Gedichte von Conrad Ferdinand Meyer. Leipzig, Verlag von H. Haessel. 1882. Inhalt. I . Vorsaal. Seite Fülle 3 Das heilige Feuer 4 Schiller's Bestattung 5 Lieder-Seelen 6 Schwarzschattende Kastanie 7 Nachtgeräusche 8 Die todten Freunde 9 Lenzfahrt 10 Ueber einem Grabe 11 Der Marmorknabe 13 Liebesflämmchen 14 Hochzeitslied 15 Die Jungfrau 16 Die Fei 17 Die Dryas 19 Ein Lied Chastelard's 22 Fingerhütchen 23 Traumbesitz 30 Die gefesselten Musen 31 II . Stunde. Morgenlied 35 Eppich 36 Das todte Kind 37 Lenz Wanderer Mörder Triumphator 38 Maientag 40 Der geschändete Baum 41 Seite Wund 42 Jetzt rede du! 42 Die Lautenstimmer 43 Sonntags 45 Schwüle 47 In Harmesnächten 48 Eingelegte Ruder 48 Ein bischen Freude 49 Im Spätboot 50 Vor der Ernte 51 Erntegewitter 52 Schnitterlied 53 Auf Goldgrund 54 Requiem 55 Die Veltlinertraube 56 Weinsegen 57 Säerspruch 59 Novembersonne 60 Aus der Höhe 61 Die Schlittschuhe 62 Im Conzert 65 Begegnung 66 Neujahrsglocken 67 Das Heute 68 III . In den Bergen. Der Reisebecher 71 Das weiße Spitzchen 72 Firnelicht 73 Himmelsnähe 74 Allerbarmen 75 Göttermahl 76 Das Seelchen 77 Das Glöcklein 78 Spiel 80 Die Bank des Alten 81 Seite Die alte Brücke 82 Der Kaiser und das Fräulein 84 Der Rheinborn 85 Die Felswand 86 Hohe Station 87 Vision 88 Der Hengert 89 Bacchus in Bünden 93 Wundfieber 96 Frag mir nicht nach 98 Gespenster 99 Alte Schrift 100 Das Gemälde 101 Die Rehe 105 Die Zwingburg 108 IV . Reise. Tag, schein herein, und Leben, flieh hinaus! 111 La Röse 112 Die Schlacht der Bäume 114 Der Triumphbogen 115 Auf dem Canal grande 116 Venedig 120 Die Narde 121 Nach einem Niederländer 122 Ja 123 Die Cartäuser 124 Der römische Brunnen 125 Tarpeja 126 Die gegeißelte Psyche 128 Der todte Achill 129 Der Musensaal 131 Alte Schweizer 135 Abschied von Corsica 137 Napoleon im Kreml 139 Die Corsin 140 Seite Der Gesang des Meeres 141 Das Strandkloster 142 Nicola Pesce 144 Zwiegespräch 145 Möwenflug 146 V. Liebe. Alles war ein Spiel 149 Zwei Segel 150 Hesperos 151 Das beerdigte Herz 153 Ohne Datum 154 Die Ampel 156 Unruhige Nacht 157 Der Kamerad 158 Spielzeug 160 Weihgeschenk 161 Der Blutstropfen 164 Stapfen 166 Wetterleuchten 168 Lethe 169 Einer Todten 171 Ihr Heim 172 Liebesjahr 174 Weihnacht in Ajaccio 175 Schneewittchen 176 Hirtenfeuer 177 Laß scharren deiner Rosse Huf! 178 Dämmergang 179 Die todte Liebe 180 VI. Götter. Die Schule des Silen 185 Pentheus 186 Vor einer Büste 187 Die sterbende Meduse 188 Nächtliche Fahrt 190 Seite Der Stromgott 191 Thespesius 193 Der trunkene Gott 195 Der Botenlauf 199 Der Gesang der Parze 200 Der Ritt in den Tod 202 Das Joch am Leman 203 Das Geisterroß 206 Das verlorene Schwert 210 Das Heiligthum 211 Die wunderbare Rede 213 VII . Frech und Fromm. König Etzel's Schwert 219 Galaswinte 221 Bettlerballade 222 Die Söhne Haruns 224 Der Berg der Seligkeiten 226 Die Gaukler 229 Der Pilger und die Sarazenin 231 Am Himmelsthor 237 Mit zwei Worten 238 Kaiser Friedrich der Zweite 239 Die gezeichnete Stirne 241 Die Gedanken des Königs Ren é 243 Der Mars von Florenz 244 Die Ketzerin 247 Der Mönch von Bonifazio 250 Jung Tyrrel 253 La Blanche Ref 255 Der gleitende Purpur 259 Das Goldtuch 262 Frau Agnes und ihre Nonnen 263 Die drei gemalten Ritter 266 Einsiedel 268 Das Münster 271 Die Krypte 276 VIII. Genie. Seite Camo ë ns 279 Michel Angelo und seine Statuen 281 Conquistadores 282 Don Fadrique 286 Die Schweizer des Herrn von Tremouille 288 Die Seitenwunde 291 Cäsar Borja's Ohnmacht 292 Papst Julius 295 Michel Angelo 298 Der Schreckliche 299 Auf Ponte Sisto 300 IX . Männer. Hussen's Kerker 303 Der Landgraf 305 Der Rappe des Comturs 307 Die spanischen Brüder 309 Der schöne Tag 312 Das Auge des Blinden 313 Die verstummte Laute 316 Das Weib des Admirals 318 Hugenottenlied 319 Die Karyatide 320 Mourir ou parvenir! 321 Das Reiterlein 323 Die Füße im Feuer 326 Die Rose von Newport 329 Der sterbende Cromwell 331 Milton's Rache 332 Der Daxelhofen 334 I . Vorsaal . Fülle. Genug ist nicht genug! Gepriesen werde Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte! Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte, Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde. Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube! Die Pfirsche hat dem Munde zugewunken! Ein helles Zechlied summt die Wespe trunken — Genug ist nicht genug! — um eine Traube. Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen Schlürft Dichtergeist am Borne des Genußes, Das Herz, auch es bedarf des Ueberflußes, Genug kann nie und nimmermehr genügen! 1* Das heilige Feuer. Auf das Feuer mit dem goldnen Strahle Heftet sich in tiefer Mitternacht Schlummerlos das Auge der Vestale, Die der Göttin ewig Licht bewacht. Wenn sie schlummerte, wenn sie entschliefe, Wenn erstürbe die versäumte Glut, Eingesargt in Gruft und Grabestiefe Würde sie, wo Staub und Moder ruht! Eine Flamme zittert mir im Busen, Lodert warm zu jeder Zeit und Frist, Die entzündet durch den Hauch der Musen Ihnen ein beständig Opfer ist Und ich hüte sie mit heil'ger Scheue, Daß sie brenne rein und ungekränkt; Denn ich weiß, es wird der ungetreue Wächter lebend in die Gruft versenkt. Schillers Bestattung. Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht. Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg Mit keinem Kranz, dem kargsten nicht, und kein Geleit! Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab. Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur, Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht, Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war's. Lieder-Seelen. In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt, Ward ich von süßen Gespenstern erschreckt, Ein Reigen schwang im Garten sich, Den ich mit leisem Fuß beschlich; Wie zarter Elfen Chor im Ring Ein weißer, lebendiger Schimmer ging. Die Schemen hab' ich keck befragt: Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt! „Ich bin ein Wölkchen, gespiegelt im See.“ „Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“ „Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“ „Ich bin ein Geheimnis, geflüstert ins Ohr.“ „Ich bin ein frommes, gestorbenes Kind.“ „Ich bin ein üppiges Blumengewind —“ „Und die du wählst, und der's beschied Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied.“ Schwarzschattende Kastanie. Schwarzschattende Kastanie, Mein windgeregtes Sommerzelt, Du senkst zur Flut dein weit Geäst, Dein Laub, es durstet und es trinkt, Schwarzschattende Kastanie! Im Porte badet junge Brut Mit Hader oder Lustgeschrei, Und Kinder schwimmen leuchtend weiß Im Gitter deines Blätterwerks, Schwarzschattende Kastanie! Und dämmern See und Ufer ein Und rauscht vorbei das Abendboot, So zuckt aus rother Schiffslatern Ein Blitz und wandert auf dem Schwung Der Flut, gebrochnen Lettern gleich, Bis unter deinem Laub erlischt Die räthselhafte Flammenschrift, Schwarzschattende Kastanie! Nachtgeräusche. Melde mir die Nachtgeräusche, Muse, Die ans Ohr des Schlummerlosen fluthen! Erst das traute Wachtgebell der Hunde, Dann der abgezählte Schlag der Stunde, Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer, Dann? Nichts weiter als der ungewisse Geisterlaut der ungebrochnen Stille, Wie das Athmen eines jungen Busens, Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens, Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders, Dann des Schlummers leise leise Tritte. Die todten Freunde. Das Boot stößt ab von den Leuchten des Gestads. Durch föhnige Wellen dreht sich der Schwung des Rads. Schwarz qualmt des Rohres Rauch ... Heut hab' ich schlecht, Das heißt mit lauter jungem Volk gezecht — Du, der gestürzt ist mit zerschossener Stirn, Und du, verschwunden auf einer Gletscherfirn, Und du, verlodert wie schwüler Blitzesschein, Meine todten Freunde, saget, gedenkt ihr mein? Wogen zischen um Boot und Räderschlag, Dazwischen jubelt ein dumpfes Zechgelag, In den Fluthen braust ein sturmgedämpfter Chor, Becher läuten aus tiefer Nacht empor. Lenzfahrt. Am Himmel wächst der Sonne Glut, Aufquillt der See, das Eis zersprang, Das erste Segel theilt die Flut, Mir schwillt das Herz wie Segeldrang. Zu wandern ist das Herz verdammt, Das seinen Jugendtag versäumt, Sobald die Lenzessonne flammt, Sobald die Welle wieder schäumt. Verscherzte Jugend ist ein Schmerz Und einer ew'gen Sehnsucht Hort, Nach seinem Lenze sucht das Herz In einem fort, in einem fort! Und ob die Locke dir ergraut Und bald das Herz wird stille stehn, Noch muß es, wann die Welle blaut, Nach seinem Lenze wandern gehn. Ueber einem Grabe. Blüthen schweben über deinem Grabe. Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe, Den wir Alle liebten, die dich kannten, Dessen Augen wie zwei Sonnen brannten, Dessen Blicke Seelen unterjochten, Dessen Pulse stark und feurig pochten, Dessen Worte schon die Herzen lenkten, Den wir weinend gestern hier versenkten. Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ... Dort! ich seh' es aus der Erde steigen! Unterm Rasen quillt hervor es leise, Flatterflammen drehen sich im Kreise, Ungelebtes Leben zuckt und lodert Aus der Körperkraft, die hier vermodert, Abgemähter Jugend letztes Walten, Letzte Glut verraucht in Wunschgestalten, Eine blasse Jagd: Voran ein Zecher, In der Faust den überfüllten Becher! Weh'nde Locken will der Buhle fassen, Die entflatternd nicht sich haschen lassen, Lustgestachelt rast er hinter jenen, Ein verhülltes Mädchen folgt in Thränen. Durch die Brandung mit verstürmten Haaren Seh' ich einen kühnen Schiffer fahren. Einen jungen Krieger seh' ich toben, Helmbedeckt, das lichte Schwert erhoben. Einer stürzt sich auf die Rednerbühne, Weites Volksgetos beherrscht der Kühne. Ein Gedräng, ein Kämpfen, Ringen, Streben! Arme strecken sich und Kränze schweben — Kränze wenn du lebtest, dir beschieden, Nicht erreichte! Knabe, schlaf' in Frieden! Der Marmorknabe. In der Capuletti Vigna graben Gärtner, finden einen Marmorknaben, Meister Simon holen sie herbei, Der entscheide, welcher Gott es sei. Wie den Fund man dem Gelehrten zeigte, Der die graue Wimper forschend neigte, Kniet' ein Kind daneben: Julia, Die den Marmorknaben finden sah. „Welches ist dein süßer Name, Knabe? Steig' ans Tageslicht aus deinem Grabe! Eine Fackel trägst du? Bist beschwingt? Amor bist du, der die Herzen zwingt?“ Meister Simon, streng das Bild betrachtend, Eines Kindes Worte nicht beachtend, Spricht: „Er löscht die Fackel. Sie verloht. Dieser schöne Jüngling ist der Tod.“ Liebesflämmchen. Die Mutter mahnt mich Abends: „Trag Sorg zur Ampel, Kind! Jüngst träumte mir von Feuer — Auch weht ein wilder Wind.“ Das Flämmchen auf der Ampel, Ich lösch' es mit Bedacht, Das Licht in meinem Herzen Brennt durch die ganze Nacht. Die Mutter ruft mich Morgens: „Kind, hebe dich! 's ist Tag!“ Sie pocht an meiner Thüre Dreimal mit starkem Schlag Und meint, sie habe grausam Mich aus dem Schlaf geschreckt — Das Licht in meinem Herzen Hat längst mich aufgeweckt. Hochzeitslied. Aus der Eltern Macht und Haus Tritt die zücht'ge Braut heraus An des Lebens Scheide — Geh und lieb' und leide! Freigesprochen, unterjocht, Wie der junge Busen pocht Im Gewand von Seide — Geh und lieb' und leide! Frommer Augen helle Lust Ueberstrahlt an voller Brust Blitzendes Geschmeide — Geh und lieb' und leide! Merke dir's, du blondes Haar: Schmerz und Lust Geschwisterpaar, Unzertrennlich beide — Geh und lieb' und leide! Die Jungfrau. Wo sah ich, Mädchen, deine Züge, Die droh'nden Augen, lieblich, wild, Noch rein von Eitelkeit und Lüge? Auf Buonarotti's großem Bild: Der Schöpfer senkt sich sachten Fluges Zum Menschen, welcher schlummernd liegt, Im Schoße seines Mantelbuges Ruht himmlisches Gesind geschmiegt: Voran ein Wesen nicht zu nennen, Von Gottes Mantel keusch umwallt, Des Weibes Züge, zu erkennen In einer schlanken Traumgestalt. Sie lauscht, das Haupt hervorgewendet, Mit Augen schaut sie tief erschreckt, Wie Adam Er den Funken spendet Und seine Rechte mahnend reckt. Sie sieht den Schlumm'rer sich erheben, Der das bewußte Sein empfängt, Auch sie sehnt dunkel sich zu leben, An Gottes Schulter still gedrängt — So harrst du vor des Lebens Schranke, Noch ungefesselt vom Geschick, Ein unentweihter Gottgedanke, Und öffnest staunend deinen Blick. Die Fei. Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel, Umklammert mit den Armen ihn, Sie treibt ein grausam lüstern Spiel, Den Nachen in den Grund zu ziehn. Der Ferge stöhnt: „In Seegesträuch Reißt nieder uns der blanke Leib! Rasch, Herr! Von Sünde reinigt Euch, Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!“ Der Ritter hält den Schwertesgriff Sich als das heil'ge Zeichen vor — Aus dunkeln Haaren lauscht am Schiff Ein schmerzlich bleiches Haupt empor. „Herr Christ! Ich beichte Ritterthat, Streit, Flammenschein und strömend Blut, Doch nichts von Frevel noch Verrat, Denn Treu und Glauben hielt ich gut.“ Er küßt das Kreuz. Gell schreit die Fee! Auflangen sieht er eine Hand Am Steuer, blendend weiß wie Schnee, Und starrt darauf, von Graun gebannt. C. F. Meyer , Gedichte. 2 „Herr Christ! Ich beichte Missethat! Ich brach den Glauben und die Treu, Ich übt' an einem Lieb Verrat. Es starb. Ich thue Leid und Reu!“ Sie löst die Arme. Sie versinkt. Das Ruder schlägt. Der Nachen fliegt. Vom Strand das Licht des Erkers winkt, Wo Weib und Kind ihm schlummernd liegt. Die Dryas. O Liebe, wie schnell verrinnest du, Du flüchtige, schöne Stunde, Mit einer Wunde beginnest du Und endest mit einer Wunde. Ein Jüngling irrt in Waldesraum, Umspielt von goldnen Schimmern, Und späht nach einem schönen Baum, Sich draus ein Boot zu zimmern. Jungeiche mit dem stolzen Wuchs, Du bist mir gleich die rechte, Dich zeichn' ich mit dem Beile flugs, Dann ruf ich meine Knechte. Er führt den Streich. Ein schmerzlich Ach Macht jählings ihn erbleichen. „Ich sterbe!“ stöhnt's im Stamme schwach, „Die jüngste dieser Eichen!“ Ein Tröpfchen Blutes oder zwei Sieht er am Beile hangen Und schleudert's weg mit einem Schrei, Als hätt' er Mord begangen. 2* Schnell flüstert's aus dem Baume jetzt: „Der Mord ist nicht vollendet! Ich bin nur leicht am Arm verletzt. Ich hatt' mich umgewendet.“ „Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind, Daß ich Vergebung finde!“ Die Schultern schmiegend schlüpft geschwind Die Dryas aus der Rinde. Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar, Ein Brüten und ein Weben, Von grünem Blätterschatten war Der schlanke Wuchs umgeben. Er fing den Arm zu küssen an, Die Stelle mit dem Hiebe, Und, der er viel zu Leid gethan, Die that ihm viel zu Liebe. „In meinem Baum — ist lauter Traum“ ... Sie schlüpft zurück behende Und lispelt in den Waldesraum: „Ich weiß, wen ich dir sende!“ Der Botin Biene Dienst ist schwer, Sie muß sich redlich plagen, Honig und Wermuth hin und her, Waldaus, waldein zu tragen. Einmal kam Bienchen wild gebrummt. Dryas, mich kann's entrüsten!“ Es setzt sich an den Stamm und summt: „Ich sah's wie sie sich küßten! Sie ist ein blühend Nachbarkind, Muß ihn beständig necken — Dich läßt er nun bei Wetter und Wind In deinem Baume stecken!“ Ein schmerzlich Ach, als wände sich Ein schlanker Leib und stürbe! Das Laub vergilbt, die Krone blich, Die Rinde bröckelt mürbe. Ein Lied Chastelard's. Sehnsucht ist Qual! Der Herrin wag ich's nicht zu sagen, Ich will's den dunkeln Eichen klagen Im grünen Thal: Sehnsucht ist Qual. Mein Leib vergeht Wie schmelzend Eis in bleichen Farben, Sie sieht mich dursten, lechzen, darben, Bleibt unerfleht — Mein Leib vergeht. Doch mag es sein, Daß sie an ihrer Macht sich weide! Ergetzt sie grausam sich an meinem Leide; So denkt sie mein — Drum mag es sein. Sehnsucht ist Qual! Dem Kühnsten macht die Folter bange, Ein Grab, darin ich nichts verlange, Gieb mir, o Thal! Sehnsucht ist Qual. Fingerhütchen. Liebe Kinder, wisst ihr, wo Fingerhut zu Hause? Tief im Thal von Acherloo Hat er Herd und Klause; Aber schon in jungen Tagen Muß er einen Höcker tragen, Geht er, wunderlicher nie Wallte man auf Erden! Sitzt er, staunen Kinn und Knie, Daß sie Nachbarn werden. Körbe flicht aus Binsen er, Früh und spät sich regend, Trägt sie zum Verkauf umher In der ganzen Gegend, Und er gäbe sich zufrieden, Wär' er nicht im Volk gemieden; Denn man zischelt mancherlei: Daß ein Hexenmeister, Daß er kräuterkundig sei Und im Bund der Geister. Solches ist die Wahrheit nicht, Ist ein leeres Meinen, Doch das Volk im Dämmerlicht Schaudert vor dem Kleinen. So die Jungen wie die Alten Weichen aus dem Ungestalten — Doch vorüber wohlgemut Auf des Schusters Räppchen Trabt er. Blauer Fingerhut Nickt von seinem Käppchen. Einmal geht er heim bei Nacht Nach des Tages Lasten, Hat den halben Weg gemacht, Darf ein bischen rasten, Setzt sich und den Korb daneben, Schimmernd hebt der Mond sich eben: Fingerhut ist gar nicht bang, Ihm ist gar nicht schaurig, Nur daß noch der Weg so lang, Macht den Kleinen traurig. Etwas hört er klingen fein — Nicht mit rechten Dingen, Mitten aus dem grünen Rain Ein melodisch Singen: „Silberfähre, gleitest leise“ — Schon verstummt die kurze Weise. Fingerhütchen spähet scharf Und kann nichts entdecken, Aber was er hören darf, Ist nicht zum Erschrecken. Wieder hebt das Liedchen an Unter Busch und Hecken, Doch es bleibt der Reimgespan Stets im Hügel stecken. „Silberfähre, gleitest leise“ — Wiederum verstummt die Weise. Lieblich ist, doch einerlei Der Gesang der Elfen, Fingerhütchen fällt es bei, Ihnen einzuhelfen. Fingerhütchen lauert still Auf der Töne Leiter, Wie das Liedchen enden will Führt er leicht es weiter: „Silberfähre, gleitest leise“ — „Ohne Ruder, ohne Gleise.“ Aus dem Hügel ruft's empor: „Das ist dir gelungen!“ Unterm Boden kommt hervor Kleines Volk gesprungen. „Fingerhütchen, Fingerhut,“ Lärmt die tolle Runde, „Faß dir einen frischen Mut! Günstig ist die Stunde! Silberfähre, gleitest leise Ohne Ruder, ohne Gleise!“ Dieses hast du brav gemacht, Lernet es, ihr Sänger! Wie du es zu Stand gebracht, Hübscher ist's und länger! Zeig dich einmal, schöner Mann! Laß dich einmal sehen! Vorn zuerst und hinten dann! Laß dich einmal drehen! Weh! Was müssen wir erblicken! Fingerhütchen, welch ein Rücken! Auf der Schulter, liebe Zeit, Trägst du grause Bürde! Ohne hübsche Leiblichkeit Was ist Geisteswürde? Eine ganze Stirne voll Glücklicher Gedanken, Unter einem Höcker soll Länger nicht sie schwanken! Strecket euch, verkrümmte Glieder! Garst'ger Buckel, purzle nieder! Fingerhut, nun bist du grad, Deines Fehls genesen! Heil zum schlanken Rückengrat! Heil zum neuen Wesen!“ Plötzlich steckt der Elfenchor Wieder tief im Raine, Aus dem Hügelrund empor Tönt's im Mondenscheine: „Silberfähre, gleitest leise Ohne Ruder, ohne Gleise.“ Fingerhütchen wird es satt, Wäre gern daheime, Er entschlummert laß und matt An dem eignen Reime. Schlummert eine ganze Nacht Auf derselben Stelle, Wie er endlich auferwacht, Scheint die Sonne helle: Kühe weiden, Schafe grasen Auf des Elfenhügels Rasen. Fingerhut ist bald bekannt, Läßt die Blicke schweifen, Sachte dreht er dann die Hand, Hinter sich zu greifen. Ist ihm Heil im Traum geschehn? Ist das Heil die Wahrheit? Wird das Elfenwort bestehn Vor des Tages Klarheit? Und er tastet, tastet, tastet: Unbebürdet! Unbelastet! „Jetzt bin ich ein grader Mann!“ Jauchzt er ohne Ende, Wie ein Hirschlein jagt er dann Ueber Feld behende. Fingerhut steht plötzlich still, Tastet leicht und leise, Ob er wieder wachsen will? Nein! in keiner Weise! Selig preist er Nacht und Stunde, Da er sang im Geisterbunde — Fingerhütchen wandelt schlank, Gleich als hätt' er Flügel, Seit er schlummernd niedersank Nachts am Elfenhügel. Traumbesitz. „Fremdling, unter diesem Schutte Wölbt sich eine weite Halle, Blüht des Inka goldner Garten, Prangt der Sessel meines Ahns! Alles Laub und alle Früchte Und die Vögel auf den Aesten Und die Fischlein in den Teichen Sind vom allerfeinsten Gold.“ — „Knabe, du bist zart und dürftig, Deine greisen Eltern darben — Warum gräbst du nicht die nahen Schätze, die dein Erbe sind?“ „Solches, Fremdling, wäre sündlich! Nein, ich lasse mir genügen An dem kleinen Waizenfelde, Das mir oben übrig blieb. Im Geheimniß meines Herzens, Mit den Augen meines Geistes Schwelg' ich in den lichten Wundern, In dem unermessnen Hort: O des Glanzes! O der Fülle! Siehst du dort die Büschel Maises Mit den schön geformten Kolben? Siehst du dort den goldnen Thron?“ Die gefesselten Musen. Es herrscht' ein König irgendwo In Dazien oder Thrazien, Den suchten einst die Musen heim, Die Musen mit den Grazien. Statt milden Nectars Rebenblut Geruhten sie zu nippen, Die Seele des Barbaren hing An ihren sel'gen Lippen. Erst sang ein jedes Himmelskind Im Tone, der ihm eigen, Dann schritt der ganze Chor im Tact Und trat den blüh'nden Reigen. Der König klatschte: „Morgen will Ich wieder euch bestaunen.“ Die Musen schüttelten das Haupt: „Das hangt an unsern Launen.“ „An euern Launen? ...“ Der Despot Begann zu schmähn und lästern. „Ihr Knechte,“ schrie er, „Fesseln her!“ Und fesselte die Schwestern. Der König wacht', um Mitternacht Vernahm er leises Schreiten, Geflüster: „Seid ihr alle da?“ Und Schüttern zarter Saiten. Er fuhr empor. „Den hellen Chor Ergreift, getreue Wächter!“ Die Schergen griffen in die Luft Und silbern klang Gelächter. Am Morgen war der Kerker leer, Der Reigen über die Grenze — Drin hingen statt der Ketten schwer Zerrißne Blumenkränze. II . Stunde . C. F. Meyer , Gedichte. 3 Morgenlied. Mit edeln Purpurröthen Und hellem Amselschlag, Mit Rosen und mit Flöten Stolziert der junge Tag. Der Wanderschritt des Lebens Ist noch ein leichter Tanz, Ich gehe wie im Reigen Mit einem frischen Kranz. Ihr thaubenetzten Kränze Der neuen Morgenkraft, Geworfen aus den Lüften Und spielend aufgerafft — Wohl manchen ließ ich welken Noch vor der Mittagsglut; Zerrissen hab' ich manchen Aus reinem Uebermut! Mit edeln Purpurröthen Und hellem Amselschlag, Mit Rosen und mit Flöten Stolziert der junge Tag — Hinweg, du dunkle Klage, Aus all dem Licht und Glanz! Den Schmerz verlorner Tage Bedeckt ein frischer Kranz. 3* Eppich. Eppich, mein alter Hausgesell, Du bist von jungen Blättern hell, Dein Wintergrün, so still und streng, Verträgt sich's mit dem Lenzgedräng? — „Warum denn nicht? Wie meines hat Dein Leben alt und junges Blatt, Eins streng und dunkel, eines licht Von Lenz und Lust! Warum denn nicht?“ Das todte Kind. Es hat den Garten sich zum Freund gemacht, Dann welkten es und er im Herbste sacht, Die Sonne ging und es und er entschlief, Gehüllt in eine Decke weiß und tief. Jetzt ist der Garten unversehns erwacht, Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht. Wo steckst du? summt es dort und summt es hier. Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr. Die blaue Winde klettert schlank empor Und blickt ins Haus: Komm hinterm Schrank hervor! Wo birgst du dich? Du thust dir's selbst zu leid! Was hast du für ein neues Sommerkleid? Lenz Wanderer Mörder Triumphator. I . Ich lag an einem Raine Mit meinem dürren Stab. Was lauf' ich? Meine Beine Erlaufen nur das Grab ... Ein Wandrer zog derenden, War noch ein Knabe fast, Der hielt als Stab in Händen Den blüthenreichsten Ast. „Grüß Gott dich, schöner Wandrer! Bist du es, Knabe Lenz?“ Er rief: „Ich bin kein Andrer Und komme von Florenz!“ Das mußte mich erwecken. „Kind Lenz, ich wandre mit!“ Wir hoben unsre Stecken In einem Schritt und Tritt. Die beiden Stäbe hoben Kind Lenz und ich zugleich; Auch meiner ward von oben Bis unten blüthenreich. II . Nieder trägt der warme Föhn Der Lawine fern Getön, Hinter jenen hohen Föhren Kann den dumpfen Schlag ich hören. In des Lenzes blauen Schein Aus der Scholle dunkelm Schrein Drängt und drückt das neue Leben, Lüftet Kleid und Decken eben — Von derselben Kraft und Lust Wächst das Herz mir in der Brust, Heute kann es noch sich dehnen Mit den Liedern, mit den Thränen! Aber blauen wird ein Tag, Da sich's nicht mehr dehnen mag — Dann kommt mich der Lenz zu tödten Mit den Veilchen, mit den Flöten. III . Frühling mit der Vöglein Laut Allerenden, allerorten! Frühling, der die Welt umblaut, Deine blüh'nden Siegespforten Hast du niedrig aufgebaut! Ueber alle Pfade her Schießen blüthenschwere Zweige Ungebändigt, kreuz und quer, Daß dir jedes Haupt sich neige, Und die Demuth ist nicht schwer. Maientag. Englein singen aus dem blauen Tag, Mägdlein singen hinterm Blüthenhag, Jubelnd mit dem ganzen Lenzgesind Singt mir in vernarbter Brust — ein Kind. Der geschändete Baum. Sie haben mit dem Beile dich zerschnitten, Die Frevler — hast du viel dabei gelitten? Ich selber habe sorglich dich verbunden Und traue: Junger Baum, du wirst gesunden! Auch ich erlitt zu schier derselben Stunde Von schärferm Messer eine tiefre Wunde. Zu untersuchen komm' ich täglich deine Und unerträglich brennen fühl' ich meine. Du saugest gierig ein die Kraft der Erde, Mir ist, als ob auch ich durchrieselt werde! Der frische Saft quillt aus zerschnittner Rinde Heilsam. Mir ist, als ob auch ich's empfinde! Indem ich deine sich erfrischen fühle, Ist mir, als ob sich meine Wunde kühle! Natur beginnt zu wirken und zu weben, Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben! Wie viele, so verwundet, welkten, starben! Wir beide prahlen noch mit unsern Narben! Wund. Zu Walde flücht' ich, ein gehetztes Wild, Indeß der Abendhimmel purpurn quillt. Ich lieg und keuche. Zu mir rinnt herein Ein stilles Bluten über Moos und Stein. Jetzt rede du! Du warest mir ein täglich Wanderziel, Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen, Ich hatte dir geträumten Glücks so viel Anzuvertraun, so wahren Schmerz zu klagen. Und wieder such' ich dich, du dunkler Hort, Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen — Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort! Verstummt ist Klag' und Jubel. Ich will lauschen. Die Lautenstimmer. Schlummernd jüngst in Waldesraum Hatt' ich einen hübschen Traum: Etwas regt sich in der Hecke, Etwas klimpert im Verstecke. Das Gesträuch mit leiser Hand Theilt' ich, bis das Nest ich fand: Kinder, rings im Grase sitzend, Mit den hellen Augen blitzend! Rutschend auf dem nackten Knie, Stimmten eine Laute sie — „Sagt, was lagert ihr im Runde? Sprecht, was schaffet ihr im Bunde?“ Auf das zarte Werk erpicht, Hörten sie die Frage nicht. „Seht, wie ist sie zugerichtet! Wundgerissen! Fast vernichtet!“ Emsig ward geklopft, gespäht, An den Saiten flink gedreht, Ließen eine tiefer klingen, Ließen eine hohe springen, — Endlich klang die Laute rein Und die Kinder spielten fein, Bis ich aus dem Traum erwachte Und mir seinen Sinn bedachte: Dumpf entschlummert, jetzo hell, Ganz ein anderer Gesell! Was die Kinder ohne Fehle Stimmten, es war meine Seele! Sonntags. Ich liebe, Nymphe, deine keusche Flut, Die kühl im allertiefsten Walde ruht. Du spiegelst weder Stadt noch Firneschnee, Den Himmel schimmerst du, mein kleiner See! Dein Antlitz sagt mir Alles, rasch erregt, Was dir das kindliche Gemüth bewegt, Und leicht erhellt, verdunkelt ohne Grund, Macht es mir alle deine Launen kund. Der Kahn, verborgen tief im Schilfe dort, Gefesselt ist er durch ein Zauberwort. Nie hat gelöst ihn eine trunkne Schaar, Nie hat sich eine Dirn im Flatterhaar, Von rohen Buhlen durch den Wald gehetzt, Vor deinen Spiegel keuchend hingesetzt. Nie hat ein unstet zuckend Fackelrot Dir über deine kühle Stirn geloht! Horch! Stimmen durch den Wald! Ein Lustgeschrei! Gekreisch! Gewieher! Freches Volk, vorbei! Den Gassenhauer, liederlich gejohlt — Schäme dich, Echo! — hast du wiederholt! Verhülle, Nymphe, deiner Augen Schein, Verbirg dich tiefer in den Wald hinein! Und zürnend gegen den Tumult gewandt: „Hinweg!“ gebot ich mit erhobner Hand. „Nicht näher!“ Und im Walde ward es Ruh. Der Jubel zog sich einer Schenke zu. Du bliebst in deinem blauen Kleide rein, In deinem grünen Waldesdämmerschein — Indessen hat die Sonne sich geneigt, Wie süß in jedem Blatt die Stille schweigt! In Tannenduft und unter Himmelsruh, Bewacht von meinem Blick, entschlummerst du! Schwüle. Trüb verglomm der schwüle Sommertag, Dumpf und traurig tönt mein Ruderschlag — Sterne, Sterne — Abend ist es ja — Sterne, warum seid ihr noch nicht da? Bleich das Leben! Bleich der Felsenhang! Schilf, was flüsterst du so frech und bang? Fern der Himmel und die Tiefe nah — Sterne, warum seid ihr noch nicht da? Eine liebe, liebe Stimme ruft Mich beständig aus der Wassergruft — Weg, Gespenst, das oft ich winken sah! Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da? Endlich, endlich durch das Dunkel bricht — Es war Zeit! — ein schwaches Flimmerlicht — Denn ich wußte nicht wie mir geschah. Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah! In Harmesnächten. Die Rechte streckt' ich schmerzlich oft In Harmesnächten Und fühlt' gedrückt sie unverhofft Von einer Rechten — Was Gott ist, wird in Ewigkeit Kein Mensch ergründen, Doch will er treu sich allezeit Mit uns verbünden. Eingelegte Ruder. Meine eingelegten Ruder triefen, Tropfen fallen langsam in die Tiefen. Nichts das mich verdroß! Nichts das mich freute! Niederrinnt ein schmerzenloses Heute! Unter mir — ach, aus dem Licht verschwunden — Träumen schon die schönern meiner Stunden. Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern: Sind im Licht noch manche meiner Schwestern? Ein bischen Freude. Wie heilt sich ein verlassen Herz, Der dunkeln Schwermuth Beute? Mit Becher-Rundgeläute? Mit bitterm Spott? Mit frevlem Scherz? Nein. Mit ein bischen Freude! Wie flicht sich ein zerrissner Kranz, Den jach der Sturm zerstreute? Wie knüpft sich der erneute? Mit welchem Endchen bunten Bands? Mit nur ein bischen Freude! Wie sühnt sich die verjährte Schuld, Die bitterlich bereute? Mit einem strengen Heute? Mit Büßerhast und Ungeduld? Nein. Mit ein bischen Freude! C. F. Meyer , Gedichte. 4 Im Spätboot. Aus der Schiffsbank mach' ich meinen Pfühl, Endlich wird die heiße Stirne kühl! O wie süß erkaltet mir das Herz! O wie weich verstummen Lust und Schmerz! Ueber mir des Rohres schwarzer Rauch Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch. Hüben hier und wieder drüben dort Hält das Boot an manchem kleinen Port: Bei der Schiffslaterne kargem Schein Steigt ein Schatten aus und niemand ein. Nur der Steurer noch, der wacht und steht! Nur der Wind, der mir im Haare weht! Schmerz und Lust erleiden sanften Tod Einen Schlumm'rer trägt das dunkle Boot. Vor der Ernte. In reiner Nacht die Sichel geht Und macht ein leis Getön, Im reifen Korne wogt und weht Und rauscht und wühlt der Föhn. Sie wandert voller Melodie Hochüber durch das Land, Früh morgen schwingt die Schnitt'rin sie Mit sonnenbrauner Hand. 4* Erntegewitter. Ein jäher Blitz. Der Erntewagen schwankt. Aus seinen Garben fahren Dirnen auf Und springen schreiend in die Nacht hinab. Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe thront Noch unvertrieben eine frevle Maid, Der das gelöste Haar den Nacken peitscht. Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm, Als brächte sie's der Gluth die sie umflammt, Und leert's auf einen Zug. Ins Dunkel wirft Sie's weit und gleitet ihrem Becher nach. Ein Blitz. Zwei schwarze Rosse bäumen sich. Die Peitsche knallt. Sie ziehen an. Vorbei. Schnitterlied. Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen, Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen, Von steigenden dunkeln Gewittern bedroht — Gerettet das Korn! Und nicht Einer der darbe! Von Aehre zu Garbe Ist Raum für den Tod — Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot! Hoch thronet ihr Schönen auf güldenen Sitzen In strotzenden Garben umflimmert von Blitzen — Nicht Eine die darbe! Wir bringen das Brot! Zum Reigen! Zum Tanze! Zur tosenden Runde! Von Becher zu Munde Ist Raum für den Tod — Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot! Auf Goldgrund. Durch den Bildersaal bin ich gegangen In der letzten Stunde noch, der späten, Wo, von schimmernd goldnem Grund umfangen, Heil'ge mit gehobnen Händen beten. Dann durchs blache Feld bin ich geschritten. Letzter Sommerabendgluth entgegen, Und die heut das reife Korn geschnitten, Sah ich Garben auf den Wagen legen. Rasch gedieh das Werk der braunen Arme, Um den Schnitter und die dunkle Garbe Floß das Abendlicht, das glühend warme, Mit der wunderbaren Goldesfarbe. Unter Bürden schwankende Gestalten Lautlos in der stillen Feierstunde! Müder Arme unermüdlich Walten, Auch auf schimmernd heilig-goldnem Grunde! Requiem. Bei der Abendsonne Wandern Wann ein Dorf den Strahl verlor, Klagt sein Dunkeln es den andern Mit vertrauten Tönen vor: „Viele Schläge, viele Schläge Thut an einem Tag das Herz, Wenig Schläge, wenig Schläge Thut im Dämmerlicht das Erz!“ Noch ein Glöcklein hat geschwiegen Auf der Höhe bis zuletzt. Nun beginnt es sich zu wiegen, Horch, mein Kilchberg läutet jetzt! Die Veltlinertraube. Brütend liegt ein heißes Schweigen Ueber Thal und Bergesjoch, Evoë und Winzerreigen Schlummern in der Traube noch. Purpurne Veltlinertraube, Kochend in der Sonne Schein, Heute möcht' ich unterm Laube Deine vollste Beere sein! Mein unbändiges Geblüte, Strotzend von der Scholle Kraft, Trunken von des Himmels Güte, Sprengte schier der Hülse Haft! Aus der Laube niederhangend, Gluthdurchwogt und üppig rund, Schwebt' ich dunkelpurpurprangend Ueber einem rothen Mund! Weinsegen. Heut athm' ich mit den Sommerlüften Die allerfeinsten Würzen ein, Ich kenne dieses seltne Düften: Heut blüht der echte Klosterwein. Hier zog im Land die ersten Trauben Zum ersten Liebesmahl der Abt, Der mit dem theuern Christenglauben Uns öde Heiden einst begabt. Das Kloster, längst ist's schon verschwunden, Zerstäubt mit Altar, Gruft und Chor, Doch steigt in diesen Mittagsstunden — So heißt's — der erste Abt empor. Nicht will er zu der Lese kommen, Wo wild die Kelter überschäumt, Nein, wie sich ziemt für einen Frommen, Wann mystisch süß die Blüthe träumt. Was dort? Wer öffnet still das Gatter? Berauscht die starke Würze mich? Ein wallend blankes Rockgeflatter Bewegt sich sacht und feierlich! Es ist der Abt. Ich sehe bücken Das edelgreise Haupt ihn dort, Die frechen Nachbarskinder drücken Sich schleunig durch die Hecke fort. Er prüft genau die zarte Blüte, Die jungen Schoße licht und grün, Sein Angesicht ist voller Güte Und voll von herzlichem Bemühn. Hochwürden blickt so hell und heiter, Dies Jahr geräth der Wein wie nie! Er wandelt zu den Stufen weiter Und geisterleicht ersteigt er sie. Schon auf des Weinbergs Höhe schreitet Er bei dem kleinen Winzerhaus. Er setzt sich auf die Bank. Er breitet Die Geisterhände mächtig aus. Er segnet seine Klosterreben, Sein eigen vielgeliebtes Kind, Uns Ketzer segnet er daneben, Die seines Weinbergs Erben sind. Säerspruch. Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung! Die Erde bleibt noch lange jung! Dort fällt ein Korn das stirbt und ruht. Die Ruh ist süß. Es hat es gut. Hier eins das durch die Scholle bricht. Es hat es gut. Süß ist das Licht. Und keines fällt aus dieser Welt Und jedes fällt wie's Gott gefällt. Novembersonne. In den ächzenden Gewinden Hat die Kelter sich gedreht, Unter meinen alten Linden Liegt das Laub hoch aufgeweht. Dieser Erde Werke rasten, Schon beginnt die Winterruh — Sonne, noch mit unverblaßten, Warmen Strahlen wanderst du! Ehe sich das Jahr entlaubte, Gingen, traun, sie müßig nie, Nun an deinem lichten Haupte Flammen unbeschäftigt sie. Erst ein Ackerknecht und Schnitter, Noch ein Traubenkoch zuletzt, Bist du jetzt der freie Ritter, Der sich auf der Fahrt ergetzt. Und die Schüler, zu den Bänken Kehrend, grüßen jubelvoll Hingelagert vor den Schenken Dich als Musengott Apoll. Aus der Höhe. Schreitend meinen Höhenpfad, Seh' ich statt lebend'ger Fluth Unter mir des Eises Flur, Drauf der Wettlauf Tausender Unermüdlich sich ergötzt. Horch! Ein dunkel Geisterlied, Wie des Bienenkorbs Gesums: Dröhnend sonder Unterbruch Durch die reine Winterluft Des gestählten Schuhes Ton — Meiner Jugend einz'ge Lust Läutet dumpf zu mir empor. Die Schlittschuhe. „Hör', Ohm! In deiner Trödelkammer hangt Ein Schlittschuhpaar, danach mein Herz verlangt! Von London hast du einst es heimgebracht, Zwar ist es nicht nach neu'ster Art gemacht, Doch damaszirt, verteufelt elegant! Dir rostet ungebraucht es an der Wand, Du gibst es mir!“ Hier, Junge, hast du Geld, Kauf dir ein schmuckes Paar, wie dir's gefällt! „Ach was! Die damaszirten will ich, deine: Du läufst ja nimmer auf dem Eis, ich meine?“ Der liebe Quälgeist läßt mir keine Ruh, Er zieht mich der verscholl'nen Stube zu; Da lehnen Masken, Klingen, kreuz und quer An Bayle's staubbedecktem Dictionär, Und seine Beute schon erblickt der Knabe In dunkelm Winkel hinter einer Truhe: „Da sind sie!“ Ich betrachte meine Habe, Die Jugendschwingen, die gestählten Schuhe! Mir um die Schläfen zieht ein leiser Traum ... „Du gibst sie mir!“ ... In ihrem blonden Haar, Dem aufgewehten, wie sie lieblich war, Der Wangen edel Blaß geröthet kaum! ... In Nebel eingeschleiert lag die Stadt, Der See, ein Boden spiegelhell und glatt, Drauf in die Wette flogen, Gleis an Gleis, Die Läufer; Wimpel flaggten auf dem Eis ... Sie schwebte still, zuerst umkreist von vielen Geflügelten wettlaufenden Gespielen — Dort stürmte wild die purpurne Bacchantin, Hier maß den Lauf die peinliche Pedantin — Sie aber wiegte sich mit schlanker Kraft Und leichten Leibes, luftig, elfenhaft, Sie glitt dahin, das Eis berührend kaum, Bis sich die Bahn in einem weiten Raum Verlor und dann in schmal're Bahnen theilte. Da lockt es ihren Fuß in Einsamkeiten, In blaue Dämmerung hinauszugleiten, Ins Märchenreich; sie zagte nicht und eilte Und sah, daß ich an ihrer Seite fuhr, Nahm meine Hand und eilte rascher nur. Bald hinter uns verscholl der Menge Schall, Die Wintersonne sank, ein Feuerball, Doch nicht zu hemmen war das leichte Schweben, Der sel'ge Reigen, die beschwingte Flucht Und warme Kreise zog das rasche Leben Auf harterstarrter, geisterhafter Bucht. An uns vorüber schoß ein Fackellauf, Ein glüh Phantom, den grauen See hinauf ... In stiller Luft ein ungewisses Klingen, Wie Glockenlaut, des Eises surrend Singen ... Ein dumpf Getos, das aus der Tiefe droht — Sie lauscht, erschrickt, ihr graut, das ist der Tod! Jäh wendet sie den Lauf, sie strebt zurück, Ein scheuer Vogel, durch das Abenddunkel, Schon wieder naht das wirre Lichtgefunkel, Der Lärm, sie löst die Hand .... o Märchenglück! Sie wendet sich nicht um und sucht die Stadt, Dem Kinde gleich, das sich verlaufen hat — „Ei, Ohm, du träumst? Nicht wahr, du gibst sie mir, Bevor das Eis geschmolzen? ...“ Junge, hier. Im Konzert. Heut im Konzerte hielt ich Zwiegespräch Mit einem allerliebsten Mädchenhals, Der aus derselben Bank geschimmert schon Ein früher Mal ... Du hattest, sagt' ich ihm, Ein schmales Kettlein an, besinne dich! Vielteilig, sein gefügt, von blassem Gold, Süß leuchtend aus dem Dunkel des Gewands. Verloren ging's? Vielleicht ist's nur verlegt? Zerbrach es eben erst der Finger Hast? Trug's ein Gespiel davon, ein schmeichelndes? Warf, dich betörend, eine Hand dir's um, Die Treue brach? Du hassest jetzt das Band? Du trauerst, Hälschen? Heute neigst du dich Ein bischen tiefer als das letzte Mal? Der eigenartige Satz: Die Flöte klagt: „Das Hälschen neigt sich etwas tiefer heut!“ „O dunkles Schicksal!“ dröhnt verhängnisvoll Das melancholische Violoncell ... Ein feines Glöckchen aber spottet hell: „Das Kettlein steckt im blauen Sammt des Schreins. Aus einer reinen Laune blieb's zu Haus.“ C. F. Meyer , Gedichte. 5 Begegnung. Mich führte durch den Tannenwald Ein stiller Pfad, ein tief verschneiter, Da, ohne daß ein Huf gehallt, Erblickt' ich plötzlich einen Reiter. Nicht zugewandt, nicht abgewandt, Kam er, den Mantel umgeschlagen, Mir däuchte, daß ich ihn gekannt In alten, längst verschollnen Tagen. Der jungen Augen wilde Kraft, Des Mundes Trotz und herbes Schweigen, Ein Zug von Traum und Leidenschaft Berührte mich so tief und eigen. Sein Rösslein zog auf weißer Bahn Vorbei mit ungehörten Hufen. Mich faßt's mit Lust und Grauen an Ihm Gruß und Namen nachzurufen. Doch keinen Namen hab' ich dann Als meinen eigenen gefunden, Da Roß und Reiter schon im Tann Und hinterm Schneegeflock verschwunden. Neujahrsglocken . In den Lüften schwellendes Gedröhne, Leicht wie Halme beugt der Wind die Töne. Leis verhallen die zum ersten riefen, Neu Geläute hebt sich aus den Tiefen. Große Heere, nicht ein einzler Rufer! Wohllaut fluthet ohne Strand und Ufer. 5* Das Heute. Das Heut ist einem jungen Weibe gleich. Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich. Es schaudert. Einen vollen Becher faßt Es gierig noch und schlürft in toller Hast. Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt, Entfärbt sich und verwelkt. Der Becher sinkt. Langsam zieht es den Kranz sich aus dem Haar. Das Haar ergraut, das eben braun noch war. Tiefrunzelt sich das schöne schuld'ge Haupt. Zusammenbricht das Knie, der Kraft beraubt. Die Horen kleiden dicht in Schleier ein Und führen weg ein greises Mütterlein. III . In den Bergen . Der Reisebecher. Gestern fand ich, räumend eines langvergessnen Schrankes Fächer, Den vom Vater mir vererbten, meinen ersten Reisebecher. Währenddeß ich leise singend reinigt' ihn vom Staub der Jahre, War's als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen Haare, War's als dufteten die Matten, drein ich schlummernd lag versunken, War's als rauschten alle Quelle, draus ich wandernd einst getrunken. Das weiße Spitzchen. Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald, Das ruft mich, das zieht mich, das thut mir Gewalt: „Was schaffst du noch unten im Menschengewühl? Hier oben ist's einsam! Hier oben ist's kühl! Der See mir zu Füßen hat heut sich enteist, Er kräuselt sich, fluthet, er wandert, er reist, Die Moosbank des Felsens ist dir schon bereit, Von ihr ist's zum ewigen Schnee nicht mehr weit!“ Das Spitzchen, es ruft mich, sobald ich erwacht, Am Mittag, am Abend, im Traum noch der Nacht. So komm ich denn morgen! Nun laß mich in Ruh! Erst schließ' ich die Bücher, die Schreine noch zu. Leis wandelt in Lüften ein Heerdegeläut: „Laß offen die Truhen! Komm lieber noch heut.“ Firnelicht. Wie pocht' das Herz mir in der Brust, Trotz meiner jungen Wanderlust, Da, heimgewendet, ich erschaut' Die Schneegebirge, süß umblaut, Das große stille Leuchten! Ich athmet' eilig, wie auf Raub, Der Märkte Dunst, der Städte Staub. Ich sah den Kampf. Was sagest du, Mein reines Firnelicht, dazu, Du großes stilles Leuchten? Nie prahlt' ich mit der Heimath noch Und liebe sie von Herzen doch, In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist Firnelicht, Das große stille Leuchten. Was kann ich für die Heimath thun, Bevor ich geh' im Grabe ruhn? Was geb ich, das dem Tod entflieht? Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, Ein kleines stilles Leuchten! Himmelsnähe. In meiner Firne feierlichem Kreis Lagr' ich an schmalem Felsengrate hier, Aus einem grün erstarrten Meer von Eis Erhebt die Silberzacke sich vor mir. Der Schnee, der am Geklüfte hing zerstreut, In hundert Rinnen rieselt er davon Und aus der schwarzen Feuchte schimmert heut Der Soldanelle zarte Glocke schon. Bald nahe tost, bald fern, der Wasserfall, Er stäubt und stürzt, nun rechts, nun links verweht, Ein tiefes Schweigen und ein steter Schall, Ein Wind, ein Strom, ein Athem, ein Gebet! Nur neben mir des Murmelthieres Pfiff, Nur über mir des Geiers heis'rer Schrei, Ich bin allein auf meinem Felsenriff Und ich empfinde daß Gott bei mir sei. Allerbarmen. An dem Bauerhaus vorüber Schritt ich eilig, weil mir grauste, Weil im dumpfen Hof ein trüber, Brütender Cretine hauste. Schaudernd warf ich einen halben Blick in seinen feuchten Kerker — Eben war die Zeit der Schwalben, Wo sie baun an Dach und Erker. Den Enterbten sah ich kauern, Ueber seiner Lagerstätte Blitzten Schwalben um die Mauern, Nester bauend in die Wette. Der erloschne Blick erfreute Sich, in einem kleinen blauen Raum das Werk der Schwalben heute, Dieses kluge Werk zu schauen. Blitzend kreiste das Geschwirre An dem engen Horizonte, Und das Lachen klang, das irre, Drin sich doch der Himmel sonnte. Göttermahl. Wo die Tannen finst're Schatten werfen Ueber Hänge goldbesonnt, Unverwundet von der Firne Schärfen Blaut der reine Horizont, Wo das Spiel den rastlos weh'nden Winden Kein Gebälk und keine Mauer wehrt, Wo, wie einer dunkeln Sorge Schwinden, Jede Wolke sich verzehrt, Wo das braune Rind wie Juno schauend Weidet und mit heller Glocke tönt, Wo das Zicklein lüstern wiederkauend Den bemoosten Felsen krönt, Schlürf' ich kühle Luft und wilde Würzen, Mit den sel'gen Göttern kost ich da — Die mich nicht aus ihrem Himmel stürzen — Nectar und Ambrosia! Das Seelchen. Ich lag im Gras auf einer Alp, In sel'ge Bläuen starrt' ich auf — Mir war als ob auf meiner Brust Mich etwas sacht betastete. Ich blickte schräg. Ein Falter saß Auf meinem grauen Wanderkleid. Mein Seelchen war's. So lernt' ich einst In Rom an einem Basrelief. Wie sieht es aus? Das wüßt' ich gern, Ich blinzle mein Gewand entlang — Blank war's, betupft mit Tropfen Bluts. Das Glöcklein. Er steht an ihrem Pfühl in herber Qual, Den jungen Busen muß er keuchen sehn — Er ist ein Arzt. Er weiß, sein traut Gemahl Erblaßt, sobald die Morgenschauer wehn. Sie hat geschlummmert geschlummert . „Lieber, du bei mir? Mir träumte, daß ich auf der Alpe war, Wie schön mir träumte, das erzähl ich dir — Du schickst mich wieder hin das nächste Jahr! Dort vor dem Dorf — du weißt den moos'gen Stein — Saß ich, umhallt von lauter Heerdgetön, An mir vorüber zogen mit Schalmein Die Heerden nieder von den Sommerhöhn. Die Heerden kehren alle heut nach Haus — Das ist die letzte wohl? Nein, eine noch! Noch ein Geläut klingt an und eins klingt aus! Das endet nicht! Da kam das letzte doch! Mich überfluthet' fliehend Abendroth, Die Matten dunkelten so grün und rein, Die Firne brannten still — und lagen todt, Darüber glomm ein leiser Sternenschein — Da horch! ein Glöcklein noch aus finst'rer Schlucht, Verirrt, verspätet, wandert's ohne Ruh, Ein armes Glöcklein, das die Heerde sucht — Auf wacht' ich dann und bei mir warest du! Mann, schick mich wieder auf die lieben Höhn — Sie haben, sagst du, mich gesund gemacht ... Dort war es schön! Dort war es wunderschön! Das Glöcklein! Wieder! Hörst du's? Gute Nacht ...“ Spiel. Denkst, Freund, des wilden Knabenspiels du noch, Das wir getrieben einst am Bergesjoch, Wann unser freud'ge Wandertag verglomm Und höher stets und immer höher klomm? Wir sprangen jubelnd über Stock und Stein Bergan und wieder in das Licht hinein Und noch einmal und noch einmal, Bis uns entschlüpft' der letzte Sonnenstrahl. Das Spiel das wir im Alpenthale dort Getrieben, Freund, wir spielen's heut noch fort. Wann neben uns das süße Licht erbleicht, Wir steigen, bis von neuem wir's erreicht. Wir springen muthig über Stock und Stein Und mitten wieder in den Tag hinein Und noch einmal und noch einmal, Bis uns entschlüpft der letzte Lebensstrahl. Die Bank des Alten. Ich bin einmal in einem Thal gegangen, Das fern der Welt, dem Himmel nahe war, Durch das Gelände seiner Wiesen klangen Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr. Ich schritt durch eines Dörfchens stille Gassen. Kein Laut. Vor einer Hütte saß allein Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen, Und schaute feiernd auf den Firneschein. Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne, Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun, Den Müden seh' ich wieder auf die Firne, Die nahen, selig klaren Firne schaun. S'ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden Aus dieser Sonne Licht, von Jahren schwer; Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden Und seine Bank steht vor der Hütte leer. Noch pulst mein Leben feurig. Wie den Andern kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät; Dann will ich langsam in die Berge wandern Und suchen wo die Bank des Alten steht. C. F. Meyer , Gedichte. 6 Die alte Brücke. Dein Bogen, grauer Zeit entstammt, Steht manch Jahrhundert außer Amt; Ein neuer Bau ragt über dir: Dort fahren sie! Du feierst hier. Die Straße, die getragen du, Deckt Wuchs und rothe Blüthe zu! Ein Nebel netzt und tränkt dein Moos, Er steigt aus dumpfem Reußgetos: Mit einem luftgewobnen Kleid Umschleiert dich Vergangenheit Und statt des Lebens geht der Traum Auf deines Pfades engem Raum. Das Carmen, das der Schüler sang, Träumt noch im Felsenwiederklang, Gewieher und Drommetenhall Träumt und verdröhnt im Wogenschwall. Der Kaiser ritt auf deinem Steg, Du warst nach Rom der arge Weg, Und Parricida, frevelblaß, Ward hier vom Staub der Welle naß! Du brachtest nordwärts manchen Brief, Drin römische Verleumdung schlief — Gemengt mit Söldnern beuteschwer Schlich Pest und schwarzer Tod daher! Vorbei! Vorüber ohne Spur! Du fielest heim an die Natur, Die dich umwildert, dich umgrünt, Vom Tritt des Menschen dich entsühnt! 6* Der Kaiser und das Fräulein. Hoch am Septimer, dem Kaiserpasse, (Denn die Kaiser pflegten nach Italien Ueber dieses Bergesjoch zu reiten) Hielt ich unter steilen Sonnenstrahlen Mittagsrast. Mir gegenüber wand sich Um den Felsen noch ein Stück des alten Saumwegs schwebend über jähem Abgrund. Mittag ist des Berges Geisterstunde. In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf! Banner flattern. Schwert und Bügel klirren. Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln. Sorglich leiten Säumer scheue Rosse. Die gestrenge Kais'rin seh' ich schreiten, Ein versteinert Weib mit harten Zügen. Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken. Sich entfärbend lehnt sie an die Bergwand ... Rasch ein Held — er trägt das Kaiserkrönlein Um die Kappe — fängt in seinen mächt'gen Armen auf das wanke Kind und trägt es An die Brust gedrückt. Das Mädchen schwebte Sicher überm Abgrund und er raubt' ihr Einen flücht'gen Kuß. Da schwand das Blendwerk. Weiter pilgernd räthselt' ich ein Weilchen: War es einer der Ottonen oder War's ein Heinrich oder war's ein Friedrich, Der die wehrlos Schwebende geküßt hat? Der Rheinborn. Ich bin den Rhein hinaufgezogen Durch manches schatt'ge Felsenthor, Entlang die blauen, frischen Wogen Zu seinem hohen Quell empor. Dem hellsten Borne, weit und offen, Darin ein Ruder weinumlaubt Sich spiegle, wie ein heiter Hoffen, Entspring' er leicht, hatt' ich geglaubt. Ich klomm empor auf schroffen Stiegen, Verwognen Pfaden, öd und wild, Und sah mir ihn zu Füßen liegen Als einen erzgegoßnen Schild. Fernab von Heerdgeläut und Matten Lag er in eine Schlucht versenkt, Bedeckt von schweren Riesenschatten, Aus Eis und ew'gem Schnee getränkt — Hier jauchzt kein Senn, hier schallt kein Reigen. In kurzen, dunkeln Wellchen geht Der See. Hier wird die Welt zum Schweigen, Wenn nicht ein Stein in Fall gerät — Ein Sturz! Ein Schlag! Und aus den Tiefen Und aus den Wänden brach es los: Heerwagen rollten! Stimmen riefen Befehle durch ein Schlachtgetos! Die Felswand. Gigantisch, wildzerissen steigt die Felswand. Das Auge schrickt zurück. Dann irrt es unstät Daran herum. Bang sucht es wo es hafte. Dort! Ueber einem Abgrund schwebt ein Brücklein Wie Spinnweb. Höher um die scharfe Kante Sind Stapfen eingehaun, ein Bruchstück Weges! Fast oben ragt ein Thor mit blauer Füllung: Dort klimmt der Weg empor zu Licht und Höhe! Nicht ruht das Aug, bis ihn es aufgefunden: Den ganzen Weg entlang die ganze Felswand. Feindselig blickte sie. Nun blickt sie gastlich, Geeinigt im Zusammenhang des Pfades! Hohe Station. Hoch an der Windung des Passes bewohn' ich ein niedriges Berghaus — Heut ist vorüber die Post, heut bin ich oben allein. Lehnend am Fenster belausch' ich die Stille des dämmernden Abends, Rings kein Laut! Nur der Specht hämmert im harzigen Tann. Leicht aus dem Wald in den Wald hüpft über die Matte das Eichhorn, Spielend auf offenem Plan; denn es ist Herr im Bezirk. Jammer! Was hör' ich? Ein schrilles Gesurre: „Gemordet ist Garfield!“ „Bismarck zürnt im Gezelt!“ „Väterlich segnet der Papst!“ Schwirrt in der Luft ein Gerücht? Was gewahr' ich? Ein schwärzliches Glöcklein! Unter dem Fenstergesims bebt der electrische Draht, Der, wie die Schläge des Pulses beseelend den Körper der Menschheit, Durch das entlegenste Thal trägt die Geberde der Zeit. Viston. Als ich jüngst vom Pfad verirrt war, Wo kein Jäger und kein Hirt war, Führt' ein Licht aus dunkelm Tann Mich an eines Hüttleins Schwelle, Drin bei matter Ampelhelle Eine greise Parze spann. Draußen schlug der Wind die Schwingen, Und die Bergesströme singen Hört' ich ihren dunkeln Sang ... Und ich sah den Faden schweben, Und der Faden schien ein Leben — Meines? dacht' ich zauberbang. Wage, Mensch, die höchsten Flüge, Deiner Parze starre Züge Sehen längst das nahe Ziel! Tummle dich, ein kühner Ringer: Ihre hagern, harten Finger Enden bald das edle Spiel ... Eine Thräne seh' ich schimmern? An der Wand mit Silberflimmern Hangt ein dürrer Todtenkranz ... Irgend einen alten Jammer In der Alpenhütte Kammer Spinnt ein Weib im Ampelglanz. Der Hengert. Vater Lucas sprach beim Frühstück: „Heute, Herr, ist hier ein Hengert!“ Und ich fragte: „Was ist Hengert?“ Mich belehrte Vater Lucas: „Hengert, Herr, bedeutet Reigen, Ball und Sprung und Fußgezappel In der Sprache der Grisonen Und Ihr möchtet böse schlummern, Sucht Ihr heut nicht still're Ruhstatt!“ „Vater Lucas, keine Sorge! Hab' ich erst mich müd' gewandert, Schlief' ich auch in einem Meersturm!“ Freudig nahm ich meinen Bergstock, Stieg hinan die saft'gen Weiden, Wo sich tummeln braune Fohlen, Durch bewegliches Gerölle Klomm ich auf zum sel'gen Gipfel, Den mit leichtem Kuß berühren Heimatlose Wanderwolken. Müde kehrt' ich heim ins Berghaus Um die Zeit der ersten Lichter. Vor der Pforte stand ein Häuflein, In der Mitte Musikanten, Rechts die Bursche, links die Mädchen, Doch kein Scherzwort flog herüber Und hinüber flog kein Trutzwort. Lässig mit gekreuzten Armen Standen sie geschieden, feindlich Sich mit dunkeln Blicken messend. Und ich stieg in meine Kammer, Legte mich getrost zur Ruhe. Bald erklang Musik piano, Allgemach begann der Hengert, Sachte schritt er, schläfrig schleift' er, Wie Geschlurfe von Pantoffeln. Heimlich spottet' ich der trägen Füße, der bequemen Herzen Im Gebirge der Grisonen Und versank in süßen Schlummer .... Horch! Ein Ton, ein feurig greller, Schlägt empor wie eine Flamme! Jach erhitzen sich die Bleche Und die Geige streicht ein Dämon! Mir zur Rechten, mir zur Linken, Mir zu Häupten, mir zu Füßen, Ungezügelt, ungebändigt, Erderschütternd stampft der Reigen, Immer lauter, wilder, toller Tobt und rast und dröhnt und tritt er, Daß erbeben alle Balken, Tosend sausten durch die Lüfte Berghaus, Hengert, Folterkammer, Wie voreinst die hochgelobte Casa santa durch die Lüfte Fuhr von Istrien nach Loretto, Doch von Engeln sie getragen, Ich von höllischen Gewalten An den Sabbat auf dem Blocksberg .. Also ging es bis zum Morgen, Da die heil'ge Frühe löschte Stern an Stern am ew'gen Leuchter Ueber schwarzen Tannenbergen. Lechzend öffnet' ich das Fenster, Einzuschlürfen Morgenlüfte, Abzukühlen die zertanzte Fieberschwüle Stirn im Winde .... Wagen rollten in die Ferne, Trugen fort die letzten Gäste. Unterm Vordach ein Geflüster — Ein aus tiefster Brust geseufztes, Ein aus tiefster Brust erwiedert Leidenschaftliches Addio .... Bacchus in Bünden. Wo stürzend aus rätischen Klüften der Rhein Um silberne Hüften sich gürtet den Wein, Ziehn paukende Masken mit Cymbelgeläut: „Du Traube von Trimmis, dich wimmeln wir heut!“ Sie treten den Reigen, sie stampfen den Chor, Da dunkelt's und lodern die Fackeln empor: Ein Kranz in den Lüften! Ein wirbelndes Paar! Ein brennender Nacken! Ein purpurnes Haar! Die Fackeln verlöschen. Es hebt sich der Glanz Des schimmernden Monds und vergeistert den Tanz — Ein adliger Jüngling von fremder Gestalt Bemeistert den Reigen mit Herrschergewalt. Er schwebt in der Mitte bekränzt und allein Mit leuchtenden Füßen in himmlischem Schein, Die Schulter umflattert getigertes Fell, Er trägt einen Scepter, der kühne Gesell. Er neigt ihn vor Irma, der träumenden Maid: „In nachtdunkle Haare taugt blitzend Geschmeid!“ Er greift in den Himmel mit mächtiger Hand, Er raubt aus den Sternen ein flimmerndes Band: Schön Irma schwebt hin mit dem Krönlein von Licht, Als fesselte fürder die Erde sie nicht, Er schwingt ihr zu Häupten den Thyrsus umrankt Mit üppigem Laube, von Trauben umschwankt ... Zwölf Schläge verkünden die Mitte der Nacht. Der Reigen ermüdet. Das Fest ist vollbracht! „Herunter die Masken! So will es der Brauch! Du Führer des Reigens, entlarve dich auch! Wir sind unser zwanzig, und voll ist die Zahl! Wer bist du, der frech in die Gilde sich stahl? Ein Gaukler? Ein Zaub'rer? Sprich wie du dich nennst! Sonst fürcht' unsre Messer, bist du kein Gespenst!“ Ein Mönchlein, ein zechend entschlafnes, wird reg: „Wer bist du? Der Satan? Dir weis' ich den Weg!“ Er zeichnet ein Kreuz. „Nun entmumme dich nur! Ich bin der gelehrte Pancrazi von Cur!“ Der Jüngling entlarvt ein von Eppich umlaubt, Ein hohes, ein mildes, ein gnädiges Haupt: „Zu Füßen dem Herrscher, vermessen Gesind! Ich bin Dionysus, des Donnerers Kind!“ Er lächelt dem Mönch in das feiste Gesicht: „Silenos, Silenos, verleugne mich nicht! Mich hat seine Gnaden, der Bischof, gebannt Und ist doch mein treu'ster Bekenner im Land. Weinfröhliche Räter, etrurisch Geschlecht, Ihr habt schon am Reno Ein italienischer Fluß. gehörig gezecht, Doch hüben am Rhein in germanischer Mark Bezecht ihr euch doppelt und dreimal so stark.“ Wundfieber. „Berggeist, ich höre deine Ströme rauschen — Gieb mir Gehör! Wir wollen Rede tauschen! Du von der Firne mondenhellen Hängen, Ich aus der Krankenkammer schwülen Engen! Denn wisse, Geist, ich liege hier gefangen Und lasse den geknickten Flügel hangen. Ich ächz' und stöhne, den gelähmten, wunden, Gebrochnen Arm dicht an den Leib gebunden. Zwei kurzer Wandertage süßes Träumen — Und dich verdroß ein Gast in deinen Räumen. Vom Tische stießest du den freud'gen Zecher, Entrissest mir den eisgewürzten Becher Und rolltest mich hohnlachend durch die Klüfte Hinunter in des Fieberlagers Grüfte. Verräther, schmählich hast du mich betrogen! Hast du mich leise rufend nicht gezogen? Warst du mir lange Jahre nicht gewogen? Und wann in deinem Reich ich mich verirrte, Schritt nicht, wie Zufall, mir voran ein Hirte Und ließ in seine sichern Stapfen treten Bergab mich — ungerufen, ungebeten? Du bist mir gram geworden? Laß dich fragen! Muß ich der führerlosen Fahrt entsagen? Des hohen Irreganges mich entwöhnen?“ Mir gab Bescheid der Geist mit tiefen Tönen Im Flutensturz und in der Laue Dröhnen, Es klang wie Droh'n und wieder klang's wie Höhnen: „Ein junger Wand'rer kam zu mir gefahren Mit hast'gen Schritten und mit weh'nden Haaren. Ein bleiches Bild, so ist er ohne Bangen Auf meinen schmalen Gräten umgegangen, Und über Klüften, schwindelnd abgrundtiefen, Aus welchen jubelnd ihn die Wogen riefen, Ist er gewandelt auf gestürzten Föhren Und schien in meine Wildniß zu gehören, Ein dumpfer Ton in meinen dumpfen Chören — Du warst's! Und gingst an eines Abgrunds Saume, Unkundig der Gefahr, in wachem Traume, Doch mir gefiel der Kühne und der Blinde, Und Sorge trug ich dir als einem Kinde — Jetzt, lieber Herr, bist leidlich du vernünftig, Hast Weib und Hof, bist in der Gilde zünftig, Verlaß dich nicht auf meine Flügel künftig!“ C. F. Meyer , Gedichte. 7 Frag mir nicht nach. Wo weiß die Landquart durch die Tannen schäumt, Irrt' unbekümmert ich um Weg und Zeit, Da stand ein grauer Thurm — wie hingeträumt In ungebrochne Waldeseinsamkeit. Ich sah mich um und frug: „Wie heißt das Schloß?“ Ein bucklig Mütterlein, das Kräuter brach; Da grollte sie, die jedes Wort verdroß: „Fragmirnichtnach.“ Ich schritt hinan; im Hof ein Brünnlein scholl, Durch den verwachsnen Thorweg drang ich ein, Ein dünnes kühles Rieseln überquoll Auf einer Gruft den schwarz bemoosten Stein. Ich beugte mich nach des Verschollnen Spur, Entziffernd, was des Steines Inschrift sprach, Nicht Zahl, nicht Namen — ein Begehren nur: Frag mir nicht nach! Gespenster. Am Horizonte glomm des Abends Feuer; Ich stieg, indeß die Purpurglut verblich, Zum Römerthurm empor und lehnte mich Randüber auf das dunkelnde Gemäuer — Und sah, wie sich am Hange scheu und scheuer Die Beerenleserin vorüberschlich. Das arme Weibchen drückt' und duckte sich, Und schlug ein Kreuz: ihr war es nicht geheuer . . . . Mich flog ein Lächeln an. Im Eppich neben Der Brüstung flüstert's: „Freund, in deinem Leben Ist auch ein Ort, wo die Gespenster schweben! Führt dich Erinn'rung dem zerstörten Ort Vorbei, du huschest noch geschwinder fort, Als das von Graun gepackte Weibchen dort.“ 7* Alte Schrift. Jüngst verlockt' es mich im Abendglimmen, Zum Lombardenthurm emporzuklimmen, Dem verschollnen Herrscher hier im Gaue, Der die Ferne noch beherrscht, die blaue. In den Trümmern bin ich lang geblieben: Wandrernamen standen rings geschrieben Hoch im Raum — der Boden war gewichen, Lettern und Gebilde halb erblichen. Einer dichtet ANNO MD : „Gott hab' ich in der Natur bewundert!“ „Gaudeamus!“ gräbt ein flotter Zecher Um den keck entworfnen Riesenbecher. Dort ein Herz von einem Pfeil durchschnitten: „Hedewig“ steht auf des Bolzes Mitten; Dicht daneben setzt ein Zeitgenosse Gut lateinisch eine derbe Posse — Dann zur Rast in des Castelles Schatten Legten sich die Schüler auf die Matten, Schlürften eines Humpens rothe Wellen Und mir ist: ich trink' mit den Gesellen. Das Gemälde. Trüb brennt der Schenke Kerzenlicht, Der Wirthin junges Angesicht, Ermüdet, schlummertrunken, Nickt auf die Brust gesunken, Denn schon ist Mitternacht vorbei. Am Schiefertische spielen Zwei, Die weißen Würfel schallen, Schlecht ist der Wurf gefallen — Ein junges wildes Augenpaar Droht aus verworrnem Lockenhaar: „Das war mein letztes Silberstück! Doch wenden muß sich jetzt das Glück! Du, Alter, mußt mir borgen! Wir spielen bis zum Morgen!“ Mit grünen Katzenaugen blitzt Der Alte, der im Dunkel sitzt: „Laß dich zu Bette legen, Die Mutter spricht den Segen!“ Des Jungen Faust zerdrückt das Glas Mit einem Fluch — „Kind, weißt du was? „Ein Schlößlein steht auf grünem Plan“ So fängt ein altes Märchen an. Ich meine das im Walde, Hier oben an der Halde. Verschlossen sind die Fenster, Drin hausen nur Gespenster Für den der an Gespenster glaubt — Sobald das Jahr den Wald entlaubt, Macht sich der Herr von hinnen Von diesen luft'gen Zinnen — Schwelgt in der Stadt im Marmorsaal Und spielt bei lust'gem Kerzenstrahl. Kling, kling! Ich hör' es klingen, Wie goldne Füchse springen ... Dein Vater — ward mir recht gesagt? — War Pächter und ist ausgejagt ... Da weißt du droben ein und aus, Du kennst den Hund, du kennst das Haus — Ich borgte mir mein Spielgeld frisch Von dieses reichen Mannes Tisch! Nimm was da liegt, nimm was da steht: Ein Prunkgeschirr, ein Goldgerät, Mir darfst du's gleich verhandeln, Ich kann's in Münze wandeln. Von selber öffnet sich der Schrein, Du müßtest nicht ein Schlosser sein ...“ Der Bursche lauscht mit dumpfem Hirn Dem höllischen Gemunkel, Ein Schatten steht auf seiner Stirn, Ein Schatten tief und dunkel: Und wieder leis und lüstern Beginnt das grimme Flüstern: „Kurt, sieh den Lauf der Welt dir an! Was wohl gelingt, ist wohl gethan! Betrachte dir die Thaten Der großen Diplomaten, Die klugen Herrn verstehn den Pfiff, Ein leiser Schritt, ein sich'rer Griff! Dann spielt man hübsch Verstecken Und läßt sich nicht entdecken — Du blickst so wild als wollt'st du mich Erstechen, Kurt, besinne dich! Wo suchst du deine Schlüssel, Kurt? Du trägst den ganzen Bund am Gurt! ...“ Er stürzt hinaus, empört, bethört, Die Wirthin, die ihn schreiten hört, Lallt halb im Traum, sie weiß nicht wie: „Wie geht's der Mutter? Grüße sie!“ Er taumelt in die Nacht hinaus, Um seine Stirn fliegt ein Gebraus Betrunkener Gedanken Und seine Schritte wanken. Er stürmt empor die Strecke Zum Schloß auf Schneees Decke, Das Gitter übersteigt er leis Und knisternd bricht das Tannenreis, Er schleicht und nach der Leiter langt Er, die am Dach der Scheune hangt, Er steht am Herrenhause schon, Er klettert über den Balkon, Sein Herz, er hört es pochen Und hat die Thür erbrochen. Rasch ist ein Wachslicht angebrannt, Laut kracht es in der Täfelwand, Ihm steigt das Haar, hin starrt er wild Und sieht ein farbenlieblich Bild, Von lichtem Reif umgeben, Sich aus dem Düster heben: Den Schlummer eines Knaben sieht Er, neben dem die Mutter kniet, Die blauen Augen strahlen licht Von einer guten Zuversicht, Nicht kann den Blick er wenden Von diesen fleh'nden Händen ... Da muß mit Thränenbächen Die harte Rinde brechen — Dumpf klirrend fällt der Schlüsselbund. Die Mutter dankt mit frohem Mund. Er flüchtet über den Balkon, Die Leiter trägt er schnell davon, Als wandelt' er auf Gluten — Und wendet sich zum Guten. Die Rehe. Fern von dem fürstlichen keuschen Gemahl Jubelt ein blühender Jüngling im Saal: „Hebet die Becher und ruft daß es schallt: Freiheit, sie lebe! Die Freiheit im Wald!“ All die Genossen der weidlichen Lust Bringen das Hoch aus erglühender Brust: „Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt! Freiheit, sie lebe! Die Freiheit im Wald!“ Schmetternde Hörner! Dann flüstern sie sacht, Scherzen und locken die Elfen der Nacht Aus ihren Waldesverstecken hervor — Aengstliche Schläge bestürmen das Thor. „Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!“ Lärmt im erleuchteten Hof das Gesind. „Fürstlich bewirthen mit Kuchen dich wir! Drinnen was suchst du? Bescheide dich hier!“ Rasch in den Saal, in den fürstlichen, tritt Eine Gescheuchte mit hastigem Schritt, Ueber den Busen, vom Laufe bewegt, Kreuzweis die flehenden Arme gelegt — Blätter am Röcklein, herbströthlich und falb! Krausdunkle Haare, noch flattern sie halb, Süßbraune Augen und schmerzlich dabei, Blutende Füße — nicht die einer Fei! „Sage, wer bist du, krauslockiges Haupt, Schimmernd von purpurnen Blättern umlaubt?“ — „Rehe, die Rehe, so heiß' ich im Land Von meinem braunen Gelock und Gewand“ — „Mein ist die Rehe! Des Herrn ist die Jagd!“ Jubelt der Jüngling, es sträubt sich die Magd ... Halali! hetzt es und tobt es und hallt. Ringend entwindet sie sich der Gewalt. Lodernde Augen, wie Blitze der Nacht — Doch sie besinnt sich. Dann redet sie sacht: „Rehe, die Rehe, so heiß' ich im Land, Wilpert, der Schütz, ist der Vater genannt — Auf eine Jagd, die dem Herrn nur gebührt, Hat ihn ein ätzendes Rudel verführt. Siehe, da kniet er, da zielt er und knallt — Heut hat der Vater gefrevelt im Wald! Doch deine Förster ergriffen ihn, weh, Ihn und das sündlich erbeutete Reh. Ich, von der Angst und dem Jammer gejagt, Lief in den Wald, eine hilflose Magd. Da schier das Herz mir im Busen zersprang, Sah ich die Kerzen und hörte den Klang — Glaubte die gütige Herzogin hier Und nun erzittr' ich und steh' ich vor dir. Gieb mir den Vater und gieb mir ihn bald, Daß ich getröstet verlasse den Wald. Gnade!“ Der Herzog gesteht sich verwirrt, Daß man sich leichtlich im Walde verirrt. Und er bekennt, vom Gewissen gerührt, Daß eine Rehe vom Wege verführt. Murmelnd verlangt er ein Blatt, einen Stift, Schreibt eine Zeile mit schwankender Schrift: „Wilpert, dem Schützen, gewähr' ich Pardon!“ Und sie bedankt sich und fort ist sie schon. Er tritt ans Fenster und öffnet es sacht: Leuchtende Sterne der ruhigen Nacht! Dort eine flüchtige dunkle Gestalt Und eine Rehe verschwindet im Wald. Die Zwingburg. Gebrochen ist der alte Twing, Ringsum ergrünt sein Mauerring, Der Eppich schwankt im Fenster, Versunken in der Erde Schooß Tief unter das besonnte Moos Sind Ritter und Gespenster. Wo durch das tiefgewölbte Thor Die zorn'ge Fehde schritt hervor Und ließ die Hörner schmettern, Da hat sich, duftig eingeengt, Ein Zicklein ans Gesträuch gehängt Und nascht von jungen Blättern. Wo wild verträumt Frau Minne stund, Zerrann auf blauem Himmelsgrund Der kecke Bau des Erkers. Wo tief der stumme Haß gegrollt, Liegt weich, ins hohe Gras gerollt, Ein feuchter Stein des Kerkers. Und wo den Teich vom Hügelhang Herab die trotz'ge Feste zwang Ein finster Bild zu spiegeln, Da rudert, von der Flut benetzt, Der Burg zerstörtes Wappen jetzt: Ein Schwan mit Silberflügeln. IV. Reise . „Tag, schein' herein und, Leben, flieh hinaus!“ Shakespeare . Tag, schein' herein! Die Kammer steht dir offen! Holdsel'ger Lenzesmorgen, schein' herein! Schon glitzert, von der Sonne Strahl getroffen, Das Tintenfaß, der eichne Bücherschrein. Vogt Winter muß dem Lenze Rechnung geben, Dem schönen Erben über Hof und Haus — Auch mir zu gut geschrieben ist ein Leben — Tag, schein' herein und, Leben, flieh hinaus! Ich war von einem schweren Bann gebunden. Ich lebte nicht. Ich lag im Traum erstarrt. Von vielen tausend unverbrauchten Stunden Schwillt ungestüm mir nun die Gegenwart. Aus dunkelm Grunde grüne Saat zu wecken Bedarf es Sonnenstrahles nur und Thaus, Ich fühle wie sich tausend Keime strecken. Tag, schein' herein und, Leben, flieh hinaus! Ein Segel zieht auf wunderkühlen Pfaden, In Flutendunkel spiegelt sich der Tag. Was hat die Barke dort für mich geladen? Vielleicht ist's etwas das mich freuen mag! Entgegen ihr! Was wird die Barke bringen Durch blauer Wellen freudiges Gebraus? Entgegen ihr! Mit weitgestreckten Schwingen! Tag, schein' herein und, Leben, flieh hinaus! La Röse. Als der Bernina Felsenthor Durchdonnerte der Wagen Und wir im Süden sahn empor Die Muschelberge ragen, Blies schmetternd auf dem Rößlein vorn Der in der Lederhose. „Wen grüßest du mit deinem Horn?“ „Die Rose, Herr, die Rose!“ Mit flachem Dach ein Säulenhaus, Das erste welsche Bildniß, Schaut Röse weinumwunden aus Verworr'ner Gartenwildniß — Es ist, als ob des Baches Flut Melod'scher schon ertose, Hell brennt in Abendsonnenglut Die Rose, ja, die Rose. Nun, Herz, beginnt die Wonnezeit Auf Wegen und auf Stegen, Mir strömt ein Hauch von Ueppigkeit Und ew'gem Lenz entgegen — Mir gaukelt um die helle Stirn Ein Falter mit Gekose — Den Wein bringt eine junge Dirn, Die Rose, ja, die Rose. Noch einmal darf in südlich Land Ich Nordgeborner wallen, Vertauschen meine Felsenwand Mit weißen Marmorhallen. Gegrüßt, Italien, Licht und Lust! Ich preise meine Loose! Du bist an unsrer Erde Brust Die Rose, ja die Rose! C. F. Meyer , Gedichte. 8 Die Schlacht der Bäume. Hier am Sarazenenthurme, Der die Straße hielt geschlossen, Ist in manchem wilden Sturme Deutsch und welsches Blut geflossen. Nun sich in des Thales Räumen Länger nicht die Völker morden, Ringen noch mit ihren Bäumen Hier der Süden und der Norden. Arvbaum ist der deutschen Bande Bannerherr, der düster kühne, Ueppig Volk der Sonnenlande, Rebe führt's, die sonnig grüne. Ohne Schild- und Schwertgeklirre, Ohne der Drommete Schmettern Kämpfen in der Felsenirre Hier die Nadeln mit den Blättern. Der Triumphbogen. Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Aehrenfeld, Daraus ein wetterschwarzer Mauerbogen steigt. In seinem kurzen Schatten schläft das Schnittervolk. Allein emporgerichtet sitzt die schönste Maid, Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens! Ein strenggeschnittnes, musenhaftes Angesicht, Am halbzerstörten Sims des Bogens hangt der Blick, Als müht' er zu enträthseln dort die Inschrift sich. (Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebsten träumt.) Sie hebt die erste sich, erweckt die Schnitterschaar, Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag, Und schreitet herrlich durch das golden wogende Korn, Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild. S'ist Klio, die das Alterthum enträthselnde, Vergilbten Pergaments und der Archive müd, Gelockt vom Rauschen einer überreifen Saat, Wird sie zur starken Schnitterin. Die Sichel klingt. 8* Auf dem Canal grande. Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande, An Giorgione lehnt die Blonde mit dem rothen Sammtgewande. „Giorgio, deiner Laute Saiten hör' ich leise, leise klingen“ — „Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlst du mir zu singen?“ „Nichts von schönen Augen, Giorgio! Solches Thema sollst du lassen! Singe, wie dem Meer entstiegen diese wunderbaren Gassen! Fessle kränzend keine Locken, die sich ringeln los und ledig! Giorgio, singe mir von meinem unvergleichlichen Venedig!“ „Meine süße Muse will es! Es geschieht!“ Er präludierte. „Weiland, eh' des heil'gen Marcus Flagge dieses Meer regierte, Drüben dort, wo duftverschleiert Istriens schöne Berge blauen, Sank vor ungezählten Jahren eine Dämm'rung voller Grauen. Durch das Dunkel huschen Larven, angstgeschreckte Hunde winseln, Schreie gellen, Stimmen warnen: „Löst die Böte! Nach den Inseln!“ In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern modert — Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert! Von der Stätte, wo die stillen, ungezähmten Flammen wogen, Kommt ein dumpfes Menschenbrausen nach dem freien Strand gezogen: Attila, die Gottesgeißel, jagt auf blutbesprengten Pfaden Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen schwer beladen. Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die Gescheuchten, Das die purpurroth gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten, Wittwen, Waisen schreiten jammernd, schweigend stürzen wunde Männer, Mitten im Gewühle bäumen Wagen sich und scheue Renner. Kniee wanken, Füße gleiten, Kästchen brechen, draus die hellen Goldnen Reife rollend springen und die weißen Perlen quellen. Nackte Küstenkinder starren gierig auf das rings zerstreute Gold, und doch betastet's keines, — Etzel's ist die ganze Beute! Schiffer rüsten dunkle Nachen, drüber Wogen schäumend schlagen, Durch die weiße Brandung werden bleiche Fraun an Bord getragen — Mit der Rechten an die phryg'sche Mütze langt der Meerplebejer, Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer. Schon entflieht ein Schiff mit weh'nden Segeln, flatternden Gewanden, Drin sich weitgetrennte Loose sonder Wahl zusammenfanden, Unbekannte Hände drücken sich in angstbeklommnem Traume, Aquileja's Ueberbleibsel schmiegen sich in engem Raume. Letzte Scheideblicke wendend, sehn sie noch den Himmel bluten, Aber tiefer stets und ferner brennen die gesunknen Gluten. Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die Ruder Beugt sich Unglück neben Unglück, Bruder seufzend neben Bruder. Eine Fürstin küsst ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes, Eine Sclavin wärmt ein fürstlich Kind im Schooß des Wollen¬ hemdes — Unter ihnen Eine Tiefe, über ihnen Eine Wolke — Liebe thaut vom Himmel, Liebe wächst in diesem neuen Volke. Ueber eines Mantels Flattern, sturmverwehten greisen Haaren Will das Schweben einer Glorie einen Heil'gen offenbaren, Dieses ist der heil'ge Marcus, rüstig rudernd wie ein Andrer — Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der sel'ge Wandrer. Neben ihm der Jugendschlanke schlägt die Wellen, daß sie schallen, Wirren Locken sind die Kränze schwelgerischer Lust entfallen. Der Bacchant wird zum Aeneas. Niederbrannte Troja's Feuer. Mit den rudernden Genossen sucht er edles Abenteuer. Mälig lichtet sich der Osten. In der ersten Helle schauen Kecke Männer tief ins Antlitz morgenstiller schöner Frauen — Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring umwinden, Bald an einem tapfern Herzen wirst du deine Heimat finden! Scharfgezeichnet neigt sich eines Helden narb'ge Stirne denkend, In das göttliche Geheimniß ew'gen Werdens sich versenkend; Rings in Stücke sprang zerschmettert Roma's rost'ge Riesenkette, Neue Weltgeschicke gönnen junger Freiheit eine Stätte .... Wie geworfen aus dem Himmel heiter spielend von Auroren, Schwimmt ein lichter Kranz von Inseln in die blaue Flut ver¬ loren — Jubelnd grüßen den beschwingten, den beseelten Ruderschlägen Fischer bis zum Gurt umbrandet, netzezieh'nde, schon entgegen. „Fleh'nde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Verderben! Unsre Seelen sind entronnen einem ungeheuern Sterben!“ „Freuet euch! Ihr lebt und athmet! Hier ist euch Asyl gegeben! Friede sei mit euren Todten! Freude denen, die da leben! ...“ Schwert und Ruder tragend wallen ernste Genien vor den Böten; Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen Röten — Ueber das Gestein der Inseln geht ein Hauch von Lust und Wonne, Ahnungsvollem Meer entsteigend, prangt Venedigs erste Sonne. Blonde Julia, Deiner Heimath Ursprung hab' ich dir verkündet, Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet — Deiner Augen strahlend blauer Himmel würde bleichen ohne Liebesfeuer und verstummen, wie die Laute des Giorgione.“ Venedig. Venedig, einen Winter lebt' ich dort — Paläste, Brücken, der Lagune Duft! Doch hier im harten Licht der Gegenwart Verdämmert mälig mir die Märchenwelt. Vielleicht vergaß ich einen Tizian. Ein Frevel! Jenen doch vergaß ich nicht, Wo über einem Sturm von Armen sich Die Jungfrau feurig in die Himmel hebt, So wenig als den andern Tizian — Doch kein gemalter war's — die Wirklichkeit: Am Quai, dem nächt'gen, der Slavonen war's. Im Dunkel stand ich. Fenster schimmerten. Zwei dürft'ge Frauen kamen hergerannt. Hart an die Scheibe preßt' das junge Weib Die bleiche Stirn. Was drinnen sie erblickt, Das sie erstarren machte, weiß ich nicht. (Vielleicht den Herzgeliebten, welcher sie An eines andern Weibes Brust verrieth.) Ich aber sah den feinsten Mädchenkopf Vom Tod entfärbt! Ein Antlitz voller Tod! Die Mutter führte weg die Schwankende ... Die beiden Tiziane blieben mir Stets gegenwärtig; löschen sie, so lischt Die Göttin vor dem armen Menschenkind. Die Narde. (Nach einem venezianischen Bilde.) Die brave Marthe that, was sie vermocht', Sie rupfte, spickte, briet und sott und kocht', Sie schob dem Herrn die braunsten Kuchen zu, Und: „Diesen“, sagt' sie, „Herr, versuche Du!“ Maria nahte, die den schlanken Krug, Gefüllt mit einer seltnen Narde, trug. Sie neigt' das Knie, den Krug. Die Narde floß. Sie neigt' das Herz, das strömend sich ergoß. In der beseelten Hand Mariens ruht' Der edle Fuß. Drauf quoll der Narde Flut. Ihn abzutrocknen löste sie des Haars Geschlungenen Knoten. Blond und seiden war's. Ein spitz Geflüster regte sich am Tisch, Wie der getretnen Viper scharf Gezisch: „Das duftet! Tausend oder mehr Denar Verduften mit! Ich wollt' wir hätten's baar! Bei Levi legten wir's auf Zins geschwind Und draus erzögen wir ein Waisenkind —“ „Still,“ sagt' der Göttliche, „laß unentweiht, Judas! Wer liebt, verschwendet allezeit.“ Nach einem Niederländer. Der Meister malt ein kleines zartes Bild, Zurückgelehnt, beschaut er's liebevoll. Es pocht. „Herein.“ Ein vlämischer Junker ist's Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn, Der vor Gesundheit fast die Wange birst. Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid. „Wir haben's eilig, lieber Meister. Wißt, Ein wackrer Schelm stiehlt mir das Töchterlein. Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!“ „Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!“ Sie treten lustig vor die Staffelei: Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt Ein feiner Mädchenkopf. Der Meister setzt Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. — „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein Kind. Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst.“ Ja. (Nach einer alten Skizze.) Als der Herr mit mächt'ger Schwinge Durch die neue Schöpfung fuhr, Folgten in gedrängtem Ringe Geister seiner Flammenspur. Seine schönsten Engel wallten Ihm zu Häupten selig leis, Riesenhafte Nachtgestalten Schlossen unterhalb den Kreis. „Eh' ich euern Reigen löse,“ Sprach der Allgewalt'ge nun, Schwöret, Gute, schwöret, Böse, Meinen Willen nur zu thun!“ Freudig jubelten die Lichten: „Dir zu dienen, sind wir da!“ Die zerstören, die vernichten, Die Dämonen knirschten: „Ja.“ Die Cartäuser. Ich sehe sie auf Sacchi's süßem Bilde Beschreiten ihrer todten Brüder Grüfte, Gegürtet mit dem Knotenstrick die Hüfte, In weißen Kleidern, festlich, göttlich milde — Manch einer schleppte sich mit Schwert und Schilde, Gepanzert saust' zu Roß er durch die Lüfte, Bevor er suchte die verlornen Klüfte Und weltentsagend trat in diese Gilde. Sie alle wollen hier in öder Wildniß Vergessen ein verführerisches Bildniß, Sie alle wollen hier ein Stündlein büßen, Um mit den Reinen rein sich zu begrüßen, Sie alle wollen hier ein Stündlein beten, Bevor sie vor den strengen Richter treten. Der römische Brunnen. Aufsteigt der Strahl und fallend gießt Er voll der Marmorschaale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schaale Grund; Die zweite giebt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und giebt zugleich Und strömt und ruht. Tarpeja. Am Brunnen überfluthet im Dämmerlicht Der volle Krug und die Mägde merken's nicht, Denn Nina plaudert: „Freundinnen, wisst ihr wohl, Daß Eine sitzt im Gestein am Capitol? Mein Schatz, der Beppo, hat sie unlängst gesehn Vor ihrem runden Silberspiegel stehn, Die sich zu Haupt das güldene Krönlein hub — Mein Schatz, der Beppo, da er nach Münzen grub. Er schlüpfte durch einen schmalen Felsengang, Er tappte sich einen finstern Pfad entlang — Sie glomm in Höllenlicht! Er rief: „Wie schön!“ Die Treppe brach mit donnerndem Getön. Sie war des römischen Castellanes Kind Und sie verrieth die Burg und das Burggesind! Mit Fingerdeut bedang sich die schlaue Maid Des Feindes Helmgekrön und Schildgeschmeid! Die Krönlein all und die Stein' und die goldnen Ring' Beäugelt' sie, die in Feindes Lager ging! Sie öffnet' ihm ein Thor mit sünd'gem Mut Und sah des Vaters Haupt, es schwamm in Blut. Doch da am Feinde sie die Löhnung sucht', Ward sie mit Hohn erdrückt und mit Schildeswucht, Sie stürzte, von ihrem eigenen Hort entseelt, Erstickt vom Lohne den sie selbst gewählt. Dann grub die Zeit sie tief und tiefer ein, Sie sank hinunter, hinab ins Felsgestein, Hinab, hinunter viel hundert Klafter tief Mit ihrem gleißenden Hort, darin sie schlief. Da sitzt die arme Seele nun in Pein Und putzt, die eitle, sich mutterseelallein — Tarpeja, gieb heraus der Kettlein drei! Wir tragen's den Knaben zu Lust in Lüften frei! Tarpeja, gleite durch den Felsenspalt Drei Kettlein und drei goldene Ringlein bald! Tarpeja lieb! Wir sind zufrieden, giebst Du nur, was du verächtlich bei Seite schiebst. Der Beppo sagt: weil du begingst Verrat, Bist du verdammt für deine Missethat! Behüt' mich Gott! In Ewigkeit verdammt! Weil dir nach rothem Gold das Herz geflammt. Man hört es oft — so sagt er — wie du lachst Wann du dich schön vor deinem Spiegel machst! Man hört es oft — so sagt er — wie du weinst, Weil nicht du kommst in den schönen Himmel einst! Tarpeja lieb, entsage der bösen Lust! Tarpeja, gieb die Kettlein um Hals und Brust! Wir beten, Arge, für dich den Rosenkranz, Du steigst empor, empor in den Himmelsglanz!“ Die gegeißelte Psyche. Wo von alter Schönheit Trümmern Marmorhell die Säle schimmern, Windet blaß und lieblich eine Psyche sich im Marmelsteine. Unsichtbarem Geißelhiebe Beugt sie sich in Qual und Liebe, Auf den zarten Knieen liegend, Enge sich zusammenschmiegend. Flehend halb und halb geduldig Trägt sie Schmach und weiß sich schuldig, Ihre Schmerzensblicke fragen: Liebst du mich? und kannst mich schlagen? Soll dich der Olymp begrüßen, Arme Psyche, mußt du büßen! Eros, der dich sucht und peinigt, Will dich selig und gereinigt. Der todte Achill. Im Vatican vor dem vergilbten Marmorsarg, Dem ringsum bildgeschmückten, träumt' ich heute lang, Betrachtend seines feinen Zierats üpp'gen Kranz: Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht, Den Renner, dem die Knie' erschlafften, welchem schwer Die Lider sanken — von Delphinen rings umtanzt — Im Muschelwagen durch des Meers erregte Fluth. Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete, Bärt'ge Gesellen, schilfbekränztes, stumpfes Volk, Geberden sich als Pferdelenker. Es bedarf Der muth'gen Rosse Paar, das, Haupt an kühnem Haupt, Die weite Fluth durchrudert mit dem Schlag des Hufs, Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hat Sich schäkernd ein leichtsinniges Gesind getheilt: Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und zieht's Und lacht und haut und sticht und wundet Licht und Luft. Ein schlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm, In schwach geballter Faust den unbesiegten Speer, Der auf und nieder, wie der Wage Balken, schwankt. Die dritte schiebt der blanken Schulter feinen Bug Dem Erzschild unter, ganz als zöge sie zu Feld, Dann deckt damit den sanften Busen gaukelnd sie, Als schirmt' das Eisen eines Kriegers tapf're Brust. Die vierte — Held, du zürntest, schlummertest du nicht! — Setzt jubelnd sich den Helm, den wildumflatterten, Auf das gedankenlose Haupt und nickt damit. Scherzt, Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter! C. F. Meyer , Gedichte. 9 (Denn mit der Mutter, die dein schlummerschweres Haupt Im Schooß gebettet hält, der dir das Leben gab, Der schmerzversunknen Mutter, plaudert es sich nicht.) Pelide, sprich! Was ist der Tod? Wohin die Fahrt? Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf? Zu deines Grabes Schmuck und düstern Ehren nur? Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte That, Verglimmend, wie der Abend eines heißen Schlachtentags? Die Morgensonnen eines neuen Kampfgefilds? Bedarfst du deines Schwertes noch, du Schlummernder? Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer. Den Odem neiden einem kleinen Ackerknecht Sieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährst Du einer Geisterinsel bleichem Frieden zu Und trägst den Myrtenkranz, beseligt und gestillt, Mit den Geweihten! Doch auch solches ziemt dir nicht! Was einzig dir geziemt, ist Kampf und Kampfespreis — Pelide! ein Erwachen schwebt vor deinem Boot Und schimmert unter deinem mächt'gen Augenlid! Du lebst, Achill? Gieb Antwort! Wohin wanderst du? Er schweigt! Er schweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläst Sein Muschelhorn, daß leis und dumpf der Marmor schallt. Der Musensaal. Jüngst trug ein Traum auf dunkler Schwinge mich Nach Rom der ew'gen Stadt. Den Vatican Betrat ich. Ich betrat den Musensaal Verwundert, denn er war ein andrer heut, Als ich geschaut mit jungen Augen ihn, Da Pio Nono höchster Priester war. Verschwunden aus dem edeln Octogon, Dem kuppelhellen, war der Musaget, Apollo, der die Cither zierlich schlug, Voranzugehn dem Chor tanzmeisterlich. Die Neune saßen oder standen nicht Umher vertheilt in schönen Stellungen — In wilder Gruppe schritten eilig sie, Wie Schnitterinnen, die auf blachem Feld Ein leuchtendes Gewitter überrascht: Voran die blutige Melpomene, Die an den Söhnen rächt der Vater Schuld. Sie trägt das Schwert und auch den Kranz von Wein. „Ein Reich“, so jubelt sie, „zerstör' ich jetzt! Das Feuer knistert unter seinem Thron! 9* Die nordische Barbarin preßt den Fuß, Den plumpen, auf den Nacken eines Weibs, Das schmerzenreicher blickt als Niobe — Sklavin, empor! Zerbrich die Fessel! Wirf Die grinsende Barbarin in den Staub! ...“ So jauchzt die blutige Melpomene — Wer schreitet, schlicht gewandet, neben ihr? Kalliope, die keusch und kindlich blickt, Die den erblindeten Homer geführt, Die tapfre Helden liebt und Schildgetos Und Rossgestampf und dann abseits der Schlacht In jugendzartem Busen Loose wägt — Mit beiden Armen in die Ferne grüßt Sie jetzt: „Behelmte! Blonde Herzogin! Ins rauhe Heerhorn stößest du mit Macht! Erzklirrend springen dir die Söhne auf! Die Völker richtest und beherrschest du, Gerechte Herrin, beilgewalt'ge Frau!“ Weithallend redet jetzt ein mächtig Paar, Terpsichore und Polyhymnia: „Der Tag ist fern und er erfüllt sich doch: Die Völker schreiten einen Reigen einst, Sich an den Händen haltend, frei gesellt, Vieltausendstimmig dröhnt der Chorgesang!“ — „Dann weicht das Leid! Nicht alles, aber doch Das meiste Leid!“ Euterpe flötet es, Das liebliche Geschöpf, die Schmeichlerin! — „Dann füllt“, Erato lacht's mit blüh'ndem Mund, Die schöne Schelmin, die das Liebeslied, Das Zechlied für allein unsterblich hält, „Dann füllt ein Jeder seine Schaale sich Mit duft'gem Wein und schlürft und Keiner darbt“ — „Thörinnen!“ gellt ein scharfgeschnittner Mund, „Verspotte sie, mein Aristophanes! ... Doch eure Kampfgesellin bin ich auch! Ich morde lachend, was nicht sterben kann! Im Angesicht den hippokrat'schen Zug Zeig' ich der selbstgefäll'gen Gegenwart Mit meinem Spiegel, der getreu verzerrt, Die Prahlerei der Zeit zerreißt mein Hohn In trunkner Lust, wie die Bacchante jach Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt. Mordlust'ger bin ich noch und tragischer Als du, mein Schwesterchen Melpomene, Denn du erhellest unter Zähren dich, Doch mein Gelächter, Thränen schluchzen drin!“ Thalia rief's und unterm Epheukranz Verlarvte mit der Satyrmaske sie Die wehmuthvoll ergriffnen Züge sich Und hob mit nerv'gem Arm das Tympanum. Die letzte wandelt noch Urania, Die Gläubige mit dem gehobnen Blick (Die andern heißen sie die Schwärmerin), Doch trennt sie sich von den Geschwistern nicht. Sie sieht den Sturm der Erdendinge ruhn In friedevollen Händen immerdar — Aufflattert das Gewand! Die Locken wehn! Ein Sturm erbraust! Die Säule birst entzwei! Die Kuppel bricht! In leuchtend tiefem Blau Entfesselt schwebt der Musenchor einher. Alte Schweizer. Bei der Thronbesteigung Leo's XIII . brach im Vatican eine kleine Palastrevolte aus, weil der sparsame Papst den Schweizern das übliche Donativ zurückhielt. Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang Den von Raphael's Fresken verherrlichten Gang In der puffigen alten geschichtlichen Tracht, Als riefe das Horn sie zur Murtener Schlacht: „Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort, So kann es nicht gehn und so geht es nicht fort! Du sparst an den Kohlen, Du knickerst am Licht — An Deinen Helvetiern knausre Du nicht! Wann den Himmel ein Heiliger Vater gewann, Ergiebt es elf Thaler für jeglichen Mann! So galt's und so gilt's von Geschlecht zu Geschlecht, Wir pochen auf unser historisches Recht! Herr Heiliger Vater, Du weißt wer wir sind! Bescheidene Leute von Ahne zu Kind! Doch werden wir an den Moneten gekürzt, Wir kommen wie brüllende Löwen gestürzt! Herr Heiliger Vater, die Thaler heraus! Sonst räumen wir Kisten und Kasten im Haus — Potz Donner und Hagel und höllischer Pfuhl! Wir versteigern Dir den apostolischen Stuhl!“ Der Heilige Vater bekreuzt sich entsetzt Und zaudert und langt in die Tasche zuletzt — Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu: „Herr Heiliger Vater, jetzt segne uns Du!“ Abschied von Corsica. Oelbaumsilber, Myrte, Lorbeer, Pinie, Bald im Schnee der Heimath denk' ich euer — Sanfte Buchten, blaue Meereslinie, Auf dem Abend dunkelnd Burggemäuer! Aus der Schlucht erstrahlend Hirtenfeuer! Lebet, Corsen, wohl, mir lieb geworden! Vor den Kirchen lüpft ihr leicht die Hüte! Gerne knallt ihr und ein bischen Morden Steckt seit alter Zeit euch im Geblüte — Daß die heil'ge Jungfrau euch behüte! Klimmend am Gestein des Insellandes Lebet wohl, ihr hitz'gen, kleinen Pferde! Wallend um die Krümmungen des Strandes, Lebet, Schafe, wohl! Gedrängte Heerde Mit den weichsten Vließen auf der Erde! Lebet wohl, ihr grellen Hirtenflöten, Um die Gunst der jungen Corsin werbend! Lebet wohl, ihr warmen Abendröten, In den weiten Himmeln selig sterbend, Erst die Wolken, dann die Fluten färbend! Märchen, aus dem Tageslicht verschollen, An Ajaccio's nächt'ger Hafenstiege Lebe wohl im dumpfen Wogenrollen! Ehernes Gedröhn der hundert Siege Um des todten Welterob'rers Wiege! Schwer entsagt das Aug der offnen Ferne, Schwer das Ohr dem Meereswellenschlage — Unter kält're Sonnen, blass're Sterne Folget mir, ihr Inselwandertage, Und umklingt mich dort, wie eine Sage ... Napoleon im Kreml. Er nickt mit seinem großen Haupt Am Feuer eines fremden Herds: Im Traum erblickt er einen Geist, Der seines Purpurs Spange löst. Der Dämon schreit mit wilder Gier: „Mich lüstet nach dem rothen Kleid! In ungezählter Menschen Blut Getaucht, verfärbt der Purpur nicht!“ Die Beiden rangen Leib an Leib. „Gieb her!“ „Gieb her!“ Der Dämon fleucht Mit spitzen Flügeln durch die Nacht Und schleift den Purpur hinter sich. Und wo der Purpur flatternd fliegt, Sprühn Funken, lodern Flammen auf! Der Corse fährt aus seinem Traum Und starrt in Moskau's weiten Brand. Die Corsin. Als das Mütterlein erkrankt, Zog es ächzend aus die Schuh, Ist dem Bettlein zugewankt, Bettet' sich zur ew'gen Ruh, Seine Haare, weiß wie Flachs, Seine Füße, gelb wie Wachs — Statt wie Mütterlein zu thun, Sterb' ich stracks in meinen Schuhn! Heute war ich in der Stadt Mit dem letzten Silberling, Schaute, was der Krämer hat, Kramte weder Kreuz noch Ring, Kaufte Mehl von Weizenkorn Und ein volles Pulverhorn — Zu dem Liebsten lauf' ich nun, Sterbe stracks in meinen Schuhn! Ritten just die Blauen Die Gendarmerie. aus, Tranken beim Battista Wein, Luden scharf am Zollerhaus, Sprengten ins Gebirg hinein. Rasch bin links ich abgeschweift. Psss ... Die erste Kugel pfeift — Nächtens bei dem Liebsten ruhn Werd' ich stracks in meinen Schuhn! Der Gesang des Meeres. Wolken, meine Kinder, wandern gehen Wollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiedersehen! Eure wandellustigen Gestalten Kann ich nicht in Mutterbanden halten. Von der Erde seid ihr angezogen: Blaue Gipfel! Küsten weit gebogen! Dort der Stern ist eines Leuchtthurms Feuer! Ziehet, Kinder! Suchet Abenteuer! Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften! Ruhet, sel'ge Geister, über Klüften! Bauet Thürme! Blitzet! Liefert Schlachten! Traget glüh'nden Kampfes Purpurtrachten! Rauscht im Regen! Murmelt in den Quellen! Füllt die Brunnen! Rieselt in die Wellen! Braust in Strömen durch die Lande nieder — Kommet, meine Kinder, kommet wieder! Das Strandkloster. Bollwerk und Mauer trutzen Dem Wellenwurf schon ein Jahrtausend ja, Wir singen, elf Capuzen, Ein kräftig schallend Deo gloria! Die Kutten, stark gewoben, Umhingen uns in braunen Lappen lang, Sie sind gemach verstoben, Die Stäubchen irrten durch den Klostergang. Die Orgel im Empore Spielt unser zwölftes todtes Brüderlein, Hier rieselt uns im Chore Der morsche Kalk sanft ins Geripp herein. Es glitt vor tausend Jahren Dem Strand ein Sarazenensegel nah, Sobald's vorbeigefahren, Anstimmten wir ein kräftig Gloria. Ergötzt von unserm Singen, Nahm der Pirat zu uns zurück den Lauf, Zwölf Köpfe ließ er springen, Das Blut schoß wie aus Brunnenröhren auf. Wir singen ohne Kehlen, Wir sitzen fröhlich ohne Schädel da, Wir singen mit den Seelen Ein kräftig schallend Deo gloria! Der Morgenstrahl, der schiefe, Durchs rechte Fenster äugelt er herein, Vergoldend in der Tiefe Ein lustiglich psallierend Todtenbein. Der Abendstrahl, der schräge, Durchs linke Fenster blinzelt er herein, Und zählt, ob allerwege Wir richtig unser elf Gespenster sei'n. Oft übertäubt das Dröhnen Des Meers die Noten unsrer Litanei, Aus unsern Orgeltönen Erhebt sich oft ein schriller Möwenschrei — Bollwerk und Mauer trutzen Dem Wellenwurf noch tausend Jahre ja, Wir singen, elf Capuzen, Ein kräftig schallend Deo gloria! Nicola Pesce. Ein halbes Jährchen hab' ich nun geschwommen Und noch behagt mir dieses kühle Gleiten, Der Arme lässig Auseinanderbreiten — Die Fastenspeise mag der Seele frommen! Halb schlummernd lieg' ich stundenlang, umglommen Von Wetterleuchten, bis auf allen Seiten Sich Wogen thürmen. Männlich gilt's zu streiten. Ich freue mich. Stets bin ich durchgekommen. Was machte mich zum Fisch? Ein Mißverständniß Mit meinem Weib. Vermehrte Menschenkenntniß. Mein Wanderdrang und meine Farbenlust. Die Furcht verlernt' ich über Todestiefen, Fast bis zum Frieren kühlt' ich mir die Brust — Ich bleib ' ein Fisch und meine Haare triefen! Zwiegespräch. Sonne: Meine Strahlen sind geknickte Speere, Ich versank in blut'ger Heldenehre — Abendröthe: Wie der Ruhm, will ich mit lichten Händen In das nahe Dunkel Grüße spenden. Sonne: Folge deiner Sonne! Längs dem Strande Schleppe nicht die dämmernden Gewande! Abendröthe: Darf ich nicht ans Sterben mich gewöhnen Mit den milden abgestuften Tönen? Sonne: Eile dich! Bevor den jungen Helden Eines neuen Tages Fackeln melden! Abendröthe: Ich bin dein, dir folg' ich unaufhaltsam! Ich bin dein, doch zieh mich nicht gewaltsam ... C. F. Meyer , Gedichte. 10 Möwenflug. Möwen sah um einen Felsen kreisen Ich in unermüdlich gleichen Gleisen, Auf gespannter Schwinge schweben bleibend, Eine schimmernd weiße Bahn beschreibend, Und zugleich in grünem Meeresspiegel Sah ich um die selben Felsenspitzen Eine helle Jagd gestreckter Flügel Unermüdlich durch die Tiefe blitzen. Und der Spiegel hatte solche Klarheit, Daß sich anders nicht die Flügel hoben Tief im Meer, als hoch in Lüften oben, Daß sich völlig glichen Trug und Wahrheit. Allgemach beschlich es mich wie Grauen, Schein und Wesen so verwandt zu schauen, Und ich fragte mich, am Strand verharrend, Ins gespenstische Geflatter starrend: Und du selber? Bist du ächt beflügelt? Oder nur gemalt und abgespiegelt? Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen? Oder hast du Blut in deinen Schwingen? V . Liebe . 10* Alles war ein Spiel. In diesen Liedern suche du Nach keinem ernsten Ziel! Ein wenig Schmerz, ein wenig Lust Und Alles war ein Spiel. Besonders forsche nicht danach, Welch Antlitz mir gefiel, Wohl leuchten Augen viele drin, Doch Alles war ein Spiel. Und ob verstohlen auf ein Blatt Auch eine Thräne fiel, Getrocknet ist die Thräne längst Und Alles war ein Spiel. Zwei Segel. Zwei Segel erhellend Die tiefblaue Bucht! Zwei Segel sich schwellend Zu ruhiger Flucht! Wie eins in den Winden Sich wölbt und bewegt, Wird auch das Empfinden Des andern erregt. Begehrt eins zu hasten, Das andre geht schnell, Verlangt eins zu rasten, Ruht auch sein Gesell. Hesperos. Ueber schwarzem Tannenhange Schimmerst mir zum Abendgange, Eine Liebe fühl' ich neigen Sich in deinem Niedersteigen, Unbemerkt bist du gekommen, Aus der blassen Luft entglommen — So mit ungehörten Tritten Durch die Dämm'rung hergeglitten Kam die Mutter, die mir legte Auf die Schulter die bewegte Hand, daß ich ihr nicht verhehle, Was ich leide, was mich quäle, Und warum ich ohne Klage Mich verzehre, mich zernage. Und ich schwieg und unter Zähren Ließ sie meinen Trotz gewähren. Hat sie Wohnung jetzt, die Milde, Dort in deinem Lichtgefilde? Deiner Strahlen saug' ich jeden, Durch das Dunkel hör' ich reden, (Und mir ist als ob die kühle Hand ich auf der Schulter fühle) Reden nicht von Seligkeiten, Nur Erinn'rung alter Zeiten — Jetzt versteht sie ohne Kunde Wer ich bin im Herzensgrunde, Dies und jenes muß sie schelten, Andres läßt sie heiter gelten, Und sie meint, wie sich's entschieden, Gebe sie sich auch zufrieden ... Abendstern, du eilst geschwinde! Laß sie plaudern mit dem Kinde! Freundlich zitternd gehst du nieder ... Mutter, Mutter, komme wieder ! Das beerdigte Herz. Mich denkt es eines alten Traums. Es war in meiner dumpfen Zeit, Da junge Wildheit in mir gohr. Bekümmert war die Mutter oft. Da kam einmal ein schlimmer Brief. (Was er enthielt errieth ich nie.) Die Mutter fuhr sich mit der Hand Zum Herzen, fast als stürb' es ihr. Die Nacht darauf hatt' ich den Traum: Die Mutter sah verstohlen ich Nach unserm Tannenwinkel gehn, Den Spaten in der zarten Hand, Sie grub ein Grab und legt' ein Herz Hinunter sacht. Sie ebnete Die Erde dann und schlich davon. Ohne Datum. (An meine Schwester.) Du scherzest, daß ein Datum ich vergaß, Und meinst, ich dürfte bei dem Stundenmaß Mit einem Federstriche mich verweilen. Du schreibst: „Datire künftig deine Zeilen!“ Doch war das Zählen meine Sache nie, Nach dem Wievielten such' ich stets vergebens, Auch diese Zeilen, wie datir' ich sie? „Aus allen Augenblicken meines Lebens!“ Kurz ist und eilig eines Menschen Tag, Er drängt, er pulst, er flutet, Schlag um Schlag, Wie eines Herzens ungestümes Klopfen ... Wer teilt die Jagd des Bluts und seiner Tropfen? Es ist ein Sturm, der nie zur Rüste geht, Die Wechselglut des Nehmens und des Gebens, Und meine Haare flattern windverweht In allen Augenblicken meines Lebens. Zu ruhn ist mir versagt, es treibt mich fort, Die Stunde rennt — doch hab' ich einen Hort, Den keine mir entführt, in deiner Treue; Sie ist die alte wie die ewig neue, Sie ist die Rast in dieser Flucht und Flut, Ein fromm Geleite leisen Flügelschwebens, Sie ist der Segen, der beständig ruht Auf allen Augenblicken meines Lebens. Ich hemme die beschwingten Rosse nicht, Ich freue mich, mit jedem neuen Licht Das Feld gestreckten Laufes zu durchmessen — Ein fernes, dunkles Gestern zu vergessen — Ich fliege — hinter mir versinkt die Zeit — Im Morgensonnenstrahl verjüngten Strebens! ... Vorbei! ... Nur du allein weißt noch Bescheid Von allen Augenblicken meines Lebens. Die Ampel. An des Jahres Wende sprach ich: Muse, Keiner Mutter Hand bescheert mich! Gieb mir Du mein Angebinde, Muse! fleht' ich. In die Kammer lauschend von dem Lager, Sah ich bald der Schwestern eine schreiten. Auf mein Tischchen setzt' sie einer Ampel Zarte Form mit schlankgeschweiften Henkeln, Aber die mir keineswegs antik schien. Ich erschrack. Was meinst Du, Muse? Räthst Du Nächtlich auszufeilen meine Verse? Schon entschwebend wandte sie das Antlitz Halb. Ich sah des Musenhauptes edeln Umriß mit den spottend feinen Lippen ... Als ich dann in neuem Jahr erwachte, Keine Ampel! Doch ich fand sie wieder — Und erkannte gleich sie an der zarten Form und an den schlankgeschweiften Henkeln — In des Liebchens Hand, das mir die Treppe Nächtlich hellt mit stillen Ampelstrahlen. Scheidend auf die letzte Stufe setzt' sie Das Geschenk der Muse sacht und küßt' mich. Unruhige Nacht. Heut ward mir bis zum jungen Tag Der Schlummer abgebrochen, Im Herzen ging es Schlag auf Schlag Mit Hämmern und mit Pochen, Als trieb' sich eine Bubenschaar Wild um in beiden Kammern, Gewährt hat, bis es Morgen war, Das Klopfen und das Hammern. Nun weist es sich bei Tagesschein Was drin geschafft die Rangen: Sie haben mir im Herzensschrein Dein Bildniß aufgehangen! Der Kamerad. Mit dem Tode schloß ich Kameradschaft. Ueber einem vollen Humpen saßen Oft wir nächtens und philosophirten. Auch zusammen gingen wir spaziren, Lauschten mit elegischen Gefühlen Nach dem Pilgerruf der Abendglocke. Aber männlich auch an meiner Seite Stand der Kamerad und secundirte, Oder wann ich im Gebirg verirrt war, Hangend über schwindelnd tiefem Abgrund, Sprach er: Blick mir in das Auge ruhig Und ich that es und ich war gerettet — Lange standen wir auf gutem Fuße, Bis mich volles Leben überströmte Glühend warm mit unbekannter Fülle, Und mir schauderte vor meinem Freunde ... Als das Liebchen heute mir am Hals hing, Ueber seine Schulter weg erblickt' ich Meines Kameraden leichten Umriß Auf dem Abendhimmel und er grollte: „Bin ich dir verleidet? Deine feigen Lippen meiden meinen schlichten Namen? Ist das hübsch von einem Kameraden?“ In demselben Augenblick umarmte Liebchen mich und rief: „So möcht' ich sterben! Komme, Tod, und raub' mich, Tod, im Kusse!“ Und der Tod, von schwellend jungen Lippen Heiß und leidenschaftlich angerufen, Hörte seinen Namen mit Vergnügen. Ueber sein geheimnißvolles Antlitz Glitt ein Leuchten und er schied in Minne. Spielzeug. Liebchen fand ich spielend. Einen Kasten Hatte sie entdeckt voll längst vergeßnen Staub'gen Kinderspielzeugs: Mauern, Thore, Rathhaus, Häuser, Häuserchen und Kirche ... Sie erbaut' das Städtchen mit gelenken Händen, stellt' den Kirchthurm in die Mitte. Doch ein Häuschen hatt' sie vorbehalten, Vorbehalten sieben grüne Pappeln Für ein allerliebstes kleines Landgut. Nicht zu nah! Im Städtchen klatscht man sündlich. Nicht zu ferne! Man bedarf der Menschen. „Eben sind wir eingezogen!“ jubelt' Sie und klatscht' in ihre kleinen Hände. In der Wonne des erworbnen Heimes Riß ich Liebchen an mich so gewaltsam, Daß den Arm sie streckte wie ertrinkend ... Was erwischte sie mit schnellen Fingern, Eng an meine Brust gepreßt? Die Kirche, Ja, die Kirche mit dem rothen Dach war's Und sie stellt' sie dicht vor unser Landhaus. Weihgeschenk. Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Shakespeare . Heute deiner zu gedenken, Deren Grab die Nacht bethaut, Nahen wir mit Weihgeschenken Und gedämpftem Klagelaut! Warum war dir's nicht gegeben, Muthig deinen Tag zu leben? Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Braune, schwermuthvolle Augen, Oeffnet euch ein letztes Mal! Laßt aus euren Tiefen saugen Mich noch einen süßen Strahl! O wie hatt' ich euch so gerne, Traute, träumerische Sterne! Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! C. F. Meyer , Gedichte. 11 Wie das Schüttern zarter Saiten, Schlichen sich in jedes Herz Deine stillen Lieblichkeiten, Deiner Züge leiser Schmerz! Feuchte Waldesschatten lagen Ueber dir in Lenzestagen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Wie ein Reh dem Wald entronnen, Das ein üppig Thal entdeckt, Nahtest schüchtern du den Bronnen, Flohst, vom eignen Bild geschreckt! Aengstlich, wo sich Wege theilen, Seh' ich zweifeln dich und weilen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Zeigte jung ein arger Spiegel Dir den Wurm in jeder Frucht? Schwebte nahen Todes Flügel Ueber dir mit Eifersucht? Nie hat dich ein Arm umschlossen, Liebe hast du nie genossen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Willig stiegest du die Stufen Nieder in dein frühes Grab, Wandtest dich, von uns gerufen, Lächelnd um — und stiegst hinab! Mit gelassener Geberde Schiedest du vom Grün der Erde — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! 11* Der Blutstropfen. Zur Zeit der Lese war's im Winzerhaus Des Herdes goldne Flamme prasselte, Die Fensterscheiben überhauchten sich Und draußen scholl das Evoë geisterhaft Aus Nebeldämmer. Becher klangen. Jung Und Alt empfand die bacchische Gewalt. Mit einem zarten Schimmer röteten Selbst ihr die Wangen sich, die unser Gast Und dieser Erde Gast nicht lange war, Ein stilles, scheues, ungezähmtes Kind. Zum Reigen rief Lyaeus. Jene schlich Sich weg. Ins Freie blickte sie hinaus Durchs Fenster. Dann beschrieb sie träumerisch, Die ganz sich unbeachtet Wähnende, Die Scheibe mit dem Finger. Weh! umstellt, Belauert wurde sie von einem Schwarm Und überfallen. Rasch in Trümmer schlug, Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe sie, Sich selbst verwundend. Dieses Tüchlein hier, Das als Reliquie mir im Schreine liegt, Fing, über die verletzte Hand gelegt, Das Quellen eines Tropfen Blutes auf, Der warm ihr eben erst im Herzen rann. Jung schwand sie hin, und kein Lebend'ger weiß, Was dort geschrieben auf der Scheibe stand — Als dieser bleiche Tropfen Bluts vielleicht. Stapfen. In jungen Jahren war's. Ich brachte dich Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast, Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte, Du zogst des Reisekleids Capuze vor Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn. Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich Dem feuchten Waldesboden deutlich ein, Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord, Von deiner Reise sprechend. Eine noch, Die läng're, folge drauf, so sagtest du. Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug Das Angesicht verhüllend, und du schiedst, Dort wo der First sich über Ulmen hebt. Ich ging denselben Pfad gemach zurück, Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit, In deiner wilden Scheu, und wohlgemuth Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn. Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch Dem feuchten Waldesboden eingeprägt, Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste, Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft, Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß! Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem Zurück dieselbe Strecke Wandernden: Aus deinen Stapfen hobst du dich empor Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs Erblickt' ich mit des Busens zartem Bug. Vorüber gingst du, eine Traumgestalt. Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher, Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel. Da überschlich mich eine Traurigkeit: Fast unter meinem Blick verwischten sich Die Spuren deines letzten Gangs mit mir. Wetterleuchten. Im Garten schritt ich durch die Lenzesnacht. Des Jahres erste Blitze loderten. Die jungen Blüten glommen feuerroth Und blichen wieder dann. Ein schönes Spiel, Davor ich stille hielt. Da sah ich dich ! Mit einem Blütenzweige spieltest du, Die jung gebliebne Todte! Durch die Hast Und Flucht der Zeit zurück erkannt' ich dich, Die just des Himmels Feuer überglomm. Erglühend standest du, wie dazumal, Da dich das erste Liebeswort erschreckt, Du Ungebändigte, du Flüchtende! Dann mit den Blüten wieder blichest du. Lethe. Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten Einen Nachen ohne Ruder ziehn, Strom und Himmel stand in matten Gluten Wie bei Tages Nahen oder Fliehn. Saßen Knaben drin mit Lotoskränzen, Mädchen beugten über Bord sich schlank, Kreisend durch die Reihe sah ich glänzen Eine Schale, draus ein Jedes trank. Jetzt erscholl ein Lied voll süßer Wehmuth, Das die Schaar der Kranzgenossen sang — Ich erkannte deines Nackens Demuth, Deine Stimme, die den Chor durchdrang. In die Welle taucht' ich. Bis zum Marke Schaudert' ich, wie seltsam kühl sie war. Ich erreicht' die leise zieh'nde Barke, Drängte mich in die geweihte Schaar. Und die Reihe war an dir, zu trinken Und die volle Schale hobest du, Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken: „Herz, ich trinke dir Vergessen zu.“ Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange Ich die Schale, warf sie in die Flut, Sie versank und siehe, deine Wange Färbte sich mit einem Schein von Blut. Flehend küßt' ich dich in wildem Harme, Die den bleichen Mund mir willig bot, Da zerrannst du lächelnd mir im Arme Und ich wußt' es wieder — du bist todt. Einer Todten. Wie fühl' ich heute deine Macht, Als ob sich deine Wimper schatte Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte Um Mitternacht! Dein Auge sieht Begierig mein entstehend Lied. Dein Wesen neigt sich meinem zu, Du bist's! Doch deine Lippen schweigen, Und liesest du ein Wort, das zart und eigen, Bist's wieder du, Dein Herzensblut, Indeß dein Staub im Grabe ruht. Mir ist, wann mich dein Athem streift, Der ich erstarkt an Kampf und Wunden, Als seist in deinen stillen Grabestunden Auch du gereift An Liebeskraft, An Willen und an Leidenschaft. Die Marmorurne setzten dir Die Deinen — um dich zu vergessen, Sie erbten, bauten, freiten unterdessen, Du lebst in mir! Wozu beweint? Du lebst und fühlst mit mir vereint! Ihr Heim. Lang vorüber ging ich den Gehegen, Drin der Giebel deines Heimes ragt, Dieser Pforte, diesen Schattenwegen! Wer da wohne, hab' ich nicht gefragt. Wer da wohne Hinter einer dunkeln Lindenkrone, Hat das Herz mir nicht vorausgesagt. Pfade liefen durch die feuchte Wiese, Kleine Sohlen sah ich hier und dort Eingezeichnet auf dem weichen Kiese, Aber meines Weges zog ich fort. Ich begehrte Zu verfolgen nicht die flücht'ge Fährte, Zu betreten nicht den stummen Ort. Auch ein Rauschen hört' ich aus der Linde, Die der Hauch der Abendlüfte bog; „Komme, Wandrer“, rief es, „komm und finde!“ Während rascher ich des Weges zog. Ich vertraute Dem Versprechen nicht der Geisterlaute, Deren Wehn mir oft das Herz betrog. Und den Stern der Liebe sah ich eilen Dort zum dunkelscharfen Bergesrand, Auf dem schlanken Giebel blitzend weilen, Wie ein zitternd Feuer, eh' er schwand. Im Entweichen Gab der Freund am Himmel mir ein Zeichen, Wann er über meinem Glücke stand. Längst versunken glaubt' ich's in der Ferne, Das so nahe mir verborgen lag! Wer versteht den stillen Wink der Sterne Vor dem rechten, dem bestimmten Tag? Vor der Stunde, Die ihn zieht zu dem ersehnten Bunde, Den nicht Tod noch Leben trennen mag? Lang vorüber ging ich deiner Liebe Durch den Staub des Lebens unbewußt, Daß zur Wonne mir die Klage bliebe Und ein leiser Schmerz in sel'ger Brust — Schmerz und Klage Ueber ohne dich verdarbte Tage, Die mit deinem Kuß du stillen mußt. Liebesjahr. Hat sich die Kelter gedreht? Tanzt dort mit dem Laub eine Flocke? Zuckte der Blitz im August? Blühten die Kirschen im Mai? Blüthen und Aehren und Trauben erblickt' ich in schwellendem Kranz nur Um das geliebteste Haupt und ich erblicke sie noch. Weihnacht in Ajaccio. Reife Goldorangen fallen sahn wir heute, Myrte blühte, Eidechs glitt entlang der Mauer, die von Sonne glühte. Uns zu Häupten neben einem morschen Laube flog ein Falter — Keine herbe Grenze scheidet Jugend hier und Alter. Eh' das welke Blatt verweht ist, wird die Knospe neu geboren — Eine liebliche Verwirrung, schwebt der Zug der Horen. Sprich, was träumen deine Blicke? Fehlt ein Winter dir, ein bleicher? Theures Weib, du bist um einen lichten Frühling reicher! Liebst du doch die langen Sonnen und die Kraft und Gluth der Farben! Und du sehnst dich nach der Heimath, wo sie längst erstarben? Horch! Durch paradieseswarme Lüfte tönen Weihnachtsglocken! Sprich, was träumen deine Blicke? Von den weißen Flocken? Schneewittchen. Schneewittchen hast im Scherz du dich genannt, Da plaudernd einst zusammen wir gesessen, Der Augen tiefes Blau, die Elfenhand, Des Nackens Blondgekraus, wer kann's vergessen? Noch jüngst — ich schritt ein hohes Thal entlang, Es war gekrönt mit sieben Silberspitzen, Die von dem himmelnahen Felsenhang Herunter auf die grünen Pfade blitzen — „Schneewittchen!“ rief ich laut und unbewußt, „Schneewittchen! hinter deinen sieben Bergen Führst droben pünktlich du mit kühler Brust Den kleinen Haushalt deinen sieben Zwergen?“ Ein spottend Echo nur antwortet' mir, Die Felsstirn rümpfte lachend ihre Falten Und doch, und doch, mir war's, ich hätt' von dir, Schneewittchen! einen lieben Gruß erhalten. Hirtenfeuer. Ließest unter uns dich nieder, Liebe, liebenswerthe Frau, Aber heute ziehst du wieder, Wie die Sterne ziehn im Blau. Siehst den Abendstern du blinken Dort vor seinem Untergang? Einen Augenblick im Sinken Ruht er auf dem Bergeshang. In der flüchtigen Minute, In dem eilenden Moment Ist's als ob er gastlich ruhte, Wie ein Hirtenfeuer brennt. Aber nur die kleinste Weile Bringt er auf der Erde zu, Sieh — er zittert ja vor Eile Und verschwindet, Frau, wie du. C. F. Meyer , Gedichte. 12 Laß scharren deiner Rosse Huf! Geh nicht, die Gott für mich erschuf! Laß scharren deiner Rosse Huf Den Reiseruf! Du willst von meinem Herde fliehn? Und weißt ja nicht, wohin, wohin Dich deine Rosse ziehn! Die Stunde rinnt! Das Leben jagt! Wir haben uns noch nichts gesagt — Bleib bis es tagt! Du darfst aus meinen Armen fliehn? Und weißt ja nicht, wohin, wohin Dich deine Rosse ziehn ... Dämmergang. Du lebst meerüber In blauer Ferne Und du besuchst mich Beim ersten Sterne. Ich mach' im Felde Die Dämmerrunde, Umkreist, umbollen Von meinem Hunde. Es rauscht im Dickicht, Es webt im Düster, Auf meine Wange Haucht warm Geflüster. Das Weggeleite Wird trauter, trauter, Du schmiegst dich näher, Du plauderst lauter. Da giebt's zu schelten, Da giebt's zu fragen, Und hell zu lachen Und leis zu klagen. Was wedelt Barry So glückverloren? Du kraust dem Liebling Die weichen Ohren ... 12* Die todte Liebe. Im Schatten wir, Das Dorf im Sonnenkuß, (Fast wie das Jüngerpaar, Das ging nach Emmaus, Dazwischen leise Redend schritt Der Meister, dem sie folgten Und der den Tod erlitt.) So schreitet zwischen uns Im Dämmerlicht Unsre todte Liebe, Die leise spricht. Sie weiß für das Geheimniß Ein heimlich Wort, Sie kennt der Seelen Allertiefsten Hort. Sie deutet und erläutert Uns jedes Ding, Sie sagt: So ist's gekommen, Daß ich am Holze hing. Ihr habet mich verleugnet Und schlimm verhöhnt, Ich saß im Purpur, Blutig, dorngekrönt, Ich habe Tod erlitten, Den Tod bezwang ich bald, Und geh' in eurer Mitten Als geistige Gestalt — Die Weggesellin Blieb unerkannt, Doch hat uns wie den Jüngern Das Herz gebrannt. VI . Götter . Die Schule des Silen. In der schattendunkeln Laube gab Silen, der weise, Stunde, Der ihm weich ans Knie geschmiegte Bacchus hing an seinem Munde, Lieblich lauschend. Unter seinem krausen Barte lachte freundlich der Ergraute, Da er in das milde Feuer junger Götteraugen schaute, Dann begann er: „Kind, betrachte dieses Antlitz, die gedankenschweren Lider! Kind, in jedem greisen Zecher ehre du die Züge wieder Deines Lehrers. Oft, wo die Veliten wankten, jene prahlerischen Knaben, Sind es die Triarier, Liebling, die das Feld behauptet haben Unerschüttert! Wenn auf Chios mit dem Mädchen theilt den Becher der Ephebe, Laß sie nippen, laß sie kosen — mit der vollsten Schale schwebe Du vorüber. Lenke deine götterleichten Schritte zu Homer dem alten, Netze seine heil'gen Lippen, glätte seiner Stirne Falten, Wunderthäter! Lös ihm jeder Erdenschwere Fessel mit der Hand, der milden, Fülle du des Blinden Auge mit unsterblichen Gebilden, Ewig schönen!“ Pentheus. Sie schreitet in bacchisch bevölkertem Raum Mit wehenden Haaren ein glühender Traum, Von Faunen umhüpft, Um die Hüfte den Gürtel der Natter geknüpft. Melodisch gewiegt und von Eppich umlaubt, Ein flüsterndes rücklings geworfenes Haupt — „Ich opfre mich Dir. Verzehre, Lyaeus, was menschlich in mir!“ „Agave!“ ruft's und der bacchische Schwarm Zerstiebt und der Vater ergreift sie am Arm. „Weg, trunken Gesind! Erwach und erröthe, verlorenes Kind! Du dienst einem Gaukler!“ Im Schutz des Gewands Verhüllt er den Busen, entreißt ihr den Kranz — Wild hebt sie den Stab. Sie schlug! Aufstöhnt der das Leben ihr gab. „Ich glaube den Gott! Ich empfinde die Macht! Ich strafe den Frevler der Götter verlacht! Wer bist du, Gesicht? Ich bin die Bacchantin! Ich kenne dich nicht!“ Er betrachtet sein Kind. Er erstaunt. Er erblaßt. Er entspringt, von entsetzlichem Grauen erfaßt. Er flieht im Gefild, Ein rennender Läufer, ein hastendes Wild. „Herbei, alle Schwestern! Mänaden, herbei!“ Erhebt sie den Weidruf, das helle Geschrei: „Zur Jagd! Zur Jagd!“ — „Wir folgen dir, blonde, begeisterte Magd!“ Sie jagen den König, Agave vorauf, Er springt in den Strom und erneuert den Lauf Am andern Gestad, Sie stürzt sich mit jubelnden Sprüngen ins Bad. Aufspritzen die Wasser. Er wirbelt den Staub Mit bebenden Füßen. Sie hetzen den Raub — Was dämmert empor? Ein Felsengestein ohne Pfad, ohne Thor. Die Sonne versank und die Wolke verglimmt. Er eilt und er schwankt und er keucht und er klimmt — Am Fuße der Wand Erreicht ihn die rasende mordende Hand. Am Grate des Berges verfärbt sich die Glut, Im Schatten des Berges verströmt sich das Blut, Nacht schwebt heran Und erschrickt und verhüllt was Agave gethan. Vor einer Büste. Bist du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichste bist du! Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grausamer Zug. Die sterbende Meduse. Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten, Belauert Perseus bang in seinem Schild Der schlummernden Meduse Spiegelbild, Das süße Haupt mit müden Schlangenflechten. Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde Des jungen Wuchses athmende Geberde — „Raub' ich das arge Haupt mit raschem Hiebe, Verderblich der Verderberin genaht? Wenn nur die blonde Wimper schlummernd bliebe! Der Blick versteint! Gefährlich ist die That. Die Mörderin! Sie schließt vielleicht aus List Die wachen Augen! Sie die grausam ist! Durch weiße Lider schimmert blaues Licht Und — zischte dort der Kopf der Natter nicht? Medusen träumt daß einen Kranz sie winde, Der Menschen schöner Liebling der sie war, Bevor die Stirn der Göttin Angebinde Verschattet ihr mit wirrem Schlangenhaar. Mit den Gespielen glaubt sie noch zu wandern Und spendet ihnen lockenschüttelnd Grüße, In blüh'ndem Reigen regt sie mit den Andern Die freudehellen, die beschwingten Füße, Ihr Antlitz hat vergessen, daß es tödte, Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge Des Traums. Es lauscht dem Hauch der Hirtenflöte, Der weich melodisch zieht durch seine Züge. Es lächelt still, von schwerem Bann befreit, In unverlorner erster Lieblichkeit. Der Mörder tritt an ihre Seite dicht Und dunkler träumt Medusens Angesicht. Ihr ist, sie habe Haß empfunden schon, Vor sich geschaudert, dumpf und bang gelitten, Die Menschen habe scheu sie erst geflohn, Dann ihnen nachgestellt mit Meuchlerschritten — Sie sinnt was Unheilbares sie gequält, Daß sie dem eignen Leben feind geworden Und andres Leben sich ergötzt zu morden — Sie sinnt umsonst. Ihr hält's der Traum verhehlt. Die grause Larve, die sie lang geschreckt, Ist wie mit einem Purpurtuch bedeckt. Das Graun ist aufgelöst in Seligkeit, Begonnen hat der Seele Feierzeit. Der Dämmer herrscht. Das harte Licht verblich. Als eine der Erlösten fühlt sie sich. Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr, Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr, Nein, nimmermehr, und nun ist Alles gut! Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Rasen, Sie hört die Hirtenflöte wieder blasen Und lauscht. Sie zuckt. Sie windet sich. Sie ruht. Nächtliche Fahrt. Ein Schiff befuhr das Meer. Aufrauschend quoll Die Fluth am Kiel. Er suchte Pylos' Strand. Das Steuer führt' ein Jüngling kummervoll, Dem früh des Vaters Rath und Hilfe schwand. Der Glückbedürft'ge hieß Telemachos Und schaute nach des Segels nächt'gem Flug, Dicht neben ihm der hohe Fahrtgenoß, Athene war's, die Mentors Züge trug. Unendlich brach hervor der Sterne Heer, Die lichten Waller wußten ihre Bahn ... Da sprach die Tochter Zeus' auf dunkelm Meer: „Jetzt, Jüngling, ruf' mit mir die Götter an!“ Die Hände, wie der Staubgeborne fleht, Erhob sie ausgebreitet in die Nacht — Und sie erhörte selber das Gebet, Von ihr für den Verlassnen dargebracht. Der Stromgott. Morgengraun. Die Karavane windet sich dem Nil zur Seite, Eine Rede dröhnt und murmelt über dunkler Stromesbreite. Längs dem Ufer nippen durstig silbergrau geperlte Tauben, Trinken Ibisse mit blankem Flügelpaar und schwarzen Hauben. Nil, der segenreiche Vater, sorgt für alle seine Kinder, Speist und tränkt aus seiner Fülle keines mehr und keines minder — Neben einem braunen Reiter ein gebundner Knabe wandelt, Joseph ist's, den seine Brüder in die Sklaverei verhandelt. Taub' und Ibis flattern nur um wenig Flügelschläge weiter. Joseph lauscht des Stromes Worten. Ruhig sitzt der stumme Reiter. „Knabe, deine Blicke trauern! Jüngling, deine Füße bluten! Dich verkauften deine Brüder ... Sei willkomm an meinen Fluten! Joseph, fremder Knabe Joseph, du gefesselter, du müder, Bist du einst der Herr der Ernten, speise deine schlimmen Brüder! Knabe Joseph!“ rauscht es dumpfer. Das erstaunte Kind in Banden Tröstet sich des güt'gen Grußes, bleibt er auch ihm unverstanden. Auf des Niles weiten Wassern ist des Stromgotts Wort ver¬ schollen, Nur ein Antlitz schwimmt und schimmert, dessen Haare lockig rollen ... Jetzt beleben sich die Pfade. Schiffe blähen ihre Flügel. Kleebeladene Kamele wandern, sacht bewegte Hügel. Frauen kommen mit dem schlanken Kruge, die gemessen schreiten In verhülltem stillem Zuge, wie die Jahre, wie die Zeiten ... Aus der ahnungsvollen Ferne ragen Spitzen, hell besonnte, Steigen wie beschneite Gipfel weiß am reinen Horizonte — Joseph schaut empor zum Reiter: „Mit dir meiner Väter Frieden! Herr, wie nennst du dort die Berge?“ „Kind, du schaust die Pyramiden!“ Thespestus. Zwei Greise ruhten unter einer Pinie, Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut, Wo wandernd sie begegnet sich von ungefähr. Sie führten Zwiegespräch und sie behagten sich. — „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, bist du?“ — „Mich nannten Aridaeus lange Jahre sie, Seit langen Jahren bin ich nun Thespesius.“ — „Zwei Namen trugst du?“ — „Beide Namen, Eukrates. Hör' an! Ein Jüngling, peitscht' ich rasend das Gespann. Die Rosse flogen. Becher, Buhlen, Würfelspiel, Wuth, Zorn, vergossen Blut — verklagend Blut! Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir — Sie folgten meiner raschen Füße schnellstem Lauf, Ich warf mich in den Fluß, sie sprangen jauchzend nach Und hoben schwimmend ihrer Fackeln düstre Glut. Ich klomm bergan — verirrt stürzt' ich von einer Wand — Die Sinne schwanden mir. Dann lebt' ich wieder — war's Im Traum? — und schritt auf einem weichen Wiesengrün, Wo Sel'ge — solche schienen sie — lustwandelten In still bewegten Schaaren. Kränze trugen sie. Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt: Mein Blutsverwandter, welcher jüngst geschwunden war Aus dieser Erde Staub nach einem reinen Lauf. C. F. Meyer , Gedichte. 13 Der sprach mich an: „Ich grüße dich, Thespesius!“ „Wozu der neue Name, wundersamer Ohm? Wie nennst du mich? Dein Aridaeus bin ich ja!“ Die Locken schüttelt' leis er, die ambrosischen: „Und abermals, ich grüße dich, Thespesius!“ — Jetzt wacht' ich wirklich auf. Am Hange lag Ich blutbedeckt, von gier'gen Raben schon umschwärmt — Was mehr? Ich ward ein Andrer. Nicht mit kleinem Kampf! Der Kampf ist groß! Mein neuer Name stärkte mich, Der makellose, der so rein und göttlich klang! Hab' gute Fahrt!“ — „Fahr' wohl auch du, Thespesius!“ Der trunkene Gott. Weiße Marmorstufen steigen Durch der Gärten laub'ge Nacht, Schlanke Palmenfächer neigen In des Himmels blaue Pracht. Ueber Tempeln, Hainen, Grüften Zecht in abendweichen Lüften Alexander's Lieblingsschaar; Daß der Erde Herr sich labe, Bietet ihm ein schöner Knabe Wein in goldner Schaale dar. Kleitos neben Philipp's Sohne Furcht die Stirne kummervoll, Der benarbte Macedone Schlürft im Weine Zorn und Groll: Er gedenkt der Heergenossen, Die die erste Phalanx schlossen In den Bergen kühl und fern — Seinen dunkeln Muth zu kränken Lüstet es den jungen Schenken Lagernd an dem Knie des Herrn. 13* Die erhabne Stirn und Braue Träumt den Zug ins Inderland, Lauschend liest den Traum das schlaue Kind, den Blick emporgewandt: „Bacchus bist du, der belaubte, Mit dem schwärmerischen Haupte, Der ins Land der Sonne zieht! Ohne Heer kannst du bezwingen, Nur den Thyrsus darfst du schwingen, Winke nur und Indien kniet!“ Finster grollt der tapfre Streiter: „Durch der Wüste heißen Sand? Immer ferner, immer weiter? Nach des Indus Fabelstrand? Siegst du mit der Wimper Winken, Warum fechten wir und sinken Wir für dich? Zum Schein und Spott? Lebende kannst du belohnen, Deine todten Macedonen, Wecke sie, bist du ein Gott!“ — „Welchen dampfenden Altares Freust du auf der Erde dich? Bist du die Gewalt des Ares, Helmumflattert, fürchterlich? Herr, bevor den niedern Thalen Du dich nahtest ohne Strahlen, Welches war dein himmlisch Amt? Bist du Zeus? Bist du ein Andrer? Bist du Helios, der Wandrer, Dessen Stirne sonnig flammt?“ — Traulich neigt der graue Fechter Sich zum Ohr des Gottes hin, Mit unseligem Gelächter Rührt er an der Schulter ihn: „Gast des Himmels, merklich sinken Haupt und Schulter dir zur Linken Alexander war schief, seine rechte Schulter etwas höher als die schwächere linke. , Lastet dir der Erde Raub? Macht der Knabe dich zum Gotte, Dein Gebrechen schreit mit Spotte: Alexander, du bist Staub!“ Eine tödtende Geberde! Eines Gottes Rachewut! Ein Erdolchter an der Erde! Alter Treue strömend Blut! Auf den Mörder, auf die Leiche Starrt der Schenk, der schreckensbleiche: Kranz und Wunde! Fest und Grab! Stumme, steingewordne Zecher — Hier ein herrenloser Becher Rollt die Stufen sacht herab ... Der Botenlauf. Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme! Murmeln und schallender Ruf! Knieende Mädchen und Fraun! „Götter, beflügelt den Boten! Entscheidung! Lieber als Bangniß! Seit sich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin. Siehe, die Sonne versinkt! Mitkämpfer, Castor und Pollux! Denkt der verlassenen Fraun! Sendet den Boten geschwind!“ Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei reisige Reiter! Schon am heiligen Quell spülen die Waffen sie rein. Dann, zwei gewaltige Jünglinge, stehn auf der ragenden Burg sie, Gegen die schauernden Fraun hat sich der eine gekehrt: „Freude, knospendes Mädchen! Entschlossene Römerin, Freude! Herrlicher Sieg ist erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?“ Einer spricht's und der Andere lauscht, zu dem Bruder gewendet. Jetzt in das bleichende Licht springen die Rosse empor. Einer der Jünglinge schwindet im Abend, es schwindet der andre, Denn wie ein liebendes Paar lassen die Brüder sich nicht. Ueber der römischen Feste gewaltigem dunkelndem Umriß Hebt sich in dämmernder Nacht seliges Doppelgestirn. Der Gesang der Parze. In der Wiege schlummert ein schönes Römerkind, Die Parze sitzt daneben und spinnt und spinnt. Sonst schweigt sie streng. Ist die lauschende Mutter fort, So singt die Parze murmelnd ein dunkles Wort: Jetzt liegst du, Kindlein, noch in der Traumesruh. Bald, kleine Claudia, spinnest am Rocken du — Du wachsest rasch und entwächst den Kleidlein bald! Du wachsest schlank! Du wirst eine Wohlgestalt! Die Fackel lodert und wirft einen grellen Schein, Sie kleiden dich mit dem Hochzeitsschleier ein! Die Knaben hüpfen empor am Festgelag Und scherzen ausgelassen zum ernsten Tag. Eine Herrin wandelt in ihrem eignen Raum, Und ihre Mägd' und die Sklaven athmen kaum. Ihr ziemt daß all die Hände geflügelt sind. Ihr ziemt daß all die Lippen gezügelt sind. Die blühenden Horen schwingen im Reigen sich: Dir ward ein Knabe, Julier, freue dich! Doch wann die Freude schwebt und die Flöte schallt, Dann — sagt die Parze — kommt der Jammer bald. Der Tiber flutet und überschwemmt den Strand, Das bleiche Fieber steigt empor ans Land, Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus: „Vernehmt! Den Julier tragen sie heut hinaus!“ Jetzt, kleine Claudia, trägst du unträglich Leid! In strenge Falten legst du dein Wittwenkleid — Dein Römerknabe springt dir behend vom Schooß Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ... Die Tuben rufen Schlacht und sie rufen Sieg ... Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen stieg: Vier Männer und die Bahre, Claudia, sind's Mit der bekränzten Leiche deines Kinds! Jetzt, kleine Claudia, bist du zu Tode wund“ — Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüsselbund. Die Mutter tritt besorgt in die Kammer ein Und die Parze bleicht im goldenen Morgenschein. Der Ritt in den Tod. „Greif' aus, du mein junges, mein feuriges Thier! Noch einmal verwachs' ich centaurisch mit dir! Umschmettert mich, Tuben! Erhebet den Ton! Den Latiner besiegte des Manlius Sohn! Voran die Trophä'n! Der latinische Speer! Der eroberte Helm! Die erbeutete Wehr! Duell ist bei Strafe des Beiles verpönt ... Doch er liegt der die römische Wölfin gehöhnt! Lictoren, erfüllet des Vaters Gebot! Ich besitze den Kranz und verdiene den Tod — Bevor es sich rollend im Sande bestaubt, Erheb' ich in ewigem Jubel das Haupt!“ Das Joch am Leman. „Die Einen liegen todt mit ihren Wunden, Die Andern treiben wir daher gebunden — Den Römeraar der Zwillingslegion, Der eingegarnten Wölfin scharfen Bissen Im Männerkampf, im Roßgestampf entrissen, Schwingt Divico, der Berge Sohn!“ Weit blaut die Seeflut. Scheltend jagen Treiber Am Ufer einen Haufen Menschenleiber, Die nackte Schmach umjauchzt Triumphgesang, Ein Jüngling kreist auf einem falben Pferde Um die zu Zwei'n gepaarte Römerheerde Die Krümmen des Gestads entlang. Er knickt den Aar mit einem stolzen Schreie, Er schickt den Ruf zur nahen Firnenreihe — Die Grät' und Wände blicken groß und bleich — „Hebt, Ahnen, euch vom Silbersitz, zu schauen Die Pforte, die wir für den Räuber bauen, Der sich verstieg in euer Reich! Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen, Zwei Speere pflanzt! Querüber bindet einen! Zwei Römerköpfe drauf! Es ist gethan!“ — Das Joch umstehn verwogne Kriegsgesellen Mit Auerhörnern und mit Bärenfellen Und schauen sich das Bauwerk an! Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen Pforte Strömt her das Volk aus jedem Thal und Orte, Groß wundert sich am Joch die Kinderschaar, Ein Mädelreigen springt in heller Freude Um das von Schande triefende Gebäude, Den blüh'nden Veilchenkranz im Haar. Der Manlierstirn verzogne Brauen grollen, Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen — Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken, Krümmt jetzt das erste Römerpaar den Rücken Und gellend lacht das Alpenkind. Mit starren Zügen blickt, als ob er spotte, Ein Felsenblock, der eigen ist dem Gotte, Drauf hoch des Landes Priesterinnen stehn: Ein hell Geschöpf in sonnenlichten Flechten Und eine Drude mit geballter Rechten Und rabenschwarzer Haare Wehn. Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet Stecken! Wir rüsten euch zur Fahrt mit Bettelsäcken! Euch peitsch' ein wildes Wetter durch die Schlucht! Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen, Und wen ihr euch zum Führer habt genommen, Er sei am ganzen Leib verflucht!“ Die Lichte fleht: „Du blitzest in den Lüften, Umschwebst die Spitzen, nistest in den Klüften! Behüte, Geist der Firn', uns lange noch!“ Die Zweie singen starke Zauberlieder — Ein Geier hangt im Blau und stößt danieder Und setzt sich schreiend auf das Joch. Das Geisterroß. Durch den dreigetheilten Bogen, Des Triumphes prangend Thor, Durch die lauten Menschenwogen Dort zum Capitol empor Lenkt den Tanz der weißen Pferde Cäsar's lässige Geberde. Hinter des Triumphes Wagen Duldend oder grollend gehn Ueberwundne. Ketten tragen Cäsar's lebende Trophä'n. „Dieser!“ höhnt es im Gedränge, „Dieser Trotz'ge!“ zischt die Menge. Unberührt vom Hohn der Stunde, Starren, traumgefüllten Blicks, Geht, ein Singen auf dem Munde, Ruhig Vexcingetorix — Fremde Weise, fremde Worte, Mit dem Geist an fremdem Orte: „Cäsar, blendend weiße Rosse Hat Hispanien dir gebracht! Ellid, edler Ahnen Sprosse, Dunkel ist er wie die Nacht — Deine Schimmel, deine viere, Tauscht' ich nicht mit meinem Thiere ... Ellid heißt der wackre Jager Stark von Wuchs und fest im Bug, Welcher mich ins Römerlager Mit gewalt'gen Sprüngen trug ... Der zum Opfer ich gegeben Mich für meines Volkes Leben! Dreimal flog ich um im Kreise, In der Faust des Schwertes Blitz, Noch im Lauf, nach Gallier Weise, Sprang ich ab vor Cäsar's Sitz ... Ellid schickt' ich zu den Todten Mir voran als meinen Boten! Wie er mir ins Antlitz schnaubte, Stieß ich, Blick versenkt in Blick, Hinter seinem mächt'gen Haupte Stracks das Schwert ihm durchs Genick ... Daß mir eines Rosses Ehre Mangle nicht im Geisterheere. Ellid sprengt seit langen Jahren Mitten in der bleichen Jagd, Wann daheim die Todten fahren Durch die Wälder, bis es tagt ... Sehn sie meinen led'gen Renner, Wundern sich die stillen Männer ... Lange Jahre lag gebunden Ich in feuchter Kerkergruft — Kettenschwere, dumpfe Stunden — Endlich wieder Tag und Luft — Ellid, schwarzer Ellid, spute Dich! Du witterst, wo ich blute! Heute endlich! Endlich heute! Wann der Kahle schwelgt am Mahl, Würgt er seine Siegesbeute Mit dem letzten müden Strahl ... Wann die Sonne niedergleitet, Wird mir Block und Beil bereitet. Henker, nimm das Beil zu Händen! Nicht das Beil? ... So nimm den Strang! Droßle mich! Nur enden, enden! Letzte Schmach! Sie währt nicht lang ... Ellid's kurzes Hufgestampfe Hör' ich nahn im Todeskampfe! Sterbend pack' ich Ellid's Haare, Ein Befreiter spring' ich auf, Fahre, schwarzer Ellid, fahre! Nach der Heimat nimm den Lauf! Wogen tosen! Rhodan's Stimme! In den Strom, mein Thier, und schwimme!“ Cäsar's Schimmel blähn die Nüstern. „Ave Triumphator!“ schallt. Des Gebundnen Lippen flüstern: „In der Heimath bin ich bald! Ellid mit gestrecktem Jagen Wird mich nach der Heimath tragen!“ C. F. Meyer , Gedichte. 14 Das verlorene Schwert. Der Gallier letzte Burg und Stadt erlag Nach einem letzten durchgekämpften Tag Und Julius Cäsar tritt in ihren Hain, In ihren stillen Göttertempel ein. Die Weihgeschenke sieht gehäuft er dort, Von Gold und Silber manchen lichten Hort Und edeln Raub. Doch über Hort und Schatz Hangt ein erbeutet Schwert am Ehrenplatz. Es ist die Römerklinge kurz und schlicht — Des Juliers scharfer Blick verläßt sie nicht, Er haftet auf der Waffe wie gebannt, Sie däucht dem Sieger wunderlich bekannt! Mit einem Lächeln deutet er empor: „Ein armer Fechter der sein Schwert verlor!“ Da ruft ein junger Gallier aufgebracht: „Du selbst verlorest's im Gedräng der Schlacht!“ Mit zorn'ger Faust ergreift's ein Legionar — „Nein, tapfrer Strabo, laß es dem Altar! Verloren ging's in steilem Siegeslauf Und heißem Ringen. Götter hoben's auf.“ Das Heiligthum. Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie! Dämmernde Wölbung, Ast in Ast verwebt, Von keines Vogels Lustgeschrei belebt! Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm gestört, Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört, Darin, umblinkt von Schädel und Gebein, Sich ungewiß erhebt ein Opferstein ... Es rauscht. Es raschelt. Schritte durch den Wald! Das kurze römische Commando schallt. Geleucht von Helmen! Eine reis'ge Schaar! Vorauf ein Gallier und ein Legionar: „Die Stämme können dienen. Beil in Schwung! Cäsar braucht Widder zur Belagerung!“ Von Massilia. Erbleichend spricht der Gallier ein Gebet, Den Römer auch ergreift die Majestät Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt — Der Gallier flüstert: „Weißt du was du wagst? Die Stämme — diese Riesen — sind gefeit, Hier wohnt ein mächt'ger Gott seit alter Zeit, In dessen Nähe nur der Priester tritt, Ein todtenblasses Opfer schleppt er mit. Versehrtest nur ein Blatt du freventlich, Stracks kehrte sich die Waffe wider dich!“ ... 14* Die heil'gen Eichen drohen Baum an Baum, Die Römer lauschen bang und athmen kaum, Schwer, schwerer wird der Hand des Beiles Wucht Und ihr entsinkt's. Sie stürzen auf die Flucht. „Steht!“ Und sie stehn. Denn es ist Cäsar's Ruf, Der sie durch strenge Zucht zu Männern schuf! Er ist bei seiner Schaar. Er deutet hin Auf eine Eiche. Sie umschlingen ihn, Sie decken ihn wie im Gedräng der Schlacht, Sie flehn. Er ringt. Er hat sich losgemacht, Er schreitet vor. Sie folgen. Er ergreift Ein Beil, hebt's, führt den Schlag, der saust und pfeift ... Sank er verwundet von dem frevlen Beil? Er lächelt: „Schauet, Kinder, ich bin heil!“ Erstaunen! Jubel! Hohngelächter! Spott! Soldatenwitz: „Verendet hat der Gott!“ Die Rinde fliegt! Des Stammes Stärke kracht! Von Laub zu dunklerm Laube flieht die Nacht. Die Beile thun ihr Werk. Die Wölbung bricht — Auf Riesentrümmer fällt das weiße Licht. Die wunderbare Rede. Auf der Appierstraße zieht ein Heer Schnellen Schrittes, weit umwölkt von Staub. Weiß am Horizont das Häusermeer — „Rom ist morgen euer!“ zeigt Sever. „Flieget, Adler! Stoßt auf euren Raub!“ Morgen? Rom sorgt sich um morgen nicht. „Die Gladiatoren spielen heut!“ Weiber schmücken sich. Orestes ficht! Manch unheimlich brennend Augenlicht Blitzt im Spiegel den die Sklavin beut. Sänften hasten zum Theater schon, Von Gewitterwolken überjagt, Schwüle Blicke, die wie Fackeln lohn, Finst'rer Brauen ungeduldig Drohn — Giebt's ein Morgen? Spiel ist angesagt! Ueber Dach und Zinne ragt empor Himmelhoch ein riesenstarker Bau, Der ein Volk empfängt durch manches Thor. Hinter seinem Mauerkranz hervor Steigt es schwarz und schwärzer auf im Blau. Drinnen drängen sie sich Sitz an Sitz, Jede Stufe strotzt und wogt und schwillt. Auf der Bühne züngeln hell und spitz Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz Und ein erster Sprudel Blutes quillt. Starren Blickes, blaß vor Leidenschaft, Lauert vorgeneigt die Römerin Auf die Sterbewunde — Eine gafft Lüstern. Eine sinnt dämonenhaft. Eine lauscht mit hartem Mördersinn. An der rasch gedrehten Klingen Spiel Haften Seelen gierig, ohne Zahl — Traf der Stoß? Er saß. Ein Fechter fiel, Wälzt sich um im Sand und ist am Ziel Nach der kurz empfundnen Sterbequal. Mark und Herz erschütternd gellt ein Schrei! Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum! Um die Schultern wehn die Haare frei Und als ob sie die Sibylle sei, Ruft sie ehern durch den vollen Raum: „Wehe morgen! Fechter, du bist todt! Gute Fahrt! Dir thun sie nichts zu leid! Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht! Eine weite Flamme weht und loht! Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“ In das Morgen blickt sie voller Graun, Schaudernd wie vor Blutes tiefem Strom, Denn ihr Auge kann das Künft'ge schaun — Es ist keine von den ird'schen Fraun! Es ist Rom! Es ist die Göttin Rom! Vor dem Volk auf hoher Stufe ragt Rom die Herrin in versteintem Schmerz, Rom, vor welcher einst die Welt gezagt, Jetzt die wunde, die geschlagne Magd! Leid und Mitleid füllen jedes Herz. Durch die Menge geht ein Flüstern leis, Eine Rede schwirrt und irrt und rauscht, Flutet höher, höher stufenweis, Braust wie Meeresbrandung, füllt den Kreis, Jeder spricht sie mit und Jeder lauscht: „Schande! Brandmal! Striemen! Sklavenjoch! Wehe! Sie zerreißen Dir das Kleid! Ach wie lange noch, wie lange noch? Stürbest, Göttin Roma, stürbst Du doch! Aber Du bist voll Unsterblichkeit!“ VII . Frech und fromm . König Etzel's Schwert. Der Kaiser spricht zu Ritter Hug: „Du hast für mich dein Schwert verspellt, Des Eisens ist bei mir genug, Geh, wähl' dir eins, das dir gefällt!“ Hug schreitet durch den Waffensaal, Wo stets der graue Schaffner sitzt. „Der Kaiser giebt mir freie Wahl Aus Allem was da hangt und blitzt!“ Er prüft und wägt. Von ihrem Ort Langt er die Schwerter mannigfalt — „Sprich, wessen ist das große dort, Gewaltig, heidnisch, ungestalt?“ „Des Würgers Etzel!“ flüstert scheu Der Graue, der es hält in Hut. „Des Hunnenkönigs! Meiner Treu, So lechzt und dürstet es nach Blut!“ „Laß ruhn. Es hat genug gewürgt! Die todte Wuth erwecke nicht!“ „Gieb her! Dem ist der Sieg verbürgt, Der mit dem Schwert des Hunnen ficht!“ Und wieder sprengt er in den Kampf. „Du hast dich lange nicht geletzt, Schwert Etzel's, an des Blutes Dampf! Drum freue dich und trinke jetzt!“ Er schwingt es weit, er mäht und mäht Und Etzel's Schwert, es schwelgt und trinkt, Bis müd die Sonne niedergeht Und hinter rothe Wolken sinkt. Als längst er schon im Mondlicht braust, Wird ihm der Arm vom Schlagen matt. Er frägt das Schwert in seiner Faust: „Schwert Etzel's, bist noch nicht du satt? Laß ab! Heut ist genug gethan!“ Doch weh, es weiß von keiner Rast, Es hebt ein neues Morden an Und trifft und frißt was es erfaßt. „Laß ab!“ Es zuckt in grauser Lust, Der Ritter stürzt mit seinem Pferd Und jubelnd sticht ihn durch die Brust Des Hunnen unersättlich Schwert. Galaswinte. Im Saale jubelt Hochzeit — Die Arme vor dem Busen Kreuzt Fredegund in Demut, Des Königs list'ge Buhlin: „Ich bin die Magd und leuchte Dem Bräutchen auf die Kammer!“ Die Alabasterampel Mit römischen Sculpturen, Die schwebend einst geschimmert In stillem Grabesdunkel, Trägt Fredegund in Demut Und hellt die Hochzeitskammer, Sie setzt die Ampel nieder Und geht und lächelt tückisch. Die zarte Galaswinte Blickt in die weh'nde Flamme, Die Flamme loht und flackert, Die Ampel springt in Scherben, Die Fürstin weint im Dunkel: „Die mich gebracht aus Spanien, Dein Kind dem Frankenkönig, Jetzt drehst du auf dem Rosse Im Schein der Wanderfackel Noch einmal dich und breitest Nach mir die Arme, Mutter!“ Bettlerballade. Prinz Bertarit bewirthet Verona's Bettlerschaft Mit Weizenbrot und Kuchen und edlem Traubensaft. Gebeten ist ein Jeder, der sich mit Lumpen deckt, Der, heischend auf den Brücken der Etsch, die Rechte reckt. Auf edlen Marmorsesseln im Saale thronen sie, Durch Riss' und Löcher gucken Ellbogen, Zeh' und Knie. Nicht nach Geburt und Würden, sie sitzen grell gemischt, Jetzt werden noch die Hasen und Hühner aufgetischt. Der tastet nach dem Becher. Er durstet und ist blind. Den Krüppel ohne Arme bedient ein frommes Kind. Ein reizend stumpfes Näschen geckt unter strupp'gem Schopf, Mit wildem Mosesbarte prahlt ein Charakterkopf. Die Herzen sind gesättigt. Beginne, Musica! Ein Dudelsack, ein Hackbrett und Geig' und Harf' ist da — Der Prinz, noch schier ein Knabe, wie Gottes Engel schön, Erhebt den vollen Becher und singt durch das Getön: „Mit frisch gepflückten Rosen bekrön' ich mir das Haupt, Des Reiches eh'rne Krone hat mir der Ohm geraubt. Er ließ mir Tag und Sonne! Mein übrig Gut ist klein! So will ich mit den Armen als Armer fröhlich sein!“ Ein Bettler stürzt ins Zimmer. „Grumell, wo kommst du her?“ Der Schreckensbleiche stammelt: „Ich lauscht' von ungefähr, Gebettet an der Hofburg — Dein Ohm schickt Mörder aus, Nimm meinen braunen Mantel!“ Erzschritt umdröhnt das Haus. „Drück in die Stirn den Hut dir! Er schattet tief! Geschwind! Da hast du meinen Stecken! Entspring, geliebtes Kind!“ Die Mörder nahen klirrend. Ein Bettler schleicht davon. — „Wer bist du? Zeig das Antlitz!“ Gehobne Dolche drohn. — „Laß ihn! Es ist Grumello! Ich kenn' das Loch im Hut! Ich kenn' den Riß im Aermel! Wir opfern edler Blut!“ Sie spähen durch die Hallen und suchen Bertarit, Der unter dunkelm Mantel dem dunkeln Tod entflieht. Er fuhr in fremde Länder und ward darob zum Mann. Er kehrte heim gepanzert. Den Ohm erschlug er dann. Verona nahm er stürmend in rothem Feuerschein. Am Abend lud der König Verona's Bettler ein. Die Söhne Haruns. Harun sprach zu seinen Kindern Assur, Assad, Scheherban: „Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann? Seit ich Bagdads Thron bestiegen, bin von Feinden ich umgeben! Wie befestigt ihr die Herrschaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?“ Assur ruft, der feurig schlanke: „Schleunig werb' ich Dir ein Heer! Zimmre Masten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer! Rosse schul' ich. Säbel schmied' ich. Ich erbaue Dir Castelle. Dir gehören Stadt und Wüste! Dir gehorchen Strand und Welle!“ Assad mit der schlauen Miene sinnt und äußert sich bedächtig: „Sicher schaff' ich Deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig. Traue Deinem Assad! Wähle mich zum Polizeiminister! Jeden Athemzug belausch' ich, jedes heimliche Geflüster. Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem setz' ich einen Sold, Daß ein jeder mir berichte, wer Dich liebt und wer Dir grollt.“ Harun lächelt. Zu dem jüngsten, seinem Liebling, sagt er: „Ruhst du? Wie beschämst du deine Brüder? Zarter Scheherban, was thust du?“ „Vater“, redet jetzt der Jüngste keusch erröthend, „es ist gut, Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus Deinem Blut! Ueber ungezählte Loose bist allmächtig Du auf Erden, Das ist Raub an Deinen Brüdern — und Du wirst gerichtet werden! Dein erhaben Loos zu sühnen, das sich thürmt den Blitzen zu, Laß mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen Du! Such mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch Spende! Wie der Aermste will ich leben von der Arbeit meiner Hände! Mit dem Hammer, mit der Kelle laß mich, Herr, ein Maurer sein! Selber maur' ich mich in Deines Glückes Grund und Boden ein! Jedem Hause wird ein Zauber, daß es unzerstörlich dauert, Etwas Liebes, etwas Theures in den Grundstein eingemauert! Hörest Du die Straße rauschen unter Deinem Marmorschloß? Morgen bin ich dieser Menge namenloser Tischgenoß — Wenn Dich die Beherrschten lästern, segnet Einer, Herr, Dich stündlich! Wenn Dich die Enterbten hassen, Einer, Vater, liebt Dich kindlich!“ C. F. Meyer , Gedichte. 15 Der Berg der Seligkeiten. Ein Bergesrücken still besonnt, Allum der duft'ge Horizont — Hier saß der Christ und rings im Kreis Die Galiläer stufenweis Gelagert auf den steilen Triften — Der Meister lobt' der Lilie Kleid, Hieß göttlich Werk das Friedestiften Und rühmte die Barmherzigkeit. Er ließ die Segensschwingen breiten All seines Reiches Seligkeiten. Dann ist er sacht hinabgegangen ... Und hat am Kreuzesstamm gehangen. Am Berg der Seligkeiten irrten Der Hirtin Stapfen und des Hirten, Wie Wolken still, wie Stürme brausend, Zog dran vorüber ein Jahrtausend, Die Lilie blieb des Lobes froh, Sie kleide sich wie Salomo, Die Luft, drin nie das Erz erscholl, Ist noch von Friedeworten voll. Drommetenstoß! Jach klimmt empor Ein Heer, das Schlacht und Raum verlor. Kreuzritter sind's, von Saladin Versprengt, die wild zur Höhe fliehn, Heiß unter ihren Schritten her Entflammt den dürren Rasen er, In schwarzen Wolken wallt der Qualm. Schlachtrosse schnauben auf der Alm. Scharf pfeifen Sarazenenpfeile Durch das Gedräng der Flucht und Eile. Fort! Ein verfärbter Purpur weht, Ein junger König wankt entkräftet, Doch dieses Reiches Majestät Ist König Christ, ans Kreuz geheftet. Drum tragen sie das Kreuz voran, Der Welterbarmer schwebte dran, Das bittre Kreuz, davon herab Er seines Mordes Schuld vergab. Sie wuschen's dann mit rothen Bächen, Um des Erbarmers Tod zu rächen ... Das Wüthen, Morden, Bluten, Streiten Ersteigt den Berg der Seligkeiten. Erklommen ist der Gipfel jetzt Und hinter ihm erbraust das Meer, Der Kurdenschleuder ausgesetzt, Steht auf dem Kulm das Christenheer. Drommetenstoß! „Der Heiland lebt! Christus regiert!“ Der Berg erbebt. „Hilf, König, der gekreuzigt wurde!“ „Zielt auf das Kreuz!“ befiehlt der Kurde. 15* „Wie blöde Falter um die Flamme, So flattern sie am Kreuzesstamme!“ Es saust. Steilnieder zu der Bucht Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht. Das Kreuz, mit Glut und brünst'ger Hast Umfängt's ein Mönch und hält's umfaßt: „Hörst, König, Du der Heiden Spott? Vernichte sie, verhöhnter Gott! In heller Rüstung komm gefahren Mit Deines Vaters Engelschaaren! Lebst Du, regierst Du, Christe, nicht?“ Kein Engelschwert erblitzt im Licht. Die Luft verfinstert Pfeilgesaus — „Komm!“ schreit der Mönch und athmet aus. Des Himmels innig tiefer Schein Umfaßt ein menschenleer Gestein. Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerstört, Dies Reich hat nicht dem Christ gehört. Die Gaukler. Am Strande des gelobten Lands In glühem Stich des Sonnenbrands Kämpft Ludowig der Fromme; Er trägt in sich des Todes Keim, Ihm ahnt es, daß er nimmer heim Ins schöne Frankreich komme. Scheu lauscht in Zeltes Dämmerschein Ein junger Edelknecht herein Und hinter ihm die andern: „Herr König, es sind Gaukler da, Drei Brüder aus Armenia, Die nach dem Grabe wandern. Es heißt, sie spielen wunderschön! Erlaubt ein frisches Horngetön Uns allen anzuhören!“ Der König seufzt: „Betrug der Welt! Bringt mir die Gaukler in das Zelt, Daß sie euch nicht bethören!“ Jetzt heben an den Mund die Drei Das Horn und spielen frank und frei, Als ging' es aus zum Jagen. Dann wie ein Quell im Walde quillt, So rieselt sanft und wächst und schwillt Ein Jubeln und ein Klagen. Gemach vertönt der Hörner Schall, Laut ruft Renaud von Reineval: „Du Herzenstrost der Minne! Lucinden, die sich um mich kränkt, In Treuen ihres Pilgers denkt, Sah ich auf stiller Zinne!“ „Ich schaute“, fällt jung Walter ein, „In meinem Teich den Wiederschein Von Eichen kühl und düster, Ich sah mein Boot, der Ruder bar, Das halb ans Land gezogen war, Umneigt von Schilfgeflüster!“ Ein Jeder hat im Horneslaut Sein Herz belauscht, sein Lieb geschaut, Sein Minnen und sein Sehnen. — „Herr König, sagt, was sinnet Ihr? Was sehnet Ihr? Was minnet Ihr? Was rinnen Euch die Thränen?“ Herr Ludwig flüstert: „Sel'ger Traum! Mich hoben durch den Himmelsraum Angelische Gestalten. „Getreuer Knecht, willkomm!“ erscholl Ein Ruf — ich konnte wonnevoll Die Thränen nicht verhalten.“ Der Pilger und die Sarazenin. Jüngst am Libanon in einem Kloster, Drin ich eine kurze Reiserast hielt, Langsam durch die kühlen Hallen wandelnd, Blieb ich stehn vor einem alten Bilde, Wohlbewahrt in eigener Capelle. Es berührte mich mit leisem Zauber Trotz der byzantinischen Gestalten, Denn darüber lag ein Glanz der Liebe: Durch das Thor des Paradieses schritten Eine Sarazenin und ein Pilger, Hand in Hand versenkt und Blick in Blick auch. „Was bedeutet dieses süße Märchen?“ Frug ich Anaklet, den Klosterbruder, Der mich schleichend überall begleitet. Mit gesenkten Augen gab er Antwort: „Guter Herr, kein süßes Märchen ist es, Sondern eine tröstliche Legende, Auf ein altes Pergament verzeichnet Zur Erbauung aller gläub'gen Christen. Dieser Pilger ist ein heilger Märtrer, Eine Märtrin ist die Sarazenin, Er verschied, gesteinigt und gepeinigt, Sie verblich, umarmend eine Schwelle!“ Märchenlustig bin ich wie Scheherban, Wie die plaudernde Scheherezade! Und ich bat den Mönch: „Erzähle, Vater, Deinem Sohn die tröstliche Legende.“ Bruder Anaklet willfahrte sprechend: „Einst, vor ungezählten vielen Jahren — Also steht's im Pergament verzeichnet, Das ich gründlich lernte schon als Knabe — Zogen Pilger nach dem Grab vorüber Ohne Rast und ohne Trunk und Speise Scheuen Fußes an der Stadt Damaskus, Denn verhaßt ist Christus in Damaskus! Vor der Stadt Damaskus rauscht ein Brunnen, Wo ein Löwenkopf aus seines Maules Tief herabgezognen Winkeln sprudelt Ein begehrtes köstlich kühles Wasser. Dort am Brunnen stand die Sarazenin. Schleierlos, die jungen warmen Augen Fünfzehnjährig oder sechszehnjährig, Stand am Brunnen eine Sarazenin, Die den schlanken Krug gelassen füllte. Alle Pilger zogen ihr vorüber Mit gesenktem Haupte niederblickend, Denn die Moslimweiber treiben Künste. (Aber überwunden hat sie Christus!) Nur ein zarter Jüngling, fast ein Knabe Noch, entwich der Pilgerreihe durstig, Nahte sich der jungen Sarazenin Flehend, forderte von ihr zu trinken. Langsam senkte sie den Krug. Er schlürfte. Langsam hob den Krug zu Haupt sie wieder, Heimwärts wandelnd. Vor des Thores Wölbung Wandte sie das Haupt mitsammt dem Kruge, Schritte fühlend hinter ihren Sohlen: „Pilger, hüte dich vor diesem Thore! Denn es würde dir zum Thor des Todes! Meine dunkeln Augen sind verderblich Und verhaßt ist Christus in Damaskus!“ Und sie wandelt durch des Thores Wölbung, Und sie wandelt durch die dunkeln Gassen, Schritte fühlend hinter ihren Sohlen. Ihre Thüre öffnet sie und schließt sie Und empor zum innern Söller steigend Sieht sie mit den Sinnen ihres Geistes Einen Pilger liegen auf der Schwelle, Auf der Schwelle vor des Hauses Pforte. In der ersten Morgenhelle stand sie Vor dem Pilger, heftig ihn zu schelten: „Pilger, hebe dich von dieser Schwelle, Die zur Schwelle würde dir des Todes! Will nicht schuldig sein an deinem Tode! Meine dunkeln Augen sind verderblich! Alle schlügen heute dich mit Stäben, Alle würfen heute dich mit Steinen, Und du lägest todt in deinem Blute! Denn verhaßt ist Christus in Damaskus! Weiche, Pilger! Heb' dich, läst'ger Bettler! Fremdling! Abergläub'scher! Götzendiener! Diesen Lippen einen Kuß! Entweiche!“ Doch er weigerte sich mit dem Haupte, Zornig wich von ihm die Sarazenin. In der letzten Abendhelle stand sie Vor dem Pilger, dem das Blut aus vielen Wunden strömte, heftig ihn zu schelten: „Weiche, Pilger! Heb' dich, läst'ger Bettler! Fremdling! Abergläub'scher! Götzendiener! Meine dunkeln Augen sind verderblich Und verhaßt ist Christus in Damaskus! Will nicht schuldig sein an deinem Tode! Waschen will ich deine rothen Striemen, Küssen will ich deine blut'gen Wunden, Läugnest du den bleichen Mann am Holze!“ Doch er weigerte sich mit dem Haupte, Weinend wich von ihm die Sarazenin Und empor zum innern Söller steigend Hört sie mit den Sinnen ihres Geistes Leise stöhnen einen Todeswunden Auf der Schwelle vor des Hauses Pforte. Ferne blieb der Schlummer ihren Lidern, Endlich kam der Schlummer und ein Traum kam. Rings empor an eines Gipfels Abhang Klommen mit erbaulichen Gesängen Pilger auf zum Thor des Paradieses. Einer klomm voran, ein heil'ger Märtrer, Den die andern grüßten ehrerbietig. In des Thores Wölbung stand der Heiland: „Tritt herein! Du hast für mich geblutet!“ Doch der Pilger weigerte sich standhaft: „Heiland, laß mich liegen auf der Schwelle, Bis sie kommt die stündlich ich erwarte! Hand in Hand versenkt und Blick in Blick auch, Tritt sie, mir gesellt, in Deine Freude, Keine Sarazenin, eine Christin. Solches träumend, stürzten ihr die Thränen So gewaltig, daß sie drob erwachte. Jählings springt sie auf von ihrem Lager, Fliegt hinab des Hauses hundert Stufen: Leer und blutbegossen lag die Schwelle In des ungebornen Tages Frühlicht. Auf die harte Schwelle kniet sie nieder, Badet sie mit unerschöpften Thränen, Drängt den warmen Busen ihr entgegen, Preßt sie fest, als klopft' ein Herz im Steine, Keines klopft, doch ihres zum Zerspringen. Als die Füße derer wiederkehrten, Die den Todten vor das Thor getragen, Eilten sie der Schwelle scheu vorüber, Auf der Schwelle sahn sie eine Todte, Auf der Schwelle lag die Sarazenin. Keine Sarazenin, eine Christin!“ Endet' Bruder Anaklet erbaulich. Am Himmelsthor. Mir träumt', ich komm' ans Himmelsthor Und finde dich, die Süße! Du saßest bei dem Quell davor Und wuschest dir die Füße. Du wuschest, wuschest ohne Rast Den blendend weißen Schimmer, Begannst mit wunderlicher Hast Dein Werk von Neuem immer. Ich frug: „Was badest du dich hier Mit thränennassen Wangen?“ Du sprachst: „Weil ich im Staub mit dir, So tief im Staub gegangen.“ Mit zwei Worten. Am Gestade Palästina's, auf und nieder, Tag um Tag, „London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag. „London!“ bat sie lang vergebens, nimmer ward sie müd und zag, Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag. Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt. Meer und Himmel. „London?“ frug sie, von der Heimath abgekehrt, Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt, Nach den Küsten wo die Sonne sich in Abendgluth verzehrt ... „Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt, Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat. „Tausend Gilbert giebt's in London!“ Doch sie schreitet nimmer matt. „Labe dich mit Trank und Speise!“ Doch sie wird von Thränen satt. „Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? weißt du keine andern Worte? nein?“ „Gilbert!“ ... „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert Becket sein — Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüste Sonnenschein — Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein —“ „Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, braust es längs der Themse Strand. Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt, Ueber seine Schwelle führt er, die das Ziel der Reise fand. Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land. Kaiser Friedrich der Zweite. In den Armen seines Jüngsten Phantasirt der sieche Kaiser, An dem treuen Herzen Manfreds Kämpft er seinen Todeskampf. Mit den geisterhaften, blauen Augen starrt er in die Weite, Während seine fieberheiße Rechte preßt des Sohnes Hand: „Manfred, lausche meinen Worten! Drüben auf dem Marmortische Mit den Greifen liegt mein gültig Unterschrieben Testament. Eine Kutte, drin zu sterben, Schenkten mir die braven Mönche, Daß ich meine Seele rette Trotz dem Bann des heil'gen Stuhls. Manfred, meines Herzens Liebling, Laß den Herold auf den Söller Treten und der Erde melden, Daß der Hohenstaufe schied. Manfred mit den blonden Locken Sarge prächtig ein die Kutte, Führe sie mit Schaugepränge Nach dem Dome von Palerm! Weißt du, Liebling, das Geheimniß? Diese Nacht in einer Sänfte Tragen meine Sarazenen Sacht mich an den Strand des Meers. Meiner harrt ein schwellend Segel. Auf des Schiffes Deck gelagert, Fahr' entgegen ich dem Morgen Und dem neugebornen Strahl. Fern auf einem Vorgebirge, Das in blaue Flut hinausragt, Steht ein halb zertrümmert Kloster Und ein schlanker Tempelbau. Zwischen Kloster und Rotunde Schlagen wir das Zelt im Freien. Selig athm' ich Meer und Himmel, Bis mich Schlummer übermannt.“ Die gezeichnete Stirne. „Weib, verrathe mir, von wem gerufen Du zur Leidgesellin dich gegeben? Wer herunter dieses Kerkers Stufen Dich gezogen, du mein süßes Leben?“ — König Enzio, keine Menschen haben Mich vermocht im Kerker zu verbleichen! Nein, ein Schicksal war mir eingegraben, Meine junge Stirne trug ein Zeichen. Unsre Väter nahmen dich gefangen Und wir Kinder hatten's bald erfahren, Daß du nimmer wirst ans Licht gelangen, König Enzio mit den Ringelhaaren! Daß du nimmer tragen eine helle Rüstung wirst, wo die Drommeten klingen, Daß du nimmer rauschen Wald und Quelle Hörst, noch einen freien Vogel singen! Und wir Kinder lauschten sachte, sachte Durch das Gitter in des Kerkers Tiefe, Leis und heftig streitend, ob Er wachte Schwerbekümmert oder ob Er schliefe — C. F. Meyer , Gedichte. 16 Meine Stirne drückt' ich an das Eisen, Drinnen lagst du schlummernd, wie mir deuchte, Blickte ... blickte, war nicht wegzuweisen, Bis der Wächter drohend mich verscheuchte. Mütterlein ersah mich und wehklagte, Schlug die Hände jammervoll zusammen: „Kind, wer hat dir in die Stirne“ — fragte Sie — „gezeichnet dieses Kreuz von Flammen?“ Hieß mich dann in ihren Spiegel schauen — Theuer werther Herr, so wahr ich lebe, Eingezeichnet über meinen Brauen Waren deines Kerkers Eisenstäbe! Außen wich das Zeichen; aber innen Blieb's, da ich zur Maid erwuchs, geschrieben Herr, seit jenem Tag war all mein Sinnen Dich und deinen Kerker nur zu lieben. Die Gedanken des Königs Ren é . Der fromme Lautenschläger Herr Ren é Trug braune Locken — sie sind weiß wie Schnee. An seiner Stirn verglomm der Kronen Glanz, Da haftet nichts als nur ein Lorbeerkranz. Schloß Tarascon — er bietet's zum Verkauf — Dran spritzt die blaue Rhone scherzend auf, Von hoher Warte wandert rings der Blick Der König wägt als Denker sein Geschick: „S'ist eigen daß man immer mich vertreibt! S'ist eigen daß mir nichts in Händen bleibt! Lothringen erbt' ich, wo die Trift sich sonnt, Das nahm mir weg Anton von Vaudemont. Dann erbt' ich flugs das Fürstenthum Anjou Und noch das nette Ländlein Bar dazu — Herr König Ludwig trat in mein Gelaß Als Gast und schrieb mir meinen Wanderpaß. Reich Napel war's, das dann zu Erb mir fiel, Dort mischte sich der Aragon ins Spiel — Das schöne Napel! Richtig werd' ich schlemm! Mir bleibt das himmlische Jerusalem! Da schimmert unvergänglich Dach und Fach — Ich erb' es schon. Das Erben ist mein Sach! Doch geht mein Sach, wie hier, so droben dort, Jagt aus dem Himmel mich der Teufel fort.“ 16* Der Mars von Florenz. Die Thürme von Florenz umblaut Der süße Lenz, der junge Lenz, Die Frauen singen leis und laut In allen Gassen von Florenz. Am Rand der Arnobrücke steht Ein schwarzverwittert Marmelbild Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät, Gott Mars, und lächelt falsch und wild. — „Gott Mars, wohl magst du finster schaun, Drommete dröhnt im Lenze nie, Raub' eine dir von unsern Fraun! Hoch über Venus preis' ich sie!“ Ein Jüngling ruft's dem Gott empor Mit lachend ausgestreckter Hand — Ihm dringt ein Erzgedröhn ans Ohr, Er eilt und steht am andern Strand. Rasch tritt aus einem Haus hervor Ein Edelweib, das höhnt und lacht: „Zur Amidei? Junger Thor! Dir war das Schön're zugedacht! Nach Gottes Rathschluß ist's geschehn! Heut wirst du — heißt's — mit ihr getraut — Jetzt sollst du die Donati sehn: Blick her! Vergleich' mit deiner Braut!“ Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht, Es kämpft ins dunkle Haus zurück, Im jungen bangen Angesicht Erräth er aller Himmel Glück. „Hinweg! Die Amidei harrt! Hinweg! Mein Kind ist keine Dirn! Ihr blicket frech!“ Der Jüngling starrt Auf die gesenkte Mädchenstirn. Der Wunsch ist Glut! Die Scham ist Glut! Die hohe Doppelflamme loht! Er streckt die Hand. Das höchste Gut Ergreift er und ergreift den Tod. „Frau, strafet mich nicht allzuschwer! Das süße Haupt! Das blonde Haar! Gewähret sie mir!“ stammelt er. „Ich führe stracks sie zum Altar!“ Den Ring der ihm die Hand bereift, Der Amidei Trauungsring, Hat rasend er sich abgestreift Und schleudert ihn. Da rollt er. Kling ... Jetzt kniet er im Capellenraum, An Freveln und an Wonnen reich, Zur Linken kniet sein sünd'ger Traum, Wie Engel schön, wie Todte bleich. Dem Paar zu Häupten murmelt leer Und schnell ein feiles Priesterwort — „Die Rosse her! Die Rosse her! Zum Thor hinaus! Ins Freie fort! Du lieb Geschöpf! Du bebst wie Laub! Verlarve dir das Angesicht! Faß Muth! Ich bringe meinen Raub, In eine Burg die Keiner bricht!“ Am Rand der Arnobrücke steht Ein schwarzverwittert Marmelbild Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät, Gott Mars, und lächelt falsch und wild. Das Schwert des Gottes schüttert leis. Da springt hervor mit Erzeslaut Ein Hinterhalt, ein Mörderkreis, Die Sippe der verrathnen Braut. „Verdammter, stirb!“ — „Geliebte, flieh!“ Wild ringend stürzt er umgebracht, An seinen Busen gleitet sie Und sinkt mit ihm in Eine Nacht. Herab von aller Thürme Hang Verkündet gellend Sturmgeläut Den Bürgerkampf. Das Schwert erklang Dem Gott, der sich des Mordes freut. Die Ketzerin. Fra Dolcin, der Ketzer, der von Dante In der Hölle neunten Kreis Gebannte, Hat ein Weib geliebt, von dem sie sagen, Daß kein schön'res lebt' in jenen Tagen. Kamen seine Jünger ihn zu grüßen, Saß die Blonde schon zu seinen Füßen, Segnet' er das Volk mit frevler Rechten, Neigte sie zuerst die goldnen Flechten; Dem Verfehmten folgte sie, dem Flieh'nden, Durch die Schluchten des Gebirges Zieh'nden — Da er von den Schergen ward gefangen, Ist sie seinen Fesseln nachgegangen; Wo er in der Flamme sich gewunden, Steht auch sie am Marterpfahl gebunden. Lieblich ist, die Fra Dolcin verführte, Wie noch nie ein Weib die Herzen rührte; Augen, unergründlich wunderbare, Schaun, als ob sie zu den Sel'gen fahre. Die sie richten, fragen sich mit Grauen: Kann die Hölle wie der Himmel schauen? Und es zittern vor dem unschuldsvollen Engelsantlitz, die sie martern wollen. Selbst der Priester spricht mit ihr gelinde, Als mit einem irrgegangnen Kinde: „Schwaches Weib, der dich verleitet hatte, Weder Bruder war er dir noch Gatte! Seine Asche treibt im Wind! Verflogen Sind die Stapfen, die dich nachgezogen! Büße! Folge reuig den Geboten Unsrer heil'gen Kirche! Laß den Todten!“ In den Banden kann sich nicht bewegen Margherita, nur die Lippen regen: „Leiden muß ich, was Dolcin gelitten ... Horch, er ruft! Ich folge seinen Schritten“ — Und die warmen, tiefen Blicke strahlen — „Durch die Martern folg' ich, durch die Qualen!“ — „Ketzerin, dich stärken finstre Mächte! Brände her!“ .... Es rühren sich die Knechte. Siehe da! Wie eines Blitzes Leuchten Fährt ein Ritter unter die Gescheuchten, Will den schönen Dämon sich erstreiten; Er bemächtigt sich der Maledeiten, Ihre Kniee fasst er mit der Linken, In der Rechten droht des Schwertes Blinken: „Tretet aus die Glut! Bei Gottes Leibe, Löscht die Fackeln! Weg von meinem Weibe! Sage Ja ... Mit einem Wink der Lider ... Und vom Scheiterhaufen steigst du nieder! Keiner wird auf meiner Burg es wagen, Dich um deinen Glauben zu befragen!“ — „Laß mich ziehn! ... Ich darf mich nicht verweilen .. . Horch, Dolcino ruft! ... Ich muß mich eilen .. . Gieb mich frei!“ Er weicht mit einem herben Hohngelächter. „Mag die Thörin sterben!“ Ueber ihrem blonden Haupt zusammen Schlagen Todesflammen, Liebesflammen. Der Mönch von Bonifazio. „Corsen, löst des Portes Ketten! Jede Hoffnung ist verschwunden! Nirgend weht ein rettend Segel! Gebt euch! Pfleget eure Wunden! Genua, euer hat's vergessen! Spähet aus von eurem Riffe! Sucht im Meere! Schärft die Augen! Nirgend, nirgend Genua's Schiffe! Eure Kinder hör' ich wimmern, eure Fraun, die hungermatten, Blicken hohl wie Nachtgespenster und ihr selber wankt wie Schatten!“ Vom Verdeck des Schiffes ruft's empor zu Bonifazio's Walle König Alfons milden Sinnes, aber droben schweigen Alle. Nimmer würden sich dem Dränger diese tapfern Corsen geben, Gölt' es nur das eigne, gölt' es nicht der Knaben junges Leben! Finster vor sich niederstarrend, treten flüsternd sie zusammen — Eines Mönchs empörte Augen schießen Blitze, schleudern Flammen: „Feige Hunde! Keine Corsen! In die Hölle der Verräther!“ „Schweige Mönch! Wir haben Herzen. Wir sind Gatten, wir sind Väter.“ Auf dem preisgegebnen Felsen kniet der Mönch in wildem Harme: „Leihe, Gott, mir Deine Hände! Gieb mir Deine starken Arme! Heute komm' ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts geblieben Ist mir außer meinem Felsen. Aber etwas muß ich lieben. Gott, Du kannst mit Deinen Kräften eines Menschen Kräfte steigern! Was Du thatst für Deine Juden, darfst Du keinem Corsen weigern! Genua's Schiffe will ich suchen! Will sie bei den Schnäbeln fassen! Spannen will ich weite Segel und sie nicht ermatten lassen!“ Alle seine Muskeln schwellen, alle seine Pulse beben, Schiffe durch das Meer zu schleppen, Segel aus der Flut zu heben. Aufgesprungen, überwindend Raum und Zeit mit seinem Gotte Deutet er ins Meer gewaltig: „Dort! ich sehe dort die Flotte!“ Aber keine Segel blinken aus des Meeres farb'ger Weite, Unbevölkert flutet eine schrankenlose Wasserbreite. Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer. Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: „Armer Schwärmer!“ Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen ... Sichtbar kaum ... Der zweit' und dritte Punkt und jetzt ein viert' und fünfter und ein sechster in der Mitte! Winde blasen, Wellen stoßen. Meer und Himmel sind im Bunde. Segel, immer neue Segel steigen aus dem blauen Grunde. Wende deine Schiffe, König! Sonst verlierst du Ruhm und Ehre! Woge, Fürstin Genua, woge, du Beherrscherin der Meere! Alle Glocken Bonifazio's schlagen schütternd an und stürmen, Jubel wiegt sich in den Lüften über den zerschossnen Thürmen. Und der Mönch, der mit der Allmacht seinen ird'schen Arm bewehrte? An der Erde liegt er sterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte. Jung Tyrrel. „Jung Tyrrel, fuhrest über See? Jung Tyrrel, mir willkommen hie! Sahst du so dunkle Forste je? So stolze Forste sahst du nie! Ein englisch Wild erst umgebracht! Dann geb' ich dir ein englisch Lehn!“ Jung Tyrrel, dem das Herze lacht, Läßt seine blanken Zähne sehn. „Wer heut den besten Schuß mir thut, Den Achtzehnender mir erlegt, Der nehme sich als Lehensgut Den Königsforst der ihn gehegt! Zu schwör' ich dir's auf diesen Bart, Der feuerroth die Brust mir deckt! Zu Wald! Zu Wald! Der Rappe scharrt! Die Bracke spürt! Der Rüde bleckt!“ Herr Wilhelm stößt ins Jägerhorn, Ein Geier krächzt in seinem Horst, Die Wipfel peitscht ein dunkler Zorn, Es braust und tost. Dann schweigt der Forst. Herr Wilhelm schlägt mit Tyrrel Rath: „Ich links, du rechts! Fort! Gute Birsch!“ Es knirscht das Laub darauf er trat. In heller Lichtung ätzt ein Hirsch: Ein Rothhirsch der vier Ellen mißt, Daß sich ein Jägerherze freut, Der dieses Forstes König ist, Mit weit verästetem Gestäud. Her raunt's aus Waldesfinsterniß Zu Tyrrel, der sich duckt ins Moos: „Verdammt daß mir die Sehne riß! Du drück in Teufels Namen los!“ Herr Tyrrel lauscht. „Wer sprach das Wort?“ Ein Weilchen schweigt's im Laubesdach. „Schieß, Tyrrel!“ raunt's von anderm Ort. Er schießt. Genüber stöhnt ein Ach. Herr Tyrrel, das war schlimme Birsch! Im Dickicht rinnt ein Bächlein rot. Ihr fehltet Englands größten Hirsch Und schosset Englands König todt. La Blanche Nef. „Herr König, ich bin Steffens Kind, Der den Erobrer einst geführt! Es ist ein Lehn, daß mein Gesind, Mein Schiff allein den König führt! Voraus den schnellsten Seglern fliegt Mein Boot, La Blanche Nef genannt, Es weiß wo sichre Tiefe liegt, Es furcht das Meer, es kennt den Strand!“ — „Nicht mich, doch meinen besten Hort, Vier Königskinder, führest du — Sie knospen, weil mein Leben dorrt — Die junge Normandie dazu! Gelobe mir dein himmlisch Theil, Gelobe mir dein männlich Wort: Du bringst an Leib und Seele heil Die Kinder mir nach England dort!“ — „Ich schwöre Dir mein himmlisch Theil, Ich schwöre Dir mein männlich Wort: An Leib und Seele bring' ich heil Die Kinder Dir nach England dort!“ Des Schiffers geller Pfiff erscholl, In See das Boot des Königs stach — Ein Korb von frischen Blumen voll, Glitt Blanche Nef, la Belle, nach. So leicht beschwingt wie nie zuvor, Durchfurchte Blanche Nef die See Mit ihrem kräft'gen Knabenflor Und Mägdlein schlank wie Hirsch und Reh. Die Königskinder hell und zart Erhöht inmitten saßen sie, Ringsum gepaart in Zucht und Art Das Edelblut der Normandie. Vier helle Stimmen sangen schön Und hundertstimmig scholl der Chor, Es zog das junge Lustgetön Die Nixen aus der Fluth empor. — „Ich warne junge Herrlichkeit Und dich, normännisch Edelblut, Das Singen schafft der Nixe Leid, Dem freudelosen Kind der Flut!“ — „Und schaffen dem Gezücht wir Leid Und quälen wir das Halbgeschlecht Und reizen wir der Nixe Neid, Das, Steffen, ist uns eben recht!“ Gemach verlosch das Abendrot, Des Tages Gluten schliefen ein, Ausbreitet' über Meer und Boot Der Mond den bleichen Geisterschein. Die See ist wunderlich erregt. Was wandert um des Kieles Lauf? Von Armen wird die Flut bewegt, Beglänzte Nacken tauchen auf. Der Steffen ernst am Steuer stand: „Das Meer ist klar, doch droht Gefahr ...“ Er deutet mit gestreckter Hand: „Da naht sie schon, die Nixenschaar!“ Umklammert hält den schrägen Mast Ein blanker Leib als Schiffsfigur, Daß Blanche Nef, von Graun erfaßt, In wilder Flucht von dannen fuhr. — „Ich warne junge Herrlichkeit, Vergeßt die Nachtgebete nicht!“ — „Ei Steffen, Kind der alten Zeit, Süß herzt es sich im Mondenlicht“ ... Es klimmt und überklimmt das Bord, Es läßt sich nieder aus den Taun, Es kichert wie ein freches Wort, Es schaudert wie ein lüstern Graun ... C. F. Meyer , Gedichte. 17 Es reizt, es quält, es schlüpft, es schmiegt Sich zwischen Edelknecht und Maid, Bis sich das Paar in Armen liegt Zu früher Lust, zu Tod und Leid ... Dem Steffen steigt das Haar. Er starrt Auf ein gespenstig Bacchanal: Die Königskinder hell und zart Verblühen all im Mondenstrahl. „Verloren geht mein himmlisch Theil, Gebrochen ist mein männlich Wort: Nicht bring' an Leib und Seele heil Die Kinder ich nach England dort! Geh nieder, Blanche Nef! Es ragt Links unterm Wasser hier ein Riff ...“ Er dreht das Steuer stracks und jagt Der Klippe zu das Sündenschiff. Der König lauscht zurück: „Das scholl Wie Sterbeschrei!“ Klar ist der Sund. Ein Korb von welken Blumen voll, Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund. Der gleitende Purpur. „Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben. Kaiser Otto lauscht der Mette, Diener hinter sich mit Spend' und Gaben. Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! Heute, da die Himmel niederschweben, Wird dem Elend und der Blöße Mäntel er und warme Röcke geben. Hundert Bettler stehn erwartend — Einer hält des Kaisers Knie umfangen Mit den wundgeriebnen Armen, Dran zerrissner Fesseln Enden hangen. — „Schalk! Was zerrst du mir den Purpur? Harr und beite! Kennst du mich als Kargen?“ Doch der Bettler hält den Mantel Fest und jammert: „Kennst Du mich, den Argen? Du Gesalbter und Erlauchter! Kennst Du mich? ... Du hast mit mir gelegen, Mit dem Siechen, mit dem Wunden, Unter Eines Mutterherzens Schlägen. 17* Aus demselben Wollentuche Schnitt man uns die Kappen und die Kleider! Aus demselben Psalmenbuche Sang das frische Jugendantlitz Beider! Heinz wo bist du? Heinz wo bleibst du? Hast zum Spiele Du mich oft gerufen Durch die Säle, durch die Gänge, Auf und ab der Wendeltreppe Stufen ... Dann als einen falschen Bruder Und Verräther hast Du mich erfunden! Du ergrimmtest und Du warfest In die Kerkertiefe mich gebunden ... In der Tiefe meines Kerkers Hab' ich ohne Mantel heut gefroren ... Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! Heute wird der Welt das Heil geboren!“ „Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ Hundert Bettler strecken jetzt die Hände: „Gieb uns Mäntel! Gieb uns Röcke! Sei barmherzig! Gieb uns Deine Spende!“ Eine Spange löst der Kaiser Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet Ueber seinen sünd'gen Bruder Und der erste Bettler steht bekleidet ... Eia Weihnacht! Eia Weihnacht! Jubelt Erd' und Himmelreich mit Schallen. Glorie! Glorie! Friede! Freude! Und am Menschenkind ein Wohlgefallen! Das Goldtuch. „Ihr Mägde, schaut, was ihr im Schreine habt! Nicht darfst du mir von hinnen unbegabt, Mein blonder Enkel, der der Ahne bot Mit priesterlichen Händen Gott im Brot!“ Mathilde sprach's die Fürstin, sterbeschwach. Richburg die Schaffnerin seufzt' Weh und Ach! „Hin gabst den Armen Alles du! Allein Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“ — „Die goldne Decke! Gebt dem Bischof die! Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!“ ... Der Jüngling zaudert ... „Nimm die Decke! Kränk' Mich nicht!“ Er nimmt und zieht mit dem Geschenk. Sie athmet aus. Es läutet lang und schön Mit allen Glocken von des Münsters Höhn. Was wandert dort im letzten Sonnenblick? Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück. Abspringt ein Reiter, der den Thurm ersteigt. „Den Bischof warf das Roß. Ein Todter schweigt. Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut! Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!“ Frau Agnes und ihre Nonnen. Ein Klosterhof, ein Lenzestag! Ein schwarzer Lindenschatten, Wo der gekrönte Habsburg lag Erstochen auf den Matten. Frau Agnes, die gestrenge Frau, Des Vaters Blut zu rächen, Rief mordend aus: „Ich bad' in Thau!“ Und schritt in rothen Bächen. Sie freute sich in warmes Blut Die Knöchel einzutauchen, Sie warf in stille Dörfer Glut, Sie ließ die Burgen rauchen. Nachdem Gericht gehalten war, Vollbracht die Todtenfeier, Verbarg sie das Medusenhaar Mit einem Nonnenschleier. Sie schuf ein Kloster, wo hervor Aus Grüften Geister schweben, Sie füllt' mit Blumen an den Chor, Mit lauter jungem Leben: Sie raubt das krause Blondgelock Manch einem Edelkinde, Beschert ihm einen schwarzen Rock Und eine blanke Binde. Sie geißelt sich den weißen Leib, Bis rothe Tropfen rinnen, Sie will, das unbarmherz'ge Weib, Den zarten Heiland minnen. Dort sitzt sie unter Lindennacht Am kühlen Klosterbronnen, Sie hat die Bibel mitgebracht Zur Andacht ihrer Nonnen. Am Gatter lauschen Kinder scheu Mit frischgepflückten Veilchen, Ein Weiblein hinkt mit Holz vorbei, Bückt tief sich vor der Heil'gen. Dem jüngsten Nönnchen giebt das Buch Sie jetzt, der lieblich Bleichen: „Wir blieben bei Sankt Pauli Spruch. Sieh her! Da steckt das Zeichen!“ Die Zarte, die das Buch empfing, Beschaut Sankt Paulum denkend. Sie liest. Ihr lauscht der Schwestern Ring, Die Wimper züchtig senkend — „Was frommte mir die Fastenzeit, Was frommten Geißelhiebe, Was frommt' es, trüg' ich hären Kleid, Und mangelte der Liebe?“ Da hebt ein Seufzer manche Brust Im Nonnenrock erbaulich Und manche kecke Lebenslust Blickt traurig und beschaulich ... Die drei gemalten Ritter. „Frau Berte, hört: Ihr dürftet nun Mir einmal einen Gefallen thun!“ — „Was denkt Ihr, Graf? Wohin denket Ihr? Vor den drei gemalten Rittern hier?“ Drei Ritter prahlen auf der Wand Mit rollenden Augen, am Dolch die Hand. „Wer, Frau, ist diese Ritterschaft?“ — „Drei Vettern und alle drei tugendhaft! Gelobt Ihr, Graf, die Ehe mir Bei den drei gemalten Rittern hier, Will ich — Ihr laßt es doch nicht ruhn — Euch einmal einen Gefallen thun.“ Das Gräflein zwinkert den Rittern zu. („Frau Berte, welch eine Gans bist du!“) Das Gräflein hebt die Finger flink. („Frau Berte, du bist ein dummes Ding!“) „Trautlieb, ich schwör' und beschwör' es dir Bei den drei gemalten Rittern hier!“ Jetzt rufen aus einem Mund die Drei: „Es ist geredet und bleibt dabei!“ Die Wand versinkt: dahinter stehn Drei gült'ge Zeugen. So ist's geschehn. Einsiedel. „Was pocht mir an das Fenster? Wer klopft an meine Thür so laut?“ — „Ich bin ein junger Wildfang Und naß bis auf die Haut. Ich bin der Gerold Wendel, Wir ziehen an den Hof zu Zwein, Der Andre ist ein Konrad Und nennt sich Lützelstein. Der duckt sich etwo anders Vor Blitzgezuck und Wetterzorn Und bläst mich morgen munter Mit seinem Jägerhorn. Einsiedel, frommer Bruder, Ihr sehet wie es um mich steht! Gewährt mir Euer Lager Und sprecht mein Nachtgebet!“ Er lallt es halb entschlummert Und streckt die Glieder aus zur Ruh Einsiedel deckt sein Lämpchen Mit beiden Händen zu. „Wie lieblich ist die Jugend! Hätt' ich ein Füllhorn voller Glück, Ich leert' es dir zu Häupten, Es bliebe nichts zurück.“ Der Schlumm'rer wird zum Träumer, In hast'gen Worten redet er, Lacht, weint in Einem Athem Und wirft sich hin und her. — „Ich habe Blut vergossen!“ Einsiedel faßt besorgt ihn an. „Du träumst nicht gut. Erwache! Die Augen aufgethan!“ Er starrt mit wilden Blicken. „Mein Kind, wie hast du mich erschreckt!“ — „Einsiedel, frommer Bruder, Ich bin mit Blut bedeckt. Wir saßen unter Linden, Ich und der Konrad Lützelstein, Ein Fräulein von dem Hofe Bot lachend uns den Wein. Sie streift' mich mit dem Aermel Die binsenschlank gewachsen war, Sie hatte schnelle Augen Und aschenblondes Haar. Sie streift' mich mit der Achsel Und lispelt mir ins Ohr hinein: „Wilt, junger Edelknabe, Mein Trautgeselle sein?“ Da schwang man einen Reigen, Sie reigte mit dem Lützelstein — „Wilt, junger Edelknabe, Mein Trautgeselle sein?“ Mir schwoll die Brust vor Eifer, Ein Hader reißt die Klingen bloß — „Herzbruder, mein Herzbruder, Gabst mir den Todesstoß!“ Einsiedel mahnt: „Erwache!“ Und schiebt zurück sein Fensterlein. Da strömt mit Tannendüften Ein Erdgeruch herein. Und horch, ein Hifthorn schmettert Und eine frische Stimme schallt: „Wo steckt der Gerold Wendel? Den such' ich durch den Wald!“ Das Münster. Des Meisters hohle Wange brennt, Sie bringen ihm das Sacrament, Er ißt des ew'gen Lebens Brot, Im Stubenwinkel grinst der Tod. Fort trägt der Pfaffe die Monstranz. Mit Augen scharf von Fieberglanz Winkt weg der Meister seinem Weibe, Dem Sohn, dem einz'gen, winkt er: Bleibe! Und deutet auf den Eichenschrein: Was mag da Köstlich's drinnen sein? Der Jüngling hebt ein Pergament Aus einer Lade die er kennt Und breitet auf die Lagerstatt Ein langsam aufgerolltes Blatt. Da dehnt sich feierlich gewaltig Ein Münster eins und mannigfaltig Vom obern bis zum untern Rand — Ein Riß von jugendkühner Hand. Der Meister sieht am Bret sich stehn Und seine Zeichenkohle gehn, Sieht über blühendfrische Wangen Verworrne Haare niederhangen — Und vor dem ersten seiner Pläne Erstaunt er und zerdrückt die Thräne. Auflodern seine Lebensgeister, Mit raschen Pulsen spricht der Meister: „Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder, Wo in der Vaterstadt ich nieder Gelegt den Stab der Wanderschaft — Ich schritt in voller Jugendkraft. Daheim war ein begeistert Leben, Ein Münster wollten sie erheben Mit andern Ländern um die Wette Und höher noch als andre Städte, Gott und den Heil'gen all zum Ruhm, Zur Ehre deutschem Bürgerthum. Mich ließ auf seine Stube kommen Der Rath. „Laß, junger Meister, frommen, Was du erwandert hast! Wohlan! Entwirf uns eines Münsters Plan!“ Da saß ich auf in langen Nächten, Zur Linken standen mir und Rechten, Der Christ mit seiner Märtrerschaar, Die Kaiser mit den Kronen gar, Viel reine Fraun und Helden gut, Die nahmen mich in Zucht und Hut, Wollt' ich in schwelgendes Verzieren, In üppig Blattwerk mich verlieren, Und opfert's nicht mit keuschem Sinn Dem Ganzen streng ich zu Gewinn, Gleich schlug ein altes Heldenbild Erzürnt an seinen ehrnen Schild, Den Finger hob (das Haupt von Licht Umrahmt) ein Heil'ger: Tändle nicht! Das Amt, das dir zu Lehen fiel, Das ist ein Werk und ist kein Spiel! Da war's als ich die Kohle führte, Daß Gott der Geist das Werk berührte: Gemach begann der Dom zu schweben Und regte sich aus eignem Leben, Mich riß es über mich empor, Mit schlanken Stämmen wuchs der Chor, Gen Himmel blüht' in Laub und Ranke. Der menschlich göttliche Gedanke — Das Münster stand auf meinem Blatte, Still dacht' ich, Wer's vollendet hatte. Im Flur auf unserm städt'schen Haus Stellt' ich das Blatt den Blicken aus, Und wie die Bürger nahe traten, Sprach Aller Mund: Du hast's errathen! So und nicht anders soll es sein. Da legt' ich meinen ersten Stein, Aus allen Herzen, allen Händen In freud'ger Fülle quollen Spenden. Beschattend schon die Häusermasse Entstieg der Dom dem Lärm der Gasse Und wuchs mit abgemessnen Schritten, Die Wolken und die Jahre glitten, Doch karger werdend mit den Jahren, Begannen Hand und Herz zu sparen, Die Flamme der Begeistrung fiel In müde Asche vor dem Ziel. Erst sprach der Rath von kurzen Fristen, Und stiller ward's auf den Gerüsten, Dann setzten neue Frist sie wieder, Das Baugestelle faulte nieder. C. F. Meyer , Gedichte. 18 Laut feilschte rings der Markt und summte, Sobald der Hammerschlag verstummte, Mit ekeln Buden ward verklebt Der Pfeiler, der nach oben strebt. Ich aber ging dem Brote nach, Baut' Erkerlein und Giebeldach, Ein wackrer Lohnknecht wie die Andern. Doch Abends im Nachhausewandern Bei trauter Dämmerglocke Klang Stand ich vor meinem Münster lang, Die Glut erklomm den höchsten Trümmer, Verglomm in letztem Tagesschimmer, Noch ging das Knabenspiel im Braus Rings um das dunkelnd hohe Haus. Wohl hemmt ein Junge kurz den Lauf Und schaut am Münster trotzig auf — Dann runzelt' ich die weißen Braun Und dachte: Werden's Diese baun? Inzwischen schossen auf die Reiser, Sie wurden saft'ger und ich greiser. Jüngst irrt' ich traurig und allein Um meinen Dom im Abendschein, Ernst stand das junge Volk beisammen, Die kräft'gen Augen sprühten Flammen, Sie schienen warm sich zu verschwören Und redend nur auf sich zu hören, Ich schlich in ihre Nähe leis, Aus Einem Munde sprach der Kreis: „Bei Gottes Haupte! Wir vollenden Den Dom mit diesen unsern Händen!“ ... Ob sie den ersten Meister kennen Des Werks, das sie zu enden brennen? Nach den Gesichtern keck und neu Blickt' ich hinüber still und scheu ... Mit einem Male rief ein dreister Gesell: „Begrüßt den alten Meister!“ Und riß die Kappe sich vom Haar, Da grüßte mich die ganze Schaar. Habt Dank und Gottes Lohn, Gesellen! Ihr wollet die Gerüste stellen? Nicht ich — Habt Dank und Gottes Lohn — Geht hin und rufet meinen Sohn! Wie wird mir? ... Schallt im Dom das Amt? Die Glocken dröhnen allesammt ...“ Er faßt des Sohnes Rechte. „Schau! Es steigt ... Mein Münster steigt im Blau!“ Er starrt, den Blick emporgewendet. Er neigt das Haupt. Er seufzt: „Vollendet!“ 18* Die Krypte. Baut junge Meister, bauet hell und weit Der Macht, dem Muth, der That, der Gunst der Stunde, Der Dinge wahr und tief geschöpfter Kunde, Dem ganzen Genienkreis der neuen Zeit! Des Lebens unerschöpften Kräften weiht Die freud'ge, lichtdurchfluthete Rotunde — Baut auch die Krypte drunter, wo das wunde Gemüth sich flüchten darf in Einsamkeit: Vergeßt die Krypte nicht! Dort soll sich neigen Das heil'ge Haupt, das Dornen scharf umwinden! Ich glaube: Ein'ge werden niedersteigen. Dort unten werden Ein'ge Trost empfinden. Wir mögen, wenn die Leiden uns umnachten, Nicht Glück noch Ruhm, nur größern Schmerz betrachten. VIII . Genie . Camo ë ns. Camo ë ns, der Musen Liebling, Lag erkrankt im Hospitale. In derselben armen Kammer Lag ein Schüler aus Coimbra, Ihm des Tages Stunden kürzend Mit unendlichem Geplauder. „Edler Herr und großer Dichter, Was sie melden, ist es Wahrheit? Daß gescheitert eines Tages Am Gestad von Coromandel Sei das undankbare Fahrzeug, Das beehrt war, Euch zu tragen? Daß Ihr, kämpfend in der Brandung, Mit der Rechten kühn gerudert, Doch in ausgestreckter Linken, Unerreicht vom Wellenwurfe, Hieltet Eures Liedes Handschrift? Schwer wird solches mir zu glauben. Herr, auch mir, wann ich verliebt bin, Sind Apollo's Schwestern günstig; Aber ging' es mir ans Leben, Flattern meine schönsten Verse Ließ' ich wahrlich mit dem Winde, Brauchte meine beiden Arme!“ Antwort gab der Dichter lächelnd: „Solches that ich, Freund, in Wahrheit, Ringend auf dem Meer des Lebens! Wider Bosheit, Neid, Verleumdung Kämpft' ich um des Tages Nothdurft Mit dem einen dieser Arme. Mit dem andern dieser Arme Hielt ich über Tod und Abgrund In des Sonnengottes Strahlen Mein Gedicht, die Lusiaden, Bis sie wurden, was sie bleiben.“ Michel Angelo und seine Statuen. Du öffnest, Sklave, deinen Mund, Doch stöhnst du nicht. Die Lippe schweigt. Nicht drückt, Gedankenvoller, dich Die Bürde der behelmten Stirn. Du packst mit nerv'ger Hand den Bart, Doch springst du, Moses, nicht empor. Maria mit dem todten Sohn, Du weinst, doch rinnt die Thräne nicht. Ihr stellt des Leids Geberde dar, Ihr meine Kinder, ohne Leid! So sieht der freigewordne Geist Des Lebens überwundne Qual. Was martert die lebend'ge Brust, Beseligt und ergötzt im Stein. Den Augenblick verewigt ihr Und sterbt ihr, sterbt ihr ohne Tod. Im Schilfe wartet Charon mein, Der pfeifend sich die Zeit vertreibt. Conquistadores. Zwei edle Spanier halten Wacht Und einer spricht zum andern: „Señor, mir däucht, der Teufel lacht, Wie wir ins Leere wandern! Das Segel rauscht, es rauscht der Kiel, Noch keines Strandes Boten — Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel, Wir wandern zu den Todten! Wer einem Genuesen traut, Hat den Verstand verloren! Die Klugen hat er schlecht erbaut, Doch lockt er alle Thoren — Rund sei die Erde, log er mir, Wie Pomeranzenbälle, Doch unermeßlich fluthet hier Nur Welle hinter Welle!“ Der Andre blickt ins Meer hinaus Und runzelt finstre Brauen: „Señor, mich zog Columb ins Haus, Ließ mich die Karten schauen, Was er docirt', verstand ich nicht, Ich ließ es alles gelten — Sein übermächtig Angesicht Verhieß mir neue Welten! Betrog er sich und haben wir Uns in das Nichts verlaufen, Ein räud'ger Hund, Seor, wie Ihr Darf fröhlich mit ersaufen!“ — „Seor, da betet Ihr nicht gut! Zurück Euch in den Rachen Den räud'gen Hund! Ihr raucht von Blut Und Ihr entsprangt den Wachen!“ „Seor, ich dolcht' ein falsches Weib, Bekenn' ich unverhohlen! Nicht hab' dem Bäcker einen Laib Vom Bret ich weggestohlen! Seor, Ihr seid ein Galgenstrick!“ — „Seor, Ihr seid nicht besser!“ Sie ziehen mit entflammtem Blick Und kreuzen blanke Messer ... Da zwischen ihre Messer walzt In tollem Freudensprunge, Mit ölgetränkten Fingern schnalzt Miguel, der Küchenjunge. Er drückt die Lider blinzelnd ein Mit schlauem Wimperzwinken, Bald hüpft er auf dem rechten Bein, Bald hopst er auf dem linken, In Lüften bläht sich sein Gewand, Es puffen ihm die Hosen — Neugierig kommen hergerannt Soldaten und Matrosen. Der Junge redet kunterbunt, Als ob's im Kopf ihm fehle, Dann öffnet er den großen Mund Und singt aus voller Kehle: „Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt, Stimmt Laudes an und Psalmen! Und wenn's mir nicht vor Freude stirbt, Bald weidet's unter Halmen! Ich schwör' es Euch bei Gottes Haupt: Es athmet duft'ge Weiden, Es wittert Wälder dichtbelaubt Und unermessne Haiden! Erlauchte Herren, gebet Acht, In meinem engen Räumchen Hat unsre Meerfahrt mitgemacht Ein andalusisch Heimchen — Mitnahm ich's aus dem Vaterland, Mich scheidend zu beschenken, Ich fing's mit flinkem Griff der Hand Zu einem Angedenken. Da wir zu Schiffe stiegen dort, Die Zierden aller Lande, Zirpt' Heimchen mir im Busen fort, Als weidet's noch am Strande. Das grüne Vorgebirg verschwand, Dem Heimchen ward es schaurig, Beklommen saß es an der Wand Und wurde faul und traurig. So darbt's und dämmert's langezeit, Schon gab ich es verloren, Und nun, bei meiner Seligkeit, Ist Heimchen neu geboren! Bedenkt, es hockte gram und lahm An Dielen und an Wänden, Jetzt jubelt's wie ein Bräutigam Und kann nur gar nicht enden!“ Miguel ist fort und wieder da, Die Fingerspitze zeigend: Da sitzt es ja! da singt es ja! Die Männer lauschen schweigend — Dann sinnen sie der Sache nach, Den Lustgesang im Ohre, Sie schütteln sich die Hände jach Und schrei'n in wildem Chore: „Das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt! Bald schwelgen wir in Beute! Wer spielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt! Wir sind gemachte Leute! Die Küste winkt! Das Gold erblinkt, Davon die Sagen melden! Das Morgen steigt! Das Gestern sinkt! Wir sind berühmte Helden!“ Don Fadrique. Don Fadrique bringt ein Ständchen Seiner drolligen Pepita: „Liebchen, strecke durch die Thüre Deines Füßchens Spitze nur!“ Und die drollige Pepita Streckt durch eine schmale Spalte Eines allerliebsten Fußes Weißes Spitzchen in die Luft. Don Fadrique krümmt den Rücken, Will das weiße Spitzchen küssen, Knabe Amor steht bei Seite, Der den Bogen lachend spannt. Nach dem ewig jungen Herzen Zielt er, doch wer lacht, der zielt schlecht: In des Ritters alten Rücken Schießt er einen Hexenschuß. Don Fadrique's Knochen rasseln, Don Fadrique stürzt zusammen, Figaro holt eine Sänfte, Figaro bringt ihn zu Bett. „Frommer Bruder Agostino, Exorcire mir das frevle Allerliebste weiße Füßchen Das durch meine Beichte tanzt!“ Don Fadrique sucht den Hades, Zierlich schreitend wie ein Stutzer, Tänzelnd leuchtet ihm ein weißes Füßchen durch die Unterwelt. Die Schweizer des Herrn von Tremouille. Herr Karl war verdrossen, Sein Pulver verschossen: „O Gunst der Bellona, du wandelndes Glück! Umstarrt aller Enden Von Felsen und Wänden Laß ich meine herrlichen Büchsen zurück?“ Da kam aus der Pouille Herr Ludwig Tremouille Und sprach: „Ich bezwinge die schwindelnde Bahn! Nicht Rosse, nicht Farren Vor Büchsen und Karren! Ich spanne mich selbst und die Schweizer daran. Die kennen die Berge! Das sind keine Zwerge, Wie deine Gascogner, die zapplige Brut! Die haben dir Arme, So harte, so warme! Herr König, ich steh' für die Büchsen dir gut! Ihr Herrn aus den Bünden, Bedenkt eure Sünden: Den rollenden Würfel, den Becher, die Dirn! Die wollen wir fegen Auf brennenden Wegen, Die büßen wir heute mit triefender Stirn! Weg warf er die Jacke, Daß fester er packe Das Seil um die erste Kanone geknüpft — Da jauchzten die Buben Und schoben und huben, Im Nu aus den puffigen Wämsern geschlüpft. Der stämmige Berner, Der lust'ge Luzerner Sie streiften die nervigen Arme sich nackt; Die Kinder der Rhone, Der braune Grisone, Sie zogen die rasselnden Büchsen im Takt. Ein knarrendes Stöhnen, Metallenes Dröhnen! Sie fuhren zu Berg mit der Heerde von Erz, Vorüber den Schründen, Die Herrn aus den Bünden, Als ging' es zum Reigen mit Jubel und Scherz. Ein prächtiges Wetter! Drommetengeschmetter Erschüttert die blaue, die strahlende Luft. Ihr schollt, Apenninen, Von hellen Clarinen Und klangt bis in eure verborgenste Schluft! C. F. Meyer , Gedichte. 19 Doch hartes Bedenken! Da gab's keine Schenken Für durstige Gaumen und siedendes Blut. Herr Ludwig ruft munter: „Bald geht es bergunter!“ Und reißt an dem Seil in der sengenden Glut. Wie kicherte Flore, Wie höhnte Aurore, Erblickten hemdärmlich den Ritter sie hier! Mit keuchender Lunge, Mit lechzender Zunge, Den zierlichen Helden an Fest und Turnier! Noch einmal geschoben Und jetzt sind sie oben! Sie rasten, auf glühende Felsen gestreckt, Und sehen mit Weiden Und goldnen Getreiden Die fette lombardische Fläche bedeckt. Der Liebling der Frauen Nahm, sich zu beschauen, In Züchten sein silbernes Spieglein hervor, Besah in der Wildniß Sein schreckliches Bildniß Und fluchte: „Potz Blitz! Ich bin Ludwig der Mohr!“ Die Seitenwunde. Ueber ihre Thore statt der Muse Meißeln die Baglioni die Meduse Und an ihren grausen Hochzeitsfesten Kämpft der Bräutigam mit seinen Gästen. Heute liegen wieder sie wie Garben: Blutsgenossen, die sich würgend starben! Wo des Bruderhasses Fackel brannte, Sucht das Kind und findet's Atalante. Niederstarrend, auf das Knie gesunken, Hebt des Sohnes Haupt sie jammertrunken, Drüber hebt sie die geballte Rechte, Daß sie fluche diesem Mordgeschlechte ... Ihrem Knaben steht die Seite offen, Wo der Speer Longin's den Herrn getroffen, Ihres Knaben Haupt, ein blondes ist es, Wie das dorngekrönte Haupt des Christes ... Wie des Christes Haupt ist's ein erbleichtes, Auf die Schulter friedevoll geneigtes, Haß und Fluch erlischt auf ihrem Munde, Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde ... 19* Cäsar Borja's Ohnmacht. Wer bin ich? Einer welcher unterging, Den Kranz im Haar, den Becher in der Faust, Mit einem herculanischen Gelag Von einem ungeheuren Sturz bedeckt? Ich weiß den Becher nur und meinen Sturz ... Im Belvedere ... Gestern ... Am Bankett .. . Den Becher, ihn kredenzte schlürfend mir Der Papst, der ewig heiter lächelnde, Denn Cäsar Borja bin ich, Sohn des Papsts! Die Ampel über meinem Lager kämpft Mit eines neuen Tages fahlem Schein ... Ob's gestern oder ehegestern war, Ich weiß es nicht, doch Eines weiß ich wohl: In jenem Becher gohr der Borja Gift. Er galt dem Gast, dem Bischof. Selbst gewürzt Hat sich der Vater ew'gen Schlummers Trunk! Ein Becher ward verwechselt. Warum nicht? Verrath des Schenken? Zufall? ... Es geschah. Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwang Das Drachengift. Die Stunde ruft. Zur That! Leer steht ein Thron und eine Krone rollt. Verbraucht ist das Apostelmärchen. Weg Damit! Der Vater war der letzte Papst! Ein König folgt ihm nach und der bin ich. Entscheidungsstunde, nicht erschreckst du mich, Ich habe lange dich voraus bedacht: Entlarve mir dein kühnes Angesicht! Du heißest Heute! Kämmrer, gieb das Schwert! Reif stehn die Ernten und die Sichel blitzt. Marsch, meine Banden! Richtet das Geschütz Auf des Conclave Kammern! Suchst du mich, Hauptmann? Im Borgo, sagst du, wird gekämpft? Ich komme! Ich vertausendfache mich! Ich steige mordend auf das Capitol Und mit Italiens Krone krön' ich mir Dies Haupt das seine Frevel überragt! Ich träume nur und komme nicht vom Platz. Sturmlaufend bleib' ich eingewurzelt stehn. Gelähmte Sehnen! Meuchlerisches Gift! Auf einem Krankenlager krümm' ich mich. Kein Diener hier! Kein Arzt an meinem Pfühl! Miethlinge! Meine Stunde schwebt vorbei, Mit flieh'ndem Fuß berührt sie spottend mir Die Faust, die ein erdichtet Schwert umkrampft. Verweile, Schicksalsstunde! ... Doch sie schwebt. Ich fühle meiner Feinde heimlich Werk: Sie schaufeln, sie miniren, während ich Geschleudert aus der Schranke liege ... Dort! Die grüne Feuerkugel! Ein Signal Von meinen Banden? Nein, ein Meteor Zuckt flüchtig durch die schwüle Sommernacht. Hier über Roma's Kuppeln loht es auf: Nahn fackelschwingend meine Banden sich? Nein, es ist Borja's Glück das flammt und brennt Und seine Zinnen stürzen! Wehe mir! Dem Valentino netzt die Wimper sich ... Pfui! Ist das eines Weibes Augenlid? Verzweiflung! Göttin! Stähle meinen Leib! Ich winde mich von meinem Lager auf, Ich schreite ... Keiner sieht's ... Ich schreite. Bei Der nackten Hölle, Sehnen, strammet euch! ... Verdammniß! ... Wieder lieg' ich hingestreckt ... Und ein erdolchter Knabe fesselt mich Mit Ringen an den Stein ... Dort gafft ein Weib, Die Haare triefend, mit geschwollnem Hals ... Blutlose Brut! Weg in des Tibers Grab! ... Aus allen Wänden quillt es schwarz hervor Und dunkelt über mir ... Unsagbar Graun ... Papst Julius. Halb vom Hades schon bezwungen, Von Lemuren schon umschwebt, Hat er doch sich losgerungen — Sieh er athmet! Sieh er lebt! Hinter seinen greisen Brauen Flammt's! Jetzt langt er nach dem Bart, Zürnt und schilt den Tod mit rauhen, Ungestümen Worten hart: „Weg mir aus dem Angesichte, Larven, die mir bleich gedroht! Charon, aus dem Sonnenlichte Weg ins Schilf mit deinem Boot! Keine Macht ist dir gegeben, Bis ich selbst dich rufen mag! Heute hab' ich noch zu leben Einen vollgedrängten Tag! Arzt, statt deiner faden Tropfen Gieb mir des Falerners Glut! Lasse meine Pulse klopfen, Wirf mir Feuer in das Blut! Auf die Thüren! Weg die Kissen! Meine Feldherrn, tretet ein! Meine Meister, laßt sie wissen, Daß sie dreifach emsig sei'n! Regst, Bramante, die geschickten Hände du? Vollende doch! Diese Augen, sie erblickten Gerne deine Kuppel noch! Michel Angelo, willkommen! Warum schaust du wieder scheel? Dort erblick' ich meinen frommen, Meinen süßen Raphael! Als den Hirten nicht des Lammes, Bildet mich als Mosen ab, Der den Dränger seines Stammes Niederschlug mit wucht'gem Stab — Wo die Wasserstürze tosen In die Brunnenschale jach, Setzet, Meister, mich als Mosen, Der die Felsenwand zerbrach! Moses bin ich, in dem Blitze Sinai's, in Rauch und Dampf: Meine donnernden Geschütze Enden flammend jeden Kampf! Mit den neugegoßnen Stücken Bring' ich Burg und Stadt zu Fall, Schmettre Breschen, breche Lücken In den stärksten Mauerwall! Falkner, sprich, was macht mein Sperber, Der die Klaue sich zerstieß? Marschalk, sag, wie lebt mein Berber, Den zu scharf ich jagen ließ? Tummelt, Diener, zum Ergötzen Mir im Hof ein feurig Thier! Laßt es springen, laßt es setzen Vor den alten Augen mir! Helmt mir die gefurchte Stirne! Harnischt mir die welke Hand! Der Italien macht zur Dirne, Jagt den Fremdling aus dem Land! Reicht ein Schwert! Ich will es retten! Ruft, Drommeten, ruft zur Schlacht! In der Faust zerrißne Ketten, Schreit' ich durch des Hades Nacht!“ Michel Angelo. In der Sistine dämmerhohem Raum, Das Bibelbuch in seiner nerv'gen Hand, Sitzt Michel Angelo in wachem Traum, Umhellt von einer kleinen Ampel Brand. Laut spricht hinein er in die Mitternacht, Als lauscht' ein Gast ihm gegenüber hier, Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht, Bald wieder wie mit Seinesgleichen schier: „Umfaßt, umgrenzt hab' ich Dich, ewig Sein, Mit meinen großen Linien fünfmal dort! Ich hüllte Dich in lichte Mäntel ein Und gab Dir Leib, wie dieses Bibelwort. Mit weh'nden Haaren stürmst Du feurig wild Von Sonnen immer neuen Sonnen zu, Für Deinen Menschen bist in meinem Bild Entgegenschwebend und barmherzig Du! So schuf ich Dich mit meiner nicht'gen Kraft: Damit ich nicht der größre Künstler sei, Schaff mich — ich bin ein Knecht der Leidenschaft — Nach Deinem Bilde schaff mich rein und frei! Den ersten Menschen formtest Du aus Thon, Ich werde schon von härterm Stoffe sein, Da, Meister, brauchst Du Deinen Hammer schon, Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein. Der Schreckliche. Benvenuto, sprich, was schmiedest Du wie rasend in der Werkstatt? Welches ungeheure Kunstwerk? — „Messer! Scharfe feine Messer!“ Benvenuto, sprich, was prahlst du? Welche ungeheure Lüge Tischest auf du den Gesellen? — „Ich bin stummer als ein Fischchen.“ Benvenuto, sprich, was drohst du? Welche ungeheure Mordthat, Die vor Abend du begehn wirst? — „Ich bin frömmer als ein Lämmlein.“ Benvenuto bringt die Eisen Meister Jakob von Perugia, Der den kranken Finger schneidet Dem geduld'gen Kind des Goldschmieds. Benvenuto's glühnde Blicke Folgen jedem Schnitt des Stahles. „Rafaella, schmerzt mein Messer?“ „Benvenuto, nein, es schmerzt nicht.“ Auf Ponte Sisto. Süß ist das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder Brücke Schau' ich die Ufer entlang dieser unsterblichen Stadt. Burgen und Tempel verwachsen zu Einer gewaltigen Sage! Unter mir hütet der Strom manchen verschollenen Hort. Dort in der Flut eines Nachens Gespenst! Ist's ein flüchtiger Kaiser? Ist es der „Jakob vom Kahn“ In den dreißiger Jahren des sechszehnten Jahrhunderts setzte Meister „Jakob vom Kahn“ zwischen Ponte Sisto und St. Angelo die Leute über die Tiber. , der Buonarotti geführt? Gellend erhebt sich Gesang in dem Boot zum Ruhme des Liebchens. Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück. IX. Männer . Hussens Kerker. Es geht mit mir zu Ende, Mein Sach und Spruch ist schon Hoch über Menschenhände Gerückt vor Gottes Thron, Schon schwebt auf einer Wolke, Umringt von seinem Volke, Entgegen mir des Menschen Sohn. Den Kerker will ich preisen, Der Kerker, der ist gut! Das Fensterkreuz von Eisen Blickt auf die frische Flut Und zwischen seinen Stäben Seh' ich ein Segel schweben, Darob im Blau die Firne ruht. Wie nah die Flut ich fühle, Als läg' ich drein versenkt, Mit wundersamer Kühle Wird mir der Leib getränkt — Auch seh' ich eine Traube Mit einem rothen Laube, Die tief herab ins Fenster hängt. Es ist die Zeit zu feiern! Es kommt die große Ruh! Dort lenkt ein Zug von Reihern Dem ew'gen Lenze zu, Sie wissen Pfad und Stege, Sie kennen ihre Wege — Was, meine Seele, fürchtest du? Der Landgraf. Mir sitzt zu Hause jung gezähmt Und leicht gelähmt Ein Steinaar im Verließe, Der martert sich den Hals zu drehn, Ins Blau zu sehn, Aus dem er gerne stieße. So streck' ich Landgraf ebenfalls Den Kopf und Hals Wohl durch das Kerkergitter, Ob etwas auf der Straße zieht Für mein Gemüt, Ein Schüler oder Ritter. Der Kaiser, der vergichtet ist, Drum gerne mißt Die Kost der harschen Lüfte, Vergaß wie schwer ein ganzer Mann Entrathen kann Das Jagdhorn an der Hüfte. Ich wurde hinterrücks gefällt, Ein Netz gestellt Ward mir mit falschen Schriften! Wer mir mit lächelndem Gesicht Die Treue bricht, Der kann mich auch vergiften! C. F. Meyer , Gedichte. 20 Wär' ich ein römisch blöder Mann, Ich wähnte dann: Damit hätt' ich's verbrochen, Daß triumphirend ich hinaus Zum Gotteshaus Schmiß Mühmchen Lisbeths Knochen! Die Reliquien der heiligen Elisabeth. Jüngst warf ich auf den Festungsrain Ein Stüberlein Dem Bettler hin, dem lahmen: Den schlug der Spanier bis aufs Blut — Mich fraß die Wuth — Der Teufel hol' ihn! Amen! Wohl läg' ich besser auf dem Feld — „Ade, du Welt!“ — Gewundet und erstochen! Wie Meister Ulrich Zwingli lag, Am grünen Hag, Den hellen Blick gebrochen! Nun tröstet mich das Eine doch: Das päpstlich Joch Ist in den Dreck getreten! Wir dürfen ohne Clerisei Und Heuchelei Getrost zum Herrgott beten! Der Rappe des Comturs. Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr, Man führt' ihm seinen Rappen her: „Den Zwingli laß ich nicht im Stich, Und kommt ihr mit, so freut es mich.“ Da griffen mit dem Herren wert Von Küsnach dreißig frisch zum Schwert: Mit Mann und Roß im Morgenrot Stieß ab das kriegbeladne Boot. Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht Flog Kunde von verlorner Schlacht. Von drüben rief der Horgnerthurm, Bald stöhnten alle Glocken Sturm, Und was geblieben war zu Haus, Das stand am See, lugt' angstvoll aus. Am Himmel kämpfte lichter Schein Mit schwarz geballten Wolkenreihn. „Hilf Gott, ein Nachtgespenst!“ Sie sahn Es drohend durch die Fluten nahn. Wo breit des Mondes Silber floß, Da rang und rauscht' ein mächtig Roß Und wilder schnaubt's und näher fuhr's ... „Hilf Gott, der Rappe des Comturs!“ Nun trat das Schlachtroß festen Grund, Die bleiche Menge stand im Rund. Zur Erde starrt' sein Augenstern, Als sucht' es dort den todten Herrn ... Ein Knabe hub dem edeln Thier 20* Die Mähne lind: „Du blutest hier!“ Die Wunde badete die Flut, Jetzt überquillt sie neu von Blut, Und jeder Tropfen schwer und rot Verkündet eines Mannes Tod. Die Comturei mit Thurm und Thor Ragt weiß im Mondenglanz empor. Heim schritt der Rapp das Dorf entlang, Sein Huf wie über Grüften klang, Und Alter, Wittwe, Kind und Maid Zog schluchzend nach wie Grabgeleit. Die spanischen Brüder. „Da find' ich dich! In Wintergraus Hält dich ein deutsches Donaunest, Ein schneebelastet Giebelhaus, Kind einer heißen Sonne, fest. Was treibst du hier? Mit toller Brunst Bohrst du dich in Folianten ein? Vom Teufel kommt die schwarze Kunst! Griechisch? Die Kirche spricht Latein! Darüber sitzest, Nacht um Nacht, Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht! Auch siehst du bleich und überwacht, Der sonst so weidlich ritt und focht! Du darbst? Du meidest jede Lust? Von allem Denken mach dich frei! Verbrenn' an einer warmen Brust, Ertränk' in Wein die Ketzerei! Ergreife Schwert und Eisenhut! Dem Spanier ward die Welt zum Raub! Nach Flandern! Eh dein Edelblut Versiegt in ekelm Bücherstaub! Mein Bruder Juan, komm mit mir, Beflecke nicht der Diaz Ruhm! Ersäuf' im Quadalquivir Das gottverdammte Lutherthum! In Wittenberg hast du — absurd! — Auf einer Schule Bank gehockt! Bei diesem Dolch an meinem Gurt, Ich morde den der dich verlockt! Der Vater ist ein alter Christ Und sähe lieber dich im Grab! Die Mutter, welche gläubig ist — Der Mutter drückst das Herz du ab! Nie hat ein Diaz falsch geglaubt! Nicht wahr? Uns thust du nicht die Schmach, Geliebter Bruder, theures Haupt! Ich eilte deinen Schritten nach! Juan, ich reiße dich heraus Mit dieser meiner Arme Kraft! Die Rosse stampfen vor dem Haus, Geführt von meiner Dienerschaft. Du schweigst? Bekenn mir ob's geschah! Thatst du den Schritt? Du schüttelst: Nein! Wirst du ihn thun? Ja? Du nickst: Ja? ... Juan, es muß geschieden sein!“ Eng hält den Bruder er umfaßt, Bang stöhnend senkt er Blick in Blick, Küsst, küsst ihn noch einmal in Hast — Und stößt den Dolch ihm durchs Genick. Er hält den Bruder lang im Arm, Mit unerschöpften Thränen netzt Und badet er den Todten warm: „Noch starbest als ein Christ du jetzt!“ Der schöne Tag. In kühler Tiefe spiegelt sich Des Juli-Himmels warmes Blau, Libellen tanzen auf der Flut, Die nicht der kleinste Hauch bewegt. Zwei Knaben und ein ledig Boot — Sie springen jauchzend in das Bad, Der eine taucht gekühlt empor, Der andre steigt nicht wieder auf. Ein wilder Schrei: „Der Bruder sank!“ Von Booten wimmelt's schon. Man fischt. Den Einen rudern sie ans Land, Der fahl wie ein Verbrecher sitzt. Der andre Knabe sinkt und sinkt Gemach hinab, ein Schlummernder, Geschmiegt das sanfte Lockenhaupt An einer Nymphe weiße Brust. Das Auge des Blinden. Durch das Marktgedräng von Namur Stelzt ein narb'ger armer Krüppel. — „Leute, bringt mich zu Don Juan!“ — „Schweigst du wohl, da ist Don Juan!“ „Schweigst du wohl, da ist Don Juan!“ In des Volkes Gasse reitet Ein Gespenst am hellen Tage: Don Juan der Oesterreicher — Don Juan der Oesterreicher, Der im Wein das Gift getrunken König Philipps, seines Bruders, Und Don Juan kennt den Mörder. Seinen Mörder kennt Don Juan, Auch den armen Krüppel kennt er, Der den Bügel ihm betastet, Der die Hand ihm deckt mit Küssen — Der ihm deckt die Hand mit Küssen: „Bin zerfetzt wie eine Fahne! Wohne jetzt in Barcelona — Braves Volk, bei meiner Ehre! Braves Volk, bei meiner Ehre: „Alter, leere dieses Glas mir!“ „Alter, kanntest du Don Juan?“ „Sprich uns immer von Don Juan!“ Immer sprech' ich von Don Juan! In den Schenken an dem Hafen Gab ich tausendmal zum Besten Die Victoria von Lepanto! Die Victoria von Lepanto Gab ich tausendmal zum Besten ... Hergestelzt bin ich nach Flandern Zu dem Abgott meines Lebens! O Du Freude meines Lebens! Sohn des Kaisers! Kind des Glückes! Deines Volkes Held und Liebling! Ruhmgekrönter junger Feldherr! Ruhmgekrönter junger Feldherr Mit den goldnen Ringelhaaren, Mit den strahlend blauen Augen, Eia schöner Engel Gottes! Eia schöner Engel Gottes ...“ Durch die Menge die des Todes Bild betrachtet, geht ein Schauder. Juan der gespenstig bleiche, Juan der gespenstig bleiche Sucht erstaunt das Aug des Krüppels — Ist es trunken? Loht's im Wahnsinn? Es ist leer. Es ist erloschen. Es ist leer. Es ist erloschen. Don Juans zerstörte Jugend Blüht in eines Blinden Auge Fort in unversehrter Schönheit. Die verstummte Laute. Sie mochte gern an seiner Schulter lehnen In einem weichen Abenddämmerlicht, Sie barg vor ihm das Rieseln ihrer Thränen, Den halbenthüllten Reiz der Seele nicht: „Freund, einz'ger Freund auf diesem düstern Eiland, Ich welke! Chastelard, auch du bist bleich! Schlag deine Laute! Singe mir von weiland! Von meinem ersten Königreich!“ Er stürmte durch die Saiten: „Jener Tage Ins Meer gesunkne Sonnen sind verblaßt! Maria Stuart! Ich erhebe Klage, Daß du geschluchzt an meinem Herzen hast! Mit deinen Zähren bade hier dem reinen, Entseelten Gott die Marmorfüße bleich — Weib, sündlich ist's vor einem Menschen weinen Mit diesen Augen warm und weich! Was war ich dir? Der nichtige Vertraute! Ein Echo, das von deinen Seufzern scholl! Ein Spiegel, drin sie eitel sich beschaute, Die Zähre, die dir an der Wimper quoll! War dir die Laute nur, darauf zu breiten Die Fingerspitzen und ich hallte schön — Ich hasse dich!“ Er riß entzwei die Saiten Mit einem gellen Mißgetön. Er floh davon hinaus in Wald und Wildniß, Doch wo er lechzend schlürft' aus einem Quell, Sah er im Brunnen ein geliebtes Bildniß Aus naher Tiefe schimmern dunkel hell, Sah er ein blasses Angesicht in Zähren, Es schwand und blickte wiederum empor, Von Sehnen und Erfüllen und Gewähren Rauscht's um den Born in Schilf und Rohr. „Maria!“ so beginnt in ihrer Kammer Am Lager knieend sie das Nachtgebet, „Maria!“ wiederholt voll Glut und Jammer Ein Mund, der neben ihr im Dunkel fleht. Sie schreit. Man kommt. Von Fackelglut umlodert Bebt sie vor Zorn: „Ein Mörder! fesselt ihn!“ Er lächelt: „Bist du schön!“ Unaufgefordert Giebt er den Schergen sich dahin. Er schreitet seinem Blutgerüst entgegen In einem klaren kühlen Morgenrot, Ins Ohr des Sünders flüstert angelegen Ein Capuziner, der vermummte Tod: „Freund, du bekommst es gut! Du wirst entlastet! Ich absolvire dich von Lust und Pein! Von keiner weichen weißen Hand betastet, Wirst du die stumme Laute sein!“ Das Weib des Admirals. Auf mondenhellem Lager wälzt ein Weib, Ein schlummerloses, sich: „O banger Pfühl! Auch du, mein sorgender Gemahl, du wachst! Wer dürfte schlafen? Horch, die Folter stöhnt ... Erwürgte modern ohne Leichentuch, Sieh unser Linnen, Chatillon, wie fein! Gen Himmel schreit der Märtrer frommes Blut, Ich schreie, Herr, in deinen Armen mit! Mein Held, ich rede Zeugniß gegen dich Vor Gott, entrollest du dein Banner nicht!“ Sie schweigt in düstrer Glut. Er sinnt und sagt: „Erwäge, Weib, die Schrecken die du wählst! Dies Haus in Rauch und Trümmern! Dies mein Haupt Verfehmt, dem Meuchelmord gezeigt — geraubt! Entehrt dies Wappen von des Henkers Hand! Du mit den Knaben bettelnd auf der Flucht! Wählst du dir Solches? Nimm drei Tage Frist!“ — „Drei Tage Frist? Sie sind vorbei. Brich auf!“ Hugenottenlied. In die Schule bin ich gangen Bei dem Meister Hans Calvin, Lehre hab ich dort empfangen: Vorbestimmt ist Alles ewighin! Jeder volle Wurf im Würfelspiele, Jeder Diebestritt auf Liebchens Diele, Jeder Kuß — Schicksalsschluß! Dann bin ich zu Roß gestiegen Mit dem Hauptmann Des Adrets, Der das Kindlein in der Wiegen Würgt und sich ergötzt an Qual und Weh! Jeder First, der raucht und dampft und lodert, Jeder Todte, der im Graben modert, Jeder Schuß — Schicksalsschluß! Die Karyatide. Im Hof des Louvre trägt ein Weib Die Zinne mit dem Marmorhaupt, Mit einem allerliebsten Haupt. Als Meister Goujon sie geformt In feinen Linien, überschlank, Und stehend auf dem Baugerüst Die letzte Locke meißelte, Erschoß den Meister hinterrücks (Am Tag der Saint-Barth é lemy) Ein überzeugter Katholik. Vorstürzend überflutet' er Den feinen Busen ganz mit Blut, Dann sank er rücklings in den Hof. Die Marmormagd entschlummerte Und schlief dreihundert Jahre lang, Ein Feuerschein erwärmte sie (Am Tag da die Commüne focht) Sie gähnt' und blickte rings sich um: Wo bin ich denn? In welcher Stadt? Sie morden sich. Es ist Paris. Mourir ou parvenir! Herr Heinrich Guise schrieb. Da rauscht' Gewand — Es war sein Lieb, das aus der Kirche kam, Sein zärtlich Lieb, der schäkernd aus der Hand Er das mit Gold beschlagne Meßbuch nahm. Er blättert' drin. Hell war's von Farbenglut Und keck verschlungner Arabeskenzier — „Geliebter, dich verdirbt dein Uebermuth! Hinweg! Entflieh von hier! Du bist zu hoch! Der König, feig und schlau, Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun! Dich haßt er tödtlich — glaub es einer Frau! Ihn sah ich lächeln jüngst — mich schüttelt Graun!“ Zur Feder griff er. „Flora, schlanke Fei! Wie könnt' ich leben,“ seufzt' er, „fern von dir?“ Und schrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei: Mourir — — „Versuche Gott nicht! Das Verderben reift! Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Lust! Ich weiß: in diesem Augenblicke schleift Der Meuchelmord ein Schwert für deine Brust!“ Der Herzog schrieb in ihrem Buche fort, So viel ihm Raum gewährte das Papier, Als wär' es ein erbaulich Bibelwort: — Ou parvenir! C. F. Meyer , Gedichte. 21 „Mich so zu quälen! Schlimm hat mir geträumt! Mein Gott! Du wandest dich in Todesschmerz! Hinweg! Jetzt! Heute! Hörst du? Nicht gesäumt!“ Sein Liebchen zog er kosend an das Herz, Sie senkte des bethränten Auges Glanz — In kühnen Zügen stand der Spruch vor ihr, Umrankt von einem üpp'gen Blumenkranz: Mourir ou parvenir! Das Reiterlein. Das Bächlein nimmt nach der Loire den Gang, An beiden Seiten Auf und ab, die Ufer entlang Spähn sie und reiten. Sie sind sich so nahe! Sie sind sich so fern! „Bon jour! meine Herrn!“ Grüßt keck eine Stimme. Ein feurig, unbändig Reiterlein Springt ab behende, Setzt rechts ein Bein und links ein Bein In beide Gelände: „Groß ist der Sonne Glut — Herrn, meint Ihr's gut, Schafft eins zu trinken!“ Rechts kommt ein Pokal und links ein Pokal Von verschiedener Helle, Der: schäumender Champagnerstrahl Der andere: Purpurwelle — „Katholik? Calvinist? Hier ein Christ! Dort ein Christ!“ Er schlürft aus beiden Bechern. „Mit streitender Theologie Mach' ich mir nichts zu schaffen, Den Guisen überlaß ich sie, Den Weibern und den Pfaffen! Pred'gerrock? Meßgewand? Stich und Schuß! Mord und Brand! Ins Meer geschwemmte Leichen! 21* Bekennt mir, Herren, frei und frank: Wie thut Ihr, wann Ihr dürstet? Ihr setzt Euch rittlings auf die Bank Und ruft nach Wein und bürstet! Zug und Schluck! Schluck und Zug! Noch ein Trunk! Nie genug! Die Einen wie die Andern. Genießt Ihr wonn'ge Minnelust Nach Dogmen oder Schulen? Kost alle nicht Ihr Brust an Brust Mit Euren trauten Buhlen? Thört Ihr nicht? Trügt Ihr nicht? Schwört Ihr nicht? Lügt Ihr nicht? Die Einen wie die Andern. Drum lassen wir auf sich bestehn Die Lehren die uns trennten, Da wir erbaulich einig gehn In allen Elementen: Erntefest! Winzertanz! Aehrenkranz! Traubenkranz! Feldruhm und edle Waffen! Spricht's und es fährt ein elektrischer Schlag Rundum und setzt Alles in Flammen: Frankreich hoch! Freudetag! Heut wächst es zusammen! Sie springen ins Wasser, sie waten im Fluß, Sie spitzen die bärtigen Lippen zum Kuß, Sie fallen sich all in die Arme. Der Kleine drückt und küßt und herzt Sie alle wie alte Bekannte. „Wie aber, Herren, steht es,“ scherzt Er, „mit dem Proviante? Alles her! Fleisch oder Fisch! Ihr seid geladen heut zu Tisch Bei Heinrich von Navarra.“ Die Füße im Feuer. Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Thurm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, Springt ab und pocht ans Thor und lärmt. Sein Mantel saust Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest. Ein schmales Gitterfenster schimmert golden hell Und knarrend öffnet jetzt das Thor ein Edelmann ... — „Ich bin ein Knecht des Königs, als Courier geschickt Nach Nimes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“ — „Es stürmt. Mein Gast bist Dein Kleid, was kümmert's mich? Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Thier!“ Der Reiter tritt in einen dunklen Ahnensaal, Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt, Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib, Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ... Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd Und starrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft ... Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft. Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. — „Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal! Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd ... Ein fein, halsstarrig Weib ... „Wo steckt der Junker? Sprich!“ Sie schweigt. „Bekenn!“ Sie schweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie schweigt. Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf ... Die Füße pack' ich ihr und blöße sie und strecke sie Tief mitten in die Glut ... „Gieb ihn heraus!“ ... Sie schweigt ... Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Thor? Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr? Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“ Ein tritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast ...“ Da sitzen sie. Die Drei in ihrer schwarzen Tracht Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet. Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an — Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk, Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt! Müd bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm, Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr ... Dem Diener folgt er taumelnd in das Thurmgemach. Fest riegelt er die Thür. Er prüft Pistol und Schwert. Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt. Die Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? ... Schleicht dort ein Schritt? ... Ihn täuscht das Ohr. Vorüber wandelt Mitternacht. Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut. Er träumt. „Gesteh!“ Sie schweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie schweigt. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ... — „Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!“ Durch die Tapetenthür in das Gemach gelangt, Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr — ergraut, Dem gestern braun sich noch gekraust das Haar. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut. Zersplittert liegen Aestetrümmer quer im Pfad. Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch. Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft, Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht. Die dunkeln Schollen athmen kräft'gen Erdgeruch. Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!“ Der Andre spricht: „Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott.“ Die Rose von Newport. Sprengende Reiter und flatternde Blüthen, Einer voraus mit gescheitelten Locken — Ist es der Lenz auf geflügeltem Renner? Karl ist's, der Jüngling, der Erbe von England, Und die sich nähern in goldener Mailuft, Das sind die Giebel und Thore von Newport, Drüber das Wappen der Stadt: eine Rose! Jubelnde Gassen und jubelnde Wimpel Und ein von treibender Jugend geschwelltes, Jubelndes Herz in dem Busen des Stuart ... Unter den blühenden Linden des Marktes Schreitet ein Reigen von blüh'nden Gestalten Und eine Schönste mit herzlichem Beben Bietet dem Prinzen die Rose von Newport: „Seliges Gestern und Morgen und Heute, Herr, Dir die Rose von Newport bedeute!“ Morgen erzählen die Linden das Märchen Von der entblätterten Rose von Newport. Sprengende Reiter und wirbelnde Flocken, Einer voraus mit verwilderten Haaren — Ist es der Winter, der finstre Geselle? Karl ist's, der Flüchtling, der König von England. Seit er das Blut seines Volkes vergossen, Reitet er neben zerschmetterndem Abgrund ... Und die sich nähern in weißem Gestöber, Das sind die Giebel und Thore von Newport, Drüber das Wappen der Stadt: eine Rose! Nirgend ein Jubel und nirgend ein Wimpel, Polternde Hämmer und kreischende Feilen — Und ein von eisernen Fäusten gepresstes, Aechzendes Herz in dem Busen des Stuart ... Unter den frierenden Linden des Marktes Bettelt ein Kind mit verschatteten Augen, Bietet dem König ein dorrendes Röschen: „Seliges Gestern und Morgen und Heute, Herr, Dir die Rose von Newport bedeute!“ Karl, der die Züge des Kindes betrachtet, Schmal und gespenstig im Spiegel des Elends Sieht er das eigene Antlitz und schaudert. Morgen erzählen die Linden das Märchen Von dem enthaupteten König in England. Der sterbende Cromwell. Vor der Königsburg in nächt'ger Stunde Knickt der Tod die Eichen in die Runde, Drinnen sucht er dann ein zäher Leben Aus den Wurzeln allgemach zu heben — Whitehall ist Cromwell's Sterbestätte, Ein Waldenser kniet an seinem Bette! „Herr, ich komm', ein Kind des welschen Thales, Wo Du bist der Schutzgott jedes Mahles, Unsern Dank auf Deine Knie zu legen, Leben, Cromwell, mußt Du unsertwegen! Rom befehdet uns mit seinen Pfaffen, Unser Herzog rüstet frevle Waffen Gegen unser Thal, den lautern Glauben Will er oder uns das Leben rauben! Doch Du sahst in Deinen Schmerzensnächten Uns gefoltert schon von Henkersknechten Und Du hobest Dich in Fieberschwüle Auf den Arm gestützt empor vom Pfühle Und Du drohtest über Meer gewendet, Pfaffen, Henker blieben ungesendet — Wenn wir, Cromwell, Deine Söhne wären, Herber könnten wir Dich nicht entbehren! Deine bangen Athemzüge geben Uns den Odem, fristen uns das Leben. Dennoch — Wie Du leidest, Herr — unsäglich — Deine Qualen werden unerträglich? — Dennoch — ob uns Hartes sei beschieden — Friedestifter, fahre hin in Frieden!“ Milton's Rache. Am Grab der Republik ist er gestanden, Doch sah er nicht des Stuart Schiffe landen, Ihn hüllt' in Dunkel eine güt'ge Macht: Er ist erblindet! Herrlich füllt mit lichten Gebilden und dämonischen Gesichten Die Muse seines Auges Nacht ... Ein eifrig Mädchenantlitz neigt sich neben Der müden Ampel, feine Finger schweben, Auf leichte Blätter schreibt des Dichters Kind Mit eines Stiftes ungehörtem Gleiten Die Wucht der Worte, die für alle Zeiten In Marmelstein gehauen sind ... Er spricht: „Zur Stunde, da“ — Hohnrufe gellen, Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen, Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauscht ... Durch Londons Gassen wandern um die Horden Der Cavaliere, Schlaf und Scham zu morden, Von Wein und Uebermuth berauscht: „Schaut auf! Das ist des Puritaners Erker! Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker! Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz! Wir schreiten schlank und jung, wir sind die Sünden Und kommen ihr das Herzchen zu entzünden Mit Saitenspiel und Reigentanz! Vertreibt den Kauz vom Nest! Umarmt die Dirne!“ Geklirr! Ein Stein! ... Still blutet eine Stirne, Den Vater schirmt das Mädchen mit dem Leib, Die Bleiche drückt er auf den Schemel nieder, Ein Richter, kehrt zu seinem Lied er wieder: „Nimm deinen Stift, mein Kind, und schreib! Zur Stunde, da des Lasterkönigs Knechte Umwandern, die Entheiliger der Nächte ... Zur Stunde, da die Hölle frechen Schalls Aufschreit, empor zu den erhabnen Thürmen ... Zur Stunde, da die Riesenstadt durchstürmen Die blut'gen Söhne Belials .....“ So sang mit wunder Stirn der geisterblasse Poet. Verschollen ist der Lärm der Gasse, Doch ob Jahrhundert um Jahrhundert flieht, Von einem bangen Mädchen aufgeschrieben, Sind Miltons Rächerverse stehn geblieben, Verwoben in sein ewig Lied. Der Daxelhofen. Den Hauptmann Daxelhofen Bestaunten in der Stadt Paris Die Kinder und die Zofen Um seines blonden Bartes Vließ — Prinz Cond é zog zu Felde, Der Hauptmann Daxelhofen auch, Da fuhr am Bord der Schelde Der Blitz und quoll der Pulverrauch. Die Lilienbanner hoben Sich sachte weg aus Niederland Und schoben sich und schoben Tout doucement zum Rheinesstrand. „Herr Prinz, welch köstlich Düften! So duftet nur am Rhein der Wein! Und dort der Thurm in Lüften, Herr Prinz, das ist doch Mainz am Rhein? In meinem Pakt geschrieben Steht: Ewig nimmer gegens Reich! So steht's und ist geblieben Und bleibt sich unverbrüchlich gleich! Ich bin von Schwabenstamme, Bin auch ein Eidgenosse gut, Und daß mich Gott verdamme, Vergieß ich Deutscher deutsches Blut! In Mainz als Feind zu rücken Reißt mich kein Höllenteufel fort, Betret' ich dort die Brücken, So sei mir Hand und Schlund verdorrt! Nicht dürft' ich mich bezechen Mit frommen Christenleuten mehr! Mein Waffen lieber brechen, Als brechen Eid und Mannesehr!“ „La, la“, kirrt Cond é , „ferner Dient Ihr um Doppel-Tripellohn.“ Da bricht vorm Knie der Berner In Stücke krachend sein Sponton, Dem Prinzen wirft zu Füßen Die beiden Trümmer er und spricht: „Den König laß ich grüßen, Das deutsche Reich befehd' ich nicht!“ Druck von W. Drugulin in Leipzig.