zu Augsburg gehalten, um die Sache definitiv zu entscheiden. Der arme, beraubte, fast verschollene junge Fürst er- schien jetzt mit einer glänzenden Schaar von Beiständen, Räthen von Chursachsen, Braunschweig, Lüneburg, Hessen, Münster, Jülich, Meklenburg, Preußen. Die Commissa- rien Ferdinands sahen sich sogleich in der Nothwendigkeit, mit ihm zu unterhandeln, eine Entschädigung anzubieten, Cilli oder Görz oder Nellenburg. Der junge Herzog ging jedoch nicht mehr darauf ein. Er führte an, der Ver- trag, auf den sich dieß Erbieten gründe, sey niemals er- füllt und dadurch aufgelöst. Vgl. Gegruͤndete Widerlegung der Vertraͤge; letzter Tag Juli 1533. Hortleder I, III, VII. Ueberhaupt betrug er sich mit Umsicht und Klugheit. Er hütete sich wohl, die Ur- sachen, weshalb sein Vater verjagt worden, zu berühren; er blieb nur dabei stehn, daß seinem Hause, und dann auch ihm besonders, dem man nichts von allem gehalten, was les fue prometido y esto al presente por mi parte tengolo por impossible. Aufloͤsung des schwaͤbischen Bundes . für ihn bedungen worden, ein unerhörtes Unrecht geschehn sey. Er gab die Versicherung, daß er bei alle dem doch niemals daran denken werde, an den Bundesständen zu rä- chen, was sie seinem Hause angethan. Dasselbe versicher- ten die hessischen Gesandten im Namen seines Vaters. Un- ter diesen Eindrücken konnten die Commissarien keinen Schritt vorwärts kommen. Als die Versammlung auseinanderging, sah Jedermann, daß der große Bund, auf welchem die Macht von Oestreich im obern Deutschland größtentheils beruhte, sich auflösen würde. Auszuͤge aus Gabelkofer bei Pfister, Herzog Christoph I, 102—116. Auch ein französischer Gesandter war in Augsburg zu- gegen. Wir haben die pathetische Rede übrig, die er dort zu Gunsten Herzog Christophs gehalten. Der Prinz werde auswandern; in der Fremde werde man dann mit Fingern auf ihn weisen, und sagen: das ist der, welcher einstmals — welcher jetzt — welcher ohne seine Schuld — er vollen- dete diese Saͤtze nicht, denn er lese, sagte er, in den Blicken der Versammlung, daß sie ihren Inhalt fuͤhle. Discours de Mr. de Langey. Im Anhang zu den Memoires von Bellay. Coll. univ. Tom. XVIII p. 396. Er hatte uͤbrigens den Auftrag (p. 274) d’es- sayer tous moyens possibles à faire, que cette ligue de Suabe ne se renovast, mais que de tous points elle se dissolut. Wohl noch mehr als seine Beredsamkeit wirkte die einfache Thatsache, daß der große benachbarte König sich für den jungen Fürsten verwandte. Zu derselben Zeit geschah das, als der König und der Papst in Marseille beisammen waren. So wie der Papst sich entfernte, eilte der König, des Einverständnis- ses mit Rom sicher, die Gunst der Umstände zu einer ent- scheidenden Bewegung zu benutzen. Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Im Januar 1534 schloß er in der Sache der Wahl einen noch engern Bund mit den deutschen Fürsten. Auf den Fall, daß es um derselben willen zum Krieg komme, ver- pflichtete er sich, den dritten Theil der Kosten zu überneh- men. Jetzt erst zahlte er jene 100,000 Sonnenkronen, die bei den Herzogen von Baiern niedergelegt wurden. Und noch unmittelbarer mußte ihn die Förderung der wirtembergischen Sache, auf die er in demselben Augen- blick einging, zum Ziele führen. Schon längst hatte sich Landgraf Philipp — dem Her- zog Ulrich von Würtemberg persönlich zugethan, und dem Hause Oestreich aus mancherlei Gründen noch abgeneigt, — entschlossen, bei der ersten günstigen Gelegenheit die Re- stauration des verjagten Hauses zu unternehmen. Es war ein Hauptgesichtspunkt seiner gesammten Politik alle diese Jahre daher. Jetzt lagen die Umstände günstiger als je- mals. Es fehlte ihm an nichts als an Geld, um den Schlag so viel wie möglich rasch und ohne hemmende Ver- bindung mit andern deutschen Fürsten ausführen zu können. Hauptsächlich durch den Grafen Wilhelm von Für- stenberg, einen jener Kriegsanführer, die sich bald der einen, bald der andern Partei anschlossen, der, nachdem er dem Hause Oestreich nach im Jahr 1528 gedient, sich jetzt auf die französische Seite geworfen hatte, ward die Verbin- dung zwischen König Franz und Landgraf Philipp vermittelt. Von Marseille begab sich der König nach den östli- chen Gränzen seines Reiches; im Geleite des Grafen von Fürstenberg Schreiben Philipps an Fuͤrstenberg bei Muͤnch. Fuͤrsten- berg II, p. 37. erhob sich dann auch Landgraf Philipp von Zusammenkunft in Barleduc . Cassel; er nahm seinen Weg über Zweibrücken; am 18ten Januar finden wir ihn in St. Nicolas an der Meurthe. Unmittelbar hierauf fand die Zusammenkunft zwischen dem König und dem Landgrafen in Barleduc Statt. Es ist hier von allen obschwebenden Fragen die Rede gewesen, dem Concilium und der Wahl, den hessisch-nassauischen, den niederländisch-geldrischen Interessen; — der König äu- ßerte sich über jede als ein Freund der deutschen Unab- hängigkeit und im Allgemeinen auch der protestantischen Fürsten; Schreiben des Landgrafen an den Churfuͤrsten, bei Rommel III, p. 54; welches merkwuͤrdig ist durch das, was es sagt, so wie wegen dessen, was es verschweigt. Der Koͤnig habe sich nur erbo- ten, zwischen Herzog Ulrich und Ferdinand zu unterhandeln. — hauptsächlich aber wurde, worauf alles an- kam, über die Unternehmung auf Würtemberg unterhandelt. Der Landgraf, dem es an Truppen und Kriegsmitteln nicht gebrach, forderte vor allen Dingen Geld, um dieselben in Bewegung zu bringen. Der König, durch den Tractat von Cambray ausdrücklich verpflichtet, sich der Gegner des Kaisers, unter andern des Herzogs von Würtemberg nicht anzunehmen, trug doch Bedenken, so in offenem Widerspruch damit durch förmlichen Vertrag, Subsidien zu dessen Gunsten zu bewilligen. Man traf die Auskunft, die Zah- lung einer Summe von 125,000 Kronenthalern, zu der sich Franz I verstand, durch einen Kaufcontract über Müm- pelgard zu verstecken. In einer Nebenverschreibung erklärte dann der König, daß er 75000 Kronen dem Herzog ge- radezu schenke. Am 27. Januar ward der Tractat abge- schlossen; Notizen hieruͤber bei Rommel II, S. 298; es waͤre wohl zu wuͤnschen, daß der Vertrag selbst abgedruckt wuͤrde. unverweilt machte sich der Landgraf auf den Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Rückweg, schon am 8. Februar war er wieder in Cassel. Und nun säumte er keinen Augenblick, alles zu seinem Un- ternehmen vorzubereiten. Er trug, wie sich versteht, Be- denken, sein Geheimniß dem Papier anzuvertrauen; aber von seinen vertrauten Räthen hatte er zuweilen keinen einzi- gen zu Hause, so viel verschickte er sie; zu den Churfürsten von Trier und von der Pfalz begab er sich persönlich. Tellement, que luy meme en personne a été contrainct, d’aller devers l’archeveque de Treves et le conte Palatin. Let- tre du chancelier du Landgrave à Langey MS. Bethune 8616 f. 55. Auch er nahm an dem Vertrag über die Wahl Theil, aber indem er dem König die Ratification desselben übersendete, bemerkte er ihm doch, er werde auf die Herzoge von Baiern nicht warten. Schon sey er beschäftigt, für sich ans Werk zu gehn. Der König war glücklich über die Aussichten, die sich ihm eröffneten. Am Ostermontag 1534 sagte er einem Agenten des Woiwoden, der bei ihm war, der schwä- bische Bund sey aufgelöst; er zahle Geld nach Deutschland und habe viele Freunde daselbst, Bundesgenossen, die auch schon in den Waffen seyen; bald werde Zapolya einen Frie- den erlangen können, wie er ihn nur wünsche. Sommes dejà après de conduire le tout en effet. Cas- sel 9. Mars. MS. Bethune 8493. Noch Eine Gefahr hatte der Landgraf zu beseitigen, ehe er losbrach. Jene Churfürsten, welche Ferdinand ge- wählt, konnten fürchten, daß ein glücklicher Kriegszug ge- gen den König auch ihnen späterhin verderblich werden dürfte; es schien sehr möglich, daß sie sich deshalb des Königs annehmen möchten, wie denn wirklich bereits ein Aus dem Verhoͤre Casali’s und Corsini’s, die man 1535 in Ungarn festgenommen und inquirirte. Im Bruͤsseler Archiv. Deutsche Politik . Churfürstentag nach Gelnhausen anberaumt worden. Bei jener Reise war es ohne Zweifel Philipps vornehmste Sorge, Trier und Pfalz hierüber zu beruhigen. Statt an einen Krieg der Wahl halber zu denken, legte man jetzt vielmehr den Grund zur Beilegung dieser Sache. Baiern versprach, wenn nur Wirtemberg wieder in die Hände des angestammten Hauses komme, die Wahl nicht weiter anfechten zu wollen: hierauf versprachen Brandenburg, Cöln und Pfalz, dem Landgrafen in seinem Unternehmen nicht entgegen zu seyn. Trier verstand sich sogar zu einer Hülfszahlung. Schreiben Philipps bei Stumpf Anh. nr. 14. Vgl. ein anderes seiner Schreiben an Dr. Eck, dessen Stumpf im Text p. 153 gedenkt. Wie sah sich König Ferdinand plötzlich so ganz isolirt! Der Kaiser war entfernt, der König von Frankreich feindselig, der Papst, wie sich bald noch näher auswies, höchst zweifelhaft. Die alte Feindseligkeit, welche den schwä- bischen Bund zusammengehalten, war verloschen; Herzog Ulrich bestätigte feierlich die Versicherungen des Landgrafen, daß die Städte nichts von ihm zu fürchten haben wür- den. Weder die Wahlverpflichtungen der Churfürsten noch die religiösen Differenzen wollten jetzt zu seinen Gunsten wirken. Die Geistlichen waren so gut gegen ihn wie die Weltlichen. Wolfgang Brandner hatte schon im Juli 1533 die Sache dem Koͤnig ziemlich richtig dargestellt. Bucholz IX , 76. Denn daß ein altes deutsches Fürstenhaus seines Erb- theils so ganz und gar verlustig gehn sollte, konnte doch von keinem andern Fürsten gebilligt werden. Die Wittenberger Theologen, die eignen Unterthanen Sechstes Buch. Siebentes Capitel . warnten den Landgrafen: sie meinten, er werde Hessenland in Verderben bringen. Fast scherzend entgegnete er, für dieß Mal will ich Euch nicht verderben; er übersah die Lage der Dinge besser als sie, und fühlte sich seiner Sache sicher. Nur mit Ferdinand, und zwar nur mit dessen wir- tembergischen Kräften hatte er zu thun; denen fühlte er sich wohl gewachsen. Während er selbst hauptsächlich eine stattliche Reiterei um sich sammelte, — die Waffe, durch welche Niederdeutschland im sechszehnten Jahrhundert dem übrigen Europa überlegen war — aus Pommern und Meklenburg, Braunschweig und Eichsfeld, den westfälischen Bisthümern und den cölni- schen Stiftslanden, deren Kern seine eignen hessischen Va- sallen bildeten, ohne Zweifel die Lehnsmannschaft, die da- mals in Deutschland am häufigsten aufgeboten ward, und dießmal nicht sehr gern Folge leistete, brachte Graf Wil- helm von Fürstenberg, am Oberrhein und im Elsaß, wo die besten Landsknechte den Winter über auf den Kriegsruf gewartet, nicht ohne Hülfe der Stadt Strasburg, 24 Fähn- lein zu Fuß zusammen. Die Vereinigung beider Haufen ge- schah zu Pfungstadt am Odenwald. Dienstag am 5. Mai traf Nachricht ein, daß auch der Feind eine stattliche Macht in Stuttgart zusammengebracht habe, und sich ohne Zwei- fel in offenem Felde entgegenstellen werde. Alles ward freu- dig und kampfbegierig. Mittwoch den 6ten, gleich nach Mitternacht, brach man auf. Der Landgraf zu Pferd, selbst seinen Rennspieß in der Hand, musterte die Leute. Voran zogen die Wagen mit Munition und Lebensmitteln, von Kriegszug Landgraf Philipps 1534. sechs tausend Bauern geführt, alles selbst streitbaren Leuten. Dann folgte das Rennfähnlein, hierauf das Geschütz, dar- nach die große Schwadron der gepanzerten Reiter unter der Hauptfahne, welche der Erbmarschall von Hessen trug; hierauf die Fußvölker, sowohl die, welche der Landgraf mit- gebracht, als die oberländischen, zu denen noch der Graf Georg von Würtemberg eine nicht unbedeutende Verstärkung stoßen ließ. Es waren ungefähr 20,000 Mann zu Fuß, 4000 zu Pferd, ein Heer, zwar bei weitem nicht das größte, das man in diesen Zeiten gesehen, doch für einen einzelnen Reichsfürsten, der dem Range nach nicht ein- mal zur ersten Classe gehörte, über Erwarten zahlreich, und dabei trefflich ausgerüstet, mit allen Kriegsbedürfnissen auf das beste versehen. Man hatte sich angelegen seyn lassen, be- sonders evangelisch-gesinnte Rittmeister und Hauptleute zu werben; bei den Gemeinen herrschte diese Gesinnung ohne- hin vor. Es war das erste Heer religiös-politischer, eu- ropäisch-deutscher Opposition gegen das Haus Oestreich, das im Felde erschien. Dem gegenüber hatte sich nun auch die östreichisch- wirtembergische Regierung gerüstet. Die Manns- und Frauenklöster, Stifte, Ruralcapitel hatten Beihülfe geleistet, die Städte eine Kriegssteuer gezahlt. Die alten Kriegsbe- fehliger aus den italienischen Feldzügen, Curt von Bem- melberg, Caspar Frundsberg, Marx von Eberstein, Tha- mis, Ist ohne Zweifel der von Thoͤnis in dem Lied bei Heid: Schlacht von Laufen. S. 88. genannt Hemstede, hatten Landsknechte zusammen- Spanischer Bericht im Anhang. Sechstes Buch. Siebentes Capitel . gebracht; noch einmal hören wir die Gegner Hessens aus dem sickingenschen Kriege nennen: Hilch von Lorch, die Söhne Sickingens, Dietrich Spät. Der König selbst er- schien nicht. Seine Stelle vertrat der Statthalter von Wir- temberg, der bei der Vertheidigung von Wien einen Namen erworben, Philipp von der Pfalz. Obwohl sie an Zahl dem Landgrafen nicht gewachsen waren, — sie mochten 10,000 Mann zählen, mit Einschluß einer Anzahl von Böh- men — so hatten sie doch Muth genug, ihn auf seinem Weg, bei Laufen am Neckar im offenen Feld zu erwarten. Nicht einmal den Uebergang über den Fluß trugen sie Sorge ihm zu erschweren. Auch hielten sie beim ersten Zusammentreffen, welches der Landgraf einer halben Schlacht gleich setzte, am 12ten Mai wacker aus. Aber sie hatten nicht allein das Un- glück, daß ihr Anführer, der Pfalzgraf verwundet wurde; sondern es entwickelte sich auch eine so entschiedene Ueber- legenheit des Landgrafen, daß sie erkannten, sie würden ihn, wie sie waren, hier am Ort nicht bestehen können. Noch in der Nacht brach Dietrich Spät auf, um mehr Reiterei zu holen. Das Heer selbst suchte des andern Ta- ges am 13ten, früh am Morgen, eine festere Stellung zu gewinnen. Sollte ihnen aber der feurige Landgraf dieß gestat- ten? In diesem Augenblick war auch er schon in Be- wegung. Keine Widerrede ließ er sich abhalten, er sah wohl, welch ein Vortheil es für ihn war, mit seiner Ueberzahl an Reiterei und seinem guten Geschütz den Feind so im Moment des Aufbruchs anzufallen. So wa- ren einst die streitbaren Haufen der Bauern besiegt wor- Schlacht bei Laufen . den. Das östreichische Heer hatte zwar geübte Landsknechte, tapfere Anführer, aber der Mangel an Pferden brachte es in dieselbe mißliche Lage, die jene Bauern zu bestehen gehabt. Durch einen Reiterangriff in der Flanke hielt Land- graf Philipp die Abziehenden an einem Weingarten so lange auf, bis sein Geschütz herangekommen. Er eilte dann zu- rück, um auch die Fußvölker zum entscheidenden Anlauf herbeizuführen. Aber ehe dieses noch angelangt, hatte Rei- terei und Geschütz schon so gut zusammengewirkt, daß der Feind in volle Unordnung gerieth und über die Steige Bidembach zurückwich. Die wenigen Reiter, die er noch hatte, nahmen ihren Weg nach dem Asperg; das Fußvolk ward auseinandergesprengt; Viele fanden im Neckar ihren Tod. Neue Zeitung von des Landgrafen zu Hessen Kriegshand- lung bei Hortleder I, Bd. III, c. 12, ist doch weder anschaulich noch auch zuverlaͤssig, besonders in der Zeitrechnung. Die sicherste Aus- kunft gewaͤhrt das Schreiben Philipps an seine Raͤthe bei Rommel II, 319. Noch unbrauchbarer als die neue Zeitung sind aber die andern Berichte. Jovius laͤßt den Pfalzgrafen am Tage der Schlacht selbst verwundet werden; wahrscheinlich blos des Effectes wegen ( lib. 32, p. 128). Nicolaus Asclepius Barbatus legt Gewicht darauf, daß der Landgraf von Hessen angegriffen, „ea manu, quae hostium numero vix responderet;“ natuͤrlich konnte er nicht mit allen seinen Truppen zugleich angreifen, doch war seine Uebermacht entschieden. Tehtinger macht eine ganz ungefaͤhre Beschreibung: von equitus fremitus, armorum crepitus strepitusque, was zu gar nichts fuͤhrt. In der fleißigen Monographie von Heyd: die Schlacht von Laufen, Stuttgart 1834 findet sich noch das Fragment eines andern Schreibens von Philipp, das mit dem ersten uͤbereinstimmt, und eine recht gute Stelle Gabelkofers (Beil. III, V ), die das Obige bestaͤtigen; nebst einigen frischen Landsknechtsliedern, die sehr willkommen sind. Der Landgraf wunderte sich selbst, daß so nahm- hafte Anführer so wenig Stand gehalten. Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Ein Schlachttag ist in der Regel auch deshalb merk- würdig, weil da die gesammten Momente der innern Ent- wickelung zusammengreifen und sich gegen einander versu- chen. Landgraf Philipp hatte die glücklichste Combination der europäischen Verhältnisse, die geheime oder offene Zu- stimmung von ganz Deutschland, die religiösen Sympathien für sich. Ferdinand war auf sich allein angewiesen, ver- focht nur ein zweifelhaftes Recht und unpopuläre Ideen, er blieb in dem Lande das er besaß der Schwächere. Dieser Schlachttag verdient nun aber auch seiner Fol- gen wegen alle Aufmerksamkeit. Er entschied über das Schicksal eines der wichtigsten deutschen Fürstenthümer. Das Land fiel ohne weiteres den Siegern anheim. Her- zog Ulrich erschien nach so langer Abwesenheit wieder; nach- dem er den Tübinger Vertrag bestätigt hatte, huldigte ihm die Bürgerschaft seiner Hauptstadt Stuttgart auf einer Wiese an der Straße nach Canstadt; ihrem Beispiel folgten die übrigen Städte und Aemter. Auch die Schlösser hielten sich nicht für Ferdinand. Entweder waren die Befehlsha- ber in ihrem Herzen dem zurückkehrenden Landesfürsten ge- wogen, oder sie fürchteten für ihre Güter, die den Siegern bereits in die Hände gefallen waren, oder sie wurden mit Gewalt genöthigt. Auch der Asperg ergab sich am 8. Juni. So ward Wirtemberg wieder wirtembergisch. Her- zog Ulrich war von seinen Gegnern wohl mit dem Spott- namen der Besenmacher belegt worden. Man scherzte jetzt von der andern Seite, nun sey er gekommen, um die Spin- neweben im Lande auszufegen. Mit Freuden sah man das Jägerhorn wieder, nach dem man sich so lange gesehnt, Bezeigen des Papstes . die Lieder preisen das Glück des Landes, daß ihm sein angeborner Fürst wieder überantwortet sey. Politisch war es ein großer Erfolg, daß ein Fürst, in welchem die Op- position gegen Oestreich durch alles, was vorgegangen, nun erst recht gesteigert worden, in der Mitte von Ober- deutschland auftrat. Es konnte bei seiner bekannten Gesin- nung wohl von Anfang an keine Frage seyn, welche Hal- tung er auch in religiöser Hinsicht nehmen würde. Merkwürdig aber, wie sich Papst Clemens VII hie- bei betrug. Der Gesandte König Ferdinands ersuchte ihn im Auftrag seines Herrn um Beihülfe in einer so großen Gefahr, die auch für die Kirche, so wie für Italien überaus drohend werden könne. Wirklich brachte der Papst die Ange- legenheit in dem nächsten Consistorium zur Sprache; er wie- derholte die Worte des Gesandten, steigerte selbst seine Aus- drücke; über die Hülfe aber, die dem König zu leisten sey, machte er nicht einmal einen Vorschlag. Hierauf lief ein Schreiben Ferdinands an den Papst selbst ein; noch ein- mal ward die Sache im Consistorium vorgenommen. Aber der Papst wählte diesen Augenblick, um zugleich die For- derungen des Kaisers in Bezug auf das Concilium, die der Curie so höchlich verhaßt waren, in Anregung zu brin- gen; die Folge war, daß man die Hülfsgelder aufzählte, die dem Kaiser und dem König schon gewährt worden, den neuen Antrag aber einer Congregation überwies. Der Papst sagte, der König liege an einer Krankheit darnieder, in der ihm keine leichte Arznei, nicht etwa ein Syrup, sondern nur ein starkes Heilmittel nützen könne. Demgemäß ent- schied die Congregation, da man nicht im Stande sey, dem Sechstes Buch. Siebentes Capitel . König eine bedeutende Subsidie zu gewähren, so sey es besser ihm gar keine zu bewilligen. Zum Verdruß der Ge- sandten war die Nachricht eingelaufen, daß der Landgraf bei seinem Eintritt ins Land nichts gegen die Kirchen thue. Der Papst erklärte hierauf, die Sache sey ein Privatkrieg, auf den er sich nicht einlassen wolle; sollten aber die Feinde die Kirche beleidigen, dann werde er daran denken, Hülfsgel- der zu zahlen. Der Gesandte bemerkte mit aller Lebhaftig- keit, die seine Ehrerbietung gestattete, wie viel an der Sache liege, wie theuer sie dem römischen Stuhle zu stehen kom- men könne, ja selbst der Stadt Rom und ganz Italien. Aber auch der Papst ward lebhaft, und beinahe zornig; er fragte, wo denn der Kaiser sey, warum er nicht Für- sorge getragen; er der Papst habe ihn ja längst schon auf die Bewegung, die von dem Landgrafen zu erwarten sey, aufmerksam gemacht. Bericht des koͤn. Gesandten Sanchez an Ferdinand 15. Juni 1534 (Juli ist wohl ein Schreibfehler) bei Bucholz IX 247. Wo- bei mir nur auffallend ist, daß Bucholz damit meine Annahme, der Papst habe um die Waffenerhebung des Landgrafen im Voraus ge- wußt, zu widerlegen meint. Er hat alles, was der Papst dem Nun- tius zu seiner Beruhigung Freundliches sagte, unterstrichen, gleich als ob das Mindeste darauf ankomme, und nicht vielmehr der Historiker nur nach dem Verfahren zu urtheilen habe. Jener Sanchez war aber in der That nicht so devot, wie unser Bucholz. Er erzaͤhlt sei- nem Herrn den Verlauf der Dinge, ut melius Ms Vra istorum men- tes et cogitationes intelligat, quibus technis parent isti rem lon- gius differre. Er hat Verdacht: Suborta mihi fuit suspectio, Stem S. non satis efficaci fervore procedere; er geraͤth uͤber die Ausfluͤchte, die man macht in Zorn: dolore et indignatione ac- census replicui, cum tamen reverentia debita und uͤberzeugt sich am Ende, daß nichts geschehen werde opinor Papam daturum no- bis bona verba. Wenn ich uͤbrigens hiebei noch eine Vermuthung wagen darf, so waͤre es die, daß Koͤnig Franz wirklich dem Papst das Wort gegeben haͤtte, daß die Unternehmung des Landgrafen keine kirch- Genug der Papst war zu keiner Franzoͤsische Plaͤne . Theilnahme zu bringen, nicht der geringsten. Er wollte erst von dem Ruin der Kirche hören, ehe er etwas dage- gen thue; zunächst sah er die Sache lediglich vom politi- schen Standpunkt an. Diese Lage der Dinge schien nun allerdings dem Kö- nig die großartigste Aussicht zu eröffnen. Am 18. Juni standen die Sieger zu Taugendorf an der östreichischen Grenze. Meine Freunde, sagte Franz I , haben Würtemberg erobert, nur mehr! weiter! Indessen war auch Barbarossa in See erschienen, hatte die neapo- litanische Küste weit und breit geplündert, und sich dann auf Tunis gestürzt, das in seine Hände fiel. Er nahm, wie wir weiter berichten werden, eine für Spanien überaus drohende Stellung daselbst an. Franz I meinte, daß der Kaiser unter so mannichfaltiger Gefahr seines Hauses ihm nachgeben werde. Er forderte Genua, Montferrat, und auf der Stelle wenigstens einen Theil von Mailand. Man sieht das aus der Instruction des Kaisers fuͤr den Prinzen von Nassau 12 Aug. 1534, welche v. Raumer (Briefe aus Paris I, 262) excerpirt hat. Die Pläne auf Urbino regten sich. In Deutschland schien ein Feuer angezündet zu seyn, welches nicht so leicht wieder gelöscht werden könne. So wie der Kaiser Nachricht erhielt, schickte er auf der Stelle einen Gesandten mit nicht unbedeutenden Geld- mitteln ab, um ein Heer ins Feld zu bringen und den liche Folgen nach sich ziehen sollte; wie das in den Zeiten des dreißig- jaͤhrigen Krieges immer die Bedingung der Koͤnige von Frankreich bei der Unterstuͤtzung der Protestanten war. Daß eine solche Versiche- rung nicht gehalten werden konnte, lag jedoch besonders bei dem Eifer jener ersten Zeiten auch am Tage. Ranke d. Gesch. III. 30 Sechstes Buch. Siebentes Capitel . Landgrafen zu strafen. Wir haben hieruͤber einen ausfuͤhrlichen Bericht des Bischofs von Lunden, der an den rheinischen Hoͤfen hin- und herzog, um diese Sache ins Werk zu setzen, vom 1. Aug. 1534 im Br. Archiv. Nichts hätte der Absicht seiner Feinde besser entsprechen können. In Deutschland aber war man doch weder von der einen noch von der andern Seite geneigt die Sache so weit kommen zu lassen. Die angreifenden Fürsten fühlten sich nicht im Stande den Krieg lange hinzuziehn. Am wenigsten wollten sie sich für ein fremdes Interesse schlagen. Hatte Franz I die deutschen Feindseligkeiten für sich zu benutzen gedacht, so war es auch ihre Absicht gewesen, mit französischer Hülfe zum Zweck zu kommen: nichts weiter. Allerdings war in dem Vertrag wegen der Wahlsache ausgemacht, daß kein Theil ohne den andern Frieden schlie- ßen dürfe: aber wie Philipp von Hessen erinnerte, dieser Krieg war gar nicht zum Ausbruch gekommen. „Alldiweil man der wale sachen halben nicht krieget.“ In- struction Philipps fuͤr seine Gesandten an den Koͤnig bei Rommel III, 65. Noch ehe er zu den Waffen griff, hatte er dem vorgebaut. Die Herzoge von Baiern hatten sich still verhalten: unbenutzt lag das französische Depositum in ihren Koffern. Die ganze Frage war, ob König Ferdinand sich ent- schließen könne, Wirtemberg aufzugeben. Aber auch für diesen war die Lage der Dinge höchst bedenklich. Sollte er, um das einmal Verlorene wieder zu erobern, alles in Gefahr setzen, was er mit besserm und unzweifelhaftem Rechte besaß? Man erinnerte ihn, wenn er nicht in ein paar Tagen schlagfertig sey, werde Friede von Kadan . er alles gefährden. Seine Räthe Rogendorf, Hofmann und der Bischof von Trient vereinigten sich zu dem Gutachten, daß er sich entschließen möge, auf Würtemberg Verzicht zu leisten. Schon war um dieser und anderer Dinge willen eine Versammlung deutscher Fürsten in Annaberg eröffnet. Um persönlich an den Unterhandlungen Theil nehmen zu können, begab sich König Ferdinand selbst in die Nähe, nach Kadan, einem kleinen Ort zwischen Saatz und Annaberg. Dazu zwar verstand er sich nicht, Wirtemberg ganz und gar aufzugeben: denn auf das feierlichste bei versam- meltem Reichstag sey er damit belehnt worden, sein Bru- der habe selbst die Fahne angefaßt: er könne und wolle sich diese Gerechtigkeit nicht entreißen lassen. Allein er wil- ligte ein, daß Herzog Ulrich Wirtemberg als ein Afterlehn von Oestreich, jedoch mit Sitz und Stimme im Reich besitzen solle. Schreiben Joͤrgen von Carlowitz bei Sattler III, Urk. p. 104. Damit war Landgraf Philipp, am Ende auch Herzog Ulrich zufrieden. Dagegen erklärte sich nun auch der Churfürst von Sachsen bereit, Ferdinand als römischen König anzuerken- nen. Er gestand darum nicht zu, daß er Unrecht gethan habe, er forderte vielmehr einen Zusatzartikel zur goldnen Bulle mit solchen Bestimmungen für künftige Fälle, daß sein Verfahren im gegenwärtigen im Grunde gut gehei- ßen ward. „Das kuͤnftiglich wann bei leben ains Roͤm. Kaisers oder Koͤnigs ain Roͤm. Koͤnig soll erwelt, alle Churfuͤrsten zuvor samen beschaiden werden davon zu reden, ob ursachen genugsam vorhanden und dem Reich furderlich sey, ainen Roͤm. Koͤnig — zu erwehlen nnd wann sie sich da verainigt, das alsdann und nicht eher der Chur- Allein dieser Vorbehalt hinderte ihn nicht, 30* Sechstes Buch. Siebentes Capitel . sich doch schon am 27. Juni nach Kadan zu begeben, und seinem bisherigen Gegner alle einem römischen König zukommende Ehre zu erweisen. Auch seine Anhänger, de- nen sein Widerspruch allein einen legalen Grund zur Ver- weigerung der Obedienz gegeben, hätten dieselbe nun nicht länger versagen können. Nach und nach fügte sich alles. So eben hatte der Gesandte Kaiser Carls seine Un- terhandlungen wider den Landgrafen am Rhein begonnen, als diese Nachricht einlief und er sie einstellen mußte. Indem König Franz täglich von weitern Feindse- ligkeiten in Deutschland zu hören hoffte, war schon der Friede geschlossen. Von dieser Seite wenigstens durfte er weiter nichts für die italienischen Verhältnisse erwarten. Vielmehr zeigte sich, daß das Unternehmen des Land- grafen, zu welchem es nur vermöge einer europäischen Combination gekommen, doch zunächst keine Rückwirkung auf die allgemeinen Verhältnisse haben werde; seine Fol- gen waren auf die deutschen Gränzen beschränkt; hier aber keineswegs, wie man erwartet, lediglich politisch, sondern zugleich von hoher Bedeutung für die Religion. Noch einige andere Stipulationen wurden in Kadan getroffen, die für das Bestehen des Protestantismus für immer von der größten Wichtigkeit geworden sind, aber zu einem andern Kreise von Ereignissen gehören, den wir nunmehr betrachten. fuͤrst zur koͤniglichen wahl erfordert werde.“ Mainzisch-saͤchsisches Bedenken ibid. p. 101. Achtes Capitel . Fortschritt der Kirchenreformation in den Jahren 1532—34. Es leuchtet ein, wie sehr das reformatorische Prin- zip in den Gebieten, wo es in Folge des Reichsschlus- ses von 1526 die Herrschaft erlangt hatte, schon durch ein Ereigniß, wie der Nürnberger Friede war, befestigt und entwickelt werden mußte. Die Protestanten hatten sich daselbst die bischöfliche Jurisdiction nicht wieder aufdringen lassen; durch die Zu- sage des Kaisers glaubten sie gegen die Processe des Kam- mergerichts und mithin gegen die nächsten Feindseligkeiten der in demselben ausgesprochenen Mehrheit der Reichsstände gesichert zu seyn. Hierauf trug der sächsische Landtag, der gegen Ende 1532 zu Weimar versammelt worden, kein Bedenken weiter, die Wiederaufnahme der in den Zeiten wo alles schwankte natürlicher Weise unterbrochenen Visitation der Kirchen zu genehmigen. Nun erst ward die Messe, die sich noch an einigen Stellen gehalten, vollends überall aufgehoben; die paar Sechstes Buch. Achtes Capitel . Klöster, die noch bestanden, auf die evangelische Lehre angewiesen; man verbot ihnen, Novizen aufzunehmen. Obwohl dadurch einige neue Einkünfte vacant wurden, so war es doch sehr schwer, die ganz vernachlässigten Land- pfarren ordentlich einzurichten. Hie und da befanden sich die Kirchengüter schon in fremden Händen: die Bauern waren froh, durch den Fall des alten Klerus gewisser Lei- stungen, waren sie auch nur freiwillige gewesen, entledigt zu werden. Auszuͤge aus den Visitationsacten bei Seckendorf III, §. 25 Add. III. Die Instruction ist vom 19. Dez. 1532. Indessen gelangte man doch zum Ziel. „Mit großer Sorge, Mühe und Arbeit,“ versichert My- conius, selbst einer der Visitatoren, „sey doch erreicht wor- den, daß jede Pfarre ihren Lehrer und ihr gewidmet Ein- kommen habe; jede Stadt ihre Schulen und was zur Kirche gehöre.“ Bei Lommatzsch Narratio de Myconio. S. 55. Die Visitation erstreckte sich jetzt auch über die Reussischen und Schwarzburgischen Besitzungen. Bei den Geistlichen, die man daselbst fand, zeigte sich we- niger Widersetzlichkeit als Unwissenheit und Sittenlosigkeit; man konnte sie nicht behalten, so gern sie geblieben wä- ren; fast überall traten Zöglinge der Wittenberger Schule an ihre Stelle. Diese selbst, die Metropole des Protestan- tismus, ward jetzt ein wenig besser ausgestattet. Die gesammten Einkuͤnfte betrugen 2811 Gulden 11 Gro- schen; sie wurden mit 1900 G. vermehrt. Luther hatte bis dahin 200 G. Besoldung gehabt; er bekam nunmehr 300 G. Die alte Ordnung der Dinge in ihrem eignen Lande hatte sie nunmehr vollkommen gesprengt. Sie selbst stand an der Spitze der neuen Kirche. Sie hatte die Doctrin gefun- Einrichtungen in d. evangelischen Laͤndern . den und aufgestellt, auf die man bereits anfing die Pre- diger zu verpflichten; Knapp, narratio de Iusto Jona p. 17. von den geistlichen Mitgliedern der Universität gingen die Ordinationen aus. Und dieses System ward nun auch fast unverändert auf Hessen übertragen, wo jener erste Entwurf einer auf die Idee der Gemeine gegründeten Kirchenverfassung längst beseitigt worden. Visitationen wurden gehalten; die Pfar- ren, wie der Landgraf rühmt, besser in Stand gesetzt, als sie jemals gewesen; Superintendenten eingeführt; die got- tesdienstlichen Einrichtungen nach der Wittenberger Art und Weise getroffen. Den vornehmsten Unterschied machte, daß die Kirche in Hessen bei weitem reicher ausgestattet war, als in dem churfürstlichen Thüringen und Sachsen. Daher konnte es dort zu einigen großen Stiftungen kom- men. Im Jahre 1532 wurden die Klöster Wetter und Kaufungen, mit Einkünften, die man einer kleinen Graf- schaft gleich geschätzt hat, zur Ausstattung adlicher Fräu- lein, im Jahre 1533 die Häuser Haina und Merxhausen, bald darauf auch Hofheim und Gronau zu Landeshospi- tälern bestimmt. Der Universität Marburg wurden nach und nach zehn Klöster aus dem obern und niedern Für- stenthume geradehin einverleibt, und von fünf andern ein Antheil an den Einkünften gewährt. Ein theologisches Seminar ward auf Beiträge des Fürsten und sämmtlicher Bürgerschaften des Landes gegründet. Excerpte aus den Acten bei Rommel I, p. 191 und der Note. In Lüneburg hatten sich sonst die Jurisdictionen von Bremen, Verden, Magdeburg und Hildesheim getheilt. Sechstes Buch. Achtes Capitel . Die oberste Superintendentur über alle diese Länder war jetzt, nach Beseitigung dieser Jurisdictionen, dem Urba- nus Rhegius aufgetragen. Er hielt es für seine Pflicht in dieser mühevollen, und selbst nicht ganz gefahrlosen Stellung zu verharren, auch als man ihn wieder nach dem Oberland berief, von wo er stammte. Mit großem Eifer stand ihm sein Fürst, Herzog Ernst, zur Seite. Nicht selten sehen wir ihn in Person mit seinem Kanzler und einem oder dem andern Prediger in den Klöstern er- scheinen und die Sache der Reform empfehlen; größten- theils traten die Stiftsherren oder auch die Priorinnen mit ihren Nonnen zur evangelischen Lehre über. Zuweilen hat- ten die Stiftsherren ein gleiches Interesse mit dem Her- zog, z. B. in Bardewik, was der Erzbischof von Bremen mit Verden vereinigen wollte. Allmählig wurden die Sächsischen Formen hier wie in Hessen vorherrschend. Alle Jahr ward eine Kirchenvisitation gehalten. Schreiben des Urbanus Rhegius an die Augspurger 14. Juli 1535 bei Walch XVII, 2507; vgl. Schlegel II, 51. 95. 211. Auch in dem fränkischen Brandenburg fuhr man fort die Klöster fürstlicher Verwaltung zu unterwerfen. Noch gab es jedoch an vielen Orten Mönche; zuweilen hatten sie Frauen genommen: hie und da hatte dieß der Abt selbst gethan. Bericht des Cornelius Ettenius p. 498. Neue Aebte und Aebtissinnen durften je- doch nicht mehr gewählt werden: höchstens Verwalterin- nen finden wir noch eintreten, wie Dorothea von Hirsch- hard in dem Fräuleinstift Birkenfeld. Es ward eine Kam- merordnung entworfen, nach welcher der Ueberschuß der Schwierigkeiten in Hinsicht d. Verfassung . Klosterverwaltung zu einer Gesammtcasse, einem Vorrath aufgespart werden sollte, für irgend einen Fall der Noth, in welche das ganze Fürstenthum gerathen dürfte. Alles aber, was von andern Stiftungen und erledigt werdenden Pfründen aufkomme, sollte zum Unterhalt der Pfarren und Schulen dienen. Im Jahre 1533 ward eine Kirchenord- nung entworfen, gemeinschaftlich mit Nürnberg, nach wel- cher Kirchen und Klöster sich richten sollten. Lang II, 42. Man sieht, alles war noch im Werden, noch ziem- lich formlos; an eine stabile Kirchenverfassung war noch nicht zu denken. Nur so viel sehen wir, daß das Prin- zip des weltlichen Standes überhaupt einen großen Vor- theil über die geistliche Seite davon trug. Ein Theil der geistlichen Einkünfte kam entweder dem Fürsten, oder dem Adel, oder auch den Städten, oder der Gesammtheit des Landes zu Gute. Ueberall trat eine Geistlichkeit, die ihre Stellung und Bedeutung den An- strengungen und dem Eifer der fürstlichen Gewalt verdankte, an die Stelle einer andern, deren Recht sich von der bi- schöflichen Autorisation herschrieb. Wie wenig sich aber der weltliche Stand auch dieser neuen Geistlichkeit zu unterwerfen geneigt war, davon zeugt unter andern jene nürnbergisch-brandenburgische Kirchenordnung. Die Geistlichen wünschten hier die Wiedereinführung des Kirchenbannes; die nürnbergischen trugen förmlich darauf an; die brandenburgischen waren wenigstens nicht dagegen, in ihrem Gutachten führen sie vielmehr Gründe für den Nutzen dieses Institutes auf. Allein sie konnten Sechstes Buch. Achtes Capitel . nicht durchdringen. Die Weltlichen wollten sich diesem Zwang nicht wieder unterwerfen. Bei der Publication der Kirchenordnung ward der Paragraph weggelassen, der davon handelt. Bedenken der markgraͤfischen Theologen uͤber die Kirchenord- nung bei Strobcl Miscellaneen II, p. 148. Noch 1741 wagte es der gute Hausmann nicht, uͤber diese Sache zu sagen was er doch wußte. Hausmann bei Spengler p. 55, 297. War man doch in Wittenberg selbst nicht dafür! Lu- ther fand, Bedenken bei D. W. IV, p. 389. zu dem öffentlichen Bann werde eine vorherge- hende Untersuchung, und hernach allgemeine Meidung des Gebannten gehören; jenes lasse sich nicht wohl ein- richten, dieses werde namentlich in großen Städten Ver- wirrungen veranlassen. Er sah wohl ein, daß die Reli- gion nicht dazu da ist durch irgend eine eigene Zwangs- anstalt äußere Ordnung zu handhaben, was ja eben in das Gebiet des Staates gehört. Die Kirche in Witten- berg begnügte sich, öffentlichen Frevlern das Sacrament zu versagen, doch ohne daß dadurch die bürgerliche Ge- meinschaft gehindert wurde. In der Predigt verdammte man die Laster und ermahnte die Obrigkeit sie nicht zu dulden. Weiter kam man auch anderwärts nicht. In Stras- burg ward im Jahre 1533 eine Provincialsynode einge- richtet, welche aber neben den geistlichen auch mehrere weltliche Elemente in sich einschloß, eine Commission des Rathes die sogar den Vorsitz führte, die Pfleger der Stadt- kirchen, die Doctoren der freien Künste und Lehrer. In den Artikeln, welche sie annahm, ward vor allen der Ob- Emancipation von d. geistlichen Element . rigkeit das Amt zugesprochen, den Lästerungen und dem äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher Kirchenzucht wollte sich jedoch der Rath nie verstehn. In Sachen des Glaubens lasse sich mit Geboten nichts aus- richten; da man sie doch nicht zu handhaben im Stande sey, so ziehe man sich nur Verlust des Ansehens zu, wenn man sie aufstelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt man eine tadellose Aufführung der Geistlichen, — die man sehr ernstlich, einen jeden persönlich ermahnte, — gutes Beispiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch die Ammeister in den Zünften. Erklaͤrung des Rathes v. 1534. Ebendas. II, p. 41. Man betrachtete die Kirche als ein Institut zur Ein- führung der Religion, jedoch nicht sowohl einer äußern, als der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an das Papstthum streifte. Sich von der Zwangsgewalt des geistlichen Standes loszureißen, die, wenn sie ausgeübt wurde, unendlich drückend, und wenn man sich davon ent- band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der vornehmsten Tendenzen der gesammten Bewegung. Man wollte den Einfluß und die geistliche Macht der hohen Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchischen System ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung einer strengen Kirchenzucht setzte sich sogleich die Idee ent- gegen, daß das christliche Prinzip durch angeregte Freiwil- ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und Zwang sie entweder unterjochen oder entfremden solle. Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Roͤhrich II, 263, besonders Art. 15. Sechstes Buch. Achtes Capitel . Indem man nun aber mit diesen Einrichtungen und Ueberlegungen beschäftigt war, denn vollkommen gesichert glaubte man sich durch die Zugeständnisse von Nürnberg, so zeigte sich doch, daß das nicht so ganz der Fall sey; die hohe Geistlichkeit der katholischen Kirche hatte in der Reichsverfassung eine allzustarke Repräsentation, in dem Reichsrechte einen zu stark ausgesprochenen Rückhalt, um ihre Sache sofort aufzugeben. Allerdings wies der Kaiser, von Mantua aus, am 6. November 1532 das Kammergericht an, alle Späne und Irrungen, Sachen der Religion belangend, bis auf seinen weitern Befehl einzustellen. Harprecht V, 295. Eine saͤchsische Gesandtschaft war dort angelangt, um die Sache zu treiben. Schreiben von Planitz, Man- tua 7. Dez. Diese bekam durch Held die Antwort, „und so weit die Forderungen am Kammergericht und zu Rothweil belangen thut, wuͤßte sich J. Mt. wohl zu erinnern des Vertrags“ ꝛc. Schon war bei demselben eine ganze Anzahl von Processen anhängig. Strasburg, Costnitz, Reutlingen, Magdeburg, Bremen, Nürnberg waren sämmtlich von der hohen Geistlichkeit verklagt; nicht minder einige Fürsten, wie Ernst von Lüneburg, Georg von Brandenburg. Mei- stens wurden eingezogene Güter zurückgefordert; zuweilen wurden aber auch wohl einem Capitel einem städtischen Stifte die ihm gehörenden Zinsen vorenthalten; oder die verehlichten Prediger sollten abgeschafft, in einer protestan- tischen Stadt katholisch-eifrige Priester eingesetzt werden, was sich diese nicht gefallen lassen wollte. Die Protestanten glaubten wohl, durch diese Weisung auf immer gesichert zu seyn. Das Kammergericht war jedoch nicht dieser Meinung. Irrungen mit dem Kammergericht . Es war auf die Beobachtung des Augsburger Ab- schiedes verpflichtet; es wußte sehr wohl, daß die Majori- tät ihm die Kriegführung wider die Protestanten aufge- tragen; Niemand auf Erden läßt sich gern Befugnisse ent- reißen, die ihm Macht verleihen. Durfte es aber wohl auf der andern Seite einer Weisung des Kaisers wider- sprechen, von dem sich sein Gerichtszwang herschrieb, in dessen Namen seine Urthel ergingen? Das Kammergericht ergriff den Ausweg, zu erklären, die schwebenden Processe seyen keine Sachen der Religion; es seyen Landfriedenbruchs-, Spolien-Sachen, es sey von Uebertretungen des Reichsabschieds dabei die Rede. Zunächst in den Händeln der Stadt Strasburg über die Renten und Kleinodien des Stiftes Arbogast kam diese Unterscheidung zur Sprache. Der Anwalt der Stadt, Dr. Herter, hatte die Klage gegen Strasburg für eine Sache aller Protestanten erklärt, die aber außerdem die Religion anbelange, und daher nach dem neuen kaiserlichen Erlaß jetzt nicht erörtert werden könne. Der Anwalt des Bischofs entgegnete, sein gnädiger Herr habe mit der Gesammtheit der Protestirenden nichts zu schaffen; die Sache betreffe auch ganz andere Dinge als die Religion. Die Prote- stanten wandten ein, an einem Frieden wie ihn das Geriche verstehen wolle könne ihnen nichts liegen; darum würden sie S. Maj. nicht bemüht haben; der Stillstand schließe zugleich Personen, Güter, Condepentien ein. Mit alle dem erreichten sie nichts weiter, als daß man beschloß, den Kaiser um eine Erklärung seiner Worte zu ersuchen. Der Kaiser war noch in Bologna, gleichsam im Hause Sechstes Buch. Achtes Capitel . des Papstes, in täglichen Unterhandlungen mit demselben begriffen, als ihm diese Frage vorgelegt ward. Er durfte den Papst, der ohnehin schwankte, nicht aufs neue beleidigen; er durfte auch die Majorität der Stände nicht verletzen. Und doch konnte er auch seinen Stillstand nicht zurück- nehmen. Er gab eine Entscheidung, dunkel wie ein Orakel- spruch. „Die Worte unserer Abrede,“ sagt er, „erstrecken sich nur auf Religionssachen; was aber Religionssachen sind, darüber kann keine bessere Erläuterung gegeben wer- den, als wie es die Sachen selbst mitbringen.“ 26. Jan. 1533. Harpprecht V, 300. Wahr- scheinlich hat Held, alter Kammergerichtsbeisitzer, der den Kaiser in Bologna begleitete, diese Erklärung ausgesonnen. So dunkel sie ist, so läßt sich doch an ihrer Tendenz nicht zweifeln. Man wünschte das Gericht in seinem Ver- fahren zu bestärken. Dahin wirkte dann auch, daß eine Commission, die im Mai 1533 das Gericht visitirte, die Mitglieder des- selben aufs neue anwies, den Abschied von Augsburg be- sonders in Hinsicht auf die Religion zu beobachten. „Dem Abschied von Augsburg, sonderlich der christlichen Re- ligion und Glaubens halber nachzukommen und stracks zu geleben.“ Es folgen noch andere Verfuͤgungen uͤber die Praͤsentation der Bei- sitzer, wenn die Kreise saͤumig sind; uͤber die Abkuͤrzung der langen muͤndlichen Vortraͤge. Harpprecht kannte diesen Abschied nicht. Ich sah ihn im Weim. A. Auf diesen doppelten Anhalt gestützt, kannte nun das Kammergericht keine Rücksicht weiter. Die Klagen wur- den angenommen und reproducirt; die Einwendung der Beklagten, daß das Kammergericht in Religionssachen kein ordentlicher Richter sey, machte keinen Eindruck; die Klä- Irrungen mit dem Kammergericht . ger brachten die Attentatklage ein; es konnte nicht anders gehen, die Acht mußte erfolgen. Hätten sich die Protestanten dieß gefallen lassen, so wäre ihre ganze Verbindung unnütz gewesen. Zuerst wandten sie sich — nach Beschluß ihrer Ver- sammlung zu Schmalkalden im Juli 1533 — an die Churfürsten von Pfalz und Mainz, die den Frieden ver- mittelt, und doch jetzt durch ihre Räthe an dem Abschied der Visitation Theil genommen. Die Churfürsten versi- cherten, daß ihnen derselbe nicht zur Last gelegt werden könne. Hierauf gingen die Protestanten das Gericht selbst an. Um zu beweisen, daß die schwebenden Processe Reli- gionssachen seyen, erinnerten sie an das Herkommen der römischen Kirche, kraft dessen alles für geistlich gelte, was eine Pfründe betreffe. Ihre Absicht bei dem Frieden sey allein dahin gegangen, sich der Klagen der Geistlichen zu erwehren, daß sie bei Aenderung der Lehre einer oder der andern Nutzung beraubt worden. Ueberdieß aber habe man ihnen damals die Abstellung des Strasburger Processes ausdrücklich verheißen. Sie drangen auf eine lautere Er- klärung, ob das Kammergericht kaiserlichem Befehle gemäß in dem Processe still stehen wolle oder nicht. Die direc- ten Antworten des Gerichts waren dunkel, ausweichend: desto deutlicher waren die indirecten, thatsächlichen. Im November 1533 wurden Meister und Rath von Stras- burg für schuldig erklärt, den gerichtlichen Krieg zu befesti- gen. Der Anwalt der Stadt wandte aufs neue ein, es sey nicht mehr eine Sache von Strasburg, sondern aller Pro- testanten. Der Anwalt des Bischofs fragte den Kammer- Sechstes Buch. Achtes Capitel . richter Grafen von Beichlingen, ob S. Gnaden seinen ohne Zweifel mit gutem Bedacht gegebenen Bescheid jetzt so un- billigerweise wolle anfechten lassen. Richter und Gericht erklärten nach kurzem Verzug, wenn sich binnen 14 Tage Niemand von Seiten der Stadt Strasburg einlassen wolle, so werde auf das Begehren des bischöflichen Anwalts er- gehen, was recht sey. In denselben Tagen wurden dem protestantischen Pro- curator Helfmann widerwärtige Schwierigkeiten gemacht, weil er den Eid für Gefährde nur zu Gott, nicht auch zu den Heiligen schwören wollte. Die Protestanten sahen, daß das im Vertrag zu Nürn- berg erworbene Zugeständniß ihnen unter diesen Umstän- den nichts mehr helfen werde. Indessen waren sie weit entfernt, ihren Anspruch fallen zu lassen. Am 30. Januar 1534 schritten sie zu einer förmlichen Recusation des Kam- mergerichts. Das Regiment war aufgehoben; der Kaiser entfernt; König Ferdinand damals noch nicht zu voller Obedienz ge- langt; und man weigerte sich, die Administration, die ihm der Kaiser übertragen, anzuerkennen. Da kam es nun auch dahin, daß das Gericht, das noch allein die Einheit des Reichs repräsentirte, von einem großen Theil der Stände verworfen ward. Es liegt am Tage, wie sehr diese Irrungen zu der Verstimmung beitrugen, welche den raschen Erfolg des Landgrafen Philipp in dem Wirtemberger Kriegszug so we- sentlich beförderte. So gehörten sie denn auch zu den wichtigsten Gegen- ständen, über die man in Annaberg und Kadan verhandelte. Friede von Kadan in religioͤser Beziehung . Ein Hauptgrund für den Churfürsten von Sachsen, in der Wahlangelegenheit nachzugeben, lag darin, daß Kö- nig Ferdinand, von dem ja sonst nichts als widerwärtige Einwirkungen auf das Gericht zu erwarten gewesen wären, sich anheischig machte, „nachdem ein Mißverstand wegen des nürnbergischen Friedens vorgefallen,“ eine wirkliche Einstel- lung der bisher wider die in demselben Begriffenen ein- geleiteten Processe zu bewirken. Man muß diese Worte wohl erwägen. Das Geständniß, daß ein Mißverstand vorgefallen, das Versprechen einer wirklichen Abstellung, sind offenbar bestimmt, die von dem Kammergericht vor- gebrachte Einwendung, so viel an dem Könige liegt, zu be- seitigen. So verstand man es auch von Seiten der Pro- testanten. Saͤchsisches Bedenken zur Zusammenkunft in Wien 1535. Die Fuͤrwendung des Kammergerichts, als nehme es keine Religions- sachen vor, sey durch den Vertrag abgeschnitten, „indem das sich K. Mt. verpflichtet hat obwol uf beruͤrten nuͤrnbergischen Frieden etwas Mißverstand, — welcher Mißverstand eben des Kammergerichts Ge- genfuͤrwendung gewest, — fuͤrgefallen, soll er doch aufgehoben seyn.“ Wir kennen die Weisung nicht, die der König hierauf an das Kammergericht erlassen haben wird; aber in der That finden wir auch keine Klagen über ein weite- res Vorschreiten dieses Gerichtshofes. Dabei blieb es allerdings, daß die Wohlthat des Still- stands nur denen zu Gute kommen sollte, welche in dem nürnbergischen Frieden namentlich aufgeführt worden: al- lein zugleich ward doch auch in Kadan eine andere Be- stimmung getroffen, welche eine der wesentlichsten Erweite- rungen des Protestantismus möglich machte. König Ferdinand hatte den Herzog von Wirtembreg Ranke d. Gesch. III. 31 Sechstes Buch. Achtes Capitel . in dem Frieden anfangs nicht allein verpflichten wollen, das Land von ihm zu Lehen zu empfangen, sondern auch keine Veränderung in Hinsicht der Religion vorzunehmen: ein Artikel war in Vorschlag gebracht, daß der Herzog in Hin- sicht der Religion einen Jeden in dem Wesen lassen solle, wie er ihn gefunden. Das ist ohne Zweifel der Sinn der etwas dunkeln Worte: „das Hzg. Ulrich einen jedern in dem Fuͤrstenthumb Wirtemberg der Religionssachen halber, in dem Wesen wie sie bis uf sein Einneh- men (gewesen) verfolgen, und zugestellt werden.“ Bestand aber Ferdinand, wie wir wissen, unerschütterlich auf der ersten Forderung, so beharrte der Churfürst eben so fest auf der Zurückweisung der zweiten. Denn unmöglich könne er zugeben, daß das Wort Gottes nach seines seligen Vaters und seinem Bekenntniß nicht ge- predigt werden solle; er könne den Lauf des Evangeliums nicht hindern; er werde es nicht thun, selbst wenn es der Herzog bewilligen sollte; eher werde er auch in der Wahl- sache zurücktreten. Jener Artikel mußte wirklich gestrichen werden. Wir kennen diese Unterhandlungen aus einem Schreiben des Chnrfuͤrsten von Sachsen an den Koͤnig bei Sattler III, p. 129. An den Rand jenes Artikels ward geschrieben: „Sol aussen pleiben.“ Alsdann ward der Herzog mit Freuden benachrich- tigt, er solle des Glaubens halber unverstrickt bleiben und Ge- walt haben, christliche Ordnung mit seinen Unterthanen vor- zunehmen. Durch Hans v. Doͤlzk Schreiben Ulrichs ibid. 124. Nur in Hinsicht derjenigen, welche mit Rega- lien ausgestattet, nicht eigentlich als seine Unterthanen zu be- trachten seyen, ward ihm eine gewisse Beschränkung auferlegt. Eben dieß sind nun aber die Bestimmungen, welche den Frieden von Kadan für die Religion so wichtig ma- chen. Wir sahen, daß es bei der wirtembergische Unterneh- Reformation in Wirtemberg . mung nicht darauf abgesehen war, die protestantischen Theo- logen davon nichts hofften, der Papst nichts fürchtete. Allein, vollzogen von einem der Oberhäupter der evangelischen Par- tei, zu Gunsten eines Fürsten, der sich während seiner Ver- bannung mit gleichen Gesinnungen durchdrungen hatte, und unter Bedingungen zum Ziel gebracht, wie die angeführten, konnte sie gar nichts anders als eine vollkommene Verände- rung des religiösen Zustandes in Wirtemberg nach sich ziehn. Auch war durch den Gang des Ereignisses gewisser- maaßen schon die Form vorgeschrieben, welche die Refor- mation hier nehmen mußte. Wäre die Wiederherstellung des Herzogs früher, viel- leicht durch eine jener politischen Combinationen, welche Zwingli beabsichtigte, bewirkt worden, so würde wahrschein- lich dessen Auffassung auch in dem Fürstenthum das Ueber- gewicht gewonnen haben. Jetzt aber, da der Krieg durch Hessen geführt, der Friede durch Sachsen bewirkt worden, nach der Niederlage der Schweizer und der Annäherung der Oberländer an das sächsische Bekenntniß war das nicht mehr zu erwarten. Vielmehr eignete sich der Herzog jetzt die Ausdrucksweise an, welche seit jener Annäherung vorwaltete; er machte bekannt, er werde Niemand dulden, der etwas anders, als die wahre Gegenwärtigkeit des wahren Leibes und Blutes Christi in dem Nachtmahl predige. Lautete doch ein Ar- tikel des Kadanschen Friedens ausdrücklich wider die Sa- cramentirer! Schreiben an Blaurer 22. Dezbr. 1534. Der Zusatz „wie Euch denn selber alles wohl wissen ist“ beweist, daß Ulrich sich von An- fang nicht anders ausgedruͤckt hatte. 31* Sechstes Buch. Achtes Capitel . Zu gleicher Zeit berief er einen der angesehensten ober- ländischen Theologen, Ambrosius Blaurer, vertrauten Freund Butzers, und den marburger Professor, Erhard Schnepf, ei- nen entschiedenen Anhänger Luthers, um die würtembergische Kirche einzurichten. Sie begannen damit, sich zu einer For- mel zu vereinigen, die ihnen beiden genugthat. Ihre Ver- einigung bezeichnet die sich bildende Einheit der deutschen evangelischen Kirche. Sie bekannten beide: Corpus et sanguinem Christi vere, i. e. substantialiter et essentialiter non autem quantitative aut qualitative vel localiter praesentia esse et exhiberi in coena. Eine Formel, deren scholastische Fassung vielen Evangelischen noch an- stoͤßig war. Hierauf übernahm Blaurer die Reformation des Lan- des oberhalb, Schnepf unterhalb der Staig. In Schnurrers Erlaͤuteruugen der W. K. und Rf. Gesch. liest man p. 127 als ein Factum, mancher, den Schnepf als zwei- felhaft zuruͤckgewiesen, sey ein paar Meilen weiter gewandert und von Blaurer angenommen worden. Schnurrer beruft sich dabei auf Fuͤß- li’s Epistolae Reformatorum p. 99. Da findet sich nun ein Schrei- ben Hallers an Bullinger, worin jener nach Berichten Thomas Blau- rers, schon im August 1534, also beim ersten Anfang von der Zwie- tracht beider Parteien erzaͤhlt: quam male conveniat Wirtenbergen- sibus ministris, da die Schnepfianer sehr auf die Schwaͤrmer schel- ten, et dum de quibusdam de Schnepfio periculum sit, cum ad ministerium apti sint, quum prima prope sit interrogatio de eu- charistiae causa, si Lutheranus fuerit, quantumvis alioquin do- ctus admittatur, sin minus rejiciatur et ab Ambrosio recipiatur. Man sieht, Thomas Blaurer sprach davon nur als von einer Ge- fahr, einer Moͤglichkeit. Eben so meinte wohl auch Jac. Sturm: Schnepf schuͤhe die unsern, werde die in Anstellung der Kirche mei- den. Daß aber Faͤlle, wie sie Schnurrer voraussetzt, wirklich vorge- kommen, waͤre noch erst zu beweisen. Die Prie- ster wurden nicht mehr nach den bisherigen Ruralcapiteln, sondern nach der weltlichen Abtheilung der Amteien zusam- Reformation in Wirtemberg . menberufen, und nachdem ihnen die Hauptpunkte der evan- gelischen Lehre vorgehalten worden, aufgefordert, sich zu erklären, was man von ihnen zu erwarten habe. Nachdem die östreichische Regierung so viel Mühe angewendet, die Religionsedicte aufrecht zu erhalten, fanden sich doch selbst unter den Pfarrern noch immer eine ganze Anzahl, die auf den ersten Ruf den Evangelischen beitraten. Im Tübinger Amt waren es sieben; die übrigen zwölf baten sich Bedenk- zeit aus. Unter diesen Umständen wurden die Cerimonien ohne alle Schwierigkeit geändert. Die Messe ward an vie- len Orten von selbst unterlassen, an den andern auf Befehl abgeschafft. Schnepf stellte eine Form des Abendmahls auf, mit welcher auch die Oberländer zufrieden waren. Dann griff man zu den Klöstern. Herzog Ulrich hatte gar kein Hehl, daß er die Güter „zur Bezahlung der Landes- schulden und Hinlegung obliegender, unträglicher Beschwer- den“ zu verwenden gedenke. Da er so lange außer Lan- des gewesen, die Schulden Ferdinands an den schwäbischen Bund übernommen, kann man sich nicht wundern, wenn er sich in der größten Geldverlegenheit befand, der er nur auf diese Weise abhelfen konnte. Schnurrer Erlaͤuterungen S. 149 nr. 1. Durch die in den Kadanschen Frieden aufgenommene Beschränkung ließ er sich dabei nicht hindern. Die östreichi- sche Regierung hatte ihm darin selbst vorgearbeitet; sie hatte auch über Stifte zweifelhafter Unterthänigkeit landesherr- liche Rechte geltend gemacht, und konnte nicht viel einwen- den, wenn nun ihr Nachfolger dasselbe that. Bericht Ambrosii Blaurers was er mit den Pfaffen Tuͤbin- ger Amts ausgerichtet; bei Sattler III, Beil. nr. 16. Sechstes Buch. Achtes Capitel . So ward das ganze Land in Kurzem umgebildet. Her- zog Ulrich erwarb sich das Verdienst, der Universität be- sondere Sorgfalt zu widmen. Unter den Lehrern finden wir gar bald berühmte Namen; nach dem Muster von Hessen ward das Stipendienwesen eingerichtet, das hier wohl noch größere Wirksamkeit entwickelt hat als dort: Tübin- gen wurde allmählig eine der vornehmsten Pflanzstätten pro- testantischer Gelehrsamkeit. Wirtemberg war eine Eroberung des Protestantismus auf den Grund des alten Erbrechtes deutscher Fürsten: — eine Eroberung von doppeltem Werth, da sie grade in den- selben Gegenden vollbracht ward, wo bisher der schwäbi- sche Bund die evangelischen Regungen niedergehalten hatte. Gassarus bei Menken I, p. 1798, sie sey geschehen: non sine totius Sueviae pfafforum monachorumque consternatione. In allen Oberlanden erhoben sich dieselben nun aufs neue; im Elsaß, wo der Einfluß von Strasburg nicht hingereicht; in den benachbarten dynastischen Gebieten — Markgraf Bernhard von Baden, Graf Philipp IV von Hanau, Lud- wig von Falkenstein, und der Mitanführer im Würtember- gischen Kriege, Wilhelm von Fürstenberg, reformirten nach und nach in ihren Territorien — in kleinen und großen Reichs- städten. Kaum konnte die Nachricht von der Schlacht bei Laufen erschollen seyn, so stellte Michael Kreß, Pfarrer in Weißenburg im Wasgau, die Messe ein (Juni 1534); der Rath war mit ihm einverstanden, und zögerte nicht, die mißvergnügte Dienerschaft des Stiftes aus der Stadt zu verweisen. Den größten Eindruck aber machte es, daß end- lich auch Augsburg förmlich übertrat. Die reformirte Lehre Reformation in Augsburg . war hier längst in Aufnahme. doch hatten auch die alten Meinungen noch mächtige Beschützer, z. B. die Fugger. Hätte man etwas gegen Bischof und Capitel unternommen, so würden diese bei dem schwäbischen Bund rechtliche oder factische Hülfe gefunden haben. Es liegt aber am Tage daß der Zustand, der unter diesen Umständen eintrat, wo die Gemüther täglich durch entgegengesetzte oder feindselige Predigten entzweit wurden, sich in einer Commune, die auch etwas im Reiche bedeuten wollte, nicht halten ließ; eben die Differenzpunkte bildeten jetzt den wichtigsten Theil der öffentlichen Angelegenheiten. Unter den politischen Ein- flüssen der damaligen Zeit bekam nun die evangelische Gesinnung, die schon lange die Majorität hatte, auch den Muth, ihre Rechte geltend zu machen. Gassarus a. a. O. Stetten, 335. Zapf: Leben Stadions S. 82. Der Geistlichkeit ward eine Disputation angeboten.. Da sie sich darauf ent- weder gar nicht einlassen wollte, oder doch nur unter Be- dingungen, welche die Stadt hinwieder nicht annehmen konnte, so faßte auch ohne dieß der große und kleine Rath unter der Leitung des Bürgermeisters Wolf Rehlinger den Beschluß, daß keine papistische Predigt weiter zugelassen, keine Messe, außer in den unmittelbar dem Bischof zuge- hörigen Kirchen geduldet werden solle. Dieß geschah am 22. Juli. Hierauf wurden die meisten Capellen geschlos- sen; ein Theil der Geistlichkeit verließ die Stadt; ein an- derer schloß sich um so enger an Bischof und Capitel an. Nahe verwandte Motive des innern städtischen Lebens bewirkten in denselben Zeiten den förmlichen Uebertritt von Sechstes Buch. Achtes Capitel . Frankfurt, obgleich ohne so entschiedenen Einfluß der po- litischen Ereignisse. Kirchner Geschichte von Frankfurt II, 84; auf beide Staͤdte komme ich zuruͤck. Ueberhaupt bedarf es weiter keiner Erörterung, daß, wenn die religiöse Meinung durch den Gang der Politik begünstigt wurde, ihr doch auch an und für sich eine große Selbständigkeit zukam: sie hatte die Ereignisse vorbereitet, durch welche sie hinwiederum entbunden ward. Noch war sie kräftig genug, sich zuweilen in geradem Widerspruch mit dem, was die politische Lage zu fordern schien, geltend zu machen, wie das eben damals in An- halt geschah. Denn was konnte wohl für die Mehrzahl der anhal- tischen Fürsten, für welche der Eine von ihnen, Fürst Jo- hann, den Reichsabschied von Augsburg unterschrieben, ge- fährlicher seyn, als hievon zurückzutreten, in Widerspruch mit den mächtigen Nachbarn, deren Gunst sie nicht ent- behren konnten, dem Herzog Georg von Sachsen, dem Chur- fürsten Joachim von Brandenburg und dem Erzbischof Al- brecht. Der eine von den Brüdern, Fürst Georg, war geistlich, bereits Dompropst in Magdeburg und in Merse- burg; seine Zukunft schien an das Bestehen der römischen Kirche geknüpft zu seyn. Eben Dieser aber trug zur Ver- änderung gerade das Meiste bei. Er versichert, auch ihm, so nahe er gewesen, habe man doch die lutherische Sache so ungünstig als möglich vorgestellt, gleich als seyen darin gute Werke verboten, gute Ordnungen umgestoßen, alles un- christliche Wesen zugelassen. Allein gar bald habe er sich anders überzeugt. Er habe gefunden, daß bei den Prote- Reformation in Anhalt . stanten der heiligen Schrift, der alten und sogar der römi- schen Kirche gemäß gelehrt werde. Schreiben Georgs an den Kaiser in Fuͤrst Georgs Schrif- ten und Predigten p. 368. Nach und nach ward er mit seinen Brüdern so eifrig, daß sie es nicht mehr dul- den wollten, als am grünen Donnerstag des Jahres 1532 ein Dominikaner sich auf ihrer Kanzel in Dessau in har- ten Ausdrücken wider den Gebrauch beider Gestalt verneh- men ließ. Sie ersetzten ihn durch einen Freund Luthers, Niclas Hausmann. Herzog Georg versäumte nicht, sie an die Ungnade des Kaisers zu erinnern, ihnen Ungedeihen zu weissagen; er meinte, Fürst Georg werde nun nicht mehr dazu gelangen, wozu er wohl sonst Hoffnung gehabt, aber er machte weder mit Betrachtungen dieser Art, noch mit doctrinellen Einwendungen Eindruck bei ihnen. Schreiben des Fuͤrsten Joachim an Georg ibid. 384. Lu- ther freut sich dieses Anfangs etiamsi id factum non sit sine gravi periculo, magnis principibus contrarium suadentibus insuper etiam minantibus. Schreiben an die drei Bruͤder Johann, Joachim und Georg, in Lindners Mittheilungen aus der Anhaltischen Geschichte, Heft II, wo sich einige Briefe finden, die bei D. W. fehlen. Getrost fuhren sie fort. Und da hatte es nun eine besondere Bedeutung, daß hier ein Mitglied des fürstlichen Hauses zugleich eine hohe geistliche Stelle in der Diöcese bekleidete. Als Archidiaconus und Dompropst der magdeburgischen Kirche glaubte Fürst Georg eine regelmäßige geistliche Autorität in seinem Gebiet ausüben zu können. Auf den Grund einer dieß Mal vereinig- ten geistlichen und weltlichen Gewalt, wurden die Geistli- chen der anhaltischen Länder am 16. März 1534 zusam- menberufen, und angewiesen, in Zukunft das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszutheilen. Instruction fuͤr die Gesandten Johanns und Joachims von Anhalt an den Erzbischof; — (Archiv zu Dessau). Der Erzbischof Car- Sechstes Buch. Achtes Capitel . dinal war damit, wie sich denken läßt, nicht zufrieden, aber Fürst Georg bestand darauf, daß die geistliche Jurisdiction zunächst ihm, dem Archidiaconus zustehe, wobei dem Cardi- nal die erzbischofliche Aufsicht vorbehalten bleibe. Er ließ sich nicht abhalten, nach und nach die Pfarren diesseit der Elbe mit Schülern Luthers zu besetzen. Als nun aber die Re- form auch in dem jenseitigen Gebiete beginnen sollte, wo die Jurisdiction dem Bischof von Brandenburg zustand, änderte sich das Verhältniß. Anfangs ersuchte Fürst Georg den Bischof, die Priester zu ordiniren, die er ihm zusenden wolle. Natürlich weigerte sich dieser, verheiratheten Prie- stern die Weihen der katholischen Kirche zu geben. Aber auch Fürst Georg trug dann kein Bedenken weiter, seine Can- didaten nach Wittenberg zu Luther zu schicken, der sie prüfte, und wenn er fand, daß sie der reinen Lehre zugethan, ih- nen darüber ein Zeugniß ausstellte und sie ordinirte. Ein Glück war es auf jeden Fall, wenn die Sachen irgendwo so in Ruhe sich entwickelten. In andern Ländern, wie in Pommern, kam es dage- gen zu den heftigsten innern Kämpfen. Hier waren die Gegensätze schon immer überaus heftig gewesen. In den Bürgerschaften war es hie und da zu bilderstürmerischen Un- ruhen gekommen: mit welchem Hasse ihnen die Anhänger des Papstthums dafür begegneten, davon zeugen ihre Schimpf- lieder, die uns übrig sind. Adel und Clerus des ganzen Landes hielten den Städten gegenüber zusammen. Die bei- den Fürsten, Georg und Barnim entzweiten sich. Von Georg fürchteten die Protestanten noch 1531 thätige Theil- nahme an dem Kriege, der sie bedrohte. Aber Barnim, Reformation in Pommern . derselbe, der an der Leipziger Disputation Theil nahm, ließ den Bund wissen, wo sein Bruder aufgebiete, wolle er niedergebieten. Verhandlung zu Schmalkalden. Judica 1531. Er lehnte den Beitritt zum schmalkaldischen Bund ab, „weil er noch mit seinen Bruͤdern in ungetheilten Guͤtern sitze.“ Er hätte auch darum Theilung der Land- schaften und getrennte Regierung gewünscht, um die reli- giöse Neuerung zu unterstützen. In diesem Moment aber starb Herzog Georg; und dessen Sohn Philipp, — jung, lernbegierig, und gegen seine katholische Stiefmutter eher in Opposition, — war nun leichter zu gewinnen. Wahr- scheinlich haben sich Barnim und Philipp auf einer Zu- sammenkunft zu Cammin im August 1534 vereinigt, was so viele Andere gethan, nun auch in ihren Ländern zu un- ternehmen. Auf einem Landtag zu Treptow im folgenden December legten sie einen Reformations-Entwurf vor, der eigentlich auf einen Vorschlag der Städte gegründet ist, und bei diesen, — einige Kleinigkeiten abgerechnet, — die freudigste Aufnahme fand Der treffliche Pomeranus, Doc- tor Bugenhagen, ward herbeigerufen, um eine Kirchenvi- sitation im Sinne von Wittenberg zu unternehmen. Aber um so heftigern Widerspruch erhoben nun Clerus und Adel. Der Bischof von Cammin, den man gebeten, die Verände- rung zu leiten, wies das weit von sich; der Abt von Al- tencamp brachte ein Mandat des Kammergerichts aus, das den Herzogen jede Neuerung untersagte. Die Ritterschaft ward überredet, es sey auf einen Bund zwischen den Für- sten und den Städten abgesehn, der nur zu ihrem Verder- ben ausschlagen könne, und ließ sich nicht die mindeste Theilnahme abgewinnen. Schreiben des Abt Johann Huls, (8. Juni) und der pom- Sechstes Buch. Achtes Capitel . Das war überhaupt der Zustand eines großen Theils von Niederdeutschland. Dem Herzog Heinrich von Mek- lenburg, der 1534 das Abendmahl unter beiderlei Gestalt genommen, stand sein Bruder Albrecht mit dem größten Theile der Landschaft entgegen. Welche Opposition die Umwandlung in Holstein noch immer fand, beweist ein Schreiben Landgraf Philipps an Herzog Christian über die Mittel, den Adel für dieselbe zu gewinnen. Fast überall finden wir Capitel und Ritterschaften mit den reformatori- schen Tendenzen der Städte in Widerstreit. Namentlich in Westfalen war so eben der heftigste Kampf ausgebrochen. In den westfälischen Städten setzte sich die Bewegung fort, wie sie in den niedersächsischen begonnen. Lutheri- sche Lieder wurden von den Knaben vor den Thüren, von Männern und Frauen innerhalb der Häuser, erst bei Abend dann bei Tage gesungen, lutherische Prädicanten erschienen. Hie und da lösten sich die Klöster von selbst auf, wie in Hervord; Frater und Süsterhaus, welche bestehen blieben, nahmen die Reformation an. Wolte, sagt Luther, daß die Kloͤster alle so ernstlich Gottes Wort wolten beten und halten. In Lemgo fand sich der Pfarrer Pideritz, lange Zeit ein Anhänger von Johann Eck, endlich durch die Gegenschriften überzeugt, reiste noch einmal nach Braunschweig, um die Art und Weise der Veränderung sich anzusehn; als er wiederkam, trat er als evangelischer Pfarrer auf und reformirte die Stadt. Der alte Bürgermeister Flörken, der die hierarchischen Ordnun- gen bewunderte und sie für die einzig zulässige Darstellung merschen Ritterschaft (25. October 1535) bei Medem Gesch. d. Einf. der ev. Lehre in Pommern 197, 231. Reform. in Westfalen. Soest . des Christenthums hielt, mußte endlich den Neuerern wei- chen, welche die scholastischen Doctrinen aus der Epistel an die Römer widerlegten. Der andre damals ausgetretene Buͤrgermeister war Andreas Kleinsorg, Großvater des Gerhard von Kleinsorgen, der eine west- faͤlische Kirchengeschichte im katholischen Sinne verfaßt hat. Es waren jedoch nur zwei, drei Orte, wo die Bewe- gung im Ganzen so friedlich abging; in andern kam es darüber zu gewaltsamen Ereignissen, z. B. in Soest und in Paderborn. In Soest waren die Bürgermeister und Rathsherrn wider ihren Willen genöthigt worden, die lutherische Predigt zu gestatten, die augsburgische Confession, eine evangelische Kirchenordnung anzunehmen. Den katholischen Geistlichen ward vorgeschrieben „ut ho- neste viverent — — abolita superstitione tantum;“ sie wichen groͤßtentheils aus der Stadt. Da sie jedoch im Amte blieben, konnte es an Reibungen zwischen ihnen und den Wortführern der evangelischen Partei in der Gemeinde nicht fehlen. Besonders war ihnen ein Gerber verhaßt, des Na- mens Schlachtorp, und um ihr wankendes Ansehen we- nigstens in bürgerlichen Dingen wiederherzustellen, ergriffen sie die Gelegenheit, beim ersten Exceß, den derselbe mit ein paar Andern beim Weine beging, — sie hatten da eigent- lich nur tapfer geschimpft — ihn festzunehmen, vor Ge- richt zu stellen, und was Niemand erwartete, er selbst am wenigsten, denn sonst hätte er leicht entfliehen können, mit den Uebrigen zum Tode zu verurtheilen. Da half nun keine Einrede über die Geringfügigkeit des Vergehens, keine Für- bitte; der Tag der Hinrichtung ward festgesetzt; um diesen Act zu schützen, vertraute der Rath den ergebensten unter den Bür- Sechstes Buch. Achtes Capitel . gern, die noch zum Theil katholisch waren, die Waffen an. Wir sind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot zu begleiten Als er dahin kam, wendete er sich noch ein- mal an die Menge der evangelisch gesinnten Bürger, die sich überaus zahlreich aber unbewaffnet versammelt hatten, und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil- len sterben müsse, stimmte er das Lied an, „mit Fried und Freud fahr ich dahin“; die ganze Menge fiel ein. Man wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geschehe, aber der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man hielt sich nicht für befugt, in dasselbe einzugreifen. Der Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerst sterben wolle. Schlachtorp forderte diese Ehre für sich, saß auf dem Armensünderstuhl nieder, ließ sein Hemd abstreifen und und bot seinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun das Glück, daß der Henker denselben nicht richtig führte, nicht den Hals traf, sondern den Rücken, so daß Schlacht- orp mit dem Stuhl umschlug, eine furchtbare Wunde em- pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam herbei, hob ihn auf, und richtete ihm schon den Hals zu dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht- orp sein Bewußtseyn wiederbekommen; er meinte, dem Rechte sein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter verpflichtet zu seyn; mit rascher Wendung, obwohl ihm die Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das schon wieder gezückte Richtschwert, und hielt es mit einer durch die Todesnoth verdoppelten Kraft fest, so lange bis er den Strick um seine Hände mit den Zähnen zerrissen hatte, worauf er die mit eignem Blut gefärbte Waffe so gewaltig um sich Reform. in Westfalen. Paderborn . schwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten. Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus- bruch kam. Der Magistrat gebot den Henkern abzustehn; die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert in den Händen hielt, triumphirend nach Hause. Hier starb er zwar, in Folge des Blutverlustes, der Wunde und der Anstrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein Leichenbegängniß erlebt, wie das seine. Männer und Wei- ber, Alt und Jung, Evangelisch- und Päpstlichgesinnte wa- ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtschwert sehn, das auf dem Sarge lag. Man kann sich denken, wie sehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider- wille gegen den Rath anwachsen mußte; bei jeder Gelegen- heit sah derselbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für das Beste die Stadt zu verlassen (Juli 1533). Dann trat ein neuer Rath ein, und die evangelische Organisation ward vollständig vollzogen. Auch die Ereignisse von Paderborn führen uns an ein Hochgericht, obwohl sie sich nicht so grauenvoll entwickelten. Auch hier nemlich hatte sich die Gemeine, nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und schon ein paar Kirchen an protestantische Prädicanten über- liefert; keine Unterhandlung des Landdrosten, keine Verord- nung des Landtags hatten sie davon zurückzubringen ver- mocht; als endlich der neugewählte Administrator des Stif- tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmsten des Lan- des und bewaffnetem Gefolge daselbst einritt, um die Hul- digung anzunehmen. Hermann war von Natur kein Ei- Sechstes Buch. Achtes Capitel . ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg- nen, aber die Vorstellungen der Domherren und des Ra- thes, so wie einige Nichtachtung seiner Oberherrlichkeit, die er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltsamen Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er sagte, um einen gnädigen Abschied zu nehmen, berief er die Bürgerschaft nach dem Garten des Abdinkhovischen Klosters: als sie aber hier zusammengekommen, sah sie sich von bewaffneten Mann- schaften umgeben; die Anführer der evangelischen Partei wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be- züchtigte sie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen von Hessen zu überliefern, unterwarf sie der Tortur, und sprach ihnen endlich vor versammeltem Volk, im Angesicht des Schaffotes, das schon mit dem Sand bestreut war, der ihr Blut trinken sollte, das Todesurtheil. Allein hier ging es nicht wie in Soest. Der erste Scharfrichter er- klärte, die Leute seyen unschuldig, er wolle lieber selber ster- ben, als sie hinrichten; aus der Menge hörte man ei- nen alten Mann, der deshalb an seinem Stabe herbeige- schlichen, ausrufen, er sey so schuldig wie die Verurtheilten, er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem traten aus einem nahen Hause die Frauen und Jungfrauen der Stadt hervor, jene mit offener Brust, diese mit zer- streuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange- nen. Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle. Dem Churfürsten Hermann, einem geborenen Wied, der, wie erwähnt, Gewaltsamkeiten dieser Art nicht liebte, traten die Thränen in die Augen; da er auch seine weltlichen Großen erschüttert sah, schenkte er den Verurtheilten das Reformation in Westfalen . Leben. Nur kam damit die Lehre nicht wieder empor. Die Evangelischgesinnten wurden unter strenger Aufsicht ge- halten, nach Befinden mit Geldstrafe belegt. Ein Receß ward aufgerichtet, durch welchen die neue Lehre auf das schärfste verpönt ward. „Wollen, daß nun und hinfuͤro kein fremder Mann, Frau, Knecht oder Magd, welche aus solchen Staͤdten und Flecken herkom- men, die der neuen Lehre anhaͤngig oder deshalb beruͤchtigt sind, zu Dienstboten in unsrer Stadt Paderborn angenommen werden, 1532 18. October. Bei Kleinsorgen Bd. II, p. 364. Man sieht, welche Kräfte hier in Westfalen mit einan- der kämpfen: auf der einen Seite geistliche Fürsten, Domca- pitel, Ritterschaften, Stadtobrigkeiten eng verbündet: dagegen lebhaft angeregte, durch eifrige Prädicanten befeuerte Bürger- schaften: die einen so gewaltsamer Natur wie die andren. Jene tragen kein Bedenken ihre jurisdictionellen und ober- herrlichen Rechte mit äußerster Härte zur Dämpfung der Lehre anzuwenden: diese dagegen, gehorsam so lange es das strenge Recht gilt, sind doch augenblicklich zum Aufruhr fertig, so wie dasselbe im mindesten verletzt zu seyn scheint. Der geistliche Staat, der hier die höhern Classen durch ge- meinschaftliche Interessen zusammenhält, sieht sich von den untern, die seine Berechtigung läugnen, mit aller Heftig- keit eines beginnenden Abfalls angegriffen. Nirgends aber stießen diese Gegensätze gewaltiger auf einander, als in dem Mittelpunkt der geistlichen Or- ganisation; dort wo die Bezeichnung des einst zur Zeit der Einführung des Christenthums an der Aa gestifteten Klosters die alten Namen des Ortes und des Gaues ver- Ranke d. Gesch. III. 32 Sechstes Buch. Achtes Capitel . drängt hatte, und selber zum Namen der Stadt und des Landes geworden war, in Münster. Da hatte sich ein lutherischer Prädicant, der schon einmal entfernt worden war, Bernhard Rottmann, doch wieder zu St. Moritz vor der Stadt festgesetzt, und sich einen solchen Beifall erworben, daß ihm endlich der Bischof auf Antrieb der städtischen Geistlichkeit das sichere Geleit aufkündigte. Die Folge hievon war jedoch nur, daß ihn seine Anhänger in die Stadt selbst aufnahmen, wo sie ihm an- fangs eine hölzerne Kanzel auf einem Kirchhof errichteten, gar bald aber, und zwar wohl mehr durch Androhung von Gewalt, als durch Anwendung derselben, die Kirche zu St. Lamberti eröffneten. So erzaͤhlt der aͤlteste einfachste Bericht: Dorpius wahrhaf- tige Historie, wie das Evangelium zu Muͤnster angegangen: „so ward die Kirche, daß nicht zu Lerman gerieth, geoͤffnet.“ Hierauf ward ein Ausschuß der Bürgerschaft ernannt, der die neue Lehre gegen Clerisey und Rath vertheidigen sollte. Es erschienen noch andere lutheri- sche Prädicanten, und man veranstaltete eine Disputation, um die Mißbräuche des bisherigen Dienstes zu widerlegen. Da sich Niemand recht zu dessen Vertheidigung erhob, so bekam die Gesinnung der Gemeinde auch auf den Rath Einfluß, der hier überhaupt der alten Verfassung gemäß einer populären Einwirkung Raum gab, und gewann zuletzt die Majorität. Dann schritt man ohne zu zögern zu einer de- finitiven Einrichtung. In feierlicher Versammlung auf dem Schauhaus wurden die sämmtlichen Pfarrkirchen von Rath, Oldemännern und Gildemeistern den neu angekommenen Predigern überliefert. Die Clerisey sammt der Minorität des Rathes verließ die Stadt. Die religiöse Umwandlung war, Reform in Westfalen. Muͤnster . wie wir sehen, mit einer bürgerlichen Bewegung verbun- den, wie sie in jenen Zeiten so häufig vorkamen. Noch weniger aber in Münster als anderwärts hätten die Vertriebenen ihre Sache aufgegeben; sie fanden an Rit- terschaft und Capitel natürliche Verbündete. Auch hier ward der Eintritt eines neuen Bischofs, Franz von Waldeck be- nutzt, um allgemeine Maaßregeln des Landes gegen die Stadt hervorzurufen. Die Zufuhr ward ihr abgeschnitten, ihre Zinsen und Renten wurden zurückgehalten, die Bür- ger selbst, wo man sie betraf, gefangen. Die Aufhebung dieser Zwangsmaaßregeln knüpfte man an die Bedingung, daß die alte Religion wiederhergestellt würde. Die Evangelischen aber, die in ihrem Rechte zu seyn glaubten, waren nicht der Meinung, zu weichen. Kam es auf Gewalt an, so fühlten auch sie sich stark genug dazu. Gar bald zeigte sich ihnen die beste Gelegenheit einen küh- nen Schlag auszuführen, der Alles entscheiden mußte. So eben war der Bischof mit den Landständen zu sei- ner Huldigung zu Telgte, eine Meile von Münster, einge- ritten. Von hier aus kam, den ersten Weihnachtsfeiertag 1532, den Bürgern jene Anmuthung zu, der alten Reli- gion wieder beizutreten. Sie waren sogleich entschlossen, was sie thun sollten. In der nächsten Nacht machten sie sich, 900 Mann stark, zum Theil streitbare Bürger, zum Theil geworbene Soldaten, mit Handgeschütz und ein paar kleinen Kanonen auf vierrädrigen Karren, gegen Telgte hin auf. Das Glück wollte ihnen so wohl, daß die Reiter- posten des Bischofs doch nicht auf sie stießen. In der Morgendämmerung langten sie bei Telgte an, stießen die 32* Sechstes Buch. Achtes Capitel . Thore mit Hebebäumen ein, besetzten die Straßen, und dran- gen in die Häuser, wo ihre Feinde ruhig schliefen. Sie nahmen sie beinahe alle gefangen; die Räthe des Fürsten, die vornehmsten Mitglieder des Domcapitels, des Ritter- standes, ihre eignen ausgetretenen Rathsherrn: der Fürst selbst war zu seinem Glück schon abgereist. Die Abgeord- neten der kleinen Städte ließen sie gehen; die übrigen aber, eben alle ihre alten Widersacher, führten sie auf ein paar Wagen nach Münster zurück. Instruction und Berichtung des muͤnsterschen Marschalls Thanne von Hardt in den Klevischen Acten des Duͤsseldorfer Archivs erzaͤhlt. Unterhandlungen und Angriff wie bekannt: „alsdann etlich unser gewaltigen Herren von Muͤnster, desgleichen rede verordnete eins Domcapitels u. der Ritterschap, ok somige ander des Adels, ok somige von den Stedten gefenglich genummen, — — Wie freudig rührte der Spielmann die Trommel, als der Zug nach wohlausge- führtem Unternehmen, Mittag um 11 Uhr, die Stadt wie im Triumph wieder erreichte. Und hiedurch nun gelangten sie zunächst wirklich zu ih- rem Zweck. Zu einem eigentlichen Angriff konnte der Bischof nicht schreiten: hätte er auch die Kräfte dazu gehabt, so hätte er doch die Rache der Bürger an ihren Gefangenen fürchten müssen. Vielmehr ersuchten ihn die besorgten Ver- wandten dieser Gefangenen, die Feindseligkeiten einzustellen, die sie einst selbst veranlaßt hatten. Schreiben des Confirmirten Franz 17. Jan. 33. „sind wir durch etzliche Grafen auch ein trefflichen Adel u. Verwandte, sunder- lich den von Buern und Mengersheim umb Erloͤsung derselben die also in unserm Dienst niedergelacht, sehr heftig angesoicht.“ Unter hessischer Ver- mittelung kam im Februar 1533 ein Friede zu Stande, in welchem der Stadt für ihre sechs Pfarrkirchen, in Hin- sicht der Cerimonien so gut wie der Predigt die Freiheit Reform. in Westfalen. Muͤnster . gewährt wurde, der augsburgischen Confession zu folgen, nur sollte sie dagegen auch die Ausgewanderten wieder zu- rückkommen, und den alten Ritus für Bischof, Capitel und Stift bestehen lassen. Der Landgraf als Vermittler, Bi- schof und Capitel, die Abgeordneten der Ritterschaft, unter ihnen ein Raesfeld, zwei Drosten, ein Büren, die Raths- herrn der Städte unterzeichneten den Frieden. Damit schien denn alles beigelegt. Der Bischof erschien in der Stadt und nahm die Huldigung ab; eine evangelische Kirchenord- nung ward publicirt, in der man auch für die Armen Sorge trug; man eröffnete Unterhandlungen über den Eintritt in den schmalkaldischen Bund. Hätten diese Dinge Bestand gehabt, sagt Kersenbroik, so würde die münstersche Clerisey unter ein nie wieder zu hebendes Joch gerathen seyn. Wir dürfen hinzufügen, in Stadt und Land würde der Protestantismus noch heute herrschen. Schon ahmten die benachbarten Gemeinden, Wa- rendorf, Beckum, Aalen, Coesfeld das Beispiel von Mün- ster nach. Der Bischof selbst, der so wenig fest war, wie Hermann von Cöln, würde zuletzt mit fortgerissen worden seyn; Münster würde über ganz Westfalen entschieden haben. Allein eben an dieser Stelle sollte sich wieder zeigen, welche Gefahren mit der Veränderung altgewohnter Zu- stände nun einmal immer verknüpft sind. Ueber ganz Deutschland hin war das Prinzip der Re- formation aufs neue in lebendigem Fortschritt, in Aus- breitung und Eroberung begriffen; aber ebendeshalb setzte Sechstes Buch. Achtes Capitel . es sich auch überall in freie und unberechenbare Beziehung zu den Bestrebungen, Bedürfnissen, Leidenschaften der Men- schen. Zwar hatte sich jetzt in den Protestanten eine Macht gebildet, die demselben einen regelmäßigen Ausdruck gab, — einen solchen, dessen Legalität und Vereinbarkeit mit den Zuständen des Reichs sich Anerkennung verschafft hatte, wenn auch fürs Erste eine noch unvollkommene und einseitige; — allein auch an diese konnten sich die Neuerungen nicht so geradehin anschließen. Die Mitglieder des schmalkaldischen Bundes, denen der Friede zu Gute kam, waren nament- lich genannt, und noch wagten sie nicht, sich mit Andern zu vereinigen. Allerwärts mußte sich die Neuerung le- diglich mit eignen Kräften durchsetzen; natürlich, daß sie dabei auf ungewohnte, von der schon gebildeten evangeli- schen Kirche abweichende Wege gerieth. Auch schon früher, in den niedersächsischen Städten, hatte sich die Bewegung nicht leicht bei den Resultaten ihrer ersten Siege, bei der bloßen Freiheit des Gottes- dienstes nach neuem Ritus beruhigen wollen. In Mag- deburg war noch unter dem Einfluß der Bauernunruhen von der Gemeinschaft der Güter gepredigt worden; nur ein so entschlossener Wille, wie Amsdorfs, der zum Su- perintendenten der magdeburgischen Kirche berufen ward, konnte die friedfertigen Intentionen Luthers da durchkäm- pfen und festhalten. In Braunschweig that sich bald nach Aufstellung der lutherischen Kirchenordnung, unter den Predigern selbst, welche dieselbe abfassen helfen, eine Neigung zum Zwinglianismus kund; sie verwarfen Or- Reform. in Westfalen. Muͤnster . gel und Figuralgesang, vor allem aber gewisse Lieder während der Communion, in welchen der lutherische Be- griff ausgesprochen war; aber der Rath der Stadt, beson- ders der Syndicus Levin von Emden erklärten sich gegen jede Neuerung; sie wollten nicht dulden, daß man im Wi- derspruch mit der so eben angenommenen Kirchenordnung wieder etwas Besonderes anrichte: sie fürchteten ohne Zwei- fel, einer neuen Bewegung nicht sobald wieder Ziel setzen zu können. In Goßlar finden wir dieselben Erscheinungen. Zum Theil waren es die von Braunschweig verjagten Zwing- lianer von denen sie herrührten; aber auch hier wachte Ams- dorf über die wittenbergische Ordnung; die Gegner wurden auch hier entfernt. In Münster nun traten verwandte aber bei weitem stär- kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em- porgekommen, von denen der Eifrigste Rottmann jetzt die Aufsicht eines Superintendenten über die andern führen sollte, zeigte sich nicht allein Hinneigung zu der zwinglischen Auffas- sung der Abendmahlslehre, sondern was bei der Verflechtung der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war, eine starke Abweichung selbst von Zwingli in Beziehung auf das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe. Alles was in Münster die Ruhe liebte, und sich mit dem bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erschrak hierüber; der Rath, so demokratisch er auch constituirt war, setzte sich dagegen; es ward eine Disputation veranstaltet, deren Aus- fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge hatte. Auch die Marburger Universität gab ein Gutachten gegen ihn, und ein paar hessische Theologen erschienen, den Sechstes Buch. Achtes Capitel . Rath wider die Neuerer zu unterstützen. Mit alle dem war aber der neue Rath, der noch immer die Tendenzen der ka- tholischen Partei zu bekämpfen hatte, nicht stark genug, energische Maaßregeln zu ergreifen. Rottmann und seine Anhänger blieben in der Stadt, und hatten eine um so grö- ßere geheime Wirksamkeit, je mehr man ihre öffentliche be- schränken wollte. Einer weltlichen Behörde, die doch ihr Daseyn der von ihnen geleiteten religiösen Bewegung ver- dankte, waren sie nicht geneigt, sich zu unterwerfen. In dieser Opposition geriethen sie auf den Gedanken, einem Element der geistigen Bewegung, dem sie sich bereits genähert, — wir sind ihm schon öfter begegnet und wissen, wie es von aller gesetzmäßigen Gewalt ausgestoßen und ver- folgt, doch immer fortschritt und eine unwiderstehliche Macht auf die Gemüther ausübte, — dem wiedertäuferischen, öf- fentlich Eingang in Münster zu gestatten. Ein Ereigniß, das zugleich eine allgemeine Bedeu- tung hat. Das reformatorische Prinzip, wie es sich bisher gestal- tet, sah aufs neue, wie in den Zeiten des Bauernkrieges Tendenzen neben sich aufkommen, von denen es selber wie- der zerstört worden wäre. Hatte es sich auf der einen Seite gegen die Mächte der alten Kirche unerschütterlich aufgestellt, so mußte es nach dieser andern hin abermals Gefahren bestehn, die doch auch Momente hatten, wo sie sich sehr drohend erhoben. Die Bahn freier geistiger Kämpfe war nun einmal eröffnet; man sollte inne werden, daß die Siege in diesen Regionen nicht leicht erfochten werden. Neuntes Capitel . Wiedertäufer zu Münster. Blick auf die Wiedertäufer im Allgemeinen. Wie hätte sich in einem Augenblicke, wo das große kirchliche Institut, welches die Ueberzeugungen so viele Jahrhunderte daher mit mehr oder minder willkührlichen Satzungen gefesselt hatte, erschüttert, zum Theil gestürzt, seines Einflusses beraubt wurde, überhaupt denken lassen, daß die Geister sich doch wieder sämmtlich zu gleichen po- sitiven Meinungen vereinigen würden? Ich wundere mich weniger, daß es nicht vollständig Statt fand, als darüber, daß es noch in so hohem Grade geschah, wie es geschehen ist. Jetzt aber sollten doch noch einmal die Gegensätze sich gewaltig erheben. Wir sahen, welchen Widerspruch sowohl Zwingli als Luther in einer dritten Partei fand, welche die Kindertaufe verwarf. Dort bemerkten wir jedoch zugleich, daß diese Verwerfung keineswegs die ausschließende Unterscheidungs- lehre, sondern nur das Wahrzeichen einer Partei ausmachte, Sechstes Buch. Neuntes Capitel . die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in sich selbst die mannichfaltigsten Verschiedenheiten entwickelte. Es wäre wohl der Mühe werth, diesen excentrischen Bildungen weiter nachzuforschen, die seltenen Schriften, in denen sie sich ausgesprochen haben, zusammenzusuchen, ih- rem innern Zusammenhang nachzuspüren. So weit ich die Sache übersehen kann, finde ich in Hinsicht der Lehre zwei, obwohl von demselben Punkte aus- gehende, doch ganz verschiedene Directionen der Meinung. Das Dogma von der Rechtfertigung beschäftigte die Wiedertäufer so gut, wie die andern Zeitgenossen; sie schrit- ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in Christus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl sämmt- lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider- setzten sich in dieser Hinsicht den Lehren Luthers; allein sie zogen daraus verschiedene Schlüsse. Die Einen meinten, die Sache sey überaus einfach. Der Mensch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir- ken allerdings die Seligkeit verdienen; Christus sey nicht so- wohl unser Genugthuer, als unser Lehrer und Vater. Be sonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun- ger Mann, gelehrt, bieder, auch bescheiden — er bekannte wenigstens, was beinahe kein Anderer aus diesem Kreise zugestehen wollte, daß er auch irren könne, — diese Mei- nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die Liebe sey, welche Fleisch und Blut nicht begreifen würden, wenn er sie nicht in einigen Menschen darstellte, die man göttliche Menschen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber habe sich die Liebe am höchsten bewiesen, Jesu von Naza- Wiedertaͤufer. Denk, Haͤtzer, Kauz . reth: der habe in Gottes Weg nie gestrauchelt; er sey nie uneins mit Gott geworden. Er sey ein Seligmacher seines Volkes; denn er sey ein Vorgänger aller derer, die selig werden sollen. Das wolle es sagen, wenn es heißt, alle sollen durch Christum selig werden. Stellen aus seinem Buch von der Liebe bei Arnold I, 1305. In seinen Meinungen blieb er sich wohl nicht gleich. Oekolampa- dius ( Epp. Zw. et Oec. p. 169) behauptet, er habe kurz vor seinem Tode widerrufen, — „etiamsi nec illa purgatissima erant.“ Vgl. Vadian an Zwick bei Fuͤßli Beitraͤge V, 397. In enger Verbindung mit Hans Denk stand Ludwig Hätzer: sie haben mit einander einen Theil der Prophe- ten ins Deutsche übersetzt. Nur schritt Hätzer, wie er in seinem Lebenswandel ausschweifender war, so auch in sei- nen Doctrinen bis zu den äußersten Consequenzen fort. Er war der Erste in dieser Epoche, der die Gottheit Christi leugnete. Doch können wir nicht sagen, wie er zu dieser Meinung kam, mit welchen Gründen er sie vertheidigte: das Buch, das er darüber geschrieben, ist nie gedruckt wor- den; das letzte handschriftliche Exemplar hat Ambrosius Blaurer verbrannt. In einem verwandten Sinne erklärte sich auch Hans Kautz von Bockenheim zu Worms. Er meinte, Jesus Chri- stus von Nazareth erlöse uns dann, wenn wir seinen Fuß- tapfen nachfolgen; wer anders lehre, mache einen Abgott aus ihm. Roͤhrich Gesch. der Ref. im Elsaß I, 338. Auf ihn bezieht sich wohl Zwingli in den Elenchus contra Catabaptistas, wenn er sagt: apud Vangiones Denckii et Hetzeri cum Cutiis nescio qui- bus nihil obscure plenam perlitationem per Christum negant, quod nihil aliud est, quam novum testamentum conculcare. Und man sollte nicht glauben, wie weit diese Ansich- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . ten sich verbreitet haben. Wir finden sie unter andern in Salzburg, ohne daß wir sagen könnten, wie sie dahin ge- kommen. Eine Gemeinde von armen Leuten hegte sie, die sich von allem Gottesdienst lossagten, in Einöden zusammenkamen, durch gemeine Beisteuern Brüderschaften errichteten: sie nannten sich Gärtnerbrüder. Sie meinten, der Geist, Gutes zu thun, sey allen Menschen angeboren; es sey schon genug, wenn man nur das Gesetz erfülle; denn eben dadurch ziehe uns Gott an sich, daß man äu- ßerlich Recht thun müsse; Christus sey keineswegs der Er- füller des Gesetzes, sondern ein Lehrer christlichen Lebens. Newe Zeyttung von den widderteufern und yhrer Sect 1528. Angehaͤngt sind 13 Artikel „welche sie fuͤr warhaftig halten.“ Z. B. „Es sey ein inniges ziehen des Vaters damit er uns zu yhm ziehe, das sey wenn man lere recht thun von aussen.“ — — „Sie moͤgen Guts thun von yhnen selbst wie sie erschaffen.“ Behauptungen von nicht sehr tiefsinniger, aber wahrhaft un- schädlicher Natur. An diesen armen Leuten wurden sie aber furchtbar gestraft. Einige von ihnen waren auf einer ihrer Versammlungen in dem Hause eines Pfarrers entdeckt wor- den, und hatten kein Bedenken getragen, auch die abwesenden Mitglieder ihres Bundes zu nennen. Hierauf wurden sie sämmtlich dem Gericht überliefert. Die Glaubensschwächeren, die sich zum Widerruf bewegen ließen, wurden erst mit dem Schwerte gerichtet, dann verbrannte man ihre Leiber. Die, welche nicht widerriefen, wurden auf dem Frohnhof bei le- bendigem Leibe dem Feuer übergeben. „Die haben lange gelebt, sagt eine gleichzeitige Nachricht, und Gott hart an- gerufen, ist gar erbärmlich zu hören gewesen.“ Oder man brachte sie in das Haus, wo sie häufig ihre Zusammen- Wiedertaͤufer. Salzburger Gaͤrtnerbruͤder . künfte gehalten und unter einander gepredigt hatten; sperrte sie hier ein und zündete das Haus an. „Die haben,“ fährt jene Nachricht fort, „jämmerlich unter einander ge- schrieen, zuletzt ihr Leben aufgegeben, Gott helfe ihnen und uns allen.“ Unter Andern hatte ein junges schönes Fräu- lein von 16 Jahren auf keine Weise zum Widerruf gebracht werden können: wie denn in diesem Alter die Seele der stärksten und schwungvollsten moralischen Hingebung fähig ist; gewiß war sie der Dinge, deren man sie anklagte, schuldig, aber übrigens mit dem Bewußtseyn und dem Ausdruck der reinen Unschuld. Jedermann bat um ihr Le- ben. Der Nachrichter nahm sie auf den Arm, trug sie an die Roßtränke, tauchte sie unter das Wasser, so lange bis sie ertrunken war, dann zog er den entseelten Leib wie- der hervor und übergab ihn dem Feuer. Newe Zeyttung. In Zauners Salzburger Chronik, V , 119, finden sich, obwohl ihm jene Nachricht unbekannt geblieben ist, doch sonst einige ergaͤnzende Notizen uͤber jenen Pfarrer u. s. w. Auf ganz verschiedene Folgerungen wurden nun aber Andere von denselben Fragen über Erlösung und Rechtfer- tigung geführt. Sie nahmen eine durchgreifende Trennung zwischen Geist und Fleisch an. Statt zu sagen, der Mensch könne durch eigne Kraft das Gute thun, er werde durch Rechtthun selig, das sey die Lehre Christi, behaupteten sie vielmehr, nur das Fleisch sündige; der Geist werde davon nicht berührt, er sey bei dem Sündenfall nicht mitgefallen. Durch die Wiederbringung werde der ganze Mensch so frei wie vor dem Falle, ja noch freier. Indem sie nun Christo diese Wiederbringung zuschrieben, lehrten sie doch, daß des- sen Menschheit von besonderer Art gewesen sey. Er habe Sechstes Buch. Neuntes Capitel . bei der Geburt von seiner Mutter nichts angenommen; in ihm sey das reine Wort Fleisch geworden; denn Adams Fleisch sey verflucht. Sehr verbreitet waren auch diese An- sichten: wir finden wiedertäuferische Kirchenlieder, in denen sie unumwunden ausgesprochen sind. Das Lied z. B., das in den muͤnsterschen Geschichten und Sagen p. 291 mitgetheilt ist. Der Gefangene wird da gefragt, ob Christus von Mariaͤ Fleisch und Blut sey. „Das hab ich nie gelesen, hab ich vor ihnen bekannt, „Wie soll der von Erde wesen, den Gott uns hat gesandt.“ Nicht unwahrschein- lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die consti- tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea- türlichkeit des Leibes Christi leugnete, auf ihre Entwickelung vielen Einfluß hatte. Bullinger an Vadian: sagt von Schwenkfeld: Hoffmanni dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam dissimulat. Butzer giebt ihm die ganze Wiedertaͤuferei Schuld Epp. Ref. p. 112. Wohl nicht ohne Anstoß von ihm hat sich Melchior Hoffmann so viel damit zu schaffen gemacht. Hoffmann erklärte sich anfangs für die unbedingte Gnaden- wahl; später behauptete er dagegen, ein Jeder könne der Gnade theilhaftig werden; verloren sey nur ohne Erbarmen Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle die, an welchen sich eine Spur der Gnade zeige, dachte er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. Auszug aus seiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei Krohn: Geschichte der Wiedertaͤufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90. Noch viel mannichfaltigere Verschiedenheiten zeigten sich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinsicht des Le- bens und der Gebräuche. Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die strengste Gütergemeinschaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge- Verschiedene Secten der Wiedertaͤufer . genseitiger Unterstützung stehen. Die Einen sonderten sich so vollkommen wie möglich ab, und hielten es selbst für unchristlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten es für unerlaubt, so vielen Besonderheiten nachzugehn. Bei Sebastian Frank, der sie sehr wohl kannte, und selbst zu ihnen gerechnet ward, findet sich ein langes Verzeichniß von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. Die dritt Chronika Von den Paͤpsten und geistlichen Haͤn- deln p. 165. Da konnte nicht fehlen, daß sie nicht auf mancher- lei Weise mit dem Staat in Widerspruch gerathen wären. Zuerst fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs- dienst und Eid verweigerten. Zu tödten hielten sie in je- dem Fall für ein Verbrechen, zu schwören für unerlaubt und sündlich. Unmöglich konnte man sich das in den Städ- ten gefallen lassen, wo man noch immer auf Vertheidigung durch die eignen Arme der Bürger angewiesen war, oder wo sich wie in Strasburg der ganze Gehorsam an den Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag geleistet werden mußte. Weiter nehmen wir Andere wahr, die sich etwa für berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine solche sey gültig, die im Geist geschlossen worden. Der Kürsch- ner Claus Frei hatte sein Eheweib verlassen und zog mit einer andern durch die Welt, welche er „seine einzige rechte geistliche Eheschwester“ nannte. Roͤhrich II, 93, 101. Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma- gistrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . träglich: einen Jeden sollte man predigen lassen, dann würde keine Spaltung seyn. Sie erklärten, die Einrichtun- gen der Evangelischen seyn eben nichts anders als ein neues Papstthum. Auch waren sie überzeugt, daß es damit nicht lange dauern könne. Eins der wesentlichsten Stücke ihres Glau- bens ist die apokalyptische Erwartung einer baldigen Um- kehr der Dinge, eines vollkommenen Sieges, welche schon Münzer und Storch genährt. Nach deren Beispiel hat- ten auch die späteren Oberhäupter die großartigsten Ein- bildungen ein jeder vor sich selbst, mit der sie sich wenig- stens bei ihrer nächsten Umgebung Eingang verschafften. Hubmayr verglich Nikolspurg, wo er bei einem Lich- tenstein Aufnahme gefunden, mit Emaus, wohin sich Chri- stus zurückgezogen, „denn es fange an Nacht zu werden und die letzte Zeit sey vor der Thür.“ Jener Melchior Hoffmann, ein wandernder Kürschner, den wir nach und nach im Elsaß, in Stockholm, in Liefland, in Kiel, in Ostfriesland finden, bald mit mächtigen Für- sten in enger Verbindung, bald im Gefängniß schmach- tend, begab sich endlich wieder nach dem Elsaß, nach Stras- burg, wo er meinte, daß der Sitz des neuen Jerusalems seyn solle, von wo nach Apocalypse 14 hunderttausend und vier und vierzigtausend jungfräuliche Apostel mit ihm ausziehen würden, um alle Auserwählten Gottes in den Schaafstall zu sammeln. Allmählig regte sich nun aber auch die Idee wieder, einen Zustand dieser Art mit Gewalt herbeizuführen. Hans Hut meinte aus Moses und den Propheten Secten der Wiedertaͤufer . beweisen zu können, daß die Wiedertäufer als Kinder Got- tes, wie einst die Israeliten, bestimmt seyen, die Gottlosen auszurotten: Gott selbst werde sie dazu auffordern. Sebast. Frank. p. 169. Im Wirtembergischen bekannte im Jahre 1528 ein Gefangener, der Zuberhans aus dem Schorndorfer Amt, daß er mit andern Gläubigen beschlossen, künftige Ostern zur That zu schreiten; 700 Mann stark wollten sie sich dann in Reutlingen vereinigen, zunächst in Wirtemberg die Obrigkeit abschaffen, die Pfaffen tödten, eine allgemeine Aenderung bewirken. Sattler Herzoͤge II, p. 174. Melchior Hoffmann drohte nicht selbst das Schwert in die Hand zu nehmen: aber er war überzeugt, daß es ergriffen werden müsse. Er hatte eine Zeitlang mit Kö- nig Friedrich I von Dänemark in persönlichen Verhältnis- sen gestanden. Er meinte jetzt, der werde der eine der bei- den Fürsten seyn, durch welche, wenn die Zeit gekommen, denn noch sey sie nicht da, alle Erstgeburt Aegyptens erschlagen werden müsse, bis daß das wahre Evangelium die Erde einnehme und die Hochzeit des Lammes erscheine. Doch waren nicht alle seiner Schüler so zurückhaltend wie er. Einige meinten, die Zeit sey in der That schon ein- getreten, und sich selber hielten sie für bestimmt, das Schwert zu ergreifen. So erheben sich diese Meinungen von einem mehr son- derbaren, als gefährlichen Particularismus der Stillen im Lande gar bald bis zur entschiedenen Feindseligkeit enthu- siastischer Weltverbesserer. Alle deutsche Landschaften waren aber von diesen flüch- Ranke d. Gesch. III. 33 Sechstes Buch. Neuntes Capitel . tigen Aposteln, bald der einen bald der andern Secte, durchzogen; man wußte nicht von wo sie kamen, wohin sie gingen. Ihr erster Gruß war der Friede des Herrn, an welchen sie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli- cher Gemeinschaft in allen Dingen knüpften. Dann ka- men sie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott jedoch nun im Begriff sey zu züchtigen, wie denn in der Gewalt, die er den Türken verstatte, schon der Anfang solcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten sich an die damals sehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorste- henden mystischen Umwandlung aller Dinge. Von Osten her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von allerlei Art zu Babylon bereits geschehene Geburt des An- tichrists, der jetzt sogar schon erwachsen sey und als ein Gott verehrt werde. Ein von den Rhodisern im Jahr 1532 verbreiteter Brief in Corrodi Geschichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. Maͤrz) erschien die Sonne bei Nacht — verschwand darauf am folgenden Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das sich eidlich verpflichtet ihm zu folgen. In dem Westen hatte hie und da das Glück Kaiser Carls V die ausschweifendsten Hoffnun- gen erregt. Er werde Jerusalem erobern und das Ge- bot ausgehn lassen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel Gottes gekrönt werden, und in den Armen Christi ster- ben. Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana- lecta veteris aevi I, p. 1. nennt es „ut vulgatissimum ita anti- quissimum verbum divinum.“ Hie und da erwartete man allen Ernstes das Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde festsetzte. An Träume dieser Art knüpften nun auch die Wieder- Apokalyptische Erwartungen . täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, schon seyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl- ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu versiegeln. Sey die Zeit gekommen, so werde die Schaar der Versiegelten sich von den vier Enden der Welt versammeln, dann werde Christus ihr König unter sie treten und ihnen das Schwert in die Hand geben. Alle Gottlosen werde man vertilgen; den Auserwählten aber sey ein neues seliges Leben beschie- den, ohne Gesetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle des Ueberflusses. Der Widertaͤuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi- derlegt, durch Justum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus- gabe II, 262. Wir sehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund- lehren aus, die bald mehr von mystischer, bald mehr von rationalistischer Tendenz waren; immer aber trafen sie in dem Bedürfniß engster Vereinigung und dem stolzen Ge- fühl des Auserwähltseyns zusammen; was dann sofort zu überschwenglichen sinnlich messianischen Hoffnungen führte. Neu war es nicht, was sie vorbrachten. Es waren im Grunde nur dieselben Versprechungen, die der Talmud den gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und diese Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und Leviathan schmausen sollen. Aber die allgemeine Gährung der Gemüther bewirkte, daß sie damit doch eine gewisse Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten sich dieß mal nicht an die Bauern sondern an die Handwerker. Die mühe- vollen, aber dem Geiste doch zu einer gewissen Beschaulich- keit Raum lassenden, dunkeln Werkstätten wurden plötzlich 33* Sechstes Buch. Neuntes Capitel . von diesen Meteoren einer nahen seligen Zukunft erleuchtet. Unwiderstehlich griff dieser Wahn um sich. Die deutschen Regierungen von beiderlei Bekenntniß, durch Reichsconstitutionen dazu verpflichtet, unterließen nicht, sie mit aller Strenge zu verfolgen. Bei den Protestanten fühlte man sich zuweilen in Verlegenheit; auf den schmalkaldischen Versammlungen sind wohl die Reichsconstitutionen für zu streng erklärt worden, „Zu geschwinde.“ Abschied der Versammlung zu Frank- furt Trinitatis 1531. und man hat den Beschluß gefaßt, an den Leuten nicht den Glauben zu strafen, sondern nur das Verbrechen, die aufrührerische Lehre. Es existirt ein kleiner Wittenberger Druck, worin diese Unterscheidung näher ausgeführt wird; dem Berliner Exemplar desselben hat ein Wiedertäufer An- merkungen an den Rand geschrieben, in denen er dabei bleibt, daß die Wiedertäufer mit dem Aufruhr nichts zu schaffen haben. Das weltliche Oberkeit der Wiedertaͤuffern mit leiblicher Strafe zu wehren schuldig sey, Etlicher Bedenken zu Witenberg 1536. In den Anmerkungen wird besonders den Maulchristen der Krieg ge- macht, die evangelische Lehre wird nicht getadelt. Aber die Schwierigkeit lag wohl eigent- lich nur darin, diese in einander verfließenden Tendenzen gehörig zu sondern. In Sachsen hielt man daran fest, die Lehrsätze eines Jeden zu untersuchen und ihn dem ge- mäß zu behandeln. Melanchthon in den Briefen Luthers von Lindner p. 24. Landgraf Philipp dagegen zog immer die mildern Maaßregeln vor: Wiedertäufer von offenbar aufrührerischen Grundsätzen begnügte er sich doch gefangen zu halten. Darauf gestützt erklärten auch die oberländischen Regierungen, ihre Hände nicht mit dem Blut der armen Hinrichtungen der Wiedertaͤufer . Leute beflecken zu wollen. In Strasburg hat man wohl die Kinder sieben Jahre alt werden lassen, ohne ihre Eltern anzuhalten, sie taufen zu lassen. Sattler III, Bd. 44. Roͤhrich. In den katholischen Ländern dagegen, wo man nicht allein den Aufruhr, sondern vor allem die Ketzerei strafte, wurden Executionen in Masse verhängt. Die Gärtnerbrü- der wurden in München so strenge behandelt wie in Salz- burg; „einige an den Gliedern gestümmelt, andern der Kopf abgeschlagen, andere in die Isar gestürzt, noch an- dere auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt.“ In Passau wurden ähnliche Strafen verhängt. Ihrer dreißig mußten im Gefängnisse verschmachten. Winter Geschichte der baierschen Wiedertaͤufer p. 35. In ausführli- chen Erzählungen ist zu lesen, wie Georg Wagner zu Mün- chen, Hätzer zu Constanz, Hubmayr zu Wien den Tod im Feuer erlitten. Was ist das für ein klägliches Hülfsge- schrei, das Jacob Hutter erhob, als die Wiedertäufer, welche sich unter den Schutz mährischer Herren geflüch- tet, nun auch von da wieder verjagt werden sollten: „Wir sind in der Wüste, auf einer wilden Haide, unter dem lich- ten Himmel;“ aber auch da wollte man sie nicht dulden. Sendbrief Jacob Hutters an den Landeshauptmann zu Maͤh- ren: Annales Anabaptistici p. 75. Mit allen diesen Verfolgungen jedoch kam man nicht zum Ziele, und zwar am wenigsten dort, wo sie am härte- sten waren, wie in den Niederlanden. Von Anfang an hatten hier die lutherischen Meinungen in weiten Kreisen Beifall gefunden; so gewaltsam sie auch zurückgedrängt wurden, so hören wir doch im Jahre 1531 das Bekennt- niß, daß alles Volk ihnen beifallen würde, wenn der Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Zwang aufhören sollte. Eben dieses Zurückdrängen der re- formatorischen Tendenzen bereitete nun aber den Boden für die Lehren der Wiedertäufer am besten vor. Ein Schü- ler Hoffmanns, Jan Matthys, Bäcker zu Leiden, verband mit den schwärmerischen Religionsansichten des Lehrers zugleich die Meinung, daß die Wiederbringung aller Dinge in Kurzem bevorstehe, und mit dem Schwert herbeigeführt werden müsse. Er selbst erklärte sich für den Henoch, der diese Zukunft ankündigen solle, richtete sich seine propheti- sche Haushaltung ein und schickte zwölf Apostel nach den sechs benachbarten Provinzen aus, die nun überall Prose- lyten machten und mit dem Bundeszeichen der Wiedertäu- fer versiegelten. Unter andern begleiten wir Jan Bockelsohn von Leiden nach Briel, Rotterdam, Amsterdam, Enkhuy- sen, Alkmar: überall tauft er und stiftet kleine Gemeinden von 10, 12, 15 Gläubigen, die nun diese Lehren ausbrei- teten. In Holland finden wir überhaupt ein sehr starkes wiedertäuferisches Element, was sich plötzlich allenthalben regt, und nur für die weitere Entfaltung seiner Triebe einen freien Raum zu gewinnen sucht. Da geschah nun, daß die Dinge in Münster sich auf eine Weise entwickelten, daß man ihnen Aufnahme zu gewähren geneigt wurde. Die Apostel des Jan Mat- thys, die dort erschienen, fanden nicht allein bei den Hand- werkern Eingang, sondern auch bei den Predigern, die sich mit dem Mark der evangelischen Lehre genährt. Emporkommen der Wiedertäufer in Münster. Es war nicht das erste Mal, daß eine ähnliche Hin- neigung sich zeigte. Unter andern bemerken wir sie eine Rottmann in Muͤnster . Zeitlang bei Capito in Strasburg, obwohl dieser sie durch reiflicheres Nachdenken überwand. Daß sich ihr aber der bisherige Führer der Refor- mation in Münster, Bernhard Rottmann, vollkommen er- gab, hatte, wenn wir einer Nachricht, die von Melanch- thon stammt, glauben, noch folgenden sehr persönlichen Grund. In Münster lebte ein Syndicus Wiggers aus Leipzig, ein braver ehrenwerther Mann, aber mit einer Frau von zweideutiger Aufführung verheirathet. Von den Schran- ken, in welche Sitte und Religion die geschlechtlichen Ver- hältnisse einschließen, ließ sie sich nicht fesseln; und dabei besaß sie jenen unwiderstehlichen und unerklärlichen Zauber, der zuweilen auch geistig entwickelte Männer ergreift und festhält. Sie sah sich täglich in ihres Mannes Hause und Garten von leidenschaftlichen Verehrern umgeben. Unter denen erschien nun auch Bernhard Rottmann, und sehr bald entspann sich zwischen beiden ein Verhältniß, das sie wie ihn völlig in Besitz nahm; als ihr Mann in Kurzem starb, sagte man geradezu, sie habe ihn vergiftet. Locorum communium collectanea a Johanne Manlio Ex- cerpta p. 483. „habebat conjugem mirabilem quae coepit insanire amore Rotmanni, quapropter et virum veneno interemit. Bei Kessenbroik ist das nicht so unbedingt gewiß. Dagegen findet sich in der Postilla Melanchthoniana eine sogar noch haͤrtere Version der nemlichen Geschichte. Excerpirt bei Strobel von den Verdiensten Melanchthons um die heil. Schrift 1773. p. 89. Rott- mann verheirathete sich mit ihr. Die Gerüchte, die dar- über umliefen, brauchen nicht alle gegründet zu seyn, um sich erklären zu können, daß Männer, welche an Ernst und Ehrbarkeit festhielten, sich von Rottmann entfernten. Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann durch eine auffallend strenge Haltung, seinen Ruf wieder- herzustellen suchte. Er fing an von dem Verderben der Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit zu reden, und zeigte sich nicht zufrieden mit dem durch die lutherische Reform hervorgebrachten Zustand. Auch in Hinsicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer, oder kam er von selbst darauf: nachdem er den Ritus des Abendmahls verändert, Dorpius wahrhafftige Historie wie das Evangelium zu Muͤn- ster angefangen, Bog. C. Brach semel in ein große breite schuͤssel, gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal dazu gesprochen hatt, hies er die so des Sacraments begerten zu- greiffen und essen: davon ist er Stuten Bernhard genannt worden, denn semel heißt auf ire sprach stuten. begann er, wie berührt, die Recht- mäßigkeit der Kindertaufe zu bestreiten. So wie die Wie- dertäufer zahlreicher wurden, schloß er sich ihnen offen an. Rottmann und seine Amtsgenossen waren so eben mit dem Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für’s erste nachgeben, sich zurückziehen müssen. Welch bessere Verbündete aber konnten sie finden, als die neuen Pro- pheten, deren Verheißungen und Doctrinen sich überall einen so mächtigen Einfluß verschafften? Das lutherische System sprach der weltlichen Gewalt, auch den städtischen Magistraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken- nung der Selbstständigkeit des weltlichen Elements lag eben sein Wesen. Die wiedertäuferische Doctrin dagegen war demselben entschieden feindselig; sie strebte selbst nach einer Wiedertaͤufer in Muͤnster . jede anderweite Macht ausschließenden Alleinherrschaft. In dem Kampfe, in welchem die münsterischen Prediger wa- ren, konnte ihnen nichts willkommener seyn. Einer von ihnen giebt in seinem Verhör als den Zweck, zu welchem man den Propheten angenommen habe, an, „damit er ver- kündige, wie es hier heißt vorwittige, daß Gott der Herr in Münster die Stätte reinigen und die Gottlosen daraus verjagen wolle.“ Bekenntniß des gefangenen Wiedertaͤuferpraͤdicanten Diony- sius von Diest genannt Vynne in Nieserts Muͤnsterischer Urkunden- sammlung I, p. 48. Darin liegt nun eben das Ereigniß, daß der in Hol- land emporgekommene Anabaptismus bei seiner Berührung mit Münster in einen Zeitpunkt traf, wo die politisch-re- ligiöse Bewegung noch kein Ziel gefunden, und eine kaum zurückgedrängte Partei sich zu neuen Kämpfen gegen das Nochbestehende rüstete. Die Führer derselben ergriffen ihn, zum Theil aus Ueberzeugung, zum Theil als ein Mittel; er konnte alle seine Kraft in einer zahlreichen Gemeinde entwickeln. Am Ende des Jahres 1533 füllte sich Münster mit wiedertäuferisch Gesinnten. Um den heil. Dreikönigstag 1534 erschien der Prophet Jan Matthys mit seinem feu- rigsten Apostel Jan Bockelsohn von Leiden. Ein angeseh- ner Bürger der Stadt, Bernard Knipperdolling, der einst aus Münster verwiesen, in der Fremde, namentlich in Stockholm mit den Wiedertäufern Verbindung geschlossen, nahm sie in sein Haus auf. Die beiden Holländer nun, in ihrer auffallenden Tracht, ihrer begeisterten Hal- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu- thenden Wesen machten in Münster einen großen Eindruck. Noch war die religiöse Meinung in lebhaften Schwingun- gen begriffen, sie sah noch nach neuen Dingen aus. Es ist sehr begreiflich, daß Frauen, zuerst Klosterfrauen, von Lehren fortgerissen wurden, die ein heilig-sinnliches Leben in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus dem Aegidienkloster ließen sich auf einmal taufen; die Non- nen von Overrat folgten ihnen nach; dann schlichen sich auch bürgerliche Frauen in die Versammlungen der Täu- fer, und brachten wohl als das erste Pfand ihrer Erge- benheit dem Propheten ihr Geschmeide mit. Anfangs wa- ren die Männer entrüstet, später wurden sie selber nachge- zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerst empfangen, vollzogen sie sie selbst. Besonders warf sich Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die er früher der Reformation gewidmet, in diese neuen Doc- trinen. War es nicht dieselbe Stimme, die einst zuerst von der römischen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte ihr widerstehen. Man erzählte sich, er führe einen Zau- bertrank bei sich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe, auf immer dafür festbanne. Und hiedurch ward er nun bald so stark, dem Ra- the, der ihn zu beherrschen, in Schranken zu halten ge- dacht, Trotz bieten zu können. Frauen stellten den Bür- germeister zur Rede, daß er einen hessischen Prediger be- günstige, der nicht einmal münsterisch sprechen könne; Non- nen schalten auf öffentlichem Markt auf den hessischen Gott, den man esse. Sechszehnjährige Mädchen riefen Kampf beider Parteien in Muͤnster . Wehe über die Lasterhaften. Die Schmiedegesellen zwan- gen den Rath, einen der Ihren, den man festgenommen, weil er gepredigt hatte, herauszugeben. Indessen waren sie noch nicht die Herren. Am 8. Februar kam es zu einem Auflauf, in wel- chem die Wiedertäufer den Marktplatz einnahmen, sey es nun daß eine wirkliche oder eine eingebildete Gefahr sie dazu veranlaßte, der Rath und die Nichtwiedergetauften dagegen Mauern und Thore besetzten. Da zeigte sich doch, daß die letzteren bei weitem das Uebergewicht der Anzahl und der Macht hatten. Sie hatten Hülfe von den be- nachbarten Bauern und dem Bischof. Sie fuhren Kano- nen an den Zugängen zum Marktplatz auf; und Viele meinten, daß man heute ein Ende machen, den Markt- platz einnehmen, und die Wiedertäufer, von denen so Viele ohnehin Fremde waren, vertreiben müsse. Schon waren die Häuser der Nichtwiedergetauften mit Strohkrän- zen bezeichnet, um sie bei der bevorstehenden Plünderung schonen zu können. In den Wiedergetauften auf dem Marktplatz dagegen brachten Enthusiasmus und Befürch- tung, Muth und Gefahr eine exaltirte Stimmung hervor, in der sie die wunderbarsten Gesichte erblickten: — einen Mann mit goldner Krone, ein Schwert in der einen, eine Ruthe in der andern Hand; eine andere Mannesgestalt, die Faust voll herauströpfelnden Blutes. Oder sie meinten die Stadt von schwarzbraunem Feuer angefüllt zu sehen: darüber den Reiter mit dem Schwert auf weißem Roß aus der Apokalypse. Restitutie des rechten und warrachtigen verstandes foͤrniger ar- Sollte man nun aber so aben- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . teuerliche Schwärmer mit Kanonen angreifen? Jener hes- sische so eben verunglimpfte Prediger, des Namens Fa- bricius, wandte alle seinen Einfluß an, dieß zu verhüten; er ermahnte die zum Kampfe Bereiten des verwandten Blutes zu schonen. Auch in einigen Mitgliedern des Ra- thes regte sich Mitleiden, wenn nicht geheime Uebereinstim- mung. Man bedachte doch, daß man auch Widerstand finden, daß vielleicht in dem allgemeinen Getümmel der Bischof sich zum Herrn der Stadt machen könne. Ge- nug, statt zum Angriff zu schreiten, knüpfte man Unter- handlungen an. Bevollmächtigte wurden ernannt, Geißeln gegenseitig gegeben: endlich setzte man fest, daß ein Jeder Gläubensfreiheit genießen, jedoch Frieden halten und in weltlichen Dingen der Obrigkeit Gehorsam leisten solle. Dorpius D. III. das ein jeder solt frei sein bei seinem Glau- ben zu bleiben, solten alle widder heim ein jeder in sein haus zie- hen, frieden haben und halten. Die Wiedergetauften hielten ihre Errettung nicht mit Un- recht für einen Sieg. In einer ihrer Schriften, der Re- stitution, heißt es: „die Angesichter der Christen,“ — denn diesen Namen legten sie sich ausschließlich bei, — „wur- den schön von Farbe.“ Auf dem Markt weissagten selbst die Kinder von sieben Jahren: „Wir glauben nicht, daß jemals eine größere Freude auf Erden gewesen ist.“ Und in Wahrheit war dieß die Stunde, von welcher an sie nun Tag für Tag bis zur entschiedenen Uebermacht fortschritten. ticule, eine in Muͤnster gedruckte Schrift, aus der Arnold (Kirchen- und Ketzerhistorie) die Besluytreden hat abdrucken lassen. Vergl. das Bekenntniß von Jacob Hufschmidt bei Niesert p. 155. Siege der Wiedertaͤufer . Sie waren jetzt in Münster zum ersten Mal in der Welt zu einem gesetzlich anerkannten Daseyn gelangt. Von allen Seiten strömten die Gleichgesinnten daselbst zusam- men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män- ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der sich einfinden würde, zehnfältigen Ersatz alles dessen, was er verlassen, versprochen. So rasch war der Umschwung, daß, als es am 21. Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur- den nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Diese besetzten nun, wie sich versteht, alle öffentlichen Stellen mit ihren Glaubensgenossen. Knipperdolling ward zum Bürgermeister gewählt. Die ganze städtische Gewalt ging über in die Hände der Wiedertäufer. Und diese waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu schonen, oder auch nur einen Augenblick neben sich zu dul- den. Am 27. Februar ward eine große Versammlung bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten. Eine Zeitlang brachten sie im Gebete zu; der Prophet schien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf, und erklärte, man müsse die Ungläubigen, wofern sie sich nicht bekehren, sofort verjagen, das sey der Wille Gottes. Er verbarg nicht, worauf es zunächst abgesehn war. „Hin- weg mit den Kindern Esaus“ rief er, „die Erbschaft ge- hört den Kindern Jacobs.“ Mit dem Enthusiasmus ver- einigte sich die Habsucht. Hierauf erscholl das Geschrei „heraus ihr Gottlosen,“ furchtbar durch die Straßen. Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Es war ein stürmischer Tag des späten Winters. Der Schnee, der noch sehr hoch lag, fing eben an zu schmel- zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch die untere Atmosphäre. Die Häuser wurden mit Gewalt eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli- chen Anblick geschildert, wie die Mütter, ihre halbnackten Kinder auf den Armen nichts weiter mit sich nehmen durften als eben diese; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver- ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab- nahm, den elenden Rest von dem Erwerbe eines langen arbeitsamen Lebens. Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt immer nothwendig mit der deutschen Uebersetzung dieses Werkes 1771 das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptsachen. So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren in der Stadt, sondern auch ihre alleinigen Inhaber. Was ihre Gegner an ihnen zu thun sich gescheut, vollzogen sie nun an diesen mit fanatischer Begier. Sie theilten die Stadt unter sich aus. Die verschiedenen Landsmannschaf- ten nahmen die geistlichen Gebäude ein. Die fahrende Habe der Vertriebenen ward auf die Canzlei zusammenge- bracht; Matthys bezeichnete sieben Diaconen, welche die- selben den Gläubigen, einem jeden nach seinem Bedürfniß, nach und nach vertheilen sollten. Und nun würden wohl die Wiedertäufer sofort dazu geschritten seyn, ihre Herrschaft auch nach außen auszu- Ruͤstungen des Bischofs u. der Nachbarn . breiten, hätte sich nicht der Bischof, dieß Mal von den be- nachbarten Fürsten unterstützt, mit einer ganz stattlichen Macht um sie her gelagert. In Cleve und Cöln hatte man anfangs gezweifelt, ob man blos das eigne Land rein halten, oder den Bi- schof unterstützen solle. Die Betrachtung, daß auch der Landgraf von Hessen ihm zu Hülfe kommen, und daß unter dessen Einfluß, nach dem Siege, irgend eine Veränderung mit dem Stift überhaupt versucht werden könne, bewog doch die beiden westlichen Nachbarn, eben- falls Antheil zu nehmen. Protocoll einer cleveschen Rathssitzung zu Berg (Duͤsseld. A.). Nachdem zu besorgen, das Hessen mit underlouffen und viel- leicht eine verennderung der stifte gescheen mochte. Sie fanden, der Bischof sey gar zu schlecht gerüstet, schlecht berathen; sie sahen wie ge- fährlich es werden könne, wenn es den Wiedertäufern etwa gelingen sollte, auch die kleinern Städte, die andern Unter- thanen des Stiftes an sich zu ziehn; und so beschlossen sie, zuerst mit Geschütz und Fußvolk, dann auch mit Reite- rei Hülfe zu leisten: immer jedoch unter der Bedingung, daß das Stift ihnen dereinst ihren Aufwand vergüte. Hier strengte der Bischof alle seine Kräfte an. Es wur- den neue Steuern ausgeschrieben; sämmtliche Kleinodien aus den Kirchen sollten zum Krieg verwandt werden; die Vasallen des Bischofs erschienen auf eigne Kosten im Felde. Im April und May 1534 ward die Stadt auf allen Seiten eingeschlossen. Wenn man, da sie mit Kriegsbedürfnissen sehr gut versehn war, sich nicht schmei- cheln durfte, sie sogleich zu erobern, so erreichte man doch, Sechstes Buch. Neuntes Capitel . was schon kein geringer Vortheil war, daß die Bewegung in Münster eingeschlossen, fürs erste auf sich selber be- schränkt ward. Da ist nun das nächste Interesse diese innere Ent- wickelung zu betrachten. Es ist ein religiöses Element, wie es in den kirchlichen Bewegungen mehr als Eines Jahr- hunderts auf eine oder die andere Weise hervorgetreten ist, das sich nun hier in engem Kreise, aber innerhalb dessel- ben in voller Freiheit in den merkwürdigsten Phänome- nen entlud. Entwickelungen des münsterischen Anabaptismus. Wir müssen davon ausgehen, daß die Secte, so wie sie zur Herrschaft gekommen, durch den Sieg in ihrer na- türlichen Beschränktheit verhärtet, nicht allein nichts um sich dulden wollte, was ihr widersprochen hätte, son- dern auch nichts, was ihr nur nicht selber eigen ange- hörte. Alle Bildwerke am Dom und auf dem Markt wur- den zertrümmert. Wenn die Denkmale der westfälischen Ma- lerschule, welche sonst einen Platz neben der cölnischen be- haupten würde, für die Nachwelt beinahe ganz verschwun- den sind, so rührt dieß ohne Zweifel von dem schnöden Uebermuth her, mit dem sie in unserer Epoche vernichtet wurden. Rudolf von Langen hatte in Italien eine herr- liche Sammlung alter Drucke und Handschriften zusam- mengebracht, an die sich das Andenken der großen litera- rischen Umwandlung knüpfte; sie wurden jetzt feierlich auf dem Markte verbrannt. Selbst musikalische Instrumente zu vertilgen hielt man für nöthig. Es sollte nichts übrig Republik der Wiedertaͤufer . bleiben, als höchstens die Bibel, unterworfen der Ausle- gung des Propheten. Kersenbroik. In campum dominicum cum incredibilis li- brorum multitudo perlata esset, qui etiam ultra viginti millibus florenorum valebant, — incomparabilem urbis thesaurum flamma subita absumit. Unter den Wiedergetauften selbst aber sollte nun alles gemein seyn. Die Maaßregel, die man in Hinsicht der Güter der Vertriebenen getroffen, ward gar bald auch auf die Habe der Gläubigen erstreckt. Bei Strafe des Todes wurden sie angehalten ihr Gold und Silber, Schmuck und Baarschaften, die sie besaßen, zum allgemeinen Gebrauch auf die Canzlei zu liefern. Wir können sagen: es war eine Art von St. Simonismus, was man einrichtete. Der Begriff des Eigenthums hörte auf; aber gleichwohl solle ein Jeder sein Geschäft treiben. Wir haben die Sat- zungen übrig, in welchen die Schuhknechte, die Schnei- der namentlich bezeichnet werden: die letztern sollen zu- gleich dafür sorgen, daß keine neue Tracht sich einschleiche; eben so die Schmiede, die Schlosser; jedes Handwerk ward zugleich als ein Auftrag, als ein Amt betrach- tet. Von allen Geschäften das vornehmste war, wie sich versteht, die Vertheidigung. Auch die Knaben wurden da- bei angewandt, und im Pfeilschießen, denn noch immer war dieß neben dem Feuerrohr in Gebrauch, erwarben sie eine außerordentliche Fertigkeit. Diejenigen, welchen ein besonderes Amt übertragen war, wurden dafür von dem Dienst der Wachten freigesprochen. Es war alles eine einzige religiös-kriegerische Familie. Für Speise und Trank ward auf gemeinschaftliche Kosten gesorgt. Bei den Ranke d. Gesch. III. 34 Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Gastmahlen saßen die beiden Geschlechter — Brüder und Schwestern — von einander abgesondert; schweigend aßen sie, während ein Capitel der Bibel verlesen wurde. Kersenbroik fol. 218: Ordinatio politici regiminis a 12 senioribus recens introducta. § 9. ut in cibis administrandis le- gitimus servetur ordo, praefecti ejus rei officii sui memores ejus- dem generis fercula uti hactenus fieri consuevit singulis diebus fratribus sororibusque in disjunctis et disparatis mensis modeste et cum verecundia sedentibus apponent. Es scheint wohl, als ob sich dieß vorzugsweise auf die bei der Vertheidigung Beschaͤftigten bezogen habe. Es liegt am Tage, daß ein so höchst eigenthümliches Gemeinwesen nicht mit den Formen einer Stadtverwal- tung, selbst nicht einer solchen, bei der Bürgermeister und Rathsherren Erleuchtete waren, bestehen konnte. Der Pro- phet Jan Matthys, der die Einrichtungen traf, gelangte auch sehr bald in Besitz einer höchsten Autorität. Die Zeitgenossen schildern diese als wahrhaft königlich, unbe- dingt. Hortensius p. 301. Joannes Matthias hanc autoritatem sibi pararat, ut unus jam inde supra leges esset, unus scisceret, juberetque quae viderentur, antiquaret, abrogaret leges, aliasque pro libidine conderet. Aber schon gegen Ostern 1534 kam Matthys um Bei einem Ausfall, wo er voran war, denn sein Fanatis- mus war wenigstens nicht feige, wurde er getödtet. Mit ihm war, wie berührt, Jan Bockelsohn, genannt von Leiden, nach Münster gekommen, Sohn eines Schul- zen im Haag Bekenntnisse Jan Bockelson’s: „syn Vater genannt Bockel und ist ein Schulte gewesen bynnen Sevenhagen. Soll wohl hei- ßen: Grevenhagen, wie ihn denn auch Kersenbroik Praͤtor in Gre- venhagen nennt; die Mutter war eine Leibeigne der Schedelich, aus Zolke im Amte Dodorf im Muͤnsterschen. und einer leibeigenen Westfälin, die dann von ihrem Mann losgekauft worden. Als Schneidergeselle Jan Bockelsohn von Leiden . war er in Lissabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan- derschaft gewesen und hatte sich endlich zu Leiden nieder- gelassen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an sei- nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit sei- ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und Wein zu schenken. Außerdem war sein Ehrgeiz, in dem poetischen Verein, den Leiden so gut wie die meisten an- dern niederländischen Städte besaß, der Kammer van Rhe- toryke, zu glänzen. Seine Refereyne flossen am leichtesten; seine Schüler lernten am geschwindesten; in den Schau- spielen, die er entwarf, spielte er wohl selbst eine Rolle; schon da mag er sich mit dem Geist der Opposition ge- gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetorischen Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe- gung der Wiedertäufer und riß ihn an sich. Er erwarb sich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift, wobei er aber, wie diese autodidaktischen Handwerksleute pflegten, nationale und religiöse Elemente völlig vermischte, und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt anwandte. Er besaß eine glückliche äußere Bildung, na- türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend; „Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von Angesicht, Person, Gestalt, Vernunft ein redsprech, rahtweiß anschle- gig, an Behendigkeit unerschrockenem stolzen Gemuͤt von kuͤnen Ta- ten und Anschlegen ein edel wohlgeschickt und wunderbarlich Mann sey gewesen.“ Sebastian Frank die andere Chronik 266. schon un- ter Matthys spielte er eine Rolle; als dieser gefallen (er behauptete es vorhergesagt zu haben), trat er an seine Stelle. 34* Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Und wenigstens an Kühnheit stand er seinem Vorgänger nicht nach. Schon erhob sich die Meinung, daß man auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menschensatzung, sondern blos nach Gottes Wort sich halten dürfe. Das zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige Tage geschwiegen, weil Gott ihm den Mund verschlossen habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel zwölf Aelteste haben müsse, wie in dem alten, die er so- gleich bezeichnete. Rottmann versicherte auch seinerseits der Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes sey und stellte ihr die Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorsteher. Jedermann fügte sich und nahm sie an. Sechs von ihnen sollten immer früh und Nachmittag zu Gericht sitzen; was sie sprechen würden, das sollte der Prophet Jan Bockelson der ganzen israelitischen Gemeinde ankündigen; Knipper- dolling sollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn. Man sieht leicht, daß dieß ein neuer Fortschritt des geistlichen oder vielmehr des fanatisch-prophetischen Ele- ments war. Es ward eine Gesetztafel verkündigt, die auf lauter Stellen der Schrift, besonders der Bücher Mose beruhte. Und sogleich sollte sich noch weiter zeigen, zu welch abenteuerlichem Mißbrauch diese Anwendung der Schrift führen könne. Jan Matthys hatte seine schon ältere Frau verlassen, sich mit einem jungen schönen Mädchen, genannt Divara, die er überredete, das sey der Wille des Himmels, verhei- rathet und diese mit nach Münster gebracht. Jan Bockel- Anfang der Vielweiberei . sohn trug Verlangen wie nach dem Amte, so auch nach der Frau seines Vorgängers; da er aber bereits verheira- thet war, stellte er die Behauptung auf, daß es einem Manne jetzt so gut wie in den Zeiten des alten Bundes erlaubt seyn müsse mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir erinnern uns, daß auch Luthern einst ähnliche Wünsche vorgetragen worden; der hatte aber sie mit seinem Grundsatz, daß die Ehegesetze eine Sache der weltlichen Ordnung seyen, der man Gehorsam leisten müsse, zurückgewiesen. In Münster verachtete man Argumente dieser Art: man gedachte durchaus nach den Anweisungen der Schrift zu leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar Tage lang auf dem Domhof. In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor- mationis p. 302. findet sich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm. So weit aber war es noch nicht gekommen, daß eine so schreiende Verhöhnung der Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den obwaltenden Umständen Widerspruch gefunden hätte. Um einen Schmied, des Namens Mollenhök, sammelte sich al- les, was noch von der alten Bürgerschaft übrig war und sich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte. Noch einmal erscholl der Ruf des Evangeliums; man sprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver- fassung wiederherzustellen, und fing an, die Propheten und Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren sie bereits jeder Opposition zu stark geworden. Es befanden sich zu viel enthusiastische Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen; Sechstes Buch. Neuntes Capitel . gar bald sahen sich die Mollenhökschen genöthigt, in das Rathhaus zu flüchten; als man Kanonen davor auffuhr (zum Theil von Weibern herangezogen), reichten sie ihre Hüte zu den Fenstern hinaus und ergaben sich. Sie hät- ten wohl wissen können, daß das ihnen das Leben nicht fristen werde. Unbarmherziger wurden nie Gefangene be- handelt, als diese von denen, die noch so eben ihre Brü- der im Geist gewesen. Viele wurden an Bäume gebun- den und erschossen. „Wer den ersten Schuß thut,“ rief Jan Bockelsohn aus, „erweist Gott einen Dienst damit“; die andern enthauptete man. Ne ex crebris bombardarum tonitruis hostes oppidanos inter se dissidere suspicentur neque tantam pulveris jacturam faciant decretum est reliquos sexaginta lex gladio ferire, quae poenae executio Knipperdollingo committitur, qui singulis diebus aliquot pro arbitrio suo productos et tandem ad unum omnes capite plectit, nisi quod propheta interim animi et exercitii causa in nonnullos animadverterit (Kersenbroik). Mit der fanatischen Beschränktheit, mit der man nichts anerkannte, als die eigene Lehre, hängt es zusammen, daß man jede Abweichung mit Tod und Verderben bestrafte. Aus der alles andere negirenden Idee erhebt sich noth- wendig und allemal der Schrecken. Bei der Bekanntma- chung jener Gesetztafel war einem Jeden, der dawider ver- stoße, die Ausrottung aus dem Volke Gottes angedroht. Und wehe dem nun vollends, der die göttliche Berechti- gung der Machthaber antastete. Schon Matthys ließ einen ehrlichen Schmied, Meister Truteling, der ihm ein geringschätziges Wort gesagt, dafür mit dem Tode bestra- fen. Wir erwähnten des Amtes der Rechtsvollstreckung, das Knipperdolling empfing. Er hatte die Gewalt, einen Ernennung eines Koͤnigs . Jeden, den er bei einer Uebertretung der neuen Gesetze be- troffen, auf der Stelle, ohne alles Gericht, umzubringen: denn das Böse müsse ausgerottet werden auf der Erde. Von vier Trabanten begleitet, das bloße Schwert in der Hand, Schrecken erregend zog er durch die Straßen. Wie nun aber alles von der Regel Abweichende doch immer wieder dem eignen Naturgesetze folgt, die Triebe seines Entstehens vollständig ans Licht zu bringen strebt, so trat allmählig, nachdem alle innere Opposition beseitigt worden, auch diese Erscheinung in die letzten Stadien ihrer Entwickelung ein. Die geistliche Macht, im Kampfe mit der weltlichen, hatte sich mit den Propheten verstärkt, sich zuerst zur ge- waltigen Opposition erhoben, dann den Herrschenden, zu den Waffen bereit, die Spitze geboten, darnach diese durch ihre Majorität gestürzt, alle ihre Gegner vertrieben, ver- tilgt, und ein Regiment aufgerichtet, auf das sie den größ- ten Einfluß hatte. Allein noch war sie damit nicht an ihrem Ziele. Die Theokratie wird meistens monarchisch seyn; denn sie setzt immer eine persönliche Bevorzugung, Begnadigung voraus. Der vornehmste Prophet konnte sich nicht begnügen, blos den Willen der Aeltesten, obwohl er auf ihre Ernennung den größten Einfluß gehabt, dem israelitischen Volke zu verkündigen; er faßte die Idee Kö- nig dieses Volks zu seyn. Ein anderer Prophet, der neben ihm aufgestanden, Dusentschuer von Warendorf, früher ein Goldschmied, er- sparte ihm die Mühe, dieß selbst erklären zu müssen. Du- sentschuer verkündigte eines Tages, Gott habe ihm offen- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . bart, Johann von Leiden solle König seyn. Die Prädi- canten, welche hier immer die extremsten Ideen verfochten, sprechen sich sofort dafür aus; Johann selbst versichert, ohne ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch die Errichtung des Königthums durchgesetzt haben. Auch ließ er sie an seiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das Volk seine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ sich auf- schreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller- heiligsten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit- ten um ein gutes Hausgesinde. Nachdem alles Volk ge- betet, erschien Rottmann und las von einem Zettel die Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe- ren Würden bestimmt worden. Einer der Vornehmsten war er selber. Er war Worthalter, wie jene worthalten- den Bürgermeister in den freien Städten; Knipperdolling, der selbst oft prophetische Entzückungen hatte, wurde Statt- halter; so war auch der geheime Rath des Königs aus Prädicanten und den namhaftesten Fanatikern zusammen- gesetzt; das geistlich-fanatische Prinzip kam nun erst in dieser monarchisch-theokratischen Regierung zur vollen Herrschaft. Da trat nun auch die mystische Weltansicht, welche allen diesem wiedertäuferischen Treiben zum Grunde lag, ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die sonst nebelhaft in weiter Ferne erschienen, zeigten sich jetzt ihrer Verwirk- lichung näher, ergreifbarer. Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geschaffen; aber sie seyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes fordere ihre Wiederherstellung durch das Wort. Alles aber Wiedertaͤuferische Ideen . habe „in dreyen,“ in drei Perioden seinen Verlauf. Ne- ben das Eine trete ein Andres, so daß das Vorige von dem Gegenwärtigen verdunkelt werde, bis zuletzt ein Drit- tes, nämlich das erscheine, was nicht weiter möge verän- dert werden. Die erste Lebenszeit der Welt habe mit der Sünd- fluth geendet. Jetzt stehe sie in ihrer zweiten Epoche. Da habe Gott mannichfaltige Mittel ergriffen, die Menschen zu sich zu bekehren, Abraham und die Propheten erschei- nen lassen, Wunderthaten bewiesen, sein Wort schriftlich gegeben, endlich seinen einigen Sohn gesendet, aber alles vergebens; der Mensch wolle die Gerechtigkeit nicht bei sich dulden, viel weniger sie über sich herrschen lassen; da müsse dann der Grimm Gottes, eben wie bei den Zeiten Noä, ausgehen und sich auf den Kopf der Schuldigen entladen, um die dritte Zeit und der ganzen Welt Vollendung hervorzubringen. Dieser Moment sey jetzt gekommen. Von der Verborgenheit des Rykes Christi ende von den Dagen des Herrn Cap. V. bei Arnold Kirchen- und Ketzergeschichte I, 994. Schade daß die letzten sieben Capitel, um ein paar Blaͤt- ter zu sparen, weggelassen worden. Von einer andern Seite griff Rothmann in seiner Schrift über zeitliche und irdische Gewalt die Sache an; doch läuft es auf dasselbe hinaus. Er sagt, Gottes Wille sey gewesen, daß alles nur unter ihm stehe, sich brüderlich vertrage, beständig und lustig unter ihm lebe. Aber durch den Sündenfall sey die gött- liche Ordnung erloschen und eine irdische Gewalt nothwen- dig geworden. Doch auch diese sey böse ihrer Natur nach und werde immer böser. Vier Monarchien habe Gott Sechstes Buch. Neuntes Capitel . von Anfang an bestimmt. Die erste habe Daniel wenig- stens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte: dieses letzte vierte Ungeheuer habe wegen seiner blutdür- stigen Tyrannei seines Gleichen nicht auf Erden. Aber schon sey auch dessen Zeit gekommen; an seinem Erkrachen höre man bereits wie nahe sein Fall sey; alle sein Reich- thum solle den treuen Hausgenossen zur Beute werden. Rothmann von tydliker und irdischer Gewalt: handschrift- lich in Muͤnster; excerpirt in Jochmus Geschichte der Wiedertaͤufer, p. 188. Es ist uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn- lichkeit diese Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro- clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte. Man vergl. seine Rede am Fest des hoͤchsten Wesens 8. Juni 1794. „L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im- mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p. 179. Der Unterschied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen; die Intention, einen urspruͤnglichen Gluͤckszustand herzustellen, ist ganz dieselbe. Sie hielten dafür, daß man diesen Moment ergreifen müsse, damit es nicht auch den Christen gehe, wie einst den Juden, welche die Zeit ihrer Heimsuchung nicht wahr- genommen. Die Einwendung, daß Christi Reich nicht von dieser Welt sey, wußten sie auf ihre Weise zu beseitigen. Eine Probe ihrer Exegese gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe- maligen Pfarrers Diest: Christus spreckt, myn rike ist nicht van die- ser werlt, heft dusen Verstand: Christus rick ist ein rick der Gerech- ticheit und der Wairheit, dat rike avers duser werlt ist ein rieke der bosheit und ungerechtigkeit. Sie unterschieden ein geistliches Reich, das in die Zeit des Lei- dens gehöre, und ein leibliches Reich der Glorie und Herr- Wiedertaͤuferische Ideen . lichkeit, welches Christus mit den Seinen in dieser Welt haben solle, tausend Jahre lang. Vergl. das Gespraͤch des Johann v. Leiden mit Corvinus. Sie waren überzeugt, daß ihr Reich in Münster bis zum Anbruch dieses tau- sendjährigen Reiches dauern, und es indeß im Bilde dar- stellen solle. Die Belagerung, die sie duldeten, fanden sie nothwendig. Denn das Opfer in der Wüste müsse voll- bracht werden, das Weib ihren Streit leiden, der Vor- hof sich mit Todten erfüllen. Gott aber werde nicht al- lein die Gewalt abwehren, sondern ohne Verzug auch sei- nem Volk das Schwert in die Hand geben, zu vertilgen alles, was Bosheit treibe auf der ganzen Erde. „Schenket ihr doppelt ein; (Apok. 14), denn die Zeit ist vorhanden.“ Das war auch der mystische Grund, weshalb sie sich einen König setzten. Die Prophezeihungen gedachten vorzüglich eines Königs, der dann Herr auf Erden wer- den solle. Dusentschuer rief Jan Bockelsohn zum König der ganzen Welt aus. Dieser junge phantastische Handwerker glaubte nicht anders, als daß die Zukunft der Welt auf ihm beruhe. Er nannte sich Johann den gerechten Konink, in dem neuen Tempel; in seinen Verordnungen sagt er, in ihm sey das von Christus verkündigte Reich unwidersprechlich vorhanden; er sitze auf dem Stuhle Davids. Eines seiner Gesetze, von Kersenbroik und etwas abweichend von Herrsbach lateinisch mitgetheilt, findet sich in dem Archiv zu Duͤsseldorf deutsch. Es faͤngt sehr charakteristisch an: Kundlich und openbar sy allen Liefhebberen und Tostendern der Wahrheit, und gotlicher Gerechtigkeit, sowol der Unvorstendigen, als in der Verbor- genheit Gottes Verstaͤndigen. So und in wetmaten de Christen und ere Tostendere sick unter dem Panier der Gerechtigkeit als ware An einer Sechstes Buch. Neuntes Capitel . goldenen Kette trug er das Zeichen der Herrschaft am Hals, eine goldene Weltkugel, durch die ein goldenes und ein silbernes Schwert ging: über deren Handgriffen erschien ein Kreuz. Dasselbe Abzeichen trugen seine Diener auf grünem Aermel; denn grün war seine Farbe. Er liebte als ein Emporkömmling die Pracht. Dreimal in der Woche erschien er mit Krone und Kette auf dem Markt, saß nieder auf seinem Thron und hielt Gericht; eine Stufe tiefer stand Knipperdolling mit dem Schwert. Wenn er durch die Stadt ritt, gingen zwei Knaben neben ihm, der eine mit dem alten Testament, der andere mit dem bloßen Schwert; wer ihm begegnete, fiel auf die Knie. Ant. Corvinus de miserabili Monasteriensium anabaptista- rum obsidione ad G. Spalatinum ap. Schardium II, 315. aulam praefecturis ac officiis ita instituerat, ut si natus rex fuisset, pru- dentius non potuerit; erat enim in excogitandis iis, quae rega- lem pompam decebant, mirus artifex. Es gab wohl Einige, die an seinem Pomp, an der Zahl seiner Weiber, deren er immer eine über die an- dere nahm, Mißfallen äußerten. Pfui über Euch! rief er aus; aber ich will über Euch herrschen und über die ganze Welt Euch zum Trotz! Selbst Knipperdolling sah die Sache nicht ohne Ironie an. Auf dem Marktplatz schwang er sich einmal über die dichtgeschaarte Menge em- por, um einen jeden mit dem Geist anzublasen. Er führte vor dem König unanständige Tänze auf, und setzte sich Israeliten in dem nyen Tempel in jegenwerdicheit des Richs vorlanges verseen durch den munth der Propheten belovet, vermitz (vermittelst) Christum und seiner Aposteln in Kraft des Geistes angefangen, und geopenbaret, und nu an Johann den Gerechten in dem Stule Da- vids gelofflichen und in wedersprechlichen vorhanden, schicker wandern und haben sollen — — Abendmahl in Muͤnster . auf dessen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn- sinnigen sagt; ein tieferes Bewußtseyn von der Unwahr- heit ihrer Einbildungen konnten sie nicht übermeistern. Knipperdolling entzweite sich wohl einmal ernstlich mit dem König: dann aber versöhnten sie sich wieder; Knipperdol- ling that Buße, und alles kehrte in das Geleise des gläu- bigen Gchorsams zurück. Im October 1534 feierte die ganze Stadt das Abendmahl folgender Gestalt. Es waren Tische aufgerichtet für alle erwachsene Frauen, deren bei weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer, welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke; Johann von Leiden und seine Gemalin Divara erschienen mit ihrem Hofgesinde und dienten bei Tisch; ein förmli- ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen sie Weizen- kuchen, genossen zuerst davon und gaben ihn den andern, der König das Brod, die Königin den Wein „Bruder, Schwester nimm hin: wie die Weizenkörnlein zusammen- gebacken, und die Trauben zusammengedrückt, so sind auch wir eins.“ Darauf sangen sie das Lied „allein Gott in der Höh sey Ehr.“ Neuste Zeitung von den Wiedertaͤuffern zu Muͤnster 1535. In der That, man könnte dieß re- ligiös, unschuldig finden. Aber man höre. Bei diesem Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem- den wahr, der „kein hochzeitliches Kleid anhatte.“ Er bildete sich ein, das sey der Judas, ließ ihn hinaus füh- ren, ging selbst und enthauptete ihn; er glaubte einen Be- fehl Gottes dazu in sich empfunden zu haben; um so fröh- licher kam er zu dem Gelage zurück. Dorpius „und gefiel im selbs so wol uͤber diesen mord, das er sein noch lachet.“ Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Von allen Erscheinungen einer so ungeheuern Verir- rung ist diese Vermischung von Frömmigkeit, Genußsucht und Blutdurst die widerwärtigste; und wir müssen, wie ungern auch immer, schon daran gehn, ihrer weiter zu gedenken. Es war zu Münster ein Weib, das sich ge- rühmt, kein Mann werde sie bändigen können; eben dieß hatte den Jan von Leiden gereizt, sie unter der Zahl sei- ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war sie seines Umgangs überdrüssig und gab ihm seine Geschenke zurück. Der wiedertäuferische König hielt dieß für das äußerste aller Verbrechen; führte sie selbst auf den Markt, enthauptete sie da, und stieß den Leichnam mit den Füßen von sich. Hierauf stimmten seine übrigen Weiber das Lied an „Allein Gott in der Höh sey Ehr.“ Nachdem alles gestürzt, umgearbeitet, die allgemeine Gleichheit eingeführt ist, bleibt nichts übrig, als das Selbst- gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh- rung widmen. In dem aber bilden geistlicher Hochmuth und fleischliche Selbstsucht, Schwung und Rohheit eine selt- same, man möchte sagen groteske Seelenmischung, die so zu sagen als psychologisches Naturproduct merkwürdig ist. Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man sich Trieben so verabscheuungswürdiger Art überlassen hat. Wie contrastirt dieses Wesen so entsetzlich mit der Unschuld, in der sich jene Gartenbrüder, die kleine Secte in Salzburg, darstellen. Und dennoch fesselte es die Menschen: man kämpfte dafür mit äußerster Erbitterung. Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach Vertheidigung . Münster gegangen, um, wie sie sagte, ihrer Seele Selig- keit bei dem Worte Gottes zu suchen, fühlte sich durch die Geschichte der Judith, die sie einst bei Tisch verlesen hörte angetrieben, diesem Beispiel nachzufolgen. Sie ging in der That heraus, so gut wie möglich herausgeputzt, mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben, und mit einigem Geld versehn. Aber eben schon ihr unge- wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu dem Bischof gelassen, den sie zu tödten im Sinne gehabt. In dem Verhör bekannte sie ihr Vorhaben und starb dafür. Bekanntnisse Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na- tivitatis Joh. Baptistaͤ — pynlig Bekanntnisse H. F. am Saterdag na J. B. Bei Niesert I, 40, 44. Am 30. August 1534 versuchte der Bischof die Stadt zu stürmen. Allein er fand sie auf das beste vorbereitet, ihn zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannschaften stand auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer derjenigen Stelle die am meisten bedroht seyn würde zur Hülfe zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her in den Baumgärten aufgestellt. Die Hauptmacht erwar- tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwischen den Männern standen Knaben und Frauen, jene mit Bogen und Pfeil, diese mit großen Kesseln, um darin, wie sie sagten, das Morgenessen für die Feinde zu kochen. Früh um fünf gab in dem Lager die große hessische Karthaune, genannt der Teufel, das Zeichen; gegen sechs verschiedene Stellen auf einmal setzten sich die Landsknechte in Bewe- gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und Zäune zu kommen; dann legten sie die Leitern an; schon Sechstes Buch. Neuntes Capitel . pflanzte ein und der andere Fahnenträger sein Zeichen auf den Wällen auf. Man hatte sie aber eben darum ruhig kommen lassen, um sie in der Nähe desto sicherer zu ver- derben. Jetzt erst ging das Geschütz in die dichtgeschaar- ten herandringenden Haufen ab. Die Weiber warfen den Heraufklimmenden brennende Pechkränze um den Hals, Noch ein Beispiel von Kersenbroiks Schilderung. Piceas coronas adhibita face incendunt, atque ita fragrantes furculis qui- busdam ferreis in ascendentium colla injiciunt, qui horrendis flam- mis ipsa arma penetrantibus miseris modis excruciati sorsum deur- sumque cursitant majorique motu flammas exsuscitant et frustra chirotecis e crassioribus femorum pellibus ad hoc comparatis ar- dentia serta eximere tentant, ita enim fragranti pice et resina contrahuntur, ut manus inde retrahere nequeant: tandem quidam eorum proni concidunt, seseque in terra algenti prae intolerabili cruciatu ita volvunt ut herbae circumquaque flammas emarces- cerent: hinc magno clamore animam evomunt; alii vero conceptas flammas restincturi in fossas proruunt et pondere armorum de- pressi subsidunt. oder sie gossen den Kalk, den sie in den Kesseln gekocht, glühend über sie her; der Sturm ward vollständig abge- schlagen, ohne daß es der Theilnahme der Weiterzurückauf- gestellten bedurft hätte; die Einwohner hatten eine Schlag- fertigkeit bewiesen, welche den Landsknechten den Muth zu einer Wiederholung ihres Anfalles benahm. Der Fürst mußte sich begnügen, die Stadt mit eini- gen Blockhäusern zu umgeben; nur durch eine neue Steuer konnte er das Geld aufbringen, dessen er hierzu bedurfte. Nothwendig wuchs nun aber durch einen so glänzen- den Sieg der Muth der Wiedertäufer. Im October nach jenem Abendmahl, wurde einigen Gläubigen aufgegeben, sich in die nächsten Städte zu ver- fügen und die Wunder auszubreiten, die bei ihnen gesche- Verbreitung der Wiedertaͤufer . hen seyn. In derselben Stunde, in der ihnen dieser Be- fehl angekündigt worden, machten sie sich auf, ihn auszu- führen. Sie fielen, wie sich denken läßt, sämmtlich den bischöflichen Leuten in die Hände, und büßten ihr Vorha- ben mit dem Tode. Aber darum gab Johann von Leiden seine weltum- fassenden Pläne mit nichten auf. Wir erinnern uns welche allgemeine Gährung die un- tern Volksklassen, namentlich die Handwerker in den deut- schen Städten ergriffen hatte und wie das wiedertäuferische Treiben gerade in diesem Stande gewaltig Wurzel schlug. In diesem Augenblick begegnen wir demselben fast in allen deutschen Ländern. In Preußen genossen die Wiedertäufer den Schutz eines der mächtigsten Männer im Lande, Frie- drichs von Heideck, der in hohen Gnaden bei Herzog Al- brecht stand, ein paar Gläubige aus Schlesien mitbrachte, ihre Bücher verbreitete, sogar einen Theil des Adels für sie gewann. Baczko IV, 219. So viel ihrer auch aus Mähren flüchteten, so begegnen sie uns doch noch immer zu Tausenden da- selbst. Die sächsischen Visitatoren fanden im Jahr 1534 das obere Werrathal von ihnen angefüllt; in Erfurt ward bekannt, 300 Propheten seyen ausgesendet, um die Welt zu bekehren. Seckendorf Hist. Luth. III, § 25, p. 71. Wir treffen 1534 einzelne Emissarien in Anhalt, im fränkischen Brandenburg: hier legte man die Taufregister auch deshalb an, um sich der Wiedertaufe zu erwehren. Im Wirtembergischen gewährte ihnen der Erb- marschall des Herzogs, ein Thumb von Neuburg, Ver- wandter Schwenkfelds, in seinen Besitzungen im Remsthal, Ranke d. Gesch. III. 35 Sechstes Buch. Neuntes Capitel . eine Zeitlang Zuflucht. Lang II, 33. Sattler III, p. 104. In Ulm glaubte man Mei- nungsabwandlungen, die sich den wiedertäuferischen nur annäherten, wie Sebastian Franks oder Schwenkfelds fürchten zu müssen; in der Gegend bei Augsburg tauchte ein Wiedertäuferkönig auf. In der Schweiz bemerkte man sie denn noch immer auch in den protestantischen Gebieten: in Bern benutzte der eifrige Haller ihre Erscheinung, denn besonders das böse Leben der angeblichen Christen war es was sie tadelten, um eine bessere Kirchenordnung durchzu- setzen. Haller und Frecht bei Ottius p. 69, 81. In Strasburg ließen sich Viele den Glauben nicht nehmen, Hoffmann werde von Herrlichkeit umstrahlt aus sei- nem Gefängniß hervorgehn; sie fügten diesem ihrem Elias auch einen vermeinten Henoch hinzu. Den ganzen Rhein hinab regten sich diese Tendenzen. In Cöln und Cleve ließ man das Land von einigen Trupps leichter Reiter durchstreifen, um wiedertäuferische Zusammenrottungen zu verhüten. Rathsprotocoll vom Maͤrz 1534. Aber bei weitem am stärksten waren sie doch in den Nie- derlanden. In Amsterdam, wo vor kurzem ein Emissar von Münster eine große Anzahl Proselyten gemacht hatte, wagten sie sich mehr als einmal öffentlich hervor. Als der geheime Rath der Regentin, Graf Hoogstraten, im Octo- ber dahin kam, und einige strengere Maaßregeln zugleich gegen Lutheraner und Wiedertäufer durchführen wollte, ent- stand ein nächtlicher Auflauf, der leicht die schlimmsten Folgen hätte haben können. Lambertus Hortensius tumultus Anabaptistarum ap Schard. II, p. 306. Diese niederlaͤndische Nachrichten sind bei Hort. das Wichtigste. Und unaufhörlich war seit- dem von der Absicht der Wiedertäufer, sich der Stadt zu Verbreitung der Wiedertaͤufer . bemächtigen die Rede. In Leiden glaubte man Brandstif- tung und Empörung von ihnen fürchten zu müssen. Brandt Histoire de la reformation I, p. 50. Im Gröningerland fand im Anfang des Jahres 1535 eine Ver- sammlung von nahe an tausend Wiedertäufern Statt, die der Statthalter mit bewaffneter Macht zerstreuen mußte. Schreiben des Statthalters von Friesland an den Bischof von Muͤnster. Lewarden 25. Januar (Duͤss. A.). In Ostfriesland sprach ein Prophet die Hoffnung aus, ganz Oberdeutschland und Niederdeutschland werde sich er- heben, wenn nur erst der König mit seinem gewaltigen Banner ausziehe. Auch Nichteinverstandene meinten wohl, wenn Johann von Leiden nur ein paar glückliche Schläge vollführe, werde er Anhänger genug finden, und vielleicht die Welt in Bewegung setzen, wie einst die Longobarden oder die Franken. Sebastian Frank: andre Chronik p. 267. Wir wissen, Johann von Leiden nahm die ganze Welt als Besitzthum in Anspruch. Er hat allen Ernstes einmal 12 Herzöge ernannt, und die Welt, zunächst Deutschland, förmlich unter sie ausgetheilt. Die benach- barten Reichsfürsten behandelte er als seines Gleichen. In einem Briefe an Landgraf Philipp von Hessen redet er ihn „lieber Lips“ an, wie wohl dessen vertraute fürstliche Waf- fenbrüder zu thun pflegten. 14. Jan. 1535, gedruckt in der kleinen Schrift: Acta Hand- lungen Legation und Schriften, so durch Landgraf Philippsen in der Muͤnsterschen Sache geschehen 1536 Bog. II. Er ersuchte ihn, die Bibel zur Hand zu nehmen, und besonders die kleinen Propheten zu studiren, da werde er finden, „ob wir uns,“ sagt er, „selbst zum König aufgeworfen, oder ob dieß von Gott zu etwas anderm angeordnet ist.“ 35* Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Ehe es nun aber zu dem Versuch eines allgemeinen Unternehmens kommen konnte, hatte doch auch das Reich endlich Anstalten getroffen, dem um sich greifenden Uebel ernstlich zu steuern. Rüstungen gegen Münster. Eroberung. Wie dieß geschah, ist ein rechtes Beispiel von der Behandlung der Geschäfte im Reiche überhaupt. Hätte man nicht glauben sollen, nachdem eine durch alle Reichsabschiede so streng verpönte Meinung in einer bedeutenden Stadt zur Herrschaft gelangt, und dadurch auch an so viel andern Stellen zu neuem Leben erwacht war, das gesammte Reich werde sich in seiner Kraft erheben, um sich dieser jeden Stand bedrohenden Gefahr zu erledigen? Man überließ die Sache nichtsdestominder lediglich dem Bischof von Münster und dessen politischen Freunden. Wir sahen schon, wie vor allem die Eifersucht auf Hessen und dann die eigne Gefahr Cöln und Cleve bewo- gen, dem Bischof zu Hülfe zu kommen. Zuerst sendeten sie jeder einiges Geschütz, jedoch auf Versicherung des Capitels, und sogar unter der Bedingung, daß der Schade der daran geschehe wieder erstattet werde. Dann kamen die cölnischen und clevischen Räthe zu- sammen, weitere Maaßregeln zu verabreden. Zu Orsoy am 26. März 1534 beschlossen sie dem Bi- schof mit Leuten zu helfen nicht mit Geld; jeder Fürst habe auf seine Kosten demselben 2 Fähnlein Knechte zu schicken. Am 7. Mai zu Neuß fügten sie hinzu, daß ein Huͤlfe von Cleve und Coͤln . jeder überdieß auch 200 gerüstete Pferde vor Münster ha- ben solle, um auf den Sturm zu warten. Schon hatte der Herzog von Cleve seinen Landsassen befohlen, keine fremden Dienste zu nehmen und Niemand deren nehmen zu lassen, bis diese Sache abgethan sey. Indessen war dem Bischof mit Leuten allein nicht ge- holfen. Da die Kräfte seines Landes nicht zureichten, so drang er unaufhörlich auf Darlehn „einer tapferen Summe Geldes.“ Zuerst dachte man, ihm 10000 G. durch Bürg- schaft zu verschaffen. Da sich dieß aber entweder unthun- lich oder doch ungenügend erwies, so ward auf einer neuen Zusammenkunft der münsterschen Räthe mit den cölnischen und clevischen zu Neuß am 20. Juni der Beschluß gefaßt, daß von jedem Theil 20000, zusammen 60000 Goldgulden aufgebracht werden sollten, — wobei sich aber der Bischof verpflichtete, den beiden andern nach der Eroberung ihr Dar- lehn wiederzuerstatten, — um alles vorzubereiten, was zu dem Sturme nothwendig sey. Das ein jeder Fuͤrst, Coͤlln Cleve und Muͤnster 4000 Solde zu Underhaltung der Knecht so itzo vor Muͤnster liegen und 1000 Graͤber ein Monat lang darstrecken und besolden (was eine Summe von 12000 Kn. und 3000 Schanzgraͤbern giebt) und daneben semmt- lich 10000 Embder Gulden zu Bestellung Pulvers zum allerfuͤrder- lichsten erlegen sullen, welchs zu jedes Knechts und Graͤbers Sold auf 4 Embder G. gerechnet samt den itzigen 10000 E. G. sich zu- sammen in der Summa 70000 E. G. die dann 60000 Goldg. machen ertregt; also ein jeder Chf und Fuͤrst 20000 G. darzustrecken ange- nommen. Wir wissen jedoch, wie schlecht es mit diesem Sturme ablief. Als die Räthe im Anfang Septembers in dem Lager eintrafen, hofften sie die Stadt erobert zu sehen, fanden aber nichts als die Folgen der Niederlage und allgemeine Entmuthigung. Es geschah auf Sechstes Buch. Neuntes Capitel . gemeinschaftlichen Beschluß der drei Fürsten, daß die Block- häuser errichtet wurden. Sie vereinigten sich aufs neue zur Aufbringung einer Summe von 50000 G. zu diesem Behufe. Allein so viel sah man doch auch, daß auf diese Weise Münster niemals werde erobert werden. Man beschloß, was schon immer in Vorschlag gewesen, sich an die nächst- gesessenen Kreise zu wenden, und diese herbeizuziehen. Cöln gehörte zu dem churrheinischen, der Herzog von Cleve war Oberster des westfälisch-niederrheinischen Krei- ses Zum ersten Mal im letzten Türkenkriege hatten die Kreise angefangen eine wesentliche Wirksamkeit auszuüben. Die Fürsten waren durch die Reichsabschiede berechtigt, auch hiefür die Mitwirkung derselben zu fordern. Zuerst in Mainz auf einer Versammlung des churrheini- schen Kreises kam die Sache zur Sprache. Cöln und Cleve berechneten ihre Kosten und forderten wie eine Entschädi- gung dafür, so besonders eine unmittelbare Theilnahme der übrigen Kreisstände. Allein der Erfolg war nur, daß man sie, so sehr sie auch widersprechen mochten, zu fernerer Er- haltung der Blockhäuser verpflichtete, übrigens aber die Sache auf einer allgemeineren Versammlung näher in Be- rathung zu ziehen beschloß. Auszug aus dem Abschied zu Mainz im Duͤss. Arch. „ach- ten die churfuͤrstl. Rethe fuͤr den nuͤtzesten und fuͤrtreglichsten weg, das ander Fuͤrsten und Stende des Reichs als nemlich neben ihrem der Churfuͤrsten Kreis des rheinisch (Oberrh.) niederlendischen und westfelischen Kreis zu diesem Handel gezogen werden.“ Am 27. October traten dann auch die Stände des niederrheinisch - westfälischen Kreises im Predigerkloster zu Cöln zusammen. Da eine allgemeine Zusammenkunft be- reits in Aussicht gestellt war, so ersparten sie sich, eine Huͤlfe der Kreise von Sachsen und Hessen . beharrliche Hülfe zu beschließen. Aber um für eine eilende in jedem Augenblick gerüstet zu seyn, kamen sie überein, sich mit so viel Geld zu versehn, als ein monatlicher Anschlag für den letzten Türkenkrieg betragen habe. Mittlerweile waren auch entferntere Stände wie Sach- sen und Hessen herbeigezogen worden. Sächsische Räthe ka- men Anfangs November mit den cölnischen und clevischen zu Essen, die hessischen bald darauf mit den Räthen von Pfalz, Mainz, Trier und Würzburg zu Oberwesel zusammen. Was ihren Berathungen Nachdruck gab, war die Furcht, daß der Bischof etwa das Haus Burgund zur Hülfe rufen, und dieß bei dieser Gelegenheit sich Münsters bemächtigen möchte; wie denn Maria in den Niederlanden von ihren Landständen schon Hülfe für Münster forderte. Da verpflich- tete sich Sachsen doch lieber selbst an den Kosten jener Blo- kade gleichmäßig Antheil zu nehmen. Ehrgeizige Pläne wa- ren auch hier im Spiel; doch trieb die gegenseitige Eifer- sucht einen jeden immer wieder in die gesetzlichen Schranken. Im December kam jene in Mainz beschlossene Zu- sammenkunft der drei Kreise — der beiden schon genann- ten und des oberrheinischen — in Coblenz zu Stande. Sie ließen sich bereit finden, die Kosten der ferneren Blo- kade gemeinschaftlich zu tragen. Es sollten 3000 Mann vor Münster gehalten, und zu dem Ende 15000 G. mo- natlich aufgebracht werden. Ein Feldhauptmann, Graf Whirich von Dhaun ward ernannt, vier Kriegsräthe, von Cöln, Trier, Cleve und Hessen sollten ihm zur Seite stehn; das Kriegsvolk sollte den Kreisständen schwören. Der Coblenzer Abschied findet sich nur bei Kersenbroik. In Coblenz und in Duͤsseldorf suchte ich ihn vergebens. Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Man sieht jedoch, daß auch dieß mehr eine Verthei- digungsmaaßregel gegen etwanige Ausfälle der Belagerten war, als daß sich die Eroberung der Stadt davon hätte erwarten lassen. Diese zu bewerkstelligen, hielten auch die Kreise sich für nicht mächtig genug; sie beschlossen das ganze Reich zu Hülfe zu rufen. Wie angedeutet, der Gang dieser Sache giebt recht eigentlich den Charakter des deutschen Gemeinwesens zu er- kennen. Nicht das Kaiserthum setzte sich in Bewegung um eine in offenbarer Rebellion begriffene Stadt zu bezwingen, sondern der Fürst, dem sie gehörte, und dessen nächste Nachbarn mußten es lange Zeit allein versuchen, bis die wachsende Gefahr immer weitere Bezirke und endlich die Gesammtheit, wiewohl nicht ohne Widerspruch, herbeizog. Es war eins der ersten Reichsgeschäfte König Ferdi- nands nach seiner Anerkennung, daß er auf die Bitte der drei Kreise einging und auf den 4. April eine allgemeine Versammlung nach Worms ausschrieb. Zwar erklärte sich nicht Jedermann damit einverstan- den; der Churfürst von Brandenburg z. B. behauptete, die drei Kreise seyen allein im Stande den Wiedertäufern ein Ende zu machen, und weigerte sich an allgemeinen Vor- kehrungen zu diesem Zweck Theil zu nehmen. Allein bei weitem die meisten Stände schickten doch ihre Ab- geordneten. Der Beschluß ward gefaßt, 1¼ Monat der letzten Reichshülfe auf alle Stände des Reichs auszuschrei- ben. Der Ertrag, der sich hiervon erwarten ließ, war wohl nicht so ansehnlich, um eine bedeutende Vermehrung der Streitmacht ins Feld zu stellen. Der Vortheil bestand Huͤlfe des Reiches . nur darin, daß man nunmehr sicher wurde, die Blokade bis zu einem entscheidenden Erfolg fortsetzen zu können. Der zu Coblenz aufgestellte Feldoberst ward von Reichs- wegen bestätigt; nur sollten ihm statt jener vier von jetzt an sechs Räthe zur Seite stehn; nach der Eroberung der Stadt sollte von Kaiser und Ständen über ihre Einrich- tung verfügt werden. Es wäre nun sehr überflüssig, die Thaten dieses klei- nen Heeres ausführlich zu erörtern. Schon genug, wenn wir bemerken, daß es demselben gelang, der Stadt alle Zufuhr abzuschneiden und sie auszuhungern. Die vornehmste Hoffnung der Eingeschlossenen war noch, daß ihnen von da Hülfe und Entsatz kommen würde, wo ihre Lehre am weitesten um sich gegriffen, und von wo sie großentheils selbst herstammten. Eifrige Wiedertäu- fer aus den Niederlanden hatten sich die Sache in Mün- ster angesehn, waren dann zurückgegangen, und verkündigten nun dort den nahen Auszug des Königs, den auch sie aner- kannten, und den sie durch die Welt zu begleiten hätten. Das Geschrei erneuerte sich, man müsse Pfaffen und Herren todtschlagen; man fügte hinzu, die einzige rechte Obrigkeit in der Welt sey der König von Münster. „Slan doot alle Monniken und Papen u. alle Overicheit, de in der werlt sint, went allenne unse Konink is de rechte Overicheit.“ Beninga Historie van Oostfriesland bei Matthaͤus: Analecta vet. aevi IV, p. 680; wo sich auch uͤberhaupt einige charakteristische Nach- richten finden. Gegen Ostern 1535 waren sie alle in Bewegung. Die Westfriesischen nahmen Oldenkloster unfern Sneek ein; die Gröninger machten sich auf den Weg nach dem Kloster zu Warfum; die Holländer, Sechstes Buch. Neuntes Capitel . mehrere tausend stark, setzten nach Overyssel über; in dem Bergkloster in der Gegend von Hasselt dachten sie mit an- dern Gläubigen zusammenzutreffen. Es ist als hätten sie geglaubt, von den Klöstern her, von wo einst das Chri- stenthum ausgebreitet worden, das Land mit der Wieder- taufe zu erfüllen und alsdann ihren vermeinten König auf- zusuchen. Allein die organisirte bewaffnete Macht war in diesen Provinzen stärker als diese ungeordneten Haufen. Die Gröninger und Holländer wurden ohne Mühe noch auf dem Wege zerstreut. Extraict de ce, que Maistre Everard Nicolai conseiller au grand conseil ordonné à Malines escript à son frère Mr. Ni- colas Nicolai. Les Anabaptistes par instigation et messaiges se sont esmeus et rassemblés en nombre de plusieurs mille sur la côte de la mer d’Hollande pour dela neviger au pays d’Overys- sel où ils devaient à certain jour préfix tenir communication de leurs affaires dedans un monastère qui s’appelle Bergklooster au- près de la ville de Hasselt; etc. Nicolai war ausdruͤcklich dahin gegangen, um sie zu bekehren. Nach ihm waren es 20 Fahrzeuge und 3000 Menschen gewesen. Er fand jedoch nur noch 5 Maͤnner und 13 Weiber, die er denn bald von ihrem Irrthum uͤberzeugte. Oldenkloster, das die Wieder- täufer bereits eingenommen, leistete einigen Widerstand; es konnte nicht ohne Verlust wieder erobert werden. Noch später machten sie einen Versuch, Amsterdam für den König Zions einzunehmen und setzten sich wirklich einst bei Nacht in Besitz des Rathhauses, wiewohl nur für eben diese Nacht. Hortensius tumultuum Anabaptistarum liber unus bei Schardius Scriptt. R. Germ. II, 310. Sie wollten die Bedingungen nicht bemerken, unter denen es ihren Glaubensgenossen in Münster gelungen war, zur Gewalt zu gelangen: und schrie- ben ihr dortiges Glück einer wunderbaren Veranstaltung Mißverstaͤndnisse in Muͤnster . Gottes zu, die sie nun auch anderwärts erwarteten, aber nothwendigerweise vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro- phet das Volk auf die Hülfe seiner Landsleute vertröstet, welche kein Schwert noch Tod, weder Wasser noch Feuer abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu sehen; da sich aber seine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten, so entstand doch einiges Gemurre in dem Volke. Nie Tydongen an den Erzbischof tho Coͤllen. Niesert p. 198. Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein ausgefallener Knecht, es sey große Armuth, die Gemeine murmurire, der Koͤnig mit seinem Anhang suche nur den Aufruhr zu vermeiden. Allmäh- lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weise überhand. Die Glaubensschwächern begannen, an dieser Sache zu ver- zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies sie anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die nicht aufgenommen werden, sich an dem Graben an das Stacket setzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas zu essen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An- blick dar, der die gelehrten Zeitgenossen an Sagunt und Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, spitze Lippen, dünne, durchsichtige Wangen; alle voll Grauen über den ausgestandenen Hunger; mit Mühe hielten sie sich auf- recht. Allein Viele waren doch auch entschlossen, wie der Kö- nig sich ausdrückte, „nicht wieder nach Aegyptenland zurück- zufliehen.“ Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wiesen sie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger Entrüstung von sich. Zwar verhehlten sie sich nicht, daß sie vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danielischen Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Ungeheuers zerstampft werden würden; allein sie hielten an der Hoffnung fest, bald werde dasselbe nichts destominder von dem Eckstein zertrümmert, und das Reich den Heiligen des Allerhöchsten übergeben werden. Sie sollen die Ab- sicht gehegt haben, wenn alles verloren sey, die Stadt an- zuzünden, und sich den feindlichen Geschützen entgegenzu- stürzen. Und vielleicht wäre es in der That so weit gekom- men, hätte sich nicht ein Verräther gefunden, der den Be- lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen Sturm nicht vergessen hatten, über die Gräben und Mauern zu helfen versprach. Hatte man nur nicht mit Wall und Geschütz zu kämpfen, so konnte der Erfolg nicht zweifelhaft seyn. Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros, quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt — immo scio pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide- runt. Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel besser stehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu seinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und Befehlshaber, die Doppelsöldner hatten noch auf kurze Zeit zu leben. Als der Bischof den Landsknechten seinen Plan eröffnete, und ihnen versprach, der Oberst sammt Adel und Hauptleuten werde vorn daran seyn, zeigten sie sich willig; denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll- werken auch zu lange. Es ist kein ersreulicher Anblick: diese abentheuerlichen gewaltsamen, zu Verbrechen fortgerissenen, jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im- Eroberung . mer enthusiasmirten Phantasten, und dagegen die mühsam zusammengehaltenen, langsam und ohne Energie vorschrei- tenden, erst, als an den Erfolg kein Zweifel seyn kanu , zu der entscheidenden Unternehmung entschlossenen Lands- knechtshaufen. Zu besonders ruhmwürdigen Thaten konnte es da nicht kommen. In der bestimmten Stunde in der Jo- hannisnacht 1535 gingen ein paar Hundert Landsknechte über den Graben, wo er am schmalsten, und erstiegen mit ihren Leitern die Mauern, wo sie am niedrigsten waren. Sie kannten die Losung der Wiedertäufer, täuschten damit die Schildwächter und stießen sie dann nieder; so nahmen sie ein Bollwerk am Zwinger ein und drangen bis auf den Domhof: dann ohne erst lange ihrer Kameraden zu warten, schrien sie Lerman und rührten die Trommel. Die Wiedertäufer spran- gen aus ihren Betten und sammelten sich zur Gegenwehr. Der Erfolg war einen Augenblick zweifelhaft; jedoch nur so lange bis die Masse der Belagerer durch ein von in- nen geöffnetes Thor eindrang. Die Wiedertäufer schlugen sich auch dann noch mit Erbitterung, und namentlich mit ihrem Geschütz thaten sie den Angreifenden noch vie- len Schaden; anderthalb hundert Edelleute und Doppel- söldner, die in den ersten Reihen standen, sind noch ge- blieben; allein es war der hoffnungslose Kampf der Ver- zweiflung. Indem der König sich nach dem festesten Boll- werk zurückzuziehen gedachte, ward er gefangen. Rottmann soll sich, um dem Hohn der Gefangenschaft nicht aus- gesetzt zu werden, in das dichteste Gewühl gestürzt und so den Tod gefunden haben. Noch wehrten sich einige Hun- Sechstes Buch. Neuntes Capitel . dert hinter einer Wagenburg an der St. Michaelskapelle so tapfer, daß man sich entschloß, mit ihnen Vertrag zu schließen. So viel ich finde, ist ihnen der nicht gehalten worden. Man sagte ihnen, sie sollten nach Hause gehn; wenn dann der Bischof komme, so wolle man weiter in der Sache handeln. Wohl wahr, daß dieser ihnen das Le- ben schwerlich geschenkt haben würde. Aber die durch ihre Verluste erbitterten Landsknechte waren nicht dahin zu brin- gen, dieß zu erwarten; sie stürzten den Abziehenden in die Häuser nach; man konnte ihrer Metzelei nur mit Mühe Einhalt thun, und auch dann ward den Hinrichtungen le- diglich etwas mehr Form gegeben. Ich folge hier wie bei der Erzaͤhlung der Eroberung uͤber- haupt einer Flugschrift: Warhafftiger bericht der wunderbarlichen Handlung der Dueffer zu Muͤnster in Westvalen, wie sich alle sachen nach eroberung der stat und in der eroberung zugetragen, die noch vor der Execution des Jan von Leiden geschrieben worden; sie hat sein Bildniß in Holz. Anders erzaͤhlt jedoch Kersenbroik. „Donan- tur vita et positis armis urbe protinus praeeuntibus quibusdam militiae ducibus exire jubentur. Cum vero liberum exeundi com- meatum impetrassent multi eorum ad aedes suorum necessariorum forte aliquid inde allaturi sese subducunt atque iter ab aliis ad exeundum paratis sponte sua divelluntur, ubi cum longiorem mo- ram fecissent, jam tuto egressos eodem certe commeatu confisi fine ducibus subsequi contendunt, qui a militibus intercepti mac- tantur. Ich lasse Jedem sein Urtheil, doch sieht das fast wie eine Beschoͤnigung und Entschuldigung aus. Jener aͤlteste Bericht sagt: ward auf beiden partheien so vil gehandlet das ein yetlicher solt wi- der heim in sein haus ziehen, bis auf die Zukunft des bischofs des gnaͤdigen herrn, dann solt weiter in den sachen gehandlet werden. Darauff ward jenen glauben zugesagt und zoch ein yetlicher wieder heim in sein haus. Als aber die landsknecht großen merklichen scha- den empfangen — fielen sie mit grimmigem zorn in die heuser und wo sie der einen funden, rissen sies mit den koͤpfen aus den heusern auf die straßen howens zu stucken stechns all zu todt. Kurz demnach ward umbgeschlagen daz man kein mer todtschlagen solt etc. Reaction in Muͤnster . Denn wie die Sachen nun einmal standen, so darf man sich nicht wundern, wenn auf eine vollkommene Aus- rottung des wiedertäuferischen Elements gedacht ward. Auch die Frauen wurden aus der Stadt verjagt: jedermann, der sie aufnehme, ward bedroht, als Wiedertäufer behan- delt zu werden: man weiß nicht, wohin sie gerathen sind. Allmählig kehrten die aus der Stadt Verjagten wieder in dieselbe zurück: es war ungefähr ein Drittheil der vorigen Bevölkerung. Da jedoch auch diese nicht ohne Schuld, so mußten sie dem Bischof für die Zurückgabe ihrer Besitzthü- mer eine kleine Recognition zahlen. Für jeden, der der Wiedertaufe verdächtig war, mußten, wenn er in die Stadt wiederaufgenommen werden wollte, 400 Gulden Bürgschaft gestellt werden. Cleve und Cöln suchten einen die Reaction mildernden Einfluß auszuüben; namentlich mißbilligten sie den Plan, eine Festung in der Stadt anzulegen; Handlung auf dem Tag zu Nuyß, 1535 15. Juli. Sie wandten ein, dazu gehoͤre die Einwilligung von Kaiser und Reich; es laufe wider die Privilegien der Stadt, man solle lieber den Wall schleifen und die Graͤben fuͤllen. wir wer- den später sehen, welche Entwürfe diese beiden Fürsten in Hinsicht der Religion hegten; der Bischof sollte sich im Voraus ihnen anzuschließen versprechen. Auch eine Reichs- deputation forderte wenigstens eine Wiederherstellung der Stadt in ihre alten Rechte. Allein daran ließ sich nun nicht mehr denken. Bischof, Capitel und Ritterschaft waren zwar nur durch die Hülfe ihrer Nachbarn von dem äußer- sten Verderben gerettet, und in Kraft eines Reichsschlusses war das Heer zusammengebracht worden, das ihnen den Sechstes Buch. Neuntes Capitel . Sieg verschaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache selbst in ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und Ritterschaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbständigkeit der Stadt, die ihnen längst verhaßt gewesen, nunmehr voll- ständig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch beschlossen, eine Festung in Münster zu errichten und zwar auf Kosten der Stadt selbst: die Hälfte ihrer Einkünfte sollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feste sollte aus der einheimischen Ritterschaft genommen, nur mit Einwilligung von Capitel und Ritterschaft ernannt werden, auch die- sen seinen Eid leisten Bei Kersenbroik finden sich articuli de propugnaculo — die in der deutschen Ruͤckuͤbersetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B. §. 4 „neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora- bitur neque exauctorabitur;“ die Uebersetzung: er solle ohne Einwil- ligung des Capitels weder ein noch abgesetzt werden. und den Befehl führen, selbst wenn der Fürst zugegen sey. Auch der Rath der Stadt sollte von dem Fürsten in Zukunft mit Beirath des Capitels und der Ritterschaft ernannt werden. Hatte sich die Stadt einst der Einwirkung von Adel und Geistlichkeit schon bei- nahe entzogen gehabt, so geschah nun in Folge des Auf- ruhrs, daß sie derselben aufs neue unterlag. Capitel und Ritterschaft setzten sich bei weitem mehr als der Fürst in Besitz der Gewalt; noch Bischof Franz sollte später ihre mächtige Opposition erfahren. Es versteht sich gleich- sam von selbst, daß bei diesem Gange der Dinge auch der Katholicismus in aller seiner Strenge wiederhergestellt ward. Indessen war auch über den gefangenen König und seine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht Johann v. Leiden im Gefaͤngniß . gehalten worden. Der König zeigte sich anfangs sehr trotzig, dutzte wohl den Bischof, scherzte mit denen, die ihm seine Vielweiberei vorwarfen, vermaß sich, daß er die Stadt nie- mals aufgegeben haben würde und wären alle seine Leute an Hunger gestorben. Auch in dem ersten Gespräch, das ein paar hessische Theologen mit ihm hielten, zeigte er sich eher starrsinnig. Aber gar bald ließ er selbst ein zweites fordern, wo er denn bemerkte, daß sie alle in Münster vom tausendjährigen Reiche nichts gewisses gewußt, erst im Gefängniß sey ihm die Einsicht davon gekommen; er erklärte nun selbst den Widerstand, den er der Obrigkeit geleistet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt, ja selbst die Kindertaufe für eine Pflicht. Gesprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck. Im Bogen G findet sich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden „mit miner eighene hand ondertekent.“ Er versprach, wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof- mann und seinen Frauen alle Täufer zum Stillschweigen und zum Gehorsam zu bewegen. Er blieb in dieser Stim- mung, auch als er schon wissen konnte, daß sie ihm nichts helfen werde. Dem Caplan des Bischofs gestand er ein, wenn er den Tod zehnmal leiden könne, so habe er ihn zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen zeigten sich überaus hartnäckig; sie erscheinen der theologi- schen Streitfragen lange nicht so kundig, wie Johann von Leiden, von minder durchgebildeter, aber um so unbeug- samerer Ueberzeugung; sie blieben dabei, nur den Weisun- gen Gottes gefolgt zu seyn. Sie wurden sämmtlich verur- Ranke d. Gesch. III. 36 Sechstes Buch. Neuntes Capitel . theilt, auf dem Markt von Münster mit glühenden Zangen gezwickt und so vom Leben zum Tode gebracht zu werden. Des muͤnsterischen Koͤnigreichs an und abgang, Bluthandel und End; Samstag nach Sebastiani Anno 1536. Vorn sieht man den Lambertithum, mit eisernen Koͤrben, in denen die entseelten Lei- ber aufgestellt wurden, der Koͤnig etwas hoͤher als die beiden an- dern. Das Schriftchen ist nichts als eine Geschichte der Execution. Protestanten und Katholiken sahen der Execution zu, welche ihre vereinten Anstrengungen hervorgebracht. Aber in welcher Stimmung waren sie schon wieder. Einer je- ner hessischen Theologen beschreibt dem sächsischen Hofpre- diger das Vergnügen, das die Hinrichtung den Meßprie- stern gemacht. Einigen aber, fügt er hinzu, schien zur vol- len Genugthuung nur das zu fehlen, daß die Lutheraner nicht auch auf ähnliche Weise abgethan wurden. Corvinus ad Spalatinum l. 1. 318. Tanto Anabaptistis iniquior sum, quanto certius comperi illorum malitia factum esse, ut vix mutire nunc audeant, qui antea veritati erant addictissimi. Die Lutheraner verbargen sich nicht, daß für ihre Lehre nun hier zunächst keine Aussicht weiter sey. Auf die Wiedertäufer hatte dieser Ausgang die Wir- kung, daß die Prinzipien des Aufruhrs, wiewohl sie noch immer Verfechter fanden, doch nach und nach verlassen wur- den und die mildere Auffassung den Platz behielt. Es leuch- tet wohl ein, daß ihnen das nicht sogleich viel helfen konnte: sie wurden nichtsdestominder sehr strenge und blutig verfolgt. Diesen spätern Zeiten gehören die Lieder an, die aus ih- ren Gesangbüchern von Zeit zu Zeit bekannt geworden sind. Darin lesen wir wohl, wie sie sich auf beiden Seiten im Kam- pfe mit falschen Schlangen fühlen; der Drache hat sich aufge- macht und durchreitet in seinem Neide Deutschland; aber sie Spaͤtere Wiedertaͤufer . sind entschlossen, sich weder vom Feuer noch Wasser noch Schwert schrecken zu lassen; sie wissen, daß Gott seine rei- nen Kinder retten kann, daß er auf jeden Fall die Seele behütet, sollte das Fleisch auch bluten. Ihnen gegenüber erscheinen „Tyrannen vom burgundischen Hofe,“ nehmen Männer und Frauen gefangen und legen ihnen Glaubens- fragen vor. Sie zeigen ein einfach-standhaftes Gemüth, sie wollen den nicht verläugnen, der das ewige Gut ist und den Glauben an ihn mit ihrem Blute besiegeln. Vgl. das Lied des gefangenen Wiedertaͤufers, die zwei Jung- frauen von Beckum: O lieber Vater und Herzog mild, in den Muͤn- sterschen Geschichten und Sagen p. 277 f. Und so müssen sie dann nach dem Gefängniß wandern. Sie sind glücklich, denn sie sehen sich von den himmlischen Heerschaa- ren, den Märtyrern, umgeben, sie erblicken Gott in der Gnadensonne, und wissen wohl, daß Niemand sie von ihrem Vaterlande bannen wird, welches bei Gott ist. Sie ziehen verwandte Ereignisse herbei, Wunder der ältesten Märtyrer- geschichte, die sie in ihrem Sinne betrachten. Vgl. Pura, im Wunderhorn I, 146, und Algerius ebenda p. 353. Endlich aber bereiten sie sich, sich als Schlachtopfer auf den Altar zu legen, nach der Richtstätte gebracht zu werden; die klare Fontaine des göttlichen Wortes tröstet sie mit der Hoffnung, den Engeln gleich zu werden. Abschied vom Leben M. Gesch. u. S. 284. In Deutschland konnten sie es höchstens in ihren mil- desten Formen zu einer Art von Duldung bringen. In demselben Augenblick aber, wo sie in Münster eine so große Niederlage erlitten, hatten sich Viele an Deutsch- 36* Sechstes Buch. Neuntes Capitel . land verzweifelnd nach England gewendet. Hier nahm un- ter den Stürmen des siebzehnten Jahrhunderts das bapti- stische Wesen nicht allein eine höchst merkwürdige Form an, wie denn z. B. in der Lebensweise der Quäker sich gar vieles von dem wiederholt, was Justus Menius an den deutschen Wiedertäufern verwarf, sondern es eröffneten sich ihnen auch die nordamerikanischen Colonien. Wofür in ei- ner constituirten Gesellschaft, auf welche ihr Versuch nur zerstörend wirken konnte, kein Platz war, das ließ sich dort, in einer ganz von neuem einzurichtenden Welt eher ausführen. In Providence und Pensylvanien haben die Ideen der Wiedertäufer, in wie fern sie von religiös-sittli- chem Inhalt waren, erst ihre Entwickelung gefunden. Zehntes Capitel . Der Bürgermeister Wullenweber in Lübeck. Die wiedertäuferischen Unruhen waren nicht die ein- zigen, welche den regelmäßigen Gang der deutschen Reform bedrohten. Aus denselben Quellen entsprangen noch an- dre Bewegungen, die sich zwar in sehr abweichenden Rich- tungen ergossen, aber nicht minder gefährlich werden zu wollen schienen. Bei der empörerischen Stimmung, die sich in den Städten schon seit dem Anfang des Jahrhunderts kund ge- geben, bei dem großen Antheil ferner, den die Gemeinden an dem Durchsetzen der Reform nahmen, konnte es, wie wir sahen, gar nicht anders seyn, als daß sich demokra- tische Regungen mit den religiösen vereinigten und durch- drangen. Es war jedoch das Prinzip der deutschen Reform, das Politischbestehende zu schonen. Bei weitem in den mei- sten Städten behielten die gesetzmäßigen Obrigkeiten den Platz. Von den größern waren es im Grunde nur zwei, in denen die alten Räthe vollkommen unterlagen, Münster und Lübeck. Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Dahin aber warfen sich nun auch die vorwärtsdrän- genden Tendenzen, das Neue suchend, mit aller Kraft. In Münster, wo die Geistlichkeit von jeher vorge- herrscht, kam es zu dem theokratisch-socialistischen Versuche den wir eben beobachteten. Eine geistige Bewegung aber, der man ihren Lauf läßt, wird allemal die eigenthümlichsten Triebe des Orga- nismus, den sie ergreift, in Thätigkeit setzen. In Lübeck, im Mittelpunkte der Hanse, gab es andre Interessen, kauf- männisch-kriegerischer Art; und eben diese waren es nun, welche hier von dem demokratisch-religiösen Geist auf das lebendigste angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel weniger merkwürdigen Ereignissen, als in Münster, obwohl sie von ganz anderer Natur waren. Um sie aber zu verstehn, haben wir uns erst auf dem Boden umzusehen, wo sie sich bewegen. Dann erinnern wir uns zuvörderst, daß die Macht der alten Hause auf zwei Momenten beruhte, erstlich der Vereini- gung der sämmtlichen deutschen Küstenstädte von Narwa nach Brügge unter sich, sodann dem Verhältniß der Superiorität, in das sich die mittlern von ihnen, die sogenannten wendi- schen Städte, zu den skandinavischen Reichen gesetzt hatten. Noch in diesem Jahrhundert war Skandinavien für den gesammten Handel von der größten Wichtigkeit. In gleichzeitigen Verzeichnissen wird aufgezählt, was die Ge- birge der großen Halbinsel, die Ebene der Vorlande, und das Meer, das sie umgiebt, dem Verkehr liefern, das Eisen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des Norder- und die Masten des Süder-Landes von Norwe- Verhaͤltnisse zwischen Daͤnemark u. der Hanse . gen, die Produkte der Viehzucht und des Landbaues von Dänemark, der Gewinn, welchen dann vor allem der Fang des Herings abwirft, mit welchem das ganze nördliche Deutschland bis nach Schwaben und Franken versorgt wird, endlich der Vortheil, den die Herrschaft über den Sund gewährt. Summarium von allem was die drei Reiche Denemark, Schweden und Norwegen an whare und anderm vermuͤgen, im Ar- chiv zu Bruͤssel. Wie nun aber überall Regierungen aufkamen, welche die natürlichen Hülfsquellen ihrer Länder selber zu benutzen dachten, so finden wir schon lange die nordischen Könige und Gewalthaber in Widerstand gegen das Uebergewicht der Städte. Das würde jedoch so viel noch nicht zu sagen gehabt haben, hätte der Bund sich nicht selber entzweit. In der Fehde, in welche die wendischen Städte 1427 mit dem Unionskönig Erich geriethen, sonderten sich die Niederlän- der von denselben ab, ließen sich besondere Privilegien ge- ben und verfolgten ein eigenthümliches Interesse. Zwar war Lübeck in dem funfzehnten Jahrhundert noch stark ge- nug, sie nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, aber es vermochte doch auch nicht, ihren Einfluß auf den Osten völlig zu unterdrücken. Indem sich der letzte Unionskönig Christiern II mit der Schwester Carls V vermählte, hatte er nicht allein die Absicht, sich politisch mächtige Verbündete zu verschaffen, sondern auch für seine Handelsentwürfe in den Niederlän- dern einen nachhaltigen Beistand zu erwerben. Es hängt sehr gut zusammen, daß Christiern bei sei- Sechstes Buch. Zehntes Capitel . nem Unternehmen auf Schweden von den Niederlanden her — namentlich durch die Aussteuer der burgundischen Prinzessin — unterstützt wurde, und gleich darauf, allen Verträgen zum Trotz, die Privilegien der Hanse zu ver- letzen begann. Hansische Kaufleute wurden in Schonen angehalten, Schiffe die von Riga kamen, aufgebracht, un- gewöhnliche Zölle aufgelegt. Der Sinn der Königs wäre gewesen, sich ganz von Lübeck zu cmancipiren, Kopenha- gen zum großen Stapelplatz des nordischen Handels zu er- heben. Die Seestädte glaubten nicht anders, als „daß der König gegen Brief und Siegel und alle seine Gelübde al- lein nach dem Verderben der Seestädte trachte.“ Es ist bekannt, wie kühn sich Lübeck dagegen zur Wehre setzte. Nach Schweden sendete es dem Unionskö- nig einen Gegner, vor welchem sein Gestirn verbleichen sollte, Gustav Wasa, und unterstützte ihn mit seinen besten Kräften. Als Stockholm sich demselben unterwarf, wurden die Schlüssel der Stadt den beiden Rathsherrn eingehändigt, welche die lübische Flotte führten; diese überlieferten sie dann dem neuen König, der ihnen dagegen in eben diesen Tagen einen herrlichen Freiheitsbrief zugestanden hatte. Regkmann luͤbische Chronik, sonst nur eine Wiederholung des Bonnus, hat hier einen eigenthuͤmlichen bestaͤtigenden Zusatz. Einen nicht viel geringern Antheil nahm die Stadt an dem Umschwunge der Dinge in Dänemark. Als Frie- drich von Holstein die ihm von den Großen dieses Reiches angebotene Krone angenommen, und sich nach Kopenha- gen begab, begleitete ihn ein lübeckisches Heer zu Lande, und zur See war ihm eine lübeckische Flotte zur Seite. Verbindung Daͤnemarks mit Luͤbeck . Severin Norby, der die Flagge Christierns II noch eine Zeitlang in der Ostsee wehen ließ, erlag am Ende vor- nehmlich den Anstrengungen der Lübecker Marine, welche seine Schiffe an der Küste von Schonen verbrannte. Unaufhörlich bedrohte seitdem Christiern seine verlasse- nen Reiche mit einem Angriff. Er trat mit England in Bund; brachte mit Hülfe seiner Verwandten und Freunde Mannschaften in Deutschland auf; schickte von Seeland und Brabant aus Schiffe wider die Hansen in See, und da er im Innern der Länder Verständnisse hatte, in den Städten sich auch fortwährend eine kaiserliche Partei hielt, so ward er immer gefürchtet. Lübeck genoß die erworbenen Privilegien hauptsächlich auch deshalb so ungestört, weil die beiden Könige die Hülfe der Stadt gegen den drohen- den Feind nicht entbehren konnten. Und noch enger ward ihre Verbindung, als Christiern dem evangelischen Eifer, den er früher bewiesen, zum Trotz wieder zum Katholicismus zurückgetreten war, und nun mit wirksamer Unterstützung des Kaisers auf seine Rück- kehr Bedacht nahm. Es liegt zwar am Tage, daß zwischen beiden Schwägern nicht immer das beste Vernehmen obwal- tete. Während Christiern in Friesland rüstete, suchte ein kai- serlicher Gesandter eine Vermittelung zwischen ihm, König Friedrich von Dänemark und den Hansen zu stiften. Kö- nig Friedrich erklärte, daß er sich einem schiedsrichterlichen Spruch unterwerfen wolle, wenn auch Christiern sich dazu entschließe, und vor allem wenn er seine Feindseligkeiten einstelle: der Gesandte eilte nach Friesland und machte dem verjagten Könige in der That diesen Vorschlag. Chri- Sechstes Buch. Zehntes Capitel . stiern aber antwortete ihm nur mit heftigen Klagen, wie viel Jahre er nun schon von seinem Lande entfernt sey, und daß er noch nicht dahin zurückkehren, noch immer nicht zu seinem Rechte gelangen solle. Literae Banneri ad Caesarem de gestis apud Vandalicas civitates s. a. Archiv zu Bruͤssel. Statt sein Volk auf- zulösen, rückte er ohne Weiteres in Holland ein. Was man ihm nicht in Güte gewährte, das erzwang er sich mit Gewalt, Schiffe und Geld. Er wußte, daß der kaiserliche Hof, wenn auch nicht im gegenwärtigen Augenblicke, doch im Ganzen sein Unternehmen billigte und demselben Erfolg wünschte. Hatte doch der Kaiser sich oft genug so er- klärt, als halte er die Sache Christierns für seine eigne. Niederländische Kaufleute unterstützten den König freiwillig: die Häuser Frei zu Campen, Schultis zu Enkhuysen, Bur zu Amsterdam, Rath zu Alkmar werden als die vornehm- sten Beförderer genannt. Christiern gab ihnen dafür glän- zende und vortheilhafte Freibriefe. So gingen sie am 15. October 1531 zu Medenblik in See. Die Lübecker versicherten beim schmalkaldischen Bunde: es sey dabei auch zugleich auf eine Zerstörung des Prote- stantismus abgesehn, mit allen Bischöfen ein Einverständ- niß geschlossen. König Friedrich versprach, mit seinen Erb- landen in den schmalkaldischen Bund zu treten, wenn we- nigstens die vornehmsten Mitglieder desselben, Sachsen, Hes- sen und Lüneburg eine weltliche Einung auch in Bezug auf sein Wahlreich Denn so ist die bisherige Annahme zu modificiren. „Fuͤ- gen E. L. ganz freundlich zu wissen,“ sagt Koͤnig Friedrich in einem Schreiben am Tage J. Joannis 1531 an Landgraf Philipp, „das mit ihm schließen wollten. Denn Christiern II in Norwegen . so gut evangelisch er sey, so werde er doch durch die Macht seiner Bischöfe, deren jeder einen großen Anhang in der Ritterschaft habe, noch verhindert dieß auszusprechen. Wie auf der einen Seite der Katholicismus wirksam gewesen, so suchte man auf der andern den kaum entstan- denen antikatholischen Bund in diese Angelegenheiten zu verflechten. So weit kam es jedoch noch nicht. Churfürst Johann wollte von einer zwiefachen Eigenschaft eines Mit- gliedes nichts hören. Auch war es in der That nicht nö- thig. So wie nur König Friedrich den Lübeckern in Hin- sicht des holländischen Handels noch einmal genügende Versicherungen gegeben, erschienen vier lübische Orlogschiffe in See, ehe die Dänen selbst sich gerüstet. Allerdings war Christiern indeß in Norwegen augelangt, und hatte dieß ganze Reich, bis auf wenig feste Plätze, ohne Mühe in seine Hand gebracht; aber die Lübecker suchten jetzt seine Schiffe an der Küste auf und verbrannten sie; verprovian- tirten Aggerhus, und bildeten den Kern für die größere Macht, die sich im Mai 1532 sammelte, Aggerhus ent- setzte, und Christiern nöthigte, zu unterhandeln, zu capitu- wir ernstlichen wol geneigt, uns mit Ir und unsern lieben Oheimen, dem Churf. v. Sachsen samt dem Herzog v. Luͤneburg von unserer Reich und auch Erblande wegen sunderlich und allein in eine Einung und Verbuͤndniß weltlicher Sachen Hendel und Thuns halber zu be- geben.“ Wenn dieß Buͤndniß vollzogen, „sein wir folgend darnach auch nit ungemeint, sondern wol Gemuͤts und alsdann mit allen an- dern Chf. FF. Graven und Stenden, dem Evangelium anhengig un- ser Erblande halben allein Einung Verstand und Verbuͤndniß anzu- nehmen.“ Der Landgraf hoffte, daß dann auch Hamburg, Rostock, Wismar Stade eintreten wuͤrden. Bonnus und Regkmann: mit der Vertroͤstung, sie wollen widerumb der Stadt Luͤbeck Beistand thun gegen die Hollaͤnder und ihnen hernach nicht vergunnen, mit so viel Schiffen durch den Sund zu laufen. Sechstes Buch. Zehntes Capitel . liren, sich endlich in die Gewalt seines Feindes zu ergeben. So viel ich finde, war es der Abgeordnete von Lübeck, welcher den Rath gab, Christiern auf immer festzuhalten. Und wie das nun eine Niederlage zugleich der Hol- länder war, so bekamen diese auf der Stelle die Folgen davon zu empfinden. Im Sommer des Jahres 1532 la- gen über 400 Kauffahrer in Holland still; 10000 Boots- leute waren unbeschäftigt; die Last des Getraides stieg auf das Doppelte ihres gewöhnlichen Preises. Wagenaar niederlaͤndische Geschichte II, 423. König Frie- drich hatte sich, als Christiern noch in Norwegen stand, zu einem glimpflichen Vertrage bewegen lassen; aber eben kraft desselben machte er nun auf einen Schadenersatz An- spruch, den er sehr hoch anschlug, und den man in den Niederlanden sich zu zahlen weigerte. Der König entließ die Gesandten der Statthalterin mit einem schlechten Be- scheide; die Lübecker nahmen die Kirchenschätze die sie ein- gezogen aus ihrer Tresekammer und rüsteten damit ein Ge- schwader aus, welches sich im Jahr 1533 in den Sund legte. Hierauf rüsteten auch die großen Städte in Holland eine Flotte zur Bestrafung derer von Lübeck, „Seiner Ma- jestät Aufrührer und Feinde.“ Sie erinnerten an die hohe Würde, die ihr Fürst be- kleidete, gleich als erwachse ihnen daraus eine größere Be- rechtigung. Zwischen den beiden Theilen der alten Hanse schien es zu einer Entscheidung mit den Waffen und auf immer kommen zu müssen: zumal da jene demokratische Faction Wullenweber, Buͤrgermeister in Luͤbeck . in Lübeck, deren Emporstreben während der religiösen Ir- rungen wir wahrgenommen, jetzt daselbst ans Ruder kam und sich mit frischem Eifer auf diese Angelegenheiten warf. Bei der Gründung von Lübeck, in den ersten einfa- chen Zeiten, wo man es dort wie in Venedig als eine Last ansah, an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten Theil nehmen, in Rath kommen zu müssen, war das Sta- tut gemacht worden, daß es einem Jeden, wenn er zwei Jahr darin gesessen, frei stehen solle, im dritten herauszu- bleiben. Des driden Jaers sol he freye sin des Rads, men he moͤghe id dann mit Bedde von eme hebben, dat he soeke den Rad. Becker II, p. 54. Ich kenne die Gruͤnde nicht, worauf sich Barthold stuͤtzt, wenn er in seinem Aufsatz uͤber Wullenweber in Raumers Taschen- buch 1835 p. 37 das Statut folgendergestalt auslegt: es solle Nie- mand laͤnger als 2 Jahre im Rathe sitzen, falls nicht die Buͤrger aus besondern Gruͤnden auf eine Erstreckung der Wuͤrde antragen. Seitdem aber hatte man sich längst gewöhnt, diese Last als eine Ehre zu betrachten, und war eifersüchtig, sie mit Jemand theilen zu müssen. Nichtsdestominder legte die auf- strebende Faction das Statut dahin aus, daß Niemand länger als zwei Jahr im Rath sitzen dürfe, das Collegium demnach alle Jahre zum dritten Theil erneuert werden müsse. Besonders ward diese Auslegung von Georg Wullenweber durchge- setzt, einem der Directoren der Hundert Vier und sechzig; er mochte es für das beste Mittel halten, sich unter dem An- schein der Gesetzlichkeit der höchsten Gewalt zu bemächtigen; die aufgeregte Bürgerschaft gab ihm Beifall. Im Februar 1533 ward der Rath erneuert und Wullenweber befand sich unter den Ersten, die in denselben eintraten; — kaum hatte er 14 Tage darin gesessen, so ward er (8. März) zum Bürgermeister ernannt. Hiedurch erst ward die Umwand- Sechstes Buch. Zehntes Capitel . lung der Verfassung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver- einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer gesetzmäßigen Obrigkeit. Es schien nicht anders, als werde er den holländischen Krieg sofort mit aller Anstrengung füh- ren. Zu diesem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus der Marienkirche wegnehmen und Geschütz daraus gießen. Ehe er aber dazu schritt, traten Veränderungen ein, welche seiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben. Es liegt an und für sich in der Natur der Dinge, daß die nordischen Regierungen des Feindes entledigt, den sie so lange gefürchtet, sich nicht mehr so enge an die städ- tische Macht anschlossen, welche sie vor demselben beschützt hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den diese selbst ausübte: — die Hemmung der eigenen Handelsregsam- keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten sie un- möglich mehr so schlechtweg den eigenen Vortheil sehen. Und war nicht dort jetzt eine demokratische Faction zur Herrschaft gelangt, gegen welche sie eine natürliche Antipa- thie hatten? Konnte diese nicht verwandte Regungen in ihrer eignen Umgebung erwecken? Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April 1533 zu Gottorp starb und eine ganze Anzahl Prätenden- ten der dänischen Krone sich erhoben. Die Söhne Fried- richs, von denen der eine, Christian, protestantisch gesinnt, der andere, Johann, im katholischen Glauben erwachsen war, hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere besonders in der hohen Geistlichkeit. Man versichert, daß auch ein ent- fernter Verwandter, Churfürst Joachim von Brandenburg Ansprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An- Richtung Wullenwebers gegen Daͤnemark . dere dachten gar an den Churfürsten von Sachsen. Noch waren die Erinnerungen an Christiern nicht ganz erloschen; aber schon eilte das Haus Oestreich an dessen Statt einen neuen Prätendenten aufzustellen, den Pfalzgrafen Friedrich, den der Kaiser mit der Tochter Christierns vermählte. In diesem allgemeinen Schwanken glaubte nun auch Lübeck ein Wort mitreden zu dürfen, und zugleich seine Interessen wahrnehmen zu können. Wullenweber begab sich nach Kopenhagen, und wandte sich zuerst in den Angele- genheiten des holländischen Krieges an die Reichsräthe, doch fand er keinen Anklang. Er wandte sich an den näch- sten protestantischen Prätendenten, Herzog Christian, und trug ihm seine Hülfe zur Erlangung der Krone an. Her- zog Christian aber hatte so viel Umsicht und Zurückhaltung dieß abzulehnen. Wullenweber sah wohl, daß es ihm nichts helfen könne mit Holland zu schlagen, wenn er indessen Dänemark verliere. Er faßte den Gedanken, die Verwir- rung des Moments zu benutzen, und hier zunächst die Herrschaft seiner Commune, seine eigne Herrschaft zu grün- den, und zwar durchgreifender als jemals. Er glaubte hie- bei auf die Theilnahme einer Partei im Innern und zu- gleich auf die Unterstützung einer europäischen Macht rech- nen zu können. Ein Theil jener lübeckischen Flotte nemlich, die gegen die Holländer in See gegangen, war an die englische Küste gerathen; ihr Capitän, Marcus Meier, hatte sich an die Küste gewagt, ohne mit einem Geleitsbrief versehen zu seyn, war aber darüber aufgegriffen und in den Tower gebracht worden. Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Es war das zu eben der Zeit, in welcher Heinrich VIII — wie wir noch ausführlicher zu erörtern haben, — mit dem römischen Stuhl vollends gebrochen und sich ent- schlossen hatte, die Gewalt des Papstes in seinem Reiche auf- zuheben, und sich auf allen Seiten nach Verbündeten um- sah, um sich gegen denselben zu vertheidigen. Wir haben einen Beschluß seines geheimen Rathes, nach welchem zu diesem Zweck unter anderm auch eine Gesandtschaft an die Hansestädte geschickt, Verbindung mit ihnen angeknüpft wer- den sollte. Propositions for the Kings council bei Strype: Memo- rials ecclesiastical I, 238. Statepapers I, 411. Bei dem wachsenden Mißverständniß mit dem Kaiser konnte es den Engländern ohnehin nicht gleichgültig seyn, ob der dänische Thron im burgundischen Interesse besetzt werde oder in einem entgegengesetzten. Kein Wunder, wenn der König den Capitän einer Flotte, welche gegen die Nie- derländer in See gegangen, statt ihn zu bestrafen, an sich heranzog und mit ihm unterhandelte. So viel wir finden, versprach ihm Marcus Meier, im Namen seiner Partei und seiner Stadt, daß kein Fürst den dänischen Thron be- steigen solle, den Heinrich VIII nicht billige; Heinrich zeigte sich dagegen bereit, Lübeck in seinem Unternehmen zu un- terstützen; er dachte auch den König von Frankreich dafür zu gewinnen. Ganz erfüllt von diesem höchst unerwarteten Erfolg seines Zuges kam der Capitän nach Lübeck zurück. Marcus Meier hatte früher zu Hamburg das Hand- werk eines Hufschmidts getrieben; später hatte er selbst Kriegsdienste genommen. Er diente zuerst in jenem aben- Marx Meier . teuernden Heer, das Christian II in Friesland zusammen- brachte, nach Holland und dann nach Norwegen führte. Hier gerieth er in Gefangenschaft, allein er benutzte die- selbe sogleich, um sich Dienste bei Lübeck zu verschaffen. Der Zustand dieser gährenden Commune war gerade ein Boden für ihn; er schloß sich an die emporkommenden Häupter der Bürgerschaft an; schon im Jahr 1532 ward ihm die Anführung der zu dem Türkenkriege bestimmten Mannschaften anvertraut, und er durchzog auf dem Hin- und Rückweg das deutsche Reich an der Spitze derselben; dann war er, gleich fertig zu beiderlei Krieg, auf die Flotte gegangen; jetzt kam er, mit einer englischen Gnadenkette ge- schmückt, zum Ritter geschlagen, nach Lübeck zurück. Hier fing er nun an eine große Rolle zu spielen. Er hielt Pferde und Knechte in Ueberfluß; auf die noch etwas barbarische Weise dieses Jahrhunderts trat er immer so kostbar wie möglich herausgeputzt einher; Sastrow I, 115. er war noch jung, ein schöner Mann und tapfer; er gefiel den Augen der vornehmen jungen Bürgerweiber. Indem er sich bald nach seiner Rückkunft mit der reichen Wittwe des vor Kurzem verstorbenen Bürgermeisters Lunte vermählte, faßte er Fuß unter den einheimischen Geschlechtern. An seinem Vermählungstage holte ihn der Hauptmann der Stadt, von reitenden Dienern umgeben, bei dem Holsteiner Thore ein. Von jeher war Marx Meier mit Wullenweber in vertrauter Verbindung gewesen; noch enger schlossen sie sich jetzt an einander. Auf den Hansetagen erschienen sie an der Spitze eines zahlreichen Gefolges in glän- Ranke d. Gesch. III. 37 Sechstes Buch. Zehntes Capitel . zendem Harnisch, blasende Trompeter vorauf. Daß das Glück ihnen bisher so günstig gewesen, gab ihnen Ver- trauen auf die Zukunft. Und vor allem suchten sie nun in Lübeck selbst Her- ren zu werden. Noch immer saßen in dem Rath einige ältere Mit- glieder, und diese stimmten denn, wie sich denken läßt, nicht in alle Vorschläge der Neuerer ein. Ostern 1834 wur- den sie geradezu abgesetzt, wie sehr dies Verfahren auch ge- gen die Grundsätze laufen mochte, welche Luther predigte. Der Superintendent Bonnus wollte es nicht länger mit ansehn, daß man die Obrigkeit antaste, absetze, verweise; Hermanni Bonni Schrift an den unordentlichen Rath, 4. Mai 1536. Bei Starke luͤbeckische Kirchenhistorie I, Beilage Nr. V. auch er erhielt seinen Abschied. Ihr nächstes Ziel mußte hierauf seyn in Politik und Krieg freie Hand zu haben; und so entschlossen sie sich, ob- wohl nach einigem Zögern, zu einem Stillstand mit den Hol- ländern auf vier Jahre, selbst unter der Bedingung der freien Durchfahrt durch den Sund, die Holland forderte. Und nun konnten sich alle ihre Gedanken und Pläne nach dem Norden richten, wo die Dinge die günstigste Gestalt für sie annahmen. In den dänischen Städten, ja selbst in der schwedischen Hauptstadt, gab es eben so gut, wie diesseit der Ostsee, Bürgerschaften, die nach Befreiung von einer sie beschrän- kenden Aristokratie trachteten. In Dänemark hatten die Bürger im Laufe der Zeit erkannt, daß Christiern II nicht ihnen zum Heil vertrieben worden war. Alle Erleichterungen, die ihnen dieser Kö- Gaͤhrung in Daͤnemark . nig gewährt, wurden nach und nach zurückgenommen. Be- sonders waren sie entrüstet, daß der Adel, der so große Vorzüge genieße, sich auch den Vortheil der Kaufmann- schaft anmaaße. Schreiben der Gemeinde von Kopenhagen an Koͤnigin Maira 5. Mai 1535 (A. zu Bruͤssel) fuͤhrt die Gruͤnde aus, weshalb man sich empoͤrt „darum das dieses Richs Raidt und der Adel uͤber das sie un- sern rechten Koͤnig — — entsetzt, bisher mit manichfaltiger unredlicher, unleidlicher Beswerung nicht weniger uns denn alle andere Stette und gemeinen Mann im ganzen reich fon unsern christlichen Freihei- ten und Gerechtigkeiten gezwungen, die Kaufmannschap hinwegge- nommen“ u. s. w. Das letzte Moment fuͤhrt auch Rerum danica- rum chronologia, bei Ludewig Reliquiae MSS. H. p. 70 auf. No- bilitatis osores gravissimi ob negotiationes quas exercebant di- tiores. Die Bürgermeister Jorg Mynter zu Malmöe und Ambrosius Bogbinder zu Kopenhagen, beide Deutsche, theilten die demokratischen Absichten Wullenwe- bers vollkommen. Jorg Mynter hatte unter dem Schirme Friedrichs die Reformation in Malmöe eingeführt und wollte sie nicht wieder unterdrücken lassen, wie der Reichs- rath vorzuhaben schien. Sie versprachen den Lübeckern, sobald ihre Orlogschiffe in der Nähe erscheinen würden, von dem Reichsrath abzufallen, und sich offen auf ihre Seite zu schlagen. Es scheint als ob die Rede davon gewesen sey, daß beide Städte dem Hansebunde beitreten sollten, doch ist man darüber nicht vollständig eins geworden. Und sehr ähnliche Absichten hegte in Stockholm der Münzmeister Andres Handson. Die ganze deutsche Bür- gerschaft und ein Theil der schwedischen scheinen mit ihm einverstanden gewesen zu seyn. König Gustav hat behaup- tet, unmittelbar ihm selber habe man an das Leben gehen 37* Sechstes Buch. Zehntes Capitel . wollen, unter seinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge- legen, im Angesicht der versammelten Gemeinde habe er in die Luft gesprengt werden sollen. Erinnern wir uns nun, daß in allen hansischen Städ- ten, ja in ganz Niederdeutschland, ähnliche Bestrebungen sich regten, und wo sie auch fürs erste zurückgedrängt worden, doch keineswegs völlig unterdrückt waren, fassen wir da- mit zusammen, welchen Beifall nun nach Westen hin die Wiedertaufe fand, die das demokratische Prinzip nur reli- giös umkleidete, so sehen wir wohl, welche gewaltige Re- gung noch einmal die nordisch-germanische Welt ergriffen hatte. Es ist eine Gährung beinah wie die des Bauern- aufruhrs, der in Niederdeutschland nicht hatte eindringen können, sondern an dessen Grenzen gescheitert war. Jetzt aber, 10 Jahre später, war Niederdeutschland in einer nicht viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege, hatten schon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren sie die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus sagt, eine Hauptstadt der ganzen Sachsenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ sich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz behielten, ihre Pläne durchführten! — Wie aber einst die Bauern, so konnten auch jetzt die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren. Sie gewannen den Grafen Christoph von Oldenburg, der zwar Domherr in Cöln, aber nichts desto minder sehr kriegerisch, nichts desto minder ein sehr eifriger Protestant war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einst viel Historien mit ihm gelesen; dann hatte er sich an den Hof Philipps von Hessen begeben, mit der kriegerisch-religiösen Sinnes- Christoph v. Oldenb. im Dienst v. Luͤbeck . weise durchdrungen, die dort herrschte; er hatte die Bauern bekämpfen, Wien befreien helfen; er war nicht ohne in- nern Schwung und ein tapfrer Degen. Unmöglich aber konnte ein Mitglied des Oldenburgi- schen Hauses die Fehde einiger Bürgermeister ohne guten Grund, oder wenigstens ohne einen Vorwand, der sich nennen ließ, zu seiner eignen machen. Die Lübecker entschlossen sich zu dem Vorgeben, der gefangene König Christiern, den früher Niemand heftiger gehaßt und wirksamer befehdet als eben sie, solle durch sie befreit und auf den Thron gesetzt werden. Eine ge- wisse Wahrheit hatte das wohl auch. Es war zunächst nicht von den mercantilen Interessen die Rede, in denen sich Christiern ihnen entgegengesetzt, sondern von den de- mokratischen, oder vielmehr anti-aristokratischen, die er im- mer getheilt hatte. Vergl. Hvitfeld G, II Pontanus ap. Westphalen 1144. Aber für jeden Fall sah man sich doch sehr gut vor. Graf Christoph versprach, wenn er siege, den Lübeckern Gothland, Helsingborg und Helsingör zu überlassen. Dadurch würden sie ihr Uebergewicht in der Ostsee und im Sund auf immer befestigt haben. Ja er gab ihnen zugleich die Versicherung, ihnen König Chri- stiern überantworten zu wollen, sobald er ihn erledigt habe. Aussage Wullenwebers in seinem Interrogatorium, bestaͤ- tigt von Gebhardi II, 135. Welche Gewalt über die drei skandinavischen Reiche mußte es ihnen verschaffen, wenn sie den legitimen König derselben in ihre Hände bekamen! Denn auch Gustav Wasa wollten sie nicht in Schwe- Sechstes Buch. Zehntes Capitel . den dulden. Sie dachten darauf, ihm zunächst den jun- gen Svante Sture entgegenzusetzen. Im Mai 1534 erschien Graf Christoph in Lübeck. Die Absicht der Lübecker war zunächst, sich der Güter des Hochstiftes zu bemächtigen, die sie nach dem Tode des Bi- schofs völlig einzuziehen gedachten. Christoph nahm ohne viel Mühe Eutin ein. Daß er dann auch holsteinsche Schlösser angriff, Trittow, welches er eroberte, und Se- geberg, geschah wohl nur, um dem Herzog Christian zu schaffen zu machen, und indeß, ungeirrt vor ihm, in Dä- nemark zum Ziele zu gelangen. Wullenweber versichert, die Absicht sey nur auf Daͤnemark gerichtet. Unbekümmert über die Kriegsmacht, welche Herzog Christian sofort aufbrachte, und die Vortheile, die er er- focht, ging Graf Christoph, begierig das größere Werk zu vollenden, am 19. Juni 1534 mit 21 Orlogschiffen in Tra- vemünde in See. Und nie fand wohl ein einfallendes Heer ein Land besser zu seinem Empfange vorbereitet. Der Bürgermei- ster Mynter kam der Flotte mit der Nachricht entgegen, daß er Malmöe in Aufruhr gesetzt, die Citadelle der Stadt, die er hernach zerstörte, in seine Hand gebracht habe. Hier- auf ging Christoph einige Meilen von Kopenhagen vor Anker. So wie er sich zeigte, brach der Aufstand in See- land aus, zu dem alles fertig, und der, wie jener deutsche, zugleich gegen Geistlichkeit und Adel gerichtet war. In Ro- schild plünderte die Menge den bischöflichen Hof, und über- lieferte die Stadt. Allerwärts überfiel man die Schlösser Fortschritte Christophs . des Adels und schleifte sie. Nur um ihr Leben zu retten, entschlossen sich die Edelleute zum größten Theil, ihren al- ten Schwur an Christiern II , und zwar in ungewohnten Formen, zu erneuern. Am 15. Juli ging dann Kopen- hagen über; Laaland, Langeland, Falster zögerten nicht, dem Beispiel von Seeland zu folgen. Es bedurfte nichts als die Ankunft des Grafen in Malmöe, um ganz Scho- nen fortzuziehen. In Fünen konnte es einen Augenblick scheinen, als würde der Aufruhr der Bauern, der sich so- fort erhoben hatte, von Reichsrath und Adel gedämpft werden; eine mäßige Hülfe des Grafen reichte jedoch hin, um den Bauern den Sieg zu verschaffen und den verjag- ten König anerkennen zu machen. Es war nichts übrig als Jütland. Ein Seeräuber des Namens Clemint, der sich einst in Malmöe an Graf Christoph angeschlossen, überfiel Aalborg und sammelte die jütischen Bauern um sich, mit denen er den Adel und dessen schwere Reiterei gar bald aus dem Felde schlug. Indem diese Nachrichten eintrafen, durchzog der Syn- dicus von Lübeck, Doctor Oldendorp, eines der wirksam- sten Mitglieder der Partei der Neuerung, ein Mann „von unstillem Gemüthe,“ wie der alte Kantzow sagt, die wen- dischen Städte, um sie zur Theilnahme an diesem Unterneh- men einzuladen. Er war an sich ein Repräsentant der demo- kratischen Interessen; und jetzt schloß die glänzendsten Aus- sichten auf, die man jemals fassen konnte: man kann denken, wie er von dem Volk empfangen ward. Hie und da wi- dersetzten sich die alten Rathsherren, aber vergeblich. Die Stralsunder setzten ihren Bürgermeister Claus Smiterlow Sechstes Buch. Zehntes Capitel . gefangen, führten das Wassergeschütz in die Orlogschiffe und wählten einen neuen Rath. Die Kosten des Krieges sollten durch gezwungene Beiträge der Reichsten, ohne Zu- thun des Volkes, aufgebracht werden. In Rostock wur- den die alten Bürgermeister mit Gewalt genöthigt, die Kriegsrüstung gut zu heißen. Alle Städte der umliegen- den Länder faßten Muth zu großen Dingen. Auch Re- val und Riga leisteten Hülfe. Man hörte von nichts als von Lübeck. „Wäre es den Städten gelungen, wie sie hofften,“ sagt Kantzow, „es hätte nirgends ein Fürst oder Edelmann bleiben können.“ Kantzows Chronik von Pommern in der sorgfaͤltigen Aus- gabe von Boͤhmer p. 211. Und indeß versäumten die Lübecker nicht, ihre Ver- bindung mit England zu pflegen. Am 30. Mai schickten sie drei ihrer Rathsherren nach England, um dem König ihre Meinung in seiner Streitsache mit dem Papst zu er- öffnen, ihm ihren Bund wider den Römischen Stuhl an- zutragen und ihn zugleich um Beistand und Hülfe in ihren eigenen Angelegenheiten zu ersuchen. Oratores missi de villa de Lubicke bei Rymer Foedera VI, II, 214. Von einer Fortsetzung der State-papers laͤßt sich wei- terer Aufschluß uͤber diese Angelegenheit erwarten. Zunaͤchst ist merkwuͤrdig, daß der Koͤnig sich auch mit Hamburg verbinden wollte for the redressing a. amending of the injuries doon to his majestie by the bishop of Rome; es werden ihnen Artikel vergelegt, die sie annehmen sollen: z. B. against Goddes prohibi- tions the dispensation of the bishop of Rome or of ans other man is utterlie nought a. of no value; dieselben die auch den Luͤ- beckern vorgelegt wurden, und außerdem noch einige andere auf das bischoͤfliche Regiment bezuͤgliche; sie sollen dem Koͤnig mit 12 Schif- fen zu Huͤlfe kommen, und ihm fuͤr seine Kosten 10000 Mann ver- schaffen 3000 M. z. Pf. und 7000 z. F. Abgedruckt in der Report of the Rec. commission app. C. Allgemeine Befuͤrchtung . Wir haben die Abschrift eines Vertrages in Händen, vom 2. August 1534, nach welchem sie dem König noch außerdem freie Disposition über die Krone von Däne- mark zugestanden, sollte er ihn nun selbst annehmen wol- len, oder auch nur einen Andern dazu empfehlen, Wuͤrde er keines von beiden wollen, denn noch hatte er sich nicht entschlossen, so verpflichteten sie sich, ihm seine Anleihe zuruͤck zu zahlen. „Alle und itlik Geld, so S. K. M. der Stadt thom besten vorstrecket.“ Worte des Vertrages, den mir Herr Dr. Smidt aus dem Bremer Archiv freundlichst mitgetheilt hat. dieser dagegen ihnen alle ihre alten Privilegien bestätigte, sogleich eine Summe Geldes vorstreckte, und noch weitere Unter- stützung versprach. Welchen Eindruck diese Ereignisse in Europa hervor- brachten, sehen wir unter anderm aus einem Schreiben des Erzbischofs von Lund, in welchem er den Kaiser auf- merksam macht, was eine Verbindung der Hanse mit Eng- land auf sich habe, wie leicht dann Holland angefallen, ein Aufstand daselbst veranlaßt werden könne, und denselben zuletzt beschwört etwas dagegen zu thun. Wenn der Kaiser selbst sich durch seine Verträge mit dem Hause Oldenburg gebunden glaube, so möge er den Krieg im Namen Fried- richs von der Pfalz und der jungen Dorothea anfangen. In Lübeck hielt sich ein gewisser Hopfensteiner auf, früher in Diensten des Erzbischofs von Bremen, der die kaiserli- chen Minister unaufhörlich von der großen Berücksichti- gung unterhielt, welche das kaiserliche Interesse in den Hansestädten noch finde, und eine Unternehmung dieser Art als sehr leicht darstellte. Der Erzbischof von Lund erbot sich im Nothfall den Krieg in seinem eignen Namen zu führen. Literae Archiepiscopi ad Caesarem, et D m de Granvella Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Ehe sich aber der kaiserliche Hof oder die niederlän- dische Regierung zu einer Maaßregel so entschiedener Art entschloß, hatten die Lübecker im Norden selbst einen Wi- derstand gefunden, der sich ihnen immer gefährlicher ent- wickelte. Herzog Christian von Holstein gehörte zu jenen ru- higen norddeutschen Naturen, welche sich nicht leicht re- gen, aber wenn sie einmal dazu genöthigt sind, ihre Sache mit aller Ausdauer und Umsicht ins Werk setzen. Was er vermöge, hatte er schon durch die glückliche Einführung der Reformation in den Herzogthümern gezeigt. Er war überhaupt durchdrungen von dem religiösen und morali- schen Elemente der deutschen Reform. Die lutherischen Lieder sang er so eifrig wie irgend ein ehrsamer Hand- werksmeister in einer Reichsstadt. Den Eidbruch belegte er mit neuen geschärften Strafen. Die Bibel zu lesen, Historien zu hören, bei Tisch einen Gottesgelehrten und Staatsmann zu sprechen, den astronomischen Entdeckun- gen zu folgen, war sein Vergnügen. Seine politische und kriegsmännische Thätigkeit war, wie wir sehen, nicht ohne guten innerlichen Grund, eine höhere Tendenz. Cragius Historia Christiani III, p. 395. Hemming ora- tio funebris ad calcem historiae Cragianae. Diesem Fürsten nun hatten die Lübecker Volksführer, wie wir berührten, angeboten, ihn zum König zu ma- chen; er hatte es abgelehnt, weil er seine Krone der Ge- walt nicht verdanken wollte; eben ihn hatten sie dafür in dem dritten Bande der Reichsdoc. zu Bruͤssel. Besonders merk- wuͤrdig das Schreiben vom 1. Aug. 1534, das ich im Anhang mit- zutheilen denke. Christian von Holstein vor Luͤbeck . zuerst angegriffen; er aber, nun erst aufgeregt und wie von seinen Unterthanen, auch den Nordstrandern, so von seinen Nachbarn, z. B. dem Landgrafen von Hessen ernst- lich unterstützt, erhob sich endlich mit Macht ins Feld, um den Lübeckern ihre Feindseligkeiten zu vergelten. Chytraeus Hist. Sax. p. 408. Im September 1534 erschien er vor der Stadt, und schritt, um sie vom Meere abzuschneiden, ohne langes Zögern zu dem entscheidenden Versuche, die Trave zu sperren. Marx Meier vermaß sich, daß ihm das nun und nimmermehr gelingen solle. Allein die Anordnungen Meiers bewiesen nur seine Untüchtigkeit in einem ernstlichen Kampfe. Die Holsteiner nahmen zuerst die Ufer der Trave bei Trems- mühle in Besitz; dann setzten sie sich auch an dem gegen- überliegenden auf dem Burgfelde fest, und nun verbanden sie beide durch eine Brücke, welche den Fluß wirklich schloß. Die Lübecker vermochten mit keiner Anstrengung weder auf dem Fluß noch zu Lande die Brücke wieder zu erobern; vor den Augen ihrer Weiber und Kinder wur- den sie zu wiederholten Malen geschlagen, auch noch einige andere wichtige Punkte mußten sie aufgeben. Die Stadt, die den Norden an sich zu bringen beschäftigt war, sah sich unmittelbar vor ihren Thoren von der See abgeschnitten. Vor allen Dingen nun mußte sich Lübeck von dieser nächsten Feindseligkeit befreien. Schon zeigten sich Miß- verständnisse in der Stadt; die Bürgerschaft war unzufrie- den, die Hundertvierundsechszig dankten ab, selbst in dem Rath fanden die Gewalthaber neuerdings Widerstand. Sie mußten zu Unterhandlungen mit Holstein schreiten, wobei Sechstes Buch. Zehntes Capitel . sie schon nicht mehr ganz nach ihrem Gutdünken verfah- ren durften. Wir sind weder über jene Bewegungen noch über diese Unterhandlungen hinreichend unterrichtet; nur ergiebt sich, daß man sowohl über die dänischen, wie über die holsteinischen Verhältnisse verhandelte und sich ziemlich nahe kam. Christian schien zu einigen Concessionen ge- neigt, und Wullenweber behauptet, er würde auf dieselben Frieden geschlossen haben, hätte ihn nicht Doctor Oldendorp daran verhindert. So geschah, daß man sich nur über die holsteinischen Angelegenheiten verstand; die Lübecker gaben heraus, was sie noch von Holstein in Besitz hatten. Aber ein sonderbarerer Friede ist wohl nie geschlossen worden: indem man sich über Holstein vertrug, behielt jeder Theil sich vor, den andern in den dänischen Angelegenheiten mit aller Kraft zu bekämpfen. Mit dem Interrogatorium Wullenwebers stimmt die Chro- nik Regkmanns, wenn man sie nur genau ansieht, p. 176, sehr gut uͤberein. Nur finden sich bei Regkmann noch einige Vermuthungen, z. B. von den Feinden Wullenwebers sey ihm nicht gegoͤnnt wor- den, daß Luͤbeck durch ihn groͤßer werden sollte. Auch für diese ward nun die Persönlichkeit des Her- zogs Christian entscheidend. In den Bedrängnissen, in welche sich die dänischen Stände durch Angriff von außen und Empörung im Innern gesetzt sahen, hatten sie sich endlich, obwohl nicht ohne starken Widerspruch von der geistlichen Seite, entschlossen, den Herzog zu ihrem König zu wählen. Dadurch geschah nun einmal, daß alle Befürchtun- gen der Protestanten, die in dem Reiche schon sehr stark waren, gehoben wurden. In ihrem Manifeste hatten die Lübecker die Einführung der reinen Religion als den vor- Koͤnig Christian III in Daͤnemark . nehmsten Zweck ihres Unternehmens bezeichnet. Man sieht leicht, daß das keinen Sinn mehr hatte, und alle Sym- pathie, die sie aus diesem Grunde finden konnten, wegfiel. Aber überdieß trat nun auch ein so wackrer Mann als Vertheidiger der dänischen Interessen auf. Wie er im Lager vor Lübeck vielleicht einiges nachgegeben hätte, so ließ er sich auch noch später zu glimpflichen Bedingungen her- bei, er hätte den Lübeckern wohl ihre Privilegien aufs neue erweitert; Nach einem Schreiben von Hopfensteiner 20. Jan. 1535 versprach der Koͤnig 1) gute Unterhaltung des gefangenen Christiern 2) Zufriedenstellung des Grafen Christoph; 3) Erstattung von dem was Luͤbeck „bei seines Herrn Vaters Zeiten“ auf das Koͤnigreich Daͤnemark verwandt hat. 4) In den Koͤnigreichen Daͤnemark und Norwegen so wie dem Fuͤrstenthum viel mehr Freiheit und Gerech- tigkeit, als sie bisher gehabt, und sogar einige Staͤdte zum Unter- pfand, „jedoch sie daran nicht gewullt.“ allein sie wollten über das Reich, über die Krone selbst verfügen; nur mit dem Schwert konnte Wider- stand geleistet werden. Ohne Zeit zu verlieren, wandte sich Christian mit seinen siegreichen Truppen von Lübeck nach Jütland. Noch im December 1534 gelang es ihm Aal- borg wieder zu nehmen, die ganze Provinz in Frieden zu setzen. Seine beiden Schwäger, der König von Schwe- den und der Herzog von Preußen, rüsteten für ihn, jener zur See und zu Lande, dieser wenigstens zur See. Auch sein Schwager, der Herzog von Pommern, sendete ihm Hülfsgelder, die eben im rechten Moment anlangten. Ein paar hessische Fähnlein waren schon vor Lübeck bei ihm gewesen und zogen mit ihm nach Norden. In einem großen Theil von Norwegen war er bereits anerkannt. Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Dagegen nahmen auch die Lübecker nochmals alle ihre Kräfte zusammen. Es gelang ihnen, einen benachbarten Fürsten, Herzog Albrecht von Mecklenburg, für ihre Sache zu gewinnen. Herzog Albrecht, der die Partei des abgesetzten und gefangenen Christiern mit großer Anhänglichkeit gehalten, hat später erklärt, er habe keine Bestallung von Lübeck dazu angenommen, sein Beweggrund sey nur gewesen, daß er es löblich und gut gefunden, einen christgesalbten Kö- nig zu erledigen, der wider Brief und Siegel im Ge- fängniß gehalten werde. Erklaͤrung Albrechts Montag nach Reminiscere 1537 (A. z. Br.). Man hat gesagt, es sey ihm dafür die Krone von Dänemark, oder sogar von Schwe- den versprochen worden. So ganz unbedingt war dieß wohl nicht der Fall. Nach den Aussagen Wullenwebers versprach man ihm nur, ihn dabei zu schützen, was er von König Christiern sich verschaffe. Interrogat. Doch mögen wohl auch bestimmtere Aussichten aufgestellt worden seyn; nach Hopfensteiner wäre Hopfensteiner 26. Nov. 1534, wo die Unterhandlungen schon im Gange waren. Die Aussicht, Mecklenburg zu gewinnen, trug wohl das meiste dazu bei, daß man die Erbietungen Christians von sich wies. Wullenweber versichert, daß er weder jenen Frieden ge- hindert, noch auch Herzog Albrecht geworben, sondern daß dieß durch Andere geschehen sey, so haͤngt es sehr gut zusammen. die Meinung der Lübecker gewesen, wenn König Christiern befreit werde, solle Herzog Al- brecht gleichwohl Regent in Dänemark bleiben, der König vielleicht in Lübeck nach seinem Range unterhalten werden, und sie alle die Vortheile genießen lassen, die sie schon Ueberkunft Albrechts von Mecklenburg . immer in Anspruch genommen, Helsingör und Helsing- borg, mit dem Zoll, Gothland, vielleicht selbst Calmar und schwedische Bergwerke. Herzog Albrecht ging am 9. April von Warnemünde in See. Es war als wollte er immer in Dänemark bleiben. Seine Gemahlin, die guter Hoff- nung war, seinen Hof, ja selbst Jäger und Hunde, um der Jagdlust in den dichten Wäldern von Dänemark auf deutsche Weise zu genießen, führte er mit sich. Für die Lübecker war es ein Gewinn, daß ein nahmhafter Reichs- fürst, von nicht unbedeutendem Gebiete sich ihrer Sache auch jetzt noch annahm. Dadurch bekamen die dänischen Städte wieder Muth und Zutrauen. Auch einige eigne Kräfte warf er mit in die Wagschale und sie mußten nicht alles allein thun. Wullenweber, der mit dem Herzog gegangen, bewirkte, daß Graf Christoph, trotz anfänglichen Mißbeha- gens, sich doch am Ende mit ihm verständigte. Bald darauf führte ein neues Geschwader lübischer Schiffer fer- nere Verstärkung unter den Grafen von Hoya und von Teklenburg herbei. Und indeß hatte auch Marx Meier, der nach Scho- nen gesendet worden, sich dort wacker geregt. Er führte da einen seiner verwegensten Streiche aus. Das Unglück, in Gefangenschaft zu gerathen, benutzte er, um eben das Schloß, wo man ihn festhielt, Warburg in Halland, in seine Hände zu bringen. Wir sehen: die beiden Parteien mochten einander wohl gewachsen seyn, vielleicht hatte die städtische lübische noch immer die größere Anzahl von Leuten. Die Frage war nicht mehr, wie vielleicht früher, Sechstes Buch. Zehntes Capitel . ob die kirchliche Reform Dänemark ergreifen würde; de- ren Schicksal war durch die Thronbesteigung eines prote- stantischen Königs hinreichend gesichert. Die Frage war vielmehr, ob die Durchführung der kirchlichen Reform mit einer politischen Umwälzung verbunden sey, ob jene Erhebung des demokratischen Prinzips, die von Lübeck aus sich über den Norden verbreitet, den Sieg davon tra- gen würde oder nicht; dieselbe Frage, die, seit sie in den karlstadtischen Zeiten zuerst in Wittenberg sich geregt, erst das obere, und nunmehr auch das niedere Deutschland in Gährung gesetzt hatte, die so eben auch in Münster entschie- den wurde. An dieser entfernten Stelle des Nordens war jetzt die ganze Kraft des demokratischen Prinzips vereinigt. Hätte es gesiegt, so würde es auf Deutschland noch ein- mal eine große Rückwirkung ausgeübt haben. Am 11. Juni 1535, auf Fünen unfern Assens bei dem Oxnebirg, — wo einst Odin mit Opfern verehrt worden, Sagen von der Größe des Hauses Oldenburg, das nur durch seine Zwietracht gelähmt worden, ihren Sitz haben, — kam es zu dieser Entscheidung. Auf beiden Seiten waren Deut- sche und Dänen. Die königlichen wurden von Hans Rantzau angeführt, der sich noch den Ritterschlag von Jerusalem geholt, ganz Europa durchzogen und wohl noch in höherem Grade als sein Herr protestantischen Eifer, Sinn für Cultur und Wissenschaft Chytraeus: oculus nobilitatis eruditae in his terris ful- gentissimus. Vergl. Christiani N. Gesch. von Schleswig und Hol- stein I, 479 II, 54. mit Geschicklichkeit im Rath und Tapferkeit im Felde vereinigte; die städtischen vom Grafen von Hoya. Siege Christians III. Rantzau siegte, wie Landgraf Philipp bei Laufen, wie die Fürsten im Bauernkrieg, durch die Ueberlegenheit der Reite- rei und des Geschützes. Er hatte den Vortheil, daß der Feind ihn nicht erwartete, sondern selbst einen Anlauf machte und dabei in Unordnung gerieth. Die besten Leute des städtischen Heeres fielen; es erlitt eine vollständige Nie- derlage. Cragius Historia Friderici III, p. 95. In denselben Tagen waren auch die Flotten bei Born- holm zusammengetroffen. Die königliche bestand zugleich aus schwedischen und preußischen, die lübeckische zugleich aus rostockischen und stralsundischen Schiffen. Die Frage war, ob die Fürsten oder die Städte fortan das Meer be- herrschen sollten. Die Schlacht hatte schon begonnen, als ein Sturm sie auseinander trieb. Offenbar war darauf die Flotte der Fürsten im Uebergewicht. Der dänische Ad- miral Skram, der sie commandirte, nahm allenthalben an den Küsten die lübeckischen Fahrzeuge weg. Hierdurch bekam nun Christian III zu Land und zur See das Uebergewicht. Fünen hatte sich ihm sofort un- terwerfen müssen; er empfing die Huldigung zu Odensee. Mit Hülfe der Flotte, die gerade in diesem Augenblick an- langte, ging er dann nach Seeland über; der Adel nahm ihn mit Freuden auf. Die Schoninger huldigten ihm, so wie er erschien. Schon war auch Warburg wieder genommen und zu einem Pfand des Bundes zwischen Dä- nemark und Schweden gemacht worden. Im Anfang des August 1535 war die städtische Eroberung wieder auf Mal- möe und Kopenhagen beschränkt. Ranke d. Gesch. III. 38 Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Bei alle dem hätte der Besitz dieser beiden Punkte wohl noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al- ten Pläne dargeboten, wäre nicht indessen in Lübeck selbst die bei der ersten Ungunst des Geschickes begonnene Ver- stimmung zu einer vollen Umwandlung gereift. Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß die kaiserlichen Gesandten schon vor zwei Jahren gefordert hatten, ernstlicher in die innern lübeckschen Angelegenheiten ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt an, die ausgetriebenen Bürgermeister und alle Rathsglie- der, die sich seitdem entfernt hatten, wiedereinzusetzen. An und für sich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entschie- den. Aber es sprach eine Forderung aus, die sich jetzt auch in fast allen andern niederdeutschen Städten geltend gemacht hatte, und von denselben unterstützt wurde. Und vor allem: die Lübecker fühlten sich geschlagen; mit ihren weltumfassenden Plänen waren sie auf unüberwindlichen ja siegreichen Widerstand gestoßen; die Energie der demo- kratischen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge- brochen. Am 14. August 1535 rief der Rath die Gemeinde zu- sammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor. Wohl nicht ohne Absicht ward hiezu der Augenblick gewählt, in welchem Wullenweber auf einer Geschäftsreise nach Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte sich zuerst, daß in dem Mandat nicht von der Herstellung der alten Kirchenformen die Rede sey; hierauf erklärte sie sich bereit, demselben Folge zu leisten und alle Neuerun- Umschwung der Dinge in Luͤbeck . gen in weltlichen Dingen abzustellen. Bei der nächsten Rathssitzung, erhob sich Georg von Hövelen, den man wider seinen Willen zum Bürgermeister gemacht hatte, und setzte sich an seine alte Stelle unter den Raths- herren. Die von der Gemeinde eingesetzten Rathsher- ren sahen ein, daß auch sie unter diesen Umständen sich nicht behaupten würden; sie verließen den Rathsstuhl und verzichteten auf ihre Würde. Wie sehr erstaunte Wullenweber, als er zurückkam und diese durchgreifende Veränderung geschehn fand! Schon länger besaß er die Gunst der Gemeinde, die ihn früher gehoben, nicht mehr; kein Versuch, sie wieder zu erwerben, hätte ihm Nutzen schaffen können; auch er mußte abdanken. Von den Bür- gern zurückgerufen, von 150 alten Freunden, und den Ge- sandten von Cöln und Bremen, — denn eben war die die Hanse beisammen — eingeholt kehrte Nicolaus Brömse zurück. Becker Geschichte von Luͤbeck, aus Reimar Kock und Lam- bert von Dalen. II, 91 — 95. Es ward ein Receß gemacht, kraft dessen die Lehre des Evangeliums beibehalten, aber auch der Rath in seine alten Gerechtsame wieder hergestellt werden sollte. Das lutherische Prinzip, das sich mit einer Umge- staltung der geistlichen Verhältnisse begnügte, die weltlichen aber, so weit es irgend möglich war, bestehen ließ, behielt auf die letzt auch hier den Platz. Es liegt wohl am Tage, daß sich nun keine eifrige Fortsetzung des dänischen Krieges weiter erwarten ließ. Der Bergefahrer Gert Korbmacher, der noch einer Unter- 38* Sechstes Buch. Zehntes Capitel . nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un- muth, wie wenig Ernst dabei bewiesen worden. Wie schlecht aber auch immer, so ging der Krieg doch fort; zuweilen knüpften sich sogar neue, weitaussehende Plane daran. Wenn man das Verhör Wullenwebers liest, so sollte man für unläugbar halten, daß er selber noch einmal daran gedacht habe, seine Sache wiederaufzunehmen. Es standen damals einige Haufen Landsknechte unter dem Obersten Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu- sammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte sich Wullenweber auf den Weg. In seinem Verhör hat er ausgesagt, seine Absicht sey gewesen, diese Truppen bei Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern von Lübeck zu führen; seine Anhänger würden ihm das Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath gestürzt, und das entschiedenste demokratische Regiment, ja die Wiedertaufe eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erscheinen je- doch diese Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken; Artikel 31 sagt er: sie haben die Handlung des Widdertaufs nit genzlich beschlossen, sonder eins wuͤrde das andre wol gebracht haben. vor seinem Tode hat sie Wullenweber vollends abgeleug- net; namentlich hat er alle persönliche Anschuldigungen vor Mitwissenschaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu- rückgenommen. Es ist schwer, ein Bekenntniß zu verwer- fen, das doch in seinem wesentlichen Theil ohne die Qual der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich ist es sich auf eine Aussage zu gründen, die der Angeklagte im Mo- mente seines Todes widerrufen hat. Und so mögen diese Ausgang Wullenwebers . Pläne auf immer dahingestellt bleiben. Sie konnten keinen andern Erfolg haben, als den, welchen sie wirklich hat- ten. Wullenweber gerieth, wovor er gewarnt worden, auf der Reise in die Gewalt eines seiner bittersten Feinde des Erzbischofs von Bremen, der ihn, weil er als ein geistlicher Herr seine Hände nicht mit Blut besudeln wollte, seinem Bruder, dem Herzog Heinrich von Braunschweig überließ. Da eben ward Wullenweber jenem Verhör un- terworfen, In Regkmanns Chronik ist eine Nachricht uͤber seine letzte Anklage und Hinrichtung, mit ein paar Briefen aus seinem Gefaͤng- niß abgedruckt. Sonderbarer Weise ist dergestalt die Entschuldigung aber nicht die Anklage bekannt geworden. Diese, die in dem Ver- hoͤr enthalten ist, gedenke ich im Anhang mitzutheilen. Dieses Verhoͤr das ich im Weimar. Arch. unter den Wolfenbuͤttelschen Papieren fand, ist mir im Ganzen doch sehr erwuͤnscht und nuͤtzlich gewesen. Nur einige wenige Puncte und eben die zweifelhaftesten hat Wullenweber unter der Pein der Tortur bekannt. Dagegen ist vieles andere ohne unmittelbaren Bezug anf die peinliche Anklage, mehr historischer Na- tur, und es wird hie und da durch weniger gewuͤrdigte Stellen der Chronisten oder vergessene Documente auffallend bestaͤtigt. Es ver- steht sich von selbst, daß ich nichts angenommen, was Wullenweber vor seinem Tode wieder gelaͤugnet hat. von Dänemark und Lübeck zugleich angeklagt, und weil er nicht alles ableugnete, was man ihm vor- warf, in den Formen des alten deutschen Rechtes zum Tode veurtheilt. Das ehrliche Land fand das Recht, „daß er nicht ungestraft dürfe gethan haben, was er gethan.“ Er ward enthauptet und dann geviertheilt. Wullenweber stellt recht eigentlich den verwegenen Geist in sich dar, der sich in den deutschen Bürgerschaften je- nes Jahrzehends regte. Er hatte angefangen, wie so viele andre Volksführer in andern Städten; das Talent, eine leicht angeregte Bürgerschaft nach seinem Sinne zu lenken, Sechstes Buch. Zehntes Capitel . und die natürliche Kraft des politisch-religiösen Interesses trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er sich vermessen durfte, selbständig unter die Mächte der Welt einzugreifen. Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorsich- tig gemacht; noch einmal rief er den Geist der alten Hanse auf, überredete deutsche Fürsten zu seinen Kriegen, trat mit fremden Königen in Bündniß. Demokratische, religiöse, mer- cantile und rein-politische Motive durchdrangen sich in ihm; er faßte die Absicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt des demokratisirten Nordens zu machen; er selbst wäre an das Ruder dieser umgestalteten Welt getreten. Damit über- schritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche die deutsche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an- griff, waren ihm doch zuletzt zu stark; die Niederlagen, welche die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf seine Vaterstadt ein; so verlor er den Boden unter seinen Fü- ßen; er gerieth seinen Feinden in die Hände. Da er den Norden nicht erobern konnte, so geschah ihm, daß er auf dem Schaffot umkam. Es ist überhaupt eine merkwürdige Generation, die wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen, die sich selber eingesetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache keinen Augenblick aufgeben: Fürsten und Herren, die den Krieg im Kriege suchen; andere dagegen, welche ein sehr bestimmtes Ziel fest ins Auge fassen und mit beharrlichem Entschluß verfolgen; alles kräftige gewaltsame, ein allge- meines Interesse mit dem besondern Vortheil verknüpfende, hoch strebende Naturen. Zwischen ihnen, keinem andern an Fähigkeiten nachstehend, der alte König, dem von Allgemeines Verhaͤltniß Rechtswegen das Meiste von dem gehörte, worüber sie sich streiten; dessen Name noch zuweilen wie ein Schlacht- ruf im Getümmel erschallt, der aber die Sünden seiner Jugend in einem ewigen Gefängniß büßt. Der Sieg warf sich dahin, wo die meiste Kraft war. Weder diejeni- gen konnten ihn davontragen, welche ihre Sache doch nicht durchaus selber verfochten, noch auch die, welche sich an Bestrebungen angeschlossen, die ihnen fremd waren; der Sieg ward dem zum König ernannten Herzog zu Theil, der mit aller Anstrengung für sich selber focht, und der durch seine Politik mit dem Bestehenden und der Vergangenheit, durch seine Religion mit dem Fortschritt und der Zukunft verbündet war. Alle Umtriebe auswärtiger Mächte schei- terten. Im Jahre 1536 nahm Christian III — wir wer- den noch sehn, unter welchen Combinationen — seine Haupt- stadt ein und behielt den Platz. Absehend aber von den Persönlichkeiten darf man auch wohl sagen, daß das Unternehmen von Lübeck nicht mehr an der Zeit war. Jene großen Gemeinschaften, welche im Mittel- alter alle Staaten durchdrangen und verbanden, deren Ein- richtung gerade zu den bezeichnendsten Eigenthümlichkeiten je- ner Periode gehört, waren jetzt in voller Auflösung begriffen. Einem allumfassenden Priesterorden, einem Ritterthum, das den gesammten abendländischen Adel in eine Art von Zunft verband, zur Seite, konnten auch städtische Bünde den An- spruch machen, ihre Handelsmonopolien über nahe und ferne Reiche auszudehnen. Allein mit jenen mußten auch diese fallen. Das Prinzip der neuern Geschichte zielt auf eine gegenseitige Unabhängigkeit der verschiedenen Völker Sechstes Buch. Zehntes Capitel . und Reiche in allen politischen Beziehungen. Es lag ein welthistorischer Widerspruch darin, daß Lübeck, indem es sich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrschaft sei- nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das natürliche Uebergewicht der Betriebsamkeit, des Capitals oder der Waare, sondern durch erzwungene Staatsverträge. Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch der Einfluß Deutschlands auf den Norden zerstört wor- den sey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere Weise, auf dem geistigen Gebiete jetzt erst wahrhaft stark. Wer weiß nicht, welche Versuche man in frühern Jahrhun- derten gemacht hat, das Christenthum von Deutschland aus im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je- doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus geschehen ist. Was nun Anscharius und dessen Nachfolger nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöse Verbindung zwi- schen Germanien und den nordischen Reichen zu stiften, das geschah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re- formation. Die Beseitigung des Einflusses von Lübeck scha- dete dem Protestantismus nicht; kaum hatte Christian III Kopenhagen eingenommen, so schritt er zur Einführung der Lehre, wie sie in Deutschland gepredigt ward, unter der Leitung desselben wittenberger Theologen, der so viele niederdeutsche Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch aber, daß diese Lehre hier eben so rasch und tief wie in Deutschland Wurzel schlug, ward der engste Zusammen- hang des gesammten geistigen Lebens im Norden mit dem deutschen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie das die nahe Verwandtschaft der Nationen an sich begün- Einfuͤhrung der symbolischen Buͤcher . stigt, in der Regel dieselben Strömungen und Entwickelun- gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löste sich das religiöse und kirchliche Element von den eigentlich politischen Bestrebungen ab; seine Wirkung war nur in den geistigen Regionen. Wir haben dasselbe Moment in allen Ereignissen die- ser letzten Jahre wahrgenommen. Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine Umbildung des Schweizer-Bundes beabsichtigte, überhaupt die demokratischen Ideen beförderte, war gefallen; sein po- litisches Unternehmen war mißlungen; in seinen letzten Ta- gen, vielleicht Augenblicken konnte er sich nur noch der Zu- kunft der Kirche trösten. Das wiedertäuferische Treiben, das eine so vollkommene Umgestaltung der Welt in Aussicht nahm, war erdrückt, in Deutschland vernichtet worden. Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Classen in den handeltreibenden Städten, die sich an die Unterneh- mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte sich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöse Prinzip, das sich in seiner eigenthümlichen Kraft erhoben, überhaupt keine so nahe Verbindung mit der Politik dulden. Vielmehr war man beschäftigt, die Lehre vor allen Auslegungen, die auf diese abweichenden Bahnen führen könnten, sorgfältig zu bewahren. Eben hierin liegt der Grund der Einführung der sym- bolischen Bücher bei den Protestanten. Um sich vor der Fortpflanzung anabaptistischer Meinungen sicher zu stellen, erkannten die Wittenberger Lehrer die Beschlüsse der alten Kirchenversammlungen, in welchen die Dogmen von der Ranke d. Gesch. III. 39 Sechstes Buch. Zehntes Capitel . Dreieinigkeit und den beiden Naturen in Christo ursprüng- lich festgestellt worden, aufs neue feierlich an, wie sie das schon in der augsburger Confession ausgesprochen. Sie hielten für nothwendig, sowohl bei den theologischen Pro- motionen an der Universität, als bei den Anstellungen in der Kirche auf diese Lehren zu verpflichten. Statuta collegii facultatis theologicae bei Foͤrstemann lib. decanorum p. 152. Volumus purum evangelii doctrinam, consen- taneam confessioni quam Augustae — exhibuimus — pie pro- poni; — severissime etiam prohibemus spargi haereses, damna- tas in synodis nicaena, Constantinopolitana, Ephesina et Chal- cedonensi, nam harum synodorum decretis de explicatione doc- trinae, de deo patre filio et spiritu sancto et de duabus natu- ris in Christo, nato ex virgine Maria assentimur eaque judicamus in scriptis apostolicis certo tradita esse. Nicht als hätten sie namentlich die Confession für eine auf alle Zeit aufgestellte Norm erklären wollen. In den Unterhandlungen, welche im Jahr 1535 mit England gepflogen worden, hat man ausdrücklich den Fall für mög- lich erklärt, daß man in Apologie und Confession nach Gottes Wort etwas zu verbessern finden könnte. Petitio illustrissimorum principum, data legatis ser mae re- giae dignitatis 25. Dec. 1535. Der Koͤnig soll versprechen, sich nach Confession und Apologia zu richten; nisi forte quaedam — ex verbo dei merito corrigenda aut mutanda videbuntur — Auch läßt sich, wenn man das Verhältniß zu den Schweizern ins Auge faßt, nicht in Abrede stellen, daß die Lehre selbst noch in lebendiger Fortbildung begriffen war. In der Ver- bindung, in welche die Sachsen mit den Oberländern ge- treten, ohne daß diese, bei aller Annäherung, sich doch ganz angeschlossen hätten, lag schon eine Einwirkung ihres dogmatischen Begriffes auf den sächsischen; bald werden wir sehen, wie ernstlich man nach dem Ziele einer vollständigen Vereinbarung strebte. Schluß . Dem Beispiele von Sachsen aber folgten gar bald die niederdeutschen Städte. Im April 1535 hielten die Pre- diger von Bremen, Hamburg, Lübeck, Rostock, Stralsund und Lüneburg einen Convent, worin sie beschlossen, daß in Zukunft Niemand zur Predigt zugelassen werden sollte, der sich nicht auf die gesunde Lehre verpflichte, welche in der Confession und der Apologie enthalten sey. Nur so meinten sie sich der Wiedertäufer und anderer Ketzer erweh- ren zu können, welche sonst in Staat und Kirche alles in Verwirrung setzen würden. Bericht von etlicher großen Gemeinen Prediger Unterredung in Schroͤders Evangelischem Meklenburg I, 301. „qui velut obliti humani nominis omnia sursum ac deorsum miscent tam in repu- blica quam in causa christianae religionis — — ne dissimula- tione malum irrepat atque magistratus auctoritas labefactetur. — Und entsprach dieß nicht in der That dem Prinzipe, von dem die ganze Bewegung ausgegangen? Man dachte nicht daran, der Welt neue Gesetze vor- schreiben zu wollen; man wollte die Grundlagen des einmal gebildeten politischen und bürgerlichen Lebens nicht erschüt- tern; man wollte sich nur von einer einseitigen, verwelt- lichten, und doch eine unbedingte und göttliche Autorität in Anspruch nehmenden Hierarchie emancipiren. In diesem Unternehmen waren nun die großartigsten Fortschritte gemacht worden; jedoch war es noch lange nicht durchgeführt. Es gab gegenüber noch mächtige Kräfte, welche sich jeder Trennung entgegensetzen mußten; wir wer- den noch von ernsten Kämpfen und mannichfaltigem Schwan- ken der Entscheidung zu berichten haben. Gedruckt bei A. W. Schade .