Alexander von Humboldts Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers. Einzige von A. von Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache. Dritter Band. Stuttgart . Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger. Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart. Reise in die Aequinoktial-Gegenden. A. v. Humboldt , Reise. III. 1 Achtzehntes Kapitel. San Fernando de Apure. — Verschlingungen und Gabelteilungen der Flüsse Apure und Arauca. — Fahrt auf dem Rio Apure. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die großen Flüsse Apure, Payara, Arauca und Meta in Europa kaum dem Namen nach bekannt, ja, weniger als in den vorhergehenden Jahrhunderten, als der tapfere Felipe de Urre und die Eroberer von Tocuyo durch die Llanos zogen, um jenseits des Apure die große Stadt des Dorado und das reiche Land Omaguas, das Timbuktu des neuen Kontinentes, aufzusuchen. So kühne Züge waren nur in voller Kriegs- rüstung auszuführen. Auch wurden die Waffen, die nur die neuen Ansiedler schützen sollten, beständig wider die unglück- lichen Eingeborenen gekehrt. Als diesen Zeiten der Gewalt- thätigkeit und der allgemeinen Not friedlichere Zeiten folgten, machten sich zwei mächtige indianische Volksstämme, die Cabres und die Kariben vom Orinoko, zu Herren des Landes, welches, die Konquistadoren jetzt nicht mehr verheerten. Von nun an war es nur noch armen Mönchen gestattet, südlich von den Steppen den Fuß zu setzen. Jenseits des Uritucu begann für die spanischen Ansiedler eine neue Welt, und die Nach- kommen der unerschrockenen Krieger, die von Peru bis zu den Küsten von Neugranada und an den Amazonenstrom alles Land erobert hatten, kannten nicht die Wege, die von Coro an den Rio Meta führen. Das Küstenland von Venezuela blieb isoliert, und mit den langsamen Eroberungen der Mis- sionäre von der Gesellschaft Jesu wollte es nur längs der Ufer des Orinoko glücken. Diese Väter waren bereits bis über die Katarakte von Atures und Maypures hinausge- drungen, als die andalusischen Kapuziner von der Küste und den Thälern von Aragua aus kaum die Ebenen von Calabozo erreicht hatten. Aus den verschiedenen Ordensregeln läßt sich ein solcher Kontrast nicht wohl erklären; vielmehr ist der Charakter des Landes ein Hauptmoment, ob die Missionen raschere oder langsamere Fortschritte machen. Mitten im Lande, in Gebirgen oder auf Steppen, überall, wo sie nicht am selben Flusse fortgehen, dringen sie nur langsam vor. Man sollte es kaum glauben, daß die Stadt San Fernando am Apure, die in gerader Linie nur 225 km von dem am frühesten be- völkerten Küstenstrich von Caracas liegt, erst im Jahre 1789 gegründet worden ist. Man zeigte uns ein Pergament voll hübscher Malereien, die Stiftungsurkunde der kleinen Stadt. Dieselbe war auf Ansuchen der Mönche aus Madrid gekommen, als man noch nichts sah als ein paar Rohrhütten um ein großes, mitten im Flecken aufgerichtetes Kreuz. Da die Mis- sionäre und die weltlichen obersten Behörden gleiches Inter- esse haben, in Europa ihre Bemühungen für Förderung der Kultur und der Bevölkerung in den Provinzen über dem Meer in übertriebenem Lichte erscheinen zu lassen, so kommt es oft vor, daß Stadt- und Dorfnamen lange vor der wirklichen Gründung in der Liste der neuen Eroberungen aufgeführt werden. Wir werden an den Ufern des Orinoko und des Cassiquiare dergleichen Ortschaften nennen, die längst pro- jektiert waren, aber nie anderswo standen als auf den in Rom und Madrid gestochenen Missionskarten. San Fernando, an einem großen schiffbaren Strome, nahe bei der Einmündung eines anderen, der die ganze Provinz Varinas durchzieht, ist für den Handel ungemein günstig ge- legen. Alle Produkte dieser Provinz, Häute, Kakao, Baum- wolle, der Indigo von Mijagual, der ausgezeichnet gut ist, gehen über diese Stadt nach den Mündungen des Orinoko. In der Regenzeit kommen große Fahrzeuge von Angostura nach San Francisco herauf, sowie auf dem Rio Santo Do- mingo nach Torunos, dem Hafen der Stadt Varinas. Um diese Zeit treten die Flüsse aus, und zwischen dem Apure, dem Capanaparo und Sinaruco bildet sich dann ein wahres Labyrinth von Verzweigungen, das über eine Fläche Landes von 8100 qkm reicht. Hier ist der Punkt, wo der Orinoko, nicht wegen naher Berge, sondern durch das Gefälle der Gegenhänge seinen Lauf ändert und sofort, statt wie bisher die Richtung eines Meridians zu verfolgen, ostwärts fließt. Betrachtet man die Erdoberfläche als einen vielseitigen Körper mit verschieden geneigten Flächen, so springt schon bei einem Blick auf die Karten in die Augen, daß zwischen San Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, West und Süd ansteigen, sich durchschneiden, wodurch eine bedeutende Bodensenkung ent- stehen mußte. In diesem Becken steht in der Regenzeit das Wasser 4 bis 4,5 m hoch auf den Grasfluren, so daß sie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichsam auf Untiefen dieses Sees liegen, stehen kaum 0,6 bis 1 m über dem Wasser. Alles erinnert hier an die Ueber- schwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes, die früher bei den Geographen so vielberufen war, obgleich sie nur ein paar Monate im Jahre besteht. Das Austreten der Flüsse Apure, Meta und Orinoko ist ebenso an eine be- stimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savanne wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil sie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man sieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Teil des Tages herumschwimmen und die Gräser abweiden, die nur mit den Spitzen über das Wasser reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man sieht nicht selten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieser fleischfressenden Reptilien aufzuweisen haben. Die Aase von Pferden, Maultieren und Kühen ziehen zahllose Geier herbei. Die Zamuros Vultur aura. sind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des „Huhns der Pharaonen“ und leisten den Be- wohnern der Llanos dieselben Dienste, wie der Vultur Per- cnopterus den Aegyptern. Ueberdenkt man die Wirkungen dieser Ueberschwemmungen, so kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegsam die Organisation der Tiere ist, die der Mensch seiner Herrschaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die Abfälle beim Fischfang, und gibt es keine Fische, so nährt er sich von Seegras. Der Esel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochasiens stammen, begleiten den Men- schen in die Neue Welt, treten hier in den wilden Zustand zurück und fristen im heißen tropischen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beschwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Nässe geplagt, suchen sie bald, um ihren Durst zu löschen, eine Lache auf dem kahlen, staubigten Boden, bald flüchten sie sich vor den Wassern der austretenden Flüsse, vor einem Feinde, der sie von allen Seiten umzingelt. Den Tag über werden Pferde, Maultiere und Rinder von Bremsen und Moskiten gepeinigt und bei Nacht von unge- heuren Fledermäusen angefallen, die sich in ihren Rücken ein- krallen und ihnen desto schlimmere Wunden beibringen, da alsbald Milben und andere bösartige Insekten in Menge hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maul- tiere sogar den ganz mit Stacheln besetzten Melokaktus, Ganz besonders geschickt wissen die Esel sich die Feuchtigkeit im Inneren des Cactus melocactus zu nutze zu machen. Sie stoßen die Stacheln mit den Füßen ab, und man sieht welche infolge dieses Verfahrens hinken. um zum erfrischenden Saft und so gleichsam zu einer vegetabi- lischen Wasserquelle zu gelangen. Während der großen Ueber- schwemmungen leben dieselben Tiere wahrhaft amphibisch, in Gesellschaft von Krokodilen, Wasserschlangen und Seekühen. Und dennoch erhält sich, nach den unabänderlichen Gesetzen der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen, mitten unter zahllosen Plagen und Gefahren. Fällt das Wasser wieder, kehren die Flüsse in ihre Betten zurück, so überzieht sich die Savanne mit zartem, angenehm duftendem Gras, und im Herzen des heißen Landstrichs scheinen die Tiere des alten Europas und Hochasiens in ihr Heimatland versetzt zu sein und sich des neuen Frühlingsgrüns zu freuen. Während des hohen Wasserstandes gehen die Bewohner dieser Länder, um die starke Strömung und die gefährlichen Baumstämme, die sie treibt, zu vermeiden, in ihren Kanoen nicht in den Flußbetten hinauf, sondern fahren über die Gras- fluren. Will man von San Fernando nach den Dörfern San Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Fran- cisco de Capanaparo, wendet man sich gerade nach Süd, als führe man auf einem einzigen 90 km breiten Strome. Die Flüsse Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo sie sich in den Orinoko ergießen, 720 km von der Küste von Guyana, eine Art Binnendelta , dergleichen die Hydro- graphie in der Alten Welt wenige aufzuweisen hat. Nach der Höhe des Quecksilbers im Barometer hat der Apure von San Fernando bis zur See nur ein Gefälle von 66 m. Dieser Fall ist so unbedeutend als der von der Einmündung des Osageflusses und des Missouri in den Mississippi bis zur Barre desselben. Die Savannen in Niederlouisiana erinnern überhaupt in allen Stücken an die Savannen am unteren Orinoko. Wir hielten uns 3 Tage in der kleinen Stadt San Francisco auf. Wir wohnten beim Missionär, einem sehr wohlhabenden Kapuziner. Wir waren vom Bischof von Ca- racas an ihn empfohlen, und er bewies uns die größte Auf- merksamkeit und Gefälligkeit. Man hatte Uferbauten unter- nommen, damit der Fluß den Boden, auf dem die Stadt liegt, nicht unterwühlen könnte, und er zog mich deshalb zu Rat. Durch den Einfluß der Portuguesa in den Apure wird dieser nach Südost gedrängt, und statt dem Fluß freieren Lauf zu verschaffen, hatte man Dämme und Deiche gebaut, um ihn einzuengen. Es war leicht vorauszusagen, daß, wenn die Flüsse stark austraten, diese Wehren um so schneller weg- geschwemmt werden mußten, da man das Erdreich zu den Wasserbauten hinter dem Damme genommen und so das Ufer geschwächt hatte. San Fernando ist berüchtigt wegen der unmäßigen Hitze, die hier den größten Teil des Jahres herrscht, und bevor ich von unserer langen Fahrt auf den Strömen berichte, führe ich hier einige Beobachtungen an, welche für die Meteorologie der Tropenländer nicht ohne Wert sein mögen. Wir begaben uns mit Thermometern auf das mit weißem Sand bedeckte Gestade am Apure. Um 2 Uhr nachmittags zeigte der Sand überall, wo er der Sonne ausgesetzt war, 52,5°. In 48 cm Höhe über dem Sand stand der Thermometer auf 42°, in 1,95 m Höhe auf 38,7°. Die Lufttemperatur im Schatten eines Ceibabaumes war 36,2°. Diese Beobachtungen wurden bei völlig stiller Luft gemacht. Sobald der Wind zu wehen anfing, stieg die Temperatur der Luft um 3°, und doch be- fanden wir uns in keinem „Sandwind“. Es waren vielmehr Luftschichten, die mit einem stark erhitzten Boden in Berüh- rung gewesen, oder durch welche „Sandhosen“ durchgegangen waren Dieser westliche Strich der Llanos ist der heißeste, weil ihm die Luft zugeführt wird, welche bereits über die ganze dürre Steppe weggegangen ist. Denselben Unterschied hat man zwischen den östlichen und westlichen Strichen der afrikanischen Wüsten da bemerkt, wo die Passate wehen. — In der Regenzeit nimmt die Hitze in den Llanos bedeutend zu, besonders im Juli, wenn der Himmel bedeckt ist und die strahlende Wärme gegen den Erdboden zurückwirft. In dieser Zeit hört der Seewind ganz auf, und nach Pozos guten thermo- metrischen Beobachtungen steigt der Thermometer im Schatten auf 39 bis 39,5°, 31,2° bis 31,6° R. und zwar noch über 4,9 m vom Boden. Je näher wir den Flüssen Portuguesa, Apure und Apurito kamen, desto kühler wurde die Luft, infolge der Verdunstung so ansehnlicher Wassermassen. Dies ist besonders bei Sonnen- aufgang fühlbar; den Tag über werfen die mit weißem Sand bedeckten Flußufer die Sonnenstrahlen auf unerträgliche Weise zurück, mehr als der gelbbraune Thonboden um Calabozo und Tisnao. Am 28. März bei Sonnenaufgang befand ich mich am Ufer, um die Breite des Apure zu messen. Sie beträgt 411 m. Es donnerte von allen Seiten; es war dies das erste Ge- witter und der erste Regen der Jahreszeit. Der Fluß schlug beim Ostwind starke Wellen, aber bald wurde die Luft wieder still, und alsbald fingen große Cetaceen aus der Familie der Spritzfische, ganz ähnlich den Delphinen unserer Meere, an sich in langen Reihen an der Wasserfläche zu tummeln. Die Krokodile, langsam und träge, schienen die Nähe dieser lär- menden, in ihren Bewegungen ungestümen Tiere zu scheuen; wir sahen sie untertauchen, wenn die Spritzfische ihnen nahe- kamen. Daß Cetaceen so weit von der Küste vorkommen, ist sehr auffallend. Die Spanier in den Missionen nennen sie, wie die Seedelphine, Toninas ; ihr indianischer Name ist Orinucua . Sie sind 1 bis 1,3 m lang und zeigen, wenn sie den Rücken krümmen und mit dem Schwanz auf die unteren Wasserschichten schlagen, ein Stück des Rückens und der Rücken- flosse. Ich konnte keines Stückes habhaft werden, so oft ich auch Indianer aufforderte, mit Pfeilen auf sie zu schießen. Pater Gili versichert, die Guamos essen das Fleisch derselben. Gehören diese Cetaceen den großen Strömen Südamerikas eigentümlich an, wie der Lamantin (die Seekuh), der nach Cuviers anatomischen Untersuchungen gleichfalls ein Süß- wassersäugetier ist, oder soll man annehmen, daß sie aus der See gegen die Strömung so weit heraufkommen, wie in den asiatischen Flüssen der Delphinapterus Beluga zuweilen thut? Was mir letztere Vermutung unwahrscheinlich macht, ist der Umstand, daß wir im Rio Atabapo, oberhalb der großen Fälle des Orinoko, Toninas angetroffen haben. Sollten sie von der Mündung des Amazonenstromes her durch die Verbindungen desselben mit dem Rio Negro, Cassiquiare und Orinoko bis in das Herz von Südamerika gekommen sein? Man trifft sie dort in allen Jahreszeiten an, und keine Spur scheint anzudeuten, daß sie zu bestimmten Zeiten wandern wie die Lachse. Während es bereits rings um uns donnerte, zeigten sich am Himmel nur einzelne Wolken, die langsam, und zwar in entgegengesetzter Richtung dem Zenith zuzogen. Delucs Hygro- meter stand auf 53°, der Thermometer auf 23,7°; der Elektro- meter mit rauchendem Docht zeigte keine Spur von Elektri- zität. Während das Gewitter sich zusammenzog, wurde die Farbe des Himmels zuerst dunkelblau und dann grau. Die Dunstbläschen wurden sichtbar, und der Thermometer stieg um 3°, wie fast immer unter den Tropen bei bedecktem Himmel, weil dieser die strahlende Wärme des Bodens zurückwirft. Jetzt goß der Regen in Strömen nieder. Wir waren hin- länglich an das Klima gewöhnt, um von einem tropischen Regen keinen Nachteil fürchten zu dürfen; so blieben wir denn am Ufer, um den Gang des Elektrometers genau zu beobachten. Ich hielt ihn 2 m über dem Boden 20 Minuten lang in der Hand und sah die Fliedermarkkügelchen meist nur wenige Sekunden vor dem Blitz auseinandergehen, und zwar 8 mm. Die elektrische Ladung blieb sich mehrere Minuten lang gleich; wir hatten Zeit, mittels einer Siegellackstange die Elektrizität zu untersuchen, und so sah ich hier, wie später oft auf dem Rücken der Anden während eines Gewitters, daß die Luft- elektrizität zuerst positiv war, dann Null und endlich negativ wurde. Dieser Wechsel zwischen Positiv und Negativ (zwischen Glas- und Harzelektrizität) wiederholte sich öfters. Indessen zeigte der Elektrometer ein wenig vor dem Blitz immer nur Null oder positive Elektrizität, niemals negative. Gegen das Ende des Gewitters wurde der Westwind sehr heftig. Die Wolken zerstreuten sich und der Thermometer fiel auf 22° infolge der Verdunstung am Boden und der freieren Wärme- strahlung gegen den Himmel. Ich bin hier näher auf einzelnes über elektrische Span- nung der Luft eingegangen, weil die Reisenden sich meist darauf beschränken, den Eindruck zu beschreiben, den ein tro- pisches Gewitter auf einen neu angekommenen Europäer macht. In einem Land, wo das Jahr in zwei große Hälften zerfällt, in die trockene und in die nasse Jahreszeit, oder, wie die Indianer in ihrer ausdrucksvollen Sprache sagen, in Sonnen- zeit und in Regenzeit , ist es von großem Interesse, den Verlauf der meteorologischen Erscheinung beim Uebergang von einer Jahreszeit zur anderen zu verfolgen. Bereits seit dem 18. und 19. Februar hatten wir in den Thälern von Aragua mit Einbruch der Nacht Wolken aufziehen sehen. Mit Anfang März wurde die Anhäufung sichtbarer Dunstbläschen und damit die Anzeichen von Luftelektrizität von Tag zu Tag stärker. Wir sahen gegen Süd wetterleuchten und der Voltasche Elektrometer zeigte bei Sonnenuntergang fortwährend Gas- elektrizität. Mit Einbruch der Nacht wichen die Fliedermark- kügelchen, die sich den Tag über nicht gerührt, 6 bis 8 mm auseinander, dreimal weiter, als ich in Europa mit demselben Instrument bei heiterem Wetter in der Regel beobachtet. Vom 26. Mai an schien nun aber das elektrische Gleichgewicht in der Luft völlig gestört. Stundenlang war die Elektrizität Null, wurde dann sehr stark — 8 bis 11 mm — und bald darauf war sie wieder unmerklich. Delucs Hygrometer zeigte fortwährend große Trockenheit an, 33 bis 35°, und dennoch schien die Luft nicht mehr dieselbe. Während dieses beständigen Schwankens der Luftelektrizität fingen die kahlen Bäume be- reits an, frische Blätter zu treiben, als hätten sie ein Vor- gefühl vom nahenden Frühling. Der Witterungswechsel, den wir hier beschrieben, bezieht sich nicht etwa auf ein einzelnes Jahr. In der Aequinoktial- zone folgen alle Erscheinungen in wunderbarer Einförmigkeit aufeinander, weil die lebendigen Kräfte der Natur sich nach leicht erkennbaren Gesetzen beschränken und im Gleichgewicht halten. Im Binnenlande, ostwärts von den Kordilleren von Merida und Neugranada, in den Llanos von Venezuela und am Rio Meta, zwischen dem 4. und 10. Breitengrad, aller- orten, wo es vom Mai bis Oktober beständig regnet und demnach die Zeit der größten Hitze, die im Juli und August eintritt, in die Regenzeit fällt, nehmen die atmosphärischen Erscheinungen folgenden Verlauf. Unvergleichlich ist die Reinheit der Luft vom Dezember bis in den Februar. Der Himmel ist beständig wolkenlos, und zieht je Gewölk auf, so ist das ein Phänomen, das die ganze Einwohnerschaft beschäftigt. Der Wind bläst stark aus Ost und Ost-Nord-Ost. Da er beständig Luft von der gleichen Temperatur herführt, so können die Dünste nicht durch Ab- kühlung sichtbar werden. Gegen Ende Februar und zu Anfang März ist das Blau des Himmels nicht mehr so dunkel, der Hygrometer zeigt allmählich stärkere Feuchtigkeit an, die Sterne sind zuweilen von einer feinen Dunstschicht umschleiert, ihr Licht ist nicht mehr planetarisch ruhig, man sieht sie hin und wieder bis zu 20° über dem Horizont flimmern. Um diese Zeit wird der Wind schwächer, unregelmäßiger, und es tritt öfter als zuvor völlige Windstille ein. In Süd-Süd-Ost ziehen Wolken auf. Sie erscheinen wie ferne Gebirge mit sehr scharfen Umrissen. Von Zeit zu Zeit lösen sie sich vom Horizont ab und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem schwachen Wind in den unteren Luftschichten außer Verhältnis steht. Zu Ende März wird das südliche Stück des Himmels von kleinen, leuchtenden elektrischen Entladungen durchzuckt, phosphorischen Aufleuchtungen, die immer nur von einer Dunstmasse auszugehen scheinen. Von nun an dreht sich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach West und Südwest. Es ist dies ein sicheres Zeichen, daß die Regenzeit bevorsteht, die am Orinoko gegen Ende April eintritt. Der Himmel fängt an, sich zu beziehen, das Blau verschwindet und macht einem gleichförmigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme stetig zu, und nicht lange, so sind nicht mehr Wolken am Himmel, sondern ver- dichtete Wasserdünste hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geschrei. Die Luftelektrizität, die während der großen Dürre vom Dezember bis März bei Tag fast beständig gleich 3,6 bis 4 mm am Voltaschen Elektrometer war, fängt mit dem März an, äußerst veränderlich zu werden. Ganze Tage lang ist sie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar Stunden lang 6 bis 8 mm auseinander. Die Luftelektrizität, die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel Glaselektrizität ist, schlägt auf 8 bis 10 Minuten in Harz- elektrizität um. Die Regenzeit ist die Zeit der Gewitter, und doch erscheint als Ergebnis meiner zahlreichen, dreijährigen Beobachtungen, daß gerade in dieser Gewitterzeit die elek- trische Spannung in den tiefen Luftregionen geringer ist. Sind die Gewitter die Folge dieser ungleichen Ladung der über- einander gelagerten Luftschichten? Was hindert die Elektrizität in einer Luft, die schon seit März feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um diese Zeit scheint die Elektrizität nicht durch die ganze Luft verbreitet, sondern auf der äußeren Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu sein. Daß sich das elektrische Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht, ist, nach Gay-Lussac, eben eine Folge der Wolkenbildung. In den Ebenen steigt das Gewitter 2 Stunden nach dem Durch- gang der Sonne durch den Meridian auf, also kurze Zeit nach dem Eintritt des täglichen Wärmemaximums unter den Tropen. Im Binnenlande hört man bei Nacht oder Morgens äußerst selten donnern; nächtliche Gewitter kommen nur in gewissen Flußthälern vor, die ein eigentümliches Klima haben. Auf welchen Ursachen beruht es nun, daß das Gleich- gewicht in der elektrischen Spannung der Luft gestört wird, daß sich die Dünste fortwährend zu Wasser verdichten, daß der Wind aufhört, daß die Regenzeit eintritt und so lange anhält? Ich bezweifle, daß die Elektrizität bei Bildung der Dunstbläschen mitwirkt; durch diese Bildung wird vielmehr nur die elektrische Spannung gesteigert und modifiziert. Nörd- lich und südlich vom Aequator kommen die Gewitter oder die großen Entladungen in der gemäßigten und in der äquinok- tialen Zone um dieselbe Zeit vor. Besteht ein Moment, das durch das große Luftmeer aus jener Zone gegen die Tropen her wirkt? Wie läßt sich denken, daß in letzterem Himmels- strich, wo die Sonne sich immer so hoch über den Horizont erhebt, der Durchgang des Gestirnes durch den Zenith be- deutenden Einfluß auf die Vorgänge in der Luft haben sollte? Nach meiner Ansicht ist die Ursache, welche unter den Tropen das Eintreten des Regens bedingt, keine örtliche, und das scheinbar so verwickelte Problem würde sich wohl unschwer lösen, wenn wir mit den oberen Luftströmungen besser be- kannt wären. Wir können nur beobachten, was in den unteren Luftschichten vorgeht. Ueber 3900 m Meereshöhe sind die Anden fast unbewohnt, und in dieser Höhe äußern die Nähe des Bodens und die Gebirgsmassen, welche die Untiefen im Luftozean sind, bedeutenden Einfluß auf die umgebende Luft. Was man auf der Hochebene von Antisana beobachtet, ist etwas anderes, als was man wahrnähme, wenn man in derselben Höhe in einem Luftballon über den Llanos oder über der Meeresfläche schwebte. Wie wir gesehen haben, fällt in der nördlichen Aequinok- tialzone der Anfang der Regenniederschläge und Gewitter zu- sammen mit dem Durchgang der Sonne durch den Zenith des Orts, mit dem Aufhören der See- oder Nordostwinde, mit dem häufigen Eintreten von Windstillen und Bendavales , das heißt heftigen Südost- und Südwestwinden bei bedecktem Himmel. Vergegenwärtigt man sich die allgemeinen Gesetze des Gleichgewichtes, denen die Gasmassen, aus denen unsere Atmosphäre besteht, gehorchen, so ist, nach meiner Ansicht, in den Momenten, daß der Strom, der vom gleichnamigen Pol herbläst, unterbrochen wird, daß die Luft in der heißen Zone sich nicht mehr erneuert, und daß fortwährend ein feuchter Strom aufwärts geht, einfach die Ursache zu suchen, warum jene Erscheinungen zusammenfallen. Solange nördlich vom Aequator der Seewind aus Nordost mit voller Kraft bläst, läßt er die Luft über den tropischen Ländern und Meeren sich nicht mit Wasserdunst sättigen. Die heiße, trockene Luft dieser Erdstriche steigt aufwärts und fließt den Polen zu ab, während untere, trockene und kältere Luft herbeiführende Polar- strömungen jeden Augenblick die aufsteigenden Luftsäulen er- setzen. Bei diesem unaufhörlichen Spiel zweier entgegen- gesetzten Luftströmungen kann sich die Feuchtigkeit in der Aequatorialzone nicht anhäufen, sondern wird kalten und ge- mäßigten Regionen zugeführt. Während dieser Zeit der Nord- ostwinde, wo sich die Sonne in den südlichen Zeichen befindet, bleibt der Himmel in der nördlichen Aequatorialzone beständig heiter. Die Dunstbläschen verdichten sich nicht, weil die be- ständig erneuerte Luft weit vom Sättigungspunkt entfernt ist. Je mehr die Sonne nach ihrem Eintritt in die nördlichen Zeichen gegen den Zenith heraufrückt, desto mehr legt sich der Nordostwind und hört nach und nach ganz auf. Der Temperatur- unterschied zwischen den Tropen und der nördlichen gemäßigten Zone ist jetzt der kleinstmögliche. Es ist Sommer am Nord- pol, und während die mittlere Wintertemperatur unter dem 42. bis 52. Grad der Breite um 20 bis 26° niedriger ist als die Temperatur unter dem Aequator, beträgt der Unterschied im Sommer kaum 4 bis 6°. Steht nun die Sonne im Zenith, und hört der Nordostwind auf, so treten die Ursachen, welche Feuchtigkeit erzeugen und sie in der nörd- lichen Aequinoktialzone anhäufen, zumal in vermehrte Wirk- samkeit. Die Luftsäule über dieser Zone sättigt sich mit Wasserdampf, weil sie nicht mehr durch den Polarstrom er- neuert wird. In dieser gesättigten und durch die vereinten Wirkungen der Strahlung und der Ausdehnung beim Auf- steigen erkalteten Luft bilden sich Wolken. Im Maß als diese Luft sich verdünnt, nimmt ihre Wärmekapazität zu. Mit der Bildung und Zusammenballung des Dunstbläschens häuft sich die Elektrizität in den oberen Luftregionen an. Den Tag über schlagen sich die Dünste fortwährend nieder; bei Nacht hört dies meist auf, häufig sogar schon nach Sonnen- untergang. Die Regengüsse sind regelmäßig am stärksten und von elektrischen Entladungen begleitet, kurze Zeit nachdem das Maximum der Tagestemperatur eingetreten ist. Dieser Stand der Dinge dauert an, bis die Sonne in die südlichen Zeichen tritt. Jetzt beginnt in der nördlichen gemäßigten Zone die kalte Witterung. Von nun an tritt die Luft- strömung vom Nordpol her wieder ein, weil der Unterschied zwischen den Wärmegraden im tropischen und im gemäßigten Erdstriche mit jedem Tage bedeutender wird. Der Nordost- wind bläst stark, die Luft unter den Tropen wird erneuert und kann den Sättigungspunkt nicht mehr erreichen. Daher hört es auf zu regnen, die Dunstbläschen lösen sich auf, der Himmel wird wieder rein und blau. Von elektrischen Ent- ladungen ist nichts mehr zu hören, ohne Zweifel weil die Elektrizität in den oberen Luftregionen jetzt keine Haufen von Dunstbläschen, fast hätte ich gesagt, keine Wolkenhüllen mehr antrifft, auf denen sich das Fluidum anhäufen könnte. Wir haben das Aufhören des Nordostwindes als die Hauptursache der tropischen Regen betrachtet. Diese Regen dauern in jeder Halbkugel nur so lange, als die Sonne die der Halbkugel gleichnamige Abweichung hat. Es muß hier aber noch bemerkt werden, daß, wenn der Nordost auf- hört, nicht immer Windstille eintritt, sondern die Ruhe der Luft häufig, besonders längs der Westküsten von Amerika, durch Bendavales , das heißt Südwest- und Südostwinde, unterbrochen wird. Diese Erscheinung scheint darauf hinzuweisen, daß die feuchten Luftsäulen, die im nördlichen äquatorialen Erdstriche aufsteigen, zuweilen dem Südpol zuströmen. In der That hat in den Ländern der heißen Zone nördlich und südlich vom Aequator in ihrem Sommer, wenn die Sonne durch ihren Zenith geht, der Unterschied zwischen ihrer Tempe- ratur und der am ungleichnamigen Pol sein Maximum erreicht. Die südliche gemäßigte Zone hat jetzt Winter, während es nördlich vom Aequator regnet und die mittlere Temperatur um 5 bis 6° höher ist als in der trockenen Jahreszeit, wo die Sonne am tiefsten steht. Daß der Regen fortdauert, während die Bendavales wehen, beweist, daß die Luftströ- mungen vom entfernteren Pol her in der nördlichen Aequa- torialzone nicht die Wirkung äußern wie die vom benach- barten Pole her, weil die Südpolarströmung weit feuchter ist. Die Luft, welche diese Strömung herbeiführt, kommt aus einer fast ganz mit Wasser bedeckten Halbkugel; sie geht, bevor sie zum 8. Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze südliche Aequinoktialzone weg, ist folglich nicht so trocken, nicht so kalt als der Nordpolarstrom oder der Nordostwind, und somit auch weniger geeignet, als Gegenstrom aufzutreten und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die Bendavales an manchen Küsten, z. B. an denen von Guatemala, als heftige Winde auftreten, so rührt dies ohne Zweifel da- her, daß sie nicht Folge eines allmählichen, regelmäßigen Ab- flusses der tropischen Luft gegen den Südpol sind, sondern mit Windstillen abwechseln, von elektrischen Entladungen be- gleitet sind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde darauf hinweist, daß im Luftmeer eine Rückstauung, eine rasche, vor- übergehende Störung des Gleichgewichtes stattgefunden hat. Wir haben hier eine der wichtigsten meteorologischen Er- scheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Ge- sichtspunkte betrachtet. Wie die Grenzen der Passatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreise bilden, so äußert sich auch die Wirkung der Polarluftströmungen unter ver- schiedenen Luftströmungen verschieden. In derselben Halb- kugel haben nicht selten die Gebirgsketten und das Küsten- land entgegengesetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalieen der Art zu erwähnen; will man aber zur Erkenntnis der Naturgesetze gelangen, so muß man, bevor man sich nach den Ursachen lokaler Erschei- nungen umsieht, den mittleren Zustand der Atmosphäre und die beständige Norm ihrer Veränderungen kennen. Das Aussehen des Himmels, der Gang der Elektrizität und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn der Regenzeit; man riet uns indessen, von San Fernando am Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio, nach dem kürzlich am Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoko etwas oberhalb Carichana einzuschiffen. Dieser Landweg führt durch einen ungesunden, von Fiebern heimgesuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez, bot sich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein sprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in diesen entlegenen Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als 100000 Piastern, und doch stieg er mit nackten Füßen, an die mächtige silberne Sporen geschnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vege- tation auf den Llanos ist, und schlugen daher lieber den längeren Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoko ein. Wir wählten dazu eine der sehr breiten Pirogen, welche die Spanier Lanchas nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann ( el patron ) und vier Indianer hinreichend. Am Hinterteil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war so geräumig, daß Tisch und Bänke Platz darin fanden. Letztere bestanden aus über Rahmen von Brasilholz straff gespannten und angenagelten Ochsen- häuten. Ich führe diese kleinen Umstände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoko in den schmalen elenden Kanoen. Wir nahmen in die Piroge Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoko (8 Tagereisen) 10 Piaster für die Lancha, und außer- dem dem Steuermann einen halben Piaster oder 4 Realen und jedem der indianischen Ruderer 2 Realen Taglohn. gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniok- mehl und Kakao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszusehen, daß ein Dach aus Palmen- blättern sich im breiten Flußbett, wo man fast immer den senkrechten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, sehr stark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebens- mittel, die wir angeschafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Missionäre wegen der übermäßigen Feuchtig- keit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es sehr viele Fische, Seekühe und Schild- kröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine sehr ange- nehme Speise sind. Die Ufer sind mit unzähligen Vögel- scharen bevölkert. Die ersprießlichsten für uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Fasan des Landes nennen könnte. Ihr Fleisch kam mir härter und nicht so weiß vor als das unserer hühnerartigen Vögel in Europa, weil sie ihre Muskeln ungleich stärker brauchen. Neben dem Mundvorrat, dem Geräte zum Fischfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fässer Branntwein zum Tauschhandel mit den Indianern am Orinoko einzunehmen. Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um 4 Uhr abends, bei sehr starker Hitze ab; der Thermometer stand im Schatten auf 34°, obgleich der Wind stark aus Südost blies. Wegen dieses widrigen Windes konnten wir keine Segel auf- ziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoko und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters der Provinz Varinas, Don Nicolas Soto, der erst kürzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers sind, entschloß er sich, mit uns 74 Tage auf einem engen, von Moskiten wimmelnden Kanoe zuzubringen. Sein geistreiches, liebenswürdiges Wesen und seine muntere Laune haben uns oft die Beschwerden einer zuweilen nicht gefahrlosen Fahrt vergessen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vor- bei und an der Insel dieses Namens hin, die vom Apure und dem Guarico gebildet wird. Diese Insel ist im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landstrich, der von zwei großen Flüssen eingefaßt wird, die sich in geringer Entfernung von- einander in den Orinoko ergießen, nachdem sie bereits unter- halb San Fernando durch eine erste Gabelung des Apure sich vereinigt haben. Die Isla del Apurito ist 100 km lang und 9 bis 13 km breit. Sie wird durch den Caño de la Tigrera und den Caño del Manati in drei Stücke ge- teilt, wovon die beiden äußersten Isla de Blanco und Isla de las Garzilas heißen. Ich mache hier diese umständlichen Angaben, weil alle bis jetzt erschienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewässer zwischen dem Guarico und dem Meta aufs sonderbarste entstellen. Unterhalb des Apurito ist das rechte Ufer des Apure etwas besser angebaut als das linke, wo einige Hütten der Yaruro-Indianer aus Rohr und Palmblattstielen stehen. Sie leben von Jagd und Fischfang und sind besonders geübt im Erlegen der Jaguare, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch sie in die spanischen Dörfer kommen. Ein Teil dieser In- dianer ist getauft, besucht aber niemals eine christliche Kirche. Man betrachtet sie als Wilde, weil sie unabhängig bleiben wollen. Andere Stämme der Yaruro leben unter der Zucht der Missionäre im Dorfe Achaguas, südlich vom Rio Payara. Die Leute dieser Nation, die ich am Orinoko zu sehen Ge- legenheit gehabt, haben einige Züge von der fälschlich so ge- nannten tatarischen Bildung, die manchen Zweigen der mon- golischen Rasse zukommt. Ihr Blick ist ernst, das Auge stark in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Nase A. v. Humboldt , Reise. III. 2 aber der ganzen Länge nach vorspringend. Sie sind größer, brauner und nicht so untersetzt wie die Chaymas. Die Mis- sionäre rühmen die geistigen Anlagen der Yaruro, die früher eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoko waren, besonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einflusses des Guarico. Wir brachten die Nacht in Dia- mante zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Insel dieses Namens gegenüber. Auf meiner ganzen Reise von San Fernando nach San Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Ango- stura war ich bemüht, Tag für Tag, sei es im Kanoe, sei es im Nachtlager, aufzuschreiben, was mir Bemerkenswertes vor- gekommen. Durch den starken Regen und die ungeheure Menge Moskiten, von denen die Luft am Orinoko und Cas- siquiare wimmelt, hat diese Arbeit notwendig Lücken be- kommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die folgenden Seiten sind ein Auszug aus diesem Tagebuch. Was im Angesicht der geschilderten Gegenstände niedergeschrieben ist, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte sagen von Individualität), das auch den unbedeutendsten Dingen einen gewissen Reiz gibt. Um unnötige Wiederholungen zu ver- meiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen, was über die beschriebenen Gegenstände später zu meiner Kenntnis gelangt ist. Je gewaltiger und großartiger die Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern erscheint, desto strenger muß man bei den Naturschilderungen an der Einfachheit festhalten, die das vornehmste, oft das einzige Verdienst eines ersten Entwurfes ist. Am 31. März. Der widrige Wind nötigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir sahen die Zuckerfelder zum Teil durch einen Brand zerstört, der sich aus einem nahen Walde bis hierher fortgepflanzt hatte. Die wandernden In- dianer zünden überall, wo sie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen von diesen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerstörung schützte. Wir fanden Stämme des Mahagonibaumes ( Cahoba ) und von Desmanthus, die kaum 5 cm tief verkohlt waren. Vom Diamante betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und Chiguire , einer großen Art von Linn é s Gattung Cavia, bewohnt ist. Hier sahen wir dicht- gedrängte Vogelschwärme sich vom Himmel abheben wie eine schwärzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick ver- ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer ist meist dürr und sandig infolge der Ueberschwemmungen; das andere ist höher und mit hochstämmigen Bäumen be- wachsen. Hin und wieder ist der Fluß zu beiden Seiten be- waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die Stellung der Bäume ist sehr merkwürdig. Vorne sieht man Büsche von Sauso (Hermesia castaneifolia), die gleichsam eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es ist, als wäre diese künstlich beschnitten. Hinter dieser Hecke kommt ein Gehölz von Ce- drela, Brasilholz und Gayac. Die Palmen sind ziemlich selten; man sieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der stacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieses Landstriches, die Tiger, Tapire und Pecarischweine, haben Durchgänge in die eben beschriebene Sausohecke gebrochen, durch die sie zum Trinken an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat man den Genuß, sie langsam am Ufer hinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Lücken im Gebüsch im Walde verschwinden. Ich gestehe, diese Auftritte, so oft sie vor- kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Lust, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Interesse des Naturforschers, sondern daneben auf einer Empfindung, die allein im Schoße der Kultur aufgewachsenen Menschen gemein ist. Man sieht sich einer neuen Welt, einer wilden, unge- zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, der schöne amerikanische Panther; bald wandelt der Hocco ( Crax alector ) mit schwarzem Gefieder und dem Feder- busch langsam an der Uferhecke hin. Tiere der verschiedensten Klassen lösen einander ab. „Es como en el Paraiso“ (es ist wie im Paradies), sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich, alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen stellen; beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Tiere genau, so zeigt es sich, daß sie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradies der amerikanischen Wälder, wie allerorten, hat lange traurige Erfahrung alle Geschöpfe gelehrt, daß Sanftmut und Stärke selten beisammen sind. Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sausobüschen weiter vom Strome weg. Auf diesem Zwischengebiet sieht man Krokodile, oft acht und zehn, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgesperrt, ruhen sie nebeneinander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man sie sonst bei gesellig leben- den Tieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, sobald er vom Ufer aufbricht, und doch besteht er wahrscheinlich nur aus einem männlichen und vielen weiblichen Tieren; denn, wie schon Descourtils, der die Krokodile auf San Domingo so fleißig beobachtet, vor mir bemerkt hat, die Männchen sind ziemlich selten, weil sie in der Brunst miteinander kämpfen und sich ums Leben bringen. Diese gewaltigen Reptilien sind so zahlreich, daß auf dem ganzen Stromlauf fast jeden Augen- blick ihrer fünf oder sechs zu sehen waren, und doch fing der Apure erst kaum merklich an zu steigen und Hunderte von Krokodilen lagen also noch im Schlamme der Savannen be- graben. Gegen 4 Uhr abends hielten wir an, um ein totes Krokodil zu messen, das der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 5,38 m lang; einige Tage später fand Bonpland ein anderes (männliches), das 7,22 m maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Aegypten, erreicht das Tier die- selbe Größe; auch ist die Art, die im Apure, im Orinoko und im Magdalenenstrom so häufig vorkommt, Es ist dies der Arue der Tamanaken, der Amana der May- puren, Cuviers Crocodilus acutus. kein Kaiman oder Alligator, sondern ein wahres Krokodil mit an den äußeren Rändern gezähnten Füßen, dem Nilkrokodil sehr ähnlich. Be- denkt man, daß das männliche Tier erst mit zehn Jahren mannbar wird und daß es dann 2,6 m lang ist, so läßt sich annehmen, daß das von Bonpland gemessene Tier wenigstens 28 Jahre alt war. Die Indianer sagten uns, in San Fer- nando vergehe nicht leicht ein Jahr, wo nicht zwei, drei er- wachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschöpfen am Fluß von diesen fleischfressenden Eidechsen zerrissen würden. Man erzählte uns die Geschichte eines jungen Mädchens aus Uritucu, das sich durch seltene Unerschrockenheit und Geistes- gegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald sie sich gepackt fühlte, griff sie nach den Augen des Tieres und stieß ihre Finger mit solcher Gewalt hinein, daß das Krokodil vor Schmerz sie fahren ließ, nachdem es ihr den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheuren Blut- verlustes gelangte die Indianerin, mit der übrig gebliebenen Hand schwimmend, glücklich ans Ufer. In diesen Einöden, wo der Mensch in beständigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man sich täglich von den Kunstgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder Traga Venado, einem Krokodil zu entgehen; jeder rüstet sich gleichsam auf die bevorstehende Gefahr. „Ich wußte,“ sagte das junge Mädchen in Uritucu gelassen, „daß der Kaiman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt.“ Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasselbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert sich nicht mit lebhafter Teilnahme, wie Isaaco, der Führer des unglück- lichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulin- kombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Un- geheuers entkam, weil es ihm gelang, demselben unter dem Wasser die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Isaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung der- selben Geistesgegenwart, demselben Gedankengang. Das Krokodil im Apure bewegt sich sehr rasch und ge- wandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt ist, so langsam hin wie ein Salamander. Läuft das Tier, so hört man ein trockenes Geräusch, das von der Reibung seiner Hautplatten gegen einander herzurühren scheint. Bei dieser Bewegung krümmt es den Rücken und erscheint hochbeiniger als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Nähe; es ist aber nicht wahr, was die Indianer be- haupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppentier, „ihre Schuppen und ihre ganze Rüstung sollen aufrichten können“. Die Tiere bewegen sich allerdings meistens gerade- aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke seine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängsel von falschen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschränken scheinen, wenden die Kro- kodile ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beißen sehen; andere haben dasselbe bei erwachsenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung fast immer geradlinig erscheint, so rührt dies daher, daß dieselbe, wie bei unseren kleinen Eidechsen, stoßweise erfolgt. Die Krokodile schwimmen vortrefflich und überwinden leicht die stärkste Strömung. Es schien mir indessen, als ob sie, wenn sie flußabwärts schwimmen, nicht wohl rasch umwenden könnten. Eines Tages wurde ein großer Hund, der uns auf der Reise von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Flusse von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war schon ganz nahe an ihm und der Hund entging seinem Feinde nur dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom schwamm. Das Krokodil führte nun dieselbe Bewegung aus, aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte glücklich das Ufer. Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den Chiguire ( Cavia Capybara, Wasserschwein), die in Rudeln von 50 bis 60 Stücken an den Flußufern leben. Diese un- glücklichen Tiere, von der Größe unserer Schweine, besitzen keinerlei Waffe, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser, als sie laufen; aber auf dem Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und am Lande werden sie von den Tigern ge- fressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier gewaltigen Feinde so zahlreich sein können; sie ver- mehren sich aber so rasch wie die Cobayes, oder Meer- schweinchen, die aus Brasilien zu uns gekommen sind. Unterhalb der Einmündung des Caño de la Tigrera, in einer Bucht, Vuelta del Joval genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu messen; sie betrug nur 1,13 m in der Sekunde, was 0,83 m mittlere Geschwindigkeit ergibt. Um die Geschwindigkeit eines Stromes an der Oberfläche zu ermitteln, maß ich meist am Ufer eine Standlinie von 81 m ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom schwimmender Körper brauchte, um dieselbe Strecke zurückzulegen. Die Barometerhöhen ergaben, unter Berücksichtigung der kleinen stündlichen Abweichungen, ein Gefälle von kaum 45 cm auf die Seemeile (zu 1855 km ). Die Geschwindigkeit ist das Produkt zweier Momente, des Falles des Bodens und des Steigens des Wassers im oberen Stromgebiete. Auch hier sahen wir uns von Chiguire um- geben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Wasser strecken. Auf dem Strande gegenüber sahen wir zu unserer Ueberraschung ein mächtiges Krokodil mitten unter diesen Nagetieren regungslos daliegen und schlafen. Es erwachte, als wir mit unserer Piroge näher kamen, und ging langsam dem Wasser zu, ohne daß die Chiguire un- ruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser Gleichgültigkeit in der Dummheit des Tieres; wahrscheinlich aber wissen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht an- greift, der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblicke, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen. Beim Joval wird der Charakter der Landschaft groß- artig wild. Hier sahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbst die Indianer erstaunten über seine un- geheure Länge; er war größer als alle indischen Tiger, die ich in Europa in Menagerien gesehen. Das Tier lag im Schatten eines großen Zamang. Eine Mimosenart. Es hatte eben einen Chi- guire erlegt, aber seine Beute noch nicht angebrochen; nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unterägypten ver- glichen haben, hatten sich in Scharen versammelt, um die Reste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den seltsamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten sich bis auf 60 cm vom Jaguar vor, aber bei der leisesten Bewegung desselben wichen sie zurück. Um die Sitten dieser Tiere noch mehr in der Nähe zu be- obachten, bestiegen wir das kleine Kanoe, das unsere Piroge mit sich führte. Sehr selten greift der Tiger Kähne an, indem er danach schwimmt, und dies kommt nur vor, wenn durch langen Hunger seine Wut gereizt ist. Beim Geräusch unserer Ruder erhob sich das Tier langsam, um sich hinter den Sauso- büschen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten sich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unseres Kanoe, einen Satz unter sie und schleppte zornerfüllt, wie man an seinem Gange und am Schlagen seines Schwanzes sah, seine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß sie ihre Lanzen nicht bei sich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie sind an diese Waffe gewöhnt und thaten wohl, sich nicht auf unsere Gewehre zu verlassen, die in einer so ungemein feuchten Luft häufig versagten. Im Weiterfahren flußabwärts sahen wir die große Herde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er sich ein Stück geholt hatte. Die Tiere sahen uns ganz ruhig landen. Manche saßen da und schienen uns zu betrachten, wobei sie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menschen schienen sie sich nicht zu fürchten, aber beim Anblicke unseres großen Hundes ergriffen sie die Flucht. Da das Hintergestell bei ihnen höher ist als das Vordergestell, so laufen sie im kurzen Galopp, kommen aber dabei so wenig vorwärts, daß wir zwei fangen konnten. Der Chiguire, der sehr fertig schwimmt, läßt im Laufen ein leises Seufzen hören, als ob ihm das Atmen beschwerlich würde. Er ist das größte Tier in der Familie der Nager; er setzt sich nur in der äußersten Not zur Wehre, wenn er umringt und verwundet ist. Da seine Backzähne, besonders die hinteren, ausnehmend stark und ziemlich lang sind, so kann er mit seinem Bisse einem Tiger die Tatze oder einem Pferde den Fuß zerreißen. Sein Fleisch hat einen ziemlich unangenehmen Moschusgeruch; man macht indessen im Lande Schinken daraus, und dies rechtfertigt ge- wissermaßen den Namen Wasserschwein , den manche alte Naturgeschichtschreiber dem Chiguire beilegen. Die geistlichen Missionäre lassen sich in den Fasten diese Schinken ohne Be- denken schmecken; in ihrem zoologischen System stehen das Gürteltier, das Wasserschwein und der Lamantin oder die Seekuh neben den Schildkröten; ersteres, weil es mit einer harten Kruste, einer Art Schale bedeckt ist, die beiden anderen, weil sie im Wasser wie auf dem Lande leben. An den Ufern des Santo Domingo, Apure und Arauca, in den Sümpfen und auf den überschwemmten Savannen der Llanos kommen die Chiguire in solcher Menge vor, daß die Weiden darunter leiden. Sie fressen das Kraut weg, von dem die Pferde am fettesten werden, und das Chiguirero (Kraut des Chiguire) heißt. Sie fressen auch Fische, und wir sahen mit Verwunderung, daß das Tier, wenn es, erschreckt durch ein nahendes Kanoe, untertaucht, 8 bis 10 Minuten unter Wasser bleibt. Wir brachten die Nacht, wie immer, unter freiem Himmel zu, obgleich auf einer Pflanzung , deren Besitzer die Tiger- jagd trieb. Er war fast ganz nackt und schwärzlich braun wie ein Zambo, zählte sich aber nichtsdestoweniger zum weißen Menschenschlage. Seine Frau und seine Tochter, die so nackt waren wie er, nannte er Dosia Isabela und Doña Manuela. Obgleich er nie vom Ufer des Apure weggekommen, nahm er den lebendigsten Anteil „an den Neuigkeiten aus Madrid, an den Kriegen, deren kein Ende abzusehen, und an all den Geschichten dort drüben ( todas las cosas de allà )“. Er wußte, daß der König von Spanien bald zum Besuche „Ihrer Herrlichkeiten im Lande Caracas“ herüberkommen würde, setzte aber scherzhaft hinzu: „Da die Hofleute nur Weizenbrot essen können, werden sie nie über die Stadt Valencia hinaus wollen, und wir werden sie hier nicht zu sehen bekommen.“ Ich hatte einen Chiguire mitgebracht und wollte ihn braten lassen; aber unser Wirt versicherte uns, nosotros cavalleros blancos, weiße Leute wie er und ich seien nicht dazu gemacht, von solchem „Indianerwildpret“ zu genießen. Er bot uns Hirsch- fleisch an; er hatte tags zuvor einen mit dem Pfeil erlegt, denn er hatte weder Pulver noch Schießgewehr. Wir glaubten nicht anders, als hinter einem Bananen- gehölze liege die Hütte des Gehöftes; aber dieser Mann, der sich auf seinen Adel und seine Hautfarbe so viel einbildete, hatte sich nicht die Mühe gegeben, aus Palmblättern eine Ajupa zu errichten. Er forderte uns auf, unsere Hänge- matten neben den seinigen zwischen zwei Bäumen befestigen zu lassen, und versicherte uns mit selbstgefälliger Miene, wenn wir in der Regenzeit den Fluß wieder heraufkämen, würden wir ihn unter Dach ( baxo techo ) finden. Wir kamen bald in den Fall, eine Philosophie zu verwünschen, die der Faulheit Vorschub leistet und den Menschen für alle Bequemlichkeiten des Lebens gleichgültig macht. Nach Mitternacht erhob sich ein furchtbarer Sturmwind, Blitze durchzuckten den Horizont, der Donner rollte und wir wurden bis auf die Haut durch- näßt. Während des Ungewitters versetzte uns ein seltsamer Vorfall auf eine Weile in gute Laune. Doña Isabelas Katze hatte sich auf den Tamarindenbaum gesetzt, unter dem wir lagerten. Sie fiel in die Hängematte eines unserer Be- gleiter, und der Mann, zerkratzt von der Katze und aus dem tiefsten Schlafe aufgeschreckt, glaubte, ein wildes Tier aus dem Walde habe ihn angefallen. Wir liefen auf sein Geschrei hinzu und rissen ihn nur mit Mühe aus seinem Irrtum. Während es auf unsere Hängematten und unsere Instrumente, die wir ausgeschifft, in Strömen regnete, wünschte uns Don Ignacio Glück, daß wir nicht am Ufer geschlafen, sondern uns auf seinem Gute befänden, „entre gente blanca y de trato“ (unter Weißen und Leuten von Stande). Durchnäßt, wie wir waren, fiel es uns denn doch schwer, uns zu über- zeugen, daß wir es hier so besonders gut haben, und wir hörten ziemlich widerwillig zu, wie unser Wirt ein langes und breites von seinem sogenannten Kriegszuge an den Rio Meta erzählte, wie tapfer er sich in einem blutigen Gefechte mit den Guahibos gehalten, und „welche Dienste er Gott und seinem König geleistet, indem er den Eltern die Kinder ( los Indiecitos ) genommen und in die Missionen verteilt.“ Welch seltsamen Eindruck machte es, in dieser weiten Einöde bei einem Manne, der von europäischer Abkunft zu sein glaubt und kein anderes Obdach kennt als den Schatten eines Baumes, alle eitle Anmaßung, alle ererbten Vorurteile, alle Verkehrt- heiten einer alten Kultur anzutreffen! Am 1. April. Mit Sonnenaufgang verabschiedeten wir uns von Señor Don Ignacio und von Señora Doña Isa- bela, seiner Gemahlin. Die Luft war abgekühlt; der Thermo- meter, der bei Tag meist auf 30 bis 35° stand, war auf 24° gefallen. Die Temperatur des Flusses blieb sich fast ganz gleich, sie war fortwährend 26 bis 27°. Der Strom trieb eine ungeheure Menge Baumstämme. Man sollte meinen, auf einem völlig ebenen Boden, wo das Auge nicht die ge- ringste Erhöhung bemerkt, hätte sich der Fluß durch die Gewalt seiner Strömung einen ganz geraden Kanal graben müssen. Ein Blick auf die Karte, die ich nach meinen Aufnahmen mit dem Kompaß entworfen, zeigt das Gegenteil. Das abspülende Wasser findet an beiden Ufern nicht denselben Widerstand, und fast unmerkliche Bodenerhöhungen geben zu starken Krüm- mungen Anlaß. Unterhalb des Jovals , wo das Flußbett etwas breiter wird, bildet dasselbe wirklich einen Kanal, der mit der Schnur gezogen scheint und zu beiden Seiten von sehr hohen Bäumen beschattet ist. Dieses Stück des Flusses heißt Caño rico; ich fand dasselbe 265 m breit. Wir kamen an einer niedrigen Insel vorüber, auf der Flamingo, rosen- farbige Löffelgänse, Reiher und Wasserhühner, die das mannig- faltigste Farbenspiel boten, zu Tausenden nisteten. Die Vögel waren so dicht aneinander gedrängt, daß man meinte, sie könnten sich gar nicht rühren. Die Insel heißt Isla de Aves. Weiterhin fuhren wir an der Stelle vorbei, wo der Apure einen Arm (den Rio Arichuna) an den Cabullare ab- gibt und dadurch bedeutend an Wasser verliert. Wir hielten am rechten Ufer bei einer kleinen indianischen, vom Stamme der Guamos bewohnten Mission. Es standen erst 16 bis 18 Hütten aus Palmblättern; aber auf den statistischen Ta- bellen, welche die Missionäre jährlich bei Hofe einreichen, wird diese Gruppe von Hütten als das Dorf Santa Barbara de Arichuna aufgeführt. Die Guamos sind ein Indianerstamm, der sehr schwer seßhaft zu machen ist. Sie haben in ihren Sitten vieles mit den Achagua, Guahibos und Otomaken gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachsucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig voneinander ab. Diese vier Stämme leben größtenteils von Fischfang und Jagd auf den häufig überschwemmten Ebenen zwischen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben scheint hier durch die Beschaffenheit des Landes selbst bedingt. Wir werden bald sehen, daß man, sobald man die Berge an den Katarakten des Orinoko betritt, bei den Piraoa, Macos und Maquiritares sanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Ge- birge, in undurchdringlichen Wäldern sieht sich der Mensch genötigt, sich fest niederzulassen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anstrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine anderen Wege führen als die Flüsse, ein hartes, mühseliges Leben führt. Die Guamos in der Mission Santa Barbara konnten uns die Mundvorräte, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern; sie bauten nur etwas Maniok. Sie schienen indessen gastfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten sie uns getrocknete Fische und Wasser (in ihrer Sprache Cub ) an. Das Wasser war in porösen Gefäßen abgekühlt. Unterhalb der Vuelta del Cochino roto, an einer Stelle, wo sich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, sehr breiten Gestade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und so brachten wir nur mit Not trockenes Holz zusammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indianer glauben, vor dem nächtlichen An- griffe des Tigers sicher ist. Unsere eigene Erfahrung scheint diesen Glauben zu bestätigen; dagegen versichert Azarro, zu seiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savanne weggeholt. Die Nacht war still und heiter und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich so gelegt, daß sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andere Wassertiere. Die Indianer zeigten uns im Sande die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen seine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und be- festigsten unsere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob sich im benach- barten Walde ein so furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein Auge schließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Tiere, die zusammen schrieen, erkannten unsere Indianer nur diejenigen, die sich auch einzeln hören ließen, namentlich die leisen Flötentöne der Sapaju, die Seufzer der Aluaten, das Brüllen des Tigers und des Kuguars, oder amerikanischen Löwen ohne Mähne, das Geschrei des Bisamschweines, des Faultiers, des Hocco, des Parraqua und einiger anderen hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguare dem Waldrande sich näherten, so fing unser Hund, der bis dahin fortwährend gebellt hatte, an zu heulen und suchte Schutz unter den Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geschwiegen, er- scholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter, und dann folgte darauf das anhaltende schrille Pfeifen der Affen, die sich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten. Ich schildere Zug für Zug diese nächtlichen Auftritte, weil wir zu Anfang unserer Fahrt auf dem Apure noch nicht daran gewöhnt waren. Monatelang, allerorten, wo der Wald nahe an die Flußufer rückt, hatten wir sie zu erleben. Die Sorglosigkeit der Indianer macht dabei auch dem Rei- senden Mut. Man redet sich mit ihnen ein, die Tiger fürchten alle das Feuer und greifen niemals einen Menschen in seiner Hängematte an. Und solche Angriffe kommen allerdings sehr selten vor und aus meinem langen Aufenthalte in Südamerika erinnere ich mich nur eines einzigen Falles, wo, den Achaguas- Inseln gegenüber, ein Llanero in seiner Hängematte zerfleischt gefunden wurde. Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes zu gewissen Stunden einen so furchtbaren Lärm erheben, so geben sie die lustige Antwort: „Sie feiern den Vollmond.“ Ich glaube, die Unruhe rührt meist daher, daß im inneren Walde sich irgendwo ein Kampf entsponnen hat. Die Ja- guare zum Beispiel machen Jagd auf die Bisamschweine und Tapire, die nur Schutz finden, wenn sie beisammenbleiben und in gedrängten Rudeln fliehend das Gebüsch, das ihnen in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, scheu und furchtsam, erschrecken ob dieser Jagd und beantworten von den Bäumen herab das Geschrei der großen Tiere. Sie wecken die gesellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, so ist die ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald sehen, daß dieser Lärm keineswegs nur bei schönem Mondschein, sondern vorzugsweise während der Gewitter und starken Regengüsse unter den wilden Tieren ausbricht. „Der Himmel verleihe ihnen eine ruhsame Nacht wie uns anderen!“ sprach der Mönch, der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todmüde von der Last des Tages, unser Nachtlager einrichten half. Es war allerdings seltsam, daß man mitten im einsamen Walde sollte keine Ruhe finden können. In den spanischen Herbergen fürchtet man sich vor den schrillen Tönen der Guitarren im anstoßenden Zimmer; in denen am Orinoko, das heißt auf offenem Gestade oder unter einem einzeln stehenden Baume, besorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlafe ge- stört zu werden. Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war schön und kühl, wie es Leuten vorkommt, die an die große Hitze in diesen Ländern gewöhnt sind. Der Thermometer stand in der Luft nur auf 28°, aber der trockene, weiße Sand am Gestade hatte trotz der Strah- lung gegen einen wolkenlosen Himmel eine Temperatur von 36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fischfangenden Vögeln bedeckt. Manche machen sich das Floßholz, das den Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraschen die Fische, die sich mitten in der Strömung halten. Unser Kanoe stieß im Laufe des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn sie sehr heftig sind, können schwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die jahre- lang in schiefer Richtung im Schlamme stecken bleiben. Diese Bäume kommen beim Hochwasser aus dem Sarare herunter und verstopfen das Flußbett dergestalt, daß die Pirogen stromaufwärts häufig zwischen den Untiefen und überall, wo Wirbel sind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Insel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilstämme aus dem Wasser ragten. Sie saßen voll Vögeln, einer Art Plotus, die der Anhinga sehr nahe steht. Diese Vögel sitzen in Reihen auf, wie die Fasanen und die Parraqua, und bleiben stundenlang, den Schnabel gen Himmel gestreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Aussehen gibt. Von der Insel Carizales an wurde die Abnahme des Wassers im Flusse desto auffallender, da unterhalb der Gabe- lung bei der Boca de Arichuna kein Arm, kein natürlicher Abzugskanal mehr dem Apure Wasser entzieht. Der Verlust rührt allein von der Verdunstung und Einsickerung auf san- digen, durchnäßten Ufern her. Man kann sich vorstellen, wie viel dies ausmacht, wenn man bedenkt, daß wir den trockenen Sand zu verschiedenen Tagesstunden 36 bis 52°, den Sand, über dem 8 bis 10 cm Wasser standen, noch 32° warm fanden. Das Flußwasser erwärmt sich dem Boden zu, so weit die Sonnenstrahlen eindringen können, ohne beim Durchgange durch die übereinander gelagerten Wasserschichten zu sehr ge- schwächt zu werden. Dabei reicht die Einsickerung weit über das Flußbett hinaus und ist, sozusagen, seitlich. Das Ge- stade, das ganz trocken scheint, ist bis zur Höhe des Wasser- spiegels mit Wasser getränkt. 97 m vom Flusse sahen wir Wasser hervorquellen, so oft die Indianer die Ruder in den Boden steckten; dieser unten feuchte, oben trockene und dem Sonnenstrahle ausgesetzte Sand wirkt nun aber wie ein Schwamm. Er gibt jeden Augenblick durch Verdunstung vom eingesickerten Wasser ab; der sich entwickelnde Wasserdampf zieht durch die obere, stark erhitzte Sandschicht und wird sicht- bar, wenn sich am Abend die Luft abkühlt. Im Maße, als das Gestade Wasser abgibt, zieht es aus dem Strome neues an, und man sieht leicht, daß dieses fortwährende Spiel von Verdunstung und seitlicher Einsaugung dem Flusse ungeheure Wassermassen entziehen muß, nur daß der Verlust schwer genau zu berechnen ist. Die Zunahme dieses Verlustes wäre der Länge des Stromlaufes proportional, wenn die Flüsse von der Quelle bis zur Mündung überall gleiche Ufer hätten; da aber diese von den Anschwemmungen herrühren, und die Ge- wässer, je weiter von der Quelle weg, desto langsamer fließen und somit notwendig im unteren Stromlaufe mehr absetzen als im oberen, so werden viele Flüsse im heißen Erdstriche ihrer Mündung zu seichter. Barrow hat die auffallende Wirkung des Sandes im östlichen Afrika an den Ufern des Orangeflusses beobachtet. Sie gab sogar bei den verschiedenen Annahmen über den Lauf des Nigers zu sehr wichtigen Er- örterungen Anlaß. Bei der Vuelta de Basilio , wo wir ans Land gingen, um Pflanzen zu sammeln, sahen wir oben auf einem Baum zwei hübsche, kleine, pechschwarze Affen, von der Größe des Sa ï , mit Wickelschwänzen. Ihrem Gesichte und ihren Be- wegungen nach konnte es weder der Coa ï ta, noch der Chamek, noch überhaupt ein Atele sein. Sogar unsere Indianer hatten nie dergleichen gesehen. In diesen Wäldern gibt es eine Menge Sapaju, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, besonders die in Rudeln lebenden und darum rührigeren, zu gewissen Zeiten weit wandern, so kommt es vor, das bei Eintritt der Regenzeit die Einge- borenen bei ihren Hütten welche ansichtig werden, die sie nie zuvor gesehen. Am selben Ufer zeigten uns unsere Führer ein Nest junger Leguane, die nur 10 cm lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechse zu unterscheiden. Die Rückenstacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all die Anhängsel, die dem Leguan, wenn er 1,3 bis 1,6 m lang ist, ein so ungeheuerliches Ansehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleisch dieser Eidechse fanden wir in allen sehr trockenen Ländern von angenehmem Ge- schmack, selbst zu Zeiten, wo es uns nicht an anderen Nah- rungsmitteln fehlte. Es ist sehr weiß und nach dem Fleisch des Tatu oder Gürteltiers, das hier Cachicamo heißt, eines der besten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet. Gegen Abend regnete es; vor dem Regen strichen die Schwalben, die vollkommen den unserigen glichen, über die Wasserfläche hin. Wir sahen auch, wie ein Flug Papageien von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geschrei der Papageien stach vom Pfeifen der Raubvögel seltsam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel am Gestade, in der Nähe der Insel Carizales. Nicht weit standen mehrere indianische Hütten auf Pflanzungen. Unser Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ja- guar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr ist. „Die Menschen machen ihn übellaunig,“ „los hombres lo enfadan,“ sagt das Volk in den Missionen, ein spaßhafter, naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung. Am 3. April. — Seit der Abfahrt von San Fernando ist uns kein einziges Kanoe auf dem schönen Strome begegnet. Ringsum herrscht tiefe Einsamkeit. Am Morgen fingen unsere Indianer mit der Angel den Fisch, der hierzulande Ka- ribe oder Caribito heißt, weil keiner so blutgierig ist. Er fällt die Menschen beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch ab. Ist man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur schwer aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Wunden davonzu- tragen. Die Indianer fürchten diese Karibenfische ungemein, und verschiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln ver- narbte, sehr tiefe Wunden, die von diesen kleinen Tieren her- rührten, die bei den Maypures Umati heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüsse, gießt man aber ein paar Tropfen Blut ins Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf. Be- denkt man, wie zahlreich diese Fische sind, von denen die ge- fräßigsten und blutgierigsten nur 8 bis 10 cm lang werden, betrachtet man ihre dreiseitigen schneidenden, spitzen Zähne und weites retraktiles Maul, so wundert man sich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoko den Karibe so sehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fisch zu sehen war, warfen wir kleine blutige Fleischstücke ins Wasser. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Karibenfischen da und stritt sich um den Fraß. Der Fisch hat einen kantigen, sägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen , den My- leten und den Pristigastern zukommt. Nach dem Vor- handensein einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinanderstehenden, in der unteren Kinnlade größeren Zähne gehört der Karibe zu den Serra- Salmen. Er hat ein viel weiter gespaltenes Maul als Cu- viers Myleten. Der Körper ist am Rücken aschgrau, ins Grünliche spielend; aber Bauch, Kiemen, Brust-, Bauch- und Afterfloßen sind schön orangegelb. Im Orinoko kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unter- scheidet. Die mittlere scheint identisch mit Marcgravs mitt- lerer Art des Piraya oder Piranha ( Salmo rhombeus, Linné ). Ich habe sie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen sehr angenehmen Geschmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, ist er als eine der größten Plagen dieser Landstriche zu betrachten, wo der Stich der Moskiten und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Bedürfnis machen. Wir hielten gegen mittag an einem unbewohnten Ort, Algodonal genannt. Ich trennte mich von meinen Ge- fährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittagessen rüstete. Ich ging am Gestade hin, um in der Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne schliefen, wobei sie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze aufeinanderlegten. Kleine Schneeweiße Reiher Garzon Chico. In Oberägypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil sie sich beim Fischfang liefen ihnen auf dem Rücken, sogar auf dem Kopf herum, als wären es Baumstämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit trockenem Schlamm überzogen: ihrer Farbe und ihrer Regungs- losigkeit nach konnte man sie für Bronzebilder halten. Wenig fehlte aber, so wäre mir der Spaziergang übel bekommen. Ich hatte immer nur nach dem Flusse hingesehen, aber indem ich Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die frische Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe so leicht zu erkennen ist. Das Tier war dem Walde zuge- gangen, und als ich nun dorthin blickte, sah ich 80 Schritte von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba liegen. Nie ist mir ein Tiger so groß vorgekommen. Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Ver- nunft zu Hilfe ruft. Ich war sehr erschrocken, indessen noch so weit Herr meiner selbst und meiner Bewegungen, daß ich die Verhaltungsmaßregeln befolgen konnte, die uns die In- dianer schon oft für dergleichen Fälle erteilt hatten. Ich ging weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen, und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit seinen Ge- danken ganz bei einer Herde Capybaras war, die über den Fluß schwammen. Jetzt kehrte ich um und beschrieb einen ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm wegkam, desto rascher glaubte ich gehen zu können. Wie oft war ich in Versuchung, mich umzusehen, ob ich nicht verfolgt werde! Glücklicherweise gab ich diesem Drange erst sehr spät nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Diese un- geheuren Katzen mit geflecktem Fell sind hierzulande, wo es Capybaras, Bisamschweine und Hirsche im Ueberfluß gibt, so gut genährt, daß sie selten einen Menschen anfallen. Ich kam atemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern mein Abenteuer. Sie schienen nicht viel daraus zu machen; indessen luden wir unsere Flinten, und sie gingen mit uns auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen, war nicht geraten, da man sich zerstreuen oder in einer Reihe durch die verschlungenen Lianen gehen muß. Abends kamen wir an der Mündung des Caño del den Umstand zu nutze machen, daß die Fische sich über das unge- heure Tier entsetzen und sich vor ihm vom Grunde des Wassers an die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe. A. v. Humboldt , Reise. III. 3 Manati vorüber, so genannt wegen der ungeheuren Menge Manati oder Lamantine, die jährlich hier gefangen werden. Dieses grasfressende Wassersäugetier, das die Indianer Apcia und Avia nennen, wird hier meist 3,25 bis 4 m lang und 250 bis 400 kg schwer. Wir sahen das Wasser mit dem Kot desselben bedeckt, der sehr stinkend ist, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es ist im Orinoko unterhalb der Ka- tarakte, im Meta und im Apure zwischen den beiden Inseln Carizales und Conserva sehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußeren Fläche und am Rande der Schwimm- flossen, die ganz glatt sind; zieht man aber die Haut der Flosse ab, so zeigen sich an der dritten Phalange kleine Nägel- rudimente. Bei einem 3 m langen Tier, das wir in Cari- chana, einer Mission am Orinoko, zergliederten, sprang die Oberlippe 10 cm über die untere vor. Jene ist mit einer sehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüssel oder Fühler zum Betasten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim frisch getöteten Tier auffallend warm ist, zeigt einen ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge ist fast unbeweglich; aber vor derselben befindet sich in jeder Kinnlade ein fleischiger Knopf und eine mit sehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die ineinander passen. Der Lamantin verschluckt so viel Gras, daß wir sowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen als den 35 m langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Tier am Rücken auf, so erstaunt man über die Größe, Gestalt und Lage seiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblasen; sie ist 1 m lang. Mit Luft gefüllt hat sie ein Volumen von mehr als 1000 Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit so ansehnlichen Luftbehältern so oft an die Wasserfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleisch, das aus irgend einem Vorurteil, für ungesund und calenturioso (fiebererzeugend) gilt, ist sehr schmackhaft; es schien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleisch als mit Rindfleisch zu haben. Die Guamos und Otomaken essen es am liebsten, daher geben sich auch diese zwei Stämme vorzugsweise mit dem Seekuh- fang ab. Das eingesalzene und an der Sonne gedörrte Fleisch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieses Säugetier bei der Klerisei für einen Fisch gilt, so ist es in den Fasten sehr gesucht. Der Lamantin hat ein äußerst zähes Leben; man harpuniert ihn und bindet ihn sodann, schlachtet ihn aber erst, nachdem er in die Piroge geschafft worden. Dies geschieht oft, wenn das Tier sehr groß ist, mitten auf dem Flusse, und zwar so, daß man die Piroge zu zwei Dritt- teilen mit Wasser füllt, sie unter das Tier schiebt und mit einer Kürbisflasche wieder ausschöpft. Am leichtesten sind sie am Ende der großen Ueberschwemmungen zu fangen, wenn sie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe geraten sind und das Wasser schnell fällt. Zur Zeit, wo die Jesuiten den Missionen am unteren Orinoko vorstanden, kamen diese alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zusammen, um mit den Indianern aus ihren Missionen am Fuße des Berges, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große See- kuhjagd anzustellen. Das Fett des Tiers, die Manteca de Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfisch- thranes oder des Fettes anderer Cetaceen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über 4 cm dick ist, wird in Streifen zerschnitten, und diese dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochsenhaut, als Stricke. Kommt sie ins Wasser, so hat sie den Fehler, daß sie zu faulen anfängt. Man macht in den spanischen Kolonieen Peitschen daraus, daher auch die Worte Latigo und Manati gleichbedeutend sind. Diese Peit- schen aus Seekuhhaut sind ein schreckliches Werkzeug zur Züch- tigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Missionen, die nach den Gesetzen als freie Menschen behandelt werden sollten. Wir übernachteten der Insel Conserva gegenüber. Als wir am Waldsaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, 22 m hoher, mit verästeten Dornen bedeckter Baum auf. Die In- dianer nennen ihn Barba de Tigre. Es ist vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die In- dianer hatten unsere Feuer dicht am Wasser angezündet; da fanden wir wieder, daß sein Glanz die Krokodile herlockte, und sogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht schlafen ließ, bis man das Feuer auslöschte. Wir wurden in dieser Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieser Wildnis liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unserem Nachtlager nahe, um sein Junges am Strome trinken zu lassen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Ge- schrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unsere große Dogge von unge- heuren Fledermäusen, die um unsere Hängematten flatterten, vorne an der Schnauze gebissen oder, wie die Eingeborenen sagen, gestochen . Sie hatten lange Schwänze wie die Mo- lossen; ich glaube aber, daß es Phyllostomen waren, deren mit Warzen besetzte Zunge ein Saugorgan ist, das sie be- deutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, sobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er über die Fledermäuse, als sie unter unseren Hängematten hervorkamen, erschrak. Dergleichen Fälle sind weit seltener, als man im Lande selbst glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähn- liche Fledermausarten so häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir doch nie von ihnen gebissen worden. Ueberdem ist der Stich keineswegs gefähr- lich und der Schmerz meist so unbedeutend, daß man erst aufwacht, wenn die Fledermaus sich bereits davongemacht hat. Am 4. April. Dies war unser letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer ein- förmiger. Seit einigen Tagen, besonders seit der Mission Arichuna, fingen wir an, arg von den Insekten gequält zu werden, die sich uns auf Gesicht und Hände setzten. Es waren keine Moskiten , die den Habitus kleiner Mücken von der Gattung Simulium haben, Latreille hat gefunden, daß die Moustiques in Südkarolina zur Gattung Simulium ( Atractocera, Meigen) gehören. sondern Zancudos , echte Schna- ken, aber von unserem Culex pipiens ganz verschieden. Sie kommen erst nach Sonnenuntergang zum Vorschein; ihr Saug- rüssel ist so lang, daß, wenn sie sich an die Unterseite der Hängematte setzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die dicksten Kleider dringt. Wir wollten in der Vuelta del Palmito übernachten, aber an diesem Strich des Apure gibt es so viele Jaguare, daß unsere Indianer, als sie unsere Hängematten befestigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilstamm versteckt fanden. Man riet uns, das Schiff wieder zu besteigen und unser Nachtlager auf der Insel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in den Orinoko, aufzuschlagen. Dieser Teil der Insel gehört zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Varinas und das rechte Ufer des Orinoko zu Spanisch- Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unsere Hängematten zu befestigen, und mußten am Boden auf Ochsenhäuten schlafen. Die Kanoen sind zu eng und wimmeln zu sehr von Zancudos, als daß man darin übernachten könnte. An der Stelle, wo wir unsere Instrumente ans Land gebracht hatten, war das Ufer ziemlich steil, und da sahen wir denn einen neuen Beweis von der oben besprochenen Trägheit der hühnerartigen Vögel unter den Tropen. Die Hocco und Pauxi Letzterer ( Crax Pauxi ) ist nicht so häufig als ersterer. kommen immer mehrmals des Tages an den Fluß herunter, um ihren Durst zu löschen. Sie trinken viel und in kurzen Pausen. Eine Menge dieser Vögel und ein Schwarm Parraqua-Fasanen hatten sich bei unserem Nachtlager zusammengefunden. Es wurde ihnen sehr schwer, am abschüssigen Ufer hinaufzukommen; sie versuchten es mehrere Male, ohne ihre Flügel zu brauchen. Wir jagten sie vor uns her wie Schafe. Die Zamurosgeier entschließen sich gleichfalls sehr schwer zum Auffliegen. Ich konnte nach Mitternacht eine gute Beobachtung der Meridianhöhe α des südlichen Kreuzes anstellen. Der Einfluß des Apure liegt unter 7° 36′ 23″ der Breite. Pater Gu- milla gibt 5° 5′, d’Anville 7° 3′, Caulin 7° 26′ an. Die Länge der Boca des Apure ist nach den Sonnenhöhen, die ich am 5. April morgens aufgenommen, 69° 7′ 29″, oder 1° 12′ 41″ östlich vom Meridian von San Fernando. Am 5. April . Es fiel uns sehr auf, wie gering die Wassermasse ist, welche der Apure in dieser Jahreszeit dem Orinoko zuführt. Derselbe Strom, der nach meinen Messungen beim Caño Rico noch 265 m breit war, maß an seiner Aus- mündung nur zwischen 117 und 156 m. Dies ist nicht ganz die Breite der Seine am Pontroyal, den Tuilerien gegenüber. Seine Tiefe betrug hier nur 5,8 bis 9,7 m. Er verliert allerdings Wasser durch den Rio Arichuna und den Caño del Manati, zwei Arme des Apure, die zum Payara und Guarico laufen; aber der größte Verlust scheint von der Einsickerung an den Ufern herzurühren, von der oben die Rede war. Die Geschwindigkeit der Strö- mung bei der Ausmündung war nur 1 m in der Sekunde, so daß ich die ganze Wassermasse leicht berechnen könnte, wenn mir durch Sondierung in kurzen Abständen alle Dimensionen des Querschnitts bekannt wären. Der Barometer, der in San Fernando, 9,1 m über dem mittleren Wasserstand des Apure, um 9½ Uhr morgens 747 mm hoch gestanden hatte, stand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 mm hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm- mungen des Stromes mitgerechnet) Ich schätze sie auf ein Vierteil der geraden Entfernung. zu 175 km , und nimmt man die kleine, wegen der stündlichen Schwankung des Baro- meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, so ergibt sich im Durchschnitt ein Gefälle von 346 mm auf 1855 m. La Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der Fall des Amazonenstromes und des Ganges durchschnittlich kaum 10 bis 14 cm auf 1855 m beträgt. Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals auf; die Anschwemmungen sind beim Zusammenfluß der beiden Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers am Tau ziehen lassen. Welcher Kontrast zwischen diesem Zu- stande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen- zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunstung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande im Herbste, wo der Apure gleich einem Meeresarm, so weit das Auge reicht, über den Grasfluren steht! Gegen Süd sahen wir die einzelstehenden Hügel bei Coruato; im Osten fingen die Granitfelsen von Curiquima, der Zuckerhut von Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont emporzusteigen. Mit einem gewissen Gefühl der Rührung sahen wir zum erstenmal, wonach wir uns so lange gesehnt, die Gewässer des Orinoko, an einem von der Meeresküste so weit entfernten Punkte. Nennzehntes Kapitel. Zusammenfluß des Apure mit dem Orinoko. — Die Gebirge von Encaramada. — Uruana. — Baraguan. — Carichana. — Der Einfluß des Meta. — Die Insel Panumana. Mit der Ausfahrt aus dem Apure sahen wir uns in ein ganz anderes Land versetzt. So weit das Auge reichte, dehnte sich eine ungeheure Wasserfläche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geschrei der Reiher, Flamingo und Löffelgänse, wenn sie in langen Schwärmen von einem Ufer zum anderen ziehen, erfüllte nicht mehr die Luft. Ver- geblich sahen wir uns nach den Schwimmvögeln um, deren gewerbsmäßige Listen bei jeder Sippe wieder andere sind. Die ganze Natur schien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein großes Krokodil, das mittels seines Schwanzes die bewegte Wasserfläche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel be- grenzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beständig der Sonnenglut ausgesetzte Ufer, kahl und dürr wie der Meeresstrand, glichen infolge der Luft- spiegelung von weitem Lachen stehenden Wassers. Diese san- digen Ufer verwischten vielmehr die Grenzen des Stromes, statt sie für das Auge festzustellen; nach dem wechselnden Spiel der Strahlenbrechung rückten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg. Diese zerstreuten Landschaftszüge, dieses Gepräge von Einsamkeit und Großartigkeit kennzeichnen den Lauf des Ori- noko, eines der gewaltigsten Ströme der Neuen Welt. Aller- orten haben die Gewässer wie das Land ihren eigentümlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoko ist ganz anders als die Betten des Meta, des Guaviare, des Rio Negro und des Amazonenstromes. Diese Unterschiede rühren nicht bloß von der Breite und der Geschwindigkeit des Stromes her; sie beruhen auf einer Gesamtheit von Verhältnissen, die an Ort und Stelle leichter aufzufassen, als genau zu beschreiben sind. So erriete ein erfahrener Schiffer schon an der Form der Wogen, an der Farbe des Wassers, am Aussehen des Himmels und der Wolken, ob er sich im Atlantischen Meere, oder im Mittelmeere oder im tropischen Strich des Großen Ozeanes befindet. Der Wind wehte stark aus Ost-Nord-Ost; er war uns günstig, um stromaufwärts nach der Mission Encaramada zu segeln; aber unsere Piroge leistete dem Wogenschlage so ge- ringen Widerstand, daß, wer gewöhnlich seekrank wurde, bei der heftigen Bewegung selbst auf dem Flusse sich sehr un- behaglich fühlte. Das Scholken rührt daher, daß die Gewässer der beiden Ströme bei der Vereinigung aufeinander stoßen. Dieser Stoß ist sehr stark, aber lange nicht so gefährlich, als Pater Gumilla behauptet. Wir fuhren an der Punta Curi- quima vorbei, einer einzeln stehenden Masse von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Blöcken bestehenden Vorgebirge. Hier, auf dem rechten Ufer des Orinoko, hatte zur Zeit der Jesuiten Pater Rotella unter den Palenque- und Viriviri-Indianern eine Mission angelegt. Bei Hoch- wasser waren der Berg Curiquima und das Dorf am Fuße desselben rings von Wasser umgeben. Wegen dieses großen Uebelstandes und wegen der Unzahl Moskiten und Niguas , Die Sandflöhe (Pulex penetrans, Linné), die sich beim Menschen und Affen unter die Nägel der Zehen eingraben und da- selbst ihre Eier legen. von denen Missionäre und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt ist er völlig verlassen, wäh- rend gegenüber auf dem linken Ufer in den Hügeln von Co- ruato herumziehende Indianer hausen, die entweder aus den Missionen oder aus freien, den Mönchen nicht unterworfenen Stämmen ausgestoßen worden sind. Die ungemeine Breite des Orinoko zwischen der Ein- mündung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir sehr auf; ich berechnete sie daher nach einer Standlinie, die ich am westlichen Ufer zweimal abgemessen. Das Bett des Orinoko war beim gegenwärtigen tiefen Wasserstande 3519 m breit; aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Capuchino beim Hügel Pocopocori Inseln sind, mögen es 10752 m werden. Zum starken Anschwellen des Orinoko trägt auch der Druck der Wasser des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenflüsse, mit dem Oberteile des Hauptstromes einen spitzen Winkel bildet, sondern unter einem rechten Winkel einmündet. Wir maßen an verschiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Wassers; mitten im Thalweg, wo die Strömung am stärksten ist, betrug sie 28,3°, in der Nähe der Ufer 29,2°. Wir fuhren zuerst gegen Südwest hinauf bis zum Ge- stade der Guaricotos-Indianer, auf dem linken Ufer des Ori- noko, und dann gegen Süd. Der Strom ist so breit, daß die Berge von Encaramada aus dem Wasser emporzusteigen scheinen, wie wenn man sie über dem Meereshorizonte sähe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Ost nach West streichende Kette, und je näher man ihnen kommt, desto malerischer wird die Landschaft. Diese Berge bestehen aus ungeheuren zer- klüfteten, aufeinander getürmten Granitblöcken. Die Teilung der Gebirgsmasse in Blöcke ist eine Folge der Verwitterung. Zum Reize der Gegend von Encaramada trägt besonders der kräftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswände bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei läßt. Man meint, altes Gemäuer rage aus einem Walde empor. Auf dem Berge, an den sich die Mission lehnt, dem Tepupano der Tama- naken, stehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt sind, während der dritte, unten schmälere und über 28 m hohe, senkrecht stehen geblieben ist. Dieser Felsen, dessen Form an die Schnarcher im Harz oder an die Orgeln von Actopan in Mexiko erinnert, war früher ein Stück des runden Berggipfels. In allen Erdstrichen hat der nicht ge- schichtete Granit das Eigentümliche, daß er durch Verwitterung in prismatische, cylindrische oder säulenförmige Blöcke zerfällt. Gegenüber dem Gestade der Guaricotos kamen wir in die Nähe eines anderen, ganz niedrigen, 5,5 bis 8 m langen Felshaufens. Er steht mitten in der Ebene und gleicht nicht sowohl einem Tumulus als den Granitmassen, die man in Holland und Niederdeutschland Hünenbetten nennt. Der Ufersand an diesem Stücke des Orinoko ist nicht mehr reiner Quarzsand, er besteht aus Thon und Glimmerblättchen in sehr dünnen Schichten, die meist unter einen Winkel von 40 bis 50° fallen; er sieht aus wie verwitterter Glimmer- schiefer. Dieser Wechsel in der geologischen Beschaffenheit der Ufer tritt schon weit oberhalb der Mündung des Apure ein; schon beim Algodonal und beim Caño de Manati fingen wir in letzterem Flusse an, denselben zu bemerken. Die Glimmer- blättchen kommen ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Ost findet man nur Quarzsand, Sandstein, festen Kalkstein und Gips. Daß Anschwemmungen von Süd nach Nord geführt werden, kann am Orinoko nicht befremden; aber wie erklärt sich dieselbe Erscheinung im Bette des Apure, 31 km west- wärts von seiner Ausmündung? Beim gegenwärtigen Zu- stande der Dinge läuft der Apure auch beim höchsten Wasser- stande des Orinoko nie so weit rückwärts, und um sich von der Erscheinung Rechenschaft zu geben, muß man annehmen, die Glimmerschichten haben sich zu einer Zeit niedergeschlagen, wo der ganze, sehr tief gelegene Landstrich zwischen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein See- becken war. Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es ist dies eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zusammen- kommen. Das Ufer besteht aus einem 13 bis 16 m hohen Felsen, wieder jenen aufeinander getürmten Granitblöcken, wie sie am Schneeberg in Franken und fast in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieser abgesonderten Massen sind kugelig; es sind aber keine Kugeln mit konzentrischen Schichten, sondern nur abgerundete Blöcke, Kerne, von denen das umhüllende Gestein abgewittert ist. Der Granit ist blei- grau, oft schwarz, wie mit Manganoxyd überzogen; aber diese Farbe dringt kaum 0,44 mm tief ins Gestein, das rötlich- weiß, grobkörnig ist und keine Hornblende enthält. Die indianischen Namen der Mission San Luis del Encaramada sind Guaja und Caramana . Die Namen der Missionen in Südamerika bestehen sämtlich aus zwei Worten, von denen das erste notwendig ein Heiligenname ist (der Name des Schutzpatrons der Kirche), das zweite ein india- nisches (der Name des Volkes, das hier lebt, und der Gegend, wo die Mission liegt). So sagt man: San Jose de Maypures, Santa Cruz de Chachipo, San Juan-Nepomuceno de los Atures ꝛc. Diese zusammengesetzten Namen kommen aber nur in der amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur einen , meist, wenn er wohlklingend ist, den indianischen. Benachbarten Orten kommen oft dieselben Heiligennamen zu, und dadurch entsteht in der Geographie eine heillose Verwirrung. Die Namen San Juan, San Pedro, San Diego sind wie aufs Geratewohl auf unseren Karten umher- gestreut. Es ist dies das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jesuitenpater Gili, dem Verfasser der in Rom gedruckten Storia dell’ Orinoco, gegründet wurde. Dieser in den Indianersprachen sehr be- wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde diese Landstriche sind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und daß er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat. Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus Panapana. Es war ein Kazike, der in seiner Piroge zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit sich. Er saß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern bestand. Sein kalter, einsilbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor sich hatte. Der Kazike trug sich übrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto , dem Farbe- stoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerschaft, Geräte, Fahrzeug, Segel, alles war rot angestrichen. Diese Kariben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit höher gewachsen als die Indianer, die wir bisher ge- sehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarz gefärbten Augen- brauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenschädel von den Antillen gesehen und waren daher überrascht, daß bei diesen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abständen mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeschnürt. Das Fleisch unter den Binden wird stark zu- sammengepreßt und quillt in den Zwischenräumen heraus. Die Kariben verwenden meist auf ihr Aeußeres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menschen nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewisse Körperformen, und eine Mutter würde gewissenloser Gleich- gültigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ihnen nicht durch künstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unserer Indianer vom Apure karibisch sprach, konnten wir uns beim Kaziken von Panapana nicht nach den Lager- plätzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoko zum Sammeln der Schildkröteneier zu- sammenkommt. Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felsenbucht, gegen- über der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schön; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme so gleichmäßig verteilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5° über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auf- fallend geschwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des schein- baren Durchmessers Jupiters einen Irrtum in der Beobach- tung fürchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum ersten- mal mit bloßem Auge die Scheibe des Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstöße ein und machten uns für unsere Piroge besorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur sehr wenige Krokodile gesehen, aber lauter ungewöhnlich große, 6,5 bis 8 m lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüsse auf; besonders in den Caños sind sie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen sagen, was Abd-Allatif von den Nilkrokodilen sagt, „sie wimmeln wie Würmer an den seichten Stromstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln“. Am 6. April. Wir fuhren erst gegen Süd, dann gegen Südwest weiter den Orinoko hinauf und bekamen den Süd- abhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fuß am nächsten gelegene Strich ist nicht mehr als 270 bis 310 m hoch, aber die steilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savanne, ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel lassen die Serrania auffallend hoch erscheinen. Ihre größte Breite beträgt nur 13,5 km; nach den Mitteilungen von Pareca-Indianern wird sie gegen Ost bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichsten Zug eines Bergstockes, welcher sich am rechten Ufer des Orinoko zwischen dem 5. und 7½ Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwischen den verschiedenen Zügen dieses Bergstockes liegen kleine grasbewachsene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichsten ziehen sich von West nach Ost, die südlichsten von Nordwest nach Südost. Aus dieser ver- schiedenen Richtung erklärt sich vollkommen, warum die Kor- dillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Ori- noko und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir ein- mal über die großen Katarakte von Atures und Maypures hinauf gelangt sind, werden wir hintereinander 7 Hauptketten erscheinen sehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Cha- viripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geo- logischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmäßig gruppiert scheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoko fährt, im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolierung ist nur scheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encaramada hängen mit denen des Mato zusammen, in welchen der Rio Asiveru oder Cuchivero entspringt; die Berge von Chaviripe er- strecken sich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Corosal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari. Ueber diese Berge, die von sanftmütigen, ackerbauenden Indianern bewohnt sind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atabapo versorgt werden sollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den spanischen Sol- daten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man diese beiden Flüsse hinab, so gelangt man in den Orinoko und Atabapo, ohne über die großen Katarakte zu kommen, über welche Vieh hinaufzuschaffen so gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeist, der den Kastilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vor- züglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des 18. Jahr- hunderts auf kurze Frist noch einmal auf, als König Fer- dinand IV. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen kennen lernen wollte, und in den Wäldern von Guyana, dem klassischen Lande der Lüge und der märchenhaften Ueberliefe- rungen, die Arglist der Indianer die schimärische Vorstellung von den Schätzen des Dorado, welche die Einbildungskrast der ersten Eroberer so gewaltig beschäftigt hatte, von neuem in Umlauf brachte. In diesen Bergen der Encaramada, die, wie der meiste grobkörnige Granit, keine Gänge enthalten, fragt man sich, wo die Goldgeschiebe herkommen, welche Juan Martinez Der Begleiter des Diego de Ordaz. und Ralegh bei den Indianern am Orinoko in so großer Menge gesehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in diesem Teile von Amerika glaube ich, daß das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum sichtbaren Teilchen durch die ganze Masse des Granitgesteins zerstreut ist, ohne daß man kleine verästete und ineinander verschlungene Gänge anzunehmen hat. Noch nicht lange fanden Indianer aus Encaramada in der Que- brada del Tigre (Tigerschlucht) ein Goldkorn von 4 mm Durch- messer. Es war rund und schien im Wasser gerollt. Diese Entdeckung war den Missionären noch wichtiger als den In- dianern, aber sie blieb alleinstehend. Ich kann dieses erste Glied des Bergstockes der Encara- mada nicht verlassen, ohne eines Umstandes zu erwähnen, der Pater Gili nicht unbekannt geblieben war, und dessen man während unseres Aufenthaltes in den Missionen am Orinoko häufig gegen uns erwähnte. Unter den Eingeborenen dieser Länder hat sich die Sage erhalten, „beim großen Wasser, als ihre Väter das Kanoe besteigen mußten, um der allgemeinen Ueberschwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felsen von Encaramada bespült“. Diese Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, sie gehört zu einem Kreise geschichtlicher Ueberlieferungen, aus dem sich einzelne Vorstellungen bei den Maypures an den großen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der sich in den Caura ergießt, und fast bei allen Stämmen am oberen Orinoko finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menschengeschlecht diese große Katastrophe, die Wasserzeit der Mexikaner, überlebt habe, so sagen sie, „ein Mann und ein Weib haben sich auf einen hohen Berg, Namens Ta- manacu, am Ufer des Asiveru, geflüchtet; da haben sie Früchte der Mauritiapalme hinter sich über ihre Köpfe geworfen, und aus den Kernen derselben seien Männlein und Weiblein ent- sprossen, welche die Erde wieder bevölkerten“. In solch ein- facher Gestalt lebt bei jetzt wilden Völkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft ge- schmückt worden ist. Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savanne ein Fels, der sogenannte Tepume- reme, der gemalte Fels . Man sieht darauf Tierbilder und symbolische Zeichen, ähnlich denen, wie wir sie auf der Rückfahrt auf dem Orinoko nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara gesehen. In Afrika heißen dergleichen Felsen bei den Reisenden Fetischsteine . Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoko von einem Fetischdienst nichts wissen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten an Felsen gefunden, Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenstände reli- giöser Verehrung vorzustellen scheinen. Zwischen dem Cassi- quiare und dem Orinoko, zwischen Encaramada, Capuchino und Caycara sind die hieroglyphischen Figuren häufig sehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nur mittels sehr hoher Gerüste gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich gewesen sei, die Bilder einzu- hauen, so erwidern sie lächelnd, als sprächen sie eine That- sache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt sein kann, „zur Zeit des großen Wassers seien ihre Väter so hoch oben im Kanoe gefahren“. Diese alten Sagen des Menschengeschlechtes, die wir gleich Trümmern eines großen Schiffbruches über den Erdball zer- streut finden, sind für die Geschichtsphilosophie von höchster Bedeutung. Wie gewisse Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verschiedensten Meereshöhen das Gepräge des ge- meinsamen Typus behalten, so haben die kosmogonischen Ueberlieferungen der Völker aller Orten denselben Charakter, eine Familienähnlichkeit, die uns in Erstaunen setzt. Im Grundgedanken hinsichtlich der Vernichtung der lebendigen Schöpfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen fast gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine örtliche Färbung. Auf den großen Festländern wie auf den kleinsten Inseln im Stillen Meere haben sich die übrig gebliebenen Men- schen immer auf den höchsten Berg in der Nähe geflüchtet, und das Ereignis erscheint desto neuer, je roher die Völker sind und je weniger, was sie von sich selbst wissen, weit zurück- reicht. Untersucht man die mexikanischen Denkmale aus der Zeit vor der Entdeckung der Neuen Welt genau, dringt man in die Wälder am Orinoko, sieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europäischen Niederlassungen sind, und in welchen Zuständen die unabhängig gebliebenen Stämme verharren, so kann man nicht daran denken, die eben besprochene Ueberein- stimmung dem Einfluß der Missionäre und des Christentums auf die Volkssagen zuzuschreiben. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß die Völker am Orinoko durch den Umstand, daß sie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorstellung vom großen Wasser gekommen sein sollten, das eine Zeitlang die Keime des organischen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoko bis zum Cassiquiare und Rio Negro besteht aus Urgebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandstein- oder Konglomeratfor- mation angetroffen, aber keinen sekundären Kalkstein, keine Spur von Versteinerungen. Der frische Nordostwind brachte uns mit vollen Segeln zur Boca de la Tortuga . Gegen 11 Uhr vormittags stiegen wir an einer Insel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Mission Uruana als ihr Eigentum be- trachten. Diese Insel ist berühmt wegen des Schildkröten- fanges, oder, wie man hier sagt, wegen der Cosecha , der Eierernte , die jährlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beisammen und unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Das Lager war über 300 Köpfe stark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an öde Gestade ge- wöhnt, und so fiel uns das Leben, das hier herrschte, unge- mein auf. Außer den Guamos und Otomaken aus Uruana, die beide für wilde, unzähmbare Stämme gelten, waren Ka- riben und andere Indianer vom unteren Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in diesem lär- menden Haufen einige Weiße, namentlich „Pulperos“ oder Krämer aus Angostura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen. Wir trafen auch den Missionär von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebürtig war. Der Mann verwunderte sich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unsere Instrumente bewundert, entwarf er uns eine übertriebene Schilderung von den Beschwerden, denen wir uns notwendig aussetzten, wenn wir auf dem Orinoko bis über die Fälle hinaufgingen. Der Zweck unserer Reise schien ihm in bedeutendes Dunkel gehüllt. „Wie soll einer glauben,“ sagte er, „daß ihr euer Vaterland verlassen habt, um euch auf diesem Flusse von den Moskiten aufzehren zu lassen und Land zu vermessen, das euch nicht gehört?“ Zum Glück hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franziskaner-Mission bei uns, und der Schwager des Statthalters von Varinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unsere Tracht, unsern Accent und unsere Ankunft auf diesem sandigen Eiland unter den Weißen aufgetaucht waren. Der Missionär lud uns zu seinem frugalen Mahle aus Bananen und Fischen ein und erzählte uns, er sei mit den Indianern über die „Eier- ernte“ herübergekommen, „um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel für die Altar- lampe zu verschaffen, besonders aber um diese Republica de Indios y Castellanos in Ordnung zu halten, in der jeder für sich allein haben wollte, was Gott allen beschert“. Wir umgingen die Insel in Begleitung des Missionärs und eines Pulpero, der sich rühmte, daß er seit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur Pesca de Tortugas komme. Man besucht dieses Stück des Orinoko, wie man bei uns die Messen von Frankfurt und Beaucaire besucht. Wir be- fanden uns auf einem ganz ebenen Sandstriche. Man sagte uns: „So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkröteneier unter einer Erdschicht.“ Der Missionär trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange ( vara ) sondiert, um zu sehen, wie weit die Eier schicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Vara senkrecht in den Boden, so spürt man daran, daß der Widerstand auf einmal aufhört, daß man in die Höhlung oder das lose Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen ist. Wie wir sahen, ist die Schicht im ganzen so gleichförmig verbreitet, daß die Sonde in einem Halbmesser von 19,5 m rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stößt. Auch spricht man hier nur von Quadratstangen Eiern , wie wenn man ein Bodenstück, unter dem Mine- ralien liegen, in Lose teilte und ganz regelmäßig abbaute. Indessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Insel; sie hört überall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkröte auf diese kleinen Plateaus nicht hinauf- kriechen kann. Ich erzählte meinen Führern von den hoch- trabenden Beschreibungen Pater Gumillas, wie die Ufer des A. v. Humboldt , Reise. III. 4 Orinoko nicht so viel Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, und wie diese Tiere die Schiffe in ihrem Laufe aufhielten, wenn Menschen und Tiger nicht alljährlich so viele töteten. „Son cuentos de frailes,“ sagte der Krämer aus Angostura leise, denn da arme Missionäre hierzulande die ein- zigen Reisenden sind, so nennt man hier „Pfaffenmärchen“, was man in Europa den Reisenden überhaupt aufbürden würde. Die Indianer versicherten uns, von der Mündung des Orinoko bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine einzige Insel und kein einziges Gestade, wo man Schild- kröteneier in Masse sammeln könnte. Die große Schildkröte, der Arrau (sprich Arra-u), meidet von Menschen bewohnte oder von Fahrzeugen besuchte Orte. Es ist ein furchtsames, scheues Tier, das den Kopf über das Wasser streckt und sich beim leisesten Geräusch versteckt. Die Uferstrecken, wo fast sämtliche Schildkröten des Orinoko sich jährlich zusammenzu- finden scheinen, liegen zwischen dem Zusammenfluß des Orinoko und des Apure und den großen Fällen oder Raudales , das heißt zwischen Cabruta und der Mission Atures. Hier be- finden sich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder Boca del Cabullare, Cucuruparu oder Boca de la Tortuaa, und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrauschild- kröte geht, wie es scheint, nicht über die Fälle hinauf, und wie man uns versichert, kommen oberhalb Atures und May- pures nur Terekay schildkröten vor. Es ist hier der Ort, einige Worte über diese beiden Arten und ihr Verhältnis zu den verschiedenen Familien der Schildkröten zu sagen. Wir beginnen mit der Arrauschildkröte, welche die Spanier in den Kolonieen kurzweg Tortuga nennen, und deren Geschlecht für die Völker am unteren Orinoko von so großer Bedeutung ist. Es ist eine große Süßwasserschild- kröte, mit Schwimmfüßen, sehr plattem Kopf, zwei fleischigen, sehr spitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb ge- furcht sind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 seit- liche und 24 Randplatten; er ist oben schwarzgrau, unten orangegelb, die Füße sind gleichfalls orangegelb und sehr lang. Zwischen den Augen ist eine sehr tiefe Furche. Die Nägel sind sehr stark und gebogen. Die Afteröffnung be- findet sich am letzten Fünfteil des Schwanzes. Das er- wachsene Tier wiegt 20 bis 25 kg. Die Eier, weit größer als Taubeneier, sind nicht so länglich wie die Eier des Terekay. Sie haben eine Kalkschale und sollen so fest sein, daß die Kinder der Otomaken, die starke Ballspieler sind, sie einander zuwerfen können. Käme der Arrau oberhalb der Katarakte im Strome vor, so gingen die Indianer am oberen Orinoko nicht so weit nach dem Fleisch und den Eiern dieser Schild- kröte; man sah aber früher ganze Volksstämme von den Flüssen Atabapo und Cassiquiare über die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana teilzunehmen. Die Terekay sind kleiner als die Arrau. Sie haben meist nur 37 cm Durchmesser. Ihr Schild hat gleichviel Platten, sie sind aber etwas anders verteilt. Ich zählte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 sechsseitige, am Rande 24 vierseitige, stark gebogene. Der Schild ist schwarz, ins Grüne spielend; Füße und Nägel sind wie beim Arrau. Das ganze Tier ist olivengrün, hat aber oben auf dem Kopfe zwei aus rot und gelb gemischte Flecke. Auch der Hals ist gelb und hat einen stacheligen Anhang. Die Terekay thun sich nicht in große Schwärme zusammen wie die Arrau, um ihre Eier miteinander auf demselben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geschmack und sind bei den Bewohnern von Spanisch-Guyana sehr gesucht. Sie kommen sowohl im oberen Orinoko als unterhalb der Fälle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Flüssen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Füße und des Kopfes, nach den Anhängen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteröffnung scheint der Arrau und wahrscheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen wäre. Durch die Anhänge und die Stellung des Afters nähern sie sich der Emys nasuta Schweiggers und dem Matamata in Fran- zösisch-Guyana, unterscheiden sich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine pyramidalischen Buckel haben. Die Zeit, wo die große Arrauschildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoko von der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfängt, so liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. März die tiefsten Uferstellen trocken. Die Arrau sammeln sich schon im Januar in große Schwärme; sie gehen jetzt aus dem Wasser und wärmen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Tier bedürfe zu seinem Wohlbefinden notwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arrau fast den ganzen Tag auf dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkröte jedes Jahr an dasselbe Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Wasser, ausschauend, ob nichts von Tigern oder Menschen zu fürchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beisammen bleiben, daß sich die Schildkröten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, stellen längs des Ufers Wachen auf. Man be- deutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strome zu halten und die Schildkröten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnen- untergang an. Das Tier gräbt mit seinen Hinterfüßen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein 1 m weites und 60 cm tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkröte denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruche wahrzu- nehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder Eiernest , wie man hier sagt, öffnet. Der Drang der Tiere zum Eier- legen ist so stark, daß manche in die von anderen gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinuntergehen und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stürmischen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Missionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen aufgrub, daß der Verlust ein Dritteil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das ver- trocknete Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch stärker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschalen in großen Klumpen zusammengekittet. Der Tiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Die Schildkröten, die sich verspätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die frühmorgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie „närrische Schild- kröten“. Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen. Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den ersten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor sich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei allem herrscht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Missionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier mutwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, daß sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franziskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoko abgelöst haben, rühmen sich zwar, daß sie das Verfahren ihrer Vor- gänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der ge- hörigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; sie ließen ein Stück un- berührt liegen, weil sie besorgten, die Arrauschildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rücksichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden. Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär von Uruana seinen Stellvertreter oder den Kommissär , der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianer- stämme, die sich in die Ernte teilen, in Lose zerlegt. Es sind lauter „Indianer aus den Missionen“, aber so nackt und ver- sunken wie die „Indianer aus den Wäldern“; man nennt sie reducidos und neofitos, weil sie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben, bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen. Der Commissionado del Padre beginnt das Geschäft damit, daß er den Boden sondiert. Mit einer langen höl- zernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambu- rohr untersucht er, wie weit die „Eierschicht“ reicht. Nach unseren Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 40 m vom Ufer und ist im Durchschnitt 1 m tief. Der Kommissär steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunde- rung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Er- trag eines Getreideackers schätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau 40 m lang und 10 m breit 100 Krüge oder für 1000 Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine, Mappiri genannte Körbe, tragen sie ins Lager und werfen sie in große, mit Wasser gefüllte hölzerne Tröge. In diesen Trögen werden die Eier mit schaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der ölige Teil), das obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser ölige Teil wird, wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschöpft und bei einem starken Feuer gekocht. Dieses tierische Oel, das bei den Spaniern manteca de tortugas heißt, soll sich desto besser halten, je stärker es gekocht wird. Gut zubereitet ist es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Mis- sionäre schätzen es dem besten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugs- weise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Es hält indessen schwer, ganz reines Schild- krötenöl zu bekommen. Es hat meist einen fauligen Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter geraten sind, in denen sich, weil sie schon länger der Sonne ausgesetzt gewesen, die jungen Schildkröten ( los tortuguillos ) bereits ausgebildet hatten. Diese unangenehme Erfahrung machten wir nament- lich auf der Rückreise vom Rio Negro, wo das flüssige Fett, das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die Gefäße hatten einen faserigen Bodensatz, und dies ist das Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls. Ich teile hier einige statistische Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Missionärs von Uruana, seines Kommissärs und der Krämer aus Angostura erhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich 1000 Botijas Die Botija hält 25 französische Flaschen; sie hat 1000 bis 1200 Kubikzoll Inhalt. oder Krüge Oel ( manteca ). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana, gemeinhin Angostura genannt, 2 bis 2½ Piaster. Der ganze Ertrag der drei Uferstrecken, wo jährlich die Cosecha oder Ernte gehalten wird, läßt sich auf 5000 Botijas anschlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder „limeta“ voll Oel geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100 bis 116 Eier, und ein Drittel werde während des Legens, namentlich von den „närrischen“ Schildkröten zerbrochen, so ergibt sich, daß, sollen jährlich 5000 Krüge Oel gewonnen werden, 330 000 Arrau- schildkröten, die zusammen 165 000 Zentner wiegen, auf den drei Ernteplätzen 33 Millionen Eier legen müssen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur 60 bis 70 Eier; viele werden im Augenblick, wo sie aus dem Wasser gehen, von den Ja- guaren gefressen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und sie zerbrechen bei der Ernte sehr viele aus Fahrlässigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeschlüpft sind, ehe der Mensch darüber kommt, ist so ungeheuer, daß ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, 26 mm breiten Schildkröten wimmeln sah, die mit Not den Kindern der In- dianer entkamen, welche Jagd auf sie machten. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arrau zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwischen der Mündung des Orinoko und dem Einfluß des Apure einzeln und ein paar Wochen später legen, so kommt man notwendig zu dem Schluß, daß sich die Zahl der Schildkröten, welche jährlich an den Ufern des unteren Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies ist ausnehmend viel für ein Tier von beträchtlicher Größe, das einen halben Zentner schwer wird, und unter dessen Geschlecht der Mensch so furchtbar aufräumt. Im allgemeinen pflanzt die Natur in der Tierwelt die großen Arten in geringerer Zahl fort als die kleinen. Das Erntegeschäft und die Zubereitung des Oels währen drei Wochen. Nur um diese Zeit stehen die Missionen mit der Küste und den benachbarten civilisierten Ländern in Ver- kehr. Die Franziskaner, die südlich von den Katarakten leben, kommen zur Eierernte nicht sowohl, um sich Oel zu ver- schaffen, als um weiße Gesichter zu sehen, wie sie sagen, und um zu hören, „ob der König sich im Eskorial oder in San Ildefonso aufhält, ob die Klöster in Frankreich noch immer aufgehoben sind, vor allem aber, ob der Türke sich noch immer ruhig verhält“. Das ist alles, wofür ein Mönch am Orinoko Sinn hat, Dinge, worüber die Krämer aus Ango- stura, die in die Lager kommen, nicht einmal genaue Aus- kunft geben können. In diesen weit entlegenen Ländern wird eine Neuigkeit, die ein Weißer aus der Hauptstadt bringt, nie- mals in Zweifel gezogen. Zweifeln ist fast soviel wie Denken, und wie sollte man es nicht beschwerlich finden, den Kopf anzustrengen, wenn man sein Leben lang über die Hitze und die Stiche der Moskiten zu klagen hat? Die Oelhändler haben 70 bis 80 Prozent Gewinn; denn die Indianer verkaufen den Krug oder die Botija für einen harten Piaster an sie, und die Transportkosten machen für den Krug nur zwei Fünftel Piaster. Die Indianer, welche die Cosecha de huevos mitmachen, bringen auch ganze Massen an der Sonne getrockneter oder leicht gesottener Eier nach Hause. Unsere Ruderer hatten immer welche in Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geschmack kam uns nicht unangenehm vor, wenn sie gut erhalten sind. Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die Tiger gehen den Arrau auf die Uferstriche nach, wo sie legen wollen. Sie überfallen sie auf dem Sande, und um sie gemächlich verzehren zu können, kehren sie sie um, so daß der Brustschild nach oben sieht. Aus dieser Lage können die Schildkröten sich nicht aufrichten, und da der Tiger ihrer weit mehr umwendet, als er in der Nacht verzehren kann, so machen sich die Indianer häufig seine List und seine bos- hafte Habsucht zu nutze. Wenn man bedenkt, wie schwer der reisende Naturforscher den Körper der Schildkröte herausbringt, wenn er Rücken- und Brustschild nicht trennen will, so kann man die Gewandt- heit des Tigers nicht genug bewundern, der mit seiner Tatze den Doppelschild des Arrau leert, als wären die Ansätze der Muskeln mit einem chirurgischen Instrumente losgetrennt. Der Tiger verfolgt die Schildkröte sogar ins Wasser, wenn dieses nicht sehr tief ist. Er gräbt auch die Eier aus und ist nächst dem Krokodil, den Reihern und dem Gallinazogeier der furchtbarste Feind der frisch ausgeschlüpften Schildkröten. Im verflossenen Jahre wurde die Insel Pararuma während der Eierernte von so vielen Krokodilen heimgesucht, daß die Indianer in einer einzigen Nacht ihrer 18, 4 bis 5 m lange, mit hakenförmigen Eisen und Seekuhfleisch daran, fingen. Außer den eben erwähnten Waldtieren thun auch die wilden Indianer der Oelbereitung bedeutenden Eintrag. Sobald die ersten kleinen Regenschauer, von ihnen „Schildkrötenregen“ genannt, sich einstellen, ziehen sie an die Ufer des Orinoko und töten mit vergifteten Pfeilen die Schildkröten, die mit emporgerecktem Kopf und ausgestreckten Tatzen sich sonnen. Die jungen Schildkröten ( tortuguillos ) zerbrechen die Eischale bei Tage, man sieht sie aber nie anders als bei Nacht aus dem Boden schlüpfen. Die Indianer behaupten, das junge Tier scheue die Sonnenhitze. Sie wollten uns auch zeigen, wie der Tortuguillo, wenn man ihn in einem Sack weit weg vom Ufer trägt und so an den Boden setzt, daß er dem Flusse den Rücken kehrt, alsbald den kürzesten Weg zum Wasser einschlägt. Ich gestehe, daß dieses Experiment, von dem schon Pater Gumilla spricht, nicht immer gleich gut ge- lingt; meist aber schienen mir die kleinen Tiere sehr weit vom Ufer, selbst auf einer Insel, mit äußerst feinem Gefühl zu spüren, von woher die feuchteste Luft weht. Bedenkt man, wie weit sich die Eierschicht fast ohne Unterbrechung am Ufer hin erstreckt, und wie viele Tausende kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausschlüpfen dem Wasser zugehen, so läßt sich nicht wohl annehmen, daß so viele Schildkröten, die am selben Orte ihre Nester gegraben, ihre Jungen herausfinden und sie, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen können. So viel ist aber gewiß, daß das Tier seine ersten Lebensjahre in den seichtesten Lachen zubringt und erst, wenn es erwachsen ist, in das große Flußbett geht. Wie finden nun die Tortu- guillos diese Lachen? Werden sie von weiblichen Schildkröten hingeführt, die sich ihrer annehmen, wie sie ihnen aufstoßen? Die Krokodile, deren weit nicht so viele sind, legen ihre Eier in abgesonderte Löcher, und wir werden bald sehen, daß in dieser Eidechsenfamilie das Weibchen gegen das Ende der Brutzeit wieder hinkommt, den Jungen ruft, die darauf ant- worten, und ihnen meist aus dem Boden hilft. Die Arrau- schildkröte erkennt sicher, so gut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo sie ihr Nest gemacht; da sie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wo die Indianer ihr Lager auf- geschlagen haben, wie könnte sie ihre Jungen von fremden Tortuguillos unterscheiden? Andererseits wollen die Otomaken beim Hochwasser weibliche Schildkröten gesehen haben, die eine ganze Menge junger Schildkröten hinter sich hatten. Dies waren vielleicht Arrau, die allein an einem einsamen Ufer gelegt hatten, zu dem sie wieder kommen konnten. Männ- liche Tiere sind unter den Schildkröten sehr selten; unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieser Erscheinung kann hier nicht derselbe sein wie bei den Krokodilen, die in der Brunst einander blutige Gefechte liefern. Unser Steuermann war in die Playa de Huevos ein- gelaufen, um einige Mundvorräte zu kaufen, die bei uns auf die Neige gingen. Wir fanden daselbst frisches Fleisch, Reis aus Angostura, sogar Zwieback aus Weizenmehl. Unsere In- dianer füllten die Piroge zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nach- dem wir vom Missionär, der uns sehr herzlich aufgenommen, uns verabschiedet hatten, gingen wir gegen 4 Uhr abends unter Segel. Der Wind blies frisch und in Stößen. Seit wir uns im gebirgigen Teile des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, daß unsere Piroge ein sehr schlechtes Segelwerk führe; aber der „Patron“ wollte den Indianern, die am Ufer beisammen standen, zeigen, daß er, wenn er sich dicht am Wind halte, mit einem Schlage mitten in den Strom kommen könne. Aber eben, als er seine Geschicklich- keit und die Kühnheit seines Manövers pries, fuhr der Wind so heftig in das Segel, daß wir beinahe gesunken wären. Der eine Bord kam unter Wasser und dasselbe stürzte mit solcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin standen. Es lief über ein Tischchen weg, an dem ich im Hinterteil des Fahrzeuges eben schrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im nächsten Augenblick sahen wir unsere Bücher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherschwimmen. Bon- pland schlief mitten in der Piroge. Vom eindringenden Wasser und dem Geschrei der Indianer aufgeschreckt, übersah er unsere Lage sogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter allen Verhältnissen treu geblieben ist. Der im Wasser stehende Bord hob sich während der Windstöße von Zeit zu Zeit wieder, und so gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlassen müssen, so konnte man sich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da sich kein Krokodil blicken ließ. Wäh- rend wir so ängstlich gespannt waren, riß auf einmal das Tauwerk des Segels. Derselbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt aufrichten. Man machte sich alsbald daran, das Wasser mit den Früchten der Crescentia Cujete auszuschöpfen; das Segel wurde ausgebessert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Windstöße, die mit Windstillen wechseln, sind übrigens hier, wo der Orinoko im Gebirge läuft, sehr häufig und können überladenen Schiffen ohne Verdeck sehr gefährlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verschanzte sich hinter sein indianisches Phlegma, als man ihn heftig schalt, daß er sich zu nahe am Winde gehalten. Er äußerte kaltblütig, „es werde hier herum den weißen Leuten nicht an Sonne fehlen, um ihre Papiere zu trocknen“. Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den ersten Band von Schrebers Genera plantarum, der ins Wasser gefallen war. Dergleichen Verluste thun weh, wenn man auf so wenige wissenschaftliche Werke beschränkt ist. Mit Einbruch der Nacht schlugen wir unser Nachtlager auf einer kahlen Insel mitten im Strome in der Nähe der Mission Uruana auf. Bei herrlichem Mondschein, auf großen Schildkrötenpanzern sitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unser Abendessen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beisammen waren! Wir stellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der sich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wo er jeden Augen- blick an ein Wasser kam, das in den Orinoko läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Karibenfische nur mit Lebensgefahr schwimmen konnte. Und dieser Mann mit ge- fühlvollem Herzen weiß nicht, was aus seinen Unglücksgefährten geworden ist, und ihr Los bekümmert ihn mehr als das seine! Gern überläßt man sich solchen wehmütigen Vorstellungen, weil einen nach einer überstandenen Gefahr unwillkürlich nach starken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war inner- lich mit dem beschäftigt, was sich eben vor unseren Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger ist als sonst. Wir waren erst drei Tage auf dem Orinoko und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüssen voll Klippen, in Fahrzeugen noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grunde gegangen wären. Die Nacht war sehr schwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befestigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskiten wurde mit jedem Tage ärger. Wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, daß die Jaguare hier unsere Feuer nicht scheuten. Sie schwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und morgens hörten wir sie ganz in unserer Nähe brüllen. Sie waren auf die Insel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer sagten uns, während der Eierernte zeigen sich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als sonst, und sie seien um diese Zeit auch am kecksten. Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der un- geheuren Menge von Vögeln berühmt ist, die auf ihm leben, zur Linken die Mission Uruana, gemeiniglich Concepcion de Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jesuiten gegründet und daselbst Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angesiedelt. Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken bestehenden Berges, der, glaube ich, Saraguaca heißt. Durch die Verwitterung voneinander getrennte Steinmassen bilden hier Höhlen, in denen man unzweideutige Spuren einer alten Kultur der Ein- geborenen findet. Man sieht hier hieroglyphische Bilder, sogar Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indessen, daß diesen Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir besuchten die Mission Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und sahen daselbst mit eigenen Augen die Erdmassen, welche die Otomaken essen und über die in Europa so viel gestritten worden ist. Wir maßen die Breite des Orinoko zwischen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben sich, bei Hochwasser, 5250 m. Er ist demnach hier, 873 km von der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Manfalut und Syut. Die Temperatur des Wassers an der Oberfläche war bei Uruana 27,8°; den Zaire- oder Kongofluß in Afrika, in gleichem Abstand vom Aequator, fand Kapitän Tuckey im Juli und August nur 23,9 bis 25,6° warm. Wir werden in der Folge sehen, daß im Orinoko, sowohl in der Nähe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Wassers auf 29,5° 23,6° R. steigt und nicht unter 27,5° herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tage meist 28 bis 30°, bei Nacht 24 bis 26°, während im Thale des Kongo von 8 Uhr morgens bis Mittag der Thermometer nur zwischen 20,6° und 26,7° stand. Das westliche Ufer des Orinoko bleibt flach bis über den Einfluß des Meta hinauf, wogegen von der Mission Uruana an die Berge immer näher an das östliche Ufer herantreten. Da die Strömung stärker wird, je mehr das Flußbett sich einengt, so kamen wir jetzt mit unserem Fahrzeuge bedeutend langsamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel stromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachsene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber schnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einflusses des Rio Arauca zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Ori- noko in Verbindung steht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem inneren Lande, wo sie im trockenen Schlamm der Savannen begraben gelegen. Sobald sie bei den ersten Regengüssen aus ihrer Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem sie sich wieder zerstreuen. Hier im tropischen Erdstrich wachen sie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten Erdstrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Tiere aus der Erstarrung oder dem Zustande von Nerven- und Muskel- schwäche, in dem der Atmungsprozeß unterbrochen oder doch sehr stark beschränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der Sommer der heißen Zone genannt, ent- spricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es ist physio- logisch sehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren zur selben Zeit der Kälte wegen im Winterschlaf liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre Sommersiesta halten. Erschiene es als wahrscheinlich, daß diese derselben Familie angehörenden Tiere einmal in einem nördlicheren Lande zu- sammen gelebt hätten, so könnte man glauben, sie fühlen, auch näher an den Aequator versetzt, noch immer, nachdem sie 7 bis 8 Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmels- strich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigste mit ihrem Körperbau zusammenzuhängen scheint. Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromstück, wo das Bett durch die Berge des Baraguan eingeengt ist. Es ist eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher die Strecke des Orinoko zwischen dem Einflusse des Arauca und dem des Atabapo den Fluß Baraguan genannt, wie denn bei wilden Völkern große Ströme in verschiedenen Strecken ihres Laufes verschiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan ist ein recht malerischer Ort. Die Granitfelsen fallen senk- recht ab, und da die Bergkette, die sie bilden, von Nordwest nach Südost streicht, und der Strom diesen Gebirgsdamm fast unter einem rechten Winkel durchbricht, so stellen sich die Höhen als freistehende Gipfel dar. Die meisten sind nicht über 330 m hoch, aber durch ihre Lage inmitten einer kleinen Ebene, durch ihre steilen, kahlen Abhänge erhalten sie etwas Großartiges. Auch hier sind wieder ungeheure, an den Rändern abgerundete Granitmassen, in Form von Parallelipi- peden, übereinander getürmt. Die Blöcke sind häufig 25 m lang und 6 bis 10 m breit. Man müßte glauben, sie seien durch eine äußere Gewalt übereinander gehäuft, wenn nicht ein ganz gleichartiges, nicht in Blöcke geteiltes, aber von Gänzen durchzogenes Gestein anstünde und deutlich verriete, daß das Zerfallen in Parallelipipede von atmosphärischen Einflüssen herrührt. Jene 5 bis 8 cm mächtigen Gänge be- stehen aus einem quarzreichen, feinkörnigen Granit im grob- körnigen, fast porphyrartigen, an schönen roten Feldspatkristallen reichen Granit. Umsonst habe ich mich in der Kordillere des Baraguan nach der Hornblende und den Specksteinmassen um- gesehen, die für mehrere Granite der Schweizer Alpen charak- teristisch sind. Mitten in der Stromenge beim Baraguan gingen wir ans Land, um dieselbe zu messen. Die Felsen stehen so dicht am Flusse, daß ich nur mit Mühe eine Standlinie von 156 m abmessen konnte. Ich fand den Strom 1733 m breit. Um begreiflich zu finden, wie man diese Strecke eine Strom- enge nennen kann, muß man bedenken, daß der Strom von Uruana bis zum Einfluß des Meta meist 2920 bis 4870 m breit ist. Am selben, außerordentlich heißen und trockenen Punkte maß ich zwei ganz runde Granitgipfel, und fand sie nur 214 und 166 m hoch. Im Inneren der Bergkette sind wohl höhere Gipfel, im ganzen aber sind diese so wild aus- sehenden Berge lange nicht so hoch, als die Missionäre angeben. In den Ritzen des Gesteines, das steil wie Mauern da- steht und Spuren von Schichtung zeigt, suchten wir vergeblich nach Pflanzen. Wir fanden nichts als einen alten Stamm der Aubletia Tiburda mit großer birnförmiger Frucht, und eine neue Art aus der Familie der Apocyneen ( Allamanda salici- folia ). Das ganze Gestein war mit zahllosen Leguanen und Gecko mit breiten, häutigen Zehen bedeckt. Regungslos, mit aufgerichtetem Kopfe und offenem Maule saßen die Eidechsen da und schienen sich von der heißen Luft durchströmen zu lassen. Der Thermometer, an die Felswand gehalten, stieg auf 50,2°. 40,1° R. Der Boden schien infolge der Luftspiegelung auf und ab zu schwanken, während sich kein Lüftchen rührte. Die Sonne war nahe am Zenith und ihr glänzendes, vom Spiegel des Stromes zurückgeworfenes Licht stach scharf ab vom rötlichen Dunst, der alle Gegenstände in der Nähe um- gab. Wie tief ist doch der Eindruck, den in diesen heißen Landstrichen um die Mittagszeit die Stille der Natur auf uns macht! Die Waldtiere verbergen sich im Dickicht, die Vögel schlüpfen unter das Laub der Bäume oder in Fels- spalten. Horcht man aber in dieser scheinbaren tiefen Stille auf die leisesten Laute, die die Luft an unser Ohr trägt, so vernimmt man ein dumpfes Schwirren, ein beständiges Brausen und Summen der Insekten, von denen alle unteren Luft- schichten wimmeln. Nichts kann dem Menschen lebendiger vor die Seele führen, wie weit und wie gewaltig das Reich des organischen Lebens ist. Myriaden Insekten kriechen auf dem Boden oder umgaukeln die von der Sonnenhitze verbrannten Gewächse. Ein wirres Getöne dringt aus jedem Busch, aus faulen Baumstämmen, aus den Felsspalten, aus dem Boden, in dem Eidechsen, Tausendfüße, Cäcilien ihre Gänge graben. Es sind ebenso viele Stimmen, die uns zurufen, daß alles in der Natur atmet, daß in tausendfältiger Gestalt das Leben im staubigen, zerklüfteten Boden waltet, so gut wie im Schoße der Wasser und in der Luft, die uns umgibt. Die Empfindungen, die ich hier andeute, sind keinem fremd, der zwar nicht bis zum Aequator gekommen, aber doch in Italien, in Spanien oder in Aegypten gewesen ist. Dieser Kontrast zwischen Regsamkeit und Stille, dieses ruhige und doch wieder so bewegte Antlitz der Natur wirken lebhaft auf die Ein- bildungskraft des Reisenden, sobald er das Becken des Mittel- meeres, die Zone der Olive, des Chamärops und der Dattel- palme betritt. Wir übernachteten am östlichen Ufer des Orinoko am Fuße eines Granithügels. An diesem öden Fleck lag früher die Mission San Regis. Gar gern hätten wir im Bara- guan eine Quelle gefunden. Das Flußwasser hatte einen Bisamgeruch und einen süßlichen, äußerst unangenehmen Ge- schmack. Beim Orinoko wie beim Apure ist es sehr auffallend, wie abweichend sich in dieser Beziehung, am dürrsten Ufer, verschiedene Stellen im Strome verhalten. Bald ist das Wasser ganz trinkbar, bald scheint es mit gallertigen Stoffen beladen. „Das macht die Rinde (die lederartige Hautdecke) der faulenden Kaiman,“ sagen die Indianer. „Je älter der Kaiman, desto bitterer ist seine Rinde .“ Ich bezweifle nicht, daß die Aase dieser großen Reptilien, die der Seekühe, die 250 kg wiegen, und der Umstand, daß die im Flusse lebenden Delphine eine schleimige Haut haben, das Wasser verderben mögen, zumal in Buchten, wo die Strömung schwach ist. Indessen waren die Punkte, wo man das übelriechendste Wasser antraf, nicht immer solche, wo wir viele tote Tiere am Ufer liegen sahen. Wenn man in diesem heißen Klima, wo man fortwährend vom Durst geplagt ist, Flußwasser mit einer Temperatur von 27 bis 28° trinken muß, so wünscht man natürlich, daß ein so warmes, mit Sand verunreinigtes Wasser wenigstens geruchlos sein möchte. Am 8. April. Im Weiterfahren lagen gegen Ost die Einmündungen des Suapure oder Sivapuri und des Caripo, gegen West die des Sinaruco. Letzterer Fluß ist nach dem Rio Arauca der bedeutendste zwischen Apure und Meta. Der Suapure, der eine Menge kleiner Fälle bildet, ist bei den Indianern wegen des vielen wilden Honigs berühmt, den die Waldungen liefern. Die Meliponen hängen dort ihre unge- heuren Stöcke an die Baumäste. Pater Gili hat im Jahre 1766 den Suapure und den Turiva, der sich in jenen er- gießt, befahren. Er fand dort Stämme der Nation der Areverier. Wir übernachteten ein wenig unterhalb der Insel Macupina. Am 9. April. Wir langten frühmorgens am Strande von Pararuma an und fanden daselbst ein Lager von In- dianern, ähnlich dem, das wir an der Boca de la Tortuga gesehen. Man war beisammen, um den Sand aufzugraben, die Schildkröteneier zu sammeln und das Oel zu gewinnen, aber man war leider ein paar Tage zu spät daran. Die jungen Schildkröten waren ausgekrochen, ehe die Indianer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Auch hatten sich die Krokodile und die Garzes , eine große weiße Reiherart, das Säumnis zu nutze gemacht. Diese Tiere lieben das Fleisch der jungen Schildkröten sehr und verzehren unzählige. Sie gehen auf diesen Fang bei Nacht aus, da die Tortuguillos erst nach der Abenddämmerung aus dem Boden kriechen und dem nahen Flusse zulaufen. Die Zamurosgeier sind zu träge, um nach Sonnenuntergang zu jagen. Bei Tage streifen sie an den Ufern umher und kommen mitten ins Lager der Indianer herein, um Eßwaren zu entwenden, und meist bleibt ihnen, um ihren Heißhunger zu stillen, nichts übrig, als auf dem Lande oder in seichtem Wasser junge, 18 bis 21 cm lange Krokodile anzugreifen. Es ist merkwürdig anzusehen, wie schlau sich die kleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald sie einen ansichtig werden, richten sie sich auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, strecken den Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwäh- rend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und weisen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeschlüpften Tieren sehr lang und spitz sind. Oft, während so ein Zamuro ganz die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils in Anspruch nimmt, benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er stößt auf das Tier nieder, packt es am Halse und steigt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampf- spiel halbe Vormittage lang zusehen; in der Stadt Mompox am Magdalenenstrom hatten wir mehr als 40 seit 14 Tagen bis 3 Wochen ausgeschlüpfte Krokodile in einem großen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beisammen. Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weiße, die von Angostura heraufgekommen waren, um manteca de tortuga zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen über die „schlechte Ernte“ und den Schaden, den die Tiger während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich unter eine Ajupa mitten im Indianerlager. Hier saßen die Missionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten spielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geschorenen Köpfen und langen Bärten hätten wir sie für Orientalen gehalten. Die armen Ordensleute nahmen uns sehr freundlich auf und erteilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten seit mehreren Monaten am dreitägigen Wechsel- sieber, und ihr blasses abgezehrtes Aussehen überzeugte uns unschwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Be- griff standen, die Gesundheit des Reisenden allerdings ge- fährdet sei. Dem indianischen Steuermann, der uns von San Fer- nando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die Stromschnellen Kleine Wasserfälle, chorros, raudalitos. des Ori- noko neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten uns seinem Willen fügen. Glücklicherweise fand sich der Missionär von Carichana willig, uns zu sehr billigem Preise A. v. Humboldt , Reise. III. 5 eine hübsche Piroge abzutreten; ja der Missionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot sich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Brasilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen über die Raudales hinaufschaffen helfen, sind so wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an diesem feuchten, ungesunden Orte liegen bleiben zu müssen. An den Ufern des Orinoko gelten die Wälder am Rio Negro für ein köstliches Land. Wirklich ist auch die Luft dort frischer und gesünder, und es gibt im Flusse fast keine Krokodile; man kann unbesorgt baden und ist bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom Insektenstich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Missionen am Rio Negro besuchte, seine Gesundheit wieder herzustellen. Er sprach von der dortigen Gegend mit der Begeisterung, mit der man in den Kolonieen auf dem Festlande alles ansieht, was in weiter Ferne liegt. Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauspiel, wie es den Kulturmenschen immer dazu anregt, den wilden Menschen und die allmähliche Entwicke- lung unserer Geisteskräfte zu beobachten. Man sträubt sich gegen die Vorstellung, daß wir in diesem gesellschaftlichen Kindheitszustande, in diesem Haufen trübseliger, schweigsamer, teilnahmloser Indianer das ursprüngliche Wesen unseres Ge- schlechtes vor uns haben sollen. Die Menschennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie sie die Poesie in allen Sprachen so hinreißend schildert. Der Wilde am Orinoko schien uns so widrig abstoßend als der Wilde am Mississippi, wie ihn der reisende Philosoph, Volney der größte Meister in der Schilderung des Menschen in verschie- denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man sich ein, diese Eingeborenen, wie sie da, den Leib mit Erde und Fett beschmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild- krötenpanzern sitzen und stundenlang mit dummen Gesichtern auf das Getränk glotzen, das sie bereiten, seien keineswegs der ursprüngliche Typus unserer Gattung, vielmehr ein ent- artetes Geschlecht, die schwachen Ueberreste von Völkern, die versprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar- barei zurückgesunken. Die rote Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung der Indianer, und es lassen sich zwei Arten derselben unter- scheiden, nach der größeren oder geringeren Wohlhabenheit der Individuen. Die gemeine Schminke der Kariben, Otomaken und Yaruros ist der Onoto , von den Spaniern Achote , von den Kolonisten in Cayenne Rocou genannt. Es ist der Farbstoff, den man aus dem Fruchtfleisch der Bixa orellana auszieht. Wenn sie Onoto bereiten, werfen die indianischen Weiber die Samen der Pflanze in eine Kufe mit Wasser, peitschen das Wasser eine Stunde lang und lassen dann den Farbstoff, der lebhaft ziegelrot ist, sich ruhig absetzen. Das Wasser wird abgegossen, der Bodensatz herausgenommen, mit den Händen ausgedrückt, mit Schildkröteneieröl geknetet und runde 3 bis 4 Unzen schwere Kuchen daraus geformt. In Ermangelung von Schildkrötenöl vermengen einige Nationen den Onoto mit Krokodilfett. Ein anderer, weit kostbarerer Farbstoff wird aus einer Pflanze aus der Familie der Big- nonien gewonnen, die Bonpland unter dem Namen Big- nonia Chica bekannt gemacht hat. Die Tamanaken nennen dieselbe Craviri , die Maypures Chirraviri . Sie kletttert auf die höchsten Bäume und heftet sich mit Ranken an. Die zweilippigen Blüten sind 26 mm lang, schön violett, und stehen zu zweien oder dreien beisammen. Die doppelt gefiederten Blätter vertrocknen leicht und werden rötlich. Die Frucht ist eine 60 cm lange Schote mit geflügelten Samen. Diese Big- nonie wächst bei Maypures in Menge wild, ebenso noch weiter am Orinoko hinauf jenseits des Einflusses des Guaviare, von Santa Barbara bis zum hohen Berge Duida, besonders bei Esmeralda. Auch an den Ufern des Cassiquiare haben wir sie gefunden. Der rote Farbstoff des Chica wird nicht, wie der Onoto, aus der Frucht gewonnen, sondern aus den im Wasser geweichten Blättern. Er sondert sich in Gestalt eines sehr leichten Pulvers ab. Man formt ihn, ohne ihn mit Schildkrötenöl zu vermischen, zu kleinen 21 bis 23 cm langen, 5 bis 8 cm hohen, an den Rändern abgerundeten Broten. Erwärmt verbreiten diese Brote einen angenehmen Geruch, wie Benzoe. Bei der Destillation zeigt der Chica keine merkbare Spur von Ammoniak; es ist kein stickstoffhaltiger Körper wie der Indigo. In Schwefel- und Salzsäure, selbst in den Alkalien löst er sich etwas auf. Mit Oel abgerieben, gibt der Chica eine rote, dem Lack ähnliche Farbe. Tränkt man Wolle damit, so könnte man sie mit Krapprot verwechseln. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Chica, der vor unserer Reise in Europa unbekannt war, sich technisch nützlich verwenden ließe. Am Orinoko wird diese Farbe am besten von den Völkerschaften der Salivas, Guipunaves, Caveres und Piraroas bereitet. Die meisten Völker am Orinoko können mit dem Infundieren und Macerieren gut umgehen. So treiben die Maypures ihren Tauschhandel mit kleinen Broten von Pucuma , einem Pflanzenmehl, das wie der Indigo getrocknet wird und eine sehr dauerhafte gelbe Farbe liefert. Die Chemie des Wilden beschränkt sich auf die Be- reitung von Farbstoffen und von Giften und auf das Aus- süßen der stärkemehlhaltigen Wurzeln der Arumarten und der Euphorbien. Die meisten Missionäre am oberen und unteren Orinoko gestatten den Indianern in ihren Missionen, sich die Haut zu bemalen. Leider gibt es manche, die auf die Nacktheit der Eingeborenen spekulieren. Da die Mönche nicht Leinwand und Kleider an sie verkaufen können, so handeln sie mit roter Farbe, die bei den Eingeborenen so sehr gesucht ist. Oft sah ich in ihren Hütten, die vornehm Conventos heißen, Nieder- lagen von Chica. Der Kuchen, die Turtu, wird bis zu vier Franken verkauft. Um einen Begriff zu geben, welchen Luxus die nackten Indianer mit ihrem Putze treiben, bemerke ich hier, daß ein hochgewachsener Mann durch zweiwöchentliche Arbeit kaum genug verdient, um sich durch Tausch so viel Chica zu verschaffen, daß er sich rot bemalen kann. Wie man daher in gemäßigten Ländern von einem armen Menschen sagt, er habe nicht die Mittel, sich zu kleiden, so hört man die In- dianer am Orinoko sagen: „Der Mensch ist so elend, daß er sich den Leib nicht einmal halb malen kann.“ Der kleine Handel mit Chica wird besonders mit den Stämmen am unteren Orinoko getrieben, in deren Land die Pflanze, die den kostbaren Stoff liefert, nicht wächst. Die Kariben und Otomaken färben sich bloß Gesicht und Haare mit Chica, aber den Salivas steht die Farbe in solcher Menge zu Gebote, daß sie den ganzen Körper damit überziehen können. Wenn die Missionäre nach Angostura auf ihre Rechnung kleine Sen- dungen von Kakao, Tabak und Chiquichiqui Stricke aus den Blattstielen einer Palme mit gefiederten Blättern, von der unten die Rede sein wird. vom Rio Negro machen, so packen sie immer auch Chicakuchen, als einen sehr gesuchten Artikel, bei. Manche Leute europäischer Abkunft brauchen den Farbstoff, mit Wasser angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel. Der Brauch, den Körper zu bemalen, ist nicht bei allen Völkern am Orinoko gleich alt. Erst seit den häufigen Ein- fällen der mächtigen Nation der Kariben in diese Länder ist derselbe allgemeiner geworden. Sieger und Besiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu sein, mußte man sich bemalen wie er und seine Farbe tragen. Jetzt ist es mit der Macht der Kariben vorbei, sie sind auf das Gebiet zwi- schen den Flüssen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beschränkt, aber die karibische Mode, den ganzen Körper zu färben, hat sich erhalten; der Brauch ist dauernder als die Eroberung. Ist nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern so häufigen Gefallsucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er sich vielleicht auf die Beob- achtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligen Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskiten schützt? In den Missionen am Orinoko und überall, wo die Luft von giftigen Insekten wimmelt, habe ich diese Frage sehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Karibe und der Saliva, die rot bemalt sind, von Moskiten und Zancudos so arg ge- plagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Insektes keine Ge- schwulst zur Folge; fast nie bilden sich die Blasen oder kleinen Beulen, die frisch angekommenen Europäern ein so unerträg- liches Jucken verursachen. Solange aber das Insekt den Saugrüssel nicht aus der Haut gezogen hat, schmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich sehr. Nach tausend anderen nutzlosen Versuchen haben Bonpland und ich uns selbst Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröten- eieröl eingerieben und davon nie die geringste Erleichterung gespürt; wir wurden gestochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirksamsten Schutz- mittel gerühmt werden, aber die skandinavischen Insekten und die am Orinoko sind nicht von derselben Art. Der Tabaks- rauch verscheucht unsere Schnaken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung von fetten und adstringieren- den Stoffen Das Fleisch des Rocou und auch der Chica sind adstrin- gierend und leicht abführend. die unglücklichen Landeseinwohner vor der In- sektenplage schützte, wie Pater Gumilla behauptet, warum wäre der Brauch, sich zu bemalen, hierzulande nicht ganz allge- mein geworden? Wie könnten so viele nackte Völker, die sich bloß das Gesicht bemalen, dicht neben solchen wohnen, die den ganzen Körper färben? Es erscheint auffallend, daß die Indianer am Orinoko, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rote Farbstoffe allen anderen vorziehen. Rührt diese Vorliebe davon her, daß der Wilde sich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verschafft? Das möchte ich sehr be- zweifeln. In einem großen Teile des tropischen Amerikas wächst der Indigo wild, und diese Pflanze, wie so viele andere Schotengewächse, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, sich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch sehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn die Amerikaner der roten Farbe den Vorzug geben, so beruht dies, wie schon oben bemerkt, wahrscheinlich auf dem Triebe der Völker, alles, was sie nationell auszeichnet, schön zu finden. Menschen, deren Haut von Natur rotbraun ist, lieben die rote Farbe. Kommen sie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, so suchen sie bei ihren Kindern die Stirne niederzudrücken. Unterscheiden sie sich von anderen Völkern durch sehr dünnen Bart, so suchen sie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachsen lassen, auszuraufen. Sie halten sich für desto schöner, je stärker sie die charakteristischen Züge ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten lassen. Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, daß sehr alte Weiber mit ihrem Putz sich mehr zu schaffen machten als die jüngsten. Wir sahen eine In- dianerin vom Stamme der Otomaken, die sich die Haare mit Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und Caruto bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieses Ge- schäft verrichten. Die Malerei bestand in einer Art Gitter von schwarzen sich kreuzenden Linien auf rotem Grunde; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein schwarzer Punkt ge- macht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir hatten sehr lange botanisiert, und als wir zurückkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert sich über einen so umständlichen Putz um so mehr, wenn man bedenkt, daß die Linien und Figuren nicht tättowiert werden, und daß das so mühsam Aufgemalte sich verwischt, Der schwarze, ätzende Farbstoff des Caruto (Genipa wenn sich der Indianer unvorsichtigerweise einem starken Regen aussetzt. Manche Na- tionen bemalen sich nur, wenn sie Feste begehen, andere sind das ganze Jahr mit Farbe angestrichen, und bei diesen ist der Gebrauch des Onoto so unumgänglich, daß Männer und Weiber sich wohl weniger schämten, wenn sie sich ohne Guayuco , als wenn sie sich unbemalt blicken ließen. Die Guayucos bestehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen sie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Missionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Christoph Kolumbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgültigkeit der Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher rühren, daß das andere Geschlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von seiten der Männer so tief herabgewürdigt und zu Sklavendiensten verurteilt ist? Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangara- und Kolibrifedern geschmückt ist. Von jeher gilt bei unseren Malern und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Cassiquiare nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meisten Völkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geistes- kräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baum- wollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsachen, namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlich- keit gebraucht. Die Federbüsche der Guaypuñaves sind wegen der Auswahl der schönen Manakin- und Papageienfedern die berühmtesten. americana) widersteht dem Wasser länger, wie wir zu unserem großen Verdruß an uns selbst erfuhren. Wir scherzten eines Tages mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Gesicht, und man sah dieselben noch, als wir schon wieder in Angostura, im Schoße europäischer Kultur waren. Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Haut- malerei in der wunderlichsten Weise den Schnitt europäischer Kleidungsstücke nach. Wir sahen in Pararuma welche, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knöpfen malen ließen. Die Missionäre erzählten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura färben sich mit Onoto und machen sich dem Körper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimmerblättchen kleben. Von weitem sieht es aus, als trügen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Wären die bemalten Völker so scharf beobachtet worden wie die bekleideten , so wäre man zum Schlusse gelangt, daß beim Bemalen so gut wie bei der Bekleidung, der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und starkem Wechsel der Laune er- zeugt wird. Das Bemalen und Tättowieren ist in beiden Welten weder auf einen Menschenstamm, noch auf einen Erdstrich be- schränkt. Am häufigsten kommen diese Arten von Putz bei Völkern malaiischer und amerikanischer Rasse vor; aber zur Zeit der Römer bestand die Sitte auch bei der weißen Rasse im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im Griechischen Archipel und in Westasien am malerischten sind, so sind Bemalung und Tättowierung bei den Insulanern der Südsee am höchsten ausgebildet. Manche bekleideten Völker bemalen sich dabei doch Hände, Nägel und Gesicht. Die Be- malung erscheint hier auf die Körperteile beschränkt, die allein bloß getragen werden, und während die Schminke, die an den wilden Zustand der Menschheit erinnert, in Europa nach und nach verschwindet, meinen die Damen in manchen Städten der Provinz Peru ihre doch so feine und sehr weiße Haut durch Auftragen von vegetabilischen Farbstoffen, von Stärke, Eiweiß und Mehl schöner zu machen. Wenn man lange unter Menschen gelebt hat, die mit Onoto und Chica bemalt sind, fallen einem diese Ueberreste alter Barbarei inmitten aller Gebräuche der gebildeten Welt nicht wenig auf. Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Tiere, die wir bis dahin nur von den europäischen Samm- lungen her kannten, zum erstenmal lebend zu sehen. Die Missionäre treiben mit dergleichen kleinen Tieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, Gallitos (Felshühner), Titi-, Kapuziner- und andere an den Küsten sehr gesuchte Affen tauschen sie Zeuge, Nägel, Aexte, Angeln und Steck- nadeln ein. Die Produkte vom Orinoko werden den India- nern, die unter der Herrschaft der Mönche leben, zu niedrigem Preise abgekauft, und dieselben Indianer kaufen dann von den Mönchen, aber zu sehr hohen Preisen, mit dem Gelde, das sie bei der Eierernte erlösen, ihre Fischergeräte und ihre Acker- werkzeuge. Wir kauften mehrere Tiere, die uns auf der übrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweise wir somit beobachten konnten. Ich habe diese Beobachtungen in einem anderen Werke bekannt gemacht; da ich aber einmal von denselben Gegenständen zweimal handeln muß, beschränke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und füge Notizen bei, wie sie mir seitdem hie und da in meinen Reisetagebüchern aufstießen. Die Gallitos oder Felshühner , die man in Pararuma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattstielen verkauft, sind an den Ufern des Orinoko und im ganzen Norden und Westen des tropischen Amerikas weit seltener als in französisch Guyana. Man fand sie bisher nur bei der Mission Encara- mada und in den Raudales oder Fällen von Maypures. Ich sage ausdrücklich in den Fällen; denn diese Vögel nisten gewöhnlich in den Höhlungen der kleinen Granitfelsen, die sich durch den Orinoko ziehen und so zahlreiche Wasserfälle bilden. Wir sahen sie manchmal mitten im Wasserschaum zum Vorschein kommen, ihrer Henne rufen und miteinander kämpfen, wobei sie wie unsere Hähne den doppelten beweg- lichen Kamm, der ihren Kopfschmuck bildet, zusammenfalten. Da die Indianer selten erwachsene Gallitos fangen und in Europa nur die Männchen geschätzt sind, die vom dritten Jahre an prächtig goldgelb werden, so muß der Käufer auf der Hut sein, um nicht statt jungen Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide sind olivenbraun; aber der Pollo oder junge Hahn zeichnet sich schon ganz jung durch seine Größe und seine gelben Füße aus. Die Henne bleibt ihr Leben lang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Unterteil der Flügel sind bei ihr gelb. Soll der er- wachsene Felshahn in unseren Sammlungen die schöne Farbe seines Gefieders erhalten, so darf man dasselbe nicht dem. Lichte aussetzen. Die Farbe bleicht weit schneller als bei an- deren Gattungen sperlingsartiger Vögel. Die jungen Hahnen haben, wie die meisten Tiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein so ausgezeichneter Beobachter wie Le Vaillant in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer dunkelfarbig, olivenbraun bleibt. Die Indianer bei den Rau- dales versicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen gesehen zu haben. Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, sahen wir mehrere Spielarten des Sa ï , Simia capucina. der der kleinen Gruppe der Winselaffen angehört, die in den spanischen Kolonieen Matchi heißen, ferner Marimondas Simia Belzebuth. oder Atelen mit rotem Bauche, Titi und Viuditas . Die beiden letzteren Arten interessierten uns besonders, und wir kauften sie, um sie nach Europa zu schicken. Einen schönen Sa ï miri oder Titi vom Orinoko kauft man in Paramara für 8 bis 9 Piaster; der Missionär bezahlt dem In- dianer, der den Affen gefangen und gezähmt, 1½ Piaster. Buffons Uistiti Simia Jacobus. ist Azzaras Titi, der Titi Simia Oedipus. von Cartagena und Darien ist Büffons Pinche, und der Titi Simia sciurea. vom Orinoko ist der Sa ï miri der französischen Zoologen, und diese Tiere dürfen nicht verwechselt werden. In den verschiedenen spanischen Kolonieen heißen Titi Affen, die drei verschiedenen Unter- gattungen angehören und in der Zahl der Backenzähne von- einander abweichen. Nach dem eben Angeführten ist die Be- merkung fast überflüssig, wie wünschenswert es wäre, daß man in wissenschaftlichen Werken sich der landesüblichen Namen enthielte, die durch unsere Orthographie entstellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und so die klägliche Verwirrung in der zoologischen Nomenklatur vermehren. Der Titi vom Orinoko (Simia sciurea) , bis jetzt schlecht abgebildet, indessen in unseren Sammlungen sehr be- kannt, heißt bei den Maypuresindianern Bititeni . Er kommt südlich von den Katarakten sehr häufig vor. Er hat ein weißes Gesicht und über Mund und Nasenspitze weg einen kleinen blauschwarzen Fleck. Die am zierlichsten gebauten und am schönsten gefärbten (der Pelz ist goldgelb) kommen von den Ufern des Cassiquiare. Die man am Guaviare fängt, sind groß und schwer zu zähmen. Kein anderer Affe sieht im Gesichte einem Kinde so ähnlich wie der Titi; es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselbe schalkhafte Lächeln, derselbe rasche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine großen Augen füllen sich mit Thränen, sobald er über etwas ängstlich wird. Er ist sehr lüstern nach Insekten, besonders nach Spinnen. Das kleine Tier ist so klug, daß ein Titi, den wir auf un- serem Kanoe nach Angostura brachten, die Tafeln zu Cuviers Tableau élémentaire d’histoire naturelle ganz gut unter- schied. Diese Kupfer sind nicht koloriert, und doch streckte der Titi rasch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heu- schrecke oder eine Wespe zu erhaschen, so oft wir ihm die 11. Tafel vorhielten, auf der diese Insekten abgebildet sind. Zeigte man ihm Skelette oder Köpfe von Säugetieren, blieb er völlig gleichgültig. Ich führe bei dieser Gelegenheit an, daß ich niemals bemerkt habe, daß ein Gemälde, auf dem Hasen und Rehe in natürlicher Größe und vortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verstand sehr entwickelt schien, den mindesten Eindruck gemacht hätte. Gibt es einen beglaubigten Fall, wo ein Hund das Porträt seines Herrn in ganzer Figur erkannt hätte? In allen diesen Fällen wird das Gesicht nicht vom Geruch unterstützt. Setzt man mehrere dieser kleinen Affen, die im selben Käfig beisammen sind, dem Regen aus, und fällt die gewöhnliche Lufttemperatur rasch um 2 bis 3°, so schlingen sie sich den Schwanz, der übrigens kein Wickelschwanz ist, um den Hals und verschränken Arme und Beine, um sich gegenseitig zu erwärmen. Die indianischen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern häufig Haufen von 10, 12 solcher Affen, die erbärmlich schreien, weil die auswärts Stehen- den in den Knäuel hinein möchten, um Wärme und Schutz zu finden. Schießt man mit Pfeilen, die in Curare des- templado (in verdünntes Gift) getaucht sind, auf einen solchen Knäuel, so fängt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an seiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, so weicht er nicht von Schulter und Hals des toten Tieres. Die meisten, die man in den Hütten der Indianer lebend antrifft, sind auf diese Weise von den Leichen ihrer Mütter gerissen worden. Erwachsene Tiere, wenn sie auch von leichten Wunden genesen sind, gehen meist zu Grunde, ehe sie sich an den Zustand der Gefangenschaft gewöhnt haben. Die Titi sind meist zarte, furchtsame kleine Tiere. Sie sind aus den Missionen am Orinoko schwer an die Küsten von Cumana und Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter sich hat und die Llanos betritt, werden sie traurig und niedergeschlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man diese Veränderung nicht zuschreiben, sie scheint vielmehr vom stär- keren Licht, von der gringeren Feuchtigkeit und von irgend welcher chemischen Beschaffenheit der Luft an der Küste her- zurühren. Den Sa ï miri oder Titi vom Orinoko, den Atelen, Saju und anderen schon lange in Europa bekannten Vier- händern steht in scharfem Abstich, nach Habitus und Lebens- weise, der Macavahu Simia lugens. gegenüber, den die Missionäre Viudita oder Witwe in Trauer nennen. Das kleine Tier hat feines, glänzendes, schön schwarzes Haar. Das Gesicht hat eine weiß- liche, ins Blaue spielende Larve, in der Augen, Nase und Mund stehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Rand, sind klein, wohlgebildet und fast ganz nackt. Vorn am Halse hat die Witwe einen weißen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfüße oder vielmehr Hände sind schwarz wie der übrige Körper, aber die Vorderhände sind außen weiß und innen glänzend schwarz. Diese weißen Abzeichen deuten nun die Missionäre als Schleier, Halstuch und Handschuhe einer Witwe in Trauer . Die Gemütsart dieses kleinen Affen, der sich nur beim Fressen auf den Hinter- beinen aufrichtet, verrät sich durch seine Haltung nur schwer. Er sieht sanft und schüchtern aus; häufig berührt er das Fressen nicht, das man ihm bietet, selbst wenn er starken Hunger hat. Er ist nicht gern in Gesellschaft anderer Affen; wenn er den kleinsten Sa ï miri ansichtig wird, läuft er davon. Sein Auge verrät große Lebhaftigkeit. Wir sahen ihn stunden- lang regungslos dasitzen, ohne daß er schlief, und auf alles, was um ihn vorging, achten. Aber diese Schüchternheit und Sanftmut sind nur scheinbar. Ist die Viudita allein, sich selbst überlassen, so wird sie wütend, sobald sie einen Vogel sieht. Sie klettert und läuft dann mit erstaunlicher Behendig- keit; sie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und erwürgt, was sie erhaschen kann. Dieser sehr seltene und sehr zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoko in den Granitgebirgen hinter der Mission Santa Barbara, ferner am Guaviare bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reise auf dem Cassiquiare und Rio Negro mitgemacht und ist zweimal mit uns über die Katarakte gegangen. Will man die Sitten der Tiere genau beobachten, so ist es nach meiner Meinung sehr vorteilhaft, wenn man sie monatelang in freier Luft, nicht in Häusern, wo sie ihre natürliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen hat. Die neue für uns bestimmte Piroge wurde noch am Abend geladen. Es war, wie alle indianischen Kanoen, ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumstamm, 13 m lang und 1 m breit. Drei Personen konnten nicht nebeneinander darin sitzen. Diese Pirogen sind so beweglich, sie erfordern, weil sie so wenig Widerstand leisten, eine so gleichmäßige Ver- teilung der Last, daß man, wenn man einen Augenblick auf- stehen will, den Ruderern (bogas) zurufen muß, sich auf die entgegengesetzte Seite zu lehnen; ohne diese Vorsicht liefe das Wasser notwendig über den geneigten Bord. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem solchen elenden Fahrzeuge daran ist. Der Missionär aus den Raudales betrieb die Zu- rüstungen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man besorgte, nicht genug Macos- und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanälen und Wasserfällen, welche die Raudales oder Katarakte bilden, bekannt wären; man legte daher die Nacht über zwei In- dianer in den Cepo , das heißt, man legte sie auf den Boden und steckte ihnen die Beine durch zwei Holzstücke mit Aus- schnitten, um die man eine Kette mit Vorlegschloß legte. Am frühen Morgen weckte uns das Geschrei eines jungen Mannes, den man mit einem Seekuhriemen unbarmherzig peitschte. Es war Zerepe , ein sehr verständiger Indianer, der uns in der Folge die besten Dienste leistete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Mission Atures gebürtig, sein Vater war ein Maco, seine Mutter vom Stamme der May- pures; er war in die Wälder (al monte) entlaufen und hatte ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelebt. Dadurch hatte er sich mehrere Sprachen zu eigen ge- macht, und der Missionär brauchte ihn als Dolmetscher. Nur mit Mühe brachten wir es dahin, daß der junge Mann be- gnadigt wurde. „Ohne solche Strenge,“ hieß es, „würde es euch an allem fehlen. Die Indianer aus den Raudales und vom oberen Orinoko sind ein stärkerer und arbeitsamerer Men- schenschlag als die am unteren Orinoko. Sie wissen wohl, daß sie in Angostura sehr gesucht sind. Ließe man sie machen, so gingen sie alle den Fluß hinunter, um ihre Produkte zu verkaufen und in voller Freiheit unter den Weißen zu leben, und die Missionen stünden leer.“ Diese Gründe mögen scheinbar etwas für sich haben, richtig sind sie nicht. Will der Mensch der Vorteile des ge- selligen Lebens genießen, so muß er allerdings seine natür- lichen Rechte, seine frühere Unabhängigkeit zum Teil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auf- erlegt, nicht durch die Vorteile der Civilisation aufgewogen, so nährt der Wilde fort und fort den Wunsch, in die Wälder zurückzukehren, in denen er geboren worden. Weil der In- dianer aus den Wäldern in den meisten Missionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Früchte seiner Arbeit nicht froh wird, deshalb veröden die christlichen Niederlassungen am Orinoko. Ein Regiment, das sich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gründet, tötet die Geisteskräfte oder hemmt doch ihre Entwickelung. Wenn man sagt, der Wilde müsse wie das Kind unter strenger Zucht gehalten werden, so ist dies ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoko haben in den Aeuße- rungen ihrer Freude, im raschen Wechsel ihrer Gemütsbewe- gungen etwas Kindliches; sie sind aber keineswegs große Kinder, so wenig als die armen Bauern im östlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalsystemes sich der tiefsten Verkommen- heit nicht entringen können. Zwang, als hauptsächlichstes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erscheint zu- dem als ein Grundsatz, der bei der Erziehung der Völker und bei der Erziehung der Jugend gleich falsch ist. Wie schwach und wie tief gesunken auch der Mensch sein mag, keine Fähig- keit ist ganz erstorben. Die menschliche Geisteskraft ist nur dem Grade und der Entwickelung nach verschieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwärtigen Zustand mit dem vergangenen; er bestimmt seine Handlungen nicht nach blindem Instinkt, sondern nach Rücksichten der Nützlichkeit. Unter allen Umständen kann Vernunft durch Vernunft aufgeklärt werden; die Entwickelung derselben wird aber desto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die sich zur Erziehung der Jugend oder zur Regierung der Völker berufen glauben, im hochmütigen Gefühl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Unter- gebenen herabblicken und Zwang oder Gewalt brauchen statt der sittlichen Mittel, die allein keimende Fähigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenschaften sänftigen und die gesellschaft- liche Ordnung befestigen können. Am 10. April. Wir konnten erst um 10 Uhr morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewöhnten wir uns an die neue Piroge, die uns eben ein neues Gefängnis war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hinterteile des Fahrzeuges aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das auf beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (el toldo) darüber so niedrig, daß man ge- bückt sitzen oder ausgestreckt liegen mußte, wo man dann nichts sah. Da man die Pirogen durch die Stromschnellen, ja von einem Flusse zum anderen schleppen muß, und weil man dem Winde zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinaufgehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leibe durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochsenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vorder- teil des Fahrzeuges nahmen die indianischen Ruderer ein, die 1 m lange, löffelförmige Pagaien führen. Sie sind ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merk- würdig genau einhalten. Ihr Gesang ist trübselig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unseren Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren teils am Toldo, teils am Vorderteil aufgehängt. Es war unsere Reise- menagerie. Obgleich viele der kleinen Tiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Cassiquiare noch vierzehn. Natura- liensammler, die lebende Tiere nach Europa bringen wollen, könnten sich in Angostura und Gran-Para, den beiden Haupt- städten am Orinoko und Amazonenstrom, eigens für ihren Zweck Pirogen bauen lassen, wo im ersten Dritteil zwei Reihen gegen die Sonnenglut geschützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer in der Mitte; rings- um kamen fofort unsere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerst die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar fernzuhalten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Tieren derselben Art, die einander zugethan sind, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit genießen, nach der die anderen sich sehnen, hat etwas Weh- mütiges, Rührendes. Auf der überfüllten, keinen Meter breiten Piroge blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inklinationskompaß und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Teil des Tages ausgestreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und aussteigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskiten, die unter einem so niedrigen Dache in Scharen hausen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausstrahlen, deren obere Fläche beständig der Sonnenglut ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unsere Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schützen, verlangte der andere, man solle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig an- wendbar als das andere. Aber mit einem munteren Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieser weiten Stromthäler fällt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Ge- wohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schiffahrt auf dem Orinoko zu schildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf diesem Stück unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so reiche Naturum- gebung aufforderte. Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jesuiten gegründete Mission Pararuma gestanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivasindianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Ein- wohner, welche die schreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aus- sage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel fiel. Dies ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meeres liegenden Niederung vorgekommen; denn im allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 580 m Meereshöhe. Bildet sich der Hagel in derselben Höhe über Niederungen und Hochebenen, so muß man annehmen, er schmelze bei seinem Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und 580 m ), deren mittlere Temperatur 27,5° und 24° beträgt. Ich gestehe indessen, daß es beim jetzigen Stande der Meteo- rologie sehr schwer zu erklären ist, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißesten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In den Vereingten Staaten und im südlichen Europa (unter dem 40. bis 43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr ebenso hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme ist nach meinen Unter- suchungen nur wenig verschieden. Rührt nun der Umstand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die unteren Luftschichten schmelzen, so muß man annehmen, daß die Körner im Mo- ment der Bildung in der gemäßigten Zone größer sind als in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert, noch so wenig, daß wir nicht zu beurteilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieselben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß sich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist, und die bei uns im Sommer 2920 bis 3120 m hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor sie fallen, an- einander schlagen hört, und die wagerecht ziehen, kamen mir immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich, daß in solch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der auf- steigenden Luft, welche an Wärmekapazität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, besonders aber (nach Gay-Lussac) durch die Strahlung der oberen Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzu- kommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist, unter denen auf den Anden in 3900 bis 5070 m Meeres- höhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Fortsetzung der Wolkenschicht betrachten A. v. Humboldt , Reise. III. 6 kann, die wir in den Niederungen gerade über uns sich bilden sehen. Im Orinoko sind sehr viele Inseln und der Strom fängt jetzt an, sich in mehrere Arme zu teilen, deren westlichster in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom ist 3,9 bis 5,8 km breit. Der Insel Javanavo gegen- über sahen wir gegen Ost die Mündung des Caño Au- jacoa. Zwischen diesem Caño und dem Rio Paruasi oder Paruati wird das Land immer stärker bewaldet. Aus einem Palmenwalde nicht weit vom Orinoko steigt, ungemein malerisch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, dessen kahle, schroffe Wände gegen 65 m hoch sind. Den Gipfel, der über die höchsten Waldbäume emporragt, krönt eine ebene, wagerechte Felsplatte. Auf diesem Gipfel, den die Missionäre Pik oder Mogote de Cocuyza nennen, stehen wieder Bäume. Dieses großartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyklo- pischen Bauwerke. Sein scharf gezeichneter Umriß und oben darauf die Bäume und das Buschwerk heben sich vom blauen Himmel ab, ein Wald über einem Walde. Weiterhin beim Einfluß des Paruasi wird der Orinoko wieder schmäler. Gegen Osten sahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er ist gegen 100 m hoch und diente den Jesuiten als fester Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien enthielt, und in dem beständig ein Militärposten lag. In Carichana und Atures sahen wir die Kanonen ohne Lafetten, halb im Sande begraben. Die Jesuitenschanze (oder Fortaleza de San Francisco Xavier ) wurde nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu zerstört, aber der Ort heißt noch el Castillo. Auf einer in neuester Zeit in Caracas von einem Weltgeist- lichen entworfenen, nicht gestochenen Karte führt derselbe den Namen Trinchera del despotismo monacal (Schanze des Mönchsdespotismus). In allen politischen Umwälzungen spricht sich der Geist der Neuerung, der über die Menge kommt, auch in der geographischen Nomenklatur aus. Die Besatzung, welche die Jesuiten auf diesem Felsen hatten, sollte nicht allein die Missionen gegen die Einfälle der Kariben schützen, sie diente auch zum Angriffskriege, oder, wie man hier sagt, zur Eroberung von Seelen (conquista de almas). Die Soldaten, durch die ausgesetzten Geldbe- lohnungen angefeuert, machten mit bewaffneter Hand Einfälle oder Entradas auf das Gebiet unabhängiger Indianer. Man brachte um, was Widerstand zu leisten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerstörte die Pflanzungen und schleppte Greise, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Ge- fangenen wurden sofort in die Missionen am Meta, Rio Negro und oberen Orinoko verteilt. Man wählte die ent- legensten Orte, damit sie nicht in Versuchung kämen, wieder in ihr Heimatland zu entlaufen. Dieses gewaltsame Mittel, Seelen zu erobern , war zwar nach spanischem Gesetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Oberen der Gesellschaft , als der Religion und dem Aufkommen der Missionen förderlich, höchlich ge- priesen. „Die Stimme des Evangeliums,“ sagt ein Jesuit vom Orinoko in den ‚erbaulichen Briefen‘ Cartas edificantes de la Compañia de Jesus 1757. äußerst naiv, „wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören ( el eco de la polvora ). Sanftmut ist ein gar lang- sames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man sich die Be- kehrung der Eingeborenen.“ Dergleichen die Menschheit schän- dende Grundsätze wurden sicher nicht von allen Gliedern einer Gesellschaft geteilt, die in der Neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausschließlich in den Händen von Mönchen geblieben ist, der Wissenschaft und der Kultur Dienste geleistet hat. Aber die Entradas , die geistlichen Eroberungen mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf rasche Ausbreitung der Missionen ankam, unzertrennlicher Greuel. Es thut dem Gemüte wohl, daß die Franziskaner, Dominikaner und Augustiner, welche gegenwärtig einen großen Teil von Südamerika regieren und, je nachdem sie von milder oder roher Sinnesart sind, auf das Geschick von vielen Tausenden von Eingeborenen den mächtigsten Ein- fluß üben, nicht nach jenem System verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand sind fast ganz abgestellt, und wo sie noch vorkommen, werden sie von den Ordensoberen mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob diese Wendung des Mönchregimentes zum Besseren daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erschlafft ist und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man so gern thäte, einen Beweis sehen soll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geiste des Christentums entsprechen- dere Gesinnung Platz greift. Vom Einfluß des Rio Paruasi an wird der Orinoko wieder schmäler. Er ist voll Inseln und Granitklippen, und so entstehen hier die Stromschnellen oder kleinen Fälle ( los remolinos ), die beim ersten Anblick wegen der vielen Wirbel dem Reisenden bange machen können, aber in keiner Jahreszeit den Schiffen gefährlich sind. Man muß wenig zu Schiffe gewesen sein, wenn man wie Pater Gili, der sonst so genau und verständig ist, sagen kann: „è terrible pe’ molti scogli il tratto del fiume tral Castello e Caricciana.“ Eine Reihe von Klippen, die fast über den ganzen Fluß läuft, heißt Raudal de Marimara. Wir legten sie ohne Schwierig- keit zurück, und zwar in einem schmalen Kanal, in dem das Wasser ungestüm, wie siedend, unter der Piedra de Mari- mara heraufschießt, einer kompakten Granitmasse, 26 m hoch und 100 m im Umfang, ohne Spalten und ohne Spur von Schichtung. Der Fluß tritt weit ins Land hinein und bildet in den Felsen weite Buchten. Eine dieser Buchten zwischen zwei kahlen Vorgebirgen heißt der Hafen von Carichana . Der Ort hat ein wildes Aussehen; das Felsenufer wirft seine mächtigen Schatten über den Wasserspiegel und das Wasser erscheint schwarz, wenn sich diese Granitmassen darin spiegeln, die, wie schon bemerkt, wegen der eigenen Färbung ihrer Oberfläche, bald wie Steinkohlen, bald wie Bleierz aussehen. Wir übernachteten im kleinen Dorfe Carichana, wo wir auf die Empfehlung des guten Missionärs Fray Jose Antonio de Torre im Pfarrhause oder Convento Aufnahme fanden. Wir hatten seit fast 14 Tagen unter keinem Dache geschlafen. Am 11. April. Um die für die Gesundheit oft so nach- teiligen Folgen der Ueberschwemmungen zu vermeiden, wurde die Mission Carichana 3,3 km vom Flusse angelegt. Die Indianer sind vom Stamme der Salivas. Die ursprüng- lichen Wohnsitze desselben scheinen auf dem westlichen Ufer des Orinoko zwischen dem Rio Vichada und dem Guaviare, sowie zwischen dem Meta und dem Rio Paute gewesen zu sein. Gegenwärtig findet man Salivas nicht nur in Carichana, sondern auch in den Missionen der Provinz Casanare, in Cabapuna, Guanapalo, Cabiuna und Macuco. Letzteres im Jahre 1730 vom Jesuiten Fray Manuel Roman gegründete Dorf hat 1300 Einwohner. Die Salivas sind ein geselliges, sanftes, fast schüchternes Volk, und leichter, ich sage nicht zu civilisieren, aber in der Zucht zu halten als andere am Ori- noko. Um sich der Herrschaft der Kariben zu entziehen, ließen die Salivas sich leicht herbei, sich den ersten Jesuitenmissionen anzuschließen. Die Patres rühmen aber auch in ihren Schriften durchgängig ihren Verstand und ihre Gelehrigkeit. Die Sa- livas haben großen Hang zur Musik; seit den ältesten Zeiten blasen sie Trompeten aus gebrannter Erde, die 1,3 bis 1,6 m lang sind und mehrere kugelförmige Erweiterungen haben, die durch enge Röhren zusammenhängen. Diese Trompeten geben sehr klägliche Töne. Die Jesuiten haben die natürliche Neigung der Salivas zur Instrumentalmusik mit Glück ausgebildet, und auch nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu haben die Missionäre am Rio Meta in San Miguel de Macuco die schöne Kirchenmusik und den musikalischen Unterricht der Jugend fort gepflegt. Erst kürzlich sah ein Reisender zu seiner Ver- wunderung die Eingeborenen Violine, Violoncell, Triangel, Guitarre und Flöte spielen. In den vereinzelten Missionen am Orinoko wirkt die Verwaltung nicht so günstig auf die Entwickelung der Kultur der Salivas und die Zunahme der Bevölkerung, als das System, das die Augustiner auf den Ebenen am Casanare und Meta befolgen. In Macuco haben die Eingeborenen durch den Verkehr mit den Weißen im Dorfe, die fast lauter „Flücht- linge von Socorro“ Die Stadt Socorro, südlich vom Rio Sogamoza und nord- nordöstlich von Santa F é de Bogota, war der Hauptherd des Auf- ruhrs, der im Jahre 1781 im Königreich Neugranada unter dem Erzbischof Vizekönig Gongora wegen der Plackereien ausbrach, denen das Volk infolge der Einführung der Tabakspacht ausgesetzt ge- wesen. Viele fleißige Einwohner von Socorro wanderten damals in die Llanos am Meta aus, um sich den Verfolgungen zu ent- ziehen, welche der vom Madrider Hof erteilten allgemeinen Amnestie folgten. Diese Ausgewanderten heißen in den Missionen Socor- reños refugiados. sind, sehr gewonnen. Zur Jesuitenzeit wurden die drei Dörfer am Orinoko, Pararuma, Castillo oder Marumarutu und Carichana in eines, Carichana, verschmolzen, das damit eine sehr ansehnliche Mission wurde. Im Jahre 1759, als die Fortaleza de San Francisco Xavier und ihre drei Batterien noch standen, zählte Pater Caulin in der Mis- sion Carichana 400 Salivas; im Jahre 1800 fand ich ihrer kaum 150. Vom Dorfe ist nichts übrig als einige Lehm- hütten, die symmetrisch um ein ungeheuer hohes Kreuz her- liegen. Wir trafen unter diesen Indianern eine Frau von weißer Abkunft, die Schwester eines Jesuiten aus Neugranada. Un- beschreiblich ist die Freude, wenn man mitten unter Völkern, deren Sprache man nicht versteht, einem Wesen begegnet, mit dem man sich ohne Dolmetscher unterhalten kann. Jede Mission hat zum wenigsten zwei solche Dolmetscher, lenguarazes. Es sind Indianer, etwas weniger beschränkt als die anderen, mittels deren die Missionäre am Orinoko, die sich gegenwärtig nur selten die Mühe nehmen, die Landessprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Diese Dolmetscher begleiteten uns beim Botanisieren. Sie verstehen wohl spanisch, aber sie können es nicht recht sprechen. In ihrer faulen Gleich- gültigkeit geben sie, man mag fragen, was man will, wie aufs Geratewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Ant- wort: „Ja, Pater; nein, Pater.“ Man begreift leicht, daß einem die Geduld ausgeht, wenn man monatelang solche Ge- spräche zu führen hat, statt über Gegenstände Auskunft zu erhalten, für die man sich lebhaft interessiert. Nicht selten konnten wir nur mittels mehrerer Dolmetscher und so, daß derselbe Satz mehrmals übersetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren. „Von meiner Mission an,“ sagte der gute Ordensmann in Uruana, „werdet ihr reisen wie Stumme.“ Und diese Vorhersagung ist so ziemlich in Erfüllung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Ver- kehr selbst mit den versunkensten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichensprache. Sobald der Eingeborene merkt, daß man sich keines Dolmetschers bedienen will, sobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenstände deutet, so legt er seine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß sich mit merkwürdiger Gewandtheit verständlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er spricht die Worte langsam aus, er wiederholt sie unaufgefordert. Es scheint seiner Eigenliebe zu schmeicheln, daß man ihn beachtet und sich von ihm belehren läßt. Diese Leichtigkeit, sich verständlich zu machen, zeigt sich besonders auffallend beim unabhängigen Indianer, und was die christlichen Niederlassungen betrifft, muß ich den Reisenden den Rat geben, sich vorzugsweise an Eingeborene zu wenden, die erst seit kurzem unterworfen sind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingebore- nen belehrender und sicherer ist als der mittels des Dol- metschers, wenn man nur seine Fragen zu vereinfachen weiß und dieselben hintereinander an mehrere Individuen in verschiedener Gestalt richtet. Zudem sind der Mundarten, welche am Meta, Orinoko, Cassiquiare und Rio Negro gesprochen werden, so unglaublich viele, daß der Reisende selbst mit dem bedeutend- sten Sprachtalent nie so viele derselben sich aneignen könnte, um sich längs der schiffbaren Ströme von Angostura bis zum Fort San Carlos am Rio Negro verständlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntnis der Quichua- oder Inkasprache aus, in Chile mit dem Araukanischen, in Paraguay mit dem Guarani; man kann sich wenigstens der Mehrzahl der Bevölkerung verständlich machen. Ganz anders in den Missionen in spanisch Guyana, wo im selben Dorfe Völker verschiedenen Stammes untereinander wohnen. Hier wäre es nicht einmal genug, wenn man folgende Sprachen verstünde: Karibisch oder Carina, Guamo, Guahiva, Jaruro, Otomaco, Maypure, Saliva, Marivitano, Maquiritare und Guaica, zehn Sprachen, von denen es nur ganz rohe Sprach- lehren gibt und die untereinander weniger verwandt sind als Griechisch, Deutsch und Persisch. Die Umgegend der Mission Carichana schien uns aus- gezeichnet schön. Das kleine Dorf liegt auf einer der gras- bewachsenen Ebenen, wie sie von Encaramada bis über die Katarakte von Maypures hinauf sich zwischen all den Ketten der Granitberge hinziehen. Der Waldsaum zeigt sich nur in der Ferne. Ringsum ist der Horizont von Bergen begrenzt, zum Teil bewaldet, von düsterer Färbung, zum Teil kahl mit felsigen Gipfeln, die der Strahl der untergehenden Sonne vergoldet. Einen ganz eigentümlichen Charakter erhält die Gegend durch die fast ganz kahlen Felsbänke, die oft 260 m im Umfang haben und sich kaum ein paar Centimeter über die umgebende Grasflur erheben. Sie machen gegenwärtig einen Teil der Ebene aus. Man fragt sich mit Verwunde- rung, ob hier ein ungewöhnlich stürmisches Ereignis Damm- erde und Gewächse weggerissen, oder ob der Granitkern unseres Planeten hier nackt zu Tage tritt, weil sich die Keime des Lebens noch nicht auf allen Punkten entwickelt haben. Die- selbe Erscheinung scheint in Schamo zwischen der Mongolei und China vorzukommen. Diese in der Wüste zerstreuten Felsbänke heißen Tsy . Es wären, wie mir scheint, eigentliche Plateaus, wären von der Ebene umher der Sand und die Erde weg, welche das Wasser an den tiefsten Stellen ange- schwemmt hat. Auf den Felsplatten bei Carichana hat man, was sehr interessant ist, den Gang der Vegetation von ihren Anfängen durch die verschiedenen Entwickelungsgrade vor Augen. Da sieht man Flechten, welche das Gestein zer- klüften und mehr oder weniger dicke Krusten bilden; wo ein wenig Quarzsand sich angehäuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Höhlungen des Gesteins haben sich schwarze, aus zersetzten Wurzeln und Blättern sich bildende Erdschichten abgesetzt, auf denen immergrünes Buschwerk wächst. Handelte es sich hier von großartigen Natureffekten, so käme ich nicht auf unsere Gärten und die ängstlichen Künsteleien der Menschenhand; aber der Kontrast zwischen Felsgestein und blühendem Gesträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und dort in der Savanne erinnert unwillkürlich an die mannig- faltigsten und malerischten Partieen unserer Parke. Es ist, als hätte hier der Mensch mit tiefem Gefühl für Natur- schönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen. Neun, zwölf Kilometer von der Mission findet man auf diesen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenso üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern ober- halb der großen Katarakte gegenüber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß man sich an die Flußufer hält und auf Wälder stößt, in die nicht einzudringen ist. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu Pferde, auf denen er sehr viele Gewächse erbeutete. Ich er- wähne nur den Paraguatan, eine sehr schöne Art von Macro- cnemum, deren Rinde rot färbt, den Guaricamo mit gif- tiger Wurzel, die Jacaranda obtusifolia und den Serrape oder Jape der Salivasindianer, Aublets Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen seiner aromatischen Frucht be- rühmt ist. Diese Frucht, die man in Caracas zwischen die Wäsche legt, während man sie in Europa unter dem Namen Tonca- oder Tongobohne unter den Schnupftabak mischt, wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigentümliche Aroma des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom Jape ; dies ist aber unrichtig. Derselbe heißt in den Mis- sionen Simaruba , ein Name, der zu argen Mißgriffen An- laß geben kann, denn die echte Simaruba ist eine Quassia- art, eine Fieberrinde, und wächst in Spanisch-Guyana nur im Thale des Rio Caura, wo die Paudacotosindianer sie Achecchari nennen. In Carichana, auf dem großen Platze, fand ich die In- klination der Magnetnadel gleich 33,70,° die Intensität der magnetischen Kraft gleich 227 Schwingungen in 10 Zeit- minuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im Spiel sein mochten. Die vom Wasser des Orinoko geschwärzten Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer stand um Mittag 760 mm hoch, der Thermo- meter zeigte im Schatten 30,6°. Bei Nacht fiel die Tempe- ratur der Luft auf 26,2°; der Delucsche Hygrometer stand auf 46°. Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll gestiegen; die Erscheinung war den Eingeborenen auffallend, da sonst der Strom anfangs fast unmerklich steigt, und man ganz daran gewöhnt ist, daß er im April ein paar Tage lang wieder fällt. Der Orinoko stand bereits 1 m über dem niedrig- sten Punkte. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwärtigen Hochgewässer; sie standen nach unserer Messung 13,6 m hoch, und dies ist doppelt so viel als durchschnittlich beim Nil. Aber dieses Maß wurde an einem Orte genommen, wo das Strombett bedeutend durch Felsen eingeengt ist, und ich konnte mich nur an die Angabe der In- dianer halten. Man sieht leicht, daß das Stromprofil, die Beschaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenflüsse, die das Regenwasser hereinführen, und die Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewässer und auf ihre Höhe von bedeutendem Ein- fluß sein müssen. Unzweifelhaft ist, und es macht auf jeder- mann im Lande einen starken Eindruck, daß man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo sich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, 30, zuweilen 42 m über dem höchsten gegenwärtigen Wasserstande schwarze Streifen und Auswaschungen sieht, die beweisen, daß das Wasser einmal so hoch gestanden. So wäre denn dieser Orinokostrom, der uns so großartig und gewaltig erscheint, nur ein schwacher Nest der ungeheuren Ströme süßen Wassers, die einst, ge- schwellt von Alpenschnee oder noch stärkeren Regennieder- schlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern be- schattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der Verdunstung Vorschub leisten, das Land gleich ostwärts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen? In welchem Zustande müssen sich damals diese Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueber- schwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Massen von Krokodilen, Seekühen und Boa müssen auf dem weiten Landstrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen stehen- den Wassers bestand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, ist eine ungleich stürmischere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden sich Knochen von Mastodonten und amerikanischen eigentlichen Elefanten, und auf den Ebenen von Uraguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die Erde, so findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarne mehr vorkommen, Steinkohlenflötze, in denen riesenhafte Reste monokotyledonischer Gewächse be- graben liegen. Es war also lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewächse anders verteilt, wo die Tiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. So viel und nicht mehr sagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wissen nicht, ob das Menschengeschlecht, das bei der Entdeckung von Amerika ostwärts von den Kor- dilleren kaum ein paar schwache Volksstämme aufzuweisen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom großen Wasser , die sich bei den Völkern am Orinoko, Erevato und Caura findet, anderen Himmelsstrichen angehört, aus denen sie in diesen Teil des neuen Kontinents gewandert ist. Am 11. April. Nach unserer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir ließen den Caño Orupe westwärts und fuhren darauf am großen, unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Felsen vorbei. Der Strom ist hier so tief, daß ein Senkblei von 40 m den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und düster, Windstöße und dazwischen ganz stille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die Regenströme die Moskiten, die uns den Tag über grausam geplagt, wenigstens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Wassers war so stark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wur- den immer wieder mitten in die Strömung geworfen. End- lich sprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Wasser, zogen die Piroge mit einem Stricke ans Ufer und banden sie an der Piedra del Carichana vieja fest, einer nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß stieg bedeutend und man fürchtete mehreremal, die wilden Wogen möchten unser schwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen. Der Granitfels, auf dem wir lagerten, ist einer von denen, auf welchen Reisende zuzeiten gegen Sonnenaufgang unterirdische Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Missionäre nennen dergleichen Steine laxas de musica. „Es ist Hexenwerk ( cosa de bruxas ),“ sagte unser junger in- dianischer Steuermann, der kastilianisch sprach. Wir selbst haben diese geheimnisvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana, noch am oberen Orinoko; aber nach den Aussagen glaub- würdiger Zeugen läßt sich die Erscheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und sie scheint auf einem gewissen Zustande der Luft zu beruhen. Die Felsbänke sind voll feiner, sehr tiefer Spalten und sie erhitzten sich bei Tag auf 48 bis 50°. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche 39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterschied zwischen der unterirdischen und der äußeren Luft sein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt sich zugleich vom Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weitesten entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn man, das Ohr dicht am Gestein, auf dem Fels schläft, nicht von einem Luftstrom herrühren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umstand, daß die Luft an die elastischen Glimmerplättchen stößt, welche in den Spalten hervorstehen, die Töne modifizieren? Läßt sich nicht annehmen, daß die alten Aegypter, die beständig den Nil auf und ab fuhren, an gewissen Felsen in der Thebais dieselbe Beobachtung gemacht, und daß die „Musik der Felsen“ Veranlassung zu den Gau- keleien gegeben, welche die Priester mit der Bildsäule Mem- nons trieben? Wenn die „rosenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon eine Stimme verlieh“, So heißt es in einer Inschrift, die bezeugt, daß am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahre Antonins die Töne vernommen worden. so war diese Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgestell der Bildsäule versteckten Menschen, aber die Beobachtung der Eingeborenen am Orinoko, von der hier die Rede ist, scheint ganz natürlich zu erklären, was zu dem Glauben der Aegypter, ein Stein töne bei Sonnenaufgang, Anlaß gegeben. Fast zur selben Zeit, da ich diese Vermutungen einigen Gelehrten in Europa mitteilte, kamen französische Reisende, die Herren Jomard, Jollois und Devilliers, auf ähnliche Gedanken. In einem Denkmal aus Granit, mitten in den Tempelgebäuden von Karnak, hörten sie bei Sonnenaufgang ein Geräusch wie von einer reißenden Saite. Gerade den- selben Vergleich brauchen aber die Alten, wenn von der Stimme Memnons die Rede ist. Die französischen Reisen- den sind mit mir der Ansicht, das Durchstreichen der Luft durch die Spalten eines klingenden Steines habe wahrschein- lich die ägyptischen Priester auf die Gaukeleien im Mem- nonium gebracht. Am 12. April. Wir brachen um 4 Uhr morgens auf. Der Missionär sah voraus, daß wir Not haben würden, über die Stromschnellen und den Einfluß des Meta wegzukommen. Die Indianer ruderten zwölfundeinhalb Stunden ohne Unter- laß. Während dieser Zeit nahmen sie nichts zu sich als Maniok und Bananen. Bedenkt man, wie schwer es ist, die Gewalt der Strömung zu überwinden und die Katarakte hinaufzu- fahren, und weiß man, daß die Indianer am Orinoko und Amazonenstrom auf zweimonatlichen Flußfahrten in dieser Weise ihre Muskeln anstrengen, so wundert man sich gleich sehr über die Körperkraft und über die Mäßigkeit dieser Men- schen. Stärkemehl- und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fische und Schildkröteneierfett ersetzen hier die Nahrung, welche die zwei ersten Tierklassen, Säugetiere und Vögel, Tiere mit rotem, warmem Blute, geben. Wir fanden das Flußbett auf einer Strecke von 1170 m voll Granitblöcken; dies ist der sogenannte Raudal de Cariven. Wir liefen durch Kanäle, die nicht 1,6 m breit waren, und manchmal stak unsere Piroge zwischen zwei Granitblöcken fest. Man suchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die sich das Wasser mit furchtbarem Getöse stürzt. Es ist keine ernst- liche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianischen Steuermann hat. Ist die Strömung nicht zu überwinden, so springen die Ruderer ins Wasser, binden ein Seil an die Felsspitzen und ziehen die Piroge herauf. Dies geht sehr langsam vor sich, und wir benutzten zuweilen die Gelegenheit und kletterten auf die Klippen, zwischen denen wir staken. Es gibt ihrer von allen Größen; sie sind abgerundet, ganz schwarz, bleiglänzend und ohne alle Vegetation. Es ist ein merkwürdiger Anblick, wenn man auf einem der größten Ströme der Erde gleichsam das Wasser verschwinden sieht. Ja noch weit vom Ufer sahen wir die ungeheuren Granit- blöcke aus dem Boden steigen und sich aneinander lehnen. In den Stromschnellen sind die Kanäle zwischen den Felsen über 46 m tief, und sie sind um so schwerer zu finden, da das Gestein nicht selten nach unten eingezogen ist und eine Wölbung unter dem Flußspiegel bildet. Im Raudal von Cariven sahen wir keine Krokodile; die Tiere scheinen das Getöse der Katarakte zu scheuen. Von Cabruta bis zum Einfluß des Rio Sinaruco, auf einer Strecke von fast zwei Breitengraden, ist das linke Ufer des Orinoko völlig unbewohnt; aber westlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Yaruro- und Otomakenindianer in einem kleinen Dorfe zu- sammengebracht. Auf diesen Civilisationsversuch hatten die Mönche unmittelbar keinen Einfluß. Es braucht kaum er- wähnt zu werden, daß Don Felix mit den Missionären am rechten Ufer des Stromes in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage besprechen, ob unter den gegen- wärtigen Verhältnissen in Spanisch-Amerika dergleichen Capi- tanes pobladores und fundadores an die Stelle der Mönche treten können, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkürlich sind, für die armen Indianer die schlimmste ist. Um 9 Uhr langten wir an der Einmündung des Meta an, gegenüber dem Platze, wo früher die von den Jesuiten gegründete Mission Santa Teresa gestanden. Der Meta ist nach dem Guaviare der bedeutendste unter den Nebenflüssen des Orinoko. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Länge des Laufes, aber hinsichtlich der Wassermasse. Er ist durchschnittlich 11, oft bis zu 28 m tief. Die Ver- einigung beider Ströme gewährt einen äußerst großartigen Anblick. Am östlichen Ufer steigen einzelne Felsen empor, und aufeinander getürmte Granitblöcke sehen von ferne wie verfallene Burgen aus. Breite, sandige Ufer legen sich zwi- schen den Strom und den Saum der Wälder, aber mitten in diesen sieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen sich vom Himmel abheben. Wir brachten zwei Stunden auf einem großen Felsen mitten im Orinoko zu, auf der Piedra de Paciencia, so ge- nannt, weil die Pirogen, die den Fluß hinaufgehen, hier nicht selten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel heraus- zukommen, der von diesem Felsen herrührt. Es gelang mir, meine Instrumente darauf aufzustellen. Nach den Sonnen- höhen, die ich aufnahm, liegt der Einfluß des Meta unter 70° 4′ 29″ der Länge. Nach dieser chronometrischen Beob- achtung ist d’Anvilles Karte von Südamerka, was diesen Punkt betrifft, in der Länge fast ganz richtig, während der Fehler in der Breite einen ganzen Grad beträgt. Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Casa- nare; er ist fast bis zum Fuß der Anden von Neugranada schiffbar und muß einmal für die Bevölkerung von Guyana und Venezuela politisch von großer Bedeutung werden. Aus dem Golfo Triste und der Boca del Dragon kann eine Flo- tille den Orinoko und Meta bis auf 67 bis 90 km von Santa F é de Bogota herauffahren. Auf demselben Wege kann das Mehl aus Neugranada hinunterkommen. Der Meta ist wie ein Schiffahrtskanal zwischen Ländern unter derselben Breite, die aber ihren Produkten nach so weit auseinander sind als Frankreich und der Senegal. Durch diesen Umstand wird es von Belang, daß man die Quellen des Flusses, der auf unseren Karten so schlecht gezeichnet ist, genau kennen lernt. Der Meta entsteht durch die Vereinigung zweier Flüsse, die von den Paramos von Chingasa und Suma Paz herab- kommen. Ersterer ist der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt; der zweite ist der Rio de Aguas blancas oder Umadea. Sie vereinigen sich in der Nähe des Hafens von Marayal. Vom Paso de la Cabulla, wo man den Rio Negro verläßt, bis zur Hauptstadt Santa F é sind es nur 36 bis 45 km. Ich habe diese interessanten Notizen, wie ich sie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der ersten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benutzt. Die Reisebeschreibung des Kanonikus Don Josef Cortes Ma- dariaga hat nicht allein meine erste Ansicht vom Laufe des Meta bestätigt, sondern mir auch schätzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Dörfern Xira- mena und Cabullaro bis zu den Dörfern Guanapalo und Santa Rosalia de Cabapuna, auf einer Strecke von 270 km sind die Ufer des Meta stärker bewohnt als die des Orinoko. Es sind dort 14 zum Teil stark bevölkerte christliche Nieder- lassungen, aber vom Einfluß des Pauto und des Casanare an, über 225 km weit, machen die wilden Guahibos den Meta unsicher. Zur Jesuitenzeit, besonders aber zur Zeit von Ituriagas Expedition im Jahre 1756 war die Schiffahrt auf dem Strome weit stärker als jetzt. Missionäre aus einem Orden waren damals Herren an den Ufern des Meta und des Orinoko. Die Dörfer Macuco, Zurimena, Casimena einerseits, anderer- seits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jesuiten gegründet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluß des Casanare in den Meta bis zum Einfluß des Meta in den Orinoko eine Reihe von Missionen zu gründen, so daß ein schmaler Streif bebauten Landes über die weite Steppe zwi- schen den Wäldern von Guyana und den Anden von Neu- granada gelaufen wäre. Außer dem Mehl von Santa F é gingen damals zur Zeit der „Schildkröteneierernte“ das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die ge- druckten Decken von Socorro den Fluß herunter. Um den Krämern, die diesen Binnenhandel trieben, einigermaßen Sicher- heit zu verschaffen, machte man vom Castillo oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Gua- hibosindianer. Da auf demselben Wege, der den Handel mit den Pro- dukten von Neugranada förderte, das geschmuggelte Gut von der Küste von Guyana ins Land ging, so setzte es der Handels- stand von Cartagena de Indias bei der Regierung durch, daß der freie Handel auf dem Meta bedeutend beschränkt wurde. Derselbe Geist des Monopols schloß den Meta, den Rio Atracto und den Amazonenstrom. Es ist doch eine wun- derliche Politik von seiten der Mutterländer, zu glauben, es sei vorteilhaft, Länder, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Händen ausgestreut, unangebaut liegen zu lassen. Daß das Land nicht bewohnt ist, haben sich nun die wilden Indianer allerorten zu nutze gemacht. Sie sind an die Flüsse herangerückt, sie machen Angriffe auf die Vorüberfahrenden, sie suchen wiederzuerobern , was sie seit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Missionen am Orinoko auf die Jesuiten folgten, an der Ausmündung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Trägheit und die Furcht vor dem dreitägigen Fieber ließen es nicht dazu kommen und ein sauber gemaltes Wappen auf einem Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tau- sende beträgt, sind so frech geworden, daß sie, als wir nach Carichana kamen, dem Missionär hatten ankündigen lassen, sie werden auf Flößen kommen und ihm sein Dorf anzünden. Diese Flöße ( valzas ), die wir zu sehen Gelegenheit hatten, sind kaum 1 m breit und 4 m lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und anderen Rankengewächsen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen Fahrzeuge in den Stromschnellen beisammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Casanare und Apure entlaufene Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders bei- gebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Teil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reisenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einflusse des Casanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neugranada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden. Vom Einflusse des Meta an erschien der Orinoko freier von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 970 m breiten offenen Stromstrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Piroge zu schieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geschrei zu belästigen. Gegen West lagen im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem Raudal de Tabaje hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem höchst unbequemen Orte, auf einer mehr als 18° geneigten Felsplatte, in deren Spalten Scharen von Fledermäusen staken. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unser großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorschein kämen; der Himmel war grauenhaft schwarz. Das dumpfe Tosen der Fälle des Orinoko stach scharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hören ließ. Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Stromschnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla auf seiner Fahrt gekommen war, Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren sein. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4′ der Breite, was um 5° 10′ zu wenig ist. und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehenden Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; sie wollten ihn nicht einmal kosten. Die Gesichter der jungen Mädchen waren alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt; dieselben nahmen sich aus wie die Schönpflästerchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht be- malt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu ver- stehen, sie seien wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoko in der Gesichtsbildung miteinander haben. Ihr Blick ist düster, trübselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebräuchen (der Missionär von Carichana liest in San Borja nur drei- oder viermal im Jahre Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus anständig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gern dulden sie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, daß man auf sie sieht. Bei der Kommunion machten sie einander Zeichen, daß jetzt der Priester den Kelch zum Munde führen werde. Diese Gebärde ausgenommen, saßen sie da, ohne sich zu rühren, völlig teilnahmlos. Die Teilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht schuld daran, daß die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen, als das Land bauten, beredeten die anderen, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und sie dann in ihren Kanoen fort- schleppen und in Angostura als Poitos , als Sklaven ver- kaufen. Die Guahibos warteten, bis sie hörten, daß wir A. v. Humboldt , Reise. III. 7 vom Rio Negro über den Cassiquiare zurückkamen, und als sie erfuhren, daß wir beim ersten großen Katarakt, bei Apures, angelangt seien, liefen alle davon in die Savannen westlich vom Orinoko. Am selben Platze und unter demselben Namen hatten schon die Jesuiten eine Mission gegründet. Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Die anderen Indianer sagen daher sprichwörtlich: „Ein Guahibo ißt alles auf der Erde und unter der Erde.“ Kommt man auf dem Orinoko weiter nach Süden, so nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegenteil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tage 26 bis 27,5°, bei Nacht 23,7°. Das Wasser des Stromes behielt seine ge- wöhnliche Temperatur von 27,7°. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskiten erschrecklich zu. Nie hatten wir so arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht sprechen oder das Gesicht entblößen, ohne Mund und Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36° stehen sahen; beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Karibenfischen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über gesehen, waren alle außerordentlich groß, 7 bis 8 m lang. Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, schon um 5 Uhr morgens aufzubrechen. In der Luftschicht über dem Flusse selbst sind weniger Insekten als am Wald- saume. Zum Frühstück hielten wir an der Insel Guachaco, wo eine Sandsteinformation oder ein Konglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthält Quarz-, sogar Feldspattrümmer, und das Bindemittel ist verhärteter Thon. Es befinden sich darin kleine Gänge von Brauneisenerz, das in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwischen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Missionäre hatten dieselben bald für Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese sekundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet gewesen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macosindianer wohnen, und übernachteten auf der Insel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Bestimmung der Länge des Ortes, bei dem der Fluß eine scharfe Wendung nach West macht, Höhenwinkel des Canopus zu messen. Die Insel Panumana ist sehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felsen, die Melastomen- büsche, die kleinen Baumpartieen, deren Gruppierung uns schon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den großen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Südost. Je weiter wir hinauf kamen, desto großartiger und malerischer wurden die Ufer des Orinoko. Zwanzigstes Kapitel. Die Mündung des Rio Anaveni. — Der Pik Uniana. — Die Mission Atures. — Der Katarakt oder Raudal Mapara. — Die Inseln Surupamana und Uirapuri. Auf seinem Laufe von Süd nach Nord streicht über den Orinokostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem Laufe gehemmt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieses Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa F é de Bogota, noch die gewaltige Naturszenerie der Kordilleren vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich sie zum erstenmal sah. Steht man so, daß man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstfläche mit einem Blicke übersieht, so ist es, als sähe man den ganzen Strom über seinem Bette hängen. So ausgezeichnete Naturbildungen mußten schon seit Jahrhunderten bei den Bewohnern der Neuen Welt Aufmerk- samkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herrera und der unerschrockene Ralegh in der Mündung des Orinoko vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Ka- tarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort gewesen; sie verwechselten sie sogar mit weiter ostwärts ge- legenen Fällen. Wie sehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses dem Verkehr unter den Völkern hinderlich ist, alles, was sich auf den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoko, Amazonenstrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landstrich, auf dem Völker hausen, die zum Teil Menschen- fresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit die Kultur und das sanfte Licht einer menschlicheren Religion an den Ufern dieser uralten, von der Natur gegrabenen Kanäle aufwärts ziehen; aber lange vor Einführung des Ackerbaues, ehe zwischen den zerstreuten, oft sich befehdenden Horden ein Tauschverkehr zustande kam, verbreitete sich auf tausend zu- fälligen Wegen die Kunde von außerordentlichen Naturerschei- nungen, von Wasserfällen, vulkanischen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. 1350 km von den Küsten, im Herzen von Südamerika, unter Völkern, deren Wanderungen sich in den Grenzen von drei Tagereisen halten, findet man die Kunde vom Ozean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Masse von Salzwasser, die sich hinbreitet, so weit das Auge reicht. Verschiedene Vorfälle, wie sie im Leben des Wilden nicht selten sind, helfen zur Verbreitung solcher Kenntnisse. Infolge der kleinen Kriege zwischen be- nachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geschleppt, wo er als Poito oder Mero , das heißt als Sklave behandelt wird. Nachdem er mehreremal verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt er und kehrt zu den Seinigen zurück. Da erzählt er denn, was er gesehen, was er andere hat erzählen hören, deren Sprache er hat lernen müssen. So kommt es, daß man, wenn man eine Rippe findet, von den großen Tieren weit im inneren Lande sprechen hört; so kommt es, daß man, wenn man das Thal eines großen Flusses betritt, mit Ueberraschung sieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Wasser fahren, von weit ent- legenen Dingen zu sagen wissen. Auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwickelung tritt in gewissem Grade der Ge- dankenaustausch früher ein als der Tausch von Erzeugnissen. Die beiden großen Katarakte des Orinoko, die eines so ausgebreiteten, uralten Rufes genießen, entstehen dadurch, daß der Strom die Berge der Parime durchbricht. Bei den Ein- geborenen heißen sie Mapara und Quituna ; aber die Missionäre haben dafür Atures und Maypures gesetzt, nach den Namen der beiden Stämme, die sie in den beiden den Fällen zunächst gelegenen Dörfern zusammengebracht. An den Küsten von Caracas nennt man die zwei großen Kata- rakte einfach: die zwei Raudales Vom spanischen Worte raudo, schnell, rapidus. (Stromschnellen), was darauf hindeutet, daß man die anderen Fälle, sogar die Strom- schnellen von Camiseta und Carichana, gegenüber den Ka- tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung wert findet. Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, 450 km westwärts von den Kordilleren von Neugranada, im Meridian von Porto Cabello, und nur 54 km voneinander. Es ist sehr auffallend, daß d’Anville nichts von denselben gewußt hat, da er doch auf seiner schönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die christlichen Niederlassungen in Spanisch-Guyana in zwei ungleiche Hälften. Missionen am unteren Orinoko heißen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den Missionen am oberen Orinoko sind die Dörfer zwischen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf des unteren Orinoko ist, wenn man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil der geraden Richtung schätzt, 480 km , der des oberen Ori- noko, die Quellen 3° ostwärts vom Duida angenommen, 750 km lang. Jenseits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener Landstrich, über den die Nebenflüsse sowohl des Amazonen- stromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Kolonieen anzugehören. Keiner der Missionäre, die vor mir den Orinoko beschrieben haben, die Patres Gumilla, Gili und Caulin, ist über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom Cassiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka- tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von 450 km nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weiße, das heißt Menschen euro- päischer Abkunft. Es ist nicht zu verwundern, daß ein so ödes Land von jeher der klassische Boden für Sagen und Wundergeschichten war. Hierher versetzten ernste Missionäre die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden sie alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den Arimaspen und den Hyperboreern erzählen. Man thäte den schlichten, zuweilen ein wenig rohen Missionären unrecht, wenn man glaubte, sie selbst haben diese übertriebenen Mären erfunden; sie haben sie vielmehr großenteils den Indianer- geschichten entnommen. In den Missionen erzählt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie überall, wo man sich lang- weilt. Ein Missionär ist schon nach Standesgebühr nicht zum Skeptizismus geneigt; er prägt sich ein, was ihm die Ein- geborenen so oft vorgesagt, und kommt er nach Europa in die civilisierte Welt zurück, so findet er eine Entschädigung für seine Beschwerden in der Lust, durch die Erzählung von Dingen, die er als Thatsachen aufgenommen, durch lebendige Schilderung des im Raume so weit Entrückten, die Leute in Verwunderung zu setzen. Ja, diese Cuentos de viageros y frailes werden immer unwahrscheinlicher, je weiter man von den Wäldern am Orinoko weg den Küsten zu kommt, wo die Weißen wohnen. Läßt man in Cumana, Nueva Barce- lona und in anderen Seehäfen, die starken Verkehr mit den Missionen haben, einigen Unglauben merken, so schließt man einem den Mund mit den wenigen Worten: „Die Patres haben es gesehen,“ aber weit über den großen Katarakten, „mas ariba de los Raudales“. Jetzt, da wir ein so selten besuchtes, von denen, die es bereist, nur zum Teil beschriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gründe, meine Reisebeschreibung auch ferner in der Form eines Tagebuches fortzusetzen. Der Leser unterscheidet dabei leichter, was ich selbst beobachtet, und was ich nach den Aussagen der Missionäre und Indianer berichte; er begleitet die Reisenden bei ihren täglichen Beschäftigungen; er sieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebote stand und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten, und wird in seinem Urteil nachsichtiger. Am 15. April. Wir brachen von der Insel Panumana um 4 Uhr morgens auf, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war großenteils bedeckt und durch dickes, über 40° hoch stehendes Gewölk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, daß wir nicht donnern hörten; kam es daher, daß das Ge- witter so ausnehmend hoch stand? Es kam uns vor, als würden in Europa die elektrischen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbestimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit näher am Horizont gesehen. Beim bedeckten Himmel, der die strahlende Wärme des Bodens zu- rückwarf, war die Hitze erstickend; kein Lüftchen bewegte das Laub der Bäume. Wie gewöhnlich waren die Jaguare über den Flußarm zwischen uns und dem Ufer herübergekommen, und wir hörten sie ganz in unserer Nähe brüllen. Im Laufe der Nacht hatten uns die Indianer geraten, aus dem Biwuak in eine verlassene Hütte zu ziehen, die zu den „Conucos“ der Einwohner von Apures gehört; sie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich überflüssig vorkam. Die Tiger sind bei den Katarakten so häufig, daß vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Co- nucos von Panumana, seine Hütte wieder aufsuchte, dieselbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen besetzt fand. Die Tiere hatten sich seit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Mühe brachte man sie hinaus, und erst nach hart- näckigem Kampfe konnte der Eigentümer einziehen. Die Ja- guare ziehen sich gerne in verlassene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reisende meist klüger, unter freiem Himmel zwischen zwei Feuern zu übernachten, als in unbe- wohnten Hütten Schutz zu suchen. Bei der Abfahrt von der Insel Panumana sahen wir auf dem westlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Missionär, der bei uns war, ließ einige blinde Schüsse abfeuern, um sie einzuschüchtern, sagte er, und ihnen zu zeigen, daß wir uns wehren könnten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Kanoen und wohl auch keine Lust, uns mitten auf dem Strome zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluß des Rio Anaveni vorüber, der von den östlichen Bergen herabkommt. Jetzt sind seine Ufer verlassen; aber zur Jesuitenzeit hatte Pater Olmos hier Japuin- oder Yaruro- indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Die Hitze am Tage war so stark, daß wir lange an einem schattigen Platze hielten und mit der Leine fischten. Wir konnten die Fische, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erst ganz spät langten wir unmittelbar unter dem großen Katarakt in einer Bucht an, die der untere Hafen ( puerto de abaxo ) heißt, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Be- schwerde, auf schmalem Fußpfad in die Mission Atures, 4,5 km vom Flußufer. Man kommt dabei über eine mit großen Granitblöcken bedeckte Ebene. Das kleine Dorf San Juan Nepomuceno de los Atures wurde im Jahre 1748 vom Jesuiten Pater Fran- cisco Gonzales angelegt. Es ist stromaufwärts die letzte vom Orden des heiligen Ignatius gegründete christliche Nieder- lassung. Die weiter nach Süd gelegenen Niederlassungen am Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro rühren von den dem Franziskanerorden angehörenden Observanten her. Wo jetzt das Dorf Atures steht, muß früher der Orinoko geflossen sein, und die völlig ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stück des Flußbettes. Oestlich von der Mission sah ich eine Felsreihe, die mir das alte Flußufer zu sein schien. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Strom gegen West hin- übergedrängt, weil den östlichen Bergen zu, von denen viele Wildwasser herabkommen, die Anschwemmungen stärker sind. Der Katarakt heißt, wie oben bemerkt, Mapara , während das Dorf nach dem Volke der Atures genannt ist, das man jetzt für ausgestorben hält. Auf den Karten des 17. Jahr- hunderts finde ich: „Insel und Katarakt Athule “; dies ist Atures nach der Aussprache der Tamanaken, die, wie so viele Völker, die Konsonanten l und r verwechseln. Noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war dieses gebirgige Land in Europa so wenig bekannt, daß d’Anville in der ersten Ausgabe seines Südamerika beim Salto de los Atures vom Orinoko einen Arm abgehen läßt, der sich in den Ama- zonenstrom ergießt und der bei ihm Rio Negro heißt. Die alten Karten, sowie Pater Gumilla in seinem Werke, setzen die Mission unter 1° 30′ der Breite; der Abb é Gili gibt 3° 30′ an. Nach Meridianhöhen des Canopus und des α des südlichen Kreuzes fand ich 5° 38′ 4″ Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Sekunden westliche Länge vom Pariser Meridian. Die Inklination der Magnetnadel war am 16. April 30,25°; 223 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Maß der Intensität der mag- netischen Kraft; in Paris sind es 245 Schwingungen. Wir fanden die kleine Mission in der kläglichsten Ver- fassung. Zur Zeit von Solanos Expedition, gewöhnlich „die Grenzexpedition“ genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir über die Katarakte gingen, nur noch 47, und der Missionär versicherte uns, mit jedem Jahre werde die Ab- nahme stärker. Er zeigte uns, daß in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht katechisierten Indianern vor dem indianischen Governador geschlossen und damit, wie wir in Europa sagen, der Civilakt vollzogen worden. Bei der Gründung der Mission waren hier Atures, Maypures, Meye- pures, Abanis und Quirupas untereinander; statt dieser Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stamme der Macos. Die Atures sind fast völlig ver- schwunden; man kennt sie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabstätten der Guanchen auf Tenerifa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerstamme der Salivas angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves einer Ab- kunft seien mit den Cabres oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Kariben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Völkerschaften, die einander so schroff gegenüberstehen, wie einst die Völker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, läßt sich das Zusammengehörige im allge- meinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind; nur sie, nicht an den Boden ge- fesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind sozusagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei er- oberten und bei civilisierten Völkern als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Fein- den in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter. Zwischen dem 4. und 8. Breitengrad bildet der Orinoko nicht nur die Grenze zwischen dem großen Walde der Pa- rime und den kahlen Savannen am Apure, Meta und Gua- viare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebens- weise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Völker, stolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die spanischen Missionäre bezeichnen sie ganz gut als Indios andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoko, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmütige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unter- werfende Völker. Der Indianer der Ebene unterscheidet sich vom Indianer der Wälder durch Sprache wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des ersteren ist rauher, kürzer, leidenschaftlicher; beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Aus- drücken. In der Mission Atures, wie in den meisten Missionen am Orinoko zwischen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volks- stämmen nebeneinander; man trifft daselbst Indianer aus den Wäldern und früher nomadische Indianer ( Indios mon- teros und Indios andantes oder llaneros ). Wir besuchten mit dem Missionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. Im ersteren zeigt sich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhängigen Macos (Wilde möchte ich sie nicht nennen) haben ihre Rochelas oder festen Wohnplätze zwei bis drei Tage- reisen östlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Maniok, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht hat der Franziskaner Pater Ber- nardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alkalde der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung des Missionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos besaß. Infolge dieses friedlichen Verkehres hatten sich vor einiger Zeit mehrere dieser Indios monteros in der Mission nieder- gelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbotes der Ordensleute nicht als Halsbänder, sondern zum Aufputz des Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem sie das Gewünschte erhalten, gingen sie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt der Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahre 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures sehr stark. Dem Waldindianer wird das Leben des civilisierten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglück, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustößt. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender großer Trockenheit für immer aus den christlichen Nieder- lassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen nicht ebenso betroffen hätte, wenn sie immer unabhängig ge- blieben wären. Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen großen Teil des Jahres hindurch in den Dörfern Atures und May- pures an den zwei großen Katarakten des Orinoko herrschen und die Gegend für den europäischen Reisenden so gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich starken Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünste, die sich aus den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoko- fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwischen Nueva Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamische Fieber ausarten. „Ich habe mein kleines Fieber ( mi calenturita ) erst seit acht Monaten,“ sagte der gute Missionär von Atures, der uns an den Rio Negro be- gleitete; er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Piroge auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgesetzt war. Diese drei- tägigen Fieber sind mit bedeutender Schwächung des Muskel- systems verbunden; indessen sieht man am Orinoko arme Ordensgeistliche sich jahrelang mit diesen Calenturitas und Tercianas schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsstrichen. Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und sogar die Missionäre den kahlen Felsen einen nachteiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Er- scheinung zusammenhängt, die kürzlich in verschiedenen Land- strichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt ist. In den Katarakten und überall, wo der Orinoko zwischen den Missionen Carichana und Santa Barbara periodisch das Granitgestein bespült, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit Wasserblei überzogen. Die färbende Substanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit ist, welcher hie und da Hornblendekristalle enthält. Der schwarze Ueberzug ist 0,6 mm dick und findet sich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; die Feldspatkristalle haben zuweilen äußerlich ihre rötlichweiße Farbe behalten und springen aus der schwarzen Rinde vor. Zerschlägt man das Gestein mit dem Hammer, so ist es innen unversehrt, weiß, ohne Spur von Zersetzung. Diese ungeheuren Steinmassen treten bald in viereckigen Um- rissen auf, bald in der halbkugligen Gestalt, wie sie dem Granitgestein eigen ist, wenn es sich in Blöcke sondert. Sie geben der Gegend etwas eigentümlich Düsteres, da ihre Farbe vom Wasserschaum, der sie bedeckt, und vom Pflanzenwuchs um sie her scharf absticht. Die Indianer sagen, die Felsen seien „von der Sonnenglut verbrannt oder verkohlt“. Wir sahen sie nicht nur im Bette des Orinoko, sonder in manchen Punkten bis zu 970 m vom gegenwärtigen Ufer in Höhen, bis wohin der Fluß beim höchsten Wasserstande jetzt nicht steigt. Was ist diese schwarzbraune Kruste, die diesen Felsen, wenn sie kugelig sind, das Ansehen von Meteorsteinen gibt? Wie hat man sich die Wirkung des Wassers bei diesem Nieder- schlag oder bei diesem auffallenden Farbenwechsel zu denken? Vor allem ist zu bemerken, daß die Erscheinung nicht auf die Katarakte des Orinoko beschränkt ist, sondern in beiden Hemi- sphären vorkommt. Als ich, nach der Rückkehr aus Mexiko, im Jahre 1807 die Granite von Atures und Maypures Ro- zi è re sehen ließ, der das Nilthal, die Küste des Roten Meeres und den Berg Sinai bereist hat, so zeigte mir der gelehrte Geolog, daß das Urgebirgsgestein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoko, eine glänzende, schwarzgraue, fast bleifarbige Oberfläche hat; manche Bruch- stücke sehen aus wie mit Teer überzogen. Erst neuerlich, bei der unglücklichen Expedition des Kapitän Tuckey, fiel die- selbe Erscheinung englischen Naturforschern an den Yellala (Stromschnellen und Klippen) auf, welche den Kongo- oder Zairefluß verstopfen. Dr. König hat im Britischen Museum neben Syenite vom Kongo Granite von Atures gestellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen sind, die Bonpland und ich dem Präsidenten der Londoner königlichen Gesellschaft überreicht hatten. „Diese Handstücke,“ sagt König, „sehen beide aus wie Meteorsteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoko wie bei der afrikanischen, besteht die schwarze Rinde, nach der Analyse von Children, aus Eisen- und Man- ganoxyd.“ Nach einigen Versuchen, die ich in Mexiko in Verbindung mit del Rio gemacht, kam ich auf die Vermutung, das Ge- stein von Atures, welches das Papier, in das es eingeschlagen ist, schwarz färbt, möchte außer dem Manganoxyd Kohle und überkohlensaures Eisen enthalten. Am Orinoko sind 13 bis 16 m dicke Granitmassen gleichförmig mit diesen Oxyden über- zogen, und so dünn diese Rinden erscheinen, enthalten sie doch ansehnliche Mengen Eisen und Mangan, da sie über 20 qkm Fläche haben. Es ist zu bemerken, daß alle diese Erscheinungen von Färbung des Gesteines bis jetzt nur in der heißen Zone beob- achtet worden sind, an Flüssen, deren Temperatur gewöhn- lich 24 bis 28° beträgt und die nicht über Sandstein oder Kalkstein, sondern über Granit, Gneis und Hornblendegestein laufen. Der Quarz und der Feldspat enthalten kaum 5 bis 6 Tausendteile Eisen- und Manganoxyd; dagegen im Glim- mer und in der Hornblende kommen diese Oxyde, besonders das Eisenoxyd, nach Klaproth und Herrmann, bis zu 15 und 20 Prozent vor. Die Hornblende enthält zudem Kohle, wie auch der lydische Stein und der Kieselschiefer. Bildet sich nun diese schwarze Rinde durch eine langsame Zersetzung des Granits unter dem doppelten Einfluß der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie soll man es erklären, daß die Oxyde sich so gleichförmig über die ganze Oberfläche des Gesteines verbreiten, daß um einen Glimmer- und Hornblendekristall nicht mehr davon liegt als über dem Feldspat und dem milchigen Quarz? Der eisenschüssige Sandstein, der Granit, der Marmor, die aschfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Aussehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde lassen vielmehr vermuten, daß der Stoff ein Niederschlag aus dem Wasser des Orinoko ist, das in die Spalten des Gesteines ge- drungen. Geht man von dieser Voraussetzung aus, so fragt man sich, ob jene Oxyde im Flusse nur suspendiert sind, wie der Sand und andere erdige Substanzen, oder wirklich chemisch aufgelöst? Der ersteren Annahme widerspricht der Umstand, daß die Rinde völlig homogen ist und neben den Oxyden weder Sandkörner noch Glimmerblättchen sich darin finden. Man muß daher annehmen, daß chemische Auflösung vorliegt, und die Vorgänge, die wir täglich in unseren Laboratorien beobachten, widersprechen dieser Voraussetzung durchaus nicht. Das Wasser großer Flüsse enthält Kohlensäure, und wäre es auch ganz rein, so könnte es doch immer in sehr großen Mengen einige Teilchen Metalloxyd oder Hydrat auflösen, wenn dieselben auch für unauflöslich gelten. Im Nilschlamm, also im Niederschlag der im Flusse suspendierten Stoffe, findet sich kein Mangan; er enthält aber nach Reynaults Analyse 6 Prozent Eisenoxyd und seine anfangs schwarze Farbe wird beim Trocknen und durch die Einwirkung der Luft gelbbraun. Von diesem Schlamme kann also die schwarze Rinde an den Felsen von Syene nicht herrühren. Auf meine Bitte hat Berzelius diese Rinde untersucht; er fand darin Eisen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoko und Kongo. Der berühmte Chemiker ist der Ansicht, die Oxyde werden von den Flüssen nicht dem Boden entzogen, über den sie laufen, sie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdischen Quellen zu und sie schlagen dieselben auf das Gestein nieder wie durch Cementation, infolge eigentümlicher Affinitäten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feldspat. Nur durch einen langen Aufenthalt an den Katarakten des Orinoko, des Nil und des Kongoflusses und durch genaue Beobachtung der Umstände, unter denen die Färbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beschäftigt hat, ganz zur Entscheidung gebracht werden. Ist die Erscheinung der Beschaffenheit des Gesteines unabhängig? Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemer- kung, daß weder Granitmassen, die weit vom alten Bette des Orinoko liegen, aber in der Regenzeit abwechselnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den bräunlichen Wassern des Rio Negro bespült wird, äußer- lich den Meteorsteinen ähnlich werden. Die Indianer sagen, „die Felsen seien nur da schwarz, wo das Wasser weiß ist“. Sie sollten vielleicht weiter sagen: „wo das Wasser eine große Geschwindigkeit erlangt hat und gegen das Gestein am Ufer anprallt.“ Die Cementation scheint zu erklären, warum die Rinde so dünn bleibt. Ob der in den Missionen am Orinoko herrschende Glaube, daß in der Nähe des kahlen Gesteines, besonders der Fels- massen mit einer Rinde von Kohle, Eisen- und Manganoxyd die Luft ungesund sei, grundlos ist, weiß ich nicht zu sagen. In der heißen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheiterregenden Ursachen vom Volke willkürlich gehäuft. Man scheut sich dort im Freien zu schlafen, wenn einem der Vollmond ins Gesicht schiene; ebenso hält man es für be- denklich, sich nahe am Flusse auf Granit zu lagern, und man erzählt viele Fälle, wo Leute nach einer auf dem schwarzen kahlen Gestein zugebrachten Nacht morgens mit einem starken Fieberanfall erwacht sind. Wir schenkten nun zwar dieser Be- hauptung der Missionäre und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die Laxas negras und lagerten uns auf mit weißem Sande bedeckten Uferstrecken, wenn wir keine Bäume fanden, um unsere Hängematten zu befestigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den schwarzen Felsen wegzukommen, von einem Orte, wo auf einer Strecke von mehr als 3,8 ha die Bodenfläche aus kahlem Granitgestein besteht. Aus ähnlichen Gründen, die den Physikern in Europa als bloße Einbil- dungen erscheinen müssen, versetzten die Jesuiten Olmo, For- neri und Mellis ein Dorf der Yaruros an drei verschiedene Punkte zwischem dem Raudal von Tabaje und dem Rio Ana- veni. Ich glaube diese Dinge, ganz wie sie mir zu Ohren gekommen, anführen zu müssen, da wir so gut wie gar nicht wissen, was eigentlich die Gasgemenge sind, wodurch die Luft ungesund wird. Läßt sich annehmen, daß unter dem Einfluß starker Hitze und beständiger Feuchtigkeit die schwarze Rinde des Gesteines auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternäre Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und Wasser- stoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoko enthält allerdings häufig Hornblende, und praktische Berg- leute wissen wohl, daß die schlimmsten Schwaden sich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendestein ge- trieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Strömungen fortwährend erneuert wird, kann die Wir- kung nicht dieselbe sein wie in einer Grube. Wahrscheinlich ist es nur deshalb gefährlich, auf den Laxas negras zu schlafen, weil das Gestein bei Nacht eine sehr hohe Temperatur behält. Ich fand dieselbe bei Tage 48°, während die Luft im Schatten 29,7° warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Gestein gelegt, 36°, die Luft nur 26°. Wenn die Wärmeanhäufung in den Gesteinsmassen zum Stillstand gekommen ist, so haben diese Massen zu den- selben Stunden immer wieder ungefähr dieselbe Temperatur. Den Ueberschuß von Wärme, den sie bei Tage bekommen, ver- lieren sie in der Nacht durch Strahlung, deren Stärke von der Beschaffenheit der Oberfläche des strahlenden Körpers, von der Anordnung seiner Moleküle im Inneren, besonders aber von der Reinheit des Himmels abhängt, das heißt davon, ob die Luft durchsichtig und wolkenlos ist. Wo der Unterschied in der Abweichung der Sonne nur gering ist, geht von ihr jeden Tag fast die gleiche Wärmemenge aus und das Gestein ist am Ende des Sommers nicht wärmer als zu Anfang des- selben. Es kann ein gewisses Maximum nicht überschreiten, weil sich weder der Zustand seiner Oberfläche, noch seine Dich- tigkeit, noch seine Wärmekapazität verändert hat. Steigt man am Ufer des Orinoko bei Nacht aus der Hängematte und betritt den Felsboden mit bloßen Füßen, so ist die Wärme, die man empfindet, sehr auffallend. Wenn ich die Thermo- meterkugel an das nackte Gestein legte, fand ich fast immer, daß die Laxas negras bei Tage wärmer sind als der rötlich- weiße Granit weitab vom Ufer, daß aber letzterer sich bei Nacht nicht so schnell abkühlt als jener. Begreiflich geben Massen mit einem schwarzen Ueberzug den Wärmestoff rascher wieder ab als solche, in denen viele silberfarbige Glimmer- blätter stecken. Geht man in Carichana, Atures oder May- pures zwischen 1 und 3 Uhr nachmittags unter diesen auf- getürmten Felsblöcken ohne alle Dammerde, so erstickt man beinahe, als stünde man vor der Mündung eines Schmelz- ofens. Der Wind (wenn man ihn je in diesen bewaldeten Ländern spürt) bringt statt Kühlung nur noch heißere Luft herbei, da er über Steinschichten und aufgetürmte Granit- kugeln weggegangen ist. Durch diese Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungesünder als es ohnehin ist. Unter den Ursachen der Entvölkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in anderen Strichen von Amerika so schreckliche Verheerungen anrichten, daß die Ein- geborenen, von Entsetzen ergriffen, ihre Hütten anzünden, ihre Kinder umbringen und alle Gemeinschaft fliehen. Am oberen Orinoko weiß man von dieser Geißel so gut wie nichts, und käme sie je dahin, so ist zu hoffen, daß ihr die Kuh- pockenimpfung, deren Segen man auf den Küsten von Terra Firma täglich empfindet, alsbald Schranken setzte. Die Ur- sachen der Entvölkerung in den christlichen Niederlassungen sind der Widerwille der Indianer gegen die Zucht in den Mis- sionen, das ungesunde, zugleich heiße und feuchte Klima, die schlechte Nahrung, die Verwahrlosung der Kinder, wenn sie krank sind, und die schändliche Sitte der Mütter, giftige Kräuter zu gebrauchen, damit sie nicht schwanger werden. Bei den barbarischen Völkern in Guyana, wie bei den halb civili- sierten Bewohnern der Südseeinseln gibt es viele junge Weiber, die nicht Mütter werden wollen. Bekommen sie Kinder, so sind dieselben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildnis, sondern noch manchen anderen ausgesetzt, die aus dem abgeschmacktesten Aberglauben herfließen. Sind es Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und A. v. Humboldt , Reise. III. 8 Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. „Zwillinge in die Welt setzen, heißt sich dem allgemeinen Spott preis- geben, heißt es machen wie Ratten, Beuteltiere und das niedrigste Getier, das viele Junge zugleich wirft.“ Aber noch mehr: „Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von einem Vater sein.“ Das ist ein Lehrsatz in der Physiologie der Salivas, und unter allen Himmelsstrichen, auf allen Stufen der gesellschaftlichen Entwickelung sieht man, daß das Volk, hat es sich einmal einen Satz derart zu eigen gemacht, zäher daran festhält als die Unterrichteten, die ihn zuerst aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die Mure japoic-nei (Hebamme) auf sich, eines der Kinder auf die Seite zu schaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling ist, irgend eine körperliche Mißbildung, so bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlgebildete, kräftige Kinder; denn bei den Mißbildungen hat der böse Geist Joloquiamo die Hand im Spiel, oder der Vogel Tikitiki , der Feind des Menschengeschlechtes. Zuweilen haben auch bloß sehr schwäch- liche Kinder dasselbe Los. Fragt man einen Vater, was aus einem seiner Söhne geworden sei, so thut er, als wäre er ihm durch einen natürlichen Tod entrissen worden. Er ver- leugnet eine That, die er für tadelnswert, aber nicht für strafbar hält. „Das arme Mure (Kind),“ heißt es, „konnte nicht mit uns Schritt halten; man hätte jeden Augenblick auf es warten müssen; man hat nichts mehr von ihm gesehen, es ist nicht dahin gekommen, wo wir geschlafen haben.“ Dies ist die Unschuld und Sitteneinfalt, dies ist das gepriesene Glück des Menschen im Urzustand ! Man bringt sein Kind um, um nicht wegen Zwillingen lächerlich zu werden, um nicht langsamer wandern, um sich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu müssen. Grausamkeiten derart sind nun allerdings nicht so häufig, als man glaubt; indessen kommen sie sogar in den Missionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und sich auf den „Conucos“ in den nahen Wäldern aufhalten. Mit Unrecht schriebe man sie der Polygamie zu, in der die nicht katechisierten Indianer leben. Bei der Viel- weiberei ist allerdings das häusliche Glück und der Friede in den Familien gefährdet, aber trotz dieses Brauches, der ja auch ein Gesetz des Islams ist, lieben die Morgenländer ihre Kinder zärtlich. Bei den Indianern am Orinoko kommt der Vater nur nach Hause, um zu essen und sich in seine Hänge- matte zu legen; er liebkost weder seine kleinen Kinder, noch seine Weiber, die da sind, ihn zu bedienen. Die väter- liche Zuneigung kommt erst dann zum Vorschein, wenn der Sohn so weit herangewachsen ist, daß er an der Jagd, am Fischfang und an der Arbeit in den Pflanzungen teil- nehmen kann. Wenn nun aber auch der schändliche Brauch, durch ge- wisse Tränke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten ver- mindert, so greifen diese Tränke die Gesundheit nicht so sehr an, daß nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Mütter werden könnten. Diese physiologisch sehr merkwürdige Erscheinung ist den Mönchen in den Missionen längst aufge- fallen. Der Jesuit Gili, der 15 Jahre lang die Indianer am Orinoko Beichte gehört hat und sich rühmt, i segreti delle donne maritate zu kennen, äußert sich darüber mit verwunder- licher Naivität. „In Europa,“ sagt er, „fürchten sich die Ehe- weiber vor dem Kinderbekommen, weil sie nicht wissen, wie sie sie ernähren, kleiden, ausstatten sollen. Von all diesen Sorgen wissen die Weiber am Orinoko nichts. Sie wählen die Zeit, wo sie Mütter werden wollen, nach zwei gerade entgegengesetzten Systemen, je nachdem sie von den Mitteln, sich frisch und schön zu erhalten, diese oder jene Vorstellung haben. Die einen behaupten, und diese Meinung ist die vor- herrschende, es sei besser, man fange spät an Kinder zu be- kommen, um sich in den ersten Jahren der Ehe ohne Unter- brechung der Arbeit in Haus und Feld widmen zu können. Andere glauben im Gegenteil, es stärke die Gesundheit und verhelfe zu einem glücklichen Alter, wenn man sehr jung Mutter geworden sei. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere System haben, werden die Abtreibemittel in den verschiedenen Lebensaltern gebraucht.“ Sieht man hier, wie selbstsüchtig der Wilde seine Berechnungen anstellt, so möchte man den civilisierten Völkern in Europa Glück wün- schen, daß Ecbolia , die dem Anschein nach der Gesundheit so wenig schaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben sind. Durch die Einführung von dergleichen Tränken würde viel- leicht die Sittenverderbnis in den Städten noch gesteigert, wo ein Vierteil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verstoßen zu werden. Leicht möglich aber auch, daß die neuen Abtreibemittel in unserem Klima so gefährlich wären wie der Sevenbaum, die Aloe und das flüchtige Zimt- und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhängiger von- einander sind, widersteht besser und länger übermäßigen Reizen und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Konstitution des civilisierten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrach- tungen einlassen zu müssen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Ge- schlechtes, wie auf der höchsten Stufe der Kultur, die Be- völkerung kaum merklich zunimmt. Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesent- lich verschiedene. Im Kollegium für die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an sehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als an den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnen- untergang, also wenn die Luft am kühlsten ist, zu baden, scheint die Konstitution zu schwächen. Der Pater Guardian der Franziskaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Ka- tarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Rasse in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Nieder- lassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Guardian beabsichtigte einen Teil dieser schwarzen Kolonisten an die Ka- tarakte des Orinoko zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Essequibo entlaufen, anzusiedeln. Wahr- scheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derselbe er- innerte im kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone; es war Aussicht vorhanden, daß der Zustand der Schwarzen sich damit verbesserte und so das Christentum zu seinem ur- sprünglichen Ziele, Förderung des Glückes und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverständnis vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: „Da man für das Leben der Neger so wenig bürgen könne als für das der Indianer, so erscheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Dörfern bei den Katarakten zu zwingen.“ Gegenwärtig hängt die Existenz dieser Missionen so ziemlich an zwei Guahibo- und Macofamilien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civilisation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben diese Haushaltungen aus, so laufen die anderen Indianer, die der Missionszucht längst müde sind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schlüssel des Orinoko betrachten kann, finden dann die Reisenden nichts mehr, was sie bedürfen, zumal keinen Steuermann, der die Kanoen durch die Stromschnellen schafft; der Verkehr zwischen dem Fort am Rio Negro und der Hauptstadt Angostura wäre, wo nicht unterbrochen, doch ungemein erschwert. Es bedarf ganz genauer Kenntnis der Oertlichkeiten, um sich in das Labyrinth von Klippen und Felsblöcken zu wagen, die bei Atures und Maypures das Strombett verstopfen. Während man unsere Piroge auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Nähe das ergreifende Schauspiel eines eingeengten und wie völlig in Schaum verwandelten großen Stromes. Ich versuche es, nicht unsere Empfindungen, sondern eine Oertlich- keit zu schildern, die unter den Landschaften der Neuen Welt so berühmt ist. Je großartiger, majestätischer die Gegenstände sind, desto wichtiger ist es, sie in ihren kleinsten Zügen auf- zufassen, die Umrisse des Gemäldes, mit dem man zur Ein- bildungskraft des Lesers sprechen will, fest zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale der großen, unvergänglichen Denk- mäler der Natur einfach zu schildern. Von seiner Mündung bis zum Einfluß des Anaveni, auf einer Strecke von 1170 km , ist die Schiffahrt auf dem Orinoko durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, Boca del Infierno genannt, sind Klippen und Wirbel; bei Carichana und San Borja sind Stromschnellen (Raudalitos); aber an all diesen Punkten ist der Strom nie ganz gesperrt, es bleibt eine Wasserstraße, auf der die Fahrzeuge hinab und hinauf fahren können. Auf dieser ganzen Fahrt auf dem unteren Orinoko wird dem Reisenden nur eines gefährlich, die natürlichen Flöße aus Bäumen, die der Fluß entwurzelt und bei Hochwasser forttreibt. Wehe den Pirogen, die bei Nacht an solchem Gitterwerk aus Holz und Schlinggewächsen auffahren! Das- selbe ist mit Wasserpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf dem Mississippi, schwimmenden Wiesen, den Chinampas Schwimmende Gärten. der mexikanischen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde überfallen wollen, binden sie mehrere Kanoen mit Stricken zusammen, bedecken sie mit Kräutern Baumzweigen und bilden so die Haufen von Bäumen nach, die der Orinoko auf seinem Thalweg abwärts treibt. Man sagt den Kariben nach, sie seien früher in dieser Kriegslist ausgezeichnet ge- wesen, und gegenwärtig bedienen sich die spanischen Schmuggler in der Nähe von Angostura desselben Mittels, um die Zoll- aufseher hinter das Licht zu führen. Oberhalb des Rio Anaveni, zwischen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Mapara und Quituna, oder wie die Missionäre gemeiniglich sagen, zu den Raudales von Atures und Maypures. Diese beiden vom einen zum anderen Ufer laufenden Stromsperren geben im großen ungefähr dasselbe Bild: zwischen zahllosen Inseln, Felsdämmen, aufeinander getürmten, mit Palmen be- wachsenen Granitblöcken löst sich einer der größten Ströme der Neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieser Uebereinstim- mung im Aussehen hat jeder der Fälle seinen eigentümlichen Charakter. Der erste, nördliche, ist bei niedrigem Wasser leichter zu passieren; beim zweiten, dem von Maypures, ist den In- dianern die Zeit des Hochwassers lieber. Oberhalb Maypures und der Einmündung des Caño Cameji ist der Orinoko wieder frei auf einer Strecke von mehr als 760 km , bis in die Nähe seiner Quellen, das heißt bis zum Raudalito der Guaharibos, ostwärts vom Caño Chiguire und den hohen Bergen von Yumariquin. Ich habe die beiden Becken des Orinoko und des Ama- zonenstromes besucht, und es fiel mir ungemein auf, wie ver- schieden sie sich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Beim Amazonenstrom, der gegen 1820 km lang ist, sind die großen Fälle ziemlich nahe bei den Quellen, im ersten Sechs- teil der ganzen Länge; fünf Sechsteile seines Laufes sind vollkommen frei. Beim Orinoko sind die Fälle, weit un- günstiger für die Schiffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des ersten Dritteils seiner Länge gelegen. Bei beiden Strömen werden die Fälle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der übereinander liegenden Plateaus, wo sie entspringen, gebildet, sondern durch andere Berge, durch andere übereinander gelagerte Stufen, durch die sich die Ströme nach langem friedlichen Laufe Bahn brechen müssen, wobei sie sich von Staffel zu Staffel herabstürzen. Der Amazonenstrom durchbricht keineswegs die Haupt- kette der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund voraussetzte, daß überall, wo sich die Gebirge in parallele Ketten teilen, die mittlere oder Centralkette höher sein müsse als die anderen. Dieser große Strom entspringt (und dieser Umstand ist geologisch nicht ohne Belang) ostwärts von der westlichen Kette, der einzigen, welche unter dieser Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er ent- steht aus der Vereinigung der kleinen Flüsse Aguamiros und und Chavinillo, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in einem Längenthale zwischen der westlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um diese hydrographischen Verhältnisse richtig aufzufassen, muß man sich vorstellen, daß der kolossale Gebirgskuoten von Pasco und Huanuco sich in drei Ketten teilt. Die westlichste, höchste, streicht unter dem Namen Cordillera real de Nieve (zwischen Huary und Caxa- tambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guanga- marca) über die Nevados von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die Paramos von Guamani und Gua- ringa gegen die Stadt Loxa. Der mittlere Zug scheidet die Gewässer des oberen Amazonenstroms und des Huallaga und bleibt lange nur 1950 m hoch; erst südlich von Huanuco steigt er in der Kordillere von Sasaguanca über die Schneelinie empor. Er streicht zuerst nach Nord über Huacrachuco, Chacha- poyas, Moyobamba und den Paramo von Piscoguañuna, dann fällt er allmählich ab, Peca, Capallin und der Mission San Jago am östlichen Ende der Provinz Jaen de Braca- moros zu. Die dritte, östlichste Kette zieht sich am rechten Ufer des Rio Huallaga hin und läuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. Solange der Amazonen- strom von Süd nach Nord im Längenthal zwischen zwei Gebirgszügen von ungleicher Höhe läuft (das heißt von den Höhen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hölzernen Brücken über den Fluß geht, bis zum Einfluß des Rio Chinchipe), ist die Fahrt im Kanoe weder durch Felsen, noch durch sonst etwas gehemmt. Die Fälle fangen erst da an, wo der Ama- zonenstrom sich gegen Ost wendet und durch die mittlere Anden- kette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er stößt auf die ersten Felsen von rotem Sandstein oder altem Konglomerat zwischen Tambillo und dem Pongo Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wassers ge- messen habe; er tritt aus dem roten Sandstein ostwärts von der vielberufenen Stromenge Manseriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Hügel sich nur noch 78 bis 116 m über den Fluß- spiegel erheben. Den östlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinläuft, erreicht der Fluß nicht. Von den Hügeln von Tayuchuc bis Gran Para, auf einer Strecke von mehr als 3375 km , ist die Schiffahrt ganz frei. Aus dieser raschen Uebersicht ergibt sich, daß der Marañon, hätte er nicht das Bergland zwischen San Jago und Tomependa, das zur Central- kette der Anden gehört, zu durchziehen, schiffbar wäre von seinem Ausfluß ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 193 km von seiner Quelle. Wir haben gesehen, daß sich beim Orinoko wie beim Amazonenstrom die großen Fälle nicht in der Nähe des Ur- sprunges befinden. Nach einem ruhigen Lauf von mehr als 720 km vom kleinen Raudal der Guaharibos, ostwärts von Esmeralda, bis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er sich durch die Flüsse Jao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verstärkt, biegt der Orinoko aus seiner bisherigen Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord um und stößt auf dem Laufe über die „Land-Meerenge“ Diese Landenge, von der schon öfters die Rede war, wird von den Kordilleren der Anden von Neugranada und von der Kordillere der Parime gebildet. in den Nie- derungen am Meta auf die Ausläufer der Kordillere der Parime. Und dadurch entstehen nun Fälle, die weit stärker sind und der Schiffahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle Pongos im oberen Marañon, weil sie, wie wir oben ausein- andergesetzt, der Mündung des Flusses verhältnismäßig näher liegen. Ich habe mich in diese geographischen Details ein- gelassen, um am Beispiel der größten Ströme der Neuen Welt zu zeigen: 1) daß sich nicht absolut eine gewisse Meter- zahl, eine gewisse Meereshöhe angeben läßt, über welcher die Flüsse noch nicht schiffbar sind; 2) daß die Stromschnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbüchern der allge- meinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der ersten Bergschwellen, bei den ersten Höhenzügen vorkommen, über welche die Gewässer in der Nähe ihrer Quellen zu laufen haben. Nur der nördliche der großen Katarakte des Orinoko hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer ist meist niedriger, gehört aber zu einem Landstrich, der westwärts von Atures gegen den Pik Uniana ansteigt, einen gegen 975 m hohen Bergkegel auf einer steil abfallenden Felsmauer. Da- durch, daß er frei aus der Ebene aufsteigt, nimmt sich dieser Pik noch großartiger und majestätischer aus. In der Nähe der Mission, auf dem Landstrich am Katarakt nimmt die Landschaft bei jedem Schritt einen anderen Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauhesten, finstersten Natur- gebilde neben freiem Felde, bebauten, lachenden Fluren. In der äußeren Natur wie in unserem Inneren ist der Gegen- satz der Eindrücke, das Nebeneinander des Großartigen, Drohen- den, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unserer Empfindungen und Genüsse. Ich nehme hier einige zerstreute Züge einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rückkehr nach Europa in einem anderen Buche entworfen. Ansichten der Natur Band I , Seite 122—138. Die mit zarten Kräutern und Gräsern bewachsenen Savannen von Atures sind wahre Prärien, ähnlich unseren europäischen Wiesen; sie werden nie vom Flusse überschwemmt und scheinen nur der Menschenhand zu harren, die sie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdeh- nung sind sie nicht so eintönig wie unsere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um übereinander getürmte Granit- blöcke her. Dicht am Rande dieser Ebenen, dieser offenen Fluren stößt man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gründe, wo einem auf dem feuchten, mit Arum, Helikonia und Lianen dicht be- wachsenen Boden bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ueberall kommen, dem Boden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich sie bei Carichana beschrieben, und wie ich sie in der Alten Welt nirgends so ausnehmend breit gesehen habe wie im Orinokothale. Da wo Quellen aus dem Schoße dieses Gesteines vorbrechen, haben sich Verrucarien, Psoren und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerde erzeugt. Kleine Euphorbien, Peperomien und andere Saftpflanzen sind den kryptogami- schen Gewächsen gefolgt, und jetzt bildet immergrünes Strauch- werk, Rhexien, Melastomen mit purpurroten Blüten, grüne Eilande inmitten der öden steinigen Ebene. Man kommt immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savannen zerstreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leder- artigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke schlängeln, alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischten Partieen unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Kultur zu begegnen. Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächst bei der Mission Atures erhält die Gegend eine so auffallende Physio- gnomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont be- grenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzen- wuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 225 bis 260 m über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen ( el Cucurito ), deren gleich Federbüschen ge- kräuselte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad maje- stätisch emporsteigen, stehen mitten unter Bäumen mit wage- rechten Aesten; ihre nackten Stämme schießen gleich 30 bis 40 m hohen Säulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, „ein Wald über dem Walde“. Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die rötliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Wäl- dern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die Bernardin de Saint Pierre als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Bourbon schildert, und fühlte so recht, wie sehr die Gewächse nach Wuchs und Gruppierung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im Indischen Ozean hat der unnachahmliche Verfasser von Paul und Virginie vom gewaltigen Bilde der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er für all ihre harmonischen Verhältnisse in Gestaltung, Farbe und in- neren Kräften ein tiefes Gefühl besaß. Oestlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen überein- ander stehen, erheben sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüsch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Kastilien; sie wiederholt sich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (780 bis 1170 m ) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abständen sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgetürmten Blöcken oder sind in regelmäßige, wagerechte Bänke geteilt. Auf die ganz nahe am Orinoko stellen sich die Flamingo, die Solbados Eine große Reiherart. und und andere fischfangende Vögel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Dies ist zuweilen so täu- schend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angostura eines Tages kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Bestürzung gerieten, als sich auf ein- mal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Solbados und Garzas blicken ließen. Sie glaubten sich von einem Ueber- fall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Täuschung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoko zu fortsetzten. Die schöne Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzen- fasern gemischten Dammerde und dem Granitgestein eine Schichte weißen Sandes. Der Missionär versicherte uns, in der Nähe der Wasserfälle sei das Grün beständig frisch in- folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 5,8 bis 7,8 km in Strudel und Wasserfälle zerschlagenen Strome aufsteigt. Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation allerorten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Küsten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Bannisterien, Bignonien mit blauen Blüten, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baum- stamme waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstriche. Neben diesen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächsen sahen wir hier mitten in der heißen Zone und fast im Niveau des Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den europäischen glichen. Beim großen Katarakt von Atures pflückten wir die schöne Grimmia-Art mit Fontinalisblättern, welche die Botaniker so sehr beschäftigt hat; sie hängt an den Aesten der höchsten Bäume. Unter den Phanerogamen herr- schen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Fikus und Lau- rineen vor. Dies ist um so charakteristischer, als nach Browns neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüberliegenden Kon- tinent, im tropischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen scheinen. Gewächse, welche Feuchtigkeit lieben, schmücken die Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen Büsche von Helikonia und anderen Scitamineen mit breiten, glänzenden Blättern, Bamburohre, die drei Palmenarten Murichi, Jagua und Vadgiai , deren jede besondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit schuppiger Frucht ist die berühmte Sagopalme der Guaraun- indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächst nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekräuselten Blättern, dem Jagua , der eine Art Kokospalme zu sein scheint, und dem Vadgiai oder Cu- curito , den man neben die schöne Gattung Oreodaxa stellen kann. Der Cucurito , bei den Fällen von Atures und May- pures die häufigste Palme, ist durch seinen Habitus aus- gezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel stehen auf einem 24 bis 32 m hohen Stamme fast senkrecht, und zwar im jugendlichen Zustande wie in der vollen Entwickelung; nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federbüsche vom zartesten, frischesten Grün. Der Cucurito, der Seje, dessen Frucht der Aprikose gleicht, die Oreodoxa regia oder Palma real von der Insel Cuba und das Ceroxylon der hohen Anden sind im Wuchse die großartigsten Palmen der Neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, desto mehr nehmen die Gewächse dieser Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben erwähnten Arten und der orientalischen Dattelpalme, die bei den europäischen Landschaftsmalern leider der Typus der Pal- menfamilie geworden ist! Es ist nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sizilien oder Murcia bereist hat, nicht begreifen kann, daß unter allen großen Baumgestalten die Gestalt der Palme die großartigste und schönste sein soll. Unzureichende Ana- logieen sind schuld, daß sich der Europäer keine richtige Vor- stellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beispiel, daß die Kontraste des Baumlaubes, be- sonders aber die große Menge von Gewächsen mit gefiederten Blättern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Esche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten, die Gleditschia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deshalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom malerischen Effekte zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, dünnen, zart- gefiederten Blättern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewächse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurück auf die geistige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, daß dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva- ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern sind nicht alle ma- lerisch gleich schön, und meist, im Pflanzenreiche wie im Tier- reiche, gehören die schönsten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstriche an. Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe der Kaktus, die ausschließlich nur in der Neuen Welt vor- kommt, verschwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indessen ist viel mehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küsten daran schuld, wenn die Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben östlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen Amazonenstrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da- zwischen, große dürre Landstriche bedecken sehen. Die Baum- farne scheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einflusse des Guaviare in den Orinoko. Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeschnittene Flußbett fast unzugängliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwischen zwei Wasserfällen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpen, in den Pyrenäen, selbst in den Kordilleren aufgehalten hat, so vielberufen wegen der Zerrissenheit des Bodens und der Zerstörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be- schreibung sich vom Zustande des Strombettes hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als 9,2 km laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben- so viele natürliche Wehre, ebenso viele Schwellen , ähnlich denen im Dnjepr, welche bei den Alten Phragmoi hießen. Der Raum zwischen den Felsdämmen im Orinoko ist mit Inseln von verschiedener Größe gefüllt; manche sind hügelig, in verschiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 m lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Diese Inseln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht; alle sind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuschartigem Laub bewachsen, ein Palmendickicht mitten auf der schäumenden Wasserfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch die Raudales schaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerst zum Salto del Piapoco, zum Sprung des Tucans; zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni ist der Raudal de Ja- variveni; hier verweilten wir auf unserer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Kanoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem großen Teil trocken zu liegen. Granitblöcke sind aufeinander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stürzt sich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieser Höhlen hörten wir das Wasser zugleich über unseren Köpfen und unter unseren Füßen rauschen. Der Orinoko ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche geteilt, deren jeder sich durch die Felsen Bahn zu brechen sucht. Man muß nur staunen, wie wenig Wasser man im Flußbett sieht, über die Menge Wasserstürze, die sich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Wasser, die sich schäumend an den Felsen brechen. Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumens invictis canescit fluctibus amnis. Lucan. Pharsal. X, 132. Ist man über den Raudal Javariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigsten der Fälle), so kommt man zum Raudal Canucari, der durch eine Felsbank zwischen den Inseln Suru- pamana und Uirapuri gebildet wird. Sind die Dämme oder natürlichen Wehre nur 60 bis 90 cm hoch, so wagen es die Indianer, im Kanoe hinabzufahren. Flußaufwärts schwimmen sie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um eine der Felsspitzen über dem Damme und ziehen das Fahrzeug am Seile auf die Höhe des Raudals. Wäh- rend dieser mühseligen Arbeit füllt sich das Fahrzeug häufig mit Wasser; andere Male zerschellt es an den Felsen, und die Indianer, mit zerschlagenem, blutendem Körper, reißen sich mit Not aus dem Strudel und schwimmen an die nächste Insel. Sind die Felsstaffeln oder Schwellen sehr hoch und versperren sie den Strom ganz, so schafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, schiebt Baumäste als Walzen darunter und schleppt sie bis an den Punkt, wo der Fluß wieder schiff- bar wird. Arastrando la Picagua. Von diesem Worte arastrar, auf dem Boden ziehen, kommt der spanische Ausdruck: Arastradero, Trageplatz, Portage. Bei Hochwasser ist solches selten nötig. Spricht man von den Wasserfällen des Orinoko, so denkt man von selbst an die Art und Weise, wie man in alter Zeit über die Katarakte des Nil herunterfuhr, wovon uns Seneca Nat. Quaest. L. IV, c. 2. eine Beschreibung hinterlassen hat, die poetisch, aber schwerlich richtig ist. Ich führe nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwärtigt, was man in Atures, Maypures und in einigen Pongos des Amazonenstromes alle Tage sieht. „Je zwei miteinander besteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere schöpft es aus. Sodann, nachdem sie unter dem reißenden Toben des Nil und den sich begegnenden Wellen tüchtig herumgeschaukelt worden sind, halten sie sich endlich an die seichtesten Kanäle, durch die sie den Engpässen der Felsen entgehen, und mit der ganzen Strömung niederstürzend, lenken sie den schießenden Nachen.“ In den hydrographischen Beschreibungen der Länder werden meistens unter den unbestimmten Benennungen: „Saltos, Chorros, Pongos, Cachoeiras, Raudales, Cataractes, Cas- cades, Chûtes, Rapides, Wasserfälle, Wasserstürze, Strom- schnellen,“ stürmische Bewegungen der Wasser zusammen- geworfen, die durch sehr verschiedene Bodenbildungen hervor- gebracht werden. Zuweilen stürzt sich ein ganzer Fluß aus bedeutender Höhe in einem Falle herunter, wodurch die Schiff- fahrt völlig unterbrochen wird. Dahin gehört der prächtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen Vues des Cor- dillères abgebildet habe; dahin die Fälle des Niagara und der Rheinfall, die nicht sowohl durch ihre Höhe als durch die Wassermasse bedeutend sind. Andere Male liegen niedrige Steindämme in weiten Abständen hintereinander und bilden getrennte Wasserfälle; dahin gehören die Cachoeiras des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die Saltos des Rio Cauca und die meisten Pongos im oberen Amazonen- strome zwischen dem Einflusse des Chinchipe und dem Dorfe San Borja. Der höchste und gefährlichste dieser Pongos, den man auf Flößen herunterfährt, der bei Mayasi, ist übrigens nur 1 m hoch. Noch andere Male liegen kleine Stein- dämme so nahe aneinander, daß sie auf mehrere Kilometer Erstreckung eine ununterbrochene Reihe von Fällen und Stru- deln, Chorros und Remolinos, bilden, und dies nennt man eigentlich Raudales, Rapides, Stromschnellen. Dahin gehören die Yellala , die Stromschnellen des Zaire- oder Kongo- flusses, mit denen uns Kapitän Tuckey kürzlich bekannt gemacht hat; die Stromschnellen des Orangeflusses in Afrika oberhalb Pella, und die 18 km langen Fälle des Missouri da, wo der Fluß aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hierher gehören nun auch die Fälle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropischen Erdstriche der Neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geschmückt sind. Zu allen Jahreszeiten gewähren sie den Anblick eigentlicher Wasserfälle und hemmen die Schiffahrt auf dem Orinoko in sehr be- deutendem Grade, während die Stromschnellen des Ohio und in Oberägypten zur Zeit der Hochgewässer kaum sichtbar sind. Ein vereinzelter Wasserfall, wie der Niagara oder der Fall bei Terni, gibt ein herrliches Bild, aber nur eines; es wird nur anders, wenn der Zuschauer seinen Standpunkt verändert; Stromschnellen dagegen, namentlich wenn sie zu beiden Seiten mit großen Bäumen besetzt sind, machen eine Landschaft meilen- weit schön. Zuweilen rührt die stürmische Bewegung des Wassers nur daher, daß die Strombetten sehr eingeengt sind. Dahin gehört die Angostura de Carare im Magdalenenfluß, ein Engpaß, der dem Verkehr zwischen Santa F é de Bogota und der Küste von Cartagena Eintrag thut; dahin gehört der Pongo von Manseriche im oberen Amazonenstrome, den La Condamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, so oft er im Dorfe San Jago eine Amtsverrichtung hat. Der Orinoko, der Rio Negro und fast alle Nebenflüsse des Amazonenstromes oder Marañon haben Fälle oder Strom- schnellen entweder in der Nähe ihres Ursprunges durch Berge laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufes auf andere Berge stoßen. Wenn, wie oben bemerkt, Wasser des Amazonenstromes vom Pongo von Manseriche bis zu seiner Mündung, mehr als 3375 km weit, nirgends heftig aufgeregt sind, so verdankt er diesen ungemein großen Vorteil dem Um- stande, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt von Ost nach West über eine weite Ebene, die gleichsam ein Längenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem großen brasilianischen Gebirgsstocke bildet. Zu meiner Ueberraschung ersah ich aus unmittelbarer Messung, daß die Stromschnellen des Orinoko, deren Donner man über 4,5 km weit hört, und die durch die mannigfaltige Verteilung von Wasser, Palmbäumen und Felsen so aus- nehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Länge schwerlich mehr als 9,1 m senkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es sich, daß dies für Stromschnellen viel ist, während es für einen einzelnen Wasserfall sehr wenig wäre. Bei den Yellala im Kongofluß, in der Einschnürung seines Bettes zwischen Banza Noki und Banza Inga, ist der Höhenunter- schied zwischen den oberen und den unteren Staffeln weit bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß sich hier unter den vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 9,75 m hoch ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Ama- zonenstrome, wo die Bergfahrt so gefährlich ist, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein paar Fuß senkrechte Höhe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem großen Flusse eine Schwellung von 48 bis 53 cm hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, sondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle hintereinander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsen- dämme, von den sogenannten Lames de réflexion, die in- einander stoßen und übereinander weggehen, von der Gestalt der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenströ- mungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den A. v. Humboldt , Reise. III. 9 Kanälen, durch die das Wasser von einer Staffel zur anderen sich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüssen kann der eine Fälle haben, die nicht so hoch sind als die des anderen, und doch weit gefährlicher und tobender. Meine obige Angabe über die senkrechte Höhe der Rau- dales des Orinoko lautet nicht ganz bestimmt, und ich habe damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine konstanten Unterschiede beobachten. Bekanntlich wird die barometrische Messung sehr schwierig, wenn es sich von ganz unbedeutenden Höhenunter- schieden handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der stünd- lichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die sich mehr auf das Maß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebnis zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte einen Barometer hat, und wenn man Unterschiede im Luftdruck von 1 mm auffassen soll. Wahrscheinlich wird die Wassermasse des Stromes durch die Katarakte geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagen des Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird, sondern auch, und hauptsächlich, weil viel Wasser in unter- irdische Höhlen versinkt. Dieser Verlust ist übrigens nicht sehr auffallend, wenn man die Wassermasse da, wo sie in die Rau- dales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einflusse des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine solche Vergleichung hat man gefunden, daß unter den Yellala oder Raudales des Kongoflusses unterirdische Höhlungen liegen müssen. Im Pongo von Manseriche, der viel mehr eine Stromenge als ein Wasserfall heißen sollte, verschwindet auf eine noch nicht ge- hörig ermittelte Weise das Wasser des oberen Amazonenstromes zum Teil mit all seinem Treibholz. Sitzt man am Ufer des Orinoko und betrachtet die Fels- dämme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt man sich, ob die Fälle im Laufe der Jahrhunderte nach Ge- staltung und Höhe sich verändern werden. Ich bin nicht sehr geneigt, dem Stoße des Wassers gegen Granitblöcke und dem Zerfressen kieselhaltigen Gesteines solche Wirkungen zuzu- schreiben. Die nach unten sich verengenden Löcher, die Trichter, wie man sie in den Raudales und bei so vielen Wasserfällen in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Ge- schiebe gesehen, welche die Strömung am Boden der Trichter beständig herumwirbelt und diese dadurch nach allen Durch- messern erweitert. Die Pongos des Amazonenstromes sind leicht zerstörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit bestehen, sondern aus Konglomerat, aus rotem, grobkörnigem Sand- stein. Der Pongo von Rentama stürzte vor 80 Jahren teil- weise ein, und da sich das Wasser hinter einem neugebildeten Damme staute, so lag das Flußbett ein paar Stunden trocken zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, 31 km unter dem eingestürzten Pongo. Die Indianer in Atures versichern (und diese Aussage widerspricht der Ansicht des Paters Caulin), die Felsen im Raudal haben immer das- selbe Aussehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerschlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels können den Katarakten sehr ferne liegen; denn in den Flüssen, die auf der Erd- oberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organi- schen Körpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf die ganze flüssige Masse im Stamme und den vielen Ver- zweigungen desselben. Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zu- stand der Stromschnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum 15 cm hoch sind, Der Chellal zwischen Philä und Syene hat zehn Staffeln, die zusammen einen 1,6 bis 2,3 m hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Wasserstand des Nil. Der Fall ist 970 m lang. mit den großartigen Beschreibungen der Alten, man leicht geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen der Auswaschungen, überhaupt die gewaltigen Einflüsse des strömenden Wassers zu erblicken, aus denen man in der Geo- logie lange die Bildung der Thäler und die Zerrissenheit des Bodens in den Kordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Diese Ansicht wird durch den Augenschein keineswegs unterstützt. Wir stellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein, in sekundäre Gebirgsformationen einschneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelsen bei Elephantine haben wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren an absoluter Höhe so wenig abgenommen als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturszenerieen in verschiedenen Klimaten selbst gesehen, so sieht man sich zu der Anschauung gedrängt, daß jene tiefen Spalten, jene hoch auf- gerichteten Schichten, jene zerstreuten Blöcke, all die Spuren einer allgemeinen Umwälzung Wirkungen außergewöhnlicher Ursachen sind, die mit denen, welche im gegenwärtigen Zu- stande der Ruhe und des Friedens an der Erdoberfläche thätig sind, nichts gemein haben. Was das Wasser durch Auswaschung von Granit wegführt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Gestein zerstört, entzieht sich unseren Sinnen fast ganz, und ich kann nicht glauben, daß, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen niedriger werden, weil die Geschiebe sich in den Gründen am Fuße der Gebirge aufhäufen. Im Nil wie im Orinoko können die Stromschnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne daß die Felsdämme merkbar anders werden. Die relative Höhe der Fälle kann durch die Anschwemmungen, die sich unterhalb der Stromschnellen bilden, abnehmen. Wenn auch diese Betrachtungen einiges Licht über die anziehende Erscheinung der Katarakte verbreiten, so sind da- mit die übertriebenen Beschreibungen der Stromschnellen bei Syene, welche von den Alten Auszunehmen ist Strabo, dessen Beschreibung ebenso einfach als genau erscheint. Nach ihm hätte seit dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Schnelligkeit des Wassersturzes abge- nommen und seine Richtung sich verändert. Damals ging man den Chellal auf beiden Seiten hinauf, gegenwärtig ist nur auf einer Seite eine Wasserstraße; der Katarakt ist also eher schwerer befahrbar geworden. auf uns gekommen, allerdings nicht begreiflich zu machen. Sollten sie aber nicht vielleicht auf diesen unteren Wasserfall übertragen haben, was sie vom Hörensagen von den oberen Fällen des Flusses in Nubien und Dongola wußten, die zahlreicher und gefährlicher sind? Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde von den großen Katarakten des östlichen oder blauen Nil zwischen Fazoql und Alata, die über 65 m hoch sind. Syene lag an der Grenze des römischen Reiches, Claustra imperii romani, sagt Tacitus. Im Namen der Insel Philä findet man das koptische Wort phe-lakh, Ende (Ende Aegyptens) wieder. fast an der Grenze der bekannten Welt, und im Raume, wie in den Schöpfungen des menschlichen Geistes fangen die phantasti- schen Vorstellungen an, wo die klaren Begriffe aufhören. Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Missionäre in ihren Schriften sagen mögen, vom Tosen der großen Katarakte so wenig taub als die Katadupen am Nil. Hört man das Getöse auf der Ebene bei der Mission, starke 4 km weit, so glaubt man in der Nähe einer felsigen Meeresküste mit starker Brandung zu sein. Es ist bei Nacht dreimal stärker als bei Tage und gibt dem einsamen Orte un- aussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstärkung des Schalles in einer Einöde rühren, wo sonst nichts das Schweigen der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Schalles nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird schwächer, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall ist schwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erschütterten Luftteilchen in jedem Strahle größer ist. Die Stärke desselben ist in trockener und in mit Wasserdunst ver- mengter Luft gleich groß, aber in kohlensaurem Gas ist sie geringer als in Gemengen von Stickstoff und Sauerstoff. Nach diesen Erfahrungssätzen (und es sind die einzigen einiger- maßen zuverlässigen) hält es schwer, eine Erscheinung zu er- klären, die man bei jedem Wasserfalle in Europa beobachtet, und die lange vor unserer Ankunft im Dorfe Atures Mis- sionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht ist die Temperatur der Luft um 3° niedriger als bei Tage; zu- gleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben gesehen, daß der hygroskopische Zustand der Luft auf die Fortpflanzung des Schalles keinen Einfluß hat, und daß die Abkühlung der Luft die Geschwindigkeit vermindert. Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menschen leben, bringe am Tage das Sumsen der Insekten, der Gesang der Vögel, das Rauschen des Laubes beim leisesten Luftzuge ein verworrenes Getöne hervor, das wir um so weniger wahr- nehmen, da es sich immer gleich bleibt und es fortwährend zu unserem Ohre dringt. Dieses Getöse, so unmerklich es sein mag, kann nun allerdings einen stärkeren Schall schwächen, und diese Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Gesang der Vögel, das Sumsen der Insekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre aber diese Folgerung auch richtig, so findet sie keine Anwen- dung auf die Wälder am Orinoko, wo die Luft fortwährend von zahllosen Moskitoschwärmen erfüllt ist, wo das Gesumse der Insekten bei Nacht weit stärker ist als bei Tage, wo der Wind, wenn er je weht, sich erst nach Sonnenuntergang aufmacht. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß, solange die Sonne am Himmel steht, der Schall sich langsamer fortpflanzt und geschwächt wird, weil die Luftströme von verschiedener Dich- tigkeit, die teilweisen Schwingungen der Atmosphäre infolge der ungleichen Erwärmung der verschiedenen Bodenstücke, Hindernisse bilden. In ruhiger Luft, sei sie nun trocken oder mit gleichförmig verteilten Dunstbläschen erfüllt, pflanzt sich die Schallwelle ungehindert fort; wird aber die Luft nach allen Richtungen von kleinen Strömen wärmerer Luft durch- zogen, so teilt sich die Welle da, wo die Dichtigkeit des Mittels rasch wechselt, in zwei Wellen; es bilden sich lokale Echo, die den Schall schwächen, weil eine der Wellen zurückläuft; es tritt die Teilung der Wellen ein, deren Theorie in jüngster Zeit von Poisson so scharfsinnig entwickelt worden ist. Nach unserer Anschauung wird daher die Fortpflanzung der Schall- wellen nicht dadurch gehemmt, daß durch die Ortsveränderung der im Luftstrome von unten nach oben aufsteigenden Luft- teilchen, durch die kleinen schiefen Strömungen ein Stoß aus- geübt würde. Ein Stoß auf die Oberfläche einer Flüssigkeit bringt Kreise um den Mittelpunkt der Erschütterung hervor, selbst wenn die Flüssigkeit in Bewegung ist. Mehrere Arten von Wellen können sich im Wasser wie in der Luft kreuzen, ohne sich in ihrer Fortpflanzung zu stören; kleine Bewegungen schieben sich übereinander, und die wahre Ursache der geringeren Stärke des Schalles bei Tage scheint die zu sein, daß das elastische Mittel dann nicht homogen ist. Bei Tage ändert sich die Dichtigkeit rasch überall, wo kleine Luftzüge von hoher Temperatur über ungleich erwärmten Bodenstücken auf- steigen. Die Schallwellen teilen sich, wie die Lichtstrahlen sich brechen, und überall, wo Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit sich berühren, tritt Spiegelung ein. Der Schall pflanzt sich langsamer fort, wenn man in einer am einen Ende geschlossenen Röhre eine Schicht Wasserstoffgas über eine Schicht atmosphärischer Luft aufsteigen läßt, und Biot erkärt den Umstand, daß ein Glas mit Champagner nicht hell klingt, solange er perlt und die Luftblasen im Weine aufsteigen, sehr gut eben daraus, daß die Bläschen von kohlensaurem Gas die Flüssigkeit ungleichförmig machen. Für diese Ansichten könnte ich mich fast auf die Autorität eines Philosophen berufen, den die Physiker noch immer sehr geringschätzig behandeln, während die ausgezeichnetsten Zoologen seinem Scharfsinn als Beobachter längst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. „Warum,“ sagt Aristoteles in seiner merk- würdigen Schrift von den Problemen , „hört man bei Nacht alles besser als bei Tage? Weil alles bei Nacht regungs- loser ist, da die Wärme fehlt. Dadurch wird überhaupt alles ruhiger, denn die Sonne ist es, die alles bewegt.“ Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß, so mangelhaft noch die Physik der Alten war, die Werke des Philosophen von Stagira ungleich mehr scharfsinnige Beobachtungen enthalten, als die der anderen Philosophen. Vergeblich sucht man bei Aristoxenes ( Liber de musica ), bei Theophylactus Simocatta ( De quaestionibus physicis ), im fünften Buche von Senecas Quaestiones naturales eine Erklärung der Verstärkung des Schalles bei Nacht. Ein in den Schriften der Alten sehr bewanderter Mann, Herr Laurencit, hat mir eine Stelle des Plutarch mitgeteilt (Tischgespräche, Buch VIII , Frage 3), welche die angeführte des Aristoteles unterstützt. — Boethus, der erste der Disputierenden, behauptet, die Kälte bei Nacht ziehe die Luft zusammen und verdichte sie, und man höre den Schall bei Tage nicht so gut, weil dann weniger Zwischenräume zwischen den Atomen seien. Der zweite der Disputierenden, Am- monius, verwirft die leeren Räume, wie Boethus sie voraussetzt, und nimmt mit Anaxagoras an, die Luft werde von der Sonne in eine zitternde und schwankende Bewegung versetzt; man höre bei Tage schlecht wegen der Staubteile, die im Sonnenschein herum- treiben und die ein gewisses Zischen und Geräusch verursachen; des Nachts aber höre diese Bewegung auf und folglich auch das damit verbundene Geräusch. Boethus versichert, daß er keineswegs Anaxo- goras meistern wolle, meint aber, das Zischen der kleinsten Teile müsse man wohl aufgeben, die zitternde Bewegung und das Herum- treiben derselben im Sonnenschein sei schon hinreichend. Die Luft macht den Körper und die Substanz der Stimme aus; ist sie also ruhig und beständig, so läßt sie auch die Teile und Schwingungen des Schalles gerade, ungeteilt und ohne Hindernis fortgehen und befördert deren Verbreitung. Windstille ist dem Schalle günstig, Erschütterung der Luft aber zuwider. Die Bewegung in der Luft verhindert, daß von einer Stimme artikulierte und ausgebildete Töne zu den Ohren gelangen, ob sie gleich immer von einer starken und vielfachen ihnen etwas zuzuführen pflegt. Die Sonne, dieser große und mächtige Beherrscher des Himmels, bringt auch die klein- sten Teile der Luft in Bewegung, und sobald er sich zeigt, erregt und belebt er alle Wesen. — (Auszug aus Kaltwassers Uebersetzung; Sicher schwebte Aristoteles die wahre Ursache der Erscheinung als unbestimmte Ahnung vor; er schreibt aber die Bewegung der Luft dem Stoße der kleinsten Teilchen derselben zu, was viel- mehr dem raschen Wechsel der Dichtigkeit in sich berührenden Luftschichten zuzuschreiben sein möchte. Am 16. April gegen Abend erhielten wir Nachricht, unsere Piroge sei in weniger als 6 Stunden über die Strom- schnellen geschafft worden und liege wohlbehalten in einer Bucht, Puerto de arriba, der obere Hafen , genannt. „Eure Piroge wird nicht in Stücke gehen, weil ihr kein Kauf- mannsgut führt und der Mönch aus den Raudales mit euch reist,“ so hatte im Lager von Pararuma ein kleiner brauner Mann, in dem wir an der Mundart den Katalonier erkannten, boshaft gegen uns geäußert. Es war ein Schildkrötenöl- händler, der mit den Indianern in den Missionen in Verkehr und eben kein Freund der Missionäre war. „Die Fahrzeuge, die leicht zerbrechen,“ fuhr er fort, „sind die der Katalo- nier , die mit einem Lizenzschein vom Statthalter von Guyana, nicht aber mit der Genehmigung des Präsidenten der Mis- sionen jenseits Atures und Maypures Handel treiben wollen. Man läßt unsere Pirogen in den Raudales, die der Schlüssel sind zu den Missionen am oberen Orinoko, am Cassiquiare und Rio Negro, zu schanden gehen; man schafft uns dann durch die Indianer in Atures nach Carichana zurück und zwingt uns unsere Handelsspekulationen aufzugeben.“ Als unpar- teiischer Geschichtschreiber der von mir bereisten Länder kann ich einer solchen, wohl etwas leichtfertig ausgesprochenen Mei- nung nicht beitreten. Der gegenwärtige Missionär bei den Raudales ist nicht der Mann, die Plackereien, über welche die katalonischen Krämer klagen, sich zu schulden kommen zu lassen; man fragt sich aber, weshalb das Regiment in den Missionen sogar in den spanischen Kolonieen so gründlich ver- haßt ist? Verleumdete man nur reiche Leute, so wären die Missionäre am oberen Orinoko vor dergleichen boshaften An- griffen sicher. Sie besitzen kein Pferd, keine Ziege, kaum eine Kuh, während ihre Ordensbrüder, die Kapuziner in den Mis- sionen am Carony, Herden von 40000 Stücken besitzen. Der Groll der arbeitenden Klassen unter den Kolonisten gilt also Humboldt hatte die alte französische Uebersetzung des Amyot aus- gezogen. Anm. des Herausgebers.) nicht dem Wohlstand der Observanten, sondern ihrem Prohi- bitivsystem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzusperren, den Hindernissen, die sie dem Aus- tausch der Produkte in den Weg legen. Allerorten empört sich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn sie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfnisse Einfluß äußern, sondern auch wenn sich ein Stand oder eine Schicht der Ge- sellschaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu sagen zu civilisieren. Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibsel vom einstigen Wohlstand der Jesuiten. Eine silberne Lampe von ansehnlichem Gewicht lag, halb im Sande begraben, am Boden. Ein Gegenstand derart würde aller- dings nirgends die Habsucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoko erwähnen, daß sie keine Diebe sind, wie die lange nicht so rohen Bewohner der Südseeinseln. Jene haben große Achtung vor dem Eigen- tum; sie suchen nicht einmal Eßwaren, Fischangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlössern an den Thüren; sie werden eingeführt werden, sobald Weiße und Mischlinge sich in den Missionen niederlassen. Die Indianer in Atures sind gutmütig, leidenschaftslos, dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt. Die Jesuiten früher trieben sie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäische Gemüse; sie pflanzten um das Dorf her sogar süße Orangen und Tamarinden, sie besaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana 20000 bis 30000 Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Herden eine Menge Sklaven und Knechte ( peones ). Gegen- wärtig wird nichts gebaut als etwas Maniok und Bananen. Und doch ist der Boden so fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Pisangbüschel 108 Früchte zählte, deren 4 bis 5 fast zur täglichen Nahrung eines Menschen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachlässigt, Rosse und Kühe sind verschwunden. Ein Uferstrich am Raudal heißt noch Paso del ganado (Viehfurt), während die Nachkommen der In- dianer, mit denen die Jesuiten die Mission gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgestorbenen Tiergattung sprechen. Auf unserer Fahrt den Orinoko hinauf San Carlos am Rio Negro zu sahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres Observanten, welche gegenwärtig diese weiten Landstriche unter sich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jesuiten. Wäh- rend eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Mis- sionen nur von Zeit zu Zeit besucht, und zwar von Kapu- zinern. Unter dem Namen königlicher Kommissäre verwalteten weltliche Regierungsbeamte die Hatos oder Höfe der Jesuiten, aber schändlich liederlich. Man stach das Vieh, um die Häute zu verkaufen, viele jüngere Tiere wurden von den Tigern gefressen, noch viel mehr gingen an den Bissen der Fleder- mäuse zu Grunde, die an den Katarakten kleiner sind, aber kecker als in den Lanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Jose de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portu- giesen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter Ferne auf dem Amazonenstrom und dem Gran Para beziehen konnten. Seit dem Jahre 1795 ist das Vieh der Jesuiten gänzlich verschwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren Anbaues dieser Länder und der wirtschaftlichen Thätigkeit der ersten Missionäre sieht man in den Savannen hie und da mitten unter wilden Bäumen einen Orangen- oder Tama- rindenstamm. Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge- fährlich sind als die Fledermäuse, kommen sogar ins Dorf herein und fressen den armen Indianern die Schweine. Der Missionär erzählte uns ein auffallendes Beispiel von der Zuthulichkeit dieser sonst so wilden Tiere. Einige Monate vor unserer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein junges Tier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet, mit dem er spielte; der Ausdruck mag sonderbar scheinen, aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle Thatsachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeschichte der Tiere nicht ohne Bedeutung sind. Zwei indianische Kinder von 8 bis 9 Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, saßen bei Atures mitten in einer Savanne, über die wir oft gegangen, im Gras. Es war 2 Uhr nachmittags, da kommt ein Ja- guar aus dem Walde und auf die Kinder zu, die er springend umkreist; bald versteckt er sich im hohen Grase, bald macht er mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopfe einen Sprung, gerade wie unsere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in welcher Gefahr er schwebt, und wird sie erst inne, als der Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf schlägt. Erst schlägt er sachte, dann immer stärker; die Krallen verwunden das Kind und es blutet stark. Da nimmt das kleine Mädchen einen Baumzweig, schlägt das Tier, und dieses läuft vor ihr davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer herbeigelaufen und sehen den Jaguar, der sichtbar an keine Gegenwehr dachte, in Sprüngen sich davonmachen. Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge- scheit aussah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten an der Stirn die Haut abgestreift, und eine zweite Narbe hatte er oben auf dem Kopfe. Woher nun auf einmal diese muntere Laune bei einem Tiere, das in unseren Menagerien nicht schwer zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grau- sam ist? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, sicher seiner Beute, mit dem kleinen Indianer gespielt, wie unsere Katzen mit Vögeln mit beschnittenen Flügeln spielen, wie soll man es sich erklären, daß ein großer Jaguar so duldsam ist, daß er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In der Zuneigung und im Haß der Tiere ist manches Geheimnis- volle. Wir haben gesehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die man in ihren Käfig setzte, umbrachten und einen fünften, der weniger furchtsam, den König der Tiere an der Mähne packte, vom ersten Augenblick an liebkosten. Das sind eben Aeuße- rungen jenes Instinktes, der dem Menschen ein Rätsel ist. Es ist als ob der Schwache desto mehr für sich einnähme, je zutraulicher er ist. Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Jaguaren angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen von europäischer Rasse gibt es in diesen Ländern verschiedene Arten von Pecari mit Drüsen an den Leisten, von denen nur zwei den europäischen Zoologen bekannt sind. Die In- dianer nennen den kleinen Pecari ( Dicotiles torquatus ) auf maypurisch Chacharo; Apida aber heißt bei ihnen ein Schwein, das keinen Beutel haben soll und größer, schwarz- braun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß ist. Der Chacharo, den man im Hause aufzieht, wird so zahm wie unsere Schafe und Rehe. Sein sanftes Wesen erinnert an die anatomisch nachgewiesene interessante Aehnlichkeit zwischen dem Bau der Pecari und dem der Wiederkäuer. Der Apida, der ein Haustier wird wie unsere Schweine, zieht in Rudeln von mehreren hundert Stücken. Man hört es schon von weitem, wenn solche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen, rauhen Lauten, die sie von sich geben, sondern noch mehr, weil sie ungestüm das Gebüsch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botanisiern sein indianischer Führer zu, er solle sich hinter einen Baum verstecken, und da sah er denn diese Pecari ( Cochinos oder Puercos del monte ) ganz nahe an sich vorüberkommen. Das Rudel zog in dicht gedrängten Reihen, die männlichen Tiere voran, jedes Mutter- schwein mit seinen Jungen hinter sich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht sehr angenehmes Fleisch; sie werden übrigens von den Indianern stark gegessen, die sie mit kleinen an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man versicherte uns in Atures, der Tiger fürchte sich im Walde unter ein solches Rudel von Wildschweinen zu geraten, und suche sich, um nicht erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Ist das nun eine Jägergeschichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald sehen, daß in manchen Ländern von Amerika die Jäger an die Existenz eines Javali oder einheimischen Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern Cortez behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber mit gekrümmten Hauern und Längsstreifen auf dem Rücken ge- schossen. Sollte es dort verwilderte europäische Schweine geben? glauben. Ich habe nie einen gesehen, die amerikanischen Missionäre führen ihn aber in ihren Schriften auf, und diese von unseren Zoo- logen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpsten Uebertreibungen sehr interessante lokale Beobachtungen. Unter den Affen, die wir in der Mission Atures zu sehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der Sa ï s oder Saju , von den Hispano-Amerikanern gewöhnlich Ma- chis genannt. Es ist dies der Uavapavi Simia albifrons, Humboldt. mit grauem Pelz und bläulichem Gesicht. Augenränder und Stirn sind schneeweiß, und dadurch unterscheidet er sich auf den ersten Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia trepida und den anderen Winselaffen, in deren Beschreibung bis jetzt so große Verwirrung herrscht. Das kleine Tier ist so sanftmütig als häßlich. Jeden Tag sprang es im Hofe der Mission auf ein Schwein und blieb auf demselben von Morgen bis Abend sitzen, während es auf den Grasfluren umherlief. Wir sahen es auch auf dem Rücken einer großen Katze, die mit ihm im Hause des Pater Zea aufgezogen wor- den war. In den Katarakten hörten wir auch zum erstenmal von dem behaarten Waldmenschen, dem sogenannten Salvaje sprechen, der Weiber entführt, Hütten baut und zuweilen Menschenfleisch frißt. Die Tamanaken nennen ihn Achi , die Maypures Vasitri oder den großen Teufel . Die Ein- geborenen und die Missionäre zweifeln nicht an der Existenz dieses menschenähnlichen Affen, vor dem sie sich sehr fürchten. Pater Gili erzählt in vollem Ernste eine Geschichte von einer Dame aus der Stadt San Carlos, welche dem Waldmenschen wegen seiner Gutmütigkeit und Zuvorkommenheit das beste Zeugnis gab. Sie lebte mehrere Jahre sehr gut mit ihm und ließ sich von Jägern nur deshalb wieder in den Schoß ihrer Familie bringen, „weil sie, nebst ihren Kindern (die auch etwas behaart waren), der Kirche und der heiligen Sakramente nicht länger entbehren mochte“. Bei aller Leichtgläubigkeit gesteht dieser Schriftsteller, er habe keinen Indianer auftreiben können, der ausdrücklich gesagt hätte, er habe den Salvaje mit eigenen Augen gesehen. Dieses Märchen, das ohne Zweifel von den Missionären, den spanischen Kolonisten und den Negern aus Afrika mit verschiedenen Zügen aus der Sitten- geschichte des Orang-Utan, Gibbon, Joko oder Chimpanse und Pongo ausstaffiert worden ist, hat uns 5 Jahre lang in der nördlichen wie in der südlichen Halbkugel verfolgt, und überall, selbst in den gebildetsten Kreisen, nahm man es übel, daß wir allein uns herausnahmen, daran zu zweifeln, daß es in Amerika einen großen menschenähnlichen Affen gebe. Wir bemerken zunächst, daß in gewissen Gegenden dieser Glaube besonders stark unter dem Volke verbreitet ist, so namentlich am oberen Orinoko, im Thale Upar beim See Maracaybo, in den Bergen von Santa Marta und Merida, im Distrikt von Quixos und am Amazonenstrom bei Tomependa. An allen diesen so weit auseinander gelegenen Orten kann man hören, den Salvaje erkenne man leicht an seinen Fußstapfen denn die Zehen seien nach hinten gekehrt. Gibt es aber auf dem neuen Kontinent einen Affen von ansehnlicher Größe, wie kommt es, daß sich seit 300 Jahren kein glaubwürdiger Mann das Fell desselben hat verschaffen können? Was zu so einem alten Irrtum oder Glauben Anlaß gegeben haben mag, darüber lassen sich mehrere Vermutungen aufstellen. Sollte der vielberufene Kapuzineraffe von Esmeralda, Simia chiropotes. dessen Hundszähne über 14 mm lang sind, der ein viel menschen- ähnlicheres Gesicht hat als der Orang-Utan, Im Gesamtausdruck der Züge, nicht der Stirn nach. der sich den Bart mit der Hand streicht, wenn man ihn reizt, das Mär- chen vom Salvaje veranlaßt haben? Allerdings ist er nicht so groß als der Coa ï ta ( Simia paniscus ); wenn man ihn aber oben auf einem Baume und nur den Kopf von ihm sieht, könnte man ihn leicht für ein menschliches Wesen halten. Es wäre auch möglich (und dies scheint mir das Wahrschein- lichste), daß der Waldmensch einer der großen Bären ist, deren Fußspur der menschlichen ähnlich ist und von denen man in allen Ländern glaubt, daß sie Weiber anfallen. Das Tier, das zu meiner Zeit am Fuße der Berge von Merida geschossen und als ein Salvaje dem Obersten Ungaro, Statt- halter der Provinz Varinas, geschickt wurde, war auch wirk- lich nichts als ein Bär mit schwarzem, glänzendem Pelz. Unser Reisegefährte Don Nicolas Soto hat denselben näher untersucht. Die seltsame Vorstellung von einem Sohlengänger, bei dem die Zehen so stehen, als ob er rückwärts ginge, sollte sie etwa daher rühren, daß die wahren wilden Waldmenschen, die schwächsten, furchtsamsten Indianerstämme, den Brauch haben, wenn sie in den Wald oder über einen Uferstrich ziehen, ihre Feinde dadurch irre zu machen, daß sie ihre Fußstapfen mit Sand bedecken oder rückwärts gehen? Ich habe angegeben, weshalb zu bezweifeln ist, daß es eine unbekannte große Affenart auf einem Kontinente gibt, wo gar keine Vierhänder aus der Familie des Orangs, Cyno- cephali, Mandrils und Pongos vorzukommen scheinen. Es ist aber nicht zu vergessen, daß jeder, auch der abgeschmackteste Volksglaube auf wirklichen, nur unrichtig aufgefaßten Natur- verhältnissen beruht. Wendet man sich von dergleichen Dingen mit Geringschätzung ab, so kann man, in der Physik wie in der Physiologie, leicht die Fährte einer Entdeckung verlieren. Wir erklären daher auch keineswegs mit einem spanischen Schriftsteller das Märchen vom Waldmenschen für eine pfiffige Erfindung der indianischen Weiber, die entführt worden sein wollen, wenn sie hinter ihren Männern lange ausgeblieben sind; vielmehr fordern wir die Reisenden, die nach uns an den Orinoko kommen, auf, unsere Untersuchungen hinsichtlich des Salvaje oder großen Waldteufels wieder aufzunehmen und zu ermitteln, ob eine unbekannte Bärenart oder ein sehr seltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher Affe so seltsame Märchen veranlaßt haben mag. Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir sehr froh, unsere Piroge wieder laden und einen Ort verlassen zu können, wo der Thermometer bei Tage meist auf 29°, bei Nacht auf 26° stand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Instrumentes und die Empfindung so wenig übereinstimmten, so rührte dies vom beständigen Hautreiz durch die Moskiten her. Eine von giftigen Insekten wim- melnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als sie wirklich ist. Das Saussuresche Hygrometer — im Schatten beobachtet, wie immer — zeigte bei Tage im Minimum (um 3 Uhr nachmittags) 78,2°, bei Nacht im Maximum 81,5°. Die Feuchtigkeit ist um 5° geringer als die mittlere Feuchtig- keit an der Küste von Cumana, aber um 10° stärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumlosen Ebenen. Die Wasserfälle und die dichten Wälder steigern die Menge des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskiten und den Jejen , kleinen gif- tigen Mücken aus der Gattung Simulium, furchtbar geplagt, bei Nacht von den Zancudos , einer großen Schnakenart, vor denen sich selbst die Eingeborenen fürchten. Unsere Hände fingen an stark zu schwellen und die Geschwulst nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Tiere los zu werden sucht, sind sehr merk- würdig. Der gute Missionär Bernardo Zea, der sein Leben unter den Qualen der Moskiten zubringt, hatte sich neben der Kirche auf einem Gerüste von Palmstämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier atmete. Abends stiegen wir mit einer Leiter in dasselbe hinauf, um unsere Pflanzen zu trocknen und unser Tagebuch zu schreiben. Der Missionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Insekten in der tiefsten Luftschicht am Boden 5 bis 7 m hoch, am häufig- sten sind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorfe und schlafen auf kleinen Inseln mitten in den Wasserfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskiten eine mit Wasserdunst beladene Luft zu fliehen scheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Ori- noko hinab, als wenn man aufwärts fährt. Wer die großen Ströme des tropischen Amerikas, wie den Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im Leben von den Insekten, die in der Luft schweben, gepeinigt werden, weil die Unzahl dieser kleinen Tiere weite Landstrecken fast unbewohnbar machen kann. So sehr man auch gewöhnt sein mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, so lebhaft einen auch der Gegenstand, den man eben beobachtet, beschäf- tigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon ab- gezogen, wenn Moskiten, Zancudos, Jejen und Tem- praneros einem Hände und Gesicht bedecken, einen mit ihrem Saugrüssel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider durch stechen, und in Nase und Mund kriechen, so daß man husten und nießen muß, sobald man in freier Luft spricht. In den Missionen am Orinoko, in diesen von unermeßlichen Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, ist aber auch die plaga de los moscos ein unerschöpflicher Stoff der Unter- haltung. Begegnen sich morgens zwei Leute, so sind ihre ersten Fragen: „Que le han parecido los zancudos de noche? Wie haben Sie die Zancados heute nacht gefunden?“ — „Como stamos hoy de mosquitos? Wie steht es heute mit den Moskiten?“ Diese Fragen erinnern an eine chinesische Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zustand des Landes, in dem sie entstanden sein mag, zurückweist. Man begrüßte sich früher im himmlischen Reiche mit den Worten: „ Vou-to-hou? Seid ihr diese Nacht von Schlangen be- unruhigt worden?“ Wir werden bald sehen, daß am Tua- mini, auf dem Magdalenenstrom, besonders aber in Choco, im Gold- und Platinalande, neben dem Moskitokompliment auch das chinesische Schlangenkompliment am Platze wäre. Es ist hier der Ort, von der geographischen Ver- teilung dieser Insekten aus der Familie der Tipulae zu sprechen, die ganz merkwürdige Erscheinungen darbietet. Die- selbe scheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtig- keit und den großen Wäldern abzuhängen, sondern auch von schwer zu ermittelnden örtlichen Verhältnissen. Vorab ist zu bemerken, daß die Plage der Moskiten und Zancudos in der heißen Zone nicht so allgemein ist, als man gemeiniglich glaubt. Auf Hochebenen mehr als 780 m über dem Meeres- spiegel, in sehr trockenen Niederungen weit von den großen Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auf- fallend mehr Schnaken als in dem am stärksten bevölkerten Teile Europas. In Nueva Barcelona dagegen, und weiter westwärts an der Küste, die gegen Kap Codera läuft, nehmen sie ungeheuer zu. Zwischen dem kleinen Hafen von Higuerote und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen Einwohner den Brauch, sich bei Nacht auf die Erde zu legen und sich 8 bis 10 cm tief in den Sand zu begraben, so daß nur der Kopf frei bleibt, den sie mit einem Tuche bedecken. Man leidet vom Insektenstich, doch so, daß es leicht zu er- tragen ist, wenn man den Orinoko von Cabruta gegen Ango- stura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt zwischen dem 7. und 8. Grad der Breite. Aber über dem Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun an findet der Reisende keine Ruhe mehr. Hat er poetische Stellen aus Dante im Kopfe, so mag ihm zu Mute sein, als hätte er die Città dolente betreten, als ständen an den Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verse aus dem 3. Buch der Hölle geschrieben: Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto Che tu vedrai le genti dolorose. Inferno. C. III, 16. Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 5 bis 7 m Höhe sind mit giftigen Insekten wie mit einem dichten Dunste angefüllt. Stellt man sich an einen dunklen Ort, z. B. in die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgetürmten Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, so sieht man Wolken von Moskiten, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Tierchen bei ihren langsamen und taktmäßigen Bewegungen sich zusammen- oder auseinanderziehen. In der Mission San Borja hat man schon mehr von den Moskiten zu leiden als in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, besonders aber in Maypures erreicht die Plage sozusagen ihr Maxi- mum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der Mensch grausamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man über den 5. Breitengrad hinauf, wird man etwas weniger zerstochen; aber am oberen Orinoko sind die Stiche schmerzlicher, weil bei der Hitze und der völli- gen Windstille die Luft glühender ist und die Haut, wo sie dieselbe berührt, mehr reizt. A. v. Humboldt , Reise. III. 10 „Wie gut muß im Mond wohnen sein!“ sagte ein Sa- liva-Indianer zu Pater Gumilla. „Er ist so schön und hell, daß es dort gewiß keine Moskiten gibt.“ Diese Worte, die dem Kindesalter eines Volkes angehören, sind sehr merk- würdig. Ueberall ist der Trabant der Erde für den wilden Amerikaner der Wohnplatz der Seligen, das Land des Ueber- flusses. Der Eskimo, für den eine Planke, ein Baumstamm, den die Strömung an eine pflanzenlose Küste geworfen, ein Schatz ist, sieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Wäldern am Orinoko sieht darin kahle Savannen, deren Bewohner nie von Moskiten gestochen werden. Weiterhin gegen Süd, wo das System der braungelben Gewässer beginnt, gemeinhin schwarze Wasser ( aguas negras ) genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tuamini und des Rio Negro, genossen wir einer Ruhe, ich hätte bald gesagt eines Glückes, wie wir es gar nicht er- wartet hatten. Diese Flüsse laufen wie der Orinoko durch dichte Wälder; aber die Schnaken wie die Krokodile halten sich von den „schwarzen Wassern“ ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulä und Schnaken, die man als eigentliche Wassertiere betrachten kann, in diesen Gewässern, die ein wenig kühler sind als die weißen und sich chemisch anders verhalten, nicht so gut fort? Einige kleine Flüsse, deren Wasser entweder dunkelblau oder braungelb ist, der Toparo, Mataveni und Zama, machen eine Ausnahme von der sonst ziem- lich allgemeinen Regel, daß es über „schwarzem Wasser“ keine Moskiten gibt. An jenen drei Flüssen wimmelt es davon, und selbst die Indianer machten uns auf die rätselhafte Er- scheinung aufmerksam und ließen uns über deren Ursachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro atmeten wir frei in den Dörfern Maroa, Davipe und San Carlos an der brasilianischen Grenze; allein diese Erleichterung unserer Lage war von kurzer Dauer, und unsere Leiden begannen von neuem, sobald wir in den Cassiquiare kamen. In Esmeralda, am östlichen Ende des oberen Orinoko, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, sind die Moskitowolken fast so dick wie bei den großen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Missionär, der mit jammervoller Miene gegen uns äußerte, er habe seine 20 Moskitojahre auf dem Rücken ( ya tengo mis veinte años de mosquitos ). Er forderte uns auf, seine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tages „por alla” (über dem Meer) davon zu sagen wüßten, was die armen Missionäre in den Wäldern am Cas- siquiare auszustehen haben. Da jeder Stich einen kleinen schwarzbraunen Punkt zurückläßt, waren seine Beine der- gestalt gefleckt, daß man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weiße Haut sah. Auf dem Cassiquiare, der weißes Wasser hat, wimmelt es von Mücken aus der Gattung Simulium, aber die Zancudos , der Gattung Culex ange- hörig, sind desto seltener; man sieht fast keine, während auf den Flüssen mit schwarzem Wasser meist einige Zancudos , aber keine Moskiten vorkommen. Wir haben schon oben bemerkt, daß wenn bei den kleinen Revolutionen im Schoße des Ordens der Observanten der Pater Guardian sich an einem Laienbruder rächen will, er ihn nach Esmeralda schickt; er wird damit verbannt oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, zu den Moskiten verurteilt . Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, daß in diesem Labyrinth weißer und schwarzer Wasser die geographische Verteilung der giftigen Insekten eine sehr un- gleichförmige ist. Es wäre zu wünschen, daß ein tüchtiger Entomolog an Ort und Stelle die spezifischen Unterschiede dieser bösartigen Insekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heißen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalte der Natur spielen, beobachten könnte. Sehr merkwürdig schien uns der Umstand, der auch allen Missionären wohlbekannt ist, daß die verschiedenen Arten nicht untereinander fliegen und daß man zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder von anderen Arten gestochen wird. So oft die Szene wechselt und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Missionäre, andere Insekten „auf die Wache ziehen“, hat man ein paar Minuten, oft eine Viertelstunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Insekten sind die Nachfolger nicht sogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von 6½ Uhr morgens bis 5 Uhr abends wimmelt die Luft von Moskiten, die nicht, wie in manchen Reisebeschreibungen zu lesen ist, unseren Schnaken, Culex pipiens. Dieser Unterschied zwischen Mosquito (kleine Mücke, Simulium ) und Zancudo (Schnake, Culex ) besteht in allen spanischen Kolonieen. Das Wort Zancudo bedeutet „Langfuß“, qui tiene las zancas largas. sondern vielmehr einer kleinen Mücke gleichen. Es sind dies Arten der Gattung Simulium aus der Familie der Nemoceren nach Latreilles System. Ihr Stich hinterläßt einen kleinen braunroten Punkt, weil da, wo der Rüssel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskiten von einer kleinen Schnakenart abgelöst, Tempra- neros „Die früh auf sind“, temprano. genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen; sie bleiben kaum anderthalb Stunden und verschwinden zwi- schen 6 und 7 Uhr abends oder, wie man hier sagt, nach dem Angelus ( a la oracion ). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der Zancudos , einer anderen Schnakenart ( Culex ) mit sehr langen Füßen. Der Zancudo, dessen Rüssel eine stechende Saugröhre enthält, verursacht die heftigsten Schmerzen, und die Geschwulst, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an; sein Sumsen gleicht dem unserer europäischen Schnaken, nur ist es stärker und anhaltender. Die Indianer wollen Zancudos und Tempraneros „am Gesang“ unterscheiden können; letztere sind wahre Dämme- rungsinsekten , während die Zancudos meist Nacht- insekten sind und mit Sonnenaufgang verschwinden. Auf der Reise von Cartagena nach Santa F é de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwischen Mompox und Honda im Thal des großen Magdalenenflusses die Zancudos zwischen 8 Uhr abends und Mitternacht die Luft verfinstern, gegen Mitternacht abnehmen, sich 3, 4 Stunden lang ver- kriechen und endlich gegen 4 Uhr morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache dieses Wechsels von Bewegung und Ruhe? Werden die Tiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoko sieht man bei Tag sehr selten wahre Schnaken, während man auf dem Magda- lenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur nicht von Mittag bis 2 Uhr. Ohne Zweifel sind die Zan- cudos beider Flüsse verschiedene Arten; werden etwa die zu- sammengesetzten Augen der einen Art vom Sonnenlicht mehr angegriffen als die der anderen? Wir haben gesehen, daß die tropischen Insekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens überall einen gewissen Typus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter derselben Breite erhält die Luft zu bestimmten, nie wechseln- den Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird, Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im stündlichen Wechsel des Luftdrucks. wo alles mit so bewundernswürdiger Regelmäßigkeit aufeinander folgt, könnte man beinahe am Sumsen der Insekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes In- sekt in der Wunde zurückläßt, wieder anders schmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen erraten, welche Zeit es ist. Zur Zeit, da die Tier- und Pflanzengeographie noch keine Wissenschaft war, warf man häufig verwandte Arten aus verschiedenen Himmelsstrichen zusammen. In Japan, auf dem Rücken der Anden und an der Magelhaensschen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirsche, Ratten und Schnaken des nördlichen Europa wiederzufinden. Hoch- verdiente, berühmte Naturforscher glaubten, der Maringuin der heißen Zone sei die Schnake unserer Sümpfe, nur kräf- tiger, gefräßiger, schädlicher infolge des heißen Klimas; dies ist aber ein großer Irrtum. Ich habe die Zancudos, von denen man am ärgsten gequält wird, an Ort und Stelle sorg- fältig untersucht und beschrieben. Im Magdalenenfluß und im Guayaquil gibt es allein fünf ganz verschiedene Arten. Die Culexarten in Südamerika sind meist geflügelt, Bruststück und Füße sind blau, geringelt, mit metallisch glän- zenden Flecken und daher schillernd. Hier wie in Europa sind die Männchen, die sich durch ihre gefiederten Fühlhörner auszeichnen, sehr selten; man wird fast immer nur von Weibchen gestochen. Aus dem großen Uebergewicht dieses Geschlechtes erklärt sich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hundert Eier legt. Fährt man einen der großen amerikanischen Ströme hinauf, so bemerkt man, daß sich aus dem Auftreten einer neuen Culexart schließen läßt, daß bald wieder ein Nebenfluß hereinkommt. Ich führe ein Beispiel dieser merkwürdigen Erscheinung an. Den Culex lineatus, dessen Heimat der Caño Tamalameque ist, trifft man im Thal des Magdalenenstroms nur bis auf 4,5 km nördlich vom Zusammenfluß der beiden Gewässer an; derselbe geht den großen Strom hinauf, aber nicht hinab; in ähnlicher Weise verkündigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Substanz in der Gangmasse dem Bergmann die Nähe eines sekundären Ganges, der sich mit jenem verbindet. Fassen wir die hier mitgeteilten Beobachtungen zusammen, so sehen wir, daß unter den Tropen die Moskiten und Ma- ringuine am Abhang der Kordilleren Der europäische Culex pipiens meidet das Gebirgsland nicht in die gemäßigte Region hinaufgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19 bis 20° beträgt; Das ist die mittlere Temperatur von Montpellier und Rom. daß sie mit wenigen Ausnahmen die schwarzen Gewässer und trockene, baumlose Landstriche meiden. Am oberen Orinoko finden sie sich weit massenhafter als am unteren, weil dort der Strom an seinen Ufern dicht bewaldet ist und kein weiter kahler Uferstrich zwischen dem Fluß und dem Waldsaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewässer und der Ausrodung der Wälder nehmen die Moskiten auf dem neuen Kontinent ab; aber alle diese Mo- mente sind in ihren Wirkungen so langsam als die Fortschritte des Anbaues. Die Städte Angostura, Nueva Barcelona und Mompox, wo schlechte Polizei auf den Straßen, den Plätzen und in den Höfen der Häuser das Buschwerk wuchern läßt, sind wegen der Menge ihrer Zancudos in trauriger Weise vielberufen. Alle im Lande Geborenen, Weiße, Mulatten, Neger, Indianer, haben vom Insektenstich zu leiden; wie aber der Norden Europas trotz des Frostes nicht unbewohnbar ist, so hindern auch die Moskiten den Menschen nicht, sich in Län- dern, welche stark davon heimgesucht sind, niederzulassen, wenn anders durch die Lage und Regierungsweise die Verhältnisse für Handel und Gewerbfleiß günstige sind. Die Leute klagen ihr Leben lang de la plaga, del insufrible tormento de las moscas; aber trotz dieses beständigen Jammerns ziehen sie doch und zwar mit einer gewissen Vorliebe, in die Handels- städte Angostura, Santa Marta und Rio la Hacha. So sehr gewöhnt man sich an ein Uebel, das man zu jeder Tages- stunde zu erdulden hat, daß die drei Missionen San Borja, Atures und Esmeralda, wo es nach dem hyperbolischen Aus- druck der Mönche „mehr Mücken als Luft“ gibt ( mas moscas que ayre ), unzweifelhaft blühende Städte würden, wenn der Orinoko den Kolonisten zum Austausch der Produkte dieselben Vorteile gewährte wie der Ohio und der untere Mississippi. Wo es sehr viele Insekten gibt, nimmt zwar die Bevölkerung lang- samer zu, aber gänzlicher Stillstand tritt deshalb doch nicht ein; nicht, wie die Culexarten der heißen Zone Amerikas. Giesecke wurde in Disco in Grönland unter dem 70. Breitengrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 580 bis 780 m Meereshöhe bei einer mittleren Temperatur von 11 bis 12° vor. die Weißen lassen sich aus diesem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den kommerziellen und politischen Verhältnissen des Landes kein erklecklicher Vorteil in Aussicht steht. Ich habe anderswo in diesem Werke des merkwürdigen Umstandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone geborenen Weißen barfuß ungestraft in demselben Zimmer herumgehen, in dem ein frisch angekommener Europäer Ge- fahr läuft, Niguas oder Chiques , Sandflöhe ( Pulex penetrans ), zu bekommen. Diese kaum sichtbaren Tiere graben sich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raschen Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In- sektes liegenden Eier, so groß wie eine kleine Erbse. Die Nigua unterscheidet also, was die feinste chemische Analyse nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darüber an den Küsten von Süd- amerika hört, fallen diese Insekten die Eingeborenen so gut an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs sind bei beiden Menschenrassen verschieden. Dieselbe giftige Flüssigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menschen von indianischer Rasse und eines frisch angekommenen Weißen gebracht, bringt beim ersteren keine Geschwulst hervor, beim letzteren dagegen harte, stark entzündete Beulen, die mehrere Tage schmerzen. So verschieden reagiert das Hautsystem, je nachdem die Organe bei dieser oder jener Rasse, bei diesem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar sind. Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, so gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, selbst während des Ruderns, schlagen sich die Indianer beständig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Insekten zu verscheuchen. Im Schlaf schlagen sie, ungestüm in allen ihren Bewegungen, auf sich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das persische Märchen vom Bären, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirn seines Herrn totschlägt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grausam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupferfarbige Rasse fähig ist, waren indianische Weiber beschäftigt, mit einem spitzen Knochen die kleine Masse geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut ein geflecktes Aussehen gibt, auszustechen. Eines der bar- barischten Völker am Orinoko, die Otomaken, kennt den Ge- brauch der Mosquiteros (Fliegennetze), die aus den Fasern der Murichipalme gewoben werden. Wir haben oben gesehen, daß die Farbigen in Higuerote an der Küste von Caracas sich zum Schlafen in den Sand graben. In den Dörfern am Magdalenenfluß forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der Plaza grande auf Ochsen- häute zu legen. Man hatte daselbst alles Vieh aus der Um- gegend zusammengetrieben, denn in der Nähe desselben findet der Mensch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am oberen Orinoko oder am Cassiquiare sahen, daß Bonpland wegen der unaufhörlichen Moskitoplage seine Pflanzen nicht einlegen konnte, forderten sie ihn auf, in ihre Hornitos (Oefen) zu gehen. So heißen kleine Gemächer ohne Thüre und Fenster, in die man durch eine ganz niedrige Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittels eines Feuers von feuchtem Strauch- werk, das viel Rauch gibt, jagt man die Insekten hinaus und verschließt dann die Oeffnung des Ofens. Daß man jetzt die Moskiten los ist, erkauft man ziemlich teuer; denn bei der stockenden Luft und dem Rauch einer Kopalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entsetzlich heiß darin. Bonpland hat mit einem Mut und einer Geduld, die das höchste Lob ver- dienen, viele hundert Pflanzen in diesen Hornitos der In- dianer getrocknet. Die Mühe, die sich die Eingeborenen geben, um die Insektenplage zu lindern, beweist hinlänglich, daß der kupfer- farbige Mensch trotz der verschiedenen Organisation seiner Haut für die Mückenstiche empfindlich ist so gut wie der Weiße; aber, wir wiederholen es, beim ersteren scheint der Schmerz nicht so stark zu sein und der Stich hat nicht die Geschwulst zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederkehrt, die Reizbarkeit der Haut steigert und empfindliche Personen in den fieberhaften Zustand versetzt, der allen Aus- schlagskrankheiten eigen ist. Die im tropischen Amerika ge- borenen Weißen und die Europäer, die sehr lange in den Missionen in der Nähe der Wälder und an den großen Flüssen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als frisch angekommene Europäer. Es kommt also nicht, wie manche Reisende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhält, mehr oder weniger schmerzt, und bei den Indianern tritt nicht deshalb weniger Geschwulst und Entzündung ein, weil ihre Haut eigentümlich organisiert ist, vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nerven- systems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, so versetzt man die Haut in einen Zu- stand nervöser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zöge sich alle Em- pfindung in die Hautdecken. Da die Moskiten und die Schnaken zwei Dritteile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüssen durchzogenen Wäldern diese bösartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzu- halten, wo ihre Verwandelung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen sich auch die wilden Indianer ( Indios monteros ) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christ- lichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, von der sie daheim im inneren Lande fast nichts wissen. Man sah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskiten. Leider sind gleich anfangs alle Missionen am Orinoko zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so könnten sie freier atmen und fänden einige Ruhe. La nube de moscos, die Mückenwolke — so sagen die Mönche — schwebt nur über dem Orinoko und seinen Nebenflüssen; die Wolke zerteilt sich mehr und mehr, wenn man von den Flüssen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den großen, 1800 km breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem unteren Orinoko nach den Flußthälern beurteilte, die dadurch hinziehen. Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die gesellig lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man sieht an ge- wissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda- lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den Jejen . Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinsekt ist. Seit dem Jahre 1801 aber ist die große Schnake mit blauen Flügeln ( Culex cyanopterus ) in solchen Massen erschienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nacht- ruhe verschaffen sollen. In den sumpfigen Kanälen ( esteros ) auf der Insel Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß- lichte Mücke, Cafasi genannt. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum sichtbar und verursacht doch äußerst schmerzhafte Geschwülste. Man muß die Toldos oder Baumwollen- gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Fäden durchschlüpfen kann. Dieses zum Glück sonst ziemlich seltene Insekt geht im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an, aber keine Jejen mehr. Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen bei denselben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirksam- keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem schneidenden und am unteren Ende gezahnten Saugrüssel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoko sind die lästigsten oder, wie die Kreolen sagen, die wildesten ( los mas feroces ) Insekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag- dalenenstrom ist der Culex cyanopterus besonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er ist dort größer und stärker und seine Beine sind schwärzer. Man kann sich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Missionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskiten in verschiedenen Strichen des- selben Flusses streiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, ist dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. „Wie sehr be- daure ich Euch!“ sagte beim Abschied der Missionär aus den Raudales zu dem am Cassiquiare. „Ihr seid allein wie ich in diesem Lande der Tiger und der Affen; Fische gibt es hier noch weniger, und heißer ist es auch; was aber meine Mücken ( mis moscas ) anbelangt, so darf ich mich rühmen, daß ich mit einer von den meinen drei von den Euren schlage.“ Diese Gefräßigkeit der Insekten an gewissen Orten, diese Blutgier, womit sie den Menschen anfallen, Diese Gefräßigkeit, diese Blutgier bei kleinen Insekten, die sonst von Pflanzensäften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. „Was fräßen die Tiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen?“ sagen oft die Kreolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be- deckte Krokodile und behaarte Affen gibt. die ungleiche Wirksamkeit des Giftes bei derselben Art sind sehr merk- würdige Erscheinungen; es stellen sich ihnen jedoch andere aus den Klassen der großen Tiere zur Seite. In Angostura greift das Krokodil den Menschen an, während man in Nueva Barcelona im Rio Neveri mitten unter diesen fleischfressenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguare in Maturin, Cuma- nacoa und auf der Landenge von Panama sind feig denen am oberen Orinoko gegenüber. Die Indianer wissen recht gut, daß die Affen aus diesem und jenem Thale leicht zu zähmen sind, während Individuen derselben Art, die man anderswo fängt, lieber Hungers sterben, als sich in die Ge- fangenschaft ergeben. Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gesundheit der Gegenden und der Krankheitserscheinungen Systeme ge- bildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und diese Systeme widersprechen sich, gleichfalls wie bei uns, in den verschiedenen Provinzen, in die der neue Kontinent zerfällt, ganz und gar. Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskiten lästig, aber sie gelten für sehr gesund. „Diese Tiere,“ sagen die Leute, „machen uns kleine Aderlässe und schützen uns in einem so furchtbar heißen Land vor dem Tabardillo , dem Scharlachfieber, und anderen entzündlichen Krankheiten.“ Am Orinoko, dessen Ufer höchst ungesund sind, schreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskiten zu. „Diese Insekten entstehen aus der Fäulnis und vermehren sie; sie entzünden das Blut ( vician y incienden el sangre ).“ Der Volksglaube, als wirkten die Moskiten durch örtliche Blutentziehung heilsam, braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wissen die Bewohner sumpfiger Länder gar wohl, daß die Insekten das Hautsystem reizen und durch das Gift, das sie in die Wunden bringen, die Funktionen desselben steigern. Durch die Stiche wird der entzündliche Zustand der Haut- bedeckung nicht nur nicht vermindert, sondern gesteigert. Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur inso- fern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicke- lung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen abhängen, aus denen Miasmen entstehen. Diese lästigen Tiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mitteren Grad von Licht, Wärmestoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitäten Vor- schub leistet und damit die Fäulnis organischer Substanzen beschleunigt. Tragen die Moskiten an sich zur Ungesundheit der Luft bei? Bedenkt man, das bis auf 5 bis 8 m vom Boden im Kubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter Insekten Bei dieser Gelegenheit soll nur daran erinnert werden, daß der Kubikfuß 2985984 Kubiklinien enthält. enthalten ist, die eine ätzende, giftige Flüssigkeit bei sich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruststücks (die Füße ungerechnet) an 4 mm lang sind; endlich daß in dem Schnaken- und Mückenschwarm, der wie ein Rauch die Luft erfüllt, sich eine Menge toter Insekten befinden, die durch den aufsteigenden Luftstrom oder durch seitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte Ströme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine solche Anhäufung von tierischen Stoffen in der Luft nicht zur ört- lichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube, diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine Behauptung aufzustellen. Von den vielen Rätseln, welche das Ungesundsein der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöst; sie hat uns nur so viel gelehrt, daß wir gar vieles nicht wissen, was wir vor 15 Jahren dank den sinnreichen Träumen der alten Eudiometrie zu wissen meinten. Nicht so ungewiß und fast durch tägliche Erfahrungen bestätigt ist der Umstand, daß am Orinoko, am Cassiquiare, am Rio Caura, überall, wo die Luft sehr ungesund ist, der Stich der Moskiten die Disposition der Organe zur Aufnahme der Miasmen steigert. Wenn man monatelang Tag und Nacht von den Insekten gepeinigt wird, so erzeugt der be- ständige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwächt, infolge des schon frühe erkannten Antagonismus zwischen dem gastri- schen und dem Hautsystem, die Verrichtung des Magens. Man fängt an schwer zu verdauen, die Entzündung der Haut veranlaßt profuse Schweiße, den Durst kann man nicht löschen, und auf die beständig zunehmende Unruhe folgt bei Personen von schwacher Konstitution eine geistige Niedergeschlagenheit, in der alle pathogenischen Ursachen sehr heftig einwirken. Gegenwärtig sind es nicht mehr die Gefahren der Schiffahrt in kleinen Kanoen, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguare, was den Spaniern die Reise auf dem Orinoko bedenklich macht, sondern nur, wie sie naiv sich ausdrücken, „el sudar y las moscas” (der Schweiß und die Mücken). Es ist zu hoffen, daß der Mensch, indem er die Bodenfläche umgestaltet, damit auch die Beschaffenheit der Luft allmählich umändert. Die Insekten werden sich ver- mindern, wenn einmal die alten Bäume im Walde verschwun- den sind und man in diesen öden Ländern die Stromufer mit Dörfern besetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfeldern bedeckt sieht. Wer lange in von Moskiten heimgesuchten Ländern ge- lebt hat, wird gleich uns die Erfahrung gemacht haben, daß es gegen die Insektenplage kein Radikalmittel gibt. Die mit Onoto, Bolus oder Schildkrötenfett beschmierten Indianer klatschten sich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Rücken und Beine, ungefähr wie wenn sie gar nicht bemalt wären. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verschafft; so viel ist aber gewiß, daß es nicht schützt. Die Europäer, die eben erst an den Ori- noko, den Magdalenenstrom, den Guayaquil oder den Rio Chagre kommen (ich nenne hier die vier Flüsse, wo die In- sekten am furchtbarsten sind), bedecken sich zuerst Gesicht und Hände; bald aber fühlen sie eine unerträgliche Hitze, die Lange- weile, da sie gar nichts thun können, drückt sie nieder, und am Ende lassen sie Gesicht und Hände frei. Wer bei der Flußschiffahrt auf jede Beschäftigung verzichten wollte, könnte aus Europa eine eigens verfertigte, sackförmige Kleidung mit- bringen, in die er sich steckte und die er nur alle halbe Stunden aufmachte; der Sack müßte durch Fischbeinreife ausgespannt sein, denn eine bloße Maske und Handschuhe wären nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Häuten oder in Hänge- matten lagen, hätten wir uns auf dem Orinoko der Fliegen- netze ( toldos ) nicht bedienen können. Der Toldo leistet nur dann gute Dienste, wenn er um das Lager ein so gut ge- schlossenes Zelt bildet, daß auch nicht die kleinste Oeffnung bleibt, durch die eine Schnake schlüpfen könnte. Diese Be- dingung ist aber schwer zu erfüllen, und gelingt es auch (wie zum Beispiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenstrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reist), so muß man, um nicht vor Hitze zu ersticken, den Toldo verlassen und sich in freier Luft ergehen. Ein schwacher Wind, Rauch, starke Ge- rüche helfen an Orten, wo die Insekten sehr zahlreich und gierig sind, so gut wie nichts. Fälschlich behauptet man, die Tierchen fliehen vor dem eigentümlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Car- tagena nach Honda wurden wir jämmerlich zerstochen, wäh- rend wir ein 3,5 m langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpestete. Die Indianer loben sehr den Dunst von brennendem Kuhmist. Ist der Wind sehr stark und regnet es dabei, so verschwinden die Moskiten auf eine Weile; am grausamsten stechen sie, wenn ein Gewitter im Anzug ist, besonders wenn auf die elektrischen Entladungen keine Regen- güsse folgen. Alles, was um Kopf und Hände flattert, hilft die In- sekten verscheuchen. „Je mehr ihr euch rührt, desto weniger werdet ihr gestochen,“ sagen die Missionäre. Der Zancudo summt lange umher, ehe er sich niedersetzt; hat er dann ein- mal Vertrauen gefaßt, hat er einmal angefangen, seinen Saug- rüssel einzubohren und sich voll zu saugen, so kann man ihm die Flügel berühren, ohne daß er sich verscheuchen läßt. Er streckt währenddessen seine beiden Hinterfüße in die Luft, und läßt man ihn ungestört sich satt saugen, so bekommt man keine Geschwulst, empfindet keinen Schmerz. Wir haben diesen Versuch im Thale des Magdalenenstroms nach dem Rate der Indianer oft an uns selbst gemacht. Man fragt sich, ob das Insekt die reizende Flüssigkeit erst im Augenblick ergießt, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Flüssigkeit wieder aufpumpt, wenn man es saugen läßt, so viel es will? Letztere Annahme scheint mir die wahrschein- lichere; denn hält man dem Culex cyanopterus ruhig den Handrücken hin, so ist der Schmerz anfangs sehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Insekt fortsaugt, und hört ganz auf im Moment, wo es von selbst fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut gestochen und die Stiche mit zerdrückten Moskiten ( mosquitos machucados ) gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Flüssigkeit der Diptera Nemocera, die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Säure verhält, ist, wie bei den Ameisen und anderen Hymenopteren, in eigenen Drüsen enthalten; dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verdünnt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Tiere reibt. Ich habe am Ende dieses Kapitels alles zusammen- gestellt, was wir auf unseren Reisen über Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlässigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevölkerung, die Gesundheit der Länder und die Grün- dung neuer Kolonieen an den Strömen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluß sind. Ich bedarf wohl keiner Recht- fertigung, daß ich diesen Gegenstand mit einer Umständlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen könnte, fiele nicht der- selbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Einbildungskraft wird nur vom Großen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie geflügelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugrüssel eine die Haut reizende Flüssigkeit bergen, große Länder fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten (Comejen), setzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tro- pischen Erdstriches der Entwickelung der Kultur schwer zu be- siegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament; sie zerstören Archive und Biblio- theken. In ganzen Provinzen von Spanisch-Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie soll sich die Kultur bei den Völkern entwickeln, wenn nicht Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse öfters erneuern muß, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht überliefert wer- den kann? Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinauf- kommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort atmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen ohne Furcht vor gefährlichen Ter- miten. In 390 m Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten sind in 580 m Höhe sehr häufig, aber in Mexiko, Santa F é de Bogota und Quito kommen sie selten vor. In diesen großen Hauptstädten auf dem Rücken der Kordilleren findet man Bibliotheken und Archive, die sich durch die Teilnahme gebildeter Bewohner täglich vermehren. Zu diesen Verhältnissen, die ich hier nur flüchtig berühre, kommen andere, welche der Alpenregion das moralische Uebergewicht über die niederen Regionen des heißen Erdstrichs sichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, infolge der Erdumwälzungen, die der Erneuerung unseres Geschlechts vorangegangen, sei der Mensch von den Gebirgen in die Niederungen herabgestiegen, so läßt sich noch weit bestimmter annehmen, daß diese Berge, die Wiege so vieler und so verschiedener Völker, in der heißen Zone für alle Zeit der Mittelpunkt der Gesittung bleiben werden. Von diesen fruchtbaren, gemäßigten Hochebenen, von diesen Inseln im Ozean der Luft, werden sich Aufklärung und der Segen gesellschaftlicher Einrichtungen über die unermeßlichen Wälder am Fuße der Anden verbreiten, die jetzt noch von Stämmen bewohnt sind, welche eben die Fülle der Natur in Trägheit niedergehalten hat. Einundzwanzigstes Kapitel. Der Raudal von Garcita. — Maypures. — Die Katarakte von Quituna. — Der Einfluß des Vichada und Zama. — Der Fels Aricagua. — Siquita. Unsere Piroge lag im Puerto de Arriba , oberhalb des Katarakts von Atures, dem Einfluß des Rio Cataniapo gegenüber; wir brachen dahin auf. Auf dem schmalen Wege, der zum Landungsplatze führt, sahen wir den Pik Uniana zum letztenmal. Er erschien wie eine über dem Horizont der Ebenen aufsteigende Wolke. Die Guahibosindianer ziehen am Fuße dieser Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vichada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Flusse die Felsen bei der Höhle von Ataruipe; wir hatten aber nicht Zeit, diese Grabstätte des ausgestorbenen Stammes der Atures zu besuchen. Wir bedauerten dies um so mehr, da Pater Zea nicht müde wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Höhle, von den großen Gefäßen aus ge- brannter Erde, in welchen je die Gebeine einer Familie zu liegen scheinen, und von vielen anderen merkwürdigen Dingen zu erzählen, so daß wir uns vornahmen, dieselben auf der Rückreise vom Rio Negro in Augenschein zu nehmen. „Sie werden es kaum glauben,“ sagte der Missionär, „daß diese Gerippe, diese bemalten Töpfe, diese Dinge, von denen wir meinten, kein Mensch in der Welt wisse davon, mir und meinem Nachbar, dem Missionär von Carichana, Unglück gebracht haben. Sie haben gesehen, wie elend ich in den Raudales lebe, von den Moskiten gefressen, oft nicht einmal Bananen und Maniok im Hause! Und dennoch habe ich Neider in diesem Lande gefunden. Ein Weißer, der auf den Weiden zwischen dem Meta und dem Apure lebt, hat kürzlich der Audiencia in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Missionär von Carichana gefunden, A. v. Humboldt , Reise. III. 11 unter den Gräbern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa F é de Bogota haben zum voraus ge- wußt, daß die Gesellschaft werde aufgehoben werden; da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefäße beiseite schaffen wollen und dieselben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoko geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Raudales zu verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Oberen mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, persönlich zu erscheinen. Wir mußten ganz umsonst eine Reise von 675 km machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menschengebeine, Marder und vertrocknete Fleder- mäuse; man ernannte mit großer Wichtigkeit Kommissäre, die sich hierher begeben und an Ort und Stelle inspizieren sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sei. Aber wir können lange auf die Kommissäre warten. Wenn sie auf dem Orinoko bis San Borja heraufkommen, werden sie vor den Moskiten Angst bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke ( nube de moscas ), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen.“ Diese Geschichte des Missionärs wurde uns später in Angostura aus dem Munde des Statthalters vollkommen be- stätigt. Zufällige Umstände geben zu den seltsamsten Ver- mutungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europäischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstücken, Rosenkränzen und Glaswaren. Man vermutete, die Gegenstände haben portu- giesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para an- gehört, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoko über Trageplätze und die Flußverbindungen im Inneren nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seien den Seuchen, die in den Raudales so häufig sind, erlegen und ihre Kisten den In- dianern in die Hände gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besaßen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Märchen von einem versteckten Schatze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, sogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die französischen Aka- demiker bei der Messung des Meridians errichtet, für ein Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inka gilt, so kann am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat, als Kapuziner und Observanten, dessen Reichtum und dessen Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr über- trieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa F é ver- haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge be- sitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluß, die Schätze seien allerdings vorhanden gewesen, aber treuen In- dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un- zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vincente Orosco, ein spanischer Genieoffizier, erzählte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Cen- turion den Auftrag gehabt, die Missionäre in Carichana zu verhaften, und dabei sei ihnen eine indianische Piroge be- gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem fruchtlosen Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe, in dem der in Santa F é residierende Superior der Gesell- schaft die Missionäre am Orinoko von den Verfolgungen be- nachrichtigte, welche die Jesuiten in Neugranada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Re- gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurden. Acht Indianer von Atures hatten unsere Piroge durch die Raudales geschafft; sie schienen mit dem mäßigen Lohne, der ihnen gereicht wurde, Kaum 30 Sous der Mann. gar wohl zufrieden. Das Geschäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuständen und dem Daniederliegen des Handels in den Missionen am Orinoko zu geben, merke ich hier an, daß der Missionär in drei Jahren, außer den Fahr- zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio Negro jährlich nach Angostura schickt, um die Löhnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fünf Pirogen vom oberen Orinoko, die zur Schildkröteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Kanoen sah. Am 17. April. Nach dreistündigem Marsche kamen wir gegen 11 Uhr morgens bei unserem Fahrzeuge an. Pater Zea ließ mit unseren Instrumenten den wenigen Mundvorrat einschiffen, den man für die Reise, die er mit uns fortsetzen sollte, hatte auftreiben können: ein paar Bananenbüschel, Maniok und Hühner. Dicht am Landungsplatze fuhren wir am Einflusse des Cataniapo vorbei, eines kleinen Flusses, an dessen Ufern, drei Tagereisen weit, die Macos oder Piaroas hausen, die zur großen Familie der Salivas-Völker gehören. Wir haben oben Gelegenheit gehabt, ihre Gutmütigkeit und ihre Neigung zur Landwirtschaft zu rühmen. Im Weiterfahren fanden wir den Orinoko frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir über den Raudal von Garcita, dessen Stromschnellen bei Hochwasser leicht zu über- winden sind. Im Osten kommt die kleine Bergkette Cuma- daminari zum Vorschein, die aus Gneis, nicht aus geschich- tetem Granit besteht. Auffallend war uns eine Reihe großer Löcher mehr als 58 m über dem jetzigen Spiegel des Orinoko, die dennoch vom Wasser ausgewaschen scheinen. Wir werden später sehen, daß diese Erscheinung beinahe in derselben Höhe an den Felsen neben den Katarakten von Maypures und 225 km gegen Ost beim Einflusse des Rio Jao vorkommt. Wir übernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Insel Tomo. Die Nacht war schön und hell, aber die Moskitoschicht nahe am Boden so dick, daß ich mit dem Nivellement des künstlichen Horizontes nicht fertig werden konnte und um die Sternbeobachtung kam. Ein Quecksilber- horizont wäre mir auf dieser Reise von großem Nutzen ge- wesen. Am 18. April. Wir brachen um 3 Uhr morgens auf, um desto sicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen Raudal de Guahibos bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einflusse des Rio Tomo an; die Indianer lagerten sich am Ufer, um ihr Essen zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen 5 Uhr abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Strömung hinaufzukommen und eine Wassermasse zu überwinden, die sich von einer mehrere Fuß hohen Gneisbank stürzt. Ein Indianer schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften teilt; man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Piroge nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auf- treiben können, aus. Zu unserer Ueberraschung sahen wir, daß auf dem natürlichen Wehre, über das sich der Strom stürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen. Der Gneisfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 1,3 m tief und 48 cm weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Körper entstanden zu sein. Unser Stand- punkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unser Begleiter, der Missionär, bekam seinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durst zu löschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen küh- lenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Gre- nadillen oder Früchten der Passionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüssigkeiten mischen konnte, so goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete ) Flußwasser in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der sauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das fast eine Schwelgerei am unwirtbaren Ort; aber der Drang des Be- dürfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer. Nachdem wir unseren Durst gelöscht, hatten wir große Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Fels- damm, auf dem wir standen, und bemerkten, daß er in seinem oberen Teile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getöse des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwähne dieser kleinen Umstände, einmal weil sie unsere Art zu reisen lebendig schildern, und dann weil sie allen, die große Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umständen im Leben sich Genuß verschaffen kann. Nach einer Stunde Harrens sahen wir endlich die Piroge über den Raudal heraufkommen. Man lud die Instrumente und Vorräte wieder ein und wir eilten, vom Felsen der Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß ist 1560 m breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts schief darüber fahren, an einem Punkte, wo das Wasser, weil das Bett stärker fällt, dem Wehre zu, über das es sich stürzt, mit großer Gewalt hinunter- zieht. Wir wurden von einem Gewitter überrascht, bei dem zum Glück kein starker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Diese Augenblicke der Span- nung kamen uns gewaltig lang vor. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wenn sie in einer verfänglichen Lage zu sein glauben. Indessen verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an. Die Gewitter unter den Tropen sind ebenso kurz als heftig. Zwei Blitzschläge waren ganz nahe an unserer Piroge gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich führe diesen Fall an, weil man in diesen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektrisch geladen sind, stehen so hoch, daß der Blitz seltener in den Boden schlage als in Europa. Die Nacht war sehr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durch- näßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unschlüssig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unsern Weg zu Fuß fortsetzen sollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Missionär ist, wollte durchaus noch nach Hause kommen. Er hatte angefangen, sich durch die Indianer in der Mission ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu lassen. „Sie finden dort,“ meinte er naiv, „dieselbe Be- quemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Bank, aber Sie hätten nicht so viel von den Mücken zu leiden; denn so unverschämt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluß.“ Wir folgten dem Rat des Missionärs und er ließ Ko- palfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, 6 mm dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glatte Felsbänke, und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf Baumstämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt (der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unser Gefährte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr besorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter- gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich ziemlich fertig auf spanisch ausdrückte, ermangelte nicht, davon zu sprechen, daß wir leicht von Ottern, Wasserschlangen und Tigern angegriffen werden könnten. Solches ist eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem euro- päischen Reisenden Angst einjagen, sich notwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste Bursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie überall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschie- denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter dem absoluten und hie und da etwas quälerischen Regiment der Mönche sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy- sischen und geistigen Schwäche sind. Da wir in der Mission San Jose de Maypures in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf; man hörte nichts als das Geschrei der Nachtvögel und das ferne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brausen eines Wasserfalles etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Jose Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt als Atures. Der Raudal von Maypures, von den Indianern Qui- tuna genannt, entsteht, wie alle Wasserfälle, durch den Wider- stand, den der Fluß findet, indem er sich durch einen Fels- grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Ortes kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General- gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß sich der Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern ließe, wenn man zwischen zwei Nebenflüssen des Orinoko, in einem Thale, das früher das Strombett gewesen zu sein scheint, einen Kanal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Ca- litamini, zwischen den Quellen der Flüsse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieser Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, nämlich am öst- lichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen sich die Berge in einen Bogen zurück und bilden, wie eine felsige Küste, eine nach Südwest offene Bucht. Zwischen dem Ein- flusse des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses großartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt. Gegenwärtig fließt der Orinoko am Fuße der östlichen Bergkette. Vom westlichen Landstriche hat er sich ganz weg- gezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum 10 m über dem mittleren Wasserstande, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstämmen die kleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Hütten. Im trockenen Grunde, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz ähnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco im verlassenen Strombett westlich von Maypures mit den Inseln Uvitari und Camanitamini verglich, die östlich von der Mission gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gegend, das inselhafte Ansehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegensten Hügel, die Löcher, welche das Wasser im Felsen Oco ausgespült zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (48 bis 58 m hoch) wie die Höhlungen an der Insel Uvitari gegenüber — alle diese Umstände zusammen beweisen, daß diese ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Wasser stand. Das Wasser bildete hier wahrscheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieser Damm durch- brochen wurde, erschien die Grasflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses umgebene Insel. Man kann annehmen, der Orinoko habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem Fels, der darin steht, den Keri-Grund nennen wollen; erst als das Wasser allmählich fiel, zog es sich ganz gegen die östliche Kette und ließ den westlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren schwarze Farbe ohne Zweifel von Eisen- und Manganoxyden herrührt, scheinen die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen. Man findet dieselben auf allem Gestein, weit weg von der Mission, und sie weisen darauf hin, daß hier einst das Wasser gestanden. Geht man den Fluß hinauf, so ladet man die Fahrzeuge am Einflusse des Toparo in den Orinoko aus und übergibt sie den Eingeborenen, die den Raudal so genau kennen, daß sie für jede Staffel einen besonderen Namen haben. Sie bringen die Kanoen bis zum Einflusse des Cameji, wo die Gefahr für überstanden gilt. Der Katarakt von Quituna oder Maypures stellt sich in den zwei Zeitpunkten, in denen ich denselben beim Hinab- und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Bilde dar. Er besteht, wie der von Mapara oder Atures, aus einem Archipel von Inseln, die auf einer Strecke von 5,8 km das Strombett verstopfen, und aus Felsdämmen zwischen diesen Inseln. Die berufensten unter diesen Dämmen oder natürlichen Wehren sind: Purimarimi, Manimi und der Salto de la Sardina (der Sardellensprung). Ich nenne sie in der Ordnung, wie ich sie von Süd nach Nord aufeinander folgen sah. Die letztere dieser drei Staffeln ist gegen 3 m hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen pracht- vollen Fall. Aber, ich muß das wiederholen, das Getöse, mit dem die Wasser niederstürzen, gegeneinander stoßen und zerstäuben, hängt nicht sowohl von der absoluten Höhe jeder Staffel, jedes Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Strudel, von der Stellung der Inseln und Klippen am Fuß der Raudalitos oder partiellen Fälle, von der größeren oder geringeren Weite der Kanäle, in denen das Fahrwasser oft nur 7 bis 10 m breit ist. Die östliche Hälfte der Kata- rakte von Maypures ist weit gefährlicher als die westliche, weshalb auch die indianischen Steuerleute die Kanoen vor- zugsweise am linken Ufer hinauf- und hinabschaffen. Leider liegt bei niedrigem Wasser dieses Ufer zum Teil trocken, und dann muß man die Pirogen tragen , das heißt auf Walzen oder runden Baumstämmen schleppen. Wir haben schon oben bemerkt, daß bei Hochwasser (aber nur dann) der Raudal von Maypures leichter zu passieren ist als der von Atures. Um diese wilde Landschaft in ihrer ganzen Großartigkeit mit einem Blicke zu umfassen, muß man sich auf den Hügel Manimi stellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Mis- sionskirche aus der Savanne aufsteigt und nichts ist als eine Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht sich nicht satt an diesem außerordentlichen Schauspiel in einem der entlegentsten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felsen erreicht, so liegt auf einmal, 4 bis 5 km weit, eine Schaum- fläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmassen eisen- schwarz aufragen. Die einen sind, je zwei und zwei bei- sammen, abgerundete Massen, Basalthügeln ähnlich; andere gleichen Türmen, Kastellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düstere Färbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wasserschaums ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kräftiger Bäume bewachsen. Vom Fuße dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strome, und über den weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Diese großartigen Gewächse — wie nennt man sie? Ich glaube es ist der Vadgiai , eine neue Art der Gattung Oreodoxa, deren Stamm über 25 m hoch ist. Die einen Federbusch bildenden Blätter dieser Palme sind sehr glänzend und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde nimmt sich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darüber, bald bricht sich der Strahl der unter- gehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhüllt. Farbige Bogen bilden sich, verschwinden und er- scheinen wieder, und im Spiel der Lüfte schwebt ihr Bild über der Fläche. Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal ge- äußert: weder die Zeit noch der Anblick der Kordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexiko haben den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Kata- rakte auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer Landschaften, deren Hauptreize strömende Wasser und ein kräf- tiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über eine Dunstschicht empor- ragen. Es ist mit den großartigen Naturszenen wie mit dem Höchsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und sich unser Leben lang in unsere Empfindung mischen, so oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt. Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigentümlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächse mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser An- blick hat für den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederstürzt, so denkt er sich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Wasserfälle sich mischt, wo am düsteren, nebeligen Tage die Wolken in das Thal heruntersteigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Festländer unter den Tropen hat die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die selbst da sich nicht verleugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hindernissen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inseln, in pflanzenlosen Wüsten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit sehr abweichender Strahlung ruht. Der Hügel Manimi bildet die östliche Grenze einer Ebene, auf der man dieselben für die Geschichte der Vegetation, das heißt ihrer allmählichen Entwickelung auf nackten, kahlen Bodenstrecken wichtigen Erscheinungen beobachtet, wie wir sie oben beim Raudal von Atures beschrieben. In der Regenzeit schwemmt das Wasser Dammerde auf dem Granitgestein zu- sammen, dessen kahle Bänke wagerecht daliegen. Diese mit den schönsten, wohlriechendsten Gewächsen geschmückten Land- eilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich schwer zugänglichen Klippen wächst die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen. An einem Platze, wo wir tags zuvor gebadet hatten, am Fuße des Felsen Manimi, schlugen die Indianer eine 2,4 m lange Schlange tot, die wir mit Muße untersuchen konnten. Die Macos nannten sie Camudu ; der Rücken hatte auf schön gelbem Grunde teils schwarze, teils braun- grüne Querstreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein schönes, nicht giftiges Tier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 5 m lang wird. Ich hielt den Camudu anfangs für eine Boa, sah aber zu meiner Ueberraschung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen geteilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Kontinents; ich sage vielleicht, denn große Naturforscher (Cuvier) scheinen anzunehmen, daß alle Pythone der Alten, alle Boa der Neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius War es Coluber Elaphis, oder Coluber Aesculapii, oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getötet worden? eine afrikanische und südeuropäische Schlange war, so hätte Daudin wohl die amerikanischen Boa Pythone und die indischen Pythone Boa nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheu- ren Reptil, das Menschen, sogar große Vierfüßer packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Küste von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen ist, so gewöhnt man sich doch nur schwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit südlicheren Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenklatur nicht durch neue Vorschläge zur Abänderung vermehren, und be- merke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Kolonisten in Guyana, doch die Missionäre und die latinisierten Indianer in den Missionen ganz gut die Traga Venadas (Zauberschlangen, echte Boa mit einfachen Afterschuppen) von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen Wasserottern (Pythone mit doppelten Afterschuppen), unter- scheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querstreifen, sondern eine Kette rautenförmiger oder sechs- eckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trockenen Orten, andere lieben das Wasser, wie die Pythone oder Culebras de agua. Geht man nach Westen, so sieht man die runden Hügel oder Eilande im verlassenen Orinokoarm mit denselben Palmen bewachsen, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Einer dieser Felsen, der sogenannte Keri, ist im Lande berühmt wegen eines weißen, weithin glänzenden Flecks, in dem die Eingeborenen ein Bild des Vollmondes sehen wollen. Ich konnte die steile Felswand nicht erklimmen, wahrscheinlich aber ist der weiße Fleck ein mächtiger Quarzknoten, wie zusammen- scharende Gänge sie im Granit, der in Gneis übergeht, häufig bilden. Gegenüber dem Keri oder Mondfelsen , am Zwil- lingshügel Uvitari, der ein Eiland mitten in den Katarakten ist, zeigen einem die Indianer mit geheimnisvoller Wichtigkeit einen ähnlichen weißen Fleck. Derselbe ist scheibenförmig, und sie sagen, es sei das Bild der Sonne, Camosi. Vielleicht hat die geographische Lage dieser beiden Dinge Veranlassung ge- geben, sie so zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camosi gegen Aufgang. Da die Sprachen die ältesten geschichtlichen Denkmäler der Völker sind, so haben die Sprachforscher die Aehnlichkeit des amerikanischen Wortes Camosi mit dem Worte Kamosch , das in einem semitischen Dialekt ursprüng- lich Sonne bedeutet zu haben scheint, sehr auffallend gefun- den. Diese Aehnlichkeit hat zu Hypothesen Anlaß gegeben, die mir zum wenigsten sehr gewagt scheinen. Im Jahre 1806 erschien in Leipzig ein Buch unter dem Titel: „Untersuchungen über die von Humboldt am Orinoko ent- deckten Spuren der phönizischen Sprache“. Der Gott der Moabiter, Chamos oder Kamosch, der den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Ammianus Marcellinus sprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Wintersolstitium; was will man aber aus einer einzelnen, zufälligen Lautähnlichkeit in Sprachen schließen, die sonst nichts miteinander gemein haben? Betrachtet man die Namen der von den spanischen Mönchen gestifteten Missionen, so irrt man sich leicht hin- sichtlich der Bevölkerungselemente, mit denen sie gegründet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jesuiten, als sie diese Dörfer erbauten, Maypuresindianer, aber die Mission Maypures selbst wurde nicht mit Indianern dieses Namens gegründet, vielmehr mit Guipunabisindianern, die von den Ufern des Irimida stammen und nach der Sprach- verwandtschaft, samt den Maypures, Cabres, Avani und viel- leicht den Pareni, demselben Zweig der Orinokovölker ange- hören. Zur Zeit der Jesuiten war die Mission am Raudal von Maypures sehr ansehnlich; sie zählte 6000 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevölkerung auf weniger als 60 herab- gesunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in diesem Teile von Südamerika die Kultur seit einem halben Jahr- hundert zurückgegangen ist, während wir jenseits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000 bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures sind ein sanftmütiges, mäßiges Volk, das sich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoko haben nicht den wüsten Hang zu geistigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros, Achaguas und Kariben berauschen sich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und so mancher anderen gegorenen Getränke, die sie aus Maniok, Mais und zucker- haltigen Palmfrüchten zu bereiten wissen; die Reisenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und sehr erschöpft schienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müssen erst länger in diesen Ländern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbreiten, die unter den Indianern an den Küsten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein- geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den- selben in den Häusern der Missionäre selten begegnet. Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais. 35 bis 40 kg Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brot, kosten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoko haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getränke, das im Lande sehr berühmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Mission, am Ufer des Auvana wild wächst. Dieser Baum ist der Seje; ich habe an einer Blütentraube 44000 Blüten geschätzt; der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fleischige Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vom Fleische trennt, das zuckersüß ist, und sofort in einem großen Gefäß mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelbliche Flüssigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man setzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der Missionär versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo sie Sejesaft trinken, sichtlich fetter; sie brocken Kassavekuchen hinein. Die Piaches , oder indianischen Gaukler, gehen in die Wälder und blasen unter der Sejepalme auf dem Botuto (der heiligen Trompete). „Dadurch,“ sagen sie, „wird der Baum gezwungen, im folgenden Jahre reichen Ertrag zu geben.“ Das Volk bezahlt für diese Zeremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei uns, Schamanen, Marabutin und andere Arten von Priestern dafür bezahlt, daß sie mit Zaubersprüchen oder Gebeten die weißen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang- anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren. „Tengo en mi pueblo la fabrica de loza“ (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und führte uns zu einer indianischen Familie, die beschäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, 75 cm hohe Thongefäße zu brennen. Dieses Gewerbe ist den verschiedenen Zweigen des großen Volksstammes der Maypures eigentümlich und sie scheinen dasselbe seit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem mensch- lichen Wohnsitz, stößt man, wenn man den Boden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Lieb- haberei für diese Arbeit scheint früher unter den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas gleich verbreitet gewesen zu sein. Im Norden von Mexiko, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekischen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miami, in Florida und überall, wo sich Spuren einer alten Kultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geschirren. Und höchst auffallend ist die durch- gängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und solche civilisierten Völker, die durch ihre staatlichen und reli- giösen Einrichtungen dazu verurteilt sind, immer nur selbst zu kopieren, Die Hindu, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Aegypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massenkultur die freie Entwickelung der Geistesthätigkeit in den Individuen niederhielt. treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen zu wiederholen, an einem eigentümlichen Typus oder Stil fest- zuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nord- amerika wurden Steingutscherben an den Befestigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgestorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unseren Augen Verzierungen, ganz wie wir sie in der Höhle von Ataruipe auf den Ge- fäßen gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind. Es sind wahre „Grecques“, Mäanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen und von einem großen vierfüßigen Tier, von dem ich nicht wußte, was es vorstellen soll, das aber immer dieselbe plumpe Gestalt hat. Ich könnte bei dieser Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elefantenrüssel gedenken, den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexikanischen Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypothese aufstellen, das große vierfüßige Tier auf den Töpfen der Maypures ge- höre einem anderen Lande an und der Typus desselben habe sich auf der großen Wanderung der amerikanischen Völker von Nordwest nach Süd und Südost in der Erinnerung erhalten; wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich stützenden Vermutungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoko haben einen Tapir vorstellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimischen Tieres sei einer der Typen geworden, die sich forterben. Oft hat nur Un- geschick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar ernsthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nach- ahmung zu Grunde. Am geschicktesten führen die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach kombinierten Linien aus, wie wir sie auf den großgriechischen Vasen, auf den mexikanischen Gebäuden in Mitla und auf den Werken so vieler Völker sehen, die, ohne daß sie miteinander in Verkehr gestanden, eben gleiches Vergnügen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unser Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder bestehen, in rhythmischer Folge aneinander gereiht sind. Das Auge ver- hält sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wieder- kehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Auf- einanderfolge von Tönen und Akkorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den Rhythmus schon beim ersten Morgenrot der Kultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt? Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und ar- beiten mit den Händen die größten Gefäße aus. Der ameri- kanische Indianer weiß nichts von der Töpferscheibe, die sich bei den Völkern des Orientes aus dem frühesten Altertum herschreibt. Man kann sich nicht wundern, daß die Missionäre die Eingeborenen am Orinoko nicht mit diesem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man be- denkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den In- dianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen ist. Die Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und roter Ocker, der in Höhlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firnis von Algarobo , dem durchsichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu , die kleineren Mucra , woraus die Spanier an der Küste Mur- cura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoko nicht allein von den Maypures, sondern auch von den Guaypu- nabis, Kariben, Otomaken und selbst von den Guamos, daß sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon Orellana fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas auf, die zu seiner Zeit ein zahlreiches handel- treibendes Volk waren. Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwärts von den Alleghanies, besonders zwischen dem Ohio und den großen kanadischen Seen, findet man im Boden fast überall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dies erscheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die A. v. Humboldt , Reise. III. 12 sich vom Aequator bis zum 8. Grad nördlicher Breite, das heißt vom Fuße der Anden bis zum Atlantischen Meer aus- dehnen, findet man dasselbe bemalte Töpfergeschirr an den einsamsten Orten; aber es kommen damit nur künstlich durch- bohrte Aexte aus Nephrit und anderem harten Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeuge oder Schmuck- sachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Küste und auf dem Rücken der Kordilleren Gold und Kupfer zu schmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von schneidenden Werkzeugen zu legieren verstand. Woher rührt dieser scharfe Gegensatz zwischen der gemäßigten und der heißen Zone? Die peruanischen Inka hatten ihre Eroberungen und Religionskriege bis an den Napo und den Amazonenstrom ausgedehnt, und dort hatte sich auch ihre Sprache auf einem beschränkten Landstrich verbreitet; aber niemals scheint die Kultur der Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neugranada auf den moralischen Zustand der Völker von Guyana irgend einen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Noch mehr: in Nordamerika, zwischen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Systematiker von den Tolteken und Azteken abstammen lassen möchten, aus Erde, zuweilen sogar aus Steinen Aus kieselhaltigem Kalkstein in Pique am großen Miami, aus Sandstein am Paint Creek 45 km von Chillicothe, wo die Mauer 2920 m lang ist. ohne Mörtel 3 bis 5 m hohe und 2,2 bis 2,6 km lange Mauern gebaut. Diese rätselhaften Ringwälle und Ringmauern umschließen oft gegen 150 Morgen Land. Bei den Niederungen am Orinoko, wie bei den Niederungen an der Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittelpunkt einer alten Kultur westwärts auf dem Rücken der Gebirge; aber der Orinoko und die Länder zwischen diesem großen Fluß und dem Amazonenstrom scheinen niemals von Völkern bewohnt gewesen zu sein, deren Bauten dem Zahn der Zeit widerstanden hätten. Sieht man dort auch symbolische Figuren ins härteste Felsgestein eingegraben, so hat man doch südlich vom 8. Breitengrade bis jetzt nie weder einen Grabhügel, noch einen Ringwall, noch Erddämme gefunden, wie sie weiter nordwärts auf den Ebenen von Va- rinas und Canagua vorkommen. Solches ist der Gegensatz zwischen den östlichen Stücken der beiden Amerika, zwischen denen, die sich von der Hochebene von Cundiamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das Atlantische Meer ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neuspanien gegen die Alleghanies hinstreichen. In der Kultur vorgeschrittene Völker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den Casas grandes am Rio Gila entgegentreten, mochten einzelne Stämme gegen Ost in die offenen Fluren am Missouri und Ohio vorschieben, wo das Klima nicht viel anders ist als in Neumexiko; aber in Südamerika, wo die große Völkerströ- mung von Nord nach Süd ging, konnten Menschen, die schon so lange auf dem Rücken der tropischen Kordilleren einer milden Temperatur genossen, keine Lust haben, in die glühend heißen, mit Urwald bedeckten, periodisch von den Flüssen über- schwemmten Ebenen niederzusteigen. Man sieht leicht, wie in der heißen Zone die Ueberfülle des Pflanzenwuchses, die Be- schaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen der Ein- geborenen in starken Haufen beschränkten, Niederlassungen, die eines weiten, freien Raumes bedürfen, nicht aufkommen ließen, das Elend und die Versunkenheit der vereinzelten Horden verewigten. Heutzutage geht die schwache Kultur, wie die spanischen Mönche sie eingeführt, wieder rückwärts. Pater Gili berichtet, zur Zeit der Grenzexpedition habe der Ackerkau am Orinoko angefangen Fortschritte zu machen; das Vieh, besonders die Ziegen hatten sich in Maypures bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieser Mission, noch sonst in einem Dorfe am Orinoko mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefressen. Nur die schwarzen und weißen Schweine (letztere heißen französische Schweine, puercos franceses, weil man glaubt, sie seien von den Antillen gekommen) haben trotz der reißenden Tiere ausgedauert. Mit großem Interesse sahen wir um die Hütten der Indianer Guacamayas oder zahme Ara, die auf den Feldern herumflogen wie bei uns die Tauben. Es ist dies die größte und prächtigste Papa- geienart mit nicht gefiederten Wangen, die wir auf unseren Reisen angetroffen. Sie mißt mit dem Schwanz 72 cm , und wir haben sie auch am Atabapo, Temi und Rio Negro gefun- den. Das Fleisch des Cahuei — so heißt hier der Vogel — das häufig gegessen wird, ist schwarz und etwas hart. Diese Ara, deren Gefieder in den brennendsten Farben, purpurrot, blau und gelb schimmert, sind eine große Zierde der india- nischen Hühnerhöfe. Sie stehen an Pracht den Pfauen, Gold- fasanen, Pauxi und Alector nicht nach. Die Sitte, Papa- geien, Vögel aus einer dem Hühnergeschlecht so ferne stehenden Familie aufzuziehen, war schon Christoph Kolumbus aufge- fallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, daß die Eingeborenen auf den Antillen statt Hühner Ara oder große Papageien aßen. Beim kleinen Dorfe Maypures wächst ein prächtiger, über 20 m hoher Baum, den die Kolonisten Fruta de Burro nennen. Es ist eine neue Gattung Unona, die den Habitus von Aublets Uvaria Zeylandica hat und die ich früher Uvaria febrifuga benannt hatte. Ihre Zweige sind gerade und stehen pyramidalisch aufwärts, fast wie bei der Pappel vom Mis- sissippi, fälschlich italienische Pappel genannt. Der Baum ist berühmt, weil seine aromatischen Früchte, als Aufguß ge- braucht, ein wirksames Fiebermittel sind. Die armen Mis- sionäre am Orinoko, die den größten Teil des Jahres am dreitägigen Fieber leiden, reisen nicht leicht, ohne ein Säck- chen mit Frutas de Burro bei sich zu führen. Unter den Tropen braucht man meist lieber aromatische Mittel, z. B. sehr starken Kaffee, Croton Cascarilla oder die Fruchthülle unserer Unona, als die adstringierenden Rinden der Cin- chona und der Bonplandia trifoliata, welche letztere die China von Angostura ist. Das amerikanische Volk hat ein tief wur- zelndes Vorurteil gegen den Gebrauch der verschiedenen China- arten, und in dem Lande, wo dieses herrliche Heilmittel wächst, sucht man die Fieber durch Aufgüsse von Scoparia dulcis ab- zuschneiden , oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Zitrone, deren Rinde öligt und aro- matisch zugleich ist. Das Wetter war astronomischen Beobachtungen nicht günstig; indessen erhielt ich doch am 20. April eine gute Reihe korrespondierender Sonnenhöhen, nach denen der Chrono- meter für die Mission Maypures 70° 37′ 33″ Länge ergab; die Breite wurde durch Beobachtung eines Sternes gegen Norden gleich 5° 13′ 57″ gefunden. Die neuesten Karten sind in der Länge um ½°, in der Breite um ¼° unrichtig. Wie mühsam und qualvoll diese nächtlichen Beobachtungen waren, vermöchte ich kaum zu beschreiben. Nirgends war die Moskitowolke so dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuß über dem Boden gleichsam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je näher man gegen den künstlichen Horizont hinleuchtete. Die meisten Einwohner von Maypures gehen aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den Katarakten, wo es weniger Insekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer stand bei Nacht auf 27 und 29°, bei Tage auf 30°. Am 19. April fand ich um 2 Uhr nachmittags einen losen, grobkörnigen Granitsand 60,3°, Gräser vom frischesten Grün wuchsen in diesem Sand. einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granitsand 52,5° heiß; die Temperatur eines kahlen Granitfelsen war 47,6°. Zu derselben Stunde zeigte der Thermometer 2,6 m über dem Boden im Schatten 29,6°, in der Sonne 36,2°. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38,8°, die Luft 28,6°, das Wasser des Orinoko im Raudal, an der Ober- fläche, 27,6°, das Wasser einer schönen Quelle, die hinter dem Haus der Missionäre aus dem Granit kommt, 27,8°. Es ist dies vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inklination der Magnetnadel in Maypures betrug 31,10°, also 1,15° weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt. Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem oberen großen Katarakt schifften wir uns um 2 Uhr nach- mittags in derselben Piroge wieder ein, die der Missionär von Carichana uns überlassen; sie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Schiffs- leute ziemlich beschädigt; aber ihrer warteten noch größere Fährlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 11,7 km weit geschleppt werden, sie mußte über den Cassiquiare wieder in den Orinoko herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudale. Man untersuchte Boden und Seitenwände der Piroge und meinte, sie sei stark genug, die lange Reise auszuhalten. Sobald man über die großen Katarakte weg ist, befindet man sich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den kultivierten Küstenstrichen und den wilden, unbekannten Län- dern im Inneren bezogen zu haben scheint. Gegen Ost in blauer Ferne zeigt sich zum letztenmal die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer, wagerechter Kamm erinnert an die Gestalt der Mesa im Brigantin bei Cumana, nur endigt sie mit einem abgestutzten Kegel. Der Pik Calitamini (so heißt dieser Gipfel) ist bei Sonnenuntergang wie von rötlichem Feuer bestrahlt, und zwar einen Tag wie den anderen. Kein Mensch ist je diesem Berge nahe gekommen, der nicht über 1170 m hoch ist. Er erscheint in Maypures unter einem Winkel von 1 Grad 27 Minuten. Ich glaube, dieser gewöhnlich rötliche, zuweilen silber- weiße Schimmer ist ein Reflex von großen Talgblättern oder von Gneis, der in Glimmerschiefer übergeht. Das ganze Land besteht hier aus Granitgestein, dem da und dort, auf kleinen Ebenen, unmittelbar ein thonichter Sandstein mit Quarz- trümmern und Brauneisenstein aufgelagert ist. Auf dem Wege zum Landungsplatz fingen wir auf einem Heveastamm Einer der Bäume, deren Milch Kautschuk gibt. eine neue, durch ihre schöne Färbung ausgezeich- nete Froschart. Der Bauch war gelb, Rücken und Kopf schön samtartig purpurfarb; ein einziger ganz schmaler weißer Streif lief von der Spitze des Maules zu den Hinterbeinen. Der Frosch war 5 cm lang, nahe verwandt der Rana tinctoria, deren Blut (wie man behauptet), wenn man es Papageien da, wo man ihnen Federn ausgerauft, in die Haut einreibt, macht, daß die neuen gelben oder roten Federn scheckigt werden. Den Weg entlang zeigten uns die Indianer etwas, was hier- zulande allerdings sehr merkwürdig ist, Räderspuren im Ge- stein. Sie sprachen, wie von einem unbekannten Geschöpf, von den Tieren mit großen Hörnern, welche zur Zeit der Grenzexpedition die Fahrzeuge durch das Thal des Keri vom Rio Toparo zum Rio Cameji gezogen, um die Katarakte zu umgehen und die Mühe des Umladens zu ersparen. Ich glaube, diese armen Einwohner von Maypures wunderten sich jetzt beim Anblick eines Ochsen von kastilischer Rasse wie die Römer über die lukanischen Ochsen (die Elefanten im Heere des Pyrrhus). Wenn man durch das Thal des Keri einen Kanal zöge, der die kleinen Flüsse Cameji und Toparo vereinigte, brauchten die Pirogen nicht mehr durch die Raudales zu gehen. Auf diesem ganz einfachen Gedanken beruht der Plan, den ich im ersten Entwurf durch den Generalkapitän von Caracas, Gue- vara Vasconzelos, der spanischen Regierung habe vorlegen lassen. Beim Katarakt von Maypures sind die Bodenverhält- nisse so günstig, wie man sie bei Atures vergeblich suchte. Der Kanal würde 5555 m oder 2650 m lang, je nachdem man ihn nahe an der Mündung der beiden Flüßchen oder weiter ihren Quellen zu anfangen ließe. Das Terrain scheint im Durchschnitt von Süd-Süd-Ost nach Nord-Nord-West um 11 bis 13,5 m zu fallen, und im Thal des Keri ist der Boden ganz eben, mit Ausnahme eines kleinen Kammes oder einer Wasser- scheide, welche im Parallel der Kirche von Maypures die beiden Nebenflüsse des Stromes nach entgegengesetzten Seiten laufen läßt. Die Ausführung dieses Planes wäre durchaus nicht kostspielig, da die Landenge größtenteils aus ange- schwemmtem Boden besteht, und Pulver hätte man dabei gar nicht nötig. Dieser Kanal, der nicht über 3 m breit zu sein brauchte, wäre als ein schiffbarer Arm des Orinoko zu betrachten. Es bedürfte keiner Schleuse, und die Fahrzeuge, die in den oberen Orinoko gehen, würden nicht mehr wie jetzt durch die Reibung an den rauhen Klippen am Raudal beschädigt; man zöge sie hinauf, und da man die Waren nicht mehr auszuladen brauchte, würde viel Zeit erspart. Man hat die Frage erörtert, wozu der von mir in Vorschlag gebrachte Kanal dienen sollte. Hier ist die Antwort, die ich im Jahre 1801 auf meiner Reise nach Quito dem Ministerium erteilt habe: „Auf den Bau eines Kanales bei Maypures und eines anderen, von dem in der Folge die Rede sein wird, lege ich nur in der Voraussetzung Gewicht, daß die Regierung sich mit Handel und Gewerbefleiß am oberen Orinoko ernstlich beschäftigen wollte. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, da, wie es scheint, die Ufer des majestätischen Stromes gänz- lich vernachlässigt bleiben sollen, wären Kanäle allerdings so gut wie überflüssig.“ Nachdem wir uns im Puerto de Arriba eingeschifft, gingen wir mit ziemlicher Beschwerde über den Raudal de Cameji; diese Stelle gilt bei sehr hohem Wasserstand für gefährlich. Jenseits des Raudals fanden wir den Strom spiegelglatt. Wir übernachteten auf einer felsichten Insel, genannt Piedra Raton; sie ist gegen 3,3 km lang, und auch hier wiederholt sich die interessante Erscheinung einer in der Entwickelung be- griffenen Vegetation, jener zerstreuten Gruppen von Buschwerk auf ebenem Felsboden, wovon schon öfters die Rede war. Ich konnte in der Nacht mehrere Sternbeobachtungen machen und fand die Breite der Insel gleich 5° 4′ 51″, ihr Länge gleich 70° 57′. Ich konnte die im Strom reflektierten Stern- bilder benützen; obgleich wir uns mitten im Orinoko befanden, war die Moskitowolke so dick, daß ich nicht die Geduld hatte, den künstlichen Horizont zu richten. Am 22. April. Wir brachen anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang auf. Der Morgen war feucht, aber herrlich; kein Lüftchen ließ sich spüren, denn südlich von Atures und Maypures herrscht beständig Windstille. Am Rio Negro und Cassiquiare, am Fuß des Cerro Duida in der Mission Santa Barbara hörten wir niemals das Rauschen des Laubes, das in heißen Ländern einen ganz eigentümlichen Reiz hat. Die Krümmungen des Stromes, die schützenden Berge, die un- durchdringlichen Wälder und der Regen, der einen bis zwei Grade nördlich vom Aequator fast gar nicht aussetzt, mögen diese Erscheinung veranlassen, die den Missionen am Orinoko eigentümlich ist. In dem unter südlicher Breite, aber ebenso weit vom Aequator gelegenen Thal des Amazonenstromes erhebt sich alle Tage, 2 Stunden nach der Kulmination der Sonne, ein sehr starker Wind. Derselbe weht immer gegen die Strömung und wird nur im Flußbett selbst gespürt. Unterhalb San Borja ist es ein Ostwind; in Tomependa fand ich ihn zwischen Nord und Nord-Nord-Ost. Es ist immer die Brise, der von der Umdrehung der Erde herrührende Wind, der aber durch kleine örtliche Verhältnisse bald diese, bald jene Richtung bekommt. Mit diesem beständigen Wind segelt man von Gran Para bis Tefe, 3375 km weit, den Amazonenstrom hinauf. In der Provinz Jaen de Bracamoros, am Fuße des Westabhanges der Kordilleren, tritt dieser vom Atlantischen Meere herkom- mende Wind zuweilen als ein eigentlicher Sturm auf. Wenn man auf das Flußufer zugeht, kann man sich kaum auf den Beinen halten; so auffallend anders sind die Verhältnisse am oberen Orinoko und am oberen Amazonenstrom. Sehr wahrscheinlich ist es diesem beständig wehenden Winde zuzuschreiben, daß der Amazonenstrom so viel gesunder ist. In der stockenden Luft am oberen Orinoko sind die chemi- schen Affinitäten eingreifender und es entwickeln sich mehr schädliche Miasmen. Die bewaldeten Ufer des Amazonen- stromes wären ebenso ungesund, wenn nicht der Fluß, gleich dem Niger, seiner ungeheuren Länge nach von West nach Ost, also in der Richtung der Passatwinde, gerade fortliefe. Das Thal des Amazonenstromes ist nur an seinem westlichen Ende, wo es der Kordillere der Anden naherückt, geschlossen. Gegen Ost, wo der Seewind auf den neuen Kontinent trifft, erhebt sich das Gestade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantischen Meeres. Der obere Orinoko läuft anfangs von Ost nach West, und dann von Nord nach Süd. Da wo sein Lauf dem des Amazonenstromes ziemlich parallel ist, liegt zwischen ihm und dem Atlantischen Meere ein sehr gebirgiges Land, der Gebirgsstock der Parime und des holländischen und französischen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erst vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoko von West nach Ost über eine weite, dem Atlantischen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieses Stromstück ist daher auch nicht so ungesund als der obere Orinoko. Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenstromes an. Derselbe behält, wie der Amazonen- strom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist ungünstig, weil sie nicht mit der des Seewindes zusammenfällt, sondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoko. Vom Kanal Mahates bis Honda, namentlich südlich von der Stadt Mompox, spürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die sehr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als un- gemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windstille aufhört, wenn man im oberen Stromlauf dem Gebirge näher kommt, aber es erscheint er- klärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen, heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftströmungen herrühren. Kalte Luftsäulen stürzen von den Nevadas von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die unteren Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe schneebedeckter Gebirge örtliche Luftströmungen. Jene sehr starken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Passatwinde zurück- geworfen würden; sie entstehen vielmehr da, wohin der See- wind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Bäumen bewachsenen Berge am oberen Orinoko höher wären, so würden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichts- störungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von Peru, Abessinien und Tibet beobachten. Dieser genaue ur- sachliche Zusammenhang zwischen der Richtung der Ströme, der Höhe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Be- wegungen der Atmosphäre und der Salubrität des Klimas ver- dient die größte Aufmerksamkeit. Wie ermüdend und un- fruchtbar wäre doch das Studium der Erdoberfläche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Gesichtspunkten aufgefaßt würde! Siebenundzwanzig Kilometer von der Insel Piedra Raton kam zuerst ostwärts die Mündung des Rio Sipapo, den die Indianer Tipapu nennen, dann westwärts die Mündung des Rio Vichada. In der Nähe der letzteren bilden Felsen ganz unter Wasser einen kleinen Fall, einen Raudalito . Der Rio Sipapo, den Pater Gili im Jahre 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter ist als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im südlichen Teil trägt die- selbe den Namen des Flusses und verbindet sich mit dem Bergstock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pik von Duida, der über der Mission Esmeralda aufsteigt, schienen mir die Cerros de Sipapo die höchsten in der ganzen Kor- dillere der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die schroff aus der Ebene aufsteigt und deren von Süd-Süd-Ost nach Nord-Nord-West gerichteten Kamm ausgezackt ist. Ich denke, aufgetürmte Granitblöcke bringen diese Einschnitte, diese Auszackung hervor, die man auch am Sandstein des Mont- serrat in Katalonien beobachtet. Jede Stunde war der An- blick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnen- aufgang gibt der dichte Pflanzenwuchs den Bergen die dunkel- grüne, ins Bräunliche spielende Farbe, wie sie Landstrichen eigen ist, wo Bäume mit lederartigen Blättern vorherrschen. Breite, scharfe Schatten fallen über die anstoßende Ebene und stechen ab vom glänzenden Licht, das auf dem Boden, in der Luft und auf der Wasserfläche verbreitet ist. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Sonne den Zenith erreicht, verschwinden diese kräftigen Schatten allmählich und die ganze Kette hüllt sich in einen leisen Duft, der weit satter blau ist als der niedrige Strich des Himmelsgewölbes. In diesem um den Felskamm schwebenden Duft verschwimmen halb die Um- risse, werden die Lichteffekte gedämpft, und so erhält die Land- schaft das Gepräge der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken Claude Lorrains und Poussins, aus der Harmonie zwischen Form und Farbe entspringt. Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit seiner kriegerischen Horde von den Ebenen zwischen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die In- dianer versicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachse in Menge der Vehuco de Maimure . Dieses Schling- gewächs ist den Indianern sehr wichtig, weil sie Körbe und Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo sind völlig unbekannt, und die Missionäre versetzen hierher das Volk der Rayas , Rochen , wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fisch dieses Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt scheint. „die den Mund am Nabel haben“. Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der sich rühmte oft Menschenfleisch gegessen zu haben, hatte diese kopflosen Menschen „mit eigenen Augen“ gesehen. Diese abgeschmackten Märchen haben sich auch in den Llanos verbreitet, und dort ist es nicht immer geraten, die Existenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsstrichen ist Unduld- samkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte meinen, die Hirngespinnste der alten Erdbeschreiber seien aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wüßte, daß die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie die Naturbildungen, überall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit zeigen. Bei der Mündung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die Pflanzen des Landstriches zu untersuchen. Die Gegend ist höchst merkwürdig; der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei auf der Ebene. Es sind prismatische Steinmassen und sie sehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende 5 bis 7 m hohe Türmchen aus. Die einen sind von den Bäumen des Waldes beschattet, bei anderen ist der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felsen sind Granit, der in Gneis übergeht. Befände man sich hier nicht im Bereich des Urgebirges, man glaubte sich in den Felsen von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantasie in Franken versetzt. Sandstein und sekundärer Kalkstein können keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des Vichada sind die Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit Mosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von Cladonia pyxidata und Lichen ran- giferinus, die im nördlichen Europa so häufig vorkommen. Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 m über dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man so lange glaubte, daß keine kryptogamischen Gewächse in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen, feuchten Ortes beträgt wahr- scheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns über das schöne Grün der Wälder. Dieser Umstand ist für das obere Orinokothal charakteristisch; an der Küste von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom Aequator Sommer heißt. ab und man sieht am Boden nur gelbes, ver- trocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden Felsen wuchsen mehrere große Stämme Säulenkaktus (Cactus septemangularis) , was südlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine große Seltenheit ist. Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen, eines sehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter dem Namen Varimacu und Canelilla bekannt ist. Diminutiv des spanischen Wortes Canela, das Cinnamo- mum (Kinnamomon der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge- hört zu den wenigen, die seit dem höchsten Altertum aus dem Phö- nikischen (einer semitischen Sprache) in die abendländischen Sprachen übergegangen sind. Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und östlich von den großen Katarakten vor. Der Jesuit Francisco de Olma scheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Missionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede ist, scheint den Varimacu oder Guari- macu mit der Myristica oder dem amerikanischen Muskat- baum zu verwechseln. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus pucheri wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge- würze und Wohlgerüche Ostindiens gewöhnt gewesen wäre. Der Zimt vom Orinoko und der aus den Missionen der Andaquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada eingeführt hat, sind übrigens weniger gewürzhaft als der Ceylonzimt, und wären solches selbst dann, wenn sie ganz so getrocknet und zubereitet würden. Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewächsen, und es erklärt sich keineswegs aus der Verschiedenheit der Klimate, warum das tropische Afrika keine Laurineen, die Neue Welt keine Heidekräuter hervorbringt, warum es in der südlichen Halbkugel keine Calceolarien gibt, warum auf dem indischen Festlande das Gefieder der Vögel nicht so glänzend ist wie in den heißen Landstrichen Amerikas, endlich warum der Tiger nur Asien, das Schnabeltier nur Neuholland eigen ist? Die Ursachen der Verteilung der Arten im Pflanzen- wie im Tierreiche gehören zu den Rätseln, welche die Natur- philosophie nicht zu lösen imstande ist. Mit dem Ursprung der Wesen hat diese Wissenschaft nichts zu thun, sondern nur mit den Gesetzen, nach denen die Wesen über den Erdball verteilt sind. Sie untersucht das, was ist, die Pflanzen- und Tierbildungen, wie sie unter jeder Breite, in verschiedenen Höhen und bei verschiedenen Wärmegraden nebeneinander vor- kommen; sie erforscht die Verhältnisse, unter denen sich dieser oder jener Organismus kräftiger entwickelt, sich vermehrt oder sich umwandelt; aber sie rührt nicht an Fragen, die unmög- lich zu lösen sind, weil sie mit der Herkunft, mit dem Ur- anfang eines Lebenskeimes zusammenhängen. Ferner ist zu bemerken, daß die Versuche, die Verteilung der Arten auf dem Erdballe allein aus dem Einflusse der Klimate zu erklären, einer Zeit angehören, wo die physische Geographie noch in der Wiege lag, wo man fortwährend an vermeintlichen Gegen- sätzen beider Welten festhielt und sich vorstellte, ganz Afrika und Amerika gleichen den Wüsten Aegyptens und den Sümpfen Cayennes. Seit man den Sachverhalt nicht nach einem will- kürlich angenommenen Typus, sondern nach positiven Kennt- nissen beurteilt, weiß man auch, daß die beiden Kontinente in ihrer unermeßlichen Ausdehnung Bodenstücke mit völlig über- einstimmenden Naturverhältnissen aufzuweisen haben. Amerika hat so dürre und glühend heiße Landstriche als das innere Afrika. Die Inseln, welche die indischen Gewürze erzeugen, zeichnen sich keineswegs durch Trockenheit aus, und die Feuch- tigkeit des Klimas ist durchaus nicht, wie in neueren Werken behauptet wird, die Ursache, warum auf dem neuen Kontinent die schönen Laurineen- und Myristiceenarten nicht vorkommen, die im Indischen Archipel in einem kleinen Erdwinkel neben- einander wachsen. Seit einigen Jahren wird in mehreren Ländern des neuen Kontinents der echte Zimtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landstrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Mirtus pimenta, der Tolubalsam, Myroxylon peruvianum, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata) , der Incienso der Silla von Caracas, Trixis nereifolia. der Quereme, die Pan- kratiumarten und so viele herrliche Lilienarten wachsen, kann nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem ist Trockenheit der Luft der Entwickelung aromatischer und rei- zender Eigenschaften nur bei gewissen Pflanzenarten förderlich. Die heftigsten Gifte werden im feuchtesten Landstriche Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltend tropi- schen Regen gedeiht der amerikanische Pfeffer (Capsicum bac- catum) am besten, dessen Frucht häufig so scharf und beißend ist als der ostindische Pfeffer. Aus diesen Betrachtungen geht folgendes hervor: 1) der neue Kontinent besitzt sehr starke Gewürze, Arome und vegetabilische Gifte, die ihm allein an- gehören, sich aber spezifisch von denen der alten Welt unter- scheiden; 2) die ursprüngliche Verteilung der Arten in der heißen Zone ist allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der Verteilung der Wärme, wie sie im gegenwärtigen Zustande unseres Planeten stattfindet, nicht zu erklären, aber diese Ver- schiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organischer Typus sich an der einen Oertlichkeit kräftiger entwickelt als an der anderen. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und Palmen, daß sie wegen ihres inneren Baues und der Wich- tigkeit gewisser Organe unmöglich sehr kalten Landstrichen an- gehören können, wir vermögen aber nicht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melastomeen nördlich vom 30. Breitengrad wächst, warum keine einzige Rosenart der südlichen Halbkugel angehört. Häufig sind auf beiden Kon- tinenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugnisse gleich- artig wären. Der Rio Vichada (Bichada), der bei seinem Zusammenfluß mit dem Orinoko einen kleinen Raudal hat, schien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus Westen kommenden Flüssen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermute sie mit denen des Tomo auf den Ebenen südwärts von Casimena. Wenigstens ist wohl nicht zweifelhaft, daß die frühesten Mis- sionen an den Ufern des Vichada von Jesuiten aus den Mis- sionen am Casanare gegründet worden sind. Noch in neuester Zeit sah man flüchtige Indianer von Santa Rosalia de Caba- puna, einem Dorfe am Meta, über den Rio Vichada an den Katarakt von Maypures kommen, was darauf hinweist, daß die Quellen desselben nicht sehr weit vom Meta sein können. Pater Gumilla hat uns die Namen mehrerer deutscher und spanischer Jesuiten aufbewahrt, die im Jahre 1734 an den jetzt öden Ufern des Vichada von der Hand der Kariben als Opfer ihres religiösen Eifers fielen. Nachdem wir zuerst gegen Ost am Caño Pirajavi, sodann gegen West an einem kleinen Fluß vorübergekommen, der nach der Aussage der Indianer aus einem See Namens Nao ent- springt, übernachteten wir am Ufer des Orinoko, beim Einfluß des Zama, eines sehr ansehnlichen Flusses, der so unbekannt ist als der Rio Vichada. Trotz des schwarzen Wassers des Zama hatten wir viel von den Insekten auszustehen. Die Nacht war schön; in den niederen Luftregionen wehte kein Lüftchen, aber gegen 2 Uhr sahen wir dicke Wolken rasch von Ost nach West durch den Zenith gehen. Als sie beim Nieder- gehen gegen den Horizont vor die großen Nebelflecken im Schützen oder im Schiff traten, erschienen sie schwarzblau. Die Nebelflecken sind nie lichtstärker, als wenn sie zum Teil von Wolkenstreifen bedeckt sind. Wir beobachten in Europa dieselbe Erscheinung an der Milchstraße, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht strahlt, endlich bei Sonnenauf- und Untergang an dem Stück des Himmels, das weiß wird aus Ursachen, welche die Physik noch nicht gehörig ermittelt hat. Kein Mensch kennt den weiten Landstrich zwischen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf 4 bis 5 km vom Ufer. Man glaubt, daß hier wilde Indianer vom Stamme der Chi- ricoas hausen, die glücklicherweise keine Kanoen bauen. Früher, als noch die Kariben und ihre Feinde, die Cabres, mit ihren Geschwadern von Flößen und Pirogen hier umherzogen, wäre es unvorsichtig gewesen, an der Mündung eines Flusses zu übernachten, der aus Westen kommt. Gegenwärtig, da die kleinen Niederlassungen der Europäer die unabhängigen Indianer von den Ufern des oberen Orinoko verdrängt haben, ist dieser Landstrich so öde, daß uns von Carichana bis Ja- vita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo, auf einer Stromfahrt von 810 km , nicht ein einziges Fahr- zeug begegnete. Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Fluß- system, das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben schwarzes Wasser (aguas negras) , das heißt, ihr Wasser, in großen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun oder grünlich-schwarz, und doch sind es die schönsten, klarsten, wohl- schmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwähnt, daß die Krokodile und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskiten fast überall die schwarzen Wasser meiden. Das Volk behauptet ferner, diese Wasser bräunen das Gestein nicht, und die weißen Flüsse haben schwarze, die schwarzen Flüsse weiße Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Euro- päer unter dem Namen Rio Negro kennen, häufig blendend weiße Quarzmassen aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiß, das des Ata- bapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser schwarzen Flüsse kräuselt, so erscheinen sie schön wiesengrün, wie die Schweizer Seen. Im Schatten ist der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Diese Erscheinungen sind so auffallend, daß die Indianer allerorten die Gewässer in schwarze und weiße einteilen. Erstere haben mir häufig als künstlicher Horizont gedient; sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurück. Die Farbe des Quellwassers, Flußwassers und Seewassers gehört zu den physikalischen Problemen, die durch unmittelbare Versuche schwer oder gar nicht zu lösen sind. Die Farben bei reflektiertem Lichte sind meist ganz andere als bei durch- gehendem, besonders wenn es durch eine große Masse Flüssigkeit durchgeht. Fände keine Absorption der Strahlen statt, so hätte das durchgehende Licht immer die Farbe, welche die komplementäre des reflektierten Lichtes wäre, und meist be- urteilt man bei einem Wasser in einem nicht tiefen Glase mit enger Oeffnung das durchgehende Licht falsch. Bei einem Flusse gelangt das reflektierte farbige Licht immer von den inneren Schichten der Flüssigkeit zu uns, nicht von der obersten Schicht derselben. Berühmte Physiker, welche das reinste Gletscherwasser untersucht haben, sowie das, welches aus mit ewigem Schnee bedeckten Bergen entspringt, wo keine vegetabilischen Reste sich in der Erde finden, sind der Meinung, die eigentümliche Farbe des Wassers möchte blau oder grün sein. In der That ist durch nichts erwiesen, daß das Wasser von Natur weiß ist und immer ein Farbstoff im Spiele sein muß, wenn dasselbe, bei reflektiertem Licht gesehen, eine Färbung zeigt. Wo Flüsse wirklich einen färbenden Stoff enthalten, ist derselbe meist in so geringer Menge, daß er sich jeder chemischen Untersuchung entzieht. Die Färbung des Meeres scheint häufig weder von der Beschaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhängen. Ein großer Physiker, Davy, soll der Ansicht sein, die verschiedene Färbung der Meere könnte daher rühren, daß das Jod in verschiedenen Verhält- nissen darin enthalten ist. Aus den alten Erdbeschreibern ersehen wir, daß bereits den Griechen die blauen Wasser der Thermopylen, die roten bei Joppe, die schwarzen der heißen Bäder von Astyra, Lesbos gegenüber, aufgefallen waren. Manche Flüsse, z. B. die Rhone bei Genf, haben eine entschieden blaue Farbe. Das Schnee- wasser in den Schweizeralpen soll zuweilen smaragdgrün sein, in wiesengrün übergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru sind bräunlich, ja fast schwarz. Die meisten dergleichen Farbenerscheinungen kommen bei Gewässern vor, welche für die reinsten gelten, und man wird sich viel mehr an auf Ana- logieen gegründete Schlüsse als an die unmittelbare Analyse halten müssen, um über diesen noch sehr dunklen Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flußsysteme, das wir bereist — und dieser Umstand scheint mir sehr auf- fallend — kommen die schwarzen Wasser vorzugsweise nur in dem Striche in der Nähe des Aequators vor. Um den 5. Grad nördlicher Breite fängt man an, sie anzutreffen, und sie sind über den Aequator hinaus bis gegen den 2. Grad südlicher Breite sehr häufig. Die Mündung des Rio Negro liegt sogar unter dem 3° 9′ der Breite; aber auf diesem ganzen Landstriche kommen in den Wäldern und auf den Grasfluren weiße und schwarze Wasser dergestalt untereinander vor, daß man nicht weiß, welcher Ursache man die Färbung des Wassers zuschreiben soll. Der Cassiquiare, der sich in den Rio Negro ergießt, hat weißes Wasser wie der Orinoko, aus dem er entspringt. Von zwei Nebenflüssen des Cassiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, ist der eine weiß, der andere schwarz. Fragt man die Indianer nach den Ursachen dieser sonder- A. v. Humboldt , Reise. III. 13 baren Färbung, so lautet ihre Antwort, wie nicht selten auch in Europa, wenn es sich um physische und physiologische Fragen handelt: sie wiederholen das Faktum mit anderen Worten. Wendet man sich an die Missionäre, so sprechen sie, als hätten sie die strengsten Beweise für ihre Behauptung, „das Wasser färbe sich, wenn es über Sarsaparillewurzeln laufe“. Die Smilaceen sind allerdings am Rio Negro, Pa- cimony und Cababury sehr häufig, und ihre Wurzeln geben in Wasser eingeweicht einen braunen, bitteren, schleimigen Extraktivstoff; aber wie viele Smilaxbüsche haben wir an Orten gesehen, wo die Wasser ganz weiß sind! Wie kommt es, daß wir im sumpfigen Walde, durch den wir unsere Piroge vom Rio Tuamini zum Caño Pimichin und an den Rio Negro schleppen mußten, auf demselben Landstriche jetzt durch Bäche mit weißem, jetzt durch andere mit schwarzem Wasser wateten? Warum hat man niemals einen Fluß gefunden, der seiner Quelle zu weiß und im unteren Stücke seines Laufes schwarz war? Ich weiß nicht, ob der Rio Negro seine braungelbe Farbe bis zur Mündung behält, obgleich ihm durch den Cassiquiare und den Rio Blanco sehr viel weißes Wasser zu- fließt. Da La Condamine den Fluß nordwärts vom Aequator nicht sah, konnte er vom Unterschied in der Farbe nicht urteilen. Die Vegetation ist wegen der Regenfülle ganz in der Nähe des Aequators allerdings kräftiger als 8 bis 10° gegen Nord und gegen Süd; es läßt sich aber keineswegs behaupten, daß die Flüsse mit schwarzem Wasser vorzugsweise in den dichtesten, schattigsten Wäldern entspringen. Im Gegenteil kommen sehr viele aguas negras aus den offenen Grasfluren, die sich vom Meta jenseits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Reise, die ich zur Zeit der Ueber- schwemmung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guaya- quil nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es mir auf, daß die weiten Savannen am Invernadero de Carzal und am Lagartero ganz ähnlich gefärbt waren wie der Rio Negro und der Atabapo. Diese zum Teil seit drei Monaten unter Wasser stehenden Grasfluren bestehen aus Paspalum, Eriochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in 1,3 bis 1,6 m tiefem Wasser; dasselbe war bei Tage 33 bis 34° warm; es roch stark nach Schwefelwasserstoff, was ohne Zweifel zum Teil von den faulenden Arum- und Helikonienstauden her- rührte, die auf den Lachen schwammen. Das Wasser des Lagartero sah bei durchgehendem Lichte goldgelb, bei reflek- tiertem kaffeebraun aus. Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohltem Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Düngerwasser, das unsere Gärtner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfließt. Läßt sich demnach nicht an- nehmen, daß auch die schwarzen Flüsse, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserstoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivstoff ge- färbt werden? Der starke Regen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grasfilz sickert. Ich gebe diesen Gedanken nur als Vermutung. Die färbende Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten; denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden läßt, sah ich es nicht braun werden wie andere Flüssigkeiten, welche viel Kohlen- wasserstoff enthalten. Es erscheint übrigens sehr merkwürdig, daß diese schwarzen Wasser , von denen man glauben sollte, sie seien auf die Nie- derungen der heißen Zone beschränkt, gleichfalls, wenn auch sehr selten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Königreich Quito von drei Bächen umgeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Yanuncai. Die zwei ersteren sind weiß, letzterer hat schwarzes Wasser. Dasselbe ist, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektiertem, blaßgelb bei durchgehendem Licht. Es ist sehr schön, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweise trinken, schreiben die Farbe ohne weiteres der Sarsaparille zu, die am Rio Yanuncai sehr häufig wachsen soll. Am 23. April. Wir brachen von der Mündung des Zama um 3 Uhr morgens auf. Auf beiden Seiten lief fort- während dicker Wald am Strome hin. Die Berge im Osten schienen immer weiter wegzurücken. Wir kamen zuerst am Einflusse des Rio Mataveni und dann an einer merkwürdig gestalteten Insel vorbei. Ein viereckiger Granitfels steigt wie eine Kiste gerade aus dem Wasser empor; die Missionäre nennen ihn El Castillito. Aus schwarzen Streifen daran sollte man schließen, daß der Orinoko, wenn er anschwillt, an dieser Stelle nicht über 2,6 m steigt, und daß die hohen Wasser- stände, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenflüssen herrühren, die nördlich von den Katarakten von Atures und Maypures hereinkommen. Wir übernachteten am rechten Ufer, der Mündung des Rio Siucurivapu gegenüber, bei einem Felsen, der Aricagua heißt. In der Nacht kamen zahllose Fledermäuse aus den Felsspalten und schwirrten um unsere Hängematten. Ich habe früher von dem Schaden gesprochen, den diese Tiere unter den Herden anrichten. Sie vermehren sich besonders stark in sehr trockenen Jahren. Am 24. April. Ein starker Regen zwang uns, schon sehr früh morgens die Piroge wieder zu besteigen. Wir fuhren um 2 Uhr ab und mußten einige Bücher zurücklassen, die wir in der finsteren Nacht auf dem Felsen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom läuft ganz gerade von Süd nach Nord; die Ufer sind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Wäl- dern beschattet. Wir kamen an den Mündungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorüber. Gegen 4 Uhr abends stiegen wir bei den Conucos de Siquita aus, Pflanzungen von Indianern aus der Mission San Fernando. Die guten Leute hätten uns gerne behalten, aber wir fuhren weiter gegen den Strom, der in der Sekunde 1,62 m zurücklegt. Dies ist das Ergebnis einer Messung, bei der ich die Zeit schätzte, die ein schwimmender Körper braucht, um eine gegebene Strecke zurückzulegen. Wir liefen bei finsterer Nacht in die Mündung des Guaviare ein, fuhren über den Zusammenfluß des Atabapo mit dem Guaviare hinauf und langten nach Mitternacht in der Mission an. Wir erhielten unsere Wohnung, wie immer, im Kloster , das heißt im Hause des Missionärs, der von unserem unerwarteten Besuche höchlich überrascht war, uns aber nichtsdestoweniger mit der liebenswürdigsten Gastlichkeit aufnahm. Zweiundzwanzigstes Kapitel. San Fernando de Atabapo. — San Baltasar. — Die Flüsse Temi und Tuamini. — Javita. — Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro. Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewässer des Orinoko verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten aussprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. „Sie müssen,“ sagte uns der Präsident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, „zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der starken Strömung der schwarzen Wasser nicht mehr weiter kommen, so führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wüsten Land- strich zwischen Orinoko und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Piroge vier Tagereisen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Südost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann den Cassiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist über den oberen Orinoko (von Ost nach West) wieder nach San Fernando.“ Diesen Plan entwarf man uns für unsere Flußfahrt, und wir führten ihn nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in 33 Tagen aus. Die Krümmungen in diesem Flußlabyrinth sind so stark, daß man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen könnte. Für diejenigen, welche nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu be- haltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluß des Ata- bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieser Strecke die großen Ka- tarakte bildet, daß er endlich vom Einflusse des Apure bis Angostura und zur Seeküste von West nach Ost läuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Laufe von Ost nach West, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der Cassiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Marañon oder Amazonenstrom fällt. Der natürlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para wäre also den Orinoko hinauf bis Esmeralda, und dann den Cassiquiare, Rio Negro und Amazonenstrom hinunter; da aber der Rio Negro auf seinem oberen Laufe sich sehr den Quellen einiger Flüsse nähert, die sich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen (am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoko ab, fährt die zusammenhängenden kleinen schwarzen Flüsse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 km breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, ist so kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Cassiquiare herauf 50 bis 60 brauchte. Man kann also über den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoko kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Strömung, des Mangels an Lebens- mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für französische Leser führe ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, statt auf dem Kanal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Fluß- systeme verbindet, von den Zuflüssen der Loire zu denen der Seine sein Fahrzeug tragen lassen; er könnte die Ni è vre hinauffahren, über eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und sofort die Yonne hinab in die Seine gelangen. Wir werden bald sehen, welche Vorteile es hätte, wenn man über den sumpfigen Landstrich zwischen dem Tuamini und dem Pimichin einen Kanal zöge. Käme dieser Plan einmal zur Ausführung, so hätte die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Mission Maroa einige Schwierigkeit; von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoko abwärts. Ueber den Cassiquiare ist der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Hälfte länger als über Javita und den Caño Pimichin. Auf diesem Landstriche, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein astronomisches Werkzeug ge- kommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhöhen von Gestirnen Länge und Breite von San Baltasar am Atabapo, Javita, San Carlos am Rio Negro, des Felsen Culimacari und der Mission Esmeralda bestimmt; die von mir entworfene Karte hat somit die Zweifel über die gegenseitigen Entfernungen der christlichen Nieder- lassungen gehoben. Wenn es keinen anderen Weg gibt als auf vielgekrümmten, verschlungenen Gewässern, wenn in dichten Wäldern nur kleine Dörfer stecken, wenn auf völlig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenstand von zwei Punkten zugleich sichtbar ist, kann man nur am Himmel lesen, wo man sich auf Erden befindet. In den wildesten Ländern der heißen Zone fühlt man mehr als anderswo das Bedürfnis astronomischer Beobachtungen. Dieselben sind dort nicht allein nützliche Hilfsmittel, um Karten zu vollenden und zu ver- bessern, sie sind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerläßlich. Der Missionär von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, führt den Titel eines Präsidenten der Mis- sionen am Orinoko. Die 26 Ordensgeistlichen, die am Rio Negro, Cassiquiare, Atabapo, Caura und Orinoko leben, stehen unter ihm und er seinerseits steht unter dem Guardian des Klosters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier sagt, des Colegio de la Purisima Concepcion de Propaganda Fide. Sein Dorf sah etwas wohlhabender aus, als die wir bis jetzt auf unserem Wege angetroffen, indessen hatte es doch nur 266 Einwohner. Ich habe schon öfters bemerkt, daß die Missionen in der Nähe der Küsten, die gleichfalls unter den Observanten stehen, z. B. Pilar, Caigua, Huere und Cupapui, zwischen 800 und 2000 Einwohner zählen. Es sind größere und schönere Dörfer als in den kultiviertesten Ländern Europas. Man versicherte uns, die Mission San Fernando hahe un- mittelbar nach der Gründung eine stärkere Bevölkerung gehabt als jetzt. Da wir auf der Rückreise vom Rio Negro noch einmal an den Ort kamen, so stelle ich hier die Beobachtungen zusammen, die wir an einem Punkte des Orinoko gemacht, der einmal für den Handel und die Gewerbe der Kolonien von großer Bedeutung werden kann. San Fernando de Atabapo liegt an der Stelle, wo drei große Flüsse, der Orinoko, der Guaviare und der Atabapo sich vereinigen. Die Lage ist ähnlich wie die von St. Louis oder Neumadrid am Einflusse des Missouri und des Ohio in den Mississippi. Je größeren Aufschwung der Handel in diesen von ungeheuren Strömen durchzogenen Ländern nimmt, desto mehr werden die Städte, die an zwei Flüssen liegen, von selbst Schiffsstationen, Stapelplätze für die Handelsgüter, wahre Mittelpunkte der Kultur. Pater Gumilla gesteht, daß zu seiner Zeit kein Mensch vom Laufe des Orinoko oberhalb des Einflusses des Guaviare etwas gewußt habe. Er sagt ferner sehr naiv, er habe sich an Einwohner von Timana und Pasto um einige, noch dazu unsichere Auskunft über den oberen Orinoko wenden müssen. Heutzutage erkundigt man sich aller- dings nicht in den Anden von Popayan nach einem Flusse, der am Westabhange der Gebirge von Cayenne entspringt. Pater Gumilla verwechselte zwar nicht, wie man ihm schuld gegeben, die Quellen des Guaviare und die des Orinoko; da er aber das Stück des letzteren Flusses, das von Esmeralda San Fernando zu von Ost nach West gerichtet ist, nicht kannte, so setzt er voraus, man müsse, um oberhalb der Katarakte und der Einmündung des Vichada und Guaviare den Orinoko weiter hinaufzukommen, sich nach Südwest wenden. Zu jener Zeit hatten die Geographen die Quellen des Orinoko in die Nähe der Quellen des Putumayo und Caqueta an den öft- lichen Abhang der Anden von Pasto und Popayan gesetzt, also nach meinen Längenbestimmungen auf dem Rücken der Kordilleren und in Esmeralda, 1080 km vom richtigen Punkte. Unrichtige Angaben La Condamines über die Verzweigungen des Caqueta, wodurch Sansons Annahmen Bestätigung zu finden schienen, haben Irrtümer verbreiten helfen, die sich jahrhundertelang erhalten haben. In der ersten Ausgabe seiner großen Karte von Südamerika (eine sehr seltene Aus- gabe, die ich auf der großen Pariser Bibliothek gefunden habe) zeichnete d’Anville den Rio Negro als einen Arm des Orinoko, der vom Hauptstrome zwischen den Einflüssen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von Los Astures (Atures) abgeht. Diesem großen Geographen war damals die Existenz des Cassiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoko oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entspringen. Erst durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und Solanos wurde das wahre Verhältnis bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahre 1756 über die großen Katarakte bis zum Einflusse des Guaviare hinauf. Er sah, daß man, um auf dem Orinoko weiter hinauf- zukommen, sich ostwärts wenden müsse, und daß die Wasser des Guaviare, der 9 km weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4′ der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugiesischen Besitzungen so nahe als möglich zu kommen, so entschloß er sich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zusammenflusse des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegerischen Nation der Guaypunabis angesiedelt. Er lockte sie durch Geschenke an sich und gründete mit ihnen die Mission San Fernando, die er, in der Hoffnung, sich beim Ministerium in Madrid wichtig zu machen, emphatisch Villa betitelte. Um die politische Bedeutung dieser Niederlassung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältnisse zwischen den kleinen Indianerstämmen in Guyana ins Auge fassen. Die Ufer des unteren Orinoko waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwischen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Kariben, gewesen. Letztere, deren eigentliche Wohnsitze seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zwischen den Quellen des Carony, des Essequibo, des Orinoko und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, sie machten auch Einfälle in die Länder am oberen Orinoko, und zwar über die Trage- plätze zwischen dem Paruspa und dem Caura, dem Erevato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Nie- mand wußte so gut, wie sich die Flüsse verzweigen, wo die Nebenflüsse zur Hand sind, wie man auf dem kürzesten Wege ans Ziel kommt. Die Kariben hatten die Cabres geschlagen und beinahe ausgerottet; waren sie jetzt aber Herren am unteren Orinoko, so stießen sie auf Wiederstand bei den Guay- punabis, die sich am oberen Orinoko die Herrschaft errungen hatten und neben den Cabres, Manitivitanos und Parenis die ärgsten Anthropophagen in diesem Landstrich sind. Sie waren ursprünglich am großen Flusse Inirida bei seiner Ver- einigung mit dem Chamochiquini und im Gebirgslande von Mabicore zu Hause. Um das Jahr 1744 hieß ihr Häupt- ling oder, wie die Eingeborenen sagen, ihr Apoto (König), Macapu, ein Mann, durch Geisteskraft und Mut gleich aus- gezeichnet. Er war mit einem Teile seiner Nation an den Atabapo gekommen, und als der Jesuit Roman seinen merk- würdigen Zug vom Orinoko an den Rio Negro machte, ge- stattete Macapu, daß der Missionär einige Familien Guay- punabis mitnahm, um sie in Uriana und beim Katarakt von Maypures anzusiedeln. Diese Nation gehört der Sprache nach dem großen Volksstamme der Maypures an; sie ist gewerb- fleißiger, man könnte beinahe sagen civilisierter als die anderen Völker am oberen Orinoko. Nach dem Berichte der Missionäre waren die Guaypunabis, als sie in diesen Ländern die Herren spielten, fast alle bekleidet und besaßen ansehnliche Dörfer. Nach Macapus Tode ging das Regiment auf einen anderen Krieger über, auf Cuseru, von den Spaniern Kapitän Cru- zero genannt. Er hatte am Inirida Verteidigungslinien und eine Art Fort aus Erde und Holz angelegt. Die Pfähle waren über 5 m hoch und umgaben das Haus des Apoto , sowie eine Niederlage von Bogen und Pfeilen. Pater Forneri beschreibt diese in einem sonst so wilden Lande merkwürdigen Anlagen. Am Rio Negro waren die Stämme der Marepizanas und Manitivitanos die mächtigsten. Die Häuptlinge der ersteren waren ums Jahr 1750 zwei Krieger Namens Imu und Ca- jamu; der König der Manitivitanos war Cocuy, vielberufen wegen seiner Grausamkeit und seiner raffinierten Schwelgerei. Zu meiner Zeit lebte noch seine Schwester in der Nähe der Mission Maypure. Man lächelt, wenn man hört, daß Männer wie Cuseru, Imu und Cocuy hierzulande so berühmt sind wie in Indien die Holkar, Tippo und die mächtigsten Fürsten. Die Häuptlinge der Guaypunabis und Manitivitanos fochten mit kleinen Haufen von 200 bis 300 Mann; aber in der langen Fehde verwüsteten sie die Missionen, wo die armen Ordensleute nur 15 bis 20 spanische Soldaten zur Verfügung hatten. Horden, wegen ihrer Kopfzahl und ihrer Verteidigungs- mittel gleich verächtlich, verbreiteten einen Schrecken, als wären es Heere. Den Patres Jesuiten gelang es nur dadurch, ihre Missionen zu retten, daß sie List wider Gewalt setzten. Sie zogen einige mächtige Häuptlinge in ihr Interesse und schwächten die Indianer durch Entzweiung. Als Ituriaga und Solano auf ihrem Zuge an den Orinoko kamen, hatten die Missionen von den Einfällen der Kariben nichts mehr zu befürchten. Cuseru hatte sich hinter den Granitbergen von Sipapo nieder- gelassen; er war der Freund der Jesuiten; aber andere Völker vom oberen Orinoko und Rio Negro, die Marepizanos, Amui- zanos und Manitivitanos, fielen unter Imus, Cajamus und Cocuys Führung von Zeit zu Zeit in das Land nordwärts von den großen Katarakten ein. Sie hatten andere Beweg- gründe zur Feindseligkeit als Haß. Sie trieben Menschen- jagd , wie es früher bei den Kariben Brauch gewesen und wie es in Afrika noch Brauch ist. Bald lieferten sie Sklaven ( poitos ) den Holländern oder Paranaquiri ( Meerbewohner ); bald verkauften sie dieselben an die Portugiesen oder Jaranavi ( Musikantensöhne ). Die wilden Völker bezeichnen jedes europäische Handelsvolk mit Beinamen, die ganz zufällig entstanden zu sein scheinen. Ich habe schon oben bemerkt, daß die Spanier vorzugsweise bekleidete Menschen , Pon gheme oder Uavemi, heißen. In Amerika wie in Afrika hat die Habsucht der Europäer gleiches Unheil gestiftet; sie hat die Eingeborenen gereizt, sich zu bekriegen, um Gefangene zu be- kommen. Ueberall führt der Verkehr zwischen Völkern auf sehr verschiedenen Bildungsstufen zum Mißbrauch der phy- sischen Gewalt und der geistigen Ueberlegenheit. Phönizien und Karthago suchten einst ihre Sklaven in Europa; heut- zutage liegt dagegen die Hand Europas schwer auf den Ländern, wo es die ersten Keime seines Wissens geholt, wie auf denen, wo es dieselben, so ziemlich wider Willen, ver- breitet, indem es ihnen die Erzeugnisse seines Gewerbfleißes zuführt. Ich habe hier treu berichtet, was ich über die Zustände eines Landes in Erfahrung bringen konnte, wo die besiegten Völker nach und nach absterben und keine andere Spur ihres Daseins hinterlassen als ein paar Worte ihrer Sprache, welche die siegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben gesehen, daß im Norden, jenseits der Katarakte, die Kariben und die Cabres, südwärts am oberen Orinoko die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mäch- tigsten Nationen waren. Der lange Widerstand, den die unter einem tapferen Führer vereinigten Cabres den Kariben geleistet, hatte jenen nach dem Jahre 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura ge- schlagen; eine Menge Kariben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwischen den Stromschnellen des Torno und der Isla del Infierno erschlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinierten Verschlagenheit und Grausamkeit, wie sie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen ist, ließen sie einen Kariben am Leben, der, um Zeuge des barbarischen Auftrittes zu sein, auf einen Baum steigen und sofort den Geschlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrausch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Kariben kamen in solcher Masse wieder, daß nur kümmerliche Reste der menschenfressenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben. Am oberen Orinoko lagen Cocuy und Cuseru im erbit- tertsten Kampfe gegeneinander, als Solano an der Mündung des Guaviare erschien. Ersterer hatte für die Portugiesen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jesuiten, that es diesen immer zu wissen, wenn die Manitivitanos gegen die christlichen Niederlassungen in Atures und Carichana im Anzuge waren. Cuseru wurde erst wenige Tage vor seinem Tode Christ; er hatte aber im Gefecht an seine linke Hüfte ein Kruzifix gebunden, das die Missionäre ihm geschenkt und mit dem er sich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der sich ganz seine wilde Leidenschaftlichkeit aus- spricht. Er hatte die Tochter eines indianischen Häuptlings vom Rio Temi geheiratet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen seinen Schwiegervater erklärte er seinem Weibe, er ziehe aus, sich mit ihm zu messen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend stark ihr Vater sei; da nahm Cuseru, ohne ein Wort weiter zu sprechen, einen vergifteten Pfeil und schoß ihr ihn durch die Brust. Im Jahre 1756 versetzte die Ankunft einer kleinen Abteilung spanischer Truppen unter Solanos Befehl diesen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er stand im Begriffe, es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, da gaben ihm die Patres Jesuiten zu verstehen, wie es sein Vorteil wäre, sich mit den Christen zu vertragen. Cuseru speiste am Tische des spanischen Generals; man köderte ihn mit Versprechungen, namentlich mit der Aus- sicht, daß man nächstens seinen Feinden den Garaus machen werde. Er war König gewesen, nunmehr ward er Dorfschulze und ließ sich dazu herbei, sich mit den Seinigen in der neuen Mission San Fernando de Atabapo niederzulassen. Ein solch trauriges Ende nahmen meist jene Häuptlinge, welche bei Reisenden und Missionären indianische Fürsten heißen. „In meiner Mission,“ sagt der gute Pater Gili, „hatte ich fünf Reyecillos (kleine Könige) der Tamanaken, Avarigoten, Parecas, Quaqua und Maypures. In der Kirche setzte ich alle nebeneinander auf eine Bank, ermangelte aber nicht, den ersten Platz Monaiti, dem Könige der Tamanaken, an- zuweisen, weil er mich bei der Gründung des Dorfes unter- stützt hatte. Er schien ganz stolz auf diese Auszeichnung.“ Wir sind auch Pater Gilis Meinung, daß ehemalige, von ihrer Höhe herabgesunkene Gewalthaber selten mit so wenigem zufriedenzustellen sind. Als Cuseru, der Häuptling der Guaypunabis, die spani- schen Truppen durch die Katarakte ziehen sah, riet er Don Jose Solano, die Niederlassung am Atabapo noch ein ganzes Jahr aufzuschieben; er prophezeite Unheil, das denn auch nicht ausblieb. „Laßt mich,“ sagte Cuseru zu den Jesuiten, „mit den Meinigen arbeiten und das Land umbrechen; ich pflanze Maniok, und so habt ihr später mit so vielen Leuten zu leben.“ Solano, in seiner Ungeduld, weiter vorzudringen, hörte nicht auf den Rat des indianischen Häuptlings. Die neuen An- siedler in San Fernando verfielen allen Schrecknissen der Hungersnot. Man ließ mit großen Kosten zu Schiff auf dem Meta und dem Vichada Mehl aus Neugranada kommen. Die Vorräte langten aber zu spät an, und viele Europäer und Indianer erlagen den Krankheiten, die in allen Himmels- strichen Folgen des Mangels und der gesunkenen moralischen Kraft sind. Man sieht in San Fernando noch einige Spuren von Anbau; jeder Indianer hat eine kleine Pflanzung von Kakao- bäumen. Die Bäume tragen vom fünften Jahre an reichlich, aber sie hören damit früher auf als in den Thälern von Aragua. Die Bohne ist klein und von vorzüglicher Güte. Ein Almuda , deren zehn auf eine Fanega gehen, kostet in San Fernando 6 Realen, etwa 4 Franken, an den Küsten wenigstens 20 bis 25 Franken; aber die ganze Mission erzeugt kaum 80 Fanegas im Jahre, und da, nach einem alten Miß- brauche, die Missionäre am Orinoko und Rio Negro allein mit Kakao Handel treiben, so wird der Indianer nicht auf- gemuntert, einen Kulturzweig zu erweitern, von dem er so gut wie keinen Nutzen hat. Es gibt bei San Fernando ein paar Savannen und gute Weiden; man sieht aber kaum sieben oder acht Kühe darauf, Ueberbleibsel der ansehnlichen Herde, welche die Grenzexpedition ins Land gebracht. Die Indianer sind etwas civilisierter als in den anderen Missionen. Zu unserer Ueberraschung trafen wir einen Schmied von der ein- geborenen Rasse. Was uns in der Mission San Fernando am meisten auffiel und was der Landschaft einen eigentümlichen Charakter gibt, das ist die Pihiguao - oder Pirijao -Palme. Der mit Stacheln bewehrte Stamm ist über 20 m hoch; die Blätter sind gefiedert, sehr schmal, wellenförmig und an den Spitzen gekräuselt. Höchst merkwürdig sind die Früchte des Baumes; jede Traube trägt 50 bis 80; sie sind gelb wie Apfel, werden beim Reifen rot, sind 5 bis 8 cm dick und der Fruchtkern kommt meist nicht zur Entwickelung. Unter den 80 bis 90 Palmenarten, die ausschließlich der Neuen Welt angehören und die ich in den Nova genera plantarum aequinoctialium aufgezählt, ist bei keiner das Fruchtfleisch so außerordentlich stark entwickelt. Die Frucht des Pirijao enthält einen meh- ligen, eigelben, nicht stark süßen, sehr nahrhaften Stoff. Man ißt sie wie die Banane und die Kartoffel, gesotten oder in der Asche gebraten; es ist ein ebenso gesundes als angenehmes Nahrungsmittel. Indianer und Missionäre erschöpfen sich im Lobe dieser herrlichen Palme, die man die Pfirsichpalme nennen könnte und die in San Fernando, San Baltasar, Santa Barbara, überall, wohin wir nach Süd und Ost am Atabapo und oberen Orinoko kamen, in Menge angebaut fanden. In diesen Landstrichen erinnert man sich unwillkürlich der Behauptung Linn é s, die Palmenregion sei die ursprüng- liche Heimat unseres Geschlechtes, der Mensch sei eigentlich ein Palmfruchtesser . Homo habitat inter tropicos, vescitur Palmis, Loto- phagus; hospitatur extra tropicos sub novercante Cerere, carnivorus. Mustert man die Vorräte in den Hütten der Indianer, so sieht man, daß mehrere Monate im Jahre die mehlige Frucht des Pirijao für sie so gut ein Hauptnahrungsmittel ist als der Maniok und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahre, aber oft drei Trauben, also 150 bis 200 Früchte. San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Fran- cisco Solano sind die bedeutendsten Missionen am oberen Orinoko. In San Fernando wie in den benachbarten Dörfern San Baltasar und Javita fanden wir hübsche Pfarrhäuser, mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gärten umgeben. Die schlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unseren Augen die Hauptzierde dieser Pflanzungen. Auf unseren Spazier- gängen erzählte uns der Pater Präsident sehr lebhaft von seinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er sprach davon, wie sehr sich die Indianer auf Züge „zur Eroberung von Seelen“ freuen; jedermann, selbst Weiber und Greise, wollen daran teilnehmen. Unter dem nichtigen Vorwande, man ver- folge Neubekehrte, die aus dem Dorfe entlaufen, schleppt man dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und verteilt sie an die Indianer in den Missionen als Leibeigene oder Poitos . Die Reisetagebücher, die Pater Bartolomeo Mancilla uns ge- fällig mitteilte, enthalten sehr wichtiges geographisches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüssen des Orinoko die Rede sein wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Uebersicht dieser Entdeckungen. Hier nur so viel, daß es, nach meinen astronomischen Beobachtungen am Atabapo und auf dem westlichen Abhange der Kordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fer- nando bis zu den ersten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 480 km ist. Auch versicherten mich Indianer, die früher westlich von der Insel Amanaveni, jenseits des Einflusses des Rio Supavi, gelebt, sie haben auf einer Lustfahrt im Kanoe (was die Wilden so heißen) auf dem Guaviare bis über die Angostura (den Engpaß) und den Hauptwasserfall hinauf, in drei Tagereisen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte suchten. Darüber waren die Indianer so erschrocken, daß sie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrscheinlich kamen diese weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da sich die zwei Flüsse Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es ist nicht zu verwundern, daß die Missionäre am Orinoko und Atabapo fast keine Ahnung davon haben, wie nahe sie bei den Missionären von Mocoa, am Rio Fragua und Caguan leben. In diesen öden Land- strichen kann man nur durch Längenbeobachtungen die wahren Entfernungen kennen lernen, und nur nach astronomischen Er- mittelungen und den Erkundigungen, die ich in den Klöstern zu Popayan und Pasto westwärts von den Kordilleren der Anden eingezogen, erhielt ich einen richtigen Begriff von der gegenseitigen Lage der christlichen Niederlassungen am Atabapo, Guayavero und Caqueta. Sobald man das Bett des Atabapo betritt, ist alles anders, die Beschaffenheit der Luft, die Farbe des Wassers, die Gestalt der Bäume am Ufer. Bei Tage hat man von den Moskiten nicht mehr zu leiden; die Schnaken mit langen Füßen (Zancudos) werden bei Nacht sehr selten, ja oberhalb der Mission San Fernando verschwinden diese Nachtinsekten ganz. Das Wasser des Orinoko ist trübe, voll erdiger Stoffe, und in den Buchten hat es wegen der vielen toten Krokodile und anderer faulender Körper einen bisamartigen, süßlichen Geruch. Um dieses Wasser trinken zu können, mußten wir es nicht selten durch ein Tuch seihen. Das Wasser des Ata- bapo dagegen ist rein, von angenehmem Geschmack, ohne eine Spur von Geruch, bei reflektiertem Lichte bräunlich, bei durch- gehendem gelblich. Das Volk nennt dasselbe „leicht“, im Gegensatze zum trüben, schweren Orinokowasser. Es ist meist um 2°, der Einmündung des Rio Temi zu um 3° kühler als der obere Orinoko. Wenn man ein ganzes Jahr lang Wasser von 27 bis 28° trinken muß, hat man schon bei ein paar Graden weniger ein äußerst angenehmes Gefühl. Diese geringere Temperatur rührt wohl daher, daß der Fluß nicht so breit ist, daß er keine sandigen Ufer hat, die sich am Orinoko bei Tag auf 50° erhitzen, und daß der Atabapo, Temi, Tuamini und der Rio Negro von dichten Wäldern beschattet sind. Daß die schwarzen Wasser ungemein rein sein müssen, das zeigt ihre Klarheit und Durchsichtigkeit und die Deutlich- keit, mit der sich die umgebenden Gegenstände nach Umriß und Färbung darin spiegeln. Auf 7 bis 10 m tief sieht man die kleinsten Fische darin und meist blickt man bis auf den Grund des Flusses hinunter. Und dieser ist nicht etwa Schlamm von der Farbe des Flusses, gelblich oder bräunlich, sondern blendend weißer Quarz- und Granitsand. Nichts geht über die Schönheit der Ufer des Atabapo; ihr üppiger Pflanzen- wuchs, über den Palmen mit Federbuschlaub hoch in die Luft steigend, spiegelt sich im Fluß. Das Grün am re- flektierten Bilde ist ganz so satt als am direkt gesehenen Gegenstand, so glatt und eben ist die Wasserfläche, so frei von suspendiertem Sand und organischen Trümmern, die auf der Oberfläche minder heller Flüsse Streifen und Un- ebenheiten bilden. Wo man vom Orinoko abfährt, kommt man, aber ohne alle Gefahr, über mehrere kleine Stromschnellen. Mitten in diesen Raudialitos ergießt sich, wie die Missionäre an- nehmen, der Atabapo in den Orinoko. Nach meiner Ansicht ergießt sich aber der Atabapo vielmehr in den Guaviare, und diesen Namen sollte man der Flußstrecke vom Orinoko bis zur Mission San Fernando geben. Der Rio Guaviare ist weit breiter als der Atabapo, hat weißes Wasser, und der ganze Anblick seiner Ufer, seine gefiederten Fischfänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoko weit mehr gleicht als der Teil dieses Flusses, der von Esmeralda herkommt. Wenn sich ein Strom durch die Vereinigung zweier fast gleich breiten Flüsse bildet, so ist schwer zu sagen, welchen derselben man als die Quelle zu betrachten hat. Die Indianer in San Fernando haben noch heute eine Anschauung, die der der Geographen gerade zu- widerläuft. Sie behaupten, der Orinoko entspringe aus zwei Flüssen, aus dem Guaviare und dem Rio Paragua. Unter letzterem Namen verstehen sie den oberen Orinoko von San Fernando und Santa Barbara bis über Esmeralda hinauf. Dieser Annahme zufolge ist ihnen der Cassiquiare kein Arm des Orinoko, sondern des Rio Paragua. Ein Blick auf die von mir entworfene Karte zeigt, daß diese Benennungen völlig willkürlich sind. Ob man dem Rio Paragua den Namen Orinoko abstreitet, daran ist wenig gelegen, wenn man nur den Lauf der Flüsse naturgetreu zeichnet, und nicht, wie man vor meiner Reise gethan, Flüsse, die untereinander zusammen- hängen und ein System bilden, durch eine Gebirgskette ge- trennt sein läßt. Will man einen der beiden Zweige, die einen großen Fluß bilden, nach dem letzteren benennen, so muß man den Namen dem wasserreichsten derselben beilegen. In den beiden Jahreszeiten, wo ich den Guaviare und den oberen Orinoko oder Rio Paragua (zwischen Esmeralda und San Fernando) gesehen, kam es mir nun aber vor, als wäre letzterer nicht so breit als der Guaviare. Die Vereinigung A. v. Humboldt , Reise. III. 14 des oberen Mississippi mit dem Missouri und Ohio, die des Marañon mit dem Huallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reisenden Geographen ganz dieselben Bedenken erregt. Um die rein willkürlich angenommene Flußnomenklatur nicht noch mehr zu verwirren, schlage ich keine neuen Benennungen vor. Ich nenne mit Pater Caulin und den spanischen Geographen den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoko oder oberen Orinoko, bemerke aber, daß wenn man den Orinoko von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Insel Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortsetzung des Rio Gua- viare und das Stück des oberen Orinoko zwischen Esmeralda und der Mission San Fernando als einen Nebenfluß betrach- tete, der Orinoko von den Savannen von San Juan de los Llanos und dem Ostabhang der Anden bis zu seiner Mün- dung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Süd- west nach Nordost hätte. Der Rio Paragua oder das Stück des Orinoko, auf dem man ostwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt, hat klareres, durchsichtigeres und reineres Wasser als das Stück unterhalb San Fernando. Das Wasser des Guaviare dagegen ist weiß und trüb; es hat, nach dem Ausspruch der Indianer, deren Sinne sehr scharf und sehr geübt sind, den- selben Geschmack wie das Wasser des Orinoko in den großen Katarakten. „Gebt mir,“ sagte ein alter Indianer aus der Mission Javita zu uns, „Wasser aus drei, vier großen Flüssen des Landes, so sage ich euch nach dem Geschmack zuverlässig, wo das Wasser geschöpft worden, ob aus einem weißen oder schwarzen Fluß, ob aus dem Orinoko oder dem Atabapo, dem Paragua oder Guaviare.“ Auch die großen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoko miteinander gemein; diese Tiere kommen, wie man uns sagte, im Rio Paragua (oder oberen Orinoko zwischen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dies sind doch sehr auffallende Verschiedenheiten hinsichtlich der Beschaffen- heit der Gewässer und der Verteilung der Tiere. Die In- dianer verfehlen nicht, sie aufzuzählen, wenn sie den Reisen- den beweisen wollen, daß der obere Orinoko östlich von San Fernando ein eigener, sich in den Orinoko ergießender Fluß, und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu suchen sei. Die europäischen Geographen haben sicher unrecht, daß sie die Anschauung der Indianer nicht teilen, welche die natürlichen Geographen ihres Landes sind; aber bei Nomenklatur und Orthographie thut man nicht selten gut, eine Unrichtigkeit, auf die man aufmerksam gemacht, dennoch selbst beizubehalten. Meine astronomischen Beobachtungen in der Nacht des 25. April gaben mir die Breite nicht so bestimmt, als zu wünschen war. Der Himmel war bewölkt und ich konnte nur ein paar Höhen von α im Centaur und dem schönen Sterne am Fuße des südlichen Kreuzes nehmen. Nach diesen Höhen schien mir die Breite der Mission San Fernando gleich 4° 2′ 48″; Pater Caulin gibt auf der Karte, die Solanos Beob- achtungen im Jahre 1756 zu Grunde legt, 4° 4′ an. Diese Uebereinstimmung spricht für die Richtigkeit meiner Beob- achtung, obgleich sich dieselbe nur auf Höhen ziemlich weit vom Meridian gründet. Eine gute Sternbeobachtung in Gua- pasoso ergibt mir für San Fernando 4° 2′. (Gumilla setzte den Zusammenfluß des Atabapo und Guaviare unter 0° 30′, d’Auville unter 2° 51′.) Die Länge konnte ich auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dem Rückweg von diesem Fluß sehr genau bestimmen: sie ist 70° 30′ 46″ (oder 4° 0′ westlich vom Meridian von Cumana). Der Gang des Chronometers war während der Fahrt im Kanoe so regelmäßig, daß er vom 16. April bis 9. Juli nur um 27,9 bis 28,5 Sekunden ab- wich. In San Fernando fand ich die sehr sorgfältig rekti- fizierte Inklination der Magnetnadel gleich 29° 70, die In- tensität der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren also seit Maypures bei einem Breitenunterschied von 1° 11′ beträchtlich kleiner und weniger geworden. Das an- stehende Gestein war nicht mehr eisenschüssiger Sandstein, sondern Granit in Gneis übergehend. Am 26. April. Wir legten nur 9 bis 13 km zurück und lagerten zur Nacht auf einem Felsen in der Nähe der indianischen Pflanzungen oder Conucos von Guapasoso. Da man das eigentliche Ufer nicht sieht, und der Fluß, wenn er anschwillt, sich in die Wälder verläuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau sich über das Wasser erhebt. Der Atabapo hat überall ein eigentümliches An- sehen; das eigentliche Ufer, das aus einer 2,6 bis 3,2 m hohen Bank besteht, sieht man nirgends; es versteckt sich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Bäumen mit sehr dünnen Stämmen, deren Wurzeln vom Wasser bespült werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoko abgeht, bis zur Mission San Fernando gibt es viele Krokodile, und dieser Umstand beweist, wie oben bemerkt, daß dieses Flußstück zum Guaviare, nicht zum Atabapo gehört. Im eigentlichen Bett des letzteren ober- halb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr; man trifft hie und da einen Bava an und viele Süßwasserdelphine , aber keine Seekühe. Man sucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguaten oder großen Brüllaffen, den Zamuro oder Vultur aura und den Fasanen mit der Haube, den so- genannten Guacharaca . Ungeheure Wassernattern, im Habitus der Boa gleich, sind leider sehr häufig und werden den Indianern beim Baden gefährlich. Gleich in den ersten Tagen sahen wir welche neben unserer Piroge herschwimmen, die 4 bis 5 m lang waren. Die Jaguare am Atabapo und Temi sind groß und gut genährt, sie sollen aber lange nicht so keck sein als die am Orinoko. Am 27. April. Die Nacht war schön, schwärzliche Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein rasch durch den Zenith. In den unteren Schichten der Atmosphäre regte sich kein Lüftchen, der allgemeine Ostwind wehte erst in 1950 m Höhe. Ich betone diesen Umstand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenströmungen (von West nach Ost), wie man sie zuweilen in der heißen Zone auf den höchsten Gebirgen der Kordilleren wahrzunehmen glaubt, sie rührte vielmehr von einer eigentlichen Brise, vom Ostwind her. Ich konnte die Meridianhöhe von α im südlichen Kreuz gut beobachten; die einzelnen Resultate schwankten nur um 8 bis 10 Sekunden um das Mittel. Die Breite von Gua- pasoso ist 3° 53′ 55″. Das schwarze Wasser des Flusses diente mir als Horizont, und diese Beobachtungen machten mir um so mehr Vergnügen, als wir auf den Flüssen mit weißem Wasser, auf dem Apure und Orinoko, von den In- sekten furchtbar zerstochen worden waren, während Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um 2 Uhr von den Conucos von Gua- pasoso auf. Wir fuhren immer nach Süden hinauf und sahen den Fluß oder vielmehr den von Bäumen freien Teil seines Bettes immer schmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an diese Wälder, in denen es weniger Tiere gibt als am Orinoko, noch nicht gewöhnt, und so wunderten wir uns beinahe, daß wir die Araguaten nicht mehr brüllen hörten. Die Delphine oder Toninas spielten um unser Kanoe. Nach Colebrooke begleitet der Delphinus gangeticus, der Süßwasserdelphin der Alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Be- nares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt, sind es nur 900 km , von Atabapo aber an die Mündung des Orinoko über 1440 km . Gegen Mittag lag gegen Ost die Mündung des kleinen Flusses Ipurichapano, und später kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen Piedra del Tigre bekannt ist. Dieser einzeln stehende Fels ist nur 20 m hoch und doch im Lande weit berufen. Zwischen dem 4. und 5. Grad der Breite, etwas südlich von Bergen von Sipapo, erreicht man das südliche Ende der Kette der Katarakte , für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen Kette der Parime in Vorschlag gebracht habe. Unter 4° 20′ streicht sie vom rechten Orinokoufer gegen Ost und Ost- Süd-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der Parime und dem Amazonenstrom, über den der Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum Teil mit Wald, zum Teil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schlösser. Wir bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufge- schlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur sehr schwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um unser Feuer anzuzünden und unsere Instrumente und Hänge- matten unterbringen zu können. Am 28. April. Der Regen goß seit Sonnenuntergang in Strömen; wir fürchteten, unsere Sammlungen möchten be- schädigt werden. Der arme Missionär bekam seinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem östlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora Cladonia und anderen Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneis- und Granitberge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen. Die Cladonien schienen mir identisch mit dem Lichen rangi- ferinus, dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linn é s. Als wir die Stromschnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Rechten die Trümmer der seit lange verlassenen Mission Mendaxari. Auf dem anderen, östlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kema- rumo, wurden wir auf einen riesenhaften Käsebaum ( Bombax Ceiba ) aufmerksam, der mitten in den Pflanzungen der In- dianer stand. Wir stiegen aus, um ihn zu messen: er war gegen 40 m hoch und hatte 4,5 bis 5 m Durchmesser. Ein so außerordentliches Wachstum fiel uns um so mehr auf, da wir bisher am Atabapo nur kleine Bäume mit dünnem Stamm, von weitem jungen Kirschbäumen ähnlich, gesehen hatten. Nach den Aussagen der Indianer bilden diese kleinen Bäume eine nur wenig verbreitete Gewächsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Flusses im Wachstum gehemmt; auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini wächst dagegen vortreffliches Bauholz. Diese Wälder (und dieser Umstand ist wichtig, wenn man sich von den Ebenen unter dem Aequator am Rio Negro und Amazonenstrom eine richtige Vorstellung machen will), diese Wälder erstrecken sich nicht ohne Unterbrechung ostwärts und westwärts bis zum Cassiquiare und Guaviare; es liegen vielmehr die kahlen Sa- vannen von Manuteso und am Rio Inirida dazwischen. Am Abend kamen wir nur mit Mühe gegen die Strömung vor- wärts, und wir übernachteten in einem Gehölz etwas ober- halb Mendaxari. Hier ist wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzschicht läuft; wir fanden eine Gruppe schöner, schwarzer Schörlkristalle darin. Am 29. April. Die Luft war kühler; keine Zancudos, aber der Himmel fortwährend bedeckt und sternlos. Ich fing an mich wieder auf den unteren Orinoko zu wünschen. Bei der starken Strömung kamen wir wieder nur langsam vorwärts. Einen großen Teil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu suchen, und es war Nacht, als wir in der Mission San Baltasar ankamen, oder, wie die Mönche sagen (da Baltasar nur der Name eines indianischen Häuptlings ist), in der Mission La divina Pastora de Baltasar de Atabapo. Wir wohnten bei einem katalonischen Missionär, einem munteren, liebens- würdigen Mann, der hier in der Wildnis ganz die seinem Volksstamm eigentümliche Thätigkeit entwickelte. Er hatte einen schönen Garten angelegt, wo der europäische Feigen- baum der Persea, der Zitronenbaum dem Mamei zur Seite stand. Das Dorf war nach einem regelmäßigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutschland und im protestantischen Amerika bei den Gemeinden der Mährischen Brüder sieht. Die Pflan- zungen der Indianer schienen besser gehalten als anderswo. Hier sahen wir zum erstenmal den weißen, schwammigen Stoff, den ich unter dem Namen Dapicho und Zapis bekannt gemacht habe. Wir sahen gleich, daß derselbe mit dem „elasti- schen Harz“ Aehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denselben in der Erde, so ver- muteten wir, bis wir in die Mission Javita kamen, das Da- picho möchte ein fossiler Kautschuk sein, wenn auch ab- weichend vom elastischen Bitumen in Derbyshire. In der Hütte des Missionärs saß ein Poimisano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in schwarzen Kautschuk. Er hatte mehrere Stücke auf ein dünnes Holz gespießt und briet dieselben wie Fleisch. Je weicher und elastischer das Dapicho wird, desto mehr schwärzt es sich. Nach dem harzi- gen, aromatischen Geruch, der die Hütte erfüllte, rührt dieses Schwarzwerden wahrscheinlich davon her, daß eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff zersetzt und der Kohlenstoff frei wird, während der Wasserstoff bei gelinder Hitze ver- brennt. Der Indianer klopfte die erweichte schwarze Masse mit einem vorne keulenförmigen Stück Brasilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 8 bis 10 cm Durchmesser und ließ ihn erkalten. Diese Kugeln gleichen vollkommen dem Kautschuk, wie es in den Handel kommt, sie bleiben jedoch außen meist etwas klebrig. Man braucht sie in San Bal- tasar nicht zum indianischen Ballspiel, das bei den Einwoh- nern von Uruana und Encaramada in so hohem Ansehen steht; man schneidet sie cylindrisch zu, um sie als Stöpsel zu gebrauchen, die noch weit besser sind als Korkstöpsel. Diese Anwendung des Kautschuk war uns desto interessanter, da uns der Mangel europäischer Stöpsel oft in große Verlegen- heit gesetzt hatte. Wie ungemein nützlich der Kork ist, fühlt man erst in Ländern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Südamerika kommt nirgends, selbst nicht auf dem Rücken der Anden, eine Eichenart vor, die dem Quercus suber nahe stünde, und weder das leichte Holz der Bombax- und Ochroma- Arten und anderer Malvaceen, noch die Maisspindeln, deren sich die Indianer bedienen, ersetzen unsere Stöpsel vollkommen. Der Missionär zeigte uns vor der Casa de los Solteros (Haus, wo sich die jungen, nicht verheirateten Leute versammeln) eine Trommel, die aus einem 60 cm langen und 48 cm dicken hohlen Cylinder bestand. Man schlug dieselbe mit großen Stücken Dapicho wie mit Trommelschlägeln; sie hatte Löcher, die man mit der Hand schließen konnte, um höhere oder tiefere Töne hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stützen. Wilde Völker lieben rauschende Musik. Die Trommel und die Botutos oder Trompeten aus gebrannter Erde, 1 bis 1,3 m lange Röhren, die sich an mehreren Stellen zu Hohl- kugeln erweitern, sind bei den Indianern unentbehrliche In- strumente, wenn es sich davon handelt, mit Musik Effekt zu machen. Am 30. April. Die Nacht war ziemlich schön, so daß ich die Meridianhöhen des α im südlichen Kreuz und der zwei großen Sterne in den Füßen des Centauren beobachten konnte. Ich fand für San Baltasar eine Breite von 3° 14′ 23″. Als Länge ergab sich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70° 14′ 21″. Die Inklination der Magnet- nadel war 27′ 80. Wir verließen die Mission morgens ziem- lich spät und fuhren den Atabapo noch 22,5 km hinauf; statt ihm aber weiter seiner Quelle zu gegen Osten, wo er Atacavi heißt, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Mündung desselben kamen, beim Einfluß des Guasacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am westlichen Ufer aufmerksam. Dieselbe heißt der Fels der Guahiba- Indianerin , oder der Fels der Mutter, Piedra de la madre. Wir fragten nach dem Grund einer so sonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unsere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen später erzählte uns ein anderer Missionär einen Vor- fall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den schmerzlichsten Eindruck auf uns machte. Wenn der Mensch in diesen Einöden kaum eine Spur seines Daseins hinter sich läßt, so ist es für den Europäer doppelt demütigend, daß durch den Namen eines Felsens, durch eines der unvergänglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die sittliche Ver- worfenheit unseres Geschlechtes, an den Gegensatz zwischen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civilisierten Menschen verewigt wird. Der Missionär von San Fernando Einer der Vorgänger des Geistlichen, den wir in San Fer- nando als Präsidenten der Missionen fanden. war mit seinen In- dianern an den Guaviare gezogen, um einen jener feindlichen Einfälle zu machen, welche sowohl die Religion als die spa- nischen Gesetze verbieten. Man fand in einer Hütte eine Mutter vom Stamme der Guahibos mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sie bereiteten Ma- niokmehl. An Widerstand war nicht zu denken; der Vater war auf dem Fischfang, und so suchte die Mutter mit ihren Kindern sich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte sie die Savanne erreicht, so wurde sie von den Indianern aus der Mission eingeholt, die auf die Menschenjagd gehen, wie die Weißen und die Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Fluß geschleppt. Der Ordens- mann saß in seinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die für ihn sehr gefahrlos war. Hätte sich die Mutter zu stark gewehrt, so wäre sie von den Indianern umgebracht worden; alles ist erlaubt, wenn man auf die Conquista espiritual auszieht, und man will besonders der Kinder hab- haft werden, die man dann in der Mission als Poitos oder Sklaven der Christen behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter könne zu Land sich nicht wieder in ihre Heimat zurückfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entführung den Vater begleitet hatten, geriet das Weib in die höchste Verzweiflung. Sie beschloß, die Kinder, die in der Gewalt des Missionärs waren, zur Familie zurückzubringen; sie lief mit ihnen mehrere Male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Missionär sie unbarmherzig hatte peitschen lassen, faßte er den grausamen Entschluß, die Mutter von den beiden Kindern, die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man führte sie allein den Atabapo hinauf, den Missionen am Rio Negro zu. Leicht gebunden saß sie auf dem Vorderteil des Fahrzeuges. Man hatte ihr nicht gesagt, welches Los ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne sah sie wohl, daß sie immer weiter von ihrer Hütte und ihrer Heimat wegkam. Es gelang ihr, sich ihrer Bande zu entledigen, sie sprang in den Fluß und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trug sie an eine Felsbank, die noch heute ihren Namen trägt. Sie ging hier ans Land und lief ins Holz; aber der Präsi- dent der Missionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde sie zurückgebracht, auf den Fels ( piedra de la madre ) gelegt und mit einem Seekuhriemen, die hierzulande als Peitschen dienen und mit denen die Alkaden immer versehen sind, un- barmherzig gepeitscht. Man band dem unglücklichen Weibe mit starken Mavacureranken die Hände auf den Rücken und brachte sie in die Mission Javita. Man sperrte sie hier in eine der Karawanseraien, die man hier Casas del Rey nennt. Es war in der Regenzeit und die Nacht ganz finster. Wälder, die man bis da für undurchdringlich gehalten, liegen 112 km in gerader Linie breit, zwischen Javita und San Fernando. Man kennt keinen anderen Weg als die Flüsse. Niemals hat ein Mensch ver- sucht zu Lande von einem Dorfe zum anderen zu gehen, und lägen sie auch nur ein paar Meilen auseinander. Aber solche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder sind in San Fer- nando am Atabapo; sie muß zu ihnen, sie muß sie aus den Händen der Christen befreien, sie muß sie dem Vater am Guaviare wiederbringen. Die Guahiba ist im Karawanserai nachlässig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Javita ohne Vorwissen des Mis- sionärs und des Alkaden die Bande gelockert. Es gelingt ihr, sie mit den Zähnen vollends loszumachen, und sie ver- schwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum viertenmal aufgeht, sieht man sie in der Mission San Fernando um die Hütte schleichen, wo ihre Kinder eingesperrt sind. „Was dieses Weib ausgeführt,“ sagte der Missionär, der uns diese traurige Geschichte erzählte, „der kräftigste Indianer hätte es sich nicht getraut, es zu unternehmen.“ Sie ging durch die Wälder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist und die Sonne tagelang nur auf wenige Minuten zum Vorschein kommt. Hatte sie sich nach dem Laufe der Wasser gerichtet? Aber da alles überschwemmt war, mußte sie sich weit von den Flußufern, mitten in den Wäldern halten, wo man das Wasser fast gar nicht laufen sieht. Wie oft mochte sie von den stachligen Lianen aufgehalten worden sein, welche um die von ihnen umschlungenen Stämme ein Gitterwerk bilden! Wie oft mußte sie über die Bäche schwimmen, die sich in den Atabapo ergießen! Man fragte das unglückliche Weib, von was sie sich vier Tage lang genährt; sie sagte, völlig erschöpft habe sie sich keine andere Nahrung verschaffen können als die großen schwarzen Ameisen, Vachacos genannt, die in langen Zügen an den Bäumen hinaufkriechen, um ihre harzigen Nester daran zu hängen. Wir wollten durchaus vom Mis- sionär wissen, ob jetzt die Guahiba in Ruhe des Glückes habe genießen können, um ihre Kinder zu sein, ob man doch end- lich bereut habe, daß man sich so maßlos vergangen? Er fand nicht für gut, unsere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rückreise vom Rio Negro hörten wir, man habe der India- nerin nicht Zeit gelassen, von ihren Wunden zu genesen, sondern sie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Mis- sion am oberen Orinoko gebracht. Dort wies sie alle Nah- rung von sich und starb, wie die Indianer in großem Jam- mer thun. Dies ist die Geschichte, deren Andenken an diesem un- seligen Gestein, an der Piedra de la madre, haftet. Es ist mir in dieser meiner Reisebeschreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Unglücksszenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt überall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civilisierte Europäer unter versunkenen Völkern leben, wo Priester mit unumschränkter Gewalt über unwissende, wehrlose Menschen herrschen. Als Geschichtschreiber der Länder, die ich bereist, beschränke ich mich meist darauf, anzudeuten, was in den bürgerlichen und religiösen Einrich- tungen mangelhaft oder der Menschheit verderblich erscheint. Wenn ich beim Fels der Guahiba länger verweilt habe, geschah es nur, um ein rührendes Beispiel von Mutterliebe bei einer Menschenart beizubringen, die man so lange ver- leumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen schien, einen Vorfall zu veröffentlichen, den ich aus dem Munde von Fran- ziskanern habe, und der beweist, wie notwendig es ist, daß das Auge des Gesetzgebers über dem Regiment der Missio- näre wacht. Oberhalb des Einflusses des Guasacavi liefen wir in den Rio Temi ein, der von Süd nach Nord läuft. Wären wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, so wären wir gegen Ost- Süd-Ost vom Guainia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi ist nur 155 bis 175 m breit, und in jedem anderen Lande als Guyana wäre dies noch immer ein bedeutender Fluß. Das Land ist äußerst einförmig, nichts als Wald auf völlig ebenem Boden. Die schöne Pirijaopalme mit Früchten wie Pfirsiche, und eine neue Art Bache oder Mauritia mit stachligem Stamm ragen hoch über den kleineren Bäumen, deren Wachstum, wie es scheint, durch das lange Stehen unter Wasser niedergehalten wird. Diese Mauritia aculeata heißt bei den Indianern Juria oder Cauvaja . Sie hat fächer- förmige, gegen den Boden gesenkte Blätter; auf jedem Blatte sieht man gegen die Mitte, wahrscheinlich infolge einer Krank- heit des Parenchyms, konzentrische, abwechselnd gelbe und blaue Kreise; gegen die Mitte herrscht das Gelb vor. Diese Erscheinung fiel uns sehr auf. Diese wie ein Pfauenschweif gefärbten Blätter sitzen auf kurzen, sehr dicken Stämmen. Die Stacheln sind nicht lang und dünn, wie beim Corozo und anderen stachligen Palmen; sie sind im Gegenteil stark holzig, kurz, gegen die Basis breiter, wie die Stacheln der Hura crepitans . An den Ufern des Atabapo und Temi steht diese Palme in Gruppen von 12 bis 15 Stämmen, die sich so nah aneinander drängen, als kämen sie aus einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blätter gleichen diese Bäume den Fächerpalmen und Chamärops der Alten Welt. Wir bemerkten, daß einige Juria- stämme gar keine Früchte trugen, während andere davon ganz voll hingen; dies scheint auf eine Palme mit getrennten Ge- schlechtern zu deuten. Ueberall, wo der Temi Schlingen bildet, steht der Wald über 10 qkm weit unter Wasser. Um die Krümmungen zu vermeiden und schneller vorwärts zu kommen, wird die Schiff- fahrt hier ganz seltsam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flußbett ab, und wir fuhren südwärts durch den Wald auf sogenannten Sendas , das heißt 1,3 bis 1,6 m breiten, offenen Kanälen. Das Wasser ist selten über einen halben Faden tief. Diese Sendas bilden sich im überschwemmten Wald wie auf trockenem Boden die Fußsteige. Die Indianer schlagen von einer Mission zur anderen mit ihren Kanoen wo- möglich immer denselben Weg ein; da aber der Verkehr gering ist, so stößt man bei der üppigen Vegetation zuweilen un- erwartet auf Hindernisse. Deshalb stand ein Indianer mit einem Machete (ein großes Messer mit 37 cm langer Klinge) vorne auf unserem Fahrzeuge und hieb fortwährend die Zweige ab, die sich auf beiden Seiten des Kanales kreuzten. Im dicksten Walde vernahmen wir mit Ueberraschung einen sonder- baren Lärm. Wir schlugen an die Büsche, und da kam ein Schwarm 1,3 m langer Toninas (Süßwasserdelphine) zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Tiere waren unter den Aesten eines Käsebaumes oder Bombax Ceiba versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Wasser und komprimierter Luft, nach denen sie in allen Sprachen Blasefische oder Spritzfische, souff- leurs u. s. w. heißen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, 1300 bis 1800 km von den Mündungen des Orinoko und des Amazonenstroms! Ich weiß wohl, daß Fische von der Familie Pleuronectes Limanda. aus dem Atlantischen Meere in der Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Ansicht, daß die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoko, von den Seerochen und See- delphinen ganz verschiedene Arten sind. In den ungeheuren Strömen Südamerikas und in den großen Seen Nordame- rikas scheint die Natur mehrere Typen von Seetieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delphine; Die Delphine, welche in die Nilmündung kommen, fielen indessen den Alten so auf, daß sie auf einer Büste des Flußgottes aus Syenit im Pariser Museum halb versteckt im wallenden Barte dargestellt sind. sie gehen aus dem Meere im Delta nicht über Biana und Metonbis, Se- lamun zu, hinauf. Gegen 5 Uhr abends gingen wir nicht ohne Mühe in das eigentliche Flußbett zurück. Unsere Piroge blieb ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstämmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Kanäle sich kreuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Wir haben oben gesehen, daß man in der Provinz Varinas im Kanoe über die offenen Savannen von San Fer- nando am Apure bis an den Arauca fährt; hier fuhren wir durch einen Wald, der so dicht ist, daß man sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientieren kann. Heute fiel es uns wieder recht auf, daß es in diesem Landstriche keine baumartigen Farne mehr gibt. Sie nehmen vom 6. Grad nördlicher Breite an sichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aequator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Heimat der baumartigen Farne ist ein nicht so heißes Klima, ein etwas bergiger Boden, Plateaus von 580 m Höhe. Nur wo Berge sind, gehen diese prachtvollen Gewächse gegen die Nie- derungen herab; ganz ebenes Land, wie das, über welches der Cassiquiare, der Temi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, scheinen sie zu meiden. Wir übernachteten an einem Felsen, den die Missionäre Piedra de Astor nennen. Von der Mündung des Guaviare an ist der geologische Charakter des Bodens derselbe. Es ist eine weite aus Granit bestehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Gestein zu Tage kommt und keine Hügel, sondern kleine senkrechte Massen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebäuden gleichen. Am 1. Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnen- aufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriffe war, durch den Meridian zu gehen. Auf diesem nassen, dicht bewaldeten Landstriche wurden die Nächte immer finsterer, je näher wir dem Rio Negro und dem inneren Brasilien kamen. Wir blieben im Flußbett, bis der Tag anbrach; man hätte besorgen müssen, sich unter den Bäumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der starken Strömung auszuweichen, durch den überschwemmten Wald. So kamen wir an den Zusammenfluß des Temi mit einem anderen kleinen Flusse, dem Tuamini, dessen Wasser gleichfalls schwarz ist, und gingen den letzteren gegen Südwest hinauf. Damit kamen wir auf die Mission Javita zu, die am Tuamini liegt. In dieser christlichen Niederlassung sollten wir die er- forderlichen Mittel finden, um unsere Piroge zu Land an den Rio Negro schaffen zu lassen. Wir kamen in San An- tonio de Javita erst um 11 Uhr vormittags an. Ein an sich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtsam die kleinen Sagoine sind, hatte uns an der Mün- dung des Tuamini eine Zeitlang aufgehalten. Der Lärm, den die Spritzfische machen, hatte unsere Affen erschreckt, und einer war ins Wasser gefallen. Da diese Affenart, vielleicht weil sie ungemein mager ist, sehr schlecht schwimmt, so kostete es Mühe, ihn zu retten. Zu unserer Freude trafen wir in Javita einen sehr geistes- lebendigen, vernünftigen und gefälligen Mönch. Wir mußten uns 4 bis 5 Tage in seinem Hause aufhalten, da so lange zum Transport unseres Fahrzeuges über den Trageplatz am Pimichin erforderlich war; wir benützten diese Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzusehen, sondern auch, um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir seit zwei Tagen litten. Wir hatten sehr starkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handrücken. Der Missionär sagte uns, das seien Aradores (Ackerer), die sich in die Haut gegraben. Mit der Lupe sahen wir nur Streifen, parallele weißliche Furchen. Wegen der Form dieser Furchen heißt das Insekt der Ackerer . Man ließ eine Mulattin kommen, die sich rühmte, all die kleinen Tiere, welche sich in die Haut des Menschen graben, die Nigua , den Nuche , die Coya und den Ackerer , aus dem Fundament zu kennen; es war die Curandera , der Dorfarzt. Sie versprach uns, die Insekten, die uns so schreck- liches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete sie mit dem pedantischen Ernste, der den Farbigen eigen ist, da sei bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier solche Aradores heraus hätte, sollte ich mich erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tage heilte uns ein Indianer aus Javita radikal und über- raschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt Uzao , mit kleinen, denen der Cassia ähn- lichen, stark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich aussah und wie Süßholz ( Glycirrhyza ) schmeckte und geschlagen starken Schaum gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüte noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie der Schotengewächse anzugehören, deren chemische Eigenschaften so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir aus- zustehen gehabt, hatte uns so ängstlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Kanoe mitführten; der Strauch wächst am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die Aradores oder mikroskopischen Acariden verursuchen? Im Jahre 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen den Missionen Javita und San Baltasar als zu Brasilien gehörig betrachtet. Die Portugiesen waren vom Rio Negro über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianischer Häuptling, Javita, berühmt wegen seines Mutes und seines Unternehmungsgeistes, war mit den Portugiesen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüsse des Amazonenstromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den schwarzen Gewässern des Temi und Tuamini, über 450 km weit. Er war mit einem Patent versehen, das ihn ermächtigte, „Indianer aus dem Walde zu holen zur Eroberung der Seelen“. Er machte von dieser Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er bezweckte mit seinen Einfällen etwas, das nicht so ganz geistlich war, Sklaven ( poitos ) zu machen und sie an die Portugiesen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ er Kapitän Javita auf einem seiner Streifzüge am Temi fest- nehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Versprechungen, die nicht gehalten wurden, für die spanische Regierung zu gewinnen. Die Portugiesen, die bereits einige feste Niederlassungen im Lande gegründet hatten, wurden bis an den unteren Rio Negro zurückgedrängt, und die Mission San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianischen Gründer Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo sie jetzt liegt. Der alte Kapitän Javita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er ist ein Indianer von bedeutender Geistes- und Körperkraft. Er spricht geläufig spanisch und hat einen gewissen Einfluß auf die be- nachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim Botanisieren und erteilte uns mancherlei Auskunft, die wir desto mehr schätzten, da die Missionäre ihn für sehr zuverlässig halten. Er versichert, er habe in seiner Jugend fast alle Indianerstämme, welche auf dem großen Landstriche zwischen dem Orinoko, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura wohnen, Menschenfleisch essen sehen. Er hält die Daricavanas, Puchirinavis und Manitibitanos für die stärksten Anthropo- phagen. Er hält diesen abscheulichen Brauch bei ihnen nur für ein Stück systematischer Rachsucht: sie essen nur Feinde, die im Gefechte in ihre Hände gefallen. Die Beispiele, wo der Indianer in der Grausamkeit so weit geht, daß er seine Nächsten, sein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, sind, wie wir weiter unten sehen werden, sehr selten. Auch weiß man am Orinoko nichts von der seltsamen Sitte der skythischen und massagetischen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Toten zu Ehren die Leiche zum Teil aßen. Auf beiden Kontinenten kommt dieser Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleisch eines Gefangenen verabscheuen. Der Indianer auf Hayti (San Domingo) hätte geglaubt, dem Andenken eines Angehö- rigen die Achtung zu versagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten Leiche in sein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl mit einem orientalischen Dichter sagen, „am seltsamsten in seinen Sitten, am ausschweifendsten in seinen Trieben sei von allen Tieren der Mensch“. Das Klima in San Antonio de Javita ist ungemein regnerisch. Sobald man über den dritten Breitengrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man selten Gelegenheit, Sonne und Gestirne zu beobachten. Es regnet fast das ganze Jahr und der Himmel ist beständig bedeckt. Da in diesem unermeß- lichen Urwalde von Guyana der Ostwind nicht zu spüren ist und die Polarströme nicht hierher reichen, so wird die Luft- säule, die auf dieser Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten ersetzt. Der Wasserdunst, mit dem sie gesättigt ist, verdichtet sich zu äquatorialen Regengüssen. Der Missionär versicherte uns, er habe hier oft vier, fünf Monate ohne Unter- brechung regnen sehen. Ich maß den Regen, der am 1. Mai innerhalb 5 Stunden fiel: er stand 46,5 mm hoch, und am 3. Mai bekam ich sogar 30 mm in 3 Stunden. Und zwar, was wohl zu beachten, wurden diese Beobachtungen nicht bei starkem, sondern bei ganz gewöhnlichem Regen angestellt. Be- kanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, selbst in den nassesten, März, Juli und September, nur 62 bis 66 mm Wasser. Allerdings kommen auch bei uns Regengüsse vor, bei denen in der Stunde über 26 mm Wasser fallen, man darf aber nur den mittleren Zustand der Atmosphäre in der ge- mäßigten und in der heißen Zone vergleichen. Aus den Be- obachtungen, die ich hintereinander im Hafen von Guayaquil an der Südsee und in der Stadt Quito in 2908 m Meeres- höhe angestellt, scheint hervorzugehen, daß gewöhnlich auf dem Rücken der Anden in der Stunde 2 bis 3mal weniger Wasser fällt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge öfter, dabei fällt aber in einer gegebenen Zeit weniger Wasser. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos ist der Himmel bedeutend heiterer als in Javita und am Temi. Dieser Unterschied rührt nach meiner Ansicht daher, daß dort die Savannen am unteren Rio Negro in der Nähe liegen, über die der Ostwind frei wehen kann, und die durch ihre Strah- lung einen stärkeren aufsteigenden Luftstrom verursachen als bewaldetes Land. Es ist in Javita kühler als in Maypures, aber bedeutend heißer als am Rio Negro. Der hundertteilige Thermometer stand bei Tage auf 26 bis 27°, bei Nacht auf 21°; nördlich von den Katarakten, besonders nördlich von der Mündung des Meta, war die Temperatur bei Tage meist 28 bis 30°, A. v. Humboldt , Reise. III. 15 bei Nacht 25 bis 26°. Diese Abnahme der Wärme am Ata- bapo, Tuamini und Rio Negro rührt ohne Zweifel davon her, daß bei dem beständig bedeckten Himmel die Sonne so wenig scheint und die Verdunstung auf dem nassen Boden so stark ist. Ich spreche nicht vom erkältenden Einflusse der Wälder, wo die zahllosen Blätter ebenso viele dünne Flächen sind, die sich durch Strahlung gegen den Himmel abkühlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieses Moment nicht viel ausmachen. Auch scheint die Meereshöhe von Javita etwas dazu beizutragen, daß die Temperatur niedriger ist. Maypures liegt wahrscheinlich 117 bis 136 m , San Fernando de Atabapo 238, Javita 323 m über dem Meere. Da die kleine atmosphärische Ebbe und Flut an der Küste (in Cu- mana) von einem Tag zum anderen um 1,6 bis 4 mm variiert, und ich das Unglück hatte, das Instrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, so sind diese Resultate nicht ganz zuverlässig. Als ich in Javita die stündlichen Variationen des Luftdruckes beobachtete, bemerkte ich, daß eine kleine Luft- blase die Quecksilbersäule zum Teil sperrte Ich führe diesen geringfügigen Umstand hier an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen, wie nötig es ist, nur solche Barometer zu haben, bei denen die Röhre der ganzen Länge nach sichtbar ist. Eine ganz kleine Luftblase kann das Quecksilber zum Teil oder ganz sperren, ohne daß der Ton beim Anschlagen des Quecksilbers am Ende der Röhre sich veränderte. und durch ihre thermometrische Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluß äußerte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwängt waren, ließ sich der Barometer fast unmöglich senkrecht oder doch stark aufwärts geneigt halten. Ich benützte unseren Aufenthalt in Javita, um das Instrument auszu- bessern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehörig rektifiziert, stand der Thermometer bei 23,4° Temperatur morgens 11½ Uhr 40 cm hoch. Ich lege einiges Gewicht auf diese Beobachtung, da es für die Kenntnis der Boden- bildung eines Kontinents von größerem Belang ist, die Meeres- höhe der Ebenen 900 bis 1300 km von der Küste zu bestimmen, als die Gipfel der Kordilleren zu messen. Barometrische Be- obachtungen in Segu am Nigir, in Bornu oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami wären für die Geologie wichtiger als die Bestimmung der Höhe der Gebirge in Abes- sinien und im Musart. Die stündlichen Variationen des Barometers treten in Javita zu denselben Stunden ein wie an den Küsten und im Hofe Antisana, wo mein Instrument in 4100 m Meereshöhe hing. Sie betrugen von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr abends 3,2 mm , am 4. Mai sogar fast 4,4 mm . Der Delucsche auf den Saussureschen reduzierte Hygrometer stand fortwährend im Schatten zwischen 84 und 92°, wobei nur die Beobachtungen gerechnet sind, die gemacht wurden, solange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte somit seit den großen Katarakten bedeutend zugenommen: sie war mitten in einem stark beschatteten, von Aequatorialregen überfluteten Lande fast so groß wie auf der See. Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sternes im Meridian ansichtig werden, um die Länge zu bestimmen. Ich blieb ganze Nächte wach, um die Methode der doppelten Höhen anzuwenden; all mein Bemühen war vergeblich. Die Nebel im nördlichen Europa sind nicht anhaltender als hier in Guyana in der Nähe des Aequators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorschein. Ich fand mit dem Chronometer und mittels Stundenwinkeln die Länge von Javita gleich 70° 22′ oder 1° 1′ 5″ weiter nach West als die Länge der Einmündung des Apure in den Orinoko. Dieses Ergebnis ist von Bedeutung, weil wir damit auf unseren Karten die Lage des gänzlich unbekannten Landes zwischen dem Xie und den Quellen des Issana angeben können, die auf demselben Meridian wie die Mission Javita liegen. Die Inklination der Magnetnadel war in der Mission 26,40°; sie hatte demnach seit dem großen nördlichen Katarakt, bei einem Breitenunterschiede von 3° 50′, um 5,85° abgenommen. Die Abnahme der Intensität der magnctischen Kraft war ebenso bedeutend. Die Kraft entsprach in Atures 223, in Javita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten. Die Indianer in Javita, 160 an der Zahl, sind gegen- wärtig größtenteils Poimisanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Stämme einer großen Lorbeerart, von den Missionären Sassafras Ocotea cymbarum , sehr verschieden vom Laurus Sassa- fras in Nordamerika. genannt, die man mit Feuer und Axt zugleich aushöhlt. Diese Bäume sind über 30 m hoch; das Holz ist gelb, harzig, verdirbt fast nie im Wasser und hat einen sehr angenehmen Geruch. Wir sahen es in San Fernando, in Javita, besonders aber in Esmeralda, wo die meisten Pirogen für den Orinoko gebaut werden, weil die benachbarten Wälder die dicksten Sassafras- stämme liefern. Man bezahlt den Indianern für 84 cm oder eine Vara vom Boden der Piroge, das heißt für den unteren, hauptsächlichen Teil (der aus einem ausgehöhlten Stamme besteht), einen harten Piaster, so daß ein 13,3 m langes Kanoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster kostet; aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt so hoch. Auf dem oberen Orinoko sah ich 40 Piaster oder 200 Franken für eine 15,6 m lange Piroge bezahlen. Im Walde zwischen Javita und dem Caño Pimichin wächst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Oco- teen und echte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Persea, ist wild nur in mehr als 1950 m Meereshöhe ge- funden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum secundiflorum, der Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen Holz rot ist wie Brasilholz, der Guamufate mit schönen, 18 bis 21 cm langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die Amyris Caranna und der Mani. Alle diese Bäume (mit Ausnahme unserer neuen Gattung Retiniphyllum ) waren 32 bis 35 m hoch. Da die Aeste erst in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, so kostete es Mühe, sich Blätter und Blüten zu verschaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen am Boden; da aber in diesen Wäldern Arten verschiedener Familien durcheinander wachsen und jeder Baum mit Schling- pflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten, die Blüten gehören diesem oder jenem Baume an. In der Fülle der Naturschätze machte uns das Botanisieren mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten un- aufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künstlicher Wärme zu trocknen suchte, größtenteils zu Grunde. Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten sie besser zu unterscheiden als Blüten und Früchte. Da sie nur Bauholz (Stämme zu Pirogen) suchen, kümmern sie sich wenig um den Blütenstand. „Alle diese großen Bäume tragen weder Blüten noch Früchte,“ so lautete fortwährend ihr Be- scheid. Gleich den Kräuterkennern im Altertum ziehen sie in Abrede, was sie nicht der Mühe wert gefunden zu untersuchen. Wenn unsere Fragen sie langweilten, so machten sie ihrerseits uns ärgerlich. Wir haben schon oben die Bemerkung gemacht, daß zu- weilen dieselben chemischen Eigenschaften denselben Organen in verschiedenen Pflanzenfamilien zukommen, so daß diese Familien in verschiedenen Klimaten einander ersetzen. Die Einwohner des tropischen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was die Nadelhölzer für die gemäßigte Zone, das sind die Terebinthaceen und Guttiferen für die heiße. In diesen Wäldern des heißen Erdstriches, wo es keine Fichte, keine Thuia, kein Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus gibt, kommen Harze, Balsame, aromatisches Gummi von den Mo- ronobea-, Icica-, Amyrisarten. Das Einsammeln dieser Gummi und Harze ist ein Erwerbszweig für das Dorf Javita. Das berühmteste Harz heißt Mani ; wir sahen mehrere Zentner schwere Klumpen desselben, die Kolophonium oder Mastix glichen. Der Baum, den die Paraginisindianer Mani nennen und den Bonpland für die Moronobea coccinea hält, liefert nur einen sehr kleinen Teil der Masse, die in den Handel von Angostura kommt. Das meiste kommt vom Mararo oder Caragna , der eine Amyris ist. Es ist ziemlich auf- fallend, daß der Name Mani , den Aublet aus dem Munde der Galibisindianer in Cayenne gehört hat, uns in Javita, 1300 km von französisch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Symphonia bei Javita gibt ein gelbes Harz, der Caragna ein stark riechendes, schneeweißes Harz, das gelb wird, wo es innen an alter Rinde sitzt. Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu sehen, ob es mit dem Transport unseres Fahrzeuges zu Land vorwärts ging. Dreiundzwanzig Indianer waren angestellt, dasselbe zu schleppen, wobei sie nacheinander Baumäste als Walzen unterlegten. Ein kleines Kanoe gelangt in einem oder andert- halb Tagen aus dem Tuamini in den Caño Pimichin, der in den Rio Negro fällt; aber unsere Piroge war sehr groß, und da sie noch einmal durch die Katarakte mußte, bedurfte es besonderer Vorsichtsmaßregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. Der Transport währte auch über vier Tage. Erst seit dem Jahre 1795 ist ein Weg durch den Wald an- gelegt. Die Indianer in Javita haben denselben zur Hälfte vollendet, die andere Hälfte haben die Indianer in Maroa, Davipe und San Carlos herzustellen. Pater Eugenio Cereso maß den Weg mit einem 83,6 m langen Strick und fand denselben 14361 m lang. Legte man statt des „Trageplatzes“ einen Kanal an, wie ich dem Ministerium König Karls IV. vorgeschlagen, so würde die Verbindung zwischen dem Rio Negro und Angostura, zwischen dem spanischen Orinoko und den portugiesischen Besitzungen am Amazonenstrom ungemein erleichtert. Die Fahrzeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr über den Cassiquiare, der eine Menge Krümmungen hat und wegen der starken Strömung gerne gemieden wird; sie gingen nicht mehr den Orinoko von seiner Gabelteilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Bergfahrt wäre über den Rio Negro und den Caño Pimichin um die Hälfte kürzer. Vom neuen Kanal bei Javita ginge es über den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoko abwärts bis Ango- stura. Ich glaube, man könnte auf diese Weise von der bra- silianischen Grenze in die Hauptstadt von Guyana leicht in 24 bis 26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewöhnlichen Umständen 10 Tage weniger und der Weg wäre für die Ru- derer (Bogas) weniger beschwerlich, weil man nur halb so lang gegen die Strömung anfahren muß, als auf dem Cassi- quiare. Fährt man aber den Orinoko herauf, geht man von Angostura an den Rio Negro, so beträgt der Unterschied in der Zeit kaum ein paar Tage; denn über dem Pimichin muß man dann die kleinen Flüsse hinauf, während man auf dem alten Wege den Cassiquiare hinunterfährt. Wie lange die Fahrt von der Mündung des Orinoko nach San Carlos dauert, hängt begreiflich von mehreren wechselnden Umständen ab, ob die Brise zwischen Angostura und Carichana stärker oder schwächer weht, wie in den Katarakten von Atures und May- pures und in den Flüssen überhaupt der Wasserstand ist. Im November und Dezember ist die Brise ziemlich kräftig und die Strömung des Orinoko nicht stark, aber die kleinen Flüsse haben dann so wenig Wasser, daß man jeden Augenblick Ge- fahr läuft, aufzufahren. Die Missionäre reisen am liebsten im April, zur Zeit der Schildkröteneierernte, durch die an ein paar Uferstriche des Orinoko einiges Leben kommt. Man fürchtet dann auch die Moskiten weniger, der Strom ist halb voll, die Brise kommt einem noch zu gute und man kommt leicht durch die großen Katarakte. Aus den Barometerhöhen, die ich in Javita und beim Landungsplatz am Pimichin beobachtet, geht hervor, daß der Kanal im Durchschnitt von Nord nach Süd einen Fall von 58 bis 78 m hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Pirogen schleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, daß unter diesen Bächen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektiertem Licht so weiß war als das Orinoko- wasser. Woher mag dieser Unterschied rühren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savannen, aus denselben Sümpfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Kanal würde daher nicht 11,7 km lang. Ich steckte den kürzesten Weg mittels des Kompasses ab und man hieb hie und da in die ältesten Waldbäume Marken. Der Boden ist völlig eben; auf 22,5 km in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhöhung. Wie die Verhältnisse jetzt sind, sollte man das „Tragen“ wenigstens dadurch erleichtern, daß man den Weg besserte, die Pirogen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche schlüge, durch welche die Indianer oft tagelang aufgehalten werden. In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus- kunft über den vermeintlichen fossilen Kautschuk, den die Indianer Dapicho nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfigen Erd- reich 60 bis 90 cm zwischen den Wurzeln zweier Bäume, des Jacio und des Curvana graben muß. Ersterer ist Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, der Kautschuk kommt, der in Cayenne und Gran Para im Handel ist; der zweite hat gefiederte Blätter; sein Saft ist milchig, aber sehr dünn und fast gar nicht klebrig. Der Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dies geschieht besonders, wenn die Bäume sehr alt sind, und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint be- kommen Risse, und so erfolgt auf natürlichem Wege, was der Mensch künstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Ca- stilloa und der Kautschuk gebenden Feigenbäume in Menge zu sammeln. Nach Aublets Bericht machen die Galibi und Garipon in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so daß diese von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zu- sammenlaufen. Alle diese Rinnen leiten den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefäß steht, in dem der Kautschuk aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefähr ebenso verfahren. Wenn, wie ich vermute, die Anhäufung und das Aus- treten der Milch beim Jacio und Curvana ein patholo- gische Erscheinung ist, so muß der Prozeß zuweilen durch die Spitzen der längsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden 60 cm breite und 10 cm dicke Massen Dapicho 2,6 m vom Stamme entfernt. Oft sucht man unter abgestorbenen Bäumen vergebens, andere Male findet man Dapicho unter noch grü- nenden Hevea- oder Jaciostämmen. Die Substanz ist weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinanderliegen- den Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, daß infolge eines eigentümlichen Zustandes des vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigentümlich beschaffener, ich möchte fast sagen „vergeilter“ Kautschuk. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das wellige Ansehen der Ränder des Da- picho und seine Blätterung zu erklären. Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles Wasser gießt, das Gerinnsel wellenförmige Umrisse zeigt. Das Dapicho kommt sicher nicht bloß in dem Walde zwischen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nicht, daß man in französisch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von korkartigem Kautschuk fände, wie wir sie eben beschrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft sich gegen die Wurzeln zieht; es wäre interessant, zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsäfte der Urticeen, der Eu- phorbien, und der Apocyneen in gewissen Jahreszeiten gleich- falls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyklus, unterliegen Veränderungen mit periodischer Wiederkehr. Der Dapicho ist wichtiger für die Pflanzen- physiologie als für die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung Allens über den Unterschied zwischen dem Kaut- schuk in seinem gewöhnlichen Zustande und der bei Javita gefundenen Substanz, von der ich Sir Joseph Banks gesendet hatte. Gegenwärtig kommt im Handel ein gelblich-weißer Kautschuk vor, den man leicht vom Dapicho unterscheidet, da er weder trocken wie Kork, noch zerreiblich ist, sondern sehr elastisch, glänzend und seifenartig. Ich sah kürzlich in London ansehnliche Massen, die zwischen 6 und 15 Frank das Pfund im Preise standen. Dieser weiße, fett anzufühlende Kautschuk kommt aus Ostindien. Er hat den tierischen, nauseosen Ge- ruch, den ich weiter oben von einer Mischung von Käsestoff und Eiweißstoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele und mannigfaltige tropische Gewächse Kaut- schuk geben, so muß man bedauern, daß dieser so nützliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler ist. Man brauchte die Bäume mit Milchsaft gar nicht künstlich zu pflanzen; allein in den Missionen am Orinoko ließe sich so viel Kautschuk gewinnen, als das civilisierte Europa immer bedürfen mag. Im König- reich Neugranada ist hie und da mit Glück versucht worden, aus dieser Substanz Stiefeln und Schuhe ohne Naht zu machen. Unter den amerikanischen Völkern verstehen sich die Omaguas am Amazonenstrom am besten auf die Verarbeitung des Kautschuk. Bereits waren vier Tage verflossen und unsere Piroge hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. „Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Mission,“ sagte Pater Cereso; „Sie haben Bananen und Fische, bei Nacht werden Sie nicht von den Moskiten gestochen, und je länger Sie bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, daß Ihnen auch noch die Gestirne meines Landes zu Gesicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim ‚Tragen‘, so geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es so gut, daß ich ein paar Wochen con gente blanca y de razon lebe.“ „Mit weißen und vernünftigen Menschen“. Die europäische Eigenliebe stellt gemeiniglich die Gente de razon und die Gente parda einander gegenüber. Trotz unserer Unge- duld, hörten wir die Schilderungen des guten Missionärs mit großem Interesse an. Er bestätigte alles, was wir bereits über die sittlichen Zustände der Eingeborenen dieser Landstriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40 bis 50 Köpfen unter einem Familienhaupte; einen gemein- samen Häuptling ( apoto, sibierene ) erkennen sie nur an, so- bald sie mit ihren Nachbarn in Fehde geraten. Das gegen- seitige Mißtrauen ist bei diesen Horden um so stärker, da selbst die, welche einander zunächst hausen, gänzlich verschiedene Sprachen sprechen. Auf offenen Ebenen oder in Ländern mit Grasfluren halten sich die Völkerschaften gerne nach der Stamm- verwandtschaft, nach der Aehnlichkeit der Gebräuche und Mund- arten zusammen. Auf dem tatarischen Hochland wie in Nord- amerika sah man große Völkerfamilien in mehreren Marsch- kolonnen über schwach bewaldete, leicht zugängliche Länder fortziehen. Derart waren die Züge der toltekischen und azteki- schen Rasse über die Hochebenen von Mexiko vom 6. bis zum 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung; derart war vermut- lich auch die Völkerströmung, in der sich die kleinen Stämme in Kanada, die Mengwe (Irokesen) oder fünf Nationen, die Algonkin oder Lenni-Lenape, die Chikesaws und die Mus- kohgees vereinigten. Da aber der unermeßliche Landstrich zwischen dem Aequator und dem 8. Breitengrad nur ein Wald ist, so zerstreuten sich darin die Horden, indem sie den Flußverzweigungen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens nötigte sie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Flüsse, daß die Familien sich niederließen, ohne zu wissen, welche Menschenart zunächst neben ihnen wohnte. In spanisch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein 2 bis 3 km breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren müßten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Kultur schon vorgeschrittenen Ländern Flußverbindungen mächtig auf Verschmelzung der Sprachen, der Sitten und der politischen Einrichtungen; da- gegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Land- striches, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechtes, zer- schlagen sie große Völker in Bruchstücke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverschieden aussehen, nähren sie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwi- schen dem Caura und dem Padamo trägt alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen; sie hassen sich, weil sie einander fürchten. Betrachtet man dieses wilde Gebiet Amerikas mit Auf- merksamkeit, so glaubt man sich in die Urzeit versetzt, wo die Erde sich allmählich bevölkerte; man meint die frühesten ge- sellschaftlichen Bildungen vor seinen Augen entstehen zu sehen. In der Alten Welt sehen wir, wie das Hirtenleben die Jäger- völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen sehen wir uns vergeblich nach dieser allmählichen Kulturentwickelung um, nach diesen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Völker. Der üppige Pflanzenwuchs ist den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, so hört des tiefen Wassers wegen der Fischfang monatelang auf. Die Arten von Wiederkäuern, die der kostbarste Besitz der Völker der Alten Welt sind, fehlen in der Neuen; der Bison und der Moschusochse sind niemals Haustiere geworden. Die Vermehrung der Lama und Guanako führte nicht zu den Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den Ufern des Missouri wie auf dem Hochland von Neumexiko, ist der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen, in den Wäldern von Guyana pflanzt er Maniok, Bananen, zuweilen Mais. Die Natur ist so überschwenglich freigebig, daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden ist, daß das Urbarmachen darin besteht, daß man die Sträucher wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder Steckreiser dem Boden anvertraut. So weit man sich in Ge- danken in der Zeit zurückversetzt, nie kann man in diesen dicken Wäldern die Völker anders denken als so, daß ihnen der Boden vorzugsweise die Nahrung lieferte; da aber dieser Boden auf der kleinsten Fläche fast ohne Arbeit so reichlich trägt, so hat man sich wiederum vorzustellen, daß diese Völker immer einem und demselben Gewässer entlang häufig ihre Wohnplätze wechselten. Und der Eingeborene am Orinoko wandert ja mit seinem Saatkorn noch heute, und legt wan- dernd seine Pflanzung ( conuco ) an, wie der Araber sein Zelt aufschlägt und die Weide wechselt. Die Menge von Kultur- gewächsen, die man mitten im Walde findet, weisen deut- lich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadischer Lebensweise hin. Kann man sich wundern, daß bei solchen Sitten vom Segen der festen Niederlassung, des Getreidebaues, der weite Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, so gut wie nichts übrig bleibt? Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini- rida verehren, gleich den alten Germanen und Persern, keine anderen Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Prinzip nennen sie Cachimana ; das ist der Manitu, der große Geist, der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben dem Cachimana steht ein böses Prinzip, der Jolokiamo , der nicht so mächtig ist, aber schlauer und besonders rühriger. Die Indianer aus den Wäldern, wenn sie zuweilen in die Missionen kommen, können sich von einem Tempel oder einem Bilde sehr schwer einen Begriff machen. „Die guten Leute,“ sagte der Missionär, „lieben Prozessionen nur im Freien. Jüngst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Messe bei. Da sagten sie zu mir: ‚Euer Gott schließt sich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank; der unserige ist im Wald, auf dem Feld, auf den Sipabubergen, woher der Regen kommt.‘ Bei zahl- reicheren und eben deshalb weniger barbarischen Völkerschaften bilden sich seltsame religiöse Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht sein als die anderen, und diese haben das berühmte Botuto in Ver- wahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Früchte tragen. An den Ufern des Orinoko gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim ursprünglichen Naturgottesdienst stehen ge- blieben sind; aber der Botuto , die heilige Trompete, ist zum Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt sein. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geißelung, dem Fasten und anderen angreifenden Andachts- übungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige und die altberühmteste befindet sich auf einem Hügel beim Zusammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie soll zu- gleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe, 45 km weit gehört werden. Nach Pater Ceresos Bericht sprechen die Indianer von diesem Botuto am Rio Tomo so, als wäre derselbe für mehrere Völkerschaften in der Nähe ein Gegenstand der Verehrung. Man stellt Früchte und be- rauschende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläst der Große Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald läßt er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt sind (von den Vätern unserer Väter her, sagen die Indianer), so ist es nicht zu verwundern, daß es bereits Menschen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber diese Ungläubigen äußern nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Instrument gar nicht sehen; sie sind überhaupt von jedem Gottesdienste ausge- schlossen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionär erzählte uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Mädchen zu retten, der ein eifersüchtiger rachsüchtiger Lieb- haber schuld gegeben, sie sei aus Vorwitz den Indianern nachgeschlichen, die in den Pflanzungen den Botuto bliesen. „Oeffentlich hätte man sie nicht umgebracht,“ sagte Pater Cereso, „aber wie sollte man sie vor dem Fanatismus der Eingeborenen schützen, da es hierzulande so leicht ist, einem Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte solche Besorgnis gegen mich und ich schickte sie in eine Mission am unteren Orinoko.“ Wären die Völker in Guyana Herren dieses großen Landes geblieben, könnten sie, ungehindert von den christlichen Niederlassungen, ihre barbarischen Gebräuche frei entwickeln, so erhielte der Botutodienst ohne Zweifel eine po- litische Bedeutung. Dieser geheimnisvolle Verein von Ein- geweihten, diese Hüter der heiligen Trompete würden zu einer mächtigen Priesterkaste und das Orakel am Rio Tomo schlänge nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf diese Weise sind durch gemeinsam Gottesverehrung ( communia sacra ), durch religiöse Gebräuche und Mysterien so viele Völker der Alten Welt einander näher gebracht, miteinander versöhnt und vielleicht der Gesittung zugeführt worden. Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unserer Piroge an den Pimichin beschäftigt war, sei von einer Natter gebissen worden. Der große, starke Mann wurde in sehr bedenklichem Zustande in die Mission gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden gestürzt, und auf die Ohnmacht waren Uebelkeit, Schwindel, Kongestionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane Vejuco de Guaco , die durch Mutis so berühmt geworden, und die das sicherste Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen ist, war hierzulande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von Raiz de Mato . Wir können nicht mit Bestimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieses Gegengift kommt. Der reisende Bo- taniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutz- barsten Gewächsen weder Blüte noch Frucht zu Gesichte be- kommt, während er so viele Arten, die sich durch keine be- sonderen Eigenschaften auszeichnen, täglich mit allen Frukti- fikationsorganen vor Augen hat. Der Raiz de Mato ist vermutlich ein Apocynee, vielleicht die Cerbera thevethia, welche die Einwohner von Cumana Lengua de Mate oder Contra-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangen- biß brauchen. Eine der Cerbera sehr nahestehende Gattung ( Ophioxylon serpentinum ) leistet in Indien denselben Dienst. Ziemlich häufig findet man in derselben Pflanzenfamilie vege- tabilische Gifte und Gegengifte gegen den Biß der Reptilien. Da viele tropische und narkotische Mittel mehr oder minder wirksame Gegengifte sind, so kommen diese in weit auseinder- stehenden Familien vor, bei den Aristolochien, Apocyneen, Gen- tianen, Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zusammengesetzten Blüten, und was noch auffallender ist, bei den Palmen. In der Hütte des Indianers, der von einer Natter ge- bissen worden, fanden wir 5 bis 8 cm große Kugeln eines erdigen, unreinen Salzes, Chivi genannt, das von den Ein- geborenen sehr sorgfältig zubereitet wird. In Maypures ver- brennt man eine Konferve, die der Orinoko, wenn er nach dem Hochgewässer in sein Bett zurückkehrt, auf dem Gestein sitzen läßt. In Javita bereitet man Salz durch Einäscherung des Blütenkolbens und der Früchte der Seje oder Chimu- palme . Diese schöne Palme, die am Ufer des Auvena beim Katarakt Guarinuma und zwischen dem Javita und dem Pi- michin sehr häufig vorkommt, scheint eine neue Art Kokos- palme zu sein. Bekanntlich ist das in der gemeinen Kokos- nuß eingeschlossene Wasser häufig salzig, selbst wenn der Baum weit von der Meeresküste wächst. Auf Madagaskar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens Cira . Außer den Blütenkolben und den Früchten der Sejepalme laugen die Indianer in Javita auch die Asche des vielbe- rufenen Schlinggewächses Cupana aus. Es ist dies eine neue Art der Gattung Paullinia, also eine von Linn é s Cu- pania sehr verschiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieser Ge- legenheit, daß ein Missionär selten auf die Reise geht, ohne den zubereiteten Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Diese Zubereitung erfordert große Sorgfalt. Die Indianer zerreiben den Samen, mischen ihn mit Maniokmehl, wickeln die Masse in Bananenblätter und lassen sie im Wasser gären, bis sie safrangelb wird. Dieser gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet, und mit Wasser angegossen genießt man ihn mor- gens statt Thee. Das Getränk ist bitter und magenstärkend, ich fand aber den Geschmack sehr widrig. Am Nigir und in einem großen Teile des inneren Afrika, wo das Salz sehr selten ist, heißt es von einem reichen Mann: „Es geht ihm so gut, daß er Salz zu seinen Speisen ißt.“ Dieses Wohlergehen ist auch im Inneren Guyanas nicht allzu häufig. Nur die Weißen, besonders die Soldaten im Fort San Carlos, wissen sich reines Salz zu verschaffen, entweder von der Küste von Caracas oder von Chita, am Ostabhange der Kordilleren von Neugranada, auf dem Rio Meta. Hier, wie in ganz Amerika, essen die Indianer wenig Fleisch und verbrauchen fast kein Salz. Daher trägt auch die Salzsteuer allerorten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorschlägt, wie in Mexiko und Guatemala, der Staatskasse wenig ein. Der Chivi in Javita ist ein Gemenge von salzsaurem Kali und salzsaurem Natron, Aetzkalk und verschiedenen erdigen Salzen. Man löst ein ganz klein wenig davon in Wasser auf, füllt mit der Auflösung ein dütenförmig aufgewickeltes Helikonienblatt und läßt wie aus der Spitze eines Filtrums ein paar Tropfen auf die Speisen fallen. Am 5. Mai machten wir uns zu Fuß auf den Weg, um unsere Piroge einzuholen, die endlich über den Trageplatz im Caño Pimichin angelangt war. Wir mußten über eine Menge Bäche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorsicht nötig. Die Indianer zeigten uns auf dem nassen Thon die Fährte der kleinen schwarzen Bären, die am Temi so häufig vorkommen. Sie unterscheiden sich wenigstens in der Größe vom Ursus ame- ricanus; die Missionäre nennen sie Oso carnicero zum Unterschiede vom Oso palmero (Myrmecophaga jubata) und dem Oso hormigero oder Tamandua-Ameisenfresser. Diese Tiere sind nicht übel zu essen; die beiden erstgenannten setzen sich zur Wehre und stellen sich dabei auf die Hinter- beine. Buffons Tamanoir heißt bei den Indianern Uaraca ; er ist reizbar und beherzt, was bei einem zahnlosen Tiere ziemlich auffallend erscheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Walde, der uns desto reicher erschien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikanische Gruppe mit Blüten in Rispen bildet wahr- scheinlich eine Gattung für sich), die Galega piscatorum, deren sowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zusammen- gesetzter Blüte vom Rio Temi Bailliera Barbasco. die Indianer sich als Bar- basco bedienen, um die Fische zu betäuben, endlich die hier Vejuco de Mavacure genannte Liane, von der das viel- berufene Gift Curare kommt. Es ist weder ein Phyllanthus, noch eine Coriaria, wie Willdenow gemeint, sondern nach Kunths Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein Strychnos. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen Substanz zu sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handels- artikel ist. Wenn ein Reisender, der sich gleich uns durch die Gastfreundschaft der Missionäre gefördert sähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Jahr in den Bergen bei Esmeralda und am oberen Orinoko zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und Richard beschriebenen Gattungen verdreifachen. Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die riesige Höhe von 26 bis 40 m. Es sind dies die Laurineen und Amyris, die in diesen heißen Himmelsstrichen das schöne Bau- holz liefern, das man an der Nordwestküste von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20° unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika ist unter allen Himmelsstrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft so ausnehmend stark, daß unter dem 57. Grad nördlicher Breite, auf derselben Isotherme wie Petersburg und die Orkneyinseln, Pinus canadensis 48 m hohe und 2 m dicke Stämme hat. Langsdorf sah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Kanoen aus einem Stück 16 m lang, 1,45 m breit und an den Rändern 1 m hoch; sie faßten 30 Menschen. Auch Populus balsamifera wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch. Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, „wo ein armer Missionär, ein Kapuziner, von den Wespen umgebracht worden“. Ich spreche dies dem Mönch in Javita und den Indianern nach. Man spricht hier- zulande viel von giftigen Wespen und Ameisen; wir konnten aber keines von diesen beiden Insekten auftreiben. Bekanntlich verursachen im heißen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht selten Fieberanfälle, fast so heftig wie die, welche bei uns bei sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erschöpfung und der Feuchtigkeit gewesen sein, als des Giftes im Stachel der Wespen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Diese Wespen bei Javita sind nicht mit den Honig- bienen zu verwechseln, welche die Spanier Engelchen nennen und die sich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufen- weise auf Gesicht und Hände setzten. Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Kakaobäumen. Die Bäume sind sehr kräftig und hier wie am Atabapo und Rio Negro in allen Jahres- zeiten mit Blüten und Früchten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahre an zu tragen, auf der Küste von Caracas erst im sechsten bis achten. Der Boden ist am Tuamini und Pimichin überall, wo er nicht sumpfig ist, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, daß der Kakaobaum in diesen Wäl- dern der Parime; südlich vom 6. Breitengrade, eigentlich zu Hause ist, und daß das nasse Klima am oberen Orinoko diesem kostbaren Baume weit besser zusagt als die Luft in den Pro- vinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, so muß man bedauern, daß dieses schöne Stück Erde in den Händen von Mönchen ist, von denen keinerlei Kultur befördert wird. Die Missionen der Observanten allein könnten 4 600 000 kg Kakao in den Handel bringen, dessen Wert sich in Europa auf mehr als 6 Millionen Franken be- liefe. Um die Conucos am Pimichin wächst wild der Igua , ein Baum, ähnlich dem Caryocar nuciferum, den man in holländisch und französisch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita ( Caryocar amygdaliferum ), dem Juvia von Esmeralda ( Bertholletia excelsa ) und der Geoffräa vom Amazonenstrome die gesuchtesten Mandeln in Südamerika kommen. Die Früchte des Igua kommen hier gar nicht in den Handel; dagegen sah ich an den Küsten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Früchte des Caryocar tomentosum, Aublets Pekea tuberculosa, ein- führten. Diese Bäume werden 30 m hoch und nehmen sich mit ihrer schönen Blumenkrone und ihren vielen Staubfäden prachtvoll aus. Ich müßte den Leser ermüden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche diese großen Wälder auf- zuweisen haben, noch weiter herzählen. Ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit rührt daher, daß hier auf kleiner Bodenfläche so viele Pflanzenfamilien nebeneinander vorkommen, und daß bei dem mächtigen Reiz von Licht und Wärme die Säfte, die in diesen riesenhaften Gewächsen zirkulieren, so vollkommen ausgearbeitet werden. Wir übernachteten in einer Hütte, welche erst seit kurzem verlassen stand. Eine indianische Familie hatte darin Fischer- geräte zurückgelassen, irdenes Geschirr, aus Palmblattstielen A. v. Humboldt , Reise. III. 16 geflochtene Matten, den ganzen Hausrat dieser sorglosen, um Eigentum wenig bekümmerten Menschenart. Große Vorräte von Mani (eine Mischung vom Harz der Moronobea und der Amyris Caraña ) lagen um die Hütte. Die Indianer bedienen sich desselben hier wie in Cayenne zum Teeren der Pirogen und zum Befestigen des knöchernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Näpfe voll vege- tabilischer Milch, die zum Firnissen dient und in den Missionen als Leche para pindar viel genannt wird. Man bestreicht mit diesem klebrigen Safte das Geräte, dem man eine schöne weiße Farbe geben will. An der Luft verdickt er sich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden, S. Band II , Seite 247. ist der Kautschuk der fette Teil, die Butter in jeder Pflanzenmilch. Dieses Gerinnsel nun, diese weiße Haut, die glänzt, als wäre sie mit Kopalfirnis über- zogen, ist ohne Zweifel eine eigene Form des Kautschuk. Könnte man diesem milchigen Firnis verschiedene Farben geben, so hätte man damit, sollte ich meinen, ein Mittel, um unsere Kutschenkasten rasch, in einer Handlung zu bemalen und zu firnissen. Je genauer man die chemischen Verhältnisse der Gewächse der heißen Zone kennen lernt, desto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europäischen Handel zugänglichen Orten in den Organen gewisser Gewächse halb- fertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Ansicht nur dem Tierreiche angehören, oder die wir auf künstlichem, zwar sicherem, oft aber langem und mühsamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palm- baum der Anden von Quindiu überzieht, die Seide der Mocoapalme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikanischen Butterbaum, den käseartigen Stoff im fast ani- malischen Safte der Carica Papaya. Dergleichen Entdeckungen werden sich häufen, wenn, wie nach den gegenwärtigen poli- tischen Verhältnissen in der Welt wahrscheinlich ist, die euro- päische Kultur großenteils in die Aequinoktialländer des neuen Kontinents überfließt. Wie ich oben erwähnt, ist die sumpfige Ebene zwischen Javita und dem Landungsplatze am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande berüchtigt. Bevor wir von der ver- lassenen Hütte Besitz nahmen, schlugen die Indianer zwei große, 1,3 bis 2,6 m lange Mapanares chlangen tot. Sie schienen mir von derselben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beschrieben habe. Es ist ein schönes, aber sehr giftiges Tier, am Bauche weiß, auf dem Rücken braun und rot ge- fleckt. Da in der Hütte eine Menge Kraut lag und wir am Boden schliefen (die Hängematten ließen sich nicht befestigen), so war man in der Nacht nicht ohne Besorgnis; auch fand man morgens, als man das Jaguarfell aufhob, unter dem einer unserer Diener am Boden gelegen, eine große Natter. Wie die Indianer sagen, sind diese Reptilien langsam in ihren Bewegungen, wenn sie nicht verfolgt werden, und machen sich an den Menschen, weil sie der Wärme nachgehen. Am Mag- dalenenstrome kam wirklich eine Schlange zu einem unserer Reisebegleiter ins Bett und brachte einen Teil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zuleide zu thun. Ich will hier keineswegs Nattern und Klapperschlangen das Wort reden, aber das läßt sich behaupten, wären diese giftigen Tiere so angriffslustig, als man glaubt, so hätte in manchen Strichen Amerikas, z. B. am Orinoko und in den feuchten Bergen von Choco, der Mensch ihrer Unzahl erliegen müssen. Am 6. Mai. Wir schifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unserer Piroge genau untersucht hatten. Er war beim „Tragen“ wohl dünner geworden, aber nicht gesprungen. Wir dachten, das Fahrzeug könne die 1300 km , die wir den Rio Negro hinab, den Cassiquiare hinauf und den Orinoko wieder hinab bis Angostura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Caño) heißt, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Bäume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, daß nur ein 30 bis 40 m breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewässern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt sind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 9 bis 13 km hintereinander. Um den Längenunterschied zwischen dem Landungsplatze und dem Punkte, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Kompaß den Lauf des Caño Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 664 mm in der Sekunde, aber unsere Piroge legte beim Rudern 1,32 m zurück. Meiner Schätzung nach liegt der Landungs- platz am Pimichin 2140 m westwärts von seiner Mündung und 0° 2′ westwärts von der Mission Javita. Der Caño ist das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen Raudal , über den ziemlich schwer heraufzukommen ist; seine Ufer sind niedrig, aber felsig. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang den Krümmungen des schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein. Der Morgen war kühl und schön. 36 Tage waren wir in einem schmalen Kanoe eingesperrt gewesen, das so unstät war, daß es umgeschlagen hätte, wäre man unvorsichtig auf- gestanden, ohne den Ruderern am anderen Bord zuzurufen, sich überzulehnen und das Gleichgewicht herzustellen. Wir hatten vom Insektenstiche furchtbar gelitten, aber das un- gesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuschlagen, über eine ganze Menge Wasserfälle und Fluß- dämme gekommen, welche die Stromfahrt sehr beschwerlich und oft gefährlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich ge- stattet sein auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüsse des Amazonenstromes erreicht, daß wir die Landenge zwischen zwei großen Flußsystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Haupt- zweckes unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Armes des Orinoko, der sich in den Rio Negro ergießt, und dessen Existenz seit einem halben Jahr- hundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem inneren Auge gehabt, wächst uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiquiare beschäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte der Kulturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Kontinents, gewöhnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht notwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewächsen, und ihre freie Entwickelung findet nirgends ein Hindernis. Eine mächtige Schicht Dammerde weist darauf hin, daß die organischen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Kro- kodile und Boa sind die Herren des Stromes; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; sie hausen hier wie auf ihrem angestammten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ozean und im Sande Afrikas gewöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmückt mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man glaubt sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am oberen Orinoko zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heiteren Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondbewohner, über tausend Dinge, von denen ich so viel wußte als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier nicht genügen, und so sagte er in zu- versichtlichem Tone: „Was die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Lande von Javita an den Cassiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald ( mucho monte ), durch den ein Strom fließt.“ Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Ein- öde hervorbringt. Möchte diese Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser, die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschicht- lichen Erinnerungen des alten Kontinents gewöhnt sind, es nicht ermüdend finden! Dreiundzwanzigstes Kapitel. Der Rio Negro. — Die brasilianische Grenze. Der Rio Negro ist dem Amazonenstrome, dem Rio de la Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Besitz desselben war aber seit Jahrhunderten für die spanische Regierung von großer politischer Wichtigkeit, weil er für einen eifersüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße ist, um sich in die Missionen in Guyana ein- zudrängen und die südlichen Grenzen der Capitania general von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verflossen über zu nichts führenden Grenzstreitigkeiten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man sich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel der Astronomie. Da man es meist vorteilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents bei diesem endlosen Prozeß gewonnen. Es ist bekannt, daß durch die Bullen der Päpste Nikolaus V. und Alexander VI. , durch den Vertrag von Tordesillas und die Notwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu lösen, die Ephemeriden zu verbessern und die In- strumente zu vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Händel in Paraguay und der Besitz der Kolonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Lissabon Sachen von großem Belang wurden, schickte man Grenz- kommissäre an den Orinoko, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata. Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver- rechnungen und Protokollen füllten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küsten Ortsbestim- mungen vornehmen kann, Bescheid mußte. Das Wenige, was wir am Schlusse des vorigen Jahrhunderts von der astro- nomischen Geographie des neuen Kontinents wußten, verdankt man diesen achtbaren, fleißigen Männern, den französischen und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian ge- messen, und Offizieren, welche von Valparaiso nach Buenos Ayres gegangen waren, um sich Malaspinas Expedition anzu- schließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissen- schaften fast zufällig durch jene „Grenzkommissionen“ gefördert worden sind, die für den Staat eine große Last waren und von denen, die sie ins Leben gerufen, noch öfter vergessen als aufgelöst wurden. Weiß man, wie unzuverlässig die Karten von Amerika sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten Landstriche zwischen dem Jupura und Rio Negro, dem Ma- deira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küste von Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen Ernstes streitig gemacht, so kann man sich über die Beharr- lichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Kolonieen liegen meist Wüsten, deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den berühmten Konferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papst, als er die Demarkationslinie 370 spanische Meilen Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt. westwärts von den Inseln des Grünen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erste Meridian solle vom Mittelpunkt der Insel San Ni- colas aus, oder aber (wie der portugiesische Hof behauptete) vom westlichen Ende der kleinen Insel San Antonio gezählt werden. Im Jahre 1754, zur Zeit von Ituriagas und So- lanos Expedition, unterhandelte man über den Besitz der da- mals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stück Sumpfland, über das wir zwischen Javita und dem Pimichin an einem Abend gegangen. Noch in neuester Zeit wollten die spanischen Kommissäre die Scheidungslinie an die Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während die portugiesischen Astronomen sie bis zum Salto Grande zu- rückschoben. Die Missionäre und das Publikum überhaupt beteiligten sich sehr lebhaft an diesen Grenzstreitigkeiten. In den spanischen wie in den portugiesischen Kolonieen beschuldigt man die Regierung der Gleichgültigkeit und Lässigkeit. Ueberall wo die Völker keine Verfassung haben, deren Grundlage die Freiheit ist, geraten die Gemüter nur dann in Aufregung, wenn es sich davon handelt, die Grenzen des Landes weiter oder enger zu machen. Der Rio Negro und der Jupura sind zwei Nebenflüsse des Amazonenstromes, die in Länge der Donau wenig nach- geben, und deren oberer Lauf den Spaniern gehört, während der untere in den Händen der Portugiesen ist. An diesen zwei majestätischen Strömen hat sich die Bevölkerung nur in der Nähe des ältesten Mittelpunktes der Kultur bedeutend vermehrt. Die Ufer des oberen Jupura oder Caqueta wurden von Missionären kultiviert, die aus den Kordilleren von Po- payan und Neiva gekommen waren. Von Macoa bis zum Einfluß des Caguan gibt es sehr viele christliche Nieder- lassungen, während am unteren Jupura die Portugiesen kaum ein paar Dörfer gegründet haben. Am Rio Negro dagegen konnten es die Spanier ihren Nachbarn nicht gleich thun. Wie kann man sich auf eine Bevölkerung stützen, wenn sie so weit abliegt als die in der Provinz Caracas? Fast völlig unbewohnte Steppen und Wälder liegen, 720 km breit, zwi- schen dem angebauten Küstenstrich und den vier Missionen Macoa, Tomo, Davipe und San Carlos, den einzigen, welche die spanischen Franziskaner längs des Rio Negro zustande gebracht. Bei den Portugiesen in Brasilien hat das mili- tärische Regiment, das System der Presides und Capitanes pobladores dem Missionsregiment gegenüber die Oberhand gewonnen. Von Gran-Para ist es allerdings sehr weit zur Einmündung des Rio Negro; In gerader Linie 675 km. aber bei der bequemen Schiff- fahrt auf dem Amazonenstrom, der wie ein ungeheurer Kanal von West nach Ost gerade fortläuft, konnte sich die portu- giesische Bevölkerung längs des Stromes rasch ausbreiten. Die Ufer des unteren Amazonenstromes von Vistoza bis Serpa, sowie die des Rio Negro von Forte da Bara bis San Jose de Marabitanos sind geschmückt mit reichem An- bau und mit zahlreichen Städten und ansehnlichen Dörfern bedeckt. An diese Betrachtungen über die örtlichen Verhältnisse reihen sich andere an, die sich auf die moralische Verfassung der Völker beziehen. Auf der Nordwestküste Amerikas sind bis auf diesen Tag keine festen Niederlassungen außer den russischen und den spanischen Kolonieen. Noch ehe die Be- völkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Ost nach West den Küstenstrich erreicht hatte, der zwischen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die kastilianischen Mönche und die sibirischen Jäger Diese Jäger gehören zu Militärposten und hängen von der russischen Gesellschaft ab, deren Hauptaktionäre in Irkutsk sind. Im Jahre 1804 war die kleine Festung (Krepost) in der Bucht von Jakutal noch 2700 km von den nördlichsten mexikanischen Besitzungen entfernt. getrennt, ließen sich letztere südlich vom Rio Colombia nieder. So waren denn in Neukalifornien die Missionäre vom Orden des heil. Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erstaunt, als sie hörten, in ihrer Nachbarschaft seien griechische Priester eingetroffen, so daß die beiden Völker, welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen, auf den Küsten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn ge- worden waren. Anders wiederum gestalteten sich die Ver- hältnisse in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dieselben Portugiesen wieder, die mit ihnen durch Sprache und Gemeindeverfassung einen der edelsten Reste des römischen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung geflossen, zu einer nicht selten feindseligen, immer aber eifer- süchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küste von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen überhaupt, die europäische Handelspolitik der tägliche Gegen- stand des Interesses ist) nach Süd, so fühlt man sich mit jedem Tage mehr und mit wachsender Geschwindigkeit allem entrückt, was mit dem Mutterlande zusammenhängt. Mitten in den Steppen oder Lanos, in den mit Ochsenhäuten ge- deckten Hütten inmitten wilder Herden unterhält man sich von nichts als von der Pflege des Viehes, von der Trocken- heit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermäuse an Färsen und Füllen angerichtet. Kommt man auf dem Orinoko in die Missionen in den Wäldern, so findet man die Einwohnerschaft wieder mit anderen Dingen beschäftigt, mit der Unzuverlässigkeit der Indianer, die aus den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Ernte der Schildkröteneier, mit den Beschwerden eines heißen, ungesunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage der Moskiten noch zu einem anderen Gedanken, so beklagt man sich leise über den Präsidenten der Missionen, so seufzt man über die Verblendung der Leute, die im nächsten Kapitel den Guardian des Klosters in Nueva Barcelona wieder wäh- len wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Interesse, und zwar beschränkt sich dasselbe auf die Angelegenheiten des Ordens, „auf diese Wälder, wie die Mönche sagen, estas selvas, die Gott uns zum Wohnsitz angewiesen“. Dieser etwas enge, aber ziemlich trübselige Ideenkreis erweitert sich, wenn man vom oberen Orinoko an den Rio Negro kommt und sich der Grenze Brasiliens nähert. Hier scheinen alle Köpfe vom Dämon europäischer Politik besessen. Das Nach- barland jenseits des Amazonenstromes heißt in der Sprache der spanischen Missionen weder Brasilien noch Capitania general von Gran-Para, sondern Portugal ; die kupfer- farbigen Indianer, die halbschwarzen Mulatten, die ich von Barcelos zur spanischen Schanze San Carlos heraufkommen sah, sind Portugiesen . Diese Namen sind im Munde des Volkes bis an die Küste von Cumana, und mit Behagen er- zählt man den Reisenden, welche Verwirrung sie im Kopfe eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Kom- mandanten von Vieja Guyana angerichtet hatten. Der alte Kriegsmann beschwerte sich, daß er zur See habe an den Orinoko kommen müssen. „Ist es wahr,“ sprach er, „wie ich hier höre, daß spanisch Guyana, diese große Provinz, sich bis nach Portugal erstreckt (zu los Portugueses ), so möchte ich wissen, warum der Hof mich in Cadiz sich hat einschiffen lassen? Ich hätte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande gemacht.“ Diese Aeußerung von naiver Unwissenheit erinnert an eine verwunderliche Meinung des Kardinals Lorenzana. Dieser Prälat, der übrigens in der Geschichte ganz zu Hause ist, sagt in einem in neuerer Zeit in Mexiko gedruckten Buche, die Besitzungen des Königs von Spanien in Neukalifornien und Neumexiko (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 48′ der Breite) „hängen über Land mit Sibirien zusammen“. Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen, Spanier und Portugiesen, auch auf dem neuen Kontinent Nachbarn geworden sind, so verdanken sie dieses Verhältnis, um nicht zu sagen diesen Uebelstand, dem Unternehmungs- geist, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege- rischen Ruhmes und ihrer politischen Größe entwickelt. Die kastilianische Sprache wird gegenwärtig in Süd- und Nord- amerika auf einer 8850 km langen Strecke gesprochen; be- trachtet man aber Südamerika für sich, so zeigt sich, daß das Portugiesische über einen größeren Flächenraum verbreitet ist, aber von nicht so vielen Menschen gesprochen wird als das Kastilianische. Das innige Band, das die schönen Sprachen eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, sollte man meinen, Völker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet sich keineswegs nur nach der Verschiedenheit in Abstammung, Sitten und Kulturstufe; überall, wo er sehr stark ausge- sprochen ist, erscheint er als die Folge geographischer Ver- hältnisse und der damit gegebenen widerstreitenden Interessen. Man verabscheut sich etwas weniger, wenn man weit aus- einander ist und bei wesentlich verschiedenen Sprachen gar nicht in Versuchung kommt, miteinander zu verkehren. Diese Abstufungen in der gegenseitigen Stimmung nebeneinander lebender Völker fallen jedem auf, der Neukalifornien, die inneren Provinzen von Mexiko und die Nordgrenzen Bra- siliens bereist. Als ich mich am spanischen Rio Negro befand, war, in- folge der auseinandergehenden Politik der beiden Höfe von Lissabon und Madrid, das systematische Mißtrauen, dem die Kommandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den ruhigsten Zeiten gerne Nahrung geben, noch stärker als ge- wöhnlich. Die Kanoen kamen von Barcellos bis zu den spa- nischen Missionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der Befehlshaber einer Truppenabteilung von 16 bis 18 Mann plagte „die Garnison“ mit Sicherheitsmaßregeln, welche „der Ernst der Lage“ erforderlich machte, und im Falle eines An- griffes hoffte er „den Feind zu umzingeln“. Sprachen wir davon, daß die portugiesische Regierung in Europa die vier kleinen Dörfer, welche die Franziskaner am oberen Rio Negro angelegt, ohne Zweifel sehr wenig beachte, so fühlten sich die Leute durch die Gründe, mit denen wir sie beruhigen wollten, nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechsel im Laufe von Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeschwächt erhalten haben, ist jede Gelegenheit erwünscht, die demselben neue Nahrung gibt. Dem Menschen ist bei allem wohl, was sein Gemüt aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtsein bringt, sei es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eifersüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurteilen entspringt. Die ganze Persönlichkeit der Völker ist aus dem Mutterlande in die entlegensten Kolonieen übergegangen, und der gegenseitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wissen aus Krusensterns anziehendem Reisebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matrosen, eines Franzosen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwischen den Bewohnern der Marquesasinseln Anlaß gab. Am Amazonenstrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portu- giesischen und spanischen Dörfern einander nicht ausstehen. Diese armen Menschen sprechen nur amerikanische Sprachen, sie wissen gar nicht, was „am anderen Ufer des Ozeans, drüben über der großen Salzlache“ vorgeht; aber die Kutten ihrer Missionäre sind von verschiedener Farbe, und dies miß- fällt ihnen im höchsten Grade. Ich habe bei der Schilderung der Folgen des National- hasses verweilt, den kluge Beamte zu mildern suchten, ohne ihn ganz beschwichtigen zu können. Diese Eifersucht ist nicht ohne Einfluß auf den Umstand gewesen, daß unsere geogra- phische Kunde von den Nebenflüssen des Amazonenstroms bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Ein- geborenen gehemmt ist, und die eine Nation an der Mündung, die andere im oberen Flußgebiet sitzt, so fällt es den Karten- zeichnern sehr schwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodischen Ueberschwemmungen, besonders aber die Trage- plätze, über die man die Kanoen von einem Nebenfluß zum anderen schafft, dessen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüsse, die in Wahrheit nicht bestehen. Die Indianer in den portu- giesischen Missionen zum Beispiel schleichen sich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerseits auf dem Rio Guaicia und Rio Temo in den spanischen Rio Negro, andererseits über die Trageplätze zwischen dem Cababuri, dem Pasimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den oberen Orinoko, um hinter Esmeralda den aromatischen Samen des Puchery- lorbeers zu sammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, sind vortreffliche Geographen; sie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie sie auf den Karten gezogen sind, trotz der Schanzen und Estacamientos, und wenn die Missionäre sie von so weit her, und zwar in so verschiedenen Jahreszeiten kommen sehen, so machen sie sich daran, Hypothesen über ver- meintliche Flußverbindungen zu schmieden. Jeder Teil hat ein Interesse dabei, nicht zu sagen, was er ganz gut weiß, und der Hang zu allem Geheimnisvollen, der bei rohen Men- schen so gemein und so lebendig ist, thut das Seinige dazu, um die Sache im Dunkeln zu lassen. Noch mehr, die ver- schiedenen Indianerstämme, welche dieses Wasserlabyrinth be- fahren, geben den Flüssen ganz verschiedene Namen, und diese Namen werden durch Endungen, welche „Wasser, großes Wasser, Strömung“ bedeuten, unkenntlich gemacht und ver- längert. Wie oft bin ich beim notwendigen Geschäft, die Synonymie der Flüsse ins reine zu bringen, in größter Ver- legenheit gewesen, wenn ich die gescheitesten Indianer vor mir hatte und sie mittels eines Dolmetschers über die Zahl der Nebenflüsse, die Quellen und die Trageplätze befragte! Da in derselben Mission drei, vier Sprachen gesprochen werden, so hält es sehr schwer, die Aussagen in Uebereinstimmung zu bringen. Unsere Karten wimmeln von willkürlich abgekürzten oder entstellten Namen. Um herauszubringen, was darauf richtig ist, muß man sich von der geographischen Lage der Nebenflüsse, fast möchte ich sagen von einem gewissen etymo- logischen Takt leiten lassen. Der Rio Uaupe oder Uapes der portugiesischen Karten ist der Guapue der spanischen und der Ucayari der Eingeborenen. Der Anava der älteren Geo- graphen ist Arrowsmiths Anauahu, und der Unanauhau oder Guanauhu der Indianer. Man ließ nicht gerne einen leeren Raum auf den Karten, damit sie recht genau aussehen möchten, und so erschuf man Flüsse und legte ihnen Namen bei, ohne zu wissen, daß dieselben nur Synonyme waren. Erst in der neuesten Zeit haben die Reisenden in Amerika, in Persien und Indien eingesehen, wie viel darauf ankommt, daß man in der Namengebung korrekt ist. Liest man die Reise des berühmten Ralegh, so ist es eben nicht leicht, im See Mrecabo den See Maracaybo und im Marquis Paraco den Namen Pizarros, des Zerstörers des Reichs der Inka, zu erkennen. Die großen Nebenflüsse des Amazonenstromes heißen, selbst bei den Missionären von europäischer Abstammung, in ihrem oberen Laufe anders als im unteren. Der I ç a heißt weiter oben Putumayo; der Jupura führt seinen Quellen zu den Namen Caqueta. Wenn man in den Missionen der An- daquies sich nach dem wahren Ursprung des Rio Negro um- sah, so konnte dies um so weniger zu etwas führen, da man den indianischen Namen des Flusses nicht kannte. In Javita, Maroa und San Carlos hörte ich ihn Guainia nennen. Southey, der gelehrte Geschichtschreiber Brasiliens, den ich überall sehr genau fand, wo ich seine geographischen Angaben mit dem, was ich selbst auf meinen Reisen gesammelt, ver- gleichen konnte, sagt ausdrücklich, der Rio Negro heiße auf seinem unteren Laufe bei den Eingeborenen Guiari oder Cu- rana, auf seinem oberen Laufe Ueneya . Das ist soviel wie Gueneya statt Guainia; denn die Indianer in diesen Land- strichen sprechen ohne Unterschied Guanaracua und Uanaracua, Guarapo und Uarapo. Aus dem letzteren haben Hondius Auf seiner Karte zu Raleghs Reise. und alle alten Geographen durch ein komisches Mißver- ständnis ihren Europa fluvius gemacht. Es ist hier der Ort, von den Quellen des Rio Negro zu sprechen, über welche die Geographen schon so lange im Streit liegen. Diese Frage erscheint nicht allein darum wichtig, weil es sich vom Ursprung eines mächtigen Stromes handelt, was ja immer von Interesse ist; sie hängt mit einer Menge anderer Fragen zusammen, mit den angeblichen Gabelungen des Caqueta, mit den Verbindungen zwischen dem Rio Negro und dem Orinoko, und mit dem örtlichen Mythus vom Dorado, früher Enim oder das Reich des Großen Paytiti geheißen. Studiert man die alten Karten dieser Länder und die Geschichte der geographischen Irrtümer genau, so sieht man, wie der Mythus vom Dorado mit den Quellen des Orinoko allmählich nach Westen rückt. Er entstand auf dem Ostabhang der Anden und setzte sich zuerst, wie ich später nachweisen werde, im Südwesten vom Rio Negro fest. Der tapfere Philipp de Urre ging, um die große Stadt Manoa zu entdecken, über den Guaviare. Noch jetzt erzählen die In- dianer in San Jose de Maravitanos, „fahre man 14 Tage lang auf dem Guape oder Uaupe nach Nordost, so komme man zu einer berühmten Laguna de Oro , die von Bergen umgeben und so groß sei, daß man das Ufer gegenüber nicht sehen könne. Ein wildes Volk, die Guanes, leide nicht, daß man im Sandboden um den See Gold sammle.“ Pater Acuña setzt den See Manoa oder Yenefiti zwischen den Ja- pura und den Rio Negro. Manaosindianer (dies ist das Wort Manoa mit Verschiebung der Vokale, was bei so vielen amerikanischen Völkern vorkommt) brachten dem Pater Fritz im Jahre 1687 viele Blätter geschlagenen Goldes. Diese Nation, deren Namen noch heute am Urarira zwischen Lama- longa und Moreira bekannt ist, saß am Jurubesh (Yurubech, Yurubets). La Condamine sagt mit Recht, dieses Mesopo- tamien zwischen dem Caqueta, dem Rio Negro, dem Juru- besh und dem Iquiare sei der erste Schauplatz des Dorado. Wo soll man aber die Namen Jurubesh und Iquiare der Patres Acuña und Fritz suchen? Ich glaube sie in den Flüssen Urubaxi und Iguari der handschriftlichen portugiesi- schen Karten wieder zu finden, die ich besitze und die im hydro- graphischen Depot zu Rio Janeiro gezeichnet wurden. Seit vielen Jahren habe ich nach den ältesten Karten und einem ansehnlichen, von mir gesammelten, nicht veröffentlichten Ma- terial mit anhaltendem Eifer Untersuchungen über die Geo- graphie Südamerikas nördlich vom Amazonenstrom angestellt. Da ich meinem Werke den Charakter eines wissenschaftlichen Werkes bewahren möchte, darf ich mich nicht scheuen, von Gegenständen zu handeln, über die ich hoffen kann einiges Licht zu verbreiten, nämlich von den Quellen des Rio Negro und des Orinoko, von der Verbindung dieser Flüsse mit dem Amazonenstrom, und vom Problem vom Goldlande, das den Bewohnern der Neuen Welt so viel Blut und so viel Thränen gekostet hat. Ich werde diese Fragen nacheinander behandeln, wie ich in meinem Reisetagebuche an die Orte komme, wo sie von den Einwohnern selbst am lebhaftesten besprochen werden. Da ich aber sehr ins Einzelne gehen müßte, wenn ich alle Beweise für meine Aufstellungen beibringen wollte, so be- schränke ich mich hier darauf, die hauptsächlichsten Ergebnisse mitzuteilen, und verschiebe die weitere Ausführung auf die „Analyse des Cartes“ und den „Essai sur la géographie astronomique du Nouveau-Continent“, welche den geogra- phischen Atlas eröffnen sollen. Diese meine Untersuchungen führen zum allgemeinen Schluß, daß die Natur bei der Verteilung fließender Gewässer auf der Erdoberfläche, wie beim Bau der organischen Körper, lange nicht nach einem so verwickelten Plane verfahren ist, als man unter dem Einfluß unbestimmter Anschauungen und des Hangs zum Wunderbaren geglaubt hat. Es geht auch daraus hervor, daß alle jene Anomalieen, alle jene Ausnahmen von den Gesetzen der Hydrographie, die im Inneren Amerikas vorkommen, nur scheinbar sind; daß in der Alten Welt beim Laufe fließender Gewässer gleich außerordentliche Erscheinungen vorkommen, daß aber diese Erscheinungen vermöge ihres un- bedeutenden Umfanges den Reisenden weniger aufgefallen sind. Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden können als aus mehreren, untereinander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen bestehend, wenn diese Ströme nicht in Thäler eingeschlossen sind, und wenn das Innere eines großen Festlandes so eben ist als bei uns das Meeresufer, so müssen die Verzweigungen, die Gabelungen, die netzförmigen Verschlingungen sich ins Un- endliche häufen. Nach allem, was wir vom Gleichgewicht der Meere wissen, kann ich nicht glauben, daß die Neue Welt später als die Alte dem Schoße des Wassers entstiegen, daß das organische Leben in ihr jünger, frischer sein sollte; wenn man aber auch keine Gegensätze zwischen den zwei Halbkugeln desselben Planeten gelten läßt, so begreift sich doch, daß auf derjenigen, welche die größte Wasserfülle hat, die verschiedenen Flußsysteme längere Zeit gebraucht haben, sich voneinander zu scheiden, sich gegenseitig völlig unabhängig zu machen. Die Anschwemmungen, die sich überall bilden, wo fließendes Wasser an Geschwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die großen Strombetten zu erhöhen und die Ueberschwemmungen stärker zu machen; aber auf die Länge werden die Flußarme und schmalen Kanäle, welche benachbarte Flüsse miteinander verbinden, durch diese Anschwemmungen ganz verstopft. Was das Regenwasser zusammenspült, bildet, indem es sich auf- häuft, Schwellen, isthmes d’attérissement, Wasserscheiden, die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon ist, daß die natürlichen, ursprünglichen Verbindungskanäle nach und nach in zwei Wasserläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung des Bodens in der Quere zwei Gefälle nach entgegengesetzten Richtungen erhalten. Ein Teil ihres Wassers fällt in den Hauptwasserbehälter zurück, und zwischen zwei parallelen Becken erhebt sich eine Böschung, so daß die ehemalige Verbindung spurlos verschwindet. Sofort bestehen zwischen verschiedenen Flußsystemen keine Gabelungen mehr, und wo sie zur Zeit der großen Ueberschwemmungen noch immer vorhanden sind, tritt das Wasser vom Hauptbehälter nur weg, um nach größeren oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die Gebiete, deren Grenzen anfangs schwankend durcheinander liefen, schließen sich nach und nach ab, und im Laufe der Jahrhunderte wirkt alles, was an der Erdoberfläche beweglich ist, Wasser, Schwemmung und Sand zusammen, um die Flußbetten zu trennen, wie die großen Seen in mehrere zer- fallen und die Binnenmeere ihre alten Verbindungen ver- lieren. Die geologische Bodenbeschaffenheit scheint, trotz der gegen- wärtigen Verschiedenheit in der Höhe des Wasserspiegels, darauf hinzudeuten, daß in vorgeschichtlicher Zeit das Schwarze Meer, das Kaspische Meer und der Aralsee miteinander in Verbindung ge- standen haben. Der Ausfluß des Arals in das Kaspische Meer scheint zum Teil sogar jünger und unabhängig von der Gabel- teilung des Gihon (Oxus), über die einer der gelehrtesten Geo- graphen unserer Zeit, Ritter, neues Licht verbreitet hat. Da die Geographen schon im 16. Jahrhundert die Ueber- zeugung gewonnen hatten, daß in Südamerika zwischen ver- schiedenen Flußsystemen Gabelteilungen bestehen, die sie gegen- seitig voneinander abhängig machen, so nahmen sie an, daß die fünf großen Nebenflüsse des Orinoko und des Amazonen- stromes, Guaviare, Inirida, Rio Negro, Caqueta oder Hya- pura, und Putumayo oder I ç a untereinander zusammenhängen. Diese Hypothesen, welche auf unseren Karten in verschiedenen Gestalten dargestellt sind, entstanden zum Teil in den Mis- sionen in den Ebenen, zum Teil auf dem Rücken der Kor- dilleren der Anden. Reist man von Santa F é de Bogota über Fusagasuga nach Popayan und Pasto, so hört man die Gebirgsbewohner behaupten, am Ostabhange der Paramos de la Suma Paz (des ewigen Friedens), des Iscanc è und Aponte entspringen alle Flüsse, die zwischen dem Meta und dem Putumayo durch die Wälder von Guyana ziehen. Da man die Nebenflüsse für den Hauptstrom hält und man alle Flüsse rückwärts bis zur Bergkette reichen läßt, so wirft man dort die Quellen des Orinoko, des Rio Negro und des Gua- viare zusammen. Am steilen Ostabhange der Anden ist sehr schwer herunterzukommen, eine engherzige Politik hat dem Handel mit den Llanos am Meta, am San Juan und Caguan Fesseln angelegt, man hat wenig Interesse, die Flüsse zu ver- folgen, um ihre Verzweigungen kennen zu lernen; durch all diese Umstände ist die geographische Verwirrung noch größer geworden. Als ich in Santa F é de Bogota war, kannte man kaum den Weg, der über die Dörfer Usme, Ubaque und Ca- queza nach Apiay und zum Landungsplatze am Rio Meta führt. Erst in neuester Zeit konnte ich die Karte dieses Flusses nach den Reisetagebüchern des Kanonikus Cortez Madariaga A. v. Humboldt , Reise. III. 17 und nach den Ermittelungen während des Unabhängigkeits- krieges in Venezuela berichtigen. Ueber die Lage der Quellen am Fuße der Kordilleren zwischen 4° 20″ und 1° 10′ nördlicher Breite wissen wir zuverlässig, was folgt. Hinter dem Paramo de la Suma Paz, den ich von Pandi an aufnehmen konnte, entspringt der Rio de Aguas Blancas, der mit dem Pachaquiaro oder Rio Negro von Apiay den Meta bildet; weiter nach Süden kommt der Rio Ariari, ein Nebenfluß des Guaviare , dessen Mündung ich bei San Fernando de Atabapo gesehen. Geht man auf dem Rücken der Kordillere weiter gegen Ceja und den Paramo von Aponte zu, so kommt man an den Rio Guayavero, der am Dorfe Aramo vorbeiläuft und sich mit dem Ariari verbindet; unterhalb ihrer Vereinigung bekommen die Flüsse den Namen Guaviare . Südwestlich vom Paramo de Aponte entspringen am Fuße der Berge bei Santa Rosa der Rio Caqueta, und auf der Kordillere selbst der Rio de Mocoa, der in der Geschichte der Eroberung eine große Rolle spielt. Diese beiden Flüsse, die sich etwas oberhalb der Mission San Augustin de Nieto vereinigen, bilden den Japura oder Caqueta . Der Cerro del Portachuelo, ein Berg, der sich auf der Hochebene der Kordilleren selbst erhebt, liegt zwischen den Quellen des Mocoa und dem See Sebondoy, aus dem der Rio Putumayo oder I ç a entspringt. Der Meta, der Guaviare, der Caqueta und der Putumayo sind also die ein- zigen großen Flüsse, die unmittelbar am Ostabhange der Anden von Santa F é , Popayan und Pasto entspringen. Der Vichada, der Zama, der Inirida, der Rio Negro, der Uaupe und der Apoporis, die unsere Karten gleichfalls westwärts bis zum Gebirge fortführen, entspringen weit weg von demselben ent- weder in den Savannen zwischen Meta und Guaviare oder im bergigen Lande, das, nach den Aussagen der Eingeborenen, fünf, sechs Tagereisen westwärts von den Missionen am Javita und Maroa anfängt und sich als Sierra Tunuhy jenseits des Xi è dem Issana zu erstreckt. Es erscheint ziemlich auffallend, daß dieser Kamm der Kordillere, dem so viele majestätische Flüsse entspringen (Meta, Guaviare, Caqueta, Putumayo), so wenig mit Schnee bedeckt ist als die abessinischen Gebirge, aus denen der blaue Nil kommt; dagegen trifft man, wenn man die Gewässer, die über die Ebenen ziehen, hinaufgeht, bevor man an die Kor- dillere der Anden kommt, einen noch thätigen Vulkan. Der- selbe wurde erst in neuester Zeit von den Franziskanern entdeckt, die von Ceja über den Rio Fragua an den Caqueta herunterkommen. Nordöstlich von der Mission Santa Rosa, westlich vom Puerto del Pescado, liegt ein einzeln stehender Hügel, der Tag und Nacht Rauch ausstößt. Es rührt dies von einem Seitenausbruche der Vulkane von Popayan und Pasto her, wie der Guacamayo und der Sangay, die gleich- falls am Fuße des Ostabhanges der Anden liegen, von Seiten- ausbrüchen des Vulkansystemes von Quito herrühren. Ist man mit den Ufern des Orinoko und des Rio Negro bekannt, wo überall das Granitgestein zu Tage kommt, bedenkt man, daß in Brasilien, in Guyana, auf dem Küstenlande von Vene- zuela, vielleicht auf dem ganzen Kontinent ostwärts von den Anden, sich gar kein Feuerschlund findet, so erscheinen die drei thätigen Vulkane an den Quellen des Caqueta, des Napo und des Rio Macas oder Morona sehr interessant. Die imposante Größe des Rio Negro fiel schon Orellana auf, der ihn im Jahre 1539 bei seinem Einfluß in den Ama- zonenstrom sah, undas nigras spargens; aber erst ein Jahr- hundert später suchten die Geographen seine Quellen am Abhange der Kordilleren auf. Acuñas Reise gab Anlaß zu Hypothesen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und von La Condamine und d’Anville maßlos gehäuft wurden. Acuña hatte im Jahre 1638 an der Einmündung des Rio Negro gehört, einer seiner Zweige stehe mit einem anderen großen Strome in Verbindung, an dem die Holländer sich niedergelassen. Southey bemerkt scharfsinnig, daß man so etwas in so ungeheurer Entfernung von der Küste gewußt, beweise, wie stark und vielfach damals der Verkehr unter den barbarischen Völkern dieser Länder (besonders unter denen von karibischem Stamme) gewesen. Es bleibt unentschieden, ob die Indianer, die Acuña Rede standen, den Cassiquiare meinten, den natürlichen Kanal zwischen Orinoko und Rio Negro, den ich von San Carlos nach Esmeralda hinaufgefahren bin, oder ob sie ihm nur unbestimmt die Trageplätze zwischen den Quellen des Rio Branco Dies ist der Rio Parime, Rio Blanco, Rio de Aguas Blancas unserer Karten, der unterhalb Barcellos in den Rio Negro fällt. und des Rio Essequibo andeuten wollten. Acuña selbst dachte nicht daran, daß der große Strom, dessen Mündung die Holländer besaßen, der Orinoko sei; er nahm vielmehr eine Verbindung mit dem Rio San Felipe an, der westlich vom Kap Nord ins Meer fällt, und auf dem nach seiner Ansicht der Tyrann Lopez de Aguirre seine lange Fluß- fahrt beschlossen hatte. Letztere Annahme scheint mir sehr gewagt, wenn auch der Tyrann in seinem närrischen Briefe an Philipp II. selbst gesteht, „er wisse nicht, wie er und die Seinigen aus der großen Wassermasse herausgekommen“. Bis zu Acuñas Reise und den schwankenden Angaben, die er über Verbindungen mit einem anderen großen Flusse nordwärts vom Amazonenstrome erhielt, sahen die unterrich- tetsten Missionäre den Orinoko für eine Fortsetzung des Ca- queta (Kaqueta, Caketa) an. „Dieser Strom,“ sagte Fray Pedro Simon im Jahre 1625, „entspringt am Westabhange des Paramo d’Iscanc è . Er nimmt den Papamene auf, der von den Anden von Neiva herkommt, und heißt nacheinander Rio Iscanc è , Tama (wegen des angrenzenden Gebietes der Tamasindianer), Guayare, Baraguan und Orinoko.“ Nach der Lage des Paramo d’Iscanc è , eines hohen Kegelberges, den ich auf der Hochebene von Mamendoy und an den schönen Ufern des Mayo gesehen, muß in dieser Beschreibung der Caqueta gemeint sein. Der Rio Papamene ist der Rio de la Fragua, der mit dem Rio Mocoa ein Hauptzweig des Caqueta ist; wir kennen denselben von den ritterlichen Zügen Georgs von Speier und Philipps von Hutten her. Den berühmten Namen Hutten erkennt man in den spani- schen Geschichtschreibern kaum wieder. Sie nennen Philipp von Hutten, mit Wegwerfung des aspirierten H, Felipe de Uten, de Urre, oder de Utre. Die beiden Kriegs- männer kamen an den Papamene erst, nachdem sie über den Ariari und den Guayavero gegangen. Die Tamasindianer sind noch jetzt am nördlichen Ufer des Caqueta eine der stärksten Nationen; es ist also nicht zu verwundern, daß, wie Fray Pedro Simon sagt, dieser Fluß Rio Tama genannt wurde. Da die Quellen der Nebenflüsse des Caqueta und die Neben- flüsse des Guaviare nahe beisammen liegen, und da dieser einer der großen Flüsse ist, die in den Orinoko fallen, so bildete sich mit dem Anfange des 17. Jahrhunderts die irrige Ansicht, Caqueta (Rio de Iscanc è und Papamene), Guaviare (Guayare) und Orinoko seien ein und derselbe Fluß. Niemand war den Caqueta dem Amazonenstrome zu hinabgefahren, sonst hätte man gesehen, daß der Fluß, der weiter unten Jupupa heißt, eben der Caqueta ist. Eine Sage, die sich bis jetzt unter der Bevölkerung dieses Landstriches erhalten hat, der zufolge ein Arm des Caqueta oberhalb des Einflusses des Caguan und des Payoya zum Irinida und Rio Negro geht, muß auch zu der Meinung beigetragen haben, daß der Orinoko am Abhange der Gebirge von Pasto entspringe. Wie wir gesehen, setzte man in Neugranada voraus, die Wasser des Caqueta laufen, wie die des Ariari, Meta und Apure, dem großen Orinokobecken zu. Hätte man genauer auf die Richtung dieser Nebenflüsse geachtet, so wäre man gewahr geworden, daß allerdings das ganze Land im großen nach Osten abfällt, daß aber die Bodenpolyeder, aus denen die Niederungen bestehen, schiefe Flächen zweiter Ordnung bilden, die nach Nordost und Südost geneigt sind. Eine fast unmerkliche Wasserscheide läuft unter dem 2. Breitengrade von den Anden von Timana zu der Landenge zwischen Javita und dem Caño Pimichin, über die unsere Piroge geschafft worden. Nördlich vom Parallel von Timana laufen die Ge- wässer Inirida, Guaviare, Vichada, Zama, Meta, Casamare, Apure. nach Nordost und Ost: es sind die Nebenflüsse des Orinoko oder die Nebenflüsse seiner Nebenflüsse. Aber südlich vom Parallel von Timana, auf den Ebenen, welche denen von San Juan vollkommen zu gleichen scheinen, laufen der Caqueta oder Jupura, der Putumayo oder I ç a, der Napo, der Pasta ç a und der Morona nach Südost und Süd-Südost und ergießen sich ins Becken des Amazonenstromes. Dabei ist sehr merkwürdig, daß diese Wasserscheide selbst nur als eine Fortsetzung derjenigen erscheint, die ich in den Kordilleren auf dem Wege von Popayan nach Pasto gefunden. Zieht man den Landhöhen nach eine Linie über Ceja (etwas südlich von Timana) und den Paramo de las Papas zum Alto del Roble, zwischen 1° 45′ und 2° 20′ der Breite, in 1890 m Meeres- höhe, so findet man die divortia aquarum zwischen dem Meere der Antillen und dem Stillen Ozean. Vor Acuñas Reise herrschte bei den Missionären die An- sicht, Caqueta, Guaviare und Orinoko seien nur verschiedene Benennungen desselben Flusses; aber der Geograph Sanson ließ auf den Karten, die er nach Acuñas Beobachtungen ent- warf, den Caqueta sich in zwei Arme teilen, deren einer der Orinoko, der andere der Rio Negro oder Curiguacuru sein sollte. Diese Gabelteilung unter rechtem Winkel erscheint auf allen Karten von Sanson, Coronelli, du Val und de l’Isle von 1656 bis 1730. Man glaubte auf diese Weise die Ver- bindungen zwischen den großen Strömen zu erklären, von denen Acuña die erste Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die Fortsetzung des Caqueta sei. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der sich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoko ehemals hieß. De l’Isle ließ in seiner letzten Zeit den Caqueta sich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß La Condamines; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unab- hängigen Flüssen, und als wollte er alle Aussicht auf eine Verbindung zwischen Orinoko und Rio Negro abschneiden, zeichnete er zwischen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater Fritz hatte dasselbe System und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrscheinlichste. La Condamines Reise, die über verschiedene Striche Amerikas so viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegen- heit vom Laufe des Caqueta, Orinoko und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte sah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß ist, der am Amazonenstrome Jupura heißt; dennoch nahm er nicht allein Sansons Hypothese an, er brachte die Zahl der Gabel- teilungen des Caqueta sogar auf drei. Durch die erste gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten teilt sich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüsse, den Orinoko und den Rio Negro. Dieses rein er- sonnene System sieht man in der ersten Ausgabe von d’An- villes schöner Karte von Amerika dargestellt. Es ergibt sich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoko unterhalb der großen Katarakte abgeht, und daß man, um an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Jupura entspringt, hinauf muß. Als La Con- damine erfuhr, daß der Orinoko keineswegs am Fuße der Anden von Pasto, sondern auf der Rückseite der Berge von Cayenne entspringe, änderte er seine Vorstellungen auf sehr sinnreiche Weise ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoko ab; Guaviare, Atabapo, Cassiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erschienen auf d’Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Gestalt, aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entstehen der Inirida und der Rio Negro. Dieses System wurde von Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dar- gestellt und auf allen Karten bis zum Anfang des 19. Jahr- hunderts kopiert. Diese Namen: Caqueta, Orinoko, Inirida, haben allerdings nicht so viel Anziehendes, wie die Flüsse im Inneren Nigritiens; es knüpfen sich eben keine geschichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Kombinationen der Geographen der Neuen Welt erinnern an die krausen Zeichnungen vom Laufe des Nigir, des Weißen Nil, des Gambaro, des Dscholiba und des Za ï re. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypothesen an Umfang ab; die Pro- bleme sind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie, das man spekulative, um nicht zu sagen divinatorische Geo- graphie nennen könnte, zieht sich in immer engere Grenzen zusammen. Also nicht am Caqueta, sondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Flusses erhalten. Die Indianer in den Missionen Maroa, Tomo und San Carlos wissen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe seine Breite bei der Schanze San Agostino gemessen; es ergaben sich 569 m; Dies ist dreimal die Breite der Seine beim Jardin des plantes. die mittlere Breite war 380 bis 485 m. La Condamine schätzt dieselbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazonenstrom an der schmälsten Stelle auf 2340 m; der Fluß wäre also auf einem Laufe von 10 Grad in gerader Linie um 1950 m breiter geworden. Obgleich die Wasser- masse, wie wir sie zwischen Maroa und San Carlos gesehen, schon ziemlich bedeutend ist, versichern die Indianer dennoch, der Guainia entspringe fünf Tagereisen zu Wasser nordwest- wärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigen Landstriche, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Cassiquiare von San Carlos bis zum Punkte der Gabel- teilung am Orinoko in 10 bis 11 Tagen hinauffährt, so kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht so starke Strömung zu etwas über 1° 20′ in gerader Richtung anneh- men, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längen- beobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35′ westlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich die Aussagen der Eingeborenen vollkommen übereinstimmten, liegen die Quellen wohl noch weiter nach Westen, da die Kanoen nur so weit hinaufkommen, als das Flußbett es ge- stattet. Nach der Analogie der europäischen Flüsse läßt sich das Verhältnis zwischen der Breite und Länge des oberen Flußstückes Bei Seine und Marne z. B. sind es von Paris bis zu den Quellen in gerader Richtung mehr als 2°. nicht bestimmt beurteilen. In Amerika nimmt häufig die Wassermasse in den Flüssen auf kurzen Strecken sehr auffallend zu. Der Guainia ist in seinem oberen Laufe vorzüglich dadurch ausgezeichnet, daß er keine Krümmungen hat; er erscheint wie ein breiter Kanal, der durch einen dichten Wald gezogen ist. So oft der Fluß die Richtung verändert, liegt eine gleich lange Wasserstrecke vor dem Auge. Die Ufer sind hoch, aber eben und selten felsig. Der Granit, den ungeheure Quarz- gänge durchsetzen, kommt meist nur mitten im Bett zu Tage. Fährt man den Guainia nach Nordwest hinauf, so wird die Strömung mit jeder Tagereise reißender. Die Flußufer sind unbewohnt; erst in der Nähe der Quellen ( las cavezeras ), im bergigen Lande, hausen die Maniva- oder Poignave-India- ner. Die Quellen des Inirida (Iniricha) liegen, nach der Aussage der Indianer, nur 9 bis 13 km von denen des Guainia und es ließe sich dort ein Trageplatz anlegen. Pater Caulin hörte in Cabruta aus dem Munde eines indianischen Häuptlings Namens Tapo, der Inirida sei sehr nahe beim Patavida (Paddavida auf der Karte von La Cruz), der ein Nebenfluß des Rio Negro ist. Die Eingeborenen am oberen Guainia kennen diesen Namen nicht, so wenig als den eines Sees ( laguna del Rio Negro ), der auf alten portugiesischen Karten vorkommt. Dieser angebliche Rio Patavita ist wahr- scheinlich nichts als der Guainia der Indianer in Maroa; denn solange die Geographen an die Gabelteilung des Caqueta glaubten, ließen sie den Rio Negro aus diesem Arme und einem Flusse entstehen, den sie Patavita nannten. Nach dem Berichte der Eingeborenen sind die Berge bei den Quellen des Inirida und Guainia nicht höher als der Baraguan, der nach meiner Messung 240 m hoch ist. Portugiesische handschriftliche Karten, die in neuester Zeit im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro entworfen worden sind, bestätigen, was ich an Ort und Stelle in Erfahrung gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; sie stellen jeden dieser Nebenflüsse als einen unabhängigen Strom dar; sie lassen den Rio Patavita weg und setzen die Quellen des Guainia nur 2° 15′ westwärts vom Meridian von Javita. Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, scheint viel weiter aus Westen herzukommen als der Guainia selbst; und seine Richtung ist so, daß kein Arm des Caqueta in den oberen Guainia kommen könnte, ohne ihn zu schneiden. Ich bringe zum Schluß dieser Erörterung einen Beweis bei, der direkt gegen die Annahme spricht, nach welcher der Guainia, wie der Guaviare und der Caqueta, am Ostabhange der Kordilleren der Anden entspringen soll. Während meines Aufenthaltes in Popayan machte mir der Guardian des Franziskanerklosters, Fray Francisco Pugnet, ein liebenswürdiger, verständiger Mann, zuverlässige Mittei- lungen über die Missionen der Adaquies, in denen er lange gelebt hat. Der Pater hatte eine beschwerliche Reise vom Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von Hutten (Urre) und den ersten Zeiten der Eroberung war kein Europäer durch dieses unbekannte Land gekommen. Pater Pugnet kam von der Mission Caguan am Flusse dieses Namens, der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baum- lose Savanne, in deren östlichem Striche die Tamas- und Co- reguajesindianer hausen. Nach sechstägigem Marsche nord- wärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am Guayavero, etwa 67 km westlich vom Punkte, wo der Guaya- vero und der Ariari den großen Guaviarestrom bilden. Aramo ist das am weitesten nach West gelegene Dorf der Missionen von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel denselben, die der Präsident der Missionen am Orinoko auf seiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare hinauf gesehen); aber er kam zwischen Caguan und Aramo über keinen Fluß. Es ist also erwiesen, daß unter dem 75. Grad der Länge, auf 180 km vom Abhange der Kordil- leren, mitten in den Lanos weder Rio Negro (Patavita, Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden sind und daß diese drei Flüsse ostwärts von diesem Meridian ent- springen. Diese Angaben sind von großem Wert; denn im inneren Afrika ist die Geographie kaum so verworren als hier zwischen dem Atabapo und den Quellen des Meta, Guaviare und Caqueta. „Man glaubt es kaum,“ sagt Caldas in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, die in Santa F é de Bogota er- scheint, „daß wir noch keine Karte von den Ebenen besitzen, die am Ostabhange der Gebirge beginnen, die wir täglich vor Augen haben und auf denen die Kapellen Guadeloupe und Monserrate stehen. Kein Mensch weiß, wie breit die Kor- dilleren sind, noch wie die Flüsse laufen, die in den Orinoko und in den Amazonenstrom fallen, und doch werden einst in besseren Zeiten eben auf diesen Nebenflüssen, dem Meta, dem Guaviare, dem Rio Negro, dem Caqueta, die Einwohner von Cundinamarca mit Brasilien und Paraguay verkehren.“ Ich weiß wohl, daß in den Missionen der Andaquies ziemlich allgemein der Glaube herrscht, der Caqueta gebe zwischen dem Einflusse des Rio Fragua und des Caguan einen Arm an den Putumayo, und weiter unten, unterhalb der Einmündung des Rio Payoya, einen anderen an den Orinoko ab; aber diese Meinung stützt sich nur auf eine unbestimmte Sage der Indianer, welche häufig Trageplätze und Gabel- teilungen verwechseln. Wegen der Katarakte an der Mündung des Payoya und der wilden Huaquesindianer, auch „Murcie- lagos“ (Fledermäuse) genannt, weil sie den Gefangenen das Blut aussaugen, können die spanischen Missionäre nicht den Caqueta hinabfahren. Nie hat ein weißer Mensch den Weg von San Miguel de Mocoa zum Einflusse des Caqueta in den Amazonenstrom gemacht. Bei der letzten Grenzkommission fuhren die portugiesischen Astronomen zuerst den Caqueta bis zu 0° 36′ südlicher Breite, dann den Rio de los Engaños (den trügerischen Fluß) und den Rio Cunare, die in den Caqueta fallen, bis zu 0° 28′ nördlicher Breite hinauf. Auf dieser Fahrt sahen sie nordwärts keinen Arm vom Caqueta abgehen. Der Amu und der Yabilla, deren Quellen sie genau untersucht, sind Flüßchen, die in den Rio de los Engaños und mit diesem in den Caqueta fallen. Findet also wirklich eine Gabelteilung statt, so wäre sie nur auf der ganz kurzen Strecke zwischen dem Einflusse des Payoya und dem zweiten Katarakt oberhalb des Einflusses des Rio de los Engaños zu suchen; aber, ich wiederhole es, wegen dieses Flusses, wegen des Cunare, des Apoporis und des Uaupes könnte dieser an- gebliche Arm des Caqueta gar nicht zum oberen Guainia ge- langen. Alles scheint vielmehr darauf hinzuweisen, daß zwischen den Zuflüssen des Caqueta und denen des Uaupes und Rio Negro eine Wasserscheide ist. Noch mehr: Durch barometrische Beobachtung haben wir für das Ufer des Pimichin 253 m Meereshöhe gefunden. Vorausgesetzt, das bergige Land an den Quellen des Guainia liege 97 m über Javita, so folgt daraus, daß das Bett des Flusses in seinem oberen Laufe wenigstens 390 m über dem Meere liegt, also nur so hoch, als wir mit dem Barometer das Ufer des Amazonenstroms bei Tomependa in der Provinz Jaen de Bracamoros gefunden. Bedenkt man nun, wie stark dieser ungeheure Strom von Tomependa bis zum Meridian von 75° fällt und wie weit es von den Missionen am Rio Caguan bis zur Kordillere ist, so bleibt kein Zweifel, daß das Bett des Caqueta unterhalb der Mündungen des Caguan und des Payoya viel tiefer liegt als das Bett des oberen Guainia, an den er einen Teil seines Wassers abgeben soll. Ueberdies ist das Wasser des Caqueta durchaus weiß, das des Guainia dagegen schwarz oder kaffee- braun; man hat aber kein Beispiel, daß ein weißer Fluß auf seinem Laufe schwarz würde. Der obere Guainia kann also kein Arm des Caqueta sein. Ich zweifle sogar, daß man Grund hat anzunehmen, dem Guainia, als vornehmsten und unabhängigen Wasserbehälter, komme südwärts durch einen Seitenzweig einiges Wasser zu. Die kleine Berggruppe an den Quellen des Guainia, die wir haben kennen lernen, ist um so interessanter, da sie einzeln in der Ebene liegt, die sich südwestlich vom Orinoko ausdehnt. Nach der Länge, unter der sie liegt, könnte man vermuten, von ihr gehe ein Kamm ab, der zuerst die Stromenge (Ango- stura) des Guaviare und dann die großen Katarakte des Uaupes und des Jupura bildet. Kommt vielleicht dort, wo die Gebirgsart wahrscheinlich, wie im Osten, Granit ist, Gold in kleinen Teilen im Boden vor? Gibt es vielleicht weiter nach Süden, dem Uaupes zu, am Iquiare (Iguiari, Iguari) und am Yurubesh (Yurubach, Urubaxi) Goldwäschen? Dort suchte Philipp von Hutten zuerst den Dorado und lieferte mit einer Handvoll Leute den Omagua das im sechzehnten Jahrhundert vielberufene Gefecht. Entkleidet man die Be- richte der Konquistadoren des Fabelhaften, so erkennt man an den erhaltenen Ortsnamen immerhin, daß geschichtliche Wahrheit zu Grunde liegt. Man folgt dem Zuge Huttens über den Guaviare und den Caqueta, man erkennt in den Guaypes unter dem Kaziken von Macatoa die Anwohner des Uaupes, der auch Guape oder Guapue heißt; man er- innert sich, daß Pater Acuña den Iquiari (Quiguiare) einen Goldfluß nennt, und daß fünfzig Jahre später Pater Fritz, ein sehr glaubwürdiger Missionär, in seiner Mission Yuri- maguas von den Manaos (Manoas) besucht wurde, die mit Goldblechen geputzt waren und aus dem Landstriche zwischen dem Uaupe und dem Caqueta oder Jupura kamen. Die Flüsse, die am Ostabhange der Anden entspringen (z. B. der Napo), führen viel Gold, auch wenn ihre Quellen im Trachyt- gestein liegen: warum sollte es ostwärts von den Kordilleren nicht so gut goldhaltiges aufgeschwemmtes Land geben, wie westwärts bei Sonora, Chocos und Barbacoas? Ich bin weit entsernt , den Reichtum dieses Landstriches übertreiben zu wollen; aber ich halte mich nicht für berechtigt, das Vorkom- men edler Metalle im Urgebirge von Guyana nur deshalb in Abrede zu ziehen, weil wir auf unserer Reise durch das Land keinen Erzgang gefunden haben. Es ist auffallend, daß die Eingeborenen am Orinoko in ihren Sprachen ein Wort für Gold haben (karibisch Carucuru, tamanakisch Caricuri , maypurisch Cavitta ), während das Wort, das sie für Silber gebrauchen, Prata , offenbar dem Spanischen entlehnt ist. Die Nachrichten über Goldwäschen südlich und nördlich vom Rio Uaupes, die Acuña, Pater Fritz und La Condamine gesammelt, stimmen mit dem überein, was ich über die Goldlager in diesem Landstriche in Erfahrung gebracht. So stark man sich auch den Verkehr unter den Völkern am Orinoko vor der Ankunft der Europäer denken mag, so haben sie doch ihr Gold gewiß nicht vom Ostabhang der Kordilleren geholt. Dieser Abhang ist arm an Erzgruben, zumal an solchen, die schon von alters her in Betrieb waren; er besteht in den Provinzen Popayan, Pasto und Quito fast ganz aus vulkanischem Ge- stein. Wahrscheinlich kam das Gold nach Guyana aus dem Lande ostwärts von den Anden. Noch zu unserer Zeit wurde in einer Schlucht bei der Mission Encaramada ein Gold- geschiebe gefunden, und man darf sich nicht wundern, daß man, sobald sich Europäer in diesen Einöden niederlassen, weniger von Goldblech, Goldstaub und Amuletten aus Nephrit sprechen hört, die man sich früher von den Kariben und anderen umherziehenden Völkern im Tauschhandel verschaffen konnte. Die edlen Metalle waren am Orinoko, Rio Negro und Amazonenstrom nie sehr häufig, und sie verschwinden fast ganz, sobald die Zucht in den Missionen dem Verkehr der Eingeborenen über weite Strecken ein Ende macht. Am oberen Guainia ist das Klima nicht so heiß, vielleicht auch etwas weniger feucht als am Tuamini. Ich fand das Wasser des Rio Negro im Mai 23,9° warm, während der Thermometer in der Luft bei Tage auf 22,7° bei Nacht 21,8° stand. Diese Kühle des Wassers, die fast ebenso beim Kongo- flusse beobachtet wird, ist so nahe beim Aequator (1° 53′ bis 2° 15′ nördliche Breite) sehr auffallend. Der Orinoko ist zwi- schen dem 4. und 8. Grad der Breite meist 27,5° bis 29,5° warm. Die Quellen, die bei Maypures aus dem Granit kommen, haben 27,8°. Diese Abnahme der Wärme dem Aequa- tor zu stimmt merkwürdig mit den Hypothesen einiger Physiker des Altertums; Geminus , Isagoge in Aratum cap. 13. Strabo lib. II. es ist indessen nur eine örtliche Erscheinung und nicht sowohl eine Folge der Meereshöhe des Landstriches, als vielmehr des beständig bedeckten, regnerischen Himmels, der Feuchtigkeit des Bodens, der dichten Wälder, der starken Ausdünstung der Gewächse und des Umstandes, daß kein san- diges Ufer den Wärmestoff anzieht und durch Strahlung wie- der von sich gibt. Der Einfluß eines bezogenen Himmels zeigt sich recht deutlich am Küstenstriche in Peru, wo niemals Regen fällt und die Sonne einen großen Teil des Jahres, zur Zeit der Garua (Nebel), dem bloßen Auge wie die Mondscheibe erscheint. Dort zwischen dem 10. und 12. Grad südlicher Breite ist die mittlere Temperatur kaum höher als in Algier und Kairo. Am Rio Negro regnet es fast das ganze Jahr, Dezember und Januar ausgenommen, und selbst in der trockenen Jahreszeit sieht man das Blau des Himmels selten zwei, drei Tage hintereinander. Bei heiterer Luft erscheint die Hitze desto größer, da sonst das Jahr über die Einwohner sich bei Nacht über Frost beklagen, obgleich die Temperatur immer noch 21° beträgt. Ich stellte in San Carlos, wie früher in Javita, Beobachtungen über die Regen- menge an, die in einer gegebenen Zeit fällt. Diese Unter- suchungen sind von Belang, wenn es sich davon handelt, die ungeheure Anschwellung der Flüsse in der Nähe des Aequa- tors zu erklären, von denen man lange glaubte, sie werden von den Kordilleren mit Schneewasser gespeist. Ich sah zu verschiedenen Zeiten in 2 Stunden 16 mm , in 3 Stunden 40 mm , in 9 Stunden 106,8 mm Regen fallen. Da es un- aufhörlich fort regnet (der Regen ist fein, aber sehr dicht), so können, glaube ich, in diesen Wäldern jährlich nicht wohl unter 2,43 bis 2,71 m Wasser fallen. So außerordentlich viel dies auch scheinen mag, so wird diese Schätzung doch durch die sorgfältigen Beobachtungen des Ingenieurobersten Constanzo in Neuspanien bestätigt. In Veracruz fielen allein in den Monaten Juli, August und September 948 mm im ganzen Jahre 1,677 m Regenwasser; aber zwischen dem Klima der dürren, kahlen mexikanischen Küsten und dem Klima in den Wäldern ist ein großer Unterschied. Auf jenen Küsten fällt in den Monaten Dezember und Januar kein Tropfen Regen und im Februar, April und Mai meist nur 5 bis 6,1 cm; in San Carlos dagegen ist es neun, zehn Monate hintereinan- der, als ob die Luft sich in Wasser auflöste. In diesem nassen Himmelsstriche würde ohne die Verdunstung und den Abzug der Wasser der Boden im Verlauf eines Jahres mit einer 2,6 m hohen Wasserschichte bedeckt. Diese Aequatorialregen, welche die majestätischen Ströme Amerikas speisen, sind von elektrischen Entladungen begleitet, und während man am Ende desselben Kontinents, auf der Westküste von Grönland, Der Ritter Giseke, der sieben Jahre unter dem 70. Breiten- grad gelebt hat, sah in der langen Verbannung, der er sich aus Liebe zur Wissenschaft unterzogen, nur ein einzigesmal blitzen. Auf der Küste von Grönland verwechselt man häufig das Getöse der Lawinen oder stürzenden Eismassen mit dem Donner. in fünf und sechs Jahren nicht einmal donnern hört, toben in der Nähe des Aequators die Gewitter fast Tag für Tag. Die Gleichzeitigkeit der elektrischen Entladungen und der Regengüsse unterstützt übrigens keineswegs die alte Hypothese, nach der sich in der Luft durch Verbindung von Sauerstoff und Wasser- stoff Wasser bildet. Man hat bis zu 7016 m Höhe vergeb- lich Wasserstoff gesucht. Die Menge des in der gesättigten Luft enthaltenen Wassers nimmt von 20 bis 25° weit rascher zu als von 10 bis 15°. Unter der heißen Zone bildet sich daher, wenn sich die Luft um einen einzigen Grad abkühlt, weit mehr sichtbarer Wasserdunst als in der gemäßigten. Eine durch die Strömungen fortwährend erneuerte Luft kann somit alles Wasser liefern, das bei den Aequatorialregen fällt und dem Physiker so erstaunlich groß dünkt. Das Wasser des Rio Negro ist (bei reflektiertem Lichte) dunkler von Farbe als das des Atabapo und des Tuamini. Ja die Masse weißen Wassers, die der Cassiquiare hereinbringt, ändert unterhalb der Schanze San Carlos so wenig an der Farbe, daß es mir auffiel. Der Verfasser der Chorographie moderne du Brésil sagt ganz richtig, der Fluß habe überall, wo er nicht tief sei, eine Bernsteinfarbe, wo das Wasser aber sehr tief sei, erscheine es schwarzbraun, wie Kaffeesatz. Auch bedeutet Curana , wie die Eingeborenen den unteren Guainia nennen, schwarzes Wasser. Die Vereinigung des Guainia oder Rio Negro mit dem Amazonenstrom gilt in der Statt- halterschaft Gran-Para für ein so wichtiges Moment, daß der Rio das Amazonas westlich vom Rio Negro seinen Namen ablegt und fortan Rio dos Solimoẽs heißt (eigentlich Sori- moẽs, mit Anspielung auf das Gift der Nation der Sorimans). Westlich von Ucayale nimmt der Amazonenstrom den Namen Rio Maranhaõ oder Marañon an. Die Ufer des oberen Guainia sind im ganzen ungleich weniger von Wasservögeln bevölkert als die des Cassiquiare, Meta und Arauca, wo die Ornithologen die reichste Ausbeute für die europäischen Samm- lungen finden. Daß diese Tiere so selten sind, rührt ohne Zweifel daher, daß der Strom keine Untiefen und keine offenen Gestade hat, sowie von der Beschaffenheit des schwarzen Wassers, in dem (gerade wegen seiner Reinheit) Wasserinsekten und Fische weniger Nahrung finden. Trotzdem nähren sich die Indianer in diesem Landstriche zweimal im Jahre von Zug- vögeln, die auf ihrer langen Wanderung am Ufer des Rio Negro ausruhen. Wenn der Orinoko zu steigen anfängt, also nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, ziehen die Enten ( Patos careteros ) in ungeheuern Schwärmen vom 8. bis 3. Grad nördlicher zum 1. bis 4. Grad südlicher Breite gegen Süd-Südost. Diese Tiere verlassen um diese Zeit das Thal des Orinoko, ohne Zweifel weil sie, wenn das Wasser steigt und die Gestade überflutet, keine Fische, Wasserinsekten und Würmer mehr fangen können. Man erlegt sie zu Tausenden, wenn sie über den Rio Negro ziehen. Auf der Wanderung zum Aequator sind sie sehr fett und wohlschmeckend, aber im September, wenn der Orinoko fällt und in sein Bett zurück- tritt, ziehen die Enten, ob sie nun der Ruf der erfahrensten Zugvögel dazu antreibt, oder jenes innere Gefühl, das man Instinkt nennt, weil es nicht zu erklären ist, vom Amazonen- strome und Rio Branco wieder nach Norden. Sie sind zu mager, als daß die Indianer am Rio Negro lüstern danach wären, und sie entgehen ihren Nachstellungen um so eher, da eine Reiherart (Gavanes) mit ihnen wandert, die ein vortreff- liches Nahrungsmittel abgibt. So essen denn die Eingeborenen im März Enten, im September Reiher. Sie konnten uns nicht sagen, was aus den Gavanes wird, wenn der Orinoko ausgetreten ist, und warum sie die Patos carateros auf ihrer Wanderung vom Orinoko an den Rio Branco nicht be- gleiten. Dieses regelmäßige Ziehen der Vögel aus einem Striche der Tropen in den anderen, in einer Zone, die das ganze Jahr über dieselbe Temperatur hat, ist eine ziemlich auffallende Erscheinung. So kommen auch jedes Jahr, wenn in Terra Firma die großen Flüsse austreten, viele Schwärme von Wasservögeln vom Orinoko und seinen Nebenflüssen an die Südküsten der Antillen. Man muß annehmen, daß unter den Tropen der Wechsel von Trockenheit und Nässe auf die Sitten der Tiere denselben Einfluß hat, wie in unserem Himmelsstriche bedeutende Temperaturwechsel. Die Sonnen- wärme und die Insektenjagd locken in den nördlichen Ländern der Vereinigten Staaten und in Kanada die Kolibri bis zur Breite von Paris und Berlin herauf; gleicherweise zieht der leich- tere Fischfang die Schwimmvögel und die Stelzenläufer von Nord nach Süd, vom Orinoko zum Amazonenstrom. Nichts ist wunderbarer, und in geographischer Beziehung noch so dunkel als die Wanderungen der Vögel nach ihrer Richtung, ihrer Ausdehnung und ihrem Endziel. Sobald wir aus dem Pimichin in den Rio Negro ge- langt und durch den kleinen Katarakt am Zusammenfluß ge- gangen waren, lag auf etwa 1 km die Mission Maroa vor uns. Dieses Dorf mit 150 Indianern sieht so sauber und wohlhabend aus, daß es angenehm auffällt. Wir kauften daselbst schöne lebende Exemplare einiger Tucanarten ( Pia- poco ), mutiger Vögel, bei denen sich die Intelligenz wie bei unseren zahmen Raben entwickelt. Oberhalb Maroa kamen wir zuerst rechts am Einflusse des Aquio, dann an dem des Tomo vorbei; an letzterem Flusse wohnen die Cheruvichahenas- indianer, von denen ich in San Francisco Solano ein paar Familien gesehen habe. Derselbe ist ferner dadurch interessant, daß er den heimlichen Verkehr mit den portugiesischen Be- sitzungen vermitteln hilft. Der Tomo kommt auf seinem Laufe dem Rio Guaicia (Xie) sehr nahe, und auf diesem Wege gelangen zuweilen flüchtige Indianer vom unteren Rio Negro in die Mission Tomo. Wir betraten die Mission nicht, Pater Zea erzählte uns aber lächelnd, die Indianer in Tomo und in Maroa seien einmal in vollem Aufruhr gewesen, weil man sie zwingen wollte, den vielberufenen „Teufelstanz“ zu tanzen. Der Missionär hatte den Einfall gehabt, die Ceremonien, womit die Piaches , die Priester, Aerzte und Zauberer zu- gleich sind, den bösen Geist Jolokiamo beschwören, in bur- leskem Stil darstellen zu lassen. Er hielt den „Teufelstanz“ für ein treffliches Mittel, seinen Neubekehrten darzuthun, daß Jolokiamo keine Gewalt mehr über sie habe. Einige junge Indianer ließen sich durch die Versprechungen des Missionärs bewegen, die Teufel vorzustellen, und sie hatten sich bereits mit schwarzen und gelben Federn geputzt und die Jaguarfelle mit lang nachschleppenden Schwänzen umgenommen. Die Soldaten, die in den Missionen liegen, um die Ermahnungen der Ordensleute eindringlicher zu machen, stellte man um den Platz vor der Kirche auf und führte die Indianer zur Fest- lichkeit herbei, die aber hinsichtlich der Folgen des Tanzes und der Ohnmacht des bösen Geistes nicht so ganz beruhigt waren. Die Partei der Alten und Furchtsamen gewann die Oberhand; eine abergläubische Angst kam über sie, alle wollten al monte laufen, und der Missionär legte seinen Plan, den Teufel der Eingeborenen lächerlich zu machen, zurück. Was für wunderliche Einfälle doch einem müßigen Mönche kommen, der sein Leben in den Wäldern zubringt, fern von allem, was ihn an menschliche Kultur mahnen könnte! Daß man in Tomo den geheimnisvollen Teufelstanz mit aller Gewalt öffentlich wollte aufführen lassen, ist um so auffallender, da in allen von Missionären geschriebenen Büchern davon die Rede ist, wie sie sich bemüht, daß keine Tänze aufgeführt werden, keine „Totentänze“, keine „Tänze der heiligen Trompete“, auch nicht der alte „Schlangentanz“, der Queti , bei dem vorgestellt wird, wie diese listigen Tiere aus dem Wald kommen und mit den Menschen trinken, um sie zu hintergehen und ihnen die Weiber zu entführen. Nach zweistündiger Fahrt kamen wir von der Mündung des Tomo zu der kleinen Mission San Miguel da Davipe, die im Jahr 1775 nicht von Mönchen, sondern von einem Milizlieutenant, Don Francisco Bobadilla, gegründet worden. Der Missionär Pater Morillo, bei dem wir ein paar Stun- den verweilten, nahm uns sehr gastfreundlich auf und setzte uns sogar Maderawein vor. Als Tafelluxus wäre uns Weizen- brot lieber gewesen. Auf die Länge fällt es einem weit schwerer, das Brot zu entbehren als geistige Getränke. Durch die Portu- giesen am Amazonenstrom kommt hie und da etwas Madera- A. v. Humboldt , Reise. III. 18 wein an den Rio Negro, und da Madera auf spanisch Holz bedeutet, so hatten schon arme, in der Geographie nicht sehr bewanderte Missionäre Bedenken, ob sie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; sie hielten denselben für ein irgend einem Baume abgezapftes gegorenes Getränk, wie Palmwein, und forderten den Guardian der Missionen auf, sich darüber auszusprechen, ob der vino de Madera Wein aus Trauben ( de uvas ) sei oder aber der Saft eines Baumes ( vino de algun palo ). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Priestern ge- stattet sei, mit einem gegorenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszusehen, wurde die Frage verneint. Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrat, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieser Einkauf war unseren In- dianern sehr wichtig, da sie schon lange kein Fleisch mehr ge- gessen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Insel Dapa kämen, wo das Schwein geschlachtet und in der Nacht gebraten werden sollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloster ( convento ) große Haufen Maniharz zu betrach- ten, sowie Seilwerk aus der Chiquichiquipalme, das in Europa besser bekannt zu sein verdiente. Dasselbe ist ausnehmend leicht, schwimmt auf dem Wasser und ist auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten soll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropischen Sonne aussetzen. Don Antonio Santos, der im Lande wegen seiner Reise zur Auffindung des Parimesees viel genannt wird, lehrte die Indianer am spanischen Rio Negro die Blattstiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüten noch Früchte zu Gesicht bekommen haben. Dieser Offizier ist der einzige weiße Mensch, der, um von Angostura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte sich in den portugiesischen Kolonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui- taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenstrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Missionen in Guyana ein. Es wäre zu wünschen, daß am Rio Negro und Cassi- quiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um diese Taue in den europäischen Handel zu bringen. Etwas weniges wird bereits von Angostura auf die Antillen ausgeführt. Sie kosten dort 50 bis 60 Prozent weniger als Hanf- taue. Ein Chiquichiquitau, 55 m lang und 14 cm im Durchmesser, kostet den Missionär 12 harte Piaster, und es wird in Angostura für 25 Piaster verkaust. Ein Stück von 25 mm Durchmesser, 58,5 m lang, wird in den Missionen für 3 Piaster, an der Küste für 5 verkaust. Da man nur junge Palmen benützt, müßten sie an- gepflanzt und kultiviert werden. Etwas oberhalb der Mission Davipe nimmt der Rio Negro einen Arm des Cassiquiare auf, der in der Geschichte der Flußverzweigungen eine merkwürdige Erscheinung ist. Dieser Arm geht nördlich von Vasiva unter dem Namen Iti- nivini vom Cassiquiare ab, läuft 102 km lang durch ein ebenes, fast ganz unbewohntes Land und fällt unter dem Namen Conorichite in den Rio Negro. Er schien mir an der Mün- dung über 234 m breit und bringt eine bedeutende Masse weißen Wassers in das schwarze Gewässer. Obgleich die Strömung im Conorichite sehr stark ist, kürzt dieser natürliche Kanal dennoch die Fahrt von Davipe nach Esmeralda um drei Tage ab. Eine doppelte Verbindung zwischen Cassiquiare und Rio Negro kann nicht auffallen, wenn man weiß, wie viele Flüsse in Amerika beim Zusammenfluß mit anderen Deltas bilden. So ergießen sich der Rio Branco und der Jupura mit zahlreichen Armen in den Rio Negro und in den Ama- zonenstrom. Beim Einfluß des Jupura kommt noch etwas weit Auffallenderes vor. Ehe dieser Fluß sich mit dem Ama- zonenstrom vereinigt, schickt dieser, der Hauptwasserbehälter, drei Arme, genannt Uaranapu, Manhama und Avateperana, zum Jupura, also zum Nebenfluß. Der portugiesische Astronom Ribeiro hat diesen Umstand außer Zweifel gesetzt. Der Ama- zonenstrom gibt Wasser an den Jupura ab, ehe er diesen seinen Nebenfluß selbst aufnimmt. Der Rio Conorichite oder Itinivini spielte früher im Sklavenhandel, den die Portugiesen auf spanischem Gebiet trieben, eine bedeutende Rolle. Die Sklavenhändler fuhren auf dem Cassiquiare und dem Caño Mee in den Conorichite hinauf, schleppten von da ihre Pirogen über einen Trage- platz zu den Rochelas von Manuteso und kamen so in den Atabapo. Ich habe diesen Weg auf meiner Reisekarte des Orinoko angegeben. Dieser schändliche Handel dauerte bis um das Jahr 1756. Solanos Expedition und die Errichtung der Missionen am Rio Negro machten demselben ein Ende. Alte Gesetze von Karl V. und Philipp III. verboten unter Androhung der schwersten Strafen (wie Verlust bürgerlicher Aemter und 2000 Piaster Geldbuße), „Eingeborene durch ge- waltsame Mittel zu bekehren und Bewaffnete gegen sie zu schicken“; aber diesen weisen, menschenfreundlichen Gesetzen zum Trotz hatte der Rio Negro noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie sich La Condamine ausdrückt, für die europäische Politik nur insofern Interesse, als er die Entra- das oder feindlichen Einfälle erleichterte und dem Sklaven- handel Vorschub that. Die Kariben, ein kriegerisches Handels- volk, erhielten von den Portugiesen und den Holländern Messer, Fischangeln, kleine Spiegel und Glaswaren aller Art. Dafür hetzten sie die indianischen Häuptlinge gegeneinander auf, so daß es zum Kriege kam; sie kauften ihnen die Ge- fangenen ab und schleppten selbst mit List oder Gewalt alles fort, was ihnen in den Weg kam. Diese Streifzüge der Kariben erstreckten sich über ein ungeheures Gebiet. Dieselben gingen vom Essequibo und Carony aus auf dem Rupunuri und dem Paraguamuzi einerseits gerade nach Süd dem Rio Branco zu, andererseits nach Südwest über die Trageplätze zwischen dem Rio Paragua, dem Caura und dem Ventuario. Waren sie einmal bei den zahlreichen Völkerschaften am oberen Orinoko, so teilten sie sich in mehrere Banden und kamen über den Cassiquiare, Cababury, Itinivini und Atabapo an vielen Punkten zugleich an den Guainia oder Rio Negro und trieben mit den Portugiesen Sklavenhandel. So empfanden die unglücklichen Eingeborenen die Nachbarschaft der Europäer schwer, lange ehe sie mit diesen selbst in Berührung kamen. Dieselben Ursachen haben überall dieselben Folgen. Der bar- barische Handel, den die civilisierten Völker an der afrikani- schen Küste trieben und zum Teil noch treiben, wirkt ver- derbenbringend bis in die Länder zurück, wo man vom Dasein weißer Menschen gar nichts weiß. Nachdem wir von der Mündung des Conorichite und der Mission Davipe aufgebrochen, langten wir bei Sonnenunter- gang bei der Insel Dapa an, die ungemein malerisch mitten im Strome liegt. Wir fanden daselbst zu unserer nicht ge- ringen Verwunderung einige angebaute Grundstücke und auf einem kleinen Hügel eine indianische Hütte. Vier Eingeborene saßen um ein Feuer von Buschwerk und aßen eine Art weißen, schwarzgefleckten Teigs, der unsere Neugierde nicht wenig reizte. Es waren Vachacos , große Ameisen, deren Hinter- teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geschwärzt. Wir sahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier- zehn Menschen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als aber Pater Zea erschien, wurde er mit großen Freudenbezei- gungen empfangen. Am Rio Negro stehen wegen der Grenz- wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol- daten und Mönche sich die Herrschaft über die Indianer streitig machen, haben diese mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber stiegen aus den Hängematten, um uns Casavekuchen zu bereiten. Man fragte sie durch einen Dol- metscher, ob der Boden der Insel fruchtbar sei; sie erwiderten, der Maniok gerate schlecht, dagegen sei es ein gutes Amei- senland , man habe gut zu leben. Diese Vachacos dienen den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameisen nicht aus Leckerei, sondern weil, wie die Missionäre sagen, das Ameisenfett (der weiße Teil des Unterleibs) sehr nahrhaft ist. Als die Casavekuchen fertig waren, ließ sich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßlust viel mehr zu reizen als zu schwächen schien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er mischte die zerdrückten Insekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon kosteten. Es schmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot- krumen geknetet. Der Maniok schmeckte nicht sauer, es klebte uns aber noch so viel europäisches Vorurteil an, daß wir mit dem guten Missionär, wenn er das Ding eine vor- treffliche Ameisenpastete nannte, nicht einverstanden sein konnten. Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer schliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit schwatzten sie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, schürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lufttemperatur 21° war. Diese Sitte, vier, fünf Stunden vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu sein, herrscht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den „Entradas“ die Eingeborenen überraschen will, wählt man dazu die Zeit, wo sie im ersten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht. Wir verließen die Insel Dapa lange vor der Morgen- dämmerung und kamen trotz der starken Strömung und des Fleißes unserer Ruderer erst nach zwölfstündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen wir die Einmündung des Cassiquiare, rechts die kleine Insel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felsen Culimacari liegt sie unter 1° 54′ 11″. Jede Nation hat die Neigung. den Flächenraum ihrer Besitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da man es versäumt, die Reiseentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduzieren, so sind immer die Grenzen am meisten verunstaltet. Die Portugiesen setzen, vom Ama- zonenstrom ausgehend, San Carlos und San Jose de Mara- vitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küste von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd schieben. Dies gilt von allen Karten der Kolonieen. Weiß man, wo sie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, so weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrtümer in Länge und Breite laufen. In San Carlos fanden wir Quartier beim Komman- danten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauses hatte man eine sehr hübsche Aussicht auf drei sehr lange, dicht bewachsene Inseln. Der Strom läuft gerade- aus von Nord nach Süd, als wäre sein Bett von Menschen- hand gegraben. Der beständig bedeckte Himmel gibt den Landschaften hier einen ernsten, finstern Charakter. Wir fan- den im Dorfe ein paar Juviastämme; es ist dies das maje- stätische Gewächs, von dem die dreieckigen Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenstrom nennt. Wir haben dasselbe unter dem Namen Bertholletia ex- celsa bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren 10 m hoch. Die bewaffnete Macht an der Grenze hier bestand aus siebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Missionäre in der Nachbarschaft detachiert waren. Die Luft ist so feucht, daß nicht vier Gewehre schußfertig sind. Die Portugiesen haben fünfundzwanzig bis dreißig besser gekleidete und be- waffnete Leute in der Schanze San Jose de Maravitanos. In der Mission San Carlos fanden wir nur eine Garita , ein viereckiges Gebäude aus ungebrannten Backsteinen, in dem sechs Feldstücke standen. Die Schanze, oder, wie man hier gern sagt, das Castillo de San Felipe , liegt San Carlos gegenüber am westlichen Ufer des Rio Negro. Der Kommandant trug Bedenken, Bonpland und mich die Forta- leza sehen zu lassen; in unseren Pässen stand wohl, daß ich sollte Berge messen und überall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometrische Operationen vornehmen dürfen, aber vom Be- sehen fester Plätze stand nichts darin. Unser Reisebegleiter, Don Nicolas Soto, war als spanischer Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Verteidigung 500 Mann erforderte. Es ist eine viereckige Verschanzung mit kaum sichtbarem Graben. Die Brustwehr ist 1,6 m hoch und mit großen Steinen verstärkt. Dem Flusse zu liegen zwei Bastionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufstellen könnte. Im ganzen Werk sind 14 bis 15 Geschütze, meist ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her stehen drei oder vier indianische Hütten. Dies heißt das Dorf San Felipe, und damit das Ministerium in Madrid wunder meine, wie sehr diese christlichen Niederlassungen ge- deihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchen- buch. Abends nach dem Angelus wurde dem Kommandanten Rapport erstattet und sehr ernsthaft gemeldet, daß es überall um die Festung ruhig scheine; dies erinnerte mich an die Schanzen an der Küste von Guinea, von denen man in Reise- beschreibungen liest, die zum Schutz der europäischen Faktoreien dienen sollen und in denen vier bis fünf Mann Garnison liegen. Die Soldaten in San Carlos sind nicht besser daran als die in den afrikanischen Faktoreien, denn überall an so entlegenen Punkten herrschen dieselben Mißbräuche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der schon sehr lange geduldet wird, bezahlen die Kommandanten die Truppen nicht in Geld, sondern liefern ihnen zu hohen Preisen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angostura fürchtet man sich so sehr davor, in die Missionen am Carony, Caura und Rio Negro detachiert oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen sehr schwer zu rekrutieren sind. Die Lebens- mittel sind am Rio Negro sehr teuer, weil man nur wenig Maniok und Bananen baut und der Strom (wie alle schwarzen, klaren Gewässer) wenig Fische hat. Die beste Zufuhr kommt von den portugiesischen Niederlassungen am Rio Negro, wo die Indianer regsamer und wohlhabender sind. Indessen werden bei diesem Handel mit den Portugiesen jährlich kaum für 3000 Piaster Waren eingeführt. Die Ufer des oberen Rio Negro werden mehr ertragen, wenn einmal mit Ausrodung der Wälder die übermäßige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens abnimmt und die In- sekten, welche Wurzeln und Blätter der krautartigen Gewächse verzehren, sich vermindern. Beim gegenwärtigen Zustand des Ackerbaues kommt der Mais fast gar nicht fort; der Tabak, der auf den Küsten von Caracas von ausgezeichneter Güte und sehr gesucht ist, kann eigentlich nur auf alten Bau- stätten, bei zerfallenen Hütten, bei pueblo viejo, gebaut werden. Infolge der nomadischen Lebensweise der Eingeborenen fehlt es nun nicht an solchen Baustätten, wo der Boden um- gebrochen worden und der Luft ausgesetzt gewesen, ohne daß etwas darauf wuchs. Der Tabak, der in frisch ausgerodeten Wäldern gepflanzt wird, ist wässerig und ohne Arom. Bei den Dörfern Maroa, Davipe und Tomo ist der Indigo ver- wildert. Unter einer anderen Verwaltung, als wir sie im Lande getroffen, wird der Rio Negro eines Tages Indigo, Kaffee, Kakao, Mais und Reis im Ueberfluß erzeugen. Da man von der Mündung des Rio Negro nach Gran- Para in 20 bis 25 Tagen fährt, so hätten wir den Amazonen- strom hinab bis zur Küste von Brasilien nicht viel mehr Zeit gebraucht, als um über den Cassiquiare und den Orinoko an die Nordküste von Caracas zurückzukehren. Wir hörten in San Carlos, der politischen Verhältnisse wegen sei im Augen- blick aus den spanischen Besitzungen schwer in die portugie- sischen zu kommen; aber erst nach unserer Rückkehr nach Europa sahen wir in vollem Umfang, welcher Gefahr wir uns ausgesetzt hätten, wenn wir bis Barcellos hinabgegangen wären. Man hatte in Brasilien, vielleicht aus den Zeitungen, deren wohlwollender, unüberlegter Eifer schon manchem Reisen- den Unheil gebracht hat, erfahren, ich werde in die Missionen am Rio Negro kommen und den natürlichen Kanal unter- suchen, der zwei große Stromsysteme verbindet. In diesen öden Wäldern hatte man Instrumente nie anders als in den Händen der Grenzkommission gesehen, und die Unterbeamten der portugiesischen Regierung hatten bis dahin so wenig als der gute Missionär, von dem in einem früheren Kapitel die Rede war, einen Begriff davon, wie ein vernünftiger Mensch eine lange, beschwerliche Reise unternehmen kann, „um Land zu vermessen, das nicht sein gehört“. Es war der Befehl ergangen, sich meiner Person und meiner Instrumente zu ver- sichern, ganz besonders aber der Verzeichnisse astronomischer Beobachtungen, welche die Sicherheit der Staaten so sehr ge- fährden könnten. Man hätte uns auf dem Amazonenfluß nach Gran-Para geführt und uns von dort nach Lissabon ge- schickt. Diese Absichten, die, wären sie in Erfüllung gegangen, eine auf fünf Jahre berechnete Reise stark gefährdet hätten, erwähne ich hier nur, um zu zeigen, wie in den Kolonial- regierungen meist ein ganz anderer Geist herrscht als an der Spitze der Verwaltung im Mutterland. Sobald das Mini- sterium in Lissabon vom Diensteifer seiner Untergebenen Kunde erhielt, erließ es den Befehl, mich in meinen Arbeiten nicht zu stören, im Gegenteil sollte man mir hilfreich an die Hand gehen, wenn ich durch einen Teil der portugiesischen Besitzungen käme. Von diesem aufgeklärten Ministerium selbst wurde mir kundgethan, welch freundliche Rücksicht man mir zugedacht, um die ich mich in so großer Entfernung nicht hatte bewerben können. Unter den Portugiesen, die wir in San Carlos trafen, befanden sich mehrere Offiziere, welche die Reise von Barcellos nach Gran-Para gemacht hatten. Ich stelle hier alles zusam- men, was ich über den Lauf des Rio Negro in Erfahrung bringen konnte. Selten kommt man aus dem Amazonenstrom über den Einfluß des Cababuri herauf, der wegen der Sarsa- parilleernte weitberufen ist, und so ist alles, was in neuerer Zeit über die Geographie dieser Länder veröffentlicht worden, selbst was von Rio Janeiro ausgeht, in hohem Grade ver- worren. Weiter den Rio Negro hinab läßt man rechts den Caño Maliapo, links die Caños Dariba und Eny. 22,5 km weiter, also etwa unter 1° 38′ nördlicher Breite, liegt die Insel San Josef, die provisorisch (denn in diesem endlosen Grenzprozeß ist alles provisorisch) als südlicher Endpunkt der spanischen Besitzungen gilt. Etwas unterhalb dieser Insel, an einem Ort, wo es viele verwilderte Orangebäume gibt, zeigt man einen kleinen, 65 m hohen Felsen mit einer Höhle, welche bei den Missionären „Cocuys Glorieta “ heißt. Dieser Lust- ort , denn solches bedeutet das Wort Glorieta im Spanischen, weckt nicht die angenehmsten Erinnerungen. Hier hatte Cocuy, der Häuptling der Manitivitanos, von dem oben die Rede war, sein Harem , und hier verspeiste er — um alles zu sagen — aus besonderer Vorliebe die schönsten und fettesten seiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menschenfresser war; „es ist dies,“ sagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikanischen Missionärs, „eine üble Gewohnheit dieser Völker in Guyana, die sonst so sanft und gutmütig sind“; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abscheulichen Ausschweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter ist als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menschheit entehrende Handlung begangen; geschieht solches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Christ geworden und der mir ein verstän- diger, civilisierter Mensch schien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos ist? Unterhalb der Glorieta kommen auf portugiesischem Ge- biet das Port San Josef de Maravitanos, die Dörfer Joam Baptista de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaisia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Nossa Senhora da Guya, Boavista am Rio I ç anna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal- deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Festung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen absichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlassungen die portugiesische Regierung sogar in diesem abgelegenen Winkel von Brasilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 km liegen elf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, außer den sechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana- indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Flusse desselben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine so große Rolle spielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieses Nebenflusses des Amazonenstroms allein sind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des unteren Orinoko, des Cassiquiare, des Atabapo und des spani- schen Rio Negro zusammen. Dieser Gegensatz beruht keines- wegs bloß auf dem Unterschied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordwest nach Südost läuft, leichter zu befahren ist; er ist vielmehr Folge der politischen Einrichtungen. Nach der Kolonialverfassung der Portugiesen stehen die Indianer unter Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Karmel zumal. Es ist eine gemischte Regierung, wo- bei die weltliche Gewalt sich unabhängig erhält. Die Ob- servanten dagegen, unter denen die Missionen am Orinoko stehen, vereinigen alle Gewalten in einer Hand. Die eine wie die andere dieser Regierungsweisen ist drückend in mehr als einer Beziehung; aber in den portugiesischen Kolonieen wird für den Verlust der Freiheit wenigstens durch etwas mehr Wohlstand und Kultur Ersatz geleistet. Unter den Zuflüssen, die der Rio Negro von Norden her erhält, nehmen drei besonders unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, weil sie wegen ihrer Verzweigungen, ihrer Trage- plätze und der Lage ihrer Quellen bei der so oft vorhandenen Frage nach dem Ursprung des Orinoko stark in Betracht kommen. Die am weitesten südwärts gelegenen dieser Neben- flüsse sind der Rio Branco, von dem man lange glaubte, er entspringe mit dem Orinoko aus dem Parimesee, und der Rio Padaviri, der mittels eines Trageplatzes mit dem Ma- vaca und somit dem oberen Orinoko ostwärts von der Mission Esmeralda in Verbindung steht. Wir werden Gelegenheit haben, vom Rio Branco und dem Padaviri zu sprechen, wenn wir in der letztgenannten Mission angelangt sind; hier brau- chen wir nur beim dritten Nebenfluß des Rio Negro, dem Cababuri, zu verweilen, dessen Verzweigungen mit dem Cassi- quiare in hydrographischer Beziehung und für den Sarsaparille- handel gleich wichtig sind. Von den hohen Gebirgen der Pa- rime, die am Nordufer des Orinoko in seinem oberen Lauf oberhalb Esmeralda hinstreichen, geht ein Zug nach Süden ab, in dem der Cerro de Unturan einer der Hauptgipfel ist. Dieser gebirgige Landstrich ist nicht sehr groß, aber reich an vegetabilischen Produkten, besonders an Mavacure -Lianen, die zur Bereitung des Curaregiftes dienen, an Mandelbäumen (Juvia oder Bertholletia excelsa ), aromatischem Puchery und wildem Kakao, und bildet eine Wasserscheide zwischen den Gewässern, die in den Orinoko, in den Cassiquiare und in den Rio Negro gehen. Gegen Norden oder dem Orinoko zu fließen der Mavaca und der Daracapo, nach Westen oder zum Cassiquiare der Idapa und der Pacimoni, nach Süden oder zum Rio Negro der Padaviri und der Cababuri. Der letztere teilt sich in der Nähe seiner Quelle in zwei Arme, von denen der westlichste unter dem Namen Baria bekannt ist. In der Mission San Francisco Solano gaben uns die Indianer die umständlichsten Nachrichten über seinen Lauf. Er verzweigt sich, was sehr selten vorkommt, so, daß zu einem unteren Zufluß das Wasser eines oberen nicht herunterkommt, sondern daß im Gegenteil jener diesem einen Teil seines Wassers in einer der Richtung des Hauptwasserbehälters ent- gegengesetzten Richtung zusendet. Ich habe mehrere Beispiele dieser Verzweigungen mit Gegenströmungen, dieses scheinbaren Wasserlaufs bergan, dieser Flußgabelungen, derer Kenntnis für die Hydrographen von Interesse ist, auf einer Tafel meines Atlas zusammengestellt. Dieselbe mag ihnen zeigen, daß man nicht geradezu alles für Fabel erklären darf, was von dem Typus abweicht, den wir uns nach Beobachtungen gebildet, die einen zu unbedeutenden Teil der Erdoberfläche umfassen. Der Cababuri fällt bei der Mission Nossa Senhora das Caldas in den Rio Negro; aber die Flüsse Ya und Dimity, die weiter oben hereinkommen, stehen auch mit dem Cababuri in Verbindung, so daß von der Schanze San Gabriel de Cachoeiras an bis San Antonio de Castanheira die Indianer aus den portugiesischen Besitzungen auf dem Baria und dem Pacimoni auf das Gebiet der spanischen Missionen sich ein- schleichen können. Wenn ich sage Gebiet, so brauche ich den gewöhnlichen Ausdruck der Observanten. Es ist schwer zu sagen, auf was sich das Eigentumsrecht in unbewohnten Län- dern gründet, deren natürliche Grenzen man nicht kennt und die man nicht zu kultivieren versucht hat. In den portu- giesischen Missionen behaupten die Leute, ihr Gebiet erstrecke sich überall so weit, als sie im Kanoe auf einem Fluß, dessen Mündung in portugiesischem Besitz ist, gelangen können. Aber Besitzergreifung ist eine Handlung, die durchaus nicht immer ein Eigentumsrecht begründet, und nach den obigen Bemer- kungen über die vielfachen Verzweigungen der Flüsse dürfte es für die Höfe von Madrid und Lissabon gleich gefährlich sein, diesen seltsamen Satz der Missionsjurisprudenz gelten zu lassen. Der Hauptzweck bei den Einfällen auf dem Rio Caba- buri ist, Sarsaparille und die aromatischen Samen des Pu- cherylorbeers ( Laurus Pichurim ) zu sammeln. Man geht dieser kostbaren Produkte wegen bis auf zwei Tagereisen von Esmeralda an einen See nördlich von Cerro Unturan hinauf, und zwar über die Trageplätze zwischen dem Pacimoni und Idapa, und dem Idapa und dem Mavaca, nicht weit vom See desselben Namens. Die Sarsaparille von diesem Land- strich steht in Gran-Para, in Angostura, Cumana, Nueva Barcelona und anderen Orten von Terra Firma unter dem Namen Zarza del Rio Negro in hohem Ruf. Es ist die wirksamste von allen, die man kennt; man zieht sie der Zarza aus der Provinz Caracas und von den Bergen von Merida weit vor. Sie wird sehr sorgfältig getrocknet und absichtlich dem Rauch ausgesetzt, damit sie schwärzer wird. Diese Schling- pflanze wächst in Menge an den feuchten Abhängen der Berge Unturan und Achivaquery. De Candolle vermutet mit Recht, daß verschiedene Arten von Smilax unter dem Namen Sarsa- parille gesammelt werden. Wir fanden zwölf neue Arten, von denen Smilax syphilitica vom Cassiquiare und Smilax officinalis vom Magdalenenstrom wegen ihrer harntreibenden Eigenschaften die gesuchtesten sind. Da syphilitische Uebel hierzulande unter Weißen und Farbigen so gemein als gut- artig sind, so wird in den spanischen Kolonieen eine sehr bedeutende Menge Sarsaparille als Hausmittel verbraucht. Wir ersehen aus den Werken des Clusius, daß Europa in den ersten Zeiten der Eroberung diese heilsame Arznei von der mexikanischen Küste bei Honduras und aus dem Hafen von Guayaquil bezog. Gegenwärtig ist der Handel mit Zarza lebhafter in den Häfen, die mit dem Orinoko, Rio Negro und dem Amazonenstrom Verbindungen haben. Versuche, die in mehreren botanischen Gärten in Europa angestellt worden, thun dar, daß Smilax glauca aus Virgi- nien, die man für Linn é s Smilax Sarsaparilla erklärt, überall im Freien gebaut werden kann, wo die mittlere Temperatur des Winters mehr als 6 bis 7° des hundertteiligen Thermo- meters beträgt; Wintertemperatur in London und Paris 4,2° und 3,7°, in Montpellier 7,7°, in Rom 7,7°, in dem Teile von Mexiko und Terra Firma, wo wir die wirksamsten Sarsaparillearten (die- jenigen, welche aus den spanischen und portugiesischen Kolonieen in den Handel kommen) haben wachsen sehen, 20 bis 26°. aber die wirksamsten Arten gehören aus- schließlich der heißen Zone an und verlangen einen weit höheren Wärmegrad. Wenn man des Clusius Werke liest, begreift man nicht, warum in unseren Handbüchern der ma- teria medica ein Gewächs der Vereinigten Staaten für den ältesten Typus der offizinellen Smilaxarten gilt. Wir fanden bei den Indianern am Rio Negro einige der grünen Steine, die unter dem Namen Amazonensteine bekannt sind, weil die Indianer nach einer alten Sage behaupten, sie kommen aus dem Lande der „Weiber ohne Männer“ ( Cougnantainsecouima oder Aikeambenano — Weiber, die allein leben). In San Carlos und den benach- barten Dörfern nannte man uns die Quellen des Orinoko östlich von Esmeralda, in den Missionen am Carony und in Angostura die Quellen des Rio Branco als die natürlichen Lagerstätten der grünen Steine. Diese Angaben bestätigen den Bericht eines alten Soldaten von der Garnison von Cayenne, von dem La Condamine spricht und demzufolge diese Mine- ralien aus dem Lande der Weiber westwärts von den Stromschnellen des Oyapoc kommen. Die Indianer im Fort Topayos am Amazonenstrom, 5° ostwärts vom Einfluß des Rio Negro, besaßen früher ziemlich viele Steine der Art. Hatten sie dieselben von Norden her bekommen, das heißt aus dem Lande, das die Indianer am Rio Negro angeben und das sich von den Bergen von Cayenne an bis an die Quellen des Essequibo, des Carony, des Orinoko, des Parime und des Rio Trombetas erstreckt, oder sind diese Steine aus dem Süden gekommen, über den Rio Topayos, der von der großen Hochebene der Campos Parecis herabkommt? Der Aberglaube legt diesen Steinen große Wichtigkeit bei; man trägt sie als Amulette am Hals, denn sie schützen nach dem Volksglauben vor Nervenleiden, Fiebern und dem Biß giftiger Schlangen. Sie waren daher auch seit Jahrhunderten bei den Eingeborenen nördlich und südlich vom Orinoko ein Handels- artikel. Durch die Kariben, die für die Bocharen der Neuen Welt gelten können, lernte man sie an der Küste von Guyana kennen, und da dieselben Steine, gleich dem umlaufenden Geld, in entgegengesetzten Richtungen von Nation zu Nation gewandert sind, so kann es wohl sein, daß sie sich nicht vermehren und daß man ihre Lagerstätte nicht verheimlicht, sondern gar nicht kennt. Vor wenigen Jahren wurden mitten im hochgebildeten Europa, aus Anlaß eines lebhaften Streites über die ein- heimische China, allen Ernstes die grünen Steine vom Orinoko als ein kräftiges Fiebermittel in Vorschlag gebracht; wenn man der Leichtgläubigkeit der Europäer so viel zutraut, kann es nicht wunder nehmen, wenn die spanischen Kolonisten auf diese Amulette so viel halten als die Indianer und sie zu sehr bedeutenden Preisen verkauft werden. Ein 8 cm langer Cylinder kostet 12 bis 15 Piaster. Gewöhnlich gibt man ihnen die Form der der Länge nach durchbohrten und mit Inschriften und Bildwerk bedeckten persepolitanischen Cy- linder. Aber nicht die heutigen Indianer, nicht diese so tief versunkenen Eingeborenen am Orinoko und Amazonenstrom haben so harte Körper burchbohrt und Figuren von Tieren und Früchten daraus geschnitten. Dergleichen Arbeiten, wie auch die durchbohrten und geschnittenen Smaragde, die in den Kordilleren von Neugranada und Quito vorkommen, weisen auf eine frühere Kultur zurück. Die gegenwärtigen Bewohner dieser Länder, besonders der heißen Zone, haben so wenig einen Begriff davon, wie man harte Steine (Smaragd, Nephrit, dichten Feldspat und Bergkristall) schneiden kann, daß sie sich vorstellen, der „grüne Stein“ komme ursprünglich weich aus dem Boden und werde erst hart, nachdem er bearbeitet worden. Aus dem hier Angeführten erhellt, daß der Amazonen- stein nicht im Thale des Amazonenstromes selbst vorkommt und daß er keineswegs von diesem Flusse den Namen hat, sondern, wie dieser selbst, von einem Volke kriegerischer Weiber, welche Pater Acuña und Oviedo in seinem Brief an den Kardinal Bembo mit den Amazonen der Alten Welt vergleichen. Was man in unseren Sammlungen unter dem falschen Namen „Amazonenstein“ sieht, ist weder Nephrit noch dichter Feld- spat, sondern gemeiner apfelgrüner Feldspat, der vom Ural am Onegasee in Rußland kommt und den ich im Granitgebirge von Guyana niemals gesehen habe. Zuweilen verwechselt man auch mit dem so seltenen und so harten Amazonenstein Werners Beilstein , Punamustein, Jade axinien. Die Steinäxte, die man in Amerika, z. B. in Mexiko, findet, sind kein Beilstein, sondern dichter Feldspat. der lange nicht so zäh ist. Das Mineral, das ich aus der Hand der Indianer habe, ist zum Saussurit Jade de Saussure nach Brongniarts System, Jade tenace und Feldspat compacte tenace nach Haüy, einige Varietäten des Varioliths nach Werner. zu stellen, zum eigentlichen Nephrit, der sich oryktognostisch dem dichten Feldspat nähert und ein Bestand- teil des Verde de Corsica oder des Gabbro ist. Er nimmt eine schöne Politur an und geht vom Apfelgrünen ins Smaragdgrüne über; er ist an den Rändern durchscheinend, ungemein zäh und klingend, so daß von den Eingeborenen in alter Zeit geschliffene, sehr dünne, in der Mitte durch- bohrte Platten, wenn man sie an einem Faden aufhängt und mit einem anderen harten Körper Brongniart, dem ich nach meiner Rückkehr nach Europa solche Platten zeigte, verglich diese Nephrite aus der Parime ganz richtig mit den klingenden Steinen, welche die Chinesen zu ihren musika- lischen Instrumenten, den sogenannten King, verwenden. anschlägt, fast einen me- tallischen Ton geben. Bei den Völkern beider Welten finden wir auf der ersten Stufe der erwachenden Kultur eine besondere Vorliebe für gewisse Steine, nicht allein für solche, die dem Menschen wegen ihrer Härte als schneidende Werkzeuge dienen können, sondern auch für Mineralien, die der Mensch wegen ihrer Farbe oder wegen ihrer natürlichen Form mit organischen Verrichtungen, ja mit psychischen Vorgängen verknüpft glaubt. Dieser uralte Steinkultus, dieser Glaube an die heilsamen Wirkungen des Nephrits und des Blutsteins kommen den Wilden Amerikas zu, wie den Bewohnern der Wälder Thrakiens, die wir wegen der ehrwürdigen Institutionen des Orpheus und des Ursprungs der Mysterien nicht wohl als Wilde ansprechen können. Der Mensch, solange er seiner Wiege noch näher steht, empfindet sich als Autochthone; er fühlt sich wie gefesselt an die Erde und die Stoffe, die sie in ihrem Schoße birgt. Die Natur- kräfte, und mehr noch die zerstörenden als die erhaltenden, sind die frühesten Gegenstände seiner Verehrung. Und diese Kräfte offenbaren sich nicht allein im Gewitter, im Getöse, das dem Erdbeben vorangeht, im Feuer der Vulkane; der leb- lose Fels, die glänzenden, harten Steine, die gewaltigen, frei aufsteigenden Berge wirken auf die jugendlichen Gemüter mit einer Gewalt, von der wir bei vorgeschrittener Kultur keinen Begriff mehr haben. Besteht dieser Steinkultus einmal, so erhält er sich auch fort neben späteren Kultusformen, und aus einem Gegenstand religiöser Verehrung wird ein Gegenstand abergläubischen Vertrauens. Aus Göttersteinen werden Amu- lette, die vor allen Leiden Körpers und der Seele bewahren. Obgleich zwischen dem Amazonenstrom und dem Orinoko und der mexikanischen Hochebene 2250 km liegen, obgleich die Ge- schichte von keinem Zusammenhang zwischen den wilden Völkern von Guyana und den civilisierten von Anahuac weiß, fand doch in der ersten Zeit der Eroberung der Mönch Bernhard von Sahagun in Cholula grüne Steine , die einst Quetzal- cohuatl angehört und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Diese geheimnisvolle Person ist der Buddha der Mexikaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, stiftete die ersten religiösen Vereine und führte eine Regierungsweise ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat. Die Geschichte des Nephrits oder grünen Steins in Guyana steht in inniger Verbindung mit der Geschichte der kriegerischen Weiber, welche die Reisenden des 16. Jahrhun- derts die Amazonen der Neuen Welt nennen. La Condamine bringt viele Zeugnisse zur Unterstützung dieser Sage bei. Seit meiner Rückkehr vom Orinoko und Amazonenstrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Ansicht dieses Gelehrten teile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenossen desselben glaube, er habe den Cougnantainsecouima , den unabhängigen Weibern, die nur im Monat April Männer unter sich auf- nahmen, nur deshalb das Wort geredet, um in einer öffent- lichen Sitzung der Akademie einer Versammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hört, sich angenehm zu machen. Es ist hier der Ort, mich offen über eine Sage auszusprechen, die einen so romantischen Anblick hat, um so mehr, als La Con- damine behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame seien über den Marañon gegangen und haben sich am Rio Negro nieder- gelassen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beschreibung der Neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem klassischen Altertum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß Orellanas erste Berichte so wichtig ge- nommen wurden. Liest man die Schriften des Vespucci, Ferdinand Kolumbus, Geraldini, Oviedo, Peter Martyr von Anghiera, so begegnet man überall der Neigung der Schrift- steller des 16. Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern alles wiederzufinden, was uns die Griechen vom ersten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbarischen Skythen und Afrikaner erzählen. An der Hand dieser Reisenden, die uns in eine andere Halbkugel versetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die längst dahin sind; denn die amerikanischen Horden in ihrer primitiven Einfalt sind ja für Europa „eine Art Altertum, dem wir fast als Zeitgenossen gegenüberstehen“. Was damals nur Stilblume und Geistesergötzlichkeit war, ist heutzutage zum Gegenstand ernster Erörterungen geworden. In einer in Louisiana erschienenen Abhandlung wird die ganze A. v. Humboldt , Reise. III. 19 griechische Mythologie, die Amazonen eingeschlossen, aus den Oertlichkeiten am Nicaraguasee und einigen anderen Gegenden in Amerika entwickelt. Wenn Oviedo in seinen Briefen an Kardinal Bembo dem Geschmack eines mit dem Studium des Altertums so vertrauten Mannes schmeicheln zu müssen glaubte, so hatte der Seefahrer Sir Walter Ralegh einen minder poetischen Zweck. Ihm war es darum zu thun, die Aufmerksamkeit der Königin Elisabeth auf das große Reich Guyana zu lenken, das nach seinem Plan England erobern sollte. Er beschrieb die Morgentoilette des vergoldeten Königs ( el dorado Dorado ist nicht der Name eines Landes; es bedeutet nur den Vergoldeten, el rey dorado. ), wie ihn jeden Tag seine Kammerherren mit wohlriechenden Oelen salben und ihm dann aus langen Blaserohren den Goldstaub auf den Leib blasen; nichts mußte aber die Ein- bildungskraft Elisabeths mehr ansprechen als die kriegerische Republik der Weiber ohne Männer, die sich gegen die kasti- lianischen Helden wehrten. Ich deute hiermit die Gründe an, welche die Schriftsteller, die die amerikanischen Amazonen vorzugsweise in Ruf gebracht, zur Ueberzeugung verführt haben; aber diese Gründe berechtigen uns nach meiner Ansicht nicht, eine Sage, die bei verschiedenen, in gar keinem Verkehr miteinander stehenden Völkern verbreitet ist, gänzlich zu ver- werfen. Die Zeugnisse, die La Condamine gesammelt, sind sehr merkwürdig; er hat dieselben sehr umständlich bekannt gemacht, und mit Vergnügen bemerke ich noch, daß dieser Reisende, wenn er in Frankreich und England für einen Mann von der unermüdlichsten Neugier galt, in Quito, im Lande, das er beschrieben, im Ruf des redlichsten, wahrheitsliebendsten Mannes steht. Dreißig Jahre nach La Condamine hat ein portugiesischer Astronom, der den Amazonenstrom und seine nördlichen Nebenflüsse befahren, Ribeiro, alles, was der ge- lehrte Franzose vorgebracht, an Ort und Stelle bestätigt ge- funden. Er fand bei den Indianern dieselben Sagen und sammelte sie desto unparteiischer, da er selbst nicht an Amazonen glaubt, die eine besondere Völkerschaft gebildet hätten. Da ich keine der Sprachen verstehe, die am Orinoko und Rio Negro gesprochen werden, so konnte ich hinsichtlich der Volks- sagen von den Weibern ohne Männer und der Herkunft der grünen Steine , die damit in genauer Verbindung stehen sollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe aber ein neueres Zeugnis an, das nicht ohne Gewicht ist, das des Pater Gili. Dieser gebildete Missionär sagt: „Ich fragte einen Quaquaindianer, welche Völker am Rio Cuchivero lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam- benanos. Da ich gut tamanakisch verstand, war mir gleich der Sinn des letzteren Wortes klar: es ist ein zusammengesetztes Wort und bedeutet: Weiber, die allein leben . Der In- dianer bestätigte dies auch und erzählte, die Aikeam-benanos seien eine Gesellschaft von Weibern, die lange Blaserohre und anderes Kriegsgerät verfertigten. Sie nehmen nur ein- mal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vo- kearos bei sich auf und machen ihnen zum Abschied Blaserohre zum Geschenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieser Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht.“ Diese Geschichte erscheint wie eine Kopie der Sagen, welche bei den Indianern am Maran̅on und bei den Kariben in Um- lauf sind. Der Quaquaindianer, von dem Pater Gili spricht, verstand aber nicht spanisch; er hatte niemals mit Weißen verkehrt und wußte sicher nicht, daß es südlich vom Orinoko einen anderen Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos oder der Amazonen heißt. Was folgt aus diesem Bericht des alten Missionärs von Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen gibt, wohl aber, daß in verschiedenen Landstrichen Amerikas Weiber, müde der Sklavendienste, zu denen die Männer sie verurteilen, sich wie die flüchtigen Neger in ein Palenque zusammengethan; daß der Trieb, sich die Unabhängigkeit zu erhalten, sie kriegerisch gemacht; daß sie von einer befreundeten Horde in der Nähe Besuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz so methodisch als in der Sage. Ein solcher Weiberverein durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewissen Festigkeit gediehen sein, so wurden sehr einfache Vorfälle, wie sie an verschiedenen Orten vorkommen mochten, nach einem Muster gemodelt und übertrieben. Dies ist ja der eigentliche Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufstand, von dem oben die Rede war, nicht auf der Küste von Venezuela, sondern mitten im Kontinent stattgefunden, so hätte das leichtgläubige Volk in jedem Palenque von Marronnegern den Hof des Königs Miguel, seinen Staats- rat und den schwarzen Bischof von Buria gesehen. Die Kariben in Terra Firma standen mit denen auf den Inseln im Verkehr, und höchst wahrscheinlich haben sich auf diesem Wege die Sagen vom Marañon und Orinoko gegen Norden verbreitet. Schon vor Orellanas Flußfahrt glaubte Christoph Kolumbus auf den Antillen Amazonen gefunden zu haben. Man erzählte dem großen Manne, die kleine Insel Mada- nino (Montserrate) sei von kriegerischen Weibern bewohnt, die den größten Teil des Jahres keinen Verkehr mit Män- nern hätten. Andere Male sahen die Konquistadoren einen Amazonenfreistaat, wo sie nur Weiber vor sich hatten, die in Abwesenheit der Männer ihre Hütten verteidigten, oder auch — und dieses Mißverständnis ist schwerer zu entschul- digen — jene religiösen Vereine, jene Klöster mexikanischer Jungfrauen, die zu keiner Zeit im Jahre Männer bei sich aufnahmen, sondern nach der strengen Regel Quetzalcohuatls lebten. Die allgemeine Stimmung brachte es mit sich, daß von den vielen Reisenden, die nacheinander in der Neuen Welt Entdeckungen machten und von den Wundern derselben berichteten, jeder auch gesehen haben wollte, was seine Vor- gänger gemeldet hatten. Wir brachten in San Carlos del Rio Negro drei Nächte zu. Ich zähle die Nächte, weil ich sie in der Hoffnung, den Durchgang eines Sterns durch den Meridian beobachten zu können, fast ganz durchwachte. Um mir keinen Vorwurf machen zu dürfen, waren die Instrumente immer zur Beobach- tung hergerichtet; ich konnte aber nicht einmal doppelte Höhen bekommen, um nach der Methode von Douwes die Breite zu berechnen. Welch ein Kontrast zwischen zwei Strichen der- selben Zone! Dort der Himmel Cumanas, ewig heiter wie in Persien und Arabien, und hier der Himmel am Rio Negro, dick umzogen wie auf den Faröerinseln, ohne Sonne, Mond und Sterne! Ich verließ die Schanze San Carlos mit desto größerem Verdruß, da ich keine Aussicht hatte, in der Nähe des Orts eine gute Breitenbeobachtung machen zu können. Die Inklination der Magnetadel fand ich in San Carlos gleich 20° 60′; 216 Schwingungen in zehn Zeitminuten gaben das Maß der magnetischen Kraft. Da die magnetischen Pa- rallelen gegen West aufwärts gehen und ich auf dem Rücken der Kordilleren zwischen Santa F é de Bogota und Popayan dieselben Inklinationswinkel beobachtet habe wie am oberen Orinoko und am Rio Negro, so sind diese Beobachtungen für die Theorie der Linien von gleicher Intensität oder isodynamischen Linien von großer Bedeutung geworden. Die Zahl der Schwingungen ist in Javita und Quito dieselbe, und doch ist die magnetische Inklination am ersteren Ort 26° 40′, am zweiten 14° 85′. Nimmt man die Kraft unter dem magnetischen Aequator (in Peru) gleich 1 an, so ergibt sich für Cumana 1,1779, für Carichana 1,1575, für Javita 1,0675, für San Carlos 1,0480. In diesem Verhältnisse nimmt die Kraft von Nord nach Süd auf acht Breiten- graden zwischen 66½ und 69° westlicher Länge von Paris ab. Ich gebe absichtlich die Meridianunterschiede an; denn ein Mathematiker, der auf dem Gebiete des Erdmagnetis- mus große Erfahrung besitzt, Hansteen, hat meine isodyna- mischen Beobachtungen einer neuen Prüfung unter- worfen und gefunden, daß die Intensität der Kraft auf demselben magnetischen Parallel nach sehr konstanten Gesetzen wechselt und daß die scheinbaren Anomalieen der Erscheinung größtenteils verschwinden, wenn man diese Gesetze kennt. Im allgemeinen steht fest, was für mich aus der ganzen Reihe meiner Beobachtungen hervorgeht, daß die Intensität der Kraft vom magnetischen Aequator gegen den Pol zunimmt; aber diese Zunahme scheint unter verschiedenen Meridianen mit ungleicher Geschwindigkeit zu erfolgen. Wenn zwei Orte dieselbe Inklination haben, so ist die Intensität westwärts vom Meridian, der mitten durch Südamerika läuft, am stärk- sten, und sie nimmt unter demselben Parallel ostwärts, Europa zu, ab. In der südlichen Halbkugel scheint sie ihr Minimum an der Ostküste von Afrika zu erreichen; sie nimmt dann unter demselben magnetischen Parallel gegen Neuholland hin wieder zu. Ich fand die Intensität der Kraft in Mexiko beinahe so groß wie in Paris, aber der Unterschied in der Inklination beträgt mehr als 31°. Meine Nadel, die unter dem magne- tischen Aequator (in Peru) 211mal schwang, hätte unter demselben Aequator auf dem Meridian der Philippinen nur 202 oder 203mal geschwungen. Dieser auffallende Unter- schied ergibt sich aus der Zusammenstellung meiner Beobach- tungen der Intensität in Santa Cruz auf Tenerifa mit denen, die Rossel daselbst sieben Jahre früher gemacht. Die magnetischen Beobachtungen am Rio Negro sind unter allen, die aus einem großen Festlande bekannt geworden, die nächsten am magnetischen Aequator. Sie dienten somit dazu, die Lage dieses Aequators zu bestimmen, über den ich weiter westwärts auf dem Kamm der Anden zwischen Micui- pampa und Caxamarca unter dem 7. Grad südlicher Breite gegangen bin. Der magnetische Parallel von San Carlos (der von 22° 60′) läuft durch Popayan und in die Südsee an einem Punkt (unter 3° 12′ nördlicher Breite und 89° 36′ westlicher Länge), wo ich so glücklich war, bei ganz stiller Luft beobachten zu können.