Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Eine Biographie von Jean Paul. Zweites Heftlein. Berlin 1795. In Karl Matzdorffs Buchhandlung. Druckfehler des 2ten Heftleins. Seite 35 Zeile 7 von oben st. aufwallend lies aufwollend . — 68 — 6 von unten st. unpartheiische l. unpoetische — 75 — 6 von oben st. tadelfaͤhigen l. tafelfaͤhigen . — 79 — 9 von oben muß deren weg. — 94 — 6 von unten st. vergoffene l. vergessene . — 145 — 4 von oben st. Halfter l. Hulfter . — 223 — 15 — — st. Biographie l. Biographin . — 237— 6 — — st. seinem Thiere l. seinen Thieren . — — — 17 — — st. theologische l. teleologische . — 245 — 5 — — st. Litrationen l. Librazionen . — 251 — 9 von unten st. Nest l. Rest . — 256 — 4 von oben st. v. S! l. »S». — 260 — 9 von unten st. dankt l. denkt . — 278 — 10 von oben st. einzuschließen l. einzuschießen . — — letzte Zeile st. verpuzte l. verpuppte . — 285 — 2 von oben st. daß selber l. das , selber . — 290 — 8 von unten st. Artochthon l. Avtochthon . — 404 — 8 — — st. der l. die . — 318 — 3 von oben st. vorhaͤngen l. verhaͤngen . — 327 — 8v. unt. st. vorausgesetzten l. vorausgehetzen . — 350 — 12 — — st. das l. daß . — 364 — 12 von oben fehlt nicht . Zweiter Theil. Hesperus. II Th. A 17. Hundsposttag. Die Kur — das Schloß des Fürsten — Viktors Visiten — Joachime — Kupferstich des Hofs — Prügel — I ch sagte in Breslau: »ich wollt', ich waͤre der »Fetspopel!» da ich gerade das Portrait dieser Per¬ son verzehrte. Der Fetspopel ist eine Naͤrrin, de¬ ren Gesicht den breslauischen Pfefferkuchen aufge¬ presset ist. Ich sage folgendes nicht blos meinetwe¬ gen, um etwan blos mich auf eine solche Pfefferku¬ chen-Pasten zu bringen, sondern auch anderer Ge¬ lehrten wegen, die Deutschland eben so wenig mit Monumenten ehrt z. B. Lessing, Leibniz. Da es einem in den deutschen Kreisen so sauer wird, bis man nur eine ½ Ruthe Steine zum Grabmal eines Lessings oder sonstigen Großen zusammenbringt — das was von Steinen gute Rezensenten auf einen Litteratus schon bey Lebzeiten werfen wie die Alten auf Graͤber, ist noch das Meiste —: so erklaͤrt' ich mich frey auf dem breslauischen Markt, eh' ich noch A 2 »den Fetspopel angebissen: entweder hier auf diesem »Pfefferkuchen ist der Tempel des Ruhms und das »Bette der Ehren fuͤr deutsche Autores, oder es »giebt gar keinen Ruhm. Wann ist es Zeit, sobald »es nicht jetzt ist, es von den Deutschen zu erwar¬ »ten, daß sie Gesichter ihrer groͤßten Maͤnner »nehmen und poussiren in Eswaaren, weil doch der »Magen das groͤßte deutsche Glied ist? Wenn der »Grieche unter lauter Statuen grosser Maͤnner »wohnte und dadurch auch einer wurde: so wuͤrde der »Wiener, wenn er die groͤßten Koͤpfe immer vor Augen »und auf dem haͤtte, in Enthusiasmus gera¬ »then und wetteifern, um sich und sein Gesicht auch »auf Pfeffer- und andern Kuchen, Pasteten und »Krapfen zu schwingen. Meusels gelehrtes Deutsch¬ »land waͤre in Backwerk nachzudrucken — man koͤnn¬ »te grosse Helden auf Kommisbrod nachbosseln‚ um »die gemeine Soldateska in Feuer zu setzen und in »Hunger nach Ruhm — grosse Dichter wuͤrd' ich »auf Brautkuchen abreissen in eingelegten Bild¬ »werk und Heraldiker von Genie auf Haferbrod — »von Autoren fuͤr Weiber waͤren suͤsse Projekzionen »in Zuckerwerk zu entwerfen — Geschaͤhe das: so »wuͤrden Koͤpfe wie Haman oder Liskov allgemeiner »von den Deutschen goutiret in solcher Einkleidung; »und mancher Gelehrte, der kein Brod zu essen haͤt¬ »te, wuͤrde eines doch verzieren; und man haͤtte »ausser dem papiernen Adel noch einen gebacknen.» — — Was mich anlangt, der ich mein Gesicht bis¬ her noch nirgends gewahr wurde als im Rasirspie¬ gel: so soll man mich damit — denn in Westphalen bin ich am wenigsten bekannt, vielleicht keinem Hund — auf Pumpernickel mappieren. — — Jetzt wieder zur Historie! Ein langer kraushaa¬ riger Mensch steht in der Nacht vor dem bunten Hause des Apotheker Zeusels, guckt zum dritten er¬ leuchteten Stockwerk, in das er zieht, empor und macht endlich statt der hoͤlzernen Thuͤr die transpa¬ rente der Apotheke auf. O mein guter Sebastian! Segen sey mit deinem Einzug! Ein guter Engel gebe dir seine Hand, um dich uͤber sumpfige Wege und Fußangeln zu heben: und wenn du dir eine Wunde gefallen, so weh' er sie mit seinem Fluͤgel an und ein guter Mensch decke sie mit seinem Her¬ zen zu! — In der wie ein Tanzsaal flammenden Apotheke bat sich einer der fettesten Hoflakaien von einem der magersten Provisoren noch einen Manipel und einen kleinen Pugillum Moxa fuͤr seine Durchlaucht aus. Der magere Mann nahm aber hinter seiner Wage eine halbofne Hand voll Moxa und noch vier Fin¬ gerspitzen voll — da doch ein kleiner Pugillus nur drei Fingerspitzen betraͤgt — und schickte alles den Fuͤssen des Fuͤrsten zu: »wenn wir das gar verbrannt »haben — sagt' er und wies auf die Moxa — so »wird seine Durchlaucht schon ein Podagra haben »so gut als eines im Lande ist.» Die Ursache warum der Provisor mehr gab als rezeptiret war, ist, weil er auch seinen Kirchenstuhl im Tempel des Nachruhms haben wollte; daher uͤberdachte er erstlich ein fremdes Rezept so lange bis ers genehmigte und wog zweitens immer \frac{1}{11} , \frac{1}{17} Skrupel zuviel oder zu wenig zu, um dem Doktor die Buͤrgerkrone der Heilung vom Kopf zu nehmen und auf seinen zu setzen: »blos mit der Dosis muß »ich meine Kuren thun» sagte er. Viktor goͤnnte ihm den Irsal: »ein Provisor, sagte er, der den »ganzen Fluͤgel der Rekonvaleszenten anfuͤhrt und »dem Doktor blos die Arrier-Garde der Leichen »zutheilt, hat fuͤr dieses abbrevirte Leben schon Lor¬ »beerkraͤnze genug unter der Gehirnschaale.» Der Hr. v. Swoboda hat Welt genug, um den Miethmann nicht durch ein aufgenoͤthigtes Em¬ pfangs-Souper zu geniren und sagte ihm blos den Zeitungsartikel aus dem muͤndlichen morning chro¬ nicle , daß der Fuͤrst das Podagra weniger habe als suche uod fixire. Auch gab er ihm den italieni¬ schen Bedienten, den der Lord fuͤr ihn gemiethet hatte, und das Zimmer. — Uud darin sitzt Bastian jetzt auf der Fen¬ sterbruͤstung allein und denkt — ohne Blick auf Ammeublemenr der Stnbe und der Aussicht — ernst¬ haft nach, was er denn eigentlich hier vorhabe mor¬ gen und uͤbermorgen und laͤnger: »morgen zuͤnd' ich »sonach los — sagt' er und drehte die Quaste der »Fensterschnur — ich und das Podagra sollen uns »fixiren beim Fuͤrsten — arg ists, wenn ein Mensch »die atthritische Materie eines Regenten als Was¬ »ser braucht, um seine Muͤhle zu treiben — ein » Herz-Polype , eine Kopf -Wassersucht sollte »mich weniger aͤrgern als Hofmann, beides waͤren »anstaͤndige Gnadenmittel und Flosfedern zum »Steigen. — Nein, ich bleibe gerade und fest, ganz »aufrecht, ich gebe gleich anfangs nicht nach, damit »sie's nicht anders wissen. — Nicht einmal ans »Kantoniren und Ankern im Vorzimmer ist zu den¬ »ken.» (Auch hatte der Lord dem Selbstsprecher schon die Dispensazionen von der aͤngstlichen Hoford¬ nung einbedungen). — »Ach ihr schoͤnen Fruͤhlings¬ »jahre! ihr seid nun uͤber mich weggeflattert und »mit euch die Ruhe und der Scherz und die Wis¬ »senschaften und die Aufrichtigkeit und lauter aͤhnli¬ »che gute Herzen.» — (Er wirbelte die Quasten¬ schnur ploͤtzlich kuͤrzer hinauf.) »Aber du guter Va¬ »ter, du hast solche Jahre nicht einmal gehabt, du »durchstreifest die Erde und giebst deine Tage Preis »fuͤr das Gluͤck der Menschen. — Nein, dein Sohn »soll dir deine Aufopferungen nicht verderben und »nicht verbittern — er soll sich hier gescheut genug auf¬ »fuͤhren — und wenn du dann wieder kommst und »hier am Hofe einen gehorsamen, einen beguͤnstigten »und doch unverdorbnen Sohn antrifft. . . .» Als der Sohn gar dachte, daß er, wenn er so in gerader Aszension am Hofe kulminirte, gewinnen koͤnnte das Herz der Kaplanei, das Herz von le Baut, das Herz der Tochter glaub' ich: so hielt er die Quaste abgedreht in seiner . . . . und legte sich still zu Bette. — Steh auf, mein Held! Die Morgensonne macht schon deinen Erker roth — springe unter dem Glockengelaͤute der Wochenpredigt und unter dem Getoͤse des heutigen Markttages in deine helle Stu¬ be — dein Vater, von dem du die ganze Nacht ge¬ traͤumt, hat sie voll musikalischem und malerischem Schiff und Geschirr gestellt und du wirst den ganzen Morgen an ihn. denken — und doch schenkt dir der Erker noch mehr, einen gruͤnen Streif von Feldern und Maienthals Anhoͤhen nach Abend — den gan¬ zen Marktplatz — das Privat-Haus des Stadtse¬ niors gegenuͤber, dem du in alle Stuben, die er an deinen Flamin vermiethet, schauen kannst. — — Flamin ist aber nicht darin: denn er hatte mei¬ nen Helden schon angefaßt und mit meinen Worten angeredet: steh' auf! — Eine neue Lage ist eine Fruͤhlingskur fuͤr unser Herz und nimmt das aͤngstli¬ che Gefuͤhl unserer Vergaͤnglichkeit aus ihm: — und unter einem solchen heitern Himmel des Lebens tanzet heute mein Viktor mit Allen: — mit den Vormittagshoren — mit dem Regierungsrathe — mit dem Apotheker — durch die Apotheke hindurch neben dem Pro v isor vorbei, um oben auf dem Schlosse mit dem podagristischen Jenner einige Tou¬ ren zu machen. — Er ist kaum eine halbe Stunde bei dem Fuͤr¬ sten gewesen, so sieht ihn Zeusel wieder in sein me¬ dizinisches Waarenlager rennen . . . . »ei, ei!» denkt der Apotheker. Aber es war ganz anders: Viktor gelangte durch einen Monturen-Verhau — denn die Korridore der Fuͤrstenschloͤsser sind fast Zeltgassen und die Regenten lassen sich so aͤngstlich umwachen als besorgten sie, die ersten oder die letzten zu seyn — ins Kran¬ kenzimmer. Vor einem Pazienten, der in wagrech¬ ter Verfassung liegt, behaͤlt man die lothrechte leichter. Die Großen verwechseln auch oft die Wirkung ihrer Zimmer und Meublen mit ihrer eig¬ nen: — wenn sie der Gelehrte auf einem Rain, in einem Walde, an einem Krautfelde uͤberfallen koͤnn¬ te: er wuͤste sich zu benehmen. Aber Viktor war selber in bordirten und mit goldnen Klausuren verse¬ henen Zimmern erzogen. Da er den Freund seines Vaters in Schmerzen und in emballirten Beinen fand: so vertauschte er seine brittische Unbefangen¬ heit gegen die medizinische und fing, anstatt stolze fuͤrstliche Fragen zu erwarten, medizinische vorzule¬ gen an. Als die Doktors Karechisation oder viel¬ mehr das diaͤtetische und pharmazevtische Beichtsitzen zu Ende war: so legte er die Hand anstatt auf den Kopf des Beichtkindes, auf die Bibel daneben und wollte schwoͤren und ließ es — bleiben, weil ihm etwas bessers einfiel, und blaͤtterte — das war ihm eingefallen — das Gichtbruͤchigen-Evangelium in der Bibel auf und wies auf den Spruch: steh' auf, hebe dein Bette auf, denn aus Podagra ist hier gar nicht zu denken.» Er that ihm dar, seine ganze Krankheit sey Wind, figuͤrlich und eigentlich gespro¬ chen — in den erschlaften Gefaͤssen residir' er und schleiche sich wie die Jesuiten unter allen Gestalten in alle Glieder ein — selber sein Schmerz in der Wade sey solcher translozirter Menschen- oder Inte¬ stiuen-Aether. D . Kuhlpepper ist mit seinem Ir¬ thum zu entschuldigen: denn jeder Arzt muß sich ei¬ ne Universalkrankheit auslesen, wofuͤr er alle andre ansieht, die er con amore kurirt, in der er wie der Theolog in Adams Suͤnde, der Philosoph in seinem Prinzip alle uͤbrige ertappet — es stand also in dem freien Willen Kuhlpeppers sich zu seiner Nestei- oder Mutterzwiebel-Krankheit das Podagra — bei Maͤn¬ nern, bei Weibern die Gicht — auszuklauben oder nicht; da ers ausgeklaubt, so hat er auch suchen muͤssen, es bey Sr. Durchlaucht zu fixiren wie Pa¬ stel oder Queksilber. — Jenner hatte — selber von seiner Kapelle nie etwas angenehmers gehoͤret als eine Behauptung, die ihn vom bisherigen Liegen, Mediziniren und Hungern loshalf. Viktor, uͤber die leichte Krankheit erfreuet, eilte znm Rezeptiren da¬ von, nachdem er an Trostes Statt behauptet hatte: »ein aͤtherischer Leib sei noch mitzunehmen und »diene der Seele zwar zu keinem Grahams- aber »doch zu einem Luftbette, das sich selber mache. »Hingegen die armen Weiberseelen laͤgen — wenn »man ihre Koͤrper recht betrachte — auf stehenden »Strohsaͤcken, glatten Husarensatteln und scharfen »Wurstschlitten, indes tonsurirte oder taͤttowirte »Geister (Moͤnche und Wilde) sich mit so huͤbschen »von geschabtem Fischbein gepolsterten Leibern Geschabtes Fischbein fanden die Britten als das weichste Lager aus. zu¬ »deckten.» — Fort lief er; und ich habe schon berichtet, daß der Apotheker nachher dachte: ei, ei! — In der Apotheke sagte er zum Provisor, an den er wie Salpeter anflog: »Herr Kollege, wie waͤre es, wenn »wir bei Sr. Durchlaucht auf nichts kurirten als »Wind? Sie sollen mir rathen. Ich meines Or¬ »tes wuͤrde verordnen: Pulv. Rhei orient. Sem. Anisi Stellati — — Foeniculi Cort. Aurant. immat. Sal. Tart. aa dr. I. Fol. Senn. Alexandr. sine Stipit. dr. II. Sacchar. alb. Unc. Sem. — »Fallen Sie mir bei: so hab' ich weiter nichts zu »sagen als: C. C. M. f. p. Subt. D. ad Scatu¬ » lam, S. Blaͤhungspulver, Einen Theloͤffel voll zu »nehmen bei Gelegenheit.» — Da ihn der Provisor ernsthaft ansah: so sah er denselbigen noch ernsthafter an; und die Medizin wurde ohne geaͤnderte Dosis bereitet. Als er fort war, sagte der Provisor zu seinen zwei dummen Pa¬ gen: »ihr zwei dummen Epiglottes, er hat doch so¬ »viel Verstand und fragt. Im Grunde braucht der Biograph den Umstand gar nicht zu motiviren — da ihn das Pulver und der Held motiviren, daß Jenner auf die Beine kam noch denselben Tag. Da Fuͤrsten keinen Druck erfahren als den der Luft, die — in ihrem Leibe ist; so kannte Jenners Dank fuͤr die Befreiung von diesem Druck so wenig Graͤnzen, daß er den ganzen Tag den Doktor — nicht wegließ. Er muste mit ihm diniren — soupi¬ ren — reiten — spielen. Im Schloß wars auszu¬ halten: es war nicht wie Nero's seines, eine Stadt in der Stadt, ein Flachsenfingen in Flachsenfingen, sondern blos eine Kaserne und eine Kuͤche, voll Krie¬ ger und Koͤche. Denn vor jedes Briefgewoͤlbe voll Schimmel, vor jede Stube, wo acht Demanten la¬ gen, vor jedes Thuͤrschlos und vor jede Treppe war eine Bajonette mit dem daran gehefteten Schirm¬ uud Schutzherrn gepflanzt. Die uͤberkomplete Kuͤ¬ chenmannschaft wohnte und heizte darinn, weil seine Durchlaucht bestaͤndig aß. Durch dieses bestaͤndige Essen wollt' er sich das Fasten erleichtern: denn er ruͤhrte — weil's Kuhlpepper so haben wollte — von drei Ritual-Mahlzeiten blutwenig an und konnte den Hofleuten, die seine Diaͤt erhoben, nicht ganz widersprechen. Ein Uhrmacher aus London hatte ihn in dieser Maͤßigkeit am meisten dadurch beyge¬ sprungen, daß er ihm eine Bedientenglocke nnd ein Feder-Werk verfertigte, dessen Zeiger auf einer grossen Scheibe unten im Domestikenzimmer stand: das Zifferblatt war statt der Stunden und Monats¬ tage mit Viktualien und Weinen geraͤndert. Jenner durfte nur klingeln und druͤcken: so wuste die Die¬ nerschaft sogleich, ob die Zunge und der Viktualien¬ zeiger auf Pasteten oder Burgunder weise. Da¬ durch — daß er wie eine Muͤhle klingelte, wenn sein innerer Mensch nichts mehr zu mahlen hatte — setzte er sich am leichtesten in Stand, eine strengere Diaͤt zu halten als wol Doktores und Moralisten fodern koͤnnten und beschaͤmte mehr als einen Gros¬ sen, den man nach der Ausweidung im Tode aufs Paradebette legen sollte mit dem hungrigen Magen unter dem einen Arm, und mit der durstigen Leber unter dem andern, wie man auch Kapaunen beide Eingeweide als Ehapeaubashuͤte zwischen beide Fluͤ¬ gel giebt. Im Schlosse war Viktor zu Hause wie in der Kaplanei: denn der eigentliche Hof, der eigentliche Hof-Wurmstock und Froschlaich war blos im Pal¬ last des wirklichen Ministers von Schleunes ansaͤßig, weil der die Honneurs des Thrones machen muste, die Gesandten, die Fremden einlud u. s. w. Die Fuͤrstin logirte im grossen alten Schloß, das Paul¬ linum genannt. So verlebte also Jenner seine Tage ohne Prunk aber bequem in der wahren Einsamkeit eines Weisen und brachte sie mit Essen, Trinken, Schlafen zu; daher konnte ihn der flachsenfingische Prorektor ohne Schmeichelei mit den groͤßten alten Roͤmern vergleichen, an denen wir einen aͤhnlichen Haß des Gepraͤnges bewundern. Jenner hatte im Grunde keinen Hof, sondern ging selber an den Hof seines wirklichen Ministers: aber hoͤchst ungern, er konnte da nichts lieben, weder die Fuͤrstin, die immer da war, noch Schleunes ehelose Toͤchter, die noch wider sein Geluͤbde waren. Nachts um 12 Uhr haͤtte Zeusel gern noch dar¬ hinterkommen wollen, wie alles waͤre und brachte dem Leibmedikus seine Niece Marie als Soubrette und Lakaiin zugefuͤhret. Der Medikus, der keinen Narren in der Welt zum Narren haben konnte, zu¬ mal unter vier Augen, steckte dem duͤnnen Hecht die Raufe voll Wahrheits-Futter, das der begierig herausfras wie Ananas. Marie war eine durch ei¬ nen Prozeß verarmte, durch eine Liebe verungluͤckte Verwandte und Katholikin, die in der kalten hoͤfi¬ schen Apothekers-Familie nichts empfieng und er¬ wartete als Stichwunden der Worte und Schußwun¬ den der Blicke — ihre aufgeloͤste und erquetschte Seele glich der Bruchweide, der man alle Zweige ruͤckwaͤrts mit der blossen Hand herunterstreichen kann — sie fuͤhlte bei keiner Demuͤthigung einen Schmerz mehr — sie schien vor andern zu krie¬ chen , aber sie lag ja immerfort niedergebreitet auf den Boden. — — Der sanfte Viktor, als er diese demuͤthige, seitwaͤrtsgekehrte Gestalt, uͤber die so viele Thraͤnen gegangen waren und dieses sonst schoͤne Gesicht erblickte, auf welches nicht Leiden der Phantasie ihre magische Tusche aufgetragen, sondern physische Schmerzen ihre Giftblasen ausgeschuͤttet hatten: so that seinem Herzen das Schicksal der Menschen wehe und mit der sanftesten Hoͤflichkeit ge¬ gen Mariens Stand, Geschlecht und Jammer lehnte er ihre Dienste ab. Der Apotheker wuͤrde sich sel¬ ber verachtet haben, wenn er diese Hoͤflichkeit fuͤr etwas anders als seine Raillerie und Lebensart ge¬ nommen haͤtte. Aber Viktor schlug sie wieder aus; und die Arme entfernte sich stumm und wie eine Magd ohne Muth zur Hoͤflichkeit. Am Morgen brachte ihm die Ausgeschlagene doch sein Fruͤhstuͤck mit gesenkten Augen und schmerzlich laͤchelnden Lippen: er hatt' es in seinem Bette ge¬ hoͤrt, daß der Apotheker und seine weiblichen Holz¬ triebe der Marie das lamentable greinerliche Air vorgehalten und daraus den refus des raillirenden Herrn oben gefolgert hatten. Ihm blutete die See¬ le; und er nahm Marie endlich an — er machte sein Auge und seine Stimme so sanft und sympa¬ thetisch, daß er beide haͤtte einem weichen Maͤd¬ gen leihen koͤnnen — aber Marie bezog nichts auf sich. — — Jenner konnte kaum abpassen, wenn er wieder kaͤme — — Den dritten Tag wars wieder so — — So auch die andere Woche — — — Ich wuͤnschte aber, meine Leser waͤren um diese Zeit durchs Flachsenfingische Thor saͤmmtlich geritten und und diese gelehrte Sozietaͤt und Marschsaͤule haͤtte sich in die Stadt zerstreuet, um Erkundigungen von unserem Helden einzuziehen. Das Lesepiquet, das ich auf die Kaffeehaͤuser geschickt haͤtte, wuͤrde er¬ fahren, daß der neue englische Doktor schon den al¬ ten gestuͤrzt — dem Pfarrsohn in St. Luͤne zum Re¬ gierungsrathsposten verholfen — und daß grosse Aen¬ derungen in allen Departements bevorstehen. — — Das unter die Hof-Kellerei-Schlaͤchterei-Fisch¬ meisterei-Kastellanei- und Dienerei vertheilte Deta¬ schement wuͤrde mir mitbringen, daß der Fuͤrst dem Doktor nicht auf die Finger, sondern auf die Achsel geklopfet — daß er ihm vorgestern das Bilderkabi¬ net eigenhaͤndig gezeigt und das beste Stuͤck daraus geschenkt — daß er in der Komoͤdie mit ihm aus der Frontloge herausgesehen — daß er ihm eine steinreiche Tabatiere geschenkt (die gewoͤhnliche Re¬ genten-Buͤrgerkrone und deren Friedenspfeife, als wenn wir Groͤnlaͤnder waͤren, die sich nichts lieber schenken lassen als Schnupftabak) und daß sie mit einander auf Reisen gehen werden. — Zwei der aller¬ feinsten und stiftsfaͤhigsten Leser, die ich aus diesen Kolonnen ausgeschossen und wovon ich den einen ins Paullinum, den andern zum wirklichen Minister abgefertigt haͤtte, wuͤrden mir wenigstens die Nou¬ velle rapportiren, daß Fuͤrst und Doktor miteinan¬ der bei beiden gewesen, und daß beide den Helden Hesperus. II Th. B fuͤr einen sonderbaren scheuen schweigenden Brit¬ ten, der alles dem Vater verdanke , angesehen haͤtten — — — Aber die letztere Nouvelle, die mir die Leser er¬ zaͤhlet haben, koͤnnen sie ja unmoͤglich wissen und ich will ihnen selber erzaͤhlen. — Eh' ich das vortrage, klaͤr' ichs nur noch mit drei Worten auf, warum Viktor so hurtig stieg. Es kann Evangelisten Matthieu unter meinen Lesern geben, die dieses schnelle Steigen wie das des Ba¬ rometers fuͤr das Zeichen eines fruͤhen Fallens neh¬ men — welche sagen, Lorbeere und Sallat, den man in 24 Stunden durch Spiritus auf einem Tuche zum Reifen noͤthigt, welken eben sobald wieder ab — ja die sogar spassen und die Regenten-Intestinen mit ihrem Aether fuͤr eine Fisch-Schwimmblase meines Helden ausgeben, der nur durch ihr Fuͤllen stieg. — — Berghauptmaͤnner lachen solche Leser aus und halten ihnen vor: daß die Menschen, besonders die Residenten auf Thronen einen neuen Medikus fuͤr ein neues Specificum ansehen — daß sie einem neuen am meisten gehorchen — daß Sebastian das erstemal sich gegen jeden am feinsten betrug, hinge¬ gen bei alten Bekannten ohne Noth nichts Witziges sagte — daß Jenner jeden liebte, den er zu durch¬ schauen vermochte und daß er gluͤcklicherweise mei¬ nen Helden blos fuͤr einen bon-vivant erkannte und um seinen Kopf keine Bosische Beatifikazion So heisset der Schimmer um den Kopf, wenn man elek¬ trisirt ist. bemerkte, die nach Phosphor stinkt und schmerzliche Funken auswirft — daß Viktor nicht wie le Baut ein Scherbengewaͤchs in einer Krone, sondern eine daruͤber erhoͤhte im Freien haͤngende Hyazin¬ the ist — und daß ein anderer Berghauptmann mit seinen Lesern gar nicht so viele Umstaͤnde gemacht haben wuͤrde als ich. Er haͤtte ihnen blos den Haupt¬ umstand gesagt, daß der Fuͤrst an Viktor eine bezau¬ bernde Aehnlichkeit mit seinem fuͤnften (auf den 7 Inseln verlornen) Sohn im Scherzen und Betragen gefunden und liebgewonnen haͤtte, und daß er diese Bemerkung schon in London, obgleich Viktor fuͤnf Jahre juͤnger als jener war, gemacht habe . . . Jenner wollte selber seinen Liebling jedem praͤ¬ sentiren, also auch der Fuͤrstin. Die Philosophen haben es zu erklaͤren, warum Sebastian sich nicht eher als bis er neben dem fuͤrstlichen Eheherrn auf dem Kutschkissen sas, auf das tolle verliebte Streif¬ gen Papier besann, das er in Kusseviz uͤber den Im¬ perator der montre à regulateur aufgeklebt und der Fuͤrstin zum Kaufe dreingegeben hatte. Er fuhr zu¬ B 2 sammen und hielts fuͤr unmoͤglich, daß er ein solcher Narr seyn koͤnnen. Aber einem Menschen ist so etwas leicht. Seine Phantasie warf auf jede Gegenwart, auf jeden Einfall soviel Fokus-Lichtern aus tausend Spiegeln zuruͤck und zog um die Zukunft, die dar¬ uͤber hinauslag, soviel Laub- und Nebelwerk herum, daß er ordentlich erschrack, wenn ihm eine naͤrrische Handlung einfiel: denn er wuste, wenn er sie noch zehnmal zuruͤckgewiesen und noch dreißigmal uͤberson¬ nen haͤtte, daß er sie dann — begehen wuͤrde. — Da beide vor die Fuͤrstin traten: so war Viktor in jener angenehmen Verfassung, die Informatoren und jungen Gelehrten nichts neues ist, die ihnen die Glieder verknoͤchert und das Herz mazerirt und die Zunge petrifiziret — nicht die Gewißheit, daß Agnola (so hies die Fuͤrstin) jenes Uhr-Inserat gelesen habe, machte ihn so verlegen, sondern die Ungewißheit. In der Angst dachte er gar nicht dar¬ an, daß sie ja seine Handschrift und den Autor des Schnitzgens gar nicht kenne; und denkt man auch in der Angst daran, so geht sie doch nicht weg. — Aber alles war zugleich uͤber, unter, wider seine Erwartung. Die Fuͤrstin hatte das empfindsa¬ me Gesicht mit der Reisekleidung weggelegt und ein festes feines Gallagesicht dafuͤr aufgetragen. Der gekroͤnte Ehevogt Jenner wurde von ihr mit soviel warmen Anstand empfangen als waͤr' er sein eigner — Ambassadeur vom ersten Range. Denn Jenner, dessen Herzens-Elektrisirmaschine sich am elektrisi¬ renden Kissen einer schoͤnen Wange oder eines Fichuͤ voll Funken lud, hatte eben deswegen gegen Agnola, mit der er der Politik wegen die Konkordaten der Ehe abgeschlossen, alle Waͤrme seines — Monatsna¬ men. Gegen Viktor, den Sohn ihres Erbfeindes, den Sukzessor des Hausdiebes der fuͤrstlichen Gunst hegte sie, wie leicht zu erachten, wahre — Zaͤrtlich¬ keit. Unser arme Held — betroffen uͤber Jenners Kaͤlte, fuͤr die er sich von der Gemahlin eben keine sonderliche Waͤrme gegen sich selber versprach — be¬ trug sich so ernsthaft wie der aͤltere und juͤngere Kato zugleich. Er dankte Gott (und ich selber) daß er fortkam. Aber unter dem ganzen Wege dachte er: »haͤtt' »ich nur mein Sendschreiben aus dem Uhr-Couvert »heraus! Ach ich thaͤte dann alles, arme Agnola, »dich zu versoͤhnen mit deinem Schicksal und mit »deinem Gemahl!» — »Ach St. Luͤne — setzte er »unter dem Vorbeifahren vor dem Stadtsenior hin¬ »zu — du friedlicher Ort voll Blumen und Liebe! »Die Hazpachtung spedirt deinen Bastian von einem »Hazhaus ins andre.» Denn er mußte Hoͤflichkeitshalber doch auch zum wirklichen Minister — und Jenner nahm ihn mit. Dorthin gieng er mit Lust, gleichsam wie in ein Seegefecht oder in ein Kontumazhaus, oder in den russischen Eispallast. Meublen und Personen waren in Schleunes Hau¬ se vom feinsten Geschmack. Viktor fand darin von den Wackelfiguren und Hofleuten an bis zu den Ba¬ saltbuͤsten alter Gelehrten und zu den Puppen der Schleunes'schen Toͤchter, vom geglaͤtteten Fußboden bis zu den geglaͤtteten Gesichtern, vom Puderkabinet bis zum Lesekabinet — beide kolorirten den Kopf schon im Durchmarsch — kurz uͤberall fand er alles, was die Prachtgesetze je — verboten haben. Seine erste Verlegenheit bei der Fuͤrstin gab ihm die Stim¬ mung zu einer zweiten. Es war der alte Vik¬ tor gar nicht mehr. Ich weis voraus, daß ihn die loͤblichen Schullehrer am Marianum in Scheerau daruͤber hart anlassen werden — zumal der Rektor — daß er so wenig Welt hatte, daß er dort witzig ohne Munterkeit, gezwungen-frei ohne Gefaͤlligkeit, zu beweglich mit den Augen, zu unbeweglich mit andern Gliedern war. Aber man muß diesen Hof- und Schulleuten vorstellen: er konnte nichts dafuͤr. Der Rektor selber wuͤrde so gut wie Viktor verlegen gewesen seyn, vor der schoͤngeisterischen Ministerin, die zwar Meusel noch nicht, aber doch der Hof in sein gelehrtes Deutschland gesetzt — vor ihren persi¬ flirenden Toͤchtern, zumal vor der schoͤnsten, die Joachime hies — vor einigen Fremden — vor soviel Leuten, die ihn haßten vom Vater her und die ihn beobachteten, um sein Verhaͤltniß mit dem Fuͤrsten zu erklaͤren und zu rechtfertigen — vor der Fuͤrstin selber, die der Henker auch da hatte — vor Mat¬ thieu, der hier in seinem Element und in seiner Forcerolle und Bravourarie war — und vor dem Minister. — Zumal vor dem letztern: Viktor fand an diesem einen Mann voll Wuͤrde, dem die Ge¬ schaͤfte die Artigkeit nicht nahmen, noch das Den¬ ken den Witz und den eine kleine Ironie und Kaͤlte nur noch mehr erhoben, der aber Gefuͤhl, Gelehrte und die Menschen zu verachten schien. Viktor dach¬ te sich uͤberhaupt einen Minister — z. B. Pitt — wie einen Schweizer Eisberg, an den oben Wolken und Thau als Nahrung anfrieren, der die Tiefe druͤckt und der im Wechsel zwischen Schmelzen und Vereisen, unten grosse Fluͤße aussendet und aus des¬ sen Kluͤften Leichname steigen. Jenner selber wurde unter ihnen nicht recht froh: was halfen ihm die feinsten Gerichte wenn sie durch die feinsten Einfaͤlle verbittert wurden? Der Spiel¬ tisch war daher — zumal bei der feindlichen Lan¬ dung seiner Gemahlin — sein ruhiger Ankerplatz; und sein Viktor war dasmal auch froh, neben ihm zu ankern. Mein Korrespondent meint, den Stimm¬ hammer zu diesem uͤberfeinen dreimal gestrichenen Ton drehte blos die Ministerin, die alle Wissen¬ schaften im Kopfe und zwar auf der Zunge hatte und deswegen woͤchentlich ein bureau d' esprit hielt. In dieser laͤcherlichen Verfassung verspielte Bastian seinen Abend und verschluckte sein Souper : er konnte gut erzaͤhlen, aber er hatte nichts zu erzaͤhlen — in den wenigen Contes , die ihm beiwohnten, war alles anonym; und dem Zirkel um ihn waren gerade die Namen das erste — seine Laune konnt' er auch nicht brauchen, weil so eine wie die seinige den Inhaber selber in ein sanftes komisches Licht stellet und weil sie also nur unter guten Freunden, deren Achtung man nicht verlieren kann, aber nicht unter boͤsen Freunden, deren Achtung man ertrotzen muß, in ih¬ ren Sokkus und Narrenkragen fahren darf — er genoß nicht einmal das Gluͤck, innerlich alle auszu¬ lachen, weil er keine Zeit dazu hatte und weil er die Leute nicht eher laͤcherlich fand als hinter ihrem Ruͤcken — — Verdammt uͤbel war er d'ran — »ich komm' »euch sobald nicht wieder» dachte er — und als der Mond durch die zwei langen Glasthuͤren des Balkons, der auf den Garten hinaussah, mit seinem traͤumerischen Licht einging, das draussen auf stillere Wohnungen, schoͤnere Prospekte und ruhigere Herzen fiel: so schlich er (da seine Spiel-Maskopeigesell¬ schaft durch den Fuͤrsten nach dem Essen zertrennt war) auf den Balkon hinaus und die auf der Erde und am Himmel blinkende Nacht erhob seine Brust durch groͤssere Szenen. Mit welcher Liebe dachte er da an seinen Vater, dessen philosophische Kaͤlte dem Jennerschnee gleich war, der die Saat gegen Frost bedeckt, indes die hoͤfische dem Maͤrzschnee aͤhnlicht, der die Keime zerfrisset! Wie sehr warf er sich jeden unzufriedenen Gedanken gegen seines rechtschaffenen Flamins kleinen Mangel an Feinheit vor! O wie richtete sich sein innerer Mensch wie ein gefallener und begnadigter Engel auf, da er sich Emanuel an der Hand Klotildens dachte, der ihn seelig frag¬ te: »wo fandest du heute ein Ebenbild von meiner Freundin?» — Jetzt sehnte er sich unaussprechlich in sein St. Luͤne zuruͤck. . . . Seine steigenden Herzensschlaͤge hielt auf einmal Joachime an, die mit einem ins Zimmer gerich¬ teten Gelaͤchter herauskam. Da es ihr schwer fiel, nur eine Stunde zu sitzen (mich wundert wie sie ei¬ ne ganze Nacht im Bette blieb) so machte sie sich so oft sie konnte vom Stangengebiß des Spieles los. Dasmal band die Fuͤrstin sie ab, die wegen ihrer kranken Augen diese Nachtarbeit der Großen aussetzte. Joachime war keine Klotilde, aber sie hatte doch zwei Augen wie zwei Rosensteine geschlif¬ fen — zwei Lippen wie gemahlt — zwei Haͤnde wie gegossen — und uͤberhaupt alle Glieder-Doubletten recht huͤbsch . . . . Und damit haͤlt ein Hofmedi¬ kus schon Haus; wenn auch die einfachen Exemplare (Herz, Kopf, Nase, Stirn) keiner Klotilde zugehoͤ¬ ren: da er nun unter dem grossen Himmel seinen Muth und auf dem Balkon, der fuͤr ihn allemal ein Sprachzimmer war, seine Zunge wieder bekam — da Joachimens Ton ihn wieder in seinen zuruͤck¬ stimmte — da sie das Schweigen der Britten anta¬ stete und er die Ausnahmen vertheidigte — da er jetzt am Faden der Rede sich wie eine Spinne hin¬ auf- und hinablassen konnte und nicht mehr zu stoͤ¬ ren war durch die Fuͤrstin, die nachgekommen war, um die entzuͤndeten Augen in der Nacht abzukuͤhlen — und da man nur dann klagt, Langweile zu em¬ pfinden, wenn man blos selber eine macht — und da ich alles dieses hersetze: so thu' ich (glaub' ich) einem Rezensenten genug, der hinter dem Kutschka¬ sten des Fuͤrsten steht und nachsinnt und wissen will woran er sich (ausser den Lakaienriemen) zu halten habe, wenn Viktor im Wagen darin unter dem Heimfahren das ministerialische Haus nicht zum Teu¬ fel wuͤnscht, sondern zufriedner denkt: meinetwe¬ gen! — Ein Juͤngling, in dessen Brust die Nachtstuͤcke von Maienthal und St. Luͤne haͤngen — oder einer, der aus einem Baddoͤrfgen anlangt — oder einer, der vorhat, sich zu verlieben — oder einer, der in großen Staͤdten oder in ihren großen Zirkeln ein muͤ s siger Zuschauer seyn muh, jeder von diesen ist schon fuͤr sich auch ein mißvergnuͤgter darin und stoͤsset in seine kritische Pfeife so lange gegen die agirende Truppe bis sie ihn selber — engagirt. Kommen aber alle diese Ursachen gar in einem einzi¬ gen Menschen zusammen: so weis er gegen seine Gal¬ lenblase keinen Rath und keinen Gallengang als daß er feines Papier nimmt und an die Eymannischen in St. Luͤne einen verdammt spoͤttischen Brief uͤber das Gesehene ablaͤßt. Mein Held ließ diesen an den Pfarrer ab: »Mein lieber Hr. Adoptiv Vater! — Ich hatte bisher nicht soviel Zeit uͤbrig, um die Augen aufzuheben und zu sehen was wir fuͤr ei¬ nen Mond haben. Wahrhaftig einem Hof fehlts zur Tugend schon — an Zeit . Der Fuͤrst fuͤhrt mich uͤberall wie einen Flakon bei sich und zeigt seinen naͤrrischen Doktor vor. Mich werden sie bald nicht ausstehen koͤnnen, nicht weil ich etwan etwas tauge — ich bin vielmehr fest versichert, sie ertruͤgen den tugendhaftesten Mann von der Welt eben so gut wie den schlimmsten und das blos weil er ein Anglizis¬ mus, ein homme de Fantaisie , ein Naturspiel waͤre — sondern weil ich nicht genug rede. Geschaͤftsleute bekuͤmmern sich um keinen Dialog und keinen Brief¬ styl; aber bei Hofleuten ist die Zunge die Pulsader ihres welken Lebens, die Spiral- und Schwungfeder ihrer Seelen; alle sind geborne Kunstrichter, die auf nichts als Wendung, Ausdruck, Feuer und Sprache sehen. Das macht, sie haben nichts zu thun; ihre gute Werke sind Bonmots, ihre Meßgeschaͤfte Vi¬ sitenbillets, ihre Hauswirthschaft eine Spiel- und ihre Feldwirthschaft eine Jagdparthie und der kleine Dienst eine Physiognomie. Daher muͤssen sie frem¬ de Fehler den ganzen Tag in Ohren haben gegen die schlaffe Weile, wie die Aerzte die Kraͤze einim¬ pfen gegen Dummheit; ein Hofstaat ist das ordent¬ liche Pennypostamt der kleinsten Neuigkeiten, sogar von euch Buͤrgerlichen, wenn ihr gerade etwas recht — Laͤcherliches gethan habt. Zu wuͤnschen waͤre, wir haͤtten Festins oder Spielparthien, oder Komoͤ¬ dien, oder Assembleen, oder Soupees, oder etwas Gutes zu essen, oder irgend eine Lustbarkeit; aber daran ist nicht zu denken — wir haben zwar alle diese Dinge, aber nur die Namen davon: der Kam¬ merpraͤsident wuͤrde die Achsel zucken, wenn wir nur des Jahrs viermal so glaͤnzend froͤhlich seyn wollten als Sie es des Monats viermal sind. Da unsere Woche aus 7 Sontagen besteht: so sind unsere Lust¬ barkeiten nur Kalenderzeichen, Zeit-Abschnitte, auf die niemand achtet und ein Festin ist nichts als ein Spielraum der Plane die jeder hat, das Bretterge¬ ruͤst seiner Forcerolle und die gleichguͤltige Jahrszeit der fortgesetzten Intrigue gegen Opfer der Liebe oder des Ehrgeizes. Hier ist jede Minute eine stechende Moskite und der Distelsame des schoͤngefaͤrbten Kum¬ mers fliegt weit herum. Die Weiber sind gut und Anhaͤnger des Linnaͤus und ihre Augen ordnen die Maͤnner botanisch nach seinem schoͤnen einfachen Sexualsystem : sie ma¬ chen unter tugendhafter und lasterhafter Liebe einen grossen Unterschied, naͤmlich den des Grades oder auch der Zeit; und die Beste spricht oft daruͤber wie die Schlimmste und die Schlimmste wie die Be¬ ste. Indessen giebts hier weibliche Tugend und maͤnliche Treue in ihrer Art — aber einem Pfarrer ist davon kein Begriff beizubrigen; und diese zwei Geleen oder Gallerte sind so zart und weich, daß ich sie, wenn ich sie auch von allen Stufen des Throns hinuntertragen wollte in die Kaplanei, doch so verdorben und anbruͤchig hinabbraͤchte, daß man ihnen drunten die zwei entgegengesetzten Namen ge¬ ben wuͤrde, fuͤr die wir doch schon unsre besondern Gegenstaͤnde oben haben. Die Buͤrgerlichen wuͤrden unsere bejahrten Maͤnner in der Liebe laͤcherlich fin¬ den und diese euere Toͤchter. — Was mir aber die¬ ses gluͤckliche Hofleben oft versalzet, ist der allge¬ meine Mangel an Verstellung. Denn hier glaubt keiner was er hoͤrt, und denkt keiner wie er aus¬ sieht; alle muͤssen nach den ordentlichen Spielge¬ setzen, gleich den Karten, einerlei obere Seite haben und aͤussere Gesichtsstille auf inneres Gluͤhen decken, wie der Blitz nur den Degen, aber nicht die Schei¬ de zerstoͤrt — Folglich kann, da eine allgemeine Ver¬ stellung keine ist und da jeder dem andern Gift zu¬ traut, keiner taͤuschen , sondern nur uͤberlisten ; nur der Verstand, nicht das Herz wird beruͤckt. Inzwischen ist die Wahrheit zu sagen, das keine: denn jeder hat zwei Masken, die allgemeine und die persoͤnliche . Uebrigens werden die Farben, die auf den wissenschaftlichen, feinen und menschen¬ liebenden Anstrich des Aeussern verbraucht werden, nothwendig vom Innern abgekrazet, aber zum Vor¬ theil, da am Innern nicht viel ist, und das Stu¬ dium des Scheins verringert das Seyn; so sah ich oft im Walde Hasen liegen, an denen kein Loth Fleisch war und kein Tropfen Fett, weil alles von dem ungeheuern Haarpelz weggesogen war, der nach dem Tode fortgewachsen. Wenn man den Inhalt des Throns und des plat¬ ten Poͤbel-Landes vergleicht, so scheinet die physika¬ lische und moralische Groͤße der Menschen im unge¬ kehrten Verhaͤltniß mit ihrem Boden zu stehen, so wie die Einwohner der Marschlaͤnder groͤsser sind als der Berglaͤnder. Aber gleichwol tragen jene erhab¬ nen Leute den Staat leicht auf Schmetterlingsfluͤgeln, uͤberschauen sein Raͤderwerk mit dem millionenfachen Pappillons Auge und beschirmen mit einer Badine das Volk vor Loͤwen oder jagen damit Loͤwen aus dem Volk, wie in Afrika Hirtenkinder mit einer Peitsche naturhistorische Loͤwen vom Weidevieh ab¬ schrecken. ... Lieber Hr. Hofkaplan! diese Satyre schmerzte mich schon auf der vorigen Seite; aber man wird hier boshaft so wie eitel ohne zu wissen wenn, jenes weil man zu sehr auf andere, dieses, weil man zu sehr auf sich merken muß. Nein! Ihr Garten, Ihre Stube ist schoͤner, da giebt es keine steinerne Brust, an der man die Arme und Adern der Freundschaft kreuzigt wie ein Spaliergewaͤchs; da muß man sich nicht taͤglich wie ich zweimal rasi¬ ren lassen und dreimal frisiren; da darf man doch seinen gewixten Stiefel anziehen. Schreiben Sie Ihrem Adoptivsohne bald — denn ich schlage mir das Fest Ihres Besuchs noch ab — Sind viel Kind¬ taufen und Leichen? — Was macht der Fuchs und der taube Balgtreter? — Hier wird der Moͤrser statt Ihrer Trommel unter mir geruͤhrt. — — Le¬ ben Sie wohl. Und Sie gruͤss' ich jetzt erst, geliebte Mutter! Meine Hand ist warm und in meinem Herzen klo¬ pfen ein paar Seelen, weil jetzt Ihr Angesicht voll muͤtterlicher Waͤrme alle meine satyrischen Eisspitzen bescheint und in warmes Blut zerschmelzt, das fuͤr Sie schlagen und fuͤr Sie fließen will. Wie thut es sowohl, wieder zu lieben! Ihr zweiter Sohn (Flamin) ist gesund, aber zu fleissig und gegenwaͤr¬ tig in St. Luͤne. Gruͤssen Sie meine Schwestern und alles, was Sie liebt. Sebastian. Er hob den Brief auf, um den Regierungsrath, der seine Person mit haben wollte, doch mit einer Fracht abzufertigen. Indessen wurden seine und Jenners gemeinschaft¬ liche Visiten mit ihren Theaterknoten zu ganz an¬ dern Nervenknoten der Freundschaft zwischen Jenner und ihm — und zugleich machten sie den Ruf die¬ ser Freundschaft groͤsser. In St. Luͤne, in Le Bauts Hause wurde dreimal mehr daraus gemacht als dran war — im Pfarrhause neunmal. Dazu kam eine Kleinigkeit, naͤmlich eine Schlaͤ¬ gerei — eigentlich zwei. Ich habe den Vorfall vom Spitz, Viktor von Flamin, dieser von Matthieu, in dessen edlem historischen Styl es hier der Nach¬ welt uͤbergeben werden kann. Der Evangelist schaͤm¬ te sich keines Buͤrgerlichen, sobald er ihn zum Nar¬ ren haben konnte. Daher besuchte er den Hofapo¬ theker ohne Bedenken. Diesem, der dem D . Kuhl¬ pepper pepper wegen seiner stolzen Grobheit und wegen der untern Note Kuhlpepper that ihm nie den Gefallen, um den er ihn so oft bat, daß er dem Fuͤrsten ein Klystier verordnete, wel¬ ches alsdann der Apotheker selber gesetzet haͤtte, um nur einmal dem Regenten beizukommen und dessen schwa¬ che Seite in seine eigne Sonnenseite zu verwandeln. innig haßte, hatte Maz laͤngst ver¬ sprochen, den Doktor zu stuͤrzen. Da der letztere und das Podagra durch Viktor wirklich von Jenners Fuͤssen vertrieben waren: so ließ der Evangelist dem Apotheker merken, er selber wuͤrde sich ohne seine Winke weit weniger gegen Kuhlpepper interessiret haben als er gethan. Zeusel — zumal da er den Successor des Kasernenmedikus im Logis hatte — kam nach einigen Tagen mit der gewissen Ueberzeu¬ gung aufs Billard, daß er aus seiner Apotheke heraus Kuhlpeppern das unsichtbare Bein untergestellet und ihn von den Thronstufen herabgeworfen. Dort war zum Ungluͤck der Kasernenmedikus und der edle Maz. Zeusel kam auf dem Theater mit den Festons von drei Uhrketten an — mit einem Paar Hosen, auf deren Knien einige Arabesken gedruckt waren — mit einer doppelten Weste, doppelten Cravatte und im Gesicht mit doppelten Exklamazionszeichen uͤber den Kasernenmedikus — seine Geldboͤrse saß gerade un¬ ter dem heiligen Bein, weil er wie einige Englaͤn¬ Hesperus. II Th. C der die Hosentasche in die Region der Hosenschnalle hatte verstecken lassen. Er hatte als Kammermohren seinen hagern langen Provisor mit; der im Neben- Trinkzimmer auf den sehr kurzen Provisor der zwei¬ ten oder Canaillen-Apotheke stieß. Der kurze Pro¬ visor folgte aus Haß dem langen uͤberall, blos um ihn zu aͤrgern; aber diesesmal war er blos vom Lande zuruͤck mit einigen von Rekonvoleszenten einkassirten Huͤnereyern. Matthieu nahm sich — nach einem exegetischen Wink an Zeusel — die Freiheit, uͤber das fuͤrstliche Podagra Kuhlpeppers Meinung zu seyn. Kuhlpep¬ per, der ein alter Deutscher seyn wollte — solche alte Deutsche koͤnnen sich nie im Zorn, und recht gut aus Eigennutz verstellen — feuerte ab und sagte, der englische Doktor sey ein ganzer Ignorant. Zeu¬ sel faßte mit einem weiten Laͤcheln wie mit einem Buchdruckerstock seine hoͤfische Verachtung gegen den groben Mann ein. Der Medikus sah wie der Ae¬ quator, der Apotheker wie Spizbergen aus. Jetzt wurde blos uͤber das Podagra turnirt. Der Kampf¬ waͤrtel und Turnirvogt Maz gab zu verstehen, »Zeu¬ »sel liebe zwar seinen Fuͤrsten und Herrn, aber er »wuͤnsche doch, daß diese Liebe die besten Mittel »und die heilsamsten Einfluͤsse gehabt.» — »In den »H — (sagte Kuhlpepper) kann der Einfluß haben.» — Als sich der Apotheker deswegen stolz und ver¬ aͤchtlich in die Hoͤhe richtete: druͤckte ihn der Dok¬ tor langsam auf den Stuhl und auf seinen Geldbeu¬ tel nieder und die auf die Achsel eingeschlagne Hand nagelte den kleinen Elegant samt der Boͤrse an den Sessel an. Diese Befestigung verdroß den Schneidervogel am meisten und er versetzte aufwallend: »noch heute wuͤrde er, wenn er zu Rathe gezogen wuͤrde, Sr. Durchlaucht die jetzige bessere Wahl anrathen.» Der Kasernenmedikus mochte vielleicht die Hand zu hur¬ tig von der Achsel abdecken; denn er bestrich damit wie mit einer Kanone die Nase seines Gegners, wor¬ auf diese ein Blut wie der heil. Januar entließ. Der Evangelist bedauerte es fuͤr seine Person, »daß »zwei so verstaͤndige Maͤnner sich nicht miteinander »entzweien und schlagen konnten ohne persoͤnlichen »Haß und ohne Hitze, da sie gleich kriegenden Fuͤr¬ »sten sich ohne beides anfallen koͤnnten — aber das »Bluten bestaͤtige Zeusels Wallung zu sehr.» — Swobada rief zum Doktor: »Sie Grobian!» — Dieser nahm im Grimme wirklich die Matthaͤische Meynung an, jener blute nur aus Grimm und ver¬ glich ihn mit den Kadavern, die in alten Zeiten bei Annaͤherung des Moͤrders bluteten, aber blos aus ganz natuͤrlichen Ursachen. Der Medikus suchte also seinen wie ein Fuͤrst oben vergoldeten Stecken auf und beurlaubte sich mit der gekroͤnten Stange, in¬ C 2 dem er sie einigemale gleichsam magnetisch-streichend uͤber Swobadas Finger fuͤhrte; aber ich wuͤrde den Stab weder wie einige‚ ein Hoͤrrohr fuͤr Zeuseln nennen‚ weil Taube oft einen zum besseren Hoͤren an ihren Leichnam anstiessen‚ noch auch einen Thuͤrklo¬ pfer‚ den er der Wahrheit vorstreckte‚ damit sie leichter in den Apotheker einkonnte: sondern er woll¬ te blos seine Finger noͤthigen‚ das Schnupftuch fal¬ len zu lassen‚ damit er ihm ins Gesicht beim Ab¬ schied schauen koͤnnte‚ den er in die Tournure klei¬ dete: »Sag' Ers Seinem Doktor‚ er und Er da‚ »Ihr seid die zwei groͤsten Stocknarren in der »Stadt.» Vor den letzten Worten verhielten sich beide Pro¬ visores ruhig genug, nicht mit der Zunge — denn der lange Provisor sang als zweites Chor mit dem¬ selben Kriegsliede den kurzen an und war aͤchter An¬ ti Podagrist — sondern sonst. Wer uͤberlegt‚ daß der lange meinen Helden wegen seiner Hoͤflichkeit liebte und den kurzen nicht leiden konnte‚ weil Kuhl¬ pepper alles bei diesem verschrieb‚ der wuͤrde von dem Paare nichts geringers erwarten als den Re¬ frain des Billardzimmers; aber der lange Provisor war gesetzt und breitete erhebliche Wahrheiten nie wie Portugal mit Blute aus‚ sondern er nahm — sobald bei Kasernenmedikus den Hofmedikus einen Stocknarren genannt hatte — still den Hut des kur¬ zen Provisors, der in solchen des Zerknickens wegen seine Eyer-Gefaͤlle niedergelegt hatte, und setzte be¬ sagte Eyer dem Professionsverwandten ohne Ingrimm auf; und mit geringem Druck paßte er die Inful, die ½ Elle zu hoch sas, seinem Freunde — um so mehr, da auch Kastor und Pollux Eyerschaalen auf¬ hatten — recht an und gieng fort, ohne eben viel Dank fuͤr das aufgesetzte Hut-Inserat und den Ge¬ sichts-Umschlag haben zu wollen. Schlaͤgereyen breiten kleine, wie Kriege grosse Wahrheiten aus. Der Hofkaplan Eymann sandte ein langes Gratulazionsschreiben an Viktor und hieß ihn »Jenners Nierenlenker» und bat um seinen Be¬ such. Ein »Ranzenadvokat» klopfte bei ihm wie bei einer hoͤhern Instanz an und bat ihn um eine Sentenz gegen das Regierungskollegium. Der Apo¬ theker haͤlt mit seinem Gesuch um ein Lavement noch zuruͤck. Viktor sparte sich noch den ersten Besuch in St. Luͤne auf wie eine reifende Frucht und aͤrgerte da¬ durch den Regierungsrath, der ihn hinbereden woll¬ te. Aber er sagte: »die Relikten eines Orts sehnen »sich nach dem, der daraus fort ist, so lange unbe¬ »schreiblich, bis er die erste Visite gemacht, und er »auch. Nach der ersten passen beide Partheyen »ganz ruhig, ganz kalt die zweite ab.» — Was er nicht sagte und dachte, aber fuͤhlte und fuͤrchtete war: daß seine Halbgoͤttin Klotilde, die das Aller¬ heiligste in seiner Brust bewohnte, und die seiner Seele durch ihre Unsichtbarkeit theurer, noͤthiger und eben darum gewisser geworden war, ihm vielleicht bei ihrer Erscheinung alle Hoffnungen auf einmal aus seinem Herzen ziehe. — Es war am Abend des empfangnen Eymannischen Briefes, wo er so phantasirte: »wenn Jenner nur »so gesund bliebe — er muß Mozion haben, aber »eine andere — der Reiter muß gehen, der Fu߬ »gaͤnger fahren. — Wir sollten miteinander zu Fuß »durchs Land ziehen verkleidet. — Ach ich koͤnnte »vielleicht manchem armen Teufel nuͤtzen — wir »schlichen heimwaͤrts durch St. Luͤne — — Nein, »Nein, Nein» ... Er erschrack selber vor einem gewissen Einfall — denn er besorgte, er wuͤrde ihn, da er ihn einmal gehabt, auch ausfuͤhren, daher sagte er dreimal Nein dazu. Der Einfall war der, den Fuͤrsten zu Klotil¬ dens Eltern hinzubereden. — Es half aber nichts: es fiel ihm bei, daß sein Vater ein zu strenges Ruͤ¬ gegericht uͤber den Kammerherrn und den Minister gehalten — »was will mir le Baut schaden? »Wenn ich dem armen Narren nur drei Son¬ »nenblicke von Jenner zuwendete! — Das Ge¬ »scheuteste ist, ich denke heute nicht mehr daruͤber »nach.» Der Hund wird uns Antwort bringen; ich mei¬ nes Ortes wette — ein feiner Menschenkenner auf meiner Insel wettet hingegen, der Held macht die¬ sen Spas — daß er ihn nicht macht. 18. Hundsposttag . Standeserhöhung Klotildens — Inkognito-Reise — Supplik der Obristjägermeisterei — Konsistorialbote — Vexirbild der Flachsenfinger. F reilich macht' er ihn; aber ich verlier' im Grun¬ de nicht. Denn es war so: vom Tage an, wo D . Kuhlpepper vor der plethorischen Nase Zeusels mit seiner groben Hand wie mit einem elektrischen Aus¬ lader vorbeigegangen war, draͤngte sich der Mann mit drei Uhren an meinen Helden, der nur eine und noch dazu des Zeidlers plumpe trug. Zeusel dankte uͤberhaupt Gott, wenn sich nur ein Hoffourier bei ihm besof und der Hofdentist uͤberfraß. Er kam immer mit gewissen geheimen Nachrichten, die zu publiziren waren. Er behielt nichts bei sich und haͤtte man ihn unter seine Apotheke zu haͤngen ge¬ drohet. Er sagte meinem Helden, daß der Mini¬ ster um die Stelle der zweiten Hofdame fuͤr sei¬ ne Joachime bei der Fuͤrstin werbe, die sich blos die weibliche Dienerschaft selber waͤhlen durfte — daß er aber es nicht geradezu thun duͤrfe, weil er oder sein Sohn Matthieu dem Kammerherrn le Baut versprochen, die naͤmliche Stelle Klotilden zu verschaffen — er bat also meinen Helden, der wie er sehe Mazens Freund sey, ihm die Verlegen¬ heit zu ersparen und den Fuͤrsten zu bewegen (wel¬ ches nur ein Wort waͤre) daß der bei der Fuͤrstin die Bitte um Joachime einlege — die Fuͤrstin, die ohnehin den Minister protegire, wuͤrd' es aus mehr als einem Grunde mit Freuden thun und der Minister koͤnnte dann nichts dafuͤr, wenn der Kam¬ merherr, der Feind des Lords, leer ausginge . . . . Der Tropf, sieht man, hatte blos aus den zwei eingefangnen Nachrichten der zwei Amts-Praͤtenden¬ tinnen den ganzen uͤbrigen Rechtsgang errathen und selber der Umstand den ihm Maz entdeckte, daß der Minister einen Viertels-Fluͤgel seines Pallastes fuͤr eine Freundin seiner verstorbnen Tochter Giulia raͤu¬ me, befestigte ihn nur mehr. So sehr ersetzt Bos¬ heit nicht nur Jahre, sondern auch Scharfsinn und Nachrichten. Mein Held konnte ihm nichts sagen als, er glau¬ be nichts davon. Aber in drei einsamen Minuten glaubte er alles — deswegen mußte die liebe Klotil¬ de gerade bei der Erscheinung der Fuͤrstin aus dem Stifte zuruͤck — deswegen wurde der Ministers Sohn von le Baut mit soviel Rauch- und Dankopfer-Al¬ taͤren umbauet — deswegen brachte die alte (im sechzehnten Hundsposttage) dem Hofleben solche Staͤndgen und so laute — uͤberhaupt zwei solche ge¬ aͤchtete Hof-Refugies in Babylon sind des Teufels lebendig, bis sie in der alten heiligen Stadt wieder sitzen und wenn sie gerade eine schoͤne Tochter ha¬ ben, so wird diese zur Vorspan der Fahrt gebraucht und zur Montgolfiere des Steigens . . . »O komm nur, Klotilde — rief er gluͤhend — »Der Hof-Pfuhl wird mir dann ein italienischer »Keller, ein Blumenparterre — bist nur du beim »Minister, so hab' ich Geist genug und spruͤhe or¬ »dentlich — was wird mein Vater sagen, wenn er »uns mit zwei Laufzaͤumen stehen sieht, an einem »hast du die Fuͤrstin, am andern ich den Mann — ». . .» Jetzt fielen ihm Klotildens neuliche Inju¬ rien gegen das Hofleben wie Eiszapfen in sein ko¬ chendes Blut; aber er dachte, »Weibern gefallen »doch die Hof-Lager des Glanzes ein wenig mehr »als sie selber vermuthen und sagen, weit mehr als »den Maͤnnern. — Halte denn ers mit aͤhnlicher »Seelen-Konstituzion nicht auch aus? — Sie, als »Stieftochter des Fuͤrsten und als eine schoͤne dazu »habe nur halbes Elend, gegen ihn gehalten — »und wisse sie denn, ob sie nicht einmal aus ihrem »Feld-Etat in die Hofgarnison zuruͤckgesetzt werde »durch einen Zufall.» Unter dem Zufalle verstand er eine Heyrath mit — Sebastian. Endlich beru¬ higte er sich mit dem, was ich auch glaube, daß sie damals blos ans Hoͤflichkeit einige Kaͤlte gegen ihre neue Entfernung von ihren Eltern vorgespiegelt, und also gegen den neuen Ort; auch haͤtte man Freude daruͤber fuͤr Waͤrme gegen irgend jemand am Hofe nehman koͤnnen z. B. gegen ihren — Bru¬ der, dacht' er. Jetzt kam der gestrige Einfall, uͤber den ich die Wette verloren, wieder hervor, in Einer Nacht er¬ staunlich in die Hoͤhe geschossen: wenn er naͤmlich den Fuͤrsten zur Reise und Visite beim Kammerherrn uͤberredete und ihn noch unterwegs um ein Vorwort fuͤr Klotilde bei der Fuͤrstin ansprach: so wars erst¬ lich dem Stiefvater unmoͤglich, die Bitte fuͤr die schoͤnste Stieftochter abzuweisen, und zweitens der Fuͤrstin unmoͤglich, bei ihrem Gemahl, der das Recht der ersten Bitte exerzirte, nicht allen moͤgli¬ chen Vortheil aus der ersten Gelegenheit zu ziehen, sich ihn verbindlich zu machen. — — — — Acht Tage darauf, da es schon daͤmmerte — in den Herbsttagen wirds eher Nacht — stand der Hofkaplan Eyman auf der Warte und guckte nach der Sonne, nicht ihrentwegen sondern um des Abendroths und Wetters willen, weil er morgen saͤen wollte: als er erschrocken von der Warte hin¬ uͤber sprang in sein Haus und die Hiobspost aus¬ packte, der Konsistorialbote werde gleich da seyn samt einem, franzoͤsischen Emigranten und fuͤr den einen sey noch kein Heller vorraͤthig und fuͤr den andern kein Bette. . . Es kam kein Mensch. — Ich begreif' es leicht: denn der Konsistorialbote lauerte am Pfarrhause und marschirte‚ sobald er oben den Hofmedikus Viktor aus Wachs am Fen¬ ster sitzen sah, spornstreichs zum Dorfe hinaus gera¬ de nach Flachsenfingen zu. Der Emigrant war zu seinem Professionsverwandten le Baut hineingegan¬ gen. — Beide Passagiere nennten sich auch noch — Jen¬ ner und Viktor und kamen heute von ihrer humori¬ stischen Rennbahn zuruͤck. — — Vor sieben Tagen war der Fuͤrst, der Masken¬ taͤnze und Inkognito-Reisen und gemeine Sitten lieb¬ te und der des Ministers geistige Masken und In¬ kognito verwuͤnschte, mit Viktor zu Fuß hinter ei¬ nem Kerl abgereiset, der zu Pferde mit der Retou¬ denkleidung und mit Retoudenerfrischungen voraus¬ gebrochen war. Jenner trug einen Degen in der Hand, der in keiner Scheide steckte, sondern in ei¬ ner Badine; ein Sinnbild der Hof Waffen! Er gab sich in den Marktflecken fuͤr den neuen Regierungs¬ rath Flamin Eymann aus. Mein Held, der sich an¬ fangs zu einem reisenden Okulisten gepraͤgt hatte, muͤnzte sich im dritten Dorfe zu einem Konsistorial¬ boten aus — blos weil beiden der wahre Bote be¬ gegnete. Dieser Generalkontrolleur des Konsisto¬ riums mußte dem Okulisten — es kostete dem Fuͤr¬ sten nur eine fuͤrstliche Resoluzion und eine Gnade — sein Sportularium und seine kanonische Livree sammt dem aufgenaͤhten Blech auf diese Woche uͤber¬ lassen. Die Bleche sind an Boten und die Silber¬ sterne an vornehme Roͤcke wie die Bleistuͤcke an Tuchballen befestigt, damit man wisse, was am Be t te l ist. Fuͤr Buͤsching waͤre eine solche Rekans-Farth ein Fund — fuͤr mich ist sie eine wahre Pein, weil mein Manuskript ohnehin schon so groß ist, daß meine Schwester sich darauf setzet, wenn sie Klavier spielet, weil der Sessel ohne die Unterlage der Hunds¬ posttage nicht hoch genug ist. Was sah Jenner? — was Viktor? — Der Regierungsrath Jenner sah unter den Beam¬ ten lauter krumme Ruͤcken — krumme Wege — krumme Finger — krumme Seelen. — »Aber krum »ist ein Bogen und der Bogen ist ein Sektor vom »Zirkel, diesem Sinnbild aller Vollendung» sagte der Konsistorialbote Viktor. Allein Jenner aͤrgerte sich am meisten daruͤber, daß ihn die Beamten so sehr verehrten, da er sich doch nur fuͤr einen Regie¬ rungs Rath ausgab und fuͤr keinen Regenten — Viktor versetzte: »der Mensch kennt nur zwei Naͤch¬ »ste‚ der Naͤchste zu seinem Kopf ist sein Herr‚ der »zu seinem Fusse sein Sklave — was uͤber beide »hinausliegt, ist ihm Gott oder Vieh.» — Was sah Jenner noch mehr? — Eximirte Spitzbuben sah er, die amthirten, um die steuerfaͤhigen zu zuͤchtigen — redliche Advokaten hoͤrt' er, die nicht wie seine Hofleute oder die engli¬ schen Raͤuber, mit einer tugendhaften Maske stahlen, sondern ohne die Maske und denen eine gewisse Ent¬ fernung von Aufklaͤrung und Philosophie und Ge¬ schmack nach dem Tode gar nicht schaͤdlich seyn wird, weil sie dann in ihrer eignen Defension Gott die Exzepzion ihrer Unwissenheit entgegengesetzen und ihm einwerfen koͤnnen: »daß andere Gesetze als lan¬ »desherrliche und roͤmische sie nicht verbinden koͤn¬ »nen und Gott waͤre weder Justinian, noch Kant »Tribonian.» — Er sah am Kopfe seiner Justizia¬ rien Brodkoͤrbe und am Kopfe ihrer Unterthanen Maulkoͤrbe haͤngen; er sah, daß wenn (nach Howard) zwei Menschen noͤthig sind, um Einen Gefangnen zu ernaͤhren; hier zwanzig Inhaftirte da seyn muͤs¬ sen, damit Ein Stadtvogt lebe. Er sah verdammtes Zeug. Dafuͤr sah er aber auch auf der andern Seite in angenehmen Naͤchten das Vieh in schoͤnen Gruppen in den Feldern wei¬ den, ich meine das republikanische, naͤmlich Hirschen und Sauen. Der Konsistorialbote Viktor sagte ihm, er habe diesen romantischen Anblick den Jaͤgermei¬ stern zu danken, deren weiches Herz den fuͤrstlichen Befehl des Wildschiessens eben so wenig haͤtte voll¬ ziehen koͤnnen wie die aͤgyptischen Wehmuͤtter den die Judenknaben todtzumachen. Ja der Sportulbote ließ sich in einer Kneipschenke gelbe Dinte und schwarzes Papier hingeben und setzte da, waͤhrend der Schieferdecker auf dem Dache trommelte, um Schiefer zugelangt zu bekommen, und die Gaͤste an die Kruͤge schlugen, um eingeschenkt zu kriegen und der Wirthsbube auf einem Bierheber zum Fenster hineintrompetete, unter diesem babylonischen Laͤrm setzte der Sportulnbote eine der besten Suppliken auf, die die edle Jaͤgerschaft noch je an den Fuͤrsten abgelassen hat. Schlechte Relazion aus der Supplik der Obristjaͤgermeisterei. »Da das Wild nicht lesen und schreiben koͤnnte: so sey es die Pflicht der Jaͤgermeisterei, die es koͤnn¬ te, fuͤr dasselbe zu schreiben und nach Gewissen ein¬ zuberichten, daß alles Flachsenfingische Wild unter dem Druck des Bauers schmachte, sowohl Roth- als Schwarzwildpret. Einem Oberfoͤrster blute das Herz, wenn er zu Nachts draussen stehe und sehe, wie das Landvolk aus unglaublicher Mißgunst gegen das Hirschvieh die ganze Nacht in der groͤsten Kaͤlte neben den Feldern Laͤrm und Feuer machte, pfiffe, saͤnge, schoͤsse, damit das arme Wild nichts fraͤße. Solchen harten Herzen sey es nicht gegeben zu be¬ denken, daß wenn man um ihre Kartoffelntische (wie sie um ihre Kartoffelnfelder) eben solche Schuͤtzen und Pfeifer lagerte, die ihnen jede Kartoffel vom Munde schoͤssen, daß sie dann mager werden muͤßten. Daher sey das Wild eben so hager, weil es sich erst langsam daran gewoͤhne wie Regimentspferde den Hafer von einer geruͤhrten Trommel zu fressen. Die Hirschen muͤßten oft Meilenweit gehen — wie einer, der sein Fruͤhstuͤck in den Aubergen zu Paris zusam¬ mentrage —, um in ein Krautfeld, das keine solche Kuͤstenbewahrer und Opposizionsparthey des Wilds umstellen, endlich einzulaufen und sich da recht satt zu fressen. Und die Hundsjungen sagten mit Recht, sie zertraͤten in Einer Parforcejagd mehr Getraide als das Wild die ganze Woche abzufressen bekaͤme. — — Dieses und nichts anders seyen die Motive, die die Obristjaͤgermeisterei bewogen haͤtten, bei Sr. Durchlaucht mit der unterthaͤnigen Bitte einzu¬ kommen, Daß Ew. den Landleuten auflegen moͤchten, zu Nachts in ihren warmen Betten zu bleiben wie tausend gute Christen thun und das Wild selber am Tage. Dadurch Dadurch wuͤrde — getrauete sich die Obristjaͤger¬ meisterei zu versprechen — den Landleuten und Hir¬ schen zugleich unter die Arme gegriffen — letztere koͤnnten alsdann ruhig wie Tagvieh die Felder abwei¬ den und wuͤrden doch dem Landmann die Nachlese, indem sie mit der Vorlese zufrieden waͤren, las¬ sen. — Das Landvolk waͤre von den Krankheiten, die aus den Nachtwachen kaͤmen, von Erkaͤltungen und Ermuͤdungen gluͤcklicherweise befreiet. Der groͤßte Vortheil aber waͤre der, daß da bisher Bauern uͤber die Jagdfrohnen murrten (und nicht ganz Un¬ recht) weil sie daruͤber die Zeit der Erndte versaͤum¬ ten, daß alsdann die Hirsche an ihrer Statt die Ernd¬ te zu Nachts uͤbernaͤhmen, wie sich in der Schweiz die Juͤnglinge fuͤr die Maͤdgen, die sie liebten, zu Nachts dem Getraide-Schneiden unterzoͤgen, damit diese, wenn sie am Morgen zur Arbeit kommen, keine fin¬ den — und so wuͤrden die Jagdfrohnen in den Ernd¬ ten niemand mehr stoͤhren als hoͤchstens das — Wild ꝛc.» Was ist aber vom Konsistorialsportulboten zu er¬ erzaͤhlen? — Dieser kanonische Hebungsbediente setz¬ te alle Pfarrherren durch seinen Spas und alle Pfarrfrauen durch seine Gewandtheit in Erstaunen und blos sein Blech und seine Papiere konnten die Authentizitaͤt dieses Botenexemplars hinlaͤnglich ver¬ buͤrgen. Er kassirte alles ein was der Konsistorial¬ Hesperus. II Th. D sekretair liquidirt hatte und entschuldigte sich damit, daß es weder ihm noch dem Sekretair in diesem Falle zukaͤme, gewissenhaft zu seyn. In seiner kur¬ zen Amtsfuͤhrung sackte er ohne Schaam ein alle ruͤckstaͤndige Ehepfaͤnder vom geringsten Werth — wir im Kollegio, sagte er, sind auf einen halben Batzen erpicht — Gelder, wenn die Ehen geschieden waren — Gelder, wenn sie von den Raͤthen geschlossen wa¬ ren, es sey durch Indulgenzen fuͤr Trauerzeit, fuͤr Blutsverwandschaft oder fuͤr elterlichen Konsens — Gelder, wenn die Gelder erst einmal (oder zweimal) bezahlt waren, aber noch nicht zum zweiten (oder dritten) male, wiewohl das Konsistorium diesen Nach¬ klang und Refrain nur in dem Fall verlangte, wenn die Leute die Quitung verloren hatten. — Gelder, die die Pfarrherren blos fuͤr Dekrete zu erlegen hat¬ ten, worin sie losgesprochen wurden. — — Darauf schuͤttete er den Sack vor dem Fuͤrsten aus und plaͤttete die Geldwage auseinander und fieng an: Ihro Durchlaucht! »Das Konsistorium ist des Teufels: es koͤnnte »uͤber alle Gebote eine lutherische Poenitentiaria »seyn und ists nur uͤber das sechste. Was eine ehr¬ »liche Konsistorial-Regie — ich naͤmlich — hat zu¬ »sammenscharren koͤnnen: liegt da auf dem Tisch. »Der Haufe koͤnnte noch einmal so breit seyn, wenn »das Konsistorium Verstand haͤtte und sagte: »»wer »»kauft? neue frische Ablaßbriefe fuͤr alles!»» — »Es hat gezeigt, daß es uͤber einige Verwandsgrade »Dispensazionsbullen so gut wie der Pabst verferti¬ »gen koͤnne: warum will es sich denn an keine naͤ¬ »hern Grade machen? Es wuͤrde von grossen so gut »als von kleinen dispensiren koͤnnen, wenn es dar¬ » uͤber herwollte, eben so gut von Bußtags-Fasten »als von Trauerzeit und Proklamazion dieser ero¬ »tischen Fastenzeit. Beim Himmel, wenn ein einzi¬ »ziger Mensch wie der Pabst die geistliche Waschma¬ »schine ganzer Welttheile zu seyn vermag und die »Seelen am Jubeljahre Faszikel-weise saͤubern kann: »so werden doch wir alle im Kollegio zur Wasch¬ »maschine Eines Landes zu brauchen seyn? — Ge¬ »schieht das nicht: so nehmen wir — denn wir wol¬ »len leben — Suͤndengeld und Sportuln fuͤr das »Wenige, worin wir zu indulgiren haben; und wenn »in Sparta die Richter die Goͤttin der Furcht »anbeteten, so verehren bei uns die Partheyen »dieses schoͤne ens . — Haͤtten wir nur wenigstens »von fuͤnf oder sechs großen Suͤnden loszusprechen, »nur z. B. von einem Mord: so koͤnnten wir Ehe¬ »scheidung und Ehe-Beschleunigung — diese ganz »entgegengesetzten Operazionen gelingen uns, so wie D 2 »das Karlsbader Wasser zugleich den Stein im Un¬ »terleib zertheilt und Inserate im Brunnen verstei¬ »nert — fuͤr halbes Geld erlassen.» . . . . Nach einer langen Pause: »Ihro Durchlaucht, es ist doch »nicht zu machen, weil der Henker die weltlichen »Raͤthe mitten unter den geistlichen hat: ein halb »profaner Sessionstisch ist zu keinem heiligen »Stuhle umzudrechseln; es ist also nichts zu wuͤn¬ »schen — ausser der gesegneten Mahlzeit — als »Vertraͤglichkeit, damit geist- und weltliche Raͤthe »die Parteyen, auf denen sie sitzen, ordentlich auf¬ »speisen koͤnnen, ein paar Knochen ausgenommen, »die uns Boten und Schreibern zufallen: so sah ich »oft auf einem todten Pferde zugleich Staaren und » Raben in bunter Reihe eintraͤchtig wohnen und »hacken und zehren.» — — Mein Korrespondent versichert mich, durch diese Reden richtete der Hofmedikus mehr bei Jenner aus als der Hofprediger durch seine. Viele Par¬ theyen bekamen ihr Geld, und einige Richter ein allerungnaͤdigstes Handbillet. Eh' ich mit unserem verkleideten Gespann vor St. Luͤne ankomme: ist noch eines und das andre zu schreiben. An Jenners Seele waren mehrere Knie¬ druͤcker als an einem Fortepiano angebracht, die das Favoritenknie, indem es sich zu beugen schien, be¬ wegte wie es wollte. Er war allemal das Resultat der Gegenwart und der Wiederschein der Nachbar¬ schaft. Las er im Gully: so versaͤumte er eine Wo¬ che lang das geheime Regierungskollegium nicht und ließ den Kammerpraͤsidenten kommen. Las er im Friedrich II : so wollt' er das Reichskontingent stel¬ len und selber kommandiren und ging vormittags auf die Parade. Er sah mit Vergnuͤgen das Ideal einer guten Regierung an, es sey in Druck oder in einer Rede; und oft versuchte er die Approxima¬ zion dazu, Reformen, Untersuchungen und Beloh¬ nungen ganze Wochen lang — Enthaltungen ausgenommen, die doch das einzige Verdienst sind, das der Fuͤrst ohne fremde Huͤlfe erwerben kann. — Unter der ganzen Kreuzfahrt war er ein wahrer An¬ toninus Philosophus und war in Bereitschaft, uͤber¬ all zu belohnen und zu bestrafen und zu resolviren; — auch fuͤhlte er, er koͤnnt' es thulich machen, wenn man nur nicht von ihm noch arbeiten und entbehren heischte: daruͤber ging das andre auch zum Teufel. Anfangs gefiel ihm die empfindsame Reise, — als sie voruͤber war, wieder — aber in der Mitte schmeckte ihm alles, was nach dem Vorlauf ausge¬ keltert wurde, immer herber und er wuͤnschte sich statt der Dorfkuͤchenzettel sein Viktualienzifferblatt. Auch hatt' er sich so sehr an Tapferkeit gewoͤhnt, daß er beim Mangel derselben — d. h. seiner Leib¬ wache — so zu sagen furchtsam wurde; daher wollt' er einwal im Finstern einen jungen Weber in der Schenke aus dem Bette heraus mit seiner Badine erstechen, weil der Weber Nachts das fuͤrstliche Bet¬ te verwechselt hatte mit einem von friedlicherem Inhalt. Uebrigens sammelten sich jetzt alle Stralen seiner Zuneigung im einzigen Menschen von Stande, im einzigen Beherzten und Vertrauten, den er hatte, in Viktor, zum Fokus. Mein Held aber hatte uͤber¬ all zu genießen, — wenigstens den Gedanken an St. Luͤne —, uͤberall zu essen — wenigstens auf einem Obstbaum — uͤberall zu lesen — und warens nur Feuersegen an der Thuͤre, alte Kalender an der Wand, Ermahnungen zur Wohlthaͤtigkeit uͤber Al¬ mosenbuͤchsen —, uͤberall zu denken — uͤber das Reise-Paar, uͤber die vier Jahrszeiten-Akte der Natur, die jaͤhrlich wieder gegeben werden, uͤber die tausend Akte im Menschen, die nie wiederkeh¬ ren. . . . . »St. Luͤne!» schrie Jenner, froh, daß er nur wieder einen Weltmann, le Baut, sehen sollte. Auf die Emigranten-Maske war er selber verfallen, um den Kammerherrn, bei dem er sich zuletzt fuͤr einen Fuͤrsten-Erbfeind ausgeben wollte, besser auszuholen. Waͤre in le Bauts Seele ein hoͤherer Adel als der heraldische gewesen — oder haͤtte Viktor nicht ge¬ wiß gewußt, daß der Kammerherr den Fuͤrsten auf den ersten Blick erkennen wuͤrde — und daß ers schon darum vermoͤgen wuͤrde, weil der wahre su¬ spendirte Konsistorialbote schon der Stadt Flachsen¬ fingen wahrscheinlich die ganze Vermummung werde ins Ohr gesagt haben: so haͤtt' er ihm die noble Masque ausgeredet. Viktor blieb gedachtermassen weg, wahrscheinlich aus Scham seiner Rolle und offenbar aus Sehn¬ sucht, Klotildens Sonnenangesicht, das fuͤr ihn so lange nicht aufgegangen war, in einer seinem Her¬ zen bequemern Lage anzuschauen. »Und die Eltern »werden mich gern wieder sehen, wenn sie mir et¬ »was zu verdanken haben.» — Klotildens Hofamt naͤmlich. Ach wie lag das verhuͤllete Paradieß des heurigen Fruͤhlings in alten Resten um ihn! Wie beneidete er die Schattenkoͤpfe im Schlosse, die er um die Lichter gehen sah, und den alten Pfarrmops, der ihn zu den Pfarrleuten hineinwedeln wollte und drinnen auf dem Schauplatz einer so holden Vergan¬ genheit weiter agirte! Und als ihn Disteln am Schloße an die musivische auf dem Fußboden drin¬ nen erinuerten, so war der Neider zu beneiden und er ging mit den schoͤnsten Traͤumen, die je uͤber un¬ ser dunkles Leben gezeichnet wurden, zum Apotheker zuruͤck. Am andern Tage kam Jenner nach, froh uͤber die Eltern, entzuͤckt uͤber die Tochter, weil jene so fein waren und diese so schoͤn. Es kostete meinem Helden nichts als ein Wort, um den Stiefvater zur Bitte fuͤr die Vokazion der Stieftochter zu bewegen, die der Held und der Vater so gern oͤfter sehen wollten — und dem Stiefvater kostete es auch nur ein Wort bei der Fuͤrstin, um seine und die fremde Bitte gewaͤhrt zu finden ... Klotilde wurde Hof¬ dame. Sogleich daraus drang der Minister von Schleu¬ nes im Gluͤckwuͤnschungsschreiben den Viertels-Fluͤ¬ gel seines Hauses Klotildens Eltern auf und war in der Epistel froh, »daß eine hoͤhere Bitte die seinige mit so vielem Erfolge wiederholet haͤtte.» — Ich stelle diesen Edeln allen Weltleuten zum Muster auf; wiewohl sich jetzt alles im moralischen Sin¬ ne, wie die Wiener im heraldischen , edel schreibt. Viktor, der mit seinen Seelenaugen den ganzen Tag dem Kammerherrn ins Fenster guckte, konnte es kaum erwarten, Klotilde erstlich in St. Luͤne zu sehen und zweitens am Hofe. Er verschob die Vi¬ site von Tag zu Tag — und machte sie von Nacht zu Nacht im Traume. Nicht einmal die Visitenkarte — seinen Brief an den Pfarrer — hatt' er fortge¬ schickt: er wollt' ihn nicht nur selber bringen, sondern auch gar unterschlagen. Aber diesen letztern Gedanken — den Brief zu unterdruͤcken, etwan Klotilde diese boshafte Konduitenliste der Hoͤfe in die Haͤnde und daraus Widerwillen gegen die neue Charge bekommen koͤnnte — schleuderte er wie Paulus die Schlange sogleich — aus seiner Seele hinaus: wehe dem Her¬ zen, das nicht aufrichtig ist gegen ein aufrichtiges, nicht groß gegen ein großes, uud warm gegen ein warmes, da es schon alles dieses seyn muͤßte gegen eines, das es nicht waͤre! Uebrigens bedurft' er eines solchen Besuchs und eines solchen Gegenbesuchs taͤglich staͤrker; denn er war nicht gluͤcklich: daran war ausser ihm schuld 1) der Fuͤrst, 2) Flamin 3) neun tausend und sieben und dreyßig Personen. Der Fuͤrst konnte nicht viel dafuͤr; er goß das ganze Fuͤllhorn seiner Liebe uͤber den Medikus aus und nahm diesem alle Freiheit weg, die er anfangs so heilig zu bewahren willens gewesen. Viktor schuͤttelte den Kopf, so oft er sein Tagebuch oder Schiffsjournal der Lebensfarth (auf Geheiß seines Vaters) weiter schrieb und aus seiner Seekarte ersah, daß er ganz andere Meere und Gra¬ de der Laͤnge und Breite passirt war als er oder sein Vater haben wollte: »inzwischen land' ich doch »richtig» sagt' er. — Aber sein Flamin that seiner Seele weher, die uͤberall zuviel Liebe suchte und gab. Er wollte dem Rathe mit der Nachricht des Avancements Klotil¬ dens eine Freude machen, die seiner eignen glich; aber der empfieng sie so kalt wie ihren Ueberbringer. Der Aktenstaub lag dick auf den Orgelpfeifen seines Gemuͤths. — Angekettet an den Sessions- und Schreibetisch, war er jetzt wie angekettete Hunde wilder als vorher ungefesselt. — Die Bemuͤhungen seiner Kollegen, den Staats-Koͤrper zu einem Ana¬ gramma auszurenken, erhielten von ihm den verdien¬ ten Beifall nicht. — Auch setzte sich in seiner Seele der Sauerteig der freundschaftlichen Eifersucht an, der es nicht recht war, daß sein Viktor ihn seltener und andre oͤfter sah. — Am meisten erboßte ihn Viktors Weigern, als er ihn um Begleitung nach St. Luͤne ersuchte . . . . Kurz: er war arg. Die 9037 Mann, die fuͤr meinen Helden 9037 Plagegoͤtter waren, sind die Herren Flachsenfinger samt und sonders vermittelst ihres naͤrrischen Karak¬ ters, der hier nicht skizziret zu werden verdient, son¬ dern in einem fluͤchtigen Extrablaͤttgen. Fluͤchtiges Extrablaͤttgen , worin der naͤr¬ rische Karakter der Flachsenfinger skizzirt wird — oder perspektivischer Aufriß der Stadt Klein-Wien . Klein-Wien heissen viele mein Flachsenfingen, so wie es Klein-Leipzig, Klein-Paris u. s. w. giebt. Es koͤnnen aber wohl zwei Staͤdte nicht weiter von einander in Sitten abstehen als Flachsenfingen, wo man sein Leben und seine Seele verfrist und versaͤuft, und Wien, wo man vielleicht den entgegengesetzten Fehler eines partischen Ausmergelns nicht genug vermeidet. Die Klein-Wiener oͤfnen dem Genuß der Natur weniger ihr Herz als ihren Magenmund — Auen sind die Kuͤchenstuͤcke ihres Viehes und Gaͤrten die ihrer Besitzer — die Milchstraße fesselt und saͤttigt ihren Geist (ob sie gleich laͤnger ist) nicht halb so sehr wie die Koͤnigsberger Bratwurst von 1583. es thaͤte, welche fuͤnf hundert und sechs und neunzig Ellen lang und viermal schwerer war als der Gelehrte selber, der sie der Nachwelt geschildert, Herr Wagenseil Es ist der mit den langen Schuhen, in seiner ”Erziehung ”eines jungen Prinzen 1705.” . — — Sind das die Zuͤge, auf welche die Fuhrleute den Namen Klein-Wien fundiren? Ich war oft in Groß-Wien und kenne die Groskreuze, Kleinkreuze und Kommandeu r s des Temperanzordens, der dort so gemein ist, persoͤn¬ lich: ich kann also allerdings einen guͤltigen Zeugen abgeben und mir ist zu glauben, wenn ich — da man in Klein-Wien ausserordentlich saͤuft — von Groß-Wien, und ausdruͤcklich von dessen Kloster¬ leuten ganz etwas anders verfechte: sie haben nicht nur immerfort den groͤßten Durst — der doch weg seyn muͤßte, wenn man ihn loͤschte — sondern sie bedienen sich auch gegen die Besoffenheit eines schoͤnen Mittels vom Plato. Dieser Alte giebt uns den Rath, im Soff in einen Spiegel zu schauen, um durch die zerrissene Gestalt, die uns darin an unsre Entehrung erinnert, auf immer davon abge¬ mahnet zu seyn. Daher stellen oft ganze Domkapi¬ tel, der Dechant, der Subsenior, die Domizellaren u. s. w. Gefaͤße mit Wein oder Bier vor sich hin und heben sie an die Augen und besehen in diesem metamorphotischen Spiegel, der die entstellten Zuͤge noch mehr entstellt (weil er wackelt), sich schon lange nach des Philosophen Rath. Ich frage aber, ob Leute, die bestaͤndig so tief ins Glas gucken, Trin¬ ken lieben koͤnnen? — Daraus folgt aber nicht, daß ich den Groß-Wie¬ nern die Aehnlichkeit mit den Flachsenfingern auch in solchen Zuͤgen nehme, die ehren. So sprech' ichs z. B. jenen ganz und gar nicht ab, daß sie diesen darin gleichen, an keiner Dichtkunst, keiner Schwaͤr¬ merei und Empfindsamkeit — denn das ist alles ei¬ nerlei — zu siechen. Viktor wuͤrde dieses Lob in seiner Sprache so klingen lassen: »die Wiener Auto¬ »ren (selber die besten, nur Denis und kaum drei » ansgenommen ) geben dem Leser keine uͤber die gan¬ »ze Gegenwart tragende Fluͤgel durch jenen Seelen¬ »Adel, durch jene Verschmaͤhung der Erde, durch »jene Achtung fuͤr alte Tugend und Freiheit und »hoͤhere Liebe, worin andre deutsche Genies wie in »heiligen Strahlen glaͤnzen» und er wuͤrde sich dazu auf die »Wiener Skizzen», auf »Faustin» auf «Blu¬ mauer» und auf den »Wiener Musenalmanach» be¬ rufen. Diesen Tadel wuͤrde selber ein Wiener nuͤtz¬ lichst acceptiren und uns fragen, ob wir einen Mu¬ senalmanach (wie er) mit einem Zoten-Sediment aufzuweisen haben, worauf man setzen koͤnnte »mit Approbazion des Bordels.» — Dieses Gefuͤhl des litterarischen Unterschiedes noͤthigte sogar einen Ni¬ kolai, der sonst kein besonderer Amoroso der Wie¬ ner Autoren ist, in seiner Allg. deutsch. Biblio¬ thek eine besondere Seitenloge fuͤr diese einzubauen, da er doch Leipziger, Berliner Autoren in Ein Par¬ terre zusammenwirft. Auf aͤhnliche Art sah ich in Baiern, daß an dem Galgen ausser dem gewoͤhnlichen Balken fuͤr die drei christlichen Konfessionsverwand¬ ten, noch ein besonderer schismatischer Queerpfosten angebracht war, an dem blos die Judenschaft gehef¬ tet wurde. Der Flachsenfinger weiß, daß an Poeten nichts ist und springt in Buͤchern, wo Versebaͤche durch die Prose laufen, uͤber die Baͤche hinweg, wie gewisse Leute spaͤt in die Kirche gehen, um dem Singen zu entweichen. Er ist ein treuer Diener des Staats, dem bekannt ist, wozu die poetische goldne Ader beim Revisions-Kommissions-Relazions-Enrollirungswe¬ sen zu brauchen ist, zu gar nichts; inzwischen will er doch, wenn er auch einen Klopstock und Goͤthe nicht schaͤtzen kann, in muͤßigen Stunden einen gu¬ ten Knuͤttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬ ne solche gluͤckliche robuste Seelen-Konstituzion, worin man weniger seinen Geist erhoͤhen will als sei¬ nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Praͤ¬ servative geben kann, vermittelst deren der Flachsen¬ finger allein (wie Sokrates) in der Pest der Em¬ pfindsamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle Mond machte bei ihnen volle Krebse aber keine volle Herzen und das was sie darin pflanzten, damit er den Wachsthum beguͤnstigte, war nicht Liebe, son¬ dern — Kohlruͤben. Der aͤchte Klein-Wiener zielt nach viel naͤhern Schießscheiben als nach dieser dro¬ ben. Geheirathet wird da mit wahrer Lust, ohne daß man sich vorher todtgeschossen oder todtgeseufzet — man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬ nonische — die weibliche Tugend ist ein ceinturon , der so lange halten soll als der Geschlechtsname der Tochter — die Herzen der Toͤchter sind da wie Cou¬ verts, die sich, wenn sie einmal an einen Herrn adressirt waren, leicht umstuͤlpen lassen, damit man darauf die Aufschrift an einen andern Menschen ma¬ che — die Maͤdgen lieben da nicht aus Koketterie sondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen arme Teufel . . . Kurz mein Korrespondent, von dem ich alles habe, ist fast partheyisch fuͤr Klein-Wien eingenom¬ men und widerspricht daher heftig dem Verfasser des reisenden Franzosen , der irgendwo gesagt haben soll — haͤtt' ich ihn im Hause, so wuͤst' ich, wie eigentlich Klein-Wien heisse — daß der Flachsenfin¬ ger nicht einmal zum Raͤuber tauge. Knef aber sagt, er wolle hoffen, daß sie schon gestohlen haben und stuͤtzt sich auf die, die man gehangen hat. Ende des fluͤchtigen Extrablaͤttgens, worin der naͤrrische Karakter der Flachsenfinger skizziret wur¬ de — oder des perspektivischen Aufrißes der Stadt Klein-Wien. Aber unter solchen Menschen konnte mein Held bei aller Toleranz keine frohen Tage finden, er, der allen Eigennutz, zumal den schmausenden so haßte und der gern in D. Grahams Vorlesungen hospitirt haͤt¬ te, worin dieser lehrte, ohne Essen zu leben — er, der in sein Herz so gern den von der Poesie gefluͤ¬ gelten Samen der Wahrheit aufnahm; der einen Emanuel am Herzen trug und der den Mangel an Geschmack sogar fuͤr ein Zeichen ansah, daß der moralische Mensch noch nicht alle Raupenhaͤute weggelegt — er, der das ganze Leben und den gan¬ zen Staatskoͤrper fuͤr die Huͤlse ansah, worin der Kern des zweiten Lebens reift — — — o! einer, der so denkt, ist zu einsam unter denen; die anders denken! — Es war am schoͤnsten Abend, der die Ankunft des schoͤnsten Sonntagsmorgens und des magischen Nachsommers ansagte — er sah nach der Abendroͤ¬ the, unter der Maienthals Berge lagen und sein Herz schlug ihm schwer — er sah nach der Morgen¬ roͤthe des Vollmonds, die uͤber St. Luͤne entglimte und seine Sehnsucht nach dorthin wurde unaussprech¬ lich — — er dachte an Klotilde, deren Geburtstag morgen, den 21 Oktober, einfiel und ganz natuͤrlich ging er heute — — — bloß zu Bette. 19. 19. Hundsposttag. Der Friseur, der nicht lungen- sondern singsüchtig ist — Klo¬ tilde in Viktors Traum — Extrazeilen über die Kirchenmusik Gartenkonzert von Stamiz — Zank zwischen Viktor und Flamin — Das Herz ohne Trost — Brief an Emanuel. D er Oktober-Sonntag, womit ich diesen Posttag voll mache, war schon um 6½ Morgens ein so freu¬ diger glaͤnzender Tag in St. Luͤne, daß das ganze Pfarrhaus an den Hofmedikus dachte. — »Ach er »sollte abends ins Konzert kommen!» Der Vir¬ tuose Stamiz gab eines in le Bauts Garten. — »O »lieber schon zum Mittagessen!» — »Und in meine »Fruͤhpredigt, wenn er nicht in die Kinderlehre »will.» Eyman hatte dabei seine rektifizirte Pe¬ ruͤcke am meisten im Kopfe, die ihm H. Meuseler heute darauf gesetzt hatte. Dieser geschickte Peruͤ¬ ckenmacher bereisete die Dioͤzesanos, die kein eignes Haar trugen, oͤfter und mit groͤssern Verdiensten um ihre Koͤpfe als der Superintendent selber, dieser Be¬ herrscher der Glaͤubigen , zu dem die meisten Diakoni sagten: Ihro Exzellenz. Haͤtt' er sichs ab¬ gewoͤhnen koͤnnen, daß er zuviel sang, log und soff, Hesperus. II Th. E der Friseur: so haͤtten die meisten Geistlichen ihre Toupees — die artistischen Hahnenkaͤmme — bei ihm machen lassen; — so aber nicht. Da der Kaplan gern die Konfituren des Schick¬ sals — worunter falsche Haare gehoͤren — mit et¬ was versaͤuerte und hopfte: so suchte er natuͤrlicher Weise sich die heutige Peruͤcke, fuͤr deren falsche Touren er an Zahlungsstatt aͤchte abgeschnittene Haare seiner Leute gab, durch Skrupel zu versalzen, die er sich uͤber das lange Wegbleiben Viktors mach¬ te. Er erinnerte: »wir muͤssen ihn vor den Kopf »gestossen haben — er schreibt nicht einmal — er »ist vielleicht mit meinem Sohne zerfallen — etwas »hats gesetzt — und dann sieht uns der alte Lord »auch nicht mehr von der Seite an — unsere Rat¬ »ten trieben ihn in jedem Falle aus.» — Durch solche Elegien setzte er anfangs nur sich und zuletzt selber den Zuhoͤrer in Angst. Er war durch nichts zu widerlegen als dadurch, daß man etwas Neues was ihn aͤngstigte, hervorsuchte. Die Wetterscheide seines Gewoͤlkes oder sein Noth und Huͤlfsbuͤchlein war diesesmal ein wahres Buch, des Zeizer »Teller's Anekdoten fuͤr Prediger», die er heute durch den Peruͤckenmacher vom kanonischen Le¬ sezirkel empfing. Geistliche, zumal die auf dem Lande betreiben alles mit einer kleinlichen puͤnktli¬ chen Aengstlichkeit, worin sie zum Theil ihr regie¬ render Wauwau und Lindwurm von Konsistorium schreckt. In dieser Legesellschaft war nun ein Gesetz im Gang. — Kommentatoren nnd Editoren halten es —, daß jedes Leseglied die Fett- und Dintenflecke und Riße, die es im Lesebuch antraͤfe, vorn imma¬ trikuliren sollte in einem Flecken-Verzeichniß und Befundzettel samt der Pagina »wo.» Ganz natuͤr¬ lich laͤugnete jeder, der nur halbwege ein ehrlicher Lutheraner war, die unbefleckte Empfaͤngniß des Buchs; und die Sommerflecken wurden also alle ordentlich einregistrirt, aber keiner bestraft. Bloß der gewissenhafte Hofkaplan lud als Wuͤstenbock die Srrafe fremder Fehler auf, indem er eine ganze Nacht jedesmal nicht schlafen konnte, so oft er im Buche mehrere Klekse als in der Konduitenliste fand, weil er offenbar sah, er werde zum Adoptivvater des anonymen Schmutzes gemacht und zum Kaͤufer des Buchs. — — Tellers Anekdoten fuͤr Schwarz¬ roͤcke waren nun gar voͤllige schwarze Waͤsche: war nicht ein Eselsohr am andern — Klekse auf Kleksen — die Blaͤtter ordentliche Korrekturbogen . . . und zwar unmetaphorisch gesprochen? — Eyman hob an: »Und wenn mirs Geld zum Fenster herein¬ floͤg'.» . . . Da flog Viktors Brief zum Fenster herein und sein — Verfasser zur Thuͤr. E 2 Freilich aber wars so: Viktor hatte vor schoͤnem Wetter schoͤne Traͤume, vor elendem erschien ihm der Satan mit seiner Sipschaft. Das schoͤne Sonn¬ abends-Wetter und der Gedanke an den Geburtstag Klotildens und des Nachsommers gaben ihm einen Morgentraum, der ein Theater fuͤr diese war. Eine Person, die er hinter dem Schleier des Traums ge¬ sehen, stand fuͤr ihn den ganzen naͤchsten Tag in ei¬ nem zauberischen Wiederschein. Bei ihm irrten die Traͤume — diese Phalaͤnen des Geistes — wie andre Phalaͤnen uͤber die Nacht und den Schlaf hinaus; wenigstens Vormittags liebt' er jede Person im Wa¬ chen fort, die er im Traum zu lieben angefangen. Diesesmal floß gar umgekehrt die wachende Liebe in die traͤumende hinein und die wirkliche Klotilde fiel mit der idealischen in Ein so leuchtendes Heiligen¬ bild zusammen, daß einer, der seinen Traum weiß, sich ins Uebrige leicht findet. Deswegen muß der Traum den Lesern gegeben werden, den poetischen Lesern besonders — fuͤr andere moͤchte ich eine Edi¬ zion der Hundsposttage veranstalten, wo er her¬ aus waͤre: denn unpartheyische, die selber keine ha¬ ben, sollten keine lesen. Euch aber, euch guten, nie belohnten weiblichen Seelen, die ihr ein eignes zweites Gewissen ne¬ ben dem ersten, fuͤr reine Sitten habt — deren ein¬ zige Tugend in der Naͤhe eine Sammlung von allen ist, wie einige Sterne durch Glaͤser in Millionen zerfallen — die ihr, so veraͤnderlich in allen Ent¬ schluͤssen, so unveraͤnderlich im edelsten, aus der Erde geht mit verkannten Wuͤnschen, mit vergessenem Werthe, mit Augen voll Thraͤnen und Liebe, mit Herzen voll Tugend und Gram — euch theuern er¬ zaͤhl' ich gern den kleinen Traum und mein großes Buch! . . . »Eine Hand, die Horion nicht sah, faßte ihn an, »eine Lippe, die er nicht sah, redete ihn an: dein »Herz sey jetzt heilig und rein, denn der Genius »der weiblichen Tugend wohnt in diesem Gefilde. » — Siehe da stand Horion auf einer mit Vergi߬ »meinnicht uͤberzognen Flur, woruͤber der Himmel, »wie ein blauer Schatten heruͤbersank: denn alle »Sterne waren aus ihm genommen, bloß der » Abendstern stand einsam flimmernd oben an der »Stelle der Sonne. Weiße Eis-Pyramiden, ge¬ »streift mit herunterrinnenden Abendroͤthen, umran¬ »gen wie mit einem Wall aus Gold- und Silberstu¬ »fen das ganze dunkle Rund — — Darin ging »Klotilde, erhaben wie eine Verstorbene, heiter wie »ein Mensch in der andern Welt, gefuͤhrt bald von »gefluͤgelten Kindern, bald von einer verschleierten »Nonne, bald von einem ernsten Engel, aber sie »ging ewig vor Horion voruͤber — sie laͤchelte ihn »seelig-liebend an unter jedem Voruͤberziehen, »aber sie zog voruͤber. — Blumige Erhoͤhungen. »Graͤbern fast gleich‚ stiegen auf und nieder‚ denn »jede wurde von einem darunter schlummernden Bu¬ »sen durch Athem geregt; eine weiße Rose stand »uͤber dem Herzen‚ das darunter verhuͤllet lag‚ zwei »rothe wuchsen uͤber den Wangen‚ deren Tugend¬ »farbe sich in die Erde verbarg‚ und oben am himm¬ »lischen Nacht-Blau wankte der weisse und rothe »Wiederschein der Huͤgel-Blumen gleitend in einan¬ »der so oft unten die Rosen des Herzens und der »Wangen sich mit dem Huͤgel bewegten — Versie¬ »gende Echos‚ aber von ungehoͤrten Stimmen er¬ »regt‚ gaben einander hinter den Bergen Antwort; »jedes Echo hob die kleinen Schlummerhuͤgel hoͤher »auf als wenn sie ein tiefer Seufzer oder ein Bu¬ »sen voll Wonne erhoͤhte und Klotilde laͤchelte seeli¬ »ger‚ von jedem Wiederhalle tiefer in den Blumen¬ »boden versenkt — In den Toͤnen war zu viel »Wonne und das aufgeloͤßte Herz des Menschen »wollte darin sterben — Klotilde sank jetzt in die »Graͤber bis ans Herz — Nur das stille Haupt laͤ¬ »chelte noch uͤber der Aue — die Vergißmeinnicht »ragten endlich an die untergesunknen Augen voll »seeliger Thraͤnen und uͤberbluͤhten sie — Da uͤber¬ »kroch die Holde ploͤtzlich ein Schlummerhuͤgel und »und unter den Blumen stiegen ihre Worte auf: »Ruhe du auch‚ Horion! — Aber die fernern Laute »verwandelten sich unter dem Begraben in dunkle »Harmonikatoͤne. .... Siehe unter dem Verstum¬ »men ging ein großer Schatten wie Emanuel heran »und stand vor ihm wie eine kurze Nacht und ver¬ »deckte die unbekannte Minute aus einer hoͤhern »Welt. — Aber als die Minute und der Schatten »zerflossen waren: da waren alle Huͤgel niedergefal¬ »len — Da uͤberguldete der Blumen-Wiederschein »zusammengeflossen den wallenden Himmel — Da »klammerten sich an die Purpurgipfel der Eisberge » weisse Schmetterlinge, weisse Tauben, weisse »Schwaͤne mit ausgespannten Fluͤgeln wie mit Ar¬ »men an und hinter den Bergen wurden gleichsam »von einer uͤbermaͤßigen Entzuͤckung Bluͤtem empor¬ »geworfen und Sterne und Kraͤnze — Da stand »auf dem hoͤchsten in lichtem Glanz und Purpurlohe »ruhenden Eisberg Klotilde verherrlicht, geheiligt, »uͤberirrdisch entzuͤckt und an ihrem Herzen flatterte »eine Nebelkugel, die aus aufgeloͤßten kleinen Thraͤ¬ »nen bestand und auf welche Horions blasses Bild »gezeichnet war, und Klotilde breitete die Arme »auseinander.« — — — Aber um zu umarmen? oder um sich aufzuschwingen oder um zu beten? ... Ach er erwachte zu bald und stroͤmte in groͤßern Thraͤnen als die neblichten waren aus und eine untersinkende Stimme rief un¬ anfhoͤrlich um ihn: Ruhe du auch! — O du weibliche Seele‚ die du muͤde und unbe¬ lohnt‚ bekaͤmpft und blutend‚ aber groß und unbe¬ fleckt aus dem rauchenden Schlachtfelde des Lebens gehst, du Engel‚ den das maͤnnliche von Stuͤrmen erzogne‚ von Geschaͤften besudelte Herz achten und lieben‚ aber nicht belohnen und erreichen kann; wie beugt sich jetzt meine Seele vor dir‚ wie wuͤnsch' ich dir jetzt des Himmels stillenden Balsam‚ des Ewi¬ gen belohnende Guͤte! Und du‚ Philippine‚ theure‚ theure Seele, trete jetzt weg in eine verborgne Zelle und lege unter den Thraͤnen‚ die du schon so oft vergossen hast‚ deine Hand an dein reines weiches Herz und schwoͤre: »ewig bleibe du Gott und der »Tugend geweiht‚ wenn auch nicht der Ruhe!« Dir schwoͤr' es; mir nicht‚ denn ich glaub' es ohne Schwur. — — Welch' eine Paradenacht voll Sterne und Traͤu¬ me war das! und welch ein Gallatag der Natur kam auf sie! In Viktors Kopf stand nichts als St. Luͤ¬ ne‚ blau uͤberzogen‚ silbern uͤberthauet und mit dem schoͤnsten Engel geschmuͤckt, der heute nasse frohe Augen in den freundlichen Himmel hob und dachte: »wie bist du heute gerade an meinem Geburtstage »so schoͤn!« — Sogar der Stadtsenior und seine Tochter‚ die beide Hochzeit machten — jener eine Ancora-Hochzeit mit seiner Seniorin‚ diese eine erste mit dem Waisenhausprediger — schoben sich in der Prozession seiner freudigen Gedanken als zwei neue Paare ein. Er wollte nicht nach St. Luͤne, sondern er sagte: »ich ziehe mich nur an zu einem kleinen Spazier¬ »gange.« — »Es ist ganz egal, wo ich heute gehe« sagt' er draussen und ging also auf den St. Luͤner Weg. — »Umkehren kann ich allemal« sagt' er auf halbem Wege. — — »Noch naͤrrischer waͤr's wenn ich zugleich Brief¬ »steller und Brieftraͤger wuͤrde und mein eignes »Schreiben insinuirte« sagte er und zog solches heraus. — — — Da er aber das Luͤner Praͤludiumsgelaͤute zum Kirchengelaͤute vernahm: so sprang er empor und sagte: »nunmehr versalz' ich mir den Weg »nicht laͤnger durch weitere Skrupel, sondern ich »will keck und entschlossen hinein marschiren.« Und so marschirte er an der Hand Fortunens, hinter dem Nachlaͤcheln der ganzen Natur, mit Traͤu¬ men im Herzen, mit unschuldiger Hofnung im juͤn¬ gern Angesicht in das Eden seiner Seele hinein. Flamin hatt' er nicht mitgebeten, um dem Stadt¬ senior den Hochzeitgast nicht zu nehmen — und vielleicht auch, weil er seine phantasirende Aufmerk¬ samkeit auf den schimmernden Morgen durch keine juristische Kollegial-Neuigkeiten wollte stoͤren lassen. Er ging lieber mit einer Frau als einem Mann spa¬ ziren: Maͤnner schaͤmen sich beinahe neben einander anderer als stummer Empfindungen; aber weiblichen Seelen oͤfnen sich gern die verschaͤmten Gefuͤhle; denn von ihnen wird mit Mutterwaͤrme das nackte Herz bedeckt, damit es nicht unter dem Enthuͤllen erkalte. — Da Viktor unten ums Pfarrhaus ging sah er oben selber zum Fenster auf sich herunter, in seiner zweiten Auflage fuͤr einige gute Freunde; aber der Wachs-Bastian mußte sogleich hinter eine spanische Wand getrieben werden, damit er den fleischernen nicht erschreckte. — Der Empfang des letztern nnd das Jubelfest dabei braucht nicht lebhafter von mir beschrieben zu werden als daß ich sage: der Mops wurde fast ertreten, der Gimpel sprang umsonst auf nach seinem Dejeneur herum, die Pfarrerin brachte in ihrer anblickenden Freude auch dem Gaste keines und die Kirche ging erst nach einem Doppel-Uso von einer halben Stunde an; daher diesesmal mehrere Eingepfarrte als sonst besoffen hinein kamen. Berauscht, aber von Freude, kam Viktor auch in das Pfarrhaus hinein. Es ist nichts angenehmers als eine Pfarrfrau zu seyn und zum Mann, wenn sie ihm den Ueberschlag umlegt, zu sagen: »mach' es heute »laͤnger, das Fleisch braͤt sonst nicht aus.« — Die haͤuslichen Kleinigkeiten ergoͤtzten meinen Helden eben so sehr als ihn die hoͤfischen erzuͤrnten. Er ging mit dem Pfarrer. Seine Toleranz ge¬ gen die Fehler des geistlichen Standes hatte mit je¬ ner vornehmen stifts- und tadelfaͤhigen nichts ge¬ mein, die aus hoͤchster Verachtung entsteht und die einen christlichen Priester so leicht wie einen aͤgypti¬ schen ertraͤgt: sondern sie kam aus seiner Meinung, daß die Kirchen noch die einzigen Sonntagsschulen und spartischen Schulpforten und Seminarien des armen Volkes sind, das seinen cours de morale nicht beim Staate hoͤren kann. Auch liebte er als Juͤngling die Lieblinge seiner Kindheit. Viele Prediger suchen den Quintilian, der schlechte Gruͤnde in Reden voran gestellet haben will, und den Cicero, der sie hintennach will, zu vereinigen und postiren sie an beiden Orten; aber Eymann hielt gute Empfindungen fuͤr besser als schlechte Gruͤnde und wand um den Bauern nicht Schluß- sondern Blumenketten. Der Friseur ging anfangs nicht in die Kirche, weils unter seinen Stand war, aber nachher konnt' er nicht anders: denn wegen des fremden Hofherrns darin wurde Kirchenmusik gemacht. Es ist der einzige Fehler des Peruͤckenmacher Meuseler, daß er zu gern singt und seine Kehle in alle Kirchenmusiken, die in seiner Peruͤckendioͤzes ge¬ macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingstfest. Der Luͤner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬ ruͤckt er diesen und labt tausend Ohren? So bloß: er frisirte heute hinaus was noch zu frisiren war (nicht bloß heute, sondern es ging allemal so) und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt' er so lange bis der Kantor, auf dem mu¬ sikalischen Wurstschlitten seßhaft, mit dem Finger in den ersten Akord der Kirchenmusik einhieb. Dann fuhr er neben einem Sonnenstral — aber nicht lang¬ samer — ins Chor und mausete dem jungen Altisten sein Pensum weg und sangs dem Kirchensprengel in die Ohren, aber unter so viel Jammer nnd Puffen als saͤng' er sein Manuskript den Rezensenten. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der bissige Klavierist dem frisirenden Altisten mit einem spitzwinklichten Triangel von Ellbogen wuͤthich entgegenstochert, um den fremden Singvogel aus der Volerie des Chors zu stoßen. Da aber der Saͤnger seinen rechten Arm zum festen Notenpulte seines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬ te, wie die an Jerusalem bauenden Juden die eine Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten: so konnte der Peruͤckenmacher, unter fortwaͤhrendem Fechten und Musiziren, schon sein Moͤglichstes thun und einiges durchsetzen waͤhrend des Gottesfriedens der Musik. Aber sobald die Musik den letzten Athem gezogen hatte: so setzte der harmonische Strichvogel und Sturmlaͤufer behend uͤber das Chor hinaus und sann unterweges tausend Ohren und einem einzigen Ellbogen nach. Der Kantor konnt' ihn nicht riechen und nicht kriegen. Wenn er hingegen gluͤcklicherweise mit seinen Schachteln durch ein Dorf passirte, wo gerade Pfarr- und Schulherr und paͤdagogischer Froschlaich eine taube Leiche umquaͤckten und umkraͤchzeten, welches viele noch kuͤrzer eine Leichenmusik nennen: so konnte der Virtuose, ohne Reakzion der Ellenbogen, mun¬ ter mit zwei Fuͤßen mitten in die Motette hinein¬ springen — das Trauer-Staͤndgen, das die Erben dem Todten bringen, bearbeiten — dem Leichenkon¬ dukt einige Finalkadenzen gratis zuwerfen und doch noch im Dorfe dem Justitiar eine ganz neue Beutel¬ peruͤcke anbieten. — Unserem Helden machte die kanonische Musik das groͤßte satirische Vergnuͤgen. Wir aber haͤtten wenig davon, wenn ich nicht so gescheut waͤre, daß ich um die Erlaubniß nur zu einer elenden Extra¬ sylbe — man soll sie kaum sehen — uͤber die Kir¬ chenmusik bettelte. Elende Extra-Sylbe uͤber die Kir¬ chenmusik . Ich sehe allemal mit Vergnuͤgen, daß die Leute in einer Kirchenmusik sitzen bleiben, weils ein Be¬ weiß ist, daß keiner von der Tarantel gestochen ist: denn liefen sie hinaus, so saͤhe man, sie koͤnnten keine Mißtoͤne aushalten und waͤren also gebissen. Ich als profaner Musikmeister setze nur fuͤr wenige Kirchen — naͤmlich fuͤr reparirte oder fuͤr neue den Einweihungslaͤrm — und verstehe also im Grunde von der Sache nichts, woruͤber ich mich im Vor¬ beigehen auslassen will; aber soviel sey mir doch er¬ laubt zu behaupten, daß die lutherischen Kirchen¬ musiken etwas taugen — auf dem Lande, nicht in den Residenzstaͤdten, wo vielleicht die wenigsten Mißtoͤne richtig vorgetragen werden. Wahrlich ein elender, versoffner, blauer Kantor, der in Bravoura¬ rien sich braun singt und andre braun schlaͤgt, — es giebt also zweierlei Bravour- Arien — ist im Stande, mit einigen Professionisten, die Sonntags auf der Geige arbeiten, mit einem Trompeter, der die Mauern Jericho's niederpfeifen koͤnnte ohne In¬ strument, mit einem Schmidt, der sich mit den Paucken herumpruͤgelt, mit wenigen krampfhaften Jungen, die das Singen noch nicht einmal koͤnnen und die doch einer Saͤngerin gleichen, welche nicht wie die schoͤnen Kuͤnste allein fuͤr Ohr und Auge arbeitet, sondern auch (aber in einem schlimmern Sinn als die Jungen) fuͤr einen dritten Sinn, und mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lun¬ genfluͤgeln und aus seinen eignen holt, ein solcher stampfender Mann ist, sag ich, im Stande mit so aus¬ serordentlich wenigen musikalischen Gerumpel doch ein viel lauteres Donnern und Kolofoniums-Blitzen um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere und mißtoͤnendere, deren Kirchenmusik aus seinem Chor herauszumachen als manche viel besser unterstuͤtzte Theater-Orchester und Kapellen, mit deren Wollau¬ ten man so oft Tempel entweiht. Daher thut es nachher einem solchen lauten Manne weh, wenn man sein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und falsch beurtheilt. Soll sich denn in alle unsre Pro¬ vinzialkirchen das weiche leise Herrnhutische Toͤnen einschleichen? — Es giebt aber zum Gluͤck noch Stadtkantors, die dagegen arbeiten und die wissen worin reiner Chor und Mißton sich vom Kammer¬ ton zu unterscheiden hat. Den Lesern nicht, aber Organisten kann ich zu¬ muthen, daß sie wissen, warum bloße Dissonanzen — Konsonanzen sind nur unter dem Stimmen der Instrumente zu ertragen — aufs Chor gehoͤren. Dissonanzen sind nach Euler und Sulzer Ton-Ver¬ haͤltniße die in großen Zahlen ausgedruͤckt werden; sie mißfallen uns also, nicht wegen ihres Mißver¬ haͤltnisses, sondern wegen unsers Unvermoͤgens, sie in der Eile in Gleichung zu bringen. Hoͤhere Geister wuͤrden die nahen Verhaͤltnisse unsrer Wohllaute zu leicht und unison, hingegen die groͤßern unserer Mi߬ toͤne reizend und nicht uͤber ihre Fassung finden. So lange nun der Gottesdienst mehr zur Ehre hoͤhe¬ rer Wesen als zum Nutzen der Menschen gehalten wird — und so weit ist hoffentlich die Sittenlosig¬ keit noch nicht eingerissen, daß man dieses abschafte: — so lange muß der Kirchenstyl darauf dringen, daß Musik gemacht werde, die fuͤr hoͤhere Wesen passet, naͤmlich aus Mißtoͤnen und daß man gerade die, die fuͤr unsre Ohren die abscheulichste ist, als die zweckmaͤßigste fuͤr Tempel finden. Machen wir einmal der Herrnhutischen Instru¬ mentalmusik die Kirchenthuͤre auf: so steckt uns zu¬ letzt auch ihr Singen an und es verliert sich nach und nach alles Vokal-Gebloͤck, welches unsre Kir¬ chen so lustig macht und welches fuͤr Kastratenohren ein so unangenehmer Hammer des Gesetzes, aber fuͤr uns ein so angenehmer Beweiß ist, daß wir Schwei¬ nen aͤhnlichen, die der Abt de Baigne auf Befehl Ludwigs XI . nach der Tonleiter geordnet mit Tan¬ genten stach und zum Schreien brachte. So denk' ich uͤber Kirchen- oder altdeutschen Schlacht¬ gesang. Ende Ende der Extrasylbe uͤber die Kirchen¬ musik. Ich haͤtte den Haarkraͤusler nicht so lange singen und agiren lassen, wenn mein Held diesen ganzen Sonntag zu etwas anderem zu brauchen waͤre als zu einem Figuranten; aber den ganzen Tag that er nichts von Belang als daß er etwan aus Menschen¬ liebe die alte Appel zwang — indem er ihre Kom¬ moden und Schachteln selber auspackte, — von ih¬ rem Koͤrper, der lieber Schinken als sich anputzte, die gewoͤhnliche mit typographischer Pracht gedruckte Schabbes-Edition, schon um drei Uhr Nachmittags zu veranstalten: sonst lieferte sie solche erst nach dem Abendessen. Die Juden glauben, am Sabbath eine neue Schabbesseele zu bekommen: in die Maͤdgen faͤhrt wenigstens eine, in die Appeln ein Paar. Aber warum muth' ich meinem Helden zu, heute mehr Aktion zu zeigen — ihm, der heute — versun¬ ken in die Traum-Nacht und in den kommenden Abend — bewegt durch jedes freundliche Auge und durch alle Rudera und Urnen des weggetraͤumten Lenzes — sanft aufgeloͤset durch den stillen lauen Sommer, der an den Rauchaltaͤren der Berge auf den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem verstummenden Trauergefolge von Voͤgeln laͤchelnd und sterbend lag und beim Aufsteigen der ersten Wolke auf dem Laube verschied — Viktor sag' ich, Hesperus. II . Th. F der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmuͤ¬ thig angelaͤchelt, fuͤhlte, daß er bisher zu lustig ge¬ wesen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden schimmernden Augen anblicken, diese noch schimmernder wegwenden und nichts sagen und hin¬ ausgehen. Ueber seinem Herzen und uͤber allen sei¬ nen Noten stand tremolando . Niemand wird tiefer traurig als wer immer laͤchelt: denn hoͤrt einmal die¬ ses Laͤcheln auf, so hat alles uͤber die zergangne Seele Gewalt und ein sinnloser Wiegengesang, ein Floͤtenkonzert — dessen Diß- und Fißklappen und Ansaͤtze bloß zwei Lippen sind. — Reisset die alten Thraͤnen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬ vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: sie schien ihm zu heilig und noch immer von gefluͤgelten Kin¬ dern gefuͤhrt und auf Eisthronen gestellt. Da er uͤberhaupt fuͤr Le Bauts Gespraͤche im Reiche der Moralisch-Todten heute keine Zunge und Ohren hatte: so wollt' er im großen laubenvollen Garten dem Stamizischen Konzert inkognito zuhoͤren und sich hoͤchstens vom Zufall praͤsentiren lassen. Sein zweiter Grund war sein zum Resonanzboden der Mu¬ sik geschaffnes Herz, das gern die eilenden Toͤne ohne Stoͤhrung aufsog und das die Wirkungen derselben gern den gewoͤhnlichen Weltmenschen verbarg, die Goͤthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig eben so wenig und aus keinen geringern Gruͤnden entbehren koͤnnen als Loͤschenkohls seine. Die Em¬ pfindung erhebt zwar uͤber die Schaam, sie zu zei¬ gen; aber er haßte und floh waͤhrend seiner Empfin¬ dungen alle Aufmerksamkeit auf fremde Aufmerksam¬ keit, weil der Teufel in die besten Gefuͤhle Eitelkeit einschwaͤrzt man weis oft nicht wie. In der Nacht, im Schattenwinkel fallen Thraͤnen schoͤner und verduͤnsten spaͤter. Die Pfarrerin bestaͤrkte ihn in allem: denn sie hatte heimlich — in die Stadt geschickt und den Sohn invitirt und eine Ueberraschung im Garten ar¬ tistisch angelegt. — Das Pfarr-Personale hob sich endlich in den be¬ laubten Konzertsaal und dachte nicht daran, wie sehr es von Le Bauts Hause verachtet werde, das nur edle Metalle und edle Geburt, nie edle Thaten fuͤr Entreebillets gelten ließ und daß die Pfarrleute als Freunde des Lords und Matthieu hoch, aber als Schooßhunde beider noch hoͤher geschaͤtzt haͤtte. Was haͤtten solche zaͤhe Leute nach Stamiz ge¬ fragt, da heute keine Fremde da waren, wenn nicht Klotildens Geburtsnacht gewesen waͤre, die sich die¬ ses Gartenkonzert erbeten hatte. Stamiz und sein Orchester fuͤllten eine illuminirte Laube — das ade liche Auditorium saß in der naͤchsten hellsten Nische und wuͤnschte, es waͤr' schon aus — das buͤrgerliche F 2 saß entfernter und der Kaplan flocht aus Furcht vor dem katarrhalischen Thau-Fußboden ein Bein ums andre uͤber die Schenkel — Klotilde und ihre Aga¬ the ruhten in der dunkelsten Blaͤtterloge. Viktor schlich sich nicht eher ein als bis ihm die Ouvertuͤre den Sitz und das Sitzen der Gesellschaft ansagte; in der fernsten Laube, im wahren Aphelio nahm dieser Barkkomet Platz. Die Ouvertuͤre bestand aus jenem musikalischen Gekrizel und Geschnoͤrkel — aus jener harmonischen Phraseologie — aus jenem Feuerwerks¬ geprassel enharmonischer, dissonierender Passagen, welches ich so erhebe, wenn es nirgends ist als in der Ouvertuͤre. Dahin passet es; es ist der Staub¬ regen, der das Herz fuͤr die großen Tropfen der ein¬ fachern Toͤne aufweicht. Alle Empfindungen in der Welt beduͤrfen Exordien; und die Musik bahnet der Musik den Weg — oder die Thraͤnenwege. Stamiz stieg — nach einem dramatischen Plan, den sich nicht jeder Kapellmeister entwirft — allmaͤh¬ lig aus den Ohren in das Herz, wie aus Allegro's in Adagio's: dieser große Komponist geht in immer engern Kreisen um die Brust, in der ein Herz ist, bis er sie endlich erreicht und unter Entzuͤckungen umschlingt. Horion zitterte einsam, ohne seine Geliebten zu sehen, in einer finstern Laub-Rotunda, in welche ein einziger verdorrter Zweig das Licht des Mondes und seiner jagenden Wolken einließ. Nichts ruͤhrte ihn unter einer Musik allzeit mehr als in die laufenden Wolken zu sehen: wenn er diese Nebelstroͤme in ih¬ rer ewigen Flucht um unser Schatten-Rund beglei¬ tete mit seinen Augen und mit den Toͤnen, und wenn er ihnen mitgab alle seine Freuden und seine Wuͤnsche: dann dacht' er wie in allen seinen Freu¬ den und Leiden an andre Wolken, an eine andre Flucht, an andre Schatten als an die uͤber ihm, dann lechzete und schmachtete seine ganze Seele; aber die Saiten stillten das Lechzen, wie die kalte Bleikugel im Mund den Durst abloͤscht, und die Toͤne loͤseten die druͤckenden Thraͤnen von der vollen Seele ab. Theurer Viktor! im Menschen ist ein großer Wunsch, der nie erfuͤllt wurde: er hat keinen Na¬ men, er sucht seinen Gegenstand, aber alles was du ihm nennest und alle Freuden sind es nicht; allein er koͤmmt wieder, wenn du in einer Sommernacht nach Norden siehst oder nach fernen Gebirgen, oder wenn Mondlicht auf der Erde ist oder der Himmel ge¬ stirnt, oder wenn du sehr gluͤcklich bist. Dieser große ungeheure Wunsch hebt unsern Geist empor, aber mit Schmerzen: ach ! wir werden hienieden lie¬ gend in die Hoͤhe geworfen gleich Epilepti¬ schen . Aber diesen Wunsch, dem nichts einen Na¬ men geben kann, nennen unsre Saiten und Toͤne dem Menschengeiste — der sehnsuͤchtige Geist weint dann staͤrker und kann sich nicht mehr fassen und ruft in jammernden Entzuͤcken zwischen die Toͤne hinein: ja alles was ihr nennt, das fehlet mir. . . . Der raͤthselhafte Sterbliche hat auch eine namen¬ lose ungeheure Furcht, die keinen Gegenstand hat, die bei gedachten Geistererscheinungen erwacht und die man oft fuͤhlt, wenn man von ihr spricht. . . . Horion uͤbergab sein zerstoßenes Herz mit stillen Thraͤnen, die niemand fließen sah, den hohen Ada¬ gios, die sich mit warmen Eiderdunen-Fluͤgeln uͤber alle seine Wunden legten. Alles was er liebte, trat jetzt in seine Schatten-Laube, sein aͤltester Freund und sein juͤngster — er hoͤrt die Gewitterstuͤrmer des Lebens laͤuten aber die Haͤnde der Freundschaft stre¬ cken sich einander entgegen und fassen sich und noch im zweiten Leben halten sie sich unverweset. — Alle Toͤne schienen die uͤberirrdischen Echo seines Traumes zu seyn, welche Wesen antworteten, die man nicht sah und nicht hoͤrte. . . . Er konnte unmoͤglich mehr in dieser finstern Ein¬ zaͤunung mit seinen brennenden Phantasien bleiben und in dieser zu großen Entfernung vom Pianissimo. Er ging — fast zu muthig und zu nah' — durch ei¬ nen Laubengang den Toͤnen naͤher zu und druͤckte das Angesicht tief durch die Blaͤtter, um endlich, endlich Klotilde im fernen gruͤnen Schimmer zu er¬ blicken. . . . Ach er erblickte sie auch! — Aber zu hold, zu paradiesisch! Er sah nicht das denkende Auge, den kalten Mund, die ruhige Gestalt, die so viel verbot und so wenig begehrte: sondern er sah zum ersten¬ mal ihren Mund von einem suͤßen harmonischen Schmerz mit einem unaussprechlich-ruͤhrenden Laͤ¬ cheln umzogen — zum erstenmal ihr Auge unter ei¬ ner vollen Thraͤne nieder gesunken, wie ein Vergi߬ meinnicht sich unter einer Regenzaͤhre beugt. O diese Gute verbarg ja ihre schoͤnsten Gefuͤhle am meisten! Aber die erste Thraͤne in einem geliebten Auge ist zu stark, fuͤr ein zu weiches Herz. . . Viktor kniete uͤberwaͤltigt von Hochachtung und Wonne, vor der edeln Seele nieder und verlor sich in die daͤmmernde weinende Gestalt und in die weinenden Toͤne — Und da er endlich ihre Zuͤge erblasset sah, weil das gruͤne Laub mit einem todtenfarbigen Wie¬ derschein der Lampen ihre Lippen und Wangen uͤber¬ deckte — und da sein Traum und die Klotilde wie¬ der erschien, die darin unter den blumigen Huͤgel versunken war — und da seine Seele zerran in Traͤume, in Schmerzen, in Freuden, und in Wuͤn¬ sche fuͤr die Gestalt, die ihrem Geburtstage mit an¬ daͤchtigen Thraͤnen heiligte: o war es da zu seinem Zergehen noch noͤthig, daß die Violine ausklang und daß die zweite Harmonika, die Viole d'Amour, ihre Sphaͤren-Akorde an das nackte, entzuͤndete, zuckende Herz absandte? — Ach er dankte dem Schoͤpfer die¬ ses melodischen Edens, daß er mit den hoͤchsten Toͤnen seiner Harmonika, die das Herz des Men¬ schen mit unbekannten Kraͤften in Thraͤnen zersplit¬ tern wie hohe Toͤne Glaͤser zersprengen, endlich sei¬ nen Busen, seine Seufzer und seine Thraͤnen er¬ schoͤpfte: unter diesen Toͤnen, nach diesen Toͤnen gab es keine Worte mehr; die volle Seele wurde von Laub, und Nacht und Thraͤnen zugehuͤllt — das sprachlose Herz sog schwellend die Toͤne in sich und hielt die aͤußern fuͤr innere — endlich spielten die Toͤne nur leise wie Zephyre um den Wonneschlaf- Trunknen und bloß im sterbenden Innern stammelte noch der uͤberseelige Wunsch: »ach Klotilde, koͤnnt' »ich dir heute dieses stumme, gluͤhende Herz hingeben »— ach koͤnnt' ich an diesem unvergaͤnglichen Him¬ »melsabend, mit dieser zitternden Seele sterbend »vor deine Fuͤße sinken und die Worte sagen: ich »liebe dich!« — — Und als er an ihren Geburtstag dachte und an ihren Brief nach Maienthal, der ihm das große Lob gegeben, ein Schuͤler Emanuels zu seyn, und an kleine Zeichen ihrer Achtung fuͤr ihn und an die schoͤne Verschwisterung seines Herzens mit ihrem — ja da trat die himmlische Hofnung, dieses geadelte Herz zu bekommen, zum erstenmal unter Musik nahe an ihn und die Hofnung ließ die Harmonikatoͤne wie verrinnende Echos weit uͤber die ganze Zukunft sei¬ nes Lebens fließen. . . . »Viktor!« sagte jemand in langsam gedehnten Ton. Er sprang auf und kehrte seine veredelte Zuͤge gegen den — Bruder seiner Klotilde und umarmte ihn gern. Flamin, in den alle Musik Kriegsfeuer und freiere Aufrichtigkeit warf, sah ihn staunend, fragend und unmerklich schuͤttelnd und mit jener Freundlichkeit an, die wie Hohn aussah, die aber allezeit bloßes Schmerzen empfangener Beleidigungen war. »Warum nahmst du mich heute nicht mit?« sagte freundlich Flamin. Viktor druͤckte seine Hand und schwieg. »Nein! rede!« sagte jener.« — Lass' es heute mein Flamin, ich sage dirs noch.« »Ich will dirs selber sagen (begann jener schnel¬ ler und waͤrmer) — Du denkst vielleicht, »ich werde »eifersuͤchtig. Und siehe, kennt' ich dich nicht, so »wuͤrd' ichs auch; warlich ein anderer wuͤrd' es, »wenn er dich hier so angetroffen haͤtte und alles »zusammen rechnete deine neuliche Entfernung aus »unserem Gartenhaus in die Laube — Dein Schrei¬ »ben ohne Licht und dein Singen von Liebe. — »An Emanuel« sagte Viktor sanft — »Dein Abgeben dieses Blattes an sie« — »Es war ein anderes aus ihrem Stammbuche« sagt' er — »Noch schlimmer, das wußt' ich nicht einmal — »Dein Zoͤgern in St. Luͤne und tausend andre Zuͤ¬ »ge, die mir nicht sogleich einfallen, dein heutiges »Alleingehen.« — »O mein Flamin, das geht weit, du siehst mit »einem andern Auge als dem der Freundschaft« — Hier wurde Flamin, der sich in nichts verstellen konnte ohne es sogleich zu werden und der keine Beleidigung erzaͤhlen konnte ohne in den alten Zorn zu gerathen, waͤrmer und sagte weniger freundlich: »es sehens schon andre auch, sogar der Kammerherr »und die Kammerherrin.« Dieses zerriß Viktor das Herz: »Du Theurer, »alter Jugendfreund, so sollen wir also auseinander »gezogen und gerissen werden, wir moͤgen noch so »sehr bluten; es soll also diesem Matthieu gelin¬ »gen (denn von dem koͤmmt alles, nicht von dir, du »Guter,) daß du mich marterst und daß ich dich mar¬ »tere — Nein, es soll ihm nicht gelingen — Du »sollst nicht von mir genommen werden — siehe bei »Gott (und hier stand in Viktor das Gefuͤhl seiner »Unschuld erhaben auf) und wenn du mich Jahre »lang verkennst, so koͤmmt doch die Zeit, wo du er¬ »schrickst und zu mir sagst: ich habe dir Unrecht ge¬ »than! — Aber ich werde dir gern vergeben.« Dieses ruͤhrte den Eifersuͤchtigen, der heute uͤber¬ haupt (wegen einer sogleich kommenden Ursache) ge¬ lassener war. »Sieh (sagte er,) ich glaube dir alle¬ »mal: sag' es, thust du nie etwas gegen mich?« — »Nie, nie, mein Lieber!« — »Jetzt verzeih meiner »Hitze; aber thue dem Matthieu nicht Unrecht: er »ists vielmehr, der mich beruhigte. Er sagte mir »es zwar, was Klotildens Eltern zu merken geglaubt, »ja noch mehr — sieh ich sage dir alles — sie haͤt¬ »ten sogar wegen deiner vorgeblichen Neigung und »wegen deines jetzigen Einflusses, den der Kammer¬ »herr gern zu seiner Wiedererhebung benuͤtzen moͤchte, »von einer moͤglichen Verbindung mit der Tochter »gesprochen, auch gegen diese und sie ausgeforscht; »aber (dir ists doch gleichguͤltig) meine Geliebte »blieb mir treu und sagte Nein.« — Nun war unserem Freund das vorher so gluͤckliche Herz gebrochen; dieses harte Nein war bisher noch nicht gegen ihn ausgesprochen worden — mit einer unaussprechlichen, niederdruͤckenden aber stillen Weh¬ muth sagt' er leise zu Flamin: »bleib du mir auch »treu — denn ich habe ja wenig und quaͤle mich nie »mehr so wie heute.« Er konnte nicht mehr reden; die erstickten Thraͤnen stuͤrmten fluthend an sein Herz hinan und wollten jede Minute durch die Augen brechen — er mußte jetzt einen stillen dunkeln Ort haben, wo er sich recht ausweinen konnte und in seinem aufgerissenen schmerzenden Innern war bloß der Gedanke noch sanft und balsamisch; »jetzt in »der Nacht kann ich weinen so viel ich will und »niemand steht mein zerrissenes Angesicht, meine zer¬ »rissene Seele, mein zerrissenes Gluͤck.« Und als er dachte: »ach Emanuel, wenn du mich »heute so saͤhest« — konnt' er sich kaum mehr halten. Er floh mit zuruͤckgestemmten Thraͤnen gleichguͤl¬ tig wer es sehe oder nicht, aus dem Garten, uͤber den ein melancholischer Engel eine große Trauerfahne fliegen ließ und Leichenmusik. — Er stieß sich wund an einer steinernen Gartenwalze, womit man die be¬ regneten Graßspitzen und Bluͤmgen nieder¬ quetscht — er weinte noch nicht, aber ach! auf der Warte da wollt' er sich saͤttigen und traͤnken mit reichlichem Schmerz — er wiederholte immer »aber sie blieb getreu und sagte Nein, Nein, Nein« — die Konzerttoͤne wehten ihm nach wie Feuer dem, der es besprochen — er watete durch nasse entschlummerte Fluren die ihre Blumen verhuͤllten, und schneller als er strichen auf der Erde die Schattenrisse des oben vom Winde verfolgten Gewoͤlkes dahin — er stand an der Warte, hielt jede Zaͤhre noch und rannte hinauf — er warf sich auf die Bank, wo er Klotilden zum erstenmale im weißen Gewand von Ferne gesehen — »Ruhe du auch, Horion!« rief sie aus seinem Traume ihm unter dem Blumenhuͤgel noch einmal zu und er hoͤrt es wieder. — — Hier riß er freudig alle seine Wunden auf und ließ sie frei hin bluten in Thraͤnen — sie uͤberzogen mit truͤben Stroͤmen das Angesicht, das sanft oft gelaͤchelt hatte aber immer gutmuͤthig und das an¬ dern keine abgepresset sondern abgetrocknet hatte — jede Fluth war eine weggehobne Last, aber das Herz wurde darauf wieder schwer und vergoß die neue Fluth — Endlich konnt' er die Toͤne wieder hoͤren, die meisten sanken unter eh' sie an den Thurm ge¬ flossen waren, kleine kamen sterbend an und zergin¬ gen in seinem dunkeln Herzen — jeder Ton war eine fallende Thraͤne und machte ihn leichter und sprach seinen Kummer aus — der Garten schien aus sanft ertoͤnenden, gebrochen-uͤberdaͤmmerten, dunkelgruͤnen Schattenwogen zu bestehen — er riß, von Erin¬ nerung gestochen, das Auge davon weg: »was geht »er mich mehr an« — Aber endlich stieg aus die¬ sem Schatten-Eden und aus der Viole d'Amour das Lied »Vergiß mein nicht« zu seinem muͤden Herzen auf und gab ihm wieder den sanftern Schmerz und die vergangne Liebe: »Nein, sagt' er, ich vergesse »dein auch nicht, ob du mich gleich nicht geliebt — »Deine Gestalt wird mich doch ewig ruͤhren und an »meine Traͤume erinnern — ach du himmlische, es »ist jetzt das einzige was mich nicht schmerzet, wenn »ich denke: ich vergesse dein nicht.« Alles wurde stumm und ausgeloͤscht: er war allein neben der Nacht. Endlich ging er nach der langen Stille herab und nach Flachsenfingen zu, matt geweint und arm geworden. Und als er unter¬ weges schnell zum schwarzblauen Himmel, in dem ir¬ rende Wolken um den Mond wie Schlacken umher geworfen waren, hinaufblickte und schnell wieder uͤber die halb vernichtete Schattengegend, uͤber die Schat¬ tenberge und Schattendoͤrfer: so kam ihm alles tod, leer und eitel vor und es schien ihm, als waͤr' in irgend einer hellern Welt eine Zauberlaterne — und durch dit Laterne ruͤckten Glaͤser worauf Erden und Fruͤhlinge uud Menschengruppen gefaͤrbet waͤren — und die herabgeflossenen huͤpfenden Schattenbilder dieser Glaͤser nennten wir uns und eine Erde und ein Leben — und allem Bunten liefe ein gro¬ ßer Schatten hintennach . — — Ach, ich rege vielleicht in mancher Brust laͤngst vergossene Beklemmungen wieder auf, aber es thut uns wohl, daß da die Leiden so viel Platz in unserer Erinnerung einnehmen, daß dieses herbe Lagerobst milde wird durch Liegen und daß ein geringer Unter¬ schied ist zwischen einem vergangnen Schmerz und ei¬ ner jetzigen Lust. — — Der arme Viktor kam nach Mitternacht mit ei¬ nem bleichen Angesicht und mit brennenden Augen im Hause des Apothekers an. Er begehrte nichts, um seine gebrochne Stimme nicht zu verrathen. Als er seinen Alltags-Ueberrock im Mondsschimmer haͤn¬ gen sah; und als er sich wie eine fremde Person vorstellte, der der Rock gehoͤre und der ihn am Mor¬ gen so freudig auszog und jetzt so trostlos anlege: so ergrif ein Mitleiden, das er mit sich selber hatte, wieder mit zu starkem Druck sein erschoͤpftes Herz. Marie kam und er wendete nicht einmal die Zeichen dieses Mitleids von ihr weg. Sie stand betroffen — er sagte ihr mit der sanftesten aus Seufzern ge¬ webten Stimme, er brauche nichts — und die gute Seele ging ohne Muth zum Troͤsten und zu Thraͤnen langsam hinaus, aber die ganze Nacht vergoß sie un¬ sichtbare uͤber die fremden, und uͤber einen Kummer, der ihr nicht gesagt war. Warum oͤfnete gerade heute das Schicksal alle Adern seines Herzens? Warum ließ es gerade auf diesen Tag die Silberhochzeit des Stadtseniors und die erste Auflage der Hochzeit seiner Tochter mit dem Waisenhausprediger treffen? Warum, wenn doch beide Hochzeitfeste auf diesen Tag zusammenfallen sollten, mußten sie bis nach Mitternacht fortwaͤhren, wo sie den armen Viktor in alle Brandstaͤtten seiner Hofnungen schauen ließen, wo er in einer lichtervol¬ len Stube aus seiner dunkeln die Liebe sah, die Haͤnde verknuͤpfte, Lippen zusammendruͤckte und Au¬ gen und Seelen vermischte? — Zu einer andern Zeit wuͤrd' er uͤber den Waisenhausprediger und uͤber zwei Armenkatecheten gelaͤchelt haben; aber heute konnt' er nur daruͤber seufzen und es ist eine sanfte Schoͤnheitslinie an seinem innern Menschen, daß er den armen Menschen das vergoͤnnte, was er entbehrte: »ach ihr seid gluͤcklich, sagte er — o »liebt ench recht, presset die armen klopfenden ver¬ »gaͤnglichen Herzen heiß an einander, eh' sie der »Fluͤgel der Zeit zerschlaͤgt und gluͤhet an einander »in der kurzen Minute des Lebens und wechselt eure »Thraͤnen und Kuͤße, eh die Augen und Lippen im »Grabe erfrieren — ach ihr seid gluͤcklicher als ich, »der ich das Herz voll Liebe niemand geben kann » als den Wuͤrmern des Grabes und auf dessen Sarg »ein Tischler die Ueberschrift, die wie ich mit Erde »bedeckt wird, faͤrben soll: »ach ihr guten Menschen, »ihr habt mich nicht geliebt und ich war euch doch »so gut!« — Jedes gluͤckliche Laͤcheln, jeder floͤtende Violinen¬ zug, jeder Gedanke wurde jetzt seinem von Thraͤnen umgebenen weichen Herzen zur harten spitzen Ecke, so wie einer Hand, die sich in Wasser untertaucht, alles hart anzufuͤhlen wird. Seine Seine graͤnzenlose Aufrichtigkeit, seine graͤnzenlose Erweichung konnt' er mit nichts befriedigen als mit einem Briefe an seinen Emanuel, in den seine Seele so sehr wie sein Auge uͤberstroͤmte. »O theurer Geliebter! »Sollt' ich denn dirs verbergen, wenn mich Schmerzen uͤbermannen oder Thorheiten? Sollt' ich dir nur meine bereueten Fehler zeigen und nie meine gegenwaͤrtigen? — Nein, trete her, Theurer, an meine wunde Brust, ich oͤfne dir das Herz darin, es blute und poche unter der Entbloͤßung wie es will — ach du deckest es doch vielleicht mit deiner vaͤterlichen Liebe wieder zu und sagst: ich lieb' es noch. — Du, mein Emanuel, ruhest in deiner hohen Ein¬ samkeit, auf dem Ararat der erretteten Seele, auf dem Thabor der glaͤnzenden; da blickest du sanft ge¬ blendet in die Sonne der Gottheit und siehest ru¬ hig die Wolke des Todes auf die Sonne zuschwim¬ men — sie verhuͤllt sie, du erblindest unter der Wol¬ ke, sie verrinnt, und du stehst wieder vor Gott. — Du liebst Menschen als Kinder, die nicht beleidigen koͤnnen — du liebst Erdengenuͤße wie Fruͤchte, die man zur Kuͤhlung pfluͤckt, aber ohne nach ihnen zu hungern — die Gewitter und Erdbeben des Lebens gehen vor dir ungehoͤrt voruͤber, weil du in einem Hesperus. II . Th. G Lebens-Traum voll Toͤne, voll Gesaͤnge, voll Auen liegst und wenn dich der Tod aufweckt, laͤchelst du noch uͤber den heitern Traum. Aber ach, mehr als ein Gewitter donnert hinein in den Lebenstraum von uns andern und macht ihn aͤngstlich. Wenn ein hoͤheres Wesen in den Wirwar von Ideen treten koͤnnte, der unsern Geist umgiebt und aus dem er seinen Athem holen muß, wie wir in einer aus allen Luftarten zusammengegossenen Luft¬ art athmen — wenn er saͤhe, welche Nahrungsmittel durch unsern innern Menschen gehen, denen er sei¬ nen Milchsaft abgewinnen muß, dieses Gemenge von komischen Opern — Bayle's Diktionaire — Konzer¬ ten von Mozart — Messiaden — Kriegsoperationen — Matthisons Gedichten — Kants Schriften — Fleuretten — Monds-Anschauungen — Lastern und Tugenden — Menschen und Krankheiten aller Art — — — wenn das Wesen diese Lebens-Olla-Potrida untersuchte: wuͤrd' es nicht begierig seyn, zu wissen, welche widersinnige Saͤfte dadurch in der armen Seele zusammen gerinnen, und wuͤrd' es sich nicht wundern, daß noch etwas Festes und Gleichfoͤrmiges im Menschen bleibt? — Ach wenn dein Freund, Emanuel! bald in einem feinen Speisesaal, bald in einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem großen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald vor dir ist: so macht ihm dieser zweideutige Wech¬ sel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . . Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen — — Ach sind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬ gen dieses Lebens werth, daß wir darum krumme Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aest¬ gen ihres Blattes sich zu Kruͤmmungen zwingen laͤs¬ set? — Nein, alles was ich gesagt habe, ist wahr; aber ich haͤtt' es nicht gesagt, wenn nicht andre Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch haͤttest du es mir, du unschuldig kindlich erhaben trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlst mich fuͤr zu gut . . . o es ist ein weiter ermuͤdender Schritt von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt aber blick' in mein geoͤfnetes Herz! Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬ chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬ jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe; — und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬ nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein ganzes Leben gegeben, seitdem du mir das Leben aufgedeckt, worin sich der Mensch zerblaͤttert, und den duͤnnen spitzigen Augenblick, auf dem er so schmerzhaft steht, seid jener Abschieds Nacht, w meine Seele groß und meine Thraͤnen unerschoͤpflich waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der G 2 Seufzer einer Sehnsucht, die nichts zu nennen weiß als Traͤume und Thraͤnen und Liebe, liegt wie eine stockende Ader beklemmend und verzehrend in meiner Brust — — Ach ich lache noch wie sonst, ich philo¬ sophire noch wie sonst, aber mein Inneres sieht nur der Geliebte, dem ichs jetzt entbloͤße. O Schicksal, warum schlugst du in den Menschen den Funken einer Liebe, die in seinem eignen Her¬ zensblut ersticken muß? Ruht nicht in uns allen das holde Bild einer Geliebten, eines Geliebten, wovor wir weinen, wornach wir suchen, worauf wir hoffen, ach und so vergeblich, so vergeblich? — Steht nicht der Mensch vor der Brust eines Menschen wie die Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie diese sich heiser vor einem todten flachen Bilde darin, das er fuͤr die Schwester seiner klagenden Seele haͤlt — Warum fraͤgt uns denn jeder schoͤne Fruͤhlings¬ abend, jedes schmelzende Lied, jede uͤberstroͤmende Freude: wo hast du die geliebte Seele, der du deine Wonne sagst und giebst? Warum giebt die Musik dem bestuͤrmten Herzen statt der Ruhe nur groͤßere Wellen, wie das Gelaͤute der Glocken die Ungewitter anstatt zu entfernen herunterzieht? Und warum ruft es draussen an einem schoͤnen stillen hellen Tage, wenn du uͤber das ganze aufgeschlagne Gemaͤlde einer Landschaft siehest, uͤber die Blumen-Meere, die auf ihr zittern, uͤber die herabgeworfnen Wolkenschatten, die von einem Huͤgel zum andern fliehen, und uͤber die Berge, die sich wie Ufer und Mauern um un¬ sern Blumenzirkel ziehen, warum ruft es da denn unaufhoͤrlich in dir: »ach hinter den rauchenden »Bergen, hinter den aufliegenden Wolken da wohnt »ein schoͤneres Land, da wohnt die Seele, die du »suchst, da liegt der Himmel naͤher an der Erde?« — Aber ach hinter dem Gebirge und hinter dem Gewoͤlke stoͤhnt auch ein verkanntes Herz und schauet an deinen Horizont heruͤber und denkt: »ach in je¬ »ner Ferne waͤr' ich wohl gluͤcklicher!« Sind wir denn alle nicht gluͤcklich? — — Be¬ jah' es nicht und sage nicht zu mir, Emanuel, daß im Winter dieses Lebens gerade die wenigen warmen Sonnenblicke, die ihn unterbrechen, den bes¬ sern Menschen wie Gewaͤchse zersprengen und zu Grunde richten — sage nicht; daß jedes Jahr etwas von unserm Herzen wegstoße und daß es wie das Eis immer kleiner werde, je weiter es schwimme im Strome der Zeit — sage nur nicht, daß die irrende Psyche, wenn sie auch ihr zweites Selbst in ihrem Gefaͤngniß hoͤre, doch nie in seine Arme kommen koͤnne — — Aber du hasts schon einmal gesagt: »In zwei Koͤrpern stehen wie auf zwei Huͤgeln getrennt alle liebende Seelen der Erde, eine Wuͤste liegt zwischen ihnen wie zwischen Sonnensy¬ stemen, sie sehen einander heruͤbersprechen durch Ste¬ ganographie, sie hoͤren endlich die Stimmen uͤber die Huͤgel heruͤber — aber sie beruͤhren sich nie und jede umschlingt nur ihren Gedanken. — Und doch zer¬ staͤubt diese arme Liebe wie ein alter Leichnam, wenn sie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert wie eine Begraͤbnißlampe, wenn sie aufgeschlossen wird.« Sind wir denn alle nicht gluͤcklich? — Bejah' es nicht! — Ach der Mensch, der schon von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele rief, die mit seiner eignen in Einem Herzen auf¬ wuchs — die in alle Traͤume seiner Jahre kam und darin von weitem schimmerte und nach dem Erwa¬ chen seine Thraͤnen erregte — die im Fruͤhling ihm Nachtigallen schickte, damit er an sie denke und nach ihr sich sehne — die in jeder weichen Stunde seine Seele besuchte mit so viel Tugend, mit so viel Liebe, daß er so gern all' sein Blut in seinem Herzen wie in einer Opferschaale der Geliebten hingegeben haͤtte — die aber ach nirgends erschien, nur ihr Bild in jeder schoͤnen Gestalt zusandte, aber ihr Herz ewig entruͤckte — — o endlich, o ploͤtzlich, o seelig schlaͤgt ihr Herz an seinem Herzen und die zwei Seelen um¬ fassen sich auf immer — — er kann es nicht mehr sagen, aber wir koͤnnens: dieser ist doch gluͤcklich und geliebt. . . . Guter Emanuel, du vergiebst mir den Schmerz der Furcht, daß ich es wohl nie sein werde — Nein, nie! — Ach ich waͤre auch fuͤr diese von Graͤbern zerstuͤckte Erde vielleicht gar zu gluͤcklich, ich duͤrfte fuͤr ein so junges mit so kleinen Verdiensten gerecht¬ fertigtes Leben vielleicht ein zu großes Eden bewoh¬ nen, wenn meine zu weiche Seele, die schon unter drei frohen Minuten einsinkt, die jeden Menschen liebt und sich mit Kinderarmen ans Herz der gan¬ zen Schoͤpfung haͤngt, o die schon durch diesen blo¬ ßen Traum der Liebe zu seelig wird und uͤberwaͤltigt durch diese Beschreibung — — Nein, sie waͤre zu seelig eine solche von Wehmuth und Menschenliebe laͤngst zerschmolzene Seele, wenn sie einmal nach ei¬ nem so langen toͤdtlichen Sehnen endlich, endlich — o Emanuel, ich bebe wieder vor Freude und es ist doch niemals, niemals moͤglich! — alle ihre Wuͤn¬ sche, ihren ganzen Himmel, so viele Liebe, so viele Thraͤnen in Einer theuern theuern Seele gesammelt faͤnde, wenn ich vor der großen Natur, und vor dem Angesicht der Tugend und vor Gott selber, der mir und ihr die Liebe gab, zur Einzigen, zur From¬ men, zur Geliebten — o Gott, wie ist ihr Name — zur Vorausgeliebten, die ich jetzt im Wahnsinn nen¬ nen wollte, unter allen meinen Wonnethraͤnen sagen durfte: endlich hat dich mein Herz, du Gute, Gott giebt uns heute einander und wir bleiben beisammen auf die ganze Ewigkeit. Nein ich wuͤrd' es nicht sagen sondern vor Wonne verstummen und sterben. — Siehe! mir war jetzt als ging' eine Gestalt uͤber meine Stube und riefe: Viktor! Ich sah mich um und erblickte meine leere Stube und die abge¬ legten Sonntagskleider und jetzt erinnerte ich mich erst, daß ich ungluͤcklich bin und nicht geliebt. Du aber, unersetzlicher Freund, mißkenne mich nicht; ich schwoͤre dir, daß ich dir diese Blaͤtter un¬ geaͤndert gebe, wenn ich auch morgen, wo die Wir¬ bel der heutigen Nacht stiller fließen, alle Aenderun¬ gen noͤthig faͤnde. Dein thoͤrichter Freund bleibt doch Dein ewiger Freund. S. V. H. 20. Hundsposttag . Billet von Emanuel — Flamins Aepfel-Kartons auf den Schultern — Gang nach St. Lüne. »Armer Bastian, — sagt' ich, da ich das heutige »Felleisen aufmachte — eh' ichs auf habe, weiß ich »schon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer »solchen Nacht dich eingeschlossen, um dein verblute¬ »tes Angesicht gegen den Trauergarten zuzuwenden »— daß du heute diese brennenden Gifttropfen lie¬ »ber hast als den Wundbalsam und daß du in den »Spiegel schauest, um mit der stillen schuldlosen Ge¬ »stalt, die er dir mit ihren Schmerzens-Schnitten »zeigt, in neue Thraͤnen zu zerfließen. — O wenn »der Mensch nichts mehr zu lieben hat, so umfasset »er das Grabmal seiner Liebe und der Schmerz wird »seine Geliebte. Vergebet einander den kurzen »Wahnsinn der Klage: denn unter allen Schwaͤchen »des Menschen ist das die unschuldigste, wenn er, »anstatt gleich dem Zugvogel sich uͤber den Winter »zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich »andern Voͤgeln vor diesem Winter niedersinkt und »dumpf in seinem kalten Grame erstarrt.« Viktor sargte sich so zu sagen an jenem Tage in sein Zimmer ein, das er niemand als einer Thuͤr- und Wandnachbarin der Schmerzen, Marien, oͤfne¬ te, deren Gestalt ihm so sanft wie eine Abendsonne that. Jedes andre weibliche Gesicht auf der Straße gab ihm Stiche; und der Bruder der verlornen Klo¬ tilde, den er am Fenster sah und heute gern umarmt haͤtte, gab der muͤden Erinnerung neue Thraͤnen zu Farben. . . . Leser! — die Leserin ist von selber ge¬ scheuter — lache nicht uͤber meinen guten Helden, der da keiner ist, wo gerade die Staͤrke der Seele die Staͤrke des Schmerzens wird: laß mich es wenig¬ stens nicht hoͤren. Wem der sympathetische Nerve des Lebens, die Liebe, unterbunden oder durchschnitt¬ ten ist, der darf schon einmal seufzen und sagen: alles kann der Mensch auf der Erde geduldiger ver¬ lieren als Menschen. — — Und doch fuͤhrte Abends ein Zufall — naͤmlich ein Brief — alle seine Schmerzen noch einmal durch sein muͤdes Herz. Ein kleiner Brief von Emanuel — aber keine Antwort auf den erst abgesandten — kam an. » Mein immer Geliebter , »Ich habe den Tag deines Eintritts in ein neues Lebens-Gewuͤhl erfahren und ich habe gesagt: mein Geliebter bleibe gluͤcklich — die Ruhe der Tugend baue wie mit einer Brust sein Herz gegen den Frost und Sturm seines neuen Lebens ein — seine Schmerzen und seine Entzuͤckungen muͤssen nicht laut seyn — er trauere sanft und still wie eine Fuͤrstin im sanften Weiß, er genieße sanft und still und im Tempel seines Herzens spielen die Lustbarkeiten nur wie ungehoͤrt irrende Schmetterlinge in einer Kirche — und die Tugend schwebe vor ihm am Himmel uͤber der Sonne und waͤrme und erhelle und ziehe allmaͤhlig sein Herz! Du willst, aus liebender Bangigkeit fuͤr mein entsinkendes Leben, nicht haben, daß ich oft schreibe; so wenig glaubst du, Lieber, meiner Hofnung. O die ablaufenden Gewichte meiner Maschine fallen langsam und sanft auf das Grab hinauf — dieses Erdenleben kleidet sich in meiner Seele immer schoͤ¬ ner an und schmuͤckt sich zum Abschiede — dieser Nebensommer um mich, der wie eine Nebensonne neben dem Augustsommer steht, und der kuͤnftige Fruͤhling nehme mich der Natur schmeichelnd aus den Armen. — — So uͤberlaubt, so uͤberbluͤmt der Allguͤtige die Gottesackermauer des Lebens wie wir die Mauer ei¬ nes englischen Gartens, mit bedeckendem Epheu und Immergruͤn und giebt dem Ende des Gartens den Schein eines neuen Gestraͤuchs. — So steigt schon hier im dunkeln Leben der Geist, wie der Barometer schon unter dem truͤben Wetter steigt, und wird den Einfluß des lichtern unter den Wolken innen. — Ich folge aber deiner Liebe und schreibe dir nicht mehr als Einmal im Winter, wo ich dir die große Nacht erzaͤhle, in der ich meinem blinden Ju¬ lius zum erstenmale sagte, daß ein Ewiger ist — in jener Nacht, mein Geliebter, zogen mich die Ent¬ zuͤckung und Andacht zu hoch und das duͤnne Leben wollte reissen. Ich blutete lange. Im Winter, wo an die Stelle der Erben-Reize die des Himmels treten, Der Dezember begünstigt die Beobachtungen der Astrono¬ men am meisten. verbiete mir das Gemaͤlde des Sommers nicht. O mein Sohn! — ich mußte dir ja schreiben, weil meine Freundin Klotilde klaget, daß sie zum neuen Jahre aus der gruͤnen Laube der Einsamkeit auf den schmutzigen Marktplatz des Hofes gezogen werde — ihre Seele ist dunkel von Trauer und streckt die Arme nach dem stillen Leben aus, das von ihr genommen wird. Ich weiß nicht, was ein Hof ist — Du wirst es wissen und ich beschwoͤre dich, erloͤse meine Freundin und lenke die Hand ab, die sie aus St. Luͤne ziehen will. Wenn du es nicht kannst: so verlasse am Hofe die geliebte Seele nicht — sey ihr einziger Freund — ziehe die Bie¬ nenstacheln der Erdenstunden aus ihrem milden Her¬ zen — Wenn kalte Worte wie Schneeflocken auf diese Blume fallen: so schmelze sie der warme Hauch der Liebe zu Thraͤnen, die du rinnen siehest — Wenn uͤber ihr Leben ein Gewitter aufsteigt: so zeig' ihr den Engel, der auf der Sonne steht und uͤber unsere Gewitter den Regenbogen der Hofnung zieht — O dich, den ich so liebe, wird meine Freundin auch so lieben und wenn mein Freund ihr sein sanftes Herz, sein weiches Auge, seine Tugend, seine von der Na¬ tur, und von dem Ewigen bewohnte Seele aufdeckt: so wird er meine Freundin vor sich gluͤcklich werden sehen und das erhabne Angesicht das vor ihm in Thraͤnen und Laͤcheln und Liebe zerfließt, wird immer in seinem Herzen bleiben. Emanuel . Siehe, da kam in dieser gluͤhenden Minute die erhabne Gestalt, die er gestern gesehen, wieder mit ihrem Mund voll wehmuͤthigen Laͤcheln und mit ih¬ rem Auge voll Thraͤnen; und als die Gestalt vor ihm schweben blieb und schimmerte und laͤchelte: so stand vor ihr wie vor einer Verstorbnen seine Seele auf und alle Wunden fingen wieder unter dem Er¬ heben an zu bluten und er rief: »so weiche denn »nie aus meinem Herzen, du erhabne Gestalt, und »ruh' ewig auf seinen Wunden!» — Die Trostlo¬ sigkeit, die Ermattung und der Schlaf uͤberhuͤlten seine Seele, so wie ihren letzten Gedanken, naͤchstens nach St. Luͤne wieder zu gehen und ihre Eltern zu bereden sie nicht an den Hof zu zwingen . . . Der lange Schlaf des Todes schließt unsre Narben zu und der kurze des Lebens unsere Wun¬ den . Der Schlaf ist die Haͤlfte der Zeit, die uns heilt. Der erwachte Viktor, dessen inflammatori¬ sches Fieber der Liebe gestern durch die Schlaflosig¬ keit so zugenommen hatte, sah heute, daß sein Schmerz ungemaͤßig war, weil seine Hoffnung un¬ maͤßig gewesen: — anfangs hatt' er gewuͤnscht — dann beobachtet — dann vermuthet — dann gese¬ hen — dann ausgelegt — dann gehoft — dann dar¬ auf geschworen. Jeder kleine Umstand, sogar sein Antheil an Klotildens Ernennung zur Hofdame hat¬ te Pechkraͤnze in sein Feuer geworfen. »O ich Thor!» sagt' er mit den 3 Schwur Fingern an der Stirne und wie alle kraͤftige Menschen, war er um desto muthiger, je muthloser er gewesen. Ja er fuͤhlte sich auf einmal zu leicht — aber eine zu schnelle Kur kuͤndigt auch bey Seelen den Ruͤckfall an. Ein neuer Trost war der gestrige Entschluß, daß er Klotilden einen Dienst erweisen — naͤmlich den Hofdienst ersparen wollte. Er besann sich noch uͤber seinen Entschluß, sie wieder zu sehen — fuͤhl¬ test du etwa Viktor, daß alles was die Liebe thut, um zu sterben, nur ein Mittel sey, um wieder zu auferstehen und daß alle ihre Epilogen nur Prologen zum zweiten Akt sind — als ihn ein einziger Korb Aepfel auf dem Markt im Entschluße fest machte: denn die Aepfel erinnerten ihn an die optischen auf Flamins Ruͤcken, die allemal im Nachsommer er¬ schienen und die er im bisherigen Taumel vergessen hatte. Konnte nicht Matthieu, der bisher an Fla¬ min dieses Insiegel seiner fuͤrstlichen Verwandschaft nicht untersuchen konnte, sich auf einmal von allen uͤberzeugen, was er aus dem Briefe an den Lord nur mit diebischen Blicken errathen konnte? Und konnt' er nachher nicht zum Fuͤrsten gehen und da seinen ganz verdammten Spektakel anrichten. So¬ bald aber Viktor ihm den Inhaber des Vexierbildes nur auf wenige Tage, bis es verblichen war, aus den Augen entruͤckte: so war alles gut. Viktor ging also zu seinem von der Natur taͤtto¬ virten Freund, um ihn nach St. Luͤne mitzuneh¬ men. . . . »Daraus wird nichts« sagte Flamin, der die kleinere Delikatesse hatte, die Bitte um die Beglei¬ tung wegen seiner Verwuͤrfe in Le Bauts Garten nicht zu benuͤtzen, und daruͤber die groͤßere vergaß, eine solche Ruͤcksicht seinem Viktor gar nicht zuzu¬ trauen. Dieser, in einer leidenschaftlichen Eilfertigkeit zwei solche Uebel (Klotildens Hofamt und Mat¬ thieu's Okularinspektion) abzuwenden, grif zum son¬ derbaren Mittel, dem Hofjunker die Reise-Genossen¬ schaft anzutragen. Denn sie sahen und sprachen ein¬ ander taͤglich in Vorzimmern — und wahrhaft freundlich, nur konnte keiner den andern ausstehen. — »Mit Freuden! (sagte der Evangelist) in dieser Woche hab' ich den Kabinetsdienst — aber die naͤchste kann ich.« Und gerade in der jetzigen wollt' es Viktor. — So viel schnelle Fehlschlagungen bestuͤrzten diesen so, daß er, dessen sorg- und argloses Herz immer ein ofner Brief mit fliegendem Siegel war, sich jetzt ge¬ gen seinen guten, theuren Freund Flamin verstellte — er wußte keinen Rath weiter als diesen, da oh¬ nehin dessen Brust unter seiner gebuͤckten Kollegial- Arbeit und unter seiner Vollbluͤtigkeit nicht sowohl litt als leiden konnte, zur Praͤservationskur ein bur¬ gundisches Pechpflaster, das auf den Ruͤcken (als Deckmantel der Aepfel-Projektionen) applizirt werde, aus guten Gruͤnden anzurathen. Er verstellte sich so erbaͤrmlich — denn ihm gluͤckten unschuldige Intri¬ guen gegen Maͤdgen und scherzhafte Verstellungen aus aus Satire und mißlangen ernsthafte — daß sogar Flamin aufhorchte und trocken versetzte: »er habe »schon ein solches Pflaster seit zwei Tagen auf: und »— Matthieu hab' es ihm gerathen und selber »aufgelegt.« Da saß er. — Sebastian hatte weiter nichts zu thun als in einer sonderbaren Kaͤlte, die auf dem St. Luͤner Wege nur durch einige heiße Stiche von den alten Spaͤtlingen seines verbluͤhten Paradieses untermischt wurde, unbegleitet zum Kammerherrn Le Baut zu gehen, zu sagen was zu sagen war, ins Pfarrhaus kaum zu gucken und still wieder fortzu¬ wandern ohne eine einzige — Hofnung. Liebe Fortuna! lieber gekoͤpft als skalpirt, lieber Ein Ungluͤck als zehn Fehlschlagungen, ich meine, raͤ¬ dere mit deinem Rade den Menschen lieber von oben als unten hinauf! — Viktor wußte zwar noch kein Wort von der Wendung, womit er zwei solchen Hof-Emigranten wie den Le Bauts, die nichts heiligers kannten als die Latrie gegen einen Fuͤrsten, die Dulie gegen des¬ sen Minister und die Hyperdulie gegen dessen H., Klotildens Standeserhebung verleiden sollte; aber er dachte, »ich thue was ich kann.« Klotildens Eltern nahmen ihn mit so viel Ver¬ bindlichkeit auf — d. h. mit so viel Chareographie des Koͤrpers, mit so viel Puderzucker auf jeder Mine, Hesperius. II Th. H mit so viel Violensyrup auf jedem Wort — kurz er fand den Bericht, den Maz von ihrer gefaͤlligen Denkungsart fuͤr ihn an Flamiu erstattet hatte, so gegruͤndet, daß er keine bessere Gelegenheit haͤtte aussuchen koͤnnen als diese, um sie von der Spedi¬ tion und Verpflanzung ihrer Tochter abzumahnen — haͤtten sie ihm nicht zu danken angefangen, daß er selber dieser Spediteur und Pflanzer gewesen war. Sie hatten alles erfahren oder errathen und dankten ihm fuͤr seine Verwendung, der sie wahrscheinlich ei¬ gennuͤtzigere Absichten liehen als die Tochter that. Es waͤre laͤcherlich gewesen, in Klotildens Gegenwart ihre kuͤnftige Gegenwart in Flachsenfingen zu wider¬ rathen und das auszureden, wofuͤr man ihm dankte. Er ließ es, obwohl gezwungen, gut seyn; aber warum ergiebt sich der Mensch schwerer in die Zukunft als in die Vergangenheit. — Die Kaͤlte der Tochter war natuͤrlicherweise nicht kleiner (aber aufrichtiger) als die Waͤrme der Eltern . . . . und gerade die Kaͤlte erfrischte sein gluͤhendes Gehirn. Diese kalte gleichguͤltige Gestalt war wie ein Schleier uͤber die erhabne liebende gedeckt, die immer mit ihren thraͤ¬ nenvollen Augen vor ihm schwebte und die er nicht aushielt: ohne Bewußtseyn einer Schuld, zufrieden mit seinem Gehorsam gegen Emanuels Bitte, zog er mit seinen vom Wohlstand erdruͤckten Gefuͤhlen ab kaͤlter gegen die Kaͤlte. — — Er waͤre ein schlechter Liebhaber gewesen, wenn er gewußt haͤtte, was er haben wollen; denn sonst haͤtt' er von Klotilden, sogar im Falle ihrer Liebe gegen ihn, keine ausseror¬ dentliche Waͤrme gegen einen Medikus begehren koͤn¬ nen, den ihr die Eltern aufzwangen (welches einem Manne noch mehr schadet als Haͤßlichkeit) der so unhoͤflich ohne ein Geburrstags-Karmen aus dem Garten fortjagte, und der sie in die sieben vergolde¬ ten Thuͤrme des Hofdienstes, trotz ihrem Widerwil¬ len, trotz allem Anschein ihres kuͤnftigen Gefaͤng¬ nißfiebers hineinschob. — Aber fuͤr das ofne Lehn seines Herzens war eben dieser Aerger ge¬ sund. . . . Wenn mein guter Leser einmal von einer zu theuern Freundin einen ewigen Abschied zu nehmen hat: so nehm' er ihn zweimal — Der erste ver¬ steht sich ohnehin, wo er in der Trunkenheit des Schmerzes, im Blutsturz des Herzens und der Augen erliegt und wo das geliebte Bild sich mit Flammen in die weiche Seele brennt; aber dann wird er die Abgeschiedne nie vergessen koͤnnen — Daher muß er einen zweiten nehmen, der schon darum kaͤlter ist, weil heftige Empfindungen kein dal segno der Wie¬ derholung leiden, oder muß (wenn er am allerge¬ scheutesten seyn will) sie nach dem tragischen Ab¬ schied an einem oͤffentlichen Platze, (z. B. bei einer Kroͤnung) wo sie kalt scheinen muß, zu sehen suchen H 2 ihr frostiges Gesicht uͤberschneiet dann ihr heisses in seinem Kopfe und mein guter Leser hat doch wieder so viel Verstand beisammen, daß er weiß was er in den Hundsposttagen lieset. .. — Warlich wenn Jean Paul nicht fleißig schreibt, so thuts keiner — es schlug schon ein Uhr und er hielts fuͤr ein Viertel auf Zwoͤlfe — meine Schwester will schon vor dem aufgeschwaͤnzten rau¬ chenden Hecht, der wie die Schlange der Ewigkeit an seinem Schwanze frisset, die Haͤnde fallten und sagt immerfort: »es wird ja alles kalt« — »das »soll es auch, nach so gluͤhenden Kapiteln« (sag' ich) wenn du den Leser und den Autor meinst — Der Posthund springt schon, indem ich noch uͤber dem zwanzigsten Kapitel sitze, mit dem ein und zwan¬ zigsten in der Stube herum — und doch will ich verdammt seyn wenn ich nicht vor dem Essen noch wie die sieben Weisen sieben goldne Spruͤche sage: 1. Wenn man beim Stiche der Biene oder des Schicksals nicht stille haͤlt; so reisset der Stachel ab und bleibt zuruͤck. 2. Jaͤmmerliche Erde, die drei, vier große oder kuͤhne Menschen verbessern und erschuͤttern koͤnnen! Du bist ein wahres Theater: auf dem Vorgrund sind einige fechtende Akteurs und einige Zelte aus Leinwand, im Hintergrund wimmelts von gemahlten Soldaten und Zelten! — 3. Staaten und Diamanten werden jetzt, wenn sie Flecken haben, in kleine zerschnitten — und da 4. die Menschen in großen Staaten und die Bienen in großen Stoͤcken Muth und Waͤrme ein¬ buͤssen: so heftet man jetzt an kleine Laͤnder andre kleine Laͤnder, wie an Bienenstoͤcke Koloniestoͤcke. 5. Der Mensch haͤlt sein Leiden fuͤr das der Menschheit, wie die Bienen das Tropfen ihres Bie¬ nenstandes, wenn schon die Sonne wieder scheint, fuͤr Regen nehmen und nicht ausfliegen; 6. Aber er begeht taͤglich einen kleinern Irr¬ thum: anfangs haͤlt er fuͤr eine Ewigkeit , (fuͤr diese aristotelische Zeit-Einheit des Schauspiels des Seyns) seine gegenwaͤrtige Stunde — dann seine Jugend — dann sein Leben — dann sein Jahr¬ hundert — dann die Dauer des Erdballs — — dann der Sonne ihre — dann der Himmel ihre — dann (das ist der kleinste Irrthum) die Zeit . ... 7. An den Menschen sind vorn und hinten wie an den Buͤchern zwei leere weiße Buchbinderblaͤtter — Kindheit und Greisenalter; und an den Hunds¬ posttagen auch: siehe das Ende dieses Tages und den Anfang des naͤchsten. Fuͤnfter Schalttag. Fortsetzung des Registers der Extra-Schöslings . K. K aͤlte . In unserm Zeitalter stehen Abnahme des Stoizismus und Wachsthum des Egoismus hart neben einander; jener bedeckt seine Schaͤtze und Keime mit Eis, dieser ist selber Eis. So nehmen im Physischen die Berge ab und die Gletscher zu. — — L. Leihbibliothek fuͤr Rezensenten und Maͤdgen . Ich bin noch immer Willens es ins Intelligenzblatt der Litteraturzeitung setzen zu lassen, daß ich den Ehrensolds-Kaufschilling, den ich fuͤr meinen Abendstern erhebe, nicht zerschlagen noch wie Musaͤus zum Ankauf von Gartenhaͤusern zersplit¬ tern, sondern das ganze Kapital zu einer vollstaͤndi¬ gen Sammlung aller deutschen Vorreden und Ti¬ tel , die von Messe zu Messe erscheinen, verwenden will. Ich kann dabei bestehen, wenn ich eine Vor¬ rede woͤchentlich fuͤr einen Pfennig Lesegold an Re¬ zensenten ausgebe. — Damit mir nicht einmal der Ueberschuß des be¬ sagten Schlagsschatzes als todtes Kapital im Hause liegt: so sollen dafuͤr — wenn ich mich nicht aͤndere — die schwerern deutschen Meisterwerke, — z. B. Friedrich Jakobi's, Klinger's seine, Goͤthe's Tasso — desgleichen die bessern satirischen und philosophi¬ schen vom Buchbinder in einer leichtern Damen¬ ausgabe geliefert werden, die ganz aus sogenannten Vexirbaͤnden, wo innen kein Unterziehbuch steckt, be¬ stehen soll. Ich spiele damit denk' ich, den Leserin¬ nen etwas reelles in die Haͤnde, das so gut gebun¬ den und eben so betittelt ist wie die Buchhaͤndler- Ausgabe und in das sie — weil das harte Steinobst schon au s gekernt und innen nichts ist — nicht nur eben so viel sondern sechs Loth mehr Seidenfa¬ den und Seidenabschnitzel legen koͤnnen als in die gedruckte Edition. — Alwils Briefwechsel — ein schweres zweidotteriges Straussenei des Autors, das ich vom Buchbinder auf diese Weise habe ausblasen lassen, weil die meisten Leserinnen zu kalt sind, es auszubruͤten — ist jetzt ganz leicht . Aber von den deutschen Romanen werd' ich niemals eine solche Futteral-Edition von leeren Zeremonienwagen des Sonnenwagens veranstalten, weil ich befahre, der Buchhandel schreie uͤber Nachdruck . — Ich waͤre ein gluͤcklicher Mann, wenn sich die Mitleserinnen meiner Leih-Kapselbibliothek nur zweimal in einigen italienischen und portugiesischen Buͤchereien haͤtten »herumfuͤhren lassen: sie wuͤrden in diesen, wo oft nur die Titel der Werke — und noch dazu der duͤmmsten — an die Wand geschmieret sind, erstaunet seyn, welche schlechte Figur solche unbrauchbare Bibliotheken ne¬ ben meiner Buͤcherei von ordentlichen Vexirbuͤchern, die ich aus so vielen Faͤchern und mit einigem Ei¬ gensinn waͤhle, machen. — So werden freilich deut¬ sche Kapselleserinnen von euch Portugieserinnen nim¬ mermehr eingeholet! Vielmehr kommen jene sogar den Maͤnnern, den Advokaten und Geschaͤftsleuten nach, die aͤhnliche Kapsel-Journalistika mithalten und die Futterale der besten deutschen Journale — letz¬ tere werden oft als curiosa sogar den Kapseln ange¬ bogen und fuͤttern diese aus — mit lesen und wei¬ ter geben. . . . Das ist mein Projekt, und Schafe wuͤrden muthmaßen, ich spaste mich bloß herum, wenn ichs nicht wirklich durchsetzte. M. Maͤdgen . Junge Maͤdgen sind wie junge Trut¬ huͤner, die schlecht gedeihen, wenn man sie oft an¬ greift; und die Muͤtter halten, diese weichen aus Blumenstaub zusammengeflossenen Geschoͤpfe wie Pa¬ stelgemaͤlde so lange unter Fensterglas — weil sich alles vor uns Prinzessinnenraͤubern und Obstdie¬ ben scheuet, — bis sie fixiret sind. Indessen ist weder Einsamkeit — welche nur zu einer ungepruͤf¬ ten Unschuld fuͤhrt, die zwar nicht vor dem Libertin aber doch vor dem Heuchler faͤllt — die rechte Kron¬ wache um ein weibliches Herz, noch Gesellschaft, noch Arbeitsamkeit — sonst saͤnke kein Landmaͤdgen — noch gute Lehren — denn diese sind in jedem Mund und in jeder Lesebibliothek zu haben: — sondern diese vier ersten und letzten Dinge auf einmal thuns, die sich saͤmtlich entbehren, vereinigen und ersetzen lassen durch eine tugendhafte weise Mutter. N. Namen der Großen . Da sie wie Rezensen¬ ten ihren Namen bei ihren außerehelichen Meßpro¬ dukten, Gelegenheitsschriften und pieces fugitives verhehlen, die sich nicht sowohl selber legitimiren als legitimirt werden vom Fuͤrsten: so sollte man den¬ ken, sie wollten ihren natuͤrlichen Kindern den Rang der Pasquille geben, deren Verfasser zweierlei thun muß: erstlich seinen Namen verschweigen, zweitens sie vervielfaͤltigen. Aber da sie ihre Kinder der 30ten Ehe am Ende doch adoptiren, wenn sie und jene alt geworden: so hat man nicht viel daraus zu machen, daß sie den Zeisigen nachahmen, die wie man sagt ihrem Neste und dessen Insaßen durch ei¬ nen Stein so lange Unsichtbarkeit ertheilen, bis die Plantage fluͤgge ist. O. Ostrazismus . Er war bekanntlich bei den Griechen keine Strafe: nur Leute von großen Ver¬ diensten errangen ihn und sobald man diese Landes¬ verweisung an schlechte Menschen verschwendete, ging sie voͤllig ein. Beklagen muß es ein Reichsbuͤrger, daß wir, da wir eine aͤhnliche oͤffentliche Erziehungs¬ anstalt, naͤmlich die Landesverweisung haben, diese oft an die aller elendesten Schelme verschleudern und daher — in der Absicht, einen Kreis, ein Land zum Spucknapf und zum Absonderungsgefaͤß des andern zu machen — Hallunken aus dem Lande jagen, die kaum werth sind, daß sie darin bleiben. Dadurch wird der Gebietsraͤumung das Ehrenhafte und Aus¬ zeichnende, was sie fuͤr den Mann von Verdiensten haben koͤnnte, ganz benommen und ein ehrlicher Mann — z. B. Bahrdt — schaͤmt sich beinahe, daß man ihn mit einer solchen Ehre nur belegt. Es sollte daher Reichspolizeimaͤßig werden, daß nur Mi¬ nister, Professoren und Offiziere von entschiedenem Werthe gleich wichtigen Akten verschickt und rele¬ girt wuͤrden. Auf aͤhnliche Maͤnner wuͤrd' ich auch das Henken einschraͤnken: bei den Roͤmern wurden wahrhaftig nur große Koͤpfe und Lichter auf Kosten eines ganzen Staats an den Weg beerdigt; was soll ich aber von den Deutschen denken, bei denen selten ein nuͤtzlicher Staatsbuͤrger — sondern mei¬ stens ausgemachte Spitzbuben — auf oͤffentliche Ko¬ sten, die man die Henkergelder nennt, begraben wird und vorher am Wege ausgehangen unter dem Gal¬ gen? — Nicht einmal bei Lebzeiten kann ein Mann — wenn er nicht ausserordentliche und oft exzen¬ trische Verdienste hat, wiewol exzentrische Men¬ schen in die Wahrheit, wie die Kometen in die Sonne , als Nahrungsstof zuruͤckfallen — sich darauf allemal Rechnung machen, daß er auf eine Art, wie die Alten ihre Edeln in Statuen und Bildern reflektirten und verdoppelten, in effigie un¬ ter einem erhabenen Ort werde gehangen werden. . . . . Man antworte mir, ich lasse mit mir reden. P. Philosophie . Einige kritische Philosophen haben jetzt aus der Algebra eine mathematische Me¬ thode entlehnt, ohne die man keine Minute philoso¬ phisch — nicht sowohl denken als — schreiben kann. Der Algebraist erhaschet durch das Versetzen bloßer Buchstaben Wahrheiten, die kein Syllogis¬ mus ausgraben konnte. Das thut der kritische Phi¬ losoph nach, aber mit groͤßerem Vortheil: da er nicht Buchstaben sondern ganze Termen geschickt unter einander mengt, so schaͤumen aus der Allittera¬ tion derselben Wahrheiten hervor‚ die er sich kaum haͤtte traͤumen lassen. Solchen Philosophen wird mit Recht wie den Gothaischen Predigern (Goth. Lan¬ desordnung P . III . p . 16.) verboten‚ Allegorien zu brauchen‚ oder irgend eine Redeblume, die ihnen, wie den Leithunden andere Blumen, die Faͤhrte ver¬ derben. — Eigentlich aber ist der Bilderstyl bestimm¬ ter als der Termenstyl, der zuletzt, da alle abstrakte Worte Bilder sind, ja auch ein Bilderstyl ist, aber einer voll zerfloßener entfaͤrbter Bilder. Jakobi ist nicht dunkel durch seine Bilder , son¬ dern durch die neuen Anschauungen , die er durch jene mit uns theilen will. Ich habe neulich in den Populationstabellen der gelehrten und lehrenden Republik nachgesehen und die jungen Kaͤntgen aufgezaͤhlt, die der alte Kant‚ der sonst unverheirathet ist wie sein Vetter Newton‚ seit zehn Messen gezeugt hat. Demetrius Ma¬ gnus‚ der ein Buch von den gleichnamigen Auto¬ ren machen wollte‚ muͤßte sehr dumm gewesen seyn‚ wenn er zu unsern Zeiten haͤtte schreiben und doch zugleich‚ indem er gleichwohl beigebracht haͤtte‚ daß es 16 Plato‚ 20 Sokrates‚ 28 Pythagoras, 32 Ari¬ stoteles gegeben‚ es ganz suͤndlich auslassen wollen‚ daß es jetzt so viele Philosophen und Philosophisten als jene zusammenaddirt machen‚ gebe‚ naͤmlich 96‚ die den Namen Kant fuͤhren koͤnnten, wollten sie sonst. Solche Handwerker — so kann ich die Ma¬ gister nennen, weil man umgekehrt sonst die Hand¬ werker Magister hieß und den Obermeister Erzmagi¬ ster — sollte man als die beste Propaganda in Rech¬ nung bringen, die dicke Buͤcher haben koͤnnen; sie sind am besten im Stande, es auszubreiten, weil sie das Unfaßliche, das Geistige davon abzuscheiden und das Populaire und Koͤrperliche, d. h. die Woͤrter fuͤr Leser, die sonst einfaͤltig aber doch nicht ohne kritische Philosophie sterben wollen, auszuziehen wis¬ sen. Das elendeste theologische und aͤsthetische Ge¬ stein erhaͤlt jetzt eine Kantische Fassung aus Worten. Obgleich durch jedes neue große System eine gewisse Einseitigkeit des Blicks in alle Koͤpfe koͤmmt — zumal da jeder kalte Philosoph gerade desto einsei¬ tiger ist, je einsichtiger er ist — so verschlaͤgts doch nichts: denn große Wahrheits-Evolutionen gehen nur durch das gemeinschaftliche Wuͤhlen des ganzen Denker-Personale hervor Ein Beispiel ist jetzt das erste Prinzip der Moral und das der Regierungsformen. . Wer Kant auf seinem Berge unter seinen gelehrten Mitarbeitern hat stehen sehen, errinnert sich mit Vergnuͤgen einer aͤhnlichen Geschichte in Peru, die Buͤffon mittheilt: als daselbst Kondamine und Bouger die Aquator¬ grade der Erde (wie Kant die der intellektuellen Welt) ausmassen, fanden sich ganze Affen-Rudel als Kollaboratores dazu ein, setzten Brillen auf, blickten nach den Sternen und herunter nach den Uhren und brachten eines und das andre zu Papier, wiewohl ohne Honorar, welches der ihr einziger Unterschied von den Vikariats-Kanten ist. Jeder Mann von Genie ist ein Philosoph, aber nicht umgekehrt — ein Philosoph ohne Phantasie, ohne Geschichte und ohne encyklopaͤdisches Vielwis¬ sen ist einseitiger als ein Politiker — wer irgend ein System mehr annahm als erfand, wer nicht vorher dunkle Ahndungen desselben hatte, wer nicht vorher wenigstens darnach lechzte, kurz wer nicht seine Seele als einen vollen warmen mit Keimen ausgefuͤllten Boden, der nur auf seinen Sommer wartete, empfand, der kann wohl ein Lehrer, aber nicht ein Schuͤler der zum Brodstudium erniedrigten Philosophie seyn — und kurz, es ist einerlei, welchen Ort man zur philosophischen Sternwarte besteige, einen Thron, oder einen Pegasus, oder eine Alpe, oder ein Caͤsars-Lager oder eine Leichenbahre und sie sind fast alle hoͤher als der Katheder im Disputa¬ torio. Q. siehe K. R. Rezensenten . Ein Redakteur sollte sechs Tische haben: am ersten saͤßen und aͤssen die Anzeiger des Daseyns eines Buchs — am zweiten die Pausch- und Bogen-Anzeiger seines Werths — am dritten die Epitomatoren desselben — am vierten die Sprach¬ meister und Sprachforscher, die unter das Publikum raͤsonnirende Verzeichnisse fremder Donatschnitzer aus¬ theilen — am fuͤnften die Opponenten, die ein neues Buch nicht durch ein neues Buch sondern durch ein Blaͤttgen widerlegen — am sechsten staͤnde die kriti¬ sche Fuͤrstenbank, auf die sich Huber oder Forster oder noch einer setzen koͤnnten, die ein Buch so uͤber¬ schauen wie ein Menschenleben, die die Individua¬ litaͤt desselben auffassen und darstellen, die den Geist des litterarischen Geschoͤpfes und des Schoͤpfers zugleich zeichnen und die die Menschwerdung und Verkoͤrperung der goͤttlichen Schoͤnheit, die die Gestalt eines Individuums annimmt, trennen von der Schoͤnheit und dann aufdecken und verzeihen. Diese sechs kritischen Baͤnke, die sechs verschie¬ dene Litteraturzeitungen liefern koͤnnten, werden jetzt uͤbereinander geworfen und gestalten eine. — So freimuͤthig ich aber gegen diese Zusammenwerfung von gelehrten 1) Anzeigen, 2) Rezensionen, 3) Aus¬ zuͤgen, 4) Sprach- und 5) Sachkritiken und 6) Kunst¬ urtheilen aufstehe: so gern bin ich bereit, zuzugeste¬ hen, daß die rezensirende Fauna und Konfraterni¬ taͤt der fuͤnf Tische vielleicht eben so viel Unkrauts Fechser ausrotte als sie selber heraus treibt aus ei¬ gnen Keimen, und ich berufe mich auf einen Privat¬ brief von mir, der außer dem Verdacht der Schmei¬ chelei ist und worin ich sie mit einem Fliegenschwam¬ me zusammengesellte, der, obgleich eine (Dinten) Infusion auf ihm Insekten-Heere gebiert, doch die Fliegen ausreutet. — Aber da unter den Rezen¬ senten auch Autoren sind wie ich, wie unter den por¬ tugisischen Inquisitoren Juden — und uͤberhaupt da ich Schaltjahre lang daruͤber sprechen wollte: warum einen Schalttag lang? — S. Streiche . »Wer seines Herrn Willen weiß »und thut ihn nicht, soll doppelte Streiche leiden.« — Wer leidet denn die einfachen? der doch nicht, der den Willen nicht weiß und nicht thut? — also folgt, daß groͤßere Kenntnisse die moralische Schuld nicht erschweren , sondern erst erzeugen ! denn in sofern ich eine moralische Verbindlichkeit gar nicht einsehe, ist mein Verstoß dagegen ja nicht klei¬ ner, sondern null. — Ich will meine eigne Akademie der Wissenschaf¬ ten seyn und mir die folgende Preisfrage aufgeben, die ich selber in einer Prisschrift beantworten will: »Da nur eine Handlung tugendhaft ist, die aus »Liebe zum Guten geschieht: so kann nur eine suͤn¬ »dig »dig seyn, die aus bloßer Liebe zum Boͤsen geschieht, »und die Ruͤcksicht des Eigennutzes muß den Grad »einer Suͤnde so gut wie den Grad einer Tugend »kleiner machen. Was waͤre aber auf der andern »Seite noch außer dem Eigennutz in unserer Natur, »was uns zum Schlimmen triebe? und wenn Boͤses »aus reinem Hang zum Boͤsen geschaͤhe: so gaͤbe es »ja eine zweite, obwohl entgegengesetzte Autono¬ » mie des Willens?« T. Truͤbsal , Trauer . Jetzt, da ich diese be¬ klemmenden Toͤne schreibe, die mir vorsagen, daß die Natur nur Dornenhecken, die Menschen aber Dornenkronen machen: vergeht mir die Lust, mit satyrischen Dornen um mich zu schlagen und ich will lieber einige aus euern Fuͤßen oder Haͤnden ziehn. Hesperus. II . Th. J 21. Hundsposttag. Viktors Krankenbesuche — über töchtervolle Häuser — die zwei Narren — das Karoussel — F olgende Anmerkung koͤmmt nicht aus dem Torni¬ ster des Hundes, sondern aus meinem eignen Kopf: man braucht kein Lobredner unserer Zeiten zu seyn, um mit Vergnuͤgen zu sehen, daß jetzt Autoren, Fuͤrsten, Weiber und alle die unaͤhnlichen falschen Larven der Tugend (z. B. Bigotterie, Pietismus, zeremonielles Betragen) meistens abgelegt und dafuͤr den aͤchten geschmackvollen Schein der Tugend gaͤnzlich angenommen haben: diese Veredelung unse¬ rer Karaktermasken, wodurch wir das Aeußere der Tugend schoͤner treffen, ist mit einer aͤhnlichen des Theaters gleichzeitig, auf dem man nicht mehr wie sonst mit papiernen Kleidern und unaͤchten Tref¬ fen, sondern mit aͤchten agirt und tragirt. — »Sie wurden schon gestern von der Fuͤrstin ver¬ »langt« sagte der Fuͤrst zum Hofmedikus, da er mit seinem ausgeleerten Gesicht kaum eingetreten war. Die Augenentzuͤndung Agnola's hatte durch das Herbstwetter, durch die Nachtfeste, durch Kuhl¬ peppers tapfere Hand und durch ihre eigne — denn die rothen Titelbuchstaben der Schoͤnheit, naͤmlich geschminkte Wangen wurden immer neu aufgelegt — sehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu stolz, um sich als einen bloßen Arzt begehren zu lassen; ja er war zu stolz, um an sich etwas anders (und waͤrs Philosophie, oder Schoͤnheit) suchen zu lassen als seinen Karakter: denn sein Vater, der noch zaͤr¬ ter war, hatte ihn gelehrt, man muß keinem dienen der uns nicht achtet oder den man selber nicht ach¬ tet, ja man muß von keinem eine Gefaͤlligkeit an¬ nehmen, dem man nur einen aͤußerlichen, aber keinen innerlichen Dank zu sagen vermag. Aber dieses zarte Ehrgefuͤhl, das nie mit seinem Eigennutze wohl aber mit seiner Menschenliebe in ungleiche Treffen kam, konnte ihm seine Haͤnde nicht binden, womit er einer ungluͤcklichen Fuͤrstin — ungluͤcklich, wie er, durch Darben an Liebe — wenigstens die Schmerzen der Augen nehmen konnte: vielleicht auch juͤngere Schmerzen: denn seine Gutmuͤthigkeit gab ihm lauter Versoͤhnungen ein, des Fuͤrsten mit Le Baut, mit der Fuͤrstin, mit dem Minister. Nichts ist gefaͤhrlicher, als zwei Menschen auszusoͤhnen — man muͤßte denn der eine selber seyn; sie zu ent¬ zweien ist viel sicherer und leichter. Er fand Agnola Nachmittags noch im Schlaf¬ zimmer, weil dessen gruͤne Tapeten (zwar nicht dem Teint) aber dem heissen Auge schmeichelten. Ein J 2 dichter Schleier uͤber dem Gesichte war ihr Tags¬ lichtschirm. Als sie, wie eine Sonne, ihren Schleier aufschlug: so begrif er nicht wie er in Tostatos Bude aus diesem italienischen Feuer und aus diesen schnellen Hofaugen ein verweintes Blondinengesicht machen koͤnnen. Ein Theil dieses Feuers gehoͤrte der Krankheit an. Ihr erstes Wort war ein ent¬ schlossener Ungehorsam auf sein erstes; indessen stieß sie damit die Herren Pringle und Schmucker so gut vor den Kopf wie ihn: denn das ganze drei¬ einige collegium medicum rieth ihr — Blutigel um die Augen. Diese ekelten sie. Der Medikus ruͤckte mit Schroͤpfkoͤpfen am Hinterhaupte heraus; aber ihre Haare waren ihr lieber als ihre Augen. »Muß »man denn alles mit Blut erkaufen?« sagte sie mit italienischer Lebhaftigkeit. — »Die Reiche und Re¬ »ligionen solltens nicht werden, aber doch die Ge¬ sundheit« sagt' er mit englischer Freimuͤthigkeit. Er forderte noch einmal ihr Blut — aber sie gab es ihm erst, da er das Opfermesser aͤnderte und ihr am Auge eine Aderlaß vorschlug. Personen von Stande wissen wie Gelehrte oft die gemeinsten Dinge nicht: sie dachte, der Doktor werde die Ader oͤfnen. Und weil sie es dachte: that ers auch, mit seiner durchs Staarstechen geuͤbten Hand. . . . Inzwischen ist — wenn (nach dem Plinius) ein Kuß aufs Auge einer auf die Seele ist — eine Ader¬ laß darauf kein Spaß: sondern man kann, indem man eine Wunde macht, selber eine holen. Der arme Hofmedikus muß mit seinem schwimmenden freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die Thraͤne der Liebe abgetrocknet wurde, kuͤhn in die in eine Augenhoͤle gesperrte Sonne schauen und noch obendrein sanft mit dem Finger am warmen Gesicht anliegen und aus der Quelle der Thraͤnen helles Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine solche Operation unternaͤhme, sollte man eine an sich voll¬ ziehen lassen — der Kuͤhlung wegen. Im Grunde hatte auch ihm das Schicksal diese Woche nichts ge¬ geben als Lanzetten-Schnitte in seine Aorte. Stel¬ let man sich noch vor, daß ihm das ganze weibliche Geschlecht wie eine magische weit zuruͤckgewichne Ge¬ stalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an ihm geschimmert, als ein erblassender Mond am Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte: so hat man sich sein schoͤnes schuldloses Herz geoͤf¬ net, um darin außer einem großen fortarbeitenden Schmerzen tausend sympathetische Wuͤnsche fuͤr die bedauerte Fuͤrstin zu erblicken. Trotz ihrer sonderba¬ ren Mischung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken, die er halb aus seiner heutigen Beflissenheit, halb aus seinem ihr bisher so guͤnstigen Einfluß auf den Fuͤrsten erklaͤren konnte und die ihm einen groͤßern Muth gegeben haͤtte, wenn er sich nicht von dem Zettel uͤber dem Imperator der Kompas-Uhr, mit besondern Auslegungen seines Muthes haͤtte drohen lassen. Bei der vorigen ersten Visite war sein Muth gelaͤhmt, weil er sich als der Sohn eines Va¬ ters, der seinen Einfluß durch die Sorge um Ba¬ starte zu befestigen schien, geflohen glaubte: denn ein Mensch voll Liebe ist neben einem voll Haß stumm und dumm. Am muthigsten machte ihn heute außer seinen Zaͤnkereien, die unterlagen (uͤber die Blutigel ꝛc.,) noch die letzte, die siegte: man wird muthiger und gluͤcklicher zugleich, wenn man einer Stolzen wider¬ spricht als wenn man ihr schmeichelt. Er sah eine Maske liegen; da er nun wußte, daß in Italien die Damen im Bette diese, wie die unsrigen die Hand¬ schuhe, als Gesichtsschuhe anlegen: so verbot er ihr die Maske geradezu, als Zunder der Augenentzuͤn¬ dung. Es war keine Schmeichelei da er ihr sagte, daß ihr die Maske mehr nehmen als geben koͤnnte, Kurz er bestand darauf. — Er war vielleicht zu tolerant gegen den Zweifel, den nur eine Frau ertraͤglich und dauerhaft machen konnte, gegen den Zweifel, wen sie mit einander verwechsete, den Hofmedikus oder den Guͤnstling: denn er sagte ihr — obwohl in der Sorge, zu viel zu sagen, welches bei Leuten von seinem Feuer ein Zeichen ist, daß es schon geschehen ist — am Ende das, was er am Anfange zuruͤckbehalten hatte, daß ihn das empressement des Fuͤrsten hergeschickt; und hob diesen aus eigne Kosten empor, um so mehr, da er nichts Ausserordentliches weiter von ihm anzu¬ bringen hatte als eben daß er ihn — hergeschickt. Dann ging er. Bei dem Fuͤrsten ließ er ihr so viel Seelig - und Heiligsprechungen (auf die¬ ser Erde zwei Kontrarietaͤten!) zukommen als der Anstand und sein Humor (zwei noch groͤßere Kontra¬ rietaͤten) verstatteten. Sonderbar! sie hatte trotz ih¬ rem Feuer keine Launen. Er wußte, Jenner erlag nicht bloß dem Verlaͤumder, sondern auch dem Lob¬ redner. Man legt den gekroͤnten Schauspieldirekto¬ ren der Erde Entschluͤsse ins Herz und Dekrete in den Mund; sie wissen was sie wollen und was sie reden, ein Paar Tage spaͤter als ihr Thronsoufleur. Ein Guͤnstling ist ein Shakspear und Dichter, der hinter den Personen, die er agiren und reden laͤsset; nicht selber vorguckt und vorhustet, sondern der ein Bauchredner ist, welcher seiner Stimme den Klang einer fremden giebt. Da er den andern Tag die Pazientin wieder be¬ suchte: waren die Augenhoͤlen abgekuͤhlt, obwohl die Augen nicht; Agnola war heil in einem Kabinet voll Heiligenbilder. Mit der Unpaͤßlichkeit der Augen war eine Quelle des Gespraͤchs weggenom¬ men; und ihr Stolz vertrat zugleich seiner Empfin¬ dung und Laune den Zugang. Ob er es wohl hun¬ dertmal zu ihr in seinem Innern sagte: »quaͤle dich »nicht, stolze Seele, ich bin kein Guͤnstling, ich will »dir nichts nehmen, am wenigsten deinen Stolz oder »fremde Liebe — o ich weis was es ist, keine zu er¬ »langen:« so blieb er doch (nach seiner Meinung) kalt vor ihr und zog mit der aͤrgerlichen Aussicht ab, daß ihm seine gute Kur die Wiederkehr abschnei¬ de; denn die andern Kour-Visiten waren doch keine freimuͤthigen Krankenvisiten. Vor der fata¬ len Kompas-Uhr erschrak er taͤglich weniger, außer wenn er eben froher war. — Manche Leute wuͤrden eher ohne Haͤuser als ohne Bauen leben; Viktor lieber ohne dephlogistisirte Luft als ohne Luftschloͤsser: er mußte immer das Lotterieloos und die Aktie irgend eines Plans, in der Zukunft stehen haben und eine Frau war mei¬ stens die Maskopeischwester in diesem Großavantur¬ handel. Dasmal war er auf die Versoͤhnung Jen¬ ners und Agnola's erpicht. Er schloß so: sie ist auf beiden Seiten leicht — Jenner wird jetzt immer Agnolas Gesellschaft suchen, obwohl bloß aus List, um in die kuͤnftige ihrer Hofdame Klotilde mit mehr Anstand zu kommen, die er jetzt im Stande der Ehe¬ losigkeit noch ohne Schaden nach seinem Geluͤbde lieben kann — das wird ihn, da er weder einem langen Lobe noch eiuem langen Umgang widerstehen kann, unvermerkt an Agnola gewoͤhnen — diese, die jetzt verlassen, auf der Seite des Minister Schleunes steht; wird die vereinigte Achtung Viktors und Jen¬ ners nicht ausschlagen u. s. w. . . . . Ob ihn aber nur die Schoͤnheit der Handlung, nicht auch die Schoͤnheit der Fuͤrstin zu diesem Mittleramt anmah¬ net, das kann das 21te Kapitel noch nicht wissen; meinetwegen mags indessen: sein verblutet-kal¬ tes Innere, aus dem noch das Klavier und Klotil¬ dens Name und das Morgen-Erwachen blutlose Dolche ziehen, hat ja das Getoͤse der Welt so noͤ¬ thig und jedes Uebertaͤuben der Wunden! Mit der Absicht solcher Friedenspraͤliminarien entschuldigte er seinen kuͤnftigen Ungehorsam gegen seinen Vater, der ihm das Schleunessche Haus zu suchen abgerathen: denn da die Fuͤrstin immer hin¬ kam, so wars der schicklichste neutrale Ort zum Frie¬ denskongresse. O! nur ein halbes. . . . Extrablatt uͤber toͤchtervolle Haͤuser . Das Haus von Schleunes war ein ofner Buchladen, deren Werke (die Toͤchter) man da le¬ sen, aber nicht nach Hause nehmen konnte. Ob¬ gleich die fuͤnf andern Toͤchter in fuͤnf Privatbiblio¬ theken als Weiber standen und eine in der Erde zu Maienthal die Kindereien des Lebens verschlief: so waren doch in diesem Toͤchter-Handelshaus noch drei Freiexemplare fuͤr gute Freunde feil. Der Mi¬ nister gab bei den Ziehungen aus der Aemter-Lotte¬ rie gern seine Toͤchter zu Praͤmien fuͤr große Ge¬ winnste und Treffer her. Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er wenn nicht Verstand doch eine Frau. In einem toͤchterreichen Hause muͤssen wie in der Peterskirche, Beichtstuͤhle fuͤr alle Natio¬ nen, fuͤr alle Karaktere, fuͤr alle Fehler stehen, damit die Toͤchter als Beichtmuͤtter darin sitzen und von allem absolviren, bloß die Ehelosigkeit ausgenommen. Ich habe oft als Naturforscher die weisen Anstal¬ ten der Natur zur Verbreitung der Toͤchter und Kraͤuter bewundert; ists nicht eine weise Einrichtung sagt' ich zum naturhistorischen Goͤze, daß die Natur gerade denen Maͤdgen, die zu ihrem Leben einen rei¬ chen mineralischen Boden brauchen, etwas Anhaͤckeln¬ des giebt, womit sie sich an elende Ehe-Finken setzen, die sie an fette Oerter tragen? So bemerkt Linnee S. dessen amoen. acad. die Abhandlung von der bewohnten Erde. , wie Sie wissen, daß Samenarten, die nur in fetter Erde forkommen, Haͤtgen anhaben, um sich leichter ans Vieh zu haͤngen, das sie in den Stall und Duͤnger traͤgt. Wunderbar streuet die Natur durch den Wind — Vater und Mutter muͤs¬ sen ihn machen — Toͤchter und Fichtensamen in die urbaren Forstplaͤtze hin. Wer bemerkt nicht die Endabsicht daß manche Tochter darum von der Na¬ tur gewisse Reize in benannten Zahlen hat, damit irgend ein Landsasse, ein infulirter Abt, ein Kardi¬ naldiakonus, ein appanagirter Prinz oder ein bloßer Land-Edelmann herkomme und besagte Reizende nehme und als Brautfuͤhrer oder englischer Brautva¬ ter sie schon ganz fertig irgend einem sonstigen Tro¬ pfen uͤbergebe als eine auf den Kauf gemachte Frau? Und finden wir bei den Heidelbeeren eine geringere Vorsorge der Natur? Merket nicht derselbe Linnee in derselben Abhandlung an, daß sie in einen naͤh¬ renden Saft gehuͤllet sind, damit sie den Fuchs an¬ reizen, sie zu fressen, worauf der Schelm — ver¬ dauen kann er sie nicht — so gut er weiß ihr Saͤe¬ mann wird? — O mein Inneres ist ernsthafter als ihr meint; die Eltern aͤrgern mich, die Seelenverkaͤufer sind, die Toͤchter dauern mich, die Negersklavinnen werden — ach ists dann ein Wunder, wenn die Toͤchter, die auf dem westindischen Markte tanzen, lachen, reden, singen mußten, um vom Herrn einer Plantage heim¬ gefuͤhrt zu werden, wenn diese sag' ich eben so skla¬ visch behandelt werden als sie verkauft und einge¬ kauft wurden? Ihr armen Laͤmmer! — Und doch, ihr seid eben so arg wie eure Schaf-Muͤtter und Vaͤter — was soll man mit seinem Enthusiasmus fuͤr euer Geschlecht machen, wenn man durch deut¬ sche Staͤdte reiset, wo jeder Reichste oder Vornehm¬ ste, und wenn er ein weitlaͤuftiger Anverwandter vom Teufel selber waͤre, auf dreißig Haͤuser mit dem Finger zeigen und sagen kann: ich weiß nicht soll ich aus dem perlfarbenen oder nußfarbenen, oder stahlgruͤnen Hause eine heirathen: offen sind die Kauflaͤden alle?« — Wie, ihr Maͤdgen, ist denn euer Herz so wenig werth, daß ihrs wie alte Klei¬ der, nach jeder Mode, nach jeder Brust zuschneidet und wirds denn wie eine sinesische Kugel, bald groß bald wintzig um in eines maͤnnlichen Herzens Kugel¬ form, und Ehering-Futteral einzupassen? — »Es »muß wohl, wenn man nicht sitzen bleiben will, wie die heilige NN.« antworten mir die, denen ich nicht antworte, weil ich mich mit Verachtung wegwende von ihnen, um der sogenannten heiligen NN. zu sa¬ gen: »Verlassene, aber Geduldige! Verkannte und »Verbluͤhte! Erinnere dich der Zeiten nicht, wo du »noch auf bessere hoftest als die jetzigen und bereue »den edeln Stolz deines Herzens nie! Es ist nicht »allemal Pflicht, zu heirathen, aber es ist allemal »Pflicht, sich nichts zu vergeben, auf Kosten der »Ehre nie gluͤcklich zu werden und Ehelosigkeit nicht »durch Ehrlosigkeit zu vermeiden. Unbewunderte, »einsame Heldin! in deiner letzten Stunde, wo das »ganze Leben und die vorigen Guͤter und Geruͤste »des Lebens in Truͤmmer zerschlagen voraus hinun¬ »terfallen, in jener Stunde wirst du uͤber dein aus¬ »geleertes Leben hinschauen, es werden zwar keine »Kinder, kein Gatte, keine nassen Augen darin ste¬ »hen, aber in der leeren Daͤmmerung wird einsam »eine große, holde, englisch-laͤchelnde, strahlende, »goͤttliche und zu den Goͤttlichen aufsteigende Gestalt »schweben und dir winken, mit ihr aufzusteigen — »o steige mit ihr auf, die Gestalt ist deine Tu¬ » gend .« — Ende des Extrablattes . Einige Tage darauf gab die Fuͤrstin dem Fuͤrsten ein Auge en medaillon mit der schoͤnen Wendung: sie gebe diese Votivtafel dem Heiligen (das paßte um so mehr, da der Fuͤrst Januar hieß) der ihr sei¬ nen Wunderthaͤter zugeschickt und der das bekommt was er heilen lassen. Jenner sagte zu Viktor, dem er das Auge zeigte: »der H. Januar wird mit Ih¬ »nen, mit der h. Ottilia verwechselt« — die be¬ kanntlich die Patronin ber Augen ist. Viktor war froh, daß Matthieu zu ihm kam, um mit ihm nach St. Luͤne zu gehen; denn dieser bat ihn, weil das nicht geschah, mit zu seiner Mutter zu gehen »weil heute bei der Fuͤrstin großes Souper »sey, bei seiner Mutter aber kein Mensch« d. h. kaum uͤber neun Personen. Viktor zog also — es that heute nichts, daß die Augen-Rekonvaleszentin fehlte — gern in die Schleunessche Nuͤrnbergische Kon¬ vertitenbibliothek von Toͤchtern hinein hinter dem zaͤrtlichen Jonathan-Orest-Maz, den er uͤber¬ haupt aus Schonung fuͤr ihren allgemeinen Freund Flamin toleranter behandelte. Die Menschen as¬ soziiren sich wie die Ideen eben so oft nach der Gleichzeitigkeit als Aehnlichkeit ; und aus der Wahl der Bekannten ist eben so wenig etwas auf den Karakter des Mannes zu schließen als auf einer Frau ihren aus der Wahl des Gatten. Maz praͤsentirte ihn seiner Mutter im Lesekabinet, da ihr gerade aus einem englischen Autor vorgelesen wurde, mit den Worten: hier bring' ich Ihnen einen ganz lebendigen Englaͤnder. Joachime las in einem Kata¬ log — es war kein Buͤcher-sondern ein Nelkenblaͤt¬ terkatalog — um sich einige Nelken auszusuchen, nicht um sie zu pflanzen sondern um sie nachzuma¬ chen — in Seide. Sie haßte Blumen, die wuchsen. Ihr Bruder sagte aus Ironie: »sie haßte die Ver¬ »aͤnderlichkeit sogar an einer Blume.« Denn sie liebte sie sogar an Liebhabern; und unterschied sich ganz vom April, der wie die Weiber in unserem Klima weit bestaͤndiger ist als man vorgiebt. Im Kabinet waren noch zwei Narren da, die mir mein Korrespondent nicht einmal nennt, weil sie, glaubt er, hinlaͤnglich unterschieden und signirt waͤren, wenn ich den einen den wohlriechenden Narren nennte und den andern den seinen. Beide Narren umsummten die Schoͤne. Ueber¬ haupt so oft ich Narren in großen Parthien studiren wollte, sah ich mich ordentlicher Weise nach einer großen Schoͤnheit um; — diese umsaßen sie wie Wespen eine Obstfrau. Und wenn ich sonst keine Ursache haͤtte, — ich habe sie aber, — um die schoͤnste Frau zu ehelichen: so thaͤt' ichs schon darum, damit ich immer die Bienenkoͤnigin in der holen Hand sitzend hielte, der der ganze naͤrrische Immen¬ schwarm nachbrauste. Ich und meine Frau wuͤrden dann den Kerln in Lissabon gleichen, die, in den Haͤnden mit einem Staͤnglein angeketteter Papagaien, an den Fuͤßen mit einer Kuppel nachhuͤpfender Af¬ fen , durch die Gassen ziehen und ihr tolles Perso¬ nale feilbieten. Der wohlriechende Narr, der heute in der Son¬ nenseite Joachimens war, las der Mutter vor — der feine, der in der Wetterseite war, stand ne¬ ben Joachime und schien sich nichts um ihr Wet¬ terkuͤhlen zu scheeren. Viktor stand als Uebergang von der heissen Zone in die kalte da und stellte die gemaͤßigte vor: Joachime spielte drei Rollen mit Ei¬ nem Gesicht. Der wohlriechende Narr schoß mit der linken Hand die Drehbasse eines silbernen Jou¬ jou: dieses haͤngende Siegel eines Thoren bewegte er entweder wie der Groͤnlaͤnder einen Block mit seinen Fuͤßen, der Erwaͤrmung wegen — oder er thats wie der Großsultan immer ein Schnizmesser fuͤhren muß, um nicht immer (erotisch) zu morden — oder um, wie der Storch immer einen Stein in den Krallen haͤlt, allzeit ein Irions-Rad in den Haͤnden, nie ein Spornrad an den Fersen, zu haben — oder der Gesundheit wegen, um den globulus hy¬ stericus Hysterische Kugel d. h. die hysterische Krankenempfindung als rolle sich eine Kugel die Kehle herauf. durch die Bewegung eines aͤußern zu be¬ streiten — oder als Paternosterkuͤgelgen — oder weil er nicht wußte warum. Jeder war mit sich zufrieden. Als die Mutter unsern Englaͤnder gebeten, mit seinem Accent ihr vor¬ zulesen: so sagte der feine Narr: »das Englische »ist wie gewisse Gesinnungen leichter zu verstehen als auszusprechen.« Dieses feine Schaf hatte naͤm¬ lich uͤberall die Gewohnheit, metaphorisch zu seyn — wenn ihm ein Maͤdgen sagte: »ich kann mich heute »der Kaͤlte nicht erwehren« so macht' er die des Her¬ Herzens daraus — man konnte nicht sagen »es ist »truͤbe, warm, die Nadel hat mich gestochen ꝛc.« ohne daß er das fuͤr einen Kugelzieher nahm, der sein Herz aus dem Pistolenhalfter der Brust vorzog und vorwies — es war vor seinen Ohren unmoͤglich daß man nicht fein war und aus eurem Gutenmor¬ gen bossirte er ein Bonmot — haͤtt' er das alte Te¬ stament gelesen, er haͤtte sich uͤber die Tournure darin nicht satt wundern koͤnnen. Dafuͤr schraͤnkte der wohlriechende Narr seinen ganzen Witz auf ein lebhaftes Gesicht ein — er schlug diesen Fracht- und Assekuranzbrief von tausend Saillien vor euch auf und hielt ihn vor, aber es kam nichts — ihr haͤttet auf den Praͤnumerationsschein von Witz in seinem feurigen Auge, geschworen, jetzt brenn' er loß — aber bei Leibe! er handhabte die satirische Waffe wie die Grenadiere die Handgranaten, die sie nicht mehr werfen sondern nur abgebildet auf den Muͤtzen fuͤhren. Als der Feine sein erotisches Bonmot gesagt hatte: sah Joachime unsern Helden an und sagte mit einer ironischen Mine wider den Feinen: j'aime les Sages a la folie . Der Stolz des wohlriechenden auf seinen heuti¬ gen Vorzug und die scheinbare Gleichguͤltigkeit des feinen Narren gegen seine Hintansetzung bewiesen, daß alle beide selten im heutigen Falle waren; — Hesperus. II . Th. K und daß Joachime auf eine eigne Weise kokettirte. Sie lachte uns erhabne Mannspersonen allemal aus, wenn zwei auf einmal bey ihr waren — eine allein weniger — ihre Augen uͤberließen es unserer Eigen¬ liebe, das Feuer darinn der Liebe mehr als dem Witze zuzuschreiben — sie schien alles zu herauszu¬ plaudern was ihr einfiel, aber manches schien ihr nicht einzufallen — sie war voll Widerspruͤche und Thorheiten, aber ihre Absichten und ihre Zunei¬ gung blieben doch jedem zweifelhaft — sie antwortete schnell, aber sie fragte noch schneller. Heute trat sie in Beisein der drei Herren — zu andern Zeiten im Beisein des ganzen bureau d'esprit — vor den Spie¬ gel, zog ihre Schminkdose heraus und retuschirte das bunte Dosenstuͤck ihrer Wangen. Man konnte sich gar nicht denken, wie sie aussaͤhe, wenn sie verlegen waͤre oder beschaͤmt. Die Tugend mancher Damen ist ein Donnerhaus, das der elektrische Funke der Liebe zerschlaͤgt und das man wieder zusammenstellt fuͤr neue Experimen¬ te: unserm an die hoͤchste weibliche Vollkommenheit verwoͤhnten Helden kam es vor, als gehoͤre Joachi¬ me unter jene Donnerhaͤuser. Koketterie wird immer mit Koketterie beantwortet. Entweder letztere war es oder zu schwache Achtung fuͤr Joachime, daß Vik¬ tor die beiden amorosi in den Augen der inamorata laͤcherlich machte. Sein Sieg war eben so leicht als groß — er lagerte sich auf der Stelle des Fein¬ des: mit andern Worten, Joachime gewann ihn lie¬ ber. Denn die Weiber koͤnnen den nicht leiden, der vor ihren Augen einem andern Geschlechte unterliegt als dem ihrigen. Sie lieben alles, was sie be¬ wundern ; und man wuͤrde von ihrer Vorliebe fuͤr koͤrperliche Tapferkeit weniger satirische Auslegungen gemacht haben: wenn man bedacht haͤtte, daß sie diese Vorliebe fuͤr alles Ausgezeichnete, fuͤr ausge¬ zeichnete Reiche, Beruͤhmte, Gelehrte empfinden. Der duͤrre und runzliche Voltaire hatte so viel Ruhm und Witz, daß wenige Pariser Herzen sein satirisches ausgeschlagen haͤtten. Noch dazu druͤckte mein Held seine Achtung fuͤr das ganze Geschlecht mit einer Waͤrme aus, die sich das Individium zueignete; — auch brachte seine beliebte Simultan- und Tuttilie¬ be, ferner sein in der Trauer uͤber ein verlornes Herz schwimmendes Auge und endlich seine heitere Menschenfreundlichkeit ihm eine Aufmerksamkeit von Joachimen zu wege, die die seinige in dem Grade erregte, daß er sich das naͤchstemal zu inquiriren vor¬ nahm, was dran waͤre. — — Das naͤchstemal war bald da. Sobald ihm die Ankuft der Fuͤrstin vom Apotheker geweissagt war — denn der war in der kleinen Zukunft des Hofs seine Hexe zu Endor und Kumaͤ und seine delphische Hoͤle — so ging er hin: denn er fuhr nicht hin. »So K 2 »lang es noch einen Dekroteur und ein Stein-Pfla¬ »ster giebt, sagt er, fahr ich nicht. Aber von vor¬ »nehmern Leuten wunderts mich, daß sie noch zu »Fuß reisen von einem Fluͤgel des Pallasts in den »andern. Koͤnnte man nicht, so wie die Pennypost »fuͤr eine Stadt, eine Equipage fuͤr seinen Pallast »einfuͤhren? Koͤnnte nicht jeder Sessel ein Tragsessel »seyn, wenn eine Dame die Alpenreise von einem »Zimmer ins andere weniger scheuete? Und verschie¬ »dene Weltumseglerinnen wuͤrden es wagen, eine »Lustreise durch einen großen Garten zu machen in »einer zugesperrten Saͤnfte« — Viktor reisete ge¬ »rade in einem, naͤmlich im Schleuneschen: es war noch zu hell und zu schoͤn, um sich wie Naͤhkuͤssen an die Spieltische zu schrauben. Er sah darin eine kleine bunte Reihe gehen und Joachimen darunter. Er schlug sich zu ihnen. Joachime bezeugte eine malerische Freude uͤber die Wolken-Gruppirnng und es stand ihren schoͤnen Augen gut, wenn sie sie da¬ hin hob. Da man nichts Gescheutes zu reden hatte: suchte man etwas Geschentes zu thun: sobald man ans Karussel ankam. Man setzte sich darauf und ließ es drehen. Viele Damen hatten gar den Muth nicht, diese Drehscheibe zu besteigen — einige wag¬ ten sich in die Sessel — bloß Joachime, die eben so verwegen als furchtsam war, beschritt das hoͤl¬ zerne Turnierroß und nahm die Lanze in die Hand um die Ringe mit einer Grazie wegzuspießen, die schoͤnerer Ringe wuͤrdig war. Aber um sich nicht dem Abwerfen der Dreh-Rosinante bloßzugeben, haͤtte Joachime meinen Helden wie ein Treppen¬ gelaͤnder an sich stellen lassen, an den sie sich in der Zeit der Noth anhielt. Die Axebewegung wurde schneller und ihre Furcht groͤßer: sie hielt sich immer fester an und er faßte sie fester an, um ihrer An¬ strengung zuvorzukommen. Mein Held, der sich auf die Taschenspielerkuͤnste und den Hokus Pokus der Weiber recht gut verstand, fand sich leicht in Joachi¬ mens Wieglebische natuͤrliche Magie und »Trunkus Plempsum Schallalei;« noch dazu war das wechsel¬ seitige Andruͤcken so schnell hin und hergegangen, daß man nicht wußte, hatt' es einen Erfinder oder eine Erfinderin. . . . Da sie jetzt alle aufs Zimmer sind und ich allein im Garten stehe neben der Roßmuͤhle: so will ich daruͤber geschickt reflektiren und anmerken, daß die Großen, gleich den Weibern, den Franzosen und den Griechen, große — Kinder sind. Alle große Philo¬ sophen sind das naͤmliche und leben, wenn sie sich durch Denken fast umgebracht haben, durch Kinde¬ reien wieder auf, wie z. B. Malebranche that: eben so holen Große zu ihren ernstern edeln Lustbarkeiten durch wahre kindische aus; daher die Steckenpferd- Ritterschaft, die Schaukel, die Kartenhaͤuser (in Hamiltons mémoires ) das Bilderausschneiden, das Joujou. Mit dieser Sucht, sich zu amuͤsiren, steckt sie zum Theil die Gewohnheit an, ihre Obern zu amuͤsiren, weil diese den alten Goͤttern gleichen, die man (nach Moriz) nicht durch Bußen sondern durch froͤhliche Feste besaͤnftigte. Da er mit den Regisseurs des Theaters bekannt war und zweitens da er kein Liebhaber mehr war — denn dieser hat tausend Augen fuͤr Eine Person und tausend Augenlieder fuͤr die andern — so war er beim Minister nicht verlegen, sondern gar vergnuͤgt. Denn er hatte da doch seinen Plan durchzusetzen — und ein Plan macht ein Leben unterhaltend, man mag es lesen oder fuͤhren . Es mißlang ihm heute nicht, ziemlich lange mit der Fuͤrstin zu sprechen und zwar nicht vom Fuͤrsten — sie mied es — sondern von ihrer Augenmaladie. Das war alles. Er fuͤhlte, es sey leichter eine uͤber¬ triebene Achtung vorzuspiegeln als eine wahre auszu¬ druͤcken. Die Besorgniß, falsch zu scheinen, macht, daß man es scheint. Daher sieht bei einem Arg¬ woͤhnischen ein Aufrichtiger halb wie ein Falscher aus. Indessen war bei Agnola, die ihres Tempe¬ raments ungeachtet sproͤde war — ein eigner zuruͤck¬ gestimmter Ton herrschte daher in ihrer Gegenwart bei Schleunes — jeder Schritt genug, den er nicht zuruͤck that. Aber gegen die lebhafte Joachime that er einen halben vorwaͤrts. Nicht sowohl sie als das Haus schien ihm kokett zu seyn; und die Toͤchter darin fand er — das macht das Haus — den alten Lito¬ nen oder Leuten der Sachsen aͤhnlich, die ⅓ frei wa¬ ren und ⅔ leibeigen und die also ein Drittel ihres Guts verschulden konnten. Jede hatte noch ein Drittel ein Neuntel‚ ein Kugelsegment von ihrem Herzen uͤbrig zur freien Disposition. Ueberhaupt wer noch kein Kabeljau- oder Stockfischangeln gesehen: der kann es hier lernen aus Metaphern — die drei Toͤchter halten lange Angelruthen uͤbers Wasser (Vater und Mutter plaͤtschern die Stockfische her) und haben an die Angelhacken gespiesset Staatsuni¬ formen oder ihre eigne — Gesichter — Herzen — ganze Maͤnner (als ankoͤdernde Nebenbuhler) — Her¬ zen‚ die schon einmal aus dem Magen eines andern gefangnen Kabeljaus herausgenommen worden: — ich sage‚ daraus kann man ungefaͤhr ersehen‚ womit man die andern Kabeljaus in der See faͤngt‚ voͤllig wie die Stockfische zu Lande‚ naͤmlich auch (jetzt lese man wieder zuruͤck) mit rothen Tuchlappen — mit Glasperlen — mit Vogelherzen — mit eingesal¬ zenen Heeringen und blutenden Fischen — mit klei¬ nen Kabeljaus selber — mit Fischen‚ die man halb verdauet aus gefangnen Stockfischen gezogen. — — Viktor dachte, »meinetwegen sey Joachime nur lebhaft oder kokett, ich passire leicht uͤber Marderei¬ sen hinuͤber, die ich ja mir vor der Nase stellen sehe« — passire nur, Viktor, das sichtbare Eisen soll dich eben in das bedeckte treiben. Man kann an derselben Person die Koketterie gegen jeden bemerken und doch ihre gegen sich uͤbersehen, wie die Schoͤne dem Schmeichler glaubt, den sie fuͤr den ausgemachten Schmeichler aller andern haͤlt. — Er bemerkte, daß Joachime das neue Deckenstuͤck diesen Abend oͤfters angeschauet hatte; und wußte nicht recht, warum es ihr gefalle: endlich sah er, daß sie nur sich gefalle und daß diese Erhebung ihren Augen schoͤner lasse als das Niederblicken. Er wollt' es uͤbermuͤthig untersuchen und sagte zu ihr: »es ist »schade, daß es nicht der Mahler des Vatikans ge¬ »macht hat, damit Sie es oͤfter ansaͤhen.« — »O, »sagte sie leichtsinnig, ich wuͤrde niemals mit an¬ »dern hinaufsehen — ich liebe das Bewundern »nicht.« Spaͤter sagte sie: »die Mannspersonen »verstellen sich wenn sie wollen besser als wir; aber »ich sage ihnen eben so wenig Wahrheiten als ich »von ihnen hoͤre.« Sie gestand geradezu Koketterie sey das beste Mittel gegen Liebe; und mit der Be¬ merkung, »seine Freimuͤthigkeit gefall' ihr, aber die ihrige muͤss' ihm auch gefallen« endigte sie den Be¬ such und den Posttag. 22. Hundsposttag . Stückgiesserei der Liebe, z. B. gedruckte Handschuhe, Zank, Zwergbouteillen und Schnittwunden — ein Titel aus den erotischen Digesten — Marie — Courtag — Giulias Sterbe¬ brief. — D er Leser wird sich aͤrgern uͤber diesen Hundspost¬ tag: ich meines Orts habe mich schon geaͤrgert. Der Held verstrickt sich zusehends in das Zuggarn zwei weiblicher Schleppen und sogar in die Baͤnde der fuͤrstlichen Freundschaft . . . . es braucht nur, daß gar Klotilde zum Wirwar stoͤßet — — Und so etwas muß ein Berghauptmann, ein Insulaner den Leuten auf dem festen Lande referiren. Chronologisch solls noch dazu gemacht werden: ich will diesen Hundsposttag, der vom November bis zum December langt, in Wochen zerlegen. Dadurch wird die Ordnung groͤßer. Denn ich kenne die Deutschen: sie wollen wie die Metaphysiker alles von vorn an wissen, recht genau, in Großoktav, ohne uͤbertriebene Kuͤrze und mit einigen citatis . Sie versehen ein Epigramm mit einer Praͤfation und ein Liebesmadrigal mit einem Realregister — sie bestimmen den Zephyr nach einer Windrose — und das Herz eines Maͤdgen nach dem Kegelschnitt — sie signiren alles wie Kaufleute und beweisen alles wie Juristen — ihre Gehirnhaͤute sind lebendige Rechenhaͤute, ihre Beine geheime Meßstangen und Schrittzaͤhler — sie zerschneiden den Schleier der neun Musen und setzen auf die Herzen dieser Maͤd¬ gen Tasterzirkel und in ihre Koͤpfe Visirstaͤbe — die arme Klio (die Muse der Geschichte) sieht gar aus wie der Konsistorialrath Buͤsching, der langsam und krumm unter einer Landfracht von Meßketten, von Terzien- und Harrisonschen Laͤngenuhren und durchschossenen Schreibkalendern daherwandelt — so daß ich besonders den armen Buͤsching beweine, so oft ich ihn nur schreiten sehe, da den guten topogra¬ phischen Last- und Kreuztraͤger ganz Deutschland — (von dem ich etwas anders erwartet haͤtte) jeder Amtmann, jeder dumme Schulttheis (bloß wir Schee¬ rauer sattelten ihn nicht) gleich einer Pfaͤnderstatue von der Kniekehle bis ans Nasenloch (der gute Mann ist kaum zu sehen und mich wunderts nur, wie er auf den Fuͤßen verbleibt) umhangen, besteckt und eingebauet hat mit allen verdammten Teufels- Wischen — mit Dorfinventarien — mit Intelligenz¬ blaͤttern — mit Wappenwerken — mit Flurbuͤchern und perspektivischen Aufrissen von Schweinsstaͤllen. Sie haben sogar den Jean Paul — damit ich nur von mir selber ein Beispiel des deutschen Fo¬ liirungs- und Kalkulations-Phl e gma e rzaͤhle , wie¬ wohl ich eben dadurch eines gebe — gescheuter ge¬ macht: ists nicht eine alte Sache, daß er das Blau der schoͤnsten Augen, in die je ein amoroso ge¬ blickt, vermittelst eines Saussuͤrschen Spanometers Instrument, das Blau des Himmels zu bestimmen. genauer nach Graden angegeben und die schoͤnsten Tropfen, die aus ihnen waͤhrend der Messung fielen richtig genug mit einem Thaumesser ausvisirt hat! Und hat nicht sein Versuch, auf die weiblichen Seufzer den Stegmannischen Luftreinigkeitsmesser zu appliziren, unter uns mehr als zuviel Nachahmer gefunden? — — Woche des 22 . Post-Trinitat . oder vom 3. Nov. bis 11. ( exclusive .) Diese Woche versaß er fast ganz beim Minister: manche Menschen kommen, wenn sie nur viermal in einem Hause waren, dann wie das Quotidianfieber taͤglich wieder, anfangs wie die Fruͤhlingssonne jeden Tag fruͤher, dann wie Herbstsonne jeden Tag spaͤter. Er sah wohl, daß er bei dieser Hof- und Ministe¬ rialparthie nichts deponiren koͤnne, weder ein Ge¬ heimniß, noch Vermoͤgen, noch ein Herz, weil sie ehrlichen Gerichtsstellen gleichen wuͤrde, die — so wie die Moͤnche ihr Eigenthum ein Depositum nen¬ nen und sagen, nichts gehoͤre ihnen — umgekehrt je¬ des Depositum zu einem Eigenthum erheben und sa¬ gen alles gehoͤre ihnen. Aber er machte sich nichts daraus: »ich komme ja nur zum Spasse, (dacht' er) »und mir ist nichts anzuhaben.« Der Minister, dem er bloß uͤber der Tafel begegnete, hatte gegen ihn alle die Hoͤflichkeit, die mit einem persiflirenden Gesicht und mit einem die Welt in Spionen und in Diebe eintheilenden Stande zu verbinden ist; aber Sebastian merkte doch, daß er ihn fuͤr einen Igno¬ ranten in der Medizin und in den ernsthaften Kent¬ nissen — als waͤren nicht alle Studien ernsthaft — ansehe und fuͤr einen Eingeweihten bloß im Witz und schoͤnen Wissen. Viktor war zu stolz, ihm eine andere als die leere Neumondsseite zuzukehren und verbarg alles, was ihn bekehren konnte. Daher mußte sich Viktor bei dem duͤmmsten Kanzleiverwand¬ ten der's gesehen haͤtte, dadurch um alle Achtung bringen, daß er, wenn der Minister mit seinem Bru¬ der, dem Regierungspraͤsidenten, ein interessantes Gespraͤch uͤber Auflagen, Buͤndnisse, uͤber die Kam¬ mer anspann, entweder nicht aufmerkte oder fortlief oder die Weiber aufsuchte? — Auch liebte Viktor am Fuͤrsten nur den Menschen; der Minister nur den Fuͤrsten. Viktor konnte bei Jenner selber uͤber die Vorzuͤge der Republiken Reden halten und dieser haͤtte oft im Enthusiasmus (wenn die Reichsgerichte und sein Magen es verstattet haͤtten) gern Flachsen¬ fingen zum Freistaat erhoben und sich zum Maire darin. Aber der Minister haßte das toͤdtlich und liebte allen politischen Schismatikern — einem Rous¬ seau — allen Girondisten — allen Feuillants — allen Republikanern — und allen Philosophen den Namen Jakobiner auf, wie die Tuͤrken alle Fremde, Britten, Deutsche, Franzosen ꝛc. Franken nennen. Indeß war das eine Ursache, warum Viktor Mazen, der besser dachte, jetzt lieber gewann; und warum er von dem Vater zu der Tochter floh. Bei Joachimen gelangen in dieser Woche seine Gnadenmittel: sie gab dem feinen und wolriechenden Narren Dualis wie wir der Tugend nur das Acces¬ sit und meinem Helden wie wir der Neigung , die Preismedaille. Da er aber bloß eine gewisse Em¬ pfindsamkeit am meisten in der Freundschaft und Liebe achtete: so haͤtt' er, dacht' er, mit dieser Schekerin durch den Mond reisen koͤnnen, ohne fuͤr sie (aber wohl uͤber sie) zu seufzen — aber diese lu¬ stigen, mein Bastian, haben den Henker gesehen; wenn sie etwas anders werden, dann wird mans auch mit. Sie sagte ihm, sie wolle gefallen wie ein lutherisches Heiligengemaͤlde, aber sie wolle nicht angebetet seyn wie ein katholisches. Sie nahm ihn am meisten durch die ihrem Geschlecht ei¬ gne Gabe ein, delikate Wendungen zu verstehen — die Weiber errathen so leicht, weil sie sich immer nur errathen lassen und ergaͤnzen und ver¬ bergen jede Haͤlfte mit gleichem Gluͤck; — aber zu ihren Reizen rechn' ich auch den Zwang vor der Fuͤrstin und den vor dem Besuchs-Apartement. — Uebrigens war jetzt sein von Klotilden weggeworfenes Herz in der Lage der Kinder, die gewettet haben, Schlaͤge in ihre Hand ohne Thraͤnen aufzunehmen und die noch fortlaͤcheln wenn diese schon fließen. Woche des 23 . Post-Trinit . oder 46te des Jahrs 179* Jetzt ist er Vormittags auch dort. Es ist be¬ merkenswerth, daß er ihr am Martinitag die gepu¬ derte Stirn mit dem Pudermesser rasirte und daß er um einige Toiletten-Hofaͤmter bei ihr anhielt: »ich »kann ihr Schminkdosentraͤger werden, wie der große »Mogul Tabakspfeifen- und Beteltraͤger hat — »oder auch Ihr Cravatier ordinaire — oder Ihr » Sommier (d. h. Gebetspolstertraͤger) — ich wuͤrde, »wenn Sie sich nicht auf den Polster knieten, es »selber thun vor Ihnen. — — Ich kannte in Han¬ »nover einen schoͤnen Englaͤnder, der sich das linke »Knie fuͤttern und polstern ließ, weil er nicht wußte »wen er heute anzubeten bekaͤme und wie lange.« — Es ist eben so wichtig, daß er sie am Jonastag ein Paar feine Handschuhe, worauf ein sehr einfaͤlti¬ ges Gesicht getuschet war, anzunehmen zwang — »es »waͤre sein eignes: (sagt' er) sie sollte das Ge¬ »sicht nur zu Nachts im Bette auf oder an der »Hand haben, damit es aussaͤhe als kuͤßt' er ihr »durch die ganze Novembernacht die Hand.« — Ich fahre in meinem pragmatischen Auszuge aus diesem Belagerungstagebuch fort und finde am Leo¬ poldstag aufgezeichnet, daß Joachime schon Vormit¬ tags sagte, sie wuͤrde ihren Papagei, wenn sie ihm einen Sprachmeister hielte, nichts aus dem ganzen Dictionaire beibringen lassen als das Wort perfide ! »Jeder Liebhaber, sagte sie, sollte sich ein Papgen »halten, das ihm unaufhoͤrlich zuriefe: perfide !« — »Die Damen, sagte mein Held, sind allein schuld: »sie wollen zu lange, oft ganze Wochen, ganze Mon¬ »den geliebt werden. Das ist uͤber unsre Kraͤfte. »Haben nicht die Jesuiten sogar die Liebe zu Gott »periodisch gemacht? Dieser exzentrische Unsinn steht wirklich in Paskals Brie¬ fen, S. den 10ten. Skotus schraͤnkt sie auf den »Sonntag ein — andre auf die Festtage — Coninch »sagt, es ist genug, wenn man ihn alle vier Jahre »einmal liebt — Henriquez sezt noch ein Jahr dazu »— Suarez sagt gar, wenns nur vor dem Tode ist »— — Manchen Damen fielen bisher die Zwischen¬ »zeiten anheim; aber die Tags- die Jahrs- die »Festzeiten, die Verlobungs- die Begraͤbnißtage bil¬ »den eben so viel verschiedene Sekten unter den Je¬ »suiten der Liebe.» — Joachime machte den Anfang zu einer zuͤrnenden Mine. Der Hofmedikus hatte nichts lieber mit Schoͤnen als Zank und setzte dazu: » c'est a force de se faire hair qu'elles se fout ai¬ » mer — c'est aimer que de bouder — ah que je Vous prie de Vous facher !« — Seine Laune hatte ihn uͤber das Ziel getrieben — Joachime hatte Recht genug, seine Bitte um ihren Zorn zu erfuͤllen — er wollte den Zank fortsetzen, um ihn beizulegen — da es aber doch Faͤlle giebt, wo die Vergroͤßerung einer Beleidigung eben so wenig Vergebung ver¬ schaft als die stufenweise Zuruͤcknahme derselben: so that er gescheut, daß er ging. Er wunderte sich, daß er den ganzen Tag an sie dachte: das Gefuͤhl, ihr Unrecht gethan zu haben, stellte ihr Gesicht in einer leidenden Mine vor seine erweichte Seele und alle ihre Zuͤge waren auf ein¬ mal veredelt. Tazitus sagt, man hasset den andern wenn man ihn beleidigt hat: aber gute Menschen lieben den andern oft bloß deswegen. Am Tage darauf, am Ottomars Tage — Otto¬ mar ! großer Name, der auf einmal das lange Lei¬ chenkondukt einer großen Vergangenheit im Finstern vor mir voruͤberfuͤhrt — sah er sie ernsthaft, ihn weder suchend noch fliehend. Die zwei Narren blie¬ blieben in ihren Augen die zwei Narren und gewan¬ nen durch nichts etwas. Da er also gewiß bemerk¬ te, daß aus einer fluͤchtigen Bouderie wahre Reue uͤber ihre bisherige Offenheit geworden war, von der er einen zu freimuͤthigen Gebrauch und eine zu ei¬ gennuͤtzige Auslegung gemacht zu haben schien: so war es jetzt seine Pflicht, das, was er bisher aus Scherz gethan hatte, im Ernste zu thun, naͤmlich sie aufzusuchen und auszusoͤhnen. Aber sie stand immer an der Fuͤrstin und es war nichts. Ich hab' es nicht selber gesagt, weil ich wußte, der Leser seh' es ohne mich, daß der Held glaubt, Joachime halt' ihn fuͤr den Bilderdiener ihrer Reize und fuͤr den zu ihr gezognen Satelliten: der Held nahm sich daher laͤngst vor, ihr diesen Irrthum — zu lassen. Einen solchen Irrthum zu benehmen, dazu hat selten ein Mann oder ein Weib Staͤrke genug — Viktor hatt' aber noch mehr Gruͤnde, ihr den Glauben an seine Liebe (d. h. auch sich den seinigen an ihre) zu goͤnnen: erstlich er wollte verstecken, war¬ um er komme — zweitens er wußte, in der großen Welt und unter den Joachimen wird ein Liebhaber nur wie der dritte Mann zum Spiel gesucht, man stirbt da nicht von der Liebe, man lebt da nicht ein¬ mal davon — Drittens er hob sich immer den Noth¬ anker auf, aus Spas Ernst zu machen: »wenn mir Hesperus. II Th. L das Messer an der Kehle sitzt, dacht' er, so setz' ich mich hin und gewinne sie von Herzem lieb und da¬ mit gut« — viertens eine Kokette macht einen Ko¬ ketten. . . . Hier fing ich bekanntlich schon an, mich uͤber den 22ten Posttag zu aͤrgern, wiewol ich so gut wie einer weiß, warum alle Menschen, sogar die aufrichtigsten, sogar die Maͤnner sich zu kleinen In¬ triguen gegen Geliebte neigen: nicht bloß naͤmlich, weil's kleine und erwiderte sind, sondern weil man mit seinen Intriguen mehr zu schenken als zu steh¬ len meint. Bloß die edelste hoͤchste Liebe ist ohne wahre Spitzbuͤberei. Wochen des 24 . und 25 . Post-Trinitatis . Am Sonntage war Ball: »ganz natuͤrlich (sagte er) sieht sie mich nicht an: im Ballkleide sind die »Schoͤnen unversoͤhnlicher als in der Morgenklei¬ »dung.« Sie sah ihn kaum, so kam sie ihm, wie ein bewegter Himmel mit ihren Brillanten-Fix¬ sternen und ihren Perlen-Planeten, entgegen und bat ihn in diesem Glanze um Vergebung ihrer Laune: »anfangs habe sie sich zornig gestellt, dann sey sie »es geworden, und am andern Tage habe sie erst »gesehen, daß sie Unrecht gehabt, es zu scheinen, und »Recht, es zu seyn.« Diese Bitte um Vergebung machte unsern Medikus demuͤthiger als es noͤthig war. Sie bat ihn scherzhaft, sie um Vergebung zu bitten und machte ihn mit ihrem Platzgolde von Jaͤhzorn bekannt. Zwei Tage lang wurde der westphaͤlische Friede gehalten. Aber Eine Zaͤnkerei mit einem Maͤdgen macht wie Ein Narr, zehen: und zum Ungluͤck hat man die Zornige nur lieber (wenistens mehr als die Gleich¬ guͤltige,) so wie das Volk den methodistischen Pre¬ digern am meisten zulaͤuft, die es am staͤrksten ver¬ dammen. Joachime wurde taͤglich zornfaͤhiger — welches er groͤßerer Liebe zuschrieb — aber er auch. Sie konnten den ganzen Besuch im schoͤnsten Reichs- und Hausfrieden verbracht haben: beim Abschiede wurd' alles auf den Kriegsetat gesetzt, die Gesand¬ ten zuruͤckgerufen und die Beurlaubten, wenn mir diese poetische Ausdruͤcke erlaubt sind. Mit dem zornigen Sediment im Herzen zog er dann ab und konnte kaum den Augenblick des Wiedersehens — d. h. seiner oder ihrer Rechtfertigung — erwarten. So brachten sie ihre Stunde mir dem Schreiben der Friedensinstrumente und der Manifeste zu. Die streitige Sache war so sonderbar wie der Streit: es betraf ihre Foderungen der Freundschaft; jedes be¬ wies, das andre waͤre der Schuldner und fodere zu viel. Was unsern Medikus am meisten erboste, war, daß sie dem feinen und dem wohlriechenden Narren, ihr die Hand zu kuͤßen, erlaubte, ihm aber verbot L 2 und zwar ohne alle Entscheidungsgruͤnde. »Wenn »sie nur loͤge und mir sagte: darum, oder darum! »so waͤrs doch was« sagt' er; aber sie that ihm den Gefallen nicht. Fuͤr mein Geschlecht ist Abschlagen ohne Gruͤnde, sogar ohne errathene, ein Schwefel¬ pfuhl, ein dreifacher Tod; auf Joachime wirkten Gruͤnde und Kabinetspredigten gleichviel. Extrablatt daruͤber. Ich habe hundertmal, mit meinem juristischen onus probandi auf dem Buckel, an die Weiber gedacht, die im Stande sind, durch einige Anstrengung ohne alle Gruͤnde sowohl zu handeln als zu glauben. Je¬ der Grund beruft sich auf einen neuen, dieser schickt uns wieder zu einem entferntern, der wieder seinen eignen haben muß, bis wir endlich zu einem kommen, den wir ohne Grund annehmen. Der Gelehrte fehlt aber darin, daß er gerade die wichtigsten Wahrhei¬ ten — die obersten Prinzipien der Moral, der Meta¬ physik ꝛc. — ohne Gruͤnde glaubt und sie in der Angst — er will sich dadurch helfen — nothwendige Wahrheiten benennt. Die Frau hingegen macht klei¬ nere Wahrheiten — z. B. es muß morgen weggefahren, traktirt, gewaschen werden ꝛc. — zu nothwendigen Wahrheiten, die ohne die Assekuranz und Reasseku¬ ranz der Gruͤnde angenommen werden muͤssen — und dies ist's eben, was ihr einen solchen Schein von Gruͤndlichkeit anstreicht. — — Ihnen wird es leicht, sich vom Philosophen zu unterscheiden, der denkt und dem die Wahrheitssonne so horizontal in die Augen flammt, daß er daruͤber weder Weg noch Ge¬ gend sieht. Der Philosoph muß in den wichtigsten Handlungen, in den moralischen, sein eigner Gesetzge¬ ber und Gesetzhalter seyn, ohne daß ihm sein Ge¬ wissen die Gruͤnde dazu sagt. Bei einer Frau ist jede Neigung ein kleines Gewissen und hasset Hete¬ ronomien und sagt weiter keine Gruͤnde, so gut wie das große Gewissen. Und durch diese Gabe, mehr aus eigner Machtvollkommenheit als aus Gruͤn¬ den zu handeln, passen eben die Weiber recht fuͤr Maͤnner, weil diese lieber ihnen zehn Befehle als drei Gruͤnde geben. Ende des Extrablattes daruͤber. Was eben so schlimm war, ist daß Joachime ihm endlich, um nur seine Aktenstoͤße von Beschwerden und Gravamen wegzubringen, die Finger ließ, ohne nur den geringsten Grund dazu zu sagen. Er konnte also keinen Titel seines Besitzstandes aufweisen und haͤtte im Nothfall niemand gehabt, der ihn darin schuͤtzen koͤnnen. Es ist aber eine gegruͤndete Rechtsregel oder ein maͤnnliches Brokardikon: daß alles fester werde, wenn man darauf bauet und daß uns eine kleine gestohlne Gunst rechtmaͤßig gehoͤre, sobald wir um eine groͤßere anhalten. Die Rechtsregel gruͤndet sich darauf daß die Maͤdgen uns wie den Juden im Handel, allemal die Haͤlfte abbrechen, und nur ein Paar Finger geben, wenn wir die Hand haben wollen. Hat man aber die Finger: so tritt ein neuer Titel aus den Institutionen ein, der uns die Hand zuerkennt; die Hand giebt ein Recht auf den Arm und der Arm auf alles was dran haͤngt als accessorium . So muͤssen diese Dinge betrieben werden, wenn Recht Recht bleiben soll. Es muß uͤberhaupt von mir oder von einem andern ehrlichen Mann ein kleines Lese¬ buch geschrieben werden, worin man dem weiblichen Geschlecht die Modas (Arten) solches zu akquiriren, mit der juristischen Fackel vortraͤgt und aufhellt. Viele Modi kommen sonst ab. So bin ich z. B. nach dem buͤrgerlichen Rechte rechtmaͤßiger Besitzer einer beweglichen Sache, wenn ich sie vor dreißig Jahren gestohlen habe (im Grunde sollt' es eher seyn und es sollte mir nichts schaden, daß ich nicht so fruͤh zu stehlen angefangen) — eben so faͤllt mir durch eine Verjaͤhrung von 30 Minuten (die Zeit ist rela¬ tiv) alles von einer Schoͤnen rechtmaͤßig anheim, was ich ihr Bewegliches (und an ihr ist alles beweg¬ lich) entwendet und man kann daher nicht fruͤh ge¬ nug zu stehlen anfangen, weil sonst vor dem Dieb¬ stahl die Verjaͤhrung nicht anheben kann. Specifikation ist ein guter Modus. Nur muß man wie ich ein Prokulianer seyn und glauben, daß eine fremde Sache dem, der ihr eine andre Form er¬ theilt, zugehoͤre, z. B. mir die Hand, die ich durch den Druck in eine andre Form gebracht. Der seel. Siegwart sagte: confusio (Vermischung der Thraͤnen) ist mein Modus. Aber commixtio (Vermischung trockner Sachen, z. B. der Finger, der Haare) ist jetzt fast unser aller modus acqui¬ rendi . Ich wollt' einmal die ganze Sache nach der Lehre von den Servituten, wo eine Frau tausend Dinge zu leiden hat, behandeln, (wiewohl alle diese Servi¬ tuten durch die Konsolidation der Ehe gaͤnzlich er¬ loschen); aber ich weiß die Lehre von den Servitu¬ ten selber nicht mehr recht und wollte lieber darin examiniren als examinirt werden. — — Ich kehre zum Medikus zuruͤck. Da er also wußte, daß eine gekuͤßte Hand ein Schenkungsbrief der Wangen ist — Die Wangen die Opfertafeln der Lippen — diese der Augen — die Augen des Hal¬ ses: — so wollt' er genau nach seinem Lehrbuch ver¬ fahren. Aber bei Joachimen, wie bei allen Gegen¬ fuͤßlerinnen der Koketten, bahnte keine Gunstbe¬ zeugung der andern den Weg , nicht einmal die große der kleinen , — aus einem Vorzim¬ mer kam man ins andre — und was sagte mein Hel dazu? Nichts als: »Gottlob! daß einmal eine »besser ist als sie schien, daß sie unter dem Schein, »unser Spielzeug zu seyn, unsre Spielerin ist und »daß sie die Koketterie zum Schleier der Tugend »macht.« Er fuͤhlte jetzt, so oft ihr Name erwaͤhnt wurde, eine sanfte Waͤrme durch seinen Busen wehen. Vom Ende des Kirchenjahrs (1ten Dezem¬ ber) bis zum Ende des buͤrgerlichen (31ten December . ) Flamin, dessen patriotische Flammen in der Ses¬ sionsstube keine Luft antrafen und ihn selber zuerst erstickten, wurde taͤglich scheuer und wilder. Es war ihm etwas Neues, daß ganze Kollegien und Kommis¬ sionen das thun mußten, was Einer haͤtte machen koͤnnen — daß die Glieder des Staats (wie es doch die Glieder des Koͤrpers auch sind) am kur¬ zen Arm des Hebels bewegt werden, um mit groͤße¬ rer Kraft weniger zu thun und daß besonders ein Kollegium dem Leibe gleiche, der nach Borellus 2900 mal mehr Kraft bei einem Sprunge anwendet als die Last erfordert, die er zu heben hat. Er haßte alle Große und kam zu keinem; der Hofjunker Maz nicht einmal bekam seine Visiten. Mein Sebastian machte seine bei ihm seltener, weil seine Musse und seine Lustbarkeiten-Windstille gerade in Flamins Ar¬ beitsstunden fielen. Diese Entfernung und das ewige Kantoniren bei Schleunes — das Flamin, aus Un¬ bekanntschaft mit Joachimens Einfluß, auf alle Faͤlle Klotildens ihrem zurechnen mußte, zu deren kuͤnfti¬ gen Besuchen sich Viktor durch seine jetzigen den Vorwand verschaffe — zog die verschlungnen Freund¬ schaftshaͤnde von beiden, deren Leben sonst eine Sonate à quatre mains gewesen, immer weiter auseinander; die Fehler und den moralischen Staub, den sonst Viktor von seinem Liebling wegwischen konnte, durfte er kaum wegzublasen wagen; sie betrugen sich zaͤrter und aufmerksamer gegen einander. Aber mein Vik¬ tor, an dessen Herz das Schicksal so viele saugende Vampyre legte und der in eine Brust den Schmerz der entbehrten Liebe und den Kummer der fallenden Freundschaft einzuschließen hatte, wurde durch alles — recht lustig. O es giebt eine gewisse Lustigkeit der Verstockung und des Grams, die die erschoͤpfte Seele bezeichnet, ein Laͤcheln wie das an denen Men¬ schen die an Wunden des Zwergfells sterben, oder das an eingedorrten zuruͤckgespannten Mumien-Lip¬ pen! Viktor warf sich in den Strom der Lustbarkei¬ ten, um unter demselben seine eigne Seufzer nicht zu hoͤren. Aber freilich oft wenn er den ganzen Tag uͤber demolirte Narrheiten komisches Salz ausgesaͤet hatte, das eben so oft die Hand des Saͤemanns wund beisset, und er den ganzen Tag sich an keinem Auge erquicken koͤnnen, dem er in seinem eine Thraͤne haͤtte zeigen duͤrfen — wenn er so muͤde der Gegen¬ wart, so gleichguͤltig gegen die Zukunft, so wund von der Vergangenheit neben dem letzten Narren, neben dem Apotheker, vorbei war und wenn er in seinem Erker in die voll Welten haͤngende Nacht und in den stillenden Mond und an die Morgenwol¬ ken uͤber St. Luͤne blickte: dann ging allezeit das geschwollne Herz und der geschwollne Augapfel ent¬ zwei und die von der Nacht verdeckten Thraͤnen stroͤmten von seinem Erker auf die harten Steine hernieder: »o nur Eine Seele, rief sein Innerstes mit »allen Toͤnen der Wehmuth, nur Eine gieb du ewige »liebende schaffende Natur diesem armen verschmach¬ »tenden Herzen, das so hart scheint und so weich »ist, so froͤhlich scheint und so truͤbe ist, so kalt »scheint und so warm ist.« Dann war es gut, daß an einem aͤhnlichen sol¬ chen Abend kein Kammerherr, kein chevalier d'h o n ¬ neur im Erker stand, als gerade die arme Marie — auf welche das vorige Leben wie eine erdruͤckende La¬ vine heruͤbergestuͤrzt ist — seine Dejeuner-Befehle begehrte: denn er stand, ohne einen Tropfen abzu¬ wischen, freundlich auf und ging ihr entgegen und faßte ihre weiche aber rothgearbeitete Hand, die sie aus Furcht nicht wegzog — wiewohl sie aus Furcht ihr gegen die Hofnung versteinertes Gesicht abdrehte — und sagte, indem er sanft ihre Augenbraunen wagrecht strich, mit seiner aus dem geruͤhrtesten Herzen steigenden Stimme: »Du arme Marie, sag' »mir was — du hast wohl auch wenig Freude — »in deine guten Augen kommt wohl wenig mehr, »was sie gerne sehen wenn's nicht deine Thraͤnen »sind — Du Liebe, warum hast du keinen Muth zu »mir, warum sagst du deinen Gram nicht mir? du »gutes gemartertes Herz — ich will fuͤr dich spre¬ »chen fuͤr dich handeln — sag mir was dich druͤckt »und wenn es dir einmal an einem Abend zu schwer »wird und du drunten nicht weinen darfst: so komm »herauf zu mir .. schau mich jetzt frei an .. war¬ »lich ich vergiesse Thraͤnen mit dir und ich will »mich Henker um alles scheeren.« — Ob sie es gleich fuͤr unhoͤflich hielt, vor einem so vornehmen Herrn zu weinen: so war ihrs doch unmoͤglich, durch die gewaltsame Abbeugung des Gesichts alle Thraͤ¬ nen, die seine Zunge voll Liebe in Baͤchen aus ihr preste, zu entfernen. . . . . Veruͤbelt es seiner uͤber¬ wallenden Seele nicht, daß er dann seinen heissen Mund an ihre kalten verachteten nnd ohne Wider¬ stand bebende Lippen druͤckte und zu ihr sagte: o! warum sind wir armen Menschen so ungluͤcklich. wenn wir zu weich sind? — In seinem Zimmer schien sie alles fuͤr Spott zu nehmen — aber die ganze Nacht durch hoͤrte sie das Echo des ersten menschenfreund¬ lichen Menschen — sogar als Spott haͤtt' ihr so viel Liebe wohlgethan — dann krystallisirten sich ihre vergangnen Blumen noch einmal im Fenster-Eis ih¬ res jetzigen Winters — dann war ihr als wuͤrde sie heute erst ungluͤcklich — Am Morgen schwieg sie ge¬ gen alle und war bloß diensteifriger gegen Sebastian, aber nicht muthiger: nur zuweilen fiel sie drunten dem Provisor, wenn er ihn lobte, mit den Worten aber ohne weitere Erklaͤrung bei: man sollte sein ei¬ gnes Herz in kleine Stuͤckgen zerschneiden und hinge¬ ben fuͤr den englaͤndischen Herrn.« Arme Marie! sagt mein eignes Inneres dem Doktor nach; und setzet noch dazu: vielleicht liest mich jetzt gerade eine eben so Ungluͤckliche, ein eben so Ungluͤcklicher. Und mir ist als muͤßt' ich ihnen, da ich die Trauerglocken ihrer vergangnen truͤben Stunden angezogen, auch ein Wort des Trostes schreiben. Ich weiß aber fuͤr den, der immer uͤber neue gaffende Eisspalten des Lebens schreiten muß, kein Mittel als meines: wirf sogleich, wenns arg wird, alle moͤgliche Hofnungen zum Henker und ziehe dich resignirend in dein Ich zuruͤck und frage: wie nun, wenn's Schlimmste auch gar kaͤme, was waͤr's denn? Soͤhne deine Phantasie nie mit dem naͤchsten Ungluͤck aus, sondern mit dem groͤßten. Nichts loͤset mehr den Muth auf als die warmen mit kalter Angst abwechselnden Hofnungen. — Ist dieses Mittel dir zu heroisch: so suche fuͤr deine Thraͤnen ein Auge das sie nachahmt und eine Stim¬ me, die dich fraget, warum du so bist. Und denke nach: der Wiederhall des zweiten Lebens, die Stim¬ me unserer bescheidnen, schoͤnern, froͤmmern Seele wird nur in einem vom Kummer verdunkelten Bu¬ sen laut, wie die Nachtigallen schlagen, wenn man ihren Kaͤfich uͤberhuͤllt. Oft betruͤbte sich Sebastian daruͤber, daß er hier so wenig seine edlern Kraͤfte fuͤr die Menschheit an¬ spannen koͤnne, daß seine Traͤume, durch den Fuͤrsten Uebel zu verhuͤten, Gutes auszurichten, Fiebertraͤume blieben, weil sogar die besten Maͤnner am Ruder des Staats z. B. Aemter durchaus nur nach Konnexio¬ nen und Empfehlungen besetzten und fremde und ei¬ gne Aemter nie fuͤr Pflichten, sondern fuͤr Berg¬ werkskuxen hielten — — er betruͤbte sich uͤber seine Unnuͤtzlichkeit; aber er troͤstetete sich mit ihrer Noth¬ wendigkeit: »in einem Jahr, wenn mein Vater »koͤmmt, sag' ich mich loß und richte mich zu et¬ was besserem auf« und sein Gewissen setzte dazu, daß seine persoͤnliche Unnuͤtzlichkeit der Tugend seines Vaters diene und daß es besser sey, in einem Rade, bei der Tuͤchtigkeit zu einem Perpendikel, ein Zahn zu seyn, ohne den das Gehwerk stocken wuͤrde, als der Perpendikel des ungezaͤhnten Rades zu werden. In solchen Lagen fragte er sich immer von neuem: »ist vielleicht Joachime wie du, besser, weicher, we¬ niger koket als sie scheint? und warum willst du sie nach einem aͤußern Schein verdammen, der ja auch der deinige »ist.« Ihr Betragen ratifizirte selten diese guten Vermuthungen oder es widerlegte sie gar: gleich¬ wohl fuhr er fort, sich neuen Widerlegungen auszu¬ setzen und Ratifikationen zu begehren. Das Beduͤrf¬ niß zu lieben zwingt zu groͤßern Thorheiten als die Liebe selber: Viktor ließ sich jede Woche eine Voll¬ kommenheit mehr vom weiblichen Ideal abdingen, fuͤr das er wie fuͤr den unbekannten Gott schon seit Jahren die Altaͤre in seinem Kopfe fertig hatte. Unter diesem Abdingen waͤre der ganze December verflossen, waͤre nicht der erste Weihnachtstag ge¬ wesen. Am ersten Weihnachtstage, wo er hinter jedem Fenster lachende Gesichter und Hesperiden-Gaͤrten sah, wollt' er auch froͤhlich seyn und flog unter den Kirchenmusiken in Joachimens Toilettenzimmer, um da sich selber eine zu machen. Er bescheere ihr, sagte er, einen Flaschenkeller aus Likoͤren, ein ganzes Lager von Rataffia, weil er wisse, wie Damen traͤn¬ ken. Als er endlich seinen Lagerbaum voll Bouteil¬ len aus der — Tasche zog: war's eine elende kleine Schachtel voll Baumwolle, in der nette Bouteillen wohlriechender Wasser, fast von der Laͤnge der Zaun¬ koͤnigs-Eier, eingebettet standen. Das Niedliche freuet, wie das Praͤchtige, Maͤdgen allzeit. Joachimen hielt er eine lange Rede uͤber die Maͤßigkeit ihres Ge¬ schlechts, daß so wenig aͤße wie Kolibri und so we¬ nig traͤnke wie Adler — mit einigen Schaugerichten und mit einem Flakon woll' er 5000 Mann weibli¬ chen Geschlechts speisen — und es sollte noch uͤbrig bleiben — die Aerzte bemerkten, daß die, die den Hunger am laͤngsten ertragen haͤtten, Weiber gewe¬ sen waͤren — sogar in mittlern Staͤnden bestaͤnde die ganze Bienenflora, wovon diese Holden lebten, in einem kouleurten Bande, das sie als Scherpe oder Schleife umlegten statt eines naͤhrenden Umschlags und bouillon de poche und woran sie noch hoͤchstens einen Liebhaber anmachten. Joachime zog unter der Lobrede eine Bouteille heraus, weil sie sie fuͤr waͤch¬ sern hielt. Viktor um sie zu widerlegen, — oder auch sonst weswegen, — druͤcktr ihr sie stark in die Hand und zerdruͤckte sie gluͤcklich. Ein Berghaupt¬ mann von meiner Denkungsart naͤhme das Zerbre¬ chen einer Bouteille, die man auf keine Eymannschen Gurken decken kann, schwerlich in seine Hundspost¬ tage auf — weil er gern Dinge von Belang inserirt — wenn nicht die Bouteille selber es wuͤrde, dadurch daß sie die weichste Haud , auf der noch der haͤrte¬ ste Juwel Schimmer auswarf, blutig schnitt. Der Doktor erschrak — die Blessirte laͤchelte — er kuͤßte die Wunde und diese drei Tropfen fielen gleich Ja¬ sons Blut oder gleich einem von einem Alchymisten, rektifizirten Blute, als drei Funken in sein entzuͤnd¬ bares und die Blutkohle der Liebe bekam drei an¬ glimmende Punkte — ja es haͤtte wenig gefehlt, so haͤtt' er ihr gehorcht, da sie ihm scherzend befahl (um ihm eine groͤßere Verlegenheit zu ersparen als er hatte,) die Pariser veraltete Mode, an Damen mit rosenfarbner Dinte zu schreiben, aufzuwecken und hier auf der Stelle drei Zeilen mit ihrem Blut an sie abzufertigen. Soviel ist wenigstens gewiß, daß er zu ihr sagte, er wollte, er waͤre der Teufel. Be¬ kanntlich wurde dem letztern das guarentigiatische Instrument oder vielmehr der Partagetraktat uͤber die Seele mit dem Blute des Eigners als Faust- und Fraispfand zugefertigt — Blut ist der Saame der Kirche , sagt die katholische; und hier ist gar vom Tempel fuͤr eine Schoͤne die Rede. Dabei war﹐s — und blieb's — als Cour bei der Fuͤrstin auf heute angesagt wurde. Das war ihm erstlich fatal — weil der heutige Abend verhunzt war, — und zweitens lieb — weil Joachime heute den Hut wegthun mußte, den er und sie so liebten. Da, wie gewoͤhnlich, den Damen von der Fuͤrstin die Roben und Frisuren vorgeschrieben wurden, worin sie den Courtag, d. h. den Brandsonntag ihrer Frei¬ heit, bei ihr begehen mußten: so konnte sie heute ihren ihren Florhut nicht aufbehalten, den sie so liebte und Viktor auch, aber an ihr nicht: denn es war gerade der, den Klotilde getragen, als sie unter dem Konzerte ihre nasse Augen mit dem schwarzen Spi¬ tzenflor verhuͤllte, der nachher uͤber seine beraubte Au¬ gen immer heruͤberhing. Ich will den Courtag beschreiben. Die hauptsaͤchliche Absicht, warum der Hof um sechs Uhr Abends vorgefahren kam, war die, um neun Uhr recht aͤrgerlich wieder heimzufahren. Ich kanns aber zehnmal weitlaͤuftiger vortragen: Um sechs Uhr fuhr Viktor mit der uͤbrigen kom¬ mandirten Bruͤder- und Schwestergemeine ins Paul¬ linum. Er beneidete oder segnete vielmehr, den Zeugmacher, den Stiefelwixer, den Holzhacker, der Abends seinen Krug Bier, seine Andacht, seine Stol¬ len und seine trompetenden Kinder hatte, desgleichen ihre Weiber, die sich heute schon Morgen genossen, naͤmlich die marmorirte gesprenkelte Kleiderrinde fuͤr den zweiten Feiertag. Im bunten Dunst und Thier¬ kreis stand die Fuͤrstin als Sonne, eben so ungluͤck¬ lich wie ihre Ungluͤcklichen: nur der Traum, dacht' er, kann einen Koͤnig gluͤcklich machen oder einen Armen ungluͤcklich. Als er sah wie sie alle nach ei¬ nem sparsamen Froschregen von Worten und nach Erfrischungen, d. h. Erhitzungen und Ermattungen, ein Postzug um den andern nach dem Hof- und Hesperus. II . Th. M Adreskalender an die Spieltische eingeschirret wur¬ den — an jedes Brett kam das naͤmliche Bunterie- Gespan aller Gesichter — so wunderte er sich zu al¬ lererst uͤber die allgemeine Geduld; an einem Schwarzen der Hof Goldluͤste sind sicher, schwur er, wenn man nur bedenkt, was er anzuhoͤren und auszustehen hat, die Ohren und die Haut , wie an gebratnen Milchferkeln die besten Stuͤcke. Hier muß der Loͤwe dem Thiere die Haut zum Domino abborgen, das ibm sonst seine abborgte. Hier unter diesen von kleinen Seelen gebuͤckten Gestalten (wie auch Blaͤtter sich kruͤmmen, wenn Blattlaͤuse daran wohnen) kann kein großer, kein kuͤhner Gedanken ge¬ tragen werden, sie koͤnnen wie Getraide, das sich lagert , nur taube Koͤrner geben. Vor der Tafel fuhr der Theil des Hofs um die italienische Sonne , der nicht dazu eingeladen war, nach Hause, mißvergnuͤgt uͤber die Langeweile des Spieles, und noch mißvergnuͤgter, daß gerade ge¬ wisse Personen der Langeweile der Tafel gewuͤrdigt waren. Joachime, an der die zuruͤckhaltende Agnola we¬ nig Vergnuͤgen fand, ging mit ab, aber der Doktor nicht, und ihr Bruder Maz gleichfalls nicht, der die Ehre hatte, hinter der Fuͤrstin Stuhl in der Marschsaͤule, die sie, ihr Kammerherr, ein Page und ein Hoflakai machten, gerade den Mittelpunkt zu formiren: er stand bekanntlich sogleich hinter dem Kammerherrn und war der einzige, der aussah, wie ein leserliches Pasquil auf alles zusammen. Ueber die Tafel, woruͤber wenig gesprochen wurde, hoͤch¬ stens sehr leise von zwei Nachbarn, soll auch hier nichts gesprochen werden. Nach dem Essen kam der Fuͤrst und stoͤrte das steife Zeremoniel, das er aus Bequemlichkeit haßte so wie es Viktor aus Philosophie verachtete: »War¬ »lich ein Erzengel — sagte Viktor oft — der die »menschliche in allen Kleinigkeiten beobachtete Tu¬ »gend und Weisheit bemerkte an Sessionstischen, an »Altaͤren, in Visitenzimmern, mußte seinen Himmel »und seine Fluͤgel verwetten, daß wir einen Heller »oder doch etwas taugten — in groͤßern Dingen; »wir wissen aber saͤmtlich, wo es hinkt; und eben »dieser Ekel an der steifen altklugen dezenten Mikro¬ »logie und Maschinerie der Menschen ist die Laune »des Satyrikers. Die moralische Verschlimmerung »entspinnt sich zwar aus Geringfuͤgigkeiten, aber »nicht die Besserung; Satanas kriecht durch Jalou¬ »sielaͤden und Sphinkter in uns, der gute Engel »zieht durch Portale ein.« — Agnola belohnte heute unseren Helden fuͤr seine bisherige es so treumeinen¬ de Beflissenheit mit einer waͤrmern Aufmerksamkeit, die in seinen Augen durch ihren Schmuck — sie trug den der vorigen Fuͤrstin, ihren eignen und den M 2 muͤtterlichen — und durch ihre ganze Paruͤre noch schoͤner wurde: denn er liebte Putz an Weibern und haßte ihn an Maͤnnern. Seine Achtung nahm durch den Schmerz, daß sie Jenners eigennuͤtzige Absichten bei seinen Besuchen (wegen der kuͤnftigen Klotilde) mit schoͤnern vermenge und daß man es ihr doch nicht sagen koͤnne, eine geruͤhrte Waͤrme an. Wie kams, daß ihn dann Agnola an Joachime erinnerte; daß diese der Ableiter der Achtung fuͤr jene wurde: und daß alle liebende Gefuͤhle, die ihm die Fuͤrstin gab, zu Wuͤnschen geriethen, Joachime moͤchte sie verdienen und empfangen? Mit dieser Seele voll Sehnsucht fuhr er heute ohne Umstaͤnde zu dieser Joachime zuruͤck, in deren Hand er bekanntlich eine kleine Wunde gelassen. Er sagte bei ihr: »er muͤsse als Moͤrder und Medikus noch heute nach der Wunde sehen;« aber wie Son¬ nenschein fiel ein schoͤner neuer Kummer auf Joachi¬ mens Angesicht waͤrmend in seine Seele. Er konnt es kaum erwarten, mit ihr auf den Balkon hinaus¬ zukommen, um daruͤber zu reden. Draussen machte er in wenig Minuten die Schnittwunde und die De¬ zemberkaͤlte zum Vorwand, die Hand und den Schnitt in seine zu nehmen, um sie zu waͤrmen: »Wunden schadet Kaͤlte« sagte er; aber der feine Narr haͤtte hier das Seinige dabei gedacht. Der leere Abend, die Erinnerungen an die Weihnachts- Kinderfreuden, der herunterblickende Sternenhimmel, der alle dunkeln Wuͤnsche des Menschen wie Blu¬ men zu Nachts magisch beleuchtet, und die Stille uͤberfuͤllten und beklemmten seine verlassene Seele und er druͤckte die einzige Hand, die ihm jetzt das Menschengeschlecht reichte. Er fragte sie geradezu uͤber ihren Kummer. Joachime antwortete sanfter wie sonst: »ich wollte Sie dasselbe fragen; aber bei mir ists natuͤrlich.« Denn sie hatte, erzaͤhlte sie, bei ihrer Zuruͤckkehr das Gepaͤcke Klotildens und die Nachricht der Ankunft und — was eben der Punkt ist — die Kleider ihrer Schwester Giulia, denen Klotilde bisher eine Stelle unter ihren gegeben, an¬ getroffen. Diese Giulia war, bekanntlich an Klotil¬ dens Herzen verschieden, einen Tag vorher eh' diese aus Maienthal nach St. Luͤne zog. Ein Chaos durchschoß sein Herz; aber aus dem Chaos setzte sich bloß die umgesunkne Giulia zusam¬ men — denn Klotilde wich taͤglich in ein dunkleres Heiligthum seiner Seele zuruͤck; — ihr blasses Luna- Bild liebkosete mit Stralen einer andern Welt sei¬ nen wunden Nerven und er ließ sich gerne glauben, Joachime habe ihre Gestalt. In seiner dichterischen den Weibern so selten verstaͤndlichen Erhebung warf die Erblaßte den Heiligenschein, den ihr Klotilde zu¬ stralte, wieder auf ihre Schwester zuruͤck. Joachime hatte heute wieder deu Brief gelesen den Giulia an sie in der Todesstunde durch Klotilde schreiben las¬ sen; und trug ihn noch bei sich. Wahrscheinlich hatte ein Herz voll vergeblicher Liebe die schoͤne Schwaͤrmerin unter die Erde gezogen. Viktor bat sie mit schimmernden Augen um den Brief; er schlug ihn auf im Mondenlicht und als er die geliebten Zuͤge seiner verlornen Klotilde erblickte, weinte sein ganzes Herz. — Gute Schwster , Leb' auf immer wohl! Laß mich das zuerst sagen, weil ich nicht weiß, welche Minute mir den Mund verschließt. Die Gewitter meines Lebens ziehen heim. Es wird schon kuͤhl um meine Seele. Ich sage diesen Abschied und meinen herzlichsten Wunsch fuͤr dein Wohlergehen, meiner Freundin Klotilde in die Feder. Gieb den Einschluß meinen lieben Eltern und fuͤge deine Bitte an meine, mich in meinem schoͤnen Maienthal zu lassen, wenn ich voruͤber bin. Ich sehe jetzt durch das Fenster die Rosenstaude, die neben dem Gaͤrtgen des Kuͤsters auf dem Kirchhofe stehet — dort wird mir eine Stelle gegeben, die wie eine Narbe bezeuget, daß ich da gewesen, und ein schwarzes Kreuz mit den sechs weißen Buchsta¬ ben Giulia — Mehr nicht. Liebe Schwester, lass' es ja nicht zu daß sie meinen Staub in ein Erbbe¬ graͤbniß sperren — O nein, er soll aus Maienthals Rosen flattern, die ich bisher so gern begossen — dieses Herz, wenn es sich zerlegt hat in den Bluͤten¬ staub eines neuen ewigen Herzens, spiele und schwebe im Strale des Mondes, der mir es in meinem Le¬ ben so oft schwer und weich gemacht — Faͤhrest du einmal, liebe Schwester, bei Maienthal voruͤber: so blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Rosen hindurch und wenn es dich nicht zu traurig macht, so schaue hinuͤber zu mir. — Mir war jetzt einige Minuten als holte ich in Aether Athem — in kleinen duͤnnen Zuͤgen — Es wird bald aus seyn. Sag' aber meinen Gespielin¬ nen, wenn sie nach mir fragen, ich bin gern gegan¬ gen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unser Lehrer sagt, die Sterbenden sind fliegendes Gewoͤlk, die Lebenden sind stehendes, unter welchem jenes hinzieht, aber Abends ist beides dahin. Ach ich dachte, ich wuͤrde mich noch recht lange, von einem Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben sehnen muͤssen, ach ich besorgte, diese erblaßten Wangen, diese hineingeweinten. Augen wuͤrden den Tod nicht erbitten, er wuͤrde mich veralten lassen und mir das verbluͤhte Herz erst abnehmen, wenn es sich muͤde geschlagen — aber siehe, er koͤmmt eher — In we¬ nig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein Engel vor mich treten und laͤcheln und ich werd' es sehen, daß es der Tod ist und auch laͤcheln und recht freudig sagen: nimm immer mein schlagendes Herz in deine Hand, du Abgesandter der Ewigkeit und sorge fuͤr meine Seele. »Bist du aber nicht jung (wird der Engel sagen) hast du nicht erst diese Erde betreten? Soll ich dich schon zuruͤckfuͤhren, eh' sie ihren Fruͤhling hat?« Aber ich werde antworten: schau' diese unterge¬ gangnen Wangen an und diese ermuͤdeten Augen und druͤcke sie nur zu — o lege den Leichenstein Der Schlangenstein saugt sich so lange an die Wunde an bis er ihren Gift weggesogen. an meine Brust, damit er alle Wunden aussauge und nicht eher abfalle als bis sie ausgeheilet sind — ach ich habe wohl nichts Gutes in der Welt gethan, aber auch nichts Boͤses. Dann sagt der Engel: »wenn ich dich beruͤhre, »so erstarrest du — der Fruͤhling und die Menschen »und die ganze Erde verschwinden und ich allein »stehe neben dir — Ist denn deine junge Seele schon »so muͤde und so wund? Welche Leiden sind denn »schon in deiner Brust?« Beruͤhre mich nur, guter Engel! Jetzt sagt er: wenn ich dich beruͤhre, so zerstaͤubst du und alle deine Geliebten sehen nichts mehr von dir — O beruͤhre mich! . . . Der Tod beruͤhrte das blutige Herz und ein Mensch war voruͤber. . . . Waͤhrend Viktor das Trauerblatt las, hatte die Schwester der Todten einigemale, weil sie sich das dachte was er las, die Augen abgetrocknet; und als er sie ansah, schimmerten darin die Samenperlen ei¬ ner weichen Seele. O er wuͤnschte jetzt seiner vol¬ len Brust den Gyges-Ring der Unsichtbarkeit oder den Erker seines Zimmers, um allen Seufzern und Gefuͤhlen ungesehen nachzuhaͤngen. Waͤr' er in ei¬ nem buͤrgerlichen Hause gewesen: so haͤtte er unver¬ spottet jetzt zu den ausgepackten Kleidern und in die kuͤnftigen Zimmer Klotildens gehen koͤnnen — und er haͤtte gleichsam die gruͤnen Fluren von Maienthal wieder erblickt, wenn er die romantischen Gewaͤnder, worin Giulia sie durchstreifet hatte, unter den letz¬ ten Kuͤssen der Schwester haͤtte verschließen sehen — — Aber in einem solchen Hause wars eine Unmoͤg¬ lichkeit. Er verzieh jetzt, da er seltener den Genuß der fremden Empfindsamkeit hatte, sogar das Uebertrei¬ ben derselben leicht. Daß sie den Koͤrper zerruͤtte, war ihm der elendeste Einwand, weil ihn ja alles Edlere, jede Anstrengung, alles Denken aufreibe: der Koͤrper und das Leben waͤren ja nur Mittel, aber kein Zweck. »Giulias Herz in Giulias Koͤrper, »sagte er, ist ein reiner Thautropfe in einem wei¬ »chen Blumenkelch, den alles zerdruͤckt, verschuͤttet, »aufsaugt und der noch vor der Mittagssonne ent¬ »flohen ist: solche fuͤr eine Welt voll Sturm zu bieg¬ »same Seelen, die zu viel Nerven und zu wenig »Muskeln haben, verdienen ihrer Empfindsamkeit »wegen das einfressende Salz der Satire nicht, das »sie wie Schnecken zernagt — die Erde und wir »koͤnnen ihnen wenig Freuden geben, warum wollen »wir ihnen die andern nehmen?« Aber die Trauerzuͤge, die jetzt das Mitleid durch Joachimens Laͤcheln zog, druͤckten sich deutlich in Viktors Herzen ab und das, was sie hier verbergen wollte, machte sie reizender als alles was sie je zu zeigen gesucht. Nichts ist gefaͤhrlicher — wie er vor einigen Wochen gethan — als sich verliebt zu stellen: man wirds gleich darauf. So war der Weichling Ba¬ ron einige Tage, wenn er einen Helden von Cor¬ neille gespielet hatte, selber einer. So starb Mo¬ liere am eingebildeten Kranken und Karl V am Pro¬ be-Begraͤbniß. So machte die papierne Krone, die Kromwel in einem Schuldrama aufbekommen hatte, ihn auf eine haͤrtere begierig. — Die zweite Lehre, die daraus zu lernen ist (diese setzt aber freilich vor¬ aus, Joachime war eine Kokette,) ist die: daß ein Held die Koketterie wahrnehmen und doch hineintap¬ pen koͤnne; ein Poet sitzt wie die Nachtigal, (der er an Gefieder, Kehle und Einfalt aͤhnlicht) oben auf dem Baume und sieht die Falle stellen und huͤpft herunter und — hinein. Nach einigen Tagen — als in Viktor die Frage uͤber Joachimens Werth und seine Liebe wie eine Woge auf- und ablief; als er schlecht mit Flamin, gut mit der Fuͤrstin und besser mit dem Fuͤrsten stand, der jeden Tag nachfragte, wenn Klotilde kaͤ¬ me — kam sie. 23. Hundsposttag . Erster Besuch bei Klotilde — die Blässe — die Röthe — die Renn-Wochen . » J a, das gesteh' ich — sagte Viktor, der am an¬ dern Tage nach Klotildens Ankunft in seiner Stube umher lief — in ein Gewitter oder in ein stuͤrmen¬ des Meer saͤh' ich herzhafter als in das kleine Ge¬ sicht, in einen heitern Himmel von drei Nasenlaͤn¬ gen.« Aber er half sich dadurch, daß er einen ab¬ gerissenen Fortissimo-Akord auf dem Klavier an¬ schlug; dann konnte er zu ihr. Bloß unterwegs sagte er: »nirgends wird so viel gezankt als in ei¬ »nem Menschen — welcher Teufelslaͤrm in diesem »fuͤnfschuhigen Disputatorio uͤber den geringsten »Bettel, bis nur aus einer Bill eine Akte wird! — »Ein tragbarer Nationalkonvent in nuce ist man, »ich kann keinen Schritt thun ohne daß erst die »rechte und linke Seite daruͤber haranguiren und »die euragés und die noirs und der Herzog von Or¬ »leans und Marat. Das Abscheulichste ist im inner¬ »lichen Regenspurger Reichstag des Menschen, daß »die Tugend darin mit zwanzig Hintern und einer »Stimme sitzt, der Teufel aber mit einem Hintern »und sieben Stimmen.« — Durch diese lustigen Selbstgespraͤche wollt er sich selber vom Anblick seiner verworrenen‚ verstockten‚ kalt-wunden ‚ Joachimen immer zu Klotilden hinaufhebenden Seele entfernen. Er wurde endlich bloß durch den tugendhaften Entschluß wieder rein ausgestimmt‚ jetzt die Liebe zu Joachimen nicht zu verstecken — »sich ihrer nicht zu schaͤmen « haͤtt' er bald gedacht. »Wenn ich mich gegen Joachime »waͤrmer‚ und gegen die andre kaͤlter stelle ‚ als »ich etwan bin: so muͤßte der Teufel sein Spiel »haben‚ wenn ichs nicht wuͤrde .« Der hatt' es eben, und zwar ein wahres Lhom¬ breespiel zu vier Personen Joachime, Klotilde‚ Viktor und der Teufel. mit mort : dieser Croupier hatte die einzige Volte geschlagen‚ daß er das Gesicht Klotildens mit einer ganz andern Farbe ausspielte als er in Le Vauts Schlosse gethan. Vik¬ tor fand sie in Schleunes seinem unendlich schoͤner wieder als er sie verlassen hatte — blaͤsser naͤm¬ lich. Da sie keine Nervenpazientin war, keine Kaͤlte mied‚ sogar in Dezemberabenden allein auf dem Dorfe spazieren ging: so waren sonst ihre Wangen mehr dunkle Rosenknospen als aufgegangne abge¬ bleichte Rosenblaͤtter. Aber jetzt war die Sonne ein Mond — sie hatte in irgend einem Kummer wie der Saphyr im Feuer nichts verloren als die Farbe, statt des Blutes schien jetzt die stillere schoͤnere, zaͤr¬ tere Seele selber naͤher durch den weißen Florvor¬ hang zu blicken. Alles Blut, das aus ihren Wan¬ gen zuruͤckgewichen war, floß in seine uͤber und stieg ihm wie ein Zaubertrank in den Kopf, durch den folgende Bilder liefen: »wahrscheinlich machte sie »mehr der Zank mit ihren Eltern, weniger der Kum¬ »mer, hieher getrieben zu werden, krank!« — Wenn man sich einmal vorgesetzt hat, sich kalt zu stellen: so wird mans noch mehr, wenn man Ur¬ sachen findet, es nicht zu werden. Viktor wurde es noch mehr durch Klotildens Eltern, die mit da wa¬ ren und von deren Fehler ihm auf einmal der Deck¬ mantel weggezogen zu seyn schien: an Personen, die man einer dritten wegen zu hoch geachtet, raͤcht man sich, wenn uns die dritte nicht mehr zwingt, durch eine groͤßere Devalvation derselben. Auch sagte er zu sich: »da sie ihren Bruder Flamin jetzt »selten sieht: so waͤrs einfaͤltig, sie einer verlegnen »Minute durch die Erzaͤhlung bloßzustellen, daß ich »alles weiß.« — Armer Viktor! — Gleichwohl wars ihm unmoͤglich, sein Herz nur mit so viel elektrischer Waͤrme vollzuladen — er rieb es mit Kazenfellen, er schlug es mit Fuchsschwaͤnzen — als da seyn mußte daß sein Puls wenigstens voll fuͤr Joachimen gegangen waͤre geschweige fieberhaft; aber eben dieses bestimmte ihn, sich gerade so zu be¬ tragen als waͤren Herz und Pulse voller: »es waͤre »unedel, (dacht' er) wenn es die gute Joachime ent¬ »gelten muͤßte, daß ich einmal groͤßere Hofnungen »gefasset als die bisherigen« Diese Aufopferung erwaͤrmte ihn mit eigner Achtung; diese Achtung gab ihm den maͤnnlichen Stolz, der mit seiner Liebe und seiner Wahl allen vier Welttheilen trotzt; dieser Stolz gab ihm wieder Freiheit und Freude — und jetzt war er im Stande, mit Klotilden zu reden wie ein gescheuter Mensch. Diese ganze innere Geschichte nahm freilich einen zwoͤlfmal groͤßern Zeitraum ein als Muhameds Reise durch alle Himmel — fast eine gute Stunde. Ein Zufall aber warf sich zwischen alle seine Ideen. Da naͤmlich die Ministerin eine wahre Gelehrte war — sie wußte, daß ein Paar Quarzdrusen und einige Praͤparate und ein ertraͤnkter Foͤtus noch keine Ge¬ lehrte machen, sondern erst ein Lehrsaal voll Natura¬ lien und ein Lesekabinet — und da der Kammerherr Le Baut ein Gelehrter war — denn sein Kabinet war eben so groß: — so wurd' ihm die Sammlung gezeigt, die er selber bereichern helfen. Man sollte denken, sie haͤtten einander ausgelacht und fuͤr Nar¬ ren gehalten; aber sie hielten sich wirklich fuͤr Ge¬ lehrte: denn den Großen wachsen die Fruͤchte vom Baum des Erkenntnisses so ans Fenster und ins Maul — sie haben so viele Leichtigkeit Kentnisse zu erlangen, (daher die andere, sie zu zeigen) — sie su¬ chen im Brunnen der Wahrheit so selten etwas an¬ ders als ihr eignes mit Wasserfarben gemachtes Kniestuͤck und in die Tiefe dieses Brunnens zu wa¬ ten waͤre fuͤr sie eine solche Erkaͤltung — und doch gehen sie auf der andern Seite mit so vielerlei Per¬ sonen von Kentnissen aus allen Faͤchern um — — daß sie von allem etwas uͤber der Tafel erfahren und durch die Ohren, durch Tradition wie die Schuͤler der Alten, Polihystors werden: wenn sie nachher gar das, was ihnen ungehoͤrt geblieben, zu entbeh¬ ren wissen, was ist den zwischen ihnen und den aͤrm¬ sten Gelehrten fuͤr ein Unterschied als der in dem Bewußtseyn? Im Naturalien- und Buͤcherkabinet lag noch die ganze Neujahrs-Ladung von summenden Kaͤfern mit goldnen Fluͤgeldecken ohne Fluͤgel — ich meine die vergoldeten Musenalmanache. Matthieu, dieser Nach¬ ahmer der thierischen Nachtigallen, war der Erb¬ feind der menschlichen. Er sagte — was in eine Rezension besser gepasset haͤtte — »er sey ein großer »Freund von Versen, aber im Winter — denn »wenn er so durch die Bluͤmgen-Beete eines Alma¬ »nachs streiche, so werd' er, wie einer der durch ein »Boh¬ »Bohnenfeld geht, schlaͤfrig genug und koͤnne ein¬ »schlafen — Und da gerade die Naͤchte laͤnger wuͤr¬ »den und man also den einen laͤngern Schlaf beduͤrfe, »so sey es schoͤn daß die Almanache gerade mit »Winters Anfang erschienen und daß diese Blumen »mit den Moosen zu einerlei Jahrszeit bluͤhten — »und wenn der murmelnde Bach einen nicht mehr »auf einer Wiese einschlaͤfere, so koͤnn' er's allemal »noch in einem Verse thun.« — — Unser Viktor war so satirisch wie der Evange¬ list; er hatte im Hannoͤverischen so gut wie dieser hier gelacht — z. B. er hatte beklagt, daß die mei¬ sten Almanachssaͤnger leider mehr fuͤr den Kenner ar¬ beiteten als fuͤr dumme Leser und zufrieden waͤren, wenn sie nur jenen in den Schlaf braͤchten — daß ein Mensch, der keine Prose schreiben koͤnnte, probi¬ ren sollte, ob er zu keinem Volkssaͤnger tauge, wie nur die Voͤgel, die nicht reden lernen, singen koͤnnen — daß er einen guten Almanach am ersten und angenehmsten durchhabe, wenn er bloß die Rei¬ me durchlaufe — und daß flache Koͤpfe wie flache Diamanten, denen keine Facetten zu geben sind, zu Herzen wuͤrden und uns statt der Ideen Thraͤnen gaͤben, in denen nicht einmal ein Infusionsthiergen einer Idee schwaͤmme. . . . Aber er sah noch eine Seite mehr als Maz, die edle naͤmlich — Es war seine Gewohnheit, gerade Hesperus. II . Th. N diese vorzudrehen, wenn ein Anderer bloß die schlechte gewiesen hatte und umgekehrt. Seine Meinung war: »Die Dichter waͤren nichts als betrunkne Philoso¬ »phen — wer aus ihnen nicht philosophiren lerne, »lern' es aus Systematikern eben so wenig — die »Philosophie mache nur die Silberhochzeit »zwischen Begriffen, die Poesie die erste — leere »Worte geb' es, aber keine leere Empfindungen — »der Dichter muͤsse, um uns zu bewegen, bloß alles »Edle zum Hebel nehmen, was auf der Erde ist, »die Natur, die Freiheit, die Tugend und Gott; »und eben die Zauberstaͤbe, die magische Ringe, die »Zauberlampen, womit er uns beherrschte, wirkten »endlich auch auf ihn zuruͤck.« — Er legte diese Meinung — als Matthieu die sei¬ nige und Joachime die ihrige vorgetragen, daß ihr an den Musenalmanachen wenigstens zwei oder drei Blaͤtter gefielen, naͤmlich die Pergamentblaͤtter — viel kuͤrzer vor; — die Ministerin war der seinigen (denn sie war selber eine Versefexin): — der Kam¬ merherr sagte, »jede Stadt und jeder Fuͤrst bete ja »die Dichter in eignen Tempeln an — naͤmlich »in den Schauspielhaͤusern« — Klotilde durfte sich jetzt zu den Siegern schlagen: »Wenn man im Ja¬ »nuar einen Dichter lieset, so ists so schoͤn als »wenn man im Junius spazieren geht. — Ich kann »weder Philosophen noch Gelehrte lesen: es bliebe »mir (sie wollte sagen: ihrem Geschlechte) zu wenig, »wenn man mir die lieben Dichter naͤhme.« — Sie wuͤrden hoͤchstens (sagte endlich der Minister) Ihre Schuͤler an ihnen finden: »Dichter bekuͤmmern sich »wie die Heiligen wenig um die Welt und ihr Wis¬ »sen; sie koͤnnen den Staat besingen, aber nicht be¬ »lehren.« — O du grinzende Mumie, dachte Viktor mit beklemmter Seele, ein Edelstein den du nicht »in's Stats Stockhaus mauern kannst, ist dir weni¬ ger als ein Sandstein: wenn du nur jede flammen¬ de, als eine Ergaͤnzung der republikanischen Antiken dastehende Seele zu einem Unterskribenten, zu einem Zollkommissar oder Kammerfiskal einsetzen koͤnntest, (wie die Großkairer die edeln Ruinen zu Staͤllen und Pferdetraͤnken verbauen.) — Der edle Maz fuͤgte bloß hinzu: »in Rom war ein Maler der mit jedem »nur singend sprach; und ich kannte einen großen »Dichter, der nicht einmal im gemeinen Leben Prosa »konnte; er konnte aber mehreres nicht, und hatte »wenig Welt, aber viel Welten im Kopfe — er »wird, wenn er sich drucken laͤsset, seinen Lesern »kaum mehrere Illusionen geben als ihm jeder schon »gemacht hat der wollte« — Viktor sah aus Klotildens traurig gesenkten Auge daß sie so gut wie er merke, daß der Teufel ihren Dahore meine; aber er schwieg: seine Seele war traurig und erbittert; N 2 aber er war laͤngst durch den Hof die zu ertragen abgehaͤrtet, die er hassen mußte. Unter dieser Disputation hatte der edle Maz die ganze Gruppe unvermerkt in schwarzem Pa¬ pier nachgeschnitten. »Ach! sagte Joachime, das ist nicht das erstemal, daß er Gesellschaften schwarz abbildet.« — Da aber Viktor Silhouettengruppen niemals sehen konnte ohne an uns zerrinnende Schatten-Menschen, an dieses versiegende Zwerg Le¬ ben, an die auf das Leben gezeichnete Nachtstuͤcke, und an die Schattenpartien, die man Voͤlker nennt, zu denken — und da ihn daran außer seiner Trau¬ rigkeit und außer einem Wachs-Skelet, von Mad. Biheron, das im Naturaliensaale stand, noch mehr die blasse Gestalt Klotildens erinnerte — und da diese, mit den vergleichenden Augen auf dem Ge¬ rippe und dem Schattenbilde, leise zu Viktor sagte: »mich koͤnnten zu einer andern Zeit so viele Aehn¬ »lichkeiten traurig machen« — so durchschnitt sein volles Herz der scharfe Schmerz uͤber seine ewige Armuth, und uͤber die Gewißheit: »dieses große »schoͤne Herz bewegt sich nie fuͤr deines und wenn »ihr Freund Emanuel gestorben ist, bleibst du immer »allein:« — und er trat ans Fenster, drehte es hart »auf, schlang den Nordwind ein, zerdruͤckte mit der Faust die zwei Augaͤpfel und ging mit den — vori¬ gen Zuͤgen wieder zu den Andern. Aber fuͤr heute war von solchem Erdbeben die Struktur seines Herzens zu weit zerrissen. Und da ihn Klotilde in einer isolirten Sekunde sagte: daß die Pfarrerin und Agathe uͤber sein Aussenbleiben zuͤrnten: so war er, da sich bei diesen Namen die ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬ that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben. Als er nach Hause kam: redete Klotildens Stim¬ me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigsten vergessen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬ nes Trauergesangs in seiner Seele. .. Leser, wenn das, was du liebtest, lange verschwunden ist aus der Erde oder aus deiner Phantasie, so wird doch in Trauerstunden die geliebte Stimme wieder kommen und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das trostlose Herz, das sie vergossen hat! ... Aber nicht bloß ihre Stimme, sondern alles draͤngte sich im Finstern um seine Phantasie, ihr bescheidenes Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und suchte, wie der andern ihre: diese behutsame Feinheit, die ihm jetzt seit seinem Hofleben weder an ihr noch an seinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu setze man noch das Bild Joachimens und sein Chaos von Widerspruͤchen und die Bemerkung, daß ein Mensch, den die gewissesten Beweise, ungeliebt zu seyn, beru¬ higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: so kennt man die Bewegungen, die der Schlaf, diese Meerstille des Lebens, bei ihm stillen mußte. — »Das war der letzte Fieberschauer« sagt' er am andern Morgen und bauete auf sein jetziges Herz, dessen Entzuͤndungen wie die der Vulkane taͤglich ih¬ ren Krater mehr ausbrannten. Er gebot sich daher eine woͤchentliche Flucht vor der schoͤnsten Seele, in¬ dem er eine so lange Krankheit vorschuͤtzte, bis er ei¬ nen ordentlichen Kallus uͤber sein Herz gezogen fuͤhlte. — Nach einer Woche sah' er sie wieder: warlich der Teufel saß wieder am Spieltisch und spielte ge¬ gen ihn eine andere Farbe aus — Roth . Klotilde sah nicht blaß, sondern obwohl wenig, roth aus. Dieses Roth machte an seinem innern Menschen ei¬ nen großen Kleks und verfaͤlschte sein inneres Kolo¬ rit wie Schwarz jede Malerfarbe. Denn als er sie genesen wiederfand: so wars ihm nicht sowol an¬ genehm — denn er sah wie wenige Verdienste er mehr um ihre Ruhe habe, wie sie ihn nicht einmal in diesem Waarenlager von Menschen-Makulatur aushebe und wie dumm er gewesen, daß er sich heim¬ lich, ganz heimlich traͤumen lassen, »ihre vorige Bleichheit komme gar von ihrer vergeblichen Sehn¬ sucht uach ihm seines Orts her« — oder unange¬ nehm — denn er haͤtte all sein Herzensblut dahin gegossen, um damit eine einzige Pulsader in ihr wie¬ der in den Gang zu bringen — ich sage‚ es war ihm nicht sowohl angenehm oder unangenehm als beides‚ als unerwartet‚ als ein Wink‚ des — Teu¬ fels zu werden. Sein Herz und das Bild‚ das zu lange drinnen war‚ wurden gar entzweigedruͤckt: »Es sey!« sagt' er und zerbiß die krampfhafte Lippe‚ wo¬ mit ers sagte. — Einige Tage lang mocht' er nicht einmal Joachime sehen. »Hat sie denn ein Auge »fuͤr die Natur und ein Herz fuͤr die Ewigkeit?« fragt' er und er wußte wohl die Antwort. Jetzt ging eine Zeit fuͤr ihn an‚ die gerade das Gegentheil der Sabbathswochen war — man kann sie die Renn-Wochen oder Visiten-Ta¬ rantel - Tanzstunden nennen. Es ist eine ver¬ dammte Zeit‚ der Mensch weiß nicht wo er steht. Sie fiel bei Viktor gerade in die Wintermonate‚ wo ohnehin die sausenden Butterwochen der Staͤdte und Hoͤft sind. Ich will sie jetzt ordentlich schildern. Viktor suchte naͤmlich sein uneiniges ungluͤckliches Herz zu uͤberschreien und zu betaͤuben — nicht mit den Trommelwirbeln der Lustbarkeiten; unter diesen verblutete es vielmehr‚ so wie unter dem Trommeln die Wunden staͤrker fließen: sondern — mit Men¬ schen: diese waren die Tourniquets und die blutstil¬ lenden Schrauben‚ die er um seine Seele legte. Sein Leib war jetzt wie ein transsubstanzirter‚ an allen Orten: er verlief den ganzen Tag, bald mit bald ohne den Fuͤrsten. In Flachsenfingen war zuletzt keine Dame mehr der er nicht die Hand gekuͤsset hatte — und keine Toilette mehr, wo er's dabei haͤtte bewenden lassen. Er machte in den Rennwochen doppelte Schlei¬ fen — franzoͤsische Pas — Tupfdeisseins — kleine Komoͤdien — Satiren — Rezepte fuͤr Kanarienvoͤgel — Verse fuͤr Faͤcher — viele Visiten — und noch mehr Morgen Billets. ... Letztere, die er bekam und gab waren franzoͤsisch geschrieben und franzoͤsisch gebrochen — naͤmlich zu Papilloten gequetscht: »es sind, sagt' er, die Haar¬ »wickeln weiblicher Gehirnfiebern — die Patronen voll Amors-Pulver — die Kokons der liebenden »Schmetterlinge« — er sprach vom Steigen und Fallen der weiblichen Papiere und nennte sie bloß noch die Aushaͤngebogen des weiblichen Herzens und die Schmuztitelblaͤtter der koketten Toleranzmandate. »Ich behaupte das — setzt' er hinzu — um mich »vom Hofjunker Matthieu zu unterscheiden, der's »laͤugnet, weil er gar verficht, anfangs dringe man »den Schoͤnen Briefe auf, dann Dinge von mehr »Kubikinhalt, z. B. Faͤcher, Juwelen, Haͤnde, dann »endlich sich selber; so wie die Posten anfangs nur »Briefe aufnehmen, dann Pakete, endlich Passa¬ »giere« — Er fand diejenigen Weiber taͤglich amuͤsanter, die uns Leuten von Verstand das Herz aus der Brust und das Gehirn aus dem Kopf entwenden und zwar (wie jener Edelmann anderes Zeug) nicht aus Liebe zum gestohlnen Gute, sondern aus Liebe zum Rau¬ ben — sie schicken wie der Edelmann den andern Morgen das Gut dem Eigner redlich wieder zu. Ihre Feinheiten, — die seinigen — seine Wendun¬ gen, um ihren auszuweichen — die Aufmerksamkeit, die man an sich wenden muß — die Gelegenheit, alle Empfindungen unter die feinsten Trennmesser zu bringen, oder unter Sonnen- und Mondmikroskope — die Leichtigkeit, den aufrichtigsten Wahrheiten den sauern Geschmack und den angenehmsten den suͤßlich¬ ten zu benehmen — — dieses machte ihm die Nacht¬ tische der Weiber, besonders der koketten zu Lekti¬ sternien und Goͤttertischen: »beim Himmel, sagte »der Toiletten-Panist und Nacht-Tischgaͤnger — »ein Mann ist bloß ein Hollaͤnder, hoͤchstens ein »Deutscher, aber eine Frau ist eine geborne Franzoͤ¬ »sin oder gar eine Pariserin — der Mann verbirgt »seine moralische wie seine physische Brust — Ge¬ »danken und Blumen, die nicht durch die Raufen »der vier Fakultaͤten durchfallen, Empfindungen, die »in keinem visum repertum beschrieben werden koͤn: »nen, muß man warlich nur einer Frau und keinem »Manne sagen, zumal einem Flachsenfingischen« .. oder einem scheerauischen. — Um sich zu entschuldigen, daß er mit den Koket¬ ten auf den Fuß eines Simultanliebhabers umging, berief er sich auf seine Absicht — er wolle sie bloß kennen lernen — und auf den vortreflichen Forster , der in Antwerpen vor Rubens Maria, die auf dem Altarblatt gen Himmel faͤhrt, so gut wie ein gebor¬ ner Katholik hinkniete , bloß um sie naͤher zu be¬ schauen. Er hatte noch eine eben gefaͤhrliche Entschuldi¬ gung: »der Mensch sollte alles seyn, alles lernen, »alles versuchen — er sollte an der Vereinigung »der beiden Kirchen in seiner Seele arbeiten — »er sollte, wenn nur auf ein Paar Monate, ein »Stadtmusikns, Todtengraͤber, Galgenpater, ein In¬ »genieur, Tragoͤdiensteller, Oberhofmarschall, ein »Reichsvikarius, Vicelandrichter, ein Rezensent, eine »Frau, kurz alles sollte der Mensch auf einige Tage »gewesen seyn, damit aus dem Farbenprisma zuletzt »die weisse vollkommne Farbe zusammenfloͤsse.« — Die Grundsaͤtze werden desto gefaͤhrlicher bei ei¬ nem wie er, der mit den hochgespannten Saiten der allerunaͤhnlichsten Kraͤfte bezogen, leicht den Ton ei¬ nes jeden angab, nicht aus Verstellung, sondern weil sich seine Visiten Dichtkraft tief in die Seele des andern versetzen konnte — daher gewann, ertrug und ahmte er die unaͤhnlichsten Menschen nach trotz seiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er uͤberall so viel zu verschweigen hatte, sein Errathen des Fuͤrsten, sein Herz gegen Klotilde, seine Versoͤh¬ nungsintriguen gegen Agnola, seine Wissenschaft aus Flamins Verhaͤltnisse u. s. w. Ach Verschweigen und Verstellen fließen leicht zusammen und muͤssen nicht Tropfen in den festesten Karakter, sobald er immer unter der Traufe steht, endlich Narben graben? Nichts erkaͤltet mehr die edelsten Theile des in¬ nern Menschen als Umgang mit Personen, an denen man keinen Antheil nehmen kann. Dieses Gast¬ wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu sehen, die nicht einmal Ich sagen, deren Verhaͤltnisse man so gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn sie nicht ein Beduͤrfniß sucht — dieses Haschen nur nach dem naͤchsten Augenblick — dieses Voruͤberren¬ nen der feinsten und geistreichsten Fremden und Vi¬ sitenameisen, die in drei Tagen vergessen sind — alles dieses, was die Pallaͤste zu russischen Eispallaͤ¬ sten macht, wo sogar der Ofen voll Naphtapflam¬ men eine Eisscholle ist, wozu ich das komische Salz gar nicht zu setzen brauche, das ohnehin alles warme Blut, wie glauberisches das heisse Wasser erkaͤltet, alles dieses machte sein Herz oͤde, seine Tage kahl und laͤstig, seine Naͤchte beklommen, sein Betragen zu kalt gegen Gute, zu tolerant gegen Schlimme. Noch dazu schwieg sein Emanuel und schloß wie die Natur, seine Blumen in sich ein. — Wen die Natur ernaͤhrt und erhebt, der ist im Winter nicht so gut als im Sommer: die Erde hatte jetzt ihren Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag die Nachtkleidung an, die Baͤume hatten ihre Kno¬ spen in die Flocken-Papilloten gewickelt und die Aeste sahen wie Haarnadeln aus — Viktors Seele war wie die Natur; o! der Himmel waͤrme bald in beiden die Blumen des Fruͤhlings an! Da die Krankheitsgeschichte meines Viktors mich zu schmerzhaft an die versteckten Gifte im menschli¬ chen Herzen erinnert: so soll sie bald zu Ende seyn. Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern im¬ mer galanter und kaͤlter gegen alle weibliche Perso¬ nen wurde — das Seil der Liebe schneidet weniger tief in den Busen ein, wenn es in Faͤden und Flok¬ ken ausgezupft um alle flattert. Er, der wie sein Namensvetter der h. Sebastian ganz mit (Amors) Pfeilen voll geschossen aussah, ließ Pfeile anderer Art gegen das ganze Geschlecht, wiewol nie gegen Individuen fliegen. In diesem letztern Umstand war seine Bitterkeit von Mazens seiner unterschieden, der z. B. von seiner eignen Base, die ihre Schoͤnheit durch spaͤte Blattern verloren, sagen konnte: »ihre »Schoͤnheit hielt sich recht tapfer gegen die Blat¬ »tern und trug aus tiefem Siege die ruͤhmlichsten » Narben davon.« — Wie Teufelsdreck zum haut gout mit gebraucht wird, so wuͤrzet man das feinste savoir vivre durch einige kuͤhne Unhoͤflichkeiten. Bastian war in der Tarantelzeit durch nichts verlegen zu machen — er ging und kam wie ein Pariser ohne Umstaͤnde — er suchte oft kuͤhne aber vortheilhafte Stellungen seines Koͤrpers — unter dem Schauspiel that er Reisen durch die Logen wie der Fuͤrst durch die Kulissen — er brachte es (obwohl mit Muͤhe und indem er sich immer das Muster der Hofleute vorhielt) fuͤnf¬ mal dahin, daß er gleichguͤltig zuhoͤrte oder gar weg¬ schauete, wenn ihm der andere erzaͤhlte, welches alles wenn nicht wesentliche doch Nebenstuͤcke der wahren Hoͤflichkeit sind. Auch will ich zu seinem Ruhm nicht unbemerkt lassen, daß er sich die ordentlichen erotischen und satirischen Freiheiten der gallikanischen Kirche gegen mehrere Weiber auf einmal nahm: denn vor einer einsamen hatt' er noch die alte Ehr¬ erbietung eines edeln Herzens. Ich will von jenem doch ein Beispiel geben. Einmal war er unter fuͤnf Verlaͤumderinnen (die Gesellschaft bestand aus sechs Frauenzimmern und einer Mannsperson;) die haͤß lichste schwaͤrzte alle, sogar gedruckte Maͤdgen an z. B. die verstorbene Klarisse, der vorruͤckte, sie habe gegen Lovelace nicht genug gewußt, sauver les dehors de la vertu . Man muß es gewaͤrtig seyn, wie die Koͤnigsberger Schule es in ihren Rezensionen aufnimmt, daß er sich vor der Verlaͤumderin auf ein Knie hinließ und mit einigem Ernste sagte: O Clarisse! Voice Votre Lovelace retranchons quatre tomes et commencons comme les Faiseurs d'Epo¬ pées par le reste . Freilich warf er sich die Tarantelzeit haͤufig un¬ ter der Tarantelzeit vor; und da der Heidenvorhof seines Herzens so voll Weiber wurde, indeß im Al¬ lerheiligsten desselben nichts war als ein stummes Dunkel, und da sein Kopf ein Insektenkabinet von Hofkleinigkeiten wurde: so seufzete er freilich oft in seinem Erker: o! komme bald, guter Vater, damit »dein sinkender Sohn aus diesem schmutzigen Maͤrz¬ »nebel in ein helleres Leben steige, eh' er sich ganz »befleckt hat, daß er nicht einmal diesen Wunsch »mehr thut« — und so oft er in Joachimens Zim¬ mer die Prospekte von Maienthal — die Guilia vom Portraitmaler Klotildens machen lassen — zu Ge¬ sichte bekam: so zog er mitten im Scherzen das Auge von ihnen mit einem Seufzer weg — — Aber geheilt wurd' er nicht als bis das Schicksal sagte: jetzt! Der Theaterschluͤssel klopfte auf einmal, der die Menschen in der Komoͤdienprobe des Lebens — das Schauspiel wird erst im zweiten gegeben — kommen und agiren heißet; und es trug sich etwas zu, was ich sogleich im folgenden Kapitel berichten werde, wenn ich in diesen auserzaͤhlet habe wie Vik¬ tor mit allen Leuten um sich stand. Mit manchen eigentlich schlecht — erstlich mit Klotilden. Sie wohnte zwar bei dem Minister — als Hofdame haͤtte sie ins Paullinum gehoͤrt, allein der Fuͤrst hatte es wegen der Leichtigkeit sie zu sehen so karten lassen — aber sie war immer um die Fuͤr¬ stin, mit der sie bald ein aͤhnlicher Ernst und eine aͤhnliche Zuruͤckhaltung verknuͤpfte. Ihre Gleichguͤl¬ tigkeit gegen einen, der mit ihr einen gemeinschaftli¬ chen Freund und Lehrer hatte, gab diesem Viktor eine noch groͤßere, zumal da er wußte, sie muͤßte fuͤhlen, daß in dieser kalten Berg- und Hofluft nur ein einziger obwohl schlechter Nelken-Absenker ihrer schoͤnen Seele bluͤhe, er naͤmlich. Auch mußte der Zwang des Wohlstandes, sie kalt anzuschauen, zur Gewohnheit werden. Am schlimmsten war's fuͤr ihn, daß sie gleichguͤltig war ohne Empfindlichkeit und kalt mit Achtnng fuͤr ihn. Andere waren ganz toll uͤber das »tugendhafte Phlegma dieser Pygmalions¬ »Statue.« Der edle Maz nannte sie oft die hei¬ lige Jungfrau oder die Demoiselle Mutter Gottes. Es konstirt und erhellet ganz deutlich aus den von mir aufgeschlagnen Hunds-Manualakten, daß einige Herren von Hofe nach verschiedenen verdorbnen Ver¬ suchen sich die mit so vieler Schoͤnheit unvertraͤgliche Tugend zu erklaͤren, bald aus Temperament bald aus verhehlter Liebe, bald aus einer koketten Pruͤderie, die sich wie das Wasser bei St. Clermont endlich zur eignen Bruͤcke uͤber sich selber versteinert, daß diese listigen Herren recht gluͤcklich auf die Ver¬ muthung verfielen, Klotilde nehme diese Maske als eine Kopie des Gesichts der Fuͤrstin vor ihres, um in der Gunst zu bleiben. Daher wurde Klotildens zuͤchtige Tugend von den meisten mit wahrer Scho¬ nung beurtheilt, indem man sie als eine absichtliche Nachahmung des aͤhnlichen Fehlers der Fuͤrstin schon entschuldigen konnte durch das Beispiel aͤhnli¬ cher Nachahmungen — da Hofleute oft die groͤßten aͤußern Naturfehler, ja die Tugenden eines Regen¬ ten nachaͤften. — So dachte wenigstens der billigere Theil des Hofes. Agnola war unserem Helden einen immer groͤßern Dank fuͤr die Visiten Jenners zu zeigen beflissen, ob sie gleich, denk' ich, die untreue Absicht des Fuͤr¬ sten in der Gegenwart Klotildens eben so gut ent¬ decken konnte als sie zuweilen in Viktors Seele bei der Gegenwart Joachimens blicken mochte. . . . Ue¬ berhaupt haͤtt' ich den Leser laͤngst bitten sollen, auf¬ zupassen: ich trage die Sachen mit erlaubter Dumm¬ heit vor, obwohl mit historischer Treue; sind nun feine, feine, spitzbuͤbische, wichtige, intriguante Zuͤge und Winke darin, so ists ohne mein Wissen und ich kann sie also dem Leser nicht anweisen mit einer Zeiger¬ stange oder ansagen mit einer Feuertrommel, sondern er selber — weil er Hofgeschichten versteht — muß wissen, was ich mit meinen Winken haben will, nicht ich . Mit Joachimen waͤre Viktor recht gut gefahren — da er ihr alle Fehler, die er bei andern Weibern und nicht bei ihr antraf, als Tugenden in Rechnung brachte und da er sich mit ihrem Ich mehr assimi¬ lirte: denn die Fehler der Maͤdgen kommen wie Schokolade und Taback dem Gaumen anfangs desto toller vor, je besser sie ihm nachher schmecken — er waͤre gut gefahren, ohne zwei Ecksteine; aber die waren da. Der erste war — denn ich will seine kleine Aergerniß uͤber die kurze Dauer ihrer schoͤnen Weihnachts-Empfindsamkeit nicht rechnen — daß sie immer Klotilde tadelte, besonders ihre »affektirte« Tugend. Der zweite war, daß Klotilde sie eben so wenig suchte: Viktor konnte niemand lieben, den Klotilde nicht liebte. — Und jetzt sind die Rennwo¬ chen und Visiten-Taranteltanzstunden Eines Men¬ schen zu Ende: aber ach die ganze Nachwelt muß noch dieselbe Linie der Narrheit und Jugend pas¬ siren. Hesperus. II Th. O 24. Hundsposttag. Schminke — Krankheit Klotildens — Schauspiel Iphigenie — Unterschied der bürgerlichen und der stiftsfähigen Liebe. D en 24ten Februar fand Viktor Morgens bei Jo¬ achimen — die stolze Klotilde. Ich weiß nicht, war sie aus Zufall oder Hoͤflichkeit oder deswegen da, um einer Person, die von Viktor mit einigem In¬ teresse behandelt wurde, mit der Diogenes-Laterne ins Gesicht zu leuchten. Aber o Himmel! die Wan¬ gen dieser Klotilde waren blaß, die Augen wie von einer ewigen Thraͤne uͤberhaucht, die Stimme ge¬ ruͤhrt gleichsam gebrochen und der bleiche Marmor¬ koͤrper schien nur die Statue zu seyn, die am Grab¬ mal der Seele steht. Viktor vergaß die ganze Ver¬ gangenheit und sein Innerstes weinte vor Sehnsucht, ihr beizustehen und aus ihrem Leben alle truͤbe Win¬ terlandschaften weg zu loͤschen. »Ich befinde mich »heute wie gewoͤhnlich« sagte sie auf seine Frage und er wußte nichts aus dieser unerwarteten Erblei¬ chung zu machen — er konnte heute uͤberhaupt nichts machen, nicht einmal einen Spas oder eine Schmei¬ chelei — seine in Mitleid zergangne Seele wollte keine Form annehmen — verwirrt war er auch. Klotilde ging bald; — und ihm waͤrs heut fuͤr ganz Großpohlen (diese in der Eisfahrt der Voͤlker- und Kronenwanderung schoͤn sich abschleifende Eisscholle) nicht moͤglich gewesen, nach ihr noch eine halbe Stunde zu verbleiben. Er mußte aber ohnehin fort: der Hofjunker Mat¬ thieu rief ihn zur Fuͤrstin. Der 24te Februar sollte, scheint es, zum Besten des 24ten Hundstages bloß Ueberraschungen liefern. Meinem Korrespon¬ denten entfaͤhrt dabei: »den 25ten Februar war eine »Mondfinsterniß; und diese schien Viktor eine Aehn¬ »lichkeit mit Klotildens Verschmachten zu haben, »die seinem Innern eine lang entbehrte Erweichung »mittheilte.« Da nun diese ganze Geschichte im 9ten Jahrzehend des 18ten Jahrhunderts vorgeht; und da es keine Mondfinsterniß von einem 25ten Fe¬ bruar darin giebt als im Jahr 1793, d. h. im heu¬ rigen: so koͤmmt ja, da ich im Julius schreibe, die Geschichte in einem halben Jahre meiner Beschrei¬ bung hinten nach — welches fuͤr mich ergoͤtzend ge¬ nug ist. Ich hielt zur Sicherheit alle in diesem Buche einfallende Wetter- und Mondsveraͤnderungen mit denen von 1792 und 1793 zusammen; und es paßte alles in einander — der Leser sollt' es auch nachrechnen. O 2 Beilaͤufig! Es waͤre Boßheit von mir gegen den edeln Maz, wenn ichs laͤnger unterdruͤckte, daß er seit einiger Zeit gegen meinen Helden viel sanfter und inbruͤnstiger wurde — welches bloß an einem andern Menschen, ich meine an einem nachstellenden Schelm ein Kains-Zeichen waͤre und etwan so viel bedeutete wie das Wedeln eines Katzenschwanzes. — Viktor erstaunte uͤber die Bitte der Fuͤrstin, — Klotilden zu heilen: das heißt, nicht uͤber die Bitte — denn sie beehrte ihn jetzt oͤfters damit — son¬ dern uͤber die Nachricht, daß Klotilde, auf deren Wangen er bisher die Aepfelbluͤten der Gesundheit auf Kosten seiner Seele in den Rennwochen ge¬ sehen, bloß taube Bluͤten getragen hatte, naͤmlich weniger Schminke, die ihr die Fuͤrstin wegen der Symmetrie mit den uͤbrigen rothen Kupferblumen des Hofes befehlen muͤssen. Die Fuͤrstin, die wie ihr Stand rasch war, ersucht' ihn noch, da er zur medizinischen Oberexaminationskommission ernennet war, sein Amt recht bald, schon heute im Schau¬ spiele zu verwalten, wo er die Pazientin und Exa¬ minandin treffen konnte. . . . . Ich bin so begierig und erweicht zugleich, daß ich uͤber Viktors heutige Stunden und Schmerzen wegspringe, um Abends hinter ihm und ihr in der Loge zu stehen. Das Schauspiel war ein aus Eldorado geliefer¬ ter funkelnder Solitaire, Goͤthes Iphigenie . Da er die kranke Klotilde wieder mit dem Abendroth der Schminke sah, worin sie auf fremdes Geheiß so¬ gar unter dem Untergehen schimmern sollte — da er dieses stille zum Altar gleichsam roth bezeichnete Opfer, das er und andere von seinen Fluren, von seinen einsamen Blumen weggetrieben unter die Opfermesser der Kurial-Guillotine, den Untergang seiner Wuͤnsche stumm erdulden sah und da er mit dem weiblichen Verstummen das maͤnnliche Toben verglich — und da Klotilde ihren Schmerz der Iphi¬ genie geliehen zu haben schien mit der Bitte: »nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage »damit, klage damit uͤber die Entfernung von den »Jugendgefilden, uͤber die Entfernung vom geliebten »Bruder« — und da er sah wie Klotilde die Au¬ gen fester an die Iphigenie, wenn sie nach dem ver¬ lornen Bruder schmachtete, anzuschließen suchte, um die Ergießung und die Richtung derselben (nach ih¬ rem eignen auf dem Parterre nach Flamin,) zu be¬ herrschen: o dann brauchten so große Schmerzen und so viele Zeichen derselben in seinen Augen und Mi¬ nen einen solchen Vorwand wie die Allmacht des Genies ist, um mit Schmerzen der Taͤuschung ver¬ wechselt zu werden. Nie hat ein Arzt seine Klientin mit groͤßerer Theilnahme und Schonung ausgefragt als er Klotil¬ den im naͤchsten Zwischenakte: er entschuldigte seine Zudringlichkeit mit dem Befehle der Fuͤrstin. Ich muß vorher berichten, daß die Kranke, — ob er gleich bisher ein fallender Petrus war, den manches Hahngeschrei mehr zum Weinen als zum Bessern brachte — doch die zweite Person blieb, die er nie verlaͤugnete, d. h. die er nie mit seinen jetzigen fri¬ volen, launigten, kuͤhnen, fangenden Wendungen an¬ redete. Die erste Person — die er zu hoch achtete, um mit seinem jetzigen Herzen an sie zu schreiben — war der geliebte Emanuel. Klotilde antwortete ihm geruͤhrt: »sie sey so »wohl wie immer: das einzige, was an ihr krank »sey (sagte sie laͤchelnd) naͤmlich der Teint, sey schon »unter den Haͤnden einer Wundaͤrztin, die sie wider »ihre Neigung bloß von außen heile.« Diese scherzhafte Erwaͤhnung des von der Fuͤrstin dekretirten Schmin¬ kens hatte die doppelte Absicht, ihr Schminken zu entschuldigen und den Doktor aus seinem weichherzi¬ gen Ernst zu bringen. Aber das erste war unnoͤthig — da im Theater sogar Damen, die nie Roth auf¬ legen, es beim Eintritt in die Loge auftrugen und beim Ausgang ausstrichen, um nicht an einen Baum voll gluͤhender Stettineraͤpfel als die einzigen Quit¬ ten da zu haͤngen und da uͤberhaupt von dem ganzen weiblichen Hofstaat die mineralischen Wangen als Hof-Gesichtslivree gefodert wurden. Das zweite war vergeblich; vielmehr schwollen die Wunden sei¬ nes Herzens durch zweierlei immer hoͤher auf: durch jenes kalte fast schwaͤrmende Ergeben ins Verbluͤhen — und durch etwas unaussprechlich Mildes und Weiches, was oft im weiblichen Gesicht das bre¬ chende Herz, das fallende Leben bezeichnet, wie das Obst durch weiches Nachgeben beim Druck seine Reife ansagt. O ihr guten weiblichen Geschoͤpfe, macht euch der Kummer, da euch die Freude schon verschoͤnert, vielleicht darum noch schoͤner und zu ruͤhrend, weil er euch oͤfter trift oder weil sich jener in diese klei¬ det? Warum muß ich hier die Freude uͤber euer Er¬ dulden und Verschleiern der Schmerzen so fluͤchtig bekennen, da jetzt vor meiner Phantasie so viele Her¬ zen voll Thraͤnen mit ofnen Angesichtern voll Laͤ¬ cheln voruͤberziehen und eurem Geschlechte das Lob erwerben, daß es sich dem Kummer so gern wie der Freude oͤfne, wie die Blumen, ob sie sich gleich nur vor der Sonne aufthun, doch auch auseinander ge¬ hen, wenn diese der Wolkenhimmel uͤberzieht? — Viktor, ohne durch ihre Antwort irre zu werden, fuhr fort: »vielleicht koͤnnen Sie sich nicht von der »schoͤnen Natur entwoͤhnen und von der Bewegung »— das Nachtsitzen, das ich selber empfinde« — — Sie ließ ihn nicht ausreden, um ihn daran zu erin¬ nern, daß sie ja die jetzige Farbe von Hause an den Hof mitgebracht; man sieht aber in dieser Erinne¬ rung mehr Schonung als Wahrheit: denn sie wollte ihr Hofamt nicht gerade vor dem verklagen, der es ihr erlangen half. — — Viktor, der ihre Kraͤnklich¬ keit so sicher sah und doch keine Frage mehr vorzu¬ legen wußte, stand stumm, verlegen da. Das eigne Schweigen loͤset den Zuruͤckhaltenden die Zunge: Klotilde fing selber an: »weil ich nichts weis was »mir hier schadet, als die Schminke: so bitt' ich »meinen Arzt, mir diesen Diaͤtsfehler zu untersagen« — d. h. die Fuͤrstin zum Widerruf ihres Schmink¬ edikts zu vermoͤgen — »ich mag gern, fuhr sie fort, »doch einige Aehnlichkeit mit zwei so guten Freun¬ »den, Giulia und Emanuel, bekommen« — d. h. die blasse Farbe, oder auch die Meinung des baldi¬ gen Todes. — Viktor stieß ein hastiges Ja heraus und wandte das uͤberfließende Auge gegen den auf¬ fliegenden Vorhang. Nie waren wohl die Szenen des Theaters und der Logen sich aͤhnlicher. Iphigenie war Klotilde. — der wilde Orest, ihr Bruder war ihr Bruder Fla¬ min — der sanfte helle Pylades sein Freund Viktor. Und da Flamin unten im Parterre mit seinem wol¬ kigen Angesicht stand — (er kam nur, um seine Schwester bequemer zu sehen) — so war es unserem und seinem Freunde so als wuͤrd' er von ihm ange¬ redet, als Orest zu Pylades sagte: — Erinnere mich nicht jener schoͤnen Tage, Da mir dein Haus die freie Staͤtte gab, Dein edler Vater klug und liebevoll Die halb erstarrte junge Bluͤte pflegte; Da du ein immer munterer Geselle, Gleich einem leichten bunten Schmetterlinge Um eine dunkle Blume, jeden Tag Um mich mit neuen Leben gaukeltest, Mir deine Lust in meine Seele spieltest. Klotilde fuͤhlt' es eben so schmerzhaft, daß man auf der Szene ihr Leben spiele, und kaͤmpfte gegen ihre Augen . . . Aber da Iphigenie zu ihrem Bruder Orest sagte O hoͤre mich! O sieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz sich oͤfnet, Der Seeligkeit, dem Liebsten was die Welt Noch fuͤr mich tragen kann, das Haupt zu kuͤssen — O laß mich, laß mich, denn es quillet heller Nicht vom Parnaß die ewige Quelle sprudelnd Von Fels zu Fels in's goldne Thal hinab, Wie Freude mir von Herzen wallend fließt Und wie ein seelig Meer mich rings umfaͤngt. — — und da Klotilde traurig den groͤßern Zwischenraum der Schmerzen und der Tage zwischen sich und ih¬ rem Bruder uͤbermaaß: so quollen ihre großen so oft am Himmel haͤngenden Augen voll und ein schnelles Niederbuͤcken verdeckte die schwesterliche Thraͤ¬ ne allen ungeruͤhrten Augen. Aber den geruͤhrten, womit ihr naher Freund sie nachahmte, wurde sie nicht entzogen. . . . Und hier sagte eine tugendhafte Stimme in Viktor: »entdeck' ihr, daß du das Ge¬ »heimniß ihrer Verwandwandschaft weißt — hebe »von diesem wundgepreßten Herzen die Last des »Schweigens ab — vielleicht welkt sie an einem »Gram, den ein Vertrauter kuͤhlt und nimmt!« — Ach, dieser Stimme zu gehorchen, war ja das We¬ nigste, womit er sein unendliches Mitleiden befriedi¬ gen konnte! — Er sagte aͤußerst leise und aus Ruͤh¬ rung fast unverstaͤndlich zu ihr: »mein Vater hat es »mir laͤngst entdeckt, daß Iphigenie die Gegenwart »ihres Bruders und meines Freundes weiß« — Klotilde wandte sich schnell und erroͤthend gegen ihn — er ließ, zur naͤhern Erklaͤrung, seinen Blick zu Flamin hinabgleiten — erblassend sah sie weg und sagte nichts — aber unter dem ganzen Schauspiel schien ihr Herz weit mehr zusammengedruͤckt zu seyn und die Gute mußte jetzt noch mehr Thraͤnen und Seufzer zerquetschen als zuvor. Ganz zuletzt gab sie mitten in ihrer Betruͤbniß der Dankbarkeit ihre Rechte und sagte ihm fuͤr seine Theilnahme und sein Vertrauen, gleichsam im Sterben laͤchelnd, Dank. Zu Hause machte er seine Gehirnfiebern zu Aria¬ dnes Faͤden, um aus dem Labyrinth der Ursachen ih¬ res Kummers und besonders des neuen zu kommen, der sie bei seiner Eroͤfnung zu befallen geschienen. Aber er blieb im Labyrinth: freilich erzeugte Gram die Krankheit; aber wer erzeugte den Gram? — Es waͤre schlimm fuͤr diese armen zarten Schmetterlinge wenn es mehr als Einen toͤdlichen Kummer gaͤbe: in jeder Gasse, in jedem Hause findest du eine Frau oder eine Tochter, die in die Kirche oder ins Trau¬ erspiel gehen mnß , um zu seufzen und die ins obere Stockwerk steigen muß, um zu weinen; aber dieser aufgehaͤufte Kummer wird laͤchelnd verschmerzt und die Jahre nehmen lange neben den Thraͤnen zu. Hingegen einen giebt's, der sie abbricht — denke daran, lieber Viktor, in den freudigen Stunden dei¬ ner Simultanliebe‚ und denket ihr alle daran, die ihr einem solchen weichen Geschoͤpf das schlagende Herz aus der Brust mit warmen liebenden Haͤnden ziehet, um es in eure neben eurem eignen Herzen aufzunehmen und ewig zu erwaͤrmen — wenn ihr dann dieses heisse Herz, wie einen Schmetterlings¬ honigruͤssel, ausgerissen hinwerfet: so zuckt es noch wie dieser fort, aber es erkaltet dann und schlaͤgt nicht lange mehr. — — Ungluͤckliche Liebe war also der nagende Honig¬ thau auf dieser Blume, schloß Sebastian. Natuͤrlich dacht' er an sich zuerst; aber schon laͤngst hatten ihn alle seine feinsten Beobachtungen, seine ihm jetzt ge¬ laͤufigern Rikoschet-Blicke aus dem Augen¬ winkel uͤberwiesen, daß er die Auszeichnung, die sie ihm nicht versagte, mehr ihrer Unpartheilichkeit als ihrer Neigung zuzuschreiben habe. Wer es sonst am Hofe sey — das herauszubringen stellt' er ver¬ geblich einen Elektrizitaͤtszeiger nach dem andern auf. Auch wußt' er voraus, daß er vergeblich auf¬ stellen werde: da Klotilde alles Aushorchen ihres Innern vereiteln wuͤrde, wenn sie eine unerwiderte Neigung haͤtte: die Vernunft war bei ihr das Wachs, das man auf das eine Ende der magneti¬ schen Nadel klebt, um die Inklination des an¬ dern aufzuheben oder zu verbergen. Gleichwohl nahm er sich vor, einige Wuͤnschelru¬ then das naͤchstemal an ihre Seele zu halten. — Er ging zur Fuͤrstin, um da die Verschwiegene fuͤr eine vollstaͤndige Nerven-Pazientin zu erklaͤren. Er lachte selber innerlich uͤber den Ausdruck — und uͤber die Aerzte — und uͤber ihre Nervenkuren — und sagte: wie sonst die franzoͤsischen Koͤnige bei ihren Sani¬ taͤtsanstalten gegen die Kroͤpfe sagen mußten: »der »Koͤnig beruͤhrt dich aber Gott heilt dich» so soll¬ ten die Aerzte sagen: der Stadt- und Landphysikus greift dir an den Puls, aber Gott macht die Kur. — Hier indessen gab er sie aus drei guten Absichten fuͤr eine Nervenfabrikantin aus: um fuͤr sie die Auf¬ hebung der Hof-Leibeigenschaft, wenigstens die Exi¬ mirung vom genauen Hofdamen-Amt zu erlangen, weil in seinem Herzen immer der hineingestochene Splitter des Vorwurfs eiterte, »du bist schuld, daß »sie hier seyn muß« — ferner um ihr die Konzes¬ sion der Land- und Fruͤhlingsluft, falls sie einmal darum supplizirte, im Voraus auszuwirken — end¬ lich um sie von der befohlnen Aehnlichkeit mit denen Damen zu erloͤsen, an deren bleifaͤrbigen Gesichtern wie an der Blei-Miliz der Kinder sich das Rothe taͤglich abfaͤrbt und taͤglich ansetzt. Da sich aber Agnola selber schminkte: so mußt' er aus Hoͤflichkeit es beiden auf einmal verbieten als Arzt. Die Fuͤr¬ stin untersiegelte alle seine Suppliken recht guͤtig: nur uͤber den Schmink-Artikel gab sie in Ruͤcksicht ihrer selber gar keine Resolution, und in Ruͤcksicht Klotildens diese: sie habe nichts dagegen, wenn sie bei ihr, ausgenommen an Kourtagen und im Schau¬ spiel, ohne Roth erscheine; und von der Anwesenheit bei beiden sey sie gerne dispensirt, bis sie wieder ge¬ nesen sey. — Mein Held konnte kaum den Abschied erwarten, um diesen Reichsabschied oder Schluß der geliebten Kranken zu bringen: ihn selber nahm diese Willfaͤh¬ rigkeit der Fuͤrstin Wunder, bei der sonst Bitten Suͤnden waren und die nichts versagte als das was man erbat. Seine Verlegenheit war die, ihr die Konzessionen der Fuͤrstin ohne das beleidigende Ge¬ staͤndniß ihrer vorgeschuͤtzten Kraͤnklichkeit beizubrin¬ gen. — — Aber aus diesem kleinen Uebel zog ihn ein großes: als er bei ihr vorkam, sah sie noch zehn¬ mal siecher aus als vorgestern bei der Entdeckung ih¬ rer Verwandschaft: ihre Bluͤten hingen zugedruͤckt und kalt bethauet zur Erde nieder. Gang und Stellung waren unveraͤndert; die aͤus¬ sere Froͤhlichkeit dieselbe; aber der Blick war oft zu flatternd, oft zu stehend; durch die Lilienwangen flog oft ein Fieberroth, durch die untere Lippe einmal ein zerdruͤckter Krampf. . . . Hier hob das Mitleid den erschrocknen Freund uͤber die Hoͤflichkeit hinaus und er sagte ihr geradezu die Einwilligungen der Fuͤrstin. Er rief seinem beschwerten Herzen seine bisherige Hof-Kuͤhnheit zu Huͤlfe und befahl ihr, den nahen Fruͤhling zu ihrer Apotheke zu machen und die Blumen zu ihren offiziellen Kraͤutern und ihre — Phantasie zu ihrem Arzt. »Sie scheinen »mich (sagte sie laͤchelnd) zu den Lerchen zu rechnen, »die in ihrem Bauer immer gruͤnen Rasen haben »muͤssen. Damit aber meine Fuͤrstin und Sie nicht »umsonst guͤtig waren: so werd' ich's am Ende »thun. — Ich gesteh' es Ihnen, ich bin wenigstens »eine eingebildete — Gesunde: ich fuͤhle mich »wohl.« . . . Sie brach es ab, um ihn mit der er¬ habnen Freimuͤthigkeit der Tugend und mit einem in schwesterlicher Liebe schwimmenden Auge uͤber ihren Bruder auszufragen, ob er gluͤcklich und zufrieden sey, wie er arbeite, wie er sich in seinen Posten schicke? Sie sagte ihm, wie weh ihr bisher diese tief in ihre Seele eingesperrten Fragen gethan; und sie dankte ihm fuͤr das Geschenk seines Vertrauens mit einer Waͤrme, die er fuͤr einen feinen Tadel sei¬ nes bisherigen Schweigens hielt. Sie stand von je¬ her gern in einem Blumenkranz von Kindern; aber hier hatte sie auch noch deswegen diese sanften Ne¬ belsterne um ihren Glanz versammelt, um es zu ver¬ bergen, daß sie eine kleine fuͤnfjaͤhrige Enkelin des Stadtseniors, bei dem ihr Bruder wohnte, als die unwillkuͤhrliche Biographie und Zeitungstraͤgerin des¬ selben an sich ziehe. Mehr als dreimal war ihm als muͤßt' er diesem lilienweißen Engel, den seine Wolke immer hoͤher trug, zu Fuͤßen fallen und mit ausge¬ breiteten Armen sagen: »Edle, werde meine Freun¬ »din eh' du stirbst — meine alte Liebe gegen dich »ist laͤngst zerquetscht, denn du bist zu gut fuͤr mich »und fuͤr uns alle — aber dein Freund will ich »seyn, mein Herz will ich uͤberwinden fuͤr dich, mei¬ »nen Himmel will ich hingeben fuͤr dich, — ach »du wirst ohnehin den Abendthau des Alters nicht »erleben und die Augen bald zumachen und der Mor¬ »genthau haͤngt noch darin!« Denn er hielt ihre »Seele fuͤr eine Perle, deren Koͤrper-Muschel geoͤf¬ net in der aufloͤsenden Sonne liegt, damit sich die Perle fruͤher scheide. — Beim Abschiede konnt' er ihr mit der Freimuͤthigkeit des Freundes, die an die Stelle der Zuruͤckhaltung des Liebhabers gekommen war, die Wiederholung seiner Besuche anbieten. Ueberhaupt behandelte er sie jetzt waͤrmer und unbe¬ fangner, erstlich weil er auf ihr erhabnes Herz so ganz Verzicht gethan, daß er sich uͤber seine kuͤhnen Anspruͤche darauf jetzt wunderte, zweitens weil ihm das Gefuͤhl seiner uneigennuͤtzigen aufopfernden Recht¬ schaffenheit gegen sie Wundbalsam auf seine bisher rige Gewissensbisse goß. An diese Kraͤnklichkeit schloß sich ein Abend oder eine Ereigniß an, woraus der Leser glaub' ich nicht gescheut werden wird. — Viktor sollte Abends Jo¬ achimen ins Schauspiel abholen, und ihr Bruder mußte vorher ihn abholen. Ich hab' es schon zwei¬ mal niedergeschrieben, daß ihm seit einigen Wochen Matthieu nicht mehr so zuwider war wie einem Ele¬ phanten eine Maus: der Medikus hatte doch eine einzige gute Seite, doch einigen moralischen Gold¬ glimmer an ihm ausgegraben, naͤmlich die groͤßte Anhaͤnglichkeit an seine Schwester Joachime, die allein sein ganzes seinen Eltern zugeschlossenes Herz, seine Mysterien und seine Dienste innen hatte — zweitens liebte er an Mazen, was der Minister ver¬ damm¬ dammte, den Freiheits-Salzgeist — drittens sind wir alle so, daß, wenn wir unser Herz fuͤr irgend ein weibliches aus einer Familie eingeheizet haben, daß diese Einheizer nachher die Ofen Waͤrme auf die ganze Sip und Magenschaft ausdehnen, auf Bruͤder, Neffen, Vaͤter — viertens wurde Maz im¬ mer von seiner Schwester gelobt und entschuldigt. — Als Viktor kam zu Joachime: hatte sie Kopfschmer¬ zen und Putzjungfern bei sich — der Putz und der Schmerz nahm zu — endlich schickte sie die lebendi¬ gen Appreturmaschinen fort und setzte sich, sobald sie aus dem Schaum der Puder- und Schmuckkaͤsten, der Schminklappen und mouchoirs de Venus , der pou ¬ dres d'odeur und der Lippenpomaden zu einer Ve¬ nus erhaͤrtet war, da setzte sie sich nieder und sagte, sie bliebe zu Hause wegen Kopfschmerzen. Viktor blieb mit da; und recht gern. Denn auch Klotilde mied, eingedenk der letztern Beklemmungen, das Schauspiel, und bloß die fuͤnfjaͤhrige Giulia mußte ihre liebende Seele kuͤhlen. Wer nicht das Sparr- und Zellenwerk des Menschenherzens kennt, den frap¬ pirts, daß Viktors Freundschaft gegen Klotilde ein ganzes Honiggewirke von Liebe fuͤr Joachime in seine Zellen eintrug; es war ihm lieb, wenn sie ein¬ ander besuchten oder umarmten, er suchte in den Segensfingern des Pabstes nicht so viele Heilkraft als in Klotildens ihren; die Freundschaft derselben Hesperus. II . Th. P schien ihm eine Entschuldigung der seinigen zu seyn und Joachime auf das Postament des Werths zu he¬ ben, auf das er sie mit allen Wagenwinden noch nicht stellen koͤnnen. Sogar das Gefuͤhl seines stei¬ genden Werthes gab ihm neue Rechte zu lieben; und heute wuͤrde sogar Klotildens Flor- und Fuͤrstenhut seine Helmkleinodien auf Joachimens kraͤnklichen, ge¬ duldigern Kopf behauptet haben. In ihre fortgesetzte Koketterie gegen das Narrenpaar hatt' er sich laͤngst gefuͤgt, weil er recht gut wußte, wen sie unter drei Weisen aus Morgenland nicht zum Narren habe, sondern zum Anbeter. Aber zuruͤck! Matthieu, der ihr zu Gefallen auch zu Hause blieb, und Viktor und sie formirten die ganze Bande dieses concert spirituel . Joachime lehnte auf dem Canapee ihren sanftern siechen Kopf an die Wand zuruͤck und blickte diagonal auf das Fuß-Getaͤfel und sah mit den heruͤbergezognen Augenliedern schoͤner aus — der Evangelist ging ab und zu — Viktor setzte wie allemal im Zimmer herum — Es war ein recht huͤbscher Abend und ich wollt'‚ meiner wuͤrde heute so. — Das Gespraͤch wendete sich auf die Liebe; und Viktor behauptete das Daseyn einer dop¬ pelten, der buͤrgerlichen und der stiftsfaͤhigen oder franzoͤsischen. Er liebte die franzoͤsische in Buͤchern und als Simultanliebe‚ aber er haßte sie‚ sobald sie die einzige seyn sollte; er definirte sie heute so: »nimm ein wenig Eis — ein wenig Herz — ein wenig Witz — ein wenig Papier — ein wenig Zeit — ein wenig Weihrauch — und gieß' es zusammen und thu' es in zwei Personen von Stande: so hast du eine rechte gute franzoͤsische fontenellische Liebe« — »Sie vergaßen‚ setzte Maz dazu‚ noch »ein wenig Sinne, wenigstens ein Fuͤnftel o der » Sechstel , das als adjuvans oder constituens Adjuvans ist Ingredienz‚ das die Kräfte der Hauptin¬ gredienzien stärkt; constituens ist was Arzenei die Form einer Pille‚ Larwerge Mixtue ertheilt. »zur Arznei kommen muß. — Indessen bat sie doch »das Verdienst der Kuͤrze: die Liebe sollte wie die »Tragoͤdie, auf Einheit der Zeit, naͤmlich auf den »Zeitraum Eines Tages eingeschraͤnket seyn, damit »sie nicht noch mehrere Aehnlichkeit mit ihr be¬ »koͤmmt. Schildern Sie aber die buͤrgerliche!« — Viktor: die zieh' ich vor.« — Matthieu: »ich nicht. »Sie ist bloß ein laͤngerer Wahnsinn als der Zorn. » On y pleure on y crie‚ on soupire‚ on y » ment, on y enrage, on tue, on y meurt — » enfin on se donne à tous les diables, pour avoir » son ange . — Unsere Gespraͤche sind heute einmal »voll Arabesken und à la gréque : ich will ein Koch¬ »buchsrezept zu einer guten buͤrgerlichen Liebe ma¬ »chen: Nimm zwei junge große Herzen — wasche P 2 »sie sauber ab in Taufwasser oder Druckerschwaͤrze »von deutschen Romanen — gieße heisses Blut und »Thraͤnen daruͤber — setze sie ans Feuer und an den »Vollmond und lasse sie aufwallen — ruͤhre sie »fleißig um mit einem Dolche — nimm sie heraus »und garnire sie wie Krebse mit Vergißmeinnicht »oder andern Feldblumen und trage sie warm auf: »so hast du einen schmackhaften buͤrgerlichen Her¬ »zenskoch Wie man sagt: Erbsenkoch, Nudelkoch. .» — Matthieu setzte noch hinzu: in der heissen buͤrger¬ lichen Liebe sey mehr Quaal als Spas; in ihr sey wie in Dante's Gedicht von der Hoͤlle, letztere am besten ausgearbeitet und der Himmel am schlechte¬ sten — Je aͤlter ein Maͤdgen oder ein eingepoͤckelter Hee¬ ring sey, desto dunkler sey an beiden das Auge, das durch die Liebe so werde — Jede Frau aus einem hoͤhern Zirkel muͤsse froh seyn, daß sie vom Manne, an den sie gekettet sey, nichts zu behalten brauche als sein Bild im Ring, wie Prometheus, da Jupiter einmal geschwo¬ ren, ihn 30000 Jahre am Kaukasus geloͤthet zu las¬ sen, waͤhrend derselbe bloß ein wenig von dieser Bastille an der Hand getragen in einem Fingerring.« — Dann ging Matthieu eilend hinaus, welches er allemal nach witzigen Explosionen that. Viktor liebte die bitterste ungerechteste Satire im fremden Munde, als Kunstwerk; er verzieh alles und blieb heiter. Joachime sagte dann scherzhaft: »wenn also keine »Manier der Liebe etwas taugt, wie Sie beide be¬ »wiesen haben, so bleibt uns nichts uͤbrig als zu »hassen.« — Doch nicht (sagt' er:) Ihr Herr Bru¬ der hat nur kein wahres Wort gesagt. Stellen Sie sich vor, ich waͤre der Armenkatechet und ver¬ liebt — In die zweite Tochter des Pastor primarius bin ichs — ihre Rolle ist die einer Hoͤrschwester: denn die buͤrgerlichen Maͤdgen wissen nicht zu reden, wenigstens mehr in Haß als in der Liebe — Der Armenkatechet hat wenig bel esprit , aber viel saint esprit , viel Ehrlichkeit, viel Treue, zu viel Weich¬ herzigkeit und unendliche Liebe — Der Katechet kann keine galante Intrigue anspinnen auf einige Wochen oder Monate, noch weniger kann er die zweite Pastorstochter in die Liebe hineindisputiren, wie ein roué — er schweigt, um zu hoffen, aber mit einem Herzen voll ewiger Liebe, voll opfernder Wuͤn¬ sche begleitet er zagend und still alle Schritte der Geliebten und — Liebenden — aber sie erraͤth ihn nicht und er sie nicht. Und dann stirbt sie. . . Aber vorher eh sie stirbt, tritt der bleiche Katechet trostlos vor ihr Abschiedslager und druͤckt die zit¬ ternde Hand, eh' sie erschlafft und giebt dem kalten Auge noch eine Freudenthraͤne, eh' es erstarret und dringet noch unter die Schmerzen der kaͤmpfenden Seele mit dem sanften Fruͤhlingslaute hinein: ich liebe dich — Wenn, ers gesagt hat, stirbt sie an der letzten Freude und er liebt dann auf der Erde wei¬ ter niemand mehr.« . . . Die Vergangenheit hatte, seine Seele uͤberfallen — Thraͤnen hingen in seinen Augen und mischten Klotildens Krankenbild in einer sonderbaren Ver¬ dunklung mit Joachimens ihrem zusammen — er sah und dachte eine Gestalt, die nicht da war — er druͤckte die Hand derjenigen, die da war und dachte nicht daran, daß sie alles auf sich beziehen koͤnnte. Ploͤtzlich trat laͤchelnd Matthieu herein und die Schwester laͤchelte nach, um alles zu erklaͤren und sagte: der Herr Hofmedikus gab sich bisher die Muͤhe, dich zu widerlegen. »Viktor schnell erkaltet, versetzte zweideutig und bitter: Sie begreifen H. v. Schleunes, daß es mir am leichtesten wird, Sie in die Flucht zu schlagen, wenn Sie nicht im Felde sind.« — Maz fixirte ihn; Viktor schlug sanft sein Auge nieder und bereuete die Bitterkeit. Die Schwester fuhr gleichguͤltig fort: »ich glaube, mein Bruder ist oft im Falle mit der Facon zu wechseln.« — Er nahm es heiter lachend auf und dachte wie Viktor, sie ziele auf seine galanten Avantuͤren und Lusttreffen mit Weibern aus allen Staͤnden, die auf dem Landtag sitzen — Aber da sie ihn fortgeschickt hatte, um bei ihrer Mutter anzufragen, wer heute Abends zum Cercle komme: so sagte sie dem Medi¬ kus: »Sie wissen nicht was ich meinte. Wir haben »am Hofe eine kranke Dame, die Ihre leibhafte Pa¬ »storstochter ist — Und mein Bruder hat nicht so »viel oder nicht so wenig Geist, um den Armenka¬ »techeten zu machen.« Viktor fuhr zuruͤck brach ab und ging ab. Warum? Wie so? Weswegen? — Aber merkt man denn nicht, daß die kranke Dame Klotilde seyn soll, die Mazens feinen Annaͤherungen zur Schall- und Schußweite des Herzens zu entfliehen sucht? Ueberhaupt hatte Viktor wohl gesehen, daß der Ev¬ angelist gegen Klotilden bisher eine verbindlichere Rolle spiele als er vor ihrem Einzuge in sein Esku¬ rial- und Raubschloß durchmachte; aber Viktor hatte diese Hoͤflichkeit eben diesem Einquartieren zugeschrie¬ ben. Jetzt hingegen lag die Karte von Mazens Plan aufgeschlagen da: er hatte einer gegen ihn gleichguͤlti¬ gen Person darum mit dem Scheine der Ver¬ achtung (die er aber fein mehr auf ihren kuͤnftigen kleinen Kassenbestand als auf ihre Reize fallen ließ) absichtlich begegnet, um dadurch ihre Aufmerksam¬ keit — diese Thuͤrnachbarin der Liebe — und nach¬ her durch den schnellen Wechsel mit Gefaͤlligkeit noch mehr als diese Aufmerksamkeit zu gewinnen. O! du kannst nichts gewinnen, rief in Viktor jeder Seufzer! Aber doch gab es ihm Schmerzen, daß diese Edle, dieser Engel mit seinen Fluͤgeln einen solchen Widersacher schlagen muͤsse. — Nun wur¬ den ihm dreißig Dinge zugleich verdaͤchtig, Joachi¬ mens Eroͤfnung und Kaͤlte, Matthieu's Laͤcheln und — alles. So weit dieses Kapitel, dem ich nur noch einige reife Gedanken anhaͤnge. Man sieht doch offenbar, daß der arme Viktor seine Seele fuͤr jede weibliche, wie jener Tyran die Bettgenossen fuͤr das Bette, kleiner verstuͤmmele. Freilich ist Achtung die Mut¬ ter der Liebe; aber die Tochter wird oft einige Jahre aͤlter als die Mutter. Er nimmt eine Hof¬ nung des weiblichen Werths nach der andern zuruͤck. Am spaͤtesten gab er zwar seine Foderung oder Er¬ wartung jenes erhabnen indischen Gefuͤhls fuͤr die Ewigkeit auf, das uns, in diesem magischen Rauche von Leben haͤngenden, Schattenfiguren einen unaus¬ loͤschlichen Lichtpunkt zum Ich ertheilt und das uns uͤber mehr als eine Erde hebt; aber da er sah, daß die Weiber unter allen Aehnlichkeiten mit Klotilden diese zuletzt erhalten; und da er bedachte, daß das Weltleben alles Große am Menschen wegschleife, wie das Wetter an Statuen und Leichensteinen ge¬ rade die erhabnen Theile wegnagt: so fehlte ihm nichts, um Joachimen die schon lange mundirte Liebeserklaͤrung zu thun, nichts als ihrer Seits ein Ungluͤck — ein nasses Auge — ein Seelensturm — ein Kothurn. Mit deutlichern Worten: er sagte zu sich: »ich wollte, sie waͤre eine empfindsame Naͤrrin »und gar nicht auszuhalten: wenn sie dann einmal »die Augen recht voll haͤtte und das Herz dazu und »wenn ich dann vor Ruͤhrung nicht wuͤßte: wo mir der »Kopf staͤnde: so koͤnnt' ich dann anruͤcken und mein »Herz herausbringen und es ihr hinlangen und sa¬ »gen: es ist des armen Bastians seines, behalt' es »nur.« Mir ist, als hoͤrt' ich ihn leise dazu den¬ »ken:« wem will ichs weiter geben? — Daß er das erste wirklich gedacht hat, sehen wir daraus, weil ers in sein Tagebuch hineingesetzt, aus dem mein Korrespondent alles zieht und das er mit der Aufrichtigkeit der erhabensten Seele fuͤr seinen Vater machte, um gleichsam seine Fehler durch das Protokolliren derselben auszusoͤhnen. Sein italieni¬ scher Lakai that fast nichts als es mundiren. — — Hing ich nicht vom Hunde und seiner Zeitungskap¬ sel ab: so fiel seine Liebeserklaͤrung noch heute vor: ich braͤche Joachimen etwan einen Arm — oder legte sie ins Krankenbette — oder bliese dem Minister das Lebenslicht aus oder richtete irgend ein Ungluͤck in ihrem Hause an — — und fuͤhrte dann meinen Helden hin zur leidenden Heldin und sagte: »wenn »ich fort bin, so knie nieder und uͤberreich' ihr dein »Herz.« — So aber kann der chymische Prozeß seiner Verliebung noch so lang werden wie ein ju¬ ristischer, und ich bin auf drei Alphabete gefaßt. Hier aber will ich etwas bekennen, was der Le¬ ser aus Hochmuth verheimlicht: daß ich und er bei jeder auftretenden Dame in diesen Posttagen einen Fehlschuß zum Salutiren gethan — jede hiel¬ ten wir fuͤr die Heldin des Helden — anfangs Aga¬ then — dann Klotilden — dann als er in die Uhr der Fuͤrstin seine Liebeserklaͤrung sperrte, sagte ich: »ich weiß schon den ganzen Handel voraus« — dann sagten wir beide: wir hatten doch Recht mit Klotilden« — dann griff ich aus Noth zu Marien und sagte: »ich will mir aber weiter nichts merken lassen« endlich wird's eine, wo keiner von uns daran dachte (wenigstens ich nicht,) Joachime. — So kann mir's selber ergehen, wenn ich heirathe. . . Eh' ich zum Schalttage aus dem Posttag uͤber¬ gehe, sind noch folgende Minuten zu passiren: Klo¬ tilde legte die Postiche-Wangen, joues de Paris , die Schminke ab und setzte jetzt ihr einwelkendes Herz seltener dem Druck der Hof-Serviettenpresse aus. Der Fuͤrst, der ihrentwegen bei seiner Gemah¬ lin hospitirt hatte, blieb oͤfter aus und sprach dann bei Schleunes ein: gleichwohl dachte die Fuͤrstin edel genug, um nicht meinen Viktor durch einen zu¬ ruͤckgenommenen Dank die zuruͤckgenommene Gunst des Fuͤrsten entgelten zu lassen. — In Viktor war ein langer Krieg, ob er Klotildens Bruder die neuen Beweise ihrer Schwesterliebe sagen sollte: — end¬ lich, — da Flamins leidendes, verarmtes, von Rela¬ tionen und Schurken und Argwohn zerstochenes Herz ihn bewegte, und da er diesem rechtschaffenen Freunde bisher so wenig Freude machen konnte — sagte er ihm (die Verwandschaft ausgenommen) fast alles. Postskript : Endes Unterschriebener soll hie¬ mit auf Verlangen attestiren, daß Endes Un¬ terschriebner seinen 24ten Posttag ordentlich am letzten des Juliusmonats, oder des Messi¬ dors zu Ende gebracht hat. Auf der Insel St. Johannis 1793. Jean Paul , Scheerauischer Berghauptmann. Sechster Schalttag . Ueber die Wüste und das gelobte Land des Menschengeschlechts. E s giebt Pflanzenmenschen, Thiermenschen und Gott¬ menschen. — Als wir getraͤumt werden sollten: wurde ein En¬ gel duͤster und entschlief und traͤumte. Es kam Phantasus Der Gott des Schlafes wurde von drei Wesen umgeben, von Phantasus , der sich nur in leblose Dinge verwan¬ deln konnte, von Phobetor , der alle Thiergestalten von Morpheus , der alle Menschengestalten annehmen und vorgaukeln konnte. Metamorph. L. II. Fab. 10. und bewegte gebrochne Lufterschei¬ nungen, Dinge wie Naͤchte, Chaosstuͤcke, zusammen¬ geworfne Pflanzen vor ihm und verschwand damit. Es kam Phobetor und trieb thierische Heerden die unter dem Gehen graseten und wuͤrgten, vor ihm voruͤber und verschwand damit. Es kam Morpheus und spielte mit seeligen Kindern, mit bekraͤnzten Muͤttern, mit kuͤssenden Ge¬ stalten und mit fliegenden Menschen vor ihm und als die Entzuͤckung den Engel weckte, war Morpheus und das Menschengeschlecht und die Weltgeschichte verschwunden. ... — Jetzt schlaͤft und traͤumt der Engel noch — wir sind noch in seinem Traum — erst Phobetor ist bei ihm und Morpheus wartet noch, daß Pho¬ betor mit seinem Thiere verschwinde. ... Aber lasset uns statt zu traͤumen, denken und hoffen; und jetzt fragen, werden auf Pflanzen¬ menschen , auf Thiermenschen endlich Gott¬ menschen kommen? Verraͤth der Gang der Welt- Uhr so viel Zweck wie der Bau derselben und hat sie ein Zifferblatts-Rad und einen Zeiger ? Man kann nicht (wie ein bekannter Philosoph) von Endabsichten in der Physik so fort auf End¬ absichten in der Geschichte schließen — so wenig als ich, im Einzelnen, aus der theologischen Struk¬ tur eines Menschen eine theologische Lebensgeschichte desselben folgern kann, oder so wenig als ich aus dem weisen Bau der Thiere einen fortlaufenden Plan in der Weltgeschichte derselben schließen darf. Die Natur ist eisern, immer dieselbe, und die Weis¬ heit in ihrem Bau bleibt unverdunkelt; das Men¬ schengeschlecht ist frei und nimmt wie das Infusions¬ thier, die vielgestalltete Vortizelle, in jedem Augen¬ blick bald regelmaͤßige bald regellose Figuren an. Jede physische Unordnung ist nur die Huͤlse einer Ordnung, jeder truͤbe Fruͤhling die Huͤlse eines hei¬ tern Herbstes; aber sind denn unsere Laster die Bluͤ¬ teknospen unserer Tugenden und ist der Erdfall ei¬ nes fortsinkenden Boͤsewichts denn nichts als eine verborgne Himmelfarth desselben? — Und ist im Le¬ ben eines Nero ein Zweck? dann koͤnnt' ich eben so gut alles zuruͤckgeben und umkehren und Tugenden zu Herzblaͤtter versteckter Laster machen: wenn man aber wie mancher den Sprachmißbrauch so weit treibt, daß man moralische Hoͤhe und Tiefe, wie die ge¬ ometrische , nach dem Standort umkehret, wie positive und negative Groͤßen; wenn also alle Gichtknoten, Fleckfieber und Blei - oder Silberko¬ liken des Menschengeschlechts nichts sind als eine andere Art von Wohlbefinden: so brauchen wir ja nicht zu fragen, ob es je genesen werde — es koͤnnte ja dann in allen moͤglichen Krankheiten doch nichts seyn als gesund. Wenn sich ein Moͤnch des zehnten Jahrhunderts schwermuͤthig eingeschlossen und uͤber die Erde, aber nicht uͤber ihr Ende sondern uͤber ihre Zukunft nach¬ gedacht haͤtte: waͤre nicht in seinen Traͤumen das dreizehnte Jahrhundert schon ein helleres gewesen und das achtzehnte bloß ein meliorirtes zehntes? Unsere Wetterprophezeiungen aus der gegen¬ waͤrtigen Temperatur sind logisch richtig und histo¬ risch falsch, weil neue Zufaͤlle, ein Erdbeben, ein Komet die Stroͤme des ganzen Dunstkreises umwen¬ den. Kann der gedachte Moͤnch richtig kalkuliren, wenn er solche Groͤßen wie Amerika, Schiespulver und Druckerschwaͤrze nicht ansetzt? — Eine neue Re¬ ligion — ein neuer Alexander — eine neue Krank¬ heit — ein neuer Franklin kann den Waldstrom, dessen Weg und Inhalt wir auf unserer Rechenhaut verjuͤngen wollen, brechen, verschlucken, dammen, umlenken. — Noch liegen vier Welttheile voll ange¬ ketteter wilder Voͤlker — ihre Kette wird taͤglich duͤnner — die Zeit schließet sie loß — welche Ver¬ wuͤstung wenigstens Veraͤnderungen muͤssen diese nicht auf dem kleinen bowling - green unserer kulti¬ virten Laͤnder anrichten? — Gleichwohl muͤssen alle Voͤlker der Erde einmal zusammen gegossen werden und sich in gemeinschaftlicher Gaͤhrung abklaͤren, wenn einmal dieser Lebens-Dunstkreis heiter wer¬ den soll. Koͤnnen wir von einigen mit Eisenfeile und Schei¬ dewasser (Lettern und Druckschwaͤrze) selbst angeleg¬ ten Miniatur-Erdbeben und Vulkanen auf die Berg- Explosionen schließen, d. h. von den Revolutionen der wenigen kultivirten Voͤlker auf die der unkulti¬ virten? Da wir setzen duͤrfen, daß das Menschenge¬ schlecht so viele Jahrtausende lebe als der Mensch Jahre: duͤrfen wir schon aus dem sechsten Jahre dem Juͤnglings- und Mannsalter die Nativitaͤt stellen? Dazu koͤmmt, daß die Biographie dieses Kindes-Al¬ ter gerade am magersten ist und daß aufgewachte Voͤlker — fast alle Welttheile liegen voll Schlafende — in Einem Jahre mehr historischen Stof und folglich mehr Historiker erzeugen als ein einge¬ schlaf n es Afrika in einem Jahrhundert. Wir wer¬ den also aus der allgemeinen Welthistorie dann am besten prophezeien koͤnnen, wenn die erwachenden Voͤl¬ ker ihre Paar Millionen Supplementbaͤnde gar dazu gebunden haben werden. — Alle wilde Voͤlker schei¬ nen nur unter Einem Praͤgstock gewesen zu seyn; hingegen die Raͤndelmaschine der Kultur muͤnzet je¬ des anders aus. Der Nordamerikaner und der alte Deutsche gleichen sich staͤrker als Deutsche einander aus benachbarten Jahrhunderten. Weder die goldne Bulle noch die magna charta noch den code noir konnte Aristoteles in seinen Regierungs- und Gehor¬ chungs-Formen hineinlegen: sonst haͤtt' er sie wei¬ ter gemacht; aber getrauen wir uns denn den kuͤnf¬ tigen Nationalkonvent in der Mungalei oder die Dekretalbriefe und Extravaganten des aufgeklaͤrten Dalai Lama oder die Rezesse der arabischen Reichs- Ritterschaft besser vorher zu sehen? da die Natur kein Volk mit Einem Muͤnzstempel und Einer Hand allein auspraͤgt, sondern mit tausenden auf einmal, — daher auf dem deutschen ein groͤßeres Gedraͤnge von Abdruͤcken ist als auf Achilles Schild — wie wollen wir, die wir nicht einmal die vergangnen, aber aber einfachern Revolutionen des Erdballs nachrech¬ nen koͤnnen, in die moralischen seiner Bewohner schauen? — — Von allem, was aus diesen Praͤmissen folgt, glaub' ich — das Gegentheil, ausgenommen die Nothwendigkeit der prophetischen Demuth. Der Skeptizismus, der uns statt hartglaͤubig, unglaͤubig macht und statt der Augen das Licht reinigen will, wird zum Unsinn und zur fuͤrchterlichsten philo¬ sophischen Lethargie und Atonie. Der Mensch haͤlt sein Jahrhundert oder Jahr¬ dreißig fuͤr die Kulmination des Lichts, fuͤr einen Festtag zu dem alle andre Jahrhunderte nur als Wo¬ chentage fuͤhren. Er kennt nur zwei goldne Zeital¬ ter, das am Anfang der Erde, das am Ende dersel¬ ben, worunter er nur seines denkt; die Geschichte findet er den großen Waͤldern aͤhnlich, in deren Mitte Schweigen, Nacht und Raubvoͤgel sind und deren Rand bloß mit Licht und Gesang erfuͤllet ist. — Allerdings dienet mir alles; aber ich diene auch allem. Da es fuͤr die Natur, die bei ihrer Ewig¬ keit keinen Zeitverlust, bei ihrer Unerschoͤpflichkeit keinen Kraftverlust kennt, kein anderes Gesetz der Sparsamkeit giebt als das der Verschwendung — da sie mit Eiern und Saamenkoͤrnern eben so gut der Ernaͤhrung als der Fortpflanzung dient und mit einer unentwickelten Keim Welt eine halbe Hesperus. II . Th. Q entwickelte erhaͤlt — da ihr Weg uͤber keine Billard¬ tafel, sondern uͤber Alpen und Meere geht: so muß unser kleines Herz sie mißverstehen, es mag hoffen oder fuͤrchten; es muß in der Aufklaͤrung Morgen- und Abendroͤthe gegenseitig verwechseln; es muß im Vergnuͤgen bald den Nachsommer fuͤr den Fruͤhling , bald den Nachwinter fuͤr den Herbst ansehen. Die moralischen Revolutionen machen uns mehr irre als die physische , weil jene ihrer Natur nach ei¬ nen groͤßern Spiel- und Zeitraum einnehmen als diese — und doch sind die finstern Jahrhunderte nichts als eine Immersion in den Schatten des Sa¬ turns oder eine Sonnenfinsterniß ohne Verweilen. Ein Mensch, der sechstausend Jahre alt waͤre, wuͤrde zu den sechs Schoͤpfungstagen der Weltgeschichte sa¬ gen: sie sind gut. Man sollte aber niemals moralische und phy¬ sische Revolutionen und Entwickelungen zu nahe an einander stellen. Die ganze Natur hat keine andere Bewegungen als vorige , der Zirkel ist ihre Bahn, sie hat keine andern Jahre als platonische — aber der Mensch allein ist veraͤnderlich und die gerade Linie oder der Zickzak fuͤhren ihn. Eine Sonne hat so gut wie der Mond ihre Phasen, so gut wie eine Blume, ihre Bluͤte und Abluͤte, aber auch ihre Pa¬ lingenesie und Erneuerung. Allein im Menschenge¬ schlecht liegt die Nothwendigkeit einer ewigen Ver¬ aͤnderung; aber hier giebts nur auf - und nieder¬ steigende Zeichen, keine Kulmination; jene ziehen nicht einander nothwendig an sich wie in der Physik und haben keine aͤußerste Stufe. Kein Volk, kein Zeitalter koͤmmt wieder: in der Physik muß alles wieder kommen. Es ist nur zufaͤllig, nicht nothwen¬ dig, daß Voͤlker in einem gewissen Stufenalter, auf einer gewissen muͤrben Sprosse wieder herunter¬ stuͤrzen — man verwechselt nur die letzte Stufe, von welcher eine Nation faͤllt, mit der hoͤchsten; die Roͤmer, bei denen keine Sprosse sondern die ganze Leiter brach, mußten nicht nothwendig durch eine Kultur sinken Auch nicht durch den Luxus, den man — indem man ihre Ausgabe mit unserer Einnahme vergleicht — uͤber¬ treibt und der ihnen nur dadurch schadete daß sie die Völ¬ ker gleichsam wie ostindische Vettern beerbten Es war der eines Schusters, der das große Loos gewonnen; es war die Verschwendung eines Soldaten nach der Plünderung. Däher hätten sie Luxus ohne Verfeinerung. Es konnte sich Ihre Größe nur durch Vergrößerung erhalten. Hätte man ihnen Amerika mit seinen Goldstangen vorgeworfen sie hätten beim größern Luxus noch einige Jahrhunderte länger an dieser Krücke gehen können. , die nicht einmal an unsere reicht. Voͤlker haben kein Alter, oder oft geht das Greisen¬ alter vor dem Juͤnglinsalter. Schon beim Indivi¬ duum ist der Krebsgang des Geistes im Alter nur zufaͤllig; noch weniger hat die Tugend darin eine Sommer-Sonnenwende. — Die Menschheit hat also Q 2 zu einer ewigen Verbesserung Faͤhigkeit: aber auch Hofnung? — Das gestoͤrte Gleichgewicht der eignen Kraͤfte macht den einzelnen Menschen elend, die Ungleich¬ heit der Buͤrger, die Ungleichheit der Voͤlker macht die Erde elend; so wie alle Winde und alle Blitze aus der Nachbarschaft der Ebbe und Fluth des Aethers und der Luft entstehen. Aber zum Gluͤck liegts in der Natur der Berge, die Thaͤler zu fuͤllen. Nicht die Ungleichheit der Guͤter am meisten — denn dem Reichen haͤlt die Stimmen- und Faͤuste- Mehrheit der Armen die Wage — sondern die Un¬ gleichheit der Kultur macht und vertheilt die politi¬ schen Druckwerke und Druckpumpen. Die lex agra¬ ria in Feldern der Wissenschaften geht zuletzt auch auf die physischen Felder uͤber. Seitdem der Baum des Erkentnisses seine Aeste aus den philosophischen Schul - und priesterlichen Kirchenfenstern heraus draͤngt in den allgemeinen Garten: so werden alle Voͤlker gestaͤrkt. — Die ungleiche Ausbildung kettet Westindien an den Fuß Europens, Heloten an Spar¬ ter und der eiserne Holkopf mit dem Druͤcker auf der Neger-Zunge setzt einen Holkopf anderer Art voraus. Bei der fuͤrchterlichen Ungleichheit der Voͤlker in Macht, Reichthum, Kultur, kann nur ein allgemei¬ nes Stuͤrmen aus allen Kompaß-Ecken sich mit ei¬ ner dauerhaften Windstille beschließen. Ein ewiges Gleichgewicht von Europa setzt ein Gleichgewicht der vier uͤbrigen Welttheile voraus, welches man auch, kleine Litrationen abgerechnet, unserer Kugel verspre¬ chen kann. Man wird kuͤnftig eben so wenig einen Wilden als eine Insel entdecken. Ein Volk muß das andere aus seinen Toͤlpeljahren ziehen. Die gleichere Kultur wird die Kommerzientraktate mit gleichern Vortheilen abschließen. Die laͤngsten Re¬ genmonate der Menschheit — die, in die Voͤlkerver¬ pflanzungen allzeit fielen, so wie man Blumen allzeit an truͤben Tagen versetzt — haben ausgewittert. Noch steht ein Gespenst aus der Mitternacht da, das weit in die Zeiten des Lichts herein reicht — Der Krieg. Aber den Wappen-Adlern wachsen Krallen und Schnabel so lange, bis sie sich, wie Eberhauer, kruͤmmen und sich selber unbrauchbar ma¬ chen. Wie man vom Vesuv berechnete, daß er nur zu 43 Entzuͤndungen noch Stof verschließe: so koͤnnte man auch die kuͤnftigen Kriege zaͤhlen. Dieses lange Gewitter, das schon seit sechs Jahrtausenden uͤber unserer Kugel steht, stuͤrmt fort bis Wolken und Erde einander mit einem gleichen Maaß von Blitz¬ materie vollgeschlagen haben. Alle Voͤlker werden nur in gemeinschaftli¬ cher Aufbrausung hell; und der Niederschlag ist Blut und Todtenknochen. Waͤre die Erde um die Haͤlfte verengert: so waͤre auch die Zeit ihrer mora¬ lischen — und physischen — Entwickelung um die Haͤlfte verkuͤrzt. Mit den Kriegen sind die staͤrksten Hemmketten der Wissenschaften abgeschnitten. Sonst waren Kriegs¬ maschinen die Saͤemaschinen neuer Kentnisse, indeß sie alte Ernten niederdruͤckten; ietzt ists die Presse, die den Samenstaub weiter und sanfter wirft. Statt eines Alexanders brauchte jetzt Griechenland nichts nach Asien zu schicken als einen — Setzer; der Ero¬ berer inokulirt, der Schriftsteller saͤet. Es ist eine Eigenheit der Aufklaͤrung, daß sie, ob sie gleich Individuen noch die Taͤuschung und Schwaͤche des Lasters moͤglich laͤsset, doch Voͤlker von Kompagnie-Lastern und von National-Taͤuschungen — z. B. Strandrecht, Seeraub — erloͤset. Die besten und schlimmsten Thaten begehen wir in Ge¬ sellschaft, ein Beispiel ist der Krieg. Der Neger¬ handel muß in unsern Tagen, es muͤßte denn der Unterthanenhandel anfangen, aufhoͤren. Die hoͤchsten steilsten Thronen stehen wie die hoͤch¬ sten Berge in den waͤrmsten Laͤndern. Die politi¬ schen Berge werden wie die physischen taͤglich kuͤrzer (zumal wenn sie Feuer speien) und muͤssen endlich mit den Thaͤlern in Einer — Ebene liegen. Aus allem diesen folgt: Es koͤmmt einmal ein goldnes Zeitalter, das je¬ der Weise und Tugendhafte schon jetzt genießet, und wo die Menschen es leichter haben, gut zu leben, weil sie es leichter haben, uͤberhaupt zu leben — wo Individuen, aber nicht Voͤlker suͤndigen — wo die Menschen nicht mehr Freude (denn diesen Honig zie¬ hen sie aus jeder Blume und Blattlaus) sondern mehr Tugend haben — wo das Volk am Denken, und der Denker am Arbeiten Der Millionär setzt Bettler, der Gelehrte Heloten voraus: die höhere Kultur wird mit der Verwilderung der Menge erkauft. Antheil nimmt, da¬ mit er sich die Heloten erspare — wo man den krie¬ gerischen und juristischen Mord verdammt und nur zuweilen mit dem Pfluge Kanonenkugeln aufackert — — Wenn diese Zeit da ist: so stockt beim Ueberge¬ wicht des Guten die Maschine nicht mehr durch Frikzionen — Wenn sie da ist: so liegts nicht noth¬ wendig in der menschlichen Natur, daß sie wieder ausarte und wieder Gewitter aufziehe: denn bisher lag das Edle bloß im fliehenden Kampfe mit dem uͤbermaͤchtigen Schlimmen; so wie es auch auf der heissen S. Helenen-Insel keine Gewitter giebt. — Wenn diese Festzeit koͤmmt: dann sind unsre Kin¬ des Kinder — nicht mehr. Wir stehen am Abend und sehen nach unserem dunkeln Tag die Sonne durchgluͤhend untergehen und uns den heitern stillen Sabbathstag der Menschheit hinter der letzten Wolke versprechen; aber unsre Nachkommenschaft geht noch durch eine Nacht voll Wind und durch einen Nebel voll Gift bis endlich uͤber eine gluͤcklichere Erde ein ewiger Morgenwind voll Bluͤtengeister, vor der Sonne ziehend, alle Wolken verdraͤngend, an Menschen ohne Seufzer weht. Die Astronomie verspricht der Erde ein ewiges Fruͤhlingsaͤquinoktium Denn nach 400000 Jahren steht die Erdaxe, wie Jupiter jetzt, senkrecht auf ihrer Bahn. ; und die Ge¬ schichte verspricht ihr ein hoͤheres: vielleicht fallen beide ewige Fruͤhlinge in einander. — Wir Niedergesenkte, da der Mensch unter den Menschen verschwindet, muͤssen uns vor der Mensch¬ heit erheben — Wenn ich an die Griechen denke: so seh' ich, daß unsere Hofnungen schneller gehen als das Schicksal. — Wie man mit Lichtern zu Nachts uͤber die Alpen von Eis reiset um nicht vor den Abgruͤnden und vor dem langen Wege zu er¬ schrecken: so legt das Schicksal Nacht um uns und reicht uns nur Fackeln fuͤr den naͤchsten Weg, da¬ mit wir uns nicht betruͤben uͤber die Kluͤfte der Zu¬ kunft und uͤber die Entfernung des Ziels. — Es gab Jahrhunderte, wo die Menschheit mit verbundnen Augen gefuͤhrt wurde — von einem Gefaͤngniß ins andere; — es gab andre Jahrhunderte, wo Gespen¬ ster die ganze Nacht polterten und umstuͤrzten und am Morgen war nichts verruͤckt; es kann keine andern Jahrhunderte geben als solche, wo In¬ dividuen sterben, wenn Voͤlker steigen, wo Voͤlker zerfallen, wenn das Menschengeschlecht steigt; wo dieses sinkt, stuͤrzt, endigt mit der verstiebenden Ku¬ gel. . . . Was troͤstet uns? — Ein verschleiertes Auge hinter der Zeit, ein un¬ endliches Herz jenseits der Welt. Es giebt eine hoͤ¬ here Ordnung der Dinge als wir erweisen koͤnnen — es giebt eine Vorsehung in der Weltgeschichte und in eines jeden Leben, die die Vernunft aus Kuͤhn¬ heit laͤugnet und die das Herz aus Kuͤhnheit glaubt — es muß eine Vorsehnng geben, die nach andern Regeln, als wir bisher zum Grunde legten, diese ver¬ wirrte Erde verknuͤpft als Tochterland mit einer hoͤ¬ hern Stadt Gottes — es muß einen Gott, eine Tu¬ gend und eine Ewigkeit geben. 25. Hundsposttag. Verstellte und wahre Ohnmacht Klotildens — Julius — Ema¬ nuels Brief über Gott — G utes, schoͤnes Geschlecht! so oft ich ein demante¬ nes Herz uͤber deinem warmen haͤngen sehe: so frag' ich: traͤgst du etwan ein abgebildetes darum auf dei¬ ner Brust, um dem Amor, dem Schicksal und der Verlaͤumdung das gleiche Ziel ihrer verschiedenen Pfeile zu bezeichnen, wie der arme Soldat, der kniend umgeschossen wird, durch ein in Papier ge¬ schnittenes Herz den Kugeln seiner Kameraden die Stelle des schlagenden anweist? — — Wenn dieses Kapitel geendigt ist, wird mich der Leser nicht mehr fragen warum ichs so angefangen habe. . . Es war schon im Maͤrz, wo die hoͤhern Staͤnde wegen ihres sitzenden Winterschlafes mehr voll- als kaltbluͤtig sind — wers nicht weiß, denkt, ihr Ueber¬ fluß am Blute ruͤhre mehr vom Aussaugen des frem¬ den her — wo die Krankheiten ihre Visittenkarten in Gestalt der Rezepte beim ganzen Hof abgeben; wo die Augen der Fuͤrstin, das Aether-Embanpoint des Fuͤrsten, und die chiragristischen Haͤnde des Hof¬ apothekers die Winterstuͤrme fortsetzten: da wars schon, sag ich, als auch Klotilde den Einfluß des Winters und ihrer verdoppelten Abgeschiedenheit von Zerstreuungen und ihres Umgangs mit ihren Phan¬ tasien jeden Tag heftiger empfand. . . . Wenn ich aufrichtig seyn soll: so mess' ich ihrer Abgeschieden¬ heit wenig, aber ihrem vom Wohlstand auferlegten Umgang mit dem edlen Maz, mit dem Schleunes¬ schen, mit andern kaltbluͤtigen Amphibien alles bei: ein unschuldiges Herz muß in dem moralischen Frost¬ wetter, wie alabasterne Gartenstatuen im physischen, wenn jenes und wenn diese weiche einsaugende Adern haben, Risse bekommen und brechen. So stands mit ihr an einem wichtigen Tage, wo er bei ihr die kleine Julia fand. Diesen geliebten Namen legte sie dem Kinde des Seniors bei, um ihre Trauersehnsucht nach ihrer todten Giulia durch einen aͤhnlichen Klang, durch den Nest eines Echo zu ernaͤhren. »Dieser Trauerton (sagte Viktor bei »sich) ist ja fuͤr sie das willkommene ferne Rollen »des Leichenwagens der sie zu ihrer Jugendfreundin »holt; und ihre Erwartung eines aͤhnlichen Schick¬ »sals ist ja der traurigste Beweiß eines aͤhnlichen »Grams.« Wenn noch etwas noͤthig war, seine Freundschaft von aller Liebe zu reinigen: so wars dieses schnelle Entblaͤttern einer so schoͤnen Passions¬ blume; — gegen Leidende schaͤmt man sich des klein¬ sten Eigennutzes. — Unter dem Dialoge, von dem sich die eifersuͤchtige Julia durch die Unverstaͤndlich¬ keit ausgeschlossen fand, zupfte sie an der Bedienten¬ klingel aus Verdruß: denn Maͤdgen machen schon um acht Jahre fruͤher Praͤtensionen als Knaben. Klo¬ tilde verbot dieses Gelaͤute durch ein zu spaͤtes In¬ terdikt; die Kleine, erfreuet, daß sie das hereilende Kammermaͤdgen in Motion gesetzt hatte, suchte wie¬ der an der Quaste zu zupfen. Klotilde sagte auf franzoͤsisch zum Doktor: »Man darf ihr nichts zu »monarchisch befehlen; jetzt ruht sie nicht bis ich »mein aͤußerstes Mittel versuche.« — Julia! sagte sie noch einmal mit einem weiten von Liebe uͤbergos¬ senen Auge; aber umsonst. »Nun sterb' ich!« sagte sie schon dahinsterbend und lehnte das schoͤne von einem scheidenden Genius bewohnte Haupt an den Stuhl zuruͤck und schloß die tugenhaften feuchten Augen zu, die nur in einem Himmel wieder auf¬ zugehen verdienten. Indeß Viktor mit schmerzenden Augen vor diesem heiligen Leichnam stand und bei sich dachte: »wenn sie nun nicht mehr erwachte und »du die starre Hand vergeblich rissest und es ihr »letztes Wort auf dieser oͤden Erde gewesen waͤre.« »Nun sterbe ich — o Gott, gaͤb' es dann ein ande¬ »res Mittel fuͤr die Trostlosigkeit ihres Freundes »als ein Schwert und die letzte Wunde? Und ich »faßte mit der kalten Hand ihre Hand und sagte: »ich gehe mit dir!« — indem er so dachte und in¬ dem die Kleine weinend die sinkende Rechte zog: so wurde ihr Angesicht wirklich bleicher und die linke gleitete vom Schoos herab — — hier wurde jenes Schwert mit der Schaͤrfe uͤber sein Herz gezogen — — Aber bald schlug sie wieder die irren Augen auf, todesschlaftrunken sich besinnend und schaͤmend. Sie beschoͤnigte die fluͤchtige Ohnmacht durch die Bemer¬ kung: »ich habe es wie jener Schauspieler mit der »Urne seines Kindes, gemacht, ich dachte mich an »die Stelle meiner Giulia in ihrer letzten Minute, »aber ein wenig zu gluͤcklich.« — Er wollte eben medizinische Hirtenbriefe gegen diese zernagende Schwaͤrmerei abfassen — so sehr transponirt eine ungluͤckliche Liebe jedes weibliche Herz aus dem majore Ton in den minore Ton, so¬ gar einer Klotilden ihres, deren Stirn maͤnnlich und deren Kinn sich fast mehr zum Muth als zur Schoͤn¬ heit erhob — als ganz andre Hirtenbriefe kamen. Die Botenmeisterin derselben war Viktors gluͤckli¬ chere Freundin — Agathe Lache wieder Leben, du Unbefangne, in zwei Herzen, auf welche der Tod seinen langen fliegenden Schatten geworfen! Sie fiel ver¬ traut in zwei freundschaftliche Arme; aber gegen ih¬ ren Bruder Doktor, der so lange statt des ganzen Rumpfs nur seine Hand d. h. seine Briefe nach St. Luͤne hatte gehen lassen, war sie noch scheu. Ich kann aber seinen Fehler, aus einem Hause, das er ein Vierteljahr aus Gruͤndea gemieden, nachher noch ein zweites ohne Gruͤnde wegzubleiben, ich kann diesen Fehler nicht ganz verdammen, weil ich ihn — selber habe. — Sie konnte sich nicht satt an ihm sehen: ihr bluͤhendes Landgesicht wies ihm statt seiner jetzigen Karwochen des Grames, eine Roͤthel¬ zeichnung seiner und ihrer dahin geflatterten Freu¬ dentage im Pfarrgarten. Er verhies ihr feierlich, ihr Ostergast zu seyn mit ihrem Bruder und statt der Koͤpfe und Fenster einander nichts einzuschlagen als Eier: er rastete nicht bis er der Alte wieder war, und sie die Alte. Da sie die Langduodez Ge¬ schichte des Dorfes und Vaters den zwei nur aus Liebe laͤchelnden Hofleuten gar nicht als eine Epito¬ matorin oder in einer kastrirten Ausgabe ablieferte, sondern in der Laͤnge ihrer Ruͤckenbaͤnder: so fuͤhlten Klotilde und Viktor, wie wohl ihnen dieses Nieder¬ steigen von den bunten spitzen Hofgletschern in die weichen Thaͤler der mittlern Staͤnde that und sie sehnteu sich beide weg von glatten Herzen an war¬ me. Unter den Menschen und Borsdorferaͤpfeln sind nicht die glatten die besten, sondern die rauhen mit einigen Warzen. Dieses Sehnen nach aufrichtigern Seelen war es auch wohl, was aus Klotilden die Behauptung preste: es gebe nur Mißheirathen zwi¬ schen den Seelen, nicht zwischen den Staͤnden. Da¬ her kam ihre wachsende Liebe gegen die außer dem Lohkasten eines Stammbaums, nur in der Gemein¬ hut gruͤnende Agathe — welche Liebe einmal ich und der Leser im ersten Bande aus Scharfsicht fuͤr den Deckmantel einer andern Liebe gegen Flamin erklaͤrt haben und die uns beiden den Tadel gegen eine Hel¬ din abgewoͤhnen sollte, die ihn hintennach immer widerlegt. — Auf der dicken Brieftasche, die Agathe brachte, war die Handschrift der Adresse von — Emanuel, welchen Klotilde alles an die Pfarrerin kouvertiren ließ, um ihrer Stiefmutter das — Zumachen ihrer Briefe abzunehmen. Die Frau Le Baut hatte diese Einsicht der Akten, diese Sokrates Hebammenkunst im Ministerio erlernt, das ein Recht besitzt Haussu¬ chung in den Briefen aller Unterthanen zu thun, weil es sie entweder fuͤr Pestkranke oder fuͤr Ge¬ fangne halten kann wenn es will. — Waͤhrend die Stieftochter im Nebenzimmer das aͤußere Paquet erbrach, weil sie aus seiner Dicke einen Einschluß fuͤr den Doktor prophezeiete; hauchte letzterer aus Zufall — oder aus Absicht: denn seit einiger Zeit legte er uͤberall seine Entzifferungskanzleien der Wei¬ ber an, im engsten Winkel, in jeder Kleidfalte, in den Spuren gelesener Buͤcher — haucht' er sagt' ich zufaͤlliger Weise an die Fensterscheiben, auf denen man sodann lesen kann, was ein warmer Finger daran geschrieben hat. Es traten nach dem unwil¬ kuͤhrlichen Hauche lauter franzoͤsische, mit dem Fin¬ gernagel skizzirte Anfangs »S heraus. v. S!« — dacht' er — »das ist sonderbar: ich fange mich sel¬ ber so an.« Seine Hypothesen brach die mit einem seeligent¬ woͤlkten Angesicht wiederkommende Klotilde ab, die dem denkenden Medikus einen großen Brief von Da¬ hore reichte. Nach dieser zweiten Freude folgte statt der dritten eine Neuigkeit: sie eroͤfnete ihm jetzt, »daß endlich Emanuel sie in Stand gesetzt, »eine gehorsame, wenn auch nicht glaͤubige Pazientin »zu seyn.« Sie hatte naͤmlich bisher den Vorsatz ihres Gehorsams und ihrer Fruͤhlingskur so lange verschwiegen bis ihr Freund in Maienthal ihr ein Krankenzimmer — gerade Giulias ihres — bei der Aebtissin auf einige Fruͤhlingsmonate ausgewirket hatte, damit da das Fruͤhlingswehen ihre gesunknen Schwingen hebe, der Blumenduft das zerspaltne Herz ausheile und der große Freund die große Freundin aufrichte. Viktor entwich eilend, nicht allein aus Hunger und Durst nach dem Inhalte seiner Hand, sondern weil eine neue Gedankenfluth durch seine alten Ideen¬ reihen brach. — »Bastian! (sagte Bastian unterwegs »zu sich) ich hielt dich oft fuͤr dumm, aber fuͤr so »dumm »dumm nicht, — Nein, es ist suͤndlich, wenn ein »Mann, ein Hof Medikus, ein Denker, Monate »lang daruͤber spintisiret, oft halbe Abende und doch »die Sache nicht eher herausbringt als wenn er sie »hoͤrt, jetzt erst — Warlich, sogar das Fenster S »passet an!« — Ich und der Leser wollen ihm das aus den Haͤnden nehmen, womit er sich hier vor uns steinigt: denn er wirft nach uns beiden eben so gut, weil wir eben so gut nichts errathen haben wie er. Kurz, der versteckte Gluͤckliche der die schoͤne Klo¬ tilde zur Ungluͤcklichen macht und fuͤr den sie ihre stumme scheue Seele ausseufzet und der fuͤr ihre meisten Reize gar keine Augen hat, ist der blinde — Julius in Maienthal. Daher will sie hin. Ich wollt' einen Folioband mit den Beweisen davon vollbringen: Viktor zaͤhlte sie sich an seinen fuͤnf Fingern ab. Beim Daumen sagt' er: »des Ju¬ »lius wegen, sucht sie die kleine Julia, so ists auch »mit Giulia« — beim Schreibfinger sagte er: »das franzoͤsische Anfangs J sieht wie ein S ohne Queer¬ strich aus« — beim Mittelfinger: »die Minerva »hat ihm ja nicht bloß die Floͤte sondern auch Mi¬ »nervens schoͤnes Gesicht bescheert, und in dieses »blinde Amors Gesicht konnte Klotilde sich ohne Er¬ »roͤthen vertiefen: schon aus Liebe gegen seinen »Freund Emanuel haͤtte sie ihn geliebt« — Beim Hesperus. II Th. R Ringfinger: »daher ihre Vertheidigung der Mißhei¬ »rathen, da sein buͤrgerlicher Ringfinger an ihren »adelichen kommen soll« — Beim Ohrfinger: »beim »Himmel! das alles beweiset nicht das Geringste.« Denn nun uͤberstroͤmten ihn erst die ganzen Be¬ weise: im ersten Bande dieses Bnchs kam oft ein unbekannter Engel zu Julius und sagte »sey fromm, »ich schweb' um dich, ich beschirme deine eingehuͤllte »Seele — ich gehe in den Himmel zuruͤck:« — Zweitens: dieser Engel gab einmal Julius ein Blatt und sagte, »verbirg es und nach einem Jahr- »wenn die Birken im Tempel gruͤnen, laß' es dir »von Klotilden vorlesen; ich entfliehe und du hoͤrst »mich nicht eher als uͤber ein Jahr.« — — Alles das lag ja Klotilden wie angegossen an: sie konnte dem Blinden nie ihr sterbendes Herz aufdecken — sie ging gerade jetzt (wie lange ist noch auf Pfing¬ sten?) nach Maienthal, um das Blatt, das sie ihm in der Karaktermaske eines Engels gereicht, selber vorzulesen — endlich ging sie ja gerade damals nach St. Luͤne ab — — — kurz, aufs Haar quadrirt's. Wenn der Biograph ein Wort darein sprechen duͤrfte: so waͤr' es dieses: der Berghauptmann, der Biograph glaubt seines Orts alles recht gern; aber Klotilden, die bisher aus jedem Schmutznebel weiß strahlend herausging und an der man wie an der Sonne so oft Wolken mit Sonnenflecken ver¬ mengte, kann er so lange nicht tadeln bis sie es sel¬ ber vorher thut. Viktor riß das Paquet entzwei und zwei Blaͤtt¬ gen fielen aus einem großen Blatte heraus. Das eine Blaͤttgen und das große Blatt waren von Ema¬ nuel, das zweite vom Lord . Er studirte das letztere in doppelten Chiffern geschriebne zuerst; folgendes: »Im Herbst komm' ich wenn die Aepfel reifen. »— Die Dreieinigkeit (der Lord meint des Fuͤrsten »drei Soͤhne) ist gefunden; aber die vierte Person »in der Gottheit (der vierte lustige Sohn) fehlet. »— Fliehe aus dem Pallaste der Kaiserin aller Reus¬ »sen (— mit dieser Chiffer hatten beide den Minister »Schleunes zu bezeichnen verabredet —) aber die »Großfuͤrstin (Joachime) meide noch mehr: sie will »nicht lieben sondern herrschen, sie will kein Herz »sondern einen Fuͤrstenhut. — Denk an die Insel , »eh' du fehlest.« Viktor erstaunte anfangs uͤber die zufaͤllige An¬ gemessenheit dieser Verbote; aber da er sich bedachte, daß er sie ihm schon auf der Insel gegeben haben wuͤrde, wenn sie sich nicht auf seine neuern Bege¬ benheiten bezogen: so erstaunt' er noch mehr uͤber die Kanaͤle, durch welche seinem Vater die Spionen- Depeschen von seinen jetzigen Verhaͤltnissen zugekom¬ men seyn moͤgen (— koͤnnte denn nicht mein Korre¬ spondent und Spion auch des Vaters seiner seyn?) R 2 — und am meisten uͤber die Warnung vor Joachi¬ men. »O! wenn diese gegen mich falsch waͤre!« sagt' er seufzend und mochte das truͤbe Bild und den Seufzer nicht vollenden. — — Sondern er ver¬ trieb beide durch das kleine Blatt von Emanuel, das so klang: Mein Sohn , »Die Morgenroͤthe des Neujahrs schien uͤber den Schnee an mein Angesicht, da ich das Papier hinlegte (Emanuels zweiten sogleich folgenden Brief,) auf das ich zum letztenmale meine Seele mit allen ihren uͤber diese Kugel hinausreichenden Bildern ab¬ zudruͤcken suchte. Aber die Flammen meiner Seele wehen bis zum Koͤrper und sengen den muͤrben Le¬ bensfaden ab: ich mußte oft die blutende Brust vom Papier und von der Entzuͤckung wegwenden. Ich habe, mein Sohn, mit meinem Blut an dich geschrieben. — Julius dankt jetzt Gott. — Der Lenz gluͤht unter dem Schnee und richtet sich bald auf aus dem Gruͤnen und bluͤht bis an die Wolken. — Meine Tochter (Klotilde) fuͤhrt den Fruͤhling an der Hand und koͤmmt zu mir — — Sie nehme mei¬ nen Sohn in die andre Hand und lege ihn an meine Brust, worin ein zerlaufender Athem ist und ein ewiges Herz. . . O wie toͤnen die Abendglocken des Lebens so melodisch um mich! — Ja wenn du und deine Klotilde und unser Julius wenn wir alle die wir uns lieben, beisammen stehen; wenn ich eure Stimmen hoͤre: so werd' ich gen Himmel blicken und sagen: die Abendglocken des Lebens umtoͤnen mich zu wehmuͤthig, ich werde vor Entzuͤckung noch fruͤher sterben als vor dem laͤngsten Tage und eh' mir mein verewigter Vater erschienen ist. Emanuel . Lieber Emanuel, das wirst du leider! Der Freu¬ den-Himmel dringt an deinen Mund und unter We¬ hen, unter Toͤnen, unter Kuͤssen saugt er dir den flackernden Athem aus: denn der Erdenleib, der nur grasen nicht pfluͤcken will, verdauet nur nie¬ drige Freuden und erkaltet unter dem Strahl ei¬ ner hoͤhern Sonne! — — Mit Ruͤhrung zieh' ich jetzt von Viktors entzwei gedruͤcktem unkentlichen Angesicht den Schleier weg, der seine Schmerzen bedeckt. Laß dich anschauen, trostloser Mensch, der einem Fruͤhling entgegen geht, wo sein Herz alles verlieren soll, Emanuel durch den Tod, Klotilde durch Liebe, Flamin durch Eifersucht, sogar Joachime durch Argwohn! Laß dich anschauen, Verarmter, ich weiß, warum dein Auge noch trocken ist und warum du gebrochen und den Kopf schuͤt¬ telnd sagst: »Nein, mein theurer Emanuel, ich komme nicht, denn ich kann ja nicht« — Es aͤzte sich in dein Herz am tiefsten, daß gerade dein treuer Emanuel noch glaubte, du wuͤrdest von seiner Freun¬ din geliebt. — Der unentwickelte Schmerz ist ohne Thraͤne und ohne Zeichen; aber wenn der Mensch das Herz voll zusammenfließender Wunden durch Phantasie aus dem eignen Busen zieht und die Stiche zaͤhlt und dann vergisset, daß es sein eignes ist: so weint er mitleidig uͤber das was so schmerzhaft in seinen Haͤnden schlaͤgt und dann be¬ sinnt er sich und weint noch mehr. — Viktor wollte gleichsam die starre Seele aus den gefrornen Thraͤ¬ nen waͤrmend loͤsen und ging ans Erkerfenster und malte sich, indeß die verhaltene Abendgluth des Maͤrzes aus dem Gewoͤlke uͤber den Maienthalischen Bergen brannte, Klotildens Vermaͤhlungstag mit Julius vor — O er zog, um sich recht wehe zu thun, einen Fruͤhlingstag uͤber das Thal, der Genius der Liebe schlug uͤber dem Traualtar den blauen Himmel auf und trug die Sonne als Brautfackel ohne Wolken¬ dampf durch die reine Unermeßlichkeit. — Da ging an jenem Tage Emanuel verklaͤrt, Julius blind aber seelig, Klotilde erroͤthend und laͤngst genesen und je¬ der war gluͤcklich — Da sah er nur einen einzigen Ungluͤcklichen in den Blumen stehen, sich naͤmlich, da sah er, wie dieser Betruͤbte wortkarg vor Schmer¬ zen, froͤhlich aus Tugend, naͤher und vertrauter mit der Braut aus Kaͤlte, so ungekannt, eigentlich so entbehrlich mit herum geht, wie ihm das schuldlose Paar mit jedem Zeichen der Liebe alles vorrechnet, was er verloren, oder gar aus Schonung diese Zei¬ chen verhehlt, weil es seinen Gram erraͤth — gleich einer Lohe fuhr dieser Gedanke wider ihn — und wie er endlich, weil die beladene Vergangenheit alle seine getoͤdteten Hofnungen und seine entfaͤrbten Wuͤnsche vor ihn traͤgt, sich umwendet, wenn das geliebte Paar von ihm zum Altar und zum ewigen Bunde geht, wie er sich trostlos umwendet sag' ich, nach den stillen leeren Fluren, um unendlich viel zu weinen und wie er dann so allein und dunkel in der schoͤnen Gegend bleibt und zu sich sagt: »deiner »nimmt sich heute kein Mensch an — niemand »druͤckt deine Hand, und niemand sagt: Viktor, »warum weinst du so? — O dieses Herz ist so voll »unaussprechlicher Liebe wie eines, aber es zerfaͤllt »ungeliebt, und ungekannt und niemand stoͤrt sein »Sterben und sein Weinen — Doch, doch, o Ju¬ »lius, o Klotilde wuͤnsch' ich euch ewiges Gluͤck »und lauter zufriedne Tage« ... Dann konnt' er nicht mehr: er legte die Augen in die Hand und an den Fensterrahmen und erlaubte ihnen alles und dachte nichts mehr: der Schmerz, der wie eine Klap¬ perschlange mit aufgerissenem Rachen ihn und sein thraͤnenloses Entgegentaumeln angeschauet hatte, druͤck¬ te ihn jetzt ergriffen und hineingeschlungen ausein¬ ander. . . . Weiche Herzen, ihr quaͤlet euch auf dieser felsig¬ ten Erde so sehr wie harte den Andern, — den Funken, der nur eine Brandwunde macht, schwinget ihr zum Feuerrade um und unter den Bluͤten ist euch ein spitzes Blatt ein Dorn! . . . Aber warum, sag' ich zu mir, zeigst du deines Freundes seines und oͤfnest entfernte aͤhnliche Wunden an geheilten Men¬ schen? — O antwortet fuͤr mich, ihr, die ihr ihm gleicht: moͤchtet ihr eine einzige Thraͤne entbehren? Und da die Leiden der Phantasie unter die Freuden der Phantasie gehoͤren: so ist ja ein nasses Auge und ein schwerer Athemzug das geringste, womit wir eine schoͤne Stunde kaufen. . . . — Der Stolz — die beste Widerlage gegen weibliche Thraͤnen — wischte sie meinem Helden ab und sagte ihm vor: »Du bist so viel werth wie die, »die gluͤcklicher sind; und wenn ungluͤckliche Liebe »dich bisher schlimm machte, ach wie gut koͤnnte »dich nicht die gluͤcklich machen!« — Es war Stille in ihm: und außer ihm; die Nacht war am Him¬ mel; — er las Emanuels Brief. Mein Horion! Vor einigen Stunden hat die Zeit ihre Sand¬ uhr umgekehrt und jetzt rieselt der Staub eines neuen Jahres nieder. — Der Uranus schlaͤgt unse¬ rer kleinen Erde die Jahrhunderte, die Sonne schlaͤgt die Jahre, der Mond die Monate; und an dieser aus Welten zusammengesetzten Konzertuhr treten die Menschen als Bilder heraus, die freudig rufen und toͤnen, wenn es schlaͤgt. Auch ich trete froh herans unter das schoͤne Neu¬ jahrsmorgenroth das durch alle Wolken glimmt und den hohen halben Himmel heraufbrennt. In einem Jahre seh' ich aus einer andern Welt in die Sonne: o wie wallet dieses letztemal mein Herz unter dem Erdengewoͤlk von Liebe uͤber gegen den Vater dieser schoͤnen Erde, gegen seine Kinder und meine Ge¬ schwister, gegen diese Blumenwiege, worin wir nur Einmal erwachen und unter ihrem Wiegen an der Sonne, nur Einmal entschlafen! Ich erlebe keinen Sommertag mehr, darum will ich den schoͤnsten, wo ich mit deinem Julius Julius wurde erst im zwölften Jahre blind und hatte also Vorstellungen des Gesichts. zum erstenmale bebend durch Lichtwolken und durch Harmo¬ nien drang und mit ihm vor einem donnernden Throne niederfiel und zu ihm sagte: »oben in der unerme߬ »lichen Wolke, die man die Ewigkeit nennt, wohnt »der der uns geschaffen hat und liebt« — diesen Tag will ich heute in meiner Seele wiederho¬ len; und nie erloͤsche er auch in meinem Julius und Horion! Ich habe oft zu meinem Julius gesagt: »ich habe »dir den groͤßten Gedanken des Menschen, der seine »Seele zusammenbeugt und doch wieder aufrichtet »auf ewig, noch nicht gegeben: aber ich sage dir »ihn an dem Tage, wo dein und mein Geist am »reinsten ist oder wo ich sterbe:« Daher bat er mich oft, wenn sein Engel bei ihm gewesen war oder wenn die Floͤte und die schauernde Nacht oder der Sturm ihn erhoben hatte: »sage mir, Emanuel, den groͤßten Gedanken des Menschen!« — Es war an einem holden Juliusabend, wo mein Geliebter an meinem Busen auf dem Berge unter der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte: »Sage mir, warum ich diesen Abend so sehr weine? »— Thust Du es denn nie, Emanuel? Es fallen »aber auch warme Tropfen von den Wolken auf »meine Wangen.« — Ich antwortete: »im Him¬ »mel ziehen kleine warme Nebel herum und ver¬ »schuͤtten einige Thautropfen; aber geht nicht der »Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du »streckest deine Hand aus, um ihn anzuruͤhren.« — Julius sagte: »Ja, er steht vor meinen Gedanken; »aber ich wollte nur dich anruͤhren: denn der Engel »ist ja aus der Erde gegangen und ich sehne mich »recht nach seiner Stimme. In mir wallen Traum¬ »gestalten in einander, aber sie haben keine so hel¬ »len Farben wie im Schlafe — holde laͤchelnde An¬ »gesichter blicken mich an und kommen mit aufge¬ »breiteten Schattenarmen auf mich und winken mei¬ »ner Seele und zerfließen, eh' ich sie an mein Herz »andruͤcke — Mein Emanuel, ist denn dein Ange¬ »sicht nicht mit unter meinen Schattengestalten?« Hier schloß er sein nasses Angesicht gluͤhend an mei¬ nes, das ihm abgeschattet vorzuschweben schien: eine Wolke sprengte das Weihwasser des Himmels uͤber unsre Umarmung und ich sagte: wir sind heute so weich bloß durch das was uns umringt und was ich jetzt sehe. — Er antwortete: »o sage mir es, was »du siehest und hoͤre nicht auf bis die Sonne hin¬ »abgegangen ist.« Mein Herz schwamm in Liebe und zitterte in Entzuͤcken, unter meiner Rede: »Geliebter, die Erde »ist heute so schoͤn, das macht ja den Menschen »weicher — der Himmel ruht kuͤssend und liebend »an der Erde wie ein Vater an der Mutter, und »ihre Kinder, die Blumen uud die schlagenden Her¬ »zen, fallen in die Umarmung ein und schmiegen »sich an die Mutter. — Der Zweig hebt leise seinen »Saͤnger auf und nieder, die Blume wiegt ihre »Biene, das Blatt seine Muͤcke und seinen Honig¬ »tropfen — den ofnen Blumenkelchen haͤngen die »warmen Thraͤnen, in die sich Wolken zertheilen, »gleichsam in den Augen und meine Blumenbeete »tragen den aufgebauten Regenbogen und sinken »nicht — Die Waͤlder liegen saugend am Himmel »und trunken von Wolken stehen alle Gipfel in »stiller Wollust fest — Ein Zephyr nicht staͤrker als »ein warmer Seufzer der Liebe hauchet vor unsern »Wangen vorbei unter die rauchenden Kornbluͤten »und treibt Samen-Staubwolken auf, und ein Luͤst¬ »gen ums andre gaukelt und spielt mit den fliegen¬ »den Ernten der Laͤnder, aber es legt sie uns hin, »wenn es gespielt hat — — O Geliebter; wenn alles »Liebe ist, alles Harmonie, alles liebend und geliebt, »alle Fluren Ein berauschender Bluͤtenkelch, dann »streckt wohl auch im Menschen der hohe Geist die »Arme aus und will mit ihnen einen Geist um¬ »schlingen und dann, wenn er die Arme nur an »Schatten zusammenlegt, dann wird er sehr traurig »vor unendlicher, vor unaussprechlicher Sehnsucht »nach Liebe.« — Emanuel, ich bin auch traurig, sagte mein Guter. »Siehe die Sonne zieht hinab, die Erde huͤllet »sich zu — laß mich alles noch sehen und zu dir »sagen . . . . Jetzt fliehet eine weisse Taube, wie »eine große Schneeflocke, blendend uͤber das tiefe »Blau. . . Jetzt zieht sie um den Goldfunken des »Gewitterableiters herum gleichsam um einen im »Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern — »o sie woget und woget und sinkt und verschwin¬ »det in den hohen Blumen des Gottesackers. . . . »Julius, fuͤhltest du nichts da ich sprach? Ach die »weisse Taube war vielleicht dein Engel und darum »zerfloß heute vor seiner Naͤhe dein Herz — Die »Taube fliegt nicht auf, aber Thau Wolken, wie »abgerissene Stuͤcke aus Sommernaͤchten mit einem »Silberrand, ziehen uͤber Gottesacker und uͤber¬ »faͤrben die bluͤhenden Graͤber mit Schatten. . . . »Jetzt schwimmt ein solcher vom Himmel fallender »Schatten auf uns her und uͤberspuͤlt unsern Berg »— — Rinne, rinne, fluͤchtige Nacht, Bild des Le¬ »bens und verdecke mir die fallende Sonne nicht »lange! . . . Unser Woͤlkgen steht in Sonnenflam¬ »men. . . o du Holde, so sanft hinter dem Erden¬ »ufer zuruͤckblickende Sonne, du Mutterauge der »Welt, dein Abendlicht vergießest du ja so warm »und langsam wie rinnendes Blut aus dir und er¬ »blassest sinkend, aber die Erde, in Fruchtschnuͤren »und Blumenguirlanden aufgehangen und an dich »gelegt, roͤthet sich neugeschaffen und vor schwellen¬ »der Kraft. . . . Hoͤre, Julius, jetzt toͤnen die Gaͤr¬ »ten — die Luft summet — die Voͤgel durchkreuzen »sich rufend — der Sturmwind hebt den großen »Fluͤgel auf und schlaͤgt an die Waͤlder: hoͤre, sie »geben das Zeichen, daß unsre gute Sonne geschie¬ »den ist. . . . »Ach Julius, Julius (sagt ich und umfaßte seine »Brust) die Erde ist groß — aber das Herz das »auf ihr ruht, ist noch groͤßer als die Erde und groͤ¬ »ßer als die Sonne. . . Denn es allein denkt den » groͤßten Gedanken .« Ploͤtzlich ging es vom Sterbebette der Sonne kuͤhl wie aus einem Grabe daher. Das hohe Luft¬ meer wankte und ein breiter Strom, in dessen Bette Waͤlder niedergebogen lagen, brauste durch den Him¬ mel die Laufbahn der Sonne zuruͤck. Die Altaͤre der Natur, die Berge, waren wie bei einer großen Trauer schwarz uͤberhuͤllt. Der Mensch war vom Nebelgewoͤlbe auf die Erde eingesperrt und geschieden vom Himmel — Am Fuße des Gewoͤlbes leckten durchsichtige Blitze und der Donner schlug dreimal an das schwarze Gewoͤlbe — Aber der Sturm rich¬ tete sich auf und riß es auseinander — Der Sturm trieb die fliegenden Truͤmmer des zerbrochenen Ge¬ faͤngnißes durch das Blau und warf die zerstuͤckten Dampfmassen unter den Himmel hinab — und noch lange braust' er allein uͤber die ofne Erde fort durch die lichte gereinigte Ebene. . . . Aber uͤber ihm, hinter dem weggerissenen Vorhang glaͤnzte das Al¬ lerheiligste, die Sternennacht. — Wie eine Sonne ging der groͤßte Gedanke des Menschen am Himmel auf — meine Seele wurde eingedruͤckt, wenn ich gen Himmel sah — sie wurde aufgehoben, wenn ich auf die Erde sah — Denn der Unendliche hat in den Himmel seinen Namen in gluͤhenden Sternen gesaͤet, aber auf die Erde hat er seinen Namen in sanften Blumen gesaͤet. »O Julius, sagt ich, bist du heute gut gewesen?« — Er antwortete: »Ich habe nichts gethan außer »Weinen.« »Julius knie nieder und entferne jeden boͤsen Gedanken — hoͤre meine Stimme beben, fuͤhle meine Hand zittern — ich knie neben dir. »Wir knien hier auf dieser kleinen Erde vor der Unendlichkeit, vor der unermeßlichen uͤber uns schwe¬ benden Welt, vor dem leuchtenden Umkreis des Raums. Erhebe deinen Geist und denke was ich sehe. Du hoͤrst den Sturmwind, der die Wolken um die Erde treibt — aber du hoͤrst den Sturm¬ wind nicht, der die Erden um die Sonne treibt, und den groͤßten nicht, der hinter den Sonnen weht und sie um ein verhuͤlltes Universum fuͤhrt, das mit Sonnenflammen im Abgrund liegt. — Trete von der Erde in den leeren Aether: hier schwebe und siehe sie zu einem fliegenden Gebirge einschwinden und mit sechs andern Sonnenstaͤubgen um die Sonne spielen — ziehende Berge , denen Huͤgel Planeten mit Monden. nach¬ flattern, stuͤrzen voruͤber vor dir und steigen hinauf und hinab vor dem Sonnenschein — dann schau' um¬ her im runden, blitzenden, hohen, aus krystallisirten Sonnen erbaueten Gewoͤlbe, durch dessen Ritzen die unermeßliche Nacht schauet, in der das funkelnde Gewoͤlbe haͤngt — Du fliegst Jahrtausende, aber du trittst nicht auf die letzte Sonne und in die große Nacht hinaus — Du schließest das Auge zu und wirfst dich mit einem Gedanken uͤber den Abgrund und uͤber die ganze Sichtbarkeit und wenn du es wieder oͤfnest, so umkreisen dich, wie Seelen Gedan¬ ken, neue hinauf und hinabstuͤrmende Stroͤme aus lichten Wellen von Sonnen, aus dunkeln Tropfen von Erden, und neue Sonnenreihen stehen einander wieder aus Morgen und Abend entgegen — und das Feuerrad einer neuen Milchstraße waͤlzt sich um im Strom der Zeit — Ja dich ruͤcke eine unendliche Hand aus dem ganzen Himmel, du fliehest zuruͤck und heftest dein Auge auf das erblassende eintrock¬ nende nende Sonnenmeer, endlich schwebt die entfernte Schoͤpfung nur noch als ein bleiches stilles Woͤlkgen tief in der Nacht, du duͤnkst dich allein und schauest dich um und — — eben so viele Sonnen und Milch¬ straßen flammen herunter und hinauf und das bleiche Woͤlkchen haͤngt noch zwischen ihnen bleicher und aussen um den ganzen blendenden Abgrund ziehen sich lauter bleiche stille Woͤlkgen. — — O Julius, o Julius zwischen den wandelnden Feuerbergen, zwischen den von einem Abgrund in den andern geschleuderten Milchstraßen da flattert ein Bluͤtenstaͤubgen, aus sechs Jahrtausenden und dem Menschengeschlecht gemacht — Julius, wer er¬ blickt und wer versorgt das flatternde Staͤubgen, das aus allen unsern Herzen besteht? — »Ein Stern wurde jetzt herabgeschlagen. Falle willig, Stern in die Luft der Erde geheftet, auch die Sterne uͤber der Erde taumeln wie du in ihre entlegnen Graͤber herab — das Weltenmeer ohne Ufer und ohne Grund quillet hier, versieget dort die Muͤcke, die Erde, fliegt um das Sonnenlicht und sinkt in das Licht und zerbroͤckelt — O Julius, wer er¬ blickt und erhaͤlt das flatternde Staͤubgen auf der Muͤcke, mitten im gaͤhrenden, gruͤnenden, verwitternden Chaos? O Julius, wenn jeder Augenblick einen Menschen und eine Welt zerlegt — wenn die Zeit uͤber die Kometen geht und sie austritt wie Funken und die Hesperus. II . Th. S verkohlten Sonnen zerreibt — wenn die Milchstra¬ ßen nur wie zuruͤckfahrende Blitze aus dem großen Dunkel dringen — wenn eine Weltenreihe um die andere in den Abgrund hinuntergezogen wird, wenn das ewige Grab nie voll und der ewige Sternenhim¬ mel nie leer wird: o mein Geliebter, wer erblickt und erhaͤlt denn uns kleine Menschen aus Staub? — Du, Allguͤtiger, erhaͤlst uns, du, Unendlicher, du, o Gott, du bildest uns, du siehest uns, du liebest uns — O Julius, erhebe deinen Geist und fasse den groͤßten Gedanken des Menschen! Da wo die Ewig¬ keit ist da wo die Unermeßlichkeit ist, und wo die Nacht anfaͤngt, da breitet ein unendlicher Geist seine Arme aus und legt sie um das große fallende Wel¬ ten-All und traͤgt es und waͤrmt es. Ich und du und alle Menschen und alle Engel und alle Wuͤrm¬ gen ruhen an seiner Brust und das brausende schla¬ gende Welten- und Sonnenmeer ist ein einziges Kind in seinem Arm. Er siehet durch das Meer hindurch, worin Korallenbaͤume voll Erden schwan¬ ken und sieht an der kleinsten Koralle das Wuͤrm¬ gen kleben, das ich bin und er giebt dem Wuͤrmgen den naͤchsten Tropfen und ein seeliges Herz und eine Zukunft und ein Auge bis zu ihm hinauf — ja, o Gott, bis zu dir hinauf, bis an dein Herz.« — Unaussprechlich geruͤhrt sagte weinend Julius: »Du siehst, o Geist der Liebe, also auch mich armen Blinden — o! komm' in meine Seele, wenn sie allein ist und wenn es warm und still auf meine Wangen regnet und ich dazu weine, und eine un¬ aussprechliche Liebe fuͤhle: ach du guter großer Geist, dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! — Emanuel, sag' mir noch viel, sage mir seine Gedan¬ ken und seinen Anfang.« Gott ist die Ewigkeit, Gott ist die Wahrheit, Gott ist die Heiligkeit — er hat nichts, er ist alles — das ganze Herz fasset ihn, aber kein Gedanke und Er denkt nur uns wenn wir ihn denken . — — Alles Unendliche und Unbegreifliche im Men¬ schen ist sein Wiederschein; aber weiter denke dein Schauder nicht. Die Schoͤpfung haͤngt als Schleier, der aus Sonnen und Geistern gewebt ist, uͤber dem Unendlichen und die Ewigkeiten gehen vor dem Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem Glanze, den er verhuͤllet.« Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der Stimme unserer Gedanken, und als wir in unsere Huͤtte traten, sagte Julius: ich werde den groͤßten Gedanken des Menschen immer denken, unter dem Toͤnen meiner Floͤte, unter dem Brausen des Sturms und unter dem Fallen des warmen Regens, und wenn ich weine und wenn ich dich umarme und S 2 wenn ich im Sterben bin. — Und du, mein ge¬ liebter Horion, thue es auch. Emanuel . Der kleine Erden-Kummer, die kleinen Erden¬ gedanken waren jetzt aus Horions Seele geflohen und er ging, nach einem betenden Blick in den ge¬ oͤfneten Sternenhimmel, an der Hand des Schlafs in das Reich der Traͤume hinein. — Lasset uns ihn nahahmen und heute auf nichts weiter kommen. — 26. Hundsposttag. Drillinge — Zeusel und sein Zwillingsbruder — die aufstei¬ gende Perücke — Entdeckung von Spitzbübereien. W enn ich in Koventgarden uͤber das Trauerspiel geweint haͤtte: so wuͤrd' ich doch im Epiloge bleiben, den sie nachher halten, ob ich gleich uͤber ihn lachen muͤßte. Allein nur aus der Tragoͤdie fuͤhrt ein Queergaͤschen in die Komoͤdie , aber nicht aus der Epopee : kurz der Mensch kann nach dem Erwei¬ chen , aber nicht nach dem Erheben lachen. Ich darf es daher nie verstatten, daß ein Vielleser so¬ gleich nach dem 25ten Kapitel dieses anfange. Wenn man uͤberhaupt selber zusieht, wie sie einen lesen — naͤmlich noch fuͤnfmal elender; aphoristischer, gedan¬ kenloser, abgerissener als man schreibt — (ich rede bloß von Fleiß: Kentnisse fallen von selber beim Le¬ sen weg und die Autorfeder kann die Lebensgeister des Lesers, wie der Pumpenstiefel das Wasser doch nur auf eine gewisse Hoͤhe ziehen) wie sie bei den besten Stellen zwei Blaͤtter auf einmal umwenden, bald zwei ungleichartige Kapitel entern lassen, bald in vier Wochen erst ein Kapitel gar hinauslesen, das in Einer Sitzung haͤtte durchseyn sollen — wie sol¬ che klassische Leser oft kurz vor einer Visite, oder unter dem Couvertiren mit Papillotten oder unter dem Auskaͤmmen der Haare, (die gar das erhabenste Kapitel einpudern,) letzteres lesen oder ein ruͤhrendes unter dem Keifen mit der ganzen Stube — wenn man bedenkt daß unter solche Leser die meisten Scheerauer und Flachsenfinger gehoͤren und bloß die Leserinnen nicht, die sich in alle Buͤcher und Maͤn¬ ner einzuschließen wissen und denen einerlei ist, was sie lesen oder heirathen — und wenn man gar die traurige Betrachtung macht, daß, wenn uͤber diese Leser nicht einmal der Lesegroschen, den sie fuͤrs Buch bezahlen muͤssen, so viel Gewalt besitzt, um sie zum Genusse ruͤhrender und erhabner Blaͤtter zu vermoͤgen, daß es dieser lange Periode noch weniger erzwingen werde: so preiset man das deutsche Pu¬ blikum gluͤcklich, das doch solche Werke naͤhren, an denen wie an Truthuͤhnern das Weisse das Beste ist. Da ein solcher Truthahn auch die Wiener Zeit¬ schrift ist und ich vorige Woche dachte, mein Hund schreibe daran: so wirds hieher passen, daß ich meinen Irrsal widerrufe. Es schoß mir naͤn.lich in den Kopf, die Korrespondenzbestie — da sie Hof¬ mann heisset — sey etwan gar der in eine Hunds¬ haut verputzte und kouvertirte Professor selber. Ich waͤre gar nicht darauf verfallen, daß ein Professor der » praktischen Eloquenz« in der Form eines Hundes der Welt Drucksachen apportire, haͤtte nicht einmal in Paris ein Kerl sich mit konterban¬ den Waaren in eine Pudelhaut einnaͤhen lassen, um so verkappt durchs Thor zu passiren. Es macht mir wenig Ehre, daß — indem ich heute wirklich den Hund zwickend anfuͤhle und anknaͤte — Der Professor, den ich hinter dieser Maske suchte, selber lebendig zur Thuͤr hineintrat recht zu meiner Be¬ schaͤmung: er hob sofort alle Verwechslung und ich setzte mir, gleichsam ihm wieder Gerechtigkeit wie¬ derfahren zu lassen, vor, das ganze Ding bekannt zu machen und zu meiner Bestrafung sein Mitarbeiter d. h. seine Monatstaube zu werden, die jedes Monat heckt. . . . Wir haben unsern Viktor unter lauter truͤben Hypothesen stehen lassen: ietzt finden wir ihn wieder vor einem Begegniß, daß sie alle bestaͤtigt. Wer den Apotheker Zeusel, um den sich der ganze Vorfall dreht, nur von Hoͤrensagen kennt: weis, daß er ein Hasenfuß ist. Besagter Fuß — ein Hase und der Teufel behalten, wenn auch das ganze Fell abgestreift ist, noch den Fuß — sah es gern, wenn ihn ein Herr von Hofe ausschmausete und — aus¬ lachte: er konnte nicht bescheiden verbleiben, sobald ihn ein Vornehmer zum Narren hatte. Der edle Maz benahm ihm daher seine Bescheidenheit oft. Von Maz vertrug er wie die Flachsenfinger alles, von Viktor nichts: ich erklaͤr' es nur dadurch, weil Viktors Satiren allgemein und passend und fuͤr das Vessern waren. Die Menschen vergeben lieber Pa¬ squil als Satire, lieber Verlaͤumdung als Ermah¬ nung, lieber Spotten uͤber Orthodoxe und Aristo¬ kraten als Raisonniren daruͤber. — Demungeach¬ tet, ob Zeusel gleich von Matthieu diesesmal wieder gehaͤnselt und geprellet wurde, wollt' ers ihm nicht recht vergeben, sondern bekam das Chiragra daruͤber. Es war naͤmlich kurz vor dem ersten April — manche haben jaͤhrlich 365 erste Aprile — als der Junker den Apotheker hineinschickte. In St. Luͤne waren schon drei Bad- und Trinkgaͤste angekommen, drei junge wilde Englaͤnder, die sich fuͤr Drillinge ausgaben, aber wahrscheinlich nur sukzessive, nicht simultane Bruͤder waren. Bloß ihre Seelen schie¬ nen Drillinge des Gemein- und Freiheitsgeistes zu seyn; sie waren so republikanisch, daß sie nicht ein¬ mal an dem Hofe erschienen und hielten wie jeder Englaͤnder uns alle (mich und den Leser und den Eloquenz Professor) fuͤr Christensklaven und die Frei¬ gelassenen fuͤr Steckenknechte. Die Zauberkraft ei¬ nes aͤhnlichen Herzens trieb bald den Regierungs¬ rath Flamin in ihre kartestanischen Wirbel: sie wa¬ ren kaum acht Tage da, so hatten sie mit ihm schon einen Klub beim Kaplan gehalten. Er versprach ih¬ nen auf Ostern das Gesicht ihres Landsmannes Se¬ bastian; und den edeln Maz hatt' er gleich anfings mitgebracht. Mazens Freiheitsbaum war bloß ein satirischer Dornstrauch: seine Satiren ersetzten die Grundsaͤtze. Nur ein einziger Drilling, den selber der Boͤse mit Hoͤrnern und Bocksfußen, naͤmlich der Satyr, ritt, konnte den beissenden Evangelisten und falschen Freiheits Apostel recht leiden: denn in einem heitern lichten Kopf nimmt jedes fremde Bonmots einen groͤßern Schimmer an, wie Johannis¬ wuͤrmgen in dephlogistisirter Lustart heller glimmen. Als Matthieu den Pfarrkutscher und den Lohnlakai der Englaͤnder, den Blasbalgtreter Zeusel — den Zwillingsbruder des Apothekers — erblickte: erfand er etwas, das ich eben erzaͤhlen werde. Der Apo¬ theker mußte sich bekanntlich seines leiblichen Bru¬ ders schaͤmen, weil er ein bloßer Balgtreter war und keinen Wind machte als musikalischen — weil er fer¬ ner schlechte innere Ohren und aussen gar keine hatte. Jedoch hatt' er sich wegen der letztern mit einem ge¬ richtlichen Zertifikat gedeckt, das ihm nachruͤhmte, daß er seine Schallmuscheln auf eine ehrliche Art ver¬ loren, durch eine Aktion mit einem Badgast Tuͤrken. Aber sein Kopf war sein Ohr: wenn er einen Stab an den Redner oder an seinen Sessel hielt, oder wenn man gerade uͤber seinem Kopf haranguirte: so hoͤrte er recht gut. Haller erzaͤhlt aͤhnliche Bei¬ spiele, z. B. von einem Tauben, der allemal einen langen Stock an die Kanzel als Leiter und Steg der Andacht stieß. Seine Taubheit, die ihn eher zu ei¬ nen hoͤchsten Staatsbedienten als zu einem Lehnbe¬ dienten vozirte, wendete ihm gerade den Sieg uͤber andere Wahlkandidaten zu, weil dem Kato dem aͤl¬ tern — so hieß sich der lustige Englaͤnder — seine naͤrrische Stellung gefiel. Der edle Matthieu, dessen Herz eine eben so dunkle Farbe hatte wie seine Haare und Augen, hing die Drillinge als Koͤder-Wuͤrmgen an die An¬ gel, um den Apotheker zwischen seinem und Flamins Arm nach St. Luͤne zu bringen. Zeusel ging freu¬ dig mit und ahndete das Ungluͤck nicht, das ihn er¬ wartete, naͤmlich seinen Bruder, mit dem ers schon seit vielen Jabren gegen etwas Gewisses ausgemacht hatte, daß sie einander in Gesellschaften gar nicht kennen wollten. Der Balgtreter begrif ohnehin aus Einfalt gar nicht, wie ein so vornehmer Mann wie Zeusel sein Bruder sein koͤnnte und verehrte ihn im Stillen von Weitem: nur eine Sache vertrug er nicht trotz seiner bloͤdsinnigen Geduld, die, daß sich der Apotheker fuͤr den Erstgebornen ausgab: bin ich nicht, sagt' er, um eine Viertelselle laͤnger und eine Viertelstunde aͤlter als er?« Er schwur, in der Bi¬ bel sey es verboten, seine Erstgeburt zu verkaufen — und war dann wie alle, denen eine dumme Geduld ausreisset, nicht mehr zu baͤndigen. Der Apotheker bemerkte nach dem ersten Schrek¬ ken mit Vergnuͤgen, daß niemand seine Verbruͤde¬ rung kenne; er wollt' es daher auch nachthun und foderte vom Bedienten so kalt wie jeder zu trinken. Der Balgtreter besah, indem er den Kopf niederbog, damit der Bruder oben daruͤber die Befehle gaͤbe, mit Erstaunen und wahrer Achtung die silbernen Gatterthore und Beinschellen auf den Fuͤßen seines Verwandten und dessen Huͤftgehenk von Stahl Guir¬ landen der Uhren. Zeusel haͤtte sich gern — waͤre dem Junker zu trauen gewesen — gegen die Britten angestellt als betroͤg' er sich und hielte des Tauben Buͤcken fuͤr uͤbertriebene Kriecherei gegen Hofleute: er waͤre dann im Stande gewesen, dazu zu setzen, der Opisthotonus gegen Niedere sey derselbe Krampf wie der Emprosthotonus Emprosthotonus ist der Krampf der den Menschen vor¬ wärts krümmt — der Opisthonus beugt ihn rückwärts. gegen Hoͤhere — aber wie gesagt, der Henker traue Hofjunkern! Die Britten indessen nahmen den Narren samt seiner Geldboͤrse am Hintern kaum wahr und wun¬ derten sich bloß, was er da wollte. Ihre republika¬ nischen Flammen schlugen mit Flamins seinen zu¬ sammen, und zwar so, daß der Hofjunker sie fuͤr Franzosen und fuͤr Reisediener und Zirkularboten der Propaganda wuͤrde genommen haben, wenn er nicht geglaubt haͤtte, nur ein Narr koͤnne eine ver¬ suchen oder eine glauben. Matthieu hatte Scharf¬ sinn aber keine Grundsaͤtze — Wahrheiten, aber keine Wahrhritsliebe — Logik ohne Gefuͤhl — Witz ohne Zweck. Er war heute nur darauf aus, durch loßge¬ zuͤndete Streifschuͤsse den Apotheker immer in der Angst zu befestigen, irgend eine Ideenassotiation werde ihn den Augenblick auf seinen da stehenden Bruder lenken. So legt' er recht gluͤcklich den ar¬ men Hasenfuß auf die Folter des »gespickten Ha¬ fens,« indem er ironisch fuͤr den Nepotismus focht. »Die Paͤbste, die Minister (sagt' er) geben wichtige »Posten nicht dem ersten besten, sondern einem Man¬ »ne, den sie genau gepruͤft haben, weil sie mit ihm »fast auferzogen wurden, naͤmlich einem Blutsfreund. »Sie denken zu moralisch, als daß sie nach ihrer Er¬ »hebung ihre Verwandten nicht mehr kennen sollten, »nnd sie halten den Hof fuͤr keinen Himmel, wo »man nach seiner in die Hoͤlle verdammten Magen¬ »schaft nichts fragt. Weil ein Minister so viel ver¬ »dauen kann wie ein Straus: so wundert man sich, »daß er nicht auch wie ein Straus seine Eier voll »Anverwandten in den Sand und vor die Sonne »wirft und ihr Aufkommen nicht dem Zufall anver¬ »trauet. Aber nichts vertraͤgt sich weniger mit dem »aͤchten Nepotismus als daß selber der Straus bruͤ¬ »tet zu Nachts und in kaͤltern Orten persoͤnlich, »und unterlaͤsset es nur dann, wo die Sonne besser »bruͤtet: so sorgt auch der Mann von Einfluß nur »in solchen Faͤllen fuͤr seine Vettern, wenn großer »Mangel von Verdiensten es erfordert. Ich gesteh' »es, die Moral kann so wenig Nepotismus wie »Freundschaften gebieten; aber das Verdienst ist »desto groͤßer, wenn man ohne alle moralische Ver¬ »bindlichkeit mit seinem Stammbaum gleichsam die »halben Thronstufen uͤberdeckt.« — Dieser satirische Huͤttenrauch und Schwaden nahm die Britten fuͤr ihn ein, zumal da der Rauch edle Metalle, naͤmlich die hoͤchste Unpartheilichkeit bei einem Sohne vor¬ aussetzte, dessen Vater Minister war. Da der Apotheker das Souper tranchirte — Maz hatt' ihn ersucht, le grand escuyer tranchant zu seyn — so paßte sein Freund Matthieu es ab, bis er einen großen Truthan an der Gabel hatte, um ihn in der Luft wie Reiger die Fische und noch dazu italienisch zu zerfaͤllen: dann nahm der Edle seinen Weg uͤber den Partage-Truthahn und uͤber Pohlen durch die Wahlreihe bis er in den Erbrei¬ chen anlangte, wo er stille lag, um da die Bemer¬ kung zu machen, daß ganz natuͤrlicher Weise der erste große Diktator seinen Sohn auf seinem Thron nach sich werde hinaufgezogen haben: »so hab' er sich oft »beim Flachsenfingischen Vogelschießen an den Kin¬ »dern ergoͤtzt, die mit den Kronen und Zeptern, die »die Vaͤter herabgeschossen, herumsprangen und da¬ »mit warfen und spielteu .« — Der Taube unter¬ hielt durch seinen Visirstab und seine Zuͤndruthe, die er an den Tisch stemmte, die freieste Kommunikation mit dem ganzen Klub und sah seinem arbeitenden Bruder, wie er saͤgte und hielt. Matthieu, der den Vorschneider liebte, aber die Wahrheit noch mehr, konnte seinetwegen die Reflexionen uͤber die gekroͤn¬ ten Erstgeburten nicht unterschlagen, sondern er merkte frei an, man sollte wenigstens unter der re¬ gierenden Familie, wenn auch nicht unter dem Volke die Wahl haben. »Jetzt denken wir nicht einmal »wie die Juden, bei denen zwar eine halbthierische »Mißgeburt noch die Rechte eines Erstgebornen hat, »aber doch keine ganze thierische. Siehe die Wochenschrift: der Jude Seite 380, z. B. nach dem Buch Lebusch Attere: Sahaph ist ein Mensch mit ei¬ nem Thierkopf eine menschliche Erstgeburt, aber ein In¬ sekt, ein ganzes Thier ist es nicht. « — Der Balg¬ treter wurde durch die fallopische Muttertrompete des Stabs mit neuen Ideen des Erstgebornen ge¬ schwaͤngert — sein Bruder wurde von der Angst mehr trenchirt als der indische Hahn in der Luft — Maz fuhr fort: »auch bei den Juden hat bloß die »thierische Ergsteburt, weil sie nicht mehr opfern »duͤrfen, das beste Futter und ist heilig und unver¬ »letzlich — das uͤbrige Vieh gehoͤrt unter die juͤn¬ »gern Soͤhne .'« . . . — Darauf sagte er ploͤtzlich und laͤchelnd das Kompliment: »bloß mein Freund hier mit dem »Truthahn macht die gluͤcklichste Ausnahme von »meiner Behauptung und sein Herr Bruder mit »dem Stabe da die betruͤbteste: es sind aber Zwil¬ »linge und er ist nur eine Viertelstunde aͤlter als der »Taube.« Er wandte unbefangen an den Gestab¬ ten, der sein Gesicht schon zum Krieg mobil gemacht hatte: »nicht wahr, eine Viertelstunde aͤlter?« — »Ja, straf mich Gott, (sagt' er,) das bin ich: was »sagt mein Bruder?« — Der Apotheker mußte matt den Dividendus an der Gabel senken, ob er gleich durch die herabgeschnittenen Quozienten schon leich¬ ter war. Der Balgtreter uͤberschauete fluͤchtig alle Gesichter und entdeckte uͤberall darauf einen schwei¬ genden Unglauben, den der Junker durch seine kalte Versicherungen noch lesbarer machte. »Der ganze »Scherz — sagte Zeusel leise — ist wohl fuͤr nie¬ »mand interessant.« Da der Kalkant die leise Ex¬ zeptionshandlung nicht durch seinen langen Gehoͤr¬ knochen habhaft werden konnte — er sah aber dann nicht ab, wie er seinen Prozeß und sein Erstgeburts¬ recht behaupten wollte — so trat er seinen Beweis an und zog vier lange Fluͤche als eben so viel syllo¬ gistische Figuren heraus und buͤckte den Kopf unter seinen Bruder, damit der uͤber demselben seine Sal¬ vationsschrift einreichte. Der Apotheker, der nicht die Erstgeburt sondern nur das wankend machen wollte, daß er sein Bruder sey und der ihn wegen Titular-Inkonvenienzen nicht gern anreden wollte, sagte bittend zu Mazen: »Geben Sie ihm recht, »denn er weis gar nicht, wovon wir bisher gespro¬ »chen haben.« — Schnell und abgerissen, aber mit einer unglaͤubigen Mine sagte daher der Junker zu ihm: »Er soll Recht haben, mein Freund« und setzte unter dem Schein, ihn ablenken zu wollen, da, zu: »recht frisch und jung sieht er aus.« — »Bei »Gott! (versetzte er aufbrennend) der ist juͤnger : »aber er kam hinter mir schon zusammengefahren auf »die Welt in der Gestalt eines Tabaksbeutels — er »ist aus den Bettelmaͤnnern Die Spinner nennen Abfällige der Baumwolle so. die von mir abfielen, »zusammengedreht und gezwirnt.« Der Kalkant brannte nun alle Kanonen auf dem Wall seines Ko¬ pfes ab, erbittert durch die Essigminen und Gift¬ blicke und Unhoͤrbarkeit seines Blutsfreundes: er spannte daher die Finger aus und wollte den Dau¬ men und Ohrfinger als einen verjuͤngten Maasstab uͤber uͤber das Gesicht seines Blutsfreundes legen — er wuͤrde dann, da der Mensch zehn Gesichtslaͤngen hat, das fremde nnd sein eignes Gesicht gegen einander gehalten und dann aus ihrem verschiedenen Maaße leicht auf ihre Statur geschlossen haben — aber der Apotheker wackelte und der Kalkant setzte den Dau¬ men ganz falsch uͤber dem Kinnbacken ein. Hier hob den Daumen, der sich in den weichen Backen ein¬ tunken wollte — etwas Hartes Rundes auf und der Kalckant trieb durch einen geschickten Strich, den der Daumen gegen die Lippen fuͤhrte, eine Wachsku¬ kugel zum Maule heraus, womit der Apotheker seine eingekrempten Backen ausfuͤtterte wie mit einem Pol¬ ster, um das eingelegte Bildwerk des Gesichts zum erhobenen aufzustuͤlpen. Der herausgleitende Globus warf wie eine Boselkugel den Apotheker um, d. h. seine Gelassenheit, und er sagte zum Tauben, der jetzt gar zu einer Historie von seinem Kahlkopfe uͤber¬ schreiten wollte, mit blitzenden Augen nur so viel: »ihr Mensch habt keine Lebensart, und euer aͤlterer »Bruder muß euch erst abhobeln.« Da aber der Kalkant schon in der Naturgeschichte des Kahlkopfes fortschritt: so eilte er davon mit der Entschuldigung der Herr Hofmedikus Horion warte heut' Abends auf ihn. Der ernsthafteste unter den Englaͤndern trat ganz nahe an ihn und sagte: »empfehlen Sie »mich dem Doktor und, da er so gute Kuren macht, Hesperus. II . Th. T »so sagen Sie ihm in meinem Namen, Sie waͤren »ein großer — Narr. Kaum war er zum Dorfe hinaus: so dauerte den Kalkanten der Emigrant und er wollte in der Histo¬ rie des Kahlkopfes aufhoͤren. Der Evangelist schickte ihn auch dem erbosten Zwilling nach, um ihn jetzt in der Nacht einzufangen; und nahm dafuͤr selber den historischen Faden auf. Naͤmlich an einem Abend, wo der Hof nicht im Schauspiel war, hielt der Hofapotheker (der Himmel weiß wie) sein Nu߬ knackergesicht aus einer der ersten Logen heraus. Maz, damals noch Page, postirte den Balgtreter ge¬ rade im Zenith seiner Peruͤcke, naͤmlich in der Gal¬ lerie gerade uͤber ihm. Der Kalkaut ließ oben an einem unsichtbaren Roßhaar einen kleinen Hacken niedersteigen, der wie ein Raubvogel uͤber der her¬ ausschauenden Peruͤcke hing, die ich fuͤr ein Ideal von Haaren halte. Denn sie schien aus dem Kopfe, dem die Locken und die Vergette laͤngst ausgefallen waren, als Artochthon und Fechser herausgewachsen zu seyn und niemand nahm sie fuͤr adoptirtes Pelz¬ werk. Der Balgtreter ließ den Haken so lange uͤber der Peruͤcke wie einen Perpendikel oszilliren, bis Ge¬ wißheit da war, daß er in die Vergette eingegriffen hatte. Sofort bedient' er sich seiner Haͤnde als Fuhrmannswinden und hob (wie der Frost andre Ge¬ waͤchse) die ganze Frisur aus den Wurzeln und zog langsam die Zopfperuͤcke wie einen steigenden Haar¬ ballon in die Hoͤhe. Das Parterre und der erste Liebhaber und der Lichtputzer wurden vor Erstaunen zu Eißschollen, da sie den Schwanzkometen in gera¬ der Adszension zur Galerie aufgehen sahen. Auf dem Apotheker, der seinen Kopf abgedeckt und kalt ange¬ weht fuͤhlte, richteten sich die wenigen natuͤrlichen Haare auch empor vor Schrecken wie die kuͤnstlichen; und als er sich mit dem kahlen Scheitel umdrehte, um der Kreutzeserhoͤhung seines Haarwuchses nachzu¬ sehen, ließ sein Zwillingsbruder (um nicht entdeckt zu werden) das ganze Haar Meteor, das dem Haar der Berennice im Himmel nachwollte, gar unter die Leute herunterfallen vor seinem Gesichte vorbei und sah gelassen herab auf die Kulminazion im Nadir wie die ganze Gallerie. — — Waͤhrend unserer Erzaͤhlung haben die Zwillinge einander gepruͤgelt. Der Erstgeburts-Accessist rief draussen auf dem mit Nacht uͤberdeckten Flachsenfin¬ ger Weg in einem fort: Herr Hofapotheker! Und da er keine Antwort vernehmen konnte, mußt' er mit dem Hoͤrrohr an jedes Ding, ob es etwan rede, stochern. Endlich stieß sein Visitiereisen an die Erst¬ geburt und er ging hin, um sie um Vergebung und Retour zu ersuchen. Aber der Apotheker war der¬ maßen im Kochen und Sprudelu, daß er, als der Balgtreter seinen Kopf unterhielt, um das Respon¬ T2 sum einzuholen, seine Hand in eine Kugel anschießen und sie wie einen Glockenhammer auf die Pfeilnaht des untergehaltnen Hauptes fallen ließ, worauf die Taͤucherglocke einen ordentlichen Ton angab. Der Apotheker wuͤrde, wenn man ihn recht verstanden und ihm Zeit gelassen haͤtte, durch diesen Zainham¬ mer die Suturen auf dem tauben Haupte um Vieles vorgehoben haben; aber so stoͤrte ihn sein eigner vom Schlage geruͤhrte Bruder, der ihn am Kopfe — Kalkant wuͤrde seine Finger als Schmucknadeln in die kuͤnstlichen Haare getrieben nnd ihn daran ge¬ lenkt haben, waͤre die Peruͤcke am Kopfe festgemacht gewesen — wie ein Gestraͤuch niederbog, um sein Hoͤrrohr als ein zweites Ruͤckgrat so behutsam uͤber das Zwillingserstes zu biegen, daß niemand kompli¬ zirte Frakturen davon trug als der Hoͤrstab. — Darauf sagte er gute Nacht und empfahl ihm, sich links zu halten, um nicht irre zu gehen. . . . . — Haͤtte ich gewußt, daß diese Historie so vie¬ le Blaͤtter uͤberschatten wuͤrde: ich haͤtte sie lieber weggeworfen. Am andern Morgen stattete der un¬ verschaͤmte Matthieu einen Besuch beim Kreutztraͤger ab, an dessen Haͤnden jetzt das vom Zorn reifge¬ waͤrmte Chiragra gluͤhte; er wollte — weil er jeden Tadel seiner Unverschaͤmtheit mit einer groͤßern be¬ antwortete — die gichtbruͤchigen Haͤnde zu neuen Ka¬ tzenpfoten machen, um frische Spas-Kastanien aus dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, dessen Herz nur klein aber doch nicht schwarz war, fuͤhlte sich zu sehr gekraͤnkt und als Maz uͤber seine Kla¬ gen lachend und schweigend von ihm ging, ohne sich nur die Muͤhe einer Entschuldigung zu geben: so schwur der Chiragrist, ihn — da haben wir wieder den Narren — zu stuͤrzen. Trete wieder auf, mein Viktor, ich sehne mich nach schoͤnern Seelen als dieses Gebruͤder Narren da hat! — Niemand von uns lebt und lieset so in den Tag hinein, daß er nicht wuͤßte, in welcher bio¬ graphischen Zeitperiode wir leben: es ist naͤmlich 8 Tage vor Ostern, wo Zeusel auf dem Krankenbette und Klotilde auf dem Wege nach St. Luͤne ist. — Flamin hinterbrachte unserem Viktor den Spaß mit dem kranken Zeusel. Er mißfiel ihm gaͤnzlich so wie ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Va¬ demekum oder die Erzaͤhler solcher Bonmots — die fadesten aller Gesellschafter — eckelten. Er konnte nie eine Thierhatze zwischen zwei Narren anlegen: bloß der Entwurf eines solchen Schlachtstuͤcks kitzelte seine Laune, aber nicht die Ausfuͤhrung, so wie er Pruͤgelszenen gern in Smollet (dem Meister darin) las und dachte, aber niemals sehen konnte. Sogar von den Koͤrper-Bonmots und Hand-Pointen am fremden Leibe dacht' er zu geringschaͤtzig, die ich doch den stummen Witz (wie stumme Suͤnden) nennen moͤchte und die das wahre attische Scheerauische Salz sind: wahrer Witz, duͤnkt mich, muß sich wie das Christenthum nicht in Worten, sondern in Werken offenbaren. Er sah unsere Thorheiten mit einem vergebenden Auge, mit humoristischen Phan¬ tasien und mir dem ewigen Gedanken an die allge¬ meine Menschennarrheit und mit schwermuͤthigen Schluͤßen an. Wenn er das ausnahm, daß Zeufel sich jedem Edelmann zum Mieththier vorstreckte, bis ihn dieser zuruͤckpruͤgelte, wie man in Paris Schoo߬ hunde zum Spazierengehen miethen kann: so hatt' er gegen dessen Eitelkeit, da sie zumal in andern Faͤllen gutmuͤthig, freygebig und oft gar witzig war, wenig einzuwenden. Niemand ertrug Eitelkeit und Stolz liebreicher als er: »was hat denn der Mensch »davon, sagt' er viel zu lebhaft, wenn er kein Narr »ist oder wo soll er denn aufhoͤren, demuͤthig zu »seyn? Entweder zu gut oder gar nichts muͤssen wir »von uns denken.» Viktor stattete also bei seinem Hausherrn zu¬ gleich einen freundschaftlichen und einen medizini¬ schen Besuch mit seiner theilnehmenden Seele ab. Diese Gesinnung grif herrlich in den Plan des Apo¬ thekers ein, den Doktor anzuwerben, damit er gegen Mazen diene. »Dazu brauche ich nichts (sagte Zeu¬ »sel zu Zeusel) als daß ich ihn die Intriguen, die »das Schleunessche Haus gegen ihn spielet, sehen »lasse, denn er ist ohne mich nicht raffinirt genug »dazu.» Denn er haͤlt uͤberhaupt den Helden der Hundsposttage — der's auch gerne litt — ein wenig fuͤr dumm, blos weil Viktor gutmuͤthig, humoristisch und gegen alle Menschen vertraulich war. In der That gab diesem das Leben in der großen Welt, zwar geistige und koͤrperliche Gewadtheit und Frey¬ heit, wenigstens groͤßere; aber eine gewisse aͤußere Wuͤrde, die er an seinem Vater, am Minister und sogar oft an Matthieu sah, konnt' er niemals nach¬ kopieren: er war zufrieden, daß er eine hoͤhere Wuͤr¬ de in seiner Seele hatte und fand es zu laͤcherlich, auf der Erde ernsthaft zu seyn, und zu klein, stolz auszusehen. Vielleicht konnten sich Viktor und Schleunes darum nicht leiden: ein Mensch von Talenten und ein Buͤrger von Talenten hassen ein¬ ander gegenseitig. Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Faͤden des Schleunesschen Kanker-Gespinstes vorzuzeichnen: will ich nur erklaͤren, warum Zeusel hieruͤber so all¬ wissend war und Viktor so blind. Dieser war's, weil er sich unter seinen Freuden aufs Errathen gleichguͤl¬ tiger oder schlimmer Leute gar nicht legte: er schwebte uͤberhaupt wie ein Paradiesvogel immer in der Himmelsluft, vom Schmutzboden abgetrennt und flog wie alle Paradiesvoͤgel, der losen Federn wegen immer gegen den Wind; daher bekam er, aus Mangel an Konnexionen, die muͤndlichen Hofzei¬ tungen erst, wenn alle Heiducken, die Lakaien der Pagen und die Einheizer sie schon schwarz gelesen hatten; — oft gar nicht. — Der Apotheker ist im entgegengesetzten Fall, weil er zwar die schlechten Augen, aber auch die guten Ohren eines Maulwurfs hat, und weil in der camera obscura seines aͤhnlichern Herzens sich leichter die Bilder der verwandten Kniffe malen; noch dazu setzt er zwei lange Hoͤrroͤh¬ re — zwei Toͤchter — an die Kabinete oder viel¬ mehr an ihre Liebhaber an, die daraus kommen und horcht durch die Roͤhre manches weg, was ich in meiner Biographie recht herrlich nutzen kann. Es giebt Menschen — der war so — die nur Nachrich¬ ten, ohne Interesse fuͤr den Inhalt erhetzen wollen, und Personalien ohne Realien, die alle große Ge¬ lehrte, aber keine Gelehrsamkeit — alle große Staats¬ maͤnner, aber keine Politik — alle Generale, ohne Liebe zum Kriege — zu kennen suchen persoͤnlich und schriftlich. Es kann seyn, daß mancher feine Leser schon aus dem Vorigen von dem, was Zeusel jetzt entdecken will, Wind hat. Ich gebe seine Zeichnung in fol¬ gender verjuͤngten: «Der Minister habe den Fuͤrsten sonst niemals »in sein Interesse ziehen koͤnnen, selten in sein »Haus: er habe zwar zuweilen eine Tochter, die »ihm gefallen konnte, zu vermaͤhlen nicht unterlas¬ »sen; aber entweder das verschiedene Interesse des »Tochtermanns war allemal dem seinigen unguͤnstig »oder der Einfluß Sr. Herrlichkeit (des Lords). »Daher sey er mehr zu entschuldigen als zu ver¬ »dammen, daß er die Parthey des Schwaͤchern »ergriffen, der verlassenen Fuͤrstin, die doch allemal »etwas sey und die ihre italienischen Kuͤnste nur »noch verdecke. Im Ganzen genommen waͤr' es al¬ »so nicht unrecht, daß man die Fuͤrstin, die viel » Temperament habe, durch Matthieu an Schleu¬ »nes Haus zu knuͤpfen suche, worin man sich nach »ihrer aͤussern Tugend-Grandezza geniere, indeß man »sie durch den Hofjunker uͤber die Kaͤlte ihres Ge¬ »mahls beruhige.» . . . Wenn sich der Leser das Schlimmste vorstellet: so begreift er Viktors unglaͤubiges Erstarren und Verfluchen; er ließ ihn aber erst ausreden. »Zum Gluͤck habe der Hofmedikus dem Hause »die Ehre erwiesen, oft hinzukommen: und die »Schleunesschen werden ihn wahrscheinlich auf alle »Weise zum oͤftern Geschenk seiner Besuche ermun¬ »tert haben, da er zumal dadurch auch den Fuͤrsten »eingewoͤhne. Er wisse hieruͤber allerlei von guter »Hand.» . . . Viktor errieth, was Zeusel aus Hoͤflichkeit ver¬ schwieg — den Wink auf Joachime. »Sonderbar »ist's doch, er, daß mir mein Vater fast das¬ »selbe schreibt! — Aber ein huͤbsches Gewirre von »Absichten! ich mache bey meinen Absichten auf die »Fuͤrstin den Minister zu meinem Deckmantel und er »mich bei seinen auf den Fuͤrsten zu dem seinigen.» — Das haͤtt' er ohne mich wissen sollen, daß boͤse Leute gute nie aus Liebe suchen, und daß Joachimens Herz nichts sey als ein Koͤder in der Hand des Mi¬ nisters; aber dichterische Menschen die immer die Fuͤgel der Phantasie ausspannen, werden wie die Lerchen wegen ihrer ausgespreitzten Fluͤgel, in Netzen festgehalten, die die weitesten Maschen haben, wodurch sonst ein glatter Vogelkoͤrper glitte. Nur noch ein Wort: warum betrug sich Viktor ge¬ gen die besten Menschen, gegen Klotilde, seinen Va¬ ter ꝛc. feiner, anstaͤndiger und schoͤner als der beste Weltmann; und gegen mittelmaͤßige und schlimme benahm er sich doch so links: warum? — Weil er alles aus Neigung und Achtung that und nichts aus Eigennutz und Nachahmung; die Weltleute hingegen behaupten ein gleiches Betragen, weil sie es nie nach fremden Verdiensten, sondern nach eignen Ab¬ sichten abformen. Daher gab ihm sein Vater auf der Insel unter den Lebensregeln — die uͤberhaupt eine feine versteckte Weissagung von seinen Fehlern und Begebenheiten waren — diese mit: man begeht die meisten Thorheiten unter Leuten, die man nicht achtet. »Da nun Klotilde dem Fuͤrsten gefalle: so werde »dieser Matthieu, der um sie schon vor einigen Jah¬ »ren geworben, sie zu seinen Eroberungen zu ma¬ »chen suchen, um durch sie viel wichtigere zu ma¬ »chen.» Pfui! rief Viktors ganze Seele, jetzt seh' ich erst alle Stacheln der Dornenkrone, die auf dein Herz gedruͤcket wird, du gute Klotilde! »Matthieu »waͤre laͤngst mit seinen Heyrathsantraͤgen weiter »herausgegangen, haͤtt' er die gegenwaͤrtigen Aus¬ »sichten (eines — Ehebruchs) naͤher gehabt. Viel¬ »leicht sey anch Matthieu noch uͤber die Zuruͤckkunft »ihres Bruders (Flamins, wegen ihrer verkleinerten »Erbschaft) in Sorge, ob ihn gleich der Tod seiner »seiner Schwester (der beerbten Giulia) ein wenig »entschaͤdige. Daher liebe die Fuͤrstin Klotilden, da »deren Heyrath mit Matthieu nur eine Sache des »Interesse sey. Kaͤm' es aber wirklich zu einer »Vermaͤhlung, wie wahrscheinlich sey, da Matthieu »sie schon durch Grobheit dem Kammerherrn abnoͤ¬ »thigen wuͤrde.» . . . . Es ist ein eigner Zug Mazens, daß er gegen Schwache grob und oft gegen dieselbe Person rauh und wieder fein war — »so koͤnnte Matthieu und »Jenner sich im wechselseitigen Vergeben uͤben; »und das Band der Freundschaft wuͤrde sich auf »einmal um vier Personen in verschiedenen Schleifen »wickeln. Diese vierfache Verkettung riße dann kei¬ »ner mehr auseinander und alles ginge zum Teufel. »Der einzige Maschinengott, der die Knuͤpfung die¬ »ses Knoten noch verhuͤten koͤnnte, sey der — H. »Hofmedikus. Ihm versage H. le Baut vielleicht »die Tochter nicht, da er ihr zum Hofdamenamt »verholfen — »»welches damals, da ich mich Ih¬ »»nen nicht deutlich erklaͤren durfte, gerade meine »»wahre Absicht war, die Sie eben so gut erriethen »»als ausfuͤhrten.«« — »und da das Schick¬ »sal des Sohns (Flamins, der nach der allgemeinen »Meynung noch verschollen war) ja in den Haͤnden »Gr. Herrlichkeit stehe. Auch zweifle er am Ge¬ »winnen der Fuͤrstin nicht, da er (der Doktor) bis¬ »her ihre Gunst besessen und sie ihn dem D . Kuhl¬ »pepper vorgezogen haͤtte. Durch den Verlust Klo¬ »tildens und Agnola's waren den Schleunesschen »die Fluͤgel beschnitten.» . . . . Schurke! haͤtte hier Flamin geflucht; aber Vik¬ tor, der glaubte, diesen moralischen Staubbesen verdiene nur ein ganzes Leben, nie Eine Handlung und der mit der groͤßten Intoleranz der Laster eine zu große Toleranz der Lasterhaften verband, dieser sagte, aber mit mehr Hitze als man nun vermuthen wird: »o du gute Fuͤrstin! die deutschen Skor¬ »pionen sitzen um dein Herz und stechen es zur »Wunde und gießen als Balsam Gift in die Wun¬ »de, damit sie niemals heile! — Abscheuliche, ab¬ »scheuliche Verlaͤumdung!» Viktor lobte und ver¬ focht gern seine Freunde zu lebhaft — und zwar aus Neigung zum Gegentheil: denn da er bei seiner eignen Ehre die Belobungsbriefe seines Gewissens den Schandgemaͤhlden der Welt ruhig und stumm ent¬ gegensetzte, so waͤr's seine Neigung gewesen, die Eh¬ re seiner Freunde so kalt zu vertheidigen wie seine eigne, aber es war Gehorsam gegen sein Gewissen, es (trotz dem Gefuͤhle der Entbehrlichkeit) mit der groͤßten Waͤrme zu thun. Das hoͤfische und triumphirende Laͤcheln Zeusels war eine zweite Verlaͤumdung: der Tropf hielt mei¬ nen Viktor fuͤr ein Zifferblatts- oder Stundenrad bei der Affaire und sich fuͤr den Perpendickel. Daher sagte Viktor mit einem aus Wehmuth und Stolz gemischten Unwillen: »meine Seele erhebt sich zu »weit uͤber eure Hof-Kleinigkeiten, uͤber eure »Hof-Spitzbuͤbereien, mich eckelt euer Kram un¬ »aussprechlich. — O du edler großer Geist in Mai¬ »enthal! — —« Er ging mit durchschnittenem Herzen weg — der Nachtwaͤchter, der fuͤr ihn allemal ein transzendenter war, rief seines Lehrers Gestalt vor seine weinende Seele — und Klotilde mit ihren blassen Mienen kam mit und sagte: »siehst du noch nicht ein, warum »ich so bleiche Wangen habe und so schnell in das »fromme Thal Emanuels ziehe?» — und Joachime tanzte voruͤber und sagte: ich lache Sie aus, mon cher ! — und die Fuͤrstin verhuͤllte ihr unschuldiges Gesicht und sagte aus Stolz: vertheidige mich nicht! — — Der Leser kann sich leicht denken, daß Viktor den Namen Klotilde fuͤr zu groß hielt, um ihn nur in einer solchen Nachbarschaft in den Mund zu neh¬ men — wie die Juden den Namen Jehova nur in der heiligen Stadt, nicht in den Provinzen auf die Zunge nahmen. Seine Seele heftete sich nun an den Nachflor seiner Liebe, an die von Zeuseln be¬ spruͤtzte Agnola. Es war ihm erwuͤnscht, daß gera¬ de jetzt der Kaufmann Tostato aus Kusseviz ankom¬ men muste, um seine katholische Osterbeichte in der Stadt abzuthun: er konnte bei ihm doch auf Ver¬ schwiegenheit uͤber die Maskopei-Rolle in der Bude bringen, damit er der gemißhandelten Fuͤrstin we¬ nigstens den Schmerz uͤber eine gutgemeinte Belei¬ digung, uͤber die in die Uhr inhaftirte Liebeserklaͤ¬ rung ersparte. 27. Hundsposttag. Augenverband — Bild hinter Bettevorhang — Gefahr für zwei Tugenden. K lotilde ging in der Passionswoche unter Liebkosun¬ gen von der Fuͤrstin entlassen, nach St. Luͤne: in der Osterwoche traͤgt sie ihr Herz voll bedeckter Sor¬ gen nach Maienthal zu aͤhnlichern Seelen, wenn sie vorher durch die Vorhoͤlle gegangen, naͤmlich durch einen schimmernden Ball, den ihr — oder hoͤfli¬ cher zu reden, der Fuͤrstin — der Fuͤrst am drit¬ ten Osterfeiertage giebt. . . . Ist diese Blu¬ me mit dem Melonenheber des Todes oder Schick¬ sals aus meinen biographischen Beeten ausgestochen und versetzt: so werff' ich die Feder weg und pruͤgle den Spitz zuruͤck — ich habe mich so an sie gewoͤhnt wie an eine Verlobte: wo treib' ich am Hofe wie¬ der einen weiblichen Karakter auf, der wie ihrer heilige und feine Sitten verbindet, Himmel und Welt , Tugend und Ton, ein Herz sag' ich, das wie die unsern Helden aͤngstigende und auch wie ein Herz aussehende moutre à regulateur , aussen den Hof-Stundenzeiger, auf dem Ruͤcken einen Sonnnnzeiger (der Moral) und einen Magnet (der Liebe) hat? — Jetzt sind wir noch die ganzen Osterfeiertage bei¬ sammen: denn Sebastian muß zum Pfarrer Eymann, um ihn und die brittischen Drillinge und seine liebe Kaplaͤnin und mehr Liebes zu sehen. Er waͤre gern schon am Osterheiligenabend dem Regierungsrath da¬ hin gefolgt und dem Biographen waͤr's so lieb gewe¬ sen wie ein Osterfladen, weil er Staͤdte und Hoͤfe uͤbersatt ist — aber der Genius der zaͤrtesten Freund¬ schaft winkte ihm, nur wenigstens bis den ersten Ostertag Flamins und Klotildens wegen zuruͤckzublei¬ ben, gleichsam als wollt' er sagen: »die ersten Freu¬ »denblicke dieser so lange auseinandergedraͤngten Ge¬ »schwister will doch ungluͤcklicher Sebastian »nicht stoͤren? — Wahrlich nein! antwortete seine »Thraͤne.» Die Stadt war jetzt von seinen Geliebten ausge¬ leert — die Passionswoche war eine wahre fuͤr ihn — nicht einmal die Fuͤrstin, gleichsam der Elektrizi¬ taͤtstraͤgerin seiner auf sein eignes Herz zuruͤckgeweh¬ ten Liebesflamme, war ihm seit langen erschienen — denn mit dieser Stimmung konnt' er nicht zu Joa¬ chimen gehen — — — als ihm der Pater der Fuͤr¬ stin, die heute bei ihm (am h. Osterabend) gebeich¬ tet hatte, besuchte und vor ihm einen Wundzettel ihrer Augen abfaßte und ihn freundlich schalt, daß der der Hofbeichtvater dem Hofmedikus Suͤnden statt zu erlassen vorzuruͤcken habe. »Ich wollte morgen ver¬ »reisen« sagte Viktor — »Gut! sagte der Pater, »die Fuͤrstin verlangt heute Ihre Huͤlfe.» Auf dem Wege zu ihr sagt er zu sich: »hat denn »Tostato das Osterbeichten verschworen, daß er jetzt »abends noch nicht da ist? und wo wird ihn der »Henker morgen haben?» — Hier! antwortete — Tostato hinter ihm. — So einem lustigen Poͤniten¬ ten hatte noch keine Sakristei gesehen. Das Freu¬ den- und Teufels- und Beichtkind sagte die Ursache seines frohen Tobens: »die Fuͤrstin hab' ihm als Lands¬ »mann heute das halbe Gewoͤlbe ausgekauft — Eh' Viktor die ernsthaften Mienen auf seinem Gesicht in Reih und Glied zusammengestellet hatte, mir de¬ nen er ihm die Bitte um Verschweigung seines mer¬ kantilischen Vikariats thun wollte, ich meine die Buden-Adjunktur: so erfreuete ihn der springende Beichtsohn mit der Nachricht, daß die Fuͤrstin nach seinen und ihren Landsleuten, nach seinen Associes gefragt, und daß er ihr gar nicht verborgen, daß einer einmal das letztere ohne das erstere gewesen — naͤmlich ihr Hofmedikus selber. — »Donner!« sagte der. . . . Der arme Narr von Kaufmann meint' es gut und es war weiter nichts anzustellen als die Untersuchung, ob nicht Agnolas Fragen Zufall ge¬ Hesperus. II Th. U wesen — ob sie die Uhr noch habe, oder je auf¬ gemacht, ob kein Wind die Liebeserklaͤrung als einen verschwisterten Wind fortgetrieben — — Bedenklich bliebs, daß gerade der Pater und der Kaufmann, gerade die boͤsen Augen und die guten Nachrichten in Einem Tag zusammenfielen; in diesen 30ten Maͤrz, in den Osterabend. Da dieser Besuch fuͤr meinen Helden sehr merkwuͤrdig ist: so bitt' ich jeden, sich recht bequem zu setzen und die vom Buch¬ bindergolde verpichten Blaͤtter dieser Erzaͤhlung vor¬ her aufzuspalten und acht zu geben wie ein Spion. — Als Viktor im Schloße war: stieß ihm der Pa¬ ter auf, der sagte, er gehe auch mit. Es war ein Gluͤck: denn ohne diesen Wegweiser haͤtt' er schwer¬ lich den Pfad durch ein Labyrinth von Zimmern in das veraͤnderte Krankenkabinet gefunden. Und mit ihm gieng wie ein Kybiz die Sorge durch alle Ge¬ maͤcher, er werde auf dem Gesichte der Fuͤrstin ein Klagl i bel gegen das inkarzerirte Billetdoux erblicken; aber nicht einmal ein Anfangsbuchstabe oder das rubrum eines Urthels stand auf ihrem Gesichte, als er vor sie trat, und seine Wetterwolke war seitwaͤrts gegangen. Wenigstens stieß eine, die uͤber der Fuͤr¬ stin selber hing, seine ab: sie war naͤmlich krank, aber nicht an Augen blos, und eine zweite Bot¬ schaft die ihn holen sollte, hatt' ihn nur verfehlt. Sie empfing ihn im Bette — nicht ihrer Krankheit sondern ihres Standes wegen: denn fuͤr Damen von einigem Range ist das Bette das Hoflager — die Moosbank — der Hochaltar — die Koͤnigspfalz — kurz der Fuͤrstenstuhl und Sessel. Wie der Philo¬ soph Deskartes, der Abt Galiani und der alte Schandy, so koͤnnen sie in diesem Treibhaus am besten denken und arbeiten. Ob sie gleich im Bette lag, so war sie, wie gesagt, doch nicht gesund, son¬ dern von Kopf- und Augenschmerzen angefallen. Da¬ her hatte sie von ihrer fortgeschickten Dienerschaft fuͤr heute nichts behalten als eine Kammerfrau, die sie sehr liebte, und die Muͤcke an der Wand, die sie irrte und unsern Doktor, der eines von beiden unterließ. Ich haͤtte eine im offenstehenden Bilder¬ kabinet seßhafte Hofdame gerne mitgezaͤhlet; aber sie saß so stumm und unbeweglich draussen, daß Viktor schwur, sie ist entweder ein Kniestuͤck oder — eine Deutsche — oder beides. Es ersparte den verbruͤh¬ ten Augen der Fuͤrstin eben soviel Schmerzen, daß der gruͤne Lichtschirm und die gruͤnen Atlastapeten und die gruͤnen Atlasgardinen im Krankenkabinet ein wogendes blaues Helldunkel zusammengoßen, als es gesunden Augen Vergnuͤgen verschaffte. Eine ein¬ zige Wachskerze, stand auf einem Leuchter, den alle Jahrszeiten einfaßten, naͤmlich abgebildete — uͤber welche Sitte der Großen, die Natur immer nur in U 2 Spielmarken, in effegie , und durchs Kopierpapier, nie in natura selber zu genießen, ich hier weder mei¬ ne Meynung noch die Gruͤnde sagen kan, weil ein ganzes Extrablatt vonnoͤthen waͤre, um nur unter so vielen moͤglichen Gruͤnden, warum sie uͤberall — auf den Tapeten — auf den dessur des portes — des trumeaux — des cheminées — auf den Vasen — auf den Leuchtern — auf den plats de menage — auf den Lichtscheer- Untersaͤtzen — in ihren Gaͤrten — auf jedem Quark eine Landschaft, die sie nie betreten, einen Salva¬ tor Rosa-Felsen, den sie nie besteigen, gern sitzen sehen. . . . ich sage, weil unter so vielen Gruͤnden, warum sie es thun und der alten Natur dieses jus imaginum einraͤumen, der wahre nur von einem Extrablaͤtgen auszuklauben waͤre, indem nur das es weitlaͤuftig entscheiden koͤnnte, ob es davon komme, daß ihnen die Natur, wie einem Liebhaber die Ge¬ liebte, bei der ewigen Trennung ihr Portrait ge¬ schenkt — oder davon, daß die Kuͤnstler ihnen, wie den alten Goͤttern, das gerade am liebsten bringen und opfern, was sie hassen — oder daß sie dem Kai¬ ser Konstantin gleichen, der zur naͤmlichen Zeit das wahre Kreutz abschafte, und die Abbildungen dessel¬ ben vermehrte und heiligte — oder daß sie aus fei¬ nerem Gefuͤhl das dauerhafte aber musivische Ge¬ maͤlde der Natur, in dem ganze Bergruͤcken die mu¬ sivischen Steingen sind, den zaͤrtern aber kleinern Vexirbilder der Kuͤnstler nachsetzen muͤßten — oder daß sie Leuten glichen (wenn's solche gaͤbe) die auf den Theatervorhang sich die ganze Oper mit allen Dekorazionen abmalen ließen, um sich das Aufzie¬ hen des Vorhanges und das Beschauen der Akte zu ersparen — — — Und doch, wenn das Extrablaͤtt¬ gen mitten im Entscheiden waͤre, wuͤrde jeder aus Hundshunger nach bloßen Faktis, Reißaus nehmen und auf nichts ausreiten als auf die Fortsetzung der Faktorum und auf das Ende des Extrablattes . Die Fuͤrstin hatte zwei Verhuͤllungen, wovon er die eine sehr liebte und die andre sehr haßte. Die geliebte war ein Schleier, der fuͤr ihre wunden Au¬ gen eine Bandage war; ihm aber war einer die Fo¬ lie und Fassung des weiblichen Gesichts und er machte sich anheischig, den Satz als Respondent und Praͤses zugleich zu vertheidigen, daß die Tugend nie besser mit Schoͤnheit belohnet werde als in St. Fe¬ rieux bei Besancon: denn beim Sittenfeste bekommt dort das beste Maͤdchen einen Schleier zu 6 Li¬ vres. — Die verhaßte Verhuͤllung waren die Hand¬ schuhe, gegen die er uͤberall seinen Fehdehandschuh hinwarf: »eine Frau — sagt' er im Hannoͤverischen »— wag' es einmal und ziehe gegen mich Le¬ » der , naͤmlich ihre Hand, und verfechte damit oh¬ »ne Huͤlfe der Esaushaͤnde, die Esaushaͤnde und sa¬ »ge, man muß sie nicht abziehen als im Bette. An¬ »ziehen muͤßte man sie hoͤchstens da, koͤnnt' ich re¬ »pliziren; aber ich werde repliziren: zu was dienen »denn am Ende die schoͤnsten Haͤnde, die ich sehe, »wenn sie immer unter den Fluͤgel decken liegen, als »wenn wir Maͤnner persische Koͤnige waͤren? Und »ist es dann zu streng wenn man Personen, die sol¬ »che nachgemachte Haͤnde von Leder oder Seide tra¬ »gen, ins Gesicht sagt, sie glichen der medizeischen »Venus, sogar bis auf die Haͤnde Die Hände der medizeischen Venus sind neu und ergänzt. ? Man ant¬ »worte?« — Ueberhaupt ist in diesem dunkeln gruͤnen Kabinet fast alles — Agnola's schoͤne roͤmische Schultern ausgenommen — zugehuͤllt: sogar zwei Heiligenbilder warens. Denn ein gemaltes Marienbild mit einer wah¬ ren metallischen Krone — es sollte kein Sinnbild der Regenten mit Vexier-Koͤpfen unter aͤchten Kro¬ nen seyn — deckten die Zedern der Bette Feder¬ buͤsche zu; und uͤber einen sehr huͤbschen h. Seba¬ stian von Tizian — aus dem Pallast Barbarigo in Venedig kopirt — (der Mann sah mit seinen Pfei¬ len wie ein Stachelschwein aus und hing doch neben ihrem Kopfkissen) hatte sie die Bettgardine weiter vorgezogen, als sein Namensvetter ohne Pfeile kam, der mehr anbetete als angebetet wurde. — Außer einem weiblichen Auge, das hinter einem Schleier ruht, giebts nichts schoͤneres als eines, das (hier hat der Teufel sechs End S hinter einander) ihn gerade wegleget. Dem armen Doktor schlug eine solche schoͤne Gluth entgegen — da er als Okulist verfahren wollte — daß er sogleich als Protomedi¬ kus ihres Kopfes verfuhr, um an ihre Hand zu fuͤh¬ len und sich dadurch zu retten. Denn waͤhrend sie den Handschuh Kallus von ihrer Hand — es waren aber nur halbe an den Spitzen ohne Handschuhe oder halbe Fluͤgeldecken d. h. hemiptera — herunterzupf¬ te: so war der Doktor, weil sie darauf hinsehen mußte, in der groͤßten Sicherheit von der Welt und das griechische Feuer fuhr ganz neben ihm vorbei. Daher ist recht mit Bedacht in die Feuerordnung der Moral ein ganzer fast zu langer Artikel hinein¬ gesetzt, der's jungen Maͤdgen verbietet, mit den Au¬ gen frei wie mit bloßem Lichte in der Visitenstube herumzugehen, weil so viel brennbares Zeug darin steht — wir saͤmtlich — sondern sie muͤssen sie in einen Strickstrumpf oder Naͤhrahmen oder in ein dickes Buch — z. B. in die Hundsposttage — stek¬ ken wie in eine Laterne. — Es ist warlich ein Skandal: seit ich und das Publikum im fuͤrstlichen Zimmer sind: folgt eine Ausschweifung nach der andern — ich meine Ster¬ nische. — Der fuͤrstliche Puls ging noch ein wenig erhitzter als dessen seiner, der ihn hier beschreibt. Sie hatte kurz vorher eh' er kam, einen warmen Verband aus zerbratnen Aepfeln von den Augen abgenommen. Sie begehrte einen Interimsverband, indeß man das praͤpariren wuͤrde, was der Doktor verordnete. Er konnte aber jetzt in der Nacht, bei diesem Wirwar des Helldunkels in allen vier Kammern seines Ge¬ hirns und in den acht kleinern Gehirnen der vierten Gehirnkammer keinen Augendoktor auftreiben als den D. v. Rosenstein , der darin aufstand und ihm rieth, er sollte rathen, Safranpulver, ⅕ Kampfer und zerschmolzene Winteraͤpfel auf gezupfte feine Linnen zu streichen. Die Kammerfrau wurde fortgeschickt, die Zubereitung des Rezeptes zu besorgen oder zu be¬ fehlen, nachdem sie vorher ein schwarzes Taftband mit der Aepfel-Emulsion um zwei der schoͤnsten Au¬ gen vorgebunden hatte, die einer angenehmern Binde und Blindheit wuͤrdig waren. Ich bin lebhaft, wenn ich schreibe, die Emulsion schien aus dem Apfel der Schoͤnheit — und das schwarze Band aus aneinan¬ der gestoßenen Schminkmuschen gemacht zu seyn. Der Pater ging auch fort, sobald er die Hofnung der baldigen Heilung vom Doktor hatte. Fuͤr den Medikus wars aber wahrhaftig jetzt kein Spas, ei¬ nem italienischen Rosen- und Madonnengesicht gegen¬ uͤber zu sitzen — noch dazu so nahe, daß er den Athem fluͤstern hoͤren kann, nachdem er ihn vorher wachsen sehen konnte — einem Gesicht gegen uͤber zu halten (mein' ich war kein Spas) auf dem Ro¬ sen den Lilien eingeimpfet sind wie Abendroͤthe den lichten Mondwolken und das ein malerischer Schat¬ ten, naͤmlich ein schwarzes Ordensband, eine priester¬ liche Kopfbinde, ein wahrer postillon d'amour so schoͤn zertheilt und hebt — ein zugebundnes Gesicht, das er recht bequem in einem fort anschauen kann und das sich (in einer diagonalen pittoresken Attituͤde) auf das Kopfkissen und auf die Hand, ihm zugerichtet, fluͤtzt. . . . Ich haͤtte einen Klimax machen und bei Bastians Seele anfangen sollen, die heute aus ihrer eignen Schwermuth, aus ihren Sorgen, aus ihrer durch die pharmazeytische Verlaͤumdung vergroͤßerten Liebe fuͤr Agnola lauter Schoͤnheitslinien und fluͤßige Tuschen machte, um damit in Bastians Gesicht ein so schoͤnes neues hineinzumalen als je eine schoͤne Seele eines auf Leinwand, oder am eignen Kopf oder an einem fremden erschaffen hat. Agnola machte wohl diese Bemerkung eher als ich. Es that freilich dem Paare schlechten Vorschub, daß es unter — nicht vier (denn Agnola war zuge¬ hangen) sondern unter — zwei Augen war; die zwei andern Augen im Kabinet — aus denen Viktor nicht eher klug werden konnte als jetzt da die fuͤrstlichen zu waren und er ohne Fragen durch Blicke und An¬ laͤcheln das starre Ding auf dem Sessel drinnen im Kabinet untersuchen konnte — waren wahrhaftig ge¬ mahlt und der Rumpf dazu, worin sie saßen. Es frappirte ihn jetzt, daß er wider alle Etikette allein bei der Fuͤrstin seyn durfte; aber er sagte sich, sie ist eine Italienerin — eine Pazientin — eine kleine schoͤne Phantastin — (Letzteres war sogar aus dem ungewoͤhnlichen Winterneglig é und Sizilien-Feuer ersichtlich.) — Er konnte bisher (und auch heute vor dem Thorschluß der Augen) den rechten Ton gar nicht bei ihr treffen; denn da sie zu fein war fuͤr eine Deutsche, zu wenig zaͤrtlich fuͤr eine Eng¬ laͤnderin, zu lebhaft fuͤr eine Spanierin: so haͤtt' er auf sie freilich geschrieben p . p . p . ( passé par Paris , welches auf den uͤber Paris gelaufnen Briefen steht,) haͤtt' es, sag' ich‚ waͤre sie nicht wieder zu innig¬ leidenschaftlich gewesen fuͤr eine Pariserin. Daran sties sichs. — Aber da zwei Menschen sich muthiger und freier unterreden wenn einer oder beide im Fin¬ stern sitzen — und Agnola saß da: — so war Vik¬ tor doch heute nicht ganz und gar so einfaͤltig wie ein Schaf. Noch dazu machte ihn der Kleinodien¬ schrank beherzt, in dem er — sie konnt' es nicht sehen, daß er unhoͤflich herumsah — zu seiner Freude unter 20 Uhren keine montre à regulatuer ausfand. Sie fragte ihn, ob sie bis zum 3ten Feiertage so hergestellt seyn werde, daß sie zum Vergnuͤgen des Fuͤrsten auf dem Balle etwas beitragen koͤnne. Er bejahte es, ob er gleich wußte, sie truͤge noch mehr bei, wenn sie wegbliebe und ob sie gleich dasselbe wußte. — Hier dauerte sie ihn und er wollt' ihr alles offenbaren. Er wollte nicht etwan plump sa¬ gen: »in Großkussevitz mußte mich der Teufel reiten, »daß ich in die die Uhr Ew. Durchlaucht eine Lie¬ besdeklaration eingeschwaͤrzet: «sondern er wollte im schoͤnsten Seelenergusse aus dem pochenden Busen nie¬ derfallen und sagen: »nicht aus Furcht der Strafe, »sondern aus Furcht, daß das Gestaͤndniß meines »Fehlers einige Aehnlichkeit mit der Wiederholung »desselben habe, hab' ichs bisher verborgen, daß ich »einmal eine Hochachtung, in der ich nur Ihren »Hof, und nicht den Gebieter desselben nachahmen »darf, weniger zu stark, als zu kuͤhn ausgedruͤckt »habe; aber die Staͤrke der Gefuͤhle wird leicht mit »der Rechtmaͤßigkeit derselben verwechselt.« — Er setzte dieses Niederfallen noch aus, weil er hinter der Gardine einen goldnen Streif wahr¬ nahm, der der Anfang eines Bilderrahmens zu seyn schien. Dieses Einfassungsgewaͤchs mußte doch um etwas herumlaufen, um ein Bild mein' ich — und das wollt' er gern wissen. Der verdammte Hofapotheker samt seiner Ver¬ laͤumdung hatt' es zu verantworten, das er das wollte: nicht als ob er glaubte, daß Mazens Gesicht umgoldet hinter dem Bette hinge: sondern weil ihm heute allerlei aufgefallen war. Er konnt' es, da ih¬ res Auges Tapetenthuͤr und Sprachgitter schwarz verhangen war, recht leicht machen: er durfte nur die linke Hand leis' auf die Bettkante aufstemmen und so hineingebogen, und uͤber ihr mit gehaltenem Athem schwebend, mit der rechten uͤber das Bette (es war schmal und er lang) hinuͤbergreifen und die Gardine ein wenig zupfen — so wußt' er, was da¬ hinter hing. Ich sag' es noch einmal, ohne den Apotheker waͤr's ihm gar nicht eingefallen. Eine Verlaͤumdung macht, daß man wenigstens jede Hand¬ lung um ihren Paß befragt — man thuts bloß, um die Verlaͤumdung recht augenscheinlich zu widerlegen — und da oft die unschuldigste keinen Gesundheits¬ paß hat: so schuͤttelt man den Kopf und sagt: es ist wahre Verlaͤumdung, aber aufpassen will ich doch Er hatte etlichemal den Versuch gemacht, hin¬ uͤber zu langen; aber da sie immer zu sprechen und er immer zu antworten hatte, so gings nicht, wenn er nicht seine Approximation an ihre Ohren verra¬ then wollte. Die Gespraͤche betrafen den Ball — die Gegenwart und Krankheit ihrer Hofdame Klo¬ tilde — die Vikariussin derselben, Joachime, uͤber deren Vokazion sich Viktor herzlich kalt ausdruͤckte: er konnte es bei Agnola niemals uͤber Hof-Nouvel¬ len hinaustreiben; sie schien alles Abstrakte und Me¬ taphysische zu hassen oder zu ignoriren und von Em¬ pfindungen mit ihr zu reden — was er sonst bei jeder am liebsten that und wozu ihm auch des Ge¬ mahls seine Anlaß und Stof genug gegeben haͤtten — kam ihm nicht viel besser vor, als sie gar zu haben . Als er seine kalte Antwort uͤber die Koadjutorie Joachimens gegeben hatte — eine Kaͤlte, die mit seiner heutigen schwaͤrmerischen gefuͤhlvollen Waͤrme fuͤr die Fuͤrstin einen schmeichelhaften Kontrast mach¬ te: — so wollt' er in die halbe Takt-Pause darauf, welche Agnola mit Denken ausfuͤllte; die Aufhebung des Vorhangs verlegen. Er stemmte die Hand auf, hielt den Athem auf, zog den Vorhang auf — aber der H. Sebastian war dahinter, den ich schon oben besagt. Der Heilige kam ihm noch schlimmer vor als Maz — nicht weil er dachte, das Portrait sey sein Namensvetter, sondern weil ihm einfiel, war¬ um die Weiber in Italien zuweilen Heiligenbilder vorhaͤngen. Die Ursache kann bekanntlich einen Kupferstich zu den zehn Geboten — Goͤschen und Penzel sollten den Katechismus mit geschmackvollern Verboten-Stichen ediren — abgeben. Auch die Ma¬ ria uͤber dem Bette war mit Federbuͤschen und allem verschleiert. . . . . Zeusel, Zeusel! haͤttest du nicht medisiret, diese ganze Biographie liefe (so viel ich voraussehen kann) wohl anders! — Er erhielt sich durch Anstemmung der Rechten an die Wand, uͤber der schoͤnen Blinden schwebend, weil ihn eine neue kleine Weltkugel bei der Zentripetal¬ kraft anfaßte und ihn aus seinem Zuruͤcklaufe brach¬ te. — Denn weil die Kranke auf der rechten Seite ruhte: so war vom aufgerollten Haar eine Welle nach der andern uͤber das Herz und uͤber den Lilien¬ huͤgel, den Seufzer tragen, hinuͤbergeflossen und die zum andern Huͤgel sinkenden Locken hatten dort nicht so viel uͤberdecken koͤnnen als sie hier entkleidet hat¬ ten. Den Locken sank langsam das Spitzengewebe nach und die Herzblaͤtter und die reifen Bluͤten blaͤt¬ terten sich ab von der aufdringenden Aepfel Frucht ... Theurer aͤsthetischer Held dieser Posttage, wirst du ein moralischer bleiben, jetzt ungesehen haͤngend uͤber diesem wahren globe de compression von Be¬ bor — uͤber dieser zunehmenden Mondkugel, wovon man nie die andre Haͤlfte sieht — neben ei¬ ner Anhoͤhe, die man wie andre Anhoͤhen um keine Festung dulden sollte — und noch dazu an einem Hofe, wo man sonst alles Erhabne durch die Kleiderordnung erdruͤckt? Sobald er aus dem Bette und Paullinum ist : will ich mit dem Leser weitlaͤuftig uͤber den ganzen Kasus disputiren — jetzt muß er erst erzaͤhlt werden in Einem fort und mit vielem Feuer. Er war gleichsam in die Luft geheftet — Aber endlich wars Zeit, aus dieser Kulmination aller Ge¬ fuͤhle und der Stellung zu weichen. Noch dazu er¬ hoͤhte ein neuer Umstand die Gefahr und den Reiz seiner Attituͤde zugleich — Ein langer Seufzer schien ihren ganzen Busen zu uͤberladen und aufzuheben und wie ein Zephyr, durch einen Lilienflor zu wogen — und der uͤberbauende Schneehuͤgel schien vom schwellenden Herzen, das unter ihm gluͤhte, und vom schwellenden Seufzer zu zittern — Die Hand der zugehuͤllten Goͤttin bewegte sich mechanisch nach dem eingekerkerten Auge als wollte sie eine Thraͤne hin¬ ter dem Bande weg druͤcken. Viktor, in Sorge, sie verschiebe die Binde, zieht die Rechte ab von der Wand und die Linke vom Bette, um auf den Zaͤhen schwebend, ohne Bestreifen sich aus diesem Zauber¬ himmel herauszubeugen. — — Zu spaͤt! — Das Band ist herab von ihren Au¬ gen, — vielleicht war sein Seufzer zu nahe gewesen oder sein Schweigen zu lange. — Und die enthuͤllten Augen finden uͤber sich einen begeisterten, in Liebe zerronnenen, im Anfange einer Umarmung schwebenden Juͤngling. . . . Erstarrt hing er in der versteinernden Lage — ihre von Schmerzen entbrannten Augen uͤberquollen schnell vom mildern Lichte der Liebe — sie sagte heiß und leise: com¬ ment ? — Und gelaͤhmt zur Entschuldigung, bebend sinkend, gluͤhend, sterbend faͤllt er auf die heissen Lippen nieder und auf den schlagenden Busen — Die Betaͤubung, die Entzuͤckung, die Liebe, die Ver¬ zweiflung schlossen seine Lippen an ihre zum trinken¬ den, druͤckenden, brennenden Kusse zusammen . . . . als ploͤtzlich sein auf jeden Laut einer fremden Annaͤ¬ herung lauerndes Ohr den — Nachtwaͤchter zwoͤlf Uhr ausrufen hoͤrte. — — Wie ein Weltgericht in Nachtwolken schmetterte des Mannes einfache Ermahnung, an den Tod und an die zwoͤlfte Geisterstunde dieses Mitternachtle¬ bens zu denken, in seine Ohren, vor denen die Blut¬ stroͤme des Herzens voruͤberbrausten — Der Ruf auf der Gasse schien von Emanuel zu kommen uud zu sa¬ gen: »Horion! Beflecke deine Seele nicht, und falle »nicht »nicht ab von deinem Emanuel und von deinem Va¬ »ter! Schau' an die Leinwand uͤber ihrem kranken »Auge als verhuͤllte es der Tod — und sinke nicht!« »Ich sinke nicht!« sagte sein ganzes Herz: er wand sich mit ehrerbietigem Schonen aus den pulsi¬ renden Armen und fiel, erstarrend vor der Moͤglich¬ lichkeit einer Nachahmung des elenden Matthieu, den er so verachtet hatte, außerhalb des Bettes an ihrer hinausgenommenen Hand mit vorstroͤmenden Thraͤnen nieder und sagte: »Vergeben Sie dem Juͤngling, — seinem uͤber¬ »waͤltigten Herzen, — seinen geblendeten Augen — »— ich verdiene alle Strafen, jede ist mir eine Ver¬ »gebung — aber ich habe niemand vergessen als »mich. — — » Mais c'est moi que j'oublie en Vous » pardonnant « Aber ich vergesse hingegen mich wenn ich verzeihe. sagte sie mit einem zweideutigen Auge — er stand schweigend auf und waͤhlte in ei¬ ner Antwort, in der man ihm die Wahl der gelin¬ desten oder der haͤrtesten Auslegung anzubieten schien, gern die letztere und suchte sich selber willig mit die¬ ser Demuͤthigung heim. Er trat in die ehrerbietigste Entfernung zuruͤck, und Agnola in die stolzeste. Durch einen geheimen Druck an die Wand, der glaub' ich eine eigene Klingel im Zimmer der Kammerfrau Hesperus. II . Th. X regirte, gab sie ihr den Befehl zu eilen — und in einigen Minuten kam diese mit der Augen-Gurt. Natuͤrlicherweise spielte man (wie im Leben des Men¬ schen) den fuͤnften Akt so hinaus als waͤre der dritte und vierte gar nicht da gewesen. — Dann zog er hoͤflich ab. So! — Nun fangen ich und Leser daruͤber zu debattiren an und Viktor daruͤber zu denken. Recht war seine Umarmung nicht — seine Entdeckungsreise mit der Hand und seine Gemaͤldeausstellung wars auch nicht — aber klug war sie: denn er konnte doch warlich nicht zuruͤckpurzeln und sagen: »ich dachte, »Maz hinge hinter dem Bette.« — — Darauf ant¬ worten mir freilich Leute von Erfahrung: »wir sind »hier nicht daruͤber mit ihm unzufrieden, daß er »die Klugheit der Tugend vorzog, sondern daruͤber »vielmehr, daß er's nach dem Kusse nicht wieder so »machte — Dieser Kuß ist ein zu kleiner Fehler, »als daß ihn Agnola vergeben koͤnnte.« Ich sehe, diese Leute von Erfahrung sind Anhaͤnger von der Sekte, die in meinem Buche die Fuͤrstin wegen so vieler halben Beweise unter diejenigen Weiber rech¬ net, die zu stolz und zu hart fuͤr die Liebe des Her¬ zens, die Liebe der Sinne nur fluͤchtig mit der Liebe zum Herrschen alterniren lassen und die es nur thun, um aus Amors Binde ein Leitseil, aus seinen Pfei¬ len Sporen oder Steigeisen zu machen. Es sind mir auch die halben Beweise recht gut bekannt, wo¬ mit sich diese Sekte deckt, — die Bigotterie der Fuͤrstin — ihr Beichtabend — ihre bisherige Auf¬ merksamkeit fuͤr meinen Helden — das Verdecken der gemalten Marie und das Enthuͤllen der gebilde¬ ten — und alle Umstaͤnde meiner Erzaͤhlung. Aber ich kann so etwas von einer Freundin Klotildens (diese muͤßte sich denn gerade deswegen von ihr ge¬ schieden oder aus Seelenguͤte diese dem maͤnnlichen Geschlechte gewoͤhnlichern Eilboten des Tempera¬ ments gar nicht begriffen haben) — unmoͤglich eher denken als bis mich in der Folge offenbare Spuren eines mehr erbitterten als gekraͤnkten Weibes dazu noͤthigen. — Ich komme von meinem Versprechen ganz ab, ei¬ niges naͤher zu legen, was gewiß bei Unpartheiischen meinen Held wo nicht rechtfertigt doch entschuldigt, daß er nach dem Kusse so zu sagen wieder tugend¬ haft wurde. Ich stelle keck unter seine Milderungs¬ gruͤnde seine Unbekanntschaft mit solchen Weibern, die gleich den Spartern, muthig nicht nach der Zahl der Feinde ihrer Tugend fragen sondern nach dem Orte derselben: er war wohl bei ihnen und in ih¬ rem Lager, aber seine Tugend hinderte sie, ihm die ihrige zu zeigen. — Nicht so viel wie durch jenes wird er durch die Einwirkung des Nachtwaͤchters und durch das Erinnern an den Tod entschuldigt; X 2 denn das muß selber entschuldigt werden — es ist aber auch nur gar zu gewiß, daß gewisse Menschen, die zu Philosophen oder zu Dichtern organisirt sind, gerade dann und zwar allemal statt ihres Zustandes allgemeine Ideen beschauen, wo es andere gar nicht koͤnnen und nichts sind als Ichs , naͤmlich in den groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den groͤßten Freuden. — Ein Billiger schiebet alles auf den Apotheker, der Viktors moralischer und mechanischer Bettzopf oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf) vorgemalet hatte: so wurde der Abscheu, den Viktor einige Tage vorher gegen des Evangelisten Betragen empfunden hatte, in ihm zum paralytischen Unver¬ moͤgen, einige Tage darauf im geringsten es zu kopi¬ ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir oder andre uns versuchen, ein Paar Tage vorher von einem wahren Schuft haͤtten begehen sehen, den wir anspeien! — Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker, wo er jetzt sitzt in einem sonderbaren Barometer¬ stand, hinsehen, wenn man den vorigen beurtheilen will. Sein jetziger ist naͤmlich eine Mischung von Leerheit, Unzufriedenheit (mit sich und jedem,) von groͤßerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen dieser Agnola und doch von einem Unvermoͤgen , sie sich als eine nahe Freundin Klotildens zu denken. — Mich wird das Wenige, was ich in der Eile zu¬ sammengetragen, niemals reuen, wenn ich dadurch einige gluͤckliche Winke gegeben haͤtte, wie gut mein Held bei seinem Betragen nach dem Kusse, das strengen Leuten von Welt auffallen muß, eine unan¬ genehme Vereinigung von moralischen Zwangsmitteln vorschuͤtzen koͤnne und wenn es mir also gegluͤckt waͤre, ihm die Hochachtung, um die er sich brachte, weil er den fuͤr seinen Finger zu weiten Fuͤrstenring nicht mit dem Bande der Liebe uͤberwickelte, am Ende des 27ten Kapitels wieder zu gehen. . . . 28. Hundsposttag . Osterfest . E inen Hundstag, der so lang und wichtig ist und der das zweite Heftlein beschließet, wie der 28te, darf man schon in drei Feiertage zerfaͤllen. Erster Osterfeiertag . Ankunst im Pfarrhause — Klub der Drillinge — Karpfe. — A m ersten Ostertage schlich Sebastian voll Schnee¬ wolken wie der Himmel uͤber ihm, aus dem Todten¬ haus der Tugend, aus den Wirthschaftsgebaͤuden der Leidenschaften, ich meine aus der Residenzstadt — aber erst gegen Abend, um heute mit seinem von ei¬ nem halbjaͤhrigen Gewitterregen bodenlos gewordnen Herzen keinem Freunde lange zur Last zu seyn. Auf dem Berge, hinter dem Flachsenfingen wie durch ei¬ nen Erdfall einsinkt, kehrt' er sich um gegen die dunkle Stadt und ließ vor seiner Seele die Erinne¬ rung wie einen Abendnebel voruͤberziehen, wie er vor drei Vierteljahren im Abendglanze des Sommers und der Hofnung, so froͤhlich uͤber diese Haͤuser geblickt habe — ich beschrieb' es auch am Ende eines Heft¬ lein — und er verglich seine damaligen Prospekte mit seiner heutigen Wuͤste; er sagte entlich: »sage »dir's nur gerade zu, was du hast und willst — »du hast naͤmlich nichts mehr, kein geliebtes und »liebendes Herz in der ganzen Stadt — aber du » willst noch einmal nach St. Luͤne marschiren und »ganz verarmt vom blassen Engel, den dein ausge¬ »stohlnes Herz nicht vergessen kann, den zweiten »Abschied nehmen, wie du der Sonne nachsteigst »und sie, wenn du ihren Untergang aus einem Thale »gesehen, noch einmal auf einem Berge sinken »siehest.« . . . . Fuͤnf halbe Sabbatherwege vom Dorfe erblickte er den Hofkaplan von einem Katechumenen (sowohl des Schneiderhandwerks als des Christenthums) ge¬ jagt. Vergeblich suchte er und der junge Schneider den vorausgesetzten Seelenhirten zu erlaufen. Der Hirt kantonirte nicht eher als bis der Junge in sein Haus war: ein Hundert und Zwanzigpfuͤnder (das ist mein physisches Gewicht) bekoͤmmt nicht mehr aͤst¬ hetisches, wenn er die unbedeutende Ursache des un¬ bedeutenden Rennens so lange bei sich behaͤlt und es nicht eher sagt als jetzt, daß der Kaplan durchaus niemand hinter sich gehen hoͤren konnte, weil er be¬ sorgte, der Mensch erschmeiss' ihn von hinten. Nun wollte der Lehrbursche in die Fußstapfen seines geist¬ lichen Meisters treten und ihm nachkommen — ie aͤrger der Meister ins Freie setzte, um jenen zuruͤck¬ zulassen, desto weiter sprang der Schuͤler vor ihn zu ertappen — das war der ganze Bettel, aber so jagen Menschen, Menschen. Viktor lief mit aufgeflognen Armen an feine haͤn¬ genden, die der Eigner in der Angst nicht erheben konnte. Aber im Pfarrhause legten sich zwei waͤr¬ mere um seinen gedruͤckten Busen, die seiner Lands¬ maͤnnin; und die Pfarrerin truͤbte seine und ihre Auferstehungs Freude nicht mit einer einzigen Klage uͤber seine bisherige Entfernung — er erwiderte diese freundschaftliche Feinheit, die dem andern unnuͤtze Entschuldigungen erlaͤsset, mit doppelter Waͤrme und mit einem voluminoͤsen Klaglibel gegen seine eigne Narrheiten. — Sie fuͤhrte ihn eine Treppe im freu¬ digen Heute mit lauter erleuchteten Stockwerken durchbrochnen Pfarrhause hinauf an ihres theuren Sohnes Brust und vor die Augen der drei verwand¬ ten Soͤhne aus Einem Vaterland, vor die Dril¬ linge. . . . O ihr vier Menschen Eines Herzens druͤckt mei¬ nes verlassenen Viktors seines an eurem warm und macht den Guten froh, nur auf einen Abend. . . . Ich bin's warlich selber, seit dem Pascha-Aus¬ gange aus dem Flachsensingischen Aegypten: Ich will daher das 28te Kapitel so lang machen wie das Baddorf selber ist. Meinem Werke wird dadurch Gewicht ertheilt bei wahren Kunstrichtern — aber auch bei Postmeistern, die von mir, wenn ich's in die Verlagshandlung absende, fuͤr's Waͤgen etwas Erhebliches ziehen. . . Soll aber ein Autor so schaͤ¬ bigt sein und seine Empfindungen, bloß weil sie ein Postsekretair mehr nach seiner eignen abwiegt als nach der Posttaxe des Porto's wegen abkuͤrzen? Und muntert mich nicht die Kur- die Fuͤrsten- und die Staͤdte Bank in Regenspurg zum Gegentheil auf, zu verlaͤngerten Empfindungen, indem besagte Baͤnke mir durch einen Reichsabschied zwei Drittel Postgeld fuͤr Drucksachen erlassen, um die Gelehrsamkeit, hoffen sie, in Gang zu bringen und die Empfindsamkeit? Der edle Evangelist war zwar auch mit droben — er und Joachime hatten die Hofdame hoͤflich zu den Eltern begleitet — aber hier auf dem Lan¬ de , wo weniger moralisches Unkraut steht als in Staͤdten (so wie weniger botanisches in Feldern als Gaͤrten ,) und wo man Freuden ohne maitres de déplaisirs genießet, hier wo in Viktor die Liebe des Vaterlandes die Sehnsucht nach jeder andern stillte, konnte niemand ungluͤcklich seyn als der der's verdiente. Maz verschwand da wie eine Kroͤte un¬ ter Tulpen. Viktor haͤtte die Britten geliebt, auch ohne die vaterlaͤndische Blutsverwandschaft — und haͤtte die Hollaͤuder gelaͤstert, auch mit derselben; daher schreibt sich seine unbesonnene Rede, diese Na¬ tionen malten sich in ihren Tabakspfeifen, indem die englischen aufgerichtete Koͤpfe haͤtten und die belgischen haͤngende . Alle drei waren von der Oppositionsparthei und verloren ihr kaltes Blut uͤber das eiskalte von Pit. Der Korrespondent der Hundstage schreibt mir nicht, warum — ob's war, weil sie vom Minister beleidigt wurden — oder ob sie am fuͤrchterlichen Weltgerichte und der Todtenauferstehung in Frankreich, wo die Sonne uͤber Phoͤnix Asche und Krokodilleneier zu¬ gleich bruͤtet, naͤhern Antheil nahmen — oder wes¬ wegen sonst. Er berichtet mir uͤberhaupt nichts weiter von ihnen als ihre Namen, naͤmlich Kaspar, Melchior und Baltasar Nach der gemeinen Meinung: denn ich bin der andern zugethan, nach der sie heissen Ator, Sator, Peratoras — Diese Namen unterscheiden die Könige ganz von den Hir¬ ten, die Misati, Acheel, Cyriakus und Stephanus heissen und auch eher kamen, Casaub' oxercit. ad Ann. Berron. II . 10. , welches die Namen der h. drei Koͤnige aus Morgenland waren. Der, der sich aus Laune Melchior nannte, ver¬ barg unter einer phlegmatischen Eiskruste eine Aequa¬ torgluth und war ein Hekia, der erst seine Eisberge spaͤlt eh' er Flammen ausschuͤttet: mit kaltem Auge und schlaffer Stimme und welker Stirne sprach er einsilbig, vielsinnig, geprest, — er sah die Wahrheit nur in einem Brennspiegel und seine Dinte war eine wegreissende Wasserhose. — Der zweite Englaͤnder war ein Philosoph und Deutscher auf einmal. Den aͤltern Kato, der zugleich den Mohrenkoͤnig vorstellte, kennt jeder. Es ist mir so lieb als wenn ich's selber waͤre, daß gerade mein Held durch eine groͤßere hei¬ tere Besonnenheit der Denkfreiheit von ihnen allen unterschieden war — ich meine jenes sokratische helle Auge, das frei uͤber und durch den Garten der Baͤu¬ me des Erkenntnisses umherblickt und das waͤhlet wie ein Mensch, anstatt daß andre vom Instinkt, irgend einem Satze, irgend einem Apfel dieser Baͤu¬ men ausschliessend zugetrieben werden wie jedes In¬ sekt seiner Frucht. Die moralische Freiheit wirkt so gut auf unsre Meinungen als auf unsre Thaten; und trotz der Entscheidungsgruͤnde beim Verstande und trotz der Bewegungsgruͤnde beim Willen waͤhlt doch der Mensch sowohl sein System als sein Thun. Daher waͤren die Drillinge beinahe noch vor dem Abendessen kalt gegen Sebastian geworden im Lieben, bloß weil er's war im Urtheilen. Er war heute mit ihnen zum erstenmale in einem Falle, worin er mit Flamin jeden Tag dreimal gerieth: gewisse Menschen verschmerzen lieber uneingeschraͤnkten Widerspruch als eingeschraͤnkten Beifall. Die Sache war die: Matthieu gab durch seine satirischen Uebertrei¬ bungen, der kleinen Unaͤhnlichkeit zwischen Viktor und ihnen ein immer groͤßeres Relief. Er sagte, (nicht um anzuspielen sondern um es zu scheinen) die Fuͤrsten, von denen die Unterthanen wie vom sinesi¬ schen Koͤnig, die Witterung des Staats erbaͤten, haͤlfen sich wie jener Rektor, der den Kalender selber verfaßte und seinen Schuͤlern (hier den Guͤnstlingen der Fuͤrsten) zuließ, das Wetter dazu zu machen. Auch sagt' er, die Dichter koͤnnten wohl fuͤr die Freiheit singen aber nicht sprechen , sondern sie machten in furchtsamer Verfassung unter der Larve der Tragoͤdienhelden die Stimme der Helden nach, so wie er einen aͤhnlichen Spas oft an einem gebrat¬ nen Kalbskopfe gesehen, der der ganzen table zu bruͤllen geschienen wie ein lebendes Kalb, indeß nichts als ein lebender Laubfrosch darin gesteckt waͤre, dessen Quaͤcken nur daraus erklungen. Aber Eine noch groͤßere Feigheit waͤr's, sagte Viktor, nicht einmal zu singen; allein ich weiß, die Menschen sind jetzt weder barbarisch noch kultivirt genug, um die Dichter zu goutiren und zu befolgen: die Dich¬ ter, die Religion, die Leidenschaften und die Weiber sind vier Dinge, die drei Epochen erleben, wovon wir erst in der mittlern sind, sie zu verachten, die vergangne war, sie zu vergoͤttern, die kuͤnftige ist, sie zu verehren. Die erzuͤrnten Drillinge glaubten be¬ sonders, die Religion und die Weiber waͤren bloß fuͤr den Staat. Viktors republikanische Gesinnun¬ gen waren ihnen ohnehin schon wegen seiner aristo¬ kratischen Verhaͤltnisse zweideutig. Da er nun gar dazu setzte: die Staatenfreiheit habe mit den kleinern Abgaben, mit groͤßerer Sicherheit des Eigenthums, mit besserem Wohlleben, kurz mit der Steigerung des sinnlichen Gluͤcks gar nichts zu schaffen, alles das wohne oft noch reichlicher in Monarchien und das, wofuͤr man Eigenthum und Leben opfere, muͤsse doch etwas hoͤheres seyn als Eigenthum und Leben — da er ferner sagte: ein jeder Mensch von Kultur und Tugend lebe in einer repbulikanischen Regierungs¬ form trotz den Verhaͤltnissen seines Leibes, so wie ja Gefangne in Demokratien doch die Rechte der Freiheit genießen — und da er gar nicht sowohl fuͤr den Minister und das Oberhaus als fuͤr das englische Volk der Waffentraͤger und Kontradik¬ tor wurde, weil die Grundsaͤtze von den ersten bei¬ den von jeher des letzten seine bekriegt und doch nicht bestimmt haͤtten: weil die jetzige Klage so alt waͤre wie die (englische) Revolution; weil der Grund¬ riß der letztern nur in einer foͤrmlichen Gegenrevolu¬ tion zerschlitzet werden koͤnnte, weil alle Ungerechtig¬ keiten nach dem Schein der Gesetze begangen wuͤr¬ den, welches besser waͤre als eine Gerechtigkeit wi¬ der den Schein der Gesetze: und weil das Sprachgitter , daß man jetzt um die englische Preßfreiheit gemacht, nicht schlimmer sey als die Athenischen Verbothe zu philosophiren, sondern bes¬ ser als die Konzessionen der roͤmischen Kaiser, auf sie zu pasquilliren. — — . . . Die Englaͤnder lieben lange Roͤcke und Re¬ den. Da er mit » da « anfing: so muß in seinem wie in meinem Perioden » so « darauf kommen. .. So war's keinem Teufel recht und Kato der aͤl¬ tere sagte, »wenn er diese Prinzipien im Oberhause »vortruͤge, so entstaͤnde der groͤßte Laͤrm daruͤber, »aber aus Beifall und jeder Hoͤrer schrie noch: hear » him! « Viktor sagte mit der Bescheidenheit eines Weltmannes: er sey ein so warmer Republikaner und Altbritte wie sie alle, nur heute sey er zu un¬ faͤhig um »sich, aus diesen Grundsaͤtzen zu erweisen »daß er ihnen gleiche; — vielleicht im naͤchsten »Klub!« — »Und der kann (sagte der Hofkaplan) »an meinem Geburtstage gehalten werden, in wenig »Wochen.« — Wenn wirs erleben, ich und Leser, so wird man uns hoffentlich als Altgevattern mit dazu invitiren: wir waren das erstemal (am 6ten Hundsposttage) bekanntlich auch dabei. Mein Held foderte den Menschen (auch mit aus Indolenz) zu wenig Achtung ab. Er arbeitete zwar um diesen Arbeitslohn; wenn sie ihm aber nichts gaben: so wußt' er tausend Entschuldigungen fuͤr die Menschen und zog seinen Muͤnzstempel heraus und schlug sich selber eine Ehrenmedaille, indem er da¬ bei schwur: »ich will verdammt seyn, wenn ich mich »nicht das naͤchstemal stolzer auffuͤhre und minder »nachsichtig und uͤberhaupt ernsthafter, um eine ge¬ »wisse Ehrfurcht zu erregen.» Das naͤchstemal soll noch kommen. Er vergab daher den Drillingen so schoͤn, daß sie endlich den Menschenfreund mit lei¬ denschaftlichen Armen auf immer an ihre Seele schloßen. Nach einer solchen Gradualdisputazion machte er nichts liebers als etwas recht Tolles, Galantes, Kindisches — dasmal war's ein Weg in die Kuͤche. Catinat sagte, der nur sey ein Held, qui jouerait une partie de quilles au sortie d'une bataille gagnée ou perdue — oder der nach einer gewonnenen Di¬ sputation in die Kuͤche gehen kan. Entweder nichts oder alles ist in diesem Nebel-Leben wichtig, sagt' er. In die Kuͤche, die nicht so schmutzig war wie ein franzoͤsisches Schlafzimmer, sondern so rein wie ein belgischer Viehstall, war schon ein anderer Fest¬ hase und ausserordentlicher Envoyé eingelaufen, der Hofkaplan, der da seinem Berufe oblag. Er mußte zusehen, ob sein Karpfen-Vierpfuͤnder — aus dem Pastoralteich gebuͤrtig und fuͤr den Adoptivsohn Ba¬ stian ausdruͤcklich ausgewintert — nicht sowohl recht abgeschuppet (daruͤber setzt' er sich mit wenig Philo¬ sophie hinweg) als recht geschwaͤnzet wurde. Es konnt' ihm doch wahrhaftig nicht gleichguͤltig seyn, sondern als Mensch mußt' er den Schmerz zugleich empfinden und bekaͤmpfen, wenn ein Karpfe von so¬ viel Pfunden als ein Sterblicher Gehirn hat, so jaͤmmerlich hinausgeschlitzet wird, daß das eine Schwanzquotum nicht kleiner ist wie ein Haarbeutel und das andre nicht groͤßer als eine Floßfeder.— Und doch ist diese ganze Nominalterrizion von gerin¬ gem Belang gegen eine ganz andre Realterrizion (so sehr verschwindet erheblicher Kummer vor groͤßerem) die den Pfarrer mit der Drohung aͤngstige, daß man die Gallenblase des Vierpfuͤnders zerdruͤcke. — — Seine haͤtte sich der andern sofort nachergos¬ sen —: »Um Gottes willen bedaͤchtiger, Appel! » verbitter ' mir den ersten Ostertag nicht», sagt' er. Galle ist nach Boͤrhave wahre Seife ; daher waͤschet die satirische die halbe Lesewelt gleissend und rein uud die Leber eines solchen Menschen ist die Seifenkugel eines Welttheils und seiner Kolonien. Es lief indes herrlich ab. — Aber beim Him¬ mel! die Welt sollte nach dem Abdruck dieses Buchs einmal einsehen, daß ein Karpfen von vier Pfund — so lange gefuͤttert im Fischkasten, so geschickt aus¬ geweidet — mehr wiege auf der Fischwage der Zu¬ frieden¬ friedenheit als die goldnen Fischgraͤten in ro¬ them Felde des Wappens der Grafen von Windisch¬ graͤtz! — Konnt' er denn lange in der Kuͤche — diesem Wittwensitz seiner alten geschiednen Jugend — oder unter so vielen Freundinnen Klotildens, die ihm alle ihr Niedersinken und Weggehen (im doppelten Sin¬ ne) vorklagten, stehen, ohne daß der Honiges¬ sig zuruͤckgewuͤnschter Freuden uͤber seinen Gaumen lief und die Zuckung des Mitleidens durch sein Herz; ob er heute gleich im zweiten Stockwerk die Disputazion uͤber die Freiheit als ein wahres zer¬ theilendes Mittel, als ein eau d'arquebusade , we¬ nigstens als eine Aderlaßbinde uͤber seine ofne Adern uͤbergeschlagen hatte? Ich fragte, ob er an die Gute lange nicht denken konnte. — Aber ich wuͤrde die Antwort gar nicht geben und aus Mitleiden mit dem unschuldigen Viktor es vor soviel inkrustirten Seelen — die in ihrer Ribben-Konchylie die poeti¬ schen Freuden der Liebe gut heissen und doch die poe¬ tischen Leiden derselben nicht — gar nicht offenba¬ ren, wie oft er jeden Milchzucker des Schicksals mit dem giftigen Bleizucker der Erinnerung versetzte, wenn ich nicht deswegen muͤßte: . . . — weil die kleine Julia wieder kam aus dem Schloße und mitbrachte, morgen komme Tante schon (Klotilde). Dieses versprach also, daß die Ministers Hesperus. II . Th. Y Tochter morgen abfahre. — Man verarge den Pfarr¬ leuten die Zudringlichkeit um Klotilden nicht: denn am dritten Feiertag geht sie zum Balle, am Tage darauf nach Maienthal — sie hatten ja nur noch morgen und heute. . . . Die kleine Julia hatte un¬ ser Flamin, dem ihr Penny Postamt wohlgefiel, mit¬ gebracht. — Ich bin moralisch gewiß, die Kaplaͤnin sah meinem Helden soviel an als ich von ihm schrei¬ be und sie liebte ihn so sehr, daß wenn sie statt des Schicksals haͤtte dekretiren muͤssen, sie vor Kummer gestorben waͤre, eh' sie es uͤber sich gewonnen haͤtte, den Sohn auf Kosten des Freundes zu begluͤcken. — So sehr gewann er durch eine schoͤne Vereinigung von Feinheit , Empfindung und Phantasie die schoͤnsten und weichsten Herzen, ich meine die weiblichen. Diese winzige Julia, der Zodialschein und Nach¬ hall der uutergegangnen Giulia, ablaktirte in Vik¬ tors Seele Rosen mit Nesseln; und alle seine heu¬ tigen Blumen der Freude hatten ihre Wurzeln in tiefen Thraͤnen, die seine Brust verdeckte. Ihn ruͤhrte sogar der Kuß von Klotildens Freundin, von Agathen. Er dachte an das Stamizische Konzert und an ihr Nebeneinander seyn und an den Florhut, der den Schmerz von zwei geliebten Augen verhing. Er bat Agathen, sie sollte von Klotilden diesen Hut entlehnen und ihm ein genaues Ebenbild darnach ma¬ chen, weil ers verschenken wolle. — »Wenn sie fort »ist (sagte er zu sich) — — nein, aber wenn sie »tod ist: dann mein' ich unverhuͤllt und sage allen »Menschen frey heraus, daß ich sie geliebet habe» — Du Lieber, uͤber dem Souper — ein Pfarrer kann eines geben — wird man den Glanz deiner Augen mehr dem sich selber entladenden Witze zu¬ schreiben als dem zuruͤckgepresten Thraͤnenwasser und ich koͤnnte dich, wenn ich mitaͤffe, vor Ruͤhrung nicht ansehen, wenn du unter dem Aufhaͤmmern und »Haͤrten» der rothen Eier dein uͤberquellendes Auge starr und halbzugedeckt auf einen geschminkten Eier¬ pol niederzuheften suchtest und schweigend deinen Eier-Giebel dem Pflaster Fallbock des Pfarrers unter¬ stelltest, um Zeit zum Siege uͤber die Stimme und Augenhoͤhle zu gewinnen! — Und doch kann ich nicht sehen, was du aus dieser Maske fuͤr erhebli¬ chen Vortheil dann zu ziehen gedenkst, wenn dir die alte Appel durch die kleine Iris und Expressin Ju¬ lia — sie selber kann sichs nie unterfangen — ein geflecktes taͤttowiertes Ei, ein wahres gekochtes alle¬ gorisches Gemaͤlde zuschickt und wenn du die mit Scheidewasser darauf eingebaizten Blumenstuͤcke und deinen Namen, mit Vergißmeinnicht begraset auf dem kolorirten Globus durchliesest, ich sagte was konnte dir deine vorige Verstellung helfen, wenn du jetzt, um den Gedanken »Vergißmeinnicht» nicht Y 2 hinanszudenken, eilig hinausgehest und den doppelten Vorwand nimmst, du muͤssest Appollonien danken und wegen der Ermuͤdung schon zur Ruhe gehen? — O danken wirst du wohl, aber ruhen nicht! . . . Zweiter Osterfeiertag. Leichenrede auf sich selber — zweierlei entgegengesetzte Schick¬ sale der Wachsstatue — D er niedergefallene Schneehimmel lag auf der Ge¬ gend. Der Schnee machte traurig und erinnerte an das winterliche Nestelknuͤpfen der Natur. Es war der erste April, wo die Natur so zu sagen die Jahrs¬ zeit selber in den April schickte. — Viktor hatte so¬ viel mores laͤngst gelernt, daß man, wenn man bei einem Hofkaplan im Hause ist, auch mit ihm in seine Predigt gehen muͤsse. Er schritt auch in Sa¬ kristeien aus dem Grunde, warum er in Schaͤfer- Jagd- und Vogelhuͤtten kroch. Er sah' es gern, daß der Kaplan (und er zuletzt selber) sein Ersteigen der Kanzel — blos weil er eine Menge Zuruͤstun¬ gen dazu machte — dem Ersteigen eines Walles oh¬ ne Uebertreibung an die Seite setzte. Ja er dispu¬ tirte unter dem Hauptliede mit ihm uͤber die jura stolae eines todtgebohrnen Foͤtus und that mit We¬ nigem dar, daß ein Pfarrer von jedem Foͤtus — und waͤr' er fuͤnf Naͤchte alt — die gehoͤrigen Be¬ graͤbnißgebuͤhren, die filzigen Eltern moͤchten immer¬ hin fuͤr das Ding keinen Leichensermon bestellen, fodern koͤnnte. Der Kaplan machte einen wichtigen Einwurf; aber Viktor hob ihn durch den wichtigen Vorschlag, daß ein Geistlicher sich (weil sonst die besten Foͤtusse unterschlagen wuͤrden) so oft Leichen¬ gebuͤhren von jedem Paare zahlen ließe, als es Tauf¬ gebuͤhren entrichten koͤnnte. Der Kaplan versetzte: »es ist dumm, daß die besten Pastoraltheologien uͤber »diesen Punkt so hurtig weg sind wie Schnupf¬ »tabak.» Bei soviel Laune meines Helden und bei soviel Lustigkeit meines Pfarrers — der an jedem h. Abend keifte und urthelte wie ein Revoluzionstribunal, und der sich jeden Feiertag milderte bis er am dritten ein Engel war — sollte sich die Welt etwas anders versprechen als was doch koͤmmt: daß naͤmlich Vik¬ tor aus jeder Minute des kommenden Abends, der Klotilden zum vorletztenmale in seine Gesellschaft brachte, ein vorragendes Inzisionsmesser blinken sah, in das er seinen wunden Busen druͤcken muß. Sie war auf heute gleichsam zu einem Valet-Abendmahl geladen — die Drillinge ohnehin. Endlich kam sie abends am Arme des verkannten Matthieu. — Wenn Ruska behauptet, daß die Zahl von 4,443,5556 Teufeln, die nach der Behauptung des Guliermus Parisiensis um eine sterbende Aeb¬ tessin flankiren, viel zu schwach angegeben sey Poetii select . disputat . theol . P . 1 . p . 918 . : so kann man leicht denken, wie viel Teufel um eine lebende , um eine bluͤhende schwadroniren moͤ¬ gen: ich meines Ortes nehme um eine Schoͤne soviel Teufel an als es Mannspersonen giebt. Als Klotilde erschien mit dem ins Abbluͤhen hin¬ einlaͤchelnden Angesicht, mit der erschoͤpften Lauten¬ stimme, die der Schmerz als eine eigne Fortepiano's Veraͤnderung durch den Drucker aus uns bringt — aber ists nicht mit den Menschen wie mit den Or¬ geln, deren Menschenstimme am schoͤnsten mit dem Tremulanten geht? — als sie so erschien: so hatte ihr schoͤnster Freund die Wahl, entweder vor ihr niederzusinken mit den Worten: »laß mich fruͤ¬ »her sterben» oder recht scherzhaft heute zu seyn. Das letztere waͤhlt' er (ausgenommen gegen sie), um seine Traͤume zu uͤbertaͤuben. Daher warf er mit Historien und gesunden Anmerkungen um sich — Daher schenkte er in die Reichsoperazionskasse gegen die Empfindsamkeit auch diese Satyre mit, daß sie die Maͤrz- oder Naßgalle am menschlichen Acker sey, d. h. eine immer naßbleibende Stelle, auf der alles verfault. — Als das nichts verfieng: trat er mit ganzen Staaten in Allianz und versprach sich, es wuͤrde helfen, wenn er von ihnen anmerkte, daß die Gipfel derselben wie Waldbaͤume ineinander verwach¬ sen waͤren, daß es nichts wirkte, unten einen durch¬ zusaͤgen — daß die Gleichheit der Reiche die Gleich¬ heit der Staͤnde ersetzte oder vorbereitete — und daß das Schiespulver, das bisher das Heftpulver der Maͤchte war, die wasserscheuen Wunde des Men¬ schengeschlechts endlich kauterisiren und heilen werde. — Endlich als er offenbar merkte, daß es ihm ge¬ ringen Vorschub that, da er vermuthete, Europa werde einmal zum Nordindien werden und der¬ selbe Norden, der einmal das Brech- und Bauzeug der Erde war, werd' es noch einmal seyn, aber der Norden auf der andern Halbkugel: so schlug er bei seinem chymischen Prozesse den nassen Weg ein und nahm (wie ein Gesandschaftssekretair) statt der Po¬ litik — Punsch vor. Aber nur Sorgen, nicht Wehmuth oder Liebe lassen sich vertrinken. Die in Nervengeist aufgeloͤ߬ ten andern Geister ziehen sich mit einem magisch¬ schimmernden Zirkel um jede Idee, um jede Em¬ pfindung, die du darin hast, wie in Brauhaͤusern die Lichter wegen des Dunstes in einem farbigen Kreise brennen. Das Glas mit seinem heißen Ne¬ bel ist eine Pavinianische Maschine des haͤrtesten Herzens und mazerirt die ganze Seele: der Trunk macht jeden zugleich weicher und kuͤhner. Ein wei¬ ches Herz war von jeher neben einer tapfern gehaͤr¬ teten Faust. Da es noch fortschneiete; so bot er Klotilden auf Morgen seinen Muschel-Schlitten und sich (da er ohnehin zum Balle geladen war) zum fahrenden Ritter an — wodurch er den Evangelisten noͤthigte, sich als Schlitten-Vetturin und Gondeli¬ rer der Stief-Mutter anzutragen. Klotilde entfernte sich jetzt von der maͤnnlichen lustigen Gesellschaft ins Nebenzimmer, wo ihre Aga¬ the und alles war — es geschah nicht aus Mißbil¬ ligung der anstaͤndigen maͤnnlichen Froͤhlichkeit — noch weniger aus Verlegenheit, da es uͤberhaupt ih¬ rem Geschlechte leichter ist und leichter gemacht wird, sich unter vierzig Augen unbefangen zu benehmen als unter vier — noch weniger aus Unvermoͤgen der Verstellung ihrer Schwesterliebe gegen Flamin; denn ihre fliegende Seele hatte laͤngst die Fluͤgel zusam¬ menzulegen, die Thraͤnen und Wuͤnsche zu verhuͤllen gelernt, unter Fremden erwachsen, in schwierigen Verhaͤltnissen nnd unter uneinigen Eltern erzogen — sie thats blos wie die Pfarrerin, weils brittische Sitte ist, daß sich die Damen von Maͤnnern und ihrem Punsch-Weihkessel wegbegeben. — Da sie aus Viktors Augen war — und da er aus ihrem jetzigen noch bleichern Aussehen den Schluß zog, daß ihr das Thal Emanuels schwerlich die Fruͤhlingsfarben wiedergeben werde; weil die Aussicht der Abreise nichts geheilet habe, und da ihn diese kleine Abwesenheit gleichsam in ei¬ nem Taschenspiegel die Todtenerscheinung einer ewi¬ gen vorhielt — und da das schwellende Herz doch endlich den Damm der Verstellung uͤberwaͤltigt —: so eilte er in den Winter hinaus — deckte die ent¬ zuͤndete Brust den kuͤhlenden Flocken auf — und riß den Spalt weiter, in den das Schicksal seine Schmerzen impfte — und lief durch die weisse Nacht auf den Wartthurm hinauf; — und hier, uͤbergoßen von der still aus dem Himmel steigenden Schneela¬ vine, sah er in die graue, wuͤhlende, zitternde, fla¬ ckernde Landschaft hinaus und in die weite von Schnee durchbrochne Nacht — und alle Thraͤnen seines Herzens fielen und alle Gedanken seiner Seele riefen: »so sieht die Zukunft aus! — So schim¬ »mernd sinken die Freuden des Menschen vom Him¬ »mel und zerfließen schon unter dem Sinken! — So »rinnt alles dahin! — Ach welche Luftschloͤßer sah »ich von dieser Hoͤhe um mich glaͤnzen und das »Ab en droth glimmte an ihnen — Ach alle sind un¬ »ter Schnee verschuͤttet und unter Nacht!« Er sah in den Garten Klotildens hinab, in dessen finstern vom Schnee uͤberflatterten Lauben er das Eden seines Herzens gefunden und wieder verloren hatte. »Die Toͤne, die uͤber diesen Garten flossen, sind ver¬ »siegt, aber nicht die Thraͤnen, die ihnen nachrin¬ »nen« dacht' er. Er sah in den Garten ihres Bru¬ »ders hinab, wo das Tulpen-C zerblaͤttert und die »gruͤnenden Namen vergangen und verhuͤllet waren.» Mit dieser Seele, die in diese Gegend wie in das Gebeinhaus verweseter Tage hineingeschauet hat¬ te, kehrt' er zum freudigen Klubbe zuruͤck. Der Tausch der Temperatur hatte seine Aehnlichkeit mit der Punschunion konservirt, die unterdessen fortge¬ trunken. Alle und er betraten die Graͤnze des Trun¬ kes, wo man in Einem Athem lacht und weint; aber es freuet mich, daß der Mensch doch wahre Nah¬ rung des Geistes und Herzens (wenn gleich aus kei¬ ner Klosterkuͤche oder Klosterbibliothek, doch) aus ei¬ nem — Klosterkeller ziehen kann; — daß er die Ge¬ sundheit seines — Witzes trinkt; — daß ihn ein je¬ der Kelch (nicht bloß auf dem Altar) geistlich staͤrkt und daß er wenn die Schlangen ihre Kronen beim Saufen abnehmen, seine darunter aufsetzt — und daß die Weinrebe Thraͤnen nicht bloß selber oder aus den Augen eines katholischen Marienbildes ver¬ giesset, sondern auch aus denen eines Mannes, der von ihr getrunken. Der Klub fiel darauf, Par¬ lamentsreden zu haltrn — Der Kaplan schlug Ka¬ sualreden vor — Viktor sprang aus einen Stuhl und sagte, »ich halte den Leichensermon auf mich »selber — ich habe hier schon in meiner Kindheit »gepredigt.« Alle tranken noch einmal, selber die Leiche und diese periorirte dann so: Geliebteste und traurigste Zuhoͤrer und Mitbruͤder ! »Ein Mensch, tiefgebeugte Zuhoͤrer, kann in die »zweite Welt hinabsinken ohne daß ein Trauerpferd »nachspringt, so wie er in diese einlaͤuft, ohne daß ein »Paradegaul vorantrabt. — Wir unsers Orts haben »saͤmtlich den Leichentrunk voraus eingenommen, »um alles auszuhalten: denn im Nassen dehnt sich »der Mensch aus und im Trocknen dorret er ein, »ich meine durch feste Speisen, gleich dem Blutigel, »der ausser dem Wasser vier Zolle kuͤrzer ausfaͤllt. »Und ich hoffe, ich und das tiefgebeugte Trauerkon¬ »dukt haben dem Hochseligen zu Ehren getoastet »genug. »Und so seh' ich ihn denn vor mir« . . . — Hier winkte er dem Pfarrer, seine Schlaf¬ muͤtze hinzuwerfen, damit etwas Todtes da laͤge, an das sich sein Affekt wenden koͤnnte. — »vor mir da liegen den unvergeßlichen H. Hofmedi¬ »kus Sebastian Viktor von Horion und gestorben ist »er und will hinab unter das Erde Zudeck, in die »Staͤtte voll langer Ruhe. Was sehen wir noch »vor uns ruhen als die Taͤucherglocke, worin die be¬ deckte Seele in dieses Dunstleben hereinsank — als »die trockne Schaale eines Kerns, der in einem »zweiten Planeten gesaͤet wird — als seine Huͤlle, »als, so zu sagen, die weggeworfne Schlafmuͤtze sei¬ »nes erwachten Geistes. »Besehet, weinende Zuhoͤrer, diese transzendente »blasse Muͤtze — hier liegt sie, der Kopf ist heraus, »der darin sann — unser Viktor ist dahin und »schweigt, der so oft sprach von Mathematik, Kli¬ »nik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, medicina fo¬ » rensis , Sphragistik, und ihren Huͤlfswissenschaften — »Wir haben viel an ihm verloren — wer troͤstet »Sie, vortreflicher H. v. Schleunes, uͤber diese Ein¬ »buße und so die andern Herren auch? — Man »hat aber in diesem naͤrrischen Leben, das wohl »eine Art von Vor-Tod seyn mag, gar nicht so viel »Zeit, um ordentlich zu troͤsten. Nicht bloß Kir¬ »chenstuͤhle sind auf Leichensteine gebauet, sondern »auch Fuͤrstenstuͤhle — die gar! — und selber »Kanzeln. — »Sollte wohl deine Seele, hochseliger Sebastian, »in ihrem mittlern Zustande, nach dem Tode etwas »von ihrem Koͤrper wissen, aus dem sie wie aus ih¬ »rem Hut-Futteral ausgepackt ist, und von der letz¬ »ten Ehre, die wir hier ihrer Kapsel anthun? Falls »sie noch Bewußtseyn hat und noch ein Auge fuͤr »diese Stube, worin sie so oft war: so wird es sie »freuen, daß die h. drei Koͤnige, wovon der Mohr »der Kato der aͤltere ist, um ihren abgezognen Ma¬ »densack hernmstehen und den Sack kaum fahren las¬ »sen wollen; es muß ihr gefallen, daß wir saͤmtlich »klagen: wo ist Seinesgleichen in der gemeinen »Chemie — in der Physiognomik und Physiognomie »— in den neuern Sprachen — in der Baͤnder¬ » lehre ‚ aus der er eine Liebe fuͤr alle Arten von »Baͤndern schoͤpfte? — Wer suchte weniger als er »strengen Zusammenhang der Gedanken‚ der den »Deutschen verleitet, gute durch schlechte zu verkit¬ »ten und mehr Moͤrtel als Quader zu brauchen? — »Nicht einmal der Hof — daher er nicht gern hin »ging, wenn dort Spas vorfiel — brachte ihn von »einem gewissen ernsthaften gesetzten Wesen ab, das »er bis zum Laͤcherlichen trieb, auf welches letztere »er allzeit aus war. — — Beim Himmel! durch »das Stundenglas des Todes, durch das er wie »durch ein Taschenperspektiv guckte, brach ihm alles »so klein hervor, daß er nicht wußte weswegen er »ernsthaft seyn sollte — ich will nicht gesund da »stehen, wenn ihm nicht im besagten Glase alle » Stufen zum Throne so winzig vorkamen wie die »daumenlange Holztreppe des Laubfrosches in sei¬ »nem Einmachglase.« »Er war ein recht guter Prediger besonders ein »Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Pre¬ »diger zu Gevatter bat und das Pathgen steht mit »da und weint seines Orts uͤber Leibschmerzen. ... »Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die »fuͤrstliche Leichenpredigt halten, koͤnnen sich dessen »ruͤhmen, was ich zu meinem groͤßten Vergnuͤgen »jetzt hoͤre, daß das Leichengefolge lacht, und das »ist mir ein Pfand, das ich troͤste. ... »Und doch hat einer, der auf dem Todtenbette »liegt, mehr Trost als einer, der nur neben dem »Bettfuß steht. Das Souterrain der Erdrinde be¬ »wohnen lauter stille ruhende Menschen, die vor ein¬ »ander zusammenruͤcken; aber anf dem Souterrain »stehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter »in die geliebten Arme aus Staub: denn die Lein¬ »wand auf dem Todten-Auge ist ja ein Fallhut der »erkalteten Stirn, der Sarg ist der Fallschirm des »Ungluͤcklichen, und das Leichentuch der letzte Ver¬ »band der weitesten Wunden — ach warum faͤllt der »muͤde Mensch lieber in den kurzen als in deu langen »ungestoͤrten sichern Schlaf? — So nimm denn, gu¬ »ter Sebastian, den Todtenschein als ein ewiges Frie¬ »densinstrument aus der Hand der sanften Natur. . . »Aber beim Henker! wo haben wir denn den »Todten? was soll die weisse Muͤtze da unten? — »Ich sehe die Leiche im Spiegel gegenuͤber — sie »muß wo stehen — ich muß sie holen.« — — — Mit einem fuͤrchterlichen Schauer seines Ichs sprang, er herab — ein erhabner Wahnsinn ging in den Stufen der Wehmuth, des Laͤchelns, des Erstar¬ rens sein Angesicht auf und ab — Er lief hinter eine spanische Wand, die vor seine Statue aus Wachs gestellet war — und trug den waͤchsernen Menschen heraus — und warf ihn hin wie einen Leichnam — und ein Schleier war uͤber den Leich¬ nam gewickelt — und er stieg verzerret auf den Stuhl, um fortzufahren:» »Das ist die Nachtleiche — der verschlackte, der »verkohlte Mensch — in solche starre Klumpen sind »die Ichs geklebt und muͤssen sie waͤlzen — Warum »bebet ihr uͤber mich, Zuhoͤrer, weil ich bebe, daß »ich dieses umgeworfene Menschenbild so starr an¬ »blicke? — Ich seh' ein Gespenst um diesen Leich¬ »nam schweben, das ein Ich ist. . . . Ich! Ich! »du Abgrund, der im Spiegel des Gedankens tief »ins Dunkle zuruͤcklaͤuft — Ich! du Spiegel im »Spiegel — du Schauder im Schauder! — Ziehet »den Schleier vom Leichnam weg! Ich will den »Todten keck anschauen bis es mich zerstoͤrt.« . . . — Jeder schauderte nach; aber ein Englaͤnder zog den Todtenschleier weg. . . . . Starr, sprachlos er¬ griffen, erbebend sah Viktor auf das enthuͤllte Ge¬ sicht, das auch um seine Seele hing; aber endlich ergossen sich Thraͤnen uͤber seine kalten Wangen und er sprach leiser wie wenn sich sein Herz aufloͤßte: »Seht wie der Leichnam laͤchelt! Warum laͤchelst du denn so, Sebastian? Warst du etwan so gluͤcklich auf der Erde, daß dein Mund in einer Entzuͤckung erkaltete? . . . Nein, gluͤcklich warst du wohl nicht — die Freude selber war oft fuͤr dich ein Samenge¬ haͤuse des Schmerzes — Und du sagtest selber recht oft: ich bin schon zufrieden und ich verdiene kaum meine Hofnungen und Wuͤnsche, geschweige ihre Er¬ fuͤllung.» — »Flamin! schaue dieses umgelegte Gesicht hier an »— es laͤchelt aus Freundschaft, nicht aus Freude »— Flamin, diese erloschene Brust war uͤber ein »Herz gewoͤlbt, das dich ohne Graͤnzen liebt und bis »in den Tod. . . . »Und das ist im Ganzen das einzige Ungluͤck des »armen Seeligen: an und fuͤr sich und seiner origi¬ »nellen Lage und Laune wegen haͤtte der gute Ba¬ »stian schon gut genug fahren koͤnnen; aber er war »zu »zu weich zur Freude — zu unbesonnen — zu heiß »— fast zu phantastisch. Er wollte gar lieben (bei »seinen Lebzeiten) und es war nicht zu thun. Die »Blumengoͤttin der Liebe ging vor ihm vorbei‚ sie »versagte ihm die Verklaͤrung des Menschen‚ das »Melodrama des Herzens‚ das goldne Zeitalter der »Liebe. . . . Kalte Gestalt‚ richte dich auf und zeige »den Menschen die Thraͤnen‚ die aus einem weichen »Herzen fließen‚ das vor Liebe bricht und keine »findet! . . . »Wenn unser Horion nicht gluͤcklich war: so »mag es ihm freilich gar wohl thun‚ wenn er schon »am Mittage des Lebens seine Mittagsruhe halten »darf‚ wenn er sterben‚ und losgemacht vom hei߬ »pochenden Herzen‚ gestillt vom Todesengel‚ sich so »fruͤhe legen darf unter das lange Leichentuch‚ das »der Menschen-Genius uͤber ganze Voͤlker wie der »Gaͤrtner das Verdeck uͤber den Blumenflor, gegen »Regen und Sonne zieht — gegen die Gluth unsrer »Freuden‚ gegen den Guß unsers Wehs . . . Ruhe » du auch‚ Horion !« . . . — Seine Wehmuth bei diesen Worten aus dem alten Traume war so uͤbermannnend ‚ daß er aus ihr — zur Entschuldigung oder zur Erholung — in eine fast wahnsinnige Laune uͤbertrat. »Inzwischen ist der saͤmmtliche Spas halb gegen »meinen Geschmack‚ den ich am Hofe ausbilden Hesperus. II Th. Z »wollte. Das Leben verlohnet's gar nicht, daß man »seinetwegen den guten Tod auszankt oder beraͤuchert »und erhebt — Die Furcht zu sterben ausgenommen »giebt's nichts jaͤmmerlicheres als die Furcht zu le¬ »ben. — Leute von wahren Talenten sollten sich be¬ »trinken, um das Leben aus dem rechten Licht zu »sehen und es uns nachher zu melden — Am aller¬ »elendesten aber (so daß das menschliche Leben »dagegen noch passabel ausfaͤllt) ist das buͤrgerli¬ » che , auf das ich Jahre lang loßziehen koͤunte, bloß »weil's nichts hat als lange Troͤge fuͤr den Magen, »aus denen die Ketten fuͤr die Phantasie herabhaͤn¬ »gen — weil's den Menschen zum Kleinstaͤdter um¬ »setzt — weil's unser fliehendes Daseyn aus einem »Fruchtacker zur Saͤemaschine macht — weil's einen »fatalen Dunst ausdampft der sich dick vor das »Grab und uͤber den Himmel ansetzt und in dem »sich der arme Expeditionsrath von Mensch schwiz¬ »zend, kaͤuend, feist, beschmieret, ohne einen warmen »Sonnenstrahl fuͤr sein Herz, ohne ein Streiflicht »fuͤr sein Auge herumtreibt bis ihn der Fall-Bock »des Pflasterers Er nennt den Tod und den Staat einen Pflasterer obwohl in verschiedenem Sinn. auf den morastigen Drehplatz ein¬ »rammt. — Den einzigen Nutzen hat so ein armer »Marmorstein, aus dem ein Pflaster statt einer » Statue gemacht wird, daß er das ganze Men¬ »schenleben fuͤr etwas recht Erhebliches ansieht, das »er nicht genug preisen koͤnne. — Inzwischen koͤnnte »doch auch uns guten Narren das Aeussere nicht so »klein vorkommen, wenn nicht etwas ewiges Großes »in uns waͤre, womit wir's zusammenhalten — wenn »nicht ein Sonnenlicht in uns waͤre, das in dieses »Opertheater so hineinfaͤllt, wie das Tageslicht zu¬ »weilen, wenn eine Thuͤre aufgeht, in die illumi¬ »nirte Schaubuͤhne — wenn wir nicht wie Menschen »in einem Auferstehungsgemaͤlde, halb in der Erde »steckten halb aber ausser ihr — und wenn dieses »Eis Leben keine Aiguille percée So nennt man eine hohe neben dem Mont¬ blanc, i der ein Loch ist, wodurch man den Himmel sieht. Für mich ist's eine sanfte Phantasie mir n ben dem höch¬ sten Berg, der so viel Himmel als Erde i n t, einen klei¬ nern vorzustellen, der sich in eine kleine A ssicht au thut, die unserem Auge eine bla e Perspektive reicht, aus der unsere Hofnung die Wölbung des Himmels bauet. waͤre und keine »Oefnung in ein ewiges Blau hinaus haͤtte. . . . »Amen! »Ich hab' aber der leidtragenden Versammlung »noch zu melden, daß ich sie — in den ersten »April geschickt: denn der Todte, dessen Parentation »ich halte, bin ich wirklich selber.« . . . Aber hier umarmten ihn alle seine Freunde, um seinem genialischen Wahnsinn Schranken zu setzen — Z 2 und um ein so heftiges aͤcht-brittisches Herz an ih¬ res zu druͤcken. Die Umarmung erwaͤrmte alle seine kalten Wunden sanft und er war geheilt, obwohl erschoͤpft; das fremde Leben wuchs in seines hinein, und die Liebe uͤberwand den Tod. Die Englaͤnder, in deren Augen die Thraͤnen einer doppelten Trunkenheit waren, konnten sich kaum abreissen vom humoristischen Liebling. — Klotilde, die mit ihren Freundinnen dem Lei¬ chensermon im Nebenzimmer zuhoͤrte, hielt jene bit¬ tend ab, dieses aufzumachen. Aber als Viktor sagte: »kalte Gestalt, richte dich auf und zeige den »Menschen die Thraͤnen, die aus einem weichen »Herzen fließen, das vor Liebe bricht» — so nahm sie eilend von ihnen gute Nacht, weil sie uͤber eine ihr ganzes Wesen hebende Ruͤhrung nicht Meister werden konnte. Da man ihm die Zeit ihrer Ent¬ fernung berichtet hatte: so wurde er, der jetzt schon so muͤde, weich und zaͤrtlich war, es in einem un¬ aussprechlichen Grade — alle durch die Anstrengung erhoͤhten Lichter auf seinem Angesicht schienen in Liebe wie Mondschimmer in Thautropfen zu zerflies¬ sen — er wartete nicht, bis sein Zimmer leer wur¬ de, sondern zeigte das was Klotilde in dem ihrigen verbergen wollte — er konnte sogar die unverschleier¬ te Wachsstatue mit sanftem Geiste anschauen und sagte laͤchelnd, »ich glaube, ich habe mich darum » ganz in Wachs repetiren lassen, warum es der »Katholik mit einzelnen Gliedern thut, um sie an »eine Heilige zu haͤngen und dadurch um Genesung »zu danken oder zu bitten; oder wie die roͤmischen »Kaiser, deren Wachsstatue die Aerzte nach dem »Tode des Originals besuchten.» Er war endlich allein; der Mond, der um 11 Uhr 57 Minuten aufgegangen war, warf sein noch vertieftes abnehmendes Licht erst an die Fenster von Klotildens Wohnzimmer; er loͤschte sein Nachtlicht aus und setzte sich, um mit seinem noch wogenden traͤumenden Herzen nicht in die Traͤume des Schla¬ fes zu treten, ans Fenster, beinahe am gewoͤhnlichen Standort seiner Wachskopie und in aͤhnlicher Stel¬ lung — — als das Schicksal es fuͤgte, daß, da er heute die Wachsmumie fuͤr seine Person ausgegeben hatte; jetzt umgekehrt er fuͤr das Bild angesehen werden sollte — — — von Klotilden! Sie stand in einiger Entfernung von ihrem Fenster, an das kein Licht als das vom Himmel fiel; Viktor war, da das letztere noch nicht zu ihm hineinkonnte, ganz im Schatten und ihr mit \frac{5}{4} seines Profils zugekehrt. Kaum sah' er, daß sie einen unverwandten fassenden gleichsam einschla¬ fenden Blick auf ihn hefte: so errieth er, daß sie ihn mit dem waͤchsernen Menschen vermenge; auch bemerkte er aus dem Augenwinkel, daß etwas Weisses um sie flattere, d. h. daß sie sich die Au¬ gen oft trockne Aber wie waͤr' es seinem feinen Gefuͤ le moͤglich gewesen, ihr durch die geringste Be¬ weg ng ihren Irthum zu nehmen und sie fuͤr ihr unschuldiges Anblicken verlegen und roth zu machen? — Ein anderer z. B. der verkannte Maz haͤtte sich in einem solchen Vorfalle gelassen in die Hoͤhe ge¬ richtet und gleichguͤltig zum Fenster hinausgesehen; aber er verknoͤcherte sich gleichsam in seiner Stellung der Leblosigkeit. Allein nur die Nacht und Entfer¬ nung konnten ihr sein Zittern zudecken, da ihre fuͤr seine Leiche fallenden Thraͤnen wie ein heisser Strom sein zerstoͤrtes Herz ergriffen und das Wenige, was der heutige Abend daran noch fest gelassen, erweichten und aufloͤsten in eine heisse Welle der Liebe. Den Kindern fließen die Thraͤnen staͤrker, wenn man ih¬ nen Mitleid bezeugt; und in dieser Stunde der Er¬ schoͤpfung wurde Viktor weicher, der sonst durch fremdes Mitleid mit ihm haͤrter wurde, und als Klo¬ tilds sich ans Fenster setzte, um das muͤde Haupt aufzulehnen: so war's ihm als ermahnte ihn etwas, das jetzt wahrzumachen was er heute zur Statue ge¬ sagt: kalte Gestalt, richte dich auf und zeige den Menschen die Thraͤnen, die aus einem weichen Her¬ zen ꝛc. Klotilde zog endlich die Gardinen zu und ver¬ schwand. Aber er setzte behutsam noch lange die Rolle seines Bildes fort und jetzt, da er sich weni¬ ger anstrengte, um eine Statue zu spielen, gelang es ihm besser. Alle seine Gedanken floßen jetzt wie Balsam uͤber die Narben und aufgerissenen Stellen seines Innern: »wenn du auch nur meine Freundin »bist, so genuͤget es mir und du kannst diesen von »Sehnsucht empoͤrten Busen stillen. O dieses volle »Herz wuͤrde ohnehin auseinandergetrieben, wenn es »den Gedanken fassen sollte, daß du mich liebtest.» — Uebrigens fiel ihm heute zum erstenmal die Un¬ wahrscheinlichkeit seiner neulichen Vermnthung ein, daß eine so zuruͤckhaltende Person wie sie, sich auf eine so wenig zuruͤckhaltende Art gegen den blinden Julius sollte benommen haben, und er fragte sich: »ist's denn zur Erklaͤrung ihrer Abreise von Hof, »nicht genug an Jenners und Matthieus unheiliger »Liebe und an Emanuels heiliger?» — Damit sie am Morgen nicht ihre Verwechslung entdeckte, so gab er seinem waͤchsernen Repraͤsentanten und Figu¬ ranten genau seine Stelle. Dritter Osterfeiertag. . Koch's doppelte Mundharmonika — die Schlittenfarth — der Ball — und . . . . . D er Leser wird mit mir wuͤnschen, daß der dritte Ostertag etwas schlimmers endige als dieses zweite Heftlein. Der Schlitten ging leidlich, soviel vorauszusehen war. — — Ich seh' aber noch etwas anders vor¬ aus: daß eine ½ Million meiner Lesekunden (fuͤr die andre ½ steh' ich) sich nicht aus meinem Helden fin¬ den kan. Es ist daher mein Amt, nur soviel ihnen vorzusagen: Viktor war nie kleinmuͤthig, ihn eckelte die menschliche Unterjochung unter das Gluͤck — der Tod nahm ihn jeden Tag einmal auf den erhabenen Arm und ließ ihn von da herunterbemerken, wie winzig alle Berge und Huͤgel waͤren, auch Graͤber. — Jedes Ungluͤck machte ihn staͤhlern, der Medusen¬ kopf des Todtenkopfs machte ihn steinern, und er aͤrgerte sich nachher uͤber den schmelzenden Sonnen¬ blick der freudigen Ruͤhrung. — Seine lustige Laune, sein Ideal weiblicher Vollkommenheit, der Mangel an Gelegenheit und das Schild Minervens hatten ihm uͤber die Windmonate des Gefuͤhls hinuͤberge¬ holfen und er hatte bisher keine andre Sonne ange¬ betet als die um 21 Millionen Meilen entlegne — bis der Himmel oder der Henker die naͤhere herfuͤhr¬ te, gerade im Jahr 1792. — Noch waͤr' es ganz passabel gewesen und das Ungluͤck schon auszuhalten, wenn er gescheut oder kalt gewesen waͤre, ich will sagen, wenn er nicht zu sich, gesagt haͤtte: »es ist »schoͤn nie uͤber sich zu weinen, aber doch uͤber den »andern; es ist schoͤn jeden Verlust zu verbeissen, »aber nicht den eines Herzens, und was wird ein »geschiedener Freund aus seiner Hoͤhe groͤßer finden, »wenn ich mir Trostpredigten uͤber sein Ableben mit «wahrer Fassung halte, oder wenn ich dem Gelieb¬ »ten im freiwilligen uͤbermannenden Kummer nach¬ »sinke?» — Dadurch — und aus Unbekanntschaft mit der Uebermacht edler aber unbezaͤhmter Gefuͤhle — und weil er seine bisherige zufaͤllige Apathie mit einer freiwilligen verwechselte — und aus einer uͤber¬ schwenglichen Menschenliebe hatte er absichtlich sei¬ nem innern Menschen bisher die Fuͤhlhoͤrner zu groß wachsen lassen — und so war er durch einen Wir¬ bel aller bisherigen Einfluͤße, der bisherigen Berau¬ bungen, der bisherigen Ruͤhrungen, dieser Ostertage, dieses schoͤnen Jugenddorfes so weit verschlagen, daß er trotz seiner Besonnenheit, seines Hoflebens, seiner Laune einiges von seiner alten Unaͤhnlichkeit mit je¬ nen Genies (wenigstens anf Ostern) einbuͤssete, die gleich dem Seekrabben Fuͤhlfaͤden aufrichten, die kaum ein Mann umklaftert . . . . Jenes geruͤhrte Anblicken Klotildens, das ihm gestern nach der vorigen Hitze kuͤhler Balsam war, wurd' ihm heute ein sehr heisser: dieses Auge voll Thraͤnen seinetwegen richtete alle Tage seiner Liebe gegen sie und ihr ganzes Bild in seinem Herzen auf. Ich bin uͤber eugt, sogar dem Regierungsrath, der uͤbrigens durch den gestrigen Leichensermon von sei¬ nem Argwohn so wie durch die republikanische Zer¬ streuung einiges von seiner Liebe hatte verlieren koͤn¬ nen, entwischte das Trunkne und Traͤumerische sei¬ ner Augen nicht: das Pfarrhaus selber war heute zum Gluͤck eiue Boͤrse oder ein geistliches Intilli¬ gen komtoir und Werbhaus: der Kaplan registrirte — nicht etwan franzoͤsische car tel est notre plaisir sondern — die Katechumenen ein, die auf Pfingsten beichten wollten. Er wollte nicht eher ins Schloß hinuͤbergehen — sein verkannter Freund Maz hatt' ihm schon um 10 Uhr aus dem Fenster Morgengruß und Gluͤckwunsch zum Schneewetter zugerufen — als bis sein Schlit¬ ten aus der Stadt da war, damit er sogleich abfuͤh¬ re, weil er druͤben keine laͤcherliche Ruͤhrung zeigen wollte. Seitdem ihm die große Welt zur Werkel¬ tagswelt geworben war, fiel ihm Verstellung vor ihr schwerer: man verbirgt sich vor denen am leichtesten, die man achtet. Aber die Drillinge und Franz Koch trieben ihn fruͤher hinuͤber, schon abends um 5½ Uhr. — Ich fuhr in die Hoͤhe beim Namen Franz Koch in den Hunds-Papieren. Wenn einer von meinen Lesern ein Karlsbader Brunnengast ist, oder Sr. Majestaͤt der Koͤnig von Preußen, oder von dessen Hof, oder der Kurfuͤrst von Sachsen, oder der Her¬ zog von Braunschweig oder eine andre fuͤrstliche Per¬ son: so hat er den guten Koch gehoͤret, der ein be¬ scheidner abgedankter Soldat ist und der uͤberall mit seinem Instrument herumreiset und spielet. Das letztere, das er doppelte Mundharmonika nennt, besteht aus einem verbesserten Paar zugleich gespiel¬ ter — Maultrommeln oder Brummeisen, die er im¬ mer nach den Spiel-Stuͤcken umwechselt. Sein Brummeisen-Manipulazion verhaͤlt sich zur alten wie Harmonikaglocken zu Bedientenglocken. Es ist mei¬ ne Schuldigkeit, solche von meinen Lesern, deren Phantasie Zaunkoͤnigs-Schwingen hat oder die we¬ nigstens vom Herzen an, Lithopaͤdia (Stein-Foͤtus) sind oder die das Ohrentrommelfell zu nichts habe n als zum Trommeln darauf, solche Leser mit der we¬ nigen Oratorie die ich habe dahin zu bringen, daß sie den besagten Franz aus dem Hause werfen, wenn er kommen und vor ihnen summen will. Denn es ist nichts dran und die elendeste Bratsche und Stroh¬ fidel schreiet meines Beduͤnkens lauter: ja sein Ge¬ toͤne ist so leise‚ daß er im Karlsbade vor nicht mehr als 12 Kunden aufeinmal aufspielte‚ weil man nicht nahe genug an ihm sitzen kann‚ wie er denn sogar bei seinen Hauptliedern das Licht wegtragen laͤsset‚ da¬ mit weder Aug' noch Ohr die Phantasien stoͤre. — Ist aber freilich ein Leser anders — etwan ein Dichter — oder ein Verliebter — oder sehr zart — oder wie Viktor — oder wie ich: so horch' er ohne Be¬ denken mit stiller zerfließender Seele dem guten Franz Koch oder — heute wird er gerade zu haben seyn — mir zu. Der lustige Englaͤnder hatte Viktor diesen Har¬ monisten mit der Karte geschickt: »Ueberbringer die¬ ses ist der Ueberbringer eines Echo‚ das er in der Tasche fuͤhrt.» — Viktor nahm ihn daher lieber zur Freundin aller schoͤnen Toͤne hinuͤber‚ damit ihre Abreise sie nicht um diese melodische Stunde bringe. Es war ihm wie wenn er durch eine lange Kirche ginge, da er in Klotildens Loret t ohaus eintrat: ihr einfaches Zimmer war wie Mariens Wohnzimmer‚ vor einem Tempel eingefasset Sie hatte schon ih¬ re schwarze Paruͤre vollendet: die schwarze Tracht ist eine schoͤne Verfinsterung der Sonne‚ worin man das Auge von ihr gar nicht wegzubringen vermag. Viktor‚ der bei seiner sinesischen Achtung fuͤr diese Farbe heute dieser schwarzen Magie eine wehr¬ lose Seele, ein entzuͤndetes Auge mitbrachte, wurde blas und verwirrt uͤber das aufgehellte Angesicht Klotildens, uͤber das der Zug eines herabgeregneten Kummers so wie ein Regenbogen uͤber den hellen blauen Himmel schwebte. Es war nicht die Heiter¬ keit der Zerstreuung — die jedes Maͤdgen durch das Ankleiden bekoͤmmt — sondern die Heiterkeit der frommen Seele voll Geduld und Liebe. Er besorgte, in zweierlei Disteln zu treten, in die gemahlten des Fußbodens, uͤber die er immer wegschritt, und in die satirischen der feinen Beobachter um ihn, an die er sich immer stieß. Ihre Stiefmutter war noch uͤber der Stuckatur und Appretur ihres Madensacks und der Evangelist war in ihrem Toilette-Zimmer als Putz-Meßhelfer und Kollaborator. Daher hatte Klotilde noch Zeit, den Mundharmonisten zu hoͤren; und der Kammerherr bot sich der Tochter und mei¬ nem Helden — denn er war ein Vater von Lebens¬ art gegen seine Tochter — zu einem Theil des Au¬ ditoriums an, ob er gleich aus der Musik sich we¬ nig machte, Tafel- und Ball Musik ausgenommen. Viktor sah jetzt aus Klotildens Freude uͤber den mitgebrachten Musiker erst wie unison ihr harmoni¬ sches Herz mit den Saiten zittere; uͤberhaupt wurd' er oft uͤber sie irre, weil sie — wie Du, Theuer¬ ster ** — sowohl ihr hoͤchstes Lob durch Schweigen sagte als ihren hoͤchsten Tadel. Sie bat ihren Va¬ ter, der die Mundharmonika schon in Karlsbad ge¬ hoͤret hatte, ihr und Viktor eine Idee davon zu geben — er gab sie: »sie druͤcke nicht sowohl das » fortissimo als das piano-dolce meisterhaft aus »und sey wie die einfache Harmonika dem Adagio »am angemessensten.» Sie antwortete darauf — an Viktors Arm, der sie in ein dazu verfinstertes stilles Zimmer fuͤhrte — »die Musik sey vielleicht »zu gut fuͤr Trinklieder und fuͤr lustige Empfindun¬ »gen; da der Schmerz den Menschen veredle und »ihn dnrch die kleinen Schnitte, die er ihm gebe, »so regelmaͤßig entfallte, wie man die Knospen der »Nelke, mit einem Messer aufritze, damit sie ohne »Bersten aufbluͤhen: so ersetzt die Musik als kuͤnst¬ »licher Schmerz den wahren.» — »Ist der wahre so selten?» sagte Viktor geruͤhrt im dunkeln von Einem Wachslicht beschienenen Zimmer. — Er kam neben Klotilde, und ihr Vater saß ihm gegen¬ uͤber. — Seelige Stunde! die du einmal mit den Echo¬ lauten dieser Harmonika durch meine Seele zogest — fliehe noch einmal voruͤber und das Echo jenes Echo's klinge wieder um dich! — Aber als der bescheidne stille Virtuos das Geraͤ¬ the der Entzuͤckung kaum in die Lippen geleget hat¬ te: so fuͤhlte Viktor, daß er es jetzt, bevor das Licht hinauskaͤme) nicht so machen duͤrfe wie sonst, wo er sich zu jedem Adagio eigne Szenen vorkolo¬ rirte und jedem Stuͤcke besondere Schwaͤrmereien seiner Texte unterlegte. Denn es ist das einzige Mittel, den Toͤnen ihre Allmacht zu geben, wenn man sie zu Ripienstimmen unserer Stimmung und so aus Instrumental-Vokal-Musik, aus unartikulirten Toͤnen artikulirte macht, anstatt daß die schoͤnste Reihe Toͤne, die kein bestimmter Gegenstand zu Al¬ phabet und Sprache ordnet, abgeleitet vom bespuͤl¬ ten aber nicht erweichten Herzen. — Als daher die holdesten Laute, die je uͤber Menschenlippen als Mit¬ lauter der Seele floßen, von der bebenden Mund¬ harmonika zu wehen anfingen; als er fuͤhlte, daß diese kleinen Stahlringe gleichsam als Klaviatur und Faßung und Griffbret seines Herzens ihre Erschuͤt¬ terungen zu seinen machen wuͤrden: so zwang er sein fieberhaftes Herz, an dem ohnehin heute alle Wun¬ den aufgingen, sich gegen die Toͤne zusammenzuziehen und sich keine Szenen vorzuzeichnen, blos damit er — — nicht in Thraͤnen ausbraͤche eh' das Licht weg waͤre. Immer hoͤher stieg das Zuggarn hebender Toͤne mit seinem ergriffenen Herzen empor. — Eine weh¬ muͤthige Erinnerung um die andre sagte in dieser Geisterstunde der Vergangenheit zu ihm: »erdruͤcke mich nicht sondern gieb mir meine Thraͤne« — Alle seine gefangnen Thraͤnen wurden um sein Herz versammelt und sein ganzes Innere schwamm aus dem Boden gehoben, sanft in Thraͤnen — Aber er faßte sich: »kannst du noch nicht entbehren, (sagt' »er zu sich,) nicht einmal ein nasses Auge? Nein, »mit einem trocknen nimm dieses beklommene Echo »deiner ganzen Brust, nimm diesen Nachhall aus »Arkadien und alle diese weinenden Laute in eine »zerstoͤrte Seele auf« — Unter einer solchen uͤber¬ huͤllten Zerfließung, die er oft fuͤr Fassung nahm, wars allemal in ihm als wenn ihn aus einer fernen Gegend eine brechende Stimme anredete, deren Worte den Sylbenfall von Versen hatte: die bre¬ chende Stimme redete ihn wieder an: »Sind nicht »diese Toͤne aus verklungenen Hofnungen gemacht? »Rinnen nicht diese Laute, Horion, wie Menschen¬ »tage in einander? O blicke nicht auf dein Herz, in »das staͤubende Herz malen sich wie in einen Nebel »die vorigen schimmernden Zeilen hinein« — Gleichwohl antwortete er noch: »das Leben ist ja zu »kurz fuͤr zwei Thraͤnen, fuͤr die des Kummers und »fuͤr die andre.« . . . . Aber als jetzt die weisse Taube, die Emanuel im Gottesacker niederfallen sah, durch seine Phantasie flog — als er dachte, »diese »Taube hat ja schon in meinem Traum von Klotil¬ »den geflattert und sich an die Eisberge geklammert; »ach ach sie ist das Bild des verwelkenden Engels neben »mir« — und als die Toͤne immer leiser flatterten und endlich in dem flusternden Laube eines Todten¬ kranzes herumliefen — und als die brechende Stim¬ me wieder kam und sagte: »kennst du diese alten »Toͤne nicht? — Siehe sie gingen schon in deinem »Traum vor ihrem Geburtstage und senkten dort »bis an's Herz die kranke Seele neben dir in's Grab »und sie ließ dir nichts zuruͤck als ein Auge voll »Thraͤnen und eine Seele voll Schmerz« — — — »Nein, mehr ließ sie mir nicht« sagte gebrochen sein muͤdes Herz und alle seine bekaͤmpften Thraͤ¬ nen drangen in Stroͤmen aus den Augen. . . . Aber das Licht ward eben aus dem Zimmer ge¬ tragen und der erste Strom fiel ungesehen in den Schoos der Nacht. Die Harmonika fing die Melodie der Todten an: »Wie sie so sanft ruhn! ꝛc. — Ach in solchen Toͤ¬ nen schlagen die zerlaufenden Wellen des Meeres der Ewigkeit an das Herz der dunklen Menschen, die am Ufer stehen und sich hinuͤbersehnen! — Jetzt wirst du, Horion, von einem toͤnenden Wehen aus dem Regen¬ dunst des Lebens hinuͤbergehoben in die lichte Ewig¬ keit! — Hoͤre, welche Toͤne umlaufen die weiten Gefilde von Eden! Schlagen nicht die Laute, in Hauche verflogen, an fernen Blumen zuruͤck und um¬ schwimmen, vom Echo geschwollen, den Schwanen¬ Hesperus. II . Th. A a Busen, der auf seinen Fluͤgeln auseinander fließet, und ziehen ihn von melodischen Fluthen in Fluthen und sinken mit ihm in die fernen Blumen ein, die ein Nebel aus Duͤften fuͤllt und im dunkeln Duft glimmt die Seele wieder an wie Abendroth, eh' sie seelig untergeht? — — — Ach Horion, ruht die Erde noch unter uns, die ihre Todeshuͤgel um das weite Leben traͤgt? Zittern diese Toͤne in einer irrdischen Luft? Ach Tonkunst, die du die Vergangenheit und die Zukunft mit ihren fliegenden Flammen so nahe an unsre Wunden bringst, bist du das Abendwehen aus diesem Leben oder die Morgenluft aus jenem ? — O deine Laute sind Echo, welche Engel den Freudentoͤnen der zweiten Welt abnehmen, um in unser stummes Herz, um in unsre oͤde Nacht das verwehte Fruͤhlingsgetoͤne fern von uns fliehender Himmel zu senken! Und du, ver¬ klingender Harmonikaton! du koͤmmst ja aus einem Jauchzen zu uns, das von Himmel in Himmel ver¬ schlagen, endlich in dem letzten stummen Himmel stirbt, der aus nichts besteht als aus einer tiefen, weiten, ewig stillen Wonne. ... »Ewig« stille Wonne (wiederholet Horions auf¬ geloͤste Seele, deren Entzuͤcken ich bisher zu meinem machte) »ja, dort wird die Gegend liegen, wo ich »meine Augen aufhebe gegen den Allguͤtigen und »meine Arme ausbreite gegen sie , gegen diese muͤde »Seele, gegen dieses große Herz — Dann fall' ich »an dein Herz, Klotilde, dann umschling' ich dich »auf ewig, und die Fluth der ewig stillen Wonne »huͤllt uns ein — Wehet wieder nach dem Leben, »Erdentoͤne, zwischen meiner und ihrer Brust, und »dann schwimme eine kleine Nacht, ein wallender »Schattenumriß auf euren lichten Welten daher und »ich werde hinsehen und sagen: das war mein Leben »— dann sag' ich sanfter und weine staͤrker: ja der »Mensch ist ungluͤcklich, aber auf der Erde nur.« O giebt's einen Menschen, uͤber welchen bei die¬ sen letzten Worten die Erinnerung große Regenwol¬ ken zieht, so sag' ich zu ihm: geliebter Bruder, ge¬ liebte Schwester, ich bin heute so geruͤhrt wie du, ich achte den Schmerz den du verbirgst — ach du entschuldigst mich und ich dich. . . . Das Lied stand still und toͤnte aus. — Welche Stille jetzt im Dunkel! Alles Seufzen war in ein zoͤgerndes Athmen eingekleidet. Nur die Nebelsterne der Empfindung funkelten hell in der Finsterniß. Kei¬ ner sah wessen Auge naß geworden war. Viktor blickte in die stille schwarze Luft vor ihm, die vor wenig Minuten mit haͤngenden Gaͤrten von Toͤnen, mit zerfließenden Luftschloͤssern des menschlichen Ohrs, mit verkleinerten Himmeln erfuͤllt gewesen war und die nun da blieb als nacktes schwarzes Feuerwerks- Geruͤst. — A a Aber die Harmonika fuͤllte dieses Dunkel bald wieder mit Lufterscheinungen von Welten an. Ach warum mußt' es denn gerade die meinen Viktor na¬ gende Melodie des »Vergißmeinnicht« treffen, die ihm die Verse vortoͤnte als wenn er sie Klotilden vorsagte: »Vergiß mein nicht, da jetzt des Schick¬ »sals Strenge dich von mir ruft — Vergiß mein »nicht, wenn lockre kuͤhle Erde dies Herz einst deckt, »das zaͤrtlich fuͤr dich schlug — Denk das ich's »sey, wenn's sanft in deiner Seele spricht: vergiß »mein nicht«. . . . O wenn noch dazu diese Toͤne sich in wogende Blumen verschlingen, aus einer Vergangenheit in die andre zuruͤck fließen, immer leiser rinnen durch die vergangnen hinter dem Men¬ schen ruhende Jahre — endlich nur murmeln unter dem Lebensmorgenroth — nur ungehoͤrt aufwallen unter der Wiege des Menschen — und erstarren in unsrer kalten Daͤmmerung und versiegen in der Mit¬ ternacht, wo jeder von uns nicht war: dann hoͤrt der geruͤhrte Mensch auf, seine Seufzer zu verbergen und seine unendlichen Schmerzen. Der stille Engel neben Viktor konnte sie nicht mehr verhuͤllen und Viktor hoͤrte Klotildens ersten Seufzer. — Ja, dann nahm er ihre Hand als wenn er sie schwebend erhalten wollte uͤber einem ofnen Grabe. Sie ließ ihm ihre Hand und ihre Pulse schlugen bebend mit seinen zusammen. — Endlich warf nur noch der letzte Ton des Liedes seine melodischen Kreise im Aether und floß aus ein¬ ander uͤber eine ganze Vergangenheit — dann huͤll¬ te ihn ein fernes Echo in ein flatterndes Luͤftgen und wehte ihn durch tiefere Echos hindurch und end¬ lich an das letzte hinuͤber, das rings um den Him¬ mel liegt — dann verschied der Ton und flog als eine Seele in einen Seufzer Klotildens. — Da entfiel ihr die erste Thraͤne wie ein heisses Herz, auf Viktors Hand. Ihr Freund war uͤberwaͤltigt — sie war dahin gerissen — er preßte konvulsivisch die sanfte Hand — sie zog sie aus seiner — und ging langsam aus dem Zimmer, um dem zu weichen Herzen, uͤber des¬ sen holde Zeichen die Nacht ihren Schleier hing, wieder zu Huͤlfe zu kommen. . . . . Das kommende Licht nahm diese Traumszenen weg. — Matthieu und die Kammerherrin erschienen auch. Wir wollen aber in dieser weichen Stimmung wo man gerade gegen Schlimme in der haͤrtesten ist, nichts sagen und nichts denken uͤber das neue Paar, das fuͤr den Kontrast mit unserer Erweichung nichts kann. Viktor sagte sich das auch, aber mehr als ein¬ mal; weil sich die vom Apotheker erlogne Vermaͤh¬ lung Klotildens mit Matthieu ihm mit den grellsten Farben aufdrang, aͤhnlich jener platonischen Verbin¬ dung, wo der reine Geist aus seinem Aether getrie¬ ben und mit zusammengekruͤmmten Fluͤgeln in einen befleckten Leib gemauert wird. — Klotilde kam zu¬ ruͤck — sie war in Verlegenheit gegen Viktor, bloß weil er darin war oder neben ihr auf dem Schlitten noch mehr darin seyn mußte — ihren geschwollenen Augapfel entfernte sie vom Licht. — Da Thraͤnen- Versetzungen wie Milchversetzungen druͤcken und zer¬ stoͤren: so suchte die in sein Inneres zuruͤckgedruͤckte Wehmuth einen Ausgang durch die Stimme, die heftig und abgebrochen war, durch die Bewegungen die schnell waren, sogar durch die Lebhaftigkeit des Ausdrucks — kurz es war gut, daß sie fuhren. Er dachte wieder das Gegentheil als er auf dem Schlitten hinter ihr stand. Die Nacht schien sich hinter die Wolken gezogen zu haben, deren weites Gewoͤlbe den Himmel einnahm. Er konnte keine Materie zum Gespraͤche auftreiben, er mochte sinnen wie er wollte — Er lief Klotildens, Viktors, aller bekannten Personalien durch — Es stieß ihm nichts auf — Der Grund war, seine Gedanken, die er dar¬ auf ausschickte, kehrten ohne sein Wissen jede Mi¬ nute um und hingen sich wie Bienen an Klotildens edles Profil oder an ihr weiches Auge oder sanken in ihre auf seine Hand geflossene Thraͤne ein und in das ganze Aethermeer der heutigen Toͤne. Der uͤberhuͤllte Himmel gab ihm endlich Emanuels letztes Schreiben ein, aus dem er Julius Einwei¬ hung in den hoͤchsten Gedanken des Menschen erzaͤhl¬ te. Klotilde hoͤrte ihm freudig zu und sagte endlich: »niemand ist gluͤcklicher als ein Schuͤler eines sol¬ »chen Lehrers; aber er muß nie in die Welt treten »— da wird er es nicht seyn. Sein Lehrer hat ihm »ein zu weiches Herz gegeben, und ein weiches haͤngt »wie das weiche Obst so tief herab, daß es jeder »erreichen und verwunden kann: die harten Fruͤchte »haͤngen hoͤher.« — Sie kamen jetzt zu den harten Residenzfruͤchten. Ihre Bemerkung war ihre eigne Geschichte. Aber die neuen Auftritte — die rauschenden Wagen und Kleider — der Laͤrm um nichts und um wenig — die Saalleuchter wie Fixsternsysteme — die doppel¬ ten Mund-Disharmonika's — die maͤnnliche Hof- Fauna — die weibliche Hof-Flora — das ganze mobil gemachte Lustlager, dieses Meß-Getuͤmmel uͤberschmetterte jetzt das gedaͤmpfte Echo, das zwi¬ schen zwei harmonischen Seelen hinuͤber und heruͤber ging. Unser Held wurde von der Fuͤrstin noch freundli¬ cher angelassen als vom Fuͤrsten. Joachime, die Amtsverweserin Klotildens, hatte noch ausser der kalten zuͤrnenden Freundlichkeit eine Juwelenreiche montre à regulateur . — An einem oͤffentlichen Orte kostet es weniger als in einem Kabinet, den aͤussern Menschen wie eine Karaktermaske uͤber den innern zu decken. Viktor, auf den ohnehin jeder Schmerz die witzige Wirkung des Trunkes machte, verrieth den erstern hoͤchstens durch das Uebermaas seiner Lebhaftigkeit. Eine Frau verraͤth sich durch das Gegentheil — Klotilde durch nichts. Z. B. Er sagte in der son¬ derbaren Uebertaͤubung, die aͤusseren Freudentoͤne und inneren Phantasien erwecken, wenn sie wie zwei Stroͤ¬ me mit einander zusammenkommen, folgende Ideen: »Waͤr' ich die Goͤttin der Wonne (wenn's eine giebt) »so ließ' ich drei Uhr schlagen — um die Wand¬ »leuchter machte ich Farbenprismen oder hinge sie »gar in die Kabinette und zoͤge uͤber den Tanzsaal »durch Weihrauch eine Zauberdaͤmmerung — dann »muͤßt' ich die Toͤne des Orchesters, in so viele »Zimmer zuruͤckstellen, daß davon nichts hereinkaͤme »als ein weiches Echo — und wenn dann in den »daͤmmernden von Melodien durchwehten Wirrwar »nicht die Leute nach einigen stillen Bewegungen »vor Entzuͤcken vergehen wollten: so wuͤßt' ich »nicht« — »Setzen Sie noch dazu (sagte sie) damit »wir auch eins haben, daß wir hier bleiben und »die Aufloͤsung beobachten.« — Aber seine Fassung uͤberlebte in jedem Balle kaum die Menuet. Nach dem ersten Geraͤusch, we¬ nigstens um die Geisterstunde war allemal seine ganze Seele in eine eigne poetische der Augen kaum maͤchtige Schwermuth zersetzt. Ausser den Toͤnen kann ich noch die Bewegung zum Erlaͤutern dieser Erscheinung brauchen: alle Bewegung ist erstlich er¬ haben — nemlich die von großen Massen oder viel¬ mehr jede schnelle Bewegung giebt dem Gegenstand die Groͤße des durcheilten Raums, daher wegen des Kontrastes mit dem Zwecke bewegte Gegenstaͤnde ko¬ mischer sind als ruhige — Zweitens das Bewegen der Menschen stellte ihm ihr Voruͤberflattern, ihr Fliehen in die Graͤber dar. Er stand oft zu Nachts melancholisch unten an Haͤusern, in deren zweiten Stockwerk man tanzte, und sah hinauf und das Voruͤberschweben freudiger Koͤpfe war ihm der Gau¬ kelsprung der Irrlichter auf dem Kirchhofe. Heute fuͤhlte er das bei einer zerschmolzenen uͤberlaufenden Seele noch eher als sonst. Die An¬ glaise, worin aus der Kolonne ein Paar nach dem andern verschwindet, war ja das Bild unsers schattig¬ ten Lebenu, in das wir alle ausziehen mit Trommeln und von tausend Spielkameraden eingefaßt und in dem wir fortruͤcken jedes Jahr verarmend, jede Stunde einsamer, indeß wir zu Ende laufen von allen verlassen ausser einen gemietheten Mann, der uns eingraͤbt hinter das Ziel. — Aber der Tod breitet gleichsam unsere Arme aus und druͤckt sie um unsere geliebten Geschwister: ein Mensch fuͤhlt erst am Rande der Gruft, da er ans Reich unbekannter Wesen stoͤßet, wie sehr er die Bekannten liebe, die ihn lieben, die leiden wie er, die sterben wie er. Das Bild des Todes und der Liebe mußte ja wohl Viktors Herz zertrennen. Und da ein Weib uns mit nichts die ganze seelige Vergangenheit ruͤh¬ render aufdeckt als wenn sie ihr Augenlied aufhebt und uns ihr schwimmendes Auge zeigt: ach so mußte er ja wohl wenigstens unter dem Tanze in ein Auge blicken, das ihm lauter Himmel zeichnete, die ver¬ sunken waren — und heute sollte alles versinken, das Auge sogar. Da Klotilde durch das Tanzen immer erblaßte: so zog seine Seele durch ihre Augen in ihr Inneres und zaͤhlte drinnen an der stillen Seele die Thraͤnen¬ tropfen, die unerschuͤttert an ihr hingen — die vie¬ len Inokulir-Einschnitte des Schicksals fuͤr neue Tugenden — die beschnittenen Wurzeln dieser Bal¬ samine, die das Schicksal an ihr wie wir an Ge¬ waͤchsen, vor der Verpflanzung in eine andre Erde verkuͤrzt — und die tausend Honiggefaͤße schoͤner Ge¬ danken. Und da er an alle ihre bedeckten Tugenden auf einmal dachte, an die Herrschaft ihrer weibli¬ chen Vernunft uͤber ihre Empfindsamkeit, an ihr leichtes Einwilligen in den Ball, den ihr jetzt der Fuͤrst, so wie in die Schminke, die ihr sonst die Fuͤrstin aufgedrungen, und an ihre Gefaͤlligkeit, so bald sie nichts aufzuopfern brauchte wie sich: und da er sich vorhielt, daß sie, nicht aͤhnlich den Hof- und Stadtweibern, die wie Gewaͤchse sich ans Fen¬ ster des Gewaͤchshauses nach dem Lichte aussprei¬ zen, sondern aͤhnlich den Fruͤhlingsblumen gern im Schatten bluͤhe und doch die Liebe zum Landleben so wenig wie ihre Bescheidenheit zur Schau aus¬ lege: so mußt' er das Auge abwenden von der zar¬ ten aufgerichteten Blume, auf die der Tod den Lei¬ chenstein nieder warf, von der schoͤnsten Seele, die ihren Werth noch nicht im Spiegel einer gleichen sah, vom sterbenden Herzen, das doch nicht gluͤck¬ lich war. Da stieg freilich der Gedanke, vor dem er zu¬ sammenfuhr; wie ein Sturm empor: »Ich will ihr's »heute sagen, wie gut sie ist — o ich seh' sie doch »nicht wieder und sie stirbt sonst von sich unge¬ »kannt! — Ich will ihr zu Fuͤßen sinken und meine »unaussprechliche Liebe bekennen. — Sie kann nicht »zuͤrnen; ich begehre ja nicht ihr heiliges Herz, das »keiner verdient, ich will ja nur sagen: meines ver¬ »gisset dich nie, aber es verlanget deines nicht, es »will nur sanfter brechen, wenn es vor dir gezittert »und geblutet und geweinet und gesprochen hat» .. Und nahe hinter diesem Gedanken kam Klotilde selber zu ihm an der Hand ihrer Stiefmutter und das von der Waͤrme wie Rosen von der Sonne ent¬ faͤrbte Angesicht, die kraͤnkern muͤden Zuͤge thaten die stille Bitte, in die frische Luft und nach Haus zu kommen. Sie fuhr; die Stiefmutter entfernt hinter ihr. — Welcher Tausch der Buͤhnen! — Unter dem Mor¬ genthor des Himmels stand der Mond, der den Lei¬ chenschleier aus Gewoͤlk abgehoben hatte von der Milchstraße und von dem ganzen blauen Abgrund. — Er trug allmaͤhlig einen Grund von Silber auf und zeichnete mit Schatten und Blitzen ein ruͤcken¬ des Nachtstuͤck hinein. — Sein Licht schien der Frost in Koͤrper zu verdichten, in weiße Auen, in tau¬ melnde Stroͤme, in schwebende Flocken, es hing blitzend als weißes Bluͤtenlaub in den Gebuͤschen, es glimmte die oͤstlichen Berge hinauf, die die Son¬ ne in Eißspiegel gegoßen hatte. — Und alles uͤber dem Menschen und um den Menschen war erhaben¬ still — der Schlaf spielte mit dem Tod — jedes Herz ruhte in seiner eignen Nacht. — Und hier bei diesem Eintritt gleichsam aus dem Getuͤmmel der Erde in die stille uͤberdaͤmmerte Un¬ terwelt floßen kalte Schauer und nach ihnen gluͤhen¬ de Schauer uͤber Viktors Nerven. — Dies geschieht wenn die Seele des Menschen zu voll ist und zu sehr erschuͤttert wird und alle Faͤden ihres zitternden Koͤrpergewebes schwanken dann mit ihr. — Sein Schlitten wurde jetzt eine fliegende Gondel. — Die entgegenschlagende Nachtluft wehte alle seine Flam¬ men an. — O! der Strom voll Eisspitzen, wenn er uͤber ihn gezogen, die kuͤhle Decke von Schnee wenn sie auf ihm gelegen waͤre! — Immerfort rief es in ihm: »du faͤhrst die Stille, die Geduldige mit ihrem »schwarzen Schleier dem Tode zu — es ist ihr Lei¬ »chenwagen — die edle Perlenfischerin hat dem Him¬ »mel ihr Zeichen gegeben, daß sie hier unten »Schmerzen und Tugenden genug gesammelt habe, »damit er sie wieder hinaufziehe zu sich.» — — Die voruͤberruͤckenden Berge, die vorbeistuͤrzenden Baͤume, die wegrinnenden Felder, diese Flucht der Natur schien in einen großen Wasserfall zusammen¬ zufließen, der alles mittrieb und den Menschen zu¬ erst und nichts stehen ließ als die Zeit. — Und als er in das Thal, wo die Stadt verschwindet wie vor einem Jahre seine begleitende Freundinnen, hinun¬ terrollte und als der Mond nach dem optischen Schei¬ ne hinter den Baͤumen durch den Himmel zu fliegen anfing: so richtete er seine Augen gegen die Sterne auf, und redete zuruͤckgebogen, hinaufstarrend, zer¬ truͤmmert und ohne Besinnung den Himmel laut an: »tiefes blaues Grab uͤber den Menschen, du versteckst »deine weiten Naͤchte hinter zusammengeruͤckten Son¬ »nen! Du ziehest uns und unsre Thraͤnen hinauf »wie Duͤnste. — Ach werfe nicht die armen sich so »kurz sehenden Menschen so weit auseinander, nicht »so unendlich weit! — Ach warum kann der Mensch »nicht hinaufblicken zu dir, ohne zu denken: »wer weiß, welches geliebte Herz ich droben nach »einem Jahre suchen muß!» — Seine verdunkelten Augen fielen schmerzhaft vom Himmel herab — auf Klotildens ihre, die aufgeho¬ ben seinen gegenuͤberstanden. Sie konnte die Thraͤne, die vom Auge erst bis zur Wange gefallen war, we¬ der durch den Schleier entziehen noch fuͤr eine auf dem Angesicht zergangene Schneeflocke ausgeben, da der Schleier die Flocken abstieß: aber eine solche Thraͤne hatte keinen Schleier noͤthig. Klotilde hat¬ te gedacht, er meine blos Emanuel und darum wur¬ de sie weich . . . Wie zwei scheidende Engel schau¬ ten beide sich mit weinenden Augen an. Aber Klo¬ tilde zog die ihrigen ab und ihr Haupt buͤckte er¬ liegend sich vorwaͤrts. Gleichwol wandte sie sich wieder um und that mit dem Himmels-Angesicht und mit der Himmels-Stimme die schoͤne Bitte an ihn: »Wuͤrdigen Sie dieser warmen Freundschaft auch meinen Bruder; und vergeben Sie der Schwe¬ ster heute diese Bitte, da ich sie vielleicht lange nicht erneuern kann.» — Er buͤckte sich tief und konnte nicht antworten. Aber da ihr Wohnort ihnen jetzt entgegenschim¬ merte und ihr Schloß, von dem der Silberregen des Mondes niederrann — da die Minute immer groͤßer und dunkler herankam, worin ihm der Abschied, (vielleicht die Maske des Todes,) diesen stillen En¬ gel von der Seite nahm — da ihm jede gleichguͤl¬ tige Abschiedsformel, die er sich aussinnen wollte, sein krankes Herz zerschnitt — da er sah wie sie ihr Haupt auf die Hand und auf den Schleier lehnte, um unbemerkt die ersten Zeichen ihres Abschieds wegzunehmen oder aufzuhalten: so stuͤrzte die ganze Wolke, die so lange einzelne Tropfen in seine Au¬ gen fallen lassen, zerrissen auf ihn nieder und uͤber¬ flutete sein Herz. . . . . Er hielt ploͤtzlich still . . . Er sah mit unversiegenden Augen gegen St. Luͤne. . . . Klotilde kehrte sich um und sah ein entfaͤrb¬ tes Angesicht, zwei Augen voll Thraͤnen, eine Stirn voll Schmerzen und einen zitternden Mund und sag¬ te bloͤde: »Ihre Seele ist zu gut und zu weich.« — Ja, dann brach sein uͤberfuͤlltes Herz entzwei. — Dann quollen alle mit alten Thraͤnen vollgegoßenen Tiefen seiner Seele auf und hoben aus den Wurzeln sein schwimmendes Herz und er sank vor Klotilden nieder glaͤnzend in himmlischer Liebe und rinnendem Schmerz — von der Tugend uͤberflammt — vom Mondenlicht verklaͤrt — mit der treuen erliegenden Brust, mit den uͤberhullten Augen und die zerrin¬ nende Stimme konnte nur die Worte sagen: »Engel »des Himmels! endlich bricht vor dir das Herz, das »dich unaussprechlich liebt — o ich habe ja lange »geschwiegen. — Nein, du edle Gestalt weichest nie »aus meiner Seele. — O Seele vom Himmel war, »um haben deine Leiden und deine Guͤte und alles »was du bist, mir eine ewige Liebe gegeben und »keine Hoffnung und einen ewiaen Schmerz?» — Von ihm weggebogen lag ihr erschrockenes Ange¬ sicht in ihrer rechten Hand und die linke deckte nur die Augen, aber nicht die Thraͤnen zu. Ein sterben¬ der Laut flehete ihn an aufzustehen. Man hoͤrte den zweiten Schlitten von Ferne. — »Unvergeßliche! ich »martere Sie, aber ich bleibe bis Sie mir ein Zei¬ »chen der Vergebung geben.« — Sie reichte ihm die linke Hand hinaus und ein heiliges Angesicht voll Ruͤhrung wurde aufgedeckt — Er preßte die warme Hand an sein flammendes Angesicht, in seine heissen heissen Thraͤnenguͤsse — Er fragte zitternd wieder: »O mein Fehler wird immer groͤßer, werden Sie »ihn denn ganz verzeihen?« . . . Da verhuͤllte sie das erroͤthende Angesicht in den verdoppelten Schleier und stammelte abgewandt: »ach dann muß ich ihn theilen, edler Freund meines »Lehrers.« — — Seeliger, seeliger Mensch! nach diesem Wort bietet dir das ganze Erdenleben keinen groͤßern Him¬ mel an! Ruhe nun in stillem Entzuͤcken mit dem uͤberwaͤltigten Angesicht auf der Engelshand, in die das edelste Herz das fuͤr die Tugend wallende Blut ausgiesset! Weine alle deine Freudenthraͤnen auf die gute Hand, die dir sie gegeben hat! Und dann: wenn du es vermagst vor Entzuͤcken oder vor Ehr¬ furcht, dann hebe dein reines glaͤnzendes Auge auf und zeig' ihr darin den Blick der erhabnen Liebe, den Blick der ewigen Liebe und der stummen, und der seeligen und der unaussprechlichen! — Ach der, den einmal eine Klotilde geliebt haͤtte der koͤnnte jetzt vor Entzuͤckung nicht weiter lesen — nicht weiter schreiben . . . . . oder auch vor Schmerz! — Jetzt legte er den schoͤnern Weg schweigend und geheiligt zuruͤck — Der Mond hing wie ein bethau¬ ter mit weissen Bluͤten uͤberlegter Morgen vom Himmel herab — Der Fruͤhling bewegte seine Auen und seine Blumen unter dem Schleier von Schnee — das Entzuͤcken schlug in Viktors Herzen, schwoll in seiner Brust, glaͤnzt' in seinem Auge — aber die Sprachlosigkeit der Ehrfurcht herrschte uͤber das Entzuͤcken. . . . Sie kamen an. Und als beide im Zimmer der Harmonika, wo man Abends vor Schmerzen ihre Hand ergriffen hatte, einander einsam gegenuͤber standen, so veraͤndert, so see¬ Hesperus. II . Th. B h lig zum erstenmale, zwei solche Herzen, sie wie ein Engel der vom Himmel niedersank, er wie ein Seeliger, der aus der Erde auferstand, um dem bloͤden Engel an das Herz zu fallen und mit ihm sprachlos in den Himmel zuruͤckzugehen . . . welche Szene! — O nur fuͤr euch, ihr schoͤnen Seelen, die ihr solche Szenen nie erlebt und doch verdient, mal' ich diese fort!. . . . Wie zwei Seelige vor Gott schauen sie einander in die Augen und in die Seelen — wie ein Zephyr, den zwei schwankende Rosen fortsetzen, wehet zwischen den zitternden Lip¬ pen der sprachlose Wonne Seufzer, von der Brust in schnellen Zuͤgen eingetrunken und freudig schau¬ ernd in langen ausgezittert — sie reden nicht, um sich anzublicken, sie heben die Augen auf, um durch den Freudentropfen durchzusehen, und senken sie nie¬ der, um ihn mit den Augenliede abzutrocknen. .. Nein, es ist genug — o es ist eine andere Thraͤne die jetzt druͤckend in dem schoͤnen Herzen liegt, das schweigt und sagen will: ich war niemals gluͤcklich und ich werd' es auch nie! Viktor hatte ihr soviel zu sagen und hatte so wenig Minuten mehr dazu: gleichwohl machte ihn nicht sowohl die Freude als die Ehrfurcht stumm — denn heilig ist dem liebenden Herzen die Gestalt, die zu ihm gesagt hat: ich bin dein. — Denket aber nicht, er wollte etwan die rohe Bitte thun, seinetwegen da zu bleiben: nur die Frage, ob er sie in Maienthal besuchen duͤrfe, nur die Bitte , daß sie fuͤr ihr Genesen sor¬ ge, kann er wagen. Klotilde hatte nur Eine an ihn zu thun, die sie nicht genug uͤberhuͤllen konnte: naͤm¬ lich, ihres eifersuͤchtigen Bruders wegen, sie nicht in Maienthal zu sehen. Unter dem Zoͤgern der Entzuͤckung schellet der zweite Schlitten. Die Eile noͤthigte sie zum Muth — — Viktor verwandelte die Bitte in den Wunsch, daß der Fruͤhling die Absicht ihrer Reise (die Genesung) beguͤnstigen moͤge, und die Frage in die Freude , wie gluͤcklich sie in Maienthal neben Dahore seyn werde, wie seelig er sonst dort gewesen und wie wenig er sonst geglaubt, daß man's da noch mehr werden koͤnne. Klotilde antwortete (wahrschein¬ lich auf seinen Wunsch nachzureisen): »ich hinterlasse Ihnen eben soviel, meinen Bruder und Ihren Freund , vergessen Sie meine vorige Bitte nicht.» Erst, da die annaͤhernden Eltern Klotilden erin¬ nerten, den Schleier zuruͤckzuschlagen, und ihren Ge¬ liebten anmahnten, den ersten Abschied von dem er¬ rungenen Herzen zu nehmen: da blickten beide weit in das großen Eden hinein, das sich um ihr Leben aufgethan — und die helle Minute, die jetzt im Strom der Zeit voruͤberfloß, spiegelte in die Ewig¬ keit zwei himmlische Gestalten hinauf, eine entschlei¬ erte, blaßrothe, von Thraͤnen verklaͤrte, und eine von Liebe verherrlichte, von Hoffnung wiederscheinende — und jetzt lasset nicht laͤnger die Hand Seelen zeich¬ nen, die nicht einmal das glaͤnzende große Auge der Liebe abmahlet. . . . Als die Eltern kamen: fuͤhlt' er alle moͤgliche Kontraste, aber er vergab alle moͤgliche. Er nahm bald Abschied, um zu Hause in der Stille der Nacht den ersten betenden Blick uͤber seinen kuͤnftigen Le¬ bensstrom zu werfen, der sich jetzt zum Grab hinzog in Schoͤnheitslinien und in dem bunte Minuten spiel¬ ten wie Goldfische. In der Nachtstille, nicht weit von seiner Wachs¬ mumie wollte der Gluͤckliche niederfallen vor dem unendlichen Genius und ihm mit neuen Thraͤnen danken fuͤr diese Nacht, fuͤr diese Freundin, deren erste Liebe er ist. — Aber der Gedanke es zu thun, ist die That und o wie koͤnnte unser geruͤhrtes Herz, das schon vor Menschen verstummt, noch andere Worte vor dem Unendlichen finden als Thraͤnen und Gedanken? — — Und in dieser ergebnen Stimmung voll tiefer Ruhe, worin ich die Feder weglege, moͤgest Du, lieber Leser, den zweiten Band weglegen und auch sagen wie ich: es werden sich wohl mehr truͤbe Ta¬ ge so beschließen wie der acht und zwanzigste Hunds¬ posttag. — Ende des zweiten Heftleins.