C larissa, Die G eschichte eines vornehmen Frauenzimmers , von demjenigen herausgegeben, welcher die Geschichte der Pamela geliefert hat: und nunmehr aus dem Englischen in das Deutsche uͤbersetzt. Vierter Theil. GOETTJNGEN , Verlegts Abram Vandenhoeck , Universitaͤts-Buchh. 1749 . Mit Roͤm. Kayserlichen, Koͤnigl. Großbrit. und Churf. Braunschw. wie auch Koͤnigl. Pohln und Churf. Saͤchs. allergnaͤdigsten Privilegiis. Clarissa der vierte Theil. Der erste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonntag Abends den 7 May. S ie werden sich nicht verwundern, daß der Unmuth, der mein Hertz erfuͤllet hat, auch meine Schreib-Art verstellet; wenn sie nur einen Gedancken auf meine ungluͤcklichen Um- staͤnde richten, und uͤberlegen, wie vieles ich mir gefallen lassen muß, das meinem Hochmuth uner- traͤglich ist. Der bewegliche Brief meines Vetters macht mir alles dieses noch empfindlicher. Jndes- sen gestehe ich, daß es von mir artiger gehandelt waͤ- re, wenn ich Jhnen das betruͤbteste von meinen Umstaͤnden zu verbergen suchte, weil Sie ein so zaͤrtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und das Klagen mir doch die Last, die ich trage, nicht erleichtert. Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausschuͤt- ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Ursache alles meines Ungluͤcks ist, vermehret meinen Kum- mer: ich habe keinen Bedienten, auf dessen Treue ich mich verlassen kann, oder dem ich meine Sorge Vierter Theil. A em- entdecken darf. Lovelace zieht jedermann durch seine Freygebigkeit und Munterkeit an sich. Jch bin gleichsam nur eine Null, die seinen Werth erheben muß: mir selbst gereiche ich blos zum Kum- mer. Jch mag mich zuruͤck halten so viel ich will, so kann ich doch nicht gantz verhindern, daß mir bis- weilen eine Thraͤne aus den Augen faͤllt, und das Papier befleckt. Jch bin versichert, daß Sie mir diesen kurtzen Trost nicht verbieten werden. Es scheint beynahe, daß der Anfang dieses Briefes eine Fortsetzung des vorigen wird, in wel- chem ich meine Traurigkeit zu entschuldigen suchte. Doch es sey das genug, was ich davon geschrieben habe. Mein Ungluͤck ist ein Beruf fuͤr Sie, mir die alleredelsten Proben der Freundschaft zu geben, die wir einander so heilig gelobet haben, nehmlich mir mit Trost und Rath zu statten zu kommen. Jch glaube so gar, ich wuͤrde ihnen Unrecht thun, wenn ich diesen Ruf fuͤr noͤthig hielte. Jn dem, was folget, meldet die Clarissa, daß Herr Lovelace seit dem, daß sie ihre Kleider bekommen hat, stets in sie dringe, und sie bitte, mit ihm in Gesellschaft eines ihr selbst beliebigen Frauenzimmers auszufahren, und sich entweder durch eine Lust Reise oder durch die gewoͤhnlichen Lustbarkei- ten der Stadt London aufzumuntern. Sie giebt eine umstaͤndliche Nachricht von dem, was bey einer gewissen Unterredung deshalb vorgefallen war, und von einigen andern Vorschlaͤgen des Lovelace: bemer- cket aber dabey, daß er mit keinem Wor- te te der Trauung gedencke, davon er so viel geredet haͤtte, ehe sie nach London gekom- men waͤren, und ohne welche jene Vor- schlaͤge gantz ungeschicklich waͤren. Mir ist jetzt das Leben unertraͤglich. Wie froͤ- lich wollte ich seyn, wenn ich ausser seiner Gewalt waͤre! Er sollte alsdenn den Unterscheid bald mer- cken. Muß ich ja gedemuͤthiget und gedruͤcket werden, so wuͤnschte ich, daß es lieber von denen geschehen moͤchte, gegen die ich eine natuͤrliche Ver- pflichtung habe. Meine Frau Base meldet mir in ihrem Briefe, daß sie sich nicht unterstehet fuͤr mich zu reden. Aus Jhrem Briefe sehe ich, daß man von der vorigen Haͤrte gegen mich abgelassen haben wuͤrde, wenn ich mich nicht zur Flucht haͤt- te verleiten lassen: daß meine Mutter sich hat be- muͤhen wollen, den Haus-Frieden wieder herzustel- len, und daß sie meinen Onckle Harlowe zu Huͤlffe zu nehmen Vorhabens gewesen ist. Auf diesen Grund will ich bauen. Jch kann es doch versuchen, und es ist meine Schuldigkeit alles moͤgliche zu versuchen, dadurch ich die verschertzte Gunst meiner Eltern wieder erlangen kann. Viel- leicht laͤsset sich dieser ehemahls so guͤtig gesinnete Onckle bewegen, ein Wort fuͤr mich zu sprechen. Um den Antrag nach den Geschmack meines Bru- ders einzurichten, will ich von Hertzen gern alles Recht an mein großvaͤterliches Gut aufgeben, und es dem uͤberlassen, dem es die Meinigen zudencken: und um diese Uebertragung desto rechts-kraͤftiger zu machen, will ich zugleich versprechen, mich nie zu verheyrathen. A 2 Was Was duͤnckt Jhnen hiezu? Die Meinigen wer- den sich doch nicht gaͤntzlich und auf ewig von mir lossagen wollen! Wenn sie das geschehene mit un- partheyischen Augen ansehen, so werden sie sich doch einige Schuld beymessen, und nicht alles mir allein zur Last legen. Jch glaube, daß Jhnen dieses Mittel wuͤrdig scheinen wird, versucht zu werden. Allein dieses ist die Schwierigkeit: wenn ich schreibe, so weiß ich, daß mein harter Bruter alle gegen mich so einge- nommen und verbunden hat, daß mein Brief aus einer Hand in die andere wird gehen muͤssen, bis er Zeit gewinnet, alle zu bereden, daß sie meine Bitte abschlagen: koͤnnte aber mein Onckle bewo- gen werden meine Bitte als aus eigenem Triebe zu unterstuͤtzen, so wuͤrde meine Mutter und ihre Schwester ihm gewiß beytreten. Jch komme daher auf folgenden Einfall. Herr Hickmann ist bey jedermann wohl angeschrieben: wie? wenn er eine Gelegenheit suchte, mit meinem Onckle Harlowe zu sprechen, und ihm als eine Nachricht, die er von Jhnen erfahren haͤtte, versi- cherte, in was vor Umstaͤnden und Gemuͤthsfassung ich mich befinde, und daß ich Lovelacen auf keine Weise verbunden bin? Jch uͤberlasse es voͤllig Jhrem Gutbefinden, ob? und in wie fern dieser Einfall zu billigen sey? Wenn Herr Hickmann in Jhrem Nahmen (denn in mei- nem Nahmen kann es nicht geschehen, davon wer- den Sie die Ursachen, ohne daß ich sie melde, mer- cken) diesen Antrag thut, und mein Onckle schlaͤgt es es ab, sich mit mir ferner einzulassen: so habe ich keine Hoffnung, und muß mich in den Schutz der Basen des Lovelaces begeben. Es wuͤrde gottlos seyn, folgende Zeilen, die eine Anklage der hoͤchsten Vorsorge enthalten, und ihr unsere Suͤnden beymessen, in meinem Nahmen zu sprechen; sie fallen mir aber doch oft bey, weil ich mein ungluͤckliches und unvorsaͤtzliches Versehen le- bendig geschildert in ihnen antreffe. Jhr Goͤtter, euch, euch red' ich klagend an. Entdeckt der Welt die Unschuld und die Tugend. Jsts moͤglich, daß man mich verdammen kann, So offenbart die Suͤnden meiner Jugend. Setz’ ich den Fuß auf Wege die ich hasse, So meßt die Schuld dem ewgen Schicksal bey: Mein Fuß ist Suͤnder und mein Herz ist frey. Von einigen Briefen, welche hier der Zeit nach folgen, hat der englische Herausgeber nur einen Auszug geliefert. Die Fraͤulein Harlowe berichtet am Montage, daß Herr Lovelace ihr Misvergnuͤgen bemerckt, und den Herrn Mennell, einen Verwandten der Frau Fretchville, und der ihre Sachen besorge, zu ihr gebracht habe. Sie beschreibt ihn als einen ver- staͤndigen und artigen jungen Officier: der ihr glei- che Nachrichten von dem Hause und von den betruͤb- ten Gemuͤths-Umstaͤnden der Frau Fretchville ge- geben habe, als vorhin Herr Lovelace. Sie meldet der Fraͤulein Howe, wie sehr Herr Lovelace diesem fremden Herrn angelegen habe, A 3 daß daß er seiner Liebsten (wie er sie jetzt in Gesellschaft zu nennen pfleget) Gelegenheit verschaffen moͤchte, das Haus zu besehen. Herr Mennell habe auch versprochen, ihr noch den Nachmittag alle Zimmer zu zeigen, dieselbigen ausgenommen, in denen sich die Frau Fretchville eben befinden wuͤrde. Allein sie haͤtte sich nicht unterstehen wollen, noch einen Schritt zu wagen, bis sie wuͤßte, wie der Fraͤulein Howe ihr Anschlag gefiele, bey ihrem Onckle zuzu- hoͤren, ob er sich ihrer wol annehmen wollte: und bis sie saͤhe, was dieser Versuch fuͤr Folgen haͤtte. Herr Lovelace berichtet seinem Freunde in sei- ner gewoͤhnlichen lebhaften Schreib-Art, wie nie- dergeschlagen die Fraͤulein bey Erhaltung ihrer Kleider und eines Briefes gewesen sey. Er bedau- ret, daß er ihr Zutrauen gegen sich verschertzt habe; vermuthlich dadurch, daß sie seine vier Freunde habe kennen lernen: wiewohl er nicht seine Freunde, sondern die uͤbertriebene Tugend-Lehre seiner Schoͤ- nen tadeln muͤsse. Denn niemahls haͤtten sich junge Herren, (sie, seine vier Freunde, zum allerwenigsten niemahls) besser aufgefuͤhrt, als denselbigen Abend. Da er erzaͤhlet, daß er den Mennell zu ihr selbst gebracht habe, setzt er hinzu: „War das nicht recht artig von dem Herrn „ Mennell? (Jch nennete ihn gemeiniglich, Ca- „pitain Mennell: denn du weist wol, daß nie- „mand unter den Soldaten Lieutenant , oder Faͤhn- „drich heissen will.) War es nicht recht artig, daß „er so willig war mit mir zu gehen, und meiner „Schoͤ- „Schoͤnen von der Schwermuͤthigkeit der jungen „Wittwe eine zuverlaͤßige Nachricht zu geben? „Mich duͤnckt, du willst gern wissen: wer der „ Capitain Mennell ist? Du hast den Nahmen, „ Capitain Mennell, noch nie nennen hoͤren. „Das glaube ich wol. Kennest du den jungen „ Newcomb nicht? Des ehrlichen Dolemans „seinen Vetter? „Hoho! ist der es? „Ja! der ist es! Jch habe aus eigener Voll- „macht seinen Nahmen geaͤndert. Du weist, daß „ich ein Vater vieler Nahmen bin: ich vergebe al- „lerhand Bedienungen an Leute vom Degen und „von der Feder. Jch verschencke Guͤter, und nach „meinem eigenen uneingeschaͤnckten Willen nehme „ich sie wieder. Jch adele: und welches noch mehr „ist, so nehme ich meinen Vasallen Wapen und „Adel nach meinem eigenen Wohlgefallen, ohne „vorhergegangene Felonie. Ein Monarch, ein „eingeschraͤnckter gebundener Monarch, ist gegen „meine Allmacht ein Bettler. „Allein das ist der Teuffel! Nachdem Mennell „meinen Engel gesehen hat, so hat er tausend An- „faͤlle von hypochondrischen Grillen. Es wird „mir viel kosten, seine Gesundheit zu erhalten. Doch „ich darf mich hieruͤber nicht wundern, da vier „solche Kerls, als ihr seyd, nach einem Umgange „von wenigen Stunden fuͤhleten, daß sie Hertzen „haben. Das troͤstet mich, daß ich den Vorsatz „habe, mein Kind endlich zu belohnen, wenn es „mich durch seine Tugend uͤberwindet; oder daß A 4 „ich „ich die Versuchung nicht immer werde fortsetzen „koͤnnen. Denn ich selbst habe bisweilen hypo- „chondrische Anfaͤlle. Sage aber der Bruͤder- „schaft nichts davon, und lache du mich auch selbst „nicht aus.„ Jn einem andern Briefe, der des Montags Abends geschrieben ist, meldet er seinem Freunde: die Fraͤulein sey so fremde gegen ihn, daß gantz gewiß noch ein Briefwechsel zwischen ihr und der Fraͤulein seyn muͤsse, ohngeachtet ihn Frau Howe ihnen bey- den verboten habe. Er halte es fuͤr ein gutes Werk den Ungehorsam zu straffen, und er glaube, daß diese Maͤdchens beyde eine Straffe verdienten, weil sie sich gegen ihre Eltern auflehnen. Er habe sich naͤher nach ihrem Brieftraͤger erkundiget, und fin- de, daß es ein gemeiner Wild-Dieb sey, der unter dem Vorwand Kleinigkeiten zu verkauffen, seine gestohlene Eß-Waare anbringe. Weil er Wil- sons Haus selbst vorgeschlagen habe, die Briefe dahin zu schicken, so unterstehe er sich nicht dort et- was zu versuchen: allein er wolle den alten Kerl unterweges pluͤndern lassen; es sollten ihm nicht al- lein die Briefe, sondern auch das Geld genommen werden, das er bey sich haͤtte, denn sonst wuͤrde er deswegen in Verdacht kommen. „Wenn man seine eigene Absichten erhaͤlt, und „zugleich einen Spitzbuben strafft, so dienet man „der Welt und sich selbsten. Die Gesetze sind fuͤr „einen solchen Mann als ich bin nicht gemacht. Jch „muß hinter einen Briefwechsel kommen, der ohne „Ungehorsam nicht gefuͤhret werden kann. Jch „Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich „erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe „in den Taschen hat, so wollte ich suchen, es in die „Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ- „ne so ungluͤcklich ihre Taschen zu verlieren. Allein „wie soll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas „weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als „ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das „Kammer-Maͤdchen sie siehet, ist sie schon angeklei- „det. Das ist ein verfluchter Argwohn! warlich „Bruder, wer argwoͤhnisch ist, der verdient gestraf- „fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli- „chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, so giebt es ihm „ein Recht ein Schelm zu werden. „Je mehr ich der Sache nachdencke, desto mehr „kriege ich Lust etwas gegen ihre Taschen zu wagen, „weil dabey die wenigste Gefahr ist. Allein es „koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taschen „stecken, obgleich die Taschen halb so groß sind, als „das Frauenzimmer selbst. Jch glaube, sie tragen „sie an statt des Ballastes, damit der Wind nicht „ihre Cannevassenen Segel ergreiffen, und sie in die „Luft fuͤhren moͤge.„ Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf allerhand Anschlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, so erzaͤhlt er, was er in solchem Falle zu thun gesinnet sey, und ruͤhmet sich, daß er der Dorcas und seinem Wilhelm Summers schon auf alle Faͤlle Ver- haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha- be sich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgesehen: A 5 und und wenn sie auch aus dem Hause entkaͤme, so wolle er sie dennoch wieder zuruͤck bringen; ja selbst in dem Falle wuͤrde er sie nicht verlieren, wenn sie ausser Lan- des ginge, und sich weigerte wieder zu ihm zu kom- men. Er hoffet auch alles so einzurichten, daß es ihm niemahls an einem Vorwand fehlen soll, sie bey sich zu behalten, wenn gleich seine Auschlaͤge entdecket. wuͤrden. Er hat der Dorcas befohlen sich auf alle moͤgli- che Weise bey ihrer Fraͤulein einzuschmeicheln, und oͤfters daruͤber klaͤglich zu thun, daß sie weder schrei- ben noch geschriebenes lesen kann. Sie soll der Fraͤulein bisweilen einige Briefe von ihren angebli- chen Verwanten auf dem Lande zeigen, und sie bit- ten, ihr zu rathen, was und wie sie antworten lassen solle. Sie soll viel mit der Feder spielen und schmie- ren, damit nicht die Dinte, die bisweilen an ihre Fin- ger koͤmmt, sie verrathen moͤge, daß sie schreiben koͤnne. Er habe ihr uͤber dieses eine Schreib-Tafel und einen silbernen Stift gegeben, damit sie sich eini- ge merckwuͤrdige Umstaͤnde aufzeichnen koͤnne. Die Fraͤulein habe den Vorschlag der Frau Sin- clair bewilliget, und ihre Kleider aus den Coffern in einen grossen Schranck von Mahogany geleget, darin sie voͤllig nach der Laͤnge liegen koͤnnten, und darin auch Schiebladen fuͤr die Waͤsche waͤren. „Dieser Schranck hat oft die schoͤnsten Kleider un- „serer Nymphen verwahret, die sie anzuziehen pfleg- „ten, wenn sie vornehmen Leuten aͤhnlich seyn, oder „vornehme Herren fangen wollten. Manche dir be- „kaunte Graͤfin hat unsere Mutter ausgestattet, ja so „so gar ein Paar Hertzoginnen, die jetzt nach der „neuen vornehmen Mode eine vergnuͤgte Lebens-Art „in dem Hause ihrer Ober-Herren fuͤhren. Allein „diese gehoͤren auch nur vor Personen vom Stan- „de, und die es bezahlen koͤnnen: denn nicht ein je- „der gemeiner Suͤnder muß vornehme Kinder un- „ehrlich machen. „ Dorcas hat einen Haupt-Schluͤssel, der alle „Schieb-Laden oͤffnet. Es ist ihr befohlen alles auf „das genaueste wieder zurecht zu legen, wenn sie „Briefschaften in dem Schrancke suchet. Sara „und Marichen sollen mir im Abschreiben behuͤlf- „lich seyn, denn mit einem solchen Kinde muß man „sehr langsam und behutsam umgehen. „Es ist ohnmoͤglich, daß ein so junges Frauen- „zimmer bey so weniger Erfahrung so vorsichtig seyn „sollte, wenn es sich selbst gelassen waͤre; da sich „unsere Nymphen so sittsahm auffuͤhren, und in dem „Hinter-Hause nie etwas von dem Lerm gehoͤret wird. „Alles ist ganz artig und stille; unsere Jungfern „sind wohlgezogen und belesen: der erste Wi- „derwille wider die alte Mutter ist uͤberwunden. „Es kann demnach keine andere seyn, die mir „die Sache schwer macht, als die Fraͤulein Howe, „die sich ehemahls in einen unseres gleichen, in den „ehrlichen Georg Colmar verliebt hatte, wie du „ohne Zweiffel wissen wirst.„ „Aus den Mitteln, die ich mir schon auf alle „Faͤlle ausgesonnen habe, wirst du sehen, Bel- „ford, daß ich nichts vergesse. Denn man glaubt „kaum wie sehr richtig der Ausdruck unseres Liedes „ist.„ Der Der Ruhm, der uns begluͤckt, Der Sieg, der uns entzuͤckt, Haͤngt nur am seidnen Faden. „Bis hieher bin ich fromm gewesen. Allein mei- „ne Goͤttin soll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß, „wo sie ihre Briefe laͤßt. Hernach will ich sie in „die Comoͤdie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder „sie an einen Ort bringen, da Musick ist.„ „Jch habe dir eben meine Anschlaͤge gemeldet. „ Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir „eine Probe von der argwoͤhnischen Vorsichtig- „keit ihrer Fraͤulein erzaͤhlet. Sie siegelt jeden „Bief erst mit zwey Oblaten zu, sticht in die „Oblaten, und druͤckt alsdenn das Siegel auf die „Oblaten. Vermuthlich sind die Briefe, die sie „empfaͤngt, eben so sorgfaͤltig versiegelt, und sie „eroͤffnet keinen, ehe sie nicht das Siegel besehen „hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom- „men: selbst die Schwierigkeit macht mich neugie- „riger. Jst es nicht zu bewundern, da sie so viel „schreibet, daß nicht ein schlaͤfriger oder sorgloser „Augenblick unser Verlangen erfuͤllet.„ „Du siehest, daß die Partheyen bey unserem „Streit nicht ungleich sind. Wirf mir deswegen „nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache. „Sage nichts von Leichtglaͤubigkeit, denn die „ist gar nicht bey diesem unglaͤubigen Wunder- „Kinde anzutreffen. Bin ich nicht selbst noch ein „jun- „ junges Blut? An ihr Vermoͤgen und Stand „mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur „zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein „Hertz edel ist. Jch habe dir sonsten schon geschrie- „ben, wie ich hierin gesinnet bin. Was die Ge- „stalt anlanget, so bitte ich dich Belford, zwinge „mich nicht unverschaͤmt zu seyn, und stelle selbst zwi- „schen mir und meiner Clarissa eine Vergleichung „an. Was sie unter ihrem Geschlechte ist, das bin ich „vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug „uͤber den wir noch streiten koͤnnen, bestehet in dem „Verstande und in der behutsamen Klugheit: „daruͤber wollen wir auch streiten, und es ausma- „chen, wem der Preis gebuͤhret. „Es ist dieses fuͤr sie und fuͤr mich ein betruͤbtes „Leben, sie muͤßte denn von Natur argwoͤhnisch „seyn. Denn wo dieses ist, so liegt ihr Misver- „gnuͤgen in ihrem Blute, und ist unvermeidlich: „es wird ihr aber auch in dem Falle nichts schaden. „Denn wer von Natur argwoͤhnisch ist, der wird „die Ursachen zum Argwohn selbst erfinden, wo „keine sind: ja meine Schoͤne wird mir dafuͤr ver- „bunden seyn muͤssen, daß ich ihr diese Muͤhe be- „nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe. „Es ist wahr, der ebene und gerade Weg ist „der beste. Allein es ist mir nicht gegeben, auf „ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein- „tzige in der Welt, der die Kruͤmme liebet: es giebt „noch ausser mir viele tausende, die lieber in truͤ- „ben als in stillen Wassern fischen.„ Der Der zweyte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Dienstags den 9 May. B in ich nicht ein ungluͤcklicher Kerl! man ruͤhmt dieses Frauenzimmer, daß es das guͤtigste Hertz von der Welt haben soll, und ich glaubte es ehemahls selbst: allein gegen mich hat sie das aller- haͤrteste Hertz. Niemand hat mich fuͤr verdrießlich im Umgange ausgegeben. Wie ist es moͤglich: ich glaubte wir waͤren dazu gebohren einander gluͤcklich zu machen, allein ich habe mich geirret: es scheint, daß wir einander nur plagen sollen. Jch habe vor, eine Comoͤdie zu schreiben: der Titul ist schon fer- tig, und der ist wie du weißt das halbe Buch: die zanckenden Verliebten. Die Erfindung ist gut; es ist etwas neues und unerwartetes in dem Titul: indessen ist es doch wahr, daß die Liebe gern zancket. Der alte Terentius hat das schon bemerckt, daß wenn Liebhaber sich einmahl zancken, und sich wie- der vertragen, die versoͤhnte Liebe am hitzigsten ist. Dieß ist gantz natuͤrlich. Allein wir zerfallen so oft mit einander, ohne uns ein eintziges mahl zu ver- soͤhnen, und ehe der erste Zanck geendiget ist, gehet so oft der zweite schon wieder an, daß ich das En- de unserer Liebe ohnmoͤglich absehen kann. Allein Schakespeare sagt: Es komme, was da will, Geduld und Zeit kann sich durch rauhe Tage schleichen. Das Das soll mein Trost seyn. Kein Mensch auf Erden kann sein Creutz besser tragen als ich; allein es muß ein Creutz seyn, das ich mir selbst gemacht habe; und eben dieses rechne ich unter meine Vorzuͤ- ge und Tugenden, du magst davon dencken, was du willst. Denn die meisten sind durch ihre uner- meßlichen Begierden, oder dadurch, daß sie kein besseres Gluͤck verdienen, an ihrem Leyden schuld. Jch will nach und nach ein Mensch, wie andere Leute werden, dafuͤr mich noch niemand gehalten hat. Nun mercke auf die Geschichte zu der ich diese Vorrede gemacht habe. Jch war ausser Hause gewesen, und traff bey mei- ner Zuruͤckkunft die Dorcas auf der Treppe an. ‒ ‒ Jst eure Herrschaft auf ihrer Stube? ‒ ‒ Nein! sie ist in dem Speise-Saal: und wenn sie jemahls eine Gelegenheit haben sollen einen Brief zu erhaschen, so muͤssen sie sie jetzt ergreiffen. Denn vor ihren Fuͤssen sahe ich einen Brief liegen, den sie eben ge- lesen haben mußte, weil er er aus einander geschlagen war, und sie beschaͤftiget sich noch jetzt mit andern Briefen. Jch glaube sie hat alles aus der Tasche gezogen; und also wissen sie, wo sie sie kuͤnftig su- chen muͤssen. Jch wollte vor Freuden fast in die Luft springen, und entschloß mich gleich, einen Einfall anzuwenden, den ich schonlaͤngstens gehabt hatte. Jch ging mit einem sehr froͤlichen Gesicht in das Speise-Zim- mer, und unterstand mich, sie, wie sie saß, mit bey- den Armen zu umfassen, unterdessen, daß sie ihre Briefe geschwind in den Schnupftuch band ohne den den Brief zu bemercken, der auf die Erde gefallen war. O meine allerliebste Fraͤulein sagte ich, eben ist Herr Mennell und ich auf einen gluͤcklichen Ein- fall gerathen. Damit ich die Frau Fretchville bewegen moͤchte das Haus bald zu raͤumen, so habe ich versprochen, wenn sie es anders gut finden, den Koch, die Haus-Magd, und zwey Diener ihr ab- zunehmen und sie selbst zu miethen, bis sie auf an- dere Weise versorget sind. Denn sie war wegen dieser Bedienten am meisten besorget. Damit kei- ne Bequemlichkeit fehlen moͤge, so will ich alles Lin- nen-Geraͤthe, das in die Haushaltung gehoͤrt, fuͤr einen billigen Preiß uͤbernehmen. Jch soll so gleich fuͤnf hundert Pfund erlegen, und das uͤbrige bezahlen so bald die Rechnung gefertiget ist. Sie bekommen auf die Weise ein schoͤnes Haus, darin sie wohnen und meine Anverwandten empfan- gen koͤnnen. Diese werden bald bey ihnen seyn, und werden nicht zugeben, daß sie meinen gluͤcklichen Tag allzu lange aufschieben, und damit in keinem Stuͤcke gegen den Wohlstand gesuͤndiget werde, so will ich nicht mit in das neue Haus ziehen, sondern hier bey der Frau Sinclair bleiben und das uͤbrige alles ihrer Guͤtigkeit uͤberlassen. O mein liebstes Kind, ist ihnen dieser Vorschlag nicht gefaͤllig? Jch weiß gewiß, sie nehmen den Vorschlag an. Jch druͤck- te sie hierauf naͤher an mich und gab ihr einen feuri- geren Kuß, als ich mich jemahls unterstanden hatte: ich lies mich aber dennoch nicht durch die Hitze uͤber- nehmen, denn ich setzte den Fuß auf den Brief, und zog ihn vorwaͤrts, damit ich ihn besser erreichen koͤnnte. Sie Sie ward uͤber die Freyheit unwillig, die ich mir nahm. Jch buͤckte mich deswegen und bat um Vergebung; unter dem Buͤcken aber nahm ich den Brief auf, und wollte ihn in den Busen stecken. Bin ich nicht ein Narre, ein Einfalts-Pinsel, ein ungeschickter Kerl, kurtz ein lebendiger Belford! Jch hielt mich fuͤr kluͤger als ich bin. Warum befahl ich der Dorcas nicht, mir in die Stube nach- zufolgen, und den Brief unterdessen daß ich mich an die Fraͤulein machte, aufzuheben? Weil der Brief nicht zusammen geleget war, so konnte ich ihn nicht ohne Geraͤusch beystecken, und meine ploͤtzliche Bewegung hatte ihre Augen schon mit Verdacht erfuͤllet. Sie flog den Augenblick in die Hoͤhe: verraͤtherischer Judas (sagte sie mit fun- ckelnden Augen und mit verworrenem Gesicht) was haben sie von der Erde aufgehoben? Sie machte sich kein Bedencken, den gestohlenen Brief mir mit Gewalt abzunehmen, ob er gleich in meinem Busen steckte: eine Gewaltthaͤtigkeit, die meine Hand in gleichem Falle nicht haͤtte wagen duͤrfen, wenn ich meine Ohren behalten wollte. Was konnte ich weiter thun, als um Vergebung bitten, da sie mich auf der That ertappet hatte? Jch umfassete mit beyden Haͤnden ihre lose Hand, die den geraubten Brief schon wieder hatte: mein liebstes Kind, koͤnnen sie dencken, daß ich gar keine Neugier habe? Sie schreiben bestaͤndig; mir ist keine Schreib- Art angenehmer, als Erzaͤhlungen in Briefen, und in- sonderheit bewundere ich diese Schreib-Art an ihnen: ist es denn Wunder, daß ich vor Verlangen brenne, Vierter Theil. B etwas etwas von einem so angenehmen Briefwechsel zu se- hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer so nahen Hoffnung von ihnen habe? Lassen sie meine Hand los! (sagte sie, und stampfte mit ihren artigen Fuͤssen auf die Erde.) Was un- terstehen sie sich, mein Herr? Nun ‒ ‒ sehe ich ‒ ‒ ich sehe allzu klar ‒ ‒ Mehr konnte sie nicht sagen: sie schnappte erst nach der Luft, und ich dachte, sie wuͤrde vor Schrecken und Eifer sogleich eine Ohn- macht bekommen. Nichts von der angenehmen Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit ist, war in ihrem liebenswuͤrdigen Gesichte oder in ihrer klingenden Stimme wahrzunehmen. Nachdem ich so weit gegangen war, so wollte ich ungern meine Beute wieder fahren lassen; ich er- haschte den zusammen gedruͤckten Brief noch einmahl, Unverschaͤmter Mensch! (sagte sie, und stampfte abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei- ner Ohnmacht schuld seyn moͤchte. Jch hatte hie- bey das Vergnuͤgen, daß sich meine Hand zwischen ihren beyden Haͤnden befand, die sich bemuͤheten, meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe war damahls mein Hertz meinen Fingern! es schlug mir bis an die aͤusserste Spitze jedes Fingers, weil mein allerliebstes Kind (obgleich im Unwillen) so vertraut mit mir umging. So bald sie den Brief hatte, eilete sie der Thuͤr zu. Jch stellete mich in den Weg, schloß die Thuͤr ab, und bat auf die demuͤthigste Weise um Verge- bung. Kannst du glauben, daß der Harlowische Kopf Kopf meines schoͤnen Kindes unbeweglich war, ob ich gleich eine so angenehme Nachricht gebracht hat- te? Sie stieß mich mit Ungestuͤm von der Thuͤr weg, nicht anders als wenn ich eine Feder gewesen waͤre, (es ist mir lieb, daß ich bey einer so unschul- digen Gelegenheit ihre Staͤrcke kennen lerne. Dieses- mahl machte sie der Zorn so starck, und mich machte die Furcht schwach.) lief nach ihrer Wohnstube, (Gott Lob, daß sie nicht weiter fliehen konnte) und schloß und riegelte sich sogleich ein. Jch troͤstete mich damit, daß sie meine kuͤnftige Tod-Suͤnde nicht heftiger wuͤrde ahnden koͤnnen. Jch schlich mit bekuͤmmerten Hertzen auf meine Stube, und weil mein Diener eben nicht bey der Hand war, schlug ich mich verflucht mit beyden Haͤnden vor den Kopf. Mein Kind bleibt jetzt eingeschlossen: es will nichts von mir wissen: es will nicht essen, ja es fasset den Entschluß, mich nie wieder vor Augen zu sehen; niemahls, niemahls wieder in ihrem Leben, will mich die Fraͤulein sehen, wenn sie es vermeiden kann. Jch hoffe, sie wird dazu gesetzet haben: in ihrer jetzigen Gemuͤths-Fassung. Das sollten die lie- ben Kinder immer dazu setzen, wenn sie sich mit ih- ren Dienern zancken, um sich vor dem Meineyd zu bewahren. Glaubst du nunmehr nicht, daß meine naͤchstbe- vorstehende Schelmerey darauf gehen wird, zu ent- decken, warum mein Kind sich uͤber eine so geringe Suͤnde so heftig entruͤstet hat. Denn es wuͤrde B 2 eine eine geringe Suͤnde seyn, wenn die Briefe der bey- den Maͤdchens nicht von Hochverrath gegen mich handeln. Mittewochens fruͤh. Jch habe ihr eben so wenig bey dem Fruͤh-Stuͤck als gestern bey dem Abendessen meine Aufwartung machen duͤrfen. Wenn das Maͤdchen nur dennoch nicht am Ende ein einfaͤltiges Kind ist. Jch habe in des Capitain Mennells Nahmen an sie geschickt: gnaͤdige Frau, der Capitain Mennell laͤßt sei- ne gehorsamste Empfehlung machen ‒ ‒ Nichts will helfen. Sie ist den Jahren nach noch ein Kind: man kann von ihr nicht erwarten, daß sie in allen Stuͤcken ein ‒‒‒ bald haͤtte ich gesagt, ein Salomon seyn soll. Salomon, Bruder, war der weiseste Mann in der Welt: hast du aber je gehoͤrt, welches das weiseste Frauenzimmer in der Welt gewesen ist? Jch habe diese Nachricht noͤthig, damit ich eine Vergleichung mit meinem Kinde an- stellen koͤnne. Von arglistigen Weibern und Hexen lesen wir genug; allein ich glaube Weisheit ist nie eine Eigenschaft dieses Geschlechts gewesen. Man fodert sie gar nicht von ihnen. Es ist wahr, gantze Laͤnder pflegen unter Koͤniginnen gluͤcklicher zu seyn, als unter Koͤnigen. Allein woher kommt das? Die Koͤnigin laͤßt sich von Maͤnnern und der Koͤnig von Weibern regieren. Das ist ein guter Einfall: so entdecken wir endlich, wer in jedem Reiche das Ruder fuͤhret. Und du elender Kerl willst mich daruͤber auslachen, daß ich diesem Geschlecht so ergeben bin? und und daß ich mich in das allervortreflichste Frauen- zimmer sterblich verliebt habe? Doch wir wollen nicht von Weisheit, sondern von List und Klugheit reden; das ist, wir wollen die Frauens-Leute als Frauens-Leute betrachten. Was ist zu thun, wenn sich in dem Gehirn meiner Schoͤnen etwas befindet, daß bey keiner andern Schoͤnen anzutreffen ist? Sie hat einen eigenen Bo- ten nach Wilsons Hause geschickt, und einmahl uͤber das andere befohlen, ihr die Briefe die einlauf- fen werden den Augenblick zuzuschicken. Jch muß nun auf etwas neues dencken. Sie fuͤrchtet sich nicht mehr vor dem Anschlage ihres Bruders. Jch werde mich gar nicht daruͤber wun- dern, wenn Singleton der Fraͤulein Howe, als der einzigen Person die weiß oder wissen kann, wo die Fraͤulein Harlowe sich befindet, seine Aufwar- tung macht, und vorgiebt, daß er ihr grosse und wich- tige Dienste leisten koͤnne, wenn er sie nur ein eintzi- ges mahl sprechen duͤrfte. Der Verdacht wird im- mer entstehen, daß er es mit ihrem Bruder abgere- det habe. Alsdenn wird die Fraͤulein Howe sie warnen, sich zu Hause zu halten, und mein Schutz wird wie- der noͤthig seyn. Jch hoffe, daß dieses Mittel sei- ne gute Wirckung haben wird. Alles was Fraͤu- lein Howe saget, das findet bey meiner Schoͤnen Eingang. Joseph Lehman ist in ihren Augen ein abscheulicher Mensch, der alles thut und saget was ich ihm befehle. Joseph, der ehrliche Jo- seph (wie ich ihn zu nennen pflege) mag sich nun- B 3 mehr mehr aufhaͤngen, wenn er Lust dazu hat. Jch ha- be ihn genug gebraucht, und habe ihn kuͤnftig fast gar nicht mehr noͤthig. Was brauche ich immer bey einerley Art der Schelmerey zu bleiben, da mir mein Kopf alle Stunden eine neue eingiebt? Schilt mich nicht daruͤber, daß ich mein Pfund auf eine solche Art anwende: wer ein solches Pfund hat, muß es nicht ohne Wucher liegen lassen. Auf! ich muß einen Singleton ausfinden, das ist es alles! Jch will gleich einen haben! ‒ ‒ Wilhelm! Mein Herr! Ruffe mir den Augenblick deinen Vetter, den Paul Wehatly, der eben von der See gekom- men ist, den du mir einmahl vorschlugest, wenn ich mich verheyrathete, und ein Lust-Schiff halten wollte. Gut! Wilhelm ist schon hin. Paul wird bald hier seyn. Er soll gleich nach der Fraͤulein Howe gehen. Er dienet nunmehr auf Single- tons Schiff, (auch den Dienst will ich vergeben) wenn er nun von seinem Capitain geschickt wird, so ist es eben so gut, als wenn Singleton selbst kaͤme. Der kleine Teuffel, die Sara, wirft mir oft vor, daß ich so langsahm zu Wercke gehe. Allein sind nicht bey einer Comoͤdie die vier ersten Auftrit- te die lustigsten? ist nicht beynahe alles vorbey, wenn wir an den fuͤnften Auftritt kommen? Daß muͤßte ein Geier vom Kerl seyn, der noch um seine Beute herum flieget, und in demselben Augenblick stiesse und auffraͤsse. Doch Doch die Wahrheit zu gestehen, ich bin zu listig fuͤr mich selbst gewesen. Jch wollte mich in Sicher- heit setzen, allein das Mittel war schaͤdlich; denn ich habe das liebe Kind durch meine vier Hottentot- ten scheu gemacht, und es wird Zeit dazu gehoͤren, ehe ich das verlohrne wieder gewinne. Das ver- dammte Gesindel zu Harloweburg hat sie gegen mich, gegen sich, gegen die gantze Welt, muͤrrisch gemacht, die eintzige Fraͤulein Howe ausgenom- men: und diese vermehret ohne Zweifel meine Schwierigkeiten taͤglich. Jch kann mich auch nicht entschliessen, mich zu den Mitteln zu erniedrigen, zu denen mich die Furien unsers Hauses bestaͤndig reitzen; sonderlich da ich gewiß weiß, daß mein Kind doch endlich auf eine rechtmaͤßige Art die Mei- nige wird. Wenn es eine vollstaͤndige Versuchung uͤberstanden hat, so will ich ihm auf eine rechte edle Art Gerechtigkeit widerfahren lassen. Paul Wheatly ist schon weg! schon abgeschickt! hat alle Verhaltungs-Befehle! Ein kluger Kopf! Er war dem Lord W. in den geheimsten Umstaͤnden bedient, ehe er zur See gieng. Er ist aufgeweckter als Lehman, und giebt nicht so viel von Schwer- merey und Gewissen vor als jener. Wie theuer mußte ich den Joseph kauffen! ich mußte erst sein Gewissen und denn den Kerl selbst bezahlen. Jch muß den Schelm zuletzt strafen: allein vorher mag er heyrathen. Das ist zwar schon Strafe genug, allein weil ich ihn fuͤr zwey gekauffet habe, so will ich auch in ihm zwey Leute abstraffen, den B 4 Kerl Kerl und die Frau. Wie sehr verdient Elisabeth eine Zuͤchtigung fuͤr ihr Betragen gegen meine Goͤttin! Jetzt eben gehet die Thuͤr meiner Geliebten auf, und die rostrigen Thuͤr-Angel ruffen mich durch ihr Knarren. Mein Hertz antwortet ihnen, und knar- ret und schlaͤget ebenfalls. Ein alberner Einfall! Denn was fuͤr Gleichheit hat das Herz eines Ver- liebten mit ein Paar alten Thuͤr-Angeln, die knarren, weil sie lange nicht geschmiert sind? Doch diese Thuͤr-Angeln eroͤffnen und schliessen das Schlaaf-Ge- mach meines Kindes: ist das nicht genug? Die Thuͤr geht wieder zu. Jch hoffe, daß sie mich einiger Befehle wuͤrdigen wird. Warum ge- het sie so fremde mit mir um? Sie muß doch die Meinige werden, wenn ich mich noch so schwer an ihr versuͤndige. Wenn ich einmahl Hertz bekom- me, oder zeige, daß ich Hertz habe, so wird alles in einer Stunde voruͤber seyn. Denn wenn sie auch meint, daß sie aus diesem Hause entkommen koͤnn- te, so weiß sie doch keinen Ort, dahin sie ihre Zuflucht nehmen darf. Jhre Eltern, ihre Onckels wollen sie nicht aufnehmen: ihre liebe Frau Norton muß sich nach jenen richten, und darf ihr keine Zuflucht in ihrem Hause verstatten: die Fraͤulein Howe wird es sich auch nicht unterstehen: in London hat sie keinen Freund ausser mir, ja sie ist gantz unbe- kannt in London. Warum soll sich denn das liebe Kind unterstehen, so strenge, so gebieterisch mit mir umzugehen? Wenn es die Ohnmoͤglichkeit mir zu entkommen einsaͤhe, so wuͤrde es gegen mich eben eben so demuͤthig seyn, als gegen seine grausamen Verwandten. Wenn ich auch den letzten Sturm wagen und ab- geschlagen werden sollte, so kann doch ihr Haß, den sie daruͤber gegen mich fasset, nicht von langer Dauer seyn. Sie hat sich schon in den Augen der Welt tadelhaft gemacht, und sie muß die Meinige werden, wenn sie den Laͤsterungen dieser unverschaͤmten Welt entgehen will. Denn wer kennet mich, und wird glauben, daß sie noch eben so rein sey als vorhin, wenn ich sie nur vier und zwanzig Stunden in mei- ner Gewalt gehabt haͤtte? Man wird zum wenig- sten ihren Leib vor befleckt halten, wenn ihr Gemuͤth gleich rein geblieben waͤre. Das menschliche Hertz ist uͤber dieses so schelmisch, daß beyde Geschlechter andere nach sich beurtheilen. Jedermann wird glau- ben, daß die Neigung eines Frauenzimmers eben eine so grosse Verfuͤhrerin sey, als ich ein Verfuͤh- rer bin, sonderlich wenn ein junges Frauenzimmer in der besten Bluͤte so viel Liebe fuͤr die Manns- Person hat, daß sie mit ihr durchgehen kann: denn so muß ein jeder ihre Flucht erklaͤren. Sie ruft die Dorcas. Jch soll vermuthlich ihre angenehme Stimme hoͤren, und Gelegenheit bekommen, mein Herz vor ihren Fuͤssen auszuschuͤt- ten, alle meine Geluͤbde und Eyd-Schwuͤre zu er- neuern, und von ihr die Vergebung meiner bisheri- gen Suͤnden zu empfangen. Mit wie vielem Ver- gnuͤgen will ich ein neues Kerb-Holtz anfangen, und mir von neuen meine Suͤnden vergeben lassen. Die- ses soll etliche mahl geschehen, bis ich endlich die B 5 letzte letzte Tod-Suͤnde begehe. Wenn sie mir alsdenn noch einmahl vergiebet, so sind zugleich alle kuͤnfti- gen und moͤglichen Suͤnden vergeben. Die Thuͤr ist schon wieder abgeschlossen. Jch hatte der Dorcas befohlen, sie das naͤchste mahl, da sie sie wieder saͤhe zu bitten, daß sie mir erlauben moͤchte diesen Mittag bey ihr zu speisen. Jn Gna- den abgeschlagen! jedoch hat sie es dieses mahl hoͤflich abgeschlagen. Es scheint, sie will nach und nach wieder naͤher kommen. Das ehrliche Kammer-Maͤd- chen saget mir in der Sprache ihrer Haus-Mutter: ich wuͤrde nichts ausrichten, wenn ich nicht den Haupt- Sturm wagte. Jch sinne schon auf den Haupt- Sturm, ich mache schon Anstalten dazu. Allein mein verfluchtes Hertz widerspricht mir und haͤlt mich fuͤr einen Narren. Jch schliesse meinen Brief, obgleich meine Felsen-harte Beherrscherin mich wei- ter nichts thun laͤßt, als schreiben, lesen und mich aͤrgern. Wir pflegen uns nicht nach der gewoͤhnlichen Art zu unterschreiben. Wenn wir es aber auch thaͤten, so bin ich meinem Kinde so ergeben, daß ich dir und andern ohnmoͤglich melden kann, wie wenig ich bin Dein ergebener Diener. Der dritte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Dienstags den 9ten May. Wenn W enn Sie es billigen, daß ich mich an meinen Onckle, Anton Harlowe wende, so wuͤnschte ich, daß es je eher je lieber geschehen moͤch- te. Wir sind von neuem auf das aͤusserste zerfal- len, und ich habe mich eingeschlossen, daß er nicht zu mir kommen kann. Diese Beleidigung ist nicht so ausserordentlich groß: und dennoch ist sie in an- derer Absicht sehr groß. Er haͤtte beynahe einen von Jhren Briefen bekommen. Es soll mir dieses zur Warnung dienen: ich will kuͤnftig in keinem Zimmer Briefe uͤberlesen oder schreiben, in welches er zu kommen berechtiget ist. Jndessen hat er kei- ne Zeile, gewiß nicht eine einzige Zeile von Jhrem Briefe gelesen. Seyn sie also nicht unruhig, und verlassen Sie sich darauf, daß ich kuͤnftig vorsichti- ger seyn werde. Die Sache verhielt sich also. Die Sonne stand auf meinem Closet, und Herr Lovelace war aus- gegangen ‒ ‒ Hier folget eine ausfuͤhrlichere Nachricht davon, daß Herr Lovelace sie unvermuthet uͤberfallen habe. Allein ihre Reden und sein dreistes Betragen werden eben so erzaͤhlet, als er es selbst erzaͤhlet hatte. Jch werde hierdurch mehr und mehr uͤberzeuget, daß ich mehr in seiner Gewalt bin, als ich wuͤn- sche, und daß es fuͤr mich nicht rathsam ist, laͤn- ger bey ihm zu bleiben. Wenn mir meine Freun- de nur einige Hoffnung geben wollen ‒ ‒ Unterdessen aber muß ich mich bemuͤhen zu verhuͤten, daß un- ser Streit nicht geschlichtet werde: eine Bemuͤhung, die ich in meinem Leben noch nie uͤbernommen habe, und und bey der ich mir selbst veraͤchtlich bin, weil ich einen Endzweck dabey habe, den ich nicht gestehen darf. Dieses ist eine von den Folgen, die sich selbst zugezogen hat, und die nunmehr zu spaͤte bereuet Jhre Cl. Harlowe. Der vierte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Mittewochens den 10 May. J ch billige Jhren Entschluß ungemein. Sie sollen den Menschen verlassen, wenn ihr On- ckle Jhnen einige Hoffnung zur Aussoͤhnung mit den Jhrigen macht. Seit zwey Stunden habe ich so viel glaubwuͤrdige Nachrichten von seiner Auffuͤh- rung gehoͤret, daß ich ihn fuͤr den abscheulichsten und gefaͤhrlichsten Feind unseres Geschlechts halten muß. Jch versichere Jhnen, wenn er ein zehnfaches Leben haͤtte, so koͤnnten noch wol zwantzig Uebelthaten un- begangen seyn, und er wuͤrde dennoch schon verdient haben, sein zehnfaches Leben zu verlieren; wenn das anders wahr ist, was ich gehoͤrt habe. Wenn Sie sich noch einmahl so weit erniedrigen, vertraut mit ihm zu reden, so fragen Sie ihn doch um die Jungfer Betterton, und was es mit der fuͤr ein Ende genommen hat. Und wenn er mit der Sprache Sprache nicht heraus will, so erkundigen Sie sich nach der Jungfer Lockyer. Mein Schatz, der Mensch ist ein Ertz-Boͤsewicht. Jch will mich unter der Hand erkundigen lassen, wie ihr Onckle gesinnet ist, und zwar alsobald. Al- lein ich bin wegen eines gluͤcklichen Erfolgs in Sor- gen. Jch habe manche Gruͤnde hierzu. Man kann zwar zum voraus schwerlich sagen, wie viel es bey einigen Leuten ausrichten wuͤrde, wenn Sie dem großvaͤterlichen Testament entsagten: allein ich kann ohnmoͤglich zugeben, daß Sie dieses thun, wenn Ernst aus der Sache wird. Da Jhre Hannichen noch kranck ist, so wuͤnschte ich, daß Sie die Dorcas zu gewinnen suchten. Sind Sie etwan allzuscheu und argwoͤnisch gegen sie, und haben Sie ihr hievon, ohne es zu dencken, Zei- chen gegeben? Jch wuͤnschte, daß Sie einen von seinen Brie- fen in die Haͤnde bekommen koͤnnten. Ein so fluͤch- tiger Mensch kann nicht immer auf seiner Huth seyn. Jst es aber ohnmoͤglich ihn zu uͤberfallen, und koͤn- ne Sie Jhr Maͤdchen nicht dazu gebrauchen, so sind beyde mir schon verdaͤchtig. Lassen Sie ihn ohnversehens abruffen, wenn er eben im Schreiben begriffen ist, oder wenn er Briefe um sich liegen hat, und machen Sie sich alsdenn seine Nachlaͤßigkeit zu Nutze. Jch gestehe gern, daß dieses eben so gehandelt ist, als wenn wir in einem Wirths-Hause alle Win- ckel durchsuchen, und nachsehen, ob ein Spitz-Bu- be verborgen stecke, da wir doch vor Furcht ausser uns uns kommen wuͤrden, wenn wir einen ansichtig wer- den sollten. Jndessen ist es doch besser den Spitz- Buben gewahr zu werden, da wir noch wachen, als daß er uns in den Schlaf uͤberfallen sollte. Jch freue mich daß Sie Jhre Kleider haben ‒ ‒ Allein kein Geld! ‒ ‒ Keine Buͤcher! ‒ ‒ als den Spira, den Drexelius und das thaͤtige Christen- thum! Die Leute, die diese Buͤcher aussuchten, haͤtten wohl gethan, wenn sie das letzte fuͤr sich be- halten haͤtten. ‒ ‒ Allein ich muß hieran nicht viel gedencken. Sie haben mich durch die Nachricht in grosse Un- ruhe gesetzt, daß er sich bemuͤhet hat, einen von mei- nen Briefen zu bekommen. Jch habe Nachricht, daß er der Anfuͤhrer von einer Bande abscheulicher Boͤsewichter ist, zu welcher Bande vermuthlich die vier Leute auch gehoͤrten, in deren Gesellschaft er Sie brachte. Diese suchten unschuldige Frauenzimmer zu verfuͤhren, und wenn dieses geschehen ist, gebrau- chen sie Gewalt, einander zu beschuͤtzen und in Sicher- heit zu setzen. Wenn er wuͤßte, daß ich so frey von ihm schreibe, so wuͤrde ich mich nicht unterstehen, allein einen Fuß uͤber die Schwelle zu setzen. Es thut mir leyd, daß ich Jhnen die Nachricht geben muß, daß Jhr Bruder seine alberne Anschlaͤ- ge vermuthlich noch nicht fahren laͤßt. Jetzt eben war ein Kerl bey mir, der wie ein Matrose aussahe, und gantz von der Sonne verbrannt war, der vorgab, daß der Capitain Singleton Jhnen grosse Dien- ste zu leisten im Stande sey, wenn er sie nur ein ein- tziges mahl zu sprechen bekommen koͤnnte. Jch stellete mich mich als wuͤßte ich nicht, wo Sie waͤren. Der Kerl war mir zum Auslocken zu klug. Jch habe mich zwey Stunden lang der Thraͤ- nen nicht enthalten koͤnnen, nachdem ich Jhren letz- ten Brief und die Beylage von dem Obristen Mor- den gelesen hatte. Mein allerliebster Schatz, ge- ben Sie sich selbst nicht verlohren, und erlauben sie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol- gen darf, den ihr eine Freundschaft giebt, Sie auf- zurichten, die unserer beyder Hertzen so verbunden hat, als wenn wir nur Ein Hertz haͤtten. Jch wundere mich nicht uͤber die niedergeschla- genen und tiefsinnigen Gedancken, die Jhnen bis- weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und verleitet sind beyfallen, und die Sie mit in Jhre Briefe einfliessen lassen. Es ist dieses ein solches Schicksaal, daraus wir lernen muͤssen, wie bloͤde alle Klugheit der Menschen ist. Jch wuͤnsche mit Jhnen, daß wir beyde uns auf unsere Vorzuͤge vor andern weniger eingebildet, und sie an uns nicht er- kannt haben moͤchten. Doch ich will die Feder zu- ruͤck halten. Wie geneigt sind wir, bey jedem aus- serordentlichen Zufall ein goͤttliches Gericht zu su- chen? Jn so fern thun wir zwar recht daran, als es billiger ist, uns und unsere besten Freunde anzu- klagen als die goͤttliche Vorsicht, die gantz gewiß weise Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß. Allein schreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern Jhres Geschlechts nur zur Warnung gereichen wuͤr- den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung sondern auch zum Vorbilde vorgestellet werden koͤn- nen; nen; und eben deswegen wird ihre Geschichte bey allen die sie hoͤren einen desto groͤssern Eindruck ha- ben. Denn wenn so ausserordentliche Vorzuͤge, als Sie besitzen, eine verwilderte Manns-Person nicht bewegen koͤnnen, Jhnen aufrichtig und edel zu be- gegnen, so wird kein Frauenzimmer eine auch nur mittelmaͤßige Ehrlichkeit von Leuten dieser Art er- warten koͤnnen. Wenn Sie glauben, daß Sie ohne Entschuldi- gung sind, weil Sie einen Schritt gethan haben, der es moͤglich machte, daß Herr Lovelace Sie hintergehen konnte, ob Sie gleich nicht die Absicht hatten mit ihm davon zu gehen: was werden denn solche liederliche Maͤdchens von sich halten muͤssen, die ohne gleiche dringende Ursachen, und ohne auf den Wohlstand zu sehen, uͤber die Mauren klettern, sich aus den Fenstern herunterlassen, oder sich sonst aus ihrer Eltern Hause wegstehlen, und den ersten Tag ihrer Flucht mit dem Verfuͤhrer zu Bette gehen? Wenn Sie sich deswegen anklagen, daß Sie dem Verbot der haͤrtesten Eltern ungehorsahm ge- wesen sind, ob es gleich zu Anfang nur ein halbes Verbot war: was sollen denn diejenigen sagen, die ihre Ohren vor den vernuͤnftigsten Warnungen ih- rer Eltern verstopfen, da sie doch wahrscheinlich oder mit Gewißheit zum voraus sehen koͤnnen, daß ihre Uebereilung ungluͤckliche oder unanstaͤndige Fol- gen haben werde? Endlich werden sie allen, die von Jhren Um- staͤnden etwas erfahren, ein unvergleichliches Bey- spiel der Wachsamkeit und der Vorsichtigkeit seyn, dadurch dadurch ein kluges Frauenzimmer, welches gefehlt zu haben glaubt, seinen Fehler wieder gut zu machen suchet, und ohne jemahls seine Pflicht aus den Augen zu setzen, sich bemuͤhet, den richtigen Weg wieder zu finden, den es ohne sein Wissen verlohren hat. Ueberlegen Sie dieses, meine allerliebste Freun- din, und behalten Sie ohne zu verzagen den Vorsatz, daß Sie Jhre vermeinten Fehler wieder gut machen wollen. Vielleicht ist es dennoch am Ende kein Ungluͤck, daß Sie gefehlet haben, nachdem Jhr Wille nicht den geringsten Antheil an dem Fehler genommen hat. Jch brauche die Ausbruͤcke, verfuͤhren und fehlen, nicht als meine eigenen Ausdruͤcke, sondern nur deswegen, weil Sie sich selbst anklagen, und weil ich mich sonst gern nach Jhren Meinungen und Einsichten richte. Denn in meinem Hertzen glaube ich, daß ihre gantze Auffuͤhrung sich ent- schuldigen laͤßt, und daß blos die Leute anzuklagen sind, die sich dadurch zu entschuldigen suchen, daß sie Jhnen alle Schuld beymessen. Jch glaube aber dem ohngeachtet, daß alles Jhr kuͤnftiges Vergnuͤgen durch dergleichen niedergeschla- gene Gedancken allzusehr gemaͤßiget werden wird, wenn Sie den Herrn Lovelacen nehmen, und an ihm dem besten Mann haben sollten. Ehe Sie ihn kannten, waren Sie ungemein gluͤcklich, und bey- nahe gluͤcklicher, als es Menschen in diesem Leben erwarten sollen. Jedermann betete Sie an. Der Neid selbst, der sich jetzt unterstehet, sein giftiges Haupt zu erheben, ward durch Jhre allzu grossen Vierter Theil. C und und in die Augen fallenden Vorzuͤge zum Stillschwei- gen und zur Bewunderung gezwungen. Sie waren gleichsam die Seele in allen Gesellschaften. Wie oft habe ich gesehen, daß solche, die aͤlter waren als Sie, ihr Urtheil zuruͤck hielten, bis Sie geredet hatten, um nicht den Verdruß zu haben, daß sie sich selbst Unrecht und Jhnen Recht geben muͤßten. Bey allem diesem machte Jhr angenehmes Wesen, Jhre Freundlichkeit, und Jhre Demuth, daß Jhnen je- dermann willig und ungeheuchelt Recht gab, und Jhre unleugbaren Vorzuͤge ohne Verdruß erkannte. Denn andere sahen, daß sie selbst sich nicht dadurch herunter setzten, wenn sie sich Jhnen nachsetzten, und daß Sie nicht daruͤber stoltz wurden, noch sich mer- cken liessen, daß Sie sich kenneten. Denn jedes- mahl sagten Sie etwas, das selbst denen gefiel, die nachgeben mußten, und das jene nicht beschaͤmete, ob sie gleich den Preis nicht erhielten. So oft von schoͤner Arbeit geredet ward, gedach- te man Jhrer, oder man zeigte Jhre Arbeit als ein Muster. So oft ein anderes Frauenzimmer wegen seiner Arbeitsamkeit, Einsicht in Haushaltungs-Sa- chen, Belesenheit, Schreib-Art, Gedaͤchtnisses und Geschicklichkeit alles zu lernen, gelobet ward, so ward es Jhnen doch nur nachgesetzet, wenn man Sie kannte. Eben dieses geschahe auch, wenn von Ge- stalt und artiger Kleidung die Rede war, welches Lob sonsten das Frauenzimmer einander am meisten zu misgoͤnnen pflegt. Alle Jhre Schritte wurden von den Armen mit Seegens-Wuͤnschen begleitet: die Reichen machten sich sich eine Ehre daraus, daß Sie reich waren, und waren hochmuͤthig daruͤber, daß sie mit zu der Gat- tung von Leuten gehoͤren durften, deren Rang durch Sie geehret ward. Obgleich jedermanns Wuͤnsche auf Sie in Jhrer fruͤhesten Jugend gerichtet waren, so wuͤrde sich doch niemand unterstanden haben auf Sie zu hoffen, oder Jhnen unter Augen zu kommen, wenn nicht die Jhrigen aus niedertraͤchtigen Absichten Jhren Freyern Hoffnung gemacht haͤtten. So gluͤcklich waren Sie, und so gluͤcklich mach- ten Sie alle, die um Sie waren. Konnten Sie hoffen, daß dieses Gluͤck unverfinstert bleiben wuͤrde, und daß Sie durch keinen unangenehnen Zufall uͤberzeuget werden wuͤrden, daß Sie noch in dieser Welt sind? Mußte nicht ein solcher Zufall kom- men, wenn Sie glauben sollten, daß Sie noch nicht gaͤntzlich vollkommen waͤren, und nicht ohne Ver- suchung und Leyden, die Bahn dieses Lebens zuruͤck legen koͤnnten? Jch muß gestehen, daß kein Leyden oder keine Versuchung, die Jhres Widerstandes wuͤrdig ge- wesen waͤre, Sie fruͤher oder nachdruͤcklicher haͤtte uͤberfallen koͤnnen, als diese. Allen gemeinen Zu- faͤllen waren Sie uͤberlegen. Es mußte ein blos zu diesem Zweck geschaffener Mensch, oder ein noch aͤrgerer Geist in menschlicher Gestalt zu Jhrer Ver- suchung in die Welt geschicket werden. Unterdessen mußten eben so viel boͤse Geister, als Koͤpfe in Jh- rer Familie sind, Erlaubniß bekommen, von den Hertzen der Jhrigen Besitz zu nehmen, und mit dem, C 2 der der Sie von aussen versuchte, ein Verstaͤndniß zu machen, damit Sie durch diese Verschwoͤrung end- lich moͤchten genoͤthiget werden, die gefaͤhrliche Un- terredung mit ihm anzustellen. Es scheint daher, wie ich oft gesagt habe, Jhr Fehler (wenn ich es anders einen Fehler nennen soll) ein Schluß des Schicksahls zu seyn, welches Sie andern zum Vorbilde in Jhrem Leyden vorstel- len wollte, und Sie nicht so geschickt hiezu fand, wenn Sie niemahls gefehlet haͤtten. Denn, mein Schatz, im Ungluͤck sind Sie am schoͤnsten und am groͤssesten. Alle Jhre widrigen Umstaͤnde dienen zur Entdeckung solcher Schoͤnheiten, die verborgen geblieben seyn wuͤrden, wenn Sie das Gluͤck bestaͤndig genossen haͤtten, das Sie von der Wiegen an begleitete; ob Sie gleich dieses Gluͤck vollkommer verdieneten, und es so wohl zu tragen wußten, daß es Jhnen auch neue Schoͤnheiten mittheilen mußte. Jch bedauere hiebey nichts, als daß die Versu- chung Jhnen beschwerlich ist. Jch fuͤhle eben so viel davon als Sie; und alle diejenigen leyden da- bey, die Sie geliebet haben, und die glaubeten, daß Sie ihnen zum Vorbilde, welches sie nachahmen und bewundern sollten, vorgestellet waͤren, und nun sehen muͤssen, daß Sie das Ziel sind, auf welches der Neid seine Pfeile verschiesset. Schlagen Sie das nicht in den Wind, was ich Jhnen geschrieben habe. Wenn die Einbildungs- Kraft aufgebracht wird, so fangen wir alle an be- geistert zu werden und Gesichter zu sehen. Da nun Jhre Anna Howe bey Ueberlesung Jhres Briefes findet, findet, daß sie eine hoͤhere und ungewoͤhnliche Schreib- Art angenommen hat, so glaubt sie beynahe, daß dieses goͤttliche Eingebungen sind, dadurch ihre nie- dergeschlagene Freundin getroͤstet und aufgerichtet werden soll; die vielleicht durch die Versuchungen, welche sie so fruͤhzeitig uͤberfallen, allzusehr gedemuͤ- thiget und muthlos gemacht wird, in der Daͤmme- rung fortzugehen, auf welche ein heiterer Tag folget: Jch will nichts weiter hinzu thun, als dieses, daß ich bin Jhre ewige ergebene und getreue Anna Howe. Der fuͤnfte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Freytags den 12ten May. J ch muß zu dem Lobe stille schweigen, dadurch ich nur gedemuͤthiget werde, weil ich es mir bewußt bin, daß ich es nicht verdiene, ob mich gleich Jhre guͤtige Absicht, die Sie dabey haben, troͤstet und muthig macht: denn es ist sehr angenehm, von denen, die wir lieben, hochgeschaͤtzet zu werden, und zu er- fahren, daß einige Freundschaften staͤrcker sind als alle Ungluͤcks-Faͤlle, und sich nicht blos nach Leib, Blut, und Verwandschaft richten. Mein Ungluͤck mag mich groͤsser oder kleiner machen; so bin ich doch davon versichert, daß Sie nie groͤsser und C 3 schoͤner schoͤner sind als bey dem Ungluͤck Jhrer Freundin. Jch wuͤrde beynahe unrecht thun, wenn ich mich uͤ- ber das Leyden beschwerte, dadurch Sie Gelegenheit bekommen sich zu zeigen, und nicht allein Jhrem Geschlecht, sondern so gar der menschlichen Natur Ehre zu bringen. Allein ich muß auf unangenehmere Dinge kom- men. Es thut mir leyd, daß Sie glauben, die Sache mit dem Singleton sey noch nicht zu Ende. Wer weiß zwar, was der Schiffer zu sagen hatte? Jedoch, wenn es etwas gutes gewesen waͤre, so wuͤrde man es anders angefangen haben. Verlassen Sie sich darauf, daß Jhre Briefe si- cher seyn sollen. Jch habe mir die neuliche Dreistigkeit des Herrn Lovelaces so zu Nutze gemacht, als ich Jhnen zum voraus meldete: nemlich dazu, daß ich ihn von mir entfernen moͤchte, damit ich die Wuͤrckung meiner Bitte bey meinem Onckle erwarten, und eine jede guͤnstige Gelegenheit, die sich zur Aussoͤhnung zei- get, ergreiffen koͤnne. Er ist sehr ungestuͤm und unruhig gewesen, und hat zweymahl den Herrn Mennell mitgebracht, der im Nahmen der Frau Fretchville wegen des Hauses reden wollte. Wenn ich mich noch einmahl mit ihm vertragen muß, so glaube ich, daß ich mich auf immer dadurch her- unter setzen werde. Sie gedencken einiger Verbrechen, die auf das neue entdeckt seyn sollen; Sie rathen mir, daß ich mir die Dorcas zur Freundin machen, und suchen soll hinter seine Briefe zu kommen. Auf diese Sa- chen chen werde ich mehr oder weniger dencken muͤssen, nachdem wie die Antwort von meinem Onckle aus- faͤllt. Es thut mir leyd, daß sich Hannichen noch uͤbel befindet. Jch bitte Sie, erkundigen Sie sich an meiner statt, ob sie an etwas Mangel leydet. Jch will diesen Brief nicht schliessen, bis der morgende Tag vorbey ist, denn ich bin entschlossen in die Kirche zu gehen, so wohl um meine Andacht zu haben, als zu sehen, ob ich ausgehen darf ohne be- gleitet und bewachet zu werden. Sonntogs den 14ten May. Jch habe einen kurtzen Wortwechsel mit Herrn Lovelacen nicht vermeiden koͤnnen. Jch hatte eine Kutsche bestellet, und so bald ich hoͤrete, daß sie vor der Thuͤr waͤre, ging ich aus meiner Stube, um wegzufahren. Allein ich traf ihn schon gantz angezogen obgleich ohne Hut und Degen oben auf der Treppe an, da er ein Buch in der Hand hatte. Er fragte mich ungemein ernsthaft und dennoch ehrerbietig ob ich ausfahren wollte. Als ich hiezu Ja sagte, bat er sich aus, daß er mich begleiten duͤrfte, wenn ich in die Kirche fuͤhre. Jch schlug ihm dieses ab. Hierauf beschwerte er sich heftig uͤber meine Auffuͤhrung gegen ihn, und sagte er moͤchte nicht noch eine solche Woche uͤberleben, als die vori- ge gewesen waͤre, wenn er auch die gantze Welt da- mit verdienen koͤnnte. Jch gestand ihm offenhertzig, daß ich mich an die Meinigen gewandt haͤtte, und so lange vor mich blei- ben wollte, bis ich den Erfolg meiner Bitte saͤhe. C 4 Er Er verwandelte sich, und sahe bestuͤrtzt aus. Er wollte etwas sagen, begrif sich aber mitten in der Rede, und stellte mir hierauf die Gefahr wegen Singletons vor, und bat mich abermahls, daß ich ihm erlauben moͤchte, mit mir zu fahren. Er sagte hierauf: die Frau Fretchville wollte nun noch vierzehen Tage laͤnger in dem Hause bleiben, weil sie gemerckt haͤtte, daß ich mich zu nichts gewisses entschliessen wollte. Nun moͤchte GOtt wissen, wenn es die tiefsinnigen Einfaͤlle dieser Frau zuliessen, daß sie sich zu etwas entschloͤsse. Dieses ist eine ungluͤck- liche Woche fuͤr mich gewesen: wenn ich anders mit ihnen gestanden haͤtte, so koͤnnten sie schon von dem Hause Besitz genommen haben, und die Fraͤu- lein Montague oder wol gar die Frau Lawrance wuͤrde bereits bey ihnen seyn, und ihnen Gesellschaft leisten. Jch will das (antwortete ich) fuͤr lauter Wahr- heiten annehmen, was sie sie sagen; und warum kann denn ihre Fraͤulein Base mir nicht in der Frau Sinclair Hause Gesellschaft leisten? Jst dieses Haus fuͤr mich gut genug, ein oder zwey Monathe darin zu bleiben, und ihre Anverwanden koͤnnen nicht einige Tage darin zubringen? ‒ ‒ Frau Fretchville verlangt nun noch laͤnger in dem Hause zu bleiben? ‒ ‒ Hierauf draͤngte ich mich vor ihm vorbey, und ging so geschwinde ich konnte die Treppe hinunter. Er rief Dorcas, daß sie ihm Hut und Degen bringen sollte, folgete mir unterdessen nach, stellte sich mir in den Weg, und bat mich abermahls um Er- laubniß, mich zu begleiten. Frau Sinclair kam kam denselbigen Augenblick heraus, und fragte mich, ob ich nicht eine Tasse Chocolate befoͤhle? Jch sagte: ich wollte wohl bitten, Frau Sin- clair, daß sie den Herrn mit sich in die Stube naͤh- men, und ihm Chocolate vorsetzten. Jch weiß nicht, ob ich Erlaubniß habe oder nicht ohne ihn aus dem Hause zu gehen. ‒ ‒ Jch fragte ihm hierauf: ob er mich fuͤr seine Gefangene hielte? Dorcas brachte ihm unterdessen Hut und De- gen, und er eroͤffnete die Thuͤr nach der Strasse, und fuͤhrete mich wider meinen Willen auf eine sehr hoͤfliche und ergebene Art in den Wagen. Die Leute die vorbey giengen, sahen ihn an, und redeten sachte. Doch er hat so viel ausserordentliches in der Gestalt, und ist so wohl gekleidet, daß er gemei- niglich aller Augen auf sich ziehet. Mir war es ungelegen, daß ich mich von allen Vorbeygehenden besehen lassen mußte. Er setzte sich nach mir in die Kutsche, und der Kutscher fuhr nach S. Pauls- Kirche. Er war unterweges sehr beredt und geschaͤftig: ich hingegen war so stille, als es mir moͤglich war, und speisete auch des Mittags allein, wie ich bey- nahe die gantze Woche hindurch gethan hatte. Als ich ihm meldete, daß ich ohne ihn die Mit- tags-Mahlzeit halten wollte, so antwortete er: er muͤs- se noch gehorsahm seyn, bis ich erfuͤhre, was ich bey den Meinigen ausrichten koͤnnte; allein nachher wollte er mir nicht versprechen, mir einen Augen- blick Ruhe zu lassen, bis ich seinen Freuden-Tag bestimmet haben wuͤrde. Denn meine Verachtung, C 5 mein mein Zorn, mein Aufschub verdroͤssen ihn bis in die Seele. Was fuͤr ein haͤßlicher Mensch! Zu meinem Kummer muß ich sagen, daß er auf doppelte Wei- se an allen dem schuld ist, was ihn verdriesset. Wenn ich doch gute Nachricht von meinem On- ckle bekaͤme! Leben Sie wohl, liebste und beste Freundin. Dieser Brief lieget und wartet auf Jhren morgen- den Brief, gegen den er ausgewechselt werden soll, und aus dem ihr Schicksahl sehen wird Jhre Clarissa Harlowe. Der sechste Brief von Fraͤulein Howe an Frau Judith Norton. Donnerstags den 11ten May. K oͤnnen Sie nicht, als aus eigenem Triebe, und ohne zu sagen, daß ich es Jhnen ange- geben habe, weil ich dem Harlowischen Hause ver- haßt bin, der Frau Harlowe erzaͤhlen, Sie haͤtten von ohngefehr von mir zuverlaͤßige Nachricht be- kommen, daß die Fraͤulein Harlowe sich nach ei- ner Aussoͤhnung mit ihren Eltern sehnet, und eben in dieser Absicht sich bisher in keine Verbindungen hat einlassen wollen, die hieran hinderlich seyn koͤnn- ten: daß sie insonderheit dem Herrn Lovelace nicht gern ein Recht geben wollte, ihrer Familie wegen ihres ihres grosvaͤterlichen Gutes Ungelegenheit zu machen: daß sie weiter nichts verlanget, als die Freyheit, un- verheyrathet zu bleiben, und daß sie in dieser Absicht es blos dem Willen ihres Vaters uͤberlassen wolle, was fuͤr Verfuͤgungen wegen ihres Gutes getroffen werden sollten; daß Herr Lovelace und die Seini- gen ihr bestaͤndig anliegen, die Hochzeit zu beschleu- nigen: daß sie aber, (wie ich gewiß wuͤßte) zu den Menschen wegen seiner Untugenden und wegen des Hasses der Jhrigen gegen ihn so wenige Nei- gung haͤtte, daß sie ihm gaͤntzlich entsagen, und sich in ihres Vaters Schutz begeben wuͤrde wenn nur einige Hoffnung zur Verfoͤhnung vorhanden waͤre. Allein man muͤsse sich bald zu etwas entschliessen, weil sie sich sonst gezwungen sehen wuͤrde, seinen Bitten Gehoͤr zu geben, und es nachher nicht mehr in ihrer Gewalt haben wuͤrde, einen verdrießlichen Proceß zu hintertreiben. Jch versichere Jhnen heilig, daß die unvergleich- liche Fraͤulein nichts davon weiß, daß ich jetzt an Sie schreibe: deswegen muß ich Jhnen, allein im Vertrauen, die Ursachen melden, die mich bewegen, es zu thun. Es sind folgende: Sie hat gewuͤnscht, daß Herr Hickman derglei- chen etwas gegen ihren Onckle Harlowe als von ohngefehr sagen moͤchte, und zwar so, als wenn er es aus eigenem Triebe thaͤte. Denn sie befuͤrchtet, daß Herr Lovelace etwas davon wieder erfahren koͤnnte, und, wenn sie ihrer Bitte nicht gewaͤhret wuͤrde, sie sich endlich alles Schutzes beraubet sehen, und noch mehr verdriesliches von ihm zu gewarten ha- haben moͤchte, da er ein hochmuͤthiges Hertz hat, und schon bisher sehr ungehalten daruͤber gewesen ist, daß er so wenige Gunst von ihr erlangen kann. Da ich so viel Erlaubniß von ihn habe, und sehr in Sorgen bin, daß der Versuch bey ihrem Onckle fruchtlos seyn moͤchte, so habe ich gedacht, daß an einem gluͤcklichen Ausgange beynahe nicht zu zwei- feln sey, wenn eine so guͤtige und verstaͤndige Mut- ter und Mutter-Schwester mit ihrem Onckle (wo anders dieser zu gewinnen waͤre) gemeinschaftliche Sache machten. Herr Hickman wird morgen dem Herrn Har- lowe zusprechen, und um eben die Zeit koͤnnen Sie auch vielleicht die Frau Harlowe sprechen. Wenn Herr Hickman findet, daß der alte Herr nicht abge- neigt ist, so wird er ihm sagen, daß Sie vermuthlich von eben der Sache mit der Frau Harlowe geredet haben wuͤrden, und wird ihn bitten sich mit ihr daruͤ- ber zu berathschlagen, durch was fuͤr Mittel die haͤrte- sten Hertzen in der Welt erweichet werden sollen. So stehet es um die Sache, und ich habe Jhnen die Ursachen recht offenhertzig gemeldet, die mich be- wegen an Sie zu schreiben. Jch uͤberlasse das uͤbri- ge Jhrer Vorsichtigkeit und Klugheit, und wuͤnsche desto hertzlicher einen gluͤcklichen Erfolg, weil ich glaube, daß Herr Lovelace unserer unvergleichlichen Freundin ohnmoͤglich werth seyn koͤnne: wiewohl ich in der That gar keine Manns-Person kenne, die ihrer werth ist. Jch bitte Sie um ein Paar Zeilen Nachricht, wie Jhre Bitte aufgenommen werden wird. Wenn sie sie nicht den Erfolg hat, den wir billig hoffen sollten, so soll unsere allerliebste Freundin von mir nicht erfahren, daß wir diesen Schritt gewaget haben; und ich bitte Sie, melden Sie ihr auch nichts da- von, damit wir nicht ihr so bekuͤmmertes Hertz noch mehr betruͤben. Jch verbleibe Jhre ergebenste Freundin Anna Howe. Der siebente Brief von Frau Norton an Fraͤulein Howe. Sonnabends den 13ten May. Gnaͤdige Fraͤulein, M ein Hertz moͤchte mir bluten, da ich Jhnen melden muß, daß die jetzigen Umstaͤnde in der Familie meiner ewig werthen Fraͤulein Harlo- we nicht erlauben einige gute Hofnung von der Wuͤr- ckung einer solchen Bitte zu schoͤpfen. Jhre arme Mutter ist zu bedauren. Jch habe einen sehr be- weglichen Brief von ihr bekommen; allein es ist mir nicht erlaubt ihn zu uͤbersenden: sie verbietet mir so gar, mich mercken zu lassen, daß sie von ihrer Tochter geschrieben hat, ob sie gleich nicht unterlassen kann ihren Kummer zur Beruhigung ihres eigenen Hertzens mit mir zu theilen. Jch melde also alles dieses im groͤssesten Vertrauen. Jch hoffe zu GOtt, daß die Ehre meiner lieben Fraͤulein noch unverletzt ist. Jch hoffe, daß kein solcher solcher Boͤsewicht in der Welt ist, der es wagen soll- te, sie zu entweihen. Jhre Tugend und ihres Hertzens wegen bin ich ausser Sorgen: wenn nur GOtt geben wollte, daß sie ausser Gefahr waͤre, durch List oder durch Gewalt uͤberwunden zu werden! Jch bin allzu aͤngstlich: machen Sie mir, gnaͤdige Fraͤulein, das Hertze durch eine Zeile (wenn es auch weiter nichts als eine eintzige Zeile seyn sollte (leich- ter, und versichern Sie mir, daß ihre Ehre noch unbefleckt ist. Jch weiß gewiß, daß Sie dieses thun koͤnnen: irre ich mich aber, so gebe ich allem Vergnuͤgen dieses Lebens gute Nacht. Es wird alsdenn untroͤstbar seyn Jhre gehorsamste Dienerin die ungluͤckliche Judith Norton. Der achte Brief von Fraͤulein Howe an Frau Judith Norton. Sonnabend Abends den 13ten May. D ie Ehre Jhrer allerliebsten Fraͤulein ist noch unverletzt: sie soll und wird auch unverletzt bleiben, Menschen und Teuffeln zum Trotz. Meine gantze Absicht war, daß sie den Lovelace nicht heyrathen sollte, wenn einige Hoffnung zur Ver- sohnung uͤbrig waͤre. Nun aber kann man weiter nichts sagen, als dieses: sie muß es wagen eine un- gluͤckliche Ehe zu treffen, obgleich kein Mensch auf dem Erdboden sie zu besitzen wuͤrdig ist. Sie Sie bedauren ihre Mutter: das thue ich nicht! ich bedaure keine Person, die es sich selbst ohnmoͤg- lich macht ihre Tochter muͤtterl i cher Liebe oder Men- schen-Liebe zu erzeigen, um sich in dem Besitz einer so genannten Ruhe zu erhalten, die doch nicht lange waͤhren kann, sondern durch jedes Luͤftgen gestoͤret werden muß, ja die nicht einmahl den Nahmen der Ruhe verdienet. Jch hasse alle Tyrannen, von welcher Art sie auch seyn moͤgen: allein gegen tyrannische Eltern habe ich den allergroͤssesten Widerwillen, denn diese muͤssen gar nicht wissen, was Mitleyden ist. Jch wiederhole es nochmahls, ich bedaure keinen in der gantzen Familie. Jhre und meine Fraͤulein verdienet allein Mitleiden. Sie wuͤrde sich nicht in den Haͤnden dieses Menschen besinden, wenn sie nie in den Haͤnden der Jhrigen gewesen waͤre: sie ist gantz unschuldig. Sie wissen noch nicht, wie die gantze Sache zusammen haͤngt. Wie? wenn ich Jhnen sagen koͤnnte, daß sie gar nicht die Absicht ge- habt hat mit dem Menschen davon zu gehen. Doch dieses wuͤrde der Fraͤulein nichts helfen; es wuͤrde blos eine Anklage gegen die seyn, die sie so weit ge- trieben haben, und gegen den, der jetzt ihre eintzige Zuflucht ist. Jch verbleibe Jhre aufrichtige Freundin und Dienerin Anna Howe. Der neunte Brief von Frau Harlowe an Frau Norton. Die (Dieser Brief ist nicht eher bekannt' gewor- den, als da die Briefe gesammlet wurden, die zu dieser Geschichte gehoͤren.) Sonnabends den 13 May. J ch will das schriftlich beantworten, was Sie an mich gebracht hat, wie ich es Jhr gestern versprochen habe. Allein lasse Sie sich gegen nie- mand mercken, daß ich geschrieben habe, auch nicht gegen die Elisabeth, die, wie ich hoͤre, bisweilen zu Jhr koͤmmt. Mein ungluͤckliches Maͤdchen muß auch nichts davon wissen: ich bedinge mir dieses so gleich aus. Mein Hertz ist voll von Kummer: vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch werde auch manches schreiben, das mir auf dem Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung Jhres Antrages nichts zu thun hat. Sie weiß, wie lieb wir alle dieses undanckbah- re Maͤdchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit allen denen, die sie gesehen hatten, oder mit ihr umgin- gen, sie gemeinschaftlich lobeten und bewunderten. Wir uͤberschritten so gar in unserm Lob die Grentzen, welche uns die Bescheidenheit zu setzen schien, weil es unser eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß man uns fuͤr blinde Leute oder fuͤr Heuchler halten wuͤrde, wenn wir den Vorzuͤgen unserer Tochter, die einem jeden in die Augen fielen, unser Lob ver- saget haͤtten; wir glaubten zum wenigsten nicht, daß man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit wuͤrde beschuldigen koͤnnen, wenn wir das saͤhen, wovor wir die Augen nicht verbergen koͤnnten. Wenn Wenn uns jemand wegen unserer Tochter gluͤck- dich prieß, so nahmen wir es an, und gestunden, laß keine Eltern durch ihre Kinder gluͤcklicher werden koͤnnten als wir. Wenn insonderheit ihr Gehorsam geruͤhmet ward, so sagten wir, sie wuͤßte gar nicht, wie sie uns beleydigen sollte. Wenn andere ruͤhmten, die Fraͤulein Clarissa Harlowe haͤtte mehr Witz und Scharfsinnigkeit, als man von ihren Jahren erwarten koͤnnte, so leugneten wir es nicht allein nicht, sondern wir setzten noch wohl gar dazu: ih- re Beurtheilungs-Kraft sey eben so groß als ihr Witz. Wenn ihre Klugheit und Vorsichtigkeit ge- ruͤhmet ward, dadurch sie nach jedermanns Urtheil den Mangel der Erfahrung und der Jahre reichlich ersetzte, so waren wir wol so hochmuͤthig, daß wir antworteten: niemand duͤrfte sich schaͤmen von un- serer Tochter zu lernen. Vergebe Sie mir mein Geschwaͤtz, meine liebe Frau Norton. Doch ich weiß, Sie wird es thun: denn so lange meine Clarissa ein gutes Kind gewesen ist, war sie Jhr Kind, und sie gereichte Jhr so wohl als mir zur Ehre. Hat Sie nicht bisweilen gehoͤrt, daß Fremde stille stunden, und diesen Engel (wie sie meine Clarissa nannten) bewunderten, wenn sie nach der Kirche ging? und daß die, die sie kannten, weiter nichts sagten, als: es ist ja die Fraͤulein Clarissa Harlo- we! nicht anders, als wenn die Fraͤulein Clarissa Harlowe einem jeden bekannt seyn muͤßte. Sie war des Lobes schon so gewohnt, und es war mit ihr so bekannt geworden, daß weder in ihrem Gesicht Vierter Theil. D noch noch Gange daruͤber eine Aenderung zu spuͤren war. Jch vor mein Theil konnte mich eines Vergnuͤ- gens nicht enthalten, das vielleicht allzu nahe mit dem Hochmuth verwant war, so oft ich als Mutter eines so liebenswuͤrdigen Kindes angeredet ward. Mein Mann und ich bekamen einander desto lieber, weil wir ein gemeinschaftliches Antheil an dieser Toch- ter hatten. Sie muß dem Ueberfluß eines muͤtterlichen Her- zens noch mehr dergleichen Lobes-Erhebungen, die vielleicht Thorheiten sind, zu gute halten. Jch woll- te gern bestaͤndig daran gedencken, was sie ehemahls war, wenn ich nur uͤber dieser Erinnerung vergessen koͤnnte, was sie jetzund ist. So jung als sie war, so konnte ich ihr doch allen meinen Kummer anvertrauen. Jch war zum vor- aus versichert, daß ich von ihrer Klugheit Rath und Trost bekommen wuͤrde, und zwar dieses auf eine so bescheidene und demuͤthige Art, daß der Unter- scheid der Jahre, und das Verhaͤltniß, darinnen ei- ne Tochter gegen eine Mutter stehet, im geringsten nicht dadurch verletzet ward. Ausser Hause gereichte sie uns zur Ehre, und in dem Hause zum Vergnuͤ- gen. Jedermann war recht geitzig auf ihre Gesell- schast, und wir zanckten uns beynahe uͤber sie mit mei- nes Mannes Bruͤdern, und mit meiner Schwester. Wir hatten keinen andern Streit, als wer das naͤchste mahl ihre Gesellschaft geniessen solte. Sie hat uns nie schelten hoͤren, als wenn wir auf eine verliebte Wei- se deswegen scholten, weil sie sich so lange von uns entfer- entfernete, um sich bey ihrem lobenswuͤrdigen Zeit- Vertreib zu beschaͤftigen, oder in der Haushaltung allerhand nuͤtzliche Anstalten zu machen. Unsere uͤbrigen Kinder, die auch gute Kinder wa- ren, mußten nothwendig mercken, daß sie ihr nach- gesetzt wuͤrden. Allein sie waren so lebhaft davon uͤberzeuget, daß ihre Schwester wahre Vorzuͤge vor ihnen besaͤsse, und ihrer Familie zur Ehre gereichte, daß sie dieses ohne Neid gestanden. Es kam ihr in der That niemand so nahe, daß er sich unterstan- den haͤtte sie zu beneiden: hoͤchstens stellete man sie sich zur Nachahmung vor. Sie weiß, daß uns dieses Kind einen Vorzug vor andern Familien zu- wege brachte: allein nachdem sie uns verlassen, und so schimpflich verlassen hat, so sind wir unseres Schmu- ckes beraubet, und andern Familien gleich gewor- den. Was fuͤr Geschicklichkeit hatte sie durch Fleiß erworben! wie geschickt war sie in der Musick! was machte sie fuͤr schoͤne Arbeit! wie unvergleichlich ver- stand sie sich auf die Kleidung! Ward sie nicht hieruͤber so bewundert, daß das benachbarte Frau- enzimmer sagte: man brauche sich die Moden nicht von London zu verschreiben, sondern das sey die beste Mode, die die Fraͤulein Harlowe truͤge, weil sie etwas natuͤrlich-schoͤnes an sich haͤtte, das alle Kunst uͤbertraͤfe. Jhr ungezwungenes freyes We- sen! Jhre Gestalt! Jhre Belesenheit! Jhr offen- hertziges Wesen: Jhre Freundlichkeit und Beschei- denheit! O meine liebe Frau Norton, was fuͤr ein Kind hatte ich ehemahls an meiner Claͤrchen! D 2 Sie Sie weiß, daß ich nicht mehr als die Wahrheit schreibe. Vieles gute hatte sie Jhr allein zu dan- cken, und Sie floͤßte ihr das mit der Milch ein, was ihr keine andere haͤtte einfloͤssen koͤnnen. Kann Sie glauben, daß die muthwillige Ver- gehung eines solchen Kindes Vergebung verdienet? Kann Claͤrchen selbst leugnen, daß sie die haͤrteste Strafe verdienet, nachdem sie so ausserordentliche Gaben so schlecht gebraucht hat? Jhre Suͤnde ist recht mit Vorbedacht und mit List von ihr begangen worden. Sie hat jedermann in seiner Erwartung betrogen. Sie hat ihr gan- tzes Geschlecht so wohl, als ihre Familie beschim- pfet. Wer haͤtte glauben sollen, daß ein Kind, wel- ches durch seinen Rath eine allzu muntere Freundin abgehalten hatte einen naͤrrischen und liederlichen Kerl zu heyrathen, daß, sage ich, eben dieses Kind mit dem allerliederlichsten Kerl und beruͤchtigsten Boͤsewicht davon gehen wuͤrde? mit einem Men- schen, den es kannte, und wußte daß er aͤrger war als jener, vor dessen Lastern es seine Freundin warne- te? mit einem Schlaͤger, der das Leben seines Bru- ders einmahl in seiner Gewalt gehabt hatte, und der unserer gantzen Familie trotzete? Setze Sie sich an meine Stelle, und uͤberdencke Sie, wie groß mein Kummer seyn muß, den ich als Mutter empfinde, und wie vielen Verdruß ich von meinem Manne auszustehen habe. Stelle Sie sich meine unruhigen Tage und schlaflosen Naͤchte vor; und dennoch muß ich oft meine quaͤlende Unruhe ver- verbergen, um andere hitzigere Koͤpfe zu beruhigen und ferneres Ungluͤck zu verhuͤten. O das unarti- ge Maͤdchen! das nicht aus Unwissenheit suͤndigte, sondern die Folgen seines Vergehens uͤbersahe. Wir dachten, unsere Tochter wuͤrde eher gestorben seyn, als daß sie sich zu dergleichen Vergehungen entschlossen haͤtte. Jhr Verstand, den jedermann kennet, macht sie ohne Entschuldigung. Wie kann ich ihr denn bey andern das Wort reden, wenn ich gleich selbst fuͤhle, daß ich ein Mutter-Hertz habe, und ihr vor mein Theil gern vergeben wollte? Sind nicht wir, ist sie selbst nicht durch ihre Flucht schon so beschimpft wor- den, als wir und sie jemahls durch sie beschimpft wer- den koͤnnen? Wenn sie jetzt so schlecht mit seiner Auffuͤhrung zu- frieden ist, so haͤtte sie vorhin eben so schlecht damit zu- frieden seyn sollen! Oder hat sie etwan selbst Proben von seinem lasterhaften Betragen an sich erfahren? Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, meine liebe Frau Norton ‒ ‒ Wenn sie auch ein Engel waͤre, so muͤßte man doch wegen des Menschen in Sorgen stehen, in dessen Klauen sie sich befindet. Die Welt wird das schlimmste dencken, und ich hoͤre schon, daß die Leute sehr uͤbel reden sollen. Jhr Vater ist gleichfalls be- sorget: ihr Bruder hoͤrt nicht viel Gutes von ihr. Was kann ich bey solchen Umstaͤnden ausrichten? Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menschen gesinnet waren, und wie lasterhaft er ist: dieses koͤn- nen also ihre Bewegungs-Gruͤnde nicht seyn. Es muͤssen neue Ursachen vorhanden seyn. O meine liebe D 3 Frau Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die Furcht ertragen, die dieser Gedancke nothwendig er- wecket? Das ist meine, das ist Jhre Claͤrchen! Sie schreibet: er und seine Freunde liegen ihr bestaͤndig an, daß sie ihn heyrathen moͤge. Sie muß gewiß Ursachen haben, daß sie sich an uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller- hand Anmerckungen gemacht, um es in unsern Au- gen noch schwaͤrtzer vorzustellen. Wie weit verliert sich endlich ein verfuͤhrtes Hertz von der rechten Bahn, wenn es einen suͤndlichen Schritt gewaget hat? ‒ ‒ ‒ Ueber dieses alles wird jetzt nur durch Fremde bey uns angefraget, damit der Eigensinn und Stoltz unserer Tochter ja nicht gekraͤncket werden moͤge, und sie immer sagen koͤnne, sie habe sich nicht an uns gewandt! Ein vor allemahl, so ist jetzt gantz die unrechte Zeit, wenn ich auch geneigt waͤre, mich ihrer anzu- nehmen. Jetzt, sage ich, nachdem mein Bruder Harlowe das Gesuch des Herrn Hickmans abge- wiesen hat, (wie er uns gestern Abend erzaͤhlete) und dieses von jedermann gebilliget ist: jetzt, da mein Bruder Anton eben aus Verdruß uͤber sie sich ent- schlossen hat, sein grosses Vermoͤgen an eine andere Familie zu bringen. Und bey dem allen wird sie noch ohne Zweifel erwarten, in den Besitz ihres Gu- tes gesetzt, und fuͤr ihre Suͤnde des Ungehorsams belohnt zu werden. Sie erbietet sich noch immer zu Bedingungen, die schon ehemahls verworffen sind: (nicht aus meiner Schuld! dessen giebt mir mein Gewissen Zeugniß.) Sie Sie mag selbst aus allem was ich schreibe eine Antwort geben, wie sie sich zu den Umstaͤnden am besten schicket. Es stehet alle Ruhe und alle ver- gnuͤgte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich es jetzt wage, ein Wort fuͤr sie zu reden. GOtt ver- gebe ihr ihre Suͤnde. Wenn ich gleich fuͤr sie spre- chen wollte, so werde ich niemand auf meiner Seite haben. Um mein selbst und um Jhres eigenen Vortheils willen lasse Sie ja niemand erfahren, daß wir von dieser Sache geredet oder Briefe gewechselt haben. Schreibe Sie auch kuͤnftig nichts mehr davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein gantzes Hertz blutet mir, wenn ich solche Briefe lesen muß. Glaube Sie indessen nicht, daß ich unerbittlich bin, wo ich wahre Reue sehe. Allein wie betruͤbt ist es, gern zu wollen und nicht zu koͤnnen. GOtt gebe Jhr und mir Trost und Beruhigung, und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn welche Mutter kann ihr Kind vergessen) meiner ewig lieben Claͤrchen gebe er Reue, recht hertzliche Reue! und so weniges Leyden, als nach seiner Weisheit moͤglich ist. Dieses wuͤnscht Jhre wahre Freundin Charlotte Harlowe. Der zehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Sonntags den 4ten May. D 4 Jch J ch weiß nicht, wie die Sachen jetzt zwischen Jh- nen und Herrn Lovelacen stehen: allein so gottlos der Mensch ist, so ist er dennoch bestim- met, ihr Herr und Oberhaupt zu werden. Jch habe in meinem vorigen Briefe manches an- zuͤgliche gegen ihn geschrieben, weil ich eben von sei- nen Bosheiten gehoͤrt hatte, und deswegen voller Unwillen auf ihn war. Allein nachdem ich mich be- dacht, und auch erkundiget habe, so finde ich, daß alle diese Streiche schon alt sind, und er seit der Zeit, daß er eine staͤrkere Hoffnung auf Jhre Guͤtigkeit hat setzen duͤrfen, nichts von solchen Bosheiten veruͤbet hat. Dieses dient einigermassen zu seiner Entschul- digung. Seine rechtschaffene und artige Auffuͤh- rung gegen das Maͤdchen in dem Wirths-Hause ist neuer, und bringt ihm Ehre: dessen nicht zu geden- cken, daß er von allen Bedienten als freygebig und großmuͤthig geruͤhmt wird. Es gefaͤllt mir auch ungemein wohl, daß er Jhnen das Haus der Frau Fretchville zu verschaffen suchet, und so lange selbst in der bisherigen Miethe bleiben will, bis es Jhnen beliebig ist, ein Haus mit ihm zu beziehen. Wenn Sie einmahl seine Gemahlin geworden sind, so glaube ich nicht, daß Sie bey ihm sehr uͤble Zeit haben werden, ob ich gleich nicht glaube, daß Sie so gluͤcklich seyn werden, als Sie es verdienen. Die Guͤter, die er in seinem Vater-Lande hat; seine Anwartschaften; die Sorgfalt die er anwendet, das Seinige beysammen zu behalten; der Umstand, daß er frey von Schulden ist; ja sein Hochmuth und Jhre ausserordentlichen Vorzuͤge; scheinen Jhnen Jhnen zum voraus manches gute oder ertraͤgliche zu versprechen. Jch werde zwar gegen ihn aufge- bracht, wenn ich einige besondere Umstaͤnde von seinen Gottlosigkeiten hoͤre. Allein wenn ich es recht uͤberlege, so finde ich keine neue Anklage gegen ihn, sondern eben das, was der abgedanckte Verwalter und die Frau Greme schon laͤngstens uͤberhaupt von ihm gesagt haben. Jch glaube daher, daß Sie weiter keinen Kum- mer haben duͤrfen, als den Jhnen seine ewige Wohlfarth, und das boͤse Exempel das er seiner Familie geben moͤchte, erwecken kann. Es sind dieses wichtige Ursachen zum Kummer: allein es wuͤrde in jedermanns Augen ein sonderbares An- sehen haben, wenn Sie ihn jetzt mit oder ohne sei- ne Bewilligung verliessen, da seine Familie so vor- nehm ist, und er selbst so vieles angenehme an sich hat, und jetzt jedermann Sie wegen dieser Umstaͤnde und wegen der wunderlichen Auffuͤhrung Jhrer An- verwanten fuͤr entschuldiget haͤlt. Jch habe alles nach bestem Vermoͤgen uͤberleget, und ich kann nicht anders, als Jhnen rathen, an eine naͤhere Verbin- dung mit ihm zu gedencken, wenn Sie anders kei- ne Ursache haben an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. Die Rache muͤsse den Boͤsewicht in Zeit und Ewig- keit verfolgen, wenn er Jhnen Anlaß zu einem sol- chen Zweifel giebt. Sein Zaudern und Taͤndeln ist unertraͤglich. Jch kann mich auch gar nicht darein finden, daß er sich mit Jhren kaltsinnigen Verzoͤgerungen abweisen laͤßt, und sich darein schicket, daß Sie um einer geringen D 5 Suͤnde Suͤnde willen so sproͤde gegen ihn thun, die nach seiner Einsicht eine so harte Strafe nicht verdienen kann. Er scheint an Jhrer Liebe zu zweifeln; al- lein Sie haben eben so grosse Ursache, es sich be- fremden zu lassen, daß er nicht hitziger lieber, da er einen so ungemeinen Schatz in einer solchen Naͤhe hat, daß er gleichsam nur zugreiffen duͤrfte. Sie werden nun begierig seyn, den Ausgang der veranstalteten Unterredung der beyden bewußten Herrn zu erfahren. Jch bin voll Unmuth und Betruͤbniß, aber auch voll Widerwillen gegen alle die Jhrigen: gegen alle, sage ich; denn ich habe auch einen Versuch gethan, was durch die Frau Nor- ton bey Jhrer Mutter auszurichten stuͤnde, und habe durch sie Vorschlaͤge von eben der Art thun lassen, als der bewußte Herr Jhrem Onckle gethan hat. Unmenschen, die eben so vorsatzlich Unmenschen sind, und sich nicht erbitten lassen, etwas von Mensch- lichkeit zu fuͤhlen, sind in der Welt zu finden. Wa- rum soll ich das Unrecht bemaͤnteln? Jch haͤtte sonst grosse Lust, bey Jhrer Mutter eine Ausnahme zu machen. Jhr Onckle behauptet: daß Sie jetzund nicht mehr waͤren, was Sie gewesen sind. Er sagt: er muͤsse das aͤrgste bey einem solchen Maͤdchen be- sorgen, das sich haͤtte entschliessen koͤnnen, mit einer Manns-Person davon zu gehen, und zwar mit ei- ner solchen Manns-Person als Herr Lovelace ist. Alle die Jhrigen haͤtten laͤngstens erwartet, daß Sie sich an Sie wenden wuͤrden, so bald Sie in dem dem Ungluͤck waͤren: allein der Entschluß sey schon zum voraus gefasset, nicht einen Schritt zu Jhrem Besten zu thun, wenn man auch Jhr Leben dadurch retten koͤnnte. Mein allerliebster Schatz, entschliessen Sie sich, auf Jhr Recht zu dringen. Fodern Sie Jhr Gut wieder, und wohnen Sie darauf. Wenn Sie als- denn Lovelacen nicht heyrathen, so sehe ich schon im Geiste zum voraus, wie kriechend die Jhrigen werden werden, um die Bedingungen von Jhnen zu erbetteln, die Sie jetzt selbst angetragen haben. Jhr Onckle beschuldigte Sie, eben so wie Jhre Base in ihrem Briefe gethan hat, daß Sie vorsaͤtz- lich davon gegangen waͤren, und allerhand listige Anstalten zur Flucht gemacht haͤtten. Als die ver- mittelnde Person Sie bedauren wollte, so ward ihr geantwortet: die waͤren zu bedauren, die ehemahls so verliebt in Sie gewesen waͤren, die sich uͤber nichts mehr als uͤber Jhre Gegenwart gefreuet haͤtten, die alle Jhre Worte gleichsam hintergeschlucket haͤtten; die sich gefreuet haͤtten, ihren Fuß auf die Stelle zu setzen, auf die Sie ihn gesetzt haͤtten: und was der- gleichen Ausdruͤcke noch mehr waren. Jch sehe nun unwidersprechlich ein, und Sie selbst werden es nicht leugnen koͤnnen, daß sie wei- ter nichts als Eins waͤhlen koͤnnen. Je eher Sie diese Wahl treffen, desto besser ist es. Oder soll ich glauben, daß es nicht mehr in Jhrem Vermoͤ- gen stehe, sie zu treffen? Der Gedancke ist mir un- ertraͤglich. Jch Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren, wie Sie es anfangen werden, weniger sproͤde gegen ihn zu thun, nachdem Sie bisher so hart gegen ihn gewesen sind, und wie sich sein Hochmuth bey dieser Gelegenheit an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen sagen: wenn ich durch eine Reise nach London Jhnen den Verdruß ersparen kann, sich so tief her- unter zu lassen, oder wenn ich gar dadurch groͤsserem Ungluͤck vorbeugen kann, so wuͤrde ich mich nicht ei- nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach der gantzen Welt, wenn ich sie gegen unsere Freund- schaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieses Lebens angenehm seyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich durch dessen Aufopferung das Ungluͤck einer solchen Freundinn, als Sie sind, haͤtte abwenden oder erleich- tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an, als die billigsten Fruͤchte der Freundschaft, zu wel- cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent- schuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken also hitzig seyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei- ner Entschuldigung, wenn es in seiner Freundschaft hitzig ist. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An- verwanten von Sinnen kommen. So viel schlim- mes ich Jhnen schon gemeldet habe, so behalte ich doch das schlimmste noch fuͤr mich, und werde es ver- muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich uͤber den kleinen Geist meiner Mutter, und daß sie bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder- traͤch- traͤchtig, hochmuͤthigen Lovelace bin ich recht erbit- tert. Allein wir muͤssen uns doch herunter lassen, und den Menschen nehmen, so gut er ist, weil es einmahl ihr Schicksahl ist, sich herunter zu lassen, damit Sie unsere Erd-Buͤrger nicht gantz aus dem Gesichte verlieren. Er hat sich gegen Sie noch nicht unanstaͤndig aufgefuͤhret. Er darf sich es auch nicht unterstehen! ein solcher Teuffel ist er noch nicht. Wenn er uͤble Absichten gehabt haͤtte, so wuͤrde Jhr scharfes und wachsames Auge, und Jhr reines Hertz sie laͤngstens entdecket haben, da Sie so sehr in sei- ner Gewalt sind. Wir wollen suchen den Menschen zu retten, ob uns gleich die Finger schmutzig werden, wenn wir ihn aus dem Koth heben wollen. Eine Person von Jhren Mitteln, und die so freye Haͤnde hat, kann noch manches thun, wenn sie sich auf die Bedingungen einlassen will, auf welche Sie sich einlassen muͤssen. Jch habe noch nicht gehoͤret, daß er von Ehestiftung und Trauschein geredet hat. Es ist zwar etwas hartes: allein da ihr Ungluͤck sie aller andern Vorsprache und Vormundschaft beraubet hat, so muͤssen Sie bey sich selbst Vater-Mutter- und Onckles-Stelle vertreten, und selbst das noͤthi- ge besorgen. Warlich Sie muͤssen das thun! Jhre Umstaͤnde erfodern es. Warum wollen Sie jetzt noch der Bloͤdigkeit Raum lassen? Oder soll ich an Jhrer Stelle an ihn schreiben? allein das wuͤrde eben so viel seyn, als wenn Sie selbst schrieben. Jch wollte Jhnen so gar rathen zu schreiben, wenn Sie Jhr Wort nicht uͤber die Zunge bringen koͤnnten. Am besten ist es, wenn Sie es muͤndlich sagen koͤn- koͤnnen: denn Worte lassen keine Zuͤge nach sich, sondern verfliegen in die Lufft, und man kann ih- nen nachher eine weitlaͤuftige Deutung geben. Was aber geschrieben ist, das bleibt geschrieben. Jch kenne Jhr sittsames Hertz, Jhren liebens- wuͤrdigen Hochmuth, und Jhre Begriffe von der Wuͤrde unsers Geschlechts. Allein dieses alles kommt jetzt nicht in Betrachtung. Um Jhrer eigenen Ehre willen ist es noͤthig, daß Sie jetzt weniger an die- se Wuͤrde und an das, was sich fuͤr ein Frauenzim- mer schickt, gedencken. Wenn ich an Jhrer Stelle waͤre, so wollte ich zwar den albernen Menschen in meinem Hertzen has- sen, weil er so niedertraͤchtig hochmuͤthig ist, und sei- ne kuͤnftige Frau zwingen will um ihn anzuhalten. Allein ich wollte ihn dennoch anreden, und sagen: „Herr Lovelace, ihnen habe ich es zu dancken, „daß ich von allen Freunden in der Welt verlas- „sen bin. Wie soll ich sie ansehen? Jch habe „alles wohl uͤberleget: sie haben mich gegen eini- „ge Leute wider meinen Willen fuͤr verheyrathet „ausgegeben: hingegen wissen andere, daß ich noch „unverheyrathet bin, und ich verlange nicht, daß „jemand anders von mir dencken solle. Koͤnnen „sie selbst glauben, daß es mir zur Ehre gereichet, „wenn wir in einem Hause beysammen sind? Sie „haben mit mir von dem Hause der Frau Fretchvil- „le geredet:„ (dieses wird Gelegenheit geben, die vorigen Unterredungen hievon zu erneuren, wenn er nicht von freyen Stuͤcken davon anfaͤnget.) „Al- „lein was ist mir mit dem Hause gedient, wenn „Frau „Frau Fretchville selbst nicht weiß, was sie thun „oder lassen will? Sie haben viel davon geredet, „daß sie mir die Gesellschaft der Fraͤulein Mon- „tague verschaffen wollten: und sie koͤnnen ja an „diese Fraͤulein schreiben, wenn sie um meines „Bruders und um Singletons willen es nicht „wagen wollen, selbst zu ihr zu reisen um sie ab- „zuholen. Jch verlange ein vor allemahl, daß „sie diese zwey Stuͤcke in das klare bringen, da- „mit ich weiß, woran ich bin. Ja! oder Nein! „soll mir beides lieber als die Ungewißheit, und „eines so lieb als das andere seyn. Eine solche Erklaͤrung wuͤrde Sie weiter bringen. Wenn Sie einem andern in gleichen Umstaͤnden ei- nen Rath geben sollten, so wuͤrden Jhnen Mittel und Wege genug beyfallen. Sein Hochmuth wird es nicht zulassen, daß er vorgebe, er muͤsse jemanden zu Rathe ziehen. Er wird sich also deutlicher erklaͤ- ren muͤssen: und so bald er das thut, so seyn Sie an keinem Auffchub schuld. Setzen Sie ihm einen, und zwar einen nahe bevorstehenden Tag. Es wuͤrde Jhren Vorzuͤgen und Jhrer Ehre nachthei- lig seyn, wenn Sie sich auch nur stelleten, als ver- stuͤnden Sie ihn nicht, und zweifelten, was seine Mei- nung sey, fals er sich nicht deutlich genug erklaͤrete: es wuͤrde sich also nicht schicken, daß Sie warteten, bis er eine deutlichere Erklaͤrung von sich gaͤbe, dar- uͤber ich ihn mein Lebenlang hassen und verachten wuͤrde, wenn sie noͤthig waͤre, und er nicht in der ersten Bitte deutlich genug redete. Zweymahl haben Sie zum wenigsten aus Bloͤdigkeit eine solche Ge- legen. legenheit fahren lassen, die sie billig haͤtten ergreiffen sollen: vielleicht ist es noch oͤfter geschehen. Wenn sich keine recht gute und ungesuchte Gelegenheit fin- det, von der Ehestiftung zu reden, so uͤberlassen Sie das seiner eigenen Großmuth und Billigkeit, und der Billigkeit der Seinigen. Dieses ist mein Rath! Setzen Sie dazu oder thun Sie davon, wie es Jhnen am besten duͤncket, und folgen Sie Jhren eigenen Einsichten. Jch vor mein Theil wuͤrde so oder auf eine aͤhnliche Art ver- fahren. Dieses bezeuget Jhre Anna Howe. Folgender Zettel war in den vorigen Brief eingeschlossen. Jch muß Jhnen damit beschwerlich fallen, daß ich ihnen meinen Kummer entdecke, da Jhr eige- nes Ungluͤck Jhnen schon so viele Unlust verursachet. Jch muß Jhnen etwas neues melden. Jhr Onckle Anton ist gesonnen, sich zu verheyrathen. Und was meynen Sie, auf wen seine Absichten gehen? Auf meyne Mutter! Es ist gewiß! Die Jhrigen wissen es auch schon, und geben Jhnen alle Schuld: der alte Ehe-Kroͤppel sagt auch, daß er den Ent- schluß aus Verdruß uͤber sie gefasset habe. Gedencken Sie dieses Umstandes gantz und gar nicht, auch nicht einmahl in Jhren Briefen an mich, weil man doch wegen allerhand Zufaͤllen in Sorgen stehen muß. G - Jch glaube nicht, daß es moͤglich ist, das mei- ne Mutter sich hierzu entschliesset: allein wenn ich sie beleydigte, so koͤnnte die Beleydigung zum Vor- wand dienen. Sonst (glaube ich) waͤre ich schon laͤngstens bey Jhnen in London. So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten Blute die geringste Hoffnung macht, so bald gebe ich Hickmannen seinen Abschied. Wenn meine Mut- ter mir in einer so wichtigen Sache etwas zuwider thut, so werde ich mir nicht in den Sinn kommen lassen, ihr in einer eben so wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Es ist doch nicht moͤglich, daß meine Mut- ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin- gen sucht, damit sie selbst thun koͤnne, was sie will. Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts werden. Allein die alten Witwen! Wie begie- rig sind wir insgesammt, junge und alte, uns schmei- cheln zu lassen, und bewundert zu werden! Selbst bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein- druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern ihren Toͤchtern gleich thun, wenn sie beynahe an- fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her- tzen, als sie mir von dem Antrage Jhres Onckles mit einem solchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab, welches ihre Eigenliebe und Einbildung so gleich ver- rieth; wiewohl sie sich Muͤhe gab, so davon zu reden, als wenn ich nichts zu besorgen haͤtte. Die alten Hagestoltzen, die alt werden ehe sie es glauben, bilden sich vestiglich ein, daß sie nur sich zu uͤberreden brauchen, und daß das Frauen- zimmer so gleich mit Freuden Ja sagen werde, wenn Vierter Theil. E sie sie ihr Gewerbe anbringen. Sein ungemein grosses Vermoͤgen ist zwar in der That eine Lock-Speise, dadurch manche alte Witwe gefangen werden kann. Es kommt noch dazu, daß meine Mutter gern ei- ner unartigen Tochter los werden moͤchte. Das Andencken meines Vaters ist ihr so werth nicht, daß es einiges Gewicht haben koͤnnte. Allein er mag ei- nige gluͤckliche Schritte thun, wenn er es wagen will! und sie mag anfangen, ihm etwas weiß zu machen! Doch ich hoffe, sie wird sich dafuͤr huͤten. Entschuldigen Sie meine Feder. Das Ding ver- drießt mich allzu sehr: man kommt mir zu nahe. Sie werden glauben, daß ich mich versuͤndige: darum will ich dieses Blat nicht unterschreiben. Dencken Sie nur, daß jemand meine Hand nachgeahmet hat: denn Sie haben es doch nicht gesehen, daß ich den Brief geschrieben habe. Der eilfte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Montags Nachmittags den 15ten May. S ie haben recht, meine liebste Freundin, daß ich nicht mehr aus zweyen eins waͤhlen kann. Jch sehe nun zu spaͤte ein, daß ich in meiner Empfindlich- keit gegen ihn zu weit gegangen bin, weil ich ihm nun fuͤr seine Geduld verpflichtet seyn muß. Denn wenn ihm meine Auffuͤhrung nicht kindisch vorkommt, so wird wird er doch den gewissen Schluß aus derselben ma- chen, daß ich keine Werthachtung gegen ihn habe: zum wenigsten wird er mercken, daß ich ihn andern Absichten nachsetze, und ihn nicht uͤber alles werth achte, da sein Hochmuth einen solchen Grad der Liebe von mir erwartet, den seine Eigenschaften ge- wiß nicht verdienen. Was ist es fuͤr ein Ungluͤck an einen solchen Mann zu gerathen, und ihm noch dazu verpflichtet zu seyn, der kein edles Hertz hat! ja der so gar ein grausames Hertz hat! der ein un- gluͤckliches Kind durch allerley Betruͤgereyen faͤnget, es hernach beleydiget und betruͤbet, und sich uͤber dessen Noth gleichsam freuet! denn es kommt mir in der That so vor, als wenn der Unmensch am mei- ner Noth ein Vergnuͤgen faͤnde. Was fuͤr Schick- sahle muß ich erleben! Sie rathen mir, der Sache ein kurtzes Ende zu machen, und ihn recht dreiste anzureden. Allein haben Sie auch bedacht, wem Sie diesen Rath geben? Jch sollte billig am wenigsten unter allen Frau- ens-Personen mich in die Umstaͤnde gestuͤrtzt haben, die einen solchen Rath noͤthig machen, weil ich gar nicht im Stande bin, ihm nachzukommen. Soll ich die Manns-Person um die Ehe ansprechen? Soll ich die verlohrne Gelegenheit gleichsam zu meinem Besten wieder suchen? Soll ich ihn durch Drohun- gen zur Ehre zwingen? O mein Schatz, wenn es gleich recht waͤre, so ist es doch allzu schwer, wenn unsere Bescheidenheit dabey verletzt wird, und wenn die Sache uns selbst, oder unsern Hochmuth so nahe E 2 betrift; betrift; oder wenn man nach Jhrem Ausdruck, bey sich selbst Vater-Mutter- und Onckles-Stelle ver- treten muß. Diese Schwierigkeit vermehret sich, wenn man glauben muß, daß andere uns gern de- muͤthigen wollten. Geben Sie mir lieber den Rath, diesem Menschen auf ewig zu entsagen; alsdenn, wenn Sie es wollen, so werde ich ihm gewiß gaͤntz- lich entsagen. Sie melden, daß Sie versucht haben, was durch die Frau Norton bey meiner Mutter auszurichten stehe. ‒ ‒ ‒ So schlecht die Antwort ist, die Herr Hickman erhalten hat; so melden Sie mir den- noch nicht alles schlimme, und Sie wissen nicht, ob Sie dieses Zeit Lebens thun werden. Allein was kann das schlimme seyn, das Sie mir nicht melden wollen? Kann noch etwas schlimmeres gedacht wer- den, als daß sich die Meinigen von mir, und zwar auf ewig, lossagen? und daß mein Onckle glaubt, ich waͤre nicht mehr, was ich gewesen bin? daß er sich berechtiget haͤlt, das aͤrgste von mir zu befuͤrch- ten, nachdem ich mit einer Manns-Person davon gegangen sey? daß die Meinigen entschlossen sind, keinen Schritt zu meinem Besten zu thun, wenn sie auch mein Leben retten koͤnnten? Wissen Sie noch etwas schlimmeres, das Sie vor mir geheim halten? ‒ ‒ Ach mein Vater wird etwan seinen Fluch erneuert haben! ‒ ‒ ‒ Meine Mutter wird doch wol nicht auch diesen Fluch bekraͤftiget haben! ‒ ‒ Meine Onckles, meine gantze Familie wird doch nicht Theil daran genommen haben! Was ist ist dieses schlimmste, das mir ewig verborgen blei- ben soll? O Lovelace, wenn du doch eben jetzt kaͤmest, da ich mit diesen schwartzen Gedancken umgehe! Jetzt koͤnntest du in mein Hertz sehen, und uͤber die Fol- gen deiner Grausamkeit dein vergnuͤgtes Hohn-Ge- laͤchter anstellen. Jch mußte vorhin die Feder niederlegen. Sie haben einen Versuch gethan, was durch die Frau Norton bey meiner Mutter auszurichten stehe? Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen wer- den: allein ich wuͤnschte, daß Sie in einer Sache, die so wichtig ist und mich betrift, nichts ohne mei- nen Rath gethan haben moͤchten. Vergeben Sie mir: so sehr ich die erhabene und edle Freundschaft bewundere, die Sie bey aller Gelegenheit auf eine so brennende Art gegen mich bezeigen; so setzt mich doch auch diese Freundschaft bisweilen in Furcht. Doch ich will auf das dencken, was mir noch be- vorstehet. Sie glauben, daß ich die Seinige noth- wendig werden muß, und daß ich ihn ohne Verle- tzung meiner Ehre weder mit noch wider seinen Wil- len verlassen kann. Jch soll mich also in meine Um- staͤnde schicken, so gut es moͤglich ist. Er ging diesen Morgen aus, und wollte nicht in dem Hause speisen, es waͤre denn (wie er mir sagen lies) daß ich ihm erlaubte, in meiner Gesellschaft zu speisen. E 3 Jch Jch lies mich entschuldigen. Herr Lovelace, an dessen Zorn mir nun so viel gelegen ist, schien un- gehalten zu werden. Weil er so wohl, als ich, erwartete, daß ich heu- te ein Schreiben von Jhnen erhalten wuͤrde, so glau- be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel- leicht ist er bey seiner Zuruͤckkunft sehr vornehm, sehr maͤnnlich, sehr sproͤde: und ich werde eben so de- muͤthig und unterthaͤnig seyn und versuchen muͤssen, ob er sich durch meine Seufzer erweichen laͤßt. Jch werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeschla- genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis- herigen Auffuͤhrung bitten muͤssen. Gewiß, so weit wird es noch kommen. Jch will sehen, wie mich diese Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei- ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will sehen, ob ich noch sanftmuͤthiger werden kann. O mein Schatz ‒ ‒ ‒ Jch will mich jetzt hinsetzen, die Haͤnde Creutz- weise vor mich legen, und mich bemuͤhen die Ver- leugnung selbst zu seyn: denn mich duͤnckt, daß ich ihn kommen hoͤre. Oder soll ich ihn lieber gerade zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeschrieben haben? Er ist nach Hause gekommen, und verlanget recht mit Ungeduld (wie Dorcas fagt) mich zu sprechen. Jch kann ihn jetzt ohnmoͤglich sprechen. Montags Abends. Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen schwermuͤthigen Gedancken, machten mir es ohn- moͤglich, den Lovelace zu sprechen, so sehr er auch dar- darnach verlangete. Das erste Wort, das er die Dorcas fragte, war, ob ich in seiner Abwesenheit einen Brief erhalten haͤtte. Sie antwortete ihm: Ja! und ich haͤtte seit der Zeit geweinet, und nichts essen wollen. Dorcas sagte mir dieses selbst wieder. Er lies mich bitten, daß ich ihn sprechen moͤchte. Jch lies antworten: es sey mir nicht wohl. Wenn mir aber morgen besser waͤre, so wollte ich ihn spre- chen, so fruͤh als es ihm beliebte. War das nicht demuͤthig genug? Allein er gieng schon so koͤniglich mit mir um, daß es ihm nicht de- muͤthig genug geantwortet schien: denn Dorcas sagte, er habe sich das Gesicht gerieben, sey aus ei- ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas gesagt, das sie nicht gern wiedersagen moͤchte. Nach einer halben Stunde schickte er noch ein- mahl, und verlangte, daß wir den Abend beysam- men speisen moͤchten. Er wollte von nichts reden, als von solchen Materien, auf die ich selbst die Re- de lenckete. Das heißt: ich soll die Freyheit haben, ihm gu- te Worte zu geben. Jch bat abermahls, mich entschuldiget zu halten. Meine Augen waren gantz dicke von Weinen. Jch war sehr niedergeschlagen, und konnte nicht auf einmahl nach so langer Entfernung anfangen so frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey meinen jetzigen Umstaͤnden und nach Jhrem Rath noͤthig ist. Er schickte nochmahls an mich, und lies mir sa- gen: er hoͤrte, daß ich fastete. Wenn ich nur ver- E 4 sprechen sprechen wollte, etwas von Huͤnern zu essen, die fuͤr mich zurecht gemacht wuͤrden, so wollte er sich be- ruhigen. So guͤtig ist er, wenn er zuͤrnet! Jch versprach es. Denn ich muß schon Vorbe- reitungen dazu machen, mich noch weiter herunter zu lassen. Wie gluͤcklich werde ich mich schaͤtzen, wenn ich ihn eben so aufgeraͤumt finde, daß er ge- neigt ist mir zu vergeben. Jch bin mir zwar selbst gram, allein ich will mich doch nicht hoͤhnen lassen. Warlich nicht! Der zwoͤlfte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe Dienstags den 16ten May. D iesesmahl scheint es, als ob wir einander wie- der naͤher kaͤmen, allein durch einen Sturm. Jch will Jhnen die genauern Umstaͤnde melden. Jch hoͤrte ihn schon heute fruͤh um fuͤnf Uhr in dem Speise-Zimmer. Jch hatte sehr wenig geschla- fen, und war auch schon aufgestanden: ich oͤffnete aber die Thuͤr nicht eher als bis um sechs Uhr. Hier- auf brachte mir Dorcas eine Empfehlung von ihm, nebst Bitte, ihm meine Gesellschaft zu goͤnnen. So bald ich in das Speise-Zimmer trat, kam er mir entgegen, ergriff meine Hand, und sagte: Fraͤu- lein, ich bin vor zwey Uhr nicht zu Bette gegangen, und habe nicht einen Augenblick geschlafen. Um GOt- GOttes willen quaͤlen sie mich nicht so, wie sie die vergangene Woche gethan haben. Er hielt ein: und ich schwieg auch stille. Jch glaubte zu Anfang nicht, (fuhr er fort) daß ihr Unwille uͤber eine blosse Neugierde so groß und von solcher Dauer seyn wuͤrde: ich hoffte, er wuͤrde von selbst wieder vergehen. Da ich aber erfahren muß, daß sie so lange fortfahren zu zuͤrnen, bis sie den Erfolg ihrer Unterhandlungen mit ihren An- verwanten sehen, und zwar solcher Unterhandlun- gen, dadurch ich sie auf ewig haͤtte verlieren koͤnnen: so weiß ich mich gar nicht darein zu finden, daß ich bey ihnen bisher so wenig Gunst habe erlangen koͤn- nen, obgleich unsere Umstaͤnde und unsere Feinde uns auf das genaueste verbinden. Er hielt noch einmahl ein. Als ich aber nicht redete, fuhr er fort: Jch gestehe es, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz habe. Jch wuͤnschte allerdings, daß ein Frauen- zimmer, welches ich die Meinige zu nennen hoͤchst begierig bin, mir durch einige Zeichen zu verstehen gaͤbe, daß es mich andern vorziehet. Zum we- nigsten wollte ich nicht gern, daß es jedermann in die Augen fiele, daß ich die Wahl, die ein solches Frauenzimmer trifft, blos der Haͤrte und wunderli- chen Auffuͤhrung der unerbittlichsten Verfolger zu- zuschreiben sey. Er sagte noch mehreres von eben der Art. Sie wissen, wie viele Gelegenheit er mir gegeben hat, ihm wieder Vorwuͤrffe zu machen. Jch that es, und schonte seiner nicht: allein es wuͤrde uͤberfluͤßig seyn, E 5 wenn wenn ich Jhnen alles dieses schreiben wollte. Jch sagte: ich wuͤrde durch sein ganzes Betragen frey- lich allzu sehr von seinem Hochmuth, nicht aber von seinen Vollkommenheiten uͤberzeuget. Jch leug- nete nicht, daß ich eben so hochmuͤthig sey, als er: allein ich hoffete, daß mein Hochmuth von einer andern Art waͤre, als der Hochmuth, den er so willig gestuͤnde. Wenn er nur etwas von dem er- habenen und großmuͤthigen Hochmuth haͤtte, der sich vor sein Herkommen und Umstaͤnde schicke, so wuͤr- de er meinen Hochmuth nicht fuͤr etwas verdriesli- ches ansehen, noch ihn zu demuͤthigen suchen; son- dern er wuͤrde mich vielmehr noch hochmuͤthiger zu machen suchen. Eben dieser lobenswuͤrdige Hoch- muth liesse mir nicht zu, daß ich die Ursachen leug- nen sollte, um derentwillen ich ihn und den Herrn Mennell in einigen Tagen nicht haͤtte sprechen wol- len. Jch haͤtte befuͤrchtet, daß ich auf gewisse Dinge nicht wuͤrde haben antworten koͤnnen, bis ich hoͤrte, was mein Onckle Harlowe sagte. Denn ich haͤtte diesem durch einen guten Freund den Puls fuͤhlen lassen, ob ich auf sein Vorwort hoffen duͤrf- te, wenn ich mich unter gewissen Bedingungen mit den Meinigen aussoͤhnen wollte. Er sagte: er wuͤßte nicht, was das fuͤr Bedin- gungen waͤren, und duͤrfte sich auch wol nicht unterste- hen, darnach zu fragen. Allein er koͤnnte sie leicht erra- then, und merckte allzu deutlich, daß er haͤtte sollen das Opfer werden. Allein so sehr er uͤberhaupt mein erhabenes Gemuͤth und insonderheit meinen lobenswuͤrdigen Hochmuth bewunderte, so wuͤnschte er er dennoch, daß in allen meinen Handlungen eine Gleichheit waͤre. Wenn ich mir immer selbst gleich waͤre, so wuͤrde ich mich gegen unversoͤhnliche Leute nicht so sehr herunter lassen, (ich koͤnnte ihm doch ohnmoͤglich uͤbel nehmen, wenn er meinen Bruder und meine Schwester mit diesem Nahmen belegte) da ich zu hoch waͤre, ihm einige Guͤtigkeit zu erzei- gen, und gegen ihn gar keine Herablassung haͤtte. Meine Pflicht und die Bluts-Freundschaft befehlen mir jene Herablassungen: Vater, Mutter, und Onckles begehren und rechtfertigen sie. Allein warum soll ich mich, wie sie es nennen, gegen sie herablassen? Verbinden mich etwa ihre Verdienste um mich und um die Meinungen dazu? Daß sie dergleichen Reden noch fuͤhren koͤnnen? nachdem sie von den Jhrigen so bitter verfolget sind; nachdem sie so viel gelitten haben; nachdem sie mich haben hoffen lassen! darf ich sie fragen, (weil wir doch eben von Hochmuth redeten) was das fuͤr ein Hochmuth seyn muͤßte, dem es gleichguͤltig waͤre, ob ihn sein Kind lieb haͤtte, und ihn andern vorzoͤ- ge? Was fuͤr eine Liebe muͤßte ‒ ‒ ‒ Liebe? Herr Lovelace! Wer redet denn von Liebe? Habe ich ihnen jemahls Liebe verspro- chen? Habe ich von ihnen jemahls dergleichen Ver- sprechen verlanget? Doch unser Streit kann nie zu Ende kommen, da wir beyde keine Fehler haben, und so sehr von uns selbst eingenommen sind. Jch spreche mich nicht von Fehlern frey, Fraͤu- lein: aber ‒ ‒ Aber Aber was? Wollen sie immer mit mir umge- hen, als wenn ich ein Kind waͤre? Wollen sie sich immer entschuldigen? immer etwas versprechen? und was denn? daß sie einmal kuͤnftig der werden wollen, der sie jetzt noch nicht sind. Ein Verspre- chen, dessen sich ein jeder artiger Cavallier schaͤmen sollte! Der zu werden ‒ ‒ O GOtt! (fiel er mir in die Rede: und hob die Angen gen Himmel) wenn du so strenge waͤrest ‒ ‒ Gantz gut! Herr Lovelace! Machen sie nur aus unsern so verschiedenen Einsichten den Schluß, daß unsere Hertzen nicht fuͤr einander gemacht sind. Lassen sie uns also ‒ ‒ Lassen sie uns was? Fraͤulein! Es empoͤrt sich alles in mir. Was! was ist es das wir thun sol- len? Er sahe hiebey so wild aus, daß ich mich recht erschrack. Wie? Herr Lovelace! Lassen sie uns den Ent- schluß fassen, daß wir ferner gar nicht an einan- der dencken wollen. (Fangen sie doch nicht gleich an, Feuer und Flammen von sich zu geben! Jch bin in einigen Stuͤcken furchtsam. Allein, wenn ich mir nicht selbst schmeichele, so habe ich Muth, und unuͤberwindlichen Muth, so bald es auf das an- kommt, was ich billig seyn soll, wenn ich des lebens nicht unwerth seyn will.) Lassen sie uns weiter keine Achtung fuͤr einander haben, als die die Hoͤff- lichkeit und der Wohlstand mit sich bringet. Sie koͤnnen sich indessen auf diese Zusage verlassen, wenn ihr Hochmuth darin eine Nahrung findet: daß ich nie einen andern heyrathen werde. Jch habe nun die die Manns-Personen, oder sie zum wenigsten, genug kennen lernen. Jch verlange weiter nichts, als mein Leben fuͤr mich in der Stille zuzubringen: und lasse sie dabey in voͤlliger Freyheit, zu waͤhlen was sie wollen. Gleichguͤltig! mehr als gleichguͤltig! stieß er mit Unwillen heraus. Jch fiel ihm in die Rede: halten sie mich immer- hin fuͤr gleichguͤltig. Jch glaube zum wenigsten nicht, daß sie etwas besseres um mich verdienet ha- ben. Wenn sie hierin anderer Meynung sind, so haben sie, oder so hat ihr Hochmuth Ursache, mich wegen meines Jrrthums zu hassen. Liebstes, liebstes Kind! sagte er, und ergriff meine Hand auf eine wilde Art) darf ich sie nicht bitten, sich selbst immer gleich, und auch gegen mich edelmuͤthig zu seyn? Achtung die der Wohlstand und die Hoͤflichkeit mit sich bringet! Was sa- gen sie Fraͤulein? Hoͤflichkeit! Wohlstand! koͤnnen sie meiner Jnbrunst solche Grentzen setzen? Eine solche Jnbrunst, wie die ihrige ist, Herr Lovelace, muß eingeschraͤnckt werden. Es ist entweder die Eigenschaft, dafuͤr sie sie nicht erken- nen, oder dafuͤr ich sie nicht erkenne. Jch weiß nicht, ob ihr Gemuͤth der Einschraͤnckungen so wohl als der Groͤsse faͤhig ist, die nach meinem Wunsche sind. Heben sie immer Haͤnde und Augen vor Ver- wunderung gen Himmel so viel sie belieben: ich wer- de nur immer mehr davon uͤberzeuget, daß wir nicht fuͤr einander gebohren sind. Bey Bey seiner Seele schwor er, daß wir fuͤr ein- ander gebohren waͤren, und fassete meine Hand mit einer solchen Hefftigkeit an, daß es mir wehe that. Jch muͤßte und sollte die seinige werden, wenn er mich auch durch seine Verdamniß erkauffen sollte. Er schlug seinen andern Arm um mich. Jch erschrack; und sagte: lassen sie mich gehen, oder gehen sie selbst von mir. Wollen sie die Leydenschaft, die sie selbst zu haben vorgeben, auf eine so unertraͤg- liche Art beweisen? Sie sollen nicht weggehen, Fraͤulein! Sie sol- len mich nicht im Unwillen verlassen ‒ ‒ Jch will wiederkommen. So bald sie ihrer selbst Meister sind, will ich wiederkommen. Er lies mich gehen. Er hatte mich in solches Schrecken gesetzt, daß ich mich, so bald ich in meine Stube kam, durch Vergiessung eines Stroms von Thraͤnen wieder er- holen mußte. Nach einer halben Stunde schickte er mir ein Vriefchen, darin er bedaurete, daß er so heftig ge- wesen waͤre, und mich bat, daß ich ihn noch ein- mahl vor mich lassen moͤchte. Jch gieng in die Speise-Stube, weil ich es doch nicht aͤndern konnte. Er war voller Entschuldigungen. Was wuͤrden Sie, selbst Sie, die Sie sonst so vielen Muth ha- ben, mit einem solchen Menschen anfangen koͤnnen, wenn Sie an meiner Stelle waͤren? Er sagte: es waͤre ihm nun gantz begreiflich, wie einem zu Muthe seyn muͤße, der von Sinnen gekom- gekommen waͤre. Er wisse beynahe von seinen Sin- nen nicht. Die gantze vorige Woche sey er so em- pfindlich gekraͤnckt worden; und nun wollte ich von Hoͤflichkeit und Wohlstand reden, da er doch von meinem edlen Hertzen gehoffet haͤtte ‒ ‒ Hoffen sie was sie wollen. Jch bleibe dabey, daß unsere Gemuͤther sich nicht fuͤr einander schicken. Sie haben mich in diese Noth gebracht. Von allen Freunden bin ich verlassen, die einzige Fraͤulein Howe ausgenommen. Jch will ihnen meine wahre Gesinnung nicht verbergen. Es geschiehet gantz wider meinen Willen, daß ich ihnen wegen des Schutzes verbunden seyn muß, den ich wegen der Anschlaͤge meines Bruders noͤthig habe. Denn die Fraͤulein Howe glaubt, daß noch nicht alle Ge- fahr voruͤber sey. Jhnen bin am ungernsten suͤr ihren Schutz verpflichtet, da eben sie mich in diese Umstaͤnde gebracht haben, und zwar gantz wider meinen Willen. Vergessen sie das nicht ‒ ‒ Jch vergesse es nicht, Fraͤulein. Sie erinnern mich so oft daran, daß ich es ohnmoͤglich vergessen kann. Jch will dem ohngeachtet ihren Schutz anneh- men, so lange er noͤthig ist, wenn sie mir heilig versprechen, daß sie nicht Ungluͤck suchen, sondern ihm vielmehr aus dem Wege gehen wollen. Al- lein was hindert sie, mich allein zu lassen? kann ich nicht an sie schicken, wenn es noͤthig ist? Es ist of- fenbar, daß Frau Fretchville selbst nicht wisse was sie will. Die Leute in diesem Hause werden zw ar von Tagen zu Tagen hoͤflicher, allein ich wuͤnsch- te te mir doch eine Wohnung, die sich besser zu mei- nen Umstaͤnden schickte. Jch weiß am besten, wie ich mich einrichten will: und ich wollte nicht gern jemanden verpflichtet seyn. Wenn sie mich verlas- sen, so will ich einen hoͤflichen Abschied von den Leu- ten nehmen, und mich auf ein benachbartes Dorf begeben, da ich in der Stille die Ankunft des Obri- sten Morden abwarten kann. Er antwortete: aus dem, was ich sagte, schloͤs- se er fast, daß mein Gesuch kein Gehoͤr gefunden haben muͤßte. Er hoffete demnach, daß ich ihm nunmehr erlauben wuͤrde, mit mir von den Be- dingungen zu reden, die in die Ehestiftung kommen sollten. Er haͤtte schon laͤngstens mit mir hievon sprechen wollen, allein es sey immer durch Zufaͤlle, daran er nicht Schuld waͤre, verzoͤgert worden: da- her habe er sich vorgenommen, es bis dahin aufzu- schieben, wenn ich in mein neues Haus eingezogen, und dem Anschein nach eben so frey und ungebun- den seyn wuͤrde, als ich in der That waͤre. Erlau- ben sie Fraͤulein, daß ich ihnen jetzt gleich die Bedin- gungen vortragen darf: ich erwarte nicht, daß sie alsobald eine Antwort von sich geben, sondern daß sie die Sache uͤberlegen sollen. Wenn ich bey einem solchen Antrage nicht zu ant- worten wußte, die Augen niederschlug, und so roth ward, daß ich selbst es fuͤhlete, so war ja dieses Antwort genug. Jhr Rath kam mir nie aus den Gedancken. Jch antwortete also nicht. Er redete fort, und drang in mich, weil ich stille schwieg. Er rief Gott zum Zeugen an, daß seine Ab- Absichten gegen mich, nicht allein gerecht sondern auch edel waͤren; und ich selbst wuͤrde es sehen, wenn ich das nur anhoͤren wollte, was er von der Ehestiftung zu sagen haͤtte. Haͤtte er nicht ohne alle dieses Gepraͤnge gleich anfangen koͤnnen von der Sache zu reden? Wie oft wird etwas abgeschlagen, und muß abgeschlagen werden, weil man erst um Erlaubniß bittet, davon zu reden? Und wenn einmahl eine abschlaͤgige Ant- wort gegeben ist, so muß man Ehren-wegen da- bey bleiben: dahingegen wird manches in Ueberle- gung genommen und bewilliget, wenn man uns mit der Bitte gleichsam uͤberschleichet. Wenn Er das nicht weiß, wer soll es denn wissen? Ob ich gleich diese Rede nicht gantz abbrechen wollte, so fand ich mich doch genoͤthiget, sie etwas in das weite zu dehnen: damit ich eines Theils nicht den Verdruß haben moͤchte, fuͤr allzu willig angesehen zu werden; und andern Theils nicht noͤ- thig haͤtte, ihm etwas so deutlich abzuschlagen, daß wir von neuen daruͤber zerfallen koͤnnten. Sie se- hen also, daß ich Jhren Rath beobachtet habe. Eine grausame und schwere Mittel-Strasse zwischen zweyen Uebeln! Jch sagte: sie reden jetzt von Edelmuͤthigkeit, von Gerechtigkeit, ohne vielleicht die wahre Be- deutung dieser Worte zu kennen oder zu bedencken. Soll ich ihnen sagen, was edel heißt? Ein wahr- haftig edles Hertz zeiget sich nicht blos in Geld- Sachen; es ist mehr als Hoͤflichkeit; mehr als Ehrlichkeit; mehr als Gerechtigkeit, dadurch Vierter Theil. F eine eine edle Seele sich offenbahret. Denn alle diese Dinge sind nichts mehr als die Pflicht und Schul- digkeit eines jedweden, deren Mangel kein rechtschaffe- nes Gemuͤth uns vergeben oder an uns uͤbersehen kann. Wenn ich aber von edel rede, so verste- he ich darunter eine gewisse Groͤsse der Seele, die uns geneigt macht, unserm Naͤchsten noch etwas uͤber unsere Pflicht zu erzeigen, und die uns dringet, wo Huͤlfe noͤthig ist, die Huͤlfe bald zu erzeigen, und so gar der Hoffnung der Bedraͤngten zuvor zu kom- men. Einer wahrhaftig edlen Seelen wird es unertraͤglich seyn, wenn andere an der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnungen zweifeln: noch viel weniger wird sie andere, die dergleichen nicht verdient haben, be- leidigen und betruͤben, am allerwenigsten solche Per- sonen, die durch Ungluͤck und allerhand Zufaͤlle ge- zwungen sind, bey ihr Schutz zu suchen. Was fuͤr eine erwuͤnschte Gelegenheit gab ihm dieses, sich wegen dessen zu entschuldigen und zu recht- fertigen, was ihn am Ende meiner Beschreibung eines edlen Hertzens am naͤchsten anging, wenn er anders Lust gehabt haͤtte sich zu entschuldigen. Allein er antwortete blos auf den Anfang dessen, was ich gesagt hatte. Unvergleichlich beschrieben! sagte er. Allein wen werden sie nach der Beschreibung edel nennen koͤnnen? Jch wende mich mit meinen Bitten blos zu ihrem edlen Hertzen: und ich verlange nichts wei- ter, als das Zeugniß, daß ich gerecht handele. Wo soll man ausser ihnen ein Frauenzimmer finden, das solche strenge Begriffe von den Tugenden hat? Sie Sie tadeln sich selbst und ihre Gesellschaft, wenn ihnen diese Begriffe strenge und uͤbertrieben zu seyn scheinen. Es giebt tausend Frauenzimmer, die viel strenger sind als ich, und den Fehltritt nicht gethan haben wuͤrden, zu dem ich verleitet bin. Eben die- ser ungluͤcklichen Verfuͤhrung habe ich es zuzuschrei- ben, daß ich mich jetzt gezwungen sehe, einer Manns- Person den Begriff von Edelmuͤthigkeit beyzu- bringen, die nicht so artig ist, daß sie sich in das schicken koͤnnte, was eigentlich bey einem Frauenzim- mer artig und wohlanstaͤndig ist, und dem Frauen- zimmer zur wahren Ehre gereichet. Er nennete mich, seine himmlische Lehrmeisterin. Er versprach abermahls, daß er sich nach meinem Exempel bessern wollte. Allein er hoffte, daß ich ihm doch erlauben wuͤrde, mir zu sagen, wie gerecht und billig er in Entwerfung einer Ehestiftung seyn wollte: eine Sache, davon wir billig schon laͤngstens geredet haben sollten, und davon er auch gewiß ge- redet haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht durch meinen Unwillen so oft der Gelegenheit dazu beraubet haͤtte. Allein da er einmahl diese Gelegenheit ergriffen hatte, so wollte er sich durch nichts abhalten lassen, sie zu gebrauchen. Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von sol- cher Wichtigkeit zu uͤberlegen. Schreiben sie das, was Sie sagen wollen, so werde ich uͤberlegen, was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin- gung will ich zum voraus vest setzen: wenn sie et- was beruͤhren muͤssen, das meinen Vater mit ange- het, so werde ich aus ihrem Betragen gegen den F 2 Va- Vater ihre Werthachtung fuͤr die Tochter abnehmen. Er sahe aus, als wenn er lieber haͤtte reden als schreiben wollen. Wenn er es aber herausgesagt haͤtte, so hatte ich mich schon auf eine nachdruͤckliche Antwort gefaßt gemacht: und das konnte er mir an den Augen ansehen. So stehen jetzt unsere Sachen. Auf den Sturm ist gleichsam eine Stille gefolget: ob aber diese sich wiederum in einen Sturm verwandeln wird, kann ich ohnmoͤglich zum voraus wissen, da ich mich mit einem solchen Kopfe eingelassen habe. Doch es mag geschehen was da will, so habe ich mich nicht gegen ihn erniedriget. Es ist mir hier- an schon viel gelegen, und ich hoffe, daß es Jhnen ebenfalls lieb seyn wird. Denn nun kann ich doch diesen Menschen ansehen, ohne etwas von der Wuͤr- de zu verlieren, die mich muthig macht, ihm unter die Augen zu sehen, oder vielmehr die mein Gemuͤth so erhaben macht, daß ich auf ihn und auf seines Glei- chen herabsehen kann. Obgleich die Umstaͤnde nicht zuliessen, daß ich Jh- rem Rath voͤllig folgete, so haben Sie mir doch durch Jhren Brief und durch Jhren Rath den Muth eingesprochen, der noͤthig war, die Sache so weit zu bringen: Sie haben auch gemacht, daß ich den Vorsatz geaͤndert habe, den ich schon gefasset hatte, etwas zu wagen, und ihm zu entfliehen. Jch weiß nicht gewiß, ob ich diesen Vorsatz bewerckstelliget haben wuͤrde, wenn es zum Treffen gekommen waͤ- re: vieles wuͤrde darauf angekommen seyn, wie er sich eben um die Zeit gegen mich aufgefuͤhret haͤtte. Er Er mag sich zwar auffuhren wie er will, so fuͤrch- te ich mit Jhnen, daß ich in den Augen der Welt nicht unschuldiger, sondern tadelhafter werden wuͤrde, wenn ich mich endlich genoͤthiget faͤnde, ihn zu ver- lassen. Allein so lange ich noch einiges Vermoͤgen habe, mia zu helfen, will ich mich von ihm nicht demuͤthigen, oder mir niedertraͤchtig begegnen lassen. Sie geben mir Schuld, daß ich einige mahl aus Bloͤdigkeit die Gelegenheit aus den Haͤnden gelassen habe ‒ ‒ Was fuͤr eine Gelegenheit? Die Gelegen- heit die Frau eines Boͤsewichts zu werden. Wie groß dieses Gluͤck sey, kann ich aus dem Briefe meines Vetters Mordens sehen. Jch muß Jh- nen hier ein fuͤr allemahl melden, nach was fuͤr Grund-Saͤtzen ich mich gegen diesen Menschen be- trage, und was ich fuͤr Ursachen zu meinem Betra- gen habe. Jch will mich selbst genau untersuchen, und Jhnen die reine Wahrheit schreiben. Jch glaube nicht, daß ich blos nach Art unseres Geschlechtes bloͤde gegen ihn bin: ich habe auch nicht blos meine Absicht darauf gerichtet, was mein jetziges nothwendiges Uebel und mein kuͤnftiger Ge- mahl von mir denken moͤchte, wenn ich mich allzu wehlfeil verschenckte, da er sich so schlecht gegen mich aufgefuͤhret hat: sondern ich folge hierinn meinen Einsichten, den geraden Trieben meines Her- tzens, und demjenigen, was dieses fuͤr Recht oder Unrecht, fuͤr geziemend oder ungeziemend erkennet. Jch handele so, wie ich es zufoͤrderst vor mir selbst, und denn vor ihm und vor der Welt rechtfertigen kann. Es sind dieses Grund-Saͤtze, die tief in mein F 3 Ge- Gemuͤthe eingepflantzet sind, die ich in meinem Herzen fand, ehe ich es hatte durch Schluͤsse beleh- ren koͤnnen, und die ich deswegen von dem Vater aller Geister herleiten muß. Diese Grund-Saͤtze zwingen mich, ihnen gemaͤß zu handeln, und ich hoffe in und ausser der Ehe bey ihnen nicht zu Schan- den zu werden, andere moͤgen mit mir umgehen, wie sie wollen. Jch hoffe nicht, daß ich mich selbst betruͤge, und nur einen Eigensinn entschuldige, weil ich ihn nicht gern uͤberwinden will, anstatt, daß ich suchen sollte, meine vorigen Fehler zu verbessern. Unser Hertz ist betruͤglich: ich bitte Sie, suchen Sie mein Hertz zu entdecken, das ohnehin vor Jhnen offen und entdeckt ist, und schonen Sie meiner nicht, wenn Sie Feh- ler bey mir finden. Jch habe Jhnen indessen melden sollen, wie ich mich bey genauer Pruͤfung gefunden habe, damit ich Sie uͤberzeugen moͤchte, daß, wenn ich in eini- gen Kleinigkeiten, oder auch in wichtigeren Dingen fehle, die Schuld meiner Suͤnden nicht in meinem Willen, sondern in meinem Verstande zu suchen ist. Jch verbleibe Dero ewig ergebene Cl. Harlowe. Der dreizehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Dienstags Abends den 16ten May. Herr H err Lovelace hat mir eben durch Dorcas folgende Vorschlaͤge uͤbersandt: „Um ihrer ungemeinen Zaͤrtlichkeit zu schonen, „muß ich gehorsam seyn, und das schreiben, was „ich vorhin sagen wollte. Jch thue es zugleich in „der Absicht, daß Sie dieses Blat der Fraͤulein „ Howe moͤgen zuschicken koͤnnen, damit diese dessen „Jnhalt mit solchen Freunden uͤberlegen moͤge, de- „nen Sie dieses Geheimniß anvertrauen wollen. „Jch sage mit gutem Bedacht: denen Sie die- „ses Geheimniß anvertrauen wollen. Denn „Sie wissen, daß wir uns gegen einige Leute fuͤr „verheyrathet ausgegeben haben.„ „Zufoͤrderst erklaͤre ich mich, die Ehestiftung so „einzurichten, daß Sie Jhr Gut nebst dessen Ein- „kuͤnften als einen Witwen-Sitz behalten sollen. „Ueber dieses sollen Jhnen aus meinem Gute in der „Grafschaft Lancaster vermittelst gestelleter „Buͤrgschaft alle Jahr 400 Pfund baar gezahlet „werden: und es soll die Zahlung viertheils-jaͤhrig „geschehen. Mit diesen 400 Pfunden sollen Sie „nach eigenem Belieben schalten und walten koͤnnen. „Meine eigene Guͤter geben des Jahrs 2000 „Pfund Pacht. Der Lord M. ist entschlossen, „mir, so bald ich mit dem Frauenzimmer Hoch- „zeit halte, welches er so sehr bewundert, entweder „sein Gut in der Grafschaft Lancaster zu uͤber- „geben, (an welches ich vielleicht ein besseres Recht „haben moͤchte, als er selbst) oder dasselbige Gut, „welches wir die Forst nennen: und es so einzu- F 4 „richten, „richten, daß meine Einkuͤnfte um 1000 Pfund „verbessert werden sollen. „Weil ich vielleicht allzu wenig nach den Re- „den der Leute gefragt habe, so ist mir vieles un- „richtige nachgesaget worden. Es wird daher nicht „undienlich seyn, Jhnen die Versicherung zu ge- „ben, und zwar auf Cavallier-Parole, daß nie- „mahls etwas von meinen Guͤtern verpfaͤndet ist, „und daß ich auf Johannis von allen Schulden „frey seyn werde, ob ich gleich viel Geld auf Rei- „sen verthan habe. Jch habe nicht in allen Stuͤ- „cken die Jrrthuͤmer, die mich in andern Stuͤcken „vielleicht verleiten moͤgen. Jedermann, der mit „mir in Geld-Sachen zu thun gehabt hat, hat mir „den Ruhm beygelegt, daß ich edel und freyge- „big waͤre: wenn ich nicht gerecht dabey gewesen „waͤre, so wuͤrde meine Freygebigkeit einen an- „dern Nahmen verdienet haben. „Jhr Herr Vater hat jetzt Jhr Gut im Besitz. „Wenn Sie deshalb lieber wollen, daß ich Jhnen „eins von meinen Guͤtern, das eben so viel betraͤ- „get, dagegen zum Witwen-Gehalt verschreiben „soll; so soll es geschehen. Jch will den Lord M. „dahin zu bringen suchen, daß er Jhnen selbst „schreibet, was er bey meiner so gluͤcklichen Ver- „aͤnderung zu thun gesonnen ist. Es soll dieses „nicht auf Jhr Verlangen geschehen, sondern „blos um Jhnen zu zeigen, daß ich und die Mei- „nigen uns Jhre Zwistigkeiten mit den Jhrigen „nicht (wie man es nennet) zu Nutze machen „wollen. „Da- „Damit eine so liebe Tochter sehen moͤge, wie „werth ich sie schaͤtze, so sollen sie selbst bestimmen, „wie ich mich mit Jhrem Vater wegen der ansehn- „lichen Einkuͤnfte vergleichen soll, die er seit eini- „gen Jahren von Jhrem Gut gehoben und noch „in Haͤnden hat. Jch zweifele nicht, daß er sich „wird uͤberreden lassen, Gegen-Rechnungen zu ma- „chen. Es soll in ihrer Gewalt stehen, ihn we- „gen derselben zu befriedigen, damit Sie in Jhrem „Gemuͤthe desto ruhiger seyn koͤnnen. Das uͤbri- „ge Geld soll Jhnen gezahlet werden, und soll von „Jhnen nach eigenem Belieben angewandt wer- „den; damit es Jhnen nicht an Mitteln fehlen „moͤge, fernerhin andern die Wohlthaten zu erzei- „gen, die Jhnen einen so seltenen Ruhm ausser- „halb Jhres Hauses zu Wege gebracht haben, und „daruͤber Sie von Jhrer eigenen Familie so sehr „getadelt sind. „Was Kleidung, Juwelen und dergleichen an- „langet, welche Sie noͤthig haben, wenn Sie oͤf- „fentlich erscheinen wollen, so werde ich mir eine „Ehre daraus machen, wenn Sie nichts von derglei- „chen Dingen denen Leuten zu danken haben, wel- „che aus Unsinnigkeit sich von einer Tochter lossa- „gen, deren sie nimmermehr werth sind. Sie muͤs- „sen mich dieses mahl entschuldiget halten Fraͤu- „lein, ich wuͤrde Jhnen mit Recht in allen dem, „was ich schreibe, verdaͤchtig vorkommen, wenn ich „von diesen Leuten mich gelinder ausdruͤckete, ob „Sie gleich mit Jhnen so nahe verwant sind. F 5 „Die- „Dieses sind meine Vorschlaͤge. Jch habe be- „staͤndig im Sinne gehabt, Jhnen diese Vorschlaͤge „zu eroͤffnen, so bald Sie mir erlauben wuͤrden, von „einer so angenehmen Materie zu reden. Allein „Sie sind so vest entschlossen gewesen, alles anzuwen- „den, um sich mit Jhren Anverwanten zu versoͤh- „nen, und so gar mir auf ewig zu entsagen, daß „Sie sich deswegen verbunden hielten, mit mir „gantz fremde umzugehen, bis es sich zeigete, ob „Sie Jhre Hoffnung und Jhren herrschenden „Wunsch erreicheten. Sie sehen nun den Erfolg! „ob ich gleich bedauret habe, und noch bedaure, daß „ich nicht die Zuneigung bey Jhnen finden kann, „die ich mir von der Fraͤulein Clarissa Harlowe „gewuͤnschet haͤtte: so bin ich doch versichert, daß „ich als der kuͤftige gluͤckliche Gemahl der Frau „ Lovelace Sie selbst deswegen bewundern und „anbeten werde, daß Sie ein Hertz so empfind- „lich gekraͤncket haben, an dessen edler Gesinnung, „oder vielmehr an dessen Gerechtigkeit Sie auf An- „stiften meiner Feinde zweifelten. Jch werde de- „sto geneigter seyn, Sie selbsten wegen Jhrer Haͤr- „te zu verehren, weil ich versichert bin, daß Jhr „edles Hertz mich nicht so haͤtte martern koͤnnen, wenn „nicht alzu viele Schein-Gruͤnde zu diesen Zwei- „feln vorhanden gewesen waͤren: und weil ich hoffe, „daß Sie aufhoͤren werden, kaltsinnig zu seyn, so „bald Jhre Zweifel gehoben sind. „Jch will weiter nichts hinzuthun, als dieses: „wenn ich etwas ausgelassen habe, das Jhnen an- „genehm seyn koͤnnte; oder wenn ich mich zu we- „niger „niger erboten habe, als Sie gehoffet hatten: so „haben Sie die Guͤtigkeit und setzen es hinzu. Jch „will alsdenn sogleich die Ehestiftung aufsetzen las- „sen, und es soll an nichts, das in meinem Ver- „moͤgen stehet, fehlen, sondern ich will alles an- „wenden Sie gluͤcklich zu machen. „Nun werden Sie, liebste Fraͤulein, selbst ur- „theilen koͤnnen, in wiefern alles das Uebrige auf „Sie ankommt. Sie sehen hieraus, was er verspricht: und daß ich es mir allein zu dancken habe, daß er mir diesen Antrag nicht fruͤher gethan hat. ‒ ‒ Bin ich nicht wunderlich und ungluͤcklich, daß ich uͤberall die Schuld tragen muß, ohngeachtet ich die besten Ab- sichten habe, und nur zu spaͤt oder beynahe zu spaͤ- te erkenne, was fuͤr Uebel aus meinen Handlungen entstehet, so daß ich endlich alle Bloͤdigkeit ablegen muß, um nur meine vorigen Fehler wieder gut zu machen! Jch soll nun selbst urtheilen, in wie fern alles das Uebrige auf mich ankommt! So ein kalter Beschluß folget auf so heisse Antraͤge, an denen in der Hauptsache nichts auszusetzen ist! Ha- ben Sie nicht bey dem durchlesen gedacht, daß der Brief sich mit einer recht ernstlichen Bitte endigen wuͤrde, den Tag unserer Hochzeit zu bestimmen? Jch selbst erwartete dieses so gewiß nach dem Jnhalt des vorhergehenden, daß, so gern ich auch vergnuͤgt gewe- sen waͤre; ich doch nothwendig uͤber den Beschluß misvergnuͤgt seyn mußte. Allein Jhrer Mei- nung nung nach ist doch keine Huͤlfe, und ich werde noch mehr aufopfern muͤssen. Es scheint, daß nun alle Bloͤdigkeit am Ende seyn soll. Wenn dieses ist, so weiß der Mensch das gewiß noch nicht, was ein jeder verstaͤndiger Mann weiß, nehmlich: daß eine tugendhafte und kluge Frau, die sich nicht selbst ausbietet, dem Manne mehr Ehre vor der Welt bringet, als ihm diese Eigensch aften bringen, wenn er sie selbst besitzet: und daß ihn der Mangel dieser Eigenschaften an seiner Frau am meisten ent- ehret; weil doch die Welt (es mag nun recht oder unrecht seyn) dem Manne gemeiniglich die Fehler seiner Frau verdencket. Jch will dieses Blat in Erwaͤgung ziehen, und schriftlich darauf antworten, weil doch das Ue- brige alles auf mich allein ankommt. Der vierzehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Mittewochens fruͤh den 17ten May. H err Lovelace hatte gestern Abend große Lust mit mir zu sprechen. Weil ich mich aber noch nicht geschickt dazu befand, indem ich seine Vorschlaͤge vorher reiflicher uͤberlegen wollte, und ich mich durch den Schluß seines Briefes nur schlecht erbauet fand; so bat ich, daß unsere Unterredung bis auf den Morgen ausgesetzt bleiben moͤchte. Jch kann kann ihn uͤber dieses fast gar nicht los werden, wenn er des Abends bey mir ist, und wir nur mittelmaͤs- sig Freunde sind. Um sieben Uhr kamen wir heute sruͤh in dem Spei- se-Zimmer zusammen. Er schien zu erwarten, daß ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine danckbare Weise empfangen sollte: und ich konnte bald in seinem verstoͤrten Gesichte lesen, daß er sich in einer Hoffnung betrogen haben mußte. Mein liebstes Kind, ist ihnen nicht wohl? ‒ ‒ Warum sehen sie mich so uͤberaus ernsthaft an? Will ihre Kaltsinnigkeit sich noch nicht uͤberwinden lassen? Wenn ich irgend worin weniger versprochen habe, als sie hoffeten ‒ ‒ Jch sagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er- laubet, daß ich der Fraͤulein Howe seinen Aufsatz zuschicken duͤrfte, damit diese einige von ihren Freun- den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch- stens Gelegenheit haben, ihr den Aufsatz zu uͤber- senden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein Howe erhalten haͤtte. Ach GOtt! (sagte er) wenn nur die geringste Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufschub uͤbrig ist! ‒ ‒ Jch schreibe jetzt eben an meinen Onckle, um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander stehen, und ich kann den Brief nicht so einrichten, wie mein Onckle und ich es wuͤnschen, wenn ich nicht weiß, ob sie die zur Ehestiftung vorgeschlagene Be- dingungen billigen. Jch Jch antwortete ihm: so viel koͤnnte ich zuverlaͤs- sig sagen, daß ich nichts mehr wuͤnschete, als Frie- den und Aussoͤhnung mit den Meinigen. Was andere Dinge anbetraͤffe, so glaubte ich, daß er von selbst mehr thun wuͤrde, als ich verlangete. Wenn er also nur deswegen an den Lord M. zu schreiben gedaͤchte, damit er erfuͤhre, was dieser fuͤr mich zu thun gedaͤchte, so koͤnnte er sich die Muͤhe ersparen. Denn meine Wuͤnsche die mich selbst betraͤffen, waͤ- ren viel leichter erfuͤllet, als er es dencken moͤchte. Er fragte mich: ob ihm es denn erlaubt waͤre, in so fern seines gluͤcklichen Tages zu gedencken, daß er seinen Onckle baͤte, gegenwaͤrtig zu seyn, und Vaters-Stelle zu vertreten? Vater, antwortete ich, waͤre ein Schall, der immer bey mir Ehrfurcht erweckete. Jch wollte wuͤnschen, daß ich einen Vater haͤtte, der mich Tochter nennen wollte. War das nicht deutlich geredet? Jch habe aber nachher erst bedacht, was ich gesagt habe, und hat- te damahls nicht im Sinne, so frey zu reden. Denn ich dachte eben mit einem tieffen Seufzer, der vom Hertzen ging, an meinen Vater, und bedaurte, daß ich von ihm und von meiner Mutter verstossen bin. Herr Lovelace schien uͤber meinen Ausdruck, und uͤber den bekuͤmmerten Gedancken, den ich verrieth, beweget zu werden. Jch sagte mit nassen Augen: Jch bin noch ein sehr junges Kind, Herr Lovelace, ob sie gleich die Guͤtigkeit gehabt haben, aus Liebe zu mir mich mit mit Kummer und Sorgen sehr fruͤhzeitig bekannt zu machen. Sie muͤssen sich nicht verwundern, wenn der Nahme eines Vaters einen tieffen Ein- druck bey einem Kinde macht, das wegen seiner jun- gen Jahre den Schutz der Eltern noch noͤthig hat, und nie ungehorsam gewesen ist, ehe es sie kennen lernte. Er wandte sich nach dem Fenster zu. (Freuen Sie sich mit mir, daß er nicht ein gantz fuͤhlloses Hertz hat, da ich ihm bestimmet zu seyn scheine.) Man konnte an ihm mercken, was in seinem Ge- muͤthe vorging, ob er sich gleich bemuͤhete, es zu unterdruͤcken, und zu verbergen. Er wandte sich wieder zu mir, allein er mußte das Gesicht von neu- en wegkehren, und sagte etwas von Engeln und Englisch. Endlich erhielt er ein Hertz, das sei- nen Wuͤnschen gemaͤß war, und nahete sich mir von neuen. Er sagte: weil der Lord M. das Podagra haͤtte, so fuͤrchtete er, daß die Einladung desselben zu unserer Hochzeit einen laͤngeren Aufschub verur- sachen moͤchte, als ihm ertraͤglich sey. Er wuͤnschte, daß er nichts davon gesagt haͤtte. Sie werden von selbst glauben, daß ich nicht ein Wort antworten konnte. So viel zaͤrtliche Liebe auf den Lippen! Ein so gelassenes, so gehorsa- mes und vernuͤnftiges Hertz gegen einen Onckle, den er vorhin immer verachtet hatte! Warum hat mich mein Schicksal an einen solchen Menschen ver- schleudert? dachte ich bey mir selbst. Er hielt innen, als wenn er mit sich selbst zu strei- ten haͤtte. Nachdem er ein paar mahl in der Stu- be be auf und nieder gegangen war, sagte er: er wisse selbst nicht was er thun sollte, weil er gar nicht erra- then koͤnnte, welchen Tag ich bestimmete, ihn gluͤcklich zu machen. Wenn ich mich doch den Augenblick da- zu moͤchte entschliessen koͤnnen. Er hielt abermahls ein paar Augenblicke innen, und sahe mir starre in mein zur Erde niedergeschla- genes Gesichte. (War mir nicht eben hier ein Va- ter und eine Mutter am noͤthigsten?) ‒ ‒ wenn ich aber keinen so nahen Tag bestimmen wollte, so glaubte er, er koͤnnte seinem Onckle ohne Schaden die Hoͤflichkeit erzeigen, ihn einzuladen, er koͤnnte es aber auch unterlassen. Es koͤnnte unterdessen die Ehestiftung entworfen und in das reine geschrie- ben werden, und dieses wuͤrde seine Ungeduld beruhigen, weil doch keine Zeit daruͤber verlohren wuͤrde. Jch darf Jhnen nur melden, was er hinzu- setzte, so werden Sie schon mercken, wie tief es mir zu Hertzen gegangen seyn muͤsse: Er wuͤßte, bey seiner Seele! nicht, ob er nicht alsdenn mir am meisten misfaͤllig wuͤrde, wenn er mir gern gefaͤllig seyn wollte: weil ich so verstockt ge- gen ihn waͤre, und er in meinen Augen auch so viel sonderbares wahrnehme. Jch moͤchte doch die Guͤ- tigkeit haben, und sagen, ob ich es billigte, daß er an dem Lord M. schreibe? Jch dachte bey mir selbst: die Fraͤulein Howe verbietet mir, den Mann zu verlassen. Herr Lovelace, wenn aus der Sache jemahls etwas werden soll, so kann es mir nicht anders als hoͤchst hoͤchst angenehm seyn, wenn es mit voͤlliger Be- willigung der einen Familie geschiehet, da die an- dere Familie so sehr dawider ist. Wenn aus der Sache jemahls etwas wer- den soll! Herr Gott! Was sind mir das an die- sem Morgen fuͤr Worte! Mit voͤlliger Bewil- ligung der einen Familie! Was Bewilligung? Meine gantze Familie wird es sich fuͤr die groͤsseste Ehre schaͤtzen, und recht hochmuͤthig daruͤber seyn wenn sie mit einem solchen Frauenzimmer verwant werden kann. Wenn doch der Himmel gaͤbe, daß morgen der angenehmste Tag meines Lebens seyn moͤchte, ohne daß ich Zeit haͤtte jemand zur Hochzeit zu bitten. Was sagen sie mein Engel? (Er zit- terte hiebey vor Ungeduld; und dieses mahl konnte es schwerlich Verstellung seyn) Was sagen sie zu dem morgenden Tage? Jch haͤtte vielleicht viel dazu sagen, oder einen andern Tag bestimmen koͤnnen, wenn ich Lust ge- habt haͤtte. Allein er selbst hatte mir ja zu verste- hen gegeben, daß wir es noch aufschieben koͤnnten. Soll es denn uͤbermorgen seyn? oder den Tag nach uͤbermorgen? Hier ergriff er mir beyde Haͤn- de, und sahe mir so in das Gesicht, daß ich gantz beschaͤmt daruͤber ward. Nein Herr Lovelace! nein! was ist denn vor- gefallen, daß sie auf einmahl ihre Gedancken aͤn- dern, und so sehr eilen wollen? Es wird am aller- geschicklichsten seyn, wenn ihr Onckle bey der Hoch- zeit gegenwaͤrtig ist. Vierter Theil. G Jch Jch will der Gehorsam und die Verleugnung selbst seyn. (sagte der Mensch mit einer aufgeblase- nen Mine, nicht anders als wenn ich ihm einen An- trag gethan haͤtte, den er sich gefallen liesse, und als wenn ich ihm wegen einer wichtigen Verleugnung Danck schuldig waͤre.) Um nicht unbescheiden zu scheinen, mußte ich mich sehr vergnuͤgt stellen. War dieses nicht noͤthig, mein Schatz? Wollte Gott ‒ ‒ Doch was hilft das Wuͤnschen? Als er sich selbst vor seine Verleugnung (nach seinen Ausdruck) eine Belohnung nehmen und mich kuͤssen wollte, so stieß ich ihn mit hertzlicher Verach- tung von mir: es schien ihm dieses zu verdriessen und zu wundern, weil er sich seiner Meynung nach so gegen mich erklaͤret hatte, daß er eine bessere Auf- fuͤhrung von mir verdienete. Er sagte gantz deut- lich: wir stuͤnden in solchem Verhaͤltniß gegen ein- ander, daß er sich zu dergleichen unschuldigen Frey- heiten berechtiget hielte. Er erstaune gantz dar- uͤber, und es sey ihm sehr empfindlich, daß ich ihn so hoͤnisch abwiese. Jch konnte nicht antworten, sondern gieng ploͤtz- lich von ihm. Jch erinnere mich, daß ich im Vor- beygehen ihn im Spiegel sahe, wie er sich mit der vollen Faust vor die Stirne schlug. Jch hoͤrte auch die Worte: Kaltsinnigkeit! Haß! und daß er etwas von Eiß sagete, das ich nicht recht verstehen konnte. Jch weiß nicht, ob er noch an seinem Onckle oder die Fraͤulein Montague zu schreiben gedenckt. Da ich jetzt aufhoͤren muß, bloͤde und schamhaft zu seyn, so ist es mir vielleicht zu verdencken, daß ich eine eine Auffuͤhrung von ihm erwartet, von der er viel- leicht keinen Begriff hat. Wenn er gar glauben sollte, daß er artig gegen mich ist, und nie sich an- ders aufzufuͤhren gedencket, so bin ich mehr zu be- dauren, als zu tadeln. Und endlich, wenn ich ihn nehmen muß, wie ich ihn finde, so muß ich: das ist, ich muß einen Mann nehmen, der so hochmuͤ- thig, und so gewohnt ist sich bewundern zu lassen, daß er sich keiner innern Maͤngel bewust, und des- wegen blos daran gedencket, seine Person zu zieren, nicht aber sein Hertz zu bessern. Weil seine Erklaͤ- rungen in manchen Stuͤcken vortheilhafter vor mich sind, als ich es gehoffet haͤtte, und er von mir seiner Meinung nach sehr viel zu erdulden hat; so will ich mich hinsetzen, und sie beantworten, falls mich nicht ein neuer Krieg daran hindert. Jch will die Ant- wort so einrichten, daß er gegen meine Vorschlaͤge eben so wenig soll einzuwenden haben, als ich an den seinigen auszusetzen habe. Sehen Sie nicht mein Schatz, was fuͤr ein Ge- wirre sich in unsern Gemuͤthern befindet? Jch will gern fuͤr meine Suͤnde dadurch buͤssen, daß ich alle Hoffnung in diesem Leben gluͤcklich zu seyn aufgebe, denn ich fuͤrchte, daß ich mit ihm eine schlechte Ehre haben werde: wenn mir nur nicht noch mehr Strafe bestimmet ist. Jch will damit zufrieden seyn, daß ich bis an das Ende meines Lebens, welches doch nicht weit entfernt seyn kann, Leyden und Truͤbsaal zu gewarten haben. Vielleicht wird ihm sein Gewissen nach meinem Tode sagen, daß er der Moͤrder einer unschuldigen Frau gewor- G 2 den den ist, und diese Erinnerung wird machen, daß seine zweyte Gemahlin bessere Zeit bey ihm hat, wenn sie gleich keine bessere Zeit verdienet. Meine Geschichte wird allen, die sie hoͤren, die Lehre ge- ben; daß das Auge ein Betruͤger ist, und daß wir es billig verdaͤchtig halten muͤssen: daß die Gestalt betruͤglich ist, und Schoͤnheit des Leibes und des Gemuͤths sich selten beysammen finden: endlich, daß wir allein auf gesunde Grund-Saͤtze der Tugend, und auf ein redliches Hertz unsere kuͤnftige Gluͤck- seligkeit in dieser und jener Welt gruͤnden koͤnnen. So viel von Herrn Lovelaces Vorschlaͤgen, daruͤber ich mir Jhre Meinung ausbitte. Jch verbleibe Wertheste Freundin Jhre ewig ergebene Cl. Harlowe. H err Lovelace hat unter dieser Zeit vier Briefe geschrieben, die nur darin von den Nach- richten der Fraͤulein unterschieden sind, daß er seine gewoͤhnlichen lustigen Anmerckungen macht, und bis veilen uͤber die Entschliessungen der Fraͤulein sehr ungehalten ist. Wir wollen nichts als einige Aus- zuͤge daraus mittheilen. „Was wuͤrde aus mir und aus meinen Anschlaͤ- „gen geworden seyn, wenn ich nicht ihren Vater „und ihre unversoͤhnliche Familie zu Freunden ge- „habt haͤtte? (Hier folgen Drohungen und „Schwuͤre „Schwuͤre sich zu raͤchen) Jch sehe klar, sie hat sich „gantz von mir los sagen wollen: und ich wuͤrde die- „sem Ungluͤck nicht haben vorbeugen koͤnnen, wenn ich „nicht den Baum mit der Wurtzel ausgerissen haͤtte, „um an die Fruͤchte zu kommen, die ich nun sanfter „abzuschuͤtteln hoffe, wenn ich die Zeit erwarten „kann, da sie reif werden. Er frohlocket uͤber seine unbelebte Grausam- keit, in folgenden Worten: „nachdem Sie mir so „hochmuͤthig begegnet ist, so will ich sie zwingen, „selbst auszusprechen, was sie in ihrem Hertzen „denckt. Jn dem Gesicht, in dem Ton, in „dem listigen Zaudern eines Frauenzimmers, das „etwas gerne sagen will und nicht kann, sind tau- „send Schoͤnheiten anzutreffen. Einige unver- „staͤndige Leute, die sich fuͤr artig und fuͤr grosmuͤ- „thig halten, machen sich eine Ehre daraus, daß „sie ein Frauenzimmer nicht in solche Noth setzen. „Unverstaͤndig genug sind sie: sonst wuͤrden sie sich „nicht eines so grossen Vergnuͤgens berauben, und „zugleich dem Frauenzimmer die Gelegenheit ent- „ziehen, sich durch eine gantze Welt von neuen „Schoͤnheiten zu schmuͤcken. Wer eine freye Le- „bens-Art fuͤhren will, dem ist ein hartes und fuͤhl- „loses Hertz unentbehrlich. Er ist der Noth schon „gantz gewohnt, die er verursachet, und laͤßt sich „selten durch eine Schwaͤche hinreissen, die sich fuͤr „ihn nicht schicket. Wie oft habe ich einem lie- „ben Kinde gegen uͤber gesessen, und mich uͤber „seine Verwirrung gefreuet, wenn es nicht aufhoͤ- „ren konnte, meine Schuh-Schnallen mit tiefer Ver- G 3 „wun- „wunderung zu besehen, oder mit verworrenen Au- „gen seine geistlichen Betrachtungen uͤber eine Jn- „dianische Figur in der Tapete anzustellen. Von der Ehestiftung schreibt er also: „es ist „mir mit den Bedingungen ein Ernst. Wenn „ich sie heyrathe, (dazu ich grosse Versuchungen „habe,) wenn mein Hochmuth und meine Rache „befriediget ist, so will ich ihr vollkommene und „recht edle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Je „mehr ich einer solchen klugen und vortreflichen „Hauswirthin Geld in die Haͤnde gebe, desto besser „ist es fuͤr mich. Aber bey meiner Seele! Bel- „ford, ihr Hochmuth muß so weit gedemuͤthiget „werden, daß sie deutlich gestehet: sie liebe mich „und sey mir Danck schuldig. ‒ ‒ Was ich von der „Ehestiftung aufgesetzet habe, das wird uns nicht „viel weiter bringen. Die dem schoͤnen Geschlecht „eigene Bloͤdigkeit wird immer meine Freundin „bleiben, und mir wieder los helfen. Jch wollte „mich anheischig machen, es durch ein eintziges „Wort dahin zu bringen, daß die so hochmuͤthige „Schoͤne noch vor dem Altar den Prediger und „mich stehen liesse. Wenn gleich zwantzig von „meinen guten Freunden dabey waͤren, so wuͤrden „die sich einander als betrogene Narren ansehen „muͤssen: mein Kind wuͤrde indessen Fluͤgel bekom- „men, und wenn die Kirch-Thuͤr nicht offen waͤre, „zu den Fenster hinaus fliegen. Er meldet hierauf seinen harten Ausdruck, daß sie die Seinige werden sollte, wenn er sie auch durch die ewige Verdammniß erkauffen muͤßte: er gestehet, daß daß er eben damahls habe Gewalt gebrauchen wol- len, allein er sey noch zu rechter Zeit abgeschrecket worden, da er ihr bekuͤmmertes und liebenswuͤrdi- ges Gesicht erblicket haͤtte, in welchem ein jeder Zug eine Abbildung ihres unschuldigen und unbe- fleckten Hertzens gewesen waͤre. „O Tugend! Tugend! was hast du, dadurch du „das Hertz eines solchen Mannes als ich bin wider „seinen Willen ruͤhren kannst? Warum zittere ich, „wenn ich behertzt seyn will? warum fuͤrchte ich „mich so sehr eine Tod-Suͤnde zu begehen? Was „ist das fuͤr ein Ding, das in der Brust eines schwa- „chen Frauenzimmers lebet, und doch den dreiste- „sten Mann zwingen kann, vor Ehrfurcht zu erbe- „ben? Das Ding hat niemahls bey mir die Wuͤr- „ckung gehabt, nicht einmahl in meinen ersten Krie- „gen, da ich noch jung war, und mich uͤber meine „eigene Verwegenheit entsetzte, bis ich merckte, daß „sie mir vergeben wuͤrde. Er mahlet seine Gemuͤths-Bewegungen mit le- bendigen Farben, die er empfunden hat, als die Fraͤulein durch den Nahmen eines Vaters so sehr geruͤhret ward: „Es ging mir dieses ungemein zu Hertzen; allein „ich schaͤmte mich, daß ich so wenig maͤnnliches „bey mir fand. Jch ward so sehr daruͤber beschaͤmt, „daß ich mich so gleich entschloß meine Schwachheit „zu besiegen, und kuͤnftig besser auf meiner Huth zu „seyn. Allein den Augenblick bedaurete ich fast, „daß ich ihr die Freude uͤber einen Sieg nicht goͤn- „nen konnte, den sie so sehr verdienete: denn Ju- G 4 „gend, „gend, Schoͤnheit, ungekuͤnstelte Unschuld, und die „Art sich auszudruͤcken, gaben ihr solche Schoͤnhei- „ten, die alle Vergleichungen und alle Beschreibun- „gen der Feder uͤbertreffen. Nur ihre Kaltsinnig- „keit, Belford! sie konnte sich doch entschliessen, „mich der Bosheit meiner Feinde aufzuopfern, und „zwar dieses mit der groͤssesten Heimlichkeit: da ich „doch bis zum Unsinn in sie verliebt bin, und sie wie „eine Goͤttin anbete. Durch diese Betrachtungen „staͤrckte ich mein schwachglaͤubiges Hertz. Allein „ich sehe doch, daß sie endlich siegen wird, wenn „sie sich mir ferner widersetzet. Sie hat mich ein- „mahl furchtsahm gemacht, da ich vorhin von kei- „ner Furcht wußte. Bey dem Beschluß seines vierten Briefes geraͤth er daruͤber in die aͤusserste Wuth, daß sie seinen Kuß verschmaͤhet hat, da er hoffete, daß sein grosmuͤthi- ger Aufsatz oder Entwurf einer Ehestiftung sie ihm gantz gefaͤllig machen wuͤrde. „Jch will ihr dieses Zeit Lebens nicht vergessen. „Jch will durch das Andencken dieser Schmach „mein Hertz zu Stahl machen, um das Eiß zu zerspal- „ten, damit ihr Hertz bedeckt ist. Jch will ihr „den Unwillen und die Verachtung vergelten, die „sie mir bey ihrem ploͤtzlichen Abschied durch einen „jeden Blick zu verstehen gab, nachdem ich ihr so „demuͤthig begegnet war, und sie so sehr um Be- „schleunigung unserer Hochzeit gebeten hatte. Die „Maͤdchens in unserm Hause sagen: sie verachte „oder sie hasse mich. Es ist wahr! Sie thut dieses! „dieses! Sie muß mich hassen oder verachten! „Warum folge ich nicht dem Rath, der mir gegeben „wird? Es wird nicht lange waͤhren, liebes Kind, „daß du mich verachten und auslachen darfst! P. S . „Die Muͤhe, die sich mein Kind gegeben „hat, meiner loos zu werden, wenn es bey den „Seinigen eine Zuflucht zu gewarten haͤtte, und daß „an dem Sonntage eine Kutsche bestellet war, die „meinen Schatz nicht wieder nach Hause gebracht „haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht begleitet und „bewachet haͤtte, denn hat die Fraͤulein nicht selbst „gesagt, daß sie sich auf eins der benachbarten Doͤr- „fer begeben wollte, um in der Stille zu seyn?) „Hoͤre Bruder, alle diese Dinge machen mich unru- „hig! Jch habe deswegen meinem Diener und den „Waͤchterinnen dieses Hauses von neuen geschrie- „bene Befehle gegeben, wie sie sich verhalten sollen, „wenn mein Voͤgelchen in meiner Abwesenheit da- „von fliegen sollte; insonderheit habe ich meinen „Kerl unterrichtet, was er fuͤr eine Luͤge vorbrin- „gen soll, wenn mein Kind bey gantz fremden Len- „ten Schutz suchen sollte, um meinem Schutze zu „entgehen. Jch werde noch mehr zu diesen Befeh- „len hinzuthun, wenn es die Noth erfodert.„ Der funfzehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Donnerstags den 18ten May. G 5 Jch J ch habe weder Zeit noch Geduld, den Haupt- Jnhalt Jhres Briefes, der mir eben zu Haͤn- den gekommen ist, zu beantworten. Es ist mir alles, was von Herrn Lovelacen darin enthalten ist, misfaͤllig; den Entwurf der Ehestiftung aus- genommen: und dennoch bin ich gleicher Meinung mit Jhnen, daß der Beschluß dieses Entwurfes so kalt ist, daß man bey Durchlesung des Entwurfes selbst gantz andere Ausdruͤcke und Bitten erwarten mußte. Jch habe Zeit Lebens von keinem Men- schen gehoͤret, der ein so nahes, ein so unvergleichli- ches Gut mit so vieler Gelassenheit begehret hat. Allein (zwischen uns gesagt) ich glaube, daß Leute von seiner Art nichts von den Flammen fuͤhlen, da- durch redliche und ehrliche Leute entzuͤndet werden. Vielleicht hat ihre Elisabeth recht, daß er erst ein halb Dutzend aufopfern muß, ehe er sich auf Le- bens-lang einlassen will. Ehe er das grosse Stuffen- Jahr uͤberstanden hat, koͤnnen Sie ihn nicht fuͤr ehrlich und zuverlaͤßig halten. Sollte der Mensch aus Hoͤflichkeit gegen den Lord M. einen Aufschub machen, und so viel Zeit zu der Ehestiftung gebrauchen? Man hat ihm noch nie nachgesagt, daß er gegen seine Anverwanten hoͤflich waͤre. Jch verliere alle Geduld. Sie haͤtten in der That gestern fruͤh einen Freund noͤthig gehabt, der fuͤr Sie geredet haͤtte. Wenn ich damahls an Jhrer Stelle gewesen waͤre, so wollte ich ihm die Augen ausgekratzt, und nachher Zeit gelassen ha- ben sich zu besinnen, warum es geschehen waͤre. Er Er wuͤnscht, daß morgen sein gluͤcklicher Tag seyn moͤchte, und daß er nicht Zeit haͤt- te, jemanden zur Hochzeit zu bitten! Der Schelm: Eben hatte er selbst den Vorschlag gethan, seinen Onckle zur Hochzeit zu bitten. Er scheint Jhnen den Verzug beyzumessen! Was fuͤr ein Mensch! Jch aͤrgere mich nur uͤber ihn! Wiewohl, bey der Verhaͤltniß, in der Sie jetzt mit einander stehen, sollte ich billig meinen Unwil- len verbergen: und dennoch weiß ich nicht, was ich thun soll. Denn ein Frauenzimmer kann nicht un- gluͤcklicher seyn, als wenn es einen Mann nehmen muß, den es verachtet. Sie koͤnnen nicht anders, als ihn bisweilen verachten. Jch wuͤnschte uͤbrigens, daß die Faust, damit er sich vor den Kopf schlug, ein Beil in der Hand seines aͤrgsten Feindes gewe- sen seyn moͤchte. Jch werde darauf dencken, wie ich Sie aus seinen Haͤnden befreyen, und Jhnen eine Zuflucht verschaf- fen moͤge, in der Sie die Ankunft des Obristen Morden sicher erwarten koͤnnen. Sie moͤgen mei- nen Vorschlag unter ihren Papieren behalten, bis er bey Gelegenheit ausgefuͤhrt werden kann. Sie wissen doch gewiß, daß Sie nach eigenem Be- lieben ausgehen koͤnnen, und daß unser Brief- wechsel geheim ist? Jndessen kann ich Jhnen um Jhrer eigenen Ehre willen nicht rathen, ihn zu ver- lassen, so lange Sie keine Ursache haben, ein Mis- trauen in die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu setzen. Jch weiß aber, daß Jhr Hertz leichter seyn wird, wenn Sie auf alle Faͤlle eine sichere Zuflucht wissen. Jch Jch wiederhohle es nochmahls: er kann ohnmoͤg- lich uͤble Absichten haben! Allein er ist ein Narre! Das ist das Ende vom Liede. Weil Sie aber ein- mahl durch das Schicksaal an einen Narren ver- schenckt sind, so heyrathen Sie ihn bey der ersten, der besten Gelegenheit. Jch glaube zwar, daß er von der Art der Narren ist, die sich am wenigsten lencken lassen: allein nehmen sie ihn als eine Strafe an, wenn Sie ihn nicht fuͤr ihr Gluͤck halten koͤn- nen; und lernen Sie von ihm die Wahrheit, daß in diesem Leben lauter Unvollkommenheit herrschet. Jch erwarte Jhren naͤchsten Brief mit Ungeduld, und verbleibe indessen Jhre ergebenste und getreue Anna Howe. Der sechzehende Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelacen. Mittewochen den 17ten May. J ch kann Jhnen nichts vorenthalten, das Sie so nahe angehet, als der einliegende Brief. Sie werden aus demselben ersehen, was ihr On- ckle in Absicht auf die Fraͤulein Harlowe befuͤrch- tet und wuͤnschet, und wie sehr allen Jhren Anver- wanten daran gelegen ist, daß Sie wohl mit der Fraͤulein umgehen sollen. Sie schmeicheln mir da- mit, daß ich viel bey Jhnen vermoͤchte: und ich wollte wollte wuͤnschen, daß zum wenigsten dieses mahl Jhre Schmeicheley wahr seyn moͤchte. Jch bitte dich noch einmahl Lovelace, uͤberlege die ungemeinen Vorzuͤge der Fraͤulein, ehe es zu spaͤte, und ehe du die Tod-Suͤnde begangen hast. Dein Gewissen mahnet dich so oft um deine Pflicht: laß es einmahl recht ausreden. Gieb nicht zu, daß dein Hochmuth und dein wildes Hertz alle deine kuͤnftige Hoffnung vereitele. Wahrhaftig, es ist nichts als Eitelkeit, Einbildung und Thorheit mit allen unsern wilden Einfaͤllen. Mit dem Alter werden wir kluͤger werden: und wenn wir auf un- sere Jugend zuruͤck dencken, nachdem die Hitze ver- flogen ist, so werden wir uns selbst unserer Thorheit wegen verachten, so oft uns die Partheyen bey- fallen, von denen wir Ehre gehabt haͤtten, und die wir haͤtten waͤhlen koͤnnen. Deine Reue wird die empfindlichste seyn, wenn du dir ein so unvergleich- liches Wunder aus der Hand gleiten laͤßt: ein sol- ches Wunder, das von der Wiege an unbefleckt ist, und das in allen seinen Handlungen und Neigungen sich selbsten gleich und unveraͤnderlich edel ist. Ein solches Kind, das gegen den unvernuͤnftigen Va- ter seine Pflichten ohne Belohnung auch ohnausge- setzt erfuͤllet, muß gewiß die allerbeste Frau in der Welt seyn, und den Mann gluͤcklich machen, der die Ehre hat es die Seinige zu nennen. Bedencke, wie viel die Fraͤulein um deinetwillen gelitten hat. Zu eben der Zeit, da du alle Kuͤnste anwendest, sie ungluͤcklich zu machen, (zum wenig- sten so wie sie und die Welt das Wort ungluͤcklich ver- verstehet) lieget sie unter dem Fluch ihres Vaters, den du ihr zugezogen hast. Willst du ihres Vaters Buͤttel seyn, der den Fluch erfuͤllet? Sage mir nur Lovelace, worauf du hochmuͤthig bist? Du bildest dir ein, daß die gantze Harlowi- sche und Howische Familie wider ihren Willen deine Marionetten sind, die du zu Ausuͤbung deiner Rache gebrauchen kannst. Allein was bist du an- ders, als die Marionetten ihres unversoͤhnlichen Bru- ders und ihrer neidischen Schwester? Bist du nicht ihr Werckzeug, dadurch sie ihre unvergleichliche Schwester aus den allerniedertraͤchtigsten Absichten ungluͤcklich zu machen suchen? Jst es dir ertraͤglich, daß du das Werckzeug deines abgesagten Feindes, des Jacob Harlowe bist? Gebraucht dich nicht der noch veraͤchtlichere Joseph Lehmann als ei- nen einfaͤltigen Tropf, dessen Beutel er melcken darf, so oft er will? Dienet er sich nicht selbsten durch seine zweyzuͤngige Betruͤgerey mehr als dir? Bist du nicht ein treuer Diener des Teuffels, welcher al- lein dich belohnen kann und wird, wenn du in deinen Bosheiten fortfaͤhrest? Wuͤrde irgend ein Mensch in der Welt ohne et- was dabey zu fuͤhlen, die Fragen ausschreiben koͤn- nen, die ich in deinem Briefe finde? Ueberlies sie hier, und halte sie deinem harten Hertzen vor: wo- hin soll sie ihre Zuflucht nehmen? Jhre El- tern und ihre Onckles wollen sie nicht aufneh- men: ihre liebe Frau Norton muß sich nach jenen richten, und darf ihr keine Zuflucht in ihrem Hause verstatten! die Fraͤulein Howe wird wird es sich auch nicht unterstehen: in Lon- don hat sie keinen Freund ausser mir, ja sie ist gantz unbekannt in London. Was muß der fuͤr ein Hertz haben, der sich uͤber eine solche Noth freuen kann, in welche er seine allerliebste Schoͤne durch so viel Kunst-Stuͤcke gestuͤrtzet hat? Was war das fuͤr ein ausgesucht-artiger und dennoch fin- sterer Gedancke, dadurch sie dich ruͤhrete und bey- nahe dein Hertz erweichte, als du den Lord M. nann- test, daß er bey der Hochzeit Vater-Stelle vertre- ten sollte! Jhre zarten Jahre machen, daß sie sich nach einem Vater sehnet, und einen Freund anzutref- fen hoffet. Mein lieber Lovelace, kannst du dich entschliessen gegen sie ein Teuffel zu seyn, nachdem du sie ihres Vaters beraubet hast? Du weißt, daß ich keinen eigenen Vortheil dabey suchen kann, wenn ich wuͤnsche, daß du diesem un- vergleichlichen Kinde wohl begegnen moͤgest. Jch beschwoͤre dich um dein selbst willen, ich bitte dich um deiner Familie und um der Menschlichkeit willen: sey gegen die Fraͤulein Clarissa Harlowe ehrlich. Es kommt nicht darauf an, ob sich diese Ermah- nungen zu meiner Lebens-Art schicken oder nicht. Jch bin arg genug gewesen, und bin noch mehr als zu arg. Wenn du meinen Rath annimst, (der zugleich der Rath deiner gantzen Familie ist) wie du aus der Einlage sehen wirst: so wirst du mir vielleicht vor- werffen koͤnnen, daß ich schlimmer sey als du (und doch wird dieser Vorwurf vielleicht ungegruͤndet seyn.) Wenn du aber meinen Rath in den Wind schlaͤgest, und eine so vollkommen tugendhafte Person verfuͤh- rest: rest: so muß ich sagen, daß die zusammengesetzte Bosheit von zehen Teuffeln, die eine vollkommene Gewalt uͤber unschuldige Kinder bekommen, nicht so viel Ungluͤck anrichte, als du alleine. Man saget sonsten, daß kein Koͤnig auf seinem Thron sicher sey, so bald es so verruchte Gemuͤther giebt, die nichts nach ihrem Leben fragen. Allein mit eben dem Recht kann man behaupten, daß die allerreineste Tugend nicht sicher ist, sobald es Leute giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und mit ihren Eyd-Schwuͤren und Geluͤbden einen Schertz treiben. Du bist in der Liebe aͤrger als ein See-Raͤuber: es kann seyn, daß du durch List und Betrug ein Frau- enzimmer uͤberwindest, das so sehr verstricket ist, und das von andern nicht den geringsten Schutz hat. Allein bedencke, ob es nicht edler und gerechter ge- gen sie gehandelt ist, und dir mehr Ehre bringet, wenn du dich selbst uͤberwindest. Jch sage es nochmahls, es kommt mir nicht dar- auf an, ob meine jetzigen oder kuͤnftigen Handlun- gen mit meiner Predigt (wie du vielleicht meinen Brief nennen wirst) uͤbereinkommen: allein das verspreche ich dir, daß ich meinem eigenen Rath fol- gen, und heyrathen will, so bald ich ein Frauenzim- mer finde, das nur halb so viel Vollkommenheiten besitzt als die Fraͤulein Clarissa Harlowe, und mich wuͤrdigen will, mir ihr Ja-Wort zu geben. Jch will noch weiter gehen: ich will mit Gefahr meiner eigenen Ehre ihre Ehre auf die Probe setzen: das ist, ich will sie nehmen, ohne ein so unvergleichliches Frauen- zimmer durch Versuchungen in seinen eigenen Augen herunter zu setzen, wenn es mir nicht die geringste Ursache zum Argwohn giebet. Du ruͤhmest dich dem Adler darin gleich zu seyn, daß du dich nur an unschuldige Kinder machest, und nicht an solche, die du mit Zaunkoͤnigen und Mistfincken vergleichest: ich muß dir hiebey sagen, daß ich hoffe nicht ein ein- ziges Maͤdchen verfuͤhrt zu haben, das sonst unver- fuͤhret wuͤrde geblieben seyn. Es ist Suͤnde genug, wenn ich etwas mit dazu beygetragen habe, daß andere ungluͤckliche Huren ihr suͤndliches Leben fort- setzen, und einer von denen bin, welche die Gefalle- nen hindern wieder aufzustehen. Der Obermeister unter den Teuffeln, unter dem du stehest, mag dich endlich antreiben wozu er will, und dir noch so viel Boͤses wider dieses unvergleich- liche Kind eingeben, so hoffe ich doch, daß du mit dem eingeschlossenen Briefe ehrlich umgehen, und ihn nicht misbrauchen wirst, mir den Lord M. zum Feinde zu machen. Denn du wirst sehen, daß er mir verbietet, dir von seinem Briefe Nachricht zu geben, dazu er Ursachen haben mag, die dir wenig Ehre bringen. Nimm meinen Eifer dir zu dienen so wohl auf, als er aus dem aufrichtigsten Hertzen kommt, damit dir zugethan ist Dein wahrer Freund J. Belford. Der siebenzehnte Brief von dem Lord M. an Herrn J. Belford. Vierter Theil. H (War (War in dem vorigen Briefe eingeschlossen.) M ‒ ‒ Hall den 15ten May Montags. W enn jemand in der Welt etwas bey meinem Vetter ausrichten kann, so sind Sie es: ich schreibe deswegen an Sie um Sie zu bitten, daß Sie in der Sache ein gutes Wort reden wollen, die zwischen ihn und derjenigen Fraͤulein obwaltet, von der jedermann saget, daß sie ihres gleichen in der Welt nicht habe: und das Spruͤchwort bleibt doch wahr: alle Leute koͤnnen nicht zugleich luͤgen. Jch weiß zwar nicht, daß er boͤse Absichten gegen sie hat: allein ich kenne ihn allzu wohl, daß ich bey dem langen Aufschub nicht sollte besorget seyn. Das Frauenzimmer in meiner Familie ist auch voller Furcht: insonderheit sagt meine Schwester, die La- dy Sadleir, welche wie Sie wissen eine sehr kluge Frau ist, daß der Aufschub bey jetzigen Umstaͤnden nicht von der Fraͤulein, sondern von ihm herkom- men muͤßte. Er ist immer ein Feind des Ehestan- des gewesen: und es koͤnnte ihm in den Kopf kom- men, daß er ihr einen von seinen Hundes-Strei- chen spielen wollte, wie er schon so manchen gethan hat. Wenn dieses zu besorgen seyn sollte, so muß man in Zeiten vorbeugen: denn guter Kath ist zu spaͤte wenn die Sache geschehen ist. Er ist immer so unverstaͤndig und grob gewesen, daß er aus meinen Spruͤchwoͤrtern einen Schertz ge- macht hat. Jch aber schaͤme mich nicht, und werde mich von ihm nie abhalten lassen Spruͤchwoͤrter zu gebrau- gebrauchen, die ein Compendium der Weißheit gantzer Voͤlcker und Jahrhunderte sind, und oft mehr kluges in sich enthalten, als das eckelhafte Ge- schwaͤtz unserer meisten Prediger und Sitten-Lehrer. Er mag lachen, wenn er will: Sie und ich, wir wissen es besser, denn, ob Sie gleich unter den Woͤlfen gewesen sind, so haben Sie doch nicht von den Woͤlfen heulen lernen. Er muß ja nicht wissen, daß ich von dieser Sa- che an Sie geschrieben habe. Jch schaͤme mich fast es zu sagen: allein er ist immer mit mir umgegan- gen, als wenn ich ein Mann von sehr mittelmaͤßigem Verstande waͤre, und er wird den besten Rath ver- achten, wenn er weiß, daß er von mir kommt. Er hat gewiß keine Ursache mich so zu verachten. Er wird keinen Schaden von mir haben, wenn er mich uͤberlebet: ob er mir gleich einmahl in das Ge- sicht gesagt hat, ich moͤchte mit meinem Gute an- fangen, was ich wollte, die Freyheit waͤre ihm lie- ber als das Geld. Jch glaube, er denckt: ich koͤnnte ihn nicht mit meinen Fluͤgeln waͤrmen ohne ihn mit meinem Schnabel zu hacken: und ich habe ihn doch niemals ohne Noth gehacket. GOtt weiß, er koͤnnte mein Hertz haben, wenn er nur darin gefaͤllig gegen mich waͤre, daß er auf sein eigenes Bestes daͤchte; denn weiter verlange ich nichts von ihm. Seine arme Mutter hat ihn zuerst ver- dorben, und nachher bin ich ihm zu gelinde gewesen. Sie werden dencken: das muß ein artiges danckba- res Gemuͤthe seyn, das Boͤses fuͤr Gutes vergilt! Allein so ist er immer gewesen. H 2 Diese Diese Verbindung koͤnnte zu seiner Bekehrung etwas beytragen, weil die Fraͤulein ein so ausseror- dentliches Lob der Weisheit und Froͤmmigkeit hat. Wenn Sie etwas dazu beytragen koͤnnen, daß die Hochzeit bald vor sich gehet, so will ich ihn in den Stand setzen, die allervortheilhasteste Ehestiftung fuͤr die Fraͤulein zu machen: ja ich bin so gar ge- neigt, ihm noch uͤber das ein feines Gut zu geben. Denn wozu lebe ich in der Welt (wie ich oft ge- sagt habe) als daß ich ihn und meine beyden Schwe- ster Toͤchter wohl versorget und wohl verheyrathet sehen moͤge? GOtt wolle ihn bekehren, und ihm ein besseres und weiseres Hertz geben. Wenn der Verzug von ihm herkommt, so zit- tere ich, wenn ich an die Fraͤulein gedencke: ist aber die Fraͤulein selbst Schuld daran, (wie er an Charlotten geschrieben hat) so wuͤnschte ich, daß jemand der Fraͤulein zu verstehen gaͤbe, daß aller Verzug gefaͤhrlich sey. So unvergleichlich sie ist, so darf sie sich doch bey einem so veraͤnderlichen Men- schen und abgesagten Feind des Ehestandes auf ihre vortrefflichen Eigenschaften nicht verlassen. Sie sind wol so guͤtig, und geben ihr einen Winck. Ein Wort fuͤr den Weisen ist genug. Jch wuͤnsche, daß Sie versuchen moͤgen, was Sie bey ihm ausrichten koͤnnen. Jch habe ihn so oft von seinen gottlosen Streichen abgemahnt, daß ich alle Hoffnung verliere etwas bey ihm auszurichten. Allein er mag bedencken, daß die Rache bleyerne Fuͤsse und eiserne Haͤnde hat. Wenn er sich gegen die Fraͤulein uͤbel auffuͤhret, so wird er das erfahren. erfahren. Was fuͤr ein Jammer, daß ein Mann von so gutem Verstande und von so grosser Gelehrsam- keit ein solcher Boͤsewicht ist! Ach! ach! Vne poig- née de bonne vie vaut mieux que plein muy de clergé; eine Hand voll Redlichkeit ist mehr werth als ein Scheffel Gelehrsamkeit. Sie koͤnnen ihm auch wol als ein guter Freund zu verstehen geben, daß ich das Heyrathen noch nicht abgelobet habe, wenn er es mir zu arg macht. Mein Freund Wycherley heyrathete noch in ei- nem hoͤheren Alter, um seinen Vetter Verdruß zu machen: und ohngeacht dessen, daß ich mit dem Podagra behaftet bin, koͤnnte ich doch noch wol ein oder ein paar Kinder kriegen. Es sind mir auch wol solche Gedancken eingefallen, wenn er mich gar zu sehr geaͤrgert hat: ich habe sie aber auch wieder fahren lassen, weil mir das Spruͤchwort beyfiel, daß grauer Leute Kinder selten grau werden, (wie- wohl ich noch nicht sehr alt bin) und daß alte Leute auf einer jungen Frau gemeiniglich nach den Himmel reiten. Und doch koͤnnte es vielleicht bey dem verdrieslichen Podagra mir zur Erleichte- rung dienen, wenn ich mich verheyrathete. Die Spruͤchwoͤrter, die ich mit Willen in meinen Brief habe einfliessen lassen, koͤnnen Jhnen vielleicht nuͤtzliche Dinge leisten, wenn Sie mit ihm reden: allein gebrauchen Sie sie spahrsam, damit er nicht merckt, daß sie Jhre Pfeile aus meinem Koͤcher entlehnen. Wenn doch Jhr guter Rath, dazu ich Jhnen den Stoff gegeben habe, in sein Hertz dringen H 3 und und ihn bewegen moͤchte, so zu handlen, wie es sei- ne eigene Wohlfahrt und die Ehre des unvergleich- lichen Frauenzimmers erfodert, die ich so gern sei- ne Gemahlin nennen moͤchte: wenn er Jhnen fol- get, so will ich niemahls in meinem Leben an eine Gemahlin dencken. Wenn er aber das Vertrau- en, das die Fraͤulein in ihn gesetzt hat, misbrau- chet, so will ich selbst beten, daß die Rache auf sei- nen Kopf kommen moͤge. Raro raro (ich vergesse fast alles mein Latein! Allein mich duͤnckt, so heist es:) raro antecedentem scelestum deseruit pede poena claudo: Wo Bubenstuͤck und Bosheit schleichen, Da wird die Straf sie auch erreichen. Jch will mich weiter nicht entschuldigen, daß ich Jhnen diese Muͤhe mache. Jch weiß, daß Sie ihn und mich lieben: und Sie koͤnnen uns beyden keinen wichtigern Dienst leisten, als wenn Sie die- se Heyrath nach aͤuserstem Vermoͤgen befoͤrdern. Wie sehr werde ich mich freuen, Sie alsdenn zu M ‒ ‒ Hall zu sehen. Unter Anwuͤnschung eines gluͤcklichen Ausgangs Jhrer Bemuͤhung verharre ich Dero getreuer Freund und Diener M. W eil Herr Lovelace nicht gleich auf Herrn Belfords Brief geantwortet hatte, so schreibt dieser von neuen an ihn, und ist besorget, daß er seine Aufrichtigkeit moͤchte uͤbel genommen haben. Unter Unter andern schreibt er: „Jch bringe meine Zeit „zu Watford bey meinem sterbenden Onckle sehr „verdrieslich zu. Jch kann dich deswegen deiner „Schuldigkeit an mich zu schreiben nicht entlassen. „Willst du mich dafuͤr strafen, daß ich mehr Ge- „wissen habe als du? Hast du dir doch nie eine „Ehre daraus gemacht gewissenhaft zu seyn! Jch „muß dir auch noch die traurige Geschichte von dem „ Belton und seiner Thomasine erzaͤhlen, daraus „sich die eine Lehre nehmen koͤnnen, die sich mit „Maitressen behelfen. Jch habe Briefe von unsern „drey Freunden erhalten. Sie sind eben so gottlos „als du, aber nicht so listig. Zwey unter ihnen „ruͤhmen sich einiger neuen Schelm-Stuͤcke, die der „Galeeren werth sind, wenn sie zum Ausbruch „kommen. „Jch bin sonst kein Feind der Schelmerey. Al- „lein das sind verdriesliche Briefe, wenn ungeschickte „Koͤpfe Schelme werden wollen, und ihre Schel- „merey ohne den Witz, der deine Briefe wuͤrtzet, „zu Papiere bringen. Allein du Lovelace wirst „von mir sehr ersuchet, mich durch eine Beschreibung „wider dieses Frauenzimmer aufzumuntern, du „magst sie nun in das Werck richten oder nicht. Hierdurch wirst du sehr verbinden deinen niedergeschlagenen Freund J. Belford. Der achtzehnte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford. Freytags Abends den 19ten May. H 4 Nach- N achdem ich dir meine Absichten so weitlaͤuftig entdecket habe; nachdem ich dir gesagt ha- be, daß ich die Tugend nur auf den Probier- Stein bringen will, vor dem sie sich nicht fuͤrchten darf, wenn sie aͤcht ist, und daß ich sie durch die Ehe belohnen will: (das ist, daß ich sie heyrathen will, wenn ich sie besieget habe, und sie nicht be- wegen kann, die neue Lebens-Art der vornehmen Leute mit mir zu erwaͤhlen, die ich sonst der Ehe sehr vorziehen wuͤrde) so wundere ich mich, wie du deine alten Thorheiten, die ich vor laͤngst ver- dauet hielt, dir immer wieder kannst aufstossen lassen. Jch bin einerley Meinung mit dir, daß ich mit den Jahren kluͤger werden, und meine jetzigen wil- den Einfaͤlle fuͤr nichts als Einbildung und Thor- heit halten werde. Allein die Zeit muß erst da seyn, ehe ich kluͤger werde. Jrre dich nicht, ich will mir dieses unver- gleichliche Wunder nicht aus der Hand glei- ten lassen. Kannst du halb so viel zu ihrem Lobe sagen, als ich bestaͤndig sage und schreibe? Der finstere Vater verfluchte das liebe Kind, weil es seiner Gewalt entflohe, und er es nicht zwingen konnte, einen verhaßten Mann zu nehmen. Du weißt daß dieses nach meinem Urtheil nicht ihr groͤssester Verdienst ist. Soll ich nicht die Tugend erst untersuchen, die ich hernach zu belohnen geden- cke? Soll ich sie ohne Untersuchung fuͤr vollwichtig annehmen, weil der Vater ein Unmensch ist? Wie lange lange willst du ein so unvergleichliches Frauenzim- mer schimpfen, als wenn es in der Versuchung nicht bestehen wuͤrde? So oft du einen Brief schreibest, so giebst du vor, sie wuͤrde und muͤßte uͤberwun- den werden, weil sie so sehr verstricket sey: und dennoch ist es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun- de und Vertheidiger macht. Nennest du mich ein Werckzeug des veraͤcht- lichen Jaͤckel Harlowes? Wie fluche ich auf dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schwester! allein gieb auf das Ende Achtung, so wirst du sehen, was aus dem Bruder und aus der Schwester wer- den soll. Gebrauche dich meiner sinnlichen Schwachhei- ten nicht gegen mich, wenn ich sie dir bekenne. Diese sinnlichen Schwachheiten sind eine Widerlegung dessen, was du von meinem fuͤhllosen Hertze schreibst, und du wuͤßtest nicht einmahl etwas davon, wenn ich es dir nicht gemeldet haͤtte. Du bleibst immer bey dem alten Liede: wenn ich eine so ungemein tugendhafte Person ver- fuͤhrte ‒ ‒ bald behauptest du, daß die allerreine- ste Tugend nicht sicher ist, so bald es Leute giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und mit ihren Eydschwuͤren und Geluͤbden einen Schertz treiben. Dencke nur, einfaͤltiger Kerl, was wuͤrde das fuͤr eine Tugend seyn, die sich ohne Eydschwuͤre uͤberwinden liesse? Jst nicht die Welt gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind nicht die Eydschwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein Ball, damit gespielet wird? Bestehet nicht ein H 5 noth- nothwendiges Stuͤck der guten Erziehung eines Frauenzimmers darin, daß es vor der Untreue un- seres Geschlechts gewarnet wird? Jch will suchen, mich selbst zu uͤberwinden; allein ich muß vorher dieses Frauenzimmer uͤber- wunden haben. Habe ich dir nicht laͤngstens gesaget, daß es zur Ehre des schoͤnen Geschlechtes gereiche, wenn ich diesen Versuch anstelle. So bald du ein Frauenzimmer findest, das nur halb so viel Vollkommenheiten besitzet als die Fraͤulein Clarissa Harlowe, so willst du heyrathen! Thue das: es stehet dir frey. Jch freue mich, daß du dir ein Gewissen daruͤ- ber machst, daß du kein Buß-Prediger bey den Huren bist, die andere Leute verfuͤhret haben. Jch will nicht dein Anklaͤger werden; sonst koͤnnte ich dir leicht etwas zu verdauen geben, wenn du dich ruͤh- mest, daß du nie ein Maͤdchen verfuͤhret hast, das nicht ohne dich verfuͤhrt seyn wuͤrde. So troͤstet sich ein Hottentotten-Hertz: das lieber andern Raub-Voͤ- geln das Aas auffrißt, als sich entschließt sich zu bessern. Allein sage mir, wuͤrdest du ein solches Maͤdchen, als mein Rosen-Knoͤspgen war, gescho- net haben, wenn ich dir nicht mit Grosmuth vorge- gangen waͤre? Mein Rosen-Knoͤspgen ist nicht das eintzige Maͤdchen, welches Proben von meiner Gros- muth hat. So bald man mein Vermoͤgen erkann- te, Schaden zu thun, so bald war niemand mitley- diger als dein Freund. Der Widerstand entflammt die Liebe, Und wehet ihre Funcken an. Die Die Ruhe schwaͤchet ihre Triebe, Und macht den Bogen schlapp, daß er nicht treffen kann. Die Pfeile pflegen zu verwunden, Die uns die schoͤne Feindin schickt. Denn ist die Wunde schon verbunden, Wenn ein gewuͤnschtes Ja den Wunsch zu fruͤh begluͤckt. Dieses wissen die Frauens-Leute eben so gut als wir. Sie moͤgen sich gern muthig angreiffen lassen: Durch Muͤh und Kampf muß man die guͤldne Frucht erlangen, Die blutend sich ergiebt, damit sie schaͤtzbar sey. Wie oft wird deswegen der hitzige Liebhaber dem kaltsinnigen Ehemanne vorgezogen. (Das war ein Neben-Einfall.) Und dennoch vergessen die Schoͤ- nen gemeiniglich, daß uns nie Veraͤnderung und die Neuigkeit hitziger und ergebener macht; und daß der allgemeinste Anbeter aller schoͤnen Kinder und ihr allgemeiner Verfuͤhrer kaltsinnig gegen sie seyn wuͤrde, wenn er ihre Liebe so oft genoͤsse als ihr Ehe- mann: wie denn die liederlichsten Leute wenig Lie- be gegen ihre Weiber zu haben pflegen. Der Ehe- mann hingegen wird auf ein fremdes Frauenzim- mer hitzig seyn. Das gantze schoͤne Geschlecht mag von Lovelacen diese Regeln ein vor allemahl ler- nen: daß es sich dem Manne immer neu zu machen suche, und gegen ihn eben so hoͤflich und artig sey, als gegen einen neuen Liebhaber: alsdenn wird der Liebhaber laͤnger in dem Manne bleiben, als es gemeiniglich zu geschehen pfleget. Doch Doch wieder auf das vorige zu kommen. Wenn ich jetzt meine Auffuͤhrung nicht genug gerechtfer- tiget habe, so beziehe ich mich auf meinen Brief von dem dreyzehnten des vorigen Monaths. Jch hoffe, daß du meine Briefe mehr als einmahl le- sen wirst. Es ist mir nicht zuwider, daß du dich so sehr vor meinem Zorn fuͤrchtest, und so gleich unruhig wirst, wenn ich nur einen Tag nicht schreibe. Dein Gewissen muß dir doch sagen, daß du meine Un- gnade verdienet hast: und wenn es dich hievon uͤber- zeuget hat, so bist du schon vor dem Ruͤckfall in eben dieselbe Suͤnde verwahret. Laß dich warnen! Jch weiß nun, wie ich dich strafen kann: und es koͤnnte mir leicht in den Sinn kommen, dich durch mein Stillschweigen zu strafen, ob ich gleich eben so gern von einer so angenehmen Materie schreibe, als du davon etwas liesest. Als ich noch ein kleiner Junge war, so sahe ich mich gleich nach einem Stein oder Stock um, wenn ein Hund vor mir lief: und wenn ich keins von bey- den finden konnte, so warf ich meinen Hut hinter ihm her, damit er Ursache haben moͤchte, sich zu fuͤrch- ten. Was nuͤtzt uns die Gewalt, wenn wir sie nicht gebrauchen? Berichte meinem Onckle, daß du ein Blat an mich voll geschmiert hast, ohne ihm den Jnhalt zu melden: denn so schlecht deine Gruͤnde sind, so wuͤr- den sie ihm doch wichtig vorkommen. Wenn man einmahl haben will, daß eine Sache wahr seyn soll, so laͤßt man sich auch durch schlechte Beweise uͤber- zeugen. zeugen. Der einfaͤltige gnaͤdige Herr bildet sich nicht ein, daß sich dieses Kind wider das gantze Reich der Liebe gewaltsam empoͤret: er und die gantze Welt glaubet, daß es freywillig zu der Fahne der Liebe geschworen hat. Jch werde getadelt und die Un- gehorsame bedauret werden, wenn es nicht nach Wunsche gehet. Weil meinem Onckle so viel an dieser Verbindung gelegen zu seyn scheinet, so habe ich an ihn geschrie- ben: „der uͤble Ruff, in dem ich stehe, habe meine „Geliebte mit einem unbilligen Mißtrauen gegen „mich erfuͤllet. Sie habe das Heimweh so starck, „und sehne sich so sehr nach Vater und Mutter, daß „sie lieber nach Harloweburg zuruͤckkehren, als an „Hochzeit gedencken wollte. Sie fuͤrchte so gar, „daß sie sich durch ihre Flucht bey dem Frauenzim- „mer einer so angesehenen Familie herunter gesetzt „und verdaͤchtig gemacht haben moͤchte. Jch ersuch- „te meinen Onckle deswegen, einen Brief an mich „zu schreiben, den ich ihr vorlegen koͤnnte: allein „ihre Furcht muͤsse auf eine gantz unvermerckte Art „gehoben werden. Er moͤge gegen mich so frey „seyn, als es ihm beliebte, so wollte ich es nicht „uͤbel nehmen, weil ich wohl wuͤßte, daß er mir gern „in seinen Briefen Ermahnungen zu geben pflegte. „Er moͤge in diesem Briefe mit erwehnen, was „er bey meiner Veraͤnderung zu thun gedaͤchte. Jch „baͤte ihn uͤbrigens, meine Hochzeit durch seine Ge- „genwart zu ehren, damit ich den groͤssesten Seegen, „den ich auf Erden erwarten kann, von seinen Haͤn- „den empfangen moͤchte.„ Jch Jch habe der Fraͤulein nicht mit Gewißheit ge- saget, daß ich diesen Brief schreiben wollte; allein sie kann es doch vermuthen. Jch werde ihr daher die Antwort nicht zeigen, wenn es nicht die aͤusser- ste Noth erfordert: denn ich will nicht gern die Nah- men meiner Verwanten zu meinen Endzwecken gebrauchen. Und dennoch muß ich mich auf alle Faͤlle in Sicherheit setzen, ehe ich die Masque abneh- me. Darum habe ich sie eben hieher gebracht. Du siehest hieraus, daß mir der Brief meines alten Onckles zu rechter Zeit zu Haͤnden kam. Jch dancke dir dafuͤr. Allein seine Spruͤchwoͤrter werden nicht viel bey mir ausrichten: er hat mich allzu fruͤh mit dieser Weißheit gantzer Voͤlcker ersticket. So oft ich in meinen Kinder-Jahren um etwas bat, so oft antwortete er mit einem Spruͤchwort: und wenn dieses eine abschlaͤgige Antwort enthielt, so waren alle ferneren Bitten vergeblich. Jch ward daruͤber dem Worte so gram, daß ich mit dem ehrlichen Prediger, der mich unterrichten mußte, den Vertrag machte ich wollte zwar die Bibel lesen, allein er sollte eins der weisesten Buͤcher darin uͤberschlagen, das ich blos des- wegen nicht lesen wollte, weil es den Titel, Spruͤch- woͤrter, haͤtte. Dem Salomon war ich damahls von Hertzen feind, nicht um seiner Vielweiberey willen, sondern weil ich dachte, er sey auch ein solcher alter lehrreicher Knabe gewesen als mein Onckle. Wir wollen die alten Geschwaͤtze diesen alten Leu- ten uͤberlassen! ‒ ‒ ‒ Warum thust du daruͤber so klaͤglich, daß dein Vetter sterben will? Sagt nicht jedermann, daß er nicht wieder aufkommen kann? Jst Jst es nicht eine wahre Barmhertzigkeit, wenn du ihm aus dem Elend hilfst? Jch hoͤre, daß er noch vom Doctor, Apothecker, Feldscher, und wie die leute alle heissen moͤgen, gequaͤlet wird, und daß doch der kalte Brand schon zu weit gekommen ist, und bey jedem Besuch das Urtheil des unvermeidlichen Todes von neuen uͤber ihn gesprochen wird. War- um verlaͤngern sie seine Qual? Suchen ihm diese geschaͤfftigen Peiniger nicht mehr Wolle als todtes Fleisch abzuschneiden? Wenn der Krancke einmahl aufgegeben ist, so sollten keine Gerichts-Gebuͤhren mehr fuͤr ihn an diesem Schwarm bezahlt werden, der nur seine Erben bestielet! Was hast du zu thun, wenn das Testament so ist, wie du es wuͤnschest? Ließ er dich nicht holen, damit du deines Onckles Augen zudruͤcken moͤchtest? Er ist ja doch nur dein Onckle und nicht dein Vater. Mich duͤnckt, es stehet in der Bibel, oder in einem andern guten Buche: sollte es wol der Hero- dotus seyn? O nein! ich erinnere mich; es wird in dem Josephus stehen, der ein halb geistlicher und halb weltlicher Geschicht Schreiber war. Ein ge- wisser Koͤnig von Syrien ward von seinem vornehm- sten Bedienten, oder von einem der zum wenigsten wegen seiner Klugheit der ersten Stelle unter seinen Bedienten wuͤrdig war, aus dem Wege geraͤumet. Wenn ich mich recht besinne, so deckte er ihm das Gesicht mit einem nassen Tuche zu: er starb hie- von, und der kluge Moͤrder ward Koͤnig an seiner Statt. Vielleicht stehet in der Grundsprache ein Wort, das eben so viel bedeutet, als laudanum, welches welches ein einschlaͤffernder und betaͤubender Tranck ist: vielleicht ist das das nasse Tuch, weil es die Sinne so bedeckt, als ein nasses Tuch das Gesichte. Der Uebersetzer hat vielleicht nicht gewußt, wie er es recht uͤbersetzen sollte. Unterschreibst du dich, als wenn du dich aufhaͤn- gen wolltest, dein niedergeschlagener Freund, J. Belford. Warum bist du niedergeschlagen? Darum, daß du den letzten Streit zwischen einem alten Manne und dem Tode sehen sollst? Jch habe dich fuͤr maͤnnlicher gehalten. Du fuͤrchtest dich nicht selbst ei- nem ploͤtzlichen Tode, und dem Degen entgegen zu ge- hen: und du wirst doch so tiefsinnig, wenn du einen so schleichenden Tod an andern siehest. Was fragst du nach dem taͤglichen Brennen und Schneiden? Das trist doch nur das caput mortuum. Jch bitte dich, gehe doch zu den koͤniglichen Buͤtteln (ich will jetzt in dem Stilo veterum schreiben) und lerne von ihnen: die sind aͤrger als dein Lovelace; an einem Tage machen sie 10000 Witwen und 20000 Waͤysen, und werden dafuͤr Magnus und le Grand genannt. Lerne von diesen Veraͤchtern des Todes, wie du einen eintzigen Todes-Fall grosmuͤthig er- tragen sollst. Jch wollte, daß mein Onckle mir schon Gelegen- heit gegeben haͤtte, dir ein Vorbild zu lassen; so solltest du sehen, was fuͤr ein Held ich bin. Wenn ich haͤtte davon schreiben muͤssen, so haͤtte es geheissen: „der seelige todte Trojaner ist gluͤcklicher, als wir le- „bendige. Diese Hoffnung begluͤckt deinen frohlockenden Freund R. Lovelace. P.S. P. S. Schreibe nicht immer einerley. Mel- de mir, wie es dem armen Belton gehet: und zwar dieses je eher je lieber. Wenn ich ihm die- nen kann, es sey in Person, oder mit Gelde, so darf er mir nur befehlen: Allein das letzte wird mir leichter seyn. Denn wie kann ich jetzt meine Goͤttin verlassen? Jch will aber ein Aufgebot an meine uͤbrigen Vasallen ergehen lassen. Wenn ihr einen Anfuͤhrer braucht, so laßt mich es wis- sen: sonst will ich euch mein Antheil an Gelde uͤberschicken. Der neunzehnte Brief von Herrn Belford an Herrn Lovelacen. Sonnabends den 20sten May. E inen so verruchten Menschen, als du dich in deinem Briefe von gestern Abend bewiesen hast, will ich nicht ein Wort weiter schreiben; son- dern die Fraͤulein dem Schutze derjenigen Gewalt, die allein Wunder thun kann, und ihrer eigenen Tugend uͤberlassen. Jch hoffe, daß sie dennoch bewahret werden wird. Jch will dir nur nach deinem Verlangen mel- den, wie es dem armen Belton gehet, sonderlich da mir selbst bey dieser Geschichte solche Gedan- cken uͤber unsere bisherige Lebensart und uͤber un- sere boͤsen Vorsaͤtze auf das Kuͤnftige aufgestiegen sind, die dir und mir nuͤtzlich seyn koͤnnen, wenn Vierter Theil. J ich ich im Stande bin, sie nachdruͤcklich genug zu entwerfen. Der arme Mann besuchte mich am Donner- stage, und stoͤrte meine traurige Beschaͤfftigung bey dem Bette eines Sterbenden. Er machte den An- fang mit Klagen uͤber seinen ungesunden Leib, krankes Gemuͤth, und schwindsuͤchtigen Husten. Er sagte, mit seinem Blutspeyen wuͤrde es schlim- mer: und endlich kam er auf seine traurige Ge- schichte. Diese ist voller Verwirrung, und traͤgt viel zu Vermehrung seiner Kranckheit bey. Es kommt endlich an den Tag, daß seine Thomasine (die ihren Taufnahmen aͤnderte, damit sie zum we- nigsten den Taufnahmen desjenigen tragen moͤch- te, in den sie sich, ihrem Vorgeben nach, verliebt hatte) mit einem Kerl zugehalten hat, welcher bey ihrem Vater Hausknecht gewesen ist. (Jhr Va- ter hatte ein Wirthshaus zu Darking. ) Der Beutel des armen Thomas hat diesen eh- mahligen Hausknecht in einen vornehmen Herrn verwandelt. Sie ist so klug gewesen, daß sie die Fuͤhrung der Rechnungen uͤbernommen hat: und nun ist sie nicht im Stande zu sagen, wo einige wichtige Posten geblieben sind, die ihr der arme Belton anvertrauet hat, und die er jetzt anwen- den wollte, die Schulden zu bezahlen, dasuͤr seln Erbgut in Kent verpfaͤndet war, welches er ihr ohne Schulden zu lassen gedachte. Allein nun ist diesas unmoͤglich, denn die Zeit ist nun, da die Schuld bezahlt werden soll. Sie ist schon so lan- ge Zeit fuͤr seine Frau gehalten, daß er selbst nicht weiß, weiß, worzu er sich in Absicht auf sie und ihre beyden Soͤhne entschließen soll, in die er sich so vergaffet hatte, und sie fuͤr die Seinigen hielte, ob er gleich jetzt anfaͤngt daran zu zweifeln. Du siehst also, Lovelace, was es mit den Maitressen fuͤr ein Ende nimmt: Diese neue Lebensart ist der uhralten nicht vorzuziehen. Der arme Schelm sagte zu mir: „Die Maitresse kann „man wohl halten; aber die Guͤter dabey verlie- „ren. ‒ ‒ Und siehe einmahl mein Todtengerip- „pe an!„ Hierbey wieß er auf seinen schwind- suͤchtigen Leib. Wie klug handeln wir, wenn wir uns auf un- sere Freyheit, oder besser zu reden, auf die Frey- heiten, die wir uns selbst nehmen, so vieles einbil- den! Wir haben gewiß nicht Ursache, den Ehe- stand so sehr zu verachten, und unsere matten Schertze bey demselben zu verschwenden: wenn wir oft selbst von unsern Maitressen durch Kuͤnste, die wir ohngeachtet aller unserer Klugheit nicht einsehen, betrogen werden, und mehr von ihnen am Stricke gesuͤhret werden, als es sich irgend ei- ne Frau zu thun unterstehet. Denn gewiß, Bel- ton ist nicht der einzige in der Welt, dem es al- so gehet. Laß uns dieses reifer uͤberlegen, und zwar nach unsern freyen Grundsaͤtzen, und nicht nach den Ge- setzen oder Gebraͤuchen unsers Vaterlandes. Und dennoch koͤnnen wir diese Gesetze nicht uͤber den Haufen stoßen, wenn wir nicht zugleich alle die Pflichten unter die Fuͤße treten wollen, die uns J 2 als als Gliedern der buͤrgerlichen Gesellschaft ob- liegen. Wir besitzen unsere Guͤter als rechtmaͤßige Kinder unserer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns gefallen, wenn wir solche nackte Kerls waͤren, als wir nothwendig seyn muͤßtzten, wenn unsere Vaͤter eben so klug gewesen waͤren, als wir seyn wollen, und wenn ihnen der Ehestand eben so veraͤchtlich gewesen waͤre? Sollen wir nicht eben so gut fuͤr unsere Nachkommen sorgen, da wir die Vorsorge unserer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen? Dieser Einfall schmeckt dir vielleicht allzusehr nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle- gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir Sparsamkeit und gute Haushaltung von denen Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem unsrigen nicht verbunden ist? Muͤssen wir nicht zum voraus denken, daß sie unser Vermoͤgen ver- schwenden werden? ‒ ‒ Sie wissen, daß ihr An- theil an uns sehr ungewiß ist, weil wir veraͤnder- lich, und heute so, morgen anders sind. Wenn nun diese Huren nicht in den Tag hinein leben, sondern auf das Kuͤnftige dencken, so muͤssen sie nothwendig etwas auf den Winter zu sammlen su- chen, wo es in ihrem Vermoͤgen stehet: ist aber dieses nicht, so werden sie verschwenden helfen, so viel sie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde ihnen gehoͤret. Jhre Lebensart, und das, was sie uns aufgeopfert haben, machen, daß sie weder an Ehre noch Gewissen dencken koͤnnen. Eine Eine Frau theilt mit ihrem Manne Vortheil und Schaden, und hat alle die Verfuͤhrungen nicht, ihn ungluͤcklich zu machen: sie hat noch nicht den Eindruck aus ihrem Gemuͤthe ausgetilget, den eine gute Erziehung zuruͤcklaͤßt; und wenn ja einige Frauens aus der Art schlagen, so ist es doch bey ihnen nicht etwas Nothwendiges, so wie bey den Maitressen, daß sie diesen Eindruck aus- loͤschen. Die Feinde des Ehestandes klagen zwar, daß die Frauens fuͤr sich selbst etwas sammelten: wenn dieses auch wahr ist, und es erfolgen Kin- der, so kommt doch das Gesammelte unsern Nach- kommen zu gute. Was die Treue anlanget, so frage ich, koͤnnen wir nicht mit mehrerm Recht hoffen, daß Frau- enzimmer von guter Familie und Erziehung uns allein lieben werden, als solche Maͤdchens, die den Augenblick, da sie sich uns ergaben, zugleich lasterhaft wurden, und ihre Ehre (wenn sie an- ders jemals Ehre gehabt haben) aus Gewinnsucht oder aus einem noch liederlicherern Triebe ver- schertzeten? Macht nicht das andern Muth, sich auch an sie zu wagen, wenn man weiß, daß sie von uns besieget sind? Welcher Mann wird so leicht- glaͤubig gegen ihre Schmeicheleyen seyn, und glau- ben, daß sie von niemand, als von ihm allein, uͤberwunden werden koͤnnten? Der Ehebruch ist ein so abscheuliches Verbre- chen, daß auch liederliche Mannspersonen dennoch oft einen Abscheu dafuͤr haben, wenn sie nicht auf die niedertraͤchtigste Art liederlich sind, und J 3 durch durch das Betragen der verheyratheten Frau gerei- tzet und gleichsam eingeladen werden, etwas zu wa- gen. Eine Maitresse hingegen macht sich, zum wenigsten nach dem Ausspruch der Gesetze, dieses Verbrechens nicht schuldig: alle Außenwercke der Ehrbahrkeit, alle Schuͤchternheit, alle Ehrliebe, haben wir selbst schon bey ihr zerstoͤret. Was wird sie demnach abhalten, ihren Begierden zu folgen, oder ihren Vortheil durch Untreue gegen uns zu besoͤrdern? Und was wird den Versucher abschrecken, sich an sie zu wagen? Ein Ehemann wird durch die Gesetze gesi- chert; wenn seine Frau uͤberzeuget wird, daß sie mit einem beguͤterten Mann zu thun gehabt hat, (ein Armer wird sich nicht leicht an sie machen, denn es fehlet ihm an Mitteln, sie zu bestechen) so kann er sich seines Schadens erhohlen, und sich noch uͤber das von ihr scheiden lassen. Wenn ich der Schande nicht gedenken will, so muß diese Be- trachtung beide Theile furchtsam machen. Die Frau muß gewiß sehr lasterhaft seyn, und der Mann muß einfaͤltig seyn, der sie gewaͤhlet hat, welche bloß aus Liebe zur Veraͤnderung, ihren Mann in der allerempfindlichsten Sache beleidi- get, wenn der Verfuͤhrer nicht ungemein viel Rei- tzendes hat, oder sehr viel Vermoͤgen besitzet, sie zu bestechen. Allein die Ehescheidungen halten schwer! ‒ ‒ (Das ist auch billig!) Hingegen (sagt ein Frey- Geist) hat es nicht die geringste Schwierigkeit, wenn ich meine Maitresse laufen lasse: ich kann dieses dieses bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich ihrer uͤberdruͤßig bin, und eine andere mir besser gefaͤllt. Was muͤßte der aber fuͤr ein Unmensch seyn, der ein Frauenzimmer, welches er verfuͤhret hat, (denn von Gassenhuren reden wir nicht) ohne wichtige Ursachen wegjagen kann? ohne eine Ur- sache, die in seinen Augen, und in den Augen der Welt und des ungluͤcklichen Frauenzimmers selbst guͤltiger ist, als diese, daß ihn die Gesetze nicht ab- halten, und daß er Lust hat, eine andere eben so ungluͤcklich zu machen? Wenn ich nicht von dem rede, was in einer andern Welt geschehen moͤchte, sondern auf das sehe: was wircklich geschiehet, und wie sich alle die auffuͤhren, die Maitressen halten, so duͤnckt mich nicht, daß man eine Maitresse so leichte loß wird. Man kann weiter nichts sagen, als: wir koͤnnen sie wegjagen, wenn wir wollen. Und eben diese Gewalt macht, das wir manches von einer Maitresse leiden, daß wir einer Frau nicht zu gute halten wuͤrden. Wenn wir Menschen sind: wenn das Frauenzimmer listig ist: (und welchem Frauenzimmer fehlet es an List, wenn es durch List uͤberwunden ist, und ohne List sich nicht in seinen jetzigen Umstaͤnden erhalten kann?) wenn wir unsere Maitresse nach uns haben nennen lassen: wenn wir an einem gewissen Or- te wohnen, und in ihrer Gesellschaft Besuch an- genommen, und sie fuͤr unsre Frau ausgegeben ha- J 4 ben: ben: Wenn wir Kinder von ihr haben: so sind dieses in den Augen der Welt und nach dem Aus- spruch unsers eigenen Hertzens, sehr starcke Ban- de, von denen wir uns nicht so leicht loßreissen koͤnnen. Eine solche Maitresse sitzt so feste an uns, als das Fell: und wir muͤßten uns beyna- he schinden, wenn wir uns von ihr loßreissen wollten. Selbst alsdenn, wenn wir sie wegen ihrer Untreue verstoßen, muͤßte sie es dumm angefan- gen haben, wenn sie keine Vertheidiger faͤnde. Jch habe es noch nie erlebt, daß eine Person so gottloß, oder eine Sache so schlimm gewesen waͤre, der niemand aus Haß gegen den Beleidigten, oder aus Mitleiden mit dem Beleidiger, das Wort geredet haͤtte. Man haͤlt zum wenigsten den Mann fuͤr einen Unmenschen. Wenn die Maitresse auch nicht vor einen Pfennig Ehre aus unserm Hause mit sich nimmt, so laͤßt sie uns doch eben so wenig Ehre darin: und am aller- wenigsten behalten wir Ehre bey dem schoͤnen Theile der Welt, auf dessen Hochachtung wir am ehrgeitzigsten sind. Kann uns dieser geringe Vortheil, daß wir eine Maitresse abschaffen koͤnnen, so bald wir wollen, so wichtig scheinen, daß wir um dessentwillen uns einer viel groͤßeren Gefahr aussetzen? Wir sind Leute von gutem Stande und von ansehnlichen Mitteln: sollen wir um einer solchen Ursache wil- len uns mit Frauensleuten, die unter unserm Stande sind, behelfen? Sollen wir unser Bette und und unser Vermoͤgen mit einer Person theilen, (unser Vermoͤgen theilen wir nicht einmahl mit der Maitresse, sondern sie wird so klug seyn, und drey Vierthel fuͤr sich nehmen) die von niedrigem Stande und Erziehung ist, und uns nichs zuge- bracht hat? Mit einer Person, von der wir wei- ter nichts zu gewarten haben, als die liederlichen Vergnuͤgungen, deren man sich nicht ohne Schan- de ruͤhmen kann, und an die man nie gedenken kann, ohne sich und die veraͤchtliche Wohlthaͤterin zu beschaͤmen? Je aͤlter wir werden, je mehr verlieret sich die Raserey unserer wilden Jahre. Wir bekommen andere Absichten, die unsere Lust zu dem herum- schwaͤrmenden Leben vermindern, und uns den Ehestand von Tage zu Tage angenehmer machen. Wenn wir Kinder haben, und glauben, daß es unsre eigenen Kinder sind, und unsere Guͤter nicht fuͤr unser liederliches Leben hingegeben sind: so werden wir zu spaͤt bedauren, daß wir uns durch unsere so hoch gepriesene Freyheit die Haͤnde selbst gebunden, und uns des angenehmen Rechts bege- ben haben, unsern Nachkommen das Unsrige zu hinterlassen. Denn unsere Guͤter fallen an unsere Anverwandten, nach denen wir nichts fragen, sie moͤgen nahe oder weitlaͤuftige Anverwandten seyn, und die uns vielleicht wegen unserer liederlichen Lebensart verachtet haben, wenn sie selbst tugend- haft sind. Wenn wir auch mit unserer Verlassenschaft nach eigenem Belieben schalten und walten koͤnnen, J 5 so so ist es doch thoͤricht, bloß um eines gottlosen Ein- falls willen alle seine Nachkommen unehrlich und zu Hurkindern zu machen. Warum sollen unsere Kinder der Welt veraͤchtlich seyn? Es moͤgen Jungens oder Maͤdchens werden, warum wollen wir sie zwingen, eine ungleiche Heyrath zu treffen, es sey in Absicht auf das Vermoͤgen oder in Ab- sicht auf die Jahre? Warum sollen wir unsere un- schuldigen Kinder, die wir doch lieben werden, zum Voraus in die Umstaͤnde setzen, daß man eine Geringschaͤtzung gegen sie hat, und sie keine ihnen anstaͤndige Gesellschaft halten koͤnnen, ob sie gleich besser sind als wir, und die Pflichten der Sitten- lehre und des gesellschaftlichen Lebens beobachten wollen? in solche Umstaͤnde, daß sie es fuͤr eine Wohlthat und Gnade achten muͤssen, wenn jemand von gutem Stande mit ihnen umgeht? Wie muͤs- sen solche Kinder ihren Vater hassen, weil er sie durch seine Einfaͤlle und durch seine Feindschaft wider die Gesetze seines Vaterlandes in solche Um- staͤnde gesetzet hat, und ihnen eine Mutter gegeben hat, an die sie nicht ohne Beschaͤmung gedenken koͤnnen: eine Mutter, deren Laster sie ihr Da- seyn zu danken haben, und deren Vorbilde sie nicht nachfolgen duͤrfen? Es ist das Ungluͤck noch groͤßer, wenn die Erziehung der Kinder versaͤumet wird, und die- ses pflegt doch gemeiniglich zu geschehen. Denn wer kein fuͤhlloses und unmenschliches Herz hat und etwas von Liebe gegen seine Nachkommen empfin- det, wird heyrathen. Das Ungluͤck, sage ich, ist als- alsdenn noch groͤßer; die Suͤnde wird durch die Kinder verewiget. Die Jungens muͤssen ihr Brod auf der See, unter den Soldaten, oder gar auf der Landstraße und in den Buͤschen suchen; und die Maͤdchens sind fuͤr die Hurenhaͤuser ge- zeuget: bis endlich beyder Leben sich noch betruͤb- ter endiget, als es gefuͤhret ist. Was gewinnen wir also dadurch, wenn wir diese ungebahnten und krummen Wege wandeln, als Gefahr, Schande und spaͤte Reue? Betrie- gen wir uns nicht selbst am Ende durch unsere ungebundene Lebensart am meisten? Treten wir nicht endlich mit unsern abgenutzten Huren gar in den Stand, durch welchen wir uns mit viel vorneh- men und bemitteltern Personen haͤtten verbinden koͤnnen, bey denen diese wohl haͤtten dienen koͤn- nen: ohne daß wir noͤthig gehabt haͤtten, unter unserm Stande zu leben, und in Winkel und Loͤ- cher zu kriechen, oder so bald wir mit unserm ge- meinen Schatz einen Schritt aus dem Hause setz- ten, uͤberall um uns zu sehen, als wenn wir glaub- ten, daß uns ein jeder betrachten werde? Du kennest meinen Vetter Anton Jenyns. Er hatte zwar kein so lebhaftes und auf alles Boͤ- se begieriges Herz, als du, Belton, Mowbray, Tourville und ich: allein er hatte doch eben die wil- den und lasterhaften Begriffe, die wir haben, und richtete sein Leben nach ihnen ein. Wie konnte er auf den Ehestand laͤstern! Wie bruͤstete er sich mit seinen vermeinten witzigen und spitzigen Einfaͤllen! Wir Jungens und Maͤd- chens chens insgesamt, und ich unter andern, der ich da- mals noch Batzebube war, glaubten auch festi- glich, daß sein Scherz sehr empfindlich sey! Heyrathen! ‒ ‒ O wer wollte das um der ganzen Welt willen thun? Welcher verstaͤndige Mann koͤnnte sich eine Frau nehmen, die so herrschsuͤchtig und so kostbar zu erhalten seyn wuͤrde? Er wuͤrde das nicht ertragen koͤnnen, daß ein Frauenzimmer von gleichem Stande, und vielleicht von groͤßern Vorzuͤgen und Verstande, sich berechtiget hielte, das Vermoͤgen, zu dem sie ihre Mitgift gebracht haͤtte, als ein gemeinschaftliches Vermoͤgen anzu- sehen. Nachdem er zwey bis drey Jahr mit diesen Gedanken in London herumgeschwaͤrmet hatte, (in welcher gantzen Zeit niemand eine so gute Mei- nung von ihm hegete, als er selbst) vergaffte er sich in eines Fechtmeisters Tochter, und ward seiner Sache mit ihr eins. Er miethet fuͤr sie ein paar Stuben in Hackney; besucht sie heimlich und wie ein Dieb der eben stehlen will: denn beyde waren noch sehr besorgt fuͤr ihre Ehre, die in der That sehr geringe war, die sie aber dennoch nicht ganz verlieren wollten: denn liederliche Leute von bey- den Geschlechtern pflegen die letzten zu seyn, die das allgemeine Urtheil der Welt uͤber sich billigen. Er bekam und gab keinen Besuch. Er erfuhr alles Ungemach eines Diebes, oder eines der von seinen Schuldleuten geplaget wird, und sich nicht unterstehet, aus dem Hause zu gehen. Das Leben waͤhrete 12. Jahr. Ob er gleich schoͤne Guͤter hatte, hatte, so kamen doch selten Einnahme und Ausga- be mit einander uͤberein; denn wenn gleich keine Verschwendung in seinem Hause herrschete, so war doch auch keine Haushaltung darin. Alle Jahr kam ein Kind: und er hatte sehr viel Liebe fuͤr seine Kinder. Keins dieser Kinder ward aͤl- ter als drey Jahre. Als das zwoͤlfte sterben woll- te, und er so eingezogen worden war, als immer ein Ehemann seyn koͤnnte, so uͤberredete ihn seine Frau Thomas (denn nach seinem Namen hatte er sie nicht nennen lassen) daß dieses ein goͤttliches Gericht uͤber ihre suͤndliche Lebensart sey. (Das Ungluͤck macht uns doch endlich gewissenhaft; und du weißt, daß so gar ein Ludwig der vierzehnte sich von der Maintenon aberglaͤubisch machen ließ, als seine Feldzuͤge ungluͤcklich waren.) Als sie beyde schon uͤber die Haͤlfte abgenutzt waren, ent- schloß sich mein einfaͤltiger Vetter endlich sie zu heyrathen. Und nun hatte er Zeit, zu uͤberdenken, was fuͤr anstaͤndige Partheyen er haͤtte treffen koͤnnen, vor denen er in der Bluͤte seines Lebens geflohen war. Es hatte ihm indessen eben so viel gekostet, als wenn er wircklich verheyrathet gewe- sen waͤre: seine Ehre hatte gelitten: alle seine Freude war nur verstohlen gewesen: er hatte eine ungleiche Parthey getroffen, deren er sich immer geschaͤmet hatte. Jndessen sagten doch die Frauensleute, Anton haͤtte ehrlich gehandelt, daß er sie nach 12. Jahren wieder zu Ehren braͤchte. Das war alle Freude, die mein Vetter bey der Hochzeit mit seiner jungen Frau und alten Mai- tresse tresse hatte: die er ohne Klang und Gesang in der Stille feyerte, und bey der sonst nichts erfreu- liches vorfiel, das ihn haͤtte aufmuntern koͤnnen. Jch weiß nicht, was Belton mit seiner Thomasine machen wird, und ich habe nicht Lust, ihm etwas zu rathen; denn ich sehe, daß der arme Schelm nicht leiden kann, daß sie ein ande- rer schilt, als er selbst. Er verflucht und ver- wuͤnscht sie von Hertzens-Grunde. Er ist so tief er- niedriget, daß er selbst davon redet, daß er die beyden Jungens so lieb gehabt hat, und doch zwei- feln muß, ob sie von ihm sind. „Ein verflucht „Ding! (sagt er) wenn mir der Heundram Haus- „knecht die beiden Hur-Baͤlger gemacht haben soll- „te.„ Wahr genug! die Jungen verrathen ih- ren Vater durch ihre Gesundheit und dicken Ge- sichter allzudeutlich. Jch mag ihn aber in dieser Wahrheit nicht befestigen. Von Jhnen glaubt er, daß Sie allzu lebhaft sind, und daß eine Nachricht von seinen Umstaͤn- den keinen Eindruck bey Jhnen machen werde, sonderlich da ihr gantzes Hertz jetzt von neuen An- schlaͤgen eingenommen ist. Den Mowbray haͤlt er fuͤr allzuhitzig, und sagt der habe kein mit- leidiges Hertz. Tourville ist ihm zu unbedacht- sam, und (hier kam ein trockner Spaaß) ob er gleich mit seiner Thomasine ohne Ehre in der Welt gelebet haͤtte, so wollte er doch die Ehre der undanckbaren Hure nicht gar zu sehr kraͤncken. Die Leute haͤtten zwar wohl gemerckt, daß sie seine Frau nicht sey, ob er sie gleich nach seinem Na- men men habe nennen lassen. Wuͤrde irgend ein Ehe- mann seine Hoͤrner geduldiger tragen, als Bel- ton? Jch will dir dieses zum Nachdencken uͤber- lassen, ohne etwas mehreres dazu zu setzen, den ein- zigen Gedancken ausgenommen: wir freyen Leute sind so hochmuͤthig, daß wir durch Worte und Handlungen unsere Vorfahren und die alten und guten Gewohnheiten unseres Landes bestaͤndig ta- deln: wenn wir aber unsern wilden Begierden ei- nige Jahre lang den Zuͤgel haben schießen lassen, und endlich mit den Jahren Verstand bekommen, so finden wir doch endlich, was alle vorher gefunden haben; nehmlich daß wir veraͤchtliche Thoren sind; daß die gebahnten Wege fuͤr uns sowohl als fuͤr die uͤbrige Welt die besten gewesen waͤren; und daß ein jeder Schritt, mit dem wir von diesem Wege ab- gewichen sind, ein Merkmaal unseres eitelen Hoch- muthes und Unverstandes ist. J. Belford. Der zwantzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford. Sonnabends den 20sten May. J ch freue mich uͤber den vernuͤnftigen Be- schluß deines letzten Briefes, und ich dancke dir dafuͤr. Der arme Belton! Jch haͤtte nie gedacht, daß seine Thomasine ein solcher Teufel haͤtte haͤtte seyn sollen: allein in der Gefahr stehet ein jeder, der sich mit einem gemeinen Maͤdchen einlaͤßt. Dieses habe ich nie gethan und auch nicht noͤthig gehabt zu thun. Bisher habe ich nur die schoͤn- sten Baͤume schuͤtteln duͤrfen, so ist mir die beste Frucht gleich in den Mund gefallen. Jch hatte den besten und zaͤrtesten Geschmack, und suchte meine Ehre darin, daß ich vornehme Kinder besie- gete. Die Bemuͤhung sie zu verfuͤhren ist mir immer angenehmer gewesen, als die Belohnung selbst: denn die bestehet bloß in der Einbildung. Jch danke dir, daß du mir zu verstehen giebst, daß ich jetzt auf dem rechten Wege bin. Denn bey einer Clarissa Harlowe ist man vor allen den Folgen sicher, mit denen du deinen Brief an- fuͤllest. Jch dancke dir also nochmals, daß du mei- ne Wege billigest. Mit einem solchen Frauenzim- mer darf man nicht in Loͤcher und Winckel krie- chen, noch das Licht scheuen. Du handelst als ein zaͤrtlicher Freund, daß du mich zu dem anfrischest, was ich ohnehin schon wuͤnsche. ‒ ‒ Es kann mir auch nie ein Schimpf seyn, wenn eine solche Per- son meinen Namen traͤget. Jch werde mich auch um das Urtheil der Welt nichts bekuͤmmern, wenn ich so lange lebe, bis ich verstaͤndiger werde, und mich alsdenn uͤberreden lasse, die gebahnten Wege unserer Vorfahren zu betreten. Gott segne dich, du ehrlicher Kerl. Zu An- fang mercke ich, du wolltest nur spaßen, oder du schriebest nur meinem Onckle zu gefallen, als du mich zu uͤberreden suchtest, daß ich dieses Frauen- zim- zimmer heyrathen moͤchte. Jch wußte, daß sich deine Ermahnung zu deinen Grundsaͤtzen nicht schickte: und daß du nicht aus Mitleiden gegen die Fraͤulein schreiben konntest. Jch dachte An- fangs, du waͤrest gar auf mich neidisch. Allein nun sehe ich, daß du mein alter ungeaͤnderter Freund bist. Jch wuͤnsche dir nochmahls fuͤr deine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit einen Seegen. Jch will nun meine Anschlaͤge desto muthiger ausfuͤhren, und dir zu Gefallen dir eine genaue Nachricht von allem geben, was ich vornehme. Jch konnte mich aber nicht enthalten, meine Ge- schichte zu unterbrechen, um dich von meiner Danckbarkeit zu versichern. Der ein und zwantzigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford. Sonnabends den 20sten May. Vernimm denn, wie ich mit meiner Geliebten stehe. W ir sind alle, von dem Hoͤchsten bis zum Ge- ringsten, ungemein vergnuͤgt. Dorcas ist bey ihrer Fraͤulein sehr wohl angeschrieben. Marichen hat sie in einer Heyrathssache um Rath gefraget. Die Antwort war, daß kein Orackel sie je besser gegeben hat. Sarah hat mit ihrem Braͤutigam, der mit Tuͤchern handelt, ei- Vierter Theil. K nen nen Streit gehabt, und meiner Geliebten das Amt einer Groß-Cantzlerin dabey aufgetragen. Sie gab der Sarah darin Unrecht, daß sie gegen ei- nen, der sie liebet, grausam ist. Das gute Kind stehet vor dem Spiegel, und thut doch die Augen zu, damit es sich nicht kennen moͤge. Frau Sin- clair hat sich auch ihren unfehlbaren und untruͤg- lichen Ausspruch in Absicht auf ihre beyden Ba- sen ausgebeten. So gut haben wir seit einigen Tagen mit den Leuten in dem Hause gestanden. Allein meine Ge- liebde will doch nicht mit ihnen speisen, und pflegt auch sonst selten in ihre Gesellschaft zu kommen. Sie werden ihrer Art nun gewohnt, und belaͤsti- gen sie nicht durch Bitten, weil wir doch endlich durch Geduld uͤberwinden muͤssen. Wenn sie zu- sammen kommen, so begegnen beide Theile einan- der sehr hoͤflich. Jch glaube, daß selbst Eheleu- te manchen Streit vermeiden koͤnnen, wenn sie sich selten zu sehen bekommen. Mich duͤnckt, du fragest mich, wie ich selbst mit der Fraͤulein stehe, seitdem sie an Mittewo- chen fruͤh mich so geschwind verlassen, und meinen Kuß so ungehorsam abgewiesen hat? Es steht gut genug! Recht sehr gut! Das liebe eigensin- nige Kind kann sich selbst nicht helfen: es hat keinen andern Schutz. Es hat auch uͤber dieses mich behorchet, als ich eben denselben Mittewo- chen Nachmittags mit der Frau Sinclair und Jungfer Martin redete. Wer haͤtte damahls dencken sollen, daß das liebe Kind uns so nahe waͤre? waͤre? Durch diese Unterredung sind ihr manche Zweifel benommen worden, die sie vorhin quaͤ- leten. Es ward insonderheit viel von der Tiefsin- nigkeit der Frau Fretchville geredet. Die Jung- fer Martin, die sie sehr wohl kennet, bedaurete die arme Frau ungemein: sie und ihr seeliger Mann haben sich fast von der Wiege an lieb ge- habt. Das Mitleiden ist ansteckend und von dem Ungluͤcke der guten Frau Fretchville wurden so viel Umstaͤnde erzaͤhlet, daß meine Geliebte auf das aͤußerste geruͤhret werden mußte, da die Jung- fer Martin so sehr geruͤhret ward, ob sie gleich ein viel haͤrteres Hertz hat. Den Lord M. hindert nichts als das Podra- gra, daß er meine Liebste noch nicht besucht hat. Die Lady Elisabeth und die Fraͤulein Mon- tague werden naͤchstens in London erwartet. Jch redete davon, wie sehr ich wuͤnschte, daß meine Liebste diesen Besuch in ihrem eigenen Hau- se annehmen koͤnnte, wenn nur Frau Fretchville selbst recht wuͤßte, was sie thun wollte. Jch wollte dem ungeachtet bey der Frau Sinclair im Hause bleiben, wie ich schon vorhin versprochen haͤtte, um in keinem Stuͤcke gegen den Wohlstand zu suͤndigen. Mit einer recht erhabenen Stimme redete ich mit ihnen von meiner Liebe zu meinem Kinde, die so aufrichtig sey, als sie je ein Liebhaber haͤtte em- pfinden koͤnnen. Kurtz es waͤre eine rechte Plato- K 2 nische nische Liebe, oder ich muͤßte nicht wissen, was Pla- tonische Liebe sey. (Das ist wahr, Bruder: unsere Liebe soll sich auch so endigen, als wie die Platonische Liebe sich gemeiniglich zu endigen pflegt.) Sarah und Frau Sinclair ruͤhmeten beyde meine Liebste, ohne einen Ruhm zu weit zu trei- ben. Sarah bewunderte insonderheit ihre Tu- gend, sie setzte aber hinzu, sie schiene ihr beynahe uͤbertrieben zu seyn, und zu weit zu gehen, wenn sie sich unterstehen duͤrste, von meiner Gemahlin so frey zu reden. Dieses geschahe, damit mein Voͤ- gelchen nicht mercken moͤchte, daß ich es fangen wollte.) Jndessen lobete sie mich, daß ich mei- nem Versprechen so genau nachkaͤme. Jch war in meinen Reden freyer, und tadelte sie wegen ihrer Sproͤdigkeit gegen mich: ich nann- te sie grausam: ich scholt auf ihre Anverwandten: ich zweifelte an ihrer Liebe. Mir wuͤrden alle Bitten abgeschlagen. Und dennoch sey mein Um- gang mit ihr eben so scheu, eben so gehorsam, wenn ich allein bey ihr waͤre, als in Gesellschaft. Jch gab dabey zu verstehen, daß noch an eben dem Tage etwas vorgefallen sey, das ihre Kaltsinnig- keit allzudeutlich zeigete, als daß ich es ertragen koͤnnte. Jch wollte sie bitten, daß sie mit mir in das Trauer-Spiel, das gerettete Vene- dig, fuͤhre, welches auf den Sonnabend aufge- fuͤhrt wuͤrde, und eines der besten Spiele waͤre, in in dem sich die besten Spieler zeigen wollten. Denn ich wollte doch sehen, ob sie mir alle Ge- faͤlligkeiten abschlagen wuͤrde. Jch haͤtte sonst nicht Lust zu Trauer-Spielen: allein meine Liebste zoͤge sie den Lust-Spielern vor, weil sie gemeiniglich lehrreicher waͤren, und Warnungen enthielten. Jch haͤtte zu viel Empfindung: sagte ich. Es sey ohnehin genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤthig haͤtten, das Traurige mit in unsere Vergnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu dem unsrigen zu machen. Das ist wahr, Belford: und ich glaube, daß beynahe alle Leute von unserer Lebens-Art kein Vergnuͤgen an Trauer-Spielen haben, die ausge- nommen, die sie selbst spielen, und andere ungluͤck- lich machen. Sie trauen sich selbst nicht, mit ernsthafteren Gedancken umzugehen, und laufen deswegen bloß zu den Lust-Spielen, um die traurige Erinnerung des Ungluͤcks, daran sie Schuld sind, sich aus dem Gemuͤthe zu schlagen, und Personen anzutreffen, die ihnen an Lastern gleich sind. Denn du weißst, daß in der Comoͤdie wenig tu- gendhafte Personen aufgefuͤhret werden. ‒ ‒ Doch ich schreibe jetzt nur, wie ich gesinnet bin: du wirst tiefsinnig, und faͤngst an eine Neigung zu dem Traurigen zu haben. Sarah antwortete in dem Nahmen der Frau Sinclair, der Marichen (die eben nicht zuge- gen war) der Jungfer Partington, und aller ihrer Bekannten: sie alle zoͤgen die Comoͤdien vor. K 3 Sie Sie haben Recht: denn wenn sich ein Maͤdchen auf uns verlaͤßt, so hat es bey unserem Lust-Spiele fuͤr sich selbst so viel Trauer-Spiele, als es verlan- gen kann. Jch bat die Sarah, sie moͤchte meiner Lieb- sten Gesellschaft leisten. Sie hatte zu thun. (Du wirst dencken: das war gantz recht.) Jch bat die Frau Sinclair, sie moͤchte ihr doch erlauben, mit zu gehen. Sie antwortete: Sarah wuͤrde es sich vor eine Ehre schaͤtzen, wenn sie der Frau Lovelace auswarten duͤrste. Allein das arme Ding sey so weichher- tzig, und wuͤrde sich bey einem so ruͤhrenden Trauerspiele die Augen aus dem Kopfe weinen. Sarah machte einen neuen Einwurf, wegen der Gefahr von Singleton, damit ich Gelegen- heit haͤtte, diesen Einwurf zu beantworten, und ich nicht mit meinem Kinde erst einen Streit daruͤber haben duͤrfte. Jch zog hierauf einen Brief aus der Tasche, den ich vorgab, eben aus ihres Vaters Hause be- kommen zu haben, und warnete sie vor einen Kerl, der uns aufspuͤren wollte. Jch foderte Feder und Dinte, und machte folgende Beschreibung von ihm, mit Bitte, das gantze Haus aufzubieten: „Ein Schiffer, der im Gesichte von der Sonne „verbrannt, und sehr voll Pocken-Flecke ist, uͤbel „aussiehet, dicke Beine hat, und ohngefaͤhr sechs „Fuß lang ist: mit schweren Augen, uͤberhaͤngen- „den Augenliedern: der sehr große Schritte thut; „gemeiniglich ein Messer an der Seiten hat: der „so „so duͤrre Lippen hat, daß sie das Zahnfleisch kaum „bedecken, nicht anders, als wenn sie ihm die „Sonne in den heißen Laͤndern ausgedoͤrret haͤtte: „einen braunen Rock anhabend, und einen bunten „Halstuch; und an statt des Stockes einen gros- „sen eichenen Knuͤppel tragend, der beynahe so „lang ist, als er selbst.„ Wenn dieser Kerl kaͤme, so muͤßte ihm auf kei- ne Frage geantwortet werden. Man sollte mich zu ihm ruffen. Allein meiner Liebsten sollte man es so lang verborgen halten, als es moͤglich waͤ- re. Wenn ihr Bruder oder Singleton selbst kaͤmen, und hoͤflich waͤren, so wollte ich um mei- ner Liebsten willen auch hoͤflich seyn. Meine Liebste duͤrfte alsdenn nur gestehen, daß sie verhey- rathet sey, so wuͤrde von keiner Seiten Anlaß zu Gewaltthaͤtigkeiten gegeben werden. Allein ich schwur dabey, so hoch ich konnte: wenn sie mir mit Gewalt geraubet wuͤrde, oder sich uͤberreden liesse, mit zu gehen, so wollte ich den ersten Tag, an dem ich sie vermissete, nach ihres Vaters Hau- se gehen, und sie wieder fordern; und wenn ich die Schwester nicht wieder bekommen koͤnnte, so wollte ich den Bruder haben. Jch wuͤrde eben so gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din- gen koͤnnen, als er. Glaubst du, Bruder, daß sie sich nun unterstehen wird, von mir zu fliehen? Frau Sinclair fing an, besorgt zu werden, daß Ungluͤck in ihrem Hause vorgehen koͤnnte: und ich war besorgt, daß sie der Sache zu viel thun und sich dabey verrathen moͤchte. Jch K 4 winckte winckte ihr: sie hustete, und machte ihre Gebaͤr- den, damit ich mercken sollte, sie verstuͤnde mich; zwang ein Paar Rettungs-Sylben zum Munde heraus; und nachdem sie gluͤcklich von der angefan- genen Rede abgekommen war, legte sie ihre bey- den Pferde-Lippen uͤber einander, um stille zu schweigen. Hier ist der Stoff zu meiner kuͤnftigen Arbeit, Belford. Kannst du dencken, daß ich alle die Muͤhe umsonst gehabt haben will, wenn du, oder der Lord M. schreiben und predigen? Nein ge- wiß nicht! wie mein Kind zu sagen pflegt, wenn es vornehm thut. Was muß die Folge von dieser Unterredung seyn? Wird nicht mein Kind die Gefaͤlligkeit selbst gegen mich seyn, wenn ich das naͤchstemahl vor dessen Angesicht gelassen werde? Den Donnerstag waren wir sehr vergnuͤgt. Der gantze Vormittag verstrich uns außerordent- lich froͤlich. Jch durfte ihre liebe Hand kuͤssen. Jch darf dir diese Hand nicht beschreiben. Denn ich erinnere mich, daß deine Augen bey deinem Besuche bestaͤndig auf ihre Hand und Arm ge- richtet waren, wenn du einige Augenblicke von Bewunderung des Wunders der Schoͤnheit, nehmlich ihres Gesichtes, stehlen konntest. Jch glaube, daß ich ihre Hand funfzigmahl gekuͤsset habe. Einmahl traf mein Kuß ihre Wangen, ob ich ihn gleich den Lippen geweyhet hatte: allein dieser dieser Kuß war so feurig, daß sie nothwendig sich boͤse stellen mußte. Wenn sie mich nicht immer einen Schritt vom Leibe gehalten, und mir die unschuldigen Freyhei- ten versaget haͤtte, die sich unser Geschlecht eine nach der andern zu nehmen pfleget: ja wenn ich nur einen Zutritt zu ihr haͤtte bekommen koͤnnen, ehe sie voͤllig angekleidet ist, (denn die voͤllige Kleidung gebietet allzuviele Ehrfurcht) so wuͤrden wir schon laͤngstens naͤher mit einander bekannt geworden seyn. Allein ich mag sie des Abends so lange aufhalten, und des Morgens so fruͤh spre- chen als ich will, so ist sie doch immer gekleidet. Bey dem Fruͤhstuͤck, an den fruͤhesten Stunden des Tages ist sie schon so sauber bekleidet, als sie am Mittage zu erscheinen gedencket, und als sich andere irgends bey Tage kleiden koͤnnen. Da sie von diesen Stuͤcken des Wohlstandes unter Frem- den nichts verlieret, so wundere dich nicht, daß ich so wenig bey ihr ausrichten kann. Bedencke aber wie mich alle diese Schwierigkeiten reitzen muͤssen! Den Donnerstag fruͤh, wie ich dir schon gesagt habe, waren wir sehr vergnuͤgt. Gegen Mittag zaͤhlte sie mir die Stunden vor, die sie bey mir gewesen waͤre, die mir nur ein Augenblick zu seyn schienen, und verlangte, daß ich sie allein lassen sollte. Jch hatte wenig Lust, zu gehorchen: weil aber die Sonne schon in das Zimmer kam, so unterwarf ich mich dem harten Befehl. Jch speisete außer Hause: kam wieder; re- dete von unserm neuen Hause und von der Frau K 5 Fret- Fretchville. Jch hatte mit dem Capitain Men- nell geredet, und ihn gebeten, mehr in die Witwe zu dringen. (Sie hatte Mitleiden mit Frau Fretchville. Eine abermahlige gluͤckliche Folge des Horchens!) Jch hatte an meinen Onckle ge- schrieben, und wartete auf Antwort. Jch erhielt Erlaubniß, den Abend bey ihr zu speisen, und bat sie, meinen Brief durchzusehen, und mir zu sagen, wo ich etwas verbessern sollte. Sie versprach, mir eine vollstaͤndigere Antwort zu geben, so bald sie von Fraͤulein Howe Briefe erhalten haͤtte. Jch bat sie, mit mir auf den Sonnabend nach dem Schau-Spiel zu fahren. Sie machte mir ei- nige Einwendungen, wie ich zum Voraus gedacht hatte, die von ihres Bruders Anschlaͤgen und von der Hitze hergenommen waren. Allein sie that dieses auf eine solche Art, als wenn sie sich fuͤrch- tete, mich zu beleidigen. (Abermahls eine Wir- ckung von dem Horchen.) Sie uͤberwand aber doch diese Schwierigkeiten, und entschloß sich, mit mir zu fahren. Der Freytag vergieng eben so gluͤcklich. Das sind einmahl zwey gluͤckliche Tage fuͤr uns beide! Warum kann ich nicht alle Tage so ver- gnuͤgt und gluͤcklich machen. Es hat fast das Ansehen, als wenn dieses bey mir stuͤnde. Jst es nicht wunderlich, daß ich ein Vergnuͤgen daran finde, ein Frauenzimmer zu plagen, das ich doch so zaͤrtlich liebe. Jch muß in meinem Gemuͤthe etwas gleiches mit der Fraͤulein Howe haben, die auch ihre Freude daran hat, wenn sie einen Mann plagen plagen kann, der sich willig von ihr plagen laͤßt. Jch koͤnnte aber gewiß mit diesem Engel nicht so umgehen, wenn ich nicht glaubte, daß ich sie doch noch endlich nach uͤberstandener Pruͤfung so beloh- nen werde, wie sie es wuͤnschet, wenn ich sie nicht zu der Lebensart uͤberreden kann, die mir so ange- nehm ist. Der Sonnabend ist schon halb verstrichen, und fuͤr uns eben so heiter gewesen als die vorigen Tage. Wir sind in dem Begriff, wegzufahren, Marichen hat sich Erlaubniß ausgebeten, mitzu- fahren, und sie von meiner Geliebten bekommen. Jch habe sie unterrichtet, bey welcher Gelegenheit sie weinen soll, sowohl damit sie durch ihre Thraͤ- nen ein mitleidiges Hertz verrathen moͤge, als auch damit es ihr nicht an Vorwand fehlen moͤge, ihr Gesichte etwas zu verbergen, um nicht erkannt zu werden. Wiewohl Marichen kein Maͤdchen fuͤr alle und jede ist. Wir werden in dem gruͤnen Stuͤbchen sitzen. Das Hertz meines Kindes muß nothwendig weicher werden, wenn es eine so lebhafte Vorstel- lung des Ungluͤcks ansiehet, als in diesem Trauer- Spiel insonderheit bey der Belviedra vorkommt. Wenn ich ein Maͤdchen habe koͤnnen in die Co- moͤdie bringen, so habe ich meine Beute schon fuͤr gewiß gehalten. Wenn das Hertz der Schoͤnen erst durch etwas Ruͤhrendes und Angenehmes aus- ser sich gebracht ist, so vergißt es alles Geraͤusch der Sitten und Gewohnheiten, und wird gantz liebreich und guͤtig: sonderlich wenn die Music nicht nicht vergessen wird, und ein Schmauß darauf folget. Zwar hoffe ich nicht dieses bey meinem Kinde zu erhalten, allein ich habe mehr als einen Endzweck, deswegen ich es in die Comoͤdie brin- gen will. Du weißst, daß Dorcas einen Haupt- Schluͤssel hat. ‒ ‒ Es waͤre schon Vortheil genug fuͤr mich, wenn die Fraͤulein nur aus dem Trauer- Spiele dieses lernete, daß es noch viel betruͤbtere Zufaͤlle giebt, als sie erlebet hat oder erleben wird. So vergnuͤgt sind wir jetzt. Jch will nicht hoffen, daß eine von den schadenfrohen Gotthei- ten des Nat. Lee unsere Freude mit Wermuth vermischen wird. D er naͤchste Brief nach diesem ist von dem 19ten, und von der Fraͤulein geschrieben. Sie berichtet ihrer Freundin, daß sich ihre Um- staͤnde sehr gebessert haͤtten, und daß sie seit ihrem letzten Briefe vier und zwantzig Stunden so ver- gnuͤgt zugebracht habe, als sie es in ihrem jetzigen Ungluͤck hoffen oder wuͤnschen koͤnnte. „Wie „gern will ich (schreibt sie) zufrieden seyn, wenn „es mir nur mittelmaͤßig gehet! Jch will gern „meine Umstaͤnde von der besten Seite ansehen, „und hoffen, wo ich hoffen kann; und zwar die- „ses nicht allein um meinet sondern auch um ihrent- „willen, da ich sehe, daß sie so vielen Antheil an „allem nehmen, was mir widerfaͤhret.„ Sie Sie erzaͤhlt darauf, was vor Reden zwischen Herrn Lovelacen, Frau Sinclair und Jungfer Martin vorgefallen waren: und giebt eine etwas umstaͤndlichere Nachricht von der Gelegenheit, die sie gehabt habe, ihn zu behorchen, ohne daß er es mercken konnte. Sie meldet es, wenn sie Ursache zu haben glaubt, mit den gefuͤhrten Reden vergnuͤgt zu seyn: allein sie ist voller Sorgen uͤber den Anschlag den er ausfuͤhren will, wenn er sie vermissete. Jedoch gefaͤllt es ihr, daß er nicht der angreiffende Theil seyn will, wenn er ihren Bruder in London an- treffen sollte. Das was an der Mittewoche vorgefallen ist, und was sie nachher heimlich gehoͤrt hat, noͤthiget sie ihrer Meynung nach, mit ihm in die Comoͤdie zu gehen; sonderlich da er so verstaͤndig ist, eines von den Frauenzimmern des Hauses mitzuneh- men. Sie ist vergnuͤgt daruͤber, daß er wirklich an den Lord M. geschrieben hat: und berichtet, daß sie ihm eine naͤhere Antwort versprochen habe, so bald sie hoͤrete, was sie, die Fraͤulein Howe, dazu sage. Sie macht sich die Hoffnung, daß sie in dem naͤchsten Briefe noch mehr angenehmes werde be- richten koͤnnen. „Angenehme (schreibt sie) muß „ich das jetzt nennen, was mir vor meinem Un- „gluͤck nicht angenehm gewesen seyn wuͤrde.„ Sie glaubt indessen, daß es gut seyn werde, den Anschlag mit der Frau Townsend so fern zur Richtigkeit zu bringen, daß er sogleich ausgefuͤhret wer- werden koͤnne, wenn es die Noth erfordern sollte. Er sey in der That ein unergruͤndlicher und ge- faͤhrlicher Mensch, und die Klugheit erfodere, daß man wachsam sey, und auch auf die schlimmsten Zufaͤlle Rath wisse. Sie meint gewiß zu seyn, daß die Briefe sicher sind. Herr Lovelace wolle sich nie von freyen Stuͤcken ihrer Gesellschaft entschlagen: sonst meint sie versichert zu seyn, daß sie nach eigenem Willen aus dem Hause gehen koͤnne. Sie wuͤrde oͤfters einen Versuch hievon anstellen, wenn sie es fuͤr noͤthig hielte, und sich nicht vor dem Capitain Singleton fuͤrchtete. Der zwey und zwantzigste Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Sonnabends den 20sten May. J ch habe nicht vermuthet, daß sie die Antwort auf Herrn Lovelaces Aufsatz so lange auf- schieben wuͤrden, bis sie von mir Nachricht haͤtten. Damit ich nicht Ursache an einiger Hinderung oder Aufschub seyn moͤge, so will ich diesen Brief je- manden mitgeben, der eben nach London gehet, und ihn in Wilsons Hause abgeben kann. Jch Jch habe nie daran gezweifelt, daß Herr Lovelace in Sachen von dieser Art nicht sollte billig und edel seyn. Alle seine Verwandten sind am Gemuͤthe eben so edel, als sie durch ihre Ge- burt sind. Allein nun moͤchte wohl zu rathen seyn, daß sie erwarteten, was sein Ouckle auf seine Einladung antwortet. Mein Vorschlag, sie im Fall der Noth zu retten, ist folgender. Jch glaube, sie werden die Frau Townsend einmal bey mir gesehen haben. Diese hat einen starcken Handel mit Jndianischer Seite, Bruͤsseli- schen und Franzoͤsischen Spitzen, Cammer-Tuch, Leinewand und andern Waaren, die sie ohne Zoll zu entrichten bekommen kann. Sie hat einen starcken Abgang, und verkaust sonst allerhand Spielwerck in den benachbarten adlichen Familien. Sie hat ihre gesetzten Tage, an denen sie sich zu London aufhaͤlt. Alsdenn ist sie in einer ge- mietheten Stube eines Wirthshauses in South- wark, wo sie Proben von seidenen Waaren und andern Guͤtern hat, und ihren Kunden in London dienet. Jhre uͤbrige Waare hat sie zu Deptfort, und daselbst wohnt sie auch, weil sie die beste Ge- legenheit hat, ihre Waaren in dortiger Gegend an das Land zu bringen. Jch bin zuerst durch meine Mutter mit ihr bekannt worden, der sie zugewiesen ward, daß sie von ihr zu meiner Hochzeit das noͤthige einkauffen, und mich, wie meine Mutter sich ausdruckte, vor wenig Geld fuͤrstlich kleiden moͤchte. Denn da- mals mals meinete noch jedermann, daß ich in kurtzer Zeit Hochzeit halten wuͤrde. Jch muß zwar gestehen, daß ich nicht gern mit dergleichen Leuten zu thun habe, die den Zoll betriegen. Was thut man dadurch anders, als daß man die Gesetze seines Landes uͤbertrit, ehrli- chen Kaufleuten ihre Nahrung nimmt, und die Einkuͤnfte des Koͤnigs schmaͤlert, deren Abgang vermuthlich durch neue Auflagen ersetzt werden muß? Jndessen bin ich doch mit Frau Townsend gut Freund, ob ich gleich noch nicht mit ihr gehan- delt habe. Sie ist eine verstaͤndige Frau, und bey Gelegenheit ihres Handels oͤsters ausser Landes ge- wesen: sie weiß von allen, was sie gesehen hat, sehr gute Nachricht zu geben. Sie hat mich ge- beten, daß ich sie mit Jhnen bekannt machen moͤch- te; denn sie sucht insonderheit mit dergleichen Frauenzimmer Bekanntschaft, von denen man glaubt, daß sie sich bald veraͤndern moͤchten. Jch hoffe, daß ich diese Frau dahin bringen woll- te, Jhnen eine Zuflucht in ihrem Hause zu gestatten: Deptfort soll ein ansehnliches und volckreiches Dorf seyn, und ich glaube, man wuͤrde Sie daselbst am wenigsten suchen. Die Frau Downsend kann sich zwar wegen ihrer Handlung nicht viel zu Deptfort aufhalten: allein sie muß doch eine zu- verlaͤßige Person in ihrem Hause haben: und Sie koͤnnten vielleicht bey ihr sicher seyn, bis daß ihr Vetter Morden ankommt. Jch glaube, Sie thaͤten wohl, wenn Sie sogleich an diesen schrieben, ob ich gleich nicht weiß, was Sie schreiben sollen, son- sondern dieses bloß ihrer eigenen Ueberlegung uͤber- lassen muß. Denn ich glaube, daß Sie befuͤrchten werden, daß die beyden Herren an einander gera- then moͤchten. Jch will noch weiter auf diesen Vorschlag den- cken, wenn Sie es vor noͤthig halten. Jch hoffe aber daß es nun nicht noͤthig seyn wird, nachdem sich Jhre Umstaͤnde geaͤndert haben, und Sie vier und zwantzig Stunden nach einander vergnuͤgt gewesen sind. Wie aͤrgere ich mich uͤber den armseligen Trost, damit sich ein selches Frauenzimmer um die Zeit behelfen muß, in der es sein Hertz verschen- cken soll! Frau Dowensen hat, wie ich mich erinnere, zwey Bruͤder, deren jeder ein Schiff haͤlt. Da sie viel mit diesen zu thun hat, so koͤnnten Sie viel- leicht durch ihr Schiff-Volck vertheidiget werden. Wenn er Jhnen Ursache giebt von ihm zu fliehen, so seyn Sie wegen Jhrer Leute zu Harloweburg ausser Sorgen. Lassen Sie einen vor den andern sorgen, sie sind dessen doch schon gewohnt. Die Gesetze des Landes werden ihnen Sicherheit ver- schaffen: Lovelace ist kein Bandite, kein heim- licher Moͤrder: weil er Hertz hat, so ist er ein of- fenbarer Feind. Wenn er etwas unternimmt, das ihn den Gesetzen nach strafbar macht, so ha- ben Sie eine gute Gelegenheit, seiner durch die Flucht oder durch den Galgen loß zu werden. Was lieget Jhnen daran, welchem von beyden Sie ihre Freyheit zu dancken haben? Vierter Theil. L Wenn Wenn Sie mir nicht so umstaͤndlich berichtet haͤtten, bey welcher Gelegenheit Sie ihn behorchet haben, so wuͤrde ich seine gantze Unterredung mit den beyden Frauens-Leuten fuͤr ein angestelltes Werck halten. Jch habe den Entwurf Jhrer Ehestiftung dem Herrn Hickman gezeiget. Er hat sich ehemahls in Lincolns-Jnn Ein von Advocaten bewohntes Gebaͤude zu London, in welchem junge Advotaten zum Besten der Buͤrger zugezogen werden, und aus der Uebung das Recht lernen. aufgehalten; denn ehe sein aͤlterer Bruder starb, sollte er sich auf das Recht legen. Er bekam bey dieser Gelegenheit ein so merckwuͤrdiges, weises und altkluges Advocaten- Gesichte: wollte es in mehrere Ueberlegung ziehen; bat sich den Aufsatz mit nach Hause aus, wollte ihn genau ansehen, und so ferner, und was dergleichen mehr war, und alles was man bey solchen Um- staͤnden thun kann: daß ich ohnmoͤglich Geduld behalten konnte, sondern ihm den Aufsatz wieder aus den Haͤnden riß. O meine liebe Fraͤulein! so ungehalten! und zwar (wenn ich es sagen darf) bloß uͤber meinen Eifer und Dienst-Begierde. Eifer ohne Erkaͤnntniß! (antwortete ich,) wie der Eifer gemeiniglich zu seyn pfleget. Wenn nichts gegen den Aufsatz einzuwenden ist, das so gleich in die Augen faͤllt, so ist nichts dagegen ein- zuwenden. So hitzig! wertheste Fraͤulein! So So schlaͤfrig, unwerthester Herr! haͤtte ich bald gesagt. Jch sagte aber weiter nichts als: allerdings! mit einem solchen Gesichte, als woll- te ich sagen: wollen sie ungehorsam seyn? Er bat um Verzeihung! Er saͤhe nichts, was dagegen einzuwenden waͤre. ‒ ‒ Allein ob er den Aufsatz nicht noch einmahl sehen duͤrfte? Es ist nicht noͤthig! ‒ ‒ Gar nicht noͤthig! ich wollte den Aufsatz nur meiner Mutter zeigen. Die ist bey keinem Advocaten gewesen, und verste- het doch auf einen Blick von allen den Rechts- Drehereyen mehr, als die Haͤlfte der geschwaͤtzigen Tage-Diebe. Allein ich darf es nicht thun, weil sie nicht wissen soll, daß ich noch Briefe mit der Fraͤulein Harlowe wechsele. Jch rathe also, lassen Sie die Ehestiftung in das reine schreiben, und sie auf eine rechtskraͤftige Weise ausfertigen. Weiter ist nichts dabey zu sagen. Der Schiffer hat mit Kitty geplaudert, und Geld geboten, wenn er Jhren Aufenthalt er- fahren koͤnnte. Wenn er wieder kommt, und ich nicht mehr von ihm heraus bekomme, so will ich ihn durch den tiefsten Fisch-Teich ziehen lassen. Es ist genug, daß er mein Cammermaͤdchen hat bestechen wollen. Jch schicke diesen Brief so gleich ab: ich geden- cke aber bald wieder zu schreiben, und Jhnen einige Nachrichten zu geben, die mich selbst, meine Mut- ter und Jhren Onckle Anton betreffen. Weil sich Jhre Umstaͤnde zu bessern scheinen, so werde ich L 2 suchen suchen Sie bey dieser Gelegenheit zum Lachen zu bewegen. Denn Sie muͤssen wissen, daß der alte Knabe sich ordentlich bey meiner Mutter gemeldet hat, die nun ihre Geschicklichkeit in Liebes Sachen selbst brauchen wird, wenn sie Lust hat, seinem Ge- such Gehoͤr zu geben. Daß Jhre Umstaͤnde von Tage zu Tage er- freulicher werden moͤgen, solches wuͤnschet Jhre ergebenste Anna Howe. Der drey und zwantzigste Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Sonnabends und Sonntages den 20sten und 21sten May. J ch komme zu der versprochenen Erzaͤhlung: Dabey aber muͤssen Sie mich nicht fragen, wie mir die eigenhaͤndigen Briefe meiner Mutter und Jhres Onckels in die Haͤnde gefallen sind. Meine Mutter wollte mir die Stellen des Briefes nicht vorlesen, die meiner nicht zum Besten geden- cken, und Jhren Onckle alles Mitleidens von mir unwuͤrdig machen. Sie wollte mich auch nichts als einige Stuͤcke von ihrer Antwort sehen lassen: denn sie hat sich so weit herab gelassen, ihm zu ant- worten, und ihm ihr schrifftliches Nein zu geben: ein solches Nein, welches niemand anders als ein abge- abgenutzter Junggeselle von einer Witwe anneh- men muß. Es wuͤrde jederman, mich ausgenommen, eine Lust gewesen seyn, wenn diese veralterte Liebe ein gluͤckliches Ende erreichet haͤtte: und gewiß, er waͤre zu seinem Zweck gekommen, wenn die un- artige Tocher es nicht gehindert haͤtte. Meine Mutter wuͤrde zehn Jahr juͤnger geworden seyn: und mir wuͤrden an Alter und Weisheit zehn Jahre zugewachsen seyn, wenn ich den Antrag gebilliget haͤtte. Es wuͤrde geheissen haben: „Mein Kind, „wir Witwen wissen nicht mehr, wie wir gegen „einen Freyer fremde thun sollen, und wie wir die „Manns-Leute quaͤlen und martern muͤssen, um „zu sehen ob ihre Liebe aufrichtig ist. Du mußt „mir jetzt rathen, wie ich grausam seyn, und ihn „Felsen anruffen lassen soll: und doch auch nicht „allzugrausam, damit der alte Liebste nicht die we- „nige Zeit verliere, die er noch uͤbrig hat.„ Denn wuͤrde mein Betragen gegen Herrn Hickman ar- tig gewesen seyn, und die Mutter wuͤrde sproͤde und stoltz gewesen seyn, wie die Tochter. Was fuͤr Lust wollten wir uns gemacht haben, wenn diese Leute mit vieler Muͤhe wieder gelernt haͤtten, was sie laͤngstens vergessen hatten? Jch wuͤrde mich dieses Vergnuͤgens nicht begeben ha- ben, wenn ich nur gewiß gewußt haͤtte, daß ich sie zu rechter Zeit (wie die Jrrlaͤnder den Ausdruck nehmen) wuͤrde aus einander bringen koͤnnen, ehe sie zusammen gekommen waͤren. Allein wer kann einer alten Witwe und einen alten Junggesellen L 3 trauen, trauen, wenn die Witwe das Jhrige in ihren Haͤn- den hat, und der ausgeraͤucherte Liebhaber artige Saͤchelchens hat, und ihr 10000 Pfund verma- chen will, und noch uͤber dieses ihr die gantze Haushaltung zu uͤberlassen verspricht. Denn das ist der Jnhalt seines Antrages. Der alte Triton hat selbst die Ausschrist nach seiner eigenen Art eingerichtet: An die eben so liebenswuͤrdige als bewundernswuͤrdige Frau Annabella Howe Witwe. Jch glaube, er habe das letzte Wort deßwegen dazu ge- setzt, weil man bey Manns-Persohnen auf den Brief Esquire hinter den Nahmen zu setzen pflegt, und aus Furcht, daß die beyden Sylben bella im Lesen moͤchten uͤbersehen werden, und der Brief an die Fraͤulein Anna Howe kommen moͤchte. (Sie werden mich hochmuͤthig nennen.) Hierauf folget: diesen Brief demuͤthig zu uͤberreichen. Jch glaube, daß er dieses zur Er- innerung fuͤr sich aufgeschrieben hat, damit er nicht vergessen moͤchte, sich bey Uebergebung des Briefes artig zu buͤcken: denn ich glaube, daß er selbst den Brief hat uͤbergeben wollen. Nun sehen sie ihn hereinkommen. Herein Alter Neptunus! Der Kopf mit See-Gewaͤchsen und mit einer Krone von Muscheln gezieret, so wie er in der laͤcherlichen Grotte der Frau Robinson abgebil- det ist. Madame, Madame, Montags den 15ten May. J ch habe mich schon vor zehen Jahren einiger- maßen entschlossen, nicht zu heyrathen. Denn ich bemerckte in denen Familien, in denen es am besten zuging, (diesen Umstand nicht zu verges- sen) allerhand Verdrießlichkeiten, die ich nicht uͤberkriegen kann. Es gefiel mir auch das ein- tzelne Leben wegen der Familie meines Bruders, und wegen eines Kindes darinnen gut genug. Allein das Maͤdchen hat uns insgesamt verdrieß- lich gemacht: und ich sehe nicht, warum ich mich alles Vergnuͤgens denen zu Liebe entschlagen soll- te, die mir es nicht einmal Danck wissen. So viel von den Bewegungs-Gruͤnden, die von mir selbst und von meiner Familie hergenom- men sind. Jch habe ein grosses Vermoͤgen, da- fuͤr ich Gott dancke. Alles, oder das meiste da- von habe ich selbst erworben. Bemercken Sie die- sen Umstand: denn ich war der juͤngste Bruder. Sie haben auch, Gott sey es gedancket, schoͤne Guͤter, die sie durch ihre Sparsamkeit und weise Haushaltung sehr verbessert haben. Ehe ich wei- ter gehe, muß ich noch das sagen: Sparsamkeit ist eine der groͤßesten Tugenden in diesem Jam- mer-vollen Leben, denn sie setzt uns in den Stand, gegen jederman gerecht zu seyn, und einige, die es verdienen, zu belohnen. Sie haben nicht mehr als ein Kind: und ich bin noch ein Junggeselle, und habe nie ein Kind gehabt. Nicht alle Junggesellen koͤnnen das sagen. L 4 Jhre Jhre Tochter kann daher Vortheil von mir ha- ben, wenn sie sich in meine Weise schicken kann. Niemand sagt mir nach, daß ich wunderlich sey, insonderheit gegen meines gleichen. Mit den Bedienten keiffe ich wohl, wenn ich Lust zu keiffen habe: allein sie kriegen ihr Geld davor, und ver- dienen ihre Keiffe nur leider allzu ofte, wie wir uns bisweilen einander erzaͤhlet haben. Aber da- vor duͤrfen weder Sie noch die Fraͤulein sich fuͤrchten. Jch will eine recht vortheilhafte Ehestistung fuͤr Sie machen, die Jhre und meine Freunde fuͤr billig erkennen werden. Allein, so lange ich lebe, will ich mich nicht ausziehen, sondern das Meinige behalten, als welches dem Manne und der Frauen zur Ehre gereicht. Jch suche nicht schoͤne und glatte Worte zu finden. Wir sind keine Kinder mehr, ob wir gleich noch hoffen koͤnnen, Kinder zu kriegen: denn, Gott sey Lob und Danck dafuͤr, ich bin noch bey allen meinen Kraͤften, und ein frischer und ge- sunder Mann. Jch bin nie schwaͤcher von Reisen zuruͤck gekommen, als ich ausgereiset bin. Jch bin nicht von der Art Leute, das versichere ich Jh- nen. Allein das will ich Jhnen versprechen, wenn Sie mich uͤberleben, so will ich Sie zum we- nigsten 10000 Pfund reicher lassen, als ich Sie gefunden habe: was ich aber von Jhnen zu ge- warten haben soll, das uͤberlasse ich Jhnen, wie Sie glauben, daß es meine Liebe gegen Sie ver- dienen wird. Eins Eins sollte mir lieb seyn, nemlich, wenn die Fraͤulein Howe nicht bey uns bliebe. (Sie braucht nicht zu wissen, daß ich dieses schreibe.) Sie kann nach Hause zu Herr Hickman ziehen, mit dem sie, wie ich hoͤre, sich naͤchstens verhey- rathen wird. Wenn sie uns beyden gehorsam ist, wie es ihre Schuldigkeit erfordert, so soll es ihr Schade nicht seyn, wie ich schon vorhin gesagt habe. Sie sollen ihre und meine Haushaltung gantz fuͤhren, weil ich mich auf die Land-Wirthschaft nicht sonderlich verstehe. Jch werde mich Jhnen nie in etwas widersetzen, es muͤßte denn aus Liebe geschehen, wenn ich sehe, daß Sie sich mehr an- greifen, als es Jhrer Gesundheit ersprießlich ist. Jch glaube, daß fuͤr Sie nichts besser seyn kann, als ein Mann, der viel Erfahrung hat, und bey den langen Abenden im Winter sich zu Jhnen setzen und Jhnen viel von andern Laͤndern, und von den Sitten der Voͤlcker, unter denen er gewesen ist, erzaͤhlen kann. Jch habe allerhand artige Jndianische Raritaͤten, die dem Frauen- zimmer angenehm zu seyn pflegen, und die mei- nes Bruders Tochter Claͤrchen nicht einmahl alle gesehen hat, als sie noch ein gutes Kind war. Wenn Sie mir wohl begegnen, daran ich gar nicht zweifele, so will ich Jhnen diese eine nach der andern schencken. Das wird ein angenehme- rer Zeitvertreib seyn, als wenn Sie bey einer na- seweisen Tochter sitzen, die bisweilen eigensinnig und verdrießlich ist, und Jhnen allerhand empfind- L 5 liche liche Reden giebt, wie die erwachsenen Toͤchter gemeiniglich zu thun pflegen, (ach! ich habe das oft von Jhnen gehoͤrt!) wenn sie die Eltern fuͤr alt halten, und dennoch das Alter nicht ehren wollen. Jch meines Theils glaube, daß Muͤt- ter, wie Sie, noch jung genug sind, den Toͤchtern die Nase abzuwischen. Sie verstehen mich schon. Fuͤr mich wird es ein großes Gluͤck seyn, und ich dencke schon zum voraus mit Vergnuͤgen dar- an, wenn ich einmahl zur Lust ausreise, und bey der Zuruͤckkunft in mein Haus eine Frau von glei- cher Erfahrung finde, die mit mir Vortheil und Schaden gemeinschaftlich hat: wenn wir unsere Einnahmen zusam̃en rechnen koͤnnen, und was uns dieser Tag oder diese Woche eingebracht hat. Wie wird unsere Liebe hiedurch wachsen! Ungemein! Jch glaube, ich werde Sie nie genug lieben koͤn- nen, oder nie genug im Stande seyn, Jhnen meine Liebe voͤllig zu erkennen zu geben. Jch dencke nicht, daß wir noͤthig haben, so bloͤde und sproͤde gegen einander zu thun, wie es die Jungfern zu thun pflegen, bis endlich die Sache selbst daruͤber in das Haͤngen kommt: und ich hoffe, Sie werden sich keine Schwierigkeit machen, mir in ein paar Zeilen zu antworten, ob Sie gleich muͤndlich zu antworten Bedencken trugen. Jch glaube, Jhre Fraͤulein Tochter war eben damahls in der Naͤhe, als ich mit Jh- nen redete; denn Sie sahen sich immer um, als wenn Sie besorgeten, daß Sie behorchet werden moͤch- moͤchten. Darum entschloß ich mich, zu schrei- ben, damit mein Brief ein Zeichen meiner Auf- richtigkeit seyn moͤchte. Denn ich bin kein Lo- velace, sondern ein ehrlicher guter Englaͤnder. Jch hoffe also, Sie werden sich nicht weigern, die- sen Antrag mit ein Paar Zeilen zu beantworten: und seyn Sie versichert, daß ich dieses fuͤr eine große Ehre ansehen, und stoltz daruͤber seyn werde. Was kann ich mehr sagen? Sie sind Jhr eigener Herr, so wie ich: und Sie sollten auch immer Jhr eigener Herr oder Frau im Hause bleiben. Mercken sie das. Denn eine so kluge Frau muß etwas in dem Hause zu sagen haben. Mein Brief ist zwar lang gerathen, allein die Sache erforderte es so, denn ich wollte nicht gern 2 Briefe schreiben, wenn einer die Sache verrichten kann. Darum wollte ich Jhnen auf einmahl mein gantzes Hertz schreiben. Jch habe schon 2 Monath im Sinne gehabt, an sie zu schreiben: ich wußte aber nicht, wie ich den Brief anfangen sollte, weil ich in dergleichen Dingen keine Erfahrung habe. Und nun seyn Sie guͤtig gegen Jhren gehorsamsten Liebhaber und ergebensten Diener Ant. Harlowe. Das ist ein Liebes-Brief! Wenn ich kuͤnftig diesem haͤßlichen Liebhaber meiner Mutter, der meiner so anzuͤglich in seinem Briefe gedencket, nicht nicht haͤflich begegne, und Sie wollen deswegen mit mir zuͤrnen: so kann ich nicht glauben, daß Sie mich eben so vorzuͤglich lieben, als ich Sie liebe. Was soll ich nun voran setzen? die Antwort meiner Mutter? oder meine Unterredung mit ihr, als sie mir Nachricht von dem Liebes-Briefe gab, den sie erhalten hatte? Unsere Unterredung sollen Sie zuerst lesen. Wenn Sie glauben, daß ich sehr frey von dem Hertzen weg geredet habe, so dencken sie nicht dar- an, daß ich vom Jhrem Onckle und von meiner Mutter schreibe, sondern stellen Sie sich bloß zwey alte Verliebte vor, die uns nichts angehen. Die juͤngeren Leute vergessen leicht die Ehrerbietung, wenn die, welche ein Recht haben, Ehrerbietung zu sodern, es vergessen, daß sie sich durch ihr Be- tragen Ehrerbietung erwerben muͤssen. Stellen Sie sich meine Mutter vor, wie sie zweymahl in mein Closet kam, und wieder weg- gieng, ohne etwas weiter zu thun, als zu husten, ohne daß die Lungen husten wollten, obgleich ihr Gesicht so schwanger von etwas zu seyn schien, das ihr auf dem Hertzen lag, und ihre Lippen immer anfangen wollten zu reden. Das dritte mahl bekam sie mehr Muth: pflantzte sich neben meinen Stuhl, und fing also an zu reden: Mutter. Jch habe von einer wichtigen Sache mit dir zu reden, Aennichen, wenn du jetzt auf etwas Achtung geben kannst, das uns selbst angehet: und nicht die Vorsorge fuͤr andere dich untuͤchtig macht, an das noͤthigere zu gedencken. (Eine (Eine Anrede, voll gewinnsuͤchtiger Eigen- liebe! Jch glaube, daß Freundschaft, Danckbar- keit, und Menschenliebe uns nahe genug angehen. Doch ich will nicht Worte auffangen.) Tochter. Jch kann jetzt auf alles Achtung geben, was meine Mutter mir zu sagen, die Guͤ- tigkeit hat. M. Was willst du Kind? Was weinst du, meine liebe Tochter! (Hiebey sahe sie so sonderbar, so guͤtig, so vergnuͤgt aus, daß ich es Jhnen nicht beschreiben kann.) Jch sehe, daß du sehr auf- mercksam bist. Erschrick dich nicht. Sey nicht unruhig. Jch habe ‒ ‒ ich habe ‒ ‒ Wo ist er doch? (Der Brief lag ihr zwar auf dem Hertzen, so nahe als ihr noch nie einer auf dem Hertzen ge- legen hat. Sie haͤtte also nicht noͤthig gehabt, ihn zu suchen.) Jch habe einen Brief, mein Kind. (Hier zog sie den Brief aus dem Busen; allein sie behielt ihn in der Hand.) Jch habe ei- nen Brief, Kind! Er ist, ‒ ‒ ‒ er ist von einem Cavallier! bey meiner Treue! (Hier hub sie die Hand auf, und sahe recht freundlich aus.) Jch dachte bey mir selbst: eine Tochter kann an dem Wunderbaren, das mir meine Mutter erzaͤhlen will, wenig Vergnuͤgen finden. Jch will ihr diesesmahl die Freude nicht goͤnnen, daß sie mir ein vergnuͤgtes Wunder nach dem andern entdecket. T. Vermuthlich von Herrn Anton Har- lowe! M. M. (Mit einem kleinen Munde, und in die Hoͤhe gehobenen Augen.) Ja mein Kind! Al- lein wie kommst du sogleich auf den Herrn? T. Wie konnte ich auf einen andern dencken? M. Wie an einen andern dencken? was soll das seyn? (mit Unwillen) Aber weißt du auch, Aennichen, was in dem Briefe stehet? T. Das haben sie mir schon durch die Art gesagt, mit welcher sie von diesem Briefe reden. Jch habe nie daran gezweifelt, daß er nicht bey seinem Besuche einen doppelten Endzweck haben sollte, deren einer mir so angenehm ist als der an- dere. Denn ich weiß wol, daß mich die gantze Harlowische Familie zaͤrtlich liebet. M. So liebt keiner von beyden ohne Ge- genliebe! Allein das ist der Lohn dafuͤr, wenn ich dir etwas anvertrauen will. (Hier stand sie auf!) Du bist eben so, wie dein Vater. Jch konnte nie ein Hertz zu ihm haben. T. Nehmen sie es mir nicht uͤbel. Fassen sie zu mir ein Hertz. Aber das muͤssen sie mir vergeben, daß ich denen Harlowes nicht gut bin. M. Du hast mich gantz aus meiner Fassung gebracht. (Sie setzte sich wieder unwillig nieder.) T. Jch will gantz geduldig und andaͤchtig zuhoͤren. Jst es mir nicht erlaubt, den Brief zu lesen? M. Jch wollte den Jnhalt davon eben mit dir uͤberlegen. Aber du bist so wunderlich: du antwortest immer, ehe man noch reden kann. T. T. Vergeben sie mir meine Voreiligkeit. Jch glaubte aber, er wuͤßte, was jedermann weiß, und was sie so oft gesagt haben, daß sie nicht zum zweytenmahl heyrathen wollten. M. Das habe ich gesagt; und das war auch wahr, so lange ich bey dem Sinne blieb. Allein die Umstaͤnde koͤnnen ‒ ‒ Jch sahe sie gantz erstarret an. M. Ja! wundere dich nicht! ich will zwar auch jetzt nicht! ich will nicht. T. Vielleicht so lange sie bey dem Sinne bleiben! M. Naseweises Kind! (Sie stand auf.) Jch sehe, wir sollen uns zancken. Man kann mit dir nichts ‒ ‒ T. Jch bitte nochmahls um Vergebung. Jch will ja zuhoͤren. Setzen sie sich doch nieder! ich bitte sie darum! (Sie setzte sich.) Darf ich den Brief nicht lesen? M. Nein! es stehet etwas darin, das dich verdriessen wird. Jedermann kennet deinen Kopf. Jndessen ist nichts Boͤses von dir in dem Briefe enthalten. Er giebt vielmehr zu verstehen, daß es dein Schade nicht seyn soll, wenn du ihm wohl begegnest. Jch antwortete: kein Mensch auf Erden glaub- te, daß ich ein schlimmes Gemuͤth haͤtte, als die Harlowes allein. Von diesen Leuten wollte ich es gern leiden, daß sie mit mir nicht zufrieden waͤ- ren, da sie mit einem Kinde, das nach aller Ur- theil das beste Gemuͤth von der Welt haͤtte, so uͤbel umge- umgegangen waͤren. Hier kamen wir von der Hauptsache ab. Endlich las sie mir einige Stel- len vor, ließ aber die aus, die am meisten laͤcher- lich waren. Dem ohngeachtet brauchte ich viel Ueberwindung dazu, daß ich nicht lachte. M. Sage mir doch nun, Aennichen, was denckst du dazu? T. Darf ich sie fragen, was sie dazu dencken? M. Jch will mir nicht durch Fragen, sondern durch Antworten, antworten lassen. Du kannst ja sonst wohl sagen, was du denckest. T. Wenn meine Mutter mir befiehlt, es zu sagen! M. Sage es. T. Ohne den gantzen Brief gelesen zu haben? M. Antworte auf das, was ich dir vorgele- sen habe. T. Was soll ich sagen? Wenn sie Ja sagen, so hoͤren sie auf meine Mutter, Howe, zu seyn. M. Jch wundere mich uͤber deine Dreistig- keit, Aennichen! T. Jch will so viel sagen: sie werden alsdenn meine Mutter Harlowe. M. Liebes Kind! ‒ ‒ Mache mich nicht blind. Sie verfaͤrbete sich etliche mahl. T. Liebste Mutter, (das bleibt wahr, daß ich den Harlowes nicht gut bin, und das wollte ich sagen.) ich bin ihr Kind, und muß ihr Kind bleiben, sie moͤgen thun was sie wollen. M. M. So ein naseweises Kind, als je eine Mutter gehabt hat. Du mußt mein Kind blei- ben, ich mag thun, was ich will; das ist so viel, als: du wolltest nicht mein Kind seyn, wenn es zu aͤndern stuͤnde, so bald ich ‒ ‒ T. Was ist das fuͤr eine Erklaͤrung! das waͤre uͤbereilt, wenn ich dergleichen sagte, ehe ich noch weiß, was ihre Meinung ist. Da die Vor- schlaͤge so vortheilhaft sind ‒ ‒ M. (Etwas ruhiger) 10000 Pfund ‒ ‒ T. Und sie wissen doch, daß sie ihn uͤberleben? Dieß fiel ihr auf das Hertz. M. Wissen? das kann kein Mensch wissen. Aber es ist doch sehr wahrscheinlich. T. So sehr wahrscheinlich ist es nicht. Sie wollten eben etwas vorlesen, und brachen mitten in dem Worte ab, da er seine Gesundheit ruͤhmet. Seine Maͤßigkeit ist jedermann bekannt. Die Leute, die auf der See gewesen sind, und alle Lust und Gegenden des Himmels haben vertragen ler- nen, pflegen am aͤltesten zu werden, wenn sie nach Hause kommen, und der Ruhe in ihrem Vater- lande genießen, falls sie nur nicht unmaͤßig sind. Sehen sie nicht, was er fuͤr ein starckes und gesun- des Fell zur Vormauer hat. M. Albernes Maͤdchen! T. Gott behuͤte! ich wollte nicht wuͤnschen, daß eine Person, die ich liebe und ehre, einen Mann in der Hoffnung nehmen sollte, daß sie ihm bald zum Grabe folgen koͤnnte. Allein bedencken sie, wenn sie noch bey ihren Jahren ‒ ‒ Vierter Theil. M M. M. Bey meinen Jahren, Kind? Was habe ich denn fuͤr Jahre. T. Sie sind noch nicht alt, das ist eben ihre Gefahr. (So wahr ich lebe, meine Mutter laͤchelte, und war nicht boͤse, daß ich das sagte.) M. Ja, mein Kind, ‒ ‒ ja ich muß es war- lich sagen ‒ ‒ So wunderlich du auch manchmahl bist, so wollte ich doch nicht gerne etwas wider dei- nen Vortheil thun. T. Jch verlange gar nicht, daß sie sich um meinetwillen eines Vergnuͤgens berauben sollen. M. Eines Vergnuͤgens? Habe ich denn ge- sagt, daß es mir ein Vergnuͤgen waͤre? Wenn ich dir etwas zum Vortheil thun koͤnnte, so ließ ich mich noch wohl bewegen, mit ihm von der Sache zu reden. T. Wenn ich den Herrn Hickman kriege, so bin ich ohnedem fuͤr meinen Freyer zu reich. M. Wie so? Herr Hickman hat so viel Mit- tel, daß er deiner wol werth ist. T. Wenn sie das glauben, so ist es gewiß. M. Es waͤre freilich nicht recht, wenn ich auf jemandes Tod warten wollte. Allein du hast recht. Herr Anton Harlowe ist ein gesunder Mann und kann noch lange leben. Jch wußte nicht, ob sie dieses vorbrachte um einen Einwurf gegen seinen Antrag zu machen, oder ihn zu unterstuͤtzen. T. Wollen sie mir etwas vergeben? M. Was will das Maͤdchen sagen? (Sie sa- he he aus, als wenn sie bey nahe fuͤrchtete, daß ich et- was schlimmes zu sagen haben moͤchte. T. Wenn sie in diesen Jahren einen Mann von seinen Jahren heyrathen, so stehen sie in dop- pelter Gefahr eine Waͤrterin zu werden Es ist in dem Englischen ein Spaß, der sich im Deutschen nicht wohl ausdrucken laͤßt, denn das Englische Wort bedeutet so wohl eine Amme als eine Krancken-Waͤrterin. . M. Geel-Schnabel! T. Jch will weiter nichts sagen, als daß die alten Leute bisweilen unvermuthet mit schleichen, den Kranckheiten befallen werden. Und ich fuͤrch- te, daß einen die Schwachheiten eines alten Ehe- gatten, den man nie in der Jugend geliebet hat- schwerer zu ertragen werden. M. Ein wunderliches Maͤdchen! habe ich dir nicht immer gesagt, du waͤrest bald kluͤger, als daß man mit dir auskommen koͤnnte, und bald zu dumm, mit dir Geduld zu haben. T. Jch kann weiter nichts sagen, als daß ich sie bitte, mir zu befehlen, wie ich mich das naͤchste mahl gegen den Herrn Anton Harlowe auffuͤh- ren soll. M. Wie du dich auffuͤhren sollst? wenn du mit einer veraͤchtlichen Gebaͤrde weggehest, so bald er in die Stube trit, so fuͤhrest du dich eben so auf, wie du bisher immer gethan hast. T. Also wird er doch wieder kommen? M. Was waͤre es denn, wenn er wieder kaͤme? M 2 T. T. Jch kann es ihm nicht wehren, wenn es ihr Wille ist. ‒ ‒ Er hat in seinem artigen Briefe um ein Paar Zeilen Antwort gebeten: wenn er nun wieder kommt, so werden ihn vermuthlich diese Zeilen dazu veranlassen. M. Mache keine Gesichter, Maͤdchen! du weißt, daß ich es nicht leiden kann. Jch wollte deine Meinung vernehmen, denn ich habe noch nicht geschrieben, ich will aber jetzund gleich schrei- ben. T. Sie sind ungemein guͤtig, und er thaͤte ihnen gewiß unrecht, wenn er ihre Guͤtigkeit nicht erkennete, daß sie seinen ersten Brief sogleich be- antworen. Es waͤre Schade, wenn er zwey- mahl schreiben sollte, da Ein Brief es aus- richten kann. M. Durch die List erfaͤhrest du nicht, was ich schreiben will: es ist zu grob angefangen. T. Vielleicht koͤnnte ich rathen, was sie thun wollten, wenn es mir erlaubt waͤre zu rathen. M. Und ich moͤchte schwerlich mit einem Herrn, der mich liebet und ehret, so umgehen, als du mit Herrn Hickman. T. Jch wuͤrde auch schwerlich so mit ihm umgehen, wenn mir seine Liebe zum Vergnuͤgen gereichte. M. Jch verstehe dich wohl. Allein vielleicht stehet es jetzt bey dir, was ich dem Herrn Anton Harlowe an tworte. T. Junge Herren, die die Zeit zum Heyra- then noch nicht versaͤumet haben, koͤnnen wohl ei- nige nige Zeit Geduld haben. Der arme Herr Hick- man muß entweder seine Zeit abwarten, oder sich nach einer andern umsehen. M. Er haͤlt dir mehr zu gute, als eine Manns-Person einem Maͤdchen zu gute halten sollte. T. Jch fuͤrchte aber, daß er selbst an allen dem Schuld ist, was er mir zu gute halten muß. Das gestehet er hiedurch selbst. M. Ein naseweises empfindliches Maͤd- chen! T. Jch habe nur eine Bitte noch an sie. M. Jch hoffe, daß es eine kindliche Bitte seyn wird. T. Wenn sie wieder heyrathen, so erlauben sie mir, unverheyrathet zu bleiben. M. Wie verkehrt! immer wider den Strom. T. Wie kann ich erwarten, daß sie einen so vortheilhaften Antrag ausschlagen werden. Zehn tansend Pfund! und zwar zum wenigsten 10000 Pfund! das ist ein feiner Vorschlag. So viele artige Raritaͤten, die er ihnen eine nach der andern schencken, und eintzeln zufallen lassen will! Jch hoffe nicht, daß es schon so weit gekommen ist, daß ich nicht ohne Verletzung meiner Pflicht gegen sie, uͤber den Mann lachen duͤrfte. M. Dein Spott uͤber ihn, und deine Ehrer- bietung gegen mich kommen aus Einer Qvelle. T. Das will ich nicht hoffen. Aber zehn- tausend Pfund! M 3 M. M. Jst kein buͤndischer Antrag. T. Nein gewiß nicht! ich hoffe, sie werden sich auch nicht lumpen lassen. M. Von mir soll er keine zehntausend Pfund aufzuweisen haben, wenn er mich uͤberlebet. T. Nein! so viel kann er nicht erwarten, da sie eine Tochter haben, und er noch Junggeselle ist, und kein Kind hat. Der alte Kruͤppel! M. Der alte Kruͤppel! Aennichen! so nennst du ihn, weil er noch ein Junggeselle ist, und kein Kind hat. Schickt sich das fuͤr dich? T. Um der Ursache willen nenne ich ihn nicht einen alten Kruͤppel. Jch dencke aber, von ihrer Seite wuͤrde die Haͤlfte genug seyn. Fuͤnf tau- send Pfund, weniger koͤnnen sie ihm nicht bieten. M. Damit bist du also zufrieden? (Sie sa- he aus, als wenn ich es getroffen haͤtte.) T. Da er es ihnen uͤberlaͤßt, und da es eine Belohnung seiner Liebe gegen sie seyn soll, so duͤr- fen sie ihm nicht weniger bieten. Erlauben sie mir noch einmahl, daß ich ihn, ohne sie zu beleidi- gen, einen alten Kruͤppel nenne. M. So ein Maͤdchen habe ich noch nicht ge- sehen. (Sie wandte das Gesichte weg, damit ich nicht sehen moͤchte, daß sie sie sich des Lachens nicht enthalten konnte. Jch glaube, daß ich eben sehr spitzfuͤndig aussahe: ich bemuͤhete mich wenigstens eine solche Gebaͤrde anzunehmen.) Jch kann die Mine nicht leiden. Du nimmst dir sehr viel her- aus. Nicht wahr, meine Tochter? T. T. (Jch erhaschete ihre Hand und kuͤssete sie.) Seyn sie nicht ungehalten auf ihr Maͤdchen. Sie haben mir selbst gesagt, daß sie vor Zeiten auch sehr lebhaft gewesen sind. M. Vor Zeiten! Gott behuͤte! Du kannst indessen glauben, daß ich um deinet und um Herrn Hickmans willen eine weise Einrichtung machen werde, wenn ich auch das Gesuch des Herrn Har- lowe Platz finden lasse. T. Sie sind beyderseits zu ihren verstaͤndigen Jahren gekommen. M. Ja! ich dencke ich werde auch bald alt und ein Kruͤppel heissen. T. Er denckt auch darauf, daß er eine weise Einrichtung machen will. Er laͤßt sich zum we- nigsten schon etwas davon mercken. M. Kurtz von der Sache zu kommen, du giebst deine Einwilligung nicht dazu, daß ich hey- rathe. T. Jch wuͤnsche es freylich nicht. M. Wenn die Weisheit darin bestehet, daß man das wuͤnschet, was einem selbst nuͤtzlich ist, so sehe ich, daß die jungen Maͤdchens eben so klug sind, als die alten Kruͤppel. T. Wie koͤnnen sie mir meinen Wunsch un- guͤtig deuten, wenn es einerley ist, ob ich wuͤnsche, daß sie den alten Anton nicht heyrathen, oder ob ich mein Bestes wuͤnsche. M. Du bist sehr klug. Wenn du doch eben so gehorsam waͤrest? T. Jch hoffe, daß ich noch gehorsamer bin: M 4 sonst sonst wuͤrde ich mit Recht eine Thoͤrin und ein Geelschnabel heißen. M. Laß mich davon urtheilen. ‒ ‒ Die Kin- der wollen gemeiniglich, daß ihre Eltern bloß fuͤr sie leben sollen, und bemuͤhen sich doch nicht, die- ses um ihre Eltern zu verdienen. Das ist ihr ge- horsamer Einfall. T. Gott behuͤte mich, daß ich nie wuͤnschen moͤge, daß meine Mutter mein Bestes ihrem Be- sten vorziehen moͤge, wenn eines mit dem andern nicht bestehen kann: oder daß sie sich eines wah- ren Vergnuͤgens aus Liebe zu mir begeben sollte. Glauben sie, daß dieser Antrag zu ihrem wahren Vergnuͤgen gereichen werde? M. Jch sage nur: zehntausend Pfund ist so viel Geld, daß man einen solchen Antrag hoͤflich beantworten muß, der unserer Familie einen so großen Vortheil verschaffet. T. Verschaffet? Nein! nur zeiget. Es ist ja noch ungewiß, an wen die 10000 Pfund fallen. Wenn ihnen das Aufnehmen der Familie an dem Hertzen lieget, so ‒ ‒ M. Du kannst doch niemahls die Mittel- Strasse halten. Die eigensinnige hoͤhnische Mine kann ich nicht leiden. T. O vergeben sie es mir. Der alte Kruͤp- pel war mir wieder in dem Kopfe. Jch kann mich des Vergnuͤgens ohnmoͤglich berauben, sie so freundlich laͤcheln zu sehen. (Jch kuͤssete ihr aber- mahls die Hand.) M. Weg du verwegenes Kind! Nichts ist aͤrger- aͤrgerlicher, als wenn man lachen muß, und doch boͤse seyn soll und will. T. Wenn aber etwas aus der Sache werden soll, so wird es doch noch bis auf den Winter An- stand haben? M. Was will das naseweise Kind nun? T. Er will ihnen ja die langen Winter- Abende durch die schoͤnen Erzaͤhlungen von frem- den Laͤndern und durch seinen Raritaͤten - Kasten verkuͤrtzen. O lassen sie mich doch den gantzen Brief lesen; ich will ihm alles vergeben, was er von mir schreibt. M. Der kluͤgste Mann wird keinen Liebes- Brief schreiben koͤnnen, in dem nichts Laͤcherli- ches sey. T. Das kommt daher, weil die Liebhaber sel- ten auf der Mittelstraße bleiben. Sie schreiben entweder zu viel oder zu wenig Thorheiten. Al- lein halten sie den Brief des alten Kruͤppels (ich kann ihn nicht anders nennen) fuͤr einen Liebes- Brief? M. Gut! ich sehe du hast nicht Lust dazu. Jch soll deine Mutter nicht mehr seyn, und du willst nicht heyrathen, wenn ich heyrathe. Jch wollte nur sehen, ob dein Hertz edel oder eigennuͤ- tzig waͤre. Jch will meinen eigenen Gedancken folgen: und wenn dir die angenehm sind, so be- lohne mich fuͤr meine Gefaͤlligkeit kuͤnftig besser, als du bisher gethan hast. Hiermit flog sie zur Stube hinaus, ohne ei- ne Antwort zu erwarten. Sie schien verdrießlich M 5 zu zu seyn, daß der Heyraths-Vorschlag mir nicht besser gefiel. Vielleicht sollte es eine groͤßere Wohlthat fuͤr mich seyn, wenn sie gantz von freyen Stuͤcken, und wider meinen Rath, das Gesuch des alten Mannes mit Nein beantwortet haͤtte: und ihre unartige Tochter sollte ihr desto mehr Danck schuldig werden. Sie schrieb hierauf eine verneinende Antwort, wie man sie von einer Witwe, die sich uͤber ihren Liebhaber freuet, erwarten kann, und damit sich kein anderer Freyer, als blos Toͤnges Harlowe wuͤrde abweisen lassen. Jch werde alle Muͤhe anwenden, den Be- such zu hindern, den sie ihm in ihrem Antworts- Schreiben unter der Bedingung versprochen hat, daß er von seiner Bitte abstehen sollte. Denn ich fuͤrchte, daß der Raritaͤten-Kasten des grauen Junggesellen bey einer Witwe allzuviel Eindruck machen moͤchte, der nichts als unnoͤthiges Spiel- werck und solche Waare fehlet, die nicht leicht fuͤr Geld zu bekommen ist. Nunmehr lesen Sie den beygelegten Brief, der eine Abschrift der Antwort meiner Mutter ist. Jch will keine Anmerckungen daruͤber ma- chen, und zwar dieses aus kindlichem Gehorsam. Jch hoffe, daß ich Sie durch die gegebenen Nach- richten zum Lachen werde bewegen koͤnnen, nach dem Jhre Umstaͤnde sich aufzuklaͤren anfangen, und in dieser Hoffnung unterschreibe ich mich, Jhre ewig treue und ergebene Anna Howe. Mein Mein Herr, Freytags den 10ten May. J ch glaube zwar, daß es sonst bey unserm Ge- schlecht ungewoͤhnlich ist, den ersten Brief von der bewußten Art mit Dinte und Feder zu beantworten. Den ersten Brief, sage ich? Wie wunderlich ist das! Gerade als wenn ich ei- nen zweiten Brief erwartete: davon ich doch weit entfernet bin. Allein da ich auf Jhren Brief nicht so antworten kann, wie Sie es wuͤnschen, so halte ich mich dennoch verpflichtet, Jhre Hoͤf- lichkeit mit Gegenhoͤflichkeit zu erwiedern. Jch bin immer der Meinung gewesen, daß wir einer Person deswegen nicht uͤbel begegnen muͤssen, weil sie uns hochschaͤtzet, und das ist es, was ich mei- ner Tochter so oft gesaget habe. Die Frau, die als Braut tyrannisch mit ih- rem Freyer umgegangen ist, wird doch hernach in ihres Mannes Augen wenig geachtet seyn, und ihrem Geschlecht zu geringer Ehre gereichen. Wenn ich gewillet waͤre, mich zu veraͤndern, so wuͤrde mir keine Parthey angenehmer seyn, als Sie. Jhres Bruders Kinder haben ohnehin genug, wenn Sie ihnen auch nichts vermachten: und meine Tochter hat schon ohne mich schoͤne Mittel, und ich wuͤrde sie dennoch bey leben oder sterben reichlich bedencken, wenn ich wich wieder verheyrathete. Es wuͤrde also niemand hievon Schaden haben, ob gleich Aennichen es nicht glaubet. Aller Aller Vortheil, den wir von Kindern haben, bestehet darinn. Wann sie klein sind, so halten wir ihnen alles zu gute, und sind selbst in ihre Unarten verliebt: wenn sie aber erwachsen sind, so meinen sie, ihre Eltern waͤren nur um ihrent- willen in der Welt, und muͤßten um ihrentwillen alles verlaͤugnen, was ihnen sonst angenehm seyn koͤnnte. Jch weiß, daß ein Stiefvater meinem Aennichen gantz unertraͤglich seyn wuͤrde: sie wuͤrde sich nicht halten oder maͤßigen koͤnnen, so bald sie nur glaubte, daß Ernst aus der Sache wuͤrde. Jch fuͤrchte mich zwar nicht vor meiner Tochter, und es wuͤrde sich auch nicht schicken, daß ich mich vor ihr fuͤrchten sollte. Allein sie hat recht den Kopf ihres armen seeligen Vaters: der war sehr heftig. Sie koͤnnen leicht dencken, daß ich mich scheuen muß, mich in eine Sache einzulassen, dabey ich zum voraus sehe, daß ich mich entweder von meiner Tochter lossagen muß, oder daß sie sich von mir lossagen wuͤrde. Das thut man nicht, wenn es einem nicht sehr um das Heyrathen zu thun ist: und so bin ich, Gott Lob! nicht gesinnet. Jch bin nun zehn Jahr eine Witwe, und habe niemanden, der mir befehlen kann; man sagt auch, daß ich nicht wohl jemanden uͤber mir lei- den koͤnne. Jch glaube also, oder ich weiß viel- mehr gewiß, daß wir so, wie wir jetzt sind, am besten sind. Wir brauchen einander nicht um des Geldes willen zu heyrathen, denn wir haben schon so mehr, als wir verzehren koͤnnen. Jch kenne kenne mich auch so viel, daß es mir nicht ertraͤg- lich seyn wuͤrde, wenn ich jemanden wegen mei- nes Thuns und Lassens Rede und Antwort geben sollte. Meine Tochter ist zwar ein artiges Maͤdchen, nur daß sie mehr Verstand hat, als einem Frau- enzimmer nuͤtzlich ist, und es gar zu sehr weiß, daß sie Verstand hat. Aber ich werde doch mehr durch sie eingeschraͤnckt, als es sich fuͤr eine Mut- ter schicket. Denn man will doch nicht gern im- mer mit einander in Streit leben. Sie wird aber bald aus meinem Hause wegheyrathen, und alsdenn werden wir nur zusammen kommen, wenn wir Lust dazu haben, und wenn wir nicht Lust ha- ben, von einander bleiben: so gehet es uns wie den Verliebten, die sich einander nur von der gu- ten Seite kennen. Jch muß dem ohngeachtet gestehen, daß ich meine Tochter hertzlich lieb habe; und ich weiß auch gewiß, daß sie mich lieb hat. Jch wollte ihr daher nicht gern Gelegenheit geben, anders gegen mich gesinnet zu seyn. Das Maͤdchen ist auch bey allen Bekannten so wohl gelitten, und so hoch angesehen, daß ich ihr nicht gern Anlaß geben moͤchte, sich uͤber mich aufzuhalten, oder nur kaltsinnig gegen mich zu werden, nachdem ich in meinen besten Jahren Witwe geblieben bin. Jhr recht edeler Antrag verdienet, daß ich mich deutlich erklaͤre. Jch dancke Jhnen fuͤr die gute Meinung, die Sie von mir haben. Wenn ich ich weiß, daß Sie sich diese Antwort gefallen las- sen, die eben so ernstlich von mir gemeinet ist, als wenn ich sie unhoͤflicher abgefasset haͤtte, so moͤch- te ich und Aennichen vielleicht Jhnen zusprechen, (wo Sie es erlauben) und Jhre artigen Sachen besehen. Denn ich mag sehr gern auslaͤndische Raritaͤten sehen. Lassen Sie uns also kuͤnftig mit einander un- sern Umgang und Freundschaft fortsetzen, ohne weitere Absichten dabey zu haben, als daß wir einander wohl wollen. Jch hoffe nicht, daß un- sere Freundschaft durch diesen Brief einen Stoß bekommen werde: und ich werde unausgesetzt seyn ihre ergebenste Dienerin Annabella Howe. P. S. Jch habe Jhnen durch die Frau Lori- mer sagen lassen, daß ich schriftlich antworten wollte: daß ich mir aber vorher Bedenckzeit aus- baͤte. Sie werden es also fuͤr keine Verachtung halten, daß ich nicht fruͤher geschrieben habe. Der vier und zwantzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford. Sonntags den 21sten May. J ch bin so unruhig, daß ich auf nichts anders als auf Rache dencken kann: sonst wollte ich dir die artigen Anmerckungen uͤberschreiben, welche welche die Fraͤulein Harlowe uͤber das Trauer- Spiel machte. Jch nenne sie jetzt, die Fraͤu- lein Harlowe. Du weißt, daß ich alle Har- lowes hasse; und ich bin jetzt auf sie und auf ih- re muͤrrische Freundin sehr ungehalten. Was nun wieder? wirst du fragen. Jch habe Ursache genug. Unterdessen, daß wir außer Hause waren, hat Dorcas (welcher sie ihren Stuben-Schluͤssel bey dem Weggehen ließ, und die einen Haupt-Schluͤssel zu allen Schraͤncken und Kisten, und einen Schluͤssel zu dem Closet hat) einige von den letzten Briefen der Fraͤulein Howe gefunden. Sie hatte gesehen, daß die Fraͤulein einen Brief aus einem Schnuͤrleibe in das andere gestecket hatte, ehe sie ausfuhr. Die Leute im Hause werfen mir noch darzu vor; sie haͤtte sich gefuͤrchtet, daß ich ihn in dem Schnuͤr- leibe suchen moͤchte. Kaum hatte Dorcas diese Briefe gefunden, so rief sie drey von den unsichtbaren Nymphen unseres Hauses, welche ihr, nebst der Sarah hel- fen mußten, meinem Befehl gemaͤß einige Aus- zuͤge aus den verfluchten Briefen zu machen. Verflucht kann ich sie mit Recht nennen. So schimpflich! so giftig! O die kleine Furie, die Howe! Jhre eigensinnige Freundin, die eben so frey von mir geschrieben haben muß, (sonst haͤt- ten keine solche Antworten folgen koͤnnen) hatte Ursache genug uͤber meinen Brief-Raub so unge- halten zu werden. Jch Jch war zum voraus versichert, daß diese Schoͤne bey so jungen Jahren, und so munterer und bluͤhender Gesundheit, und so feurigen Au- gen, nicht aus eigenem Triebe so vorsichtig und so wachsam seyn koͤnnte. Feurige Augen sind (so sehr die Poeten sie erheben) ein untruͤgliches Zei- chen eines losen Hertzens, oder zum wenigsten davon, daß ein solches Hertz einen losen Anbeter nicht verschmaͤhen werde. Du magst deine Predigten fortsetzen, und der Lord M. mag sich bemuͤhen, mich mit seinem Compendio der Weisheit unseres Volckes zu toͤd- ten: ich bin meiner Beute nunmehr gewiß versi- chert. Jch bin nun rachgierig: meine Rache und Liebe machen einen Bund, vor dem sich alle ihre Außenwercke werden ergeben muͤssen. Jch schwoͤ- re einen theuren Eyd, daß die Fraͤulein Howe fuͤr ihre Suͤnden buͤßen soll. Jch bekomme jetzt eben noch einen Brief von dem kleinen giftigen Teufel in die Haͤnde. Wenn die Fraͤulein diesen Brief nach dessen Erbrechung eben so gut verwahret, als die uͤbrigen, so hoffe ich bald eine Abschrift davon zu haben: denn sie will vor Eifer diesen Morgen einen Kirchgang halten. Jch glaube, daß die Andacht weniger Theil an dieser gottseeligen Spatzier-Fahrt hat, als die Begierde zu wissen, ob sie Freyheit hat, aus dem Hause zu gehen, wenn sie will, ohne daß ich sie hindere und begleite. Sie Sie hat mir nicht vergoͤnnen wollen, den Thee mir ihr zu trincken. Sie war gestern Abend etwas boͤse auf mich, weil ich sie noͤthigte, bis in die spaͤte Nacht bey mir und dem Frauenzimmer zu bleiben, und sie nicht eher wegließ, als da es Eins schlagen wollte. Sie sagte bey dem Weggehen: sie erwartete, daß sie den folgenden Tag gantz vor sich alleine haben wollte. Jch hatte die Auszuͤge aus den Briefen noch nicht gelesen; ich war deswegen sehr ehrerbietig und gehorsam; denn ich hatte mir vor- genommen eine gantz neue Lebens-Art anzufangen, um, wo moͤglich, allen Verdacht aus ihrem Hertzen zu verbannen. Jch habe zwar keine Ursache mich daruͤber zu graͤmen, daß ich bisher in uͤblen Ver- dacht bey ihr gestanden habe: denn wenn ein Frauenzimmer bey einer Manns Person bleibet, auf die es einen Verdacht hat, ob es gleich Gele- genheit hat, oder zu haben glaubet, zu entfliehen, so ist es kein schlimmes Zeichen. Sie ist weg. Ehe ich es gewahr ward, war sie die Treppe hinunter geschlichen, und damit ich ihr nicht Gesellschaft leisten koͤnnte, hatte sie eine Saͤnfte bestellen lassen. Jch habe alle moͤgliche Vorsichtigkeit gebraucht: sie hat Wilhelmen er- laubet, daß er vor der Saͤnfte hergehen darf: und Peter der Hausknecht muß in einer maͤßigen Ent- fernung nachfolgen, daß ihn Wilhelm immer ab- rufen kann. Vierter Theil. N Jch Jch hatte ihr durchdie Dorcas vorstellen las- sen, in was fuͤr Gefahr sie wegen Singletons stuͤnde, und ich bat sie, nicht auszugehen, wenn sie mich nicht mitnehmen wollte. Jhre Antwort war: es waͤren nur zwey Spielhaͤuser in der Stadt und dennoch waͤre gestern keine Gefahr gewesen; da nun mehr als hundert Kirchen in London waͤren, so sey noch viel weniger Gefahr zu besorgen. Sie ließ sich nach St. James Kirche tragen. Das Kind wuͤrde sich mehr bemuͤhen, mir gefaͤllig zu seyn, wenn es wuͤßte, was ich weiß, und wie mir die Frauens-Leute unten in dem Hause in den Ohren liegen. Denn diese beschweren sich be- staͤndig, daß sie sich um meinetwillen so viel zuruͤck halten und immer gegenwaͤrtig seyn muͤßten: sie duͤrften sich beynahe gar nicht mehr um das Vor- der-Haus bekuͤmmern: und in ihr artiges Hinter- Gebaͤude duͤrsten sie keine Gesellschaft bringen um nicht Argwohn zu erregen. Sie zweifelten zwar nicht daran, daß ich es ihnen vergelten wuͤrde: allein sie fragen mich (nicht anders als wenn sie ihre Pfeile aus des Lords M. seinen Koͤcher gebor- get haͤtten) warum ich eine so langsame Erndte bey so wenigem Korn haben wollte? Jhr habt recht, Maͤdchens! so bald sie nach Hause kommt, will ich den Anfang machen. Jch habe den Brief gelesen, der heute von der Fraͤulein Howe eingelaufen ist. Meuderey, Hochverrath, Hexerey, alles mit einander! ich wer- de de die Fraͤulein Harlowe ohnmoͤglich mit Geduld sehen koͤnnen. Unsere Nymphen haben recht: was ist es noͤthig die Nacht zu erwarten? Sarah und Marichen erinnern mich beyde an meinen Haupt- Sturm, den ich auf sie gewagt habe. Allein durch Gewalt erhalte ich meinen Endzweck nicht! Doch wer weiß, ob ich ihn nicht erhalte? wenn es an- ders wahr ist, was wir sagen: einmahl besieget, immer besieget. Welches Frauenzimmer wird zu unsern Wuͤnschen ein deutliches Ja sagen? Sie ist nach Hause gekommen: sie will mich aber nicht sprechen, sondern den gantzen Tag allein bleiben. Dorcas sagt: sie glaube, daß es aus Heiligkeit geschaͤhe. Der Teufel hohle! ist es et- was unheiliges, was sie mit mir spricht? Was fuͤr ein heiligeres Werck koͤnnte sie thun, als wenn sie mich bekehrte? Wird sie mich aber bekehren koͤn- nen, wenn sie mich nicht sprechen will, so bald sie außerordentlich andaͤchtig ist. Jch hasse sie, von Hertzen hasse ich sie! Sie ist garstig, alt, unge- stalt! ‒ ‒ Was fuͤr Laͤsterungen! allein sie bleibt doch eine Harlowe, und darum hasse ich sie. Weil ich sie nicht sprechen kann, und sie uͤber ihren Willen und uͤber ihre Zeit alleine Herr seyn will, so will ich meine Zeit anwenden, und dir den Jnhalt der Briefe melden. Der erste Brief, dessen sie habhafft werden konnte, ist von dem 27sten April. Wo mag sie die vorigen Briefe gelassen haben? Hickmans wird darin als einer sehr geschaͤfftigten Person ge- N 2 dacht, dacht, die sich viel uͤberfluͤßige Muͤhe giebt. Hickman mag auf seiner Huth seyn! Sie schreibt; ich will nicht hoffen, daß sie Ursache haben werden, es sich gereuen zu lassen, daß sie mir den Norris wieder zugeschickt haben. Was kann das um des Teufels willen bedeuten? Jhr Norris soll auf den ersten Befehl wieder aufwarten! Durch den Norris werde ich noch betrogen werden! Wenn so unschuldige Kinder Streiche spielen duͤrfen, warum soll es mir denn nicht erlaubt seyn? Es thut ihr leid, daß sie ihr Hannichen nicht um sich haben kann! Wenn sie sie nun haͤtte? was wuͤrde ihr Hannichen in einem sol- chen Hause, als dieses ist, helfen koͤnnen? Die Leute in dem Hause sollen bey dem Fruͤh- stuͤck ausgemerckt werden. Diese sind des- wegen voller Rachbegierde gegen die beyden Fraͤu- leins, und werden allen Fleiß anwenden, sie besie- get zu sehen. Jch haͤtte große Lust, ihnen die Fraͤulein Howe auf ewig zu uͤbergeben. Sprich nur ein Wort, so soll es geschehen. Sie freuet sich, daß die Fraͤulein mich durch meine Bitte hat fesseln wollen, wenn ich sie wiederhohlt haͤtte. Sie wundert sich, daß ich dieses nicht gethan habe. Sie raͤth ihr, nicht bey mir zu bleiben, wenn ich sie nicht bald wieder hohle. Sie soll mir nicht erlauben, dreiste zu werden. Siehst du? siehst du, Belford? Recht wie ich es vorher gedacht hatte. Eine muͤßige und ruhige Freundin macht sie so behut- behutsam, die eine Zuschauerin abgeben und mit kaltem Blute einen Rath ertheilen kann, den sie selbst nicht beobachten wuͤrde, wenn sie in gleichen Umstaͤnden waͤre. Sie meint, es sey mein eige- ner Vortheil, daß ich ihr ehrlich begegnete. Vortheil! Einfaͤltige Kinder! ich dachte, diese Maͤdchens wuͤßten, daß ich meinen Vortheil dem Vergnuͤgen bestaͤndig nachsetze. Was wollte ich darum geben, wenn ich die Briefe selbst haͤtte, welche die Fraͤulein Howe beantwortet! Der folgende Brief ist von dem dritten May. Die naseweise Tochter wundert sich in diesem Briefe ungemein, daß ihre Mutter an die Fraͤulein Harlowe geschrieben, und sich unterstanden hat, ihr den Brief-Wechsel mit ihrer Tochter zu ver- bieten. Sie beruft sich auf den Herrn Hickman, welcher der Meinung sey, daß sie den Brief- wechsel nicht aufgeben solle. Wie der krie- gende Schmeichler um die Maͤdchens herum- schleicht! Jch fuͤrchte, ich werde ihn und seine Ama- zonin strafen muͤssen. Jch habe schon einen Ein- fall, auf den ich nur eine halbe Stunde nachden- cken und ihn in Ordnung bringen muß, um mich an beiden zugleich zu raͤchen. Jch kann nicht lei- den, daß die Vorrechte der Eltern so mit Fuͤssen getreten werden. Aber nun stelle dir das boͤse Maͤdchen vor! Es ist, schreibt sie, fuͤr ihn ein Gluͤck, daß er gleiche Einsichten mit mir hat: denn weil mich meine Mutter unwil- lig gemacht hat, so suche ich jetzt einen, mit N 3 dem dem ich mich zancken koͤnne. Koͤnnte sich ein Lovelace mehr unerlaubte Freyheit zu gute hal- ten? Das Maͤdchen hat den Teufel im Hertzen. Wenn es ein Junge geworden und unter unsere Gesellschaft gerathen waͤre, so wuͤrde es der brave- ste Kerl geworden seyn: ein aͤrgerer Wagehals, als wir alle. Jhre Mutter darf nur noch einen Schritt wagen, so will sie in der Stille nach London fluͤchten, und die Fraͤulein Harlowe nicht verlassen, bis sie entweder getrauet oder ganz frey von mir ist. Sarah, die diesen Brief abschrieb, hat den Stoß-Seufzer dazu gesetzt: „um „Gottes willen, Herr Lovelace, suchen sie die „Furie nach London zu bekommen.„ Wenn wir sie hier haͤtten, so sollte ihr Schicksal nicht so lange unentschieden bleiben, als das Schicksal ihrer Freundin. Wie wuͤrde sie durch ein Dutzend ih- rer unbarmhertzigen Schwestern (die mein Kind nie sehen soll) durch ihre Spitzruthen laufen muͤs- sen, wenn sie einmahl vor mir gefallen waͤre. Hernach davon. Jch sehe aus diesem Briefe, daß meine eigen- sinnige Gefangene euch alle vier abgemahlet hat. Meiner wird auch nicht geschont. Jch habe keinen Verstand! Jch will des Todes seyn, wenn sie das am Ende finden. Jch habe zum we- nigsten einen Sparren zu viel. Verflucht ver- aͤchtlich. Sie siehet, daß ihr lauter hoͤllische Geister seyd, und ich der Beelzebub. Das ist fuͤr dich, Belford, und fuͤr deinen Lovelacen. Und Und dennoch will sie, daß ihre Freundin den Beel- zebub heyrathen soll. Was weiß aber die Fraͤu- lein Harlowe von uns, das sie berechtiget eine sol- che Nachricht von uns zu geben, daruͤber die Fraͤulein Howe ein solches Urtheil faͤllen kann? Doch das folget. Sie tadelt sie daruͤber, daß sie der Jungfer Partington nicht erlaubt habe, bey sich zu schlafen: denn bey ihrer Wachsamkeit haͤt- te kein Ungluͤck daraus entstehen koͤnnen. Wenn ich Gewalt gebrauchen wollte, so wuͤrde ich die Nacht nicht erwarten. Sarah schreibt hiebey: „sehen sie, Herr Lovelace, „was man von ihnen erwartet? Das haben wir „ihnen schon mehr als hundertmahl gesagt.„ Das ist wahr! allein ihr Rath galt nicht halb so viel bey mir, als der Rath der Fraͤulein Howe gelten wird. Es heißt weiter: sie haͤtten koͤn- nen laͤnger aufbleiben, als die Jungfer Par- tington, oder gar nicht zu Bette gehen. Jst es moͤglich, daß ich in solchem Verdachte bey den zwey Maͤdchens stehe, und das eine dennoch dem andern anraͤth zu bleiben, jenes aber sich entschlies- set, auf mein koͤnigliches Wort zu warten, dadurch ich es zu meiner Gemahlin erklaͤre? Es ist mir lieb, daß ich das weiß. Sie billiget meinen Vorschlag von dem Hause der Frau Fretchville. Sie raͤth ihr an, von Ehe-Stiftungen zu reden, und einen Tag zur Hochzeit fest zu setzen; und dringet endlich sehr darauf, daß sie ungeachtet des Verbotes ihrer N 4 Mutter Mutter fortfahren soll zu schreiben: oder sie soll die Folgen erwarten. Ungehorsame Maͤd- chens! Wirst du nicht hiebey sagen: ist dieses sproͤde und hochmuͤthige Maͤdchen eben die Fraͤulein Ho- we, die nach dem ehrlichen Georg Colmar seuf- zete, und die ihm nachfolgen wollte, als ihn seine Schulden aus dem Koͤnigreiche trieben, wenn nicht diese Freundin es gehindert haͤtte? Ja, es ist eben die Fraͤulein Howe! Jch ha- be das bey andern und bey mir gefunden; wenn die erste Liebe voͤllig besieget wird, so wird der Sieger ein See Raͤuber in der Liebe, und die Sie- gerin eine Grausame. Nun kommt noch ein gezwungener artiger Brief, von einer Person, der Fraͤulein Howe die Ehre gethan hat, zu befehlen u. s. w. Er soll der Fraͤulein Harlowe berichten, daß die Fraͤulein Howe sehr bekuͤmmert sey, daß sie sich durch ihren letzten Brief in solche Un- ruhe gesetzt habe. Jch empfinde hiebey (schreibt der artige Einfalts Pinsel) einen großen Trieb, meinen Kummer oder Unwillen uͤber ihre verdrieß- lichen Umstaͤnde zu bezeugen. Meinen Unwillen bezeugen! Warum fiel er nicht tiefer in diese Versuchung? Darum, weil er nicht wußte, was das fuͤr Umstaͤnde waren, die bey ihm einen solchen Trieb erwarteten. Er schließet nur, u. s. w. Hierauf tantzt er in der Schreib-Art eben so als als im Gange. Warlich, er muß die große Rei- se gethan haben und uͤber Typperary zuruͤck ge- kommen seyn. Da mir die Fraͤulein verbietet, (schreibt der Hase) mich genauer zu erkundigen. Freund Hickman, das Verbot ist eine große Wohlthat fuͤr dich. Allein woher weißt du denn, daß die Umstaͤnde so verdrießlich sind? Du schlies- sest es blos daraus, weil ein Maͤdchen daruͤber un- ruhig wird, das seiner Mutter Unruhe macht, und dir und allen Freunden Unruhe machen wird, wenn ich es nicht demuͤthige. Jn einem andern Briefe billiget sie den Entschluß der Fraͤulein Harlowe ungemein, mich zu verlassen, wenn sie einige Hoffnung zur Versoͤhnung mit ihren Freunden uͤbrig hat. Sie hat so viel Zeug von mir gehoͤrt, daß sie mich fuͤr den abscheulichsten und gefaͤhrlichsten Menschen haͤlt. Wenn ich ein zehnfaches Leben haͤtte, so koͤnnten noch wohl zwantzig Uebelthaten unbegangen seyn, und ich wuͤrde doch schon mein zehn- faches Leben verwircket haben. Eine alber- ne Rechnung! Die Jungfer Betterton, die Jungfer Lo- ckyer kommen auch in diesen Briefen vor. Der Mensch (so veraͤchtlich schreibt sie von mir) ist ein Ertz-Boͤsewicht. Soll ich mir solche Nahmen ohne Ursache geben lassen? Sie will sich (auf Bitte der Fraͤulein Harlowe) unter der Hand erkundigen lassen, wie ihr Onckle N 5 gesin- gesinnet ist. Dorcas soll gewonnen werden. Es soll einer von meinen Briefen gestohlen werden. Siehst du, Bruder? Sie ist sehr unruhig daruͤber, daß ich gesucht habe, einen von ihren Briefen zu bekommen. Sie glaubt, wenn ich wuͤßte, daß sie so frey von mir schriebe, so duͤrfte sie keinen Fuß allein uͤber die Schwelle setzen. Sie mag ihre Leib-Wache in Bereit- schaft halten! Jch bin der Anfuͤhrer von einer Bande abscheulicher Boͤsewichter, (sie laͤugnet nicht, daß sie dich und deine Freunde meinet) die un- schuldige Frauenzimmer zu verfuͤhren su- chen, und Gewalt gebrauchen, einander in Sicherheit zu setzen. Was sagst du dazu? Sie wundert sich nicht uͤber ihre nieder- geschlagenen und tiefsinnigen Gedancken, die ihr bey der Flucht, zu der sie gezwungen und verleitet ist, beyfallen. Du wirst doch nun aufhoͤren zu predigen. Sie troͤstet sie damit, daß sie eine War- nung und ein Vorbild fuͤr ihr gantzes Ge- schlecht seyn werde. Jch erwarte hiefuͤr ein Dancksagungs-Schreiben von dem gantzen schoͤnen Geschlecht. Unsere Nymphen sagen, es haͤtte ihnen bloß an der Zeit gefehlt, alles abzuschreiben, was meiner Rache werth gewesen waͤre. Jch muß mich be- muͤhen, den Brief selbst in die Haͤnde zu bekommen. Jch kriege den Nahmen eines Verfuͤhrers und sonst sonst noch hundert garstige Nahmen darin. Der Teufel besaß (wie sie glaubt) mich und alle ihre Anverwandten, um sie zu der ge- fahrlichen Unterredung zu noͤthigen. Jhr Fehler ist ein Schluß des Schicksals. Warum bekuͤmmert sie sich denn daruͤber? Jm Ungluͤck ist sie am schoͤnsten und am groͤs- sesten! und dennoch danckte sie es dem so schlecht, der sie schoͤn und groß gemacht hat. Jn einem andern Briefe bin ich bestimmt, (so gottlos ich auch bin) ihr Herr und Ober-Haupt zu seyn. Das hoffe ich. Sie nimmt das zuruͤck, was sie in ihrem vori- gen Briefe wider mich geschrieben hatte. Mein Betragen gegen mein Rosen-Knoͤspgen; der Vor- schlag von dem Hause der Frau Fretchville, mein Versprechen, in Sinclairs Hause zu bleiben; meine gute Haushaltung; meine Gestalt; meine gantze Art; sind lauter Gruͤnde mich zu waͤhlen, und keinesweges von mir zu fluͤchten. Wie freue ich mich, wenn sich solche Maͤdchens nicht in mich finden koͤnnen, die Graß wachsen hoͤren. Allein mein Zaudern und Taͤndeln ist unertraͤglich. Sollen die Maͤdchens allein zau- dern und taͤndeln? Den Maͤdchens habe ich es zu dancken, daß ich diese Kunst auch verstehe. So lehrte der Eisen-Kopf, Carl der Zwoͤlfte, den Moscowitischen Czar, wie er ihn uͤberwinden sollte, da er wider die Grund-Saͤtze seiner Vor- fahren einen langen Krieg mit den Moscowitern fuͤhrete. Die Die Rache soll mich Boͤsewicht in Zeit und Ewigkeit verfolgen, (Gottlob! daß sie nichts von erreichen schreibet) wenn ich ihr Anlaß zum Zweifel gebe. Die Frauenzim- mer sind so artig, daß sie nicht schwoͤren koͤnnen: allein du siehest doch, daß sie fluchen koͤnnen. Jch zweifele an ihrer Liebe. (Mit Recht thue ich das) Sie hat Ursache an mei- ner Jnbrunst zu zweifeln, oder wie es hier heißt, sich das befremden zu lassen, daß ich nicht hitziger liebe. Das ist das rechte Wort. Jst es nicht unser erster Glaubens-Artickel, daß das Frauenzimmer uns hitzig machen will? Sie berichtet ihr, von wie weniger Wirckung die Bitte gewesen ist, die sie an ihrem Onckle ge- bracht hat. Vermuthlich ist das durch Hickman geschehen. Jch muß des Kerls seine Ohren in den Schubsack kriegen, und das bald. Sie ist voller Widerwillen gegen die gantze Harlowische Familie. Sie hat einen Versuch gethan, was durch die Frau Nor- ton bey ihrer Mutter auszurichten stuͤnde, und hatte durch sie Vorschlaͤge von eben der Art thun lassen, als der bewußte Herr ihrem Onckle gethan hat. Allein (saget die Straf- Predigerin) es waͤren keine Unmenschen in der Welt zu finden, die eben so vorsetzlich Unmenschen sind, und sich nicht erbitten lassen etwas von Menschlichkeit zu fuͤhlen. Jhr Onckle behauptet, daß sie nicht mehr ist, was sie gewesen ist. Ein Beruf und eine Schan- Schande fuͤr mich! Es haben alle die Jhrigen laͤngst erwartet, daß sie sich an sie wenden wuͤrde, so bald sie in dem Ungluͤck waͤre: allein der Entschluß ist schon zum voraus gefasset, nicht einen Schritt zu ihrem Besten zu thun, wenn man auch ihr Leben dadurch retten koͤnnte. Sie wird beschuldiget, daß sie vorsetzlich davon gegangen ist und aller- hand listige Anstalten zur Flucht gemacht hat. Die Fraͤulein Howe ist besorget, daß sich mein Hochmuth an der Fraͤulein Har- lowe raͤchen werde, nachdem sie bisher so hart gegen mich gewesen ist. Sie hat Recht. Sie kann weiter nichts als Eins waͤhlen, nehmlich die Meinige zu werden. Denn es scheint, daß ihr Vetter Morden auch gegen sie eingenommen ist. Aus Zwang und als einen Nothhelfer soll sie mich nehmen. Also dein Lo- velace soll ein Nothhelfer eines Frauenzimmers werden! ist das moͤglich zu ertragen? Jch will mir den Brief zu Nutze machen. Aus dem, was nach dem Briefe der Fraͤulein Howe zwischen den Herrn Harlowe, und Hick- man (denn ein anderer als Hickman kann es nicht seyn) vorgefallen ist, muß ich etwas drech- seln: denn die Fraͤulein Howe schreibt, sie wollte nicht alles offenbaren. Jch muß den Brief selbst sehen. Ein bloßer Auszug ist nicht genug, es kommt auf jedes Wort an. Dieser Brief muß mein Polar-Stern seyn. Jn Jn dem folgenden Theil des Briefes schlaͤgt die Flamme der Freundschaft lichterloh und mit großen Lermen in die Hoͤhe. Jch habe mir nie vorhin eingebildet, daß eine so heisse Freundschaft zwischen zwey schoͤnen Kindern seyn koͤnnte. Allein viel- leicht wird die Freundschaft selbst durch den Wi- dersprechungs-Geist hitziger, der dem weiblichen Geschlechte das Leben giebt und es nach der Ro- maine bildet. Sie plaudert viel davon, daß sie nach London kommen will, wenn sie der Fraͤulein Harlowe den Verdruß ersparen kann, sich so tief herunter zu lassen, oder wenn sie gar noch groͤßerm Ungluͤck vorbeugen kann. Ein Rohr-Stab lehnt sich auf den andern. Diese Maͤdchens haben keinen Verstand bey ihrer Freundschaft: sie wissen nicht, was ein gesetztes und bestaͤndiges Feuer ist. Wie geht es aber zu, daß mir der Muth dieser Amazonin so wohl gefaͤllt, ob er mir gleich so viel Schaden thut? Wenn ich sie nur hier haͤtte, so sollte sie in acht Tagen einen Gehorsam ohne Bedin- gungen lernen. Wie wuͤrde es mich vergnuͤgen, wenn ich einen solchen Kopf brechen koͤnnte! Einen Monath wollte ich sie denn noch bey mir haben, laͤnger nicht: sie wuͤrde nachher gar zu niederge- schlagen und gar zu zahm seyn. Wie sollte mich das erquicken, wenn ich die beyden liebenswuͤrdi- gen Freundinnen gedemuͤthiget und gezaͤhmet haͤt- te, und sie in dem finstersten Winckel der Stube sich einander mit Seufzen in den Armen hielten, und und eine uͤber die andere weinete! Jch wollte als- denn als ein rechtmaͤßiger Ober-Herr mich auf meinen Sopha setzen, und wie ein Tuͤrckischer Groß Sultan thun, der sich besinnet, welcher Schoͤnen er zuerst sein Tuch zuwerfen soll. Stelle dir das Maͤdchen vor. Es will vor Verdruß uͤber die Harlowes von Sinnen kommen. Es aͤrgert sich uͤber den kleinen Geist seiner Mutter. Gegen den albernen und niedertraͤchtig-hochmuͤthigen Lovelace ist es erbittert. (Albern? die kleine Kroͤte! Gott vergebe es mir, daß ich ein tugendhaftes Maͤdchen so nenne.) Sie wollen sich aber doch beyde herunter lassen und mich neh- men, so gut ich bin, wenn sie sich gleich die Finger dabey schmutzig machen. Jch ha- be mich gegen die Fraͤulein zum wenigsten nicht unanstaͤndig aufgefuͤhret. Hieruͤber scheint sich die Fraͤulein Howe zu verwundern. Jch darf mich es auch nicht unterstehen. Das mag sie glauben! Wenn dem Frauenzimmer solche Dinge in dem Kopfe herumschwaͤrmen, warum soll ich sie denn nicht in meinem Hertzen haben? Ein solcher Teufel bin ich noch nicht. Wenn ich uͤble Absichten haͤtte, so wuͤrde es sich schon laͤngstens gezeiget haben. Gott helfe! Sie setzt hierauf ihrer Freundin in den Kopf, daß sie auf Ehe-Stistung, Trauschein u. s. w. dringen solle. Alle Bloͤdigkeit soll nun am Ende seyn. Sie sagt ihr alles, wie sie es anfangen soll, um um weiter zu kommen. Glaubst du nicht, daß ich laͤngstens gesieget haͤtte, wenn die Xantippe nicht gewesen waͤre? Sie giebt ihr Schuld: daß sie zum wenigsten zweymahl aus Bloͤdig- keit eine Gelegenheit habe fahren lassen, die sie billig haͤtte ergreifen sollen. Du siehst al- so, daß die großmuͤthigsten unter dem Frauenzim- mer durch alle ihre Sproͤdigkeit nichts suchen, als einen armen Schelm, der ihnen in das Gehaͤ- ge kommt, und ihnen anstaͤndig ist, zu pfaͤnden. Bey diesem Briefe lieget die allerunartigste Beylage, dadurch eine Tochter sich je an ihrer Mutter hat versuͤndigen koͤnnen. Es ist solch Zeug von Witwen und alten Junggesellen darin enthalten, daß ich mich wundere, wie die Fraͤulein Howe zu solcher Erkaͤnntniß gekommen ist. Georg Colmar war gewiß noch einfaͤltiger als dein Lovelace, wenn er sie das alles umsonst geleh- ret hat. Jn diesem Anhange berichtet die Howe der Fraͤulein Harlowe, daß der alte Anton um ihre Mutter angehalten hat. Der alte Kerl muß ein zaͤhes Leben haben, wenn er sie bekommt: sonst wird er es nicht lange bey einer Frau aushalten, die den seeligen Howe zu Tode gequaͤlt hat. Doch dem mag seyn wie ihm wolle, die dumme Familie ist wegen dieses Einfalls des alten Antons so un- versoͤhnlich gegen ihre Fraͤulein Tochter, als sie je- mahls gewesen seyn mag. Jch bin also desto siche- rer, weil sie (wie die Fraͤulein Howe sagt) nur Eins waͤhlen kann. So sehr dieses meinem Hoch- muth muth anstoͤßig ist, so glaube ich doch, daß meine Zaͤrtlichkeit mich endlich uͤberwinden wird. Denn ich habe nie gewuͤnschet, daß sie lauter Truͤbsal haben sollte. Allein warum liebet sie diese Un- menschen (wie die Howe sie nennet) so sehr? und mich so wenig? ‒ ‒ Jch habe noch eine Abschrift eines Briefes, dessen Laͤsterungen den Fraͤuleins nicht koͤnnen vergeben werden. Der fuͤnf und zwantzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. D er folgende Brief ist so beschaffen, daß diese stoltzen Toͤchter ihn fuͤr vieles nicht in mei- nen Haͤnden wuͤnschen wuͤrden. Jch sehe was ihr an meinem Antrage misfal- len hat. Er geschahe nicht mit der Hitze als sie es erwartete. Diesen gantzen Brief hat Dor- cas abgeschrieben, als welcher er zufiel. Du sollst einige Auszuͤge daraus von Wort zu Wort lesen. Jch glaube (schreibt der kleine Teufel) daß Leute von seiner Art nichts von den Flam- men fuͤhlen, dadurch redliche und ehrliche Leute entzuͤndet werden. Die Fraͤulein Howe hat doch artige Einfaͤlle! Ein allerliebstes Maͤdchen! Es muͤßte einen ehrlichen Kerl verdries- sen, wenn ein Maͤdchen umsonst zu solcher Weis- heit gelanget waͤre. Vierter Theil. O Viel- Vielleicht muß ich erst ein halb Dutzend aufopfern, ehe ich mich auf Lebenslang einlasse. Und damit dieses nicht lassen moͤchte, als haͤtte sie Hoffnung zu meiner Besserung, so setzt sie hinzu: ehe er das große Stufen- Jahr uͤberstanden hat, koͤnnen sie ihn nicht fuͤr ehrlich und zuverlaͤßig ansehen. Sie nuß von ihrem Geschlechte hohe Gedancken ha- ben, wenn sie glaubt, daß wir bis an das große Stuffen-Jahr noch immer verliebt seyn koͤnnen, da wir an ihnen immer einerley finden. Sollte der Mensch aus Hoͤflichkeit ge- gen den Lord M. einen Aufschub machen? Ja, das thue ich. Wenn man bisher denen un- gehorsam gewesen ist, die man an Eltern Stelle zu ehren hat, so folget nicht, daß man nie anfangen soll, gehorsam zu werden. Dieses ist eine wichtige Sache, welche der gantzen Familie an dem Hertzen lieget. Sie haͤtten, heißt es weiter, in der That gestern fruͤh einen Freund noͤthig gehabt, der fuͤr sie geredet haͤtte. Wenn ich damahls an ihrer Stelle gewesen waͤre, so wollte ich ihm die Augen ausgekratzt, und nachher Zeit gelassen haben, sich zu besinnen, warum es geschehen waͤre. Sie- he! siehe! was sagest du dazu? Der Schelm! nennet sie mich. Und warum das? Weil ich gewuͤnscht hatte, daß mor- gen mein gluͤcklicher Tag seyn moͤchte, und weil ich meine Pflicht gegen meine naͤchsten Verwand- ten nicht vergesse. Ein Ein Frauenzimmer kann nicht ungluͤck- licher seyn, als wenn es den Mann nehmen muß, den es verachtet. Das war es eben, was ich wissen wollte. Jch fuͤrchte mich immer, daß mein Kind seine Vorzuͤge allzugut wußte, und mich in der That verachtete. Es ist mir dieses unertraͤglich. Jch will das arme Kind nicht so ungluͤcklich machen. Der Teufel hohle mich, wenn ich eine Gemahlin nehme, die sich gegen ihre besie Freundin so erklaͤret hat, daß jene daraus schließen muß, sie verachte mich. Soll Lovela- ce sich verachten lassen? Jch wuͤnschte, daß die Faust damit er sich vor den Kopf schlug, (ich erinnere mich der Sache noch wohl. Allein sie hatte eben den Ruͤcken zu mir gekehret. Koͤnnen die wachsamen, die listigen Maͤdchens auch hinten sehen?) ein Beil in der Hand seines aͤrgsten Feindes ge- wesen seyn moͤchte. Jch will Geduld haben! ja das will ich thun. Meine Zeit ist nahe: alsdenn will ich mein Hertz durch Erinnerung des vorigen in Stahl und Eisen verwandeln. Es geschiehet eines Vorschlages Meldung, meine rechtmaͤßige Beute aus meinen Haͤnden zu befreyen. Das macht mich unruhig. Nun wird der Streit heftiger. Du wirst dich nun nicht wun- dern, wenn ich Schelmerey gebraucht. Jch will mich nicht durch das Zauber-Wort, Norris, verblenden lassen. O 2 Sie Sie wiederholt es nochmahls: ich kann keine uͤbele Absichten haben. Allein ich bin ein Narr! das ist das Ende vom Liede. Jch muͤßte freilich ein Narr seyn, wenn ich so zu Wercke gienge, und die Absicht haͤtte, sie zu heyrathen. Weil sie aber einmahl durch das Schicksal an einen Narren verschenckt sind, so heyrathen sie ihn bey der ersten und besten Gelegenheit. Jch glaube zwar, daß er von der Art Narren ist, die sich am we- nigsten lencken laͤßt; allein nehmen sie ihn als eine Strase an, wenn sie ihn nicht fuͤr ihr Gluͤck halten koͤnnen. Jst das zu ge- nießen? Heute erhielte sie wieder einen Brief, als sie in der Kirche war. Der Anschlag ist voͤllig gemacht: es ist eine verfluchte Meuterey. Herr Lovelace schreibt hier den Theil des zwey und zwantzigsten Briefes ab, der von der Frau Townsend handelt. Nichts verdrießt ihn mehr, als daß die Fraͤulein Howe sich dar- uͤber freuet, daß die Fraͤulein Harlowe seiner durch die Flucht oder den Galgen los wuͤrde, wenn er sich unterstuͤnde durch Gewaltthaͤtig- keiten die Gesetze zu uͤbertreten. Er setzt hinzu: Jch mache mir eine Ehre daraus, solche Maͤd- chens zu besiegen, die so viel Verstand haben, daß sie sich fuͤr unbetruͤglich halten muͤssen; und sie zu uͤberzeugen, daß sie doch noch nicht genug wissen, sich sich vor den schaͤdlichen Folgen ihrer allzugroßen Wissenschaft in Sicherheit zu setzen. Wie munter macht uns doch die Leidenschaft! Jn wenigen Stunden habe ich ein gantzes Buch an dich geschrieben. Jetzt bin ich rachgierig: jetzt will ich diese zwiefach bewaffnete Schoͤne sprechen, und sie vielleicht bestrafen. Jch habe ihr sagen lassen, ich muͤßte nothwendig Erlaubniß haben, diesen Abend bey ihr zu speisen. Diesen Mittag hat weder sie noch ich gegessen: sie wollte nicht einmahl den Nachmittag warm Wasser trincken. Wir werden auch diesen Abend schlechte Lust zum Essen haben. Der sechs und zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonntags fruͤh um 7. Uhr, den 21sten May. J ch bin gestern Abend mit Herrn Lovelace und mit der Jungfer Horton in dem Co- moͤdien-Hause gewesen. Das Trauer-Spiel, welches aufgefuͤhret ward, ist schon sehr betruͤbt, und ruͤhrend, wenn man es nur lieset. Sie ha- ben meine Anmerckungen daruͤber in dem kleinen Buche, das ich auf Jhren Befehl entworfen, und mein Urtheil uͤber die bekanntesten Lust- und Trauer-Spiele faͤllen mußte. Sie werden sich nicht wundern, wenn so wohl die Jungfer Hor- O 3 ton ton als ich sehr geruͤhret ward, da ich Jhnen zu meinem Vergnuͤgen melden kann, daß so gar Herr Lovelace bey denen beweglichsten Stellen nicht unbeweget blieb. Jch fuͤhre dieses als einen Be- weis an, daß das Trauer-Spiel sehr wohl vorge- stellet ward: denn ich halte den Herrn Lovelacen fuͤr einen von den haͤrtsten Leuten in der Welt. Das ist meine aufrichtige Meinung von ihm. Seine Auffuͤhrung in der Comoͤdie und bey der Zuruͤckkunst war untadelhaft; das eintzige ausge- nommen, daß er mich zwang, unten bey den Frauens-Leuten zu speisen, und bey nahe bis des Nachts um ein Uhr aufzubleiben. Jch entschloß mich, ihm dieses wieder einzutraͤncken; und in der That war es mir lieb, daß ich einen so guten Vor- wand hatte, denn ich bin des Sonntags fruͤh gern allein. Um eine noch bessere Entschuldigung zu ha- ben, und mich seines Bettelns leichter entschlagen zu koͤnnen, habe ich mich voͤllig angekleidet, und will mich nach S. James-Kirche tragen lassen. Jch werde hiebey sehen, ob ich Freyheit habe aus dem Hause zu gehen, wenn ich will, ohne daß er mir seine Gesellschaft aufdringet, wie er schon zwey- mahl gethan hat. Kurtz vor 9. Uhr. Jch habe Jhren guͤtigen Brief von gestern erhalten: und er weiß es, daß ich ihn erhalten habe. So bald ich ihn spreche, bin ich mir schon vermu- then, daß er begierig seyn wird, zu wissen, was Sie zu seinen Vorschlaͤgen sagen. Jch zweifelte nicht nicht daran, daß Sie diese Vorschlaͤge billigen wuͤrden, und in dieser Hoffnung habe ich schon eine Antwort geschrieben, die fuͤr ihn fertig lieget. Wenn wir nun wieder zerfallen, so muß er sich gewiß recht bemuͤhen, die Sache aufzuschieben, und mich in solcher Absicht zu beleidigen. Er verlanget mit großem Ungestuͤm, mich zu sprechen. Er hat sich Erlaubniß ausgebeten, mich in die Kirche zu begleiten. Er ist ungehal- ten, daß ich ihm abgeschlagen habe, den Thee bey ihm zu trincken: allein wenn ich ihm das gestattet haͤtte, so haͤtte ich zum Voraus gewußt, daß er mich nicht allein wuͤrde ausgehen lassen. Jch ließ ihm durch Dorcas sagen: ich wollte diesen gan- tzen Tag fuͤr mich allein haben; allein morgen wollte ich ihn so fruͤh als ihn selbst beliebete, spre- chen. Sie sagte: sie wuͤßte nicht, was ihm fehlte; er sey mit jedermann boͤse. Er hat noch einmahl zu guter letzt an mich ge- schickt. Er laͤßt mich vor Singleton warnen. Jch ließ ihm aber antworten: da es gestern Abend nicht gefaͤhrlich gewesen sey, in die Comoͤdie zu ge- hen, so wuͤrde es auch heute nicht gefaͤhrlich seyn, die Kirche zu besuchen; da wohl funfzig mahl so viel Kirchen als Comoͤdien-Haͤuser in London waͤ- ren. Jch habe indessen zugegeben, daß mir sein Diener nachfolget. Er ist aber gantz verdrießlich und misvergnuͤgt. Jch frage aber nicht darnach: ich will mich nicht immer nach dem unhoͤflichen Menschen richten. Jch breche jetzt den Brief ab. Die Saͤnste ist da. Jch hoffe nicht, daß er mir O 4 in in den Weg kommen und mich zuruͤck halten wird. Jch habe ihn bey dem Hinuntergehen nicht angetroffen. Er ist uͤberaus ungnaͤdig; doch sagt Dorcas, daß seine Ungnade nicht eigentlich auf mich falle, sondern daß ihn sonst etwas verdrießen muͤsse. Vielleicht ist dieses nur darum angestel- let, damit ich ihm nicht abschlagen foll, mit ihm zu speisen. Allein ich werde mich doch nicht daran kehren, wenn ich es aͤndern kann: sonst wuͤrde ich seiner den gantzen Tag nicht los werden. Er hat sehr darauf gedrungen, mit mir zu speisen. Weil ich es aber einmahl darauf gesetzt hatte, in dieser Kleinigkeit meinen Willen zu haben, so sagte ich, ich wollte gar nicht essen. Jch be- schaͤfftigte mich auch in der That mit einem Briefe an meinen Vetter, Morden. Jch hatte drey Brie- fe angefangen, ohne daß mir einer davon gefiel, und sich meiner Meinung nach recht zu meinen Um- staͤnden schickte. Dorcas sagt, er schriebe sehr eifrig, und aͤße auch diesen Mittag nichts, weil ich nicht mit ihm essen wollte. Er foderte so zu reden den Nachmittag, daß wir mit einander den Thee trincken moͤchten, und berief sich in dem, was er mir durch Dorcas sagen ließ, auf seine gestrige Auffuͤhrung. Jch ließ ihm antworten: er schiene einen großen Danck dafuͤr zu fodern, wenn er sich nicht ungebuͤhrlich auffuͤhrete. Jn- Jndessen wiederhohlte ich mein Versprechen, mich morgen, so fruͤh als er es selbst befoͤhle, mit ihm zu unterreden, und das Fruͤhstuͤck mit ihm zu neh- men. Dorcas sagte, er sey gantz unleidlich. Mich duͤnckt auch, ich hoͤrte, wie die Dieners von ihm flogen, wenn er redete. Sie schreiben in einem Jhrer vorigen Briefe, daß Sie jemand haben muͤß- ten, mit dem Sie sich zanckten, wenn Jhre Mut- ter Sie verdrießlich macht. Jch wollte nicht gern eine Vergleichung anstellen. Allein die Leiden- schaften sind einerley, sie moͤgen Manns-Leute oder Frauenzimmer beherrschen. Er hat noch einmahl gefchickt, und dringet darauf, daß wir diesen Abend beysammen essen sollen. Weil ich bisher ziemlich wohl mit ihm ge- standen habe, so hielte ich es fuͤr unvorsichtig, we- gen einer solchen Kleinigkeit zu brechen. Jndes- sen ist es mir sehr ungelegen, daß ich mich durch Drohungen zwingen lassen soll, zu thun was er ha- ben will. Unterdessen, daß ich noch in Gedancken war, klopfte Herr Lovelace an meine Stube, und sag- te mir mit einer unfreundlichen Stimme: er muͤß- te mich sprechen. Er koͤnnte keine Ruhe haben, bis er wuͤßte, wodurch er sich eine solche Auffuͤh- rung zugezogen haͤtte. Jch muß wohl hingegen, ob ich gleich weiß, daß er nichts neues zu sagen hat, und sehr verdrießlich gegen ihn seyn werde. O 5 Weil Weil die Fraͤulein nicht wuste, was fuͤr Absichten Herr Lovelace hatte, und wor- uͤber er so verdrießlich waͤre; so wollen wir das folgende nach seiner eigenen Er- zaͤhlung, die aus seinen Briefen genom- men ist, einruͤcken. Er erzaͤhlt, daß er sich auf eine zornige Art ihre Gesellschaft bey dem Abend-Essen ausgebeten habe, und fahrt darauf also fort. Mein eigensinniges Kind antwortete: es ist et- was hartes, daß ich uͤber meine Zeit nicht zu be- fehlen haben soll. Ueber eine halbe Stunde will ich zu ihnen in den Speise-Saal kommen. Jch gieng in der halben Stunde zu den Frauens-Leuten hinunter, die sehr an mir heraus waren, daß ich ihr Ursache geben moͤchte grausam zu seyn, weil sie doch grausam seyn wollte. Sie fuͤhreten ihre Beweise aus der Natur des schoͤnen Geschlechtes und aus den Umstaͤnden, daß ich nichts zu hoffen haͤtte, wenn ich bloͤde bliebe, und daß ich mir durch die letzte Tod-Suͤnde keinen heftigern Zorn zuziehen koͤnnte. Jch sollte zum wenigsten versuchen, was er fuͤr Wirckungen haben wuͤrde, wenn ich mir mehr Freyheiten gegen sie heraus- naͤhme. Jhre Gruͤnde wurden durch meine Lei- denschaft staͤrcker, und ich entschloß mich, mir einige Freyheiten zu nehmen, und wenn sie mir dieses nicht uͤbel naͤhme, zu noch groͤßeren Freyheiten zu schreiten, und alles ihrer harten Auffuͤhrung gegen mich Schuld zu geben. Jn diesem Sinne gieng ich hinauf, und spatzierte wie einer der die Gicht hat, hat, in dem Speise-Saal auf und nieder; denn meine Erwartung machte, daß ich uͤber meine Knochen und Gelencke nicht mehr zu befehlen hatte. Sie trat mit einer erhabenen Mine herein, ihr Gesichte war abgekehrt, ihre geschwollnen Bruͤ- ste traten desto mehr hervor, weil sie sich so erha- ben trug. Jst es nicht unrecht, Bruder, daß selbst der Eigensinn diese stoltze Schoͤne noch schoͤner macht? Allein die wahre Schoͤnheit bleibt in allen Stellungen und bey allen Gemuͤths-Beschaffen- heiten schoͤn. Aus dem abgekehrten Gesichte und der veraͤchtlichen Geberde merckte ich, daß das liebe unartige Kind Lust hatte zu zuͤrnen: deswegen nahm ich auch eine solche Mine an, da ich ihre Hand mit Zittern ergriff, daß die Furcht bald in ihrem Gemuͤthe siegete. Jndessen ward auch mein Hertz sogleich entwaffnet, und mit Ehrfurcht nie- dergeschlagen, als ich sie sahe. Sie ist gewiß ein Engel. Und dennoch glaube ich, daß die Jhrigen sie fuͤr ein Maͤdchen angesehen haben muͤssen, sonst wuͤrden sie sie nicht von Kindheit an so gekleidet haben, und sie wuͤrde auch die weibliche Kleidung aus Triebe des Gewissens abgeleget haben, wenn sie uͤberzeuget waͤre, daß sie ihr nicht gebuͤhrete. Darf ich sie bitten, Fraͤulein, (fing ich an) mir zu sagen, wodurch ich eine solche Auffuͤhrung von ihrer Seite verdienet habe? Und darf ich sie bitten, Herr Lovelace, mir zu sagen, wodurch ich verdient habe, daß sie mich stoͤren, wenn ich allein seyn will? Was kann seit gestern gestern Abends neues vorgefallen seyn, das sie' mir nothwendig sagen muͤssen? Seit dem Abend, da ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die Comoͤdie besuchte? und da ich auch wider meinen Willen mit ihnen so spaͤte habe aufbleiben muͤs- sen? ‒ ‒ ‒ Jch muß ihnen sagen, Fraͤulein, daß es mir unertraͤglich ist, mit ihnen unter einem Dache zu seyn, und dennoch so fremde zu bleiben. Jch ha- be tausenderley mit ihnen zu reden, das unsere je- tzigen Umstaͤnde und unsere kuͤnftige Hoffnung be- trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz eroͤffnen will, so zwingen sie mich, gantz fremde zu thun. Sie machen, daß zwischen meinen eigenen Handlungen keine Gleichheit seyn kann: sie suchen nur Zeit zu gewinnen. Sie muͤssen gewiß ande- re Absichten haben. Sagen sie mir, Fraͤulein, um Gottes willen sagen sie mir sogleich ohne Zwey- deutigkeit und ohne Ausfluͤchte, von welcher Seite sie mich kuͤnftig ansehen und kennen lernen wollen. Die Entsernung ist mir unertraͤglich: die Qual, zwischen Furcht und Hoffnung zu seyn, ist mir unertraͤglich. Von welcher Seite, Herr Lovelace? nicht von der schlimmen Seite. (Fassen sie mich doch nicht so fort an: (sie wollte die Hand loß ma- chen) lassen sie mich gehen. Sie hassen mich, Fraͤulein. ‒ ‒ Jch hasse niemanden. ‒ ‒ Sie hassen mich, Fraͤulein: sagte ich noch einmahl. Weil Weil ich schon so sehr angehetzt, und mit ei- ner boͤsen Entschließung hinauf gegangen war, so brauchte es weiter nichts, als ein Wort, mich noch boͤser zu machen. Es ist wahr, der Teufel schlich sich aus meinem Hertzen heraus, so bald ich mei- nen Engel sahe: allein er hatte die Thuͤr offen gelassen, um wieder hinein zu kommen, und war kaum einen Schritt von mir gegangen. Jch sehe, Herr Lovelace, sie sind in keinem guten Sinne zu mir gekommen. Allein ich bitte sie, seyn sie nicht so heftig. Jch habe ihnen nichts zu Leide gethan. Seyn sie nicht heftig. Das liebe Kind! Jch fassete es zwischen bey- de Arme, und schlug meine Haͤnde in einander. Sie haben mir nichts zu Leide gethan? Sehr viel haben sie mir zu Leide gethan. Wo- durch habe ich es verdient, daß sie so fremde ge- gen mich thun? ‒ ‒ Jch wußte selbst nicht, was ich sagen sollte. Sie suchte sich loszureissen. Jch bitte sie, Herr Lovelace, lassen sie mich weggehen. Jch weiß nicht, warum das alles geschiehet. Jch bin mir gar nichts bewußt, dadurch ich sie beleidiget haͤt- te. Jch sehe, sie sind blos deswegen gekommen, daß sie sich mit mir zancken wollen. Wenn sie mir nicht durch ihren Unwillen eine Furcht einjagen wollen, so vergoͤnnen sie mir wegzugehen. Jch will auf ein anderes mahl alles anhoͤren, was sie zu sagen haben. Es soll morgen fruͤh geschehen, wie ich ihnen schon versprochen habe. Allein ich fuͤrchte mich in der That vor ihnen. Wenn sie noch noch einige Werthachtung fuͤr mich haben, so las- sen sie mich weggehen. Die Nacht, die Mitternacht ist die eintzige Zeit, in der ich siegen kann. Ueberfall, Schre- cken, alles muß angewandt werden, wenn mein Sturm nicht abgeschlagen werden soll: Die Frauensleute hier in dem Hause moͤgen sagen, was sie wollen. Jch muͤßte meinen Vorsatz fahren lassen. Dieses war nicht das erstemahl, da ich vorhatte, sie auf die Probe zu setzen, ob sie ver- geben koͤnnte. Jch kuͤssete ihre Hand so, als wenn meine Lip- pen daran kleben bleiben sollten. So gehen sie denn weg, allerliebstes Kind, und ewig liebes Kind. Jch war zwar sehr verdrießlich, als ich zu ihnen kam: denn es ist mir unertraͤglich, daß sie so fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl ihr Wille ist, so gehen sie hinauf. Faͤllen sie ein solches Urtheil uͤber mich, wie es sich fuͤr ihr edles Hertz schicket, und wie ich es verdiene. Darf ich nicht hoffen, sie morgen in einer solchen Fassung zu sehen, die sich zu unsern jetzigen Umstaͤnden und zu dem, was wir hoffen, besser schicket? Jch fuͤhrte sie mit diesen Worten an die Thuͤr, und verließ sie. Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun- ter, sondern verschloß mich in meine Stube, weil ich mich schaͤmete, daß ihr vornehmes und liebens- wuͤrdiges Gesicht, und ihre wachsame Tugend, ei- nen solchen Sieg uͤber mich erhalten hatte, nach- dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun- din, die sie selbst durch ihre Nachrichten veranlas- set set hatte, so rechtmaͤßig erbittert und so sehr zur Rache gereitzet war. Die Fraͤulein beschreibet ihre Furcht und Herrn Lovelaces Auffuͤhrung also: Als ich in das Zimmer trat, ergriff er meine Hand auf eine solche Art, und sahe so aus, als wenn er durchaus zancken wollte. Und warum das? Jch habe in meinem Leben kein so wildes, zorniges und ungeduldiges Gesicht gesehen. Jch erschrack mich; und ob ich mir gleich vorgenom- men hatte, zornig zu seyn, so war ich doch gezwun- gen, mich gantz gelassen zu bezeigen. Jch kann mich vor Schrecken kaum erinnern, was er zuerst sagte; allein das erinnere ich mich wohl, daß er sagte: sie hassen mich, Fraͤulein! sie hassen mich. Er sprach dieses auf eine so unbaͤndige Weise, daß ich wuͤnschte, hundert Meilen von ihm zu seyn. Jch sagte: ich hasse niemand. Gott- lob, es ist kein Mensch auf der Welt, den ich has- sen sollte. Sie jagen mir Furcht ein. Lassen sie mich gehen. ‒ ‒ Der Mensch sahe recht wun- derlich aus. Jch habe noch nie ein Gesichte ge- sehen, das durch den Zorn so verstellet ward, als das seinige. Und woruͤber war er so boͤse? Er fassete meine Hand, der wilde Mensch fassete meine Hand so an, daß es mir recht wehe that. Einmahl umfassete er mich, und er schien es recht darauf anzufangen, daß ich ihn beleidigen sollte. Jch konnte daher nichts thun, als ihn einmahl uͤber das andere mahl bitten, daß er mich moͤchte gehen lassen. lassen. Jch versprach ihm deßwegen, ihn den an- dern Morgen zu sprechen, so bald er es beliebte. Er ließ sich dieses endlich gefallen, aber so, daß ich nichts von gutem Anstande bey ihm ver- nahm, und kuͤssete mir die Hand so, daß ich noch einen rothen Fleck darauf habe. Bringen Sie doch, allerliebste Fraͤulein Ho- we, den Vorschlag mit der Frau Townsend zu Stande. Jch will den Menschen verlassen. Sehen Sie nicht, daß er sich von Tage zu Tage mehr heraus nimmt? Jch zittere, wenn ich zu- ruͤck dencke, wie viel er schon gewonnen hat. Und nun giebt er mir sogar Ursache, noch mehr Boͤses zu befuͤrchten, als meine Feder vor Verdruß schrei- ben kann. Bringen Sie ja alles in Richtigkeit, so will ich von dem wunderlichen Kerl fliehen. Er mußte gewiß einen Endzweck haben, den er nicht gestehen wird, da er sich recht darzu draͤngete, mit mir zu zancken. Was kann das fuͤr ein End- zweck seyn. Es verdroß mich so sehr auf ihn, und er hatte mich in solche Furcht gesetzt, daß ich halb außer mir und voll Verzweifelung die Antwort auf sei- nen Antrag fast gantz zerriß. Morgen fruͤh will ich ihn sprechen, weil ich es ihm zugesagt habe: Jch will aber bald ausgehen, ohne ihn mitzunehmen. Wenn er mir nicht Re- de und Antwort giebt, woher diese ploͤtzliche Ver- aͤnderung entstehet, und ich in einem Hause, das in gutem Ruff ist, eine Miethe finden kann, so will will ich nicht in dieses Haus zuruͤck kommen. Dieses ist zum wenigstens jetzt mein Vorsatz. Jch will alsdenn entweder die Ausfuͤhrung Jhres Vor- satzes abwarten: oder ich will mich schriftlich mit ihm unterreden, und alles durch Briefe ausma- chen, weil Sie doch glauben, daß ich die Seinige werden muͤsse. Vielleicht entschließe ich mich gar, mich in den Schutz der Lady Elisabeth zu be- geben. Hierdurch wuͤrde ich ihn auch abhalten, seine Drohungen gegen die Meinigen nicht zu er- fuͤllen. An dem Montage Abends schreibt die Fraͤu- lein abermahls, und giebt von dem gantzen Tage eine genaue Nachricht: insonderheit davon, daß sie vor Furcht nicht ausgegangen sey. Allein wir lassen dieses aus, weil Herr Lovelace es noch umstaͤndlicher berichtet. Jndessen muͤssen wir melden, daß sie aber- mahls so uͤbel mit Herrn Lovelacen zufrieden ist, daß sie die Fraͤulein Howe sehr bittet, alles mit Frau Townsend zur Richtigkeit zu bringen. Sie beschließt den Brief mit diesen Worten: „Nun sollte ich billig etwas zur Antwort auf „Jhren letzten Brief, den ich vor wenigen Stun- „den erhalten habe, und auf die Unterredung mit „Jhrer Mutter schreiben. Koͤnnen Sie eine Sa- „che nicht recht laͤcherlich vorstellen! Jch wuͤnsche „nur zweyerley hierbey: einmahl, daß sie eine an- „genehmere Materie zum Schertzen haben moͤch- „ten; zum andern, daß ich jetzt nicht in solchen Vierter Theil. P „Umstaͤn- „Umstaͤnden waͤre, die allen Schertz ersticken, und „mir nicht erlauben, so daruͤber zu lachen, als ich „sonst zu thun pflege. Seyn Sie indessen ver- „gnuͤgt, ob Sie sich gleich nicht freuen koͤnnen „uͤber die Umstaͤnde Jhrer Clarissa Harlowe.„ Der sieben und zwanzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford. Montags Morgens den 22sten Mai. B ey der Fraͤulein ist nicht die geringste Danck- barkeit. Wuͤrdest du nicht geglaubt haben, nachdem ich sie hatte gehen lassen, als ich recht reif zur Suͤnde war, daß sie des Morgens recht fruͤh zu mir kommen, mir ein freundlich Gesicht ge- ben und noch dazu den besten Knicks machen wuͤrde? Jch war schon vor sechs Uhr in dem Speise- Zimmer und wartete auf sie. Allein sie eroͤffnete die Thuͤr nicht. Jch gieng die Treppe auf und nieder; ich hustete, ich rief Wilhelm, ich rief Dorcas; ich schmieß die Thuͤren zu, und dennoch gieng ihre Thuͤr nicht auf. So laurete ich wie ein Narr bis um halb acht Uhr: als aber das Fruͤhstuͤck fertig war, so schickte ich endlich die Dorcas zu ihr, und bat mir ihre Gesellschaft aus. Jch wußte nicht, was ich zu sehen bekam, als sie gleich hinter der Dorcas hergieng; gantz an- gekleidet! gekleidet! mit Handschuhen, mit Fechtel und al- lem Teufel! Sogleich befohl sie der Dorcas, Wilhelm auszuschicken, und eine Saͤnfte bestellen zu lassen. Grausames Kind! dachte ich: mußt du mich so den Leuten in dem Hause zum Gespoͤtte ma- chen! Sie wollen ausgehen, Fraͤulein? Ja, mein Herr. Jch glaube, ich sahe verflucht dumm aus. Ob ich gleich hundert Widerhacken in meinem Her- tzen fuͤhlte, so sagte ich doch sehr demuͤthig: ich hoffe, sie werden vorher etwas zu sich nehmen. Wenn sie mir ihre Absichten deutlicher zu er- kennen gegeben haͤtte, so waͤre ich vielleicht wieder so boͤse geworden, als ich gestern war, und haͤtte den Anfang zur Rache gemacht. Alles Giftige, was in den Briefen der Fraͤulein Howe gestan- den hatte, kam mir auf einmal in das Gedaͤcht- niß. Ja! sagte sie: sie wollte eine Tasse Thee trin- cken. Hiemit legte sie Fechtel und Handschuhe in das Fenster. Jch war voller Verwirrung. Jch hustete, ich kratzte mich, wo mirs nicht juckete, ich wollte reden, und wußte doch nicht, was ich sagen sollte. Wer ist nun bloͤde? dachte ich: wer ist nun stoltz? Wie kann ein gebieterisches Frauenzimmer eine bloͤ- de und bescheidende Manns-Person in Furcht setzen! Sie schien mir die Fraͤulein Howe zu seyn, und ich war der kleinmuͤthige Hickman. P 2 End- Endlich dachte ich, ich will den Anfang ma- chen. Sie eine Tasse: ich eine Tasse. Sie schlurfte den Thee mit freyen Augen. Sie sahe als eine hochmuͤthige und herrschsuͤchtige Koͤnigin um sich, die sich ihrer Vorzuͤge bewußt ist, und von der man einen jeden Blick fuͤr eine Gnade annimmt. Jch schlurfte wie ein Unterthan. Lippen und Haͤnde zitterten mir: ich schmeckte das nicht, was ich in der Angst hinunter schluckte. Jch ‒ ‒ ich ‒ ‒ denn schlurfte ich noch ein- mahl zu, und zog Athem und Thee zugleich hin- ter, ob ich mir gleich den Mund verbrannte. ‒ ‒ Jch hoffete, Fraͤulein ‒ ‒ Dorcas trat eben herein. Jst die Saͤnfte gehohlet, Dorcas? sagte sie. Was fuͤr eine verfluchte Grobheit, mir so in die Rede zu fallen. Jch mußte warten bis die Magd ihrer stoltzen Fraͤulein geantwortet hatte. Wilhelm hohlt eine, gnaͤdige Frau. Es kostete mir eine gantze Minute, ehe ich wieder anfangen konnte. Und doch konnte ich nichts vorbringen, als daß ich gehoffet haͤtte, ge- hoffet haͤtte, gehoffet haͤtte, sie fruͤher zu sprechen. Was fuͤr Wetter ist es, Dorcas? sagte sie, und bekuͤmmerte sich so wenig um mich, als wenn ich gar nicht zugegen gewesen waͤre. Etwas truͤbe. Die Sonne hat sich verkro- chen. Vor einer halben Stunde war es besser. Mir Mir verging die Geduld. Auf stand ich: Thee-Topf, Milch, alles stieß ich um. Der Teufel hohle Wetter, Sonnenschein und die Hure auf Ei- ner Post. Scheert euch fort, ins Teufels Nah- men, wenn ich mit eurer Herrschaft sprechen will, und so wenig Gelegenheit habe, sie zu sprechen. Die Fraͤulein stand halb in Schrecken auf, und nahm Handschuhe und Fechtel aus dem Fen- ster. Sie muͤssen nicht weggehen, Fraͤulein. Bey meiner Seele, sie muͤssen nicht weggehen! ‒ ‒ Jch ergriff sie bey der Hand. Jch muß nicht? Herr Lovelace. Ja! ich muß! Sie koͤnnen auf die Magd eben so gut fluchen, wenn ich nicht zugegen bin, als wenn ich dabey bin: es waͤre denn, daß sie mich meynen, und die Magd nennen. Allerliebstes Kind, sie muͤssen nicht weggehen. Sie muͤssen mich nicht verlassen. Solche recht vorsetzliche Verachtung! Sie thun gantz unnoͤthige Fragen an das Maͤdchen, bloß um mir den Mund zu stopfen. Wer kann das ertragen? Halten sie mich nicht auf: sagte sie, und suchte sich loßzureißen. Jch will mich nicht halten las- sen. Weder sie, noch ihre Weise gefallen mir. Sie suchten gestern Gelegenheit, sich mit mir zu zancken: und ich kann noch keine andere Ursache errathen, als diese, daß ich zu gefaͤllig gegen sie gewesen bin. Sie sind ein undanckbarer Mensch, und ich hasse sie von gantzem Hertzen, Herr Lovelace. P 3 Trei- Treiben sie mich nicht auf das aͤußerste, Fraͤu- lein. Erlauben sie mir, daß ich sie in einer sol- chen Gemuͤths-Unruhe nicht gehen lasse. Jch werde sie begleiten, wo sie hingehen. Wenn die Fraͤulein Howe meine Freundin gewesen waͤre, so wuͤrden sie mir nicht so begegnen. Jch mercke wol, wem ich allen Verdruß zu dancken habe. Jch habe schon seit einiger Zeit bemerckt, daß ein jeder Brief den sie von ihr empfangen, ihr Betragen gegen mich zu meinem Nachtheil aͤndert. Sie will, daß sie mir eben so begegnen sollen, als sie ihrem Hickman: allein fuͤr ihr Gemuͤth wuͤrde es sich eben so wenig schicken, das zu thun, als fuͤr mich es zu leiden. Dieses machte sie unruhig. Sie verlangte nicht, daß ich von der Fraͤulein Howe solche Gedancken haͤtte. Doch sie besann sich. Die Fraͤulein Howe (sagte sie) ist eine Fraͤulein der Froͤmmigkeit und aller frommen Leute. Wenn sie ihr nicht anstehen, so koͤnnen sie die Ursache nun wol errathen. Ja, Fraͤulein, das glaube ich. Um von Hick- man und mir so zu reden, wie sie beide vermuthlich uns ansehen, gehet sie mit Hickman so um, als sie gewiß mit Lovelacen nicht umgehen wuͤrde. Jch frage sie, ob sie mir einen von ihren Briefen zeigen koͤnnen, darinn sie meiner nicht gedencket. Wie weit kommen wir von unserer Haupt- Sache ab! Die Fraͤulein Howe ist gerecht: sie ist auch guͤtig und billig. Sie redet und schreibet von jedermann so, wie er es verdienet. Nennen sie sie mir etwas Loͤbliches, das ich ihr von ihnen haͤtte berichten koͤnnen, darin sie sich gerecht, oder billig aufgefuͤhrt haben, so will ich ihre Antwort aufsu- chen, und ich will darauf wetten, daß sie ihnen guͤn- stig seyn wird. Verflucht ungnaͤdig! Und wie unhoͤflich, daß sie einen bescheidenen Mann zwinget, seinen eigenen Tugenden nachzuspuͤren. Sie wollte zur Stube hinaus: ich will ausge- hen, Herr Lovelace. Jch will mich nicht halten lassen. Jn der Unruhe muͤssen sie nicht ausgehen: ich lasse sie nicht weggehen. Jch stellete mich zwischen sie und die Thuͤr. Sie warf sich auf einen Stuhl hin, und wehete ihr Ge- sichte, das von artiger Bosheit mit Zinnober ge- faͤrbet ward. Jch warf mich ihr zu Fuͤßen. Weg Lovela- ce! sagte sie, mit dem Fechtel in der Hand, und mit einer verschmaͤhenden Bewegung. Um ihrer selbst willen lassen sie mich allein. Meine Seele ist uͤber deine, Kerl! (Sie stieß mich mit beyden Haͤnden weg.) Zwinge mich nicht, dir zu sagen, wie sehr ich glaube, daß du keine solche Seele hast, als ich: dein Hertz ist allzu hochmuͤthig, als daß man sich einlassen koͤnnte, etwas mit dir auszu- fechten. Laß mich, verlaß mich auf ewig. Dein Hertz ist zu stoltz; ich kann mit dir nicht auskommen. Stimme, Gebaͤrde, und Art, damit sie diese un- ertraͤglichen Worte vorbrachte, hatten etwas bezau- bernd Edles an sich. P 4 Jch Jch sagte: Erlauben sie mir einen Engel, und nicht ein Frauenzimmer anzubeten! Vergeben sie mir, liebstes Kind. Wenn sie ein Kind und nicht eine Gottheit sind, so vergeben sie mir. Vergeben sie meiner Unbedachtsamkeit, und daß ich mir selbst so ungleich bin. Haben sie Mitleiden mit meiner Schwachheit. Wer kann meiner Clarissa gleich seyn? Jch zitterte vor Liebe und vor Verwunderung, und umspannete ihre Knie mit meinen Armen, so wie sie saß. Sie bemuͤhete sich den Augenblick aufzu- stehen, allein sie konnte nicht, sondern fiel wieder nieder. Kein Frauenzimmer kann in groͤßeres Schrecken gerathen, als sie bey dieser Gelegenheit. So frey aber meine Handlung ihrem argwoͤhni- schen Hertzen scheinen konnte, so hatte ich doch kei- nen Gedancken dabey, der nicht aus Ehrfurcht ent- stand. Mein Hertz blieb so rein als das ihrige, so lange sie bey mir war: denn ich bewilligte, daß sie von mir und auf ihre Stube ginge, unter der Bedingung, daß sie die Saͤnfte wegschicken, und bald zu mir kommen wollte. Sie hielt ihr Wort nicht. Jch wartete eine halbe Stunde, ehe ich sie erinnern ließ. Die Ant- wort war: es sey ihr noch nicht moͤglich mich zu sprechen. Sie wollte aber kommen, so bald sie koͤnnte. Dorcas sagte, sie zittere noch, und haͤtte kaltes Wasser und Hirschhorn gefodert. Ein wunderbares und argwoͤhnisches Kind! Jhr Schrecken ist groͤßer, als es diesesmal nothig ist. Ein gefuͤrchtetes Uebel ist oft groͤßer, als ein wirck- wirckliches Uebel. Hast du nicht bemercket, daß die Angst eines gefangenen Voͤgelchens, das wir in der Hand halten, viel geringer ist, als man haͤt- te vermuthen sollen, wenn man das kleine scheue Ding gesehen haͤtte, da es gefangen werden sollte? Das gute Kind. Hat es noch nie von seiner ersten Kindheit an gelaͤrmet? Hat es nie blinde Kuh ge- spielet? Weiß es nichts von Pfaͤndern? Die un- schuldigen Freyheiten wuͤrden sie zu groͤßeren Frey- heiten gewoͤhnet haben. Es ist schon eine Ent- heiligung, den Saum ihres Kleides zu beruͤhren. Uebermaͤßig zuͤchtig! Wie kann die heilige Schoͤne daran dencken, eine Frau zu werden? Allein was kann ich hiervon sagen, ehe ich noch nicht alles versucht habe? Jch muß es auf eine sanftere Weise anfangen: ich muß versuchen, ob mir ein naͤchtlicher Ueberfall nicht gluͤcklicher gelin- get. Denn mit dem Tage habe ich nichts mehr zu thun. Und endlich ist das Ende meines Liedes: ich kann sie heyrathen, wenn ich will. Und wenn ich das nach erhaltenem Siege thue, (ich mag nun diesen einem Ueberfall oder einem verstellten Wi- derstande zu dancken haben) so habe ich niemand beleidiget, als mich selbst. Es ist jetzt eilf Uhr. Die Marichen Horton hat sie aus zaͤrtlicher Freundschaft besucht, weil sie zu ihr das meiste Vertrauen hat. Zu dieser hat sie gesagt: sie wollte mich sprechen, so bald es ihr moͤglich waͤre. Sie hat versichert, ihre hef- tige Gemuͤths-Bewegung sey nicht aus Eigensinn, P 5 nicht nicht aus Sproͤdigkeit, nicht aus Verdrießlichkeit, sondern aus einer Schwaͤche des Gemuͤthes und aus allllzugroßem Kummer entstanden. Sie hat nicht genug Staͤrcke des Gemuͤthes, ihr Ungluͤck zu ertragen, und die Furcht auszustehen, die sie uͤberfaͤllt, wenn sie an den Fluch ihres Va- ters gedencket, der schon allzusehr in seine Erfuͤl- lung gehet. Was fuͤr ein Widerspruch! Sie klagt uͤber Schwaͤche des Gemuͤthes, und ihr Wille ist doch so starck. O Belford, in diesem Frauen- zimmer schlaͤgt ein Loͤwen-Hertz, so bald es ihre Eh- re, oder eingebildete Zuͤchtigkeit erfodert, daß sie ein Hertz fasset. Jch habe aber mehr als einmal bemercket, daß ein gutes Gemuͤth zwar nicht so leicht Feuer faͤnget, daß aber die Flamme am wenigsten zu loͤschen und am heftigsten sey, wenn es einmahl entzuͤndet ist. Allein ihr allerliebster Leib ist gantz anders gebauet. Diese beiden Freunde wollen ei- nen gantz verschiedenen Weg gehen. Die Gott- heit, die in ihr wohnet, zerreißet das seidene Ge- webe, in welches sie eingehuͤllet ist. Wenn aber die- ser Geist in einen Jungen gefahren waͤre, so wuͤrde er der braveste Held geworden seyn. Montags um 2 Uhr. Noch ist meine Schoͤne unsichtbar. Sie be- findet sich nicht wohl. Wie uͤble Auslegungen hat sie uͤber meine demuͤthige Bewunderung ge- macht! Sie furchte sich mehr vor meiner Grobheit als vor meiner Rache. Wie durste ich nach Ra- che gegen die beyden Fraͤuleins! Jch muß eins von von meinen Meisterstuͤcken anbringen. Wenn nur der verdammte Anschlag mit der Townsend nicht waͤre! Kann ich diesen Anschlag nicht zu Wasser machen, so haͤnget bestaͤndig ein Schwerdt uͤber meinem Haupte. So bald ich meine Geliebte be- leidige, so bald wird sie Fluͤgel bekommen: und alle Muͤhe wird vergeblich seyn, die ich mir gege- ben habe, sie von allem andern Schutz zu entbloͤßen, und ihr alle Zuflucht zu vermauren. Vielleicht finde ich auch einen Zoll-Betrieger, den ich der Fraͤulein Howe entgegen setzen kann. Du erinnerst dich des Streites zwischen der Sonne und dem Nordwinde, wer von beyden seinen Wanders-Mann zuerst seinen Mantel rau- ben wuͤrde. Boreas machte den Anfang. Er bließ mit dem groͤßten Ungestuͤm, daß der arme Wandersmann taumeln mußte: allein er richtete weiter nichts aus, als daß er sich dichter in seinen Mantel huͤllete. Als aber Phoͤbus kam, so ließ er so viel Strahlen auf den Wandersmann fallen, daß dieser erst den Mantel oͤffnete, und ihn her- nach abnahm. Er ließ nicht eher ab, bis er den Wanderer gezwungen hatte, den angenehmen Schatten eines großen Baumes zu suchen, und sich unter dessen Zweigen durch einen angenehmen Schlummer zu erquicken. Der siegreiche Gott lachte Boreas und den Wanderer aus, und setzte seinen erwaͤrmenden Lauf fort, durch welchen er tau- sendmahl tausend Geschoͤpfe erquickete und belebete. Als er des Abends seinen feurigen Lauf geendiget hatte, machte er die Thetis durch Erzaͤhlung dieser Geschichte zu lachen. So So will ich es auch machen. Alles, was stuͤrmisch ist, will ich ablegen, und wenn ich meine liebe Reisende zwingen kann, nur auf einen Au- genblick ihre uͤbertriebene Tugend von sich zu le- gen, so werde ich, eben so, wie die Sonne, weiter nichts zu thun haben, als daß ich meine erquicken- de Strahlen auf mehrere fallen lasse. Allein mei- ne angenehmsten Ruhe-Stunden sollen nach voll- brachter Pilgrimschaft meiner Goͤttin geweihet bleiben. Bey meinem neuen Vorsatz wird mir dieses Haus und das erdichtete Haus der Frau Fret- chville zur Last. Jch muß mich davon loß ma- chen: zum wenigsten soll es auf einige Zeit stille davon werden. Wenn ich ausgegangen bin, so soll der Capitain Mennell kommen, und sich nach mir erkundigen. Du fragst, was er bey mir will? Was wird er wollen? Hast du nicht gehoͤrt, was der armen Frau Fretchville vor ein Ungluͤck be- gegnet ist? Jch will dirs erzaͤhlen. Eine von ihren Maͤdchen hat in voriger Wo- che die Pocken bekommen, das uͤbrige Gesinde hat dieses vor ihrer Herrschaft bis auf den Freytag verborgen gehalten; und sie erfuhr es nur von un- gefaͤhr. Der meiste Theil der menschlichen Pla- gen ruͤhret von den Bedienten her, die sie theils zum Staat, theils zum Gebrauch miethen, um wenigere Sorgen zu haben. Die Witwe gerieth hieruͤber in solches Schrecken, daß sie alle Zufaͤlle bekam, welche diesen Feind bey den schoͤnen Kin- dern dern anzumelden pflegen. Sie kann deswegen an kein Ausziehen gedencken, und eben so wenig kann sie verlangen, daß wir laͤnger auf sie warten sol- len. Sie wuͤnscht nunmehr, daß sie vorhin selbst gewußt haͤtte, was sie wollte, und auf das Land gezogen waͤre, als wir das Haus miethen wollten: so wuͤrde dieser Zufall sie nicht gestoͤret haben. Fuͤr uns ist das ein verdrießliches Ungluͤck. Man kann doch nichts als unangenehme Zufaͤlle in die- sem Leben erwarten. Gewiß, die Leute haben nicht noͤthig, sich muthwillig ein neues Kreutz zu machen. Mit dem Hause ist es also zum wenig- sten eine Zeitlang vorbey. Jch will kuͤnftig schon wieder zuruͤck luͤgen. Weil ich langsam und sicher gehen muß, so habe ich jetzt ein paar Schelmereyen im Kopfe, sie wieder zu bekommen, wenn sie mir auch entwischen sollte. Allein was wird aus dem Lord M.? Warum kriege ich keine Antwort auf meinen Einlatungs- Brief? Wenn er mir einen solchen Brief schriebe, den ich zeigen koͤnnte, so wuͤrde dieses zu meiner Versoͤhnung sehr viel beytragen. Jch habe der Sache in dem Briefe an die Fraͤulein Charlotte gedacht. Wenn er nicht bald antwortet, so soll er bald etwas von mir hoͤren, das ihm nicht ange- nehm seyn wird. Er hat bisweilen gedrohet mich zu enterben: wenn ich aber mit ihm breche, so thue ich recht, und kraͤncke ihn zehnmahl mehr, als er mich kraͤncken kann. Durch seine Nachlaͤßigkeit geraͤth die Ehe-Stiftung auch in das Stecken. Wie ist mir das ertraͤglich? Jch bin so eigensinnig und und so ungeduldig, als irgend ein Frauenzimmer seyn kann, und ich werde so unruhig daruͤber, wenn ich mich in meiner Hoffnung betrogen sehe, als das beste Maͤdchen. Abermahls ein Brief von der Fraͤulein Ho- we! Es wird vermuthlich der seyn, den sie neulich versprochen hat, darin sie die Liebes-Geschichte des alten Antons und ihrer Mutter erzaͤhlet. Jch wollte mich recht freuen, wenn ich den Brief koͤnnte zu sehen bekommen. Hoffentlich wird nichts mehr von der Zoll-Betriegerin darin stehen. Sie scheint den Brief in ihre Tasche gesteckt zu haben, allein sie wird ihn bald zu den uͤbrigen Briefen legen. Montags Abends. Auf meine Bitte hat sie sich endlich entschlossen, mich des Nachmittages (nicht fruͤher) bey dem Thee in der Speise-Stube zu sprechen. Sie trat bloͤde und beschaͤmt herein, und es schien, daß sie selbst daruͤber betreten war, daß sie die Sache so weit getrieben hatte, und ohne Noth furchtsam ge- wesen war. Sie gieng verdrieslich und langsam nach dem Thee-Tische zu. Dorcas war dabey, hatte aber mit dem Thee zu thun. Jch nahm un- terdessen ihre widerspaͤnstige Hand, und druckte sie an meine Lippen. Liebes, liebenswuͤrdiges Kind, warum so fremde? Warum so grausam? Wie koͤnnen sie das allertreueste Hertz in der Welt so quaͤlen? Sie machte ihre Hand los: und als ich sie wieder ergreiffen wollte, so zog sie sie auf eine un- unfreundliche Art zuruͤck, sagte weiter nichts als: seyn sie ruhig: und setzte sich nieder. Eine sanfte Bewegung dessen, was das allerschoͤnste ist, kuͤndigte Eigensinn und Empfindlichkeit an. Jhr weißes Schnupftuch gieng auf und nieder, und eine schoͤne Fluth brach uͤber ihre allerliebsten Wangen aus. Um Gottes willen, Fraͤulein! ‒ ‒ Jch griff zum drittenmahl nach ihrer Hand, die mich immer von sich stieß. Um Gottes willen, Herr Lovelace, quaͤlen sie mich nicht mehr. Dorcas ging weg. Jch zog meinen Stuhl naͤher an ihren, und nahm ihre Hand mit der groͤßesten Ehrfurcht. Jch sagte ihr: ich koͤnnte ohne meine Marter zu vergroͤßern nicht unterlas- sen, ihr die Furcht zu gestehen, in welche mich ihre fremde Auffuͤhrung setzte. Wenn sie gegen eine Person in der Welt kaltsinniger waͤre, als gegen die andere (ein haͤrteres Wort mochte ich nicht gern gebrauchen) so fuͤrchtete ich, daß dieses Un- gluͤck den betraͤfe, der jetzt vor ihr sitze. Sie sahe mir steif in das Gesichte, ließ mir ihre eine Hand, und zog mit der andern das Schnupftuch aus der Tasche. Sie suchte ein paar Thraͤnen zu verbergen, die schon in den Au- gen stunden, und an ihren gluͤenden Wangen nie- derlaufen wollten. Sie antwortete mir nur durch einen Seufzer und durch ein abgekehrtes Ge- sichte. Jch Jch bat sie, daß sie reden, daß sie mich ansehen, daß sie mich nur durch Einen guͤnstigen Blick er- freuen moͤchte. Sie sagte mir: meine Klage uͤber ihre Kalt- sinnigkeit sey nicht ungegruͤndet. Sie koͤnnte nichts edles in meinem Gemuͤthe wahrnehmen. Alle Gefaͤlligkeiten und Wohlthaten waͤren an mir verlohren. Meine wunderliche Auffuͤhrung seit Sonnabend Abends uͤberzeugete sie hievon: und sie koͤnnte bis jetzund die Ursache noch nicht erra- then, die mich bewogen haͤtte, so wunderlich zu seyn. Alle gute Hoffnung, die sie von mir gefasset haͤtte, sey nun zu Wasser geworden, und meine gantze Weise gefiel ihr nicht. Dieses war ein Stich in mein Hertz. Jch glaube, daß die Wahrheit einem Schuldigen im- mer empfindlicher ist, als eine falsche Anklage ei- nem Unschuldigen. Jch bath sie nur um Geduld, meine Verant- wortung anzuhoͤren, und zu vernehmen, was die Ursache dieser Veraͤnderung gewesen sey. Jch gestand von neuen, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz habe, dem es unertraͤglich sey, von einem solchen Frauenzimmer, das ich gern die Meinige nennen wollte, nicht allen Menschen in der Welt vorgezo- gen zu werden. Der Ehestand muͤsse von kei- ner Seiten kaltsinnig oder gleichguͤltig angetreten werden. Sie fiel mir in die Rede: es ist eine Unver- schaͤmtheit, es ist ein Hochmuth, daß sie Zeichen der Werthachtung erwarten, und sich doch nicht be- muͤhen muͤhen wollen sie zu verdienen. Sie duͤrfen nicht dencken, Herr Lovelace, daß sie ein Maͤdchen vor sich haben, das nach ihnen seufzet, und das aus Schwachheit liebet, wo es keinen Grund zur Liebe hat. Die Fraͤulein Howe wird ihnen sagen koͤn- nen, daß ich die Fehler meiner Freunde nicht lie- be, und nie gewuͤnschet habe, daß meine Freunde meine Fehler lieben moͤchten. Es ist ein Gesetz unter uns gewesen, daß wir einander nicht schonen wollten. Wie darf denn ein Mann, der aus lau- ter Fehlern zusammen gesetzt ist, (denn nennen sie mir einmahl ihre Tugenden) wie darf der hoffen, daß ich einige Werthachtung fuͤr ihn haben werde? Wenn ich einen solchen werth achten koͤnnte, so verdiente ich von ihm selbst verachtet zu werden. Sie haben sich in der That nach diesen groß- muͤthigen Gedancken gerichtet, meine liebe Fraͤu- lein. Sie koͤnnen ausser Sorgen seyn, daß der Diener, den sie vor sich haben, sie wegen einiger Zeichen der Zaͤrtlichkeit oder der Guͤtigkeit verach- ten werde. Sie haben sich, wie sie vielleicht dencken werden, auf eine lobenswuͤrdige Weise bemuͤhet, mir bey aller gegebenen und genomme- nen Gelegenheit zu sagen, daß ihnen aus eigener Wahl nie der Gedancke in den Sinn gekommen ist, die Meinige zu werden. Jch wuͤrde mein gantzes Hertz mit allen Fehlern, mit allen Wuͤn- schen, mit allen Absichten ihnen endeckt haben, wenn ich nur so viel Vertrauen und Werthachtung bey ihnen gefunden haͤtte, daß sie nicht alles, was ich ihnen offenbahrte, oder woruͤber ich sie um Vierter Theil. Q Rath Rath fragte, zum schlimmsten auslegen wuͤrden. Denn niemahls ist ein offenhertzigerer Mensch auf der Welt gewesen als ich: wer kann sich selbsten so viel anklagen, als ich thue? (das ist wahr Bel- ford ) Allein sie wissen, Fraͤulein, daß es ehemahls anders zwischen uns gestanden hat. Zweifel, Ent- fernung und Sproͤdigkeit auf ihrer Seiten, hat bey mir Zweifel, Furcht und Bloͤdigkeit hervorge- bracht. Wie wenig Zutrauen haben sie zu mir? Wir gehen mit einander um, als wenn wir uns fuͤr Spitzbuben und nicht fuͤr Liebhaber hielten. Wie habe ich mich fuͤr jeden Brief gefuͤrchtet, der aus Wilsons Hause gebracht ist! Mit Recht habe ich mich gefuͤrchtet! Denn so große Hoffnung ich auf den Brief gesetzt hatte, den sie gestern empfingen, und der eine Antwort auf meine Vorschlaͤge zur Ehestiftung enthalten sollte, so hat doch dieser Brief sie sehr gegen mich eingenommen, wenn ich aus dem Erfolg einen Schluß machen soll: indem sie gaͤntzlich abschlugen mich gestern zu sprechen, ob ich es gleich zuließ, daß sie sich ohne meine Begleitung aus dem Hause tragen liessen. Meine ungnaͤdige Schoͤne antwortete: Das war meine gantze Suͤnde, daß ich in die Kirche ging, ohne einen mitzunehmen, der von freyen Stuͤcken nie wuͤrde in die Kirche gegangen seyn. Das war auch eine Suͤnde, daß ich den gantzen Sonntag vor mich haben wollte, nachdem ich wi- der meinem Willen ihnen zu gefallen in die Comoͤdie gegangen war, und sie mich ebenfalls wi- der meinem Willen bis in die spaͤtste Nacht aufge- halten halten haben. Das waren meine Verbrechen: Dafuͤr sollte ich gestrafet werden! Meine Strafe sollte darin bestehen, daß sie mir die allerverdrieß- lichste Aufwartung machten, und mich durch eine solche Auffuͤhrung zu erschrecken suchten, als ein Frauenzimmer in meinen Umstaͤnden, das nicht schuldig ist solche Brocken zu verdauen, vielleicht niemahls erfahren hat. Sie haben bisweilen an meines Vaters Auffuhrung etwas auszusetzen ge- funden: allein das allerschlimmste, das meine Mut- ter von ihm hat erdulden muͤssen, seit dem ich da bin, gehoͤrt in die Flitter-Woche, wenn ich es mit dem vergleiche, was ich von ihnen erdulden soll, da sie um mich anhalten. Was kann ich bey ihnen fuͤr Hoffnung haben, wenn ich mir auch das Beste vor- stellen wollte? Jch kann mein Hertz nicht besaͤnf- tigen, wenn ich mit ihnen reden soll, und daran ge- dencke, wie unhoͤflich und niedertraͤchtig sie einer Person begegnen, die bloß durch sie ungluͤcklich ge- worden ist. Jch kann sie kaum fuͤr Augen sehen. Sie wandte sich von mir, stand auf, und hielt Haͤnde und Augen (ihre unvergleichlichen Augen!) die ihr voll Wasser stunden, gen Himmel. O mein lieber Vater (sagte das liebe Kind, auf eine solche Art, die ich nie nachahmen und die du dir nie vorstellen kannst) du haͤttest deinen Fluch sparen koͤnnen, wenn du gewust haͤttest, wie ich gestraffet bin, seit dem ich meinen Fuß aus deiner Garten- Thuͤr auf Jrrwege gesetzt habe, um mich mit die- sem Menschen zu unterreden. Sie sanck von neuen auf den Stuhl hin, und ihre feurigen Wan- Q 2 gen gen wurden mit einer Fluth von heißen Thraͤnen uͤberschwemmet. Jch nahm ihre Haͤnde, die noch gefalten wa- ren, und sagte: mein allerliebstes Leben, wer kann solche Worte anhoͤren, die so beweglich und doch so heftig sind! (So wahr ich lebe, ich empfand so etwas in meiner Nase, als ich zu empfinden pfleg- te, wenn mir in meinen Jungens-Jahren das Wei- nen ankam. Noch vor kurtzer Zeit habe ich diese Empfindung schon einmahl gehabt. Jch durfte es kaum wagen, ihr in das Gesichte zu sehen.) Wo- durch habe ich es verdienet, daß sie so wehklagen? Habe ich jemahls durch Worte, durch Thaten, durch Blicke ihnen Ursache gegeben, meine Ehr- erbietung gegen sie in Zweifel zu ziehen? Verehre ich nicht ihre Tugenden beynahe goͤttlich? Es ist blos ein Misverstaͤndniß auf beyden Seiten: ich will zum wenigsten hoffen, daß aller Streit ein En- de haben wuͤrde, wenn wir uns recht verstuͤnden. Haben sie die Guͤtigkeit, sich von ihrer Seite deut- lich zu erklaͤren; und ich will von meiner Seite ein gleiches thun; so werden wir bald vergnuͤgter seyn koͤnnen. Wie fromm waͤre ich, wenn ich Gott so liebete, als ich sie liebe! Allein ich will des Todes seyn, wenn ich einen eintzigen Wunsch auf sie richten koͤnnte, so bald ich wuͤßte, daß mei- ne Liebe bey ihnen keine Gegenliebe faͤnde. Ge- ben sie mir Hoffnung, weiter nichts als Hoffnung, daß sie mich andern vorziehen werden, und mich freywillig waͤhlen koͤnnen! nur Hoffnung, daß sie mich nicht hassen, daß sie mich nicht verachten! O Herr O Herr Lovelace, wir sind nun lange genug beysammen, daß wir einer des andern haben uͤber- druͤßig werden koͤnnen. Unser Gemuͤth und un- sere Weise sind so verschieden, daß sie Ursache ha- ben, mir eben so abgeneigt zu seyn, als ich ihnen bin. Jch glaube sicherlich, daß ich die Zuneigung zu mir, die sie vorgeben, mit keiner Gegenliebe be- lohnen kann. Mein Hertz, das vorhin munter und aufgeraͤumt war, ist gantz verstellet und ver- drießlich. Durch den Umgang mit ihnen, habe ich einen sehr schlechten Begriff von allen Men- schen, und insonderheit von ihnen bekommen: und von mir selbst habe ich seit der Zeit so schlechte Ge- dancken, daß ich nie die Augen wieder werde auf- heben koͤnnen. Alle die Eigenliebe und der Hoch- muth, der aus einem guten Gewissen entstehet, ist ver- lohren: der Hochmuth, der einem Frauenzimmer unentbehrlich ist, wenn es mit einigem Vergnuͤgen dieses Leben zuruͤcklegen soll. Sie hielt innen: ich schwieg stille, und dachte: bey meiner Seele, das angenehme Kind wird mich doch noch stuͤrtzen. Sie fuhr fort: was ist uͤbrig, als daß sie mich gaͤntzlich frey sprechen, und mir zusagen, daß sie mich auf keine Weise hindern wollen, den Schluß meines Schicksaals zu erfuͤllen? Sie hielt abermahls inne, und ich schwieg auch stille. Jch uͤberlegte bey mir selbst, ob ich alle mei- ne Anschlaͤge, die ich gegen sie gefasset hatte, fah- ren lassen sollte, und ob ich nicht so viel Zeichen von Q 3 ihrer ihrer Tugend und Großmuth erhalten haͤtte, daß mir kein Zweifel mehr uͤbrig bliebe? Sie fuhr fort: ich nehme ihr Stilleschweigen fuͤr ein gluͤckliches Zeichen an, Herr Lovelace. Sagen sie mir, ob ich gantz frey seyn soll? Sie wissen, daß ich ihnen nichts versprochen habe: und daß sie mir auch nichts schuldig sind. Jch will mich darum nicht graͤmen, daß ich durch sie un- gluͤcklich geworden bin. Sie wollte noch fortreden. Jch unterbrach sie aber: mein liebstes Leben, ich habe alle Anschickun- gen zur Hochzeit gemacht, und sie zwingen mich an ihrer Liebe zu zweifeln. Jch stehe eben wegen Kutsche und Pferde im Handel. Kutsche und Pferde! Eitelkeit, Thorhei- ten! Was frag ich nach Kutsche und Pferden? was nach meinem Leben? was nach der gantzen Welt? nachdem ich mir selbst so veraͤchtlich ge- worden bin. Mein Vater hat mich verflucht! Wenn ich zuruͤck dencke, so muß ich mich schaͤmen: und wenn ich auf das Kuͤnftige dencke, so grauet mir! So oft mir etwas Widriges begegnet, so oft steigen mir diese betruͤbten Gedancken staͤrcker auf. Sagen sie mir selbst: wie viel Widriges begegnet mir? Alle suͤsse Einbildungen, die ich mir gemacht hatte, sind vernichtet: alle meine Hoffnung ist am Ende. Verbieten sie mir nicht, mich in einen dunckeln Winckel zu verstecken, in welchem mich weder die Feinde, die sie mir gemacht haben, noch die wenigen Freunde, die ich uͤbrig habe, suchen werden. O wenn beyde von ihrer unbedaͤchtigen Cla- Clarissa nichts hoͤren moͤchten, bis der gluͤckliche Augenblick anbricht, der alle meine Suͤnden buͤßen wird! Jch konnte nichts antworten. Jch habe noch nie einen solchen Streit in mir verspuͤret. Danck- barkeit und Bewunderung bestritten meine Ge- wohnheits-Suͤnden, und meine Vorsaͤtze, die ich mit so vieler Ueberlegung gemacht, und deren ich mich so oft geruͤhmet hatte. Wenn ich nach der Sprache des Poͤbels ehrlich seyn soll, so muß ich hundert neue Schelmereyen, die ich in dem Kopfe und in dem Hertzen habe, fahren lassen: und doch habe ich an lauter Schelmerey und Schwuͤrigkeiten Vergnuͤgen. Jch bemuͤhe mich immer, mir das in frisches Andencken zu bringen, was die Fraͤulein Howe gegen mich geschrieben hat: allein es will seine Wirckung nicht mehr bey mir haben. Jch waͤre verlohren gewesen, wenn nicht Dorcas mir eben zu rechter Zeit einen Brief gebracht haͤtte, dessen Aufschrift war: so gleich zu erbrechen. Jch ging an das Fenster und erbrach den Brief Er war von der Dorcas selbst geschrieben, und dieses war der Jnhalt: suchen sie die Fraͤulein zu amusiren. Jch habe ein importantes Blat abzuschreiben. So bald ich fertig bin, will ich husten. Jch steckte das Papier ein, und wandte mich wie- der mit einem freyeren Gesichte zu meinem Kinde, welches sich auch einigermaßen wieder erhohlet hatte. ‒ ‒ Jch habe nur eine Bitte an sie: sagte Q 4 ich. ich. Darf ich nicht wissen, ob die Fraͤulein Ho- we meinen Aufsatz gebilliget hat? Jch weiß, daß sie meine Feindin ist. Jch war eben im Begriff, ihnen zu sagen, woher die Veraͤnderung in meiner Auffuͤhrung ruͤhret, deren sie mich beschuldigen: al- lein sie waren so heftig, daß ich es nicht wagen durf- te. Sie waren gewiß sehr heftig, liebstes Kind. Glau- ben sie nicht, daß es mir nahe gehen muß, wenn mein Wunsch immer von einer Zeit zur andern aufgeschoben wird, weil ihr uͤberwiegendes Verlan- gen ist, daß sie sich mit Leuten aussoͤhnen wol- len, die selbst zu keiner Versoͤhnung Lust haben? Dieses war die Ursache, daß sie sich nicht wollten trauen lassen, ehe wir nach London kamen, ob- gleich ihre Schwester und ihre gantze Familie ih- nen so rau und unertraͤglich begegnet, und ich sie so flehentlich bat. Dieses war die Ursache, daß ih- nen meine vier Freunde so misfaͤllig und aͤrgerlich waren; und daß sie sich so sehr entruͤsteten, als ich einen vergeblichen Versuch that, einen Brief der Fraͤulein Howe zu sehen, da ich ohnmoͤglich dencken konnte, daß es eine Tod-Suͤnde sey, Brie- fe zu lesen, die ein Frauenzimmer an das andere schriebe. Dieses war die Ursache, daß sie mich eine Woche lang nicht sprechen wollten, bis sie wußten, was sie bey ihrem Onckel ausrichten wuͤr- den. Nachdem aber dieser Versuch fruchtlos war; nachdem sie meinen Aufsatz kaltsinnig angenommen, und ihn nach meinem Rathe an die Fraͤulein Ho- we gesandt hatten, um ihn mit ihr zu uͤberlegen; nachdem sie mir die Ehre erzeiget hatten, an dem Sonn- Sonnabend mit mir in die Comoͤdie zu gehen, und ich gewiß wußte, daß ich bis auf den letzten Augen- blick nichts versehen haͤtte: so konnte ich nicht an- ders als sehr bestuͤrtzt daruͤber werden, wenn ich sahe, daß sie sich den naͤchsten morgen so sehr geaͤn- dert hatten. Da sie bey dieser neuen Auffuͤhrung blieben, und sich theils so nachdruͤcklich gegen mich erklaͤrten, nachdem sie den Brief von der Fraͤu- lein Howe erhalten hatten, den sie mit so grosser Ungeduld erwarteten: so mußte ich nothwendig glau- ben, daß ich alles lediglich der Fraͤulein Howe zu dancken haͤtte. Mußte ich nicht nothwendig glau- ben, daß etwas neues in dem Wercke sey, dazu es erfodert wuͤrde, so fremde gegen mich zu thun? und daß ich von neuen in Gefahr stuͤnde, sie auf ewig zu verlieren? Denn ist dieses nicht stets die erste Bedingung gewesen, welche einzugehen sie sich wil- lig erklaͤrten? Bey den Umstaͤnden war es kein Wunder, wenn ich halb von Sinnen kam, u. ich hatte Recht, sie zu beschuldigen, daß sie mich hasseten. Und nun bitte ich sie nochmahls, liebstes Kind, sagen sie mir, wie gefaͤllt mein Aufsatz der Fraͤulein Howe? Wenn ich mit ihnen streiten wollte, Herr Lo- velace, so wuͤrde es mir leicht seyn, ihre schoͤne Re- de zu beantworten. Jch will aber weiter nichts sagen, als dieses, daß sich ihre bisherige Auffuͤh- rung gegen mich gar nicht entschuldigen laͤßt. Wenn ihre Absicht redlich gewesen ist, so sind sie zum wenigsten sehr geschaͤfftig gewesen, ihre Gaͤn- ge zu verwirren, und sich krumme Wege aufzusu- chen. Jch weiß nicht, ob es ihnen an einem aufgeklaͤr- Q 5 ten ten Kopfe oder an einem rechtschaffenen Hertzen ge- fehlet hat: allein einem von beyden Maͤngeln muß ich ihr bisheriges seltsames Betragen zuschreiben. Verflucht sey der kleine Teufel, der ihnen solchen Argwohn gegen das redliche Hertz das seyn kann, beybringet. Wie? unterstehen sie sich ‒ ‒ Hier hielt sie ein, weil sie merckte, daß sie sich beynahe verrathen haͤt- te; welches eben meine Absicht war. Was unterstehe ich mich, Fraͤulein? Was meynen sie mit dem unterstehen? ‒ ‒ Jch sahe hie- bey nachdencklich aus. Garstiger Mensch! Wollen sie ‒ ‒ Abermahls hielt sie ein. Was denn wollen? Und warum bin ich ein gerstiger Mensch? Unterstehen sie sich, jemanden vor meinen Ohren zu verfluchen? Wie artig sich das liebe Kind zuruͤckziehen konn- te! Allein so laͤßt Lovelace eine nicht entwischen, die zu viel geredet hat. Wie so? liebstes Kind. Jst denn jemand, der ihnen Argwohn gegen mich beybringet? Wenn es solche Leute giebt, so verfluche ich sie nochmahls, sie moͤgen auch seyn wer sie wollen. Hier ward sie allerliebst - boͤse. Dieses war das erste mahl, daß mir unser Zanck zum Vortheil gereichte. Gut! Es ist so, wie ich vermuthete. Und nun habe ich die Erklaͤrung uͤber ihre bisherige Auf- fuͤhrung, die ihnen hoffentlich nicht natuͤrlich ist. Hinter- Hinterlistiger Mensch! So wollen sie mich fan- gen! Jch gestehe ihnen, daß ich von niemanden Briefe bekomme, als von der Fraͤulein Howe. Jn einigen Stuͤcken gefallen sie der Fraͤulein Howe eben so wenig, als mir: denn ich habe ihr nichts verschwiegen. Sie ist aber ihre Feindin nicht mehr, als meine Feindin. Sie glaubt, ich muͤßte ihren Antrag nicht ausschlagen, sondern mich in meine Umstaͤnde schicken, so gut ich koͤnnte. Nun wissen sie die gantze Wahrheit. Wie wollte ich mich freu- en, wenn es ihnen ihr Hertz zuließe, eben so ehr- lich zu seyn! Das befiehlt mir mein Hertz, hier auf meinen Knieen erneure ich meine Bitte, daß sie mich zu dem ihrigen, auf ewig zu dem ihrigen machen wol- len. Geben sie mir nur Ursache, ihnen und der Fraͤulein Howe in einem Athem allen moͤglichen Seegen anzuwuͤnschen. Die Wahrheit zu sagen, Belford, ich bin fast auf die Gedancken gekommen, daß die Heldin, die ihren Hickman gewiß nicht recht leiden kann, in mich verliebt waͤre. Stehen sie auf, Herr Lovelace! Jhre Kniee sind allzu beugsam. Spotten sie meiner nicht. Allzu beugsame Kniee dachte ich! Obgleich bey dieser stoltzen Schoͤnen das Knieen so wenig ausrichtet, so weiß ich doch, was ich bey andern ihres Geschlechts dadurch gewonnen habe, und wie oft sie mir die letzte Tod-Suͤnde vergeben ha- ben, wenn ich auf meinen Knieen um Vergebung bat. Jh- Jhrer spotten? Fraͤulein! ‒ ‒ ‒ Jch stand auf, und bat sie von neuen einen Tag zur Trauung zu bestimmen. Jch bedaurete, daß ich den Lord M. zur Hochzeit gebeten haͤtte, weil dieses einen Aufschub verursachen koͤnnte. Allein ich sagte, ich wollte die Einladung wieder abschreiben, wenn sie nichts dagegen einzuwenden haͤtte: oder ich wollte ihm den Tag bestimmen, den sie mir be- stimmen wuͤrde, ohne auf ihn zu warten, wenn ihn seine Unpaͤßlichkeit hinderte, zur rechten Zeit da zu seyn. Der Tag, den ich bestimme, wird nie anbre- chen: sagte sie. Wundern sie sich nicht. Wenn irgend eine wohlgezogene Person Richter zwischen uns seyn sollte, so wuͤrde sie sich dieses nicht befrem- den lassen. Aber wahrhaftig, Herr Lovelace, (sie weinte fuͤr Ungeduld) sie muͤssen entweder nicht wissen, wie man mit einem wohlgezogenen Ge- muͤth umgehen muß, ob man gleich wegen ihrer Geburt und Erziehung etwas besseres hoffen soll- te; oder sie sind undanckbar, (und nach einigem Verzuge) noch aͤrger als undanckbar. Allein ich will weggehen. Morgen will ich sie wieder sprechen. Es ist mir ohnmoͤglich dieses fruͤher zu thun. Jch glaube, daß ich sie hasse. Sie moͤgen mich ansehen! Jch glaube gewiß, daß ich sie hasse: und wenn ich das bey einer genauen Pruͤfung finde, so muß es zwischen uns nicht wei- ter kommen. Jch war allzu verdrießlich und unruhig, als daß ich sie an dem Weggehen haͤtte hindern sollen. Sie Sie wuͤrde aber dennoch noch nicht von mir gegan- gen seyn, wenn Dorcas nicht gehustet haͤtte. So bald die Fraͤulein weg war, kam das Maͤdchen und gab mir die Abschrift des Briefes. Es war die Antwort, welche mir das bewunderns- wuͤrdige Kind auf meine Vorschlaͤge zur Ehestif- tung hatte geben wollen. Jch hatte nur einen Blick auf dieses ruͤhrende und bewegliche Blatt gethan. Wenn ich es mit Nachdencken gelesen haͤtte, so wuͤrde ich die gantze Nacht nicht schlafen koͤnnen. Morgen will ich es desto reiflicher uͤber- legen. Der acht und zwanzigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn J. Belford. Dienstags Morgens den 23. May. D ieses liebe Kind will mich vor Abends nicht sprechen: es befindet sich nicht wohl, wie Dorcas erzaͤhlet. Lies hier die Abschrift ihres Briefes an mich. Jch koͤnnte ohnmoͤglich fortfahren, diese unver- gleichliche Frauenzimmer so zu betruͤben, wenn ich nicht den Vorsatz haͤtte, sie (falls sie mich nicht wircklich hasset) auf eine rechtmaͤßige Art zu der Meinigen zu machen, wenn sie noch einige wenige Versuchungen auf eine eben so ruhmwuͤrdige Weise uͤberstehet. An An Herrn Lovelace. „So bald ein Frauenzimmer verheyrathet ist, „so erfodert diese allerstaͤrckste Verpflichtung un- „ter Menschen, daß ihr Wille in allen Stuͤcken den „Willen ihres Gemahls unterworfen seyn muß, „die nicht ungerecht sind, und die die Ehre ih- „res Gemahls betreffen koͤnnen. Allein ehe ich „mich dieser Verpflichtung unterwerfe, wuͤnsch- „te ich die allerdeutlichste und buͤndigste Ver- „sicherung zu haben, daß Sie alle moͤgliche „Mittel anwenden werden einen Rechts-Streit „mit meinem Vater zu vermeiden. Geduld und „Zeit werden alles uͤberwinden. Meine Hoff- „nung einer zeitlichen Gluͤckseeligkeit ist jetzo sehr „enge eingeschraͤncket. Die Rechte eines Ge- „mahls werden immer einerley bleiben. Jch „wuͤnschte zum wenigsten, daß nichts dergleichen „bey meinem Lebzeiten geschehe. Jhre Umstaͤn- „de noͤthigen Sie nicht, meinem Vater das mit „Gewalt abzuzwingen, was er von dem Meini- „gen in Haͤnden hat: und ich will auf meiner „Seite alles moͤgliche anwenden, ich will mich in „Absicht auf die Kleidung und Vergnuͤgung so „einschraͤncken, und mit so vieler Sorgfalt die „Haushaltung fuͤhren (denn ich glaube, daß auch „das vornehmste Frauenzimmer sich der Haushal- „tung nicht schaͤmen darf,) daß es nicht noͤthig seyn „moͤge zu dergleichen Mitteln zu greiffen. Sollte „es aber die Noth erfordern, so will ich doch hof- „fen, daß es eine wahre Noth seyn werde, und „nicht ein bloßer Vorwand, und daß Sie sich nicht „durch „durch Bewegungs-Gruͤnde werden antreiben „lassen, die eine kleine Seele anzeigen, und uͤber „die ein Frauenzimmer, das nicht eben eine so klei- „ne Seele hat, nicht wohl unterlassen kann, aller- „hand Betrachtungen anzustellen, und den Ge- „mahl geringe zu schaͤtzen: sonderlich, wenn es die „eigene Familie der Frauens-Person betrifft, der „sie niemahls aufhoͤren kann verpflichtet zu seyn, „obgleich alsdenn diese Pflichten nachgesetzt wer- „den muͤssen. „Jch bitte instaͤndig, daß Sie dieses, welches „mir so nahe an dem Hertzen lieget, recht reiflich „uͤberlegen wollen. Jch will jetzt nicht die betruͤb- „te Feindschaft zwischen Jhnen und den Meinigen „genau untersuchen. Jch glaube, daß beyde Thei- „le Schuld haben: allein Sie haben doch die er- „ste Schuld, und Sie gaben zum wenigsten der „Feindschaft meines Bruders einen allzu schein- „baren Vorwand. Sie bemuͤheten sich im ge- „ringsten nicht, gefaͤllig zu seyn, und nachzugeben. „Sie ließen die Beschuldigungen, die man gegen „Sie vorbrachte, lieber auf sich sitzen, als daß Sie „sich haͤtten bemuͤhen sollen, solche Anklagen ohn- „moͤglich zu machen. „Doch, dieses giebt nur Gelegenheit zu ver- „drießlichen Gegenklagen. Jch bitte also weiter „nichts als dieses zu bedencken, daß die Meini- „gen Sie nothwendig als einen ansehen muͤssen, „der ihnen eine geliebte Tochter geraubet hat; und „daß ihr Haß gegen Sie desto groͤßer seyn muß, „je mehr sie mich vorhin geliebet haben, und sich „jetzt „jetzt in ihrer Hoffnung betrogen sehen. Wenn „sie gleich gefehlet haben, allein selbst ihren Fehler „nicht erkennen, so kann ein anderer nicht Richter „seyn, und ihnen vorschreiben was sie fuͤr einen „Fehler anzusehen haben oder nicht. Sie koͤn- „nen dieses am wenigsten thun: da Sie sich ge- „meiniglich uͤber jedermann zum Richter auf- „werfen, und selbst keinen Richter uͤber Jhre „Handlungen erkennen wollen. ‒ ‒ Es ist dem- „nach zum voraus zu besorgen, daß die Meinigen „auf ihrem Kopfe bestehen und Jhnen Trotz bie- „ten werden.„ „Was mich anlangt, so muß ich es auf Sie „ankommen lassen, wie Sie mir kuͤnstig begegnen „wollen. So scheint es mein Verhaͤngniß ver- „ordnet zu haben. Wenn Sie aber kuͤnftig gegen „die Meinigen nicht eben diejenige Unversoͤhnlich- „keit beweisen, welche Sie jetzt den Meinigen „Schuld geben, so wird das Ansehen Jhrer Fa- „milie und das unvergleichliche Gemuͤth einiger „unter ihren Anverwanten alles wieder gut ma- „chen, sobald die erste Hitze sich geleget haben „wird. (Jch wuͤrde hier kein Bedencken tragen, „ alle zu nennen, welche zu Jhrer Familie gehoͤ- „ren; es waͤre denn, daß Jhr eigenes Gewissen „Jhnen sagte, daß eine eintzige Ausnahme noͤthig „sey.) Es ist nicht ohnmoͤglich, die Meinigen zu „gewinnen, ob ich gleich glaube, daß es sehr „schwer halten wird; weil diejenigen, die am „meisten mit Gluͤcks - Guͤtern gesegnet sind, „ihren Sinn am wenigsten brechen koͤnnen. „Denn „Denn das gestehe ich Jhnen, es hat mich oft „in meinem Hertzen gekraͤncket, daß sich die Mei- „nigen durch ihr allzugroßes Vermoͤgen haben be- „stricken lassen, so wie Jhnen einige andere Vor- „zuͤge zum Fallstrick geworden sind, die Sie nicht „einmahl Jhrem Fleiß zu dancken haben, und de- „sto weniger daruͤber hochmuͤthig werden soll- „ten.„ „Erlauben Sie mir noch bey dieser Gelegen- „heit, Jhnen zu sagen, daß Herablassung zu ande- „rer Schwachheit keine Niedertraͤchtigkeit ist. „Es ist mit dem Nachgeben eine Ehre verbunden, „von der ein hitziger Kopf sich keine Vorstellung zu „machen weiß: mein Bruder eben so wenig, als „Sie. Da Sie aber mehr Verstand haben, „als er, (deswegen aber setze ich meinen Bruder „nicht herunter. Jch glaube, daß wider sein „Leben und Wandel nicht eben das koͤnne einge- „wandt werden, was man Jhnen nachsaget) so „wuͤnsche ich, daß Sie an Fortsetzung der Feind- „schaft unschuldig seyn moͤchten. Denn ich lebe „der gewissen Hoffnung, daß noch eine Zeit kom- „men werde, in der Sie sich einander sprechen koͤn- „nen, ohne daß ich als Frau und Schwester Ur- „sache habe, wegen der Folgen Jhrer Zusammen- „kunft in Sorgen zu seyn. Jndessen wuͤnsche ich „gar nicht, daß Sie in etwas nachgeben sollten, „das Jhre Ehre wahrhaftig betrifft. Jn derglei- „chen Dingen wuͤrde ich eben so eigensinnig ja noch „eigensinniger seyn; denn ich wuͤrde suchen mir im- „mer selbst gleich zu seyn, und nicht das eine mahl Vierter Theil. R die „die Ehre zu verschertzen, die ich ein anderes mahl „vertheidiget haͤtte. Wie eitel und veraͤchtlich ist „der Hochmuth, der es mit lauter Kleinigkeiten zu „thun hat, und darin nichts nachgeben will, mit „der wahren Ehre hingegen ein Gespoͤtte treibet! „Wenn dieser eintzige Punct recht uͤberleget „wird, so wird das uͤbrige insgesammt leichte „seyn. Wenn ich die besondern Einkuͤnfte anneh- „me, die Sie mir zugedacht haben, nebst dem was „von den Einkuͤnften meines Gutes seit dem To- „de meines Großvaters gesparet ist, (welches mehr „betraͤgt, als Sie vielleicht glauben moͤgen, da „Sie es mir von freyen Stuͤcken anbieten) so wuͤr- „de ich es fuͤr meine Pflicht halten, einen Noth- „pfennig fuͤr die Familie beyzulegen. Denn ich „werde mich so einschraͤncken, daß ich nie mehr „als den zehenden Theil meiner jaͤhrlichen Einkuͤnf- „te verschencke, sie moͤgen so geringe oder so betraͤcht- „lich seyn, als sie wollen. Jch suche mir nicht durch „Freygebigkeit einen Ruhm zu erwerben. Jch „wuͤnsche weiter nichts, als gebrechlichen Leuten zu „Huͤlfe zu kommen, und fleißigen Haus-Armen „die ohne ihr Verschulden arm geworden sind, das „Leben zu erleichtern. Die gemeinen Straßen- „Bettler uͤberlasse ich andern mitleidigen Leuten oder „dem Almosen-Amte. Sie koͤnnen nicht ungluͤckli- „cher werden, als sie sind; und vielleicht wuͤnschen „sie nicht gluͤcklicher zu seyn. Jch bin nicht im „Stande, jedermann zu helfen, und ich verlange „keine uͤberfluͤßige guten Wercke zu thun. Zwey- „hundert Pfund des Jahrs werden zu meinen be- „son- „sondern Ausgaben vollkommen hinlaͤnglich seyn. „Wegen des uͤbrigen werde ich Sie um Rath fra- „gen, und mich nach Jhrem Befehl richten: es waͤ- „re denn, daß Sie sich selbst nicht trauten, und mir „deswegen die Verwaltung dieses Geldes selbst „uͤberlassen wollten, damit ich so viel als moͤglich „seyn wird, zum kuͤnftigen Gebrauch davon beyle- „gen koͤnne. Jch werde Jhnen uͤber alle die uͤbri- „gen Ausgaben und uͤber das beygelegte eine solche „Rechnung halten, als sie von einem Haushalter „erwarten koͤnnen.„ „Was die Kleidung anlanget, so habe ich noch „zwey gantz neue Anzuͤge, die ich nur einmahl zur „Probe angezogen habe: und deren ich mich auch „bey einer solchen Gelegenheit nicht schaͤmen darf. „Jch habe auch Juwelen von meiner Großmutter, „die nur von neuen umgefasset werden muͤssen: und „noch andere Juwelen die ich bey außerordentlichen „Gelegenheiten zu tragen pflegte. Ob mir gleich „diese Juwelen bisher noch nicht zugesandt sind, „so trage ich doch keinen Zweifel, daß sie mir zu- „gesandt werden, wenn ich sie unter einem andern „Nahmen fordern lasse. Und vorher gedencke ich „gar keine Juwelen zu tragen.„ „Sie beklagen sich uͤber das Mistrauen, das „ich gegen Sie blicken lasse. Allein Jhr eigenes „soll Richter seyn. Setzen Sie sich einen Augen- „blick an meine Stelle, und erinnern Sie sich Jh- „res bisherigen Betragens gegen mich in Worten „und Wercken: und alsdenn urtheilen Sie, ob ich „verdiene gelobet oder getadelt zu werden; und ob R 2 „Sie „Sie nicht selbst mich bey den Erklaͤrungen, die „Sie gegen mich gethan haben, mein Betragen „billigen muͤssen? Wenn Sie es nicht billigen, so „muͤssen unsere Gemuͤther so sonderbahr verschie- „den seyn, daß keine naͤhere Vereinigung zu wuͤn- „schen ist zwischen Jhnen und „ Clarissa Harlowe. „ „den 20sten May. Dieses liebe Blat fand Dorcas bey nahe gantz entzwey gerissen. Vermuthlich ist das geschehen, als sie einmahl auf mich boͤse war. Der groͤs- seste Ruhm des schoͤnen Geschlechts bestehet in Sanftmuth und Verleugnung: warum werden denn die lieben Kinder bisweilen so boͤse? Da sie sich vor der Hochzeit solche Freyheiten heraus nimmt, was werde ich kuͤnftig zu erwarten haben? Was fuͤr ein Ding; eine boͤse Frau! Es ist (mit Erlaubniß der Schoͤnen) verflucht unver- schaͤmt, und eben so dumm als unverschaͤmt, wenn eine Frau boͤse wird, und doch nicht den Vorsatz hat, sich auf ewig von ihrem Manne abzusondern, oder ihm auf eine gottlose Art Trotz zu bieten. Sie verlieren dadurch auf einmahl ihre bewegli- che und sanftmuͤthige Kunst anzuklagen, und uns die Sache recht vernuͤnftig und muͤtterlich vorzu- stellen, die durch Seufzer, durch gebogene Kniee, durch gerungene Haͤnde und durch Blicke nach dem Gesichte ihres Gebieters unsere Augen zu Thraͤnen zwinget, und eine baldige und dauerhafte Versoͤh- nung zuwege bringet. Selbst alsdenn, wenn der der Mann unrecht hat, so wird dieses den Ankla- gen der Frauen nur ein mehreres Gewichte geben. Jetzt eben faͤllt es mir ein: ein Mann muß billig seiner Frauen zuweilen unrecht thun, um sie groß zu machen. Die Fraͤulein Howe troͤstet meine Clarissa damit, daß sie im Ungluͤck groͤßer sey. Es ist edel, wenn ein Mann sich erniedri- get, damit seine Frau groß werde; wenn er ihr Gelegenheit goͤnnet, ihn durch Vernunft und Ge- duld zu besiegen: denn wenn er gleich zu gebiete- risch dazu ist, seinen Fehler so gleich zu erkennen, so wird sie doch die Fruͤchte ihres unterthaͤnigen Gehorsams in der kuͤnftigen Zeit finden, und die Hochachtung, die er fuͤr ihre Klugheit und Hoͤf- lichkeit fassen wird, wird ihrem Hochmuth eine angenehme Nahrung seyn. Sie wird doch zu- letzt die Beherrscherin ihres Beherrschers wer- den. Und nun stelle dir eine Frau vor, die den ei- nen Arm in die Seite setzt, und mit der andern Hand fechtet, und mit den Finger drohet: ‒ ‒ wenn du wunderlich bist, Mann, so will ich auch wunderlich seyn! Bist du boͤse: ich auch! Wie du in Wald rufest, so schallt es wieder! Wenn du schwoͤrest, so kann ich fluchen! Jch will nicht in eben der Stube, und in eben dem Bette mit dir bleiben! Denn du weißt, wir sind getrauet: ich bin deine Frau: du kannst dir nicht anders helfen! Deine Ehre und deine Ruhe stehet bey mir! und wenn dir die Auffuͤhrung nicht gefaͤllt, so kann ich es schlimmer machen! R 3 Ach Ach Bruder, wer die Auffuͤhrung in andern Familien gesehen hat, der kann ohnmoͤglich wuͤn- schen zu heyrathen. Dorcas fand dieses Blat in einer von denen Schiebladen. Sie glaubt, daß sie es eben von neuen uͤberlesen habe, als sie sie zum Thee bat: denn sie sahe, daß sie ein Papier in die Schiebla- de steckte, so bald sie in die Stube trat: und als die Fraͤulein bey mir in dem Speise-Saal war, so fand sie dieses Blat in eben der Schieblade. Es waͤre besser fuͤr mich gewesen, wenn ich kei- ne Abschrift davon bekommen haͤtte. Vorhin war mein Entschluß feste, allein im Augenblick fieng ich an zu wancken und weich gegen sie zu werden. Jch wollte viel darum geben, wenn ich gewiß wuͤß- te, ob sie dieses. Blat mit Willen in die unver- schlossene Schieblade geleget hat, damit ich es moͤchte zu sehen bekommen? und ob sie vielleicht nach dem Rath der Fraͤulein Howe, die Dorcas bey dieser Gelegenheit hat ausforschen wollen, ob sie es mit ihr oder mit mir hielte. Dieser Arg- wohn ist ihr schon schaͤdlich: denn ich kann es nicht leiden, wenn man listig mit mir umgehet. Ein jeder will seine besondere Gabe gern allein besitzen: es gehet uns darin, wie den Kaufleuten die einen gantzen Handel gepachtet haben. Jch weiß, daß du daher einen neuen Bewegungs-Grund wider mich nehmen wirst. Jch weiß aber auch schon jeden Titel von dem was du sagen kannst: spare demnach deinen matten Unverstand auf andere Ge- legenheit, und uͤberlaß mein liebes Kind und mich un- unserem Schicksal. Der Wille der ewigen Vorsicht geschehe! Denn Cowley sagt: Die unsichtbare Hand macht, daß wir uns bewe- gen. Den macht sie groß und jenen klein: Dich uͤberschittet sie mit Seegen; Du mußt des Ungluͤcks Beyspiel seyn. Der Tugendhafte wird durch sie allein getrieben Der Tugend schwere Bahn zu gehn; Und der, den ebnen Weg zu lieben Wo wir das Laster jauchzen sehn. Du heißest klug, und den gesellt man zu den Tho- ren. Nur Nahmen sinds. ‒ ‒ ‒ Die Vorsicht spielt mit allen. Am Ende aber bin ich doch beynahe betruͤbt, (denn voͤllig betruͤbt zu seyn ist mir nicht gegeben) daß ich mich nicht ohne neue Proben zu dem Hey- rathen entschließen kann. Jch habe eben diesen Aufsatz einer Antwort von neuen uͤberlesen. Wie verehre ich mein Kind wegen der Antwort, die es mir geben wollte! Aber! (noch ein aber ) Die Fraͤulein hat mir diese Antwort weder gegeben noch zugesandt; und so ist es keine Antwort von ihr. Sie ist nicht fuͤr mich geschrieben, ob sie gleich an mich gerich- tet ist. Sie hat nicht einmahl den Vorsatz gehabt, diese Antwort an mich zu schicken. Sie hat sie im Unwillen zerrissen, weil sie ihr viel- R 4 leicht leicht allzuguͤtig vorkam. Durch diese Handlung nimmt sie alles zuruͤck, was sie geschrieben hatte. Warum bin ich denn so thoͤricht in sie verliebt, daß ich ihr diese Antwort in Rechnung bringen will, alls wenn sie sie nicht zerrissen haͤtte? Jch bitte dich nochmahls, mein lieber Belford, uͤber- laß uns unserm Schicksal, und bemuͤhe dich nicht, durch deinen Unverstand mich noch weibischer zu machen, da mir ohnehin genug Grillen einfallen, und schmiede keine Verraͤtherey wider mich mit meinem Gewissen, welches schon auf ihre Seite getreten ist. Erinnere dich, Lovelace, was du neulich ent- decket hast! und wie kaltsinnig sie gegen dich ge- wesen ist! was sie dir fuͤr Zeichen des Hasses und der Verachtung gegeben hat. Stelle dir vor, daß sie noch jetzt fremde gegen dich thut, und voller Mistrauen ist: und daß sie mit Meuterey und heimlichen Empoͤrungen gegen deine rechtmaͤßige Oberherrschaft umgehet, die du als Sieger erlan- get hast. Erinnere dich aller deiner Drohungen gegen diese stoltze Schoͤne, die zu der Fahne der Liebe geschworen hat, und sich doch den Gesetzen der Liebe nicht unterwerfen will. Allein wie willst du deine liebe Feindin besie- gen? Gewalt sey verflucht; und alles was es noͤ- thig machen kann, Gewalt zu gebrauchen. Durch Gewalt erhaͤlt man keinen wahren Sieg. Man besieget den Willen nicht: man bemeistert sich nicht auf eine sanfte Weise der sanften Leidenschaften. Gewalt ist des Teufels! Die Die verfluchte Nachrede der Leute ist mir gleich zu Anfange schaͤdlich gewesen, als ich mich an die- ses Maͤdchen machte. Allein es ist und bleibt doch ein Maͤdchen. Wenn es mich auf das aͤusserste hasset, so werde ich doch einen guͤnstigen Augen- blick finden! Wodurch soll ich sie aber versuchen? durch Reichthum? Sie ist mitten in dem Reichthum gebohren: sie kennet und verachtet den Reichthum. Durch Juwelen und Spielwerck? Was fragt eine Seele darnach, die selbst eine Juwele ist, und so unvergleichlich eingefaßt ist? Durch Lie- be? Wenn sie ja weiß, was Liebe ist, so ist doch die Liebe bey ihr so sehr unter der Herrschaft der Vernunft, daß ich daran verzweifele, sie jemahls anders als auf ihrer Huth zu finden. Sie be- sitzt so viele Wachsamkeit, daß ihre Furcht der wircklichen Gefahr immer zuvor zu kommen schei- net. Die Liebe zur Tugend ist ihr entweder angebohren, oder sie ist doch zum wenigsten so tief bey ihr gewurtzelt, daß gleichsam ihr gantzes Hertz mit ihren Wurtzeln und Faͤserchen durch- wachsen ist, und ich ohnmoͤglich dieses Geaͤder werde ausgaͤten koͤnnen, ohne zugleich ihr Leben zu verletzen. Wie soll ich es anfangen, ein so ausserordent- liches Kind so zahm zu machen, daß es nicht gleich vor den ersten Proben fliehet, welche die Zuberei- tung zu der großen Probe sind, ob sie sich nicht oͤfters werde uͤberwinden lassen, wenn sie einmahl uͤberwunden ist. R 5 War- Wahrhaftig Bruder, wenn ich bisweilen gegen ihr uͤber sitze, und sie angaffe, und mir die gantze Seele in die Augen faͤhrt; wenn ich sie heiter und vergnuͤgt sehe, und dabey gedencke, wie verstoͤret sie aussehen wuͤrde, wenn sie mein Hertz so gut ken- nete als ich; wenn mir bey ihren aͤngstlichen und unruhigen Blicken beyfaͤllt, wie gegruͤndet ihre Furcht ist, und daß sie sich gewiß nicht so sehr fuͤrch- ten kann, als sie Ursache hat sich zu fuͤrchten: so wird meinem eigenen Hertzen nicht wohl bey der Sache zu Muthe. Jch dencke oft: soll ein so goͤttlich-schoͤnes Kind diese Arme, die einen Koͤnig gluͤcklich machen koͤnnten, gebrauchen, sich einer viehischen Gewaltthaͤtigkeit zu erwehren? soll viel- leicht alle ihre Staͤrcke vergeblich angewandt wer- den, den Leib zu vertheidigen, der so zaͤrtlich gebildet ist? kann es dem aͤrgsten Boͤsewicht in den Sinn kommen, Gewalt zu gebrauchen, da er ohne Gewalt ihre freywillige und tugendhafte Liebe erhalten, und das Vergnuͤgen, das er jetzt rauben will, in ihre Pflicht und Schuldigkeit verwandeln koͤnnte? Weg! ihr abscheulichen Gedancken! fahrt alle zu der Hoͤlle, aus der ihr gekommen seyd! Jch will mich ihr zu Fuͤßen werfen, meine boshaften Anschlaͤge be- kennen, ihr Besserung zusagen, und es mir un- moͤglich machen, ein so unvergleichliches Heilig- thum zu entweyhen. Allein wie gehet es zu, deß alle diese mitlei- digen oder (wie sie andere nennen werden) tugend- haften Triebe wieder verschwinden? Wie gehet das zu? Die Fraͤulein Howe wird es dir sagen. Sie Sie sagt, ich sey ein Teufel! und so viel ich mich selbst kenne, so hat jetzt der Teufel sehr viel bey mir, das er das Seinige nennen kann. Das ist ein offenhertziges Bekenntniß! So frey gehe ich gegen dich heraus. Je mehr ich aber selbst gegen mich sage, desto weniger kannst du mir vorwerfen. O Belford, Belford, ich kann ohn- moͤglich, ich kann zum wenigsten jetzt ohnmoͤglich heyrathen. Bedencke, daß ihre Anverwandten meine bit- tersten Feinde sind. Denen wuͤrde ich zu Fuͤßen fallen muͤssen, oder sie wuͤrde eben so misvergnuͤgt seyn, als ich sie durch meine letzte Tod-Suͤnde ma- chen kann. Sie wuͤrde diese Leute immer zu viel, und mich zu wenig lieben. Sie scheinet mich jetzt in der That zu verach- ten. Die Fraͤulein Howe sagt es deutlich, daß sie mich verachtet. Wie jaͤmmerlich, wie armsee- lig ist es aber, wenn man von der Frau ver- achtet wird? Was ist das fuͤr eine Vorstellung! An Verstande und Einsichten von der Frau uͤbertroffen zu werden! Sich von der Frau Erinnerungen und Gesetze geben zu lassen! Sie thut noch mehr, als mich verachten: sie hat sich so gar Bedenckzeit genommen, zu uͤber- legen, ob sie mich nicht hasset. Jch hasse sie von gantzem Hertzen! sagte sie noch gestern zu mir. Meine Seele ist uͤber dich, Kerl! zwinge mich nicht, dir zu sagen, wie weit meine meine Seele uͤber dich ist. Wie armseelig kam ich mir selbst vor, als sie dieses sagte? Mir fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, so hochmuͤ- thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey meiner Seele, unten ) gegen sie getrieben! Es ist auch armseelig, wenn ich mich fuͤr eine bloße Maschine halte. Jck bin keine Maschine! du thust dir Unrecht, Lovelace, wenn dir der Ge- dancke nur einfaͤllet, daß du eine Maschine seyst! Da ich einmahl so weit gegangen bin, so wuͤr- de es mein Ungluͤck seyn, wenn ich mir kuͤnftig in meinem verheyratheten Stande, so oft ich gegen mich leichtfertig waͤre, den Vorwurf machen koͤnn- te, daß ich sie nicht auf alle moͤgliche Proben ge- stellet haͤtte. Jch weiß nicht wie es zugehet, so bald ich dieser Schoͤnen nahe komme, so werde ich auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg nicht gedencken, den sie an dem verwichenen Sonn- tags-Abend uͤber mich erhalten hat. Jch habe mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom- men, einige Freyheit zu versuchen, die ich nachher dem Verdrusse Schuld geben koͤnnte, dazu sie mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau- der und Ehrfurcht, so bald ich sie sahe, und ihre in die Augen fallende Reinigkeit daͤmpfte zuerst meine doppelte Flamme, und loͤschte sie zuletzt voͤl- lig aus. Was fuͤr eine ausserordentliche Gewalt ist das! Sie befindet sich nun so lange in meiner Macht: und ich werde von meiner Liebe und von den Frauens- Frauensleuten in dem Hause so sehr gereitzet et- was zu wagen! Doch wage ich nichts! Stelle dir Lovelacen vor: wie wirst du dieses erklaͤren koͤnnen? Wie viel unvernuͤnftiges Zeug habe ich zusam- men geschmieret! Wie habe ich mich bethoͤren las- sen! von wem? Weißt du es, wer mich so verlei- tet hat? Das ist das verdammte Gewissen. Das hat sich gegen mich verschworen! Freund, wie bist du hereingekommen! Jn welcher Maske hast du dich herein geschlichen, du Raͤuber meiner vergnuͤgten Stunden? Erwaͤhle du und das Schicksal in unserm Kriege eine genaue Neutralitaͤt: und wenn ich dem menschlichen Geschlechte und dem Frauenzimmer zu Ehren es nicht dahin brin- gen kann, daß ein solcher Engel unter die Frauens- leute gerechnet werde, und ihnen (sollte es auch durch seine Fehltritte geschehen) Ehre bringe: so will ich dem Schicksal und dem Gewissen nicht laͤnger widerstehen. Hier stand ich auf. Jch oͤffnete das Fenster, und schuͤttelte mich! Der ungebetene Gast meiner Brust flog davon. Jch kann ihn noch fliegen se- hen. Jch sehe ihm genau nach, und er wird im- mer kleiner. Jetzt schließet sich Luft und Him- mel hinter ihm zu: Jch kann ihn nicht mehr sehen. Jch bin von neuen Robert Lovelace. Der Der neun und zwantzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Dienstags den 23sten May. J ch habe wohl daran gethan, daß ich mich ent- schloß, mit der Frau Fretchville und ih- rem Hause nichts weiter zu thun zu haben. Es war hohe Zeit: denn eben thut mir Mennell die Erklaͤrung, daß ihm Gewissen und Ehre nicht er- lauben, noch einen eintzigen Schritt zu thun. Er will nicht die gantze Welt dafuͤr nehmen, daß ein solches Frauenzimmer durch seine Huͤlfe betrogen werden sollte. Jch war ein Narre, daß ich dir und ihm erlaubte, die Fraͤulein zu sehen: denn seit der Zeit habt ihr eine Kranckheit gehabt, die ihr Gewissen nennet, von der ihr nie wuͤrdet an- gefochten seyn, wenn ihr weiter nichts gewust haͤt- tet, als daß sie ein Frauenzimmer sey. Jch muß mich in mein Ungluͤck schicken. Mennell hat sich endlich, obgleich wider sei- nen Willen, erklaͤret, daß er einen Brief an mich schreiben will: allein dieses soll der letzte Schritt seyn, welchen er in der Sache thut. Jch sagte ihm: ich hoffete, er wuͤrde nichts dawider einzuwenden haben, wenn das Cammer- Maͤdchen der Frau Fretchville kuͤnftig seine Stelle vertraͤte? Jm Jm' geringsten nichts! (sagte er) aber es ist Jammer-Schade ‒ ‒ Ein jaͤmmerlicher Kerl! Was ist das fuͤr ein naͤrrisches Mittleiden eingeschraͤnckter Geister, die kein Huhn abschlachten koͤnnen, und doch hundert abgeschlachtete Huͤner gierig fressen! Der Brief erzaͤhlet, daß eine Magd der Frau Fretchville die Pocken bekommen habe. Sie hat ihre Herrschaft angesteckt. Leute, bey denen die Einbildung starck ist, werden auch leicht kranck: man darf die Kranckheit nur nennen, so haben sie sie schon an dem Halse. Bey ihnen schlaͤgt das Jnoculiren gewiß an. Sie sind die melcken- den Kuͤhe der gesundmachenden Zunft. Ein hy- pokondrischer Krancker, voller Grillen und Ein- bildung, ist die Fiddel auf der der Doctor unauf- hoͤrlich spielen kann; und er spielt gewiß gern. Wenn kein ausserordentliches Ungluͤck dazwischen kommt, und die Furcht nicht zur wircklichen Kranckheit wird, (wie es der armen Frau Fretch- ville gegangen ist) so haben sie weiter keine Noth, als daß sie sich Muͤhe geben das Lachen zu lassen, wenn der Krancke sein eigener Anklaͤger wird. So bald sie seine Klage gehoͤret haben, koͤnnen sie zur Strafe schreiten: denn Strafe ist der rechte Nahme, damit man das fremdlautende Wort, Recept, verdeutschen kann. Was haͤlt die Strafe auf! Der Schuldige hat ja bekannt! Jhre Stra- fe ist gemeiniglich rachgierig. Es faͤllt mir aber eben bey: die Kerls sind dumm! Da ihre Quacksalberey nicht nutzen soll, so so koͤnnte sie doch vergnuͤgen, anstatt daß jetzund der gemarterte Krancke ihr eckelhaftes Zeug uͤber- schlucken muß. Wenn ich die Clistir-Spruͤtze an der Seiten hencken haͤtte, so wollte ich bald alle Nahrung an mich ziehen: Jch wollte nichts vorschreiben, als Malvasir, und Sect, und Capo-Wein, die ich nur ein wenig unkenntlich machen muͤste. Dadurch kaͤmen noch Geister in den Kopf: wie wuͤrde der erquickte Krancke sich wuͤnschen, noch einmahl kranck zu seyn! und wie hoch wuͤrde der Herr Doctor bey ihm angeschrieben seyn! Gib allen Marcktschreyern, die du kennest, diesen Winck. ‒ ‒ Es koͤnnte nur Ein Scha- de daraus entstehen: nehmlich daß der Apothecker zu viel Geld an die Artzeney wenden muͤßte. Al- lein der starcke Abgang wuͤrde den Schaden wi- der gut machen. Denn die gute Waͤrterin wuͤr- de immer kosten, ob sie auch uͤber das rechte Glas kaͤme, und wuͤrde die vorige Hertz-Staͤrckung noch einmahl zu verschreiben bitten. Possen! du willst wissen, was in dem Brie- fe stehen soll? Was brauche ich dir das weiter zu sagen, nachdem ich dir schon vorhin etwas davon gemeldet habe? Frau Fretchville kann nicht aus- ziehen: und das ist genug. Mennell trit ab. Sein Gewissen mag ihn nun fuͤr seine und nicht fuͤr anderer Suͤnden plagen, so ist er geplagt genug. Der Brief hat die Ausschrifft: an Herrn Robert Lovelacen. Jn dessen Abwesenheit von von seiner Gemahlin zu erbrechen. Als ich nach Hause kam, wollte sie weder mit mir speisen, noch mich sonst sprechen. Sie hat den Brief er- oͤffnet: sie erkennet sich also selbst, so hochmuͤthig und muͤrrisch sie auch ist, fuͤr meine Gemahlin. Jch freue mich, daß der Brief eingelaufen ist, ehe wir uns voͤllig vertragen haben: sonst koͤnn- te sie es fuͤr eine List halten, dadurch ich die Sa- che von neuen zu verzoͤgern suchte. Nun koͤnnen wir den alten und neuen Streit auf einmahl ab- thun: und das ist vortheilhaft fuͤr mich. Wie sehr ist ihr liebes hochmuͤthiges Hertz gedemuͤthi- get, wenn ich daran zuruͤck gedencke, wie ich sie zuerst kennen lernete! Jetzt ist sie so demuͤthig, daß sie einen Verzug von mir befuͤrchten kann, und sich daruͤber graͤmet. Jch kam zu dem Mittags-Essen nach Hause. Sie schickte mir den Brief zu, und bat um Ver- gebung, daß sie ihn erbrochen haͤtte. Sie haͤtte es gethan, ehe sie die Aufschrift gelesen haͤtte. Maͤdchens-Stoltz! Belford. Erst besinnet sie sich: hernach gehet sie einen Schritt zuruͤck. Jch bat mir Erlaubniß aus, sogleich wegen des Briefes mit ihr zu reden: allein sie will es mir nicht eher erlauben, als morgen fruͤh. Jch muß sie noch so weit bringen, ehe unsere Comoͤ- die zum Ende gehet, daß sie mir bekennet, sie koͤn- ne mich nicht zu oft sprechen. Meine Ungeduld war bey einer so unerwar- teten Gelegenheit allzu groß. Jch schrieb an sie: „ich waͤre wegen des Zufalles auf das aͤußerste Vierter Theil. S „be- „bekuͤmmert. Jndessen brauchte deswegen mein „gewuͤnschter Tag nicht aufgeschoben zu werden, „als welcher mit dem Hause der Frau Fretch- „ville nichts zu thun haͤtte.„ (Sie wird den- „cken, daß sie das schon lange gewußt hat. Jch auch!) „Da die Frau Fretchville so hoͤflich haͤt- „te bitten lassen, daß wir diesen Zufall ihr nicht „uͤbel nehmen, und wo moͤglich uns noch kuͤnftig „ihres Hauses bedienen moͤchten: so daͤchte ich, „daß es fuͤr sie und uns am besten waͤre, wenn „wir auf zwey oder drey Monathe in dem Som- „mer gleich nach der Trauung auf die Forst „reiseten.„ Es kommt mir so vor, als wenn dem lieben Kinde dieser Zufall sehr zu Hertzen gehet. Ob ich gleich abermahls um Erlaubniß gebeten habe, sie zu sprechen, so bekomme ich doch die Antwort: sie koͤnnte es eher nicht thun, als morgen fruͤh. Es soll um sechs Uhr geschehen, wenn es mir ge- legen ist. Sehr gelegen! Jch kann sie jetzt des Tages nur Einmahl zu sprechen bekommen. Weißt du schon, daß ich an die Fraͤulein Montague geschrieben habe? Jch wundere mich in dem Briefe sehr, daß der Lord M. die Ant- wort in einer so dringenden Sache so lange auf- schiebet. Jch gebe ihr Nachricht von meinem Vorschlage, ein anderes Haus zu miethen, und von den wunderbahren Einfaͤllen, dadurch die Frau Fretchville uns aufhaͤlt. Jch Jch gehe ungern daran, jemand von meinen Anverwandten mit in diese verworrene Sache ein- zuflechten; allein ich muß sicher gehen. Sie ha- ben alle schon eine so schlechte Meynung von mir, daß sie nie schlimmer werden kann. Du siehest ja selbst aus dem Briefe des Lord M. daß seine wohlgezogene Gnaden den hochadelichen Gedan- cken von mir haben, daß ich diesem unvergleichli- chen Kinde einen von meinen Hundes-Strei- chen spielen moͤchte. Jch habe eben eine Antwort von der Char- lotte bekommen. Charlotte ist unpaß. Es kommt aus dem Magen. Es ist kein Wunder, wenn einem Maͤdchen der Magen nicht recht stehet. Sie ist unverhey- rathet: das ist die gantze Kranckheit! So bald sie einen Mann hat, der sie plaget; so hat der Ma- gen etwas zu verdauen. Weißt du nicht, daß der Mann die Sonne der lieben Kinder ist; und sie sind die Erde? Wie wuͤste und unfruchtbar ist die Erde, wenn ihr der erwaͤrmende Schein der Sonne entzogen wird! Die arme Lottchen! Jch wußte es vorher, daß sie nicht wohl waͤre. Eben deswegen schrieb ich an sie, und wunderte mich ein wenig, daß sie nicht von selbst daran gedacht haͤtte, meine Braut in London zu besuchen. Hier folget eine Abschrift ihres Briefes. Du wirst sehen, daß mich ein jedes kleines Aeffch en in S 2 die die Catechismus-Lehre nimmt. Alle verlassen sich darauf, daß ich viel vertragen kann. M. ‒ ‒ Hall den 22sten May. Mein lieber Vetter, W ir haben mit Schmertzen auf die Nachricht gehoffet, daß das erwuͤnschte Band geknuͤ- pfet waͤre. Unser Onckel ist sehr unpaß gewesen: er wuͤßte sich aber doch nicht zu beruhigen, wenn er nicht selbst an Sie schreiben koͤnnte. Er meinte, dieses waͤre die eintzige Gelegenheit die er vielleicht in seinem Leben haben moͤchte, Jhnen eine gute Ermahnung zu geben, die etwas fruchten wuͤrde. Er hat sich alle Tage etliche Stunden hingesetzt, zu schreiben, wenn das Podagra es ihm zuließ: und er uͤberlieset jetzt sein geschriebenes. Er meint, es wuͤrde mehr bey Jhnen ausrichten, wenn Sie saͤhen, daß alles mit seiner eigenen Hand ge- schrieben waͤre. Gewiß, mein lieber Herr Vetter, das gantze Hertz haͤngt ihm an Jhnen. Jch wollte, daß Sie sich nur halb so lieb haͤtten, als er Sie hat. Jch glaube aber, Sie wuͤrden sich selbst mehr lieben, wenn Sie von Jhrer gantzen Familie etwas we- niger geliebet wuͤrden. Wenn unser Onckel nicht schreiben konnte, so hat er den Pritchard zu sich kommen lassen, und mit ihm von der Eintraͤglichkeit der Guͤter gere- det, die er Jhnen an dem erwuͤnschten Tage zu uͤberlassen gedencket, damit er Jhren Brief desto ange- angenehmer beantworten, und Jhnen in der That zeigen koͤnnte, wie wohl er Jhre Einladung ge- nommen hat. Jch kann Jhnen sagen, daß er sich recht viel darauf einbildet. Was mich anlanget, so bin ich gar nicht wohl gewesen. Jch habe seit einigen Wochen meine alte Plage mit dem Magen. Wenn mich das nicht abgehalten haͤtte, so wuͤrde ich mir schon seit einigen Wochen die Ehre genommen haben, den Besuch abzustatten, uͤber dessen Versaͤumung Sie sich wundern. Meine Base Lawrance, die mit mir reisen wollte, (denn wir hatten uns schon gantz zur Reise entschlossen) hat mit ihren Proceß sehr viel zu thun gehabt; denn ihre Ge- gen-Part hat Vorschlaͤge zum Vergleich gethan, als es eben an dem war, daß er den Proceß verlieren sollte. Seyn Sie indessen versichert, daß so bald unsere neue Base das Haus bezogen haben wird, davon Sie schreiben, wir uns zusammen die Frey- heit nehmen werden, sie zu uͤberfallen. Wenn ihre Furchtsamkeit an dem Aufschube Schuld ist, (welches wohl seyn kann, wenn sie den recht ken- net, mit dem sie zu thun hat) so wollen wir uns bemuͤhen, ihr ein Hertz einzusprechen, und wir wollen alle ihre neuen Taufzeugen werden, und in Jhrem Nahmen alles Gute zusagen. Denn mich duͤnckt, mein lieber Herr Vetter, Sie haben noͤthig noch einmahl getauft zu werden, ehe Sie an ein solches Gluͤck Anspruch machen duͤrfen. Was meinen Sie dazu? S 3 Jetzt Jetzt eben sagen mir ihre Gnaden, daß sie morgen einen Boten mit dem Briefe fortschicken wollen. Es waͤre also nicht einmahl noͤthig, daß ich geschrieben habe. Jch will aber doch den Brief wegschicken: Empson nimt ihn mit, wel- cher gleich wieder zuruͤcke kehret. Richten Sie von meiner Schwester und mir die allerverbindlichste Empfehlung an das Frauen- zimmer aus, welches unsere Hochachtung mit dem groͤßesten Recht verdienet. Jch brauche es nicht zu nenne. Jch verbleibe Jhre ergebenste Base und Dienerinn Charlotte Montague. Du wirst mercken, daß mir der Brief zu rech- ter Zeit gekommen ist. Jch hoffe, daß mein On- ckle mir nichts schreiben wird, als was ich meiner Geliebten zeigen kann. Jch habe ihr eben die- sen Brief zugesandt, und ich hoffe, daß er gute Wirckung haben wird. Hier folget ein neuer Brief von der Clarissa, darin sie der Fraͤulein Howe von dem Nachricht giebt, was zwischen ihr und Herrn Lovelacen vorgegangen war. Sie ist auf eine edle Art uͤber sein Betragen misvergnuͤgt: und da sie von Men- nells Briefe schreibet, so bittet sie die Fraͤulein Howe abermahls, ihren Anschlag zur Reife zu bringen, und eine Zuflucht fuͤr sie zu besorgen, weil sie entschlossen sey, ihn zu verlassen. Allein in in einem andern Briefe, vom Montage, ist sie an- derer Me inung, nachdem sie das Schreiben der Fraͤulein Montague gelesen hat, und verlanget, die Unterhandlung mit der Townsend noch auf- zuschieben. „Mir war bey nah alles verdaͤchtig (schreibt „sie) was er von der Frau Fretchville und von „ihrem Hause gesaget hatte. Selbst Herr Men- „nell kam mir verdaͤchtig vor, ob gleich sein An- „sehen sehr gut ist. Nun ich aber sehe, daß „Herr Lovelace seinen Anverwandten davon „Nachricht gegeben hat, daß er dieses Haus mie- „then will, und daß die Fraͤuleins mich daselbst „besuchen wollen: so strafe ich mich selbst in mei- „nem Gemuͤthe, daß ich so argwoͤhnisch gewesen „bin, und ihn einer so niedertraͤchtigen Betruͤge- „rey beschuldiget habe. Er hat sich aber dieses „selbst zu dancken. Warum handelt er zu ande- „rer Zeit so wunderlich? und warum macht er „ohne Noth krumme Wege, und verwirret und „verstellet selbst seine Absichten, falls sie aufrich- „tig sind?„ Der dreißigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford. Mittewochens den 24sten May. Er giebt seinem Freunde Nachricht, was bey der Unterredung des Morgens S 4 vor- vorgefallen sey, und daß der Brief der Fraͤulein Montague seine erwuͤnschte Wirckung gethan habe: sie hoͤre dennoch aber noch nicht gantz auf, fremde gegen ihn zu thun. Er meint aber, das thue sie nur zum Schein. Er faͤhret fort: E s ist einem Frauenzimmer nicht moͤglich, bey einer solchen Angelegenheit gantz ehrlich zu seyn. Und warum muͤssen sie sich verstellen? Sie sehen es fuͤr eine allzugroße Schande an, das zu scheinen, was sie in der That sind. Jch beklagte die Unpaͤßlichkeit der Frau Fret- chville, weil ich dadurch gehindert wuͤrde. Jch bedaurete sehr, daß Frau Fretchville kranck geworden waͤre, und ich sie nunmehr nicht vor unserer gluͤcklichen Verbindung in dieses Haus bringen koͤnnte; in welchem sie jeder fuͤr eben so frey gehalten haben wuͤrde, als sie wuͤrcklich sey, und als noͤthig sey, wenn ihr Ja-Wort nach dem Urtheil der Welt ein recht freywilliges Ja-Wort heissen sollte. Es ginge mir der verdriesliche Umstand desto mehr zu Gemuͤthe, weil ich saͤhe, daß alle meine Basen ihr haͤtten die Aufwartung machen wollen, unterdessen daß Ehestiftung und alle uͤbrige Vorbereitungen zur Hochzeit und Haus- haltung zu Stande gebracht waͤren. Sonst um anderer Ursachen willen sey nicht viel daran gele- gen: denn so bald mein erwuͤnschtester Tag zuruͤck- geleget sey, koͤnnten wir nach der Forst, oder nach nach M. Hall, oder zu einer von meinen Basen reisen, und dadurch Zeit gewinnen, uns mit Be- dienten und allem was uns noͤthig waͤre zu ver- sorgen. Wie artig konnte mein Kind horchen! Jch fragte: ob sie die Pocken gehabt haͤtte? Jhre Mutter und Frau Rovton haͤtten im- mer daran gezweifelt. Ob sie sich gleich nicht fuͤrchtete, so wollte sie sich doch nicht ohne Noth in Gefahr begeben. ( Recht so! dachte ich, und antwortete) sonst haͤtte sie das Haus besehen koͤnnen, ehe wir auf das Land gereiset waͤren. Denn wenn es ihr nicht gefiele, so waͤre ich nicht schuldig es zu behal- ten: ich haͤtte mich zu nichts verbindlich ge- macht. Sie fragte, ob sie sich eine Abschrift von dem Briefe der Fraͤulein Montague ausbitten duͤrfte? Jch sagte: sie moͤchte den Brief selbst behalten, und ihn der Fraͤulein Howe schicken: denn ich glaubte doch, daß dieses ihre Absicht sey. Sie neigete sich sehr freundlich. Siehst du Bru- der! Sie wird bald ehrerbietig gegen mich werden. Was in des Teufels Nahmen! habe ich mein Kind durch meine ausschweifende Auffuͤhrung geschre- cket! Und doch ist es vielleicht gut gewesen, daß ich ihr eine Furcht vor mir beygebracht habe. Sie sagt, ich bin unhoͤflich: davon habe ich den Vor- theil, daß mir nun eine jede Hoͤflichkeit als etwas großes angerechnet wird. S 5 Als Als wir auf die Ehestiftung zu sprechen ka- men, so sagte ich: es sollte mir lieber seyn, wenn Pritchard, dessen meine Base in ihrem Briefe erwaͤhnete, nicht dabey zu Rathe gezogen waͤre. Pritchard waͤre zwar ein ehrlicher Mann, der unserer Familie schon von Vater und Großvater her gedienet haͤtte, und die Guͤter besser kennete, als ich oder mein Onckle: allein es ginge dem Pritchard, wie den meisten alten Leuten. Er sey langsam und voller Schwierigkeiten. Er bil- dete sich sehr viel auf sein Ein mahl Eins ein; und um nicht in den Verdacht zu kommen, als wenn er unrecht gerechnet haͤtte, ginge alles bey ihm langsam, wenn auch durch das Eilen eine kayser- liche Crone zu erhalten stuͤnde. Jch kuͤssete ihre Hand unterdessen fuͤnf mahl, ohne abgewiesen zu werden. Jesus! wie gnaͤdig war sie. Sie bat noch beynahe um Erlaubniß, als sie weggehen wollte, um das Schreiben der Charlotte noch einmahl zu lesen: ich glaube fast, sie beugete gar die Kniee vor mir; ich will es aber doch nicht fuͤr gewiß sagen. Wie gluͤcklich haͤt- ten wir schon laͤngstens seyn koͤnnen, wenn sie im- mer so gefaͤllig gegen mich gewesen waͤre. Denn ich mag gern geehret seyn, und ich habe dieses Gluͤck bestaͤndig genossen, ehe ich mit der stoltzen Schoͤnen bekannt ward. Nun sind wir auf dem rechten Wege, oder der lebendige Teufel muͤßte dahinter stecken. Eine jede Vestung hat ihre starcke und schwache Seite. Jch habe bisher die staͤrkste Seite angegriffen. Jch Jch hoffe, daß mein Sonnenschein sie endlich so betriegen soll, daß sie den Mantel ableget. Jch thue recht: denn die Fraͤulein Howe gebraucht eine Zollbetriegerin gegen mich. Wir warten nun mit Schmertzen auf meines Onckels Brief. Fast haͤtte ich vergessen, dir zu melden, daß ich durch einen besondern Umstand in große Un- ruhe gesetzet bin. Ein wohlgekleideter Mann hat sich gestern nach mir und meiner Liebsten er- kundiget. Er hat die Dorcas nach eines Kauf- manns Hause hohlen lassen, und ihr allerhand Fragen vorgeleget, insonderheit diese: ob wir getrauet waͤren, da wir doch beyde in einem Hau- se wohneten? Mein Kind ist hieruͤber voller Sorgen. Jch konnte mich nicht enthalten, ihr hiebey zu Ge- muͤthe zu fuͤhren, wie nuͤtzlich es uns jetzt sey, daß wir uns fuͤr verheyrathet ausgegeben haͤtten. Es sey vermuthlich, daß ihr Bruder diesen Mann abgeschicket habe: vielleicht wuͤrden wir weiter nichts von seinen Anschlaͤgen hoͤren, wenn er erst glaubte, daß wir verheyrathet waͤren. Es hatte das Ansehen, als wenn der Mann gern den Tag wissen wollte, an dem wir getrauet waͤren: al- lein Dorcas wollte weiter nichts sagen, als, daß wir wirklich getrauet waͤren, und sie war desto mehr geheim, weil er ihr nicht sagen wollte, in welcher Absicht er sich so genau erkundigte. Der Der ein und dreißigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Belford. Den 24sten May. D er Teufel soll meinen Onckel hohlen. Da hat er mir endlich einen Brief geschrieben, den ich nicht vorzeigen kann, wenn ich nicht den Vornehmsten in unserer Familie zum Narren ma- chen will. Er faͤllt mich mit einer Menge abge- schmackter Ermahnungen und Bestrafungen an. Jch dachte, er haͤtte seinen ganzen Vorrath schon in dem an dich geschriebenen Briefe erschoͤpfet. So lange mußte er den Brief zuruͤck halten, bis er den gantzen Schatz von Thorheiten gesammlet hatte. Der Hencker hohle seine Weisheit der Voͤlcker, wenn er sich solche Muͤhe geben muß, aus hundert Sententzen-Buͤchern einen dummen Brief zu machen, durch den er selbst laͤcherlich wird. Jndessen finde ich mich doch durch seine Narrheit aller Narrheiten sehr gestaͤrcket und er- quicket: denn Klugheit und Thorheit, Gutes und Boͤses sind doch einmahl in dem menschlichen Le- ben so gemischet, daß man eines ohne das andere nicht haben kann. Den eingeschlossenen Banck-Zettel habe ich der Fraͤulein schon uͤberreichet, und ihr einen Theil des Briefes vorgelesen. Allein sie will den Banck-Zettel nicht annehmen: und weil ich auch bey bey Geld bin, so werde ich ihn zuruͤck schicken. Es schien, als wenn sie gern den gantzen Brief lesen moͤchte. Jch sagte: ich wollte ihr gern den gantzen Brief uͤberreichen, wenn ich nicht dadurch die Person beschimpfete, die ihn geschrieben haͤtte. Sie antwortete: ich wuͤrde meinen Onckle nicht bey ihr dadurch herunter setzen: denn sie schaͤtzte das Hertz hoͤher, als den Kopf. Jch verstund sie wohl: allein ich bin ihr sehr wenigen Danck fuͤr diesen Grundsatz schuldig. Jch will ihr alles abschreiben, was in dem Briefe enthalten ist, das zu meiner Sache die- net. Doch, ich will haͤngen, wenn sie nicht fuͤr einen freywilligen Kuß den gantzen Brief haben soll. Sie hat den Brief weg, ohne ihn bezahlt zu haben. Der Teufel hohle mich, wenn ich Muth genug hatte, die Bedingung nur zu nen- nen, unter welcher ich ihn ihr zu geben gedachte. Du siehest abermahls, wie bloͤde dein Freund ist. Ein wahrhaftig tugendhaftes Frauenzim- mer kann die dreisteste Manns-Person drey Schritt vom Leibe halten. Jch glaube nun, so wahr ich lebe, daß unter zehn Frauensleuten die verfuͤhret werden, neune durch Leichtsinnigkeit oder durch Eitelkeit Anlaß dazu geben, oder daß sie es dem Mangel der Vorsichtigkeit zu dancken haben. Jch Jch wollte mir die Belohnung selbst nehmen, wenn sie mir den Brief wieder geben wuͤrde, der uns beyden so erwuͤnscht war. Sie schickte ihn mir aber versiegelt durch die Dorcas wieder zu. Jch weis nicht, ob etwa ein Paar Ausdruͤcke von der Art sind, daß sie sich scheuet, mich gleich nach Le- sung des Briefes zu sprechen. Jch lege den Brief bey; und schließe den meinigen, damit du ihn desto bequemer durchlesen koͤnnest. So bald die- ses geschehen ist, schicke ihn mir wieder zu. Der zwey und dreißigste Brief von dem Lord M. an Herrn Robert Lovelace. Dienstags den 23sten May. W enn man lange genug gelaufen hat, so muß man doch endlich umkehren. Berachten Sie meine Sprichwoͤrter nicht. Sie wis- sen, daß ich immer viel auf Sprichwoͤrter gehal- ten habe, und es wuͤrde besser fuͤr Sie seyn, wenn Sie eben so gesinnet gewesen waͤren. Jch wollte darauf schwoͤren, daß die artige Fraͤulein, durch die Sie bald gluͤcklich werden sollen, die Sprich- woͤrter in Ehren haͤlt: denn ich hoͤre, daß sie ei- nen guten Brief schreibet, und daß jede Zeile ei- ne Sententz enthaͤlt. Gott bessere Sie: das kann kann sonst niemand thun, als Gott und die Fraͤulein. Jch zweifele nun nicht mehr daran, daß Sie heyrathen werden, wie Jhr Vater und alle ihre Vorfahren gethan haben. Haͤtten die nicht ge- heyrathet, so koͤnnten Sie mein Erbe nicht wer- den: und Jhre Nachkommen koͤnnen Jhre Er- ben nicht seyn, wenn sie nicht aus rechtmaͤßigem Ehebette gezeuget sind. Es ist werth, daß Sie dieses wohl bedencken. Ein jeder raset ein- mahl: man laͤuft aber endlich die Hoͤrner ab. Jch hoffe, daß Sie auch endlich klug wer- den sollen. Jch weiß, daß Sie geschworen haben, sich an der Familie der artigen Fraͤulein zu raͤchen. Vergessen sie das jetzt! Sie muͤssen sie jetzt schon als Jhre Verwandten ansehen, und vergeben und vergessen. Wenn sie erst sehen, daß Sie ein liebreicher Mann und ein rechtschaffener Vater werden, (welches Gott um unser aller willen ge- ben wolle!) so werden sie sich daruͤber wundern, daß sie haben koͤnnen auf eine so thoͤrichte Weise. Jh- re Feinde seyn, und werden bey Jhnen um Ver- gebung bitten. So lange sie aber noch glauben, daß sie ein liederlicher Mensch sind, so koͤnnen sie ohnmoͤglich Liebe fuͤr Sie haben, oder ihre Toch- ter entschuldigen. Jch moͤchte gern der Fraͤulein ein Trost-Wort zusprechen, die ohne Zweifel voller Furcht ist, wenn sie daran gedencket, wie schwer es halten wird, einen so wilden Menschen in Zaum zu hal- ten. ten. Jch wollte ihr wohl sagen, daß sie durch starcke Gruͤnde und glimpfliche Worte alles wird ausrichten koͤnnen: denn ob Sie gleich sehr hitzig sind, so werden Sie doch durch gute Worte wie- der kuͤhl werden, und die Gemuͤths-Fassung erlan- gen, die zu ihrer Besserung noͤthig ist. Wollte Gott, daß meine arme selige Gemah- lin, ihre Base, die jetzund todt und bey Gott ist, durch diese Artzney zu bessern gewesen waͤre! Gott habe sie seelig! Jch will der Todten im be- sten gedencken. Denn erkennt man erst, was man verlohren hat, wenn man das Gute nicht mehr hat. Nun weiß ich, was ich an ihr gehabt habe: und wenn ich zuerst aus der Welt gegangen waͤre, so wuͤrde sie erfahren haben, was sie an mir verlohren haͤtte. Es ist ein sehr weiser Spruch: Gott schicke mir einen Freund, der mich bestraft! und wenn ich keinen Freund habe, so schicke er mir einen Feind, der mir meine Fehler vor- haͤlt. Nicht als wenn ich ihr Feind waͤre, das wissen Sie besser. Je hoͤher je demuͤthiger. Wenn Sie auch hoch sind, so nehmen Sie meine Ermahnung an. Bin ich nicht Jhr Onckle? Will ich nicht mehr an Jhnen thun, als Jhr Va- ter hat thun koͤnnen? Jch will so gar an ihrem Ehren-Tage Vaters-Stelle vertreten, weil Sie es verlangen. Machen Sie meine Empfehlung an meine liebe kuͤnftige Base, und sagen Sie ihr, ich wunderte mich, daß sie Jhr Gluͤck so lange ver- zoͤgerte. Geben Geben Sie ihr Nachricht, daß ich ihr (nicht Jhnen) mein Gut in Lancashire, oder die Forst schencken will. Sie soll jaͤhrlich von mir tausend Pfund Spiel-Gelder haben, damit Sie sehe, daß wir keine solche Familie sind, die sich auf eine nie- dertraͤchtige Weise ihres Ungluͤcks bedienen will. Sie koͤnnen alles dieses schriftlich haben, und nach Jhrem Belieben eine Ehestiftung machen. Der ehrliche Pritchard kann die Einkuͤnfte der Guͤter an den Fingern herzaͤhlen, und ist ein alter und treuer Bedienter. Jch empfehle ihn Jhrer Liebsten auf das beste. Jch habe ihn zu Rathe gezogen, und er wird Jhnen sagen koͤnnen, was Jhnen am vortheilhaftesten und mir am ange- nehmsten ist. Mein Podagra quaͤlet mich noch sehr; ich will aber doch mich in einer Saͤnfte hintragen lassen, so bald der Tag bestimmet ist. Es sollte mir eine hertzliche Freude seyn, Jhnen die Hand der Fraͤulein zu geben. Wenn Sie nicht der be- ste Mann werden, da Sie eine so gute Frau be- kommen, die so vieles fuͤr Sie gewaget hat, so will ich Jhnen gantz entsagen, und alles was ich habe der Fraͤulein und ihren Kindern vermachen, ohne, daß der Vater das geringste davon bekom- men soll. Wenn Sie noch eine weitere Versicherung brauchen, so will ich sie Jhnen geben, ob Sie gleich wissen, daß ich mein Wort bestaͤndig fuͤr mein Gesetz geachtet habe. Wenn die Harlowes Vierter Theil. T dieses dieses erfahren, so wollen wir sehen, ob sie sich schaͤmen koͤnnen. Jhre beyden Basen wuͤnschen den Tag zu wissen, der Sie zu einen andern Menschen ma- chen wird, um an denselben in der gantzen Gegend Lerm zu machen, und alle ihre Paͤchter unsinnig zu machen. Wenn einer von meinen Leuten bey der Gelegenheit nuͤchtern bleibt, so soll ihn Prit- chard wegjagen. Bey der Geburt des ersten Kindes will ich noch mehr fuͤr Sie thun, wenn es ein Junge wird, und alle Freuden-Bezeugun- gen sollen alsdenn wiederhohlet werden. Jch sollte billig fruͤher geschrieben haben: al- lein ich dachte, Sie wuͤrden von neuen an mich schreiben, und mir Nachricht geben, wenn Jhnen die Zeit zu lange waͤhrt, und Sie gern bald Hoch- zeit machen wollten. Mein Podagra war mir sehr beschwerlich, und Sie wissen, daß ich ohne- dem nur langsam schreibe, wenn ich auch wohl auf bin: denn ob ich gleich sonst sehr fertig war einen Aufsatz zu machen, wie der Lord Lexington zu sagen pflegte, so bin ich doch jetzt nicht mehr so fertig, nachdem ich mich lange Zeit nicht mehr geuͤbet habe. Jch will diesesmahl alles aus mei- nem Kopf und Gedaͤchtniß schreiben, und Jhnen meinen besten Rath mittheilen, weil ich nicht weiß, ob ich eine so gute Gelegenheit wieder bekomme. Sie haben immer (ach Gott gebe Jhnen ein an- deres Hertz) die boͤse Gewohnheit gehabt, allen meinen guten Rathschlaͤgen den Ruͤcken zuzukeh- ren: allein ich hoffe, daß Sie zum wenigsten die- ses ses mahl auf das mercken werden, was ich zu Jh- ren eigenen Besten sage. Jch habe noch einen Endzweck, ja noch zwey Endzwecke. Mein einer Endzweck ist dieser: Sie wollen sich jetzt eben verheyrathen, und so zu sagen die Hoͤr- ner ablegen: bey dieser Gelegenheit wollte ich Jhnen gerne einige gute Lehren geben, denen Sie im gemeinen Leben und in oͤffentlichen Geschaͤften folgen sollen, und die Sie billig zu Hertzen neh- men muͤssen, da ich es so gut meine. Sie wuͤr- den aber schwerlich meinem Rath der gebuͤhrenden Aufmercksamkeit gewuͤrdiget haben, wenn er Jh- nen nicht bey einer so ausserordentlichen Gelegen- heit gegeben wuͤrde. Die zweyte Absicht ist, daß Jhre liebe Fraͤu- lein, die wie es scheint, selbst so artige und weise Briefe schreiben kann, sehen moͤge, daß Sie nicht aus unserer Schuld, oder aus Mangel des guten Raths, bisher so verdorben sind. Nun will ich in wenigen Worten Jhnen sa- gen, wie Sie sich im Hause und in der Welt auf- zufuͤhren haben, wenn Sie mich anders wuͤrdigen meinen Rath anzunehmen. Jch will mich kurtz fassen, und desto weniger werde ich Jhnen ver- drießlich seyn. Was Jhre Auffuͤhrung im Hause anbelanget, so lieben Sie ihre Gemahlin, wie sie es verdie- net. Machen Sie, daß Jhre Wercke Sie preisen. Seyn Sie ein zaͤrtlicher Gemahl; machen Sie alle Jhre Feinde zu Luͤgnern, und T 2 zwingen zwingen Sie sie, daß sie sich schaͤmen muͤssen. Wir wollen uns eine Ehre daraus machen, wenn wir mit Wahrheit sagen koͤnnen: die Fraͤulein Harlowe hat weder sich selbst, noch ihre Fami- lie dadurch beschimpft, daß Sie zu unserer Fami- lie uͤbergegangen ist. Thun Sie das: so koͤnnen Sie meiner und Jhrer beyden Basen Liebe Zeit- Lebens versichert seyn. Jhre Auffuͤhrung in der Welt betreffend, sind dieses meine Wuͤnsche: wiewohl ich glaube, daß die Weisheit Jhrer Gemahlin ohnedem Jhr Leit-Stern seyn wird. Halten Sie das nicht fuͤr eine Schande: Verstand genug, allein wenig Weisheit haben Sie bisher gezeiget. Suchen Sie in das Parlament zu kommen, so bald als es moͤglich ist: denn Sie haben solche Gaben, daß Sie etwas rechtes darinne vorstellen koͤnnen. Wer ist geschickter dazu, seinen Rath zu geben, wenn neue Gesetze gemacht werden soll- ten, als derjenige, den alle alte Gesetze nicht im Zaum halten konnten? So lange Sie in S. Stephans Capelle Das Parlament kommt in S. Stephans Capelle zusammen. sind, (ich hoffe, Sie werden sich das nicht abschre- cken lassen, daß es eine Capelle heißt. Jch habe manchen wilden Lerm darin gehoͤrt. Der Spre- cher hat schlimme Zeit dabey. Allein wir Lords sehen mehr auf das Decorum. Aber was wollte ich doch sagen? Jch muß in das vorige zuruͤck se- hen). Jch sage, so lange Sie im Parlament- Hause Hause sind, so lange werden Sie nichts boͤses thun, zum wenigsten nichts boͤses im gemeinen Le- ben. Wenn Sie aber an dessen Stelle oͤffentli- che Suͤnden thun, die die gantze Republic beun- ruhigen, so wuͤnsche ich, daß es Jhnen eben so ge- hen moͤge, als dem heil. Stephanus. Wenn eine neue Parlaments-Wahl ist, so wissen Sie, daß Sie in zwey oder drey Staͤdten gewiß werden gewaͤhlet werden, wenn Sie wollen, und daß Sie selbst das Auslesen haben. Allein ich wollte lieber, daß Sie unsere Grafschaft vor- stelleten, wenn Sie bis auf eine neue Parlaments- Wahl warteten. Jch bin gewiß, daß Sie Freun- de genug haben, die Jhnen die Stimme geben: und weil Sie so wohl aussehen, so werden alle Weiber ihre Maͤnner zwingen Sie zu waͤhlen. Jch bin begierig Jhre Reden zu lesen, die Sie halten werden: denn ich glaube, daß Sie den allerersten Tag austreten werden, wenn sich eine Gelegenheit zeiget. Es fehlt Jhnen nicht an Dreistigkeit, und Sie haben so hohe Gedan- cken von sich und so niedrige von andern Leuten, daß Sie bey aller Gelegenheit reden werden. Was die Gewohnheiten und das Herkom- men des Parlaments anbetrift, so fuͤrchte ich, daß Sie sich allzu klug duͤncken sich darnach zu richten. Nehmen Sie sich in Acht. Jch befuͤrchte nicht, daß Sie unhoͤflich seyn werden. Sie verletzen nie den Wohlstand gegen Manns-Leute, wenn sie Jhnen nichts zuwider thun. Jch wuͤnschte nur, daß Jhnen der Widerspruch nicht unertraͤg- T 3 lich lich waͤre, da Sie sich so gern die Freyheit neh- men, andern zu widersprechen. Ob ich gleich nicht wollte, daß Sie ein Hoff- Schmeichler wuͤrden, so wuͤnsche ich doch auch nicht, daß Sie sich zu der Parthey der Misver- gnuͤgten schlagen sollen. Jch erinnere mich noch immer dessen, was mein alter Freund Archibald Hutcheson sagte; denn ich habe mir es gleich aufgeschrieben und es ist ein sehr weiser Gedan- cke: (mich duͤnckt, es war der Secretair Craggs, zu dem er es sagte) „ich glaube von der Regie- „rung, daß sie jedes mahl ein Recht an mein Ja „hat, wenn ich ihr meine Stimme mit gutem Ge- „wissen geben kann. Denn das Unterhaus soll „es der Regierung nie ohne Noth schwer machen. „Es ist mir jedesmahl leid gewesen, wenn ich ihr „meine Stimme nicht habe geben konnen; und „ich haͤtte aus Liebe zu meinem Vater-Lande im- „mer gewuͤnschet, daß die Absicht der Regierung „von der Art gewesen waͤre, daß ich sie mit gutem „Gewissen haͤtte befoͤrdern helfen koͤnnen.„ Er hat noch einen andern merckwuͤrdigen Spruch gehabt. Er lautete also: „es ist eben so „wenig glaublich, daß die bestaͤndig Unrecht ha- „ben, die sich der Regierung widersetzen, als daß „die Regierung immer Unrecht haben sollte. Wer „deswegen der einen Parthey bestaͤndig zuwider „ist, der verraͤth eine geheime und boͤse Absicht, „die er sich scheuet zu offenbahren.„ Sind diese Gedancken nicht gut? Sind sie werth verachtet zu werden? Und warum verach- ten ten Sie mich denn, daß ich solche Spruͤche in Eh- ren halte? Jch kann Jhnen sagen, daß es gewiß Jhr Schade nicht gewesen seyn wuͤrde, wenn Sie den Umgang mit mir fleißiger gesucht haͤtten. Jch kann das ohne Hochmuth sagen: denn es ist anderer Leute Weisheit, und nicht meine eige- ne, die ich so hoch schaͤtze. Jch muß noch ein Paar Worte bey dieser Gelegenheit hinzu thun, die ich vielleicht nie so gut wieder bekomme: denn Sie sind gezwungen, diesen Brief gantz durch zu lesen. Lieben Sie tugendhafte und redliche Leute, und gesellen Sie sich zu ihnen, es mag in oder außer dem Parlament seyn, und sie moͤgen fuͤr Titel haben, was fuͤr welche sie wollen. Durch gute Gesellschaft wird man fromm. Habe ich Jhnen aber nicht eben dieses schon sonst ge- schrieben? Wenn man so oft und so viel geschrie- ben hat, so vergißt man es endlich selbst. Sie koͤnnen sich wegen des hoͤhern Adels bey dem Koͤnige melden, wenn ich toͤdt und abgeschie- den bin. Gott habe mich seelig! Jch wollte gern, daß Sie den Ausschlag geben koͤnnten. Wenn Sie einmahl den Ruhm erlangen, daß Sie ein Redner sind, so werden Sie alles erhalten koͤn- nen: und Sie sind in der That schon von Natur beredt, und haben eine Zunge, die einen Engel verfuͤhren koͤnnte, wie die Frauensleute sagen, und zwar einige zu ihrem Kummer: die armen Dinger! Ein angesehener Redner in dem Unter- Hause ist wahrhaftig etwas großes, weil das Un- ter Haus das Geld giebt, und das Geld die T 4 Maͤre Maͤre gehend macht, und auch wohl Koͤni- ginnen und Koͤnige zwinget, einen andern Weg zu gehen, als sie sonst wuͤrden gegangen seyn. Jch dencke aber fast, daß es am besten waͤre, wenn Sie nie eine Bedienung von dem Koͤnige annehmen. Sie werden noch einmahl so viel Lie- be und Hochachtung haben, wenn man glaubt, daß Sie dieses nie thun werden. Denn weil Sie niemanden in dem Wege stehen, so wird nie- mand Sie beneiden, Sie werden bey jedermann ein aͤchte Hochachtung haben, und beyde Theile werden sich um Jhre Freundschaft bewerben. Sie brauchen nicht, wie andere, eine Bedie- nung, damit Sie sich aus den Schulden helfen und etwas verdienen. Wenn Sie jetzt mit 2000 Pfund so auskommen koͤnnen, daß Sie Ehre da- von haben; so wird es Jhnen nicht schwer seyn, kuͤnftig mit 7 bis 8000 Pfund Haus zu halten. Denn weniger sollen Sie gewiß nicht haben, wenn Sie mir Freude machen; und Sie koͤnnen mir keine groͤßere Freude machen, als wenn Sie diese artige Fraͤulein heyrathen. Und darunter ist das noch nicht begriffen, was Sie von der Lady Eli- sabeth, und von der Lady Sara zu erwarten ha- ben. Was fuͤr ein Teufel ist in die stoltzen Har- lowes gesahren! sonderlich in den Sohn, in den wunderlichen Sohn! Allein um seiner unver- gleichlichen Schwester willen enthalte ich mich, mehreres zu sagen. Mir ist niemahls eine Bedienung angetragen worden, und die eintzige, die ich angenommen haͤtte, haͤtte, waͤre die Stelle eines Ober-Jaͤgermei- sters gewesen. Denn in meiner Jugend war ich ein Liebhaber von der Jagd: und ein solcher Nah- me klinget bey uns, die wir auf dem Lande woh- nen, vornehm. Jch habe oft an das alte vor- treffliche Sprichwort gedacht: wer des Koͤniges Gaͤnse isset, der ersticket an den Federn. Jch wuͤnschte zu Gott, daß dieses die Leute wissen moͤch- ten, die nach den Bedienungen laufen: es wuͤrde fuͤr sie und fuͤr ihre arme Familien besser seyn. Jch koͤnnte noch viel nuͤtzliches schreiben: ich bin aber muͤde zu schreiben, und ich glaube, daß Sie eben so muͤde sind, zu lesen. Und uͤber dieses will ich auch etwas auf die Zeit versparen, wenn ich Sie zusprechen bekomme. Die beyden Fraͤuleins Montague und mei- ne beyden Schwestern bestellen nebst mir ihre Em- pfehlung an unsre neue Base. Wenn Sie Lust hat, bey uns die gluͤckliche Verbindung zu schlies- sen, so melden Sie ihr: wir wuͤrden darauf sehen, daß sie sicher ginge. Die gantze Gegend soll eine gantze Woche lang laͤuten und schmausen. Jch glaube, ich habe das schon oben geschrieben. Wenn noch etwas zu Beschleunigung Jhres beyderseitigen Gluͤcks erfodert wird; so geben Sie mir Nachricht davon: wie auch, was fuͤr einen Tag Sie bestimmet haben, und von allen derglei- chen Dingen. Der eingelegte Banck-Zettel ste- het Jhnen zu Diensten. Gott segne Sie beyderseits, und mache mein Padagra so ertraͤglich, als es seyn kann. Es sey T 5 wenn wenn es wolle, so will ich zu Jhnen hin hincken: denn ich sehne mich recht darnach, Sie zu sehen; und eben so sehr sehne ich mich nach meiner neuen Base. Jch verharre unter Erwartung dieser gluͤcklichen Zeit Jhr verbundenster Onckel M. Der drey und dreyßigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford. Dienstags den 25sten May. D u siehest, Belford, was fuͤr guten Wind wir jetzt haben. Jch darf nur ein Wort sagen, wenn ich das liebe Kind sprechen will, so kommt es. Jch sagte gestern Abend zu der Fraͤu- lein: ich fuͤrchtete, daß Pritchard all zu lange zaudern moͤchte; deswegen wollte ich meinem Onckle es uͤberlassen, seine Freude uͤber unsere Verbindung zu bezeigen, wenn und wie er selbst wollte. Jch hatte indessen diesen Nachmittag meinen Aufsatz einem beruͤhmten Rechtsgelehrten, Nahmens Williams, uͤbergeben, und ihn er- sucht, eine Ehestiftung zu machen, dabey er mei- ner Mutter Ehestiftung zum Grunde legen koͤnn- te, die ich ihm zugleich uͤbergeben haͤtte. Es habe mir bisher zum groͤßesten Kummer gereichet, daß ihr oͤfteres Misvergnuͤgen gegen mich und unser bey- beyder Misverstaͤndniß mich gehindert haͤtten, vorher mit ihr davon zu reden. Gewiß, gewiß, mein liebstes Kind, ich habe bisher die Rosen sehr unter den Dornen suchen muͤssen. Sie schwieg stille, und zwar auf eine freund- liche Art. Denn ich wußte wohl, daß sie mich durch ihre Verantwortung haͤtte in die En- ge treiben koͤnnen. Jch that es aber eben deswe- gen, damit ich sehen moͤchte, ob sie scheu wuͤrde, etwas mir misfaͤlliges zu sagen. Jch setzte hinzu: ich troͤstete mich damit, daß nunmehr meine Schwie- rigkeiten zu Ende giengen, und daß alles bisherige unangenehme vergessen werden wuͤrde. Es ist wahr, Belford, ich habe meine Auf- saͤtze dem Herrn Williams uͤbergeben; und ich erwarte seinen Entwurf auf das laͤngste in acht Tagen. Alsdenn bin ich doppelt gewaffnet. Denn wenn ich stuͤrme und abgeschlagen werde, so kann ich sie durch die Ehestiftung so lange besaͤnf- tigen, daß sie den zweyten Sturm abwartet. Jch habe noch mehr Vorschlaͤge, die noch nicht voͤllig reif sind. Jch koͤnnte dir 100 davon sagen; und noch hundert (mit dem untruͤglichen Vater) in petto behalten, und mich ihrer bey Gelegenheit bedienen, um dich durch das Unerwartete auf- mercksamer zu machen. Sey nicht boͤse daruͤber. Wenn du mein Freund bist, so erinnere dich, was die Howe geschrieben hat, und was sie fuͤr schel- mische Anschlaͤge machet. An allen dem sind die Nachrichten Ursache, die meine Gefangene ihr er- theilet. Ein Boͤsewicht, ein Narre, ein Beel- zebub zebub heiße ich doch schon: ob ich mich gleich nicht das geringste Boͤse unterstanden habe. Das liebe Kind antwortete mit niedergeschla- genen Augen und einem schamrothen Gesichte; es uͤberliesse alle Dinge von dieser Art lediglich mir. Jch schlug vor, ob wir uns in meines Onckels Capelle wollten trauen lassen, da die Lady Elisa- beth, die Lady Sara, und die Fraͤuleins Mon- tague zugegen seyn koͤnnten. Sie schien nicht Lust dazu zu haben, daß die Trau- ung oͤffentlich seyn sollte, und setzte die Ueberlegung dieser Sache bis auf eine andere Zeit aus. Jch glaubte, daß ihr mit einer oͤffentlichen Trauung eben so wenig gedienet seyn wuͤrde, als mir; und drang nicht weiter in sie. Jch zeigte ihr Proben von Stoffen, und ein Kaufmann sollte noch diesen Tag Juwelen brin- gen, darunter sie das beste auslesen moͤchte. Sie wollte aber die Proben nicht ansehen, sondern sag- te seufzend, es waͤren die zweyten Proben die ihr vorgelegt wuͤrden. Sie verbot dabey schlech- terdings, den Juwelen Haͤndler nicht kommen zu lassen; und wollte auch nicht zugeben, daß ich (zum wenigsten vor jetzund) meiner Mutter Ju- welen von neuen einfassen lassen sollte. Glaube, Belford, alles dieses war mein Ernst. Alle meine Guͤter sehe ich fuͤr Nichts an, wenn ich die gewuͤnschte Gefaͤlligkeit von ihr er- halten kann. Sie sagte hierauf: sie haͤtte ihre Antwort auf meine Vorschlaͤge schriftlich aufgesetzet, und sich auch auch wegen der Kleidung und Juwelen erklaͤret. Sie haͤtte aber das Papier zerrissen, da ich ihr am Sonntage so uͤbel begegnet waͤre, ohne daß sie es im geringsten verschuldet haͤtte. Jch bat sie in- staͤndig, mich die Antwort, so zerrissen wie sie waͤ- re, lesen zu lassen. Sie bedachte sich: endlich gieng sie weg, und schickte sie mir durch Dorcas zu. Jch las sie von neuen: und ob ich sie gleich vor so kurtzer Zeit schon gelesen hatte, so schien sie mir doch fast neu. Bey meiner Seelen, ich konnte mich kaum halten. Jch rief hundertmahl in mei- nem Hertzen aus: unvergleichliches Kind! Jch befehle dir aber, kein Wort zu schreiben, das eine Vorsprache fuͤr sie heissen kann, wenn du ihr an- ders wohl willst. Wenn ich ihrer schone, so muß es blos aus eigener Bewegung geschehen. Du kannst leicht dencken, daß ich von Lobes- Erhebungen, von Danckbarkeit, und von unauf- hoͤrlicher Liebe uͤberfloß, als ich abermahls vor sie gelassen ward. Aber da steckt der Teufel hinter: alles, was ich sage, hoͤrt sie an und bleibt dennoch fremde: oder, wenn ich nicht glauben soll, daß sie sich zwinget fremde zu seyn, so hoͤrt sie es an, und haͤlt es fuͤr meine Schuldigkeit es zu sagen; denn sie wird gar nicht dadurch geruͤhret. Einige Frau- ensleute kann man durch Lob und Schmeicheley betriegen. Jch selbst mag mich gern loben hoͤren. Vielleicht wirst du sagen, daß sich diejenigen am meisten auf das Lob einbilden, die es am wenig- sten verdienen; so wie die am begierigsten nach Reichthum und Ehre sind, die zu Armuth und Nie- drig- drigkeit gebohren sind. Jch gestehe es, man muß einen Geist haben, wenn man uͤber diese Schwach- heiten hinweg sehen will. Allein habe ich denn keinen Geist? Den wirst du mir nicht absprechen. Siehe mich demnach als eine Ausnahme von der Regel an. Nun habe ich einen Grund, deswegen ich so und nicht anders handeln muß. Mein Onckle hat eben bey den fieberhaften Anfaͤllen seiner Frey- gebigkeit beschlossen, der Fraͤulein tausend Pfund Spiel. Gelder auszusetzen. Wenn ich die Fraͤulein heyrathe, so wird er ihr, und nicht mir, alles ver- machen, was er mir zu vermachen gedachte. Er hat so gar gedrohet, mir alles zu entziehen, was ich von ihm zu hoffen habe, wenn ich nicht der be- quemste Mann fuͤr sie bin. Er bedenckt nicht, daß ein so unvergleichliches Frauenzimmer nie mit seinem Manne uͤbel zufrieden seyn kann, ohne ihn zu beschimpfen: denn wer wird ihr Unrecht ge- ben? Eine neue Ursache, die Lovelacen abhaͤlt, die Clarissa zu heyrathen! Mein Onckle hat gewiß viel Verstand, daß er die Frau in solche Umstaͤnde setzen will, darin sie frey und ungebunden ist, und zuletzt ihrem Gebie- ter den Gehorsam aufkuͤndigen wird. Er selbst hat erfahren, was fuͤr Folgen daraus entstehen, wenn die Frau des Mannes nicht noͤthig hat. Meine Geliebte verlanget in ihrem zerrissenen Auf- satz nicht mehr als 200 Pfund des Jahres zu ih- ren besondern Ausgaben. Jch drang darauf, daß sie eine ansehnlichere Summe bestimmen sollte. Sie Sie sagte, so moͤchten es denn 300 seyn. Damit sie sich auf noch mehreres Rechnung machen moͤch- te, so erboth ich mich gleich zu 500, und versprach es ihr voͤllig zu uͤberlassen, was sie mit dem Gelde machen wollte, das ihr Vater von ihr in Haͤnden haͤtte, ob sie wollte die Frau Norton davon ver- sorgen, oder andern Wohlthaten zufließen lassen. Sie sagte, die gute Frau wuͤrde nur un- ruhig werden, wenn sie mehr fuͤr sie thaͤte, als etwas mittelmaͤßiges. Sie machte gern die Einrichtung in allen, was sie schenckte, nach der bisherigen Lebens- Art der Leute. Wenn man weiter ginge, so verursachte man nur dadurch, daß sich der, dem man wohl wollte, durch weit ausse- hende Anschlaͤge in Unruhe setzte, oder man mach- te, daß sie sich in ihre neue Umstaͤnde nicht schicken koͤnnten, da sie doch in ihren bisherigen Umstaͤn- den durch ihre Auffuͤhrung bestaͤndig Ruhm er- halten haͤtten. Eine so guͤtige und kluge Mutter wuͤrde weiter nichts verlangen, als so viel, daß sie ihren Sohn zur rechten Zeit zu der Lebens. Art, die er erwaͤhlet haͤtte, aussteuren koͤnnte, und da- bey selbst noch so viel uͤbrig behielte, daß sie weder Mangel litte, noch noͤthig haͤtte, kuͤnftig von ih- rem Kinde das wieder anzunehmen, was sie ihm gegeben haͤtte. Das ist Klugheit, das ist ein rechtes Urtheil bey so jungen Jahren! Wie boͤse bin ich auf die Harlowes, daß sie einen solchen Engel hervorge- bracht haben! Warum hat das Kind nicht mei- ne aufrichtige Bitte statt finden und sich mir an- trauen trauen lassen, ehe wir in das verfluchte Haus ge- kommen sind? Und wie kraͤnckt es demnach mei- nen Hochmuth, daß diese erhabene Schoͤne nicht durch Liebe wuͤrde koͤnnen regieret werden, wenn ich heyrathete, sondern entweder blos durch Edel- muͤthigkeit oder durch blinden Gehorsam gegen ih- re Pflichten, und daß sie das einzelne Leben einer Verbindung mit mir vorziehet! Das ist mir unertraͤglich. Wenn ich jemahls in meinem Leben ein Frauenzimmer durch Mit- theilung meines Nahmens ehre, so verlange ich, daß es so gar seine Pflichten gegen Gott um mei- netwillen aus den Augen setzen soll. Wenn ich ausgehe, so soll es mir nachsehen, so lange es mich sehen kann, wie mein Rosenknoͤspchen dem Haͤns- chen: und es soll mich mit Entzuͤckung empfan- gen, wenn ich nach Hause komme. Es soll von mir traͤumen und den gantzen Tag an mich geden- cken. Es soll alle Augenblicke vor verlohren hal- ten, die es ohne mich zubringet: es soll mir vor- singen, vorlesen, vorspielen wenn ich Lust dazu ha- be: und seine groͤßte Freude soll in Gehorsam ge- gen mich bestehen. Wenn ich Lust habe zu lieben, so soll es mich in der Liebe uͤbertreffen: wenn ich die Einsamkeit suche, und es will sich zu mir draͤn- gen, so muß es mit Ehrfurcht geschehen; mache ich eine krause Stirne, so muß es weggehen, und sich mir naͤhern, wenn ich laͤchele. Es muß sich stillschweigend zu mir stehlen, und leise weggehen, wenn ich ihm den Scepter nicht reiche. Es muß mit allen meinen Vergnuͤgungen zufrieden seyn, und und die am hoͤchsten schaͤtzen, die mich am meisten vergnuͤgen. Heimlich darf es seufzen, daß es nicht selbst mein groͤßtes Vergnuͤgen ist. So machten es ehemahls die eifersuͤchtigen Weiber der ehrli- chen Altvaͤter. Eine jede both ihrem Ober- herrn ihr Cammer Maͤdchen an, wenn sie glaubte, daß er Lust dazu haͤtte, und ließ sich mit Freuden Kinder auf den Schos hecken, die sie fuͤr die ihri- gen hielt. So gefaͤllig Waller ist, so sagt er doch: das Frauenzimmer ist dazu gebohren, daß es gehorchen soll. Das wußte er, ob er gleich noch so gefaͤllig war. Ein harter Mann macht eine gute und ge- horsame Frau. Warum lieben die Frauenzim- mer liederliche Leute, als weil sie wissen, daß diese die geschicktesten sind, sie zu beherrschen, und ihren veraͤnderlichen Willen bestaͤndiger zu machen? Abermahls eine vergnuͤgte Unterredung, die von dem Tage aller unserer Tage handelte. Ein gewisser Tag braucht nicht bestimmt zu werden, bis die Ehestiftung richtig ist. Wenn ich mich in meines Onckels Capelle trauen liesse, und meine Verwandtinnen gegenwaͤrtig waͤren: so wuͤrde es gar zu oͤffentlich werden. Und mein Kind bemerck, te nicht ohne Misvergnuͤgen, daß mein Onckle ei- ne oͤffentliche Lustbarkeit daraus zu machen suchte. Jch sagte: Wenn sich mein Onckle hieher tragen liesse, so koͤnnte ich mir nicht anders vor- Vierter Theil. U stellen, stellen, als wenn sie auf seinen Guͤtern und in Bey- seyn aller meiner Verwandtinnen gefeyret wuͤrde, sonderlich da er an der Pracht so vieles Vergnuͤ- gen faͤnde. Sie antwortete: eine oͤffentliche Hochzeit sey ihr unertraͤglich. Es wuͤrde das Ansehen haben, als wenn sie den Jhrigen trotzen wollte. Wenn mein Onckle es nicht ungnaͤdig naͤhme, (wie sie denn hoffete, daß er sich diese Aenderung gefallen lassen wuͤrde, da sie an der ersten Einladung keinen An- theil gehabt haͤtte) so wollte sie sich des Vergnuͤ- gens und der Ehre begeben, dazu ihr seine Gegen- wart in andern Umstaͤnden gereichen wuͤrde; inson- derheit weil sie alsdenn nicht genoͤthiget waͤre, ei- nen Staat in Kleidern zu machen. Denn es waͤ- re ihr ohnmoͤglich, sich herauszuputzen, da ihre El- tern noch in Thraͤnen schwaͤmmen. Wie schoͤn ist das, wenn ihre Eltern nicht ver- dieneten, in Thraͤnen zu schwimmen! Siehe Belford, mit einem solchen Frauen- zimmer koͤnnte ich meiner Meinung nach schon al- les ausgemacht haben, und doch kaum auf der er- sten Stuffe stehen. Jch war der Gehorsam und die Verleugnung selbst. Jch hatte keinen andern Willen, als den ihrigen. Jch stand auf, und schrieb so gleich an meinen Onckle, und als sie den Brief nicht misbil- ligte, schickte ich ihn weg. Jch habe keine Ab- schrift behalten, der Haupt-Jnhalt aber war: „ich „sey seiner Gnaden sehr fuͤr die mir zugedachte „Guͤtigkeit verbunden, daß sie mich bey der wich- „tigsten „tigsten Veraͤnderung in meinem Leben mit ihrer „Gegenwart haͤtten beehren wollen: das unver- „gleichliche Frauenzimmer, welches er mit so vie- „lem Recht lobete, glaubte, daß seine Gnade et- „was zu weit ginge. Sie wuͤnschte in der Stille „zu bleiben, bis eine Aussoͤhnung mit ihrer Fami- „lie bewuͤrcket waͤre, wenn sie nur wuͤßte, daß mei- „ne Anverwandten ihr dieses nicht veruͤbeln wuͤr- „den. Sie erkennete zwar mit Danck, daß er die „Gnade haben wollte, bey unserer Verbindung ge- „genwaͤrtig zu seyn: weil sie aber glaubte, daß er „diesen guͤtlichen Entschluß blos in der Absicht ge- „fasset haͤtte, ihr eine Ehre zu erzeigen, und sich „sonst nicht zu einer so beschwerlichen Reise ent- „schlossen haben wuͤrde: so unterstuͤnde sie sich nicht „seine Gnaden hierin zu bemuͤhen, und verhoffete, „es wuͤrde dieses von ihm so guͤtig aufgenommen „werden, als wohl es von ihm gemeint sey. Die „ Forst wuͤrde der beste Ort seyn, da wir uns auf- „halten koͤnnten, und dieser Aufenthalt gefiele uns „desto besser, weil ihre Gnaden ihn selbst fuͤr uns „zu waͤhlen schienen, wenn er es indessen fuͤr gut „faͤnde, so wollte ich lieber der Fraͤulein eins von „meinen Guͤtern verschreiben: ich lies hiebey al- „les auf seine Guͤtigkeit ankommen. Den uͤber- „sandten Banck-Zettul haͤtte ich der Fraͤulein uͤber- „reichet; allein da diese ihn anzunehmen verbeten „haͤtte, und ich jetzund kein Geld brauchte, so schickte „ich ihn mit gehorsamsten Danck zuruͤcke.„ Jst das nicht ein verflucht langwieriger Um- weg? Wie klein wuͤrde ich in den Jahr-Buͤchern U 2 der der Verfuͤhrer des Frauenzimmers angeschrieben stehen, wenn ich mich doch endlich in meiner eige- nen Schlinge fangen ließe? Die Frauensleute moͤgen sagen, was sie wol- len. Ein armer unschuldiger Tropf hat Ursache sich in Acht zu nehmen, wenn er an dem Rande des Ehebettes taumelt. Mancher weichherziger Kerl hat im Spaaß angefangen, weil er Lust hat- te, auch einmahl verliebt zu thun: und ist gezwun- gen worden, seinen Spaaß in Ernst zu verwan- deln, weil er bey seinem Worte gehalten ist, und nicht Muth genug hatte zu gestehen, daß das nie seine Absicht gewesen sey, die das Frauenzimmer fuͤr seine Absicht hielt. Jch kann mir es desto leichter vorstellen, wie es manchem Schleicher ge- gangen ist: da ich alter Practikus, der ich das an- dere Geschlecht so gut kenne als ein Mensch auf der Welt, bisweilen selbst nicht weiß, was ich aus der Sache machen soll. Die losen Schaͤlcke liegen und lauren wie die Wachtel-Hunde, und so bald wir unschuldigen Kin- der ihnen zu nahe kommen, so springen sie auf uns los. Wenn erst das Eis gebrochen ist, so ei- len sie gleich nach dem Hafen. Wovon sie am wenigsten reden duͤrfen, daran dencken sie am meisten. Wir koͤnnen nicht so fruͤh von der Trauung reden, daß nicht schon alle kleinsten Um- staͤnde in dem Rath der Goͤttinnen beschlossen seyn sollten. Die kleinen schelmischen Kinder. Erst fangen sie sich, und nachher uns. Dem Dem allen sey wie ihm wolle. Der Lord M. hat nie einen so hoͤflichen Brief erhalten, von sei- nem Vetter Lovelace. Nachdem die Fraͤulein in ihrem Schreiben eben diese Umstaͤnde gemeldet hat, druͤcket sie sich also aus: „Es ist ein großer Trost fuͤr mich, daß ich, die „ich alle meine Freunde, (eine eintzige Freundin „ausgenommen) verlohren habe, so viel neue Freun- „de bekommen, als Herr Lovelace Anverwandten „hat, wenn ich ihre Freundschaft nur nicht selbst „verschertze: und zwar dieses sowohl wenn Herr „ Lovelace mir gut, als wenn er mir uͤbel be- „gegnet. Vielleicht wird der Nahme und der „Rang dieser neuen Freunde mir die verschertzte „Liebe meiner Anverwandten wieder zuwege brin- „gen. Ehe dieses nicht geschiehet, werde ich nie- „mahls auch nur mittelmaͤßig ruhig seyn: ver- „gnuͤgt aber kann ich in meinem Leben nicht wie- „der werden. Herr Lovelaces Gemuͤth ist von „dem meinigen gar zu sehr und in gar zu wichti- „gen Stuͤcken verschieden. Bey denen Umstaͤn- „den, in denen wir uns jetzt befinden, muß ich sie „bitten alles bey sich zu behalten, was ich Jhnen „Nachtheiliges von ihm entdecke. Nichts ist we- „niger zu vergeben, als wenn eine Frau ihren „Mann beschimpfet: und es wird doch mein Schick- „sal vermuthlich seyn, daß ich die Seinige werde. „Wenn sie etwas zu seinem Nachtheil saget, so „wird es eben so angesehen, als sagte sie es selbst. U 3 Es „Es soll dieses mein bestaͤndiges Gebet seyn, „daß sie alles moͤgliche Gluͤck dieses Lebens schme- „cken moͤgen, und daß es weder Jhnen noch Jh- „ren spaͤten Nachkommen jemahls an einem so „aufrichtigen Freunde mangeln moͤge, als Anna „Howe gewesen ist gegen „Jhre Clarissa Harlowe. „ Herr Lovelace sucht in dem naͤchsten Briefe seinem Freunde ein Beyspiel von der Fruchtbarkeit seines Gehirns zu geben: deswegen meldet er ihm, wie er sich an der Fraͤulein Howe raͤchen koͤnnte, wenn sie nach der Jnsul Wight reisete. Denn er hat vernommen, daß sie in Begleitung ihrer Mutter und des Herrn Hick- manns eine reiche Base auf dieser Jnsul besu- chen will, welche sie und ihrem Braͤutigam zu se- hen verlanget, ehe sie einander heyrathen. Weil er aber diesen Vorschlag nicht in das Werck zu richten gedenket, so lassen wir den Brief aus. Der vier und dreyßigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. W enn dir mein Anschlag wider die Fraͤulein Howe nicht gefaͤllt, so habe ich schon drey bis vier andere im Kopf, welche mir eben so gut und dir vielleicht besser gefallen. Du brauchst dich dich nur von deiner jetzigen Verbindung los zu machen, alsdenn sollst du waͤhlen, was ich zu thun habe. Deine drey Bruͤder muͤssen thun, was ich befehle, und du mußt es ebenfalls thun: warum waͤre ich sonst euer General? Doch ich verspare dieses bis auf die rechte Zeit. Du weißt, daß ich mich nie zu etwas voͤllig entschließe, bis der Augenblick da ist, da es ausgefuͤhret werden soll: alsdenn aber ist der Blitz nicht geschwinder als ich bin. Jch komme wieder auf das, was mir am Her- tzen liegt. Kannst du es glauben, daß mir so viele An- schlaͤge gegen meine Gloriana hauffenweise in den Kopf kommen, daß ich beynahe nicht weiß, welchen ich waͤhlen soll. Sechs fuͤrstliche Einfaͤlle kann ich dir nennen, unter denen keiner mislin- gen kann. Da aber das liebe Kind kein Beden- ken getragen hat mir Muͤhe zu machen, so erfo- dert die Danckbarkeit, daß ich mein Pulver auch nicht spare, sondern naͤchstens ein Paar Minen springen lasse, durch deren Schrecken es betaͤu- bet wird. Du erinnerst dich, was Hector, der sonst gewiß kein Prahler ist, in dem Troilus des Sha- kespeare zu dem Achilles sagt. Jch kann dieses mit einiger Veraͤnderung auf dieses allzu wachsame Frauenzimmer deuten, nachdem es mich so lange geplaget hat, und ich nunmehr mei- nes Sieges voͤllig versichert bin. Stelle dir vor, daß ich mein Kind vor mir habe, und es von Haupt U 4 bis bis auf die Fußsohlen betrachte, so werden die Worte also lauten: Von nun an huͤte dich, mein allzu wach- sam Kind, Jch will nicht da, nicht da, nicht da, nicht dort dich toͤdten. Hier stehen zwey Verse, welche der Uebersetzer nicht gern in dem Deutschen mittheilen wollte. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ So stirbt dir jedes Glied. Verzeihe mir mein Prahlen, O Belford, Weisester, den je ein Weib gebahr, Jch muß die Wachsamkeit mit Schelmerey bezahlen, Und was du Prahlen nennst, das macht der Ausgang wahr: Sonst will ich nimmermehr ‒ ‒ Jch stelle mir vor, du seyest Ajax, und su- chest meine Hitze mit den Worten zu maͤßigen: ‒ ‒ Sey nicht zu heiß und drohe nicht zu viel, Bis dir das Gluͤck erlaubt dein Drohen wahr zu machen. Was meinst du Bruder? Daß ich ein ver- fluchter Kerl bin? Wenn ‒ ‒ Wenn! kein Wenn. Morgen werde ich sehr kranck seyn. Jch weiß es gewiß. Kranck? Der Teufel, warum sollst du kranck seyn? Um Um mehr als einer Ursache willen, Belford. Jch moͤchte gern eine einzige hoͤren. Kranck! Unter allen Schelmereyen haͤtte ich auf diese am wenigsten gedacht. Vielleicht meinst du, ich suchte die Fraͤulein an mein Bette zu bringen, die Schelmerey ist schon grau und alt! vor 3000 Jahren hat sie schon ein Bruder gebrauchet. Mir wuͤrde es lieber seyn, wenn ich ihrem Bette koͤnnte nahe kommen. Doch ich will mich herablassen und dich eben so weise machen als ich bin. Jch bin voller Unruhe uͤber den Anschlag der Fraͤulein Howe. Jch zweifele nicht daran, daß sie von mir fliehet, wenn ich einen vergeblichen Versuch thue, und sie fliehen kann. Jch glaubte ehemahls sie haͤtte mich lieb: allein nun zweifele ich daran; zum wenigsten glaube ich nicht, daß sie mich mit solcher Jnbrunst liebet, mir eine vor- setzliche und vorher uͤberlegte Suͤnde zu vergeben. Was wird es dir aber helsen, wenn du kranck bist? Geduld! Jch gedencke so kranck nicht zu seyn als Dorcas mich machen soll. Aber ich werde greulich Athem holen, und etwas geronnenes Ge- bluͤte ausspeien. Es wird gewiß eine Ader in der Lunge gesprungen seyn. Jch werde eine Bou- teille von Fatons Blut stillender Medicin holen lassen, allein keinen Doctor, Wenn sie noch et- was menschliches hat, so wird es ihr nahe gehen. Hat sie aber Liebe, so wird gewiß die Liebe wieder U 5 zum zum Vorschein kommen, und sich in ihren Augen, ja in jedem Zuge ihres Gesichtes zeigen. Jch will gantz getrost bey der Sache seyn, und mich weder fuͤr Tod noch fuͤr Kranckheit fuͤrchten. Jch will mich stellen, als wuͤßte ich gewiß, daß alles in ein paar Stunden voruͤber seyn werde: weil ich sonst von dieser Artzeney eine sehr geschwinde Wuͤr- kung verspuͤret habe, als ich auf der Jagd vom Pferde gefallen war, und eine inwendige Verletzung bekommen hatte. Jch werde glauben, daß diese Kranckheit ein Ueberbleibsel von jenem Fall sey. Wenn sie siehet, daß ich weniger aus der Unpaͤßlich- keit mache, als die, welche um mich sind, so wird sie glauben, daß ich keine Absicht dabey habe. Mich duͤnckt, du faͤngst nunmehr an eine bessere Meynung von meinem Anschlage zu be- kommen. Jch wußte das schon zum voraus. Ein anderes mahl erwarte gleich etwas wunder- bares und verbanne alle Zweifel. Und nun, Belford, wenn es ihr nicht nahe gehet, daß ich mir eine Ader gesprenget habe, welches doch bey einem so hitzigen Gebluͤte, als man bey mir ver- muthet, sehr gefaͤhrlich seyn kann; sonderlich wenn ich auf eine gelassene Weise meine bisherige Unruhe fuͤr die Ursache dieser Unpaͤßlichkeit ausgebe, und dadurch ein deutliches Zeichen meiner Liebe, die Ge- genliebe verdienet, gebe ‒ ‒ ‒ ‒ Und was willst du denn thun, Schelm? Jch will wenigere Gewissens Bisse empfinden, wenn ich Gewalt gebrauchen muß, denn die kann kein Mitleiden verdienen, die selbst kein Mit- leiden empfindet. Wie Wie aber, wenn sie Mitleiden mit dir hat? Denn habe ich einen Grund auf dem ich bauen kann. Die Liebe bedecket der Suͤnden Menge, und macht die Suͤnden klein, die sie nicht bedecken kann. Wenn man die Liebe einmahl zu erkennen gegeben oder zugestanden hat, so berech- tiget man den andern sich mehr Freyheiten heraus zu nehmen. Eine Freyheit gebiert die andere, und ich will sehen, wie weit ich endlich komme. Aber, Lovelace, wie willst du in des Teu- fels Nahmen es anfangen, dich bey so guter Ge- sundheit und Farbe kranck zu stellen? Wie? Jch darf nur einige wenige Koͤrner von Ipecacuanha hinter schlucken. Gut, aber wie willst du es machen, daß du Blut speiest, ohne dir Schaden zu thun? Narre, kann man keine Huͤner oder Tauben zu kauffen kriegen? Jch bitte um Gnade. Frau Sinclair soll mir alsdenn sagen, daß ich bisher zu viel zu Hause gesessen habe. Jch will mich in der Saͤnfte nach dem Parck tragen lassen, und versuchen, ob ich die Helfte der Maille gehen kann. Hernach will ich mich in Whites Chocoladen-Hause oder in dem Cocoa Coffée- Hause auszuruhen suchen. Was soll das aber helfen? Du fragst schon wieder! Du bist wahrhaftig ein Unglaͤubiger. Jch werde ja erfahren, ob mein Kind in meiner Abwesenheit ausgehen will! Und Und wenn ich wieder komme, so werde ich darauf acht geben, ob sie mich zaͤrtlich empfaͤnget. Doch das ist nur das wenigste: ich habe eine Ahndung, daß in meiner Abwesenheit etwas vorgehen wird, daruͤber mein Kind in eine große Gemuͤths-Bewegung gesetzt werden koͤnnte. Doch hievon mehr zu seiner Zeit. Leugnest du, Belford, oder gestehest du mir ein, daß es recht sey mich kranck zu machen? Jch finde so viel Vergnuͤgen an meinen Erfindungen, daß ich fast betruͤbt daruͤber bin, wenn ich beden- cke, daß die Veranlassung dazu aufhoͤren wird. Denn in meinem Leben werde ich keine so gute Gelegenheit wieder haben meinen Kopf zu uͤben. Die verfluchten Maͤdchens in unserem Hause sind so unverschaͤmt, und ruͤcken mir so viel vor, daß ich nichts thun kann, als auf sie fluchen. Bald wollen sie mir mit einem veralteten Haus- Mittel aushelfen. Jnsonderheit hat mir die Sara, die sich ungemein klug duͤncket, jetzt eben auf eine recht dreiste Weise gesagt, da ich ihre Mittel nicht billigte: ich haͤtte keine Lust zu uͤber- winden, und ich waͤre so falsch, daß ich heimlich den Vorsatz haͤtte die Fraͤulein zu heyrathen, und es nur nicht gestehen wollte. Weil die kleine Furie ihr erstes Opfer auf meinem Altar gebracht hat, so haͤlt sie sich berech- tiget, sich allerley Freyheiten gegen mich heraus zu nehmen. Sie ist desto unbaͤndiger, weil ich (wie sie sagt) recht mit Fleiß ihre Liebe bisher verschmaͤhet habe. Jst es nicht unver- schaͤmt, daß das Maͤdchen denkt, ich wollte ei- nem nem andern nachsteigen? So weit ist es noch nicht gekommen. Du weißt, daß es immer mein Grund-Satz gewesen ist: was ein ande- rer einmahl gebraucht hat, das brauch ich nie wider. Fuͤr dich und deine Bruͤder ist es eine Sache, daß ihr euch mit Huren behelst. Jch habe mich immer bemuͤhet den Ruhm der ersten Erfindung zu erlangen. Vielleicht haͤltst du mich deswegen fuͤr einen aͤrgern Teufel, weil ich unschuldige Kinder zu verfuͤhren suche. Jch bin nicht einerley Meinung mit dir. Jch werde mich zum wenigsten nicht leicht eines Ehebruchs schul- dig machen. Ein Umgang, den ich zu Paris mit einer verehlichten Frau gehabt habe, und davon du noch nichts weißt, hat mein Gewissen verwundet. Allein es geschahe nicht so wohl aus Bosheit, als weil ich Gelegenheit hatte meinen Verstand zu zeigen. Ein franzoͤsischer Marquis, der etwas bey Jahren war und sich in Geschaͤften seines Hofes zu Madrit aufhielt, hatte vor kurtzen eine al- lerliebste junge Frau geheyrathet, uͤber welche seine Schwester die Vormundschaft fuͤhren mußte, die ihr nicht allzu wohl begegnete. Jch sahe die- ses Frauenzimmer in der Opera. Sie gefiel mir gleich das erste mahl und noch besser das zweyte mahl, da ich wußte, in was fuͤr Umstaͤnden sie sich befand. Jch stellete mich, als suchte ich Um- gang mit ihres Mannes Schwester, und bekam hiedurch einen Zutritt zu beyden. Jch klagte so viel viel uͤber die Sproͤdigkeit der alten Schwester, daß sie hiedurch sproͤde ward. Hierauf suchte ich mir die Eifersucht des Mannes und den Hoch- muth der Schwester zu Nutze zu machen, um bey der Frau eine Empfindlichkeit zu erwecken. Jch hoffete dabey, daß auf mich einige Liebe fallen wuͤrde. Das franzoͤsische Frauenzimmer hat Lust zur Schelmerey. Die Schwester fing an einen Verdacht auf mich zu werfen. Jhre Schwiegerin hatte nicht Lust, die eintzige Gesellschaft zu verlieren, die ihr erlaubet war, und gab mir deswegen von ihrem Verdacht Nachricht. Jch that ihr den Vorschlag: sie sollte die alte Schoͤne ohne mein Wissen in einem Neben ‒ Gemach verschließen, und den Schluͤssel in die Tasche stecken; und mich in einem benachbarten Zimmer befragen, ob ich es aufrich- tig meinte; und zwar so, daß ihre Schwiegerin es hoͤren koͤnnte. Sie ließ sich den Vorschlag gefallen. Mei- ne Goͤttin ward eingeschlossen. Jch setzte mich; die Marquise setzte sich auch. Jch war vor Liebe außer mir: ich betheurete, ich schwor: denn die Marquise fragte mich auf mein Gewissen. Die Schoͤne war in ihrem Gefaͤngniß sehr vergnuͤgt. Und wie endigte sich das Spiel? Jch nahm mei- ner Gelegenheit wahr, und zog die Frau (die sich nicht unterstehen durfte zu schreyen) mit mir in das naͤchste Zimmer, unter dem Vorwand, daß ich ihre Schwiegerin suchen wollte, die unterdes- sen eingeschlossen blieb. Du Du weißt, daß ich kein Frauenzimmer um- sonst allein gesprochen habe, die Fraͤulein Harlo- we ausgenommen. Meine Offenhertzigkeit fand Vergebung. Die Marquise konnte sich die gantze Zeit uͤber des La- chens nicht enthalten, daß ich beyde betrogen hat- te, und ihre Hofmeisterin ihre Gefangene gewor- den war, die unter Schloß und Riegel nicht we- niger vergnuͤget war als wir beyde. Es geschieht sehr selten, daß sich die Franzosen von den Engel- laͤndern fangen lassen. Wir haben nachher eben so listige Streiche gespielt, zu denen sie das ihrige auch mit beytrug: denn einmahl uͤberwunden ist immer uͤberwun- den. Allein endlich ward unser Geheimniß ent- decket, ehe der Marquis wieder kommen und die Entdeckung ungewiß machen konnte. Die Schwe- ster war voller Groll, der Gemahl war unver- soͤhnlich. Er war gar nicht geschickt ein Gemahl zu seyn, zum wenigsten so, wie ein Gemahl in Franckreich beschaffen seyn muß. Er schien die Sitten und die Eifersucht des Volckes, bey den er Abgesandter war, angenommen zu haben, die den Sitten seines Landes so sehr zuwider sind. Sie fand sich genoͤthiget, sich in meinem Schutz zu be- geben. Sie war gantz vergnuͤgt bey mir bis sie die Geburts. Schmertzen fuͤhlete. Reue und Todt uͤberfielen sie in Einer Stunde. Verzeihe mir hier eine Thraͤne. Sie ver- dienete ein besseres Schicksal. Wie viel hat ein solcher unversoͤhnlicher Gemahl zu verantworten! Die Die Schwester ist dafuͤr gestraft, das freuet mich noch. Sie ist nachdruͤcklich gestraft. Doch viel- leicht habe ich dir dieses schon ehemahls erzaͤhlet. Der fuͤnf und dreyßigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn J. Belford. Freytags Abends. J ch bin eben von einer Spazierfahrt mit mei- nem Kinde zuruͤck gekommen, dazu sie sich nach einem langen Wort- Wechsel bequemet hat. Die beyden Nymphen leisteten ihr Gesellschaft. Sie haben ihre Person wohl gespielet, die Augen nicht herum flattern lassen, und bisweilen einige Tugend-Regeln mitgetheilet. O Bruder, was vor Teufels sind die Frauensleute, wenn wir sie erst voͤllig verfuͤhret haben! Wir fuhren nach Hamstead, nach Highga- te, nach Muzzle-Hill, und zuruͤck nach Ham- stead und nach Upper-Flask. Meine Schoͤne war hier gegen die beyden Nymphen so gefaͤllig, daß sie etwas ausstieg, und einige Erfrischungen zu sich nahm. Wir kamen noch bey vollem Ta- ge uͤber Kentisch-Town nach Hause. Sie war recht vergnuͤgt, so daß ich mich dar- uͤber freuete, und ich war so hoͤflich und so voller Ehrerbietung, als wir auf die Hoͤhe spatzieren gin- gen, gen, um die verschiedenen angenehmen Aussich- ten in Augenschein zu nehmen, daß sie mir ver- sprach, oͤfters mit mir auszufahren. Jch dencke, ich dencke, Fraͤulein Howe, deine gefaͤhrlichen Anschlaͤge gerathen bey ihr in Vergessenheit. Jn der gantzen Zeit, da wir wieder zu Hause sind, haben wir nichts gethan, als schreiben: ich soll aber ihre Gesellschaft noch eine Stunde lang geniessen, ehe sie sich zur Ruhe begiebt. Jch will suchen alle Zeichen einer recht ergebenen und folg- samen Liebe anzunehmen, damit sie morgen bey meiner bevorstehenden Kranckheit desto zaͤrtlicher seyn moͤge. Bey dem Weggehen will ich klagen, daß mir der Magen nicht recht sey. Wir haben uns einander gesprochen. Jch habe nichts als Liebe und untadelhafte Ehrerbie- tung blicken lassen: und sie war aufgeraͤumt und gefaͤllig. Meine Unpaͤßlichkeit ging ihr nahe. Sie uͤberfiel mich ploͤtzlich: eben bey dem Weg- gehen. Es hatte aber nicht viel zu sagen: und ich hoffete morgen fruͤh gantz wohl zu seyn. Mich duͤnckt, ich bin schon kranck. Jst es moͤglich, daß ein so aufgeraͤumter Kopf, als ich bin, sich eine Kranckheit einbildet? Jch sollte mich besser zum Comoͤdianten schicken, als ich es wuͤn- sche. Eine jede Nerve und Ader ist immer be- reit, das ihrige zu einer jeden beschlossenen Schel- merey beyzutragen, es sey durch Kranckheit oder Gesundheit. Vierter Theil. X Dor- Dorcas hat nun den gantzen Brief der Fraͤu- lein Howe von dem 14ten May abgeschrieben, davon ich vorhin nur Auszuͤge hatte. Sie hat aber keinen neuen Brief finden koͤnnen. Allein dieser Brief, und der, den ich am Sonntage un- ter der Kirche selbst abgeschrieben habe, in dem der Anschlag mit der Zoll-Betriegerin stehet, ist mir schon genug. Dorcas sagt mir, die Fraͤulein haͤtte die Briefe aus dem Schrancke von Mahogany weggenommen, und in einen Kasten gelegt, der in dem finstern Closet stehet. Wir haben noch kei- nen Schluͤssel dazu: und vermuthlich ist dieses ihr Archiv, in dem alle vorigen Briefe liegen. Dorcas ist sehr unruhig daruͤber: sie hofft aber doch, daß sie bey ihrer Fraͤulein außer Verdacht sey, denn sie habe alles so wieder hingeleget, wie sie es gefunden habe. Der sechs und dreyßigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Jm Cocoa-Baum. Sonnabends den 27sten May. D as Jpecacuanha schmeckt verflucht. War- um kann die Zunft der Aertzte nichts ver- schrei- schreiben, als solch Zeug, damit man den Teufel vergeben koͤnnte? Wenn man in der andern Welt auch Quacksalberey einnehmen sollte, so waͤre es fuͤr die Suͤnden dieses Lebens Strafe genug- Wenn der Doctor auf der einen und der Apo- thecker auf der andern Seite sitzt, und die arme Seele von beyden gestraft wird, so braucht es we- der Furien noch Folter-Knechte. Jch mußte es nehmen, um elend auszusehen. Es hat seine Wirckung gehabt. Jch schluckte so viel hinter, daß ich kranck ward, und nahm so wenig Wasser dazu, daß es nicht so gleich wieder fortgehen konnte. Jch sahe aus, als wenn ich schon 14 Tage lang zu Bette gelegen haͤtte. Mit- ten unter dem Brechen dachte ich daran, daß es sich mit einem spitzigen Messer nicht gut spielen laͤßt, und noch schlimmer mit Artzeneyen. Meine Unpaͤßlichkeit hielt zwey Stunden an- Es ward der Dorcas scharf verboten, meiner Geliebten nichts davon zu sagen, um sie nicht zu betruͤben. Jch wollte meiner Fraͤulein durch die- ses Verbot (welches sie wieder erfuhr) zu verste- hen geben, daß ich von ihr erwartete, daß sie uͤber meine Kranckheit bekuͤmmert seyn wuͤrde. Was fuͤr ein veraͤchtlicher Kloß muͤßte der seyn, dem sein eigenes Hertz saget, daß sich niemand uͤber ihn betruͤben kann? Dorcas ist ein Maͤdchen. Sie wird ja ein Geheimniß ausplaudern koͤnnen, das ihr anver- trauet ist. X 2 Komm Komm Kroͤte, (ich war kranck wie der Teufel) ich will sehen, ob du betruͤbt und bestuͤrtzt ausse- hen kannst. Noch nicht recht! Du laͤßt die Kinnbacken zu wunderlich haͤngen, und verziehest den Mund so, daß du mehr fuͤrchterlich als betruͤbt aussiehest. Dein Plintzen und Wincken mit den garsti- gen Augen (wie sie mein Kind einmahl nennete) hilft auch zu nichts. Jetzt war es ein wenig besser: aber doch noch nicht, wie es seyn soll. Den Mund dichter zu! Jch weiß nicht, du kannst zwey Muskeln zwi- schen den Kinnbacken und Lippen gar nicht ruͤh- ren, wie du sollst. So recht! Packe dich fort! Renne die Trep- pen auf und nieder; mache ein graͤuliches Lerm: stelle dich als wenn du etwas aus dem Speise- Saal holetest, bis du dich endlich aus dem Athem gelaufen hast, und dir das schluchsen natuͤrlich ist. Was ist, Dorcas? Ach nichts, ihre Gnaden. Mein Kind wundert sich ohne Zweifel, daß es mich heute noch nicht gesehen hat; allein es ist zu scheu, seine Verwunderung zu erkennen zu geben. Sie fragt aber nochmahls, was unten zu thun sey, als Dorcas bestaͤndig ab und zu laͤufft. O gnaͤdige Frau, mein Herr! mein Herr! Was? ‒ ‒ wie? wem? Alle verwun- dernden einsylbigen Woͤrter brachen aus. (Jch muß dir hiebey den weisen Gedancken mittheilen, den ich sehr oft gehabt habe. Die kleinen kleinen Worte sind in dem Reiche der Worte von der groͤßesten Wichtigkeit; so wie die kleinen Fa- milien in einem Koͤnigreiche. Die drey-und viel- sylbigten Woͤrter sind zu nichts gut, als einfaͤlti- ge Magnaten vorzustellen.) Jch darf es nicht sagen, gnaͤdige Frau. Mein Herr hat es mir verboten. Aber er ist kraͤncker, als er denckt. Er wollte ihnen kein Schrecken machen. Jn allen Zuͤgen ihres lieben Gesichtes war die Bekuͤmmerniß so gleich zu lesen. Sie hatte Mitleiden mit mir. Bey meiner Seele, sie hat- te Mitleiden. Wo ist er denn? Dorcas war so in der Eile, daß sie alle Hoͤf- lichkeit vergaß. (Denn, noch ein weiser Gedan- cke: was wir Hoͤflichkeit und Sitten nennen, ist uns so gar nicht natuͤrlich, daß wir uns erst dazu anschicken muͤssen. Jn einem Sturm hoͤrt alle Hoͤflichkeit auf.) Jch habe nicht Zeit zu antwor- ten! schrie die Hure, weil sie gern antworten woll- te. (Der dritte kluge Einfall: sie machte es wie die Leute, die es zum Verkauf ausrufen, und von den Kaͤufern weglaufen.) Weil sie so hitzig ward, so ward die Fraͤulein im Fragen auch hitziger, so wie die Kaͤufer durch das Weglaufen hitziger werden. Jch sehe jetzt im Geiste eine gantze Straße voll Leute, die dem Ausruͤfer so eifrig nach- laufen, als wenn der erste unter ihnen ein Dieb waͤre, dem die andern einzuholen gedaͤchten. X 3 End- Endlich flisterte eine Nymphe der andern zu: um Gottes Willen sagen sie es der Frau Love- lace! Es ist gewiß Gefahr. Es geschahe dieses nahe bey der Thuͤr, so daß mein loses horchendes Kind es hoͤren konnte. Sie sprang heraus: wie ist es? wie ist es? Dorcas. O gnaͤdige Frau, er speit Blut. Es ist ihm eine Ader in der Lunge gesprungen. Sie kam gleich herunter, und fand, daß sich alle mit meinem Blute so viel beschaͤftigten, als wenn es das gesegnete Blut des Neapolitanischen Heiligen waͤre. Mein Kind trat herein, und sahe gantz betruͤbt aus. Wie befinden sie sich, Herr Lovelace? O mein liebes Kind, gantz wohl! Recht sehr wohl! Es hat gar nichts zu bedeuten. Jch wer- de bald wieder besser seyn. Jch kraͤchzete von neuen, denn ich war wahrhaftig sehr kranck, ob gleich kein Blut weiter kommen wollte. Mit einem Wort, Belford, ich habe meinen Endzweck erreichet. Das Maͤdchen hat mich lieb: es hat mir alle meine Suͤnden vergeben. Jch darf es wohl wagen auf ein neues Kerbholtz los zu suͤndigen. Der gnaͤdigen Fraͤulein Howe biete ich jetzund Trotz. Frau Townsend! ‒ ‒ Was der Teufel ist daraus geworden! Weg mit eurer Contraband- Waare. Keine Zoll-Betriegerey. Niemand darf betriegen als ich! Das allerauserlesenste an mei- ner ner Schoͤnen soll mir nicht lange mehr eine ver- bothene Waare bleiben. Nunmehr glaubt ein jeder im Hause, daß sie mich lieb hat. Die Thraͤnen haben ihr mehr als einmahl in den Augen gestanden. Sie litte es, daß ich ihre Hand nahm, und sie kuͤssete, so oft ich selbst wollte. Als Frau Sinclair sagte, ich haͤt- te mich bisher so viel zu Hause gehalten, so wuͤnsch- te sie, daß ich mir eine Veraͤnderung machen moͤchte, und bat mich dabey, mich in Acht zu neh- men. Sie wollte, ich sollte einen Doctor hohlen lassen: denn Gott haͤtte den Artzt geschaffen. Das dachte ich nicht, Bruder. Gott hat uns zwar alle geschaffen. Jch glaube aber, sie ver- stand die Artzney und nennte die Aertzte. Denn koͤnnte man sagen: alle Speise ist Gottes Ge- schoͤpf; aber der Teufel hat die Koͤche gemacht. Jch war schon wieder etwas besser, als ich die blutstillenden Tropfen aus ihren lieben Haͤnden annahm. Als sie verlangte, daß ich mir eine Veraͤnde- rung machen moͤchte, bat ich sie mit mir auszu- fahren. Jch wollte hiebey sehen, ob sie Lust haͤtte in meiner Abwesenheit aus dem Hause zu gehen. Sie antwortete: Sie wollte es gern thun, al- lein sie glaubte, es wuͤrde fuͤr mich besser seyn, wenn ich mich in einer Saͤnfte austragen ließe. X 4 Das Das ist artig! Jch kuͤßte von neuen ihre Hand, und sie war die Guͤtigkeit selbst. Jch sagte: ich wuͤnschte nur, daß ich ihre Guͤtigkeit besser verdie- nete. Wir haͤtten jetzt unsere guͤldene Zeit vor uns. Jhre Gegenwart und ihr edles Mitleiden haͤtte mich gantz geheilet. Es fehlete mir nichts mehr. Weil aber mein Kind es haben will, so will ich mich austragen lassen. Rufet mir eine Saͤnf- te. O mein allerliebstes Kind! Wenn auch die- se Unpaͤßlichkeit von meiner bisherigen Unruhe herruͤhren sollte, so ist doch alles reichlich dadurch belohnet, daß sie jetzt so guͤtig gegen mich sind. Jhre Blicke sind meine beste Artzeney, und ihr bis- heriger Unwille ist eintzig und allein meine Kranck- heit gewesen. Frau Sinclair, Dorcas, Marichen und selbst Mabell (denn Sarah gieng hinaus, als mein Engel hinein kam,) danckten dem Himmel mit aufgehobenen Haͤnden und Augen fuͤr meine Genesung: und redeten sachte mit einander, so daß man es hoͤren konnte. Die Liebe ist dennoch ein loses Ding, sagte die eine. Die andere: ein allerliebster Gemahl. Alle nenneten uns ein gluͤckliches Paar. Wie roth wurde das liebe Kind! wie hell wur- den ihm die Augen! Denn ist das Lob angenehm, wenn man es verdient, sonst setzt es einen nur herun- ter, und macht stumm und bloͤde. Ein verdientes Lob gibt einen Zaghaften und Kleinglaͤubigen ein neues Leben, und nimmt gleichsam eine neue Schoͤ- pfung mit ihm vor. Ver- Verlohnt es sich nun nicht der Muͤhe kranck gewesen zu seyn, Belford? Und dennoch muß ich dir sagen, daß ich hundert angenehmere Schel- mereyen weiß, und mich nie wieder uͤberwinden werde, das verfluchte Ipecacuanha zu kosten. Der sieben und dreyßigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonnabends den 27sten May. H err Lovelace ist sehr unpaß gewesen. Es uͤberfiel ihn gantz unvermuthet. Er hat Blut gespieen und zwar in großer Menge. Es war ihm eine Ader gesprungen. Er beklagte sich schon gestern Abend, daß er Magen-Druͤcken haͤtte. Jch bin desto mehr daruͤber bekuͤmmert, weil ich glau- be, daß unser letzter Zanck die Schuld daran ist. Allein wer veranlassete den? Es ist nicht lange, daß ich glaubte, ich hasse- te ihn, Allein ich sehe, daß Haß und Zorn bey mir von kurtzer Dauer sind. Wer dem Tode nahe, oder in Ungluͤck ist, den kann man nicht has- sen. Jch sehe, daß ich mein Hertz nicht so hart machen kann, daß es der Menschen-Liebe und der Erinnerung begangener Fehler widerstehen kann. Er war sehr sorgfaͤltig, mir seine Unpaͤßlich- keit so lange als es moͤglich zu verheelen. So zaͤrt- X 5 lich lich war er mitten in der groͤßesten Unruhe. Er suchte seine Unpaͤßlichkeit kleiner zu machen. ‒ ‒ ‒ Jch wuͤnschte, daß ich ihn nicht kranck gesehen haͤtte. Es gieng mir allzu sehr zu Hertzen. Je- dermann redete von Gefahr. Der arme Mann war vorhin so gesund, und bekam auf einmahl ei- nen so heftigen Anfall, zu einer Zeit, da er gewiß nicht an den Tod gedacht hatte. Er hat sich austragen lassen. Jch rieth es ihm: ich fuͤrchte aber jetzt beynahe, daß mein Rath nicht gut gewesen sey; denn bey solchen Zu- faͤllen ist nichts besseres als die Ruhe. Wie geneigt sind wir, wenn Noth vorhanden ist, einen unuͤberlegten Rath zu geben. Jch sag- te zwar; er moͤchte einen Doctor hohlen lassen: er wollte aber nichts davon hoͤren. Jch halte die Aertzte in Ehren, und bin noch mehr hierin be- staͤrcket worden, seit dem ich bemerckt habe, daß die, welche die Artzeney-Wissenschaft verspot- ten, gemeiniglich wenig Ehrerbietung gegen noch heiligere Wissenschaften haben. Jch bin in der That sehr unruhig, weil ich mich gegen ihn und gegen die Leute in dem Hause allzu sehr verrathen habe. Diese letztern werden mich zwar oͤffentlich entschuldigen, weil sie uns fuͤr Eheleute halten. Wenn er aber niedertraͤchtig handeln will, so thut es mir leid, daß ich mich habe uͤbereilen lassen. Jch weiß jetzt mehr, als ich vor- hin wußte, da ich glaubte, er sey unverantwortlich mit mir umgegangen. Jch kann Jhnen indessen mit Recht und mit Wahr- Wahrheit dieses versichern: wenn er mich noch einmahl zwinget, fremde gegen ihn zu seyn, so wird meine Vernunft durch Erinnerung seiner großen Maͤngel (denn Herr Lovelace ist gewiß kein recht verstaͤndiger Mann) so viel Herrschaft uͤber die Sinnlichkeit erlangen, daß ich meine Nei- gungen werde unterdruͤcken koͤnnen. Was koͤn- nen wir mehr thun, als daß wir jedes mahl nach un- serer besten Einsicht handeln? Wundern Sie sich nicht, wenn ich mir diese Entdeckung zu Gemuͤthe ziehe. Eine Entde- ckung ist es: wie soll ich es anders nennen? Jch habe nicht so viel Ruhe gehabt, daß ich mein ei- genes Hertz haͤtte untersuchen koͤnnen. Jch bin so misvergnuͤgt uͤber mich, daß ich das geschriebene nicht einmahl wieder uͤberlesen mag. Und ich weiß doch nicht, was ich geschrieben habe. Jch bin noch nie in einer solchen Verwirrung ge- wesen: Jch kann sie Jhnen zwar nicht beschreiben. Jst Jhnen jemahls so zu Muthe gewesen? Jch fuͤrchte mich, daß die mich tadeln wird, die ich am allermeisten liebe: und ich weiß doch, daß ich ih- ren Tadel verdiene. Doch alsdenn wuͤrde ich die haͤrteste Bestra- fung verdienen, wenn Ein Geheimniß meines Her- tzens Jhnen ein Geheimniß bleiben sollte. Jch will nichts hinzu thun, als dieses, daß ich mich ge- nau pruͤfen werde, und daß ich verharre Jhre aufrichtigste und ergebenste Cl. Harlowe. Der Der acht und dreyßigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn J. Belford. Sonnabends Abends. M ein Spaziergang ist sehr vergnuͤgt gewesen. Die Kranckheit hat gaͤntzlich nachgelas- sen. Mein Hertz ist ruhig; und wie kann ich anders als guten Appetit haben? Als ich nach Hause kam, fand ich mein Kind in einer neuen Unruhe. Es hatte ein Diener, in blauer Liverey mit gelben Aufschlaͤgen, sich nach uns auf eine verdaͤchtige Art erkundiget. Ohne unse- re Nahmen zu nennen, hatte er bloß unsere Per- son beschrieben. Dorcas ward gerufen, weil sie unter den Bedienten die vornehmste ist. Sie wollte aber auf seine Fragen nicht antworten, wenn er ihr nicht sagte, von wem er geschickt waͤre, und weswegen er sich um uns bekuͤmmerte. Er antwor- tete hierauf eben so kurtz, als sie: wenn sie ihm nicht antworten wollte, so wuͤrde sie vielleicht einem an- dern antworten: und ging misvergnuͤgt von ihr. Dorcas lief geschwind zu ihrer Fraͤulein hin- auf, und beunruhigte sie nicht allein durch Erzaͤh- lung der Sache, sondern auch durch die Mitthei- lung ihrer Erklaͤrungen und Vermuthungen. Sie sagte: der Kerl haͤtte gar nicht gut ausgesehen, und er koͤnnte ohnmoͤglich eine gute Absicht haben. Sie erkundigte sich genauer nach Liverey und Gesichte; und erhielt eine umstaͤndliche Antwort. Ach Ach GOtt! Noch kein Ende fuͤr ihre Truͤb- sal! Sie sahe nun schon alles moͤgliche Ungluͤck als gegenwaͤrtig. Sie wuͤnschte, daß Herr Lovelace bald nach Hause kommen moͤchte. Herr Lovelace kam bald darauf. Er ward gantz gesund, voll Danckbarkeit und guter Hoff- nung: und wollte seinem Kinde den verpflichte- sten Danck abstatten, daß es ihn gesund gemacht hatte. Sie erzaͤhlte ihm aber den betruͤbten Zu- fall umstaͤndlich: und Dorcas setzte hinzu, der Kerl haͤtte sehr gelb ausgesehen, und schien auf der See gewesen zu seyn. Nun gerieth mein Kind erst voͤllig in Furcht. Es war ohne Zweifel ein Bedienter des Ca- pitain Singletons. Unser Haus wuͤrde bald von dem Schiff-Volck umringet werden. Denn das Schiff sollte zu Rotherhith liegen. Jch sagte: das waͤre nicht moͤglich. Wer dergleichen im Sinne haͤtte, der wuͤrde sich nicht vorher erkundigen, und uns eben dadurch warnen. Es koͤnnte ja eben so wohl ein Bedienter des Obri- sten Morden seyn, der vielleicht seine Ankunft wissen ließe, und sie zu sprechen verlangte. Ueber diese Vermuthung freuete sie sich. Jhre Furcht verlohr sich; und sie ward so aufgeraͤumt, daß sie mir zu meiner geschwinden Genesung Gluͤck wuͤnschen konnte. Sie that dieses auf die allerverbindlichste Art. Wir waren nicht lange beysammen gewesen, als Dorcas mit großer Bestuͤrtzung kam, und sagte: sagte: eben derselbe Bediente sey wieder vor der Thuͤr, und erkundigte sich nahmentlich nach Herrn Lovelace und seiner Gemahlin. Er hatte der Dorcas gesagt, seine Nachfrage haͤtte keinen uͤbeln Endzweck. Allein eben hieraus bekam meine schuͤchterne Schoͤne einen neuen Argwohn, daß etwas gefaͤhrliches dahinter stecken koͤnnte. Weil Dorcas ihm keine Antwort gegeben hatte, so woll- te ich in den Saal nach der Straße zu gehen, und hoͤren, was er anzubringen haͤtte. Jch sagte: ich sehe, daß sie ohne Ursache be- sorgt sind, mein liebstes Kind. Kommen sie mit hinunter. Er soll vor der Stuben-Thuͤr stehen bleiben, damit sie alles hoͤren koͤnnen, ohne von ihm gesehen zu werden. Sie war damit zufrie- den, und wir gingen hinunter. Dorcas hieß ihn naͤher kommen. Mein Freund, was habt ihr bey Herr Love- lacen zu thun? Er machte Buͤcklinge: er kratzete: ich glaube, sie sind der Herr selbst. Jch will weiter nichts, als mich erkundigen, ob sie hier sind, und sie sich sprechen lassen: und ob sie noch einige Zeit hier bleiben werden? Von wem kommt ihr? Es hat mich ein Herr geschickt, der mir be- fohlen hat nichts von ihm zu melden, als nur (wenn ich befragt wuͤrde) dieses, daß er ein guter Freund von dem Herrn Johann Harlowe, als dem aͤltesten Onckle der Frau Lovelace, sey. Hier wollte mein liebes Kind beynahe in Ohn- Ohnmacht sincken. Sie hatte erst kurtzens En- glisches Saltz bey sich gestecket: jetzt brauchte sie es. Wisset ihr irgend etwas von dem Obristen Morden, mein Freund? Nein! ich habe den Nahmen mein Lebetage nicht gehoͤrt. Von dem Capitain Singleton? Nein. Aber mein Herr ist auch ein Capi- tain. Wie heißt er denn? Jch weiß nicht, ob ich seinen Nahmen sagen darf. Wenn ihr keine boͤse Absicht habt, so koͤnnt ihr eures Herrn Nahmen wohl sagen. Jch frage gewiß in einer guten Absicht. Mein Herr hat mir das gesagt; und es ist kein aufrichtigerer Herr auf Gottes Erdboden, als er. Er heißt Capitain Tomlinson. So einen kenne ich nicht. Das glaube ich wohl. Er sagte mir, daß er ihre Gnaden auch nicht kennete: ich hoͤrte aber, als wenn er ihnen willkommen seyn wuͤrde. Jch ging auf die Seite, und sagte zu meiner Geliebten: ist ihnen ein Freund ihres Onckels be- kannt, der Capitain Tomlinson heißt? Nein! Allein mein Onckel kann viele gute Freunde haben, die ich nicht kenne. ‒ ‒ Jch will aber nicht hoffen, (sagte sie zitternd) daß ein Be- trug dahinter steckt. Gut, mein Freund: wenn euer Herr etwas mit Lovelacen zu sprechen hat, so koͤnnt ihr ihm sagen, sagen, daß Herr Lovelace hier wohnet, und ihm in diesem Hause aufwarten wird, wenn er es be- liebet. Mein liebes Kind sahe etwas bestuͤrtzt aus, als wenn es glaubte, daß ich mich uͤbereilt und in Gefahr gesetzt haͤtte. Der Kerl gieng weg. Jch wunderte mich (damit sie sich nicht zuerst daruͤber verwundern moͤchte) daß der Capitain Tomlinson, wer er auch waͤre, nicht selbst kaͤme, oder zum we- nigsten das zweyte mahl ein paar Zeilen geschrie- ben haͤtte, da er doch glauben koͤnnte, daß ich hier anzutreffen waͤre. Weil man aber dennoch be- fuͤrchten mußte, daß es eine Schelmerey von dem Jacob Harlowe seyn koͤnnte, der, wie ich sagte, ein Hertz aber nicht einen Kopf zum Schelm haͤtte; so gab ich den Bedienten und den Frauensleuten in dem Hause ihre Verhaltungs-Befehle, und ließ sie alle zusammen kommen, um der Sache desto mehr Ansehen zu geben. Meine Geliebte ent- schloß sich, keinen Fuß aus dem Hause zu setzen, bis sie den Ausgang dieses wunderlichen Spiels saͤhe. Hier muß ich schließen. Jch bin sehr un- ruhig. Das eintzige muß ich noch hinzu thun: der arme Belton braucht deiner. Jch darf bey den Umstaͤnden keinen Fuß aus dem Hause setzen. Mowbray und Tourville schweifen jetzt ohne Haupt, ohne Haͤnde, ohne Seele herum; weil sie keinen von beyden zum Anfuͤhrer haben. Sie werden (wie sie sagen) so rostrig, daß weder Uebung Uebung noch Oel sie wieder wird blanck machen koͤnnen. Wie gehet es deinem Onckel? Der neun und dreyßigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Sonntags den 28sten May. D er Tomlinson hat uns nicht allein gestern den gantzen Abend, sondern auch heute fruͤh bey dem Thee Materie zur Unterredung gegeben. Sie behauptete noch, er waͤre der Vorbote des Un- gluͤcks-Vogels, des Singletons. Jch aber glaubte, daß ihr Vetter Morden angekommen waͤre, und sie vorher etwas unruhig machen wollte, ehe er ihr selbst zuspraͤche. Leute, die viel auf Reisen gewe- sen waͤren, faͤnden daran ein Vergnuͤgen. Und warum (sagte ich) machen wir uͤber alles, was wir nicht gleich voͤllig begreiffen koͤnnen, die allergefaͤhr- lichsten Auslegungen? Sie antwortete: es sey ihr bisher so viel wi- driges begegnet, daß ihre Furcht viel staͤrcker ge- worden sey, als ihre Hoffnung. Das macht mich ihrentwegen besorget, Fraͤulein, daß sie gar zu niedergeschlagen wer- den, und kuͤnftig des Vergnuͤgens, das auf uns wartet, nicht mehr faͤhig seyn moͤchten. Vierter Theil. Y Sie Sie antwortete sehr ernsthaft: sie hoffete, daß die Betrachtung ihrer Pflicht, und die Erkenntniß der vielen unverdienten goͤttlichen Wohlthaten sie nicht wuͤrde undanckbar gegen den Geber aller gu- ten Gaben werden lassen! und wo ein danckbares Gemuͤthe waͤre, da waͤre auch ein froͤliches Hertz. Sie erwartet demnach alles zukuͤnftige Ver- gnuͤgen und Ruhe ihres Lebens blos von dem un- sichtbaren Gott. Sie hat Recht: denn diejeni- gen werden sich am wenigsten in ihrer Hoffnung betrogen sehen, die das Gute von den Mittel-Ur- sachen nicht erwarten. Bin ich nicht eben so fromm und ernsthaft, als sie? Sie hatte kaum ausgeredet, so kam Dorcas wieder laͤrmend herauf gelaufen. Mir selbst fing das Hertz an zu schlagen, wie die Unruhe in der Uhr. Meines Kindes Hertz pochete, wie ich an den Bruͤsten sehen konnte, die bis an den Kinn schwollen. Meine Geliebte machte die richtige Anmer- ckung: gemeine Leute haͤtten immer auf eine dum- me Art mit dem Wunderbaren zu thun: und sie koͤnnten die gemeinesten Zufaͤlle des Lebens so vor- stellen, daß man sich daruͤber erschrecken muͤßte. Was der Teufel (sagte ich zu der Hexe) soll das Laͤrmen? Was sperret ihr die Finger von ein- ander? O gnaͤdiger Herr! O gnaͤdige Frau! Was fuͤr ein albernes Schreien. Verfluchtes Maͤdchen! Wuͤrdet ihr eine halbe Minute spaͤter gekommen seyn, wenn ihr ordentlich gegangen waͤret? Ja, Ja, Capitain Tomlinson: gnaͤdiger Herr ‒ ‒ Capitain Teufelson! Was frage ich d nach? Seht ihr nicht, in was fuͤr Unruhe ihr meine Lieb- ste setzet? Mein lieber Herr Lovelace, (sagte die Fraͤu- lein mit Zittern. Wenn sie Absichten hat, denn bin ich der liebe Herr Lovelace ) wenn mein Bru- der, oder wenn Singleton unten seyn sollte; so bitte ich sie, sie werden es mir nicht abschlagen, ich bitte sie recht sehr, halten sie sich in Schrancken. Mein Bruder bleibt doch mein Bruder. Sin- gleton ist blos von ihm abgeschickt. Jch schlug meine beyden Arme um meinen Schatz, (denn ich dachte, der Teufel muͤßte gar dahinter stecken, wenn sie dergleichen unschuldige Freyheiten von ihrem lieben Lovelace nicht dul- den wollte, da sie eben etwas zu bitten hat) und sagte: sie sollen alles selbst mit anhoͤren, was wir mit einander reden werden. Dorcas, laßt den Herrn berauf kommen. Lassen sie mich erst in meine Stube gehen. Lassen sie ihn nicht erfahren, daß ich in dem Hau- se bin. Das liebe Kind! Du siehest, Belford, daß es mich nicht gern verlassen will. Die kleinen Hexen! Wenn man sie nicht bisweilen uͤbereilen koͤnnte, so wuͤrde ein ehrlicher Mann gar nicht wissen, wie er mit ihnen daran ist. Sie ging weg, um uns zu behorchen. Ob- gleich mein Anschlag nicht alle die Folgen gehabt hat, die ich hoffete und wuͤnschete, so muß ich dir Y 2 doch doch eine sehr umstaͤndliche Nachricht von allem geben, was zwischen Tomlinson und mir vorge- fallen ist, damit du alle meine Absichten uͤbersehen koͤnnest. Tomlinson trit herein, in einem Reit- Kleide, und die Gaͤrte in der Hand. Jhr gehorsamer Diener, mein Herr. Jch ver- muthe, sie sind Herr Lovelace. Jch heiße Lovelace. Nehmen sie nicht unguͤtig, daß ich an diesem Tage komme, und die Gaͤrte in der Hand habe. Jch muß gleich aus der Stadt gehen, damit ich diesen Abend noch zu Hause seyn koͤnne. Der Tag ist ein guter Tag. Jhre Gaͤrte braucht keine Entschuldigung. Als ich meinen Diener schickte, dachte ich nicht, daß ich Zeit haben wuͤrde, mir selbst diese Ehre zu geben. Jch wollte also meinem Freunde zum wenigsten diese Gefaͤlligkeit erzeigen, daß ich mich nach ihrer Wohnung erkundigte, und mit ei- niger Gewißheit erfuͤhre, ob sie sich sprechen ließen, oder ob man ihre Gemahlin sprechen koͤnnte. Sie muͤssen am besten wissen, weswegen sie gekommen sind, und wie viele Zeit sie haben. Jch erwarte also, was sie zu befehlen haben. Hier ward mein Kind unruhig daruͤber, daß ich so kurtz antwortete. Was ich von ihren Gemuͤths-Bewegungen schrei- ben werde, habe ich erst nachher erfah- ren: wie du von selbst abnehmen wirst. Jch Jch hoffe, mein Herr, daß ich sie durch nichts beleidiget habe. Es ist zum wenigsten von mei- ner Absicht weit entfernet. Nein! im geringsten nicht. Jch habe keinen Vortheil oder Schaden bey der gantzen Sache. Jch moͤchte vielleicht allzu dienstfertig zu seyn scheinen! und wenn sie mich so ansehen, so will ich mich weiter in die Sache nicht mengen, wenn ich ihnen nur einen Winck von dem gegeben habe, was mir aufgetragen ist. Was ist ihnen denn aufgetragen? Sie werden mir hoffentlich eine eintzige Fra- ge nicht fuͤr uͤbel nehmen. Wuͤnschen sie mit ei- nem, Nahmens Johann Harlowe ausgesoͤhnet zu werden, und wollen sie von ihrer Seiten alles mit dazu beytragen, was sie ohne Verletzung ihrer Ehre beytragen koͤnnen? Wollen sie sich mit ihm aussoͤhnen, um kuͤnftig mit der gantzen Fami- lie ausgesoͤhnet zu werden? ( Wie schlug mir hiebey das Hertz! sagte mein Kind.) Jch kann darauf nicht antworten. ( Hier schlug der Fraͤulein das Hertz ohne Zweifel heftiger ) Die gantze Familie ist mir sehr uͤbel be- gegnet. Sie haben sich gegen mich, und so gar gegen meine Anverwandten groͤßerer Freyheiten heraus genommen, als ich verschmertzen kann. Mein Herr, ich habe weiter nichts zu sagen. Jch bitte um Vergebung, daß ich mich in fremde Sachen gemischet habe. Hier waͤre mein Kind beynahe umgefal- Y 3 len: len: und hatte sehr uͤble Gedancken von mir. Mit Erlaubniß, lassen sie uns gleich verneh- men, worin ihre Commißion bestehet? denn es scheinet eine Commißion zu seyn. Es ist eine Commißion: und ich glaubte, sie wuͤrde allen mit einander angenehm seyn, sonst haͤt- te ich mich nicht damit bemenget. Vielleicht haben sie recht, wenn ich nur wuͤßte, was ihnen aufgetragen ist. Darf ich aber vorher eine Frage thun? Kennen sie den Obristen Mor- den? Nein! ich kenne ihn nicht von Ansehen. Jch habe zwar meinen Freund, den Herrn Johann Harlowe, oͤfters sehr vortheilhaft von ihm reden hoͤren, und ich weiß, daß ihnen beyden die Ausrich- tung eines gewissen Testaments aufgetragen ist. Jch dachte Anfangs, der Obriste waͤre hier an- gelanget, und sie moͤchten vielleicht ein Freund von ihm seyn, durch dessen Huͤlfe er uns auf eine an- genehme Weise uͤberfallen wollte. Wenn der Obriste Morden in England waͤ- re, so muͤßte Herr Harlowe es wissen, und als- denn wuͤrde ich es gewiß auch wissen. Gut! Allein haben sie etwas von dem Herrn Harlowe an mich auszurichten? Jch will ihnen alles in der groͤßesten Kuͤrtze sagen. Jch muß aber vorher eine Frage thun, die gewiß nicht aus Neugier geschiehet, darauf ich aber eine Antwort haben muß, ehe ich mehr sagen kann. kann. Sie werden das selbst aus der Frage ab- nehmen. Was ist das fuͤr eine Frage? Ob sie wircklich und bona fide mit der Fraͤu- lein Clarissa Harlowe getrauet sind? (Jch stutzte, und antwortete mit erhabener Stimme:) ist das eine Frage, darauf sie eine Ant- wort haben muͤssen, ehe sie das ausrichten koͤnnen, was ihnen aufgetragen ist? Jch habe die beste Absicht, Herr Lovelace. Herr Harlowe hat mich ersuchet, ihm diesen Lie- bes Dienst zu erzeigen. Jch habe selbst Toͤchter und Bruders-Toͤchter. Wenn ich es nicht fuͤr einen unschaͤdlichen Liebes-Dienst gehalten haͤtte, so wuͤrde ich mich nie damit verworren haben, da ich mit meinen eigenen Geschaͤften gnug zu thun ha- be. Jch kenne die Welt, und ich nehme mir die Freyheit zu sagen, wenn die Fraͤulein ‒ ‒ Sie heißen, Capitain Tomlinson? Ja! ich heiße Tomlinson. Herr Capitain Tomlinson, ich muß alle Frey- heit verbitten, die nicht sehr eingeschraͤnckt und be- hutsam ist, wenn sie von diesem Frauenzimmer reden. Sie haͤtten Recht mir diese Erinnerung zu geben, wenn sie gehoͤret haͤtten, was ich sagen will, und ich durch ein eintziges Wort zu dieser Erinne- rung Anlaß gegeben haͤtte. Jch weiß so gut, als es einer auf der Welt wissen kann, was ich einem tugendhaften Frauenzimmer schuldig bin. Y 4 Es Es scheint, sie werden hitzig, Herr Capitain. Wenn sie etwas an mich suchen, ( o wie zitterte ich! sagte die Fraͤulein zu mir, als sie auf diese Stelle unserer Unterredung zu sprechen kam,) so muͤssen sie wissen, daß dieses ein privilegirter Ort ist. Es ist jetzund mein Haus, darinn ein jeder Herr sicher seyn kann, der sich die Muͤhe nimmt, mir zuzusprechen: er mag es thun, mit welchem Endzweck er will. Jch erinnere mich nicht, daß ich ihnen Gele- genheit gegeben habe, mir so zu antworten. Jch habe kein Bedencken, ihnen aufzuwarten, an wel- chem Orte sie es befehlen, wenn ich ihnen hier beschwerlich bin. Jch habe schon zum voraus ge- hoͤret, daß ich mit einem hitzigen jungen Herrn zu thun haͤtte: weil ich aber wußte, daß ich eine gute Absicht hatte, und daß mir nichts als Freundschaft gegen Freundschaft anzubieten aufgetragen war; so war ich einigermaßen außer Sorgen. Jch glau- be, daß ich beynahe noch einmahl so alt bin, als sie, Herr Lovelace. Jch versichere ihnen, wenn ihnen das unangenehm ist, was ich zu sagen habe, oder wenn ihnen die Art misfaͤllig ist, mit der ich es anbringe: so kann ich es auf eine andere Zeit aufschieben, oder gantz fallen lassen: so wie es ih- nen beliebig ist. Jch bitte mir also ihre weiteren Befehle vor morgen fruͤh um acht Uhr aus. ‒ ‒ (Er wollte mir hierauf sagen, wo er anzutreffen waͤre.) Mein Herr Capitain, ihre Antwort gefaͤllt mir wohl. Jch mag Leute leiden, die Hertz ha- ben. Haben sie im Kriege gedienet? Ja, Ja, das habe ich gethan: ich habe aber mein Schwerdt in eine Pflug Schare verwandelt, wie die Schrift saget. ( Das war ein frommer Mann. An dem Ausdruck wird sich mei- ne Horcherin erbauet haben. ) Mein groͤßtes Vergnuͤgen ist seit einigen Jahren gewefen, ein Erb-Gut in guten Stand zu setzen. Jch liebe brave Leute noch jetzt eben so sehr, als ich sie jemahls in meinem Leben geliebet habe. Allein vergoͤnnen sie mir zu sagen: wenn sie so alt werden, als ich bin, so werden sie die Hertzhaftigkeit nicht so sehr in der Jugend-Hitze setzen, als sie jetzt zu thun scheinen. (Das war ein guter Mann. Der nahm auf einmahl Ohren und Hertz meiner Schoͤnen ein. Sie sagte: es waͤre gut, daß einige ihren Zorn durch Weisheit maͤßigen koͤnnten. ) Gut, mein Herr Capitain. Sie geben Erin- nerungen fuͤr Erinnerungen: wir haben nunmehr einander nichts vorzuwerfen. Darf ich aber nun fragen, was sie auszurichten haben? Erlauben sie mir vorher, meine Frage noch einmahl zu wiederhohlen. Sind sie gewiß und bona fide mit der Fraͤulein Clarissa Harlowe getrauet? Die Frage ist sehr offenhertzig! Wie? wenn ich ihnen nun antwortete, daß ich mit ihr getrauet bin? Denn halte ich sie fuͤr einen rechtschaffenen Herrn! Y 5 Das Das hoffe ich zu seyn; sie moͤgen mich dafuͤr halten oder nicht. Herr Lovelace, ich will offenhertzig mit allem dem herausgehen, was ich zu sagen habe. Herr Johann Harlowe hat kurtzens erfahren, daß sie mit seiner Fraͤulein Base in einem Hause wohnen, und schon einige Zeit so gewohnet haben: wie auch, daß die Fraͤulein gestern vor acht Tagen mit ihnen in der Comoͤdie gewesen ist. Er hoffet, daß sie wircklich Eheleute sind: weil er aber ihren Kopf zu kennen glaubet, und weiß, daß sie eine Verach- tung gegen seine gantze Familie bezeuget haben, und sich eine Verbindung mit derselben fuͤr schimpf- lich halten: so wuͤnschte er, daß ich aus ihrem ei- genen Munde wegen ihrer Trauung eine Versiche- rung haben moͤchte, ehe er einen weitern Schritt thut. Sie muͤssen mir nicht uͤbel nehmen: er wird mit einer Antwort, die noch dem geringsten Zweifel unterworfen ist, nicht zufrieden seyn. Und nehmen sie mir nicht uͤbel: es ist eine verdammte und niedertraͤchtige Verwegenheit, nur zu gedencken ‒ ‒ ‒ Mein Herr, ‒ ‒ Herr Lovelace, werden sie nicht boͤse, die Anverwandten der Fraͤulein sind fuͤr die Ehre ihrer Familie besorgt. Sie muͤssen, eben so wohl als sie, erst einige Vorurtheile uͤberwinden. Man kann mannigmahl eine Gelegenheit ersehen ‒ ‒ und das Frauenzimmer kann doch außer Schuld seyn. Diese Fraͤulein giebt keine Gelegenheit: und wenn eine Gelegenheit moͤglich waͤre, so frage ich sie, sie, mein Herr Capitain, was muͤßte das fuͤr ein Mensch seyn, der eine solche Gelegenheit mis- brauchte? Kennen sie die Fraͤulein? Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, sie in der Kirche zu sehen; und ich wuͤrde sie schwerlich wieder kennen. Sie nicht wieder kennen? ‒ ‒ Jch daͤchte, daß kein Mensch auf der Welt sie gesehen haͤtte, der sie nicht unter tausenden wieder kennen sollte. Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein schoͤneres Frauenzimmer in meinem Leben gesehen zu haben. Jch glaube indessen, sie werden darin mit mir einig seyn, Herr Lovelace, daß es besser ist, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn sie der Fraͤulein Unrecht gethan haͤtten. Jch hoffe, sie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder- hohlen. Dorcas kam eilig herein. Ein fremder Herr verlangt sie den Augen- blick zu sprechen. Die Fraͤulein! (in das Ohr.) Konnte meine schoͤne Heilige durch Dorcas eine solche Unwahrheit sagen lassen, um mich ab- zuhalten, daß ich keine Unwahrheit sagen moͤch- te? ‒ ‒ Bittet den Herrn, daß er unten in einen Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf- warten. Dorcas gehet hinaus. Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un- terrichten wollte, wie ich die Gewissens-Frage des Capi- Capitains zu beantworten haͤtte. Jch wußte, was ich antworten wollte; das kannst du glau- ben: allein die Absendung der Dorcas machte mich furchtsam. Jch war eben mit einem Mei- sterstuͤcke in Arbeit. Jch wollte mir die genaue Erkundigung des Capitains zu Nutze machen, und sie dadurch zwingen, sich vor ihm fuͤr verehe- licht auszugeben, wie sie unten im Hause gethan hatte. Haͤtte sie dieses gethan, so sollte sie an ih- ren Onckle ein Dancksagungs-Schreiben ergehen lassen, welches sie haͤtte unterzeichnen muͤssen, Clarissa Lovelace. Daher hatte ich nicht Lust, ihr auf den ersten Wink zu kommen. Weil ich aber doch die Sachen nicht zu weit treiben wollte, so suchte ich ihn von seiner Frage abzubringen, und die Unterredung so zu lencken, daß er eine naͤhere Nachricht von seinen Umstaͤnden geben mußte; wie auch, woher Herr Harlowe das Haus erfahren haͤtte, in dem wir wohneten; und von andern Dingen mehr, die sie aufmercksam machen, und zugleich uͤberzeugen konnte, daß es noͤthig waͤre, die bejahende Antwort zu ertheilen, die schon in meiner Brust beschlossen war. Alles dieses geschahe um ihrentwillen. Jch fragte sie selbst nachher: was mir daran gelegen waͤre, ob wir mit einer Famile ausgesoͤhnet wuͤrden, die ich Zeit Lebens verachten muͤßte? Sie glauben, Herr Capitain, daß ich ihre Fra- ge zweydeutig beantwortet habe. Sie moͤgen das glauben. Jch habe eine feine Gabe von Hoch- muth: und wenn sie nicht ein Cavallier waͤren, der der sich in der besten Absicht unserer Sache an- nimmt, so wuͤrde ich eine Frage sehr uͤbel nehmen, bey der meine Ehre und die Ehre eines mir so wer- then Frauenzimmers in Zweifel gezogen wird. Ehe ich aber ihre Frage gerade zu beantworte, so erlauben sie mir, daß ich auch ein paar Fragen thun darf. Von Hertzen gern. Fragen sie, was sie be- lieben: ich will aufrichtig und offenhertzig ant- worten. Sie sagen, Herr Harlowe habe erfahren, daß wir mit einander in der Comoͤdie gewesen sind: und daß wir uns beyde in einem Hause aufhal- ten. Allein, ich bitte sie, wie hat er das erfahren koͤnnen? Denn aus gewissen Ursachen, die mich nicht eigentlich angehen, habe ich es mir gefallen lassen, daß niemand etwas von unserm Aufent- halt wissen sollte. Dieses gehet so weit, daß nicht einmahl die Fraͤulein Howe, mit der meine Lieb- ste Briefe wechselt, weiß, in welchem Hause wir wohnen, und ihre Briefe in ein drittes Haus schi- cken muß. Ein Pachter des Herrn Harlowe hat sie ge- sehen. Er hat auf alle ihre Schritte und Tritte Achtung gegeben. Als die Comoͤdie zu Ende war, folgete er ihrer Kutsche bis an das Haus nach. Den andern Tag, der ein Sonntag war, setzte er sich fruͤh Morgens zu Pferde, und brachte seinem Herrn Nachricht von dem, was er gesehen hatte. Wie Wie wunderlich doch die Dinge kommen koͤn- nen, Herr Tomlinson! Weiß aber sonst einer von den Harlowes, wo wir uns aufhalten? Nein! das ist ein Geheimniß vor der gantzen Familie: und soll es auch bleiben. Auch dieses ist ein Geheimniß, daß Herr Hans Harlowe durch mich einen Antrag zur Aussoͤhnung thun laͤßt, im Fall seine Fraͤulein Base wircklich ge- trauet ist. Vielleicht weiß er, daß er mit einigen Leuten viel zu thun haben wird, ehe er sie herum lencken kann, wenn er ihnen gleich wegen dieses Puncts alle noͤthige Versicherungen geben koͤnnte. Jch glaube ihnen das gern, Herr Capitain. Die Thorheit der gantzen Familie schreibt sich von dem eintzigen Jacob Harlowe her. Kluge Narren! ( Hier fing ich an großmuͤthig auf und ab zu gehen ). Die sich von einem aus ih- rer Bande anfuͤhren lassen, weil ihn Bosheit oh- ne Verstand etwas lebhafter macht, als die uͤbri- gen sind. ‒ ‒ Allein wie lange ist es, daß Herr Hans Harlowe diese friedfertigen Gedancken ge- habt hat? Jch will ihnen hievon, und von der ersten Veranlassung dazu, eine umstaͤndliche Antwort ge- ben: und mich uͤber alles das, was sie betreffen kann, sehr deutlich erklaͤren. Jch thue dieses de- sto lieber, weil sie, wenn sie alles gehoͤrt haben, sehen werden, daß ich mich nicht unnoͤthiger Wei- se in fremde Haͤndel mische. Jch Jch bin begierig auf das, was sie sagen wer- den, mein Herr Capitain. ( Jch glaube, meine Geliebte war begie- riger als ich ). „Sie muͤssen wissen, daß ich nur wenige Mo- „nathe in der Nachbarschaft des Herrn Harlo- „we gewohnet habe. Jch habe mich aus der „Grafschaft Northampton dahin begeben, theils „um eine der beyden Vormundschaften, die ich „nothwendig habe uͤbernehmen muͤssen, besser be- „streiten zu koͤnnen, (denn diese erfodert, daß ich „oͤfters nach London reise, und hat auch meinen „heutigen Weg in die Stadt veranlasset) theils ei- „nem in Unordnung gerathenen Gute wieder auf- „zuhelfen, welches mir kurtzens zugefallen ist. Ob „nun gleich unsere Freundschaft noch nicht alt ist, „und sich zuerst auf der großen Kegel-Bahn an- „gefangen hat,„ (denn du mußt wissen, Bel- ford, daß der alte Onckle Hans ein großer Lieb- haber von dem Kegel-Spiel ist) „da ich zu jeder- „manns Vergnuͤgen einen Streit schlichtete, wel- „cher schlimme Folgen haͤtte haben koͤnnen: so „koͤnnen doch Bruͤder nicht mehr aufrichtige Lie- „be und Werthachtung fuͤr einander haben, als „wir haben. Sie wissen, daß zwischen einigen „Gemuͤthern eine besondere Uebereinstimmung ist, „dadurch man in wenigen Stunden genauer mit „einander bekannt wird, als andere, die sich doch „auch nicht feind sind, in vielen Jahren.„ Das ist wahr, Herr Capitain. „Als „Als einen so besondern vertrauten Freund „bat mich Herr Harlowe am Monntage, als den „15ten dieses, wie ich mich noch genau erinnere, „daß ich mit nach seinem Hause kommen moͤchte. „Er gab mir zu Hause von der gantzen ungluͤck- „lichen Zwistigkeit eine ausfuͤhrliche Nachricht. „Vorhin hatte ich von der gantzen Sache nichts „gewußt, als nur durch die allgemeine Sage der „Leute. Denn so vertraut wir waren, so vermied „ich doch alle Gelegenheit, von einer Sache zu „reden, die ihm so empfindlich war; bis er von „freyen Stuͤcken davon zu reden anfing. Er „sagte mir, daß ein gewisser Herr, den er auch „nennete, vor wenigen Tagen mit ihm geredet und „ihn ersucht haͤtte, nicht allein selbst sich mit sei- „ner Fraͤulein Base auszusoͤhnen, sondern auch „an einer allgemeinen Versoͤhnung zu arbeiten. „Ein gleicher Antrag, sagte er, waͤre auch seiner „Schwester der Frau Harlowe durch eine gute „ehrliche Frau geschehen, die bey der gantzen Fa- „milie in großem Ausehen waͤre. Diese haͤtte „sich mercken lassen, daß die Fraͤulein Harlowe „geneigt waͤre, sie zu verlassen, und sich zu ihren „Freunden zu begeben, wenn sie die geringste Hoff- „nung haͤtte, daß sie angenommen werden wuͤrde: „wo nicht, so muͤßte sie nothwendig die ihrige „werden.„ „Jch hoffe nicht, Herr Lovelace, daß ich zu „viel rede, und zu einem Misverstaͤndniß Anlaß „gebe. Jch sehe, daß sie seufzen.„ Fahren Fahren sie fort, Herr Capitain: fahren sie fort. ( Jch seufzete noch tiefer. ) „Es kam allen sehr sonderbar vor, daß eine „Fraͤulein die Manns-Person jetzt nicht nehmen „wollte, mit der sie vor wenigen Wochen davon „gegangen waͤre.„ Hievon nicht mehr, Herr Capitain: das eine bitte ich mir aus, Herr Capitain Tomlinson. Meine Geliebte ist ein Engel, und hat in keinem Stuͤcke gefehlet. Jst etwas versehen, so haben wir beyde es versehen. Sie wollen erzaͤhlen, daß ihre unversoͤhnlichen Anverwandten den Antrag zur Versoͤhnung abgewiesen haben. Das weiß ich. Es war einiges Misverstaͤndniß unter uns. Sie wissen, daß das unter Verliebten nicht viel zu bedeuten hat. Wir sind seitdem desto vergnuͤg- ter gewesen. „Herr Harlowe dachte nachher der Sache „weiter nach, und verlangete meinen Rath. Er „sagte mir, ein Vater koͤnnte seine Tochter nicht „zaͤrtlicher lieben, als er die Fraͤulein geliebet haͤt- „te: die er gemeiniglich seine Tochter und Base „zu nennen pflegte. Er gestand, ihr Bruder und „ihre Schwester waͤren ihr in der That unfreund- „lich begegnet: und weil eine Verbindung mit „ihnen der Familie zur Ehre gereichte, so wollte „er sein moͤglichstes thun, alles in das feine zu „bringen, wenn er nur gewiß wuͤßte, daß sie bey- „de wircklich Eheleute waͤren.“ Und was gaben sie ihm fuͤr einen Rath, Herr Capitain? Vierter Theil. Z „Jch „Jch sagte: wenn sie seiner Fraͤulein Base „wircklich uͤbel begegneten, und sie sich in ungluͤck- „lichen Umstaͤnden befaͤnde, so wuͤrde sie bald noch „einmahl schreiben: jetzt aber waͤre mir es wahr- „scheinlich, daß sie den Antrag ohne Hoffnung ei- „nes gluͤcklichen Erfolgs haͤtte thun lassen, um „nur einen guten Vorwand zu haben, daß sie sich „trauen ließe. Dieses wuͤrde mir noch wahr- „scheinlicher, da ich von ihm vernaͤhme, daß die „Fraͤulein nicht selbst geschrieben haͤtte, sondern „daß alles durch die Hand eines andern Frauen- „zimmers gegangen waͤre, welches mit der Fami- „lie nicht am besten stuͤnde. Diese Person wuͤr- „de nicht gebraucht seyn, wenn seine Fraͤulein „Base wircklich etwas bey den ihrigen suchte.„ Das war gut gedacht, Herr Capitain. Er- zaͤhlen sie weiter. „So blieb es, bis auf vorigen Sonntag A- „bend, an welchem Herr Harlowe mit dem Pach- „ter zu mir kam, der sie und ihre Gemahlin (wie „ich hoffe) in der Comoͤdie gesehen haͤtte. Weil „nun jener Antrag, der sie als unverheyrathet „vorstellete, noch gantz neu war, so war er fuͤr „die Ehre seiner Base auf eine so unruhige Art „besorgt, daß ich ihm anrieth, einen Menschen, „auf den er sich verlassen koͤnnte, nach London zu „schicken, und sich genauer zu erkundigen.„ Das war alles sehr gut. Folgete denn Herr Harlowe ihrem Rath? „Er schickte einen verstaͤndigen Mann nach „ London, auf den er sich verlassen konnte. Mich „duͤnckt „duͤnckt es war am Dienstage, als er sich nach ih- „nen erkundigte, denn am Mittewochen kam er „wieder zu uns hinaus. ( Das ist derselbige „Mensch, Belford, uͤber den wir so unruhig „gewesen sind. ) Da aber niemand eine hin- „laͤngliche Nachricht zu geben im Stande war, so „suchte er eine Gelegenheit, das Cammer. Maͤd- „chen zu sprechen, welches sagte, daß sie wircklich „getrauet waͤren. Weil er aber nicht sagen woll- „te, von wem er geschickt waͤre, so weigerte sich „das Cammer-Maͤdchen ihn von dem Tage der „Trauung und von andern Umstaͤnden eine ge- „naue Nachricht zu geben.“ Sie geben eine sehr vollstaͤndige Nachricht, daraus mir alles begreiflich wird. Fahren sie fort. „Der Freund kam zuruͤck. Weil aber noch „nicht alle Zweifel des Herrn Harlowes gehoben „waren, und er gern etwas gewisses haben woll- „te, darauf er fußen koͤnnte; so bat er mich, daß „ich die Muͤhe uͤber mich nehmen moͤchte, da ich „doch oͤfters nach London reisete. Er sagte zu „mir: Herr Tomlinson, sie haben selbst Kin- „der: sie kennen die Welt: sie wissen was mein „Endzweck ist. Jch habe das Vertrauen zu ih- „nen, daß sie klug und hertzhast zu Werke gehen „werden: und was ihnen eine hinlaͤngliche Ver- „sicherung zu seyn scheinet, das will ich auch fuͤr „eine hinlaͤngliche Versicherung halten.„ Dorcas kam mit Ungestuͤm in die Stube. Der fremde Herr wird ungeduldig. Z 2 Jch Jch will ihm den Augenblick aufwarten. Der Capitain fuhr indessen fort, sich zu ent- schuldigen, daß er nicht selbst zu uns gekommen waͤre, da er doch vermuthete, daß wir hier in dem Hause waͤren. Er sagte: er haͤtte wichtige Geschaͤfte ohngefaͤhr eine Meile jenseits London auszurichten, und er haͤtte gestern dahin reiten wollen. Da er aber seine kleine Reise haͤtte auf- schieben muͤssen, und erfahren haͤtte, daß wir zu Hause waͤren, ohne zu wissen, ob er eine so gute Gelegenheit wieder haben wuͤrde, so haͤtte er ver- suchen wollen, was er ausrichten koͤnnte, und haͤtte sich die Freyheit genommen, gestiefelt und gespornet hieher zu kommen. Er ließ auch ein Paar Worte zum Lobe der Leute, bey denen wir wohneten, fallen: allein auf solche Art, daß kein Argwohn daraus entste- hen konnte, als haͤtte er fuͤr noͤthig erachtet, sich nach Leuten, die sich so wohl auffuͤhreten, erst genauer zu erkundigen. Bemercke hiebey, Belford, daß mein Kind durch noch einen Umstand einen vortheilhaften Begriff von diesen Leuten bekommen muß, wenn sie ihm jemahls verdaͤchtig gewesen sind: weil nehmlich die Person, die ihr Onckle am Dien- stage hereingeschickt hat, nichts widriges von den Nachbaren gehoͤret hat. Er sagte endlich: ich habe ihnen nun von allen eine hinlaͤngliche Antwort gegeben. Sie werden mir erlauben, meine Frage nochmahls zu wiederhohlen, nehmlich ‒ ‒ ‒ Dorcas Dorcas kam gantz außer Athem herein. Der Herr will zu ihnen herauf kommen. ( Auf der Seite in das Ohr: ) meine Herr- schaft ist sehr ungeduldig. Sie wundert sich, daß ihre Gnaden sie so lange warten lassen. Erlauben sie mir, Herr Capitain, daß ich auf einen Augenblick weggehen darf. Jch kann ohnehin nicht laͤnger bleiben, Herr Lovelace. Wenn sie meine Frage beantworten, so werden wir noch mehreres zu reden haben, da- zu Zeit gehoͤret. Wollen sie mir erlauben, ihnen morgen fruͤh vor meiner Abreise aufzuwarten? Seyn sie so guͤtig und kommen zum Thee zu mir. Es wuͤrde aber sehr fruͤh seyn muͤssen. Jch muß morgen Abend zu Hause seyn, oder meine Frau macht sich allerhand Gedancken, und ist meinetwegen in Sorgen. Jch muß auch noch an einigen Orten morgen einsprechen. Wollen sie denn morgen fruͤh um sieben Uhr kommen? Wir stehen sehr fruͤh auf. Das kann ich ihnen zum voraus sagen: wenn ich jemahls mit der Harlowischen Familie ausgesoͤhnet wer- den soll, so muß es durch die Vermittelung eines Herrn geschehen, der sich so maͤßigen und ein kaltes Blut behalten kann, als sie. Hierauf schieden wir auf die hoͤflichste Weise von einander. Um dem ehrlichen und guten Mann keine unruhige Nacht zu machen, benahm ich ihm allen Zweifel, als wenn wir noch nicht ge- Z 3 trauet trauet waͤren, ohne dennoch etwas geradezu zu bejahen. Der viertzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Johann Bel- ford. Sonntags Abends. D ieser Capitain Tomlinson ist einer der gluͤcklichsten Leute in der Welt. Was wollte ich dasuͤr geben, wenn ich so gut als er bey meiner Geliebten angeschrieben waͤre! Und den- noch bin ich eben so fromm, als er. Man darf mich nur selbst meine Geschichte erzehlen lassen, und alles glauben, was ich sage. Der Teufel haͤtte ihn aber hohlen sollen, ehe er hier waͤre in das Haus kommen, wenn ich zum voraus gewußt haͤtte, daß ich meinen Haupt. Endzweck nicht durch ihn erreichen wuͤrde. Du weißt meine Absicht schon aus meinem vorigen Briefe. Jch komme nun, obgleich mit einigem Un- willen, auf die Unterredung, die ich mit meinem Kinde gehabt habe: mit Unwillen sage ich, denn sie hat bey nahe einen Sieg uͤber mich erhalten. Nachdem ich den Capitain hinunter bis auf die Straße begleitet hatte, so ging ich wieder zu- ruͤck in den Speise Saal, und sahe sehr vergnuͤgt aus, als die Fraͤulein herein trat. O mein lie- bes bes Kind, nun darf ich ihnen doch Gluͤck dazu wuͤnschen, daß sich alles so gut und so erwuͤnscht anlaͤßt! Jch ergriff ihre Hand, und liebkosete und kuͤssete sie. Als ich aber weiter reden wollte, so sagte sie: nun sehen sie, Herr Lovelace, in was fuͤr Ver- wirrung sie sich selbst dadurch gesetzet haben, daß sie nicht bey der Wahrheit geblieben sind. Sie haben auf eine erlaubte und gut-gemeynte Frage keine rechte Antwort geben koͤnnen, obgleich alles er- wuͤnschte, dazu sie mir Gluͤck wuͤnschen, von der Beantwortung dieser Frage abhaͤngt. Sie wissen, (sagte ich) was fuͤr ge gruͤndete, was fuͤr recht zaͤrtliche Ursachen ich hatte, vorzu- geben, daß wir Eheleute waͤren. Sie sehen, daß ich mir diesen Vorwand nicht zu Nutze gemacht habe; und daß auch keine andere uͤble Folgen daraus entstanden sind. Jhr Ouckle selbst ver- langet weiter nichts, als eine hinlaͤngliche Ver- sicherung hievon ‒ ‒ ‒ ‒ Kein Wort mehr hievon, Herr Lovelace. Jch will mich nicht allein in die Gefahr setzen, mit meinen Anverwandten nicht versoͤhnet zu wer- den, ob mir gleich an dieser Aussoͤhnung sehr vieles gelegen ist, sondern ich will auch diese Aussoͤhnung schlechterdings verschertzen, ehe ich eine solche Un- wahrheit noch ferner bekraͤftigen helfen sollte. Mein liebstes Kind! ‒ ‒ Soll man mich da- fuͤr ansehen ‒ ‒ ‒ Man soll sie fuͤr das ansehen, was sie sind: und ich will von meines Onckels Freunden fuͤr kei- Z 4 ne ne andere angesehen werden, als die ich in der That bin. Eine Woche! ‒ ‒ Koͤnnen sie denn nicht eine Woche lang, bis die Ehestistung aufgesetzt ist ‒ ‒ ‒ ‒ Nicht eine Stunde mit meinem guten Wil- len. Sie wissen nicht, mein guter Herr, wie nahe mir es gehet, daß ich bey den Leuten unten im Hause eine andere Person vorstellen muß, als ich in der That bin Allein mein Onckle soll es mir niemahls vorwerfen koͤnnen, und mein Ge- wissen soll es mir auch nicht vorzuwerfen haben, daß ich ihm etwas weiß gemacht habe. Was soll ich aber morgen den Capitain sa- gen? Aus meinen Reden muß er glauben ‒ ‒ So berichten sie ihn besser, Herr Lovelace. Sagen sie ihn die Wahrheit. Sagen sie ihm so viel sie wollen, daß ihre vornehmen Verwandten Gnade fuͤr mich haben: oder reden sie mit ihm von der Ehestiftung? Wenn sie den Auffatz der Ehestiftung ihm zeigen, und sich seine Erinnerun- gen daruͤber ausbitten, so wird er destomehr se- hen, daß es ihnen ein Ernst sey. Aber mein liebstes Leben, koͤnnen sie glauben, daß er gegen die Ehestiftung das geringste einzu- wenden haben wird? Gewiß nicht. Verflucht will ich seyn, wenn ich mich mit kaltem Blut von meinen Feinden unter die Fuͤße treten lasse. Und ich will in diesem Leben keine vergnuͤgte Stunde haben, Herr Lovelace, wenn ich mei- nem nem Onckle eine wissentliche Unwahrheit aufbin- de. Jch habe den Unwillen aller der Meinigen so lange erdulden muͤssen, und ich bin nicht gesin- net, ihn so theuer abzukaufen, daß ich daruͤber zur Luͤgnerin werde. Aber bedencken sie, die Leute in dem Hau- se ‒ ‒ ‒ ‒ Was frage ich nach denen? Jch verlange ihre Hochachtung und Freundschaft nicht. Brauchen sie alles zu wissen, was zwischen meinen Anver- wandten und mir vorgehet? Jch frage auch nach den Leuten nichts. Aber nachdem ich uns gegen sie fuͤr Eheleute ausgege- ben habe, um Ungluͤck zu vermeiden, so wollte ich nicht gern in ihren Augen so schwartz werden, als ein Luͤgner nach dem Urtheil meines lieben Kindes ist. Jch will lieber sterben, als mich so in das Angesicht Luͤgen ftrafen, nachdem ich von unserer Verehlichung alles so umstaͤndlich erzaͤh- let habe. Die Leute im Hause moͤgen denn glauben, was sie wollen. Es ist ein Versehen von mir, daß ich sie in ihrem Jrrthum bestaͤrcket habe. Sie ha- ben selbst so viele Umstaͤnde erdichten muͤssen, ei- ne eintzige Unwahrheit zu verkleistern; und das macht mich furchtsam, mich mit einer aberma- ligen Unwahrheit zu verwirren. Sie sehen aber doch, daß ihr Onckle wuͤn- schet, daß wir verheyrathet seyn moͤchten. Koͤn- nen wir uns nicht nachher in der Stille trauen las- Z 5 sen, sen, ehe er noch unsere Aussoͤhnung mit der uͤbri- gen Familie zu vermitteln anfaͤngt? Kein Wort weiter, Herr Lovelace. Wenn sie die Wahrheit nicht sagen wollen, so will ich sie morgen fruͤh sagen, wenn ich nur den Herrn Capitain spreche. Gewiß, das will ich thun. Wollen sie aber damit zufrieden seyn, daß hier im Hause alles in dem vorigen Stande bleibt? Es kann aus Tomlinsons gantzer Be- muͤhung nichts werden. Vielleicht sucht ihr Bruder seine Anschlaͤge auszufuͤhren, sonderlich wenn er gar von ihrem Onckle erfaͤhrt, daß sie keinen solchen Beschuͤtzer haben, den die Gesetze bestaͤtigen. Sie werden sich doch das zum we- nigsten gefallen lassen, daß alles so bleibt, wie es gewesen ist. Wenn ich das zugebe, so setze ich meine vo- rige Suͤnde fort. Jedoch, da die Ursache, die uns dazu zwinget, bald voruͤber seyn wird, (wenn es anders moͤglich ist, daß man durch irgend ei- ne Ursache zum Luͤgen gezwungen werden kann) so will ich mich daruͤber nicht so sehr zanken. Al- lein von neuen will ich mich nicht versuͤndigen, wenn ich es vermeiden kann. Koͤnnen sie aber glauben, Fraͤulein, daß ich verbotene Absichten hierbey habe? Jch dachte, sie wuͤrden kein Bedencken bey diesem Mittel finden, dadurch ich die Aussoͤhnung mit den Jhrigen zu erleichtern suche: und zwar gewiß nicht um mei- net willen. Denn was ist mir daran gelegen, ob ich mit ihren Anverwandten ausgesoͤhnet werde oder oder nicht? Jch verlange von den Jhrigen keine Gefaͤlligkeiten. Jch hoffe, Herr Lovelace, wir stehen jetzt so mit einander, daß die Beantwortung dieser Fra- ge unnoͤthig ist: und wir werden noch besser mit einander stehen, wenn sie Morgen fruͤh die Wahr- heit sagen, und zugleich von dem, was sie vorge- nommen haben, die Ursachen so vollstaͤndig an- zeigen, daß mein Onckle nicht alle gute Meinung von mir fahren laͤßt. Sie koͤnnen dabey ihn so ernstlich bitten, als sie wollen, das geheim zu hal- ten, was sie ihm offenbaren Sie sehen, daß der Herr Capitain ein vernuͤnftiger Mann ist, und den Frieden in den Familien zu besoͤrdern su- chet: und ich glaube, daß wir ihn zu unserm wah- ren Freunde machen koͤnnen. Jch sahe, daß alle Einrede vergeblich seyn wuͤrde. Sie hatte den Harlowischen Kopf ein- mahl aufgesetzt. Eine kleine Here! Eine kleine ‒ ‒ vergieb es mir, o Liebe, wenn ich sie schimpfe. Jch sagte mit einer ernsthaften Geberde: wir sind so oft zerfallen, Fraͤulein, daß ich nicht Lust habe, noch einmahl mit ihnen zu zerfallen. Jch will also schlechterdings gehorchen. Jch wuͤrde jenen Vorschlag gar nicht gethan haben, wenn ich nicht geglaubt haͤtte, daß er ihnen angenehm seyn wuͤr- de, sonderlich da wir uns in der That haͤtten koͤnnen trauen lassen, ehe ihr Onckle einen neuen Schritt gethan haͤtte. Es waͤre also nicht einmahl eine Unwahrheit gewesen, was wir gesagt haͤtten. Allein glauben sie nicht, daß ich mein Urtheil ih- rem rem kleinen Eigensinn ohne Belohnung unter- werfen will. ‒ ‒ (Jch schlug beyde Arme um sie, und gab ihren widerspenstigen Wangen einen feu- rigen Kuß, der ihren Lippen zugedacht war.) ‒ ‒ ‒ und das soll die Belohnung seyn, daß sie mir diese suͤsse Freyheit gern vergeben. Sie war nicht zornig bis zum Tode. Jch muß es nun im uͤbrigen so gut machen als ich kann. Jhr Sieg uͤber mich hat zwar meine Liebe nicht vermindert: allein ich duͤrste jetzt mehr als jemahls nach Rache, wie du es nennen wirst. Sieg ist sonst der eigentliche Nahme. Es ist eine Freude, wenn man eine so wach- same Schoͤne besiegen kann. Aber bey meiner Seele, Belford, es kostet uns zwantzig mahl mehr Muͤhe, Schelmen zu seyn, als es uns kosten wuͤr- de, tugendhaft zu werden. Jm Schweiß unseres Angesichts, und mit vielem Kopfbrechen muͤssen wir unser Vergnuͤgen erndten; der Gefahr nicht zu gedencken, die wir dabey zu uͤbernehmen haben. Und doch koͤnnen uns neidische Sitten-Lehrer noch schelten, wenn wir unsern Zweck erreichen! Wie unbillig ist das? sonderlich da auf die Stillung unseres Hungers ein so fruͤhzeitiger Eckel folget, daß wir beynahe nichts fuͤr unsere Arbeit genies- sen. Jedoch das kann man von allen irrdischen Ver- gnuͤgungen sagen. Jst das nicht ein sehr ernsthafter Gedancke, der deinem Lovelace aussteiget? Jch habe dir alles auf einmahl schreiben wol- len, was bis auf diesen Augenblick vorgegangen ist. Jch habe zwar meinen vornehmsten Endzweck nicht nicht erreichet, ich will aber dennoch den Capitain Tomlinson gebrauchen. Jch warne dich nur: urtheile nie von meinen Anschlaͤgen, wenn du nur die halbe Arbeit gesehen hast, sondern habe Geduld. Jch schwoͤre dir nochmahls, ich will mich von den unerfahrnen Maͤdchens nicht betruͤgen lassen. Und dennoch bin ich bisweilen in Sorgen: der Howe ihre Zollbetruͤgerin spuͤcket oft in meinem Kopfe. Es ist schon sehr spaͤte, oder fruͤh: denn der Tag bricht schon an. Jch bin verflucht muͤde. Das brauche ich dir zwar nicht zu schreiben. Jch will mich nur in den großen Stuhl setzen, und schlummern. Ueber eine Stunde schuͤttele ich mich aus; ich wasche mich, und lebe wieder auf. Jn meinen Jahren und bey meiner Gesundheit brauche ich nicht mehr. Gute Nacht, Herr Jch! ich werde aufwachen ehe mir die Sonne auf den Stuhl scheinet. A ‒ A ‒ A ‒ A ‒ Ha ‒ Ja. Der Teufel! wie hochjaͤhne ich. Jst dein Onckle noch nicht todt? Was fehlt meinem Onckle, daß er mir noch nicht antwortet. Sucht er mehr Weisheit der Nationen auf? Das wird es seyn. A ‒ ‒ A ‒ ‒ Ja. Jch hochjaͤhne noch einmahl. Weg, Feder! Der Der ein und viertzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Montags den 29sten May. N un bin ich von dem Hertzen meines Kindes auf ewig versichert. Der Capitain kam versprochener Maßen um sieben Uhr, und war gantz reisefertig. Meine Geliebte wollte nicht bey uns seyn, bis die erste Unterredung voruͤber waͤ- re. Jch glaube, sie schaͤmte sich mir zur Schan- de, sich bey dem Theil unserer Unterredung sehen zu lassen, der ihre Jungferschaft wiederherstellen sollte, nachdem ihrem Onckle berichtet war, daß sie meine Frau waͤre. Sie behorchte uns aber, und hoͤrte alles, was wir sagten. Das allersitsamste Frauenzimmer dencket zum wenigsten, und hat bisweilen sehr tiefe Gedancken. Jch moͤchte wis- sen, ob die Maͤdchens auch roth werden, wenn sie das in der Stille behorchen, wobey sie sich in Ge- sellschaften so schoͤn verfaͤrben? Wenn das nicht geschiehet, und die Schamroͤthe dennoch ein Zei- chen der Ehrbarkeit ist, so glaube ich, daß die Frauensleute das Blut in ihren Wangen eben so sehr in ihrer Gewalt haben, als die Thraͤnen. Diese Betrachtung wuͤrde mich sehr weit leiten, wenn ich jetzt Lust haͤtte, dich mit einem gelehrten Buch von der Natur des schoͤnen Geschlechts zu er- freuen. Jch Jch fagte dem Capitain: Jch wollte ihm nicht vergeblich sragen lassen, sondern ihm alles sagen, wenn ich gewiß wuͤßte, daß er geheim damit seyn wollte, und daß insonderheit Jacob Harlowe nichts davon erfuͤhre. Nachdem er mir dieses in seinem und in des alten Onckels Nahmen verspro- chen hatte, so sagte ich ihm die reine Wahrheit: daß wir nehmlich noch nicht getrauet waͤren. Jch gab ihm die Ursachen zu verstehen, dadurch mein Wunsch so weit hinaus gesetzet ist: nehmlich theils waͤre ein ungluͤckliches Misverstaͤndniß zwi- schen uns an dem Ausschube schuld gewesen; hauptsaͤchlich aber das allzu große Verlangen der Fraͤulein, mit den Jhrigen vorher ausgefoͤhnet zu werden, und eine gewisse Zaͤrtlichkeit fuͤr alles, das man Wohlstand nennen kann, die ihres gleichen nicht haͤtte. Andere Frauenzimmer sehen es gerne, wenn man ihnen Grausamkeit und Verzoͤgerungen, die sie selbst mit Willen verursachet hatten, schuld giebt. Sie sorgen dabey wenig vor ihre Ehre: denn sie geben stillschweigend zu verstehen, daß sie am mei- sten bey der Verbindung gewinnen, weil sie den Aufschub derselben fuͤr eine so große Selbst Ver- leugnung halten. Jch erzaͤhlte ihm, aus was fuͤr Ursachen wir uns bey den Leuten im Hause fuͤr verheyrathet ausgegeben haͤtten, wir sich aber versprochen haͤtten einander noch nicht zu beruͤhren. Wir waͤren des- wegen von beyden Seyten uͤbermaͤßig sittsam ge- wesen: nehmlich, ich haͤtte mich sehr surchtsam, und die die Fraͤulein sehr wachsam und argwoͤhnisch auf- gesuͤhret. Wir haͤtten uns nicht einmahl die er- laubten Freyheiten vergoͤnnet, die unter Verlobten gewoͤhnlich sind. Jch zeigete ihm hierauf eine Abschrift mei- nes Entwurß der Ehestiftung; den Haupt- Jnhalt ihrer schriftlichen Antworten; mein Ein- ladungs. Schreiben an meinen Onckle, und des- sen großmuͤthige Antwort. Jch sagte aber dabey: weil ich befuͤrchtet haͤtte, daß seine Unpaͤßlichkeit ei- nen neuen Ausschub verursachen koͤnnte, und weil meine Geliebte blos aus Gehorsam und Liebe ge- gen die Jhrigen verlangte, daß die Hochzeit in der groͤßesten Stille vor sich gehen sollte: so haͤtte ich nochmahls an meinen Onckle geschrieben und ihm seines Versprechens zu unserer Hochzeit zu kom- men erlassen. Jch erwartete alle Stunden eine Antwort auf dieses Schreiben. Jch sagte ihm: die Ehestiftung wuͤrde jetzt eben von dem Advocaten Williams, von dessen Geschicklichkeit er ohne Zweifel gehoͤret haben wuͤr- de, in bester Form Rechtens aufgesetzet. Da er jetzt in Londen waͤre, so koͤnnte er sich selbst nach diesem Umstande erkundigen. (Herr Williams war ihm bekannt.) Jch sagte: wenn die Ehestiftung im Vollen aufgesetzt und in das reine geschrieben waͤre, so fehlte weiter nichts als die Unterschrift, und die Bestimmung des erwuͤnschten Tages. Jch such- te meine Ehre darin, daß ich mit einer Person, die ich so sehr liebte, auf das billigste verfuͤhre, und selbst selbst von freyen Stuͤcken auch ohne die Vorsorge der Jhrigen fuͤr sie sorgte, daß ihren Rechten kein Eintraͤg geschaͤhe, nachdem ich von ihren Anver- wandten auf das allergroͤbste beleidiget waͤre. Da wir uns nun jetzt in diesen Umstaͤnden befaͤnden, so wuͤrde mir es nicht zuwider seyn, wenn Herr Hans Harlowe an unsere Aussoͤhnung mit der uͤbrigen Familie nicht eher arbeitete, als bis wir wircklich getrauet waͤren. Dem Capitain gefiel alles was ich sagte un- gemein wohl. Nur ließ er sich mercken, daß er gewuͤnscht haͤtte uns wircklich als Eheleute anzu- treffen, weil dem Herrn Hans Harlowe die Nach- richt von unserer Vermaͤhlung so angenehm gewe- sen waͤre. Er zweifelte indessen nicht daran, daß alles gut gehen wuͤrde. Er saͤhe die tristigen Ursachen ein die wir gehabt haͤtten, uns bey den Leuten in dem Hause (von de- nen er alles Gute hoͤrete) fuͤr verehelicht auszuge- ben. Er koͤnnte nun begreiffen, warum das Cam- mermaͤdchen dem andern Fxeunde des Herrn Hans Harlowe so, und nicht anders, haͤtte antworten koͤn- nen. Herr Jacob Harlowe haͤtte gewißlich seine Absichten dabey, daß er die Trennung der Fa- milie zu erweitern suchte: und er haͤtte auch einen Anschlag, seine Schwester mit Gewalt zu entsuͤh- ren. Es sey daher seinem Freunde eben so viel cls mir selbst daran gelegen, das Geheimniß zu verschweigen, bis er andere Anverwandten auf seine Seite gebracht und alle Einrichtungen gemacht habe. Der Haß und die Leidenschaften stelleten Vierter Theil. A a alles alles auf der schlimmesten Seite vor. Es waͤre ihm unbegreiflich, wie die Feindschaft gegen einen Herrn haͤtte so weit gehen koͤnnen, der so friedfer- tig und erhaben daͤchte, und so viel Herrschaft uͤber sich selbst gezeiget haͤtte. Er saͤhe, daß ich in allen Stuͤcken großmuͤthig handelte, damit die Liebe zur Intrigue nichts zu thun haͤtte. Er wollte weiter reden. Allein das Fruͤh- stuͤck war eben fertig. Die Beherrscherin meines Hertzens trat herein, und erleuchtete alles durch ihre Strahlen. Die Guͤtigkeit und Freundlichkeit zei- gete sich von neuem in ihrem Gesichte, die ihr zwar natuͤrlich ist, allein die so lange von ihr verbannet gewesen ist. Der Capitain buͤckte sich, als wenn er vor ihr niederfallen wollte. Wie zeigte das liebe Kind durch sein Laͤcheln an, daß es ihm gewogen war. Eine Ehrfurcht erweckt die andere. Wir Manns-Leute sind aͤrgere Affen, als wir es dencken. Jch beugte beynahe ohne mein Wissen die Kniee, und stellete ihr den Capitain mit sehr verbindlichen Worten vor. Jch unterstand mich selbst nichts gegen ihre Lippen oder Wangen, und es war gut, daß er es auch nicht that. Er war in der That bereit sie anzubeten; und wagete es kaum, ihre Hand zu beruͤhren. Jch habe dem Herrn Capitain erzaͤhlt ‒ ‒ ‒ Hier wiederholte ich alles, was ich mit ihm gere- det hatte, als wenn sie noch nichts davon wuͤßte. Er wunderte sich, daß jemand gegen einen sol- chen Engel uͤbel gesinnet seyn koͤnnte: und er mach- machte sich ein Gluͤck und Ehre daraus, wenn er ihre Sache befoͤrdern koͤnnte. Jch muß es gestehen: mein Engel hat nie so englisch ausgesehen, als damahls. Sie war lauter Gelassenheit, Heiterkeit, Laͤcheln, Zuversicht: ihre natuͤrliche Schoͤnheit ward noch erhoͤhet, und ihr so schoͤn gefaͤrbtes Gesicht schien beynahe Strahlen zu schießen. Nachdem wir uns gesetzt hatten, redeten wir bey einer Tasse Chocolade von der angenehmen Materie. Owie gluͤcklich prieß sie sich, wenn sie das Hertz ihres Onckels wieder erlangen koͤnnte! Der Capitain sagte: dafuͤr wollte er Buͤrge seyn. Er hoffete, sie wuͤrde an ihrem Theil fer- ner keinen Aufschub machen. Wenn der Hochzeit- Tag nur erst vorbey waͤre, so wuͤrde alles gut wer- den. Ob er aber wohl um eine Abschrift meines Entwurfes und ihrer Antwort bitten duͤrfte, da- mit er sie seinem aufrichtigen Freunde, ihrem On- ckle, zeigen koͤnnte? Wie es Herr Lovelace fuͤr gut findet, sagte sie. O wenn doch das liebe Kind immer so sagte. Jch sagte: so muß es denn in dem groͤßesten Vertrauen geschehen. ‒ ‒ Waͤre es aber nicht bes- ser, ihrem Onckle den Entwurf, wie ihn Herr Wil- liams abfassen wird, vorzulegen? Ja! wenn sie das guͤtigst erlauben wollen, Herr Lovelace! Siehe Belford. Ehemahls waren wir die A a 2 zaͤncki- zaͤnckischen, und jetzt sind wir die hoͤflichen und ge- faͤlligen Liebhaber. Jn Wahrheit mein liebstes Hertze, ich will so seyn, wenn sie es verlangen: und wenn Capitain Tomlinson versprechen will, daß es Herr Har- lowe voͤllig geheim haͤlt, damit ich von nieman- den mehr aus der Familie, die mir so uͤbel begegnet hat, Schmaͤhungen und Vorwuͤrfe anhoͤren muß. Nun sind sie in der That sehr hoͤflich, mein Herr. Denckst du Hanns, daß sich mein Gesichte nicht auch alsdenn erheiterte? Jch bot ihr meine Hand, nachdem ich solche erst mit einem Kusse geweihet hatte: Sie ließ sich bewegen mir die ihrige zu geben: Jch druͤckte sol- che an meine Lippen. Jhr wißt nicht Cap. Tom- linson, (sagte ich freudig) nun alle Stuͤrme vor- bey sind, was fuͤr ein gluͤcklicher Mann ‒ ‒ Ent- zuͤckendes Paar! Er hob seine Haͤnde auf ‒ ‒ Wie wird sich mein Freund erfreuen! ‒ ‒ O daß er ge- genwaͤrtig waͤre! ‒ ‒ Sie wissen nicht Madem. wie lieb sie ihrem Vetter Harlowe sind. Jch schaͤtze mich fuͤr ungluͤcklich, ihm jemahls misfallen zu haben! Nicht allzusehr deswegen, mein Liebstes, dachte ich! Er wiederholte die Versicherung seiner Dienst- fertigkeit, und dieses so annehmlich, daß mein lieb- stes Hertz wuͤnschte, weder ihm noch einem der Seinigen moͤchte jemahls ein Freund von gleicher Gutwilligkeit fehlen. Keiner von den Seinigen, sagte sie: Denn der Capitain meldete, er habe 5. Kin- Kinder, von der besten Frau und Mutter, am Leben: Diese ihre vortreffliche Wirthschaft mach- te ihn so gluͤcklich, als ob seine 800. Pfund jaͤhr- lich (welches alles war, was er sich ruͤhmen konn- te) zweytausend waͤren. Ohne Wirthschaft, sagte mein weises Frauen- zimmer, ist kein Vermoͤgen groß genug; mit Wirthschaft ist keines zu klein. Ruhe doch, qvaͤlender Boͤsewicht! ruhe doch! - ich redete nur zu meinem Gewissen, mein Freund. Jch muß fragen, Herr Lovelace, sagte der Capitain, doch nicht so sehr aus Zweifel, als um sicher zu gehn, ‒ ‒ Sind sie willens mit meinem werthen Freunde eine allgemeine Versoͤhnung zu schließen? Jch versichere sie, Herr Tomlinson, kann es in die Augen fallen, daß meine Bereitwilligkeit, mich mit einer Familie zu versoͤhnen, die mir eben nicht Ursache gegeben hat, von ihrer Großmuth aufs beste zu dencken, voͤllig dem Werthe zuzu- schreiben ist, in dem ich dieses englische Frauen- zimmer halte, so will ich nicht nur ihrem Verlan- gen gemaͤß, mich mit dem Herrn Hans Har- lowe vereinigen, sondern selbst zum Herrn Ja- cob Harlowe, und dessen Gemahlin gehen; noch mehr, den Sohn Jacob, und Arabellen voͤllig zu beruhigen, will ich mich auf alle Anspruͤche, fuͤr mich und meine Erben, auf jedes von den drey Bruͤdern sein Vermoͤgen lossagen, und mich mit dem begnuͤgen, was meiner Liebsten Großvater ihr ausgesetzt hat. Denn ich habe Ursache, mit A a 3 mei- meinen jetzigen Umstaͤnden, und dem was ich zu hoffen habe, voͤllig zufrieden zu seyn. ‒ ‒ Mit ei- nem Frauenzimmer, deren Verdienste alle Guͤter des Gluͤcks uͤbertreffen, waͤre ich genug belohnt, wenn sie auch nicht das Geringste zu mir braͤchte. So wahr als das Evangelium! Belford; war- um hatte diese Scene nicht die Wahrheit zum Grunde? Meine Liebste druͤckte durch ihre Augen ihre Danckbarkeit aus, ehe die Lippen solche hervorbrin- gen konnten. O Herr Lovelace sagte sie ‒ ‒ Sie ha- ben unendlich ‒ ‒ Und da hielt sie inne ‒ ‒ Der Capitain fing an eine Lobrede auf mich zu halten. Er war wircklich geruͤhrt. O daß doch bey meiner Liebe nicht so eine Ver- mischung von Rache und Stoltz waͤre! dachte ich. ‒ ‒ Aber (meine alte Entschuldigung) kann ich ihr nicht allemahl alles vergelten? Jst nicht ihre Tugend nun auf der hoͤchsten Staffel ihrer Pruͤfung? Wollte sie, wie die Freunde meiner niemahls zanckenden Rosebud, alles Mistrauen bey Seite setzen ‒ ‒ Wollte sie sich voͤllig auf mich verlassen, und mich nur vierzehn Tage lang im Leben der Eh- re pruͤfen ‒ ‒ Was denn? ‒ ‒ Jch kann nicht sa- gen was. Verachte mich nicht, mein Freund, wegen mei- nes Wanckelmuths ‒ ‒ Nun stimm ich wohl in zweyen Briefen mit mir selbst uͤberein ‒ ‒ Wer erwartet ein gesetztes Wesen von Mannsbildern von unserer Gemuͤthsart? Aber ich bin vor Lie- be thoͤricht ‒ ‒ von Rachgier entflammt ‒ ‒ Mit mei- meinen eignen Anschlaͤgen verwirrt gemacht ‒ ‒ Meine Erfindungen gereichen mir zum Schaden ‒ ‒ Mein Stoltz ist meine Strase ‒ ‒ Auf einmahl nach fuͤnf oder sechs Saiten gezogen ‒ ‒ Kann Sie wohl so ungluͤcklich seyn als ich? Ach warum, warum war dieß Frauenzimmer so himmlisch voll- kommen! ‒ ‒ Gleichwohl weiß ich denn sicher, daß sie es wircklich ist? ‒ ‒ Was hat sie fuͤr Proben ausgestanden? Habe ich das Hertze gehabt, nur eine an ihrer Person zu machen, ob ich wohl funf- zig an ihrer Gemuͤths-Beschaffenheit angestellt habe? Genug, ich hoffe es dahin zu bringen, daß sie fuͤrchten soll mir ferner je zu misfallen. ‒ ‒ Jch muß alle Ueberlegung von mir verban- nen, oder ich bin ein verlohrner Mensch. Zwo Stunden her habe ich mich selbst wegen meiner eignen Unternehmung gehaßt. Und daß nicht nur deswegen, was ich dir schon erzaͤhlet habe, sondern auch, was ich noch erzaͤhlen will. Aber nun ha- be ich mein Hertz noch einmahl gestaͤhlt. Meine Rachgier hat die Oberhand, denn ich habe eines und das andere von Fraͤulein Howes Gift wieder ge- lesen. Die Verachtung in der ich bey beyden ge- standen habe, ist mir unertraͤglich. ‒ ‒ Meine Liebste gestand, das sey das gluͤcklich- ste Fruͤhstuͤcke, das sie genossen, seit dem sie ihres Vaters Haus verlassen. Das haͤtte sie koͤnnen bleiben lassen. Der Capitain erneuerte alle sei- ne Dienst-Erbietungen. Er wollte mir schreiben, A a 4 wie wie sein werther Freund die Nachricht von dem gluͤcklichen Zustande unserer Sachen aufnehme, und was er von den Vergleichen urtheilen wuͤrde, so bald ich ihm die Einwuͤrfe sendete, die ich sehr freundschaftlich versprach. Wir gingen mit großen Versicherungen beyderseitiger Hochachtung aus einander, und meine Liebste that die eifrigsten Wuͤn- sche fuͤr den gluͤcklichen Ausgang dieser großmuͤ- thigen Vermittelung. Jch begleitete den Capitain die Treppe hinun- ter, bis an die aͤußere Thuͤre; wie ich zuruͤck kam, ging mir meine Liebste entgegen, indem ich in das Speisezimmer trat: Gefaͤlligkeit zeigte sich in je- dem ihrer liebenswuͤrdigen Gesichtszuͤge. Sie sehn mich schon gantz veraͤndert, sagte sie. Sie wissen nicht, wie nahe mir diese gehoffte Ver- soͤhnung am Hertzen liegt. Nun will ich alles un- angenehme Andencken verbannen. Sie wissen nicht, mein Herr, wie sehr sie mich ihnen verbun- den haben. Und ach Herr Lovelace! wie gluͤck- lich werde ich seyn, wenn mein Hertz von der nie- derdruͤckenden Last des vaͤterlichen Fluches befreyet ist! Wenn meine liebste Mamma (sie kennen, mein Herr, noch nicht halb alle Vorzuͤge meiner liebsten Mamma! und was fuͤr ein zaͤrtliches Hertze sie hat, wenn solches seinem eigenen Triebe zu folgen uͤberlassen wird.) Wenn diese verehrungswuͤrdi- ge Mamma noch einmahl mich an ihre guͤtige Brust druͤcken wird! Wenn ich wieder Vettern und Ba- se, einen Bruder und eine Schwester haben wer- de, die sich alle um die Wette bestreben werden, wer wer der armen Verbannten, nun nicht mehr Ver- bannten! die meiste Zaͤrtlichkeit erweisen kann. Und sie, mein Lovelace, wenn sie alles das ansehen, und in einer so werthen Familie willkommen geheis- sen werden. ‒ ‒ Was schadet es, wenn auch der erste Empfang etwas kaltsinnig ist. Lernt man sie besser kennen, und sieht man sie oͤfterer, fallen keine neue Ursachen zum Misvergnuͤgen vor, und fangen sie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, so wird die Liebe von beyden Seiten immer staͤrcker und staͤrcker werden, bis sich vielleicht ein jeder wundert, wie es gekommen ist, daß sie ihnen je- mahls zuwider gewesen sind. Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte sich ploͤtzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als besoͤnne sie sich, daß sie ihre Freude durch eine Aus- druͤckung derselben mir entdeckt hatte, die ich nicht hatte sehen sollen. ‒ ‒ Mich aber ließ sie so unvermoͤgend solches auszuhalten, als sie selbst war. Kurtz ich war ‒ ‒ was ich war, auszudrucken fehlet es mir an Worten. ‒ ‒ So sehr hatte mich die- se schoͤne Seelen-Beherrscherin noch nicht geruͤhrt. Jch suchte meine Empfindlichkeit zu unterdruͤcken, und sie war zu starck darzu. Jch seufzete so gar ‒ ‒ Ja bey meiner Seele, ich seufzete, daß man es hoͤrte und mußte mich von ihr wenden, ehe sie ihre ruͤh- rende Rede recht geendet hatte. Mich deucht, nachdem ich dir die seltsame Em- pfindung gestanden habe, so verlangt mich, sie dir zu A a 5 beschrei- beschreiben ‒ ‒ Die Sache war mir so fremde ‒ ‒ als wenn mir etwas die Luft versetzte. ‒ ‒ Jch weiß nicht wie ‒ ‒ doch muß ich es gestehn, ob ich mich es wohl nicht vollkommen mehr erinnern kann, es war was sehr artiges dabey. Jch wuͤnschte es wie- der zu empfinden, damit ich einen vollkommenen Begriff davon haͤtte und es dir besser beschreiben koͤnnte. Aber diese Wirckung der Freude bey einer solchen Gelegenheit in ihr, giebt mir einen hohen Begrif, was diese Tugend seyn muß, (denn mit was fuͤr einen Nahmen soll ich sie sonst belegen) die in einem Gemuͤthe, das zaͤrtlicher Entzuͤckun- gen so faͤhig ist, in ihrer schoͤnsten Bluͤthe, gegen alle Liebes-Bezeigungen eines Mannsbildes, den sie nicht feind ist, zu Schnee und Eis macht. Das muß alles auch von der Auferziehung herruͤhren ‒ ‒ Nicht wahr, Belford? Kann die Auferziehung in eines Frauenzimmers Hertze mehr Gewalt ha- ben als die Natur? ‒ ‒ Gewiß nicht. Kann sie es aber, wie recht haben nicht die Eltern, daß sie ihrer Toͤchter Gemuͤther bilden, und ihnen Vor- sichtigkeit und Behutsamkeit gegen unser Geschlecht einpraͤgen; und in der That, daß sie ihnen hohe Begriffe von dem Jhrigen beybringen? Denn wo die Tugend sich nicht wie die Sonne in ihrem ungeborgten Glantze zeigt, ist der Stoltz, ich ver- sichere dich, vortrefflich ihre Stelle zu vertreten. Der Der zwey und vierzigste Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. N un ist es Zeit zu gestehen, (und doch weiß ich, daß deine Muthmaßungen meinem Berichte zuvor gekommen sind) daß dieser Capi- tain Tomlinson, der ein solcher Guͤnstling meiner Liebsten, und so eifrig ist Versoͤhnungen zu stif- ten, weder groͤßer noch kleiner ist, als der ehrliche Patrik Mac Donald, den ein Lackey den er selbst ausfuͤndig gemacht hat, begleitet. Du weist was fuͤr Abwechslungen das Leben dieses Schelmen gehabt hat, der zu einer bessern Hoffnung gebohren und auferzogen war. Aber die sinnreiche Spitzbuͤberey, derentwegen man ihn von der Dublinischen Universitaͤt gejaget, und was man nachgehends uͤberzeugend entdeckt hat, sind sein Verderben gewesen. Dieses hat ihn aus ei- nem Lande ins andere gejagt, und ihn endlich zu einer Lebensart gebracht, vermoͤge der er zu einem Manne fuͤr Fraͤulein Howes Townsend, mit ihren Contrabanden geschickt ist. Er ist, wie du weist, zu allen Unternehmungen die List und ein besonderes Ansehen erfordern, sehr faͤhig. Und kann man endlich mehr Gerechtigkeit verlangen, als als daß ein Betruͤger wider den andern zu spielen in Bereitschaft gehalten wird? „Gut, aber Lovelace (fragst du mich viel- „leicht) wie konntest du dich so verfuͤhren lassen, „da dein Frauenzimmer einen Monath bey diesen „ihren Vetter gewesen war, und also vermuthlich „wußte, daß es keinen Capitain Tomlinson in „der gantzen Nachbarschaft gab, wenigstens keinen, „der so vertraut mit mir gewesen waͤre?“ Dieser Einwurf ist natuͤrlich, mein Freund, daß ich nicht unterlassen konnte, meine Liebste zu erinnern, sie muͤsse ja wohl ihren Vetter haben von diesem Herren reden hoͤren? Sie sagte, nie- mahls. Ueberdieß ( wie ich sie zuvor hatte sa- gen hoͤren, ) war sie fast zehn Monathe nicht bey ihrem Vetter Harlowe gewesen, und es kamen viele Herren dahin, die sie ihrem Vermelden nach nicht kannte. Du weißt, man ist allezeit fertig zu glauben was man wuͤnscht. Und warum war sie so lange nicht bey ihrem Vetter gewesen, wirst du fragen? ‒ ‒ Je, dieser alte Suͤnder, der sich berechtigt haͤlt, mich wegen meiner Freyheiten gegen das schoͤne Geschlecht zur Rechenschaft zu fodern, hat sich letzthin, wie man vermuthet, mit seiner Haushaͤlterin in allzu große Vertraulichkeit eingelassen, und diese maßt sich ei- ner Gewalt uͤber ihn an. ‒ ‒ Das verwuͤnschte ver- verfuͤhrerische Geschlechte! Jn der Jugend, im mitlern und im hohen Alter fangen sie uns doch noch allemahl. Siehst du gleichwohl nicht, daß diese Haus- haͤlterin von unserm vorhabenden Vergleiche nichts weiß, noch wissen soll. Deswegen koͤmmt der Vetter allemahl zum Capitain, und dieser nie zu jenen: Diesen Einfall sagte ich meiner Liebsten. Alsdenn war es natuͤrlich, darauf zu gerathen, daß man sich desto eher an den Capitain wenden muͤsse, weil er mit der uͤbrigen Familie in keiner Verbindung steht. Jst es noͤthig dir zu erklaͤren wohin alles dieß abzielt? Aber diese Jntrigue des Alten ist ein Stuͤcke einer geheimen Geschichte, deren Wahrheit meine Geliebte nicht gestehen will, und sich gar stellt, als glaube sie solche nicht. Eben so verhaͤlt sie sich in Absicht auf einige unehrbare Galanterie ihres naͤrrischen Bruders, die ich ihr, als einen Gegen-Vorwurf erwaͤhnt habe, ohne den aus der Familie zu nennen, der es mir gesagt hat. Gut, aber mich deucht du fragst mich wieder, ist es nicht wahrscheinlich, daß Fraͤulein Howe, nach einem solchen Manne wie Capitain Tomlin- son, forschen wird? ‒ ‒ und wenn sie nicht kann ‒ ‒ Jch weiß was du sagen willst ‒ ‒ aber ich zweifle nicht, Wilson wird so gut seyn, wenn ich es verlange, alle Briefe die von Collins die naͤch- ste ste Woche in mein Haus gebracht werden, in mei- ne eigenen Haͤnde zu geben. Und nun hoffe ich, bist du zufrieden gestellt. Jch will mit einer kurtzen Geschichte schließen. „Zweene benachbarte Fuͤrsten kriegten mit ein- „ander uͤber, ich weiß nicht was fuͤr eine nichts- „wuͤrdige Sache; es ist der Muͤhe nicht werth, „zu fragen woruͤber, denn Fuͤrsten und Kinder ge- „rathen uͤber jede Kleinigkeit an einander. Jhre „Armee war einige Tage in Schlacht Ordnung ge- „gen einander gestanden, und man erwartete taͤg- „lich an jedem Hofe die Nachricht von einer ent- „scheideten Schlacht. Endlich gerieth man zu- „sammen, es ward eine blutige Schlacht geliefert, „und ein Kerl der zugesehen hatte, langte mit der „Nachricht davon, in eines von beyden Fuͤrsten „Hauptstadt an, ehe noch die Courier ankamen. „Man laͤutete die Glocken, man steckte Freuden- „feuer und Jlluminationen an, und das Volck „ging aus patriotischer Freude besoffen zu Bette. „Aber den folgenden Tag war alles umgekehrt. „Man erwartete den siegenden Feind mit Furcht „an den Thoren der fast unbefestigten Residentz. „Man suchte den ersten Bothschafter und fand ihn: „Auf Befragen, meldete er, es sey ja ein großer „Verdienst von ihm, daß er bey so betruͤbten Um- „staͤnden dem Schmertze seiner Mitbuͤrger so viel „Zeit geraubt, und sie solche so großer Freude an- „zuwenden veranlaßt haͤtte, als diejenige war, mit „mit der die Stunde zwischen der guten Luͤgen „und uͤbeln Wahrheit verstriche.“ Mache du selbst die Anwendung, Belford. Das weiß ich, ich habe meiner Liebsten mehr Freu- de gemacht, als sie je so bald gehofft hatte: und wie im menschlichen Leben ohnedem gutes und boͤses stets untermengt ist; so wird so ein kluges Frauen- zimmer als sie, ohnstreitig alles zum besten anzu- wenden, und das Uebel mit dem Guten im gehoͤ- rigen Gleichgewichte zu halten wissen. Das Frauenzimmer meldet ihrem Freunde in drey Briefen die wichtigsten Vorfaͤlle und Unter- redungen, die in Herr Lovelaces vorhergehen- den Schreiben enthalten sind, folgends sind ihre Worte, wie sie des angeblichen Herrn Tomlin- son Anbringen erzaͤhlet, nach der Furcht die ihn seine weitlaͤuftigen Untersuchungen verursacht hatten. „Endlich, mein Werther, wurden alle diese „Zweifel und furchtsame Vorstellungen aufge- „klaͤrt, und statt derselben oͤfnete sich mir die an- „genehmste Aussicht. Dem zum Gluͤcke entdeckt „sich, (aber jetzo muß es noch das groͤßte Geheim- „niß seyn,) daß mein Vetter Harlowe diesen „Herrn gesandt hat, (ich dachte wohl, daß er „nicht immer gegen mich Zorn halten koͤnnte) und „daß alles dieß eine Wirckung von des guten Herr „Hickmanns Unterredung mit ihm war. Denn „ob wohl Herr Hickmanns Antrag einmahl zu hitzig „hitzig verworfen ward, so urtheilte doch mein Vet- „ter nachgehends besser von ihm und von den „Gruͤnden die dieser werthe Herr zu meinem Vor- „theil vorbrachte. „Wer sollte wegen einer hitzigen abschlaͤgli- „chen Antwort sogleich daran verzweifeln, daß „ihm eine billige Bitte nicht gewaͤhrt wuͤrde? ‒ ‒ „Wer sollte sich nicht bestreben, in ein zorniges „Gemuͤthe durch Nachgeben und Gelindigkeit eini- „gen vortheilhaften Eindruck zu machen? der, „wenn sein Zorn etwas verkuͤhlt ist, und es das „Vergangene bedencket, behuͤlflich ist, es zu einer „Versoͤhnung zu bewegen? Es ist ein Unter- „schied, wie ich oft sage, um eine Gefaͤlligkeit zu „bitten, und sie als eine Pflicht zu fordern. Mit „was fuͤr Rechte ist der Bittende bey einer ab- „schlaͤglichen Antwort zornig, wenn er das, war- „um er ansucht, nicht als eine Schuldigkeit ein- „fodern darf.“ Sie beschreibt Cap. Tomlinson nach seiner Auffuͤhrung bey dem Fruͤhstuͤcke, als einen guten ernsthaften Mann. Und anderswo: „es ist ein „artiger Mann, der sehr ernsthaft ist und gut aus- „sieht.“ Sie schaͤtzt ihn auf 50 Jahr alt. „Er „gefiel mir, sagte sie, so bald ich ihn sahe.“ Wie sie nun bessere Hoffnung hat als zuvor, so wuͤnscht sie, daß sie sich auch Herrn Lovelaces so oft zugesagte Besserung sicherer versprechen duͤrfte, als sie befuͤrchtet daß sie berechtigt ist. Wir Wir haben es beyde sehr sehwer gefunden, mein Werther, sagte sie, einige Theile von Herrn Lovelaces Chararter mit andern zu vereinigen: sein gutes Gemuͤthe mit seinen schlimmen Nei- gungen zu vergleichen, besonders gewisse Umstaͤn- de von dem erstern, als: sein edles Bezeigen ge- gen seine Pachter; seine Guͤte gegen seines Gast- wirths Tochter; seine Fertigkeit mich darauf zu bringen, daß ich durch meine gute Norton und an- dere Wohlthaten ausuͤben sollte. „Es ist eine seltsame Vermischung in seinem „Gemuͤthe, wie ich ihm oft gesagt habe. Denn „er ist sicherlich (wenn man auf sein Bezeigen ge- „gen mich in 20 Vorfaͤllen zuruͤcke denckt) als ein „partheyischer Mensch anzusehen. ‒ ‒ Jn der „That, mein Werthester, ich habe mehr als ein- „mahl daran gedacht, daß er es lieber haͤtte, mich „weinen zu sehen, als mir Ursache zu geben, mit „ihm vergnuͤgt zu seyn.“ „Meine Muhme Morden sagt, Leute die frey „lebten, fuͤhlten keine Gewissens-Bisse III. B. 361. S. Siehe auch Herrn Lovelaces eignes Gestaͤndniß von dem Vergnuͤgen, das es ihm bringt, ein Frauenzimmer weinen zu sehen, in verschiedenen Stellen seiner Briefe, besonders 66. S. dieses Bandes. . Sie „muͤssen der Natur der Sache gemaͤß so unem- „pfindlich seyn.“ „Herr Vierter Theil. B b „Herr Lovelace ist stoltz. Wir haben sol- „ches lange bemerckt. Und ich fuͤrchte in Wahr- „heit, sein edles Bezeigen ruͤhrt mehr von seinem „ Stoltze und seiner Eitelkeit, als von der Men- „schen-Liebe, die ein gutthaͤtiges Gemuͤthe unter- „scheidet, her.“ „Geld achtet er nicht weiter, als in so fern es „ein Mittel seine Eitelkeit zu unterstuͤtzen, und „ihn von der Unterwuͤrfigkeit fuͤr andere zu be- „freyen. Es ist leicht, wie ich oft bemerckt habe, „daß ein Mensch sich von seinen Neben-Trieben „losmacht, wenn er dadurch die Haupt-Reitzun- „gen stillen kann.“ „Jch fuͤrchte, mein Werther, daß bey seiner „Auferziehung ein Fehler vorgegangen ist. Ver- „muthlich hat man auf seine natuͤrliche Neigung „nicht genug acht gehabt, da man voraus sahe daß „er viel Gewalt bekommen wuͤrde, so unterrich- „tete man ihn vielleicht gute und wohlthaͤtige „Handlungen auszuuͤben, aber man brachte ihm „nicht die gehoͤrigen Bewegungs-Gruͤnde, war- „um er solche ausuͤben sollte, bey.„ Sonst waͤre sein Edelmuth nicht beym Stol- ze stehen geblieben, sondern er haͤtte sich bis zur Menschlichkeit erhoben: alsdenn wuͤrde er sich nicht befriedigt haben, manchmahl, nachdem er bey guter Laune ist, lobenswuͤrdige Thaten zu ver- richten, oder als sollte eine gute Handlung bey ihm fuͤr eine boͤse, nach der Lehre von den verdienst- lichen lichen Wercken genug thun Dieses Urtheil rechtfertigt des I. B. 233. S. wo er, den Bewegungs-Grund seiner Großmuth gegen seine Rosebud anzugeben, sagt: „Wie ich es mir zur „Regel vorgeschrieben habe; nach Begehung eines „Haupt-Verbrechens etwas Gutes, als zur Vergel- „tung zu thun, und wie ich glaube, ich bin dieserwe- „gen ziemlich in Schuld gerathen, so will ich zu „Johannes Base ihren 100 Pfunden noch 100 Pf. „thun, ein unschuldiges Paar gluͤcklich zu machen.„ ‒ ‒ Außer diesen hatte er noch einen andern Grund sei- ner damaligen Großmuth. S. II. B. 23. 24. 25. 26. Brief. Den Zusammenhang seiner Handlungen, wie sie sich jetzo zeigen, mit seinen Grundsaͤtzen und Ab- sichten, wie er solche in seinen ersten Briefen er- klaͤrt, zu zeigen, verweisen wir den Leser auf sein Schreiben I. B. 34. Num. 232. S. und 35. N. von der 233. zur 236. S. Man sehe auch I. B. 190. 191. 192. und 270. 271. 272. S. wegen Clarissens fruͤhzeitiger Mey- nung von Hrn. Lovelace. ‒‒‒ Jhre Kaltsinnigkeit und Gleichguͤltigkeit, derentwegen er sich so oft uͤber sie beklagt, wird sich hieraus begreifen lassen, und mehr ihr zum Ruhm als zu seiner Ehre ge- reichen. , sondern er wuͤrde sich bestaͤndig aͤhnlich, immer edel gewesen seyn, und das Gute um sein selbst willen gethan haben. Ach mein Werthester, was fuͤr ein Loos habe ich gezogen! Stoltz ist seine Tugend, und Rach- gier ist seine andere herrschende Neigung. ‒ ‒ Noch bleibt mir der einige Trost, er ist kein Unglaͤubiger B b 2 und und Freygeist; waͤre er ein Unglaͤubiger, so haͤtte man keine Hoffnung mehr fuͤr ihn, sondern (wie er auf seine Erfindung stoltz seyn wuͤrde) er waͤre ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren und verwildert. Von den Gelegenheiten, da Hr. Lovelace in seinen Briefen gesteht: daß sie ihn so geruͤhrt ha- ben, druͤckt sie sich dergestalt aus: „Er bestrebte sich, wie schon zuvor, seine „Bewegung zu verbergen, aber mein Werther, „warum schaͤtzen sich die Mannsbilder (denn Hr. „Lovelace hat hierin nichts besonders) fuͤr zu „schlecht, Proben eines empfindlichen Her- „zens zu geben? Waͤre es noch in meiner Ge- „walt, zu waͤhlen oder auszuschlagen, so wuͤrde „ich den Mann mit Verachtung fortschicken, der „das Vermoͤgen bey gehoͤrigen Gelegenheiten „geruͤhrt zu werden, zu unterdruͤcken strebte, oder „zu verleugnen suchte, als wenn er ein wildes „Hertz haͤtte, oder die groͤßte Ehre der menschli- „chen Natur so wenig kennte, daß er seinen Stoltz „auf eine barbarische Unempfindlichkeit gruͤn- „dete.„ Juvenals Gedancken daruͤber haben mich oft ergoͤtzt: Das Mitleiden ist den Men- schen eigenthuͤmlich; Die Natur bezeugt solches, da sie uns Thraͤnen gibt. Wir al- lein entdecken durch solche Proben unsere zartliche Empfindungen. Weinen ist un- ser ser Vorzug. Durch mitleidige Blicke und schmachtende Augen zu zeigen, wie wir an den Empfindungen eines gekraͤnckten Freun- des Theil nehmen, heißt aufs heste ein wil- des Thier in menschlicher Gestalt seyn. Diese natuͤrliche Huld, machte zuerst unsern Witz feiner, und erhob unsere Gedancken zu goͤtt- lichen Dingen: sie beweist daß unser Geist vom Himmel stammt, wie der Thiere ihrer niederwaͤrts gesenckt ist. Diesen gab sie nur ein irrdisches Leben, uns, himmlische Empfindungen, einander wechselsweise zu helfen. Sie bemerckt zum Ruhme der Leute im Hause, daß ein solcher guter Mann, wie Cap. Tomlinson, auf geschehene Untersuchung, gut von ihm geredet haͤtte. Der drey und vierzigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford. Dienst. den 30sten May. J ch erhalte einen Brief von Lord M. Er ist so beschaffen, wie ich wuͤnschen koͤnnte, wenn ich die Ehe zur Absicht haͤtte: aber nach den jetzigen Umstaͤnden, kann ich ihn meiner Ge- liebten nicht zeigen. B b 3 Der „Der Lord bedauert, daß er bey der Hochzeit „nicht des Braut-Vaters Stelle vertreten soll. Er „scheint zu fuͤrchten, so gut ich es auch vorgaͤbe, „moͤchte ich doch wohl was schlimmes im Kopfe haben. „Er willigt guͤtig ein, daß ich heyrathen mag „wenn ich will, und bietet mir eine oder zwo von „meinen Muhmen an, meiner Braut beyzuste- „hen, und sie bey Gelegenheit aufzurichten, weil „sie, wie er gehoͤrt hat, so furchtsam ist, sich „mit mir zu wagen. „Pritchard hat, seinem Vermelden nach, endli- „chen Befehl, die Uhrkunden aufzusetzen, vermoͤ- „ge deren er mir 1000 Pf. jaͤhrlich, auf immer „zueignet, und er will solchen in der Stunde „unterschreiben, da meine Geliebte in Person ihre „Verheyrathung gesteht. „Er willigt ein, das Leibgedinge von mei- „nem eigenen Vermoͤgen auszumachen. „Er wuͤnschte, Clarissa moͤchte sein Geschencke „angenommen haben, und traͤgt mir auf, es ihr „anzubieten, er legt es mir aber als einen Stolz „aus, daß ich es nicht selbst behalten habe. Was „die rechte Seite weggiebt, sagt er, kann der „linken dienen. „ Er meynt die Maͤgdchen. Von gantzem Herzen. Kann ich Fraͤul. Cla- rissa Harlowe haben, so hole der Henker alles andere. Der Der tummkoͤpfige Paͤr schreibt noch ein Hauffen seltsam Zeug, und schmattert an verschiedene Orte ein halbes Dutzend Zeilen hin, aus keiner andern Ursache, als etwa so viel elende Einfaͤlle in einem alten Sprichworte anzubringen. Fragst du wie ich es machen kann, da sich meine Liebste wundern wird, warum ich auf so einen Brief, wie ich an einen Lord geschrieben ha- be, keine Antwort erhalten, oder da sie auf mein Gestaͤndniß, daß ich eine Antwort habe, erwarten wird, daß ich ihr solche zeigen soll, wie meine Briefe? Darauf antworte ich, ‒ ‒ Jch kann durch Pritchard benachrichtigt seyn, daß der Lord das Chiragra in der rechten Hand hat, und daß er ihn befohlen hat zu mir zu kommen und meine besondern Befehle wegen der Uebergabe zu erwar- ten. Jch aber kann Pritcharden, wie du weißt, zum Koͤnigl. Wagen, oder wo ich sonst in der Stadt will, sprechen, und er kann nur alles muͤnd- lich gesagt haben, was ihr aus des Lords Briefe zu wissen noͤthig ist. Wenn es mir gelegen ist, verstatte ich den al- ten Paͤr den Gebrauch seiner rechten Hand wieder, und lasse ihn einen zaͤrtlichern Brief schreiben als der jetzige ist. Du weißt, daß eine von meinen fruͤhzeitigsten Bemuͤhungen das geschickte Nachmahlen der Haͤnde ist. Man hat dabey gesagt: wenn ich in Sachen die das mein und dein betreffen, schlimm gewesen waͤre, so haͤtte ich nicht zu leben getaugt. B b 4 Die Die Maͤdchen zu betruͤgen halten wir fuͤr keine Suͤnde. Und sagt man uns nicht, die ganze mensch- liche Gluͤckseligkeit bestehe darin, sich wohl betruͤgen zu lassen? Mittwochs den 31sten May. Alles laͤuft immer gluͤcklicher. Es wieder- faͤhrt mir eine rechte große Ehre. Man verstat- tet mir einen Wagen statt einer Kutsche, in der Absicht, nur in dem Hauptwercke nachzugeben. Da wir die angenehme frische Luft schoͤpften, kam unser Gespraͤche auf unsere zukuͤnftige Lebens- art. Der Tag ist mir voll Schaam versprochen worden. Bald, war die Antwort auf mein wie- derholtes Anhalten. Unsere Equipage, unsere Be- dienten, unsere Liebereyen machten einen Theil von dem angenehmen Hauptwercke unserer Unterre- dung aus. Sie entdeckt mir ihr Verlangen, daß der Boͤsewicht, der nur Familien-Nachrichten mit- getheilt hatte (der ehrliche Joseph Liman) nicht un- ter unsere Bedienten kaͤme, und daß sie ihre treue Hanne zu haben wuͤnschte, sie moͤchte nun wieder gesund seyn oder nicht: beydes ward ihr willigst zugestanden. Sie machte sich noch eine groͤßere Vorstellung von den Folgen der Versoͤhnung. Wenn ihr Vetter Harlowe nur den Weg dazu bahnen kann, und wenn sie zur Wirklichkeit zu bringen ist, so wird sie gluͤcklich seyn ‒ ‒ ‒ Gluͤcklich, mit einem Seuf- Seufzer, so sehr als sie nur jetzo seyn kan. ‒ ‒ Sie wird es nicht ausstehen, mein Freund! Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen waren, haͤtte ich von Pritchard gehoͤrt, und erwar- tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt schicken wuͤrde, meine Verordnungen anzunehmen. Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Guͤ- te gegen mich, und mit Vergnuͤgen, von meiner Base und Muhmen Hochachtung fuͤr sie, auch von des Lords Misvergnuͤgen, daß ihm sein Chiragra hinderte, meinen letzten Brief eigenhaͤndig zu be- antworten. Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das arme Fraͤulein Fretchville gleichfalls, denn sie hatte die Guthertzigkeit sich nach ihr zu erkundi- gen. Jhr gutes Gemuͤthe bedauerte jedermann, der Mitleiden zu brauchen schiene. Da sie fuͤr sich selbst gluͤcklich ist, so hat sie Zeit sich nach an- dern umzusehen, und wuͤnscht, daß alle gluͤcklich seyn moͤchten. Dem Ansehen nach duͤrfte es mit Fraͤulein Fretchville uͤbel gehen. Jhr Gesichte, dessent- wegen sie sich so viel einbildete, wird voͤllig ver- derbt werden. Von einem so großen Ungluͤcke kann sie doch noch diesen Vortheil ziehen ‒ ‒ Wie die groͤßere Kranckheit ordentlich die kleinere ver- schlingt, so kann sie bey dieser Gelegenheit einen Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz vermindert und ertraͤglich macht. B b 5 Jch Jch bekam einen gelinden Verweis, daß ich von einem so großen Uebel so leichtsinnig redete ‒ ‒ ‒ Denn was ist der Verlust der Schoͤnheit, gegen den Verlust eines guten Ehegatten? ‒ ‒ ‒ Vor- treffliches Gemuͤthe! Jhre Hoffnung, und ihr Vergnuͤgen uͤber die- se Hoffnung, daß Fraͤulein Howes Mutter mit ihr wuͤrde versoͤhnt werden, kam auch vor das gute Fraͤulein Howes; so druͤckte sie sich von ei- nem Frauenzimmer aus, die so geitzig und bey ih- rem Geitze so ohne Gewissensbisse ist, daß sie sonst niemand gut nennen wird. Aber meine vortreff- liche Geliebte erstreckt ihre Huld so weit, daß sie von dem veraͤchtlichsten Thiere, wenn es denjeni- gen die sie hoch haͤlt angehoͤrt, mit einer Art von Werthe redet. Liebt mich, und liebet meinen Hanns, habe ich den Lord M. sagen hoͤren. ‒ ‒ Wer weiß ob ich sie nicht einmahl da- hin bringe, daß sie aus Gefaͤlligkeit fuͤr mich gut von dir urtheilt, Hanns? Doch was habe ich vor? ‒ ‒ Suche ich nicht diese gantze Zeit uͤber mein Hertze zu baͤndi- gen? ‒ ‒ Jch weiß es, daß ich dieses suche, ver- moͤge der Bisse die es empfindet, da meine Feder das Zeugniß ihrer Vortrefflichkeit hinschreibt. Noch muß ich aber hinzusetzen, (denn keine Eigen- liebe soll mich hindern, diesem wundernswuͤrdigen Frauenzimmer Gerechtigkeit wiederfahren zu las- sen,) daß sie bey dieser Unterredung in allen Thei- len der Haus-Wirthschaft, die unter die Sorgfalt der der Hauswirthin selbst fallen koͤnne, so viel kluge Kaͤnntniß zeigte, daß ich glaube, sie hat in der Welt niemand ihres gleichen in ihren Jahren. Jch breche ab, einiges von Fraͤul. Ho- wes Gifte wieder durchzulesen. Das sind verwuͤnschte Briefe, Fraͤulein Howes ihre, Hanns! ‒ ‒ schicke mir mein Schreiben, indem ich welche von ihr er- waͤhne, zuruͤck. ‒ ‒ Jch gehe weiter. Ueberhaupt war meine Geliebte bey diesem angenehmen Spatzier-Gange vollkommen ver- gnuͤgt und aufgeraͤumt. Sie hatte es auch nicht anders Ursache. Denn da es das erstemahl war, daß ich die Ehre ihrer Gesellschaft allein hatte, so war ich gesonnen, sie durch mein ehrerbietiges Bezeigen zu Wiederhohlung dieser Gewogenheit zu bewegen. Bey unserer Ruͤckkehr fand ich, daß des Sach- walters Schreiber mich mit dem Entwurf der Ehe- stiftungen erwartete. Sie sind nur mit den noͤthigen Veraͤnderun- gen, nach denen eingerichtet, die fuͤr meine Mutter abgefaßt worden. Das Original davon (das ich nun von dem Sachwalter wieder erhalten habe) sowohl als die neuen Entwuͤrfe, habe ich meiner Gelieb- ten uͤbergeben. Dieß machte den Sachwalter sei- ne Verrichtung leichte: und sie kann kein besser Vor- Vorrecht haben; der große Lord S. hatte jene Einrichtungen auf Ansuchen der Verwandten von meiner Mutter gemacht. Der gantze Unterschied ist, daß meine Liebste noch 100 Pf. jaͤhrlich mehr bekoͤmmt als meine Mutter. Jch erbot mich ihr die alte Ehestiftung vor- zulesen, da sie den Entwurf der neuen las. Denn bey der Untersuchung derselben mit dem Schreiber hatte sie nicht wollen gegenwaͤrtig seyn. Aber sie lehnte auch dieses ab. Jch vermuthe sie wollte nicht von so viel Kindern, den ersten, zweyten, dritten, vierdten, fuͤnften, sechsten und siebenden Sohne, und eben so viel Toͤchtern, die mit besag- ter Clarissa Harlowe gezeugt wuͤrden, hoͤren. Angenehme Vorerinnerungen bey der Ehe, wenn auch gleich dabey steht, aus rechtmaͤßi- gem Ehebette gezeugt. Als wenn ein Mann mit seiner Frau unrechtmaͤßige Kinder zeugen koͤnnte. ‒ ‒ Denckst du aber nicht, daß die spitz- findigen Schelme, die Advocaten, dadurch zu ver- stehen geben, daß ein Mann von seiner Frau Kin- der vor seiner Ehe haben kann. Das muͤssen sie meynen. Warum bringen denn die Voͤgel einen ehrlichen Menschen solche Schelmereyen ein. A- ber hier und in unzaͤhlich andern Beyspielen sehen wir, daß Gesetze und Evangelium zwey gantz ver- schiedene Dinge sind. Dor- Dorcas versuchte in unserer Abwesenheit, an den hoͤltzernen Schranck in dem finstern Cabinet zu kommen. Aber es geht ohne Gewalt nicht an. Und sich blos aus Nutzen in wichtige Gefahr zu setzen, war nicht zu entschuldigen. Frl. Sinclair, und die Nymphen alle sind der Meynung, daß ich nun in so viel Gewogenheit bey ihr stehe, und einen so mercklichen Antheil an ih- rem Vertrauen, und selbst an ihrer Gewogenheit ha- be, daß ich thun darf was ich will, und die Ge- walt meiner Leidenschaft vorwenden kann, wel- ches ihren Gedancken nach die Gewalt die man gegen ihr Geschlechte ausuͤbt, verzeihungs-werth macht, so gut als eine vergoͤnnte Entschuldigung mit den Personen beyden Geschlechts die dabey nicht betroffen sind; und alle bieten ihre huͤlfrei- chen Haͤnde an. Warum nicht? sagen sie; ist sie nicht von allen als meine Frau angesehen wor- den? ‒ ‒ Und ist sie nicht auf gutem Wege mit ihren Freunden ausgesoͤhnt zu werden; welches sonst ihr Vorwand war die Vollziehung auf- zuschieben? Sie treiben mich weiter an: weil es so schwer ist, die Nacht zur Freundin zu haben, sollte ich es am Tage versuchen. Sie erinnern mich, die La- ge ihres Hauses sey so beschaffen, daß man von außen keinen Laͤrmen darinnen hoͤren koͤnne, und lachen mich aus, daß ich es fuͤr noͤthig ansehe, daß daß ein Frauenzimmer ausgekleidet seyn muͤsse. Es war mit mir nicht allemahl so, armer alter Mann, sagte Sarah zu mir, und warf mir ihr Schnupftuch unverschaͤmt ins Gesichte. Ende des vierdten Theils.