Muͤnchhausen . Eine Geschichte in Arabesken von Karl Immermann . Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem Cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphatem, Scyllamque et cum Cyclope Charybdim. Horatius . Vierter Theil . Duͤsseldorf, Verlag von J. E. Schaub . 1839 . Inhalt des vierten Theils . Seite An Ludwig Tieck I Siebentes Buch . Das Schwert Karl’s des Großen . Erstes Capitel . Seite Der Lendemain in einem Oberhofe 1 Zweites Capitel . Wie der Sammler und der Hofschulze sich aber- mals entzweiten 31 Drittes Capitel . Die Geschichte eines Geächteten 41 Seite Viertes Capitel . Der Hofschulze kommt wieder zu sich und Lisbeth schreibt an den Diaconus 67 Fünftes Capitel . Lisbeth und Oswald 79 Sechstes Capitel . Suchen und nicht Finden 87 Siebentes Capitel . Ein Trauerspiel im Oberhofe 92 Achtes Capitel . Wie der einäugige Spielmann seine Absicht bei einem leidenschaftlichen Juristen erreicht 101 Neuntes Capitel . Das Freigericht und was diesem folgte 110 Zehntes Capitel . Wie der Hofschulze und der Graf Oswald an ein- ander und aus einander geriethen 127 Eilftes Capitel . Eine Art von Feldzug 141 Seite Zwölftes Capitel . Aus dem Tode Leben 163 Achtes Buch . Weltdame und Jungfrau . Erstes Capitel . Worin der Diaconus vom Zufall und von der wahren Liebe spricht 175 Zweites Capitel . Worin ein humoristischer Arzt nützliche Wahrheiten über die Behandlung kranker Personen vorträgt 185 Drittes Capitel . Speisesaal und Krankenzimmer 195 Viertes Capitel . Die Leiden einer jungen Strohwittwe 213 Fünftes Capitel . Worin der Hofschulze seine letzte Rede über aller- hand wichtige Gegenstände hält 229 Seite Sechstes Capitel . Ernste und feierliche Erklärungen zwischen der Baronesse und dem Oberamtmann 248 Siebentes Capitel . Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer un- eigennützigen und entsagenden Liebe antwortete 259 Letztes Capitel . Fröhliche Siege 281 Anhang . Zwei Briefe 296 Druckfehler des vierten Theils . Seite 93 Zeile 8 lies: verspart statt: erspart . ‒ 114 ‒ 16 ‒ oben st. eben . ‒ 175 ‒ 15 ‒ welche st. welches . ‒ — ‒ 16 ‒ hinausgingen st. hinausging . ‒ 301 ‒ 6 ‒ Vernünftigen st. Vernünftige An Ludwig Tieck. Sie schrieben mir vor einigen Monaten und sprachen mir Ihre Freude uͤber den ersten Theil des Muͤnchhausen aus, den Sie damals gelesen hatten. Dieser Brief kam ganz frei aus Ihrer Seele, denn ich hatte es unterlassen, Ihnen ein Exemplar meines Buches zu senden. Er war mir unverhofft und eine freudige Ueberra- schung. Doppelt aber erfreute er mich. Denn einmal mußte es mir wohl sehr lieb seyn, daß Sie sich so an den Anfaͤngen meines Wer- kes ergoͤtzt hatten, dann aber zeugte die liebens- wuͤrdige Lebhaftigkeit Ihrer Worte von der fort- bluͤhenden Jugend, welche wie ein Kranz schoͤner Rosen Ihre ehrwuͤrdigen Schlaͤfen umschmuͤckt. Ich nahm mir gleich vor, Ihnen zu ant- worten und zu danken. Nachher aber uͤberlegte ich, daß der beste Dank die That ist und schwieg daher bis zur Vollendung des ganzen Werkes. Nun ist es fertig und ich widme Ihnen seinen Abentheurer und seine guten Menschen, seine Possen und seinen Ernst mit diesem letzten Theile. Daruͤber reden kann ich nicht; es wirke auf Sie, wie es eben die Kraft und Faͤhigkeit in sich besitzt. Aber einen offenen Brief schreibe ich Ihnen dazu vor dem Ange- sichte auch anderer Leser, denn Manches wollte ich Ihnen sagen, was sich in einem solchen doch noch besser ausnimmt, als unter einem Siegel, welches nur Ihre Hand erbraͤche. Immer habe ich mich am gluͤcklichsten gefuͤhlt, wenn mein freies Gemuͤth sich zum Schuldner fuͤr empfangene Wohlthat bekennen durfte. Die- ses reine Gluͤck empfinde ich auch jetzt, indem ich an Sie schreibe. — Man hat mich oft einen Nachahmer genannt, und der Tadel, der in dieser Bezeichnung liegt, mag meine fruͤhesten Versuche nicht ohne Grund getroffen haben, obgleich mich nie ein aͤffischer Trieb kitzelte, son- dern staͤts ein innerer Drang bewegte. Spaͤter, als mich Leben und Bildung gereift hatten, meine ich jederzeit ein Eigenes gebracht zu haben, wenn ich mich fremden Mustern anlehnte. Ich vermied keine Reminiscenzen, weil ich wußte, daß diese doch immer ein nur mir gehoͤriges Leben in mir aufgeweckt hatten. So moͤchte ich denn eher den Namen eines Schuͤlers fuͤr mich in Anspruch nehmen. Und in einer Zeit, worin so viele Meister, wie sie behaupten, vom Him- mel fallen, duͤrfte ein guter Schuͤler der Ab- wechselung halber kein ganz veraͤchtlicher Gast am Parnaß seyn. Auch zu Ihrem Schuͤler bekenne ich mich gern, freudig und oͤffentlich. Sie haben unter uns Deutschen einen ganz neuen Scherz erfun- den, Sie haben der Natur fuͤr manchen ihrer geheimsten magischen Toͤne die Zunge geloͤset, viele Beobachtungen und Erfahrungen haben Sie mitgetheilt, die vor Ihnen Niemand ge- macht hatte. Alles nun, was in mich von Ironie, Spott, Laune gelegt worden war, ein tiefes Beduͤrfniß, welches mich von meiner Kindheit her oft froh machte, oft auch aͤngstigte, die Signatur der stummen Dinge zu erkennen, endlich mein Verlangen, mich uͤber das eigenste Wesen der Dichter und der Buͤhne aufzuklaͤren — alles Das fand, wie haͤufig! bei Ihnen Lehre, Beispiel, Fuͤhrung. Ich verehre Sie als einen meiner Meister und in meinen guten Stun- den wage ich mir zu sagen, daß Ihnen der Schuͤler gerade keine Schande mache. Aber eine elegische Empfindung kann ich nicht bewaͤltigen, wenn ich an Sie denke. Sie stehen gefeiert, wuͤrdig, nachwirkend da, das ist wahr. Um eine Entfaltung jedoch hat das Mißgeschick der Umstaͤnde Sie und uns gebracht. Sie haͤtten der Vater des deutschen Lustspiels werden koͤnnen, wenn die Buͤhne Ihrer fri- schesten Zeit entgegengekommen waͤre, und dieses Lustspiel wuͤrde das groͤßte der modernen Zeiten geworden seyn. Denn nicht auf das Einzelge- schick eines Liebespaares, oder auf die Schilde- rung einer naͤrrischen Sitte, oder eines in der Verborgenheit sein Wesen treibenden Thoren kam es Ihnen an, sondern Ihre komische Muse laͤchelte uͤber die ganze Breite der Welt und der Zeit, sie schmuͤckte mit bunten Blumen, die sich dann wieder zauberisch in Schellen verwandelten, die oͤffentlichen Charaktere, sie fuͤhrte mit reizender Schalkheit, die wie Ehrfurcht aussah, komische Koͤnige und Helden im Triumphe auf. Wenn ich an die Kraft und Gewalt Ihrer Figuren mich erinnere, an den tiefsinnigen, freien, gro- ßen, unerschrockenen Humor in Octavian, Zer- bino, Kater, Daͤumchen, Blaubart, Fortunat und in der verkehrten Welt, so weiß ich nur ein Gegenbild zu diesem Lustspiele in der ganzen Geschichte der Poesie zu finden; es ist das des Aristophanes. — Ich habe oft Ihre Gedichte vorgetragen, und wenn es mir gelang, dem Dichter nachzukommen, so kann ich wohl sagen, daß empfaͤngliche Zuhoͤrer in einen bacchischen Taumel der Lust geriethen. Aber keine attische Buͤhne empfing Sie und brachte auf den Brettern Ihre Production zu der Fuͤlle und Vollreife, die nun einmal der Dramatiker nur gewinnen kann, wenn er seine Geschoͤpfe da droben auf dem Geruͤste in Fleisch und Blut umherwandeln sieht. Man sagte, diese Sachen seien sehr schoͤn, sehr witzig und ließen sich uͤberaus wohl anhoͤren, aber aufzufuͤhren seien sie nicht. Das war aber eine Unwahr- heit. Denn ich habe hier den Blaubart zwei- mal darstellen lassen. Ich hatte weniger Muͤhe von ihm, als zum Beispiel vom Gloͤckner von Notredame, die Schauspieler fanden sich bald hinein und spielten mit Lust und Liebe darin, was aber den Erfolg betrifft, so war dieser bei der ersten Darstellung ein entschiedener und bei der zweiten der allerglaͤnzendste. Wenig hatte das Stuͤck gekostet und viel brachte es ein. — Ich wollte nicht dabei stehen bleiben, sondern ich dachte schon an Fortunat, selbst an Daͤumchen und an das schnurrende Thier in Stiefeln. Aber die Duͤsseldorfer Buͤhne ging we- gen Mangels an Gunst, Schutz und Geld unter, und so blieben denn jene Gedanken Traͤume. Warum ich diese Saite hier beruͤhrt habe? Weil mir Ihr ganzes Bild vorschwebte und zu einem vollen Menschenleben die Entwickelungen und die Vereitelungen gehoͤren. Wenn ich mit Ihnen Mund gegen Mund reden durfte, so hatten unsere Gespraͤche immer einen Gehalt; eine gewoͤhnliche Dedications-Epistel konnte ich Ihnen daher nicht schreiben. Nehmen Sie meine Worte auf, wie ich sie gemeint habe, und vor allen Dingen — leben Sie noch lange, leben Sie munter und kraͤftig fort, sich und uns zum Segen! Duͤsseldorf den 20. April 1839, (an dem Tage, wo die letzten Seiten des Münch- hausen zu Ende geschrieben wurden.) Immermann . Siebentes Buch . Das Schwert Karl’s des Großen . Erstes Capitel . Der Lendemain in einem Oberhofe . Während des Hochzeitschmauses und des Tages, der darauf folgte, hatte der einäugige Spielmann im Eichenkampe nicht weit vom Oberhofe gesessen. Man brachte ihm Speise und Trank dorthin, er rührte aber nur wenig an und genoß auch dieses Wenige mit Widerstreben, etwa so viel, als hin- reichte, seinen wüthenden Hunger zu stillen. Die Stelle, wo sich dieser Mensch aufhielt, lag kaum fünf Schritte von der Straße ab, die durch den Kamp führte, sie war von den dicksten und höch- sten Stämmen überstanden, deren Einer mit seinen gewaltigen Wurzelknorren eine natürliche Brustwehr vor dem Erdreich bildete, welches hinter ihm in eine Vertiefung ablief, auf deren Rande man be- quem sitzen konnte. Dort saß denn auch der Spielmann und sah beharrlich lauernd nach dem Hause hinüber. Zu- weilen erhob er sich mit halbem Leibe, um aufzu- stehen, und dieß geschah, wenn sich eben Niemand in der Thüre und im Flure des Oberhofes blicken ließ, aber bei dem Ab- und Zulaufen der Men- schen dauerte das immer nur einen Augenblick. Sobald wieder Menschen sichtbar wurden, setzte er sich immer wieder unwillig hin. Auch drehte er zuweilen heftig an seinem Leierkasten, worauf dieser widerwärtige Töne von sich gab, die pfeifend und heulend ausklangen. Darüber machten die Leute, die eben vorbeigingen, (und es gingen Viele an jenem Tage durch den Eichenkamp) ihre groben Späße, und Einer oder der Andere sagte, der Patriotencaspar pfeife aus dem letzten Loche. Doch äußerte sich so meistens nur das junge Volk, dessen Erinnerung den Spielmann bloß als eine lächer- liche Gestalt kannte; die Alten bekümmerten sich hier so wenig um ihn als anderer Orten, wenn sie ihm zufällig begegneten. Die Späße der jun- gen Leute ließ der Patriotencaspar ruhig und ohne Erwiederung an sich vorübergleiten, oder höchstens zwinkerte er dazu mit seinem unversehrt gebliebenen Auge. Ging aber ein Alter vorbei, der gar nicht that, als ob er, der Patriotencaspar, der die alte Orange in Schonhoven mit hatte vermolestiren helfen, da sitze, so ballte er grimmig in dessen Rücken die Faust und murmelte: Ihr Schubjacken! aber ich werde Euren Obersten schon … Was ihm am Tage mißlungen war, näm- lich in das Haus einzudringen, das meinte er, werde ihm in der Dunkelheit des Abends glücken. Aber er hatte sich getäuscht. Denn als es finster wurde, begannen ein Paar Mägde vor dem Hause ein Topfwaschen und Kesselscheuern, welches bis spät dauerte und ihn verhinderte, unbemerkt hineinzuschlüpfen. Als diese mit dem letzten Kessel fertig waren, hatten inzwischen zwei Betrunkene sich in die Thüre gestellt, wovon der Eine dem Anderen seinen Prozeß klar machen wollte, den er seit mehreren Jahren über eine Durchgangsgerech- tigkeit führte. Der Andere sagte nach jedem Satze seines Nachbarn: Verstanden, und fragte darauf: Wie war es aber eigentlich? Der Prozeßführende wiederholte dann seinen Satz, der Andere noch einigemale sein verstehendes und fragendes Wort; so rückte die Geschichte äußerst langsam vor und es war kein Ende derselben abzusehen. Dabei hatten die Beiden noch gerade so viel Besinnung, um Jeden, der zwischen ihnen durch in die Thüre gehen wollte, mit heftigen Gebärden zurückzuweisen, weil sie, in die Prozeßgeschichte vertieft, behaupte- ten, hier sei keine Durchgangsgerechtigkeit. Weß- halb denn auch Mehrere, die sich mit jener Absicht ihnen näherten, um Streit zu vermeiden, zurück und neben dem Hause vorbei nach der Hofthüre gingen, der Spielmann aber die Ausführung des Vorsatzes, der ihn an seine Stelle fesselte, aufge- ben mußte, so lange die Betrunkenen da standen. Endlich, es war schon Mitternacht, kam ein Dritter vom Flure nach der Thüre gegangen, faßte, ohne ein Wort zu sagen, die Beiden von hinten am Kragen, zog sie zurück und in den Flur, schlug aber darauf sogleich die Thüre zu und verriegelte sie von inwendig. Sie wurde nachmals nicht wie- der aufgethan. Die Hochzeitgesellschaft verlor sich gegen Ein Uhr Nachts und der Oberhof lag nun in dunkelen Schatten still und lautlos da. Jetzt erhob sich der Spielmann von seinem Sitze und umschlich das ganze Gehöfte tückischspähend wie eine Katze, um irgendwo eine offenstehende Lucke oder sonst eine vergessene Oeffnung zu finden, durch welche er eindringen könnte. Aber es wollte sich nichts dergleichen finden, und als er an der niedrigsten Stelle der Hofesmauer sich bereitete, überzusteigen, erhoben die Hunde im Hofe ein solches Gebell, daß er befürchten mußte, es möge Jemand im Ge- höfte wach werden. Er wich daher auf den Zehen und die Zähne zusammenbeißend zurück und ging wieder, seine Flüche verschlingend, nach der Sitz- stelle im Eichenkampe, wo er nun eben so hart- näckig in der Nacht ausharrte, wie bei Tage. So saß dieser Mensch einen ganzen Nachmittag, einen Abend und mehrere Stunden der Nacht hin- durch, erpicht auf sein Vorhaben. Und gleichwohl war dieses nicht auf ein großes Verbrechen oder auf einen reichlichen Vortheil gerichtet; er wollte dem Hofschulzen weder seine Geldsäcke rauben, noch ihm das Haus über dem Kopfe anzünden, sondern nur ihm einen Schabernack anzuthun übte der Feind des Reichen eine solche zähe Beharr- lichkeit. Gegen vier Uhr Morgens endlich, als die Ge- gend noch im halben Dämmer lag, wurde die Thüre aufgestoßen, ein Knecht kam herausgegangen um Wasser zu holen und diesen Augenblick benutzte der Lauerer, um in das Haus zu schlüpfen. Er lief über den Flur und die Treppe hinauf, sich vorläufig zu verbergen und während des Tages, wann, wie er vorher wußte, der Oberhof von allen Bewohnern verlassen werden würde, mit seiner Beute zu entkommen. Nachdem es heller Morgen geworden war, ging der Hofschulze, zwei große Geldsäcke tragend von dem oberen Theile des Hauses nach der Stube unten neben dem Flure und hinter ihm drein ging der Schwiegersohn. Dort setzten sich Beide schweigend, wie gestern bei allen wesentlichen Stü- cken der Hochzeit, an einen großen Tisch. Jeder von ihnen öffnete einen Sack und zählte aus dem- selben dreitausend Thaler in harten runden Thalern auf. Es störte den Hofschulzen nicht, daß mehrere Hausgenossen und auch einige Nachbarn, welche sich schon im Hofe eingefunden hatten, vom Flure aus, oder in der Thüre der Stube stehend, diesem Aufzählen zusahen. Vielmehr schien es ihm lieb zu seyn, Zeugen bei dieser Handlung zu haben, die seinen Reichthum darthat, wie ein hin und wieder zur Seite geworfener stolzer und schmun- zelnder Blick andeutete. Das ganze Geschäft nahm wie es begonnen worden, seinen Fortgang und er- reichte auch so seine Endschaft; nämlich beide Haupt- personen redeten kein Wort mit einander während des Geldzählens. Als sechstausend blanke Thaler auf dem Tische lagen und von dem Schwiegersohne sorgfältig nachgesehen worden waren, schrieb dieser stumm die Quittung über die empfangene Mitgift und reichte seinem Schwiegervater den Schein, ohne Dank zu sagen, hin, strich sodann das Geld wieder in die beiden Säcke ein und setzte sie zur vorläufigen Verwahrung in einen Wandschrank, der sich in der Stube befand und von welchem er die Schlüssel zu sich steckte. Der alte Schmitz hatte das Geschäft unter- brechen wollen und war mit der Aeußerung, daß er nach der Stadt zurück wolle, vorher aber seine Sache mit dem Hofschulzen in Ordnung bringen müsse, zu diesem in die Stube getreten. Der Hofschulze verweigerte jedoch heute wie gestern, ohne von seinen Thalern aufzusehen, jede Ein- lassung, bis das ganze Plaisir, wie er sich aus- druckte, zu Ende seyn werde, worauf er gern Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 2 über Alles und Jedes zu Dienst stehen wolle. Denn zwei Sachen zu gleicher Zeit zu treiben, war nicht sein Ehrgeiz, er brachte immer erst eine vollständig zu ihrer Richtigkeit, ehe und bevor er eine Andere angriff, und mit diesem Grundsatze war er zu den guten Umständen gelangt, in denen wir ihn kennen gelernt haben. — Der alte Samm- ler entfernte sich verdrießlich und ging nach einem Stalle, worin er Etwas hatte niedersetzen lassen, dessen Besitz jetzt seine Seele drückte. Er sah es unter wehmüthigen Gedanken an und wünschte sehnlich das Ende des Plaisirs herbei, welches für ihn kein Plaisir war, weil es die Qual der Unentschiedenheit für ihn verlängerte. Von der Regel, nur ein Geschäft zu derselben Zeit zu treiben, machte indessen der Hofschulze in Betreff der kranken Blässe eine Ausnahme. Er begab sich ungeachtet der noch bevorstehenden Hoch- zeitvergnügungen zu dem Thiere, sah nach, ob ihm auch die Hausmittel gereicht würden, die er verordnet hatte, schaute es mitleidig an, schüttelte den Kopf, streichelte ihm sanft die Weichen und behandelte es überhaupt viel zärtlicher, als seine Tochter oder seinen Schwiegersohn. Leider schien diese Sorgfalt wenig zu verschlagen, da der Zaun- pfahl die Kuh zu hart berührt hatte. Sie stöhnte noch erbärmlicher als gestern. Ueber den rothhaa- rigen Knecht fühlte er den heftigsten Verdruß, denn er hatte dessen Gewaltsamkeit noch spät in der Nacht vor dem Schlafengehen erfahren. So- gleich hatte er dem Menschen den Dienst aufgesagt. Als er ihn daher jetzt ansichtig wurde, rief er heftig: Was treibst du dich hier noch umher? Ich wollte Euch nur fragen, Baas, ob es Euch ein Ernst gewesen ist mit dem Aufsagen? versetzte der Rothhaarige. Wenn ich aufsage, so heißt das Aufsagen und wenn ich nicht lache, so ist das kein Spaß, erwie- derte der Hofschulze. Es ist aber Unrecht, daß wenn man den besten Willen hat zur Lustbarkeit und dafür sorgen will, daß Alles recht schön wird, man aufgesagt kriegt, antwortete der Rothhaarige. Wenn ich einer Creatur, die in ihrer Unver- nunft keinen Begriff davon hat, daß Hochzeit ist, die Rippen im Leibe caput schlage, so hilft das nicht absonderlich zur Lustbarkeit, versetzte der Hof- schulze kaltblütig. — Genug, du bist aus dem Dienste 2* und kannst froh seyn, daß ich dir nicht den Scha- den vom Lohne abziehe, wie Rechtens wäre. Der Rothhaarige bat hierauf seinen gewesenen Herrn nur um die Vergünstigung, wenigstens noch ein Paar Tage im Hofe bleiben zu dürfen, da es ihm gar zu despectirlich sei, gerade auf einer Hoch- zeit fortgejagt worden zu seyn. Diese Erlaubniß gab ihm der Hofschulze, jedoch unter der Bedin- gung, daß er sich nicht in den heutigen Zug mische, denn er wolle ihn, sagte er, bei dem Plaisir nicht vor Augen haben. Der Rothhaarige setzte sich mit einem giftigen Blicke auf einen Schemel im Flur, nicht weit von der kranken Blässe, deren Qualen ihm durchaus keine Gewissensbisse aufzuregen schie- nen. Er greinte und sagte halblaut für sich: Könnte ich dem alten Hunde noch zu guter Letzt einen rechten Possen spielen, so würde mir das eine wahre Herzerquickung seyn. — Der Hof- schulze ging mit den Worten: Es muß Alles mit Manier behandelt werden, selbst ein Vieh — zu sei- nen Gästen, die sich schon wieder in bedeutender Anzahl zu versammeln angefangen hatten, und den Platz vor dem Hause nach dem Eichenkampe zu trinkend und rauchend erfüllten. Denn heute war der Tag, an welchem die Neu- verheirathete mit uralt hergebrachter Feierlichkeit in ihr künftiges Wohnhaus eingeführt werden mußte. Zu dieser Feierlichkeit gehörte eine Fahne, viel Schießgewehr, abermals ein Schmaus, jedoch diesesmal im Gehöfte des jungen Ehemannes und wieder das Spinnrad, welches bei der Hochzeit seine Dienste geleistet hatte. Der Hochzeitbitter befestigte an einer Stange, von welcher bunte Bänder herabflatterten, ein großes weißes Leintuch und richtete so die Fahne zu. Gegen dreißig junge Burschen hatten Flinten bei sich, diese luden sie mit grobem Schrot oder auch mit Kugeln, sich in lauter und geräuschiger Art vermessend, daß sie der Fahne tüchtig eins versetzen wollten. Die eine Brautjungfer brachte das Spinnrad getragen und endlich erschien die Braut in ihrem gestrigen Putze, gar sehr verschämt, nichts destoweniger aber immer noch mit der Braut- krone geschmückt, obgleich sie von den Anwesenden unter derben Scherzreden als Jungefrau begrüßt wurde. Nun ordnete sich der Zug und setzte sich nach dem Gehöfte des Schwiegersohnes in Bewe- gung. Der Bursche mit der Fahne marschirte an der Spitze, sodann folgte das Ehepaar, diesem schlossen sich Die mit den Flinten an, und darauf schritt der Brautvater einher, den übrigen Hoch- zeitgästen zuvor. Von den städtischen Gästen erschien nur der alte Schmitz im Zuge. Denn die Uebrigen, der Diaconus, der Hauptmann und der Küster waren nach der Stadt zurückgekehrt. Der Küster war kein Freund vom Schießen, am wenigsten machte ihm eine solche Ergötzlichkeit Freude, wenn scharf geladen war. Er pflegte daher an dem zweiten Tage der bäuerlichen Hochzeiten jederzeit eilige und unaufschiebbare Geschäfte vorzuschützen, um sich mit Anstand entfernen zu dürfen. Am dritten Tage kehrte er dann mit seiner Magd in das Hoch- zeithaus zur Abholung des ihm gebührenden Bün- dels zurück. Heute hatte er noch einen besonderen Grund gehabt, sich schleunigst fortzubegeben. Denn von Agesel, der sich auch heiter und rüstig An- fangs unter den Festgenossen auf dem Platze be- funden hatte, war ihm mit einem der unheimlich- sten Blicke, wie ihn wenigstens bedünkte, das ver- hängnißvolle Wort zugeraunt worden: Ich muß Sie durchaus im Vertrauen sprechen, Herr Amts- bruder! — Grund genug, seine Schritte stadt- wärts zu beflügeln. Was den Diaconus betrifft, so hatte er vor seiner Abreise das junge Paar, welches er so un- erwartet vor dem Altare gefunden, sprechen wollen, um mit ihnen über ihre Zukunft zu berathen, die ihm freilich, nachdem er von der Ueberraschung jenes Augenblicks zum Bedenken zurückgekommen war, sehr zweifelhaft aussah. Er erstaunte, als er hörte, daß der Jäger abwesend und Lisbeth unpaß sei. Indessen hatte er wirkliche Geschäfte in der Stadt, wie der Küster erdichtete, und deß- halb konnte er nicht länger außerhalb verweilen. Er verließ sich darauf, daß die jungen Leute zu ihm kommen würden, und daß dann das Nöthige überlegt werden könnte. Manche Sorge machte ihm das liebliche Verhältniß; er sah, da er den Stand des Jägers kannte, nicht ein, wie aus jener Liebe sich ein Bund für das Leben gestalten sollte. Agesel trennte sich, sobald der Zug den Platz vor dem Hause verließ, von den Anderen, denn auch ihn riefen nähere Interessen ab. Er ging nach dem Schulhause, welches zu beziehen er ge- gründete Aussicht hatte, besichtigte das Gebäude oder vielmehr das Baufällige, welches ein Haus vorstellen wollte, maaß den Weidefleck ab und verglich dessen Flächeninhalt mit dem Hackelpfiffelsberger. Diese Untersuchung lieferte ein günstiges Ergebniß. Er hatte hier drei Quadratruthen mehr als dort, worauf sich immer noch eine Gans mit satt fressen konnte. Während des Abmessens hing er seinem Plane nach, den er in den Worten zu dem Küster angedeutet hatte. Als der Zug über die nächsten Umgebungen des Oberhofes hinaus war, wurde es in diesem ganz still, so daß man die Fliege an der Wand gehen hören konnte, denn auch die Knechte und Mägde waren nach der Snaat Die Umgrenzung des zu einem Hofe gehörigen Feld-, Wie- sen- und Baumgrundes. des Schwieger- sohnes gelaufen. Nur der rothhaarige Knecht saß grollend unten im Flur bei den Kühen. Er war ein wilder tückischer Kerl und seine Gedanken gin- gen in dieser Einsamkeit von einem Frevel zum anderen. Er blickte das Feuer auf dem Kochheerde an und sagte: Wenn ein Brand davon in das Stroh des Stalles geschleudert würde, so flöge der rothe Hahn dem Alten auf das Dach, und es würde dennoch immerhin heißen, ein Funken sei zufällig, da kein Mensch auf das Feuer Acht ge- habt, in das Stroh gesprungen. — Nach dem Wandschranke, worin die Mitgift stand, sah er und murmelte: Ein tüchtiger Beilschlag und der Deckel spränge auf und Unsereins hätte sechstausend Tha- ler, womit sich weit außer Landes kommen läßt. Da fragt kein Kuckuck nach Einem. — Ihn überlief es heiß, er streckte zuweilen seine Hand nach dem Feuer aus und zuweilen erhob er sich dann wieder vom Schemel, als wollte er nach der Stube gehen, worin sich der Wandschrank befand. In diesen gefährlichen Gedanken horchte er plötz- lich auf, denn oben an der Treppe hörte er Ge- räusch, als ob Jemand sacht über den Gang schleiche nach der Treppe zu. Er stand auf und schlich ebenfalls sacht nach dem Treppenfuße, um zu sehen, wer denn da oben so verstohlen zu gehen genöthiget sei. Man konnte nämlich von unten den Raum des Ganges zunächst der Treppe überblicken. Nicht lange währte es, so blickten zwei überraschte Ge- sichter einander an, von denen Eins blitzschnell den Ausdruck des größten Schrecks und Entsetzens an- nahm. Der Knecht sah nämlich zu dem Spielmann auf, der einen langen mit einem Tuche umwickel- ten Gegenstand unter dem Arme vorsichtig nach der Treppe geschlichen kam und schon den einen Fuß auf deren erste Stufe gesetzt hatte, als er den Blick hinunterwerfend, Den unten ansichtig ward, den er freilich weit vom Hofe bei dem Schießen um die Snaat vermuthend gewesen war. Einige Augenblicke standen die Beiden, die einan- der unwillkommene Zeugen wurden, der Eine des ausgeführten, der Andere des vorgesetzten Frevels, glotzend einander gegenüber, der Eine oben, der Andere unten. Dann aber sprang der Spielmann zurück, und der Knecht hörte ihn die Treppe nach dem Söller hinauflaufen. — Der Kerl hat stehlen wollen! rief der Knecht und stürzte die Treppe hinauf. In jenem vielversprechenden Fragmente des Faust, welches Lessing hinterlassen hat, erklärt der Magus den Geist der Hölle für den schnellsten unter Allen, welcher von sich rühmt, daß er so schnell sei, als der Uebergang vom Guten zum Bösen. Aber auch einen Engel giebt es, der die- sem Teufel die Spitze bietet, er wirkt die Ueber- gänge vom Bösen zum Guten, oder wenigstens zum minder Schlimmen, und diese sind in der Menschenbrust, selbst in der rohsten, oft nicht lang- samer als die Werke jenes Teufels. Der rothhaarige tückische Knecht, welcher noch so eben selbst an Mordbrennerei und Raub gedacht und sich in dem Augenblicke, wo er den Spielmann erblickte, nur geärgert hatte, daß sein Vorhaben durch einen Lauscher vereitelt werde, hegte schon in der zweiten Hälfte des nämlichen Augenblicks keinen anderen Gedanken, als daß der Spitzbube von Spielmann seinen Herrn bestehlen wolle, und daß er, der Knecht, das nicht leiden dürfe, son- dern den Dieb festnehmen und dem Hofschulzen überliefern müsse. Er stürzte also die Treppe hinauf, fiel vor übergroßer Eile über einen Kasten, der oben auf dem Gange stand, so, daß er sich vor Schmerz nur langsam aufrichten konnte, ließ aber dennoch von seinem Vorsatze nicht ab, sondern setzte die Verfolgung fort, wenn auch langsamer, als er sie angefangen hatte. Oben auf dem Söller kam ihm der Spielmann aus der Ecke, worin sich der Verschlag des Jägers befand, entgegen. Der Knecht, dessen Arme von dem Falle nicht gelitten hatten, packte ihn bei der Schulter, dergestalt, daß der Spielmann wie eine Jacke ohne körperlichen Inhalt hin und her flog, und rief: Hallunke, was hast du gestohlen? Nichts, versetzte der Spielmann, der ungeachtet aller Angst vor dem baumstarken Knechte den Trotz beibehielt, der solchen Leuten in solchen Lagen eigen zu seyn pflegt; seht Ihr etwas bei mir? — Wirklich trug der Spielmann nichts mehr unter dem Arme. Der Knecht untersuchte seine Klei- dungsstücke, aber auch in denen war nichts zu entdecken. Außer der alten grauen Jacke, den zerrissenen und geflickten Hosen und seinem eigenen armseligen Leibe führte er nichts an und bei sich. Der Knecht ließ die Hände sinken und sah aus wie Einer, der nicht weiß, was er thun oder denken soll. Der Spielmann, dessen Zuversicht wuchs, je unschlüssiger er den Knecht werden sah, sagte keck: Nun, habe ich gestohlen? — Ich weiß nicht, ver- setzte der Rothhaarige, wohin du es abgeworfen hast, aber ich will dich prügeln, daß dir die Seele aus dem Leibe geht, damit du mir die Stelle anzeigst. Gut, rief der Spielmann, der sich nicht ein- schüchtern ließ, prügelt mich nur ab, prügelt einen unschuldigen Menschen nur ab, Eurem Herrn zu Gefallen, der Euch aus dem Dienste jagte! — Er hatte von seinem Versteck das Gespräch zwi- schen dem Hofschulzen und dem Rothhaarigen gehört. Diese Erinnerung warf den Knecht auf die andere Seite hinüber. Nein! rief er mit einem Fluche, stehlen soll zwar Keiner bei ihm, so lange ich noch im Hofe bin, denn dafür bin ich sein Knecht, aber zu Gefallen thue ich ihm auch nichts, denn dazu hat er mich zu schlecht behan- delt. — Nun denn, so laßt mich laufen, sagte der Spielmann. Sprich, was du begangen hast, Kerl, und du sollst laufen, versetzte der Knecht. Der Spielmann sah sich um, als fürchte er selbst hier einen Lauscher, dann murmelte er dem Knechte in’s Ohr: Einen Schabernack habe ich dem Hofschulzen anthun wollen, und, wie ich hoffe, auch angethan. Sonst habe ich nichts wi- der ihn vorgenommen, noch vornehmen wollen. Der Knecht dachte nach. — Vor Schabernack brauche ich den Alten nicht zu bewahren, sondern nur vor Stehlen, Brennen und Viehschaden; das ist meine Obliegenheit. — Dann gab er dem Spiel- mann einen Streich mit der Hand und rief: Lauf, du Hund! — Der Spielmann folgte dieser Wei- sung und sprang behende die Söllertreppe hinunter. — Der Rothhaarige hinkte ihm langsam nach. Unten im Flure sagte er: Wenn der Baas ein Stück Schabernack hat, so kann es mir ganz recht seyn, wofern er nur nicht an Geld oder Gut be- schädiget wird. Denn „hilf dir zuvor selber, ehe du Andere arzeneiest“. Diesen Spruch hat er mir letzte Martini mitgetheilt und danach halte ich mich nun. Ich helfe mir zu allererst selber und meiner Bosheit auf ihn durch den Schabernack, den ihm der blinde Hallunke angethan hat. — Hier- auf setzte er sich wieder, wo er gesessen hatte, als ob nichts vorgefallen wäre; entschlossen, um keinen Preis etwas von dem geheimen Besuche des Pa- triotencaspar’s im Oberhofe zu verlautbaren. Zweites Capitel . Wie der Sammler und der Hofschulze sich abermals entzweiten . Der Hochzeitzug umging indessen die Snaat des Schwiegersohnes. Die Menschen schrien und jauchzten, von häufig genossenen geistigen Geträn- ken erregt, dazwischen knallten die Gewehre, wo- mit die jungen Burschen nach dem Tuche der Fahne zielten, und so oft ein Schuß traf, erhob sich ein noch lauterer Jubel, denn es ist ein Ehrenpunct bei diesem Brauche, daß die Fahne ganz zerschossen in das Haus der jungen Eheleute gelangt, weil der Umstand für ein günstiges Vorzeichen gilt. Alles war heute wilder und stürmischer als gestern, denn die Bauern lieben es, die letzten Augenblicke einer Festesfreude besonders gierig auszukosten. Das Firmament spielte bei dieser heftigen und lärmenden Scene mit. Der Zug um das weitläuftige Gelände dauerte, da er nur im lang- samen Schritt vorrückte, mehrere Stunden, und schon hatte sich der Haarrauch herbeigemacht, der bald Alles in seine Nebel hüllte. Die Bauern waren über den alten Bekannten durchaus nicht ver- drießlich, vielmehr steigerte der Schwaden, Qualm und Geruch ihre Lust. Wie nun so die Gestalten grau durch den Nebel zogen, das Jauchzen aus dem Schwaden hervorbrach und die Blitze von den Schüssen gelbröthlich in dem Qualme zuckten, be- kam das Ganze etwas Schattenhaftes, und es war, als ob Götze Krodo mit seinem Koboldsge- folge emporgestiegen sei und unter Knall und Ge- prassel von seiner alten Domaine Besitz nehme. Auf diese Weise wurde der jungen Frau ihr Eigenthum gezeigt. Die Fahne kam, kaum noch aus Fetzen bestehend, in das Haus des Schwie- gersohnes und Alles hatte sonach einen guten An- schein. Es war über dem Zuge zwei Uhr Nach- mittags geworden und die ganze Hochzeitgenossen- schaft setzte sich nun im Hause der neuen Gatten abermals zu einem derben Schmause nieder, man kann denken, mit welcher Eßlust. Dießmal wurde das Essen durch keine vornehmen und sonstigen fremd- artigen Einwirkungen gestört; die Bauern waren rein unter sich und thaten nichts als essen und trinken. Nach dem Schlusse des Mahles erfolgte die letzte Handlung in diesem Festdrama. Die junge Frau hatte nämlich jetzt noch die Gaben einzuneh- men. Sie erhob sich mit feierlicher Miene von der Speisetafel, setzte sich an einen Tisch zur Seite, ließ Spinnrad und Haspel neben sich stellen, schlug zwei ihrer Röcke, deren sie mehrere trug, über den Schooß zurück, und erwartete so, die Augen niedergeschlagen, die Spenden der Gäste. Diese standen Einer nach dem Anderen eben so feierlich auf, gingen zu ihr, und legten ein Jeder schwei- gend einige Groschen ihr unter die zurückgeschlage- nen Röcke. Einige legten auch Naturalien auf den Tisch vor ihr; ein Huhn, einen Kuchen, ein Mandel Eier, oder sonst dergleichen. Nachdem Jeder seine Gabe dargebracht hatte, ging die Be- schenkte Reihe herum bei den Gästen und dankte einem Jeden derselben mit den nämlichen Worten. Nun war sie erst wirkliche Hausfrau im Jürgens- erbe (so hieß der Hof des Schwiegersohnes) gewor- den. Sie legte ihre Brautkrone ab und tanzte Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 3 als Frau in dem Reigen mit, der nun zum Schlusse der Hochzeit im Baumgarten begann. Während des Tanzes sprach der Hofschulze leise und eifrig mit einigen Bauern. Es waren die Besitzer der reichsten Nachbarhöfe. Sie nickten und sagten: Es bleibt dabei, wir kommen Alle. — Hierauf nahm er den Schwiegersohn bei Seite und flüsterte ihm zu: Vergiß nicht … zu morgen … die Loosung … — Ich werde es wahrhaftig nicht vergessen, denn ich trage das größte Begehren danach; der Haar- rauch kommt wie gerufen, so bleibt Alles in der Heimlichkeit, versetzte der Schwiegersohn. Der alte Schmitz hatte ungeduldig in der Nähe gewartet. Sobald der Hofschulze von seinem Ei- dam zurücktrat, ging der Sammler auf ihn zu und sagte ihm mit einer zugleich mürrischen und ver- legenen Miene, daß es nun wohl endlich an der Zeit sei, ihr Geschäft abzumachen. Allerdings kann nun das Geschäft vor sich gehen, denn der Tanz ist nur noch ein Plaisir für die jungen Leute, erwiederte der Hofschulze. Was ist es denn, Herr Schmitz? Nicht hier, versetzte der Sammler. Zwar möchte ich gern von hier abgehen, denn ich muß doch wieder durch, wenn ich nach der Stadt will und deßhalb hätte ich gewünscht, heute Morgen auf dem Oberhofe die Sache richtig zu machen. — Dort aber muß sie vorgenommen werden, weil ich das Meinige gleich mit mir nehmen will. — Er sagte die letzten Worte mit sichtlicher Ueberwindung. Auch dieses, antwortete der Hofschulze. — Die beiden alten Leute gingen nebeneinander nach dem Oberhofe. Der Sammler sprach fast gar nicht und der Hofschulze nur Weniges. — Dazu gehörte, daß er sagte, er sei von Herzen froh, daß das Plaisir seine Endschaft erreicht habe, denn nach den ersten Confusionen und Tumulten, die sich zugetragen, habe ihm immer ein Druck am Her- zen gesessen, als müsse ein großes Malheur bevor- stehen. Es ist bekannt, daß Ihr an Ahnungen glaubt, Hofschulze, sagte der alte Schmitz. Von Ahnungen weiß ich nichts Sonderliches, erwiederte der Hofschulze kalt. — Aber Vorge- schichten giebt es, fuhr er sehr ernsthaft fort. — So habe ich damals Anno Zwölf die ganze russische Armee über den Hellweg ziehen sehen, als ich auswärts gewesen war und nach Hause ging. 3* Es war wohl um die Mitternachtsstunde, Hof- schulze? Nein, Nachmittags um vier Uhr bei trübem Wetter im September, mich dünkt, gerade um die Zeit, als der Franzose in Moskau einzog; Herr Schmitz. Dergleichen ist nun purer Aberglaube! rief der alte Schmitz, welchem ein Streit mit dem Hof- schulzen vielleicht angenehm gewesen wäre, um sich für das, was bevorstand, in Feuer zu jagen. Der Hofschulze blieb aber ganz freundlich und erwiederte gelassen: Nein, eine Gabe Gottes, Herr Schmitz. Unter diesen Reden waren sie nach dem Ober- hofe gekommen. Der Alte stutzte einigermaßen, als sein Gast ihn bat, mit ihm zu den Ställen zu gehen, und noch mehr befremdete es ihn, da er wahrnahm, daß dieser kaum ein Zittern verbergen konnte. Wie wuchs aber sein Erstaunen, als der Sammler die Thüre des Hühnerstalls aufriß, heftig mit der Hand hinein deutete und erstickten Tones rief: Da steht Eure Amphora und ich bitte mir da- gegen meinen Schein aus! Wirklich sah der Hof- schulze im Stalle den Weinkrug stehen, der schon einmal der Gegenstand eines so heftigen Streites gewesen war, und den der Sammler in der Dun- kelheit des vorigen Abends hatte dahin bringen lassen. — Er trat drei Schritte zurück und fragte, indem er den alten Schmitz groß ansah: Was soll das, und was bedeutet dieses? Der alte Sammler, dem die Sache das Herz durchschnitt, sprudelte wie eine Flasche, von wel- cher der Pfropfen abgeflogen ist: Es bedeutet, daß Ihr Eure Amphora wiederbekommt, um welche ich mein Gewissen, welches in einer schwachen Stunde eingeschlafen war, nicht belasten will, und welche mir zwar, das weiß Gott, noch das aller- größte Vergnügen macht, jedoch ein unrechtes und verbotenes! Durch solche Schandthaten, und indem immer ein Schelm dem Anderen seinen Plunder als ächtes Alterthum attestirte, sind die Samm- lungen mit Narrenpossen und Quisquilien ange- füllt worden. Ich aber will dazu nicht die Hand bieten, daß Euer Lerchenspieß noch einmal künftig von einem großen Herrn, der in solchen Sachen die liebe Einfalt und Dummheit ist, für schweres Geld angekauft wird, sondern ich begehre meinen Schein zurück, worauf das sogenannte Karls-des- Großen-Schwert wieder wird, was es war und ist und bleiben soll, nämlich ein Bratenspieß frü- hestens aus der Soester Fehde, den ein Reisiger des Erzbischofs hier mag in den Büschen haben stehen lassen. Demnach wollen Sie also die alten Zweifel an dem Schwerte von Carolus Magnus wieder regen und rühren? fragte der Hofschulze, der sich zwar gegen den Anderen scheinbar ruhig ausnahm, jedoch auch mit einiger Mühe nach Athem rang. Es sind keine Zweifel, es ist die klarste Ge- wißheit; meinen Schein, meinen Schein her! stam- melte der Sammler, der die schleunigste Beendi- gung des Geschäfts wünschte, weil er fühlte, wie der Muth der Wahrheit im Angesichte der Amphora bei ihm sank. Sie behalten den alten Topf, und ich behalte den Schein, Herr Schmitz, sagte der Hofschulze und bohrte seinen Stock wieder wie gestern bei dem Vorfalle mit dem Hochzeitbitter, tief in die Erde. — Der Sammler fragte ihn heftig, ob das sein letztes Wort sei? welche Frage der Hofschulze bejahte, mit dem Hinzufügen: Handel ist Handel. Dann kommt die ganze Sache in den Anzei- ger! rief der alte Schmitz zornig und machte sich, ohne von seinem Wirthe Abschied zu nehmen, auf den Weg. Der Hofschulze stand noch einige Au- genblicke voll nachdenklichen Verdrusses vor dem Stalle. Er war so böse auf die Amphora, daß er sie hätte zerschlagen können, wäre sie nicht eines Anderen Eigenthum gewesen. Die Erwäh- nung des rheinisch-westphälischen Anzeigers war ihm schwer auf das Herz gefallen. Denn er wußte, daß dieses Blatt, welches durch alle Ortschaften, Weiler und Gehöfte des Landes seine Wanderung macht, dem Credit des Schwertes sehr schaden könne, wenn darin stehen werde, Letzteres sei ein Bratenspieß frühestens aus der Soester Fehde. Ei! Ei! Ei! sagte er mißmuthig, muß mir das doch noch heute begegnen, nachdem ich glaubte, allen Aerger überstanden zu haben! Es ist also doch wahr, daß man von dem, was Einem das Liebste ist, zu keinem Menschen reden soll; sie fechten es Einem nur an. Hätte ich dem Herrn Schmitz nicht einstmalen in der Vertraulichkeit die Sache mit dem Schwerte entdeckt, nimmer wäre mir darüber die Streiterei und Zweifelsucht und Mäkelung entstanden, die mich seitdem Jahraus Jahrein verfolgt hat. — Er ging in das Haus, fragte den rothhaarigen Knecht, ob Jemand da gewesen sei? welches dieser grinsend verneinte, und stieg dann zu der Kammer empor, in welcher er die Waffe verwahrte, um an ihrem Anblicke seinen Muth zu erfrischen. Auch wollte er sie für die morgende heimliche Weihe, bei welcher sie eine Hauptrolle spielen sollte, vom Staube säubern. Denn das Schwert war lange nicht gebraucht worden. Drittes Capitel . Die Geschichte eines Geächteten . Der Patriotencaspar hatte sich, nachdem er vom Rothhaarigen verabschiedet worden war, noch immer in der Nähe des Oberhofes umhergetrieben, um mit dem alten Schmitz zu sprechen. Denn zu diesem hatte der gemiedene und geringgeschätzte Mensch eine Art von Verhältniß. Der Sammler hatte ihm manchen Groschen geschenkt und sah ihn nicht ungern. Weil der Patriotencaspar überall umherstrich und kroch, so war es ihm möglich ge- wesen, dem alten Raritätenfreunde hin und wieder eine nützliche Nachweisung zu ertheilen, oder ihm auch wohl selbst irgend ein seltsam geformtes Schnitzwerk zuzubringen. Der alte Sammler war daher auch der Einzige, bei dessen Anblick in die arme und elende Brust dieses jämmerlichen Bett- lers ein Gefühl drang, daß er doch nicht ganz und gar auf dieser Gotteswelt ein Ausgestoßener sei. Für den alten Schmitz wäre er durch’s Feuer gegangen, er, der sonst am vergnügtesten lachte, wenn Anderen etwas recht Uebles begegnet war. Jetzt lauschte er hinter einer Wallhecke an einem Felde des Oberhofes, ob er seinen alten Gönner nicht allein ansichtig werden möchte. Als er ihn vorher in der Gesellschaft des Hofschulzen vorbeiwandern gesehen, hatte er nicht gewagt, ihn anzureden. Entdecken wollte er ihm etwas vorlängst Geschehenes, und ihn um eine sonderbare Hülfe ersuchen. Nach langem Harren war ihm endlich die rechte Stunde dazu gekommen. — Nun ich meine Lust gebüßt habe an dem alten Blut- hunde und er den Tort hoffentlich nicht verwindet, den ich ihm angethan — denn es liegt wohl ver- steckt, tief versteckt, und das Dach wird er dar- nach nicht abdecken lassen — nun will ich auch mein Recht erleiden, wie Recht ist, sagte er hinter seiner Wallhecke. Der alte Schmitz kam vom Oberhofe zurück und ging vorüber. Der Patriotencaspar begrüßte ihn und sagte: Herr Schmitz, ich habe hier auf Sie gewartet, weil ich Ihnen etwas offenbaren wollte. So verdrießlich der Sammler war; diese An- rede, in welcher er nur die Ankündigung eines Fundes für sein Cabinet zu hören glaubte, machte ihn aufmerksam. Er stand still und fragte: Was ist es denn, Caspar? — Nein, versetzte der Spiel- mann, indem er seinen Leierkasten über den Rücken warf, hier kann es nicht geschehen, sondern an Ort und Stelle muß es veroffenbart werden. Er ging dem Sammler auf dem Wege, der nach dem Hofe des Schwiegersohnes führte, voran, bog jedoch einige hundert Schritte von diesem Hofe in einen Seitenpfad ein, der zwischen Erd- wänden vertieft unter hohen Rüstern dunkel fort- lief. Nicht weit hinein kreuzte den ersten Pfad ein zweiter. Er war noch dunkler, weil ihn noch höhere Bäume überschatteten. An diesem Kreuzwege, der einsam und schauer- lich zwischen den Erdwällen, Rüstern, zwischen Brombeergebüsch, Nachtschatten und Schierling lag, setzte der Spielmann seinen Leierkasten ab, bog einen Brombeerbusch zurück, so daß ein großer Stein entblößt wurde, kniete vor dem Steine nieder und sagte dann, halbrückwärts nach dem Sammler gewendet: Hier war’s. Der Sammler, welcher glaubte, der Patrio- tencaspar werde dort etwas für ihn aus der Erde scharren, trat dicht zu ihm hin, senkte seinen Kopf, so daß er fast die Schulter des Knienden berührte und fragte eifrig: Was? Was? Der Patriotencaspar sah ihm, mit dem Auge unstät zwinkernd in das Gesicht und sagte heiser und gedämpft: Hier habe ich einstmals des Hof- schulzen seinen Sohn, den Fritze, todtgeschlagen. Ein Knabe, der von einem Strauche eben eine leckere Beere pflücken will und dem unver- sehens unter dem Strauche eine Natter mit fun- kelnden Augen entgegenzischt, kann nicht erschreck- ter zurückfahren, als der alte Schmitz bei dieser Eröffnung vor dem Patriotencaspar zurückfuhr. Den Blick starr auf ihn heftend und rückwärts vor ihm weichend, als fürchte er, einem geständi- gen Mörder seinen Rücken Preis zu geben, ent- fernte er sich bis in die entgegengesetzte Ecke des Kreuzweges. Dort blieb er stehen, den Patrioten- caspar immer in das Auge gefaßt, unschlüssig, ob er nun sich wenden, so fortgehen und dadurch den gefährlichen Menschen aus seinem beobachtenden Blicke verlieren sollte. Der Patriotencaspar seinerseits richtete sich an dem Steine empor. Als er bemerkte, welchen Ein- druck seine Worte auf den einzigen Gönner mach- ten, den er besaß, nahm sein Auge einen weh- müthigen Glanz an, und in der verwüsteten Stimme zitterte etwas wie Trauer, als er so sprach: Ach, mein lieber Herr Schmitz, warum fürchten Sie sich doch vor mir? Ich bin ja ein armer, zer- lumpter, von Hunger entkräfteter Mensch. Sehen Sie, da kehre ich meine Taschen um, und es ist nichts darin, weder Messer, noch Hammer noch sonst etwas, womit ich Sie erstechen oder erschla- gen könnte. Wenn Sie sich aber vor meinen Fäusten fürchten, so will ich da mit meinem Hals- tuche sie binden, so daß Sie ganz sicher seyn kön- nen, daß Ihnen kein Leid von mir widerfährt. Ich wollte Ihnen bloß die alte Geschichte erzählen und Sie um eine Güte und Gefälligkeit bitten. Der Sammler, der sich noch immer nicht zu fassen wußte, sagte: Ich glaube, Ihr seid betrun- ken, Caspar. Nein, Herr Schmitz, wüßte nicht, woher das kommen sollte, indem ich wenig genossen habe, versetzte der Patriotencaspar. Ich wiederhole Ihnen in der Nüchternheit: Hier habe ich des Hofschulzen seinen Fritze todtgeschlagen. Es ist aber lange her und Gras ist darüber gewachsen. Indessen will ich mein Recht über diese That haben, denn nunmehr ist die Stunde dazu gekommen, nachdem ich mei- nem Feinde und Ueberwältiger den Tort gethan habe, den er verdiente, und dazu suche ich Ihren Rath und Beistand, weil Sie ein Schriftgelehrter sind und mir mitunter eine Gütigkeit erwiesen haben. Der klagende und sanfte Ton, womit der Pa- triotencaspar dieses vorbrachte, flößte dem alten Schmitz Muth ein. Neugierig, wie er von Natur war, empfand er ein Verlangen nach den Dingen, die einen Menschen bewegen konnten, über einen verschollenen Frevel zum Ankläger wider sich zu werden. Der Patriotencaspar schwieg aber, senkte seinen Blick und schien eine Aufmunterung erwar- ten zu wollen. Endlich sagte der Sammler: Ich habe wohl vor Jahren davon gehört, daß ein Sohn des Hofschulzen plötzlich zu Tode gekommen sei; es hieß aber damals, er sei mit der Stirn auf einen Stein aufgeschlagen. Ja, so hieß es damals, versetzte der Patrio- tencaspar. Mit der Stirn schlug er allerdings auf einen Stein, und zwar auf diesen da, neben welchem ich stehe, allein nicht von selbst, sondern von einem Anderen mit der Faust gegen den Stein gestoßen, und wer ihn so lange mit der Faust gegen den Stein stieß, bis die Hirnschaale zer- barst, das war ich. Also hatte doch jenes zweite alte Gerücht, was auch im Stillen hie und da umherlief, Recht! sagte der Sammler. Aber wie kam es, daß die Geschichte nicht angezeigt und den Gerichten überwiesen wurde? Das hängt mit diesem meinem ausgeschlagenen Auge, mit des Hofschulzen seinem Hochmuth und mit dem Freistuhl da droben an jenem Berge zu- sammen, sagte der Spielmann. Der Sammler versetzte: Bringt Eure Geschichte ordentlich und im Zusammenhange vor, Caspar. Denn aus diesen zerstückelten Reden kann sich Nie- mand vernehmen. Der Patriotencaspar erzählte hierauf an dem Mordsteine stehend, dem alten Schmitz, welcher ihm gegenüber an der anderen Seite des Kreuz- weges stehen blieb, Folgendes: Herr Schmitz, in den Geschichten, die ich da auf meinem Leierkasten feil habe, kommen mitunter auch Sachen vor von Leuten, die Ihresgleichen ächteten und von sich ausstießen. Als zum Bei- spiel; Einen trieben sie vor diesem aus, weil er gar zu gerecht war, und ein General wurde zu alten Zeiten verbannt, weil sie ihm nachsagten, er mache den armen Leuten das Brod theuer, und dann gab es auch wieder einmal einen Herzog, der geächtet wurde, weil er seinen Freund nicht hatte verlassen wollen. Diese armen elendigen Verbannten führten ein jämmerliches Leben. Mei- stentheils ist zwar dergleichen nur bei großen Herren und vornehmen Standespersonen vorgekommen, aber auch unter dem Bauerstande kann sich die Sache zutragen, und mit mir hat sie sich begeben. Herr Schmitz, ich war zu meiner Zeit ein flinker, anstelliger Kerl und hatte mehr Witz als aller der Bauerpöbel hier herum zusammengenom- men. Sah auch recht gut aus — Ei, fiel der Sammler ein, Ihr habt ja stäts eine hohe Schulter gehabt, Caspar. Das thut nichts, erwiederte der Patriotencaspar, demohnerachtet kann man doch schön aussehen. — Sah also recht gut aus, ehe ich das eine Auge verlor und in die Hungersnoth versank, hatte was erlebt draußen als junger Mensch. Denn, wie Sie wissen, war ich dabei, als die alte Orange in Schonhoven vermolestirt wurde und kam auch nach Gorkum und Nieuuwport mit den Patrioten dazumal. Ich schor mich den Teufel um den Krimskrams hier unter den Bauerkerls, sagt’ ihnen oft die Wahrheit über ihre Einfalt und es setzte schon gleich zu Anfang viel Streit und Wortwech- selung mit ihnen. Es gab nie keinen Vertrag mit ihnen recht, denn sie konnten es mir nicht verzeihen, daß ich klüger war als sie und gewitz- ter. Also gut; wie ich meine vollen Jahre erreicht hatte, trat ich das Colonat an, denn Sie müssen wissen, daß der Windkotten uns gehörte, mir und meiner Familie; ein recht hübsches Erb mit Feld, Baumgarten und Wiesenwachs, was nachgehends freilich parcellirt worden ist, und das Haus hat der Jude abbrechen lassen, der das Ganze zuletzt kaufte, so daß ich selbst kaum noch weiß, wo die Stätte gelegen hat. Wie ich nun so Colon und Hofesbesitzer war, da ging der rechte Verdruß erst an, Herr Schmitz. Denn ich konnte es gar nicht vertragen, daß die Großen besser seyn wollten, als wir Kleinen und Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 4 daß so ein Hofschulte es wie eine Gnade ansah, wenn er mit einem Kötter trank. Denn ich dachte: Ich baue so gut mein Feld, wie Ihr, was habt Ihr denn also voraus? Ich setzte mich also dreist zu ihnen, wenn ich im Kruge mit ihnen zusammen- traf, ich sprach bei ihnen ungefordert ein. Wenn ich an einem der Großen vorüberging, that ich so als müsse er mich zuerst grüßen, und meinte, es wohl mit ihnen durchsetzen zu können. Aber, Herr Schmitz, man setzt dergleichen mit den Men- schen nicht durch, denn man ist immer nur Einer und sie sind Viele, und das hält zusammen wie Pech und Schwefel. Grob behandelten sie mich, wenn ich sie besuchte, im Kruge rückten sie von mir weg, und wollte ich von ihnen auf Landstraße und Nachbarweg zuerst gegrüßt seyn, so lachten sie mir unter die Nase und Keiner lupfte den Hut. Von Allen aber war der Hofschulze im Oberhofe der Gröbste und Stolzeste und Schlimmste; denn er ist immer unmenschlich reich gewesen und hat großes Ansehen von jeher gehabt. Also, Herr Schmitz, den Hofschulzen nahm ich mir apart auf’s Korn und dachte: Du sollst mir daran glauben. — Er hatte aber eine Tochter aus erster Ehe, denn drei Frauen hat der alte Kerl begraben lassen und zum letztenmal, woraus nun die ist, die gestern Hochzeit machte, freite er, wie er schon ziemlich in den Jahren war. Die Tochter sah recht gut aus, und ich war ihr auch recht gut, aber die Hauptsache, daß ich mich an sie machte, war doch der Stolz, und weil ich mir einbil- dete, ich könne Alles durchsetzen, was ich wolle, und werde das Mädchen schon ’rumkriegen, wenn ich es nur recht anzufangen wisse. Ich hatte schon gemerkt, daß sie auf Tänzen und Kindelbieren nach mir hinhörte, wenn ich so erzählte von mei- nen Fahrten, und darauf baute ich meinen Rath- schlag und sah sie unaufhörlich starr an, wenn ich ihr nahe kam, so daß sie nicht wußte, wo sie die Augen lassen sollte. Fing auch an, mich über mein Vermögen schön zu kleiden, das beste licht- blaue Tuch mußte ich zum Rocke haben und ließ mir an die Jacken silberne Knöpfe setzen, die kein Anderer von den Colonen hatte, wodurch ich in Schulden gerieth. Eines Sonntages geht die Magdalis an mir vorüber, wie ich besonders herausgeputzt war und sagt: Ihr zieht Euch doch an, wie Keiner sonst, Caspar. — Das geschieht 4* ganz allein um Euch, Magdalis, antwortete ich, und wenn ich all mein Hab und Gut zusetzte, so wollte ich mich noch schöner kleiden, wofern es Euch nur gefiele. — Sie wurde roth und damit hatte ich sie weg. Denn wenn man den Mädchen sagt, daß man um ihretwillen einen neuen Rock angezogen hat, so sind sie caput. Also die Sache kam in Gang und ich will Sie damit nicht aufhalten, Herr Schmitz. Genug, die Magdalis gab zu, daß ich an ihr caressiren durft’, und war Alles bald zwischen uns in Richtigkeit, wie es die Ordnung ist unter Liebesleuten. Auch die Magdalis dacht’ in ihrer Dummheit, daß der Vater, weil es einmal so weit gekommen, werd’ ein Auge zudrücken müssen. Deßhalb nahmen wir beiden Gimpel die Absprache zusammen, daß ich um sie anhalten solle. — Aber — da kam ich schön an, Herr Schmitz, wie ich die Sache vortrug bei dem Alten. Denn selbst mußte ich sie vortragen; ein Freiwerber wollte sich dazu nicht verstehen. In meinem Leben ist mir kein grimmigerer Mensch vorgekommen, als der Hofschulze, wie er sich benahm, da ich meinen Spruch herausgesagt hatte. Ich wurde mit einem solchen Zorn und Hohn ange- lassen, daß mir die Knochen bebten vor Aergerniß. Es fehlte nur, daß er mich fortpeitschen ließ, und noch heut am Tage weiß ich nicht, wie ich vom Hofe gekommen bin. Gut, dachte ich, willst du sie mir nicht zur Frau geben, so soll sie — — Der Alte hielt sie eingesperrt und sein Sohn, der Fritze, auch aus der ersten Ehe, paßte mir auf. Aber man kann die Leute schon belauern, wenn man nur will. Was nicht bei Tage geht, das geht bei Nacht, und darf man nicht zur Thür ’rein, so steigt man über die Mauer. Ich war denn also alle Nächte, die Gott werden ließ, bei der Magdalis, zu der ich durch das Fenster gelangte. — Doch sie kamen dahinter, Herr Schmitz, der Alte und sein Sohn. Und nun machten sie zusammen einen Plan auf mich, mir aufzulauern und mir das Leben zu nehmen. Das ist nicht wahr, unterbrach hier eifrig der alte Schmitz die Erzählung. Der Hofschulze ist ein eigensinniger Mann, aber Schlechtigkeiten hat er nie getrieben. Nun dann hat es der Junge, der Fritze, auf seine eigene Hand gethan, sagte der Patrioten- caspar. Genug, ich weiß, was ich weggekriegt habe bei der Gelegenheit. Also, Herr Schmitz, eines Abends, wo es ganz dunkel war und ein schweres Unwetter heraufzog, komme ich auch von meinem Erb da herüber meinen gewöhnlichen Weg geschritten. So höre ich da, wo Sie jetzt stehen, Herr Schmitz, etwas rascheln in der Dunkelheit, und ehe ich noch meine Gedanken zusammennehmen kann, springt Das ohne einen Laut von sich zu geben, auf mich zu, und ich habe einen Schlag mit einem Knüppel über den Kopf und einen Stoß in das linke Auge weg, daß mir beinahe Hören und Sehen vergeht. Im Auge ist’s mir, als ob ein Dutzend Messer darin umgedreht würden, Nasses läuft mir über die Backe — ich aber denke, hier geht’s noch um Haut und Haar, ist’s Auge schon weg — und kriege meinen Cujon zu packen, und reiße ihm den Knüppel weg, denn, Herr Schmitz, ein Mensch, dem sie das Auge ausschlagen, hat fürchterliche Kräfte — und gebe ihm die Erwiederung auf seinen Schädel, daß er aufgrölzt und ich an der Stimme den Fritze erkenne. Er bettelt um Gnade, aber ich schreie: Meine Gnade sollst du gleich spüren! reiße ihn in die Höhe; du verfluch- tiger Augenmörder! rufe ich, und stoße so lange den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier, bis er stumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm bei der Balgerei abgerissen (denn er trug welche) den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da- mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen, aber der Mensch ist bei solcher Gelegenheit wie von sich; unter dem Stein habe ich den Ring ver- scharrt, soll mich wundern, ob er noch da liegt? Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil der Erzählung mit so lebendigen Gebärden vorge- bracht hatte, daß seinem alten Zuhörer ein Schau- der über die Haut rieselte, wälzte trotz seiner anscheinenden Kraftlosigkeit den Stein hinweg, kratzte etwas in der Erde darunter und zog mit einem gellenden Freudengeschrei, als habe er den köstlich- sten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der nicht verrostet war, weil er stark vergoldet gewe- sen seyn mochte. Ei, wie so ein Ding übrig bleibt, wenn der Mensch längst verrottet ist! rief er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn nur zagend annahm. Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hause, Herr Schmitz, fuhr der Patriotencaspar fort. — Es war nun starkes Unwetter geworden und bei dem Donnern und Blitzen unterweges wurde mir grau- lich zu Muthe. Ich dachte: Die Magdalis erwartet dich in ihrer Kammer, und ihr Bruder liegt da todt am Kreuzweg, und der Hofschulze schläft und läßt sich nichts träumen, und du gehst über das Stoppelfeld. — Zu Hause nahm freilich der gräuliche Schmerz im Auge alle meine Besinnung weg, und nur unterweilen konnte ich mir vorstellen, daß sie mir nun vielleicht den Kopf abschlagen würden. Es kam aber Alles ganz anders, Herr Schmitz. Den anderen Tag ließ ich den Feldscherer holen, und der sagte mir, daß das Auge heidi sei, denn mit uns Bauersleuten machen die Doctors nicht viele Umstände. Na, das Auge lief auch wirklich aus, Herr Schmitz, und schrumpfte weg und ich erwar- tete alle Tage die Gerichte im Erb, die mich ab- holen würden, denn fliehen mochte ich nicht. Aber keine Gerichte kamen. Dagegen kam ein Kerl, der der Frohnbot hieß, von wegen des Dings droben unter den drei Linden, und sagte, ich sei geheischen und geladen zum Stuhl, sie wollten’s unter sich abmachen, und ich sollt’ Rede und Antwort stehen. Ich rief: Er sollte sich zum Teufel scheren, sie könnten mir dieß und das thun, dem Amtmann sei ich Rede und Antwort schuldig. Wie ich nun zum erstenmale den Kopf wieder aus dem Loch hervorstrecke, höre ich curiose Ge- schichten. Der Alte hat seinen Sohn gleich nach- dem die Leiche gefunden worden, begraben lassen und überall gesagt, der Junge sei spät nach Hause gegangen und habe einen bösen Fall gethan. Keine Anzeige hat er gemacht und Alles bleibt still von der Sache, und kein Amtmann und kein Criminal bekümmert sich um mich. Ja, was soll das bedeu- ten? denke ich. Ich konnte es aber bald spüren, Herr Schmitz. Es war mir schon auffällig gewesen, daß während meiner Wehtage nicht eine Menschenseele nach mir fragte, denn wenn ich auch nicht viele Freunde hatte, so besuchte mich doch jezuweilen sonst Einer oder der Andere. Aber da saß ich ganz allein und verlassen, und zuweilen that mich nicht nur meine wunde Augenhöhle schmerzen, sondern ich heulte auch mit dem gesunden Auge meine bitteren Thränen. Als ich nun wieder ’naus ging, so wollte ich, weil ich nicht verfolgt wurde, bei einem Nach- bar vorsprechen, aber der schob zur Hinterthüre hinaus, als ich in die Vorderthüre trat. Im Kruge rückten sie zischelnd zusammen, als ich kam und riefen den Wirth bei Seite und sprachen sacht mit ihm und der kam dann zu mir und sagte: Caspar, Ihr könnt nicht verlangen, daß ich um Euretwillen meine Nahrung einbüße. Sie wollen nicht mehr bei mir sitzen, wenn ich Euch zapfe. — Nicht mehr bei Euch sitzen? fragte ich wild. — Still! rief er. Ich will’s Euch heute Abend offenbaren, Ihr habt mir manchen Thaler zu ver- dienen gegeben, und darum kann ich Euch den Gefallen wohl thun. Kommt heute Abend, wenn Alles zur Ruhe ist, her, da sag’ ich’s Euch. So ging ich denn den Abend, wie Polizei- stunde geboten war, und Niemand mehr in der Stube saß, zu ihm. Und da erzählte er mir, daß der Hofschulze über den Tod seines Jungen mit den Anderen zusammen gewesen sei droben am Freistuhl, und habe gesagt, er wolle keine Anzeige wider mich machen, und Keiner solle es thun, aber er habe mich mit seinem Schwert von Carolus Magnus verfeimt und geächtet, und die Sache sei schon durch die Bauerschaft und weil die Großen drin einig seien, so seien die Kleinen auch nicht dawider und sei ich also nun aus dem Frieden und aus der Freundschaft gesetzt bei Allen. Ich lachte und rief: Was scheer’ ich mich um Euren Frieden und um Eure Freundschaft! — Aber ich hatte übel gelacht, Herr Schmitz. Keine Anzeige kam wider mich bei den Gerichten ein, was damals leicht möglich war, denn der große Krieg war eben im Gange, und Alles lief bunt über Eck, und als es wieder ruhig worden, war die Sache schon alt; jedoch ein Verfeimter war ich und ein Verfeimter blieb ich, und das war böser als Verhör und Urtheil. Herr Schmitz, das Menschenkind kann Alles ausstehen, Noth und Krankheit und Feuersbrunst und Gewaltzwang, aber von seines Gleichen verstoßen seyn, das kann das Menschenkind nicht ausstehen. Denn der Vo- gel fliegt mit seines Gleichen, und der Hirsch geht in Rudeln und der Fisch im Wasser schwimmt selbzwanzig dahin und dorthin, selbst der Wolken wandern immer mehrere zusammen, wie sollte das Menschenkind es allein bestehen können? — Sie hiel- ten’s, was sie oben am Freistuhl ausgemacht. Und die Kleinen mußten’s ihnen nachthun. Wenn ich mir Stroh und Korn borgen wollte, wie der Fall seyn kann in jeder Wirthschaft, kriegte ich nichts; einmal brannte meine Scheure, die ließen sie brennen und kamen mit der Spritze, als nur noch die Trümmer rauchten, und wenn sie an meinem Erb vorbeigingen, so greinten sie höhnisch und spuckten aus, und wenn ich selbst zu ihnen trat, so wiesen sie mir den Rücken. — Das fraß mir in’s Herz hinein und ich sagte: Ich will’s Euch Allen zuvorthun, daß Ihr Seelenverkäufer die Kränke vor Aerger kriegt und will mir Gesell- schaft und Cameraden aus der Stadt halten. Zechte also brav auf meine eigene Faust, ließ mich mit Menschen in der Stadt ein, Schreibersgehülfen und Ladenburschen und so dergleichen, gab denen große Tractamente auf dem Erb. Aber es wollte mir dergestalt nicht schmecken, Herr Schmitz, und wenn ich noch so viele lustige Schreibergehülfen und Ladenburschen bei mir hatte, so würgte es mir in der Kehle, weil ich immer dachte: Sie sind doch nicht deines Gleichen. Natürlich gerieth ich auch durch die Lebensart tief in die Schulden hin- ein; auf einmal kam mir nun der Jude, der mir vorgeschossen hatte, über den Hals und ließ mir das Erb anschlagen. Ich wurde heruntergepfändet und hatte dann die Erde zum Lager und den Him- mel zum Dach. Und so bin ich denn nach und nach, Herr Schmitz, zu dem Leierkasten, in diese Lumpen, in den Hunger und in die Kälte gera- then, und so ein räudiger Bettelhund geworden, wie Sie mich da sehen. Der arme und jämmerliche Mensch sah nach dieser Erzählung mit dem Blicke eines so kalten und bodenlosen Elendes vor sich hin, daß es den alten Schmitz, der von Natur weichherzig war, erbarmte. Er begriff nun wohl, daß er von dem unglücklichen Mörder nichts zu befürchten habe, trat ihm daher näher und sagte: Ich fasse noch nicht recht den Grund, weßhalb der Hofschulze Euch den Gerichten entzog, denn, wenn ich auch sonst wohl einsehen kann, warum er mit seinem Freigerichte handthiert, so hätte ihm in diesem Falle Eure öffentliche Verurtheilung doch eine größere Genugthuung gegeben. O, rief der Patriotencaspar, das ist eben die ausbündige Bosheit des alten Blutsauger’s! — Er raufte seine buschichten Augenbraunen. — Denn wie ich nachgehends gehört habe, so sind Zeugen gewesen, zu denen der Bengel, der Fritze, sich berühmend gesagt hatte, er wolle mir an dem Abende auflauern. Nun war der dicke Knüppel neben dem Todten gefunden worden und mein Auge war doch auch weg, also folglich konnte ich mich auf Nothwehr berufen, und den Kopf hätten sie mir nicht ’runter gehauen, sondern ich wäre ver- muthlich mit etwas Gefängniß davon gekommen. Das sah der alte Satan voraus und deßhalb wollte er mich auf seine eigene Hand für Zeit- lebens unglücklich machen. Ich habe aber auch eine Wuth auf ihn gehabt die Jahre her bei meinem Leierkasten, Herr Schmitz, ich kann Ihnen nicht sagen, was für eine Wuth. Und lange konnte ich ihm nicht beikommen, aber nun — — Pfui, sagte der alte Schmitz. Schämt Euch, Caspar, wer wollte so rachgierig seyn! Der Patriotencaspar stürzte seinem Gönner zu Füßen, umschlang die Kniee des alten Mannes mit seinen hageren und haarichten Fäusten, als wollte er ihn um Verzeihung für seine Sinnesart bitten und rief mit hohlem zerreißendem Tone: O Herr Schmitz! Rachgierig muß der Mensch seyn, wenn sie ihm Alles genommen haben, sonst verkömmt er gar. Ich wäre längst verhungert, aber ich fraß meine Rache, und so blieb ich leben. Es steht wohl geschrieben: Segnet, die Euch fluchen, aber es giebt Keinen, Keinen auf Erden, für den es geschrieben steht, zum wenigsten keinen Unglück- lichen. Nun, und was soll ich mit dieser ganzen son- derbaren Geschichte anfangen? Was treibt Euch, sie gerade mir und jetzt zu erzählen? fragte der Sammler. Der Patriotencaspar erhob sich und sagte: Herr Schmitz, ich will nun mein Recht haben. Ich habe mein Herze befriedigt und nun will ich mein Recht deßgleichen haben. Ich will nicht län- ger unter dem Banne von meines Gleichen leben, sondern mein Urtel haben von den Gerichten des Königs. Ihnen habe ich die Sache erzählt, weil Sie sich doch auch auf Amtssachen verstehen, damit Sie ein hübsches und richtiges Protocoll aufneh- men, worin Alles gehörig steht von Nothwehr und von den Zeugen, denen der Fritze gesagt hat, er wolle mir auflauern, (denn es leben ihrer noch Einige;) damit mir nicht der Kopf abgehauen wird. Dazu habe ich keine Lust, aber sitzen will ich ein Paar Jahre recht gerne. Im Gefängniß betrage ich mich ordentlich, mache mir Ueberverdienst, komme mit einem guten Attestat vom Director zurück, lege von meiner Sparsumme einen Win- kel Kramladen. an, und dann soll das Donnerwetter dem in die Eingeweide fahren, der mich noch ferner hohnnecken oder verachten will! Also, Herr Schmitz, thun Sie mir die Ge- fälligkeit, das Protocoll zu schreiben, ich will dann drei Kreuze darunter setzen und es selbst in die Gerichte tragen. Der Sammler ließ sich das Jahr, worin die Mordthat vorgefallen war, nennen. Er dachte nach und sagte dann: Caspar, das Protocoll würde keinen Erfolg haben. Die Sache ist verjährt. Was heißt das: Verjährt? Das heißt: Ihr mögt über die Sache angege- ben werden, oder Euch selbst angeben, ja, ihr mögt, wie Ihr thut, die Strafe begehren, so wird dem keine Statt gegeben, denn nach dem Ab- laufe von dreißig Jahren ist eine Unthat ab und todt vor dem Richter. Ihr müßt also Euer Ge- schick schon so nehmen, wie es einmal liegt und es bis an Euer Lebensende tragen. Er ging an dem Todtschläger vorüber, gab ihm den silbernen Ring, da dieser bei näherer Betrach- tung ihm nichts Merkwürdiges gezeigt hatte, zu- rück und entfernte sich. Der Geächtete stand be- troffen, sann über die Verjährung und konnte darin durchaus keinen Sinn finden. Also, sagte er endlich, meine Gedanken an die Missethat muß ich behalten und bis in jene Ewigkeit mit hin- überschleppen; aber wenn ich mit meinem Fell die Sache büßen will, so geht das nicht mehr an, weil dreißig Jahre vorüber sind! — Ein Lärmen, der ganz in der Nähe entstand, unterbrach sein Nachsinnen und machte ihn aufmerk- sam. Kaum zwanzig Schritte vom Kreuzwege kamen auf dem Wege vom Oberhofe Menschen ge- laufen und Andere begegneten ihnen, die vom Hofe des Eidams gegangen kamen. — Wißt Ihr’s schon? fragten die vom Oberhofe überlaut. — Was denn? versetzten die Anderen. Ihren Weg eiligst nach dem Jürgenserbe fortsetzend, riefen Die Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 5 vom Oberhofe: Der Hofschulze hat eine Ueber- fahrung! Anfall von Schlagfluß. Das wäre der Henker! riefen die Ersten und liefen nach dem Oberhofe zu. Der Patriotencaspar fletschte die Zähne, sprang wie unsinnig auf dem Mordplatze umher und schrie: Heisa! Heisa! So ist’s recht. Die Tochter machte ich Dir zur Hur’, den Jungen zu Brei, und dich macht’ ich nun zunicht! Ihr sollt erfahren, was es heißt, geringere Leute verachten! Könnt’ ich jetzt mein Protocoll aufgenommen kriegen, wäre ich ganz zufrieden! Viertes Capitel . Der Hofschulze kommt wieder zu sich und Lisbeth schreibt an den Diaconus . Auf der Kammer, worin er das Schwert Karl’s des Großen verwahrte, saß oder lag der Hosschulze blaß und halbbetäubt neben der eisenbeschlagenen Kiste. In diesem Zustande war er von einer Magd, die vor der Kammer vorbeiging, gefunden worden, kurz nachdem er sich die Treppe hinauf begeben hatte. Sie war erschreckt hinuntergesprungen und hatte von dem Vorfalle Lärmen gemacht, den einige Vorübergehende weiter trugen. Die Magd kehrte mit Essig zurück und bestrich ihres Brodherrn Schläfe. Das einfache Mittel brachte ihn auch bald wieder zu sich selbst, denn der Schlagfluß war eine Vergrößerung des Unfalls, der den alten Bauer betroffen hatte. Er war nur von einem Schwindel und von jener Betäubung 5* befallen worden, wie sie die Folgen eines plötz- lichen großen Schrecks zu seyn pflegen, besonders bei alten Leuten. Als er von dem scharfen Ge- ruche des Essigs wieder erwachte, hob er sich, ohne daß ihn das Mädchen zu unterstützen brauchte, sogleich strack auf seine Füße, fuhr mit der Hand über die Stirn und warf seinen ersten Blick in die Kiste, deren Deckel aufgeklappt war. Mit einer Mischung von Entsetzen und Kummer kehrte aber der Blick des alten Mannes in sich zurück; er klappte hastig den Deckel zu, als wollte er den Verlust seines Theuersten jedem Auge verbergen und trieb die Magd an, ihn zu verlassen. Diese fragte zwar, was dem Baas zugestoßen sei, erhielt jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem vielen Plaisir, welches gestern und heute gewesen, angewandelt habe. Als er auf der Kammer allein war, stand der Hofschulze erst eine geraume Zeit mit übereinander geschlagenen Händen ohne sich zu regen, da. Dann setzte er sich auf die Kiste und nahm seinen Kopf in beide Hände, um alle Winkel des Gedächt- nisses zu durchforschen. Darauf erhob er sich, öffnete abermals die Kiste, wie wenn er es nicht für möglich halte, daß das Schwert daraus habe verschwinden können, ließ aber augenblicklich den Deckel zufallen, da er wohl sah, daß er nur in die Leere blicke, und stöhnte wie ein verwundeter Stier. Nach diesem begann der Alte ein stummes eifriges Suchen in der Kammer. Er kehrte jedes Geräth um, er durchspürte jeden Winkel, er leerte alle Kisten und Kasten aus, welche dort vor und hinter dem Saatlaken umherstanden. Kein Platz blieb undurchforscht, aber alle diese Mühe war vergebens, denn das Schwert zeigte sich nirgends. Indem hörte er unten die Stimme seines Eidams und seiner Tochter, so wie der Freunde und Nach- barn, welche von der Tanzgesellschaft herbeigekom- men waren, um nach ihm zu sehen. Rasch ver- ließ er die Kammer, um nicht in seinen Anstren- gungen betroffen zu werden und ging hinunter, scheinbar gefaßt. Dort stellte sich Alles mit Fra- gen nach seinem Befinden um ihn, worauf er die- selbe Antwort gab, welche schon die Magd empfan- gen hatte und hinzufügte, daß ihm wieder ganz wohl sei. Er bat die Leute, sich in ihrer Lust- barkeit nicht stören zu lassen und wieder zum Tanze zurückzukehren; eine Aufforderung, welcher Mehrere folgten, Andere aber auch nicht. Diese blieben vielmehr im Hofe, weil sie an dem Tanze kein Vergnügen hatten, es kamen noch fortwährend Leute vom Jürgenserbe und so war ein beständiges Ab- und Zugehen von Menschen. Als nun der Hofschulze sah, daß er der Zeu- gen nicht quitt werde, beschloß er alles Fernere auf die Nacht zu versparen. Er setzte sich still in seine Stube und sagte dem Eidam, er möge die Mitgift nach Hause tragen, was dieser auch mit einem Gehülfen that. Mehrere Nachbarn stellten sich zu ihm und mit diesen sprach er nun so ordent- lich und vernünftig, wie immer seine Sitte war. Niemand merkte ihm etwas an, und nur wer ge- wußt hätte, was vorgefallen war, würde aus sei- nen geschwollenen Stirnadern, aus den Augen, die zuweilen hervorquollen, und aus den Griffen, die der Alte hin und wieder nach seiner Brust that, auf das, was in ihm vorging, haben schlie- ßen können. Während ein ungeheurer Verdruß und Schreck unten sich so heimlich hielt, hatte auch oben im Hause ein leidendes Kind seine Entschlüsse reif ge- dacht. Lisbeth war in schweren Körperschmerzen den ganzen Vormittag über auf ihrem Lager ge- blieben und hatte sich erst um die Zeit, als ihr alter Gastfreund seine trostlose Entdeckung machte, erhoben und angekleidet. Sie war so ernst, bleich und still, wie am Abend zuvor, da ihre Thränen versiegten. Aber diese hatten den Augen des Mädchens nicht geschadet; sie leuchteten von einem fast überirdischen Glanze. Der hohe Berg, auf dessen Gipfel sie im Jubel ihrer Wonne zu stehen gemeint hatte, war unter ihr eingesunken, und die rothen Wolken hatten sich verzogen, aber den- noch kam es ihr vor, als schritte sie eben so hoch und noch höher einher, und es war ihr, als trü- gen Lüfte ohne Wolken, aetherreine und aetherklare ihre Füße. Sie setzte sich an ihren Tisch und sagte mit einer himmlischen Zuversicht im Ton: Ein Find- ling ist Gottes Kind. Und wen Vater und Mutter in der Irre stehen gelassen haben, den wird Gott bei der Hand nehmen und nach Hause führen. — Die Schmerzen hatten eine wunderbare Verwan- delung in ihr gewirkt. Zu ihren sogenannten Pfle- gern wollte sie nimmer zurückkehren. Denn als sie, von Leiden, wie von zuckenden Blitzen durch- wühlt, während der Nacht auch einen Blick auf ihre Vergangenheit warf, so sah sie schaudernd und wie von einem strengen Seher erbarmungslos un- terrichtet, in welchen jämmerlichen und lachens- dürren Umgebungen sie gelebt hatte. Sie blickte in die traurigen und unreinlichen Trümmer hinein, zwischen denen sie so muthfroh und rein geblieben war, und sie hätte weinen mögen, wenn ihr noch eine Thräne übrig gewesen wäre, als sie nun er- kannte, daß ein faselnder alter Mann und eine halbverwirrte Thörin denn doch die Einzigen ge- wesen waren, die sich ihrer angenommen hatten. In einen Augenblick des äußersten Entsetzens drängte sich eine Ewigkeit von quälenden und widerwärtigen Vorstellungen zusammen — zerrissen und gepeinigt wandte sie den Blick von diesen unheimlichen Gesich- ten ab und in die Zukunft, worin freilich die Augen Oswald’s erloschen waren und nur noch das Auge Gottes durch die Finsternisse strahlte. — So hatte das Unglück die süße Bewußtlosigkeit, worin das Kind Jungfrau geworden war, zerstört, und das Wa- chen der Wahrheit in der wunden Brust geschaffen. Sie schrieb einen Brief an den Diaconus. Zu diesem hatte sie großes Vertrauen, und den wollte sie zu ihrem Führer wählen. Nach dem Eingange, in dem sie sagte, daß eine schmerzliche Aufregung sie über ihr Geschick erleuchtet habe, lautete der Brief folgendermaßen: „Sie hätten wohl nicht gedacht, lieber Herr Prediger, als Sie gestern die Hand auf mein Haupt legten, daß Sie von mir heute so traurige Worte hören würden. Wenn ich es Ihnen nur recht deutlich machen kann, wie mir eigentlich zu Muthe ist! Denn wenn Sie das nicht einsehen, so können Sie mir auch nicht helfen. Es ist aber gewiß recht schwer, sich deutlich zu machen mit verwirrtem Kopfe und klopfendem Herzen und be- bender Hand. Sie sind jedoch ein so guter und kluger Mann, daß Sie sich auch vielleicht aus dem Stammeln eines armen Mädchens vernehmen können. Ach, lieber Herr Diaconus, es ist mir außer- ordentlich übel gegangen seit gestern. Es hatte wohl gestern den Anschein, als könne ich eine Braut seyn, und das will bei einem so armen und verlassenen Mädchen, wie ich bin, noch mehr sagen, als bei Anderen, die wissen, woher sie stammen. Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß nicht. Warum ich Keine mehr bin, das kann ich Ihnen nicht sagen; ich schäme mich zu sehr. Ihrer lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich erst ruhiger geworden bin, ganz in der Stille. Ein Mädchen, welches kein Kind mehr ist, denkt wohl zuweilen an das Heirathen und so habe ich denn auch hin und wieder daran gedacht, ob- gleich ich wenig Aussicht dazu hatte. Wenn mir aber die Vorstellungen davon kamen und von der Liebe, so war immer das erste Gefühl, daß die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahr- heit sei und zwar die Wahrheit in der Brust, und eine solche Offenheit, daß man dem Anderen auch nicht das Kleinste verschweigt. Hätte ich eine Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geschützt hat, so würde ich meinem Freunde die Sünde haben beichten müssen, ehe ich ihm noch meine Liebe gestand. Denn wenn zwei Menschen, wie es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden sollen, so darf doch auch nicht ein Stäubchen zwi- schen ihnen seyn von Verschweigen, Hinterhalt, Verstellung und Künstelei. Ja, noch offener soll man gegen den Liebsten seyn, als gegen Gott, denn dieser sieht selbst scharf genug, aber der arme Liebste hat ja nicht so durchdringende Augen und soll uns doch eben so genau kennen, wie Gott, weil er sich nicht auf Dieses und Jenes in uns, sondern auf Alles in Allem Zeit seines Lebens verlassen muß. Wer mir also, wenn er sagt, daß er mich liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von dem muß ich glauben, was sie mir wider ihn vor- bringen, und möchte es auch das Allerschlimmste seyn. Wer mir sagt, Herr Diaconus, er sei ein armer Förster und ist ein großer Graf, der kann auch noch anderen Lug und Trug wider mich vor- haben. — Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke ich: Es ist gar nicht möglich, daß ein Mensch, der so gut aussieht, so schlimm seyn kann! — — Ich bin eigentlich ganz elend worden, und wäre in den Schmerzen dieser Nacht wohl gestor- ben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil ich aber tief gedemüthigt werden sollte, so hat mich das sehr stolz gemacht, ganz überaus stolz. Nun ist dieser Stolz freilich wohl nur Hülfe in der äußersten ersten Noth, und deßhalb flüchte ich mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir eine Freistatt in Ihrem Hause, Kosten mache ich Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann ich doch immer etwas helfen. Sie sind immer sehr gut und freundlich gegen mich gewesen und werden mich gewiß nicht verlassen. Nach dem Schlosse gehe ich auf keinen Fall zurück, mich schaudert davor. Das war wohl bisher gut so weit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein. Ich bin also wie eine Staude, die vom Boden abgeschnitten ist und weiß noch kein Erdreich, worin ich wieder wachsen kann. Daß Sie sich aber über mich nicht irren, so muß ich Ihnen sagen, daß ich gar kein Verlangen nach der Kirche habe, oder nach der Religion, wenigstens nicht mehr als sonst. Ich habe mir schon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man sagt ja immer, daß der Mensch im Unglück haupt- sächlich viel beten müsse, aber das muß denn wohl ein anderes Unglück seyn, als meines. Ich fühle mich als ein so ordentliches, unschuldiges Mädchen, daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade jetzt besonders bitten sollte, mir beizustehen. Son- dern es ist über mich verhängt worden, und nun trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner Weise. Auch kann der Gott, von dem gepredigt wird, einem Herzen nicht helfen, welches sich weggegeben hatte und sich nun wieder zurückneh- men muß. Dem hilft sicherlich auch ein Gott, aber er steht in keinem Liede, sondern ganz tief im Herzen selbst ist er verborgen, stumm, und ich glaube, der große Stolz, den ich empfinde, ist sein Kleid. Haben Sie nur rechte Geduld mit mir, mein lieber, lieber Herr Diaconus, Sie und Ihre Frau; Sie sollen sehen, die Lisbeth hilft sich schon heraus, denn von einem Tage zum anderen kann man doch nicht verloren seyn, wenn es gleich den Anschein davon hat. Es ist aber erstaunlich, was für Schmerzen der Mensch aushalten kann. Wäre ich nur katholisch, so ginge ich zu den barmherzi- gen Schwestern; es muß eine recht angenehme Beschäftigung seyn, Zeitlebens die armen Kranken zu pflegen. Und nehmen Sie mir das schlechte Schreiben nicht übel; es wollte aber nicht besser gehen. Durch den Ueberbringer bitte ich um Antwort.“ Die Entschuldigung wegen der Handschrift wäre nicht nöthig gewesen; denn die Züge waren so eben und klar, wie sonst. Keine Thräne war auf das Blatt gefallen. Sie sah sogar gleich- müthig aus und alle ihre Züge leuchteten wirklich von einem wunderbaren Stolze. Sie rief einen Knaben herbei und schickte ihn mit dem Briefe nach der Stadt. Fuͤnftes Capitel . Lisbeth und Oswald . Aber ihre ganze Fassung war hin, als sie ge- dankenvoll durch das Fenster nach den Hügeln blickend, durch die Nebel einen Mann herankom- men sah, eine bekannte Gestalt. Heftig bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und noch einmal brach ein Strom der bittersten Thränen aus den schon erschöpft gewesenen Augen. Ihre Wangen wurden eiskalt und ihre Hände starben ab — Ach! Ach! Ach! war Alles, was die Brust, die sich so grimmig beraubt wähnte, zu ächzen vermochte. Was sollte sie thun? Ihre Seele wurde von der Verzweiflung in zwei Hälften gespalten. Ach, das war er ja immer noch, der da so langsam herbei- geschritten kam, gewiß, dachte sie blitzschnell, gebt er so langsam, weil ihn die Schuld drückt; wie würde er sonst fliegen! Das ist seine Kleidung, das ist sein Gang, das ist sein Antlitz, und nur er ist es nicht, nur er nicht! Sie strich über ihre Schläfe, die ein kal- ter Schweiß bedeckte. — Dann sah sie sich im Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieser gramvollen Noth schämte sie sich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg- fältig verbarg sie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und sah nach, ob auch dieses recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte sie es freilich gleich, nachdem sie aufgestanden war. Sie rückte den Tisch am Fenster gerade und stellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte sie sauber bei Seite, und die Stücke des zerschnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob sie und legte sie auf den Tisch. Sie that das Alles so emsig, wie wenn das glück- lichste Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch stockte ihr der Tod im Herzen. Ach, er kam immer näher! — Was — was sollte sie thun? Wie gern wäre sie in seine Arme gestürzt und hätte sich in diesen süß-giftigen Schlin- gen mit ihren Schmerzen ersticken lassen! Und doch mußte sie vor ihm fliehen, unerreichbar weg, denn trat er in das Zimmer und heftete er seinen Blick auf sie, so war es um sie geschehen, das fühlte sie wohl. Kaum den Boden unter ihren Füßen sehend, schwankte sie aus dem Zimmer und wählte den Versteck, der sich ihren irren Sinnen zunächst darbot. Kein Gedanke, keine Ueberlegung, daß er ja nicht zu ihren Pflegern gegangen seyn würde, wenn er es übel mit ihr meinte, kam in die gestörte Seele. Denn die Liebe ist, ungerüttelt, göttlicher Scharfsinn. Die Blitze ihrer Ahnung sehen das Verborgenste, sie gleicht dem Wunder- rosse, welches Mahomet zwischen dem Umstürzen und Auslaufen eines Wasserkruges durch alle sieben Himmel trug und ihm die Herrlichkeiten eines Jeden zeigte — verstört, in falsche Bahnen gelenkt, ist sie Wahnsinn, der bei Domen vorübergeht, ohne sie wahrzunehmen, und Maulwurfshügel für Alpengipfel ansieht. Oswald betrat unten das Haus. Er hätte nie gedacht, daß er über eine Schwelle so scheu wie ein Sünder würde schreiten müssen. Ein grimmiger Verdruß über die ekelhaften Schlangen- Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 6 knäuel des Lebens, über den plumpen Spaß des Daseyns, welcher oft Spülicht und die Blume des Weines zusammenmischt, saß ihm am Herzen. Immer kränker fühlte sich dieses Herz. Noch hin- gen die Locken des Jünglings verwirrt vor seinem Antlitz, um welches zuweilen eine fliegende Röthe ergossen war, und seine Augen sprangen unstät zwischen den Gegenständen hin und her, ohne einen derselben mit ihren Blicken zu treffen. Er schritt an den Leuten vorüber, die im Flur waren und an dem Hofschulzen, ohne Jemand zu grüßen. Sein Herz war voll von Gram aber auch voll von Entschluß. Zu Lisbeth ging er, zu der Lisbeth, welche ihn gestern mit dem Wiesenkrönchen als ihren König und Herrn gekrönt hatte, und die er nun der süßen Dienstbarkeit entlassen wollte. Denn ihr Bild war ihm besudelt worden; freilich ohne Schuld der Unschuldigsten. Aber ist das Liebes- gefühl, stark wie der Tod, nicht auch verletzlich, gleich den Hörnern der Schnecke? — Es muß mir das nicht bei ihr einfallen, hatte Oswald unauf- hörlich auf dem Wege zu sich gesagt. — Sie wird zwar unglücklich, aber werde ich’s nicht auch? Nicht tief, tief unglücklich? — Ach, wie wollte ich an ihrer Seite daheime werden in meinem Herzen, daheim und selig zu Hause seyn bei mir, und jedes Winkelchen kennen lernen, darin lieblich Geräthe steht und Krüge würzig duften voll sanf- ten Weines und Oeles, und muß nun doch wieder mich selber draußen suchen gehen! Aber die Braut des Grafen Waldburg darf nicht — Er that die Thüre des Zimmers mit dem ge- waltigsten Herzpochen auf. „Sie“ wollte er sie nennen und zu ihr sagen, daß er komme, um von ihr Abschied zu nehmen, sie solle ihn aber nicht fragen, was sich so plötzlich zwischen sie Beide ge- drängt habe. Mit diesen Gedanken trat er in das Stübchen, vernichtet fast von dem bevorstehen- den Augenblicke und als er sie nicht fand, da — rief er: Sie ist nicht hier! mit eben dem Ent- zücken, mit welchem er gestern die verschlossene Thüre der Dorfkirche begrüßt hatte. Denn nun hatte er sie ja noch, vielleicht zwei, vielleicht gar drei Minuten, bis sie wieder in das Zimmer trat. Er setzte sich am Bette nieder und streichelte die Decke, als streichle er ihre Hand. Dann schob er die Hand unter die Decke am Fußende, wo er ihre Nachtkleider vermuthete, und da gerieth 6* ihm ihr Mützchen zwischen die Finger. Er drückte das Mützchen mit seinen Fingern, denn er wollte Abschied nehmen von Allem, was sie berührt hatte. Dann legte er die Hände in den Schooß und sah vor sich hin und um sich her, lange. Ach, Alles war reinlich und sauber umher und der Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zim- mer. Es kam ihm vor, als sei es darin golden helle, als scheine die Sonne draußen und doch dunstete der graue, häßliche Nebel auch um dieses Haus. — Nach einem langen Schweigen sagte er beklommen: Ich hätte nicht hieher kommen, ich hätte ihr schreiben sollen; so schwere Dinge soll man schriftlich abmachen. Sie blieb immer aus. Er begann, sich nach ihrer Erscheinung zu sehnen, stand auf und ging unruhig hin und her. Was? rief er, indem er sich plötzlich über dieser Sehnsucht ertappte, du ver- langst danach, von ihr Abschied zu nehmen? — Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der Wand, er sah seine Locken in gräulicher Verwir- rung, schämte sich dieses Anblickes, strich sie in Ordnung, und ein Gesicht sah dahinter hervor, welches zwar bleich war, aber sich doch nicht so übel ausnahm, wie er noch vor wenigen Augen- blicken gemeint hatte, daß es sich ausnehmen müsse. Denn eine sanfte Wärme hatte sein ganzes Inneres durchdrungen, welches seit einigen Stun- den wie erfroren gewesen war. Es hob sich eine Last von seinem Herzen, es trat wie ein schwerer Fluch von seiner Seele zurück. Mit jedem Au- genblicke wurde ihm freier und freier; ihm ward zu Muthe, wie dem begnadigten Sünder, wie dem verlorenen Sohne, da der Vater ihm ein köst- liches Mahl anrichten ließ. Ganz und voll durch- drang ihn eine unaussprechliche Empfindung, die aus hülfreichem Mitleid und schöpferischer Zärt- lichkeit gemischt war; ein herzliches Wollen, ein tiefes Entschließen und eine göttliche Geburtswehe des Gemüthes. Alles das wallte wie ein Meer in ihm empor und in die Fluthen dieses Meeres sanken die Fratzen des sogenannten Schlosses hinab und wurden nicht mehr gesehen. Ja, er hatte sie wieder, die zufällig Gefundene, rasch Geliebte, für die Ewigkeit Erkannte! — Er hatte sein Reh wieder, sein Mädchen, sein Herz, und was gestern noch Glück war, das war heute eine schwere, süße Eroberung durch die Tapferkeit seiner wärmsten Blutstropfen geworden. Er rieb sich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er: Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem aller- größten Glücke ganz frei? — Und dann setzte er sich auf den Stuhl am Fenster, auf dem sie zu sitzen pflegte, nahm die Feder, mit der sie eben den traurigen Brief an den Geistlichen geschrieben hatte und focht damit in der Luft hin und her, fröhlich wie ein Junker, der seinen ersten Degen erhalten hat. Er schrieb nicht mit der Feder auf dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen schonen Schnörkel aus L. und O. geschlungen und freute sich über die gefällige Form dieser Buch- staben und um dieselben zog er ein lateinisches W. Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu seyn. Muthig rief er: Und wäre sie von Räubern und Mördern entsprossen und wäre sie unter dem Hoch- gerichte geboren, sie bliebe doch die Lisbeth und doch würde sie mein! — Wer von der Geliebten Abschied nehmen will, gehe nicht in ihr Zimmer, sondern schreibe an sie, obgleich auch dann wohl manches Billet zerrissen werden und statt des Billets der Liebende sich auf den Weg machen möchte. Sechstes Capitel . Suchen und nicht Finden . Er sagte: Aber erfahren darf sie es nie, nie darf sie nach ihrem Ursprunge forschen. Auf mich allein und in meine Brust muß sie gepflanzt seyn. — Da war nun das Erdreich, in welchem die arme abgeschnittene Staude wieder wachsen sollte, und sie wußte es nicht. Sie war so nahe, daß sie fast seine Stimme hören konnte und doch wußte sie es nicht. — Nichtige Nöthe! Ihr gehört zur Liebe, wie Schwindel zum Rausche. Sie kam aber immer nicht. Er wurde unruhig, ging hinunter und fragte nach ihr. Die eine Magd wollte sie den ganzen Tag über nicht gesehen haben, die Andere meinte, sie sei aus dem Hofe gegan- gen. Er durchstrich die nächsten Umgebungen des Oberhofes, aber da war nichts von Lisbeth zu erblicken. Es fing schon an, düster zu werden. Sein Herz wurde ihm nach kurzer Freude noch schwerer als früher. Ihr Verschwinden war ihm unerklärbar. Er ging wieder auf ihr Zimmer, worin er wegen der Dunkelheit die Gegenstände nicht mehr unterscheiden konnte. Nach kurzem Ver- weilen trieb es ihn abermals hinunter, er traf nun den Hofschulzen an und erkundigte sich bei dem, wo sie sei? — Die wird nach Ihnen nicht viel mehr fragen, junger Herr, versetzte der Alte. Sie ist gewitziget. — Was! rief Oswald in äußerster Bestürzung und wollte von dem Hofschulzen nähere Auskunft haben. Diese versagte aber der Alte, denn er hatte zwar seine Pflicht, wie er meinte, gegen das Mädchen üben müssen, aber mit dem jungen verliebten Hitzkopfe mochte er nichts zu thun haben. Liebessachen gehörten überhaupt nicht zu den Gegenständen, die für ihn von Wichtigkeit waren, und worin er Treue und Glauben als Pflichten anerkannte. Um sich des Jünglings durch irgend einen Vorwand, wahr oder falsch, zu entledigen, setzte er hinzu: Junge Frauenzimmer sind wetterwendisch; es mag ihr wohl so ernst nicht gewesen seyn, nun schämt sie sich und will sich nicht vor Ihnen sehen lassen. Ein Weiteres war von dem Alten nicht her- auszubringen. Außer sich stürzte Oswald zum drittenmale nach Lisbeths Zimmer, als müsse sie dort seyn, wenn er sie suche. Er hatte ein Licht mitgenommen. Lisbeth fand er nicht, wohl aber bei dem Scheine des Lichtes und mit dem Scharf- sinn, den der Kummer giebt, die traurigen Zeichen der zerstörten Liebeshuld. Er nahm, was auf dem Kasten lag, hinweg, da sah er drinnen seine Goldrolle und das grüne Särglein liegen, von Lis- beths Busen verstoßen, hinweggeworfen! — Die Stücke des zerschnittenen Tüchleins sah er; der Schnitt ihrer Scheere hatte eigentlich dem Bande zwischen ihnen gegolten! — Auch ein halbverbrann- tes Stückchen Papier erhob er vom Boden, denn Alles war ihm wichtig, was sein Elend ihm er- leuchten konnte. Noch stand darauf: In deinem Ernst, in deinem Lachen Gehörst du dir — Weiter war nichts zu lesen. — Ja, rief er, du ge- hörst nur dir und keinem Anderen, aber das Lachen wird dir wohl eigener seyn, als der Ernst! — Er war böse auf sie, er zürnte ihr ingrimmig, denn auch er glaubte, was der Hofschulze ihm gesagt hatte, und meinte, das Mädchen habe nur in einem Anstoß, der rasch verflogen sei, sich in seinen Arm gelegt. Es war das Unglaublichste, was es nur geben konnte, aber er hätte nicht geliebt, wenn er gezweifelt hätte. — Liebe ist so feige, daß sie vor ihrem eigenen Schatten erschrickt; Liebe ist blind in der Wahl, noch blinder in der Qual. Er stellte sich an die Thüre des Zimmers und rief mit sanfter Stimme über den Gang: Lisbeth! — Sie hörte ihn wohl, aber sie antwortete ihm nicht, denn sie war entschlossen, lieber zu verhun- gern und zu verdursten, als sich zu zeigen, so lange er im Oberhofe sei. Fest hielt sie ihre Hand auf die Lippen gedrückt und wimmerte leise wie ein blutendes Kind, daß sie nicht hinaus und an seine Brust fliegen dürfe. — Er suchte in mehreren Gemächern nach ihr, aber das übersah er, worin sie sich befand. Nun ging er nach dem Zimmer und sah die Goldrolle und das grüne Särglein abermals an, und wollte das Särglein zu sich stecken, denn was ging ihn das Gold an? aber er nahm die Rolle und ließ das Särglein liegen, so verwirrt waren seine Gedanken. Die Blumen riß er aus dem Glase und warf sie heftig zu Boden, aber dann that ihm dieser Zorn doch leid, und er hob sie wieder auf, wenigstens die Lilie, weil er wußte, daß diese der Lisbeth besonders gefallen hatte. Fast wahnsinnig vor Leid machte er einen neuen Gang in die Dunkelheit und als auch der verge- bens war, blieb er erschöpft vor dem Hofe stehen und jeder Windstoß, jeder ferne Ruf mußte ihm Lisbeths Gang oder Stimme bedeuten. Aber sie kam nicht. — Zornig trat er in das Haus zurück und fragte Jeden wild, ob er noch nicht Lisbeth gesehen habe? und dann vertauschte er wieder das Haus mit dem Platze vor dem Hofe, dort immer von Neuem horchend. So trieb es Liebesmühe umsonst bis spät Abends. Mit der verzweiflungsvollen Unruhe des Jünglings bildete die unzerstörliche äußere Fassung des Hofschulzen einen merkwürdigen Gegensatz. Während der junge Graf wie ein verwundeter Löwe umhertosete, saß der alte Bauer gleich einem Bilde aus Stein an seinem Tische, die entsetzlichste Aufregung zurückhaltend im verschwiegenen Herzen. Siebentes Capitel . Ein Trauerspiel im Oberhofe . Melpomene hat zwei Dolche. Der Eine ist blank, haarscharf geschliffen, schneidet schnell und gräbt glatte, rein ausblutende Wunden. Der Andere rostig, voll Scharten, reißt in das Fleisch unselige Zerstörung. Mit dem Einen tritt sie Könige und Helden an, mit dem Anderen pflegt sie sich öfter bei Bauern und Bürgern einzuschleichen. Der Eine trifft um große, unläugbare Güter, um Krone, Reich, Leben, der Andere quält um Nich- tigkeiten, um einen Schall, um des Schalles Wi- derhall. Denn die Menschen werden nicht von den Dingen, sondern von den Meinungen über die Dinge gepeiniget. Der Pallast ist nicht der einzige Schauplatz der Tragödie. — Wer jetzt bei den Schatten der Nacht unter das Dach des Oberhofes hätte blicken kön- nen, würde haben zugestehen müssen, daß dort die leidenschaftlichste Tragödie im Gange sei. Es war so spät geworden, daß die Nachbarn sich zurückgezogen, die Knechte und Mägde sich schlafen gelegt hatten und das Feuer auf dem Heerde erloschen war. Der Hofschulze verschloß darnach alle Thüren des Hauses und bereitete sich zu seinem Werke, welches er für die Nacht erspart hatte. Für ganz einsam hielt er sich, aber er war belauscht. Als die Thüren abgeschlossen wurden, schlich sich eine dunkele Gestalt zu der Spähestelle im Eichenkamp und setzte sich dort nieder, das Gesicht nach dem Oberhofe gewendet. Es war der einäugige Spielmann, welcher inzwischen ge- hört hatte, daß sein Feind nicht am Schlage ge- storben sei und nun sehen wollte, ob ihm nicht wenigstens die Qual aufliege, welche der Rachsüch- tige ihm in heißem Grimme anwünschte. Nicht lange durfte er auf die Freude dieses Anblicks warten. Denn bald leuchtete in dem dunkelgewor- denen Oberhofe ein Licht auf. — Aha, sagte der Spielmann, jetzt giebt er sich an’s Suchen. — Das Licht begann eine Wanderung, jetzt erschien es hier, dann zeigte es sich da. — Nun sucht er in den Stuben, sagte der Spielmann. Zuweilen verschwand es. — Hinten hinaus liegt auch nichts! frohlockte der Spielmann. Plötzlich kam es wieder rasch zum Vorschein. — Da bist du ja schon ge- wesen! murmelte der Feind voll ingrimmiger Lust. So begleitete er jeden Schritt des verrätherischen Lichtes mit seinem Hohne. Wie das Licht nicht müde ward zu wandern und der Reiche in seiner verzweiflungsvollen Anstrengung mit ihm, so ward der Bettler draußen im Dunkel nicht müde, das Licht und den Reichen zu verspotten. Endlich als es auf Mitternacht ging, und der Schein noch immer da und dort flammte, konnte er sich nicht mäßigen, sondern er feierte seinen nächtlichen Triumph durch ein Lied, welches er auf dem Leierkasten tönen ließ. Es war eins der sanften, stillen Lie- der, welche das Volk auf den Gassen zu hören bekommt, er aber riß an dem Griff, daß die Walze, heftig umgeschwungen, die langsame Weise in das wildeste Allegro trieb. Damals um diese Mitternachtstunde saß auf dem Flure im Oberhofe der alte Bauer und ruhte eine kurze Zeit lang von seinem Suchen aus. Das Licht stand neben ihm und in dessen mattem Scheine glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen Gräben, die sich durch ein graues Feld ziehen, denn seine Gesichtsfarbe war von Schmerz und Gram um den ihm unbegreiflichen Verlust aschfahl. Die Augen waren fast aus ihren Höhlen getreten und er sah starr mit ihnen auf den Boden. Alles hatte er unten durchsucht, selbst das Stroh in dem Stalle umgewendet und nichts gefunden. Jetzt erhob er sich, um in dem ersten Stock des Hauses nachzusehen. Das Licht vor sich hin- haltend, ging er zitternd und gebeugt langsam die Treppe hinauf und hielt sich am Geländer. Oben stand er still und überschlug, wo er seine For- schungen anstellen müsse. Denn auch in dieser verzweiflungsvollen Seelenstimmung verließ ihn seine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte sich, daß er in der Kammer, worin die Kiste stand, schon gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts undurchstöbert gelassen hatte; dort also wäre jede erneute Mühe umsonst gewesen. Aber alle anderen Gemächer, Gelasse, Ecken und Winkel durchspähte er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen standen, und blickte hinter jede Kiste. Er öffnete die Schränke und Kisten, bückte sich über sie und leuchtete hinein. Jedes Geräth, welches einen Ge- genstand verbergen konnte, nahm er auch hier von seinem Platze und sah nach, ob das Schwert nicht da- hinter liege. Ueber diesem stillen und vergeblichen Suchen gingen wieder mehrere Stunden hin. Der Morgen begann schon zu dämmern. Wie der alte Mann so, unaufhörlich gehend, sich bückend, spähend, nie übereilt in seinen Be- wegungen, aber auch nimmer rastend, umherwan- derte, gewährte diese unablässige, stumme, stäte, gleichmässige Mühe einen peinlichen und fast schauer- lichen Anblick. Wäre er rascher in seinen Bewe- gungen gewesen, so würde man ihn haben einem Raubthiere vergleichen können, welches nach seinen Jungen sucht; so aber, wie er sich verhielt, glich er einer ewigen, todten, stillwühlenden Naturkraft. Das letzte Gemach, welches er durchforschte, war Lisbeth’s Zimmer. Er dachte nicht daran, daß er ein entkleidetes und schlafendes Mädchen dort hätte finden können. Er verwunderte sich auch nicht, daß er Lisbeth nicht darin fand, daß ein Anderer es und in solcher Art, wie er sah, inne hatte, denn er hätte sich über nichts ver- wundert, seine Seele war gleichgültig gegen Alles, außer gegen den einen Gegenstand, der sie erfüllte. — Nun hatte sich die Sache gewendet. Der Alte war in Bewegung und der junge Mann ruhte, oder regte sich wenigstens nicht, erschöpft von An- strengung und Leiden. Er hatte sich, nachdem er der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute wiederzusehen, über ihr Bette geworfen, um etwas zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So lag er, die Arme über das Kissen gebreitet, und dieses an seine Wangen drückend. Leise stöhnte er und rief zuweilen schluchzend den schwäbischen Schmerzenswunsch: Ich wollt’, ich wär’ bei mei- ner Mutter! — Die Mutter, nach der er hinver- langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte, um die er bekümmert war, saß wenige Thüren von ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erstarrtes Vög- lein, welches Tages zuvor so lieblich gesungen hatte. Der Hofschulze bekümmerte sich nicht um Os- wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof- schulze in das Zimmer getreten war. Auch hier that und vollbrachte nun der Alte sein mühevoll vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von der Stirne. Er seufzte tief und machte sich jetzt auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 7 undurchforschten Raume des Hauses. Als er in die Nähe der Söllertreppe kam, stand er jedoch plötzlich still und ein Schauder schüttelte seine Glie- der. Nachdem dieser Schauder vorüber war, hatten seine Züge ein verändertes Ansehen gewonnen. Die Muskeln des Antlitzes spannten sich straff an, die Augenhöhlen wurden weiter, in seine Augen trat ein seherischer Glanz, sie blickten unbeweglich mit geisterhaftem Blicke vor sich hin, als schaue er etwas, ein Ding oder einen Ort, und plötzlich griff er mit der Hand nach der Luftgestalt, die ihm der auf der Höhe seiner Anstrengungen gewor- dene ekstatische Zustand vorspiegelte. Jene Hand- bewegung brachte ihn zu sich selbst zurück. Er blickte nun mit seiner gewöhnlichen Art um sich her, strich sich über die Stirne, die Anspannung der Muskeln ließ nach, die Brauen sanken herunter, die Augenhöhlen nahmen ihre gewöhnliche Größe an, er sah aus, wie zuvor. Der ganze Paroxys- mus hatte nur wenige Secunden gedauert. Aber ohne Zweifel war während desselben etwas Außer- ordentliches in ihm vorgegangen. — Also da liegt es! murmelte er froh und beruhigt, und stieg raschen Schrittes die Söllertreppe hinauf. Oben achtete er dessen nicht, daß er mit dem brennenden Lichte neben Stroh und Heu vorbei- ging; eine Unvorsichtigkeit, wofür jeder Knecht ohnfehlbar den Dienst bei ihm verwirkt haben würde. Geraden Schrittes ging er auf den Ver- schlag zu, worin Oswald so unbequeme und doch so glückselige Nachtstunden zugebracht hatte. Mit der Sicherheit Eines, der weiß, daß ihn seine Vermuthung nicht täuscht, machte er die Thüre auf und sah sich im Verschlage um. Aber als er nun das Lagerstroh umgekehrt und die wenigen Sachen, welche der enge, kahle Raum enthielt, hinweggethan hatte, brach er gewaltsam zusammen. Denn zwischen diesen vier leeren Bret- terwänden war das Schwert Karl’s des Großen auch nicht zu finden. Das brennende Licht ent- sank seiner Hand, er setzte sich oder fiel vielmehr auf einen dort stehenden Kasten und stieß einen furchtbaren Schrei aus, einen von den Lauten, die sich nicht beschreiben lassen, weil die Natur in ihnen ihre eigensten, nur sich selbst vorbehalte- nen Rechte übt. Das Licht schwelte mit seiner Flamme auf dem Fußboden in der Nähe des umherzerstreuten 7* Strohes. Der Hofschulze aber hatte kein Auge für diese Feuersgefahr. Er blieb auf dem Kasten sitzen. Die Kniee hatte er zum Haupte emporge- zogen, die Arme auf die Kniee gestemmt und mit seinem Munde nagte er an den Händen. So blieb er, ohne daß er sein Lager aufgesucht hätte, oben, bis es heller Tag geworden war. Achtes Capitel . Wie der einäugige Spielmann seine Ab- sicht bei einem leidenschaftlichen Juristen erreicht . Am folgenden Morgen zwischen zehn und eilf Uhr hielt ungefähr eine halbe Stunde vom Ober- hofe ein kleiner leichter Wagen vor einem einzeln stehenden Hause. Den Schlag des Wagens öffnete der alte Jochem, welcher auch das Pferd — denn der Wagen war ein Einspänner — gelenkt hatte, und half dem darin sitzenden Manne heraus. Dieser war der Mann im graubraunen Mackintosy, der Oberamtmann Ernst. Ihr bleibt nun hier, Jochem, sagte der Ober- amtmann, ich aber will das Geschäft in der Bauer- kathe, in dem sogenannten Oberhofe besorgen. Warum fahren Sie nicht vor, Herr Oberamt- mann, fragte der alte Jochem. Weil ich alles Aufsehen vermeiden will, ver- setzte der Geschäftsmann. Wie Ihr mir Euren Herrn beschreibt, Jochem, ist er in einer etwas erhöhten Stimmung. Unterhandlungen aber mit Leuten in solcher Stimmung wollen ganz besonders vorsichtig angefaßt seyn, sonst mißlingen sie leicht. Ich würde mit dem Wagen die Leute im Hofe aufmerksam machen, der Graf könnte vielleicht durch die Anwesenheit von Zeugen gereizt werden, und was dergleichen mehr seyn dürfte. Deßhalb ziehe ich es vor, allein, gleichsam schleichend, nach der Kathe zu gehen, ihn so zu überraschen und sacht mit fortzunehmen. — Eine Liebschaft, Jochem, sagt Ihr? So sagt’ ich, Herr Oberamtmann, versetzte der alte Jochem. Aber er wollt’ nichts mehr damit zu thun haben und weinte dabei erbärmlich. Kenne das, Jochem, sagte der Oberamtmann. Rixae amantium u. s. w. — Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, daß der Mackintosh wie das Segel eines Hamburger Evers flog und rauschte und rief: Großer Gott, so behielte ja der Mer- cur Recht mit der Reise nach dem aufgelesenen Schätzchen! Herr Oberamtmann, sagte der alte Jochem, wenn ich Ihnen rathen soll, so schicken Sie mich nach dem Hofe, denn ich weiß doch allein meinen Herrn zu behandeln. — Der Oberamtmann maaß den Alten mit einem geringschätzigen Blicke und schüttelte das Haupt. Der Alte, den dieser Blick etwas verdroß, und der die Eigenheit hatte, daß er zuweilen laut dachte, murmelte, daß Jeder es verstehen konnte: Wenn der ihn mit seiner Unter- handlung aus dem Oberhofe fortbringt, so will ich nicht Jochem heißen. Nicht weit von dem Platze, auf welchem dieses Gespräch vorfiel, torkelte unter den Tannen ein Mensch umher, dessen Gebärden einen Betrunkenen verriethen. Was diesen Betrunkenen vor Anderen seines Zustandes auszeichnete, war, daß er nicht fiel, obgleich ein Leierkasten, den er auf dem Rü- cken trug, hin und her rutschend das Gewicht auf der Seite vermehrte, auf welche er sich gerade neigte. So aber mit dem bald links bald rechts fliegenden Leierkasten gewährte der Patriotencaspar — denn dieser war der Betrunkene — das Schau- spiel eines auf hohen Wellen treibenden Schiffes, welches gleichwohl nicht untergeht. Er hatte sich von dem Erlöse des Silberringes, den er an einen Hausirer verkauft, auf das Rachegefühl der Nacht in dem kalten Morgennebel gütlich gethan, und war so in diese Verfassung gerathen, welche ihn jedoch nicht hinderte, zwar heftige aber doch völlig zusammenhangende Reden zu führen, die er unaufhörlich hervorsprudelte. Der Weg nach dem Oberhofe lief durch die Tannen. — Das Pferd bleibt wohl ruhig hier stehen, sagte der Oberamtmann. Geht doch etwas voran, Jochem, und haltet mir den Menschen da seitab; Ihr wißt, daß ich mit Betrunkenen nicht gern zu schaffen habe. Jochem ging voran und der Oberamtmann folgte in gemessener Entfernung. Er sah, daß der Alte mit dem Betrunkenen sich in ein Gespräch gab, und rief, was da vor sei? Jochem kam zurück und meinte, das sei der curioseste Fuselichte, der ihm jemals vorgekommen. Bloß die Beine sind benebelt, sagte er; im Uebrigen ist der wüste Kerl vernünftig und spricht verständlich wie ein nüchter- ner Mensch von Protocoll und Mord und Todtschlag. Als der Oberamtmann diese Worte hörte, horchte er hoch auf. Was giebt es denn damit? fragte er sehr gespannt. Sein Widerwille gegen den Betrunkenen war viel kleiner als seine Neu- gier nach dem Protocolle und nach dem Mord und Todtschlag. Er ging daher zu dem Patriotencas- par, der wirklich einen eigenen Rausch hatte, von dem so zu sagen nur die Extremitäten angegangen waren, das Gehirn aber unversehrt geblieben war. Ein nicht seltener Fall bei erschöpften Körpern. Der betrunkene Spielmann rief dem Oberamtmanne gleich entgegen: Könnt Ihr mir ein Protocoll machen, he? Mein Freund, das könnte ich allerdings wohl, versetzte der Oberamtmann mit einem juristischen Lächeln. Nun denn, so kommt Ihr mir ja wie ein wah- rer Retter in der Noth entgegen, rief der Spiel- mann und wollte den Oberamtmann umarmen. Dieser wich zurück, darüber verlor Caspar das Gleichgewicht und fiel mit der Nase auf die Erde. Er raffte sich aber gleich wieder empor, ließ den Fall sich nicht anfechten und fuhr fort: Macht mir ein Protocoll, und ich will Euch Zeitlebens dankbar seyn. Aber was soll denn in dem Protocolle stehen? fragte der Oberamtmann. — Herr, sagte der alte Jochem, wollen Sie nicht weiter nach dem Ober- hofe? — Ich bitte Euch, Jochem, laßt mich doch; man muß jeden Menschen anhören, versetzte unge- duldig der Oberamtmann, dessen Theilnahme an diesem nach einem Protocolle durstigen Trunkenen sichtlich wuchs. Mord und Todtschlag soll darin stehen! rief der Patriotencaspar. — Ich habe einen Menschen todtgeschlagen und Keiner will mir ein Protocoll darüber machen, auf daß ich mein Recht und meine Strafe empfange, wie sich gebührt. Die Gestalt des Oberamtmanns verwandelte sich bei dieser unerwarteten Nachricht zu der höl- zernen Säule, an welcher er seine Inculpaten züchtigen ließ. Ein solcher Fall war ihm nie vor- gekommen. Auch der alte Diener zeigte sich er- staunt und rief: Ich sag’s ja immer, wenn man aus Schwabenland heraus ist unter die Franken und Sachsen und Polacken gekommen, hört Recht und Gerechtigkeit auf. ’S ist a wüst Volk haußen. Ihr habt Einen todtgeschlagen und sie wollen kein Protocoll darüber aufnehmen? fragte der Ober- amtmann einigermaßen entsetzt. Richtig Einen todtgeschlagen und keine Mög- lichkeit, mein Protocoll darüber gemacht zu kriegen! erwiederte der Spielmann. Der Oberamtmann bedachte sich, senkte das Haupt, spannte in dieser denkenden Stellung den Mackintosh wie einen Wandschirm aus, und sagte dann: Dieser Mensch ist entweder verrückt, denn der Trunk hat ihn, wie augenscheinlich, nicht um seinen Verstand gebracht, oder es herrscht eine Nachlässigkeit der Behörden hier, die ohne Beispiel seyn dürfte. — Er hielt dem Patriotencaspar die fünf Finger seiner rechten Hand vor die Augen und fragte: Was seht Ihr da? Fünf Finger, versetzte der Spielmann. Guckt einmal da oben hinauf. Was seht Ihr über Euch? Den Himmel. Es ist aber noch Haarrauch, deßhalb sieht man nicht viel vom Himmel. Sagt mir die Wochentage her. — Der Spiel- mann nannte alle Tage vom Sonntag bis zum Samstag in ihrer gehörigen Reihenfolge. Welches sind die zehn Gebote? — Der Spiel- mann hob von dem „nicht andere Götter haben neben mir“ an und ließ keins aus. Nach dieser Geisteserforschung sprach der Ober- amtmann: Dieser Mensch ist so wenig irr als ich oder Ihr, Jochem. Folglich ein geständiger Todt- schläger, der von Reue und Gewissensbissen zer- fleischt, sich angiebt, dennoch nicht eingezogen, ja nicht einmal zur Anzeige gelassen wird. Schöne Wirthschaft! Was für ein Staat! — Kommt mit hinein in jenes Haus, sagte er zum Patrio- tencaspar, es wird ja wohl ein Bogen Papier nebst Feder und Dinte darin zu haben seyn. Ich will etwas kurzes Schriftliches von Euch aufneh- men und mir während dessen überlegen, was wei- ter in der Sache zu thun ist. Aber Herr Oberamtmann, der Oberhof — sagte der alte Jochem. Der Oberhof läuft uns ja nicht fort, versetzte der Jurist, und Euren Herrn werde ich eine Stunde später auch noch finden. Diese Sache geht vor, man soll von mir nicht sagen, daß ich von einem Capitalverbrechen gehört habe und meiner Wege dabei vorübergegangen sei. Bleibt Ihr bei dem Pferde, Jochem, und Ihr, Mensch, folgt mir. Man sieht, daß der Oberamtmann kurz vor der Fahrt im würtembergischen Landrechte gelesen hatte. Er ging voran in das einsam liegende Haus; der Patriotencaspar torkelte nach, sehr vergnügt, ein Protocoll gemacht zu bekommen, und der alte Jochem blieb kopfschüttelnd bei dem Pferde stehen, welches eine Art von Krippenbeißer war, denn es stieß beständig mit dem Kopfe nach vorn hinunter. Neuntes Capitel . Das Freigericht und was diesem folgte . Oswald trat in einer seltsamen Stimmung aus der Thüre des Oberhofes. Ihm wäre wohler gewesen, so bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im Sarge vor sich gesehen hätte, dann wäre er jam- mernd über den Sarg gestürzt, hätte auf den er- starrten Lippen mit seinen Küssen einen kurzen Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte sich das Herz in Thränen todt geweint. Aber ein Al- bernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes schied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres, eine plötzliche Reue über den rasch geschlossenen Bund; so mußte er auch glauben. Der Zorn, der Schmerz über diesen unsichtbaren Feind, über einen dumpfen und stumpfen Zauber, den er nicht lösen, ja nicht einmal anfassen konnte, fraß ihm tief in die Brust hinein. — Ein leichtes, veränderliches Mädchen, die heute sich hingiebt und morgen sich spröde versagt! murrte er ingrimmig und empfand es wie ein scharfes Messer in seinen Eingeweiden, daß er solche Worte sprach. Es fiel ihm nicht ein, daß er ein großer Graf und Lisbeth ein ar- mer Findling sei, daß dieses verlassene Mädchen auch ihr reichstes äußerliches Glück in der Ehe mit ihm finden müsse; in seinen schwärmerischen und wüthenden Gedanken sah er sie hoch über sich. Er war der niedere Schäfer, sie die Prinzessin, die ihn nach Willkühr an sich gezogen hatte, nach Willkühr ihn nun verstieß. In so furchtbarer Gemüthsverfassung, in so bitterer Pein fand er das große Gesetz der Liebe, welches dem Lieben- den ewig seine Stelle zu den Füßen der Gelieb- ten anweiset, und wäre diese eine aus dem Staube hervorgegangene Bäuerin. Habe du die Schätze des Moguls, grüne der Lorbeerkranz des Ruhmes um deine Schläfe, führe du Salomo’s geisterbe- herrschenden Ring, kröne dich der Reif der Hoheit, die Geliebte wird, und nicht im abgeschmackten Gleichniß, sondern in der Wahrheit und Wirklich- keit deine Königin seyn, demüthig wirst du den zaubergewaltigen Ring in ihren Schooß legen, der Kranz wird dich drücken in ihrer Nähe, ein Bettler wirst du immerdar bleiben vor ihr, und auch als König ein Sclav. In solchen ausgeweinten, ausgeleerten, ausge- nüchterten Stunden ergreift den Menschen eine wilde Gleichgültigkeit und zugleich schärft sich in ihm eine Art von gedankenlosem Merken auf die unbedeutendsten Dinge. An der Stelle, wo du verzweifeltest, sahst du, ob ein Grashalm so oder so gebogen war, du wußtest, daß an dem Busche, der da stand, zwanzig Knospen aufgebrochen waren, genau so viele, nicht mehr und nicht minder, du könntest den Hirten, der gerade seine Heerde dem Platze vorbeitrieb, lange nachher aus der Erinne- rung malen, so genau beobachtetest du seinen Rock, den messingenen Kamm im Haar und seine nichts- bedeutenden Gesichtszüge. Du verwünschest dein Geschick, und erkennst während deiner schäumend- sten Flüche, daß der Vogel, der dort in weiter Entfernung auf einem dürren Aste sitzt, eine Krähe ist und nicht eine Dohle. Oswald war gleichgültig über Alles geworden und wäre mit seinem juristischen Freunde abgereiset, hätte sich dieser jetzt am Oberhofe eingefunden. Aber er sah auch mit den verwachten und geröthe- ten Augen Alles, er hörte Alles, was um ihn vorging. — Vor dem Hause stand der Hofschulze mit einem anderen Bauern im Gespräch. Sie standen mit dem Rücken gegen die Thüre, so daß sie den jungen Grafen nicht bemerkten. — Hof- schulze, sagte der Bauer, es kann doch nun ein- mal nichts helfen, kommt also nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieses. — Der Hofschulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann sagte er so hohl, als steige die Stimme aus dem Grabe empor: Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird. — Der Bauer ging seitwärts ab, der Hofschulze wandte sich um und Oswald sah, daß das Antlitz seines alten Wirthes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofschulze in das zerstörte Antlitz seines jungen Gastes; sie warfen einander finstere und doch nichtssagende Blicke zu, und dann ging Jeder seiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf seinem Wege sagte Oswald zerstört lachend: Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freistuhl machen; ich will Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 8 mich verstecken und zusehen, was kann der Mensch Besseres thun, als etwas Neues beobachten? Nicht lange nach diesem Auftritte wanderten zehn bis zwölf Bauern von verschiedenen Seiten die Pfade den Hügel hinauf nach dem Freistuhle. Es waren die reichsten Hofesbesitzer der Umgegend. Die Gesichter dieser Leute waren ernsthaft und feierlich. Ihre Schritte übereilten sie nicht, und wo auch zwei zusammengingen, wurde dennoch kein Wort gewechselt. Diese alten Freibankbauern tru- gen auch heute noch ihren Feierputz und die großen breitkrempigen Hüte gaben ihnen ein schweres und würdiges Ansehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und schweigen- den Wanderer. Als sie eben am Freistuhle angekommen waren, Einer nach dem Anderen, setzten sie sich schweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine um- her, die in der Einsenkung zwischen den Brom- beergebüschen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Frei- grafen aufbehalten. Sie saßen wohl eine Vier- telstunde lang, ohne einander anzusehen, geschweige daß sie zusammen geredet hätten. Jeder blickte starr und fest vor sich hin. Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hofschulzen gesprochen hatte, der Frohnbote; nächst dem Besitzer des Oberhofes der Kundigste in den Sitten und Ge- bräuchen der Väter. Dieser stellte sich außerhalb des Kreises der Steine hin, auf seinen Knotenstock gestützt und nach der Gegend des Oberhofes hin- untersehend. Von dieser Gegend kam nach einer Viertel- stunde der Hofschulze heraufgegangen, der Frei- graf. Neben ihm ging sein Eidam. Feiermässig war auch sein Anzug, aber gebückt und kummervoll sein Gang. Den Eidam ließ er an einer über hundert Schritte vom Freistuhl entfernten Stelle zurückbleiben, das Gesicht von diesem abgekehrt. Der Frohnbote ging dem Hofschulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und sagte: Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen Thue ich Euch fragen; Soll ich, Euer Knecht, Euch den Königsstuhl setzen, wie Recht? Der Hofschulze erwiederte: 8* Alldieweil die Sonne mit Rechte Bescheinet Herren und Knechte Und alle unsere Werke , Spreche ich, das Recht zu stärken, Den Stuhl zu setzen eben, Und rechte Maaß zu geben. Der Frohnbote ging hierauf durch den Kreis zu dem großen Steine unter den drei alten Linden, legte die Hand an denselben, als setzte er ihn wie einen Stuhl zurecht, stellte ein kleines Korn- maaß, welches er unter dem Rocke hervorzog, vor den Stein, blieb selbst daneben stehen und rief dem Hofschulzen, der sich noch immer außerhalb des Kreises befand, folgenden Spruch zu: Herr Grafe, lieber Herre; Ich vermahne Euch bei Eurer Ehre, Ich bin Euer Knecht, Darum sagt mir für Recht, Ob diese Maaß ist gleich Für Arm und Reich, Zu messen Land und Sand Bei Eurer Seelen Pfand? Der Hofschulze antwortete: Ich erlaube Recht und verbiete Unrecht Bei Peen der alten erkannten Recht. Er ging nun auch in den Kreis, schritt, ohne von seinen Genossen begrüßt zu werden, oder sie zu begrüßen, auf den Stein unter den Linden, den Königsstuhl, zu, setzte sich, stellte seine Füße auf das Kornmaaß und entbloßte das Haupt, wel- chem Beispiele die Bauern folgten. Dann zog er eine Flechte von Weidenzweigen aus dem Rock- ärmel und gab sie dem Frohnboten, der sie auf einen tischartigen Stein vor dem Stuhle legte. Die Bauern murmelten und Einer fragte: Die Wyd sehen wir; wo ist das Schwert? Der alte Freigraf zuckte zusammen und der Frohnbote antwortete statt seiner: Es hat nicht gleich auf der Stelle gefunden werden können. Nachbarn, sagte der Hofschulze zitternden Lau- tes, es ist ein Malheur mit dem Schwerte von Carolus Magnus geschehen, und wenn Ihr so wollt, stehen wir auf und gehen heim. Nein! riefen die Bauern; aber daß das Schwert mangelt, ist schlimm, denn es bedeutet das Kreuz, woran der Herr Christus gelitten hat. Sie blieben in nachdenklichen Stellungen. Auch ihr alter Vorstand hatte Mühe, seine Fassung zu behalten. Er erhob indessen die Stimme und sprach zum Frohnboten: Ich biete, zu sagen mir: Sind Nothschöffen allhier? Oder Mann, die nicht wissen? Das sage mir beflissen. Der Frohnbote sah sich im Kreise um und ver- setzte dann mit lautem Tone: Alle Mann sind wissend und gerecht, Weder Nothschöffen, weder Juden, weder Knecht. Jetzt redete der Hofschulze die Versammlung mit folgenden Worten an: Ist es die rechte Stätte und die rechte Stunde, Ding und Gericht zu hal- ten nach Freistuhlsrecht unter echtem Römischen Königsbann? — Die Bauern antworteten ein- stimmig: Ja, sie ist es; und der Hofschulze fuhr fort: So warne ich Euch vor Unlust, Keif, Schelt- wort. Niemand soll sprechen, denn mit Fürsprach, Niemand scheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. — Dieweil — setzte er hinzu — Dieweil an diesem Tage Mit Eurer Aller Behagen Unter dem hellen Himmel klar, Ein frei Feldgericht offenbar Wo Nothschöffen keine Gehegt beim lichten Sonnenscheine, Nicht in Schlüften Nicht in Klüften Zwischen sieben Uhr frühe Und Ein Uhr Mittags; siehe! Alle Mann auch nüchtern kommen sind, Königsstuhl und Maaß man recht befindt, So sprecht das Recht ohne Witz und Wonne, Weil scheint die Sonne. Die Bauern sprachen: Wir wollen’s. Der Hofschulze fragte abermals: Was giebt dem Freischöffen Fug und Recht? Die Bauern murmelten dumpf: Hebende Hand, blickender Schein, gichtiger Mund. — Darauf sagte der Frohnbote: Herr Grafe, es steht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat. Der Hofschulze wandte sich wieder an die Ver- sammlung und sprach: Ist es Euch genehm und zum Behagen, daß mein Eidam vom Jürgenserb, frei, Keinem eigenbehörig, ohne Schimpf noch Schande, unverleumd’t im Lande, wissend gemacht werde auf rother offener Erde, fahe Loosung und Heimlichkeit, wie Kaiser Carolus gesetzt zu seiner Zeit? Die Freischöffen erwiederten: Es geschehe. — Der Hofschulze gab nun dem Frohnboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freu- dig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchste Ehre von seines Gleichen empfan- gen sollte. Der Frohnbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwieger- vater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Frohnbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter schweren Verwün- schungen ertheilt wurde. Bei der Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräther trage. Vermaledeit sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Thiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren. Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Frohnbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor, die Fehme zu hüten: Vor Mann, vor Weib, Vor Dorf, vor Traid, Vor Stock, vor Stein, Vor Groß, vor Klein, Auch vor Quick Und vor allerhand Gottesgeschick, Ohne vor dem Mann, Der die heilige Vehme hegen und hüten kann, Und nicht zu lassen davon Um Lieb noch um Leid, Um Pfand oder Kleid, Noch um Silber, noch um Gold, Noch um keinerlei Schuld. Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen, der Frohnbote hielt ihn aber in seiner knieenden Stellung fest und sagte, sich vergessend, und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauer- sprache fallend: Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe seyn? Ihr kriegt ja erst die Loosung. Auch gut! rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. Her mit der Loosung! Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte Jener: Die Loosung und das Nothzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain. Gut, versetzte der Eingeweihte. Stock, Stein, Gras, Grain, das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain? Neige dein Ohr zu meinem Munde, versetzte der Freigraf, du sollst den heimlichen Sinn er- fahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen. Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Frohnbote überlaut: Halt! Das Ding ist geschän- det, wir haben einen Lauscher in der Nähe, ich hörte ein Geräusch ganz deutlich. Nun ja, sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, ich habe Euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie gethau, wollte mir aber so schlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, wo möglich da in den Forst, Euch unbemerkt. Nehmt mir’s nicht übel, ich werde nichts von Euren Sachen verrathen, es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte. — Er trat in den Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen. Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Be- leidigung der ganzen Gesellschaft den Fehdehand- schuh hinwirft — anfangs ist Alles lautlos und gleichsam versteinert, mit einemmale aber springt Jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes- und Racheworten ausschäumen, so wirkte hier die unerwartete Er- scheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein athemloses Staunen und die Bauern sahen ihm, ohne ein Wort zu sagen, nach, bis er im Forste verschwunden war. Dann aber sprangen sie wüthend auf, ballten die Fäuste und ergossen sich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwün- schungen. Einige riefen: Soll das geschehen dürfen wider uns? Andere antworteten: Nimmermehr; Todt sollte man ihn schlagen! Todt! riefen Alle und bekräftigten dieses finstere Wort durch ein lautes Murren, welches schauerlich von der nebel- umgebenen Höhe klang. — An eine Fortsetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht. Der Hofschulze war während des Getöses stumm geblieben, sein Antlitz sah aber kreideweiß aus. Als jetzt nach jenem Murren eine augenblickliche Stille ein- trat, erhob er sich und sagte: Nachbarn, wollt Ihr mir überlassen, die Sache in aller Manier zu schlichten? Die Bauern versetzten: Thut das, Hofschulze. Nur daß nichts auskommt von der Heimlichkeit. Ich hoffe, es soll nichts auskommen, versetzte der Hofschulze mit einem seltsamen Lächeln. Wie wollt Ihr es anfangen? fragten seine Nachbarn. Ich will Euch nur veroffenbaren, sagte der Hofschulze und sein Lächeln wurde immer sonder- barer, daß ich eine Sache von meinem Vater seliger ererbt habe, die, wenn man sie gehörig braucht, Jemandem den Mund schließt über jegliches Ding, worüber man will. Ja, sagte Einer, so etwas müßt Ihr wohl inne haben, denn vom Oberhofe ist niemals was herunter geschwatzt worden. — Sie schüttelten ihm die Hand und liefen nach allen Richtungen hügelabwärts auseinander, unterweges ihr Murren, Schelten und Verwünschen fortsetzend. Als die beiden Alten oben auf der Höhe allein waren, wechselten sie mit einander die allerverwunderlichsten Blicke. Der Frohnbote hatte seit dem Abgange des jungen Grafen wie ein Falke nach jedem Gesichtszuge seines Freigrafen gespäht. Er verstand ihn und der Freigraf verstand den Frohnboten; es bedurfte aber dazu keines Woctes unter ihnen. Nach langem Schweigen erhob zuerst der Frohn- bote seine Stimme und sagte: Wollt Ihr mir eine Nachbargefälligkeit thun, Hofschulte? Ja, wenn ich kann, versetzte der Hofschulze. Ihr könnt schon, sagte der alte Frohnbote. Es fehlt mir im Nußholz an Fällern und auf der Pfaffenwiese an Grummetwenderinnen. Darf ich Eure Knechte und Mägde dazu vom Oberhofe mitnehmen, die Knechte nach dem Nußholze schicken und die Mägde nach der Pfaffenwiese? Ihr kriegt sie aber vor spät Abend nicht zurück, denn es ist viel zu thun. Nehmt sie nur Alle mit, Knechte und Mägde, und behaltet sie bis zum späten Abend draußen; antwortete der Hofschulze. Ich thue Euch auch einen Gefallen dagegen, sagte der Frohnbote. Ihr spracht neulich, daß Ihr den alten Brunnen hinter der Scheure wieder aufnehmen wolltet; er ist aber ganz versperrt; das Geströhde vor dem Zugange will ich Euch daher immer schon etwas wegräumen, wenn ich hinunter komme. Es soll mir recht lieb seyn, erwiederte der Hofschulze. Wohin geht Ihr von hieraus? fragte der Frohnbote. In die Hollenberge, um nach den Mandeln zu sehen, antwortete der Hofschulze, und schlug, ohne sich weiter zu verweilen, einen Pfad zwischen den Kornfeldern ein. Der Frohnbote sah ihm nach und sagte dann: Wenn man nun einstmals unver- muthet um Sachen befragt werden sollte, so kann man schwören, daß er weder in den Oberhof noch in den Forst da gegangen ist, dem Menschen nach. Hierauf schritt er den Weg zum Oberhofe hinunter. Der Hofschulze kehrte, als er einige hundert Schritte gegangen war, um und ging in den Forst, bebend, bleich, außer sich. Zehntes Capitel . Wie der Hofschulze und der Graf Oswald an einander und aus einander geriethen . Unten im Oberhofe befahl der Frohnbote den Knechten zum Holzfällen nach dem Nußholze, den Mägden zum Grummetwenden nach der Pfaffen- wiese zu gehen, der Baas habe sie ihm für den Tag verstattet. Sie sollten sich Brod mitnehmen und am Abend werde er ihnen das eingebüßte Mittagsessen wohl ersetzen; fügte er hinzu. Die Knechte und Mägde gehorchten ihm, denn der alte Frohnbote war des Hofschulzen genauester Freund und galt wie der Herr selbst im Hofe, wenn Jener entfernt war. Nachdem sich alle Menschen, wie er glaubte, aus dem Hofe entfernt hatten, blieb er noch einige Minuten in dem stillen Hause stehen und sagte dann wohlgefällig: Jetzt kann hier geschehen, was Recht ist. Darauf ging er über den Hof nach den Ställen. Zwischen der Scheure und dem Pferde- stalle war ein schmaler Gang, der noch dazu durch Rasen und Reisig etwas versperrt war. Diese Hin- dernisse räumte der Frohnbote hinweg, legte sie jedoch so, daß sie mit leichter Mühe wieder an ihren Platz gethan werden konnten. Von dem Gange gelangte er auf ein kleines dunkeles Plätz- chen hinter der Scheure, welches kaum acht Fuß im Gevierte hielt. Nur ihm und dem Hofschulzen war das Daseyn dieses Plätzchens kund, auf wel- chem der alte Brunnen des Oberhofes stand, der, welcher gebraucht worden war, ehe durch den Bau der neuen Scheure vor dreißig Jahren das Plätz- chen verbaut wurde, welches durch einen Winkel der hinter der Scheure durchziehenden Hofesmauer entstand. Ein großer Hollunderbaum, welcher an dieser Mauer grünte, überschattete das Plätzchen und machte es feucht. Nesseln und Unkrautspflanzen wucherten dort in wilder Fülle. Der Frohnbote schlug einige der höchsten Nesseln zurück, und seine rauhen Fäuste empfanden nichts von ihrem Bren- nen. Er stieß mit dem Fuße die Kröten fort, die auf den feuchten Steinen in Menge saßen, nahm ein Paar morscher Bretter, womit der Brun- nen überdeckt war, hinweg, beugte sich über die niedrige Brunnenmauer, ließ einen Stein hinunter- fallen und freute sich, als das Plätschern unten anzeigte, daß noch Wasser in dem Brunnen war. Er legte einige große Steine neben den Brunnen und einen Strick, den er aus der Tasche zog, legte er dazu. Dann schwang er sich ungeachtet seines Alters rüstig an dem Hollunderbaume über die Mauer, nachdem er noch ein Blatt von dem Baume abgebrochen hatte. Auf dem Blatte pfiff er eine Melodie, während er draußen durch Wiesen und Felder nach seinen Besitzungen ging. Zuerst wollte er das Nußholz und dann die Pfaffenwiese besuchen. Als das Haus des Oberhofes ganz still gewor- den war, that es oben an der Thüre der Kammer, worin das Schwert Karl’s des Großen gelegen hatte, ein leises Klinken, so leise, als fürchte der Klinkende, daß auch nur das geringste Geräusch von ihm vernommen werden möchte. Darauf schlich es eben so leise über den Gang nach dem Zimmer Lisbeth’s, und dann wurde es wieder eine Zeit- lang ganz still, als werde an der Thüre gehorcht, Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 9 ob Jemand in dem Zimmer sei. Darauf klinkte die Thüre des Zimmers schon etwas lauter und als nun letztere geöffnet worden war, ging es oben und that ein Kramen wie von Jemand, der nicht mehr darauf achtete, ungehört zu bleiben. Aber plötzlich ertönte unter dem Kramen ein Schrei, es kam aus dem Zimmer gesprungen, die Thüre desselben wurde rasch zugeworfen, es rannte über den Gang, huschte in die Kammer und auch deren Thüre flog mit Geräusch zu. Kurz nach diesem Vorgange betrat der Hof- schulze mit dem jungen Grafen Oswald das Haus. Das war ungefähr um die Zeit, als der Frohnbote sein Geschäft am Brunnen gethan hatte. — Welche Versicherung begehrt Ihr von mir, daß ich Eure Heimlichkeit nicht ausbringe? fragte Oswald seinen alten Gastfreund. Ich bin willfährig mit Euch gegangen, als Ihr mich oben im Forste darum ersuchtet, aber nun beeilt Euch und sagt mir an, was Ihr wollt. — Mit einem schweren Seufzer setzte er hinzu: Es gefällt mir nicht mehr bei Euch und ich muß fort. Ich werde Ihnen da droben meine Meinung veroffenbaren, da droben in der Kammer am Gange, sagte der Hofschulze so mühsam und stockend, daß jedes Wort sich wie von Klammern in seiner Brust loszuringen schien. Er ließ den Gast vorangehen und folgte ihm mit schweren und dröhnenden Schritten. Als sie oben in die Kammer eingetreten waren, schob der Hofschulze den Riegel vor das Schloß und warf seinen lichtblauen Feiertagsrock ab. Dann reckte er seine Glieder und die ganze Gestalt wuchs wieder wie damals, als er im Mondschein den Jäger warnte, an die Geheimnisse des Schwertes zu rühren. Er wiegte die Arme und Fäuste, gleichsam um ihre Kraft zu prüfen, hin und her. Oswald, durch dessen Seele eine finstere Ahnung flog, sagte nicht ohne Schauder: Was soll das? Der Alte zog die buschichten Brauen in die Höhe und versetzte kalt: Einer von uns Beiden verläßt diese Kammer nicht lebend. Was! rief Oswald entsetzt. Ihr wollt mich ermorden? Zum Meuchelmörder wollt Ihr an Eurem Gaste werden? Keinesweges, sagte der Hofschulze ruhig wie in guten Tagen. Sondern es soll Alles mit der 9* Manier zugehen. Jetzt höret mich an, junger Herr Graf oder Fürst, oder wer Ihr sonst seyn möget, denn es kann sich treffen, daß ich auf dieser Kam- mer liegen bleibe, und drum ist mir sehr vonnöthen, daß Ihr eine gute Meinung von mir heget und behaltet. Das Gemüthe des Menschen kann ein Vieles ertragen, aber vom Uebermaaß wird es in die Desperation gethan. Ich bin desperat, Herre, und kann dafür nichts. Meine Seele ist voll Nöthe und Pein und schreit wie ein Hirsch nach der Wasserquelle. Es ist zu viel Kreuz und Herzeleid über mich gekommen in diesen Paar Tagen und das Letzte war das Schlimmste. Mein Schwert ist mir gestohlen, mein Schwert! mein Schwert! Das Schwert von Carolus Magnus! Ich bin wie Asche und Scherben, wenn ich daran gedenke. Nun behorchen Sie auch noch die Heim- lichkeit, meine Heimlichkeit! Ei, Herre, war das Recht? Nachdem ich Ihnen Logement gegeben manchen Tag und mich ganz in der Ordnung mit Ihnen betragen? Sie werden es ausbringen und haben uns eine Schande angethan, eine Schande, daß mir zu Muthe ist, als wäre meiner Tochter durch Sie Gewalt geschehen — Oswald rief: Ich schwöre, nichts … … Zu verrathen, das wollen Sie schwö- ren, fiel der Hofschulze ein. — Sie schwören es heute und brechen es morgen, ich verstehe mich auf solche Schwüre. Wer dergleichen ab- sonderliche Heimlichkeit erfuhr, der verräth sie auch an seinen Freund, oder an seine Liebste, oder an ein Blatt Papier, oder an die Lüfte und die Sache kommt unter das Schwaben- volk draußen im Reich. Nein, nur der Tod stopft den Mund über diese Dinge, auch sagen die alten Rechte ganz genau, wer Freigerichtes Heimlichkeit sieht, ohne wissend zu seyn, der ist des Lebens los. Ich habe einen Haß auf Sie, wie auf keinen Menschen sonst in der Welt, denn — sagen muß ich Ihnen auch nur: In der Nacht zeigte mir das Gesicht mein Schwert in Ihrem Verschlage, darunter stecken Sie also auch mit, und nun thun Sie das — das — das — Er hielt, von innerer Wuth zusammengeschnürt, einige Augenblicke inne. Dann fuhr er pathetisch fort: So dachte ich da droben auf der Höhe am Stuhl: Herr, Herr, wie soll das werden? Die Heimlichkeit darf nicht von der rothen Erde, wie aber magst du es gleichwohl schlichten? Du kannst nicht drei hinter ihm hergehen lassen, die ihn fassen am Kreuzweg und aufhenken und ihm lassen Geld und Gold und ihr Messer neben ihn stecken in die Borke des Baumes nach Königsrecht! — Und darfst du ihn locken in dein Gehöfte und abmeu- cheln und sollst noch so etwas Schandhaftiges auf dich laden in deinen urältesten Tagen, o pfui, o pfui! — Auf einmal aber that es in mir einen Blitzschlag und eine innerliche Erleuchtung und ich wußte, wie ich mich zu fassen und zu verhalten habe. Denn ich bin zwar noch stark bei Kräften, aber Sie sind jung und auch nicht schwach, und so sind wir einander gleich. Deßhalb wollen wir nun kämpfen um unser Leben, Mann gegen Mann, Auge in Auge blickend. Schlage ich Sie darnieder, so ist Ihr Grab im alten Brunnen bereitet und die Heimlichkeit bleibt auf der rothen Erde, thun Sie es mir an, so hat es Gott also gewollt; auf jegliche Weise aber ist dieses ein wahres und auf- richtiges Gottesgericht. Also frisch an’s Werk, denn ich weiß mir sonst nicht zu helfen! Er erhob eine Axt, die neben ihm stand und sah, indem er sie leicht wie eine Feder empor- schwang, furchtbar aus, gleich Einem von den Strei- tern Wittekinds in den Schlachten bei Detmold und an der Hase. Seid Ihr bei Sinnen, Hofschulze? rief Os- wald. Ich fürchte mich vor keinem Feinde, aber womit soll ich mich vertheidigen gegen Euch alten, rasenden Mann? Dort steht eine zweite Axt, sagte der Hof- schulze. Nehmt sie, Herre; jegliches Geräth kann zu einer Waffe werden in des Mannes Faust, und wie geschrieben steht, so sind sie vor alten Zeiten auch solcherweise mit Streitäxten auf ein- ander losgegangen. Ich nehme die Axt nicht und haue mich nicht mit Euch herum wie ein Schlächter und Stier- fäller, versetzte stolz und fest der junge Graf. Ihr seid, scheint es, in der Berserkerwuth, dem uralten Wahnsinne Eures Stammes. Ihr werdet aber zu Euch selbst kommen und Euch dann schä- men mit mir so verfahren zu seyn um Possen … Possen! schrie der alte Bauer mit einer ent- setzlichen Stimme. Possen! wiederholte er eben so laut und stieß den Stiel der Axt so heftig auf den Boden, daß ein Theil des Kalks von der Decke fiel. — Herr! Herr! In den Possen bin ich alt und grau geworden, und mit den Possen habe ich mir Recht genommen an einem Schalk und Sohnesmörder, und mit den Possen folgen mir meine Landsleute, wohin ich sie haben will, wie eine Lämmerheerde, und um die Possen verstehen sie mich, ohne daß wir ein Wort mit einander zu reden brauchen, also mögen es wohl für Euch da draußen in Schwabenland Possen seyn, aber für mich und meines Gleichen sind es keine Possen nicht. — Und Herr, ich will jetzo mein Recht haben und meine Rache an Euch und die Sicher- heit von wegen der Heimlichkeit. So wahr der Herr lebt, ich suche das Alles nicht wie ein schlech- ter und boshafter Mensch, sondern in grausamer Herzensangst und Unruhe — wißt Ihr ein ander Mittel, sagt es an — aber werden muß mir es; mein Recht und die Sicherheit, und werden soll mir es, so wahr uns hier Niemand hört als Gott und die vier weißen Wände, denn der Frohnbote hat die Menschen hinweggeschafft vom Hofe und nur das blöde Vieh brüllt da drunten in seinem Stalle. Das Saatlaken bewegte sich und eine bleiche, jungfräuliche Gestalt trat dahinter hervor. Ihr irrt Euch, Hofschulze, sagte Lisbeth zitternd am ganzen Körper, aber mit fester Stimme. — Aus meinem Verstecke treibt es mich hervor, Euch vor Thorheit zu retten. Nicht Gott allein hörte Euch und die stumme Wand, sondern auch ich hörte Euch und er setzte mich zu einer Zeugin Eurer wilden Gedanken. So hat Euch also Gott mit Eurem Vermessen in mir zu Schanden werden lassen, deßhalb steht von den Werken blinden Grimmes ab. Die Gewalt dieser plötzlichen Erscheinung war zu groß, als daß der Hofschulze nicht vor ihr mit seiner doch nur fieberhaften Aufregung hätte zu- sammenbrechen müssen. Er ließ die Axt fallen, seine Gestalt schrumpfte gleichsam vor dem zittern- den Mädchen, welches doch so fest sprechen konnte, ein, stumm und gebeugt verließ er die Kammer. Oswald war überrascht, freudig und kummer- voll vor Lisbeth in die Kniee gesunken. Ach, sie war wieder da, aber wie sah sie aus und wie streng und kalt hatte sie ihn einen Augenblick an- gesehen, um dann beharrlich von ihm wegzublicken! — Kommst du endlich wieder zum Vorschein, Lisbeth? stammelte er. O was hattest du vor? — Du hast mir mein Leben gerettet, denn ich glaube, die Kraft würde mir ausgegangen seyn dem wüthen- den Alten gegenüber. Sie haben mir dafür nicht zu danken, Herr Graf oder Fürst, um zu sprechen wie der Hofschulze sprach, versetzte Lisbeth. Was ich hier that, würde ich jedem Fremden erwiesen haben. Sie wollte das in einem kalten Tone sagen, aber die Stimme bebte so heftig, daß es wie Zorn klang. Die Liebe hört in solchen Fällen nur auf die Worte und deren Klang. Zornig und bestürzt sprang er auf, trat weit von ihr zurück und sagte schneidend: Also ist es wahr? Also doch verab- schiedet nach vierundzwanzig Stunden? Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu reden, erwiederte Lisbeth kaum hörbar. Ich bitte Sie, mich ruhig meiner Wege gehen zu lassen. Ich wollte nach der Stadt zu dem Herrn Diaconus, von dem ich vorhin einige Zeilen auf meinem Zimmer gefunden habe, daß er mich aufnehmen will. Nach der Stadt wollte ich auch, sagte er kalt lächelnd. Wie aber die Sachen zwischen uns stehen, so werden Sie wohl meine Begleitung ablehnen. Ich fürchte mich nicht und bin gewohnt, allein zu wandern, antwortete Lisbeth. — Uebrigens darf ich Ihnen ja die offene Straße nicht verbieten, die Ihnen wie mir gehört. — Sie verließ die Kammer und wäre er ihr nachgefolgt, so hätte er ein Schluchzen wahrnehmen können, welches das ganze Wesen des armen Kindes aufzulösen drohte. Er hätte sie nur fragen dürfen: Was hast du gegen mich Lisbeth? Sage mir’s! Selbst wenn du meinst, daß ich geraubt und gemordet habe, so mußt du mir mein Verbrechen doch nennen. — Dann hätte sie gesprochen und er hätte gesprochen und aus dem Sprechen wäre wahrscheinlich ein Lachen über die unnützen Kümmernisse geworden. Aber er dachte nicht daran sie zu fragen. Denn Liebe ist Alles; auch ungerecht und hochmüthig ist Liebe, sie sieht in manchen Fällen die Geliebte lieber treulos oder veränderlich, als unter der Wucht eines Mißverständnisses erliegend. Ingrimmig knirrte er mit den Zähnen, als er allein war. Es ist unglaublich! rief er, freilich aber doch wahr. Er stieß seine Stirn wider die Wand, um nur einen recht heftigen körperlichen Schmerz zu empfinden. Dann rief er in seine Brust hinein, in welcher es eben wieder unheim- lich zu wühlen begann: Herauf Ihr kleinen rothen Schlangen! Herauf an’s Tageslicht! — Die Art nahm er, die der alte wilde Bauer ihm hatte auf- nöthigen wollen und warf sie mit solcher Gewalt nach einem Kasten, daß die Schärfe des Beils tief in das Holz fuhr und darin stecken blieb. Ein Geräusch draußen verrieth ihm, daß Lis- beth fortgehe. Obgleich sie ihm nicht mehr gehörte, so war ihm doch, als sei noch Leben im Oberhofe, so lange Lisbeth darin verweilte. Nun aber kam es ihm vor, als öffne sich das Grab. — Fort aus dem Grabe! rief er und sprang Lisbeth nach. Sie stand, ihr Bündelchen unter dem Arme, unten einen Augenblick still und zuckte zusammen, als sie Oswald kommen sah. Er wollte ihr das Bün- del abnehmen, sie versagte es mit stummer Gebärde. Sie ging und er schlug, mehrere Schritte zwischen sich und ihr Raum lassend, denselben Weg ein. So geschieden und sich scheidend verließen sie den Ober- hof, in welchem ihnen viel begegnet war, Beides, Freude und Schmerz. Eilftes Capitel . Eine Art von Feldzug . In keinem Trauerhause fehlt es an Jemand, der auf eine so lächerliche Weise zu weinen weiß, daß er die Wehklage der Anderen fast in Unord- nung bringt und nahe dem Umschlagen in eine geheime Heiterkeit. — Der würdigste Vater mag sich bei der wohlgemeintesten und wohlgesprochensten Ermahnung an seine mannbare Tochter ja davor in Acht nehmen, daß irgend ein sonderbar mit- handelnder Zipfel ihm ein durchaus komisches An- sehen leihe. — Ernste Männer vom größten Ver- dienst haben nicht selten das Unglück gehabt, daß ihre feierlichsten Handlungen durch den ungeschick- ten Eifer eines Anhängers fast wie Schnurren ausliefen. — Mir ist, um auf das Trauerhaus noch einmal zurückzukommen, der Fall bekannt, daß eine ganze Familie am Begräbnißtage einer theuren Verwandten in das tiefste Leid eingetaucht um einen Tisch her versammelt saß, plötzlich aber zu einem ärgerlichen und unwiderstehlichen Lachen fortgerissen wurde, weil Einer, und gerade der Schluchzendste, sacht eine baumwollene Nachtmütze hervorholte, diese sich auf den Kopf setzte und unter derselben fortfuhr zu schluchzen. An und für sich war diese Handlung höchst vernünftig, weil er das Heran- nahen eines Rheumatismus im Kopfe fühlte und demselben mit der wärmenden Hülle begegnen wollte. Gleichwohl wirkte sie in so anstößig er- heiternder Weise! Denn eine baumwollene Nacht- mütze gehört nun einmal zu den Dingen, die un- widerstehlich jeden feierlichen Ernst zerstören. Der neckende Geist, welcher bei allen trüben oder erhabenen Angelegenheiten des Lebens sein Spiel zu treiben scheint, hatte auch den Küster wieder in die Nähe des Oberhofes geführt. Dieser Mann war nämlich gekommen, sein Deputat an Lebensmitteln von der Hochzeit einzufordern. Rasch hatte sich das Geschäft gemacht, weil schon Alles für ihn bereit stand. Jetzt wandelte er mit seiner korbtragenden Magd den Weg voran, den auch unser leidendes Liebespaar zu gehen hatte. Der Nebel war endlich verweht, die Sonne sah wieder golden vom Himmel, es war ein angenehmer, klarer Tag, wenn auch etwas kühl. In der Heiterkeit der Lüfte war dem Küster der Gedanke zugeweht, nach so manchen Aengsten ein frohes und genüg- liches Mahl im Freien zu halten, da er sich auf der Hochzeit selbst, wie wir wissen, nicht zum vierten Theile satt gegessen hatte. Er bezweckte dabei zugleich, wie wir nachmals hören werden, die Erfüllung seines dritten Lebenswunsches, des Wunsches, der in dem Gespräche mit dem kupfer- nasigen Schirrmeister unausgesprochen blieb, weil das Gespräch damals leider nicht zum ruhigen Ab- schlusse gedieh. In solchen Gedanken schritt er denn also mit seiner Magd fürbaß. Die Magd konnte wegen des schweren Korbes nicht rasch gehen, er bestellte sie daher nach dem sogenannten alten Spritzen- häuschen, welches auf der Hälfte des Weges lag, und ging eilig voran, weil er unterweges in einem einzelnen Hause noch eine Verrichtung hatte. Zu der langsam nachwandelnden Magd gesellte sich aber, als ihr Herr ihrem Gesichte entschwun- den war, ein zweiter Wanderer, der Schulmeister Agesel. Die Magd hatte wohl von den Einbil- dungen des Schulmeisters vernommen, da sie aber zu den muthvollen Personen ihres Geschlechtes ge- hörte, so fürchtete sie sich nicht vor ihrem Beglei- ter, vielmehr war es ihr lieb, Gesellschaft zu finden. Der Schulmeister seinerseits war erfreut, die Magd zu finden, denn er wollte an ihren Herrn, nicht ihm ein Leid zuzufügen, sondern den Läugner von seinen gesunden Verstandeskräften zu überzeugen. Nachdem er im Allgemeinen über diesen Punct mit der Magd gesprochen hatte, sagte er zu ihr: Es ist ja mein offenbarer Schaden und eine Sache, die mir mein ganzes Brod und den Credit in der Bauerschaft verderben kann, wenn der Küster, der noch dazu ein halber Amtsbruder von mir ist, überall umherläuft und mich bei den Leuten anschwärzt. Deßhalb muß ich ihn nothwendig davon überzeugen, daß ich meine fünf Sinne beisammen habe. Natürlich, versetzte die Magd. Wenn mich Einer eine Diebin schilt, so muß er auch hören können, warum ich keine Diebin bin. Nun also! fuhr der Schulmeister eifrig fort. und heute muß es geschehen, denn die Gelegenheit kommt mir nie so günstig wieder. Wie das? fragte die Magd. Wenn ich ihn in der Stadt aufsuche oder im Freien ansprenge, so reißt er aus, wie er mich nur erblickt. Hält er aber, wie Ihr mir sagt, im alten Spritzenhäuschen seine Mahlzeit ab, und ich trete mit meiner Rede unversehens in den Ein- gang, so muß er wohl Stich halten und alle meine Gründe anhören, denn es ist wider die Natur der Furcht, daß er gegen mich stürzen, mich überren- nen und so das Freie gewinnen sollte. Die Magd dachte einen Augenblick nach und sagte dann: Da ist nur Eines zu befürchten. Was? fragte der Schulmeister. Daß er ein Fach an der anderen Seite aus- schlägt und so durchbricht. Denn das Spritzen- häuschen ist sehr alt und verfallen und die Lehm- wände haben überall große Löcher, zu denen der Tag einscheint, und wenn mein Herr in der Angst und Furcht gegen so ein Loch stürzt, so stehe ich nicht dafür, daß er die ganze Wand einrennt, denn, kriegt er die Manschetten, da ist mit ihm nicht zu spaßen. Deßhalb müßt Ihr mir einen Gefallen thun, Mädchen, sagte der Schulmeister. Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 10 Und welchen? fragte die Küstermagd. Tretet vor das größte Loch auf der anderen Seite, und lehnt Euch gegen die Wand, damit wenigstens die Hauptgefahr des Entrinnens abge- wehrt wird, denn daß er auch Euch umrennen sollte, ist nicht wahrscheinlich, weil Ihr eine robuste Person seid. Ich will das recht gerne thun, versetzte die Magd, denn seinem Nebenmenschen muß man helfen, wo man kann. Nachdem dieses sinnreiche Gespräch zwischen dem Schulmeister und der Magd so weit gediehen war, wurde auch noch verabredet, zu welcher Zeit der Anschlag gegen den Küster ausgeführt werden sollte. Der Schulmeister sagte der Magd, daß er sie in der Nähe des Spritzenhäuschens vorangehen lassen und sich verstecken wolle, bis sie ihm ein Zeichen gebe, daß es für ihn Zeit sei, hervorzu- brechen und mit seinem Amtsbruder ein Wort der Verständigung zu reden. Nach diesen Verabredungen gingen die beiden Personen ihres Weges weiter. Einige Zeit lang blieb nun die Straße ganz still und einsam. Dann aber erhob sich ein auffallender Lärmen die Fel- der hindurch, welche sie zu beiden Seiten begrenz- ten. Die jungen Bursche, welche das Hochzeit- gefolge gemacht hatten, waren nämlich noch in irgend einem Kruge versammelt gewesen, um einen Nachtrunk zu halten, denn der Bauer kann eine Lustbarkeit, wenn sie auch mit allen Anhängen vorüber ist, immer noch nicht schließen. Im Kruge war nun unter sie eine Kunde gedrungen, daß der junge Fremde etwas Unrechtes habe aus- gehen lassen. Was es gewesen sei, darüber lau- teten die Nachrichten verworren oder schwiegen auch wohl ganz. Nach einigen Berichterstattern sollte er das Schwert weggenommen haben, nach Anderen ausfallend gegen den Hofschulzen gewesen seyn, ein Dritter kam der Wahrheit näher, indem er erzählte, der Fremde habe die Heimlichkeit dro- ben am Freistuhle in Unordnung gebracht. Es genügte ihnen aber überhaupt nur zu hören, daß ein Fremder irgend ein Unrecht begangen habe, um ihre schon erhitzten Köpfe noch mehr zu ent- flammen. Die Meisten hatten ihre Gewehre noch bei sich, in mehreren der Läufe staken sogar noch Schüsse. An Pulver fehlte es auch nicht und in seiner Aufregung begann nun der Haufen, nach- 10* dem er viel getrunken hatte, durch die Gegend zu schwärmen, ohne eine eigentlich feindselige Absicht, aber doch gefährlich in seiner planlosen Leidenschaft, wenn dieselbe durch den geringsten Anreiz zum Ausbruche gebracht wurde. Sie schossen ihre Gewehre ab, luden wieder, lärmten und schrien. Zwischen diesen Trupps von drei, vier, fünf Menschen, die näher oder ferner die Straße umschweiften, kam nun unser verdü- stertes Paar einhergegangen. Lisbeth ging auf der linken Seite der Straße, Oswald auf der rechten und zwischen ihnen war die ganze Breite des Weges. Um nichts auch verminderten sie die- selbe, wenn ein lärmender Trupp mit drohender Gebärde links oder rechts an ihnen vorüberstreifte, oder ein Schuß fiel, der, wie man am Pfeifen der Kugel merkte, durch einen schlimmen Zufall leicht das Verderben hätte bringen können. Schweigend, bleich, ohne sich irren zu lassen, ging das einander entfernte Paar seinen Weg durch diese Bedrohungen und Schrecknisse hindurch und nur, wenn an Lis- beths Seite sich ein lärmender Trupp zeigte, oder ein Schuß fiel, sah sich Oswald besorgt nach ihr um, warf aber, wenn er bemerkte, wie sie ohne seines Beistandes in diesen Gefahren sich bedürftig zu zeigen, fürder schritt, einen Blick des schmerz- lichsten Zornes dann nach der anderen Seite der Felder. Ungefähr eine halbe Stunde mochten sie in diesem Lärmen und Schießen gegangen seyn und wirklich mußte der Himmel über ihren Häuptern wachen, denn sonst hätte gewiß die Hand irgend eines der berauschten Schützen den Lauf des Ge- wehres in verhängnißvoller Richtung angeschlagen. Da sah Oswald in einiger Entfernung auf einem freien Platze unter Bäumen vor sich einen Haufen von wohl zwanzig Bauern, die sämmtlich mit Ge- wehren bewaffnet waren. Augenscheinlich lauerten die wilden Menschen, deren Reden und Schwadro- niren schon von weitem sich hören ließ, ihm auf. Er erschrak. An sich dachte er nicht, nur an Lisbeth, wie er sie ungefährdet dem rohen Haufen vorüberbringen möchte. Es kam ihm in dieser Noth ein Gedanke und da ihm nichts Besseres ein- fallen wollte, so beschloß er sein Heil mit dem zu versuchen, was ihm eben eingefallen war. Rasch ging er voran und muthig auf den Haufen zu. Zuvorderst stand ein langer junger Kerl in blauem Kittel, der sein Gewehr drohend durch die Luft schwang und ihm wie der Anführer der Uebrigen vorkam. An diesen beschloß er sich mit seiner Kriegslist zu wenden, die auf dem uralten Grundsatze des Herrschens durch Theilung beruhte. Er begrüßte daher den Menschen so freundlich, als seine Stimmung es ihm gestatten wollte und bat ihn, mit ihm zur Seite zu treten, da er ihm nothwendig etwas im Geheimen zu sagen habe. Der Mensch sah seine Cameraden fragend an, folgte aber doch dem Ersuchen. — Ihr scheint mich hier nicht durchlassen zu wollen, sagte Oswald zu ihm, so daß es die Uebrigen nicht hören konnten. Wirklich versperrten sie die ganze Straße. — Nein, sagte der Mensch, denn Sie haben was begangen. — Ja, das habe ich auch, erwiederte Oswald, und es thut mir herzlich leid, aber es läßt sich doch noch ein Wort darüber reden, und zu Euch muß ich das sprechen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verständige von der ganzen Com- pagnie da. — Ja, der bin ich, erwiederte der lange Bauer und taumelte. — Also nur her das Wort, denn ein Wort muß der Mensch mit sich reden lassen, absonderlich, wenn er vernünftig angesprochen wird. Ihr seht doch da das Frauenzimmer? sagte Oswald. — Die sehe ich, versetzte der Bauer. — Nun, diesem jungen Frauenzimmer habe ich ver- sprochen, sie eine Strecke zu geleiten, und dagegen könnt Ihr nichts haben. — Nein, dagegen kann man nichts haben, sagte der Bauer. So laßt mich sie also begleiten, bis wohin ich es ihr ver- sprochen habe und dann kehre ich hieher zu Euch zurück, und bringe mit Euch meine Sache an diesem Platze in Ordnung, fuhr Oswald fort. — Das müßt Ihr nun den Anderen verdeutschen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verstän- dige von der ganzen Compagnie da. Der lange Bauer, der gerade noch so viel Ver- stand besaß, um gegen den Reiz der Eitelkeit empfindlich zu seyn, wandte sich stolz zu seinen Genossen um und rief in einem hochfahrenden Tone: Macht Platz da dem Herrn! — Was! versetzte der Haufen; bist du geck? — Macht Platz da, Ihr betrunkene Bagage, rief der einzige Nüch- terne und Verständige noch lauter. — Selbst Ba- gage! schrien die Anderen und Einer rief: Ich glaube, der hat Tollbeeren gefressen! — Ich will dir die Tollbeeren an den Hirnkasten geben! er- wiederte der Lange und schoß sein Gewehr ab, zwar nur in die Luft, indessen gab dieser Knall das Zeichen zu einer allgemeinen Schlägerei. Denn Einige stürzten auf den Schießenden zu und rann- ten dabei Andere über, die, hiedurch beleidiget, sich zu rächen entbrannten, in der Verwirrung ihrer Sinne aber nicht die Ueberrennenden angriffen, sondern dritte Unschuldige, welche sich am fernsten von dem Streit gehalten hatten. So war bald Jeder, ohne daß er wußte wie? mit einem Gegner versehen; Alles balgte sich herum, Ohrfeigen, Püffe, Stöße regnete es, wenn auch nicht vom Himmel; dazwischen platzten die Gewehre ab, die aber zum Glück hier alle nur mit Pulver geladen waren, und es gab eine wilde Kampf- und Blutscene (denn schon manche Wange und Nase war aufge- schlagen) welche sich von der Straße nach dem an- grenzenden Kornfelde wälzte, weil die Schwächeren zufällig an dieser Seite gestanden hatten und sich dorthin zurückzogen, um wenigstens auf Garben und Mandeln zu einer weicheren Niederlage zu gelangen. Als Oswald seine List selbst über die Erwar- tung hinaus gelungen und den Platz frei sah, winkte er Lisbeth, die in einiger Entfernung ängst- lich still gestanden hatte. Scheu ging sie über den Platz, ohne sich nach der Schlägerei umzusehen, und als sie einige hundert Schritte von dort außer dem Bereiche dieser Rohheiten war, erwartete sie ihren Beschützer. — Ich habe Ihnen Dank zu sagen für Ihren Beistand, sprach sie, als Oswald sich ihr genähert hatte. — Nicht den geringsten, ver- setzte er. Ich würde mich jedes Frauenzimmers angenommen haben, mit welchem ich desselben Weges gegangen wäre. — Sie wandte sich von ihm ab und er von ihr und Beide gingen in der früheren Weise weiter. Eine halbe Stunde von dort lag das alte Spritzenhäuschen. Dieses kleine Gebäude war unter den Streitigkeiten zweier Bauerschaften dar- über, welche dasselbe zu erhalten habe? verfallen und darauf hatten sich die beiden Bauerschaften neue Spritzenhäuser erbauen müssen. Die Wolken des Himmels schauten durch die Oeffnungen im Dache und die Lüfte des Feldes fuhren zur Thür- öffnung hinein und zu den Löchern in dem lehmer- nen Fachwerke wieder hinaus. — In diesem luf- tigen Lusthäuschen hatte der Küster sein Mittags- quartier aufgeschlagen, um eine recht vergnügliche Mahlzeit zu halten, nach welcher sein Sinn mit einem besonderen Verlangen stand. Er saß auf altem Holzwerk, welches sich dort noch hatte vor- finden lassen; vor ihm war eine Serviette ausge- breitet, auf welche die Magd nun Brod und Fleisch legte, auch eine Flasche Wein stellte, die man ihm auf besonderes Wünschen vom Oberhofe hatte mitgeben müssen, weil er seiner Versicherung nach am Hochzeittage der Furcht vor dem Schulmeister wegen zu keinem ordentlichen Schlucke gekommen war. Die ganze Zurüstung dieses ländlichen Mahles ließ der Küster mit einem feierlichen Schmunzeln geschehen. Er weidete sich wie es schien an den großen Augen der Magd, welche nicht begriff, warum ihr Herr, der, wenn er sonst im Freien etwas verzehrte, ein Stück Brod ohne viele Um- stände aus der Tasche aß, zu dieser Mahlzeit so schwerfällige Vorbereitungen machen ließ. Nachdem alles Eßbare aufgesetzt worden war, und die Magd ein Glas Wein eingeschenkt hatte (denn auch ein Glas war vom Oberhofe leihweise mitgegeben worden) theilte der Küster seiner Die- nerin ein Stück Brod und Fleisch zu und fragte sie dann, bevor er selbst anbiß, was sie wohl davon denke, daß er sich hier so häuslich nieder- lasse und sein Mittagsessen im Freien halte? Ja, was soll ich davon denken? erwiederte die Magd. — Ich denke, es giebt hin und wieder curiose Einfälle, die dem Menschen anwehen, wie der Wind. Du denkst das vermuthlich nur, Gudel, weil wir uns hier im Winde befinden, der allerdings einigermaßen stark durch das Spritzenhäuschen hin- durch zieht. Nicht ein bloßer curioser Einfall ist es von mir, im Freien hier mir gehörig decken zu lassen, sondern lange hatte ich mir vorgenommen und nur immer nicht der Gelegenheit dazu hab- haft werden können, einmal Hochzeitfreude ohne den lästigen Zwang, den mir mein Stand aufer- legt, zu genießen. Es war dieses mein dritter und größter Lebenswunsch. Denn wohl mag Man- cher, der draußen umherschleicht, den Küster benei- den, daß er sich an der Hochzeittafel so vollstopfen kann, wie Jener denkt, weil er nahe der Schüssel sitzt, und ihm unter den Ersten stäts präsentirt wird. Aber die Bürde des Amtes beachtet der oberflächliche Urtheiler nicht! Keinen beschäftigteren Mann giebt es wohl auf einer Hochzeit als den Küster. Denn erst muß er singen und dann muß er beten und über Tische die Augen aller Orten haben, seinen zierlichen Spaß anbringen zur rechten Zeit und in rechten Einschnitten, und abtrumpfen, wer sich zu mausig macht und ermuntern, wer wie ein Tuckmäuser dasitzt. Während dieser Amtshand- lungen ißt und trinkt nun zwar ein Küster, was er kann, aber auch nur gleichsam pflichtmäßig schlingt er Alles hinunter, ohne rechtes Gefühl von Speise und Trank. Weßhalb ich sagen darf, daß mir von den mehreren hundert Hochzeiten, denen ich beigewohnt habe, wenig Erinnerung ver- blieben ist. Nun aber muß es nach meiner Ueber- zeugung eine der schönsten Empfindungen seyn, in voller Seelenruhe und in dankbarer Erhebung zu Gott, dem Geber alles Guten, zugleich der Festesspeise und Tränkung froh zu werden, zu genießen und dabei der feierlichen Gelegenheit zu denken, bei welcher man genießt, des Tages, an welchem ein von Gott selbst gestifteter Stand sich begründet. Diese aus Erbauung und Wohlgeschmack zusammengesetzte Empfindung hätte ich gern schon lange einmal gehabt, konnte aber wie gesagt auf den Hochzeitschmäusen selbst nie dazu gelangen. Als ich nun im Oberhofe vorgestern durch gerechte Furcht vor einem Rasenden um alle Hungers- stillung gebracht wurde, erkannte ich plötzlich den Finger Gottes und entschloß mich sogleich zu diesem meinem heutigen Hochzeitnachschmause, den ich denn auch bei noch frischer Erinnerung an Predigt, Lied, Orgelspiel, abgelegt die Last meines Amtes, abgestreift die Fessel des Ranges, hier unter Gottes freiem Himmel (denn das Dach des Spri- tzenhäuschens will wenig sagen) in der schönen ge- mischten Empfindung zu halten denke, welche, wie ich deutlich verspüre, währenden Redens bereits in mir aufgestiegen ist. — Wolltest du mich aber fragen, Gudel, warum ich nicht zu Hause nach- speise, so wäre dieses eine unnütze Frage. Denn abgesehen von der Currende, welche heute zu mir gelaufen kommt, um die Büchse zu überreichen, und welche mir alle Gedanken vertreiben würde, so fehlt mir überhaupt zwischen meinen vier Pfählen bei dem Reden meiner Ehefrau jegliche Einbil- dungskraft, und sie würde nur gemeines Essen seyn, diese Hochzeitspeise, welche ich dort zu mir nähme. Die Magd hatte von der langen Rede ihres Brodherrn wenig oder nichts verstanden. Sie dachte nur an den Schulmeister, von dem ihm eine Ueberraschung bevorstand und fragte den Küster: Mögt Ihr Jemand lieber vor Tische sprechen, oder nach Tische, Herr? Ich weiß nicht, wie du auf diese Frage kommst, Gudel, versetzte der arglose Küster. Indessen, da du einmal fragst, so antworte ich; nach Tische spreche ich Niemand gern, wie du weißt, sondern liebe zu schlummern. Wohl, so will ich draußen auch mein Stück Brod und Fleisch verzehren, erwiederte die Magd ohne allen logischen Zusammenhang. Sie ging aus dem Spritzenhäuschen, stellte sich an die durch- löcherte Wand und winkte dem Schulmeister, der sich in der Nähe schon versteckt aufgestellt hatte. Leise schleichend näherte sich der Schulmeister dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede vorbereitet, fast so lang als die des Küsters ge- wesen war. Sie begann so : Herr Amtsbruder, es ist endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent- sagen. Der Mann soll den Mann erkennen, wie er ist, das ist Mannespflicht. Schämen soll der Mann sich nicht, erkannten Irrthümern zu entsagen. Blicken Sie in das Herz eines Mannes, welcher Ihrer Freundschaft nicht unwürdig ist, stoßen Sie einen Mann nicht von Ihrer Brust zurück, welcher an derselben zu ruhen recht herzlich sich sehnt! — Nach diesem Erregung des Gefühls bezweckenden Eingange wollte er durch eine klare Auseinander- setzung auf den Verstand des Verstandesläugners wirken. Jenen Eingang still für sich wiederholend schlich er zum Spritzenhäuschen, worin der Andere eben, auch durch seine Rede zu einer Art von erbau- lichem Seelentaumel gesteigert, das erste Stück Rindfleisch in die Hand genommen hatte. In diesem Augenblicke hörte der Küster hinter der Wand neben der Thüröffnung mit sanfter Stimme sagen: (denn der Schulmeister wollte seine Er- scheinung stufenweise vorbereiten) Herr Amtsbru- der, es ist endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu entsagen .... Er kannte die Stimme — „ge- ronnen fast zu Gallert durch die Furcht“ saß er da, das Stück Rindfleisch starr erhoben haltend vor dem geöffneten und doch nicht zufassenden Munde, ein mitleidswürdiges Bild! Aber eine schwache Hoffnung im letzten Winkel seines Her- zens flüsterte ihm zu: Nein, es ist nicht möglich, es muß eine Täuschung seyn, so hart kann dich der Herr nicht strafen. — Doch da erschien in der Thüröffnung das Entsetzliche, die Harpye, die nun abermals auch diese Nachmahlzeit besudeln wollte, das Haupt der Gorgone wurde sichtbar, wirklich stand der tolle Kerl, der Agesilaus, in der Thüre, dießmal sogar mit einem Knotenstocke bewaffnet! Aufsprang der Küster, schleuderte dem Feinde, was er in der Hand hatte, in das Ant- litz, nämlich das Rindfleisch, und stürzte schreiend nach dem hinteren Theile des Häuschens, sich gegen die lehmerne Wand drückend und mit Augen, die fast aus ihren Kreisen schossen, nach seinem Gegner starrend. Der Schulmeister, von dieser Unver- nunft erzürnt und von dem Wurfe mit dem Rind- fleische auf das Empfindlichste beleidigt, verlor nun alle Geduld. Mit den Worten: Wenn du verfluchter Kerl nicht hören willst, so sollst du fühlen! sprang er, den dicken Knotenstock schwin- gend, in das Häuschen auf den Küster zu. Un- fehlbar würde er diesen jetzt für seine Meinung, er sei rasend, wie ein Rasender abgestraft haben, wenn nicht die Verzweiflung den Küster gerettet hätte. Hatte derselbe vorher geschrieen, so brüllte er nunmehr. Brüllend griff er mit der Faust durch ein Loch der Lehmwand hinter sich und faßte die Magd, welche außen wacker gegengestemmt stand, in den Schopf. Die Magd, welche sich so schmerz- lich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe, die Wand zu halten; sie zerrte sich vielmehr mit aller Kraft ihres starken Leibes von der Wand ab, um der Faust aus dem Schopfe quitt zu wer- den. Dadurch wurde der Küster, der sich an diesem letzten Strohhalme in seiner äußersten Noth, an einem menschlichen, mitfühlenden Wesen, krampf- haft festhielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt. Die Lehmwand leistete unter solchem Drucke keinen längeren Widerstand, sondern brach zusammen und der Lehm überschüttete den Küster scheußlich gelb von oben bis unten, so daß er aussah, wie ein König der gelben Erbsen; indessen wurde er von der Magd, an deren Schopfe er gleichsam wie ein Geschleifter hing, in das Freie gerissen und er- hielt nur einen Schlag über die Nase vom Schul- meister. Der genothängsteten Magd glückte es endlich, den Brodherrn mit Zurücklassung eines Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 11 Haarbüschels in seiner Hand abzuschütteln und der Küster stürzte draußen immer brüllend zu Boden. Die Magd sprang von dannen, der belehmte und nasenblutende Küster raffte sich nun auf und sprang ihr nach, und der Schulmeister, dem sein wohl- gemeinter Verständigungsversuch so übel gerathen war, rasete in seiner blinden Wuth, wie Ajax in die Heerde, in das schuldlose Mahl des Entsprun- genen. Er zerriß die Serviette, trat die Fetzen mit den Füßen, schleuderte die Weinflasche gegen einen Stein und warf Brod, Fleisch, Hühner, Eier, Salz, Kuchen nach allen vier Winden, kurz, er benahm sich ganz so, als sei er der, wofür er irrthümlich gehalten wurde. Eine so traurige Wendung erbaulicher Eßge- danken bereitete dem Küster seine ausnehmende Feigheit. Zwoͤlftes Capitel . Aus dem Tode Leben . Aber dieser abgeschmackte Vorfall brachte an einer anderen Stelle eine tragische Wirkung hervor. Lisbeth war auf ihrem Wege gerade dem Spri- tzenhäuschen gegenüber angekommen, als das Ge- brüll des Küsters in demselben erscholl. Was nun die erhitzten Bauern mit ihrem gefährlichen Schie- ßen nicht über sie vermocht hatten, das bewirkte das Geschrei der Feigheit; sie entsetzte sich, floh vor dem Orte, wo jener furchtbare Ton dröhnte, und stürzte, wie von einem dunkelen Triebe ge- leitet, bewußtlos in die Arme Oswald’s, die sich ihr entgegenbreiteten. Er fühlte die Geliebte abermals an sich ruhen, wenn auch nur aus Angst, aber dieser neue plötzliche Uebergang von Einem zum Anderen entfesselte die Dämonen in ihm, die 11* schon seit zwei Tagen an ihrem Gefängnisse ge- rüttelt hatten. — Das alte Uebel, welches Schmerz, Angst, Zorn, körperliche Anstrengungen, selbst das Uebermaaß der Freude an seinem Lie- bestage, in ihm emporgewühlt, brach kläglich aus. Mit einem Schrei faßte er an seine Brust. Mit einem zweiten Schrei stieß er Lisbeth fast zurück. Ich hab’s gedacht, mein Blut, da ist es! ächzte er und ein dunkler Purpurstrom quoll aus seinem Munde. Er taumelte und sank auf eine Rasenerhöhung. O mir! Ich ersticke — waren seine letzten Worte, denn es folgte ein zweiter Anfall des grimmigen Uebels. Sein Gesicht war wie eines Todten Antlitz. Im ersten Augenblicke war Lisbeth über das Zurückstoßen erschrocken gewesen. Aber was wollte dieser Schreck gegen das Entsetzen bedeuten, als sie das Blut ihres Lieblings sah? — Ja, ihres Lieblings! Sein Aechzen, sein Blut, sein Todten- antlitz gab ihr augenblicklich den Liebling zurück. Vergessen war der Lügner, nur der sterbende Ge- liebte lag vor ihr. Mit einem Rufe, in dem sich Zärtlichkeit, Jammer und die alleräußerste Besorg- niß zum herzzerreißendsten Tone mischten, stürzte sie zu ihm nieder und sah ihm mit dem Blicke der innigsten Verzweiflung in die müden und er- loschenen Augen. Weinend und wimmernd legte sie ihre unschuldigen Finger auf seine Lippen, als könne sie damit den furchtbaren Blutstrom hemmen. Noch immer sandte die in ihren Tiefen versehrte Brust einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt des Uebels bereits gebrochen zu seyn schien. Kei- ner Befleckung an Händen und Kleid achtete sie, sie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und mit lauter Stimme: Gott! Gott! Gott! als müsse Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte sich das unglückliche Mädchen keinen Rath. Unwillkührlich war sie in die Kniee gesunken. So entstand dem Kranken eine Ruhestätte für sein Haupt auf ihrem Schooße, denn sie hatte sich mit dem Leibe rück- wärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu machen. Er lag auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen, seine Wangen völlig farblos. Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hin- unter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten, gleichsam ein Blumenspott über den Jammer der Menschen. Sie aber hatte ihm um Haupt und Brust ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichsten und sanftesten Weise. Traurig schaute sie in sein Gesicht, so viel sie vermochte. So ruhte er ganz von ihr umfangen und an sie gelehnt im Heilig- thume jungfräulicher Liebe und Bekümmerniß! Sie wußte nicht, was sie thun sollte, ihm seinen Schmerz zu erleichtern, sie hätte zur Quelle wer- den mögen, zum umspülenden Bade, wenn das ihm Linderung zu verschaffen vermocht hätte. Schluch- zend fragte sie ihn, ob er auch so bequem ruhe? und bat ihn dann inständigst nicht zu antworten, weil ihm das Sprechen schaden könne. In der Tiefe dieser Noth empfand sie den heißesten Drang, sich mit ihm zu verständigen. Ach, schluchzte sie, mein Oswald, vergieb mir doch nur und fühle, daß du nicht sterben darfst! O mein Gott, du mußt ja nicht sterben, mußt’s nicht, denn was sollte dann aus mir werden, wenn du stürbest? Nicht wahr, Oswald, du stirbst nicht, du thust mir das nicht zu Leide? Ach, kannst du es mir denn so übel nehmen, daß ich ein ordentliches Mädchen bleiben will? Siehst du, mein Oswald, deine Frau mußte ich werden, deine ehrliche Frau und sonst nichts weiter! Denn wäre ich auf deine Schlechtigkeit eingegangen, Oswald, da hätte ich mich auch an dir versündigt und hätte dich mit zum Bösewicht werden lassen, und das darf die Geliebte nicht; nicht einen Flecken darf sie auf ihren Freund kommen lassen. Denn das ist eine schlechte Liebe, die nur den Anderen herzen und küssen will, wie es auch sei, nein, daß das Leben des Liebsten rein bleibe und unbefleckt und unver- worren, das ist die wahre Liebe, und die habe und hege ich im Herzen zu dir, mein Oswald, wie sie nur ein Mädchen haben und hegen kann, ja gewiß, so ist es. Und habe sie gehabt und gehegt immerdar, wie ich nun wohl fühle, obgleich ich mich vor dir versteckte. Stürbest du hier auf der Stelle, Oswald, und ich könnte dich retten durch Unrecht, doch thäte ich es nicht, das sage ich dir frei heraus. Denn meine Schande könnte ich noch allenfalls überstehen, Oswald, aber nicht deine; nein, wahrhaftig nicht. Deine Ehre sitzt mir tiefer im Herzen, als meine. Und so mußt du mir auch von Herzen vergeben, Oswald, daß ich nicht dein Liebchen, wie du wolltest, werden mochte, und ich weiß auch gar nicht, wie der böse Gedanke in dein gutes Herz gekommen ist. Ich hätt’ es auch nimmer geglaubt, aber du hattest ge- logen, Oswald, und die Lüge ist aller Laster Siegel. Wer unter der Heimlichkeit einhergeht, der hat, was er verbergen muß, und wer seinem Mädchen etwas vorlügen kann, der will sie auch nicht in Wahrheit zu seiner Frau nehmen. Deß- halb glaubte ich dem alten Bauer, was er mir von dir sagte, und wäre beinahe gestorben an dem Glauben. Es soll dir nun Alles vergeben seyn, Alles, von meiner Seite ganz von Herzensgrunde, und wir wollen einander recht, recht freundlich Adieu sagen, wenn du wieder gesund bist, und wenn du stirbst, so will ich dir einen Busch Gold- lack auf das Grab setzen und mich todtweinen darauf. Ach, wie hast du mich so betrüben kön- nen? wenn ich dich ansehe, ist es mir noch immer unbegreiflich. Aber ich zürne dir nicht, zürne du mir nun aber auch nicht! Wie gerne wäre ich deine Gräfin geworden, und dann hättest du mich ja am dritten Tage nach der Hochzeit verstoßen können, so hätte ich doch an deinem Herzen geruht, und hätte in Ehren dran geruhet, Oswald! Die innerste Seele des Mädchens schwatzte in diesem Geplauder, welches zuweilen von schweren Seufzern und heftigem Schluchzen und Erkundi- gungen nach seinem Befinden unterbrochen wurde. Aber wie stand es um Oswald? Glücklich. Er horchte auf, er ahnete, er schloß den Zusam- menhang; durch alle Schmerzen seiner wunden Brust ging ein himmlisches Erkennen. Er wußte nun, daß er nur verläumdet worden war, daß die keuscheste und ehrenzarteste Liebe nicht einen Augenblick aufgehört hatte, ihm anzugehören. Um seine Wangen begann ein seliges Lächeln zu spielen, die Augen öffneten sich und helle Zähren der Wonne blinkten darin. Lisbeth’s liebliches Antlitz schwamm vor diesen schwimmenden Blicken, sie kam ihm leuchtend, wie eine Heilige kam sie ihm vor. Er konnte nicht sprechen, aber ein Zeichen mußte er ihr geben. Er hob seinen rechten Arm auf, zeigte Lisbeth mit einer freundlich-schmerzlichen Miene den Ring, den er noch an einem Finger der rech- ten Hand trug von der Dorfkirche her, legte sie auf sein Herz, führte dann den Ring zum Munde, und streckte die Hand gen Himmel, dann ließ er sie wieder auf seine Brust sinken und zog dann ihre Hand herbei, sie in die seinige zu legen, und sie mit ihr vereinigt auf seiner Brust ruhen zu lassen. Dazu sah er sie mit einem Blicke an, daß, wenn zwölf Zeugen von ihm vor dem Richter aus- gesagt hätten: Diesen haben wir morden sehen, und er mit einem solchen Blicke seine Unschuld versichert hätte, der Richter ihm und nicht den zwölf Zeugen geglaubt haben würde. Ein zärtliches Mädchen ist ein gläubiger Rich- ter in solchen Dingen. — Lisbeth folgte seinen Ge- bärden mit der Aufmerksamkeit bräutlicher Liebe und als sie den Sinn gefaßt hatte, da sagte sie weiter nichts als: Ah! — Aber in diesem Laute war alle Wonne, die seit dem Anfang der Zeiten in menschlichen Herzen gewallt hatte. Es war ihr, als sei sie auf dem Hochgerichte, wo man sie unschuldig hinrichten wollen, begnadiget worden; bei lebendigem Leibe war sie in den Himmel er- hoben worden, in den Himmel seiner unbefleckt- gebliebenen Liebe. — O mein Gott! sagte sie und konnte sonst nichts vorbringen. Ein Zittern der Entzückung durchflog ihren Körper, sie meinte zu sinken und den geliebten Freund aus ihren Armen zu verlieren. Da nahm sie sich zusammen, um nicht durch ihre Unruhe ihm zu schaden. Nun wußte sie, daß sie seine Frau Gräfin werde, wenn er nicht sterbe, und Oswald hatte Recht gehabt, sie machte sich nicht sonderlich viel aus der Frau Gräfin, sie wollte es eben so gern seyn, wie sie Frau Försterin geworden wäre. So fanden Lisbeth und Oswald einander wieder. Stumm ruhte ihr Auge an seinem und seines an ihrem und die herzlichsten Thränen flossen von den Wimpern. Die Hände blieben auf seiner Brust vereinigt, sanft streichelte sie seine Finger, zumal den, an welchem er den Ring trug, den Dollmetsch des hergestellten süßesten Einverständnisses. — Ein Jüngling lag, vom heftigsten Blutsturze erschöpft, dem Tode nahe und sein Mädchen war bei ihm und wußte das, und Jüngling und Mädchen waren dennoch Beide glückselig. Achtes Buch . Weltdame und Jungfrau . Erstes Capitel . Worin der Diaconus vom Zufall und von der wahren Liebe spricht . Mehrere Wochen nach jenem glücklichen Unglück ging die junge Dame Clelia mit dem Diaconus in seinem Garten auf und nieder. Der Ober- amtmann Ernst, der die dunkleren Stellen des würtembergischen Gesetzbuches doch endlich ergrün- det hatte und daran vor der Hand nichts weiter zu studiren fand, saß gelangweilt in einer Jelän- gerjelieber-Laube, und ihr Gemahl schoß mit einer Windbüchse, die er irgendwo aufgetrieben, hinter dem Garten unter Bäumen nach Sperlingen. Es war ganz still in dem Predigerhause. Die Fenster eines Zimmers, welches nach dem Hofe hinausging, waren grün verhangen und unter diesen Fenstern saß Lisbeth mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes Gähnen nicht verbergen konnte, sprach zum Diaco- nus: Lieber Herr Prediger, sagen Sie mir, was dünkt Ihnen vom menschlichen Leben? Denn ich habe Lust mit Ihnen etwas zu philosophiren. Das thut mir sehr leid, gnädige Frau, ver- setzte der Diaconus. Es beweiset, wie ermüdend Ihnen der Aufenthalt in meinem Hause seyn muß. Wenn so schöne Lippen sich zur Philosophie be- quemen, so müssen wirklich alle Ressourcen der Unterhaltung versiegt seyn. Clelia lachte und sagte: Zu galant für einen Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel zu bösartig. — In ihrer raschen Weise faßte sie die Hand des Geistlichen und rief: Wie wir Ihnen Alle dankbar seyn müssen für das Uebermaaß von Gastfreundschaft, womit Sie uns aus der abscheu- lichen Kneipe erlösten und bei sich in Ihrem be- schränkten Häuslein aufnahmen, mich sammt Jung- fer und Gemahl; (sie bediente sich dieser Reihen- folge ganz naiv) und jenem meinem Geschäftsan- beter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl ohne Versicherung von meiner Seite, und Sie müssen mir, wenn wir scheiden, unter Ihrem Amtseide versichern, uns künftiges Jahr in Wien Revanche zu geben. Daß man aber, wenn man gern mit seinem jungen Manne in’s Weite möchte, ungern zu lange bei einem kranken Vetter bleibt, der sein Tage nicht vernünftig werden wird — Er leidet noch sehr, sagte der Diaconus ernst. Bin ich denn gefühllos für sein Leiden? warf Clelia kurz ein. Hätte ich noch Vergnügen in Holland und England, wenn ich sein krankes Bild mit mir nähme? Bin ich ihm nicht herzlich gut? Sehne ich mich nicht, ihm zwanzig Küsse auf die dummen Lippen zu geben, zwischen denen sein Blut hervorstürzte? Aber ist deßhalb ein solcher Wacht- posten bei einem Siechenbette, zu dem Einen der Arzt nicht einmal hinzuläßt, etwas Angenehmes? — Und sein Sie nur ganz aufrichtig, lieber Herr Pastor, Ihre kleine Frau sähe auch nicht ungern einen gewissen Reisewagen anspannen. Wie können Sie nur so etwas denken, meine Gnädige! rief der Diaconus etwas verlegen, denn er erinnerte sich an den Text einiger Gardinen- predigten. Schelmisch fuhr Clelia fort: Ich müßte mich auf hochrothe Wangen und auf einen gewissen Glanz Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 12 in den Augen der Hausfrauen nicht verstehen! Es ist auch gar keine Kleinigkeit, fünf Menschen mehr im Hause zu haben, die man eigentlich nicht kennt, und die Einem allen Platz wegnehmen. Der Herr Gemahl laden in liebenswürdiger männlicher Un- bekümmertheit ein und die arme Frau hat nachher die Sorge. Aber lassen Sie das nur gut seyn. Trotz der rothen Wangen und der glänzenden Augen bleibt sie eine liebe, charmante Frau und soll in Wien willkommen seyn. Dort ist Raum im Hause und der Haushofmeister sorgt für Alles. Der Diaconus, der sein Zartgefühl durch dieses Gespräch unangenehm berührt fand, sagte, um es zu unterbrechen: Sie wollten mit mir über das menschliche Leben philosophiren, gnädige Frau. Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob das menschliche Leben nicht ein Ding ohne Sinn und Verstand sei? sagte Clelia. Ein junger Mann läuft aus Schwaben weg, um mich an einem Men- schen zu rächen, der seine Persifflage über mich ge- trieben; er rächt mich aber nicht, sondern schießt ein junges Mädchen und verliebt sich in sie. Dann quälen die beiden Leutchen (wie wir nun nach und nach herausgebracht haben, Ihre Frau und ich) einander bis auf den Tod um Nichts, und das Ende dieser höchst lächerlichen Geschichte ist ein furchtbarer Blutsturz, der leicht einen Todten in die Comödie hätte liefern können. — Wo ist da vernünftiger Zusammenhang? Sie lassen etwas aus in der Geschichte, sagte der Diaconus. Nun ja. Ich schrieb, als ich überall hören mußte, ich sei bescholten, an meinen Bräutigam nach Wien und erklärte ihm höchst edel, eine Be- scholtene dürfe nicht seine Gemahlin werden; er sei frei und des gegebenen Wortes ledig. Dieser affectvolle Brief wirkte denn dermaßen auf ihn, daß er sich in kürzester Frist zum Herrn aller Schwierigkeiten machte, die unserer Verbindung entgegengestanden hatten und, so rasch die Pferde Tag und Nacht laufen wollten, nach Stuttgart eilte. Und aus solchen offenbaren Zeichen erkennen Sie den Gott nicht, der in Ihrem und Ihres Vetters Schicksale waltete, fragte der Diaconus mit komischem Ernst. Welcher Gott? Der Zufall! rief der Diaconus feierlich. 12* Das ist ein schöner Gott, versetzte Clelia und lachte. Gnädige Frau, sagte der Diaconus, glauben Sie mir sicherlich, die Welt wird erst wieder an- fangen zu leben, wenn die Menschen sich erst wieder vom Zufall hin und her stoßen lassen, wenn man z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und sich nicht darüber verwundert, findet man statt der Rache eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Frei- müthigkeit) in einer zufälligen allerliebsten Auf- wallung entsagende Briefe nach Wien schreibt, und eben so zufällig von der Entsagung zum Häub- chen abfällt. Unsere Zeit ist so mit Planen, Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben gleichsam wie in einem zugesetzten Meiler nur ver- kohlt, und nie an der freien Luft zur lustigen Flamme aufschlagen kann. Die Lebensweisheit der wenigen Vernünftigen heut zu Tage besteht folglich darin, sich von der Stunde und von dem Ungefähr führen zu lassen, nach Launen und An- stößen des Augenblicks zu handeln. Bravo! rief Clelia. Sie sind ein wahrer Prie- ster für uns Weltkinder. Und das sagt er Alles so ernsthaft, als sei es ihm damit bitterer Ernst. Ich predige ja nur über ein christliches Gebot, sprach der Diaconus lächelnd. Wie lautet dieses sogenannte christliche Gebot? Sorge nicht um den anderen Tag, versetzte der Diaconus. Die junge Dame begehrte jetzt auch seine Exe- gese über die leeren Nöthe des Liebespaares. Er bedachte sich etwas und sagte dann: Ich muß hier schwerfälliger werden als bei dem anderen Thema. Zuvörderst sei Ihnen gesagt, daß diese Liebe mich rührt, die Liebe meines Freundes und des guten Mädchens, welches er auf so ungewöhn- liche Weise kennen gelernt hat. Ich meine, in ihnen ein vom Schicksal bezeichnetes Paar zu sehen und ein völliges Aufgehen zweier Seelen in ein- ander. Die Liebe ist nun Leid, wie alle Dichter singen, sie ist der Herzen selige Noth und ein rührender Gram. Wer von der Liebe Thränen scheidet, der scheidet sie von ihrem Lebensquell; eine lachende Liebe ist keine. Wahrlich, die ächte Liebe ist ein Ungeheu- res! fuhr er mit Wärme fort. Nicht in tauber Redeblume, sondern wesentlich, wirklich und wahrhaftig giebt der Liebende seine Seele weg! Diese also weggegebene und der Hut berechnenden Ver- standes entlassene Seele ist aus den Fugen, unbe- schützt liegt sie da und ohne Vertheidigung durch irgend eine Selbstsucht, welche unsere nüchternen Tage schirmt. In dieser ihrer göttlichen Schwäche ist sie nun eine Beute für jedes Raubthier von grimmigem Zweifel, fürchterlichem Argwohn, zer- fleischendem Verdacht. Aber im Kampf mit diesen Raubthieren erstarkt sie. Aus ihren tiefsten und noch nie bis dahin entdeckten Abgründen holt sie neue Waffen und eine ungebrauchte Rüstung hervor; sie lernt sich in ihren verborgenen Reichthümern be- greifen, sie vollzieht eine Art von herrlicher Wie- dergeburt und feiert nun auf dieser Stufe die wahre, die himmlische Hochzeit, von welcher die Andere nur das vergröberte irdische Abbild ist. Unverwelklich ist der Kranz, der auf jenem Sie- gesfeste der liebenden Seele getragen wird, und er verschwindet nicht in den Schatten der Braut- nacht. Darum zwingt eine ewige Nothwendigkeit die wahre Liebe, sich Noth zu schaffen, wenn sie keine Noth hat. Denn nicht träge genießen will sie, sondern kämpfen und siegen. Trübsal ist ihr Orden und Jammer ihr geheimes Zeichen. Traun, ein Kind kann über die Leiden Oswald’s und Lisbeth’s lachen, die nicht kindischer erfunden werden moch- ten! Aber ohne diese kindischen Leiden wären zwei Seelen von solcher Tiefe, Schwere, Süße und Feurigkeit wohl wieder von einander gekommen, statt daß sie in den Qualen der Einbildung sich das rechte Wort und den wahren Gruß gegeben haben, an dem sie einander über alle Zeit hinaus erkennen werden. Die junge Dame Clelia war durch diese Rede des Diaconus in ein Gebiet geführt worden, in welchem ihr nicht heimisch zu Muthe seyn konnte. Anfangs meinte sie für sich, sie müsse sich etwas schämen, denn mit ihrem Cavalier aus den öster- reichischen Erblanden hatte sie freilich während des Brautstandes mehr gelacht als geweint. Nachher meinte sie, die Gelehrten sprächen zuweilen nur, um etwas zu sagen; und endlich verstand sie den Geistlichen gar nicht mehr. — Als er mit seiner Auseinandersetzung zu Ende war, rief sie: Schade, daß die beiden lieben Leute einander nicht heirathen können! Wie? rief der Diaconus voll äußersten Er- staunens. Denn auf diese Wendung war er bei der jungen, gutmüthigen Frau nicht im Traume gefaßt gewesen, zumal nach solchem Gespräche. Zweites Capitel . Worin ein humoristischer Arzt nützliche Wahrheiten über die Behandlung kranker Personen vorträgt . Das Nahen des Arztes, welcher von dem Krankenzimmer herunter in den Garten kam, schnitt weitere Erörterungen vorläufig ab. — Der Doctor war ein überaus dicker Mann, der voll guter Einfälle steckte und diese mit der größten Trockenheit her- auszubringen wußte. Clelia, die mit solchen Leu- ten eine natürliche Wahlverwandtschaft hatte, pflegte in seiner Gegenwart zu sprechen, als sei er nicht zugegen. Und so sagte sie auch jetzt, als der Arzt langsam über den Hof gewatschelt kam, ganz laut: Da kommt der Doctor und wird uns nun sagen, daß es mit Oswald anfange, besser zu gehen. Das heißt, vierzehn Tage lang mag er allenfalls Einen oder den Anderen von uns eine Viertelstunde annehmen, vierzehn Tage darauf können die Besuche länger werden, und nach sechs Wochen werden wir hoffentlich so weit seyn, daß der Reconvalescent in der Mittagssonne eine halbe Stunde spazieren gehen darf. Dieß nennen die Aerzte Herstellung. Wirklich hatte der Arzt noch bis gestern den Zustand des Kranken als bedenklich und der höchsten Schonung bedürftig dargestellt. Streng war jeder Verkehr zwischen ihm und der Außenwelt unter- sagt gewesen; Niemand, weder die Frauen, noch selbst der Diaconus und sein neuer Vetter aus Oesterreich hatten ihn besuchen dürfen. Nur dem alten Jochem war er zur Obhut und Pflege von dem unnachsichtigen Arzte anvertraut worden, die jener denn auch in aller Treue ausgeübt hatte. Aengstliche Sorge und Spannung, die in dem kleinen mit Gästen plötzlich so angefüllten Hause Alle, besonders in den ersten Tagen der Krankheit, bewegte, konnte sich daher nur durch eifriges Fra- gen und Nachfragen und durch jede Liebesgefällig- keit, die von draußen nach dem Krankenzimmer hinein zu leisten war, geltend machen. Am un- ruhigsten war Clelia gewesen, welche ihren Vetter wahrhaft lieb hatte. Auch der Oberamtmann, der in seinem Wagen den Leidenden nach der Stadt befördert hatte, zeigte eine große Anhänglichkeit. Tief betroffen waren der Diaconus und seine Frau gewesen. Lisbeth hatte anfangs viel geweint. Dann fiel es den Anderen auf, daß sie plötzlich die Gefaßteste, und wie es schien, Gleichgültigste von Allen wurde. Diese Verwandelung geschah nach einer Unterredung, die sie mit dem Arzte gehabt hatte. — Sie wurde der Frau des Diaconus bei deren vermehrten Haussorgen sehr nützlich, und ein Geschäft hatte sie seit ihrem Eintritte in das Haus ausschließlich für sich in Anspruch genommen, die Bereitung alles dessen, was Oswald bedurfte. Ein zarter und stiller Verkehr waltete zwischen Beiden, ungeachtet daß Lisbeth, wie sich von selbst versteht, unter dem strengsten Banne des ärztlichen Verbotes befangen war. Sie sandte ihm mit dem leichten und kühlenden Tranke, welchen er genießen durfte, jederzeit die schönsten Blumen, die sie im Gar- ten fand. Er hielt diese sanften Boten in seiner Hand des Tages, und bei Nacht ruhten sie an seinem Herzen und von dieser Ruhestätte empfing Lisbeth sie am anderen Morgen wieder. — Wenn die Haus- frau sie nicht beschäftigte, pflegte sie im Hofe unter den Fenstern des Krankenzimmers zu sitzen. Dort verweilte sie, bis es völlig dunkel geworden war, ihre stille Mädchenarbeit verrichtend. Sie war gegen Jedermann sanft und freundlich, ließ sich aber mit Niemand ein, sondern blieb sehr für sich. Ein Vorfall hatte sich während jener Tage ereignet, der die Gäste etwas wider sie einnahm, den Oberamtmann sogar in Zorn versetzte. Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer entscheidenden Krisis vorherverkündiget. Der Dia- conus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm daher gespannt entgegen, während Lisbeth ruhig unter dem Fenster sitzen blieb. Der Arzt hatte die Worte Clelia’s gehört, wandte sich daher an diese, und sagte: Gnädige Frau, ich darf Ihnen etwas kürzere Fristen versprechen. Unser Patient ist hergestellt, und wenn allerseits verehrte Anwe- sende heute und etwa morgen und etwannest über- morgen noch einige Rücksicht auf seinen Zustand nehmen, so wird er wohl überübermorgen ausgehen dürfen, als ein zwar noch etwas blasser aber doch durchaus geheilter Mann. Wie? riefen Alle wie aus einem Munde. Und Sie erklärten ihn noch gestern für nicht außer Gefahr? Der Arzt zog sein breites und fettes Gesicht in solche Falten, daß er wie ein Silen aussah und sagte: Eine Nothlüge, gnädige Frau und liebe Herren, eine Nothlüge, ohne welche der recht- schaffenste Mann, absonderlich aber der Arzt, nicht durch dieses Jammerthal kommt. Denn wollte der Arzt immer die Wahrheit sagen, so würfen sie ihn zum Hause hinaus. O Sie Schelm! Gewiß haben Sie wieder einen Ihrer Streiche auslaufen lassen! sagte der Diaconus lächelnd. Clelia drang in den Arzt, um den Zusammenhang zu erfahren, und er fuhr folgendermaßen fort. Wenn man, sagte er, wie ich, eine Reihe von Jahren doctert, wenn man seine von vielen Recepten nicht mehr abhangende Praxis hat, so beginnt man ohne Scheu einzu- gestehen, daß die Natur doch zuletzt der Geheime Medicinalrath oder Obermedicinalrath ist. Wir Aerzte sind nur schärfere Zeugen der Natur, hören feiner, was sie flüstert und wispert, als andere Menschen, sonst aber sind wir keine Hexenmeister. Der Natur, wenn sie leise sagt: Bitte! bitte! die Bitte zu gewähren, Alles fern zu halten, was sie in ihrem Gange stört, das ist unsere ganze Kunst. Die Krankheiten werden meistentheils nur gefährlich durch Gelegenheitsursachen, welche das Walten der Natur stören. Auch dieser Blutsturz wäre bei der vortrefflichen Constitution des Herrn Grafen wahrscheinlich ganz von selbst geheilt, das Blutgefäß, welches sich ergossen hatte, hätte sich mit Ruhe und höchstens etwas zusammenziehend Säuerlichem von Natur geschlossen. — Meine Weis- heit hat nur darin bestanden, daß ich die der Na- tur feindliche Gelegenheitsursache entfernt zu halten wußte. Ich sehe einmal wieder nicht, wohin dieses Kauffartheischiff steuert, sagte Clelia. Welche Ge- legenheitsursache meinen Sie? Ihre und der übrigen verehrten Anwesenden Liebe, Freundlichkeit, Besorgniß und Theilnahme an meinem Patienten, versetzte der Arzt trocken. O meine geschätzten Freunde, Sie glauben nicht, wie viele Kranke dem Arzte durch Liebe und Theil- nahme der Angehörigen zu Grunde gerichtet wer- den! Zwar in den ersten Tagen läßt man den Leidenden wohl ruhig liegen und behandelt ihn vernünftig, aber späterhin, wenn es nun heißt, er bessere sich, oder er sei Reconvalescent, da beginnt ein wahrer Cultus des Krankenzimmers, in den Augen des gewissenhaften Arztes der schlimmste Teufelsdienst. Vergebens rufen die müden und zitternden Nerven: Laßt uns in Frieden! Umsonst sehnt sich das in Unordnung gebrachte Blut nach Stille, fruchtlos ist es, daß die letzten Kohlen der Entzündung in sich verglimmen möchten — es hilft Alles nichts, besucht wird, gefragt wird nach dem Befinden, unterhalten wird, vorgelesen wird, so- genannte kleine Freuden werden bereitet und voll Verzweiflung sieht man das Schlachtopfer der Liebe, was man gestern voll guter Hoffnung verließ, heute elend wieder. Deßhalb sterben auch in Pri- vathäusern verhältnißmäßig mehr Menschen als in wohlbeaufsichtigten Lazarethen. Und darum pflege ich auf Kranke mit Umgebungen voll Liebe und Theilnahme, die ich nicht abhalten kann, von vorne herein doppelt so viel Zeit zu rechnen, als auf Kranke ohne liebevolle Umgebungen. Hier nun — Es ist doch abscheulich, über die edelsten Em- pfindungen so zu spotten! rief Clelia heftig. … sah ich einen ganzen Heerd von Liebe und Theilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde, fuhr der Arzt, ohne sich erregen zu lassen, fort. — Edle Empfindungen, über die mir nicht ein- fällt zu spotten, welche mir aber als Arzt nur als eben so viele widrige Gelegenheitsursachen und In- dicationen erscheinen mußten, daß der Patient, befragt, besprochen, unterhalten, durch Vorlesungen aufgeregt und durch kleine Freuden im entzünd- lichen Stadio verzögert, leicht seine Paar Monate abliegen könne. Deßhalb griff ich zu der Noth- lüge, daß er in großer Gefahr sei, dann folgte die einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zustand, dann die langsame Hebung der Kräfte, und auf heute endlich wurde die Wirkung einer entscheidenden Krise versprochen. Er war aber nie, verehrte Anwesende, in großer Gefahr und kehrte nach den ersten zehn Tagen schon mächtig zu. Einem Kranken thut Niemand Noth, als Einer, der ihm zu den bestimmten Stunden die Arzenei reicht und allenfalls ein verschobenes Kissen zurecht legt; und dann Langeweile, o du nicht genug zu preisende Göttin des Siechenbettes! Man sollte Hygieen gähnend darstellen, denn es ist nicht auszusagen, welche Riesenschritte die Besserung macht, wenn der Leidende weiter gar nichts zu thun hat als zu gähnen. Darum setzte ich unseren Grafen auf die wenig aufregende Gesellschaft seines alten Dieners und dann auf Langeweile und habe ihn durch diese beiden Potenzen in kurzer Zeit wieder auf die Füße gebracht und wenn ich ihn noch ferner besuche, so be- suche ich ihn jetzt mehr als Freund denn als Arzt. Schade, rief Clelia nach dieser Erörterung spitz, daß Sie sich nicht selbst als niederschlagendes Pulver verschreiben können. — So dürfen wir ihn denn also heute sehen? Der Arzt schaute rund im Kreise um und warf dabei auch seinen Blick in den Hof, wo Lis- beth noch immer saß. Ich unterscheide, sagte er nach einer Pause bedächtig. Sie, gnädige Frau und der Herr Oberamtmann und der Pastor dürfen ihn ohne Schaden schon heute besuchen, mein Kind Lisbeth dort muß aber bis morgen warten. Er empfahl sich. Clelia’s muntere Seele war durch die letzte Rede des alten Silen doch etwas empfindlich gemacht; sie stand einige Augenblicke schweigend, nagte an ihrer schönen Lippe und rief dann: Fancy! Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 13 Fancy, die Kammerjungfer ließ sich hören und wurde gleich darauf sichtbar. Fancy, bringe mir meine Crespine und setz’ deinen Hut auf, wir wollen noch etwas spazieren gehen, sagte ihre junge Gebieterin. Dürfen wir Sie nicht zu unserem Freunde beglei- ten? fragten der Diaconus und der Oberamtmann. Nein, versetzte die schöne Empfindliche mit kurzem Ton, zu den ganz unschädlichen Besuchern mag ich mich denn doch nicht gern zählen lassen. Sie verschwand mit Fancy. Die Männer gingen nach dem Krankenzimmer. Als der Dia- conus bei Lisbeth vorbeiging, sagte er erstaunt und halb leise zu ihr: Sie scheinen sich über des Doc- tors Nachricht wenig gefreut zu haben. Ich wußte schon lange die Wahrheit, versetzte Lisbeth mit niedergeschlagenen Augen. Der Arzt hatte meine Angst gesehen und mir entdeckt, wie die Sache stand. Und Sie konnten sich überwinden, Oswald nicht zu besuchen? Warum nicht? Wenn er nur gesund wird! Kam ich und meine Sehnsucht da in Betracht? Drittes Capitel . Speisesaal und Krankenzimmer . Das Wiedersehen war sehr freundlich und herz- lich gewesen. — Als die beiden Männer das Kran- kenzimmer verlassen hatten, gingen sie nach dem allgemeinen Versammlungssälchen und dort sagte der Oberamtmann: Ich habe eigentlich nie ein schöneres Gefühl für einen Freund, als wenn ich ihm wider seinen Willen einen Dienst für das Leben leisten kann. Denn bei Gefälligkeiten, die man den Wünschen des Anderen erweiset, ist man nie sicher, daß sich nicht Eitelkeit, weichliches und selbstliebiges Wesen mit einmischt. Wenn man aber gegen die Schooßneigungen des Freundes an ihm seine Schuldigkeit thut, dann hat man die reine Empfindung treuerfüllter Pflicht; wohl die schönste im Leben. 13* Soll das denn auf unseren Freund eine An- wendung finden? fragte der Diaconus etwas be- fangen. Allerdings, erwiederte der Oberamtmann, und Ihren Beistand erbitte ich mir auch, Herr Diaco- nus, zu dem, was ich vorhabe. Nachdem der Graf nun wieder hergestellt ist, oder wenigstens in ganz kurzer Zeit seyn wird, kann ich an mein Geschäft mit ihm oder vielmehr für ihn denken. Meine erste Obsorge muß nämlich jetzt seyn, diese unan- gemessene und fast verrückte Liebschaft zu zerstören. Der Diaconus braus’te hier, seine geistliche Fassung etwas vergessend, auf und rief in den bestimmtesten Ausdrücken, daß er zur Zerstörung einer solchen Liebe, welche keine Liebschaft sei, nicht die Hand biete, vielmehr sie, so lange sie das Gastrecht seiner Schwelle genieße, zu schützen wissen werde. Man wurde hierauf, obgleich man sich in gewissen Grenzen zu halten wußte, gegen- seitig sehr warm und erschöpfte Alles, was an heftigen und starken Versicherungen und Gegenver- sicherungen gesagt werden konnte. Endlich fiel dem Diaconus die Frage ein, welche bei dergleichen Gelegenheiten die erste seyn müßte, meistentheils aber die letzte zu seyn pflegt. Er erkundigte sich nämlich nach den Gründen einer so starken Abnei- gung gegen diese Verbindung. Ihre Frage kann mir auffallend erscheinen, Herr Diaconus, indessen will ich sie beantworten, erwiederte der Oberamtmann. Mein Freund ist, wie Sie wissen, aus der ersten Familie des Kö- nigreiches, seine Herrschaft gleicht an Umfang manchem Fürstenthume; geborener Reichsstand ist er und das Blut unserer Könige hat sich mit sei- nem Geschlechte mehreremale vermischt. Wenn er nun den aufgelesenen Findling heirathet, so fallen seine Kinder, wie Bastarde, von der Bank und sind successionsunfähig, darüber verliert er die Freude an seiner Herrschaft, weil er nämlich weiß, daß er sie für die fremde Linie aufhebt. Mit den Anverwandten verhetzt er sich, in seinen Verhält- nissen zerrüttet er sich, bei Hofe kehren sie ihm den Rücken, der Gemahlin muß er sich schämen, in der Kammer wird er aus übler Laune ein hohler widersprecherischer Schreier, kurz, er wird auf alle Weise ein elender und verkümmerter Mann. Weil er aber dazu gar keine Anlage hat, sondern vielmehr ungeachtet mancher Thorheit bestimmt ist, sich zu einem ganz herrlichen und prächtigen Cha- rakter herauszuarbeiten, zu einer Freude und Zier des Landes, deßhalb Herr Diaconus, und deßhalb, weil ich seiner sterbenden Mutter mein Wort auf ihn gegeben habe, ist es meine Pflicht, dieses Ver- hältniß, welches für mich eine Liebschaft bleibt, zu zerstören. Die Streitenden gingen mit großen Schritten auf und nieder. Der Diaconus pries die Unschuld und den Schwung der Neigung, welche so entgegengesetzte Gefühle aufregte. Allein der hartnäckige Geschäfts- mann ließ sich dadurch nicht rühren, sondern sagte: Ich will ihn auch gar nicht daran hindern, das Mädchen geliebt zu haben. Er feire sie in seiner Erinnerung, er mache Gedichte der Wehmuth an sie, Sonette und Terzinen so viel er will, er trage ihre Locke oder ihren Schattenriß, was er nun von ihr besitzt, auf dem Herzen, immerhin! Liebe ist Liebe, aber Ehe ist Ehe. Die Ehe ist ein Geschäft, ein höchst wichtiges Geschäft. Nicht umsonst handelt ein Abschnitt in allen Landrechten von der Ehe und vom Eingebrachten und von der Gütergemeinschaft. Die Ehe soll dem Menschen einen Boden unter die Füße geben, nicht den Bo- den unter den Füßen wegziehen. Ein Geschäft muß ein Object haben, Liebe ist aber kein Object. Liebe gehört zur Ehe, wie der fröhliche Trunk zum Abschluß eines guten Kaufes; aber über das Glas Wein schließt man den Handel nicht. Er braucht noch gar nicht zu heirathen, denn er ist noch sehr jung, will er es aber thun, so giebt es unter unseren Gräfinnen und Fürstinnen und unter denen nebenan in Baden und Bayern auch schöne, blü- hende, gute Mädchen; darunter soll er sich aus- lesen, die Bettlerin aber soll er lassen. Ich weiß wohl, daß jedes mißgefügte Liebes- paar von seiner Thorheit einen neuen Himmel und eine neue Erde datirt und die erste probehaltige Ausnahme. Wenn man aber nach wenigen Jahren die sogenannten Ausnahmen wieder sieht mit han- genden Flügeln, den Schmetterlingsstaub jämmer- lich von den Schwingen gerieben, vernützt, abge- blaßt, so wendet sich Einem das Herz im Leibe bei dem Anblicke von so trübseligen Bestätigungen der allgemeinen Regel um. Der Diaconus, dessen Verstand unwillig Man- ches zugeben mußte, was der Andere vorbrachte, bediente sich jetzt der Wendung, welche bei einem Streite so ziemlich klar die Niederlage anzeigt. Er sagte nämlich, daß diese Drohungen wohl nicht ganz der Ernst des Oberamtmanns seyn möchten, daß er gewiß Bedenken tragen werde, sie in ihrem vollen Umfange auszuführen. Darauf versetzte der Amtmann sehr kalt und fest: Sie würden im Irrthume seyn, wenn Sie diese Meinung wirklich hegten. Ich bemerke wohl, daß die Scherze, welche die junge Baronesse in ihrer liebenswürdigen Laune zuweilen über mich macht, Sie zum Lachen über mich anreizen, und es mag auch wahr seyn, daß ich eine ziemlich son- derbare und graue Actenfigur bin. — Ich habe neulich den sogenannten Patriotencaspar verhört, darüber den Grafen vergessen, kam zu spät auf den Oberhof und fand meinen Freund, der viel- leicht gesund mit mir gefahren wäre, erst wieder, als er blutend am Wege lag. Das war ein Schwa- benstreich. — Indessen kann man solche begehen und doch bei manchem Puncte unbesieglich seyn. — Glauben Sie mir, daß, wo ich mich in meinem Amte und Rechte fühle, Alles von mir abgleitet, wie von einem Felsen und daß ich dann fest zu stehen weiß, wie ein Fels. Meinen liebsten Freund aber vor einem unsäglichen Elende zu bewahren, wie ich es nun einmal ansehe, das ist recht eigent- lich meine Amtspflicht und mein Recht. Ich werde demnach, was ich angekündiget habe, durchzuführen wissen. Aber was wollen Sie denn mit ihm beginnen? Er ist doch mündig! rief der Diaconus ereifert. Leider! versetzte der Oberamtmann. Es giebt Leute, die wenigstens bis zum dreißigsten Jahre unter Curatel stehen sollten. Indessen ist auch ein Mündiger anzufassen. Was ich beginnen will? Ihm jeden nur möglichen Grund vortragen, die Verbindung ihm unleidlich machen; Urlaub mir verlängern lassen, mit ihm auf sein Schloß reisen, Oheime, Vettern und Basen in Bewegung setzen, die Sache vor den König bringen, seine Standes- genossen aufregen, es darauf ankommen lassen, daß er mir die Thüre weiset, dann doch nicht gehen, immerfort einsprechen, den Einspruch noch zwischen die Verlobung werfen, ja selbst am Altare, wenn es nothwendig ist, einen Scandal bereiten. O ein Mann und Freund kann viel, wenn er nur beharrlich will. So wahr ich der Oberamtmann Ernst vom Schwarzwalde bin, mit meiner Zu- stimmung wird sie nicht Gräfin Waldburg-Bergheim. Und mit meiner auch nicht, sprach hier eine dritte Stimme. Die schöne Clelia war, von ihrem Spaziergange zurückgekehrt, in den Saal getreten, und hatte unbemerkt von den Männern, gehört, wovon die Rede war. Nein, Herr Dia- conus, sagte sie, Sie sehen die Sache doch etwas zu sehr von Ihrem Standpuncte an. Ich bin ge- wiß gut und freundlich gegen Jeden und wünsche Allen ein solches Lebensglück, wie ich es erlangt habe, aber auch meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß Mißbündnisse nie zum Heile führen, und da es sich hier um das Loos meines theuersten An- verwandten handelt, so stelle ich mich ganz auf die Seite des Oberamtmannes. Die schöne junge Frau sagte dieß so feierlich, als hätte sie in ihrem zwanzigjährigen Leben schon wenigstens hundert üble Erfahrungen von Miß- bündnissen vor Augen gehabt. Der Oberamtmann küßte ihr dankbar und gerührt die Hand und der Diaconus schwieg. Es war inzwischen im Nebenzimmer gedeckt worden und man setzte sich zu Tische. Auch der junge Gemahl hatte sich nach seiner Sperlingsjagd, die nicht sehr ergiebig gewesen war, zur Gesell- schaft gefunden und nur Lisbeth fehlte. Der Dia- conus suchte, so gut es ihm gelingen wollte, der vorhergegangenen Scenen ungeachtet den beredten Wirth zu machen. Es glückte ihm aber nicht ganz, denn seine Seele war abwesend und in Bekümmer- niß bei dem Paare, über dessen Häuptern sich nach manchem Leiden noch zuletzt so schwere Wol- ken anhäuften. Die ganze Gesellschaft war eigentlich verstimmt und redete wenig. Der Oberamtmann fühlte die Schwierigkeit seiner Aufgabe, zwei Herzen zu trennen, die einen geistlichen Beistand hatten, und dachte über die Mittel nach, diesem Einflusse ent- gegenzuarbeiten. Zwischen dem jungen Ehepaare aber hatte sich der erste Streit erhoben und zwar auch über das Liebespaar. Der Gemahl war näm- lich nach seiner Rückkehr von dem Windbüchsen- vergnügen unterrichtet worden, daß der Vetter hergestellt sei und hatte, als er seine Gemahlin von dem Spaziergange heimkommend gesprochen, ihr in aller Freundlichkeit aber mit bestimmtem Tone den Entschluß eröffnet, nunmehr abreisen zu wollen, da sie unmöglich jetzt noch eine Sorge um Oswald mit auf die Reise nehmen könne. Schon daß er so bestimmt sprach, regte ihren Widerspruch auf und sie fühlte wohl, daß wenn sie den An- fängen solcher Emancipation nicht entgegentrete, es leicht um die ganze Zukunft ihres Regiments geschehen seyn dürfte. Sie erklärte daher eben so bestimmt, daß sie noch bleiben und so lange bleiben werde, bis sie ihren geliebtesten Anverwandten von einem schlimmeren Uebel befreit sehe, als dem Blutsturze, nämlich von seinem verkehrten Heirathsvorsatze. Der Oberamtmann fasse Alles zu rauh an, sie als Frau wisse allein in solcher Verwickelung das Richtige zu treffen und den Knäuel mit Feinheit zu entwirren. — Du kennst meine Festigkeit, Edmund, sagte sie zuletzt; ich bin ganz fest in dieser Sache, zu deren Behand- lung mich der Himmel selbst offenbar hieher hat kommen lassen, also stehe ab von dem Vorsatze, mich nach deinen Wünschen bewegen zu wollen. Er erwiederte ihr darauf höflich, daß er an ihrer Festigkeit nie gezweifelt habe, daß sie ihm aber unter solchen Umständen verzeihen möge, wenn er, so lange ihr Geschäft hier daure, einen Besuch bei seinem Oheim im Osnabrück’schen abstatte, denn an diesem elenden Orte könne er es nicht länger aushalten. So endete demnach der süße Friede der Flit- terwochen und es war noch keine Versöhnung er- folgt, als man sich zu Tische setzte. Gemahl und Gemahlin sprachen daher auch nicht, sondern sahen stumm auf ihre Teller. Was endlich die Haus- frau betrifft, so hatte diese wirklich das hochrothe Antlitz und die glänzenden Augen, von welchen Clelia gesprochen hatte, und welche unwiderleglich anzeigen, daß eine Wirthin sich sehnt, wieder un- gestört in ihrer stillen Häuslichkeit zu leben. Sie war die gastfreiste Frau von der Welt, aber die Einladungen des Diaconus, die von ihm ohne Rücksicht auf Raum und Grenzen des kleinen Hauswesens ausgegangen waren, hatten ihr eine Last aufgebürdet, unter welcher sich selbst der Sinn einer Baucis geheimen Mißgefühls nicht würde haben enthalten können. Man stand auf und wünschte einander gute Nacht. Vor dem Fortgehen sagte aber der Ober- amtmann zum Diaconus: Unbegreiflich ist es mir, wie Sie, Herr Pastor, die Parthei eines Mäd- chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen zu schließen, eine sehr gefühllose Seele hat. Gefühllose Seele? Ist sie, als sie von dem Unfalle ihres alten Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem dankbaren Kinde eignete? Hat sie sich nicht be- gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben sei? und als sie erfuhr, daß gute Leute sich seiner ange- nommen hätten, that sie da etwas Anderes, als ihm das Geld schicken, welches sie für ihn ver- wahrte? Herr Oberamtmann, versetzte der Diaconus, die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen und ausgetragen: Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen. Es thut wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu stoßen, wenn man so viele Puppen gesehen hat. Ich habe da die Unterscheidungen und Bezeichnungen auf- gestellt, welche, wie wir vernehmen, unser großer Dichter von weiblichen Wesen zu gebrauchen pflegte. Mir will es so vorkommen als ob Goethe, wenn er noch lebte und die Lisbeth sähe, sie eine Natur nennen würde. An diesem Abende ereignete sich, was hin und wieder in Liebesschicksalen vorkommt. Die Umher- stehenden streiten gewaltig mit einander und regen eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei Menschen verbunden bleiben sollen oder nicht! und die Liebe ruht während des Kampfes seitwärts unter Rosenbüschen in holder Eintracht. Lisbeth und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um ihr Geschick ausgefochten wurden oder sich vorbereite- ten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude sich zugedacht. Sie pflückte die schönsten Astern im Garten und wand sie zum Kranze. Mit dem Kranze schlich sie, als es dunkelte, leise an die Thüre des Krankenzimmers, horchte dort klopfen- den Herzens und pochte, als sie im Zimmer nicht reden hörte, so sacht an, daß nur ein feines Ge- hör, wie es der alte Jochem besaß, den fast un- hörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam in seinen Socken an die Thüre geschlichen und öffnete sie ohne Geräusch. Wacht der Graf? flüsterte Lisbeth. Nein, versetzte eben so leise der Alte. Er schlummert im Lehnsessel, das Gespräch mit den beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom- men’s nur herein! Kaum den Boden mit ihren Fußsohlen berüh- rend schritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnstuhle saß Oswald und schlief. Sein Antlitz war so weiß wie Marmor, er sah vornehmer und prächtiger aus als je. Die schöne Stirn zeigte noch klarer als sonst die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge- röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und um sie und um die reinen Wangen schwebte das friedlichste Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von seiner Liebe träumen. So saß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Mischung von siegfreudigem Apoll und schwärmen- dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie so klar in dieser seiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geschlossenen Wimpern allen Zügen etwas Festes und Ewiges gaben. Lisbeth näherte sich dem Schlafenden und beugte sich über sein Haupt. Aber sie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Athem um seine Wangen spielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte sie leicht und leise wie eine beschenkende Himmels- gestalt ihren schönen Kranz von rothen, gelben und blauen Astern in seinen Schooß. Und dann setzte sie sich ihm gegenüber in einen Sessel und sah ihn, die Hände über der Brust gekreuzt, lange an. Nachdem sie so lange stumm gesessen, wendete sie ihr Antlitz. Der Alte stand ihr zur Seite und empfing ihren ersten Blick. Von diesem Blicke er- schüttert, sank er leise auf das Knie und küßte ihre Hand. Die Gnostiker erzählen, daß die Engel einst eine unaussprechlich schöne Gestalt flüchtig an sich vorüber schweben sahen, die sie nachmals nie wieder erblickten, obgleich sie Aeonen lang mit heißer Sehn- sucht einer zweiten Erscheinung harrten. Sie schufen dann endlich, sagen die Gnostiker, in Nacherinne- rung an die Geschaute, ein schwaches Abbild jenes himmlischen Urbildes. Dieses Abbild war der Mensch. Es kann seyn, daß in Lisbeth’s Zügen etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einst erschienenen Schönheit schimmerte. Der Alte stam- melte flüsternd: O liebe, liebe, junge gnädige Gräfin. Lisbeth erröthete. Warum nennst du mich immer schon so? fragte sie leise. Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 14 Weil ich mir Sie gar nicht als Liebste oder Braut denken kann, sondern Frau sind Sie, liebe Frau von meinem jungen Herrn, gar kein’ Sehn- sucht nicht und kein Verlangen, sondern schon ganz Eins mit ihm und herzenseinig. Nun sage mir, wie geht es ihm und wovon hat er heute gesprochen? fragte Lisbeth. Ach, sagte der Alte, Kranke haben so ihre wehmüthigen und zaghaften Stunden. Mein Herr sagte heut’, das Glück, was er mit Ihnen haben würd’, käm’ ihm gar zu schön und herrlich vor, er könnt’ nicht aussprechen, wie unsäglich lieb er Sie haben thät’ und deßhalb fürchtete er, die wüste Welt würd’ sich drein legen zwischen ihn und sein Glück, und der Damon würde drauf treten — Dämon sagte er wohl, sprach Lisbeth. Dämon oder Damon, ’s kommt Alles auf Eins heraus, er meinte aber gewiß den Teufel; fuhr Jochem fort. — Er sagte diese trübseligen Sachen viel schöner und besser, als ich sie hervorbringen kann, indessen hatt’ ich rechte Müh’ ihm Trost ein- zusprechen. Lisbeth nahm die Hand des Alten und lis- pelte: Wenn er erwacht, so sage ihm, ich sei hier gewesen und habe mich an ihm gefreut. Sage ihm dann auch, er solle mir nicht übel nehmen, besuche ich ihn morgen und auch vielleicht noch übermorgen nicht, denn ganz gesund müsse er erst seyn, wenn er mich sehen solle, und ich sei ohne dieß doch immer und ewig bei ihm. — Tief ath- mend, aber so leise, daß der Alte sein Ohr ihren Lippen nähern mußte, setzte sie hinzu: Und wei- ter sollst du ihm sagen, er müsse sich nicht vor der Welt und dem Dämon fürchten, denn er sei mein Oswald und ich sei seine Lisbeth, und die Welt und der Dämon hätten keine Macht über zwei Menschen, die einander von Grund des Herzens gut seien. Er solle nur ganz getrost an mich denken, denn ich sei Er, und er sei Ich, und wir seien Eins und zwischen uns könne nichts kommen. Werd’ Alles genau ausrichten und bestellen, antwortete der Alte. Und ’s ist gut, daß mein Herr es nicht von Ihnen hört, denn mit Ihrer Stimm’ und dem ganzen Ton vorgetragen, möcht’s ihn doch unruhig machen und der Brust noch scha- 14* den. Aber wenn ich’s ihm in meiner groben Ma- nier erst zuricht’ und hinterbring’, so überwindet er’s schon eher. Lisbeth erhob sich und ging. Bald nachher erwachte Oswald und hörte vom Alten, welche liebliche Zuversicht seinem Schlummer nahe ge- wesen sei. Viertes Capitel . Die Leiden einer jungen Strohwittwe . Indessen schien wirklich die idyllische Liebe bei ihrem Zusammentreffen mit der Außenwelt bösen Geschicken entgegenzugehen. Denn der Oberamt- mann wiederholte am folgenden Tage in einem zweiten ruhigeren Gespräche dem Diaconus seine unerschütterlichen Vorsätze. Die schöne Clelia, welche bei der höchsten Gutmüthigkeit doch alle Meinungen einer vornehm erzogenen Dame hegte, sprach während einer Morgenunterhaltung ihm eben- falls wieder ihre Ueberzeugung gegen ein Ehe- bündniß aus. Seine Seele war bekümmert und erschüttert. Auf der Seite der Gegner stand die Vernunft mit hundert Gründen in Reihe und Glied, und er war selbst ein zu ruhiger und besonnener Mann, als daß er nicht insgeheim mancher Stimme im feind- lichen Lager beigefallen wäre. Das zerschnitt ihm aber das Herz, welches den beiden Liebenden mit Innigkeit zugethan war und sich schon an der Aus- sicht geweidet hatte, durch sie die Anschauung eines seltenen Glückes zu gewinnen. Indessen hatte er nur noch wenig Hoffnung darauf, denn er meinte auch wie jeder dritte Zeuge eines Verhältnisses, daß keine Leidenschaft den Angriffen des Verstan- des auf die Länge gewachsen sei. So befürchtete er denn von der Herstellung Oswald’s nichts als Einbuße, tiefes Leid und Zerstörung. Die schöne Clelia hatte übrigens bei’m Er- wachen eine unerwartete Nachricht empfangen. Als sie nämlich in das Morgengewand geschlüpft war und sich nach ihrem Gemahle erkundigte, brachte ihr Fancy ein Billet von ihm, aus dem sie sah, daß er wirklich in der Nacht Extrapost genommen hatte und zum Besuche bei dem Oheim im Osna- brück’schen abgereiset war. Das Billet sagte ihr das zärtlichste Lebewohl, sagte ihr, daß er ihren Morgenschlummer nicht habe stören wollen und sprach den empfundensten Wunsch aus, daß eine baldige Schlichtung der Verwirrung, wie sie sich dieselbe vorgenommen, die Dauer dieser ersten ihm so schmerzlichen Trennung abkürzen möge. Selbst eine Locke von seinem Haare hatte er beigelegt, Nachschrift über Nachschrift hinzugefügt und eine Stelle im Briefe bezeichnet, welcher von ihm ein Kuß aufgedrückt worden sei, wie er sagte. Nachdem die schöne Verlassene diesen Brief gelesen hatte, schwieg sie eine Zeit lang und sah das feine rosenrothe Papier so an, als ob es die Absage einer Soir é e bei dem Fürsten, wie er nun heißen mochte, enthalte, auf welche sich die ganze feine Welt Wiens schon seit vierzehn Tagen ge- freut hatte. Fancy mußte sie erinnern, daß die Chocolade kalt werde; sie versetzte, daß sie keinen Appetit habe und befahl dem Mädchen, die Tasse wegzutragen. Fancy gehorchte. Sie saß hierauf etwa eine Viertelstunde im Sopha und stützte das Haupt gedankenvoll auf den schönen Arm. Dann ging sie eine halbe Stunde im Zimmer auf und nieder und dann klingelte sie. Fancy kam. Ihre Gebieterin stand mitten im Zimmer und sagte zu der Jungfer, die zugleich Schatzmeisterin und Vertraute war: Fancy, es freut mich, daß mein Mann so fest ist. Ich bin fest, er ist fest, dieses gegenseitige Festseyn ver- bürgt mir eine geordnete Zukunft. Nichts Unan- genehmeres als zwei Gatten, die einander mit weichen Nachgiebigkeiten quälen. Jeder muß seinen Willen haben und den durchzuführen wissen, dann findet man sich gegenseitig zurecht und es entsteht ein heiterer geregelter Lebensgang. Es freut mich, daß mein Mann abgereist ist. Warum sollten Sie sich auch darüber nicht freuen, gnädige Frau? erwiederte Fancy, die der Gebieterin nie widersprach. Ich werde ungestörter, in größerer Ruhe meine Aufgabe hier lösen, die ich mir gestellt habe, so allein und für mich, sagte Clelia. Fancy erwiederte hierauf nichts, sondern nickte nur zuversichtlich beistimmend mit dem Kopfe. — Aber dennoch bleibt es auffallend, fing die Baro- nesse nach einer Pause an, daß mein Mann ab- reisen konnte. Auffallend bleibt es allerdings, sagte Fancy. — Unterhalte mich, sprach Clelia. Fancy unter- hielt hierauf die Gebieterin so gut sie konnte und erzählte ihr von allen Bekanntschaften, die sie rasch nach Art der Kammerjungfern im Städtchen ge- macht hatte; von der Frau des Steuereinnehmers, von der Tochter eines Assistenten und auch vom Küster, der ihr mit seiner barocken Weise aufge- fallen war, und über den sie bei der und der Gelegenheit herzlich hatte lachen müssen, so komisch war sein Betragen gewesen. Der Stoff dieser Mittheilungen hatte sich noch lange nicht erschöpft, als die Dame sie unterbrach und sie um Gotteswillen bat aufzuhören mit dem albernen Zeuge von Steuereinnehmerfrauen und Assistententöchtern und Küstern, denn sie habe ent- setzliches Kopfweh. Fancy verstummte auf der Stelle, holte kölnisches Wasser und rieb ihrer lei- denden Herrin die Schläfe damit ein. — Du bist ein gutes Mädchen, Fancy, sagte Clelia sanft während dieser Mühwaltung zu der Dienerin, aber sehr langweilig kannst du mitunter seyn. Gnädige Frau, antwortete Fancy schüchtern und doch mit einem gewissen Pathos, all mein Verdienst ist, Ihnen treu zu seyn und Ihnen zu gehorchen wie eine Sclavin. Unterhaltung kann freilich ein so beschränktes Mädchen, wie ich bin, nicht haben. Clelia ließ sich darauf bei ihrem Vetter an- melden. Die Begrüßung beider Verwandten war sehr liebevoll, denn sie waren einander gut wie Bruder und Schwester. Dennoch empfand Clelia nach den ersten Reden einen gewissen Zwang, denn sie war sich ja geheimer Absichten gegen seine Wünsche bewußt. Sie kürzte daher den Besuch unter dem Vorwande, daß viel Sprechen ihm noch schädlich seyn möchte, ab. Dann hatte sie die Unterredung mit dem Diaconus. Darauf wollte sie die Hausfrau sprechen, aber diese hatte in ihrer Wirthschaft die Hände voll zu thun. Sie verlangte daher nach dem Oberamtmanne. Der war jedoch auf dem Gerichte und sprach mit einem Beamten über Dienstsachen. Nun begehrte sie wie- der den Diaconus zu sprechen, welcher sich indessen zu einer Synode hinbegeben hatte. Die Toilettenstunde war hierüber herangekom- men und diese gab nun einige Zerstreuung. Wäh- rend Fancy das Haar ihrer Dame ordnete, erfuhr sie das Project, welches diese beschäftigte. Sie faßte ihre eigenen verschwiegenen Gedanken. Diese halten wir uns nicht für berechtigt zu offenbaren, denn auch gegen Kammerjungfern soll man discret seyn. Nur so viel: Wie alle ihre Schwestern war Fancy eine geschworene Freundin von Mesalliancen. Zwar hätte sie auf Lisbeth neidisch seyn dürfen, dagegen aber stritt ihr Gemüth. Bei aller Schlau- heit hatte das Mädchen ein dankbares Herz. Der junge Graf Oswald hatte einst ihrem alten inva- liden Vater eine Versorgung als Castellan ausge- macht, ihn dadurch vom Hungertode gerettet. — Man muß hübsch erkenntlich seyn, dachte Fancy und entwarf ihren Soubrettenplan. Sie legte etwas boshaft das schöne, noch nie getragene blaue Mousseline de Laine Kleid heraus und kleidete überhaupt ihre Herrin heute mit be- sonderer Sorgfalt. Als Clelia sich im Spiegel so schön geschmückt sah, seufzte sie und sagte: Schade, daß man das für die Tauben und Sperlinge im Hofe angezogen hat. Recht Schade! versetzte Fancy. Der Herr hatten sich so sehr darauf gefreut die gnädige Frau in dem neuen Kleide zu sehen. Nun, es wird ja hier keine Ewigkeit währen, warf die schöne Frau leicht hin. Die Ewigkeit ist lang, versetzte die gefällige und nachgiebige Fancy. Nein, eine Ewigkeit wird es wohl nicht währen. Nach Tische (sie speiste nur mit der Hausfrau, denn die Männer hatten absagen lassen, und das Mahl war deßhalb etwas einsylbig, wie alle Diners zweier Damen und von sehr kurzer Dauer) ließ die junge Baronesse ihre Uhr repetiren und sagte: Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer- den. — Sie las etwas, aber das Buch zog sie nicht an, dann sang sie etwas zur Guitarre, aber sie hörte bald auf, denn sie behauptete, heiser zu seyn. — Fancy, meine Crespine! rief sie. Fancy brachte die schwarzseidene Crespine. Clelia ging etwas in den Garten, aber die Mücken schwärmten ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte sie bald wieder in ihr Zimmer zurück. Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile ich mich um sein wahres Heil ausgesetzt habe, so müßte er der undankbarste Mensch seyn, sagte er mir nicht Zeitlebens Dank, sprach sie zu Fancy, die ihr die Crespine abgenommen hatte und in den verknitter- ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung stiftete. Er müßte der undankbarste Mensch seyn, er- wiederte Fancy. Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas an zu sticken. Inzwischen war der Oberamtmann zurückgekommen und ließ anfragen, ob er aufwarten dürfe. In der Dürre dieses Tages erschien ihr der Geschäftsmann wie ein Retter aus der Noth; gern wurde er angenommen. Als er seine verehrte Schöne in dem neuen, reizenden Anzuge sah, be- gannen seine Augen wacker zu werden, er sah ganz verklärt aus. — Das Sticken aus freier Hand schien ihr einige Beschwerde zu verursachen. Er fragte sie lebhaft, ob er ihr den Stramin halten dürfe? Sie bejahte im schmeichelndsten Tone. Mit leuchtenden Blicken setzte sich nun der Ober- amtmann zum Dienste der Galanterie auf ein Fuß- bänkchen zu den Füßen der jungen Dame nieder, nahm den Stramin fest in seine beiden Hände und sah so ernsthaft auf die Rosen, die unter Cle- lia’s Nadel entstanden, als habe er ein Todesur- theil vor Augen. Auch Clelia stickte eifrig, als arbeite sie um das tägliche Brod, und Fancy saß im Fenster, mit einer Beeiferung ohne Gleichen nähend. Die Spannung der nächsten Augenblicke war nicht gering. Endlich fragte Clelia ihren grauen Verehrer, wie er die Sache mit dem Vetter an- zugreifen gedenke? worauf er ihr ungefähr die näm- liche Auskunft gab, wie dem Diaconus. Clelia fuhr aber heftig auf und erklärte, daß sie ein sol- ches Verfahren durchaus nicht zugeben werde, daß das ein rauhes und unmenschliches Verfahren sei, welches ohnehin nicht einmal einen günstigen Er- folg zusichere, weil die Liebe durch so unmittel- baren Widerspruch nur wachse, und was dergleichen mehr war, geeignet, den ganzen Plan des Ober- amtmanns umzuwerfen. Sie hatte den Stramin aus ihren Händen entlassen und der Oberamtmann hielt ihn sonach bestürzt und gedankenlos allein in den seinigen. Aber mein Gott, sagte er traurig, was wollen Sie denn, daß geschehen soll? Darüber habe ich meinen Entschluß gefaßt, erwiederte Clelia ernst. — Er ist auf die Kennt- niß des weiblichen Herzens gegründet. Kurz, wenn ich irgend etwas auf Sie vermag, wenn Sie wirk- lich mir in dem Maaße vertrauen, wie es den Anschein hat, so überlassen Sie mir die Leitung der Sache, denn von solchen Dingen begreift Ihr Männer überhaupt nichts. Der Geschäftsmann wollte Widerspruch erheben, aber sie sah ihn so bestimmt an, er fürchtete so sehr von ihr verabschiedet zu werden, sie kam ihm heute in dem blauen Mousseline de Laine-Kleide reizender als je vor, er hatte sich so glücklich ge- fühlt, als er ihr den Stramin gehalten — genug, er gab wehmüthig und kleinlaut nach. Unter der Thüre aber wendete er sich nochmals um, ging zu ihr, faßte ihre beiden Hände, drückte sie gegen seine Brust, seufzte und sagte: Das ganze Geschick unseres Freundes steht auf dem Spiele. Nur Kälte und Consequenz kann ihn retten. Wird Ihnen Ihre weibliche Gutmüthigkeit nicht einen Streich spielen? Wenn sich nun Stöhnen und Wehklagen erhebt, werden Sie dann Stand halten? Darüber sein Sie ganz ruhig, versetzte Clelia. Fancy, du kennst meine Festigkeit. Ich kenne die Festigkeit der gnädigen Frau, sagte Fancy. Nach der Entfernung des Oberamtmanns fragte die Baronesse ihre Zofe: Ob sie wohl ihren Plan errathe? Die Zofe versetzte, daß sie ein zu dum- mes Mädchen sei, um so kluge Plane errathen zu können. Ich werde, sagte darauf die Baronesse, indem sie sich von Fancy die seidenen Schuhe, welche sie etwas drückten, ausziehen ließ und ihre kleinen Füße in rothe goldgestickte Pantöffelchen steckte, ich werde auf weibliche Art die Sache ordnen, Fancy. Sie nahm eine gefällige Lage auf dem Sopha an, Fancy setzte sich auf das Bänkchen des Ober- amtmanns zu ihren Füßen, sah ihr demüthig in das Gesicht und erwiederte: Gnädige Frau, Sie können gar nichts anderes seyn, als das edelste weibliche Wesen. Meinst du? versetzte die Gebieterin lächelnd und streichelte ihrer ergebenen Jungfer die Wange. — Nun höre meinen Plan. Nach Allem, was ich von der Lisbeth höre, ist sie ein gutes und braves Mädchen. Solche Gemüther leben nur im Glücke ihres Freundes und entsagen dem eigenen, wenn man ihnen klar macht, daß sie das Unglück des Zweiten werden können. Ich will auf das Gemüth des Mädchens mit allen Gründen wirken und bringe es ohne Zweifel dahin, daß sie in meine Hände ihre Liebe und meines Vetters Wort zu- rückgiebt. Entsagen soll sie, entsagen wird sie, dann werde ich sie weitweg zu entfernen wissen. Todt muß sie für Oswald seyn, ich aber sorge, wie sich von selbst versteht, Zeitlebens als Mutter für sie. — Nur die schlechte, unwahre Liebe will um jeden Preis den Besitz des Geliebten; die reine, wahre weiß sich selbst freudig zu opfern, setzte Clelia begeistert hinzu, indem sie sich von Fancy einen Handspiegel vorhalten ließ, weil sie fühlte, daß eine Locke heruntergefallen war, die wieder aufgesteckt werden mußte. Fancy ergoß sich in Versicherungen, daß die- jenige ein elendes Mädchen seyn müsse, welche nicht willig auf den Geliebten verzichte, sobald seine Lebensruhe davon abhange, und Clelia fuhr fort: Sehen aber darf ich sie nicht vor der entschei- denden Unterredung, denn meine ganze Festigkeit muß ich allerdings für diesen Hauptschlag zusammen- halten und keinem unzeitigen Mitleid mich aussetzen. Nein! rief Fancy eifrig, nein, sehen dürfen Sie sie durchaus nicht. Denn dann könnten Sie weich werden, Ihre Gründe würden sich vielleicht, so zu sagen, zerbröckeln, und das Mädchen möchte Sie gewinnen und Alles wäre verloren. Wenn Sie aber plötzlich mit aller Ihrer Klugheit be- waffnet, sie kommen lassen, gnädige Frau, dann wollte ich doch wohl einmal Diejenige sehen, die Ihnen widerstehen könnte. So wie Sie sich die Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 15 Sache ausgedacht haben, muß sie gelingen und mich dauert nur die arme Lisbeth, die um den schönen Grafen kommt, denn ich, gnädige Frau, bin freilich nicht so fest wie Sie, sondern nur ein einfältiges, weichherziges Mädchen. Nach diesen Vorfällen verging der Abend der jungen Dame in einer gewissen stillen Erhebung. Die Nacht war jedoch unruhig und die Bewohner des Hauses wurden durch mehrmaliges Schellen in dem Zimmer der Baronesse aus ihrem besten Schlummer geweckt. Clelia schellte nach ihrer Jungfer deßhalb so oft, weil sie durchaus nicht schlafen konnte. Sie gab ihrem Lager die Schuld, welches Fancy ganz abscheulich gemacht habe, ließ von ihr die Kissen anders legen, da das nicht helfen wollte, die Decken besser ordnen, und als auch die besser geordneten Decken keinen Schlaf bringen wollten, die Matratze wenden. So wurde Fancy geschellt, entlassen, wieder geschellt, wieder entlassen. Fancy, der ihr Ge- wissen in Betreff des Lagers nicht das Mindeste vorwarf, ertrug gleichwohl schweigend die Verweise der Herrin, oder schalt sich auch wohl selbst einmal wegen ihrer Nachlässigkeit, und legte, ordnete, wen- dete mit der Geduld einer Heiligen die Bestand- theile des so ungerecht verklagten Lagers. Aber es half Alles nichts und gegen Morgen bekam Clelia einen Anfall von Krämpfen. Fancy pflegte die arme Kranke mit Essigäther und Orangenblü- thenthee, den sie sogleich rasch und still zu bereiten wußte, treulichst. Das Uebel lösete sich auch, und unter Thränen, welche die beklommene Brust er- leichterten, machte Clelia am Busen ihrer Ver- trauten dem verhaltenen Schmerze Luft. Sie weinte sehr und klagte über ihren Gemahl, der sie so herzlos habe verlassen können, sie fürchte, sagte sie, daß er sie doch nicht so liebe, wie sie gedacht, sie nannte sich endlich schluchzend eine arme, auf- gegebene schutzlose Frau. — Fancy nöthigte ihr so viel Orangenblüthenthee ein, wie nur möglich, und schalt dabei auf das ganze männliche Geschlecht, von dem sie behauptete, daß es im Allgemeinen nichts tauge und nur zum Verderben der Frauen erschaffen sei. Der gnädige Herr mache denn leider auch keine Ausnahme, sagte sie und das Uebelste sei, daß sich, wenn er fest dabei verbleibe, seinen Oheim im Osnabrück’schen so lange zu be- suchen, als die gnädige Frau hier Geschäfte habe, 15* gar kein Ende des verzweiflungsvollen Zustandes absehen lasse. Am anderen Tage war Clelia sehr leidend und medicinirte. Ihr Befinden besserte sich nicht, als sie vernahm, daß Lisbeth in der Frühe auf eine halbe Woche zu ihrem alten Pfleger verreiset sei, den sie nun, da sie über Oswald ganz ruhig geworden war, wiederzusehen verlangte. Sie hatte sich außerdem zu dieser Reise deßhalb bestimmt, weil sie jede Versuchung meiden wollte, den Ge- liebten durch ihre Gegenwart jetzt, wo er sanft und allmählig in das Leben zurückkehren sollte, auf- zuregen. Fuͤnftes Capitel . Worin der Hofschulze seine letzte Rede über allerhand wichtige Gegenstände hält . An einem der nächsten Tage ging der Diaconus auf das Gerichtshaus, wo er als Zeuge vernom- men werden sollte. Mehrere Menschen, die gleich ihm hinbeschieden worden waren, standen unten vor der Thüre, und Andere sprachen mit ihnen über den Gegenstand, der vor einigen Wochen die größte Verwunderung im Städtchen erregt hatte, dann den Leuten aus dem Sinne gekommen war, und nun, als das Gericht die Sache wieder aufnahm, von Neuem zu reden gab. Die Zeugen sollten über den Patriotencaspar und den Oberhof verhört werden. Der Oberamt- mann war nämlich an jenem Tage, wo er den Einäugigen traf, über den Fall in’s Klare und mit einer protocollarischen Darstellung desselben zu Stande gekommen. Auch er überzeugte sich zwar, daß die Sache verjährt sei, gleichwohl meinte er, sie habe eine solche Gestalt, daß wenigstens das Thatsächliche in aller Form Rechtens festgestellt werden müsse. Der Amtseifer des Geschäftsman- nes wurde selbst durch den traurigen Zwischen- fall mit seinem jungen Freunde nicht von dieser Bahn abgeleitet. Er trug daher, was er geschrie- ben, zu dem Vorstande des Gerichts, gab die nöthigen Erläuterungen dazu und das Gericht ging ebenfalls in die Ansicht ein, daß ein geständiger Mörder wenn auch von noch so alter Zeit her, wenigstens vor der Hand nicht auf freien Füßen stehen und unverhört bleiben dürfe. Man schritt daher gegen den Patriotencaspar zur Verhaftung. Dieser hielt von dem Leiterwagen herunter, auf dem man ihn einbrachte, Reden an das Volk, verfluchte die Gerichte von seines Glei- chen und pries die Gerichte des Königs, vor denen er nunmehr seine alte Schuld abbüßen wolle. Zu- gleich berühmte er sich des Torts, den er seinem Todfeinde angethan. Das Gericht wollte sich in- dessen auch nicht so ohne Weiteres mit einer viel- leicht nachher getadelten Arbeit belasten, fragte daher höheren Ortes an, von da geschah eine Rückfrage noch weiter hinauf und die Bescheidung erfolgte erst nach mehreren Wochen. Sie ging dahin, daß allerdings, um die Sache aufzuklären, die nöthigen Vernehmungen geschehen sollten. Gerade kurz vor den Tagen, von welchen hier die Rede ist, war jene Bescheidung eingetroffen. Besichtigungen wurden daher vorgenommen, Zeugen abgehört und diese Dinge brachten die An- gelegenheit wieder in das Gedächtniß der Menschen zurück. Die sonderbare Art von Macht, welche der Hofschulze ausgeübt, kam zur Sprache, der einäugige Frevler hatte kein Hehl, daß er seinem Feinde das Schwert an einen verborgenen Ort weg- gethan habe und obgleich dieser Thatumstand kaum ein Verbrechen, sondern mehr nur einen Muth- willen darstellte, so war er es doch gerade, und was mit ihm zusammenhing, wodurch die Leute am meisten beschäftigt wurden. Man verwunderte sich, daß ein Uraltes, längst Verschollenes sich wie eine unabhängige Macht im Staate hatte hinstellen können. Auch der Name des Diaconus gerieth auf die Zeugenliste. Die Untersuchung ruhte in den Hän- den eines Richters, der sich viel mit historischen Studien beschäftigte, und diese fanden hier reich- liche Nahrung. Er machte daher die Sache wohl weitläuftiger, als sie streng genommen zu werden brauchte, und hörte Jeden ab, der einigen Auf- schluß über das Wesen des Oberhofes und das Treiben seines Besitzers zu geben vermochte. Deß- halb hatte er denn den Diaconus gleichfalls vor- laden lassen, weil dieser, wie bekannt war, viel mit dem Hofschulzen verkehrte, obgleich er von dem eigentlichen Gegenstande der Nachforschungen nicht das Mindeste wußte. Man ließ den Diaconus seines Standes wegen nicht im Zeugenzimmer warten, sondern berief ihn sofort in die Verhörstube. Dort wohnte er einem sonderbaren Auftritte bei. An den Schranken stand der einäugige Mörder und in einer Ecke saß der Hofschulze, über dessen verfallenes Aussehen der Diaconus erschrak. Der Mörder stand ganz strack da und sein reicher Feind saß in zusammen- gekrümmter Haltung. — Noch einmal fordere ich Euch auf, sagte der Richter zum Patriotencaspar, mir zu entdecken, wohin Ihr das Schwert gethan habt; bedenkt, daß Ihr durch hartnäckiges Ver- läugnen Euer Schicksal erschwert. — Hofschulze, sagt ihm in’s Gesicht, daß Ihr Euer ganzes Haus danach vergeblich durchsucht habt, daß es also nicht im Oberhofe liegen könne. Wenn der Mensch keine Hexenmeisterkünste ausgeübt und es in einen Balken inwendig hinein- gehext hat, so liegt es draußen irgendwo und der Bösewicht muß wissen, wo es liegt, sagte der Hof- schulze, indem er einen Blick des grimmigsten Zor- nes auf den Entwender warf. Der Einäugige, der mehr seinen Feind im Auge behielt, als den Richter, versetzte: Und den- noch liegt es im Oberhofe, Hofschulze, aber finden werdet Ihr es schwerlich, wenn Ihr nicht das ganze Haus von Grund aus umreißt. Und das ist eben meine Freude, daß Ihr das wissen sollt, und daran vergehen, daß es Euch so nahe ist und dennoch verborgen bleibt. Mein Schicksal weiß ich. Daumenschrauben und Leiter gelten nicht mehr; Ihr könnt mich also höchstens länger sitzen lassen, Herr Richter, und das mögt Ihr thun, denn ich schweige und werde schweigen, müßte ich auch hun- dert Jahre absitzen. Wo das Schwert liegt, diese Sache geht mit mir in die Grube. Der Richter, welcher gar zu gern das alte Schwert gesehen hätte, fuhr den hartnäckigen Ver- läugner heftig an, der Hofschulze aber richtete sich auf, unterbrach ihn und sagte mit plötzlicher Ho- heit: Lasset es gut seyn, Herr Richter, wenn meine Bitte etwas gilt, denn ich habe mich besonnen und dieser Bösewicht wird nichts verrathen. Ich werde mich ohne das Schwert zu behelfen wissen. Der Richter ließ den Patriotencaspar abführen. Seid nun so gut, sagte der Hofschulze, die Sachen von mir aufzunehmen, die mit den anderen Dingen stimmen, welche bereits von mir geschrieben stehen. Der Richter schien etwas in Verlegenheit zu gerathen und erwiederte: Das gehört ja nicht zur Sache und ich muß überhaupt erst den Herrn Dia- conus vernehmen. — Dessen Verhör war kurz, es drehte sich eigentlich um Nichts. Der Hofschulze wartete ruhig die Beendigung ab; dann wiederholte er seine frühere Bitte. — So weit ich Euch im Allgemeinen verstanden habe, sagte der Richter, wollt ihr Sachen aufgeschrieben wissen, die sich nicht ziemen. Nicht ziemen! rief der Hofschulze mit erhöh- ter Stimme. Ich habe Euch auf alle Fragen nach der Heimlichkeit und wie ich sie verwaltet, Rede gestanden, und nun verlange ich auch mit der Manier, daß meine Auskünfte und Zusätze gehörig dazugethan werden, und soweit mir die Rechte bekannt sind, dürft Ihr mir die Zunge nicht stumm machen. Nun denn, rief der Richter halb ängstlich halb ärgerlich seinem Schreiber zu, zeichnen Sie auf, was der Alte sagt. Ja, alt bin ich, und alt ward ich in Ehren, versetzte der Hofschulze gelassen. Der Diaconus wollte gehen. — Nein, bleiben Sie, Herr Diaco- nus, sagte der Hofschulze, es ist mir gar sehr lieb, daß Sie zufällig hier sind, denn ich ästimire Sie als einen frommen und gelehrten Mann von Herzen, und es kann mir nicht schaden, wenn auch Sie meiner Art und Manier Zeugenschaft geben. — Herr Scribent, sagte er zu dem Schreiber so ge- bietend, als habe er an Gerichtsstelle zu befehlen, schreibet genau auf, was ich zu wissen thue. Herr Richter, ich mag mit meinem Schwerte und mit der Heimlichkeit am Stuhl wohl wie ein Narr da in den Schriften stehen, und Possen, wenn mir recht ist, nannte der junge vornehme Herr, an dem ich mich in meiner Angst vergreifen wollte, die Sachen, woran mein Herz gehangen hat. Ich will aber jetzt expliciren, was vor eine Bewand- niß es mit diesen Possen gehabt hat. — Allerhand habe ich erlebt in der Bauerschaft, Friedenszeiten und Kriegesläufte und Hagelschlag, Ueberschwem- mung, gute Ernte und Mißwachs und Viehsterben. Nun sah ich denn, seitdem ich in die Jahre getre- ten war, wo das Menschenkind anfängt nachzuden- ken, daß hin und her die Herren kamen, die sich auf die Schreiberei verstehen und auf das Besser- wissen als die Leute, welche die Sache angeht, und die kuckten nach, wenn Alles geschehen war, das Korn niedergetreten und das Vieh in den letzten Zügen lag und die Wässer wieder im Ablaufen sich befanden. Hatte aber gar der Feind geplün- dert und ravagirt, da kamen sie vollends erst lange darnach und notirten sich’s auf, denn während der Gefahr war meistens keiner der Herren zu finden. Die Herren thaten dann ordiniren, wie Alles wieder in Richtigkeit zu bringen sei, mehrestentheils aber sagten sie Sachen des Sinnes und Verstandes, daß wenn der Hagel nicht gefallen wäre, so hätte sich das Korn nicht umgelegt und ohne die Lungen- fäule müßten die Kühe noch am Leben seyn. Unter- weilen wurde auch wohl einiges Geld geschickt, es kam aber selten an den Rechten, und im Ganzen rappelten Diejenigen sich am besten wieder heraus, welche nicht auf die Hülfe der Herren da draußen warteten, sondern sich selber halfen, wohingegen ich manche Menschen habe ganz herunterkommen sehen, die immerdar bei jedem Unfall meinten, es müsse nun von da draußen ihnen das Malheur gutge- macht werden. Erstaunend absonderlich aber war eine Sache. Mitunter machte ein Herr von der Schreiberei unter uns Bauern Dinge, worüber wir lachen muß- ten und dann traf es sich wohl, daß ein solcher Herr ein Paar Jahre darauf von weither mit vier Pferden durch die Bauerschaft gefahren kam und hatte eine Miene, als habe er bei Erschaffung der Welt mitgeholfen und allerhand bunte Bänder vor- ne am Rocke. Dieses Alles nun in meinen einfältigen Ge- danken betrachtend, vermeinte ich letztlich, daß die Herren von der Schreiberei da draußen uns Bauern eigentlich wenig hülfen, und das auch eigentlich nicht wollten, sondern nur schreiben und sich nach und nach in die Wägen mit vier Pferden hinein- schreiben. Und Gott verzeihe mir die schwere Sünde, einstmalen, als ich bei einem Rübsenfelde vorbei- ging, worinnen die Pfeifer waren, so fielen mir die Herren ein und wußte nicht, wie das geschah. — Nun auf der anderen Seite hatte ich meine Refle- xion, wie das Wesen in der Welt so eigentlich be- stellt sei. Da dachte ich (denn ich habe immer in meinem Leben Nachgedanken gehabt) daß ein or- dentlicher Mensche schon durchkommt, der auf Wind und Wetter achtet, und auf seine Füße schaut und in seine Hände und sich mit seinen Nachbarn ge- treulich zusammenhält. Sehet, Ihr Herren, darauf kommt es mehre- stentheils nur an. Und nach diesem gewöhnte ich mir selbst zuerst die Gedanken nach Hülfe von drau- ßen ab, zahlte meine Steuern und trug meine Lasten, im Uebrigen aber hielt ich mich vor mich und ließ es mir lieber, wenn ein Malheur passirte, etwas saurer werden, als daß ich die Herren da draußen um Beistand angesprochen hätte. Hernacher ge- wöhnte ich es auch den Leuten um mich herum ab. Sie nahmen an mir ein Exempel, und so thaten wir Nachbarn uns allmählig zusammen, sprangen einander bei, ordinirten unser Wesen für uns, und kam von vielen Sachen, um die sie anderer Orten ein großes Halloh erheben, nichts über die Gemar- kung hinaus. Und als der Mordhund da, der mir nun mein Schwert gestohlen hat, an meinem Sobne zum Missethäter geworden war und zufälligerweise auch ungefähr um die nämliche Zeit Einer am Stuhle droben nach unserer alten Regel und wie der her- gebrachte Orden ist, wissend gemacht werden sollte, kam es mir ein, diese alte heimliche Sache zu brau- chen wider den Todtschläger und es glückte und ich setzte ihn aus dem Frieden, feimte ihn ins Elend hinein und machte ihn zum Zeichen vor Großen und Kleinen, daß Keiner Unrecht thun dürfe. Als aber die Sache erst einmal im Gang war, gelang sie immer besser; wenige Processe wurden in das Amt getragen, und die meisten Frevel gar nicht angezeigt, sondern machten die Scherereien unter uns ab. Denn über Mein und Dein und wem die Mauer gehört und jener Wiesenstreifen, kann man schon selbst mit seinem Bauerverstande fer- tig werden. Wenn aber wo eingebrochen ist, so kennt fast immerdar das Dorf den Dieb, was freilich oft nicht strenge zu beweisen steht, wornach denn ein solcher angezeigter Spitzbube frech und zum Scandal ganz schandhaft umhergeht und sich seiner Beute wohl noch gar erfreut, die der Be- stohlene nicht wiederkriegt. Handhabten also selber Recht und Gerechtigkeit in allem Frieden und konnte uns Niemand darum anfassen, denn wir thaten Kei- nem was zu Leide, sondern gingen nur nicht mit dem Ungerechten und Frevelhaften um, wenn wir ihn in die Feime gesetzt hatten; es entstand aber weit größere Furcht dieserhalb unter den Leuten als vor Urtel und Gefängniß. Die Rede des alten Bauern rauschte in ihren rohen und strudelnden Ausdrücken wie ein Wald- bach daher, der über Wurzeln, Knoten und Kiesel strömt. Er sprach ohne zu stocken. Der Richter wollte ihn unterbrechen, der Hofschulze aber sagte: Ich bitte und ersuche Euch, Herr Richter, mich gänzlich aussprechen zu lassen, denn noch Manches habe ich zu veroffenbaren. — Herr Richter und Herr Diaconus, wenn wir so unser Wesen für uns allein in Geschick brachten, so waren wir darum keine Unruhestifter und Tumultuanten. Denn hat- ten wir auch die Herren von der Schreiberei nicht ganz sonderlich in der Aestimation, so schlug uns doch jederzeit das Herz, wenn wir an den König dachten. Ja, ja, gegenwärtig schlägt mir mein Herze in meinem Leibe, da ich seinen Namen aus- spreche. Denn der König, der König muß seyn, und nicht ein Buchstabe darf abgenommen werden von seiner Macht und von seinem Ansehen und von seiner Majestät. Weil er nämlich ist der oberste General und der allerhöchste Richter und der ge- meine Vormund. Denn es arriviren freilich mit- unter Sachen, darin man sich nicht selbst helfen kann und nicht zu rathen weiß mit seinen Nachbarn. Da ist es dann Zeit, daß man den König anruft in der Noth. Aber, wie ein ordentlicher Mensche dem lieben Gott nicht um jede Bagatelle Molesten macht, als zum Beispiel, wenn Einem der kleine Finger wehe thut an der linken Hand: Sondern wo die Creatur nicht mehr aus noch ein weiß, da schreit sie zu ihm, also soll der König nicht ange- schrieen werden um jeden Groschen, der mangelt, sondern in der rechten ächten Noth allein, und zu allen übrigen Tagen soll man nur sein Herze er- freuen und erquicken an dem Könige; denn er ist das Abbild Gottes auf Erden. Zum Plaisir ist uns hauptsächlich der König gesetzet und nicht zum Hans in allen Ecken. Aber wo nun der Geängstete und Bedrängte seinem Leibe keinen Rath mehr weiß, Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 16 da thut er sich aufmachen und steckt Brod und son- stigen Mundproviant zu sich und thut viele Tage gehen. Und endlich stellt er sich an Ort und Stelle vor das Schloß und hebt sein Papier in die Höhe und dieses sieht der König und schickt einen La- quaien oder Heiducken, oder was für Kramerei und Package er sonst um sich hat zu seiner Auf- wartung, herunter, und läßt sich das Papier bringen und lieset es, und hilft, wenn er kann. Wenn er aber nicht hilft, so steht nicht zu helfen, und das weiß dann der arme Mensche, geht stille nach Hause und leidet seine Noth wie Schwindsucht und Ab- nehmungskrankheit. Sie sagen, er mache sich nichts aus den Leuten; dieses ist aber eine grobe Lüge, denn er hat die Unterthanen sehr gerne und behält es nur bei sich, und ein recht gutes Herz hat er, wie es ein deut- scher Potentate haben muß, und ein sehr prächtiges. Es ist erstaunlich und eine Verwunderung kommt Einen an, wenn man die Männer, die davon wissen, hat erzählen hören, wie er sich in der grausamen Noth, als der Franzose im Lande hausete, so zu sagen das Brod vor dem Munde abgebrochen hat, und hat seinen Prinzen und Prinzessinnen zu Ge- burtstägen und Weihnachten nur ganz erbärmliche Präsente gemacht, bloß, damit er den armen Un- terthanen, die ganz ausgesogen waren, nicht viel koste. Dieses segnet ihm nun der liebe Gott an seinen alten Tagen in Fülle, und er ist wieder recht in guten Umständen und ganz wohlauf, und Gott erhalte ihn lange dabei! Und noch neulich hat er einem armen Menschen in unserer Nachbar- schaft, den Einer wegen Zinsen und Lasten mitten im Winter hatte vom Hofe herunter subhastiren lassen wollen, das Geld aus seiner Tasche gegeben, und wenn er kann, soll ihm der es wiedergeben, und wenn er nicht kann, so thut es auch nichts, hat der König gesagt. Deßhalb haben wir immer, mochten wir auch von vielen Geschichten um uns herum nichts wissen, wenn wir anstießen, gerufen: Der König soll leben! Jetzt komme ich auf meine letzte Sprache, Herr Diaconus und Herr Richter. Wenn der Mensche bei sich fertig ist, so gehen seine Gedanken wandern mit den Wolken, die da ziehen, und mit den Last- wagen, die vorbeifahren über den Hellweg. Und so gingen die meinigen auch mitunter über Börde und Haarstrang hinaus und ich dachte, wenn nun 16* da draußen sich auch Jedermann so lernte auf sich verlassen, und stellte sich zusammen mit seines Glei- chen, der Bürger mit dem Bürger, der Kaufmann mit dem Kaufmann, der Gelahrte mit dem Gelahr- ten und auch der Edelmann mit dem Edelmanne, und machten ihre Sachen mehrentheils untereinan- der ab ohne die Herren von der Schreiberei drau- ßen, so wären die Pfeifer aus der Rübsaat gethan und es müßte eine ganz herrliche und kostbare Wirthschaft geben. Denn die Menschen wären dann nicht wie die dummen Kinder, die immer schreien: Vater! Mutter! wenn sie einen Augenblick alleine sind, sondern gleichsam ein Fürst wäre Jeder bei sich zu Hause und mit seines Gleichen. Dann wäre auch erst der König ein recht großer Potentate und ein Herre sonder Gleichen, denn er wäre der Kö- nig über vielmalhunderttausend Fürsten. Dieses ist nun die Moral von der Heimlichkeit am Stuhle und von dem Schwerte von Carolus Magnus und von den sogenannten Possen, die ich getrieben. Schreibet Alles recht genau auf, Herr Scribent, was ich gesagt habe, denn ich will nicht wie ein einfältiger Mann in Euren Schriften stehen, und es soll mir ganz lieb seyn, wenn meine Meinung noch Andere zu lesen bekommen und es reflectirt mich nicht, wenn sie selbst bis zu dem Könige getragen wird. Von diesem habe ich nie etwas zu bitten bedurft, und ich gebrauche ihn nicht zu meines Leibes Nothdurft. — Aber voll Freuden bin ich immer gewesen, sein Unterthan zu seyn wie ein geborener Fürst und mein Herz habe ich an ihm erfrischet all mein Lebtage. Leuchtend waren die hellblauen Augen des Hof- schulzen während des letzten Theils dieser Rede geworden, seine weißen Haare hatten sich wie Flammen emporgerichtet, die Gestalt stand wieder groß und gerade da. Der Richter sah vor sich nieder, der Diaconus dem Alten in das Antlitz; er gemahnte ihn wie ein Prophet des alten Bun- des. Mit höflicher Verbeugung und stillem Gruß entfernte sich der alte Bauer. Der Diaconus folgte ihm tiefbewegt. Draußen holte er ihn ein, legte ihm die Hand auf die Schulter, schüttelte seine Rechte und sagte ergriffen und gerührt: Ihr habt mich erbaut, Hofschulze. Jetzt aber will ich als Euer Seelsorger und Priester Euch erbauen. Der Alte war im Vorsaale schon wieder der schlichte Bauer geworden, der krank und angegriffen aussah. Thuen Sie das, sagte er, Herr Diaconus, denn Zusprache ist mir noth. Ich habe gar zu viel Verdruß gehabt letzthin. Ich kann es nicht über- kriegen, daß die Schaam geblößt ist von den heim- lichen und scheuen Dingen, und sie nun umherge- tragen werden in den Schriften und von dem jungen Herrn in’s Reich geschleppt. Nach dem Schwerte will ich nicht weiter trachten, denn es hilft mir doch nichts, aber der Kummer darum wird mein Herz zernagen. Der Stuhl wird nun wohl ein- gehen. Laßt den Freistuhl verfallen, das Schwert aus dem Auge des Tages geschwunden seyn, laßt sie die Heimlichkeit von den Dächern schreien! rief der Diaconus mit gerötheter Wange. Habt Ihr nicht in Euch und mit Euren Freunden das Wort der Selbstständigkeit gefunden? Das ist die heimliche Loosung, an der Ihr Euch erkennt und die Euch nicht genommen werden kann. Gepflanzt habt Ihr den Sinn, daß der Mensch von seinen Nächsten abhange, schlicht, gerade, einfach; nicht von Frem- den, die nur das Werk ihrer Künstlichkeit mit ihm herauskünsteln, zusammengesetzt, erschroben, verschro- ben; und dieser Sinn braucht nicht der Steine unter den alten Linden, um gutes Recht zu schöpfen. Eure Freiheit, Eure Männlichkeit, Eure eisenfeste Natur, Ihr alter, großer, gewaltiger Mensch, das ist das wahre Schwert Karl’s des Großen, für des Diebes Hand unantastbar! Herr Diaconus, Sie machen mir viel zu viele Complimente, erwiederte der Hofschulze bescheiden. Indessen werde ich Ihre Worte im Herzen bewegen und sehen, was ich damit anfangen kann. Sie gingen bis auf die Straße zusammen. Dann trennten sie sich. Der Diaconus war in einer Erschütterung, wie er sie lange nicht empfunden hatte. Sechstes Capitel . Ernste und feierliche Erklärungen zwischen der Baronesse und dem Oberamtmann . Die jnnge Dame Clelia hatte inzwischen die ermüdendsten Tage verlebt. Das Mediciniren unter- hielt sie wohl anfangs, indessen war doch der Reiz der großen Arzeneiflasche, welche der alte Silen gefällig verschrieben hatte, bald abgebraucht. Sie fand, daß die Mixtur nach gar nichts schmecke und ließ sie, nachdem sie einige Eßlöffel voll zum Theil eingenommen hatte, ärgerlich zum Fenster hinaus- werfen. Sie sagte, sie wolle die Naturkräfte wal- ten lassen, die ganze ärztliche Kunst sei Charla- tanerie. Es fiel ihr ein, daß sie einige Briefschulden abzutragen habe; Fancy mußte daher das mit ge- preßtem braunem englischem Leder überzogene und mit Goldstäben gezierte Reiseschreibzeug auf den Tisch setzen, öffnen, die feinen rothen, gelben und blauen Briefblättchen, die Stahlfedern mit silbernem Griff, die Oblaten von Mundlack mit Devisen und den bronzenen Briefbeschwerer herausnehmen. Als dieser geschmackvolle Apparat bereit gestellt war, erklärte Clelia, daß sie nicht wisse, was sie aus dem elenden Orte schreiben solle. Fancy packte still den bronzenen Briefbeschwerer, die farbigen Blättchen, die Oblaten und die Stahlfedern ein, schloß das Schreibzeug zu und stellte es wieder weg. Gern wäre Clelia mit ihrem Vetter öfter zu- sammengekommen, aber es blieb bei kurzen, formel- len Besuchen, denn ihre Gutmüthigkeit konnte im Bewußtseyn dessen, was geschehen sollte, eine be- fangene Stimmung nicht überwinden. Auch Oswald war einsylbig; er sehnte sich nach Lisbeth und ent- behrte sie schmerzlich. Diese blieb mehrere Tage lang aus, und die Qual des Harrens gab der jun- gen Baronesse die übelste Laune, die sich plötzlich gegen das arme Kind wendete. Fancy, sagte sie am dritten Tage, wenn das Mädchen morgen nicht kommt, wenn ich noch län- ger hier herumgeführt werde, so fürchte ich bei der Unterredung von meiner Heftigkeit. Es wäre nicht zu verwundern, wenn die gnä- dige Frau heftig würden, denn so lange auf sich warten zu lassen, ist unerlaubt, erwiederte Fancy. Die junge Dame bedachte sich und sagte: Aber wenn mir recht ist, so habe ich ihr ja gar nicht ankündigen lassen, daß ich mit ihr reden wollte. Nein, sie weiß nichts davon, sagte Fancy. Nun, so darf ich ihr ja auch deßhalb nicht zür- nen! rief Clelia zornig. Wenn Sie sonst nicht wollen, gnädige Frau, nein. Der Stramin, dieser Zeitvertreiber, wurde aber- mals zur Hand genommen. Clelia nähte eine halbe Dreifaltigkeitsblume, seufzte aber plötzlich, ließ den Stramin in den Schooß sinken und sagte gepreßt und schwer: Edmund kann es nie verantworten, was er an mir gethan hat. Fancy seufzte auch und sprach: Ich hätte das nimmermehr von dem Herrn gedacht. Jungfer, sagte ihre Gebieterin mit einem stren- gen Tone, ich verbitte mir alle Bemerkungen über meinen Gemahl. O mein Gott! rief Fancy und weinte, nun sehen die gnädige Frau, was es zur Folge hat, wenn Herrschaften ihre Untergebenen durch zu große Güte verziehen. Ich erlaube mir schon Bemerkun- gen über den gnädigen Herrn. Sie schluchzte und konnte sich über ihren Fehler gar nicht zufrieden geben. Laß es doch nur gut seyn, das Schluchzen! rief Clelia ärgerlich. — Ich habe mich jetzt ganz kurz entschlossen. Meine Gesundheit kann ich hier nicht zusetzen. Ich werde die Sache doch dem Oberamt- mann überlassen. Fancy war die Beredsamkeit selbst, diesen Ent- schluß zu loben. Ja, sagte sie nach einer preisenden Rede über die doch stäts so richtigen Gedanken der Herrin, ja, der Herr Oberamtmann mag nur die Leutchen, die nicht zusammengehören, auseinander bringen. Für die gnädige Frau paßt das auch nicht, Sie haben zu so etwas Feinem und Ver- wickeltem keine Anlage, nicht ein Kind könnten Sie, wenn es eine dumme Unart auslassen will, davon abhalten, aber der Herr Oberamtmann ist darauf gewitzigt, o der hört das Gras wachsen und macht Einen mit der feinen List nach seiner Pfeife tanzen, wie er will. Ich wette darauf; womit Sie sich in Gedanken schon drei Tage lang äng- stigen, das hat er morgen in einem Viertelständchen fertig; die Mamsell reist sacht ab, weint ein Paar Thränen, trocknet sie auf der nächsten Station, den jungen Herrn Grafen wird er auch bald herum haben, denn er besitzt einen ganz außerordentlichen Verstand in dergleichen Sachen, und so klug Sie sind, gnädige Frau, darin stehen Sie ihm nach. — Nein, Ihre Gesundheit dürfen Sie nicht zusetzen und noch dazu umsonst, denn es würde Ihnen schwerlich glücken, aber der Herr Oberamtmann ist der Mann dazu. Gleich hole ich ihn her, damit Sie ihm Ihre veränderte Meinung sagen können. Die Baronesse hätte gern den unaufhaltsamen Fluß dieser Reden gehemmt, es war ihr aber nicht möglich, Fancy’s Zunge zum Schweigen zu bringen. Jetzt endlich konnte sie zum Worte kommen. Hoch- roth, und mit den kleinen Füßen stampfend, rief sie: Nein! Nein! Nein! du sollst den Oberamt- mann nicht holen, ich bin eben so klug als er, Fancy bleib hier, Fancy! Fancy! — Aber Fancy hörte nicht, sondern sprang fort. — Gott! rief Clelia fast weinend vor Verdruß, es ist doch zu arg mit einer solchen Gans von Mädchen, die im- mer das Echo von Einem macht, da bringt sie wahrhaftig den Actenmenschen schon herauf; der Himmel sei ihm gnädig, wenn er sich über mich moquirt! Aber was sage ich ihm? denn nicht um die Welt lasse ich ihn sich einmischen. Der Oberamtmann betrat mit Fancy das Zim- mer. Fancy hatte ihm wirklich gesagt, die gnädige Frau wisse sich durchaus keinen Rath, die Mesalli- ance zu hindern, und der erfahrene Geschäftsmann konnte seinen Triumph darüber nicht verbergen. Es wäre möglich gewesen, daß Clelia ihm dennoch die ganze Angelegenheit in seine Hände zurückge- geben hätte, aber dann mußte er sich respectvoll, ernst und zurückhaltend nehmen. Er kam jedoch schmunzelnd, mit einer gewissen Ueberlegenheit in Blick und Haltung, er nahm sich vor, einen Scherz aus der Sache zu machen, sie nicht zu wichtig zu nehmen. Es war der erste Scherz, den der arme Oberamtmann auf der Reise ausgehen ließ und Ort und Stunde konnten dazu nicht unglücklicher gewählt seyn. Sobald Clelia das Schmunzeln ihres Geschäfts- freundes und ehemaligen Nebenvormundes sah, so- bald sie bemerkte, daß er ihr leichthin imponiren wolle, und gar, als sie mit weiblicher Ahnungs- gabe seine Absicht, scherzen zu wollen, spürte, kehrte sie in den Besitz ihrer ganzen Festigkeit zurück, die wir an ihr zu bewundern schon mehr- mals Gelegenheit gehabt haben. Er trat ihr nahe und sagte lächelnd: Nun, liebes Kind, muß der Ritter von der traurigen Gestalt dennoch vorrücken? — Er wollte ihre Hand ergreifen. Clelia zog sie zurück und entfernte sich von ihm. Seine früheren Beziehungen zu ihr hatten ihm das Recht vertraulicher Anreden gegeben, und wie oft war von ihm dieses Recht geübt worden! Aber heute wollte Clelia nicht sein liebes Kind seyn, heute verlangte sie die volle Courtoisie und Titulatur von ihm. Er folgte ihr nach. — Clelchen, sagte er noch schmunzelnder, es ist mir lieb, daß Sie ein- sehen, für dergleichen nicht zu passen. Nun, schämen Sie sich nur nicht; Don Quixote tritt vor den Riß. — Abermals trachtete er nach ihrer Hand, die er zärtlich küssen wollte, denn Geschäftsmänner sind nie galanter, als wenn sie den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit in Verlegen- heit sehen. Clelia riß jedoch beinahe ihre Hand zurück und rief mit scharfem Accent: Herr Ober- amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei mir und von mir wollen! Der Oberamtmann machte ein Gesicht, ähnlich dem, was er zu machen pflegte, wenn einer seiner Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun- denste Geständniß erwartete, plötzlich sich auf ein entschiedenes Läugnen verlegte. — Er sah Clelia starr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder. Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als ob dieser ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar- leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug und blickte tiefsinnig das farbige Postpapier an, endlich stellte er seine Uhr, obgleich sie richtig ging. Nach diesen vorbereitenden Handlungen trat er vor Clelia und sagte mit dem tiefsten Ernste: Gnädige Frau, ich bin kein Narr. Clelia versetzte nicht minder ernsthaft: Und ich bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen, Herr Oberamtmann. Die Feierlichkeit dieser gegenseitigen Aeußerun- gen war so groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und sagte: Ich muß Sie ersuchen, bis morgen Abend die Einwilligung der sogenannten Braut, welche wie ich höre, heute Abend zurückkommen wird, herbeizuschaffen. Wofern Umstände dieß verhindern sollten, so werden Sie entschuldigen, wenn ich das Versprechen Ihrer Mühwaltung in der Sache, als von Ihnen widerrufen betrachte und mich der- selben unterziehe. — Nach diesen Worten, die er gemessen und kalt vorgebracht hatte, empfahl er sich mit einer steifen Verbeugung. Clelia kam an diesem Abende nicht zu Tische. Fancy suchte sie durch eine Vorlesung zu zerstreuen. Sie las ihr nämlich ein vierzehn Tage altes rhei- nisches Zeitungsblatt vor, welches auf dem Zim- mer lag. Sie las es von Anfang bis zu Ende, erst las sie von den Verwickelungen im Orient, dann von den Kreuz- und Querzügen der Christinos und Carlisten, dann, wie liebenswürdig sich Der und Der da und da benommen, dann von der so und so vielsten großen ministeriellen Krisis in Frank- reich, endlich von einigen deutschen Händeln. Hierauf ging sie zu den Anzeigen über, an deren Spitze die Verkündigung von Assisen in Elberfeld stand. Es folgten zu vermiethende Wohnungen, brave Mädchen sagten, daß sie gut nähen und bügeln könnten und ein Anstreicher suchte einen gesitteten Jüngling für sein Geschäft. Später sehnte sich Jemand nach einem entflogenen Canarienvogel, einem Anderen war dagegen ein brauner Dachs- hund zugelaufen. Dazwischen fuhren die Dampf- schiffe regelmäßig alle Morgen, auch waren rein gehaltene Bleicharte zu haben, wobei aber ein zweifelsüchtiger Leser ein großes Fragezeichen mit Rothstift gesetzt hatte. Zuletzt wurde Harmo- niemusik an verschiedenen Orten gemacht, und dazu der Saison angemessene Speise dargeboten. Clelia widmete dieser ganzen Vorlesung wenig Aufmerksamkeit. Nur als sie von den Assisen hörte, mochten ihre Gedanken, welche sich noch immer ärgerlich bei dem Oberamtmann aufhielten, angeregt werden, weil sie ihn so oft sehnsüchtig davon hatte reden hören. Sie rief: Nun dahin könnte man ihn ja gleich schicken, wenn er sich hier lästig machen will! Spät hörte man einen Wagen vorfahren. Lis- beth kehrte zurück. Clelia befahl ihrer Jungfer, das Mädchen gegen die Mittagsstunde des folgenden Tages zu ihr zu rufen, denn, sagte sie, wenn man Jemand Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 17 wider seinen Willen zu etwas bestimmen will, so darf man ihn nicht im Neglig é empfangen. Sie ging mit vieler Würde zu Bett und dachte in dieser Nacht, wenn sie erwachte, nicht einmal an ihren pflichtvergessenen Gemahl, sondern nur an die Aufgabe des folgenden Tages. Siebentes Capitel . Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer uneigennützigen und entsagenden Liebe antwortete . Fancy nahm im ersten Morgenstrahl von dem Blumenbrette vor ihrem Fenster, wo der Diaconus einige seiner schönsten Exemplare aufbewahrte, ein prächtiges Myrthenbäumchen herein, musterte die längsten und frischesten Zweige, an denen sich zu- gleich Knöspchen und runde frische Blüthen befan- den, wehte mit einem leichten bunten Federwedel etwas Staub, der sich auf die Blätter gesetzt hatte, ab, summte dazu, aber so leise, daß ihre Gebieterin nebenan es nicht hören konnte, die alte „veilchen- blaue Seide“ aus dem Freischützen, lächelte, seufzte dann, legte die Hand auf die Brust und ließ das Myrthenbäumchen im Zimmer stehen, um es gleich zu haben, wie sie für sich sagte. Hierauf ging sie 17* zu Lisbeth, und richtete ihre Bestellung aus. Lisbeth war ernst und wehmüthig, denn sie hatte bei dem alten Pfleger eine trübe Probe zu bestehen gehabt. Fancy wollte ihr etwas sagen, aber diesem ernsten Antlitze gegenüber erstarb ihr schlaues Wort auf der Lippe. Die junge Dame, der im wahren Interesse ihres nächsten Verwandten ein so schwieriges Ge- schäft oblag, erhob sich und sagte nach dem Früh- stück: Fancy, was ziehe ich denn wohl heute an? — Gnädige Frau, erwiederte Fancy, Sie müssen ganze Toilette machen. — Nun, nur nicht zu übertrieben, sagte die Baronesse. Nein, nicht zu übertrieben, versetzte Fancy. Sie kramte hierauf in den Koffern und Car- tons und nahm den gewähltesten Putz heraus. Zum Anzuge bestimmte sie das noch nicht getragene prächtige Cachemirkleid von violetter Farbe mit einer Schnippentaille, und fügte dem Kleide einen weißen Mousseline de Soye Shawl hinzu. Unter den Strümpfen suchte sie die feinsten à jour ge- webten aus und unter den Schuhen ein Paar von schwarzem Atlas. Kurze weiße Handschuhe mit Spitzen garnirt nahm sie aus einem Carton. Als es nun an die Musterung des Schmuckes ging, so schien ihr eine schwere Chatelaine mit goldenen und silbernen Gliedern, gothischem Schloß und Medaillon schicklich zu seyn. Drei Armbänder dünkten ihr nicht zu viel, eins mit Steinen, deren Anfangsbuchstaben den Namen: Clelia zusammen- setzten, ein prächtiges Geschenk des abwesenden Herrn und zwei einfachere, das Eine ein schlichter Goldreifen, das Andere mit Türquoisen besetzt. Für die Haarflechten legte sie eine goldene Kette zurecht; ein blitzendes Diadem wollte sie nachfolgen lassen, bedachte sich aber noch zur rechten Zeit, daß man im Guten zu viel thun könne und stellte es wieder bei Seite. Es versteht sich, daß ein gesticktes Taschentuch vom feinsten Battist nicht vergessen wurde. Während dieser ernsten und gründlichen Vor- bereitung rüstete sich Clelia ebenfalls und zwar in höherer Weise zu der Unterredung mit Lisbeth. Sie las einen Roman und erwog dabei, was sie dem Mädchen sagen wollte. In der That war Oswald’s Abentheuer so sehr gegen alle Voraus- setzungen seiner Verhältnisse, daß ihr die stärksten Gründe, hergenommen aus dem Wesen uneigen- nütziger Liebe, ächten Schicklichkeitsgefühls und frommer Ergebung in reicher Fülle zuströmen muß- ten; Gründe, die nach ihrer Meinung eine schla- gende Wirkung auf ein edles weibliches Gemüth nicht verfehlen konnten. Sie erging sich mit Wohl- gefallen in den Reden, welche diese Gründe näher entwickeln sollten, und las dazwischen immer einige Seiten des Romans. Da er zu denen gehörte, welche bei uns zweite Auflagen erleben, so leitete er ihre Gedanken von dem Gegenstande, der ihre Seele beschäftigte, nicht ab. Sie war so sehr in ihr Vorhaben vertieft, daß sie auf Fancy’s Thun und Treiben nicht achtete und des Fluges der Stunden ebenfalls nicht inne ward, die unter solchen Uebungen innerer Beredsamkeit rasch zu verfließen pflegen. Fancy mußte sie erinnern, daß die Zeit ge- kommen sei, sich kleiden zu lassen. Noch immer in ihre Gedanken und Gründe verloren widmete sie dem Anzuge keine Aufmerksamkeit. Sie ließ die einfachen Strümpfe von den zierlichen weißen Füßen streifen und diese mit den spinnwebenfeinen durchbrochenen bekleiden, es fiel ihr nicht auf, als Fancy, nachdem sie die Flechten gemacht, dieselben mit der goldenen Kette umwand, sie schlüpfte in das prächtige Cachemirkleid, empfing die schwere Chatelaine um die schöne Taille, und ließ sich den Shawl von Mousseline de Soye um Hals und Schultern legen, ohne bei einem dieser Stücke eine Erinnerung zu machen. Nur als ihr Fancy die weißen garnirten Handschuhe mit blaßrothen Band- schleifen brachte, stutzte sie und sagte: Fancy, das sind ja Ballhandschuhe. Gnädige Frau, versetzte Fancy ernst, sie ge- hören zur vollen Parüre. Clelia musterte sich, trat vor den Spiegel und rief: Mein Gott, der Anzug ist ja viel zu recher- chirt! Du hast mich geputzt, als führen wir zu Liechtenstein’s in die Soir é e. Den Augenblick ein anderes Kleid her, die Chatelaine fort, die Gold- kette aus den Flechten! O Himmel, was habe ich wieder gemacht! jammerte Fancy. Ich dummes Mädchen! — Es klopfte. — Ach! Ach! Da ist die Lisbeth schon! Hinaus, sag ihr — … daß die gnädige Frau zu recherchirte Toi- lette gemacht hätten, sich einfacher anziehen müßten … Fancy wollte fort. Bleib! rief Clelia außer sich. Du wärest albern genug, auch so etwas zu sagen. Ich glaube, du hast in dem Neste deinen Verstand verloren. — Es klopft schon wieder … Sie hat uns reden hören, es fällt mir kein Vorwand ein. — Ach, du Im- becille, in welche Verlegenheit setzest du mich! Handschuhe! Hier, sagte Fancy. Weg damit! Soll ich wie eine Opernprinzessin dasitzen, welche sehen lassen will, wie freigebig ihre Liebhaber sind? Willst du mir nicht auch noch gar einen Fächer in die Hand geben? — Schwarze, bescheidene! Schwarze, bescheidene! rief Fancy und brachte die Verlangten. Armband! Fancy knüpfte mit unerhörter Schnelligkeit die drei Armbänder um, während Clelia nach der Thüre sah. Fertig? Ja. Herein! — Himmel, du hast mir ja drei Armb — aber sie vollendete das Wort nicht und der Ueberfluß des Armschmuckes war nicht mehr zu beseitigen. Denn schon trat Lisbeth herein. Es war ein großer Gegensatz, diese schlanke, vor- nehme junge Gestalt im einfachen Gewande der etwas zu kleinen und vollen Baronesse im höchsten Putz gegenüber. Sie trat bescheiden aber sicher auf, Clelia wollte sich anfangs Airs geben, dieses Bestreben zerbrach indessen sogleich an ihrem grund- guten Wesen. Sie reichte verlegen-freundlich Lis- beth die Hand, setzte sich in’s Sopha, ließ einen Sessel stellen und flüsterte Fancy zu, sie solle sich in ihrem Zimmer nebenan aufhalten. Als ob es zufällig geschähe, breitete sie ihr Taschen- tuch aus und entzog dadurch wenigstens die Pracht der Chatelaine und der Armbänder (denn sie wußte auch die linke Hand mit dem Tuche zu bedecken) den Blicken Lisbeth’s. Wie viel würde sie darum gegeben haben, wenn sie statt des Cachemirkleides das von Mousseline de Laine angehabt hätte! Der volle Putz raubte ihr die Hälfte ihrer Festig- keit. Sie suchte eine Zeit lang vergebens nach einem schicklichen Anknüpfungspuncte des Gesprächs und so saßen Beide, als Fancy sie allein gelassen hatte, eine Zeit lang schweigend einander gegenüber. Lisbeth sah vor sich hin und hatte keine Ahnung von dem, was folgen sollte, denn Clelia war ihr immer gütig begegnet. Endlich sammelte sich diese so weit, um die Unterredung beginnen zu können. Sie sagte ihrem Besuche, daß bis jetzt der Gedanke an Oswald’s Krankheit alle anderen Vorstellungen in den Hinter- grund gedrängt habe, daß aber nun mit seiner Herstellung die Verhältnisse des Lebens in ihr Recht wieder einzutreten begännen, und daß sie daher wünsche über die Gestaltung der Zukunft mit ihr ein eben so ernstes als vertrauliches Wort zu reden. — Da sie diesen Eingang zwar mit aller ihr zu Gebote stehenden Würde aber doch höchst liebreich vorgebracht hatte, so konnte Lisbeth den- selben nur für eine Vorrede zu freundlichen Er- klärungen ansehen. Schüchtern versetzte sie, daß die Baronesse ihr mit solchen Worten eine große Freude mache, und faßte nach Clelia’s Hand, um sie zu küssen. Indem sie aber ihre Lippen der Hand näherte, fiel ihr ein, wer sie durch Os- wald’s Liebe sei, sie richtete sich daher sanft auf und ließ die Hand Clelia’s fallen, welche ein Erstaunen über diesen Hergang nicht verbergen konnte. Nun also, mein Kind, wie soll denn das nun werden? sagte Clelia, etwas verlegen mit dem Shawl spielend. Lisbeth erröthete, senkte ihr Haupt wieder und versetzte: Von der Zeit unserer Verbindung ist zwischen uns noch nicht die Rede gewesen, zwischen dem Grafen und mir. Verbindung! rief Clelia lebhaft. Ei! Ei! mein liebes Kind, Sie sprechen ja von der Ver- bindung mit meinem Vetter, als sei diese eine ausgemachte und sich von selbst verstehende Sache. Lisbeth hob langsam ihr Antlitz empor, sah Clelien mit großen Augen an und fragte: Wovon wollten Sie denn mit mir reden, gnädige Frau? Die Wirkung einer einfachen aber zur rechten Zeit angebrachten Frage ist oft groß. Clelia hatte sich auf eine begeisterte Versicherung, auf flammende Reden gefaßt gemacht und würde diesen Gluthen mit gleichem Feuer begegnet seyn. Nun aber sollte sie schlichtweg sagen, was sie wolle? und diese Zumuthung setzt in vielen Lagen des Lebens in eine nicht geringe Verlegenheit. An ihr war jetzt die Reihe, die Augen niederzuschlagen; sie sprach, daß man es hätte ein Stottern nennen können: Sie scheinen gar nicht erwogen zu haben, Lisbeth — denken Sie nur nicht, mein liebes Mädchen, daß ich Sie kränken will — Nein ge- wiß nicht — und wären Sie nur — so wäre ich ja voll Freude — indessen giebt es doch Dinge in der Welt — unwiderleglich vorhandene Dinge — Dinge, Lisbeth — mein Gott, Sie müssen mich ja wohl verstehen … Ja, gnädige Frau, ich verstehe Sie nun, sagte Lisbeth mit einem Tone als unterdrücke sie ein stilles Weinen. Auf denn also, Lisbeth, Muth! rief Clelia, Athem schöpfend. — Nur zeigen darf man einem so reinen Gemüthe das Richtige, und es ergreift es. Die wahre Liebe liebt das Glück des Ge- liebten. Und das Glück? Ist es ein trunkener Augenblick, ist es die Aufwallung der Flitter- wochen? Ach nein. Das wahre Glück besteht doch zuletzt nur in der Harmonie mit allen Ver- hältnissen des Lebens; in dem Gefühle von dieser Harmonie. Sie dem Gegenstande der Neigung unverstimmt zu lassen, das ist Liebe, das ist tugend- hafte Liebe. Sie fühlen ja nun selbst, theure Lisbeth, was ich gern unausgesprochen lasse. — Es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. Mein Gott, wären Sie doch nur — aber — Sie empfin- den es, wenn Sie meinen Vetter aufrichtig lieben, so dürfen Sie ihn nicht heirathen. Und nun kommen Sie, mein armes Kind, kommen Sie an meine Brust, und weinen Sie sich aus, denn wahrhaftig, ich weiß mit Ihnen zu empfinden. Sie breitete ihre Arme gegen Lisbeth aus. Diese lehnte aber mit einer demüthigen Bewegung das Liebeszeichen ab und sagte: Gnädige Frau, entschuldigen Sie, wenn ich an dieser Stätte noch nicht zu ruhen wage. — O mein Gott, wie weit sind wir aus einander, wie hätte ich das mir denken können, und wie soll ich es nun anfangen, Alles, was mir im Herzen wogt, Ihnen auszu- sprechen und dennoch die Bescheidenheit gegen Sie nicht zu verletzen? — Sie wüßten mit mir zu empfinden? Gnädige Frau, ich wenigstens weiß mit Ihnen nicht zu empfinden. Wie? Sie fühlen keine Verpflichtung, ihm zu entsagen? fuhr Clelia auf. O nein! nein! nein! rief Lisbeth muthig. Diese Verpflichtung fühle ich durchaus nicht, Frau Ba- ronesse. Entsagen soll ich ihm, das ist Ihre Mei- nung. Und warum? Daß der Findling nicht in das Haus der Grafen Waldburg eindringe, daß der Graf Oswald eine Gräfin heirathen könne oder eine Fürstin, daß er in Harmonie bleibe, wie Sie es nennen, mit den Verhältnissen des Lebens. Ja, ich weiß, so steht es geschrieben oft in den Liebesgeschichten, die ich gelesen. Das Mädchen hält eine schöne Rede von Entsagung und von Pflicht und dann verhüllt sie sich und geht weg und der Liebste sieht sie nie wieder. Gnädige Frau, wenn die Leute, die solche Ge- schichten aufschreiben, das nicht aus ihrem Kopfe erfinden, so sind solche Mädchen ungereimte Mäd- chen, abscheuliche Mädchen, Verrätherinnen an ihren Liebsten! — Glück? — Ich kenne nur ein Glück und nur ein Elend! Und mein Glück ist, wenn ich mit Oswald zusammenbleibe und sein ehrlich Weib werde und das Elend des Gegentheils kann ich gar nicht ausdenken, denn es ist unsäglich. So also steht es mit mir. Und von ihm sollte ich geringer denken, als von mir? Von ihm, der mich sein Leben, seine Zuversicht genannt hat? Worte sollten das gewesen seyn, Worte Eines, der nicht weiß, was er spricht? Nein, ein treuer Mensch sagte sie, ein wahrer, ein aufrichtiger Mensch. Die Entsagung, welche Sie von mir verlangen, wäre ja also das schwerste Verbrechen, das ich nur an Oswald begehen könnte. Ich würde sündig an seiner unsterblichen Seele, zugäbe ich, daß ihm ein Name, ein Wappen werther sei, als das Heiligthum seiner Empfindungen! Zur Schel- min würde ich an dem Herzblute meines Bräuti- gams, welches seine Lippen verschütteten, weil er einen Tag lang sich nicht in Lisbeth zu finden wußte. Zu Tode wollte er sich bluten, weil ich in meiner dummen Thorheit die Breite eines Land- weges zwischen uns gesetzt hatte! Und er sollte leben bleiben, wenn ich die Welt und das Schwei- gen und die Finsterniß zwischen uns würfe! Nein! Ich entsage ihm nicht, nicht entsage ich ihn in das Elend und in die Leere hinein! Gott wird Sie aufklären! eiferte Clelia. Gott wird diese Trugschlüsse der Leidenschaft zu nichte machen! Das ist eben deren Entsetzliches, daß nichts für sie vorhanden ist als sie, nicht Erde nicht Himmel, und daß sie sich so in die gräuliche Oede hineinstürmt, daraus nachher kein Entrinnen! — Aber Gott wird Ihnen beistehen, wird Sie schirmen vor dem geistigen Tode. Sie sind fromm, ich sehe Sie in die Kirche gehen, Sie im Gesang- buche lesen. Gott wird ein Licht in Ihrer Seele anzünden. Gott ist bei mir in dieser Stunde, er legt mir die Worte auf meine einfältigen Lippen, er- wiederte Lisbeth. — Ich weiß nicht ob ich fromm bin, kümmerlich bin ich herangewachsen, aber zur Kirche habe ich mich freilich immer gehalten und an den Allmächtigen glaube ich. Jedoch, seit ich Oswald liebe, habe ich nur ein Gebet und das lautet: Vater sei mit ihm und mir! — Ich bete nicht für ihn allein und nicht für mich allein, son- dern für uns Beide bete ich, und das, meine ich, ist das Licht, welches Gott mir in der Seele ent- zündet hat. Die Erde sehe ich unter mir, den Himmel über mir, und wo wehet der Sturm, der mich fortstürmt? Leidenschaftlich rief Clelia: Bedenken Sie doch nur seine Verhältnisse, bedenken Sie seine Ver- wandten, von denen die Meisten so stolz sind, be- denken Sie unseren König, bedenken Sie endlich Oswald’s eigenes Herz, das von äußeren Um- ständen, vom Widerspruch mit den Forderungen der Welt so leicht in Verlegenheit gesetzte Herz eines Mannes, sehen Sie doch um des Himmels willen die Dinge, wie sie sind! Ja, gnädige Frau, ich sehe die Dinge, wie sie sind, nicht wie sie scheinen. Hätte er noch Eltern, so wäre es etwas Anderes. Der Eltern Macht ist von Gott, das weiß ich, obgleich ich Arme keine hatte. Entsagen würde ich ihm zwar immer nicht, wenn er auch noch Vater und Mutter be- säße, aber geduldig harren und zu ihm sprechen: Oswald, harre auch du in Geduld, bis Gott deiner Eltern Sinn wendet. Jedoch so! Verhältnisse und immer Verhältnisse! Ei, ist es nicht auch ein Verhältniß, wenn ich seine Frau bin? Also Verhältniß gegen Verhältniß, und wir wollen er- warten, welches das mächtigere und bessere sei! — Nehmen seine stolzen Oheime und Tanten ihn in ihre Arme, daß er darin ruhe und lächle und wachse und gedeihe? Nein. Aber ich werde es thun. Baut ihm Ihr König sein Haus auf? Nein. Aber ich werde es thun mit des Himmels Hülfe. Und wenn er einmal so schwach seyn sollte, verlegen auszusehen über mich, denn es ist möglich, daß Sie darin Recht behalten — nun, der Schwäche Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 18 wird eben die Stärke beigesellt! Ich werde seine Stärke seyn, ich werde ihn fragen: Oswald schämst du dich meiner? Und wahrlich, gnädige Frau, auf die Frage wird er ja sagen, aber er wird sich ermannen und für alle Zeiten den unwürdigen Kleinmuth ablegen. Clelia wurde immer erbitterter. Ich würde mich tief gedemüthigt fühlen durch einen Gatten so hoch über meinem Stande, sagte sie herb und schneidend. Das kann wohl seyn, versetzte Lisbeth. Darin hat Jeder seinen eigenen Sinn. Ich fühle mich gar nicht gedemüthiget dadurch, daß er ein großer Graf ist und ich ein geringes Mädchen ohne Her- kommen bin. Er könnte noch zehnmal größer seyn und ich würde dennoch keine Demüthigung empfinden. Ja, ich weiß, es hat auch Mädchen gegeben in meiner Lage, die winselnd sprachen: O wärst du ein armer Hirt, mein hoher Liebster! — Ich aber, ich wünsche mir ihn gar nicht zum Hirten herunter; nicht soll er seine Größe ablegen um meine Klein- heit! Sondern das ist eine neue Seligkeit für mich, daß er so vornehm ist, und mich emporhebt aus meiner Niedrigkeit und mich zur Gräfin macht und auf sein hohes Schloß führt. Ach, ich will ja nichts mehr von mir oder durch mich, sondern Alles nur von ihm, Alles, Alles, neben seinem Gefühle auch Ruhm, Ansehen, Reichthum! Je mehr er mir giebt, desto beglückter fühle ich mich. Denn seine Liebe ist überströmendes Geben und meine durstiges, lechzendes Empfangen. Ich bin sein Geschöpf, er ist mein irdischer Schöpfer; Gott schafft mich durch ihn zum zweitenmale. Unter den Flügeln der Liebe will ich schlummern und träumen, auf der Höhe, wohin mich diese Schwingen tragen, erwachen, und sie mit frohem Lerchengesange als die Wohnstätte begrüßen, die mir mein Schicksal anwies. Noch schneidender sagte Clelia, vielleicht um eine entgegengesetzte Regung, die sich anmelden mochte, zu verbergen: Es ist allerdings höchst wohlfeil und bequem, auf solche Art eine schran- kenlose Zärtlichkeit zu beweisen. Aber Lisbeth blieb ganz ruhig und antwortete im mildesten Tone: Gnädige Frau, das kam nicht aus Ihrem Herzen. Sie sagten es nur, weil Sie sich so in den Eifer gegen mich hineingesprochen haben. — Wir sind hier zwei Frauen allein, kein 18* Mann hört uns und deßhalb darf ich wohl dreister reden, als sich sonst für mich ziemte. Ich weiß nicht, wie mir wird, mein Auge schwimmt, und meine Lippe fühl’ ich zittern; zum Aeußersten haben Sie mich gebracht, hören Sie denn das Aeußerste, was ein Mädchen sprechen kann. Bin ich’s noch selbst? Wie kommen mir solche Ge- danken? Aber Sie sollen sie hören. — Sie sind Frau, und Sie waren Mädchen. Bebten und er- rötheten Sie nicht, wenn Sie nur dachten, daß eine andere Hand als die Ihrige Ihre Schulter berühre? Und nun haben Sie Ihrem Gemahle Seele und Leib ergeben, Ihre Person haben Sie ihm hingegeben und Ihre jungfräuliche Ehre! Sind wir darin nicht gleich? Hat die Braut eines Kaisers etwas Höheres als die Majestät ihrer jungfräulichen Ehre? Ich bin eine Jungfrau, meine gnädige Ba- ronesse. In der Ehre der Jungfrau fühle ich mich geadelt und der Braut des Kaisers gleich. Demü- thig nehme ich Alles an von Oswald, aber nicht gedemüthiget, mit freudigem Stolze kann auch ich Mitgift nennen und Eingebrachtes, denn was Ihr Vetter mir geben mag, ich gebe ihm stäts doch mehr, als er zu geben jemals im Stande seyn wird. Sie schwieg. Die Gluth der süßesten Schaam flammte ihr auf Wangen, Hals und Nacken. Ihr Blick ruhte durchdringend auf Clelien. Diese fühlte ihre Mittel erschöpft. Sie winkte, daß Lisbeth sich entfernen möge. Lisbeth ging nach der Thüre. Sobald aber Clelia die unwiderstehlichen Augen des Mädchens nicht mehr sah, kam ihr noch einmal der den Weltkindern eigenthümliche Uebermuth zu- rück. Sie rief der Abgehenden leichthin nach: Ihr seid Beide thörichte und unsinnige Kinder! Für jetzt weiß ich nichts mit dir anzufangen, aber ich wette, in wenigen Tagen sprichst du ganz anders und giebst mir Recht, denn das verfliegt, wie es angeflogen ist. Die Jungfrau wandte sich um und näherte sich mit dem Ansehen einer Priesterin der Welt- dame. Erhaben leuchteten ihre Augen, mit voller, tönender und gehaltener Stimme sprach sie: Wie täuschen Sie sich! Lassen Sie ab von der Täuschung, welche Sie um eine heilige Erscheinung bringt! Ich bitte Sie, lassen Sie ab von dem Wahne, hier mit einer Grille, mit einer Laune des Augenblicks zu thun zu haben. Sie würden in diesem Wahne uns noch bittere Schmerzen und sich fruchtlose Mühe machen. Kennen Sie das Wort: Ewig, Frau Baronesse? Ich hatte es, glaube ich, früher nie gesprochen, denn ich pflegte überhaupt nichts zu sagen, wobei ich mir nichts zu denken wußte. Aber als er mich in der Kirche aufhob und mich vor den Altar nie- derwarf, ein Weihegeschenk der Liebe für Gott den Allmächtigen, da durchtönte plötzlich das Wort wie mit tausend Zungen mein Innerstes und seit der Stunde singt es durch alle meine Gedanken und Empfindungen immer und immer wie ein himmlisches Hallelujah: Ewig! Denn wer die wahre Liebe empfängt, der empfängt die Ewigkeit in seinem Herzen. An der Ewigkeit aber ist kein Vergang und so rühren Sie denn auch nicht weiter das ewige Wort meines Herzens an, gnädige Ba- ronesse! — Die Frau unseres Wirthes hier, die sich hin und wieder mit mir beschäftiget hat und der Meinung ist, ein Mädchen brauche aus Büchern nicht viel zu lernen, aber durch den Anblick schöner Menschen lerne ein Mädchen etwas, gab mir in den letzten Wochen Briefe von einer Freundin zu lesen. Die Freundin hat mit ihrem Manne in einer kurzen, himmlischen Ehe gestanden, und der Mann hatte immer gesagt, das Glück sei zu schön, als daß es lange dauern könne. So war denn auch sein Tod wirklich bald erfolgt. Von den letz- ten Tagen schrieb nun die Freundin unter Anderem auch. Er hatte eine fürchterliche Krankheit, die den Hals zusammenschnürt, so daß der Mensch er- sticken muß. Den letzten Tag nun hatte der Kranke kaum noch sprechen können, aber immerdar hatte er auf seinen Trauring gesehen und auf denselben gewiesen und dazu mit der größten Anstrengung hervorgestoßen das Wort: Ewig! Er wand sich in seiner Todesqual, aber das Wort keuchte er, so lange ein Laut aus seinem armen Munde kommen konnte. Und so starb er in der Ewigkeit der Liebe. Also wird es nun auch mit mir seyn und Os- wald. Es ist möglich, daß wir nicht lange bei einander sind, denn auch uns steht ja ein großes und unbeschreibliches Glück bevor. Aber wer nun zuerst sterben möchte, der wird dem Andern, so lange die Lippe lallen kann, zustammeln: Ewig! als ein Wort des Trostes, daß die Erde des Gra- bes die Liebe nicht überschütte! — Was aber das Grab nicht vermögen wird, davon werden Sie, gnä- dige Frau, gewiß abstehen, denn in Ihnen ist ein liebliches und freundliches Leben. — Vergeben Sie mir, daß ich so ohne Rückhalt sprach, ich würde Alles Ihrem Vetter überlassen haben, denn er ist mein Herr, wäre er schon ganz hergestellt. Da er aber noch nachleidet, so mußte ich reden, weil ich zu reden aufgefordert wurde, und mußte ihn und mich vertheidigen gegen die Welt und den Dämon, wovon er vor einigen Tagen vorahnend gesprochen hat! Letztes Capitel . Fröhliche Siege . Clelia lag erschüttert und aufgelöst im Sopha. Durch alle Thorheiten der lieblichen Thörin hatte sich die Natur gewaltig Bahn gebrochen. Sie ach- tete nicht mehr darauf, die Chatelaine zu verbergen, ihr Taschentuch hatte sie erhoben und vor das Ge- sicht gedrückt. Fancy trat in die Thüre des Seitencabinets. Kommen Sie einen Augenblick herein, lassen Sie ihr Zeit, flüsterte sie. Lisbeth ging etwas bestürzt in das Cabinet. Fancy nöthigte sie auf einen Sessel und maaß mit einem seidenen Faden den Umkreis ihres Haargeflechtes und dann legte sie das Maaß an einige Zweige des Myrthenbäum- chens. Sie schnitt die Zweige ab und verband sie zum Kranze. Auch das Mädchen hatte eine Thräne im Auge. Sie sagte während ihrer Arbeit: Wenn ich sie so weinen sehe, schäme ich mich meiner Listen, und doch waren sie nothwendig. Denn hätte ich sie nicht durch meine Unterwürfigkeit confus gemacht und sie nicht in die Verlegenheit hineingeputzt, so hätten Sie, junge gnädige Gräfin, mit ihr einen härteren Stand bekommen, oder der Herr Oberamtmann packte die Sache wieder an und dann würden Sie es nicht durchgesetzt haben. — Die Fancy ist aber dankbar. Seien Sie so gütig, dem Herrn Gemahl zu sagen, die Castellanstochter habe sich für den alten Vater revanchirt. Lisbeth verstand nicht, was das Mädchen wollte. Sie hatte auch nicht Zeit, danach zu fragen, denn in Clelia’s Zimmer hörte sie laut schluchzen und dann eben so laut lachen und darauf wieder schluch- zen und so wechselte es immer ab zwischen Lachen und Schluchzen. Endlich rief es leise und innig ihren Namen. Als sie in das Zimmer trat, kam ihr Clelia entgegen, schloß sie in ihre Arme, nannte sie Cousine und sagte: Du sollst ihn haben. Die junge liebliche Thörin gehörte zu den glück- lichen Naturen, die, wenn sie närrische Streiche gemacht zu haben einsehen, ohne viele Weiterungen durch Wort und That bekennen: Wir haben när- rische Streiche gemacht. — Kein Schmollen, kein Hinzögern, kein falscher Widerstand hauchte über den Spiegel dieser komisch-anmuthigen Seele. Lis- beth hatte sie überwunden, und sie schämte sich nun der Niederlage nicht. Sie drückte sie an sich, sie streichelte ihre Wangen, sie gab ihr die zärtlichsten Namen, nannte sie ihr kaiserlich Kind und eine geborene Prinzessin der Ehre. Lisbeth war von dem plötzlichen Wechsel wie betäubt und ruhte freude- trunken an der Brust der ihr noch vor wenigen Minuten so feindlich gewesenen neuen Freundin. Clelia schlug ihren Arm um den Nacken des bräut- lichen Kindes und ging mit ihr halbtanzend auf und nieder; dann stellte sie sich mit ihr vor den Spiegel, stemmte die Hände in die Seite und sagte, drollige Vergleichungen anstellend: Cendrillon und daneben alle drei Fräulein Schwestern in einer Person. Sie drohte ihrem Spiegelbilde, schnitt ihm neckische Gesichter und rief: Wie kann man sich so aufdonnern? Sie war in einem Taumel der Lust und trieb darin Rührendes und Possenhaftes durcheinander. Plötzlich kam aber Fancy gesprungen und rief: Gnädige Frau, der Oberamtmann! O mein Himmel! rief Clelia. Der muß weg, gleich weg, unter jeder Bedingung weg! Wie kriegen wir ihn weg? Fancy, gieb einen guten Rath! Sie lief hin und her, ihr Taschentuch windend. Wenn wir nur einen Proceß oder ein Acten- stück ihm in der Ferne zeigen könnten! rief Fancy, die nun fast eben so ängstlich sich zeigte, als ihre Gebieterin. Mit Speck fängt man Mäuse — Hm! Wie? Ja — Was — Richtig — ich hab’s — Victoria! Was? Wo ist die Assise? Die Assise? Fancy lief auf das gestern Abend gelesene Zeitungsblatt zu. Hier! sagte sie und zeigte mit dem Finger auf eine der Anzeigen. Clelia lachte. — Nun, albernes Mädchen? Hinein, gnädige Frau mit der jungen Dame in mein Cabinet! rief sie, Sie möchten sich nicht genug verstellen können. Ich schaff’ den Oberamt- mann fort. Clelia eilte mit Lisbeth in das Cabinet. Der Oberamtmann trat in das Zimmer. — Ich hörte hier laut sprechen, sagte er. Die Stimme der Baronesse unterschied ich und die des Mädchens. Wo ist Ihre gnädige Frau? Wie steht es? Ganz vortrefflich, versetzte Fancy mit Emphase. — Die sogenannte Braut ist beseitigt, abgemacht, hinüber. Noch heute Abend reis’t sie nach Ham- burg und wird dort Erzieherin in einer Pension, mit sechs und fünfzig Thalern Gehalt. Aber, wie haben auch die gnädige Frau gesprochen! Göttlich, sage ich Ihnen, Herr Oberamtmann, von Tugend, Entsagung und uneigennütziger Liebe; Sie würden Ihr blaues Wunder gehört haben, ich wurde recht erbaut und faßte gute Vorsätze für mein ganzes Leben, wenn ich auch einmal sollte das Unglück haben, daß mich ein junger vornehmer Herr heira- then wollte. Die Lisbeth bat die Baronesse zuletzt kniefällig um Verzeihung, daß sie nur im Ernst an den Grafen gedacht habe. Jetzt ist sie mit dem Kinde spazieren gegangen, um in der freien Natur sie zu trösten und sie noch recht in der Vernunft zu befestigen. Wenn sie aber nach Ham- burg abgereist ist, dann will sie auch den Herrn Vetter auf eine gute Art zu behandeln an- fangen. Kein treuer Staatsdiener, dem von seiner vorgesetzten Behörde ein glänzendes Lob zugeht, kann frohere Augen machen, als der Oberamtmann machte. Er schlug in die Hände, daß es schallte, zog einen ganzen Schoppen Luft in sich und rief: Nun, Gott sei Dank! So wäre denn also dieses schwierige Geschäft glücklich beendigt. Ach, Sie glauben nicht, Fancy, was für eine Angst ich ausgestanden habe. Aber meinen Kopf hätte ich daran gesetzt, es durchzutreiben. Sie können lachen, sagte Fancy. Wir haben die Noth gehabt, und Sie hatten das Zusehen. — Und was halte ich hier in der Hand, Herr Oberamtmann? — Sie hob das Zeitungsblatt empor. Was denn, liebe Fancy? — Er las. — Zei- tung vom — vom — ei, die habe ich nicht zu sehen bekommen! — Hm! Was steht denn da? — — Assisen in Elberfeld! rief der Geschäfts- mann mit einem Freudenschrei. Das hat die gnädige Frau heute gefunden, und feurige Kohlen sammelt sie auf Ihrem Haupte, vergiebt Ihnen die Scene von gestern Abend und trug mir auf, Ihnen das Blatt da zu zeigen, damit Sie Ihren Wunsch erfüllen können. Der Ort soll nicht gar zu weit von hier seyn. Wenn Sie gleich Post nähmen, so kämen Sie noch spät Abends dort an. Und unterdessen, daß Sie fort sind, machen wir hier Alles mit dem jungen Herrn fertig. Also wirklich soll ich doch noch das öffentliche Verfahren kennen lernen! sprach der Oberamtmann gerührt. — Großer Gott, wenn sie nur nicht schon vorüber sind! Sie gingen nach der Anzeige da vor vierzehn Tagen an. Ich hoffe indessen noch zwei oder drei Tage zu erhaschen, denn wie ich am Rheine vernahm, so pflegen sie in die dritte Woche ihrer Dauer überzugreifen. — Er wischte sich die Augen. — Deine Baronesse ist doch eine herrliche Frau, sagte er. Empfiehl mich ihr auf das Angelegentlichste und sage ihr, in drei Tagen sei ich wieder da, wenn nicht etwa gar zu interes- sante Sachen vorkämen, denn dann bliebe ich wohl noch etwas länger aus. Adieu, liebe Fancy. Sie fahren? Sogleich. Ich gehe auf der Stelle selbst zum Posthalter. Er eilte fort. Fancy sprang ausgelassen im Zimmer umher. Clelia trat mit Lisbeth aus dem Cabinette. Lis- beth trug den Myrthenkranz, den ihr Clelia drin- nen aufgesetzt hatte. Lauf, Fancy, lauf! rief sie. Schaff mir den Diaconus, lebendig oder todt, setzte sie in ihrer sprudelnden Laune hinzu. Fancy lief hinunter. Was haben Sie denn mit mir vor, gnädige — Clelia sollst du mich nennen, werde ich nicht deine Cousine? versetzte die Baronesse und gab ihr einen leichten Schlag mit dem Zeigefinger über die Wange. — Was ich mit dir vorhabe? Trauen will ich Euch lassen, im Augenblick! Mein Gott, welche Uebereilung! rief Lisbeth froh und bestürzt. Keine Widerrede, sagte Clelia. Soll es ge- schehen, so kann es nur in der Uebereilung gesche- hen. Drei Tage bleibt der Oger weg, das Ac- tenungeheuer; nicht drei Viertelstunden will ich verlieren. Euer Bund ist außer aller Ordnung und Regel, in der Ordnung und Regel kriegen wir’s nimmer fertig. Hurli burli muß es gehen. Himmlisch kannst du sprechen, Herzkind, und einer jungen Strohwittwe, die noch dazu das Unglück hat, selbst in ihren Landläufer von Gemahl ver- liebt zu seyn, den Kopf schon verdrehen; aber kennst du die Welt, das taube, hartmäulige Thier? Brautleute sind zu trennen, eine Verlobung ist rückgängig zu machen, da muß man also einen Riegel vorschieben, einen von denen, die nicht weichen und wanken. O die Ehe, der gute, feste, unweichsame Riegel! Immer gleich sieht er aus, man mag ihn von der oder der Seite beschauen. Seid Ihr getraut, so mögen sie schimpfen, scan- daliren, chicaniren, Ihr sitzt geborgen hinter’m Riegel. Da hat selbst der Kaiser seine Macht verloren. Ihr seid Mann und Frau und sie müssen sehen, wie sie sich drein finden. — Jetzt aber komm her, mein Bräutlein, daß ich dich schmücke. Sie stellte ihren Juwelenkasten neben sich, setzte sich in einen Lehnstuhl und Lisbeth mußte vor ihr auf dem Fußschemel knien. — Ein anderes Kleid können wir dir nicht anziehen, denn meine sind dir zu weit, du schlankes Reh, aber die besten Brillanten schenke ich dir; sagte sie. Ein reiches Collier, die Broche und die dazu gehörigen Ohr- gehänge nahm sie aus dem Kasten. Sie legte der Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 19 Knieenden die prächtigen Steine an und um und wie gern ließ sich die glückliche, halbbetäubte Lis- beth zieren! — Sieht sie in ihrem weißen Cam- brickleidchen und mit den Diamanten vom reinsten Wasser nicht aus wie ein Märchen, einfach, strah- lend, ärmlich, feenreich? rief sie, als sie ihr Werk vollendet hatte. Sie erhob die Geschmückte und drehte sie nach allen Seiten, um die Wirkung der Brillanten zu prüfen. Der Diaconus kam. Fancy hatte ihn von der Straße hereingeholt. Er kehrte eben aus dem Gerichtshause zurück, den Auftritt mit dem Hof- schulzen noch in Haupt und Herzen. Seine Frau, die auch schon etwas von der Revolution in ihrem Hause gehört hatte, folgte. Fancy schloß den Zug. Die Wirthe sahen mit Erstaunen auf Lis- beth, die wirklich dastand, ein armes, reiches, weißes, buntes Wunder. — Kleine Frau, rief Clelia ihre Wirthin an, Sie bekommen heute freies Haus. Sobald wir hier unsere Pflicht gethan haben, reise ich ab, denn den Oberamtmann über- lasse ich Euch, Ihr Guten, und der wird denn auch bald zornschnaubend seiner Wege gehen. Herr Pastor, sagte sie gravitätisch zum Dia- conus, Sie werden ersucht, Ihren Mantel anzu- legen, die Bäffchen vorzustecken und sofort Ihr heiliges Amt zu verrichten. Wie? versetzte der Diaconus äußerst befremdet. Ohne Aufgebot, ohne Formalitäten … Einspruch erfolgt nicht, auf Cavalierparole, sagte Clelia noch feierlicher. — Und was die For- malitäten betrifft, so steht hier eine bekränzte Braut, drüben im Zimmer sitzt ein harrender Bräutigam, ich habe mich als ehestiftende Juno aus dem Stegreife in Staat geworfen, zwei ehr- liche Leute als Zeugen werden zu haben seyn, weitere Formalitäten sind wohl überall zu einer Hochzeit nicht erforderlich. Er versagte auf das Bestimmteste die Bitte. Clelia wurde aber dringender und fand an der Frau des Geistlichen eine Bundesgenossin. Ich dächte, liebes Kind, du gäbest nach, sprach sie mit einem verlegenen vielsagenden Blicke. Mit der ganzen Offenheit, welche seine Aeuße- rung über den modernen Adel gegen die Excellenz auf dem Oberhofe geziert hatte, rief der Diaco- nus, sich vergessend: Nein, mein Schatz, weil du 19* etwas länger Last in der Küche behältst, deßhalb kann sich dein Mann nicht scharfen Verweisen oder gar Strafen aussetzen! Darüber will ich Sie beruhigen! rief Clelia. Ich kenne Ihren * er ist in Carlsbad ganz über- aus freundlich gegen mich gewesen, denn er erwartet von mir eine Gefälligkeit bei uns daheim. Eine Hand wäscht die Andere, ich verbürge mich dafür, daß Sie mit einer leichten Zurechtweisung, die Ihnen nur des Scheins halber ertheilt werden wird, ent- schlüpfen sollen, zumal da in der Sache selbst nichts Unrechtes geschieht. — Fancy schlich fort; sie wußte, wo der Ornat hing. Gnädige Frau, versetzte der Diaconus ernst, die Formen sind einmal in der Welt und die For- men sind heilsam. Entschuldigen Sie, wenn ich mich innerhalb der mir gewiesenen Schranken halte. Aber auch Clelia konnte ernsthaft werden. So fest und gehalten, daß es alle Anwesende über- raschte, sagte sie: Meine Eitelkeit erlebt wenig- stens einen kleinen Triumph darüber, daß Sie mir so bald und so vollständig Genugthuung geben. Sie grollten mit mir gar sehr in Ihrem Herzen, daß ich die Bettlerin, das Findelkind — denn ich darf sie so nennen, sie weiß, wie lieb ich sie ge- wonnen habe — nicht in der ältesten Familie des Reichs haben wollte, und nun weigern Sie sich, ja Sie , zwei Lieblinge Ihres Herzens allen Nöthen zu entheben. Und weßhalb weigern Sie sich? Einer Form, einer armseligen Form wegen, deren Verletzung Ihnen möglicherweise eine kleine Unan- nehmlichkeit im Amte machen könnte. O Ihr Anderen, wann werdet Ihr doch ablassen, Euch über uns aufzuhalten? Ich bin doch besser als Sie. Denn ich ward wenigstens von dem königlichen Gemüthe dieses Kindes, welches ich nun mit Freuden für meine Verwandte, Gräfin Waldburg, erkenne, rasch bekehrt. Sie aber scheinen der Bitte einer Frau unnahbar zu seyn, die nur begehrt, was der Augen- blick gebietet, den Sie mir ja auch als Lehrer der Menschen angepriesen haben. — Wohl, ich dringe nicht weiter in Sie. Aber die Zukunft der Beiden schiebe ich Ihnen in Ihr Gewissen. Für alle Quälereien, Hemmungen, Verdrießlichkeiten oder gar Mißgeschicke, welche Oswald und Lisbeth noch haben können, bin ich für meine Person nicht ferner verantwortlich. Der Diaconus stand betreten. Von Anfang an hatte ja eine Stimme in seinem Inneren für die Bitte der Baronesse gesprochen. Diese Stimme redete um so lauter, als er kurz zuvor so tief be- wegt worden war. Das Große, Aechte, Mensch- liche war ihm in der Gerichtshalle so nahe getre- ten; er fühlte, daß es Dinge und Verwickelungen gebe, in denen der Mensch sich vergessen und nur an das Wesen, und an das Loos Anderer denken soll. Nach einigem Schweigen erwiederte er Clelien: Sie haben mich auf eine Probe gestellt. Selten wird es vorgekommen seyn, daß ein Geistlicher sich scharf tadeln lassen muß vor einer heiligen Hand- lung, die man von ihm begehrt. Folgte ich einer kleinlichen Empfindlichkeit, so würde ich bei meinem Versagen beharren. Ich bin aber nicht empfindlich, sondern erkläre Ihnen ganz einfach: Sie haben Recht. Ich bin bereit, dem Bunde, welcher uns Alle, wie es scheint, durch seine liebliche Kraft über das Gewöhnliche erhebt, Weihe und Unlös- barkeit zu geben. Fancy hatte sich schon während der letzten Worte mit dem Ornate in der Thüre gezeigt. Der Diaconus ging hinaus und kam nach einigen Augenblicken im priesterlichen Kleide zurück. — Wollen wir ihn nicht vorbereiten lassen? fragte Clelia. — Wozu? versetzte der Diaconus. — Das Göttliche regt nicht auf; es beruhigt. Still treten wir bei ihm ein und ich sage ihm dann in kurzen Worten sanft, was wir wollen; das ist wohl die beste Vorbereitung. Er nahm Lisbeth bei der Hand, die Frauen folgten. Schweigend und gefaßt gingen diese guten Menschen nach dem Zimmer, in welchem sich auf den Glücklichen, der noch nichts ahnete, sogleich ein Segen herniederlassen sollte, rein, groß, himmlisch. Ende . Anhang . Zwei Briefe . I. Sie wollen mir, lieber Herr Buchbinder, wie ein Londoner Publicum, das Nachspiel zu der Tragödie, die einen heiteren Ausgang gewann, nicht erlassen. Sie fragen mich nach unterschiedlichen Dingen und Personen, und da Sie mir während der Arbeit rechtschaffen beigestanden haben, theils durch Heften des Manuscripts, theils durch guten Rath, so will ich Ihnen auch darin gern, in wie weit ich kann, gefällig seyn. Vor allen Dingen wünschen Sie zu wissen, was der Arzt zu der Vermählung gesagt habe. Herr Buchbinder, Sie sind ein schlauer Vogel. Der Doctor kam ungefähr eine Stunde nach der Trauung in das Haus und fand noch Alles in Entzücken und Thränen. Er war aber gar nicht entzückt und vergoß auch keine Thräne. Sondern bitterböse war er und rief: Verdammt, daß der Humor immer wörtlich genommen wird! Aller- dings war der Graf in großer Gefahr, und noch jetzt ist ein Rückfall zu besorgen, wenn man ihn nicht vor Gemüthsbewegungen in Acht nimmt. Er hatte hierauf mit der Baronesse ein Gespräch unter vier Augen. In Folge desselben wußte die junge Dame die neue Gräfin zu bestimmen, daß sie noch an ihrem Hochzeittage mit ihr abreiste, und so trennte sich das Paar wenige Stunden nach seiner ewigen Vereinigung unter heißen Thrä- nen, aber mit freiem und würdigem Entschlusse. Nachdem Clelia ihren entronnenen Gemahl aus dem Osnabrück’schen sich wiedergeholt hatte, reisten sie zusammen durch Holland, Belgien, Frankreich, England bis nach Schottland. Die junge Frau oder Braut sah Vieles, merkte auf Alles und wechselte mit ihrem Gemahle oder Bräutigam die schönsten Briefe. Man sah ihr nirgend an, daß sie nur ein Findling war, sondern sie betrug sich wie eine geborene Gräfin. In England wurde sie der Königin vorgestellt, diese küßte sie auf die Wange und die Frau von Lehtzen nannte sie my dear Eliza. Endlich nach sechs oder sieben Monaten schlug die Stunde der Heimkehr. Der Graf, nun ganz wieder hergestellt, kam den Reisenden bis Rotter- dam entgegen und führte sein bräutliches Weib in großer Wonne auf das hohe Schloß am Neckar. Der alte Baron, über welchen sich bei dem Einsturze des Schlosses schützend ein Stück Dach gespreitet hatte, wurde dadurch vor dem Zerquet- schen bewahrt. Er schlug nur mit der Stirn auf einen harten Körper, einen Stein oder Balken, auf und trug eine große Brausche davon. Einige Tage lag er betäubt, als er aber wieder zukehrte, war er von allen und jeglichen Einbildungen ge- heilt. Entweder muß daher an ihm das Dogma des Dorfchirurgen vom Choc und Gegenchoc sich bewährt haben, oder die fixen Ideen sind ihm frü- her von einem Knoten im Hirne entstanden, den ihm die Erschütterung des Falles gesprengt hat. Genug, er war auf den Kopf gefallen und dadurch zu Verstande gekommen. Einen großen Schmerz hatte der alte Mann über die Gefühllosigkeit seiner Pflegetochter, wie er ihr Benehmen nannte. Er wollte sie auch deß- halb gar nicht sehen, als sie ihn endlich besuchte, und sie mußte, nachdem sie drei Tage inständig bittend verweilt hatte, unverrichteter Sache abrei- sen. Jede Einladung nach dem Schlosse am Neckar hat er beharrlich abgelehnt. Die jungen Gatten sorgen aber dennoch für ihn durch einen seiner alten Freunde, der von ihnen in’s Vertrauen gezo- gen worden ist. Dieser zahlt ihm nämlich reich- liche Summen aus unter dem Vorwande, es seien Rückstände von Zinsen, die sein ehemaliger Rent- meister nachlässigerweise uneingefordert gelassen habe. Der alte Baron wohnt bei diesem Freunde zur Miethe, hat sich wieder Jagdgewehr angeschafft, schießt Rehe, so viele er treffen kann, trinkt Rheinwein nach Bedürfniß und lebt ganz der Ge- genwart. Der Schulmeister Agesel ließ in den rheinisch- westphälischen Anzeiger einrücken, er erkläre Jeden, der ihn nicht für einen gewöhnlichen Menschen im vollen Sinne des Worts halte, für einen Schur- ken, worauf der Küster aus Furcht, insultirt zu werden, seine andere Furcht nach und nach bemei- stern gelernt hat. In Dünkelblasenheim steht Alles bei’m Alten. Nationallied ist noch immer der Gesang der Fische aus Wieland’s Märchen: Hätten’s gern besser Statt immer schlimmer; Und rathen immer, Und treffen’s nie. Münchhausen wird in den höchsten Kreisen der Ge- sellschaft ganz außerordentlich vermißt. Von dem Verschwinden dieses wunderbaren Mannes ist der Schleier nie gelüftet worden. Na- türlich muß die Krypte einen geheimen Ausgang gehabt haben, wer nur wüßte, wo? — Eine ganz sonderbare Nachricht verbreitete sich unlängst. Ein Reisender wollte nämlich in einem kleinen Gebirgs- städtchen im Hohenzollern-Hechingen’schen einen Mann, genau aussehend wie unser Held, mit einer ältlichen Dame lustwandeln gesehen haben. Auf Befragen hatte man dem Reisenden gesagt, jener Mann heiße Münch, genannt Hausen, lebe vom Ackerbau, sei ein nützlicher Staatsbürger, guter Gatte und würde ohne Zweifel ein eben so guter Vater werden, wenn seine Frau noch Kinder be- kommen könnte. Wäre dieser unschädliche Acker- und Staats- bürger wirklich der Freiherr von Münchhausen, so hätte sich in unserer lehrreichen Geschichte gerade das Gegentheil von dem ereignet, was in anderen Geschichten vorzukommen pflegt. Denn in denen werden meistens alle Vernünftige toll, in der unsrigen aber wären durch tüchtige Eingriffe des Lebens, sei es mittelst Nichtachtens auf die Schrolle, sei es mittelst Fallens auf den Kopf, oder mittelst Wiedererscheinens einer alten Geliebten, alle Tollen oder Halbtollen vernünftig geworden. Gewiß ein tröstlicher Ausgang! Mit Wehmuth wende ich mich zu Ihrer Frage nach Karl Buttervogel. Dieser practische Charak- ter ist leider an seiner einzigen Schwäche unter- gegangen, er starb nämlich am Uebermaaß von Gründen. Das ging so zu. Bald nach dem Ver- lassen des münchhausen’schen Dienstes fand er eine neue Herrschaft, bei welcher er auch mit Pferden umgehen mußte, d. h. er wurde zugleich Kutscher. Einstmals fuhr er nun in einem holprichten Wege so schlecht, daß ihn sein Herr heftig anließ und ihn fragte, warum er nicht im Geleise bleibe? Karl hätte hierauf einfach antworten sollen, daß er gen Himmel, statt auf die Straße gesehen habe. Er wandte aber den Kopf rückwärts und trug dem Herrn unaufhaltsam eine Fülle von Grün- den vor. Da schlug der Wagen in ein tiefes Loch, Karl stürzte vom Bock, fiel vor das Rad, dieses ging über ihn weg und jämmerlich kam er um. An seinem Grabe weint Rieke aus Stuttgart, die er geheirathet hatte, mit zwei unmündigen Kindern. Ich weiß, daß auch Sie seinem Andenken eine Thräne zollen werden. Was das optische Glas zu lesen gegeben, kann ich Ihnen nicht sagen. Es liegt unter den Trüm- mern des Schlosses, die nicht hinweggeräumt wor- den sind. Habe ich Sie nun zufrieden gestellt, lieber Herr Buchbinder? Der ich mit aller Achtung u. s. w. N. S. Beinahe hätte ich den Oberamtmann vergessen. Eine Geschichte mit so vielen Personen ist wie ein Wirthshaus voll Gäste. Bei der pünctlichsten Aufmerksamkeit wird doch immer Der und Jener sitzen gelassen. Er kam aus dem gewerbfleißigen Wupperthale zurück, schon sehr verstimmt, denn von der Assise hatte er nichts zu sehen bekommen. Den ersten Tag seines Dortseyns konnte er nämlich wegen Ueberfüllung des Saales mit Menschen nicht hinein, am zweiten Tage wurde eine Sache bei verschlossenen Thüren verhandelt und am dritten eine ausgesetzt, weil der Hauptzeuge fehlte; womit die damalige Quartalsitzung schloß. Als er nun gar seinen Freund, den er braut- los erwartete, vermählt wiederfinden mußte, kannte sein Zorn keine Grenzen. Aber die Ehe saß wirk- lich wie ein guter Riegel fest und spottete jeglicher Bemühung, sie hinwegzuschieben. Er reiste auf der Stelle ab, hat sich in den Schwarzwald vergraben und nichts mehr von sich hören lassen. Sein Glaube an die Menschheit soll sehr gesunken seyn und Clelien nennt er, wie man sagt, nur Armiden, die listige Verführerin. Oswald hofft indessen doch noch ihn auszusöhnen. II. Du fragst mich nicht nach den komischen Leuten, obgleich du, lustig wie ein Knabe, an ihnen dein Ergötzen hattest und dich selbst nicht scheutest, über „den gemeinsten aller gemeinen Bedienten“ wie du ihn nanntest, zu lachen. Du fragst mich nach Os- wald und Lisbeth. Ihre Geschichte sei ja noch nicht aus, sagst du. Nein, ihre Geschichte ist auch nicht aus, sie hat erst begonnen. Ich hätte nicht solchen Antheil Beiden gewidmet, wenn sie zu denen gehörten, deren Blüthe das Läuten der Hochzeitglocken zu Grabe läutet. Die Geschichte ihres Herzens und innersten Geistes nahm von dem Segen des Prie- sters den Ausgang. Ein zu frühes Beieinanderseyn der Liebenden hat etwas Ungeschicktes. Das Leben ist nun einmal roh, es trennt mehr, als daß es ver- binde. Der Tag wirft viel Schaum und trübe Fluth zwischen zwei Herzen, die noch nicht gelernt hatten und auch unter solchen Umständen nicht ler- nen können, mit einander vertraut zu seyn — denn auch das ächte Vertrauen will gelernt werden. Daher kommt es denn, daß die Meisten einander zu fremd und doch zu nahe in den Ehestand treten. Und so entsteht die trübe und unreine Gestalt vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die Verbundenen das Wesenhafte zu finden gewähnt, das nimmt Abschied, und nun klagen sie über bittere Enttäuschungen, wo sie im Gegentheil sich vielleicht der Entfaltung eines Wesenhaftesten zu erfreuen hätten. Unser Paar wurde durch anscheinendes Mißge- schick über diese gefährliche Sandbank des Lebens hinübergespült. Draußen, in Wald und Feld, außer dem Pferch der Civilisation hatten sie ein- ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt- schaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er- leuchtet. Aber nun galt es, den kostbaren Gewinn für die Erde zu festigen. An dem Tage ihres Bundes wurden sie getrennt! Trauriges Loos, glückseliges Loos! In Sehnsucht und Wehmuth, in zartem Harren und Darben lernte nun Eines Immermann’s Münchhausen. 4. Th. 20 des Andern Tiefstes aus; das Feinste und Wahrste der Seelen, der Blüthenstaub des inneren Menschen wehte hinüber und herüber. Die Leidenschaft konnte nicht aufkommen, denn die Hoffnung, fest geankert auf dem Grunde des Sacraments, hielt sie mit sanfter Hand nieder, die Ferne zeigte Jedem die zweite theure Gestalt in verklärten Umrissen. Daher kannten sie einander, als er ihr bei Rotterdam aus dem Boote half, aber sie kannten einander in der edelsten und köstlichsten Weise. Den ewigen Menschen hatte Eines in dem Andern erschauen gelernt, nicht den zufälligen. Die Be- geisterung des ersten Liebesrausches hatte die süßeste und zugleich die ernsteste hohe Schule durchgemacht. In allen Tiefen des Bewußtseyns hatte sich das Aufjauchzen des Gefühls als hohe Vernunft wie- dergefunden. Und nun haben sie einen Glauben, den nichts erschüttern kann. Wenn der Tag seinen Schaum heranspült und das Bild des Liebsten verun- reinigt; wenn die Laune kommt und das Sonder- bare, Dumpfe, so sprechen sie: Das ist nicht Os- wald, das ist nicht Lisbeth, das ist der Zufall. Eines ist für das Andere nur da in der schö- nen Figur jener academischen Zeit ihrer Liebe. Nach allen Seiten hin erbaut sie die Ehe, die den Namen einer heiligen verdient. Denn sie haben einander einen Doppelschwur geleistet ohne Worte. Eins wollen sie seyn und bleiben, aber Eins im Leben und in der Welt, nicht sich versteckend vor Leben und Welt. Mit Liebe wollen sie den stumpfen Widerstand der Materie überwinden. Der ist groß. Denn ihr Schritt hat freilich in alle Verhältnisse den tiefsten Riß gemacht. Man läßt Lisbeth’s Liebenswürdigkeit zwar gelten, aber das Findelkind bleibt ihnen doch ein Findelkind. Die Bekannten haben gestutzt, die Freunde getrauert, die Familie ist außer sich gewesen, habsüchtige Vettern schielten froh nach der Zukunft. Zwischen diesen dürren Klippen, in solcher Wildniß ist ihnen die Aufgabe gesetzt, den Garten eines schönen, fruchttragenden Lebens auszusäen. Daher hat denn ihre Geschichte nur erst begonnen. Ueberallhin müssen sie sich auf- stellen, jeden Schatz aus sich zu Tage fördern, sie müssen sich vollenden für die Welt und für die Zwecke der Welt, um das Recht des Herzens darzulegen. 20* Eine Liebesgeschichte und nichts weiter! werden Manche sagen. Wenn es nichts weiter wurde, so ist daran meine geringe Fähigkeit, nicht mein Sinn schuld. Mein Sinn stand darauf, eine Geschichte der Liebe nachzuerzählen, der Liebe zu folgen bis zu dem Puncte, wo sie den Menschen für Haus und Land, für Zeit und Mitwelt reif, mündig, wirksam zu machen beginnt. Deine Seele hat manchen Gedanken von mir in sich empfangen, du hast ihn gepflegt und mir schöner zurückgegeben. Von dir vernahm ich zu- weilen erst, was ich eigentlich gedacht hatte. Höre denn auch jetzt, was meine rauhe und ungestüme Lippe dir zustammelt; pflege es in einem feinen, guten Gemüthe. Unsere Zeit ist groß, der Wunder voll, frucht- bar und guter Hoffnung. Aber irr und wirr tau- melt sie noch oft hin und her, weiß die Stege nicht und plaudert wie im Traume. Das rührt daher, weil das Herz der Menschheit noch nicht wieder recht aufgewacht ist. Denn nicht abhanden kam der Menschheit das Herz, es ward nur müde und schlief etwas ein. Im Herzen müssen sich die Menschen erst wieder fühlen lernen, um den neuen Weg zu erkennen, den die Geschlechter der Erde wandeln sollen, denn vom Herzen ist alles Größte auf Erden ausgeschritten. Moses sah an das Elend seines Volkes und führete es hinweg; Chri- stus wollte sein göttliches Licht nicht für sich be- halten, sondern in überströmender Liebe gab er es seinen Brüdern; nach dem heiligen Grabe lechzete die durstige Brust der Kreuzfahrer, Luther that mit seinem Herzen die tiefe Frage nach der ewi- gen Seligkeit, vor welche sich schmauchende Kirchen- kerzen gestellt hatten, die von Meßgewändern und Weihrauchwolken verhüllt war. Wenn ich aber das viel gemißbrauchte und deßhalb übel berufene Wort brauche, so weißt du, daß ich damit nicht den schlaffen, von der Empfin- delei getauften Muskel meine, der in einer Fluth matter Thränen schwimmt. Das volle, starke Herz meine ich, vom Athem Gottes und göttlicher Nothwendigkeiten durchweht und begei- stet. Ich meine das Herz, welches das schöne Weib des Kopfes ist. Von ihm wird es befruch- tet und giebt die Kraft seines Mannes und Herrn wieder als göttliches Kind mit tiefen welterlösen- den Augen. Dieses Herz erscheint den Schwachen nicht selten kalt und roh, und doch ist es das Wärmste, was es giebt, denn es entzündet mit seinem Brande die Völker. Und das Zärteste ist es auch, denn nicht irdische Stümper rühren es, sondern die Himmlischen spielen darauf, wie auf einer Aeolsharfe, und es tönet seine ewigen Ac- corde unter den Fingern der Elohim. Unsere Zeit ist ein Columbus. Sie sieht wie der Genueser mit den Blicken des Geistes das ferne Land hinter der Wüste des Oceans. Desselben gleichen erlebt sie die Geschicke des Columbus. Auch ihr laufen die Kinder nach, halten sie für wahnwitzig und zeigen an den Kopf. Auch sie steht vor manchem Rathe von Salamanca und soll sich aus Kirchenvätern widerlegen lassen. Auch heuer giebt es diesen und jenen heuchlerischen Johann von Portugal, der ihr das Geheimniß abgekauft zu haben wähnt und die Caravele aussendet von den Inseln des grünen Vorgebirges, aber nach vierzehn Tagen den schlechten Bootsmann entmuthigt wiederkehren sieht. — Sie hat die Anker gelichtet und steuert und steuert. Aber der Genueser hatte die Boussole am Bord und nach der richtete er sein Schiff und ließ sich nicht irre machen, als die Nadel unter entle- genen Graden abzuweichen begann. Die Nadel zeigte ihm den Pfad. In das Schiff der Zeit muß die Boussole gethan werden, das Herz. Und keine Abwei- chung muß den Seefahrer irren, wenn die Reise immer weiter und weiter vordringt. Dann wird nach verzweiflungsvollem Hoffen und Har- ren plötzlich in einer Nacht vom Schiffe: Land! gerufen werden, und die Insel San Salvador wird nächsten Morgens entdeckt daliegen, wild, üppig, mit großen und schönen Wäldern, mit unbekannten Blumen und Früchten, von reinen, lieblichen Lüf- ten überhaucht und umspült von einem krystall- klaren Meere. — Und es kann seyn, daß auch die Zeit nach Ophir und nach des Tartarchanes Ge- biete entsteuert zu seyn wähnet, und in diesem Wahne, ein erhaben phantasirender Columbus, ab- stirbt, und daß erst spätere Jahre erfahren, Ame- rica sei an jenem Morgen entdeckt worden.