Fuͤrsten und Voͤlker von Suͤd-Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts- Berichten von Leopold Ranke. Zweiter Band. Berlin , 1834 . Bei Duncker und Humblot. Die roͤmischen Paͤpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Von Leopold Ranke. Erster Band. Berlin, 1834. Bei Duncker und Humblot. Vorrede. J edermann kennt die Macht von Rom in alten und mittleren Zeiten: auch in den neuern hat es eine große Epoche verjüngter Weltherrschaft erlebt. Nach dem Abfall, den es in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts erfuhr, hat es sich noch einmal zum Mittelpunct des Glaubens und Den- kens der südeuropäischen, romanischen Nationen zu erheben gewußt, und kühne, nicht selten glückliche Versuche gemacht, sich die übrigen wieder zu un- terwerfen. Diesen Zeitraum einer erneuerten kirchlich- weltlichen Macht, ihre Verjüngung und innere Aus- bildung, ihren Fortschritt und Verfall habe ich die Absicht wenigstens im Umriß darzustellen. *2 Vorrede . Ein Unternehmen, das, so mangelhaft es auch ausfallen mag, doch nicht einmal versucht werden könnte, hätte ich nicht Gelegenheit gefunden, mich einiger, bisher unbekannten Hülfsmittel zu bedie- nen. Ich habe wohl vor allem die Pflicht, diese Hülfsmittel und ihre Provenienz im Allgemeinen zu bezeichnen. Früher gab ich bereits an, was unsre Berli- ner Handschriften enthalten. Aber um wie viel reicher ist schon Wien an Schätzen dieser Art als Berlin. Neben seinem deutschen Grundbestandtheil hat Wien noch ein europäisches Element: die mannich- faltigsten Sitten und Sprachen begegnen sich von den obersten bis in die untersten Stände, und na- mentlich tritt Italien in lebendiger Repräsentation auf. Auch die Sammlungen haben einen umfas- senden Character. Er schreibt sich von der Politik und Weltstellung des Staates, der alten Verbindung desselben mit Spanien, Belgien, der Lombardei, dem genauen nachbarlichen und kirchlichen Verhältniß zu Rom unmittelbar her. Von jeher liebte man dort, herbeizubringen, zu haben, zu besitzen. Schon die ursprünglichen und einheimischen Sammlun- gen der K. K. Hofbibliothek sind deshalb von gro- ßem Werth. Später sind einige fremde dazu er- worben worden. Aus Modena hat man eine An- Vorrede . zahl Bände, unsern Informationi ähnlich, von dem Hause Rangone, aus Venedig die unschätzbaren Handschriften des Dogen Marco Foscarini ange- kauft: darunter die Vorarbeiten des Eigenthümers zur Fortsetzung seines literarischen Werkes, italieni- sche Chroniken, von denen sich nirgends eine wei- tere Spur findet: aus dem Nachlaß des Prinzen Eugen ist eine reiche Sammlung historisch-politi- scher Manuscripte, die dieser auch als Staatsmann ausgezeichnete Fürst mit allgemeinem Ueberblick an- gelegt hatte, herübergekommen. Mit Vergnügen und Hoffnung sieht man die Cataloge durch: bei der Unzulänglichkeit der meisten gedruckten Werke über die neuere Geschichte, so viele noch nicht ge- hobene Kenntniß! eine Zukunft von Studien! Und doch bietet Wien, wenige Schritte weiter, noch be- deutendere Subsidien dar. Das kaiserliche Archiv enthält, wie man von selbst erachtet, die wichtig- sten und zuverlässigsten Denkmale für deutsche, all- gemeine und besonders auch italienische Geschichte. Zwar ist von dem venezianischen Archive bei wei- tem der größte Theil nach mancherlei Wanderungen wieder nach Venedig zurückgekommen: aber eine nicht unbedeutende Masse venezianischer Papiere fin- det man noch immer in Wien: Depeschen im Ori- ginal oder in der Abschrift; Auszüge daraus zum Gebrauche des Staats verfaßt, genannt Rubrica- Vorrede . rien; Relationen, nicht selten in dem einzigen Exem- plar, welches existiren mag und von hohem Werth; amtliche Register der Staatsbehörden; Chroniken und Tagebücher. Die Nachrichten, die man in die- sem Bande über Gregor XIII. und Sixtus V. fin- den wird, sind größtentheils aus dem Wiener Ar- chiv geschöpft. Ich kann die unbedingte Liberali- tät, mit der man mir den Zutritt zu demselben verstattet hat, nicht genug rühmen. Ueberhaupt sollte ich wohl an dieser Stelle die mannichfaltige Förderung, die mir bei meinem Vor- haben sowohl zu Hause als in der Fremde zu Theil geworden, im Einzelnen aufführen. Ich trage je- doch, ich weiß nicht, ob mit Recht, Bedenken. All- zuviele Namen müßte ich nennen, und darunter sehr bedeutende: meine Dankbarkeit würde fast ruhmredig herauskommen, und einer Arbeit, die alle Ursache hat, bescheiden aufzutreten, einen An- strich von Prunk geben, den sie nicht vertragen möchte. Nach Wien war mein Augenmerk noch vorzüg- lich auf Venedig und auf Rom gerichtet. In Venedig hatten einst die großen Häu- ser fast sämmtlich die Gewohnheit, sich neben ei- ner Bibliothek auch ein Kabinet von Handschriften anzulegen. Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß sich diese vornehmlich auf die Angele- Vorrede . genheiten der Republik bezogen: sie repräsentirten den Antheil, welchen die Familie an den öffentli- chen Geschäften genommen: als Denkmäler des Hauses, zur Unterweisung seiner jüngeren Mitglie- der wurden sie aufbewahrt. Von solchen Privat- sammlungen bestehn noch immer einige: eine und die andre war mir zugänglich. Ungleich mehrere dagegen sind in dem Ruin des Jahres 1797 und seitdem zu Grunde gegangen. Wenn davon doch noch mehr erhalten worden ist, als man vermu- then sollte, so hat man dieß vorzüglich den Bi- bliothekaren von S. Marco zu danken, die in dem allgemeinen Schiffbruch so viel zu retten suchten, als nur immer die Kräfte ihres Institutes erlaub- ten. In der That bewahrt diese Bibliothek einen ansehnlichen Schatz von Handschriften, welche für die innere Geschichte der Stadt und des Staa- tes unentbehrlich, und selbst für die europäischen Verhältnisse von Bedeutung sind. Nur muß man nicht zu viel erwarten. Es ist ein ziemlich neuer Besitz: aus Privatsammlungen zufällig erwachsen: ohne Vollständigkeit oder durchgreifenden Plan. Nicht zu vergleichen ist er mit den Reichthümern des Staatsarchives, zumal wie dies heut zu Tage eingerichtet ist. Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die Verschwörung im Jahre 1618 habe ich das venezianische Archiv bereits geschildert und will Vorrede . mich nicht wiederholen. Für meinen römischen Zweck mußte mir vor allem an den Relationen der Gesandten, die von Rom zurückgekommen, gelegen seyn. Sehr erwünscht war es mir doch, auch so manche andre Sammlung benutzen zu können: Lük- ken sind nirgends zu vermeiden: und dieß Archiv hat bei so vielen Wanderungen besondre Verluste erleiden müssen. An den verschiedenen Stellen brachte ich acht und vierzig Relationen über Rom zusammen: die älteste vom Jahre 1500: neunzehn für das sechszehnte, ein und zwanzig für das siebzehnte Jahrhundert; eine beinahe vollständige, nur noch hier und da unterbrochene Reihe; für das acht- zehnte zwar nur acht, aber auch diese sehr beleh- rend und willkommen. Bei weitem von den mei- sten sah und benutzte ich das Original. Sie ent- halten eine große Menge wissenswürdiger, aus un- mittelbarer Anschauung hervorgegangener, mit dem Leben der Zeitgenossen verschwundener Notizen, die mir zu einer fortlaufenden Darstellung zuerst die Aussicht und den Muth gaben. Sie zu bewähren, zu erweitern, ließen sich, wie sich versteht, nur in Rom die Mittel finden. War es aber zu erwarten, daß man hier ei- nem Fremden, einem Andersgläubigen in den öf- fentlichen Sammlungen freie Hand lassen würde, um die Geheimnisse des Papstthums zu entdecken? Vorrede . Es wäre vielleicht so ungeschickt nicht, wie es aus- sieht, denn keine Forschung kann etwas Schlimme- res an den Tag bringen, als die unbegründete Ver- muthung annimmt, und als die Welt nun einmal für wahr hält. Jedoch ich kann mich nicht rüh- men, daß es geschehen sey. Von den Schätzen des Vatican habe ich Kenntniß nehmen und eine An- zahl Bände für meinen Zweck benutzen können, doch ward mir die Freiheit, die ich mir gewünscht hätte, keinesweges gewährt. Glücklicherweise aber eröffneten sich mir andere Sammlungen, aus denen sich eine wenn nicht vollständige, doch ausreichende und authentische Belehrung schöpfen ließ. In den Zeiten der blühenden Aristokratie — das ist haupt- sächlich in dem siebzehnten Jahrhundert — behiel- ten in ganz Europa die vornehmen Geschlechter, welche die Geschäfte verwalteten, auch einen Theil der öffentlichen Papiere in Händen. Nirgend mag das wohl so weit gegangen seyn, wie in Rom. Die herrschenden Nepoten, die allemal die Fülle der Gewalt besaßen, hinterließen den fürstlichen Häusern, die sie gründeten, in der Regel auch ei- nen guten Theil der Staatsschriften, die sich wäh- rend ihrer Verwaltung bei ihnen angesammelt, als einen immerwährenden Besitz. Es gehörte das mit zur Ausstattung einer Familie. In dem Pallaste, den sie sich erbaute, blieben immer ein paar Säle Vorrede . gewöhnlich in den obersten Räumen für Bücher und handschriften vorbehalten, die dann würdig, wie es bei den Vorgängern geschehen, ausgefüllt seyn wollten. Die Privatsammlungen sind hier in ge- wisser Hinsicht zugleich die öffentlichen, und das Archiv des Staats zerstreute sich, ohne daß Jemand Anstoß daran genommen hätte, in die Häuser der verschiedenen Familien, welche die Geschäfte ver- waltet hatten. Ungefähr eben so wie der Ueber- schuß des Staatsvermögens den papalen Geschlech- tern zu Gute kam; wie sich die vaticanische Galle- rie, obwohl ausgezeichnet durch die Wahl der Mei- sterstücke, die sie enthält, doch in Umfang und histo- rischer Bedeutung mit einigen privaten, wie der Gallerie Borghese oder Doria, nicht messen kann. So kommt es, daß die Manuscripte, welche in den Pallästen Barberini, Chigi, Altieri, Albani, Cor- sini aufbewahrt werden, für die Geschichte der rö- mischen Päpste, ihres Staates und ihrer Kirche von unschätzbarem Werth sind. Das Staatsarchiv, das man noch nicht sehr lange eingerichtet hat, ist be- sonders durch die Sammlung der Regesten für das Mittelalter wichtig: ein Theil der Geschichte dieses Zeitraums wird hier noch des Entdeckers harren: doch so weit meine Kenntniß reicht, muß ich glau- ben, daß es für die neueren Jahrhunderte nicht viel sagen will. Es verschwindet, wenn ich nicht Vorrede . mit Absicht getäuscht worden bin, vor dem Glanz und Reichthum der Privatsammlungen. Von die- sen umfaßt eine jede, wie sich versteht, vor al- lem die Epoche, in welcher der Papst des Hauses saß; aber da die Nepoten auch noch nachher eine bedeutende Stelle einnahmen, da Jedermann eine einmal angefangene Sammlung zu erweitern und zu ergänzen beflissen ist, und sich in Rom, wo sich ein literarischer Verkehr mit Handschriften gebildet hatte, hierzu Gelegenheit genug fand, so ist keine, die nicht auch andere, nähere und fernere Zeiten mit erfreulichen Erläuterungen berührte. Von allen die reichste — in Folge einiger auch in diesem Stück ein- träglicher Erbschaften — ist die Barberiniana: die Corsiniana hat man gleich von Anfang mit der mei- sten Umsicht und Auswahl angelegt. Ich hatte das Glück, diese Sammlungen alle, und noch einige an- dere von minderem Belang, zuweilen mit unbe- schränkter Freiheit, benutzen zu können. Eine un- verhoffte Ausbeute von zuverlässigen und zum Ziele treffenden Materialien boten sie mir dar. Corre- spondenzen der Nuntiaturen, mit den Instructionen, die mitgegeben, den Relationen, die zurückgebracht wurden: ausführliche Lebensbeschreibungen meh- rerer Päpste, um so unbefangener, da sie nicht für das Publikum bestimmt waren: Lebensbeschrei- bungen ausgezeichneter Cardinäle: offizielle und Vorrede . private Tagebücher; Erörterungen einzelner Bege- benheiten und Verhältnisse; Gutachten, Rath- schläge; Berichte über die Verwaltung der Provin- zen, ihren Handel und ihr Gewerbe; statistische Tabellen, Berechnungen von Ausgabe und Ein- nahme: — bei weitem zum größten Theile noch durchaus unbekannt: gewöhnlich von Männern ver- faßt, welche eine lebendige Kenntniß ihres Gegen- standes besaßen, und von einer Glaubwürdigkeit, die zwar Prüfung und sichtende Kritik keinesweges aus- schließt: aber wie sie Mittheilungen wohlunterrichte- ter Zeitgenossen allemal in Anspruch nehmen. Von diesen Schriften betrifft die älteste, die ich zu benutzen fand, die Verschwörung des Porcari wider Nico- laus V.; für das funfzehnte Jahrhundert kamen mir nur noch ein paar andre vor: mit dem Ein- tritt in das sechszehnte werden sie mit jedem Schritt umfassender, zahlreicher: den ganzen Verlauf des siebzehnten, in welchem man von Rom so wenig Zuverlässiges weiß, begleiten sie mit Belehrungen, die ebendeshalb doppelt erwünscht sind; seit dem Anfang des achtzehnten dagegen nehmen sie an Zahl und innerem Werth ab. Hatten doch damals auch Staat und Hof von ihrer Wirksamkeit und Bedeu- tung bereits nicht wenig verloren. Ich werde diese römischen Schriften wie die venezianischen, zum Schluß ausführlich durchgehen und alles nachtra- Vorrede . gen, was mir darin noch denkwürdig vorkommen möchte, ohne daß ich es im Laufe der Erzählung hätte berühren können. Denn für diese ergiebt sich, schon wegen der ungemeinen Masse des Stoffes, die sich nun in so vielen ungedruckten und den gedruckten Schriften vor Augen legt, eine unerläßliche Beschränkung. Ein Italiener oder Römer, ein Katholik würde die Sache ganz anders angreifen. Durch den Aus- druck persönlicher Verehrung, oder vielleicht wie jetzt die Sachen stehen, persönlichen Hasses würde er sei- ner Arbeit eine eigenthümliche, ich zweifle nicht, glän- zendere Farbe geben; auch würde er in vielen Stük- ken ausführlicher, kirchlicher, localer seyn. Ein Protestant, ein Norddeutscher kann hierin nicht mit ihm wetteifern. Er verhält sich um vieles indif- ferenter gegen die päpstliche Gewalt; auf eine Wärme der Darstellung, wie sie aus Vorliebe oder Widerwillen hervorgeht, wie sie vielleicht einen ge- wissen Eindruck in Europa machen könnte, muß er von vorn herein verzichten. Für jenes kirchliche oder canonische Detail geht uns am Ende auch die wahre Theilnahme ab. Dagegen ergeben sich uns auf unsrer Stelle andere, und wenn ich nicht irre, reiner historische Gesichtspuncte. Denn was ist es heut zu Tage noch, das uns die Geschichte der päpstlichen Gewalt wichtig machen kann? Nicht Vorrede . mehr ihr besonderes Verhältniß zu uns, das ja keinen wesentlichen Einfluß weiter ausübt: noch auch Besorgniß irgend einer Art; die Zeiten, wo wir etwas fürchten konnten, sind vorüber; wir fühlen uns allzu gut gesichert. Es kann nichts seyn, als ihre weltgeschichtliche Entwickelung und Wirksam- keit. Nicht so unwandelbar wie man annimmt war doch die päpstliche Gewalt. Sehen wir von den Grundsätzen ab, welche ihr Daseyn be- dingen, die sie nicht aufgeben kann, ohne sich selbst dem Untergange zu widmen, so ist sie übri- gens von den Schicksalen, welche die europäische Menschheit betroffen haben, immer nicht weniger bis in ihr inneres Wesen berührt worden, als jede andere. Wie die Weltgeschicke gewechselt, eine oder die andere Nation vorgeherrscht, sich das allgemeine Leben bewegt hat, sind auch in der päpstlichen Ge- walt, ihren Maximen, Bestrebungen, Ansprüchen, wesentliche Metamorphosen eingetreten, und hat vor allem ihr Einfluß die größten Veränderungen erfah- ren. Sieht man das Verzeichniß so vieler gleich- lautender Namen durch: alle die Jahrhunderte herab, von jenem Pius I. in dem zweiten, bis auf unsre Zeitgenossen in dem neunzehnten, Pius VII. und VIII. , so macht das wohl den Ein- druck einer ununterbrochenen Stetigkeit: doch muß man Vorrede . man sich davon nicht blenden lassen: in Wahr- heit unterscheiden sich die Päpste der verschiede- nen Zeitalter nicht viel anders als die Dynastien eines Reiches. Für uns, die wir außerhalb stehen, ist gerade die Beobachtung dieser Umwandlungen von dem vornehmsten Interesse. Es erscheint in ihnen ein Theil der allgemeinen Geschichte, der ge- sammten Weltentwickelung. Nicht allein in den Pe- rioden einer unbezweifelten Herrschaft, sondern viel- leicht noch mehr alsdann, wenn Wirkung und Ge- genwirkung auf einander stoßen, wie in den Zei- ten, die das gegenwärtige Buch umfassen soll, in dem sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, wo wir das Papstthum gefährdet, erschüttert, sich dennoch behaupten und befestigen, ja aufs neue ausbreiten, eine Zeitlang vordringen, endlich aber wieder einhalten, und einem abermaligen Verfalle zuneigen sehen: Zeiten, in denen sich der Geist der abendländischen Nationen vorzugsweise mit kirchlichen Fragen beschäftigte und jene Gewalt, die von den einen verlassen und angegriffen, von den andern festgehalten und mit frischem Eifer ver- theidigt wurde, nothwendig eine erhöhte allgemeine Bedeutung bekam. Sie von diesem Gesichtspunct aus zu fassen, fordert uns unsre natürliche Stellung auf und will ich nun versuchen. * * Vorrede . Ich beginne billig damit, den Zustand der päpstlichen Gewalt in dem Anfange des sechszehn- ten Jahrhunderts und den Gang der Dinge, der zu demselben geführt hatte, ins Gedächtniß zurück- zurufen. Druckfehler . Seite 310 Zeile 14 lies: starrsinnigen, statt: scharfsinnigen. — 484 — 13 l. den mythologischen, st. mythologisch. Inhalt . Seite Erstes Buch. Einleitung 1 Erstes Kapitel. Epochen des Papstthums . Das Christenthum in dem roͤmischen Reiche 3 Das Papstthum in Vereinigung mit dem fraͤn- kischen Reiche 13 Verhaͤltniß zu den deutschen Kaisern. Selbst- staͤndige Ausbildung der Hierarchie 22 Gegensaͤtze des vierzehnten und funfzehnten Jahr- hunderts 33 Zweites Kapitel. Die Kirche und der Kir- chenstaat im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts . Erweiterung des Kirchenstaates 43 Verweltlichung der Kirche 56 Geistige Richtung 60 Opposition in Deutschland 74 Drittes Kapitel. Politische Verwickelungen. Zusammenhang der Reformation mit denselben 79 Unter Leo X. 80 Unter Adrian VI. 90 Unter Clemens VII. 98 Zweites Buch. Anfaͤnge einer Regeneration des Katholicismus 129 Analogien des Protestantismus in Italien 132 Versuche innerer Reformen und einer Aussoͤhnung mit den Protestanten 144 Inhalt . Seite Neue Orden 168 Ignatius Loyola 177 Erste Sitzungen des tridentinischen Conciliums 195 Inquisition 205 Ausbildung des jesuitischen Institutes 214 Schluß 231 Drittes Buch. Die Paͤpste um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts 233 Paul III. 237 Julius III. Marcellus II. 269 Paul IV. 279 Bemerkung uͤber den Fortgang des Protestan- tismus waͤhrend dieser Regierung 307 Pius IV. 314 Die spaͤteren Sitzungen des Conciliums von Trient 325 Pius V. 350 Viertes Buch. Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. 375 Verwaltung des Kirchenstaates 378 Finanzen 400 Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. Gregor XIII. 419 Sixtus V. 437 Ausrottung der Banditen 445 Momente der Verwaltung 450 Finanzen 459 Bauunternehmungen Sixtus V. 469 Bemerkung uͤber die Veraͤnderung der geistigen Rich- tung uͤberhaupt 482 Die Curie 499 Erstes Buch . Einleitung . 1 Erstes Kapitel . Epochen des Papstthums. Das Christenthum in dem römischen Reiche. U eberlicken wir den Umkreis der alten Welt in den fruͤ- heren Jahrhunderten, so finden wir ihn mit einer großen Anzahl unabhaͤngiger Voͤlkerschaften erfuͤllt. Um das Mit- telmeer her, so weit von den Kuͤsten die Kunde in das in- nere Land reicht, wohnen sie: mannichfaltig gesondert, ur- spruͤnglich alle enge begrenzt, in lauter freien und eigen- thuͤmlich eingerichteten Staaten. Die Unabhaͤngigkeit, die sie genießen, ist nicht allein politisch: allenthalben hat sich eine oͤrtliche Religion ausgebildet; die Ideen von Gott und goͤttlichen Dingen haben sich gleichsam localisirt; na- tionale Gottheiten von den verschiedensten Attributen neh- men die Welt ein; das Gesetz, das ihre Glaͤubigen beob- achten, ist mit dem Staatsgesetz unaufloͤslich vereinigt. Wir duͤrfen sagen: diese enge Vereinigung von Staat und Religion, diese zwiefache Freiheit, nur durch stammver- 1* Kap. I. Epochen des Papstthums . wandtschaftliche Verbindungen leicht beschraͤnkt, hatte den groͤßten Antheil an der Bildung des Alterthums. Man war in enge Grenzen eingeschlossen, aber innerhalb dersel- ben konnte sich die ganze Fuͤlle eines jugendlichen sich sel- ber uͤberlassenen Daseyns in freien Trieben entwickeln. Wie wurde dieß alles so ganz anders als die Macht von Rom emporkam. Alle die Autonomien, welche die Welt erfuͤllen, sehen wir eine nach der andern sich beugen und verschwinden: wie ward die Erde ploͤtzlich so oͤde an freien Voͤlkern. Zu andern Zeiten sind die Staaten erschuͤttert worden, weil man aufgehoͤrt hatte an die Religion zu glauben; da- mals mußte die Unterjochung der Staaten den Verfall ihrer Religionen nach sich ziehen. Mit Nothwendigkeit, im Gefolge der politischen Gewalt, stroͤmten sie nach Rom zusammen: welche Bedeutung aber konnte ihnen noch bei- wohnen, sobald sie von dem Boden losgerissen wurden, auf dem sie einheimisch waren? Die Verehrung der Isis hatte vielleicht einen Sinn in Egypten: sie vergoͤtterte die Naturkraͤfte, wie sie in diesem Lande erscheinen: in Rom ward ein Goͤtzendienst ohne allen Sinn daraus. Indem dann die verschiedenen Mythologien einander beruͤhrten, konnten sie nicht anders als sich wechselseitig bestreiten und aufloͤsen. Es war kein Philosophem zu erdenken, das ihren Widerspruch zu beseitigen vermocht haͤtte. Waͤre dieß aber auch moͤglich gewesen, so haͤtte es dem Beduͤrfniß der Welt schon nicht mehr genuͤgt. Bei aller Theilnahme, die wir dem Untergange so vie- ler freien Staaten widmen, koͤnnen wir doch nicht leugnen, Das Christenthum in dem roͤm. Reiche . daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor- ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die Schranken der engen Nationalitaͤten. Die Nationen wa- ren uͤberwaͤltigt, zusammen erobert worden, aber eben dadurch vereinigt, verschmolzen. Wie man das Gebiet des Reiches den Erdkreis nannte, so fuͤhlten sich die Einwoh- ner desselben als ein einziges, ein zusammengehoͤrendes Ge- schlecht. Das menschliche Geschlecht fing an, seine Ge- meinschaftlichkeit inne zu werden. In diesem Moment der Weltentwickelung ward Jesus Christus geboren. Wie so unscheinbar und verborgen war sein Leben: seine Beschaͤftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fischern, die ihn nicht immer verstanden, andeutend und in Gleich- nissen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieser un- serer weltlichen Betrachtung duͤrfen wir es sagen: unschul- diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er- den nichts gegeben, als seinen Wandel, sein Leben und Sterben: in jedem seiner Spruͤche wehet der lautere Got- tes-Odem; es sind Worte, wie Petrus sich ausdruͤckt, des ewigen Lebens; das Menschengeschlecht hat keine Erinne- rung, welche dieser nur von ferne zu vergleichen waͤre. Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele- ment wirklicher Religion in sich einschlossen, so war dieß nunmehr vollends verdunkelt; sie hatten, wie gesagt, kei- nen Sinn mehr; in dem Menschensohn, Gottessohn er- schien ihnen gegenuͤber das ewige und allgemeine Verhaͤlt- niß Gottes zu der Welt, des Menschen zu Gott. Kap. I. Epochen des Papstthums . In einer Nation ward Christus geboren, die den Mo- notheismus, den sie bekannte, zwar eben auch nur als ei- nen nationalen Dienst dachte und mit einem abstoßenden einseitigen Ritualgesetz umgeben hielt, die sich aber das unermeßliche Verdienst erworben, ihn festzuhalten, sich ihn nie entreißen zu lassen. Nun erst bekam derselbe seine volle Bedeutung. Christus loͤste das Gesetz auf, indem er es erfuͤllte; der Menschensohn erwies sich nach seinem Aus- spruch als Herr auch des Sabbaths; er entfesselte den ewigen Inhalt der von einem engen Verstand unbegriffe- nen Formen. Aus dem Volke, das sich bisher von allen andern abgesondert, erhob sich dann mit der Kraft der Wahrheit ein Glaube, der sie alle einlud und aufnahm. Es ward der allgemeine Gott verkuͤndigt, der, wie Paulus den Athenern predigte, der Menschen Geschlechter von Ei- nem Blut uͤber den Erdboden wohnen lassen. — Fuͤr diese erhabene Lehre war, wie wir sahen, eben der Zeitpunct eingetreten: es gab ein Menschengeschlecht, sie zu fassen. Wie ein Sonnenblick, sagt Eusebius Hist. eccl. II, 3. , leuchtete sie uͤber die Erde dahin. In der That sehen wir sie in kurzer Zeit von dem Euphrat bis an den Ebro, bis an den Rhein und die Donau, uͤber die gesammten Grenzen des Reiches ausgebreitet. So harmlos und unschuldig sie aber auch war, so mußte sie doch der Natur der Sache nach in den bestehen- den Diensten, die mit so vielen Interessen des Lebens ver- bunden waren, den staͤrksten Widerstand finden. Ich will nur Ein Moment anfuͤhren, das mir besonders wichtig scheint. Das Christenthum in dem roͤm. Reiche . Noch einmal hatten die antiken Religionen ihre poli- tische Richtung geltend gemacht. Die Summe aller jener Autonomien, welche einst die Welt erfuͤllt, ihr Gesammt- inhalt war einem Einzigen zu Theil geworden; es gab nur noch eine einzige Gewalt, die von sich selber abhaͤngig zu seyn schien; an diese schlossen sie sich an: sie widmeten dem Imperator goͤttliche Verehrung Eckhel: Doctrina numorum veterum P. II, vol. VIII. p. 456; er fuͤhrt eine Stelle des Tertullian an ( apol. c. 28 ), aus der sich zu ergeben scheint, daß die Verehrung des Caͤsars zuweilen auch die lebhafteste war. . Man richtete ihm Tempel auf, opferte ihm auf Altaͤren, schwur bei seinem Namen, und feierte ihm Feste; seine Bildnisse gewaͤhrten ein Asyl. Die Verehrung, die dem Genius des Impera- tors gewidmet wurde, war vielleicht die einzige allgemeine die es in dem Reiche gab. Alle Goͤtzendienste bequemten sich ihr: sie war eine Stuͤtze derselben. Gegen das Christenthum aber trat sie, wie man leicht einsieht, in den schaͤrfsten Gegensatz, der sich denken laͤßt. Der Imperator faßte die Religion in dem weltlich- sten Bezuge, — an die Erde und ihre Guͤter gebunden: ihm seyen dieselben uͤbergeben, sagt Celsus, was man habe, komme von ihm. Das Christenthum faßte sie in der Fuͤlle des Geistes und der uͤberirdischen Wahrheit. Der Imperator vereinigte Staat und Religion; das Christenthum trennte vor allem das was Gottes, von dem was des Kaisers ist. Indem man dem Imperator opferte, bekannte man sich zur tiefsten Knechtschaft. Eben darin, worin bei der Kap. I. Epochen des Papstthums . fruͤheren Verfassung die volle Unabhaͤngigkeit bestand, in der Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da- maligen die Besiegelung der Unterjochung. Daß das Chri- stenthum dem Kaiser zu opfern verbot, schloß die großar- tigste Befreiung ein. Das aͤlteste urspruͤngliche religioͤse Bewußtseyn, wenn es wahr ist, daß ein solches allem Goͤtzendienst vorangegangen, erweckte es in den Nationen wieder, und setzte es dieser weltherrschenden Gewalt entge- gen, die nicht zufrieden mit dem Irdischen, auch das Goͤt- liche umfassen wollte. Dadurch bekam der Mensch ein gei- stiges Element, in dem er wieder selbststaͤndig, frei und persoͤnlich unuͤberwindlich wurde; es kam Frische und neue Lebensfaͤhigkeit in den Boden der Welt; sie wurde zu neuen Hervorbringungen befruchtet. Es war der Gegensatz des Irdischen und des Geisti- gen, der Knechtschaft und der Freiheit; allmaͤhligen Ab- sterbens und lebendiger Verjuͤngung. Es ist hier nicht der Ort, den langen Kampf dieser Prinzipien zu beschreiben. Alle Elemente des Lebens wurden in die Bewegung gezogen, und allmaͤhlig von dem christ- lichen Wesen ergriffen, durchdrungen, in diese große Rich- tung des Geistes fortgerissen. Von sich selber, sagt Chry- sostomus, ist der Irrthum des Goͤtzendienstes verloschen λόγος εἰς τὸν μακάϱιον Βαβύλαν καὶ κατὰ Ἰουλιανοῦ καὶ πϱὸς Ἕλληνας. Chrysostomi Opp. ed. Paris. II, 540. . Schon ihm erscheint das Heidenthum wie eine eroberte Stadt, deren Mauern zerstoͤrt, deren Hallen, Theater und oͤffentliche Gebaͤude verbrannt, deren Vertheidiger umge- Das Christenthum in dem roͤm. Reiche . kommen seyen: nur unter den Truͤmmern sehe man noch ein paar Alte, ein paar Kinder stehen. Bald waren auch diese nicht mehr, und es trat eine Verwandelung ohne Gleichen ein. Aus den Catacomben stieg die Verehrung der Maͤrty- rer hervor; an den Stellen, wo die olympischen Goͤtter angebetet worden, aus den naͤmlichen Saͤulen, die deren Tempel getragen, erhoben sich Heiligthuͤmer, zum Gedaͤcht- niß derjenigen, die diesen Dienst verschmaͤhet und daruͤber den Tod gefunden hatten. Der Cultus, den man in Ein- oͤden und Gefaͤngnissen begonnen, nahm die Welt ein. Man verwundert sich zuweilen, daß gerade ein weltliches Ge- baͤude der Heiden, die Basilika, zu einem christlichen um- gewandelt worden. Es hat dieß doch etwas sehr Bezeich- nendes. Die Apsis der Basilika enthielt ein Augusteum Ich nehme diese Notiz aus E. Q. Visconti: zum Museo Pio-Clementino. VII, p. 100. (Ausg. v. 1807.) die Bilder eben jener Caͤsaren, denen man goͤttliche Ehre erwies. An die Stelle derselben trat, wie wir es in so vielen Basiliken noch heute sehen, das Bild Christi und der Apostel; an die Stelle der Weltherrscher, die selber als Goͤtter betrachtet wurden, trat der Menschensohn, Gottes- sohn. Die localen Gottheiten wichen, verschwanden. An allen Landstraßen, auf der steilen Hoͤhe des Gebirgs, in den Paͤssen durch die Thalschluchten, auf den Daͤchern der Haͤuser, in der Mosaik der Fußboͤden sah man das Kreuz. Es war ein entscheidender vollstaͤndiger Sieg. Wie man auf den Muͤnzen Constantins das Labarum mit dem Mono- gramm Christi uͤber dem besiegten Drachen erblickt, so er- Kap. I. Epochen des Papstthums . hob sich uͤber dem gefallenen Heidenthum Verehrung und Name Christi. Auch von dieser Seite betrachtet, wie unendlich ist die Bedeutung des roͤmischen Reiches. In den Jahrhunderten seiner Erhebung hat es die Unabhaͤngigkeiten gebrochen, die Voͤlker unterworfen; es hat jenes Gefuͤhl der Selbststaͤndig- keit, das in der Sonderung lag, vernichtet; dagegen hat es dann in seinen spaͤteren Zeiten die wahre Religion in seinem Schooße hervorgehen sehen, — die reinste Form eines gemeinsamen Bewußtseyns; das Bewußtseyn der Ge- meinschaft in dem Einen wahren Gott; es hat die Herr- schaft derselben entwickelt. Das Menschengeschlecht ist sich selber inne geworden: es hat seine Religion gefunden. Dieser Religion gab nun auch uͤberdieß das roͤmische Reich ihre aͤußere Form auf immer. Die heidnischen Priesterthuͤmer waren wie buͤrgerliche Aemter vergeben worden; in dem Judenthum war ein Stamm mit der geistlichen Verwaltung beauftragt: es un- terscheidet das Christenthum, daß sich in demselben ein be- sonderer Stand, aus freien Mitgliedern die ihn waͤhlten, zusammengesetzt, durch Handauflegung geheiligt, von allem irdischen Thun und Treiben entfernt, „den geistlichen und goͤttlichen Geschaͤften“ zu widmen hatte. Anfangs bewegte sich die Kirche in republikanischeren Formen, aber sie ver- schwanden, je mehr der neue Glauben zur Herrschaft ge- langte. Der Clerus setzte sich nach und nach den Laien vollstaͤndig gegenuͤber. Es geschah dieß, duͤnkt mich, nicht ohne eine gewisse innere Nothwendigkeit. In dem Emporkommen des Chri- Das Christenthum in dem roͤm. Reiche . stenthums lag eine Befreiung der Religion von den poli- tischen Elementen. Es haͤngt damit zusammen, daß sich ein abgesonderter geistlicher Stand mit einer eigenthuͤmli- chen Verfassung ausbildete. In dieser Trennung der Kirche von dem Staate besteht vielleicht die groͤßte, am durch- greifendsten wirksame Eigenthuͤmlichkeit der christlichen Zei- ten uͤberhaupt. Die geistliche und weltliche Gewalt koͤn- nen einander nahe beruͤhren, in der engsten Gemeinschaft stehen, voͤllig zusammenfallen koͤnnen sie hoͤchstens aus- nahmsweise und auf kurze Zeit. In ihrem Verhaͤltniß, ihrer gegenseitigen Stellung zu einander beruht seitdem eines der wichtigsten Momente aller Geschichte. In dem roͤmischen Reiche erhob sich die Hierar- chie der Bischoͤfe Metropolitane Patriarchen. Es dauerte nicht lange, so nahmen die roͤmischen Bischoͤfe den obersten Rang ein. Zwar ist es ein eitles Vorgeben, daß densel- ben in den ersten Jahrhunderten und uͤberhaupt jemals ein allgemeines von Osten und Westen anerkanntes Primat zu- gestanden habe; aber allerdings erlangten sie sehr bald ein Ansehen, durch das sie uͤber alle andere kirchliche Gewal- ten hervorragten. Es kam Vieles zusammen, um ihnen ein solches zu verschaffen. Wenn sich schon allenthalben aus der groͤßeren Bedeutung einer Provinzial-Hauptstadt ein besonderes Uebergewicht fuͤr den Bischof derselben er- gab, wie viel mehr mußte dieß bei der alten Hauptstadt des gesammten Reiches, die demselben seinen Namen gege- ben, der Fall seyn Casauboni Exercitationes ad annales ecclesiasticos Ba- ronii p. 260. . Rom war einer der vornehmsten Kap. I. Epochen des Papstthums . apostolischen Sitze; hier hatten die meisten Maͤrtyrer ge- blutet; waͤhrend der Verfolgungen hatten sich die Bischoͤfe von Rom vorzuͤglich wacker gehalten; und oft waren sie einander nicht sowohl im Amte, als im Maͤrtyrerthume und im Tode nachgefolgt. Nun fanden aber uͤberdieß die Kaiser gerathen, das Emporkommen einer großen patriar- chalen Autoritaͤt zu beguͤnstigen. In einem Gesetz, das fuͤr die Herrschaft des Christenthums entscheidend geworden ist, gebietet Theodosius der Große, daß alle Nationen, die von seiner Gnade regiert werden, dem Glauben anhangen sol- len, der von dem heiligen Petrus den Roͤmern verkuͤndet worden Codex Theodos. XVI, 1, 2. „Cunctos populos quos clementiae nostrae regit temperamentum in tali volumus reli- gione versari, quam divinum Petrum Apostolum tradidisse Ro- manis religio usque nunc ab ipso insinuata declarat.“ Das Edict Valentinians III. erwaͤhnt auch Planck: Geschichte der christlich- kirchlichen Gesellschaftsverfassung I , 642. . Valentinian III. untersagte den Bischoͤfen so- wohl in Gallien als in andern Provinzen, von den bishe- rigen Gewohnheiten abzuweichen, ohne die Billigung des ehrwuͤrdigen Mannes, des Papstes der heiligen Stadt. Unter dem Schutze der Kaiser selbst erhob sich demnach die Macht des roͤmischen Bischofs. Eben hierin lag dann frei- lich auch eine Beschraͤnkung derselben. Schon die Thei- lung des Reiches mußte bei der Eifersucht, mit der sich jeder Kaiser gewisse kirchliche Rechte vorbehielt, die Aus- dehnung der Gewalt eines einzigen Bischofs uͤber getrennte und entfernte Gebiete verhindern. Das Papstthum u. das fraͤnkische Reich . Das Papstthum in Vereinigung mit dem fraͤnki- schen Reiche. Kaum war diese große Veraͤnderung vollbracht, die christliche Religion gepflanzt, die Kirche gegruͤndet, so tra- ten neue Weltgeschicke ein: das roͤmische Reich, das so lange gesiegt und erobert hatte, sah sich nun auch seiner- seits von den Nachbarn angegriffen, uͤberzogen, besiegt. In dem Umsturz aller Dinge wurde selbst das Chri- stenthum noch einmal erschuͤttert. In den großen Gefah- ren erinnerten sich die Roͤmer noch einmal der etrurischen Geheimnisse, die Athenienser glaubten von Achill und Mi- nerva gerettet worden zu seyn, die Carthager beteten zu dem Genius Coͤlestis, — doch waren dieß nur voruͤberge- hende Regungen; waͤhrend das Reich in den westlichen Provinzen zerstoͤrt wurde, erhielt sich der gesammte Bau der roͤmischen Kirche. Nur kam auch sie, wie unvermeidlich war, in mannichfaltige Bedraͤngniß, und eine durchaus veraͤnderte Lage. Eine heidnische Nation nahm Britannien ein: aria- nische Koͤnige eroberten den groͤßten Theil des uͤbrigen We- stens; in Italien vor den Thoren von Rom gruͤndeten sich die Lombarden, — lange Zeit Arianer, und immer ge- faͤhrliche, feindselige Nachbarn — eine maͤchtige Herrschaft. Indem nun die roͤmischen Bischoͤfe, von allen Seiten eingeengt, sich bemuͤhten, wenigstens in ihrem alten, pa- triarchalen Sprengel wieder Meister zu werden, — mit viel Klugheit versuchten sie dieß — traf sie ein neues, noch Kap. I. Epochen des Papstthums . groͤßeres Mißgeschick. Die Araber, nicht allein Eroberer wie die Germanen, sondern von einem positiven stolzen, dem Christenthume von Grund aus entgegengesetzten Glau- ben bis zum Fanatismus durchdrungen, ergossen sich uͤber den Occident wie uͤber den Orient; in wiederholten Anfaͤl- len nahmen sie Africa, in einem einzigen Spanien ein: Muza ruͤhmte sich, durch die Pforten der Pyrenaͤen uͤber die Alpen nach Italien vordringen zu wollen, um Muha- mets Namen am Vatican ausrufen zu lassen. Im Anfange des achten Jahrhunderts war die roͤmi- sche Christenheit in den mißlichsten Verhaͤltnissen. Waͤhrend die Araber das Mittelmeer zu beherrschen anfangen und ihr einen Krieg auf Tod und Leben machen, ist sie in sich selber zerfallen. Die beiden Oberhaͤupter, der Kaiser zu Constantinopel und der Papst zu Rom, ha- ben bei den ikonoklastischen Bewegungen verschiedene Par- teien ergriffen: oft trachtet der Kaiser dem Papste nach dem Leben. Indeß haben die Lombarden eingesehen, wie vor- theilhaft ihnen diese Entzweiung ist. Ihr Koͤnig Aistulph nimmt Provinzen ein, die den Kaiser bisher noch immer anerkannten: er ruͤckt wider Rom heran, und fordert unter heftigen Bedrohungen auch diese Stadt auf, ihm Tribut zu zahlen, sich ihm zu ergeben Anastasius Bibliothecarius: Vitae Pontificum. Vita Ste- phani III. ed. Paris. p. 83. Fremens ut leo pestiferas minas Romanis dirigere non desinebat, asserens omnes uno gladio ju- gulari, nisi suae sese subderent ditioni. . Bei diesem inneren Zerwuͤrfniß auf der einen und der entschiedenen Ueberlegenheit einer feindseligen Weltmacht Das Papstthum u. das fraͤnkische Reich . auf der andern Seite ließ sich nichts anderes, als der Untergang dieses ganzen Wesens erwarten, wofern es nicht auf irgend eine Art eine nachhaltige gewaltige Huͤlfe empfing. Schon war eine solche vorbereitet. Es war eine Rich- tung angebahnt, welche die Paͤpste nur mit Entschiedenheit einzuschlagen brauchten, um sich aus ihren Bedraͤngnissen errettet zu sehen. Versuchen wir, sie in ihren Grundzuͤgen kuͤrzlich zu vergegenwaͤrtigen. Von allen germanischen Nationen war allein die fraͤnki- sche, gleich bei ihrer ersten Erhebung in den Provinzen des roͤmischen Reiches, katholisch geworden. Dieß ihr Bekennt- niß hatte ihr zu großer Foͤrderung gereicht. In den ka- tholischen Unterthanen ihrer arianischen Feinde, der Bur- gunder und Westgothen, fanden die Franken natuͤrliche Verbuͤndete. Wir lesen so viel von den Wundern, die dem Chlodwig begegnet seyn sollen, wie ihm St. Martin durch eine Hindin die Furt uͤber die Vienne gezeigt, wie ihm St. Hilarius in einer Feuersaͤule vorangegangen: wir wer- den schwerlich irren, wenn wir vermuthen, daß in diesen Sagen die Huͤlfe versinnbildet worden, welche die Einge- bornen einem Glaubensgenossen leisteten, dem sie wie Gre- gor von Tours sagt, „mit begieriger Neigung“ den Sieg wuͤnschten. Allmaͤhlig ward diese Nation der Mittelpunkt der ge- sammten germanisch-westlichen Welt. Es schadet ihr nicht, daß ihr Koͤnighaus, das merovingische Geschlecht sich selbst durch entsetzenvolle Mordthaten zu Grunde richtet; sofort er- hebt sich an die Stelle desselben ein anderes zur hoͤchsten Kap. I. Epochen des Papstthums . Gewalt in ihr: alles Maͤnner voll Energie von gewalti- gem Willen und erhabener Kraft. Indem die uͤbrigen Reiche zusammenstuͤrzen und die Welt ein Eigenthum des moslimischen Schwertes zu werden droht, ist es dieß Ge- schlecht, das Haus der Pippine von Heristall, nachmals das carolingische genannt, welches den ersten und den ent- scheidenden Widerstand leistet. Es ist maͤchtig uͤber viele Staͤmme, siegreich, katholisch: es kann nicht anders seyn, als daß der Papst, von Arabern, Lombarden und Griechen bedraͤngt, sein Augenmerk auf Fuͤrsten richtet, bei denen er allein gegen alle diese Angriffe Huͤlfe zu finden vermag. Indessen hat das Gebiet, uͤber welches dieses Haus gewaltig ist, noch eine andere, einer Vereinigung entge- genfuͤhrende Entwickelung erfahren. Papst Gregor der Große sah einst Angelsachsen auf dem Sklavenmarkt zu Rom, die seine Aufmerksamkeit er- regten, und ihn bestimmten, der Nation, der sie angehoͤr- ten, das Evangelium verkuͤndigen zu lassen. Nie mag sich ein Papst zu einer folgenreicheren Unternehmung entschlossen haben. Nicht allein die Lehre faßte in dem germanischen Britannien Wurzel, sondern zugleich eine Verehrung fuͤr Rom und den heiligen Stuhl, wie sie bisher noch nie und nirgend Statt gefunden hatte. Die Angelsachsen fingen an nach Rom zu pilgern; sie sandten ihre Jugend dahin; zur Erziehung der Geistlichen, zur Erleichterung der Pilger fuͤhrte Koͤnig Offa den Peterspfennig ein; die Vornehme- ren wanderten nach Rom, um daselbst zu sterben und dann von den Heiligen im Himmel vertraulicher aufgenommen zu werden. Es war, als truͤge diese Nation den alten deut- Das Papstthum u. das fraͤnkische Reich . deutschen Aberglauben, daß die Goͤtter einigen Oertern naͤ- her seyen als andern, auf Rom und die christlichen Heili- gen uͤber. Diese Richtung der Insel nun entwickelte eine unbe- rechenbare Wirkung auf das feste Land und die fraͤnkischen Gebiete. Der Apostel der Deutschen war ein Angelsachse. Bonifacius, erfuͤllt wie er war von der Verehrung seiner Nation fuͤr St. Peter und dessen Nachfolger, leistete von allem Anfang das Versprechen, sich treulich an die Einrichtungen des roͤmischen Stuhles zu halten. Auf das strengste kam er dieser Zusage nach. Der deutschen Kirche, die er stiftete, legte er einen ungewoͤhnlichen Gehorsam auf. Die Bischoͤfe mußten ausdruͤcklich geloben, gegen die roͤmische Kirche, den h. Peter und dessen Stellvertreter bis ans Ende ihres Lebens in Unterwuͤrfigkeit zu verharren. Und nicht allein die Deut- schen wies er hierzu an. Die Bischoͤfe von Gallien hat- ten bisher eine gewisse Unabhaͤngigkeit von Rom behauptet. Bonifacius, welcher die Synoden derselben einige Mal zu leiten bekam, fand dabei Gelegenheit, auch diesen westli- chen Theil der fraͤnkischen Kirche nach denselben Ideen ein- zurichten —; die gallischen Erzbischoͤfe nahmen seitdem ihr Pallium von Rom. Ueber das gesammte fraͤnkische Reich breitete sich dergestalt die angelsaͤchsische Unterwuͤrfigkeit aus. Das Haus von Heristall, das wir schon fruͤh mit Rom in gutem Vernehmen finden, beguͤnstigte diese Entwickelung Bonifacii Epistolae; ep. 12. ad Danielem episc. Sine patrocinio principis Francorum nec populum regere nec pres- byteros vel diaconos monachos vel ancillas dei defendere pos- sum nec ipsos paganorum ritus et sacrilegia idolorum in Ger- mania sine illius mandato et timore prohibere valeo. ; 2 Kap. I. Epochen des Papstthums . Bonifacius arbeitete in dem besondern Schutze Karl Mar- tels und Pippin des Kleinen. Man denke sich nun die Weltstellung der paͤpstlichen Gewalt. Auf der einen Seite das ostroͤmische Kaiserthum, verfallend, schwach, unfaͤhig, das Christenthum gegen den Islam zu behaupten, unvermoͤgend, auch nur seine eige- nen Landschaften in Italien gegen die Lombarden zu ver- theidigen, und dabei mit dem Anspruch einer oberherrlichen Einwirkung selbst in geistlichen Sachen; auf der andern die germanischen Nationen, lebenskraͤftig, gewaltig, sieg- reich uͤber den Islam; der Autoritaͤt, deren sie noch bedurften, mit der ganzen Frische jugendlicher Begeisterung ergeben. Es konnte nicht fehlen: diese unbedingte freiwillige Devo- tion mußte zuletzt auch eine Ruͤckwirkung auf den aus- uͤben, dem sie gewidmet wurde. Schon Gregor II. fuͤhlt, was er gewonnen hat. Alle Abendlaͤnder, schreibt er voll Selbstgefuͤhl an jenen ikono- klastischen Kaiser, Leo den Isaurier, haben ihre Augen auf unsere Demuth gerichtet, sie sehen uns fuͤr einen Gott auf Erden an. Immer mehr sonderten sich seine Nachfolger von einer Gewalt ab, die ihnen nur Pflichten auferlegte und keinen Schutz gewaͤhrte: die Nothwendigkeit selbst trieb sie dazu; dagegen schlossen sie mit den großen Ober- haͤuptern des Westens, mit den fraͤnkischen Fuͤrsten, eine Verbindung, die von Jahr zu Jahr enger wurde, beiden Theilen zu großem Vortheil gereichte, und zuletzt eine um- fassende weltgeschichtliche Bedeutung entfaltete. Als der juͤngere Pippin, nicht zufrieden mit dem We- sen der koͤniglichen Gewalt, auch den Namen derselben be- Das Papstthum u. das fraͤnkische Reich . sitzen wollte, bedurfte er, er fuͤhlte es wohl, einer hoͤheren Sanction; der Papst gewaͤhrte sie ihm. Dafuͤr uͤbernahm dann der neue Koͤnig den Papst, „die heilige Kirche und Republik Gottes“ gegen die Lombarden zu vertheidigen. Zu vertheidigen, genuͤgte seinem Eifer noch nicht. Gar bald zwang er die Lombarden, auch das dem ostroͤmischen Reiche in Italien entrissene Gebiet, das Exarchat, herauszugeben. Wohl haͤtte die Gerechtigkeit verlangt, daß es dem Kaiser, dem es gehoͤrte, zuruͤckgestellt wuͤrde, und man machte Pip- pin den Antrag. Er erwiederte, „nicht zu Gunsten eines Menschen sey er in den Kampf gegangen, sondern allein aus Verehrung fuͤr St. Peter, um die Vergebung seiner Suͤnden zu erwerben“ Anastasius: affirmans etiam sub juramento, quod per nullius hominis favorem sese certamini saepius dedisset, nisi pro amore Petri et venia delictorum. . Auf den Altar St. Peters ließ er die Schluͤssel der gewonnenen Staͤdte niederlegen. Es ist dieß die Grundlage der ganzen weltlichen Herrschaft der Paͤpste. In so lebhafter Gegenseitigkeit bildete sich diese Ver- bindung weiter aus. Der seit so langer Zeit beschwerlichen und druͤckenden Nachbarschaft lombardischer Fuͤrsten entle- digte endlich Carl der Große den Papst. Er selber zeigte die tiefste Ergebenheit; er kam nach Rom, die Stufen von St. Peter kuͤssend stieg er den Vorhof hinan, wo ihn der Papst erwartete; er bestaͤtigte ihm die Schenkungen Pip- pins. Dagegen war auch der Papst sein unerschuͤtterlicher Freund; die Verhaͤltnisse des geistlichen Oberhauptes zu den italienischen Bischoͤfen machten es Carln so leicht, 2* Kap. I. Epochen des Papstthums . der Lombarden Herr zu werden, ihr Reich an sich zu bringen. Und sogleich sollte dieser Gang der Dinge zu einem noch groͤßeren Erfolge fuͤhren. In seiner eigenen Stadt, in der sich die entgegengesetz- ten Factionen mit heftiger Wuth bekaͤmpften, konnte der Papst nicht mehr ohne auswaͤrtigen Schutz bestehen. Noch einmal machte sich Carl nach Rom auf, ihm denselben zu gewaͤhren. Der alte Fuͤrst war nun erfuͤllt mit Ruhm und Siegen. In langen Kaͤmpfen hatte er nach und nach alle seine Nachbarn uͤberwunden: und die romanisch-germa- nisch-christlichen Nationen beinahe saͤmmtlich vereinigt; er hatte sie zum Siege wider ihre gemeinsamen Feinde gefuͤhrt; man bemerkte, daß er alle Sitze der abendlaͤndischen Impe- ratoren in Italien, Gallien und Germanien, und ihre Gewalt inne habe So verstehe ich den Annalista Lambecianus: ad annum 801. „Visum est et ipsi apostolico Leoni, — — ut ipsum Carolum, regem Francorum, Imperatorem nominare debuissent, qui ipsam Romam tenebat, ubi semper Caesares sedere soliti erant et reli- quas sedes, quas ipse per Italiam seu Galliam nec non et Ger- maniam tenebat (er wollte wohl sagen: ipsi tenebant) quia deus omnipotens has omnes sedes in potestatem ejus concessit, ideo justum eis esse videbatur, ut ipse cum dei adjutorio — — ip- sum nomen haberet.“ . Zwar waren diese Laͤnder seitdem eine voll- kommen andere Welt geworden; aber sollten sie diese Wuͤrde ausschließen? So hatte Pippin das koͤnigliche Diadem be- kommen: weil dem, der die Gewalt habe, nicht minder die Ehre gebuͤhre. Auch dießmal entschloß sich der Papst. Von Dankbarkeit durchdrungen, und wie er wohl wußte, eines fortwaͤhrenden Schutzes beduͤrftig, kroͤnte er Carln an Das Papstthum u. das fraͤnkische Reich . jenem Weihnachtsfeste des Jahres 800 mit der Krone des abendlaͤndischen Reiches. Es ist nicht noͤthig, von der Wichtigkeit dieses Er- eignisses zu reden. Zunaͤchst bewaͤhrte sie sich an dem Papst selber, der hiermit in eine ganz neue Stellung gerieth. Nicht als ob er um vieles unabhaͤngiger geworden waͤre. Wir finden vielmehr Carln den Großen unzwei- felhafte Acte einer hoͤchsten Autoritaͤt in den Landschaf- ten vollziehen, die Sanct Peter uͤbergeben sind; auch seine minder maͤchtigen Nachfolger uͤben diese aus; Lo- thar setzt seine Richter daselbst ein und vernichtet Confis- cationen, die der Papst vorgenommen. Es ist kein Zwei- fel: der Papst gehoͤrte wesentlich zum fraͤnkischen Reiche: eben darin liegt sein neues Verhaͤltniß. Von dem Orient sondert er sich ab, und hoͤrt allmaͤhlig auf, weitere Aner- kennung daselbst zu finden. Seines patriarchalen Sprengels im Osten hatten ihn die griechischen Kaiser schon laͤngst beraubt Nicolaus I. beklagt sich uͤber den Verlust der patriarchalen Macht des roͤmischen Stuhles „per Epirum veterem Epirumque novam atque Illyricum, Macedoniam, Thessaliam, Achaiam, Da- ciam ripensem Daciamque mediterraneam, Moesiam, Dardaniam, Praevalim; und die Verluste des Patrimoniums in Calabrien und Sicilien. Pagi ( Critica in Annales Baronii III, p. 216 ) stellt dieß Schreiben mit einem andern von Adrian I. an Carl d. Gr. zusammen, aus dem man sieht, daß diese Verluste bei der ikono- klastischen Streitigkeit erlitten worden. . Dafuͤr leisten ihm die abendlaͤndischen Kirchen — die lombardische, auf welche die Institute der fraͤnki- schen uͤbertragen worden, nicht ausgeschlossen, — einen Ge- horsam, wie er ihn fruͤher niemals gefunden hatte. Wie Kap. I. Epochen des Papstthums . er zu Rom die Schulen der Friesen, Sachsen, Franken aufgenommen, durch welche diese Stadt selbst germanisirt wurde, so ist er in die Verbindung germanischer und ro- manischer Elemente eingetreten, welche seitdem den Charak- ter des Abendlandes ausgemacht hat. In dem bedraͤngtesten Moment hat seine Gewalt in einem frischen Boden Wur- zel geschlagen: als sie zu dem Untergange bestimmt schien, hat sie sich auf lange Zeitraͤume festgestellt. Die Hierar- chie, in dem roͤmischen Reich geschaffen, hat sich in die germanischen Nationen ergossen; hier findet sie ein unend- liches Feld fuͤr eine immer fortschreitende Thaͤtigkeit. Verhaͤltniß zu den deutschen Kaisern. Selbststaͤn- dige Ausbildung der Hierarchie. Wir lassen neue Jahrhunderte voruͤbergegangen seyn, um uns den Punkt der Entwickelung, auf den sie gefuͤhrt haben, desto deutlicher zu vergegenwaͤrtigen. Das fraͤnkische Reich ist zerfallen: auf das gewaltigste hat sich das deutsche erhoben. Niemals hat der deutsche Name in Europa mehr ge- golten, als im 10ten und 11ten Jahrhundert, unter den saͤchsischen und den ersten salischen Kaisern. Von den oͤst- lichen Grenzen, wo der Koͤnig von Polen sich persoͤnliche Unterwerfung und eine Theilung seines Landes hat gefallen lassen, wo der Herzog von Boͤhmen zur Haft verurtheilt worden, sehen wir Conrad II. nach dem Westen aufbre- chen, um Burgund, den Anspruͤchen franzoͤsischer Magnaten Verhaͤltniß zu den deutschen Kaisern . gegenuͤber, zu behaupten. In den Ebenen der Champagne uͤberwindet er sie; uͤber den Bernhard kommen ihm seine italienischen Vasallen zu Huͤlfe; er laͤßt sich kroͤnen zu Genf und haͤlt seine Landtage zu Solothurn. Unmittelbar hier- auf begegnen wir ihm in Unteritalien. „An der Grenze seines Reiches,“ sagt sein Geschichtschreiber Wippo, „in Capua und Benevent hat er durch sein Wort die Zwistig- keiten geschlichtet.“ Nicht minder gewaltig herrschte Hein- rich III. Bald finden wir ihn an der Schelde und Lys, — siegreich uͤber die Grafen von Flandern; bald in Un- garn, das er wenigstens auf eine Zeitlang zur Lehnspflicht noͤthigte, jenseits der Raab, und nur die Elemente setzen ihm Schranken. Der Koͤnig von Daͤnemark sucht ihn zu Merseburg auf; einen der maͤchtigsten Fuͤrsten von Frankreich, den Grafen von Tours nimmt er als Vasallen an; die spanischen Geschichten erzaͤhlen, daß er von Ferdinand I. in Castilien, so siegreich und maͤchtig dieser war, als Ober- lehnsherr aller christlichen Koͤnige anerkannt zu werden ge- fordert habe. Fragen wir nun, worauf diese so weit ausgebreitete, ein europaͤisches Supremat in Anspruch nehmende Macht in ihrem Innern sich gruͤndete, so finden wir, daß sie ein sehr bedeutendes kirchliches Element in sich schloß. Auch die Deutschen eroberten, indem sie bekehrten. Mit der Kirche ruͤckten ihre Marken vorwaͤrts, uͤber die Elbe nach der Oder hin, die Donau hinunter; Moͤnche und Priester gin- gen dem deutschen Einfluß in Boͤhmen und Ungarn vor- auf. Allenthalben ward deshalb den geistlichen Gewalten eine große Macht verliehen. In Deutschland erhielten Bischoͤfe Kap. I. Epochen des Papstthums . und Reichsaͤbte nicht allein in ihren Besitzthuͤmern, son- dern auch außerhalb derselben graͤfliche, ja zuweilen her- zogliche Rechte; und man bezeichnet die geistlichen Guͤter nicht mehr als in den Grafschaften, sondern die Grafschaf- ten als in den Bisthuͤmern gelegen. Im obern Italien kamen fast alle Staͤdte unter die Vicegrafen ihrer Bischoͤfe. Man wuͤrde irren, wenn man glauben wollte, es sey die Absicht gewesen, den geistlichen Gewalten hiermit eigent- liche Unabhaͤngigkeit zu gewaͤhren. Da die Besetzung der geistlichen Stellen den Koͤnigen zukam — die Stifter pfleg- ten Ring und Stab ihrer verstorbenen Vorsteher an das Hoflager zuruͤckzuschicken, wo sie dann aufs neue verliehen wurden — so war es in der Regel sogar ein Vortheil fuͤr den Fuͤrsten, den Mann seiner Wahl, auf dessen Ergeben- heit er rechnen durfte, mit weltlichen Befugnissen auszu- ruͤsten. Dem widerspenstigen Adel zum Trotz setzte Hein- rich III. einen ihm ergebenen Plebejer auf den ambrosia- nischen Stuhl zu Mailand; den Gehorsam, den er spaͤter in Oberitalien fand, hat er großentheils dieser Maaßregel zu danken gehabt. Es erlaͤutert sich wechselsweise, daß Heinrich II. von allen diesen Kaisern sich am freigebigsten gegen die Kirche bewies, und dabei das Recht, die Bi- schoͤfe zu ernennen, am schaͤrfsten in Anspruch nahm Beispiele dieser Strenge bei Planck: Geschichte der christl kirchl. Gesellschaftsverfassung III, 407. . Auch war dafuͤr gesorgt, daß die Begabung der Staatsgewalt nichts entzog. Die geistlichen Guͤter waren weder von den buͤrgerlichen Lasten, noch selbst von der Lehenspflicht exi- mirt; haͤufig sehen wir die Bischoͤfe an der Spitze ihrer Verhaͤltniß zu den deutschen Kaisern . Mannen ins Feld ruͤcken. Welch ein Vortheil war es da- gegen, Bischoͤfe ernennen zu koͤnnen, die wie der Erzbischof von Bremen, eine hoͤchste geistliche Gewalt in den scandi- navischen Reichen und uͤber viele wendische Staͤmme aus- uͤbten! War nun in den Instituten des deutschen Reiches das geistliche Element so uͤberaus bedeutend, so sieht man von selbst, wie viel auf das Verhaͤltniß ankam, in welchem die Kaiser zu dem Oberhaupte aller Geistlichkeit, zu dem Papste in Rom standen. Wohl hatten die Paͤpste, ehe das Kaiserthum entschie- den an die Deutschen fiel, als es in schwachen und schwan- kenden Haͤnden war, Acte einer hoͤheren Autoritaͤt uͤber dasselbe ausgeuͤbt. So wie aber die kraͤftigen deutschen Fuͤrsten diese Wuͤrde erobert hatten, waren sie nicht viel weniger, als die Carolingen, Oberherren des Papstthums. Mit gewaltiger Hand beschirmte Otto der Große den Papst, den er eingesetzt hatte Bei Goldast: Constitutt. Imperiales I, p. 221 findet sich ein Instrument (mit den Scholien Dietrichs von Niem), durch welches das Recht Carls des Gr. sich selbst einen Nachfolger und in Zukunft roͤmische Paͤpste zu ernennen, auf Otto und die deutschen Kaiser uͤbertragen wird. Es ist jedoch ohne Zweifel erdichtet. ; seine Soͤhne folgten seinem Bei- spiele; daß sich einmal die roͤmischen Factionen wieder er- hoben und diese Wuͤrde nach ihren Familieninteressen an- nahmen, wiederabgaben, kauften und veraͤußerten, machte die Nothwendigkeit einer hoͤheren Intervention nur um so einleuchtender. Man weiß, wie gewaltig Heinrich III. die- selbe ausuͤbte. Seine Synode zu Sutri setzte die einge- drungenen Paͤpste ab; nachdem er erst den Patricius-Ring Kap. I. Epochen des Papstthums . an seinen Finger gesteckt und die kaiserliche Krone empfan- gen hatte, bezeichnete er nach seinem Gutduͤnken denjenigen, der den paͤpstlichen Stuhl besteigen sollte. Es folgten einander vier deutsche Paͤpste, alle von ihm ernannt; bei der Erledigung der hoͤchsten geistlichen Wuͤrde erschienen die Abgeordneten von Rom nicht anders, als die Gesandten anderer Bisthuͤmer an dem kaiserlichen Hoflager, um sich den Nachfolger bestimmen zu lassen. Bei dieser Lage der Dinge war es dem Kaiser selbst erwuͤnscht, wenn das Papstthum in bedeutendem Ansehn stand. Heinrich III. befoͤrderte die Reformationen, welche die von ihm gesetzten Paͤpste unternahmen; der Zuwachs ihrer Gewalt erregte ihm keine Eifersucht. Daß Leo IX. dem Willen des Koͤnigs von Frankreich zum Trotz, eine Synode zu Rheims hielt, franzoͤsische Bischoͤfe einsetzte und absetzte, und die feierliche Erklaͤrung empfing, der Papst sey der einzige Primas der allgemeinen Kirche, konnte dem Kaiser ganz recht seyn, so lange er nur selber uͤber das Papstthum verfuͤgte. Es gehoͤrte dieß mit zu dem obersten Ansehen, das er in Europa in Anspruch nahm. In ein aͤhnliches Verhaͤltniß, wie durch den Erzbischof von Bre- men zu dem Norden, kam er durch den Papst zu den uͤbri- gen Maͤchten der Christenheit. Es war aber hierbei auch eine große Gefahr. Ganz ein anderes Institut war der geistliche Stand in den germanischen und germanisirten Reichen geworden, als er in dem roͤmischen gewesen. Es war ihm ein gro- ßer Theil der politischen Gewalt uͤbertragen: er hatte fuͤrst- liche Macht. Wir sehen, noch hing er von dem Kaiser, Selbststaͤndige Ausbildung der Hierarchie . von der obersten weltlichen Autoritaͤt ab: wie aber, wenn diese einmal wieder in schwache Haͤnde gerieth, — wenn dann das Oberhaupt der Geistlichkeit, dreifach maͤchtig, durch seine Wuͤrde, der man eine allgemeine Verehrung widmete, den Gehorsam seiner Untergebenen, und seinen Einfluß auf andere Staaten, den guͤnstigen Augenblick ergriff, und sich der koͤniglichen Gewalt entgegensetzte? In der Sache selbst lag mehr als Eine Veranlassung hierzu. Das geistliche Wesen hatte doch in sich ein eig- nes, einem so großen weltlichen Einfluß widerstrebendes Princip, welches es hervorkehren mußte, sobald es stark genug dazu geworden war. Auch lag, scheint mir, ein Widerspruch darin, daß der Papst eine hoͤchste geistliche Gewalt nach allen Seiten hin ausuͤben, und dabei dem Kaiser unterthaͤnig seyn sollte. Ein anderes waͤre es ge- wesen, haͤtte es Heinrich III. wirklich dahin gebracht, sich zum Haupte der gesammten Christenheit zu erheben. Da ihm dieß nicht gelang, so konnte sich der Papst bei eini- ger Verwickelung der politischen Verhaͤltnisse durch seine untergeordnete Stellung zu dem Kaiser, allerdings gehin- dert sehen, voͤllig frei der allgemeine Vater der Glaͤubigen zu seyn, wie sein Amt es mit sich brachte. Unter diesen Umstaͤnden stieg Gregor VII. auf den paͤpstlichen Stuhl. Es hat ihn fuͤr alle Zeiten beruͤhmt gemacht, daß er die Emancipation der paͤpstlichen Gewalt von der kaiserlichen durchzusetzen unternahm. Gregor hat einen kuͤhnen, einseitigen, hochfliegenden Geist; folgerecht, man koͤnnte sagen, wie ein scholastisches System das ist; unerschuͤtterlich in der logischen Consequenz, und dabei eben Kap. I. Epochen des Papstthums . so gewandt, die wahren und gegruͤndeten Oppositionen zu eludirer. Als er sein Ziel ins Auge gefaßt, griff er ohne alle Ruͤcksicht, ohne einen Moment zu zoͤgern, zu dem ent- scheidenden Mittel. Der Beschluß, den er von einer sei- ner Kirchenversammlungen fassen ließ, daß in Zukunft nie- mals wieder eine geistliche Stelle durch einen Weltlichen verliehen werden duͤrfe, mußte die Verfassung des Reiches in ihrem Wesen umstoßen. Diese beruhte, wie beruͤhrt worden, auf der Verbindung geistlicher und weltlicher In- stitute: das Band zwischen beiden war die Investitur; es kam einer Revolution gleich, daß dieses alte Recht dem Kaiser entrissen werden sollte. Es ist offenbar: Gregor haͤtte dieß nicht in Gedanken zu fassen, geschweige durchzusetzen vermocht, waͤre ihm nicht die Zerruͤttung des deutschen Reiches waͤhrend der Minder- jaͤhrigkeit Heinrichs IV. und die Empoͤrung der deutschen Staͤmme und Fuͤrsten gegen diesen Koͤnig zu Statten ge- kommen. An den großen Vasallen fand er natuͤrliche Ver- buͤndete. Auch sie fuͤhlten sich von dem Uebergewicht der kaiserlichen Gewalt gedruͤckt; auch sie wollten sich befreien. In gewisser Hinsicht war ja auch der Papst ein Magnat des Reiches. Es stimmt sehr gut zusammen, daß der Papst Deutschland fuͤr ein Wahlreich erklaͤrte, — die fuͤrst- liche Macht mußte dadurch unendlich wachsen — und daß die Fuͤrsten so wenig dawider hatten, wenn der Papst sich von dem Reich emancipirte. Selbst bei dem Investiturstreit ging ihr Vortheil Hand in Hand. Der Papst war noch weit entfernt, die Bischoͤfe geradezu selbst ernennen zu wol- len; er uͤberließ die Wahl den Capiteln, auf welche der Selbststaͤndige Ausbildung der Hierarchie . hoͤhere deutsche Adel den groͤßten Einfluß ausuͤbte. Mit einem Wort: der Papst hatte die aristokratischen Interessen auf seiner Seite. Aber auch selbst mit diesen Verbuͤndeten, wie lange und blutige Kaͤmpfe hat es den Paͤpsten doch gekostet, ihr Unternehmen durchzusetzen! Von Daͤnemark bis Apulien, sagt der Lobgesang auf den heil. Anno, von Carlingen bis nach Ungarn hat das Reich die Waffen gegen seine Ein- geweide gekehrt. Wie oft mußten die Paͤpste von ihrer Hauptstadt weichen und Gegenpaͤpste auf den apostolischen Stuhl steigen sehen! Endlich aber war es ihnen doch gelungen. Den roͤ- mischen, den fraͤnkisch-carolingischen, so vielen deutschen Kaisern hatten die Paͤpste gehorchen muͤssen: jetzt zum er- sten Mal standen sie der weltlichen Gewalt mit gleicher oder uͤberwiegender Autoritaͤt gegenuͤber. In der That hat- ten sie alsdann die großartigste Stellung. Die Geist- lichkeit war voͤllig in ihren Haͤnden. Es ist der Bemer- kung werth, daß die entschlossensten Paͤpste dieses Zeit- raums, wie Gregor VII. selbst, Benedictiner waren. In- dem sie das Coͤlibat einfuͤhrten, verwandelten sie die ganze Weltgeistlichkeit in eine Art von Moͤnchsorden. Das all- gemeine Bisthum, das sie in Anspruch nahmen, hat eine gewisse Aehnlichkeit mit der Gewalt eines Cluniacenser Abtes, welcher der einzige Abt in seinem Orden war; so wollten diese Paͤpste die einzigen Bischoͤfe der gesammten Kirche seyn. Sie trugen kein Bedenken, in die Verwaltung aller Dioͤ- cesen einzugreifen Einer der Hauptpuncte, uͤber den ich doch eine Stelle aus ; haben sie doch ihre Legaten selbst mit Kap. I. Epochen des Papstthums . altroͤmischen Proconsuln verglichen! Waͤhrend sich nun die- ser enge zusammenschließende und uͤber alle Laͤnder verbrei- tete, durch seine Besitzungen maͤchtige, und jedes Lebens- verhaͤltniß beherrschende Orden in dem Gehorsam eines ein- zigen Oberhauptes ausbildete, verfielen ihm gegenuͤber die Staatsgewalten. Schon im Anfange des 12ten Jahrhun- derts durfte der Probst Gerohus sagen: „es werde noch da- hin kommen, daß die goldene Bildsaͤule des Koͤnigreichs ganz zermalmt, und jedes große Reich in Vierfuͤrstenthuͤ- mer aufgeloͤst werde; erst dann werde die Kirche frei und ungedruͤckt bestehen, unter dem Schutze des großen gekroͤn- ten Priesters“ Schroͤckh fuͤhrt diese Stelle an: Kirchengeschichte Th. 27. p. 117. . Es fehlte wenig, daß es woͤrtlich dahin gekommen waͤre. Denn in der That, wer war in dem dreizehnten Jahrhundert maͤchtiger in England, Heinrich III. oder jene Vierundzwanzig, welchen eine Zeitlang die Re- gierung aufgetragen war; in Castilien, der Koͤnig oder die Altoshomes? Die Macht eines Kaisers schien fast entbehrlich zu seyn, nachdem Friedrich den Fuͤrsten des Reiches die we- sentlichen Attribute der Landeshoheit gewaͤhrt hatte. Italien wie Deutschland waren mit unabhaͤngigen Gewalten erfuͤllt. Eine zusammenfassende, vereinigende Macht wohnte fast ausschließlich dem Papste bei. Der geistlich-weltliche Cha- einem Briefe Heinrichs IV. an Gregor aufuͤhren will; ( Mansi Con- cil. n. collectio. XX, 471.) Rectores sanctae ecclesiae videl. ar- chiepiscopos, episcopos, presbyteros sicut servos pedibus tuis calcasti. Wir sehen, der Papst hatte hierbei die oͤffentliche Mei- nung auf seiner Seite. In quorum conculcatione tibi favorem ab ore vulgi comparasti. Selbststaͤndige Ausbildung der Hierarchie . rakter, den das Leben uͤberhaupt angenommen, der Gang der Ereignisse mußte ihm eine solche an und fuͤr sich zu Wege bringen. Wenn Laͤnder, so lange verloren, wie Spa- nien, endlich dem Mahumedanismus, — Provinzen, die noch nie erworben gewesen, wie Preußen, dem Heidenthume abgewonnen und mit christlichen Voͤlkern besetzt wurden; wenn selbst die Hauptstaͤdte des griechischen Glaubens sich dem lateinischen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun- derttausende auszogen, um die Fahne des Kreuzes uͤber dem heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberpriester, der in allen diesen Unternehmungen seine Hand hatte, und den Gehorsam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli- ches Ansehn genießen? Unter seiner Leitung, in seinem Na- men breiten sich die abendlaͤndischen Nationen, als waͤren sie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und suchen die Welt einzunehmen. Man kann sich nicht wundern, wenn er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autoritaͤt ausuͤbt, wenn ein Koͤnig von England sein Reich von ihm zu Lehen nimmt, ein Koͤnig von Aragon das seine dem Apostel Petrus auftraͤgt, wenn Neapel wirklich durch den Papst an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare Physiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan- zen Fuͤlle und Wahrheit vergegenwaͤrtigt hat. Es ist die außerordentlichste Combination von innerem Zwist und glaͤnzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge- horsam, von geistlichem und weltlichem Wesen. Wie hat doch die Froͤmmigkeit selbst einen so widersprechenden Cha- rakter! Zuweilen zieht sie sich in das rauhe Gebirg, in das einsame Waldthal zuruͤck: um alle ihre Tage in harmloser Kap. I. Epochen des Papstthums . Andacht der Anschauung Gottes zu widmen; in Erwartung des Todes verzichtet sie schon auf jeden Genuß, den das Leben darbietet; — wie bemuͤht sie sich, wenn sie unter den Menschen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das sie ahndet, die Idee, in der sie lebt, in heitern Formen auszusprechen; — aber gleich daneben finden wir eine an- dre, welche die Inquisition erdacht hat, und die entsetzliche Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersglaͤubigen aus- uͤbt; „keines Geschlechtes“, sagt der Anfuͤhrer des Zuges wider die Albigenser, „keines Alters, keines Ranges haben wir ver- schont, sondern Jedermann mit der Schaͤrfe des Schwertes geschlagen“. Zuweilen erscheinen Beide in dem nemlichen Moment. Bei dem Anblick von Jerusalem stiegen die Kreuzfahrer von den Pferden, und entbloͤßten ihre Fuͤße, um als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in dem heißesten Kampfe meinten sie die Huͤlfe der Heiligen und Engel sichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten sie die Mauern uͤberstiegen, so stuͤrzten sie fort zu Raub und Blut; auf der Stelle des salomonischen Tempels erwuͤrg- ten sie viele Tausend Saracenen; die Juden verbrannten sie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen sie anzubeten gekommen waren, befleckten sie erst mit Blut. — Ein Widerspruch, der jenen religioͤsen Staat durchaus erfuͤllt und sein Wesen bildet. Ge- Gegensaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh . Gegensaͤtze des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts. An gewissen Stellen fuͤhlt man sich besonders ver- sucht, wenn wir es aussprechen duͤrfen, den Planen der goͤttlichen Weltregierung, den Momenten der Erziehung des Menschengeschlechtes nachzuforschen. So mangelhaft auch die Entwickelung seyn mochte, die wir bezeichneten, so war sie doch nothwendig, um das Christenthum in dem Abendlande voͤllig einheimisch zu ma- chen. Es gehoͤrte etwas dazu, um die trotzigen, nordi- schen Gemuͤther, die gesammten von althergebrachtem Aber- glauben beherrschten Voͤlkerschaften, mit den Ideen des Christenthums zu durchdringen. Das geistliche Element mußte eine Zeitlang vorherrschen, um das germanische We- sen ganz zu ergreifen. Hierdurch vollzog sich zugleich jene enge Vereinigung germanischer und romanischer Elemente. Es giebt eine Gemeinschaftlichkeit der modernen Welt, welche immer als eine Hauptgrundlage der gesammten Aus- bildung derselben in Staat und Kirche, Sitte, Leben und Literatur betrachtet worden ist. Um sie hervorzubringen, mußten die westlichen Nationen einmal gleichsam einen ein- zigen weltlich-geistlichen Staat ausmachen. Aber in dem großen Fortgange der Dinge war auch dieß nur ein Moment. Nachdem die Umwandelung voll- bracht worden, traten neue Erfolge ein. Schon darin kuͤndigte sich eine andre Epoche an, daß die Landessprachen fast allenthalben zur nehmlichen Zeit 3 Kap. I. Epochen des Papstthums . emporkamen. Langsam, aber unaufgehalten drangen sie in die mannichfaltigen Zweige geistiger Thaͤtigkeit ein; Schritt fuͤr Schritt wich ihnen das Idiom der Kirche. Die All- gemeinheit trat zuruͤck; in einem hoͤhern Sinne ging aus ihr eine neue Sonderung hervor. Das kirchliche Element hatte die Nationalitaͤten bisher uͤberwaͤltigt; — veraͤndert, umgestaltet, aber wieder geschieden traten diese in eine neue Bahn ein. Es ist nicht anders, als daß alles menschliche Thun und Treiben dem leisen und der Bemerkung oft entzogenen, aber gewaltigen und unaufhaltsamen Gange der Dinge un- terworfen ist. Die paͤpstliche Macht war von den fruͤhe- ren weltgeschichtlichen Momenten gefoͤrdert worden: die neuen traten ihr entgegen. Da die Nationen des Impulses der kirchlichen Macht nicht mehr in dem alten Maaße bedurf- ten, so leisteten sie demselben gar bald Widerstand. Sie fuͤhlten sich in ihrer Selbststaͤndigkeit. Es ist der Muͤhe werth, sich die wichtigeren Ereig- nisse ins Gedaͤchtniß zu rufen, in denen diese Richtung sich ausspricht. Es waren, wie man weiß, die Franzosen, die den An- maßungen des Papstes den ersten entschiedenen Widerstand leisteten. In nationaler Einmuͤthigkeit setzten sie sich den Bannbullen Bonifaz VIII. entgegen; in mehreren hundert Adhaͤsionsurkunden sprachen alle Gewalten des Volkes ihre Beistimmung zu den Schritten Koͤnig Philipp des Schoͤnen aus. Es folgten die Deutschen. Als die Paͤpste das Kai- serthum mit der alten Leidenschaft angriffen, obwohl das- selbe die fruͤhere Bedeutung bei weitem nicht mehr hatte, Gegensaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh . als sie hierbei fremdartigen Einwirkungen Raum gaben, — kamen die Churfuͤrsten am Ufer des Rheins bei ihren stei- nernen Sitzen auf jenem Acker von Rense zusammen, um eine gemeinschaftliche Maaßregel zur Behauptung „der Eh- ren und Wuͤrden des Reiches“ zu uͤberlegen. Ihre Absicht war, die Unabhaͤngigkeit des Reiches gegen die Eingriffe der Paͤpste durch einen feierlichen Beschluß festzusetzen. Bald hierauf erfolgte dieser in aller Form, von allen Ge- walten, Kaiser, Fuͤrsten und Churfuͤrsten zugleich; gemein- schaftlich stellte man sich den Grundsaͤtzen des paͤpstlichen Staatsrechts entgegen Licet juris utriusque. Bei Olenschlaͤger Staatsgeschichte des roͤm. Kaiserthums in der ersten Haͤlfte des 14ten Jahrhunderts. Nr. 63. Nicht lange blieb England zuruͤck. Nirgends hatten die Paͤpste groͤßeren Einfluß gehabt, mit den Pfruͤnden will- kuͤhrlicher geschaltet; als Edward III. endlich den Tribut nicht mehr zahlen wollte, zu dem sich fruͤhere Koͤnige ver- pflichtet hatten, vereinigte sich sein Parlament mit ihm und versprach ihn hierbei zu unterstuͤtzen. Der Koͤnig traf Maaßregeln, um den uͤbrigen Eingriffen der paͤpstlichen Macht zuvorzukommen. Wir sehen, eine Nation nach der andern fuͤhlt sich in ihrer Selbststaͤndigkeit und Einheit; von keiner hoͤheren Autoritaͤt will die oͤffentliche Gewalt mehr wissen; in den mittlern Kreisen finden die Paͤpste keine Verbuͤndeten mehr; ihre Einwirkungen werden von Fuͤrsten und Staͤnden ent- schlossen zuruͤckgewiesen. In dem ereignete sich, daß das Papstthum selbst in 3* Kap. I. Epochen des Papstthums . eine Schwaͤche und Verwirrung gerieth, welche den welt- lichen Gewalten, die sich bis jetzt nur zu sichern gesucht, sogar eine Ruͤckwirkung auf dasselbe moͤglich machte. Das Schisma trat ein. Man bemerke welche Fol- gen es hatte. Lange Zeit stand es bei den Fuͤrsten, nach ihrer politischen Convenienz dem einen oder dem andern Papste anzuhangen; — in sich selbst fand die geistliche Macht kein Mittel, die Spaltung zu heben, nur die welt- liche Gewalt vermochte dieß — als man sich zu diesem Zwecke in Costnitz versammelte, stimmte man nicht mehr, wie bisher, nach Koͤpfen, sondern nach den vier Nationen: jeder Nation blieb es uͤberlassen, in vorbereitenden Ver- sammlungen uͤber das Votum zu berathschlagen, das sie zu geben hatte — in Gemeinschaft setzten sie einen Papst ab; — der neugewaͤhlte mußte sich zu Concordaten mit den einzelnen verstehen, die wenigstens durch das Bei- spiel, das sie gaben, viel bedeuteten — waͤhrend des Base- ler Conciliums und der neuen Spaltung hielten sich einige Reiche sogar neutral — nur die unmittelbare Bemuͤhung der Fuͤrsten vermochte diese zweite Kirchentrennung beizu- legen Erklaͤrung des Papstes Felix bei Georgius Vita Nicolai V. p. 65. . Es konnte nichts geben, was das Uebergewicht der weltlichen Gewalt und die Selbststaͤndigkeit der einzel- nen Reiche kraͤftiger befoͤrdert haͤtte. Und nun war zwar der Papst neuerdings in gro- ßem Ansehen, er hatte die allgemeine Obedienz; der Kai- ser fuͤhrte ihm noch immer den Zelter: es gab Bischoͤfe nicht allein in Ungarn, sondern auch in Deutschland, die Gegensaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh . sich von des apostolischen Stuhles Gnaden schrieben Costniz, Schwerin, Fuͤnfkirchen. Schroͤckh Kirchengeschichte Bd. 33, p. 60. ; in dem Norden ward der Peterspfennig fortwaͤhrend ein- gesammelt; unzaͤhlige Pilger aus allen Laͤndern suchten bei dem Jubilaͤum von 1450 die Schwellen der Apostel auf; mit Bienenschwaͤrmen, Zugvoͤgelschaaren vergleicht sie ein Augenzeuge, wie sie so kamen; doch hatten trotz alle dem die alten Verhaͤltnisse lange nicht mehr Statt. Wollte man sich davon uͤberzeugen, so brauchte man sich nur den fruͤheren Eifer, nach dem heiligen Grabe zu ziehen, ins Gedaͤchtniß zu rufen und die Kaͤlte dagegen zu halten, mit der in dem funfzehnten Jahrhundert jede Auf- forderung zu einem gemeinschaftlichen Widerstand gegen die Tuͤrken aufgenommen wurde. Wie viel dringender war es, die eigenen Landschaften gegen eine Gefahr, die sich unauf- haltsam unzweifelhaft heranwaͤlzte, in Schutz zu nehmen, als das heilige Grab in christlichen Haͤnden zu wissen. Ihre beste Beredsamkeit wandten Aeneas Sylvius auf dem Reichstage, der Minorit Capistrano auf den Maͤrkten der Staͤdte bei dem Volke an; und man ruͤhmt, welchen Ein- druck sie hervorgebracht; aber wir finden nicht, daß Je- mand darum zu den Waffen gegriffen haͤtte. Welche Muͤhe gaben sich nicht die Paͤpste! Der eine ruͤstete eine Flotte aus, der andre, Pius II. , eben jener Aeneas Syl- vius, erhob sich, so schwach und krank er auch war, sel- ber zu dem Hafen, wo, wenn kein Anderer, doch die Zunaͤchst- gefaͤhrdeten sich vereinigen sollten; er wollte dabei seyn, um wie er sagte, was er allein vermoͤge, waͤhrend des Kap. I. Epochen des Papstthums . Kampfes seine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moses; aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beispiel vermochte etwas uͤber diese Zeitgenossen. Mit jenem jugendlichen Ge- fuͤhl eines ritterlichen Christenthums war es voruͤber; kein Papst vermochte es wieder aufzuwecken. Andre Interessen bewegten die damalige Welt. Es war die Periode, in welcher die europaͤischen Reiche nach langen inneren Kaͤmpfen sich endlich consolidirten. Den centralen Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die sofort auch die Paͤpste beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anspruͤche als bisher machte das Fuͤrstenthum. Man denkt sich oft das Papstthum bis zur Reformation hin fast unumschraͤnkt; in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An- fange des sechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits einen nicht geringen Antheil an den geistlichen Rechten und Befugnissen an sich gebracht. Wie sehr beschraͤnkte in Frankreich die pragmatische Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein Palladium des Reiches angesehen ward, die Ausuͤbung paͤpstlicher Gerechtsame! Zwar ließ sich Ludwig XI. durch eine falsche Religiositaͤt, — der er um so mehr ergeben war, je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit in diesem Stuͤcke fortreißen; allein seine Nachfolger kamen ohne viel Bedenken auf jenes ihr Gesetz zuruͤck. Wenn dann Franz I. sein Concordat mit Leo X. schloß, so hat man wohl behauptet, der roͤmische Hof sey hierdurch neuer- dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch ist es wahr, daß der Papst die Annaten wieder bekam. Allein er Gegensaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh . mußte dafuͤr viele andre Gefaͤlle missen; und was die Haupt- sache, er uͤberließ dem Koͤnig das Recht, zu den Bisthuͤ- mern und allen hoͤheren Pfruͤnden zu ernennen. Es ist unlaͤugbar: die gallicanische Kirche verlor ihre Rechte, aber bei weitem weniger an den Papst als an den Koͤnig. Das Axiom, fuͤr das Gregor VII. die Welt bewegt, gab Leo X. ohne viele Schwierigkeit auf. So weit konnte es nun in Deutschland nicht kommen. Die Baseler Beschluͤsse, die in Frankreich zur pragmatischen Sanction ausgebildet worden Man erkennt das Verhaͤltniß aus folgenden Worten des Aeneas Sylvius. „Propter decreta Basiliensis concilii inter se- dem apostolicam et nationem vestram dissidium coepit, cum vos illa prorsus tenenda diceretis, apostolica vero sedes omnia reji- ceret. Itaque fuit denique compositio facta — per quam aliqua ex decretis concilii praedicti recepta videntur, aliqua rejecta. Aen. Sylvii Epistola ad Martinum Maierum contra murmur gravaminis Germanicae nationis 1457.“ In Muͤller’s Reichstags- theatrum unter Friedrich III. Vorst. III. p. 604. , wurden in Deutschland, wo man sie Anfangs auch angenommen, durch die Wiener Concordate ungemein ermaͤßigt. Aber diese Ermaͤßigung selbst war doch nicht ohne Opfer des roͤmischen Stuhles erworben worden. In Deutschland war es nicht genug, sich mit dem Reichsoberhaupte zu verstaͤndigen; man mußte die einzelnen Staͤnde gewinnen. Die Erzbischoͤse von Mainz und Trier erhielten das Recht, auch in den paͤpstlichen Monaten die erledigten Pfruͤnden zu vergeben; der Chur- fuͤrst von Brandenburg erwarb die Befugniß, die drei Bis- thuͤmer in seinem Lande zu besetzen: auch minder bedeu- tende Staͤnde, Straßburg, Salzburg, Metz erhielten Kap. I. Epochen des Papstthums . Verguͤnstigungen Schroͤckh’s Kirchengesch. Bd. 32, p. 173. Eichhorn Staats- und Rechtsgeschichte Bd. III. §. 472. n. c. . Doch war damit die allgemeine Op- position nicht gedaͤmpft. Im Jahre 1487 widersetzte sich das gesammte Reich einem Zehnten, den der Papst aufle- gen wollte, und hintertrieb ihn Muͤller’s Reichstheatrum Vorst. VI. p. 130. . Im Jahre 1500 ge- stand das Reichsregiment dem paͤpstlichen Legaten nur den dritten Theil des Ertrages der Ablaßpredigten zu; zwei Dritttheile wollte es selber an sich nehmen und zu dem Tuͤr- kenkriege verwenden. In England kam man, ohne neues Concordat, ohne pragmatische Sanction, uͤber jene Zugestaͤndnisse von Cost- nitz weit hinaus. Das Recht, einen Candidaten zu den bischoͤflichen Sitzen zu benennen, besaß Heinrich VII. ohne Widerspruch. Er war nicht zufrieden, die Befoͤrderung der Geistlichen in seiner Hand zu haben, er nahm auch die Haͤlfte der Annaten an sich. Als hierauf Wolsey in den ersten Jahren Heinrichs VIII. zu seinen uͤbrigen Aemtern auch die Wuͤrde eines Legaten empfing, war die geistliche und weltliche Macht gewissermaßen vereinigt; noch ehe dort an Protestantismus gedacht wurde, schritt man zu einer sehr gewaltsamen Einziehung von Kloͤstern. Indessen blieben die suͤdlichen Laͤnder und Reiche nicht zuruͤck. Auch der Koͤnig von Spanien hatte die Ernen- nung zu den bischoͤflichen Sitzen. Die Krone, mit der die Großmeisterthuͤmer der geistlichen Orden verbunden waren, welche die Inquisition eingerichtet hatte und beherrschte, genoß eine Menge geistlicher Attribute und Gerechtsame. Gegensaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh . Den paͤpstlichen Beamten widersetzte sich Ferdinand der Ka- tholische nicht selten. Nicht minder als die spanischen, waren auch die por- tugiesischen geistlichen Ritterorden St. Jacob, Avis, der Christorden, dem die Guͤter der Templer zugefallen, Pa- tronate der Krone Instruttione piena delle cose di Portogallo al Coadju- tor di Bergamo: nuntio destinato in Portogallo. Ms. der In- formationi politiche in der K. Bibl. zu Berlin Tom. XII. Leo X. gewaͤhrte dieß Patronat der Orden: contentandosi il re di pagare grandissima compositione di detto patronato. . Koͤnig Emanuel erlangte von Leo X. nicht allein den dritten Theil der Cruciata, sondern auch den Zehnten von den geistlichen Guͤtern, ausdruͤcklich mit dem Rechte, ihn nach Gutduͤnken und Verdienst zu ver- theilen. Genug allenthalben, durch die ganze Christenheit, im Suͤden wie im Norden, suchte man die Rechte des Pap- stes einzuschraͤnken. Es war besonders ein Mitgenuß der geistlichen Einkuͤnfte und die Vergabung der geistlichen Stellen und Pfruͤnden, was die Staatsgewalt in Anspruch nahm. Die Paͤpste leisteten keinen ernstlichen Widerstand. Sie suchten zu behaupten so viel sie konnten: in dem uͤbri- gen gaben sie nach. Von Ferdinand, Koͤnig in Neapel, sagt Lorenzo Medici bei Gelegenheit einer Irrung desselben mit dem roͤmischen Stuhle, er werde keine Schwierigkeiten machen, zu versprechen: bei der Ausfuͤhrung seiner Ver- pflichtungen werde man ihm spaͤter doch nachsehen, wie es von allen Paͤpsten gegen alle Koͤnige geschehe Lorenzo an Johann de Lanfredinis. Fabroni Vita Lau- rentii Medici II. p. 362. . Denn auch Kap. I. Epochen des Papstthums . nach Italien war dieser Geist der Opposition gedrungen. Von Lorenzo Medici selbst werden wir uuterrichtet , daß er hierin dem Beispiel der groͤßeren Fuͤrsten folgte und von den paͤpstlichen Befehlen so viel und nicht mehr gelten ließ, als er selber Lust hatte Antonius Gallus de rebus Genuensibus: Muratori scriptt. R. It. XXIII. p. 281 sagt von Lorenzo: regum majorumque principum contumacem licentiam adversus romanam ecclesiam sequebatur de juribus pontificis nisi quod ei videretur nihil per- mittens. . Es waͤre ein Irrthum, in diesen Erfolgen nur die Acte gleichzeitiger Willkuͤhr zu sehen. Die kirchliche Rich- tung hatte aufgehoͤrt, das Leben der europaͤischen Natio- nen so durchaus zu beherrschen, wie es fruͤher geschah. Die Entwickelung der Nationalitaͤt, die Ausbildung der Staaten trat maͤchtig hervor. Das Verhaͤltniß zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt mußte hierdurch die groͤßte Veraͤnderung erfahren. Erweiterung des Kirchenstaates . Zweites Kapitel . Die Kirche und der Kirchenstaat im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts. Erweiterung des Kirchenstaates. Was man auch von den Paͤpsten fruͤherer Zeit urthei- len mag, so hatten sie immer große Interessen vor Augen: die Pflege einer unterdruͤckten Religion: den Kampf mit dem Heidenthum: die Ausbreitung des Christenthums uͤber die nordischen Nationen: die Gruͤndung einer unabhaͤngi- gen hierarchischen Gewalt; zu der Wuͤrde des menschlichen Daseyns gehoͤrt es, daß man etwas Großes wolle, voll- fuͤhre; diese ihre Tendenzen erhielten die Paͤpste in einem hoͤheren Schwunge. Jetzt aber waren mit den Zeiten die Richtungen voruͤbergegangen; das Schisma war beigelegt; man mußte sich bescheiden, daß man es zu einem allge- meinen Unternehmen gegen die Tuͤrken doch nicht bringen werde. Es geschah, daß das geistliche Oberhaupt vor al- lem und entschiedener als jemals bisher, die Zwecke seines weltlichen Fuͤrstenthums verfolgte, und ihnen seine ganze Thaͤtigkeit zuwendete. Schon geraume Zeit lag dieß in den Bestrebungen des Jahrhunderts. Ehedem, sagte bereits ein Redner des Baseler Conciliums, war ich der Meinung, es wuͤrde wohlgethan seyn, die weltliche Gewalt ganz von der geist- Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh . lichen zu trennen. Jetzt aber habe ich gelernt, daß die Tugend ohne Macht laͤcherlich ist, daß der roͤmische Papst ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht der Koͤnige und Fuͤrsten vorstellt. Dieser Redner, welcher doch in der Versammlung so viel Einfluß hatte, um die Wahl des Papstes Felix zu entscheiden, findet es so uͤbel nicht, daß ein Papst Soͤhne habe, die ihm gegen die Tyrannen bei- stehen koͤnnen Ein Auszug aus dieser Rede bei Schroͤckh Bd. 32. p. 90. . Von einer andern Seite faßte man diese Sache etwas spaͤter in Italien. Man fand es in der Ordnung, daß ein Papst seine Familie befoͤrdere und emporbringe; man wuͤrde es demjenigen verdacht haben, der es nicht gethan haͤtte. „Andre, schreibt Lorenzo Medici an Innocenz VIII. , ha- ben nicht so lange gewartet, Paͤpste seyn zu wollen, und sich wenig um die Ehrbarkeit und Zuruͤckhaltung gekuͤm- mert, die E. Heiligkeit so geraume Zeit behauptet hat. Jetzt ist E. Heiligkeit nicht allein vor Gott und Menschen entschuldigt, sondern man koͤnnte dieß ehrsame Betragen vielleicht gar tadeln und einem andren Grunde zuschreiben. Eifer und Pflicht noͤthigen mein Gewissen, E. Heiligkeit zu erinnern, daß kein Mensch unsterblich ist, daß ein Papst so viel bedeutet, als er bedeuten will; seine Wuͤrde kann er nicht erblich machen; nur die Ehre und die Wohltha- ten, die er den Seinen erweist, kann er sein Eigenthum nennen“ Schreiben Lorenzo’s — ohne Datum, doch wahrscheinlich vom Jahre 1489, weil darin vom fuͤnften Jahre Innocenz VIII. die Rede ist, bei Fabroni Vita Laurentii II, 390. . Solche Rathschlaͤge gab der, welcher als der Erweiterung des Kirchenstaates . weiseste Mann von Italien betrachtet ward. Er war da- bei wohl auch selbst betheiligt; er hatte seine Tochter mit dem Sohne des Papstes verheirathet; aber niemals haͤtte er sich so freimuͤthig und ruͤcksichtslos ausdruͤcken koͤnnen, waͤre diese Ansicht nicht in der hoͤheren Welt die unzwei- felhaft guͤltige und verbreitete gewesen. Es hat einen inneren Zusammenhang, daß zur nehm- lichen Zeit die europaͤischen Staaten dem Papste einen Theil seiner Befugnisse entwanden, und dieser selbst sich in lau- ter weltlichen Tendenzen zu bewegen anfing. Er fuͤhlte sich zunaͤchst als italienischer Fuͤrst. Es war noch nicht so lange, daß die Florentiner ihre Nachbarn uͤberwunden, und das Haus Medici seine Ge- walt uͤber beide gegruͤndet hatte; die Macht der Sforza in Mailand, des Hauses Aragon in Neapel, der Venezianer in der Lombardei waren alle bei Menschengedenken erwor- ben und befestigt; sollte nicht auch ein Papst der Hoffnung Raum geben, in den Gebieten, welche als das Erbgut der Kirche betrachtet wurden, aber unter einer Anzahl unab- haͤngiger Stadtoberhaͤupter standen, eine groͤßere eigene Herrschaft zu gruͤnden? Zuerst mit selbstbewußter Absicht und nachwirkendem Erfolg schlug Papst Sixtus IV. diese Richtung ein; auf das gewaltigste und mit ungemeinem Gluͤck verfolgte sie Alexander VI.; Julius II. gab ihr eine unerwartete, die bleibende Wendung. Sixtus IV. faßte den Plan, in den schoͤnen und rei- chen Ebenen der Romagna fuͤr seinen Neffen Girolamo Riario ein Fuͤrstenthum zu gruͤnden. Schon stritten die Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh . uͤbrigen italienischen Maͤchte um das Uebergewicht in diesen Landschaften oder ihren Besitz, und wenn hier von Recht die Rede war, so hatte der Papst offenbar ein besseres Recht als die uͤbrigen. Nur war er ihnen an Staatskraͤften und Kriegsmitteln bei weitem nicht gewachsen. Er trug kein Bedenken, seine geistliche Gewalt, ihrer Natur und Be- stimmung nach erhaben uͤber alles Irdische, seinen weltlichen Absichten dienstbar zu machen, und in die Verwickelungen des Augenblicks, in welche ihn diese verflochten, herabzu- ziehen. Da ihm vorzuͤglich die Medici im Wege waren, ließ er sich in die florentinischen Irrungen ein, und lud, wie man weiß, den Verdacht auf sich, als habe er um die Verschwoͤrung der Pazzi gewußt, um den Mordanfall, den Diese vor dem Altare einer Cathedrale ausfuͤhrten, als habe er um so etwas mitgewußt, er der Vater der Glaͤu- bigen. — — Als die Venezianer aufhoͤrten, die Unterneh- mungen des Neffen zu beguͤnstigen, wie sie eine Zeitlang gethan hatten, war es dem Papste nicht genug, sie in ei- nem Kriege zu verlassen, zu dem er sie selber angetrieben hatte; er ging so weit, sie zu excommuniciren, als sie den- selben fortsetzten Ueber den ferrarischen Krieg sind 1829 die Commentarii di Marino Sanuto zu Venedig gedruckt worden; p. 56. beruͤhrt er den Abfall des Papstes. Er verweist auf die Reden des venezianischen Gesandten, „Tutti vedranno, aver noi cominciato questa guerra di volontà del Papa: egli però si mosse a rompere la lega.“ . — — Nicht minder gewaltsam ver- fuhr er in Rom. Die Gegner des Riario, die Colonna, verfolgte er mit wildem Ingrimme; er entriß ihnen Ma- rino; den Protonotar Colonna ließ er uͤberdieß in seinem ei- genen Hause bestuͤrmen, gefangennehmen und hinrichten. Erweiterung des Kirchenstaates . Dessen Mutter kam nach S. Celso in Banchi wo die Leiche lag; bei den Haaren erhob sie den abgehauenen Kopf und rief: „das ist das Haupt meines Sohnes; das ist die Treue des Papstes. Er versprach, wenn wir ihm Marino uͤber- ließen, wuͤrde er meinen Sohn freigeben; nun hat er Ma- rino: in unsern Haͤnden ist auch mein Sohn, aber todt! Siehe da, so haͤlt der Papst sein Wort“ Alegretto Alegretti: diari Sanesi p. 817. . So viel gehoͤrte dazu, damit Sixtus IV. den Sieg uͤber seine Feinde innerhalb und außerhalb des Staates davon truͤge. In der That gelang es ihm, seinen Neffen zum Herrn von Imola und Forli zu machen; doch ist wohl keine Frage, daß wenn sein weltliches Ansehn hierbei gewann, das geistliche unendlich viel mehr verlor. Es ward ein Versuch gemacht, ein Concilium wider ihn zu versammeln. Indessen sollte Sixtus gar bald bei weitem uͤberbo- ten werden. Bald nach ihm nahm Alexander VI. den paͤpst- lichen Stuhl ein. Alexander hatte all sein Lebtage nur die Welt zu ge- nießen, vergnuͤgt zu leben, seine Geluͤste, seinen Ehrgeiz zu erfuͤllen getrachtet. Es schien ihm der Gipfel der Gluͤck- seligkeit, daß er endlich die oberste geistliche Wuͤrde besaß. In diesem Gefuͤhl schien er taͤglich juͤnger zu werden, so alt er auch war. Kein unbequemer Gedanke dauerte ihm uͤber Nacht. Nur darauf sann er, was ihm Nutzen ver- schaffen, wie er seine Soͤhne zu Wuͤrden und Staaten brin- gen koͤnne: nie hat ihn etwas andres ernstlich beschaͤftigt Relatione di Polo Capello 1500. Ms. . Seinen politischen Verbindungen, die einen so großen Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh . Einfluß auf die Weltbegebenheiten gehabt haben, lag diese einzige Ruͤcksicht ausschließend zu Grunde; wie ein Papst seine Kinder verheirathen, ausstatten, einrichten wollte, ward ein Moment der Weltbewegung. Cesar Borgia, sein Sohn, trat in die Fußtapfen des Riario. Er begann an dem nemlichen Punkte; eben das war seine erste Unternehmung, daß er die Witwe Riarios aus Imola und Forli verjagte. Mit herzhafter Ruͤck- sichtslosigkeit schritt er weiter; was jener nur versucht, nur begonnen hatte, setzte er ins Werk. Man betrachte, wel- chen Weg er hierbei einschlug: mit ein paar Worten laͤßt es sich sagen. Der Kirchenstaat war bisher von den bei- den Parteien der Guelfen und der Gibellinen, der Colonna und der Orsinen in Entzweiung gehalten worden. Wie die andren paͤpstlichen Gewalten, wie noch Sixtus IV. , verbanden sich auch Alexander und sein Sohn anfangs mit der einen von beiden, mit der orsinisch-guelfischen. In diesem Bunde gelang es ihnen bald, aller ihrer Feinde Herr zu werden. Sie verjagten die Sforza von Pesaro, die Malatesta von Rimini, die Manfreddi von Faenza; sie nah- men diese maͤchtigen wohlbefestigten Staͤdte ein; schon gruͤn- deten sie hier eine bedeutende Herrschaft. Kaum aber wa- ren sie so weit; kaum hatten sie ihre Feinde beseitigt, so wandten sie sich wider ihre Freunde. Dadurch unterschied sich die borgianische Gewalt von den fruͤheren, welche im- mer selber wieder von der Partei, der sie sich angeschlos- sen, waren gefesselt worden. Cesar griff ohne viel Zau- dern auch seine Verbuͤndeten an. Den Herzog von Urbino, der ihm bisher Vorschub geleistet, hatte er, ehe dieser das Min- Erweiterung des Kirchenstaates . Mindeste ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann ihm derselbe, in seinem eignen Lande ein verfolgter Fluͤcht- ling In der großen handschriftlichen Chronik des Sanuto fin- den sich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwuͤrdige Notizen uͤber Cesar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez. 1502; an den Papst; in dem letzten unterzeichnet er sich: V r ̱ a ̱ e ̱. S t ̱ i ̱ s ̱. humillimus servus et devotissima factura. . Vitelli, Baglioni, die Haͤupter der Orsinen woll- ten ihm hierauf wenigstens zeigen, daß sie ihm Widerstand leisten koͤnnten. Er sagte: es ist gut, die zu betruͤgen, welche die Meister aller Verraͤthereien sind; mit uͤberlegter, von ferne her berechneter Grausamkeit lockte er sie in seine Falle; ohne Erbarmen entledigte er sich ihrer. Nachdem er dergestalt beide Parteien gedaͤmpft hatte, trat er an ihre Stelle; ihre Anhaͤnger, die Edelleute von niederem Range zog er nun an sich und nahm sie in seinen Sold; die Landschaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und Strenge in Ordnung. Und so sah Alexander seinen lebhaftesten Wunsch er- fuͤllt, — die Barone des Landes vernichtet — sein Haus auf dem Wege eine große erbliche Herrschaft in Italien zu gruͤnden. Allein schon hatte er selbst zu fuͤhlen bekom- men, was die aufgeregten Leidenschaften vermoͤgen. Mit keinem Verwandten noch Guͤnstling wollte Cesar diese Ge- walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege stand, hatte er ermorden und in die Tiber werfen lassen; auf der Treppe des Pallastes ließ er seinen Schwager anfallen Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl. Barb. nr. 1103. zaͤhlt die Graͤuelthaten Cesars folgender Ge- stalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan- dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che . 4 Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . Den Verwundeten pflegten die Frau und die Schwester desselben; die Schwester kochte ihm seine Speisen, um ihn vor Gift sicher zu stellen; der Papst ließ sein Haus bewachen, um den Schwiegersohn vor dem Sohne zu schuͤtzen. Vor- kehrungen, deren Cesar spottete. Er sagte, was zu Mit- tag nicht geschehen, wird sich auf den Abend thun lassen: als der Prinz schon wieder in der Besserung war, drang er in das Zimmer desselben ein, trieb die Frau und die Schwester hinaus, rief seinen Henker und ließ den Un- gluͤcklichen erwuͤrgen. Durch seinen Vater wollte er maͤch- tig werden: sonst nahm er auf denselben keine Ruͤcksicht. Er toͤdtete den Liebling Alexanders, Peroto, indem sich die- ser an den Papst anschmiegte, unter dem pontificalen Man- tel; das Blut sprang dem Papst ins Gesicht. Einen Moment lang hatte Cesar Rom und den Kir- chenstaat in seiner Gewalt. Der schoͤnste Mann; so stark, daß er im Stiergefecht den Kopf des Stiers auf Einen Schlag herunterhieb; freigebig, nicht ohne Zuͤge von Groß- artigkeit; wolluͤstig; mit Blut besudelt. Wie zitterte Rom vor seinem Namen. Cesar brauchte Geld und hatte Feinde; alle Naͤchte fand man Erschlagene. Jedermann hielt sich still: es war Niemand, der nicht gefuͤrchtet haͤtte, auch an ihn komme die Reihe. Wen die Gewalt nicht erreichen konnte, der wurde vergiftet Der Mannichfaltigkeit der hieruͤber vorhandenen Notizen . era figlio del duca di Calabria era lo piu bello jovane che mai si vedesse in Roma: ancora fece ammazzare Vitellozzo della città di castello et era lo piu valenthuomo che fusse in quel tempo. Den Herrn von Faenza nennt er lo piu bello figlio del mondo. Erweiterung des Kirchenstaates . Es gab nur Eine Stelle auf Erden, wo so etwas moͤglich war. Nur da war es das, wo man zugleich die Fuͤlle der weltlichen Gewalt hatte und das oberste geistliche Gericht beherrschte. Diese Stelle nahm Cesar ein. Auch die Ausartung hat ihre Vollendung. So viele paͤpstliche Nepoten haben aͤhnliche Dinge versucht: so weit aber hat es nie ein andrer getrieben. Cesar ist ein Virtuos des Verbrechens. War es nicht von allem Anfang an eine der wesent- lichsten Tendenzen des Christenthums, eine solche Gewalt unmoͤglich zu machen? Jetzt mußte es selbst, die Stel- lung des Oberhauptes der Kirche mußte dazu dienen, sie hervorzubringen. Da brauchte in der That nicht erst Luther zu kom- men, um in diesem Treiben den graden Gegensatz alles Chri- stenthums darzulegen. Gleich damals klagte man, der Papst bahne dem Antichrist den Weg, er sorge fuͤr die Erfuͤllung des satanischen, nicht des himmlischen Reiches Ein fliegendes Blatt, Ms. , aus der Chronik Sanutos. Im Anhang. . Den Verlauf der Geschichte desselben wollen wir hier nicht ins Einzelne begleiten. Alexander beabsichtigte einst, wie es nur allzugewiß ist, einen der reichsten Cardinaͤle mit Gift aus dem Wege zu schaffen: aber dieser wußte durch Geschenke, Versprechungen und Bitten den paͤpstli- habe ich noch Einiges aus Polo Capello hinzugefuͤgt. — Bei bedeu- tenden Todesfaͤllen dachte man sogleich an Vergiftungen durch den Papst. Schreiben bei Sanuto von dem Tode des Cardinals von Verona: Si judica, sia stato atosicato per tuorli le facultâ per- chè avanti el spirasse el papa mandò guardie attorno la caxa. 4* Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . chen Kuͤchenmeister zu erweichen: der Confect, den man fuͤr den Cardinal zubereitet, ward dem Papste vorgesetzt; die- ser starb an dem Gifte, mit dem er einen andren umbrin- gen wollen Successo de la morte di Papa Alessandro. Ms. Ebend. . Nach seinem Tode entwickelte sich aus sei- nen Unternehmungen ein ganz anderer Erfolg, als den er im Auge gehabt. Die paͤpstlichen Geschlechter hofften jedesmal sich Herr- schaften fuͤr immer zu erwerben; aber mit dem Leben des Papstes ging in der Regel auch die Macht der Nepoten zu Ende, und sie verschwanden wie sie emporgekommen. Wenn die Venezianer den Unternehmungen Cesar Borgia’s ruhig zusahen, so hatte das zwar andere Gruͤnde, jedoch auch vornehmlich diesen. Sie urtheilten, „es sey doch alles nur ein Strohfeuer: nach Alexanders Tode werde sich der alte Zustand von selbst wiederherstellen“ Priuli Cronaca di Venezia Ms. „Del resto poco sti- mavano, conoscendo, che questo acquisto che all’ hora faceva il duca Valentinois sarebbe foco di paglia, che poco dura.“ . In dieser letzten Erwartung aber taͤuschten sie sich. Es folgte ein Papst, der sich zwar darin gefiel, das Gegen- theil der Borgia zu thun, aber darum doch ihre Unter- nehmungen fortsetzte: er that es nur in einem entgegenge- setzten Sinne. Papst Julius II. hatte den unschaͤtzbaren Vortheil, Gelegenheit zu finden, den Anspruͤchen seines Ge- schlechts auf friedlichem Wege genug zu thun; er verschaffte demselben die Erbschaft von Urbino. Hierauf konnte er sich ungestoͤrt seiner eignen Leidenschaft uͤberlassen: der Nei- gung, Krieg zu fuͤhren, zu erobern, — aber zu Gunsten Erweiterung des Kirchenstaates . der Kirche, des paͤpstlichen Stuhles selber. Andere Paͤpste hatten ihren Nepoten, ihren Soͤhnen Fuͤrstenthuͤmer zu ver- schaffen gesucht: er ließ es seinen ganzen Ehrgeiz seyn, den Staat der Kirche zu erweitern. Er muß als der Gruͤnder desselben betrachtet werden. Er traf das gesammte Gebiet in der aͤußersten Ver- wirrung an. Es waren Alle zuruͤckgekommen, die vor Ce- sar noch hatten entfliehen koͤnnen; Orsini und Colonnen, Vitelli und Baglioni, Varani, Malatesta und Montefeltri; in allen Theilen des Landes waren die Parteien erwacht; bis in den Borgo von Rom befehdeten sie sich. Man hat Julius mit dem virgilischen Neptun verglichen, der mit beruhigendem Antlitz aus den Wogen emporsteigt und ihr Toben besaͤnftigt Tomaso Inghirami bei Fea Notizie intorno Rafaele San- zio da Urbino p. 57. . Er war gewandt genug, um sich selbst Cesar Borgia’s zu entledigen, und die Schloͤsser des- selben an sich zu bringen; er nahm sein Herzogthum ein. Die minder maͤchtigen Barone wußte er im Zaum zu halten, wie ihm dieser denn den Weg dazu gebahnt; er huͤtete sich wohl, ihnen etwa in Cardinaͤlen Oberhaͤupter zu geben, deren Ehrgeiz die alte Widerspenstigkeit haͤtte entflammen koͤnnen Machiavelli (Principe c. XI,) bemerkt dieß nicht allein. Auch bei Jovius Vita Pompeji Columnae p. 140 klagen die roͤmi- schen Barone unter Julius II.: principes urbis familias solito pur- purei galeri honore pertinaci pontificum livore privari. ; die maͤchtigeren, die ihm den Ge- horsam versagten, griff er ohne weiteres an. Auch reichte seine Ankunft hin, um den Baglione, der sich Perugia’s wieder bemaͤchtigt hatte, in die Schranken einer gesetzli- Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . chen Unterordnung zuruͤckzuweisen; ohne Widerstand leisten zu koͤnnen, mußte Johann Bentivoglio in hohem Alter von dem praͤchtigen Pallast, den er sich zu Bologna gegruͤndet, von jener Inschrift weichen, auf der er sich zu fruͤh gluͤck- lich gepriesen hatte; zwei so maͤchtige Staͤdte erkannten die unmittelbare Herrschaft des paͤpstlichen Stuhles. Jedoch war Julius damit noch lange nicht am Ziel. Den groͤßten Theil der Kuͤste des Kirchenstaates hatten die Venezianer inne; sie waren nicht gemeint, ihn gutwillig fah- ren zu lassen, und den Streitkraͤften des Papstes waren sie doch bei weitem uͤberlegen. Er konnte sich nicht verber- gen, daß er eine unabsehliche europaͤische Bewegung er- weckte, wenn er sie angriff. Sollte er es darauf wagen? So alt Julius auch bereits war, so sehr ihn all der Wechsel von Gluͤck und Ungluͤck, den er in seinem langen Leben erfahren, die Anstrengung von Krieg und Flucht an- gegriffen haben mochte, — Unmaͤßigkeit und Ausschwei- fungen kamen dazu — so wußte er doch nicht, was Furcht und Bedenklichkeit war: in so hohen Jahren hatte er die große Eigenschaft eines Mannes, einen unbezwinglichen Muth. Aus den Fuͤrsten seiner Zeit machte er sich nicht viel, er glaubte sie alle zu uͤbersehen: grade in dem Tu- mult eines allgemeinen Kampfes hoffte er zu gewinnen: er sorgte nur dafuͤr, daß er immer bei Gelde war, um den guͤnstigen Augenblick mit voller Kraft ergreifen zu koͤnnen: er wollte, wie ein Venezianer treffend sagt, der Herr und Meister des Spieles der Welt seyn Sommario de la relation di Domenigo Trivixan. Ms. „Il papa vol esser il dominus et maistro del jocho del mundo.“ Auch ; mit Ungeduld Erweiterung des Kirchenstaates . erwartete er die Erfuͤllung seiner Wuͤnsche, aber er hielt sie in sich verschlossen. Betrachte ich, was ihm seine Hal- tung gab, so finde ich: es war vor allem, daß er seine Tendenz nennen, daß er sich zu ihr bekennen, sich ihrer ruͤh- men durfte. Den Kirchenstaat herstellen zu wollen, hielt die damalige Welt fuͤr ein ruͤhmliches Unternehmen: sie fand es selbst religioͤs: alle Schritte des Papstes hatten diesen einzigen Zweck: von dieser Idee waren alle seine Ge- danken belebt, sie waren, ich moͤchte sagen gestaͤhlt darin. Da er nun zu den kuͤhnsten Combinationen griff, da er alles an alles setzte — er ging selber zu Felde: und in Mirandula, das er erobert, ist er uͤber den gefrornen Gra- ben durch die Bresche eingezogen: — da das entschiedene Ungluͤck ihn nicht bewog, nachzugeben, sondern nur neue Huͤlfsquellen in ihm zu erwecken schien: so gelang es ihm auch: er entriß nicht allein seine Ortschaften den Ve- nezianern: in dem heißen Kampfe, der sich hierauf entzuͤndete, brachte er zuletzt Parma, Piacenza, selbst Reggio an sich; er gruͤndete eine Macht, wie nie ein Papst sie besessen. Von Piacenza bis Terracina gehorchte ihm das schoͤnste Land. Er hatte immer als ein Befreier erscheinen wollen: seine neuen Unterthanen behandelte er gut und weise: er erwarb ihre Zuneigung und Ergebenheit. Nicht ohne Furcht sah die uͤbrige Welt so viel kriegerisch gesinnte Bevoͤlkerungen in dem Gehorsam eines Papstes. Sonst, sagt Machiavell, existirt eine zweite Relation von Polo Capello von 1510, aus der hier ein paar Notizen aufgenommen sind. Francesco Vettori: Som- mario dell’ istoria d’Italia, Ms. sagt von ihm: Julio piu fortu- nato che prudente e piu animoso, che forte ma ambitioso e de- sideroso di grandezze oltra a modo. Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . war kein Baron klein genug, um die paͤpstliche Macht nicht zu verachten: jetzt hat ein Koͤnig von Frankreich Re- spect vor ihr. Verweltlichung der Kirche. Es ist an sich nicht anders denkbar, als daß das ganze Institut der Kirche an dieser Richtung, die das Oberhaupt desselben genommen, Theil haben, sie mithervor- bringen, und von ihr wieder mit fortgerissen werden mußte. Nicht allein die oberste Stelle: auch alle andren wur- den als weltliches Besitzthum betrachtet. Cardinaͤle er- nannte der Papst, aus persoͤnlicher Gunst, oder um einem Fuͤrsten gefaͤllig zu seyn, oder gradezu, was nicht selten war, fuͤr Geld. Konnte man vernuͤnftiger Weise erwar- ten, daß sie ihren geistlichen Pflichten genuͤgen wuͤrden? Sixtus IV. gab eines der wichtigsten Aemter, die Peni- tenziaria, das einen großen Theil der dispensirenden Ge- walt auszuuͤben hat, einem seiner Nepoten. Er erwei- terte dabei die Befugnisse desselben; in einer besondern Bulle schaͤrfte er sie ein; alle, welche an der Rechtmaͤßigkeit sol- cher Einrichtungen zweifeln wuͤrden, schalt er Leute von hartem Nacken und Kinder der Bosheit Bulle vom 9ten Mai 1484. Quoniam nonnulli iniquita- tis filii elationis et pertinaciae suae spiritu assumpto potestatem majoris poenitentiarii nostri — in dubium revocare — praesu- munt, — decet nos adversus tales adhibere remedia etc. Bul- larium Romanum ed. Cocquelines III, p. 187. . Es erfolgte, Verweltlichung der Kirche . daß der Nepot sein Amt nur als eine Pfruͤnde betrachtete, deren Ertrag er so hoch zu steigern habe als moͤglich. In diesen Zeiten wurden bereits, wie wir sahen, die Bisthuͤmer an den meisten Orten nicht ohne einen großen Antheil der weltlichen Gewalt vergeben; nach den Ruͤcksich- ten der Familie, der Gunst des Hofes, als Sinecuren wur- den sie vertheilt. Die roͤmische Curie suchte nur bei den Vacanzen und der Besetzung den moͤglichsten Vortheil zu ziehen. Alexander nahm doppelte Annaten: er machte sich zwei drei Zehnten aus; es fehlte nicht viel an einem voͤlli- gen Verkaufe. Die Taxen der paͤpstlichen Canzlei stiegen von Tage zu Tage; der Regens derselben sollte den Klagen abhelfen, aber gewoͤhnlich uͤbertrug er eben denen die Revision, welche die Taxen festgesetzt hatten Reformationes cancellariae apostolicae S m ̱ i ̱. D n ̱ i ̱. N r ̱ t ̱. Pauli III. 1540. Ms. der Bibl. Barberini zu Rom Nro. 2275 zaͤhlt alle seit Sixtus und Alexander eingeschlichenen Mißbraͤuche auf. Die Gravamina der deutschen Nation betreffen besonders diese „neuen Funde“ und Aemter der roͤmischen Canzlei. §. 14. §. 38. . Fuͤr jede Gunstbezeugung, welche das Amt der Dataria ausgehen ließ, mußte man ihr eine vorher bestimmte Summe zah- len. Der Streit zwischen Fuͤrstenthum und Curie bezog sich in der Regel auf nichts andres als auf diese Leistun- gen. Die Curie wollte sie so weit als moͤglich ausdeh- nen; in jedem Lande wollte man sie so viel als moͤglich beschraͤnken. Mit Nothwendigkeit wirkte dieß Prinzip in den der- gestalt Angestellten, bis in die untern Grade nach. Man verzichtete wohl auf sein Bisthum: behielt sich aber die Einkuͤnfte wenigstens zum groͤßten Theile vor: zuweilen Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . uͤberdieß die Collation der von demselben abhaͤngenden Pfar- ren. Selbst die Gesetze, daß niemals der Sohn eines Geist- lichen das Amt seines Vaters erhalten, daß Niemand seine Stelle durch ein Testament vererben solle, wurden um- gangen; da ein Jeder es dahin bringen konnte, wofern er sich nur das Geld nicht dauern ließ, zum Coadjutor zu bekommen wen er wollte, so trat eine gewisse Art von Erb- lichkeit in der That ein. Es folgte von selbst, daß hierbei die Erfuͤllung geist- licher Pflichten meistens unterblieb. Ich halte mich in die- ser kurzen Darstellung an die Bemerkungen, die von wohl- gesinnten Praͤlaten des roͤmischen Hofes selber gemacht wor- den sind. „Welch ein Anblick, rufen sie aus, fuͤr einen Christen, der die christliche Welt durchwandert; diese Ver- oͤdung der Kirche; alle Hirten sind von ihren Heerden gewichen, sie sind alle Soͤldnern anvertraut“ Consilium delectorum cardinalium et aliorum praelato- rum de emendanda ecclesia S m ̱ o ̱. D m ̱ o ̱. Paulo III. ipso ju- bente conscriptum, anno 1538; gleich damals oͤfters gedruckt; und deshalb wichtig, weil es das Uebel, in so fern es in der Verwal- tung lag, gruͤndlich und unzweifelhaft anzeigt. In Rom hat man es, auch nachdem es laͤngst gedruckt war, noch immer den Samm- lungen curialistischer Handschriften einverleibt. . Aller Orten waren Untaugliche, Unberufene, ohne Pruͤ- fung, ohne Wahl zu der Verwaltung der kirchlichen Pflich- ten gelangt. Da die Besitzer der Pfruͤnden nur bedacht waren, die wohlfeilsten Verweser zu finden, so fanden sie hauptsaͤchlich die Bettelmoͤnche bequem. Unter dem in dieser Bedeutung unerhoͤrten Titel von Suffraganen hatten diese die Bisthuͤmer, als Vicare hatten sie die Pfarreien inne. Verweltlichung der Kirche . Schon an sich besaßen die Bettelorden außerordentliche Privilegien. Sixtus IV. , selber ein Franziscaner, hatte sie ihnen noch vermehrt. Das Recht, Beichte zu hoͤren, das Abendmahl auszutheilen, die letzte Oelung zu geben, auf dem Grund und Boden, ja in der Kutte des Ordens zu begraben, — Rechte, die Ansehn und Vortheil brach- ten, hatte er ihnen in aller ihrer Fuͤlle gewaͤhrt, und die Ungehorsamen, die Pfarrer, diejenigen, welche die Orden, namentlich in Hinsicht der Verlassenschaften, beunruhigen wuͤrden mit dem Verluste ihrer Aemter bedroht Amplissimae gratiae et privilegia fratrum minerum con- ventualium ordinis S. Francisci, quae propterea mare magnum nuncupantur 31 Aug. 1474. Bullarium Rom. III, 3, 139. Fuͤr die Dominicaner war eine aͤhnliche Bulle gegeben. Auf dem Late- ranconcilium von 1512 beschaͤftigte man sich viel mit diesem mare magnum : doch sind Privilegien — wenigstens waren sie es damals — leichter gegeben als genommen. . Da sie nun zugleich auch die Bisthuͤmer, die Pfarren selbst zu verwalten bekamen, so sieht man, welch einen un- ermeßlichen Einfluß sie ausuͤbten. Alle hoͤhere Stellen und bedeutende Wuͤrden, der Genuß der Einkuͤnfte war in den Haͤnden der großen Geschlechter und ihrer Anhaͤnger, der Beguͤnstigten der Hoͤfe und der Curie: die wirkliche Amts- fuͤhrung war in den Haͤnden der Bettelmoͤnche. Die Paͤpste beschuͤtzten sie dabei. Waren sie es doch, die unter andern den Ablaß vertrieben, dem man in diesen Zeiten, — erst Alexan- der VI. erklaͤrte offiziell, daß er aus dem Fegefeuer erloͤse, — eine so ungemeine Ausdehnung gab. Aber auch sie waren in voͤllige Weltlichkeit versunken. Welch ein Trei- ben in den Orden um die hoͤheren Stellen! Wie suchte Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . man zur Zeit der Wahlen sich der Unguͤnstigen, der Geg- ner zu entledigen. Jene suchte man als Prediger, als Pfarrverweser auszusenden: gegen diese scheute man selbst Dolch und Schwert nicht; oft griff man sie mit Gift an! In einer großen Information Careffas an Clemens, wel- che bei Bromato: Vita di Paolo IV. nur verstuͤmmelt vorkommt, heißt es in der Handschrift von den Kloͤstern: Si viene ad homicidi non solo col veneno ma apertamente col coltello e con la spada, per non dire con schiopetti. Indessen wurden die geistlichen Gnaden verkauft. Um schlechten Lohn gedungen, waren die Bettelmoͤnche auf den zufaͤlligen Gewinn begierig. „Wehe,“ ruft Einer jener Praͤlaten aus: „wer giebt meinem Auge den Quell der Thraͤnen. Auch die Verschlos- senen sind abgefallen, der Weinberg des Herrn ist verwuͤstet. Gingen sie allein zu Grunde, so waͤre es ein Uebel, aber man koͤnnte es erdulden; allein da sie die ganze Christen- heit, wie die Adern den Koͤrper durchziehen, so bringt ihr Verfall den Ruin der Welt nothwendig mit sich.“ Geistige Richtung. Koͤnnten wir die Buͤcher der Geschichte, wie sie sich ereignet hat, aufschlagen, — stuͤnde uns das Voruͤberge- hende Rede wie die Natur — wie oft wuͤrden wir, wie in dieser, in dem Verfalle, den wir betrauern, den neuen Keim wahrnehmen, aus dem Tode das Leben hervorgehen sehen. So sehr wir diese Verweltlichung der geistlichen Geistige Richtung . Dinge, diesen Verfall des religioͤsen Institutes beklagen, so haͤtte doch ohne denselben der menschliche Geist eine sei- ner eigenthuͤmlichsten, folgenreichsten Richtungen schwerlich ergreifen koͤnnen. Laͤugnen duͤrfen wir wohl nicht, daß so sinnreich, man- nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters auch sind, ihnen doch eine phantastische und der Realitaͤt der Dinge nicht entsprechende Weltansicht zu Grunde liegt. Haͤtte die Kirche in voller, bewußter Kraft bestanden, so wuͤrde sie dieselbe streng festgehalten haben. Allein wie sie nun war, so ließ sie dem Geiste die Freiheit einer neuen, nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung. Man darf sagen, es war ein enge begrenzter Horizont, der waͤhrend jener Jahrhunderte die Geister mit Nothwen- digkeit in seinem Umkreise beschlossen hielt; die erneuerte Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen, daß eine hoͤhere, umfassendere, groͤßere Aussicht eroͤffnet ward. Nicht als haͤtten die mittleren Jahrhunderte die Alten nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von denen so viel wissenschaftliches Bestreben hernach in das Abendland uͤberging, die Werke der Alten zusammenbrach- ten und sich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha- ten, nicht viel nachstehen, und Calif Mamun laͤßt sich in dieser Hinsicht wohl mit Cosimo Medici vergleichen. Be- merken wir aber den Unterschied. So unbedeutend er schei- nen moͤchte, so ist er, daͤucht mich, entscheidend. Die Ara- ber uͤbersetzten: sie vernichteten oft die Originale gradezu; Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . da sie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthuͤmlichen Ideen durchdrangen, so geschah es, daß sie den Aristote- les, man moͤchte sagen, theosophirten, daß sie die Astro- nomie zur Sterndeuterei, diese auf die Medicin anwende- ten, daß eben sie zur Bildung jener phantastischen Weltan- sicht vorzuͤglich beitrugen. Die Italiener dagegen lasen und lernten. Von den Roͤmern gingen sie zu den Griechen fort; in unzaͤhligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunst die Originale uͤber die Welt. Der aͤchte Aristoteles ver- draͤngte den arabischen: aus den unveraͤnderten Schriften der Alten lernte man die Wissenschaften, Geographie gra- dezu aus dem Ptolemaͤus, Botanik aus dem Dioskorides, die Wissenschaft der Medicin aus Galen und Hippokrates. Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt bevoͤlkert, der Vorurtheile, welche den Geist befingen, so rasch erledigt! Wir wuͤrden indeß zu viel sagen, wenn wir in dieser Zeit nun sofort von der Entwickelung eines selbstthaͤtigen wissenschaftlichen Geistes, von der Entdeckung neuer Wahr- heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll- ten; man suchte nur die Alten zu verstehen: man ging nicht uͤber sie hinaus; wirksam waren diese weniger, weil sie eine productive wissenschaftliche Thaͤtigkeit veranlaßt haͤt- ten, als durch die Nachahmung, die sie hervorriefen. In dieser Nachahmung liegt eins der wichtigsten Mo- mente fuͤr die Entwickelung jener Zeit. Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein besondrer Goͤnner dieses Bestrebens war Papst Leo X. Den wohlgeschriebenen Eingang der Geschichte des Jovius las Geistige Richtung . er selber seiner Gesellschaft vor: er meinte, seit Livius sey so etwas nicht geschrieben worden. Wenn er sogar latei- nische Improvisatoren beguͤnstigte, so kann man erachten, wie sehr ihn das Talent des Vida hinriß, welcher Dinge, wie das Schachspiel, in den vollen Toͤnen gluͤcklich fallen- der lateinischer Hexameter zu schildern wußte. Einen Ma- thematiker, von dem man ruͤhmte, daß er seine Wissen- schaft in elegantem Latein vortrage, berief er aus Portu- gal zu sich; so wuͤnschte er Jurisprudenz und Theologie gelehrt, die Kirchengeschichte geschrieben zu sehen. Indeß konnte man hierbei nicht stehen bleiben. So weit man diese unmittelbare Nachahmung der Alten in ih- rer Sprache auch trieb, so konnte man damit doch nicht das gesammte Gebiet des Geistes umfassen. Sie hat in sich selber etwas Unzureichendes, und Allzuvielen theilte sie sich mit, als daß dieß nicht haͤtte in die Augen springen sollen. Es entwickelte sich der neue Gedanke, die Alten in der Muttersprache nachzuahmen; man fuͤhlte sich ihnen ge- genuͤber, wie die Roͤmer den Griechen; nicht im Einzelnen mehr: in der gesammten Literatur wollte man mit ihnen wetteifern; mit jugendlicher Kuͤhnheit warf man sich in dieß neue Feld. Gluͤcklicherweise gelangte eben damals die Sprache zu einer allgemein guͤltigen Ausbildung. Das Verdienst des Bembo wird weniger in seinem wohlstylisirten Latein, oder in den Proben italienischer Poesie liegen, die wir von ihm haben, als in dem wohlangelegten und gluͤcklichen Bemuͤ- hen, der Muttersprache Correctheit und Wuͤrde zu geben, sie nach festen Regeln zu construiren. Das ist was Ariost Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh . an ihm ruͤhmt; er traf gerade den rechten Zeitpunct: seine Versuche dienten nur seinen Lehren zum Beispiel. Betrachten wir nun den Kreis der Arbeiten, zu denen man dieß in fluͤssiger Geschmeidigkeit und Wohllaut un- vergleichliche, und nunmehr mit so vieler Einsicht vorbe- reitete Material nach dem Muster der Alten anwandte, so draͤngt sich uns folgende Bemerkung auf. Nicht da war man gluͤcklich, wo man sich sehr enge an sie anschloß. Tragoͤdien, wie die Rosmunda Rucel- lai’s, die, wie die Herausgeber sagen, nach dem Modell der Antike gearbeitet waren, Lehrgedichte, wie dessen Bie- nen, in denen gleich von vorn herein auf Virgil verwie- sen und dieser darnach tausendfaͤltig benutzt wird, machten kein Gluͤck und hatten keine wahre Wirkung. Freier bewe- gen sich schon die Comoͤdien: der Natur der Sache nach muͤssen sie die Farbe und den Eindruck der Gegenwart an- nehmen; allein fast immer legte man eine Fabel des Al- terthums; ein plautinisches Stuͤck zu Grunde Marco Minio berichtet unter so vielem andern Merkwuͤr- digen auch uͤber eine der ersten Auffuͤhrungen einer Comoͤdie in Rom an seine Signorie. Er schreibt 13. Maͤrz 1519. Finita dita festa (es ist vom Carneval die Rede) se andò ad una comedia che fece el reverend m ̱ o ̱. Cibo dove è stato bellissima cosa lo apparato tanto superbo che non si potria dire. La comedia fu questa che fu fenta una Ferrara e in dita sala fu fata Ferrara preciso come la è. Dicono che Monsignor Rev m ̱ o ̱. Cibo aveva per Fer- rara e volendo una comedia li fu data questa comedia. E sta tratta parte de li suppositi di Plauto e dal Eunucho di Terenzio molto bellissima. Er meint ohne Zweifel die Suppositi des Ariost, — doch man sieht: er bemerkt nicht den Namen des Autors, nicht den Titel des Stuͤcks, sondern nur woher es gezogen sey. , und selbst so Geistige Richtung . so geistreiche Maͤnner, wie Bibbiena und Machiavell, ha- ben ihren komischen Arbeiten die volle Anerkennung der spaͤteren Zeiten nicht sichern koͤnnen. In andern Gattun- gen finden wir einen gewissen Widerstreit des antiken und des modernen Elementes. Wie sonderbar nimmt sich in der Arcadia des Sannazar die weitschweifige, lateinartige Periodologie der Prosa neben der Einfalt, Innigkeit und Musik der Verse aus. Wenn es nun hier, so weit man es auch brachte, nicht voͤllig gelang, so kann man sich nicht verwundern. Immer ward ein großes Beispiel gegeben, ein Versuch ge- macht, der unendlich fruchtbar geworden ist, allein in den classischen Formen bewegte sich das moderne Element nicht mit voͤlliger Freiheit. Der Geist wurde von einer außer ihm vorhandenen, nicht zum Canon seiner Natur geworde- nen Regel beherrscht. Wie koͤnnte man auch uͤberhaupt mit Nachahmung ausreichen? Es giebt eine Wirkung der Muster, der gro- ßen Werke, aber sie ist eine Wirkung des Geistes auf den Geist. Heut zu Tage kommen wir alle uͤberein, daß die schoͤne Form erziehen, bilden, erwecken soll: unterjochen darf sie nicht. Die merkwuͤrdigste Hervorbringung mußte es geben, wenn ein der Bestrebungen der damaligen Zeit theilhafter Genius sich in einem Werke versuchte, wo Stoff und Form vom Alterthum abwich, und nur die innerliche Wirkung desselben hervortreten konnte. Das romantische Epos ist deshalb so eigenthuͤmlich, weil dieß mit ihm der Fall war. Man hatte eine christ- 5 Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . liche Fabel geistlich heroischen Inhaltes zum Stoff: die vornehmsten Gestalten, mit wenig großen und starken, all- gemeinen Zuͤgen waren gegeben: bedeutende Situationen, wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal- tung des Volkes war sie hervorgegangen. Dazu kam nun die Tendenz des Jahrhunderts, sich an die Antike anzu- schließen. Gestaltend, bildend, vermenschlichend tritt sie ein. Welch ein andrer ist der Rinald Bojardo’s, edel, be- scheiden, voll freudiger Thatenlust, als der entsetzliche Hay- monssohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa- belhafte, Gigantische, das die alte Darstellung hatte, zu dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet. Auch die ungeschmuͤckten alten Erzaͤhlungen haben in ihrer Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein anderer Genuß aber ist es, sich von dem Wohllaut ario- stischer Stanzen umspielen zu lassen, und in der Gesell- schaft eines gebildeten heiteren Geistes von Anschauung zu Anschauung fortzueilen. Das Unschoͤne und Gestaltlose hat sich zu Umriß und Form und Musik durchgebildet Ich habe dieß in einer besondern Abhandlung auszufuͤhren gesucht, die ich in der K. Akademie der Wissenschaften vorgetragen habe. . Wenige Zeiten sind fuͤr die reine Schoͤnheit der Form empfaͤnglich; nur die beguͤnstigtsten gluͤcklichsten Perioden brin- gen sie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang des sechszehnten Jahrhunderts war eine solche. Wie koͤnnte ich die Fuͤlle von Kunstbestreben und Kunstuͤbung, die darin lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kuͤhnlich Geistige Richtung . sagen, daß alles das Schoͤnste, was in neuern Zeiten Ar- chitectur, Bildhauerkunst und Malerei hervorgebracht ha- ben, in diese kurze Epoche faͤllt. Es war die Tendenz der- selben, nicht im Raisonnement, sondern in der Praxis und Ausuͤbung. Man lebte und webte darin. Ich moͤchte sa- gen: die Festung, die der Fuͤrst dem Feinde gegenuͤber errich- tet, die Note, die der Philologe an den Rand seines Autors schreibt, haben etwas Gemeinschaftliches. Einen strengen und schoͤnen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieser Zeit. Dabei aber wird sich nicht verkennen lassen, daß, in- dem Kunst und Poesie die kirchlichen Elemente ergriffen, sie den Inhalt derselben nicht unangetastet ließen. Das ro- mantische Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwaͤrtigt, setzt sich mit derselben in der Regel in Opposition. Ariosto fand es noͤthig, seiner Fabel den Hintergrund zu neh- men, der ihre urspruͤngliche Bedeutung enthaͤlt. Fruͤher hatte an allen Werken der Maler und Bild- ner die Religion so viel Antheil als die Kunst. Seit die Kunst von dem Hauche der Antike beruͤhrt worden, loͤste sie sich ab von den Banden der Religion. Wir koͤn- nen wahrnehmen, wie dieß selbst in Raphael von Jahr zu Jahr entschiedener der Fall ist. Man mag dieß tadeln wenn man will; aber es scheint fast, das profane Ele- ment gehoͤrte mit dazu, um die Bluͤthe der Entwicke- lung hervorzubringen. Und war es nicht sehr bedeutend, daß ein Papst selbst unternahm, die alte Basilike St. Peter, Metropole der Chri- stenheit, in der jede Staͤtte geheiligt, in der die Denkmale der Verehrung so vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie- 5* Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . derzureißen, und an ihrer Stelle einen Tempel nach den Maaßen des Alterthums zu errichten. Es war ein rein kuͤnstlerisches Bestreben. Beide Factionen, welche damals die so leicht in Eifersucht und Hader zu setzende Kuͤnstlerwelt theilten, vereinigten sich, Julius II. dazu zu bestimmen. Michel Angelo wuͤnschte eine wuͤrdige Stelle fuͤr das Grab- mahl des Papstes zu haben, das er nach einem umfassen- den Entwurf in aller der Großartigkeit auszufuͤhren ge- dachte, wie er den Moses wirklich vollendet hat. Noch dringender ward Bramante. Er wollte den kuͤhnen Ge- danken ins Werk setzen, ein Nachbild des Pantheon in seiner ganzen Groͤße auf colossalen Saͤulen in die Luft zu erheben. Viele Cardinaͤle widersprachen: es scheint, als haͤtte sich auch eine allgemeinere Mißbilligung gezeigt; es knuͤpft sich so viel persoͤnliche Neigung an jede alte Kirche, unendlich viel mehr an dieß oberste Heiligthum der Christen- heit Aus dem ungedruckten Werke des Panvinius de rebus an- tiquis memorabilibus et de praestantia basilicae S. Petri Apo- stolorum Principis etc. theilt Fea notizie intorno Rafaele p. 41 folgende Stelle mit: Qua in re (in der Absicht des Neubaues) ad- versos pene habuit cunctorum ordinum homines et praesertim cardinales non quod novam non cuperent basilicam magnificen- tissimam extrui, sed quia antiquam toto terrarum orbe venera- bilem tot sanctorum sepulcris angustissimam, tot celeberrimis in ea gestis insignem funditus deleri ingemiscant. . Allein Julius II. war nicht gewohnt auf Wider- spruch zu achten. Ohne weitere Ruͤcksicht ließ er die Haͤlfte der alten Kirche niederreißen; er legte selber den Grund- stein zu der neuen. So erhoben sich in dem Mittelpunkt des christlichen Cultus die Formen wieder, in denen sich der Geist der an- Geistige Richtung . tiken Dienste so eigen ausgesprochen hatte. Bei St. Pie- tro in Montorio baute Bramante uͤber dem Blute des Maͤrtyrers eine Capelle in der heitern und leichten Form eines Peripteros. Liegt nun hierin ein Widerspruch, so stellte er sich zu- gleich in diesem gesammten Leben und Wesen dar. Man ging nach dem Vatican weniger, um bei den Schwellen der Apostel anzubeten, als um in des Papstes Hause die großen Werke der antiken Kunst, den belvede- rischen Apollo, den Laocoon zu bewundern. Wohl ward der Papst auch damals so gut wie sonst aufgefordert, einen Krieg gegen die Unglaͤubigen zu veranstal- ten; ich finde das z. B. in einer Praͤfation des Navagero Naugerii Praefatio in Ciceronis orationes T. I. ; allein des christlichen Interesses, der Eroberung des heiligen Grabes gedenkt er hiebei nicht; seine Hoffnung ist, der Papst werde die verloren gegangenen Schriften der Grie- chen und selbst vielleicht der Roͤmer wieder auffinden. Mitten in dieser Fuͤlle von Bestrebung und Hervor- bringung, von Geist und Kunst, in dem Genuß der weltli- chen Entwickelung der hoͤchsten geistlichen Wuͤrde lebte nun Leo X. Man hat ihm die Ehre streitig machen wollen, daß er diesem Zeitalter den Namen giebt; und sein Verdienst mag es so sehr nicht seyn. Allein er war nun der Gluͤck- liche. In den Elementen, die diese Welt bildeten, war er aufgewachsen; er besaß Freiheit und Empfaͤnglichkeit des Geistes genug, ihre schoͤne Bluͤthe zu befoͤrdern, zu genie- ßen. Hatte er schon seine Freude an den lateinischen Ar- Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh . beiten der unmittelbaren Nachahmer, so konnte er selbststaͤn- digen Werken seiner Zeitgenossen seine Theilnahme nicht ent- ziehen. In seiner Gegenwart hat man die erste Tragoͤdie, und so vielen Anstoß bei dem plautinisch-bedenklichen In- halt das gab, auch die ersten Comoͤdien in italienischer Sprache aufgefuͤhrt. Es ist fast keine, die er nicht zuerst gesehn haͤtte. Ariost gehoͤrte zu den Bekannten seiner Jugend; Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge- schrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca- pelle mit den Idealen menschlicher Schoͤnheit und rein ausgesprochener Existenz. Leidenschaftlich liebte er die Musik, die sich in kunstreicherer Uebung eben damals in Italien ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallast von Musik er- schallen; murmelnd sang der Papst ihre Melodien nach. Es mag seyn, daß dieß eine Art geistiger Schwelgerei ist; es ist dann wenigstens die einzige, die einem Menschen an- steht. Uebrigens war Leo X. voller Guͤte und persoͤnli- cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichsten Aus- druͤcken schlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich war, alles zu gewaͤhren. „Er ist ein guter Mensch,“ sagt einer dieser aufmerksamen Gesandten, „sehr freigebig, von gutartiger Natur; wenn seine Verwandten ihn nicht dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden“ Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma questi soi lo intriga. . „Er ist gelehrt,“ sagt ein andrer, „ein Freund der Ge- lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben“ Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti, ben religioso ma vol viver. Er nennt ihn bona persona. . Wohl nicht Geistige Richtung . immer behauptete er das paͤpstliche Decorum. Zuweilen verließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeisters, nicht allein ohne Chorhemd, sondern wie dieser in seinem Tage- buche bemerkt hat, „was das Aergste ist, mit Stiefeln an seinen Fuͤßen.“ Er brachte den Herbst mit laͤndlichen Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirschjagd bei Corneto; der See von Bolsena gewaͤhrte das Ver- gnuͤgen des Fischfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal- liana, seinem Lieblingsaufenthalte. Leichte rasche Talente, die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improvisatoren, begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein Dritttheil. Das Handwerk fand hier seinen Vortheil, die Kunst ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der Hof belebter, anmuthiger, geistreicher gewesen; kein Auf- wand fuͤr geistliche und weltliche Feste, Spiel und Thea- ter, Geschenke und Gunstbezeugungen war zu groß; nichts ward gespart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano Medici mit seiner jungen Gemahlin seinen Wohnsitz in Rom zu nehmen gedenke. „Gelobt sey Gott,“ schreibt ihm Car- dinal Bibbiena, „denn hier fehlt uns nichts als ein Hof von Damen.“ Die Luͤste Alexanders VI. muß man ewig verab- scheuen; den Hofhalt Leo’s koͤnnte man an sich nicht ta- deln. Doch wird man freilich nicht in Abrede stellen, daß er der Bestimmung eines Oberhauptes der Kirche nicht entsprach. Leicht verdeckt das Leben die Gegensaͤtze, aber so wie Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . man sich zusammennahm und sie uͤberlegte, mußten sie her- vortreten. Von eigentlich christlicher Gesinnung und Ueberzeu- gung konnte unter diesen Umstaͤnden nicht weiter die Rede seyn. Es erhob sich vielmehr ein grader Widerspruch gegen dieselbe. Die Schulen der Philosophen waren in Streit, ob die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unsterblich, aber eine einzige in allen Menschen, oder ob sie gradezu sterblich sey. Das letzte zu behaupten, entschied sich der namhaf- teste der damaligen Philosophen, Pietro Pomponazzo. Er verglich sich mit dem Prometheus, dessen Herz der Geyer fresse, weil er dem Jupiter sein Feuer stehlen wolle. Aber mit aller dieser schmerzvollen Anstrengung, mit allem die- sen Scharfsinn gelangte er zu keinem andern Resultat, „als daß, wenn der Gesetzgeber festgestellt, daß die Seele un- sterblich, er dieß gethan habe, ohne sich um die Wahrheit zu bekuͤmmern“ Pomponazzo hatte hieruͤber sehr ernstliche Anfechtungen, wie unter andern aus einem Auszug paͤpstlicher Briefe von Contelori hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late- ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra ipsum procedatur. 13 Junii 1518. . Man darf nicht glauben, diese Gesinnung sey nur We- nigen eigen gewesen oder verheimlicht worden. Erasmus ist erstaunt, welche Gotteslaͤsterungen er anzuhoͤren bekam; man suchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei- Geistige Richtung . sen, zwischen den Seelen der Menschen und der Thiere gebe es keinen Unterschied Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch folgende Stelle des Paul Canensius in der vita Pauli II. anfuͤh- ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit, qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo- niis subsistere. — Einen sehr ausgebildeten Materialismus athmet der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man aus den Citaten Daruͤs in dem 40ten Buche der histoire de Ve- nise sieht. . Waͤhrend das gemeine Volk in einen fast heidnischen Aberglauben verfiel, der in einem schlecht begruͤndeten Werk- dienste sein Heil sah, wandten sich die hoͤheren Staͤnde zu einer antireligioͤsen Richtung ab. Wie erstaunte der junge Luther, als er nach Italien kam! In dem Moment, daß das Meßop f er vollzogen wurde, stießen die Priester blasphemische Worte aus, mit denen sie es laͤugneten. In Rom gehoͤrte es zum guten Ton der Gesellschaft, den Grundsaͤtzen des Christenthums zu widersprechen. Man galt, sagt P. Ant. Bandino Im Caracciolo’s Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de’ dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he- retica. , nicht mehr fuͤr einen ge- bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom Christenthum hegte. Am Hofe sprach man von den Saz- zungen der katholischen Kirche, von den Stellen der heili- gen Schrift nur noch scherzhaft, die Geheimnisse des Glau- bens wurden verachtet. Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh . Man sieht, wie sich alles bedingt, eins das andre hervorruft: die kirchlichen Anspruͤche der Fuͤrsten, die welt- lichen des Papstes; der Verfall der kirchlichen Institute die Entwickelung einer neuen geistigen Richtung; bis zuletzt in der oͤffentlichen Meinung der Grund des Glaubens sel- ber angetastet ist. Opposition in Deutschland. Ueberaus merkwuͤrdig finde ich nun das Verhaͤltniß, in welches Deutschland, namentlich zu dieser geistigen Ent- wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine durchaus abweichende Weise. Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe- trarca waren, die zu ihrer Zeit dieses Studium befoͤrder- ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, so ging es in Deutschland von einer geistlichen Bruͤderschaft, den Hieronymi- ten des gemeinsamen Lebens, aus, einer Bruͤderschaft, welche Arbeitsamkeit und Zuruͤckgezogenheit verband. Es war ei- nes ihrer Mitglieder, der tiefsinnige, unschuldige Mystiker Thomas von Kempen, in dessen Schule alle die wuͤrdigen Maͤnner gebildet wurden, die von dem in Italien aufge- gangenen Licht der alten Literatur zuerst dahin gezogen, dann zuruͤckkehrten, um es auch in Deutschland auszu- breiten Meiners hat das Verdienst, diese Genealogie aus des Re- . Opposition in Deutschland . Wie nun der Anfang, so unterschied sich auch der Fortgang. In Italien studirte man die Werke der Alten, um die Wissenschaften aus ihnen zu erlernen: in Deutschland hielt man Schule. Dort versuchte man die Loͤsung der hoͤchsten Probleme des menschlichen Geistes, wenn nicht auf selbststaͤndige Weise, doch an der Hand der Alten: hier sind die besten Buͤcher der Unterweisung der Jugend ge- widmet. In Italien war man von der Schoͤnheit der Form ergriffen und fing an die Alten nachzuahmen: man brachte es, wie wir beruͤhrten, zu einer nationalen Literatur. In Deutschland nahmen diese Studien eine geistliche Rich- tung. Man kennt den Ruhm des Reuchlin und des Eras- mus. Fragt man nach, worin das vornehmste Verdienst des ersten besteht, so ist es, daß er die erste hebraͤische Grammatik schrieb, ein Denkmal, von dem er hofft, so gut wie die italienischen Poeten, „daß es dauernder seyn werde als Erz.“ Hat er hiermit das Studium des alten Testaments zuerst moͤglich gemacht, so wendete Erasmus seinen Fleiß dem neuen zu; er ließ es zuerst griechisch drucken; seine Paraphrase, seine Anmerkungen dazu ha- ben eine Wirkung gehabt, welche selbst seine Absicht bei weitem uͤbertraf. Indem nun in Italien die Richtung, die man ergriff, sich von der Kirche trennte, sich ihr entgegensetzte, so ge- vius Daveritria illustrata zuerst eruirt zu haben. Lebensbeschrei- bungen beruͤhmter Maͤnner aus den Zeiten der Wiederherstellung der Wissenschaften II, 308. Kap . II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh . schah etwas aͤhnliches auch in Deutschland. Dort trat die Freigeisterei, welche niemals ganz unterdruͤckt werden kann, in die literarischen Elemente ein, und bildete sich hier und da zu einem entschiedenen Unglauben aus. Auch eine tiefere Theologie, aus unbekannten Quellen entsprungen, hatte von der Kirche zwar beseitigt, aber niemals unter- druͤckt werden koͤnnen. Diese trat zu den literarischen Be- muͤhungen in Deutschland. In dieser Hinsicht finde ich merkwuͤrdig, daß sich schon im Jahre 1513 die boͤhmischen Bruͤder dem Erasmus naͤherten, der doch sonst eine ganz andere Richtung hatte Fuͤßlin: Kirchen- und Ketzergeschichte II, 82. . Und so fuͤhrte die Entwickelung des Jahrhunderts jenseit und diesseit der Alpen zu einer Opposition wider die Kirche. Jenseit hing sie mit Wissenschaft und Litera- tur zusammen, diesseit entsprang sie aus geistlichen Stu- dien und tieferer Theologie. Dort war sie negativ und unglaͤubig: hier war sie positiv und glaͤubig. Dort hob sie den Grund der Kirche vollends auf: hier stellte sie den- selben wieder her. Dort war sie spoͤttisch, satirisch, und unterwarf sich der Gewalt: hier war sie voll Ernst und Ingrimm und erhob sich zu dem kuͤhnsten Angriff, der je auf die roͤmische Kirche geschehen. Man hat es zufaͤllig gefunden, daß dieser zuerst dem Mißbrauche galt, den man mit dem Ablaß trieb. Al- lein wie die Veraͤußerung des Innerlichsten, die der Ab- laß in sich schloß, den schadhaften Punkt des ganzen Wesens, der in der Verweltlichung der geistlichen Elemente Opposition in Deutschland . uͤberhaupt bestand, grade auf das schneidendste darstellte, so lief sie dem Begriffe, der sich in den tieferen deutschen Theo- logen gebildet, am schaͤrfsten entgegen. Ein Mensch, wie Luther, von innerlich erlebter Religion, erfuͤllt mit den Begriffen von Suͤnde und Rechtfertigung, wie sie in dem Buche deutscher Theologie bereits vor ihm ausgesprochen waren, darin bestaͤrkt durch die Schrift, die er mit dur- stendem Herzen in sich aufgenommen, konnte an nichts in der Welt einen so großen Anstoß nehmen, wie an dem Ab- laß. Von einer fuͤr Geld zu habenden Suͤndenvergebung mußte Der auf das tiefste beleidigt werden, der eben von diesem Punkt aus das ewige Verhaͤltniß zwischen Gott und Mensch inne geworden war, und die Schrift selbst verste- hen gelernt hatte. Er setzte sich allerdings dem einzelnen Mißbrauche entgegen; aber schon der schlechtbegruͤndete und einseitige Widerspruch, den er fand, fuͤhrte ihn Schritt fuͤr Schritt weiter; nicht lange verbarg sich ihm der Zusammenhang, in welchem jenes Unwesen mit dem gesammten Verfalle der Kirche stand; er war keine Natur, die vor dem Aeu- ßersten zuruͤckbebt. Das Oberhaupt selbst griff er mit un- erschrockener Kuͤhnheit an. Aus der Mitte der ergeben- sten Anhaͤnger und Verfechter des Papstthums, den Bet- telmoͤnchen, erhob sich ihm der kuͤhnste gewaltigste Gegner, den es jemals gefunden. Da Luther einer so weit von ih- rem Prinzip abgekommenen Macht eben dieß mit großer Schaͤrfe und Klarheit entgegenhielt, da er aussprach, wo- von schon Alle uͤberzeugt waren, da seine Opposition, die noch nicht ihre gesammten positiven Momente entwickelt Kap . II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh . hatte, auch den Unglaͤubigen recht war, und doch weil sie dieselben in sich enthielt, dem Ernste der Glaͤubigen ge- nug that, so hatten seine Schriften eine unermeßliche Wir- kung; in einem Augenblicke erfuͤllten sie Deutschland und die Welt. Drittes Kapitel . Politische Verwickelungen. Zusammenhang der Reformation mit denselben. Mit den weltlichen Bestrebungen des Papstthums hatte sich dergestalt eine doppelte Bewegung gebildet. Die eine: religioͤs; schon begann ein Abfall, dem man es ansah, daß er eine unermeßliche Zukunft in sich schloß. Die an- dere: politisch; die in Kampf gesetzten Elemente waren noch in der lebhaftesten Gaͤhrung begriffen und mußten zu neuen Entwickelungen gedeihen. Diese beiden Bewegungen, ihre Einwirkung auf einander, die Gegensaͤtze, die sie hervor- riefen, haben dann die Geschichte des Papstthums Jahrhun- derte lang beherrscht. Wollte sich doch nie ein Fuͤrst, ein Staat einbilden, daß ihm etwas zu Gute kommen koͤnne, was er sich nicht selbst verdankt, was er nicht mit eigenen Kraͤften erwor- ben hat! Indem die italienischen Maͤchte mit Huͤlfe fremder Nationen eine die andre zu uͤberwinden suchten, hatten sie die Unabhaͤngigkeit, die sie waͤhrend des funfzehnten Jahr- hunderts besessen, selber zerstoͤrt, und ihr Land den Uebrigen als einen allgemeinen Kampfpreis dargestellt. Den Paͤpsten muß ein großer Antheil hieran zugeschrieben werden. Sie Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . hatten nunmehr allerdings eine Macht erworben, wie der roͤmische Stuhl sie nie besessen; allein nicht durch sich sel- ber war es ihnen gelungen. Sie verdankten es Franzosen, Spaniern, Deutschen, Schweizern. Ohne seinen Bund mit Ludwig XII. wuͤrde Cesar Borgia schwerlich viel ausge- richtet haben. So großartig die Absichten Julius II. , so heldenmuͤthig seine Anstrengungen auch waren, so haͤtte er ohne die Huͤlfe der Spanier und der Schweizer unterliegen muͤssen. Wie konnte es anders seyn, als daß die, welche den Sieg erfochten, auch des Uebergewichtes zu genießen suchten, das ihnen dadurch zufiel. Wohl sah es Julius II. Seine Absicht war, die uͤbrigen in einem gewissen Gleich- gewicht zu erhalten und sich nur der Mindestmaͤchtigen, der Schweizer, zu bedienen, die er zu leiten hoffen durfte. Allein es kam anders. Es bildeten sich zwei große Maͤchte, welche, wenn nicht um die Weltherrschaft, doch um das Supremat in Europa kaͤmpften, — so gewaltig, daß ihnen ein Papst bei weitem nicht gewachsen war; — auf italienischer Erde fochten sie ihren Wettstreit aus. Zuerst erhoben sich die Franzosen. Nicht lange nach der Thronbesteigung Leo’s X. erschienen sie maͤchtiger als sie bisher noch jemals die Alpen uͤberstiegen, um Mailand wieder zu erobern. An ihrer Spitze in ritterlichem Ju- gendmuthe Franz I. Es kam alles darauf an, ob ihnen die Schweizer widerstehen wuͤrden. Die Schlacht von Ma- rignano ist darum so wichtig, weil die Schweizer voͤllig geschlagen wurden: weil sie seit dieser Niederlage nie wie- der einen selbststaͤndigen Einfluß in Italien ausgeuͤbt haben. Den ersten Tag war die Schlacht unentschieden ge- we- Unter Leo X. wesen, und schon hatte man auf die Nachricht von einem Siege der Schweizer in Rom Freudenfeuer abgebrannt. Die fruͤheste Meldung von dem Erfolg des zweiten Tages und dem wahren Ausgang bekam der Botschafter der Ve- nezianer, die mit dem Koͤnig verbuͤndet waren und selber zur Entscheidung nicht wenig beigetragen. In aller Fruͤhe begab er sich nach dem Vatican, sie dem Papste mitzuthei- len. Noch nicht voͤllig angekleidet kam dieser zur Audienz heraus. Ew. Heiligkeit, sagte der Botschafter, gab mir gestern eine schlimme und zugleich falsche Nachricht: heute bringe ich Derselben dafuͤr eine gute und wahre: die Schwei- zer sind geschlagen. Er las ihm die Briefe vor, die hier- uͤber an ihn gelangt waren: von Maͤnnern, die der Papst kannte, die keinen Zweifel uͤbrig ließen Summario de la relatione di Zorzi. E cussi dismisiato venne fuori non compito di vestir. L’orator disse: Pater santo eri v ra sant à mi dette una cattiva nuova e falsa, io le daro ozi una bona e vera, zoe Sguizari è rotti. Die Briefe waren von Pasqualigo, Dandolo und Anderen. . Der Papst ver- barg seinen tiefen Schrecken nicht. „Was wird dann aus uns, was wird selbst aus euch werden?“ „Wir hoffen fuͤr beide alles Gute.“ „Herr Botschafter,“ erwiederte der Papst, „wir muͤssen uns in die Arme des Koͤnigs wer- fen und Misericordia rufen“ Domine orator, vederemo quel fara il re christ mo . se metteremo in le so man dimandando misericordia. Lui, ora- tor, disse: pater sante, vostra santità non avrà mal alcuno. . In der That bekamen die Franzosen durch diesen Sieg das entschiedene Uebergewicht in Italien. Haͤtten sie ihn ernstlich verfolgt, so wuͤrden ihnen weder Toscana noch 6 Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . der Kirchenstaat, die so leicht in Rebellion zu setzen wa- ren, viel Widerstand geleistet haben, und es sollte den Spaniern schwer geworden seyn, sich in Neapel zu behaup- ten. „Der Koͤnig,“ sagte Franz Vettori geradehin, „konnte Herr von Italien werden.“ Wie viel kam in diesem Au- genblick auf Leo an! Lorenzo Medici sagte von seinen drei Soͤhnen, Ju- lian, Peter und Johann: der erste sey gut, der andre ein Thor, der dritte, Johann, der sey klug. Dieser dritte ist Papst Leo X.; er zeigte sich auch jetzt der schwierigen Lage gewachsen, in die er gerieth. Wider den Rath seiner Cardinaͤle begab er sich nach Bologna, um sich mit dem Koͤnig zu besprechen. Hier schlossen sie das Concordat, in welchem sie die Rechte der gallicanischen Kirche unter sich theilten. Auch mußte Leo Parma und Piacenza aufgeben: aber uͤbrigens gelang es ihm, den Sturm zu beschwoͤren, den Koͤnig zum Ruͤck- zuge zu bewegen und unangetastet in dem Besitze seiner Laͤn- der zu bleiben Zorzi. Questo papa è savio e praticho di stato e si pensò con li suoi consultori di venir abocharsi a Bologna con vergogna di la sede (ap.); molti cardinali tra i qual il cardinal Hadriano lo disconsejava pur vi volse andar. . Welch ein Gluͤck dieß fuͤr ihn war, sieht man aus den Folgen, welche die bloße Annaͤherung der Franzosen un- mittelbar nach sich zog. Es ist aller Anerkennung werth, daß Leo, nachdem seine Verbuͤndeten geschlagen waren und ein Landestheil hatte abgetreten werden muͤssen, zwei kaum erworbene, der Unabhaͤngigkeit gewohnte, mit tausend Ele- Unter Leo X. menten der Empoͤrung erfuͤllte Provinzen zu behaupten ver- mochte. Man hat ihm immer seinen Angriff auf Urbino zum Vorwurf gemacht, auf ein Fuͤrstenhaus, bei dem sein eig- nes Geschlecht in der Verbannung Zuflucht und Aufnahme gefunden hatte. Die Ursache war: der Herzog hatte Sold von dem Papste genommen, und war ihm darauf im Au- genblick der Entscheidung abtruͤnnig geworden. Leo sagte, „wenn er ihn nicht dafuͤr bestrafe, so werde kein Baron im Kirchenstaate so ohnmaͤchtig seyn, um sich ihm nicht zu wi- dersetzen. Er habe das Pontificat in Ansehn gefunden und wolle es dabei behaupten“ Franc. Vettori (Sommario della storia d’Italia) mit dem Medici sehr vertraut giebt diese Erklaͤrung. Der Vertheidiger Franz Marias, Giov. Batt. Leoni ( Vita di Francesco Maria ) erzaͤhlt Dinge — p. 166 f. — die sehr nahe daran hinstreifen. . Da aber der Herzog we- nigstens insgeheim Ruͤckhalt an den Franzosen hatte, da er in dem ganzen Staate und selbst in dem Cardinalcolle- gium Verbuͤndete fand, so war der Kampf noch immer gefaͤhr- lich. Nicht so leicht war der kriegskundige Fuͤrst zu ver- jagen; zuweilen sah man den Papst bei den schlechten Nach- richten erzittern, und außer sich gerathen; es soll ein Com- plott bestanden haben, ihn bei der Behandlung eines Leib- schadens an dem er litt, zu vergiften Fea hat in der Notizie intorno Rafaele p. 35. die Sen- tenz gegen die drei Cardinaͤle aus den Consistorialacten mitgetheilt, die ausdruͤcklich auf ihr Einverstaͤndniß mit dem Franz Maria hinweist. . Es gelang dem Papst, sich dieser Feinde zu erwehren: allein man sieht, wie schwer es ihm ward. Daß seine Partei von den 6* Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Franzosen geschlagen war, wirkte ihm bis in seine Haupt- stadt, bis in seinen Pallast nach. Indeß aber hatte sich die zweite große Macht conso- lidirt. Wie sonderbar es schien, daß Ein und derselbe Fuͤrst in Wien, Bruͤssel, Valladolid, Saragossa und Nea- pel, und uͤberdieß noch in einem andern Continent herr- schen sollte, so war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte Verflechtung von Familieninteressen dahin gekommen. Diese Erhebung des Hauses Oestreich, die so verschiedene Natio- nen verknuͤpfte, war eine der groͤßten und folgenreichsten Veraͤnderungen, welche Europa uͤberhaupt betroffen haben. In dem Moment, daß die Nationen sich von ihrem bis- herigen Mittelpunkt absonderten, wurden sie durch ihre po- litischen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues System verflochten. Die Macht von Oestreich setzte sich dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen. Durch die kaiserliche Wuͤrde bekam Carl V. gesetzliche An- spruͤche auf ein oberherrliches Ansehn wenigstens in der Lombardei. Ueber diese italienischen Angelegenheiten eroͤff- nete sich ohne viel Zoͤgern der Krieg. Wie gesagt, die Paͤpste hatten durch die Erweiterung ihres Staates zu voller Unabhaͤngigkeit zu gelangen gehofft. Jetzt sahen sie sich von zwei bei weitem uͤberlegenen Ge- walten in die Mitte genommen. Ein Papst war nicht so unbedeutend, bei dem Kampfe derselben neutral bleiben zu duͤrfen; auch war er nicht maͤchtig genug, ein entscheiden- des Gewicht in die Wagschaale zu werfen; er mußte sein Heil in geschickter Benutzung der Lage der Dinge suchen. Leo soll geaͤußert haben, wenn man mit der einen Partei Unter Leo X. abgeschlossen, so muͤsse man darum nicht ablassen, mit der andern zu unterhandeln Suriano Relatione di 1533: dicesi del Pp. Leone, che quando ’l aveva fatto lega con alcuno, prima soleva dir che pero non si dovea restar de tratar cum lo altro principe opposto. . Eine so zweizuͤngige Politik entsprang ihm aus der Stellung in der er sich befand. Im Ernste konnte jedoch selbst Leo schwerlich zweifel- haft seyn, zu welcher Partei er sich zu schlagen habe. Haͤtte ihm auch nicht unendlich viel daran liegen muͤssen, Parma und Piacenza wiederzuerlangen: haͤtte ihn auch nicht das Versprechen Carls V. , einen Italiener in Mai- land einzusetzen, das so ganz zu seinen Gunsten war, zu bestimmen vermocht, so gab es noch einen andern, wie mich duͤnkt, voͤllig entscheidenden Grund. Er lag in dem Verhaͤltniß der Religion. In der ganzen Periode, die wir betrachten, war den Fuͤrsten in ihren Verwickelungen mit dem roͤmischen Stuhle nichts so erwuͤnscht gewesen, als demselben eine geistliche Opposition hervorzurufen. Wider Alexander VI. hatte Carl VIII. von Frankreich keinen zuverlaͤßigeren Beistand, als den Dominikaner Hieronymus Savonarola in Florenz. Als Ludwig XII. jede Hoffnung zur Versoͤhnung mit Ju- lius II. aufgegeben, berief er ein Concilium zu Pisa: so wenig Succeß dasselbe hatte, so schien es doch zu Rom eine hoͤchst gefaͤhrliche Sache. Wann aber stand dem Papst ein kuͤhnerer gluͤcklicherer Feind auf, als Luther? Seine Erschei- nung allein, seine Existenz gab ihm eine wichtige politische Bedeutung. Von dieser Seite faßte Maximilian die Sache; er haͤtte nicht gelitten, daß dem Moͤnch Gewalt geschaͤhe; Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . er ließ ihn dem Churfuͤrsten von Sachsen noch besonders empfehlen: „man moͤchte seiner einmal beduͤrfen.“ Und seit- dem war die Wirkung Luthers von Tage zu Tage gewach- sen. Der Papst hatte ihn weder zu uͤberzeugen noch zu schrek- ken, noch in seine Haͤnde zu bekommen vermocht. Man glaube nicht, daß Leo die Gefahr mißkannte. Wie oft hat er die Talente, von denen er zu Rom umgeben war, auf diesen Kampfplatz zu ziehen versucht. Noch gab es aber auch ein anderes Mittel. So wie er, wenn er sich wider den Kaiser erklaͤrte, zu fuͤrchten hatte, eine so gefaͤhrliche Op- position beschuͤtzt und gefoͤrdert zu sehn, so konnte er hof- fen, wenn er sich mit ihm verbinde, mit seiner Huͤlfe auch die religioͤse Neuerung zu unterdruͤcken. Auf dem Reichstag von Worms im J. 1521 ward uͤber die politischen und religioͤsen Verhaͤltnisse unterhan- delt. Leo schloß mit Carl V. einen Bund zur Wiederer- oberung Mailands. Von dem nehmlichen Datum, von welchem dieß Buͤndniß, ist auch die Achtserklaͤrung, welche uͤber Luther erging. Es moͤgen zu dieser immerhin auch noch andere Beweggruͤnde mitgewirkt haben: doch wird sich Niemand uͤberreden wollen, daß sie nicht mit dem politi- schen Tractat im naͤchsten Zusammenhang gestanden habe. Und nicht lange ließ sich der doppelseitige Erfolg die- ses Bundes erwarten. Luther ward auf der Wartburg gefangen und verbor- gen gehalten Man hielt Luther fuͤr todt; man erzaͤhlte, wie er von den Paͤpstlichen ermordet worden sey. Pallavicini ( Istoria del concilio di Trento I, c. 28) entnimmt aus den Briefen des Aleander, daß die Nuncien daruͤber in Lebensgefahr gerathen seyen. . Die Italiener wollten sogleich nicht glau- Unter Leo X. ben, daß Carl ihn aus Gewissenhaftigkeit, um das sichere Geleit nicht zu brechen, habe ziehen lassen; „da er be- merkte,“ sagen sie, „daß sich der Papst vor der Lehre Luthers fuͤrchtete, so wollte er ihn mit derselben in Zaum halten“ Vettori: Carlo si excusò di non poter procedere piu ol- tre rispetto al salvocondotto, ma la verità fu che conoscendo che il Papa temeva molto di questa doctrina di Luthero, lo volle tenere con questo freno. . Wie dem auch sey, so verschwand Luther al- lerdings auf einen Augenblick von der Buͤhne der Welt; er war gewissermaßen außer dem Gesetz, und der Papst hatte auf jeden Fall eine entscheidende Maaßregel wider ihn zu Wege gebracht. Indessen waren auch die kaiserlich paͤpstlichen Waffen in Italien gluͤcklich. Einer der naͤchsten Verwandten des Papstes, Sohn des Bruders seines Vaters, Cardinal Ju- lius Medici, war selbst im Felde, und zog mit in dem eroberten Mailand ein. Man behauptete in Rom, der Papst denke ihm dieß Herzogthum zu. Ich finde dafuͤr doch keinen rechten Beweis und schwerlich moͤchte sich der Kai- ser so leicht dazu verstanden haben. Allein auch ohne dieß war der Vortheil nicht zu berechnen. Parma und Pia- cenza waren wieder erobert, die Franzosen entfernt; auf den neuen Fuͤrsten in Mailand mußte der Papst unaus- bleiblich einen großen Einfluß erlangen. Es war einer der wichtigsten Momente. Eine neue politische Entwickelung war begonnen; eine große kirchliche Bewegung eingetreten. Es war ein Augenblick, in wel- chem der Papst sich schmeicheln konnte, jene zu leiten, die- Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . ser Einhalt gethan zu haben. Er war noch jung genug, um zu hoffen, ihn ganz zu benutzen. Sonderbares, truͤgerisches Geschick des Menschen! Leo war auf seiner Villa Malliana, als ihm die Nachricht von dem Einzug der Seinen in Mailand gebracht ward. Er gab sich dem Gefuͤhl hin, in das ein gluͤcklich zu Ende gefuͤhrtes Unternehmen zu versetzen pflegt. Mit Vergnuͤ- gen sah er den Festlichkeiten zu, welche seine Leute des- halb anstellten; bis tief in die Nacht ging er zwischen dem Fenster und dem brennenden Kamin — es war im No- vember — hin und her Copia di una lettera di Roma alli Sgri. Bolognesi a di 3 Dcbr. 1521 scritta per Bartholomeo Argilelli. Bei Sanuto im 32sten Bande. Die Nachricht traf den Papst 24. Nov. beim Be- nedicite. Er nahm dieß noch besonders fuͤr eine gute Vorbedeu- tung. Er sagte: Questa è una buona nuova, che havete portato. Die Schweizer fingen sogleich an, Freude zu schießen. Der Papst ließ sie bitten, still zu seyn, aber vergeblich. . Etwas erschoͤpft, aber uͤber- aus vergnuͤgt kam er nach Rom. Da hatte man noch nicht das Siegesfest vollendet, als ihn der Anfall einer toͤdt- lichen Krankheit ereilte. „Betet fuͤr mich,“ sagte er zu seinen Dienern, „ich mache euch noch alle gluͤcklich.“ Er liebte das Leben, sehen wir, doch war seine Stunde ge- kommen. Er hatte nicht Zeit, das Sacrament und die letzte Oelung zu empfangen. So ploͤtzlich, in so fruͤhen Jahren, mitten in großen Hoffnungen, starb er „wie der Mohn hinwelkt“ Man redete sogleich von Gift. Lettera di Hieronymo Bon a suo barba a di 5 Dec. bei Sanuto „non si sa certo se ’l pon- tefice sia morto di veneno. Fo aperto. Maistro Ferando ju- dica sia stato venenato; alcuno de li altri no; è di questa opi- . Unter Leo X. Das roͤmische Volk konnte ihm nicht vergeben, daß er ohne die Sacramente verschieden war, daß er so viel Geld ausgegeben hatte und doch Schulden genug zuruͤck- ließ. Es begleitete seine Leiche mit Schmaͤhungen. „Wie ein Fuchs,“ sagten sie, „hast du dich eingeschlichen, wie ein Loͤwe hast du regiert, wie ein Hund bist du dahinge- fahren.“ Die Nachwelt dagegen hat ein Jahrhundert und eine große Entwickelung der Menschheit mit seinem Na- men bezeichnet Capitoli di una lettera scritta a Roma 21 Dcbr. 1521 „concludo, che non è morto mai papa cum peggior fama dapoi è la chiesa di Dio.“ . Gluͤcklich haben wir ihn genannt. Nachdem er den ersten Unfall, der nicht sowohl ihn, als andre Mitglieder seines Hauses traf, uͤberstanden, trug ihn sein Geschick von Genuß zu Genuß, von Erfolg zu Erfolg. Grade die Wi- derwaͤrtigkeiten mußten dienen, ihn emporzubringen. In einer Art von geistiger Trunkenheit und immerwaͤhrender Erfuͤllung seiner Wuͤnsche verfloß ihm sein Leben. Es ge- hoͤrte dazu, daß er so gutmuͤthig und freigebig, so bildungs- faͤhig und voll Anerkennung war. Eben diese Eigenschaf- ten sind die schoͤnsten Gaben der Natur, Gluͤcksguͤter, die man sich selten erwirbt, und die doch allen Genuß des Le- bens bedingen. Die Geschaͤfte stoͤrten ihn darin wenig. Da er sich nicht um das Detail bekuͤmmerte, da er sie nur im Großen ansah, so wurden sie ihm nicht druͤckend und beschaͤftigten ihm nur die edelsten Faͤhigkeiten des Gei- nione Mastro Severino che lo vide aprire, dice che non è ve- nenato. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . stes. Grade darin, daß er ihnen nicht jeden Tag und alle Stunden widmete, mochte es fuͤr ihn liegen, daß er sie mit großer freier Uebersicht behandelte, daß er in allen Ver- wirrungen des Augenblicks die leitenden, den Weg vor- zeichnenden Gedanken im Auge behielt. Die vornehmste Richtung gab er doch immer selber an. In seinem letz- ten Moment trafen alle Bestrebungen seiner Politik in freu- digem Gelingen zusammen. Wir koͤnnen es sogar fuͤr ein Gluͤck halten, daß er dann starb. Es folgten andre Zei- ten, und es ist schwer zu glauben, daß er der Ungunst derselben einen gluͤcklichen Widerstand entgegengesetzt haben wuͤrde. Seine Nachfolger haben ihre ganze Schwere em- pfunden. Das Conclave zog sich sehr in die Laͤnge. „Herren,“ sagte einst der Cardinal Medici, den die Ruͤckkehr der Feinde seines Hauses nach Urbino und Perugia in Schrek- ken setzte, so daß er selbst fuͤr Florenz fuͤrchtete, „Herren,“ sagte er, „ich sehe daß von uns, die wir hier versammelt sind, Keiner Papst werden kann. Ich habe Euch drei oder vier vorgeschlagen, doch habt Ihr sie zuruͤckgewiesen: dieje- nigen, die Ihr in Vorschlag bringt, kann ich dagegen auch nicht annehmen. Wir muͤssen uns nach Einem umsehen, der nicht zugegen ist.“ Beistimmend fragte man ihn, wen er im Sinne habe. Nehmt, rief er aus, den Cardinal von Tortosa, einen ehrenwerthen bejahrten Mann, den man allgemein fuͤr heilig achtet Lettera di Roma a di 19 Zener. bei Sanuto. Medici . Es war Adrian von Ut- Unter Adrian VI. recht So nennt er sich in einem Briefe von 1514, den man in Caspar Burmannus: Adrianus VI. sive analecta historica de Adri- ano VI. p. 443 findet. In einheimischen Urkunden heißt er Mey- ster Aryaͤn Floriße van Utrecht. Neuere haben ihn zuweilen Boyens genannt, weil der Vater sich Floris Boyens schrieb, doch heißt das aber auch nur Bodewins Sohn, und ist kein Familienname. S. Burmann in den Anmerkungen zu Moringi Vita Adriani p. 2. , fruͤher Professor in Loͤwen, der Lehrer Carls V. , durch dessen persoͤnliche Zuneigung er zu dem Amt eines Governators von Spanien, zu der Wuͤrde eines Cardinals befoͤrdert worden war. Cardinal Cajetan, der sonst nicht zu der mediceischen Partei gehoͤrte, erhob sich, den Vorge- schlagenen zu loben. Wer haͤtte glauben sollen, daß die Cardinaͤle, von jeher gewohnt, ihren persoͤnlichen Vortheil bei einer Papstwahl in Anschlag zu bringen, auf einen Ent- fernten, einen Niederlaͤnder fallen wuͤrden, den die Wenig- sten kannten, von dem sich Keiner einen Vortheil ausbe- dingen konnte? Sie ließen sich von dem unerwarteten An- stoß, den sie empfingen, dazu fortreißen. Als es gesche- hen war, wußten sie selbst nicht recht, wie sie dazu gekom- men. Sie waren todt vor Schrecken, sagt einer unserer Berichterstatter. Man behauptet, sie haͤtten sich noch ei- nen Augenblick uͤberredet, er wuͤrde es nicht annehmen. Pasquin spottete ihrer: er stellte den Gewaͤhlten als Praͤ- ceptor dar: die Cardinaͤle als die Schulknaben, die er zuͤchtige. Einen wuͤrdigeren Mann hatte aber die Wahl lange nicht getroffen. Adrian war von durchaus unbescholtenem dubitando de li casi suoi, se la cosa fosse troppo ita in longo, deliberò mettere conclusione et havendo in animo que- sto c l ̱ e ̱. Dertusense, per esser imperialissimo — disse: etc. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Ruf; rechtschaffen, fromm, thaͤtig; sehr ernsthaft, man sah ihn nie anders als leise mit den Lippen laͤcheln: aber voll wohlwollender, reiner Absichten: ein wahrer Geistlicher Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco — in dem 33sten Bande des Sanuto schildern ihn folgendermaßen. Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est. Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur, jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse, quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse. In der Sammlung von Burmann steht ein Itinerarium Adriani von Ortiz, der den Papst begleitete und genau kannte. Er versi- sichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben. Ein Spiegel aller Tugenden sey er gewesen. . Welch ein Gegensatz, als er nun dort einzog, wo Leo so praͤchtig und verschwenderisch Hof gehalten. Es existirt ein Brief von ihm, in welchem er sagt: er moͤchte lieber in seiner Probstei zu Loͤwen Gott dienen, als Papst seyn An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522 bei Burmann p. 398. . In dem Vatican setzte er in der That sein Professorenleben fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu- fuͤhren, daß er sich sogar seine alte Aufwaͤrterin mitge- bracht hatte, die ihm, nach wie vor, seine haͤuslichen Be- duͤrfnisse besorgte. Auch in seiner sonstigen Lebensweise aͤnderte er nichts. Mit dem fruͤhesten Morgen stand er auf: las seine Messe: und ging dann in der gewohnten Ordnung an seine Geschaͤfte, seine Studien, die er nur mit dem einfachsten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht sagen, daß ihm die Bildung seines Jahrhunderts fremd gewesen sey; er liebte die niederlaͤndische Kunst, und schaͤtzte an der Gelehrsamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus Unter Adrian VI. bekennt, allein von ihm gegen die Angriffe der zelotischen Scholastiker vertheidigt worden zu seyn Erasmus sagt in einem seiner Briefe von ihm: licet scho- lasticis disciplinis faveret satis tamen aequus in bonas literas. Burm. p. 15. Jovius erzaͤhlt mit Behagen, wie viel ihm der Ruf eines scriptor annalium valde elegans bei Adrian geholfen, beson- ders da er kein Poet gewesen. . Nur die bei- nahe heidnische Richtung, der man sich damals zu Rom hingegeben, mißbilligte er: und von der Secte der Poeten wollte er nichts wissen. Niemand konnte ernstlicher wuͤnschen, als Adrian VI. , — er behielt seinen Namen bei — die Uebelstaͤnde zu hei- len, die er in der Christenheit antraf. Der Fortgang der tuͤrkischen Waffen, der Fall von Belgrad und Rhodus gab ihm noch einen besondern An- trieb, um auf die Herstellung des Friedens zwischen den christlichen Maͤchten zu denken. Wiewohl er der Lehrer des Kaisers gewesen, nahm er doch sofort eine neutrale Stellung an. Der kaiserliche Gesandte, der ihn bei dem neu ausbrechenden Kriege zu einer entscheidenden Erklaͤrung zu Gunsten seines Zoͤglings zu bewegen gehofft, mußte Rom unverrichteter Dinge verlassen Gradenigo: relatione nennt den Vicekoͤnig von Neapel. Girolamo Negro, von dem sich in den Lettere di principi T. I. einige ganz interessante Briefe uͤber diese Zeit finden, sagt p. 109 von Johann Manuel. „Se parti mezo disperato.“ . Als man dem Papst die Nachricht von der Eroberung von Rhodus vor- las, sah er zur Erde: er sagte kein Wort: er seufzte tief Negro aus der Erzaͤhlung des venezianischen Secretaͤrs. p. 110. . Die Gefahr von Ungarn war einleuchtend. Er fuͤrchtete Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . selbst fuͤr Italien und fuͤr Rom. Sein ganzes Bemuͤhen war, wenn nicht sogleich einen Frieden, doch zunaͤchst ei- nen Stillstand auf drei Jahr zu Stande zu bringen, um indessen einen allgemeinen Feldzug wider die Tuͤrken vor- zubereiten. Nicht minder war er entschlossen, den Forderungen der Deutschen entgegenzukommen. Ueber die Mißbraͤuche, die in der Kirche eingerissen waren, kann man sich nicht entschiedener ausdruͤcken, als er selbst es that. „Wir wis- sen,“ sagt er in der Instruction fuͤr den Nuntius Chiere- gato, den er an den Reichstag sendete, „daß eine geraume Zeit daher viel Verabscheuungswuͤrdiges bei dem heiligen Stuhle Statt gefunden hat; Mißbraͤuche in geistlichen Din- gen: Ueberschreitung der Befugnisse; alles ist zum Boͤsen verkehrt worden. Von dem Haupte ist das Verderben in die Glieder, von dem Papste uͤber die Praͤlaten ausgebrei- tet worden; wir sind alle abgewichen: es ist Keiner, der Gutes gethan, auch nicht einer.“ Er dagegen versprach nun alles, was einem guten Papst zukomme: die Tugendhaften und Gelehrten zu befoͤrdern, die Mißbraͤuche, wenn nicht auf einmal, doch nach und nach abzustellen; eine Refor- mation an Haupt und Gliedern, wie man sie so oft ver- langt hatte, ließ er hoffen Instructio pro te Francisco Cheregato etc. etc., unter andern bei Rainaldus Tom. XI, p. 363. . Allein nicht so leicht ist die Welt ins Gleiche zu setzen. Der gute Wille eines Einzigen, wie hoch er auch stehe, reicht dazu lange nicht hin. Zu tiefe Wurzeln pflegt Unter Adrian VI. der Mißbrauch zu schlagen: mit dem Leben selbst ist er verwachsen. Es fehlte viel, daß der Fall von Rhodus die Fran- zosen bewogen haͤtte, Frieden einzugehn: sie sahen vielmehr, daß dieser Verlust dem Kaiser eine neue Beschaͤftigung ge- ben werde, und faßten ihrerseits desto groͤßere Absichten wider ihn. Nicht ohne Mitwissen desjenigen Cardinals, dem Adrian noch am meisten vertrauete, knuͤpften sie Ver- bindungen in Sicilien an, und machten einen Anschlag auf diese Insel. Der Papst fand sich bewogen, zuletzt noch selbst einen Bund mit dem Kaiser einzugehen, der wesent- lich wider Frankreich gerichtet war. Auch den Deutschen war mit dem, was man sonst eine Reformation an Haupt und Gliedern genannt, nicht mehr zu helfen. Und selbst eine solche, wie schwer, fast unausfuͤhrbar war sie! Wollte der Papst bisherige Gefaͤlle der Curie aufhe- ben, in denen er einen Schein von Simonie bemerkte, so vermochte er das nicht, ohne die wohlerworbenen Rechte derjenigen zu kraͤnken, deren Aemter auf jene Ge- faͤlle gegruͤndet waren, Aemter, die sie in der Regel gekauft hatten. Beabsichtigte er eine Veraͤnderung in den Ehedispensen zu treffen, und etwa einige bisherige Verbote aufzuheben, so stellte man ihm vor, daß die Kirchendisciplin damit nur verletzt und geschwaͤcht werde. Um dem Unwesen des Ablasses zu steuern, haͤtte er gern die alten Buͤßungen wieder hergestellt; allein die Peniten- ziaria machte ihn aufmerksam, daß er alsdann Gefahr Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . laufe, indem er Deutschland zu behaupten suche, Italien zu verlieren In dem ersten Buche der historia del concilio Triden- tino von P. Sarpi Ausg. v. 1629 p. 23 findet man eine gute Auseinandersetzung dieser Lage der Dinge, entnommen aus einem Diario des Chieregato. . Genug bei jedem Schritte sah er sich von tausend Schwierigkeiten umgeben. Dazu kam, daß er sich zu Rom in einem fremden Element befand, das er schon darum nicht beherrschen konnte, weil er es nicht kannte, seine innern Lebenstriebe nicht verstand. Man hatte ihn mit Freuden empfangen: man erzaͤhlte sich, er habe bei 5000 erledigte Beneficien zu vergeben, und Jedermann machte sich Hoffnung. Nie- mals aber zeigte sich ein Papst hierin zuruͤckhaltender. Adrian wollte wissen, wen er versorge, wem er die Stel- len anvertraue: mit scrupuloͤser Gewissenhaftigkeit ging er hierin zu Werke Ortiz Itinerarium c. 28. c. 39, vorzuͤglich glaubwuͤrdig wie er sagt, cum provisiones et alia hujusmodi testis oculatus inspexerim. ; er taͤuschte unzaͤhlige Erwartungen. Der erste Beschluß seines Pontificates war gewesen, die Anwartschaften abzustellen, die man bisher auf geistliche Wuͤrden ertheilt hatte: selbst die, welche schon verliehen worden, hatte er zuruͤckgenommen. Es konnte nicht fehlen: als er diesen Beschluß in Rom publicirte, mußte er sich damit bittere Feindschaften in Menge zuziehen. Man hatte bisher an dem Hofe eine gewisse Freiheit des Re- dens, des Schreibens genossen: er wollte sie nicht fer- ner Unter Adrian VI. ner gestatten. Daß er bei der Erschoͤpfung der paͤpstlichen Kassen und dem wachsenden Beduͤrfniß einige neue Aufla- gen machte, fand man unertraͤglich von ihm, der so wenig aufwende. Alles ward mißvergnuͤgt Lettere di Negro. Capitolo del Berni: E quando un segue il libero costume Di sfogarsi scrivendo e di cantare Lo minaccia di far buttare in fiume. . Er empfand es wohl: es wirkte auf ihn zuruͤck. Den Italienern traute er noch weniger als bisher: die beiden Niederlaͤnder, de- nen er Einfluß gestattete, Enkefort und Hezius, jener sein Datar, dieser sein Secretaͤr, waren der Geschaͤfte und des Hofes nicht kundig; er selbst konnte sie unmoͤglich uͤberse- hen: auch wollte er noch immer studiren, nicht allein le- sen, sondern sogar schreiben; zugaͤnglich war er nicht sehr; die Sachen wurden aufgeschoben, in die Laͤnge gezogen, ungeschickt behandelt. So kam es denn, daß in den wichtigsten allgemeinen Angelegenheiten nichts ausgerichtet wurde. Der Krieg ging in Oberitalien wieder an. In Deutschland trat Luther aufs neue hervor. In Rom, das uͤberdieß von der Pest heimgesucht worden war, bemaͤchtigte sich ein allgemeines Mißvergnuͤgen der Gemuͤther. Adrian hat einmal gesagt: wie viel traͤgt es aus, in welche Zeiten auch der beste Mann faͤllt. Das ganze Ge- fuͤhl seiner Stellung ist in diesem schmerzlichen Ausruf ent- halten. Mit Recht hat man ihn auf seinem Denkmal in der deutschen Kirche zu Rom eingegraben. 7 Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Wenigstens ist es nicht allein der Persoͤnlichkeit Adrians zuzuschreiben, wenn seine Zeiten unfruchtbar an Erfolgen blieben. Das Papstthum war von großen weltbeherrschen- den Nothwendigkeiten umgeben, die auch einem, in den Geschaͤften desselben gewandteren, der Personen und der Mit- tel kundigeren Manne unendlich viel zu schaffen machen konnten. Unter allen Cardinaͤlen gab es Keinen, der fuͤr die Verwaltung des Papstthums geeigneter, dieser Last mehr gewachsen zu seyn geschienen haͤtte, als Julius Medici. Unter Leo hatte er schon den groͤßten Theil der Geschaͤfte, das ganze Detail in Haͤnden gehabt. Selbst unter Adrian hatte er einen gewissen Einfluß behauptet Relatione di Marco Foscari 1526 sagt von ihm in Bezug auf jene Zeiten: Stava con grandissima reputation e governava il papato et havia piu zente a la sua audientia cha il papa. . Dießmal ließ er sich die hoͤchste Wuͤrde nicht wieder entgehen. Er nannte sich Clemens VII. Mit vieler Sorgfalt vermied der neue Papst die Ue- belstaͤnde, die unter seinen beiden Vorgaͤngern hervorgetre- ten waren: die Unzuverlaͤssigkeiten, Vergeudungen und an- stoͤßigen Gewohnheiten Leo’s, so wie den Widerstreit in den sich Adrian mit den Richtungen seines Hofes einge- lassen hatte; es ging alles vernuͤnftig her; wenigstens an ihm selber nahm man nichts als Unbescholtenheit und Maͤ- ßigung wahr Vettori sagt, seit 100 Jahren sey kein so guter Mensch Papst ; die pontificalen Ceremonien wurden sorg- faͤltig vollzogen, die Audienzen unermuͤdlich von fruͤh bis Unter Clemens VII. Abend abgewartet; Wissenschaften und Kuͤnste in der Rich- tung, die sie nun einmal eingeschlagen hatten, befoͤrdert. Clemens VII. war selbst sehr wohl unterrichtet. Mit eben so viel Sachkunde, wie uͤber philosophische und theologi- sche Fragen, wußte er sich uͤber Gegenstaͤnde der Mechanik und Wasserbaukunst zu unterhalten. In allen Dingen zeigte er ungewoͤhnlichen Scharfsinn; er penetrirte die schwie- rigsten Angelegenheiten und sah ihnen bis auf den Grund; man konnte Niemand mit groͤßerer Gewandtheit discuriren hoͤren. Unter Leo hatte er sich in klugem Rath und um- sichtiger Ausfuͤhrung unuͤbertrefflich erwiesen. Allein erst im Sturme bewaͤhrt sich der Steuermann. Er uͤbernahm das Papstthum, wenn wir es auch nur als italienisches Fuͤrstenthum betrachten, in einer uͤberaus be- denklichen Lage. Die Spanier hatten zur Erweiterung und Behauptung des Kirchenstaates das Meiste beigetragen; sie hatten die Medici in Florenz hergestellt. In diesem Bunde mit den Paͤpsten, mit dem Hause Medici waren sie dann selber in Italien emporgekommen. Alexander VI. hatte ihnen das untere Italien eroͤffnet; Julius hatte sie nach dem mittlern gefuͤhrt; durch den mit Leo gemeinschaftlich unternomme- nen Angriff auf Mailand waren sie Herren in dem oberen geworden. Clemens selbst hatte hierzu nicht wenig beige- tragen. Es existirt eine Instruction von ihm fuͤr einen seiner Gesandten an dem spanischen Hofe, in der er die gewesen: non superbo non simoniaco non avaro non libidinoso, sobrio nel victo, parco nel vestire, religioso, devoto. 7* Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Dienste aufzaͤhlt, die er Carl V. und seinem Hause gelei- stet habe. Er vor allem habe bewirkt, daß Franz I. bei seiner ersten Ankunft nicht nach Neapel vorgedrungen; durch ihn sey es geschehn, daß Leo der Wahl Carls V. zum Kaiser nichts in den Weg gelegt, und die alte Constitu- tion, vermoͤge deren kein Koͤnig von Neapel zugleich Kai- ser seyn duͤrfe, aufgehoben habe; trotz aller Versprechun- gen der Franzosen habe er doch die Verbindung Leo’s mit Carl zur Wiedereroberung von Mailand befoͤrdert, und zu diesem Erfolg weder das Vermoͤgen seines Vaterlandes und seiner Freunde, noch seine eigene Person gespart; er habe Adrian VI. das Papstthum verschafft, und damals habe es fast kein Unterschied zu seyn geschienen, ob man Adrian oder den Kaiser selbst zum Papst mache Instruttione al Card. reverend m ̱ o ̱. di Farnese, che fu poi Paulo III., quandò andò legato all Imperatore Carlo V. doppo il sacco di Roma. Eigene Sammlung. . Ich will nicht untersuchen, wie viel von der Politik Leo’s X. dem Rathgeber und wie viel dem Fuͤrsten angehoͤrt; ge- wiß ist es, daß Cardinal Medici immer auf Seiten des Kaisers war. Auch nachdem er Papst geworden, unter- stuͤtzte er die kaiserlichen Truppen mit Geld, Lebensmitteln und der Gewaͤhrung geistlicher Gefaͤlle; noch einmal ver- dankten sie ihren Sieg zum Theil seiner Unterstuͤtzung. So enge war Clemens mit den Spaniern verbuͤn- det; wie es aber nicht selten geschieht, in den Erfolgen ih- res Bundes traten ungemeine Uebelstaͤnde hervor. Die Paͤpste hatten den Fortgang der spanischen Macht veranlaßt, doch niemals eigentlich beabsichtigt. Sie hat- Unter Clemens VII. ten Mailand den Franzosen entreißen, an die Spanier hat- ten sie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des- halb mehr als ein Krieg gefuͤhrt worden, um Mailand und Neapel nicht an den nehmlichen Besitzer fallen zu lassen Es heißt in jener Instruction ausdruͤcklich: der Papst habe sich auch zu dem, was ihm mißfaͤllig, bereit gezeigt: purchè lo stato di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte le guerre d’Italia. ; daß nun die Spanier, schon so lange Meister von Unter- italien, sich in der Lombardei taͤglich fester setzten, daß sie die Belehnung des Sforza verzoͤgerten, empfand man zu Rom mit Ungeduld und Widerwillen. Clemens war auch persoͤnlich mißvergnuͤgt: aus jener Instruction sehen wir, daß er schon als Cardinal oft nicht nach seinem Verdienste beruͤcksichtigt worden zu seyn glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus- druͤcklich wider seinen Rath unternahm man den Angriff auf Marseille im Jahre 1524. Seine Minister — sie sa- gen es selbst — erwarteten immer groͤßere Mißachtung des apostolischen Stuhles; sie nahmen in den Spaniern nichts als Herrschsucht und Insolenz wahr M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere di principi I, 197 b. . Wie sehr schien Clemens durch den bisherigen Gang der Dinge, und seine persoͤnliche Stellung, mit den Banden der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge- bunden zu seyn! Nunmehr stellten sich ihm tausend Gruͤnde dar, die Macht zu verwuͤnschen, die er gruͤnden helfen, sich eben denen zu widersetzen, die er bisher beguͤnstigt und befoͤrdert hatte. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Von allen politischen Unternehmungen ist es vielleicht die schwerste, eine Linie zu verlassen, auf der man sich bis- her bewegt, Erfolge ruͤckgaͤngig zu machen, die man selber hervorgerufen. Und wie viel kam dießmal darauf an! Die Italie- ner fuͤhlten ganz, daß es eine Entscheidung auf Jahrhun- derte galt. Es hatte sich in der Nation ein großes Ge- meingefuͤhl hervorgethan. Ich glaube wohl, daß die li- terarisch-kuͤnstlerische Ausbildung, so weit hervorragend uͤber alles, was andere Nationen leisteten, dazu das Meiste beitrug. Auch zeigte sich die Hoffart und Habgier der Spanier, der Anfuͤhrer so gut wie der Gemeinen, wahr- haft unertraͤglich. Es war eine Mischung von Verachtung und Ingrimm, mit der man diese fremdgeborenen halbbarba- rischen Herrscher im Lande sah. Noch lagen die Dinge so, daß man sich ihrer vielleicht entledigen konnte. Aber man mußte sich nicht verbergen: wenn man es nicht mit allen nationalen Kraͤften unternahm, wenn man unterlag, so war man auf immer verloren. Ich wuͤnschte wohl, die Entwickelung dieser Periode, in ihrer Fuͤlle, den ganzen Kampf der aufgeregten Kraͤfte ausfuͤhrlich darstellen zu koͤnnen. Hier duͤrfen wir nur einige Hauptmomente desselben begleiten. Man begann damit, und es schien uͤberaus wohl aus- gesonnen, daß man im Jahre 1525 den besten General des Kaisers, der allerdings sehr mißvergnuͤgt war, an sich zu ziehen suchte. Was brauchte man weiter, wenn man, wie man hoffte, dem Kaiser mit dem General die Armee entzog, durch die er Italien beherrschte. Man ließ es an Unter Clemens VII. Versprechungen nicht fehlen, selbst eine Krone sagte man zu. Allein wie falsch war doch die Rechnung! wie schei- terte die ihrer Feinheit sich bewußte Klugheit an dem sproͤ- den Stoffe, auf den sie stieß, so gaͤnzlich! Dieser Ge- neral, Pescara, war zwar in Italien geboren, aber aus spanischem Gebluͤt; er sprach nur spanisch; er wollte nichts seyn als ein Spanier; an der italienischen Cultur hatte er keinen Theil; seine Bildung verdankte er den spanischen Romanen, die nichts als Loyalitaͤt und Treue athmen. Einer national italienischen Unternehmung war er von Na- tur entgegen Vettori haͤlt ihm die schlechteste Lobrede von der Welt. Era superbo oltre modo invidioso ingrato avaro venenoso e crudele senza religione, senza humanità, nato proprio per distruggere l’Ita- lia. Auch Morone sagte einmal Guiccardini’n, es gebe keinen treu- loseren boshafteren Menschen als Pescara sey ( Hist. d’Italia XVI, 476) und machte ihm doch den Antrag. Ich fuͤhre diese Urtheile nicht an, als ob sie wahr seyen: sie zeigen nur, daß Pescara ge- gen die Italiener nur Feindseligkeit und Haß hatte blicken lassen. . Kaum hatte man ihm den Antrag ge- macht, so zeigte er ihn seinen Cameraden, er zeigte ihn dem Kaiser an; er benutzte ihn nur, um die Italiener aus- zuforschen und alle ihre Plaͤne zu hintertreiben. Eben hierdurch aber — denn wie haͤtte nicht alles gegenseitige Vertrauen nunmehr vollends verschwinden sol- len — ward ein entscheidender Kampf mit dem Kaiser ganz unvermeidlich. Im Sommer 1526 sehen wir endlich die Italiener mit eigenen Kraͤften ans Werk gehen. Die Mailaͤnder sind bereits im Aufstand wider die Kaiserlichen. Ein ve- nezianisches und ein paͤpstliches Heer ruͤcken heran, um ih- Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . nen beizustehen. Man hat das Versprechen schweizerischer Huͤlfe: man ist im Bunde mit Frankreich und England. „Dießmal,“ sagt der vertrauteste Minister Clemens VII. , Giberto, „gilt es nicht eine kleinliche Rache, einen Ehren- punkt, eine einzelne Stadt; — dieser Krieg entscheidet die Befreiung oder die ewige Sklaverei von Italien.“ Er zwei- felt nicht an dem gluͤcklichen Ausgange. „Die Nachkom- men werden neidisch seyn, daß sie nicht in unsere Zeiten gefallen, um ein so großes Gluͤck erlebt, daran Theil ge- nommen zu haben.“ Er hofft, man werde der Fremden nicht beduͤrfen. „Unser allein wird der Ruhm, die Frucht um so suͤßer seyn“ G. M. Giberto al Vescovo di Veruli. Lettere di prin- cipi I, p. 192 a. . In diesen Gedanken und Hoffnungen unternahm Cle- mens seinen Krieg wider die Spanier Auch Foscari sagt: Quello fa a presente di voler far lega con Francia, fa per ben suo e d’Italia non perchè ama Francesi. . Es war sein kuͤhnster und großartigster, ungluͤcklichster, verderblichster Gedanke. Auf das engste sind die Sachen des Staats und der Kirche verflochten. Der Papst schien die deutschen Bewe- gungen ganz außer Acht gelassen zu haben. In diesen zeigte sich die erste Ruͤckwirkung. In dem Moment, daß die Truppen Clemens VII. in Oberitalien vorruͤckten, hatte sich der Reichstag zu Speier versammelt, um uͤber die kirchlichen Irrungen einen de- finitiven Beschluß zu fassen. Daß die kaiserliche Partei, Unter Clemens VII. daß Ferdinand von Oestreich, der des Kaisers Stelle ver- trat, in einem Augenblick, in welchem sie jenseits der Al- pen von dem Papst auf das ernstlichste angegriffen waren, — Ferdinand selbst hegte eine Absicht auf Mailand — diesseit derselben die paͤpstliche Gewalt aufrecht zu erhalten sich sehr angelegen lassen seyn sollten, laͤuft voͤllig wider die Natur der Dinge. Was man auch fruͤher beabsichtigt, angekuͤndigt haben mochte Die Instructionen des Kaisers, die den Protestanten einige Furcht einfloͤßten, sind vom Maͤrz 1526, einer Zeit, in welcher sich der Papst noch nicht mit Frankreich verbuͤndet hatte. , durch den offenen Krieg, in den man mit dem Papst gerathen war, fielen alle Ruͤck- sichten weg, die man fuͤr ihn haben konnte. Niemals aͤußerten sich die Staͤdte freier; niemals drangen die Fuͤrsten ernstlicher auf eine Erledigung ihrer Beschwer- den: man hat den Antrag gemacht, die Buͤcher, in denen die neueren Satzungen enthalten, lieber geradezu zu verbren- nen, und nur die heilige Schrift zur Regel zu nehmen; obwohl sich ein gewisser Widerstand regte, so wurde doch niemals ein selbststaͤndigerer Beschluß gefaßt. Ferdinand unterzeichnete einen Reichsabschied, kraft dessen es den Staͤnden freigestellt ward, sich in Sachen der Religion so zu verhalten, wie es ein Jeder gegen Gott und den Kai- ser zu verantworten gedenke, d. i. nach seinem Ermessen zu verfahren. Ein Beschluß, in welchem des Papstes auch nicht einmal gedacht wird, der als der Anfang der eigent- lichen Reformation, der Einrichtung einer neuen Kirche in Deutschland betrachtet werden kann. In Sachsen, Hessen und den benachbarten Laͤndern nahm sie sofort ihren An- Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . fang. Die protestantische Partei bekam dadurch eine un- gemeine Foͤrderung: ihre legale Existenz gruͤndete sich darauf. Wir duͤrfen sagen, daß diese Stimmung von Deutsch- land auch fuͤr Italien entscheidend wurde. Es fehlte viel, daß die Italiener saͤmmtlich fuͤr ihre große Unternehmung begeistert, daß nur diejenigen, die an derselben Theil nah- men, unter einander einig gewesen waͤren. Der Papst, so geistreich, so italienisch gesinnt er auch seyn mochte, war doch kein Mann, wie ihn das Schicksal fordert, um von ihm gefesselt zu werden. Sein Scharfsinn schien ihm zu- weilen zu schaden. Mehr als gut ist, schien er zu wissen daß er der schwaͤchere war; alle Moͤglichkeiten, die Gefah- ren von allen Seiten stellten sich ihm dar und verwirrten ihn. Es giebt eine praktische Erfindungsgabe, die in den Geschaͤften das Einfache wahrnimmt, das Thunliche oder Rathsame mit Sicherheit ergreift. Er besaß sie nicht Suriano Rel. di 1533 findet in ihm „core frigidissimo: el quale fa, la Beat n ̱ e ̱. S. esser dotata di non vulgar timidita, non diro pusillanimità. II che pero parmi avere trovato comu- nemente in la natura fiorentina. Questa timidità causa che S. Sà. è molto irresoluta.“ — — . In den wichtigsten Momenten sah man ihn zaudern, schwanken, auf Geldersparniß denken. Da ihm nun auch seine Verbuͤndeten nicht Wort hielten, so war es zu den Erfol- gen, die man gehofft, bei weitem nicht gekommen, und noch immer hielten sich die Kaiserlichen in der Lombardei, — als im Nov. 1526 Georg Frundsberg mit einem stattlichen Heer von Landsknechten die Alpen uͤberstieg, um diesen Unter Clemens VII. Kampf zu Ende zu bringen. Sie waren saͤmmtlich lutherisch gesinnt, er und seine Leute. Sie kamen den Kaiser am Papst zu raͤchen. Dessen Bundesbruͤchigkeit hatte man ihnen als die Ursache alles Unheils, des fortdauernden Krieges der Christenheit, und des Gluͤckes der Osmanen, die ebenda- mals Ungarn uͤberwanden, dargestellt. „Komm’ ich nach Rom,“ sagte Frundsberg, „so will ich den Papst henken.“ Mit Besorgniß sieht man das Ungewitter aufsteigen, den Horizont einnehmen und heranziehen. Dieses Rom, so voll es mag seyn von Lastern, aber nicht minder von edlem Bestreben, Geist und Bildung, productiv, geschmuͤckt mit unuͤbertrefflichen Kunstwerken, wie sie die Welt nicht wieder hervorgebracht, einem Reichthum, durch das Ge- praͤge des Geistes geadelt, und von lebendiger Fortwir- kung, ist von dem Verderben bedroht. Wie sich die Mas- sen der Kaiserlichen gesammelt, zerstieben vor ihnen die ita- lienischen Schaaren: die einzige Armee, die es noch giebt, folgt ihnen von ferne. Der Kaiser, der sein Heer schon lange nicht bezahlen koͤnnen, vermag ihm, wenn er auch will, keine andere Richtung zu geben. Es zieht einher unter den kaiserlichen Fahnen, doch folgt es seinem eige- nen stuͤrmischen Antriebe. Der Papst hofft noch, unter- handelt, fuͤgt sich, schließt ab: aber das einzige Mittel, das ihn retten kann — das Heer mit dem Gelde zu befriedi- gen, das es fordern zu duͤrfen glaubt — will er oder kann er nicht ergreifen. Wird man sich dann wenigstens mit den Waffen, die man hat, dem Feinde ernstlich entgegen- setzen? Viertausend Mann haͤtten hingereicht, die Paͤsse von Toscana zu schließen; jedoch macht man nicht ein- Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . mal den Versuch dazu. Rom zaͤhlte vielleicht 30000 waf- fenfaͤhige Maͤnner; viele von ihnen hatten den Krieg ge- sehn: sie gingen mit Schwertern an den Seiten, schlugen sich unter einander, und vermaßen sich hoher Dinge. Aber um dem Feinde, der die gewisse Zerstoͤrung brachte, zu wi- derstehen, brachte man aus der Stadt nie uͤber 500 Mann zusammen. Der erste Angriff uͤberwand den Papst und seine Macht. Am 6. Mai 1527, zwei Stunden vor Sonnen- untergang, drangen die Kaiserlichen in Rom ein. Der alte Frundsberg war nicht mehr bei ihnen; als er einst bei einem Auflauf den gewohnten Gehorsam nicht fand, war er vom Schlag geruͤhrt worden und krank zuruͤckge- blieben. Bourbon, der das Heer so weit gefuͤhrt, war beim ersten Anlegen der Sturmleiter umgekommen; von keinem Anfuͤhrer in Zaum und Maͤßigung gehalten, ergoß sich der blutduͤrstige, durch lange Entbehrungen verhaͤrtete, von seinem Handwerk verwilderte Soldat uͤber die Stadt. Nie fiel eine reichere Beute einer gewaltsameren Truppe in die Haͤnde; nie gab es eine laͤngere, anhaltendere, verderb- lichere Pluͤnderung Vettori: La uccisione non fu molta, perchè rari si uc- eidono quelli che non si vogliono difendere, ma la preda fu inestimabile in danari contanti, di gioie, d’oro e d’argento lavo- rato, di vestiti, d’arazzi, paramenti di casa, mercantie d’ogni sorte e di taglie. Nicht der Papst sey an dem Ungluͤck Schuld: es habe an den Einwohnern gelegen: superbi, avari, homicidi, in- vidiosi, libidinosi e simulatori nennt er sie, solch’ eine Bevoͤlke- rung koͤnne sich nicht halten. . Der Glanz von Rom erfuͤllt den Anfang des 16ten Jahrhunderts; er bezeichnet eine bewun- derungswuͤrdige Periode menschlicher Geistesentwickelung; mit diesem Tage ging sie zu Ende. Unter Clemens VII. Und so sah sich der Papst, der Italien befreien wol- len, in der Engelsburg belagert und gleichsam gefangen. Wir koͤnnen sagen: durch diesen großen Schlag war das Uebergewicht der Spanier in Italien unwiderruflich be- gruͤndet. Ein neuer Angriff der Franzosen, vielversprechend im Anfang, mißlang doch zuletzt vollstaͤndig: sie bequemten sich, auf alle ihre italienischen Anspruͤche Verzicht zu leisten. Nicht minder wichtig ward ein anderes Ereigniß. Noch ehe Rom erobert worden, als man nur sah, daß Bourbon den Weg dahin genommen, hatten zu Florenz die Feinde der Medici die Verwirrungen des Augenblicks benutzt und das Haus des Papstes aufs neue verjagt. Fast noch schmerzlicher empfand Clemens den Abfall seiner Vaterstadt, als die Einnahme von Rom. Mit Verwun- derung bemerkte man, daß er nach so schweren Beleidigun- gen doch wieder mit den Kaiserlichen anknuͤpfte. Es kam daher, weil er in der Huͤlfe der Spanier das einzige Mit- tel sah, seine Verwandten, seine Partei nach Florenz zu- ruͤckzufuͤhren. Es schien ihm besser, die Uebermacht des Kaisers, als die Widersetzlichkeit seiner Rebellen zu dulden. Je schlechter es den Franzosen ging, desto mehr naͤherte er sich den Spaniern. Als jene endlich voͤllig geschlagen waren, schloß er mit diesen seine Abkunft zu Barcelona; so ganz aͤnderte er seine Politik, daß er sich der nemlichen Armee, die Rom vor seinen Augen erobert und ihn so lange belagert gehalten, daß er sich dieser, die nur ver- juͤngt und erneuert worden, nunmehr selber bediente, um sich seine Vaterstadt wieder zu unterwerfen. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Seitdem war Carl maͤchtiger in Italien, als seit vie- len Jahrhunderten ein anderer Kaiser. Die Krone, die er zu Bologna empfing, hatte einmal wieder ihre volle Be- deutung. Mailand gehorchte ihm allmaͤhlig nicht weni- ger als Neapel; auf Toscana hatte er eben deshalb, weil er die Medici in Florenz hergestellt, sein Lebenlang unmit- telbaren Einfluß; die uͤbrigen schlossen sich an oder fuͤg- ten sich; zugleich mit den Kraͤften von Spanien und von Deutschland, von dem suͤdlichen Meer und den Alpen her, mit siegreichen Waffen und den Rechten des Kaiserthums hielt er Italien in Unterwerfung. Dahin fuͤhrte der Gang der italienischen Kriege. Seit- dem haben die auswaͤrtigen Nationen nicht aufgehoͤrt, in Italien zu regieren. Betrachten wir noch, wie die religioͤ- sen Irrungen sich entwickelten, die mit den politischen so genau zusammenhaͤngen. Wenn der Papst sich darin ergab, rings um sich her die Spanier maͤchtig zu sehen, so hoffte er wenigstens durch diesen gewaltigen Kaiser, den man ihm katholisch und devot schilderte, seine Autoritaͤt in Deutschland herge- stellt zu sehn. Gleich ein Artikel des Friedens von Bar- celona enthielt dieß. Der Kaiser versprach, aus allen sei- nen Kraͤften die Reduction der Protestanten zu befoͤrdern. Auch schien er dazu entschlossen. Den protestantischen Ge- sandten, die ihn in Italien aufsuchten, gab er eine sehr ungnaͤdige Antwort. An seine Reise nach Deutschland, im Unter Clemens VII. Jahre 1530, knuͤpften einige Mitglieder der Curie, beson- ders der Legat, den man ihm mitgegeben, Cardinal Cam- peggi, kuͤhne und fuͤr unser Vaterland hoͤchst gefaͤhrliche Entwuͤrfe. Es existirt eine Eingabe von ihm an den Kaiser, zur Zeit des Reichstages von Augsburg, in der er sie aus- spricht. Mit Widerwillen und ungern, aber der Wahrheit zur Steuer, muß ich von derselben ein Wort sagen. Cardinal Campeggi begnuͤgte sich nicht, die religioͤsen Verwirrungen zu beklagen; er bemerkte besonders die po- litischen Folgen: wie in den Reichsstaͤdten der Adel durch die Reformation herabgekommen, wie weder ein geistlicher noch selbst ein weltlicher Fuͤrst rechten Gehorsam mehr finde, sogar auf die Majestaͤt des Kaisers nehme man keine Ruͤcksicht mehr. Er giebt dann an, wie man dem Uebel begegnen koͤnne. Nicht sehr tief liegt das Geheimniß seiner Mittel. Es bedarf nichts, meint er, als daß ein Bund zwischen dem Kaiser und den wohlgesinnten Fuͤrsten geschlossen werde; hierauf versucht man die Abgeneigten umzustimmen, mit Versprechungen oder mit Drohungen: was thut man aber wenn sie hartnaͤckig bleiben? Man hat das Recht, „diese giftigen Pflanzen mit Feuer und Schwert zu vertilgen Se alcuni ve ne fossero che dio nol voglia, li quali ob- stinatamente perseverassero in questa diabolica via quella (S. M.) potrà mettere la mano al ferro et al foco, et radicitus ex- tirpare questa mala venenosa pianta. .“ Die Hauptsache ist, daß man ihre Guͤter einzieht, welt- liche und geistliche, in Deutschland so gut, wie in Ungarn Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . und Boͤhmen. Denn gegen Ketzer ist dieß Rechtens. Ist man ihrer nur erst Herr geworden, so setzt man heilige Inquisitoren ein, die ihren Ueberresten nachspuͤren, die wi- der sie verfahren, wie man in Spanien wider die Mar- ranen verfaͤhrt. Ueberdieß wird man die Universitaͤt Wit- tenberg in Bann thun, und die, welche daselbst studirt, kaiserlicher und paͤpstlicher Gnaden fuͤr unwuͤrdig erklaͤren, die Buͤcher der Ketzer wird man verbrennen; die ausgetre- tenen Moͤnche in ihre Kloͤster zuruͤckschicken, an keinem Hofe einen Irrglaͤubigen dulden. Zuerst aber ist eine mu- thige Execution nothwendig. „Auch wenn Ew. Majestaͤt,“ sagt der Legat, „sich nur an die Oberhaͤupter haͤlt, kann sie denselben eine große Summe Geldes entreißen, die oh- nehin wider die Tuͤrken unentbehrlich ist.“ So lautet dieser Entwurf Einen solchen Entwurf wagte man eine Instruction zu nen- ner. Instructio data Caesari a reverend m ̱ o ̱. Campeggio in dieta Augustana 1530. Ich fand ihn in einer roͤmischen Bibliothek in gleichzeitigen Schriftzuͤgen, uͤber alle Zweifel erhaben. : das sind seine Grund- saͤtze. Wie athmet jedes Wort Unterdruͤckung, Blut und Beraubung! Man kann sich nicht wundern, wenn man in Deutschland von einem Kaiser, der unter solchem Ge- leite eintraf, das Aeußerste erwartete, und die Protestan- ten uͤber den Grad der Nothwehr, der ihnen rechtlich ver- stattet sey, zu Rathe gingen. Gluͤcklicherweise standen die Sachen anders, als daß der Versuch einer solchen Unternehmung zu fuͤrchten gewe- sen waͤre. So maͤchtig war der Kaiser bei weitem nicht, um dieß Unter Clemens VII. dieß ausfuͤhren zu koͤnnen. Erasmus hat es gleich damals uͤberzeugend auseinandergesetzt. Allein waͤre er es auch gewesen, so haͤtte er schwer- lich den Willen dazu gehabt. Er war von Natur eher gutmuͤthig, bedaͤchtig, voll Nachdenken und langsam, als das Gegentheil. Je naͤher er diese Irrungen in das Auge faßte, desto mehr beruͤhr- ten sie eine Ader seines eigenen Geistes. Gleich seine An- kuͤndigung des Reichstages lautete dahin, daß er die verschiedenen Meinungen hoͤren, erwaͤgen und zu einer eini- gen, christlichen Wahrheit zu bringen suchen wolle: von jenen gewaltsamen Absichten war er weit entfernt. Auch wer sonst an der Reinheit menschlicher Gesin- nung zu zweifeln gewohnt ist, kann dieß nicht in Abrede stellen: es waͤre Carls Vortheil nicht gewesen, sich der Ge- walt zu bedienen. Sollte er, der Kaiser, sich zum Executor paͤpstlicher Decrete machen? sollte er dem Papst, und nicht allein dem damaligen, sondern jedem kuͤnftigen, die Feinde unterwer- fen, die demselben am meisten zu schaffen machen mußten? Hierzu war er der Freundschaft der paͤpstlichen Gewalt doch bei weitem nicht sicher genug. Vielmehr lag in den Verhaͤltnissen ein Vortheil fuͤr ihn, ungesucht, natuͤrlich, den er nur zu ergreifen brauchte, um zu einer noch unbedingteren Superioritaͤt zu gelangen, als er sie bereits besaß. Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht untersu- chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine Kirchenversammlung im Stande seyn werde, so große Ir- 8 Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . rungen beizulegen. Auch deshalb hatten sich die Conci- lien in Credit erhalten, weil die Paͤpste einen natuͤrlichen Widerwillen dagegen zeigten; alle Oppositionen erhoben von jeher diesen Ruf. Im Jahre 1530 ging Carl ernstlich auf diesen Gedanken ein. Er versprach ein Concilium in einer bestimmten kurzen Frist. Hatten die Fuͤrsten schon lange in ihren Verwickelun- gen mit dem paͤpstlichen Stuhle nichts so sehr gewuͤnscht, als einen geistlichen Ruͤckhalt, so bekam Carl in einem Concilium, unter diesen Umstaͤnden versammelt, den ge- waltigsten Verbuͤndeten. Auf seine Veranlassung waͤre es zusammengetreten, unter seinem Einfluß gehalten worden, er haͤtte die Beschluͤsse desselben zu exequiren bekommen. Nach zwei Seiten hin wuͤrden diese gegangen seyn: eben so gut den Papst, wie dessen Gegner wuͤrden sie betroffen haben: der alte Gedanke einer Reformation an Haupt und Glie- dern waͤre zur Ausfuͤhrung gekommen: welch ein Ueberge- wicht mußte dieß der weltlichen Macht, vor allem dem Kaiser selber verschaffen! Es war vernuͤnftig; es war, wenn man will, unver- meidlich, aber es war zugleich sein großes Interesse. Dem Papst dagegen und seinem Hof konnte nichts Bedenklicheres begegnen. Ich finde, daß bei der ersten ernstlichen Erwaͤhnung eines Conciliums der Preis der saͤmmtlichen kaͤuflichen Aemter des Hofes um ein bedeu- tendes fiel Lettera anonima all’ Arcivescovo Pimpinello (Lettere di principi III, 5.): „Gli ufficii solo con la fama del concilio sono . Man sieht, welche Gefahr darin fuͤr den ganzen Zustand zu liegen schien, in dem man sich befand. Unter Clemens VII. Aber uͤberdieß hatte Clemens VII. auch persoͤnliche Ruͤcksichten: daß er nicht von gesetzmaͤßiger Geburt, daß er nicht auf ganz reinem Wege zu der hoͤchsten Wuͤrde em- porgestiegen war, und sich von persoͤnlichen Zwecken hatte bestimmen lassen, gegen sein Vaterland mit den Kraͤften der Kirche einen kostspieligen Krieg zu fuͤhren, alles Dinge, die einem Papst hoch angerechnet werden mußten, floͤßte ihm eine gerechte Furcht ein; schon der Erwaͤhnung eines Conciliums, sagt Soriano, wich Clemens so weit als moͤg- lich aus. Obwohl er den Vorschlag nicht gradezu verwarf, — schon um der Ehre des paͤpstlichen Stuhles willen durfte er es nicht — so kann man doch nicht zweifeln, mit wel- chem Herzen er darauf einging. Ja er giebt nach: er fuͤgt sich: aber auf das staͤrkste fuͤhrt er zugleich die Gegengruͤnde aus; alle Schwierigkei- ten und Gefahren, die mit einem Concilium verknuͤpft seyen, stellt er auf das lebhafteste dar: den Erfolg findet er mehr als zweifelhaft Z. B. all’ imperatore: di man propria di Papa Clemente. Lettere di principi II, 197. Al contrario nessun (remedio) è piu pericoloso e per partorir maggiori mali (del concilio) quando non concorrono le debite circonstanze. . Dann macht er Bedingungen einer Mitwirkung aller andern Fuͤrsten, einer vorlaͤufigen Unterwerfung der Protestanten, die sich zwar im Systeme der paͤpstlichen Doctrin hoͤren lassen, aber bei der Lage der allgemeinen Verhaͤltnisse nimmermehr zu erfuͤllen sind. Wie inviliti tanto, che non se ne trovano danari.“ Ich sehe, auch Pallavicini citirt diesen Brief III, 7, 1; ich weiß nicht, wie er dazu kommt, ihn dem Sanga zuzuschreiben. 8* Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . waͤre es von ihm zu erwarten gewesen, daß er in der vom Kaiser gesetzten Frist nicht allein scheinbar und mit De- monstrationen, sondern ernstlich und entschlossen ans Werk gegangen waͤre? Oft hat ihm Carl vorgeworfen, diese seine Zoͤgerung sey an allem weitern Unheil Schuld. Ohne Zwei- fel hoffte er, der Nothwendigkeit, die uͤber ihm schwebte, noch zu entgehen. Aber gewaltig hielt sie ihn fest. Als Carl im Jahre 1533 wieder nach Italien kam, noch erfuͤllt von dem, was er in Deutschland gesehen und entworfen, drang er muͤnd- lich — er hielt mit dem Papst einen Congreß zu Bologna — und mit erneuerter Lebhaftigkeit auf das Concilium, das er so oft schriftlich gefordert hatte. Die verschiedenen Meinungen begegneten sich unmittelbar: der Papst blieb bei seinen Bedingungen stehen; der Kaiser stellte ihm die Unmoͤglichkeit ihrer Erfuͤllung vor. Sie konnten sich nicht vereinigen. In den Breves, die uͤber diese Sache erlas- sen wurden, nimmt man sogar eine gewisse Verschieden- heit wahr. In den einen schloß sich der Papst mehr als in den andern der Meinung des Kaisers an. Aber wie dem auch sey, er mußte zu einer erneuerten Ankuͤndi- gung schreiten Ueber die Verhandlungen zu Bologna findet man in einem der besten Capitel des Pallavicini, lib. III, c. XII gute Nachricht, — gezogen aus dem vaticanischen Archiv. Er beruͤhrt jene Verschie- denheit, und erzaͤhlt, daß sie auf ausdruͤcklicher Verhandlung be- ruhe. In der That finden wir in dem Schreiben an die katholi- schen Staͤnde bei Rainaldus XX, 659, Hortleder I, XV, die Be- dingung einer allgemeinen Theilnahme wiederholt; der Papst ver- spricht, uͤber den Erfolg seiner Bemuͤhungen zu berichten; in den Punkten, die den Protestanten vorgelegt wurden, heißt es dagegen . Wollte er sich nicht ganz verblenden, Unter Clemens VII. so durfte er nicht zweifeln, daß es bei der Ruͤckkunft des Kaisers, der nach Spanien gegangen, nicht mehr bei blo- ßen Worten sein Bewenden haben: daß jene Gefahr, die er fuͤrchtete und die ein Concilium unter diesen Umstaͤnden fuͤr den roͤmischen Stuhl in der That mit sich fuͤhrte, uͤber ihn hereinbrechen werde. Es war eine Lage, in der der Inhaber einer Gewalt, welche sie auch seyn mag, wohl entschuldigt werden kann, wenn er einen entscheidenden Entschluß ergreift, sich sicher zu stellen. Schon war der Kaiser politisch so uͤbermaͤchtig. Wenn gleich sich der Papst hierfuͤr resignirt hatte, so mußte er doch oft fuͤhlen, wohin er gekommen war. Daß Carl V. die alten Streitigkeiten der Kirche mit Ferrara zu Gunsten des letztern entschied, beleidigte ihn tief; er nahm es so hin, aber unter seinen Freunden beklagte er sich. Wie viel druͤckender war es aber, wenn nun dieser Fuͤrst, von dem man die unverweilte Unterwerfung der Pro- testanten gehofft hatte, statt dessen, sich vielmehr auf den Grund der ausgebrochenen Irrungen auch zu einem kirch- lichen Uebergewicht erhob, wie man es seit Jahrhunderten nicht mehr kannte, wenn er auch das geistliche Ansehn des roͤmischen Stuhles in Gefahr setzte! Sollte Clemens er- leben, ganz und gar in die Haͤnde desselben zu gerathen, und seinem Gutbefinden uͤberlassen zu seyn? Noch dort in Bologna faßte er seinen Entschluß. Artikel 7 ausdruͤcklich: quod si forsan aliqui principes velint tam pio negotio deesse, nihilominus summus D s n r procedet cum saniori parte consentiente. Es scheint doch als ob diese Verschie- denheit es sey, welche Pallavicini im Sinne hat, obwohl er noch eine andere Abweichung meldet. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Schon oͤfter hatte Franz I. dem Papst Buͤndniß und Bluts- verwandtschaft angetragen. Clemens hatte es immer abge- lehnt. In der Bedraͤngniß, in der er sich jetzt sah, ging er darauf ein. Man versichert uns ausdruͤcklich, der ei- gentliche Grund, daß Clemens dem Koͤnige von Frankreich wieder Gehoͤr schenkte, sey die Forderung des Conciliums gewesen Soriano Relatione 1535. II Papa andò a Bologna con- tra sua voglia e quasi sforzato, come di buon logo ho inteso e fu assai di ciò evidente segno, che S. S à. ̱ consumò di giorni cento in tale viaggio, il quale potea far in sei di. Considerando dunque Clemente questi tali casi suoi e per dire cosi la ser- vitu nella quale egli si trovava per la materia del concilio la quale Cesare non lasciava di stimolare cominciò a rendersi piu facile al christianissimo. E quivi si trattò l’andata di Marsilia et in- sieme la pratica del matrimonio, essendo gia la nipote nobile et habile. Fruͤher haͤtte der Papst ihre Herkunft und ihr Alter zum Vorwand seiner Ausfluͤchte genommen. . Was dieser Papst rein-politischer Zwecke halber viel- leicht nie wieder versucht haͤtte, das Gleichgewicht der bei- den großen Maͤchte herzustellen, und ihnen eine gleiche Gunst zu widmen, dazu entschloß er sich in Betracht der kirchlichen Gefahren, denen er ausgesetzt war. Kurz hierauf hielt Clemens auch eine Zusammenkunft mit Franz I. Sie fand in Marseille Statt, und die engste Verbindung ward geschlossen. Ganz, wie der Papst fruͤher in den florentinischen Gefahren seine Freundschaft mit dem Kaiser dadurch befestigt hatte, daß er dessen natuͤrliche Tochter mit einem von seinen Neffen verheurathete, so be- siegelte er jetzt, in den kirchlichen Bedraͤngnissen, den Bund den er mit Franz I. einging, durch eine Vermaͤhlung sei- Unter Clemens VII. ner jungen Nichte Catharina Medici mit dem zweiten Sohne des Koͤnigs. Damals hatte er die Franzosen und ihren indirecten Einfluß auf Florenz, jetzt hatte er den Kaiser und seine Intentionen bei einer Kirchenversammlung zu fuͤrchten. Auch erreichte der Papst damit sofort seinen Zweck. Es existirt ein Brief von ihm an Ferdinand I. , in dem er erklaͤrt, mit seiner Bemuͤhung eine Theilnahme aller christ- lichen Fuͤrsten an dem Concilium zu Wege zu bringen, sey es ihm nicht gelungen; Koͤnig Franz I. , den er ge- sprochen, halte die gegenwaͤrtige Zeit nicht fuͤr geeignet zu einer solchen Versammlung, und sey nicht darauf einge- gangen; er, der Papst, hoffe aber noch immer, ein ander Mal eine guͤnstige Stimmung der christlichen Fuͤrsten her- vorgehn zu sehen 20. Maͤrz 1534. Pallavicini III, XVI, 3. . Ich weiß nicht, wie man uͤber die Absichten Clemens VII. in Zweifel seyn kann. Noch in seinem letzten Schreiben an die katholischen Fuͤrsten von Deutschland hatte er die Bedingung einer allgemeinen Theil- nahme wiederholt; daß er nun erklaͤrt, eine solche nicht be- werkstelligen zu koͤnnen, enthaͤlt eine unzweideutige Weige- rung, jener seiner Ankuͤndigung Folge zu geben Soriano. La Ser t ̱ à. ̱ V r ̱ a. ̱ dunque in materia del concilio può esser certissima, che dal canto di Clemente fu fuggita con tutti li mezzi e con tutte le vie. . In seiner Verbindung mit Frankreich fand er wie den Muth, so auch den Vorwand dazu. Ich kann mich nicht uͤberre- den, daß das Concilium jemals unter ihm zu Stande ge- kommen waͤre. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Jedoch war dieß nicht die einzige Folge jener Ver- bindung. Auf der Stelle entwickelte sich noch eine andere, unerwartete, die besonders fuͤr uns Deutsche von der groͤß- ten Wichtigkeit ist. Sehr sonderbar war sogleich die Combination, die bei der Verflechtung kirchlicher und weltlicher Interessen dar- aus hervorging. Franz I. war damals in dem besten Ver- staͤndniß mit den Protestanten: indem er sich nun zugleich so enge mit dem Papst verbuͤndete, vereinigte er gewisser- maßen Protestanten und Papst in das nemliche System. Und hier erkennen wir, was die politische Staͤrke der Stellung ausmachte, welche die Protestanten eingenommen hatten. Der Kaiser konnte nicht beabsichtigen, sie dem Papst so geradehin aufs neue zu unterwerfen; er bediente sich vielmehr ihrer Bewegung, um diesen damit in Schach zu halten. Allmaͤhlig zeigte sich, daß auch der Papst nicht wuͤnschte, sie auf Gnade oder Ungnade dem Kaiser unter- worfen zu sehen: nicht so ganz unbewußt war sogar die Verbindung Clemens VII. mit ihnen, er hoffte, ihre Op- position wider den Kaiser zu benutzen, um diesem hinwie- derum zu schaffen zu geben. Es ist gleich damals bemerkt worden, der Koͤnig von Frankreich habe den Papst glauben gemacht, die vornehm- sten protestantischen Fuͤrsten seyen von ihm abhaͤngig: er habe ihn hoffen lassen, sie dahin zu bringen, auf das Concilium Verzicht zu leisten Sarpi: Historia del concilio Tridentino: lib. I, p. 68. Nicht alles was Sarpi hat, aber einen wichtigen Theil desselben bestaͤtigt Soriano. Dieser Gesandte sagt: avendo fatto credere a . Allein wenn wir nicht Unter Clemens VII. sehr irren, gingen diese Verbindungen noch weiter. Kurz nach der Zusammenkunft mit dem Papste hielt Franz I. eine andere mit Landgraf Philipp von Hessen. Sie verei- nigten sich zur Herstellung des Herzogs von Wuͤrtemberg, der damals von dem Hause Oestreich verdraͤngt worden war. Franz I. bequemte sich, Huͤlfsgelder zu zahlen. In kurzem Kriegszug, mit uͤberraschender Schnelligkeit setzte hierauf Landgraf Philipp das Unternehmen ins Werk. Es ist gewiß, daß er in die oͤstreichischen Erblande haͤtte vor- dringen sollen In der Instruction an seine Gesandten nach Frankreich Au- gust 1532 (Rommel Urkundenbuch 61) entschuldigt er sich, „daß wir nit furtzugen, den Koͤnig in seinen Erblanden anzugreifen.“ ; allgemein vermuthete man, der Koͤnig wolle Mailand einmal auch von deutscher Seite her an- greifen lassen Jovius Historiae sui temporis, lib. XXXII, p. 129, Pa- ruta Storia Venez. p. 389. . Eine noch weitere Aussicht eroͤffnet uns Marino Giustinian, in jenen Zeiten Botschafter der Vene- zianer in Frankreich. Er versichert gradehin, diese deutsche Bewegung sey von Clemens und Franz zu Marseille be- schlossen worden: er fuͤgt hinzu, es habe allerdings nicht außer dem Plane gelegen, diese Truppen nach Italien kom- men zu lassen: insgeheim wuͤrde der Papst dazu mitgewirkt haben Relatione del clarissimo M. Marino Giustinian el K r. ̱ venuto d’Ambasciator al Christianissimo re di Francia del 1535 (Archivio Venez.) Francesco fece l’aboccamento di Marsilia con . Es wuͤrde etwas rasch seyn, diese Behauptung, Clemente, che da S. M. Ch m ̱ a. ̱ dipendessero quelli S r ̱ i. ̱ princi- palissimi e capi della fattione luterana — si che almeno si fug- gisse il concilio. — Nur dieß habe ich mich getraut zu behaupten. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . so sicher sie auch ausgesprochen wird, als beglaubigte That- sache zu betrachten: noch andere Beweise waͤren erforder- lich: — allein wenn wir sie auch nicht annehmen, stellt sich doch eine sehr merkwuͤrdige Erscheinung unbezweifelt dar. Wer haͤtte es vermuthen sollen? In dem Augen- blicke, daß Papst und Protestanten einander mit einem un- versoͤhnlichen Hasse verfolgen, daß sie sich einen geistlichen Krieg machen, der die Welt mit Zwietracht erfuͤllt, sind sie auf der andern Seite durch gleiche politische Interessen verbunden. War aber fruͤher, in der Verwickelung der italieni- schen Angelegenheiten, dem Papst nichts so verderblich ge- wesen, wie die zweideutige allzufeine Politik, die er be- Clemente nel qual vedendo loro che Cesare stava fermo — conchiusero il movimento delle armi in Germania , sotto pretesto di voler metter il duca di Virtenberg in casa: nel quale se Iddio non avesse posto la mano con il mezzo di Cesare, il quale all’ improviso e con gran prestezza senza sa- puta del X m ̱ o ̱. con la restitution del ducato di Virtenberg fece la pace, tutte quelle genti venivano in Italia sotto il favor se- creto di Clemente. Man wird, denke ich, wohl noch einmal ge- nauere Nachrichten hieruͤber finden. Soriano enthaͤlt noch folgen- des. Di tutti li desiderii (del re) s’accommodò Clemente con parole tali, che lo facevano credere, S. S. esser disposta in tutto alle sue voglie, senza però far provisione alcuna in scrit- tura. Daß von einer italienischen Unternehmung die Rede war, laͤßt sich nicht leugnen. Der Papst behauptete, sie abgelehnt zu ha- ben, — non avere bisogno di moto in Italia. Der Koͤnig hatte ihm gesagt, er solle ruhig bleiben: con le mani accorte nelle ma- niche. Wahrscheinlich behaupteten die Franzosen, was die Italiener leugneten: so daß der Gesandte in Frankreich positiver ist, als der Gesandte in Rom. Sagte aber der Papst, eine Bewegung in Ita- lien koͤnne er nicht brauchen, so sieht man, wie wenig das eine Be- wegung in Deutschland ausschließt. Unter Clemens VII. folgte, so trugen ihm diese Maaßregeln auf dem geistlichen Gebiete noch bitterere Fruͤchte. Koͤnig Ferdinand, bedroht in seinen erblichen Pro- vinzen, eilte den Frieden von Kadan zu schließen, in wel- chem er Wuͤrtemberg fahren ließ, und sogar in ein enge- res Verstaͤndniß mit dem Landgrafen selber trat. Es wa- ren die gluͤcklichsten Tage Philipps von Hessen. Daß er einem verjagten deutschen Fuͤrsten mit gewaltiger Hand zu seinem Recht verholfen, machte ihn zu einem der an- gesehensten Oberhaͤupter des Reiches. Er hatte aber da- mit auch noch einen anderen wichtigen Erfolg erkaͤmpft. Dieser Friede enthielt zugleich eine tiefgreifende Bestim- mung uͤber die religioͤsen Streitigkeiten. Das Kammerge- richt ward angewiesen, uͤber die eingezogenen geistlichen Guͤ- ter keine Klagen weiter anzunehmen. Ich weiß nicht, ob irgend ein anderes einzelnes Er- eigniß fuͤr das Uebergewicht des protestantischen Namens in Deutschland so entscheidend eingewirkt hat, wie diese hessische Unternehmung. In jener Weisung des Kammer- gerichts liegt eine juridische Sicherung der neuen Partei, die von ungemeiner Bedeutung ist. Auch ließ sich die Wirkung nicht lange erwarten. Den Frieden von Kadan, duͤnkt mich, koͤnnen wir als die zweite große Epoche der Erhebung einer protestantischen Macht in Deutschland be- trachten. Nachdem sie eine Zeitlang mindere Fortschritte gemacht, fing sie aufs neue an sich auf das glaͤnzendste auszubreiten. Wuͤrtemberg, welches man eingenommen, ward ohne Weiteres reformirt. Die deutschen Provinzen von Daͤnemark, Pommern, die Mark Brandenburg, die zweite Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . Linie von Sachsen, eine Linie von Braunschweig, die Pfalz folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete sich die Reformation der Kirche uͤber das gesammte nie- dere Deutschland aus, und setzte sich in dem oberen auf immer fest. Und um eine Unternehmung, die dahin fuͤhrte, die den begonnenen Abfall so unermeßlich befoͤrderte, hatte Papst Clemens gewußt, er hatte sie vielleicht gebilligt. Das Papstthum war durchaus in einer falschen un- haltbaren Position. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzaͤhlige Wi- dersacher und Abtruͤnnige entsprangen: aber die Fort- setzung derselben, die fernere Verflechtung geistlicher und weltlicher Interessen richtete es vollends zu Grunde. Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII. haͤngt doch wesentlich hiervon ab. Es ist sehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem Koͤnig von England mehr als irgend einem andern Fuͤr- sten persoͤnlich zugethan war Contarini: Relatione di 1530 versichert das ausdruͤcklich. Auch Soriano 1533 sagt: Anglia S. Santità ama et era conjun- c l issimo prima. Die Absicht des Koͤnigs, sich scheiden zu lassen, erklaͤrt er ohne weiteres fuͤr eine „pazzia.“ . Er hatte guten Grund dazu: als er sich von Jedermann verlassen, in dem Castell eingeschlossen sah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden, ihm eine Unterstuͤtzung zukommen zu lassen. Auch ist nicht zu leugnen, daß der Papst dem Koͤnig noch im Jahre 1528 eine guͤnstige Erledigung seiner Ehescheidungssache, wenn nicht zusagte, doch moͤglich erscheinen ließ, „sobald nur Unter Clemens VII. erst die Deutschen und die Spanier aus Italien verjagt seyn wuͤrden“ Aus den Depeschen des Doctor Knight von Orvieto, 1sten und 9ten Januar 1528; Herbert Life of Henry VIII, p. 218. . Es erfolgte hiervon, wie wir wissen, das Gegentheil. Die Kaiserlichen setzten sich nun erst recht fest: wir sahen, in welch’ engen Bund Clemens mit ihnen trat: unter so veraͤnderten Umstaͤnden konnte er eine Hoff- nung nicht erfuͤllen, die er uͤberdieß nur fluͤchtig angedeu- tet hatte Die ganze Lage erkennt man aus folgender Stelle eines Schreibens des paͤpstlichen Secretaͤrs Sanga an Campeggi: Viterbo 2. Sept. 1528, in dem Augenblick, daß die neapolitanische Unter- nehmung mißlungen war (ein Erfolg, dessen in dem Briefe gedacht wird) und Campeggi nach England gehen wollte. Come vostra Sign. Rev m ̱ a ̱. sa, tenendosi N. Signore obligatissimo come fa a quel Seren m ̱ o ̱. re, nessuna cosa è si grande della quale non desideri compiacerli, ma bisogna ancora che sua Beatitudine, vedendo l’imperatore vittorioso e sperando in questa vittoria non trovarlo alieno della pace — non si precipiti a dare all’ imperatore causa di nuova rottura, la quale leveria in perpetuo ogni spe- ranza di pace: oltre che al certo metteria S. S à. ̱ a fuoco et a totale eccidio tutto il suo stato. (Lettere di diversi autori Ve- netia 1556 p. 39.) . Kaum war der Friede von Barcelona geschlos- sen, so avocirte er den Proceß nach Rom. Die Frau, von der sich Heinrich scheiden wollte, war die Tante des Kai- sers; von einem fruͤheren Papst war die Ehe ausdruͤcklich gut geheißen worden: wie haͤtte, sobald die Sache einmal in den processualischen Gang vor den Gerichtshoͤfen der Curie geleitet worden, zumal unter dem immerwaͤhrenden Einfluß der Kaiserlichen, die Entscheidung zweifelhaft seyn koͤnnen? Aber Heinrich wußte sich zu raͤchen. Auch er war im Grunde seines Herzens papistisch gesinnt: diese Sache jedoch rief die entgegengesetzten Leidenschaften in ihm Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . auf. Jeden Schritt, der in Rom zu seinem Nachtheile geschah, erwiederte er mit einer Maaßregel gegen die Curie; immer foͤrmlicher sagte er sich von derselben los. Als jene endlich im Jahre 1534 ihre definitive Sentenz erge- hen ließ, bedachte auch er sich nicht weiter, und sprach die vollstaͤndige Trennung seines Reiches von dem Papste aus. So schwach waren bereits die Bande, welche den roͤmi- schen Stuhl und die verschiedenen Landeskirchen verknuͤpf- ten, daß es nichts als den Entschluß eines Fuͤrsten be- durfte, um sein Reich von demselben loszureißen. Diese Ereignisse erfuͤllten das letzte Lebensjahr Cle- mens VII. Sie waren ihm um so bitterer, da er nicht ohne alle Schuld daran war, und seine Unfaͤlle in einem qualvollen Zusammenhange mit seinen persoͤnlichen Eigen- schaften standen. Und immer gefaͤhrlicher entwickelte sich der Gang der Dinge. Schon drohte Franz I. Italien aufs neue anzufallen; er behauptete hierzu zwar nicht die schrift- liche, aber doch eine muͤndliche Genehmigung des Papstes erhalten zu haben. Der Kaiser wollte sich nicht laͤnger mit Ausfluͤchten abweisen lassen, und drang immer nach- druͤcklicher auf die Einberufung des Conciliums. Haͤus- liche Mißhelligkeiten kamen hinzu: nachdem es so viele Muͤhe gekostet, Florenz zu unterwerfen, mußte der Papst erleben, daß die beiden Neffen, die er hatte, sich uͤber die Herrschaft in dieser Stadt entzweiten und in wilde Feind- schaft geriethen: die Gedanken, die er sich hieruͤber machte, die Furcht vor den kommenden Dingen: — Schmerz und geheime Qual, sagt Soriano, fuͤhrten ihn zum Tode Soriano. L’imperatore non cessava di sollecitar il con- . Unter Clemens VII. Gluͤcklich haben wir Leo genannt: vielleicht besser, auf jeden Fall fehlerfreier, thaͤtiger, und im Einzelnen selbst scharfsinniger, aber in alle seinem Thun und Lassen ungluͤckselig war Clemens. Wohl der unheilvollste aller Paͤpste, die je auf dem roͤmischen Stuhle gesessen. Der Ueberlegenheit feindlicher Kraͤfte, die ihn von allen Seiten bedraͤngte, trat er mit einer unsichern, von den Wahrschein- lichkeiten des Augenblicks abhaͤngigen Politik entgegen, die ihn vollends zu Grunde richtete. Die Versuche, eine selbst- staͤndige weltliche Macht zu bilden, denen sich seine nam- haftesten Vorgaͤnger hingegeben, mußte er zu einem ganz entgegengesetzten Erfolge umschlagen sehen; er mußte sich darin finden, daß die, denen er Italien entreißen wollen, ihre Herrschaft daselbst auf immer befestigten. Der große Abfall der Protestanten entwickelte sich unaufhaltsam vor seinen Augen: welches Mittel er auch wider denselben er- greifen mochte, sie trugen alle zu seiner Ausbreitung bei. In Reputation unendlich herabgekommen, ohne geistliche, ohne weltliche Autoritaͤt hinterließ er den paͤpstlichen Stuhl. Jenes Norddeutschland, das fuͤr das Papstthum von jeher so bedeutend war, durch dessen erste Bekehrung vor Zeiten die Macht der Paͤpste im Abendlande vorzuͤglich mit be- gruͤndet worden, — dessen Empoͤrung gegen Kaiser Hein- cilio — S. M. Christ m ̱ a ̱. dimandò che da S. S à. ̱ li fussino os- servate le promesse essendo le conditioni poste fra loro. Per- cio S. S à. ̱ si pose a grandissimo pensiero e fu questo dolore et affanno che lo condusse alla morte. Il dolor fu accresciuto dalle pazzie del cardinal de Medici, il quale allora piu che mai intendeva a rinuntiare il capello per la concurrenza alle cose di Fiorenza. Kap . III. Politisch-kirchliche Verwickelungen . rich IV. ihnen zur Vollendung der Hierarchie so große Dienste geleistet hatte — war wider sie selber aufgestanden. Unser Vaterland hat das unsterbliche Verdienst, das Christenthum in reinerer Gestalt, als es seit den ersten Jahrhunderten bestanden, wiederhergestellt, die wahre Religion wieder ent- deckt zu haben. Mit dieser Waffe war es unuͤberwindlich geruͤstet. Seine Ueberzeugungen brachen sich bei allen Nach- barn Bahn. Scandinavien hatten sie bereits eingenom- men: wider die Absicht des Koͤnigs, aber unter dem Schutze der Maaßregeln, die er ergriffen, breiteten sie sich in Eng- land aus; in der Schweiz erkaͤmpften sie sich, unter we- nigen Modificationen, eine unantastbare Existenz: in Frank- reich drangen sie vor: in Italien, selbst in Spanien finden wir noch unter Clemens ihre Spuren. Immer naͤher waͤlzen sich diese Fluthen heran. In diesen Meinungen lebt eine Kraft, die Jedermann uͤberzeugt und fortreißt. Der Widerstreit geistlicher und weltlicher Interessen, in den sich das Papstthum gesetzt hat, scheint recht dazu ge- macht, ihnen die vollstaͤndige Herrschaft zu verschaffen. Zweites Buch . Anfänge einer Regeneration des Katholicismus. 9 N icht erst heutzutage hat die oͤffentliche Meinung Ein- fluß in der Welt bekommen: in allen Jahrhunderten des neueren Europa hat sie ein wichtiges Lebenselement ausge- macht. Wer moͤchte sagen, woher sie entspringt, wie sie sich bildet. Geheime Quellen naͤhren sie: ohne vie- ler Gruͤnde zu beduͤrfen, bemaͤchtigt sie sich der Geister: durch eine unwillkuͤhrliche Ueberzeugung fesselt sie die Mehr- zahl. Sie ist ein Product unserer Gemeinschaftlichkeit. Aber nur in den aͤußersten Umrissen ist sie mit sich selber in Uebereinstimmung. In unzaͤhligen groͤßern und kleinern Kreisen wird sie auf eigenthuͤmliche Weise wieder hervor- gebracht: immer neue Wahrnehmungen und Erfahrungen stroͤmen ihr zu: und so ist sie in unaufhoͤrlicher Metamor- phose begriffen: fluͤchtig, vielgestaltig: zuweilen receptiv, zuweilen fordernd und noͤthigend: oft mit einem richtigen Gefuͤhl der Maͤngel, der Beduͤrfnisse: dessen dagegen was auszurichten und ins Werk zu setzen, sich fast niemals be- wußt: mit der Wahrheit und dem Recht zuweilen mehr, zuweilen minder im Einklange: mehr eine Tendenz des Le- bens und des Augenblicks, als eine fixirte Lehre. Selt- sam, wie sie sogar oft in ihr Gegentheil umschlaͤgt. Sie hat das Papstthum gruͤnden, sie hat es auch aufloͤsen hel- 9* Buch II. Regeneration des Katholicismus . fen. In den Zeiten, die wir betrachten, war sie einmal voͤllig profan: sie wurde durchaus geistlich. Bemerkten wir, wie sie sich in ganz Europa dem Protestantismus zu- neigte, so werden wir auch sehen, wie sie in einem gro- ßen Theile desselben eine andere Farbe empfing. Gehen wir davon aus, wie sich zunaͤchst die Lehren der Protestanten auch in Italien Bahn machten. Analogien des Protestantismus in Italien. Literarische Vereinigungen haben auch in Italien auf wissenschaftliche und kuͤnstlerische Entwickelung einen unbe- rechenbaren Einfluß ausgeuͤbt. Bald um einen Fuͤrsten, bald um einen ausgezeichneten Gelehrten, bald um irgend einen literarisch-gesinnten, bequem-eingerichteten Privat- mann her, zuweilen auch in freier gleicher Geselligkeit bil- den sie sich; am meisten pflegen sie werth zu seyn, wenn sie frisch und formlos aus dem unmittelbaren Beduͤrfniß hervorgehen: mit Vergnuͤgen verfolgen wir ihre Spuren. Zu der nemlichen Zeit, als die protestantische Bewe- gung in Deutschland hervortrat, erschienen in Italien li- terarische Reunionen, die eine religioͤse Farbe annahmen. Eben als es unter Leo X. der Ton der Gesellschaft ge- worden war, das Christenthum zu bezweifeln, zu leugnen, erhob sich in geistreicheren Maͤnnern, in Solchen, welche die Bildung ihrer Zeit besaßen, ohne sich an dieselbe ver- loren zu haben, eine Ruͤckwirkung dagegen. Es ist so na- tuͤrlich, daß sie sich zusammenfanden. Der menschliche Analogien des Protestantismus in Italien . Geist bedarf der Beistimmung, wenigstens liebt er sie im- mer; unentbehrlich aber ist sie ihm in religioͤsen Ueberzeu- gungen, deren Grund das tiefste Gemeingefuͤhl ist. Noch zu Leo’s Zeiten wird ein Oratorium der goͤttli- chen Liebe erwaͤhnt, das einige ausgezeichnete Maͤnner in Rom zu gemeinschaftlicher Erbauung gestiftet hatten. In Trastevere, in der Kirche S. Silvestro und Dorotea, un- fern von dem Orte, wo man glaubte, daß der Apostel Petrus gewohnt und die ersten Zusammenkuͤnfte der Chri- sten geleitet habe, versammelten sie sich zu Gottesdienst, Predigt und geistlichen Uebungen. Es waren ihrer funf- zig bis sechzig. Contarini, Sadolet, Giberto, Caraffa, die nachmals saͤmmtlich Cardinaͤle geworden, Gaetano da Thiene, den man canonisirt hat, Lippomano, ein geistlicher Schriftsteller von viel Ruf und Wirksamkeit, und einige andere namhafte Maͤnner waren darunter. Julian Bathi, Pfarrer jener Kirche, diente ihnen zum Mittelpunkt ihrer Vereinigung Ich schoͤpfe diese Notiz aus Caracciolo: Vita di Paolo IV. Ms. Quei pochi huomini da bene ed eruditi prelati che erano in Roma in quel tempo di Leone X. vedendo la città di Roma e tutto il resto d’Italia dove per la vicinanza alla sede apostolica doveva piu fiorire l’osservanza de’ riti essere cosi maltrattato il culto divino — si unirono in un’ oratorio chia- mato del divino amore circa sessanta di loro, per fare quivi quasi in una torre ogni sforzo per guardare le divine leggi. In der Vita Cajetani Thienaei (AA. SS. Aug. II.) c. I, 7—10 hat dieß Caracciolo wiederholt und noch weiter ausgefuͤhrt, jedoch zaͤhlt er hier nur funfzig Mitglieder. Die Historia clericorum regularium vulgo Theatinorum von Joseph Silos bestaͤtigt es in vielen Stellen, die in dem Commentarius praevius zu der vita Ca- jetani abgedruckt sind. . Buch II. Regeneration des Katholicismus . Es fehlte viel, daß die Richtung derselben, wie man leicht aus dem Orte der Versammlung schließen koͤnnte, dem Protestantismus entgegengelaufen waͤre: sie war ihm vielmehr gleichartig. Aus dem nemlichen Beduͤrfniß, sich dem all- gemeinen Verfalle entgegenzusetzen, ging sie hervor. Sie bestand aus Maͤnnern, welche spaͤter sehr verschiedene An- sichten entwickelt haben; damals begegneten sie sich in der nemlichen allgemeinen Gesinnung. Gar bald aber traten die bestimmteren Tendenzen hervor. Einem Theile der roͤmischen Gesellschaft begegnen wir nach Verlauf einiger Jahre in Venedig wieder. Rom war gepluͤndert, Florenz erobert worden; Mai- land war fortwaͤhrend der Tummelplatz der Kriegsheere ge- wesen; in diesem allgemeinen Ruin hatte sich Venedig un- beruͤhrt von den Fremden, von den Kriegsheeren behaup- tet; es wurde als eine allgemeine Zufluchtsstaͤtte betrach- tet. Da fanden sich die zersprengten roͤmischen Literatoren, die florentinischen Patrioten, denen ihr Vaterland auf im- mer geschlossen war, zusammen. Namentlich in den letz- ten trat, wie wir an dem Geschichtschreiber Nardi, dem Uebersetzer der Bibel Bruccioli sehen, nicht ohne Nachwir- kung der Lehren des Savonarola, eine sehr starke geistliche Richtung hervor. Auch andere Fluͤchtlinge, wie Reginald Poole, welcher England verlassen hatte, um sich den Neue- rungen Heinrichs VIII. zu entziehen, theilten dieselbe. In ihren venezianischen Gastfreunden fanden sie ein bereitwil- liges Entgegenkommen. Bei Peter Bembo in Padua, der ein offenes Haus hielt, fragte man allerdings am meisten Analogien des Protestantismus in Italien . nach gelehrten Sachen, nach ciceronianischem Latein. Tie- fer verlor man sich bei dem gelehrten und verstaͤndigen Gre- gorio Cortese, Abt von San Giorgio Maggiore bei Venedig. In die Gebuͤsche und Lauben von S. Giorgio verlegt Bruccioli einige seiner Gespraͤche. Unfern Treviso hatte Luigi Priuli seine Villa genannt Treville Epistolae Reginaldi Poli ed. Quirini Tom. II. Diatriba ad epistolas Schelhornii CLXXXIII. . Er ist einer der rein ausgebildeten venezianischen Charactere, wie wir ihnen noch heute dann und wann begegnen, voll ru- higer Empfaͤnglichkeit fuͤr wahre und große Gefuͤhle und uneigennuͤtziger Freundschaft. Hier beschaͤftigte man sich hauptsaͤchlich mit geistlichen Studien und Gespraͤchen. Da war der Benedictiner Marco von Padua, ein Mann von tieferer Froͤmmigkeit, der es wahrscheinlich ist, an dessen Bruͤsten Poole Nahrung gesogen zu haben behauptet. Als das Haupt von allen mochte Gaspar Contarini anzusehen seyn, von welchem Poole sagt: es sey ihm nichts unbe- kannt, was der menschliche Geist durch eigene Forschung entdeckt, oder was die goͤttliche Gnade ihm mitgetheilt habe, und dazu fuͤge er den Schmuck der Tugend. Fragen wir nun, in welchen Ueberzeugungen diese Maͤnner sich beruͤhrten, so ist das hauptsaͤchlich dieselbe Lehre von der Rechtfertigung, welche in Luther der ganzen protestantischen Bewegung ihren Ursprung gegeben hatte. Contarini schrieb einen eigenen Tractat daruͤber, den Poole nicht genug zu ruͤhmen weiß. „Du hast,“ sagt er ihm, „diesen Edelstein hervorgezogen, den die Kirche in halber Verborgenheit bewahrte.“ Poole selber findet, daß die Buch II. Regeneration des Katholicismus . Schrift in ihrem tieferen Zusammenhange nichts als diese Lehre predige; er preist seinen Freund gluͤcklich, daß er diese „heilige, fruchtbringende, unentbehrliche Wahrheit“ ans Licht zu bringen angefangen Epistolae Poli. Tom. III, p. 57. . Zu dem Kreise von Freunden, der sich an sie anschloß, gehoͤrte M. A. Flami- nio. Er wohnte eine Zeitlang bei Poole; Contarini wollte ihn mit nach Deutschland nehmen. Man hoͤre, wie ent- schieden er jene Lehre verkuͤndigt. „Das Evangelium,“ sagt er in einem seiner Briefe An Theodorina Sauli 12. Febr. 1542. Lettere volgari (Rac- colta del Manuzio) Vinegia 1553. II, 43. , „ist nichts anders als die gluͤckliche Neuigkeit, daß der eingeborne Sohn Gottes, mit unserm Fleisch bekleidet, der Gerechtigkeit des ewigen Vaters fuͤr uns genug gethan hat. Wer dieß glaubt, geht in das Reich Gottes ein; er genießt die allgemeine Vergebung; er wird von einer fleischlichen Creatur eine geistliche; von einem Kind des Zorns ein Kind der Gnade; er lebt in einem suͤßen Frieden des Gewissens.“ Man kann sich hieruͤber kaum lutherisch-rechtglaͤubiger ausdruͤcken. Ganz wie eine literarische Meinung oder Tendenz breitete sich diese Ueberzeugung uͤber einen großen Theil von Italien aus Unter andern ist das Schreiben Sadolets an Contarini ( Epistolae Sadoleti lib. IX, p. 365) uͤber seinen Commentar an die Roͤmer sehr merkwuͤrdig „in quibus commentariis, sagt Sa- dolet, mortis et crucis Christi mysterium totum aperire atque illustrare sum conatus.“ Doch hatte er Contarini nicht ganz be- friedigt. Auch war er nicht ganz einer Meinung mit demselben. Er verspricht indeß in die neue Ausgabe eine deutliche Erklaͤrung uͤber Erbsuͤnde und Gnade aufzunehmen: „de hoc ipso morbo na- . Analogien des Protestantismus in Italien . Bemerkenswuͤrdig ist es doch, wie so ploͤtzlich der Streit uͤber eine Meinung, von der fruͤher nur wenig die Rede war, ein Jahrhundert einnehmen und erfuͤllen, die Thaͤ- tigkeit aller Geister desselben herausfordern kann. In dem sechzehnten Jahrhundert brachte die Lehre von der Recht- fertigung die groͤßten Bewegungen, Entzweiungen, ja Um- waͤlzungen hervor. Man moͤchte sagen, es sey im Gegen- satz gegen die Verweltlichung des kirchlichen Institutes, welches die unmittelbare Beziehung des Menschen zu Gott fast ganz verloren hatte, geschehen, daß eine so transcen- dentale, das tiefste Geheimniß dieses Verhaͤltnisses anbe- treffende Frage die allgemeine Beschaͤftigung der Geister wurde. Selbst in dem lebenslustigen Neapel ward sie, und zwar von einem Spanier, einem Secretaͤr des Vicekoͤnigs, Johann Valdez, verbreitet. Die Schriften des Valdez sind leider ganz verschollen; daruͤber aber, was die Gegner an ihm tadelten, haben wir ein sehr bestimmtes Zeugniß. Um das Jahr 1540 kam ein kleines Buch „von der Wohl- that Christi“ in Umlauf, welches, wie sich ein Bericht der Inquisition ausdruͤckt, „auf einschmeichelnde Weise von der Rechtfertigung handelte, Werke und Verdienste herab- setzte, dem Glauben allein alles zuschrieb, und weil eben dieß der Punkt war, an dem damals viele Praͤlaten und Klosterbruͤder anstießen, eine ungemeine Verbreitung fand.“ Man hat dem Autor dieses Buches oͤfter nachgefragt. Je- ner Bericht bezeichnet ihn mit Bestimmtheit. „Es war,“ turae nostrae et de reparatione arbitrii nostri a spiritu sancto facta.“ Buch II. Regeneration des Katholicismus . sagt derselbe, „ein Moͤnch von San Severino, ein Schuͤler des Valdez: Flaminio hat es revidirt“ Schelhorn, Gerdesius und Andere haben dieß Buch dem Aonius Palearius zugeschrieben, der in einer Rede sagt: hoc anno tusce scripsi Christi morte quanta commoda allata sint humano generi. Das Compendium der Inquisitoren, das ich in Caracciolo Vita di Paulo IV. Ms. fand, druͤckt sich dagegen folgendergestalt aus. Quel libro del beneficio di Christo, fu il suo autore un monaco di Sanseverino in Napoli, discepolo del Valdes, fu revisore di detto libro il Flaminio fu stampato molte volte ma particolamente a Modena de mandato Moroni, ingannò molti, perche trattava della giustificatione con dolce modo ma hereti- camente. — — Da nun jene Stelle des Palearius dieß Buch doch nicht dergestalt bezeichnet, daß nicht auch ein andres gemeint seyn koͤnnte, da Palearius sagt, er sey noch das nemliche Jahr dar- uͤber in Anspruch genommen worden, das Compendium der In- quisitoren dagegen sich unzweifelhaft ausdruͤckt und hinzufuͤgt: quel libro fu da molti approbato solo in Verona fu conosciato e re- probato, dopo molti anni fu posto nell indice — so halte ich die Meinung jener Gelehrten doch fuͤr irrig. . Auf einen Schuͤler und einen Freund des Valdez fuͤhrt sich demnach dieses Buch zuruͤck, das in der That einen unglaublichen Succeß hatte, und die Lehre von der Rechtfertigung auf eine Zeitlang in Italien populaͤr machte. Dabei war je- doch die Tendenz des Valdez nicht ausschließend theolo- gisch, wie er denn ein bedeutendes weltliches Amt beklei- dete; er hat keine Secte gestiftet, aus einer liberalen Be- schaͤftigung mit dem Christenthume war dieses Buch her- vorgegangen. Mit Wonne dachten seine Freunde an die schoͤnen Tage, die sie mit ihm an der Chiaia und dem Posilippo genossen hatten, dort bei Neapel, „wo die Na- tur in ihrer Pracht sich gefaͤllt und laͤchelt.“ Valdez war sanft, angenehm, nicht ohne Schwung des Geistes. „Ein Analogien des Protestantismus in Italien . Theil seiner Seele,“ sagen seine Freunde von ihm, „reichte hin, seinen schwachen, magern Koͤrper zu beleben; mit dem groͤßern Theil, dem ungetruͤbten hellen Verstand, war er immer zur Betrachtung der Wahrheit erhoben.“ Bei dem Adel und den Gelehrten von Neapel hatte Valdez außerordentlichen Einfluß: lebhaften Antheil an dieser religioͤs-geistigen Bewegung nahmen auch die Frauen. Unter andern Vittoria Colonna. Nach dem Tode ih- res Gemahls Pescara hatte sie sich ganz den Studien hin- gegeben. In ihren Gedichten, wie in ihren Briefen, ist eine selbstgefuͤhlte Moral, eine ungeheuchelte Religion. Wie schoͤn troͤstet sie eine Freundin uͤber den Tod ihres Bru- ders, „dessen friedfertiger Geist in den ewigen wahren Frie- den eingegangen: sie muͤsse nicht klagen, da sie nun mit ihm reden koͤnne, ohne daß seine Abwesenheit, wie sonst so haͤufig, sie hindere von ihm verstanden zu werden“ Lettere volgari I, 92. Lettere di diversi autori p. 604. Besonders die erste eine sehr nuͤtzliche Sammlung. . Poole und Contarini gehoͤrten zu ihren vertrautesten Freun- den. Ich sollte nicht glauben, daß sie sich geistlichen Ue- bungen auf kloͤsterliche Weise ergeben habe. Mit vieler Naivetaͤt schreibt ihr wenigstens Aretin: ihre Meinung sey gewiß nicht, daß es auf das Verstummen der Zunge, das Niederschlagen der Augen, die rauhe Kleidung ankomme, sondern auf die reine Seele. Ueberhaupt war das Haus Colonna, namentlich Ves- pasiano, Herzog zu Palliano und dessen Gemahlin, Julia Gonzaga, dieselbe, die fuͤr die schoͤnste Frau in Italien ge- Buch II. Regeneration des Katholicismus . golten hat, dieser Bewegung gewogen. Ein Buch des Val- dez war der Julia gewidmet. Aber uͤberdieß hatte diese Lehre in den mittlern Staͤn- den einen ungemeinen Fortgang. Der Bericht der Inqui- sition scheint fast zu uͤbertreiben, wenn er 3000 Schulleh- rer zaͤhlen will, die derselben angehangen. Doch auch eine mindere Anzahl, wie tief mußte sie auf Jugend und Volk wirken! Um nicht viel geringer mochte die Theilnahme seyn, die diese Lehre in Modena fand. Der Bischof selbst, Mo- rone, ein genauer Freund von Poole und Contarini, be- guͤnstigte sie: auf sein ausdruͤckliches Geheiß ward das Buch von der Wohlthat Christi gedruckt und in vielen Exemplaren verbreitet; sein Capellan, Don Girolamo da Modena, war der Vorsteher einer Akademie, in welcher die nemlichen Grundsaͤtze herrschten In Schelhorn’s Amoenitatt. Literar. Tom. XII, p. 564 findet man die articuli contra Moronum, welche Vergerio im J. 1558 herausgab, wieder abgedruckt, in denen auch diese Beschuldigungen nicht fehlen. Die genauern Notizen nahm ich aus dem Compendium der Inquisitoren. . Es ist von Zeit zu Zeit von den Protestanten in Ita- lien die Rede gewesen, und wir haben schon mehrere Na- men genannt, die in den Verzeichnissen derselben vorkom- men. Und gewiß hatten in diesen Maͤnnern einige Ueber- zeugungen Wurzel gefaßt, welche in Deutschland herrschend wurden; sie suchten die Lehre auf das Zeugniß der Schrift zu gruͤnden, in dem Artikel von der Rechtfertigung streiften sie nahe an die lutherischen Meinungen hin. Allein daß sie dieselben auch in allen andren Stuͤcken getheilt haͤtten, Analogien des Protestantismus in Italien . kann man nicht sagen: allzutief war das Gefuͤhl der Ein- heit der Kirche, die Verehrung fuͤr den Papst ihren Ge- muͤthern eingepraͤgt; und gar manche katholische Gebraͤuche hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweise zusam- men, als daß man sich so leicht von ihnen entfernt haͤtte. Flaminio verfaßte eine Psalmenerklaͤrung, deren dog- matischer Inhalt von protestantischen Schriftstellern gebil- ligt worden ist: aber eben dieselbe versah er mit einer Zu- eignung, in welcher er den Papst „den Waͤchter und Fuͤr- sten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden“ nannte. Giovan Battista Folengo schreibt die Rechtfertigung allein der Gnade zu: er redet sogar von dem Nutzen der Suͤnde, was nicht weit von der Schaͤdlichkeit der guten Werke entfernt ist; lebhaft eifert er wider das Vertrauen auf Fasten, haͤufiges Gebet, Messe und Beichte, ja auf den Priesterstand selber, Tonsur und Mitra Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die- sen Erklaͤrungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257—261. ; dennoch ist er in dem nemlichen Benedictinerkloster, in welchem er in seinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefaͤhr in dem sechzigsten ruhig gestorben Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473. . Nicht viel anders stand es lange Zeit mit Bernardino Ochino. Glauben wir seinen eigenen Worten, so war es von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er sich ausdruͤckt, „nach dem himmlischen Paradiese, das durch die goͤttliche Gnade erworben wird,“ was ihn dahin brachte, Francis- caner zu werden. Sein Eifer war so gruͤndlich, daß er Buch II. Regeneration des Katholicismus . gar bald zu den strengeren Bußuͤbungen der Capuziner uͤbertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten Capitel dieses Ordens ward er zum General desselben er- nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver- waltete. So streng aber auch sein Leben war: — er ging immer zu Fuß: er schlief auf seinem Mantel: nie trank er Wein: auch andren schaͤrfte er vor allem das Gebot der Armuth ein, als das vornehmste Mittel, die evange- lische Vollkommenheit zu erwerben, — so ward er doch nach und nach von dem Lehrsatz der Rechtfertigung durch die Gnade uͤberzeugt und durchdrungen. Auf das eindring- lichste trug er sie in dem Beichtstuhl und auf der Kanzel vor. „Ich eroͤffnete ihm mein Herz“, sagt Bembo, „wie ich es vor Christo selber thun wuͤrde; mir kam es vor, als haͤtte ich nie einen heiligeren Mann gesehen.“ Zu sei- nen Predigten stroͤmten die Staͤdte zusammen: die Kirchen waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge- schlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine rauhe Kleidung, sein bis auf die Brust herabhaͤngender Bart, seine grauen Haare, sein bleiches mageres Gesicht und die Schwaͤche, die von seinem hartnaͤckigen Fasten her- kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra- tiani Vie de Commendone p. 143. . Und so gab es noch eine Linie innerhalb des Katho- licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen nicht uͤberschritten wurde. Mit Priesterthum und Moͤnchs- wesen setzte man sich in Italien nicht geradezu in Streit; das Primat des Papstes anzugreifen, war man weit ent- Analogien des Protestantismus in Italien . fernt. Wie haͤtte auch z. B. ein Poole nicht daran fest- halten sollen, nachdem er aus England gefluͤchtet war, um nicht in seinem Koͤnige das Haupt der englischen Kirche verehren zu muͤssen? Sie meinten, wie Ottonel Vida, ein Schuͤler Vergerios, diesem selber erklaͤrt, „in der christlichen Kirche habe jeder sein Amt, der Bischof die Seelsorge der Einwohner seiner Dioͤces, die er vor der Welt und dem Boͤsen zu beschuͤtzen habe: der Metropolitan muͤsse darauf achten, daß von den Bischoͤfen Residenz gehalten werde; die Metropolitane seyen dann wieder dem Papst unterwor- fen, dem die allgemeine Verwaltung der Kirche aufgetragen sey, die er mit heiligem Geiste leiten solle. Seines Amtes muͤsse ein Jeder warten“ Ottonello Vida Dot. al Vescovo Vergerio; lettere vol- gari I, 80. . Die Absonderung von der Kirche hielten diese Maͤnner fuͤr das aͤußerste Uebel. Isi- doro Clario, ein Mann, der mit Huͤlfe protestantischer Ar- beiten die Vulgata verbessert, und dazu eine Einleitung geschrieben hat, welche einer Expurgation unterworfen wor- den ist, mahnte die Protestanten in einer eigenen Schrift von einem solchen Vorhaben ab. „Kein Verderben,“ sagt er, „koͤnne so groß seyn, um zu einem Abfall von dem ge- heiligten Verein zu berechtigen. Sey es nicht besser, das- jenige, was man habe, zu restauriren, als sich unsicheren Versuchen, etwas Anderes hervorzubringen, anzuvertrauen? Nur darauf solle man sinnen, wie das alte Institut zu verbessern und von seinen Fehlern zu befreien sey.“ Unter diesen Modificationen gab es eine große Anzahl von Anhaͤngern der neuen Lehre in Italien. Antonio dei Buch II. Regeneration des Katholicismus . Pagliarici zu Siena, der selbst fuͤr den Urheber des Buchs von der Wohlthat Christi gehalten worden, Carnesecchi aus Florenz, welcher als ein Anhaͤnger und Verbreiter des- selben in Anspruch genommen ward, Giovan Battista Rotto zu Bologna, welcher an Morone, Poole und Vittoria Co- lonna Beschuͤtzer hatte und Mittel fand, die Aermsten un- ter seinen Anhaͤngern mit Geld zu unterstuͤtzen; Fra An- tonio von Volterra und fast in jeder Stadt von Italien irgend ein bedeutender Mensch schlossen sich ihr an Der Auszug aus dem Compendium der Inquisitoren ist hieruͤber unsere Quelle. Bologna, sagt es z. B., fu in molti peri- coli perchè vi furono heretici principali fra quali fu un Gio B a. Rotto, il quale haveva amicizia et appoggio di persone po- tentissime, come di Morone, Polo, Marchesa di Pescara e rac- coglieva danari a tutto suo potere e gli compartiva tra gli he- retici occulti e poveri, che stavano in Bologna, abjurò poi nelle mani del padre Salmerone (des Jesuiten) per ordine del legato di Bologna (Compend. fol. 9. c. 94.). So werden alle Staͤdte durchgegangen. . Es war eine Meinung, entschieden religioͤs, kirchlich ge- maͤßigt, welche das ganze Land von einem Ende bis zu dem andern in allen Kreisen in Bewegung setzte. Versuche innerer Reformen und einer Aussöhnung mit den Protestanten. Man legt Poole die Aeußerung in den Mund, der Mensch habe sich mit der inneren Einsicht zu begnuͤgen, ohne sich viel darum zu kuͤmmern, ob es in der Kirche Irr- Versuche innerer Reformen . Irrthuͤmer und Mißbraͤuche gebe Stelle aus Atanagi bei M’Crie: Reformation in Ita- lien. D. Ueb. S. 172. . Aber grade von einer Seite, der er selber angehoͤrte, kam der erste Versuch einer Verbesserung. Es ist vielleicht die ruͤhmlichste That Pauls III. , mit der er gleich seine Thronbesteigung bezeichnete, daß er einige ausgezeichnete Maͤnner, ohne andere Ruͤcksicht als auf ihr Verdienst, in das Collegium der Cardinaͤle berief. Mit jenem Venezianer Contarini begann er und dieser soll die Uebrigen in Vorschlag gebracht haben. Es waren Maͤn- ner von unbescholtenen Sitten, die im Rufe der Gelehr- samkeit und Froͤmmigkeit standen, denen die Beduͤrfnisse der verschiedenen Laͤnder bekannt seyn mußten: Caraffa, der sich lange in Spanien und den Niederlanden aufgehalten; Sa- dolet, Bischof zu Carpentras in Frankreich; Poole, fluͤch- tig aus England; Giberto, der, nachdem er lange an der Leitung der allgemeinen Angelegenheiten Theil gehabt, sein Bisthum Verona musterhaft verwaltete; Federigo Fregoso, Erzbischof von Salerno; fast alle, wie wir sehen, Mitglie- der jenes Oratoriums der goͤttlichen Liebe: Mehrere in der nach dem Protestantismus neigenden religioͤsen Richtung Vita Reginaldi Poli in der Ausgabe der Briefe desselben von Quirini Tom. I, p. 12. Florebelli de vita Jacobi Sadoleti Commentarius vor den Epp. Sadoleti Col. 1590 vol. 3. . Eben diese Cardinaͤle waren es nun, welche auf Be- fehl des Papstes einen Entwurf kirchlicher Reformen aus- arbeiteten. Er wurde den Protestanten bekannt und sie haben ihn nicht ohne Wegwerfung verspottet. Sie waren frei- 10 Buch II. Regeneration des Katholicismus . lich indessen um vieles weiter geschritten. Aber fuͤr die katholische Kirche lag, es ist schwerlich zu leugnen, eine außerordentliche Bedeutung darin, daß man das Uebel in Rom selbst angriff, daß man einem Papst gegenuͤber, den Paͤpsten vorwarf, wie es in dem Eingange zu dieser Schrift heißt, „sich haͤufig Diener gewaͤhlt zu haben, nicht um von ihnen zu lernen, was ihre Pflicht erheische, sondern um sich das fuͤr erlaubt erklaͤren zu lassen, wonach ihre Begierden getrachtet,“ daß man einen solchen Mißbrauch der hoͤchsten Gewalt fuͤr die vornehmste Quelle des Ver- derbens erklaͤrte Es ist das schon angefuͤhrte Consilium delectorum Cardi- nalium et aliorum praelatorum de emendanda ecclesia . Von Contarini, Caraffa, Sadolet, Poole, Fregoso, Giberto, Cortese und Aleander unterzeichnet. . Und hierbei blieb man nicht stehen. Es sind einige kleine Schriften von Gaspar Contarini uͤbrig, in denen er vor allem denjenigen Mißbraͤuchen, welche der Curie Gewinn brachten, den lebhaftesten Krieg macht. Den Gebrauch der Compositionen — daß man nemlich fuͤr die Verleihung selbst geistlicher Gnaden sich Geld zahlen ließ — erklaͤrt er fuͤr Simonie, die man fuͤr eine Art von Ketzerei halten koͤnne. Man fand es uͤbel gethan, daß er fruͤhere Paͤpste tadle. „Wie,“ ruft er aus, „sollen wir uns so sehr um den Namen von drei, vier Paͤpsten kuͤmmern, und nicht lieber verbessern was verunstaltet ist, und uns selber einen guten Namen erwerben? In der That, es waͤre viel ge- fordert, alle Thaten aller Paͤpste zu vertheidigen!“ Den Mißbrauch der Dispensationen greift er auf das ernst- Versuche innerer Reformen . lichste, nachdruͤcklichste an. Er findet es goͤtzendienerisch, zu sagen, was wirklich behauptet wurde, der Papst habe fuͤr Festsetzung und Aufhebung des positiven Rechts keine an- dere Norm als seinen Willen. Es ist der Muͤhe werth, ihn hieruͤber zu hoͤren. „Christi Gesetz,“ sagt er, „ist ein Gesetz der Freiheit und verbietet eine so grobe Knecht- schaft, welche die Lutheraner ganz Recht haͤtten mit der babylonischen Gefangenschaft zu vergleichen. Aber auch uͤberdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re- gel der Wille eines Menschen ist der von Natur zum Boͤsen neigt und von unzaͤhligen Affecten bewegt wird? Nein! alle Herrschaft ist eine Herrschaft der Vernunft. Sie hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen sind, durch die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Gluͤck zu fuͤhren. Auch die Autoritaͤt des Papstes ist eine Herrschaft der Ver- nunft: Gott hat sie dem heiligen Peter und dessen Nach- folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi- gen Seligkeit zu leiten. Ein Papst muß wissen, daß es freie Menschen sind, uͤber die er sie ausuͤbt. Nicht nach Be- lieben soll er befehlen oder verbieten oder dispensiren, son- dern nach der Regel der Vernunft, der goͤttlichen Gebote, und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das gemeine Beste bezieht. Denn nicht die Willkuͤhr giebt die positiven Gesetze. Sie werden gegeben, indem man das natuͤrliche Recht und die goͤttlichen Gebote mit den Um- staͤnden zusammenhaͤlt; nur nach denselben Gesetzen und der unabweislichen Forderung der Dinge koͤnnen sie geaͤn- dert werden.“ — „Deine Heiligkeit,“ ruft er Paul III. zu, „trage Sorge, von dieser Regel nicht abzuweichen. 10* Buch II. Regeneration des Katholicismus . Wende dich nicht zu der Ohnmacht des Willens, welche das Boͤse waͤhlt, zu der Knechtschaft, die der Suͤnde dient. Dann wirst du maͤchtig, dann frei werden; dann wird in dir das Leben der christlichen Republik enthalten seyn“ G. Contarini Cardinalis ad Paulum III. P. M. de po- testate pontificis in compositionibus. Gedruckt bei Roccaberti Bibliotheca Pontificia Maxima Tom. XIII. In meinen Haͤnden ist noch ein Tractatus de compositionibus datarii Rev mi D. Gas- paris Contareni, 1536, von dem ich nicht finden kann, daß er ir- gendwo gedruckt sey. . Ein Versuch, wie wir sehen, ein rationelles Papstthum zu gruͤnden. Um so merkwuͤrdiger, weil es von derselben Lehre uͤber die Justification und den freien Willen ausgeht, die dem protestantischen Abfall zur Grundlage gedient hat. Wir vermuthen dieß nicht allein, weil Contarini diese Mei- nungen hegte, er sagt es ausdruͤcklich. Er fuͤhrt aus, daß der Mensch zum Boͤsen neige: dieß komme von der Ohn- macht des Willens her, welcher, sobald er sich zu dem Boͤsen wende, mehr im Leiden als im Thun begriffen sey; nur durch Christi Gnade werde er frei. Er erkennt demnach wohl die paͤpstliche Gewalt an, doch fordert er von ihr die Richtung auf Gott und das allgemeine Beste. Contarini legte seine Schriften dem Papste vor. Im November 1538 fuhr er mit ihm an einem heitern Tage nach Ostia. „Da auf dem Wege,“ schreibt er an Poole, „hat mich dieser unser gute Alte bei Seite genommen und mit mir allein uͤber die Reform der Compositionen gere- det. Er sagte, den kleinen Aufsatz, den ich daruͤber ge- schrieben, habe er bei sich und in den Morgenstunden habe er ihn gelesen. Ich hatte bereits alle Hoffnung aufgege- Versuche innerer Reformen . ben. Jetzt hat er aber so christlich mit mir geredet, daß ich neue Hoffnung gefaßt habe, Gott werde etwas Gro- ßes ausrichten und die Pforten der Hoͤlle seinen Geist nicht uͤberwaͤltigen lassen.“ Gaspar C. Contarenus Reginaldo C. Polo. Ex ostiis Tiberinis XI. Nov. 1538. (Epp. Poli II. 142). . Es ist leicht zu erachten, daß eine durchgreifende Ver- besserung der Mißbraͤuche, an die sich so viel persoͤnliche Rechte und Anspruͤche, so viele Gewohnheiten des Lebens knuͤpften, das Schwerste von allem war, was man unter- nehmen konnte. Indeß schien Papst Paul nach und nach ernstlich daran gehen zu wollen. So ernannte er Commissionen zur Ausfuͤhrung der Reformen Acta consistorialia (6. Aug. 1540) bei Rainaldus Anna- les ecclesiastici Tom. XXI, p. 146. , — fuͤr Kammer, Ruota, Kanzlei und Peni- tenziaria —; auch Giberti berief er wieder zu sich. Es er- schienen reformatorische Bullen: zu dem allgemeinen Conci- lium, das Papst Clemens so sehr gefuͤrchtet und geflohen hatte, das auch Paul III. in seinen Privatverhaͤltnissen manchen Anlaß finden konnte zu vermeiden, machte man Anstalt. Wie nun, wenn in der That die Verbesserungen Statt fanden, der roͤmische Hof sich reformirte, die Miß- braͤuche der Verfassung abgestellt wurden? Wenn dann das nemliche Dogma, von welchem Luther ausgegangen, das Prinzip einer Erneuerung im Leben und Lehre ward? Waͤre da nicht eine Aussoͤhnung moͤglich gewesen? Denn auch die Protestanten rissen sich nur langsam und wider- strebend von der Einheit der Kirche los. Buch II. Regeneration des Katholicismus . Vielen schien es moͤglich; auf die Religionsgespraͤche setzten nicht Wenige eine ernstliche Hoffnung. Der Theorie nach haͤtte sie der Papst nicht billigen sollen, da sie nicht ohne Einwirkung der weltlichen Gewalt Religionsstreitigkeiten zu entscheiden suchten, uͤber die er selber das oberste Erkenntniß in Anspruch nahm. Auch verwahrte er sich wohl; jedoch ließ er sie vor sich gehen und sendete seine Abgeordneten dazu. Er ging dabei mit vieler Behutsamkeit zu Werke: er waͤhlte immer gemaͤßigte Maͤnner: Leute, die spaͤter in vie- len Faͤllen selbst in den Verdacht des Protestantismus ge- rathen sind. Fuͤr ihr Leben und politisches Verhalten gab er ihnen uͤberdieß verstaͤndige Anweisungen. Als er z. B. Morone’n, der noch jung war, im Jahre 1536 nach Deutschland schickte, versaͤumte er nicht, ihm anzuempfehlen, „er solle keine Schulden machen, in den angewiesenen Herbergen bezahlen, sich ohne Luxus, so wie ohne Armseligkeit kleiden: zwar die Kirche besuchen, aber ja ohne den Schein der Heuchelei.“ Er sollte die roͤmische Reform, von der so viel die Rede gewesen, in seiner Person darstellen: eine durch Heiterkeit gemaͤßigte Wuͤrde empfahl man ihm an Instructio pro causa fidei et concilii data episcopo Mu- tinae. 24 Oct. 1536. Ms. . Im Jahre 1540 hatte der Bischof von Wien zu einem aͤußersten Schritte gerathen. Man sollte, meinte derselbe, den Neuglaͤubigen die fuͤr ketzerisch erklaͤrten Artikel Luthers und Melanchthons vor- legen, und sie kurzweg fragen, ob sie von denselben abzu- stehen geneigt seyen. Zu einer solchen Maaßregel jedoch Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . wies der Papst seinen Nunzius mit nichten an. „Sie wuͤrden eher sterben, fuͤrchten wir,“ sagt er, „als einen solchen Widerruf leisten.“ Er wuͤnscht nur, eine Hoffnung der Aussoͤhnung zu sehen. Bei dem ersten Strahl dersel- ben will er eine nicht beleidigende Formel senden, die von weisen und wuͤrdigen Maͤnnern bereits hierzu entworfen worden. „Waͤre es doch schon dahin! Kaum duͤrfen wir es erwarten“ Instructiones pro Rev mo . D. ep. Mutinensi Apostolico Nuncio interfuturo conventui Germanorum Spirae 12 Maji 1540 celebrando. „Timendum est atque adeo certo sciendum, ista, quae in his articulis pie et prudenter continentur, non solum fretos salvo conductu esse eos recusaturos verum etiam ubi mors praesens immineret, illam potius praeelecturos.“ ! Niemals aber war man naͤher bei einander, als bei dem Regensburger Gespraͤch im Jahre 1541. Die politi- schen Verhaͤltnisse lagen ausnehmend vortheilhaft. Der Kaiser, welcher sich der Kraft des Reiches zu einem Tuͤr- kenkrieg oder wider Frankreich zu bedienen hatte, wuͤnschte nichts dringender, als eine Aussoͤhnung. Er waͤhlte die verstaͤndigsten, gemaͤßigtsten Maͤnner unter den katholischen Theologen, Gropper und Julius Pflug, zu dem Gespraͤch aus. Auf der andern Seite stand Landgraf Philipp wie- der gut mit Oestreich; er hoffte die oberste Anfuͤhrung in dem Kriege, zu dem man sich ruͤstete, zu erhalten; mit Bewunderung und Vergnuͤgen sah ihn der Kaiser auf sei- nem praͤchtigen Hengst, kraͤftig wie der, in Regensburg einreiten. Der friedfertige Bucer, der beugsame Melanch- thon erschienen von der protestantischen Seite. Wie sehr auch der Papst einen gluͤcklichen Erfolg Buch II. Regeneration des Katholicismus . wuͤnsche, zeigte schon die Wahl des Legaten, den er sen- dete, eben jenes Gaspar Contarini, den wir in die neue Richtung, welche Italien genommen, so tief verflochten, den wir bei dem Entwurfe allgemeiner Reformen so thaͤtig gesehen. Jetzt trat er in eine noch bedeutendere Stelle, in die Mitte zwischen zwei Meinungen und Parteien, welche die Welt spalteten: in einem vortheilhaften Moment: mit dem Auftrag und der Aussicht, sie zu versoͤhnen; — eine Stelle, die uns, wenn nicht die Pflicht auflegt, doch die Erlaubniß giebt, seine Persoͤnlichkeit naͤher zu betrachten. Messer Gaspar Contarini, der aͤlteste Sohn aus ei- nem adlichen Hause in Venedig, das nach der Levante han- delte, hatte sich besonders philosophischen Studien gewid- met. Es ist nicht unmerkwuͤrdig, wie er dieß that. Er be- stimmte den Tag drei Stunden fuͤr die eigentlichen Stu- dien; nie wandte er weniger, nie auch mehr darauf; er begann alle Mal mit genauer Wiederholung; er brachte es in jeder Disciplin bis zu ihrem Ende: nie uͤbersprang er eine Joannis Casae Vita Gasparis Contarini: in Jo. Casae Monimentis latinis ed. Hal. 1708. p. 88. . Von den Subtilitaͤten der Ausleger des Aristoteles ließ er sich nicht zu aͤhnlichen Spitzfindigkeiten fortreißen: er fand, nichts sey scharfsinniger als die Unwahrheit. Er zeigte das entschiedenste Talent, doch noch groͤßere Festigkeit. Nach dem Schmuck der Rede trachtete er nicht: er druͤckte sich einfach aus, wie die Sache es forderte. Wie die Natur in regelrechter Folge hervorbringt, Jahresring an Jahresring reihend, so entwickelte er sich. Als er, in ziemlich jungen Jahren, in den Rath der Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . Pregadi, den Senat seiner Vaterstadt, aufgenommen ward, wagte er eine Zeitlang nicht zu sprechen: er haͤtte es ge- wuͤnscht, er haͤtte etwas zu sagen gehabt; doch konnte er sich das Herz nicht fassen; als er es endlich uͤber sich ge- wann, sprach er, zwar weder sehr anmuthig, noch witzig, noch heftig und lebhaft, aber so einfach und gruͤndlich, daß er sich das groͤßte Ansehn verschaffte. In die bewegtesten Zeiten war er gefallen. Er er- lebte, wie seine Vaterstadt ihr Gebiet verlor, und trug selbst dazu bei, daß sie es wiedererwarb. Bei der ersten Ankunft Carls V. in Deutschland ward er als Gesandter an ihn geschickt; hier nahm er den Anfang der Kirchen- trennung wahr. Sie trafen in Spanien ein, als das Schiff Vittoria von der ersten Weltumseglung zuruͤckkam Beccatello Vita del C. Contarini (Epp. Poli III.) p. CIII. Es giebt auch eine besondere Ausgabe, die aber nur aus dem Bande der Briefe herausgenommen ist und dieselben Seiten- zahlen hat. : das Raͤthsel, daß es einen Tag spaͤter eintraf, als es nach seinem Tagebuche haͤtte geschehen sollen, wußte er, so viel ich finde, zuerst zu loͤsen. Den Papst, zu dem er nach der Eroberung von Rom abgeordnet wurde, half er mit dem Kaiser versoͤhnen. Von seiner treffenden, eindringen- den Ansicht der Welt und seiner wohlverstandenen Vater- landsliebe, ist das Buͤchelchen uͤber die venezianische Ver- fassung — ein sehr unterrichtendes und wohlgefaßtes Werk- chen — und sind die Relazionen uͤber seine Gesandtschaf- ten, welche sich hier und da handschriftlich finden, helle Zeugnisse Die erste ist von 1525, die andre von 1530. Vornehmlich . Buch II. Regeneration des Katholicismus . Eines Sonntags im Jahre 1535, als grade der große Rath versammelt war und Contarini, der indeß in die wichtigsten Aemter gekommen, bei den Wahlurnen saß, traf die Nachricht ein, Papst Paul, den er nicht kannte, zu dem er keinerlei Verhaͤltniß hatte, habe ihn zum Cardinal er- nannt. Alles eilte herbei, um ihn, den Ueberraschten, der es nicht glauben wollte, zu begluͤckwuͤnschen. Aluise Mo- cenigo, der ihm bisher in den Staatsgeschaͤften die Wi- derpart gehalten, rief aus, die Republik verliere ihren be- sten Buͤrger Daniel Barbaro an Domenico Veniero; Lettere volgari I, 73. . Fuͤr ihn jedoch hatte dieß ehrenvolle Gluͤck auch eine minder erfreuliche Seite. Sollte er die freie Vaterstadt verlassen, die ihm ihre hoͤchsten Wuͤrden und auf jeden Fall einen Wirkungskreis in voͤlliger Gleichheit mit den Haͤuptern des Staates darbot, um in den Dienst eines oft leidenschaftlichen, durch keine bindenden Gesetze einge- schraͤnkten Papstes zu treten? Sollte er sich aus seiner altvaͤterischen Republik entfernen, deren Sitten den seinen entsprachen, um sich in dem Luxus und Glanz des roͤmischen Hofes mit den Uebrigen zu messen? Hauptsaͤchlich hat ihn, wie man versichert, die Betrachtung, daß in so schwieri- gen Zeiten das Beispiel der Verachtung einer so hohen Wuͤrde, eine schaͤdliche Wirkung haben werde, dazu be- stimmt, sie anzunehmen Casa p. 102. . ist die erste fuͤr die fruͤhere Zeit Carls V. sehr wichtig. Ich habe von derselben weder in Wien noch Venedig eine Spur gefunden. In Rom entdeckte ich ein Exemplar: ein andres habe ich nie zu se- hen bekommen. Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . Den ganzen Eifer nun, den er bisher seiner Vater- stadt gewidmet, wandte er seitdem auf die allgemeinen An- gelegenheiten der Kirche. Oft hatte er die Cardinaͤle gegen sich, die es seltsam fanden, daß ein kaum Angekommener, ein Venezianer den roͤmischen Hof reformiren wolle: zuwei- len auch den Papst. Er widersetzte sich einst der Ernen- nung eines Cardinals. „Wir wissen,“ sagte der Papst, „wie man in diesen Gewaͤssern schifft: die Cardinaͤle lieben es nicht, daß ihnen ein andrer an Ehre gleich werde.“ Betroffen sagte Contarini: „ich glaube nicht, daß der Car- dinalhut meine groͤßte Ehre ist.“ Auch hier behauptete er sich in seiner Strenge, Einfach- heit, Thaͤtigkeit: in der Wuͤrde und Milde seiner Gesinnung. Die Natur laͤßt das einfach gegliederte Gewaͤchs nicht ohne den Schmuck der Bluͤthe, in dem sein Daseyn ath- met und sich mittheilt. In dem Menschen ist es die Ge- sinnung, welche von allen hoͤhern Kraͤften seines Lebens zusammen hervorgebracht wird, und ihm dann seine mo- ralische Haltung, seiner Erscheinung ihren Ausdruck ver- leiht. In Contarini war es Milde: innere Wahrheit: keusche Sittlichkeit; besonders die tiefere religioͤse Ueber- zeugung, die den Menschen begluͤckt, indem sie ihn er- leuchtet. Voll von dieser Gesinnnung, gemaͤßigt, mit den Pro- testanten in dem wichtigsten Lehrstuͤck fast von der gleichen Ansicht, erschien Contarini in Deutschland; mit einer Re- generation der Lehre von eben diesem Punkte aus, der Abstellung der Mißbraͤuche hoffte er die Spaltung beilegen zu koͤnnen. Buch II. Regeneration des Katholicismus . Ob sie aber nicht bereits zu weit gediehen war, ob die abweichenden Meinungen nicht bereits zu maͤchtig Wur- zel gefaßt hatten? Ich moͤchte daruͤber doch nicht sofort entscheiden. Ein andrer Venezianer, Marin Giustiniano, der unser Vaterland kurz vor diesem Reichstag verließ, und die Lage der Dinge sorgfaͤltig beobachtet zu haben scheint, schildert es wenigstens als sehr moͤglich Relazione del clar mo . M. Marino Giustinian Kav r. (ri- tornato) dalla legazione di Germania sotto Ferdinando, re di Romani. Bibl. Corsini zu Rom nr. 481. . Nur seyen, findet er, einige bedeutende Zugestaͤndnisse unerlaͤßlich. Er macht folgende namhaft. „Der Papst duͤrfe nicht mehr als Christi Stellvertreter im Weltlichen wie im Geistlichen an- gesehen werden wollen — den ungelehrten und lasterhaften Bischoͤfen und Priestern muͤsse man Substituten setzen, un- tadelhaft in ihrem Leben und faͤhig das Volk zu unterrich- ten — weder Verkauf der Messe noch Anhaͤufung der Pfruͤn- den, noch den Mißbrauch der Compositionen duͤrfe man laͤnger dulden — die Uebertretung der Fastengesetze hoͤchstens mit leichten Strafen belegen; — werde dann die Communion unter beiden Gestalten und die Priesterehe gestattet, so werde man in Deutschland sofort aller Zwietracht absagen, dem Papst in geistlichen Dingen Obedienz leisten, die Messe ge- schehen lassen, die Ohrenbeichte zugeben, und sogar die Nothwendigkeit der guten Werke, als einer Frucht des Glau- bens, insofern sie nemlich aus dem Glauben folgen, aner- kennen. Wie die Zwietracht aus den Mißbraͤuchen entsprun- gen, so werde sie durch eine Abstellung derselben zu heben seyn.“ Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . Hierbei erinnern wir uns, daß Landgraf Philipp von Hessen schon das Jahr vorher erklaͤrt hatte, die weltliche Macht der Bischoͤfe koͤnne geduldet werden, wofern man ein Mittel finde, auch die geistliche gebuͤhrend zu handha- ben; in Hinsicht der Messe koͤnne man sich wohl verglei- chen, wenn nur beiderlei Gestalt nachgelassen bleibe Schreiben des Landgrafen in Rommels Urkundenbuche p. 85. Vrgl. das Schreiben des Bischofs von Lunden bei Seckendorf p. 299. Contarini al C l. Farnese 1541. 28 April. (Epp. Poli III, p. CCLV.). Der Landgraf und der Churfuͤrst forderten beide Priesterehe und beiderlei Gestalt; in Hinsicht des Primats zeigte sich jener, in Hinsicht der Lehre, de missa quod sit sacrificium, zeigte sich dieser schwieriger. . Den paͤpstlichen Primat, ohne Zweifel unter gewissen Be- dingungen, anzuerkennen erklaͤrte sich Joachim von Bran- denburg bereitwillig. Indessen naͤherte man sich auch von der andern Seite. Der kaiserliche Botschafter wiederholte, man muͤsse von beiden Seiten nachlassen, so weit es nur immer mit Gottes Ehre moͤglich. Auch die Nicht-Prote- stirenden haͤtten es gern gesehen, wenn die geistliche Ge- walt den Bischoͤfen, die zu eigentlichen Fuͤrsten geworden waren, in ganz Deutschland abgenommen und an Super- intendenten uͤbertragen, wenn in Hinsicht der Verwendung der Kirchenguͤter eine allgemein guͤltige Veraͤnderung be- liebt worden waͤre. Man fing bereits an von neutralen Dingen zu reden, die man thun oder lassen koͤnne, selbst in geistlichen Churfuͤrstenthuͤmern wurden Gebete fuͤr den guͤnstigen Gang des Aussoͤhnungswerkes veranstaltet. Wir wollen uͤber den Grad der Moͤglichkeit und Wahr- scheinlichkeit dieses Gelingens nicht streiten: sehr schwer Buch II. Regeneration des Katholicismus . blieb es allemal; aber wenn sich auch nur eine geringe Aussicht zeigte, so war es doch einen Versuch werth; so viel sehen wir, daß sich noch einmal eine große Nei- gung zu einem solchen entwickelt hatte, daß sich ungemeine Hoffnungen daran knuͤpften. Nur fragte sich, ob auch der Papst, ohne den nichts geschehen konnte, von der Strenge seiner Forderungen nach- zulassen geneigt sey. Sehr merkwuͤrdig ist in dieser Hin- sicht besonders Eine Stelle der Instruction, mit der er Con- tarini entließ Instructio data Rev mo . C li. Contareno in Germaniam le- gato d. 28 Mensis Januarii 1541. In vielen Bibliotheken hand- schriftlich: gedruckt in Quirini: Epp. Poli III, CCLXXXVI. . Die unumschraͤnkte Vollmacht, auf welche von kaiser- licher Seite gedrungen worden, hatte er demselben nicht gewaͤhrt. Er vermuthet, es koͤnnten in Deutschland For- derungen vorkommen, die kein Legat, die nicht einmal er, der Papst selbst, ohne Beirath der anderen Nationen zugeste- hen duͤrfe. Doch weist er darum nicht alle Unterhandlung von sich. Wir muͤssen erst sehen, sagt er, ob die Protestan- ten in den Principien mit uns uͤbereinkommen, z. B. uͤber den Primat des heiligen Stuhles, die Sacramente und einiges andere. Fragt man nun, was dieß Andere sey, so druͤckt sich der Papst daruͤber nicht ganz deutlich aus. Er bezeichnet es als das, was sowohl durch die heilige Schrift, als durch den immerwaͤhrenden Gebrauch der Kirche gebilligt worden: dem Legaten sey es bekannt. Auf diese Grundlage, fuͤgt er hinzu, koͤnne man sich dann uͤber alle Streitpunkte zu verstaͤndigen suchen Videndum inprimis est, an Protestantes et ii qui ab eccle- . Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . Es ist wohl keine Frage, daß diese unbestimmte Art des Ausdrucks mit Absicht gewaͤhlt worden war; Paul III. mochte versuchen wollen, wie weit Contarini es bringe, und sich fuͤr die Ratification nicht im Voraus die Haͤnde zu binden Lust haben. Zunaͤchst ließ er dem Legaten einen gewissen Spielraum. Ohne Zweifel wuͤrde es diesem neue Anstrengungen gekostet haben, dasjenige der hartnaͤckigen Curie annehmlich zu machen, was man in Regensburg, unmoͤglich zu ihrer vollen Zufriedenheit, erreicht haͤtte; aber hierauf, auf eine Versoͤhnung und Vereinigung der versam- melten Theologen kam doch fuͤr’s Erste alles an. Allzu schwankend war noch die vermittelnde Tendenz, sie konnte noch nicht bei Namen genannt werden: erst wenn sie einen festen Punkt gewann, so konnte sie hoffen, sich weiter gel- tend zu machen. An dem 5. April 1541 begann man die Verhandlun- gen; einen von dem Kaiser mitgetheilten, von Contarini nach einigen leichten Abaͤnderungen gebilligten Entwurf legte man dabei zu Grunde. Gleich hier hielt es der Legat fuͤr rathsam, von seiner Instruction einen Schritt abzuwei- chen. Der Papst hatte vor allem andern die Anerkennung siae gremio defecerunt, in principiis nobiscum conveniant, cujus- modi est hujus sanctae sedis primatus, tanquam a deo et salva- tore nostro institutus, sacrosanctae ecclesiae sacramenta et alia quaedam, quae tum sacrarum litterarum autoritate, tum univer- salis ecclesiae perpetua observatione hactenus observata et com- probata fuere et tibi nota esse bene scimus, quibus statim initio admissis omnis super aliis controversiis concordia tenta- retur. Man muß hierbei nur immer die hoͤchst orthodoxe, ihrer Natur nach inflexible Stellung eines Papstes im Auge haben, um zu bemerken, wie viel in einer solchen Wendung liegt. Buch II. Regeneration des Katholicismus . seines Primates gefordert. Contarini sah wohl, daß an die- ser Schwierigkeit, welche die Leidenschaften so leicht in Be- wegung setzen konnte, der Versuch in seinem Beginn schei- tern koͤnne. Er ließ geschehen, daß von den zur Bespre- chung vorgelegten Artikeln der das paͤpstliche Primat be- treffende vielmehr der letzte wurde. Er hielt fuͤr besser, mit solchen anzufangen, in denen er und seine Freunde sich den Protestanten naͤherten, ohnehin Punkten von der hoͤchsten Wichtigkeit, welche die Grundlage des Glaubens betrafen. An den Verhandlungen hieruͤber hatte er den groͤßten An- theil. Sein Secretaͤr versichert, daß von den katholischen Theologen nichts beschlossen, selbst keine einzelne Aenderung vorgenommen worden sey, ohne daß man ihn vorher be- fragt haͤtte Beccatelli Vita del Cardinal Contarini p. CXVII. . Morone, Bischof von Modena, Tomaso da Modena, Maestro di sacro palazzo, beides Maͤnner, die in dem Artikel der Justification der nemlichen Meinung waren, standen ihm zur Seite Pallavicini IV, XIV, p. 433 aus den Briefen Contarini’s. . Die Hauptschwierigkeit setzte ein deutscher Theologe, jener alte Widersacher Luthers, Doctor Eck, entgegen. Allein indem man denselben noͤ- thigte, Punkt fuͤr Punkt zu besprechen, brachte man auch ihn zuletzt zu genuͤgenden Erklaͤrungen. In der That ver- einigte man sich — wer haͤtte es zu hoffen gewagt — in Kurzem uͤber die vier wichtigen Artikel von der menschli- chen Natur, der Erbsuͤnde, der Erloͤsung und selbst der Justification. Contarini gestand den Hauptpunkt der lu- therischen Lehre zu, daß die Rechtfertigung des Menschen ohne Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . ohne Verdienst durch den Glauben allein erfolge; er fuͤgte nur hinzu, daß dieser Glaube lebendig und thaͤtig seyn muͤsse. Melanchthon bekannte, daß eben dieß die prote- stantische Lehre selber sey Melanchthon an Camerar 10. Mai: (Epp. p. 360) „ad sen- tiuntur justificari homines fide et quidem in eam sententiam ut nos docemus.“ Vgl. Planck: Gesch. d. protest. Lehrbegriffs III, II, 93. . Kuͤhnlich behauptet Bucer, in den verglichenen Artikeln sey alles einbegriffen, „was dazu gehoͤre, um vor Gott und in der Gemeinde gottselig, gerecht und heilig zu leben“ Alle Handlungen und Schriften, zu Vergleichung der Re- ligion durch die Kaiserl. Majestaͤt ꝛc. verhandelt ao. 1541 durch Martinum Bucerum, bei Hortleder Buch I, Cap. 37. S. 280. . Eben so zufrieden war man auf der andern Seite. Der Bischof von Aquila nennt dieß Colloquium heilig: er zweifelt nicht, daß es die Ver- soͤhnung der Christenheit herbeifuͤhren werde. Mit Freu- den hoͤrten die gleichgesinnten Freunde Contarini’s, wie weit er gekommen sey. „Wie ich diese Uebereinstimmung der Meinung bemerkt,“ schreibt ihm Poole, „habe ich ein Wohlgefuͤhl empfunden, wie es mir keine Harmonie der Toͤne haͤtte verschaffen koͤnnen. Nicht allein weil ich Friede und Eintracht kommen sehe, sondern auch weil diese Artikel die Grundlage des gesammten christlichen Glaubens sind. Zwar scheinen sie von mancherlei zu handeln, von Glau- ben, Werken und Rechtfertigung: auf diese jedoch, die Recht- fertigung, gruͤndet sich alles uͤbrige, und ich wuͤnsche dir Gluͤck, ich danke Gott, daß die Theologen beider Par- teien sich daruͤber vereinigt haben. Wir hoffen, er, der so barmherzig angefangen hat, wird es auch vollenden“ Polus Contareno. Capranicae 17 Maji 1541. Epp. . 11 Buch II. Regeneration des Katholicismus . Ein Moment, wenn ich nicht irre, fuͤr Deutschland, ja fuͤr die Welt von wesentlicher Bedeutung. Fuͤr jenes: die Punkte, die wir beruͤhrt haben, schließen die Absicht ein, die gesammte geistliche Verfassung der Nation zu aͤndern, und ihr dem Papst gegenuͤber eine freiere, seiner weltlichen Eingriffe uͤberhobene, selbststaͤndige Stellung zu geben. Die Einheit der Kirche, und mithin der Nation waͤre behauptet worden. Unendlich viel weiter aber wuͤrde der Erfolg nachgewirkt haben. Wenn die gemaͤßigte Par- tei, von welcher diese Versuche ausgingen und geleitet wur- den, in Rom und Italien die Oberhand zu behaupten ver- stand, welch eine ganz andere Gestalt haͤtte auch die ka- tholische Welt annehmen muͤssen! Allein ein so ungemeines Resultat ließ sich nicht ohne lebhaften Kampf erreichen. Was zu Regensburg beschlossen worden, mußte auf der einen Seite durch die Billigung des Papstes, auf der andern durch die Beistimmung Luthers, an den man sogar eine eigene Gesandtschaft abordnete, bestaͤtigt werden. Aber schon hier zeigten sich viele Schwierigkeiten. Luther konnte sich nicht uͤberzeugen, daß auch auf der an- dern Seite die Lehre von der Justification Wurzel ge- Poli T. III, p. 25. Merkwuͤrdig sind auch die Briefe jenes Bi- schofs von Aquila bei Rainaldus 1541 Nr. 11. 12. Man meinte, wenn man nur noch uͤber den Punkt vom Abendmahl wegkomme, so werde sich alles andre beseitigen lassen. Id unum est, quod omnibus spem maximam facit, assertio caesaris se nullo pacto, nisi rebus bene compositis discessurum atque etiam, quod omnia scitu consiliisque rev m ̱ i ̱ legati in colloquio a nostris theologis tractantur et disputantur. Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . faßt habe. Seinen alten Gegner hielt er mit Recht fuͤr unverbesserlich, und doch war dieser auch hierbei thaͤtig ge- wesen. In den verglichenen Artikeln sieht Luther nichts als ein Stuͤckwerk, zusammengesetzt aus beiden Meinun- gen: er, der sich immer im Kampfe zwischen Himmel und Hoͤlle erblickte, glaubte auch hier das Treiben des Satans zu erkennen. Seinem Herrn, dem Churfuͤrsten, rieth er auf das dringendste ab, den Reichstag persoͤnlich zu besuchen. „Grade er sey der, den der Teufel suche“ Luther an Joh. Friedrich in de Wette’s Sammlung V, 353. . Auf das Er- scheinen und die Beistimmung des Churfuͤrsten waͤre in der That unendlich viel angekommen. Indessen waren diese Artikel auch nach Rom gelangt. Sie erregten ein ungemeines Aufsehn. An der Erklaͤrung uͤber die Rechtfertigung nahmen besonders die Cardinaͤle Caraffa und San Marcello großen Anstoß, und nur mit Muͤhe konnte ihnen Priuli den Sinn derselben deutlich machen Ich kann es Quirini nicht vergeben, daß er den Brief Priu- li’s uͤber diese Verhaͤltnisse, den er in Haͤnden hatte, nicht vollstaͤn- dig mitgetheilt hat. . So entschieden jedoch druͤckte sich der Papst nicht sogleich aus, wie Luther. Cardinal Farnese ließ an den Legaten schreiben: Seine Heiligkeit billige weder noch mißbillige sie diesen Schluß. Aber alle Anderen, die ihn gesehen, seyen der Meinung, vorausgesetzt, daß der Sinn desselben mit dem katholischen Glauben uͤbereinstimme, so koͤnnten die Worte doch deutlicher seyn. Aber so stark auch diese theologische Opposition seyn mochte, so war sie doch weder die einzige noch vielleicht 11* Buch II. Regeneration des Katholicismus . die wirksamste. Noch eine andre kam von der politischen Seite her. Eine Versoͤhnung, wie man sie vorhatte, wuͤrde Deutsch- land eine ungewohnte Einheit, und dem Kaiser, der sich deren haͤtte bedienen koͤnnen, eine außerordentliche Macht verliehen haben Es gab immer eine kaiserliche Partei, welche diese Tendenz verfocht. Darin liegt unter andern das ganze Geheimniß der Un- terhandlungen des Erzb. von Lunden. Er hatte dem Kaiser vorge- stellt: che se S. M. volesse tolerare che i Lutherani stessero nelli loro errori disponeva a modo e voler suo di tutta la Ger- mania. Instruzione di Paolo III. a Montepulciano 1539. Auch jetzt wuͤnschte der Kaiser eine Toleranz. . Als das Oberhaupt der gemaͤßigten Partei haͤtte er besonders alsdann, wenn es zu einem Con- cilium gekommen waͤre, ein oberstes Ansehn in ganz Eu- ropa erlangen muͤssen. Hierwider erhoben sich wie natuͤr- lich alle gewohnten Feindseligkeiten. Franz I. glaubte sich unmittelbar bedroht und ver- saͤumte nichts, um die Vereinigung zu hintertreiben. Leb- haft beklagte er sich uͤber die Zugestaͤndnisse, die der Legat zu Regensburg mache Er sprach daruͤber mit dem paͤpstlichen Gesandten an seinem Hofe: Il C l. ̱ di Mantova al C l. ̱ Contarini bei Quirini III, CCLXXVIII.: Loces 17 Maggio 1541. S. M á ̱. Ch m ̱ a. ̱ diveniva ogni di piu ardente nelle cose della chiesa le quali era risoluto di voler difendere e sostenere con tutte le forze sue e con la vita sua e de’ figlivoli, giurandomi, che da questo si moveva princi- palmente a far questo officio. Dagegen hatte Granvella andere Notizen: m’affermò, sagt Contarini in einem Briefe an Farnese, ibid. CCLV, con giuramento havere in mano lettere del re Christ m ̱ o ̱., il quale scrive a questi principi protestanti, che non si accordino in alcun modo e che lui aveva voluto veder l’opi- nioni loro le quali non li spiacevano. Zu beiden Seiten haͤtte hiernach Franz I. die Versoͤhnung gehindert. . „Sein Betragen nehme den Gu- Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . ten den Muth und erhoͤhe ihn den Boͤsen: er werde es aus Nachgiebigkeit gegen den Kaiser noch so weit kommen lassen, daß der Sache nicht weiter zu helfen sey. Man haͤtte doch auch andere Fuͤrsten zu Rathe ziehen sollen.“ Er nahm die Miene an, als sehe er Papst und Kirche in Gefahr. Er versprach sie mit seinem Leben, mit allen Kraͤften sei- nes Reichs zu vertheidigen. Und schon hatten zu Rom nicht allein die angedeute- ten geistlichen Bedenklichkeiten Wurzel gefaßt. Ueberdieß be- merkte man, daß der Kaiser bei der Eroͤffnung des Reichs- tags, wo er eines allgemeinen Conciliums Meldung ge- than, dabei nicht gesagt hatte, der Papst allein habe es zu berufen. Man glaubte Andeutungen zu finden, daß er selbst dieß Recht in Anspruch nehme. In den alten Arti- keln, mit Clemens VII. zu Barcelona abgeschlossen, wollte man eine dahin zielende Stelle bemerken. Und sagten nicht die Protestanten fortwaͤhrend, ein Concilium zu berufen stehe dem Kaiser zu? Wie leicht konnte er ihnen da nach- geben, wo sein Vortheil mit ihrer Lehre so augenscheinlich zusammenfiel Ardinghello al nome del C l. Farnese al C l. Contarini 29 Maggio 1541. . Es haͤtte dieß die groͤßte Gefahr einer Spaltung eingeschlossen. Indessen regte man sich auch in Deutschland. Schon Giustinian versichert, die Macht, welche der Landgraf da- durch erworben, daß er sich an die Spitze der protestanti- schen Partei gestellt, erwecke in Anderen den Gedanken, sich eine aͤhnliche an der Spitze der Katholischen zu ver- schaffen. Ein Theilnehmer dieses Reichstags zeigt uns an, Buch II. Regeneration des Katholicismus . daß die Herzoͤge von Baiern jeder Uebereinkunft abhold seyen. Auch der Churfuͤrst von Mainz war entschieden dagegen. Er warnt den Papst in einem eigenen Schrei- ben vor einem Nationalconcilium, ja vor einem Conci- lium, das uͤberhaupt in Deutschland gehalten werde; „all- zuviel wuͤrde man darin zugestehen muͤssen“ Literae Cardinalis Moguntini bei Rainaldus 1541 nr. 27. . Es fin- den sich noch andere Schreiben, in denen sich andere deutsche Katholiken unmittelbar bei dem Papst uͤber den Fortgang, den der Protestantismus auf dem Reichstag nehme, die Nachgiebigkeit Groppers und Pflugs, die Ent- fernung der katholischen Fuͤrsten von dem Gespraͤche be- klagen Anonym, ebenfalls bei Rainaldus Nr. 25. Von welcher Seite sie kamen, laͤßt sich daraus entnehmen, weil es darin von Eck heißt: unus duntaxat peritus theologus adhibitus est . Sie sind voll Insinuationen gegen den Kaiser: „nihil, heißt es darin, ordinabi- tur pro robore ecclesiae, quia timetur, illi (Caesari) displicere.“ . Genug, in Rom, Frankreich und Deutschland erhob sich unter den Feinden Carls V. , unter den, sey es in Wahrheit oder zum Schein, eifrigsten Katholiken eine scharfe Opposition wider das vermittelnde Vorhaben dessel- ben. In Rom bemerkte man eine ungewohnte Vertraulich- keit des Papstes mit dem franzoͤsischen Botschafter: es hieß, er wolle seine Enkelin Vittoria Farnese mit einem Guise vermaͤhlen. Es konnte nicht anders kommen: diese Bewegungen mußten eine lebhafte Ruͤckwirkung auf die Theologen aͤu- ßern. Eck hielt sich ohnehin zu Baiern. „Die Feinde des Kaisers,“ sagt der Secretaͤr Contarini’s, „innerhalb Versuche einer Aussoͤhnung m. d. Protestanten . Deutschland und außerhalb, die seine Groͤße fuͤrchteten, wo- fern er ganz Deutschland vereinige, fingen an Unkraut un- ter jene Theologen zu saͤen. Der Neid des Fleisches unter- brach dieß Colloquium“ Beccatelli Vita p. CXIX. Hora il diavolo che sempre alle buone opere s’attraversa fece si, che sparsa questa fama della concordia che tra catholici e protestanti si preparava, gli invidi dell’ imperatore in Germania e fuori che la sua gran- dezza temevano, quando tutti gli Alemani fussero stati uniti, cominciarono a seminare zizania tra quelli theologi collocutori. . Bei den Schwierigkeiten des Gegenstandes an sich ist es kein Wunder, wenn man sich seitdem uͤber keinen Artikel weiter vergleichen konnte. Man uͤbertreibt die Gerechtigkeit, wenn man die Schuld hiervon den Protestanten allein oder auch nur hauptsaͤchlich zuschreibt. In Kurzem ließ der Papst dem Legaten als seine feste Willensmeinung ankuͤndigen, er solle weder oͤf- fentlich noch als Privatmann einen Beschluß billigen, in welchem die katholische Meinung anders als in solchen Worten die keiner Zweideutigkeit Raum geben, enthalten sey. Die Formeln, in denen Contarini die verschiedenen Meinungen uͤber das Primat des Papstes und die Gewalt der Concilien zu vereinigen gedacht hatte, verwarf man zu Rom unbedingt Ardinghello a Contarini. Ebend. p. CCXXIV. . Der Legat mußte sich zu Erklaͤrungen bequemen, die mit seinen fruͤheren Aeußerungen selbst in Widerspruch zu stehen schienen. Damit doch etwas geschehen waͤre, wuͤnschte der Kai- ser wenigstens, daß man sich bis auf Weiteres in den ver- glichenen Artikeln an die gefundenen Formeln halten, in den uͤbrigen die Abweichungen zu beiden Seiten toleriren Buch II. Regeneration des Katholicismus . moͤge. Allein dazu war weder Luther zu bewegen noch der Papst. Man meldet dem Cardinal, das ganze Collegium habe einstimmig beschlossen, auf eine Toleranz in so we- sentlichen Artikeln unter keiner Bedingung einzugehn. Nach so großen Hoffnungen, so gluͤcklichem Anfang kehrte Contarini unverrichteter Dinge zuruͤck. Er haͤtte gewuͤnscht, den Kaiser nach den Niederlanden zu begleiten, doch ward es ihm versagt. In Italien mußte er die Af- terreden vernehmen, die uͤber sein Betragen, uͤber die an- geblichen Concessionen, welche er den Protestanten gemacht habe, von Rom aus in dem ganzen Lande waren verbrei- tet worden. Er war hochgesinnt genug, das Mißlingen so umfassender Absichten noch schmerzlicher zu empfinden. Welch eine großartige Stellung war es, welche die gemaͤßigte katholische Meinung in ihm eingenommen hatte. Da es ihr aber nicht gelang, ihre Welt-Intention durch- zusetzen, so war es die Frage, ob sie sich auch nur be- haupten wuͤrde. Jede große Tendenz traͤgt in sich selber die unabweisliche Aufgabe sich geltend zu machen und durch- zusetzen. Kann sie die Herrschaft nicht erlangen, so schließt dieß ihren nahen Ruin ein. Neue Orden. Schon hatte sich indeß eine andere Richtung entwik- kelt, der geschilderten urspruͤnglich nahe verwandt, aber immer abweichender, und ob wohl auch auf eine Reform Neue Orden . angelegt, mit dem Protestantismus durchaus in Ge- gensatz. Wenn Luther das bisherige Priesterthum in seinem Prinzip und Begriff verwarf, so erhob sich dagegen in Ita- lien eine Bewegung, um eben dieses Prinzip herzustellen und durch strengere Festhaltung aufs neue in der Kirche geltend zu machen. Auf beiden Seiten nahm man das Verderben der geistlichen Institute wahr. Aber waͤhrend man in Deutschland nur mit der Aufloͤsung des Moͤnch- thums befriedigt wurde, suchte man es in Italien zu ver- juͤngen; waͤhrend dort der Clerus sich von so vielen Fesseln befreite, die er bisher getragen, dachte man hier darauf, ihm eine strengere Verfassung zu geben. Einen durchaus neuen Weg schlugen wir diesseit der Alpen ein; jenseit da- gegen wiederholte man Versuche, wie sie seit Jahrhunder- ten von Zeit zu Zeit Statt gefunden. Denn von jeher hatten sich die kirchlichen Institute zur Verweltlichung geneigt und dann nicht selten wieder von neuem an ihren Ursprung erinnert und zusammengenom- men werden muͤssen. Wie fanden es schon die Carolingen so nothwendig, den Clerus, nach der Regel des Chro- degang zu gemeinschaftlichem Leben, zu freier Unterord- nung anzuhalten! Den Kloͤstern selbst genuͤgte nicht lange die einfache Regel Benedicts von Nursia: waͤhrend des 10ten und 11ten Jahrhunderts sehen wir allenthalben enge geschlossene Congregationen, mit besondern Regeln, nach dem Vorgang von Clugny, nothwendig werden. Auf der Stelle hatte dieß seine Ruͤckwirkung auf die Weltgeist- lichkeit; durch die Einfuͤhrung des Coͤlibats ward sie, wie Buch II. Regeneration des Katholicismus . beruͤhrt, beinahe selber einer Ordensregel unterworfen. Nichts desto minder und trotz des großen geistlichen Impulses, welchen die Kreuzzuͤge den Nationen gaben, so daß sogar die Ritter und Herren ihr Kriegshandwerk den Formen moͤnchischer Gesetze unterwarfen, waren alle diese Institute in tiefen Verfall gerathen, als sich die Bettelmoͤnche er- hoben. In ihrem Anfang haben sie ohne Zweifel zur Her- stellung urspruͤnglicher Einfachheit und Strenge beigetra- gen, allein wir sahen, wie auch sie allmaͤhlig verwildert und verweltlicht waren, wie gerade in ihnen ein Hauptmo- ment des Verderbens der Kirche wahrgenommen wurde. Schon seit dem Jahre 1520 und seitdem immer leb- hafter, je weitere Fortschritte der Protestantismus in Deutsch- land machte, regte sich in den Laͤndern, die von demselben noch nicht ergriffen worden, das Gefuͤhl der Nothwendig- keit einer neuen Verbesserung der hierarchischen Institute. In den Orden selbst, bald in dem einen, bald in dem andern, trat es hervor. Trotz der großen Abgeschiedenheit des Ordens von Camaldoli fand ihn Paolo Giustiniani in das allgemeine Verderben verflochten. Im Jahre 1522 stiftete er eine neue Congregation desselben, die von dem Berge, auf wel- chem sie hernach ihren vornehmsten Sitz hatte, den Namen Monte Corona empfing Die Stiftung ist billig von der Abfassung der Regeln an zu datiren, nachdem Masacio 1522 der neuen Congregation uͤber- lassen worden. Monte Corona stiftete erst Basciano, der Nachfol- ger Giustiniani’s. Helyot Histoire des ordres monastiques V, p. 271. . Zur Erreichung geistlicher Voll- lommenheit hielt Giustiniani drei Dinge fuͤr wesentlich: Neue Orden . Einsamkeit, Geluͤbde und die Trennung der Moͤnche in ver- schiedene Zellen. Dieser kleinen Zellen und Bethaͤuser, wie man sie noch hie und da findet, auf den hoͤchsten Bergen, in reizender Wildniß, welche die Seele zugleich zu erhabe- nem Schwung und tiefer Ruhe einzuladen scheinen, ge- denkt er in einem seiner Briefe mit besonderer Genug- thuung Lettera del b. Giustiano al Vescovo Teatino bei Bromato Storia di Paolo IV. lib. III, §. 19. . In alle Welt hat sich die Reform dieser Ere- miten verbreitet. Unter den Franziscanern, in denen das Verderben vielleicht am tiefsten eingerissen war, versuchte man nach so vielen Reformen noch eine neue. Die Capuziner beabsichtig- ten die Einrichtungen des ersten Stifters herzustellen, den Gottesdienst bei Mitternacht, das Gebet in den bestimmten Stunden, Disciplin und Stillschweigen, die ganze strenge Lebensordnung der urspruͤnglichen Institution. Man muß uͤber die Wichtigkeit laͤcheln, die sie geringfuͤgigen Dingen beilegten; daruͤber ist aber nicht zu verkennen, daß sie sich auch wieder z. B. waͤhrend der Pest von 1528 sehr wak- ker benahmen. Indessen war mit einer Reform der Orden allein nicht viel gethan, da die Weltgeistlichkeit so ganz ihrem Berufe entfremdet war. Sollte eine Verbesserung wirklich etwas bedeuten, so mußte sie diese betreffen. Wir stoßen hier nochmals auf Mitglieder jenes roͤ- mischen Oratoriums. Zwei von ihnen, Maͤnner, wie es schien, uͤbrigens von ganz entgegengesetztem Character, un- ternahmen, eine solche vorzubereiten. Der eine: Gaetano Buch II. Regeneration des Katholicismus . da Thiene, friedfertig, stillehin, sanftmuͤthig, von wenig Worten, den Entzuͤckungen eines geistlichen Enthusiasmus hingegeben: von dem man gesagt, er wuͤnsche die Welt zu reformiren, aber ohne daß man wisse er sey auf der Welt Caracciolus: Vita S. Cajetani Thienaei c. IX, 101. „In conversatione humilis, mansuetus, modestus pauci sermonis — — Meminique me illum saepe vidisse inter precandum lacryman- tem. Sehr wohl bezeichnet ihn das Zeugniß einer frommen Ge- sellschaft in Vicenza, das man eben dort findet c. I, nr. 12. . Der andere: Johann Peter Caraffa, von dem noch ausfuͤhrlich zu reden seyn wird: heftig, aufbrausend, stuͤrmisch, ein Zelot. Auch Caraffa aber erkannte, wie er sagte, daß sein Herz nur um so bedraͤngter geworden, je mehr es seinem Begehren nachgegangen sey; daß es nur Ruhe finden koͤnne, wenn es sich selbst fuͤr Gott verlasse; nur in dem Umgang mit himmlischen Dingen. So trafen sie in dem Beduͤrfniß der Zuruͤckgezogenheit, die dem Einen Natur, dem Andern Wunsch und Begehren, und in der Neigung zu geistlicher Thaͤtigkeit zusammen. Ueberzeugt von der Nothwendigkeit einer Reform vereinigten sie sich zu einem Institut, — man hat es den Orden der Theatiner genannt — das zugleich Contemplation und Verbesserung des Clerus zu seinem Endzweck hatte Caracciolus c. 2, §. 19., bezeichnet ihre Absicht „clericis, quos ingenti populorum exitio improbitas inscitiaque corrupis- sent, clericos alios debere suffici, quorum opera damnum, quod illi per pravum exemplum intulissent sanaretur.“ . Gaetano gehoͤrte zu den Protonari partecipanti: er gab diese Pfruͤnde: Caraffa besaß das Bisthum Chieti, das Erzbisthum Brindisi: er gab sie beide auf. Mit zwei Neue Orden . enge verbuͤndeten Freunden, die ebenfalls Mitglieder jenes Oratoriums gewesen waren, legten sie am 14. September 1524 feierlich die drei Geluͤbde ab Die Acte hieruͤber findet man in dem commentarius prae- vius AA. SS. Aug. II, 249. . Das Geluͤbde der Armuth mit dem besondern Zusatz, daß sie nicht allein nichts besitzen, sondern auch das Betteln vermeiden wuͤr- den: in ihrem Hause wollten sie die Almosen erwarten. Nach kurzem Aufenthalt in der Stadt bezogen sie ein klei- nes Haus auf dem Monte Pincio, bei der Vigna Capi- succhi, aus der spaͤter die Villa Medici geworden, wo da- mals, obwohl innerhalb der Mauern von Rom eine tiefe Einsamkeit war: hier lebten sie in der Armuth, die sie sich vorgeschrieben, in geistlichen Uebungen, in dem genau vorge- zeichneten und alle Monat wiederholten Studium der Evan- gelien: dann gingen sie nach der Stadt herab, um zu pre- digen. Sie nannten sich nicht Moͤnche, sondern regulare Cle- riker: sie waren Priester mit Moͤnchsgeluͤbden. Ihre Ab- sicht war, eine Art von Priesterseminar einzurichten. Das Breve ihrer Stiftung erlaubte ihnen ausdruͤcklich, Welt- geistliche aufzunehmen. Eine bestimmte Form und Farbe der Tracht legten sie sich urspruͤnglich nicht auf: der Ge- brauch der Landesgeistlichkeit sollte dieselbe bestimmen. Auch den Gottesdienst wollten sie allenthalben nach landuͤblichen Gebraͤuchen halten. Und so machten sie sich von vielem frei, was die Moͤnche fesselte; sie erklaͤrten ausdruͤcklich: weder in Leben noch Gottesdienst solle irgend ein Gebrauch das Gewissen verpflichten Regel der Theatiner bei Bromato Vita di Paolo IV, lib. ; dagegen wollten sie sich den Buch II. Regeneration des Katholicismus . clericalischen Pflichten widmen, der Predigt, der Verwal- tung der Sacramente, der Besorgung der Kranken. Da sah man wieder, was in Italien ganz außer Ge- brauch gekommen, Priester auf den Kanzeln erscheinen: mit dem Barett, dem Kreuz und der clericalischen Cotta. Zu- naͤchst in jenem Oratorium: oft auch in Form der Mission in den Straßen. Caraffa selbst predigte: er entwickelte jene uͤberstroͤmende Beredsamkeit, die ihm bis zu seinem Tode eigen geblieben. Er und seine Gefaͤhrten, meistens Maͤnner, die zu dem Adel gehoͤrten, und sich der Genuͤsse der Welt haͤtten erfreuen koͤnnen, fingen an die Kranken in Privathaͤusern und Spitaͤlern aufzusuchen, den Sterben- den beizustehen. Eine Wiederaufnahme der clericalischen Pflichten, die von großer Wichtigkeit ist. Zwar wurde dieser Orden nicht eigentlich ein Seminar von Priestern: dazu war er niemals zahlreich genug: allein er bildete sich zu einem Seminar von Bischoͤfen aus. Er ward mit der Zeit der eigentlich adliche Priesterorden: und wie von allem Anfang sorgfaͤltig bemerkt wird, daß die neuen Mitglieder von edler Herkunft gewesen, so haben spaͤter hier und da Adelsproben dazu gehoͤrt, um in denselben aufgenommen zu werden. Man begreift leicht, daß der urspruͤngliche Plan, von Almosen leben zu wollen, ohne darum zu bitten, nur unter solchen Bedingungen aus- zufuͤhren stand. III, §. 25. Nessuna consuetudine nessun modo di vivere o rito che sia, tanto di quelle cose, che spettano al culto divino, e in qualunque modo fannosi in chiesa, quanto di quelle, che pel viver comune in casa o fuori da noi si sogliono praticare, non permettiamo in veruna maniera, che acquistino vigore di precetto. Neue Orden . Die Hauptsache indessen war, daß der gute Gedanke, die clericalischen Pflichten und Weihen mit Moͤnchsgeluͤb- den zu vereinigen, sich auch an anderen Stellen Beifall und Nachahmung erwarb. Seit 1521 war Oberitalien mit fortwaͤhrendem Krieg und in dessen Gefolge mit Verwuͤstung, Hungersnoth und Krankheiten angefuͤllt. Wie viele Kinder waren auch da zu Waisen geworden und drohten an Leib und Seele zu Grunde zu gehen. Gluͤcklicherweise wohnt unter den Menschen neben dem Ungluͤck das Erbarmen. Ein vene- zianischer Senator Girolamo Miani sammelte die Kinder, welche die Flucht nach Venedig gefuͤhrt und nahm sie in sein Haus auf; er fuhr nach den Inseln um die Stadt her, um sie zu suchen: ohne viel auf die keifende Schwaͤ- gerin zu hoͤren, verkaufte er das Silberzeug und die schoͤn- sten Teppiche des Hauses, um den Kindern Wohnung und Kleidung, Lebensmittel und Lehrmeister zu verschaffen. All- maͤhlig widmete er diesem Berufe ausschließend seine Thaͤ- tigkeit. Vorzuͤglich in Bergamo hatte er großen Erfolg. Das Hospital, das er daselbst gruͤndete, fand so gute Un- terstuͤtzung, daß er Muth bekam, auch in andern Staͤdten etwas Aehnliches zu versuchen. Nach und nach wurden in Verona, Brescia, Ferrara, Como, Mailand, Pavia, Genua, aͤhnliche Spitaͤler gegruͤndet. Endlich trat er mit einigen gleichgesinnten Freunden in eine Congregation, nach dem Muster der Theatiner, von regularen Clerikern zusammen, die den Namen di Somasca fuͤhrt. Hauptsaͤchlich die Er- ziehung war ihre Bestimmung. Ihre Spitaͤler bekamen eine gemeinschaftliche Verfassung Approbatio societatis tam ecclesiasticarum, quam secu- . Buch II. Regeneration des Katholicismus . Wenn irgend eine andere Stadt, so hatte Mailand in so haͤufiger Belagerung und Eroberung bald von der einen, bald von der andren Seite jene Uebel des Krieges erfah- ren. Sie durch Mildthaͤtigkeit zu lindern — die damit verbundene Verwilderung durch Unterricht, Predigt und Beispiel zu heben, war der Zweck der drei Stifter des Barnabitenordens, Zaccaria, Ferrari und Morigia. Man sieht, wie nahe er jenem verwandt ist. Er waͤhlte auch die Form von regularen Clerikern. Was aber auch alle diese Congregationen in ihrem Kreise ausrichten mochten, so war doch entweder die Be- schraͤnkung des Zweckes, wie bei den zuletzt genannten, oder die in der Natur der Sache liegende Beschraͤnkung der Mit- tel, wie bei den Theatinern, einer allgemeinen, durchgreifen- den Wirksamkeit hinderlich. Merkwuͤrdig sind sie, weil sie in freier Entstehung eine große Tendenz bezeichnen, die zur Wiederherstellung des Katholicismus unendlich viel beitrug: aber um dem kuͤhnen Fortgang des Protestantismus Wider- stand zu leisten, waren andere Kraͤfte erforderlich. Auf einem aͤhnlichen Wege, aber auf eine sehr uner- wartete hoͤchst eigenthuͤmliche Weise entwickelten sich diese. larium personarum, nuper institutae ad erigendum hospitalia pro subventione pauperum orphanorum et mulierum convertitarum (welchen letzten Zweck man an einigen Orten mit dem ersten ver- bunden.) Bulle Paul’s III. 5. Juni 1540 Bullarium Cocquelines IV, 173. Aus der Bulle Pius V.: Injunctum nobis: 6. Decbr. 1568 ergiebt sich doch, daß die Mitglieder dieser Congreg. erst da- mals die Geluͤbde ablegten. Ig- Ignatius Loyola . Ignatius Loyola. Von allen Ritterschaften der Welt hatte allein die spa- nische noch etwas von ihrem geistlichen Element behauptet. Die Kriege mit den Mauren, die auf der Halbinsel kaum geendigt, in Africa noch immer fortgesetzt wurden, die Nachbarschaft der zuruͤckgebliebenen und unterjochten Moris- ken selbst, mit denen man stets in glaubensfeindlicher Be- ruͤhrung blieb, die abenteuerlichen Zuͤge gegen andere Un- glaͤubige jenseit des Weltmeers erhielten diesen Geist. In Buͤchern, wie der Amadis, voll einer naiv-schwaͤrmerischen loyalen Tapferkeit ward er idealisirt. Don Iñigo Lopez de Recalde So heißt er in gerichtlichen Acten; daß man nicht weiß, wie er zu dem Namen Recalde gekommen, kann nichts gegen die Aechtheit desselben beweisen. Acta Sanctorum 31 Julii. Commen- tarius praevius p. 410. , der juͤngste Sohn aus dem Hause Loyola, auf dem Schlosse dieses Namens zwischen Azpeitia und Azcoitia in Guipuscoa geboren, aus einem Geschlechte, welches zu den besten des Landes gehoͤrte — de parientes mayores — dessen Haupt alle- mal durch ein besonderes Schreiben zur Huldigung einge- laden werden mußte, aufgewachsen an dem Hofe Ferdi- nands des Katholischen und in dem Gefolge des Herzogs von Najara, war erfuͤllt von diesem Geiste. Er strebte nach dem Lobe der Ritterschaft; schoͤne Waffen und Pferde, der Ruhm der Tapferkeit, die Abenteuer des Zweikampfs und der Liebe hatten fuͤr ihn so viel Reiz wie fuͤr einen 12 Buch II. Regeneration des Katholicismus . Andern; aber auch die geistliche Richtung trat in ihm leb- haft hervor: den Ersten der Apostel hat er in diesen Jah- ren in einer Ritterromanze besungen Maffei: Vita Ignatii. . Wahrscheinlich jedoch wuͤrden wir seinen Namen un- ter den uͤbrigen tapferer spanischer Hauptleute lesen, de- nen Carl V. so viele Gelegenheit gab, sich hervorzuthun, haͤtte er nicht das Ungluͤck gehabt, bei der Vertheidigung von Pamplona gegen die Franzosen im Jahre 1521 von einer doppelten Wunde an beiden Beinen verletzt, und obwohl er so standhaft war, daß er sich zu Hause, wo- hin man ihn gebracht, den Schaden zwei Mal aufbre- chen ließ, — in dem heftigsten Schmerz kniff er nur die Faust zusammen — auf das schlechteste geheilt zu werden. Er kannte und liebte die Ritterromane, vor allem den Amadis. Indem er jetzt seine Heilung abwartete, bekam er auch das Leben Christi und einiger Heiligen zu lesen. Phantastisch von Natur, aus einer Bahn weggeschleu- dert, die ihm das glaͤnzendste Gluͤck zu verheißen schien, jetzo zugleich zur Unthaͤtigkeit gezwungen und durch die Krankheit gereizt, gerieth er in den seltsamsten Zustand von der Welt. Auch die Thaten des S. Franciscus und S. Dominicus, die hier in allem Glanze geistlichen Ruhmes vor ihm erschienen, daͤuchten ihm nachahmungswuͤrdig, und wie er sie so las, fuͤhlte er Muth und Tuͤchtigkeit, sie nach- zuahmen, mit ihnen in Entsagung und Strenge zu wettei- fern Die acta antiquissima, a Lodovico Consalvo ex ore . Nicht selten wichen diese Ideen freilich noch vor sehr Ignatius Loyola . weltlichen Gedanken. Er malte sich nicht minder aus, wie er die Dame, deren Dienste er sich in seinem Herzen gewidmet — sie sey keine Graͤfin gewesen, sagt er selbst, keine Herzogin, sondern noch mehr als dieß — in der Stadt, wo sie wohne, aufsuchen, mit welchen Worten zierlich und scherzhaft er sie anreden, wie er ihr seine Hingebung bezeigen, welche ritterliche Uebungen er ihr zu Ehren ausfuͤhren wolle. Bald von jenen bald von diesen Phantasien ließ er sich hinreißen: sie wechselten in ihm ab. Je laͤnger es aber dauerte, je schlechteren Erfolg seine Heilung hatte, um so mehr bekamen die geistlichen die Oberhand. Sollten wir ihm wohl Unrecht thun, wenn wir dieß auch mit daher ableiten, daß er allmaͤhlig ein- sah, er koͤnne doch nicht vollkommen hergestellt und nie- mals wieder recht zu Kriegsdienst und Ritterehre tauglich werden? Auch war es nicht ein so schroffer Uebergang zu et- was durchaus Verschiedenem, wie man vielleicht glauben koͤnnte. In seinen geistlichen Uebungen, deren Ursprung immer mit auf die ersten Anschauungen seiner Erweckung zuruͤckgefuͤhrt worden, stellt er sich zwei Heerlager vor, eins bei Jerusalem, das andere bei Babylon; Christi und des Satans: dort alle Guten, hier alle Boͤsen; geruͤstet, Sancti excepta, AA. SS. 1. l. p. 634. unterrichten hieruͤber sehr authentisch. Er dachte einmal: „Quid, si ego hoc agerem, quod fecit b. Franciscus, quid si hoc, quod b. Dominicus? — Dann: de muchas cosas vanas que se le ofrecian una tenia: eben jene Ehre, die er seiner Dame zu erweisen dachte. Non era condesa ni duquesa mas era su estado mas alto, que ninguno destas. Ein sonderbar naives Bekenntniß. 12* Buch II. Regeneration des Katholicismus . mit einander den Kampf zu bestehen. Christus sey ein Koͤnig, der seinen Entschluß verkuͤndige, alle Laͤnder der Unglaͤubigen zu unterwerfen. Wer ihm die Heeresfolge leisten wolle, muͤsse sich jedoch eben so naͤhren und kleiden, wie er: dieselben Muͤhseligkeiten und Nachtwachen ertra- gen, wie er: nach diesem Maaße werde er des Sieges und der Belohnungen theilhaftig werden. Vor ihm, der Jung- frau und dem ganzen himmlischen Hofe werde dann ein Jeder erklaͤren, daß er dem Herrn so treu wie moͤglich nachfolgen, alles Ungemach mit ihm theilen, und ihm in wahrer, geistiger und leiblicher Armuth dienen wolle Exercitia spiritualia: secunda hebdomada. Contempla- tio regni Jesu Christi ex similitudine regis terreni subditos suos evocantis ad bellum u. a. St. . So phantastische Vorstellungen mochten es seyn, die in ihm den Uebergang von weltlicher zu geistlicher Ritter- schaft vermittelten. Denn eine solche, aber deren Ideal durch- aus die Thaten und Entbehrungen der Heiligen ausmach- ten, war es, was er beabsichtigte. Er riß sich los von seinem vaͤterlichen Hause und seinen Verwandten und stieg den Berg von Monserrat hinan: nicht in Zerknirschung uͤber seine Suͤnden, noch von eigentlich religioͤsem Beduͤrfniß angetrieben, sondern wie er selber gesagt hat, nur in dem Verlangen, so große Thaten zu vollbringen, wie diejeni- gen, durch welche die Heiligen so beruͤhmt geworden: eben so schwere Bußuͤbungen zu uͤbernehmen, oder noch schwe- rere: und in Jerusalem Gott zu dienen. Vor einem Ma- rienbilde hing er Waffen und Wehr auf: eine andere Nacht- wache, als die ritterliche, aber mit ausdruͤcklicher Erinne- Ignatius Loyola . rung an den Amadis Acta antiquissima: cum mentem rebus iis refertam ha- beret quae ab Amadeo de Gaula conscriptae et ab ejus gene- ris scriptoribus — was ein seltsamer Mißverstand der Concipien- ten ist, denn Amadis ist wahrhaftig kein Schriftsteller — nonnul- lae illi similes occurrebant. , wo die Uebungen derselben so genau geschildert werden, knieend oder stehend im Ge- bete, immer seinen Pilgerstab in der Hand, hielt er vor demselben; die ritterliche Kleidung, in der er gekommen, gab er weg: er versah sich mit dem rauhen Gewand der Eremiten, deren einsame Wohnung zwischen diesen nackten Felsen eingehauen ist: nachdem er eine Generalbeichte ab- gelegt, begab er sich nicht gleich, wie seine jerusalemitani- sche Absicht forderte, nach Barcelona — er haͤtte auf der großen Straße erkannt zu werden gefuͤrchtet — sondern zuerst nach Manresa, um nach neuen Bußuͤbungen von da an den Hafen zu gelangen. Hier aber erwarteten ihn andere Pruͤfungen; die Rich- tung, die er mehr wie ein Spiel eingeschlagen, war gleich- sam Herr uͤber ihn geworden, und machte ihren ganzen Ernst in ihm geltend. In der Zelle eines Dominicanerklosters ergab er sich den haͤrtesten Bußuͤbungen; zu Mitternacht erhob er sich zum Gebet, sieben Stunden taͤglich brachte er auf den Knieen zu, regelmaͤßig geißelte er sich drei Mal den Tag. Nicht allein aber fiel ihm das doch schwer genug, und er zweifelte oft, ob er es sein Lebenlang aushalten werde; was noch viel mehr zu bedeuten hatte, er bemerkte auch, daß es ihn nicht beruhige. Er hatte sich auf Mon- serrat drei Tage damit beschaͤftigt, eine Beichte uͤber sein ganzes vergangenes Leben abzulegen; aber er glaubte damit Buch II. Regeneration des Katholicismus . nicht genug gethan zu haben. Er wiederholte sie in Man- resa; er trug vergessene Suͤnden nach; auch die geringsten Kleinigkeiten suchte er auf; allein je mehr er gruͤbelte, um so peinlicher waren die Zweifel, die ihn befielen. Er meinte, von Gott nicht angenommen, noch vor ihm gerechtfertigt zu seyn. In dem Leben der Vaͤter las er, Gott sey wohl einmal durch Enthaltung von aller Speise erweicht und gnaͤdig zu seyn bewogen worden. Auch er enthielt sich einst von einem Sonntag zum andern aller Lebensmittel. Sein Beichtvater verbot es ihm, und er, der von nichts in der Welt einen so hohen Begriff hatte wie von dem Gehorsam, ließ darauf davon ab. Wohl war ihm dann und wann, als werde seine Melancholie von ihm genom- men, wie ein schweres Kleid von den Schultern faͤllt, aber bald kehrten die alten Qualen zuruͤck. Es schien ihm, als habe sich sein ganzes Leben Suͤnde aus Suͤnde fortgehend erzeugt. Zuweilen war er in Versuchung, sich aus der Fenster-Oeffnung zu stuͤrzen Maffei, Ribadeneira, Orlandino und alle Anderen erzaͤhlen diese Anfechtungen. Am meisten authentisch bleiben immer die Acten die von Ignaz selbst herruͤhren: den Zustand, in dem er war, bezeich- net z. B. folgende Stelle. Cum his cogitationibus agitaretur, ten- tabatur saepe graviter magno cum impetu, ut magno ex foramine quod in cellula erat sese dejiceret. Nec aberat foramen ab eo loco ubi preces fundebat. Sed cum videret esse peccatum se ipsum occidere rursus clamabat: domine non faciam quod te offendat. . Unwillkuͤhrlich erinnert man sich hierbei des peinli- chen Zustandes, in welchen Luther einige Jahre fruͤher durch sehr aͤhnliche Zweifel gerathen war. Die Forderung der Religion, eine voͤllige Versoͤhnung mit Gott bis zum Ignatius Loyola . Bewußtseyn derselben, war bei der unergruͤndlichen Tiefe einer mit sich selber hadernden Seele auf dem gewoͤhnli- chen Wege, den die Kirche einschlug, niemals zu erfuͤllen. Auf sehr verschiedene Weise gingen sie aber aus diesem La- byrinth hervor. Luther gelangte zu der Lehre von der Ver- soͤhnung durch Christum ohne alle Werke; von diesem Punkte aus verstand er erst die Schrift, auf die er sich gewaltig stuͤtzte. Von Loyola finden wir nicht, daß er in der Schrift geforscht, daß das Dogma auf ihn Eindruck gemacht habe. Da er nur in inneren Regungen lebte, in Gedanken, die in ihm selbst entsprangen, so glaubte er die Eingebungen bald des guten bald des boͤsen Geistes zu er- fahren. Endlich ward er sich ihres Unterschiedes bewußt. Er fand ihn darin, daß sich die Seele von jenen erfreut und getroͤstet, von diesen ermuͤdet und geaͤngstigt fuͤhle Eine von seinen eigensten und urspruͤnglichsten Wahrneh- mungen, deren Anfang er selbst auf seine Phantasien waͤhrend der Krankheit zuruͤckgefuͤhrt hat. In Manresa ward sie ihm zur Gewiß- heit. In den geistlichen Uebungen ist sie sehr ausgebildet. Man findet da ausfuͤhrliche Regeln: ad motus animae quos diversi ex- citant spiritus discernendos ut boni solum admittantur et pellan- tur mali. . Eines Tages war es ihm als erwache er aus dem Traume. Er glaubte mit Haͤnden zu greifen, daß alle seine Peinen Anfechtungen des Satans seyen. Er entschloß sich von Stunde an, uͤber sein ganzes vergangenes Leben abzuschlie- ßen, diese Wunden nicht weiter aufzureißen, sie niemals wieder zu beruͤhren. Es ist dieß nicht sowohl eine Beruhi- gung als ein Entschluß. Mehr eine Annahme, die man ergreift, weil man will, als eine Ueberzeugung, der man Buch II. Regeneration des Katholicismus . sich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, sie beruht auf dem Gefuͤhle eines unmittelbaren Zusammen- hanges mit dem Reiche der Geister. Luthern haͤtte sie nie- mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine Gesichter, er hielt sie alle ohne Unterschied fuͤr verwerflich: er wollte nur das einfache, geschriebene, unzweifelhafte Got- tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantasien und innern Anschauungen. Am meisten vom Christenthum schien ihm eine Alte zu verstehen, welche ihm in seinen Qualen gesagt, Christus muͤsse ihm noch erscheinen. Es hatte ihm anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald Christum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf der Treppe von S. Domenico zu Manresa blieb er stehen und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit in diesem Moment anzuschauen glaubte En figura de tres teclas. ; er redete den ganzen Tag von nichts andrem: er war unerschoͤpflich in Gleichnissen. Ploͤtzlich uͤberleuchtete ihn in mystischen Sym- bolen das Geheimniß der Schoͤpfung. In der Hostie sah er den, welcher Gott und Mensch. Er ging einst an dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In- dem er sich niedersetzte und seine Augen auf den tiefen Strom heftete, den er vor sich hatte, fuͤhlte er sich ploͤtz- lich von anschauendem Verstaͤndniß der Geheimnisse des Glaubens entzuͤckt: er meinte als ein andrer Mensch auf- zustehen. Fuͤr ihn bedurfte es dann keines Zeugnisses, kei- ner Schrift weiter. Auch wenn es solche nicht gegeben haͤtte, wuͤrde er doch unbedenklich fuͤr den Glauben, den er bisher geglaubt, den er sah, in den Tod gegangen seyn Acta antiquissima: „his visis haud mediocriter tum con- . Ignatius Loyola . Haben wir die Grundlagen dieser so eigenthuͤmlichen Entwickelung gefaßt, dieses Ritterthum der Abstinenz, diese Entschlossenheit der Schwaͤrmerei und phantastische Ascetik, so ist es nicht noͤthig, Iñigo Loyola auf jedem Schritte seines Lebens weiter zu begleiten. Er ging wirklich nach Jerusalem, in der Hoffnung, wie zur Staͤrkung der Glaͤu- bigen, so zur Bekehrung der Unglaͤubigen beizutragen. Al- lein wie wollte er zumal das Letzte ausfuͤhren, unwissend wie er war, ohne Gefaͤhrten, ohne Vollmacht? An der entschiedenen Zuruͤckweisung jerusalemischer Obern, die dazu eine ausdruͤckliche paͤpstliche Berechtigung besaßen, scheiterte sein Vorsatz, an den heiligen Orten zu bleiben. Auch als er nach Spanien zuruͤckgekommen, hatte er Anfechtungen genug zu bestehen. Indem er zu lehren und die geistlichen Uebungen, die ihm indeß entstanden, mitzutheilen anfing, kam er sogar in den Verdacht der Ketzerei. Es waͤre das seltsamste Spiel des Zufalls, wenn Loyola, dessen Gesellschaft Jahrhunderte spaͤter in Illuminaten ausging, selbst mit einer Secte dieses Namens in Zusammenhang gestanden haͤtte Auch Lainez und Borgia haben diesen Vorwurf erfahren. Llorente Hist. de l’inquisition III, 83. Melchior Cano nannte sie gradezu Illuminaten, die Gnostiker des Jahrhunderts. . Und leugnen kann man nicht, daß die damaligen Illuminaten in Spanien, Alumbrados, zu denen er zu gehoͤren in Ver- dacht war, Meinungen hegten, die einige Aehnlichkeit mit seinen Phantasien haben. Abgestoßen von der Werkheiligkeit des bisherigen Christenthums, ergaben auch sie sich inneren firmatus est, (— das Original: y le dieron tanta confirmacione siempre de la fe) ut saepe etiam id cogitarit, quod etsi nulla scriptura mysteria illa fidei doceret, tamen ipse ob ea ipsa quae viderat, statueret sibi pro his esse moriendum.“ Buch II. Regeneration des Katholicismus . Entzuͤckungen, und glaubten wie er, das Geheimniß — sie erwaͤhnten noch besonders das der Dreieinigkeit — in unmit- telbarer Erleuchtung anzuschauen. Wie Loyola und spaͤter seine Anhaͤnger machten sie die Generalbeichte zur Bedin- gung der Absolution, und drangen vor allem auf das innere Gebet. In der That moͤchte ich nicht behaupten, daß Loyola ganz ohne Beruͤhrung mit diesen Meinungen geblie- ben waͤre. Allein daß er der Secte angehoͤrt haͤtte, ist auch nicht zu sagen. Er unterschied sich von ihr haupt- saͤchlich dadurch, daß, waͤhrend sie durch die Forderungen des Geistes uͤber alle gemeinen Pflichten erhaben zu seyn glaubte, er dagegen — ein alter Soldat wie er war — den Gehorsam fuͤr die oberste aller Tugenden erklaͤrte. Seine ganze Begeisterung und innere Ueberzeugung unterwarf er alle Mal der Kirche und ihren Gewalten. Indessen hatten diese Anfechtungen und Hindernisse einen fuͤr sein Leben entscheidenden Erfolg. In dem Zu- stande, in dem er damals war, ohne Gelehrsamkeit und gruͤndlichere Theologie, ohne politischen Ruͤckhalt, haͤtte sein Daseyn spurlos voruͤbergehen muͤssen. Gluͤck genug, wenn ihm innerhalb Spaniens ein paar Bekehrungen gelungen waͤren. Allein indem man ihm in Alcala und in Sala- manca auferlegte, erst vier Jahre Theologie zu studiren, ehe er namentlich uͤber gewisse schwerere Dogmen wie- der zu lehren versuche, noͤthigte man ihn, einen Weg ein- zuschlagen, auf dem sich allmaͤhlig fuͤr seinen Trieb religioͤ- ser Thaͤtigkeit ein ungeahnetes Feld eroͤffnete. Er begab sich nach der damals beruͤhmtesten hohen Schule der Welt, nach Paris. Ignatius Loyola . Die Studien hatten fuͤr ihn eine eigenthuͤmliche Schwie- rigkeit. Er mußte die Classe der Grammatik, die er schon in Spanien angefangen, die der Philosophie machen, ehe er zur Theologie zugelassen wurde Nach der aͤltesten Chronik der Jesuiten Chronicon breve AA. SS. l. l. p. 525 war Ignatius von 1528 bis 1535 in Pa- ris: „Ibi vero non sine magnis molestiis et persecutionibus pri- mo grammaticae de integro tum philosophiae ac demum theo- logico studio sedulam operam navavit.“ . Aber bei den Worten, die er flectiren, bei den logischen Begriffen, die er analysiren sollte, ergriffen ihn die Entzuͤckungen des tieferen religioͤ- sen Sinnes, den er damit zu verbinden gewohnt war. Es hat etwas Großartiges, daß er dieß fuͤr Eingebungen des boͤsen Geistes erklaͤrte, der ihn von dem rechten Weg ab- fuͤhren wolle, und sich der rigorosesten Zucht unterwarf. Waͤhrend ihm nun aus den Studien eine neue, die reale Welt aufging, so ließ er doch darum von seiner geist- lichen Richtung und selbst ihrer Mittheilung keinen Au- genblick ab. Eben hier war’s, wo er die ersten nachhal- tigen, wirksamen, ja fuͤr die Welt bedeutenden Bekehrun- gen machte. Von den beiden Stubenburschen Loyola’s in dem Col- legium St. Barbara, war der eine, Peter Faber aus Sa- voyen, — ein Mensch, bei den Heerden seines Vaters auf- gewachsen, der sich einst des Nachts unter freiem Himmel Gott und den Studien gewidmet hatte — nicht schwer zu gewinnen. Er repetirte mit Ignatius, denn diesen Namen fuͤhrte Iñigo in der Fremde, den philosophischen Cursus: dieser theilte ihm dabei seine ascetischen Grundsaͤtze mit. Ignatius lehrte den juͤngeren Freund seine Fehler bekaͤm- Buch II. Regeneration des Katholicismus . pfen, kluͤglich nicht alle auf einmal, sondern einen nach dem andern, wie er denn auch immer einer Tugend vor- zugsweise nachzutrachten habe; er hielt ihn zu Beichte und haͤufigem Genuß des Abendmahls an. Sie traten in die engste Gemeinschaft: Ignaz theilte die Almosen, die ihm aus Spanien und Flandern ziemlich reichlich zu- flossen, mit Faber. Schwerer machte es ihm der Andere, Franz Xaver aus Pamplona in Navarra, der nur begierig war, der Reihe seiner durch Kriegsthaten beruͤhmten Vor- fahren, die von 500 Jahren her auf seinem Stammbaum verzeichnet waren, den Namen eines Gelehrten hinzuzufuͤ- gen; er war schoͤn, reich, voll Geist, und hatte schon am koͤniglichen Hofe Fuß gefaßt. Ignaz versaͤumte nicht, ihm die Ehre zu erweisen, die er in Anspruch nahm, und zu sorgen, daß sie ihm von andern erwiesen wurde. Fuͤr seine erste Vorlesung verschaffte er ihm eine gewisse Fre- quenz. Wie er ihn sich erst persoͤnlich befreundet, so ver- fehlte sein Beispiel, seine Strenge ihre natuͤrliche Wirkung nicht. Er brachte diesen wie jenen dahin, die geistlichen Uebungen unter seiner Leitung zu machen. Er schonte ih- rer nicht: drei Tage und drei Naͤchte ließ er sie fasten: in dem haͤrtesten Winter — die Wagen fuhren uͤber die gefro- rene Seine — hielt er Faber dazu an. Er machte sich beide ganz zu eigen und theilte ihnen seine Gesinnung mit Orlandinus, der auch ein Leben Fabers geschrieben hat, wel- ches ich nicht sah, ist auch in seinem großen Werke Historiae so- cietatis Jesu pars I, p. 17. hieruͤber ausfuͤhrlicher, als Riba- deneira. . Wie bedeutend wurde die Zelle von St. Barbara, die Ignatius Loyola . diese drei Menschen vereinigte, in der sie voll phantastischer Religiositaͤt Plaͤne entwarfen, Unternehmungen vorbereite- ten, von denen sie selber nicht wußten, wohin sie fuͤhren sollten. Betrachten wir die Momente, auf denen die fernere Ent- wickelung dieser Verbindung beruhte. Nachdem sich noch einige Spanier, Salmeron, Lainez, Bobadilla, denen sich allen Ig- natius durch guten Rath oder Unterstuͤtzung unentbehrlich ge- macht, ihnen zugesellt, begaben sie sich eines Tages nach der Kirche von Montmartre. Faber, bereits Priester, las die Messe. Sie gelobten Keuschheit; sie schwuren nach vollendeten Stu- dien in voͤlliger Armuth ihr Leben in Jerusalem der Pflege der Christen oder der Bekehrung der Saracenen zu widmen; sey es aber unmoͤglich, dahin zu gelangen oder dort zu bleiben, in diesem Falle dem Papst ihre Bemuͤhungen an- zubieten, fuͤr jeden Ort, wohin er ihnen zu gehen befehle, ohne Lohn noch Bedingung. So schwur ein Jeder und empfing die Hostie. Darauf schwur auch Faber und nahm sie selbst. An dem Brunnen St. Denys genossen sie hier- auf eine Mahlzeit. Ein Bund zwischen jungen Maͤnnern: schwaͤrmerisch, nicht eben verfaͤnglich: noch in den Ideen, die Ignatius urspruͤnglich gefaßt hatte, nur in so fern davon abwei- chend, als sie ausdruͤcklich die Moͤglichkeit berechneten, die- selben nicht ausfuͤhren zu koͤnnen. Anfang 1537 finden wir sie in der That mit noch drei andern Genossen saͤmmtlich in Venedig, um ihre Wall- fahrt anzutreten. Schon manche Veraͤnderung haben wir in Loyola wahrgenommen: von einem weltlichen Ritter- Buch II. Regeneration des Katholicismus . thum sahen wir ihn zu einem geistlichen uͤbergehen: in die ernsthaftesten Anfechtungen fallen, und mit phantastischer Ascetik sich daraus hervorarbeiten: Theolog und Gruͤnder einer schwaͤrmerischen Gesellschaft war er geworden. Jetzt endlich nahmen seine Absichten die bleibende Wendung. Einmal hinderte ihn der Krieg, der eben damals zwischen Venedig und den Tuͤrken ausbrach, an der Abreise, und ließ den Gedanken der Wallfahrt noch mehr zuruͤcktreten: sodann aber fand er in Venedig ein Institut, das ihm, man moͤchte sagen, die Augen erst recht oͤffnete. Eine Zeitlang schloß sich Loyola auf das engste an Caraffa an; in dem Con- vent der Theatiner, der sich in Venedig gebildet, nahm er Wohnung. Er diente in den Spitaͤlern, uͤber welche Caraffa die Aufsicht fuͤhrte, in denen dieser seine Novizen sich uͤben ließ. Zwar fand sich Ignatius durch das thea- tinische Institut nicht voͤllig befriedigt; er sprach mit Ca- raffa uͤber einige in demselben vorzunehmende Veraͤnderun- gen, und sie sollen daruͤber mit einander zerfallen seyn Sachinus: cujus sit autoritatis quod in b. Cajetani Thie- naei vita de beato Ignatio traditur vor dem Orlandinus, eroͤrtert dieß Verhaͤltniß ausfuͤhrlich. . Aber schon dieß zeigt, wie tiefen Eindruck es auf ihn machte. Einen Orden von Priestern sah er hier sich den eigentlich clericalischen Pflichten mit Eifer und Strenge widmen. Mußte er, wie immer deutlicher wurde, diesseit des Meeres bleiben, und seine Thaͤtigkeit in den Bezirken der abendlaͤndischen Christenheit versuchen, so erkannte er wohl, daß auch er nicht fuͤglich einen andern Weg ein- schlagen konnte. In der That nahm er in Venedig mit allen seinen Ignatius Loyola . Gefaͤhrten die priesterlichen Weihen. In Vicenza begann er nach vierzigtaͤgigem Gebet mit dreien von ihnen zu pre- digen. An dem nemlichen Tage zur nemlichen Stunde er- schienen sie in verschiedenen Straßen, stiegen auf Steine, schwangen die Huͤte, riefen laut und fingen an zur Buße zu ermahnen. Seltsame Prediger, zerlumpt, abgehaͤrmt; sie sprachen ein unverstaͤndliches Gemisch von Spanisch und Ita- lienisch. In diesen Gegenden blieben sie, bis das Jahr, das sie zu warten beschlossen hatten, verstrichen war. Dann brachen sie auf nach Rom. Als sie sich trennten, denn auf verschiedenen Wegen wollten sie die Reise machen, entwarfen sie die ersten Re- geln, um auch in der Entfernung eine gewisse Gleichfoͤr- migkeit des Lebens zu beobachten. Was aber sollten sie antworten, wenn man sie nach ihrer Beschaͤftigung fragen wuͤrde? Sie gefielen sich in dem Gedanken, als Soldaten dem Satan den Krieg zu machen, den alten militaͤrischen Phantasien des Ignatius zu Folge beschlossen sie, sich die Compagnie Jesu zu nennen, ganz wie eine Compagnie Sol- daten, die von ihrem Hauptmann den Namen traͤgt Ribadeneira Vita brevior c. 12 bemerkt, daß Ignaz dieß gewaͤhlt „ne de suo nomine diceretur.“ Nigroni: erklaͤrt Socie- tas: quasi dicas cohortem aut centuriam quae ad pugnam cum hostibus spiritualibus conserendam conscripta sit. Postquam nos vitamque nostram Christo D mn . nostro et ejus vero ac legi- timo vicario internis obtuleramus, — heißt es in der delibera- tio primorum patrum. AA. SS. l. l. p. 463. . In Rom hatten sie anfangs keinen ganz leichten Stand: Ignatius meinte, er sehe alle Fenster geschlossen, und von dem alten Verdacht der Ketzerei mußten sie hier noch ein- mal frei gesprochen werden. Allein indeß hatte ihre Lebens- Buch II. Regeneration des Katholicismus . weise, ihr Eifer in Predigt und Unterricht, ihre Kranken- pflege auch zahlreiche Anhaͤnger herbeigezogen, und so Viele zeigten sich bereit zu ihnen zu treten, daß sie auf eine foͤrm- liche Einrichtung ihrer Gesellschaft denken konnten. Zwei Geluͤbde hatten sie bereits gethan: jetzt legten sie das dritte, das des Gehorsams, ab. Wie aber Ignatius immer den Gehorsam fuͤr eine der vornehmsten Tugenden erklaͤrt, so suchten sie grade in diesem alle anderen Orden zu uͤbertreffen. Es war schon viel, daß sie sich ihren Ge- neral allemal auf Lebenszeit zu waͤhlen beschlossen: allein dieß genuͤgte ihnen noch nicht. Sie fuͤgten die besondere Verpflichtung hinzu, „alles zu thun, was ihnen der jedes- malige Papst befehlen, in jedes Land zu gehen, zu Tuͤrken, Heiden und Ketzern, in das er sie senden werde, ohne Wi- derrede, ohne Bedingung und Lohn, unverzuͤglich.“ Welch ein Gegensatz gegen die bisherigen Tendenzen dieser Zeit! Indem der Papst auf allen Seiten Widerstand und Abfall erfuhr und nichts zu erwarten hatte, als fort- gehenden Abfall, vereinigte sich hier eine Gesellschaft, frei- willig, voll Eifer, enthusiastisch, um sich ausschließlich sei- nem Dienste zu widmen. Er konnte kein Bedenken tragen, sie anfangs — im Jahre 1540 — unter einigen Beschraͤn- kungen, und alsdann — 1543 — unbedingt zu bestaͤtigen. Indeß that auch die Gesellschaft den letzten Schritt. Sechse von den aͤltesten Bundesgenossen traten zusammen, um den Vorsteher zu waͤhlen, der, wie der erste Entwurf, den sie dem Papst einreichten, besagte, „Grade und Aem- ter nach seinem Gutduͤnken vertheilen, die Constitution mit Beirath der Mitglieder entwerfen, in allen andren Dingen aber Ignatius Loyola . aber allein zu befehlen haben solle; in ihm solle Christus als gegenwaͤrtig verehrt werden.“ Einstimmig waͤhlten sie Ignaz, der wie Salmeron auf seinem Wahlzettel sagte, „sie alle in Christo erzeugt und mit seiner Milch genaͤhrt habe“ Suffragium Salmeronis. . Und nun erst hatte die Gesellschaft ihre Form. Es war auch eine Gesellschaft von Chierici regolari: sie beruhte auch auf einer Vereinigung von clericalischen und kloͤster- lichen Pflichten: allein sie unterschied sich vielfach von den uͤbrigen dieser Art. Hatten schon die Theatiner mehrere minder bedeutende Verpflichtungen fallen lassen, so gingen die Jesuiten darin noch weiter Sie finden hierin ihren Unterschied von den Theatinern selbst. Didacus Payva Andradius Orthodoxarum Explicatt. lib. I, fol. 14.: Illi (Theatini) sacrarum aeternarumque rerum me- ditationi psalmodiaeque potissimum vacant: isti vero (Jesui- tae) cum divinorum mysteriorum assidua contemplatione do- cendae plebis evangelii amplificandi sacramenta administrandi atque reliqua omnia apostolica munera conjungunt. . Es war ihnen nicht genug, alle kloͤster- liche Tracht zu vermeiden; sie sagten sich auch von den ge- meinschaftlichen Andachtsuͤbungen, welche in den Kloͤstern den groͤßten Theil der Zeit wegnehmen, von der Obliegen- heit im Chor zu singen los. Dieser wenig nothwendigen Beschaͤftigungen uͤberhoben, widmeten sie ihre ganze Zeit und alle ihre Kraͤfte den we- sentlichen Pflichten. Nicht einer besondern, wie die Bar- nabiten, obwohl sie die Krankenpflege, weil sie einen gu- ten Namen machte, sich angelegen seyn ließen: nicht un- 13 Buch II. Regeneration des Katholicismus . ter beschraͤnkenden Bedingungen wie die Theatiner, sondern mit aller Anstrengung den wichtigsten. Der Predigt. Schon als sie sich in Vicenza trennten, hatten sie sich das Wort gegeben, hauptsaͤchlich fuͤr das gemeine Volk zu predigen: und sich mehr eindruͤcklicher Bewegung als ausgewaͤhlter Rede zu befleißigen; so fuhren sie nunmehr fort. Der Beichte. Denn damit haͤngt die Leitung und Beherrschung der Gewissen unmittelbar zusammen: in den geistlichen Ue- bungen, durch welche sie selber mit Ignaz vereinigt wor- den, besaßen sie ein großes Huͤlfsmittel. Endlich dem Un- terrichte der Jugend. Hierzu hatten sie sich gleich in ihren Geluͤbden durch eine besondere Clausel verpflichten wollen, und ob dieß wohl da nicht durchgegangen war, so schaͤrf- ten sie es doch in ihrer Regel auf das lebhafteste ein. Vor allem wuͤnschten sie, die aufwachsende Generation zu ge- winnen. Genug, alles Beiwerk ließen sie fallen und wid- meten sich den wesentlichen, wirksamen, Einfluß verspre- chenden Tendenzen. Aus den phantastischen Bestrebungen Ignatio’s hatte sich demnach eine vorzugsweise praktische Richtung entwik- kelt; aus seinen ascetischen Bekehrungen ein Institut, mit weltkluger Zweckmaͤßigkeit berechnet. Alle seine Erwartungen sah er weit uͤbertroffen. Er hatte nun die unbeschraͤnkte Leitung einer Gesellschaft in Haͤnden, auf welche ein großer Theil seiner Intuitionen uͤberging; welche ihre geistlichen Ueberzeugungen mit Stu- dium auf dem Wege bildete, auf dem er sie durch Zufall und Genius erworben hatte; welche zwar seinen jerusale- mischen Plan nicht ausfuͤhrte, bei dem sich nichts erreichen Erste Sitzungen d. tridentischen Conciliums . ließ, aber uͤbrigens zu den entferntesten erfolgreichsten Mis- sionen schritt, und hauptsaͤchlich jene Seelsorge, die er im- mer empfohlen, in einer Ausdehnung uͤbernahm, wie er sie niemals ahnen koͤnnen; die ihm endlich einen zugleich sol- datischen und geistlichen Gehorsam leistete. Ehe wir die Wirksamkeit, zu der die Gesellschaft gar bald gelangte, naͤher betrachten, muͤssen wir noch eine der wichtigsten Bedingungen derselben eroͤrtern. Erste Sitzungen des tridentinischen Conciliums. Wir sahen, welche Interessen sich an die Forderung des Conciliums von der kaiserlichen, an die Verweigerung desselben von der paͤpstlichen Seite knuͤpften. Nur in Ei- ner Beziehung hatte eine neue Kirchenversammlung doch auch fuͤr den Papst etwas Wuͤnschenswerthes. Um die Lehren der katholischen Kirche mit ungebrochenem vollen Eifer einpraͤgen und ausbreiten zu koͤnnen, war es noth- wendig, daß die Zweifel, welche sich uͤber die eine oder die andere in dem Schooße der Kirche selbst erhoben hat- ten, beseitigt wuͤrden. Mit unbedingter Autoritaͤt ver- mochte dieß allein ein Concilium zu thun. Es kam nur darauf an, daß es zur guͤnstigen Zeit zusammenberufen und unter dem Einfluß des Papstes gehalten wuͤrde. Jener große Moment, in dem sich die beiden kirchli- chen Parteien einander in einer mittlern gemaͤßigten Mei- nung mehr als je genaͤhert hatten, ward auch hierfuͤr ent- 13* Buch II. Regeneration des Katholicismus . scheidend. Der Papst, wie gesagt, glaubte wahrzunehmen, daß der Kaiser selbst den Anspruch hege, das Concilium zu berufen. In diesem Augenblick von allen Seiten der Anhaͤnglichkeit katholischer Fuͤrsten versichert, verlor er keine Zeit, ihm darin zuvorzukommen. Es war noch mitten in jenen Bewegungen, daß er sich definitiv entschloß zu der oͤcumenischen Kirchenversammlung zu schreiten, und allen Zoͤgerungen ein Ende zu machen; ohne Verzug ließ er es Contarini’n, und durch diesen dem Kaiser anzeigen Ardinghello al C l . Contarini. 15 Giugno 1541 bei Qui- rini III, CCXLVI: Considerato che nè la concordia a Chri- stiani è successa e la tolerantia (die in Regensburg in Antrag gebracht, aber von dem Consistorium der Cardinaͤle verworfen wor- den war) è illecitissima e damnosa e la guerra difficile e peri- colosa — pare a S. S. che si ricorra al rimedio del concilio. — — Adunque — S. Beatitudine ha determinato di levar via la prorogatione della suspensione del concilio e di dichiararlo e congregarlo quanto piu presto si potrà. ; die Verhandlungen wurden ernstlich aufgenommen; endlich er- gingen die Berufungsschreiben: im naͤchsten Jahre finden wir seine Legaten bereits in Trient Am 22sten Nov. 1542 trafen sie ein. . Indessen traten auch dießmal neue Hindernisse ein: allzugering war die Zahl der erscheinenden Bischoͤfe, all- zukriegerisch die Zeit, und die Umstaͤnde nicht vollkom- men guͤnstig: es waͤhrte bis in den December 1545, ehe es zu der wirklichen Eroͤffnung des Conciliums kam. End- lich hatte der alte Zauderer den erwuͤnschten Moment ge- funden. Denn welcher haͤtte es mehr seyn koͤnnen, als der, in welchem der Kaiser mit beiden Haͤuptern der Protestan- Erste Sitzungen d. tridentinischen Conciliums . ten voͤllig zerfallen war, und sich zum Kriege gegen sie vorbereitete. Da er die Huͤlfe des Papstes brauchte, konnte er die Anspruͤche nicht geltend machen, die er sonst auf ein Concilium gruͤnden zu wollen schien. Der Krieg mußte ihn vollauf beschaͤftigen: bei der Macht der Protestanten ließ sich nicht absehen, in welche Verwickelungen er dabei gerathen wuͤrde: um so weniger konnte er dann auf die Reform dringen, mit welcher er bisher dem paͤpstlichen Stuhle gedroht. Auch uͤbrigens wußte ihm der Papst zu- naͤchst den Weg dazu abzuschneiden. Der Kaiser forderte, das Concilium solle mit der Reform beginnen: die paͤpst- lichen Legaten setzten den Beschluß durch, es solle zugleich uͤber Reform und Dogmen gehandelt werden Eine Auskunft, welche Thom. Campeggi vorschlug. Pallavi- cini VI, VII, 5. Uebrigens war eine Reformationsbulle von allem Anfang entworfen, doch ist sie nicht publicirt worden. Bulla refor- mationis Pauli Papae III. concepta non vulgata, primum edidit H. N. Clausen. Havn. 1829. : in der That aber nahm man zuerst nur die Dogmen vor. Indem der Papst zu entfernen wußte, was ihm haͤtte schaͤdlich werden koͤnnen, ergriff er dasjenige, woran ihm selber gelegen war. Die Feststellung der bezweifelten Lehr- saͤtze hatte fuͤr ihn, wie angedeutet, die groͤßte Wichtigkeit. Es kam darauf an, ob von jenen zu dem protestantischen System hinneigenden Ansichten sich eine oder die andere innerhalb des katholischen Lehrbegriffs zu halten vermoͤgen wuͤrde. Contarini zwar war bereits gestorben, doch war Poole zugegen, und es gab in dieser Versammlung noch andere Buch II. Regeneration des Katholicismus . warme Verfechter derselben. Die Frage war, ob sie ihre Meinung geltend machen wuͤrden. Zuerst, denn sehr systematisch ging man zu Werke, sprach man von der Offenbarung selbst, den Quellen, aus denen die Kenntniß derselben zu schoͤpfen sey. Gleich hier erhoben sich einige Stimmen in der Richtung des Prote- stantismus. Der Bischof Nachianti von Chiozza wollte von nichts, als von der Schrift hoͤren: in dem Evange- lium stehe alles geschrieben, was zu unserer Seligkeit noth- wendig. Allein er hatte eine ungeheure Majoritaͤt wider sich. Man faßte den Beschluß, die ungeschriebenen Tradi- tionen, die aus dem Munde Christi empfangen, unter dem Schutze des heiligen Geistes bis auf die neueste Zeit fort- gepflanzt worden, seyen mit gleicher Verehrung anzunehmen wie die heilige Schrift. In Hinsicht dieser wies man nicht einmal auf die Grundtexte zuruͤck. Man erkannte in der Vulgata die authentische Uebersetzung derselben an, und ver- sprach nur, daß sie ins Kuͤnftige auf das sorgfaͤltigste ge- druckt werden solle Conc. Tridentini Sessio IV.: „in publicis lectionibus dis- putationibus praedicationibus et expositionibus pro authentica h abeatur.“ Verbessert soll sie gedruckt werden posthac, nicht ganz wie Pallavicini hat: quanto si potesse piu tosto. VI, 15, 2. . Nachdem dergestalt der Grund gelegt worden, nicht mit Unrecht ward gesagt, es sey die Haͤlfte des Weges, kam man an jenes entscheidende Lehrstuͤck von der Rechtferti- gung und die damit zusammenhaͤngenden Doctrinen. An diese Streitfrage knuͤpfte sich das vornehmste Interesse. Denn nicht Wenige gab es in der That noch auf dem Erste Sitzungen d. tridentinischen Conciliums . Concilium, deren Ansichten hieruͤber mit den protestanti- schen Meinungen zusammenfielen. Der Erzbischof von Siena, der Bischof della Cava, Giulio Contarini, Bischof zu Belluno, und mit ihnen fuͤnf Theologen schrieben die Rechtfertigung einzig und allein dem Verdienste Christi und dem Glauben zu. Liebe und Hoffnung erklaͤrten sie fuͤr die Begleiterinnen, Werke fuͤr die Beweise des Glaubens; nichts weiter seyen sie: der Grund der Rechtfertigung aber allein der Glaube. Wie war es zu denken, daß in einem Moment, in welchem Papst und Kaiser die Protestanten mit Gewalt der Waffen angriffen, sich die Grundansicht, von der sich deren ganzes Wesen herleitete, auf einem Concilium unter den Auspicien des Papstes und des Kaisers geltend machen sollte? Vergebens ermahnte Poole, nicht etwa eine Mei- nung nur deshalb zu verwerfen, weil sie von Luther be- hauptet worden. Allzuviel persoͤnliche Erbitterungen knuͤpf- ten sich daran. Der Bischof della Cava und ein griechi- scher Moͤnch geriethen thaͤtlich an einander. Ueber einen so unzweifelhaften Ausdruck einer protestantischen Meinung konnte es auf dem Concilium gar nicht einmal zu bedeutenden Discussionen kommen; diese galten, und schon dieß ist wichtig genug, nur der vermittelnden Meinung, wie sie Gaspar Contarini und seine Freunde aufgestellt. Der Augustinergeneral, Seripando trug sie, doch nicht ohne die ausdruͤckliche Verwahrung vor, daß es nicht die Meinungen Luthers seyen, die er verfechte, vielmehr die Lehren der beruͤhmtesten Gegner desselben, z. B. eines Pflug und Gropper. Er nahm eine doppelte Gerechtig- Buch II. Regeneration des Katholicismus . keit an Parere dato a 13 di Luglio 1544. Excerpirt von Palla- vicini VIII, XI. 4. : die eine uns inwohnend, inhaͤrirend, durch welche wir aus Suͤndern Kinder Gottes werden, auch sie Gnade und unverdient; thaͤtig in Werken, sichtbar in Tu- genden, aber allein nicht faͤhig, uns zur Glorie Gottes einzufuͤhren: die andere die Gerechtigkeit und das Ver- dienst Christi, uns beigemessen, imputirt, welche alle Maͤn- gel ersetze, vollstaͤndig, seligmachend. Eben so hatte Con- tarini gelehrt. Wenn die Frage sey, sagt dieser, auf welche von jenen Gerechtigkeiten wir bauen sollen, die inwoh- nende, oder die in Christo beigemessene, so sey die Ant- wort eines Frommen, daß wir uns nur auf die letzte zu verlassen haben. Unsere Gerechtigkeit sey eben erst ange- fangen, unvollkommen, voller Maͤngel; Christi Gerechtig- keit dagegen wahrhaft, vollkommen, in den Augen Got- tes durchaus und allein wohlgefaͤllig; um ihretwillen al- lein koͤnne man glauben, vor Gott gerechtfertigt zu wer- den Contareni tractatus de justificatione. Nur muß man nicht an die Venez. Ausg. von 1589, wie es auch mir zuerst ging, gera- then: da sucht man diese Stelle vergebens. Noch 1571 hatte die Sorbonne den Tractat, wie er war, gebilligt; in der Pariser Ausgabe von diesem Jahre findet er sich unverstuͤmmelt; 1589 da- gegen ließ ihn der Generalinquisitor von Venedig, Fra Marco Me- dici nicht mehr passiren: er begnuͤgte sich nicht, die Stellen wegzu- lassen: sie wurden dem recipirten Dogma gemaͤß umgeschmolzen. Man erstaunt, wenn man im Quirini Epp. Poli III, CCXIII, auf die Collation stoͤßt. Man muß sich dieser unverantwortlichen Ge- waltsamkeiten erinnern, um sich einen so bittern Haß, wie ihn Paul Sarpi hegte, zu erklaͤren. . Jedoch auch in solch einer Modification — sie ließ, Erste Sitzungen d. tridentinischen Conciliums . wie wir sehen, das Wesen der protestantischen Lehre beste- hen, und konnte von Anhaͤngern derselben gebilligt werden — fand diese Meinung lebhaften Widerspruch. Caraffa, der sich ihr schon damals opponirt hatte, als sie in Regensburg verhandelt ward, saß auch jetzt un- ter den Cardinaͤlen, welchen die Beaufsichtigung des triden- tinischen Conciliums anvertraut war. Er kam mit einer eignen Abhandlung uͤber die Rechtfertigung hervor, in der er allen Meinungen dieser Art lebhaft widersprach Bromato Vita di Paolo IV. Tom. II, p. 131. . Ihm zur Seite erhoben sich bereits die Jesuiten. Salmeron und Lainez hatten sich das wohl ausgesonnene Vorrecht ver- schafft, daß jener zuerst, dieser zuletzt seine Meinung vor- zutragen hatte. Sie waren gelehrt, kraͤftig, in der Bluͤthe ihrer Jahre, voller Eifer. Von Ignatius angewiesen, nie einer Meinung beizupflichten, die sich im mindesten einer Neuerung naͤhere Orlandinus VI, p. 127. , widersetzten sie sich aus allen Kraͤften der Lehre Seripando’s. Lainez erschien mehr mit einem Werke als mit einer Widerrede auf dem Kampfplatz. Er hatte den groͤßten Theil der Theologen auf seiner Seite. Jene Unterscheidung der Gerechtigkeiten ließen diese Gegner allenfalls gelten. Allein sie behaupteten, die im- putative Gerechtigkeit gehe in der inhaͤrirenden auf; oder das Verdienst Christi werde den Menschen durch den Glau- ben unmittelbar zugewendet und mitgetheilt; man habe al- lerdings auf die Gerechtigkeit Christi zu bauen, aber nicht weil sie die unsere ergaͤnze, sondern weil sie dieselbe her- vorbringe. Eben hierauf kam alles an. Bei den Ansich- Buch II. Regeneration des Katholicismus . ten Contarini’s und Seripando’s konnte das Verdienst der Werke nicht bestehen. Diese Ansicht rettete dasselbe. Es war die alte Lehre der Scholastiker, daß die Seele mit der Gnade bekleidet sich das ewige Leben verdiene Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355. . Der Erzbischof von Bitonto, einer der gelehrtesten und bered- testen dieser Vaͤter, unterschied eine vorlaͤufige Rechtferti- gung, abhaͤngig von dem Verdienst Christi, durch welche der Gottlose von dem Stande der Verwerfung befreit werde; und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge- rechtigkeit, abhaͤngig von der uns eingegossenen und inwoh- nenden Gnade. In diesem Sinne sagte der Bischof von Fano, der Glaube sey nur das Thor zur Rechtfertigung; aber man duͤrfe nicht stehen bleiben: man muͤsse den gan- zen Weg vollbringen. So nahe diese Meinungen einander zu beruͤhren schei- nen, so sind sie einander doch voͤllig entgegengesetzt. Auch die lutherische fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol- gen muͤssen; die goͤttliche Begnadigung aber leitet sie allein von dem Verdienste Christi her. Das tridentinische Con- cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienst Christi an, aber die Rechtfertigung schreibt es demselben nur in sofern zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der Gottlose, sagt es Sessio VI, c. VII, X. , wird gerechtfertigt, indem durch das Verdienst des heiligsten Leidens, vermoͤge des h. Geistes, die Liebe Gottes seinem Herzen eingepflanzt wird und dem- Erste Sitzungen d. tridentinischen Conciliums . selben inwohnt; dergestalt ein Freund Gottes geworden, geht der Mensch fort von Tugend zu Tugend und wird er- neuert von Tag zu Tag. Indem er die Gebote Gottes und der Kirche beobachtet, waͤchst er mit Huͤlfe des Glau- bens durch gute Werke in der durch Christi Gnade er- langten Gerechtigkeit, und wird mehr und mehr gerecht- fertigt. Und so ward die Meinung der Protestanten von dem Katholicismus voͤllig ausgeschlossen: jede Vermittelung ward von der Hand gewiesen. Ebendamals geschah dieß, als der Kaiser in Deutschland den Sieg bereits erfochten hatte, die Lutheraner sich schon von allen Seiten ergaben, und Jener sich aufmachte, die Widerspenstigen die es noch gab, nicht minder zu unterwerfen. Schon hatten die Ver- fechter der mittlern Meinung, Cardinal Poole, der Erzbischof von Siena das Concilium wie natuͤrlich unter andern Vor- waͤnden verlassen Wenigstens waͤre es seltsam, wenn sie beide durch den Zu- fall einer außerordentlichen Krankheit wie es hieß, abgehalten worden waͤren, nach Trient zuruͤckzukommen. Polo ai C li. Monte e Cervini 15 Set. 1546. Epp. T. IV, 189. Es that dieß dem Poole vie- len Schaden. Mendoza al Emperador Carlos 13 Jul. 1547. Lo Cardinal de Inglaterra le haze danno lo que se a dicho de la Justificacion. : statt Andern in ihrem Glauben Maaß und Ziel zu geben, mußten sie besorgt seyn, den eigenen angegriffen und verdammt zu sehen. Es war aber hiermit die wichtigste Schwierigkeit uͤber- wunden. Da die Rechtfertigung innerhalb des Menschen vor sich geht, und zwar in fortdauernder Entwickelung, so kann sie der Sacramente nicht entbehren, durch welche sie Buch II. Regeneration des Katholicismus . entweder anfaͤngt, oder wenn sie angefangen hat, fortge- setzt, oder wenn sie verloren ist, wieder erworben wird Sessio VII. Prooemium . Es hat keine Schwierigkeit, sie alle sieben, wie sie bisher an- genommen worden, beizubehalten und auf den Urheber des Glaubens zuruͤckzufuͤhren, da die Institute der Kirche Christi nicht allein durch die Schrift, sondern auch durch die Tra- dition mitgetheilt sind Die Discussionen hieruͤber theilt Sarpi mit: Historia del concilio Tridentino; p. 241 (Ausg. v. 1629.). Pallavicini ist dar- uͤber sehr unzureichend. . Nun umfassen aber diese Sa- cramente, wie man weiß, das ganze Leben und alle Stu- fen, in denen es sich entwickelt; sie gruͤnden die Hierar- chie, in so fern sie Tag und Stunde beherrscht; indem sie die Gnade nicht allein bedeuten, sondern mittheilen, voll- enden sie den mystischen Bezug, in welchem der Mensch zu Gott gedacht wird. Eben darum nahm man die Tradition an, weil der heilige Geist der Kirche immerfort inwohne; die Vulgata, weil die roͤmische Kirche durch besondere goͤttliche Gnade von aller Verirrung frei erhalten worden; diesem Inwoh- nen des goͤttlichen Elementes entspricht es dann, daß auch das rechtfertigende Prinzip in dem Menschen selbst Platz nimmt, daß die in dem sichtbaren Sacrament gleichsam gebundene Gnade ihm Schritt fuͤr Schritt mitgetheilt wird und sein Leben und Sterben umfaßt. Die erschei- nende Kirche ist zugleich die wahre, die man die unsicht- bare genannt hat. Religioͤse Existenz kann sie außer ihrem Kreise nicht anerkennen. Inquisition . Inquisition. Diese Lehren auszubreiten, die ihnen entgegenstehenden zu unterdruͤcken, hatte man mittlerweile auch schon Maaß- regeln ergriffen. Wir muͤssen hier noch einmal auf die Zeiten des Regensburger Gespraͤchs zuruͤckkommen. Als man sah, daß man mit den deutschen Protestanten zu keinem Schluß kam, daß indeß auch in Italien Streitigkeiten uͤber das Sacrament, Zweifel an dem Fegfeuer, und an- dere fuͤr den roͤmischen Ritus bedenkliche Lehrmeinungen uͤberhandnahmen, so fragte der Papst eines Tages den Car- dinal Caraffa, welches Mittel er hiergegen anzurathen wisse. Der Cardinal erklaͤrte, daß eine durchgreifende Inquisition das einzige sey. Johann Alvarez de Toledo, Cardinal von Burgos, stimmte ihm hierin bei. Die alte dominicanische Inquisition war vorlaͤngst verfal- len. Da es den Moͤnchsorden uͤberlassen blieb, die Inquisitoren zu waͤhlen, so geschah, daß diese nicht selten die Meinungen theilten, welche man bekaͤmpfen wollte. In Spanien war man bereits dadurch von der fruͤhern Form abgewichen, daß man ein oberstes Tribunal der Inquisition fuͤr dieses Land eingerichtet hatte. Caraffa und Burgos, beide alte Domi- nicaner, von finsterer Gerechtigkeit, Zeloten fuͤr den rei- nen Katholicismus, streng in ihrem Leben, unbeugsam in ihren Meinungen, riethen dem Papst, nach dem Muster von Spanien, ein allgemeines hoͤchstes Tribunal der In- Buch II. Regeneration des Katholicismus . quisition, von dem alle anderen abhaͤngen muͤßten, zu Rom zu errichten. Wie S. Peter, sagte Caraffa, den ersten Haͤre- siarchen an keinem andern Orte als in Rom besiegt, so muͤsse der Nachfolger Petri alle Ketzereien der Welt in Rom uͤberwaͤltigen Bromato Vita di Paolo IV. Lib. VII. §. 3. . Die Jesuiten rechnen es sich zum Ruhme, daß ihr Stifter Loyola diesen Vorschlag durch eine besondere Vorstellung unterstuͤtzt habe. Am 21. Juli 1542 erging die Bulle. Sie ernennt sechs Cardinaͤle, unter denen Caraffa und Toledo zuerst genannt werden, zu Commissarien des apo- stolischen Stuhles, allgemeinen und allgemeinsten Inquisi- toren in Glaubenssachen diesseit und jenseit der Berge. Sie ertheilt ihnen das Recht, an allen Orten, wo es ihnen gut scheine, Geistliche mit einer aͤhnlichen Gewalt zu dele- giren, die Appellationen wider deren Verfahren allein zu ent- scheiden, selbst ohne die Theilnahme des ordentlichen geist- lichen Gerichtshofes zu procediren. Jedermann, Niemand ausgenommen, ohne Ruͤcksicht auf irgend einen Stand, ir- gend eine Wuͤrde soll ihrem Richterstuhle unterworfen seyn; die Verdaͤchtigen sollen sie ins Gefaͤngniß werfen, die Schul- digen selbst am Leben strafen und ihre Guͤter verkaufen. Nur Eine Beschraͤnkung wird ihnen auferlegt. Zu strafen soll ihnen zustehen: die Schuldigen, welche sich bekehren, zu be- gnadigen, behaͤlt der Papst sich vor. So sollen sie alles thun, anordnen, ausfuͤhren, um die Irrthuͤmer, die in der christlichen Gemeine ausgebrochen sind, zu unterdruͤcken und mit der Wurzel auszurotten Licet ab initio. Deputatio nonnullorum S. R. E. Car- . Inquisition . Caraffa verlor keinen Augenblick, diese Bulle in Aus- fuͤhrung zu bringen. Er war nicht etwa reich, doch haͤtte es ihm dieß Mal ein Verlust geschienen, eine Zahlung aus der apostolischen Kammer abzuwarten; er nahm sofort ein Haus in Miethe; aus eignen Mitteln richtete er die Zim- mer der Beamten und die Gefaͤngnisse ein; er versah sie mit Riegeln und starken Schloͤssern, mit Bloͤcken, Ketten und Banden und jener ganzen furchtbaren Geraͤthschaft. Dann ernannte er Generalcommissaͤre fuͤr die verschiedenen Laͤnder. Der erste, so viel ich sehe fuͤr Rom war sein ei- gener Theolog, Teofilo di Tropea, uͤber dessen Strenge sich Cardinaͤle, wie Poole, bald zu beklagen hatten. „Folgende Regeln,“ sagt die handschriftliche Lebens- beschreibung Caraffa’s, „hatte sich der Cardinal hierbei als die richtigsten vorgezeichnet“ Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. c. 8. „Haveva egli queste infrascritte regole tenute da lui come assiomi verissimi: la prima, che in materia di fede non bisogna aspettar punto, ma subito che vi è qualche sospetto o indicio di peste heretica far ogni sforzo e violenza per estirparla“ etc. : „erstens in Sachen des Glaubens duͤrfe man nicht einen Augenblick warten, sondern gleich auf den mindesten Verdacht muͤsse man mit aͤußerster Anstrengung zu Werke gehen;“ „zweitens sey keinerlei Ruͤcksicht zu nehmen auf ir- gend einen Fuͤrsten oder Praͤlaten, wie hoch er auch stehe;“ „drittens: vielmehr muͤsse man gegen die am strengsten dinalium generalium inquisitorum haereticae pravitatis 21 Julii 1542. Cocquelines IV, 1, 211. Buch II. Regeneration des Katholicismus . seyn, die sich mit dem Schutz eines Machthabers zu vertheidigen suchen sollten; nur wer das Gestaͤndniß ab- gelegt, sey mit Milde und vaͤterlichem Erbarmen zu behandeln;“ „viertens Ketzern und besonders Calvinisten gegenuͤber muͤsse man sich mit keinerlei Toleranz herabwuͤrdigen.“ Es ist alles, wie wir sehen, Strenge, unnachsichtige, ruͤcksichtslose Strenge, bis das Bekenntniß erfolgt ist. Furcht- bar, besonders in einem Momente, wo die Meinungen noch nicht ganz entwickelt waren, wo Viele die tieferen Lehren des Christenthums mit den Einrichtungen der bestehenden Kirche zu vereinigen suchten. Die Schwaͤcheren gaben nach und unterwarfen sich: die Staͤrker-Gearteten dagegen ergriffen nun erst eigentlich die entgegengesetzten Meinungen und such- ten sich der Gewalt zu entziehen. Einer der ersten von ihnen war Bernardin Ochin. Schon eine Zeitlang wollte man bemerkt haben, daß er seine kloͤsterlichen Pflichten minder sorgsam erfuͤlle: im Jahr 1542 ward man auch an seinen Predigten irre. Auf das schneidendste behauptete er die Lehre, daß der Glaube allein rechtfertige; nach einer Stelle Augustins rief er aus, „der dich ohne dich geschaffen, wird er dich nicht ohne dich selig machen?“ Seine Erklaͤrungen uͤber das Fegefeuer schienen nicht sehr orthodox. Schon der Nunzius zu Venedig verbot ihm auf ein paar Tage die Kanzel: hierauf ward er nach Rom citirt; er war bereits bis Bologna, bis Florenz gekommen, als er, wahrscheinlich aus Furcht vor der eben errichteten Inquisition, zu fliehen beschloß. Nicht uͤbel laͤßt ihn Inquisition . ihn der Geschichtschreiber seines Ordens Boverio: Annali I, 438. , wie er auf den S. Bernard gekommen, noch einmal stillstehen, und sich aller der Ehre, die ihm in seinem schoͤnen Vaterlande erwiesen worden, der Unzaͤhligen erinnern, die ihn voll Erwartung empfingen, mit Spannung hoͤrten und mit bewundernder Genugthuung nach Hause begleiteten; gewiß verliert ein Redner noch mehr als ein Andrer an seinem Vaterlande. Aber er verließ es, obwohl in so hohem Alter. Er gab das Siegel seines Ordens, das er bis hieher mit sich ge- tragen, seinem Begleiter und ging nach Genf. Noch im- mer waren indeß seine Ueberzeugungen nicht fest; er ist in sehr außerordentliche Verirrungen gefallen. Um die nemliche Zeit verließ Peter Martyr Vermigli Italien. Ich riß mich, sagt er, aus so vielen Verstellun- gen heraus, und rettete mein Leben vor der bevorstehenden Gefahr. Viele von den Schuͤlern, die er bis dahin in Lucca gezogen, folgten ihm spaͤter nach Ein Schreiben Peter Martyrs an seine zuruͤckgelassene Ge- meine, worin er noch seine Reue ausdruͤckt, daß er die Wahrheit zuweilen in Dunkel gehuͤllt, in Schlosser: Leben Beza’s und Peter Martyrs S. 400. Viele einzelne Notizen haben Gerdesius und M’Crie in den oben angefuͤhrten Buͤchern gesammelt. . Naͤher ließ sich Caͤlio Secundo Curione die Gefahr kommen. Er wartete bis der Bargello erschien ihn zu su- chen. Curione war groß und stark. Mit dem Messer, das er eben fuͤhrte, ging er mitten durch die Sbirren hindurch, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Er ging nach der Schweiz. Schon einmal hatte es Bewegungen in Modena ge- 14 Buch II. Regeneration des Katholicismus . gegeben: jetzt erwachten sie wieder. Einer klagte den andern an. Filippo Valentin entwich nach Trient. Auch Castel- vetri fand es gerathen, sich wenigstens eine Zeitlang in Deutschland sicher zu stellen. Denn in Italien brach allenthalben die Verfolgung und der Schrecken aus. Der Haß der Factionen kam den Inquisitoren zu Huͤlfe. Wie oft griff man, nachdem man lange vergebens eine andere Gelegenheit gesucht, sich an seinen Gegnern zu raͤchen, zu der Beschuldigung der Ketze- rei. Nun hatten die altglaͤubigen Moͤnche wider jene ganze Schaar geistreicher Leute, die durch ihr literari- sches Bemuͤhen auf eine religioͤse Tendenz gefuͤhrt worden — zwei Parteien, die einander gleich bitteren Haß wid- meten, — die Waffen in den Haͤnden, und verdammten ihre Gegner zu ewigem Stillschweigen. Kaum ist es moͤglich, ruft Antonio dei Pagliarici aus, ein Christ zu seyn und auf seinem Bette zu sterben Aonii Palearici Opera ed. Wetsten. 1696. p. 91. Il Cl. di Ravenna al C l. Contarini — Epp. Poli III, 208 fuͤhrt diesen Grund schon an: Sendo quella città (Ravenna) partialis- sima nè vi rimanendo huomo alcuno non contaminato di questa macchia delle fattioni si van volontieri dove l’occasion s’offe- risce, caricando l’un l’altro da inimici. . Die Akade- mie von Modena war nicht die einzige, welche sich auf- loͤste. Auch die neapolitanischen, von den Seggi errich- tet, urspruͤnglich nur fuͤr die Studien bestimmt, von de- nen sie allerdings, dem Geiste der Zeit gemaͤß, zu theo- logischen Disputationen fortgingen, wurden vom Vicekoͤnig geschlossen Giannone Storia di Napoli XXXII, c. V. . Die gesammte Literatur ward der strengsten Inquisition . Aufsicht unterworfen. Im Jahre 1543 verordnete Caraffa, daß in Zukunft kein Buch, von welchem Inhalt auch im- mer, gleichviel ob alt oder neu gedruckt werden duͤrfe, ohne die Erlaubniß der Inquisitoren; die Buchhaͤndler muß- ten eben Diesen Verzeichnisse aller ihrer Artikel einreichen; ohne deren Erlaubniß sollten sie nichts mehr verkaufen; die Zollbeamten der Dogana erhielten den Befehl, keine Sen- dung handschriftlicher oder gedruckter Buͤcher an ihre Be- stimmung abzuliefern, ohne sie vorher der Inquisition vorgelegt zu haben Bromato VII, 9. . Allmaͤhlig kam man auf den In- dex der verbotenen Buͤcher. In Loͤwen und Paris hatte man die ersten Beispiele gegeben. In Italien ließ Gio- vanni della Casa, in dem engsten Vertrauen des Hauses Caraffa, den ersten Catalog, ungefaͤhr von 70 Nummern, zu Venedig drucken. Ausfuͤhrlichere erschienen 1552 zu Florenz, 1554 zu Mailand; der erste in der spaͤterhin ge- braͤuchlichen Form zu Rom 1559. Er enthielt Schriften der Cardinaͤle, die Gedichte jenes Casa selbst. Nicht allein Druckern und Buchhaͤndlern wurden diese Gesetze gegeben, selbst den Privatleuten ward es zur Gewissenspflicht ge- macht, die Existenz der verbotenen Buͤcher anzuzeigen, zu ihrer Vernichtung beizutragen. Mit unglaublicher Strenge setzte man diese Maaßregel durch. In so vielen Tausend Exemplaren das Buch uͤber die Wohlthat Christi verbreitet seyn mochte, es ist voͤllig verschwunden und nicht mehr aufzufinden. In Rom hat man Scheiterhaufen von weg- genommenen Exemplaren verbrannt. Bei allen diesen Einrichtungen, Unternehmungen bediente 14* Buch II. Regeneration des Katholicismus . sich die Geistlichkeit der Huͤlfe des weltlichen Arms Auch andere Laien schlossen sich ihren Bestrebungen an. „Fu rimediato,“ sagt das Compendium der Inquisitoren, „oppor- tunamente dal S. officio in Roma con porre in ogni città va- lenti e zelanti inquisitori servendosi anche talhora de secolari zelanti e dotti per ajuto della fede come verbi gratia del Go- descalco in Como, del conte Albano in Bergamo, del Mutio in Milano. Questa risolutione di servirsi de’ secolari fu presa perche non soli moltissimi vescovi vicarii frati e preti, ma anco molti dell’ istessa inquisitione erano heretici. . Es kam den Paͤpsten zu Statten, daß sie ein eigenes Land von so bedeutendem Umfang besaßen: hier konnten sie das Beispiel geben und das Muster aufstellen. In Mailand und Neapel durfte sich die Regierung um so weniger wi- dersetzen da sie beabsichtigt hatte, die spanische Inquisition daselbst einzufuͤhren: in Neapel blieb nur die Confiscation der Guͤter verboten. In Toskana war die Inquisition durch den Legaten, den sich Herzog Cosimo zu verschaffen wußte, weltlichem Einfluß zugaͤnglich; die Bruͤderschaften, die sie stiftete, gaben jedoch großen Anstoß; in Siena und Pisa nahm sie sich wider die Universitaͤten mehr heraus als ihr gebuͤhrte. Im Venetianischen blieb der Inquisitor zwar nicht ohne weltliche Aufsicht — in der Hauptstadt saßen seit dem April 1547 drei venezianische Nobili in sei- nem Tribunal; in den Provinzen hatte der Rettore jeder Stadt, der dann zuweilen Doctoren zu Rathe zog, und in schwierigen Faͤllen, besonders sobald die Anklage bedeu- tendere Personen betraf, erst bei dem Rathe der Zehn an- fragte Antheil an der Untersuchung; allein dieß hin- derte nicht, daß man nicht im Wesentlichen die Verord- nungen von Rom in Ausfuͤhrung gebracht haͤtte. Inquisition . Und so wurden die Regungen abweichender Religions- meinungen in Italien mit Gewalt erstickt und vernichtet. Fast der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta- tionen genoͤthigt. Der groͤßte Theil der Anhaͤnger des Valdez bequemte sich zu widerrufen. In Venedig ließ man den Fremden, den Deutschen, die sich des Handels oder der Studien halber eingefunden hatten, eine gewisse Freiheit; die Einheimischen dagegen wurden genoͤthigt, ihre Mei- nungen abzuschwoͤren: ihre Zusammenkuͤnfte wurden zer- stoͤrt. Viele fluͤchteten; in allen Staͤdten in Deutschland und der Schweiz begegnen wir diesen Fluͤchtlingen. Diejeni- gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß- ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden sie mit zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer geschickt. Man legte ein Brett zwischen die Barken, und setzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh- ren die Ruderer auseinander; das Brett stuͤrzte in die Fluth: noch einmal riefen die Ungluͤcklichen den Namen Christi aus und sanken unter. In Rom hielt man vor San Maria alla Minerva die Autodafe’s in aller Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und Kind. Wir begleiten sie eine Weile: dann verschwinden sie: wahrscheinlich sind sie den unbarmherzigen Jaͤgern in die Netze gerathen. Andere hielten sich still. Die Herzo- gin von Ferrara, welche, wenn es kein salisches Gesetz gegeben haͤtte, Erbin von Frankreich gewesen waͤre, ward durch Geburt und hohen Rang nicht beschuͤtzt. Ihr Ge- mahl war selbst ihr Gegner. „Sie sieht Niemand“, sagt Marot, „gegen den sie sich beklagen koͤnnte: die Berge sind Buch II. Regeneration des Katholicismus . zwischen ihr und ihren Freunden; sie mischt ihren Wein mit Thraͤnen.“ Ausbildung des jesuitischen Institutes. In dieser Entwickelung der Dinge, als die Gegner mit Gewalt bei Seite gebracht, die Dogmen aufs neue in dem Geiste des Jahrhunderts festgesetzt waren, die kirch- liche Macht mit unabwendbaren Waffen die Beobachtung derselben beaufsichtigte, erhob sich nun, im engsten Verein mit dieser, der Orden der Jesuiten. Nicht allein in Rom, in ganz Italien gewann er ei- nen ungemeinen Erfolg. Er hatte sich urspruͤnglich fuͤr das gemeine Volk bestimmt: zunaͤchst bei den vornehmen Clas- sen fand er Eingang. In Parma beguͤnstigten ihn die Farnesen Orlandinus druͤckt sich seltsam aus. Et civitas, sagte er II, p. 78, et privati quibus fuisse dicitur aliqua cum Romano pontifice necessitudo supplices ad eum literas pro Fabro retinendo dederunt. Gleich als wuͤßte man nicht, daß Paul III. einen Sohn gehabt. Uebrigens ward hernach bei Gelegenheit einer Opposition gegen die jesuitisch-gesinnte Priesterschaft die Inquisition in Parma eingefuͤhrt. : Fuͤrstin- nen unterwarfen sich den geistlichen Uebungen. In Vene- dig erklaͤrte Lainez das Evangelium St. Johannis ausdruͤck- lich fuͤr die Nobili, und mit Huͤlfe eines Lippomano gelang es ihm bereits 1542, den Grund zu dem Jesuitercollegium zu legen. In Montepuciano brachte Franz Strada einige Ausbildung des jesuitischen Institutes . von den vornehmsten Maͤnnern der Stadt so weit, daß sie mit ihm durch die Straßen gingen und bettelten: Strada klopfte an die Thuͤre: sie nahmen die Gaben in Empfang. In Faenza gelang es ihnen, obwohl Ochino viel daselbst gewirkt hatte, großen Einfluß zu erwerben, hundertjaͤhrige Feindschaften zu versoͤhnen und Gesellschaften zur Unterstuͤz- zung der Armen zu gruͤnden. Ich fuͤhre nur einige Bei- spiele an: allenthalben erschienen sie, verschafften sich An- haͤnger, bildeten Schulen, setzten sich fest. Wie aber Ignatius ganz ein Spanier, und von na- tionalen Ideen ausgegangen war, wie auch leicht seine geist- reichsten Schuͤler ihm daher gekommen, so hatte seine Gesell- schaft, in die dieser Geist uͤbergegangen, auf der pyrenaͤischen Halbinsel fast noch groͤßeren Fortgang als in Italien selbst. In Barcelona machte sie eine sehr bedeutende Erwerbung an dem Vicekoͤnig, Franz Borgia, Herzog von Gandia; in Valencia konnte eine Kirche die Zuhoͤrer des Araoz nicht fassen, und man errichtete ihm eine Kanzel unter freiem Himmel; in Alcala sammelten sich um Franz Vil- lanova, obwohl er krank, von geringer Herkunft und ohne alle Kenntnisse war, gar bald bedeutende Anhaͤnger; von hier und Salamanca, wo man 1548 mit einem sehr en- gen schlechten Hause begann, haben sich die Jesuiten her- nach vornemlich uͤber Spanien ausgebreitet Ribadeneira Vita Ignatii c. XV, n. 244. c. XXXVIII, nr. 285. . Indeß wa- ren sie in Portugal nicht minder willkommen. Der Koͤnig ließ von den beiden Ersten, die ihm auf sein Ersuchen ge- schickt wurden, nur den einen nach Ostindien ziehen; — Buch II. Regeneration des Katholicismus . es ist Xaver, der dort den Namen eines Apostels und ei- nes Heiligen erwarb — den andern, Simon Roderich, be- hielt er bei sich. An beiden Hoͤfen verschafften sich die Je- suiten außerordentlichen Beifall. Den portugiesischen refor- mirten sie durchaus; an dem spanischen wurden sie gleich damals die Beichtvaͤter der vornehmsten Großen, des Praͤsi- denten des Rathes von Castilien, des Cardinals von Toledo. Schon im Jahre 1540 hatte Ignatius einige junge Leute nach Paris geschickt, um daselbst zu studiren. Von da breitete sich seine Gesellschaft nach den Niederlanden aus. In Loͤwen hatte Faber den entschiedensten Erfolg: achtzehn junge Maͤnner, bereits Baccalaureen oder Magister, erboten sich, Haus, Universitaͤt und Vaterland zu verlas- sen, um sich mit ihm nach Portugal zu begeben. Schon sah man sie in Deutschland, und unter den ersten trat Peter Canisius, der ihnen so große Dienste geleistet hat, an seinem drei und zwanzigsten Geburtstag in ihren Orden. Dieser rasche Succeß mußte der Natur der Sache nach auf die Entwickelung der Verfassung den wirksamsten Einfluß haben. Sie bildete sich folgendergestalt aus. In den Kreis seiner ersten Gefaͤhrten, der Profes- sen, nahm Ignatius nur Wenige auf. Er fand, Maͤnner die zugleich vollkommen ausgebildet und gut und fromm seyen, gebe es wenige. Gleich in dem ersten Entwurfe, den er dem Papste einreichte, spricht er die Absicht aus, an ei- ner oder der andern Universitaͤt Collegien zu gruͤnden, um juͤngere Leute heranzubilden. In unerwarteter Anzahl, wie Ausbildung des jesuitischen Institutes . gesagt, schlossen sich ihm solche an. Sie bildeten den Pro- fessen gegenuͤber die Classe der Scholastiker Pauli III. faeultas Coadjutores admittendi d. V Junii 1546: ita ut ad vota servanda pro eo tempore quo tu fili praeposite et qui pro tempore fuerint ejusdem societatis praepositi, eis in ministerio spirituali vel temporali utendum judicaveritis et non ultra astringantur. Corpus institutorum I, p. 15. . Allein gar bald zeigte sich eine Inconvenienz. Da die Professen sich durch ihr unterscheidendes viertes Geluͤbde zu fortwaͤhrenden Reisen im Dienste des Papstes verpflich- tet hatten, so war es ein Widerspruch, so viel Collegien wie noͤthig wurden, Anstalten, die nur bei einer ununter- brochenen Anwesenheit gedeihen konnten, auf sie anzuwei- sen. Bald fand es Ignatius noͤthig, zwischen jenen bei- den eine dritte Classe einzurichten: geistliche Coadjutoren, ebenfalls Priester, mit wissenschaftlicher Vorbildung, die sich ausdruͤcklich zum Unterricht der Jugend verpflichteten. Eines der wichtigsten Institute und so viel ich sehe, den Jesuiten eigen, auf welchem der Flor ihrer Gesellschaft be- ruhte. Diese erst konnten an jedem Orte sich ansiedeln, einheimisch werden, Einfluß gewinnen und den Unterricht beherrschen. Wie die Scholastiker legten auch sie nur drei Geluͤbde ab: und bemerken wir wohl: auch diese einfach, nicht feierlich. Das will sagen: sie selbst waͤren in Ex- communication gefallen, haͤtten sie sich von der Gesellschaft wieder trennen wollen. Aber der Gesellschaft stand das Recht zu, obwohl nur in genau bestimmten Faͤllen, sie zu entlassen. Und nun war nur noch eins erforderlich. Die Stu- Buch II. Regeneration des Katholicismus . dien und Beschaͤftigungen, zu denen diese Classen bestimmt waren, wuͤrde es gestoͤrt haben, wenn sie sich zugleich der Sorge fuͤr ihre aͤußere Existenz haͤtten widmen muͤs- sen. Die Professen in ihren Haͤusern lebten von Almosen: den Coadjutoren und Scholastikern ward dieß erspart, die Collegien durften gemeinschaftliche Einkuͤnfte haben. Zu deren Verwaltung, in so fern sie nicht den Professen, die ihrer indeß selber nicht genießen konnten, zukam, und der Besorgung aller Aeußerlichkeiten nahm Ignaz auch noch weltliche Coadjutoren an; welche zwar nicht minder die ein- fachen drei Geluͤbde ablegen, aber sich mit der Ueberzeu- gung, daß sie Gott dienen, indem sie eine Gesellschaft un- terstuͤtzen, welche fuͤr das Heil der Seelen wacht, zu begnuͤ- gen und nach nichts Hoͤherem zu trachten haben. Diese Einrichtungen, an sich wohlberechnet, gruͤndeten auch zugleich eine Hierarchie, die in ihren verschiedenen Abstufungen die Geister noch besonders fesselte Die Grundlage bildeten die Novizen, Gaͤste, Indifferente, aus denen die verschiedenen Classen emporstiegen. . Fassen wir die Gesetze, welche dieser Gesellschaft nach und nach gegeben wurden, ins Auge, so war eine der obersten Ruͤcksichten, die ihnen zu Grunde lag, die voll- kommenste Absonderung von den gewohnten Verhaͤltnissen. Die Liebe zu den Blutsverwandten wird als eine fleisch- liche Neigung verdammt Summarium Constitutionum §. 8. in dem Corpus insti- tutorum societatis Jesu. Antverpiae 1709. T. I. Bei Orlandi- nus III, 66 wird Faber deshalb gepriesen, weil er einst, nach eini- gen Jahren der Abwesenheit, bei seiner Vaterstadt in Savoyen an- langte und uͤber sich gewann, voruͤberzureisen. . Wer seine Guͤter aufgiebt, Ausbildung des jesuitischen Institutes . um in die Gesellschaft zu treten, hat sie nicht seinen Ver- wandten zu uͤberlassen, sondern den Armen auszutheilen Examen generale c. IV, §. 2. . Wer einmal eingetreten, empfaͤngt weder noch schreibt er Briefe, ohne daß sie von einem Obern gelesen wuͤrden. Die Gesellschaft will den ganzen Menschen: alle seine Nei- gungen will sie fesseln. Selbst seine Geheimnisse will sie mit ihm theilen. Mit einer Generalbeichte tritt er ein. Er hat seine Feh- ler, ja seine Tugenden anzuzeigen. Ein Beichtvater wird ihm von den Oberen bestellt: der Obere behaͤlt sich die Absolution fuͤr diejenigen Faͤlle vor, von denen es nuͤtzlich ist, daß er sie erfahre Vorschriften, einzeln enthalten in dem Summarium Consti- tutionum §. 32, §. 41, dem Examen generale §. 35, §. 36 und Constitutionum P. III, c. 1. nr. 11. Illi casus reservabuntur, heißt es in der letzten Stelle, quos ab eo (superiore) cognosci necessarium videbitur aut valde conveniens. . Schon darum dringt er hier- auf, um den Unteren voͤllig zu kennen und ihn nach Be- lieben zu brauchen. Denn an die Stelle jedes andern Verhaͤltnisses, jedes Antriebes, den die Welt zur Thaͤtigkeit anbieten koͤnnte, tritt in dieser Gesellschaft der Gehorsam: Gehorsam an sich, ohne alle Ruͤcksicht worauf er sich erstreckt Das Schreiben von Ignatius „fratribus societatis Jesu, qui sunt in Lusitania“ 7 Kal. Ap. 1553. §. 3. . Es soll Niemand nach einem andern Grade verlangen, als dem, welchen er hat: der weltliche Coadjutor soll nicht le- sen und schreiben lernen, ohne Erlaubniß, wenn er es nicht bereits kann. Mit voͤlliger Verleugnung allen eige- Buch II. Regeneration des Katholicismus . nen Urtheils in blinder Unterwuͤrfigkeit soll man sich von seinen Oberen regieren lassen, wie ein lebloses Ding, wie der Stab, der Demjenigen, der ihn in seinen Haͤn- den hat, auf jede beliebige Weise dient. In ihnen erscheint die goͤttliche Vorsicht Constitutiones VI, 1. Et sibi quisque persuadeat, quod qui sub obedientia vivunt se ferri ac regi a divina providentia per superiores suos sinere debent, perinde ac cadaver essent. — Hier giebt es nun noch die andere Constitution VI, 5, nach welcher auch eine Suͤnde geboten werden kann. „Visum est nobis in do- mino — — nullas constitutiones declarationes vel ordinem ul- lum vivendi posse obligationem ad peccatum mortale vel veniale inducere, nisi superior ea in nomine domini Jesu Christi vel in virtute obedientiae juberat.“ Man traut seinen Augen kaum, wenn man dieß liest. . Welch eine Gewalt, die nun der General empfing, der auf Lebenslang, ohne irgend Rechenschaft geben zu muͤs- sen, diesen Gehorsam zu leiten bekam. Nach dem Ent- wurf von 1543 sollten alle Mitglieder des Ordens, die sich mit dem General an Einem und demselben Orte be- finden wuͤrden, selbst in geringen Dingen zu Rathe ge- zogen werden. Der Entwurf von 1550, welchen Ju- lius III. bestaͤtigte, entbindet ihn hiervon, in so fern er es nicht selbst fuͤr gut haͤlt Adjutus, quatenus ipse opportunum judicabit fratrum suorum consilio, per se ipsum ordinandi et jubendi, quae ad dei gloriam pertinere videbuntur, jus totum habeat, sagt Julii III confirmatio instituti. . Nur zur Veraͤnderung der Constitution und zur Aufloͤsung einmal eingerichteter Haͤuser und Collegien bleibt eine Berathung nothwendig. Sonst ist ihm alle Gewalt uͤbertragen, die zur Regierung der Gesellschaft nuͤtzlich seyn moͤchte. Er hat Assistenten Ausbildung des jesuitischen Institutes . nach den verschiedenen Provinzen, die aber keine anderen Ge- schaͤfte verhandeln als die, welche er ihnen auftragen wird. Nach Gutduͤnken ernennt er die Vorsteher der Provinzen, Collegien und Haͤuser: nimmt auf und entlaͤßt, dispensirt und straft: er hat eine Art von paͤpstlicher Gewalt im Kleinen Constitutiones IX, III. . Es trat hierbei nur die Gefahr ein, daß der General im Besitz einer so großen Macht, selber von den Prinzipien der Gesellschaft abtruͤnnig wuͤrde. In so fern unterwarf man ihn einer gewissen Beschraͤnkung. Es will zwar vielleicht nicht so viel sagen, wie es dem Ignatius geschienen haben mag, daß die Gesellschaft oder ihre Deputirten uͤber gewisse Aeu- ßerlichkeiten, Mahlzeit, Kleidung, Schlafengehen und das ge- sammte taͤgliche Leben — zu bestimmen hatten Schedula Ignatii AA. SS. Commentatio praevia nr. 872. : indeß ist es immer etwas, daß der Inhaber der obersten Gewalt einer Freiheit beraubt ist, die der geringste Mensch genießt. Die Assistenten, die nicht von ihm ernannt waren, beauf- sichtigten ihn uͤberdieß fortwaͤhrend. Es gab einen bestellten Ermahner, Admonitor; bei großen Fehltritten konnten die Assistenten die Generalcongregation berufen, die dann be- fugt war, selbst die Absetzung des Generals auszusprechen. Es fuͤhrt uns dieß einen Schritt weiter. Lassen wir uns nicht von den hyperbolischen Aus- druͤcken blenden, in denen die Jesuiten diese Gewalt dar- gestellt haben, und betrachten wir vielmehr, was bei der Ausdehnung, zu der die Gesellschaft gar bald gedieh, ausfuͤhrbar seyn konnte, so stellt sich folgendes Verhaͤltniß Buch II. Regeneration des Katholicismus . dar. Dem General blieb die hoͤchste Leitung des Ganzen, und vornehmlich die Beaufsichtigung der Oberen, deren Ge- wissen er kennen soll, denen er die Aemter ertheilt. Diese hatten dagegen in ihrem Kreise eine aͤhnliche Gewalt und machten sie haͤufig schaͤrfer geltend als der General Mariana discurso de las enfermedadas de la compania de Jesus. c. XI. . Obere und General hielten einander gewissermaßen das Gleichgewicht. Auch uͤber die Persoͤnlichkeit aller Unterge- benen, aller Mitglieder der Gesellschaft mußte der General unterrichtet werden; — wenn er gleich hier, wie es sich von selbst versteht, nur in dringenden Faͤllen eingreifen konnte, so behielt er doch die oberste Aufsicht. Ein Aus- schuß der Professen dagegen beaufsichtigte hinwiederum ihn. Es hat andere Institute gegeben, welche auch in der Welt eine eigene Welt bildend, ihre Mitglieder von allen uͤbrigen Beziehungen losrissen, sich zu eigen machten, ein neues Lebensprinzip in ihnen erzeugten. Eben hierauf war auch das jesuitische Institut berechnet. Eigenthuͤmlich ist ihm aber, daß es dabei auf der einen Seite eine indivi- duelle Entwickelung nicht allein beguͤnstigt, sondern for- dert, und auf der andern dieselbe voͤllig gefangennimmt. und sich zu eigen macht. Daher werden alle Verhaͤltnisse Persoͤnlichkeit, Unterordnung, wechselseitige Beaufsichtigung. Dennoch bilden sie eine streng geschlossene, vollkommene Einheit: es ist in ihnen Nerv und Thatkraft; eben darum haben sie die monarchische Gewalt so stark gemacht; sie unterwerfen sich ihr ganz, es waͤre denn, deren Inhaber fiele selbst von dem Prinzip ab. Ausbildung des jesuitischen Institutes . Mit der Idee dieser Gesellschaft haͤngt es sehr wohl zusammen, daß keines ihrer Mitglieder eine geistliche Wuͤrde bekleiden sollte. Es wuͤrde Pflichten zu erfuͤllen gehabt haben, in Verhaͤltnisse gerathen seyn, die nicht mehr zu beaufsichtigen waren. Wenigstens im Anfange hielt man auf das strengste daruͤber. Jay wollte und durfte das Bisthum Triest nicht annehmen; — als Ferdinand I. , der es ihm angetragen, auf ein Schreiben des Ignatius, von seinem Wunsche abstand, ließ dieser feierliche Messen hal- ten und ein Tedeum anstimmen Excerpt aus dem liber memorialis des Ludovicus Consal- vus: quod desistente rege S. Ignatius indixerit missas, et Te- deum laudamus, in gratiarum actionem. Commentarius praevius in AA. SS. Julii VII. nr. 412. . Ein anderes Moment ist, daß so wie die Gesellschaft sich im Ganzen beschwerlicher Gottesverehrungen uͤberhob, auch die Einzelnen angewiesen wurden, die religioͤsen Ue- bungen nicht zu uͤbertreiben. Mit Fasten, Nachtwachen und Casteiungen soll man weder seinen Koͤrper schwaͤchen, noch dem Dienste des Naͤchsten zu viel Zeit entziehen. Auch in der Arbeit wird empfohlen, Maaß zu halten. Man soll das muthige Roß nicht allein spornen, sondern auch zaͤh- men: man soll sich nicht mit so viel Waffen beschweren, daß man dieselben nicht anwenden koͤnne: man soll sich nicht dergestalt mit Arbeit uͤberhaͤufen, daß die Freiheit des Geistes darunter leide Constitutiones V, 3, 1. Epistola Ignatii ad fratres qui sunt in Hispania. Corpus institutorum. II, 540. . Es leuchtet ein, wie sehr die Gesellschaft alle ihre Mitglieder gleichsam als ihr Eigenthum besitzen, aber da- Buch II. Regeneration des Katholicismus . bei zu der kraͤftigsten Entwickelung gedeihen lassen will, die innerhalb des Prinzipes moͤglich ist. In der That war dieß auch zu den schwierigen Ge- schaͤften, denen sie sich unterzog, unerlaͤßlich. Es waren, wie wir sahen, Predigt, Unterricht und Beichte. Vornehm- lich den beiden letzteren widmeten sich die Jesuiten auf ei- genthuͤmliche Art. Der Unterricht war bisher in den Haͤnden jener Lite- ratoren gewesen, die, nachdem sie lange die Studien auf eine durchaus profane Weise getrieben, darnach auf eine dem roͤmischen Hofe von Anfang nicht ganz genehme, endlich von ihm verworfene geistliche Richtung eingegangen waren. Die Jesuiten machten es sich zu ihrem Geschaͤft, sie zu ver- draͤngen und an ihre Stelle zu treten. Sie waren erstens systematischer: sie theilten die Schulen in Classen, von den ersten Anfangsgruͤnden an bis zu der letzten Ausbildung hinauf gaben sie ihren Unterricht in demselben Geiste; sie beaufsichtigten ferner die Sitten und bildeten wohlgezogene Leute; sie waren von der Staatsgewalt beguͤnstigt; end- lich, sie gaben ihren Unterricht umsonst. Hatte die Stadt oder der Fuͤrst ein Collegium gegruͤndet, so brauchte kein Privatmann weiter etwas zu zahlen. Es war ihnen aus- druͤcklich verboten, Lohn oder Almosen zu fordern oder an- zunehmen; wie Predigt und Messe, so war auch der Un- terricht umsonst; in der Kirche selbst war kein Gotteska- sten. Wie die Menschen nun einmal sind, so mußte ihnen dieß, zumal da sie nun wirklich mit eben so viel Erfolg wie Eifer unterrichteten, unendlich foͤrderlich seyn. Nicht allein den Armen werde damit geholfen, sondern auch den Rei- Ausbildung des jesuitischen Institutes . Reichen eine Erleichterung gewaͤhrt, sagt Orlandini Orlandinus lib. VI, 70. Es waͤre eine Vergleichung an- zustellen mit den Klosterschulen der Protestanten, in denen auch die geistliche Richtung voͤllig vorherrschend wurde. S. Sturm bei Ruh- kopf Gesch. des Schulwesens S. 378. Es kaͤme auf den Unter- schied an. . Er bemerkt, welch ungeheuren Succeß man gehabt. „Wir sehen,“ sagt er, „Viele im Purpur der Cardinaͤle glaͤnzen, die wir noch vor Kurzem auf unsern Schulbaͤnken vor uns hatten: Andere sind in Staͤdten und Staaten zur Regie- rung gelangt; Bischoͤfe und ihre Raͤthe haben wir erzo- gen; selbst andere geistliche Genossenschaften sind aus un- sern Schulen erfuͤllt worden.“ Die hervorragenden Talente wußten sie, wie leicht zu erachten, sich selber zuzueignen. Sie bildeten sich zu einem Lehrerstand aus, der — indem er sich uͤber alle katholischen Laͤnder verbreitete, dem Unterricht die geistliche Farbe, die er seitdem behalten, erst verlieh, in Disciplin, Methode und Lehre eine strenge Einheit behaup- tete — sich einen unberechenbaren Einfluß verschafft hat. Wie sehr verstaͤrkten sie denselben aber, indem sie sich zugleich der Beichte und der Leitung der Gewissen zu bemaͤch- tigen verstanden! Kein Jahrhundert war dafuͤr empfaͤng- licher, dessen gleichsam beduͤrftiger. Den Jesuiten schaͤrft ihr Gesetzbuch ein, „in der Art und Weise die Absolu- tion zu ertheilen, die nemliche Methode zu befolgen, sich in den Gewissensfaͤllen zu uͤben, sich eine kurze Art, zu fragen, anzugewoͤhnen und gegen jedwede Art von Suͤnde die Beispiele der Heiligen, ihre Worte und andere Huͤlfe bereit zu halten“ Regula sacerdotum §. 8, 10, 11. . Regeln, wie am Tage liegt, auf 15 Buch II. Regeneration des Katholicismus . das Beduͤrfniß des Menschen ganz wohl berechnet. Indes- sen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem sie es brachten, der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweise einschloß, noch auf einem anderen Momente. Sehr merkwuͤrdig ist das kleine Buch der geistlichen Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht sagen zuerst entworfen, aber auf das eigenthuͤmlichste ausgearbeitet Denn nach allem, was fuͤr und wider geschrieben worden, leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein aͤhnliches Buch von Garcia de Cisneros vor Augen hatte. Das Eigenthuͤmlichste aber scheint von ihm zu stammen. Comm. praev. nr. 64. , mit dem er seine ersten, und dann auch seine spaͤteren Schuͤler, seine Anhaͤnger uͤberhaupt gesammelt und sich zu eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirksam. Um so mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich, in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Beduͤrf- nisses anempfohlen wurde. Es ist nicht ein Lehrbuch: es ist eine Anweisung zu eigenen Betrachtungen. Die Sehnsucht der Seele, sagt Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntnissen, nur durch die eigene innere Anschauung wird sie erfuͤllt Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus rerum interior desiderium animae replere solet. . Diese zu leiten nimmt er sich vor. Der Seelsorger deutet die Gesichtspuncte an: der Uebende hat sie zu ver- folgen. Vor dem Schlafengehen und sogleich bei dem er- sten Erwachen hat er seine Gedanken dahin zu richten; alle anderen weist er mit Anstrengung von sich: Fenster und Thuͤren werden geschlossen: auf den Knieen und zur Erde gestreckt vollzieht er die Betrachtung. Ausbildung des jesuitischen Institutes . Er beginnt damit, seiner Suͤnden inne zu werden. Er betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die Hoͤlle gestuͤrzt worden, fuͤr ihn aber, obwohl er viel groͤ- ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge- stirne, Thiere und Gewaͤchse der Erde ihm gedient haben; um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten Christus an; er empfindet seine Antworten: es ist zwischen ihnen ein Gespraͤch wie eines Freundes mit dem Freund, eines Knechtes mit dem Herrn. Hauptsaͤchlich sucht er sich dann an der Betrachtung der heiligen Geschichte aufzuerbauen. „Ich sehe“, heißt es, „wie die drei Personen der Gottheit die ganze Erde uͤber- schauen, erfuͤllt von Menschen, welche in die Hoͤlle fahren muͤssen: sie beschließen, daß die zweite Person zu ihrer Er- loͤsung die menschliche Natur annehmen soll; ich uͤberblicke den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win- kel die Huͤtte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus- geht.“ Von Moment zu Moment schreitet er in der heili- gen Geschichte weiter fort: er vergegenwaͤrtigt sich die Hand- lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien der Sinne: der religioͤsen Phantasie, frei von den Banden des Wortes, wird der groͤßte Spielraum gelassen; man vermeint die Kleidungsstuͤcke, die Fußtapfen der heiligen Personen zu beruͤhren, zu kuͤssen. In dieser Exaltation der Einbildungskraft, in dem Gefuͤhl, wie groß die Gluͤckse- ligkeit einer Seele sey, die mit goͤttlichen Gnaden und Tu- genden erfuͤllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige- nen Zustaͤnde zuruͤck. Hat man seinen Stand noch zu waͤh- 15* Buch II. Regeneration des Katholicismus . len, so waͤhlt man ihn jetzt, nach den Beduͤrfnissen seines Herzens; indem man das Eine Ziel vor Augen hat, zu Gottes Lobe selig zu werden; indem man glaubt vor Gott und allen Heiligen zu stehen. Hat man nicht mehr zu waͤhlen, so uͤberlegt man seine Lebensweise: die Art seines Umgangs, seinen Haushalt, den nothwendigen Aufwand, was man den Armen zu geben habe — alles in demsel- ben Sinne, wie man im Augenblick des Todes sich bera- then zu haben wuͤnschen wird: ohne etwas andres vor Augen zu haben, außer was zu Gottes Ehre und der ei- genen Seligkeit gereicht. Dreißig Tage werden diesen Uebungen gewidmet. Be- trachtung der heiligen Geschichte, der eigenen Zustaͤnde, Gebete, Entschluͤsse wechseln mit einander ab. Immer ist die Seele gespannt und selber thaͤtig. Zuletzt, indem man sich die Fuͤrsorge Gottes vorstellt, „der in seinen Geschoͤ- pfen wirksam gleichsam fuͤr die Menschen arbeitet,“ glaubt man nochmals im Angesicht des Herrn und seiner Heili- gen zu stehen: man fleht ihn an, sich seiner Liebe und Ver- ehrung widmen zu duͤrfen: die Freiheit bringt man ihm dar; Gedaͤchtniß, Einsicht, Willen widmet man ihm: so schließt man mit ihm den Bund der Liebe. „Die Liebe besteht in der Gemeinschaft aller Faͤhigkeiten und Guͤter.“ Ihrer Hingebung zum Lohne theilt Gott der Seele seine Gnaden mit. Es genuͤgt hier, eine fluͤchtige Idee von diesem Buche gegeben zu haben. In dem Gange, den es nimmt, den einzelnen Saͤtzen und ihrem Zusammenhange liegt etwas Dringendes, was den Gedanken zwar eine innere Thaͤtig- Ausbildung des jesuitischen Institutes . keit gestattet, aber sie in einem engen Kreise beschließt und fesselt. Fuͤr seinen Zweck, eine durch die Phantasie be- herrschte Meditation, ist es auf das beste eingerichtet. Es verfehlt ihn um so weniger, da es auf eigenen Erfahrun- gen beruht. Die lebendigen Momente seiner Erweckung und seiner geistlichen Fortschritte vom ersten Anfang bis zum Jahre 1548, wo es von dem Papst gebilligt wurde, hatte ihm Ignaz nach und nach einverleibt. Man sagt wohl, der Jesuitismus habe sich die Erfahrungen der Protestan- ten zu Nutze gemacht, und in einem und dem andern Stuͤcke mag das wahr seyn. Im Ganzen aber stehen sie in dem staͤrksten Gegensatz. Wenigstens setzte Ignatius hier der discursiven, beweisenden, gruͤndlichen, ihrer Na- tur nach polemischen Methode der Protestanten eine ganz andere entgegen: kurz, intuitiv und zur Anschauung anleitend: auf die Phantasie berechnet; zu augenblicklicher Entschließung begeisternd. Und so war jedes phantastische Element, das ihn von Anfang belebte, doch auch zu einer außerordentlichen Wirk- samkeit und Bedeutung gediehen. Wie er aber zugleich ein Soldat war, so hatte er, eben mit Huͤlfe der religioͤsen Phantasie, ein stehendes geistliches Heer zusammengebracht, Mann bei Mann erlesen und zu seinem Zweck indivi- duell ausgebildet, das er im Dienste des Papstes befehligte. Ueber alle Laͤnder der Erde sah er es sich ausbreiten. Als Ignatius starb, zaͤhlte seine Gesellschaft, die roͤ- mische ungerechnet, dreizehn Provinzen Im Jahre 1556. Sacchinus Historia societatis Jesu p. II. sive Lainius; von Anfang. . Schon der Buch II. Regeneration des Katholicismus . bloße Anblick zeigt, wo der Nerv derselben war. Die groͤßere Haͤlfte dieser Provinzen, sieben, gehoͤrten allein der pyrenaͤischen Halbinsel und ihren Colonien an. In Casti- lien waren zehn, in Aragon fuͤnf, in Andalusien nicht min- der fuͤnf Collegien: in Portugal war man am weitesten: man hatte zugleich Haͤuser fuͤr Professen und Novizen. Der portugiesischen Colonien hatte man sich beinahe be- maͤchtigt. In Brasilien waren 28, in Ostindien von Goa bis Japan gegen 100 Mitglieder des Ordens beschaͤftigt. Von hier aus hatte man einen Versuch in Aethiopien ge- macht und einen Provinzial dahin gesendet: man glaubte eines gluͤcklichen Fortgangs sicher zu seyn. Alle diese Pro- vinzen spanischer und portugiesischer Zunge und Richtung wurden von einem Generalcommissaͤr, Franz Borgia, zu- sammengefaßt. Wie gesagt, hier, wo der erste Gedanke der Gesellschaft entsprungen, war auch ihr Einfluß am um- fassendsten gewesen. Nicht viel geringer aber war er in Italien. Es gab drei Provinzen italienischer Zunge: die roͤmische, die unmittelbar unter dem General stand, mit Haͤusern fuͤr Professen und Novizen, dem Collegium Ro- manum und dem Germanicum, das auf den Rath des Cardinals Morone ausdruͤcklich fuͤr die Deutschen eingerichtet wurde, jedoch noch keinen rechten Fortgang gewann: auch Neapel gehoͤrte zu dieser Provinz — die sicilianische mit vier bereits vollendeten und zwei angefangenen Collegien: der Vi- cekoͤnig della Vega hatte die ersten Jesuiten dahin ge- bracht Ribadeneira Vita Ignatii nr. 293. , Messina und Palermo hatten gewetteifert, Col- legien zu gruͤnden: von diesen gingen dann die uͤbrigen Ausbildung des jesuitischen Institutes . aus; — und die eigentlich italienische, die das obere Italien begriff, mit 10 Collegien. Nicht so gluͤcklich war es in andern Laͤndern gegangen; allenthalben setzte sich der Pro- testantismus oder eine schon ausgebildete Hinneigung zu demselben entgegen. In Frankreich hatte man doch nur ein einziges Collegium eigentlich im Stande: man unterschied zwei deutsche Provinzen, allein sie waren nur in ihren ersten Anfaͤngen vorhanden. Die obere gruͤndete sich auf Wien, Prag, Ingolstadt, doch stand es allenthalben noch sehr be- denklich, die untere sollte die Niederlande begreifen: doch hatte ihr Philipp II. noch keine gesetzliche Existenz daselbst gestattet. Aber schon dieser erste rasche Fortgang leistete der Ge- sellschaft Buͤrgschaft fuͤr die Macht, zu der sie bestimmt war. Daß sie sich in den eigentlich katholischen Laͤndern, den beiden Halbinseln, zu so gewaltigem Einfluß erhoben, war von der groͤßten Bedeutung. Schluß . Wir sehen, jenen protestantischen Bewegungen gegen- uͤber, welche jeden Moment weiter um sich griffen, hatte sich dergestalt auch in der Mitte des Katholicismus, in Rom, um den Papst her eine neue Richtung ausgebildet. Nicht anders, als jene, ging sie von der Verweltli- chung der bisherigen Kirche, oder vielmehr von dem Be- duͤrfniß aus, das dadurch in den Gemuͤthern entstan- den war. Buch II. Regeneration des Katholicismus . Anfangs naͤherten sich beide einander. Es gab einen Moment, wo man sich in Deutschland noch nicht entschlos- sen hatte, die Hierarchie so voͤllig fallen zu lassen: wo man auch in Italien geneigt gewesen waͤre, rationelle Modifi- cationen in derselben anzunehmen. Dieser Moment ging voruͤber. Waͤhrend die Protestanten, gestuͤtzt auf die Schrift, immer kuͤhner zu den primitiven Formen des christlichen Glaubens und Lebens zuruͤckgingen, entschied man sich auf der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu Stande gekommene kirchliche Institut fest zu halten und nur zu erneuern, mit Geist und Ernst und Strenge zu durchdringen. Dort entwickelte sich der Calvinismus bei weitem antikatholischer als das Lutherthum: hier stieß man in bewußter Feindseligkeit alles von sich, was an den Pro- testantismus uͤberhaupt erinnerte, und trat ihm in scharfem Gegensatz gegenuͤber. So entspringen ein paar Quellen in vertraulicher Nachbarschaft auf der Hoͤhe des Gebirgs: so wie sie sich nach verschiedenen Senkungen desselben ergossen haben, ge- hen sie in entgegengesetzten Stroͤmen auf ewig aus ein- ander. Drittes Buch . Die Päpste um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts. V or allem ist das sechszehnte Jahrhundert durch den Geist religioͤser Hervorbringung ausgezeichnet. Bis auf den heutigen Tag fuͤhlen wir uns, leben wir in den Ge- gensaͤtzen der Ueberzeugung, welche sich damals zuerst Bahn machten. Wollten wir den welthistorischen Augenblick, in wel- chem sich die Sonderung vollzog, noch genauer bezeich- nen, so wuͤrde er nicht mit dem ersten Auftreten der Re- formatoren zusammenfallen — denn nicht sogleich stellten sich die Meinungen fest, und noch lange ließ sich eine Ver- gleichung der streitigen Lehren hoffen; — erst um das Jahr 1552 waren alle Versuche hierzu vollstaͤndig gescheitert, und die drei großen Formen des abendlaͤndischen Christen- thums setzten sich auf immer aus einander. Das Luther- thum ward strenger, herber, abgeschlossener: der Calvinis- mus sonderte sich in den wichtigsten Artikeln von ihm ab, waͤhrend Calvin fruͤher selbst fuͤr einen Lutheraner gegol- ten: beiden entgegengesetzt nahm der Katholicismus seine moderne Gestalt an. Einander gegenuͤber suchten sich die drei theologischen Systeme auf dem Punkte festzustellen, Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . den eine jede eingenommen, und von ihm aus die anderen zu verdraͤngen, sich die Welt zu unterwerfen. Es koͤnnte scheinen, als werde es die katholische Rich- tung, die doch vornehmlich nur die Erneuerung des bis- herigen Institutes beabsichtigte, leichter gehabt haben, auf ihrer Seite durchzudringen, vorwaͤrts zu kommen, als die uͤbrigen. Doch war ihr Vortheil nicht groß. Von vielen anderen Lebenstrieben weltlicher Gesinnung, profaner Wis- senschaftlichkeit, abweichender theologischer Ueberzeugung, war auch sie umgeben und beschraͤnkt; sie war mehr ein Gaͤh- rungsstoff, von dem es sich noch fragte, ob er die Ele- mente, in deren Mitte er sich erzeugt, wahrhaft ergreifen, uͤberwaͤltigen, oder von ihnen erdruͤckt werden wuͤrde. In den Paͤpsten selbst, ihrer Persoͤnlichkeit und Poli- tik stieß sie auf den naͤchsten Widerstand. Wir bemerkten, wie eine so durchaus ungeistliche Sin- nesweise in den Oberhaͤuptern der Kirche Wurzel gefaßt, die Opposition hervorgerufen, dem Protestantismus so un- endlichen Vorschub gethan hatte. Es kam darauf an, in wiefern die strengen kirchlichen Tendenzen diese Gesinnung uͤbermeistern, umwandeln wuͤr- den oder nicht. Ich finde, daß der Gegensatz dieser beiden Principien, des eingewohnten Thun und Lassens, der bisherigen Poli- tik mit der Nothwendigkeit eine durchgreifende innere Re- form herbeizufuͤhren, das vornehmste Interesse in der Ge- schichte der naͤchsten Paͤpste bildet. Paul III. Paul III. Heut zu Tage giebt man oft nur allzu viel auf die Beabsichtigung und den Einfluß hochgestellter Personen, der Fuͤrsten, der Regierungen; ihr Andenken muß nicht sel- ten buͤßen, was die Gesammtheit verschuldete: zuweilen schreibt man ihnen auch das zu, was wesentlich von freien Stuͤcken aus der Gesammtheit hervorging. Die katholische Bewegung, die wir in dem vorigen Buche betrachteten, trat unter Paul III. ein, aber in die- sem Papste ihren Ursprung erblicken, sie ihm zuschreiben zu wollen, waͤre ein Irrthum. Er sah sehr wohl, was sie dem roͤmischen Stuhle bedeutete: er ließ sie nicht allein geschehen, er befoͤrderte sie in vieler Hinsicht; aber getrost duͤrfen wir sagen, daß er ihr nicht einmal selbst in seiner persoͤnlichen Gesinnung ergeben war. Alexander Farnese — so hieß Paul III. fruͤher — war ein Weltkind, so gut wie irgend ein Papst vor ihm. Noch im funfzehnten Jahrhundert — er war im Jahre 1468 geboren — gelangte er zu seiner vollen Ausbildung. Unter Pomponius Laͤtus zu Rom, in den Gaͤrten Lorenzo Medici’s zu Florenz studirte er: die elegante Gelehrsamkeit und den Kunstsinn jener Epoche nahm er voͤllig in sich auf; auch die Sitten derselben blieben ihm dann nicht fremd. Seine Mutter fand es einmal noͤthig, ihn in dem Castell S. Angelo gefangen halten zu lassen; er wußte in einem unbewachten Augenblicke, den ihm die Procession des Frohnleichnamtages gewaͤhrte, an einem Seile aus der Burg herabzugelangen und zu entkommen. Einen natuͤr- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . lichen Sohn und eine natuͤrliche Tochter erkannte er an. Trotz alle dem ward er bei ziemlich jungen Jahren, — denn in jenen Zeiten nahm man an solchen Dingen nicht viel Anstoß — zum Cardinal befoͤrdert. Noch als Cardi- nal legte er den Grund zu dem schoͤnsten aller roͤmischen Pallaͤste, dem farnesianischen; bei Bolsena, wo seine Stamm- guͤter lagen, richtete er sich eine Villa ein, die Papst Leo einladend genug fand, um sie ein paar Mal zu besuchen. Mit diesem praͤchtigen und glaͤnzenden Leben verband er aber auch noch andere Bestrebungen. Er faßte von allem Anfang die hoͤchste Wuͤrde ins Auge. Es bezeichnet ihn, daß er sie durch eine vollkommene Neutralitaͤt zu erreichen suchte. Die franzoͤsische und die kaiserliche Faction theil- ten Italien, Rom und das Cardinal-Collegium. Er betrug sich mit einer so uͤberlegten Behutsamkeit, einer so gluͤckli- chen Klugheit, daß Niemand haͤtte sagen koͤnnen, zu welcher von beiden er sich mehr hinneige. Schon nach Leo’s, noch einmal nach Adrian’s Tode war er nahe daran gewaͤhlt zu werden: er war ungehalten auf das Andenken Clemens VII. , der ihm zwoͤlf Jahre des Papstthums, die ihm gehoͤrt haͤtten, entrissen habe; endlich, im October 1534, im vierzigsten Jahre seines Cardinalates, dem 67sten seines Lebens, er- reichte er sein Ziel und wurde gewaͤhlt Onuphrius Panvinius Vita Pauli III. . Noch auf eine ganz andere Weise beruͤhrten ihn nun die großen Gegensaͤtze der Welt — der Widerstreit jener beiden Parteien, zwischen denen er jetzt selbst eine so be- deutende Stelle einnahm: die Nothwendigkeit, die Prote- stanten zu bekaͤmpfen und die geheime Verbindung, in die er um ihrer politischen Haltung willen mit ihnen gerieth: Paul III. die natuͤrliche Neigung, die ihm aus der Lage seines ita- lienischen Fuͤrstenthums hervorging, das Uebergewicht der Spanier zu schwaͤchen und die Gefahr, die mit jedem Ver- such hierzu verbunden war: das dringende Beduͤrfniß einer Reform und die unerwuͤnschte Beschraͤnkung, mit der sie die paͤpstliche Macht zu bedrohen schien. Es ist sehr merkwuͤrdig, wie sich in der Mitte zwi- schen so vielen einander zuwiderlaufenden Forderungen sein Wesen entwickelte. Paul III. hatte eine bequeme, praͤchtige, geraͤumige Art zu seyn. Selten ist ein Papst in Rom so beliebt ge- wesen wie er es war. Es hat etwas Großartiges, daß er jene ausgezeichneten Cardinaͤle ohne ihr Wissen ernannte; wie vortheilhaft unterscheidet sich dieß Verfahren von den kleinlichen, persoͤnlichen Ruͤcksichten, die fast in der Regel genommen wurden! Aber er berief sie nicht allein: er ließ ihnen auch eine ungewohnte Freiheit: er ertrug in dem Consistorium den Widerspruch und ermunterte zu ruͤcksichts- loser Discussion Im Jahre 1538 hat Mc. Anton Contarini uͤber den Hof des Papstes im venezianischen Senat referirt. Leider habe ich diese Arbeit weder im venezianischen Archiv noch sonst wo gefunden. In einem Ms. uͤber den damaligen Tuͤrkenkrieg unter dem Titel: tre libri delli commentari della guerra 1537, 8, 9, in meinem Besitz finde ich einen kurzen Auszug daraus, aus dem ich obige Notizen entnommen. Disse del stato della corte, che molti anni inanzi li prelati non erano stati in quelle riforma di vita, ch’ eran al- lora e che li cardinali havevano libertà maggiore di dire l’opi- nion loro in concistoro ch’avesser avuto gia mai da gran tempo e che di ciò il pontefici non solamente non si doleva, ma se n’era studiatissimo onde per questà ragione si poteva sperare di giorno in giorno maggior riforma. Considerò che tra cardinali vi erano tali nomini celeberrimi, che per opinione commune il mondo non n’avria altretanti. . Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Ließ er aber Anderen ihre Freiheit, goͤnnte er einem Jeden den Vortheil, der ihm durch seine Stellung zufiel, so wollte auch er von seinen Praͤrogativen nicht ein einzi- ges fallen lassen. Der Kaiser machte ihm einmal Vorstel- lungen, daß er zwei seiner Enkel in allzufruͤhen Jahren zum Cardinalat befoͤrdert habe; er entgegnete: er werde verfahren wie seine Vorgaͤnger; gebe es doch Beispiele, daß Knaben in der Wiege Cardinaͤle geworden. Fuͤr dieß sein Geschlecht zeigte er eine selbst an dieser Stelle un- gewohnte Vorliebe Soriano 1535. È Romano di sangue et è d’animo molto gagliardo: si promette assai e molto pondera e stima assai l’in- giurie che gli si fanno et è inclinatissimo a far grandi i suoi. Varchi ( Istorie fiorentine p. 636 ) erzaͤhlt von Paul’s erstem Se- cretaͤr, Messer Ambrogio, „der alles vermochte was er wollte und alles wollte was er vermochte.“ Unter vielen andern Geschenken be- kam er einst 60 silberne Waschbecken mit ihren Gießkannen. Wie koͤmmt es, sagte man, daß er bei so vielen Waschbecken doch nicht reine Hand haͤlt? . Er war entschlossen, es eben so gut wie andere Paͤpste, zu fuͤrstlichen Wuͤrden zu be- foͤrdern. Nicht als ob er nun, wie ein Alexander VI. , alles Uebrige dieser Ruͤcksicht untergeordnet haͤtte: das koͤnnte man nicht sagen; er beabsichtigte auf das ernstlichste, den Frieden zwischen Frankreich und Spanien herzustellen, die Protestanten zu unterdruͤcken, die Tuͤrken zu bekaͤmpfen, die Kirche zu reformiren: aber dabei lag es ihm sehr am Herzen, zugleich sein Haus zu erhoͤhen. Indem er nun alle diese Absichten, die einander wi- derstreben, in sich aufnimmt, indem er zugleich oͤffentliche und Paul III. und private Zwecke verfolgt: ist er zu einer hoͤchst bedaͤch- tigen, aufmerksamen, zoͤgernden, abwartenden Politik ge- noͤthigt; an dem guͤnstigen Augenblick, der gluͤcklichen Com- bination der Umstaͤnde ist ihm alles gelegen: er muß sie langsam herbeizufuͤhren, und dann auf das rascheste zu er- greifen, zu behaupten suchen. Die Gesandten fanden es schwer mit ihm zu unter- handeln. Sie erstaunten, daß er keinen Mangel an Muth spuͤren ließ, und doch selten zum Schluß zur Entscheidung zu bringen war. Den Andern suchte er zu fesseln: ein bin- dendes Wort, eine unwiderrufliche Sicherheit zu erlangen: er selbst wollte sich niemals verpflichten. Man bemerkte es auch in kleineren Sachen: er war ungeneigt, im Voraus etwas abzuschlagen oder zu versprechen: bis auf den letzten Augenblick wollte er freie Hand haben. Wie viel mehr in schwierigeren Angelegenheiten! Zuweilen hatte er selbst eine Auskunft, eine Vermittlung angezeigt: wollte man sie ergreifen, so zog er sich nichts desto minder zuruͤck: er wuͤnschte immer Meister seiner Unterhandlungen zu blei- ben In den Lettres et Mémoires d’Estat par Guill. Ribier Paris 1666 — findet man eine Menge Proben seiner Unterhand- lungen und ihres Characters von 1537 bis 1540, von 1547 bis 1549, in den Depeschen franzoͤsischer Gesandten. Direct schildert sie Matteo Dandolo, Relatione di Roma, 1551 d. 20 Junii in se- natu, Ms. in meinem Besitz. „Il negotiare con P. Paolo fu giudicato ad ogn’un difficile, perchè era tardissimo nel parlare, perchè non voleva mai proferire parola che non fusse elegante et exquisita, cosi nella volgare, come nella latina e greca, che di tutte tre ne faceva professione (Griechisch, denke ich, wird er wohl nicht oft unterhandelt haben) e mi aveva scoperto di quel poco che io ne intendeva. E perchè era vecchissimo parlava . 16 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Er war, wie gesagt, noch von classischer Schule: er wollte sich lateinisch so wie italienisch nicht anders als ausgesucht und elegant ausdruͤcken: immer mit der doppel- ten Ruͤcksicht, auf den Inhalt und auf die Form, waͤhlte und erwog er seine Worte; leise, mit dem langsamsten Bedacht ließ er sich vernehmen. Oft wußte man nicht recht, wie man mit ihm stand. Man glaubte zuweilen von dem, was er sagte, eher auf das Gegentheil schließen zu duͤrfen. Doch waͤre das nicht immer richtig gewesen. Die ihn naͤher kannten, hatten be- merkt, daß er dann am meisten etwas auszufuͤhren hoffte, wenn er gar nicht davon redete, weder die Sache beruͤhrte, noch die Personen, welche sie anging Bemerkungen des Cl. Carpi und Margarethens, che son los, sagt Mendoza, que mas platica tienen de su condicion. . Denn so viel sah man wohl, daß er eine einmal gefaßte Absicht nie wieder fallen ließ. Er hoffte alles durchzusetzen, was er sich einmal vorgenommen: wenn nicht sogleich, doch ein andermal, unter veraͤnderten Umstaͤnden, auf einem anderen Wege. Einer solchen Sinnesweise, von so weit aussehender Berechnung, allseitiger Ruͤcksicht und geheimnißvoller Er- waͤgung widerspricht es nicht, wenn neben den irdischen auch die himmlischen Gewalten in Betracht gezogen wur- bassissimo et era longhissimo nè volea negar cosa che se gli addimandasse; mar nè anche (volea) che l’uomo che negotiava seco potesse esser securo di havere havuto da S. S à. il si più che il no; perchè lei voleva starsi sempre in l’avantaggio di po- ter negare e concedere, per il che sempre si risolveva tardis- simamente, quando volea negare. Paul III. den. Der Einfluß der Gestirne auf die Erfolge der mensch- lichen Thaͤtigkeit ward in dieser Epoche wenig bezweifelt. Paul III. unternahm keine wichtige Sitzung des Consisto- riums, keine Reise, ohne die Tage zu waͤhlen, ohne die Constellation beobachtet zu haben Mendoza: E venido la cosa a que ay muy pocos carde- nales, que concierten negocios aunque sea para comprar una carga de leña, sino es o por medio de algun astrologo o he- chizero. Ueber den Papst selbst finden wir die unzweifelhaftesten Particularitaͤten. . Ein Bund mit Frank- reich fand darum Anstand, weil zwischen den Nativitaͤten des Koͤnigs und des Papstes keine Conformitaͤt sey. Die- ser Papst fuͤhlte sich, wie es scheint, zwischen tausend wi- derwaͤrtigen Einwirkungen: nicht allein den irdischen der Welt, sondern auch den uͤberirdischen einer Configura- tion der Gestirne: sein Sinn ist, die Macht der einen wie der andern nach Gebuͤhr zu beruͤcksichtigen, ihrer Un- gunst auszuweichen, ihre Gunst zu benutzen, zwischen alle den Klippen, die ihm von allen Seiten drohen, geschickt nach seinem Ziele zu steuern. Betrachten wir, wie er dieß versuchte, ob es ihm damit gluͤckte, ob er sich zuletzt uͤber die entgegenstreben- den Kraͤfte der Weltbewegung wirklich erhob, oder ob auch er von ihnen ergriffen worden ist. In der That gelang es ihm gleich in seinen ersten Jahren einen Bund mit Carl V. und den Venezianern ge- gen die Tuͤrken zu Stande zu bringen. Lebhaft draͤngte er die Venezianer dazu: man erhob sich auch dießmal zu der Hoffnung, die christlichen Graͤnzen bis nach Constantinopel erweitert zu sehen. 16* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Nur war der indeß zwischen Carl V. und Franz I. erneuerte Krieg ein gefaͤhrliches Hinderniß jedes Unterneh- mens. Der Papst ließ sich keine Muͤhe dauern, um diese Feindseligkeit beizulegen. Die Zusammenkunft der beiden Fuͤrsten zu Nizza, der auch er beiwohnte, war voͤllig sein Werk. Der venezianische Gesandte, der zugegen war, fin- det nicht Worte genug, um den Eifer und die Geduld zu ruͤhmen, die der Papst dort bewiesen habe. Nur mit außerordentlicher Muͤhwaltung und nur erst in dem letz- ten Augenblick, als er schon wegzureisen drohte, vermit- telte er endlich den Stillstand Relatione del Cl mo. M. Niccolo Tiepolo del convento di Nizza. Informatt. Politiche VI (Bibl. zu Berlin). Es findet sich davon auch ein alter Druck. . Er brachte es zu einer Annaͤherung zwischen den beiden Fuͤrsten, die sich dann gar bald zu einer Art von Vertraulichkeit zu entwickeln schien. Indem der Papst dergestalt die allgemeinen Geschaͤfte foͤrderte, versaͤumte er jedoch auch seine eigenen Angelegen- heiten nicht. Man bemerkte, daß er die einen immer mit den andern verflocht, und dann beide zugleich weiter brachte. Der tuͤrkische Krieg gab ihm Gelegenheit, Camerino einzu- ziehn. Es sollte eben mit Urbino verbunden werden; die letzte Varana, Erbin von Camerino, war mit Guidobaldo II. vermaͤhlt, der im Jahre 1538 die Regierung von Urbino antrat Adriani Istorie 58. H. . Aber der Papst erklaͤrte, Camerino koͤnne durch Frauen nicht vererbt werden. Die Venezianer haͤtten bil- lig den Herzog unterstuͤtzen sollen, dessen Vorfahren immer Paul III. in ihrem Schutze gewesen und in ihren Heeren gedient: auch jetzt verwandten sie sich dringend und lebhaft fuͤr ihn: aber mehr zu thun trugen sie um des Krieges willen Be- denken. Sie fuͤrchteten, der Papst rufe den Kaiser oder Frankreich zu Huͤlfe: umsichtig bedachten sie, gewinne er den Kaiser, so koͤnne dieser dann um so weniger gegen die Tuͤrken leisten: gewinne er Frankreich, so werde die Ruhe von Italien gefaͤhrdet, und ihre Lage noch mißlicher und einsamer Die Deliberationen sind im oben angefuͤhrten Commentar uͤber den tuͤrkischen Krieg, der dadurch ein besonderes Interesse be- kommt, mitgetheilt. : und so uͤberließen sie den Herzog seinem Schick- sale: er war gezwungen, Camerino abzutreten: der Papst belehnte seinen Enkel Ottavio damit. Denn schon er- hob sich sein Haus zu Glanz und Macht. Wie nuͤtz- lich wurde ihm die Zusammenkunft von Nizza! Eben da- mals als sie im Werke war, erlangte sein Sohn Pier Luigi Novara und dessen Gebiet von dem Kaiser, und die- ser entschloß sich unwiderruflich, seine natuͤrliche Tochter Margarethe — nach dem Tode des Alessandro Medici — mit Ottavio Farnese zu vermaͤhlen. Wir koͤnnen es dem Papst glauben, wenn er versichert, daß er darum nicht un- bedingt zu der kaiserlichen Partei uͤbergetreten sey. Er wuͤnschte vielmehr mit Franz I. in ein nicht minder nahes Verhaͤltniß zu treten. Auch ging der Koͤnig darauf ein, und versprach ihm zu Nizza einen Prinzen von Gebluͤt, den Herzog von Vendome fuͤr seine Enkelin Vittoria Grignan, Ambassadeur du roi de France à Rome, au Con- nétable. Rib. I, p. 251. Monseigneur, sa dite Sainteté a un mer- veilleux désir du mariage de Vendosme: car il s’en est entièrement . Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . In dieser Verbindung mit den beiden groͤßten Haͤusern der Welt fuͤhlte sich Paul III. gluͤcklich: er war sehr empfaͤng- lich fuͤr die Ehre, die darin lag: er sprach davon in dem Consistorium. Auch die friedenstiftende, vermittelnde Stel- lung, die er zwischen den beiden Maͤchten einnahm, schmei- chelte seinem geistlichen Ehrgeiz. Nicht ganz so guͤnstig aber entwickelten sich diese An- gelegenheiten weiter. Es fehlte viel, daß man den Osma- nen etwas abgewonnen haͤtte: Venedig mußte sich zu ei- nem unguͤnstigen Frieden verstehen. Jenes persoͤnliche Ver- sprechen nahm Franz I. spaͤter zuruͤck: und obwohl der Papst niemals die Hoffnung fallen ließ, eine Familien-Ver- bindung mit den Valois wirklich durchzusetzen, so zog sich doch die Unterhandlung in die Laͤnge. Das Verstaͤnd- niß, das der Papst zwischen Kaiser und Koͤnig eingeleitet, schien zwar eine Zeitlang immer enger werden zu wollen: der Papst war selbst einmal beinahe eifersuͤchtig darauf: er beklagte sich schon, er habe es gestiftet, und jetzt ver- nachlaͤßige man ihn dafuͤr Grignan 7 Mars 1539. Ribier I, 406. Le cardinal de Boulogne au roi. 20 Avril 1539. Ibid. p. 445. Der Papst sagte ihm, qu’il étoit fort étonné, veu la peine et travail qu’il avoit pris pour vous appointer, Vous et l’Empereur que vous le lais- siez ainsi arrière. ; jedoch nur allzubald loͤste es sich wieder auf, und der Krieg begann aufs neue. Zu neuen Absichten erhob sich alsdann der Papst. declaré à moy, disant que pour être sa nièce unique et tant aimée de luy, il ne désiroit après le bien de la Chrestienté autre chose plus, que voir sa dite nièce mariée en France, dont le dit seigneur (le roi) lui avoit tenu propos à Nice et après Vous Monseigneur lui en aviez parlé. Paul III. Fruͤher hatte er immer unter seinen Freunden laut ausgesprochen und selbst dem Kaiser zu verstehen gegeben: Mailand gehoͤre den Franzosen, und sey ihnen von Rechts- wegen zuruͤckzustellen Auch M. A. Contarini bestaͤtigte dieß in seiner Relation. . Allmaͤhlig ließ er diese Meinung fallen. Von Cardinal Carpi, der unter allen Cardinaͤlen mit ihm am vertrautesten war, finden wir vielmehr einen Vorschlag an Carl V. , der ganz wo anders hinzielt Discurso del R mo. C le. di Carpi del 1543 (vielleicht jedoch schon ein Jahr fruͤher) a Carlo V. Cesare del modo del domi- nare Bibl. Corsini nr. 443. . „Der Kaiser,“ heißt es darin, „muͤsse nicht Graf, Herzog, Fuͤrst, er muͤsse nur Kaiser seyn wollen: nicht viele Provinzen, sondern große Lehensleute muͤsse er haben. Sein Gluͤck habe aufgehoͤrt, seit er Mailand in Besitz ge- nommen. Man koͤnne ihm nicht rathen, es an Franz I. zuruͤckzugeben, dessen Laͤnderdurst er damit nur reizen wuͤrde, aber auch behalten duͤrfe er es nicht Se la M. V. dello stato di Milano le usasse cortesia non tanto si spegnerebbe quanto si accenderebbe la sete sua: si che è meglio di armarsi di quel ducato contra di lui — — V. M. a da esser certa, che non per affettione che altri ab- bia a questo re, ma per interesse particolare e la Germania e l’Italia sinche da tal sospetto non saranno liberate, sono per sostentare ad ogni lor potere la potentia di Francia. . Deshalb allein habe er Feinde, weil man von ihm argwoͤhne, er suche sich fremder Laͤnder zu bemaͤchtigen. Vernichte er diesen Argwohn, gebe er Mailand an einen besondern Herzog, so werde Franz I. keine Anhaͤnger mehr finden: er dagegen, der Kaiser, werde Deutschland und Italien fuͤr sich haben, seine Fahnen zu den entferntesten Nationen tragen, und sei- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . nen Namen — dieß ist der Ausdruck — der Unsterblich- keit zugesellen.“ Hatte nun aber der Kaiser Mailand weder den Fran- zosen zu uͤberlassen noch auch selbst zu behalten, wer war es, dem er dieß Herzogthum uͤbergeben sollte? Es schien dem Papst kein unebener Ausweg, wenn es seinem En- kel, dem Schwiegersohn des Kaisers, uͤbertragen wuͤrde. Schon bei fruͤheren Missionen hatte er darauf hingedeutet. Bei einer neuen Zusammenkunft, die er mit dem Kaiser 1543 zu Busseto hielt, brachte er es foͤrmlich in Antrag. Es ward daruͤber sehr ernstlich unterhandelt, und der Papst hegte die lebhaftesten Hoffnungen. Der Governator von Mailand, Marchese von Vasto, den er dafuͤr gewonnen, etwas leichtglaͤubig und praͤchtig wie er war, erschien schon eines Tages mit wohlvorbereiteten Worten, um Marga- rethen als seine kuͤnftige Herrin nach Mailand zu fuͤhren. Ich finde: die Unterhandlung sey an einigen allzustarken Forderungen des Kaisers gescheitert Pallavicini hat diese Unterhandlungen gradezu gelaͤugnet. Auch nach dem, was Muratori ( Annali d’Italia X, II, 51 ) dar- uͤber anfuͤhrt, ließe sich vielleicht noch zweifeln. Er stuͤtzt sich auf Historiker, die doch allenfalls nach Hoͤrensagen geschrieben haben koͤnnten. Entscheidend aber ist ein Schreiben von Girolamo Guic- ciardini an Cosimo Medici Cremona 26 Giugno 1543 im Archi- vio Mediceo zu Florenz. Granvella selbst hatte davon gesprochen. S. M à. mostrava non esser aliena, quando per la parte del Papa fussino adempiute le larghe offerte eran state proferte dal Duca di Castro sin a Genova. Ich weiß nicht, welche Anerbietungen . Doch ist es schwer zu glauben, daß der Kaiser, ein so bedeutendes wohlgele- genes Fuͤrstenthum jemals, um welchen Preis auch immer, fremdem Einfluß zu uͤberlassen geneigt seyn konnte. Paul III. Denn ohnehin war die Stellung, welche sich die Far- nesen gegeben, fuͤr ihn voll Gefahr. Von den italienischen Provinzen, die Carl beherrschte, oder auf die er Einfluß hatte, war keine, wo die bestehende Regierung nicht durch Gewalt haͤtte gegruͤndet oder wenigstens befestigt werden muͤssen. Allenthalben, in Mailand, wie in Neapel, in Flo- renz, Genua, Siena gab es Mißvergnuͤgte, deren Partei unterlegen: Rom und Venedig waren voll von Ausgewan- derten. Die Farnesen ließen sich durch ihr nahes Verhaͤlt- niß zu dem Kaiser nicht abhalten, sich mit diesen zwar unterdruͤckten aber durch Bedeutung ihrer Oberhaͤupter, Reichthum und Anhang noch immer maͤchtigen Parteien zu verbinden. An der Spitze der Sieger stand der Kai- ser: die Geschlagenen suchten bei dem Papst eine Zuflucht. Unzaͤhlige geheime Faͤden verknuͤpften sie unter einander: mit Frankreich blieben sie immer in sichtbarem oder unsichtbarem Zusammenhang; immer neue Plaͤne und Unternehmungen gaben sie an die Hand. Bald betrafen dieselben Siena, bald Genua, bald Lucca. Wie oft suchte der Papst auch in Florenz Fuß zu fassen, Eingang zu gewinnen! An dem jungen Herzog Cosimo fand er aber ganz den Mann, der ihm Widerstand leisten konnte. Mit herbem Selbstgefuͤhl druͤckt sich Cosimo daruͤber aus. „Der Papst,“ sagt er, das gewesen seyn moͤgen, doch waren sie zu stark fuͤr den Papst. Nach Gosselini, dem Secretaͤr Ferrante Gonzaga’s, fuͤrchtete der Kai- ser bei seiner Abreise, „che in volgendo egli le spalle (i Farnesi) non pensassero ad occuparlo (Vita di Don Ferrando p. IV.) — Sehr ausfuͤhrlich und ergoͤtzlich ist hieruͤber auch eine neapolitanische noch ungedruckte Lebensbeschreibung von Vasto, die sich in der Bi- bliothek Chigi zu Rom findet. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . „dem so viele Unternehmungen gluͤcklich gelungen sind, hat keinen lebhafteren Wunsch uͤbrig, als auch in Florenz etwas zu vermoͤgen, als diese Stadt dem Kaiser zu entfremden: aber mit diesem Wunsche soll er in die Grube fahren Schreiben Cosimo’s, gefunden in dem mediceischen Archiv. Noch vom Jahre 1537. Al Papa non è restato altra voglia in questo mondo se non disporre di questo stato e levarlo dalla di- votione dell’ imperatore etc. .“ In gewisser Hinsicht stehen Kaiser und Papst einan- der noch immer als die Haͤupter zweier Factionen gegen- uͤber. Hat der Kaiser seine Tochter in das Haus des Pap- stes vermaͤhlt, so hat er es nur gethan, um ihn damit im Zaum zu halten, um, wie er selbst sagt, den bestehen- den Zustand in Italien zu behaupten. Der Papst dagegen wuͤnscht seine Verbindung mit dem Kaiser zu benutzen, um der kaiserlichen Macht etwas abzugewinnen. Sein Haus moͤchte er zugleich im Schutze des Kaisers und durch die Beihuͤlfe der Gegner desselben erhoͤhen. In der That giebt es noch eine gibellinische und eine guelfische Partei. Jene haͤlt sich noch immer zu dem Kaiser, diese noch immer zu dem Papst. Im Jahre 1545 finden wir trotz alle dem die beiden Haͤupter wieder in freundschaftlichem Vernehmen. Daß Margarethe guter Hoffnung war, die Aussicht, bald einen Abkoͤmmling des Kaisers in ihrem Geschlechte zu haben, machte den Farnesen neues Herz zu Carl V. Cardinal Alessandro Farnese begab sich zu ihm nach Worms. Es ist eine der wichtigsten Sendungen Pauls III. Dem Car- dinal gelang es, den Unmuth des Kaisers noch einmal zu beguͤtigen. Ueber einige Beschuldigungen suchte er sich und Paul III. seine Bruͤder zu rechtfertigen: wegen des Uebrigen bat er um Verzeihung: er versprach, daß sie in Zukunft alle ge- horsame Diener und Soͤhne S. Maj. seyn wuͤrden. Der Kaiser entgegnete, dann wolle auch er sie wie seine eigenen Kinder behandeln. Hierauf gingen sie zu wichtigeren Ver- abredungen uͤber. Sie besprachen sich uͤber den Krieg ge- gen die Protestanten und das Concilium. Sie vereinigten sich, daß das Concilium unverzuͤglich angehen solle. Ent- schließe sich der Kaiser, wider die Protestanten die Waffen zu brauchen, so machte sich der Papst anheischig, ihn aus allen seinen Kraͤften, mit allen seinen Schaͤtzen dazu zu unterstuͤtzen, ja, „waͤre es noͤthig, seine Krone dazu zu verkaufen“ Wir sind uͤber die Sendung authentisch durch Granvella selbst unterrichtet. Dispaccio di Monsignor di Cortona al Duca di Fiorenza. Vormatia 29 Maggio 1545. (Granvella) mi con- cluse in somma ch’ el cardinale era venuto per giustificarsi d’alcune calumnie e supplica S. M. che quando non potesse in- teramente discolpare l’attioni passate di N ro . Signore sue e di sua casa ella si degnasse rimetterle e non ne tener conto — — Expose di piu, in caso che S. M. si risolvesse, di sbattere per via d’arme perche per giustitia non si vedeva quasi modo al- cuno li Luterani, S. Beatitudine concorrerà con ogni somma di denari. — . In der That ward noch in dem nehmlichen Jahre das Concilium eroͤffnet: erst hier uͤbersehen wir vollstaͤndig, wie es noch endlich dazu kam: im Jahre 1546 ging auch der Krieg an. Papst und Kaiser vereinigten sich, den schmal- kaldischen Bund zu vernichten, der dem Kaiser nicht viel minder den weltlichen Gehorsam versagte, als dem Papste den geistlichen. Der Papst zahlte Geld und schickte Truppen. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. Die Absicht des Kaisers war, die Gewalt der Waffen und die friedliche Unterhandlung zu verbinden. Waͤhrend er den Ungehorsam der Protestanten durch den Krieg zaͤhme, sollte das Concilium die geistlichen Streitigkeiten schlichten und vor allem zu Reformen schreiten, durch welche es je- nen einigermaßen moͤglich wuͤrde, sich zu unterwerfen. Ueber alles Erwarten gluͤcklich ging der Krieg. An- fangs haͤtte man Carln fuͤr verloren halten sollen, aber in der gefaͤhrlichsten Lage hielt er standhaft aus: im Spaͤt- jahr 1546 sah er ganz Oberdeutschland in seinen Haͤnden: wetteifernd ergaben sich Staͤdte und Fuͤrsten: der Augen- blick schien gekommen, wo die protestantische Partei in Deutschland unterworfen, der ganze Norden wieder katho- lisch gemacht werden koͤnne. In diesem Momente, was that der Papst? Er rief seine Truppen von dem kaiserlichen Heere ab: das Concilium, das eben nun seinen Zweck erfuͤllen, und seine pacificatorische Thaͤtigkeit beginnen sollte, ver- setzte er von Trient — wohin es auf den Antrag der Deut- schen berufen worden — angeblich, weil daselbst eine an- steckende Krankheit ausgebrochen sey, nach seiner zweiten Hauptstadt Bologna. Es ist nicht zweifelhaft, was ihn dazu bewog. Noch einmal traten die politischen Tendenzen des Papstthums mit den kirchlichen in Gegensatz und Widerstreit. Daß ganz Deutschlaud besiegt und dem Kaiser in Wahrheit unter- wuͤrfig wuͤrde, hatte er nie gewuͤnscht. Ganz etwas ande- res hatten seine feinen Berechnungen ihn erwarten lassen. Wohl mag er geglaubt haben, dem Kaiser werde Einiges Paul III. zum Vortheil der katholischen Kirche gelingen: dabei aber, er gesteht es selbst Charles C l. de Guise au roi 31 Oct. 1547 (Ribier II, p. 75), nach einer Audienz bei dem Papst. Paul fuͤhrt die Gruͤnde an, die ihn zur Theilnahme an dem deutschen Krieg vermocht. Aussi à dire franchement qu’il étoit bien mieux de l’empescher (l’em- pereur) en un lieu, dont il pensoit, qu’aisement il ne viendroit à bout. , zweifelte er nicht, ihn auf unzaͤh- lige Schwierigkeiten stoßen, in Verwickelungen gerathen zu sehen, die ihm, dem Papst, seinerseits eine vollere Freiheit, seine Zwecke zu verfolgen, gewaͤhren wuͤrden. Das Gluͤck spottete seiner Anschlaͤge. Jetzt mußte er fuͤrchten, und Frank- reich machte ihn aufmerksam darauf, daß diese Uebermacht auf Italien zuruͤckwirken, und ihm sowohl in geistlichen als in weltlichen Geschaͤften nur allzubald fuͤhlbar werden wuͤrde. Aber uͤberdieß wuchsen seine Besorgnisse wegen des Conciliums. Es hatte ihn schon lange gedruͤckt Du Mortier au roi 26 Avril 1547. Je vous assure, Sire, que pendant il étoit à Trente, c’étoit une charge qui le pres- soit fort. : er hatte bereits daran gedacht es aufzuloͤsen: jetzt aber tha- ten die kaiserlich gesinnten Praͤlaten, durch die Siege mu- thig und muthiger geworden, einige besonders kuͤhne Schritte. Die spanischen Bischoͤfe brachten unter dem Na- men: Censuren, einige Artikel in Vorschlag, die saͤmmtlich eine Verringerung des paͤpstlichen Ansehens bezweckten: die Reformation, von der Rom immer so viel gefuͤrchtet, schien sich nicht mehr verzoͤgern zu lassen. Es lautet seltsam: aber nichts ist wahrer: in dem Augenblicke, daß ganz Norddeutschland vor der Wiederein- fuͤhrung der paͤpstlichen Gewalt zitterte, fuͤhlte sich der Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. Papst als ein Verbuͤndeter der Protestanten. Er bezeigte seine Freude uͤber die Fortschritte des Churfuͤrsten Johann Friedrich wider Herzog Moriz: er wuͤnschte nichts sehn- licher, als daß sich derselbe auch gegen den Kaiser hal- ten moͤge: Franz I., der schon alle Welt zu einem Buͤndniß wider Carl zu vereinigen suchte, ließ er ausdruͤck- lich ermahnen, „die zu unterstuͤtzen, die noch nicht ge- schlagen seyen“ Le même au même. (Ribier I, 637). S. S. — a entendu, que le duc de Saxe se trouve fort, dont elle a tel contente- ment, comme celuy qui estime le commun ennemy estre par ces moyens retenu, d’exécuter ses entreprises et connoist on bien qu’il seroit utile sous main d’entretenir ceux qui lui resistent, disant, que vous ne scauriez faire dépense plus utile. . Er fand es aufs neue wahrscheinlich, daß der Kaiser auf die groͤßten Hindernisse stoßen, noch lange zu thun haben werde: „er glaubt das,“ sagt der franzoͤsische Abgeordnete, „weil er es wuͤnscht.“ Allein er taͤuschte sich wie zuvor. Das Gluͤck des Kaisers machte alle seine Berechnungen zu Schanden. Carl siegte bei Muͤhlberg: die beiden Oberhaͤupter der protestan- tischen Partei fuͤhrte er gefangen mit sich fort. Schaͤrfer als jemals konnte er nun sein Augenmerk auf Italien richten. Denn auf das tiefste, wie sich denken laͤßt, hatte ihn das Betragen des Papstes entruͤstet. Er durchschaute ihn sehr wohl. „Die Absicht seiner Heiligkeit ist von Anfang gewesen,“ schreibt er an seinen Gesandten, „uns in diese Unternehmung zu verwickeln, und dann darin zu verlas- sen“ Copia de la carta que S. M. scrivio a Don Diego de . Daß die paͤpstlichen Truppen zuruͤckgezogen wor- Paul III. den, hatte nicht so viel zu bedeuten. Schlechtbesoldet und eben deshalb nicht recht in Gehorsam noch Mannszucht, hatten sie niemals viel getaugt. Daß aber das Concilium verlegt worden, war von dem groͤßten Einfluß. Wunder- bar wie auch dieß Mal die Entzweiung des Papstthums und des Kaiserthums, hervorgerufen von der politischen Stellung des ersten, den Protestanten zu Huͤlfe kam. Man haͤtte jetzt wohl die Mittel gehabt, sie zur Unterwerfung unter das Concilium zu noͤthigen. Da sich dieß aber sel- der gespalten hatte — denn die kaiserlichen Bischoͤfe blie- ben in Trient — da sich keine allgemein guͤltigen Beschluͤsse mehr fassen ließen, konnte man auch Niemand zur Adhaͤ- sion zwingen. Der Kaiser mußte erleben, daß der wesent- lichste Theil seiner Plaͤne an dem Abfall seines Verbuͤnde- ten scheiterte. Er drang nicht allein fortwaͤhrend auf die Zuruͤckverlegung der Kirchenversammlung nach Trient, er ließ sich vernehmen: „er werde nach Rom kommen, um das Concilium dort selber zu halten.“ Paul III. nahm sich zusammen: der Kaiser ist maͤch- tig, sagte er, doch auch wir vermoͤgen etwas und haben einige Freunde. Die lange besprochene Verbindung mit Frankreich kam jetzt zu Stande: Oratio Farnese verlobte Mendoça a XI de Hebrero 1547 aōs. Quanto mas yva el dicho (prospero suceso) adelante, mas nos confirmavamos en creher que fuese verdad lo que antes se havia savido de la intention y inclinacion de S. S. y lo que se dezia (es) que su fin havia sido por embaraçar nos en lo que estavamos y dexarnos en ello con sus fines desiños y platicas, pero que, annque pesasse a S. S. y a otros esperavamos con la ayuda de N. S., aunque sin la de S. S. guiar esta impresa a buen camino. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. sich mit der natuͤrlichen Tochter Heinrichs II.: man ließ kein Mittel unversucht, um zunaͤchst die Venezianer zu ei- nem allgemeinen Buͤndniß zu gewinnen. Alle Ausge- wanderten regten sich. Grade zur rechten Zeit brachen Unruhen in Neapel aus: ein neapolitanischer Abgeordneter erschien, den Papst um Schutz fuͤr seine dortigen Lehns- leute zu ersuchen, und es gab Cardinaͤle, die ihm riethen, hierauf einzugehen. Noch einmal faßten die italienischen Factionen einan- der ins Angesicht. Sie standen einander um so schroffer gegenuͤber, da die beiden Oberhaͤupter nunmehr offen ent- zweit waren. Auf der Einen Seite: die Governatoren in Mailand und Neapel, die Medici in Florenz, die Doria in Genua: als ihr Mittelpunct kann Don Diego Men- doza, kaiserlicher Botschafter zu Rom, angesehen werden: noch hatten sie allenthalben einen großen gibellinischen An- hang: — auf der andern der Papst und die Farnesen, die Ausgewanderten und Mißvergnuͤgten, eine neugebildete or- sinische Partei, die Anhaͤnger der Franzosen. Fuͤr jene war der in Trient zuruͤckgebliebene, fuͤr diese der nach Bo- logna gegangene Theil des Conciliums. Der Haß, den diese Parteien gegeneinander hegten, trat ploͤtzlich in einer gewaltsamen That hervor. Jene seine engere Vertraulichkeit mit dem Kaiser hatte der Papst benutzt, um Parma und Piacenza, als ein bei dem paͤpstlichen Stuhl zu Lehen gehendes Herzogthum seinem Sohne Pier Luigi zu uͤbergeben. Nicht mehr mit jener Ruͤcksichtslosigkeit, wie ein Alexander, ein Leo, konnte er zu dieser Maaßregel schreiten. Er stellte dafuͤr Camerino und Paul III. und Nepi an die Kirche zuruͤck: durch eine Berechnung der Kosten, welche die Bewachung jener Grenzplaͤtze verursache, des Zinses, den sein Sohn davon zahlen werde, des Er- trages der zuruͤckgegebenen Ortschaften suchte er zu bewei- sen, daß die Kammer keinen Schaden leide. Aber nur in- dem er mit den einzelnen Cardinaͤlen sprach, vermochte er sie, und auch dann nicht einmal alle, zu uͤberreden. Einige widersprachen laut: andere versaͤumten geflissentlich das Consistorium, in welchem die Sache vorkam: den Caraffa sah man an diesem Tage zu einem feierlichen Besuche der sieben Kirchen schreiten Bromato. Vita di Paolo IV. II, 222. . Auch der Kaiser war nicht dafuͤr; wenigstens haͤtte er gewuͤnscht, daß das Herzogthum seinem Eidam Ottavio, dem doch auch Camerino gehoͤrte, uͤberge- ben wuͤrde Die Unterhandlungen daruͤber gehen aus dem Schreiben Mendoza’s vom 29. November 1547 hervor. Der Papst sagt, er habe Pier Luigi belehnt, weil dieß die Cardinaͤle vorgezogen: und „haviendo de vivir tempoco come mostrava su indisposi- cion.“ . Er ließ es geschehen, weil er der Freundschaft des Papstes eben bedurfte, doch hat er es niemals gebil- ligt: allzugut kannte er Pier Luigi. Die Faͤden der gehei- men Verbindungen der italienischen Opposition hielt eben der Sohn des Papstes alle in seiner Hand. Man zweifelte nicht, daß er um das Unternehmen des Fiesco in Genua gewußt, daß er dem gewaltigen Oberhaupt der florentini- schen Ausgewanderten, Pietro Strozzi, nach einem mißlun- genen Anschlag auf Mailand in dem bedraͤngtesten Augen- blick uͤber den Po geholfen, und allein seine Rettung be- 17 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. wirkt habe; man vermuthete, daß er selbst fortwaͤhrend Ab- sichten auf Mailand hege Gosselini Vita di Ferr. Gonzaga p. 20. Segni storie Fiorentine p. 292. . Eines Tages war der Papst, der noch immer unter gluͤcklichen Gestirnen zu stehen und alle die Stuͤrme, die ihn bedrohten, beschwoͤren zu koͤnnen meinte, in der Au- dienz vorzuͤglich heiter: er zaͤhlte die Gluͤckseligkeiten sei- nes Lebens auf und verglich sich in dieser Hinsicht mit Kai- ser Tiberius: an diesem Tage ward ihm der Sohn, der Inhaber seiner Erwerbungen, der Traͤger seines Gluͤckes, zu Piacenza von Verschworenen uͤberfallen und ermordet Mendoça al Emperador 18 Sept. 1547. — Gastò la mayor parte del tempo (an jenem Tag) en contar sus felicidades y compararse a Tiberio Imp dor . . Die Gibellinen von Piacenza, von den Gewaltsamkei- ten des Herzogs, der zu den strenge verwaltenden Fuͤr- sten dieser Zeit gehoͤrte, und besonders den Adel in Gehor- sam zu halten suchte, beleidigt und gereizt, hatten die That vollbracht; wie aber damals Jedermann uͤberzeugt war, der Governator zu Mailand, Ferrante Gonzaga, habe seine Hand im Spiel gehabt Compertum habemus, Ferdinandum esse autorem, sagte der Papst im Consistorium. Extrait du consistoire tenu par N. S. Père in einer Depesche von Morvillier Venise 7 Sept. 1547. Rib. II, 61. , so koͤnnen auch wir daran nicht zweifeln. Der Biograph Gonzaga’s, in jenen Zeiten sein vertrauter Geheimschreiber, der ihn zu entschuldigen sucht, versichert, die Absicht sey nur auf die Gefangennehmung, nicht auf die Ermordung des Farnese gegangen Gosselini p. 45. Nè l’imperatore nè D. Fernando, come . Ich Paul III. finde in einigen Handschriften selbst noch naͤhere Andeu- tung, — doch moͤchte ich ihnen nicht ohne Weiteres Glauben beimessen — daß der Kaiser von diesem Unternehmen im Vor- aus in Kenntniß gesetzt gewesen sey. Auf jeden Fall eilten die kaiserlichen Truppen herbei, um Piacenza in Besitz zu nehmen; sie machten die Rechte des Reichs auf diese Stadt geltend. Es war auf gewisse Weise die Vergeltung fuͤr die Abtruͤnnigkeiten des Papstes in dem schmalkaldischen Kriege. Ohne Gleichen ist das Verhaͤltniß, das sich nun bildete. Man wollte wissen, Cardinal Alessandro Farnese habe gesagt, er koͤnne sich nicht helfen, als mit dem Tode eini- ger kaiserlichen Minister: mit Gewalt koͤnne er sich dersel- ben nicht entledigen: er muͤsse seine Zuflucht zur Kunst nehmen. Indem sich diese hierauf vor Gift sicher zu stel- len suchten, ergriff man zu Mailand ein paar Bravi, Cor- sen, die man zu dem, ich will nicht entscheiden, ob wah- ren oder falschen Gestaͤndniß brachte, sie seyen von den paͤpstlichen Angehoͤrigen gedungen, um Ferrante Gonzaga zu ermorden. Wenigstens war Gonzaga aufs neue voll von Ingrimm. Er muͤsse, sagte er, sein Leben sichern, so gut wie er koͤnne: es bleibe ihm nichts uͤbrig, als von diesen seinen Feinden zwei oder drei, durch eigne oder fremde Hand, auf die Seite zu schaffen Mendoça al Emp. Don Hernando procurara de asegurar . Mendoza meint, dann di natura magnanimi consentirono mai alla morte del duca Pier Luigi Farnese, anzi fecero ogni opera di salvarlo comandando in specialità a congiurati che vivo il tenessero. 17* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. werde man in Rom alle Spanier toͤdten: man werde das Volk insgeheim dazu aufreizen, und die geschehene That nachher mit der unaufhaltsamen Wuth desselben entschul- digen. An eine Versoͤhnung war nicht zu denken. Man haͤtte sich dazu der Tochter des Kaisers zu bedienen gewuͤnscht. Allein sie hatte sich in dem Hause der Farnesen nie gefal- len: sie verachtete den um vieles juͤngeren Gemahl; dem Gesandten enthuͤllte sie ohne Schonung dessen schlechte Ei- genschaften: sie sagte, sie wolle eher ihrem Kinde den Kopf abschneiden, als ihren Vater um etwas bitten, das ihm mißfallen koͤnne. Die Correspondenz Mendoza’s mit seinem Hofe liegt vor mir. Nicht leicht mag es etwas geben, was dem In- halt dieser Briefe an tiefgegruͤndetem von beiden Seiten zu- ruͤckgehaltenem, beiden Theilen offenbarem Hasse gleich kaͤme. Es ist ein Gefuͤhl von Ueberlegenheit darin, das sich mit Bitterkeiten erfuͤllt hat; von Verachtung, die doch auf ih- rer Hut ist, von Mißtrauen, wie man es gegen einen ein- gewohnten Uebelthaͤter hegt. Suchte der Papst in dieser Lage der Dinge einen Ruͤck- halt, eine Huͤlfe, so konnte sie ihm allein Frankreich ge- waͤhren. In der That finden wir ihn zuweilen in Gegenwart des franzoͤsischen Botschafters, der Cardinaͤle Guise und Farnese stundenlang das Verhaͤltniß des roͤmischen Stuh- les zu Frankreich eroͤrtern. „In alten Buͤchern,“ sagt er, su vida come mejor pudiere, hechando a parte dos o tres di estos o por su mano o por mano de otros. Paul III. „habe er gelesen, es waͤhrend seines Cardinalates von An- dern gehoͤrt, und in Erfahrung gebracht seit er selbst Papst sey, daß der heilige Stuhl sich in Macht und Aufnahme befunden, so oft er mit Frankreich Bund gehabt, dagegen wo nicht, immer Verluste gelitten habe; er koͤnne es Leo dem Zehnten, seinem Vorgaͤnger Clemens, er koͤnne es sich selbst nicht vergeben, daß sie jemals den Kaiser beguͤnstigt: jetzt aber sey er entschlossen, sich auf immer mit Frank- reich zu vereinigen. Er hoffe noch lange genug zu leben, um den paͤpstlichen Stuhl in Devotion gegen den fran- zoͤsischen Koͤnig zu hinterlassen: zum groͤßten Fuͤrsten der Welt wolle er denselben machen: sein eignes Haus solle sich mit ihm unaufloͤslich verbinden“ Guise au roi 31 Oct. 1547. Ribier II, 75. . Seine Absicht war, einen Bund mit Frankreich, der Schweiz und Venedig zu schließen, zunaͤchst ein Vertheidi- gungsbuͤndniß, von dem er aber selber sagt, es sey die Thuͤre zu einem offensiven Guise au roi 11 Nov. 1547. Rib. II, 84. Sire il semble au pape à ce qu’il m’a dit qu’il doit commencer à vous faire dé- claration de son amitié par vous présenter lui et sa maison: et pour ce qu’ils n’auroient puissance de vous faire service ni vous aider à offenser, si vous premièrement ne les aidez à de- fendre, il lui a semblé devoir commencer par la ligue défensive laquelle il dit estre la vraie porte de l’offensive. Die ganze fol- gende Correspondenz gehoͤrt hierher. . Die Franzosen berechneten: ihre Freunde vereinigt wuͤrden ihnen ein eben so großes Gebiet in Italien verschaffen, als das sey, welches der Kaiser besitze; die ganze orsinische Partei wolle dem Koͤ- nig aufs neue Gut und Blut weihen. Die Farne- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. sen meinten, im Gebiete von Mailand wenigstens auf Cre- mona und Pavia zaͤhlen zu koͤnnen; die Neapolitanischen Ausgewanderten versprachen 15000 Mann ins Feld zu stellen, Aversa und Neapel sofort zu uͤberliefern. Auf alle diese Dinge ging der Papst sehr lebhaft ein. Einen Anschlag auf Genua laͤßt er zuerst dem franzoͤsischen Ge- sandten wissen. Er haͤtte nichts dawider, wenn man, um sich Neapels zu bemaͤchtigen, einen Bund mit dem Groß- herrn oder mit Algier schloͤsse. Eben war Eduard VI. auf den Thron von England gestiegen und eine unzweifelhaft protestantische Regierung daselbst an dem Ruder: der Papst raͤth nichts desto minder Heinrich II. mit England Friede zu machen: „um andere Absichten,“ sagt er, „zum Be- sten der Christenheit in Ausfuͤhrung bringen zu koͤnnen“ François de Rohan au roi 24 Février 1548. Ribier II, 117. S. S. m’a commandé de vous faire entendre et conseiller de sa part, de regarder les moyens que vous pouvez tenir, pour vous mettre en paix pour quelque tems avec les Anglais, afin que n’estant en tant d’endroits empesché vous puissiez plus fa- cilement exécuter vos desseins et entreprises pour le bien public de la Chrestienté. . So heftig war der Papst mit dem Kaiser verfeindet: so enge stand er mit den Franzosen: so großen Aussichten gab er sich hin; und dennoch, niemals vollzog er seinen Bund, niemals that er den letzten Schritt. Die Venezianer sind ganz erstaunt. „Der Papst,“ sagen sie, „ist in seiner Wuͤrde angegriffen, in seinem Blute beleidigt, der vornehmsten Besitzung seines Hauses beraubt; zu jedem Buͤndniß sollte er greifen, auf jede Bedingung; dennoch nach so vielen Beleidigungen sieht man ihn zau- dern und schwanken.“ Paul III. In der Regel treiben Beleidigungen zu einem aͤußer- sten Entschluß. Doch giebt es auch Naturen, in denen das nicht der Fall ist, die auch dann noch uͤberlegen, wenn sie sich am tiefsten verletzt fuͤhlen, nicht weil das Gefuͤhl der Rache minder stark in ihnen waͤre, sondern weil das Be- wußtseyn der fremden Ueberlegenheit sie gewaltiger uͤber- meistert; die Klugheit, welche eine Voraussicht der Zu- kunft ist, uͤberwiegt in ihnen; die großen Widerwaͤrtigkei- ten empoͤren sie nicht, sondern machen sie muthlos, schwan- kend und schwach. Der Kaiser war zu maͤchtig, um noch etwas Ernst- liches von den Farnesen fuͤrchten zu muͤssen. Er schritt auf seinem Wege, ohne auf sie Ruͤcksicht zu nehmen, wei- ter. Feierlich protestirte er gegen die Sitzungen des Con- ciliums in Bologna: alle Acte, die man daselbst vorneh- men werde, erklaͤrte er im Voraus fuͤr null und nichtig. Im Jahre 1548 publicirte er das Interim in Deutschland. So unertraͤglich es der Papst fand, daß der Kaiser eine Norm des Glaubens vorschreiben wolle, so lebhaft er sich beklagte, daß man die Kirchenguͤter ihren gegenwaͤrtigen Besitzern lasse: — Cardinal Farnese sagte uͤberdieß, er wolle sieben bis acht Ketzereien darin aufzeigen „Hazer intender a V. M. como en el interim ay 7 o 8 heregias.“ Mendoça 10 Juni 1548. In den Lettere del com- mendatore Annibal Caro scritte al nome del C l. Farnese, die sonst mit großer Zuruͤckhaltung verfaßt sind, findet sich I, 65. doch ein Schreiben an den Cl. Sfondrato in Bezug auf das Inte- rim, worin es heißt, „der Kaiser habe einen Scandal in der Christenheit gegeben: er haͤtte wohl etwas Besseres vornehmen koͤnnen.“ — so ließ Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. sich der Kaiser nicht irre machen. Auch in der Sache von Piacenza wich er kein Haarbreit. Der Papst forderte zunaͤchst Wiederherstellung des Besitzes: der Kaiser behaup- tete, ein Recht von Seiten des Reiches zu haben. Der Papst bezog sich auf den Bund von 1521, in welchem jene Staͤdte dem roͤmischen Stuhl garantirt worden: der Kaiser machte auf das Wort: Investitur aufmerksam, wo- durch sich das Reich oberherrliche Rechte vorbehalten habe. Der Papst erwiederte, das Wort sey hier in einem an- dern, als dem feudalen Sinne genommen: den Kaiser focht das nicht an: er erklaͤrte, sein Gewissen verbiete ihm, Pia- cenza zuruͤckzugeben Lettere del Cardinal Farnese scritte al Vescovo di Fano, nuntio all’ imperatore Carlo: Informationi politiche XIX, und einige Instructionen des Papstes und Farnese’s ib. XII. enthuͤllen diese Unterhandlungen, von denen ich nur die wichtigsten Momente beruͤhren konnte. . Gern haͤtte nun der Papst zu den Waffen gegriffen, sich an Frankreich geschlossen, seine Freunde, seine Partei in Bewegung gesetzt — in Neapel, Genua, Siena, Piacenza, selbst in Orbitello bemerkte man die Umtriebe seiner An- haͤnger, — gern haͤtte auch er sich durch irgend einen un- erwarteten Schlag geraͤcht; aber auf der andern Seite war ihm die Uebermacht des Kaisers uͤberaus furchtbar, vor allem dessen Einfluß auf die geistlichen Angelegenhei- ten; er besorgte, ein Concilium werde berufen, das sich ganz gegen ihn erklaͤre, das selbst zu seiner Absetzung schreite. Mendoza behauptet, die That der Corsen gegen Ferrante Gonzaga habe ihm noch besonders Furcht ein- gefloͤßt. Paul III. Wie dem auch sey, so viel ist gewiß, daß er an sich hielt und seinen Ingrimm verbarg. Die Farnesen sahen selbst nicht ungern, daß der Kaiser Siena einnahm: sie hofften, er werde es ihnen fuͤr ihre Verluste einraͤumen. Die seltsamsten Vorschlaͤge wurden hieran geknuͤpft. „Ver- stehe sich der Kaiser hierzu,“ sagte man Mendoza’n, „so muͤsse der Papst das Concil nach Trient zuruͤckbringen, und hier nicht allein sonst nach den Wuͤnschen des Kai- sers verfahren, — z. B. dessen Recht an Burgund feierlich anerkennen lassen — sondern Carl V. zu seinem Nachfolger auf dem paͤpstlichen Stuhle erklaͤren. Denn, sagten sie, Deutschland hat ein kaltes Clima, Italien ein warmes: fuͤr die Gicht, an der der Kaiser leidet, sind die warmen Laͤnder gesuͤnder“ Der Cardinal Gambara machte Mendoza’n, bei einer ge- heimen Zusammenkunft in einer Kirche, diesen Antrag. Er sagte wenigstens, que havia scripto al Papa algo desto y no lo havia tomado mal. . Ich will nicht behaupten, daß es ihnen damit Ernst gewesen: der alte Papst lebte des Glaubens, der Kaiser werde noch vor ihm sterben: aber man sieht, auf wie bedenkliche, von der gewoͤhnlichen Ordnung der Dinge weit abweichende Pfade ihre Politik sich gewagt hatte. Den Franzosen entgingen ihre Bewegungen, ihre Un- terhandlungen mit dem Kaiser nicht. Von dem Connetable Montmorency haben wir einen Brief voller Entruͤstung, in dem er unverholen von „Heucheleien, Luͤgen, ja von wahr- haft schlechten Streichen“ redet, die man zu Rom gegen den Koͤnig von Frankreich ausuͤbe Le connestable au roi 1 Sept. 1548 (Ribier II, 155). . Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. Endlich, um doch etwas zu thun, und wenigstens Einen festen Punct in diesen Streitigkeiten zu gewinnen, beschloß der Papst, da das Recht an Piacenza nicht allein seinem Hause, sondern der Kirche selbst bestritten wurde, dieß Herzogthum unmittelbar an die Kirche zuruͤckzugeben. Es war das erste Mal, daß er etwas gegen das Interesse seiner Enkel that; er zweifelte nicht, daß sie sich gern fuͤgen wuͤrden: er glaubte eine unbedingte Autoritaͤt uͤber sie zu haben: immer hatte er ihren unverbruͤchlichen Gehorsam ge- priesen und sich darin gluͤcklich gefuͤhlt. Aber der Unter- schied war, daß er bisher jedesmal ihren augenscheinlichen Vortheil verfochten, jetzt dagegen etwas ausfuͤhren wollte, was demselben zuwiderlief Auch Dandolo versichert seinen bestimmten Entschluß. S. S. era al tutto volta a restituir Parma alla chiesa. . Sie versuchten anfangs, ihm auf indirecte Weise beizukommen. Sie ließen ihm vorstel- len: der Tag, auf den er das Consistorium angesetzt, sey ein ungluͤcklicher: es war Rochustag; der Tausch mit Ca- merino, das er ihnen dafuͤr wiedergeben wollte, werde fuͤr die Kirche eher ein Verlust seyn: die Gruͤnde, deren er sich ehedem selbst bedient, setzten sie ihm jetzt entgegen: aber sie konnten die Sache damit nur aufhalten, nicht verhindern: den Befehlshaber von Parma, Camillo Orsino, wies Paul III. endlich an, diese Stadt im Namen der Kirche besetzt zu hal- ten, und sie an Niemand auszuliefern, wer es auch sey. Nach dieser Erklaͤrung, die keinen Zweifel uͤbrig ließ, hielten Le pape avec ses ministres vous ont jusque ici usé de toutes dissimulations lesquels ils ont voulu couvrir de pur mensonge, pour en former une vraie mechanceté puisqu’il faut que je l’ap- pelle ainsi. Paul III. auch die Farnesen nicht mehr an sich. Um keinen Preis wollten sie sich eines Herzogthums berauben lassen, das sie den unabhaͤngigen Fuͤrsten von Italien gleich stellte. Ottavio machte einen Versuch, Parma dem Papst zum Trotz mit List oder mit Gewalt in seine Haͤnde zu bekom- men. Camillo betrug sich geschickt und entschlossen genug, um dieß noch zu hintertreiben. Was mußte aber Paul III. empfinden, als er es erfuhr! Dem alten Mann war es aufbehalten, daß seine Enkel, denen er eine so große Vor- liebe gewidmet, zu deren Gunsten er den Tadel der Welt auf sich geladen hatte, jetzt am Ende seiner Tage sich ge- gen ihn empoͤrten! Selbst der gescheiterte Versuch brachte Ottavio nicht von seinem Vorhaben ab. Er schrieb dem Papste gradezu, wenn er Parma nicht in Guͤte wiederbe- komme, so werde er mit Ferrante Gonzaga Friede machen, und es mit kaiserlichen Waffen einzunehmen suchen. Und in der That waren seine Unterhandlungen mit diesem Tod- feinde seines Hauses schon sehr weit gediehen: ein Courier war mit den bestimmten Vorschlaͤgen an den Kaiser abge- gangen Gosellini: Vita di Ferr. Gonzaga p. 65. . Der Papst klagte laut, er werde von den Seini- gen verrathen: ihre Handlungen seyen so beschaffen, daß sein Tod daraus erfolgen muͤsse. Am tiefsten verwundete ihn, daß sich das Geruͤcht erhob, er habe insgeheim selbst Kenntniß von den Unternehmungen Ottavio’s und einen seinen Aeußerungen widersprechenden Antheil daran. Er sagte dem Cardinal Este, niemals, in seinem ganzen Le- ben, habe ihn etwas dergestalt gekraͤnkt, selbst nicht der Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. Tod Pier Luigi’s, nicht die Besetzung von Piacenza. Aber er werde der Welt keinen Zweifel uͤbrig lassen, welche Gesin- nung er hege Hippolyt Cardinal de Ferrare au roi 22 Oct. 1549. Ri- bier. II, 248. „S. S. m’a asseuré, n’avoir en sa vie eu chose, dont elle tant receu ennuy pour l’opinion qu’elle craint, qu’on veuille prendre que cecy ait été de son consentement. . Sein einziger Trost war, daß wenigstens Alessandro Farnese der Cardinal unschuldig und ihm erge- ben sey. Allmaͤhlig ward er inne, daß auch dieser, dem er ganz vertraute, der die Summe der Geschaͤfte in Haͤn- den hatte, darum nur allzuwohl wußte, und damit einver- standen war. Diese Entdeckung brach sein Herz. Am Tage aller Seelen (2ten Nov. 1549) theilte er sie dem venezianischen Botschafter in bitterem Herzeleid mit. Den Tag darauf ging er, um sich wo moͤglich ein wenig zu zerstreuen, nach seiner Vigna auf dem Monte Cavallo. Allein er fand keine Ruhe. Er ließ Cardinal Alessandro rufen: ein Wort gab das andre: der Papst gerieth in die heftigste Aufwallung: er hat dem Nepoten das Barett aus den Haͤnden gerissen und es auf die Erde geschleudert Dandolo: Il Rev mo . Farnese si risolse di non voler che casa sua restasse priva di Roma e se ne messe alla forte — — S. S. accortasi di questa contra operatione del R mo . Farnese me la comunicò il di de’ morti in gran parte con grandissima amaritudine et il di dietro la mattina per tempo se ne andò alla sua vigna di monte Cavallo, per cercar transtullo dove si incolerò per tal causa con esso Rev mo . Farnese — — Gli fu trovato tutto l’interiore nettissimo d’ havera viver ancor quel- che anno se non che nel core tre ghioccie di sangue aggia- ciato, (was nun wohl ein Irrthum ist) giudicati dal moto della colera. . Schon vermuthete der Hof eine Veraͤnderung: man glaubte Paul III. allgemein, der Papst werde den Cardinal von der Staats- verwaltung entfernen. Dahin kam es jedoch nicht. Diese heftige Gemuͤthsbewegung in dem hohen Alter von 83 Jahren warf den Papst selbst zu Boden. Er ward gleich darauf krank: nach wenigen Tagen, am 10. Nov. 1549, starb er. Alles kam ihm den Fuß zu kuͤssen. Er war eben so geliebt, wie seine Enkel gehaßt: man bemitleidete ihn, daß er durch Die den Tod erlitten, denen er das meiste Gute erwiesen hatte. Ein Mann, voll von Talent und Geist, durchdringen- der Klugheit, an hoͤchster Stelle! Aber wie unbedeutend erscheint auch ein maͤchtiger Sterblicher der Weltgeschichte gegenuͤber. In all seinem Dichten und Trachten ist er von der Spanne der Zeit, die er uͤbersieht, von ihren mo- mentanen Bestrebungen, die sich ihm als die ewigen auf- draͤngen, umfangen und beherrscht; dann fesseln ihn noch besonders die persoͤnlichen Verhaͤltnisse an seine Stelle, ge- ben ihm vollauf zu thun, erfuͤllen seine Tage zuweilen es mag seyn mit Genugthuung, oͤfter mit Mißbehagen und Schmerz, reiben ihn auf. Indessen er umkommt, vollzie- hen sich die ewigen Weltgeschicke. Julius III. Marcellus II. Waͤhrend des Conclaves standen einmal fuͤnf oder sechs Cardinaͤle um den Altar der Capelle: sie sprachen uͤber die Schwierigkeit, die es habe, einen Papst zu finden. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh. Nehmt mich, sagte einer von ihnen, der Cardinal Monte: den andern Tag mache ich Euch meinen Lieblingshausge- nossen zum Collegen-Cardinal. Ich frage, ob wir ihn neh- men sollen, sagte ein andrer, Sfondrato, als sie ausein- andergegangen waren Dandolo Relatione 1551: Questo rev mo . di Monte se ben subito in consideratione di ogn’ uno, ma all’ incontro ogn’ uno parlava tanto della sua colera e subitezza che ne passò mai che di pochissima scommessa. . Da Monte fuͤr aufbrausend und jaͤhzornig galt, hatte er auch sonst wenig Hoffnung: auf seinen Namen wurden die geringsten Wetten gewagt. Des- senungeachtet kam es so, daß er gewaͤhlt wurde (7. Febr. 1550). Zum Andenken an Julius II., dessen Kaͤmmerer er gewesen, nannte er sich Julius III. An dem kaiserlichen Hofe erheiterten sich alle Gesich- ter, als man diese Wahl erfuhr. Herzog Cosimo hatte das Meiste zu derselben beigetragen. Zu der hohen Stufe von Gluͤck und Macht, auf welcher sich der Kaiser damals be- fand, gehoͤrte es mit, daß endlich auch ein ergebener Papst, auf den man zaͤhlen konnte, den roͤmischen Stuhl bestieg. Es schien sogleich, als wuͤrden die oͤffentlichen Geschaͤfte nun einen andern Gang nehmen. Dem Kaiser lag noch immer sehr viel daran, daß das Concilium wieder in Trient zu Stande kaͤme: noch immer hoffte er die Protestanten zu noͤthigen, es zu besuchen, sich ihm zu unterwerfen. Gern ging der neue Papst auf die- sen Antrag ein. Wenn er ja auf die Schwierigkeiten auf- merksam machte, die in der Sache lagen, so besorgte er nur, man moͤchte das fuͤr Ausfluͤchte nehmen: er ward Julius III . nicht muͤde zu versichern, dem sey nicht so; er habe sein Lebtage ohne Verstellung gehandelt und wolle dabei blei- ben; in der That setzte er die Reassumtion des Conciliums auf das Fruͤhjahr 1551 an; er erklaͤrte, er mache dabei weder Pacta noch Bedingungen Lettere del Nunzio Pighino 12, e. 15 Aug. 1550. Inff. Polit. XIX . . Nur war mit der Geneigtheit des Papstes lange nicht mehr alles gewonnen. Ottavio Farnese hatte auf einen Beschluß der Cardi- naͤle im Conclave, den Julius ausfuͤhrte, Parma wieder- bekommen. Es war dieß nicht gegen den Willen des Kai- sers geschehen: eine Zeitlang ward noch zwischen beiden unterhandelt; und man hegte einige Hoffnung auf die Her- stellung eines guten Verhaͤltnisses. Einmal aber wollte sich der Kaiser nicht entschließen, ihm Piacenza wieder einzu- raͤumen: auch die Ortschaften, die Gonzaga auf dem Gebiet von Parma eingenommen, behielt er in seiner Hand: sodann behauptete sich Ottavio fortwaͤhrend in einer kriegerischen Stellung Gosellini Vita di Ferr. Gonzaga , und die im 3ten Buche enthaltene Rechtfertigung Gonzaga’s gegen die Beschuldigung, daß er den Krieg veranlaßt habe, setzen diese Wendung der Dinge authen- tisch auseinander. . Nach so vielen wechselseitigen Beleidigungen gab es keine Moͤglichkeit eines wahren Vertrauens zwischen beiden. Es ist wahr, der Tod Pauls III . hatte seinen En- keln eine große Stuͤtze entrissen: aber er hatte sie auch be- freit. Jetzt brauchten sie keine Ruͤcksicht weiter auf die allgemeinen, auf die kirchlichen Verhaͤltnisse zu nehmen: ausschließend nach ihrem eigenen Interesse konnten sie ihre Buch III . Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Maaßregeln ergreifen. Noch immer finden wir Ottavio voll bitteren Hasses. Man suche, klagt er, ihm Parma zu entwinden, und ihn selbst auf die Seite zu schaffen. Aber es solle seinen Feinden weder mit dem einen noch mit dem andern gelingen Lettere delli Signori Farnesiani per lo negotio di Par- ma, — Informatt. Pol. XIX . Obiges aus einem Schreiben Ot- tavio’s an Card. Alessandro Farnese, Parma 24. Maͤrz 1551. . In dieser Stimmung wandte er sich an Heinrich II . Mit Freuden ging der Koͤnig auf seine Antraͤge ein. Italien und Deutschland waren mit Mißvergnuͤgten erfuͤllt. Was der Kaiser bereits ausgefuͤhrt, was man noch von ihm erwartete, seine religioͤse und seine politische Haltung, alles hatte ihm unzaͤhlige Feinde erweckt. Hein- rich II . beschloß die antioͤstreichischen Plaͤne seines Vaters nochmals aufzunehmen. Er ließ seinen Krieg gegen Eng- land fallen: schloß einen Bund mit Ottavio, und nahm die Besatzung von Parma in seinen Sold. Bald erschie- nen auch in Mirandula franzoͤsische Truppen. In dem Herzen von Italien sah man die Fahnen von Frankreich fliegen. In dieser neuen Verwickelung hielt sich Julius III . standhaft zu dem Kaiser. Er fand es unertraͤglich, „daß sich ein elender Wurm, Ottavio Farnese, gegen einen Kai- ser und einen Papst zugleich empoͤre.“ „Unser Wille ist,“ erklaͤrt er seinem Nunzius, „das nemliche Schiff mit S. Maj. zu besteigen und uns dem nemlichen Gluͤck anzuver- trauen. Ihm, welcher die Einsicht und die Macht hat, uͤber- Julius III . uͤberlassen wir den Beschluß zu fassen“ Julius Papa III. Manu propria. Instruttione per voi Monsignor d’Imola, con l’imperatore. L’ultimo di Marzo. In- formatt. Polit. XII . Auch giebt er den Grund dieser engen Ver- einigung an: non per affetto alcuno humano, ma perchè vedemo la causa nostra esse con S. M à. Cesarea in tutti li affari e massimamente in quello della religione . . Der Kaiser erklaͤrte sich fuͤr die ungesaͤumte Entfernung der Franzosen und ihrer Anhaͤnger auf dem Wege der Gewalt. Gar bald sehen wir denn die vereinigten paͤpstlichen und kaiserlichen Truppen ins Feld ruͤcken. Ein bedeutendes Schloß im Parmesanischen fiel in ihre Hand, und sie verwuͤste- ten das ganze Gefilde; Mirandula schlossen sie vollkom- men ein. Jedoch nicht durch diese kleinen Feindseligkeiten war die allgemeine Bewegung zu entscheiden, die seit dem far- nesischen Antrag Europa ergriffen hatte. An allen Gren- zen, wo sich die Gebiete des Kaisers und des Koͤnigs be- ruͤhrten, zu Lande und zur See war der Krieg ausgebro- chen. Noch ganz ein anderes Gewicht, als die Italiener, legten die deutschen Protestanten in die Wagschale, wie sie sich endlich auch mit den Franzosen verbanden. Es er- folgte der entschlossenste Angriff, den Carl jemals erfahren. Die Franzosen erschienen am Rhein, Churfuͤrst Moritz in Tyrol. Der alte Sieger, indem er auf dem Gebirgland zwischen Italien und Deutschland Platz genommen, um beide in Pflicht zu halten, sah sich ploͤtzlich gefaͤhrdet, be- siegt, beinahe gefangen. Unmittelbar wirkte dieß auf die italienischen Angele- genheiten zuruͤck. „Nie haͤtten wir geglaubt,“ sagte der 18 Buch III . Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Papst, „daß uns Gott so heimsuchen wolle“ Al C 1. Crescentio 13 April 1552. . Er mußte sich im April 1552 zu einem Stillstand mit seinen Feinden bequemen. Es giebt zuweilen Ungluͤcksfaͤlle, die dem Menschen nicht so durchaus unangenehm sind. Sie machen einer Thaͤtigkeit ein Ende, die schon seinen Neigungen zu wider- sprechen anfing. Sie geben dem Entschluß, von derselben abzulassen, einen legalen Grund, eine einleuchtende Ent- schuldigung. Fast scheint es, als sey der Unfall, der den Papst be- traf, ein solcher gewesen. Mit Mißbehagen hatte er sei- nen Staat sich mit Truppen anfuͤllen, seine Cassen sich lee- ren sehen, und er glaubte zuweilen Ursach zu haben, sich uͤber die kaiserlichen Minister zu beklagen Lettera del Papa a Mendoza. 26 Dec. 1551. (Inff. Pol. XIX.) „Ohne Stolz sey es gesagt: Rath beduͤrfen wir nicht; wir koͤnnen selbst damit dienen: Huͤlfe beduͤrften wir wohl.“ . Wahrhaft bedenklich war ihm auch das Concilium geworden. Seit- dem die deutschen Abgeordneten, denen man eine Reforma- tion zugesagt hatte, erschienen waren, nahm es einen kuͤh- neren Gang; schon im Januar 1552 beklagte sich der Papst, man wolle ihn seiner Autoritaͤt berauben: die Absicht der spanischen Bischoͤfe sey, auf der einen Seite die Capitel knechtisch zu unterwerfen, auf der andern dem Papste die Collation aller Beneficien zu entziehen; jedoch er werde nicht ertragen, daß man unter dem Titel von Mißbraͤuchen ihm auch das entreiße, was nicht Mißbrauch, sondern ein At- tribut seiner wesentlichen Gewalt sey Al C 1. Crescentio 16 Gen. 1552. Er ruft aus: „non . Es konnte ihm Julius III. nicht so ganz unangenehm seyn, daß der Angriff der Pro- testanten das Concilium auseinandersprengte; er eilte die Suspension desselben zu decretiren; von unzaͤhligen Praͤten- sionen und Mißhelligkeiten ward er dadurch befreit. Seitdem hat sich Julius III. nicht weiter ernstlich in politische Thaͤtigkeiten eingelassen. Die Einwohner von Siena beschwerten sich wohl, er habe, obwohl durch seine Mutter ihr halber Landsmann, den Herzog Cosimo unter- stuͤtzt, sie sich zu unterwerfen; eine spaͤtere gerichtliche Un- tersuchung hat die Falschheit dieser Behauptung dargethan. Eher hatte Cosimo Grund sich zu beklagen. Die florenti- nischen Ausgewanderten, die erbittertsten Feinde dieses sei- nes Verbuͤndeten hinderte der Papst nicht, sich in dem Ge- biete der Kirche zu sammeln und zu ruͤsten. Vor der Porta del Popolo besucht der Fremde noch immer die Villa di Papa Giulio. In Vergegenwaͤrtigung jener Zeit steigt man die geraͤumigen Treppen zu der Gallerie hinauf, von der man Rom in seiner ganzen Breite von dem Monte Mario her und die Kruͤmmung der Tiber uͤber- sieht. In dem Bau dieses Pallastes, in der Anlegung die- ses Gartens lebte und webte Julius III. Er hat selbst den ersten Entwurf gemacht: aber niemals wurde man fer- tig; alle Tage hatte er neue Einfaͤlle und Wuͤnsche, die dann die Baumeister zur Ausfuͤhrung zu bringen eilten Vasari. Boissard beschreibt ihren damaligen Umfang: oc- cupat fere omnes colles qui ab urbe ad pontem milvium pro- tenduntur — ihre Pracht, und theilt einige Inschriften mit: z. B. honeste voluptarier cunctis fas honestis esto: und besonders: . sarà vero, non comportaremo mai, prima lassaremo ruinare il mondo.“ 18* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Hier lebte der Papst seinen Tag und vergaß die uͤbrige Welt. Seine Verwandten hat er ziemlich befoͤrdert; Her- zog Cosimo gab ihnen Monte Sansovino, von wo sie stammten, der Kaiser Novara: er selbst theilte ihnen die Wuͤrden des Kirchenstaates und Camerino zu. Jenem sei- nen Liebling hatte er Wort gehalten, und ihn zum Cardinal gemacht. Es war ein junger Mensch, den er in Parma lieb gewonnen. Er hatte ihn einst von einem Affen um- faßt und in dieser Gefahr muthig und guter Dinge ge- sehen: seitdem hatte er ihn erzogen, und ihm eine Zu- neigung gewidmet, die leider auch sein ganzes Ver- dienst blieb. Julius wuͤnschte ihn und seine Verwandten wohl versorgt und angesehen zu erblicken, aber sich um ihretwillen in gefaͤhrliche Verwickelungen einzulassen, hatte er nicht die Neigung. Wie gesagt, das harmlose vergnuͤg- liche Leben auf seiner Villa genuͤgte ihm. Er gab Gast- maͤler, die er mit seinen sprichwoͤrtlichen Redensarten wuͤrzte, welche freilich wohl zuweilen erroͤthen machten. An den großen Geschaͤften der Kirche und des Staates nahm er nur so viel Antheil, als nun schlechterdings unvermeid- lich war. Allerdings aber konnten diese dabei nicht sehr gedei- hen. Immer gefaͤhrlicher entwickelten sich die Entzweiun- „De hinc proximo in templo Deo ac divo Andreae gratias agunto (ich verstehe die Besuchenden) vitamque et salutem Julio III. Pont ei. Maximo Balduino ejus fratri et eorum familiae universae plurimam et aeternam precantor. — Julius starb 23. Maͤrz 1555. Marcellus II. gen zwischen den beiden großen katholischen Maͤchten: die deutschen Protestanten hatten sich aus ihrer Unterwerfung von dem Jahre 1547 gewaltig erhoben, und standen fester als jemals; an die oft beabsichtigte katholische Reforma- tion war nicht zu denken; die Zukunft der roͤmischen Kirche, man konnte es sich nicht verbergen, war uͤberaus dunkel und zweifelhaft. Hatte sich aber, wie wir sahen, eine strengere Rich- tung im Schooße derselben entwickelt, die das Wesen, wie es so viele Paͤpste trieben, von Herzen verdammte, mußte nicht diese endlich auch bei der Wahl eines neuen Papstes sich regen? Auf die Persoͤnlichkeit desselben kam so viel an; eben darum war diese hoͤchste Wuͤrde von der Wahl abhaͤngig, damit ein Mann in dem Sinne der uͤberwie- genden kirchlichen Richtung, an die Spitze der Geschaͤfte traͤte. Nach dem Tode Julius III. war es das erste Mal, daß die strengere religioͤse Partei auf die Papstwahl Ein- fluß bekam. Julius hatte sich in seinem wenig wuͤrdevol- len Betragen oft durch die Anwesenheit des Cardinals Marcello Cervini beschraͤnkt gefuͤhlt. Eben diesen traf die Wahl. — 11. April 1555. Es ist Marcellus II. Sein ganzes Leben hindurch hatte er sich wacker und tadellos betragen: die Reformation der Kirche, von der die Andern schwatzten, hatte er in seiner Person dargestellt. Man faßte die groͤßten Hoffnungen. „Ich hatte gebetet,“ sagt ein Zeitgenosse, „es moͤchte ein Papst kommen, der die schoͤnen Worte Kirche, Concilium, Reform von der Ver- achtung zu befreien wuͤßte, in die sie gefallen; jetzt hielt Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . ich meine Hoffnung fuͤr erfuͤllt, mein Wunsch schien mir Thatsache, Besitzthum geworden zu seyn“ Seripando al Vescovo di Fiesole. Lettere di principi III , 162. . Die Mei- nung, sagt ein andrer, die man von der Guͤte und unver- gleichlichen Weisheit dieses Papstes hatte, erhob die Welt zu der Hoffnung: wenn jemals, so werde es der Kirche jetzt moͤglich werden, die ketzerischen Meinungen auszuloͤ- schen, die Mißbraͤuche und das verdorbene Leben abzustel- len, gesund zu werden und sich wieder zu vereinigen Lettere di principi III , 141. Der Herausgeber selbst hat hier das Wort genommen. . Ganz in diesem Sinne begann Marcellus. Er duldete nicht, daß seine Verwandten nach Rom kaͤmen; in dem Hofhalt fuͤhrte er eine Menge Ersparnisse ein; er soll ein Memorial uͤber die in dem Institute der Kirche vorzu- nehmenden Verbesserungen verfaßt haben; zunaͤchst den Got- tesdienst suchte er zu seiner aͤchten Feierlichkeit wieder zu- ruͤckzufuͤhren; alle seine Gedanken gingen auf Concilium und Reform Petri Polidori de vita Marcelli II. commentarius 1744. p. 119. . In politischer Hinsicht nahm er eine neutrale Stellung an, mit welcher der Kaiser sich begnuͤgte. „Jedoch,“ sagen jene Zeitgenossen, „die Welt war seiner nicht werth:“ sie wenden die Worte Virgils von einem andern Marcellus „Ihn wollte das Schicksal der Erde nur zeigen“ auf diesen an. Schon am 22sten Tage sei- nes Pontificates starb er. Wir koͤnnen nicht von einer Wirkung reden, die eine Paul IV. so kurze Verwaltung hervorgebracht, aber schon dieser An- fang, diese Wahl zeigen die Richtung, welche uͤberhand- zunehmen begann. Auch in dem naͤchsten Conclave blieb sie die herrschende. Der strengste aller Cardinaͤle, Jo- hann Peter Caraffa, ging aus demselben als Papst hervor. 23. Mai 1555. Paul IV. Wir haben ihn schon oft erwaͤhnt: es ist der nemliche, der die Theatiner stiftete, die Inquisition wiederherstellte, die Befestigung des alten Dogma’s zu Trient so wesentlich be- foͤrderte. Wenn es eine Partei gab, welche die Restaura- tion des Katholicismus in seiner ganzen Strenge beabsich- tigte, so bestieg in ihm nicht ein Mitglied, sondern ein Gruͤnder, ein Oberhaupt derselben den paͤpstlichen Stuhl. Paul IV. zaͤhlte schon neun und siebzig Jahre, aber seine tiefliegenden Augen hatten noch alle das Feuer der Ju- gend; er war sehr groß und mager: rasch ging er einher; er schien lauter Nerv zu seyn. Wie er sich schon in sei- nem taͤglichen Leben an keine Regel band, oft bei Tage schlief, bei Nacht studirte: wehe dem Diener, der in sein Zimmer getreten waͤre, ehe er die Glocke gezogen hatte: — so folgte er auch uͤbrigens immer den Impulsen des Au- genblicks Relatione di M. Bernardo Navagero (che fu poi Cardi- nale), alla Ser ma. Rep ca. di Venetia tornando di Roma Am- basciatore appresso del Pontefice Paolo IV. 1558. In vielen . Sie wurden ihm aber von einer in einem Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Gesin- nung beherrscht. Keine andere Pflicht, keine andere Be- schaͤftigung als die Wiederherstellung des alten Glaubens in seine fruͤhere Herrschaft schien er zu kennen. Von Zeit zu Zeit bilden sich solche Naturen wieder aus, und wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben und Welt haben sie von einem einzigen Punct aus begrif- fen: ihre individuelle, persoͤnliche Richtung war so gewal- tig, daß ihre Ansicht voͤllig davon beherrscht wird; sie sind die unermuͤdlichen Redner und haben immer eine ge- wisse Frische; unaufhoͤrlich stroͤmen sie die Gesinnung aus, welche sich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit entwickelte. Wie hoͤchst bedeutend werden sie dann, wenn sie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thaͤtigkeit lediglich von ihrer Meinung abhaͤngig ist, und die Macht sich zu dem Willen gesellt. Was ließ sich alles von Paul IV. er- warten, der nie eine Ruͤcksicht gekannt, der seine Meinung immer mit der aͤußersten Heftigkeit durchgesetzt hatte, als er nun auf die hoͤchste Stufe erhoben war Man kann erachten, daß sein Wesen nicht Jedermanns Bei- fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn: Caraffa ippocrita infingardo Che tien per coscienza spirituale Quando si mette del pepe in sul cardo. . Er wun- derte sich selbst, daß er dahin gelangt war, da er doch nie einem Cardinal das Mindeste eingeraͤumt und nie etwas italienischen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu Berlin. La complessione di questo pontefice è colerica ad- usta; ha una incredibil gravità e grandezza in tutte le sue azioni et veramente pare nato al signoreggiare. Paul IV. anders als die aͤußerste Strenge an sich hatte spuͤren las- sen. Nicht von den Cardinaͤlen, sondern von Gott selbst glaubte er erwaͤhlt und zur Durchsetzung seiner Absichten berufen zu seyn Relatione del Cl mo. M. Aluise Mocenigo K. ritornato dalla corte di Roma 1560. (Arch. Venez.) Fu eletto Pontefice contra il parer e credere di ogn’ uno e forse anco di se stesso come S. S. propria mi disse poco inanzi morisse, che non avea mai compiaciuto ad alcuno e che se un cardinale gli avea do- mandato qualche gratia gli avea sempre risposta alla riversa nè mai compiaciutolo, onde disse: io non so, come mi habbiano eletto Papa e concludo che Iddio faccia li pontefici. . „Wir versprechen und schwoͤren,“ sagt er denn in der Bulle, mit der er sein Amt antrat, „in Wahrheit dafuͤr zu sorgen, daß die Reform der allgemeinen Kirche und des roͤmischen Hofes ins Werk gesetzt werde.“ Den Tag sei- ner Kroͤnung bezeichnete er mit Befehlen in Bezug auf Kloͤ- ster und Orden. Er schickte unverweilt zwei Moͤnche von Monte Cassino nach Spanien, um die verfallene Kloster- disciplin daselbst herzustellen. Er richtete eine Congrega- tion zu der allgemeinen Reform ein: in drei Classen: eine jede sollte aus 8 Cardinaͤlen, 15 Praͤlaten und 50 Gelehr- ten bestehen. Die Artikel, welche zur Berathung kommen sollten — sie betrafen die Besetzung der Stellen — wur- den den Universitaͤten mitgetheilt. Mit großem Ernste, wie man sieht, ging er ans Werk Bromato Vita di Paolo IV. lib. IX. §. 2. §. 17. (H , 224, 289.) . Es schien, als haͤtte die kirchliche Tendenz, die sich schon geraume Zeit in den untern Regionen geltend gemacht hatte, nun auch von dem Papstthum Besitz genommen, als wuͤrde sie gleich die Amtsfuͤhrung Pauls IV. allein leiten. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Da fragte sich nur, welche Stellung er in den allge- meinen Weltbewegungen einnehmen wuͤrde. Nicht so leicht sind die großen Richtungen, die eine Gewalt genommen hat, zu aͤndern; sie haben sich mit ih- rem Wesen allmaͤhlig verschmolzen. Mußte es der Natur der Sache nach immer ein Wunsch der Paͤpste bleiben, sich der spanischen Uebermacht zu entledigen, so war jetzt ein Moment, in dem dieß noch einmal moͤglich zu werden schien. Jener Krieg, den wir aus den farnesischen Bewegungen hervorgehen sehen, war der ungluͤcklichste, den Carl V. gefuͤhrt; in den Nieder- landen war er bedraͤngt, Deutschland war von ihm abge- fallen; Italien nicht mehr getreu; auch auf die Estes und Gonzagas konnte er nicht mehr trauen: er selbst war le- bensmuͤde und krank. Ich weiß nicht, ob ein anderer Papst, in so fern er nicht gradezu der kaiserlichen Partei angehoͤrte, den Lockungen widerstanden haben wuͤrde, die hierin lagen. Fuͤr Paul IV. waren sie besonders stark. Er hatte Italien noch in der Freiheit des funfzehnten Jahrhunderts gesehen (er war 1476 geboren): seine Seele hing an die- ser Erinnerung. Einem wohlgestimmten Instrumente von vier Saiten verglich er das damalige Italien. Neapel, Mailand, Kirche und Venedig nannte er die vier Saiten; er verwuͤnschte das Andenken Alfonso’s und Ludwigs des Mohren „unselige und verlorene Seelen,“ wie er sagte, deren Entzweiung diese Harmonie zerstoͤrte Infelici quelle anime di Alfonso d’Aragona e Ludovico . Daß nun seitdem die Spanier Herren geworden, hatte er noch immer Paul IV. nicht ertragen lernen. Das Haus Caraffa, aus dem er stammte, gehoͤrte zu der franzoͤsischen Partei; unzaͤhlige Mahle hatte es wider Castilianer und Catalanen die Waffen gefuͤhrt; noch 1528 hatte es sich zu den Franzosen geschla- gen; waͤhrend der Unruhen von 1547 war es Johann Pe- ter Caraffa, der Paul III. den Rath gab, sich Neapels zu bemaͤchtigen. Zu diesem Parteihaß aber kam noch ein an- derer. Caraffa hatte immer behauptet, Carl V. beguͤnstige aus Eifersucht gegen den Papst die Protestanten: den Fort- gang dieser Partei schrieb er dem Kaiser selber zu Memoriale dato a Annibale Rucellai Sept. 1555. (Infor- matt. Pol. T. XXIV.) chiamava liberamenti la M à. S. Cesarea fautore di heretici e di scismatici. . Wohl kannte ihn dieser. Er stieß ihn einst aus dem fuͤr die Verwaltung von Neapel gebildeten Rathe; er ließ ihn nie zu ruhigem Besitz seiner neapolitanischen Kirchenaͤm- ter gelangen; uͤberdieß hat er ihn zuweilen wegen seiner Declamationen in dem Consistorium ernstlich bedeutet. Um so heftiger, wie man denken kann, steigerte sich der Widerwille des Caraffa. Er haßte den Kaiser als Neapo- litaner und Italiener, als Katholik und als Papst. Neben seinem reformatorischen Eifer hegte er keine andere Leiden- schaft als diesen Haß. Kaum hatte er Besitz von dem Pontificat ergriffen, — nicht ohne ein gewisses Selbstgefuͤhl, wenn er den Roͤ- mern Taxen erließ, Getreide zufuͤhrte, und sich dafuͤr eine Bildsaͤule errichten sah, wenn er im Gepraͤnge eines praͤch- Duca di Milano, che furno li primi che guastarono cosi nobil instrumento d’Italia Bei Navagero. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . tigen, von neapolitanischen Edelleuten verwalteten Hofdien- stes die Obedienz der von allen Seiten herbeieilenden Ge- sandtschaften empfing — so war er in tausend Streitigkei- ten mit dem Kaiser. Da sollte Dieser sich bei den Car- dinaͤlen seiner Partei uͤber eine solche Wahl beklagt haben; seine Anhaͤnger hielten verdaͤchtige Zusammenkuͤnfte; Einige derselben nahmen in dem Hafen von Civitavecchia ein paar Schiffe weg, die ihnen fruͤher von den Franzosen entrissen worden Instruttioni e lettere di Monsignor della Casa a nome del C 1. Caraffa, dove si contiene il principio della rottura della guerra fra Papa Paolo IV. e l’imperatore Carlo V. 1555. Auch in den Inf. Pol. 24. . Bald war der Papst in Feuer und Flammen. Die kaiserlich gesinnten Lehensleute und Cardinaͤle nahm er gefangen, oder sie entflohen und er zog ihre Besitzungen ein. Aber es war ihm nicht genug. Auf jene Verbin- dung mit Frankreich, die Paul III. zu vollziehen sich nie- mals hatte entschließen koͤnnen, ging er ohne viel Beden- ken ein. Der Kaiser wolle ihn nur, sagte er, durch eine Art von geistigem Fieber zu Grunde richten: er werde sich zu offenem Spiel entschließen, mit der Huͤlfe des Koͤnigs von Frankreich wolle er dieß arme Italien von der Ty- rannei der Spanier befreien: er hoffe noch zwei franzoͤsi- sche Prinzen in Mailand und Neapel regieren zu sehen. Stunden lang saß er nach Tische bei dem schwarzen, dicken vulkanischen Wein von Neapel, den er trank, — man nannte die Sorte Mangiaguerra — und ergoß sich in stuͤrmischer Beredsamkeit gegen diese Schismatiker und Ketzer, Vermaledeiete Gottes, Saame von Juden und Mar- Paul IV. ranen, Hefe der Welt, und wie er sonst noch die Spanier nannte Navagero. Mai parlava di S. M à. e della natione Spag- nola, che non gli chiamasse eretici scismatici e maladetti da dio, seme di Giudei e di Mori, feccia del mondo, deplorando la miseria d’Italia che fosse astretta a servire gente cosi abjetta e cosi vile. Die Depeschen der franzoͤsischen Gesandten sind voll von diesen Ausfaͤllen. Z. B. von Lansac und von Avan ç on bei Ri- bier II , 610—618. . Aber er getroͤste sich des Spruches, du wirst uͤber Schlangen wandeln, Loͤwen und Drachen wirst du zertreten. Jetzt sey die Zeit gekommen, wo Kaiser Carl und dessen Sohn fuͤr ihre Suͤnden die Zuͤchtigung empfan- gen sollten. Er der Papst werde es thun: er werde Ita- lien von ihm befreien. Wolle man ihn nicht hoͤren, ihm nicht beistehen, so werde man doch in Zukunft einmal sa- gen muͤssen, daß ein alter Italiener, so nahe dem Tode, der eher haͤtte ruhen und sich zum Sterben bereiten sollen, noch so erhabene Plaͤne gefaßt habe. Es ist nicht noͤthig in das Einzelne der Unterhandlungen einzugehen, die er voll von diesen Gedanken pflog. Als die Franzosen, trotz eines schon mit ihm getroffenen Verstaͤndnisses, doch einen Stillstand mit Spanien geschlossen Sehr bezeichnend ist die Darstellung des anfaͤnglichen Unglau- bens der Caraffas bei Navagero. Domandando io al pontefice et al C 1. Caraffa, se havevano avviso alcuno delle tregue (von Vaucelles) si guardorno l’un l’altro ridendo: quasi volessero dire, si come mi disse anche apertamente il Pontefice che questa speranza di tregue era assai debole in lui e nondimeno venne l’avviso il giorno seguente, il quale si come consolò tutta Roma cosi diede tanto travaglio e tanta molestia al papa et al cardinale che non lo poterono dissimulare. Diceva il papa, che queste tregue sarebbero la ruina del mondo. , sendete er seinen Neffen, Carl Caraffa, nach Frankreich, dem es denn auch Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . gelang, die verschiedenen Parteien, die dort um die Gewalt kaͤmpften, die Montmorency und die Guisen, die Gemah- lin des Koͤnigs und dessen Buhle, in sein Interesse zu zie- hen und einen neuen Ausbruch der Feindseligkeiten zu ver- anlassen Rabutin Mémoires Collect. univers. Tom. 38, 358. Vor- nehmlich Villars Mémoires Ib. Tom. 35, 277. . In Italien gewann er an dem Herzog von Ferrara einen ruͤstigen Verbuͤndeten. Sie sahen es auf eine voͤllige Umwaͤlzung von Italien ab. Florentinische und neapolitanische Ausgewanderte erfuͤllten die Curie. Die Zeit ihrer Wiederherstellung schien gekommen. Der paͤpst- liche Fiscal machte eine foͤrmliche Rechtsklage wider Kai- ser Carl und Koͤnig Philipp anhaͤngig, in der er auf eine Excommunication dieser Fuͤrsten und eine Entbindung ihrer Unterthanen vom Eide der Treue antrug. In Florenz hat man immer behauptet, die Beweise in Haͤnden zu haben, daß auch das mediceische Haus dem Untergang bestimmt gewesen Gussoni Rel ne. di Toscana. . Es bereitete sich alles zum Kriege: die ganze bisherige Entwickelung dieses Jahrhunderts ward noch ein- mal in Frage gestellt. Welch eine ganz andere Wendung nahm aber hiermit dieß Papstthum, als man erwartet hatte! Die reformatori- schen Bestrebungen mußten vor den kriegerischen zuruͤckwei- chen, und ganz entgegengesetzte Erfolge fuͤhrten diese mit sich. Man sah Den, der als Cardinal das Nepotenwesen auf das eifrigste, selbst mit Gefahr, verdammt hatte, sich nunmehr eben diesem Mißbrauch ergeben. Seinen Neffen Carl Caraffa, der sich immer in einem wilden und anstoͤ- Paul IV. ßigen Soldatenleben gefallen Babon b. Ribier II, 745. Villars p. 255. , — Paul IV. sagt selbst, sein Arm sey bis an den Elbogen in Blut getaucht — er- hob er zum Cardinal. Carl hatte Mittel gefunden, den schwachen Alten zu beguͤtigen: er hatte sich zuweilen be- tend und in anscheinender Zerknirschung vor dem Crucifix finden lassen Bromato. . Die Hauptsache aber war, daß sie sich Beide in dem nemlichen Hasse begegneten. Carl Caraffa, der dem Kaiser in Deutschland Kriegsdienste gethan, be- klagte sich, daß ihm dieser dafuͤr lauter Ungnade erweise. Daß man ihm einen Gefangenen entrissen, von dem er ein starkes Loͤsegeld erwartete, und ein Priorat der Maltheser, das ihm ertheilt worden, nicht hatte antreten lassen, er- fuͤllte ihn mit Haß und Rachbegier. Diese Leidenschaft war dem Papste statt aller Tugenden. Er fand kein Ende ihn zu loben; er versicherte, nie habe der roͤmische Stuhl einen faͤhigeren Diener gehabt; er uͤbertrug ihm die Summe nicht allein der weltlichen, sondern sogar der geistlichen Geschaͤfte, und sah es gern, wenn man ihn als den Ur- heber der Gunstbezeugungen, die man empfing, betrachtete. Seine beiden andern Nepoten wuͤrdigte der Papst lange keines gnaͤdigen Blickes. Erst als auch sie sich zu der antispanischen Gesinnung des Oheims bekannten, schenkte er ihnen sein Wohlwollen Extractus Processus Cardinalis Caraffae. Similiter dux Palliani deponit, quod donec se declaravit contra imperiales, Papa eum nunquam vidit grato vultu et bono oculo. . Niemals haͤtte man erwar- tet was er that. Er erklaͤrte, den Colonnesen, steten Re- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . bellen gegen Gott und Kirche, habe man ihre Schloͤsser oͤf- ter entrissen, aber ohne sie je zu behaupten: jetzt wolle er sie Lehensleuten auftragen, welche sie zu vertheidigen wissen wuͤrden. Er theilte sie seinen Neffen zu. Den aͤltern er- nannte er zum Herzog von Palliano, den juͤngern zum Marchese von Montebello. Die Cardinaͤle schwiegen still, als er ihnen diesen seinen Willen eroͤffnete und sahen zur Erde. Die Caraffas erhoben sich zu den weitaussehendsten Entwuͤrfen. Die Toͤchter sollten in die Familie, wenn nicht des Koͤnigs von Frankreich, doch des Herzogs von Fer- rara verheirathet werden. Die Soͤhne hofften wenigstens Siena an sich zu bringen. Es scherzte Einer uͤber das mit Edelsteinen besetzte Barett eines Kindes aus diesem Hause. Man duͤrfe jetzt wohl von Kronen reden, versetzte die Mut- ter der Nepoten Bromato IX, 16. II , 286. Woͤrtlich: non esser quel tempo da parlar di berette, ma di corone. . In der That kam alles auf den Erfolg des Krieges an, der nunmehr ausbrach; und freilich anfangs nicht die guͤnstigste Wendung nahm. Nach jenem Acte des Fiscal war der Herzog von Alba aus dem neapolitanischen in das roͤmische Gebiet vorge- ruͤckt. Die paͤpstlichen Vasallen begleiteten ihn: ihre Ver- staͤndnisse erwachten. Nettuno verjagte die kirchliche Be- satzung und rief die Colonnesen zuruͤck; Alba besetzte Fro- sinone, Anagni, Tivoli in dem Gebirg, Ostia an der See: er schloß Rom von beiden Seiten ein. Der Papst verließ sich anfangs auf seine Roͤmer. Er hatte Paul IV. hatte in Person Musterung uͤber sie gehalten. Von Cam- pofiore kamen sie, die Engelsburg, die sie mit ihrem Ge- schuͤtz begruͤßte, voruͤber, nach dem Petersplatz, wo er mit seinem Neffen an einem Fenster stand. Es waren 340 Reihen mit Hakenbuͤchsen, 250 mit Piken bewaffnet, jede 9 Mann hoch, stattlich anzusehen, unter lauter adligen Anfuͤhrern; wenn Caporionen und Fahnentraͤger bis vor ihn gekommen, gab er ihnen seinen Segen Diario di Cola Calleine Romano del rione di Traste- vere dall’ anno 1521 sino all’ anno 1562. Ms. . Das nahm sich alles wohl gut aus, aber zur Vertheidigung der Stadt waren diese Leute nicht geeignet. Nachdem die Spanier so nahe herbeigeruͤckt, war ein falsches Geruͤcht, ein kleiner Reitertrupp hinreichend, alles in solche Verwirrung zu setzen, daß sich Niemand mehr bei den Fahnen einfand. Der Papst mußte sich nach anderer Huͤlfe umsehen. Pietro Strozzi fuͤhrte ihm endlich die Truppen zu, die vor Siena gedient: er eroberte Tivoli und Ostia in der That wieder und entfernte die naͤchste Gefahr. Welch ein Krieg aber war dieß! Es ist zuweilen als traͤten die Ideen, welche die Dinge bewegen, die geheimen Grundlagen des Lebens einander sichtbar gegenuͤber. Alba haͤtte im Anfang Rom ohne viel Schwierigkeit erobern koͤnnen; allein sein Oheim, Cardinal Giacomo, er- innerte ihn an das schlechte Ende, das Alle genommen, die an der bourbonischen Eroberung Theil gehabt. Als ein guter Katholik fuͤhrte Alba den Krieg mit aͤußerster Zuruͤck- haltung: er bekaͤmpfte den Papst, aber ohne aufzuhoͤren, 19 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . ihn zu verehren: nur das Schwert will er ihm aus den Haͤnden winden; nach dem Ruhme zu den Eroberern von Rom gezaͤhlt zu werden, geluͤstet ihn nicht. Seine Trup- pen klagen, es sey ein Rauch, ein Nebel, gegen den man sie ins Feld fuͤhre; er belaͤstige sie und sey nicht zu fas- sen, noch in seinem Ursprung zu daͤmpfen. Und wer waren dagegen Die, welche den Papst gegen so gute Katholiken vertheidigten? Es waren meistens Deut- sche, alles Protestanten. Sie verspotteten die Heiligenbil- der an den Landstraßen, in den Kirchen, verlachten die Messe, uͤbertraten die Fasten und begingen hundert Dinge, von denen der Papst sonst ein jedes mit dem Tode be- straft haben wuͤrde Navagero: Fu riputata la piu esercitata gente la Todessa (3500 fanti) e piu atta alla guerra, ma era in tutto Luterana. . Ich finde selbst, daß Carl Caraffa mit dem großen protestantischen Parteigaͤnger, Markgraf Albrecht von Brandenburg, einmal ein Verstaͤndniß an- geknuͤpft hatte. Staͤrker konnten die Gegensaͤtze nicht hervortreten. In den Einen, die strenge katholische Richtung, von der we- nigstens der Heerfuͤhrer durchaus ergriffen ist, — wie weit lagen ihm die bourbonischen Zeiten ruͤckwaͤrts! In den Anderen die Erfolge der weltlichen Tendenzen des Papst- thums, die auch Paul IV. , so sehr er sie an sich ver- dammen mag, dennoch ergriffen haben: sie bewirken, daß seine Glaͤubigen ihn angreifen, die von ihm Abgefallenen ihn vertheidigen; aber jene bewaͤhren auch bei dem Angriff ihre Unterwuͤrfigkeit, diese, indem sie ihn beschuͤtzen, beweisen seinem Wesen Feindschaft und Wegwerfung. Paul IV. Zu eigentlichem Kampfe kam es aber erst dann, als endlich die franzoͤsische Huͤlfsmacht — 10000 Mann zu Fuß, eine minder zahlreiche, aber sehr stattliche Reiterei — uͤber den Alpen erschien. Die Franzosen haͤtten ihre Kraͤfte lie- ber gleich gegen Mailand versucht, das sie minder verthei- digt glaubten: aber sie mußten dem Impuls folgen, den ihnen die Caraffas gegen Neapel gaben. Diese zweifelten nicht, in ihrem Vaterlande unzaͤhlige Anhaͤnger zu finden; sie zaͤhlten auf die Macht der Ausgewanderten, auf die Er- hebung ihrer Partei, wo nicht in dem ganzen Koͤnigreich, doch zunaͤchst in den Abruzzen, dort um Aquila und Mon- torio, wo ihre vaͤterlichen und muͤtterlichen Ahnherren im- mer einen großen Einfluß behauptet hatten. Auf irgend eine Weise muͤssen sich die Triebe der Dinge Luft machen. Zu haͤufig hatte sich die Opposition der paͤpstlichen Gewalt gegen das Uebergewicht der Spanier geregt, als daß sie nicht noch einmal haͤtte offen hervorbrechen sollen. Der Papst und seine Nepoten waren zu dem Aeußer- sten entschlossen. Caraffa hat nicht allein die Protestanten um Huͤlfe ersucht, er hat Suleiman I. den Antrag gemacht, er moͤge von seinen ungarischen Feldzuͤgen abstehen, um sich mit aller Macht auf beide Sicilien zu werfen Seine Gestaͤndnisse bei Bromato Vita di Paolo IV, T. II, p. 369. Uebrigens hat Bromato auch uͤber den Krieg gute Nach- richten. Er nahm sie, was er auch nicht verschweigt, oft Wort fuͤr Wort aus einem weitlaͤufigen Ms. von Nores, das diesen Krieg zum Gegenstande hat, und in italienischen Bibliotheken haͤufig vor- kommt. . Die Huͤlfe der Unglaͤubigen rief er auf gegen den katholischen Koͤnig. 19* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Im April 1557 uͤberschritten die paͤpstlichen Truppen die neapolitanische Grenze. Den gruͤnen Donnerstag bezeich- neten sie mit der Eroberung und graͤuelvollen Pluͤnde- rung von Compli, das voll von eigenen und dahin gefluͤch- teten Reichthuͤmern war. Hierauf ging auch Guise uͤber den Tronto und belagerte Civitella. Er fand jedoch das Koͤnigreich in guter Bereitschaft. Alba wußte wohl, daß keine Bewegung wider ihn entste- hen werde, so lange er der Maͤchtigste im Lande sey. In einem Parlament der Baronen hatte er ein bedeutendes Donativ erlangt: die Koͤnigin Bona von Polen, von dem alten aragonischen Geschlecht, die vor kurzem mit vielen Reichthuͤmern in ihrem Herzogthume Bari angekommen, von ganzem Herzen eine Feindin der Franzosen, unterstuͤtzte ihn mit einer halben Million Scudi; die geistlichen Ein- kuͤnfte, die nach Rom haͤtten gehen sollen, zog er ein: selbst das Gold und Silber der Kirchen, die Glocken von Bene- vent nahm er in Anspruch Giannone Istoria di Napoli lib. XXXIII, c. 1. Nicht allein Gosselini, auch Mambrino Roseo delle historie del mondo lib. VII., der diesen Krieg ausfuͤhrlich und nach guten Nachrichten erzaͤhlt, und Andere schreiben dem Ferrante Gonzaga einen großen Antheil an den geschickten Maaßregeln zu, die Alba ergriff. . Alle neapolitanischen und so viel roͤmische Grenzplaͤtze als er noch behauptete, hatte er denn auf das beste zu befestigen, ein stattliches Heer auf die alte Weise aus Deutschen, Spaniern und Italienern zusam- men zu bringen vermocht: auch neapolitanische Centurien unter der Anfuͤhrung des Adels hatte er gebildet. Civi- tella ward von dem Grafen Santafiore tapfer vertheidigt: Paul IV. er hatte die Einwohner zu thaͤtiger Theilnahme begeistert: selbst einen Sturm schlugen sie ab. Waͤhrend dergestalt das Koͤnigreich zusammenhielt und nichts als Ergebenheit gegen Philipp II. blicken ließ, bra- chen dagegen unter den Angreifenden, zwischen Franzosen und Italienern, Guise und Montebello lebhafte Zwistig- keiten aus. Guise beklagte sich, daß der Papst den mit ihnen geschlossenen Vertrag nicht halte, und es an der ver- sprochenen Huͤlfe ermangeln lasse. Als der Herzog von Alba mit seinem Heere in den Abruzzen erschien, — in der Mitte des Mai — hielt es Guise fuͤr das Beste, die Belagerung aufzuheben, und uͤber den Tronto zuruͤckzuge- hen. Der Krieg zog sich wieder auf das Roͤmische Gebiet. Ein Krieg, in dem man vorruͤckte, zuruͤckwich, Staͤdte besetzte und wieder verließ, in dem es aber nur einmal zu einem ernstlichen Gefecht kam. Marc Antonio Colonna bedrohte Palliano, das ihm der Papst entrissen hatte: Giulio Orsino machte sich auf, es mit Lebensmitteln und Truppen zu erfrischen. Es wa- ren eben 3000 Schweizer unter einem Obersten von Unter- walden in Rom angelangt. Mit Freuden hatte sie der Papst empfangen, ihre Hauptleute mit goldenen Ketten und dem Rittertitel geschmuͤckt: er hatte sie fuͤr die Legion von Engeln erklaͤrt, die ihm Gott zusende. Eben diese und ei- nige italienische Schaaren zu Fuß und zu Pferde fuͤhrte Giulio Orsino an. M. A. Colonna stellte sich ihm in den Weg. Es kam noch einmal zu einer Schlacht, im Geiste der ita- lienischen Kriege von 1494 — 1531. Paͤpstliche und kai- serliche Truppen, ein Colonna und ein Orsino: den Schwei- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . zern stellten sich, wie sonst so oft, unter ihren letzten nam- haften Obersten, Caspar von Feltz und Hans Walter, die deutschen Landsknechte entgegen. Noch einmal schlugen die alten Gegner fuͤr eine Sache, die beide wenig anging; nichts desto minder waren sie außerordentlich tapfer Die einzelnen Umstaͤnde dieses kleinen Treffens schoͤpfe ich aus Cabrera Don Folipe Segundo lib. III, p. 139. . Endlich warf sich Hans Walter, groß und stark wie ein Riese, sagen die Spanier, in die Mitte eines schweizerischen Faͤhnleins; mit dem Pistol in der einen und dem bloßen Schlacht- schwert in der andern Hand drang er grade auf den Fah- nentraͤger ein: zugleich durch einen Schuß in die Seite und einen gewaltigen Hieb uͤber den Kopf, erlegte er den- selben: die ganze Schaar stuͤrzte nun auf ihn her; aber schon waren auch seine Landsknechte hinter ihm, um ihn zu beschuͤtzen. Die Schweizer wurden voͤllig gebrochen und geschlagen. Ihre Fahnen, auf denen in großen Buchsta- ben zu lesen war: Vertheidiger des Glaubens und des heiligen Stuhls, sanken in Staub: ihr Oberst brachte von seinen eilf Hauptleuten nur zwei nach Rom zuruͤck. Indessen man hier diesen kleinen Krieg fuͤhrte, lagen an den niederlaͤndischen Grenzen die großen Heere einander gegenuͤber. Es erfolgte die Schlacht von S. Quintin. Die Spanier trugen den vollkommensten Sieg davon. In Frank- reich wunderte man sich nur, daß sie nicht gradezu auf Pa- ris losgingen, welches sie haͤtten erobern koͤnnen Monluc. Mémoires p. 116. . „Ich hoffe,“ schrieb hierauf Heinrich II. an Guise, „der Papst wird in meiner Noth eben so viel fuͤr mich Paul IV. thun wie ich in der seinen fuͤr ihn gethan“ Le roy à Mons. de Guise bei Ribier II, p. 750. . So wenig durfte Paul IV. nun laͤnger auf franzoͤsische Huͤlfe zaͤhlen, daß die Franzosen vielmehr Beistand von ihm erwarteten. Guise erklaͤrte, „keine Ketten seyen laͤnger vermoͤgend, ihn in Italien zuruͤckzuhalten:“ Lettera del D a. di Palliano al C l. Caraffa. Inff. Politt. XXII. er eilte mit seiner Mann- schaft zu seinem bedraͤngten Fuͤrsten zuruͤck. Hierauf ruͤckten, wie es nicht mehr zu hindern stand, Spanier und Colonnesen aufs neue gegen Rom vor. Noch einmal sahen sich die Roͤmer mit Eroberung und Pluͤnde- rung bedroht. Ihre Lage war um so verzweifelter, da sie sich vor ihren Vertheidigern nicht viel weniger fuͤrchteten als vor ihren Feinden. Viele Naͤchte lang hielten sie alle Fenster hell, alle Straßen erleuchtet, und man sagt, daß ein Trupp spanischer Voͤlker, der einen Streifzug bis nahe an die Thore machte, hierdurch zuruͤckgeschreckt worden sey: hauptsaͤchlich aber suchten sie hiermit gegen die Gewalt- samkeiten der paͤpstlichen Soldaten vorbereitet zu seyn. Alles murrte: man wuͤnschte dem Papst tausend Mal den Tod: man forderte, daß das spanische Heer durch eine foͤrmliche Uebereinkunft eingelassen werden solle. So weit ließ es Paul IV. kommen. Erst als seine Unternehmung durchaus gescheitert, seine Verbuͤndeten ge- schlagen, sein Staat zum großen Theile von den Feinden besetzt und seine Hauptstadt zum zweiten Male bedroht war, bequemte er sich zum Frieden. Die Spanier schlossen ihn in dem Sinne wie sie den Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Krieg gefuͤhrt. Alle Schloͤsser und Staͤdte der Kirche ga- ben sie zuruͤck: selbst fuͤr Palliano, das die Caraffas ver- loren, ward denselben eine Entschaͤdigung versprochen Ueber Palliano ward eine geheime Convention zwischen Alba und Cardinal Caraffa geschlossen: geheim nicht allein fuͤr das Publi- kum, sondern fuͤr den Papst selbst. ( Bromato II, 385.) . Alba kam nach Rom: in tiefer Ehrfurcht kuͤßte er seinem Ueber- wundenen, dem geschworenen Feinde seiner Nation und sei- nes Koͤnigs, den Fuß. Er hat gesagt, nie habe er eines Menschen Angesicht, wie das des Papstes, gefuͤrchtet. So vortheilhaft aber auch fuͤr die paͤpstliche Gewalt dieser Friede erscheint, so war er doch wider ihre bisheri- gen Bestrebungen entscheidend. Mit ihren Versuchen, sich des spanischen Uebergewichtes zu entledigen, hatte es ein Ende: in dem alten Sinne ist es nie wieder zu einem sol- chen gekommen. In Mailand und Neapel hatte sich die Herrschaft der Spanier unerschuͤtterlich gezeigt. Ihre Ver- buͤndeten waren staͤrker als je. Herzog Cosimo, den man aus Florenz verjagen wollen, hatte Siena dazu erworben, und besaß nunmehr eine bedeutende selbststaͤndige Macht; durch die Ruͤckgabe von Piacenza waren die Farnesen fuͤr Philipp II. gewonnen; Marc Antonio Colonna hatte sich einen großen Namen gemacht und die alte Stellung seines Geschlechts erneuert. Es blieb dem Papste nichts uͤbrig, als sich in diese Lage der Dinge zu finden. Auch Paul IV. mußte daran: man kann denken, wie schwer es ihm wurde. Phi- lipp II. ward einmal sein Freund genannt: „ja mein Freund,“ fuhr er auf, „der mich belagert hielt, der meine Seele suchte!“ Anderen gegenuͤber verglich er ihn wohl Paul IV. einmal mit dem verlorenen Sohn des Evangeliums, aber im Kreise seiner Vertrauten ruͤhmte er nur solche Paͤpste, welche franzoͤsische Koͤnige zu Kaisern zu machen beabsich- tigt hatten L’évesque d’Angoulême au roy 11 Juin 1558. Ribier II, 745. Der Papst habe gesagt, que vous Sire n’estiez pas pour dégénérer de vos prédécesseurs qui avoient toujours été conser- vateurs et défenseurs de ce saint siège, comme au contraire, que le roy Philippe tenoit de race de le vouloir ruiner et confondre entièrement . . Sein Sinn war der alte: aber die Um- staͤnde engten ihn ein: er konnte nichts mehr hoffen noch unternehmen: selbst beklagen durfte er sich nur insgeheim. Sich der Wirkung der vollzogenen Begebenheit wider- setzen zu wollen, ist jedoch allemal vergeblich. Auch auf Paul IV. uͤbte sie nach einiger Zeit eine Ruͤckwirkung aus, welche wie fuͤr seine Verwaltung, so fuͤr die Umwandlung dieses paͤpstlichen Wesens uͤberhaupt von der groͤßten Wich- tigkeit ist. Sein Nepotismus beruhte nicht auf der Selbstsucht und Familien-Neigung fruͤherer Paͤpste: er beguͤnstigte seine Nepoten, weil sie seine Richtung gegen Spanien unterstuͤtz- ten: er betrachtete sie als seine natuͤrlichen Gehuͤlfen in diesem Kampfe. Daß es nun mit demselben zu Ende ge- gangen, machte ihm auch die Nepoten unnuͤtz. Gluͤckliche Erfolge gehoͤren zu jeder ausgezeichneten, am meisten zu einer nicht ganz gesetzmaͤßigen Stellung. Cardinal Caraffa unternahm noch vornehmlich im Interesse seines Hauses, um jene Entschaͤdigung fuͤr Palliano festzusetzen, eine Gesandt- schaft an Koͤnig Philipp. Seit er auch von dieser zuruͤck- gekommen war, ohne eben viel ausgerichtet zu haben, sah Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . man den Papst kaͤlter und kaͤlter gegen ihn werden. Bald war es dem Cardinal nicht mehr moͤglich, die Umgebungen seines Oheims zu beherrschen, und wie er bisher gethan, nur den ergebensten Freunden den Zutritt zu gestatten. Auch un- guͤnstige Stimmen kamen dem Papst zu Ohren und moch- ten die widrigen Eindruͤcke fruͤherer Zeiten wieder erwecken. Der Cardinal erkrankte einmal: der Papst besuchte ihn un- erwartet: er fand ein paar Leute von dem schlechtesten Rufe bei ihm. „Die Alten sind mißtrauisch,“ sagte er: „ich bin da Dinge gewahr worden, die mir ein weites Feld eroͤffneten.“ Wir sehen, es bedurfte nur einen Anlaß, um einen Sturm in ihm zu erregen. Ein uͤbrigens unbedeu- tendes Ereigniß bot einen solchen dar. In der Neujahrs- nacht 1559 war ein Tumult auf der Straße vorgefallen, bei dem auch ein junger Cardinal, jener Liebling Julius III. Cl. Monte, den Degen gezogen hatte. Der Papst erfuhr es gleich am Morgen: er empfand es tief, als sein Neffe ihm kein Wort davon sagte; er wartete ein paar Tage: endlich sprach er seinen Verdruß aus. Der Hof, ohnehin auf jede Veraͤnderung begierig, ergriff dieses Zeichen der Ungunst mit Begierde. Der florentinische Gesandte, der tausend Kraͤnkungen von den Caraffas erfahren hatte, drang jetzt zu dem Papst hindurch und brachte die bittersten Be- schwerden vor. Die Marchesa della Valle, eine Verwandte, der man auch nie freien Zutritt gestatten wollen, fand Mit- tel, einen Zettel in das Brevier des Papstes legen zu lassen, auf dem einige Missethaten der Nepoten verzeichnet waren: „wuͤnsche S. Heiligkeit noch naͤhere Aufklaͤrung, so moͤge sie ihren Namen unterschreiben;“ Paul unterschrieb und die Paul IV. Aufklaͤrungen werden nicht gemangelt haben. Dergestalt, bereits mit Unwillen und Mißvergnuͤgen erfuͤllt, ging der Papst am 9. Januar in die Versammlung der Inquisition. Er kam auf jenen naͤchtlichen Tumult zu sprechen, schalt heftig auf den Cardinal Monte, drohte ihn zu bestrafen, und donnerte immer: Reform, Reform. Die sonst so schweigsamen Cardinaͤle hatten jetzt Muth bekommen. „Hei- liger Vater,“ unterbrach ihn Cardinal Pacheco, „die Re- form muͤssen wir bei uns selber anfangen.“ Der Papst verstummte. Das Wort traf sein Herz: die in ihm gaͤh- renden, sich bildenden Ueberzeugungen brachte es ihm zum Bewußtseyn. Er ließ die Sache des Monte unbeendigt: in verzehrendem Ingrimm ging er auf sein Wohnzimmer. Er stellte unverweilt genaue Nachforschungen an. Nach- dem er sogleich befohlen, daß auf des Cardinal Caraffa Anordnung nichts mehr auszufertigen sey, ließ er ihm seine Papiere abfordern; Cardinal Vitellozzo Vitelli, der in dem Rufe stand, die Geheimnisse der Caraffas zu kennen, mußte schwoͤren, alles entdecken zu wollen, was er davon wisse: Camillo Orsino ward zu dem nemlichen Zweck von seinem Landgut hereinbeschieden: die strenge Partei, die lange dem Treiben der Nepoten mit Unmuth zugesehen, erhob sich jetzt: der alte Theatiner, Don Hieremia, den man fuͤr heilig hielt, war Stundenlang in den paͤpstlichen Gemaͤchern: der Papst erfuhr Dinge, die er nie geahndet hatte, die ihm Entsetzen und Grauen erregten. Er gerieth in die groͤßte Bewegung: er mochte weder essen noch schla- fen: zehn Tage lang war er in Fieber und Krankheit: merkwuͤrdig auf immer ein Papst, der sich mit innerer Ge- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . waltsamkeit von der Neigung zu seinen Anverwandten los- riß: endlich war er entschlossen. Am 27. Januar berief er ein Consistorium: mit leidenschaftlicher Bewegung stellte er das schlechte Leben seiner Neffen vor: er rief Gott und Welt und Menschen zu Zeugen an, daß er nie darum ge- wußt, daß er immer betrogen worden. Er sprach ihnen ihre Aemter ab, und verwies sie sammt ihren Familien nach verschiedenen entfernten Ortschaften. Die Mutter der Ne- poten, 70 Jahr alt, von Krankheiten gebeugt, persoͤnlich ohne Schuld, warf sich ihm zu Fuͤßen, als er in den Pal- last ging: mit scharfen Worten schritt er voruͤber. Eben kam die junge Marchesa Montebello aus Neapel: sie fand ihren Pallast verschlossen: in keinem Wirthshause wollte man sie aufnehmen: in der regnerischen Nacht fuhr sie von einem zu dem andern, bis ihr endlich ein entfernt wohnen- der Gastwirth, dem man keine Befehle zukommen lassen, noch einmal Herberge gab. Vergebens erbot sich Cardinal Caraffa sich ins Gefaͤngniß zu stellen und Rechenschaft ab- zulegen. Die Schweizergarde bekam Befehl, nicht allein ihn, sondern alle, die irgend in seinem Dienste gewesen, zuruͤckzuweisen. Nur eine einzige Ausnahme machte der Papst. Den Sohn Montorio’s, den er liebte, den er schon in seinem 18ten Jahre zum Cardinal ernannt, be- hielt er bei sich und betete mit ihm seine Horen. Aber niemals durfte der junge Mensch der Verwiesenen erwaͤh- nen: wie viel weniger eine Fuͤrbitte fuͤr sie wagen: er durfte selbst mit seinem Vater keine Gemeinschaft haben: das Ungluͤck, das sein Haus erlitten, ergriff ihn darum nur um so tiefer: was ihm nicht in Worten auszudruͤcken Paul IV. erlaubt wurde, stellte sich in seinem Gesicht, in seiner Ge- stalt dar Bei Pallavicini, vornehmlich aber bei Bromato findet man hieruͤber genuͤgende Mittheilungen. In unseren Berliner Informationi befindet sich noch Bd. VIII. ein Diario d’alcune attioni piu nota- bili nel pontificato di Paolo IV. l’anno 1558 sino alla sua morte, — (vom 10. Sept. 1558 an) das keinem von beiden bekannt war, aus eigener Anschauung geflossen ist, und mir noch neue No- tizen gewaͤhrt hat. . Und sollte man nicht glauben, daß diese Ereignisse auch auf die Stimmung des Papstes zuruͤckwirken wuͤrden? Es war, als waͤre ihm nichts geschehen. Gleich da- mals als er in dem Consistorium mit gewaltiger Bered- samkeit die Sentenz gesprochen, als die meisten Cardinaͤle von Erstaunen und Schrecken gefesselt worden, schien er seinerseits nichts zu empfinden: er ging ohne weiteres zu anderen Geschaͤften uͤber. Die fremden Gesandten waren verwundert, wenn sie seine Haltung beobachteten. „In so ploͤtzlichen durchgreifenden Veraͤnderungen,“ sagt man von ihm, „in der Mitte von lauter neuen Ministern und Dienern haͤlt er sich standhaft, hartnaͤckig, unangefochten: Mitleid fuͤhlt er nicht, er scheint keine Erinnerung an die Seinigen uͤbrig behalten zu haben.“ Einer ganz andern Leidenschaft uͤberließ er sich nunmehr. Gewiß, auf immer bedeutend ist diese Umwand- lung. Der Haß gegen die Spanier, die Idee, der Be- freier Italiens werden zu koͤnnen, hatte auch Paul IV. zu weltlichen Bestrebungen fortgerissen, Begabung der Nepo- ten mit kirchlichen Landschaften, Erhebung eines Solda- ten zur Verwaltung selbst der geistlichen Geschaͤfte, Feind- seligkeiten, Blutvergießen. Die Ereignisse zwangen ihn, diese Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Idee aufzugeben, jenen Haß zu unterdruͤcken; damit oͤff- neten sich ihm allmaͤhlig auch die Augen fuͤr das tadelns- werthe Verhalten seiner Angehoͤrigen: mit heftiger Gerech- tigkeit, in innerm Kampf entledigte er sich ihrer: von Stund an kehrte er dann zu seinen alten reformatorischen Absichten zuruͤck; er fing an zu regieren, wie man gleich anfangs vermuthet hatte, daß er thun werde: mit gleicher Leidenschaft, wie bisher Feindseligkeiten und Krieg, trieb er nun die Reform des Staates und hauptsaͤchlich der Kirche. Die weltlichen Geschaͤfte wurden von oben bis unten andern Haͤnden anvertraut. Die bisherigen Podestas und Governatoren verloren ihre Stellen: wie dieß geschah, war doch zuweilen auch sehr besonders. In Perugia erschien der neuernannte Governatore bei Nacht: ohne den Tag abzuwar- ten, ließ er die Anzianen zusammenrufen: in ihrer Mitte zog er seine Beglaubigung hervor und befahl ihnen, den bisherigen Governator, der mit zugegen war, unverzuͤglich gefangen zu nehmen. Seit undenklichen Zeiten war nun Paul IV. der erste Papst, der ohne Nepoten regierte. An ihre Stelle traten Cardinal Carpi und Camillo Orsino, die schon un- ter Paul III. so viel vermocht. Auch der Sinn der Re- gierung ward veraͤndert. Nicht unbedeutende Summen wurden erspart und an den Steuern erlassen; es wurde ein Kasten aufgestellt, in den Jedermann seine Beschwerden werfen konnte, zu dem der Papst allein den Schluͤssel hatte: taͤglichen Bericht erstattete der Governator; mit groͤ- ßerer Sorgfalt und Ruͤcksicht, und ohne die alten Miß- braͤuche ging man zu Werke. Paul IV. Hatte der Papst auch unter den bisherigen Bewegun- gen die Reform der Kirche niemals aus den Augen verlo- ren, so widmete er sich ihr doch nun mit vollerem Eifer und freierem Herzen. In den Kirchen fuͤhrte er eine strengere Disciplin ein: er verbot alles Betteln, selbst das Almosen- sammeln der Geistlichen fuͤr die Messe: er entfernte die an- stoͤßigen Bilder: man hat eine Medaille auf ihn geschla- gen, mit dem geißelnden Christus, der den Tempel saͤu- bert. Die ausgetretenen Moͤnche verjagte er aus Stadt und Staat. Den Hof noͤthigte er, die Fasten ordentlich zu halten, und Ostern mit dem Abendmahl zu feiern. Mußten doch die Cardinaͤle zuweilen predigen! Er selbst predigte. Viele Mißbraͤuche, welche Gewinn brachten, suchte er abzustellen. Von Ehedispensen und ihrem Ertrag wollte er nichts mehr wissen. Eine Menge Stellen, welche bisher immer verkauft worden, auch die Chiericati di Ca- mera Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. erwaͤhnt sie besonders. Der Papst sagte: che simili offici d’amministratione e di giu- stitia conveniva che si dassero a persone che li facessero, e non venderli a chi avesse occasion di volerne cavare il suo danaro. , wollte er ins Kuͤnftige nur nach dem Verdienste der Person vertheilen. Wie viel mehr sah er auf Wuͤr- digkeit und kirchliche Gesinnung bei der Verleihung geist- licher Aemter. Jene Recesse, wie sie noch immer gebraͤuch- lich waren, so daß Einer die Pflichten verwaltete, und Ein Andrer den besten Ertrag der Guͤter genoß, duldete er nicht laͤnger. Auch hegte er die Absicht, den Bischoͤ- fen viele von den ihnen entzogenen Rechten zuruͤckzugeben: Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . die Gierigkeit, mit der man alles nach Rom gezogen, fand er hoͤchst tadelnswuͤrdig Bromato II, 483. . Nicht allein abschaffend, negativ verhielt er sich: er suchte auch den Gottesdienst mit groͤßerem Pomp zu um- geben: das Bekleiden der sixtinischen Capelle, die feierliche Darstellung des Grabmahls schreiben sich von ihm her Mocenigo Relatione di 1560. Nelli officii divini poi e nelle cerimonie procedeva questo pontefice con tanta gravità e devotione che veramente pareva degnissimo vicario di Gesu Christo. Nelle cose poi della religione si prendeva tanto pensiero et usava tanta diligentia che maggior non si poteva desiderare. . Es giebt ein Ideal des modern-katholischen Gottesdien- stes, voll Wuͤrde, Devotion und Pracht, das auch ihm vorschwebte. Keinen Tag, wie er sich ruͤhmte, ließ er voruͤberge- hen, ohne einen auf die Wiederherstellung der Kirche zu ihrer urspruͤnglichen Reinheit bezuͤglichen Erlaß bekannt zu machen. In vielen seiner Decrete erkennt man die Grund- zuͤge zu den Anordnungen, denen bald nachher das triden- tinische Concilium seine Sanction gab Mocenigo. Papa Paolo IV. andava continuamente facendo qualche nova determinatione e riforma e sempre diceva prepa- rare altre, acciò che restasse manco occasione e menor necessità di far concilio. . Wie man erwarten kann, zeigte er auch in dieser Rich- tung die ganze Unbeugsamkeit, die ihm von Natur ei- gen war. Vor allen andern Instituten beguͤnstigte er die Inqui- sition, die er ja selbst hergestellt hatte. Oft ließ er die Tage Paul IV. Tage voruͤbergehn, die fuͤr Segnatura und Consistorium be- stimmt waren: niemals aber den Donnerstag, an welchem sich die Congregation der Inquisition vor ihm versammelte. Auf das schaͤrfste wollte er diese gehandhabt wissen. Er un- terwarf ihr noch neue Verbrechen: er gab ihr das grausame Recht, auch zur Ermittelung der Mitschuldigen die Tortur anzuwenden: bei ihm galt kein Ansehn der Person: die vor- nehmsten Barone zog er vor dieß Gericht; Cardinaͤle, wie Morone und Foscherari, die fruͤherhin selbst waren gebraucht worden, um den Inhalt bedeutender Buͤcher, z. B. der geistlichen Uebungen des Ignatius zu pruͤfen, ließ er jetzt, weil ihm Zweifel an ihrer eigenen Rechtglaͤubigkeit auf- gestiegen, ins Gefaͤngniß werfen. Das Fest San Dome- nico richtete er zu Ehren dieses großen Inquisitors ein. Und so bekam die geistlich-strenge, restauratorische Richtung des Papstthums das Uebergewicht. Paul IV. schien fast vergessen zu haben, daß er je eine andere gehegt; das Andenken an die verflossenen Zei- ten war in ihm erloschen. Er lebte und webte in seinen Reformen, in seiner Inquisition, gab Gesetze, nahm gefan- gen, excommunicirte, und hielt Auto da Fe’s. Endlich, wie ihn eine Krankheit, keine andere, als die auch ei- nem Juͤngern den Tod haͤtte bringen koͤnnen, niederwirft, beruft er die Cardinaͤle noch einmal, empfiehlt seine Seele ihrem Gebet, ihrer Sorgfalt den heiligen Stuhl und die Inquisition: noch einmal will er sich zusammennehmen und aufrichten. Da versagen ihm die Kraͤfte, er sinkt hin und stirbt (18. Aug. 1559). Darin wenigstens sind diese entschiedenen, leidenschaft- 20 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . lichen Menschen gluͤcklicher als das schwaͤchere Geschlecht. Ihre Sinnesweise verblendet sie, aber sie staͤhlt sie auch und macht sie in sich selber unuͤberwindlich. Nicht so geschwind aber, wie der Papst selbst, vergaß das Volk was es unter ihm gelitten. Es konnte ihm den Krieg nicht vergeben, den er uͤber Rom gebracht; daß er die Nepoten entfernt, die man allerdings haßte, war noch nicht genug fuͤr die Menge. Bei seinem Tode versammel- ten sich die Einen auf dem Capitol und beschlossen, weil er sich um die Stadt und den Erdkreis uͤbel verdient ge- macht, seine Denkmale zu vernichten. Andere pluͤnderten das Gebaͤude der Inquisition, legten Feuer an, und mißhan- delten die Diener des Gerichts. Auch das Dominicaner- kloster bei der Minerva wollte man mit Gewalt abbren- nen. Die Colonna, Orsini, Cesarini, Massimi, alle von Paul IV. toͤdtlich beleidigt, nahmen Theil an diesen Tu- multen. Die Bildsaͤule, die man dem Papst errichtet, ward von ihrem Postament gerissen, zerschlagen, und der Kopf derselben mit der dreifachen Krone durch die Straßen geschleift Mocenigo. Viddi il popolo correr in furia verso la casa di Ripetta deputata per le cose dell’ inquisitione, metter a sacco tutta la robba, ch’era dentro, si di vittualie come d’altra robba che la maggior parte era del R mo. C l. Alessandrino som- mo inquisitore, trattar male con bastonate e ferite tutti i mi- nistri dell’ inquisitione, levar le scritture gettandole a refuso per la strada e finalmente poner foco in quella casa. I frati di S. Domenico erano in tant’ odio a quel popolo che in ogni modo volevan abbruciar il monastero della Minerva. Er giebt dann an, daß der Adel dabei am meisten Schuld gewesen. Uebrigens hatten in Perugia aͤhnliche Tumulte Statt. . Wie gluͤcklich aber waͤre das Papstthum zu preisen ge- Paul IV. wesen, haͤtte es keine andere Reaction gegen die Unterneh- mungen Pauls IV. erfahren. Bemerkung über den Fortgang des Protestantismus waͤhrend dieser Regierung. Wir sahen, wie jene fruͤhere Entzweiung des Papst- thums mit der kaiserlichen der spanischen Macht vielleicht mehr als jedes andere aͤußere Ereigniß zur Gruͤndung des Protestantismus in Deutschland beitrug. Dennoch hatte man eine zweite nicht vermieden, die nun noch umfassen- dere Wirkungen in groͤßeren Kreisen entwickelte. Als ihren ersten Moment koͤnnen wir jene Abberu- fung der paͤpstlichen Truppen von dem kaiserlichen Heere, die Translation des Conciliums betrachten. Gleich da er- schien auch ihre Bedeutung. Der Unterdruͤckung der Pro- testanten hat nichts ein so wesentliches Hinderniß in den Weg gelegt, als das Thun und Lassen Pauls III. in je- nem Zeitpunkt. Ihre welthistorischen Erfolge hatten aber die Maaßre- geln dieses Papstes erst nach seinem Tode. Die Verbin- dung mit Frankreich, in die er seine Nepoten brachte, ver- anlaßte einen allgemeinen Krieg. Einen Krieg, in welchem nicht allein die deutschen Protestanten einen ewig denkwuͤrdigen Sieg erkaͤmpften, durch den sie vor Concilium, Kaiser und Papst auf immer ge- sichert wurden, sondern in welchem auch, schon unmittel- bar durch die deutschen Soldaten, die zu beiden Seiten fochten, und von dem Kriegsgetuͤmmel, das keine strenge 20* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Aufsicht gestattete, beguͤnstigt, die neuen Meinungen in Frankreich und den Niederlanden gewaltig vordrangen. Paul IV. bestieg den roͤmischen Stuhl. Er haͤtte die- sen Gang der Dinge ins Auge fassen, und vor allem den Frieden herstellen sollen. Aber mit blinder Leidenschaft stuͤrzte er sich in die Bewegung. Und so mußte ihm, dem heftigsten Zeloten, begegnen, daß er selber die Ausbreitung des Protestantismus, den er haßte, verabscheute und ver- folgte, mehr, als vielleicht irgend Einer seiner Vorgaͤnger, befoͤrderte. Erinnern wir uns nur seiner Einwirkung auf Eng- land! Der erste Sieg der neuen Meinungen in diesem Lande war lange nicht vollkommen: es bedurfte nur eines Ruͤck- trittes der Staatsgewalt, nichts weiter brauchte es noch als eine katholische Koͤnigin, um das Parlament zu einer neuen Unterwerfung der Kirche unter den Papst zu bestim- men. Aber freilich mußte Dieser nun mit Maͤßigung ver- fahren; den aus den Neuerungen hervorgegangenen Zustaͤn- den durfte er nicht geradezu den Krieg machen. Wohl sah das Julius III. ein. Gleich der erste paͤpstliche Abgeord- nete bemerkte Lettere di M r. Henrico Nov. 1553. In einem Ms., be- titelt Lettere e negotiati di Polo, welches noch manchen Moment fuͤr diese Geschichte enthaͤlt. Ueber die Verhandlung Pallavicini XIII, 9, 411. , wie wirksam das Interesse der eingezo- genen geistlichen Guͤter war: Julius faßte den großarti- gen Entschluß, nicht auf ihre Ruͤckgabe zu dringen. In der That durfte der Legat England nicht eher betreten, als Paul IV. bis er hieruͤber genuͤgende Versicherungen geben konnte. Sie bildeten die Grundlage seiner ganzen Wirksamkeit Er trug kein Bedenken, die bisherigen Besitzer anzuerken- nen. Litterae dispensatoriae C lis. Poli. Concilia M. Britanniae IV, 112. . Nun aber hatte er auch den groͤßten Succeß. Es war Regi- nald Poole, den wir kennen, unter allen damals lebenden Menschen wohl Derjenige, der sich am meisten eignete, fuͤr die Herstellung des Katholicismus in England zu ar- beiten: uͤber allen Verdacht unlauterer Absichten erhaben, verstaͤndig, gemaͤßigt, als ein Eingeborner von hohem Rang bei Koͤnigin, Adel und Volk gleich angesehen. Ueber alles Erwarten ging das Unternehmen von Statten. Pauls IV. Thronbesteigung war mit der Ankunft englischer Gesandten bezeichnet, die ihn der Obedienz dieses Landes versicherten. Paul IV. hatte sie nicht zu erwerben, nur zu be- haupten. Betrachten wir, welche Maaßregeln er in dieser Lage ergriff. Er erklaͤrte die Zuruͤckgabe der geistlichen Guͤter fuͤr eine unerlaͤßliche Pflicht, deren Hintansetzung die Strafe der ewigen Verdammniß nach sich ziehe: er vermaß sich auch den Peterspfennig wieder einsammeln zu lassen Er lebte und webte damals in diesen Ideen. Er publicirte seine Bulle Rescissio alienationum (Bullarium IV, 4, 319), in der er alle Veraͤußerungen der alten Kirchenguͤter uͤberhaupt aufhob. . — Aber uͤberdieß, konnte etwas ungeeigneter seyn fuͤr die Vollendung der Reduction, als daß er den Fuͤrsten, der doch zugleich Koͤnig von England war, Philipp II. , so leidenschaftlich befehdete? An der Schlacht von Sanct Quintin, die auch fuͤr Italien so wichtig wurde, nahmen Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . englische Kriegsvoͤlker Theil. — Endlich den Cardinal Poole, den er nun einmal nicht leiden konnte, verfolgte er, be- raubte ihn der Legaten-Wuͤrde, die nie ein Anderer zu groͤßerem Vortheil des h. Stuhles verwaltet hatte, und setzte einen ungeschickten, von den Jahren gebeugten, aber in seinen Meinungen heftigeren Moͤnch an die Stelle des- selben Auch Goodwin Annales Angliae etc. p. 456. . Waͤre es die Aufgabe Pauls IV. gewesen, das Werk der Wiederherstellung zu hintertreiben, so haͤtte er sich nicht anders betragen koͤnnen. Kein Wunder, wenn nun nach dem unerwartet fruͤ- hen Tode sowohl der Koͤnigin als des Legaten die entge- gengesetzten Tendenzen sich aufs neue gewaltig erhoben. Die Verfolgungen, welche von Poole verdammt, aber von den scharfsinnigen Gegnern desselben gebilligt worden, tru- gen unendlich dazu bei. Jedoch auch dann ward die Frage dem Papste noch einmal vorgelegt. Sie forderte um so bedaͤchtigere Erwaͤ- gung, da sie ohne Zweifel Schottland mitbegriff. Auch hier waren die religioͤsen Parteien in heftigem Kampf mit einander: wie die Sache sich in England festsetzte, mußte auch die Zukunft Schottlands bestimmen. Wie wichtig war es nun, daß Elisabeth in ihren Anfaͤngen sich keinesweges voͤllig protestantisch zeigte Noch Nares: Memoirs of Burgley II, p. 43 findet ihre religioͤsen Grundsaͤtze „at first liable to some doubts.“ , daß sie dem Papst ihre Thronbesteigung notificiren ließ. Ueber eine Vermaͤhlung Philipps II. mit ihr ward wenig- stens unterhandelt, und sie war der damaligen Welt sehr Paul IV. wahrscheinlich. Man sollte glauben, nichts habe einem Papst erwuͤnschter seyn koͤnnen. Aber Paul IV. kannte keine Maͤßigung. Dem Ge- sandten der Elisabeth gab er eine zuruͤckschreckende, schnoͤde Antwort. „Sie muͤsse,“ sagte er, „vor allem ihre An- spruͤche seinem Urtheil uͤberlassen.“ Man glaube nicht, daß ihn die Consequenz des apo- stolischen Stuhles allein hierzu bewogen. Es gab noch einige andere Motive. Die Franzosen wuͤnschten aus Staats- eifersucht jene Vermaͤhlung zu hintertreiben. Sie wußten sich der Frommen, der Theatiner zu bedienen, um dem alten Papst vorstellen zu lassen, Elisabeth sey doch im Herzen protestantisch, und jene Vermaͤhlung werde nie etwas Gu- tes stiften Eigenthuͤmliche Nachricht des Thuanus. . Das groͤßte Interesse hierbei hatten die Guisen. Wenn Elisabeth von dem paͤpstlichen Stuhle ver- worfen ward, so bekam die Tochter ihrer Schwester, Ma- ria Stuart, Dauphine von Frankreich, Koͤnigin von Schott- land, die naͤchsten Anspruͤche auf England: die Guisen durften hoffen, in deren Namen uͤber alle drei Reiche zu gebieten. In der That nahm diese Fuͤrstin die englischen Wappen an: sie unterzeichnete ihre Edicte bereits nach den Jahren ihrer Regierung in England und Irland: man machte Kriegsanstalten in den schottischen Haͤfen In Forbes Transactions findet sich p. 402 eine respon- sio ad Petitiones D. Glasion et episc. Aquilani, von Cecill, wel- cher alle diese Motive aufs lebhafteste hervorhebt. . Haͤtte Elisabeth nicht von selbst dahin geneigt, so waͤre sie durch die Umstaͤnde genoͤthigt gewesen, sich in den Pro- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . testantismus zu werfen. Sie that es auf das entschlos- senste. Es gelang ihr, ein Parlament mit einer protestan- tischen Majoritaͤt zu Stande zu bringen Neal: History of the Puritans I, 126. The court took such mesures, about elections, as seldom fail of success. , durch welches in wenigen Monaten alle Veraͤnderungen getroffen wurden, die den Charakter der englischen Kirche wesentlich aus- machen. Von dieser Wendung der Dinge ward denn auch Schottland mit Nothwendigkeit betroffen. Den Fortschrit- ten der katholisch-franzoͤsischen Partei setzte sich hier eine na- tionale, protestantische entgegen. Elisabeth zauderte nicht sich mit der letzten zu verbinden. Hat doch der spanische Botschafter selbst sie darin bestaͤrkt! Camden: Rerum Anglicarum Annales p. 37. Der Bund von Berwick, den sie mit der schottischen Opposition schloß, gab dieser das Uebergewicht. Noch ehe Maria Stuart ihr Koͤ- nigreich betrat, mußte sie nicht allein auf den Titel von England verzichten, sondern auch die Beschluͤsse eines im protestantischen Sinne versammelten Parlaments bestaͤtigen, Beschluͤsse, von denen einer die Messe bei Todesstrafe ab- schaffte. Und so war es zum guten Theil eine Reaction gegen die von dem Papste beguͤnstigten franzoͤsischen Anspruͤche, was den Sieg des Protestantismus in Großbritannien auf immer feststellte. Nicht etwa als ob die innern Antriebe der Protestan- tischgesinnten von diesen politischen Bewegungen abgehan- gen haͤtten; sie hatten eine bei weitem tiefere Begruͤndung; Paul IV. aber in der Regel trafen die den Ausbruch, Fortgang und die Entscheidung des Kampfes herbeifuͤhrenden Momente mit den politischen Verwickelungen genau zusammen. Selbst auf Deutschland hatte eine Maaßregel Pauls IV. noch einmal vielen Einfluß. Daß er sich in alter Ab- neigung gegen das Haus Oestreich der Uebertragung der kaiserlichen Krone widersetzte, noͤthigte Ferdinand I. , auf die Erhaltung seiner Freundschaft mit protestantischen Ver- buͤndeten noch mehr Ruͤcksicht zu nehmen, als bisher. Seitdem war es eine Vereinigung der gemaͤßigten Fuͤrsten von beiden Seiten, welche Deutschland leitete, unter deren Einflusse sich zunaͤchst der Uebergang niederdeutscher Stif- ter an protestantische Verwaltungen vollzog. Es schien, als sollte das Papstthum keinen Nachtheil erfahren, ohne durch seine politischen Bestrebungen auf eine oder die andere Weise selbst dazu beigetragen zu haben. Ueberblicken wir aber in diesem Moment einmal von der Hoͤhe von Rom aus die Welt, wie ungeheuer waren die Verluste, welche das katholische Bekenntniß erlitten hatte! Scandinavien und Britannien abgefallen: Deutsch- land fast durchaus protestantisch: Polen und Ungarn in starker Gaͤhrung: Genf fuͤr den Westen und die romani- sche Welt ein so bedeutender Mittelpunkt, wie Wittenberg fuͤr den Osten und die germanischen Voͤlker: schon erhob sich wie in den Niederlanden, so in Frankreich eine Partei unter den Fahnen des Protestantismus. Nur Eine Hoffnung hatte der katholische Glaube noch. In Spanien und Italien waren die Regungen abweichen- der Lehren gedaͤmpft und erdruͤckt worden: eine restaurirende Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . streng kirchliche Meinung hatte sich erhoben. So nachthei- lig auch die Staatsverwaltung Pauls IV. uͤbrigens war, so hatte sie doch zuletzt dieser Richtung auch am Hofe und im Pallast das Uebergewicht verschafft. Die Frage war, ob sie sich hier ferner erhalten, ob sie die ganze katholi- sche Welt zu durchdringen und zu vereinigen vermoͤgen wuͤrde. Pius IV. Man erzaͤhlt, einst bei einem Gastmahl von Cardinaͤ- len habe Alessandro Farnese einem Knaben, der zur Lyra zu improvisiren verstand, einen Kranz gegeben, um ihn Dem- jenigen von ihnen zu uͤberreichen, der einmal Papst werden wuͤrde. Der Knabe, Silvio Antoniano, spaͤter ein nam- hafter Mann und selber Cardinal, sey augenblicklich zu Johann Angelo Medici herangetreten und das Lob dessel- ben anstimmend habe er ihm den Kranz gewidmet. Dieser Medici ward Pauls Nachfolger, Pius IV. Nicius Erythraͤus erzaͤhlt diese Anekdote in dem Artikel uͤber Antoniano Pinacotheca p. 37. Auch Mazzuchelli wieder- holt sie. — Die Wahl 26. Dez. 1559. . Er war von geringer Herkunft. Erst sein Vater Ber- nardin war nach Mailand gezogen, und hatte sich durch Staatspachtungen ein kleines Vermoͤgen erworben Hieronymo Soranzo Relatione di Roma. Bernardino patre della B. S. Fu stimata persona di somma bontà e di gran industria ancora che fusse nato in povero e basso stato: non- . Die Pius IV. Soͤhne mußten sich jedoch noch ziemlich aͤrmlich behelfen: der eine, Giangiacomo, der sich dem Soldatenstand wid- mete, nahm anfangs Dienste bei einem Edelmann: der andere, eben unser Johann Angelo, studirte, aber unter sehr beschraͤnkten Verhaͤltnissen. Ihr Gluͤck hatte folgen- den Ursprung. Giangiacomo, verwegen und unterneh- mend von Natur, ließ sich von den damaligen Gewalt- habern in Mailand brauchen, einen ihrer Gegner, einen Visconti, Monsignorin genannt, auf die Seite zu schaf- fen. Kaum war aber der Mord vollbracht, so wollten die, welche ihn veranstaltet, sich auch des Werkzeugs ent- ledigen, und schickten den jungen Mann nach dem Schlosse Mus, am Comer See, mit einem Schreiben an den Ca- stellan, worin sie diesem auftrugen, den Ueberbringer zu toͤdten. Giangiacomo schoͤpfte Verdacht, oͤffnete den Brief, sah was man ihm vorbereitet hatte, und war sofort ent- schlossen. Er waͤhlte sich einige zuverlaͤssige Begleiter: durch den Brief verschaffte er sich Eingang: es gelang ihm sich des Schlosses zu bemaͤchtigen. Seitdem betrug er sich hier als ein unabhaͤngiger Fuͤrst: Mailaͤnder, Schweizer und Venezianer hielt er von diesem festen Punct aus in unaufhoͤrlicher Bewegung: endlich nahm er das weiße Kreuz und trat in kaiserliche Dienste. Er ward zum Marchese von Marignano erhoben: er diente als Chef der Artillerie in dem Kriege gegen die Lutheraner: und fuͤhrte das kai- serliche Heer vor Siena an Ripamonte Historiae urbis Mediolani. Natalis Comes Hist. . Eben so klug wie verwe- dimeno venuto habitar a Milano si diede a pigliar datii in affitto. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . gen, gluͤcklich in allen seinen Unternehmungen, ohne Erbar- men: wie manchen Bauer, der Lebensmittel nach Siena schaffen wollte, hat er selbst mit seinem eisernen Stab er- schlagen: es war weit und breit kein Baum, an dem er nicht Einen hatte aufhaͤngen lassen: man zaͤhlte 5000, die er umbringen ließ. Er eroberte Siena und gruͤndete ein angesehenes Haus. Mit ihm war nun auch sein Bruder Johann Angelo emporgekommen. Er wurde Doctor und erwarb sich Ruf als Jurist: dann kaufte er sich zu Rom ein Amt: er ge- noß bereits das Vertrauen Pauls III. , als der Marchese eine Orsina heurathete, die Schwester der Gemahlin Peter Ludwig Farnese’s Soranzo. Nato 1499, si dottorò 1525 vivendo in studio cosi strettamente che il Pasqua suo medico che stava con lui a dozena l’accommodò un gran tempo del suo servitore e di qual- che altra cosa necessaria. Del 1527 comprò un protonotariato Servendo il Cl. Farnese (Ripamonte gedenkt seines guten Verhaͤlt- nisses zu Paul III. selbst) colla piu assidua diligenza s’andò met- tendo inanzi; ebbe diversi impieghi dove acquistò nome di per- sona integra e giusta e di natura officiosa. Die Heurath des Marchese erfolgte con promessa, di far lui cardinale. . Hierauf wurde er Cardinal. Seit- dem finden wir ihn mit der Verwaltung paͤpstlicher Staͤdte, der Leitung politischer Unterhandlungen, mehr als einmal mit dem Commissariat paͤpstlicher Heere beauftragt. Er zeigte sich gewandt, klug und gutmuͤthig. Nur Paul IV. konnte ihn nicht leiden, und fuhr einst in dem Consisto- rium heftig auf ihn los. Medici hielt es fuͤr das Beste, Rom zu verlassen. Bald in den Baͤdern zu Pisa, bald in Mailand, wo er viel baute, hatte er sich durch litera- rische Beschaͤftigungen und eine glaͤnzende Wohlthaͤtigkeit, Pius IV. die ihm den Namen eines Vaters der Armen verschaffte, sein Exil zu erleichtern gewußt. Vielleicht, daß grade der Gegensatz, in dem er sich zu Paul IV. befunden, jetzt das Meiste zu seiner Wahl beitrug. Auffallender als sonst war dieser Gegensatz. Paul IV. , ein vornehmer Neapolitaner von der anti- oͤstreichischen Faction, zelotisch, Moͤnch und Inquisitor: Pius IV. , ein mailaͤndischer Emporkoͤmmling, durch seinen Bruder und einige deutsche Verwandte enge an das Haus Oestreich geknuͤpft, Jurist, lebenslustig und weltlich gesinnt. Paul IV. hatte sich unzugaͤnglich gehalten: in seiner ge- ringsten Handlung wollte er Wuͤrde und Majestaͤt zeigen: Pius war lauter Guͤte und Herablassung. Taͤglich sah man ihn zu Pferde oder zu Fuß auf der Straße, fast ohne Begleitung: er redete leutselig mit Jedermann. Wir ler- nen ihn aus den venezianischen Depeschen kennen Ragguagli dell’ Ambasciatore Veneto da Roma 1561. Von Me. Anton Amulio (Mula) Inf. Politt. XXXVII. . Die Gesandten treffen ihn, indem er in einem kuͤhlen Saale schreibt und arbeitet: er steht auf und geht mit ihnen auf und ab: oder indem er sich nach dem Belvedere begeben will: er setzt sich, ohne den Stock aus der Hand zu le- gen, hoͤrt ihr Vorbringen ohne Weiteres an: und macht dann in ihrer Begleitung seinen Weg. Geht er nun mit ihnen vertraulich um, so wuͤnscht auch er mit Gewandt- heit und Ruͤcksicht behandelt zu seyn. Die geschickte Aus- kunft, die ihm zuweilen die Venezianer vorschlagen, macht ihm Vergnuͤgen: laͤchelnd lobt er sie: so gut oͤstreichisch er gesinnt ist, so verdrießen ihn doch die unbeugsamen und ge- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . bieterischen Manieren des spanischen Botschafters Vargas. Ungern laͤßt er sich mit Einzelnheiten uͤberhaͤufen: sie ermuͤ- den ihn leicht: aber wenn man bei dem Allgemeinen, dem Wichtigen stehen bleibt, findet man ihn immer wohlgelaunt und leicht zu behandeln. Er ergießt sich dann in tausend traulichen Versicherungen, wie er die Boͤsen von Herzen hasse, von Natur die Gerechtigkeit liebe, Niemanden in seiner Freiheit verletzen, Jedermann Guͤte und Freundlich- keit beweisen wolle: besonders aber denke er fuͤr die Kirche aus allen seinen Kraͤften zu wirken: er hoffe zu Gott, er werde etwas Gutes vollbringen. Man wird sich ihn leb- haft vergegenwaͤrtigen koͤnnen, einen wohlbeleibten alten Mann, der indeß noch ruͤhrig genug ist, um vor Sonnen- aufgang auf seinem Landhause anzukommen, mit heiterem Gesicht und munterem Auge: Gespraͤch, Tafel und Scherz vergnuͤgen ihn; von einer Krankheit wieder hergestellt, die man fuͤr gefaͤhrlich gehalten hat, setzt er sich sogleich zu Pferde, reitet nach der Behausung, die er als Cardinal be- wohnte, schreitet ruͤstig Treppe auf Treppe ab: nein, nein! ruft er, wir wollen noch nicht sterben. War nun aber auch ein solcher Papst, so lebenslustig und weltlichgesinnt, dazu geeignet, die Kirche in der schwie- rigen Lage, in der sie sich befand, zu verwalten? Mußte man nicht fuͤrchten, er werde von der kaum in den letzten Zeiten seines Vorgaͤngers eingeschlagenen Richtung wieder abweichen? Seine Natur, ich will es nicht leugnen, mag dahin geneigt haben, doch geschah es nicht. Er fuͤr seine Person hatte kein Wohlgefallen an der Inquisition; er tadelte die moͤnchische Haͤrte des Verfah- Pius IV. rens: selten oder nie besuchte er die Congregation; aber sie anzutasten wagte er auch nicht: er erklaͤrte, er verstehe nichts davon: er sey nicht einmal Theologe: er ließ ihr die ganze Gewalt, die sie unter Paul IV. bekommen Soranzo. Se bene si conobbe, non esser di sua satisfa- tione il modo che tengono gl’ inquisitori di procedere per l’or- dinario con tanto rigore contra gli inquisiti, e che si lascia in- tendere che piu li piaceria che usassero termini da cortese gen- tiluomo che da frate severo, non dimeno non ardisce o non vuole mai opponersi ai giuditii loro. . An den Nepoten dieses Papstes statuirte er ein furcht- bares Exempel. Die Excesse, die der Herzog von Palliano auch nach seinem Falle beging, — er brachte aus Eifer- sucht seine eigene Frau um — machte den Feinden der Ca- raffen, die nach Rache duͤrsteten, leichtes Spiel. Es ward ein peinlicher Proceß gegen sie eingeleitet: der abscheulich- sten Verbrechen, Raͤubereien, Mordthaten, Verfaͤlschungen und uͤberdieß einer sehr eigenmaͤchtigen Staatsverwaltung, fortwaͤhrenden Betrugs jenes armen alten Pauls IV. wurden sie angeklagt. Wir haben ihre Verantwortung: sie ist gar nicht ohne Schein von Rechtfertigung abgefaßt Bei Bromato findet sich hauptsaͤchlich aus Nores ausfuͤhr- liche Notiz von diesen Vorfaͤllen. In den Informatt. finden wir noch die Briefe des Mula z. B. 19. Juli 1560. den Extractus pro- cessus cardinalis Caraffae, und el sucesso de la muerte de los Carrafas con la declaracion y el modo, que murieron. La morte del C l. Caraffa (Bibl. zu Ven. VI, nr. 39) ist das Ms. , das Bro- mato noch außer dem Nores vor sich hatte. . Aber ihre Anklaͤger behielten das Uebergewicht. Nachdem der Papst sich eines Tages von fruͤh bis gegen Abend, in dem Consistorium die Acten hatte vorlesen lassen, sprach er das Todesurtheil Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . uͤber sie: den Cardinal, den Herzog von Palliano und zwei ihrer naͤchsten Verwandten, den Grafen Aliffe und Leonardo di Cardine. Montebello und einige Andere waren entflo- hen. Der Cardinal hatte vielleicht Verweisung, niemals hatte er die Todesstrafe erwartet. Als sie ihm angekuͤn- digt wurde — eines Morgens, er lag noch zu Bett — als ihm jeder Zweifel benommen war, verhuͤllte er sich einige Augenblicke iu die Decke: dann, indem er sich erhob, schlug er die Haͤnde zusammen und rief jenes schmerzliche Wort aus, das man in Italien in verzweifelten Faͤllen hoͤrt: Wohlan! Geduld! Man gestattete ihm seinen gewohnten Beichtvater nicht: dem, welchen man schickte, hatte er, wie sich leicht begreift, viel zu sagen: und es dauerte etwas lange. „Monsignore, macht ein Ende,“ rief der Polizei- beamte: „wir haben noch andere Geschaͤfte.“ So kamen diese Nepoten um. Es sind die letzten, die nach unabhaͤngigen Fuͤrstenthuͤmern getrachtet: und um politischer Zwecke willen große Weltbewegungen hervor- gerufen haben. — Seit Sixtus IV. begegnen wir ihnen. Hieronymo Riario, Cesar Borgia, Lorenzo Medici, Pier- luigi Farnese; — die Caraffas sind die letzten. Es haben sich spaͤter andere Nepotenfamilien gebildet, doch in einem ganz anderen Sinne. In dem bisherigen hat es keine wei- ter gegeben. Wie haͤtte auch namentlich Pius IV. nach einer so gewaltsamen Execution daran denken koͤnnen, den seinigen eine Gewalt zu verstatten, wie die gewesen, die er an den Caraffen so unerbittlich heimgesucht hatte? Ohnehin, als ein von Natur lebhaft regsamer Mann, wollte er selber re- gie- Pius IV. gieren: die wichtigen Geschaͤfte entschied er nur nach eige- nem Ermessen: an ihm tadelte man eher, daß er sich zu wenig nach fremdem Beistand umsehe. Dazu kam, daß von seinen Neffen derjenige, welchen er zu befoͤrdern haͤtte in Versuchung kommen koͤnnen, Friedrich Borromeo, in fruͤhen Jahren hinstarb. Der andere, Carl Borromeo, war kein Mann fuͤr weltliche Erhebung: er haͤtte sie niemals ange- nommen. Carl Borromeo sah seine Stellung zu dem Papst, das Verhaͤltniß in das er hierdurch zu den wichtigsten Geschaͤften kam, nicht mehr als ein Recht an, sich etwas zu erlauben, sondern als eine Pflicht, der er sich mit aller Sorgfalt zu widmen habe. Mit eben so viel Bescheiden- heit als Ausdauer that er dieß; er gab seine Audienzen unermuͤdlich: sorgfaͤltig widmete er sich der Verwaltung des Staates; er ist dadurch fuͤr dieselbe wichtig, daß er sich ein Collegium von acht Doctoren bildete, aus dem spaͤter die Consulta geworden ist: dann assistirte er dem Papst. Es ist derselbe, den man spaͤter heilig gesprochen. Gleich damals zeigte er sich edel und unbescholten. „Man weiß nicht anders,“ sagt Hieronymo Soranzo von ihm, „als daß er rein von jedem Flecken ist; er lebt so religioͤs und giebt ein so gutes Beispiel, daß er den Besten nichts zu wuͤnschen uͤbrig laͤßt. Zu großem Lobe gereicht es ihm, daß er in der Bluͤthe der Jahre, Nepote eines Papstes und im vollkommenen Besitze der Gunst desselben, an einem Hofe, wo er sich jede Art von Vergnuͤgen verschaffen koͤnnte, ein so exemplarisches Leben fuͤhrt.“ Seine Erholung war, Abends einige Gelehrte bei sich zu sehen. Die Unterhaltung fing mit profaner Literatur an, aber von Epiktet und den Stoi- 21 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . kern, die Borromeo, der noch jung war, nicht verschmaͤhte, ging man doch sehr bald auch in diesen Stunden der Muße zu kirchlichen Fragen uͤber Es sind die Noctes vaticanae, deren Glussianus erwaͤhnt: Vita Caroli Borromei I, IV, 22. . Tadelte man etwas an ihm, so war es nicht sein guter Wille, sein Fleiß: son- dern nur etwa sein Talent; oder seine Diener klagten, daß sie die reichlichen Gunstbezeugungen entbehren muͤßten, wie sie von fruͤheren Nepoten ausgegangen. Und so ersetzten die Eigenschaften des Neffen, was die Strenggesinnten an dem Oheim haͤtten vermissen koͤnnen. Auf jeden Fall blieb man ganz auf dem eingeschlagenen Wege: geistliche und weltliche Geschaͤfte wurden mit Eifer und nach den Ruͤcksichten der Kirche vollzogen, die Re- formen fortgesetzt. Der Papst ermahnte oͤffentlich die Bi- schoͤfe zur Residenz, und Einige sah man unverzuͤglich ihm den Fuß kuͤssen und sich beurlauben. In den einmal zur Herrschaft gekommenen allgemeinen Ideen liegt eine noͤthi- gende Gewalt. Die ernsten Tendenzen kirchlicher Gesin- nung hatten in Rom das Uebergewicht bekommen und lie- ßen selbst in dem Papste keine Abweichung weiter zu. War nun aber die weltlichere Richtung dieses Pap- stes der Restauration eines strengen geistlichen Wesens nicht nachtheilig, so duͤrfen wir hinzufuͤgen, daß sie auf einer andern Seite zur Beilegung der in der katholischen Welt aufgeregten Entzweiungen sogar unendlich viel beitragen mußte. Paul IV. hatte gemeint, es sey mit die Bestimmung eines Papstes, Kaiser und Koͤnige zu unterwerfen: deshalb Pius IV. hatte er sich in so viel Kriege und Feindseligkeiten gestuͤrzt. Pius sah den Fehler um so besser ein, weil ein Vorgaͤn- ger ihn begangen, mit dem er sich ohnedieß in Wider- spruch fuͤhlte. „Damit haben wir England verloren,“ rief er aus, „das wir noch haͤtten erhalten koͤnnen, wenn man Cardinal Poole besser unterstuͤtzt haͤtte; dadurch ist auch Schottland verloren gegangen; waͤhrend des Krieges sind die deutschen Lehren in Frankreich eingedrungen.“ Er da- gegen wuͤnscht vor allem den Frieden. Selbst einen Krieg mit den Protestanten mag er nicht; den Gesandten von Savoyen, der ihn um Unterstuͤtzung zu einem Angriff auf Genf ersucht, unterbricht er oft, „was es denn fuͤr Zeiten seyen, um ihm solche Vorschlaͤge zu machen? er beduͤrfe nichts so sehr wie den Frieden“ Mula: 14 Febr. 1561. — — Pius bat ihn zu berichten: „che havemo animo di stare in pace e che non sapemo niente di questi pensieri del duca di Savoia e ci meravigliamo che vada cercando queste cose; non è tempo da fare l’impresa di Ginevra nè da far generali. Scrivete che siamo constanti in questa opi- nione di star in pace.“ . Er moͤchte gern mit Jedermann gut stehen. Leicht gewaͤhrt er seine kirchlichen Gnaden, und wenn er etwas abzuschlagen hat, thut er es geschickt, bescheiden. Er ist uͤberzeugt, und spricht es aus, daß sich die Macht des Papstes ohne die Autoritaͤt der Fuͤrsten nicht laͤnger halten koͤnne. Die letzten Zeiten Pauls IV. waren damit bezeichnet, daß die ganze katholische Welt aufs neue das Concilium forderte. Es ist gewiß, daß sich Pius IV. nur mit gro- ßer Schwierigkeit dieser Forderung wuͤrde haben entziehen koͤnnen. Den Krieg konnte er nicht mehr vorschuͤtzen wie 21* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . seine Vorfahren: endlich war Friede in ganz Europa. Es war sogar fuͤr ihn selbst dringend, da die Franzosen ein Nationalconcilium zu versammeln drohten, was leicht ein Schisma nach sich ziehen konnte. Die Wahrheit zu sagen, finde ich aber, daß er uͤberdieß auch allen guten Willen dazu hatte. Man hoͤre, wie er sich ausdruͤckt. „Wir wol- len das Concilium,“ sagt er, „wir wollen es gewiß, wir wollen es allgemein. Wollten wir es nicht, so koͤnnten wir die Welt Jahrelang mit den Schwierigkeiten hinhal- ten, aber vielmehr suchen wir solche wegzuraͤumen. Es soll reformiren was zu reformiren ist: auch an unserer Per- son, in unseren eigenen Sachen. Haben wir etwas an- dres im Sinn, als Gott zu dienen, so mag Gott uns zuͤchtigen.“ Oft scheint es ihm, als werde er von den Fuͤr- sten zu einem so großen Vorhaben nicht sattsam unterstuͤtzt. Eines Morgens trifft ihn der venezianische Gesandte im Bett, vom Podagra gelaͤhmt; er findet ihn voll von sei- nen Gedanken. „Wir haben gute Absicht,“ ruft er aus, „aber wir sind allein.“ „Es kam mich ein Mitleid an,“ spricht der Gesandte, „ihn in dem Bette zu sehen und sagen zu hoͤren: wir sind allein fuͤr eine so große Last.“ Indessen setzte er die Sache doch ins Werk. Am 18. Januar 1562 waren so viel Bischoͤfe und Abgeord- nete in Trient beisammen, daß man das zwei Mal unter- brochene Concilium zum dritten Mal beginnen konnte. Der Papst hatte daran den groͤßten Antheil. „Gewiß,“ sagt Girolamo Soranzo, der sonst seine Partei nicht nimmt, „Seine Heiligkeit hat hierbei alle den Eifer bewiesen, der sich von Pius IV. einem so großen Oberhirten erwarten ließ; sie hat nichts unterlassen, was zu einem so heiligen und nothwendigen Werke beitragen konnte.“ Die spaͤteren Sitzungen des Conciliums von Trient. Wie so ganz veraͤndert war die Lage der Welt seit der ersten Berufung dieses Conciliums. Jetzt hatte der Papst nicht mehr zu fuͤrchten, daß es ein maͤchtiger Kai- ser benutzen werde, um sich zum Herrn des Papstthums zu machen. Ferdinand I. hatte keinerlei Gewalt in Ita- lien. Auch war eine ernstliche Irrung uͤber wesentliche Punkte des Dogmas nicht mehr zu besorgen So sah Ferdinand I. die Sache an. Litterae ad legatos 12 Aug. 1562 bei Le Plat Monum. ad hist. conc. Tridentini V. p. 452. Quid enim attinet — disquirere de his dogmatibus, de quibus apud omnes non solum principes, verum etiam privatos homines catholicos nulla nunc penitus existit disceptatio ? . Wie es sich in den ersten Sitzungen festgestellt hatte, war es, ob- wohl noch nicht voͤllig entwickelt, bereits uͤber einen gro- ßen Theil der katholischen Welt herrschend geworden. An eine eigentliche Wiedervereinigung der Protestanten war nicht mehr ernstlich zu denken. In Deutschland hatten sie eine gewaltige, nicht mehr anzugreifende Stellung einge- nommen; im Norden war ihre kirchliche Tendenz mit der Staatsgewalt selbst verschmolzen; das Nemliche setzte sich Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . so eben in England ins Werk. Indem der Papst erklaͤrte, das neue Concilium sey nur eine Fortsetzung des fruͤheren, und die Stimmen, die sich hiewider erhoben, endlich zum Schweigen brachte, gab er alle Hoffnung hiezu selber auf. Wie sollten die freien Protestanten sich an ein Concilium anschließen, durch dessen fruͤhere Beschluͤsse die wichtigsten Artikel ihres Glaubens bereits verdammt worden Der Hauptgrund der Recusationsschrift der Protestanten: Causae cur electores principes aliique Augustanae confessioni ad- juncti status recusent adire concilium. Le Plat IV. p. 57. Sie bemerken gleich in der ersten Ankuͤndigung die bedenklichen Worte: „omni suspensione sublata.“ Sie erinnern an die Verdammung, die ihre Grundsaͤtze fruͤherhin erfahren haben, und fuͤhren weitlaͤuf- tig aus, „quae mala sub ea confirmatione lateant.“ ? Hier- durch ward von vorn herein die Wirksamkeit des Conciliums auf den so unendlich verengten Umkreis der katholischen Na- tionen beschraͤnkt. Seine Absicht konnte hauptsaͤchlich nur dahin gehen, die zwischen diesen und der hoͤchsten kirchli- chen Gewalt hervorgetretenen Entzweiungen beizulegen, das Dogma in einigen noch nicht bestimmten Punkten weiter zu bilden, vor allem die angefangene innere Reform zu vollenden, und allgemein guͤltige disciplinarische Vorschrif- ten zu geben. Allein auch dieß zeigte sich uͤberaus schwer; unter den versammelten Vaͤtern traten gar bald die lebhaftesten Strei- tigkeiten ein. Die Spanier brachten die Frage in Anregung, ob die Residenz der Bischoͤfe in ihren Dioͤcesen goͤttlichen Rechts sey, oder auf menschlicher Anordnung beruhe. Es koͤnnte dieß ein muͤßiger Streit zu seyn scheinen, da man von al- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . len Seiten die Residenz fuͤr nothwendig hielt. Allein die Spanier behaupteten im Allgemeinen, die bischoͤfliche Gewalt sey kein Ausfluß der paͤpstlichen, wofuͤr man sie in Rom erklaͤren wollte, sondern ihr Ursprung beruhe unmittelbar auf einer goͤttlichen Veranstaltung. Hiermit trafen sie den Nerv des gesammten Kirchenwesens. Die Unabhaͤngigkeit der un- teren Kirchengewalten, die von den Paͤpsten so sorgfaͤltig niedergehalten worden, haͤtte durch die Entwickelung die- ses Grundsatzes wiederhergestellt werden muͤssen. Waͤhrend man hieruͤber bereits in lebhaften Streitig- keiten war, kamen die kaiserlichen Gesandten an. Ueber- aus merkwuͤrdig sind die Artikel, welche sie eingaben. „Es moͤge,“ lautet einer, „auch der Papst sich nach Christi Bei- spiel erniedrigen, und sich eine Reform in Hinsicht seiner Person, seines Staates und seiner Curie gefallen lassen. Das Concilium muͤsse sowohl die Ernennung der Cardi- naͤle als das Conclave reformiren.“ Ferdinand pflegte zu sagen: „da die Cardinaͤle nicht gut sind, wie wollen sie einen guten Papst waͤhlen?“ Fuͤr die Reform, die er be- absichtigte, wuͤnschte er den Entwurf des Concils zu Cost- nitz, der dort nicht zur Ausfuͤhrung gekommen, zu Grunde gelegt zu sehen. Die Beschluͤsse sollten durch Deputationen aus den verschiedenen Nationen vorbereitet werden. Aber uͤberdieß forderte er die Erlaubniß des Kelches und der Prie- sterehe, fuͤr einige seiner Unterthanen Nachlaß der Fasten, die Errichtung von Schulen fuͤr die Armen, die Reini- gung der Breviere, Legenden und Postillen, verstaͤndlichere Catechismen, deutsche Kirchengesaͤnge, eine Reform der Kloͤster, auch darum, „damit ihre großen Reichthuͤmer nicht Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . so ruchlos angewendet werden moͤchten“ Pallavicini uͤbergeht diese Postulate XVII , 1, 6. beinahe ganz. Sie sind ihm unbequem. Auch sind sie in der That in ih- rer eigentlichen Gestalt niemals bekannt geworden. In drei Auszuͤ- gen liegen sie vor uns. Der erste findet sich bei P. Sarpi lib. VI, p. 325 und ganz eben so, jedoch lateinisch, bei Rainaldi und Goldast. Der zweite ist bei Bartholomaͤus de Martyribus, und etwas ausfuͤhr- licher. Den dritten hat Schelhorn aus den Papieren des Staphy- lus entnommen. Sie stimmen nicht sehr gut zusammen. In Wien sollte ich glauben, muͤßte sich das Original davon finden; es waͤre immer ein merkwuͤrdiges Actenstuͤck. Ich habe mich an den Schel- hornschen Auszug gehalten. Le Plat hat sie saͤmmtlich, so wie die Antwort. . Hoͤchst wich- tige, auf eine durchgreifende Umgestaltung des Kirchenwe- sens zielende Antraͤge! In wiederholten Briefen drang der Kaiser auf ihre Eroͤrterung. Endlich erschien auch der Cardinal von Lothringen mit den franzoͤsischen Praͤlaten. Er schloß sich im Ganzen den deutschen Vorschlaͤgen an. Hauptsaͤchlich forderte er die Ge- waͤhrung des Laienkelchs, die Administration der Sacra- mente in der Muttersprache, Unterricht und Predigt bei der Messe, die Erlaubniß, in voller Kirche die Psalmen in franzoͤsischer Sprache zu singen, — alles Dinge, von de- nen man sich dort den groͤßten Erfolg versprach. „Wir haben die Gewißheit,“ sagt der Koͤnig, „daß die Gewaͤh- rung des Laienkelchs viele beunruhigte Gewissen stillen, ganze Provinzen, die sich von der katholischen Kirche abge- sondert, mit derselben vereinigen, und eins der besten Mit- tel seyn werde, die Unruhen in unserem Reiche beizulegen Mémoire baillé à Mr. le Cl. de Lorraine, quand il est parti pour aller au concil. Le Plat IV, 562. .“ Allein uͤberdieß suchten die Franzosen die Baseler Beschluͤsse Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . wieder hervor; sie behaupteten offen, ein Concilium sey uͤber den Papst. Nun waren zwar die Spanier mit den Forderungen der Deutschen und der Franzosen nicht einverstanden; — Laien- kelch und Priesterweihe verdammten sie auf das lebhafteste; und wenigstens auf dem Concilium konnte es zu keinem Zugestaͤndniß in dieser Hinsicht gebracht werden: nur die Heimstellung der Erlaubniß an den Papst wurde durchgesetzt; — aber es gab Punkte, in denen sich die drei Nationen zu- sammen den Anspruͤchen der Curie entgegenstellten. Sie fanden es unertraͤglich, daß die Legaten allein das Recht haben sollten, Vorschlaͤge zu machen. Daß diese Legaten aber außerdem uͤber jeden Beschluß, der zu fassen war, erst das Gutachten des Papstes einholten, schien ihnen eine Be- schimpfung der Wuͤrde eines Conciliums. Auf diese Weise, meinte der Kaiser, gebe es eigentlich zwei Concilien: das eine in Trient, das andere, wahrere, zu Rom. Haͤtte man bei diesem Zustande der Meinungen nach Nationen gestimmt, zu wie sonderbaren auffallenden Be- schluͤssen muͤßte es gekommen seyn! Da dieß nicht geschah, blieben die drei Nationen, auch zusammengenommen, immer in der Minoritaͤt. Bei weitem zahlreicher waren die Italiener, die denn nach ih- rer Gewohnheit die Meinung der Curie, von der sie groͤß- tentheils abhingen, ohne viel Bedenken verfochten. Es entstand eine große gegenseitige Erbitterung. Die Franzo- sen brachten den Scherz auf, der heilige Geist komme im Felleisen nach Trient. Die Italiener redeten von spani- schem Aussatz, von franzoͤsischen Krankheiten, mit denen die Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Rechtglaͤubigen nach einander heimgesucht wuͤrden. Wie der Bischof von Cadiz sich vernehmen ließ, es habe be- ruͤhmte Bischoͤfe, es habe Kirchenvaͤter gegeben, die kein Papst gesetzt, schrien die Italiener laut auf: sie forderten seine Entfernung, sie sprachen von Anathema und Ketze- rei. Die Spanier gaben ihnen die Ketzerei zuruͤck Pallavicini XV, V, 5. Paleotto Acta: „Alii praelati ingeminabant clamantes: exeat exeat; et alii Anathema sit, ad quos Granatensis conversus respondit: Anathema vos estis.“ Mendham Memoirs of the council of Trent p. 251. . Zu- weilen sammelten sich verschiedene Haufen unter dem Ge- schrei: Spanien, Italien, auf den Straßen und an der Staͤtte des Friedens sah man Blut fließen. War es da zu verwundern, wenn man es einmal zehn Monate lang zu keiner Session brachte, wenn der erste Legat dem Papste widerrieth, nach Bologna zu kommen, denn was werde man sagen, wofern auch dann das Conci- lium nicht zu einem regelmaͤßigen Schluß gelange, sondern aufgeloͤst werden muͤsse Lettera del C le. di Mantua Legato al concilio di Trento scritta al Papa Pio IV. li 15 Gen. 1563. Quando si havesse da dissolversi questo concilio — per causa d’altri e non nostra — mi piaceria più che V ra. Beatitudine fusse restata a Roma. ? Jedoch auch eine Aufloͤsung, eine Suspension, nur eine Translation, an die man oͤf- ters dachte, waͤre hoͤchst gefaͤhrlich gewesen. In Rom er- wartete man nichts als Unheil. Man fand, daß ein Con- cilium fuͤr den geschwaͤchten Leib der Kirche eine allzustarke Medizin sey, daß es diese und Italien vollends ruiniren werde. „Wenige Tage vor meiner Abreise, im Anfang des Jahres 1563,“ erzaͤhlt Girolamo Soranzo, „sagte mir Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . Cardinal Carpi, Decan des Collegiums und ein wahrhaft einsichtsvoller Mann, daß er in seiner letzten Krankheit Gott gebeten habe, ihm die Gnade des Todes angedeihen, ihn nicht den Untergang und die Beerdigung von Rom erleben zu lassen. Auch alle andere angesehene Cardinaͤle beklagen unaufhoͤrlich ihr Mißgeschick: sie sehen deutlich ein, daß es keine Rettung fuͤr sie giebt, wofern nicht die heilige Hand Gottes sich ihrer besonders annimmt“ Li Cardinali di maggior autorità deploravano con tutti a tutte l’ore la loro miseria la quale stimano tanto maggiore che vedono e conoscono assai chiaro, non esservi rimedio al- cuno se non quello che piacesse dare al S r. Dio con la sua santissima mano! — Certo non si può se non temere, setzt So- ranzo selbst hinzu, Ser mo . Principe che la povera Italia afflitta per altre cause habbi ancor a sentire afflittione per questo par- ticolamente: lo vedono e lo conoscono tutti i savj. . Alle Uebel, von denen sich jemals andere Paͤpste durch ein Concilium bedroht geglaubt, fuͤrchtete Pius IV. uͤber sich hereinbre- chen zu sehen. Es ist eine erhabene Idee, daß es in schwierigen Zei- ten und lebhaften Irrungen der Kirche vor allem eine Versammlung ihrer Oberhirten sey, die denselben abhel- fen koͤnne. „Ohne Anmaßung und Neid, in heiliger Nie- drigkeit, im katholischen Frieden,“ sagt Augustinus, „be- rathschlage eine solche; nach weiterentwickelter Erfahrung er- oͤffne sie, was verschlossen und bringe an Tag, was verbor- gen war.“ Allein schon in den fruͤhesten Zeiten war man weit entfernt, dieß Ideal zu erreichen. Es haͤtte eine Rein- heit der Gesinnung, eine Unabhaͤngigkeit von fremdartigen Einwirkungen dazu gehoͤrt, die dem Menschen nicht verlie- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . hen zu seyn scheint. Wie viel minder aber war es jetzt zu erreichen, da die Kirche in so unzaͤhlige, wider einander laufende Verhaͤltnisse mit dem Staat verflochten war. Wenn die Concilien dessenungeachtet immer in großem An- sehn blieben, und so oft, so dringend gefordert wurden, so kam das am meisten von der Nothwendigkeit her, der Gewalt der Paͤpste einen Zuͤgel anzulegen. Jetzt aber schien sich zu bewaͤhren, was diese immer gesagt, daß eine Kirchen- versammlung in Zeiten großer Verwirrung viel eher geeig- net sey, diese zu vermehren, als sie zu heben. Alle Italie- ner nahmen an den Befuͤrchtungen der Curie Antheil. „Ent- weder,“ sagten sie, „wird das Concilium fortgesetzt, oder es wird aufgeloͤst werden. In jenem Fall, zumal wenn der Papst indeß mit Tode abgehen sollte, werden die Ultra- montanen das Conclave nach ihrer Absicht, zum Nachtheil von Italien einrichten; sie werden den Papst dahin be- schraͤnken wollen, daß er nicht viel mehr bleibt, als einfa- cher Bischof von Rom; unter dem Titel einer Reform wer- den sie die Aemter und die ganze Curie ruiniren. Sollte es dagegen aufgeloͤst werden, ohne guten Erfolg, so wuͤrden auch die Glaͤubigen ein großes Aergerniß daran nehmen, und die Zweifelhaften in außerordentliche Gefahr gerathen, ganz verloren zu gehen.“ Betrachtete man die Lage der Dinge, so mußte es unmoͤg- lich scheinen, in dem Concilium selbst eine Aenderung der herrschenden Stimmung hervorzurufen. Den Legaten, die der Papst leitete, den Italienern, die von ihm abhingen, standen die Praͤlaten der andern Nationen gegenuͤber, die sich ihrerseits wieder an die Gesandten ihrer Fuͤrsten hielten. Da war Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . an keine Aussoͤhnung, an keine vermittelnde Abkunft zu den- ken. Noch im Februar 1563 schienen die Sachen verzwei- felt zu stehen: alles war in Hader: jede Partei hielt hart- naͤckig ihre Meinungen sest . So wie man aber einmal die Lage der Dinge rein wie sie war ins Auge faßte, so zeigte sich auch eine Moͤglich- keit, aus diesem Labyrinth zu entkommen. In Trient trafen und bekaͤmpften sich nur die Mei- nungen: ihren Ursprung hatten sie zu Rom und bei den verschiedenen Fuͤrsten. Wollte man die Mißhelligkeiten he- ben, so mußte man sie an ihren Quellen aufsuchen. Wenn Pius IV. schon sonst gesagt, das Papstthum koͤnne sich ohne eine Vereinigung mit den Fuͤrsten nicht mehr halten, so war jetzt der Moment, diese Maxime in Ausfuͤhrung zu bringen. Er hatte einmal den Gedanken, sich die For- derungen der Hoͤfe einreichen zu lassen, und sie ohne das Concilium zu erfuͤllen. Aber es waͤre eine halbe Maaßre- gel gewesen. Die Aufgabe war, im Einverstaͤndniß mit den groͤßeren Maͤchten das Concilium zu Ende zu bringen: ein anderes Mittel gab es nicht. Paul IV. entschloß sich es zu versuchen. Sein ge- schicktester staatskundigster Cardinal, Morone, stand ihm darin zur Seite. Zunaͤchst kam es auf Kaiser Ferdinand an: an wel- chen sich die Franzosen, wie gesagt, anschlossen: auf den auch Philipp II. , als auf seinen Oheim, nicht wenig Ruͤck- sicht nahm. Morone, vor Kurzem zum Praͤsidenten des Conci- liums ernannt, aber sofort uͤberzeugt, daß sich in Trient Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . nichts ausrichten lasse, begab sich im April 1563, ohne die Begleitung eines einzigen andern Praͤlaten, zu ihm her- uͤber nach Inspruck. Er fand ihn unmuthig, mißvergnuͤgt, gekraͤnkt: uͤberzeugt, daß man zu Rom keine ernstlichen Verbesserungen wolle, entschlossen, dem Concilium zuerst seine Freiheit zu verschaffen Hieher gehoͤrt auch Relatione in scr. fatta dal Comen- done ai S ri. legati del concilio sopra le cose ritratte dall’ imp re. 19 Febr. 1563. Pare che pensino trovar modo e forma di ha- ver piu parte et autorità nel presente concilio per stabilire in esso tutte le loro petitioni giuntamente con li Francesi. . Es ward eine außerordentliche, in unsern Zeiten wuͤrde man sagen diplomatische Geschicklichkeit des Legaten erfordert, um nur zuerst den aufgebrachten Fuͤrsten zu beguͤtigen Das wichtigste Stuͤck, das mir uͤber die Trienter Verhand- lungen vorgekommen, ist die Relation von Morone uͤber seine Lega- tion: nur kurz aber buͤndig. Weder Sarpi noch auch Pallavicini haben Notiz von derselben. Relatione sommaria del C l. Morone sopra la legatione sua. Bib. Altieri in Rom. VII, F. 3. . Ferdinand war verstimmt, weil man seine Reforma- tionsartikel hintangesetzt und niemals zu wirklichem Vor- trag gebracht habe. Der Legat wußte ihn zu uͤberzeugen, daß man es aus nicht ganz verwerflichen Gruͤnden bedenk- lich gefunden, sie in aller Form zu berathen, aber nichts- destominder den wichtigsten Theil ihres Inhalts vorgenom- men und sogar bereits beschlossen hatte. Der Kaiser be- klagte sich ferner, daß man das Concilium von Rom aus leite und die Legaten durch Instructionen regiere: Morone bemerkte dagegen, was nicht zu laͤugnen war, daß auch die fuͤrstlichen Gesandten von Hause instruirt und stets mit neuen Anweisungen versehen wuͤrden. Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . In der That kam Morone — der ohnehin schon lange das Vertrauen des Hauses Oestreich genoß — uͤber diese empfindlichsten Stellen gluͤcklich hinweg: er beschwichtigte die unguͤnstigen persoͤnlichen Eindruͤcke, die der Kaiser empfangen, und machte sich nun daran, uͤber diejenigen Streitpunkte, welche die großen Zerwuͤrfnisse in Trient veranlaßt hatten, eine wechselseitige Uebereinkunft zu ver- suchen. In den wesentlichen Dingen nachzugeben, die Au- toritaͤt des Papstes schwaͤchen zu lassen, war nicht seine Meinung: „es kam darauf an,“ sagt er selbst, „solche Bestimmungen zu treffen, daß der Kaiser glauben konnte, Genugthuung empfangen zu haben, ohne daß man doch der Autoritaͤt des Papstes oder der Legaten zu nahe getre- ten waͤre“ Fu necessario trovare temperamento tale, che paresse all’ imperatore, di essere in alcun modo satisfatto et insieme non si pregiudicasse all’ autorità del papa ne de’ legati, ma re- stasse il concilio nel suo possesso. . Der erste von diesen Punkten war die ausschließende Initiative der Legaten, von der man immer behauptet, sie laufe den Freiheiten eines Conciliums entgegen. Morone bemerkte, daß es nicht im Interesse des Fuͤrsten sey, allen Praͤlaten die Initiative zu gewaͤhren. Es konnte ihm nicht sehr schwer werden, den Kaiser davon zu uͤberzeugen. Es war leicht zu sehen, daß die Bischoͤfe im Besitze dieses Rechtes gar bald auch Vorschlaͤge in einem den bisherigen Anspruͤ- chen und Rechten des Staates entgegenlaufenden Sinne machen wuͤrden. Augenscheinlich war, welche Verwirrung aus einem solchen Zugestaͤndniß entstehen mußte. Den- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . noch wollte man auch den Wuͤnschen der Fuͤrsten einigerma- ßen entgegenkommen, und es ist merkwuͤrdig, welche Auskunft man traf. Morone versprach alles in Vorschlag zu brin- gen, was die Gesandten ihm zu diesem Zwecke vorlegen wuͤrden. Thaͤte er es nicht, alsdann solle ihnen selber das Recht zustehen, den Antrag zu machen. Eine Vermittelung, die den Geist bezeichnet, der allmaͤhlig in dem Concilium zu herrschen anfing. Die Legaten geben einen Fall zu, in welchem sie sich der ausschließenden Initiative entaͤußern wollen, aber nicht sowohl zu Gunsten der Vaͤter des Con- ciliums, als zu Gunsten der Gesandten Summarium eorum, quae dicuntur acta inter Caes eam. Maj em. et illustrissimum C lem. Moronum in den Acten des Torel- lus — auch bei Salig: Gesch. des tridentin. Conciliums III, A. 292 — druͤckt dieß folgendergestalt aus: Maj. S. sibi reservavit vel per medium dictorum legatorum, vel si ipsi in hoc grava- rentur per se ipsum vel per ministros suos proponi curare: — ich bekenne, daß ich daraus nicht leicht auf eine Verhandlung ge- schlossen haben wuͤrde, wie sie Morone mittheilt: obwohl sie darin liegt. . Es erfolgt daraus, daß nur die Fuͤrsten in einen Theil der Rechte treten, die der Papst sich uͤbrigens vorbehaͤlt. Ein zweiter Punkt war die Forderung, die Deputa- tionen, welche die Beschluͤsse vorbereiten, nach den verschie- denen Nationen zusammentreten zu lassen. Morone be- merkte, daß es schon immer geschehen, daß aber, weil es der Kaiser wuͤnsche, nun noch genauer daruͤber gehalten werden solle. Man kam auf den dritten Streitpunkt: die Reform. Ferdinand gab endlich zu: daß der Ausdruck einer Refor- ma- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . mation des Hauptes, auch die alte sorbonische Frage, ob das Concilium uͤber dem Papst stehe oder nicht, vermie- den werden solle, aber dafuͤr versprach Morone eine wahrhaft durchgreifende Reform in allen andern Stuͤcken. Der Ent- wurf, den man hierzu machte, betraf selbst das Conclave. Wie man erst diese Hauptsache erledigt, so vereinigte man sich leicht uͤber die Nebendinge. Der Kaiser ließ von vielen seiner Forderungen ab und gab seinen Gesandten den Auftrag, vor allem mit den paͤpstlichen Legaten ein gutes Vernehmen aufrecht zu erhalten. Nach wohlausgerichteten Dingen kehrte Morone uͤber die Alpen zuruͤck. „Als man in Trient,“ sagt er selbst, „den guten Entschluß des Kai- sers vernahm, und die Vereinigung seiner Gesandten mit den paͤpstlichen inne ward, so fing das Concilium an, seine Gestalt zu veraͤndern, und sich um vieles leichter behan- deln zu lassen.“ Hierzu trugen noch einige andere Umstaͤnde bei. Die Spanier und Franzosen hatten sich uͤber das Recht des Vortritts der Repraͤsentanten ihrer Koͤnige entzweit, und hielten seitdem viel weniger zusammen. Auch waren mit beiden besondere Unterhandlungen angeknuͤpft worden. Fuͤr Philipp II. lag in der Natur der Sache die dringende Nothwendigkeit eines Einverstaͤndnisses. Seine Macht in Spanien war zum großen Theil auf geistliche Interessen gegruͤndet, und er mußte vor allem dafuͤr sor- gen, sie in seiner Hand zu behalten. Wohl wußte dieß der roͤmische Hof, und der Nuntius von Madrid sagte oft, eine ruhige Beendigung des Conciliums sey fuͤr den Koͤnig so wuͤnschenswerth wie fuͤr den Papst. Schon hatten sich 22 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . zu Trient die spanischen Praͤlaten wider die Belastungen der geistlichen Guͤter geregt, die dort einen bedeutenden Theil der Staatseinkuͤnfte bildeten; der Koͤnig hatte es mit Besorgniß vernommen; er bat den Papst, so anstoͤßige Re- den zu verhindern Paolo Tiepolo Dispaccio di Spagna 4 Dec. 1562. . Wie haͤtte er noch daran denken koͤn- nen, seinen Praͤlaten die Initiative des Vorschlags zu ver- schaffen? Vielmehr suchte auch er sie in Schranken zu halten. Pius beschwerte sich uͤber die heftige Opposition, die ihm von den Spaniern fortwaͤhrend bewiesen werde: der Koͤnig versprach Mittel zu ergreifen, um ihren Unge- horsam abzustellen. Genug, der Papst und der Koͤnig wur- den inne, daß ihre Interessen die nemlichen seyen. Es muͤssen noch andere Verhandlungen Statt gefunden haben. Der Papst warf sich ganz in die Arme des Koͤnigs: der Koͤnig versprach feierlich dem Papst in jeder Bedraͤngniß mit aller Kraft seines Reichs zu Huͤlfe zu kommen. Auf einer andern Seite naͤherten sich indeß auch die Franzosen. Die Guisen, die einen so großen Einfluß zu Hause auf die Regierung und hier auf das Concilium aus- uͤbten, verschmolzen ihre politischen Richtungen immer mehr mit streng-katholischen. Nur der Nachgiebigkeit des Car- dinal Guise verdankte man, daß es nach zehnmonatli- cher Zoͤgerung, achtmaligem Aufschub, endlich wieder zu einer Session kommen konnte. Aber es war uͤberdieß von der engsten Vereinigung die Rede. Guise brachte eine Zu- sammenkunft der maͤchtigen katholischen Fuͤrsten, des Pap- stes, des Kaisers, der Koͤnige von Frankreich und Spa- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . nien in Vorschlag Instruttione data a Mons. Carlo Visconti mandato da Pp. Pio IV. al re catt. per le cose del concilio di Trento (ul- timo Ottobre 1563). Bibl. Barb. 3007. . Zu naͤherer Besprechung ging er selbst nach Rom: und der Papst kann nicht Worte genug finden, um „den christlichen Eifer desselben fuͤr den Dienst Gottes und die oͤffentliche Ruhe, nicht allein in Sachen des Conci- liums, sondern auch in andern, welche die allgemeine Wohl- fahrt anbetreffen“ „Il beneficio universale.“ Lettera di Papa Pio 20 Ot- tobre 1563. , zu ruͤhmen. Die vorgeschlagene Zu- sammenkunft waͤre dem Papst sehr erwuͤnscht gewesen. Er schickte Gesandte deshalb an Kaiser und Koͤnig. Nicht in Trient demnach, sondern an den Hoͤfen und durch politische Unterhandlung wurden die wesentlichen Ent- zweiungen beigelegt und die großen Hindernisse einer gluͤck- lichen Beendigung des Conciliums weggeraͤumt. Morone, der hierzu das Meiste beigetragen, wußte indeß auch die Praͤlaten persoͤnlich zu gewinnen; er widmete ihnen alle die Anerkennung, das Lob, die Beguͤnstigung, deren sie begehr- ten Das Leben von Ayala bei Villanueva, in dem, wie ich finde, hiervon Meldung geschehen muß, sah ich noch nicht. In- dessen ist die Versicherung Morone’s auch schon ganz genuͤgend. „I prelati,“ sagt er, „accarezzati e stimati e lodati, e gratiati si fecero piu trattabili.“ . Er zeigte einmal recht, was ein geistreicher ge- schickter Mann, der die Lage der Dinge begreift, und sich ein Ziel setzt, das derselben gemaͤß ist, auch unter den schwierigsten Umstaͤnden leisten kann. Wenn irgend einem Menschen uͤberhaupt, so hat die katholische Kirche den gluͤck- lichen Ausgang des Conciliums ihm zu verdanken. 22* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Der Weg war geebnet. Man konnte nunmehr, sagt er selbst, auf die Schwierigkeiten eingehen, die in der Sache lagen. Noch schwebte die alte Streitfrage uͤber die Nothwen- digkeit der Residenz und das goͤttliche Recht der Bischoͤfe. Lange zeigten sich die Spanier in ihren Lehrsaͤtzen hieruͤber unerschuͤtterlich: noch im Juli 1563 erklaͤrten sie dieselben fuͤr eben so unfehlbar, als die zehn Gebote; der Erzbischof von Granada wuͤnschte alle Buͤcher verboten zu sehen, in denen das Gegentheil behauptet werde Scrittura nelle lettere e memorie del Nuncio Visconti II, 174. : bei der Redac- tion des Decretes ließen sie sich hierauf dennoch gefallen, daß ihre Meinung nicht ausgesprochen wurde. Man nahm jedoch eine Fassung an, bei der es ihnen auch noch ferner moͤglich blieb, ihre Ansicht zu verfechten. Grade diese Dop- peldeutigkeit fand Lainez an dem Decrete lobenswuͤrdig „Ejus verba in utramque partem pie satis posse exponi.“ Paleotto bei Mendham: Memoirs of the council of Trent p. 262. . Auf aͤhnliche Weise ging es mit der andern Streitig- keit, uͤber die Initiative, das „proponentibus legatis.“ Der Papst erklaͤrte, ein Jeder solle fordern und sagen duͤr- fen, was ihm nach den alten Concilien zu fordern und zu sagen zustehe: doch huͤtete er sich wohl, das Wort vor- schlagen hierbei zu gebrauchen Pallavicini 23, 6, 5. . Es ward eine Auskunft getroffen, mit der sich die Spanier begnuͤgten, ohne daß darum der Papst das Mindeste aufgegeben haͤtte. Nachdem der Ruͤckhalt der politischen Tendenzen weg- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . gefallen, suchte man die Fragen, die zu Bitterkeiten und Entruͤstung Anlaß gegeben, nicht sowohl zu entscheiden, als durch eine geschickte Vermittelung zu beseitigen. Bei dieser Stimmung kam man dann uͤber die minder bedenklichen Punkte um so leichter hinweg. Niemals schritt das Concilium rascher vorwaͤrts. Die wichtigen Dogmen von der Priesterweihe, dem Sacrament der Ehe, dem Ab- laß, dem Fegfeuer, der Verehrung der Heiligen, und bei weitem die bedeutendsten reformatorischen Anordnungen, welche es uͤberhaupt abgefaßt hat, fallen in die drei letz- ten Sessionen in der zweiten Haͤlfte des Jahres 1563. Sowohl fuͤr die einen als fuͤr die andern waren die Con- gregationen aus verschiedenen Nationen zusammengesetzt. Der Entwurf der Reform ward in fuͤnf besonderen Ver- sammlungen, einer franzoͤsischen, die bei dem Cardinal Guise, einer spanischen, die bei dem Erzbischof von Granada zusam- menkam, und drei italienischen in Berathung gezogen Die besten Notizen hieruͤber finden sich, wo man es nicht suchen sollte, in Baini Vita di Palestrina I, 199; aus authentischen Briefschaften. Auch das Diarium des Servantio, das bei Mend- ham benutzt ist (p. 304) beruͤhrt die Sache. . Ueber die meisten Fragen verstaͤndigte man sich leicht: eigentliche Schwierigkeiten boten nur noch zwei dar, die Fragen uͤber die Exemtion der Capitel und die Pluralitaͤt der Beneficien, in denen wieder die Interessen eine große Rolle spielten. Die erste beruͤhrte vor allem Spanien. Von den au- ßerordentlichen Freiheiten, welche die Capitel sonst hier be- sessen, hatten sie schon einiges verloren. Waͤhrend sie dieß Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . wieder zu erlangen wuͤnschten, faßte der Koͤnig die Absicht, sie noch viel weiter einzuschraͤnken: da er die Bischoͤfe setzte, so lag ihm selbst an einer Ausdehnung der bischoͤflichen Gewalt. Der Papst dagegen war fuͤr die Capitel. Ihre unbedingte Unterwerfung unter die Bischoͤfe wuͤrde seinen Einfluß auf die spanische Kirche nicht wenig geschmaͤlert haben. Noch einmal stießen hier diese beiden großen Ein- wirkungen zusammen. Es fragte sich in der That, welche von beiden die Majoritaͤt fuͤr sich gewinnen wuͤrde. Au- ßerordentlich stark war doch auch der Koͤnig an dem Con- cilium; einen Abgeordneten, den die Capitel dahin gesen- det, um ihre Vorrechte wahrzunehmen, hatte sein Gesand- ter zu entfernen gewußt; er hatte so viel geistliche Gnaden auszutheilen, daß Jedermann Bedenken trug, es mit ihm zu verderben. Bei der muͤndlichen Abstimmung ergab sich ein unguͤnstiges Resultat fuͤr die Capitel. Man bemerke, welchen Ausweg die paͤpstlichen Legaten trafen. Sie be- schlossen, die Stimmen dieß Mal schriftlich geben zu lassen: nur die muͤndlichen Erklaͤrungen, in der Gegenwart so vie- ler Anhaͤnger des Koͤnigs abgelegt, wurden von der Ruͤck- sicht auf Spanien beherrscht, nicht die schriftlichen, die den Legaten zu Haͤnden kamen. Wirklich erlangten sie auf diese Weise eine bedeutende Majoritaͤt fuͤr die paͤpstliche Ansicht und fuͤr die Capitel. Darauf gestuͤtzt, traten sie dann, unter Vermittelung Guise’s, in neue Unterhandlun- gen mit den spanischen Praͤlaten, die sich endlich auch mit einer um vieles geringeren Erweiterung ihrer Befugnisse be- gnuͤgten, als sie beabsichtigt hatten Aus Sarpi VIII, 816. wird man uͤber diese Sache doch . Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . Noch wichtiger fuͤr die Curie war der zweite Artikel von der Pluralitaͤt der Beneficien. Von jeher war von einer Reform des Institutes der Cardinaͤle die Rede gewe- sen, und es gab Viele, die in dem Verfall desselben den Ursprung alles Unheils zu erkennen glaubten: grade sie lie- ßen sich oft eine Menge Pfruͤnden uͤbertragen; es war die Absicht, sie hierin durch die strengsten Gesetze zu beschraͤn- ken. Man begreift leicht, wie empfindlich der Curie jede Neuerung in dieser Hinsicht gefallen seyn wuͤrde: schon eine ernstliche Berathung daruͤber fuͤrchtete und floh sie. Sehr eigenthuͤmlich ist auch hier der Ausweg, welchen Mo- rone einschlug. Er warf die Reform der Cardinaͤle mit den Artikeln uͤber die Bischoͤfe zusammen. „Wenige,“ sagt er selbst, „sahen die Wichtigkeit der Sache ein, und auf diese Weise wurden alle Klippen vermieden.“ Setzte dergestalt der Papst die Erhaltung des roͤmi- schen Hofes in seiner bisherigen Gestalt gluͤcklich durch, so zeigte auch er sich bereit, die Reformation der Fuͤrsten, wie man sie im Sinne gehabt, fallen zu lassen; er gab hierin den Vorstellungen des Kaisers nach Daß eine strenge Reform der Curie, der Cardinaͤle, des Conclave’s nicht zu Stande kam, haͤngt genau mit der Unterlassung der Reformation der Fuͤrsten zusammen. Auszuͤge aus dem Brief- wechsel der Legaten bei Pallavicini 23, 7, 4. . noch nicht klar. Sehr erwuͤnscht ist die authentische Erlaͤute- rung Morone’s. L’articolo delle cause e dell’ essenzioni de ca- nonici fu vinto seeondo la domanda degli oltramontani; poi fa- cendosi contra l’uso che li padri tutti dessero voti in iscritto, furono mutate molte sententie e fu vinto il contrario. Si venne al fin alla concordia che si vede nei decreti e fu mezzano Lo- rena che gia era tornato da Roma tutto additto al servitio di S. Beat ne. et alle fine del concilio. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . In der That war alles, wie ein Friedenscongreß. Waͤhrend die Fragen von untergeordnetem Interesse von den Theologen zu allgemeinen Beschluͤssen vorbereitet wur- den, unterhandelten die Hoͤfe uͤber die bedeutenderen. Un- ablaͤßig flogen die Eilboten hin und her. Eine Conces- sion verguͤtete man mit der andern. Vor allem lag dem Papste nun daran, einen baldigen Schluß herbeizufuͤhren. Eine Zeitlang weigerten sich noch die Spanier, hierauf einzugehen: die Reform that ihnen noch nicht Genuͤge: der koͤnigliche Botschafter machte sogar einmal Miene zu protestiren: da sich aber der Papst ge- neigt erklaͤrte, dringenden Falls eine neue Synode zu be- rufen Pallavicini 24, 8, 5. , da man vor allem Bedenken trug, eine Sedis- vacanz bei eroͤffnetem Concilium abzuwarten, endlich, da Jedermann muͤde war, und alles nach Hause zu kommen wuͤnschte, so gaben zuletzt auch sie nach. Der Geist der Opposition war wesentlich uͤberwunden. Eben in seiner letzten Epoche zeigte das Concilium die groͤßte Unterwuͤrfigkeit. Es bequemte sich, den Papst um eine Bestaͤtigung seiner Beschluͤsse zu ersuchen: es erklaͤrte aus- druͤcklich, alle Reformationsdecrete, wie auch immer ihre Worte lauten moͤchten, seyen in der Voraussetzung abge- faßt, daß das Ansehn des paͤpstlichen Stuhles dabei un- verletzt bleibe Sessio XXV, c. 21. . Wie weit war man da zu Trient ent- fernt, die Anspruͤche von Costnitz und Basel auf eine Su- perioritaͤt uͤber die paͤpstliche Gewalt zu erneuern. In den Acclamationen, mit denen die Sitzungen geschlossen wur- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . den, — von Cardinal Guise verfaßt — wurde das allge- meine Bisthum des Papstes noch besonders anerkannt. Gluͤcklich war es demnach gelungen. Das Concilium, so heftig gefordert, so lange vermieden, gespalten, zwei Mal aufgeloͤst, von so vielen Stuͤrmen der Welt erschuͤt- tert, bei der dritten Versammlung aufs neue voll von Ge- fahr, war in allgemeiner Eintracht der katholischen Welt beendigt. Man begreift es, wenn die Praͤlaten, als sie am 4ten Dez. 1563 zum letzten Mal beisammen waren, von Ruͤhrung und Freude ergriffen wurden. Auch die bisheri- gen Gegner wuͤnschten einander Gluͤck: in vielen Augen dieser alten Maͤnner sah man Thraͤnen. Hatte nun aber so viel Beugsamkeit und politische Gewandtheit, wie wir bemerkten, dazu gehoͤrt, um zu diesem Resultat zu gelangen, so koͤnnte man fragen, ob nicht hier- durch das Concilium auch wieder an seiner Wirksamkeit nothwendig verloren habe. Wenn nicht unter allen Concilien uͤberhaupt, auf je- den Fall unter denen der neueren Jahrhunderte bleibt das tridentinische immer das wichtigste. In zwei großen Momenten draͤngt sich seine Bedeu- tung zusammen. In dem ersten, den wir fruͤher beruͤhrten, waͤhrend des schmalkaldischen Krieges, sonderte sich das Dogma nach mancherlei Schwankungen auf immer von den protestanti- schen Meinungen ab. Aus der Lehre von der Rechtferti- gung, wie man sie damals aufstellte, erhob sich alsdann das ganze System der katholischen Dogmatik, wie es noch heut zu Tage behauptet wird. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . In dem zweiten, den wir zuletzt betrachteten, nach den Conferenzen Morone’s mit dem Kaiser, im Sommer und Herbst des Jahres 1563 ward die Hierarchie theore- tisch durch die Decrete von der Priesterweihe, praktisch durch die Reformationsbeschluͤsse aufs neue begruͤndet. Hoͤchst wichtig sind und bleiben diese Reformen. Die Glaͤubigen wurden wieder unnachsichtiger Kirchen- zucht, und im dringenden Falle dem Schwerte der Excom- munication unterworfen. Man gruͤndete Seminarien und nahm Bedacht, die jungen Geistlichen darin in strenger Zucht und Gottesfurcht aufzuziehen. Die Pfarren wurden aufs neue regulirt, Verwaltung des Sacraments und Pre- digt in feste Ordnung gebracht, die Mitwirkung der Klo- stergeistlichen an bestimmte Gesetze gebunden. Den Bischoͤ- fen wurden die Pflichten ihres Amtes, hauptsaͤchlich die Beaufsichtigung ihres Clerus, nach den verschiedenen Graden ihrer Weihen eingeschaͤrft. Von großem Erfolg war es, daß die Bischoͤfe durch ein besonderes Glaubensbekenntniß, welches sie unterschrieben und beschworen, sich feierlich zur Beobachtung der tridentinischen Decrete und zur Unterwuͤr- figkeit gegen den Papst verpflichteten. Nur war die Absicht, die anfangs allerdings auch bei dieser Kirchenversammlung Statt gehabt, die Macht des Papstes zu beschraͤnken, damit nicht erreicht wor- den. Vielmehr ging dieselbe sogar erweitert und ge- schaͤrft aus dem Kampfe hervor. Da sie das ausschlie- ßende Recht behielt, die tridentinischen Beschluͤsse zu inter- pretiren, so stand es immer bei ihr, die Normen des Glau- Pius IV. Spaͤtere Sitzungen d. Concil. v. Trient . bens und Lebens vorzuschreiben. Alle Faͤden der hergestell- ten Disciplin liefen in Rom zusammen. Die katholische Kirche erkannte ihre Beschraͤnkung an: auf die Griechen und den Orient nahm sie keinerlei Ruͤck- sicht mehr: den Protestantismus stieß sie mit unzaͤhligen Anathemen von sich. In dem fruͤheren Katholicismus war ein Element des Protestantismus einbegriffen: jetzt war es auf ewig ausgestoßen. Aber indem man sich be- schraͤnkte, concentrirte man seine Kraft und nahm sich in sich selber zusammen. Nur durch Einverstaͤndniß und Uebereinkunft mit den vornehmsten katholischen Fuͤrsten, wie wir sahen, kam es so weit. In dieser Vereinigung mit dem Fuͤrstenthume liegt eine der wichtigsten Bedingungen fuͤr die ganze spaͤtere Ent- wickelung. Sie hat eine Analogie mit der Tendenz des Protestantismus, fuͤrstliche und bischoͤfliche Rechte zu ver- einigen. Erst nach und nach bildete sie sich bei den Ka- tholiken aus. Allerdings begreift man, daß hierin auch zu- gleich eine Moͤglichkeit neuer Entzweiung liegt: es ist die einzige legale Opposition, welche noch denkbar bleibt. Zu- naͤchst aber war hiervon nichts zu fuͤrchten. In einer Pro- vinz nach der andern recipirte man bereits die Beschluͤsse der Versammlung. Eben dadurch ist Pius IV. welthi- storisch wichtig, daß er dieß bewirkte: er war der erste Papst, der die Tendenz der Hierarchie, sich der fuͤrstli- chen Gewalt entgegenzusetzen, mit Bewußtseyn aufgab. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Mit dem Erfolg glaubte er nun allerdings das Werk seines Lebens vollendet zu haben. Es ist merkwuͤrdig, daß mit der Beendigung des Conciliums die Spannung seiner Seele nachließ. Man glaubte zu bemerken, daß er den Gottesdienst vernachlaͤßige, daß er doch allzugern gut esse und trinke, daß er sich in glaͤnzendem Hofhalt, praͤchtigen Festen, kostbaren Bauten allzusehr gefalle. Die Eiferer bemerkten einen Unterschied zwischen ihm und seinem Vor- gaͤnger, den sie laut beklagten Paolo Tiepolo. Doppo che questo (il concilio) hebbe fine, liberato da una grande sollecitudine fattosi fermo e ga- gliardo nell’ autorità sua, incominciò più liberamente ad operare conforme alla sua inclinatione e pensieri, onde facilmente si co- nobbe in lui animo piu tosto da principe, che attendesse solamente al fatto suo che di pontefice, che avesse rispetto al beneficio e salute degli altri. Bei Panvinius wird das Nemliche bemerkt. . Doch war hiervon keine besondere Ruͤckwirkung mehr zu erwarten. Es hatte sich eine Tendenz in dem Katholi- cismus entwickelt, die nicht mehr zuruͤckzudraͤngen, noch einzuhalten war. Ist einmal der Geist erweckt, so wird es unmoͤglich seyn, ihm seine Bahnen vorzuzeichnen. Jede, auch eine geringfuͤgige Abweichung derjenigen, die ihn repraͤsentiren sollen, von seiner Regel, wird die auffallendsten Symptome hervorrufen. Der Geist, der sich in der streng katholischen Rich- tung entwickelte, ward auf der Stelle diesem Papst selber gefaͤhrlich. Es lebte ein gewisser Benedetto Accolti in Rom: katho- lisch bis zur Schwaͤrmerei, der immer viel von einem Ge- Pius IV. heimniß redete, das ihm von Gott anvertraut worden; er werde es eroͤffnen, und zum Beweise, daß er die Wahr- heit spreche, vor dem versammelten Volke auf der Piazza Navona, durch einen brennenden Scheiterhaufen unverletzt hindurchgehen. Sein Geheimniß war, daß er vorauszuwissen meinte, in Kurzem werde eine Vereinigung zwischen der griechischen und der roͤmischen Kirche Statt finden; diese vereinte ka- tholische Kirche werde sich die Tuͤrken und alle Abgefallene wieder unterwerfen; der Papst werde ein heiliger Mensch seyn, zur allgemeinen Monarchie gelangen, und die einige vollkommene Gerechtigkeit auf Erden einfuͤhren. Von die- sem Gedanken war er bis zum Fanatismus erfuͤllt. Nur fand er, daß Pius IV. , dessen weltliches Thun und Treiben von seinem Ideal unendlich weit entfernt war, sich zu einem so großen Unternehmen nicht eigne. Benedetto Accolti meinte von Gott bestimmt zu seyn, die Christenheit von diesem untauglichen Oberhaupt zu be- freien. Er faßte den Plan, den Papst selbst zu toͤdten. Er fand einen Gefaͤhrten, dem er die Belohnungen Gottes und des zukuͤnftigen heiligen Monarchen zusicherte. Eines Tages machten sie sich auf. Schon sahen sie den Papst in der Mitte einer Procession herankommen: leicht zu erreichen, friedlich, ohne Verdacht noch Vertheidigung. Accolti, statt auf ihn loszugehn, fing an zu zittern und wechselte die Farbe. Die Umgebung eines Papstes hat etwas, was auf einen so fanatisch-katholischen Menschen schlechter- dings Eindruck machen mußte. Der Papst ging voruͤber. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Andere hatten indessen Accolti bemerkt. Der Ge- faͤhrte, den er gewonnen, des Namens Antonio Canossa, war von keiner beharrlicheren Entschlossenheit: bald ließ er sich uͤberreden, die Sache ein andermal ausfuͤhren zu wollen, bald fuͤhlte er sich versucht, sie selber anzuzeigen. Sie schwiegen nicht ganz. Endlich wurden sie festgenommen und zum Tode verdammt Ich entnehme diese Notizen, die ich sonst nirgend fand, aus einem Ms. der Bibliothek Corsini zu Rom Nr. 674, unter dem Titel: Antonio Canossa: Questo è il sommario della mia depo- sitione per la qual causa io moro, quale si degnerà V. S. man- dare alli miei S ri. Padre e Madre. — Pius starb 9. Dez. 1565. . Man sieht, welche Geister in dem bewegten Leben sich regen. So viel auch Pius IV. fuͤr die Reconstruction der Kirche gethan, so gab es Viele, denen das bei wei- tem nicht genug war, und die noch ganz andere Entwuͤrfe hegten. Pius V. Es hatten aber die Anhaͤnger der strengen Gesinnung sofort einen unerwarteten und großen Succeß. Es ward ein Papst gewaͤhlt, den sie durchaus zu den Ihren zaͤhlen konnten: Pius V. Ich will nicht die mehr oder minder zweifelhaften Be- richte wiederholen, welche das Buch uͤber die Conclaven und einige Geschichtschreiber jener Zeit uͤber diese Wahl mittheilen. Wir haben ein Schreiben von Carl Borro- Pius V. meo, das uns hinreichende Aufklaͤrung giebt. „Ich be- schloß,“ sagt er darin, — und es ist gewiß, daß er den groͤßten Einfluß auf die Wahl gehabt hat — „auf nichts so sehr zu sehen, wie auf die Religion und den Glauben. Da mir die Froͤmmigkeit, Unbescholtenheit und heilige Ge- sinnung des Cardinal von Alessandria — nachher Pius V. — bekannt waren, so glaubte ich, daß die christliche Re- publik von ihm am besten verwaltet werden koͤnne, und widmete ihm meine ganze Bemuͤhung“ C lis Borromeus Henrico C li. Infanti Portugalliae Romae d. 26 Febr. 1566. Glussiani Vita C li. Borromei p. 62. Vgl. Ripamonti Historia urbis Mediolani lib. XII, p. 814. . Von einem Mann einer so vollkommen geistlichen Richtung, wie Carl Borromeo war, laͤßt sich ohnehin keine andere Ruͤcksicht erwarten. Philipp II. von seinem Gesandten fuͤr den nem- lichen Cardinal gewonnen, hat dem Borromeo ausdruͤcklich fuͤr seinen Antheil an dieser Wahl gedankt Ich finde dieß in einem Dispaccio di Soranzo Amb re. in Spagna: non essendo conosciute le qualità di S. S à. di questo Ser mo. re, mentre era in Cardinalato, il detto Commendator (Luigi Requesens Comm. maggior) sempre lo laudò molto, pre- dicando questo soggetto esser degno del pontificato, con il che S. M. si mosse a dargli ordine che con ogni suo potere li desse favore. Hiermit faͤllt das Geschichtchen, das Oltrocchi in den An- merkungen zu dem Giussano p. 219 erzaͤhlt, von selbst. Die Wahl 8. Jan. 1566. . Grade eines solchen Mannes glaubte man zu beduͤrfen. Die Anhaͤnger Pauls IV. , die sich bisher doch immer still gehalten, prie- sen sich gluͤcklich. Wir haben Briefe von ihnen uͤbrig. „Nach Rom, nach Rom,“ schrieb einer dem andern, „kommt zuversichtlich, ohne Verzug, aber mit aller Be- scheidenheit; Gott hat uns Paul IV. wieder auferweckt.“ Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Michele Ghislieri — nunmehr Pius V. — von ge- ringer Herkunft, zu Bosco unfern Alessandria im Jahre 1504 geboren, ging bereits in seinem vierzehnten Jahr in ein Dominicanerkloster. Er ergab sich da mit Leib und Seele der moͤnchischen Armuth und Froͤmmigkeit, die sein Orden von ihm forderte. Von seinen Almosen behielt er nicht so viel fuͤr sich, um sich davon einen Mantel machen zu lassen; gegen die Hitze des Sommers fand er, das beste Mittel sey, wenig zu genießen; obwohl Beichtva- ter eines Governators von Mailand, reiste er doch immer zu Fuß, und seinen Sack auf dem Ruͤcken. Lehrte er, so that er es mit Praͤcision und Wohlwollen: hatte er ein Kloster als Prior zu verwalten, so war er strenge und sparsam: mehr als eines hat er von Schulden frei ge- macht. Seine Entwickelung fiel in die Jahre, in denen auch in Italien die bisherige Lehre mit den protestantischen Regungen kaͤmpfte. Er nahm fuͤr die Strenge der alten Lehre Partei: von 30 Streitsaͤtzen, die er 1543 in Parma verfocht, bezogen sich die meisten auf die Autoritaͤt des roͤmischen Papstes, und waren den neuen Meinungen ent- gegengesetzt. Gar bald uͤbertrug man ihm das Amt eines Inquisitors. Grade in Orten von besonderer Gefahr, in Como und Bergamo Paolo Tiepolo Relazione di Roma in tempo di Pio IV et V: In Bergamo li fu levato per forza dalle prigioni del mo- nastero di S. Domenico dove allora si solevano mettere i rei, un principale heretico, nominato Giorgio Mondaga (noch ein Name fuͤr das Verzeichniß der italienischen Protestanten) con gran pen- colo suo e de’ frati. Nella medesima città poi travagliò assai per formare il processo contra il vescovo allora di Bergamo. , wo der Verkehr mit Schweizern und Pius V. und Deutschen nicht vermieden werden konnte, im Valtel- lin, das unter Graubuͤnden stand, hatte er es zu verwal- ten. Er bewies darin die Hartnaͤckigkeit und den Muth eines Eiferers. Zuweilen ist er bei seinem Eintritt in Como mit Steinwuͤrfen empfangen worden; oft hat er, um nur sein Leben zu retten, des Nachts sich in Bauerhuͤtten ver- bergen, wie ein Fluͤchtling zu entkommen suchen muͤssen; doch ließ er sich keine Gefahr irre machen; der Graf della Trinita drohte ihn in einen Brunnen werfen zu lassen: er entgegnete: es wird geschehen, was Gott will. So war auch er in den Kampf der geistigen und politischen Kraͤfte verflochten, der damals Italien bewegte. Da die Rich- tung, der er sich zugewandt, den Sieg davon trug, so kam er mit ihr empor. Er wurde Commissarius der Inquisi- tion in Rom; gar bald sagte Paul IV. , Fra Michele sey ein großer Diener Gottes, und hoher Ehren werth; er er- nannte ihn zum Bischof von Nepi, — denn er wolle ihm eine Kette an den Fuß legen, damit er nicht kuͤnftig einmal sich in die Ruhe eines Klosters zuruͤckziehe Catena, Vita di Pio V., aus dem wir hier die meisten Notizen entnommen, hat auch diese. Pius V. erzaͤhlte es den ve- nezianischen Botschaftern selbst, wie diese — Mich. Suriano, Paul Tiepolo 2. Oct. 1568 — berichten. — und 1557 zum Cardinal. Ghislieri hielt sich auch in dieser neuen Wuͤrde strenge, arm und anspruchlos: er sagte seinen Hausgenossen, sie muͤßten glauben, daß sie in einem Klo- ster wohnten. Er lebte nur seinen Andachtsuͤbungen und der Inquisition. In einem Manne von dieser Gesinnung glaubte nun 23 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . Borromeo, Philipp II. , die gesammte strengere Partei das Heil der Kirche zu sehen. Die roͤmischen Buͤrger waren vielleicht nicht so zufrieden. Pius V. erfuhr es: er sagte: „desto mehr sollen sie mich beklagen wenn ich todt bin.“ Er lebte auch als Papst in der ganzen Strenge sei- nes Moͤnchthums; er hielt die Fasten in ihrem vollen Umfange, unnachlaͤßlich; er erlaubte sich kein Kleid von feinerem Zeug Catena. Tiepolo: Nè mai ha lasciato la camisia di rassa, che come frate incominciò di portare. Fa le orationi di- votissimamente et alcune volte colle lacrime. ; oft las er, alle Tage hoͤrte er Messe; doch sorgte er dafuͤr, daß die geistlichen Uebungen ihn nicht an den oͤffentlichen Geschaͤften hinderten; er hielt keine Sieste, mit dem fruͤhesten war er auf. Wollte man zweifeln, ob sein geistlicher Ernst in ihm einen tieferen Grund gehabt, so moͤchte dafuͤr ein Beweis seyn, daß er fand, das Papst- thum sey ihm zur Froͤmmigkeit nicht foͤrderlich; zum Heile der Seele, die Glorie des Paradieses zu erlangen, trage es nicht bei; er meinte, diese Last wuͤrde ihm ohne das Gebet unertraͤglich seyn. Das Gluͤck einer inbruͤnstigen Andacht, das einzige, dessen er faͤhig war, einer Andacht, die ihn oft bis zu Thraͤnen ruͤhrte, und von der er mit der Ueberzeugung aufstand, er sey erhoͤrt, blieb ihm bis an sein Ende gewaͤhrt. Das Volk war hingerissen, wenn es ihn in den Processionen sah, barfuß, und ohne Kopf- bedeckung, mit dem reinen Ausdruck einer ungeheuchelten Froͤmmigkeit im Gesicht, mit langem schneeweißen Bart; sie meinten einen so frommen Papst habe es noch niemals gegeben; sie erzaͤhlten sich, sein bloßer Anblick habe Pro- Pius V. testanten bekehrt. Auch war Pius guͤtig und leutselig: mit seinen aͤlteren Dienern ging er auf das vertraulichste um. Wie schoͤn begegnete er jenem Grafen della Trinita, der nun einmal als Gesandter zu ihm geschickt wurde. „Sehet da,“ sagte er ihm, als er ihn erkannte, „so hilft Gott den Unschuldigen:“ sonst ließ er es ihn nicht empfinden. Mildthaͤtig war er von jeher: er hatte eine Liste von den Duͤrftigen in Rom, die er regelmaͤßig nach ihrem Stand unterstuͤtzen ließ. Demuͤthig, hingegeben, kindlich sind Naturen dieser Art: — so wie sie aber gereizt und beleidigt werden, er- heben sie sich zu heftigem Eifer, unerbittlichem Zorn. Ihre Gesinnung sehen sie als eine Pflicht, eine hoͤchste Pflicht an, deren Nichterfuͤllung sie entruͤstet und empoͤrt. Pius V. war sich bewußt, daß er immer die grade Straße gewandelt. Daß ihn diese bis zum Papstthum ge- fuͤhrt hatte, erfuͤllte ihn mit einem Selbstvertrauen, wel- ches ihn vollends uͤber jede Ruͤcksicht erhob. In seinen Meinungen war er aͤußerst hartnaͤckig. Man fand daß ihn auch die besten Gruͤnde von denselben nicht zuruͤckbringen konnten. Leicht fuhr er bei dem Widerspruch auf: er ward roth im Gesicht, und bediente sich der hef- tigsten Ausdruͤcke Informationi di Pio V. (Bibl. Ambrosiana zu Mailand F. D. 181.) La S à . S. naturalmente è gioviale e piacevole, se ben per accidente pare di altra dispositione, e di qui viene che volontieri onestamente ragiona con M r. Cirillo suo M ro. di casa, il quale con le sue piacevolezze essendo huomo destro et ac- corto diletta S. Beat ne. e sempre profitta a se stesso et altri. . Da er nun von den Geschaͤften der Welt und des Staates wenig verstand, und sich vielmehr 23* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . von den Nebenumstaͤnden auf eine oder die andere Weise afficiren ließ, so war es uͤberaus schwer, mit ihm fertig zu werden. In persoͤnlichen Verhaͤltnissen ließ er sich zwar nicht gleich von dem ersten Eindruck bestimmen: hielt er aber Jemand einmal fuͤr gut oder fuͤr boͤse, so konnte ihn darin nichts weiter irre machen Informatione di Pio V. (Bibl. Ambrosiana). È pin dif- ficultoso di lasciar la cattiva impressione, che la buona e mas- simamente di quelle persone che non ha in pratica. . Allemal jedoch glaubte er eher, daß man sich verschlechtere, als daß man sich bes- sere; er hatte die meisten Menschen in Verdacht. Man bemerkte, daß er die Criminalsentenzen niemals milderte: er haͤtte vielmehr in der Regel gewuͤnscht, sie waͤren noch schaͤrfer ausgefallen. Es war ihm nicht genug, daß die Inquisition die neuen Verbrechen bestrafte: den alten von zehn und zwanzig Jahren ließ er nachforschen. Gab es einen Ort, wo weniger Strafen verhaͤngt wurden, so hielt er ihn darum nicht fuͤr rein: er schrieb es der Nachlaͤssigkeit der Behoͤrden zu. Man hoͤre mit welcher Schaͤrfe er auf die Handha- bung der Kirchenzucht drang. „Wir verbieten,“ heißt es in einer seiner Bullen, „jedem Arzt, der zu einem bettlaͤ- gerigen Kranken gerufen wird, denselben laͤnger als drei Tage zu besuchen, wofern er nicht alsdann eine Bescheini- gung erhaͤlt, daß der Kranke seine Suͤnden aufs neue ge- beichtet habe“ Supra gregem dominicum Bull. IV, II, p. 281. . Eine andere setzt Strafen fuͤr Ent- Pius V. weihung des Sonntags und Gotteslaͤsterungen fest. Bei den Vornehmeren sind es Geldstrafen. „Ein gemeiner Mann aber, welcher nicht bezahlen kann, soll bei dem er- sten Male einen Tag uͤber vor den Kirchthuͤren stehen, die Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden: beim zweiten soll er durch die Stadt gegeißelt werden: beim dritten Male wird man ihm die Zunge durchbohren und ihn auf die Ga- leeren schicken.“ So ist der Styl seiner Verordnungen uͤberhaupt: wie oft hat man ihm sagen muͤssen, er habe es nicht mit En- geln, sondern mit Menschen zu thun In den Informationi Politiche XII. findet sich z. E. eine epistola a N. S. Pio V. nella quale si esorta S. S. tolerare gli Ebrei et le corteggiane, von einem gewissen Bertano, die dar- auf hinauslaͤuft. Die Caporionen baten den Papst wenigstens um die letzte Toleranz. Der Papst antwortete, er wolle lieber Rom ver- lassen, als durch die Finger sehen. . Die jetzt so dringende Ruͤcksicht auf die weltlichen Gewalten hielt ihn hierin nicht auf: die Bulle in Coena Domini, uͤber welche sich die Fuͤrsten von jeher beklagt, ließ er nicht allein aufs neue verkuͤndigen: er schaͤrfte sie auch mit einigen besondern Zusaͤtzen; ganz im Allgemeinen schien er darin den Regierungen das Recht abzusprechen, neue Abgaben aufzulegen. Es versteht sich, daß auf so gewaltige Eingriffe auch Ruͤckwirkungen erfolgten. Nicht allein, daß die Forderun- gen niemals befriedigt werden koͤnnen, die ein Mensch von dieser Strenge an die Welt machen zu duͤrfen glaubt: es zeigte sich auch ein absichtlicher Widerstand; unzaͤhlige Miß- helligkeiten entstanden. So devot Philipp II. auch war, Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . so hat er doch den Papst einmal erinnern lassen, er moͤge nicht erproben, was ein aufs Aeußerste gebrachter Fuͤrst zu thun vermoͤge. Auf das tiefste empfand das der Papst seinerseits wieder. Oft fuͤhlte er sich ungluͤcklich in seiner Wuͤrde. Er sagte: er sey muͤde zu leben: da er ohne Ruͤcksicht verfahre, habe er sich Feinde gemacht: seit er Papst sey, erlebe er lauter Unannehmlichkeiten und Verfolgungen. Allein wie dem auch sey, und obwohl es Pius V. so wenig wie ein andrer Mensch zu voller Befriedigung und Genugthuung brachte, so ist doch gewiß, daß seine Haltung und Sinnesweise einen unermeßlichen Einfluß auf seine Zeitgenossen und die ganze Entwickelung seiner Kirche ausgeuͤbt hat. Nachdem so viel geschehen, um eine geist- lichere Tendenz hervorzurufen, zu befoͤrdern; nachdem so viele Beschluͤsse gefaßt worden, um dieselbe zu allgemei- ner Herrschaft zu erheben, gehoͤrte ein Papst wie dieser dazu, damit sie allenthalben nicht allein verkuͤndigt, son- dern auch eingefuͤhrt wuͤrde: sein Eifer, so wie sein Bei- spiel war dazu unendlich wirksam. Man sah die so oft besprochene Reformation des Ho- fes, wenn auch nicht in den Formen, welche man vorge- schlagen, aber in der That eintreten. Die Ausgaben der paͤpstlichen Haushaltung wurden ungemein beschraͤnkt: Pius V. bedurfte wenig fuͤr sich: und oft hat er gesagt, „wer regieren wolle, muͤsse mit sich selber anfangen.“ Seine Diener, welche ihm, wie er glaubte, ohne Hoffnung auf Belohnung, bloß aus Liebe, sein ganzes Leben treu geblie- ben, versorgte er wohl nicht ohne Freigebigkeit, doch seine Pius V. Angehoͤrigen hielt er mehr in Schranken, als irgend ein Papst vor ihm. Den Neffen, Bonelli, den er nur darum zum Cardinal gemacht, weil man ihm sagte, es gehoͤre dieß zu einem vertraulicheren Verhaͤltniß mit den Fuͤrsten, stattete er maͤßig aus; als derselbe einst seinen Vater nach Rom kommen ließ, noͤthigte er diesen in derselben Nacht, in derselben Stunde die Stadt wieder zu verlassen; seine uͤbrigen Verwandten wollte er nie uͤber den Mittelstand hin- aus erheben: und wehe dem, der sich auf irgend einem Vergehen selbst nur auf einer Luͤge betreten ließ, er haͤtte ihm nie verziehen, er jagte ihn ohne Gnade von sich. Wie weit war man da von einer Beguͤnstigung der Nepoten entfernt, wie sie seit Jahrhunderten einen so bedeutenden Theil der paͤpstlichen Geschichte ausgemacht hatte. Durch eine seiner ernstlichsten Bullen verbot Pius fuͤr die Zukunft jede Belehnung mit irgend einer Besitzung der roͤmischen Kirche, unter welchem Titel und Vorwand es auch sey; er erklaͤrte diejenigen im Voraus in Bann, die dazu auch nur rathen wuͤrden; von allen Cardinaͤlen ließ er diese seine Satzung unterschreiben Prohibitio alienandi et infeudandi civitates et loca S. R. E. Admonet nos. 1567. 29 Mart. . In der Abstellung der Miß- braͤuche fuhr er eifrig fort; von ihm sah man wenig Dis- pensationen, noch weniger Compositionen; den Ablaß, den die Vorfahren gegeben, hat er oft beschraͤnkt. Seinem Gene- ralauditor trug er auf, wider alle Erzbischoͤfe und Bischoͤfe, die in ihren Dioͤcesen nicht residiren wuͤrden, ohne Weite- res zu procediren, und ihm Vortrag zu machen, damit er Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . zur Entsetzung der Ungehorsamen schreite Cum alias 1566. 10 Junii. Bull. IV, II, 303. . Allen Pfar- rern gebietet er, bei schwerer Strafe bei ihren Pfarrkirchen auszuhalten, und den Dienst Gottes zu versehen; er wi- derruft die Dispensationen, die sie daruͤber erhalten haben moͤchten Cupientes 1568. 8 Julii. Ib. IV, III, 24. . Die Ordnung der Kloͤster suchte er nicht min- der strenge herzustellen. Er bestaͤtigte ihnen auf der einen Seite ihre Exemtionen von Auflagen und andren Lasten, z. B. von Einquartierung; er wollte sie in ihrer Ruhe nicht stoͤren lassen; aber er verbot den Moͤnchen zugleich, ohne die Erlaubniß und die Pruͤfung des Bischofs, Beichte zu hoͤren; jeder neue Bischof solle die Pruͤfung wiederholen koͤn- nen Romani 1571. 6 Aug. Ib. IV, III, 177. . Er verordnete die strengste Clausur auch der Nonnen. Nicht immer hat man das gelobt. Man beklagte sich, daß er zu strengeren Regeln noͤthige, als zu denen man sich selber verpflichtet habe; einige geriethen in eine Art von Verzweiflung, andere entflohen Tiepolo: Spesse volte nel dar rimedio a qualche disor- dine incorre in un’ altro maggiore, procedendo massimamente per via degli estremi. . Alle diese Dinge setzte er nun zuerst in Rom und dem Kirchenstaate durch. Die weltlichen Behoͤrden verpflichtet er so gut wie die geistlichen zur Handhabung seiner geistlichen Anordnungen IV, III, 284. . Er selbst sorgte indeß fuͤr eine starke und parteilose Handhabung der Gerechtigkeit Informatione delle qualità di Pio V. e delle cose, che da quelle dopendono. (Bibl. zu Berlin) „Nel conferire le gratie non . Er ermahnte Pius V. nicht allein die Magistratspersonen noch besonders dazu: jeden letzten Mittwoch des Monats hielt er eine oͤffentliche Sitzung mit den Cardinaͤlen, wo ein Jeder seine Beschwerden uͤber die Gerichte vortragen konnte. Auch sonst war er unermuͤdlich, Audienz zu geben. Von fruͤh an saß er auf seinem Stuhl: Jedermann ward vorgelassen. In der That hatte dieser Eifer eine totale Reform des roͤmischen Wesens zu Folge. „Zu Rom,“ sagt Paul Tiepolo, „geht es jetzt auf eine andere, als die bisher uͤbliche Weise her. Die Menschen sind um vieles besser geworden, oder wenigstens haben sie diesen Anschein.“ Mehr oder minder geschah etwas Aehnliches in ganz Italien. Allenthalben ward mit der Verkuͤndigung der De- crete des Conciliums auch die Kirchenzucht geschaͤrft; dem Papst ward ein Gehorsam geleistet, wie ihn lange keiner von seinen Vorgaͤngern genossen hatte. Herzog Cosimo von Florenz trug kein Bedenken, ihm die Angeschuldigten der Inquisition auszuliefern. Carnesecchi, noch einer von jenen Literaten, die an den ersten Regun- gen des Protestantismus in Italien Theil genommen, war bisher immer gluͤcklich durchgekommen; jetzt vermochte ihn weder sein persoͤnliches Ansehn, noch die Reputation seiner Familie, noch die Verbindung, in der er mit dem regie- si cura delle circonstanze secondo che alle volte sarebbe neces- sario per qualsivoglia rispetto considerabile nè a requisition d’alcuno la giustitia si ha punto alterata ancora che sia senza dar scandalo e con esempio d’altri pontefici potesse fare.“ So- riano findet, er erweise keine Gnade, ohne Ermahnung: il che mi parse proprio il stilo de’ confessori che fanno una gran ripren- sione al penitente, quando sono per assolverlo. Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . renden Hause selber stand, laͤnger zu schuͤtzen; in Banden ward er der roͤmischen Inquisition uͤberliefert, und mußte den Tod im Feuer erleiden 1567. Cantini Vita di Cosimo p. 458. . Cosimo war dem Papst vollkommen ergeben. Er unterstuͤtzte ihn in allen seinen Unternehmungen und gestand ihm seine geistlichen Forde- rungen ohne Weiteres zu. Der Papst fuͤhlte sich bewo- gen, ihn dagegen zum Großherzog von Toskana zu ernen- nen, und zu kroͤnen. Das Recht des heiligen Stuhls zu einer solchen Maaßregel war hoͤchst zweifelhaft; die Sitten des Fuͤrsten gaben gerechten Anstoß: aber die Ergebenheit, die er dem heiligen Stuhl bewies, die strengen kirchlichen Einrichtungen, die er in seinem Lande einfuͤhrte, erschienen dem Papst als ein Verdienst uͤber alle Verdienste. Die alten Gegner der Medici, die Farnesen, wettei- ferten mit ihnen in dieser Richtung; auch Ottavio Farnese machte sich eine Ehre daraus, die Befehle des Papstes auf den ersten Wink in Ausfuͤhrung zu bringen. Nicht ganz so gut stand Pius mit den Venezianern. Sie waren weder so feindselig gegen die Tuͤrken, noch so nachsichtig gegen die Kloͤster, oder der Inquisition so zu- gethan, wie er es gewuͤnscht haͤtte. Doch huͤtete er sich wohl, sich mit ihnen zu entzweien. Er fand: „die Re- publik sey auf den Glauben gegruͤndet, sie habe sich im- mer katholisch gehalten: von der Ueberschwemmung der Bar- baren sey sie allein frei geblieben: die Ehre von Italien beruhe auf ihr“: er erklaͤrte, er liebe sie. Auch gaben ihm die Venezianer mehr nach, als irgend einem andern Papst. Was sie sonst nie gethan haͤtten, — den armen Guido Pius V. Zanetti von Fano, der seiner religioͤsen Meinungen wegen in Untersuchung gerathen und nach Padua gefluͤchtet war, lieferten sie ihm aus. In ihrem staͤdtischen Clerus, der sich schon seit geraumer Zeit um die kirchlichen Verord- nungen wenig gekuͤmmert, machten sie ziemlich gute Ord- nung. Aber uͤberdieß war ihnen auf dem festen Lande die Kirche von Verona durch J. Matteo Giberti auf das trefflichste eingerichtet worden. An seinem Beispiel hat man zu zeigen versucht, wie ein wahrer Bischof leben muͤsse Petri Francisci Zini, boni pastoris exemplum, ac speci- men singulare ex Jo. Matthaco Giberto episcopo expressum at- que propositum. Geschrieben 1556, und urspruͤnglich fuͤr England bestimmt. Opera Giberti p. 252. : seine Einrichtungen haben in der ganzen katho- lischen Welt zum Muster gedient: das tridentinische Con- cilium hat eine und die andere aufgenommen. Carl Bor- romeo ließ sich sein Bildniß malen, um sich fortwaͤhrend an seinen Vorgang zu erinnern. Einen noch groͤßeren Einfluß aber hatte Carl Bor- romeo selbst. Bei den mancherlei Wuͤrden und Aemtern, die er besaß, — er war unter andern Großpenitenziere — als das Oberhaupt der Cardinaͤle, die sein Oheim gewaͤhlt, haͤtte er in Rom eine glaͤnzende Stellung einnehmen koͤn- nen: aber er gab alles auf, er schlug alles aus, um sich in seinem Erzbisthum Mailand den kirchlichen Pflichten zu widmen. Er that dieß mit ungemeiner Anstrengung, ja mit Leidenschaft. In allen Richtungen bereiste er fort- waͤhrend seine Dioͤces; es gab in derselben keinen Ort, den er nicht zwei, drei Mal besucht haͤtte: in das hoͤchste Ge- Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . birge, in die entlegensten Thaͤler verfuͤgte er sich. In der Regel war ihm schon ein Visitator vorausgegangen und er hatte dessen Bericht bei sich; er untersuchte nun alles mit eigenen Augen: er verhaͤngte die Strafen, setzte die Ver- besserungen fest Glussianus de vita et rebus gestis S. Caroli Borromaei Mediol. p. 112. ist uͤber den „ritus visitationis“ und alle diese Dinge sehr ausfuͤhrlich. . Zu aͤhnlichem Verfahren leitete er seine Geistlichkeit an: sechs Provinzialconcilien sind unter seinem Vorsitz gehalten worden. Aber uͤberdieß war er in eige- nen kirchlichen Functionen unermuͤdlich. Er predigte und las Messe: ganze Tage lang theilte er das Abendmahl aus: ordinirte Priester: kleidete Klosterfrauen ein, weihete Al- taͤre. Einen Altar zu weihen, forderte eine Ceremonie von acht Stunden: man rechnet 300 die er nach und nach ge- weihet hat. Viele seiner Einrichtungen sind freilich wohl sehr aͤußerlich: sie gehen besonders auf Herstellung der Ge- baͤude, Uebereinstimmung des Ritus, Aufstellung und Ver- ehrung der Hostie. Die Hauptsache ist die strenge Disci- plin, in der er die Geistlichkeit zusammennimmt, in der dieser hinwiederum die Gemeinden unterworfen werden. Sehr wohl kannte er die Mittel, seinen Anordnungen Eingang zu verschaffen. In den schweizerischen Gebieten besuchte er die Staͤtten der aͤltesten Verehrung, theilte Geschenke in dem Volke aus, zog die Vornehmen zur Tafel. Dagegen wußte er auch den Widerspenstigen wirksam zu begegnen. Das Landvolk in Valcamonica wartete auf ihn, um von ihm gesegnet zu werden. Da es aber seit einiger Zeit die Zehn- ten nicht zahlte, fuhr er voruͤber, ohne die Hand zu be- Pius V. wegen, ohne Jemand anzusehen. Die Leute waren entsetzt und bequemten sich, die alte Pflicht zu leisten Ripamonte: Historia urbis Mediolani bei Graevius II, I, p. 864. Uebrigens hat Ripamonte den ganzen zweiten Theil seiner Geschichte lib. XI—XVII dem Carl Borromeo geweiht. . Zuweilen fand er jedoch hartnaͤckigeren und erbitterten Widerstand. Daß er den Orden der Humiliaten reformiren wollte, machte die Mitglieder, die nur hineingetreten waren, um die Reich- thuͤmer desselben in ungebundenem Leben zu genießen Sie hatten zusammen 94 Haͤuser, von denen jedes 100 Menschen haͤtte ernaͤhren koͤnnen, doch waren die Mitglieder so we- nig zahlreich, daß nur ihrer zwei auf ein Haus kamen. Der Or- den ward aufgehoben und seine Reichthuͤmer kamen alsdann den Stiftungen Borromeo’s, auch den Jesuiten zu gute. , in einem Grade mißvergnuͤgt, daß sie ihrem Erzbischof nach dem Leben standen. Waͤhrend er in seiner Capelle betete, ward auf ihn geschossen. Niemals aber war ihm etwas nuͤtzlicher als dieß Attentat. Das Volk hielt seine Rettung fuͤr ein Wunder und fing von diesem Augenblick erst recht an ihn zu verehren. Da sein Eifer eben so rein und von irdi- schen Zwecken ungetruͤbt war, wie beharrlich, da er auch in der Stunde der Gefahr, zur Zeit der Pest, eine uner- muͤdliche Fuͤrsorge fuͤr das Heil des Lebens und der See- len seiner Pflegebefohlenen bewies, da er nichts als Hin- gebung und Froͤmmigkeit an sich wahrnehmen ließ, so wuchs sein Einfluß von Tage zu Tage, und Mailand nahm eine ganz andere Gestalt an. „Wie soll ich dich prei- sen, schoͤnste Stadt,“ ruft Gabriel Paleotto gegen das Ende der Verwaltung Borromeo’s aus: „ich bewundere deine Heiligkeit und Religion: ein zweites Jerusalem sehe ich in Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . dir.“ So begeisterte Ausrufungen koͤnnen bei aller Weltlich- keit des mailaͤndischen Adels doch unmoͤglich ohne Grund ge- wesen seyn. Der Herzog von Savoyen wuͤnschte dem Erzbischof feierlich Gluͤck zu dem Erfolge seiner Bemuͤhungen. Auch fuͤr die Zukunft suchte dieser nun seine Anordnungen festzu- stellen. Eine Congregation sollte die Gleichfoͤrmigkeit des Ritus behaupten: ein besonderer Orden der Gewidmeten, genannt Oblati von regularen Clerikern, verpflichtete sich zu dem Dienste des Erzbischofs und seiner Kirche: die Bar- nabiten empfingen neue Regeln und seitdem haben sie sich zu- erst hier, dann allenthalben wo sie eingefuͤhrt wurden, die Bischoͤfe in ihrer Seelsorge zu unterstuͤtzen angelegen seyn lassen Ripamonte 857. Er nennt die ersten Stifter Beccaria Ferraria, und Morigia: Giussano hat p. 442 die gewoͤhnlichen Namen. . Einrichtungen, welche die roͤmischen im Kleinen wiederholen. Auch ein Collegium Helveticum zur Herstel- lung des Katholicismus in der Schweiz ward zu Mailand errichtet, wie zu Rom ein Germanicum fuͤr Deutschland. Das Ansehn des roͤmischen Papstes konnte dadurch nur um so fester werden. Borromeo, der ein paͤpstliches Breve nie anders als mit unbedecktem Haupt in Empfang nahm, pflanzte die nemliche Devotion seiner Kirche ein. Indeß war Pius V. auch in Neapel zu ungewohn- tem Einfluß gelangt. Gleich am ersten Tage seines Pon- tificats hatte er Tomaso Orfino da Foligno zu sich geru- fen, und ihm eine reformirende Visitation der roͤmischen Kirchen aufgetragen. Nachdem sie vollendet war, ernannte er denselben zum Bischof von Strongoli und schickte ihn Pius V. nach Neapel. Unter großem Zulauf dieses devoten Volks vollzog Orfino seine Visitation in der Hauptstadt, und in einem großen Theile des Koͤnigreichs. Zwar hatte der Papst in Neapel, wie in Mailand nicht selten Streitigkeiten mit den koͤniglichen Behoͤrden. Der Koͤnig beschwerte sich uͤber die Bulle in Coena Domini: der Papst wollte von dem Exequatur regium nichts wissen; jenem thaten die geistlichen Behoͤrden zu viel, diesem die koͤniglichen zu wenig; zwischen den Vicekoͤnigen und den Erzbischoͤfen gab es unaufhoͤrliche Reibungen. Am Hofe von Madrid war man wie gesagt oft von Herzen mißver- gnuͤgt, und der Beichtvater des Koͤnigs beklagte sich laut. Indessen kam es doch zu keinem Ausbruch eines Mißver- staͤndnisses. Beide Fuͤrsten maßen immer den Behoͤrden, den Raͤthen des Andern die vornehmste Schuld bei. Sie selber blieben persoͤnlich in vertraulichem Verhaͤltniß. Als Philipp II. einmal krank war, erhob Pius V. seine Haͤnde und bat Gott, denselben von seiner Krankheit zu befreien; der alte Mann betete, Gott moͤge ihm einige Jahre abnehmen und sie dem Koͤnig zulegen, an dessen Le- ben mehr gelegen sey, als an dem seinigen. Auch wurde Spanien sonst voͤllig in dem Sinne der kirchlichen Restauration regiert. Der Koͤnig war einen Augenblick zweifelhaft gewesen, ob er die tridentinischen Beschluͤsse ohne weiteres anerkennen solle oder nicht; und we- nigstens haͤtte er die paͤpstliche Macht in dem Rechte, Zu- gestaͤndnisse im Widerspruch mit denselben zu machen, gern beschraͤnken moͤgen: — allein der geistliche Character seiner Monarchie stand jedem Versuch dieser Art entgegen; er sah Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . daß er auch den Anschein einer ernstlicheren Differenz mit dem roͤmischen Stuhle vermeiden muͤsse, wofern er des Ge- horsams gewiß bleiben wolle, den man ihm selber leistete. Die Decrete des Conciliums wurden allenthalben abgekuͤn- digt und ihre Anordnungen eingefuͤhrt. Die streng-dog- matische Richtung nahm auch hier uͤberhand. Carranza, Erzbischof von Toledo, der erste Geistliche des Landes, fruͤ- her Mitglied des Conciliums von Trient, der neben Poole das Meiste zur Wiederherstellung des Katholicismus in England unter Koͤnigin Maria beigetragen, durch so viele Titel erhaben, konnte dennoch der Inquisition nicht entge- hen. „Ich habe,“ sagt er, „nie etwas anders beabsich- tigt, als die Ketzerei zu bekaͤmpfen: Gott hat mir in die- ser Hinsicht beigestanden. Ich selber habe mehrere Irr- glaͤubige bekehrt; die Koͤrp c einiger Haͤupter der Ketzer habe ich ausgraben und verbrennen lassen; Katholiken und Protestanten haben mich den ersten Vertheidiger des Glau- bens genannt.“ Allein dieß so unzweifelhaft katholische Bezeigen half ihm alles nicht gegen die Inquisition. Man fand in seinen Werken 16 Artikel, in denen er sich den Meinungen der Protestanten, hauptsaͤchlich in Hinsicht der Justification zu naͤhern schien. Nachdem er in Spanien lange gefangen gehalten und mit dem Proceß gequaͤlt wor- den war, brachte man ihn nach Rom; — es schien eine große Gunst, ihn seinen persoͤnlichen Feinden zu entreißen, doch konnte er auch hier zuletzt dem Verdammungsurtheil nicht entfliehen Llorente hat diesem Ereigniß drei lange Capitel seiner Ge- . Ge- Pius V. Geschah dieß aber an einem so hochgestellten Manne, in einem so zweifelhaften Falle, so laͤßt sich erachten, wie wenig die Inquisition geneigt seyn konnte, unlaͤugbare Ab- weichungen an untergeordneten Personen zu dulden, wie sie allerdings hier und da auch in Spanien vorkamen. Die ganze Strenge, mit der man bisher die Reste juͤdischer und mahumetanischer Meinungen verfolgt hatte, kehrte man nun wider die protestantischen. Es folgte Auto da Fe auf Auto da Fe; bis endlich jeder Keim derselben erstickt war. Seit dem Jahre 1570 finden wir fast nur noch Auslaͤnder um des Protestantismus willen vor die Inquisition gezogen M’Crie: History of the progress and suppression of the reformation in Spain. p. 336. . In Spanien beguͤnstigte die Regierung die Jesuiten nicht. Man fand, es seyen meistens Juden-Christen, nicht von dem rein spanischen Gebluͤt; man traute ihnen den Gedanken zu, sich fuͤr alle die Mißhandlungen, die sie er- duldet, wohl auch einmal raͤchen zu wollen. In Portu- gal dagegen gelangten die Mitglieder dieses Ordens nur allzubald zu unumschraͤnkter Gewalt; sie regierten das Reich im Namen des Koͤnigs Sebastian. Da sie auch in Rom, auch unter Pius V. den groͤßten Credit hatten, so brauchten sie ihre Autoritaͤt in jenem Lande nach den Ge- sichtspunkten der Curie. Und so beherrschte Pius V. die beiden Halbinseln voll- kommener, als lange Einer seiner Vorfahren; allenthalben traten die Tridentiner Anordnungen ins Leben; alle Bischoͤfe schichte der Inquisiton gewidmet. Histoire de l’inquisition III, 183—315. 24 Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . schwuren auf die Professio fidei, welche einen Inbegriff der dogmatischen Satzungen des Conciliums enthaͤlt; Papst Pius V. machte den roͤmischen Catechismus bekannt, in welchem dieselben hier und da noch weiter ausgebildet erscheinen; er abolirte alle Breviarien, die nicht vom roͤ- mischen Stuhl ausdruͤcklich gegeben, oder uͤber zweihundert Jahr lang eingefuͤhrt seyen, und machte ein neues bekannt, nach den aͤltesten der Hauptkirchen von Rom entworfen, von dem er wuͤnschte, daß es allenthalben eingefuͤhrt werde Remotis iis quae aliena et incerta essent. — Quoniam nobis 9 Julii 1568. ; er verfehlte nicht, auch ein neues Missale „nach der Norm und dem Ritus der heiligen Vaͤter“ Collatis omnibus cum vetustissimis nostrae Vaticanae bibliothecae aliisque undique conquisitis emendatis atque incor- ruptis codicibus. , zu allgemeinem Gebrauch zu publiciren; die geistlichen Semi- narien erfuͤllten sich; die Kloͤster wurden wirklich reformirt: die Inquisition wachte mit erbarmungsloser Strenge uͤber die Einheit und Unantastbarkeit des Glaubens. Eben hierdurch ward nun aber zwischen allen diesen Laͤndern und Staaten eine enge Vereinigung gebildet. Es trug dazu unendlich bei, daß Frankreich, in innere Kriege gerathen, seine alte Feindseligkeit gegen Spanien entweder aufgab, oder doch nicht mehr so lebendig geltend machte. Die franzoͤsischen Unruhen hatten auch noch eine andere Ruͤckwirkung. Aus den Ereignissen einer Zeit tauchen im- mer einige allgemeine politische Ueberzeugungen auf, welche dann die Welt praktisch beherrschen. Die katholischen Fuͤr- sten glaubten inne zu werden, daß es einen Staat ins Ver- Pius V. derben stuͤrze, wenn er Veraͤnderungen in der Religion ge- statte. Hatte Pius IV. gesagt, die Kirche koͤnne nicht fertig werden ohne die Fuͤrsten, so waren jetzt die Fuͤrsten uͤberzeugt, auch fuͤr sie sey eine Vereinigung mit der Kirche unumgaͤnglich nothwendig. Fortwaͤhrend predigte es ihnen Pius V. In der That erlebte er, diese fuͤdlich-christliche Welt sogar zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung um sich vereinigt zu sehen. Noch immer war die osmanische Macht in gewalti- gem Fortschritt: sie beherrschte das Mittelmeer: ihre Unter- nehmungen erst auf Malta, dann auf Cypern, zeigten, wie ernstlich sie eine Eroberung der bisher nicht bezwungenen Inseln beabsichtigte: von Ungarn und Griechenland aus be- drohte sie Italien. Es gelang Pius V. , den katholischen Fuͤrsten diese Gefahr endlich einmal recht einleuchtend zu machen; bei dem Angriff auf Cypern entsprang in ihm der Ge- danke eines Bundes derselben: den Venezianern auf der einen, den Spaniern auf der andern Seite schlug er einen solchen vor. „Als ich die Erlaubniß erhalten, daruͤber zu unterhandeln, und sie ihm mittheilte,“ sagt der venezianische Gesandte, „erhob er seine Haͤnde gegen den Himmel und dankte Gott: er versprach, diesem Geschaͤfte seinen ganzen Geist und alle seine Gedanken zu widmen Soriano. Havuta la risolutione — andai subito alla an- dienza, benchè era di notte e l’hora incommoda et S. S à . tra- vagliata per li accidenti seguiti quel giorno per la coronatione del D a . di Fiorenza ed il protesto dell Ambasciatore Cesareo (dagegen) e communicato la commissione che haveva S. S à . si allegrò tutta. .“ Es kostete ihm unendliche Muͤhe, die Schwierigkeiten wegzuraͤumen, die einer Verei- 24* Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . nigung der beiden Seemaͤchte entgegenstanden: die uͤbrigen Kraͤfte Italiens gesellte er ihnen zu: er selbst, obwohl er anfangs weder Geld noch Schiffe noch Waffen hatte, fand doch Mittel, auch paͤpstliche Galeeren zu der Flotte stoßen zu lassen: an der Wahl des Anfuͤhrers Don Johann von Oestreich hatte er Antheil: dessen Ehrgeiz und Devotion wußte er zugleich zu entflammen. Und so kam es zu dem gluͤcklichsten Schlachttag — bei Lepanto — den die Chri- sten je gehalten. So sehr lebte der Papst in diesem Un- ternehmen, daß er an dem Tage der Schlacht in einer Art von Entzuͤckung den Sieg zu sehen meinte. Daß dieser er- fochten ward, erfuͤllte ihn mit hohem Selbstvertrauen und den kuͤhnsten Entwuͤrfen. In ein paar Jahren hoffte er die Osmanen ganz erniedrigt zu haben. Nicht allein aber zu so unbedenklich ruhmwuͤrdigen Unternehmungen benutzte er seine Vermittelung. Seine Religiositaͤt war von einer so ausschließenden und gebiete- rischen Art, daß er den andersglaͤubigen Christen den bit- tersten Haß widmete. Daß die Religion der Unschuld und der Demuth, daß wahre Froͤmmigkeit verfolge, welch ein Widerspruch! Pius V. , hergekommen bei der Inquisition, in ihren Ideen alt geworden, fand darin keinen. Suchte er die Reste abweichender Regungen, die es in den katho- lischen Laͤndern gab, mit unermuͤdlichem Eifer zu vertilgen, so verfolgte er die eigentlichen, frei gewordenen oder noch im Kampf begriffenen Protestanten mit noch wilderem In- grimm. Den franzoͤsischen Katholiken kam er nicht allein selbst mit einer kleinen Kriegsmacht zu Huͤlfe: dem Anfuͤh- rer derselben, dem Grafen Santafiore, gab er die unerhoͤrte Pius V. Weisung, „keinen Hugenotten gefangen zu nehmen: jeden, der ihm in die Haͤnde falle, sofort zu toͤdten“ Catena Vita Pio V. p. 85. Pio si dolse del Conte che non havesse il comandamento di lui osservato d’ammazzar subito qualunque heretico gli fosse venuto alle mani. . Bei den niederlaͤndischen Unruhen schwankte Philipp II. anfangs, wie er die Provinzen zu behandeln habe: der Papst rieth ihm zu bewaffneter Dazwischenkunft. Sein Grund war: wenn man ohne den Nachdruck der Waffen unterhandle, so em- pfange man Gesetze: habe man dagegen die Waffen in den Haͤnden, so schreibe man deren vor. Er billigte die blutigen Maaßregeln des Alba: er schickte ihm dafuͤr den geweihe- ten Hut und Degen. Es kann nicht bewiesen werden, daß er um die Vorbereitungen zu der Bartholomaͤusnacht ge- wußt habe: aber er hat Dinge begangen, die keinen Zwei- fel uͤbrig lassen, daß er sie so gut wie sein Nachfolger gebilligt haben wuͤrde. Welch eine Mischung von Einfachheit, Edelmuth, persoͤnlicher Strenge, hingegebener Religiositaͤt und herber Ausschließung, bitterem Haß, blutiger Verfolgung. In dieser Gesinnung lebte und starb Pius V. Er starb 1. Mai 1572. . Als er seinen Tod kommen sah, besuchte er noch einmal die sie- ben Kirchen, „um,“ wie er sagte, „von diesen heiligen Orten Abschied zu nehmen:“ dreimal kuͤßte er die letzten Stufen der Scala santa. Er hatte einst versprochen, zu einer Unternehmung gegen England nicht allein die Guͤter der Kirche, Kelche und Kreuze nicht ausgenommen, aufzu- wenden, sondern auch in Person zu erscheinen, um sie zu Buch III. Die Paͤpste um d. Mitte d. 16. Jahrh . leiten. Auf dem Wege stellten sich ihm einige aus Eng- land verjagte Katholiken dar; er sagte: er wuͤnsche sein Blut fuͤr sie zu vergießen. Hauptsaͤchlich sprach er von der Liga, zu deren gluͤcklicher Fortsetzung er alles vorbe- reitet hinterlasse: das letzte Geld, das er ausgab, war dafuͤr bestimmt Informatione dell’ infermità di Pio V. Havendo in sua stanza in una cassettina 13 m. sc. per donare e fare elemosine di sua mano, due giorni avanti sua morte fece chiamare il de- positario della camera e levarli, dicendo, che sarieno boni per la lega. . Die Geister seiner Unternehmungen umgaben ihn bis auf seinen letzten Augenblick. An ihrem gluͤcklichen Fortgange zweifelte er nicht. Er meinte: Gott werde noͤthigenfalls aus den Steinen den Mann erwecken, dessen man beduͤrfe. Ward nun gleich sein Verlust mehr empfunden, als er selbst geglaubt hatte, so war doch eine Einheit gebildet, es war eine Macht vorhanden, deren innere Triebe die einge- schlagene Richtung behaupten mußten. Viertes Buch . Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. M it verjuͤngter, neu zusammengenommener Kraft trat nunmehr der Katholicismus der protestantischen Welt ent- gegen. Wollte man sie im Ganzen mit einander vergleichen, so war der Katholicismus schon dadurch in ungemeinem Vortheil, daß er einen Mittelpunkt hatte, ein Oberhaupt, das seine Bewegungen nach allen Seiten hin leitete. Nicht allein vermochte der Papst die Kraͤfte der uͤbri- gen katholischen Maͤchte zu gemeinschaftlichen Anstrengun- gen zu vereinigen: er hatte auch einen eigenen Staat, der stark genug war, um etwas Wesentliches dazu beizu- tragen. In einer neuen Bedeutung erscheint uns nunmehr der Kirchenstaat. Er war gegruͤndet worden, indem die Paͤpste ihre Ge- schlechter zu fuͤrstlicher Gewalt zu erheben, oder sich selbst ein uͤberwiegendes Ansehn unter den Maͤchten der Welt, vornehmlich den italienischen Staaten zu verschaffen such- ten. Weder das eine noch das andere hatten sie in dem Maaße erreicht, wie sie es gewuͤnscht haͤtten; jetzt war es auf immer unmoͤglich geworden, diese Bestrebungen zu er- Buch IV. Staat und Hof . neuern. Ein eigenes Gesetz verbot die Veraͤußerung kirch- licher Besitzthuͤmer: allzu maͤchtig waren die Spanier in Italien, als daß man noch mit ihnen haͤtte wetteifern duͤr- fen. Dagegen ward der Staat nunmehr zu einer Stuͤtze fuͤr die geistliche Gewalt. Mit den finanziellen Mitteln, die er darbot, wurde er fuͤr die allgemeine Entwickelung wichtig. Ehe wir weiter gehen, ist es nothwendig, seine Verwaltung, wie sie sich in dem Laufe des 16ten Jahr- hunderts allmaͤhlig ausbildete, naͤher ins Auge zu fassen. Verwaltung des Kirchenstaates. Ein wohlgelegenes, reiches, herrliches Gebiet war den Paͤpsten zu Theil geworden. Die Relationen des 16ten Jahrhunderts koͤnnen nicht Worte genug finden, um die Fruchtbarkeit desselben zu ruͤh- men. Wie schoͤne Ebenen biete es um Bologna, durch ganz Romagna dar. Die Apenninen hinan verknuͤpfe es Anmuth und Fruchtbarkeit. „Wir reisten,“ sagen die ve- nezianischen Gesandten von 1522, „von Macerata nach Tolentino durch das schoͤnste Gefilde, Huͤgel und Ebenen voller Getreide; 30 Miglien weit wuchs nichts anderes; keinen Fußbreit Landes haͤtte man unbebaut finden koͤnnen: es schien uns unmoͤglich, so viel Getreide einzusammeln, geschweige zu verbrauchen.“ Die Romagna brachte jaͤhr- lich 40000 Stara Getreide mehr hervor, als sie selbst be- durfte; es war große Nachfrage darnach; nachdem die ge- Verwaltung des Kirchenstaates . birgigen Landstriche von Urbino, Toscana und Bologna versorgt worden, fuͤhrte man zuweilen noch 35000 Stara seewaͤrts aus. Waͤhrend von der Romagna und der Mark aus Venedig Badoer: Relatione 1591. Die Freundschaft von Romagna gruͤnde sich auf die Einsicht: quanto importa la vicinità di questa città, per ben vendere per l’ordinario le loro biade, vini, frutti, guadi et altre cose, riportandone all’ incontro boni danari. , wurden an dem andern Meere, aus dem Gebiete von Viterbo und dem Patrimonium in der Regel Genua, zuweilen sogar Neapel mit ihrem Beduͤrfniß versehen. In einer seiner Bullen vom Jahre 1566 preist Pius V. die goͤttliche Gnade, durch die es geschehen sey, daß Rom, welches in fruͤheren Zeiten nicht ohne fremdes Getreide be- stehen koͤnnen, jetzt nicht allein daran Ueberfluß habe, son- dern auch Nachbarn und Auswaͤrtigen, zu Land und See, dessen oftmals aus seiner Campagna zuzufuͤhren vermoͤge Jurisdictio consulum artis agriculturae urbis — 9 Sept. 1566. — Bullar. Cocquel. IV, II, 314. . Im Jahre 1589 berechnet man die Getreideausfuhr des Kirchenstaates auf einen Werth von jaͤhrlich 500000 Sc. Giovanni Gritti: Relatione 1589. La Romagna e la Marca sola si mette che alcune volte abbia mandato fuori 60 m. rubbia di grano e piu di 30 m. di menudi. Il paese di Roma e lo stato di là dell’ Alpi quasi ogni anno somministra il viver al paese di Genova et altri luoghi circonvicini onde dell’ uscita di grani e di biade dello stato ecclesiastico si tien per cosa certa che ogn’ anno entri in esso valsente di 500 m. sc. almeno: nè all’ incontro ha bisogno di cose di fuori se non di poco mo- mento et in poca stima che sono specierie e cose da vestirsi di nobili e persone principali. . Einzelne Landschaften waren noch durch besondere Produkte beruͤhmt: Perugia durch Hanf, Faenza durch Lein, Vi- Buch IV. Staat und Hof . terbo durch beides Voyage de Montaigne II, 488. , Cesena durch einen Wein, den man verschiffte, Rimini durch Oel, Bologna durch Waid, S. Lorenzo durch sein Manna; das Weingewaͤchs von Mon- tefiascone hatte Ruf in der ganzen Welt. In der Cam- pagna fand man damals eine Gattung Pferde, die den nea- politanischen nicht viel nachgab: nach Nettuno und Terracina hin hatte man die schoͤnste Jagd, zumal von Ebern. Es fehlte nicht an fischreichen Seen: man besaß Salzwerke, Alaunwerke, Marmorbruͤche; man schien alles in Fuͤlle zu haben, was man sich nur zum Leben wuͤnschen konnte. Von dem Verkehr der Welt war man denn auch mit nichten ausgeschlossen. Ancona hatte einen sehr bluͤhenden Handel. „Es ist ein schoͤner Ort,“ sagen jene Gesandten von 1522, „voll von Kaufleuten, hauptsaͤchlich Griechen und Tuͤrken: — es ward uns versichert, daß einige von ihnen im vorigen Jahre ein Geschaͤft von 500000 Duc. gemacht haben.“ Im Jahre 1549 finden wir daselbst 200 griechische Familien angesiedelt, die ihre eigene Kirche ha- ben, alles Handelsleute. Der Hafen ist voll von levanti- nischen Caravallen. Armenier, Tuͤrken, Florentiner, Luccche- sen, Venezianer, Juden von Orient und Occident sind zu- gegen. Die Waaren, die man hier austauschte, bestanden in Seide, Wolle, Leber, Blei von Flandern, Tuchen. Der Luxus nahm zu: die Miethen der Haͤuser waren im Stei- gen: man nahm Aerzte und Schullehrer zahlreicher und zu hoͤherer Besoldung an, als bisher Saracini notizie istoriche della città d’Ancona. Rom. 1675. p. 362. . Verwaltung des Kirchenstaates . Noch viel mehr aber, als Regsamkeit und Handels- thaͤtigkeit, ruͤhmt man uns die Tapferkeit der Einwohner des Kirchenstaates: zuweilen wird sie uns sogar nach ihrer mannichfaltigen Abstufung vorgestellt. Man findet die Peru- giner wacker im Dienst: die Romagnolen tapfer, aber un- vorsichtig; die Spoletiner voll von Kriegslisten; die Bo- lognesen muthig, und nur schwer in Mannszucht zu hal- ten; die Marchianen zur Pluͤnderung geneigt: die Faenti- ner vor allem geeignet, einen Angriff auszuhalten und den Feind auf seinem Ruͤckzug zu verfolgen; in der Ausfuͤh- rung schwieriger Manoͤver schienen die Forlivesen, im Ge- brauch der Lanze die Einwohner von Fermo den Vorzug zu verdienen Landi: Quaestiones Forcianae, Neapoli 1536 ein Buch voll guter und besonderer Notizen uͤber den damaligen Zustand von Italien. . „Das ganze Volk“, sagt einer unserer Vene- zianer, „ist zum Kriege geschickt und wild von Natur. So- bald diese Menschen nur einmal ihre Heimath verlassen haben, sind sie zu jeder Kriegsthat, zu Belagerungen wie zu offener Schlacht zu brauchen; leicht ertragen sie die Muͤhseligkeiten des Feldzugs Soriano 1570: „Quanto a Soldati, è commune opinione, che nello stato della chiese siano i migliori di tutto il resto d’Italia, anzi d’Europa.“ .“ Noch immer bekam Vene- dig seine besten Truppen aus der Mark und aus Romagna; darum war die Freundschaft eines Herzogs von Urbino fuͤr die Republik so wichtig; immer finden wir Hauptleute aus diesen Gegenden in ihren Diensten. Man sagte aber, es gebe hier Capitaͤne fuͤr alle Fuͤrsten der Welt; man er- innerte daran, daß von hier die Compagnie des heiligen Buch IV. Staat und Hof . Georg ausgegangen sey, mit der Alberich von Barbiano die auslaͤndischen Soͤldnerhaufen ausgerottet, und den Ruhm der italienischen Waffen erneuert hatte; es sey noch der Stamm und Saame der Menschen, welcher einst zur Gruͤn- dung des roͤmischen Reiches so viel beigetragen Lorenzo Priuli: Relatione 1586. Lo stato pieno di vi- veri per darne anco a popoli vicini, pieno di huomini bellicosi: — er nennt die Genga, Carpagna, Malatesta — Pareno tutti questi popoli nati et allevati nella militia. E molto presto si metteria insieme molto buona gente toccando il tamburo. . In neueren Zeiten hat sich ein so stark ausgesprochenes Lob weniger bewaͤhrt: doch soll der letzte Kriegsfuͤrst, der sich dieser Mannschaft außerhalb ihrer Heimath bedient hat, ihnen vor den uͤbrigen italienischen und einem guten Theil seiner franzoͤsischen Truppen unbedenklich den Vorzug zu- gestanden haben. Alle diese reichen Landschaften und tapfern Bevoͤlke- rungen waren jetzt der friedlichen, geistlichen Gewalt des Papstes unterworfen; die Natur des Staates, die sich un- ter ihr entwickelte, haben wir uns nun in ihren Grund- zuͤgen zu vergegenwaͤrtigen. Er beruhte, wie der italienische Staat uͤberhaupt, auf einer mehr oder minder durchgreifenden Beschraͤnkung der municipalen Unabhaͤngigkeit, welche sich im Laufe der Jahr- hunderte ziemlich allenthalben ausgebildet hatte. Noch waͤhrend des funfzehnten Jahrhunderts empfin- gen die Prioren von Viterbo auf ihren steinernen Sitzen vor der Thuͤr des Stadthauses den Eid des Podesta, wel- cher ihnen von dem Papst oder seinem Stellvertreter zuge- sendet wurde Feliciano Bussi: Istoria di Viterbo p. 59. . Verwaltung des Kirchenstaates . Als sich im Jahre 1463 die Stadt Fano dem paͤpst- lichen Stuhle unmittelbar unterwarf, machte sie zuvor ihre Bedingungen; nicht allein Unmittelbarkeit auf alle Zukunft, sondern auch das Recht, ihren Podesta selbst zu erwaͤhlen, ohne weitere Bestaͤtigung, auf 20 Jahre Befreiung von allen neuen Lasten, den Vortheil von dem Salzverkauf und mehrere andere Berechtigungen bedang sie sich aus Amiani: Memorie istoriche della città di Fano. T. II, p. 4. . Selbst ein so gewaltsamer Herrscher wie Cesar Bor- gia konnte es nicht umgehen, den Staͤdten, aus welchen er seine Herrschaft zusammengesetzt, Privilegien zu gewaͤh- ren. Der Stadt Sinigaglia trat er sogar Einkuͤnfte ab, die bisher dem Fuͤrsten gehoͤrt hatten Siena: Storia di Sinigaglia. App. nr. VI. . Wie viel mehr mußte Julius II. dieß thun, dessen Ehr- geiz es war, als ein Befreier von der Tyrannei zu erscheinen. Die Peruginer erinnerte er selbst daran, daß er die bluͤhen- den Jahre seiner Jugend in ihren Mauern zugebracht habe. Als er den Baglione aus Perugia verdraͤngte, begnuͤgte er sich, die Ausgewanderten zuruͤckzufuͤhren, dem friedlichen Magistrat der Priori seine Macht zuruͤckzugeben, die Pro- fessoren der Universitaͤt mit besseren Besoldungen zu er- freuen; die alten Freiheiten tastete er nicht an. Noch lange nachher leistete diese Stadt nichts weiter, als eine Recognition von ein paar tausend Ducaten; noch unter Clemens VII. finde ich eine Berechnung, wie viel Trup- pen sie ins Feld stellen koͤnne, gleich als waͤre es eine voͤllig freie Commune Suriano: Relatione di Fiorenza. 1533. . Buch IV. Staat und Hof . Eben so wenig ward Bologna unterjocht. Es hat allezeit mit den Formen auch viele wesentliche Attribute municipaler Unabhaͤngigkeit behauptet. Frei verwaltete es seine Einkuͤnfte: es hielt seine eigenen Truppen; der Legat des Papstes nahm eine Besoldung von der Stadt. In dem venezianischen Kriege eroberte Julius II. die Staͤdte der Romagna. Er hat keine einzige an sich ge- bracht, ohne beschraͤnkende Bedingungen einzugehen, oder ohne bestimmte neue Vorrechte zu gewaͤhren; auf die Ca- pitulationen, die sie damals schlossen, sind sie spaͤter immer zuruͤckgekommen. Das staatsrechtliche Verhaͤltniß, in das sie traten, bezeichneten sie mit dem Titel der kirchlichen Freiheit Rainaldus gedenkt dessen, aber sehr kurz. Ueber Ravenna Hieronymi Rubei Historiarum Ravennatum lib. VIII, p. 660. . Fassen wir den Staat, der auf diese Weise zusammen- kam, im Ganzen, so hat er eine große Aehnlichkeit mit dem venezianischen. In dem einen wie in dem andern war die Staatsgewalt bisher in den Haͤnden der Communen gewesen, die in der Regel andere kleinere Gemeinheiten unterworfen hatten und beherrschten. Im Venezianischen begaben sich diese regierenden Municipalitaͤten, ohne darum ihre Unabhaͤngigkeit in allen Stuͤcken einzubuͤßen, auf sehr genau bestimmte Bedingungen unter die Herrschaft der Nobili von Venedig. Im Kirchenstaat geriethen sie unter das Gemeinwesen der Curie. Denn ein Gemeinwesen, wie dort der Adel, bildete hier der Hof. Zwar war die Wuͤrde der Praͤlatur, waͤhrend der ersten Haͤlfte dieses Jahrhun- derts, Verwaltung des Kirchenstaates . derts, noch selbst nicht fuͤr die bedeutendsten Stellen un- entbehrliches Erforderniß: es finden sich weltliche Vicele- gaten in Perugia: in Romagna scheint es fast die Regel zu seyn, daß ein weltlicher Praͤsident die Verwaltung lei- tet; Laien erwarben zuweilen die groͤßte Macht und ein unbedingtes Ansehn, wie unter Clemens VII. Jacopo Sal- viati; aber einmal gehoͤrten auch diese zu der Curie: sie waren Angehoͤrige eines Papstes, und hierdurch Mitglieder jener Corporation: sodann liebten die Staͤdte weltliche Go- vernatoren nicht; sie forderten selbst Praͤlaten: es schien ihnen ehrenvoller, hohen Geistlichen zu gehorchen. Mit einem deutschen Fuͤrstenthum und dessen ausgebildetem staͤn- dischen Wesen verglichen, sieht ein italienisches auf den er- sten Blick fast rechtlos aus. Aber in der That gab es auch hier eine bemerkenswerthe Gliederung mannichfaltiger Gerechtsame: der Nobili einer Stadt der Staatsgewalt ge- genuͤber, der Cittadini in Bezug auf die Nobili, der un- terworfenen Communen gegen die vornehmste, der Bauern gegen die Stadt. Auffallend ist, daß es in Italien fast nirgends zu Provinzialberechtigungen kam. Auch in dem Kirchenstaat wurden wohl Provinzialzusammenkuͤnfte gehal- ten; man bezeichnet sie mit dem viel bedeutenden Namen von Parlamenten; allein auf irgend eine Weise muß es den Sitten des Landes und dem italienischen Charakter wi- dersprochen haben, ein solches Institut auszubilden: zu ei- ner nachhaltigen Wirksamkeit sind sie niemals gelangt. Haͤtte sich aber auch nur die municipale Verfassung vollkommen entwickelt, wie sie dazu die Moͤglichkeit hatte und auf dem Wege zu seyn schien, so wuͤrde sie bei der 25 Buch IV. Staat und Hof . Beschraͤnkung der Staatsgewalt auf der einen, den positiven Rechten, und der großen Macht der Communen auf der an- dern Seite und der Menge einzelner Privilegien das Prin- zip der Stabilitaͤt — ein durch besondere Berechtigungen und gegenseitige Beschraͤnkung fixirtes Staatswesen — auf das staͤrkste dargestellt haben. In dem Venezianischen ist man sehr weit darin ge- kommen: um vieles weniger in dem Kirchenstaat. Es liegt das schon in dem urspruͤnglichen Unterschied der Regierungsformen. In Venedig war es eine erbliche, sich selbst regierende Corporation, welche die Regierungs- rechte als ihr Eigenthum ansah. Die roͤmische Curie war dagegen hoͤchst beweglich: nach jedem neuen Conclave stie- ßen neue Elemente dazu; die Landsleute der verschiedenen Paͤpste bekamen allemal einen großen Antheil an den Ge- schaͤften. Dort ging jede Wahl zu einer Stelle in der Verwaltung von der Corporation selber aus: hier hing sie von der Gunst des Oberhauptes ab. Dort wurden die Regierenden durch strenge Gesetze, scharfe Aufsicht und Syn- dication in Zaum gehalten: hier wurde die Persoͤnlichkeit weniger durch Furcht vor der Strafe, als durch Hoffnung auf Befoͤrderung, die indeß doch sehr von Gunst und Wohl- wollen abhing, eingeschraͤnkt, und behauptete einen weite- ren Spielraum. Auch hatte sich die paͤpstliche Regierung von allem An- fang eine freiere Stellung ausbedungen. In dieser Hinsicht giebt es ein merkwuͤrdiges Resul- tat, wenn man irgendwo roͤmische Zugestaͤndnisse mit vene- zianischen vergleicht. Unter andern ist das bei Faenza Verwaltung des Kirchenstaates . leicht, welches sich erst wenige Jahre, ehe es an den Papst fiel, den Venezianern ergeben hatte, und mit beiden Capi- tulationen abschloß Historie di Faenza, fatica di Giulio Cesare Tonduzzi Faenza 1675 enthalten die mit den Venezianern 1501 abgeschlossenen Capitel p. 569, die von Julius II. 1510 zugestandenen p. 587. . Beide Male hatte es z. B. gefor- dert, daß nie eine neue Auflage eingefuͤhrt werden duͤrfe, ohne die Billigung der Mehrheit des großen Rathes von Faenza; die Venezianer hatten das ohne Bedenken zugege- ben: der Papst fuͤgte die Clausel hinzu: „wofern es nicht ihm aus bedeutenden und vernuͤnftigen Gruͤnden anders ge- falle.“ Ich will diese Capitel nicht durchgehen: allenthal- ben zeigt sich ein aͤhnliches Verhaͤltniß: es ist genug, wenn ich noch Einer Abweichung gedenke. Die Venezianer hat- ten ohne Weiteres zugestanden, daß alle Criminalurtheile von dem Podesta und dessen Curie gefaͤllt werden sollten; der Papst gestattete das im Allgemeinen nicht minder: nur Eine Ausnahme setzte er fest. In Faͤllen der beleidigten Majestaͤt oder aͤhnlicher Verbrechen, die ein oͤffentliches Aergerniß veranlassen koͤnnten, soll die Autoritaͤt des Go- vernators eintreten. Man sieht, daß sich die paͤpstliche Regierung gleich von vorn herein eine viel staͤrkere Einwir- kung der souveraͤnen Gewalt vorbehielt Welche Mittel sie brauchte deutet Paul III. an, wenn er sagt (1547) „ceux qui viennent nouvellement au papat viennent pauvres, obligés de promesses, et la dépense, qu’ils font, pour s’asseurer dans les terres de l’église monte plus que le profit des premières années. Le C l. de Guise au roy de France bei Ribier II. 77. . Es ist nicht zu leugnen, daß man es ihr von der an- dern Seite her sehr erleichterte. 25* Buch IV. Staat und Hof . In den unterworfenen Staͤdten hielten sich zwar in jener Zeit die mittleren Staͤnde, die Buͤrger, auch wenn sie Einkuͤnfte besaßen, um davon zu leben, die Kaufleute und Handwerker ruhig und gehorsam: in ewiger Bewegung aber sah man die Patrizier, die Nobili, welche es doch waren, die die municipale Gewalt in ihren Haͤnden hat- ten. Sie trieben keine Gewerbe; sie bekuͤmmerten sich we- nig um den Ackerbau; weder hoͤhere Bildung noch Ge- wandtheit in der Fuͤhrung der Waffen lag ihnen sehr am Herzen; nur ihre Entzweiungen und Feindseligkeiten be- schaͤftigten sie. Noch immer bestanden die alten Parteiun- gen der guelfischen und gibellinischen Geschlechter; durch die letzten Kriege, die eine Eroberung bald von der einen, bald von der andern Seite herbeigefuͤhrt, waren sie ge- naͤhrt worden: man kannte alle Familien, die zu der einen oder zu der andern gehoͤrten. In Faenza, Ravenna, Forli waren die Gibellinen, in Rimini die Guelfen am staͤrksten, doch hielten sich in jeder dieser Staͤdte auch die entgegenge- setzten Factionen; in Cesena und Imola waren sie einander gleich. Auch bei aͤußerlicher Ruhe ging doch ein geheimer Krieg fort; ein Jeder ließ es sich vor allem angelegen seyn, seine Gegner von der andern Partei niederzuhalten, in Schatten zu stellen Relatione della Romagna (Bibl. Alt.): Li nobili hanno seguito di molte persone delle quali alcune volte si vagliono ne consegli per consequire qualche carica o per se o per altri, per potere vincere o per impedire all’ altri qualche richiesta; ne giuditii per provare et alcune volte per testificare nelle inimi- citie per fare vendette ingiurie: alcuni ancora a Ravenna Imola e Faenza usavano de contrabandare grano. . Die Oberhaͤupter hatten An- Verwaltung des Kirchenstaates . haͤnger in der geringsten Classe an der Hand; starke ent- schlossene Leute, herumschweifende Bravi, welche diejenigen selber aufsuchen, von denen sie wissen, daß sie vor ihren Feinden Furcht hegen, oder daß sie wohl eine Beleidigung zu raͤchen haͤtten: einen Mord fuͤr Geld auszufuͤhren sind sie immer bereit. Diese durchgehende Feindseligkeit bewirkte nun, daß, indem keine Partei der andern die Gewalt goͤnnte, noch ihr traute, die Staͤdte selbst ihre Privilegien weniger streng behaupteten. Wenn der Praͤsident, der Legat in die Pro- vinz kam, so fragte man nicht, ob er die municipalen Rechte zu beobachten gesonnen sey; man suchte nur zu er- forschen, mit welcher Partei er es halte. Man kann nicht ausdruͤcken, wie sehr sich die Beguͤnstigten freuten, die An- dern betruͤbten. Der Legat mußte sich sehr in Acht neh- men. Die angesehensten Maͤnner schlossen sich leicht an ihn an, suchten ihm gefaͤllig zu seyn, gaben einen großen Ei- fer fuͤr das Interesse des Staates zu erkennen, und billig- ten alle Maaßregeln, welche zur Befoͤrderung desselben er- griffen wurden; aber alles dieß thaten sie oft nur, um bei ihm Fuß zu fassen, sich einzuschmeicheln, und alsdann die Partei, welche sie haßten, desto empfindlicher benachtheili- gen, verfolgen zu koͤnnen Relatione di Mons re. Rev mo. Gio. P. Ghisilieri al P. Gre- gorio XIII. tornando egli dal Presidentato di Romagna. Aus Tonduzzi ( Storia di Faenza p. 673 ) sehen wir, daß Ghisilieri 1578 in die Provinz kam. . In etwas anderer Lage waren die Barone auf dem Lande. In der Regel waren sie arm, aber freigebig und Buch IV. Staat und Hof . ehrgeizig, so daß sie selbst offenes Haus hielten, und ohne Ausnahme einen Aufwand machten, der ihre Kraͤfte uͤberstieg. In den Staͤdten hatten sie noch immer Anhaͤnger, deren sie sich manchmal zu Ungesetzlichkeiten bedienten. Ihre vornehmste Sorge aber ließen sie es seyn, mit ihren Bauern, die im- mer bei weitem den meisten Grund und Boden besaßen, obwohl eben auch keine Reichthuͤmer, ein gutes Verhaͤlt- niß zu behaupten. In den suͤdlichen Laͤndern haͤlt man wohl auf das Ansehn der Geburt, die Praͤrogative des Bluts; aber der Unterschied der Staͤnde ist doch lange nicht so stark, wie in den noͤrdlichen; er schließt die engste persoͤn- liche Vertraulichkeit nicht aus. Auch diese Barone lebten mit ihren Bauern mehr in dem Verhaͤltniß einer bruͤderli- chen Unterordnung; man konnte nicht sagen, ob die Un- terthanen zu Gehorsam und Dienst, oder die Barone zu Huͤlfleistungen williger waren; es lag noch etwas Patriar- chales in ihrer Verbindung Relatione della Romagna: essendosi aggiustati gli uni all’ humore degli altri. . Dieß kam unter andern da- her, weil der Baron vor allem den Recurs seiner Hintersassen an die Staatsgewalt zu vermeiden suchte. Von der Lehns- herrlichkeit des paͤpstlichen Stuhles wollte er nicht viel wissen. Daß der Legat die zweite und zuweilen sogar die erste Instanz in Anspruch nahm, hielten diese Lehensleute nicht sowohl fuͤr ein Recht, als fuͤr die Folge einer un- gluͤcklichen politischen Conjunctur, welche bald voruͤber ge- hen werde. Noch gab es auch hier und da, besonders in der Ro- Verwaltung des Kirchenstaates . magna, ganz freie Bauerschaften Die Bauern hatten oft die Herrschaft der Staͤdte so eben abgeschuͤttelt. Ghisilieri: Scossi da quel giogo e recati quasi corpo diverso da quella città (z. B. Forli, Cesena) si governano con certe loro leggi separate sotto il governo d’un protettore eletto da loro medesimi li quali hanno ampl ma. antorità di far le resolutioni necessarie per li casi occorrenti alli contadini. . Es waren große Ge- schlechter, die sich von Einem Stamm herleiteten; Herren in ihren Doͤrfern, alle bewaffnet, besonders geuͤbt im Ge- brauch der Hakenbuͤchse, in der Regel halb verwildert. Man kann sie mit den freien griechischen oder slawischen Gemeinden vergleichen, die unter den Venezianern ihre Un- abhaͤngigkeit behaupteten, oder die verlorene unter den Tuͤrken wieder erkaͤmpften, wie wir ihnen in Candia, Mo- rea und Dalmatien begegnen. In dem Kirchenstaat hiel- ten auch sie sich zu den verschiedenen Factionen. Die Ca- vina, Scardocci, Solaroli waren Gibellinen; die Man- belli, Cerroni und Serra Guelfen. Die Serra hatten in ihrem Gebiet eine Anhoͤhe, die zu einer Art Asyl fuͤr die- jenigen diente, die etwas verbrochen hatten. Die staͤrksten von allen waren die Cerroni, die auch noch in das flo- rentinische Gebiet hinuͤberwohnten. Sie hatten sich in zwei Aeste getheilt, — Rinaldi und Ravagli, die trotz ihrer Verwandtschaft in ewiger Fehde lagen. Sie standen in einer Art von erblicher Verbindung, nicht allein mit den vornehmen Geschlechtern der Staͤdte, sondern auch mit Rechtsgelehrten, welche die eine oder die andere Faction in ihren Streithaͤndeln unterstuͤtzten. In ganz Romagna gab es keine so maͤchtige Familie, daß sie nicht von diesen Bauern leicht haͤtte verletzt werden koͤnnen. Immer hatten Buch IV. Staat und Hof . die Venezianer einen oder den andern Obersten unter ihnen, um ihrer Huͤlfe in Kriegsfaͤllen gewiß zu seyn Ghisilieri. Siccome il popolo disunito facilmente si domina, cosi difficilmente se regge, quande è troppo unito. . Waͤren, wie gesagt, alle diese Einwohner einmuͤthig gewesen, so haͤtte es den roͤmischen Praͤlaten schwer fallen sollen, die Staatsgewalt geltend zu machen. Ihre Entzweiung aber gab der Regierung Kraft. In der Relation eines Praͤsidenten der Romagna an Papst Gregor XIII. finde ich die Worte: „es regiert sich schwer, wenn das Volk allzugut zusammenhaͤlt: ist es dagegen entzweit, so laͤßt es sich leicht beherrschen.“ Aber uͤberdieß bildete sich in diesen Laͤndern noch eine Partei, zu Gunsten der Regierung. Es waren die friedlichen Leute, welche die Ruhe wuͤnschten, je- ner Mittelstand, der von den Factionen nicht ergriffen war. In Fano trat er in eine Verbindung zusammen, die man die heilige Union nannte; dazu genoͤthigt, wie es in der Stiftungsurkunde heißt, „weil sich die ganze Stadt mit Raub und Mord erfuͤllt habe, und nicht allein Diejenigen unsicher seyen, die sich in die Feindseligkeiten verwickelt, son- dern auch Die, welche lieber im Schweiß ihres Angesichts ihr Brot aͤßen;“ sie vereinigen sich durch einen Eidschwur in der Kirche als Bruͤder auf Leben und Tod, die Ruhe in der Stadt aufrecht zu erhalten, und die Stoͤrer dersel- ben zu vernichten Sie ist wie die Hermandad. Amiani: Memorie di Fano II, 146. hat ihre Formel, die sich auf den Spruch gruͤndet: Beati Pacifici, quia filii dei vocabuntur. Daher mag ihr Name in andern Staͤdten stammen. . Die Regierung beguͤnstigte sie und gab ihnen das Recht, Waffen zu tragen. In der ganzen Verwaltung des Kirchenstaates . Romagna finden wir sie unter dem Namen der Pacifici: sie bilden allmaͤhlig eine Art von plebejischem Magistrat. Auch unter den Bauern hatte die Regierung ihre Anhaͤn- ger. Die Manbelli hielten sich zu dem Hofe des Legaten. Sie schafften Banditen herbei und bewachten die Grenzen: es gab ihnen dieß wieder unter ihren Nachbarn ein nicht geringes Ansehen Nach der Relatione della Romagna nannten sie sich auch von ihrem Wohnsitz huomini da Schieto: — huomini, sagt die- selbe, che si fanno molto riguardare: sono Guelfi: la corte di Romagna si è valuta dell’ opera loro molto utilmente massime in havere in mano banditi et in ovviare alle frandi, che si fanno in estrarre bestiami dalle montagne. . Nachbarliche Eifersucht, der Gegen- satz der Landgemeinden gegen die Staͤdte und manche an- dere innere Uebelstaͤnde kamen der Regierung uͤberdieß zu Huͤlfe. Und so finden wir statt jener Gesetzlichkeit, Ruhe und Stabilitaͤt, zu welcher der Idee nach diese Verfassung haͤtte entwickelt werden koͤnnen, eine lebhafte Bewegung der Factionen, Einwirkung der Regierung, so lange diese ent- zweit sind, Gegendruck der Municipalitaͤten, so wie sie sich einmal vereinigen: Gewalt fuͤr das Gesetz, Gewalt wider das Gesetz. Ein jeder sieht, wie weit ers bringen kann. Gleich unter Leo X. machten die Florentiner, welche die Regierung groͤßtentheils in Haͤnden hatten, die Rechte der Curie auf eine sehr druͤckende Weise geltend. Man sah die Gesandtschaften der Staͤdte eine nach der an- dern nach Rom gelangen, und um eine Abhuͤlfe ihrer Be- schwerden nachsuchen. Ravenna erklaͤrte, es werde sich eher Buch IV. Staat und Hof . den Tuͤrken ergeben, als die Fortsetzung eines solchen Re- giments dulden Marino Zorzi Rel ne. di 1517. Le terre di Romagna è in gran combustione e desordine: li vien fatta poca justitia; e lui orator a visto tal x man di oratori al C l. di Medici, che negotia le facende lamentandosi di mali portamenti fanno quelli rettori loro. . Noch oft kamen waͤhrend der Sedis- vacanzen die alten Herren zuruͤck: nur mit Muͤhe wurden sie dann von den Paͤpsten wieder verjagt. Auf der andern Seite fuͤrchteten auch die Staͤdte, wieder alienirt zu wer- den. Bald ist es ein Cardinal, bald ein Angehoͤriger des Papstes, bald ein benachbarter Fuͤrst, der fuͤr eine Summe, die er der Kammer zahlt, die Regierungsrechte in einer oder der andern Stadt an sich zu bringen sucht. Die Staͤdte halten auch darum Agenten und Gesandten zu Rom, um jeden Plan dieser Art, so wie er gefaßt ist, kennen zu lernen, so wie er zur Ausfuͤhrung gelangen soll, zu hinter- treiben. In der Regel gelingt es ihnen. Aber zuweilen kommen sie auch in den Fall, gegen paͤpstliche Autoritaͤ- ten, selbst gegen paͤpstliche Truppen Gewalt zu brauchen. Beinahe in jeder Geschichte dieser Ortschaften findet sich ein oder das andere Beispiel einer groben Widersetzlichkeit. In Faenza kam es einmal, in dem Sommer des Jahres 1521, zwischen den Schweizern des Papstes Leo und den Buͤrgern zu einem foͤrmlichen Kampf, zu einer Art von Schlacht auf der Straße. Den Schweizern gelang es noch, sich auf der Piazza zu vereinigen: aber alle Ausgaͤnge der Straßen, die in dieselbe muͤnden, waren von den Buͤrgern verrammelt, und die Schweizer mußten zufrieden seyn, daß man eine eroͤffnete, und sie ohne Beschaͤdigung abziehen Verwaltung des Kirchenstaates . ließ. In Faenza hat man diesen Tag seitdem lange Jahre hindurch mit religioͤsen Festlichkeiten begangen Tonduzzi: Historie di Faenza p. 609. . Jesï, nicht grade eine bedeutende Stadt, hatte doch den Muth, den Vicegovernator, der gewisse Ehrenbezeigungen verlangte, die man ihm nicht erwiesen mochte, am 25. Nov. 1528 in seinem Pallast anzugreifen. Buͤrger und Bauern waren vereinigt, 100 Albaneser, die in der Naͤhe standen, in Sold genommen. Der Vicegovernator ergriff mit allen sei- nen Beamten die Flucht. „Mein Vaterland,“ sagt der uͤbrigens sehr devote Chronist dieser Stadt, „das sich dergestalt zu seiner urspruͤnglichen Freiheit hergestellt sah, beschloß diesen Tag jaͤhrlich auf oͤffentliche Kosten feierlich zu begehen“ Baldassini: memorie istoriche dell’ antichissima città di Jesi. Jesi 1744. p. 256. . Hieraus konnte, wie sich versteht, nichts anderes fol- gen, als neue Uebermannung, Strafe und groͤßere Be- schraͤnkung. Gegen Staͤdte, welche noch bedeutende Ueber- reste der alten Freiheit besaßen, ergriff die Regierung solche Gelegenheiten, um ihnen dieselben zu entreißen, um sie vol- lends zu unterwerfen. Wie dieß geschah, davon bieten besonders Ancona und Perugia merkwuͤrdige Beispiele dar. Auch Ancona bezahlte dem Papst nur eine jaͤhrliche Recognition. Sie erschien um so unzureichender, je mehr die Stadt in Aufnahme kam. Am Hofe berechnete man die Einkuͤnfte von Ancona auf 50000 Scudi, und fand es unertraͤglich, daß der dortige Adel dieß Geld unter sich Buch IV. Staat und Hof . theile. Da nun die Stadt sich zugleich neuen Auflagen entzog, und ein Castell, auf das sie Anspruch hatte, mit Gewalt einnahm, so kam es zu offenen Mißhelligkeiten. Man bemerke, wie damals noch Regierungen zuweilen ihr Recht geltend machten. Die paͤpstlichen Beamten ließen das Vieh aus der anconitanischen Feldmark wegtreiben, um zu dem Betrag ihrer Auflage zu gelangen: man nannte das Repressalien. Indessen war Clemens VII. hiermit nicht zufrieden. Er erwartete nur einen guͤnstigen Augenblick, um sich zum wirklichen Herrn von Ancona zu machen. Nicht ohne Hin- terlist suchte er ihn herbeizufuͤhren. Indem er eine Festung in Ancona anzulegen befahl, gab er vor, er thue das allein deshalb, weil die tuͤrkische Macht, nach ihren Erfolgen in Aegypten und Rhodus in so großer Aufnahme auf dem ganzen Mittelmeer, sich in Kurzem ohne Zweifel auch auf Italien werfe. Welch eine Gefahr sey es denn, wenn Ancona, wo ohnedieß stets eine Anzahl tuͤrkischer Fahrzeuge liege, durch keinerlei Werke geschuͤtzt werde. Er schickte Antonio Sangallo, die Fe- stung anzulegen. Die Arbeiten gingen auf das rascheste vorwaͤrts: bald nahm eine kleine Mannschaft daselbst Platz. Eben dieß war der Moment, den der Papst erwartete. Als man so weit war, im September 1532, erschien eines Tages der Governator der Mark, Monsignor Bernardino della Barba, zwar ein Priester, aber von kriegerischer Ge- sinnung, mit einem stattlichen Heer, das ihm die Eifer- sucht der Nachbarn zusammengebracht, in dem Gebiete von Ancona, nahm ein Thor ein, ruͤckte sofort auf den Markt- Verwaltung des Kirchenstaates . platz und ließ seine Truppen vor dem Pallast aufmarschi- ren. Unbesorgt wohnten hier, mit den Zeichen der hoͤch- sten Wuͤrde, die vor kurzem durch das Loos bestimmten Anzianen. Monsignore della Barba trat mit militaͤri- schem Gefolge ein, und erklaͤrte ihnen ohne viel Ruͤckhalt, „der Papst wolle die Regierung von Ancona unumschraͤnkt in seine Haͤnde haben.“ In der That konnte man ihm keinen Widerstand entgegensetzen. Die juͤngeren Nobili lie- ßen in aller Eile einige Mannschaften, die ihnen ergeben waren, von dem Lande hereinkommen: aber was wollte man anfangen, da die paͤpstlichen Truppen schon durch die neuen Befestigungen fuͤr alle Faͤlle uͤberlegen waren? Der Gefahr einer Pluͤnderung und Zerstoͤrung der Stadt woll- ten die aͤlteren sich nicht aussetzen. Sie ergaben sich in das Unvermeidliche. Die Anzianen verließen den Pallast; in Kurzem er- schien der neue paͤpstliche Legat, Benedetto delli Accolti, welcher der apostolischen Kammer fuͤr die Regierungsrechte in Ancona 20000 Sc. des Jahrs zugesagt hatte. Der ganze Zustand ward veraͤndert. Alle Waffen muß- ten abgeliefert werden, 64 angesehene Nobili wurden exi- lirt. Man machte neue Inbossolationen: den Unadlichen, den Einwohnern der Landschaft wurde ein Antheil an den Aemtern gewaͤhrt; das Recht ward nicht mehr nach den alten Statuten gesprochen. Wehe dem, der sich wider diese Anordnungen regte! Einige Oberhaͤupter machten sich einer Verschwoͤrung ver- daͤchtig; sie wurden sofort eingezogen, verurtheilt und ent- hauptet. Den andern Tag breitete man einen Teppich auf Buch IV. Staat und Hof . dem Markte aus: darauf legte man die Leichen: neben je- der brannte eine Fackel: so ließ man sie den ganzen Tag. Zwar hat hernach Paul III. einige Erleichterungen zugestanden, allein die Unterwerfung ward damit nicht ge- hoben: die alten Freiheiten herzustellen, war er weit ent- fernt Saracinelli: Notizie istoriche della città d’Ancona. Roma 1675. II, XI, p. 335. . Bediente er sich doch vielmehr eben jenes Bernardino della Barba, die Freiheiten einer andern seiner Staͤdte auf- zuheben. Der Papst hatte den Salzpreis um die Haͤlfte er- hoͤht. Die Stadt Perugia glaubte sich durch ihre Privi- legien berechtigt, sich dieser Auflage zu widersetzen. Der Papst sprach das Interdict aus; die Buͤrger, in den Kir- chen vereinigt, waͤhlten sich einen Magistrat von „25 Ver- theidigern;“ vor einem Crucifix auf dem Markte legten sie die Schluͤssel ihrer Thore nieder. Beide Theile ruͤsteten. Daß eine so bedeutende Stadt sich gegen die Herr- schaft des Papstes erhob, erregte eine allgemeine Bewegung. Es wuͤrde bemerkenswerthe Folgen gehabt haben, wenn es sonst einen Krieg in Italien gegeben haͤtte. Da aber al- les ruhig war, konnte ihr kein Staat die Huͤlfe gewaͤh- ren, auf die sie gerechnet hatte. Denn obwohl Perugia nicht ohne Macht war, so besaß es doch auch lange nicht die Kraft, einem Heere zu widerstehen, wie es Peter Ludwig Farnese zusammen- brachte, von 10000 Italienern, 3000 Spaniern. Auch zeigte sich die Regierung der Fuͤnfundzwanzig eher gewalt- Verwaltung des Kirchenstaates . sam und heftig, als besonnen und schuͤtzend. Nicht ein- mal Geld, den Sold fuͤr die Truppen, die ihnen ein Ba- glione zufuͤhrte, hielten sie bereit. Ihr einziger Verbuͤnde- ter Ascanio Colonna, der sich der nehmlichen Auflage wi- dersetzte, begnuͤgte sich, Vieh von dem kirchlichen Gebiete wegzutreiben: zu ernstlicher Huͤlfe entschloß er sich nicht. Und so mußte sich die Stadt nach kurzer Freiheit am 3. Juni 1540 wieder ergeben. In langen Trauerkleidern, mit Stricken um den Hals erschienen ihre Abgeordneten in dem Porticus von St. Peter zu den Fuͤßen des Papstes, ihn um Begnadigung anzurufen. Wohl gewaͤhrte er ihnen solche, aber ihre Freiheiten hatte er indeß schon zerstoͤrt. Alle ihre Privilegien hatte er aufgehoben. Jener Bernardino della Barba kam nach Perugia, um es einzurichten wie Ancona. Die Waffen wurden ausge- liefert, die Ketten, mit denen man bisher die Straßen ver- schloß, weggenommen, die Haͤuser der Fuͤnfundzwanzig, die bei Zeiten entwichen waren, dem Erdboden gleich gemacht; an der Stelle, wo die Baglionen gewohnt, ward eine Festung aufgerichtet. Die Buͤrger selbst mußten dazu steuern. Man hatte ihnen einen Magistrat gegeben, dessen Name schon den Zweck anzeigt, zu dem er bestimmt war. Conservato- ren des kirchlichen Gehorsams nannte man ihn. Ein spaͤ- terer Papst gab ihm den Titel: Prioren zuruͤck, doch keins von den alten Gerechtsamen Mariotti: Memorie istoriche civili ed ecclesiastiche della città di Perngia e suo contado Perugia 1806. erzaͤhlt diese Er- . Buch IV. Staat und Hof . Auch Ascanio Colonna war indeß von dem nehmli- chen Heere uͤberzogen und aus seinen festen Plaͤtzen ver- trieben worden. Durch so viele gluͤckliche Schlaͤge ward die paͤpstliche Gewalt in dem Kirchenstaate unendlich vergroͤßert; weder die Staͤdte noch die Barone wagten sich ihr laͤnger zu widersetzen: von den freien Communen hatte sie eine nach der andern unterworfen: alle Huͤlfsquellen des Landes konnte sie zu ihren Zwecken anstrengen. Wir betrachten nun wie sie das that. Finanzen. Vor allem kommt es dann darauf an, daß wir uns das System der paͤpstlichen Finanzen vergegenwaͤrtigen: — ein System, welches nicht allein fuͤr diesen Staat, sondern durch das Beispiel, das es aufstellte, fuͤr ganz Europa von Bedeutung ist. Wenn man bemerkt hat, daß die Wechselgeschaͤfte des Mittelalters ihre Ausbildung hauptsaͤchlich der Natur der paͤpstlichen Einkuͤnfte verdankten, die in aller Welt faͤllig, von allen Seiten an die Curie zu uͤbermachen waren: so ist es nicht minder bemerkenswerth, daß das System von Staatsschulden, welches uns in diesem Augenblicke alle umschließt, und das ganze Getriebe des Verkehrs bedingt und eignisse I. p. 113—160 urkundlich und ausfuͤhrlich. Auch spaͤter ge- denkt er ihrer z. B. Tom. III, p. 634. Finanzen . und fesselt, in dem Kirchenstaate zuerst systematisch entwik- kelt wurde. Mit wie vielem Recht man auch uͤber die Erpressun- gen Klage gefuͤhrt haben mag, welche sich Rom waͤhrend des funfzehnten Jahrhunderts erlaubte, so ist doch au- genscheinlich, daß von dem Ertrage derselben nur wenig in die Haͤnde des Papstes kam. Pius II. genoß die all- gemeine Obedienz von Europa: dennoch hat er einmal aus Mangel an Geld sich und seine Umgebung auf Eine Mahlzeit des Tages einschraͤnken muͤssen. Die 200000 Duc., die er zu dem Tuͤrkenkriege brauchte, den er vorhatte, mußte er erborgen. Selbst jene kleinlichen Mittel, deren sich mancher Papst bediente, um von einem Fuͤrsten, einem Bischof, einem Großmeister, der eine Sache am Hofe hatte, ein Geschenk, etwa von einem goldenen Becher mit einer Summe Ducaten darin, oder von Pelzwerk zu erlangen Vogt: Stimmen aus Rom uͤber den paͤpstlichen Hof im funfzehnten Jahrhundert in dem Historischen Taschenbuch von Fr. v. Raumer 1833 hat eine Menge Notizen hieruͤber. Wer das Buch: Schlesien vor und seit dem Jahre 1740 zur Hand hat, fin- det darin II, 483, eine nicht uͤble Satire auf dieß Unwesen des Ge- schenkgebens aus dem 15ten Jahrh.: Passio domini papae secun- dum marcam auri et argenti. , beweisen nur, wie die Wirthschaft, die man fuͤhrte, doch eigentlich armselig war. Das Geld gelangte, wenn nicht in so außerordentli- chen Summen, wie man angenommen, doch in sehr be- traͤchtlichen allerdings an den Hof, aber hier zerfloß es in tausend Haͤnde. Es wurde von den Aemtern absorbirt, die man schon seit geraumer Zeit zu verkaufen pflegte. 26 Buch IV. Staat und Hof . Sie waren meist auf Sporteln gegruͤndet; der Industrie der Beamten war ein großer Spielraum gelassen. Der Papst hatte nichts davon, als den Kaufpreis, sobald sie vacant wurden. Wollte der Papst zu irgend einer kostspieligen Unter- nehmung schreiten, so bedurfte er dazu außerordentlicher Mittel. Jubileen und Indulgenzen waren ihm eben darum hoͤchst erwuͤnscht; die Gutmuͤthigkeit der Glaͤubigen gewaͤhrte ihm dadurch ein reines Einkommen. Noch ein anderes Mittel ergab sich dann leicht. Um uͤber eine bedeuten- dere Summe verfuͤgen zu koͤnnen, brauchte er nur neue Aemter zu creiren und dieselben zu verkaufen. Eine son- derbare Art von Anleihe, von der die Kirche die Zinsen in erhoͤhten Gefaͤllen reichlich abtrug. Schon lange war sie in Gebrauch. Einem glaubwuͤrdigen Register aus dem Hause Chigi zufolge, gab es in dem Jahre 1471 gegen 650 kaͤufliche Aemter, deren Einkommen man ungefaͤhr auf 100000 Sc. berechnete Gli ufficii piu antichi. Ms. Bibliotheca Chigi N. II. 50. Es sind 651 Aemter und 98340 Sc. fin alla creatione di Sisto IV. So wenig ist es wahr, was Onuphrius Panvinius sagt, daß Six- tus IV. sie zuerst verkauft habe. p. 348. . Es sind fast alles Procuratoren, Registratoren, Abbreviatoren, Correctoren, Notare, Schrei- ber, selbst Laufer und Thuͤrsteher, deren wachsende Anzahl die Unkosten einer Bulle, eines Breves immer hoͤher brachte. Eben darauf waren sie angewiesen; ihre Geschaͤfte wollten wenig oder nichts sagen. Man erachtet leicht, daß die folgenden Paͤpste, die sich so tief in die europaͤischen Haͤndel verstrickten, ein so Finanzen . bequemes Mittel, ihre Cassen zu fuͤllen, begierig ergriffen haben werden. Sixtus IV. bediente sich hierbei des Ra- thes seines Protonotar Sinolfo. Er errichtete auf ein- mal ganze Collegien, in denen er die Stellen um ein paar hundert Ducaten verkaufte. Sonderbare Titel, die hier er- scheinen: z. B. ein Collegium von 100 Janitscharen, die fuͤr 100000 Duc. ernannt und auf den Ertrag der Bullen und Annaten angewiesen wurden Es waren auch Stradioten und Mameluken, die aber spaͤ- ter abgeschafft wurden, dabei. „Adstipulatores, sine quibus nul- lae possent confici tabulae;“ Onuphrius Panvinius. Nach dem Register ufficii antichi wuͤrde diese Creation nur 40000 Duc. ein- getragen haben. . Notariate, Protono- tariate, Stellen von Procuratoren bei der Kammer, alles verkaufte Sixtus IV.; er trieb es so weit, daß man ihn fuͤr den Gruͤnder dieses Systemes gehalten hat. Wenig- stens kam es erst seit ihm recht in Aufnahme. Innocenz VIII. , der in seinen Verlegenheiten bis zur Verpfaͤndung der paͤpstlichen Tiare schritt, stiftete ein neues Collegium von 26 Secretaͤren fuͤr 60000 Sc. und andere Aemter die Fuͤlle. Alexander VI. ernannte 80 Schreiber von Bre- ven, deren jeder 750 Sc. zu bezahlen hatte; Julius II. fuͤgte 100 Schreiber des Archivs um den nemlichen Preis hinzu. Indessen waren die Quellen, aus denen alle diese Hun- derte von Beamten ihre Einkuͤnfte zogen, doch auch nicht unerschoͤpflich. Wir sahen, wie fast alle christliche Staaten zugleich Versuche und gluͤckliche Versuche machten, die Ein- wirkungen des paͤpstlichen Hofes zu beschraͤnken. Grade 26* Buch IV. Staat und Hof . damals geschahen sie, als sich die Paͤpste durch ihre großen Unternehmungen zu ungewohntem Aufwand veranlaßt sahen. Da war es ein Gluͤck fuͤr sie, daß sie den Staat, und hiermit, so mild sie ihn im Anfange auch behandelten, doch viele neue Einkuͤnfte erwarben. Man wird sich nicht wun- dern, daß sie diese ganz auf die nemliche Weise wie die kirchlichen verwalteten. Wenn Julius II. die erwaͤhnten Schreiber auf die Annaten anwies, so fuͤgte er ihnen doch noch eine Anwei- sung auf Dogana und Staatscasse hinzu. Er errichtete ein Collegium von 141 Praͤsidenten der Annona, welches ganz aus Staatscassen dotirt wurde. Den Ueberschuß der Einkuͤnfte seines Landes wandte er demnach dazu an, An- leihen darauf zu gruͤnden. Das schien den andern Maͤch- ten das Ausgezeichnete an diesem Papst, daß er Geld auf- bringen koͤnne so viel er wolle. Zum guten Theil beruhte seine Politik darauf. Noch viel groͤßere Beduͤrfnisse aber als Julius hatte Leo X. , der nicht minder in Kriege verstrickt, um vie- les verschwenderischer und von seinen Verwandten abhaͤn- giger war. „Daß der Papst jemals tausend Ducaten beisammen halten sollte,“ sagt Franz Vettori von ihm, „war eben so gut unmoͤglich, als daß ein Stein von selbst in die Hoͤhe fliege.“ Man hat uͤber ihn geklagt, er habe drei Papstthuͤmer durchgebracht, das seines Vorgaͤngers, von dem er einen bedeutenden Schatz erbte, sein eignes, und das seines Nachfolgers, dem er ein Uebermaaß von Schulden hinterließ. Er begnuͤgte sich nicht, die vorhan- denen Aemter zu verkaufen: seine große Cardinalernennung Finanzen . brachte ihm eine namhafte Summe; auf dem einmal ein- geschlagenen Wege, neue Aemter zu creiren, lediglich um sie zu verkaufen, schritt er auf das kuͤhnste fort. Er al- lein hat deren uͤber 1200 errichtet Sommario di la relation di M. Minio 1520: „non a contanti perche è liberal, non sa tenir danari: poi li Fiorentini (che) si fanno e sono soi parenti, non li lassa mai aver un soldo; e diti Fiorentini è in gran odio in corte perchè in ogn’ e cosa è Fiorentini. . Das Wesen aller dieser Portionarii, Scudieri, Cavalieri di S. Pietro und wie sie sonst heißen, ist, daß sie eine Summe zahlen, von der sie dann Lebenslang unter jenem Titel Zinsen beziehen. Ihr Amt hat keine andere Bedeutung, als daß es den Ge- nuß der Zinsen noch durch kleine Praͤrogativen vermehrt. Wesentlich ist dieß nichts, als eine Anleihe auf Leibrenten. Leo zog aus jenen Aemtern gegen 900000 Sc. Die Zin- sen, die doch ganz bedeutend waren, da sie jaͤhrlich den achten Theil des Capitals betrugen Die 612 portionarii di ripa — aggiunti al collegio dei presidenti — zahlten 286200 und erhielten jaͤhrlich 38816 Ducaten; die 400 cavalieri di S. Pietro zahlten 400000, und empfingen da- fuͤr des Jahrs 50610 Duc. , wurden zwar zu einem gewissen Theil auf einen kleinen Aufschlag kirchlicher Gefaͤlle angewiesen: hauptsaͤchlich aber flossen sie aus den Tesorerien der vor Kurzem eroberten Provinzen, das ist dem Ueberschuß der Municipalverwaltungen, welcher der Staatskasse zu Gute kam, dem Ertrag der Alaunwerke, des Salzverkaufs und der Dogana zu Rom: Leo brachte die Anzahl der Aemter auf 2150: ihren jaͤhrlichen Ertrag berechnete man auf 320,000 Sc., welche zugleich die Kirche und den Staat belasteten. Buch IV. Staat und Hof . Wie tadelnswerth nun auch diese Verschwendung an sich war, so mochte Leo darin doch auch dadurch bestaͤrkt werden, daß sie fuͤr den Augenblick eher vortheilhafte als schaͤdliche Wirkungen hervorbrachte. Wenn sich die Stadt Rom zu dieser Zeit so ausnehmend hob, so hatte man das zum Theil auch dieser Geldwirthschaft zu danken. Es gab keinen Platz in der Welt, wo man sein Capital so gut haͤtte anlegen koͤnnen. Durch die Menge neuer Creationen, die Vacanzen und Wiederverleihungen entstand eine Bewe- gung in der Curie, welche fuͤr einen Jeden die Moͤglichkeit eines leichten Fortkommens darbot. Auch bewirkte man damit, daß man den Staat uͤbri- gens nicht mit neuen Auflagen zu beschweren brauchte. Ohne Zweifel zahlte der Kirchenstaat damals von allen Laͤndern und Rom von allen Staͤdten in Italien die wenigsten Ab- gaben. Schon fruͤher hatte man den Roͤmern vorgehalten, daß jede andere Stadt ihrem Herrn schwere Anleihen und harte Gabellen erlege, waͤhrend ihr Herr, der Papst, sie vielmehr reich mache. Ein Secretaͤr Clemens VII. , der das Conclave, in welchem dieser Papst gewaͤhlt ward, bald nachher beschrieb, bezeigt seine Verwunderung daruͤber, daß das roͤmische Volk dem heiligen Stuhl nicht ergebener sey, da es doch von Auflagen so wenig leide. „Von Terracina bis Piacenza,“ ruft er aus, „besitzt die Kirche einen gro- ßen und schoͤnen Theil von Italien, weit und breit erstreckt sich ihre Herrschaft: jedoch so viele bluͤhende Laͤnder und reiche Staͤdte, die unter einer andern Regierung mit ihren Abgaben große Kriegsheere wuͤrden erhalten muͤssen, zah- Finanzen . len dem roͤmischen Papste kaum so viel, daß die Kosten der Verwaltung davon bestritten werden koͤnnen“ Vianesius Albergatus: Commentarii rerum sui temporis (eben nichts als jene Beschreibung des Conclaves): opulentissimi populi et ditissimae urbes, quae si alterius ditionis essent, suis vectigalibus vel magnos exercitus alere possent, Romano pontifici vix tantum tributum pendunt, quantum in praetorum magistra- tuumque expensam sufficere queat. In der Relation von Zorzi 1517 wird nach einer Angabe des Franz Armellin das Einkommen von Perugia, Spoleto, Mark und Romagna zusammen auf 120000 Duc. berechnet. Davon kam die Haͤlfte in die paͤpstliche Kammer. Di quel somma la mità è per terra per pagar i legati et altri offici e altra mità a il papa. Leider sind in der Abschrift der Re- lation bei Sanuto nicht wenige Fehler. . Der Natur der Sache nach konnte dieß aber nicht laͤnger dauern, als so lange es noch Ueberschuͤsse aus den Staatskassen gab. Schon Leo vermochte nicht alle seine An- leihen zu fundiren. Aluise Gaddi hatte ihm 32000, Bernardo Bini 200000 Duc. vorgestreckt: Salviati, Ridolfi, alle seine Diener und Angehoͤrige hatten das Moͤglichste gethan, um ihm Geld zu verschaffen: bei seiner Freigebigkeit und seinen jungen Jahren hofften sie auf Erstattung und glaͤn- zende Dankbarkeit. Durch seinen ploͤtzlichen Tod wurden sie saͤmmtlich ruinirt. Ueberhaupt ließ er eine Erschoͤpfung zuruͤck, die sein Nachfolger zu fuͤhlen bekam. Der allgemeine Haß, den der arme Adrian auf sich lud, ruͤhrte auch daher, weil er in der großen Geldnoth, in der er sich befand, zu dem Mittel griff, eine directe Auflage auszuschreiben. Sie sollte einen halben Ducaten Buch IV. Staat und Hof . auf die Feuerstelle betragen Hieronymo Negro a Mc. Antonio Micheli. 7 April 1523 Lettere di principi I. p. 114. . Sie machte einen um so schlimmeren Eindruck, da man solche Forderungen so we- nig gewohnt war. Aber auch Clemens VII. konnte wenigstens neue indi- recte Auflagen nicht umgehen. Man murrte uͤber den Car- dinal Armellin, den man fuͤr den Erfinder derselben hielt; besonders uͤber die Erhoͤhung des Thorzolls fuͤr die Lebens- mittel war man mißvergnuͤgt: allein man mußte sich hierin finden Foscari Relatione 1526. E qualche murmuration in Roma etiam per causa del cardinal Armellin, qual truova nuove in- vention, per truovar danari in Roma e fa metter nove angarie, e fino chi porta tordi a Roma et altre cose di manzar paga tanto: la qual angaria importa da duc. 2500. . Die Dinge waren in einem Zustande, daß noch zu ganz andern Huͤlfsmitteln gegriffen werden mußte. Bisher hatte man die Anleihen unter der Form von kaͤuflichen Aemtern gemacht; der reinen Anleihe naͤherte sich zuerst Clemens VII. , in jenem entscheidenden Moment, als er sich wider Carl V. ruͤstete, in dem Jahre 1526. Bei den Aemtern ging das Capital mit dem Tode verloren, insofern die Familie es nicht von der paͤpstlichen Kammer wiedererwarb. Jetzt nahm Clemens ein Capital von 200000 Duc. auf, das zwar nicht so hohe Zinsen trug, wie die Aemter einbrachten, aber doch immer sehr bedeutende, 10 Proc., und dabei an die Erben uͤberging. Es ist dieß ein Monte non vacabile, der Monte della Fede. Die Zinsen wurden auf die Dogana angewiesen. Auch dadurch gewaͤhrte der Monte eine groͤßere Sicherheit, Finanzen . daß den Glaͤubigern sogleich ein Antheil an der Verwal- tung der Dogana zugestanden wurde. Hierin liegt aber wieder, daß man sich von der alten Form nicht durchaus entfernte. Die Montisten bildeten ein Collegium. Ein paar Unternehmer hatten die Summe an die Kammer ausge- zahlt, und sie dann einzeln an die Mitglieder dieses Col- legiums untergebracht. Darf man wohl sagen, daß die Staatsglaͤubiger, in- sofern sie ein Recht an das allgemeine Einkommen, an das Product der Arbeit Aller haben, dadurch zu einem mittel- baren Antheil an der Staatsgewalt gelangen? Wenigstens schien man es damals in Rom so zu verstehen, und nicht ohne die Form eines solchen Antheils wollten die Besitzer ihr Geld herleihen. Es war dieß aber, wie sich zeigen wird, der Anfang zu den weitaussehendsten Finanzoperationen. Paul III. setzte sie nur maͤßig fort. Er begnuͤgte sich die Zinsen des clementinischen Monte zu verringern: da es ihm gelang, deren neue anweisen zu koͤnnen, so brachte er das Capital fast um die Haͤlfte hoͤher. Einen neuen Monte aber errichtete er nicht. Die Creation von 600 neuen Aemtern mag ihn fuͤr diese Maͤßigung entschaͤdigt haben. Die Maaßregel, durch die er sich in der Finanzgeschichte des Kirchenstaates merkwuͤrdig gemacht, bestand in etwas Anderem. Wir sahen, welche Bewegung die Erhoͤhung des Salz- preises, zu der er schritt, hervorrief. Auch von dieser stand er ab. An ihrer Stelle aber und mit dem ausdruͤcklichen Versprechen, sie fallen zu lassen, fuͤhrte er die directe Auf- Buch IV. Staat und Hof . lage des Sussidio ein. Es ist dieselbe Auflage, die damals in so vielen suͤdeuropaͤischen Laͤndern eingefordert ward; die wir in Spanien als Servicio, in Neapel als Donativ, in Mailand als Mensuale, unter andern Titeln anderswo wiederfinden. Im Kirchenstaat ward sie urspruͤnglich auf drei Jahr eingefuͤhrt und auf 300000 Scudi festgesetzt. Gleich zu Rom bestimmte man den Beitrag einer jeden Provinz; die Provinzialparlamente versammelten sich, um sie nach den verschiedenen Staͤdten zu vertheilen. Die Staͤdte legten sie dann weiter auf Stadt und Landschaft um. Jedermann ward dazu herbeigezogen. Die Bulle ver- ordnet ausdruͤcklich, daß alle weltliche Unterthanen der roͤ- mischen Kirche, auch wenn sie eximirt, wenn sie privile- girt seyen, Marchesen, Barone, Lehensleute und Beamte nicht ausgeschlossen, ihre Raten an dieser Contribution ab- tragen sollen Bull. In dem J. 1537 erklaͤrt er dem franzoͤsischen Ge- sandten „la débilité du revenu de l’église (wobei der Staat) dont elle n’avoit point maintenant 40 m. écus de rente par an, de quoi elle puisse faire état. Bei Ribier I, 69. . Nicht ohne lebhafte Reclamation aber zahlte man sie, zumal als man bemerkte, daß sie von drei Jahr zu drei Jahr immer aufs neue prorogirt wurde, wie sie denn nie wieder abgeschafft worden ist. Vollstaͤndig ist sie auch nie- mals eingekommen Bulle: Decens esse censemus 5 Sept. 1543. Bull. Cocq. IV, I, 225. . Bologna, das auf 30000 Sc. ange- setzt worden, war klug genug, sich mit einer Summe, die es auf der Stelle zahlte, fuͤr immer loszukaufen. Parma und Piacenza wurden alienirt und zahlten nicht mehr: wie Finanzen . es in den andern Staͤdten ging, davon giebt uns Fano ein Beispiel. Unter dem Vorwand, zu hoch angesetzt zu seyn, verweigerte diese Stadt eine Zeitlang die Zahlung. Hierauf fand sich Paul III. einmal bewogen, ihr die ab- gelaufenen Termine zu erlassen, doch unter der Bedingung, daß sie die nemliche Summe zur Herstellung ihrer Mauern verwende. Auch spaͤter ward ihr immer ein Drittheil ih- rer Rata zu diesem Behufe erlassen. Nichtsdestominder haben sich noch die spaͤten Nachkommen uͤber ihre allzu- hohe Schaͤtzung beklagt; unaufhoͤrlich beschwerten sich auch die Landgemeinden uͤber den ihnen von der Stadt auferleg- ten Antheil: sie machten Versuche, sich dem Gehorsam des Rathes zu entziehen; und waͤhrend dieser seine Unmittel- barkeit verfocht, haͤtten sie sich mit Vergnuͤgen dem Her- zog von Urbino unterworfen. Jedoch es wuͤrde uns zu weit fuͤhren, diese kleinen Interessen weiter zu eroͤrtern. Genug, wenn wir erkennen, wie es kam, daß von dem Sussidio nicht viel uͤber die Haͤlfte einlief Bulle Pauls VII. Cupientes indemnitati; 15 April 1559. Bullar. Cocq. IV, I, 358. Exactio, causantibus diversis exceptio- nibus libertatibus et immunitatibus a solutione ipsius subsidii diversis communitatibus et universitatibus et particularibus per- sonis nec non civitatibus terris oppidis et locis nostri status ec- clesiastici concessis et factis diversarum portionum ejusdem sub- sidii donationibus seu remissionibus vix ad dimidium summae trecentorum millium scutorum hujusmodi ascendit. . Im Jahre 1560 wird der ganze Ertrag auf 165000 Sc. geschaͤtzt. Wiewohl dem nun so ist, so hatte doch dieser Papst die Einkuͤnfte des Kirchenstaates ausnehmend erhoͤht. Unter Julius II. werden sie auf 350000, unter Leo auf 420000, Buch IV. Staat und Hof . unter Clemens VII. im Jahre 1526 auf 500000 Sc. be- rechnet. Unmittelbar nach dem Tode Pauls III. werden sie in einem authentischen Verzeichniß, daß sich der vene- zianische Gesandte Dandolo aus der Kammer verschaffte, auf 706473 Sc. angegeben. Dennoch fanden sich die Nachfolger nicht viel gebes- sert. In einer seiner Instructionen klagt Julius III. , sein Vorfahr habe die saͤmmtlichen Einkuͤnfte alienirt — ohne Zweifel mit Ausschluß des Sussidio, welches nicht veraͤu- ßert werden konnte, da es wenigstens nominell immer nur auf 3 Jahr ausgeschrieben ward — und uͤberdieß 500000 Sc. schwebende Schuld hinterlassen Instruttione per voi Monsignore d’Imola: ultimo di Marzo 1551. Informationi politiche Tom. XII. . Indem sich Julius III. dessenungeachtet in seinen Krieg mit Franzosen und Farnesen einließ, mußte er sich die groͤßten Verlegenheiten zuziehen. Obwohl ihm die Kai- serlichen eine fuͤr jene Zeit nicht unbedeutende Geldhuͤlfe gewaͤhrten, so sind doch alle seine Briefe voll von Klagen. „Er habe in Ancona 100000 Sc. zu bekommen gedacht; nicht 100000 Bajocchi habe er erlangt; statt 120000 Sc. von Bologna habe er nur 50000 empfangen; unmittelbar nach den Zusagen genuesischer und lucchesischer Wechsler seyen Widerrufungen derselben eingelaufen: wer einen Carlin besitze, halte ihn zuruͤck und wolle ihn nicht aufs Spiel setzen“ Il. Papa a Giovamb. di Monte 2 April 1552. . Wollte der Papst sein Heer beisammen halten, so mußte er zu nachdruͤcklicheren Maaßregeln greifen: er entschloß Finanzen . sich einen neuen Monte zu errichten. Er that das auf eine Weise, die hernach fast immer befolgt worden ist. Er machte eine neue Auflage. Er legte zwei Carlin auf den Rubbio Mehl; nach allen Abzuͤgen kamen ihm da- von 30000 Sc. ein; diese Summe wies er zu den Zinsen fuͤr ein Capital an, das er sofort aufnahm; so gruͤndete er den Monte della Farina. Wir bemerken, wie nah sich dieß an die fruͤheren Finanzoperationen anschließt: eben wie man fruͤher kirchliche Aemter schuf und auf die zu vermeh- renden Gefaͤlle der Curie anwies, lediglich um jene Aem- ter verkaufen zu koͤnnen und die Summe in die Haͤnde zu bekommen, die man grade brauchte, so erhoͤhte man jetzt die Einkuͤnfte des Staates durch eine neue Auflage, de- ren man sich aber nur als Zins fuͤr ein großes Capital bediente, das man sonst nicht zu bekommen wußte. Alle folgende Paͤpste fuhren so fort. Bald waren diese Monti wie der Clementinische non vacabili: bald waren sie aber vacabili, d. i. mit dem Tode des Glaͤubigers hoͤrte die Verpflichtung der Zinszahlung auf, dann waren die Zin- sen noch hoͤher, und bei dem collegialischen Verhaͤltniß der Montisten schloß man sich noch naͤher an die Aemter an. Paul IV. errichtete den Monte novennale de’ frati auf eine Abgabe, zu der er die regularen Moͤnchsorden noͤthigte; Pius IV. legte einen Quatrin auf das Pfund Fleisch und benutzte den Ertrag, um sofort den Monte Pio non va- cabile darauf zu gruͤnden, der ihm dann 170000 Sc. ein- brachte. Pius V. legte einen neuen Quatrin auf das Pfund Fleisch, und errichtete davon den Monte Lega. Fassen wir diese Entwickelung ins Auge, so tritt die Buch IV. Staat und Hof . allgemeine Bedeutung des Kirchenstaates zunaͤchst hervor. Welches sind doch die Beduͤrfnisse, durch welche die Paͤpste genoͤthigt werden, zu dieser sonderbaren Art von Anleihe, die eine so unmittelbare Belaͤstigung ihres Landes einschließt, vorzuschreiten? Es sind in der Regel die Beduͤrfnisse des Katholicismus uͤberhaupt. So wie es mit den rein-poli- tischen Tendenzen voruͤber ist, giebt es keine anderen, als die kirchlichen, die man durchzufuͤhren beabsichtigen koͤnnte. Die Unterstuͤtzung der katholischen Maͤchte in ihrem Kam- pfe wider die Protestanten, in ihren Unternehmungen gegen die Tuͤrken ist nunmehr fast immer der naͤchste Anlaß, der zu neuen Finanzoperationen fuͤhrt. Der Monte Pius des V. heißt darum Monte Lega, weil das Capital, das er einbrachte, auf den Tuͤrkenkrieg verwendet ward, den dieser Papst im Bunde mit Spanien und Venedig unternahm. Immer mehr bildete sich dieß aus. Jede europaͤische Bewegung beruͤhrt den Kirchenstaat in dieser Gestalt. Durch irgend eine neue Last muß derselbe zur Verfechtung der kirchlichen Interessen beitragen. Eben darum war es fuͤr die kirch- liche Stellung der Paͤpste so wichtig, daß sie den Staat besaßen. Denn nicht allein mit Monti begnuͤgten sie sich. Auch die alten Mittel ließen sie nicht fallen. Fortwaͤhrend errich- teten sie neue Aemter, oder Cavalierate mit besondern Pri- vilegien, sey es, daß die Remunerationen ebenmaͤßig durch neue Auflagen gedeckt wurden, oder daß der damals sehr bemerklich sinkende Geldwerth namhaftere Summen in die Kammer lieferte So standen um 1580 viele luoghi di monte statt 100 auf . Finanzen . Hierdurch geschah es nun, daß die Einkuͤnfte der Paͤpste, nach einem kurzen Sinken unter Paul IV. , das durch die Kriege desselben veranlaßt wurde, immerfort stie- gen. Noch unter Paul kamen sie doch wieder auf 700000 Sc.; unter Pius berechnete man sie auf 898482 Scudi. Paul Tiepolo ist erstaunt, sie im Jahre 1576 nach einer Abwesenheit von 9 Jahren um 200000 Sc. vermehrt und bis auf 1,100,000 Sc. angewachsen zu finden. Nur war das Sonderbare, was aber nicht anders seyn konnte, daß die Paͤpste damit im Grunde nicht mehr einnahmen. Mit den Auflagen stiegen die Veraͤußerungen. Man berechnet, daß Julius III. 54000, Paul IV. 45960, Pius IV. aber der alle Mittel geltend machte, sogar 182550 Sc. von dem Einkommen veraͤußert habe. Pius IV. brachte denn auch die Zahl der verkaͤuflichen Aemter bis auf viertehalbtau- send, wie sich versteht, mit Ausschluß der Monti, die zu den Aemtern nicht gerechnet wurden Lista degli ufficii della corte Romana 1560. Bibl. Chigi N. II, 50. Viele andere einzelne Verzeichnisse von verschiedenen Jahren. . Unter diesem Papst stieg die Summe der Alienationen auf fuͤnftehalb- hunderttausend; noch immer nahm sie zu; im Jahr 1576 war sie auf 530000 Sc. gewachsen. So sehr das Einkom- men vermehrt war, so betrug dieß doch beinahe die ganze Haͤlfte desselben Tiepolo rechnet, daß außerdem 100000 Sc. fuͤr Besoldungen, 270000 fuͤr Castelle und Nuntiaturen aufgehe, so daß der Papst noch immer 200000 frei habe. Er rechnet nach, daß die Paͤpste unter . 130; die Zinsen der Vacabili wurden von 14 auf 9 herabgesetzt, was im Ganzen eine gewaltige Ersparniß ausmachte. Buch IV. Staat und Hof . Einen merkwuͤrdigen Anblick bieten die Verzeichnisse der paͤpstlichen Einkuͤnfte um diese Zeit dar. Nachdem bei jedem Posten die Summe genannt worden, welche der Paͤch- ter einzuliefern sich verpflichtet hat, — die Vertraͤge mit den Paͤchtern wurden gewoͤhnlich auf 9 Jahr geschlos- sen — giebt man uns an, wie viel davon veraͤußert war. Die Dogana von Rom z. B. warf 1576 und die folgen- den Jahre die ansehnliche Summe von 133000 Sc. ab: davon waren aber 111170 assignirt, noch andere Abzuͤge traten ein und die Kammer bekam nicht mehr als 13000 Scudi. Einige Gabellen auf Getreide, Fleisch und Wein gingen rein auf: die Monti waren darauf angewiesen. Von mehreren Provinzialcassen, genannt Tesorerien — welche sogleich auch die Beduͤrfnisse der Provinzen zu bestreiten hatten, — z. B. aus der Mark und aus Camerino, kam kein Bajocco in die paͤpstliche Kammer. Und doch war oft das Sussidio zu denselben geschlagen. Ja auf die Alaungraͤbereien von Tolfa, auf welche man fruͤher vor- zuͤglich zaͤhlte, waren so starke Assignationen gemacht, daß der Ertrag um ein paar tausend Scudi geringer ausfiel Z. B. Entrata della reverenda camera apostolica sotto il pontificato di N. S. Gregorio XIII. fatta nell’ anno 1576 Mss. Gothana nr. 219. . Fuͤr seine Person und seine Hofhaltung war der Papst vorzuͤglich auf die Dataria verwiesen. Die Dataria hatte zweierlei Einkuͤnfte. Die einen waren mehr kirchlicher Na- tur: es waren die Compositionen, bestimmte Geldzahlungen, fuͤr dem Vorwand der Beduͤrfnisse zu dem tuͤrkischen Krieg 1,800,000 Sc. eingenommen und doch dazu nur 340000 aufgewendet hatten. Finanzen . fuͤr welche der Datar Regresse, Reservationen und andere canonische Unregelmaͤßigkeiten bei dem Uebergang von einer Pfruͤnde zu der andern gestattete; Paul IV. hatte sie durch die Strenge, mit der er verfuhr, sehr verringert, doch nah- men sie allmaͤhlig wieder zu. Die anderen waren mehr von weltlicher Beschaffenheit. Sie liefen bei der Vacanz und neuen Uebertragung der Cavalierate, verkaͤuflichen Aem- ter und Stellen in den Monti vacabili ein; sie nahmen in dem Grade zu, in welchem diese an Zahl stiegen Nach Mocenigo 1560 ertrug die Dataria fruͤher monatlich zwischen 10000 und 14000 Duc. Unter Paul IV. kam sie bis auf 3000 bis 4000 Duc. herab. . Nicht hoͤher aber beliefen sich um das Jahr 1570 beide zusammen, als um das taͤgliche Beduͤrfniß des Haushal- tes gerade zu decken. Durch diese Entwickelung der Dinge war nun aber der Kirchenstaat in eine ganz andere Lage gerathen. Hatte er sich fruͤher geruͤhmt, von den italienischen Staaten der min- destbelastete zu seyn, so trug er jetzt so schwer, ja schwe- rer als die anderen Paolo Tiepolo: Relatione di Roma in tempo di Pio IV. e Pio V. sagt schon: L’impositione allo stato ecclesiastico è gra- vezza quasi insopportabile per essere per diversi altri conti molto aggravato; — — d’alienare più entrate della chiesa, non vi è piu ordine: perche quasi tutte l’entrate certe si trovano gia alienate, e sopra l’incerto non si trovaria chi desse danari. ; und laut beklagten sich die Ein- wohner. Von der alten municipalen Unabhaͤngigkeit war nur wenig uͤbrig. Immer regelmaͤßiger ward die Verwal- tung. Die Regierungsrechte waren fruͤher haͤufig beguͤn- stigten Cardinaͤlen und Praͤlaten uͤberlassen, die einen nicht unbedeutenden Vortheil davon machten. Die Landsleute 27 Buch IV. Staat und Hof . der Paͤpste, wie unter den Medici die Florentiner, so un- ter Paul IV. Neapolitaner, unter Pius IV. Mailaͤnder hatten sich dann der besten Stellen erfreut. Pius V. stellte dieß ab. Jene Beguͤnstigten hatten doch die Verwaltung niemals selber gefuͤhrt: sie hatten sie immer einem Doctor Juris uͤberlassen Tiepolo. Ibid. Qualche governo o legatione rispondeva sino a tre, quatro o forse sette mila e piu scudi l’anno. E quasi tutti allegramente ricevendo il denaro si scaricavano del peso del governo col mettere un dottore in luogo loro. : Pius V. setzte diesen Doctor selbst, und zog den Vortheil der jenen zugeflossen fuͤr die Kammer ein. Es ward alles ordentlicher, stiller. Man hatte fruͤher eine Landmiliz eingerichtet, und 16000 Mann waren in die Rollen eingetragen; Pius IV. hatte sich ein Corps leichter Reiterei gehalten: Pius V. schaffte eins wie das andre ab, er cassirte die Reiterei, die Landmiliz ließ er verfallen; seine ganze bewaffnete Macht belief sich noch nicht auf 500 Mann: die Masse derselben bildeten 350 Mann meistens Schweizer zu Rom. Haͤtte man nicht die Kuͤste gegen die Einfaͤlle der Tuͤrken zu schuͤtzen gehabt, so wuͤrde man sich der Waffen ganz entwoͤhnt haben. Diese kriegerische Bevoͤl- kerung schien vollkommen friedlich werden zu wollen. Die Paͤpste wuͤnschten das Land zu verwalten, wie eine große Domaͤne, deren Rente alsdann zum Theil wohl ihrem Hause zu Statten kaͤme, hauptsaͤchlich aber fuͤr die Be- duͤrfnisse der Kirche verwendet wuͤrde. Wir werden sehen, daß sie hierbei doch noch einmal auf große Schwierigkeiten stießen. Gregor XIII. Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. Gregor XIII. Gregor XIII. , — Hugo Buoncompagno aus Bologna — als Jurist und in weltlichen Diensten emporgekommen, war von Natur heiter und lebenslustig; er hatte einen Sohn, der ihm zwar ehe er die geistliche Wuͤrde empfangen, aber doch außer der Ehe geboren worden; wenn er gleich seitdem einen regelmaͤßigen Wandel gefuͤhrt hatte, so war er doch zu keiner Zeit scrupuloͤs, und uͤber eine gewisse Art von Strenge zeigte er eher seine Mißbilligung; mehr an das Beispiel Pius IV. , dessen Minister er auch sogleich wieder in die Geschaͤfte zog, als an seinen unmittelbaren Vorgaͤnger schien er sich halten zu wollen Man erwartete, er werde anders regieren als seine Vorgaͤn- ger: mitiori quadam hominumque captui accommodatiori ratione. Commentarii de rebus Gregorii XIII. (Ms. Bibl. Alb.). . Aber an diesem Papste sieht man, was eine zur Herrschaft ge- langte Gesinnung vermag. Hundert Jahre fruͤher wuͤrde er hoͤchstens wie ein Innocenz VIII. regiert haben. Jetzt dagegen konnte auch ein Mann wie er, sich den strengen kirchlichen Tendenzen nicht mehr entziehen. An dem Hofe gab es eine Partei, die es sich vor al- lem zur Aufgabe gemacht hatte, dieselben zu behaupten und zu verfechten. Es waren Jesuiten, Theatiner und ihre Freunde. Man nennt uns die Monsignoren Frumento und Corniglia, den furchtlosen Prediger, Franz Toledo, 27* Buch IV. Staat und Hof . den Datarius Contarell. Sie bemaͤchtigten sich des Pap- stes um so eher, da sie zusammenhielten. Sie stellten ihm vor, daß das Ansehn, welches Pius V. genossen, haupt- saͤchlich von der persoͤnlichen Haltung desselben hergekom- men; in allen Briefen, die sie ihm vorlasen, war nur von dem Andenken an das heilige Leben des Verstorbenen, von dem Ruhme seiner Reformen und seiner Tugenden die Rede. Jede entgegengesetzte Aeußerung hielten sie entfernt. Dem Ehrgeiz Gregors XIII. gaben sie durchaus eine geistliche Farbe Relatione della corte di Roma a tempo di Gregorio XIII. (Bibl. Corsini 714) 20 Febr. 1574 ist hieruͤber sehr unterrichtend. Von der Gesinnung des Papstes sagt der Autor: non è stato scru- puloso nè dissoluto mai e le son dispiaciute le cose mal fatte. . Wie nahe lag es ihm, den Sohn zu befoͤrdern, zu fuͤrstlichen Wuͤrden zu erheben. Allein gleich aus der er- sten Beguͤnstigung, die er demselben gewaͤhrte — er ernannte ihn zum Castellan von S. Angelo und zum Gonfaloniere der Kirche — machten ihm die Freunde eine Gewissens- sache; waͤhrend des Jubileums von 1575 haͤtten sie Gia- como nicht in Rom geduldet; erst als dieß voruͤber war, ließen sie sich seine Ruͤckkehr gefallen, und auch dann nur darum, weil das Mißvergnuͤgen des jungen emporstreben- den Mannes seiner Gesundheit nachtheilig wurde. Dann ver- heurathete ihn Gregor; er gestattete, daß ihn die Republik Venedig zu ihrem Nobile Sie hatte dabei die Schwierigkeit, seine Herkunft zu be- zeichnen. Man hat es als einen Beweis venezianischer Geschicklich- keit geruͤhmt, daß man ihn Sgr. Giacomo Boncompagno, enge ver- bunden mit Sr. Heiligkeit, nannte. Es ist das eigentlich eine Aus- kunft des Cardinal Como. Als von der Sache die Rede war, , der Koͤnig von Spanien zum Gregor XIII. General seiner Hommes d’armes ernannte. Allein noch im- mer hielt er ihn sorgfaͤltig in Schranken. Als er es sich einmal beikommen ließ, einen seiner Universitaͤtsfreunde aus dem Gewahrsam zu befreien, verwies ihn der Papst aufs neue, und wollte ihn aller seiner Aemter berauben. Ein Fußfall der jungen Gemahlin verhinderte dieß noch. Aber mit groͤßeren Hoffnungen war es auf lange Zeit vor- bei Antonio Tiepolo Dispacci Agosto Sett. 1576. — Im Jahr 1583 (29. Maͤrz) heißt es in einer dieser Depeschen: „il S r. Gia- come non si lascia intromettere in cose di stato.“ . Erst in den letzten Jahren des Papstes hatte Gia- como Einfluß auf seinen Vater; und auch dann weder in den wichtigen Staatsgeschaͤften noch unbedingt Nur von diesen letzten Zeiten gilt die Meinung von ihm, die sich sehr festgesetzt hat, die ich z. B. auch in den Memoiren von Richelieu finde: prince doux et bénin fut meilleur homme que bon pape. Man wird sehen wie in beschraͤnktem Maaße das wahr ist. . Wenn man ihn um seine Verwendung bat, zuckte er die Achseln. War nun dieß mit dem Sohne der Fall, wie viel weniger durften andere Verwandte auf unregelmaͤßige Be- guͤnstigung oder einen Antheil an der Gewalt hoffen. Zwei seiner Neffen nahm Gregor in das Cardinalat auf; auch Pius V. hatte etwas aͤhnliches gethan; aber dem dritten, der sich nicht minder einstellte, verweigerte er die Audienz; er noͤthigte ihn, sich binnen zwei Tagen wieder zu entfernen. fragte der Gesandte den Minister, ob man Giacomo den Sohn Sr. Heiligkeit nennen solle. „S. S gra. Ill ma. prontamtente dopo avere scusato con molte parole il fatto di S. S tà. che prima che ha- vesse alcune ordine ecclesiastico, generasse questo figlivolo, disse: che si potrebbe nominarlo per il S r. Jacomo Boncompagno Bolognese, stretta m. congiunto con S. S tà. Dispaccio Paolo Tie- polo 3 Marzo 1574. Buch IV. Staat und Hof . Der Bruder des Papstes hatte sich auch aufgemacht, um den Anblick des Gluͤckes zu genießen, das seinem Hause widerfahren: er war schon bis Orvieto gekommen: aber hier traf ihn ein Abgesandter des Hofes, der ihm umzu- kehren befahl. Dem Alten traten die Thraͤnen in die Au- gen, und er konnte sich nicht enthalten, noch eine Strecke Weges nach Rom hin zu machen; dann aber, auf einen zweiten Befehl, begab er sich in der That zuruͤck nach Bologna Der gute Mensch beklagte sich, daß ihm das Papstthum des Bruders mehr schade als nuͤtze, weil es ihn zu groͤßerem Auf- wand noͤthige, als der Zuschuß Gregors betrage. . Genug den Nepotismus befoͤrdert, seine Familie un- gesetzlich beguͤnstigt zu haben, kann man diesem Papst nicht vorwerfen. Als ihm ein neuernannter Cardinal sagte, er werde dem Hause und den Nepoten S. Heiligkeit dankbar seyn, schlug er mit den Haͤnden auf den Armsessel, und rief aus: „Gott muͤßt ihr dankbar seyn und dem heiligen Stuhle.“ So sehr war er bereits von den religioͤsen Tendenzen durchdrungen. Er suchte Pius V. in frommem Bezeigen nicht allein zu erreichen, sondern zu uͤbertreffen Seconda relazione dell’ ambasciatore di Roma Cl mo. M. Paolo Tiepolo Car re. 3 Maggio 1576. Nella religione ha tolto non solo d’imitar ma ancora d’avanzar Pio V. dice per l’ordi- nario almeno tre volte messa alla settimana. Ha avuto parti- colar cura delle chiese facendole non solo con fabriche et al- tri modi ornar ma ancora colla assistentia e frequentia di preti accrescer nel culto divino. . Die ersten Jahre seines Pontificats las er alle Woche drei Mal selbst die Messe, und Sonntags hat er es niemals unter- Gregor XIII. lassen. Sein Lebenswandel war nicht allein tadellos, son- dern erbaulich. Gewisse Pflichten seines Amtes hat nie ein Papst treu- licher verwaltet, als Gregor. Er hielt sich Listen von Maͤn- nern aus allen Laͤndern, die zu bischoͤflichen Wuͤrden taug- lich seyen: bei jedem Vorschlag zeigte er sich wohlunter- richtet; mit großer Sorgfalt suchte er die Besetzung dieser wichtigen Aemter zu leiten. Vor allem bemuͤhte er sich, einen streng kirchlichen Unterricht zu befoͤrdern. Den Fortgang der jesuitischen Collegien unterstuͤtzte er mit außerordentlicher Freigebigkeit. Dem Profeßhaus zu Rom machte er ansehnliche Geschenke; er kaufte Haͤuser, schloß Straßen und widmete Einkuͤnfte, um dem ganzen Collegium die Gestalt zu geben, in der wir es noch heute sehen. Es war auf 20 Hoͤrsaͤle und 360 Zellen fuͤr die Studirenden berechnet: man nannte es das Seminar aller Nationen; gleich bei der ersten Gruͤndung ließ man, um zu bezeichnen, wie die Absicht die ganze Welt umfasse, 25 Reden in verschiedenen Sprachen hal- ten, und zwar eine jede sogleich mit lateinischer Verdol- metschung Dispaccio Donato 13 Gen. 1582. . Das Collegium germanicum, schon fruͤher gestiftet, war aus Mangel an Einkommen in Gefahr ein- zugehen; der Papst gab ihm nicht allein den Pallast San Apollinare, und die Einkuͤnfte von S. Stephano auf dem Monte Celio, er wies ihm auch 10000 Sc. auf die apo- stolische Kammer an; man darf Gregor als den eigentlichen Begruͤnder dieses Institutes ansehen, aus welchem seitdem Jahr fuͤr Jahr eine ganze Anzahl Verfechter des Katholi- Buch IV. Staat und Hof . cismus nach Deutschland entlassen worden sind. Auch ein englisches Collegium stiftete er zu Rom, und fand Mittel, es auszustatten. Er unterstuͤtzte die Collegien zu Wien und zu Graͤtz aus seiner Schatulle, und es war vielleicht keine Jesuitenschule in der Welt, die sich nicht auf die eine oder die andere Weise seiner Freigebigkeit haͤtte zu ruͤhmen ge- habt. Auf Anrathen des Bischofs von Sitia richtete er auch ein griechisches Collegium ein. Junge Leute von drei- zehn bis sechzehn Jahren sollten darin aufgenommen wer- den: nicht allein aus Laͤndern, die noch unter christlicher Botmaͤßigkeit standen, wie Corfu und Candia, sondern auch von Constantinopel, Morea und Salonichi; sie beka- men griechische Lehrmeister: mit Kaftanen und dem vene- zianischen Barett wurden sie bekleidet; ganz griechisch wollte man sie halten; es sollte ihnen immer in Gedanken blei- ben, daß sie nach ihrem Vaterlande zuruͤckzukehren haͤtten. Ihr Ritus sollte ihnen so gut gelassen werden wie ihre Sprache; nach den Lehrsaͤtzen des Conciliums, in welchen die griechische und lateinische Kirche vereinigt worden, wollte man sie im Glauben unterrichten Dispaccio Antonio Tiepolo 16 Marzo 1577. „accio che fatto maggiori possano affettionatamente e con la verità impa- rata dar a vedere ai suoi Greci la vera via.“ . Zu dieser, die gesammte katholische Welt umfassenden Sorgfalt gehoͤrt es auch, daß Gregor den Kalender refor- mirte. Das tridentinische Concilium hatte es gewuͤnscht; die Verruͤckung der hohen Feste von ihrem durch Concilien- schluͤsse festgesetzten Verhaͤltniß zu den Jahreszeiten machte es unerlaͤßlich. Alle katholische Nationen nahmen an die- Gregor XIII. ser Reform Theil. Ein uͤbrigens wenig bekannter Cala- brese, Luigi Lilio, hat sich dadurch einen unsterblichen Nachruhm erworben, daß er die leichteste Methode anzeigte, dem Uebelstande abzuhelfen. Allen Universitaͤten, unter an- dern auch den spanischen, Salamanca und Alcala wurde sein Entwurf mitgetheilt: von allen Seiten liefen Gut- achten ein. Eine Commission in Rom, deren thaͤtigstes und gelehrtestes Mitglied unser Landsmann Clavis war Erythraͤus: in quibus Christophor. Clavius principem locum obtinebat. , unterwarf sie dann einer neuen Untersuchung und faßte den definitiven Beschluß. Auf das ganze Getriebe hatte der gelehrte Cardinal Sirlato den groͤßten Einfluß. Man ging dabei mit einem gewissen Geheimniß zu Werke: der neue Kalender wurde Niemand, selbst den Gesandten nicht ge- zeigt, ehe er von den verschiedenen Hoͤfen gebilligt wor- den Dispaccio Donato 20 Dz. 1581. 2 Giugno 1582. Er preist den Cardinal als einen „huomo veramente di grande litte- ratura.“ . Dann machte ihn Gregor feierlich bekannt. Er ruͤhmt die Reform als einen Beweis der unermeßlichen Gnade Gottes gegen seine Kirche Bulle vom 13. Febr. 1582. §. 12. Bull. Cocq. IV, 4, 10. . Nicht alle Bemuͤhungen dieses Papstes aber waren von so friedlicher Natur. Es machte ihn ungluͤcklich, daß erst die Venezianer Frieden, dann auch sogar der Koͤnig Philipp II. einen Stillstand mit den Tuͤrken geschlossen. Waͤre es auf ihn angekommen, so waͤre die Liga, die den Sieg von Lepanto erfocht, niemals wieder getrennt wor- den. Einen unermeßlichen Kreis der Thaͤtigkeit eroͤffneten Buch IV. Staat und Hof . ihm die Unruhen in den Niederlanden, in Frankreich, die Reibungen der Parteien in Deutschland. Unermuͤdlich ist er in Entwuͤrfen wider die Protestanten. Die Empoͤrun- gen, welche Koͤnigin Elisabeth in Irland zu bekaͤmpfen hatte, wurden fast immer von Rom aus unterhalten. Der Papst hatte kein Hehl, daß er es zu einer allgemeinen Un- ternehmung gegen England zu bringen wuͤnsche. Jahr fuͤr Jahr unterhandeln seine Nuncien hieruͤber mit Philipp II. , mit den Guisen. Es waͤre nicht ohne Interesse alle diese Unterhandlungen und Versuche, die oft Denjenigen nicht bekannt wurden, deren Ruin sie bezweckten, und zu- letzt zu der großen Unternehmung der Armada gefuͤhrt haben, einmal zusammenzustellen. Mit dem lebhaftesten Eifer be- trieb sie Gregor. Die Ligue von Frankreich, die Heinrich dem III. und dem IV. so gefaͤhrlich wurde, hat ihren Ur- sprung in dem Verhaͤltniß dieses Papstes zu den Guisen. Ist es nun wahr, daß Gregor XIII. dem Staate mit seinen Verwandten nicht sehr zur Last fiel, so ergiebt sich doch aus so umfassenden, ihrer Natur nach kostspieli- gen Unternehmungen, daß er die Huͤlfsquellen desselben darum nicht minder in Anspruch nahm. Hat er sich doch selbst jene Expedition Stukleys, die hernach in Africa schei- terte, so geringfuͤgig sie war, eine bedeutende Summe ko- sten lassen. Noch Carln IX. schickte er einst 400000 Duc. aus einer unmittelbaren Beisteuer der Staͤdte des Kirchen- staates. Oefter unterstuͤtzte er den Kaiser, den Großmei- ster der Malteser mit Geldsummen. Aber auch seine fried- licheren Bestrebungen forderten einen namhaften Aufwand. Man berechnete, daß die Unterstuͤtzung junger Leute zu ih- Gregor XIII. ren Studien ihm 2 Millionen gekostet habe Berechnung des Baronius. Possevinus in Ciacconius Vitae Pontificum IV, 37. Lorenzo Priuli rechnet, daß er jaͤhrlich 200000 Sc. auf opere pie gewendet. Am ausfuͤhrlichsten und glaubwuͤr- digsten hieruͤber sind die Auszuͤge, welche Cocquelines aus den Re- lationen des Cardinal von Como und Musotti’s am Schlusse der Annalen des Maffei mittheilt. . Wie hoch mußten ihm allein die 22 Collegien der Jesuiten zu stehen kommen, die ihm ihren Ursprung verdankten. Bei der Geldwirthschaft des Staates, die trotz der steigenden Einnahme doch niemals einen freien Ueberschuß darstellte, mußte er sich hierdurch oft genug in Verlegen- heit gesetzt finden. Die Venezianer machten kurz nach seiner Thronbestei- gung einen Versuch, ihn zu einer Anleihe zu bewegen. Mit steigender Aufmerksamkeit hoͤrte Gregor dem ausfuͤhr- lichen Vortrag des Gesandten zu; als er endlich sah, wo er hinauswollte, rief er aus: „Wo bin ich, Herr Bot- schafter? Die Congregation versammelte sich alle Tage, um Geld herbeizuschaffen, und findet nie ein taugliches Mittel“ Dispaccio 14 Marzo 1573. Es ist eine congregatione deputata sopra la provisione di danari. . Die Staatsverwaltung Gregors XIII. ward nun von vorzuͤglicher Wichtigkeit. Man war bereits dahin gekommen, die Alienationen, so wie die Erhebung neuer Auflagen zu ver- dammen: man sah das Bedenkliche, ja Verderbliche eines solchen Systems vollkommen ein. Gregor gab der Congre- gation auf, ihm Geld zu schaffen, aber weder durch geist- Buch IV. Staat und Hof . liche Concessionen, noch durch neue Auflagen, noch durch den Verkauf kirchlicher Einkuͤnfte. Welches Mittel aber war außerdem noch zu erden- ken? Es ist sehr merkwuͤrdig, welche Maaßregeln man er- griff, und welche Wirkungen diese hernach hervorbrachten. Gregor, der immer einem unbedingten Rechtsbegriff folgte, meinte zu finden, daß das kirchliche Fuͤrstenthum noch viele Gerechtsame besitze, die es nur geltend zu ma- chen brauche, um neue Huͤlfsquellen zu gewinnen Maffei Annali di Gregorio XIII. I, p. 104. Er rech- net, daß der Kirchenstaat nur 160000 Sc. reine Einnahme gewaͤhrt habe. . Er war nicht gemeint Privilegien zu schonen, die ihm im Wege standen. Ohne alle Ruͤcksicht hob er unter andern das Recht auf, das die Venezianer besaßen, aus der Mark und Ravenna Getreide mit gewissen Beguͤnstigungen aus- zufuͤhren. Er sagte, es sey billig, daß der Auslaͤnder so viel Auflagen zahle, wie der Eingeborne Disp. Antonio Tiepolo 12 Ap. 1577. . Da sie sich nicht sogleich fuͤgten, so ließ er ihre Magazine zu Ravenna mit Gewalt eroͤffnen, deren Inhalt versteigern, die Eigen- thuͤmer verhaften. Jedoch dieß wollte noch wenig sagen, es bezeichnet nur den Weg, auf dem er zu gehen gedachte. Bei weitem wichtiger war, daß er in dem Adel seines Landes eine Menge Mißbraͤuche wahrzunehmen glaubte, die man zum Vortheil der Staatscasse abstellen koͤnne. Sein Kammersecretaͤr, Rudolf Bonfiglivolo, brachte eine weitgreifende Ausdehnung und Erneuerung von lehnsherr- lichen Rechten, an die man kaum noch gedacht hatte, in Gregor XIII. Antrag. Er gab an, ein großer Theil der Schloͤsser und Guͤter der Barone des Kirchenstaates sey dem Papste heim- gefallen, die einen durch den Abgang der eigentlich belehn- ten Linie, die andern, weil der Zins, zu dem sie verpflich- tet, nicht abgetragen worden Disp. A. Tiepolo 12 Gen. 1579. Il commissario della camera attende con molta diligentia a ritrovare e rivedere scrit- ture per ricuperare quanto dalli pontefici passati si è stato obli- gato o dato in pegno ad alcuno e vedendo che S. S tà. gli as- sentisse volontieri, non la sparagna o porta rispetto ad al- cuno. . Nichts konnte dem Papste, der schon einige aͤhnliche Guͤter durch Heimfall oder um Geld erworben, gelegener kommen. Er schritt sogleich ans Werk. In den Gebirgen von Romagna entriß er Castel- novo den Isei von Cesena, Corcana den Sassatelli von Imola. Lonzano auf schoͤnem Huͤgel, Savignano in der Ebene wurden den Rangonen von Modena confiscirt. Al- berto Pio trat Bertinoro freiwillig ab, um den Proceß zu vermeiden, mit dem ihn die Kammer bedrohte: allein sie begnuͤgte sich nicht damit: sie entriß ihm auch noch Ve- rucchio und andre Ortschaften. Er praͤsentirte hierauf sei- nen Zins alle Peterstage, doch ward derselbe niemals wie- der angenommen. Dieß geschah allein in der Romagna. Eben so verfuhr man aber auch in den uͤbrigen Provinzen. Nicht allein Guͤter, von denen die Lehnspflicht nicht gelei- stet worden, nahm man in Anspruch: es gab andere, die urspruͤnglich den Baronen nur verpfaͤndet worden: laͤngst aber war dieser Ursprung in Vergessenheit gerathen: als ein freies Eigenthum war das Gut von Hand in Hand gegangen und um vieles verbessert worden: jetzt gefiel es Buch IV. Staat und Hof . dem Papst und seinem Kammercommissaͤr, sie wieder ein- zuloͤsen. So bemaͤchtigten sie sich des Schlosses Sitiano, indem sie die Pfandsumme von 14000 Sc. niederlegten, eine Summe, die den damaligen Werth bei weitem nicht er- reichte. Der Papst that sich auf diese Unternehmungen viel zu gut. Er glaubte einen Anspruch mehr auf die Gnade des Himmels zu erwerben, sobald es ihm gelang, die Ein- kuͤnfte der Kirche nur um 10 Sc. zu vermehren, voraus- gesetzt, ohne neue Auflagen. Er berechnete mit Genug- thuung, daß man den Ertrag des Kirchenstaats in Kurzem auf gerichtlichem Wege um 100000 Sc. vermehrt habe. Wie viel mehr werde man hierdurch zu Unternehmungen gegen Ketzer und Unglaͤubige faͤhig. An dem Hofe stimmte man ihm großentheils bei. „Dieser Papst heißt der Wachsame“: (es ist dieß die Bedeutung von Gregorius) sagte der Car- dinal von Como: „er will wachen und das Seine wieder- erwerben“ Disp. 21 Ott. 1581. „Sono molti anni, che la chiesa non ha havuto pontefice di questo nome Gregorio, che secundo la sua etimologia greca vuol dire vigilante: questo che è Gre- gorio è vigilante, vuol vigilare e ricuperare il suo e li par di far un gran servitio, quando ricupera alcuna cosa, benchè mi- nima. . In dem Lande dagegen, unter der Aristokratie, mach- ten diese Maaßregeln einen andern Eindruck. Viele große Familien fanden sich ploͤtzlich aus einem Besitz vertrieben, den sie fuͤr hoͤchst rechtmaͤßig gehalten. Andere sahen sich bedroht. Taͤglich durchsuchte man in Rom alte Papiere und fand alle Tage einen neuen Anspruch Gregor XIII. heraus. Bald glaubte sich Niemand mehr sicher und Viele entschlossen sich, ihre Guͤter eher mit den Waffen zu ver- theidigen, als sie dem Kammercommissaͤr auszuantworten. Einer dieser Feudatare sagte dem Papst ins Gesicht: ver- lieren sey verlieren: wenn man sich wehre, empfinde man dabei wenigstens eine Art von Vergnuͤgen. Bei dem Einfluß des Adels auf seine Bauern und auf die Nobili in den benachbarten Staͤdten, brachte dieß eine Gaͤhrung in dem ganzen Lande hervor. Es kam hinzu, daß der Papst durch andre schlecht berechnete Maaßregeln einigen Staͤdten sehr fuͤhlbaren Ver- lust zugefuͤgt hatte. Unter andern hatte er die Zoͤlle von Ancona erhoͤht, in der Meinung, die Erhoͤhung falle auf die Kaufleute und nicht auf das Land. Hiermit brachte er dieser Stadt einen Schlag bei, den sie niemals hat verwin- den koͤnnen: der Handel zog sich ploͤtzlich weg, es half nur wenig, daß die Auflage zuruͤckgenommen und nament- lich den Ragusanern ihre alten Freiheiten erneuert wurden. Hoͤchst unerwartet und eigenthuͤmlich ist der Erfolg, den dieß hervorbrachte. Der Gehorsam in jedem, am meisten aber in einem so friedlichen Lande beruht auf einer freiwilligen Unterord- nung. Hier waren die Elemente der Bewegung nicht besei- tigt, nicht unterdruͤckt, durch die daruͤber ausgebreitete Herr- schaft der Regierung waren sie nur verdeckt. So wie die Unterordnung an Einer Stelle nachließ, traten diese Ele- mente saͤmmtlich hervor und erschienen in freiem Kampfe. Das Land schien sich ploͤtzlich zu erinnern, wie kriegerisch, waffenfertig, in Parteiungen unabhaͤngig es Jahrhunderte Buch IV. Staat und Hof . lang gewesen: es fing an, dieß Regiment von Priestern und Doctoren zu verachten; es fiel in einen Zustand zu- ruͤck, der seine Natur war. Nicht als haͤtte man sich der Regierung geradehin entgegengesetzt, sich gegen sie empoͤrt: es war genug, daß allenthalben die alten Parteien erstanden. Ganz Romagna war aufs neue von ihm getheilt. In Ravenna waren Rasponi und Leonardi, in Rimini Ric- ciardelli und Tignoli, in Cesena Venturelli und Bottini, in Furli Numai und Sirugli, in Imola Vicini und Sas- satelli wider einander; die erstgenannten waren immer Gi- bellinen, die andern Guelfen: auch nachdem die Interessen sich so ganz veraͤndert, erwachten doch die Namen. Oft hatten die Parteien verschiedene Quartiere, verschiedene Kir- chen inne: — sie unterschieden sich durch kleine Abzeichen: der Guelfe trug die Feder am Hut immer auf der rechten, der Gibelline auf der linken Seite Die Relatione di Romagna findet die Unterschiede nel ta- gliar del pane, nel cingersi, in portare il pennacchio fiocco o fiore al capello o all’ orecchio. ; — bis in das kleinste Dorf ging die Spaltung; Keiner haͤtte seinem Bruder das Leben ge- schenkt, wenn dieser sich zur entgegengesetzten Faction bekannt haͤtte. Es haben Einige sich ihrer Weiber durch Mord ent- ledigt, um eine Frau aus einem Geschlecht nehmen zu koͤnnen, das zu derselben Partei gehoͤrte. Die Pacifici nuͤtzten nichts mehr, auch deshalb, weil man aus Gunst minder taugliche Leute in diese Genossenschaft hatte eintreten lassen. Die Factionen sprachen selbst Recht unter sich. Oft erklaͤrten sie Gregor XIII. sie die fuͤr unschuldig, die von den paͤpstlichen Gerichts- hoͤfen waren verurtheilt worden. Sie erbrachen die Ge- faͤngnisse, um ihre Freunde zu befreien; ihre Feinde da- gegen suchten sie auch hier auf, und den andern Tag sah man zuweilen die abgeschnittenen Koͤpfe derselben an dem Brunnen aufgesteckt In dem Ms. Sixtus V. Pontifex M. (Bibl. Altieri zu Rom) findet sich die ausfuͤhrlichste Schilderung dieses Zustandes. Ich denke meinen Auszug im Anhang abdrucken zu lassen. . Da nun die oͤffentliche Macht so schwach war, so bildeten sich in der Mark, der Campagna, in allen Pro- vinzen die Haufen von ausgetretenen Banditen zu kleinen Armeen. An ihrer Spitze zogen Alfonso Piccolomini, Roberto Malatesta und andre junge Maͤnner aus den vornehmsten Geschlechtern einher. Piccolomini nahm das Stadthaus von Monte-abboddo ein, alle seine Gegner ließ er aufsu- chen und vor den Augen ihrer Muͤtter und Weiber hin- richten: von dem Namen Gabuzio allein mußten ihrer neun sterben; indessen hielt sein Gefolge Taͤnze auf dem Markt- platz. Als Herr des Landes durchzog er das Gefilde; er hatte einmal das Wechselfieber, doch hielt ihn das nicht auf: an dem schlimmen Tage ließ er sich in einer Saͤnfte vor seinen Truppen hertragen. Den Einwohnern von Cor- neto kuͤndigte er an: sie moͤchten sich beeilen, mit ihrer Ernte fertig zu werden: er werde kommen und die Saaten seines Feindes Latino Orsino verbrennen. Er fuͤr seine Person hielt noch auf eine gewisse Ehre. Er nahm einem Courier seine Briefe ab; das Geld, das derselbe bei sich 28 Buch IV. Staat und Hof . fuͤhrte, beruͤhrte er nicht. Desto gieriger, raͤuberischer bewiesen sich seine Gefaͤhrten. Von allen Seiten kamen die Abgeordneten der Staͤdte nach Rom, und baten um Huͤlfe Dispacci Donato del 1582 durchaus. . Der Papst vermehrte seine Streitkraͤfte. Er gab dem Cardinal Sforza eine umfassendere Vollmacht, als Jemand seit dem Cardinal Albornoz besessen, — nicht allein ohne Ruͤcksicht auf ein Privilegium, sondern selbst ohne an Rechtsordnungen gebunden zu seyn, ja ohne allen Proceß, manu regia solle er verfahren duͤrfen Breve fuͤr Sforza: in den Dispacci mitgetheilt. Omnimo- dam facultatem, potestatem auctoritatem et arbitrium, contra quos- cunque bannitos facinorosos receptatores fautores complices et seguaces etc. nec non contra communitates universitates et ci- vitates, terras et castra, et alios cujuscunque dignitatis vel praeeminentiae, Barones, Duces et quovis autoritate fungen- tes et extrajudicialiter et juris ordine non servato etiam sine processu et scripturis et manu regia illosque omnes et singulos puniendi tam in rebus in bonis quam in personis. : — Giacomo Bon- compagno ging ins Feld; auch gelang es ihnen wohl, die Haufen zu zerstreuen, das Land von ihnen zu reinigen: so wie sie sich entfernt hatten, erhob sich das alte Unwesen hinter ihnen wie zuvor. Zu der Unheilbarkeit desselben trug noch ein besonde- rer Umstand vieles bei. Dieser Papst, der oft fuͤr allzugutmuͤthig gilt, hatte doch wie seine fuͤrstlichen, so auch seine kirchlichen Gerecht- same mit großer Strenge behauptet Schon 1576 bemerkt dieß P. Tiepolo. Quanto più cerca d’acquistarsi nome di giusto tanto più lo perde di gratioso, per- che concede molto meno gratie estraordinarie di quel che ha fatto altro pontefice di molti anni in quà: — la qual cosa ag- . Weder den Kaiser Gregor XIII. noch den Koͤnig von Spanien schonte er, auf seine Nachbarn nahm er keine Ruͤcksicht. Nicht allein mit Ve- nedig lag er in tausend Zwistigkeiten, uͤber die Sache von Aquileja, uͤber die Visitation ihrer Kirchen und an- dere Punkte: — die Gesandten koͤnnen nicht beschreiben, wie er bei jeder Beruͤhrung dieser Angelegenheiten auffaͤhrt, welch eine innere Bitterkeit er zeigt; — eben so ging es in Toskana und Neapel; Ferrara fand keine Gunst: Parma hatte vor kurzem in seinen Streithaͤndeln bedeutende Sum- men verloren. Alle diese Nachbarn sahen den Papst mit Vergnuͤgen in so unangenehmen Verwickelungen: ohne wei- teres nahmen sie die Banditen in ihrem Lande auf, die dann, sobald es die Gelegenheit gab, wieder nach dem Kirchenstaat zuruͤckkehrten. Der Papst bat sie nur ver- gebens dieß nicht ferner zu thun. Sie fanden es beson- ders, daß man sich zu Rom aus Niemand etwas mache, und hernach von Jedermann Ruͤcksichten verlange Dispaccio Donato 10 Sett. 1581. È una cosa grande che con non dar mai satisfatione nissuna si pretende d’avere da altri in quello che tocca alla libertà dello stato suo corren- temente ogni sorte d’ossequio. . Und so vermochte denn Gregor seiner Ausgetrete- nen niemals Herr zu werden. Es ward keine Auflage be- zahlt; das Sussidio blieb aus. In dem Lande griff ein allgemeines Mißvergnuͤgen um sich. Selbst Cardinaͤle war- giunta al mancamento, ch’è in lui di certe offici grati et accetti per la difficultà massima m. naturale, che ha nel parlar e per le pochissime parole che in ciascuna occasione usa, fa, ch’ egli in gran parte manca di quella gratia appresso le persone. 28* Buch IV. Staat und Hof . fen die Frage auf, ob es nicht besser sey, sich an einen andern Staat anzuschließen. An die Fortsetzung der Maaßregeln des Kammerse- cretaͤrs war unter diesen Umstaͤnden nicht zu denken. Im Dezember 1581 berichtet der venezianische Gesandte aus- druͤcklich, der Papst habe alle Proceduren in Confiscations- sachen eingestellt. Er mußte gestatten, daß Piccolomini nach Rom kam, und ihm eine Bittschrift uͤberreichte Donato 9 April 1583. „Il sparagnar la spesa e l’as- sicurar il S r. Giacomo che lo desiderava et il fuggir l’occasione di disgustarsi ogni di più per questo con Fiorenza si come ogni di avveniva, ha fatto venir S. S à. in questa risolutione.“ . Es uͤberlief ihn ein Grauen, als er sie las, diese lange Reihe von Mord- thaten, die er vergeben sollte, und er legte sie auf den Tisch. Allein man sagte ihm: von drei Dingen sey eins nothwendig: entweder muͤsse sein Sohn Giacomo den Tod von der Hand des Piccolomini erwarten, oder er muͤsse die- sen selber umbringen, oder aber man muͤsse dem Piccolo- mini Vergebung angedeihen lassen. Die Beichtvaͤter zu S. Johann Lateran erklaͤrten, obwohl sie das Beichtgeheimniß nicht brechen duͤrften, so sey ihnen doch erlaubt, so viel zu sagen, wenn nicht etwas geschehe, so stehe ein großes Un- gluͤck bevor. Es kam hinzu, daß Piccolomini von dem Großherzog von Toskana offen beguͤnstigt ward, wie er denn im Pallast Medici wohnte. Endlich entschloß sich der Papst, aber mit tief gekraͤnktem Herzen, und unterzeich- nete das Breve der Absolution. Die Ruhe stellte er aber damit immer noch nicht her. Sixtus V. Seine eigene Hauptstadt war voll von Banditen. Es kam so weit, daß der Stadtmagistrat der Conservatoren ein- schreiten und der Polizei des Papstes Gehorsam verschaffen mußte. Ein gewisser Marianazzo schlug die angebotene Verzeihung aus: es sey ihm vortheilhafter, sagte er, als Bandit zu leben: da habe er groͤßere Sicherheit „Che il viver fuoruscito li torni più a conto e di mag- gior sicurtà.“ — Gregor regierte vom 13. Mai 1572 bis 10. Apr. 1585. . Der alte Papst, lebenssatt und schwach, sah zum Him- mel und rief: du wirst aufstehen Herr und dich Zions erbarmen. Sixtus V. Es sollte zuweilen scheinen, als gaͤbe es in den Ver- wirrungen selbst eine geheime Kraft, die den Menschen bil- det und emporbringt, der ihnen zu steuern faͤhig ist. Waͤhrend in der ganzen Welt erbliche Fuͤrstenthuͤmer oder Aristokratien die Herrschaft von Geschlecht zu Ge- schlecht uͤberlieferten, behielt das geistliche Fuͤrstenthum das Ausgezeichnete, daß es von der untersten Stufe der mensch- lichen Gesellschaft zu dem hoͤchsten Range in derselben fuͤhren konnte. Eben aus dem niedrigsten Stande erhob sich jetzt ein Papst, der die Kraft und ganz die Natur dazu hatte, um jenem Unwesen ein Ende zu machen. Buch IV. Staat und Hof . Bei den ersten gluͤcklichen Fortschritten der Osmanen in den illyrischen und dalmatinischen Provinzen flohen viele Einwohner derselben nach Italien. Man sah sie ankom- men, in Gruppen geschaart an dem Ufer sitzen und die Haͤnde gegen den Himmel ausstrecken. Unter solchen Fluͤcht- lingen ist wahrscheinlich auch der Ahnherr Sixtus V. , Za- netto Peretti, heruͤbergekommen; er war von slawischer Na- tion. Wie es aber Fluͤchtlingen geht: weder er noch auch seine Nachkommen, die sich in Montalto niedergelassen, hatten sich in ihrem neuen Vaterlande eines besondern Gluͤckes zu ruͤhmen: Peretto Peretti, der Vater Sixtus V. , mußte sogar Schulden halber diese Stadt verlassen: erst seine Verheurathung machte ihn faͤhig, einen Garten in Grotte a Mare bei Fermo zu pachten. Dieser Ort hat einen milderen Winter als sonst die Mark: er bringt Po- meranzen und Citronen hervor: um die Ruinen eines alten Tempels der etruskischen Juno, der Cupra her war der Garten angelegt. Hier ward dem Peretti am 18. Dez. 1521 ein Sohn geboren. Es hatte ihm getraͤumt, er be- klage sein Ungluͤck, und eine himmlische Stimme troͤste ihn mit der Versicherung, er werde einen Sohn bekom- men, der sein Haus gluͤcklich machen werde. Deshalb nannte er ihn Felix Tempesti: storia della vita e geste di Sisto V. 1754 hat uͤber den Ursprung seines Helden das Archiv von Montalto unter- sucht. Authentisch ist auch die vita Sixti V., ipsius manu emen- data. Ms. der Bibl. Altieri zu Rom. Sixtus ward geboren, cum pater Ludovici Vecchii Firmani hortum excoleret, mater Dia- nae nurui ejus perhonestae matronae domesticis ministeriis ope- ram daret. Diese Diana erlebte im hohen Alter das Pontificat des . Sixtus V. In welchem Zustande die Familie war, sieht man wohl, wenn z. B. das Kind in einen Teich faͤllt, und die Tante, die an dem Teiche waͤscht, es herauszieht; der Knabe muß das Obst bewachen, ja die Schweine huͤten; die Buchstaben lernt er aus den Fibeln kennen, welche an- dere Kinder, die uͤber Feld nach der Schule gegangen und von da zuruͤckkommen, bei ihm liegen lassen: der Vater hat nicht die fuͤnf Bajocchi uͤbrig, die der naͤchste Schul- meister monatlich fordert. Gluͤcklicherweise hat die Familie ein Mitglied in dem geistlichen Stande, einen Franzisca- ner Fra Salvatore, der sich endlich erweichen laͤßt, das Schulgeld zu zahlen. Dann ging auch der junge Felix mit den uͤbrigen zum Unterricht: er bekam ein Stuͤck Brot mit; zu Mittag setzte er sich an den Brunnen, der ihm das Wasser dazu gab. Trotz so kuͤmmerlicher Umstaͤnde waren doch die Hoffnungen des Vaters auch bald auf den Sohn uͤbergegangen: als dieser sehr fruͤh, im zwoͤlften Jahr, denn noch verbot kein tridentinisches Concilium so fruͤhe Geluͤbde, in den Franciscanerorden trat, behielt er den Na- men Felix bei. Fra Salvatore hielt ihn streng; er brauchte die Autoritaͤt eines Oheims, der zugleich Vatersstelle ver- tritt; doch schickte er ihn auch auf Schulen. Oft studirte Sixtus. Anus senio confecta Romam deferri voluit, cupida ve- nerari eum in summo rerum humanarum fastigio positum, quem olitoris sui filium paupere victu domi suae natum aluerat. Ue- brigens „pavisse puerum pecus et Picentes memorant et ipse adeo non diffitetur, ut etiam prae se ferat.“ Auf der Ambro- siana R. 124 findet sich F. Radice dell’ origine di Sisto V., eine Information, datirt Rom 4. Mai 1585, die indeß nur wenig sa- gen will. Buch IV. Staat und Hof . Felix, ohne zu Abend gegessen zu haben, bei dem Schein einer Laterne im Kreuzgang, oder wenn diese ausging, bei der Lampe, die vor der Hostie in der Kirche brannte; es findet sich nicht gerade etwas bemerkt, was eine urspruͤngliche religioͤse Anschauung, oder eine tiefere wissenschaftliche Richtung in ihm andeutete; aber gluͤckliche Fortschritte machte er allerdings, sowohl auf der Schule zu Fermo, als auf den Schulen und Universitaͤten zu Ferrara und Bologna: mit vielem Lob erwarb er die academischen Grade. Am meisten entwickelte er ein dialectisches Talent. Die Moͤnchsfertigkeit, verworrene theo- logische Fragen zu behandeln, erwarb er sich in hohem Grade. Bei dem Generalconvent der Franziscaner im Jahr 1549, der zugleich mit literarischen Wettkaͤmpfen begangen wurde, bestritt er einen Telesianer, Antonio Persico aus Calabrien, der sich damals zu Perugia viel Ruf erworben, mit Ge- wandtheit und Geistesgegenwart Sixtus V. Pontifex Maximus Ms. der Bibl. Altieri. Exi- mia Persicus apud omnes late fama Perusiae philosophiam ex Telesii placitis cum publice doceret, novitate doctrinae tum pri- mum nascentis nativum ingenii lumen mirifice illustrabat. — Montaltus ex universa theologia excerptas positiones C li. Car- pensi inscriptas tanta cum ingenii laude defendit, ut omnibus admirationi fuerit. . Dieß verschaffte ihm zuerst ein gewisses Ansehn. Der Protector des Ordens, Cardinal Pio von Carpi, nahm sich seitdem seiner eifrig an. Sein eigentliches Gluͤck aber schreibt sich von einem andern Vorfall her. Im Jahre 1552 hielt er die Fastenpredigten in der Kirche S. Apostoli zu Rom mit dem groͤßten Beifall. Man fand seinen Vortrag lebhaft, wortreich, fließend: Sixtus V. ohne Floskeln: sehr wohl geordnet: er sprach deutlich und angenehm. Als er nun einst dort, bei vollem Auditorium, in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien Sitte ist, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen Eingaben ablas, welche Bitten und Fuͤrbitten zu enthal- ten pflegen, stieß er auf eine, die versiegelt auf der Kan- zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle Hauptsaͤtze der bisherigen Predigten Peretti’s, vornehmlich in Bezug auf die Lehre von der Praͤdestination, waren darin verzeichnet: neben einem jeden stand mit großen Buchsta- ben: du luͤgst. Nicht ganz konnte Peretti sein Erstaunen verbergen: er eilte zum Schluß: so wie er nach Hause ge- kommen, schickte er den Zettel an die Inquisition Erzaͤhlung der nemlichen Handschrift. „Jam priorem ora- tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma- rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat, literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di- mittit orationemque brevi praecisione paucis absoluit.“ . Gar bald sah er den Großinquisitor, Michel Ghislieri, in sei- nem Gemach anlangen. Die strengste Pruͤfung begann. Oft hat Peretti spaͤter erzaͤhlt, wie sehr ihn der Anblick dieses Mannes, mit seinen strengen Brauen, den tiefliegen- den Augen, den scharfmarkirten Gesichtszuͤgen in Furcht gesetzt habe. Doch faßte er sich, antwortete gut und gab keine Bloͤße. Als Ghislieri sah, daß der Frate nicht al- lein unschuldig, sondern in der katholischen Lehre so gut begruͤndet war, wurde er gleichsam ein anderer Mensch, Buch IV. Staat und Hof . er umarmte ihn mit Thraͤnen; er ward sein zweiter Be- schuͤtzer. Auf das entschiedenste hielt sich seitdem Fra Felice Pe- retti zu der strengen Partei, die so eben in der Kirche em- porkam. Mit Ignatio, Felino, Filippo Neri, welche alle drei den Namen von Heiligen erworben, war er in ver- trautem Verhaͤltniß. Daß er in seinem Orden, den er zu reformiren suchte, Widerstand fand, und von seinen Or- densbruͤdern einmal aus Venedig vertrieben wurde, ver- mehrte nur sein Ansehn bei den Vertretern der zur Macht gelangenden Gesinnung. Er ward bei Paul IV. eingefuͤhrt und oft in schwierigen Faͤllen zu Rathe gezogen: er arbeitete als Theolog in der Congregation fuͤr das tridentinische Con- cilium, als Consultor bei der Inquisition: an der Verur- theilung des Erzbischofs Carranza hatte er großen Antheil: er hat sich die Muͤhe nicht verdrießen lassen, in den Schrif- ten der Protestanten die Stellen aufzusuchen, welche Car- ranza in die seinen aufgenommen: das Vertrauen Pius V. erwarb er voͤllig. Dieser Papst ernannte ihn zum Gene- ralvicar der Franziscaner, — ausdruͤcklich in der Absicht, um ihn zur Reformation des Ordens zu autorisiren — und in der That fuhr Peretti gewaltig durch: er setzte die Generalcommissaͤre ab, die bisher die hoͤchste Gewalt in demselben besessen: er stellte die alte Verfassung her, nach welcher diese den Provincialen zustand, und fuͤhrte die strengste Visitation aus. Pius sah seine Erwartungen uͤber- troffen: die Zuneigung, die er fuͤr Peretti hatte, hielt er fuͤr eine Art von goͤttlicher Eingebung: ohne auf die Af- terreden zu hoͤren, die denselben verfolgten, ernannte er Sixtus V. ihn zum Bischof von S. Agatha, im Jahre 1570 zum Cardinal. Auch das Bisthum Fermo ward ihm ertheilt. In dem Purpur der Kirche kam Felice Peretti in sein Vater- land zuruͤck, wo er einst Obst und Vieh gehuͤtet; doch waren die Vorhersagungen seines Vaters und seine eignen Hoffnungen noch nicht voͤllig erfuͤllt. Es ist zwar unzaͤhlige Mal wiederholt worden, welche Raͤnke Cardinal Montalto — so nannte man ihn jetzt — angewendet habe, um zur Tiara zu gelangen: wie de- muͤthig er sich angestellt, wie er gebeugt, hustend und am Stocke einhergeschlichen: — der Kenner wird von vorn herein erachten, daß daran nicht viel Wahres ist: nicht auf diese Weise werden die hoͤchsten Wuͤrden erworben. Montalto lebte still, sparsam und fleißig fuͤr sich hin. Sein Vergnuͤgen war, in seiner Vigna bei S. Maria Mag- giore, die man noch besucht, Baͤume, Weinstoͤcke zu pflan- zen, und seiner Vaterstadt einiges Gute zu erweisen. In ernsteren Stunden beschaͤftigten ihn die Werke des Ambrosius, die er 1580 herausgab. So vielen Fleiß er auch darauf wandte, so war seine Behandlung doch etwas willkuͤhrlich. Sein Character schien gar nicht so harmlos wie man gesagt hat. Bereits eine Relation von 1574 bezeichnet Montalto als ge- lehrt, und klug, aber auch als arglistig und boshaft Ein discorso sopra i soggetti papabili unter Gregor XIII. sagt von Montalto: La natura sua, tenuta terribile imperiosa et arrogante non li può punto conciliare la gratia. Man sieht, er war im Cardinalat wie er wurde als Papst. Gregor XIII. sagte oft zu den Seinen: „Caverent magnum illum cinerarium“ Far- nese sah ihn zwischen den beiden Dominicanern, Trani und Justi- . Doch Buch IV. Staat und Hof . zeigte er eine ungemeine Selbstbeherrschung. Als sein Neffe, der Gemahl der Vittoria Accorambuona ermordet worden, war er der Erste, der den Papst bat, die Untersuchung fal- len zu lassen. Diese Eigenschaft, die Jedermann bewun- derte, hat vielleicht am Meisten dazu beigetragen, daß als die Intriguen des Conclaves von 1585 dahin gediehen, ihn nennen zu koͤnnen, die Wahl wirklich auf ihn fiel. Auch beachtete man, wie es in der unverfaͤlschten Erzaͤh- lung des Vorgangs ausdruͤcklich heißt, daß er nach den Umstaͤnden noch in ziemlich frischem Alter, nemlich 64 Jahre, und von starker und guter Complexion war. Je- dermann gestand, daß man unter den damaligen Umstaͤn- den vor allem eines kraͤftigen Mannes bedurfte. nian, die sich auch Hoffnung machten. Der Autor von Sixtus V. P. M. laͤßt ihn sagen: Nae Picenum hoc jumentum magnifice olim exiliet, si duos illos, quos hinc atque illinc male fert, carbonis saccos excusserit. Er fuͤgt hinzu, daß grade um dieser Aussicht willen die Accorambuona sich mit dem Neffen des Sixtus verheu- rathet habe. Uebrigens hatte der Großherzog Franz von Toskana einen großen Antheil an dieser Wahl. In einer Depesche des flo- rentinischen Gesandten Alberti vom 11. Mai 1585 ( Roma Filza nr. 36.) heißt es: V ra. Altezza sia sola quella: che come con- viene goda il frutto dell’ opera, che ella ha fatta (er spricht von dieser Wahl) per avere questo Pontefice amico e non altro se ne faccia bello. In einem andern florentinischen Dispaccio heißt es: Il Papa replica che il Gran Duca aveva molte ragione, di de- siderargli bene, perche egli era come quel agricoltore che pi- anta un frutto che ha poi caro insieme di vederlo crescere et andare avanti lungo tempo, aggiungendoli che egli era stato quello che dopo il S r. Iddio aveva condotta quest’ opera, che a Lui solo ne aveva ad aver obligo e che lo conosceva, se ben di queste cose non poteva parlar con ogn’uno. Wir sehen, daß hier noch eine ganz andere Geschichte hinter der Scene vorfiel, von der wir wenig oder nichts wissen. — Die Wahl am 24. Apr. 1585. Sixtus V. Und so sah sich Fra Felice an seinem Ziele. Es mußte auch ein menschen-wuͤrdiges Gefuͤhl seyn, einen so erhabe- nen und legalen Ehrgeiz erfuͤllt zu sehen. Ihm stellte sich alles vor die Seele, worin er jemals eine hoͤhere Bestim- mung zu erkennen gemeint hatte. Er waͤhlte zu seinem Sinnspruch: Von Mutterleib an bist du, o Gott, mein Beschuͤtzer. Auch in allen seinen Unternehmungen glaubte er fortan von Gott beguͤnstigt zu werden. So wie er den Thron bestiegen, erklaͤrte er seinen Beschluß, die Banditen und Missethaͤter auszurotten. Sollte er dazu an sich nicht Kraͤfte genug haben, so wisse er, daß ihm Gott Legionen von Engeln zu Huͤlfe schicken werde Dispaccio Priuli 11 Maggio 1585. Rede des Papstes in dem Consistorium. Disse di due cose che lo travagliavano, la materia della giustitia e della abondantia, alle quali voleva at- tender con ogni cura sperando in dio che quando li mancassero li ajuti proprii e forastieri, li manderà tante legioni di angeli per punir li malfattori e ribaldi et esortò li cardinali di non usar le loro franchigie nel dar ricapito a tristi, detestando il poco pensier del suo predecessor. . Mit Entschlossenheit und Ueberlegung ging er sogleich an dieß schwere Werk. Ausrottung der Banditen. Das Andenken Gregors war ihm zuwider: die Maaß- regeln desselben mochte er nicht fortsetzen: er entließ den groͤßten Theil der Truppen, die er vorfand: die Sbirren verminderte er um die Haͤlfte. Dagegen entschloß er sich Buch IV. Staat und Hof . zu einer unnachsichtigen Bestrafung der ergriffenen Schul- digen. Es war laͤngst verboten, kurze Waffen, besonders eine gewisse Art von Buͤchsen zu tragen. Vier junge Menschen aus Cora, nahe Verwandte unter einander, ließen sich den- noch mit solchen Gewehren ergreifen. Den andern Tag war die Kroͤnung: und ein so freudiges Ereigniß nahm man zum Anlaß fuͤr sie zu bitten. Sixtus entgegnete: „so lange er lebe, muͤsse jeder Verbrecher sterben“ Se vivo facinorosis moriendum esse. . Noch an demselben Tage sah man sie alle vier an Einem Gal- gen bei der Engelsbruͤcke aufgehaͤngt. Ein junger Transtiberiner war zum Tode verurtheilt, weil er sich den Sbirren widersetzt hatte, die ihm einen Esel wegfuͤhren wollten. Alles war voll Mitleiden, wie der Knabe weinend wegen so geringer Verschuldung auf den Richtplatz gefuͤhrt wurde; man stellte dem Papst seine Jugend vor. „Ich will ihm ein paar Jahre von den meinen zulegen,“ soll er gesagt haben: er ließ das Ur- theil vollstrecken. Diese ersten Thaten Sixtus V. setzten Jedermann in Furcht: sie gaben den Verordnungen, die er nunmehr er- ließ, einen gewaltigen Nachdruck. Barone und Gemeinden wurden angewiesen, ihre Schloͤsser und Staͤdte von den Banditen rein zu halten: — den Schaden, den die Banditen anrichten wuͤrden, soll- ten der Herr oder die Gemeinde, in deren Gebiet er vor- falle, selber zu ersetzen haben“ Bullarium Tom IV. p. IV. p. 137. Bando b. Tempesti I, IX, 14. . Sixtus V. Banditen . Man hatte die Gewohnheit, auf den Kopf eines Ban- diten einen Preis zu setzen. Sixtus verordnete, daß diese Preise nicht mehr von der Kammer, sondern vielmehr von den Verwandten des Banditen, oder wenn diese zu arm, von der Gemeinde, aus der er stamme, zu tragen seyen. Es leuchtet ein, daß er das Interesse der Herren, der Gemeinden, der Verwandten fuͤr seine Zwecke in Anspruch zu nehmen suchte. Das Interesse der Banditen selbst be- muͤhte er sich zu erwecken. Er versprach einem Jeden, der einen Genossen todt oder lebendig einliefern wuͤrde, nicht nur die eigene Begnadigung, sondern auch die Begnadigung einiger seiner Freunde die er nennen koͤnne, und uͤberdieß ein Geldgeschenk. Nachdem diese Anordnungen getroffen worden, und man ihre strenge Handhabung an ein paar Beispielen er- lebt hatte, bekam die Verfolgung der Banditen in Kurzem eine andere Gestalt. Es war ein Gluͤck, daß es bald im Anfang mit ein paar Oberhaͤuptern gelang. Es ließ den Papst nicht schlafen, daß der Prete Guer- cino, der sich Koͤnig der Campagna nannte, der ein- mal den Unterthanen des Bischofs von Viterbo verboten hatte, ihrem Herrn zu gehorchen, noch immer sein Handwerk fortsetzte, und neue Pluͤnderungen vorgenommen hatte. „Er betete,“ sagt Galesinus, „Gott moͤge den Kirchenstaat von diesem Raͤuber befreien:“ den andern Morgen lief die Nachricht ein, Guercino sey gefangen. Der Kopf ward mit einer vergoldeten Krone an der Engelsburg ausgestellt; Buch IV. Staat und Hof . der Ueberbringer empfing seinen Preis, 2000 Scudi; das Volk lobte die gute Rechtspflege Seiner Heiligkeit. Dennoch wagte ein Anderer, della Fara, einst des Nachts die Waͤchter an der Porta Salara herauszuklopfen; er nannte sich und bat sie, dem Papst und dem Governatore seinen Gruß zu bringen. Hierauf gebot Sixtus den Ver- wandten desselben, ihn herbeizuschaffen; bei eigener Lei- besstrafe gebot ers ihnen. Es verging kein Monat, so brachte man den Kopf des Fara ein. Zuweilen war es fast noch etwas andres, als Gerech- tigkeit, was man gegen die Banditen uͤbte. Bei Urbino hatten sich ihrer dreißig auf einer Anhoͤhe verschanzt; der Herzog ließ Maulthiere mit Lebensmitteln beladen in ihre Naͤhe treiben; sie verfehlten nicht, den Zug zu pluͤndern. Aber die Lebensmittel waren vergiftet; die Raͤuber starben saͤmmtlich. „Bei der Nachricht hiervon,“ sagt ein Geschichtschreiber Sixtus V. , „empfand der Papst eine große Zufriedenheit.“ In Rom fuͤhrte man Vater und Sohn zum Tode, obwohl sie ihre Unschuld fortwaͤhrend betheuerten. Die Hausmutter stellte sich in den Weg: sie bat nur um einen geringen Verzug: sie koͤnne die Unschuld der Ihrigen au- genblicklich beweisen Memorie del Ponteficato di Sisto V. „ragguagliato Si- sto ne prese gran contento.“ . Der Senator schlug es ihr ab. „Weil ihr denn nach Blut duͤrstet,“ rief sie, „so will ich euch saͤttigen,“ und stuͤrzte sich aus dem Fenster des Ca- pitols. Indessen kamen jene Beiden auf den Richtplatz; jeder Sixtus V. Banditen . jeder wollte den Tod zuerst erleiden; der Vater wollte nicht den Sohn, der Sohn nicht den Vater sterben sehen. Das Volk schrie auf vor Mitleid. Der wilde Henker schalt auf ihren unnuͤtzen Verzug. Da galt kein Ansehn der Person. Der Graf Johann Pepoli, aus einem der ersten Haͤuser von Bologna, der aber an dem Banditenwesen viel Antheil genommen, ward in dem Gefaͤngniß strangulirt; seine Guͤter, sein baares Geld zog der Fiscus ein. Kein Tag war ohne Hinrich- tung: aller Orten in Wald und Feld traf man auf Pfaͤhle, auf denen Banditenkoͤpfe staken. Nur diejenigen von sei- nen Legaten und Governatoren lobte der Papst, die ihm hierin genug thaten und ihm viele Koͤpfe einsendeten. Es ist zugleich etwas Barbarisch-orientalisches in dieser Justiz. Wen sie aber nicht erreichte, der fiel durch die Raͤu- ber selbst. Die Versprechungen des Papstes hatten sie un- eins gemacht: keiner traute dem andern; sie mordeten sich unter einander Dispaccio Priuli bereits am 29 Juni 1585. Li fuorusciti s’ammazzano l’un l’altro per la provision del novo breve. . Und so verging kein Jahr, so waren die Bewegungen des Kirchenstaates, wenn nicht in ihren Quellen erstickt, doch in ihrem Ausbruch bezwungen. Im Jahr 1586 hatte man die Nachricht, daß auch die letzten Anfuͤhrer Monte- brandano und Arara getoͤdtet worden. Gluͤcklich fuͤhlte sich der Papst, wenn ihm nun die eintreffenden Gesandten bemerkten, sie seyen in seinem Staate allenthalben durch ein sicheres friedliches Land gereist Vita Sixti i. m. em. Ea quies et tranquillitas, ut in . 29 Buch IV. Staat und Hof . Momente der Verwaltung. So wie aber der Mißbrauch, den der Papst daͤmpfte, noch einen andern Ursprung hatte, als allein den Mangel an Aufsicht, so hing auch der Erfolg, welchen er hervor- rief, noch mit andern Schritten, die er that, zusammen. Man sieht zuweilen Sixtus V. als den alleinigen Gruͤnder der Ordnungen des Kirchenstaates an: man schreibt ihm Einrichtungen zu, die lange vor ihm bestanden: als einen unvergleichlichen Meister der Finanzen, einen hoͤchst vorurtheilsfreien Staatsmann, einen Hersteller der Alter- thuͤmer ruͤhmt man ihn. Er hatte eine Natur, die sich dem Gedaͤchtniß der Menschen einpraͤgte, und fabelhaften, großartig lautenden Erzaͤhlungen Glauben verschaffte. Ist nun dem auch nicht voͤllig so, wie man sagt, so bleibt seine Verwaltung doch immer sehr merkwuͤrdig. In einem besondern Verhaͤltniß stand sie gegen die gregorianische. Gregor war in seinen allgemeinen Maaß- regeln streng, durchgreifend, einseitig; einzelne Faͤlle des Ungehorsams sah er nach. Eben dadurch, daß er auf der einen Seite die Interessen gegen sich aufregte, und doch auf der andern eine Straflosigkeit ohne Gleichen einreißen ließ, veranlaßte er die unheilvolle Entwickelung, die er er- urbe vasta, in hoc conventu nationum, in tanta peregrinorum ad- venarumque colluvie ubi tot nobilium superbae eminent opes nemo tam tenuis tam abjectae fortunae sit, qui se nunc sentiat cujus- quam injuriae obnoxium. — Nach Gualterius Vita Sixti V. wandte dieser den Spruch an: fugit impius, nemine persequente. Sixtus V. Verwaltung . lebte. Sixtus dagegen war im Einzelnen unerbittlich; uͤber seine Gesetze hielt er mit einer Strenge, die an Grau- samkeit grenzte: in allgemeinen Maaßregeln dagegen finden wir ihn mild, nachgiebig und versoͤhnend. Unter Gregor hatte der Gehorsam nichts genuͤtzt und die Widersetzlichkeit nichts geschadet. Unter Sixtus hatte man alles zu fuͤrch- ten, sobald man ihm Widerstand zeigte; dagegen durfte man Beweise seiner Gnade erwarten, wenn man in gutem Vernehmen mit ihm stand. Nichts foͤrderte seine Absich- ten besser. Gleich von Anfang ließ er alle die Mißhelligkeiten fallen, in welche der Vorgaͤnger seiner kirchlichen Anspruͤche halber mit den Nachbarn gerathen war. Er erklaͤrte, ein Papst muͤsse die Privilegien, welche den Fuͤrsten gewaͤhrt worden, erhalten und vermehren. Den Mailaͤndern gab er die Stelle in der Rota zuruͤck, die ihnen Gregor XIII. ent- reißen wollen; als die Venezianer endlich ein Breve zum Vorschein brachten, das fuͤr ihre Anspruͤche in der Sache von Aquileja entscheidend zu seyn schien, zeigte er sich hoͤch- lich zufrieden. Jene anstoͤßige Clausel in der Bulle in Coena Domini war er entschlossen zu tilgen. Die Congregation uͤber die kirchliche Gerichtsbarkeit, von der die meisten Streitigkeiten ausgegangen, hob er gradezu auf Lorenzo Priuli Relatione 1586. È Pontefice che non cosi leggiermente abbraccia le querele con principi, anzi per fuggirle ha levata la congregatione della giurisdittione ecclesia- stica (an einer andern Stelle sagt er, hauptsaͤchlich aus Ruͤcksicht auf Spanien) e stima di potere per questa via concluder con maggior facilità le cose e di sopportare con manco indegnità quelle che saranno trattate secretamente da lui solo. . Ge- 29* Buch IV. Staat und Hof . wiß, es liegt etwas Großartiges darin, daß Jemand aus freier Bewegung bestrittene Rechte fallen laͤßt. Ihm brachte diese Gesinnung sofort den gluͤcklichsten Erfolg zu Wege. Der Koͤnig von Spanien meldete dem Papst in einem ei- genhaͤndigen Schreiben, er habe seinen Ministern in Mai- land und Neapel befohlen, paͤpstlichen Anordnungen nicht minder zu gehorchen als seinen eigenen. Sixtus war bis zu Thraͤnen geruͤhrt, daß der groͤßte Monarch der Welt ihn, wie er sich ausdruͤckte, einen armen Moͤnch dergestalt ehre. Toscana zeigte sich ergeben, Venedig befriedigt. Jetzt nahmen diese Nachbarn eine andre Politik an. Von allen Seiten schickte man dem Papst Banditen zu, die sich in die be- nachbarten Grenzen gefluͤchtet hatten. Venedig verpoͤnte ihnen die Ruͤckkehr in den Kirchenstaat und verbot seinen Schiffen, bei Beruͤhrung der Kuͤsten desselben Ausgetretene aufzunehmen. Der Papst war entzuͤckt daruͤber. Er sagte, er werde es der Republik ein ander Mal gedenken: er werde, so druͤckt er sich aus, sich die Haut fuͤr sie abzie- hen lassen, sein Blut fuͤr sie vergießen. Eben darum ward er der Banditen Herr, weil sie nirgends mehr Aufnahme und Huͤlfe fanden. So war er denn auch in seinem Lande von jenen strengen Maaßregeln, die Gregor zum Vortheil der Kam- mer vorgenommen, weit entfernt. Nachdem er die schul- digen Feudatare gestraft, suchte er die uͤbrigen Barone eher an sich zu ziehen und zu gewinnen. Die beiden gro- ßen Familien Colonna und Orsini verband er durch Heu- rathen zugleich mit seinem Hause und untereinander. Gre- gor hatte den Colonnesen Schloͤsser weggenommen: Six- Sixtus V. Verwaltung . tus regulirte selbst ihren Haushalt und machte ihnen Vorschuͤsse Dispaccio degli Amb ri. estraordinarii 19 Ott. 25 Nov. 1585. . Er gab dem Contestabile M. A. Colonna die eine, dem Duca Virginio Orsini die andere von seinen Enkel-Nichten. Er gewaͤhrte ihnen eine gleiche Dote, und sehr aͤhnliche Beguͤnstigungen: ihre Praͤcedenzstreitigkeiten glich er dadurch aus, daß er immer dem Aeltesten von bei- den Haͤusern den Vortritt zusprach. Praͤchtig nahm sich dann Donna Camilla aus, die Schwester des Papstes, zwischen ihren Kindern, so edlen Schwiegersoͤhnen und ver- heuratheten Enkelinnen. Sixtus hatte uͤberhaupt seine Freude daran, Privile- gien auszutheilen. Vornehmlich der Mark zeigte er sich als ein wohl- wollender Landsmann. Den Anconitanern gab er einige ihrer alten Gerechtsame wieder; in Macerata errichtete er fuͤr die ganze Provinz einen hoͤchsten Gerichtshof; das Col- legium der Advocaten dieser Provinz zeichnete er durch neue Zugestaͤndnisse aus; Fermo erhob er zum Erzbisthum, To- lentino zum Bisthum; den Flecken Montalto, in dem seine Vorfahren zuerst Wohnung genommen, erhob er durch eine eigene Bulle zur Stadt und zum Bisthum: „denn es hat,“ sagt er, „unserer Herkunft ihren gluͤcklichen Ursprung gege- ben.“ Schon als Cardinal hatte er eine gelehrte Schule daselbst gestiftet: jetzt als Papst gruͤndete er an der Univer- sitaͤt Bologna das Collegium Montalto fuͤr funfzig Schuͤler aus der Mark, von denen Montalto allein acht, und auch das kleine Grotte al Mare zwei zu praͤsentiren hatte Auch die benachbarten Orte rechnete er zu Montalto. Vita . Buch IV. Staat und Hof . Auch Loreto beschloß er zur Stadt zu erheben. Fon- tana stellte ihm die Schwierigkeiten davon vor. „Mache dir keine Gedanken, Fontana,“ sagte er, „schwerer war es mir mich zu entschließen, als mir die Ausfuͤhrung fal- len wird.“ Ein Theil des Landes wurde den Recanatesen abgekauft; Thaͤler wurden ausgefuͤllt, Huͤgel geebnet, hier- auf bezeichnete man die Straßen; die Communitaͤten der Mark wurden ermuntert, jede ein Haus daselbst zu bauen; Cardinal Gallo setzte neue Stadtbeamten in der heiligen Ca- pelle ein. Zugleich seinem Patriotismus und seiner Devo- tion gegen die heilige Jungfrau that der Papst hierdurch genug. Auch allen andren Staͤdten in den andern Provinzen widmete er seine Fuͤrsorge. Er traf Einrichtungen, um dem Anwachsen ihrer Schulden zu steuern und beschraͤnkte ihre Alienationen und Verbuͤrgungen: ihr gesammtes Geldwesen ließ er genau untersuchen: von seinen Anordnungen schreibt es sich her, daß die Gemeinden nach und nach wieder in Aufnahme kamen Gualterius. Ad ipsarum (universitatum) statum cogno- scendum corrigendum constituendum 5 camerae apostolicae cle- ricos misit. Auch in den Memorie bemerkt man den Nutzen die- ser Einrichtungen. Con le quali provisioni si diede principio a rihaversi le communità dello stato ecclesiastico: le quali poi de . Sixti V., ipsius manu emendata. Porculam Patrignorum et Mintenorum quia Montalto haud ferme longius absunt, quam ad teli jactum, et crebris affinitatibus inter se et comerciis rerum omnium et agrorum quadam communitate conjunguntur haud se- cus, quam patriae partem, Sixtus fovit semper atque dilexit omniaque iis in commune est elargitus, quo paulatim velut in unam coalescerent civitatem. Sixtus V. Verwaltung . Allenthalben foͤrderte er den Ackerbau. Er suchte die Chiana von Orvieto, die pontinischen Suͤmpfe auszutrock- nen. Die letzten besuchte er selbst: der Fiumo Sisto, vor Pius VI. das Beste, was fuͤr dieselben geschehen, ver- dankt ihm seinen Ursprung. Und so haͤtte er denn auch gern die Gewerbe empor- gebracht. Ein gewisser Peter von Valencia, ein roͤmischer Buͤrger, hatte sich erboten, Seidenfabriken in Gang zu bringen. Es bezeichnet diesen Papst, mit welch einer durch- fahrenden Verordnung er ihm zu Huͤlfe zu kommen suchte. Er befahl, in seinem ganzen Staat, in allen Gaͤrten und Vignen, auf allen Wiesen und Waldstrecken, in allen Thaͤ- lern und Huͤgeln, wo kein Getreide wachse, Maulbeerbaͤume zu pflanzen: fuͤr jeden Rubbio Landes setzte er fuͤnf fest; im Unterlassungsfall bedrohte er die Gemeinde mit einer bedeutenden Geldstrafe Cum sicut accepimus. 28 Maji 1586. Bull. Cocq. IV, 4, 218. Gualterius. Bombicinam sericam laneficiam vitreamque artes in urbem vel induxit vel amplificavit. Ut vero serica ars frequentior esset, mororum arborum seminaria et plantaria per universam eccl cam. ditionem fieri praecepit obeamque rem Maino cuidem Hebreo ex bombicibus bis in anno fructum et sericam amplificaturum sedulo pollicenti ac recipienti maxima privilegia impertivit. . Auch die Wollarbeiten suchte er zu befoͤrdern: „damit die Armen,“ sagt er, „etwas zu verdienen bekommen;“ dem ersten Unternehmer gab er eine Unterstuͤtzung aus der Kammer; er sollte dafuͤr eine be- stimmte Anzahl Stuͤcke Tuch einzuliefern haben. Man wuͤrde den Vorgaͤngern Sixtus V. unrecht thun, tutto ritornorono in piedi: con quanto l’istesso provedimento per- fezionò Clemente VIII. Buch IV. Staat und Hof . wenn man Gedanken dieser Art einzig ihm zuschreiben wollte. Auch Pius V. und Gregor XIII. beguͤnstigten Landbau und Gewerbe. Nicht sowohl dadurch unterschied sich Sixtus, daß er einen ganz neuen Weg einschlug, als vielmehr da- durch, daß er auf dem schon eingeschlagenen rascher und nachdruͤcklicher verfuhr. Eben daher ruͤhrt es, daß er den Menschen im Gedaͤchtniß blieb. Wenn man sagt, daß er die Congregationen der Car- dinaͤle gestiftet, so ist das nicht so eigentlich zu verstehen. Die sieben wichtigsten: fuͤr Inquisition, Index, die Sachen des Conciliums, der Bischoͤfe, der Moͤnche, fuͤr Segnatura und Consulta fand er bereits vor. Auch der Staat war bei denselben nicht ganz außer Acht gelassen: die beiden letztgenannten waren fuͤr Justiz und Verwaltung. Sixtus be- schloß, acht neue Congregationen hinzuzufuͤgen, von denen sich jedoch nur noch zwei mit den Angelegenheiten der Kirche — die eine mit der Gruͤndung neuer Bisthuͤmer, die andere mit der Handhabung und Erneuerung kirchlicher Gebraͤuche — beschaͤftigen sollten Congregation de sacri riti e cerimonie ecclesiastiche, delle provisioni consistoriali; a questa volle appartenesse la co- gnitione delle cause dell’ erettione di nove cattedrali. : die uͤbrigen sechs wurden fuͤr den Staat bestimmt; fuͤr Annona, Straßenbau, Abschaf- fung druͤckender Auflagen, Bau von Kriegsfahrzeugen, die Druckerei im Vatican, die Universitaͤt zu Rom Sopra alla grascia et annona — sopra alla fabrica ar- mamento e mantenimento delle galere — sopra gli aggravi del popolo — sopra le strade acque ponti e confini — sopra alla stamperia Vaticana — (er gab dem ersten Inhaber der kirchlichen Druckerei Wohnung im Vatican und 20000 Sc. auf 10 Jahr.) — sopra l’università dello studio Romano. . Man sieht Sixtus V. Verwaltung . wie wenig systematisch der Papst hierbei zu Werke ging; wie sehr er voruͤbergehende Interessen mit allgemeinen gleich- stellte: nichts destominder hat er es damit gut getroffen und seine Einrichtung hat sich mit leichten Abaͤnderungen Jahr- hunderte lang erhalten. Von den Cardinaͤlen selbst stellte er uͤbrigens einen ho- hen Begriff auf. Es sollen alles ausgezeichnete Maͤnner seyn, ihre Sitten musterhaft, ihre Worte Orakel, ihre Ausspruͤche eine Norm des Lebens und Denkens fuͤr an- dere; das Salz der Erde, der Leuchter auf dem Candela- ber Bulla: postquam verus ille. 1586. 3 Dec. Bullar. M. IV, IV. 279. . Man muß darum nicht glauben, daß er bei den Ernennungen jedes Mal sehr gewissenhaft verfahren sey. Fuͤr Gallo, den er zu dieser Wuͤrde erhob, wußte er nichts anzufuͤhren, als daß derselbe sein Diener sey, dem er aus vielen Gruͤnden wohlwolle, der ihn einmal auf einer Reise sehr gut aufgenommen habe Da Sixtus keinen andern Widerspruch litt, erfuhr er den der Opposition der Predigt. Der Jesuit Franz Toledo sagte hierauf in einer Predigt: man suͤndige, wenn man Jemand um privater Dienste willen eine oͤffentliche Stelle gebe. „Non perche,“ fuhr er fort, „uno sia buon coppiere o scalco, gli si commette senza nota d’imprudenza o un vescovato o un cardinalato. Eben Kuͤ- chenmeister war Gallo gewesen. (Memorie della vita di Sisto V.) . Auch hier aber gab er eine Regel: die man spaͤter, wenn nicht immer befolgt, doch meistentheils in Gedanken gehabt hat. Er setzte die Zahl der Cardinaͤle auf siebzig fest: „gleichwie Moses,“ sagt er, „siebzig Greise aus allem Volke gewaͤhlt, um sich mit ihnen zu berathen.“ Nicht selten hat man auch diesem Papste die Zerstoͤ- Buch IV. Staat und Hof . rung des Nepotismus zugeschrieben. Wir sahen, wie un- bedeutend die Beguͤnstigungen der Nepoten bereits unter Pius IV. , Pius V. und Gregor XIII. geworden waren. Gebuͤhrt Einem von ihnen in dieser Hinsicht ein besonde- res Lob, so ist es Pius V. , der die Alienationen kirchli- cher Laͤnder ausdruͤcklich verpoͤnte. Wie gesagt, diese fruͤ- here Art des Nepotismus ist niemals wieder hergestellt worden. Unter den Paͤpsten des folgenden Jahrhunderts bildete sich aber eine andere Form desselben aus. Es gab immer zwei bevorzugte Nepoten, von denen der eine zum Cardinal erhoben die oberste Verwaltung kirchlicher und po- litischer Geschaͤfte in die Hand bekam, der andre, von welt- lichem Stande, reich verheurathet, mit liegenden Gruͤnden und Luoghi di Monte ausgestattet, ein Majorat stiftete und sich ein fuͤrstliches Haus gruͤndete. Fragen wir, wann diese Form nun eingetreten, so finden wir, daß sie sich all- maͤhlig ausgebildet, zuerst aber unter Sixtus V. ange- bahnt hat. Cardinal Montalto, den der Papst zaͤrtlich liebte, so daß er sogar seine natuͤrliche Heftigkeit gegen ihn maͤßigte, bekam Eintritt in die Consulta und an den aus- waͤrtigen Geschaͤften wenigstens Antheil: dessen Bruder Mi- chele ward Marchese und gruͤndete ein wohlausgestattetes Haus. Wollte man aber glauben, Sixtus habe hiermit ein Nepotenregiment eingefuͤhrt, so wuͤrde man sich doch voͤllig irren. Der Marchese hatte keinerlei Einfluß, der Cardinal wenigstens keinen wesentlichen Bentivoglio Memorie p. 90. non aveva quasi alcuna par- tecipatione nel governo. . Es wuͤrde dieß der Sin- Sixtus V. Finanzen . nesweise dieses Papstes widersprochen haben. Seine Be- guͤnstigungen haben etwas Naives und Vertrauliches: sie verschaffen ihm eine Grundlage von oͤffentlichem und pri- vatem Wohlwollen: aber niemals giebt er das Heft aus den Haͤnden: immer regiert er selbst. So sehr er die Con- gregationen zu beguͤnstigen schien, so sehr er selbst freimuͤ- thige Aeußerungen herausforderte, so ward er doch allemal ungeduldig und heftig, sobald sich Jemand dieser Erlaubniß bediente Gualterius: Tametsi congregationibus aliisque negotia mandaret, illa tamen ipse cognoscere atque conficere consuevit. Diligentia incredibilis sciendi cognoscendique omnia quae a rectoribus urbis provinciarum populorum omnium a ceteris se- dis apostolicae agebantur. . Seinen Willen setzte er immer eigensinnig durch. „Bei ihm,“ sagt Giov. Gritti, „hat beinahe Niemand eine berathende, geschweige eine entscheidende Stimme“ Gritti Relatione: non ci è chi abbi con lui voto deci- sivo, ma quasi ne anche consultivo. . Bei allen jenen persoͤnlichen und provinziellen Gunstbezeugun- gen hatte seine Verwaltung doch schlechthin einen durchgrei- fenden, strengen, eigenmaͤchtigen Charakter. Nirgends wohl mehr als in ihrem finanziellen Theile. Finanzen. Das Haus Chigi zu Rom verwahrt ein kleines eigen- haͤndiges Gedenkbuch Papst Sixtus V. , das er sich als als Moͤnch gehalten hat Memorie autografe di Papa Sisto V. . Mit großem Interesse schlaͤgt Buch IV. Staat und Hof . man es auf. Was ihm in seinem Leben Wichtiges begeg- net ist, wo er jedes Mal in den Fasten gepredigt, welche Commissionen er empfangen und ausgefuͤhrt hat, auch die Buͤcher, die er besaß, welche einzeln und welche zusam- mengebunden, endlich seinen ganzen kleinen moͤnchischen Haushalt hat er darin sorgfaͤltig verzeichnet. Da liest man z. B. wie sein Schwager Baptista 12 Schafe fuͤr ihn kaufte; wie er, der Frate, erst 12, dann noch einmal 2 Floren 20 Bolognin darauf bezahlte, so daß sie sein Eigenthum waren: der Schwager hatte sie bei sich, wie es in Montalto herkoͤmmlich, um die halbe Nutzung. In dieser Weise geht es fort. Man sieht, wie er seine klei- nen Ersparnisse zu Rathe hielt, wie sorgfaͤltig er Rechnung daruͤber fuͤhrte, wie dann die Summen allmaͤhlig bis zu ein paar hundert Floren anwuchsen; mit Interesse verfolgt man dieß: es ist die nemliche haushaͤlterische Gesinnung, welche dieser Franciscaner kurz darauf auf die Verwaltung des paͤpstlichen Staates uͤbertrug. Seine Sparsamkeit ist eine Eigenschaft, deren er sich in jeder Bulle, wo es die Gelegenheit irgend zulaͤßt, und in vielen Inschriften ruͤhmt. In der That hat weder vor noch nach ihm ein Papst mit aͤhnlichem Erfolg verwaltet. Bei seiner Thronbesteigung fand er eine voͤllige Erschoͤ- pfung vor; bitter beschwert er sich uͤber Papst Gregor, der zugleich von den Pontificaten seines Vorgaͤngers und seines Nachfolgers einen guten Theil aufgebraucht habe Vita e successi del C l. di Santaseverina. Ms. Bibl. Alb. Mentre gli parlavo del collegio de neofiti e di quel degli Armeni, che havevano bisogno di soccorso, mi rispose con qualche alteratione, che in castello non vi erano danari e che . Er Sixtus V. Finanzen . bekam eine so schlechte Vorstellung von demselben, daß er einmal Messen fuͤr ihn angeordnet hat, weil er ihn im Traume jenseitige Strafen hatte leiden sehen; das Einkom- men war bereits im Voraus bis zum naͤchsten October verpfaͤndet. Desto angelegener ließ er es sich seyn, die Cassen zu fuͤllen. Es gelang ihm uͤber alles Erwarten. Als Ein Jahr seines Pontificates um war, im April 1586, hatte er bereits eine Million Scudi Gold gesammelt; im Nov. 1587 eine zweite; im April 1588 eine dritte. Es macht dieß uͤber fuͤnftehalb Millionen Sc. in Silber. So wie er eine Million beisammen hatte, legte er sie in der En- gelsburg nieder; indem er sie, wie er sich ausdruͤckte, der heil. Jungfrau Maria, Mutter Gottes, und den heiligen Aposteln Peter und Paul widmete. Er uͤberschaue, sagt er in seiner Bulle, nicht allein die Fluthen, auf denen das Schifflein Petri jetzt zuweilen schwanke, sondern auch die von fernher drohenden Stuͤrme; unerbittlich sey der Haß der Ketzer, der gewaltige Tuͤrke, Assur, die Ruthe des Zor- nes Gottes drohe den Glaͤubigen; von dem Gott, auf den er sich hierbei verlasse, werde er zugleich unterwiesen, daß der Hausvater auch bei Nacht zu wachen habe. Er folge dem Beispiel der Vaͤter des alten Testaments, von denen auch immer eine gute Summe Geldes im Tempel des Herrn aufbewahrt worden.“ Er setzte, wie man weiß, die Faͤlle fest, in denen es allein erlaubt seyn solle, sich die- non vi era entrata, che il Papa passato havea mangiato il pon- tificato di Pio V. e suo, dolendosi acremente dello stato nel quale haveva trovato la sede apostolica. Buch IV. Staat und Hof . ses Schatzes zu bedienen. Es sind folgende: — wenn man einen Krieg zur Eroberung des heiligen Landes oder ei- nen allgemeinen Feldzug wider die Tuͤrken unternehme; — wenn Hungersnoth oder Pestilenz eintrete — in offen- barer Gefahr eine Provinz des katholischen Christenthums zu verlieren — bei einem feindlichen Einfall in den Kir- chenstaat — oder wenn eine Stadt, die dem roͤmischen Stuhl gehoͤre, wieder erworben werden koͤnne. Beim Zorn des allmaͤchtigen Gottes und der heil. Apostel Peter und Paul verpflichtete er seine Nachfolger, sich an diese Faͤlle zu binden Ad clavum. 21 Apr. 1586 Cocq. IV, IV. 206. . Wir lassen einen Augenblick den Werth dieser Bestim- mungen auf sich beruhen: billig fragen wir, welche Mit- tel Sixtus anwandte, um einen fuͤr jene Zeiten so erstau- nenswerthen Schatz zusammenzubringen. Eine Aufsammlung des reinen Einkommens war es nicht: Sixtus selbst hat oft gesagt, der paͤpstliche Stuhl habe dessen nicht uͤber 200000 Sc. Dispaccio Gritti 1586. 7 Giugno. Der Papst tadelt Hein- rich III. , daß er bei 14 Millionen Einkuͤnfte nichts erspare. Con addur l’esempio di se medesimo nel governo del pontificato, che dice non haver di netto piu di 200000 sc. all’ anno, battuti li interessi de’ pontefici passati e le spese che convien fare. . Auch ist es seinen Ersparnissen nicht geradehin zuzu- schreiben. Er hat deren gemacht; er bestritt seine Tafel mit 6 Paoli den Tag: er schaffte viel unnuͤtze Stellen am Hofe ab; er verminderte die Truppen: aber wir haben nicht allein das Zeugniß der Venezianers Delfino, daß dieß alles die Ausgaben der Kammer um nicht mehr als um Sixtus V. Finanzen 150000 Sc. verringerte: Sixtus selbst hat einmal die Er- leichterungen, die ihm die Kammer verdankte, nur auf 146000 Sc. Dispaccio Badoer 2 Giugno 1589. berechnet. Und so stieg ihm mit allen Ersparnissen nach seinen eigenen Erklaͤrungen das reine Einkommen doch nur auf viertehalbhunderttausend Sc. Kaum zu den Bauten, die er ausfuͤhrte, geschweige denn zu einem so colossalen Thesau- riren, reichte ihm dieß hin. Wir betrachteten oben die sonderbare Geldwirthschaft, die sich in diesem Staate eingerichtet hatte: dieses Steigen der Auflagen und Lasten, ohne daß sich das reine Ein- kommen vermehrte, diese Mannichfaltigkeit der Anleihen durch Aemterverkauf und Monti, die wachsende Belastung des Staates, um der Beduͤrfnisse der Kirche willen. Es leuchtet ein, welche Uebelstaͤnde damit verknuͤpft waren, und wenn man die Lobeserhebungen vernimmt, die Six- tus V. so reichlich gespendet worden, so sollte man dafuͤr halten, er habe das Uebel abzustellen gewußt. Wie er- staunt man, wenn man findet, daß er grade den nemli- chen Weg auf das ruͤcksichtsloseste verfolgte, und diese Geld- wirthschaft auf eine Weise fixirte, daß ihr niemals wieder Einhalt zu thun war. Eine seiner vornehmsten Finanzquellen war der Ver- kauf der Aemter. Erstens erhoͤhte er von vielen, die be- reits verkauft worden waren, die Preise. Ein Beispiel sey das Amt eines Schatzmeisters der Kammer. Es war bis- her fuͤr 15000 Sc. veraͤußert worden; er verkaufte es zu- erst an einen Justinian fuͤr 50000 Sc.: als er diesen zum Buch IV. Staat und Hof . Cardinal gemacht, verkaufte er es an einen Pepoli fuͤr 72000 Sc.; als er auch diesem den Purpur gegeben, zweigte er von den Einkuͤnften des Amtes die volle Haͤlfte, 5000 Sc., ab, die er einem Monte zuwies; um so vieles ge- schmaͤlert verkaufte er es noch immer fuͤr 50000 Scudi Gold. — Zweitens fing er an Aemter zu verkaufen, die man fruͤher immer umsonst gegeben hatte: Notariate, Fis- calate, die Stellen des Generalcommissaͤrs, des Sollecita- tors der Kammer, des Armenadvocaten: oft zu bedeuten- den Preisen, das Generalcommissariat um 20000, die No- tariate um 30000 Sc. — Endlich aber errichtete er auch eine Menge neuer Aemter, oft sehr bedeutende darunter, ein Schatzmeisteramt der Dataria, die Praͤfectur der Ge- faͤngnisse, 24 Referendariate, 200 Cavalierate, Notariate in den Hauptorten des Staates: er verkaufte sie saͤmmtlich. Allerdings brachte er auf diese Weise sehr bedeutende Summen zusammen: der Verkauf der Aemter hat ihm 608510 Sc. Gold, 401805 Sc. Silber, mithin zusam- men gegen anderthalb Millionen Silber eingetragen Berechnung eines ausfuͤhrlichen Ms. uͤber die roͤmischen Fi- nanzen unter Clemens VIII. ( Bibliot. Barberina zu Rom.) : al- lein wenn die kaͤuflichen Stellen schon fruͤher ein Ungemach dieses Staates waren: — es lag darin, wie beruͤhrt, eine Mittheilung der Regierungsrechte, auf den Grund einer An- leihe, die man ebendeshalb gegen die Zahlungspflichtigen sehr rigoros geltend machte, ohne der Pflichten des Am- tes zu gedenken — um wie vieles wurde dieß Uebel hier- durch vermehrt! Eben daher kam es denn, daß man das Amt Sixtus V. Finanzen . Amt wie gesagt als einen Besitz betrachtete, welcher Rechte gebe, nicht als eine Pflicht, welche Bemuͤhungen auferlege. Ueberdieß aber vermehrte Sixtus nun auch die Monti außerordentlich. Er errichtete drei Monti non vacabili und acht Monti vacabili, mehr als irgend einer seiner Vorgaͤnger. Wir sahen, daß die Monti immer auf neue Auflagen angewiesen werden mußten. Auch Sixtus V. fand kein an- deres Mittel, obwohl er sich Anfangs davor scheute. Als er im Consistorium der Cardinaͤle zum ersten Mal von einer Anlegung des Schatzes sprach, entgegnete ihm Cardinal Farnese, auch sein Großvater Paul III. habe dieß beab- sichtigt, doch habe er eingesehen, es werde nicht ohne Ver- mehrung der Auflagen moͤglich seyn; deshalb sey er davon abgestanden. Heftig fuhr ihn Sixtus an. Die Andeu- tung, daß ein fruͤherer Papst weiser gewesen, brachte ihn in Harnisch. „Das machte,“ erwiederte er, „unter Papst Paul III. gab es einige große Verschleuderer, die es Gott sey Dank bei unsern Zeiten nicht giebt.“ Farnese erroͤthete und schwieg Memorie del pontificato di Sisto V. Mutatosi per tanto nel volto mentre Farnese parlava irato piu tosto che grave gli rispose: Non è maraviglia Monsignore che a tempo di vostro avo non si potesse mettere in opera il disegno di far tesoro per la chiesa con l’entrate e proventi ordinarii perche vi erano di molti e grandi scialaquatori (ein Wort das er sehr liebte) i quali non sono dio gratia a tempi nostri: notando amaramente la mol- titudine di figli e figlie e nepoti d’ogni sorte di questo ponte- fice. Arrossì alquanto a quel dire Farnese e tacque. . Allein es kam, wie er gesagt hatte. Im Jahre 1587 nahm Sixtus V. keine Ruͤcksicht mehr. Den muͤhevollsten Erwerb, z. B. derjenigen, welche die Tiberschiffe mit Buͤffeln und Pferden stromaufwaͤrts 30 Buch IV. Staat und Hof . ziehen ließen: die unentbehrlichsten Lebensbeduͤrfnisse, z. B. Brennholz und die Foglietta Wein im kleinen Verkehr, beschwerte er mit neuen Auflagen und gruͤndete unverzuͤglich Monti darauf. Er verschlechterte die Muͤnzen, und da sich hierauf sogleich ein kleines Wechslergeschaͤft an allen Stra- ßenecken bildete, so benutzte er auch dieß, um die Befug- niß dazu zu verkaufen Man bekam fuͤr einen alte Giulio außer 10 Bajocchi, die er geschlagen, noch ein Aufgeld von vier bis sechs Quatrin. . So sehr er die Mark beguͤn- stigte, so belastete er doch den Handel von Ancona mit neuen 2 Procent auf die Einfuhr. Die kaum auflebende Industrie mußte ihm wenigstens indirect Vortheil bringen Ein rechtes Beispiel seiner Verwaltung. Le stesse me- morie: ordinò non si vendesse seta o sciolta o tessuta in drappi nè lana o panni se non approbati da officiali, creati a tal effetto nè si estraessero senza licenza degli stessi; inventione utile contro alle fraudi ma molto più in prò della camera per- che pagandosi i segni e le licenze se n’imborsava gran danaro dal Pontefice. Das konnte denn auch der Industrie nicht sehr vor- theilhaft seyn. . Er hatte einen portugiesischen Juden, der aus Furcht vor der Inquisition aus Portugal entwichen war, des Namens Lopez, an der Hand, der das Vertrauen des Datars, der Signora Camilla, und endlich auch des Papstes selber ge- wann, und der ihm diese und aͤhnliche Operationen angab. Nach jener Abfertigung Farnese’s wagte kein Cardinal mehr zu widersprechen. Als von der erwaͤhnten Impost auf den Wein die Rede war, sagte Albano von Bergamo: ich bil- lige alles, was Ew. Heiligkeit gefaͤllt, doch wuͤrde ich es noch mehr billigen, wenn ihr diese Auflage mißfiele. Und so brachte sich Sixtus so viel neue Einkuͤnfte zu Sixtus V. Finanzen . Wege, daß er in den Monti eine Anleihe von drittehalb Millionen Scudi, genau 2,424,725, aufnehmen, und mit Zinsen ausstatten konnte. Gestehen wir aber ein, daß diese Staatswirthschaft etwas Unbegreifliches hat. Durch die neuen Auflagen und so viele Aemter wer- den dem Lande neue und ohne Zweifel sehr druͤckende Lasten aufgebuͤrdet: die Aemter sind auf Sporteln angewiesen, was den Gang der Justiz und der Administration nicht anders als hemmen kann: die Auflagen fallen auf den Handel im Großen und auf den kleinen Verkehr, und muͤssen der Regsamkeit schaden. Und wozu dient zuletzt ihr Ertrag? Rechnen wir zusammen, was Monti und Aemter im Ganzen eingebracht haben, so betraͤgt das ungefaͤhr eben die Summe, die in das Castell eingeschlossen ward; fuͤnftehalb Millionen Sc.: wenig mehr. Alle Unterneh- mungen, die diesen Papst beruͤhmt gemacht, haͤtte er mit dem Ertrag seiner Ersparnisse ausfuͤhren koͤnnen. Daß man Ueberschuͤsse sammelt und aufspart, laͤßt sich begreifen: daß man Anleihen macht, um einem Beduͤrfniß der Gegenwart abzuhelfen, ist in der Regel: daß man aber Anleihen macht und Lasten aufbuͤrdet, um einen Schatz fuͤr kuͤnftige Beduͤrfnisse in ein festes Schloß einzuschließen, ist hoͤchst außerordentlich. Dennoch ist es dieß, was die Welt an Papst Six- tus V. immer am meisten bewundert hat. Es ist wahr, die Maaßregeln Gregors XIII. hatten etwas Gehaͤssiges, Gewaltsames und eine sehr schlechte 30* Buch IV. Staat und Hof . Ruͤckwirkung. Dessenungeachtet sollte ich glauben, wenn er es dahin gebracht haͤtte, daß die paͤpstliche Casse so- wohl neuer Auflagen als der Anleihe in Zukunft haͤtte ent- behren koͤnnen, so wuͤrde dieß eine sehr wohlthaͤtige Wir- kung hervorgerufen, der Kirchenstaat vielleicht eine gluͤckli- chere Entwickelung genommen haben. Allein es fehlte Gregorn zumal in den spaͤtern Jah- ren an der Kraft, seine Gedanken durchzusetzen. Grade durch diese vollfuͤhrende Kraft zeichnete sich Six- tus aus. Sein Thesauriren durch Anleihen, Aemterverkauf und neue Auflagen haͤufte Last auf Last; wir werden die Folgen davon beobachten: aber daß es gelang, blendete die Welt, und fuͤr den Augenblick gab es wirklich dem Papst- thum eine neue Bedeutung. In der Mitte von Staaten, denen es meistentheils an Geld fehlte, bekamen die Paͤpste durch den Besitz eines Schatzes eine groͤßere Zuversicht auf sich selbst, ein unge- wohntes Ansehn bei den Uebrigen. In der That gehoͤrte diese Staatsverwaltung recht ei- gentlich mit zu dem katholischen Systeme jener Zeit. Indem sie alle finanziellen Kraͤfte des Staates in die Haͤnde des kirchlichen Oberhauptes legte, machte sie den- selben erst vollkommen zu einem Organe geistlicher Gewalt. Denn wozu anders konnte dieß Geld angewendet wer- den, als zur Vertheidigung und Ausbreitung des katholi- schen Glaubens? Sixtus V. lebte und webte in Entwuͤrfen, die dahin zielten. Zuweilen betrafen sie den Orient und die Tuͤrken, oͤfter den Occident und die Protestanten. Zwischen den Sixtus V. Bauunternehmungen . beiden Systemen, dem katholischen und dem protestantischen, brach ein Krieg aus, an dem die Paͤpste den lebhaftesten Antheil nahmen. Wir betrachten ihn in dem folgenden Buche. Zunaͤchst bleiben wir noch einen Augenblick bei Rom stehen, welches von neuem eine allgemeine Wirkung auf die Welt auszu- uͤben wußte. Bauunternehmungen Sixtus V. Es war das dritte Mal, daß sich Rom auch aͤußer- lich als die Hauptstadt einer Welt darstellte. Man kennt die Pracht und Groͤße des antiken Roms; aus Truͤmmern und Erzaͤhlungen hat man es sich mannich- faltig zu vergegenwaͤrtigen gesucht. Auch das Mittelalter verdiente wohl einmal einen aͤhnlichen Fleiß. Herrlich war auch dieß mittlere Rom mit der Majestaͤt seiner Basiliken, dem Dienst seiner Grotten und Catacomben, den Patriar- chien des Papstes, in denen die Denkmaͤler des fruͤhesten Christenthums aufbewahrt wurden, dem noch immer praͤch- tigen Kaiserpallast, der den deutschen Koͤnigen gehoͤrte, den Festungen, welche sich in der Mitte so vieler Gewalten unabhaͤngige Geschlechter trotzig eingerichtet hatten. Waͤhrend der Abwesenheit der Paͤpste in Avignon war dieß mittlere Rom so gut verfallen, wie das antike laͤngst in Truͤmmern lag. Als Eugenius IV. im Jahre 1443 nach Rom zuruͤck- kehrte, war es eine Stadt der Ruhhirten geworden; die Buch IV. Staat und Hof . Einwohner unterschieden sich nicht von den Bauern und Hirten der Landschaft. Man hatte laͤngst die Huͤgel verlas- sen: in der Ebene an den Beugungen der Tiber wohnte man; auf den engen Straßen gab es kein Pflaster; durch Balkone und Bogen, welche Haus an Haus stuͤtzten, waren sie noch mehr verdunkelt; man sah das Vieh wie auf dem Dorfe herumlaufen. Von St. Sylvester bis an die Porta del Popolo war alles Garten und Sumpf: man jagte da wilde Enten. An das Alterthum war beinahe auch die Erinnerung verschwunden. Das Capitol war der Berg der Ziegen, das Forum Romanum das Feld der Kuͤhe gewor- den; an einige Monumente, die noch uͤbrig waren, knuͤpfte man die seltsamsten Sagen. Die Peterskirche war in Ge- fahr zusammenzustuͤrzen. Als endlich Nicolaus die Obedienz der gesammten Chri- stenheit wieder hatte, faßte er, reich geworden durch die Beitraͤge der zum Jubilaͤum stroͤmenden Pilgrime, den Ge- danken auf, Rom dergestalt mit Gebaͤuden zu schmuͤcken, daß Jedermann mit der Anschauung erfuͤllt werden sollte, dieß sey die Hauptstadt der Welt. Es war dieß aber nicht das Werk eines einzigen Mannes. Alle Paͤpste haben Jahrhunderte lang daran mit- gearbeitet. Ich will ihre Bemuͤhungen, die man in ihren Lebens- beschreibungen aufgezeichnet findet, hier nicht im Einzelnen wiederholen. Am bedeutendsten waren sowohl durch ih- ren Erfolg als selbst durch ihren Gegensatz die Epochen Julius II. und unsres Sixtus. Unter Julius II. wurde die untere Stadt an den Sixtus V. Bauunternehmungen . Ufern der Tiber, wohin sie sich gezogen, voͤllig erneuert. Nachdem Sixtus IV. die beiden Theile jenseits und dies- seits des Flusses durch jene solide einfache Bruͤcke von Tra- vertino, die noch heute seinen Namen fuͤhrt, besser verbun- den hatte, baute man zu beiden Seiten mit dem groͤßten Eifer. Jenseits begnuͤgte sich Julius nicht mit dem Unternehmen der Peterskirche, die unter ihm maͤchtig emporstieg; er erneuerte auch den vaticanischen Pallast. In der Vertiefung zwischen dem alten Bau und dem Land- hause Innocenz VIII. , dem Belvedere, legte er die Loggien an, eins der wohlerfundensten Werke die es geben mag. Unfern von ihm wetteiferten seine Vettern, die Riari, und sein Schatzmeister Agostino Chigi, wer von beiden ein schoͤ- neres Haus aufrichten wuͤrde. Ohne Zweifel behielt Chigi den Preis; das seine ist die Farnesina, bewundernswuͤrdig schon in der Anlage, von Raphaels Hand aber unvergleich- lich ausgeschmuͤckt. Diesseit verdanken wir Julius II. die Vollendung der Cancelleria mit ihrem Cortile, das die kuͤhnsten und reinsten Verhaͤltnisse ausspricht, dem schoͤn- sten Gehoͤfte der Welt. Seine Cardinaͤle und Barone wett- eiferten mit ihm: Farnese, dessen Pallast sich durch seinen großartigen Eingang den Ruf des vollkommensten unter den roͤmischen Pallaͤsten erworben hat: Franz de Rio, der von dem seinen ruͤhmte, er werde stehen, bis die Schildkroͤte die Erde durchwandle: mit allen Schaͤtzen der Literatur und Kunst war das Haus der Medici erfuͤllt; auch die Orsi- nen schmuͤckten ihren Pallast auf Campofiore innen und außen mit Statuen und Bildwerken aus Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae . Den Resten Buch IV. Staat und Hof . dieser schoͤnen Zeit, in der man so kuͤhn mit dem Alter- thum wetteiferte, um Campofiore und den farnesischen Platz her, widmet der Fremde nicht immer die Aufmerk- samkeit, die sie verdienen. Es war Wetteifer, Genius, Bluͤthe: ein allgemeiner Wohlstand. Da das Volk zu- nahm, so baute man sich auf dem Campo Marzo, um das Mausoleum des August her an. Unter Leo entwickelte sich dieß noch mehr: aber schon Julius hatte Gelegenheit, jen- seit die Lungara gegenuͤber diesseit die Strade Julia zu ziehen. Man sieht noch die Inschrift, in der ihn die Con- servatoren ruͤhmen, daß er neue Straßen abgemessen und eroͤffnet habe „der Majestaͤt der neuerworbenen Herrschaft gemaͤß.“ Durch die Pest, durch die Eroberung sank die Volks- menge wieder: die Bewegungen unter Paul IV. fuͤgten der Stadt aufs neue großen Schaden zu: erst nachher nahm sie sich wieder auf, mit dem erneuten Gehorsam der ka- tholischen Welt stieg auch die Anzahl der Einwohner. Schon Pius IV. dachte darauf, die verlassenen Huͤ- gel wieder anzubauen. Auf dem Capitolin gruͤndete er den Pallast der Conservatoren: auf dem Viminal erhob ihm Michel Angelo aus den Truͤmmern der diocletianischen Thermen die Kirche S. Maria degli Angeli; die Porta Pia auf dem Quirinal traͤgt noch heute sein Abzeichen Luigi Contarini Antichità di Roma p. 76 preist vor al- lem die Bemuͤhungen Pius IV. S’egli viveva ancora 4 anni, Roma sarebbe d’edificii un altra Roma. . Auch Gregor XIII. baute hier. editum a Francisco Albertino 1515, besonders in dem zweiten Theile de nova urbe. Sixtus V. Bauunternehmungen . Es waren dieß aber der Natur der Sache nach ver- gebliche Bemuͤhungen, so lange die Huͤgel des Wassers entbehrten. Eben hier tritt Sixtus V. hervor. Es hat ihn vor allen uͤbrigen Paͤpsten beruͤhmt gemacht, daß er mit den alten Caͤsaren zu wetteifern und der Stadt ihr Beduͤrfniß an Wasser in colossalen Aquaͤducten herbeizufuͤhren beschloß. Er that es, wie er sagt, damit diese Huͤgel, „noch zu den christlichen Zeiten durch Basiliken verherrlicht, ausgezeichnet durch gesunde Luft, anmuthige Lage, angenehme Aussicht, wieder bewohnt werden moͤgen.“ „Darum,“ fuͤgt er hinzu, „haben wir uns von keinen Schwierigkeiten, keinen Unko- sten abschrecken lassen.“ In der That sagte er den Archi- tecten von allem Anfang, er wolle ein Werk, das sich mit der alten Pracht des kaiserlichen Roms messen koͤnne. Zwei- undzwanzig Miglien weit, von dem Agro Colonna her fuͤhrte er die Aqua Martia zum Theil unter der Erde, zum Theil auf hohen Boͤgen nach Rom. Es waren nicht wenig Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Mit großer Genugthuung sah endlich der Papst den Strahl dieses Wassers sich in seine Vigna ergießen: er fuͤhrte es weiter nach St. Su- sanna auf den Quirinal: er nannte es nach seinem Eigen- namen Aqua Felice; nicht mit geringem Selbstgefuͤhl ließ er bei der Fontaͤne Mosen abbilden, wie bei dem Schlag seines Stabes das Wasser aus dem Felsen stroͤmt Von Tasso haben wir Stanze all’ acqua felice di Roma (Rime II, 311.) wie das Wasser anfangs auf dunkelm Pfad wandle und dann froͤhlich nach dem Sonnenlicht heraufkomme, um Rom zu sehen, wie es Augustus sah. . Buch IV. Staat und Hof . Fuͤr jene Gegend und die ganze Stadt war dieß ein großer Vortheil. Die Aqua Felice giebt in 24 Stunden 20537 Cubikmeter Wasser und speist 27 Fontaͤnen. In der That fing man an, die Hoͤhen wieder anzu- bauen. Durch besondere Privilegien lud Sixtus dazu ein. Er ebnete den Boden bei Trinita de’ Monti, und legte den Grund zu der Treppe am spanischen Platz, welche die naͤchste Communication von der unteren Stadt nach dieser Anhoͤhe bildet Gualterius: Ut viam a frequentioribus urbis locis per Pincium collem ad Exquilias commode strueret. Pincium ip- sum collem ante sct mae. Trinitatis templum humiliorem fecit et carpentis rhedisque pervium reddidit scalasque ad templum illud ab utroque portae latere commodas perpulcrasque ad modum extruxit, e quibus jucundissimus in totam urbem prospectus est. . Hier legte er Via Felice und Borgo Felice an; er eroͤffnete die Straßen, die noch heute nach S. Maria Maggiore fuͤhren, von allen Seiten; er hatte die Absicht alle Basiliken durch breite und große Wege mit dieser zu verbinden. Die Poeten ruͤhmen, Rom verdopple sich gleichsam und suche seine alten Wohnungen wieder auf. Jedoch war es diese Anbauung der Hoͤhen nicht al- lein, wodurch sich Sixtus V. von den fruͤheren Paͤpsten unterschied. Er faßte zugleich Absichten, die den aͤltern gradezu entgegenliefen. Mit einer Art von Religion betrachtete man unter Leo X. die Truͤmmer des alten Roms; man nahm mit Entzuͤcken den goͤttlichen Funken des antiken Geistes an ihnen wahr: wie ließ sich jener Papst die Erhaltung derselben empfoh- len seyn, „dessen was von der alten Mutter des Ruhmes und der Groͤße von Italien noch allein uͤbrig geblieben“ Stellen aus dem bekannten Schreiben Castiglione’s an Leo X. . Sixtus V. Bauunternehmungen . Von diesem Geist war Sixtus V. himmelweit ent- fernt. Fuͤr die Schoͤnheit der Ueberreste des Alterthums hatte dieser Franciscaner keinen Sinn. Das Septizonium des Severus, ein hoͤchst merkwuͤrdiges Werk, das sich durch alle Stuͤrme so vieler Jahrhunderte bis auf ihn er- halten, fand keine Gnade vor seinen Augen. Er zerstoͤrte es von Grund aus und brachte einige Saͤulen davon nach St. Peter Gualterius: Praecipue Severi Septizonii quod incredibili Romanorum dolori demoliendum curavit columnis marmoribus- que usus est passimque per urbem caveae videbantur unde lapi- des omnis generis effodiebantur. . Er war eben so heftig im Zerstoͤren als eifrig im Bauen. Jedermann fuͤrchtete, er werde auch darin kein Maaß finden. Man hoͤre, was der Cardinal von Santa Severina erzaͤhlt: es wuͤrde unglaublich scheinen, wenn Lettere di Castiglione Padova 1796 p. 149. Von einem Entwurfe zu einem planmaͤßigen Aufgraben der alten Stadt kann ich in die- sem Briefe doch nichts finden. Offenbar scheint mir, daß es eine Vorrede zu einer Beschreibung von Rom mit einem Plane ist; auf diese Beschreibung und diesen Plan wird fortwaͤhrend hingewiesen: hoͤchst wahrscheinlich bleibt es, daß Raphael selbst es ist, dessen Ar- beiten mit dieser Vorrede eingeleitet werden sollten. Es ergiebt sich das besonders aus den zusammentreffenden Ausdruͤcken in dem be- kannten Epigramm auf Raphaels Tod und in diesem Briefe. Z. B. „vedendo quasi il cadavero di quella nobil patria eosi misera- mente lacerato;“ — „urbis laceram ferro igni annisque cada- ver Advitam revocas:“ — Es bezeichnet das wohl eine Wiederher- stellung, aber nur in der Idee, in einer Beschreibung. Diese Mei- nung hebt die bisher geaͤußerten Ansichten im Wesentlichen nicht auf, sondern bestimmt sie nur naͤher. Wir koͤnnen annehmen, daß die Arbeit, mit der sich Raphael in der letzten Zeit seines Lebens beschaͤftigte, schon ziemlich weit vorgeruͤckt war, da bereits eine De- dication dazu in seinem Namen verfaßt wurde. Welch einen Na- men mehr gaͤbe das unter den Astygraphen! Die Papiere und der Plan moͤgen in die Haͤnde des Fulvius gekommen seyn, der an den Untersuchungen wahrscheinlich großen Antheil hatte. Buch IV. Staat und Hof . er es nicht selbst erlebt haͤtte. „Da man sah,“ sagt er, „daß sich der Papst ganz und gar zur Zerstoͤrung der roͤ- mischen Alterthuͤmer hinneigte, so kamen eines Tages eine Anzahl roͤmischer Edelleute zu mir, und baten mich, das Meine zu thun, um S. Heiligkeit von einem so ausschwei- fenden Gedanken abzubringen.“ An den Cardinal wandten sie sich, der damals ohne Zweifel selbst als der groͤßte Ze- lot anzusehen war. Cardinal Colonna schloß sich an ihn an. Der Papst antwortete ihnen, er wolle die haͤßlichen Antiquitaͤten wegschaffen, die uͤbrigen aber, die dieß beduͤrf- ten, restauriren. Man denke, was ihm haͤßlich vorkom- men mochte! Er hatte die Absicht, das Grab der Caͤcilia Metella, schon damals den einzigen bedeutenden Rest der republicanischen Zeiten, ein bewundernswuͤrdiges, erhabe- nes Denkmal, gradehin zu zerstoͤren. Wie viel mag unter ihm zu Grunde gegangen seyn! Konnte er sich doch kaum entschließen, den Laocoon und den belvederischen Apoll im Vatican zu dulden. Die antiken Bildsaͤulen, mit denen die roͤmischen Buͤrger das Capitol geschmuͤckt hatten, litt er nicht daselbst. Er er- klaͤrte, er werde das Capitol zerstoͤren, wenn man sie nicht entferne. Es war ein Jupiter tonans, zwischen Minerva und Apoll. Die beiden andern mußten in der That ent- fernt werden: nur die Minerva ward geduldet. Aber Six- tus wollte, daß sie Rom und zwar das christliche bedeu- ten solle. Er nahm ihr den Speer den sie trug und gab ihr ein ungeheures Kreuz in die Haͤnde Stelle aus der vita Sixti V. ipsius manu emendata, ab- gedruckt in Bunsen’s Beschreibung von Rom I, S. 702. . Sixtus V. Bauunternehmungen . In diesem Sinne restaurirte er die Saͤulen des Trajan und des Antonin: aus jener ließ er die Urne wegnehmen, welche, wie man sagte, die Asche des Kaisers enthielt; er widmete sie dem Apostel Petrus, die andere dem Apostel Paulus: deren Bildsaͤulen seitdem in dieser luftigen Hoͤhe uͤber den Haͤusern der Menschen einander gegenuͤberstehen. Er meinte damit dem christlichen Glauben einen Triumph uͤber das Heidenthum So sieht das unter andern J. P. Maffei Historiarum ab excessu Gregorii XIII. lib. I, p. 5. an. zu verschaffen. Die Aufstellung des Obelisken vor S. Peter lag ihm darum so sehr am Herzen, weil er „die Monumente des Un- glaubens an dem nemlichen Orte dem Kreuze unterworfen zu sehen wuͤnschte, wo einst die Christen den Kreuzestod erleiden muͤssen“ Sixti V. i. m. e.: ut ubi grassatum olim suppliciis in Christianos et passim fixae cruces, in quas innoxia natio sub- lata teterrimis cruciatibus necaretur ibi supposita cruci et in crucis versa honorem cultumque ipsa impietatis monumenta cernerentur. . In der That ein großartiges Unternehmen, das er aber ganz auf seine Weise ausfuͤhrte: mit einer sonderbaren Mischung von Gewaltsamkeit, Groͤße, Pomp und zelotischem Wesen. Dem Baumeister, Domenico Fontana, der sich unter seinen Augen vom Maurerlehrburschen heraufgearbeitet hatte, drohte er sogar Strafen an, wenn es ihm mißlinge und er den Obelisken beschaͤdige. Es war alles schwer, ihn dort, wo er stand — bei der Sacristey der alten Peterskirche — von seiner Basis zu er- Buch IV. Staat und Hof . heben, ihn niederzusenken, auf eine neue Stelle zu fuͤhren und hier wieder aufzurichten. Man schritt dazu, mit dem Gefuͤhle, daß man ein Werk unternehme, welches alle Jahrhunderte hindurch be- ruͤhmt seyn werde. Die Arbeiter, ihrer 900 an der Zahl, begannen damit, daß sie die Messe hoͤrten, beichteten und die Communion empfingen. Dann traten sie in den Raum, der fuͤr die Arbeit durch einen Zaun abgesondert worden. Der Meister nahm einen hoͤheren Sitz ein. Der Obelisk war mit Strohmatten und Bohlen umkleidet, die von fe- sten eisernen Ringen umfaßt waren: 35 Winden sollten die ungeheure Maschine in Bewegung setzen, die ihn mit gewaltigen haͤnfenen Tauen emporzuheben bestimmt war: an jeder arbeiteten 2 Pferde und 10 Menschen. Endlich gab eine Trompete das Zeichen. Gleich der erste Ruck griff vortrefflich: der Obelisk erhob sich von der Basis, auf der er seit 1500 Jahren ruhete: bei dem zwoͤlften war er 2¾ Palm erhoben und festgehalten: der Baumeister sah die un- geheure Masse, mit ihrer Bekleidung uͤber eine Million roͤmischer Pfund schwer, in seiner Gewalt. Man hat sorg- faͤltig angemerkt, daß es am 30. April 1586 war, Nach- mittag gegen drei, um die zwanzigste Stunde. Vom Ca- stell S. Angelo gab man Freudensignale: alle Glocken der Stadt wurden gelaͤutet: die Arbeiter trugen ihren Meister mit unaufhoͤrlichem Lebehoch triumphirend um die Um- zaͤunung. Sieben Tage darnach senkte man den Obelisk mit nicht minderer Geschicklichkeit; hierauf fuͤhrte man ihn auf Walzen an seine neue Stelle. Erst nach Ablauf der hei- Sixtus V. Bauunternehmungen . ßen Monate wagte man zu seiner Wieder-Aufrichtung zu schreiten. Der Papst waͤhlte zu diesem Unternehmen den 10ten Sept., einen Mittwoch, welchen Tag er immer gluͤcklich gefunden, den naͤchsten vor dem Feste der Erhoͤhung des Kreuzes, dem der Obelisk gewidmet werden sollte. Auch dieß Mal begannen die Arbeiter ihr Tagewerk damit, daß sie sich Gott empfahlen: sie fielen auf die Kniee, als sie in die Umzaͤunung traten. Fontana hatte seine Einrichtungen nicht ohne Ruͤcksicht auf die letzte Erhebung eines Obe- lisken, die von Ammianus Marcellinus beschrieben worden, getroffen: doch hatte er die Kraft von 140 Pferden vor- aus. Auch hielt man es fuͤr ein besonderes Gluͤck, daß der Himmel an diesem Tage bedeckt war. Alles ging er- wuͤnscht von Statten. In drei großen Absaͤtzen wurde der Obelisk bewegt; eine Stunde vor Sonnenuntergang senkte er sich auf sein Piedestal auf den Ruͤcken der vier bronze- nen Loͤwen, die ihn zu tragen scheinen. Der Jubel des Volks war unbeschreiblich; der Papst fuͤhlte die vollkom- menste Genugthuung: so viele von seinen Vorgaͤngern hat- ten es gewollt, in so vielen Schriften hatte man es ge- wuͤnscht; er hatte es nunmehr ausgefuͤhrt. In seinem Diarium ließ er anmerken, daß ihm das groͤßte und schwie- rigste Werk gelungen sey, welches der menschliche Geist er- denken koͤnne; er ließ Medaillen darauf praͤgen: er empfing Gedichte in allen Sprachen daruͤber: den auswaͤrtigen Maͤch- ten gab er davon Kunde Die Dispacci des Gritti vom 3, 10 Maggio, 12 Luglio, 11 Ottobre handeln von dieser Aufrichtung. Nicht uͤbel schildert . Buch IV. Staat und Hof . Sonderbar lautet die Inschrift, in der er sich ruͤhmt, er habe dieß Denkmal den Kaisern August und Tiberius entrissen, und dem heiligsten Kreuze gewidmet. Er ließ ein Kreuz darauf errichten, in das ein Stuͤck Holz von dem angeblichen wahren Kreuze Christi eingeschlossen war. Es druͤckt dieß seine ganze Gesinnung aus. Die Monumente des Heidenthums sollten selber zur Verherrlichung des Kreu- zes dienen. Mit ganzer Seele widmete er sich diesen seinen Bauten. Ein Hirtenknabe, in Garten und Feld aufgewachsen, liebte er die Staͤdte; von einer Villeggiatura wollte er nichts wis- sen: er sagte, „seine Erholung sey, viele Daͤcher zu sehen.“ Ich verstehe: seine Bauunternehmungen machten ihm das groͤßte Vergnuͤgen. Viele tausend Haͤnde waren unaufhoͤrlich beschaͤftigt: keine Schwierigkeit schreckte ihn ab. Noch immer fehlte die Kuppel an St. Peter, und die Baumeister forderten 10 Jahr zu ihrer Vollendung. Six- tus wollte sein Geld dazu hergeben, doch an dem Werke die vita Sixti ipsius manu emendata den Eindruck: tenuitque uni- versae civitatis oculos novae et post 1500 amplius annos rela- tae rei spectaculo cum aut sedibus suis avulsam tolleret molem, uno tempore et duodenis vectibus impulsam et quinis tricenis ergatis, quas equi bini homines deni agebant in sublime elatam aut cum suspensam inde sensim deponeret extenderetque humi junctis trabibus atque ex his ingenti composita traha quae ja- centem exciperet aut cum suppositis cylindris (sunt hae ligneae columnae teretes et volubiles) quaternis ergatis protracta pau- latim per editum et ad altitudinem basis, cui imponenda erat, excitatum aggerem atque undique egregie munitum incederet, denique cum iterum erecta librataque suis reposita sedibus est. Sixtus V. Bauunternehmungen . auch selber noch seine Augen weiden. Er stellte 600 Ar- beiter an: auch die Nacht ließ er nicht feiern: im 22sten Monate wurde man fertig. Nur erlebte er nicht, daß das bleierne Dach gelegt wurde. Aber auch in Werken dieser Art setzte er seiner Ge- waltsamkeit keine Grenzen. Die Ueberbleibsel des paͤpstli- chen Patriarchiums bei dem Lateran, die noch keineswegs geringfuͤgig und ausnehmend merkwuͤrdig waren, ließ er ohne Erbarmen niederreißen, um an der Stelle derselben seinen Lateranpallast zu errichten, an sich unnuͤtz und ganz in der einfoͤrmigen Regelmaͤßigkeit moderner Architectur. Wie so ganz hatte sich das Verhaͤltniß geaͤndert, in welchem man zu dem Alterthum stand. Man wetteiferte fruͤher und auch jetzt mit demselben: aber damals suchte man es in der Form zu erreichen, jetzt bemuͤhte man sich, in massenhaften Unternehmungen ihm gleich zu kommen oder es zu uͤberbieten. In dem geringsten Denkmal ver- ehrte man fruͤher eine Spur des antiken Geistes: diese Spuren haͤtte man jetzt lieber vertilgt. Man folgte einer Idee, die man allein gelten ließ, neben der man keine an- dere anerkannte. Es ist die nemliche, die sich in der Kirche die Herrschaft erworben, die den Staat zu einem Organ der Kirche gemacht hat. Diese Idee des modernen Katho- licismus durchdringt in den verschiedensten Richtungen alle Adern des Lebens. 31 Buch IV. Staat und Hof . Bemerkung über die Veränderung der geistigen Richtung überhaupt. Denn man darf nicht etwa glauben, nur der Papst sey von diesem Geist beherrscht worden; in jedem Zweige thut sich am Ende des Jahrhunderts eine Richtung her- vor, derjenigen entgegengesetzt, welche den Anfang desselben bezeichnete. Ein Hauptmoment ist, daß das Studium der Alten, von dem damals alles ausgegangen, nunmehr unendlich zuruͤckgetreten war. Auch jetzt erschien wieder ein Aldus Manutius zu Rom und wurde Professor der Beredtsam- keit. Aber weder fuͤr sein Griechisch noch selbst fuͤr sein Latein fanden sich Liebhaber. Zur Stunde seiner Vorle- sungen sah man ihn mit einem und dem andern seiner Zu- hoͤrer vor dem Portal der Universitaͤt auf- und abgehen; es waren die einzigen, welche ihm Theilnahme bewiesen. Wie hatte das Studium des Griechischen im Anfang des Jahrhunderts so unglaublichen Fortgang! Am Ende des- selben gab es in Italien keinen namhaften Hellenisten mehr. Nun moͤchte ich dieß nicht durchaus als Verfall be- zeichnen: in gewisser Beziehung haͤngt es mit dem noth- wendigen Fortschritt der wissenschaftlichen Entwickelung zu- sammen. Wenn nemlich fruͤher die Wissenschaft unmittelbar aus den Alten geschoͤpft wurde, so war dieß jetzt nicht mehr moͤglich. Auf der einen Seite hatte der Stoff ungeheuer Veraͤnderung der geistigen Richtung . zugenommen. Welch eine ganz andere Masse naturhistori- scher Kenntnisse brachte z. B. Ulisse Aldrovandi, durch die unablaͤssige Bemuͤhung eines langen Lebens auf vielen Rei- sen zusammen, als irgend ein Alter besitzen koͤnnen; in seinem Museum hatte er es auf eigentliche Vollstaͤndigkeit abgesehen: was ihm an Naturalien abging, ersetzte er durch Bilder: jedes Stuͤck bekam seine ausfuͤhrliche Beschreibung. Wie hatte sich die Erdkunde so uͤber jeden Begriff der an- tiken Welt erweitert! Auf der andern Seite begann auch eine tiefer eingehende Forschung. Die Mathematiker such- ten anfangs nur die Luͤcken auszufuͤllen, welche die Alten gelassen. Commandin z. B. glaubte zu finden, daß Archi- medes etwas uͤber den Schwerpunct entweder gelesen oder sogar verfaßt haben muͤsse, was alsdann verloren gegan- gen: er ließ sich dieß einen Anlaß seyn, den Gegenstand selbst zu untersuchen. Aber eben hierdurch ward man um Vieles weiter gefuͤhrt, noch an der Hand der Alten riß man sich von ihnen los: man machte Entdeckungen, die jenseit des von ihnen beschriebenen Kreises lagen, und ei- ner weiteren Forschung neue Bahnen eroͤffneten. Vornehmlich widmete sich diese der Erkenntniß der Natur. Man schwankte noch einen Augenblick zwischen der Anerkennung des Geheimnisses und der muthigen Un- tersuchung. Doch uͤberwog die letztere. Schon ward ein Versuch gemacht, das Pflanzenreich rationell abzutheilen: in Padua lebte ein Professor, den man den Columbus des menschlichen Leibes nannte. Auf allen Seiten strebte man weiter: das Alterthum schloß die Wissenschaft nicht mehr so unbedingt ein. 31* Buch IV. Staat und Hof . Es folgte, wenn ich nicht irre, von selbst, daß das Studium der Antike, dem man sich in Hinsicht des Ob- jects nicht mehr mit so voller Hingebung uͤberlassen durfte, auch in Hinsicht der Form nicht mehr die Wirkung her- vorbringen konnte, die es fruͤher gehabt. In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus auf die Anhaͤufung des Stoffes abzusehen. Im Anfang des Jahrhunderts hatte Cortesius das Wesentliche der scho- lastischen Philosophie, so unfuͤgsam es sich auch zeigen mochte, in einem wohlgeschriebenen classischen Werke, das voll von Geist und Witz ist, mitgetheilt; jetzt stellte ein Natal Conte einen antiken Stoff, der die geistreichste, groß- artigste Behandlung zugelassen haͤtte, mythologisch in einem ungenießbaren Quartanten zusammen. Dieser Autor hat auch eine Geschichte geschrieben: die Sentenzen, mit denen er sein Buch ausstattet, leitet er fast immer unmittelbar aus den Alten her und citirt die Stellen; doch ist er da- bei von allem Sinn fuͤr eigentliche Darstellung entfernt geblieben. Es schien den Zeitgenossen schon hinreichend, das Material der Thatsachen in Massen aufzuhaͤufen. Man darf sagen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, so ganz formlos, — lateinisch, aber ohne alle Spur von Ele- ganz selbst nur im einzelnen Ausdruck, — waͤre im An- fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar gewesen. Indem man dergestalt wie in den wissenschaftlichen Bestrebungen, so noch vielmehr in der Form und Darstel- lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le- ben der Nation Veraͤnderungen ein, die auf alles literari- sche und kuͤnstlerische Bemuͤhen unberechenbaren Einfluß ausgeuͤbt haben. Veraͤnderung der geistigen Richtung . Einmal ging das republikanische sich selbst uͤberlassene Italien, auf dessen eigenthuͤmlichen Zustaͤnden die fruͤheren Entwickelungen, auch des Geistes selbst beruht hatten, nun- mehr zu Grunde. Die ganze Freiheit und Naivetaͤt des geistigen Zusammenseyns verschwand. Man bemerke, daß sich die Titulaturen einfuͤhrten. Schon um das Jahr 1520 sahen Einige mit Verdruß, daß Jedermann Herr genannt seyn wollte: man schrieb es dem Einfluß der Spanier zu. Um das Jahr 1550 verdraͤngen bereits schwerfaͤllige Eh- renbezeigungen die einfache Anrede in Brief und Gespraͤch. Gegen das Ende des Jahrhunderts nahmen die Titel Mar- chese und Duca uͤberhand; Jedermann wollte sie haben; alles wollte Excellenz seyn. Man hat gut sagen, daß dieß nicht viel bedeute: hat es doch noch jetzt seine Wirkung, nachdem dieß Wesen laͤngst veraltet ist: um wie viel mehr damals als man es aufbrachte. Aber auch in jeder an- dern Hinsicht wurden die Zustaͤnde strenger, fester, abge- schlossener; mit der heiteren Unbefangenheit der fruͤheren Verhaͤltnisse, der Unmittelbarkeit der gegenseitigen Beruͤh- rungen war es voruͤber. Liege es woran es wolle, sey es sogar eine in der Natur der Seele begruͤndete Veraͤnderung, so viel ist of- fenbar, daß in allen Hervorbringungen schon gegen die Mitte des Jahrhunderts hin, ein anderer Geist weht, daß auch die Gesellschaft, wie sie lebt, und wesentlich ist, andere Beduͤrfnisse hat. Von allen Erscheinungen, die diesen Wechsel bezeich- nen, vielleicht die auffallendste ist die Umarbeitung, welche Berni mit dem Orlando inamorato des Bojardo vorge- Buch IV. Staat und Hof . nommen hat. Es ist das nemliche Werk, und doch ein ganz anderes. Aller Reiz, alle Frische des urspruͤnglichen Gedichts ist verwischt. Wenn man ein wenig tiefer ein- geht, so wird man finden, daß der Autor allenthalben statt des Individuellen ein Allgemein-guͤltiges, statt des ruͤcksichtslosen Ausdruckes einer schoͤnen und lebendigen Na- tur eine Art von gesellschaftlichem Decorum untergeschoben hat, wie sie die damalige und die spaͤtere italienische Welt forderte Ich suche dieß in der oben bezeichneten akademischen Ab- handlung naͤher auszufuͤhren. . Er traf es damit vollkommen. Mit einem unglaublichen Beifall wurde sein Werk aufgenommen: die Ueberarbeitung hat das urspruͤngliche Gedicht durchaus ver- draͤngt. Und wie rasch hatte sich diese Umwandelung voll- zogen. Seit der ersten Ausgabe waren noch nicht funfzig Jahr verflossen. Man kann diesen veraͤnderten Grundton, diese Ader eines anderen Geistes in den meisten Hervorbringungen jener Zeit verfolgen. Es ist nicht grade Mangel an Talent, was die gro- ßen Gedichte von Alamanni und Bernardo Tasso, so un- genießbar, so langweilig macht, wenigstens bei dem letzten nicht. Aber gleich ihre Conception ist kalt. Nach den For- derungen eines zwar keineswegs sehr tugendhaften, aber ernst- gewordenen, gehaltenen Publikums waͤhlten sie sich tadel- lose Helden, Bernardo den Amadis: von dem der juͤngere Tasso sagt: „Dante wuͤrde das verwerfende Urtheil, das er uͤber die Ritterromane ausspricht, zuruͤckgenommen ha- ben, wenn er den Amadis von Gallien oder von Graͤcia Veraͤnderung der geistigen Richtung . gekannt haͤtte; so voll sey diese Gestalt von Adel und Standhaftigkeit;“ — Alamanni bearbeitete Giron le cour- toys, den Spiegel aller Rittertugend. Sein ausgesproche- ner Zweck ist dabei, der Jugend an diesem Beispiele zu zeigen, wie man Hunger und Nachtwachen, Kaͤlte und Sonnenschein zu ertragen, die Waffen zu fuͤhren, gegen Je- dermann Gerechtigkeit und Froͤmmigkeit zu beweisen und den Feinden zu vergeben habe. Da sie nun bei diesem mo- ralisch-didactischen Absehen eben auch auf die Weise des Berni verfahren, und ihrer Fabel den poetischen Grund, den sie hat, recht mit Absicht entreißen, so ist erfolgt, daß ihre Arbeiten uͤberaus weitschweifig und trocken ausgefal- len sind. Es schien, wenn man so sagen darf, als haͤtte die Nation das Capital poetischer Vorstellungen, das ihr ihre Vergangenheit gewaͤhrte, das ihr aus dem Mittelalter her- vorgegangen, verbraucht, verarbeitet, und sogar kein Ver- staͤndniß derselben uͤbrig. Sie suchte etwas Neues. Aber weder wollten die schoͤpferischen Genien erscheinen, noch bot das Leben frische Stoffe dar. Bis gegen die Mitte des Jahrhunderts ist die Prosa — lehrhaft ihrer Natur nach — noch geistreich, warm, beugsam und anmuthig. All- maͤhlig erstarrt und erkaltet sie aber auch. Wie in der Poesie, war es in der Kunst. Sie ver- lor die Begeisterung, die ihr ehemals ihre geistlichen, gar bald auch die welche ihr ihre profanen Gegenstaͤnde einge- floͤßt. Hauptsaͤchlich nur in den Venezianern blieb etwas davon uͤbrig. Wie so voͤllig fallen die Schuͤler Raphaels, einen einzigen ausgenommen, von Raphael ab. Indem sie Buch IV. Staat und Hof . ihn nachahmen, verlieren sie sich in das gemachte Schoͤne, theatralische Stellungen, affectirte Grazie, und ihren Wer- ken sieht man es an, in wie kalter, unschoͤner Stimmung sie entworfen worden sind. Die Schuͤler Michel Angelo’s machten es nicht besser. Die Kunst wußte nichts mehr von ihrem Object; sie hatte die Ideen aufgegeben, welche sie sonst sich angestrengt hatte, in Gestalt zu bringen: nur die Aeußerlichkeiten der Methode waren ihr uͤbrig. In dieser Lage der Dinge, als man sich von dem Alterthum bereits entfernt hatte, seine Formen nicht mehr nachahmte, seiner Wissenschaft entwachsen war: — als zu- gleich die altnationale Poesie und religioͤse Vorstellungs- weise von Literatur und Kunst verschmaͤht ward: — trat die neue Erhebung der Kirche ein: sie bemaͤchtigte sich der Geister mit ihrem Willen oder wider denselben: sie brachte auch in allem literarischen und kuͤnstlerischen Wesen eine durchgreifende Veraͤnderung hervor. Es hatte aber die Kirche, wenn ich nicht irre, eine ganz andere Einwirkung auf die Wissenschaft, als auf die Kunst. Philosophie und Wissenschaft uͤberhaupt erlebten noch einmal eine sehr bedeutende Epoche. Nachdem man den aͤchten Aristoteles wieder hergestellt, begann man, wie in andern Zweigen von andern Alten geschah, sich in der Philosophie auch von ihm loszureißen; zu einer freien Er- oͤrterung der hoͤchsten Probleme ging man fort. Der Na- tur der Sache nach konnte die Kirche dieß nicht beguͤnsti- gen. Sie selber setzte bereits die obersten Prinzipien auf eine Weise fest, die keinen Zweifel zuließ. Hatten sich aber Veraͤnderung der geistigen Richtung . die Anhaͤnger des Aristoteles haͤufig zu antikirchlichen, na- turalistischen Meinungen bekannt, so war auch von seinen Bestreitern etwas aͤhnliches zu befuͤrchten. Sie wollten, wie sich einer von ihnen ausdruͤckte, die Dogmen bisheri- ger Lehrer mit der originalen Handschrift Gottes, der Welt und der Natur der Dinge vergleichen. Ein Unternehmen, dessen Erfolg unabsehlich war, bei dem es, sey es Ent- deckungen, sey es Irrthuͤmer, von sehr verfaͤnglichem In- halt geben mußte, das deßhalb die Kirche nicht aufkom- men ließ. Obwohl sich Telesius nicht eigentlich uͤber die Physik erhob, blieb er doch sein Lebelang auf seine kleine Vaterstadt eingeschraͤnkt: Campanella hat als ein Fluͤcht- ling leben, die Tortur hat er ausstehen muͤssen; der Tief- sinnigste von allen, Giordano Bruno, ein wahrer Philo- soph, ward nach vielen Verfolgungen und langen Irrfahr- ten endlich, wie es in der Urkunde heißt, „nicht al- lein als ein Ketzer, sondern als ein Haͤresiarch, der ei- nige Sachen geschrieben, welche die Religion anbetreffen, und die sich nicht geziemen“ In einem venez. Ms. im Wiener Archiv unter der Rubrik Roma, Espositioni 1592. 28 Sett. findet sich das Original eines Protokolls uͤber die Auslieferung Giordano Bruno’s. Vor dem Collegium erscheinen der Vicar des Patriarchen: der Vater Inqui- sitor, und der Assistent der Inquisition Thomas Morosini. Der Vicar traͤgt vor. „Li giorni passati esser stato ritenuto e tut- tavia ritrovarsi nelle prigioni di questa città deputate al servi- cio del santo ufficio Giordano Bruno da Nola, imputato non solo di heretico, ma anco di heresiarca, havendo composto di- versi libri nei quali laudando assai la regina d’Inghilterra et altri principi heretici scriveva alcune cose concernenti il parti- cular della religione che non convenivano sebene egli parlava filosoficamente, e che costui era apostata, essendo stato primo , von der Inquisition in Buch IV. Staat und Hof . Anspruch genommen, eingezogen, nach Rom geschafft und zum Tode im Feuer verurtheilt. Wer haͤtte da noch zu freier Geistesregung den Muth fuͤhlen sollen? Von den Neuerern, die dieß Jahrhundert hervorgebracht hat, fand nur Einer, Francesco Patrizi, Gnade in Rom. Auch er griff den Aristoteles an, jedoch nur deshalb, weil die Lehr- saͤtze dieses Alten der Kirche und dem Christenthum zuwi- der seyen. Im Gegensatz mit den aristotelischen Meinun- gen suchte er eine aͤchte philosophische Tradition nachzuwei- sen; von dem angeblichen Hermes Trismegistus an, bei dem er eine deutlichere Erklaͤrung der Dreieinigkeit zu fin- den glaubte, als selbst in den mosaischen Schriften, durch die folgenden Jahrhunderte: diese suchte er aufzufrischen, zu erneuern und an die Stelle der aristotelischen zu setzen. In allen Dedicationen seiner Werke stellt er diese seine Ab- sicht, den Nutzen, die Nothwendigkeit ihrer Ausfuͤhrung vor. Es ist ein sonderbarer Geist: nicht ohne Kritik, doch bloß fuͤr das was er verwirft, nicht fuͤr das was er an- frate domenicano, che era vissuto molt’ anni in Ginevra et In- ghilterra e che in Napoli et altri luoghi era stato inquisito della medesima imputatione. E che essendosi saputa a Roma la pri- gionia di costui, lo ill mo. S ta. Severina supremo Inquisitore ha- veva scritto e dato ordine che fusse inviato a Roma — — con prima sicura occasione. Eine solche Gelegenheit sey jetzt vorhan- den Sie bekommen nicht sogleich Antwort. Nach Tisch erscheint der Vater Inquisitor wieder und wird sehr dringend, denn die Barke wolle abfahren. Allein die Savj antworteten: „che essendo la cosa di momento e consideratione e le occupationi di questo stato molte e gravi non si haveva per allhora potuto fare riso- lutione.“ Und so fuhr die Barke dieß Mal ohne den Gefangenen ab. Ich habe nicht finden koͤnnen, ob spaͤterhin die wirkliche Aus- lieferung durch neue Verhandlungen motivirt ward. Veraͤnderung der geistigen Richtung . nimmt. Er ward nach Rom berufen und behauptete sich hier mehr durch die Eigenthuͤmlichkeit und die Richtung seiner Arbeiten, als durch den Erfolg und die Wirkung derselben in großem Ansehen. Mit den philosophischen Untersuchungen waren damals physische und naturhistorische fast ununterscheidbar ver- schmolzen. Das ganze System bisheriger Vorstellungen war in Frage gestellt worden. In der That ist in den Italienern dieser Epoche eine große Tendenz: Suchen, Vor- dringen, erhabene Ahndung. Wer will sagen, wohin sie gelangt seyn wuͤrden? Allein die Kirche zeichnete ihnen eine Linie vor, die sie nicht mehr uͤberschreiten durften. Wehe dem, der sich uͤber dieselbe hinauswagte. Wirkte dergestalt, es kann daran kein Zweifel seyn, die Restauration des Katholicismus auf die Wissenschaft reprimirend, so fand in der Kunst und Poesie vielmehr das Gegentheil hiervon Statt. Sie ermangelten eines In- haltes, des lebendigen Gegenstandes, die Kirche gab ihnen denselben wieder. Wie sehr die Erneuerung der Religion sich der Ge- muͤther bemaͤchtigte, sieht man an dem Beispiele Torquato Tasso’s. Sein Vater hatte sich einen moralisch-tadellosen Helden ausgesucht: er ging einen Schritt weiter als dieser. Wie noch ein anderer Dichter dieses Zeitalters die Kreuz- zuͤge zu seinem Gegenstande gewaͤhlt, „darum, weil es bes- ser sey, ein wahres Argument christlich zu behandeln, als in einem erlogenen einen wenig christlichen Ruhm suchen:“ so that auch Torquato Tasso: er nahm sich einen Helden, nicht der Fabel, sondern der Geschichte, einen christlichen Buch IV. Staat und Hof . Helden. Gottfried ist mehr als Aeneas: er ist wie ein Heiliger, satt der Welt und ihres vergaͤnglichen Ruhmes. Es wuͤrde indeß ein sehr trockenes Werk gegeben haben, wenn sich der Dichter mit der Darstellung einer solchen Persoͤnlichkeit haͤtte begnuͤgen wollen. Tasso ergriff zugleich die sentimental-schwaͤrmerische Seite der Religion, was denn sehr wohl zu dem Feenwesen stimmt, dessen bunte Faͤden er in sein Gewebe einschlug. Das Gedicht ist hier und da etwas lang ausgefallen: nicht allenthalben ist der Ausdruck recht durchgearbeitet: doch ist es ein Gedicht; — voll Phantasie und Gefuͤhl, nationaler Gesinnung, Wahrheit des Gemuͤths, durch welche Tasso die Gunst und Bewunderung seiner Landsleute bis auf den heutigen Tag in hohem Grade behauptet hat. Welch ein Gegensatz aber gegen Ariost! Die Dichtkunst war fruͤher von der Kirche abgefallen; der verjuͤngten Religion unterwirft sie sich wieder. Unfern von Ferrara, wo Tasso sein Poem verfaßt, in Bologna, erhob sich gleich nachher die Schule der Ca- racci, deren Emporkommen eine allgemeine Umwandlung in der Malerei bezeichnet. Fragen wir, worauf diese beruhte, so nennt man uns die anatomischen Studien der bolognesischen Academie, ihre eklektische Nachahmung, die Gelehrsamkeit ihrer Kunstma- nier. Und gewiß ist der Eifer, mit welchem sie auf ihre Weise den Erscheinungen der Natur beizukommen trachte- ten, ein großes Verdienst. Nicht minder wichtig aber scheint mir zu seyn, welche Aufgaben sie waͤhlten, wie sie dieselben geistig angriffen. Veraͤnderung der geistigen Richtung . Lodovico Caracci beschaͤftigte sich viel mit dem Chri- stusideal. Nicht immer, aber zuweilen, wie in der Be- rufung des Matthaͤus, gelingt es ihm, den milden und ernsten Mann voll Wahrheit und Waͤrme, Huld und Ma- jestaͤt darzustellen, der hernach so oft nachgebildet worden. Wohl ahmt er fruͤhere Meister nach: doch ist es fuͤr seine Sinnesweise bezeichnend, wie er dieß thut. Die Transfi- guration Raphaels hat er einmal offenbar vor Augen, aber er eignet sie sich nicht an, ohne seinen Christus die Hand lehrend gegen Moses erheben zu lassen. Ohne Zwei- fel das Meisterstuͤck Agostino Caracci’s ist der heilige Hie- ronymus, ein Alter, nahe dem Tode, der sich nicht mehr bewegen kann, und mit dem letzten Lebensodem nur noch inbruͤnstig nach der Hostie verlangt, die ihm gereicht wird. Annibale’s Ecce homo, bei den Borghese, mit starkem Schatten, von feiner durchsichtiger Haut, in Thraͤnen, ist das Ideal Lodovico’s auf einer andern Stufe. Bewun- dernswuͤrdig, jugendlich groß erscheint es selbst in der Er- starrung des Todes in der Piet à , einem Werke, in welchem auch uͤbrigens das trostlose Ereigniß mit neuem Gefuͤhl ergriffen und ausgesprochen ist. In den Lunetten bei den Doria wird die Landschaft, durch die einfache Auf- fassung der menschlichen Momente in der heiligen Geschichte, sinnreich belebt. Wir sehen, obwohl sich diese Meister auch profanen Gegenstaͤnden widmeten, so ergriffen sie doch die heiligen mit besonderem Eifer: hier ist es dann nicht ein so ganz aͤußerliches Verdienst, was ihnen ihre Stelle giebt; die Hauptsache wird seyn, daß sie von ihrem Gegenstand wie- Buch IV. Staat und Hof . der lebendig erfuͤllt sind, daß ihnen die religioͤsen Vorstel- lungen, die sie vergegenwaͤrtigen, wieder etwas bedeuten. Eben diese Tendenz unterscheidet auch ihre Schuͤler. Auf die Erfindung Agostino’s, jene Idee des Hieronymus, wandte Domenichino einen so gluͤcklichen Fleiß, daß er in Mannichfaltigkeit der Gruppirung und Vollendung des Ausdrucks den Meister vielleicht noch uͤbertraf. Seinen Kopf des heiligen Nilus finde ich herrlich, gemischt aus Schmerz und Nachdenken: seine Prophetinnen voll Jugend, Unschuld und Tiefsinn. Hauptsaͤchlich liebte er die Freu- den des Himmels mit der Qual der Erde in Gegensatz zu stellen: wie so sehr in der Madonna del Rosario die himm- lische gnadenreiche Mutter mit dem beduͤrftigen Menschen. Zuweilen ergreift auch Guido Reni diesen Gegensatz; waͤre es auch nur, daß er die in ewiger Schoͤnheit prangende Jungfrau abgehaͤrmten moͤnchischen Heiligen gegenuͤberstellt. Guido hat Schwung und eigene Conception. Wie herrlich ist seine Judith, aufgegangen im Gefuͤhle der gelungenen That und des Dankes, welchen sie himmlischer Huͤlfe schuldig ist! Wer kennt nicht seine Madonna, entzuͤckt, und etwas ver- schwimmend in ihrem Entzuͤcken? Auch fuͤr seine Heili- gen schuf er sich ein sentimental-schwaͤrmerisches Ideal. Hiermit haben wir jedoch noch nicht die ganze Eigen- thuͤmlichkeit dieser Richtung bezeichnet: sie hat noch eine andere nicht so anziehende Seite. Die Erfindungen dieser Maler bekommen auch zuweilen etwas Geltsam-Fremdar- tiges. Die schoͤne Gruppe der heil. Familie z. B. wird wohl einmal dahin ausgebildet, daß der St. Johannes dem Jesukind foͤrmlich den Fuß kuͤßt; oder die Apostel er- Veraͤnderung der geistigen Richtung . scheinen, um der Jungfrau, was man sagt, zu condoliren, darauf vorbereitet, sich die Thraͤnen abzuwischen. Wie oft wird ferner das Graͤßliche ohne die mindeste Schonung vorgestellt! Der S. Agnete des Domenichino sehen wir das Blut unter dem Schwert hervordringen: Guido faßt den bethlehemitischen Kindermord in seiner ganzen Abscheu- lichkeit: die Weiber, welche saͤmmtlich den Mund zum Ge- schrei oͤffnen, die graͤulichen Schergen, welche die Unschuld morden. Man ist wieder religioͤs geworden, wie man es fruͤ- her war: aber es waltet ein großer Unterschied ob. Fruͤ- her war die Darstellung sinnlich naiv: jetzt hat sie oft- mals etwas Barockes und Gewaltsames. Dem Talent des Guercino wird Niemand seine Be- wunderung versagen. Aber was ist das fuͤr ein Johannes, den die Gallerie Sciarra von ihm aufbewahrt! Mit brei- ten nervigen Armen, colossalen, nackten Knien, dunkel und allerdings begeistert, doch koͤnnte man nicht sagen, ob seine Begeisterung himmlischer oder irdischer Art ist. Sein Thomas legt die Hand so entschlossen in die Seitenwunden des Erloͤsers, daß es diesen schmerzen muͤßte. Den Pietro Martyre stellt Guercino vor, gradezu wie ihm noch das Schwert im Kopfe steckt. Neben jenem aquitanischen Her- zog, der von S. Bernard mit der Kutte bekleidet wird, laͤßt er noch einen Moͤnch auftreten, der einen Knappen bekehrt, und man sieht sich einer beabsichtigten Devotion unerbittlich uͤbergeben. Wir wollen hier nicht untersuchen, in wie fern durch diese Behandlung — zuweilen unsinnlich ideal, zuweilen Buch IV. Staat und Hof . hart und unnatuͤrlich, — die Grenzen der Kunst hinwie- derum uͤberschritten wurden: genug, wenn wir bemerken, daß die Kirche sich der wiederhergestellten Malerei voͤllig bemaͤchtigte. Sie belebte dieselbe durch einen poetischen Anhauch und die Grundlage positiver Religion; aber sie gab ihr zugleich einen geistlichen, priesterlichen, modern- dogmatischen Character. Leichter mußte ihr dieß noch in der Baukunst werden, die unmittelbar in ihren Diensten stand. Ich weiß nicht, ob Jemand den Fortgang untersucht hat, der in den moder- nen Bauwerken von der Nachahmung der Antike bis zu dem Canon fuͤhrte, den Barozzi fuͤr die Erbauung der Kirchen erfand, und der sich seitdem zu Rom und in der ganzen katholischen Kirche erhalten hat. Die Leichtigkeit und freie Genialitaͤt, mit der das Jahrhundert begann, hat sich auch hier zu Ernst und Pomp und devoter Pracht umgestaltet. Nur von Einer Kunst blieb es lange zweifelhaft, ob sie sich den Zwecken der Kirche werde unterwerfen lassen. Die Musik hatte sich um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts in die verschlungenste Kuͤnstlichkeit verloren. Verlaͤngerungen, Proportionen, Nachahmungen, Raͤthsel, Fugen machten den Ruhm eines Tonsetzers. Auf den Sinn der Worte kam es nicht mehr an: man findet eine ganze Anzahl Messen aus jener Zeit, die nach dem Thema be- kannter weltlicher Melodien abgefaßt sind: die menschliche Stimme ward nur als Instrument behandelt Giuseppe Baini: Memorie storico-critiche della vita e . Kein Veraͤnderung der geistigen Richtung . Kein Wunder, wenn das tridentinische Concilium an der Auffuͤhrung so beschaffener Musikstuͤcke in der Kirche Anstoß nahm. In Folge der Verhandlungen desselben setzte Pius IV. eine Commission nieder, um gradezu uͤber die Frage zu berathschlagen, ob die Musik in der Kirche zu dulden sey oder nicht. Die Entscheidung war doch sehr zweifel- haft. Die Kirche forderte Verstaͤndlichkeit der Worte, Uebereinstimmung des musikalischen Ausdrucks mit densel- ben: die Musiker behaupteten, bei den Gesetzen ihrer Kunst sey das nicht zu erreichen. Carl Borromeo war in der Commission und bei der strengen Gesinnung dieses Kirchen- hauptes konnte leicht ein scharfer Spruch erfolgen. Gluͤcklicherweise erschien wieder einmal der rechte Mann zur rechten Zeit. Unter den damaligen Tonsetzern von Rom war Pier Luigi Palestrina. Der strenge Paul IV. hatte ihn aus der paͤpstlichen Capelle gestoßen, weil er verheurathet war: zuruͤckgezogen und vergessen, in einer armseligen Huͤtte zwischen den Wein- gaͤrten des Monte Celio hatte er seitdem gelebt. Er war ein Geist, den mißliche Verhaͤltnisse nicht zu beugen ver- mochten. Eben in dieser Einsamkeit widmete er sich seiner Kunst mit einer Hingebung, welche der schoͤpferischen Kraft, die in ihm war, freie und originale Hervorbringungen gestat- tete. Hier schrieb er die Improperien, die noch alle Jahr in der sixtinischen Capelle die Feier des stillen Freitags verherrlichen. Den tiefen Sinn eines Schrifttextes, seine delle opere di Giovanni Pier Luigi de Palestrina, Roma 1828, theilt die Notizen mit, deren ich mich bedient habe. 32 Buch IV. Staat und Hof . symbolische Bedeutung, seine Anwendung auf Gemuͤth und Religion hat vielleicht nie ein Musiker geistiger auf- gefaßt. Wenn irgend ein Mensch geeignet war, zu versuchen, ob diese Methode auch auf das umfassende Werk einer Messe angewendet werden koͤnne, so war es dieser Meister: die Commission trug es ihm auf. Palestrina fuͤhlte ganz, daß es ein Versuch war, auf dem so zu sagen Leben und Tod der großen Musik der Messen beruhte; mit selbstbewußter Anstrengung ging er daran: auf seiner Handschrift hat man die Worte gefun- den: Herr, erleuchte meine Augen. Nicht sogleich gelang es ihm: die beiden ersten Arbei- ten mißriethen: endlich aber in gluͤcklichen Momenten brachte er die Messe zu Stande, die unter dem Namen der Messe des Papstes Marcellus bekannt ist, mit der er jede Erwartung uͤbertraf. Sie ist voll einfacher Melodie und kann sich doch in Mannichfaltigkeit mit fruͤheren Mes- sen vergleichen: Choͤre trennen sich und vereinigen sich wie- der: unuͤbertrefflich ist der Sinn des Textes ausgedruͤckt: das Kyrie ist Unterwerfung, das Agnus Demuth, das Credo Majestaͤt. Papst Pius IV. , vor dem sie aufgefuͤhrt wurde, war hingerissen. Er verglich sie mit den himmli- schen Melodien, wie sie der Apostel Johannes in der Ent- zuͤckung gehoͤrt haben moͤge. Durch dieß Eine große Beispiel war nun die Frage auf immer entschieden; eine Bahn war eroͤffnet, auf der die schoͤnsten, auch fuͤr die Andersglaͤubigen ruͤhrendsten Werke hervorgebracht worden sind. Wer kann sie hoͤren Die Curie . ohne Begeisterung? Es ist als ob die Natur Ton und Stimme bekaͤme, als ob die Elemente spraͤchen, und die Laute des allgemeinen Lebens sich in freier Harmonie der Anbetung widmeten: bald wogend wie das Meer, bald in jauchzendem Jubel aufsteigend gen Himmel. In dem All- gefuͤhl der Dinge wird die Seele zu religioͤsem Entzuͤcken emporgehoben. Grade diese Kunst, die sich von der Kirche vielleicht am weitesten entfernt hatte, schloß sich nun am engsten an sie an. Nichts konnte fuͤr den Katholicismus wichtiger seyn. Hatte er doch selbst in das Dogma, wenn wir nicht irren, innere Anschauung und etwas Schwaͤrmerisches auf- genommen. In den wirksamsten Buͤchern der Buße und Erbauung bildete es einen Grundton. Geistliche Senti- mentalitaͤt und Hingerissenheit war der vorzuͤglichste Ge- genstand der Poesie und Malerei. Unmittelbarer, dringen- der, unwiderstehlicher als jede Unterweisung und jede an- dere Kunst, in dem Reiche eines idealen Ausdrucks auch zugleich reiner, angemessener, stellte dieß die Musik dar und umfing damit die Gemuͤther. Die Curie. Waren auf diese Weise alle Elemente des Lebens und des Geistes von der kirchlichen Richtung ergriffen und um- gewandelt, so war auch der Hof zu Rom, an dem sie alle mit einander zusammentrafen, sehr veraͤndert. 32* Buch IV. Staat und Hof . Schon unter Paul IV. nahm man es wahr; das Beispiel Pius V. hatte eine ungemeine Wirkung: unter Gregor XIII. stellte es sich Jedermann vor Augen. „Zum Besten der Kirche,“ sagt P. Tiepolo 1576, „traͤgt es un- endlich viel bei, daß mehrere Paͤpste hintereinander von ta- dellosem Lebenswandel gewesen sind: auch alle anderen sind dadurch besser geworden, oder sie haben wenigstens den An- schein davon angenommen. Cardinaͤle und Praͤlaten besu- chen die Messe fleißig; ihr Hausstand sucht alles zu ver- meiden, was anstoͤßig seyn koͤnnte; die ganze Stadt hat von der alten Ruͤcksichtslosigkeit abgelassen, in Sitten und Lebensweise ist sie um vieles christlicher als fruͤher. Man kann behaupten, daß Rom in Sachen der Religion von der Vollkommenheit, welche die menschliche Natur uͤber- haupt erreichen kann, nicht gar entfernt ist.“ Nicht als ob nun dieser Hof aus Froͤmmlern und Kopfhaͤngern zusammengesetzt gewesen waͤre: er bestand ohne Zweifel aus ausgezeichneten Leuten — die sich aber jene streng kirchliche Sinnesweise in hohem Grade angeeignet hatten. Vergegenwaͤrtigen wir ihn uns, wie er zu den Zeiten Sixtus V. war, so saßen unter den Cardinaͤlen nicht wenige, die einen großen Antheil an den Weltgeschaͤften genommen: Gallio von Como, der unter zwei Pontifica- ten die Regierung als erster Minister geleitet, mit dem Talent, durch Fuͤgsamkeit zu herrschen; jetzt machte er sich nur noch durch die Anwendung seiner großen Einkuͤnfte zu kirchlichen Stiftungen bemerklich; — Rusticucci, maͤchtig schon unter Pius V. , auch unter Sixtus nicht ohne gro- Die Curie . ßen Einfluß, ein Mann voll Scharfsinn und Herzensguͤte, arbeitsam, aber um so bedaͤchtiger und unbescholtener in seinen Sitten, da er auf das Pontificat hoffte; — Sal- viati, der sich durch eine wohlgefuͤhrte Verwaltung von Bo- logna beruͤhmt gemacht; untadelhaft und einfach: noch mehr streng, als bloß ernst; — Santorio, Cardinal von S. Severina, der Mann der Inquisition, in allen geistli- chen Geschaͤften schon lange von leitendem Einfluß; hart- naͤckig in seinen Meinungen, streng gegen seine Diener, selbst gegen seine Verwandten voll Haͤrte, wie viel mehr gegen Andere: unzugaͤnglich fuͤr Jedermann; — im Ge- gensatz mit ihm Madruzz, der immer das Wort der Po- litik des Hauses Oestreich, sowohl der spanischen als der deutschen Linie hatte, den man den Cato des Collegiums nannte, doch nur in Gelehrsamkeit und unbescholtener Tu- gend, nicht in censorischer Anmaßung, denn er war die Bescheidenheit selbst. Noch lebte Sirlet, von allen Cardi- naͤlen seiner Zeit ohne Zweifel zugleich der wissenschaftlichste und sprachkundigste, eine lebendige Bibliothek, wie Muret sagte; der aber, wenn er von seinen Buͤchern aufstand, auch wohl die Knaben heraufrief, die ihre Buͤndel Holz im Winter zu Markte gebracht, sie in den Geheimnissen des Glaubens unterrichtete und ihnen dann ihre Buͤndel abkaufte; durchaus gutmuͤthig und barmherzig Ciaconius Vitae Paparum III, p. 978. Man findet da auch die Grabschrift Sirleto’s, worin er als „eruditorum pauperum- que patronus“ bezeichnet wird. In Cardella Memorie storiche de’ cardinali finden sich nur die Notizen bei Ciaconius italienisch zusammen gestellt. . Einen großen Einfluß hatte das Beispiel Carlo Borromeo’s, des- Buch IV. Staat und Hof . sen Andenken sich nach und nach zu dem Rufe eines Hei- ligen verklaͤrte. Federico Borromeo war von Natur reiz- bar und heftig; aber dem Muster seines Oheims gemaͤß fuͤhrte er ein geistliches Leben, und ließ sich die Mortifi- cationen, die er nicht selten erfuhr, nicht aus der Fassung bringen; besonders aber erinnerte Agostino Valier an ihn: ein Mann von eben so edler und reiner Natur, als un- gewoͤhnlicher Gelehrsamkeit: der nur seinem Gewissen folgte und nunmehr in hohem Alter das Bild eines Bischofs aus den ersten Jahrhunderten darzustellen schien. Nach dem Beispiel der Cardinaͤle bildete sich die uͤbrige Praͤlatur: die ihnen in Congregationen zur Seite stand und einmal ihren Platz einzunehmen bestimmt war. Unter den Mitgliedern des hoͤchsten Gerichtshofes, den Auditori di Rota, thaten sich damals besonders zwei her- vor, zwar von entgegengesetztem Character: Mantica, der nur zwischen Buͤchern und Acten lebte, durch seine juridischen Werke dem Forum und der Schule diente, und sich kurz, ohne viel Umstaͤnde, auszudruͤcken pflegte: und Arigone, der seine Zeit nicht so sehr den Buͤchern, als der Welt, dem Hofe und den Geschaͤften widmete, Urtheil und Ge- schmeidigkeit zeigte; aber gleich bemuͤht, sich den Ruf der Unbescholtenheit und Religiositaͤt zu erhalten. Unter den Bischoͤfen, die sich am Hofe aufhielten, bemerkte man vor allen die, welche sich in Nunziaturen versucht hatten, Tor- res, der einen großen Antheil an dem Abschluß der Liga Pius V. wider die Tuͤrken gehabt; Malaspina, der die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland und dem Norden wahrgenommen; Bolognetti, dem die schwierige Vi- Die Curie . sitation venezianischer Kirchen uͤbertragen ward, alle durch Gewandtheit und Eifer fuͤr ihre Religion emporgekommen. Einen bedeutenden Rang nahmen die Gelehrten ein: Bellarmin, Professor, Grammatiker, der groͤßte Contro- versist der katholischen Kirche, dem man ein apostolisches Leben nachruͤhmt: ein anderer Jesuit: Maffei, der die Ge- schichten der portugiesischen Eroberungen in Indien beson- ders aus dem Gesichtspunct der Ausbreitung des Christen- thums im Suͤden und Osten, und das Leben des Loyola, Phrase fuͤr Phrase, mit bedachtsamer Langsamkeit und abgewaͤgter Eleganz ausfuͤhrte Vita Jo. Petri Maffeji Serassio auctore. In der Aus- gabe der Werke Maffei’s, Berg. 1747. ; zuweilen Fremde, wie unser Clavius, der tiefe Wissenschaft mit unschuldigem Leben verband, und Jedermanns Verehrung genoß; oder Muret, ein Franzose, der beste Latinist jener Zeit; nachdem er lange Zeit die Pandecten auf eine originelle und classische Weise erlaͤutert hatte — er war eben so witzig, als beredt — ward er noch in seinem Alter Priester, widmete sich theo- logischen Studien und las alle Tage Messe; der spanische Canonist Azpilcueta, dessen Responsa am Hofe und in der ganzen katholischen Welt wie Orakel betrachtet wurden: Papst Gregor XIII. hatte man oft Stundenlang vor seinem Hause halten und sich mit ihm unterreden sehen: dabei verrichtete er doch auch in den Spitaͤlern die niedrigsten Dienste. Unter diesen merkwuͤrdigen Persoͤnlichkeiten erwarb sich Filippo Neri, Stifter der Congregation des Orato- riums, ein großer Beichtvater und Seelsorger, einen tie- fen und ausgebreiteten Einfluß: er war gutmuͤthig, scherz- Buch IV. Staat und Hof . haft, streng in der Hauptsache, in den Nebendingen nach- sichtig; — er befahl nie, er gab nur Rathschlaͤge: er bat gleichsam; er docirte nicht: er unterhielt sich; er besaß den Scharfsinn, welcher dazu gehoͤrt, die besondere Richtung jedes Gemuͤthes zu unterscheiden. Sein Oratorium erwuchs ihm aus Besuchen, die man ihm machte, durch die An- haͤnglichkeit einiger juͤngeren Leute, die sich als seine Schuͤ- ler betrachteten und mit ihm zu leben wuͤnschten. Der beruͤhmteste unter ihnen ist der Annalist der Kirche, Caͤsar Baronius. Filippo Neri erkannte sein Talent, und hielt ihn an, ohne daß er anfangs große Neigung dazu gehabt haͤtte, die Kirchengeschichte in dem Oratorium vorzutra- gen Gallonius: Vita Phil. Nerii. Mog. 1602. p. 163. . Dreißig Jahr lang hat Baronius diese Arbeit fortgesetzt. Auch als er Cardinal geworden, stand er noch immer vor Tage auf, um daran fortzuarbeiten: er speiste mit seinen Hausgenossen regelmaͤßig an Einem Tische; er ließ nur Demuth und Gottergebenheit an sich wahrneh- men. Wie in dem Oratorium, so war er in dieser Wuͤrde auf das engste mit Tarugi verbunden, der sich als Pre- diger und Beichtvater viel Ansehn verschafft hatte, und eine eben so unschuldige Gottesfurcht zeigte: ihre Freund- schaft hielt ihnen bis zum Tode aus: gluͤcklich sind sie darin zu preisen: neben einander sind sie beerdigt worden. Ein dritter Schuͤler S. Filippo’s war Silvio Antoniano, der zwar eine freiere literarische Tendenz hatte, sich mit poeti- schen Arbeiten beschaͤftigte, und als ihm spaͤter ein Papst die Abfassung seiner Breven auftrug, dieß mit ungewohn- Die Curie . ter literarischer Geschicklichkeit that, aber uͤbrigens von den sanftesten Sitten war, demuͤthig und leutselig, lauter Guͤte und Religion. Alles was an diesem Hof emporkam, Politik, Staats- verwaltung, Poesie, Kunst, Gelehrsamkeit trug die nem- liche Farbe. Welch ein Abstand von der Curie im Anfange des Jahrhunderts, wo die Cardinaͤle den Paͤpsten den Krieg machten, die Paͤpste sich mit Waffen guͤrteten, Hof und Leben von sich wiesen, was an ihre christliche Bestimmung erinnerte. Wie still und kloͤsterlich hielten jetzt die Cardi- naͤle aus. Daß Cardinal Tosco, der einmal die naͤchste Aussicht dazu hatte, dennoch nicht Papst wurde, kam vor allem daher, weil er sich ein paar lombardische Sprich- woͤrter angewoͤhnt, die den Leuten anstoͤßig vorkamen. So ausschließend in seiner Richtung, so leicht zu verletzen war der oͤffentliche Geist. Verschweigen wir aber nicht, daß er, wie in Litera- tur und Kunst so auch im Leben noch eine andere, fuͤr un- ser Gefuͤhl unerfreuliche Seite entwickelte. Wunder began- nen wieder, die sich lange nicht gezeigt. Bei S. Silvestro fing ein Marienbild an zu sprechen: was denn einen so allgemeinen Eindruck auf das Volk machte, daß die wuͤste Gegend um die Kirche gar bald angebaut ward. In dem Rione de’ monti erschien ein wunderthaͤtiges Marienbild in einem Heuschober, und die Umwohner hielten dieß fuͤr eine so augenscheinliche Gunst des Himmels, daß sie sich mit den Waffen widersetzten, als man es wegfuͤhren wollte: aͤhnliche Erscheinungen finden wir in Narni, Todi, San Buch IV. Staat und Hof . Severino und von dem Kirchenstaat breiten sie sich weiter in der ganzen katholischen Welt aus. Auch die Paͤpste schreiten aufs neue zu Heiligsprechungen, welche sie eine geraume Zeit unterlassen hatten. Nicht viele Beichtvaͤter waren so einsichtsvoll wie Filippo Neri; eine dumpfe Werk- heiligkeit ward beguͤnstigt, die Vorstellung von goͤttlichen Dingen vermischte sich mit phantastischem Aberglauben. Duͤrfte man nun wenigstens die Ueberzeugung hegen, daß damit auch in der Menge eine volle Hingebung unter die Vorschriften der Religion eingetreten sey! Schon die Natur des Hofes aber brachte es mit sich, daß sich neben den geistlichen auch die lebendigsten weltli- chen Bestrebungen regten. Die Curie war nicht allein ein kirchliches Institut: sie hatte einen Staat, sie hatte indirect einen großen Theil der Welt zu beherrschen. In dem Grade, daß Jemand an dieser Gewalt Antheil nahm, erwarb er Ansehn, Gluͤcks- guͤter, Wirksamkeit und alles wonach die Menschen zu be- gehren pflegen. Die menschliche Natur konnte sich nicht so veraͤndert haben, daß man nach den Kampfpreisen der Gesellschaft und des Staates nur auf geistlichem Wege ge- trachtet haͤtte. Man griff es hier an, wie im Ganzen an andern Hoͤfen, nur wieder auf eine diesem Boden entspre- chende, sehr eigenthuͤmliche Weise. Von allen Staͤdten der Welt hatte Rom damals wahrscheinlich die beweglichste Bevoͤlkerung. Unter Leo X. war sie bereits auf mehr als 80000 Seelen gestiegen, un- ter Paul IV. , vor dessen Strenge alles fluͤchtete, auf 45000 gesunken; gleich nach ihm erhob sie sich wieder, Die Curie . in ein paar Jahren auf 70000, unter Sixtus V. bis uͤber 100000. Das Merkwuͤrdige war, daß die Angesessenen zu einer so großen Anzahl in keinem Verhaͤltniß standen. Es war mehr ein langes Beisammenwohnen, als ein Ein- gebuͤrgertseyn; man konnte es mit einer Messe, mit einem Reichstag vergleichen; ohne Bleiben und Festigkeit, ohne zusammenhaltende Blutsverwandtschaften. Wie Viele wand- ten sich hierher, weil sie in ihrem Vaterlande kein Fort- kommen finden konnten. Gekraͤnkter Stolz trieb die Ei- nen, schrankenloser Ehrgeiz die Andern an. Viele fanden, daß man hier am freiesten sey. Ein jeder suchte auf seine Weise emporzusteigen. Noch war nicht alles so sehr in Einen Koͤrper zusam- mengewachsen: die Landsmannschaften waren noch so zahl- reich und so gesondert, daß man die Verschiedenheit der nationalen und provinzialen Character sehr wohl bemerkte. Neben dem aufmerksamen gelehrigen Lombarden unterschied man den Genueser, der alles mit seinem Geld durchsetzen zu koͤnnen glaubte, den Venezianer, der fremde Geheimnisse zu entdecken beflissen war. Man sah den sparsamen, viel- redenden Florentiner: den Romanesken, der mit instinct- artiger Klugheit nie seinen Vortheil aus den Augen ver- lor: den anspruchvollen und cerimonioͤsen Neapolitaner. Die Nordlaͤnder zeigten sich einfach und suchten zu genie- ßen, selbst unser Clavius mußte sich uͤber sein doppeltes allemal sehr gut besetztes Fruͤhstuͤck verspotten lassen; die Franzosen hielten sich abgesondert, und gaben ihre vater- laͤndischen Sitten am schwersten auf; in seine Sottana und seinen Mantel gehuͤllt trat der Spanier einher, voll von Buch IV. Staat und Hof . Praͤtensionen und ehrgeizigen Absichten, und verachtete alle anderen. Es war nichts was nicht ein Jeder begehrt haͤtte. Mit Vergnuͤgen erinnerte man sich, daß Johann XXIII. , als man ihn fragte, weshalb er nach Rom gehe, geant- wortet hatte, er wolle Papst werden, und daß er es ge- worden war. So eben waren Pius V. und Sixtus V. aus dem geringsten Stande zu der obersten Wuͤrde empor- gekommen. Ein Jeder hielt sich zu allem faͤhig und hoffte auf alles. Man hat damals oft bemerkt, und es ist vollkommen wahr, daß Praͤlatur und Curie etwas Republikanisches hatten; es lag eben darin, daß Alle Anspruch machen konn- ten an Alles, daß man fortwaͤhrend von geringem Anfang zu den hoͤchsten Wuͤrden stieg: allein die sonderbarste Ver- fassung hatte doch diese Republik: der allgemeinen Berech- tigung stand die absolute Gewalt eines Einzelnen gegen- uͤber, von dessen Willkuͤhr jede Begabung, jede Befoͤrde- rung abhing. Und wer war alsdann Dieser? Es war Der, welcher durch eine schlechthin unberechenbare Combi- nation aus den Kaͤmpfen der Wahl als Sieger hervor- ging. Wenig bedeutend bisher, bekam er ploͤtzlich die Fuͤlle der Macht in seine Hand. Seine Persoͤnlichkeit konnte er sich um so weniger veranlaßt fuͤhlen zu verlaͤugnen, da er der Ueberzeugung lebte, durch eine Einwirkung des hei- ligen Geistes zu der hoͤchsten Wuͤrde erkoren worden zu seyn. In der Regel begann er gleich mit einer durchgrei- fenden Veraͤnderung. Alle Legaten, alle Governatoren in den Provinzen wechselten. In der Hauptstadt gab es Die Curie . einige Stellen, die ohnehin immer den jedesmaligen Ne- poten zufielen. War nun auch, wie in den Zeiten, die wir zunaͤchst betrachten, der Nepotismus in Schranken ge- halten, so beguͤnstigte doch jeder Papst seine alten Vertrauten und Angehoͤrigen; es ist so natuͤrlich, daß er es sich nicht nehmen ließ, mit ihnen weiter zu leben: der Secretaͤr, der dem Cardinal Montalto lange gedient, war auch dem Papst Six- tus der bequemste: die Anhaͤnger der Meinung, der sie ange- hoͤrten, brachten sie nothwendig mit sich empor. In allen Aussichten, Erwartungen, in dem Wege zur Gewalt, und in kirchlichen wie weltlichen Wuͤrden bewirkte dieß die voll- kommenste Veraͤnderung. „Es ist,“ sagt Commendone, „als wuͤrde in einer Stadt die fuͤrstliche Burg verlegt, und als wuͤrden die Straßen saͤmmtlich nach ihr hingerichtet; wie viele Haͤuser muͤßten niedergerissen, wie oft muͤßte mitten durch einen Pallast der Weg genommen werden: neue Gassen und Durchgaͤnge fingen an sich zu beleben.“ Nicht uͤbel bezeichnet diese Vergleichung die Gewaltsamkeit der Umwandelung und die Stabilitaͤt der jedesmaligen Ein- richtungen. Mit Nothwendigkeit bildet sich hierdurch ein Zustand eigenthuͤmlichster Art. Da dieß so oft geschah, die Paͤpste so viel aͤlter auf den Thron kamen, als andere Fuͤrsten, in jedem Mo- ment eine neue Veraͤnderung eintreten und die Gewalt in andre Haͤnde uͤbergehen konnte, so lebte man wie in einem unaufhoͤrlichen Gluͤcksspiel: unberechenbar, wie dieses, aber unablaͤßig in Hoffnung erhaltend. Emporzukommen, befoͤrdert zu werden wie ein Jeder Buch IV. Staat und Hof . es wuͤnschte, hing besonders von persoͤnlichen Beguͤnstigun- gen ab: bei der außerordentlichen Beweglichkeit alles per- soͤnlichen Einflusses mußte der berechnende Ehrgeiz eine dem entsprechende Gestalt annehmen und sehr besondere Wege einschlagen. In unsern handschriftlichen Sammlungen findet sich eine ganze Anzahl von Anweisungen, wie man sich an die- sem Hofe zu halten habe Z. B. Instruttione al S r. C le. di Medici, del modo come si deve governare nella corte di Roma; — Avvertimenti all’ ill. C l. Montalto sopra il modo col quale si possa e debba ben go- vernare come C le. e nepote del Papa. Inform. XII. — Avver- timenti politici et util mi. per la corte di Roma. 78 hoͤchst bedenk- liche Saͤtze. Inform. XXV. — Das wichtigste: Discorso over ri- tratto della corte di Roma di M r. Ill mo. Commendone. Codd. Rang. zu Wien XVIII. . Es scheint mir der Beob- achtung nicht unwerth, wie man es treibt, wie ein Jeder sein Gluͤck zu machen sucht. Unerschoͤpflich in Bildsamkeit ist die menschliche Natur: je bedingter die Verhaͤltnisse, um so unerwarteter sind die Formen, in welche sie sich wirft. Nicht Alle koͤnnen den nemlichen Weg einschlagen. Wer nichts besitzt, muß sich zu Diensten bequemen. Noch be- stehen die freien literarischen Hausgenossenschaften bei Fuͤr- sten und Cardinaͤlen. Ist man genoͤthigt, sich in ein solches Verhaͤltniß zu fuͤgen, so strebt man sich vor allem der Gunst des Herrn zu versichern. Man sucht sich ein Ver- dienst um ihn zu erwerben, in seine Geheimnisse einzudrin- gen, ihm unentbehrlich zu werden. Man erduldet alles, auch erlittenes Unrecht verschmerzt man lieber. Wie leicht, daß bei dem Wechsel des Papstthums auch ihm sein Ge- stirn aufgeht, das dann seinen Glanz uͤber den Diener aus- Die Curie . breitet. Das Gluͤck steigt und faͤllt: die Person bleibt die nemliche. Andere koͤnnen schon von vorn herein nach einem klei- nen Amt trachten, das ihnen bei Eifer und Thaͤtigkeit eine gewisse Aussicht eroͤffnet. Freilich ist es allemal mißlich, dort, wie zu jeder andern Zeit, in jedem andern Staat, erst auf den Nutzen, und dann auf die Ehre sehen zu muͤssen. Wie viel besser sind die Wohlhabenden daran! Aus den Monti, an denen sie Theil nehmen, laͤuft ihnen von Monat zu Monat ein sicheres Einkommen ein: sie kaufen sich eine Stelle, durch welche sie unmittelbar in die Praͤlatur treten, und nicht allein ein selbststaͤndiges Daseyn erwer- ben, sondern auch ihr Talent auf eine glaͤnzende Weise entfalten koͤnnen. Wer da hat, dem wird gegeben. An diesem Hofe nuͤtzt es doppelt etwas zu besitzen, weil der Besitz an die Kammer zuruͤckfaͤllt, so daß der Papst selbst bei der Befoͤrderung ein Interesse hat. In dieser Stellung braucht man sich nicht mehr so unbedingt an einen Großen anzuschließen: eine so erklaͤrte Partheilichkeit koͤnnte dem Fortkommen vielmehr sogar scha- den, wenn ihr das Gluͤck nicht entspraͤche. Man hat vor allem darauf zu sehen, daß man Niemand beleidige. Bis in die feinsten, leisesten Veruͤhrungen wird diese Ruͤcksicht durchgefuͤhlt und beobachtet. Man huͤtet sich z. B., Je- mand mehr Ehre zu erweisen, als ihm grade zukommt: Gleichheit des Betragens gegen Verschiedene waͤre Ungleich- heit und koͤnnte einen uͤblen Eindruck machen. Auch von den Abwesenden spricht man nicht anders als gut; nicht allein weil die Worte einmal ausgesprochen nicht mehr in Buch IV. Staat und Hof . unserer Gewalt sind: sie fliegen, Niemand weiß, wohin: sondern auch, weil die wenigsten einen scharfen Untersucher lieben. Von seinen Kenntnissen macht man einen gemaͤ- ßigten Gebrauch, und huͤtet sich, Jemand damit beschwer- lich zu fallen. Man vermeidet eine schlimme Neuigkeit zu bringen; ein Theil des unguͤnstigen Eindrucks faͤllt auf den Ueberbringer zuruͤck. Hierbei hat man nur andrerseits die Schwierigkeit, nicht so viel zu schweigen, daß die Absicht bemerkt wird. Von diesen Pflichten befreit es nicht, daß man hoͤher steigt, selbst nicht, daß man Cardinal geworden ist: man hat sie dann in seinem Kreis nur um so sorgfaͤltiger zu beob- achten. Wie duͤrfte man verrathen, daß man Einen aus dem Collegium fuͤr minder wuͤrdig hielte, zu dem Papst- thum zu gelangen? Es war Keiner so gering, daß ihn die Wahl nicht haͤtte treffen koͤnnen. Vor allem kommt es dem Cardinal auf die Gunst des jedesmaligen Papstes an. Gluͤck und Ansehn, die allge- meine Beflissenheit und Dienstwilligkeit haͤngt davon ab. Jedoch nur mit großer Vorsicht darf man sie suchen. Ueber die persoͤnlichen Interessen eines Papstes beobachtet man ein tiefes Stillschweigen, doch spart man indeß keine Muͤhe, um sie zu ergruͤnden und sich insgeheim darnach zu richten. Nur seine Nepoten, ihre Treue und ihr Talent darf man ihm jezuweilen loben: dieß hoͤrt er in der Regel gern. Um die Geheimnisse des paͤpstlichen Hauses zu er- fahren, bedient man sich der Moͤnche, die unter dem Vor- wand der Religion weiter vordringen, als sich Jemand einbildet. Bei Die Curie Bei der Wirksamkeit und dem raschen Wechsel der persoͤnlichen Verhaͤltnisse sind besonders die Gesandten zu außerordentlicher Aufmerksamkeit verpflichtet. Wie ein gu- ter Pilot merkt der Botschafter auf, woher der Wind blaͤst: er spart kein Geld um Kundschafter zu halten: alle sein Aufwand wird ihm durch eine einzige gute Nachricht ein- gebracht, die ihm den gelegenen Moment anzeigt, dessen er fuͤr seine Unterhandlung bedarf. Hat er dem Papst eine Bitte vorzutragen, so ist sein Bemuͤhen, die anderweiten Interessen desselben unvermerkt mit einzuflechten. Vor allem sucht er sich des Nepoten zu bemaͤchtigen und ihn zu uͤber- zeugen, daß er von keinem andern so sehr wie von sei- nem Hofe Reichthuͤmer und fortdauernde Groͤße zu erwar- ten habe. Auch der Gewogenheit der Cardinaͤle sucht er sich zu versichern. Er wird Keinem das Papstthum ver- sprechen, doch wird er ihnen allen mit Hoffnungen schmei- cheln. Keinem wird er ganz ergeben seyn, doch auch dem Feindselig-gesonnenen zuweilen eine Beguͤnstigung zuwen- den. Er ist wie ein Jaͤger, der dem Sperber das Fleisch zeigt, aber ihm davon nur wenig nur nach und nach giebt. So leben und verkehren sie unter einander: Cardinaͤle, Botschafter, Praͤlaten, Fuͤrsten, oͤffentliche und geheime Machthaber: voll Ceremonie, fuͤr welche Rom der classi- sche Boden wurde, Ergebenheit, Unterordnung: aber Egoi- sten durch und durch: nur immer begierig, etwas zu errei- chen, durchzusetzen, dem Andern abzugewinnen. Sonderbar, wie der Wettstreit um das, was Alle wuͤnschen, Macht, Ehre, Reichthum, Genuß, der sonst 33 Buch IV. Staat und Hof . Feindseligkeit und Fehde veranlaßt, sich hier als Dienstbe- flissenheit gebehrdet: wie man der fremden Leidenschaft schmeichelt, deren man sich gewissermaßen selbstbewußt ist, um zum Ziele der eigenen zu gelangen: die Enthaltsamkeit ist voll von Begier, die Leidenschaft schreitet behutsam einher. Wir sahen die Wuͤrde, den Ernst, die Religion, welche an dem Hofe herrschten: wir sehen nunmehr auch seine weltliche Seite, Ehrgeiz, Habsucht, Verstellung und Arglist. Wollte man dem roͤmischen Hof eine Lobrede halten, so wuͤrde man von diesen Elementen, die ihn bilden, nur das erste, wollte man ihm den Krieg machen, so wuͤrde man nur das zweite anerkennen. So wie man sich zu einer reinen und unbefangenen Beobachtung erhebt, so wird man beide gleich wahr, ja bei der Natur der Menschen, der Lage der Dinge gleich nothwendig finden. Die welthistorische Entwickelung, die wir betrachteten, hat die Forderung von Wuͤrde, Unbescholtenheit und Reli- gion lebendiger als jemals geltend gemacht: sie faͤllt mit dem Princip des Hofes zusammen: dessen Stellung zur Welt beruht darauf. Es folgt mit Nothwendigkeit, daß vor allem Diejenigen emporkommen, deren Wesen die- ser Forderung am meisten entspricht: die oͤffentliche Gesin- nung wuͤrde sich nicht allein verlaͤugnen, sondern zerstoͤren, wenn sie dieß nicht bewirkte. Aber daß es nun geschieht, daß mit den geistlichen Eigenschaften so unmittelbar die Guͤter des Gluͤckes verbunden sind, ist ein ungeheurer Reiz des Geistes dieser Welt. Die Curie . Wir koͤnnen nicht zweifeln an der Originalitaͤt der Gesinnung, wie sie unsre aufmerksamen und gescheuten Berichterstatter uns nicht selten schildern. Aber wie Viele werden sich lediglich anbequemen, um durch den Schein das Gluͤck zu fesseln. In wie vielen Andern werden sich die weltlichen Tendenzen in dem Dunkel halbentwickelter Motive mit den geistlichen durchdringen. Es verhaͤlt sich mit der Curie, wie mit Literatur und Kunst. Es war alles von der Kirche abgefallen und Richtungen, die an das Heidnische streiften, hingegeben. Durch jene welthistorische Entwickelung ist das Prinzip der Kirche wieder erwacht: wie mit neuem Anhauch hat es die Kraͤfte des Lebens beruͤhrt, und dem gesammten Daseyn eine andre Farbe verliehen. Welch ein Unterschied zwischen Ariost und Tasso, Giulio Romano und Guercino, Pom- ponazzo und Patrizi. Eine große Epoche liegt zwischen ihnen. Dennoch haben sie auch etwas Gemeinschaftliches und die Spaͤteren beruhen mit auf den Fruͤheren. Auch die Curie hat die alten Formen behauptet, und von dem alten Wesen vieles uͤbrig behalten. Doch hindert das nicht, daß nicht ein anderer Geist sie beherrsche. Was dieser nicht voͤllig umgestalten, in sich selbst verwandeln koͤnnen, dem hat er wenigstens seinen Impuls gegeben. Indem ich die Mischung der verschiedenen Elemente betrachte, erinnere ich mich eines Schauspiels der Natur, das sie vielleicht in einer Art von Abbild und Gleichniß zu vergegenwaͤrtigen vermag. Bei Terni sieht man die Nera zwischen Wald und Wiesen, in ruhigem, gleichen Flusse durch das hintere Thal Buch IV. Staat und Hof . daher kommen. Von der andern Seite stuͤrzt der Velin, zwischen Felsen gedraͤngt, in ungeheurer Flucht und endlich in praͤchtigem Falle, schaͤumend und in tausend Farben spielend, von den Anhoͤhen herab: unmittelbar erreicht er die Nera, und theilt ihr augenblicklich seine Bewegung mit. Tosend und schaͤumend, in reißender Geschwindigkeit fluthen die vermischten Gewaͤsser weiter. So hat der neuerwachte Geist der katholischen Kirche allen Organen der Literatur und Kunst, ja dem Leben uͤber- haupt einen neuen Antrieb gegeben. Die Curie ist zugleich devot und unruhig, geistlich und kriegslustig, auf der einen Seite voll Wuͤrde, Pomp, Ceremonie: auf der andern in berechnender Klugheit, nie ermuͤdender Herrschsucht ohne Gleichen. Ihre Froͤmmigkeit und ihre ehrgeizigen Entwuͤrfe, beide beruhend auf der Idee einer ausschließenden Recht- glaͤubigkeit fallen zusammen. So macht sie noch einmal einen Versuch, die Welt zu uͤberwinden. Gedruckt bei A. W. Schade.