Gedichte von Theodor Storm . Kiel. Schwers'sche Buchhandlung . 1852 . Druck von C. F. Mohr. Erstes Buch . Octoberlied. D er Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk' ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden. Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich! Und wimmert auch einmal das Herz, — Stoß' an, und laß es klingen! Wir wissen's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen. 1 Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk' ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden. Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. Die blauen Tage brechen an; Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen! Abseits. E s ist so still; die Haide liegt Im warmen Mittagssonnenstrahle, Ein rosenrother Schimmer fliegt Um ihre alten Gräbermale; Die Kräuter blühn; der Haideduft Steigt in die blaue Sommerluft. Laufkäfer hasten durch's Gesträuch In ihren gold'nen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelhaide Glöckchen; Die Vögel schwirren aus dem Kraut — Die Luft ist voller Lerchenlaut. 1 * Ein halbverfallen Schindelhaus Steht einsam hier und sonnbeschienen; Der Käthner lehnt zur Thür hinaus, Behaglich blinzelnd nach den Bienen; Sein Junge auf dem Stein davor Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr. Kaum zittert durch die Mittagsruh Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten; Dem Alten fällt die Wimper zu, Er träumt von seinen Honigerndten. — Kein Klang der aufgeregten Zeit Drang noch in diese Einsamkeit. Weihnachtslied. V om Himmel in die tiefsten Klüfte Ein milder Stern hernieder lacht; Ein weihrauchsüßes Harzgedüfte Durchschwimmet träumerisch die Lüfte, Und kerzenhelle wird die Nacht. Mir ist das Herz so froh erschrocken, Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimathlich verlocken In märchenstille Herrlichkeit. Ein frommer Zauber hält mich wieder Anbetend, staunend muß ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn. Im Walde. H ier an der Bergeshalde Verstummet ganz der Wind; Die Zweige hängen nieder, Darunter sitzt das Kind. Sie sitzt in Thymiane, Sie sitzt in lauter Duft; Die blauen Fliegen summen Und blitzen durch die Luft. Es steht der Wald so schweigend, Sie schaut so klug darein; Um ihre braunen Locken Hinfließt der Sonnenschein. Der Kuckuck lacht von ferne, Es geht mir durch den Sinn: Sie hat die goldnen Augen Der Waldeskönigin. Elisabeth. M eine Mutter hat's gewollt, Den Andern ich nehmen sollt'; Was ich zuvor besessen, Mein Herz sollt' es vergessen; Das hat es nicht gewollt. Meine Mutter klag' ich an, Sie hat nicht wohlgethan; Was sonst in Ehren stünde, Nun ist es worden Sünde. Was fang' ich an! Für all' mein Stolz und Freud' Gewonnen hab' ich Leid. Ach, wär' das nicht geschehen, Ach, könnt' ich betteln gehen Ueber die braune Haid'! Lied des Harfenmädchens. H eute, nur heute Bin ich so schön; Morgen, ach morgen Muß Alles vergehn! Nur diese Stunde Bist du noch mein; Sterben, ach sterben Soll ich allein. Weiße Rosen. I . D u bissest die zarten Lippen wund, Das Blut ist danach geflossen; Du hast es gewollt, ich weiß es wohl, Weil einst mein Mund sie verschlossen. Entfärben ließ'st du dein braunes Haar In Sonnenbrand und Regen; Du hast es gewollt, weil meine Hand Liebkosend darauf gelegen. Du stehst am Heerd in Flammen und Rauch, Daß die feinen Hände dir sprangen; Du hast es gewollt, ich weiß es wohl, Weil mein Auge daran gehangen. 2 . D u gehst an meiner Seite hin Und achtest meiner nicht; Nun schmerzt mich deine weiße Hand, Dein süßes Angesicht. O sprich wie sonst ein liebes Wort, Ein einzig Wort mir zu! Die Wunden bluten heimlich fort, Auch du hast keine Ruh'. Der Mund, der jetzt zu meiner Qual Sich stumm vor mir verschließt, Ich hab' ihn ja so tausend mal, Viel tausend mal geküßt. Was einst so überselig war, Bricht nun das Herz entzwei; Das Aug', das meine Seele trank, Sieht fremd an mir vorbei. 3. S o dunkel sind die Straßen, So herbstlich geht der Wind; Leb' wohl, meine weiße Rose, Mein Herz, mein Weib, mein Kind! So schweigend steht der Garten, Ich wandre weit hinaus; Er wird dir nicht verrathen, Daß ich nimmer kehr' nach Haus. Der Weg ist gar so einsam, Es reis't ja Niemand mit; Die Wolken nur am Himmel Halten gleichen Schritt. Ich bin so müd' zum Sterben; D'rum blieb' ich gern zu Haus, Und schliefe gern das Leben Und Lust und Leiden aus. Loose. D er einst er seine junge Sonnige Liebe gebracht, Die hat ihn gehen heißen, Nicht weiter sein gedacht. D'rauf hat er heimgeführet Ein Mädchen still und hold; Die hat aus allen Menschen Nur einzig ihn gewollt. Und ob sein Herz in Liebe Niemals für sie gebebt, Sie hat um ihn gelitten Und nur für ihn gelebt. Noch einmal! N och einmal fällt in meinen Schooß Die rothe Rose Leidenschaft; Noch einmal hab' ich schwärmerisch In Mädchenaugen mich vergafft; Noch einmal legt ein junges Herz An meines seinen starken Schlag; Noch einmal weht an meine Stirn' Ein juniheißer Sommertag. Die Stunde schlug. D ie Stunde schlug, und deine Hand Liegt zitternd in der meinen; An meine Lippen streiften schon Mit scheuem Druck die deinen; Es zuckten aus dem vollen Kelch Electrisch schon die Funken — O fasse Muth, und fliehe nicht, Bevor wir ganz getrunken! Die Lippen, die mich so berührt, Sind nicht mehr deine eignen, Sie können doch, so lang' du lebst, Die meinen nicht verleugnen; Die Lippen, die sich so berührt, Sind rettungslos gefangen; Spät oder früh, sie müssen doch Sich tödtlich heimverlangen. Abends. W arum duften die Levkojen so viel schöner bei der Nacht? Warum brennen deine Lippen so viel röther bei der Nacht? Warum ist in meinem Herzen so die Sehnsucht auferwacht, Diese brennend rothen Lippen dir zu küssen bei der Nacht? Wohl fühl' ich, wie das Leben rinnt. W ohl fühl' ich, wie das Leben rinnt, Und daß ich endlich scheiden muß, Daß endlich doch das letzte Lied Und endlich kommt der letzte Kuß. Noch häng' ich fest an deinem Mund' In schmerzlich bangender Begier; Du giebst der Jugend letzten Kuß, Die letzte Rose giebst du mir. Du schenkst aus jenem Zauberkelch Den letzten goldnen Trunk mir ein; Du bist aus jener Märchenwelt Mein allerletzter Abendschein. Am Himmel steht der letzte Stern, O halte nicht dein Herz zurück; Zu deinen Füßen sink ich hin, O fühl's, du bist mein letztes Glück! Laß einmal noch durch meine Brust Des vollsten Lebens Schauer wehn, Eh seufzend in die große Nacht Auch meine Sterne untergehn. Hyazinthen. F ern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht, Mit Schlummerduft anhauchen mich die Pflanzen; Ich habe immer, immer dein gedacht, Ich möchte schlafen; aber du mußt tanzen. Es hört nicht auf, es ras't ohn' Unterlaß; Die Kerzen brennen und die Geigen schreien, Es theilen und es schließen sich die Reihen, Und Alle glühen; aber du bist blaß. Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen Sich an dein Herz; o leide nicht Gewalt! Ich seh' dein weißes Kleid vorüberfliegen Und deine leichte, zärtliche Gestalt. — — Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen. Ich habe immer, immer dein gedacht; Ich möchte schlafen; aber du mußt tanzen. Du willst es nicht in Worten sagen. D u willst es nicht in Worten sagen; Doch legst du's brennend Mund auf Mund, Und deiner Pulse tiefes Schlagen Thut liebliches Geheimniß kund. Du fliehst vor mir, du scheue Taube, Und drückst dich fest an meine Brust; Du bist der Liebe schon zum Raube, Und bist dir kaum des Worts bewußt. Du biegst den schlanken Leib mir ferne, Indeß dein rother Mund mich küßt; Behalten möchtest du dich gerne, Da du doch ganz verloren bist. 2 * Du fühlst, wir können nicht verzichten; Warum zu geben scheust du noch? Du mußt die ganze Schuld entrichten, Du mußt, gewiß, du mußt es doch. In Sehnen halb und halb in Bangen, Am Ende rinnt die Schaale voll; Die holde Schaam ist nur empfangen, Daß sie in Liebe sterben soll. Dämmerstunde. I m Sessel du, und ich zu deinen Füßen Das Haupt zu dir gewendet, saßen wir; Und sanfter fühlten wir die Stunden fließen, Und stiller ward es zwischen mir und dir; Bis unsre Augen in einander sanken Und wir berauscht der Seele Athmen tranken. Frauenhand. I ch weiß es wohl, kein klagend Wort Wird über deine Lippen gehen; Doch, was so sanft dein Mund verschweigt, Muß deine blasse Hand gestehen. Die Hand, an der mein Auge hängt, Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen, Und daß in schlummerloser Nacht Sie lag auf einem kranken Herzen. Die Zeit ist hin. D ie Zeit ist hin; du lös't dich unbewußt Und leise mehr und mehr von meiner Brust; Ich suche dich mit sanftem Druck zu fassen, Doch fühl' ich wohl, ich muß dich gehen lassen. So laß mich denn, bevor du weit von mir Im Leben gehst, noch einmal danken dir; Und magst du nie, was rettungslos vergangen, In schlummerlosen Nächten heim verlangen. Hier steh' ich nun und schaue bang zurück; Vorüber rinnt auch dieser Augenblick, Und wie viel Stunden dir und mir gegeben, Wir werden keine mehr zusammen leben. Wohl rief ich sanft dich an mein Herz. W ohl rief ich sanft dich an mein Herz, Doch blieben meine Arme leer; Der Stimme Zauber, der du sonst Nie widerstandest, galt nicht mehr. Was jetzt dein Leben füllen wird, Wohin du gehst, wohin du irrst, Ich weiß es nicht; ich weiß allein, Daß du mir nie mehr lächeln wirst. Doch kommt erst jene stille Zeit, Wo uns das Leben läßt allein, Dann wird, wie in der Jugend einst, Nur meine Liebe bei dir sein. Dann wird, was jetzt geschehen mag, Wie Schatten dir vorübergehn, Und nur die Zeit, die nun dahin, Die uns gehörte, wird bestehn. Und wenn dein letztes Kissen einst Beglänzt ein Abendsonnenstrahl, Es ist die Sonne jenes Tages, Da ich dich küßte zum ersten Mal. Du schläfst. D u schläfst — So will ich leise flehen: O schlafe sanft! und leise will ich gehen, Daß dich nicht störe meiner Tritte Gang, Daß du nicht hörest meiner Stimme Klang. E in Grab schon weiset manche Stelle, Und Manches liegt in Traum und Duft; Nun sprudle, frische Lebensquelle, Und rausche über Grab und Kluft! Lucie. I ch seh sie noch, ihr Büchlein in der Hand, Nach jener Bank dort an der Gartenwand Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen; Sie wußte wohl, es mühte sie das Lernen. Nicht war sie klug, nicht schön; mir aber war Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar, Mir war es lieb; aus der Erinnrung Düster Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister. Ihr schmales Bettchen theilte sie mit mir, Und Nächtens Wang' an Wange schliefen wir; Das war so schön! Noch weht ein Kinderfrieden Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden. Ein Ende kam, — ein Tag, sie wurde krank, Und lag im Fieber viele Wochen lang; Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen, Da ging sie heim; es blühten die Syringen. Die Sonne schien; ich lief in's Feld hinaus Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus. Wohl zwanzig Jahr, und drüber sind vergangen — An wie viel Andrem hat mein Herz gehangen! Was hab' ich heute denn nach dir gebangt? Bist du mir nah, und hast nach mir verlangt? Willst du, wie einst nach unsren Kinderspielen, Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fühlen? Einer Todten. 1. D u glaubtest nicht an frohe Tage mehr, Verjährtes Leid ließ nimmer dich genesen; Die Mutterfreude war für dich zu schwer, Das Leben war dir gar zu hart gewesen. — Er saß bei dir in letzter Liebespflicht; Noch eine Nacht, noch eine war gegeben! Auch die verrann; dann kam das Morgenlicht. Mein guter Mann, wie gerne wollt' ich leben! Er hörte still die sanften Worte an, Wie sie sein Ohr in bangen Pausen trafen: Sorg' für das Kind — ich sterbe, süßer Mann. Dann halbverständlich noch: Nun will ich schlafen. Und dann nichts mehr; — du wurdest nimmer wach, Dein Auge brach, die Welt ward immer trüber; Der Athem Gottes wehte durch's Gemach, Dein Kind schrie auf, und dann warst du hinüber. 2. D as aber kann ich nicht ertragen, Daß so wie sonst die Sonne lacht; Daß wie in deinen Lebenstagen Die Uhren gehn, die Glocken schlagen, Einförmig wechseln Tag und Nacht; Daß, wenn des Tages Lichter schwanden, Wie sonst der Abend uns vereint; Und daß, wo sonst dein Stuhl gestanden, Schon Andre ihre Plätze fanden, Und nichts dich zu vermissen scheint; Indessen von den Gitterstäben Die Mondesstreifen schmal und karg In deine Gruft hinunterweben, Und mit gespenstisch trübem Leben Hinwandeln über deinen Sarg. Eine Fremde. S ie saß in unsrem Mädchenkreise, Ein Stern am Frauen-Firmament; Sie sprach in unsres Volkes Weise, Nur leis mit klagendem Accent. Du hörtest niemals heim verlangen Den stolzen Mund der schönen Frau; Nur auf den südlich blassen Wangen Und über der gewölbten Brau Lag noch Granadas Mondenschimmer, Den sie vertauscht um unsern Strand; Und ihre Augen dachten immer An ihr beglänztes Heimathland. Ständchen. W eiße Mondesnebel schwimmen Auf den feuchten Wiesenplanen; Hörst du die Guitarre stimmen In dem Schatten der Platanen? Dreizehn Lieder sollst du hören, Dreizehn Lieder frisch gedichtet; Alle sind, ich kann's beschwören, Alle nur an dich gerichtet. An dem zarten schlanken Leibchen Bis zur Stirne auf und nieder, Jedes Fünkchen, jedes Stäubchen, Alles preisen meine Lieder. 3 Wahrlich Kind, ich hab' zu Zeiten Wunderkühnliche Gedanken! Unermüdlich sind die Saiten Und der Mund ist ohne Schranken. Vom geheimsten Druck der Hände Bis zum nimmersatten Küssen; Ja, ich selber weiß am Ende Nicht, was du wirst hören müssen. Laß dich warnen, laß mich schweigen, Laß mich Lied um Liebe tauschen; Denn die Blätter an den Zweigen Wachen auf und wollen lauschen. Weiße Mondesnebel schwimmen Auf den feuchten Wiesenplanen; Hörst du die Guitarre stimmen In dem Schatten der Platanen? Lehrsatz. D ie Sonne scheint; laß ab von Liebeswerben! Denn Liebe gleicht der scheuesten der Frauen; Ihr eigen Antlitz schämt sie sich zu schauen, Ein Räthsel will sie bleiben, oder sterben. Doch wenn der Abend still hernieder gleitet, Dann naht das Reich der zärtlichen Gedanken; Wenn Dämmrung süß verwirrend sich verbreitet, Und alle Formen in einander schwanken, Dann irrt die Hand, dann irrt der Mund gar leicht, Und halb gewagt wird Alles ganz erreicht. 3 * Die Kleine. U nd plaudernd hing sie mir am Arm; Sie halberschlossen nur dem Leben, Ich zwar nicht alt, doch aber dort, Wo uns verläßt die Jugend eben. Wir wandelten hinauf, hinab Im dämmergrünen Gang der Linden; Sie sah mich froh und leuchtend an, Sie wußte nicht, es könne zünden; Ihr ahnte keine Möglichkeit, Kein Wort von so verwegnen Dingen, Wodurch, es selbst die tiefste Kluft Verlockend wird zu überspringen. O süßes Nichtsthun. O süßes Nichtsthun, an der Liebsten Seite Zu ruhen auf des Bergs besonnter Kuppe; Bald abwärts zu des Städtchens Häusergruppe Den Blick zu senden, bald in ferne Weite! O süßes Nichtsthun, lieblich so gebannt Zu athmen in den neubefreiten Düften; Sich locken lassen von den Frühlingslüften, Hinab zu ziehn in das beglänzte Land; Rückkehren dann aus aller Wunderferne In deiner Augen heimathliche Sterne. Gasel. D u weißt es, wie mein ganzes Herz allein durch deine Milde lebt, Du weißt es, wie mein ganzes Herz allein in deinem Bilde lebt; Denn wie die Schönheit nimmer schön, die nicht der Seele Athem kennt, Wie durch des Lichtes Kraft allein der Zauber der Gefilde lebt, So ist das Leben nicht belebt, als durch der Liebe Sakrament; Das fühlet, wer die Liebe fühlt, wer unter ihrem Schilde lebt. Ich aber, der die liebste Frau sein unverlierbar Eigen nennt, Ich fühle, wie die ganze Welt allein in ihrem Bilde lebt. Wer je gelebt in Liebesarmen. W er je gelebt in Liebesarmen, Der kann im Leben nie verarmen; Und müßt' er sterben fern, allein, Er fühlte noch die sel'ge Stunde, Wo er gelebt an ihrem Munde, Und noch im Tode ist sie sein. Nun sei mir heimlich zart und lieb. N un sei mir heimlich zart und lieb; Setz' deinen Fuß auf meinen nun! Mir sagt es: ich verließ die Welt, Um ganz allein auf dir zu ruhn; Und dir: o ließe mich die Welt, Und könnt' ich friedlich und allein, Wie deines leichten Fußes jetzt, So deines Lebens Träger sein! Schließe mir die Augen beide. S chließe mir die Augen beide Mit den lieben Händen zu! Geht doch Alles, was ich leide, Unter deiner Hand zur Ruh'. Und wie leise sich der Schmerz Well' um Welle schlafen leget, Wie der letzte Schlag sich reget, Füllest du mein ganzes Herz. Kritik. H ör' mir nicht auf solch' Geschwätze, Liebes Herz, daß wir Poeten Schon genug der Liebeslieder, Ja, zu viel gedichtet hätten. Ach, es sind so kläglich wenig, Denn ich zählte sie im Stillen, Kaum genug, dein Nadelbüchlein Schicklich damit anzufüllen. Lieder, die von Liebe reimen, Kommen Tag für Tage wieder; Doch wir zwei Verliebte sprechen: Das sind keine Liebeslieder. Sprich, bist du stark. S prich, bist du stark, wenn schon mein Leben brach, Und nur nicht scheiden kann von deinen Blicken, Das Auge, das von deiner Liebe sprach, Auf Nimmerwiedersehen zuzudrücken? Und bist du stark, was sonst das Herz verführt, Wenn es sich schmeichelnd, zwingend dargeboten, Dir stets zu weigern fest und unberührt, Und jungfräulich zu hangen an dem Todten? Und bist du stark, daß durch den trüben Flor, Daß durch die Einsamkeit mühsel'ger Jahre, Wenn dein Gedächtniß schon mein Bild verlor, Doch unsre Liebe noch dein Herz bewahre? Morgens. N un gieb ein Morgenküßchen! Du hast genug der Ruh'; Und setz' dein zierlich Füßchen Behende in den Schuh! Nun schüttle von der Stirne Der Träume blasse Spur! Das goldene Gestirne Erleuchtet längst die Flur. Die Rosen in deinem Garten Sprangen im Sonnenlicht; Sie können kaum erwarten, Daß deine Hand sie bricht. Zur Nacht. V orbei der Tag! Nun laß mich unverstellt Genießen dieser Stunde vollen Frieden! Nun sind wir unser; von der frechen Welt Hat endlich uns die heilige Nacht geschieden. Laß einmal noch, eh' sich dein Auge schließt, Der Liebe Strahl sich rückhaltlos entzünden; Noch einmal, eh' im Traum' sie sich vergißt, Mich deiner Stimme lieben Laut empfinden! Was giebt es mehr? der stille Knabe winkt Zu seinem Strande lockender und lieber; Und wie die Brust dir athmend schwellt und sinkt, Trägt uns des Schlummers Welle sanft hinüber. Die Kinder. 1. Abends. A uf meinem Schooße sitzet nun Und ruht der kleine Mann; Mich schauen aus der Dämmerung Die zarten Augen an. Er spielt nicht mehr, er ist bei mir, Will nirgend anders sein; Die kleine Seele tritt heraus Und will zu mir herein. 2. M ein Häwelmann, mein Bursche klein, Du bist des Hauses Sonnenschein; Die Vögel singen, die Kinder lachen, Wenn deine strahlenden Augen lachen. Im Herbste. E s rauscht, die gelben Blätter fliegen, Am Himmel steht ein falber Schein; Du schauerst leis, und drückst dich fester In deines Mannes Arm hinein. Was nun von Halm zu Halme wandelt, Was nach den letzten Blumen greift, Hat heimlich im Vorübergehen Auch dein geliebtes Haupt gestreift. Doch reißen auch die zarten Fäden, Die warme Nacht auf Wiesen spann — Es ist der Sommer nur, der scheidet; Was geht denn uns der Sommer an! Du legst die Hand an meine Stirne, Und schaust mir prüfend in's Gesicht; Aus deinen milden Frauenaugen Bricht gar zu melancholisch Licht. Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer, Ein Räthsel, das dich einst bewegt, Daß du in meine Hand gefangen Die freie Mädchenhand gelegt? O schaudre nicht! Ob auch unmerklich Der schönste Sonnenschein verrann — Es ist der Sommer nur, der scheidet; Was geht denn uns der Sommer an! O bleibe treu den Todten. O bleibe treu den Todten, Die lebend du betrübt; O bleibe treu den Todten, Die lebend dich geliebt! Sie starben, doch sie blieben Auf Erden wesenlos, Bis allen ihren Lieben Der Tod die Augen schloß. Indessen du dich herzlich In Lebenslust versenkst, Wie sehnen sie sich schmerzlich, Daß ihrer du gedenkst! 4 Sie nahen dir in Liebe, Allein du fühlst es nicht; Sie schaun dich an so trübe, Du aber siehst es nicht. Die Brücke ist zerfallen; Nun mühen sie sich bang, Ein Liebeswort zu lallen, Das nie hinüber drang. In ihrem Schattenleben Quält Eins sie gar zu sehr: Ihr Herz will dir vergeben, Ihr Mund vermag's nicht mehr. O bleibe treu den Todten, Die lebend du betrübt; O bleibe treu den Todten, Die lebend dich geliebt! In böser Stunde. E in schwaches Stäbchen ist die Liebe, Das deiner Jugend Rebe trägt, Das wachsend bald der Baum des Lebens Mit seinen Aesten selbst zerschlägt. Und drängtest du mit ganzer Seele Zu allerinnigstem Verein, Du wirst am Ende doch, am Ende Nur auf dir selbst gelassen sein. 4 * Und war es auch ein großer Schmerz. U nd war es auch ein großer Schmerz, Und wär's vielleicht gar eine Sünde, Wenn es noch einmal vor dir stünde, Du thät'st es noch einmal, mein Herz. Zwischenreich. M eine ausgelaßne Kleine, Ach, ich kenne sie nicht mehr; Nur mit Tanten und Pastoren Hat das liebe Herz Verkehr. Jene süße Himmelsdemuth, Die der Sünder Hoffart schilt, Hat das ganze Schelmenantlitz Wie mit grauem Flor verhüllt. Ja, die brennend rothen Lippen Predigen Entsagung euch; Diese gar zu schwarzen Augen Schmachten nach dem Himmelreich. Auf die Titiansche Venus Ist ein Heilgenbild gemalt; Ach, ich kenne sie nicht wieder, Die so schön mit uns gedahlt. Nirgends mehr für blaue Märchen Ist ein einzig' Plätzchen leer; Nur Tractätlein und Asceten Liegen haufenweis umher. Wahrlich, zum Verzweifeln wär' es — Aber, Schatz, wir wissen schon, Deinen ganzen Götzenplunder Wirft ein einzger Mann vom Thron. Vom Staatskalender. I . Die Tochter spricht: A ch, die kleine Kaufmannstochter, Wie das Ding sich immer putzt! Fehlt nur, daß mit unser Einem Sie sich noch vertraulich duzt. Setzt sich, wo wir auch erscheinen, Wie von selber nebenbei; Präsidentens könnten meinen, Daß es heiße Freundschaft sei. Und es will sich doch nicht schicken, Daß man so mit Jeder geht, Seit Papa im Staatskalender In der dritten Classe steht. Hat Mama doch auch den Diensten Anbefohlen klar und hell, Fräulein hießen wir jetzunder, Fräulein, und nicht mehr Mamsell! Ach, ein kleines Bischen adlich, So ein Bischen — glaub', wir sind's! Morgen in der goldnen Kutsche Holt uns ein verwünschter Prinz!“ 2. Ein Golem. I hr sagt, es sei ein Kämmerer, Ein schöner Staatskalenderer; Doch sieht denn nicht ein Jeder, Daß er genäht aus Leder? Kommt nur der rechte Regentropf, Und wäscht die Nummer ihm vom Kopf, So ruft gewiß ein Jeder: Herr Gott, ein Kerl von Leder! Gesegnete Mahlzeit. S ie haben wundervoll dinirt; Warm und behaglich rollt ihr Blut, Voll Menschenliebe ist ihr Herz, Sie sind der ganzen Welt so gut! Sie schütteln zärtlich sich die Hand, Umwandelnd den geleerten Tisch, Und wünschen, daß gesegnet sei Der Wein, der Braten und der Fisch. Die Geistlichkeit, die Weltlichkeit, Wie sie so ganz verstehen sich! Ich glaube, Gott verzeihe mir, Sie lieben sich herzinniglich. Von Katzen. V ergangnen Maitag brachte meine Katze Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen, Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen. Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen! Die Köchin aber — Köchinnen sind grausam, Und Menschlichkeit wächst nicht in einer Küche — Die wollte von den Sechsen fünf ertränken, Fünf weiße, schwarzgeschwänzte Maienkätzchen Ermorden wollte dies verruchte Weib. Ich half ihr heim! — der Himmel segne Mir meine Menschlichkeit! Die lieben Kätzchen, Sie wuchsen auf und schritten binnen Kurzem Erhobenen Schwanzes über Hof und Heerd; Ja, wie die Köchin auch ingrimmig drein sah, Sie wuchsen auf, und Nachts vor ihrem Fenster Probirten sie die allerliebsten Stimmchen. Ich aber, wie ich sie so wachsen sahe, Ich pries mich selbst und meine Menschlichkeit. — Ein Jahr ist um, und Katzen sind die Kätzchen, Und Maitag ist's! — Wie soll ich es beschreiben, Das Schauspiel, das sich jetzt vor mir entfaltet! Mein ganzes Haus, vom Keller bis zum Giebel, Ein jeder Winkel ist ein Wochenbettchen! Hier liegt das eine, dort das andre Kätzchen, In Schränken, Körben, unter Tisch und Treppen, Die Alte gar — nein, es ist unaussprechlich, Liegt in der Köchin jungfräulichem Bette! Und jede, jede von den sieben Katzen Hat sieben, denkt euch! sieben junge Kätzchen, Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen. Die Köchin ras't, ich kann der blinden Wuth Nicht Schranken setzen dieses Frauenzimmers; Ersäufen will sie alle neun und vierzig! Mir selber, ach, mir läuft der Kopf davon — O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren! Was fang' ich an mit sechs und funfzig Katzen! — Stoßseufzer . A m Weihnachtsonntag kam er zu mir, In Jack' und Schurzfell und roch nach Bier, Und sprach zwei Stunden zu meiner Qual Von Zinsen und von Capital; Ein Kerl, vor dem mich Gott bewahr'! Hat keinen Festtag im ganzen Jahr. In der Frühe. G oldstrahlen schießen über's Dach, Die Hähne krähn den Morgen wach; Nun einer hier, nun einer dort, So kräht es nun von Ort zu Ort. Und in der Ferne stirbt der Klang — Ich höre nichts, ich horche lang'. Ihr wackern Hähne, krähet doch! Sie schlafen immer, immer noch. Sturmnacht. I m Hinterhaus im Fliesensaal Ueber Urgroßmutters Tisch und Bänke, Ueber die alten Schatullen und Schränke Wandelt der zitternde Mondenstrahl. Vom Wald kommt der Wind, Und fährt an die Scheiben; Und geschwind, geschwind Schwatzt er ein Wort, Und dann wieder fort Zum Wald über Föhren und Eiben. Da wird auch das alte verzauberte Holz Da drinnen lebendig; Wie sonst im Walde will es stolz Die Kronen schütteln unbändig, Mit den Aesten greifen hinaus in die Nacht, Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd, Mit den Blättern im Uebermuth rauschen; Beim Tanz im Flug Durch Wolkenzug Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen. Da müht sich der Lehnstuhl die Arme zu recken, Den Roccocofuß will das Kanapee strecken, In der Kommode die Schubfächer drängen Und wollen die rostigen Schlösser sprengen; Der Eichschrank unter dem kleinen Troß Steht da, ein finsterer Koloß. Traumhaft regt er die Klauen an, Ihm zuckt's in der verlornen Krone; Doch bricht er nicht den schweren Bann. Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne, Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht, Bläs't durch die Ritzen, grunzt und lacht, Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster Klitschend gegen die rasselnden Fenster. Die glupen dumm neugierig hinein — Da drinn' steht voll der Mondenschein. Aber droben im Haus Im behaglichen Zimmer Beim Sturmgebraus Saßen und schwatzten die Alten noch immer, Nicht hörend, wie drunten die Saalthür sprang, Wie ein Klang war erwacht Aus der lautlosen Nacht, Der schollernd drang Ueber Trepp' und Gang, Daß dran in der Kammer die Kinder mit Schrecken Auffuhren und schlüpften unter die Decken. 5 Waldweg. Fragment. D urch einen Nachbarsgarten ging der Weg, Wo blaue Schleh'n im tiefen Grase standen; Dann durch die Hecke über schmalen Steg Auf eine Wiese, die an allen Randen Ein hoher Zaun vielfarbgen Laub's umzog; Buscheichen unter wilden Rosenbüschen, Um die sich frei die Geißblattranke bog, Brombeergewirr und Hülsendorn dazwischen; Vorbei an Farrenkräutern wob der Eppich Entlang des Walles seinen dunklen Teppich. Und vorwärts schreitend störte bald mein Tritt Die Biene auf, die um die Distel schwärmte, Bald hörte ich, wie durch die Gräser glitt Die Schlange, die am Sonnenstrahl sich wärmte. Sonst war es kirchenstill in alle Weite, Kein Vogel hörbar; nur an meiner Seite Sprang schnaufend ab und zu des Oheims Hund; Denn nicht allein wär' ich um solche Zeit Gegangen zum entlegnen Waldesgrund; Mir graute vor der Mittagseinsamkeit. — Heiß war die Luft, und alle Winde schliefen; Und vor mir lag ein sonnig offner Raum, Wo quer hindurch schutzlos die Steige liefen. Wohl hatt' ich's sauer und ertrug es kaum; Doch rascher schreitend überwand ich's bald. Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen, Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald, In dem schon herbstlich roth die Blätter hingen. Und drüber her, hoch in der blauen Luft, Stand beutesüchtig ein gewaltger Weih', Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft; Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei. Himbeerenduft und Tannenharzgeruch Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege, Und dort im Walle schimmerte der Bruch, Durch den ich meinen Pfad nahm in's Gehege. 5 * Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle An's Laubgewölb' die Tannenstämme sich; Dann war's erreicht, und wie an Kirchenschwelle Umschauerte die Schattenkühle mich. Eine Frühlingsnacht. I m Zimmer drinnen ist's so schwül; Der Kranke liegt auf dem heißen Pfühl. Im Fieber hat er die Nacht verbracht; Sein Herz ist müde, sein Auge verwacht. Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand; Er hält die Uhr in der weißen Hand. Er zählt die Schläge, die sie pickt, Er forschet, wie der Weiser rückt; Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht, Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. Die Wartfrau sitzt geduldig dabei, Harrend bis Alles vorüber sei. — Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tod Und draußen dämmert das Morgenroth; An die Fenster klettert der Frühlingstag, Mädchen und Vögel werden wach. Die Erde lacht in Liebesschein, Pfingstglocken läuten das Brautfest ein; Singende Bursche ziehn über's Feld Hinein in die blühende, klingende Welt. — Und immer stiller wird es drin; Die Alte tritt zum Kranken hin. Der hat die Hände gefaltet dicht; Sie zieht ihm das Laken über's Gesicht. Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer; Und drinnen wacht kein Auge mehr. März. U nd aus der Erde schauet nur Alleine noch Schneeglöckchen; So kalt, so kalt ist noch die Flur, Es friert im weißen Röckchen. Mai. D ie Kinder schreien Vivat hoch! In die blaue Luft hinein; Den Frühling setzen sie auf den Thron, Der soll ihr König sein. Herbst . I . S chon in's Land der Pyramiden Flohn die Störche über's Meer; Schwalbenflug ist längst geschieden, Auch die Lerche singt nicht mehr. Seufzend in geheimer Klage Streift der Wind das letzte Grün; Und die süßen Sommertage Ach sie sind dahin, dahin! Nebel hat den Wald verschlungen, Der dein stillstes Glück gesehn; Ganz in Duft und Dämmerungen Will die schöne Welt vergehn. Nur noch einmal bricht die Sonne Unaufhaltsam durch den Duft, Und ein Strahl der alten Wonne Rieselt über Thal und Kluft. Und es leuchten Wald und Haide, Daß man sicher glauben mag, Hinter allem Winterleide Lieg' ein ferner Frühlingstag. 2. D ie Sense rauscht, die Aehre fällt, Die Thiere räumen scheu das Feld, Der Mensch begehrt die ganze Welt. 3. U nd sind die Blumen abgeblüht, So brecht der Aepfel goldne Bälle; Hin ist die Zeit der Schwärmerei, So schätzt nun endlich das Reelle! 4. E s rauschen die Bäume So winterlich schon; Es fliegen die Träume Der Liebe davon. 5. I m Winde wehn die Lindenzweige, Von rothen Knospen übersäumt; Die Wiegen sind's, worin der Frühling Die schlimme Winterzeit verträumt. Hinter den Tannen. S onnenschein auf grünem Rasen, Krokus drinnen blau und blaß; Und zwei Mädchenhände tauchen Blumen pflückend in das Gras. Und ein Junge kniet daneben, Gar ein übermüthig Blut, Und sie schaun sich an und lachen — O wie kenn' ich sie so gut! Hinter jenen Tannen war es, Jene Wiese schließt es ein, Schöne Zeit der Blumensträuße, Stiller Sommersonnenschein! Silvia. U nd webte auch auf jenen Matten Noch jene Mondesmärchenpracht, Und stünd' sie noch in Waldesschatten Inmitten jener Sommernacht; Und fänd' ich selber wie im Traume Den Weg zurück durch Moor und Feld, Sie schritte doch von Waldessaume Niemals hinunter in die Welt. Ein grünes Blatt. E in Blatt aus sommerlichen Tagen, Ich nahm es so im Wandern mit, Auf daß es einst mir möge sagen, Wie laut die Nachtigall geschlagen, Wie grün der Wald, den ich durchschritt. Zur Taufe. Ein Gutachten. B edenk' es wohl, eh' du sie taufst! Bedeutsam sind die Namen; Und fasse mir dein liebes Bild Nun in den rechten Rahmen. Denn ob der Nam' den Menschen macht, Ob sich der Mensch den Namen, Das ist, weßhalb mir oft, mein Freund, Bescheidene Zweifel kamen; Eins aber weiß ich ganz gewiß, Bedeutsam sind die Namen! So schickt für Mädchen Lisbeth sich, Elisabeth für Damen; Auch fing sich oft ein Freier schon, Dem Fischlein gleich am Hamen, An einem ambraduftigem, Klanghaftem Mädchennamen. Morgane . A n regentrüben Sommertagen, Wenn Luft und Fluth zusammenragen Und ohne Regung schläft die See, Dann steht an unserm grauen Strande Das Wunder aus dem Morgenlande, Morgane, die berufne Fee. Arglistig halb und halb von Sinne, Verschmachtend nach dem Kelch der Minne, Der stets an ihrem Mund versiegt, Umgaukelt sie des Wandrers Pfade, Und lockt ihn an ein Scheingestade, Das in des Todes Reichen liegt. Von ihrem Zauberspiel geblendet Ruht manches Haupt in Nacht gewendet Begraben in der Wüste Schlucht ; Denn ihre Liebe ist Verderben, Ihr Hauch ist Gift, ihr Kuß ist Sterben, Die schönen Augen sind verflucht. So steht sie jetzt im hohen Norden An unsres Meeres dunkeln Borden, So schreibt sie fingernd in den Dunst; Und quellend aus den luftgen Spuren Erstehn in dämmernden Conturen Die Bilder ihrer argen Kunst. Doch hebt sich nicht wie dort im Süden Auf rosigen Karyatiden Ein Wundermärchenschloß in's Blau; Nur eines Haubergs graues Bildniß Schwimmt einsam in der Nebelwildniß, Und keinen lockt der Hexenbau. Bald wechselt sie die dunkle Küste Mit Libyens sonnengelber Wüste Und mit der Tropenwälder Duft; Dann bläs't sie lachend durch die Hände, Dann schwankt das Haus, und Fach und Wände Verrinnen quirlend in die Luft. 6 Ostern. E s war daheim auf unsrem Meeresdeich; Ich ließ den Blick am Horizonte gleiten, Zu mir herüber scholl verheißungsreich Mit vollem Klang das Osterglockenläuten. Wie brennend Silber funkelte das Meer, Die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel, Die Möven schossen blendend hin und her, Eintauchend in die Fluth die weißen Flügel. Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand War sammetgrün die Wiese aufgegangen; Der Frühling zog prophetisch über Land, Die Lerchen jauchzten und die Knospen sprangen. — Entfesselt ist die urgewaltge Kraft, Die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen, Und Alles treibt, und Alles webt und schafft, Des Lebens vollste Pulse hör' ich klopfen. Der Fluth entsteigt der frische Meeresduft, Vom Himmel strömt die goldne Sonnenfülle; Der Frühlingswind geht klingend durch die Luft Und sprengt im Flug des Schlummers letzte Hülle. O wehe fort, bis jede Knospe bricht, Daß endlich uns ein ganzer Sommer werde; Entfalte dich, du gottgebornes Licht, Und wanke nicht, du feste Heimatherde! — Hier stand ich oft, wenn in Novembernacht Aufgohr das Meer zu gischtbestäubten Hügeln, Wenn in den Lüften war der Sturm erwacht, Die Kappe peitschend mit den Geierflügeln. Und jauchzend ließ ich an der festen Wehr Den Wellenschlag die grimmen Zähne reiben; Denn machtlos, zischend schoß zurück das Meer — Das Land ist unser, unser soll es bleiben! 6 * Nach Reisegesprächen. V orwärts lieber laß uns schreiten Durch die deutschen Nebelschichten, Als auf alten Träumen reiten Und auf römischen Berichten! Denn mir ist, als säh' ich endlich Unter uns ein Bild entfalten; Dunkel erst, doch bald verständlich Sich erheben die Gestalten; Hauf' an Haufen im Getümmel, Nun zerrissen, nun zusammen; An dem grau verhangnen Himmel Zuckt es wie von tausend Flammen. Hört ihr, wie die Büchsen knallen? Wuthgeschrei durchfegt die Lüfte; Und die weißen Nebel wallen, Und die Brüder stehn und fallen — Hoher Tag und tiefe Grüfte! Auf dem Segeberg. Fragment. H ier stand auch einer Frauen Wiege, Die Wiege einer deutschen Frau; Die schaut mich an mit Augen blau, Und auf dem Felsen, drauf ich liege, Schließt sie mich plötzlich an die Brust. Da werd' ich mir des Glücks bewußt; Ich seh' die Welt so unvergänglich, Voll Schönheit mir zu Füßen ruhn, Und alle Sorgen, die so bänglich Mein Herz bedrängten, schweigen nun. Musik! Musik! Die Lerchen singen, Aus Wies' und Wäldern steigt Gesang, Die Mücken in den Lüften schwingen Den süßen Sommerharfenklang. Und unten auf besonnter Flur Seh' ich des Kornes Wellen treiben, In blauen Wölkchen drüber stäuben Ein keusch' Geheimniß der Natur. — Da tauchen an des Berges Seite Zwei Köpfchen auf aus dem Gestein, Zwei Knaben steigen durch's Gekräute; Und sie sind unser, mein und dein. Sie jauchzen auf, die Felsen klingen; Mein Bursche schlank, mein Bursche klein! Schau, wie sie purzeln, wie sie springen, Und Jeder will der Erste sein. In Kinderlust die Wangen glühen; Die Welt, die Welt, o wie sie lacht! Nun hängen sie an deinen Knieen, Nun an den meinen unbedacht. Der Große hier, und hier der Kleine, Sie halten mich so eng umfaßt, Daß in den Thymian der Steine Mich hinzieht die geliebte Last. Die Schatten, die mein Auge trübten, Die letzten scheucht der Kindermund; Ich seh' der Heimath, der geliebten, Zukunft in dieser Augen Grund. Märchen. Märchen. I ch hab's gesehn, und will's getreu berichten; Beklagt euch nicht, wenn ich zu wenig sah! Nur Sommernachts passiren die Geschichten; Kaum graut die Nacht, so rückt der Morgen nah, Kaum daß den Wald die ersten Strahlen lichten, Entflieht mit ihrem Hof Titania; Auf Weg und Steg spaziren die Philister, Das wohlbekannte leidige Register. Kein Zauber wächst für fromme Bürgersleute, Die Tags nur wissen, wie die Glocke geht, Die gründlich kennen gestern, morgen, heute, Doch nicht die Zeit, die mitten drinn' besteht; Ich aber hörte wohl das Waldgeläute, Ein Sonntagskind ist immer der Poet; So laßt euch denn in blanken Liederringen Von Reim zu Reim in's Land der Märchen schwingen. In Bulemanns Haus. E s klippt auf den Gassen im Mondenschein; Das ist die zierliche Kleine, Die geht auf ihren Pantöffelein Behend und mutterseelen allein Durch die Gassen im Mondenscheine. Sie geht in ein alt verfallenes Haus; Im Flur ist die Tafel gedecket, Da tanzt vor dem Monde die Maus mit der Maus, Da setzt sich das Kind mit den Mäusen zu Schmaus, Die Tellerlein werden gelecket. Und leer sind die Schüsseln; die Mäuslein im Nu Verrascheln in Mauer und Holze; Nun läßt es dem Mägdlein auch länger nicht Ruh, Sie schüttelt ihr Kleidchen, sie schnürt sich die Schuh, Dann tritt sie einher mit Stolze. Es leuchtet ein Spiegel aus goldnem Gestell, Da schaut sie hinein mit Lachen; Gleich schaut auch heraus ein Mägdelein hell, Das ist ihr einziger Spielgesell; Nun woll'n sie sich lustig machen. Sie nickt voll Huld, ihr gehört ja das Reich; Da neigt sich das Spiegelkindlein, Da neigt sich das Kind vor dem Spiegel zugleich, Da neigen sich beide gar anmuthreich, Da lächeln die rosigen Mündlein. Und wie sie lächeln, so liebt sich der Fuß, Es rauschen die seidenen Röcklein, Die Händchen werfen sich Kuß um Kuß, Das Kind mit dem Kinde nun tanzen muß, Es tanzen im Nacken die Löcklein. Der Mond scheint voller und voller herein, Auf dem Estrich gaukeln die Flimmer; Im Takte schweben die Mägdelein, Bald tauchen sie tief in die Schatten hinein, Bald stehn sie in bläulichem Schimmer. Nun sinken die Glieder, nun halten sie an, Und athmen aus Herzens Grunde; Sie nahen sich schüchtern, und beugen sich dann, Und knien vor einander, und rühren sich an Mit dem zarten unschuldigen Munde. Doch müde werden die beiden allein Von all' der heimlichen Wonne; Sehnsüchtig flüstert das Mägdelein: „Ich mag nicht mehr tanzen im Mondenschein, Ach, käme doch endlich die Sonne!“ Sie klettert hinunter ein Trepplein schief, Und schleicht hinab in den Garten. Die Sonne schlief und die Grille schlief: „Hier will ich sitzen im Grase tief, Und der Sonne will ich warten.“ Doch als nun Morgens um Busch und Gestein Verhuschet das Dämmergemunkel, Da werden dem Kinde die Aeugelein klein; Sie tanzte zu lange bei Mondenschein, Nun schläft sie bei Sonnengefunkel. Nun liegt sie zwischen den Blumen dicht Auf grünem, blitzendem Rasen; Und es schauen ihr in das süße Gesicht Die Nachtigall und das Sonnenlicht Und die kleinen neugierigen Hasen. Tannkönig. I . A m Felsenbruch im wilden Tann Liegt todt und öd' ein niedrig Haus; Der Epheu steigt das Dach hinan, Waldvöglein stiegen ein und aus. Und drin am blanken Eichentisch Verzaubert schläft ein Mägdelein; Die Wangen blühn ihr rosenfrisch, Auf den Locken wallt ihr der Sonnenschein. Die Bäume rauschen im Waldesdicht, Eintönig fällt der Quelle Schaum; Es lullt sie ein, es läßt sie nicht, Sie sinket tief von Traum zu Traum. Nur wenn im Arm die Zitter klingt, Da hell der Wind vorüberzieht, Wenn gar zu laut die Drossel singt, Zuckt manchesmal ihr Augenlied. Dann wirft sie das blonde Köpfchen herum, Daß am Hals das güldene Kettlein klingt; Auf fliegen die Vögel, der Wald ist stumm, Und zurück in den Schlummer das Mägdlein sinkt. 2. H ell reißt der Mond die Wolken auf, Daß durch die Tannen bricht der Strahl; Im Grunde wachen die Elfen auf, Die Silberhörnlein rufen durch's Thal. Zu Tanz, zu Tanz am Felsenhang, Am hellen Bach, im schwarzen Tann! Schön Jungfräulein, was wird dir bang? Wach auf, und schlag die Saiten an! Schön Jungfräulein, die sitzt im Traum; Tannkönig tritt zu ihr herein, Und küßt ihr leis des Mundes Saum, Und nimmt vom Hals das Güldkettlein. Da schlägt sie hell die Augen auf — Was hilft ihr Weinen all und Flehn! Tannkönig, laß mich ziehn nach Haus, Laß mich zu meinen Schwestern gehn. In meinem Walde fing ich dich, Tannkönig spricht, so bist du mein! Was hattest du die Meß versäumt? Komm mit, komm mit zum Elfenreihn! — Elf! Elf! das klingt so wunderlich Elf! Elf! mir graut vor dem Elfenreihn; Die haben gewiß kein Christenthum, O laß mich zu Vater und Mutter mein! — Und denkst du an Vater und Mutter noch, Sitz aber hundert Jahre allein! Die Elfen ziehn zu Tanz, zu Tanz! Er hängt ihr um das Güldkettlein. 7 Schneewittchen. Eine Märchen-Scene . Zwergenwirthschaft. Links eine Thüre zur Schlafkammer der Zwerge; im Hintergrunde eine Thür- und Fensteröffnung. Von außen Wald und Sonnenschein. Drinnen steht ein kleiner Tisch mit sieben Schüsseln. Die sieben Zwerge (kommen singend nach einander herein mit Kräutersäcken auf dem Nacken, werfen die Säcke in den Winkel, treten an den Tisch und stutzen, einer nach dem andern). Zwergenältester. Wer hat auf meinem Stühlchen sessen? Zwerg 2. Wer hat von meinem Tellerlein essen? Zwerg 3. Wer hat von meinem Müschen pappt? Zwerg 4. Wer hat mit meinem Gäblein zutappt? Zwerg 5. Wer hat aus meinem Becherlein trunken? Zwerg 6. Wer hat mein Löfflein eingetunken? Zwerg 7 (schaut in die Nebenkammer). Wer drückt' in meinem Bett das Dällchen? Zwergenältester. Wer rückt' an meinem Schlafgestellchen? Zwerg 2. Wer schlief auf meinem Lagerstättchen? Zwerg 3. O weh! liegt Einer in meinem Bettchen! Zwerg 4. Ein Mägdelein! 7 * Zwerg 5, 6, 7 . Laß schaun, laß sehn! Zwerg 7 . Ei Gott, wie ist das Kind so schön! Zwergenältester . O weckt sie nicht! o schreckt sie nicht! Geschlossen ist der Aeuglein Licht, Hinabgerollt die Locken dicht; Ueber des Mieders blanke Seide Gefaltet fromm die Händchen beide. Zwerg 2 . Wer mag sie sein? Wo kam sie her? Der Wald wächst in die Kreuz und Quer. Zwerg 3 . Wie fand das liebe Tausendschön Den Weg durch Dorn und Moor und Seen? Zwerg 4 . Ist alles so gar lieb und fein, So rosenroth, schneeweiß und rein! Zwergenältester. Bis sie erwacht, bleibt mäuschensacht, Das helle Glöcklein nehmt in Acht, Bleibt ruhig in den Schühlein stehn, Laßt leis das Zünglein ummegehn! Zwerg 4. Schau, schau! Die Wimper regte sich. Zwerg 5. Das Mündlein roth bewegte sich. Zwerg 6. Das blonde Köpfchen reckt sich auf, Zwei blaue Aeuglein schlägt sie auf! Zwerg 7. Sie schaut sich um ein stummes Weilchen! Zwergenältester. Schweigt nun! ihr Mühlchen, ihr Plappermäulchen! Erschreckt sie nicht, geht fein bei Seit! Sie sah wohl Zwerglein nicht bis heut. (Die Zwerge treten bis auf den Aeltesten an beiden Seiten zurück). Schneewittchen (erscheint scheu an der Thür). Zwergenältester. Ei grau' dich nicht, tritt nur herein; Du sollst uns fein willkommen sein, Willkommen in der Zwerge Häuschen! Doch sprich, wie heißt du denn? Schneewittchen. Schneeweißchen! So hat die Mutter mich genannt; Mein Vater ist König über dies Land. Zwergenältester. Schneeweißchen, Königstöchterlein, Wo ließest du die Pagen dein, Wo ließest du die Wagen und Rosse? Wie kamst du von des Königs Schlosse? Schneewittchen. Ach, ich bin kommen arm und bloß! Mütterlein schläft in Grabes Schooß; Der König freite die zweite Frau, Die schlug mich oft und schalt mich rauh; Schickte mich dann mit dem Jäger zu Walde, Sollte mich tödten auf Berges Halde, Und der Königin als Zeichen Sollt' er mein blutend Herze reichen, Doch ich bat ihn so lange, so lang auf den Knien— Da schoß er den Eber, und ließ mich fliehn. Zwergenältester . Schneeweißchen, Königstöchterlein, Wie fandst du Weg und Steg allein? Wer zeigte dir die sieben Berge? Wie kamst du in das Reich der Zwerge? Schneewittchen . Sprangen zwei Rehlein mir voran, Sahn mit den braunen Augen mich an; Saßen im Walde die Vöglein zu Hauf, Schwangen zwei Vöglein sich vor mir auf; Am Himmel zog ein Stern vor mir — Und wie ich folgte, so bin ich hier. Zwergenältester. Schneeweißchen, Königstöchterlein, Schlag auf die blauen Aeugelein, Laß springen dein Herzlein wohlgemuth; Sollst bleiben hier in unsrer Hut, Im grünen Reich der sieben Berge! Schneewittchen. Wie kann ich euch danken, ihr guten Zwerge? Zwergenältester. Kannst die Wirthschaft uns versehen, Wenn wir Tags in die Berge gehen; Unsern Haushalt kannst du führen. Schneewittchen. O wie will ich mich tummeln und rühren! Bin wohl behend in allen Stücken; Sprecht nur, was soll ich immer beschicken? Zwergenältester. Morgens im Dämmerschein Fegst du das Kämmerlein, Bohnest die Stühlchen, Lockerst die Pfühlchen, Schüttelst zurechte die Schlafestättchen! Zwerg 2 . Und für dich selber das weichste Bettchen! Zwergenältester . Gehn wir zu Walde, hütst du das Stübchen, Deckest das Tischchen, kochest die Süppchen! Zwerg 3 . Doch von den Süppchen und von den Speischen Das Schönste für dich, Prinzeß Schneeweißchen! Zwerg 4 . Schau nur, die Dornen zerrissen mein Röcklein! Zwerg 5 . Streiften mir ab von dem Käppchen das Glöcklein. Zwergenältester . Besserst das Röcklein, Heftest das Glöcklein, Setzest auf Jäckchen Saubere Fleckchen; Doch in das Hüttchen — Bist du allein — Läßt du, Schneewittchen, Niemand herein! Schneewittchen. Aber die Rehe, die süßen Rehe! Wenn ich sie Morgens durch's Fensterlein Draußen im goldenen Sonnenschein Springen und spielen und nahen sehe? Zwergenältester. Rehlein stehn in hohen Gnaden, Sind gar tapfre Kameraden; Kannst sie immer zu Gaste laden. Schneewittchen. Aber die Vögel, die bunten Flämmchen, Stieglitz mit dem rothen Kämmchen, Ammer mit dem goldenen Latz, Und der Staar, der possierliche Matz, Und vor den andern Vögeln allen Die süßen Sänger, die Nachtigallen! Wenn sie draußen durch die Zweiglein Schauen mit den klugen Aeuglein; Wenn sie dann mählich näher schlüpfen, Neugierig auf die Schwelle hüpfen? Zwergenältester. Vöglein stehn in hohen Gnaden, Sind gar lustge Kameraden; Darfst sie immer zu Gaste laden. Schneewittchen. Aber die Sonne, der himmlische Schein! Wenn sie Morgens in's Fensterlein Durch die grünen, funkelnden Blätter Sendet das goldene Sommerwetter! Und Abends, wandert die Sonne von dannen, Der Mond steigt über die schwarzen Tannen! Der wohnt am Himmel allein nicht gern, Bringt mit sich alle die tausend Stern'; Mond und Sonne und Sternelein Schauen alle zu mir herein, Wie ich die Wirthschaft mag treiben und leiten — Sie kennen mich alle seit langen Zeiten. Zwergenältester. Rehlein laß um dich spielen und springen, Vöglein flattern und schmettern und singen, Laß Mond- und Sonnenschein herein; Nur vor den Menschen hüte dich fein! (Zu den Andern.) Nun kommt, ihr wackern Brüderlein, Drei Gänge fürder noch waldein! Dreimal noch füllt mit weichem Moos Die Säcklein aus des Waldes Schooß, Und richtet fein in unserm Hüttchen Ein achtes Bettchen für Schneewittchen. Die sieben Zwerge (gehen singend ab). „Da ging die Katz die tripp die trapp, Da schlug die Thür die klipp die klapp, Frau Füchsin, sind sie da? Ach ja, mein Kätzchen, ja!“ Schneewittchen (allein). Morgens im Dämmerschein, Feg' ich das Kämmerlein, Bohne die Stühlchen, Lockre die Pfühlchen, Mache die Bettchen, Die Schlummerstättchen, Nähe das Röcklein, Hefte das Glöcklein, Setz' auf die Jäckchen Saubere Fleckchen; Rehlein und Vögelein Alle die Thierelein Flattern durch's Fensterlein, Schlüpfen zur Thür herein; Sonne und Mondenschein, Sternlein, die hellen, Sind alle meine Spielgesellen! Zweites Buch. Aeltere Gedichte. Die Herrgottskinder. V on oben sieht der Herr darein, Ihr dürft indeß der Ruhe pflegen; Er giebt der Arbeit das Gedeihn Und träuft herab den Himmelssegen. Und wenn dann in Blüthe die Saaten stehn, So läßt er die Lüftlein darüber gehn, Auf daß sich die Halme zusammenbeugen Und frisch aus der Blüthe das Korn erzeugen; Und hält am Himmel hoch die Sonne, Daß Alles reife in ihrer Wonne. Da stünd' es den Bauern wohl prächtig an, Das Alles in ihre Scheuern zu laden! Gott Vater hat auch seinen Theil daran; Den will er vergaben nach seiner Gnaden. Da ruft er die jüngsten Kinder sein; 8 Die nährt er selbst aus seiner Hand, Die Rehlein, die Häslein, die Würmlein klein Und alles Gethier in Luft und Land; Das flattert herbei und kreucht und springt, Ist fröhlich all zu Gottes Ehr' Und all genügsam, was er bringt. Deß freut sich der Herrgott mächtig sehr, Er breitet weit die Arme aus Und spricht in Liebe überaus: All, was da lebet, soll sich freun, Seid Alle von den Kindern mein; Und will euch drum doch nicht vergessen, Daß ihr nichts könnt als springen und fressen. Hat jedes seinen eignen Ton! Ihr sollt euch tummeln frisch im Grünen; Doch mündig ist der Mensch, mein Sohn; Drum mag er selbst sein Brod verdienen! Das Mädchen mit den hellen Augen. D as Mädchen mit den hellen Augen, Die wollte Keines Liebste sein; Sie sprang und ließ die Zöpfe fliegen, Die Freier schauten hinterdrein. Die Freier standen ganz von Ferne In blanken Röcklein lobesam. „Frau Mutter, ach, so sprecht ein Wörtchen, Und macht das liebe Kindlein zahm!“ Die Mutter schlug die Händ' zusammen, Die Mutter rief: „Du thöricht Kind, Greif zu, greif zu! Die Jahre kommen, Die Freier gehen gar geschwind!“ 8 * Sie aber ließ die Zöpfe fliegen, Und lachte alle Weisheit aus; Da sprang durch die erschrockenen Freier Ein toller Knabe in das Haus. Und wie sie bog das wilde Köpfchen, Und wie ihr Füßchen schlug den Grund, Er schloß sie fest in seine Arme Und küßte ihren rothen Mund. Die Freier standen ganz von Ferne, Die Mutter rief vor Staunen schier: „Gott schütz' dich vor dem ungeschlachten, Ohn' Maaßen groben Cavalier!“ Fiedel-Lieder. 1. W enn mir unterm Fiedelbogen Manche Saite auch zersprang, Neue werden aufgezogen, Und sie geben frischen Klang. 3. N un ein Scherflein in die Runde Von den Cavalieren allen! Für mein Lied, und ganz besonders, Weil's den Frauen so gefallen. Daß sie alle mit einander Lustig klingen in der Tasche; Und, Herr Wirth, vom besten Elfer Eine wohlgezogne Flasche! Nun ein Lied, und nun ein Humpen, Schwer von lieblichen Getränken! Ewig, ewig, unermüdlich Will ich meinen Bogen schwenken. 4 . M usikanten wollen wandern! Durch die Saiten geht der Wind, Und er weht die leichten Lieder In die weite Welt geschwind. Musikanten wollen wandern! Schon zur Neige ging der Wein; Ziehn die Lieder in die Weite, Muß der Spielmann hinterdrein. 5 . N un geht der Mond durch Wolkennacht, Nun ist der Tag herum; Da schweigen alle Vögel bald Im Walde um und um. Die Drossel pfeift ihr letztes Stück, Ein Stück zu Allerbest; Die Amsel schlägt den letzten Ton, Und fliegt zu Nest, zu Nest. Da nehm' auch ich zu guter Nacht Zur Hand die Geige mein; Das ist ein klingend' Nachtgebet, Und steigt zum Himmel ein. Myrthen. S ie brach ein Reis vom Hochzeitskranz, Und pflanzt' es gläubig ein: „Nun trage mir ein Kränzlein grün Für's künftige Töchterlein!“ Sind sechzehn Jahre wohl herum; Das Reislein wuchs heran, Hier sitzt das wackre Töchterlein — Fehlt nur der Freiersmann. Nelken. I ch wand ein Sträußlein Morgens früh, Das ich der Liebsten schickte; Nicht ließ ich sagen ihr, von wem, Und wer die Blumen pflückte. Doch als ich Abends kam zu Tanz Und that verstohlen und sachte, Da trug sie die Nelken am Busenlatz, Und schaute mich an und lachte. Damendienst. D ie Schleppe will ich dir tragen, Ich will deinem Wink mich weihn, An Festen und hohen Tagen Sollst du meine Königin sein! Deiner Launen geheimste und kühnste Gehorsam erfüll' ich dir; Doch leid ich in diesem Dienste Keinen Andern neben mir. So lang ich dir diene in Ehren, Gehöret dein Lächeln mein; Deinen Hofstaat will ich vermehren; Doch der Erste will ich sein. Duett. Tenor und Alt. M ehr in der Töne Schwellen Neigt sich die Seele dir; Höher schlagen die Wellen, Fluthen die Pulse mir. Fliehen und Wiederfinden, Wechselnde Melodie! Laß du die Seele schwinden, Sterben in Harmonie. Hörst du den Ruf erklingen, Rühren dein träumend Ohr? Weiße blendende Schwingen Tragen dich wehend empor. Selig, im Lichte zu schweben Ueber den Wolken hoch! Ließt du das süße Leben, Kennst du die Erde noch? Aber zum stillen Grunde Zieht es hernieder schon; Heimlich von Mund zu Munde Wechselt ein leiser Ton. Fernhin rauschen die Wogen, Schütze mein pochend Herz! Schon kommt die Nacht gezogen — Fühlst du den süßen Schmerz? Ritter und Dame. I . Z u den Füßen seiner Dame Liebestrunken sitzt der Ritter; Sprechend blitzen seine Augen, Schweigend ruhen seine Lippen. Am Balkone sitzt die Dame, Eine goldne Schärpe wirkt sie; Auf den Ritter blickt sie lächelnd, Und mit hellem Klange spricht sie: „Denket ihr auf Tod und Schlachten, Oder sinnt ihr Minnelieder? Wahrlich, eure stumme Weise Bleibt mir unerklärlich, Ritter! Schwört ihr erst in tausend Briefen, Tausend unerhörte Dinge Hättet ihr für meine Ohren, Und das Herz sei voll zum Springen! Fleht ihr erst in tausend Briefen Um ein heimlich einsam Stündchen! Wohl, die Stunde ist gekommen — Redet jetzt von tausend Dingen!“ Und der Ritter bricht das Schweigen: „Zürnt mir nicht, o Wonnemilde; Wisset, daß geheimer Zauber Bleiern mir die Zunge bindet. Nur ein Wink aus euren Augen, Nur ein Wort von euren Lippen, Nur ihr selbst, o meine Herrin, Könnt den argen Bann bezwingen.“ 2. U nd zum Andern sitzt der Ritter Seiner Herrin an der Seite; Von der Schulter glänzt die Schärpe Als ein freundlich Minnezeichen. Sieghaft schlingt er seine Arme Um den Leib des stolzen Weibes, Unaufhaltsam süße Worte Schwatzt er, und die Dame schweiget. Will zu einem halben Wörtchen Oeffnen sie der Lippen Zeile, Schließt er ihr den Mund mit Küssen, Und die Dame lauscht und schweiget. „Süße Herrin, unerklärlich Bleibt mir eure stumme Weise! Wollen eure rothen Lippen Gleiches zahlen mir mit Gleichem? Oder lernten diese Lippen Lieblicher die Zeit vertreiben? Gar behäglich ist das Schwatzen; Doch ein Andres ist gescheidter.“ Draußen auf den Mandelblüthen Ruht die Nacht im Mondenscheine; Unaufhaltsam schwatzt der Ritter, Und die Dame lauscht und schweiget. Gab sie hin des Blickes Zauber? Sprach sie aus die Zauberweise? Doch nicht fürder klagt die Dame Ueber ihres Ritters Schweigen. Die Stadt. U m grauen Strand, am grauen Meer, Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel deckt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai Kein Vogel ohn' Unterlaß; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. Doch hängt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber für und für Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer. 9 Bettlerliebe. O laß mich nur von ferne stehn, Und hangen stumm an deinem Blick; Du bist so jung, du bist so schön, Aus deinen Augen lacht das Glück. Und ich so arm, so müde schon, Ich habe nichts, was dich gewinnt. O wär' ich doch ein Königssohn, Und du ein arm' verlornes Kind! Vierzeilen. D u weißt doch, was ein Kuß bekennt? Sonst hör' du auf zu küssen! Ich dacht', er sei ein Sakrament, Das alle Völker wissen. U nd weißt du, warum so trübe, So schwer mir das Herz muß sein? Du hast mich geküßt ohne Liebe, Das wolle dir Gott verzeihn! D ie Lieb' ist wie ein Wiegenlied: Es lullt dich lieblich ein; Doch schläfst du kaum, so schweigt das Lied, Und du erwachst allein. 9* Das Harfenmädchen. D as war noch im Vaterstädtchen; Da warst du gar zierlich und jung, Ein süß' schwarzäugiges Dirnlein, Zur Liebe verständig genung. Und wenn dir die Mutter zu singen Und Harfe zu spielen gebot, So scheutest du dich vor den Leuten Und klagtest mir heimlich die Noth. „Wann treff ich dich wieder und wo doch?“ — „Am Schlosse, wenn's dunkel ist.“ Und Abends bin ich gekommen Und habe dich fröhlich geküßt. Sind sieben Jahr vergangen, Daß ich dich nicht gesehn; Wie bleich doch sind deine Wangen, Und waren so blühend und schön! Wie greifst du so keck in die Saiten Und schaust und äugelst umher! Das sind die kindlich scheuen, Die leuchtenden Augen nicht mehr. Doch kann ich den Blick nicht wenden, Du einst so reizende Maid; Mir ist, als schaut' ich hinüber Tief, tief in vergangene Zeit. Das hohe Lied. D er Markt ist leer, die Bude steht verlassen, Im Winde weht der bunte Trödelkram; Und drinnen sitzt im Wirbelstaub der Gassen Das schlanke Kind des Juden Abraham. Sie stützt das Haupt in ihre weiße Hand, Im Sturm des Busens bebt die leichte Hülle; Man sieht's, an dieser Augen Sonnenbrand Gedieh der Mund zu seiner Purpurfülle. Die Lippe schweigt, die schwarzen Locken ranken Sich um die Stirn wie schmachtende Gedanken. Sie liest vertieft in einem alten Buch Von einem König, der die Harfe schlug, Und liebefordernd in den goldnen Klang Manch zärtlich Lied an Zions Mädchen sang. Weihnachtsabend. A n die hellen Fenster kommt er gegangen Und schaut in des Zimmers Raum: Die Kinder alle tanzten und sangen Um den brennenden Weihnachtsbaum. Da pocht ihm das Herz, daß es will zerspringen; O, ruft er, laßt mich hinein, Was Frommes, was Fröhliches will ich euch singen Zu dem hellen Kerzenschein. Und die Kinder kommen, die Kinder ziehen Zur Schwelle den nächtlichen Gast; Still grüßen die Alten, die Jungen umknieen Ihn scheu in geschäftiger Hast. Und er singt: „Weit glänzen da draußen die Lande, Und locken den Knaben hinaus; Mit klopfender Brust, im Reisegewande Verläßt er das Vaterhaus. Da trägt ihn des Lebens breitere Welle — Wie war so weit die Welt! Und es findet sich mancher gute Geselle, Der's treulich mit ihm hält. Tief bräunt ihm die Sonne die Blüthe der Wangen Und der Bart umsprosset das Kinn; Den Knaben, der blond in die Welt gegangen, Wohl nimmer erkennet ihr ihn. Aus goldnen und aus blauen Reben Es mundet ihm jeder Wein; Und dreister greift er in das Leben Und in die Saiten ein. Und für manche Dirne mit schwarzen Locken Im Herzen findet er Raum; — Da klingen durch das Land die Glocken, Ihm war's wie ein alter Traum. Wohin er kam, die Kinder sangen, Die Kinder weit und breit, Die Kerzen brannten, die Stimmlein klangen, Das war die Weihnachtszeit. Da fühlte er, daß er ein Mann geworden; Hier gehörte er nicht dazu. Hinter den blauen Bergen im Norden Ließ ihm die Heimath nicht Ruh. An die hellen Fenster kam er gegangen Und schaut' in des Zimmers Raum; Die Schwestern und Brüder tanzten und sangen Ein Christlied am Taxusbaum.“ — Da war es, als würden lebendig die Lieder Und nahe, der eben noch fern; Um den Taxus tanzten Schwester und Brüder Und sangen ein Lied vom Herrn. Da kann er nicht länger das Herz bezwingen, Er breitet die Arme aus: „O schließet mich ein in das Preisen und Singen, Ich bin ja der Sohn vom Haus.“ Junge Liebe. Aus eigenem Herzen geboren, Nie besessen, dennoch verloren. I hr Aug' ist blau, nachtbraun ihr lockicht Haar, Ein Schelmenmund, wie jemals einer war, Ein launisch Kind; doch all' ihr Widerstreben Bezwingt ihr Herz, das mir so ganz ergeben. Schon lange sitzt sie vor mir, träumerisch Mit ihren Beinchen baumelnd, auf dem Tisch; Nun springt sie auf; an meines Stuhles Lehne Hängt sie sich, schmollend ob der stummen Scene. „Ich liebe dich!“ — „Du bist sehr interessant.“ „Ich liebe dich!“ — „Ach das ist längst bekannt! Ich lieb' Geschichten, neu und nicht erfunden — Erzählst du nicht, ich bin im Nu verschwunden.“ — „So hör'! Jüngst träumte mir“ — — „Das ist nicht wahr!“ — „Wahr ist's! Mir träumt', ich sähe auf ein Haar Dich selbst Straß auf und ab in Prachtgewändern An eines Mannes Arm gemächlich schlendern; Und dieser Mann“ — — „der war?“ — „der war nicht ich!“ — „Du lügst!“ — „Mein Herz, ich sah dich sicherlich — Ihr senktet Aug' in Auge voll Entzücken, Ich stand seitab, gleichgültig deinen Blicken.“ „Der Mutter sag ich's!“ ruft das tolle Kind, „Was für ein Traum!“ Da hasch' ich sie geschwind, Und diese frevelhaften Lippen müssen, Was sie verbrochen, ohne Gnade büßen. Dämmerstunde. I m Nebenzimmer saßen ich und du; Die Abendsonne fiel durch die Gardinen, Die fleißigen Hände fügten sich der Ruh, Von rothem Licht war deine Stirn beschienen. Wir schwiegen beid'; ich wußte mir kein Wort, Das in der Stunde Zauber mochte taugen; Nur nebenan die Alten schwatzten fort — Du sahst mich an mit deinen Märchenaugen. Frage. W enn einsam du im Kämmerlein gesessen, Wenn dich der Schlummer floh die lange Nacht, Dann hast du oft, so sprichst du, mein gedacht; Doch, wenn die Sonne kommen unterdessen, Wenn dir die Welt und jeglich Aug' gelacht, Hast du auch dann wohl jemals mein gedacht? Rechnenstunde. Du bist so ein kleines Mädchen, Und hast schon so helle Augen; Du bist so ein kleines Mädchen, Und hast schon so rothe Lippen! Nun schau mich nur an, du Kleine, Auch ich hab' helle Augen, Und laß dir Alles deuten — Auch ich hab' rothe Lippen. Nun rechne mir doch zusammen! Vier Augen, die geben? — Blicke! Und — mach' mir keinen Fehler! Vier Lippen, die geben? — Küsse! Zum Weihnachten. Mit Märchen. M ädchen, in die Kinderschuhe Tritt noch einmal mir behend! Folg' mir durch des Abends Ruhe, Wo der dunkle Taxus brennt. Engel knieen an der Schwelle, Hütend bei dem frommen Schein; Von den Lippen klingt es helle: Nur die Kindlein gehen ein! Doch du schaust mich an verwundert, Sprichst: „Vertreten sind die Schuh'; Unter alt' vergeßnem Plunder Liegt die Puppe in der Truh.“ Horch nur auf! Die alten Märchen Ziehn dich in die alte Pracht! Wie im Zauberwald das Pärchen Schwatzen wir die ganze Nacht. Von Schneewittchen bei den Zwergen, Wo sie lebte unerkannt, Und war hinter ihren Bergen Doch die Schönst' im ganzen Land. Von Hans Bärlein, der im Streite Einen Riesenritter schlug, Der die Königstochter freite, Endlich gar die Krone trug. Von dem Dichter auch daheime, Der ein Mädchen, groß und schlank, Durch die Zauberkraft der Reime Rückwärts in die Kindheit sang. 10 Junges Leid. U nd blieb dein Aug' denn immer ohne Thränen? Ergriff dich denn im kerzenhellen Saal, Hinschleichend in des Tanzes Zaubertönen, Niemals ein dunkler Schauer meiner Qual? O fühltest du's! Nicht länger kann ich's tragen; Du weißt, das ganze Leben bist du mir, Die Seligkeit von allen künftgen Tagen Und meiner Jugend Zauber ruht auf dir. In meiner Liebe bist du auferzogen; Du bist mein Kind — ich habe dich geliebt, Als fessellos noch deine Locken flogen, Als deine Schönheit noch kein Aug' getrübt. Ob du dich nimmer nach dem Freunde sehntest, Der Abends dir die schönen Lieder sang, Indeß du stumm an seine Schulter lehntest, Andächtig lauschend in den vollen Klang? O fühl' es nimmer, wie Vergangnes quäle! Doch wirst du's fühlen; weiß ich's doch gewiß An jedem Funken deiner, meiner Seele, Gott gab dich mir, als er dich werden hieß. O kehr' zurück, und wandle, was vergangen, In dunkle Schmerzen der Erinnerung! Noch blüht dein Mund, noch glühen deine Wangen, Noch ist mein Herz wie deines stark und jung. 10 * Käuzlein. Da sitzt der Kauz im Ulmenbaum, Und heult und heult im Ulmenbaum. Die Welt hat für uns beide Raum! Was heult der Kauz im Ulmenbaum Von Sterben und von Sterben? Und über'n Weg die Nachtigall, Genüber pfeift die Nachtigall. O weh, die Lieb' ist gangen all! Was pfeift so süß die Nachtigall Von Liebe und von Liebe? Zur Rechten hell ein Liebeslied, Zur Linken grell ein Sterbelied! Ach, bleibt denn nichts, wenn Liebe schied, Denn nichts, als nur ein Sterbelied Kaum wegbreit noch hinüber? Abschied. Mit Liedern . l . W as zu glücklich um zu leben, Was zu scheu um Klang zu geben, Was zu lieblich zum Entstehen, Was geboren zum Vergehen, Was die Monde nimmer bieten, Rosen aus verwelkten Blüthen, Thränen dann aus jungem Leide Und ein Klang verlorner Freude. 2. D u weißt es, Alle, die da sterben Und die für immer scheiden gehn, Die müssen, wär's auch zum Verderben, Die Wahrheit ohne Hehl gestehn. So leg' ich's denn in deine Hände, Was immer mir das Herz bewegt; Es ist die letzte Blumenspende, Auf ein geliebtes Grab gelegt. Ritornell . D unkle Cypressen, Die Welt ist gar zu lustig; Es wird doch Alles vergessen. Als Epilog . In hoc signo vinces. N och war die Jugend mein, die schöne, ganze, Ein Morgen nur, ein Gestern gab es nicht; Da sah der Tod im hellsten Sonnenglanze, Mein Haar berührend, mir in's Angesicht. Die Welt erlosch, der Himmel brannte trübe; Ich sprang empor entsetzt und ungestüm. Doch er verschwand. Die Ewigkeit der Liebe Lag vor mir noch, und trennte mich von ihm. Und heute nun — im sonnigen Gemache Zur Rechten und zur Linken schlief mein Kind; Des zarten Athems lauschend hielt ich Wache, Und an den Fenstern ging der Sommerwind. Da sanken Nebelschleier dicht und dichter Auf mich herab; kaum schienen noch hervor Der Kinder schlummerselige Gesichter, Und nicht mehr drang ihr Athem an mein Ohr. Ich wollte rufen; doch die Stimme keuchte, Bis hell die Angst aus meinem Herzen schrie. Vergebens doch; kein Schrei der Angst erreichte, Kein Laut der Liebe mehr erreichte sie. In grauer Finsterniß stand ich verlassen, Bewegungslos und schauernden Gebeins; Ich fühlte kalt mein schlagend Herz erfassen, Und ein entsetzlich Auge sank in meins. Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen, Und faßte mühsam meines Auges Kraft; Dann überkam vorahnend mich Vertrauen Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft. Und als ich fest den Blick zurückgegeben, Lag plötzlich tief zu Füßen mir die Welt; Ich sah mich hoch und frei ob allem Leben An deiner Hand, furchtbarer Fürst, gestellt. Den Dampf der Erde sah empor ich streben, Und ballen sich zu Mensch- und Thiergestalt; Sah es sich schütteln, tasten, sah es leben, Und taumeln dann, und schwinden alsobald. Im fahlen Schein im Abgrund sah ich's liegen, Und sah sich's regen in der Städte Rauch; Ich sah es wimmeln, hasten, sich bekriegen, Und sah mich selbst bei den Gestalten auch. Und niederschauend von des Todes Warte Kam mir der Drang, das Leben zu bestehn, Die Lust, dem Feind, der unten meiner harrte, Mit vollem Aug' in's Angesicht zu sehn. Und kühlen Hauches durch die Adern rinnen Fühlt' ich die Kraft, entgegen Lust und Schmerz Vom Leben fest mich selber zu gewinnen, Wenn Andres nicht, so doch ein ganzes Herz. — Da fühlt' ich mich im Sonnenlicht erwachen; Es dämmerte, verschwebte und zerrann; In meine Ohren klang der Kinder Lachen, Und frische, blaue Augen sahn mich an. O schöne Welt! So sei in ernstem Zeichen Begonnen denn der neue Lebenstag! Es wird die Stirn nicht allzusehr erbleichen, Auf der, o Tod, dein dunkles Auge lag. Ich fühle tief, du gönnetest nicht Allen Dein Angesicht; sie schauen dich ja nur, Wenn sie dir taumelnd in die Arme fallen, Ihr Loos erfüllend gleich der Creatur. Mich aber laß unirren Augs erblicken, Wie sie, von keiner Ahnung angeweht, Brutalen Sinns ihr nichtig Werk beschicken, Unkundig deiner stillen Majestät. I nhalt. Erstes Buch. Seite Octoberlied 1 Abseits 3 Weihnachtslied 5 Im Walde 6 Elisabeth 7 Lied des Harfenmädchens 8 Weiße Rosen 9 Loose 12 Noch einmal 13 Die Stunde schlug 14 Abends 15 Wohl fühl' ich, wie das Leben rinnt 16 Hyazinthen 18 Du willst es nicht mit Worten sagen 19 Dämmerstunde 21 Frauenhand 22 Die Zeit ist hin 23 Wohl rief ich sanft dich an mein Herz 24 Du schläfst 26 Seite Lucie 27 Einer Todten 29 Eine Fremde 32 Stündchen 33 Lehrsatz 35 Die Kleine 36 O süßes Nichtsthun 37 Gasel 38 Wer je gelebt in Liebesarmen 39 Nun sei mir heimlich zart und lieb 40 Schließe mir die Augen beide 41 Kritik 42 Sprich, bist du stark 43 Morgens 48 Zur Nacht 45 Die Kinder 46 Im Herbste 47 O bleibe treu den Todten 49 In böser Stunde 51 Und war es auch ein großer Schmerz 52 Zwischenreich 53 Vom Staatskalender 55 Gesegnete Mahlzeit 59 Von Katzen 59 Stoßseufzer 61 In der Frühe 62 Sturmnacht 63 Seite Waldweg 66 Eine Frühlingsnacht 69 März 71 Mai 72 Herbst 73 Hinter den Tannen 76 Silvia 77 Ein grünes Blatt 78 Zur Taufe 79 Morgane 80 Ostern 82 Nach Reisegesprächen 84 Auf dem Segeberg 85 Märchen . Märchen 89 In Bulemanns Haus 90 Tannkönig 94 Schneewittchen 98 Zweites Buch . Aeltere Gedichte . Die Herrgottskinder 113 Das Mädchen mit den hellen Augen 115 Fiedel-Lieder 117 Myrthen 120 Seite Nelken 121 Damendienst 122 Duett 123 Ritter und Dame 125 Die Stadt 129 Bettlerliebe 130 Vierzeilen 131 Das Harfenmädchen 132 Das hohe Lied 134 Weihnachtsabend 135 Junge Liebe 139 Dämmerstunde 141 Frage 142 Rechnenstunde 143 Zum Weihnachten 144 Junges Leid 146 Käuzlein 148 Abschied 149 Ritornell 151 Als Epilog . In hoc signo vinces 155