Kritische Waͤlder . Oder einige Betrachtungen die Wissenschaft und Kunst des Schoͤnen betreffend, nach Maasgabe neuerer Schriften . Drittes Waͤldchen noch uͤber einige Klotzische Schriften. — There are — — who will draw a man’s character from no other helps in the world, but merely from his evacua- tions; — but this often gives a very incorrect out-line, — unleß, indeed, you take a sketch of his repletions too; and by correcting one drawing from the other, compound one good figure out of them both — Tristram Shandy . Vol. I. Chap. 23. Riga, bey Hartknoch , 1769 . Vorrede . E in Kunstrichter soll nicht anders, als ein boͤses Herz, haben koͤnnen — ist dies, so wehe dem Verf. der kritischen Waͤlder. Er hat mit Grimm und Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen schwarzen Gruͤnden und zu welchen boͤsen Absichten geschrieben — niger est! Also muß ein Kunstrichter ein boͤses Herz haben! warum? weil er Fehler aufsuchet, und wer Fehler aufsuchet, der — Aber mit einer Erlaubniß! wenn er sie nicht auf- sucht, nicht aufsuchen darf, wenn sie ihm in vollem Maaße selbst zustroͤmen? — Dann sollte er sie bedecken! Fehler bedecken, das A 2 thut Vorrede . thut die Menschenliebe! — Bedecken also? aber wenn sie sich nicht bedecken ließen, wenn sie, bedecket, und mit einem sanften Vehiku- lum verschlucket, um so schaͤdlicher waͤren, ists da nicht doppelte Menschenliebe, sie zu entlarven? Doppelte Menschenliebe; denn so wird der junge unerfahrne Leser gewar- net, sie nicht fuͤr Tugenden anzusehen und anzunehmen: der fehlerhafte Schriftsteller selbst, wenn er noch zu bessern ist, gebessert, oder wenigstens dahin gebracht, nochmals zu pruͤfen, auszutilgen oder zu verstaͤrken. Jch sehe in keinem Falle Nutzlosen Men- schenhaß. Was der webende Wind wachsenden Baͤumen ist, Staͤrkung ihres Stammes, das ist der Wiederspruch fuͤr unsere Meinun- gen und Lehrsaͤtze. Ein freundschaftliches Gespraͤch, ein Pro und Kontra im Umgange, oder im lebendigen Vortrage, bringt oft weiter, als hundert einsame Discussionen auf einem und demselben Pfade. Dort wird jede Jdee gewandt, ventilirt, gepruͤft, und also Vorrede . also entweder bestaͤrkt, oder geschwaͤcht: der Geist waͤchset in dem Zwiste der Akademie, wie der Leib in den Uebungen der Palaͤstra. „Aber dazu sind Journale, Zeitungen!„ Auch meine kritischen Waͤlder moͤgen so etwas seyn, und wollen noch mehr seyn. Ein Journal gibt Auszuͤge und nur uͤber dies und ein anderes Einzelne seine Meinung: der Zergliederer eines ganzen Buchs thut mehr, als — vielleicht selbst sein Verfasser gethan. Sich in den Plan des Ganzen setzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder Schoͤnheiten zeigen, ergaͤnzen, das thun vielleicht nur einige Journale! das ist so schwer, als selbst Schreiben, und eben bei dem elendesten Buche am schwersten. Klotzens Muͤnzbuͤchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit gekostet haben, die seine Analyse mir; viel- leicht aber wird diese auch um die Haͤlfte nuͤtzlicher werden koͤnnen, als jenes selbst. Ein zergliedertes Buch ist doch bildender, als ein zusammen geschmiertes. A 3 Sollte Vorrede . Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten: so mag der englische Swift Vertheid. des Maͤhrchens von der Tonne. zeugen: er giebt so umstaͤndlichen Zergliederungen einen Werth, von dem ich mir gern auch nur die Haͤlfte zueignen wollte. Eben daher wird man auch das oft Kleinfuͤgige in meinen Disputationen entschuldigen. Sollte das Ausgefundne oft nicht wichtig seyn: so suche man an der Methode selbst zu lernen. Jch habe dazu Schriften gewaͤhlt, die bekannt gnug waren, und uͤber die, wenn ich gefehlet habe, ich wenigstens auf meine Kosten gefehlet. Von Lessings Laokoon erinnere ich mich keine einzige Erinnerung, die ich gemacht, sonst gelesen zu haben, und uͤber Klotzens Schriften war, was ich ur- theilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr Verf. sich der meisten Zeitungen und Jour- nale in Deutschland versichert hat, und diese doch leider! fuͤr das Publikum schon gelten: was war nicht der Mann geworden? und was sind seine Schriften! Was ist nicht Hr. Vorrede . Hr. Riedel geworden? und was sind seine Theorie und seine Briefe? Hier den Ton der Gleichheit und des Verdienstes herzustellen: jene lobschreiende, alles uͤberschreiende Stimmen etwas zu maͤßi- gen, das war meine Absicht. Lessings Lao- koon war, duͤnkte mich, noch nicht wuͤrdig gelobt: denn er war noch nicht bis auf sein Wesen durchdrungen. Klotzens Schriften uͤberschwaͤnglich gelobt, und verdienten nicht, angesehen zu werden. Riedels Theorie uͤber- maͤßig gelobt, und ist das mittelmaͤßigste, unordentlichste Werk, das ich mir bey einer Theorie denken kann. Hier der Kritik die Stimme der Freyheit wieder zu geben: das Unwuͤrdige oͤffentlich zu tadeln, damit dem Verdienste sein Lob noch angenehm seyn koͤnnte — das war meine patriotische Absicht! „Aber so ernsthaft, so bitter!„ Noch immer patriotischer Ernst! ich mag die suͤß- toͤnende lammartige Stimme nicht: mag nicht den schmeichelhaft sich buͤckenden Ton, A 4 in Vorrede . in dem die sprechen, die wieder gelobt seyn wollen. Man tadle mich! man tadle mich heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es Mode des Jahrhunderts waͤre! „Ernsthaft also, aber warum bitter? „warum mit Galle?„ Mit Galle gegen die Person im geringsten nicht. Da ich nicht das Gluͤck habe, in Halle oder Erfurth zu leben: warum sollte ich den Lehrern daselbst ihren Beifall beneiden? aus Eifersucht schmaͤ- lern? aus Habsucht an mich ziehen wollen? „Aber mit Bitterkeit gegen den Schrift- „steller, und dazu unwuͤrdig, unhoͤflich, „ungezogen!„ Die Vorwuͤrfe sind hart, und sie waͤren siebenfach hart, wenn man sie von meinem ersten Waͤldchen sagen koͤnnte! Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmei- cheln Mode wird, wo der Geschmeichelte mit dem Publikum, mit Welt und Nach- welt im hochtrabendsten Tone spricht, und auf seinen eingebildeten Werth so sicher rech- net, als der Kaufmann auf seine Papiere — wie? ists da dem Patrioten so unverzeih- lich, Vorrede . lich, wenn er auch in der Gegenstimme aus- schweift? wenn er seinen rechtmaͤßigen Tadel mit Feuer sagt? O sollte mancher so viel zuruͤckzahlen muͤssen, als er unrecht zu em- pfangen gewußt, wie viel ist er noch schul- dig? — Und zudem, ist hier wohl die Haͤlfte der Ungezogenheiten, die die Klotzische Bi- bliothek gegen die besten Schriftsteller Deutsch- landes bewiesen? und ist bey einem Klub, wo sanfte Kritik den Lauf des Muthwillens nicht stoͤren kann, ein andrer Weg moͤg- lich? „Aber warum Namenlos, aus dem Dun- „keln hervor?„ Habe ichs nicht schon gesagt: mein Name ist keine Suͤnde! War mein Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit seines Schriftstellers: war es wider die Re- ligion und den Staat; so ging es die Cen- sur, so sollte es nicht gedruckt werden! Und in diesem Fall allein ist der Name des Schrift- stellers und seine Person in sein Werk ver- flochten! — Aber nun! nichts als kritische Streitigkeiten, Ventilationen dieser und jener A 5 Frage, Vorrede . Frage, Zergliederungen von Schriften, um den Werth und Unwerth derselben zu zei- gen — wozu da der Name? Der Verf. darf ihn nicht, und wird ihn auch nie ent- decken: er wird nie das Buch unter die Kinder seines Namens aufnehmen: denn es war nicht dazu. Es war blos fuͤr eine Zeitverbindung geschrieben, die der Littera- tur schaͤdlich ward: in einem Tone geschrie- ben, der fuͤr das Ohr dieser Zeitverbindung eingerichtet war: uͤber Sachen, wovon da- mals jeder sprach und schwatzte. Er kann also wohl einmal einzelne Materien aus- heben, und fuͤr die seinigen erkennen, die etwa dauren koͤnnen: der Wald selbst aber hat keinen Namen — αγωνισμα μαλλον, ου κτημα ες αει. Jnhalt. Jnhalt . I. Ueber Herrn Klotzens Buch vom Muͤnzengeschmacke. 1. Die Schrift ist weder schoͤn im Vortrage, noch Bei- trag zur Geschichte, noch im wuͤrdigen Ton geschrieben. Was der suͤße Kammerton unsrer Zeiten sey? 2. Probe von der Feinheit der Klotzischen Empfindungen. Rettung der Muͤnzgelehrten, die mehr thun, als schme- cken. Einfuͤgung der Geschmackslehre auf Muͤnzen mit andern eben so nutzbaren Zwecken. 3. Ein langes Register von Stellen, wo Addison mit unserm Klotz gewandert. Vorzuͤge des Deutschen vor dem Britten an rednerischem Schmuck, an Bestimmtheit und Ordnung. 4. Vorzeichnung zu einer historischen Theorie des Geschmacks alter und neuer Muͤnzen. Vorzuͤge der Griechischen Nu- mismatik erklaͤrt, aus ihrem Nationalcharakter, aus ihrer Succession auf die Egypter in der Bildersprache, aus ihrer Religion, ihren Allegorien von Staͤdten und Laͤn- dern, abzubildenden Sachen und Begebenheiten, Perso- nen nen und Jnschriften, aus ihrer Bilderdenkart, und poetischen Cultur des Publikum — alles im Kontrast unsrer Zeiten. 5. Hiernach eine Pragmatische Muͤnzengeschichte des Ge- schmacks. Pruͤfung der Klotzischen Jdeen daruͤber. Ob sich auf alten Muͤnzen nur schoͤne Gestalten finden? Ob Winkelmann seine Gesetze der Allegorie fuͤr Muͤnzen gegeben? Ob eine Muͤnze freyes Kunstwertk sey? Jhre wahre Natur ist symbolisch. 6. Wie weit sich aus Muͤnzen auf den Geschmack einer Nation schließen lasse? Nach Einer, nach allen Griechischen, nach den Roͤmischen, nach den Gothischen und Barbarischen der mittlern Zeiten; nach der Numismatik unsrer Zeit gepruͤft. Wunsch nach einem numismatischen Goguet. 7. Wie fern dle bildenden Kuͤnste die Denkart des Kuͤnstlers verrathen? Wie fern eine Muͤnze dies kann? Ob sie die Denkart des Fuͤrsten schildere? Proben der Alberheit dieses Satzes. Ob der moralische Charakter ganzer Nationen auf Muͤnzen zu suchen sei? Beispiele an den mitlern Zeiten, Hollaͤndern, und Deutschen? Lobrede auf die Epoche des Geschmacks, die Hr. Klotz in Deutschland macht. 8. Wenn Muͤnzen vom Geschmack der Nation zeugen sollen: so muͤssen sie ein Werk des Publikum, und ein freies Kunst- werk seyn. Ob sich von ihnen die Bildung des Ge- schmacks anfange? Statt des Beschlusses der Auszug aus einem Briefe. II. Proben II. Proben von der Gruͤndlichkeit und Un- partheilichkeit des kritischen Urtheils der actorum. Ueber Harles Vitas philologorum. Ob sich ein biogra- phischer Charakter aus Oden entwerfen lasse? Laͤcherliche Kleinigkeiten in Hrn. Klotzens eignem Leben. Ueber den Charakter Pindars. Rettung und Erklaͤrung der ausschweifendsten Pindarischen Ode. Ueber Breitenbauchs Schilderungen, der uns einen Horaz liefern wird. Hausens Geschichte: dergleichen noch nie erschienen. Ueber D’Argens Julian. Charakter Julians, wie ihn Hr. Klotz kennet. Ueber Damms Lexicon. Nutzbarer Gebrauch desselben. Ueber die Briefe eines Mentors. Beste Probe von cha- rakterisirenden Anekdoten. Hausens Weltgeschichte. Seine schoͤne Gabe zu charakte- risiren. Charaktere Karls des Großen, Ludwigs des Frommen u. s. w. Ueber die Charakterstellung uͤberhaupt. Urtheil uͤber die acta uͤberhaupt in ihrer Schreibart, und kritischem Geist. 1. Hr. Klotz sollte sich nicht mit der Theologie befassen. Seine Claßification mit Teller und Basedow. Ob unsre Ortho- Orthodoxie in Klotzisch Latein umgegossen werden solle? 2. Die Reichsgeschichte ist nicht à la Greeque oder à la Françoise zu schreiben. Unterschied unsrer Geschichte von andern in der aͤltesten Zeit, und in den mittlern Jahrhunderten. Ob eine Deutsche und Reichshistorie zwey Dinge sind? Bemerkungen uͤber die Eigenheit unsrer Geschichte und wie sie idiotistisch zu schreiben sei. 3. Satyren auf die Metaphysik und Philosophie. Sie raͤchet sich gegen ihre Veraͤchter. 4. Von dem Buche uͤber geschnittne Steine. Dessen Be- lesenheit, Ordnung und Eintheilung wird gelobt. Pro- ben von dem guten Tone in ihm. Allgemeines Ur- theil. — — — Lessings Antiquarische Briefe. Schluß — Drit- Drittes Waͤldchen uͤber einige Klotzische Schriften. 1. M uͤnzenschmeckerei — das Wort scheint veraͤchtlich: wie aber, wenn ein Titel Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Muͤnzen Beitr. zur Gesch. des Geschm. und der Kunst aus Muͤn- zen. vom Hon. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767. seiner Ausfuͤhrung nach nicht besser, als so, koͤnnte zusammen gezogen werden? — Jch will mich, so viel ich kann, nach Griechen- land zuruͤck setzen, und lesen, als ob ich einen Griechen laͤse. Das attische Publikum in Deutsch- land sei zwischen ihm und mir Zeuge. Zwar Griechischschoͤn im Vortrage ist dies Schriftchen wohl eben nicht, daß naͤmlich einfaͤltige Hoheit, Kritische Waͤlder. Hoheit, nachdruͤckliche Kuͤrze, und feine Schoͤnheiten des Styls sich in ihm vereinigen sollten. Der klotzische Styl mag immer die Schoͤnheiten haben, die der Kupferstecher Allechement nennet; aber Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht ihm voͤllig. Der Freund und Beurtheiler Klotz. eigne Bibliothek St. I . Vorr. Hr. Klotzens, „bei dem seine zaͤrtliche Liebe ge- „gen den Verf. diesmal uͤber seine großen Einsich- „ten, und scharfe Beurtheilungskraft die Ober- „hand behalten,„ mag davon sagen „was Hr. „Klotz ihm nicht verbothen„ Ebendas. Seite 71. ich kann nicht anders, als durchgaͤngig einen langweiligen homi- letischen Ton finden, der fast nie so recht Griechisch oder Deutsch heraus sagt, was er sagen wollte. Langweilig jedes Punkt umher geholet, gekettet und umwunden, nach einem zehn Seiten langen Eingange, der eine hoͤfliche Empfehlung sein selbst und weiter nichts enthaͤlt, alsdenn erst ein praͤch- tiges ebenfalls zehnseitiges Exordium vorausge- schickt, alsdenn ein halbblindes Thema kanzel- maͤßig in zween Theile zerstuͤckt, so mit bestaͤndi- gen Ausschweifungen, in lauter Geschmacksvollen Anmerkungen, mit oͤftern hoͤflichen Freundschafts- bezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt, als wenn jede Periode aus dem Lateinischen uͤber- setzt waͤre, als wenn zu jedem Staͤubchen zween Wind- Drittes Waͤldchen. Windmuͤhlen und zur Schriftstellerhoͤflichkeit bestaͤn- dig fortscharrende Komplimente noͤthig waͤren — zu einem solchen Vortrage wuͤrde ein griechischer Longin frei heraus sagen φλοιωδης γαρ ὁ ανηρ και φυσων, κατα τον Σοφοκλεα „ου σμικροις μεν „αυλισκοισι - - φορβειας δ’ατερ„ - - ουδεν δε φασι ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutsche das Urtheil. Was ein Grieche mit dem Worte Geschichte verbaͤnde, ist hier nicht verbunden: ich mag das Titelwort Beitrag zur Geschichte so diminutivisch nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge sorgfaͤltig bemerkt: noch die uͤberhingeworfnen An- merkungen wenigstens durch einzelne Beispiele der fortgehenden Zeitfolge scharf bewiesen: noch we- niger von einer Nation nach der andern, inson- derheit in den neuern Zeiten, Beispiele der successi- ven und coexsistenten Geschmacksveraͤnderungen gesucht; noch weniger die Ursachen des veraͤnder- ten Geschmacks aus dem Chaos der Geschichte her- aufgeholt — ist das Beitrag zur Geschichte? Zu einigen allgemeinen und zu sehr bekannten Bemer- kungen, die uͤber Voͤlker und Zeiten durchhingewor- fen, und fast; immer halbschielend wiederholt wer- den, zu diesen einige leidliche Exempel beizutragen, die aus bekannten Buͤchern, und im ganzen suͤßen Flußwasser des Buchs doch nur rari nantes in gur- gite vasto sind — — aus diesen von der Ehre B und Kritische Waͤlder. und Schande aller neuern Muͤnzen so allgemein und entscheidend zu reden, als haͤtten sich alle zur Musterung dargestellt, und doch nichts als die all- gemeinen Geschmacks - und Barbareiperioden, jede mit Einem Beispiele vielleicht auszuruͤsten, und diese ausgeruͤstete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzustellen — ist das die Ciceronianische An- kuͤndigung „der Sache, die ich mir vorgesetzt „habe? Meine Absicht ist, aus den Muͤnzen „gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und „der Kuͤnste zusammen zu setzen, und ihre Bluͤthe, „oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen. „Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be- „sonders unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, „mit den neuern vergleichen: Jch werde die „merkwuͤrdigsten Perioden in der Geschichte der „Kunst durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je- „der derselben gehoͤren, betrachten, und nach der „groͤßern Anzahl guter oder schlechter Stuͤcke mein „Urtheil faͤllen. „ O Dea Moneta, wo ist dies alles in meinem lieben Buͤchlein? Noch minder ist der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geschichte gehoͤrte, lesen wollten: der Ton des bescheidnen Anstandes, der wei- sen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit seiner Historie als ein Wunder seiner Zeit auftrat, kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geschichtsartige Schriftsteller kuͤndigte sein The- Drittes Waͤldchen. Thema so kostbar, so selbstwichtig an, als wenn man blos der Stirne nach von aller Welt schon mit zuruͤckfahrender Bewunderung empfangen werde, Eigne Worte Klotzens. S.3.4.5.6. — — „Augen voll Entzuͤckungsvoller Aufmerksamkeit „habe, die Niemand hat, die nur ein Nikoma- „chus, Pietro di Cortona, Angelo, Addison, „oder wie die Litanei der Geschmacksnamen nach „der neuesten Mode weiter heiße, ohngefaͤhr habe: „als wenn man an Muͤnzen hoͤren, sehen, schmecken, „und fuͤhlen koͤnne, was sonst niemand sah, als wenn „man von allen Vorgaͤngern in der Muͤnzwissen- „schaft, (einen Addison ausgenommen) verschie- „den, als eine Seltenheit seiner Tage, als ein Ruͤst- „zeug des guten Geschmacks auftrete, eine Epoche „machen, und der Welt Tag geben solle u. s. w.„ so wuͤrde ein Grieche nicht sprechen. Nicht bei Ankuͤndigung seiner Schrift, nicht mitten in der Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schluß- seegen, nirgends wuͤrde er sich als eine Mauer fuͤr den Geschmack eines ganzen Landes gegen die Aus- laͤnder vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter sich rechnen, uͤberall im Tone des Rednerego sprechen — ein Grieche spraͤche so nirgends. Am wenigsten wuͤßte ein Grieche von dem seli- gen Privattone, in dem unsre Zeit, die so sehr das B 2 Na- Kritische Waͤlder. Natuͤrliche liebt, in manchen schoͤnen und uͤber- schoͤnen Schriften liebkoset. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreise wuͤrdiger Kenner und Richter; nicht aber so freundschaftlich suͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa- miliares. Jn ihren besten Zeiten kannten sie die Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce loquentem; sie sprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in seiner Schlaf- kammer, oder der suͤße Schriftsteller im Cabinette seines lieben, seines herzlich lieben Freundes. Ein Grieche dachte selbst — — doch wozu der fortgesetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz ist kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr sich denken und schreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge- dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, sein. Jm Alterthume ist seine Kunstmuse von Winkelmann, Lessing, Du - bos, Caylus; und in Neuern von Addison, Hagedorn, Watelet, Du - bos und einigen andern Franzosen so ganz besessen, daß, wie gesagt, immer Herr Klotz spricht, und fast im- mer ein andrer durch ihn. Er weiset andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Lessing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Lessing durch Caylus zurecht; so zurecht, als wenn alle diese, als Unterbibliothekare seiner Bibliothek unter der Aussicht des Herrn geheimden Raths, sich wech- selsweise verbessert und das entscheidende Urtheil dar- Drittes Waͤldchen. daruͤber durch eine buͤndige Citation Jhm uͤberlassen haͤtten. Ueberhaupt gehoͤrt hinter jede leidliche Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht steht, wollte ich ihn zuschreiben. Zu diesem Muͤnz- buͤchlein wenigstens doͤrfte ich nicht eben lange nach- suchen: denn was Plato zum Antimachus sagte: wuͤrde ich hier zu Addison sagen koͤnnen: hic mihi instar omnium! und Addison, welch ein guter Troͤster! Da nun Hr. Kl. als Critikus uͤber den Ge- schmack gesammter Voͤlker und Zeiten urtheilen; als Sammler Belesenheit zeigen: als ein Schrift- steller von sittlich feinem Geschmacke schoͤn schreiben: als ein Ehrenmann hofmaͤßig sprechen: als ein Gefuͤhlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenst bezeugen: und bei allen als Magister der freien Kuͤnste zuweilen noch eine kleine lustige Schnurre anbringen will; so denke man sich in diesem Gemi- sche den wuͤrdigen Ton eines Lehrers uͤber die Ge- schichte der Kunst, den wir an Winkelmann so tief bewundern. Man vergleiche diesen artigen Bei- trag mit des andern seiner Geschichte, und siehe da! Winkelmann in klein Octav! — Verzogne Anprei- sungen des guten Geschmacks wechseln mit sittlich- feinen Artigkeiten, mit spaashaften Anekdoten, mit herzlichschoͤnen Complimenten an seine Freunde und Goͤnner ab: bald spricht ein Kunstrichter von rich- „tigem Geschmacke, Du Bos, bald der unsterb- B 3 „liche Kritische Waͤlder. „liche Mengs, bald ein Mann, welcher die tiefen „Einsichten, und alle Eigenschaften eines großen „Genies durch sein Menschenfreundliches und tu- „gendhaftes Herz veredelt, und von welchem man „sagen kann, daß seine Schriften die Schilderung „des liebenswuͤrdigsten Mannes sind„ bald Hr. von Voltaire in seinem temple du gout: bald thut der Verf. „fuͤr Deutschland das Gebet, das Hr. „Watelet an die himmlische Venus abschickt:„ bald befielt er den Fuͤrsten im Namen der Nach- kommenschaft, wenn sie Muͤnzen schlagen lassen, Longin zu lesen. „Der Abt Boͤhmer und„ jene geistreiche Englaͤnderinn Montague: Spanheim und ein franzoͤsischer Landjunker: Young in seinen Nachtgedanken und Lucian, und „ein witziger „Mann, der Abt Trublet„ — auf zwei Blaͤtter- chen S. 98. 99. kommt diese seltne Gesellschaft zusammen, und druͤckt sich so auf einander, daß der Verf. mit einmal „ermuͤdet von Scholiasten und gesaͤttigt mit „der Gelehrsamkeit stolzer Kunstrichter, in Lessings, „Weißens, Duschens, Uzens und Hagedorns „Schriften Erquickung sucht, von furchtbaren Fo- „lianten in die lieblichen Umarmungen des freund- „schaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in „den Schriften des Patrioten Mosers erhabne Zuͤge „der deutschen Redlichkeit.„ O wenn einst Grie- chen Drittes Waͤldchen. chen wieder aufleben — unpartheiische Nachwelt, die entfernt von unserm Familienton und suͤßen Zeit- geschmack unsre viros suavissimos waͤgen wird — oder du unser deutsches Publikum, das von jeher ent- mannete Weichlichkeit, und verwelkte Rosen verachtet hat, dessen Gesinnung immer ernste Vernunft, Kraft, und das Nahrhafte des Geschmacks gewe- sen, wirst du dich mit einem schoͤnen Blumenge- spinste, das man wie jenen alles uͤbertreffenden Die Allegorie der Griechen und Roͤmer (das muß ich doch sagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht, daß diese Stelle vortrefflich ist!) ist wie der leichte Schleier des Tryphon. s. Klotz. Bibl. S. 64. Tryphonischen Schleier, dir uͤberwirst, dich immer taͤuschen lassen? — Jch schreibe fuͤr Deutschland, und ich weiß, die stillen Kenner (und sie sind das wahre Deutsche Publikum) auf meiner Seite: der große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein — — the charms wound up! Warum aber so lange bei dem Geruͤste eines Buchs? Denkart eines Schriftstellers, Denkart, die sich in allen Schriften desselben aͤussert, Denk- art, die sich, wie eine Lustseuche des guten Ge- schmacks, so gern weiter ausbreitet, ist mehr als Geruͤst. Und wenn es auch nur dies waͤre: ins Gebaͤude selbst wage ich mich kaum; es drohet uͤber mich einzustuͤrzen. Jch fuͤrchte: ich fuͤrchte die B 4 un- Kritische Waͤlder. ungeheure Anheischung: aus Muͤnzen eine Ge- „schichte des Geschmacks und der Kuͤnste zusammen- „zusetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall „aus denselben zu beurtheilen„ sei, so wie sie Hr. Kl. nimmt, eine farbichte Luftblase, sie ist das praͤchtige Thema des Buchs. Geschmack aus Muͤnzen: wie weit lassen sich Muͤnzen schmecken? was lassen sie fuͤr Geschmack auf der Zunge? Geschichte des Geschmacks aus Muͤnzen: laͤßt sie sich geben? wie weit ist sie sicher? Ge- schichte des Geschmacks und der Kuͤnste aus Muͤnzen nach Zeiten und Voͤlkern? Kann die Goͤttinn Moneta eine sichre Zeuginn uͤber so Etwas seyn? Man sieht, ich muß anfangen, wo der Autor nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig gnug ans Gebaͤude und endlich auch ans Geruͤste zuruͤckkommen. 2. Geschmack aus Muͤnzen. „Vielleicht aͤus- „sern einige Antiquarien unsers Vaterlandes uͤber „meine Absicht, das Wachsthum und den Verfall „des Geschmacks und der Kuͤnste bei einem „Volke aus dessen Muͤnzen zu zeigen, eben die „Verwunderung, mit welcher man vor Zeiten „die entzuͤckungsvolle Aufmerksamkeit beglei- „tete, Drittes Waͤldchen. „tete, die die Augen des Nicostratus auf des „Zeuxes Helena geheftet hatte. Jch wuͤnschte, „daß ich mich durch das Bewußtseyn groͤßerer „Verdienste und Einsichten in die Kunst berech- „tigt fuͤhlte, mit dem edlen Stolze des Malers „ihnen antworten zu koͤnnen: „Jhr wuͤrdet „euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen haͤt- „tet.„ Es ist gewiß, daß viele Personen ei- „nerlei Gegenstand betrachten, und gleichwohl „viele nicht dasselbe an ihm bemerken koͤnnen, was „sich dem Auge eines Einzigen in einem reizen- „den Glanze darstellt. Manchen wird der An- „blick einer Gothischen Cathedralkirche eben so sehr „ruͤhren, als des Pantheons zu Rom, und die Ent- „zuͤckung, welche Pietro di Cortona bei dem „Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem „Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: „So „gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig „bist?„ kann von den wenigsten auch nur be- „griffen werden. Wie viele Kuͤnstler waren „nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildsaͤule „weggegangen, ohne die gluͤckliche Entdeckung ge- „macht zu haben, die Michel Angelo fand! Er „bemerkte blos an ihm einen gewissen Grundsatz, „welcher nach Hogarths Urtheile, seinen Werken „einen erhabnen Geschmack gegeben, der den „guten Stuͤcken des Alterthums gleich kommt. „Jch glaube, daß Addison aus einer Empfin- B 5 „dung Kritische Waͤlder. „dung, die er sehr oft in seinem Leben erfah- „ren haben muß, die Vorzuͤge eines gluͤcklichen „Geistes geschildert habe. „Ein Mensch, sagt er, „von einer geschaͤrften Einbildungskraft, wird in „mancherlei große Vergnuͤgungen gefuͤhrt, die der „gemeine Mann zu bekommen nicht faͤhig ist.„ u. s. w. S. 3. 4. 5. 6. \&c. So aufmerksam man bei Erzaͤhlung solcher vornehmen Empfindungen und Erfahrun- gen seyn mag, wer kann dem Geschmackvollen Au- tor bis auf Felder und Wiesen folgen? Glaͤubig hoͤre ich den Parenthyrsus unnennbarer Gefuͤhls- arten: „entzuͤckungsvolle Aufmerksamkeit, die die „Augen anheftet, die mit Verwunderung beglei- „tet wird: das Bewußtseyn, das sich wozu berech- „tigt fuͤhlt: Die Bemerkungen an dem, was sich „dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze „darstellt: die Entzuͤckung, die Worte ablockt, und „die von den wenigsten auch nur begriffen werden „kann: die Bemerkung eines Grundsatzes, der den „Werken erhabnen Geschmack gibt: die Empfin- „dung, die der und jener sehr oft in seinem Leben „erfahren haben muß u. s. w.„ Diesen aͤsthetisch- psychologisch- mystisch erhabnen Jargon von Kunst- gefuͤhlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theoso- phischer Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt, hoͤre ich andaͤchtig zu, und antworte Hr. Klotzen auf Drittes Waͤldchen. auf sein Ei ja! „wenn ihr meine Augen haͤttet!„ durch den herzlichen Seufzer: „ach! haͤtte ich „Deine Augen!„ Er faͤhrt epanorthotisch fort S. 6. 7. 8. 9. 10. : „wie ver- „schieden sind nicht die Absichten, welche die Ge- „lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwissen- „schaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, „welche sich damit beschaͤftigen, habe ich nur sehr „wenige angetroffen, die einen andern Nutzen da- „von zu ziehen gewuͤnscht haͤtten, als welchen der ge- „meine Haufe der Antiquarien bei seinen muͤh- „samen Arbeiten kennet. Zufrieden mit sich selbst „und vergnuͤgt uͤber die Lasten, welche sie ihrem ge- „duldigen Gedaͤchtnisse auflegen, lachen diese be- „staubten Maͤnner uͤber unsre gutgemeinte Frage, „ob sie auch in den Tempel des Geschmacks gehen „wollen? und antworten muthig: Nein! dem „Himmel sei Dank! das ist nicht unsre Sache. „Geschmack ist nichts: wir besitzen die Geschicklich- „keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen „zu erweitern; aber selbst denken wir nicht. Die „nuͤtzlichsten unter ihnen sind die, welche die alten „Muͤnzen um deßwillen lieben, weil sie ihnen Ge- „legenheit geben, chronologische Untersuchungen an- „zustellen. Jhre Arbeit muͤssen wir mit Dank er- „kennen, und sie selbst verdienen ein aufrichti- „ges Kritische Waͤlder. „ges Mitleiden, weil ihnen das Vermoͤgen ver- „sagt ist, bey ihrer Gelehrsamkeit zugleich das Ver- „gnuͤgen zu genießen, welches andern ein guter „Geschmack gewaͤhret. Spon, unterrichtet in „den Geheimnissen der Physiognomie, las die „Denkungsart und die Eigenschaften der Menschen „auf dem Gesichte, das ihm die Muͤnze vorstellte, „und Addison, hoͤherer Gedanken faͤhig, verglich „die Bilder auf Muͤnzen mit den Gedanken der „Dichter, und rechtfertigte hiedurch seine Hoch- „achtung fuͤr das Alterthum. Jch wuͤnsche „meinem Vaterlande mehrere Nachfolger des letz- „tern, und ich werde mich freuen, wenn unsre „Gelehrten kuͤnftig an den Gott der Kuͤnste und „des Geschmacks eben die Bitte thun, die Ajax „beim Homer an den Jupiter that: „O! Vater „vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und „gib, daß unsre Augen sehen!„ Alle Hochachtung fuͤr Spons Sibyllenweis- sagungen, fuͤr Addisons Vergleichungen, fuͤr unsrer Deutschen Ajaxe Gebet an den Jupiter, oder fuͤr das Gebet des Aegyptischen Cynocepha- lus, daß der helle Mond wiederkehre; indessen duͤnkt mich doch das „aufrichtige Mitleiden„, mit allen Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Ge- schichte des Geschmacks der Voͤlker, Zeiten und Kuͤnste, aus Muͤnzen, arbeiten, sehr entbehrlich. Es waͤre umsonst, die Nutzbarkeit des Muͤnzenstu- dium Drittes Waͤldchen. dium zur Geschichte, Chronologie, Geographie, Naturwissenschaft, Mythologie, Rechtslehre und der ganzen Kaͤnntniß des Alterthums, erweisen zu wollen, da solche in dieser Wissenschaft große Na- men vor dieser Materie stehen, oder da viele, wel- ches noch besser ist, durch ihr Beispiel die Sache selbst erwiesen haben. Nur so viel also gegen Hr. Kl., daß die Bearbeitung der Muͤnzwissenschaft aus einem andern Gesichtspunkte; er sei nun Ge- schichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie, oder eine Theorie der Medaillen uͤberhaupt, noch gar nicht dem Geschmack an Muͤnzen widerspreche, ihn nicht verdraͤnge; ihn vielmehr voraussetze, und mit ihm als Fuͤhrer einerlei Reise thue. Hier den Geschmack als ein entlegnes eignes Land anse- hen, ist eine Aussicht nach Utopien hin, und eben so viel, als Lebenslang die Logik studiren, ohne sie und alle ihre Zauberkuͤnste jemals anzuwenden, sich lebenslang den Geschmack zu kitzeln, ohne sich ei- nige Nahrung dadurch erschmecken zu wollen. Der wahre Tempel des Geschmacks ist nicht eine Orien- talische Pagode, ein Ruhesitz, wo man als am Ende feiner Wallfahrt sich niederlaͤßt; er ist vielmehr wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte des Geschmacks, auch in Muͤnzen, ein Durch- gang zur Wissenschaft: zur Wissenschaft, welche es wolle. Der Kritische Waͤlder. Der Poͤbel der Muͤnzverstaͤndigen freilich — aber wer wollte sich (es sei nun zu eignem Lobe, oder zum Tadel anderer,) unter den Poͤbel mi- schen? Die Nutzbaren, die Wuͤrdigen Muͤnzge- lehrten gerechnet; und bei denen sollte ihre Gelehr- samkeit dem Geschmacke widersprechen muͤssen? dieser von jener nicht oft eine Gesellinn, oft gar eine verdeckte Minerva haben seyn doͤrfen, selbst wenn es auf wissenschaftliche Untersuchungen ausging? — Nicht zweifeln soll einmal diese Frage; sie soll blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die gros- sen Bearbeitungen in den Feldern der Numisma- tik, ohne Geschmack der Muͤnzen bewerkstelligt? unter allen um diese Wissenschaft so verdienten Na- men, waͤre ein Addison, und Klotz das einige Duum- virat des Geschmacks? Jene Muͤnzensammler und Muͤnzenerklaͤrer, weil sie nicht offenbar und allein vom Geschmacke schrieben; weil jener einen Theil der Geschichte, dieser einen Theil der Alterthuͤmer, ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein vierter die Chronologie aus Muͤnzen aufgeklaͤret; darum sollten sie vom Geschmacke nichts gewußt? nicht die Schoͤnheit der Bilder, und das Bedeutende der Allegorien, und die Weisheit der Jnschriften ge- fuͤhlt haben, an denen sie eine so unersaͤttliche Au- genweide fanden? Nicht im Mechanischen der Muͤnzen Geschmack besessen, dafuͤr sie eben auch in der Abbildung sorgten, und das mit Entzuͤcken prie- Drittes Waͤldchen. priesen, was sich nicht abbilden ließ? Wie? daß sie bei diesem Selbstgefuͤhl nicht stehen blieben, und eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der Gelehrsamkeit ihres Geschmacks hoͤhere Zwecke aus- zurichten suchten; nicht mit dem Jnstrument prahlten, sondern lieber Werke aufwiesen, die ihr Jnstrument in stiller Werkstaͤte verfertigt: soll dies ihnen gegen den zum Nachtheile Schon lange haben gruͤndliche Kenner des Alter- thums es beklagt, daß man so gern mit einigem schoͤ- nen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne die Antiquitaͤt zur Wissenschaft anzuwenden. Roch neulich hat Ernesti in der Vorrede zu seiner Archaͤolo- gie daruͤber geklagt, daß diese versaͤumt — er haͤtte dazu setzen koͤnnen, daß sie nach der neuesten Mode gar verspottet werde. gereichen, der nichts als sein Jnstrument vorzeiget, der blos von Geschmacke redet, ohne, was er damit zur ander- weitigen Nahrung ausgekostet? Hr. Kl. hat ungefaͤhr sagen wollen: daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze vorzuͤglich auf Gelehrsamkeit sehen, und bei denen dieser Hang zur Belesenheit, das, was er Geschmack nennt, ver- schlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze das Mechanische der Kunst richtig im Auge haben, und (man nenne dieses nun, Kunstwissenschaft oder Kunstgeschmack,) von ihnen, als Gepraͤgen, urtheilen, und wenn sie muntern Geistes sind, sich uͤber Kritische Waͤlder. uͤber ein Kunstbild freuen koͤnnen; daß es endlich auch Leute gebe, die vorzuͤglich auf das Schoͤne, ihr Auge richten, und weder von Gelehrsamkeit noch dem Kunstmaͤßigen Hauptwerk machen. Wir wollen jene Muͤnzgelehrten: die mittlern Kunstken- ner: die letzten Liebhaber nennen; sie sind alle drei unterschieden, ihre Unterschiede aber fließen, so wie die Farben eines Regenbogens, oder eines spielen- den Seidengewandes, in einander. Der Kuͤnstler kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte mehr oder weniger Kunstkenner, der Liebhaber mehr oder minder Gelehrter seyn. Nichts schadet dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und der wahre Philosoph der Numismatik ist alles Drei. Niemand also zum Nachtheile, wenn er seine Muͤn- zenwissenschaft auf Chronologie, auf Geschichte, auf Genealogie, auf Alterthuͤmer gewandr: haͤtte er dem Publikum auch nichts als solche wissenschaft- liche Untersuchungen geliefert, und den Geschmack an Muͤnzen fuͤr sich behalten — unbeschadet! Koͤhlers historische Muͤnzbelustigungen moͤgen nichts als historische, Belustigungen, Gatterers Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Me- daillen; Vaillants Muͤnzenreihen der Koͤnige, Staͤdte und Colonien nichts als Numismatische Geschichte seyn: das Schoͤne, das uͤberdem gesehen, und gefuͤhlt werden kann, finde jedes Auge, jede Seele von selbst; wenn ihm nur das Bild des Schoͤ- Drittes Waͤldchen. Schoͤnen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite herab Geschmack geprediget wird — denn uͤber- haupt laͤßt dieser sich wohl wenig predigen. Von jeher sind daruͤber Beeintraͤchtigungen gnug entstanden, daß Ein Gelehrter, oder uͤber- haupt Ein Werkmeister die Arbeit einer andern Gattung uͤber die Achseln angesehen: und es waͤre Zeit, solche Blicke wenigstens oͤfsentlich einzuhalten. Der Muͤnzenschmecker, der auf das Schoͤne aus- geht, wirst dem Muͤnzenkenner, der auf das Selt- ne, auf das Gelehrte, auf das Erlaͤuternde sieht, vor, er habe nicht seine Augen. Habe er doch nicht! Hast du denn die seinigen? Wollte jeder nur das Schoͤne auf Muͤnzen erjagen, wer wuͤrde sich um die Zeitpunkte bemuͤhen, da es nichts Schoͤnes auf Muͤnzen gibt? Wer das Rechtsmaͤßige, das Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Selt- ne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht auch noͤthig oder nuͤtzlich. Freilich sagt Heusinger zu viel, daß sich uͤber die Muͤnzen des mitlern Zeit- punktes ein so schoͤnes Buch, als Spanheim, schrei- ben ließe; nicht aber ein so nuͤtzliches Buch? Der Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geschicht- schreiber, der Alterthumskenner Deutschlands und so viele fleißige Beispiele reden. Sollen wir nun einen Joachim mit Mitleiden ansehen, weil er kein Klotz ist, und die Verdienste eines Gatterers uͤbersehen, weil er auf keine Jkonologie des Schoͤ- C nen Kritische Waͤlder. nen arbeitet? Unbilliges Achselzucken! so bleibt Eine der nuͤtzlichsten Quellen von Urkunden unbe- ruͤhrt! die nach unserer jetzigen Weltverfassung in guten Ausfluͤssen ausgebreiteter seyn doͤrfte, als blos ein Gericht vom Muͤnzengeschmacke. Weg also aus dem Schriftlein unsers Autors — durch und durch weg mit dem gezierten hochtra- benden Tone, der sich uͤberall bruͤstet. Herr Klotz lasse jeden die Muͤnzen ansehen, wie er wolle; wenn er sie nicht des Geschmacks wegen ansiehet, gehoͤrt er eigentlich nicht vor diesen Richterstuhl. Noch weniger schließe man, daß, wenn jemand mit seiner Muͤnzwissenschaft zu der und jener andern nuͤtzlichen Absicht angeschlagen, er deßwegen nicht das Gefuͤhl des Schoͤnen besessen, nicht der Grazie geopfert habe, und wie die Modeausdruͤcke mehr heißen. Am wenigsten halte sich Herr Klotz fuͤr den ersten Apostel des Geschmacks in Deutschland. Viele, viele vor ihm Muͤnzenkenner, Muͤnzensammler, Muͤnzenbeschreiber, Muͤnzenzeichner, und selbst Muͤnztheoristen vor und neben ihm, die das Schoͤne in den Alten geliebet, angepriesen, und zum Theil selbst nachgeahmet; die lange vor ihm uͤber den boͤsen Geschmack geklagt; aber Hindernisse fanden, die Herr Klotz mit seinen suͤßen Vorschlaͤgen uͤber- siehet. Ob also viel Neues, und Gruͤndliches im Klotzischen Buche sey, wollen wir noch nicht wissen; daß aber durchaus viel Geziertes, ein falscher Fe- der- Drittes Waͤldchen. derschmuck, ein unausstehlich selbstwichtiger Ton herrsche — „o ich will nicht alle Stellen auszeich- „nen, wo Herr Klotz von dem gelehrten Auge des „Kenners, von der jetzigen und erst jetzigen Epoche „des Geschmacks in Deutschland, von den classischen „Autoren desselben, von dem Zeitpunkte, der auch „den spaͤtesten Nachkommen bewundernswuͤrdig seyn „wird, von einem Manne, der die Vorzuͤge der „Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Au- „gen, Kunstwerke zu sehen u. s. w.„ so sehr in sei- ner Person spricht, daß der geneigte Leser nichts als Komplimente gegen einen Schriftsteller machen kann, der sich selbst so gut kennet, und so artig de se ipso ad se ipsum und ad familiares zu reden weiß, daß nichts druͤber. 3. Dies bei Seite, so ist doch das Schriftlein vielleicht eine Aesthetik, eine Geschmackslehre der Muͤnzen, die in den Haͤnden aller, deren Sache diese sind, von der Muͤnzobrigkeit bis zum Muͤn- zenschlager Wunder thun muͤßte. Oder vielleicht eine philosophische Grundlage zur Geschichte der Numismatik; oder — — wir wollen nicht zu viel erwarten. Ein wohlbekannter Autor Joseph Addison hat wohlbekannte Gespraͤche uͤber den Nutzen und die Vorzuͤge der alten Muͤnzen geschrieben, die C 2 auch Kritische Waͤlder. auch unter uns durch zwo oder drei Uebersetzungen bekannt sind. Nun kommt ein wohlbekannter Au- tor, Christ. Ad. Klotz, der die Gespraͤche des Englaͤnders so artig in seine Deklamationen ver- pflanzen kann, daß es eine Freude ist. Er sagt selbst: Er koͤnne nicht dafuͤr, wenn er sich mit die- sem Autor manchmal begegne: ich glaube wohl; aber wer kann denn dafuͤr? — — Wir wollen uns das Vergnuͤgen machen, die beiden Wandrer neben einander traben zu sehen: aber keine Natio- nalwette! der Deutsche kommt gewiß vor. Addison, oder vielmehr sein Philander, giebts als Unterschied zwischen alten und neuen Muͤnzen, „daß er sich auf jenen keiner Bilder von Einnehmung „der Staͤdte erinnere, weil damals noch kein Pul- „ver und Blei im Gebrauche gewesen; unsre hin- „gegen stelleten Belagerungen, Risse von Vestun- „gen u. s. w. mit allen ihren Theilen vor. — — So Philander, und sein Mitsprecher Eugen zeigts ironisch als sehr recht und billig an, daß ein Fuͤrst Modelle von dem Platze hinterlasse, den er verwuͤ- stet. — — Addison der zweite trift hier so un- vermuthet auf das Paar, als faͤnde ers vornehm und unverhofft selbst als einen besondern Einfall, auf neuern Muͤnzen ganze Plane abzuzeichnen u. s. w. S. 34. 35. 36. — —„Kein Wunder, sagt Hr. Klotz, S. 30. denn wenn „zwei Drittes Waͤldchen. „zwei Wanderer auf verschiedenen Wegen nach ei- „ner Stadt gehen, so kann man nicht sagen, daß „einer dem andern als seinem Wegweiser folge.„ „Die alten Muͤnzen, sagt Addison, gehen in „ihren Komplimenten gegen den Kaiser weiter, in- „dem sie Gelegenheit nehmen, seine Privattugen- „den zu ruͤhmen: nicht nur, wie sie sich in Tha- „ten geaͤußert: sondern auch, wie sie uͤberhaupt „aus seinem Leben hervorgeleuchtet haben. Dieß „geht so weit, daß wir Neronen auf der Laute spie- „len sehen u. f.„ Als Unterschied fuͤhrt Hr. Klotz so Etwas nicht an, denn wer wird mit Addison Einerlei Weg nehmen wollen? unvermuthet aber und an desto unrechterm Orte trift S. 22. er mit ihm, wer kann dafuͤr? so ansehnlich zusammen, als folget: „ob es gleich unter den Roͤmischen Kaisern wunder- „liche Leute gegeben, und ein Nero selbst mit einer „Citter auf Muͤnzen erscheint: so haben sie doch „niemals etwas auf dieselben gesetzt, das diesem „gleich kaͤme.„ Und dies wunderliche Dies ist? ein Deutsches Weinfaß. O wer nun noch sa- gen wollte, daß der Deutsche dem Britten folge, sclbst wenn er ihm folget! Welche Neuheit im Kon- trast! welche Richtigkeit in der Vergleichung! wel- che Genauigkeit zu charakterisiren! „Wunderliche „Leute von Kaisern: denn selbst Nero mit einer „Citter! Wunderliche Leute von Deutschen: denn C 3 ein Kritische Waͤlder. ein Weinfaß auf der Muͤnze! Schoͤne Verglei- chung, Citter und Weinfaß, Nero und der Deut- sche! — — Die wunderliche Citter ins wunderliche deutsche Weinfaß gespuͤndet — welche Neuigkeit! „Muͤnzen wurden, sagt Addison, bei den Roͤ- „mern nicht zu Spoͤttereien angewandt: bei den „Neuern oft,„ und die beiden Sprechenden wech- seln daruͤber ihr unterhaltendes Pro und Contra. — — Der deutsche Addison wird bestimmter. Was jener blos als Unterschied, mit gehoͤriger Einschraͤnckung und Gegeneinanderabwaͤgung, an- gegeben, wird bei diesem der Nationalcharakter einer Nation, und das Muͤnzenlob einer ganzen Republik S. 20. . „Man hat den Hollaͤndern oft eine „beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und „Fuͤrsten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die „Begierde uͤber andre zu lachen und zu spotten ge- „lassen, so hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit „und den Anstand von ihren Satyren getrennet.„ Kurz! nach einer langen Einschaltung, wo Herr Klotzens Saite wieder auf seine liebe Burmanns springt (denn wo kann Freund Sancho ans Wirths- haus denken, ohne daß ihm nicht zugleich das Luft- fliegen und der Balsam Fier a Bras einfalle?) nach einer unpassenden Einschaltung also laͤusts wi- der die Spottmuͤnzen der Hollaͤnder hinaus, die ihr Drittes Waͤldchen. ihr Nationalcharakter werden. — Welch eine neue, und mehrere Bestimmtheit! Addison besinnet sich nicht, auf Roͤmischen Muͤnzen das Gesicht einer einzigen Privatperson gesehen zu haben, und wendet sich artig daruͤber weg, unsre neuern Privatcomplimente auf Muͤn- zen anders als mit einem stillen Winke anzuspotten. — — Doch was stille Winke! was doch sich artig vorbeiwenden! Hier eben S. 96. 97. 98. ꝛc. fand unser Landsmann von Geschmack recht Zeit, auszuschuͤt- ten, und zu dehnen, und zu verspotten, und mit einem Ueberguß der besten laune zu tadeln. Kein Wunder! „wenn zwei Wandrer nach einer Stadt „gehen: so ists natuͤrlich, daß beide oft einerlei Ge- „genstand wahrnehmen muͤssen, und es ist auch „eben so wahr, daß der eine einen Blumenreichern „und angenehmern Weg, als der andre nehmen „kann„ wie Hr. Kl. mit vieler Feinheit bemerket. Addison kommt auf die Jnschriften; „eine „Ciceronianische Weitlaͤuftigkeit sei bei den heutigen „der erste Fehler.„ Hr. Klotz kommt auf die Ju- schriften S. 85. u. f. : „eine Ciceronianische Weitlaͤuftigkeit „ist bei den heutigen der erste Fehler.„ Wie aber, mein deutscher Hr. Addison, und beim Nachschrei- ben, beim trocknen Ausschreiben kein Fehler? bei C 4 einem Kritische Waͤlder. einem recht Ciceronianischweitlaͤuftigen und desto unbestimmtern Wiederkauen kein Fehler? Addison giebt Proben von der Machtvollen Kuͤrze der Alten, ihre Kaiser zu loben, und folgt eben dadurch ihnen, daß er statt schielender allge- meiner Lobspruͤche Beispiele giebt. Was Bei- spiele? was Proben? Hr. Klotz, um nicht Ad- dison zu seyn, zieht eine lange Scheltrede S. 88. 89. dar- aus uͤber die weitlaͤuftigen Titel der neuern Fuͤrsten, uͤber die Schwachheit und Eitelkeit derselben, uͤber — — und was weiß ich, woruͤber mehr? Der Deutsche wandelt auf einem blumenreichen Pfade. Addison redet wider Wortspiele und Spitzfuͤn- digkeiten auf Muͤnzen. Er redet dagegen: Hr. Klotz waͤhlt sich einen bessern Weg, daruͤber zu schelten S. 90. 91. 92. u. s. f. , Seitenlang erbaͤrmlich zu schelten, und das arme Deutschland, dessen Krone ohne Zweifel aus solchen Wortspielen geflochten seyn muß, red- lich zu beseufzen. Gott troͤste den deutschen Pa- trioten! Addison spricht wider die Muͤnzverse, Hexa- meterausgaͤnge ꝛc. kurz und buͤndig. Der deut- sche Wandrer auch, aber mit der Mine, als wenn er so etwas nur uͤber die Achsel im Vorbeigehen ansehe S. 92. — — Denn siehe! da kommt etwas, was den Patrioten billiger beschaͤftigt. Ad- Drittes Waͤldchen. Addison schreibt uns Deutschen die Muͤnzchro- nostichen als Eigenthum, als Erb- und Lieblings- eigenthum zu. — Uns armen Deutschen! Und siehe! da steht der ruͤstige Deutsche auf: laͤßt alles, was er unter Haͤnden hatte, liegen, um, als ein wahrer Gottsched! seine Nation daruͤber zu entschul- digen S. 93. - 97. , „das waͤren nur Zeiten der Barbarei ge- „wesen, jetzt nehme schon die Liebe zu solchem Spiel- „werk ab, jetzt da der Geschmack wachse, jetzt da „ — —„ Alles gut; aber gegen wen redet der Mann? Vor wem entschuldiget er? Warum wen- det sich seine Scheltmine auf einmal ins Antworten hin? — — Ach! die beiden Wandrer sind wie- der zu nahe zusammen: Die Addisonschen Dialo- gen haben dem Pulte des Deutschen zu nahe gele- gen: der Britte beschuldigt, muß nicht der brave Deutsche entschuldigen? — so wenig schlaͤft der Verraͤther. Doch verrathen, oder errathen? ich schreibe ab: Addison „Die Roͤmer erscheinen „allezeit in der gewoͤhnli- „chen Tracht ihres Lan- „des, so gar, daß man „die kleinsten Aenderun- „gen Klotz S. 79. rednerisch „ Jch kenne die Frey- „heit, mit welcher der „Kuͤnstler an Statuen „und Muͤnzen das Alter- „thum nachahmen darf; C 5 „al- Kritische Waͤlder. „gen der Mode auf der „Kleidung der Muͤnzen „wahrnimmt. Sie wuͤr- „den es fuͤr laͤcherlich ge- „halten haben, einen Roͤ- „mischen Kaiser mit ei- „nem Griechischen Man- „tel, oder einer Phrygi- „schen Muͤtze zu kleiden. „Hingegen unsre heutige „Muͤnzen sind voll To- „gen, Tuniken, Trabeen „und Paludamente, nebst „einer Menge von andern „dergleichen abgekomme- „nen Kleidern, welche seit „tausend Jahren nicht „mehr gewoͤhnlich gewe- „sen. Man siehet oft ei- „nen Koͤnig von England „oder Frankreich als ei- „nen Julius Caͤsar geklei- „det: man sollte denken, „sie haͤtten bei den Nach- „kommen vor Roͤmische „Kaiser angesehen seyn „wollen — — — „Wir „allein (man denke sich „den schoͤnen Gegensatz!) „allein ich kenne nicht „die alten Originale, nach „welchen die geharnisch- „ten Brustbilder auf den „meisten neuen Muͤnzen „gezeichnet seyn sollen. „Es bleibt diese Abbil- „dung doch alle Zeit fuͤr „unsre Zeiten fremd, und „sie stellt eine Sache vor, „die wir in der Natur „nicht mehr sehen. Ha- „ben sich die Roͤmer je- „mals in Egyptischer Klei- „dung oder mit Parthi- „schen Tiaren abbilden „lassen? Wuͤrden sie nicht, „wenn sie das gethan haͤt- „ten, was unsre Fuͤrsten „thun, der Nachkom- „menschaft ganz falsche „Begriffe von den Trach- „ten ihrer Zeiten beige- „bracht haben? u. s. „f. — — — „Lon- Drittes Waͤldchen. „Wir muͤssen die Muͤn- „zen, als so manche Denk- „male ansehen, welche der „Ewigkeit uͤbergeben wer- „den, und die vermuth- „lich noch fortdauern, „wenn alle andre Nach- „richten verlohren gegan- „gen sind. Sie sind eine „Art des Geschenks, wel- „ches die jetztlebenden de- „nen uͤbermachen, die ꝛc. „Longin ermahnet die „Schriftsteller, an das Ur- „theil zu denken, welches „dermaleinst die Nach- „kommenschaft von ihren „Schriften faͤllen werde. „Ein Fuͤrst, welcher sei- „ne Schaumuͤnzen als „Denkmale ansieht, die er „der Ewigkeit widmet und „die zugleich der spaͤtsten „Nachkommenschaft ꝛc. Da stehen die Menechmen zusammen! zwei Wandrer, auf einem Wege nach einer Stadt, mit einerlei Fußtritten! Nur freilich daß der unsre Blu- men lieset, oder wie er beliebt, sich Blumenrei- chere Wege waͤhlt — er wird gelehrt; er gibt den Fuͤrsten an, was sie ihren Kuͤnstlern aus Lichtwers Fabeln und Lucian antworten sollen: er geraͤth in Patriotische Seufzer, und will zwar den Wunsch des Ajax nicht wiederholen, thut aber fuͤr Deutsch- land ein Reimgebetlein, das Hr. Watelet an die himmlische Venus abschickt, macht einen Non- sens von Gegensaͤtzen: „ich kenne allerdings — — „aber ich kenne nicht„ ermahnet die Fuͤrsten Longin zu lesen u. s. w. lauter Tand von Auszierung, wo Addison immer Addison bleibt. Und gnug, das merk- Kritische Waͤlder. merkwuͤrdigste bei Hr. Kl. in Vergleichung alter und neuer Muͤnzen ist Addison jaͤmmer- lich geraubt: jaͤmmerlich, denn der Britte redet bestimmt, buͤndig, angenehm; der kopirende Deut- sche kopirt und kompilirt unordentlich, unbestimmt, mit schoͤnem Non-sense durchstuͤckt! O Ehre unsrer Nation und Zeiten! Auf Hrn. Kl. moͤchte ich am allerwenigsten so ein Wort hingesagt haben, wovon nicht die Probe den Augen aller Welt vorlaͤge: hier sind noch ein Paar Streiche mehr, die den Kompilator verrathen, den Kompilator; der nichts, gar nichts in seinem Original umsonst gelesen haben will, und der sich doch wieder nie will merken lassen, daß er abschreibt; der immer den Schweif haͤngen laͤßt, um seine Spuren zu vertreiben, und der seinen Schleichgang eben damit desto sichrer verraͤth — laß sehen! Bei Addison sprechen drei Freunde: jeder auch in diesen Muͤnzmaterien von eigner Denkart, ein eigner Charakter. Cynthio, dem die Muͤnzwis- senschast unnuͤtz duͤnkt, kann also Einwuͤrfe ma- chen, die Eugen nicht machen kann, die Philander beantworten muß. Eugen haͤlt zwischen beiden das Gleichgewicht, und bleibt Eugen: Philander ist Philander — und eben daher, aus dem Un- terschiede der Charaktere wird eine freundschaftliche Gruppe. Jeder steht in seiner Gestalt, in seinem Lichte da, und Addison, der gesellschaftlichste Schrift- stel- Drittes Waͤldchen. steller Britanniens, der den guten Ton worinn anders setzt, als in artige Complimente, ist auch hier Gesellschafter. Er hat die Rollen vertheilt, jeder der Dialogisten nimmt von seiner Seite An- theil: aus der Verkettung, dem Contraste, den Wendungen des Dialogs wird das schoͤne Ganze, das Leben des Stuͤcks. Hr. Klotz aber immer in seiner Person, und da er dem ohngeachtet auch die Vorwuͤrfe des Cyn- thio gegen die Muͤnzwissenschaft, nicht will um- sonst gelesen haben, und sie also auf die Geschmack- losen Muͤnzenkenner bannet: so wird was bei Addi- son durch den dialogischen Contrast bestimmt und gemildert wurde, bei ihm, der immer in seinem Namen spricht, und immer in seinem Namen schilt, eine Misgeburt, dogmatische Satyre, und satyri- sche Dogmatik. Philander, Cynthio, Eugen sprechen alle durch eine Roͤhre auf einmal — — an odd promis c ious Tone as if h’ had talk’d three Parts in one which made some think, when he had gabble, Th’ had heard three Labourers of Babel. — — Nun laß es noch gar seyn, daß Cynthio Seitenlang den Oberton behalte, noch gar dazu schreien, was Pope dem Addison im Namen des Cynthio gesagt, noch gar, was andre ehrliche Leute gegen den schlechten Muͤnzengeschmack gesagt: — ei! da ist der schoͤne bunte Rock fertig, Farbe uͤber Far- Kritische Waͤlder. Farbe, Lappe an Lappe, Tuch uͤber Seide und Lein- wand uͤber Tuch — ei! da ist der schoͤne belesene gute Ton des Hrn. Klotz. Ein andrer Streich, den Addison seinem deut- schen Mitwandrer spielt, ist noch aͤrger. Fast immer lockt er ihn von seinem Wege ab, und da dieser doch durchaus mit ihm nicht einen Weg neh- men will, und sich also immer wieder besinnet, um zuruͤck zu reisen, und immer sorgfaͤltig die Spu- ren vertritt, auf denen er zu ihm gekommen, und immer doch zu ihm zuruͤckkommt: so hat er endlich gar keinen Weg. Er geht ab und zu: ist, wie jenes Ding — — das ging und wiederkam: wie wird der Wandrer nach der Stadt kommen? — — Alle Praͤliminarausschweise abgerechnet, fange ich an, von „der Sache, die ich mir vorgesetzt „habe. Meine Absicht ist, aus den Muͤnzen gleich- „sam eine Geschichte des Geschmacks und der „Kuͤnste zusammen zu setzen, und ihre Bluͤthe, „oder ihren Verfall aus denselben zu beurthei- „len. Jch werde daher die alten Muͤnzen, wel- „che besonders unsre Aufmerksamkeit an sich zie- „hen, mit den neuern vergleichen; ich werde die „merkwuͤrdigsten Perioden in der Geschichte der „Kunst durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je- „der derselben gehoͤren, betrachten, und nach „der groͤßern Anzahl guter oder schlechter Stuͤcke „mein Drittes Waͤldchen. „mein Urtheil faͤllen! „ S. 22. 23. Wie groß ist das Jch werde! des Verfassers; aber der boͤse Addison! Er ist im Stande, einen vielversprechenden Wandrer so weit von seinem Jch werde! abzubringen, so weit in Kreuzgaͤnge zu verfuͤhren, daß er endlich mit dem alten Fabelhansen Aesop wohl sagen kann: weiß ich doch selbst nicht, wohin ich gehe! Kaum ist das Thema in allen seinem Werde gesprochen: so wird nichts. So gleich kommt der Autor auf eine Meilenlange Parenthese S. 24. u. f. , was er zu einem Zeitalter des Geschmacks rechne? so gleich auf eine Addisonsche Parallele zwischen den A. und N. S. 26. 27. und das aus Einer Muͤnze. Er besinnt sich an sein Thema, und kuͤndigt die Theile seiner Abhandlung ab S. 27. : und unver- muthet S. 30. ist er wieder bey Vergleichung der A. und N. bei Addison. Es faͤngt eine lange Parallele an, da doch der Autor etwas anders, als Paral- lele, schreiben wollte. Jetzt will er von der Allegorie auf Muͤnzen uͤberhaupt reden: er will; aber da S. 32. 33. u. f. sind ihm wieder die Bilder der Alten und die Vestungsplane der Neuen vor Augen — aus Addison. Jetzt Kritische Waͤlder. Jetzt kommen ihm Winkelmann und Lessing in den Weg S. 38. 39. 51. , und werfen ihn wie einen Ball umher: er kommt zu sich und findet sich bei Addi- son S. 52. . Der gute Schriftsteller wollte von Vor- stellungen des Geschmacks uͤberhaupt reden, und redet von Parallelen. Er erinnert sich wieder an seinen Weg: ei aber! da S. 65. 69. sind die Hrn. Mengs und Hagedorn — ganz unvermuthet! Ach! und eben so unvermuthet bei dem Cynthio Addisons, und Pope an Addison, und nachdem er uͤber die klassischen Schriftsteller seiner Zeit hinweggeschweifet ist, wieder bei dem Costume Addisons auf alten Muͤnzen S. 70 - 79. . Und nun haben sich die beiden Wandrer schon so lieb gewonnen S. 85 - 99. , daß sie sich seltner trennen. Jnschriften, Wortspiele, Verse, Chronostichen sind Addisons und Klotzens Weg, und da bei dem letztern ein kleiner freundschaftlicher Zwist vorfiel: so beugt der Deutsche in Entschuldigung ab: eine Addisonsche Bemerkung kommt als Stempel dar- auf und — — „Soviel vom ersten Theile.„ Er sollte freilich eine Theorie des Muͤnzengeschmacks nach Vorstellungen, Sinnbildern und Aufschriften — er sollte gar eine Geschichte dieses Geschmacks nach Voͤlkern und Zeiten enthalten — durch ein Zusam- Drittes Waͤldchen. zusammen treffen der Wege aber ward er ein unor- dentliches Gemisch fremder Bemerkungen, Regeln und Beispiele, aus welchen nur der zaͤrtliche Freund Hrn. Klotzens, und Hr. Klotzens eigne Bibliothek, den schoͤnsten Plan und Ordnung aus- spinnen kann. — Mich duͤnkt, Hr. Gatterer be- halte zu seiner Theorie der Medaillen, zu welcher er schon einen lesenswerthen Beitrag gegeben, die Materie ziemlich ganz uͤbrig. 4. Noch hab’ ich erst nach Grundsaͤtzen zur Theo- rie des Geschmacks auf Muͤnzen nachgesucht: nun aber ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks? Auch mir ist die Numismatik vorzuͤglich eine Aesthetik des Schoͤnen, und eine Urkunde zur Ge- schichte der Voͤlker, und da ich in dieser uͤberhaupt am liebsten die Geschichte des menschlichen Geistes studire: nach allem Betracht eine Geschichte des Geschmacks auf Muͤnzen; welch ein Geschenk! So nahm ich das klotzische Schriftchen zur Hand und — — legte es mit der beschaͤmten Mine weg, mit der ein Bogenschuͤtze den lieben Bogen weghaͤngt, den er freudig und hoffnungsvoll nahm, mit dem er aber — — nichts getroffen. Nichts thun, als den Geschmack der Alten auch von Muͤnzen herab loben, und in all- gemeinen Ausdruͤcken preisen — kommt heute D etwas Kritische Waͤlder. etwas zu spaͤt: Hieruͤber liegen schon Denkmale und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man sich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Bei- spiele und fast ohne Grundsaͤtze, ersparen kann. Nichts thun, als den Geschmack der mittlern und neuen Zeiten fein laͤchelnd auszischen, oder an- sehnlich ausschelten — immer auch zu spaͤt, da schon so viele Klagen vergebens in die Winde ver- flogen sind, und selbst bessere Bemuͤhungen nichts ausrichten koͤnnen. Am besten also, weder prei- sen, noch tadeln; sondern — erklaͤren. Die Alten sind auch in diesem Stuͤcke so weit vor; was hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen so weit nach; was haͤlt uns zuruͤck? was hat uns so lang zuruͤck gehalten? — — Auf die Weise steigt man in die Tiefen der Geschichte alter und neuer Zeiten, und kann die schwere Frage loͤsen: wie weit koͤn- nen wir ihnen auch in diesem Felde nachahmen? wo sie erreichen? wo sie uͤbertreffen? und so wird eine Geschichte des Geschmacks auch auf Muͤnzen fuͤr unsre Zeit pragmatisch. Da Hr. Kl. sich auf diesen schluͤpfrigen Weg nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne wel- ches ich keinen Beitrag zur Geschichte des Ge- schmacks mir denken konnte, meine Erwartung betrogen fand, so entwarf ich, wie sie mir einfie- len, einige Linien, die wenigstens zeigen moͤgen, daß ich uͤber diese Materie geschichtmaͤßig und anti- Drittes Waͤldchen. antiquarisch nachgedacht hatte: ein Riß, aber nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem kuͤnftigen Verfasser einer Theorie und Geschichte der Medaillen uͤbergebe. Die Numismatik, als Kunst und als Wissen- schaft ist, so wie jede Wissenschaft und Kunst, die Produktion einer Nationalgesellschaft. Aus der Verfassung der Regierung, der Denkart, der Re- ligion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Be- strebungen eines Volks muß sich also Ursprung, Bluͤthe, und Verfall dieser, so wohl als jeder an- dern Kunst und Wissenschaft, erklaͤren. Nun will ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit Nationen stehe, die keine Muͤnzen haben und brauchen? welches Volk sie in Gang gebracht? wie die ersten Muͤnzen, die niemand gesehen, aus- gesehen haben? u. f. warum, frage ich allein, warum kamen die Muͤnzen in Griechenland und Rom zu dem Glanze, daß sie Vorbilder, und meist unerreichte Vorbilder der Neuern seyn koͤnnen? Die Liebe der Griechen zum Schoͤnen bleibt wohl die erste Triebfeder auch hier. Sie, die von Dichterideen die erste Bildung ihrer Jugend erhielten: sie, deren Auge uͤberall das Schoͤne zu erblicken gewohnt war, im Schooße der wohlluͤ- stigen Natur geboren, und an den Bruͤsten schoͤ- ner Kunst genaͤhret — sie sollten das Metall, das D 2 ein Kritische Waͤlder. ein Kennzeichen des Werths fuͤr ihre Hand war, ohne Werth fuͤr Aug’ und Seele lassen? sie eine Gold - oder Silberflaͤche, die der Nachkommen- schaft bestimmt war, leer in die Haͤnde derselben senden? sie Tafeln, die taͤglich ihren Blick auf sich zogen, ohne Augenweide bei sich vorbeystrei- chen lassen? Das griechische Auge suchte Schoͤn- heit; eine griechische Seele Weisheit in Schoͤn- heit, und so ward auch ihre Muͤnze der Schoͤnheit, und der schoͤnen Weisheit, der Allegorie, gewidmet. Gewiß! so natuͤrlich, daß, wenn in dem Cirkel- laufe der Weltveraͤnderungen ein nordisches Volk auf den Platz des Commerzes und der Cultur ge- troffen waͤre, auf dem jetzt die Griechen stehen, so gewiß ihre Muͤnzen mit nordischer Wissenschaft, mit Buchstaben und Amuleten und Fratzengestal- ten uͤberhaͤuft waͤren, so natuͤrlich, daß der Grie- che seine Muͤnze der Schoͤnheit und offnen Alle- gorie weihete — — Der Charakter der griechischen Nation, der sich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will es Hr. Klotzen uͤberlassen, sie herzurechnen,) zeigte, der muß sich, die Numismatik sei auch eine kleine, eine unbetraͤchtliche Nationalproduktion, nach Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern lagen also fuͤr diese, wie fuͤr alle Kuͤnste des Schoͤ- nen, in der Nation! Die Drittes Waͤldchen. Die vortreflichste Bildersprache war ihr. Sie, die im Plane des Schicksals der Voͤlker zunaͤchst hinter die Egypter trafen, und Cultur, Kunst und Weisheit, ja wenn man will, auch politische Gluͤck- seligkeit aus den Haͤnden dieses Reichs, wie einer ablebenden Matrone, empfangen, sie, die den uͤber Voͤlker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur des menschlichen Geschlechts da auffassen sollten, wo er zunaͤchst aus aͤgyptischen Haͤnden kam: sie erbten von diesen Allegoristen auch die reichste, die bedeutendste Bildersprache, die auf der Welt ge- wesen. Aus den Haͤnden einer Nation, die uͤberall Bedeutung suchte, und Bedeutung gnug in ihn gelegt hatte, kam also ein Bilderschatz in die Haͤnde einer Erbinn, die fuͤr ihr Theil nichts als Schoͤnheit sehen und denken wollte. Reich, Be- deutungsvoll, schoͤn, was kann man von einer Bildersprache mehr sagen? So manche gelehrte Werke wir uͤber dies alle- gorische Alterthum haben: so fehlt uns eine wahre Geschichte der Allegorie noch, die das insonderheit zeige, wie aus der bedeutungsvollen Bilderlehre Aegyptens die schoͤne Jkonologie Griechenlandes zum Theil geworden? Und die Untersuchung hieruͤber ist sie nicht oft der Schluͤssel zur Bilder- gallerie griechischer Dichtkunst, Kunst und Weis- heit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre hie- rographische und kyriologische Bildersprache, behal- D 3 ten, Kritische Waͤlder. ten, oder verschoͤnert, oder verbessert, wie manches hat sie in Griechenland hervor bringen koͤnnen? Und wenn auch nur dies, daß da auf solche Art die Griechen einen Schatz von Bildern aus der Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und auf den Maͤrkten gleichsam dem Volke gemein machten, die schoͤne Bilderdenkart einer Nation entstehen koͤnnen, die sich in allen Werken der Grie- chen und auch auf Muͤnzen aͤussert — Jn solcher Bildersprache sprach ihre Religion. Jhre Gottheiten waren dem Auge sichtbar, in schoͤnen Gestalten sichtbar, in ihren Verrichtungen menschlich, in der Geschichte ihrer Tugenden und Schwachheiten dichterisch, in allem sinnlich. Es ist bekannt, welche vortrefliche Muͤnzenfolge mit den Bildern der Goͤtter und Goͤttinnen, der Schutz- gottheiten einzelner Laͤnder, Provinzen, Staͤdte, Familien und Personen prangen — wer kann ihnen diese nun nachbilden, so daß jede Gottheit, das, wie sie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltig- keit unter dem Bilde eines dreikoͤpfichten Janus lachen S. 53. , ist leicht, sehr leicht; aber ein bessres Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe griechischer Bildsamkeit hielte, waͤre schwerer, ja unmoͤglich: dieses Bild also gar zur Vergleichung unsrer mit den Alten nehmen, ist unzeitig. Die Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir; sonst Drittes Waͤldchen. sonst wuͤrden sie dieselbe so wenig, als wir, haben bilden koͤnnen. Unser Gott ist ganz uͤber das Sinnliche der Kunst erhaben: die gewoͤhnlichen Vorstellungen der Dreieinigkeit in den Gestalten einzelner Personen von dem goͤttlichen Greise an bis an die himmlische Taube sind nicht gnugthuend: der Triangel blos eine tropische Symbole: die Glorie mit dem heiligen Namen nichts als eine Episto- lische Hieroglyphe: die Wirksamkeit unsrer Gott- heit ist nicht bildsam: einzelne Schutzgoͤtter hat unsre Religion nicht: die Vorsteherschaft besondrer Wesen uͤber besondre Dinge kenner sie nicht — wer wird sich hier mit den Heiden vergleichen wollen? Wo unsre Religion noch sinnlichen Vorstellun- gen Raum gibt, wo sie sich einer poetischen Bildersprache bequemt: da ist sie — orientalisch. Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle Art von Bildnissen abwenden wollte, in Gegen- den, die das Uebermenschliche suchten, in Natio- nen, die Verhuͤllungen des Koͤrpers, und Geheim- nisse des Geistes lieber verehren, als das offne Schoͤne lieben wollten — im Geist und in der Sprache dieses Volks die sinnliche Bildersprache unsrer Religion also geoffenbaret; wer wird in ihr Offenbarungen fuͤr die Kunst suchen wollen. Ueber das Bild von der seligen Abfarth Gustav Adolphs D 4 ist Kritische Waͤlder. ist wieder leicht spotten S. 26. , und der Spott fast so veraͤchtlich, als das Bild selbst; gar aber dieses Bild als einen Revers mit der roͤmischen Vergoͤt- terung anfuͤhren, vergleichen wollen? Der Spoͤtter gebe uns nach christlichen Begriffen eine Reihe sol- cher Verhimmelungen, als sich auf griechischen und roͤmischen Muͤnzen Vergoͤtterungen finden, und wir wollen ihm danken. Jch ward auf eine unangenehme Weise hinter- gangen, da ich des Mery Malertheologie in die Hand nahm, um meinen alten Wunsch ausge- fuͤhrt zu lesen: wie weit sich von den vornehmsten Gegenstaͤnden unsrer Religion malerische Vorstel- lungen geben lassen? Und eben so unangenehm getaͤuschet, da ich bei der Recension dieses Buchs in den actis literariis Vol. III. ein genaues Urtheil, und die tief eindringenden Ergaͤnzungen erwartete, die ein wuͤrdiger Kunstrichter jedesmal seinem Autor uͤber solch eine Sache wiederfahren laͤsset. Unser Kuͤnstler hat noch eine Jkonologie unsrer Religion zu wuͤnschen, die ihn nicht blos vor unwuͤrdigen Vorstellungen bewahre, sondern ihn mit wuͤrdigen Bildern versehe. — Auch auf Muͤnzen ließe sich in keiner Sorte von Abbildungen eine solche Reihe abentheuerlicher, laͤcherlicher, und unwuͤrdiger Vorstellungen geben, als in dem, was an Reli- gion trift: wer wird aber durch solch ein Lachen Ge- Drittes Waͤldchen. Geschmack zeigen wollen? den ersten besten Griff in eine Muͤnzensammlung Christlicher, und inson- derheit der mittlern barbarischen Moͤnchszeiten, und man wird von Gott und Belial, von Himmel und Hoͤlle, von Engeln und Teufeln, von Maͤrtrern und Heiligen Bilder finden, nicht geschwind gnug zu uͤberschlagen. Selbst die beste Vorstellung des Christenthums, die betende Mine, die kniende Figur der Andacht scheint nicht fuͤr einen ewigen, offnen Anblick der Kunst die beste, so haͤufig uns der Gothischpapistische Moͤnchsgeschmack damit be- schenket hat. Das wahre Gebeth flieht in eine stille Kammer: es will sich nicht zur Schau stellen lassen: die vor allem anschauenden Volke verzuͤckte Mine kommt bey dem langen Anblicke, der aͤrgernden Mine des Heuchlers zu nahe, und das ist noch eine der wuͤrdigsten Kunstvorstellungen aus unsrer Religion! 2. Sinnbilder von Staͤdten, Provinzen, Laͤndern geben auf den alten Muͤnzen eine ein- fachere Bildersprache, als in Zeiten, da die Heraldik eine zusammengesetzte, kuͤnstliche Wissen- schaft geworden, die allein beynahe die Lebenszeit eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie, eines Landes; unsre Wappen sind eine Zusammen- setzung vieler Figuren, um deren Eine oft Stroͤme D 5 von Kritische Waͤlder. von Menschenblut vergossen, deren keine also, wo es die Ehre und das Erbrecht des Muͤnzherrn erfordert, ausgelassen werden darf, an deren Einer in kuͤnftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gele- gen seyn kann. Nun ists leicht, in solchem Fall uͤber die mit Bildern beladnen Muͤnzen der Neuern Geschmackvoll zu spotten S. 33. u. f. : aber wie zu aͤndern? Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der Heraldikus kuͤnftiger Zeiten wird, da die Sache einmal so ist, uns fuͤr die Geschmacklose Ueberla- dung der Muͤnzfiguren vielleicht so danken, als ein Grieche vergangener Zeiten sie wegwerfen wuͤrde. Wie also, da es hoͤherer Ursachen wegen nicht anders seyn kann? Die Wappen, wie bekannt, sind eine Erfin- dung und Anordnung der mittlern Gothisch - bar- barischen Turnierzeiten; ihre Schilde und Creuze, und Sparren und Bandstreifen, und Thierfiguren und Fahnen haben ihren Ursprung dem Zeitge- schmacke zu danken, der sich, als eine Vermischung des Nordischgothischen, des Spanisch - Arabisch Ritterlichen, des Barbarisch - Christlichen Moͤnchs- geschmacks uͤber Europa daherzog, Ritter - und Riesenkaͤmpfe, Turnier - und Kreuzzuͤge gebar, und er waͤre, was er wolle, nur wenig Jdeen von der Tapferkeit eines griechischen oder roͤmischen Helden in sich haͤlt — welcher Thor wird also diese Drittes Waͤldchen. diese unter jenen suchen? so verschiedne Geschoͤpfe ein alter griechischer und ein gothischer Held der mit- lern Zeiten: ein roͤmischer Patriot, der fuͤr sein Vaterland, und ein andaͤchtiger Kreuzkrieger, der auch, aber fuͤr ein anders Rom, roͤmisch gesin- net, fuͤr Papst und Kirche fochte — so verschieden diese: so verschieden auch die Bilder ihrer Tapfer- keit. Jn den Schilden und Helmen, in den He- roldsfiguren und Ehrenstuͤcken, in den Lilien, die keine Lilien sind, in Drutenfuͤßen und Alpenkreuzen, in Kronen und Muͤtzen, Helmdecken und Wappen- zelten wird da wohl eine Dea Roma oder das einfache Sinnbild einer griechischen Stadt woh- nen? — Einmal sind schon die Wappen hoͤchst- verwilligte oder bruͤderlichbeliebte Charakterzeichen der Personen, Familien und Laͤnder, daher die Anord- nung und der Plan der Wappen; das Herkommen hat sie geschlagen: jedes Faͤhnlein hat seine Rechte und Deutung, woran nach unsrer Verfassung mehr liegt, als an einem Gericht Geschmack: sie sind Urkunden und Diplome — wer will sie aͤndern? wer, wo sie erscheinen muͤssen, als uͤberladen schelten? wer den Kaisern, Koͤnigen, Fuͤrsten, Grafen und Herren, Erzbischoͤfen, Bischoͤfen und Aebten, Laͤndern und Staͤdten, Aemtern und Familien in Europa neue Gnadenwappen nach altem griechischen Geschmacke geben, daß sie doch nicht so Gothisch- Papistisch- Barbarisch uͤberladen aus- Kritische Waͤlder. aussehen — wer ist der Muͤnzenlehrer vom Ge- schmack? Zu dem waren in den alten Zeiten der Grie- chen weniger Staͤdte, und Laͤnder, die als Un- terscheidungszeichen auf Muͤnzen kamen, als jetzt. Jch weiß die ansehnliche Zahl griechischer Muͤn- zen von Staͤdten und Colonien, und auf roͤmischen die oͤftern Bilder von eroberten Laͤndern und Pro- vinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die dreißig tausend Wappen unsrer Zeit, die Gatte- rer als die mindeste Zahl der zuverlaͤßigen angibt. Die Muͤnzen griechischer Staͤdte waren Patrony- misch; jede hatte den Genius, oder den hoͤhern Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und damit wohl! Die roͤmischen Muͤnzen stellen die eroberten Provinzen nicht anders, als erobert vor: sie waͤhlten sich also ein Merkmal des Landes, wodurch sich dasselbe fuͤr sie, nach dem Gesichts- punkte ihrer Unwissenheit oder politischen Absichten unterschied, personificirten es zur Symbole: damit wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die Beschaffenheit, an die Bestandheit, an die politi- schen Rechte und Absichten der Wappen, der Unterscheidungszeichen unsrer Laͤnder, Staͤdte und Provinzen? Man erlasse mir uͤber Sachen von solchem Augenscheine alle leidige Gelehrsamkeit, die ich in solchem Falle immer lieber bey Hrn. Klotz lesen mag. Die mittelmaͤßigste Kenntniß der al- ten Drittes Waͤldchen. ten und neuen Geschichte, so fern sie alte und neue Muͤnzen erlaͤutert, macht den himmelweiten Unterschied begreiflich, wie die Alten ihre Staͤdte und Laͤnder symbolisiren und personificiren und al- legorisiren konnten, nach dem damaligen Zustande der Laͤnderkenntniß, oder der politischen Absicht: und wie wir sie nach der Verfassung unsrer Welt andeuten muͤssen — hier vergleichen, heißt in den Wind vergleichen! S. 35. 36. 3. Jn Ansehung der abzubildenden Sachen, und Begebenheiten uͤberhaupt hat die numismatische Welt der Alten vor der unsern große Vorzuͤge — Selten waren die dort vorzustellenden Sachen und Begebenheiten so verwickelt, so sehr mit Um- staͤnden begleitet, mit Bestimmungen umlagert, als in jetzigen Zeitlaͤuften. Ein Sieg zu Lande oder Wasser hatte einmal seine Victorie mit dem Kranze in der Hand, seine Minerva, seinen Ju- piter mit dem Adler, und andre Symbole, die in ihrer schoͤnen Einfoͤrmigkeit so gern auf alten Muͤn- zen wiederkommen, und so oft sie wiederkommen, noch immer dem Auge gefallen. Die oͤffentlichen Anreden, und Geschenke, die Vergoͤtterungen, Adoptionen, Vermaͤhlungen, Spiele, uͤberhaupt die oͤffentlichen Gelegenheiten zu Muͤnzen waren unverworrener, als jetzt, da man oft mit allen Bil- Kritische Waͤlder. Bildern rings um die zusammengesetzte Jdee her- um gehet, ohne sie zu treffen, sie entweder halb und schielend ausdruͤckt, oder die Muͤnze mit Sym- bolen uͤberladen muß. Die Anlaͤsse zu Muͤnzen, haben sich ins Große, und im Detail der anzu- deutenden Umstaͤnde so sehr ins Kleine vermeh- ret, daß mir grauet, uͤber alle politische, kirch- liche, gelehrte, Kunst - und wissenschaftliche Situationen und Merkwuͤrdigkeiten unserer Zeit Muͤnzen nach alter Art anzugeben, wo man sie fo- dert, und fodern kann. Gatterer hat ange- merkt, daß die franzoͤsischen Muͤnzen auf die Ge- burt eines Kronprinzen saͤmtlich nicht die concrete Jdee ausdruͤcken, die sie ausdruͤcken sollen, sie sagen entweder zu viel, oder zu wenig — und wie, wenn sich ein philosophischer Theorist der Me- daillenwissenschaft nun uͤberhaupt darauf einlassen muͤßte, die Vorstellung aller vornehmsten Merkwuͤr- digkeiten unsrer politisch so verfeinerten Zeiten, nach dem Geschmacke der Alten zu verbessern — welch Labyrinth! Jch sage kein Wort davon; denn wie viel waͤre sonst zu sagen? Wenigstens also nicht so ganz unsinnig, daß die neuern Muͤnzen in ein topographisches, oder historisches, oder Ceremoniendetail S. 32. 33. 34. abgewichen sind, das die Alten nicht haben: Die heutigen Zeit - und Staatslaͤufte sind damit uͤberhaͤuft, wie konn- Drittes Waͤldchen. konnten die Bilder derselben frey bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeste, Stiftungen und Friedensschluͤsse, Aemter und Staͤnde sind mit einem Getuͤmmel individualisiren- der Umstaͤnde begleitet, die diese Begebenheit von allen aͤhnlichen Begebenheiten unterscheiden sollen. Nun ist freilich hier die Regel leicht zu geben: Abstrahire von allen diesen concreten Umstaͤnden einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art der Alten und du hast eine Muͤnze von Geschmack: allgemein hingesagt, ist dies Recipe, misce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abstrakten Begriffe im Bil- de, nicht die concrete Begebenheit verschwinde? Wahrhaftig schwerer! und ein vollstaͤndiges Re- pertorium besserer Vorstellungen geben im Ge- schmacke der Alten, und doch, daß unsre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich. Ueberweg also vergleichen, trift nicht. Das Mit- telstuͤck der Vergleichung schwankt; die sinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten ist nicht mehr unsre Welt. Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo- graphischen Beschreibungen unserer Schlachten, und Siege, die Risse unsrer Staͤdte und Vestun- gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung, oder Kritische Waͤlder. oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth- schaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu- denleben bey manchen Jubelfesten, alles Kinder- zeug bey Geburten, und Himmelsanstalten bei dem Hintritt eines Wohl - oder Hochseligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar laͤcherliche Muͤnzhistorien lange ansehen? Daß aber uͤberhaupt unsere Muͤnzvorstellungen mehr ins Historische, ins genau bestimmende einschlagen, als die Alten, das, sage ich, ist oft unvermeidlich, oft noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich. Muͤnzen sind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an die Nachwelt — was sind sie, wenn sie nicht deutlich, nicht bestimmt reden? und wenn sie uͤber unsre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer nach der Weise der Alten reden koͤnnen? Jmmer lasset sie sich alsdenn ihre eigne Weise nehmen. Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn sind nicht viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich, weil sie zu wenig historisch, zu wenig individuell, zu abstrakt, zu allegorisch sind? Nun stelle man sich nach Jahrhunderten eine Nachkommenschaft auf unsern Graͤbern vor; eine gegen uns so fremde Nation, als wir gegen Grie- chen und Roͤmer eine, die mit eben der Begierde in der Geschichte von uns forschen wollte, mit der wir unter den Alten forschen — Oder wenn wir ein solches Gericht einer Nation nicht erwarten doͤrfen: Drittes Waͤldchen. doͤrfen: so lasset nur im Verfolg der Zeiten nach- kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge- nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen seyn doͤrfen: wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige historische Vor- stellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie versteckte? als eine allegorisch halb ge- sagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute- te? — Jn diesem Falle ist der Unterschied so; wie in den mancherley Erzehlungsarten der Geschichte. Die aͤlteste Geschichte war Gedicht, war epischer Gesang — schoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder gekleidet freylich, so gar mit taͤuschenden Fiktionen untermischt; aber Geschichte? Trockne Zeugnisse der Wahrheit? Wie verlassen ist der Geschicht- schreiber in diesen Gegenden schoͤner poetischer Halb- wahrheit, oder schoͤner halbwahrer Dichtung! Und was diese Mischung einen langen mytholo- gischen Gesang hinunter; das ist sie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle- gorie versteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem Denkmale fuͤr die Nachwelt. Eben dazu ists schon, daß die Neuern ihren Medaillenvorstellungen eine groͤssere Flaͤche, als je die Alten, eingeraͤumt haben. Moͤchten sie nur auch die historische Begebenheit so kurz, so an- schaulich, so entladen von entbehrlichen Nebenum- staͤnden, von Zierrathen aus einer fremden Zeit, und von verwirrender Dichtung vorstellen: moͤchten E sie Kritische Waͤlder. sie nur statt immer neue Vorstellungen zu erkuͤn- steln, bey wiederkommender Veranlassung auch gute, obgleich schon gebrauchte, Abbildungen wie- derholen, und das Jndividuelle des gegenwaͤrti- gen Falls nur so leicht bestimmen, als moͤglich: freylich, so koͤnnten wir, weil sich auch unsre Welt von Merkwuͤrdigkeiten doch so oft wiederho- let, auch einmal zu einer fuͤr uns eignen Jkono- logie kommen, so bestimmt, als die Antike in ih- rer Art; nur freylich ein gut Theil historischer, politischer, detaillirter. 4. Die vorzustellenden Personen nehmen in et- was an dieser Schwuͤrigkeit Theil. Wenn es in den mittlern Zeiten Reichsgaͤngig war, den Kaiser sitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem Thore zwischen zween Thuͤrmen abzubilden, als waͤren die Fuͤße dem Bauche entwachsen; wer doͤrfte da bei solcher kaiserlichen majestaͤtischen Stellung nicht an die Mine Vespasians beim Sueton geben- ken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter, Schwert, und Reichsapfel — einen Fuͤrsten mit Helm und Panzer, in seiner Hermelindecke und Hermelinmuͤtze, mit Fahn und Wappen reitend — der Bischof mit Hut und Stab und Kreuz und Oberrock — drei Heilige auf einer Zuͤrchermuͤnze, mit einem Nimbus oben statt des Haupts, das jeder Rumpf zum Zeichen ihres Maͤrtrerthums in der Drittes Waͤldchen. der Hand haͤlt. — Diese erzwungene Tracht und Stellung, die fast jedes Land des guten Herkom- mens wegen seinen Fuͤrsten und Herren gibt, durch- laufen; und denn an das freie Kopfbild eines Alexanders, zuruͤck gedacht — welch ein Unter- schied! wo wohnt das freie Schoͤne? Mich wundert, wie Hr. Kl. uͤber die gehar- nischten Brustbilder auf unsern Muͤnzen so fremde als ein Kind thut S. 79. 80, u. f. : „Wider das Costume sind „sie doch: den alten Roͤmern sind sie nicht nach- „geahmt, den byzantinischen Kaisern auch nicht „so recht: sie muͤssen endlich wohl aus Ruͤstungen „verschiedner Zeiten zusammen gesetzt seyn.„ — — So wenig ich in dergleichen Reichs urkundlichen Sachen belesen seyn mag, so weiß ich doch außer der Zeit unsres Costume, (in die kein Schuͤler der Numismatik ihre Erfindung setzen wird,) außer der roͤmischen und byzantinischen Ruͤstung, noch eine mittlere Zeit deutschen Ritterthums, da die Her- zoge und Grafen von den Kaisern in denen ihnen anvertraueten Laͤndern zu Heerfuͤhrern der Ritter- schaft verordnet gewesen, da diese durch solche Turnier - und Heldenruͤstung sich unterschieden, da also die Herzoge ihr Heerfuͤhrerthum durch Har- nische und Ritteraufzuͤge auch auf Muͤnzen signali- sirten, sie als herzogliche Jnsignien und Gerecht- E 2 same Kritische Waͤlder. same behielten u. s. w. dies weiß ich, und wer sollte das nicht wissen? Und weiß man das; wem wird die weitlaͤuf- tige praͤchtige Anmahnung: „die Fuͤrsten sollten „doch bedenken, daß sie ihre Muͤnzen fuͤr die „Nachwelt schlagen lassen, daß diese ja der spaͤte- „sten Nachkommenschaft ihren Geschmack verkuͤn- „digen sollen: die geharnischten Brustbilder waͤren „doch wider das Uebliche unsrer Zeiten: an Muͤn- „zen und Statuen des Alterthums faͤnde er doch „solche Ruͤstung nicht: an byzantinischen Kaisern „auch nicht so ganz: sie bleibe doch fuͤr unsre Zei- „ten fremde: sie stelle doch eine Sache vor, die „wir in der Natur nicht mehr sehen: die Roͤmer „haͤtten sich doch nie in aͤgyptischer Kleidung, oder „mit parthischen Tiaren abbilden lassen: man „braͤchte damit der Nachkommenschaft nichts, als „ganz falsche Begriffe von den Trachten unsrer „Zeit bei — — und was der Verf. daruͤber auf sieben Seiten Gelehrtes, Wohlschmeckendes und Zurechtweisendes von Heliogabalus und Chil- derich, von Alexander und Aristobulus sagen moͤge, das artige Gebeth des Hrn. Watelets, und den artigen Spaas vom Loͤwen und Affen d. i. vom Fuͤrsten und seinem Kuͤnstler, von der friedfertigen und mit frommem Abscheu gegen alles Morden und Blutvergießen verwahrten Buͤrgerkompagnie, von der lockichten Perucke und ihrer Herrlichkeiten brei- tem Drittes Waͤldchen. tem Halskragen — — diesen artigen Spaas mit eingeschlossen, wer wird die ganze Ermahnungs- rede nicht so fade, als moͤglich, finden? Wenn die liebe Nachkommenschaft nur etwas weiß, so weiß sie, daß dies nicht eine Tracht unseres Ueblichen im gemeinen Leben, sondern ein fuͤrstliches Her- kommen, das Jnsigne eines gewissen Ranges, gewesen: so weiß sie, daß, wenn den geheimden Raͤthen unsrer Zeit diese Kleidungstracht, wie billig, unbraͤuchlich ist: sie bei fuͤrstlichen Jnstal- lationen in Deutschland urkundlich sey: so weiß sie, daß, wenn der Papst nicht taͤglich seine dreifache Krone trage, er sich dieselbe doch anmaaße, und daß, wenn Jhre Herrlichkeiten den breiten Hals- kragen nicht uͤber den Harnisch zu binden befugt sind, sie es auch nicht thun werden, wie der Hr. Verf. meinet: so weiß sie — — und das weiß ja jeder Schuͤler der Reichsgeschichte. Nun mag es etwa der Affe eines Loͤwen, das ist nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Kuͤnstler und Historiograph eines Fuͤrsten ausmachen, wie weit Seine Durchlauchten dies Erz abschuͤtteln koͤnne, oder nicht? Aber dazu gehoͤrt wahrhaftig kein geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fuͤrst unsrer Zeiten diese Ruͤstung ersonnen, um „der „spaͤtesten Nachkommenschaft seinen Geschmack zu „verkuͤndigen, um den Enkeln die vortheilhafte- „ste Schilderung von sich zu uͤberlassen.„ Dazu E 3 gehoͤrt Kritische Waͤlder. gehoͤrt auch kein erster Philologe der Nachwelt, um etwa das Costume unsrer Zeit daher zu muth- maßen, so wenig die Ammonshoͤrner Alexanders und Lysimachus uns auf den Verdacht bringen, als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt gewesen. Wenn sich indessen ein Fuͤrst einem solchen Jn- signe auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei seiner Huldigung und Kroͤ- nung wegen bequemt — immer sei er zu bekla- gen; denn hinter welchen Faͤssern und Gewaͤndern muß ich nicht einen solchen Koͤnig Saul suchen? aber auch der Unterschied werde erwogen zwischen einer Zeit, die ihre Fuͤrsten frei hinstellt, und ei- ner Zeit, die sie nach Recht und Herkommen zu einem spanischen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt — wer wird das ver- kennen? 5. Jch komme auf die Jnschriften, zu denen ich hier so wohl Titel, als Legenden rechne. Ti- tel! mit welchem Ballast sind unsre Fuͤrsten nicht uͤberladen? mit diesem des Erbrechts, der Fa- milie, eines historischen Umstandes, einer Pro- testation wegen, mit jenem der wirklichen Be- sitze halben — wo ist hier die edle Armuth der Griechen und Roͤmer? Der Roͤmer war Herr und Kaiser der Welt, nichts mehr duͤnkte er sich aber auch nichts weniger: Ein Titel also seiner Drittes Waͤldchen. seiner roͤmischen Groͤße und Hoheit; jeder uͤbrige Zusatz nach Provinzen und Laͤndern waͤre fuͤr ihn (ich nehme den Fall der Eroberung aus) verklei- nernd. Ein Imperator, Caͤsar, Dictator, Pater Patriaͤ, war gnug, um gleichsam den Einen zu bezeichnen, der nicht seines gleichen hat — Vnde nil maius generatur ipso Nec viget quidquam simile aut secundum. Das Titulaturrecht unsrer heutigen Fuͤrsten muß von dieser roͤmischen Groͤße mehr in die Cur- rentmuͤnze der Titel gehen. Hier diese Acquisi- tion, dort jene Gerechtsame, dort jene Anwart- schaft von Gottes Gnaden: sie muß nicht verges- sen werden, und so kommt eine Titelreihe her- aus, die oft auch die Muͤnze besaͤet. So mache man, wird man sagen, diese zu keiner Herolds- tafel, und lasse sie weg! Gut, aber die lasse man doch nicht weg, die in dieser Situation mit zur Bestimmung, zur historischen Erklaͤrung gehoͤren? Und eben dies, wie sehr laͤufts oft ins Detail? Um nur der Nachwelt deutlich zu seyn, um diesen von so manchen andern Fuͤrsten zu unterscheiden — welche Unterschiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte! Um eben diese und keine an- dre Denkwuͤrdigkeit der Nachwelt aus unsrer Staatsverfassung zu erklaͤren — welche Unter- schiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn. E 4 Ge- Kritische Waͤlder. Geheimdenraths S. 88. 89. uͤber die Schwachheiten der Fuͤrsten, uͤber eine Eitelkeit, von der sie keinen Nu- tzen ziehen, reicht hier kaum zu: in diesem und jenem einzelnen Falle wuͤrde ihn mancher andre Ge- heimderath eines bessern belehren. Griechen und Roͤmer inscribirten in ihrer Sprache, und man kennet dieselben nach ihrer Staͤrke und Hoheit, nach ihrer Kuͤrze und Nach- druck; verlaͤumden will ich die unsrige nicht: sie hat in manchem so gar Vorzuͤge; aber zur schoͤnen Aufschrift einer schoͤnen Muͤnzallegorie ist sie nicht gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der Buchstaben, in den hart und vielfach zusammen- gesetzten Bestandtheilen der Woͤrter, in dem Bau der Rede, der sich weniger mit einem ausgeriß- nen Casu, oder einer ellypsirten Construktion ver- traͤgt, in dem Geiste der Sprache, der sich hier- inn eben so weit von der offnen χαρις der Grie- chen, von der elegantia inscriptionum der Roͤ- mer, als von der franzoͤsischen Pointe, entfernen doͤrfte. Unsre Sprache hat ihre gothischen Buch- staben, die gut erscheinen moͤgen, nur nicht auf Metall: sie hat ihre vielen Konsonanten, die in einem starken Gedichte so praͤchtig klingen, als sie auf einer Muͤnze schwer zu buchstabiren, noch schwerer abzukuͤrzen sind: sie liebt den vollen Bau der Rede mit Artikeln, Verschraͤnkungen und Con- struktio- Drittes Waͤldchen. struktionen, ohne Ellypsen, ohne einzelne Rede- theile: sie liebt auch im Sinne mehr das voll- und ausfuͤhrlich gesagte, als das schoͤn Andeu- tende der Griechen und Roͤmer: sie ist also nicht, wie diese, zur Muͤnzenaufschrift. Was soll hier ein Geschmackvoller Tadel uͤber den Mangel an Geschmack in einer Sache, wo es an etwas mehr fehlt, als diesem? So nehme man die roͤmische Sprache statt der unsrigen! Gut gesagt! aber ist denn auch die Muͤn- ze so national, als die roͤmische war? so einem jeden verstaͤndlich? so fuͤrs Publikum, als je- ne? — Zudem: „man brauche die roͤmische:„ aber, ans Landuͤbliche, ans Costume nicht zu denken, wird man sie auch als ein Roͤmer brau- chen? Jst die roͤmische denn auch fuͤr unsre Welt von Muͤnzdenkwuͤrdigkeiten gebildet? wird man nicht oft, in dem man alte Worte auf neue Ge- braͤuche anwendet, Centauren schmieden? Vermi- schungen der Zeiten und Laͤnder, die einem Nach- kommen befremdlich seyn muͤssen, schielende Ue- bertragungen roͤmischer Worte und Begriffe unter deutsche oder neuere Begriffe uͤberhaupt, fuͤr einen Kenner beider Zeiten unausstehlich. Die griechi- sche und roͤmische Sprache war Rational: die Denkwuͤrdigkeiten, welche auf Muͤnzen kamen, National, eines also fuͤr das andre gebildet: Koͤr- per und Seele. Jst aber die roͤmische Sprache E 5 fuͤr Kritische Waͤlder. fuͤr unsre Welt von Merkwuͤrdigkeiten, oder diese fuͤr jene urspruͤnglich gebildet worden? und doch soll eine die andre ausdruͤcken? So stoßen sich zwo Zeiten und Voͤlker, wie jene Zwillinge im Leibe der Mutter! — — Will man also zur Nationalsprache zuruͤck kehren, und einigermaaßen doch die sinnreiche Einfalt, die edle Kuͤrze, gleichsam die Poesie in Gedanken und Worten ersetzen, die sich bei den Alten findet — ach! unsre Sprache bietet uns auch eine Poesie dar, aber sinnreiche Leber- reime, oder gar frostige Wortspiele. So wie die Nordlaͤnder in der Dichtkunst die Harmonie der Alten durch Reime nach ihrer Art zu ersetzen gesucht: so auch auf Muͤnzen durch Reime — aber welche Ersetzung? National freilich, oft sinn- reich gnug und oft nicht blos fuͤr den Poͤbel, son- dern auch fuͤr den Weisen, sinnreich; aber eine Ersetzung der Griechischen und Roͤmischen Einfalt? Jch sehe von beiden Seiten Schwuͤrigkeiten: Hr. Kl. sieht keine, er stimmt eine Elegie uͤber den poͤbelhaften Geschmack der Neuern an — wie vornehm! Weiter mag ich mich nicht einlassen, in die unendliche Verschiedenheit der alten und neuen numismatischen Muͤnzgesetze, Kuͤnstler, einzelnen Veranlassungen, des aͤußern Werths und Drittes Waͤldchen. und Zubehoͤrs; noch zum Schluß eine allgemeine Anmerkung, die Anfang haͤtte seyn sollen. 6. Die Alten hatten uͤberhaupt mehr Bilderspra- che, mehr allegorische Dichtung, als wir. Von Dich- tern war ihre Sprache gebildet, und da bei den Griechen insonderheit die aͤltesten Dichter Liebhaber von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren, welch ein Schatz lag gleichsam schon in der Sprache theils im Geschlechte, theils in Form, theils in Bedeutung der Worte! Jhre dichterische Sprache war allegorischen Aufschriften gleichsam in die Hand gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache geschoͤpft, und mit der Sprache, aus der sie geschoͤpft waren, begleitet — welche gute Lage! Zudem: Die erste Schrift und die erste Sprache ist eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit kommen in beide kuͤnstliche Abkuͤrzungen der Bil- der: mit der Zeit verlieren sich gar viele Bilder selbst, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo sind wir nun in der Reihe der Voͤlker und Zeiten? ohne Zweifel diesem Ende naͤher, als jenem. Die meisten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Grie- chen, Roͤmern, zumal Aegyptern, sind uns schon fremde: die meisten, die z. E. auch Winkelmann aus den Alten anfuͤhrt, erkennen wir kaum mehr unter solcher Gestalt: sie sind nach unsrer Hori- zonthoͤhe Kritische Waͤlder. zonthoͤhe beinahe schon uͤber das sinnliche Bild erhoben, oder wenigstens so oft von jenen Vor- stellungen abgewichen, als waͤren sie nicht mehr dieselbe. Jn dieser, meines Wissens noch nicht so bemerkten Aussicht sollte man das Winckelman- nische Werk Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man diesen Versuch, der doch nichts als Versuch seyn sollte; aber recensirt in der vorgesteckten Aussicht durchgegangen? ich weiß nicht. Und sie ist die einzige, nach der man die Frage entscheiden kann, wie weit wir den Alten nachallegorisiren koͤnnen, oder nicht? durchgehen, so wuͤrde man sehen, wie vorzuͤglich bei den Aegyptern, (denn sie sind die aͤltesten,) so dann bei Griechen und Roͤmern Tugenden und Laster, und abstrakte Jdeen von allerlei Art fast immer eine andre Gestalt gehabt, als bei uns, wenigstens hie und da von einer Neben- seite angesehen worden, die sie bei uns verlohren. Oft ist das allegorische Bild einer Tugend, einer abstrakten Jdee nach griechischer Art mit dem Na- men derselben nach dem Sinne unsrer Zeit, eine Gesellschaft zwoer Personen, die sich sehr seltsam zusammen finden. Noch eine augenscheinliche Folge. Dichter haben den Alten ihre Allegorie und Sprache ange- bildet: National war also ihre Bildersprache und wenn sie entlehnt war, so wurde sie nationalisiret. Der Unterschied wird wichtig: denn bey uns ist eine Drittes Waͤldchen. eine Bildersprache so patronymisch nicht. Dort konnte alles auf einem Wege fortgehen: der Dichter hatte durch seine poetische Bildersprache das Volk gebildet: der Weise, der nach ihm kam, trat, so viel er konnte, in seine Fußstapfen: er bediente sich des Bilderschatzes, den jener in die Sprache gelegt, nach seinen Zwecken: er bil- dete die Allegorien des erstern zu Wesen seiner Art um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An seiner Hand gieng der dritte Mann, der Kuͤnstler, und erhob jene Bildersprache der Dichter und Wei- sen zum schoͤnsten Anschauen. Die Goͤtter, die der Dichter dem Volke sang, und der Weise er- klaͤrte, schuf der Kuͤnstler ihm vor: die Jdeen, die es in alten geerbten und fruͤherlernten Gesaͤngen auf der Zunge, und aus dem Munde des Weisen gleichsam im Ohre hatte, standen ihm in den Werken des Kuͤnstlers vor Augen — durch alles ward also ein poetisches, ein allegorisches Pu- blikum gebildet, das die Bildersprache verstand, fuͤhlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie hatte tiefe Wurzeln, in allem was National heißt, geschlagen, in Sprachen, Gedichten, Philoso- phien, Kunstwerken: sie gehoͤrte zur Cultur des Volks, sie ward Denkart des Publikum. Unser Publikum ist aus diesem Gleise der Cul- tur, aus diesem Vehikulum der Denkart hinaus. Wenige Bilder ausgenommen, und die Jkono- graphie Kritische Waͤlder. graphie der Alten ist uns nicht Nationell. Nicht aus unsrer Sprache geschoͤpft, und oft nicht ein- mal mit dieser stimmend; nicht aus unsern ange- bohrnen Jdolen, in denen wir uns als Kinder allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft denselben widersprechend — nicht also dem Auge des gemeinen guten Verstandes unter uns kennbar, nicht also National. Die Jdole etwa und Maͤr- chen, in die unsre Kindheit allgemeine Begriffe kleidet, sind Gothisch, oft ungeheuer, fast nie- mals fuͤr die Kunst. Sie sind nicht von griechi- schen Dichtern der Schoͤnheit, sondern durch nor- dische Maͤrchen eingepflanzet: einige von ihnen bestaͤtigt unsre Sprache, die sich nach ihnen beque- met: alle aber sind gegen die Menge griechi- scher Nationalbilder nur ein verschwindendes Zwei oder Drei. Jn den Schatten der Jahrhun- derte sind sie verschwunden; und fuͤr die Kunst haben wir auch an solchen gothischen Gestalten der Einbildungskraft nichts verlohren. Die rei- nere Wissenschaft, die in unsern nordischen Ge- genden durchaus freier von solchen Huͤllen der Mittagslaͤnder gedacht wird, die Cultur des Publikum nach unsrer unsinnlichen Religion, und unsinnlichen Philosophie hat sie vertrieben: wir haben also kein dichterisches, allegorisches Publi- kum mehr. Und Drittes Waͤldchen. Und koͤnnen uns die Allegorien der Alten dazu machen? Selten sind diese ja unserm Volke, (ich sage nicht, unserm Poͤbel,) kennbar: oft ihm ja so unverstaͤndlich, als die lateinische Ueberschrift ringsum. So wie es nach unsrer gelehrten Hand- werksbildung in manchen Laͤndern dem Poͤbel zur Synonyme geworden: er ist ein Lateiner, das ist ein Gelehrter: so wenigstens in diesem Falle ist die Jkonologie der Alten eine Ueberpflanzung fremder Nationalbilder, sich in ihnen Goͤtter zu denken, die wir nicht haben, Staͤdte und Laͤn- der in Schutzgoͤttinnen und Genien zu denken, die wir nicht kennen, Tugenden und Laster zu denken, wie wir sie nicht denken wollen, allge- meine Begriffe zu denken, ohne daß wir sie in der Symbole sehen. Sie ist also ein gelehrtes Ruͤst - ich will nicht sagen Spielzeug aus frem- den Laͤndern, das unter uns keinen Markt des Anschauens, kein Publikum hat. Eben hiemit ist Herrn Klotzen ein unerklaͤrlicher leidesvoller Unterschied erklaͤrt S. 55. 56. ; „Mit den Sinn- „bildern auf alten Muͤnzen konnte der Lehrer des „Geschmacks, der Dichter, der Kuͤnstler zufrieden „seyn. Den neuern Vorstellungen widerspricht „oft Vernunft, Geschmack und Kunst. Wer „wollte es wagen, die Vorstellungen auf neuern „Muͤn- Kritische Waͤlder. „Muͤnzen mit den Bildern unsrer Dichter zu ver- „gleichen? Gleichwohl hat Addison mit den al- „ten Muͤnzen und Versen dieses gethan: Er „hat oft eine große Aehnlichkeit zwischen beiden „bemerkt, und Ursache gefunden, den feinen Ge- „schmack dessen zu loben, der die Vorstellung zu ei- „ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die „Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem- „pelschneider gebraucht, um einen Gedanken „sinnlich zu machen. „ Wie man sieht, bleibt Alles im Unterschiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geschmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit solchen Muͤnzvorstellungen zufrieden seyn: denn sie waren aus ihm geschoͤpft, oder wenigstens nach der Denk- art gebildet, die er dem Weisen, dem Kuͤnstler, dem Lehrer des Geschmacks, die alle Soͤhne seines Geschlechts waren, angeschaffen. Freilich lassen sich Verse und Muͤnzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addison eine solche gelehrte und Geschmackshexerei ist, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi- kum in Griechenland Dichterverse und poetische Bilder ihrer Mythologie im Kopfe schwebten, ohn- gefaͤhr auf die Art, als unserm Volke Kichenlieder, Bibelspruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterschied seyn soll,) wenn die Sprache und Drittes Waͤldchen. und die Erziehung solchen anschaulichen Vorstel- lungen entsprach — was natuͤrlicher, als eine Vergleichung zwischen Bildern und Versen? was aber auch unnatuͤrlicher, als bei uns solche Ver- gleichung zu fodern? Die Muͤnzallegorien sind uns meistens uͤberbrachte Jdeen: unsre Dichter, der Muse sei Dank! aber uns National — ich sehe keine Parallele. Die Muͤnzvorstellungen aus den Alten entsprechen hoͤchstens auch den Dichtern der Alten; und so sehr diese auch unsrer lieben Schul- jugend eingepraͤgt werden: so haben wir doch nim- mer ein Attisches, ein Roͤmisches Publikum, das, wie jenes, nach diesen Dichtern gebildet waͤre? Die lange Deklamation des Hrn Kl. uͤber die Pa- rallele, vom Geschmack auf Muͤnzen S. 70-76. , der sich zu unsrer Zeit, unter der Regierung Friederichs des Großen (vermuthlich zu Halle ) angefangen, und von Classischen Schriftstellern, die unsern Zeit- punkt allen Voͤlkern und der spaͤtesten Nachkommen- schaft bewundernswuͤrdig machen werden, die ganze Parallele ist in Vergleichung der Alten link. 5. Doch wie anders, als link ists, wie unser Verf. am liebsten redet? Ein Buͤchlein uͤber die Ge- schichte des Geschmacks auf Muͤnzen; und dies Buͤch- F Kritische Waͤlder. Buͤchlein wird seinem groͤßesten Theile nach nichts, als eine Vergleichung der Alten und Neuern: und diese Vergleichung wieder nichts, als ein Preis des Geschmacks der Alten, und eine Satyre auf den Muͤnzengeschmack der Neuern. Beiderlei Arten des Geschmacks als die Produktion einer ganzen Zeitverfassung und Nationaldenkart anzusehen, den Unterschied zu entwickeln, der sich zwischen der Numismatischen Welt der Alten und der Neuern in Bildersprache der Religion, in den Symbolen der Laͤnder, in den Allegorien der Begebenheiten, in dem Cerimoniol der Personen, in der Sprache der Aufschriften, in dem Publikum, das Muͤnzen erfand, sah und beurtheilte, in allen aͤußern Um- staͤnden der Numismatik ereignet, diesen Himmel- weiten Unterschied, von dem ich einige Schattenzuͤge entworfen, vergißt er; schreibt dem lieben Addison nach, macht dessen Gespraͤche zur feinen Satyre, zur lahmsten, Lendenlahmsten Strafpredigt uͤber den uͤbeln Muͤnzengeschmack unsrer Zeit, von Fuͤr- sten an, bis zu Muͤnzenstemplern zu — Und das ist sein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks auf Muͤnzen. Wie von allen Natio- nen, wie im Traume, durchhin reden? bei keiner ihre historischen Data, als Erfolge, die aus einer Ursache entspringen, ansehen? bei keiner auch nur darauf kommen, die Natur des Faktum, aus ei- nem seiner Umstaͤnde, und Veraͤnderungen in Ent- wurf Drittes Waͤldchen. wurf zu bringen? bei keiner auf den Boden der Sache sehen, aus dem sie sich erhob und aufbluͤ- hete? die verschiedensten Zeitpunkte uͤberweg ver- gleichen, die kaum einer Vergleichung faͤhig sind? O des armseligen Alterthumskenners! keines Na- mens unwuͤrdiger, als dessen! Sein klingender Beitrag ist eine Satyre auf unsre Zeiten und Voͤl- ker, so fein, so gruͤndlich, so treffend, als seine mo- res eruditorum, als sein genius seculi. Nichts als ridicula kann er schreiben; aber seine ridicula literaria und monetaria sind von einem Gepraͤge. Eine Geschichte des Geschmacks auf Muͤnzen, was ist sie, wenn sie uns bei den Griechen die Ur- sachen des Geschmacks nicht entwickelt: jetzt Grie- chen und Roͤmer vergleicht, und auch bei diesen nichts erklaͤret? Was ist sie, wenn sie nicht genau auf die Veranlassungen merket, durch welche der Geschmack fiel, den falschen Geschmack, der sich statt des Roͤmischen einschlich, nicht zergliedert, die- sen neuen Gothisch Christlichen Geschmack nicht bis auf seine Quellen, und bis in die Abgruͤnde der Diplomatik, Heraldik und Staatsgeschichte, die seine Abfluͤsse sind, verfolgt, auf keine seiner Haupt- veraͤnderungen merket, die Reformation des Ge- schmacks, die eigentlichen Verdienste der Reforma- toren nicht bestimmet, dem Lause ihrer Verbesse- rungen nicht nacheilet: die Reste des alten Herkom- mens, die sich ihm widersetzten, nicht pruͤfet: und F 2 an Kritische Waͤlder. an eine Anleitung denkt, uns zu unsrer Numisma- tischen Welt ein Muͤnzenkabinett nach dem Ge- schmacke der Alten zu sammlen — was ist sie, wenn sie nichts von diesem ist? Und ists nach Ei- nem der angegebnen Gesichtspunkte der Klotzische Beitrag auch nur im duͤrresten Grundrisse, (vom Mechanischen der Kunst rede ich noch nicht,) so will ich umsonst gelesen haben. Ein paar mal kommt er auf so etwas, aber beidemal ists Ausschweifung, und es wird grobe Falschheit. „Bei den Griechen, sagt er S. 40. , hatten „die Kuͤnste uͤberhaupt engere Schranken, als bei „uns. Wir erlauben ihnen groͤßtentheils die Nach- „ahmung eines jeden Koͤrpers, ohne daß die Kunst „durch die Wuͤrde des Gegenstandes veredelt „wuͤrde. Der Grieche hatte ihnen blos die Nach- „ahmung schoͤner Koͤrper verstattet.„ Wer Les- sings Laokoon gelesen, weiß, wem die Bemerkung zugehoͤre: dafuͤr aber, daß Lessing Klotzen eine Be- merkung lieh, schenkt dieser ihm großmuͤthig eine Verbesserung: „Entgegengesetzte Zeugnisse der „Schriftsteller und Beispiele der Kuͤnstler bestim- „men mich, dieser Beobachtung engere Graͤnzen „zu setzen, und sie blos auf oͤffentliche Denkmaͤler „einzuschraͤnken. —„ Die Verbesserung in ih- rem Werthe und Unwerthe, was thut dies auf die Muͤn- Drittes Waͤldchen. Muͤnzen? gehoͤren die auch zu den oͤffentlichen Denkmaͤlern, die nichts, als das Schoͤne, bildeten? Allerdings, sagt Hr. Kl. S. 43. „Auf alten „Muͤnzen sinden wir weder haͤßliche, noch schreck- „liche Vorstellungen. Zwei derselben zeigen uns die „Furien: aber in welcher Gestalt? Nicht mit den „furchtbaren Gesichtszuͤgen, welche der Grimm „auf neuern Werken vorstellt. Blos Fackeln und „Dolche zeigen diese Goͤttinnen an. Uebrigens ist „auch die Muͤnze, welche die Einwohner Antio- „chiens zu Ehren des juͤngern Philipps haben schla- „gen lassen, aus der Zeit, da die Bluͤthe der „Kuͤnste laͤngst verschwunden und mit ihr zugleich „der Begriff der Schoͤnheit aus den Seelen „der Sterblichen entwichen war. Wie un- „gleich sind hierinnen die neuern Stempelschneider „den Alten.„ Offenbarer gesagt kann nichts seyn. Es werden in der Folge S. 46. an dem himmlischen Gesichte der Meduse so gar die Schlangen in Er- waͤgung gezogen, und aus vier verschiednen Ursa- chen gerechtfertigt, daß „diese ein Sinnbild des „Wohlthuns und des Heils gewesen, daher sie „viele Goͤtter zur Symbole gefuͤhret, daß Ho- „garth in ihnen das Wellenfoͤrmige Schoͤne suche, „daß sie mehr zieren, als verstellen: daß endlich „und insonderheit Griechen und Roͤmer uͤber diesen F 3 „Punkt Kritische Waͤlder. „Punkt ein von dem unsern ganz verschiednes Ge- „fuͤhl, einen ganz besondern Schlangenappetit ge- „habt;„ und der Recensent des Herrn Klotz, (bei dem diesmal seine zaͤrtliche Liebe gegen den Herrn Verfasser uͤber seine großen Einsichten und scharfe Beurtheilungskraft im Kampfe die Oberhand be- halten) findet eben die letzte Bemerkung von den Schlangen gar nach dem Geschmack der Alten, vorzuͤglich wichtig. Jch kann also nach Hrn. Kl. bis auf die Schlangen, bis auf zwo Muͤnzen mit Furien nichts allgemeiners vestsetzen, als „daß auf „alten Muͤnzen sich gar nicht, weder haͤßliche, noch „schreckliche Figuren finden.„ Jch nehme indeß ein Paar Buͤcher zur Hand, die Hr. Kl. zur Hand gehabt haben muß, weil er sie anfuͤhrt, und so zuerst den lieben Beger: und in ihm mehr als eine Vorstellung auf alten Muͤn- zen von Schweinen, fuͤrchterlichen Loͤwenhaͤu- ptern ohne die freundliche Mine der Meduse, die zum Kuͤssen einladet, das bekannte unfoͤrmliche Sinnbild Siciliens, drei Fuͤße, rings um ein Haupt voll Schlangen, und andre, nicht eben so unhaͤßliche, oder unschreckliche Figuren, die Eule der Minerva ungerechnet. Jch nehme Haym: da Scorpionen, Elephanten, bruͤllende Loͤwen, Och- senhaͤupter, Nachteulen, kaͤmpfende Schlangen: so Geßner, so andre — keine Sammlung alter Muͤnzen geht von solchen Vorstellungen ganz leer aus Drittes Waͤldchen. aus — wenn ich nur dem Fleiße des Herrn ge- heimen Raths nachfolgen und Bilderchen aufsuchen wollte. Ja, wird Hr. Kl. sagen, das waren Sinn- bilder von Staͤdten, von Laͤndern. Nicht alle, und doch von griechischen Staͤdten? von griechi- schen Laͤndern? doch Vorstellungen auf griechi- schen Muͤnzen? Sie stehen mit keinem mindern Rechte darauf, als Furien nicht darauf stehen koͤn- nen, weil sie keine Schutzgoͤttinnen, keine Sinn- bilder von Staͤdten waren. Wie? weil Ga- nymed oder Antaͤus auf keiner Muͤnze Bild gibt: wer wollte deßwegen deuten? Erst beweise man, daß Furien auf Muͤnzen gehoͤren, wenn, daß sie nicht da sind, etwas beweisen soll. Ueberhaupt bestimmet Herr Kl. das Allego- rische der Muͤnzen so, daß man sieht, er habe vom Muͤnzenartigen seltne Begriffe. Winkelmanns Erklaͤrungen der Allegorie zu folgen, ist gut; nur ihnen mit Einschraͤnkung auf Muͤnzen zu folgen, noch besser. Da er seinen Versuch von der Alle- gorie uͤberhaupt fuͤr die bildenden Kuͤnste, nicht blos fuͤr die Muͤnzen, geschrieben: so sind seine Re- geln ohne Bestimmung auf diese zu lax, zu weit, und nichts unsichrer, als der Klotzische Satz: „die „Pflichten des Malers sind auch die Pflichten des „Stempelschneiders, nur daß jener ein geraͤumiger „Feld hat.„ Um Gottes Willen nicht! die Alle- F 4 gorien Kritische Waͤlder. gorien auf Muͤnzen haben ihre eigne Natur; sie sind nicht etwa blos wie Malereien, der Kunst selbst; sondern allemal der Deutung wegen da: sie sind Mnemonisch. Das Bild als Bild ist Nichts; der Sinn des Bildes ist Alles. Jn al- len Schriften wirft Hr. Klotz Muͤnzen, Gemmen, Malereien, Statuen grausam durcheinander; und kaum kann Etwas verschiedners an Natur, Zweck und Gesetzen seyn! Ein Kunstwerk ist der Kunst we- gen da: aber bei einer Symbole, sie sei der Religion, oder der politischen Verfassung, oder der Geschichte gewidmet, ist die Kunst dienend, eine Helferinn zu einem andern Zwecke, so bei der Muͤnze. Las- set uns also die Griechen nicht auf unrechte Art lo- ben: sie widersprechen solchem Lobe, und es wird Tadel auf sie: es wird Unwissenheit fuͤr uns. Auf der andern Seite, lasset uns auch die Neuern nicht ohne Ursache tadeln. Jch will ihre „durch die haͤßlichsten Verzerrungen des Gesichts „verunstalteten Ungeheuer, die Hrn. Kl. vornehmes „Auge beleidigen, das sich an die griechische Schoͤn- „heit gewoͤhnt hat„ nicht vertheidigen; aber so billig sollte man doch auch seyn, zu fragen: ist dieses Ungeheuer die Haupt- oder nur eine Neben- vorstellung? Wenn z. E. ein Herkules, als Dra- chentoͤdter, zum Sinnbilde der Tapferkeit da stuͤn- de, und der Drache selbst ein haͤßliches Ungeheuer waͤre: nicht der Drache, der Drachentoͤdter ist das Bild, Drittes Waͤldchen. Bild, und jener nur eine unterliegende Vorstellung. Daß die Alten eben so gedacht haben, bezeugen eine Menge Gemmen, und Gemaͤlde, die ja doch ei- gentlichere Kunstwerke, als Muͤnzen, sind — Nebenfiguren also aber, wenn sie auch selbst Haupt- figuren waͤren: noch sind sie auf Muͤnzen nichts, als Revers; man kehre um, so hat man die Deu- tung. Das ekle Auge meines Verfassers, das sich an Griechische Schoͤnheit gewoͤhnt hat, wird am meisten von hollaͤndischen Muͤnzen beleidigt. „Die Zwietracht, die Tyrannei, die Grausamkeit „sind als Ungeheuer mit der groͤßten Haͤßlichkeit „vorgestellt„ und so gleich hat Hr. Kl. den bekann- testen Tadel ihrer Maler und ein Spruͤchlein aus Hagedorn fertig, das hier so hingehoͤrt, als Faust aufs Auge. Auch ich sehe lieber das Schoͤne, als das Haͤßliche, lieber das Liebliche, als Carrikatu- ren; wie aber? wenn die Enthauptung Karls des ersten durch kein lachendes Gesicht, und durch keine Amors angedeutet werden konnte, und das wuͤten- de vielkoͤpfichte Volk also als ein vielkoͤpfichtes Schlangenungeheuer erscheint — und neben an das traurige Haupt des Koͤniges auf dem Boden — wird da nicht die Vorstellung von dem Sinne von der Allegorie gleichsam verschlungen? Und ist dies Bild denn anders geschlagen, als um so verschlun- gen zu werden? und wird je eine Muͤnze als abso- lutes Kunstwerk gepraͤget? Jst sie je unter den F 5 Grie- Kritische Waͤlder. Griechen anders, als zum Denkmale gepraͤget wor- den? — — Man denke sich einen Autor, der so ganz die ersten Grundsaͤtze der Kuͤnste vergißt, der so sehr ihre Graͤnzen verwirret, und eben auf diese Verwirrung den halben Theil seines Buchs bauet, wie schief, wie elend wird er bauen? Alle diesuͤßen Anmerkungen uͤber die Griechische Lieblichkeit und Schoͤnheit sind entweder hier Halbsachen, oder Hr. Kl. kennt die Natur der Muͤnzen halb. Er nimmt sie als Kunstwerke und nicht als Denkmale; die Kunst bei ihnen nicht als Huͤlfsmittel des bedeuten- den, den Kuͤnstler nicht als Handarbeiter — so schreibt er von ihnen, und verkennet ihre Natur. Und das ist Alles, was Hr. Klotz unter den Griechen fand, um ihnen ihren Rang im Muͤn- zengeschmacke zu geben? — ja! und unter den Roͤmern an ihrem Theil nichts besondres? Wenig, als eine sichre Parallele mit den Griechen, die hier nicht hingehoͤrt, und uͤber die ich zu anderer Zeit reden werde. Und nichts bestimmtes an Ursachen, die den guten Geschmack herunter gebracht? Nein! und nichts vom Diplomatischen, Heraldischen und Rechtlichen Ursprunge unsers Muͤnzengeschmacks? Auch nein! — O des sonderbaren Beitrages zu einer Geschichte! 6. „Jch thue dem Verfasser vielleicht Unrecht: „Ein Beitrag kann ja so viel oder so wenig beitra- „gen Drittes Waͤldchen. „gen, als er will.„ — — Ei! so muß Hr. Klotz nicht großsprechen: denn wie er jetzt an- kuͤndiget, hat er uͤber einem weit weitern Thema gearbeitet, als ich gesucht habe — nicht blos an einer Geschichte des Geschmacks auf Muͤnzen, son- dern gar an einer Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste bei einem Volk aus Muͤnzen. Die- sen Faden will er uͤber die merkwuͤrdigsten Perio- den der Geschichte, uͤber Voͤlker und Zeiten verfol- gen, und aus ihnen liefern eine Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste uͤberhaupt aus Muͤnzen. Das ist freilich noch mehr! auf einer Muͤnze mag sich immer der Geschmack einer Nation offen- baren doͤrfen: aber daß sie eigentlich eine Tafel des Geschmacks einer ganzen Nation vorstellen sollte, vorstellen muͤßte? — dem ersten Anblicke scheint das schon gewagt. Auf einer Muͤnze mag sich immer Kunst, und wenn man will auch Kuͤnste, offenbaren doͤrfen; daß sie aber eigentlich eine Zeuginn uͤber die Kunst, ja uͤber die Kuͤnste seyn sollte, seyn muͤßte — noch gewagter: und das ist doch „die Ausfuͤhrung der Sache, die ich mir „vorgesetzt habe. Meine Absicht ist aus den Muͤn- „zen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und „der Kuͤnste zusammenzusetzen, und ihre Bluͤthe, „oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen. „Jch werde daher u. s. w. — —„ Mich duͤnkt, der Kritische Waͤlder. der Verfasser uͤbernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann. Die schoͤne Griechische Muͤnze, und freilich laͤßt sich viel daraus ersehen. Das Volk, dem sie gehoͤrt, muß gebildet seyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner und Stempelschneider haben, oder gehabt haben: das sehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu- then koͤnnte, daß sie kein Fremder verlohren: so waͤren diese Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geschichte ihres Geschmacks und ihrer Kuͤnste, den Jnbegriff ihres Geschmacks und ihrer Kuͤnste — unmoͤglich. Ob sie Dichter oder Weltweise, Bild- hauer, Tonkuͤnstler und Taͤnzer neben ihren Stem- pelschneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge- schmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama gewesen, sehe ich das aus einer Muͤnze? Und ist nicht eben diese frap- pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge- schichte des Geschmacks und der Kuͤnste geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. sein er- stes Verdienst bei diesem ganzen Buche? Jndianer, Perser, Araber! was kann man aus euren Muͤn- zen nicht weissagen? Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechischer Muͤnzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit- folge Drittes Waͤldchen. folge nach und neben einander — allerdings kann man jetzt vieles auf die Nation schliessen, was Ge- schichte, Regierung, Beschaffenheit ihres Landes, ihre Kleider, Waffen, Gebraͤuche, Gebaͤude, Re- ligion und dergleichen anbetrift. — Hieraus laͤßt sich ohngefaͤhr ein Nationalcharakter bilden, der viel in sich hielte, aber keine Geschichte des Ge- schmacks und Kuͤnste? — ich wollte, daß ein Nu- mismatischer Goguet so ein Werk schriebe. Wohl- verstanden, daß er in seinen Schluͤssen keinen Schritt vergebens thue, bei jedem den Grad der Wahr- scheinlichkeit in Maas nehme, und den seltnen Phi- losophischen Genius haͤtte, einzelne Data niemals zu allgemein zu generalisiren, noch auch diesseit des Ziels stehen bleibe, auf welches man zu schließen koͤnnte — waͤre dies, was sich bey Hrn. Kl. fast alles im Gegentheile zeiget: so haͤtte man freilich „eine Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste bei „den Griechen aus Muͤnzen„, aber auch zugleich ein in Beispiele gebrachtes Lehrbuch der historischen Wahrscheinlichkeit, eine Logik historischer Schluͤsse, nicht solch eine Sammlung kahler Allgemeinsaͤtze, als dies ist. Vorausgesetzt wird hier zum Grunde der gan- zen Schlußfolge: daß die Griechen auf der Bahn ihrer Kultur selbst fortgegangen, nicht etwa von der unsichtbaren Macht fremder Voͤlker darauf fortge- trieben, und umhergestoßen seyn, daß also aus ih- Kritische Waͤlder. ihrem Laufe die Kraft der Nation mit Grunde be- rechnet werden koͤnne. Was es fuͤr Fehlschluͤsse gebe, diesen Lauf anzunehmen und zu berechnen, wo er nicht ist, werde ich an anderm Orte an den Griechen zeigen; hier die Roͤmer. Aus der Roͤmischen Muͤnzenfolge eine Ge- schichte ihres Geschmacks und der Kuͤnste ist durch- aus truͤglich: denn nicht sie, eine fremde Nation ists, die durch sie wirket. So viel aus ihren Muͤnzen geschlossen werden mag; auf ihren Ge- schmack und Liebe zu den Kuͤnsten wenig. Was in dem Roͤmischen Geschmacke und Kuͤnsten denn eigentlich Roͤmisch, was hingegen nur von Grie- chen geformt nach der Roͤmer Weise gewesen? wo die Roͤmer selbst gedacht, und gearbeitet, oder nur denken und arbeiten lassen? verliert sich in den Schatten, und ist dies nicht eben das Hauptlicht „einer Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste „Roms aus Muͤnzen?„ Wie? wenn die Grie- chen bis auf jedes Einzelne verlohren gingen, wie wuͤrden die Roͤmer nicht Siegprangen? Da sie aber nicht verlohren sind, da wir aus andern Quel- len, als aus Muͤnzen, es wissen, wie sehr sie in den Geschmacks - und Kunstlauf der Roͤmer un- sichtbar eingewirkt: welchen Behaupter wird das nicht zweifelhaft machen, aus Muͤnzen ihre Ge- schmacks- und Kunstgeschichte zimmern zu wollen? Die Drittes Waͤldchen. Die Zeit der so genannten Gothischen Muͤn- zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Roͤ- mer weder an Geschmack, noch an Kunst, noch an irgend Etwas gewesen: das sieht der Blinde; ja es lassen sich die Ursachen so gar einsehen, war- um sie nicht das Eine, nicht das Andre, haben seyn koͤnnen? Es laͤßt sich so gar der falsche Geschmack, der diese Voͤlker angefuͤllt, nach seinem Ursprunge und Geschichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp Lyser bin: so wuͤnschte ich diesen Zeiten einen solchen Berechner, aber einen, der sich vor dem Namen der Barbarei nicht scheue, noch dies Wort so uͤberhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geschichte, wenn wir aus Griechen und Roͤmern, voll von ihrem Geschmacke, kom- men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklaͤrer ist mehr als Tadler; und der muß er seyn, weil unser Erbge- schmack alle sein gutes Herkommen von daraus ableitet. Wieder also ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks und der Kunst? Jmmer ja! da die- sem Zeitpunkte aber sein Geschmack und seine Kunst nicht so ganz eigenthuͤmlich, da die Litteratur die- ser Voͤlker so verdorben, als sie sey, urspruͤng- lich eine fremde Colonie ist, die sich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: so wird, nach Maaß dieser Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Kritische Waͤlder. aus Muͤnzen unsichrer. Es ist keine Hypothese, es ist eine von den Kennern der mittlern Zeit laͤngst angenommene Sache, daß die Reformation der Wissenschaften wahrhaftig nicht mit einmal los- gebrochen: sondern lange im Stillen genaͤhert, ge- wachsen, gereift sey. Und eben dieser Fortgang des stillen Wachsthums ist der auf Muͤnzen be- merkbar? Galt hier nicht einmal fuͤr alle Herkom- men, Nationalgeschmack, der bleierne Druck des Zeitgeistes? unter diesem konnte nicht immer viel reifender guter Geschmack liegen, der sich nur nicht aͤußern dorfte, und am wenigsten ja auf Muͤn- zen zuerst aͤußern konnte? galt wohl auf diesen et- was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr- hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge- schichte des Geschmacks, wo ich diese reifenden, ausbrechenden Saamenkoͤrner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver- laͤßig schliessen? Endlich die neuere Muͤnzgeschichte, und eben sie ist die unzuverlaͤßigste auf einer Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste bei ganzen Voͤlkern und Zeiten. Jn diesen ist die ganze schoͤnere Nu- misinatik ein Zweig Griechischer und Roͤmischer Zeiten, in die Geschichte des damaligen Zeitge- schmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als ein im Boden des Jahrhunderts selbstgewachsener Stamm. Bilderschrift, Sprache und Kunst ist Nach- Drittes Waͤldchen. Nachahmung der Alten: immerhin also eine Zeu- ginn, daß der Urheber dieser Muͤnze die Alten ge- kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch nichts weiter. Ob der gnaͤdigste Fuͤrst, der auf der Muͤnze steht, und dem Urheber und Kuͤnstler seinen guten Geschmack allergnaͤdigst vergoͤnnet; ob jedermann, der diese Muͤnze in seiner Tasche getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk und Zeit, eben den Geschmack gehabt, ist dem ersten Anblicke nach die abentheuerlichste Folge. Wie kunterbunt wuͤrde doch in den neuern Zeiten die Geschichte des Geschmacks und der Kuͤnste lau- fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail- leur, ein Antiquitaͤtenprofessor, dem eine Muͤnzen- allegorie und Jnschrift geraͤth, so gleich ein Zeuge seyn sollte: wie sehr sein durchlauchtiger Herr den Geschmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet sein Jahrhundert im Geschmack und in Kuͤnsten gewe- sen? — fast nichts kann mehr Mitleiden verdienen, als diese Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun- gener gegluͤckter oder verungluͤckter Muͤnzenschmidt, ein Schulfuchs, der seinen lieben Alten eine Alle- gorie und Aufschrift entwenden kann — der ein Ruͤstzeug fuͤr den Geschmack und die Kuͤnste seiner Zeit, der ein Apollo und Praxiteles seines Jahr- hunderts an die Nachwelt? Schoͤner Apollo! Ohne daß sein Jahrhundert vielleicht ihn versteht, beurtheilt, schaͤtzet, soll er ihren Geschmack und G Kunst- Kritische Waͤlder. Kunst predigen — Was fuͤr ein leichter Wegweiser zum Tempel des Geschmacks, und zur Unsterblich- keit ist doch der Geschmackvolle unsterbliche Klotz! Eben so unbegreiflich ist die Gegenseite der Schlußfolge auf den boͤsen Geschmack neuerer Zei- ten und Voͤlker aus Muͤnzen. Ein Land, das einem Staatssysteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von boͤsem Ge- schmack unterworfen ist: eine Zeit, deren Religion hoͤhere und geistigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, dessen Spra- che fast vortreflich, wissenschaftlich und genau seyn kann, nur daß sie, gerade aus gesagt, keine Muͤnzen- sprache ist: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten eben so verwickelt von der politischen Wissenschaft sind, daß eine einzelne Muͤnzensymbole sie nicht vorstellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm- ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit suchet, und Wahr- heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen und der Geschmack auf demselben durchaus fuͤr kei- ne Produktion des Publikum gelten kann — ein solches Volk soll sich seine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Muͤnzen weissagen, sich ein Buch durch mit einem andern, dessen Numisma- tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmisch vergleichen lassen? wer ist Buͤrger dieses Volks, und sagt nicht: vnde mihi lapides? Nun Drittes Waͤldchen. 7. Nun so arg kann es doch Hr. Klotz nicht ge- macht haben, da ihm ja oͤffentlich so viele Ehren- saͤulen schwarz auf weiß gesetzt sind, ihm, dem Patrioten, der fuͤr den Geschmack seiner Nation, seines Vaterlands eifere — — o ja! Eifern ist gut, aber wohin kann Eifer nicht fuͤhren? ich habe im vorigen Abschnitte mich nicht durch seine Bey- spiele unterbrechen wollen: lasset uns seiner Gedan- kenreihe folgen. „Ueberhaupt koͤnnen wir die bildenden Kuͤnste „als verborgne Verraͤtherinnen der Denkungsart „desjenigen ansehen, welcher sich mit ihnen beschaͤf- „tiget. Die Wahl des Gegenstandes und die Be- „arbeitung desselben mahlen uns den Kuͤnstler „auf eine ihm selbst unbemerkte Art. Ein Werk „eines Kuͤnstlers ist oft eine noch getreuere Schil- „derung seines sittlichen Charakters, als eine „Schrift das Bild des Schriftstellers. Wir le- „sen in jenem noch deutlicher, als in dieser, die Trieb- „federn, die den Geist des Kuͤnstlers in Bewegung „gesetzt und die Neigungen, welche gleichsam seine „Hand geleitet S. 10. 11. .„ So unbestimmt und Moderecht, als dieser All- gemeinsatz hier stehet, ist er wieder blos das Meteor von einer Bemerkung. Welche bildende Kuͤnste G 2 sind Kritische Waͤlder. sind Verraͤtherinnen der Denkungsart desjenigen, der sich mit ihnen beschaͤftigt? Ohne Zweifel, die ihm Wahl, Eigenheit, und Eigensinn erlauben: Dieses sind nicht alle in einem Grade, ja die voll- kommensten der bildenden Kuͤnste erlauben am we- nigsten. Die Bildhauerkunst, die Baukunst hat bei ihren Jdealen so hohe und strenge Regeln, daß es wohl kaum dem Kuͤnstler frei stehet, mit der Kunst gleichsam zu buhlen, die eine goͤttliche koͤnigli- che Juno ist. — — Die Malerei, die in Allem ungemein viele Eigenheiten, Veraͤnderungen, und willkuͤhrliche Pinselstriche erlaubt, mag an ihrem Theile eine verborgne Verraͤtherinn der Denkart seyn, als alle Sibyllenbruͤder wollen: die Mode- beispiele, die Hr. Kl. anfuͤhrt S. 12. , vom sanften Raphael und vom ernsthaften Angelo, vom hitzi- gen Hannibal Caraccio und vom schreckhaften Ribe- ra, und vom niedrigen Brouwer, vom versaͤum- ten Kupetzki, und vom fuͤhlbaren Vandyk — alle diese Taschenraritaͤten, mit denen er sich so gern umher traͤgt, sind aus ihr, der Malerei, und in so gutem Tone sie auch moͤgen gesagt seyn, was gehen sie an die Muͤnzkunst? Unter allen kann diese am wenigsten vom Kuͤnstler verrathen: selten ist der Erfinder der Medaille auch der Zeichner, der Stempelschneider, der Arbeiter: meistens ist dieser nur der Handarbeiter von dem Kopfe des ersten — und Drittes Waͤldchen. und wie nun? daß die Muͤnze „eine noch getreuere „Schilderung seines sittlichen Charakters seyn soll, „als eine Schrift das Bild des Schriftstellers„ welch ein Dunft! — Unter allen bildenden Kuͤn- sten ist das Muͤnzengepraͤge am wenigsten freies Kunstwerk. Landesherrschaftliches Hoheitszei- chen, Denkmal einer Begebenheit, veranlaßte Symbole — also der Hofherrlichkeit, der Ge- schichte, des Bedeutenden wegen, dazu ists. Das Schoͤne tritt zuruͤck, und wie weit hinten nach die freie Wahl des Kuͤnstlers? die Willkuͤhr seiner Bearbeitung? seine Denkungsart? zudem die Triebfedern, die ihn in Bewegung gesetzt? zudem gar sein sittlicher Charakter? und gar deutlicher, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers mah- let? Das alles, liebe Goͤttinn Moneta! auf einer Muͤnze! O der erleuchtete Muͤnzenschauer! Es ist nicht gut, daß es dem Verf. beinahe zur Gewohnheit geworden, die Gedanken andrer so anzu- fuͤhren, daß sie sich selbst kaum mehr aͤhnlich sehen, und so selbst mit seinen Leibautoren. Hier S. 14. citirt er, z. E. so seltsam und weitschweifig, als der verspottete S. Klotzens bibl. St. 3. Grillo seinen Pindar nicht beirufen kann, um eini- ge Seiten des unbestimmtesten Gemisches zu bestaͤti- gen: „So wahr ist der Ausspruch eines Mannes, „welcher die tiefen Einsichten und alle Eigenschaften G 3 „eines Kritische Waͤlder. „eines großen Genies„ u. s. w. — wie? und die- ser wirklich große Mann sollte mit seinem Ausspru- che das vorhergehende Getuͤmmel von Halbwahr- heiten bestaͤtigen? Er es bestaͤtigen, daß alle bil- dende Kuͤnste uͤberhaupt als verborgne Verraͤthe- rinnen der Denkungsart desjenigen sind, der sich mit ihnen beschaͤftigt? Er es bestaͤtigen, daß Ein Werk eines Kuͤnstlers eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters (seines sittlichen Charakters! ) sey, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers? Er die erniedrigende Be- sichtigung anrathen, in einem Kunstwerke die Trieb- federn lesen zu wollen, die den Geist des Kuͤnstlers (wie eines Tagloͤhners) in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche seine Hand geleitet? Er mit dem Geist ersehen zufrieden seyn, in Kunst- werken nichts so eigentlich, als das vornehme oft so unverstandne Wort: sittlicher Charakter! sehen zu wollen? — So schielende Anfuͤhrungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren sie doppelt. — — Wir wollen es unterwegens las- sen, aus der Lippe Leopolds des großen auf seinen Muͤnzen den sittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geist, die Denkungsart seines Stempelschneiders zu weißagen. Jch wuͤnsche unsrer Zeit, die sich beinahe dar- ein verliebt hat, aus Dichtungs- und Kunstwerken den Drittes Waͤldchen. den sittlichen Charakter des Dichters und Malers zu studiren, einen zweiten Lessing, der die Graͤnze zwischen Dichtkunst und persoͤnlicher Sittlichkeit, zwischen Kunstwerk und Charakter scheide. Auf den Muͤnzmeister aber, der seine Denkungsart auf Muͤnzen offenbaret, wird der sich wohl nicht einmal herablassen wollen und doͤrfen: denn dieser wischt durch die Haͤnde. — — Das war der Kuͤnstler und 2. Der Fuͤrst. S. 15. „Auf eine zwar ver- „schiedne, aber eben so deutliche Art scheint der „Fuͤrst, welcher die Bilder zu Muͤnzen entwirft „und die Aufschrift dazu setzt, seine Denkungsart „an den Tag zu legen.„ Und wie viel Fuͤrsten sinds denn, die Bilder zu Muͤnzen entwerfen, und die Aufschrift dazu setzen? Und wenn sie es thun, wie werden sie sich auf Denkmaͤlern anders schil- dern, als sie sich der Welt und der Ewigkeit zeigen wollen? Worauf kann ich also mit Zuverlaͤßigkeit schließen? Da aus alten Muͤnzen selbst die ent- schlossensten Geschichtforscher aus der Numismatik nicht Herz gnug gehabt, jede Vorstellung eines Kaisers oder Koͤniges fuͤr ein Sinnbild seines Cha- rakters anzunehmen: wie? so haͤtten wirs bei den Neuern? Was fuͤr eine einfoͤrmige und falsche Charakteristik, der Fuͤrsten ihre Denkungsart (man uͤberdenke den wichtigen Namen) aus ihren G 4 Muͤn- Kritische Waͤlder. Muͤnzen zu studiren? Welcher roͤmische Tyrann waͤre alsdenn nicht Vater des Vaterlandes? Wel- cher schlaͤfrige Monarch neuerer Zeiten nicht auf seinen Muͤnzen thaͤtig, tapfer, groß und edel? Statt daß man die Wahrsagungskunst des Hrn. Kl. aus Muͤnzen durch einen Kontrast neuer und alter Beispiele laͤcherlich machen koͤnnte: will ich im ganzen Buche seine Beispiele aufsuchen, da er mit der geheimnißvollen Mine eines Weißagers herantritt: ei doch! habe ich nicht getroffen? — Nur ei doch! daß ich nicht lauter Meteoren von praͤchtigen Perioden abschreiben muͤßte: „der go- „thaische Ernst S. 17. , welcher seinen Unterthanen da „ein Muster gab, wo er ihnen keine Gesetze geben „konnte, schaͤmte sich nicht, auch auf seinen Muͤn- „zen zu bekennen, daß er sich uͤberzeugt habe, „es sei das Gluͤck und die Pflicht eines Fuͤrsten, ein „Freund und Verehrer der Religion zu seyn. Wir „lesen auf seinen Muͤnzen den Charakter eines Prin- „zen, der seinen ehrwuͤrdigen Beinamen, welchen „der Kaiser Ludwig durch Einfalt und thoͤrichte „Freigebigkeit von den Moͤnchen erkaufen mußte, „durch die Rechtschaffenheit seines Herzens erlangt „hat, und dessen vortrefliche Gesinnungen desto groͤs- „sere Hochachtung verdienen, da er sie nicht aus „einer Schwachheit und einem Unvermoͤgen im „Nach- Drittes Waͤldchen. „Nachdenken angenommen hatte, sondern weil er „nach Pruͤfungen, deren sein großer Geist faͤhig war, „sie fuͤr wahr gefunden.„ Welcher Parenthyrsus von Denkungsart, den kaum ein Geschichtschrei- ber, der sein ganzes Leben vor sich haͤtte, anstim- men sollte, von Denkungsart, die kaum sein Bu- senfreund so unwidersprechlich predigen wollte! o was kann Hr. Kl. aus Muͤnzen nicht alles lesen? Nun aber die Medaillen andrer Fuͤrsten, die nach der Geschichte auch rechtschaffen und fromm gewesen; ihre Muͤnzen indessen haben nichts aus- zeichnendes und Schautragendes von Froͤmmig- keit — was goͤlt’es, wenn man im Gegensatze unsres Autors sie als Negativen charakterisirte? Nun alte Muͤnzen, die auch mit der Pietas pran- gen: was goͤlt’es, wenn man im Tone unsres Klotz ihre Froͤmmigkeit charakterisirte? Was? wenn man allen Fuͤrsten, die nicht wie Ernst die Muͤn- zen zu Heroldstafeln ihrer Froͤmmigkeit gemacht, diese und die ewige Seligkeit ab -; allein denen, die davon auf ihren Muͤnzen gepredigt, sie zuspraͤche — Weißager! Weißager! wo kommen wir hin? „Offenbahret sich der Geist Ludewigs des „ XIV, welcher seiner Ehrbegierde keine Graͤnzen „wußte, und ihr mit Freuden Treue, Menschen- „liebe und das Wohl seiner Laͤnder aufopferte, nicht „eben so deutlich auf den Muͤnzen dieses Koͤnigs, G 5 „als Kritische Waͤlder. „als in allen seinen Handlungen?„ S. 19. Nichts weniger! und mich wundert, daß ein Gesunder so etwas behaupten koͤnne. Vielmehr ist auf Muͤn- zen nichts, als die Groͤße, die Tapferkeit, der Hel- denmuth Ludwigs, recht das Jdeal eines Ludwigs des Großen sichtbar. Eine graͤnzenlose Ehrbe- gierde, eine freudige Aufopferung der Treue, der Menschenliebe, des Wohls seiner Laͤnder offenbart sich da nicht, und Ludwig wuͤrde es der Akademie schlecht verdankt haben, wenn sie so etwas auf Muͤnzen haͤtte offenbaren wollen. Umgekehrt kann beinahe kein Fuͤrst seyn, dessen wirkliche Handlun- gen und Muͤnzvorstellungen, was Geist, was Cha- rakter anbetrift, uneiniger seyn koͤnnen, und Gnade allen Koͤnigen und Fuͤrsten des Jahrhunderts Lude- wigs und unsrer Zeit, wenn die Nachwelt so, wie der Richter unsrer und der Vorwelt, Hr. Kl. aus Muͤnzen ihr Urtheil faͤllen, auf Muͤnzen Gei- ster sehen, Charaktere kennen, Denkungsarten er- forschen, und so den Rang bestimmen wollte. Wie sehr riefe alsdenn Ludwig vor allen Neuern her- vor? und wie klein ist oft die Veranlassung zu sei- ner praͤchtigsten Muͤnze. „Mir wenigstens, faͤhrt Klotz fort S. 19. , gibt „die Akademie, welche dafuͤr bezahlt wurde, daß „sie ihren Stifter durch pralende Muͤnzen ver- „gnuͤg- Drittes Waͤldchen. „gnuͤgte, keinen geringern Beweis von der damals „in Frankreich herrschenden Schmeichelei und all- „gemeinen Bemuͤhung, den Koͤnig leichtsinnig zu „vergoͤttern, als jener Bischof, welcher von dem „Strome der Niedertraͤchtigkeit, als ihm Lud- „wig —„ ich kann den Rednerischen Ton bei dem Geschichtchen eines Bischofs, der Ludwigen zu gefal- len keine Zaͤhne haben will, nicht aushalten — fuͤhlt denn Hr. Kl. nicht, daß dies eine Geschicht- chen sein ganzes System der Hieroscopie aus Muͤn- zen umwerfe? Konnte eine ganze Akademie, die dafuͤr bezahlt wurde, auf ihren Muͤnzen nichts als schmeicheln? Kann eine Legion von Muͤnzen noch so wenig Zeuginn uͤber den Charakter eines Prin- zen werden: ein ganzes Jahrhundert beinahe konnte im Strome praͤchtiger Luͤgen fortgehen — „ach „Sire! wo findet man alsdenn jemand, der Zaͤhne „hat?„ wer wird alsdenn den Charakter, die Denkungsart, die Wahrheit eines Fuͤrsten aus dessen Muͤnzen lesen wollen? Des Fuͤrsten Hauptbeschaͤftigung etwa koͤnnte man noch endlich aus vielen Muͤnzen, am liebsten aus allen seinen zusammen genommen, ersehen: ohngefaͤhr die Richtung seiner Nase und das Pro- fil seines Gesichts. Aber Geist, Denkungsart, historischer Charakter, Wahrheit? — Alle Muͤn- zen haben gleichsam den Ton, den sie als Muͤnzen anstimmen muͤssen; so wie eine Epopee, eine Er- he- Kritische Waͤlder. hebung uͤber die Geschichte, und das Drama eine Erhoͤhung uͤber das gemeine Leben zum Wesen hat. Wer nun eine Epopee zur Urkunde, und ein Dra- ma zur Moral des Lebens machen kann, der studire auch die Geschichte vom Geiste und Charakter eines Prinzen aus seinen Muͤnzen, und aus sei- nem Grabmonumente, wo, ohne noch an unter- thaͤnige Schmeicheleien und Luͤgen zu gedenken, beide schon ihren Ton, ihr Epos haben, der im- mer, ja auch bey der wahrsten Aufschrift, poe- tische Natur hat, und keine historische Natur haben will. — — Wie sehr koͤnnte ein Fuͤrst den Hrn. Geheimdenrath in Verlegenheit setzen, aus den Muͤnzen seiner Vorfahren die Geschichte ihrer Denkungsart zu entwerfen? Und zu folge dieses Grundsatzes wuͤrde ich ihm wahrhaftig nicht seine Paraͤnesis uͤber die Muͤnzen neuerer Zeiten nach- schreiben, um diese nach seinem Calcul zu charakte- risiren, und Augen zu zeigen, die nur ein Angelo, Pietro di Cortona, Nikostratus, Addison und Klotz haben! Drittens aber gar, und endlich S. 15. : „Jch „glaube nicht zu irren, wenn ich den moralischen „Charakter gewisser Nationen und gewisser Zeiten „auf den Muͤnzen suche, und entdecke.„ O ganz goͤttlich! Weiß Hr. Kl. was eine Nation, eine Zeit, Drittes Waͤldchen. Zeit, ein moralischer Character einer Nation und Zeit sei: die Feder wuͤrde ihm entfallen seyn, da er so etwas schreiben wollte. Nicht auf den mo- ralischen Charakter der Griechen und Roͤmer ein- mal, als Zeiten, als Nationen betrachtet, laͤßt sich aus ihren Muͤnzen, aus allen ihren Muͤnzen zusammengenommen, schließen: und in neuern Zei- ten, auf neuere Voͤlker, wo die Numismatik beinahe ganz Privatsache, beinahe ganz historische Urkunde ist, im Tone des Herkommens, das auf Muͤnzen einmal gaͤng und gaͤbe geworden — da aus ihnen auf den moralischen Charakter ganzer Nationen und Zeiten schließen? — O Logik! Lo- gik! Logik! Hr. Kl. fuͤhrt Beispiele S. 15. . „Die Gewalt des „Aberglaubens und einer sklavischen Unterwerfung „gegen die Priester herrscht in den Buͤchern und „Briefen jener finstern Zeiten eben so sehr, als auf „den Muͤnzen, welche die Fuͤrsten, vornehmlich in „Deutschland, damals schlagen ließen, als man „theils zu ohnmaͤchtig und schwach war, sich der „geistlichen Herrschaft zu widersetzen, theils nach „der wohlthaͤtigen Huͤlfe der Weltweisheit, dieser „Freundinn und Schwester der Religion, entbehrte, „um die Fesseln des Vorurtheils zu zerbrechen. Jst „es zu verwundern, daß ein Zeitalter — nun kom- „men Kritische Waͤlder. men ein Paar schoͤne Possen, die ich uͤbergehe — „— daß ein solches Zeitalter nichts lieber auch auf „Muͤnzen sah, als Kreuze, Schluͤssel, Buͤcher, „Bischofsstaͤbe und Kirchen. — —„ Der Viel- wisser Klotz muß nichts wissen, was er wissen soll. Wie? die mittelmaͤßigste Kenntniß der mittlern Geschichte und Rechtsgelehrsamkeit, die diplomati- sche Stavrologie und Sphragistik, zeigt sie nicht, daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen gewesen, das freilich im Anfange aus Aberglauben aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur- kundliche Gewohnheit, bestimmtes Rechts - und Hoheitszeichen u. s. w. blieb — wie also in jedem Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf Moralischen Charakter? Wie manche von diesen werden noch heut zu Tage signiret, wo sie ihres Orts sind? und in den damaligen Zeiten sollte man sie aus gutem Wohlgeschmack unterlassen, sich den Haß der Geistlichen, und vielleicht die Unguͤltig- keit der Gepraͤge zuziehen, die sich dem Herkommen nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz signiren, wo es Zeit - und Landuͤblich war, als ein Thor und ein Ketzer des guten Geschmacks wegen seyn wollen? Unzeitiges Anbringen des guten Geschmacks zuerst auf einer Muͤnze, noch unzeitiger aber da, wo alles Herkommen ist, guten Geschmack suchen und verurtheilen wollen — was in der Welt geht uͤber die Halbkenntniß! „Man Drittes Waͤldchen. „Man hat den Hollaͤndern oft eine beleidi- „gungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤr- „sten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die „Begierde, uͤber andre zu lachen und zu spotten ge- „lassen, so hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit, „und den Anstand von ihren Satyren getrennet. „Die bei vielen Gelegenheiten in Holland erfunde- „nen und geschlagenen Muͤnzen bestaͤtigen jenes „Urtheil vollkommen.„ S. 20. Aber wer hat sie er- funden? wer hat sie praͤgen lassen? gewiß nicht die ganze Nation, uͤber deren sittlichen Charakter der Hr. Geheimderath nach dem Voͤlkerrechte so billig urtheilt: oft Privatpersonen, und oft Frem- de. Wer die Freiheit der hollaͤndischen Muͤnze kennet, den Zusammenfluß so vieler Nationen da- selbst, das Jnteresse, das dies Volk des Commer- zes wegen an den Begebenheiten der meisten Laͤnder hat, und denn die ehrliche Dreustigkeit, die sich der Hollaͤnder nimmt, seine Meynung heraus zu sa- gen, und denn die ehrliche Dreustigkeit andrer, die sich hinter diesen Schirm verstecken — der wird sich, ohne in den Loostopf der Sibylle greifen zu doͤr- fen, die Menge satyrischer Muͤnzen, die in Hol- land herauskommen, erklaͤren koͤnnen. Wird er aber auch den weisen Schluß auf den Charakter und zwar den moralischen Charakter der. Nation „beleidigunsvolle Verachtung gegen Koͤnige und „Fuͤr- Kritische Waͤlder. „Fuͤrsten: Begierde uͤber andre zu lachen und spot- „ten: Mangel der Artigkeit, der Hoͤflichkeit und „des Anstandes„ ich weiß nicht; wenigstens kenne ich den Hollaͤnder zwar als einen Menschen, der seinen trocknen Spotteinfall reinweg sagt; aber als ein Thier, das so begierig waͤre, uͤber andere zu lachen und zu spotten, das eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤrsten eben zu sei- nem „moralischen Charakter„ haͤtte? — das mag ein Hollaͤnder wissen. Ueber Holland kommt Hr. Kl. an sein liebes Vaterland, um den sittlichen Charakter desselben aus Muͤnzen zu erklaͤren S. 21. . „Es war eine Zeit, „da Deutschlands Fuͤrsten es fuͤr eine Ehre hielten, „grosse Weinfaͤßer zu bauen, so wie etwan andre „Fuͤrsten sich beeiferten, ihren Geschmack an der „Bildhauerei und Baukunst zu zeigen. Damit „auch die Nachkommenschaft die wichtige Geschichte „des Heidelbergischen Fasses erfuͤhre, wurde dieselbe „im Jahre 1664. durch zwei Muͤnzen verewiget, „wovon die eine mit den elendesten Reimen ange- „fuͤllet ist. — — Jch als ein Deutscher schaͤme mich, den Schluß hieraus zu ziehen, welchen ein „Auslaͤnder leicht machen wird.„ — — Nur herausgesagt! der Schluß soll vom Weinfasse einer Muͤnze auf nichts minder, als den sittlichen Cha- rakter, den ganzen sittlichen Charakter, die Denk- kungs- Drittes Waͤldchen. kungsart, den Geist der Deutschen gehen: denn Deutschland verraͤth sich ja gegen die Auslaͤnder hier- mit so stark, daß Er, Hr. Kl., als ein Deutscher, sich deßwegen gegen die Auslaͤnder fast schaͤmet, ein Deutscher zu seyn. — O welchem Leser wird es nicht in die Laͤnge unausstehlich, mit mir durch alle die Schluͤsse hinzuschleppen, die Hr. Kl. Laͤngelang seines Buchs aus einigen Muͤnzen auf den Geschmack seiner Nation, seiner ganzen Nation so sicher macht, als waͤre er zum Dictator formandi gustatus einhellig von seinem Vaterlande gewaͤhlt. Mehr als ein- mal ist seine patriotische Schlußfolge: „was „muͤssen sich nicht die Auslaͤnder von dem Ge- „schmacke unsrer Großen fuͤr Begriffe machen, wenn „sie dergleichen Muͤnzen zu sehen bekommen? doch „sie haben es uns leider! deutlich gnug gesagt, „was sie denken. S. 55. „ Er wirft die Frage auf S. 70. : wie es vor seiner Zeit um den Geschmack in Deutsch- land ausgesehen? und beantwortet sie durch eine andre feine Frage: „wenn hat Deutschland in seiner „Sprache Schriftsteller bekommen, denen man „von den Enkeln den Titel classischer Autoren „unsers Vaterlandes versprechen kann?„ Er ist zwar zu furchtsam, diese Epoche zu bestimmen; aber doch auch, wie er sich hoͤflich ausdruͤckt, so H kuͤhn Kritische Waͤlder. kuͤhn, zu sagen, daß man nicht allzuweit zuruͤckgehen muͤsse. Er bestimmt endlich, nach artigen Ver- weisen, diese Epoche mit dem Anfange seiner und seiner Freunde Zeitalter, und schließt urploͤtzlich: „Brauche ich mehr zu sagen, um die Ursachen „zu erklaͤren, warum die Erfindung und Vorstel- „lung auf so vielen deutschen Muͤnzen schlecht, „kindisch, undeutlich, laͤcherlich sey.„ Durch- gaͤngig also sieht er aus einer Muͤnze sehr mitleidig auf den Geschmack seiner Nation herab, und wie sein Freund, und Beurtheiler Klotz. Bibl. St. I. S. 61. uns versichert, ist dies ein Eifer im patriotischen Tone, ein edler Enthusiasmus fuͤr sein Vaterland. Eine andere Bibliothek, N. Bibl. der sch. W. die sich sonst durch ein gruͤndliches und kaltes Urtheil vor andern so sehr auszeichnet, haͤlt dem Verfasser eben in seinem artigen Tone eine foͤrmliche lange Lobrede daruͤber, „daß er mit „seinen geschmackvollen Vergleichungen seine Lan- „desleute eine sehr laͤcherliche Rolle spielen „lasse. — — Jch kann also nichts, als dem Hr. V. zu seiner Logik, und Deutschland zum Hrn. Verfasser Gluͤck wuͤnschen. 8. 1. Muͤnzen koͤnnen nicht eigentlich auf den Geschmack eines Volks, einer Zeit zeugen, wenn das Drittes Waͤldchen. das Muͤnzwesen nicht ein Werk des Volks und der Zeit ist. Nichts ist deutlicher, als diese Ein- schraͤnkung: nichts raͤumt auch mehr auf. Jn Griechenland, zu den Zeiten der Republiken war das Muͤnzwesen eine Sache des Publikum: die Vorstellungen waren entweder oͤffentlich bestimmt, oder wenn sie neu bestimmt wurden, so von der Obrigkeit, die den Staat vorstellte. Man konnte also in gelindem Verstande sagen, diese waͤhlten im Namen des Volks, das wenigstens ihr Bild und Aufschrift kannte, beurtheilen konnte, und vielleicht gebilligt hatte. — — Jn den Republi- kanischen Zeiten Roms weiß man die strengen Muͤnzgesetze, die kein Privatbild auf die Muͤnzen zuließen. Jn diesen Zeiten kann man noch sagen, daß die Muͤnzen ein Werk des Publikum; allein man weiß auch, wie simpel und einfoͤrmig beinahe sie damals gerathen, da man in freien Republiken nie gern ohne Noth Abaͤnderungen machet. Zu den Zeiten einer Monarchie kann sich aus vielen Ursachen die Muͤnzenkunst mehr aufnehmen: allein um so uneigentlicher schon ein Werk des Publikum. Unter einem Philippus, und Alexan- der dem Großen, und den Ptolomaͤern, und den Seleuciden, und den Caͤsaren sind die Muͤnzen vortreflich: sie koͤnnen uͤber nichts als die Unver- werflichkeit derer zeugen, denen der Hof die Muͤnz- sorge aufgetragen, und wenn man will, uͤber die H 2 Guͤte Kritische Waͤlder. Guͤte des Hofgeschmacks. Unter Ludwig XIV war die Akademie der Jnschriften das Publikum, das Muͤnzen schuff — sie dem ganzen Frankreich, das sie groͤßtentheils nicht verstand, zur Last zu legen, waͤre ungerecht. Zu Christinens Zeiten waren ihre Antiquitaͤtenlieblinge das gebildete schwedische Publikum, das sich nach ihrer antiqua- rischen Koͤniginn bequemte. Und die Cultur Ruß- lands aus den guten Muͤnzen zu berechnen, S. 170. die unter der Kaiserinn Anna und andern geschlagen, ist fuͤr Rußland eine sehr leidige Ehre, die ihm ein Mitglied der Akademie und ein Stempelschneider verschaffen und verderben kann. Jch weiß, daß Hr. Kl. alle diese Beispiele fuͤr sich anziehet, und in seinem suͤßen Molltone singet „wie genau mit „der Verbesserung der Wissenschaften und Kuͤnste „in einem Lande auch eine bessere Gestalt der „Muͤnzen verbunden sey, koͤnnen wir unter andern „auch aus Rußlands Beispiel sehen u. s. w. Man „mag mir immer einwenden, daß die Kuͤnstler „Auslaͤnder sind: es zeigen doch allezeit jene „Schaustuͤcke den Geschmack der Großen des Lan- „des und die Liebe des Hofes zu den Kuͤnsten —„ und da er sich also nichts einwenden laͤßt: so zucke ich die Achseln. Hume soll fuͤr mich reden. Er macht bei seiner vortreflichen Abhandlung von dem Ursprunge und Drittes Waͤldchen. und Fortgange der Kuͤnste und Wissenschaften gleich anfangs den Grundsatz: „was auf wenige „Personen ankommt, muß großentheils dem Zufalle „oder verborgnen und unbekannten Ursachen zuge- „schrieben werden: nur was aus einer großen An- „zahl herkommt, kann oftmals aus bestimmten „und bekannten Ursachen erklaͤret werden.„ Er giebt von diesem Grundsatze die scharfsinnigsten Gruͤnde, und mit ihnen faͤllt das Gebaͤude des ganzen klotzischen Werks. Bei neuern Muͤnzen kommt es nur auf zwo Personen an, einen Er- finder und einen Kuͤnstler: so ist das Ding gut oder boͤse. Und wie kann hier der Zufall tyranni- siren! Der Erfinder, vielleicht ein Mann von Geschmack und Wissenschaft, ist eben kein Muͤnzen- kopf, er ist ein Gruͤbler — die Muͤnze ist ver- dorben! Er hat eben jetzt sein boͤses Stuͤndlein: ihm will kein Muͤnzeneinfall gluͤcken — verdorben! Er hat in diesem und dem Punkte seinen Eigen- sinn — verdorben! Er ist ein Auslaͤnder, viel- leicht durch einen Zufall dahingespielt, vielleicht unge- schaͤtzt, vielleicht verachtet: vielleicht durch einen Zufall zur Ehre, Erfinder zu seyn, gekommen: vielleicht zu einem gluͤcklichen Einfalle, durch das Aufschla- gen eines Buchs, vielleicht in einem gluͤcklichen Traume zu diesem gluͤcklichen Einfalle gelanget, ich weiß nicht, wie? — So auch sein Kuͤnstler: sie moͤgen sich secundiren oder entgegenarbeiten — H 3 es Kritische Waͤlder. es sind zwo Privatpersonen: und sie sollen mit ihrer Armseligkeit fuͤr oder gegen den Geschmack eines ganzen Landes streiten? — O Logik ohne ihres gleichen! Wenn aber viele Muͤnzen von einerlei Art - - o so sind auch viele Reihen von Zufaͤllen von einer- lei Art: gnug! bei uns ist keine Muͤnze national, keine Sache des Publikum, so kann auch ihr Zeugniß nicht oͤffentlich seyn. Der groͤßeste Theil des klotzischen Buchs ist auf diesen Schluß gebauet, und Gnade Gott dem Schlusse. Er hat vermuth- lich seinen Grund in den Augen, die Nikostratus und Klotz, Michael Angelo und Klotz, Pietro di Cortona und Klotz, Addison und Klotz hat, und sonst niemand! 2. Nie kann etwas ein Zeugniß vom Ge- schmacke seyn, wenn es nicht ein freies Kunstwerk ist, und das ist die Muͤnze bey uns selten. Lessing hat die alten Religionskuͤnstler von der Regel seiner strengen Kunst beurlaubet, und Klotz redet ihm zu Gefallen die Beurlaubung nach, die er doch in allen seinen Schriften so schlecht anwendet. Schon bei den Alten war die Muͤnze Symbole — bei uns gar historisch - politisch - kirchlich - landes- herrliche Urkunde — wer will sie nach Gesetzen der Kunst richten? Geldeswerth tritt voran: Herrschaftszeichen hinten drauf: Denkmal der Geschichte alsdenn: nun erst Symbole — und nach Drittes Waͤldchen. nach allem erst Geschmack: will dieser sich vor- draͤngen, wie uͤbel kann er oft zuruͤckkommen. Jch habe den Unterschied gezeigt, ich mag ihn nicht wiederholen. Eben daher nimmt sich in sehr unabhaͤngigen Monarchien, wo alles auf die Willkuͤhr und den Geschmack des Landesherrn ankommt, die Muͤn- zenkunst eben so leicht auf, als sie in einem Lande voll Fuͤrsten und Staͤnde, voll Staatsrecht und Herkommen, wie z. E. Deutschland ist, dem anderweitigen guten Geschmacke unbeschadet, leider! zuruͤckbleiben muß. Jch wuͤnschte, daß ein Mann von Staatskunde zugleich der Lehrer des Geschmacks, der Koͤnige und Fuͤrsten geworden waͤre; die Satyre meines Verf. uͤber Deutschland ohne Ein- sicht in die deutsche Verfassung ist mit nichts; als der Satyre uͤber das deutsche Publikum, zu ver- gleichen, die er selbst an seinem liebsten Grillo so suͤß verspottet hat S. Klotz. Bibl. St. 3. . 3. So sehr ich auch den Muͤnzen Geschmack wuͤnsche: so sehe ich doch eine Reformation ihrer am wenigsten als die Reformation eines Landes an. Nach unsrer Verfassung kann von ihnen am mindesten der bessere Geschmack ausgehen, da sie nur durch das schwaͤchste Band mit der Cultur einer Nation in Wissenschaften und Kuͤnsten zusam- H 4 menhaͤn- Kritische Waͤlder. menhaͤngen. Und nimmer - - doch gnug! die klotzische Schrift, ihrem Tone und Jnhalte, ihrer Schlußart und Ordnung nach, zusammt den Lob- spruͤchen, die sie ertheilt und erhalten, wird unsrer Nachkommenschaft eine so schoͤne Probe vom buͤn- digen Geschmacke unsrer Zeit geben, daß ich ihr also mit gutem Herzen die Ewigkeit wuͤnsche, und unwillig die Feder wegwerfe — — — statt des Beschlusses ein Auszug aus einem Briefe. — Nun das heißt Geduld! Sagen Sie mir doch, welcher guͤtige oder unguͤtige Daͤmon sie bei einem Buche hat vesthalten koͤnnen, das fuͤr mich eins der langweiligsten unsres Jahrhunderts gewe- sen? welcher Daͤmon sie vestgehalten, die Schluͤsse, die Schlußreihen zu entbloͤßen, die keine Schluͤsse, die die groͤßten Armseligkeiten des feinen Geschmacks sind, der von unerklaͤrlichen Empfindungen kommt, und wieder zu unerklaͤrlichen Empfindungen hin- eilet. — — Und Jhre Analyse dieses Muͤnzenwerks soll gedruckt werden? Sie wollen es wagen, den Ar- tigsten unsrer Schriftsteller in dem Jaͤmmerlichen zu zeigen, was er wiederkauet, in dem voͤllig Unbestimmten, wie ers herlallet, in dem Unzu- sammenhangenden, wie er fremde halbverstandne Gedan- Drittes Waͤldchen. Gedanken neben einander stoppelt? Und wissen Sie denn nicht, wie sich dieser urbane Mann betragen wird? Mit einer vornehmen Mine auf sie herab hohnlaͤcheln oder gar spotten: sagen, daß Sie aus unedlen Gesinnungen gegen ihn geschrieben haͤtten: daß Sie ihn nicht verstanden: daß er so etwas nicht habe sagen wollen: kurz! ohne auf einen Jhrer Gruͤnde und Vorwuͤrfe bestimmt und gruͤnd- lich zu antworten, wird alles dahin auslaufen, daß es Jhm, und nur Jhm allein frei stehe, so unbestimmt, so schielend, so sehr mit frem- den Federn zu schreiben, als er wolle. Glauben Sie mir, Freund! ich weiß keinen Deutschen, der ohne alles A. B. C. der Wissen- schaft, uͤber die er schreibt, so wie Klotz schreiben kann. Jst Jhnen im Muͤnzenbuͤchlein die Stelle entgangen: mittelmaͤßige Kuͤnstler muͤßten mit guten zusammen leben: so fodre es die Natur der Dinge: so wie in einem Gemaͤlde neben große Schatten große Lichter gesetzt werden — ein Mann, der so etwas schreiben kann, und doch immer von Kunst und Kolorit predigt, ist der nicht unter der Critik? u. s. w. H 5 II. Kritische Waͤlder. II. O b das kritische Urtheil des Hrn. Klotz in alle dem Vielfachen, woruͤber er urtheilt, uͤber- all gleich gruͤndlich, und unpartheiisch sey? — gruͤndlich und unpartheiisch zugleich? — — Jch glaube, der Leser wird die Wahl ha- ben — — Act. litter. Vol. I. Pars. I. Die einzige Re- cension dieses Stuͤcks, die Geschmack betrift, waͤre die p. 58. uͤber Hrn. Harles Vitas Philolo- gorum, nostra ætate clarissimorum: wie aber hat Hr. Klotz diese Lebensbeschreibungen mit so vielem Lobe, ohne die geringste Eroͤrterung ihres historischen Baues, oder wie man jetzt spricht, ihrer historischen Kunst, als einen zweiten Ne- pos in die Welt senden koͤnnen? Jch nehme z. E. das Richtmaaß, nach wel- chem die Bibliothek, Klotz. Bibl. St. 4. p. 44. die unter des naͤmlichen Hrn. Klotz Aufsicht geschrieben wird, die nicolai- sche Biographie Abts beurtheilt: und halte es an die Biographie, die Harles von p. 64. (nun wer kann sich mit allem kalten Blute denn rechtlicher und billiger Drittes Waͤldchen. billiger unter den Philologis nostra ætate clarissi- mis erwarten)? von Hrn. Klotz liefert: Christianus Adolphus Klotzius Philosophiaͤ et L. L. A. A. Magister, Professor Philo- sophiaͤ in - - - - - Ordinarius Reu. Capitul. Wurc. Capitul. Extraord. Poet. Caͤs. Laur. Acad. Caͤs. Scient. Roboret, Soc. Altdorf. Teuton. Acad. Elect. Mogunt. Scientiar. Vtil. Soc. Litterariaͤ Zittaviens. et latinaͤ Jenensis collega. — Si — wuͤrde ich hinzusetzen, wenn ich den feinen Spaß wiederholen muͤßte, den Hr. Klotz den Titeln seines lieben Burmanns zwischen schiebt — Si ante lucem ire occipias ab huius primo nomine, Concubium sit noctis, priusquam ad postremum Perveneris — Doch zur Sache! Zuerst nimmt sich Hr. Harles den neuen und seltnen Griff, das Bildniß seines Freundes ganz aus — seinen poetischen Jugenduͤbungen zu ent- werfen. Aus Gedichten? aus Jugenduͤbungen? aus Nachahmungen eines fremden Originals einen biographischen Charakter entwerfen? — Freilich selten! unerhoͤrt! denn mit eben dem Rechte, da Hr. Klotz jetzt aus seinen Gedichten der Laͤnge nach, ein Stoiker, ein Weiser, ein Held, ein Patriot, ein Kritische Waͤlder. ein Veraͤchter des Lebens u. s. w. wird: mit eben dem Rechte wuͤrde ich ja einen Gleim, Wieland, und Lessing aus ihren Gedichten zu ganz etwas an- ders machen; und wollten das die Herren Klotz und Harles verantworten? Ja aus Hrn. Klotzens Gedichten selbst, wenn aus ihnen sein persoͤnlicher Charakter gebildet werden sollte, was wuͤrde Hr. Kl. nicht alles seyn? Schon vor mir hats Abbt Jn den Litt. Br. bemerkt, daß sich derselbe in allen Gedichten durchweg nicht einmal so treu bleibe, als sich je- der Dichter, dem einmal angenommenen Charak- ter gemaͤß treu bleiben sollte, und also? Wer auf der einen Seite den Amor und die Venus singt, und den Mond ansieht, — der stuͤrzt auf der fol- genden Seite in den Feind — und auf der dritten hat er wider die friedlichste, und ruhigste Denkart, die je der, bequeme, Kriegscheueste Wolluͤstling haben kann — laͤßt sich daraus nicht recht tapfer charakterisiren: Humana fortis subiiciam mihi Magnoque spernam pectore! \&c. Und laͤßt sich fuͤr einen solchen Charakter nicht nachher in der Recension der Biograph aufs waͤrm- ste umarmen: In summa voluptate, quam ex amore erga me Tuo, mi Harlesi, percipio, do- leo Drittes Waͤldchen. leo \&c. Da ist ja wohl eine Liebe der an- dern werth. Hr. Harles erzaͤhlt von seinem Helden, daß er an Genie und Gelehrsamkeit wenige seines gleichen habe, daß er im Griechisch und Latein den meisten uͤberlegen, daß er ehrgeizig und jachzornig sey, daß er Geld und Titel verachte, selten traurig, unbe- staͤndig in Anschlaͤgen und Meinungen, nicht lan- ge fortarbeiten koͤnne, mehr seinem Kopfe, als seinem Fleiße, schuldig sey, sich allein hoͤre, an- dre gern verspotte; gern etwas von der Malerei, auch gerne deutsche Buͤcher lese u. s. w. (warum nicht gar, daß er auch Deutsch koͤnne?) das al- les Hr. Harles; Hr. Klotz haͤtte uns sagen sollen, ob das sein Bild sey? Nun gehen die Lebensumstaͤnde an, wie in- den Personalien eines Verstorbnen: den Hrn. Hofmeister, der jetzt Prediger seyn soll, unver- gessen. Unvergessen, daß der Hr. Geh. Rath als Gymnasiast auch oͤfters in den Vorstaͤdten von Goͤrlitz gepredigt: unvergessen, daß er auch habe Herrnhuter werden wollen: unvergessen, daß er auch so gar einigemal in seiner Vaterstadt gepre- digt: — — Und ach! warum denn vergessen, wie sehr sich daruͤber vielleicht die lieben Seinigen erfreuet! Kritische Waͤlder. erfreuet! wie herzlich sie geweint! wie herzlich sie sich erbaut! u. s. w. „Sein Hochzeitstag war der vierzehnte Ju- „nius. Wobei er das insonderheit wunderbar „fand (mirabile illud sibi videri, aliquoties „dixit) daß ihm eine Braut eben des Namens, „als sein Freund, der beruͤhmte Saxe, fuͤhret, be- „scheret gewesen, ob diese gleich mit jenem in kei- „ner Verwandschaft stuͤnde.„ Spotten moͤchte ich nicht gern, und insonderheit nicht uͤber eine Freude der heiligen Ehe. Allein das Bewunde- rungswuͤrdige darinn, daß ein Professor Saxe in Utrecht lebt, und daß Hr. Klotz eine Jungfer Sachsen in Goͤttingen heirathet, dies Wunder- bare sei nun ein oft wiederholtes Wortspiel, (ali- quoties dictum) oder ein galantes Kompliment in der Brautkammer, oder ein artiger Einfall im Hochzeitsschreiben an Hrn. Prof. Saxe in Utrecht, oder endlich eine tiefe Betrachtung uͤber die wun- derbaren Fuͤhrungen Gottes mit seinen Kindern — in keinem Betrachte scheint es mir des Herrn, der den Einfall hatte, und des Hrn. der den Ein- fall, als einen Brocken von Hochzeitreden, auf- schrieb, wuͤrdig. Und so gehts in ein chronologisches Buͤcher- verzeichniß mit beygesetzten Zeitungsurtheilen ge- stempelt: Drittes Waͤldchen. stempelt: bis der Biograph auf die burmannische Streitigkeit kommt, wo er so sehr die Wuͤrde seines Autors und die Unpartheilichkeit eines Biogra- phen vergißt, daß die richterische Nachwelt viel- leicht kurzweg sagen wird: Pastillos Rufillus olet, Gorgonius hircum! — — So viel Lob Hr. Harles uͤber seinen Fleiß in Sammlung der Materialien verdienen mag: so bleibt er in allen seinen Lebenslaͤufen einem Tone von Gemeinheiten und bald gesagt, Nichtswuͤr- digkeiten, treu: er vergißt das Eigne seiner philo- logischen Person, und das Erlesene ihrer Verdien- ste, was allein auf die Nachwelt komme: er vergraͤbt sie unter triviale Umstaͤnde, Disputa- tionstitel und Zeitungsgebuͤhre, daß er endlich jenes Klotzischen Lobes wohl werth war: bene, bene respondere \&c. Act. litt. Vol. I. Pars II. „ Ruͤckersfelder „uͤber den Charakter der Oden Pindars. Klotz. act. p. 117. „ Den gemeinen Begriff haben wir gesehen, Zweites Waͤldchen p. 239. 40. 41. den sich der Recensent von den Digressionen in Pin- dars Oden macht, und hier die gemeinen Beweise. Aber, wie billig und Klotzisch ist: zuerst Bei- spiele Drittes Waͤldchen. spiele von andern Zeugen. Jch wollte, daß Hr. Kl. niemals Buͤcher anfuͤhrte, als die eigentlich an den Ort gehoͤren, eigentlich beweisen, und die er, wenn ich hinzusetzen darf, selbst gelesen. Der Franz Blondel, den er anfuͤhrt, p. 12 5. beschaͤftigt sich ja in seiner Parallele zwischen Pindar und Horaz mehr mit der elenden Analogie von den Lebensumstaͤnden beider Dichter, als mit ihren Gedichten: mehr damit, daß sie beide honnetes- gens und es fehlet nicht viel auch galant - hom- mes gewesen, als welchen Charakter sie als Dich- ter besessen — in diesem uͤberhaupt verdient er kaum angezogen zu werden. La-Motten kennet man schon als Richter griechischer Oden, so wenig als den Abt Massieu und andre, die der Ver- fasser noch uͤberdem haͤtte anfuͤhren koͤnnen. Weil aber Hr. Klotz einmal diese Schriftsteller unter sei- nen locus communis : Lyrische Poesie, Ode, an- geschrieben: so schreibt er sie auch mehrmals unter seinen Text, selbst wo sie so wenig Entscheidung geben koͤnnen, als Er selbst Beispiele der Ausschweifungen im Pindar: wer hoffet wohl ein eheres, als die vierte pythische Ode, und doch auch sie, die so manchem zum Aergernisse dient, ist als National- Local - und Jndividualstuͤck auf den Arcesilaus aus Cyrene betrachtet, nicht blos zu retten, sondern in der Drittes Waͤldchen. der That zu loben. Wenn man einmal den unpin- darischen Begriff verbannet, der Pythische Dich- ter habe solch ein Lobgedicht auf eine Person, blos wegen dieses Sieges und weiter nichts, ma- chen wollen, wie heut zu Tage Todten - und Hoch- zeitgedichte verfertiget werden: wenn man sich in die griechischen Zeiten zuruͤcksetzt, da der Sieger eine oͤffentliche Person Griechenlands, und der Saͤnger ein Saͤnger fuͤrs Vaterland, und ein Leh- rer der Koͤnige war: so tritt auch die gegenwaͤr- tige Ode mit allen ihren sogenannten Ausschwei- fungen in herrliches Licht. Ein Pythischer Sieg wars: ein Delphischer Gesang sollt’ es werden, und was also angemeßner, als die Stimme: aus Del- phis, o Arcesilaus, haben deine Vorfahren, und dein Anherr Battus Cyrene empfangen: Der Py- thische Apollo hat es euch gegeben. Der ganze erste Theil der Ode in aller Feier des goͤttlichen, des weissagenden Ursprungs ist praͤchtig, hat Per- sonalinteresse: Denn Arcesilaus, der aus seinem Koͤnigreiche vertrieben gewesen, tritt eben damit in den Glanz seines rechtmaͤßigen Ursprungs: hat Familieninteresse, denn wie viel galt bei den Griechen das Ansehen großer Vaͤter! und wie viel mußte bei einem herabgekommenen, abgetheilten Battiaden, der Ruhm seines Urvaters, des goͤttli- chen Battus, gelten! — ist Ort und Zeitmaͤßig: Denn der Pythische apollinarische Gesang, wovon J konnte Kritische Waͤlder. konnte er wuͤrdiger, als von solchen Wohlthaten des Apollo, reden? Mit Pracht also schließt Pindar diesen Theil der Ode, und stellt seinen Arcesilaus als einen vom Apollo ernannten und zum zweiten- mal jetzt bestaͤtigten Koͤnig von Cyrene im Schmuck des Pythischen Sieges dar. Und nur Hr. Kl. etwa kann, wie wenn Pindar uͤber ein Schul- thema gearbeitet haͤtte, sagen: Pythicum IV. maxima historiarum varietate distinctum. Nam dum parat se ad laudes Arcesilai cantandas, quo- modo, qui e maioribus illius, Battus in Cyre- naicam venerit, enarrat: Medeæ vaticinio copiose commemorato. Quibus dictis ad Arcesilaum quidem redit, sed \&c. Nur Er: denn hat Pindar nicht schon laͤngst einen Unterschied gemacht zwi- schen dem Gros seiner Ausleger, (το παν ερμε- νεων) und zwischen denen, die sich um das Jn- nere seiner Gesaͤnge bemuͤhen — — Pindar bekommt Lust, die Geschichte der Ar- gonauten, und des guͤldnen Vliesses einzuweben. Man sollte diese Episode nicht als ein Beispiel seiner gewoͤhnlichen Ausschweifungen nehmen: denn er selbst kuͤndigt sie als Episode, als etwas ausserordentliches an. Wer weiß nun die Zeit- ursachen, die Pindar’n damals vorlagen, einmal die ganze Geschichte ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen? So viel ich aus diesen und andern Stellen Pindars vermuthe, lag bei vielen folgende Ursache vor. Pindar Drittes Waͤldchen. Pindar lebte in einem Zeitalter, da die Traditio- nen der heroischen Mythologie, auf welchen mei- stens der heruntergeerbte Vorzug im Ursprunge der Staͤdte, der Geschlechter, der Koͤnigreiche, die er sang, beruhete, schon halb in das Licht hi- storischer Urkunden treten sollten: und da ihn also die Muse zum National- und Patronymischen Saͤnger griechischer Geschlechter und Personen sandte, so hatte er auch das Geschaͤfte, den Rest solcher heroischen Urkunden zu retten, und mit der Weisheit zu erklaͤren, die sein Zeitalter forderte, und deren er sich in so vielen Gesaͤngen ruͤhmt. Wenn mir die Muse Pindars die Muße geben wird, uͤber den Charakter dieses Thebaners, des edeln Freundes meiner Jugend, mich ausfuͤhrlich zu erklaͤren: so werde ich bei den mythologischen Expositionen desselben diese poetische Weisheit, die ein aufbrechender Rosenkeim zur kuͤnftigen histori- schen Wahrheit war, entwickeln, um auch in ihr Pindarn, als den Saͤnger seiner Zeit, ohne tolle Ausschweifungen zu zeigen. Hier stehe so viel: daß die Geschichte der Argonauten der Situation gegenwaͤrtiger Ode nicht so fremde ist, als Hr. Kl. meinet. Von den Argonauten stammte das Geschlecht des Arcesilaus ab: und nach griechischer Denkart, auf welche Ahnen laͤßt sich herrlicher kommen, als auf die Argonouten? Die Einnahme, das Anrecht J 2 der Kritische Waͤlder. der Battiaden auf Cyrene war aus dem Schooß der Argonautischen Geschichte hergenommen: sie war ein Zweig mitten aus der Verwicklung dieser Abentheurer hinausgerissen — wo ist er in seiner Generation besser zu erkennen, als wenn er wieder mitten in die Verwicklung zuruͤck gepflanzt, leben- dig da steht. Die Vorfaͤlle so wohl des Zweiges, der Theraͤer, als des Stammes, der Argonauten und Jasons insonderheit, ruͤhrten vom Pythischen Apollo her: wo schallten sie wuͤrdiger, als am Feste seines Tempels? Die Episode wird ja auch nicht anders, als pythisch, als apollinarisch, ein- gelenkt, und erzaͤhlt: und endlich, der ganze Zweck, die verflochtne Veranlassung der Ode in diesem Zustande von Cyrene und Arcesilaus macht alles nothwendig. Arcesilaus war seines Ungehorsames wegen gegen die Einrichtungen des Orakels, ver- trieben gewesen: er fragte den Apollo, und der gab ihm, dem achten Battiaden, nur einen sehr einge- schraͤnkten Trost, aber dabei desto schaͤrfere An- mahnungen. Arcesilaus nach seiner Wiederer- stattung blieb ihnen nicht treu: das Vaterland und alle Unordnungen seiner Regierung klagten: wer war der Erfuͤllung des drohenden Orakels, seinem Verderben, und dem Untergange seines Stammes naͤher, als der dem Apollo ungehorsa- me, unweise Arcesilaus? Hier ward der Pythoni- sche Saͤnger ein Lehrer des Koͤniges im Namen seines Drittes Waͤldchen. seines Gottes: er legt seinen ganzen Gesang schon von ferne auf diese erhabne Pflicht an: er predigt ihm die Wohlthaten, die Apollo um seine Vaͤter, und die Lehnsherrschaft, die er uͤber Cyrene habe: hiezu und zu nichts weiter laͤßt er die Stimme der alten Weissagung, und die Geschichte der Argo- nauten und Battiaden reden: hiezu lenkt er bei dem Vorbilde der Weisheit des Oedipus zuruͤck, und gibt dem Koͤnige im erhabensten Tone die be- sten Weisheitslehren zur Gelindigkeit und Weis- heit, sein Volk zu regieren. Hiezu nimmt er zu- letzt fuͤr den unschuldig vertriebenen, klugen, auf- richtigen, vom Vaterlande bedaureten Demophilus das Wort, und kommt, da er fuͤr diesen im Na- men so vieler spricht, dem Herzen des Koͤnigs am naͤchsten. — — Ein weiser Gesang! nichts ist in ihm unnuͤtz: nichts da, um vierzige von Stro- phen auszufuͤllen: nichts da, um doch bei einem so unfruchtbaren Thema etwas zu sagen: nichts da, um Pindarisch zu rasen — nein! ein so individueller, griechischer und cyrenaischer Ge- sang, so ganz fuͤr Arcesilaus gesungen, so weise darauf angelegt, was ihm gesagt werden sollte: so pythisch, so pindarisch — daß ich zum Kon- trast nichts als die Klotzischen Worte p. 126. zuschrei- ben darf: Quid est longe a re proposita digredi, aut omittere potius eam, si hoc non est? Wie, J 3 wenn Kritische Waͤlder. wenn Pindar auflebte, wie wuͤrde er sich freuen, einen solchen geheimen Ausleger des Jnnersten seiner Gesaͤnge zu haben? Jch habe das ειδος Pindars gerettet, das Hr. Kl. als das Verzweifeltste hinzugeben scheint, und mag die Vorwuͤrfe nach andern Oden nicht verfolgen: ein Mann, der Pindar so von der Oberflaͤche kennet, wie wollte der einen Ruͤckers- felder verbessern? Wie konnte der sagen: ita, cre- dimus, complures nobiscum exsistimaturos esse. Vol. I. P. III. Schilderungen beruͤhmter Gegenden des Alterthums vom Hrn. v. Brei- tenbauch. p. 245. Nun ja! vom Hrn. v. Breitenbauch, und so gleich sind die Ehrennamen erklaͤrt, die die- ser — dieser vir generosus, qui nuper pastoralia carmina edidit, in quibus illam naturæ incundi- tatem, illam simplicitatem morum, illud ama- bile vivendi genus feliciter expressit, dieser vir elegantissimi ingenii, qui eleganter \& venuste - - - etiam in hoc libro regionum amoenitatem depin- xit, historiam rerum docte exponit \&c. ja, der im ganzen Werke sich so gezeigt hat, daß wir eine neue Uebersetzung des Horaz, die er Deutsch- land versprochen, nicht blos sehnlich erwarten, sondern auch beinahe mit Ungeduld fodern koͤn- nen. Zwar werden manche von diesen Lobspruͤ- chen, als einer Sprache des Publikum nicht wis- sen, Drittes Waͤldchen. sen, da die an sich mittelmaͤßigen und oft schlech- ten Gedichte des Verf. nie einen Dichter der er- sten Groͤße zu errathen gegeben. Noch wenigern wird je das sehnliche Verlangen, die fodernde Un- geduld angekommen seyn, an einem jungen Schrift- steller, der noch nicht korrekt schreibt, und immer zwischen Prose und Poesie schwankt, einen deutschen Horaz zu erwarten. Gnug aber! Hr Klotz. sagts, und wer die Erklaͤrung wuͤnscht, sehe die suͤße Zuschrift der homerischen Briefe. Johann Winkelmanns Geschichte der Kunst p. 336. : ohne Anmerkungen und eigne Gedan- ken in klotzisches Latein hingegossen und ausgespuͤ- let — seliger Winkelmann! wo schwebt dein Geist uͤber diesen Wassern der Suͤndfluth? Act. litt. Vol. I. P. IV. Lowth de sacra poesi Hebraeorum p. 403. : ohne alles critische Urtheil, mit dem so lange abgelebten Spotte uͤber eine gewisse Gattung von Theologen begleitet, die Herrn Klotz wenigstens nicht graͤnzen — — Briefe zur Bildung des Geschmacks an einen jungen Herrn p. 436. . Es ist ein Vergnuͤgen, wie hier der Gott Stupor die gemeinsten Sachen in diesen an sich nuͤtzlichen, oft aber so seichten und unvollkommenen Briefen anstaunet, uͤbersetzt, abschreibt, und ohne allen Beitrag zur Vervoll- kommenheit anpreiset. Bei so gemeinnuͤtzigen J 4 Hand- Kritische Waͤlder. Handbuͤchern eben sollte sich ja die Einsicht und der Fleiß des Kritikus zuerst zeigen — — Act. litt. Vol. II. P. I. Hausens Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts. p. 64. Quae a viris doctis dudum desiderata tuit, copiosa, accu- rata, immo vera rerum hoc seculo gestarum expo- sitio: eam nunc primus adgressus est Cl. Hause- nius , vir magni ingenii , plurimae industriae, praeclarae doctrinae, quodque in primis histori- cum decet, ab omni adulatione abhorrens, \& veritatis studiosus. — — In ipso opere scribendo deseruit morem plurimorum historicorum, res minutas \& exiguae vtilitatis negotia auxia cura enarrantium. — — Totus fuit in eo, vt quae ad rem publicam accuratius cognoscendam, ad arcanas singulorum eventuum caussas intelligen- das, eorumque inopinatos saepe effectus perspi- ciendos, ad artes, quibus res a legatis tractatae fuerint, aperiendas , ad singularum gentium commoda demonstranda , facerent, non accurata solum narratione exponeret , verum etiam obser- vationibus e civili prudentia, ipsaque rerum, qude tum erat, conditione collectis illustraret. Res vero in bello gestas paucis attigit, atque ex iis attulit, quae pragmaticae historiae studiosi nosse interest. Quae quidem omnia non e turbidis rivu- lis sed e limpidis fontibus hausit — — „O alle, die Drittes Waͤldchen. „die die Staaten von Europa tief und genau ein- „sehen, die geheimsten Ursachen jedes einzelnen „Verfalls ausforschen, und ihre oft unvermuthe- „ten Wirkungen sich erklaͤren wollen — alle, die „die verborgensten Kunstgriffe der Gesandten bei „ihren Staatsgeschaͤften aufgedeckt, das Jnteresse „aller Voͤlker deutlich erklaͤrt, das alles in der „genausten Erzaͤhlung vorgetragen, mit tiefen Be- „merkungen der Staatsklugheit begleitet, aus den „Kriegslaͤuften das Pragmatische herausgele- „sen„ — — die alles dies sehen und lernen wollen, ladet Hr. Klotz ein zu seinem Freunde, dem Hr. Magister Hausen. — Was alle gelehrte Maͤnner bisher gewuͤnscht, was die Mascovs, und Buͤnaus, und Struve und Koͤlers und Haͤberline und Puͤtters nicht haben leisten koͤn- nen: sehet! das hat endlich erfuͤllet Cl. Hausenius vir magni ingenii, plurimae iudustriae, praeclarae doctrinae, \&c. \&c. Wunder unsrer Tage, Hau- sens Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts! Vol. II. P. II. Defense du paganisme par l’ Empereur Julien. p. 175. Da diese Schrift des Mar q . d’Argens wenigstens das Verdienst hat, genauere Eroͤrterungen uͤber Julians Charakter und Zeitpunkt veranlaßt zu haben, unter welchen die Gedanken eines Meiers, Crichtons, Abbts und andrer, jede in ihrer Art schaͤtzbar sind: so J 5 wird Krittische Waͤlder. wird man begierig seyn, auch die Zeichnung Klotzens von Julian zu sehen: hier ist die Rari- taͤt: Iulianum exsistimo virum fuisse elegantis- simi magnique ingenii (etwas davon hat Klopf- stock im nordischen Aufseher Th. I. St. 17. gezeigt, und wo wird nicht ein Klotz und ein Klopstock einerlei sehen?) magnique animi, nec militaris solum rei, sed artium quoque liberalium (wenn diese vielleicht die Redekunst eines schwatzenden Sophisten heißen kann) insigni scientia ornatissimum: eundem libe- ralem, castum, sobrium, frugalem et pruden- tem censeo. Patres quos appellant ecclesiasticos, non nego, mihi, si paucos exceperim, non ea laude integritatis, pietatis et eruditionis dignos videri, qua a quibusdam celebrati sunt. In aliis multum stuporis, parum ingenii: in aliis partium studium: in aliis arrogantem, superbum et atrocem animum invenio. De Iuliani denique opinionibus mitius censendum esse existimo , quam vulgo fit, (und warum denn? wichtige Ursache!) aut non consi- derata ingenii humani imbecillitate , aut non satis illorum temporum ratione cognita — wer hat nun wohl, der in den Zeiten Julians, und in den neuern Zeugnissen von ihm geforschet hat, je etwas seichters von ihm und den Kirchenvaͤtern uͤber- haupt, und dem ganzen Zeitraume desselben gele- sen, als was hier Hr. Klotz dafuͤr haͤlt, daß man’s Drittes Waͤldchen. man’s dafuͤr halten solle? Vol. II. P. III. Lexi- con Graecum: collegit \& congessit Damm. p. 272. Gleich bei dem ersten Vorwurfe fuhr ich zuruͤck: pro nostra aequitate illud nobis ab Auctore dari volumus, vt profiteatur nobiscum , non ad vni- versam Graecam linguam hoc Lexicon specta- re — — wie? und hat es darauf absehen wollen? und hat nicht der muͤhsame und gelehrte Sammler es ausdruͤcklich zur Basis einer Concordanz und Erlaͤuterung uͤber Homer und Pindar dargeboten? und muß nicht eben das jedem Liebhaber Griechen- lands, der aus der Sprache den Geist der Griechen studirt, schaͤtzbar seyn, in diesem Werke der Cy- klopen die Bluͤthe der poetischen Sprache Griechen- lands zu finden, unvermischt mit der spaͤtern Prose: in ihm die Mythologie der schoͤnsten Dichterzeiten Griechenlands zu finden, unvermischt mit der spaͤtern Philosophie und Sophistik uͤber die Goͤtter- lehre: in ihm die Keime der griechischen Dichter- weisheit zu finden, unvermischt mit der spaͤtern politischen Denkart und Sittlichkeit: in ihm also das Gebiet einer griechischen Zeit zu uͤbersehen, die man durchgehends zu vermischen gewohnt ist, und der sich alles Spaͤtere erzeuget hat? — Und ist fuͤr einen Mann, der dies nicht weiß, der dies nicht einmal vom Titelblatte herab lesen mag, ist fuͤr solchen das Lexicon zu beurtheilen? — — Ueber Kritische Waͤlder. Ueber jede Sache in der Welt laͤßt sich spot- ten, und ein Mann, wie Damm, traͤgt seine Fehler am wenigsten unter dem Mantel: allein die nutzbaren Fruͤchte eines so langen Fleißes, des Fleißes eines halben Menschenalters beinahe, einiger Fehler wegen, die jeder - - - findet, ver- spotten zu sehen, verdient Mitleiden der Mensch- heit, und ich wenigstens lege dem Verf. hiemit fuͤr seine zwar nicht klotzianisch suͤße, aber gruͤnd- liche Uebersetzungen, fuͤr seine in Allegorien zwar gekuͤnstelte, aber so reiche Goͤtterlehre, als ich keine andre im Kleinen kenne: und denn fuͤr sein zwar oft gekuͤnsteltes, aber sehr nutzbares Woͤrter- buch, meine weiße Scherbe unbekannt hin — — Orphei opera: recensuit Gesnerus. p. 288. Mit einem kalten matten Lobe geht das vortrefliche und auf manchen Seiten so unerkannte Werk voruͤber. Poetique Francoise par M. Marmontel. p. 296. Nicht auszustehen, mit welchem Jubeltone die Deutschen noch immer franzoͤsische Werke aufneh- men, die, so Gott will! schoͤn, aber von Herzen mittelmaͤßig sind. Da in Frankreich jetzt selten Hauptwerke des menschlichen Geistes, und Gebur- ten, die Jahrhunderte leben werden, erscheinen: so handeln die Franzosen Landesmaͤnnisch, auch mittel- Drittes Waͤldchen. mittelmaͤßige Werke mit Entzuͤcken aufzunehmen, und mit ihrem gewohnten Tone: nichts geht daruͤ- ber! zu verkuͤndigen. Aber daß wir Deutsche ihnen so gleich nachrufen, uͤbersetzen, cittiren, posau- nen: daß ist wider alle Gesetze der Nation. — — Hr. Klotz hat fuͤr gut gefunden, Marmontels Poetik in einem langen Auszuge, ohne weitere critische Verpflegung in sein liebes Latein auszu- gießen, und ein paar Notchen mit unter zu mischen, die den Zeh veststellen, da der Koͤrper wankt. Act. litter. Vol. III. P. II. Winkelmanns Versuch einer Allegorie. p. 107. Das Ganze im Wer- the dieses Buchs und das Wesentliche in den Feh- lern desselben bleibt verkannt und unberuͤhrt. Ei- nige einzelne Vorstellungen, wo man Winkelmann durch ein Muͤnzchen, durch eine Scherbe etwas anhaben kann: im uͤbrigen auf den lieben Du- Bos gewiesen; der es ja nie zum Zwecke gehabt, den Begriff der Allegorie uͤberhaupt zu erschoͤ- pfen; sondern nur den Kuͤnstlergebrauch derselben einigermassen zu sichern. Lettres de Mentor à un jeune Seigneur. p. 143. Auch hier werden Dinge angestaunet, von denen ein deutscher Mentor zu seinem Zuͤglinge sagen wuͤrde: wir gehn voruͤber! So z. E. einige be- kannte Gedanken von der Biographie, die er aus Liebe, so gar durch ein Maͤrchen beweiset — durch Kritische Waͤlder. durch ein Maͤrchen aus Voltairs Geschichte Karls des Zwoͤlften. Dieser vortreffliche Biograph, dessen dichterischer Kopf gewiß vollzufuͤllen weiß, was die Geschichte selbst leer laͤsset, erzaͤhlt uns von Karl dem Schweden so manches schoͤne Fa- belchen und Maͤrchen. (Ein kritisches Journal, Litt. Br. Th. 4. das viel Verdienste um Deutschland hat, hat ei- nige offenbar uns als Maͤrchen gezeigt) und Hr. Klotz zieht daraus sehr buͤndige Schluͤsse. Geschichte des menschlichen Geschlechts. Neue Geschichte von Hausen: Kein Werk der neuern Litteratur ist, ehe es erschien, mehr aus- posaunet worden; und kein Werk hat, da es er- schien, mehr die Hoffnungen des Publikum verei- telt, als dies. Daß Klotz zum Ersten das Seine redlich beigetragen, ist auch gegenwaͤrtige Recen- sion Zeuge. Zuerst richtet sie, wie billig, die Weltgeschichte der Englaͤnder und alle deutsche Ge- schichte, die wir haben, Hahn, Buͤnau, Bar- re, Mascov, und alle die neuern Compendien, „die sich des Vortrages bedienen, der die deutschen „Akademien, und die Regensburgischen-Reichs- „vortraͤge kleiden soll, Buͤcher, die selten ihre „Verfasser uͤberleben, und nicht fuͤr die Nachwelt, „sondern fuͤr einen Knabenunterricht, und fuͤr „duͤstre Schuloͤrter geschrieben sind„ alle diese, und wem hat er sie hiemit nicht kennbar gemacht? richtet Drittes Waͤldchen. richtet er jede mit einem Streiche hin, damit auf dem Gerippe aller das Haupt Hausens prange. Hernach ein Lob, das erst mit Hr. Klotz, nachher mit Hr. Hausens Worten gesagt, uͤber zwei voͤllige Seiten, aus so vollem Munde stroͤ- met, daß eine Periode, mit Lobeserhebungen ver- schnuͤrt, sich uͤber eine Seite hinstrecket. Ohne Zweifel wird es der Nachwelt eine vergnuͤgte Stun- de geben, den panegyrischen Ton des Recensenten, und das Werk des Verf. das ja so eigentlich fuͤr die Nachwelt geschrieben seyn soll, zusammen zu halten. O wehe denn! wehe den viris Cl. die sich wechselsweise loben! Noch aber hat der Censor uͤber alles vorige so manches Bewundernswuͤrdige ausgegeichnet: Daß Proben uͤber Proben Beweise seyn sollen, von der tiefen Kunst des Verf. die Fuͤrsten zu charakte- risiren, und von der Denkart desselben, sein Werk durch eigne Bemerkungen Pragmatisch zu machen: wohlan also an die Ausruffungen! „Wem wird das Bild Karls des Großen nicht „gefallen? p. 172. Jn ihm findet unser beruͤhmter Schrift- „steller, alles, was einen grossen Mann machet, „u. s. w.„ Wem es nicht gefallen koͤnnte? Mir nicht; und wem, der einen schoͤnen Charakter ken- net, koͤnnte es gefallen? Statt so viel von histo- rischer Kunst zu sprechen, sollte sich der V. vorher Eins Kritische Waͤlder. Eins erbitten, historisches Temperament: die gleichmaͤßige Denkart, was er sieht, gerad an zu sehen, und was er spricht, ganz zu sprechen; noch hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen recht schoͤn gesagten, und beinahe rednerischen Cha- rakter von Karl dem Großen lesen will: so lese ich ihn, gegen den der Hausensche nichts ist, in unserm deutschen Bossuet: in diesem classischen Werke — vielleicht das Einzige, womit unser Cramer vor der Nachwelt erscheinen wird — — Das war das Gefallende: aber was ist das Schoͤngesagte bei einem Charakter der Geschichte? nichts! Leget mir der Geschichtschreiber nicht erst die Data der Geschichte ausfuͤhrlich, richtig, ordentlich vor, daß ich nachher selbst mit ihm den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener laͤngstabgekommenen sokratischen Manier, nur meine Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakteri- sirt, sondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten den Charakter selbst finden lehret — thut er dies nicht: so ist der Geschichtschreiber ein Romanen- schreiber. Und das ist Hausen bei seinen geprie- senen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten, wo sich Denkart aͤussert, sind bei ihm wenig oder nichts — mit einmal stroͤmt Seiten herab ein Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine Figur, zu der das Vorstehende auch nicht einmal Fußgestelle seyn kann — ist das Geschichte? Roman, Drittes Waͤldchen. Roman, Dichtung mag es seyn: aber in der Ge- schichte will ich nichts glauben, was ich nicht sehe: Thaten hoͤren, ehe ich das Bild erkenne: Gesichtszuͤge sehen, ehe ich Personen charakteri- sire: das will ich. Was druͤber ist, ist vom Uebel. Hr. Hausen ist von diesem, so wie von andern Sachen, ein williger Nachahmer der Franzosen: aber wie jaͤmmerlich geraͤth doch meistens die Creatur, wenn der Deutsche den Franzosen nach- ahmt? Dieser mahlet uns seine ganze Geschichte wenigstens so, daß nachher nichts mehr und nichts weniger, als sein Charakter, herauskommt: er stellet alles so hin, daß seine endliche Reflexion eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geschichte so gegangen waͤre, auch wir freilich nichts mehr und wenigers folgern wuͤrden, als was er folgert. Wir lesen also einen sinnreichen Roman, den wir mit seinen Portraͤten und Charakteren so lange fuͤr Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern Geschichte kommen. Nun aber der trockne Deut- sche? er ziehet ein verstuͤmmeltes Skelet von Ge- schichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha- rakter aus einer andern Quelle heraus: stellt sie ne- ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet und — — siehe da! ist Hr. Hausen. Ingenia principum exploravit, moresque descripsit, at- que cum his caussas elicuit eorum quæ ab iis acta, K sunt, Kritische Waͤlder. sunt, tum, quam principum mores vim ad civium vitam fingendam formandamque habuerint, do- cuit: non solum docto lectori, sed cuicunque ciui, qui maiorum vitia cognoscere, eorum- que exemplis sapere cupiat, prodesse studuit: porro summum veritatis studium vbique ostendit, liberrime vitia principum enarrauit \& — — — \&c. Vortrefliche Charaktere! eingeklebte, uͤberkleckte Bilderchen, die — aus seiner Ge- schichte nicht folgen — Und oft der Wahrheit selbst im Wege; oft sind sie nur eben so, wie sie sich die Stunde Hr. Hausen dachte. Ob das Karl der große sei, was er mahlet? so wenig, als was er uns an Luthern vorzuzeichnen beliebt. Wie? Karl, ganz ohne Fehler, ausgenommen etwas viel Liebe? Und was hat denn in ihm den Eroberungsgeist angefacht? was ihn von den Pyrenaͤen bis zur Nordsee, und von der Nordsee nach Pannonien, und von Panne- nien nach Rom getrieben? was die Blutstroͤme der Sachsen vergossen, und Voͤlker zu Sklaven ge- macht, denen die Freiheit Alles war? Und was hat durch ihn das Longobardische Reich verheeret? Und was ihn zu einem Vater des Pabsts gemacht? Und was zu dem, der um die Kaiserinn Jrene warb? Und was zu einem Liebhaber der Kuͤnste und Wis- senschaften? Und was zu dem Menschenfeinde, der seine Haͤnde mit Blut der Deutschen faͤrbte? — Ehr- Drittes Waͤldchen. Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wollust laͤßt sich wahrhaftig weder die gute noch boͤse Seite Karls erklaͤren, und es ist Partheilichkeit, vor die- ser ganz die Augen verschließen zu wollen. Moͤnche und Capitularen und Kanzler und Schwiegersoͤhne haben Karls Leben geschrieben: im Moͤnchsgeist, im Geists des Pabstthums und der lateinischen Verdien- ste — wo ist ein wahrer Deutscher, der ihn sichte? Und was Hr. Hausen dem an sich großen Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich so unaͤhn- lichen Ludwig: eins trift also so wenig als das An- dre. Ludwig der Fromme war eine der gewoͤhnli- lichen Produktionen seines Jahrhunderts, nicht besser und nicht schlechter, als ein mittelmaͤßiger gutherziger Mann der Zeit seyn konnte. Gelehrt, fromm, gutherzig, auf seine Art philosophisch, das ohngefaͤhr, was Jakob der erste, nach dem Geiste seiner Zeit und seines Landes, und manche..... unter uns. Schon sein Vater nahm ihn zum Mitregenten an: unter ihm wurden gluͤckliche Kriege gefuͤhrt: alles ging gut bis auf die Thei- lung seiner Laͤnder. Diese aber, lag die allein in seiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfraͤn- kischen lange gebraͤuchlichen Herkommen? Und die uͤbeln Folgen daher allein in seiner Schwachheit oder auch in dem Charakter seiner Soͤhne? Und das Gluͤck dieser uͤbeln Folgen allein in seiner Schwachheit, oder auch in dem Zustande der Kir- K 2 che, Kritische Waͤlder. che, an dem so wohl sein Vater, als Er, Schuld war, an dem Geiste seines Jahrhunderts, den auch Karl nicht aͤndern konnte, an einer Verwicklung von Zufaͤllen, die nur der kennet, der die Zeit Lud- wigs studiret. Ludwig wurde ein Opfer dieser Zeit: daß wir ihm aber neunhundert Jahr nachher Staatsfehler nachrechnen, die uns nur der Erfolg von Jahrhunderten gezeigt hat, ist freilich eine gute Sache, nur ists die Sache des Geschicht- schreibers? Aber „nirgends ist ja Hausen nach Hr. Klotz „mehr in seinem Felde, als wenn er uns Aberglau- „ben, Dummheit, und Betrug der Pfaffen mahlet„. Ganz gut, wie ich glaube: nur sollte es nicht so gemein, so schwatzhaft wiederholt, so schielend, und etwas eigenthuͤmlicher der Zeit seyn, die es gilt. Aus seinem Lehrstuhle mit einem halb Voltairi- schen, halb noch Protestantischen Auge, nach dem Jahrhundert Ludwigs, der Ottonen, und der Hein- riche hinzielen, kann freilich nichts, als solche Cha- raktere, geben, wie Hr. Hausen zeichnet, und ohne Zweifel ists blos schonende Nachsicht gewesen, daß Haͤberlin, ein so ganz andrer Mann, der Ge- schichte, und den Charakteren, das ist, den geschwaͤ- tzigen Wiederholungen seines Vorgaͤngers vor sei- ner Geschichte noch Platz gegoͤnnet. Und das ist der Geschichtschreiber, dessen Cha- raktere, dessen Anmerkungen uͤber Ludwig, die Ot- tonen, Drittes Waͤldchen. tonen, die Heinriche, dessen tiefe Betrachtungen uͤber die Pfaffen, uͤber die Religion, und Refor- mation eine Erleuchtung unsres Jahrhunderts sind, die Hr. Klotz so getreu uͤbersetzet? Das ist der Ge- schichtschreiber, der hier schon alle jene fruchtbare Saamenkoͤrner fallen laͤßt, die nachher zu dem Philosophischhistorischen Roman uͤber die Reforma- tion aufgewachsen: buͤndige Wahrheiten, die Hr. Klotz zum Possen aller mit Vorurtheil behafteten, zum Voraus als Geheimnisse der Welt vorlatini- sirte. Das sind die Maͤnner, die an der Religion arbeiten, deren „voͤlliger Tag sich erst jetzt allmaͤ- lich naͤhert. Klotz Beitr. zu Muͤnzen S. 17. .„ — — Kaum bin ich in der Mitte des drit- ten Bandes der Actorum, und ach! wer mag den hercynischen Wald durchgehen? Hr. Klotzens vollstaͤndige Anmerkungen uͤber d’Argens Ge- schichte des menschlichen Verstandes, seine vor- treflichen Verbesserungen des Lessingischen Laokoons, sein zuruͤcksetzendes Urtheil uͤber Gebauers altes Deutschland, die Zusaͤtze zu Winkelmanns Kunst- geschichte, die suͤßlaͤchelnde Umarmung an seinen Herelius, uͤber dessen so alte, mittelmaͤßige und gegen Nuͤrnberg inurbane Satyren — — die niedrigen Verspottungen solcher Schuͤtze, die Poͤ- belpasquille auf einen Fischer u. a. wo mag ich K 3 die- Kritische Waͤlder. diesen Morast durchwaten? und selbst mit diesen noch kein Ende. — — Jeder pruͤfende Leser wird sich ungemein irren, in den Actis einen Schatz von eigner Critik des Censors, selbstgedachte Anmer- kungen, um etwa die Luͤcken, der geruͤgten Autoren vollzufuͤllen, und ihre Werke vollkommner zu ma- chen: stille Beleuchtungen der verborgnen Fehler, die eben nicht jedes lesende Auge sehen doͤrfte und doch sehen muß: eigen ausgedachte Betrachtun- gen, die da zeigen, daß der Recensent mit dem Autor gedacht, und uͤber ihn weg, ihm vorden- ken koͤnne: solche Critik, und sie ist die einzig wahre, in den Actis? ich zucke die Schultern. Auszuͤge, Gemmenregister, am unrechten Orte schreiende Ver- besserungen, die jeder sieht und wegwirft, mit un- ter niedriger Spott — siehe da den Geist der Actorum. Die lateinische Huͤlle hat die Deut- schen geblendet, und auch die wird unertraͤglich, wenn wir ein nahrhaftes Buch durch Auszuͤge in ein Phraseslatein hingeschwemmet sehen, wo nichts minder, als der urspruͤngliche individuelle Charakter von der Denk- und Schreibart des Verfassers, uͤbrig geblieben. Auf Hrn. Klotz lateinischer Scene lallet Winkelmann so wie Hausen, und Hausen so wie Lessing, und alle wie — — der lateinische Hr. Klotzius. Der Verfasser hat uͤberhaupt seine sehr enge Sphaͤhre zu urtheilen, und da er innerhalb dieser nicht, Drittes Waͤldchen. nicht bleibt, sondern seinen einseitigen Gesichtspunkt, als Polyhistor, allgemein machen will: wie anders als Fehltritte uͤber Fehltritte, und schaale Urtheile durch einander. Ein Mann, wie Klotz, schreibt von Allem, Gottesgelahrtheit, Rechtsgelahrtheit, Geschichte, Philosophie, Alterthum, geschnittnen Steinen, Muͤnzen, Gedichten, und von allen gleich. Beispiele — wer mag sie geben? wer wird in solchen Buͤchern des Nachschlagens nicht muͤde? ich gebe sie also aus dem Gedaͤchtnisse. Trie- gen wirds mich nicht; denn die Spuren darinn sind zu oft und aͤrgerlich wiederholet. K 4 Ueber Kritische Waͤlder. Ueber die Gottesgelahrtheit. W ie kommt Herr Klotz, der Vielschreiber, da- zu, daß er sich bei allem Anlasse, zur Zeit und Unzeit, hinter die Basedowe und Heilmanns und Tellers, als ein Maͤrtrer der Wahrheit hindraͤnge, und sich in Klagen und Kontestationen zu Maͤn- nern nebenansetzet, mit denen er nichts gemein hat? Das Publikum schlaͤft eine Viertheilstunde, oder ist uͤber Feld gegangen; nachher aber machts genau Unterscheid, wohin jemand gehoͤre, und wohin es ihm beliebt, sich zu classificiren; und spricht als- denn gerade hin: Freund! ruͤcke hinweg! Herr Klotz hat die Namen einiger Theologen auf der Zunge, selten mit Ehren, ohne daß Er doch uͤber sie Richter und der Ueberweiser ihrer Meinun- gen gewesen waͤre. Einer davon ist Goͤtze. Se- nior Goͤtze mag seine Fehler, und wenn man will, seine Jrrthuͤmer haben: gut oder nicht gut, daß er dieselbe vertheidigt: aber was gewinnt der liebe Leser fuͤr Wahrheit und Ueberzeugung, wenn er in einer Klotzischen Satyre das Pasquill lieset: Gœtzius Hamburgi clamoribus omnia complet, Voce tonat rauca, turris templumque tremiscit. Was hat man damit anders gelesen, als daß Hr. Goͤtze eine durchdringende Stimme habe und Hr. Klotz Drittes Waͤldchen. Klotz ein — — Spoͤtter sey. Will der Verf. antworten: das Fehlerhafte, das Jrrige haben ihm und seines Gleichen schon andre Theologen ge- zeigt, worauf ich mich gleichsam mit einer stum- men Anzeige berufen darf: o schoͤn! die Richter haben ihr Urtheil gesprochen, und wer sind die nun, die sich auf der Straße hinzufinden, die dem Ver- urtheilten nachrufen, nachspotten — wer sind die? Jn unserm Kritischen Jahrhunderte sollten wir endlich einmal so weit seyn, auf eignem Boden und nicht nach solchen fremden Postulaten zu urtheilen. Alle Annehmenswuͤrdigkeit der Kritik faͤllt weg, wenn man, ohne Gruͤnde und Beweise, mit einer Schimpfsentenz losbricht, ohne daß man weiß, wo- her und wo hieher? Solche Fußung auf fremde Machtspruͤche, mit einem Machtstreiche begleitet, sind immer Vorboten vom Verfalle der Litteratur gewesen: und zu unsrer Zeit ist dies ja der Lieb- lingston dieser und jener Zeitungen und Journaͤle. So bekommt mancher ehrliche Mann einen Ban- ditenstich, wo er sichs am wenigsten versah. Ferner: Der schoͤne, reinlateinische Styl ist bei Hr. Klotz so nahe mit dem Herzen seiner Littera- tur verwandt, daß er an mehr als einem Orte die dogmatische Barbarei der Theologen, aus ihres Koͤnigs theologia positiva, oder Neumanns apho- rismis sich sehr vornehm leid seyn laͤßt. Mich dauert der manchmal unnoͤthig verflogne Seufzer. K 5 Bar- Kritische Waͤlder. Barbarei ist nirgends gut, und bei dem Lehrer der Religion, der uns Geschmack an den Wahrheiten derselben beibringen soll, am wenigsten; nie aber kann die Reinigkeit des Styls, die Suͤßigkeit der lateinischen Schreibart, nach Hr. Klotz Halbbegrif- fen in der Theologie Souveraine seyn, oder es wird noch aͤrger. Die Wahrheiten der Religion sind uns nicht in Cicerons Buͤchern von der Natur der Goͤtter, sondern in andern Sprachen, offenbart, aus denen in ihren Vortrag bei aller einzelnen Wort- reinigkeit sich ein Orientalischer Hellenismus ein- schleichen wird, und vielleicht als Geist des Ganzen. Der gute Geßner hat mit Recht aus Cellars Lati- nitas ecclesiastica viele Barbarismen canonisirt: und der strenge Schriftausleger wird noch' weit mehr canonisiren: wo ihm an dem Ganzen, dem Unverfaͤlschten, dem Unverworrenen des Begriffs Alles gelegen ist. Wer will nun lieber eine nach den Buͤchern der Offenbarung streng gesagte, un- halbirte Theologie; oder suͤßes lateinisches Ge- schwaͤtz, wo das Runde des biblischen Begriffes in dem Spuͤlwasser schoͤner Umschreibungen zerfließt? Wem ist nicht die Sicherheit seines theoretischen Glaubens mehr, als Alles? — Zweytens: Aus den Haͤnden der Exegeten, wird nun erst die Wahrheit in die Haͤnde der Dogmatiker geliefert, denen es wie- derum Hauptgesichtspunkt ist, ihre Saͤtze von den Verwirrungen so vieler Jahrhunderte, von dem Ge- Drittes Waͤldchen. Gewebe so mancher Ketzer und Ketzermacher loszu- wickeln, und sie so rund, so gewiß, so klar darzu- stellen, als es hinter den Denkarten und Vermi- schungen so vieler Perioden der Religion geschehen kann. Auch hier also ist die Strenge des Begrif- fes und Beweises Alles. Wer will jenen und die- sen im Gefolge suͤßer und reiner Worte erst aufsu- chen? Ein Ernesti, (und wessen Zeugniß kann hier- inn mehr seyn, als dieses theologischen Cicero?) hat uͤber Materien, die hiezu die Grundlage seyn muͤs- sen, geredet, und selbst an Heilmann die Schwuͤ- rigkeit gezeigt, lateinische Worte und Ausdruͤcke Gedanken des Systems zu substituiren. Einige neuere Dogmatiken, wovon ich selbst die Schriften Mosheims nicht ausnehme, bestaͤtigen es, wie viel von der genauen Praͤcision und Dogmatischen Ve- stigkeit oft durch den schoͤnen Styl verloren gehe, und denn selbst in Reden sind die Bergerschen Orationes selectiores Zeugen von den Schwuͤrig- keiten, beides zu gatten. — — Geschmack- voll also moͤgen solche Klagen uͤber die Dogmatische Barbarei der Theologen immer seyn; nur gruͤnd- lich? — — Am besten, daß sich Hr. Kl. nicht darein mische, und die Namen guter und boͤser Theologen dem Urtheile andrer uͤberlasse. Ueber Kritische Waͤlder. Ueber die Reichsgeschichte: ein historischer Spatziergang . W as muͤßte ein vernuͤnftiger Alter denken, wenn er auflebte, und unsre Geschichte be- trachtete? Die Lehren unsrer historischen Kunst, und den Kontrast in Ausuͤbung derselben? — Doch, ach! wenn dies nur der einzige unverant- wortliche Wiederspruch in unsrer Litteratur zwi- schen Lehren und Thaten waͤre! Die Alten, Griechen und Roͤmer, haben uns so vortrefliche Muster der Geschichte hinterlassen, daß es ein canonisirter Spruch geworden: hos se- quere! und wer waͤre es, dem man diesen Spruch, und das nachahmungswuͤrdige Schoͤne ihrer Histo- riographie erst vorbeweisen muͤßte. Warum zie- het der kleine suͤdliche Strich von Europa, Grie- chenland und Rom, Jahrhunderte durch die Au- gen aller Welt so auf sich? Warum gehen wir an die Geschichte der mittlern Zeiten, im Occidente und so gar im Oriente, so ungern daran? Warum ist in dem Koͤrper unsrer Welthistorie die Beschreibung dieser beiden Voͤlker uns gewiß nicht blos Natio- nalgeschichte, Thaten, die im Winkel geschehen, sondern Merkwuͤrdigkeiten der Welt? — — Eine kleine Vergleichung mit andern Zeiten und Ge- Drittes Waͤldchen. Gegenden wird zeigen, wie vieles dazu auch der Ton der Stimme beitrage, der Alles dies der Welt verkuͤndigte. Das ist nun gut fuͤr Griechen und Roͤmer: aber warum, daß wir unsre Geschichte nicht eben so verkuͤndigen? und den Ton unsrer Stimme nicht auch wuͤrdig unsres Vaterlandes und unsrer Zeit machen? — Regeln genug liegen da. Histori- sche Gesellschaften sind errichtet. Jeder arbeitet an der historischen Kunst: nur, an der Historie selbst — wenige. Und selbst unter den wenigen, wo sind die Thucydides, Xenophons, Livius, Ta- citus, und Hume’s unsres Deutschlandes? — — Jst es einem Wanderer, der nicht ein dogmatischer Kuͤnstler der Geschichte seyn will, und kein prakti- scher Kuͤnstler seyn kann, erlaubt, den mittlern Weg der Untersuchung zu nehmen: nicht, worinn und warum sich die Historiographie der Neuen und Alten unterscheide? „denn dieses große Thema ist „fuͤr diesen Ort zu groß„; sondern nur, warum sich die deutsche Geschichte nicht so schlechtweg à la Grec- que oder à la Françoise behandeln lasse, wie unsre Graͤcisirenden und Franzoͤsirenden Schoͤnsprecher wollen. Zuerst, die aͤltesten Nachrichten von Deutsch- land haben eine andre Bewandniß, als die alte Geschichte des griechischen oder roͤmischen Ursprun- ges. Wenn diese Altmuͤttermaͤrchen ist, so ist sie es Kritische Waͤlder. es wenigstens im Munde ihrer Landesmuͤtter, im Munde ihrer Liedersaͤnger, ihrer Dichter, ihrer Fabelschreiber. Aus dieser Blume von eigner Nationalmythologie wird mit der Zeit die Frucht reifer wahrer Geschichte, ohne wundersame Ein- pfropfungen und Bezauberungen, nach dem Laufe der Natur. Und eben das Ordentliche dieses Na- turlaufes ergaͤnzet ungemein die Luͤcken der aͤl- testen Geschichte. Die ersten historisch dichteri- schen Mythologisten waren eine Produktion ihres Zeitalters: der Zeitgeist nahm ihnen allgemach im- mer mehr von ihrem dichterischen Wunderbaren: sie fanden das Zeitalter der Wahrheit — Wie viel laͤßt sich nun bei diesem ungestoͤrten Naturlaufe ruͤckwaͤrts schließen? wie manche Wahrschein- lichkeit zuruͤck ausfinden, wo sonst nur Fabel waͤre? Wie ungemein viel von der Veraͤnderung solcher Landesscenen mit Gruͤnden und Ursachen erklaͤren? Philosophie tritt hier der Geschichte zur Seite, wo sie kaum noch Geschichte ist: sie leuchtet auch selbst, Chronologisch gerechnet, der Wahrheit gleichsam vor: die aͤlteste Halbgeschichte wird pragmatisch — wenigstens ein lehrender, ein bildender dichterischer Roman. Nicht so unsre aͤlteste Landesgeschichte. Unsre Barden sind vertilgt, mit ihnen also auch die sinn- reichen Dichtungen vertilgt, die sich aus den alt- griechischen Dichtern zusammenlesen und zu dem Tem- Drittes Waͤldchen. Tempel voll ehrwuͤrdigen Ruinen aufhaͤufen lassen, an dem die Antiquarien seit Jahrtausenden gebauet. Aus Dichtern und uͤber Dichter laͤßt sich auch hi- storisch am besten dichten: wie aber, wo keine solche Dichter da sind? Man tritt in den Tempel der griechischen Geschichte: Choͤre von Saͤngern em- pfangen uns, und hinter ihnen dringen Dollme- scher ihrer Gesaͤnge doch unmittelbar an. Doll- metscher der Wahrheit? freilich nicht! aber so man- cher Wahrscheinlichkeit, so mancher Erzaͤhlung, die den Boden der Geschichte nicht ganz leer laͤßt, so mancher Sage, die ungemein klug machen kann: durch die Griechen und Roͤmer ihrer Geschichte so viel Farbe des pragmatischen Ursprunges gegeben, die manchen Schulgruͤbler geblendet, die unsre Huͤb- ners mit so artigen Maͤhrchen ausgefuͤllt, die so viel antiquarische Hypothesen und Untersuchungen veranlasset — alles nicht bei der deutschen Ge- schichte. Jch trete in ihren Tempel und — die Stimme der Barden schweigt. Kein Laut, kein Echo vergangener Zeiten. Aber die Taciti unter den Roͤmern? Sie haben mit ihren einzelnen Sylben und Stuͤckwerken von den Deutschen uns mehr Ton gegeben, als ganze Liedersammlungen der Barden. Sie, Schrift- steller eines gebildeten Roms, Geschichtschreiber, die an den Merkwuͤrdigkeiten so viel anderer Voͤlker ihren historischen Geist gebildet hatten: sie, Geschicht- schrei- Kritische Waͤlder. schreiber der Deutschen nach roͤmischer Weise — — und eben des alles wegen sehr einseitige Schrift- steller Deutschlands. Da sie die Deutschen nur uͤber und von den Graͤnzen aus, nur als Fremde, nur als ungesittete Barbaren, nur als Feinde kann- ten: so kannten sie sie nur immer, so fern sie nicht Roͤmer waren, und das ist wenig. Wer sich nicht in die eigenthuͤmliche Denkart eines so verschied- nen Volks versetzen, aus dem eigenthuͤmlichen Geiste desselben, aus den Geheimnissen seiner und ihrer Er- ziehung urtheilen kann, der weiß nur immer wenig: und wer als fremder, unbekannter, politischer Feind, und was uͤber alles ist, als Mensch einer andern Denkart schreibet, immer wenig. Er kann blos die von seinem Volke und seiner Cultur abste- hende, oder hoͤchstens die ihnen zugekehrte Seite zeichnen, und freilich die zeichnen Roͤmische Taciti vortreflich. Jndessen sieht man, was hier zu einer prag- matischen Geschichte fehlt? wie sehr sie in diesem verlassenen Anfange von der Roͤmischen und Grie- chischen Historie, die die Origines ihres Volks, in einlaͤndischen alten Schriftstellern besitzen, absteche? in welchem Gesichtspunkte man allein die Roͤmer brauchen? auf welche Luͤcken man lieber zeigen, als sie hinterlistig verbergen? kurz! daß von den alten Deutschen keine innere pragmatische Geschichte zu geben sey — — So Drittes Waͤldchen. So bis auf den Karl den grossen: in ihm aber entwickelt sich ein Zeitpunkt, der freilich so vieler historischen Jntuition faͤhig ist, als einer seyn kann, nur daß er noch keinen so intuitiven Philosophen uͤber sich gehabt. Karl koͤnnte in der Nacht seiner Zeiten, wie ein Stern seyn, der uͤber Frankreich, Deutschland und Jtalien leuchtet. Jetzt aber sein Geschlecht — wie viel gehet hier von dem Stempel der pragmatischen Geschichte weg. Ein Zeitpunkt der Barbarei und des Aberglaubens; siehe da! diese Larve liegt auch auf allen Gesichtern der Zeit, sie ist Gesichtspunkt der Begebenheiten, Triebfeder der Thaten, Farbe der Veraͤnderungen, Ton der Historiographen. Nun wolle ein griechi- scher Portraitmahler Charaktere zeichnen: und siehe! da stehet eine Reihe voll heiliger oder unheiliger Affengestalten, Kreuz in der Hand, und Kreuz auf dem Haupte, vor oder gegen die Pfaffen be- schaͤftigt, entweder canonisirt oder im Fegefeuer, weder im Guten noch Boͤsen frei, eigenthuͤmlich, Roͤmisch, Griechisch. — Einfoͤrmige Moͤnchspa- trone, oder Moͤnchsfeinde, ein in Nichtswuͤrdig- keiten wuͤhlender Unheiliger, oder was noch seichter ist, ein — Heiliger ora pro nobis — Eine Gal- lerie solcher Koͤpfe, was ist sie gegen die Reihe Roͤ- mischer und Griechischer Helden und Unmenschen in Plutarch und Tacitus? — Hausen sei Gewaͤhrs- mann unter Carolingern, Sachsen und Franken. L Er Kritische Waͤlder. Er betet seine einfoͤrmigen Charaktere so wiederho- lentlich her, als eine Nonne die Vaterunser ihres Rosenkranzes: und Haͤberlin, der nicht hinter her beten wollte, muß also nur zu Ende der Zeitraͤume charakterisiren — wie viel kluͤger! Jn dieser Zeit faͤngt sich an das heutige Roͤ- mische Reich zu bilden. Die große Wasserblase ist zersprungen: kleinere reißen sich los: und durch ein wechselndes Zerspringen und Werden ist die Menge kleiner Fuͤrsten, gleichsam am Rande des Gefaͤßes, gesichert. Hauptgesichtspunkt ist also nicht blos der Reichs-, sondern der deutschen Ge- schichte uͤberhaupt, daß man diese allmaͤliche Schoͤpfung zum heutigen Staatskoͤrper bei je- der Progression der Umbildung merke, genau aus Urkunden anmerke, auszeichne. Einige suͤße Herren unsers Jahrhunderts haben sich mit guter Manier von diesem dunkeln und be- schwerlichen Wege losgezaͤhlet, und vornehm zwi- schen Reichsgeschichte und Geschichte Deutschlands, zwischen genauen Nachrichten von der jedesmaligen Staatsverfassung, und zwischen einer schoͤnen Ge- schichte voll Charaktere und huͤbscher moralischen Reflexionen unterschieden. Das Citiren der Ur- kunden, die veste Bestimmtheit bei jedem Schritte, das gerade Hinblicken auf Staatskoͤrper u. s. w. ist eine Pedanterie, die man einem Professor des Staats- rechts allenfalls verzeihen koͤnne: die Mascove, Buͤ- Drittes Waͤldchen. Buͤnaus und Hahne sind veraltete Bibliothekenwaͤch- ter: die Puͤtters und Gatterers endlich noch zum leidigen Gebrauch ihrer Reichsurkundlichen Zuhoͤrer: die Hausens und alle neuere schoͤne Geister schrei- ben besser: schoͤn, mahlend, pragmatisch. Scha- de der trocknen Reichs- und Staatsgeschichte. Und was ist denn eine Geschichte Deutschlands, die dies nicht waͤre? Eine Griechische und Roͤmi- sche war eine Geschichte von Republiken ganz andrer Art, oder einzelnen großen Welthaͤndeln, eines großen Mannes, oder einer großen Versammlung, die das Triebrad der groͤßten Begebenheiten waren. Deutschland im Verfolg seiner Jahrhunderte ist we- der Athen noch Rom, weder eine Monarchie, noch eine Republik, die der ganzen Welt (dieser orbis terrarum sei nun so groß, als er wolle) Ton gaͤbe: weder ein Schauplatz Griechischer Cultur und Freiheit, noch des Roͤmischen Eroberungsgei- stes. Es ist in sich eingezogen ein werdendes heiliges Roͤmisches Reich, das noch heute in seiner Einrichtung das sonderbarste von Europa ist; es ist Jahrhunderte durch ein Chaos, aus dem sich Herzoge, Grafen und Herren, Bischoͤfe und Praͤ- laten heben: ohne die es kein Deutschland gibt. Wie also eine Geschichte Deutschlandes, die keine Staats - oder Reichsgeschichte sei? Eine Reihe von Roͤmischen Kaisern in ihren Brustbildern, in ihren Privatanekdoten, in ihren Leibes- und Seelenbe- L 2 schaf- Kritische Waͤlder. schaffenheiten, zusammt ein Paar ihrer Thaten, fuͤl- let nichts aus, so lange Deutschland kein Schau- platz des Despotismus oder der Diktatur gewesen; ja das Meiste von diesem allen hat oft nicht einmal aufs Ganze Einfluß. Eine Kaiserhistorie fuͤr eine Geschichte Deutschlands genommen: so wird alles neben ihnen vergessen, was doch das wahre Deutsch- land ist: das liebe Herz der Kaiser mahlen, das doch nicht eben, wie der Charakter Alcibiades, Ale- xanders, Augustus und Nero, zugleich das Herz Deutschlands war? Eine Kaiserkrone schildern die auf ihren Kuͤssen oft ruhig lag, und gewiß den Kopf von Deutschland nicht ausmachte. — — Jeder siehet, daß hier kaum eine Pragmati- sche Geschichte nach Art der Alten moͤglich ist. Dort gingen alle Faͤden an gewisse Hauptenden zu- sammen, aus denen sie sich gesponnen: hier steht man Jahrhunderte durch am brausenden Meere, damit aus ihm eine Menge von Jnseln werde. Wo hier Einheit? wo Evidenz? wo Jnteresse nach Art der Alten, wenn ihre Geschichte das Muster seyn soll? Die Geschichte von Deutschland muß so ein Original seyn, als Deutschlands Verfassung. Und ist diese werdende Verfassung Hauptge- sichtspunkt, wo kommen wir hin, wenn wir Ur- kunden und Diplome, u. s. w. verachten, und schoͤn franzoͤsisch dichten? Dichten laͤßt sich noch zur Noth der Roman eines Monarchen, einer einfa- chen Drittes Waͤldchen. chen Republik: aber uͤber die trockne Frage: wie ward jeder in Deutschland, was er ist? was ist er in jedem Zeitalter gewesen? uͤber die laͤßt sich nicht dichten. Eine Geschichte voll Geist und Thaten, wie die Alte, wird unsre nie werden; sie ist eine trockne Geschichte des Ranges, des Rech- tes, des Zanks; aber eine Franzoͤsische sollte sie nie werden wollen, weil sie bei ihren Materien mit Wahrheit und Genauigkeit Alles verliert. Nicht der Geist des Vernuͤnftelns kann ihre Seele seyn; denn wie wenig ist in Deutschland durch Vernuͤnf- telei geworden? fortgehende Aufklaͤrung ihres ganzen Seyns ist ihr Geist und Leben — Die Geschichte der Carolinger, Sachsen und Franken ist hiezu eine wichtige, aber wie verdrieß- liche, wie verwirrte, wie unannehmliche Scene, wenn wir franzoͤsisch denken, wenn wir blos malen, vernuͤnfteln, uͤberraschen, und darf ich noch dazu setzen, blos bilden wollen? Der Charakter der Deutschen hat von jeher das Trockne gehabt, sich um einen Ceremonienrang, um dies und jenes ur- kundliche Hoheitszeichen, um ein und das andre Recht, nicht weil es Vortheil, sondern weil es Rechtsfoderung war, zu interessiren, sich inte- ressiren zu lassen, sich oft die Haͤlse zu brechen. Diesen Charakter wird auch die Geschichte Deutsch- lands nicht verlaͤugnen, und muß sie es nicht, wenn wir sie nach einer andern, sie sei Griechisch oder L 3 Roͤ- Kritische Waͤlder. Roͤmisch, Brittisch oder Franzoͤsisch, modeln wollen? Der Geist, der alle diese Voͤlker belebte, und wenn wir ihn auch jedesmal Ehre nennen wollen; Him- mel! wie sehr ist nicht die Griechische Ehre, und die Roͤmische Ehre, und die Brittische Ehre, und die Franzoͤsische Gloire und der Deutschen Rang verschieden? oder wenn wir diese Triebfeder hier und da auch Freiheit nennen wollen, nicht noch im- mer verschieden? — — Und wenn nun eine idio- tistische Nationalgeschichte der Deutschen, Merkmale dieser deutschen Freiherrlichkeit, einige Franzen dieses Ceremonienhimmels, und wenn sie auch so sehr auf Kosten ihrer Nation gesponnen waͤren, ha- ben muß; wird da nicht eine gewisse trockne Puͤnkt- lichkeit, ein steifer gemessener Schritt von Urkunde zu Urkunde oft beinahe unvermeidlich seyn? Und fuͤr Deutsche fast unentbehrlich. Es sei Ungelenkigkeit, oder was es sei, daß ich bei Ge- schichte auf schoͤnen Vortrag und Weltweise Anmer- kungen nur immer zuletzt sehe, bei jedem Factum trockne und genaue Nachricht, bei jedem Datum siche- re Gewaͤhrleistung verlange, und bei manchen schoͤ- nen Geschichtsromaͤnen mal uͤber mal mit Unwillen frage: redest du das von dir oder haben dirs andre gesagt? daß ich mit Unwillen umherirre, wenn ich nicht weiß, ob dies Sache, That, Geschichte — oder Bemerkung, Einfall, Meinung des Ge- schichtschreibers ist: daß ich mit Peinlichkeit unter- schei- Drittes Waͤldchen. scheide: ist dies Geschichte Englands, wie sie ge- schehen ist, oder wie Hume meint, daß sie sich haͤtte zutragen koͤnnen? ja, daß ichs fuͤr Fehler und Verderbniß aller Geschichte halte, auf nichts als Historische Kunst, Epische Anordnung, Pragma- tische Bemerkungen, Philosophische Einlenkungen zu dringen, unter denen ich den nackten wahren Koͤrper der Geschichte so wenig erkennen kann, wie er ist, als wenn der Emil des Bruder Philipps vor seinen Gaͤnschen stille stehen, und aus dem aͤußerlichen Anzuge, und dem Reifrocke, und der Schnuͤrbrust desselben auf die verborgene wahre Gestalt des geputzten weiblichen Koͤrpers weissagen sollte. — — Bei aller unsrer Zurichtung der Hi- storie fuͤr den guten Geschmack sollte es also Haupt- regel seyn, genau dem Leser die Graͤnze zu bezeich- nen, wo Geschichte aufhoͤrt, und Vermuthung anfaͤngt; ja genau den Grad der Gewißheit bei je- dem Tritte. Gehoͤrt dies nun der ganzen Ge- schichtskunde als Eigenthum zu: vielmehr unsrer strengen trocknen Deutschen. Bei uns kommt das Wort Geschichte, nicht von Schichten und Episch ordnen, und Pragmatisch durchweben, sondern von dem vielbedeutenden strengen Worte: geschehen her, und daruͤber will ich auch nicht bis auf Einen Punkt in Ungewißheit bleiben. Darf ich mein Gutachten zu einer deutschen Reichs- geschichte fortsetzen? Viele Jahrhunderte durch ist L 4 Deutsch- Kritische Waͤlder. Deutschland in die Geschichte eines andern Landes rechtlich, und dazu kirchlich verwickelt gewesen, und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung ist fuͤr Deutschland nach seiner Verfassung, und fuͤr einen Geschichtschreiber, der dieser Verfassung folgen will, die groͤßre Verwicklung. Dies Land ist Jtalien. Pfaffen waren die Bekehrer der Deutschen zum Pabst, und diese Paͤbstlichen Apostel, vom heil. Bonifacius an, wurden die ersten Reichsfuͤrsten: Pfaffen und Bischoͤfe wurden die ersten Reichsstaͤnde und Freiherrlichkeiten: die ersten kleinen Souverai- nen und Friedensstoͤrer. Nicht blos also daher, daß Deutschland gleich von seiner ersten Formung vor andern eine sehr kirchliche Gestalt bekam, son- dern auch, daß lange nachher seine Kriege so oft nahe an Pfaffenstreitigkeiten und Bischofsvorzuͤge graͤnzten. Und da diese Rang- und Rechtsgeistli- che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer Deutschland: wie anders, als daß daher der Mit- telpunkt deutscher Thaten und Geschichte so lange und oft außer Deutschland faͤllt, nach Jtalien, nach Rom hin — eine neue Quelle historischer Ver- wirrungen! Und wie anders, als da diese Paͤb- stisch- Jtalienisch- Deutschen- Geschichte so lange und oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts- streitigkeiten enthalten, diese die trockensten, ver- wickeltsten, und oft eckelhaft seyn muͤssen? Und doch muͤssen sie es seyn. Und doch ist eben diese Ent- Drittes Waͤldchen. Entaͤußerung Deutschlands deutsche Geschichte. Und doch eben diese Streitigkeiten und Rang - und Roͤmerzuͤge der Ursprung deutscher Verfassung — wie wenig Franzoͤsiren kann hier unsre Geschichte! Der Historiograph muß hier schon Schild - und Wappentraͤger des heil. Roͤmischen Reichs werden, er wolle, oder nicht. So laͤuft die Geschichte viele Kaiserreihen her- unter, wo der Historikus auf einem Gebirge sitzen muß, um auf Deutschland und Jtalien seine Augen fliegen zu lassen, um keine bloße Fuͤrsten- noch Kaiser - noch Pabstgeschichte, sondern eine Hi- storie deutscher Nation zu schreiben, wo diese sich findet, in Kreuz - oder Roͤmerzuͤgen; wo sie lernet, in Neapel bei den Saracenen, oder in Schwaben bei den Saͤngern der Liebe: womit sie sich beschaͤf- tigt, es sei mit dem Faustrechte oder Guelfenstreite — uͤberall Deutsche Geschichte: und jedesmal der Geschichtschreiber ein Hausgenosse, ein Ministerial des Zeitgeistes. Helle Punkte, leuchtende Sterne, Milchstraßen gibts uͤberall, insonderheit im Schwaͤ- bischen Zeitalter: aber der Grund bleibt naͤchtlicher Himmel: Reichsurkundliche Trockenheit! Bis auf die mittlere Habsburgische Geschichte, wo sie sich mehr entwickelt, aber auch mit jedem Zolle der Entwickelung rechtlicher und Reichsurkund- licher wird. Das Gerechtsame, das Reichskraͤf- L 5 tige Kritische Waͤlder. tige wird immer augenscheinlicher Deutschlands Geist, und so auch Geist Deutscher Geschichte. So fort bis auf Maximilian und Karl den fuͤnf- ten, deren Zeitalter ich fuͤr den Mittelpunkt aller Geschichte hinter den Roͤmern, fuͤr die Basis aller neuern Europaͤischen Verfassung, und fuͤr einen Raum halte, der durch alle Laͤnder Europens hin- uͤber der vortreflichste zu der besten historischen Be- arbeitung seyn muͤßte. Von hieraus faͤngt sich alles an, Staats - Litteratur - Religionsveraͤnde- rung — eine neue Geburt des menschlichen Gei- stes durch ganz Europa. Weiter gehe ich nicht: wie sich die neueste Deutsche Geschichte pragmatisch behandeln lasse, werden Adlung und Hausen beantworten, jener ein Zeitungsstoppler, dieser ein Geschichtmaler zur Gnuͤge. Jch ziehe aus meinen Miscellaneen nur dies heraus: daß die Deutsche Geschichte sich gar nicht halbgriechisch oder halbfranzoͤsisch behandeln lasse — ein Thema, das ich an anderm Orte mit verungluͤckten Beispielen beweisen werde. Hier nur so viel: daß Hr. Kl. ohne innere Kenntniß der Sache urtheile, wenn er die Mascove, und Buͤ- naus, und Puͤtters so tadelt, wie er tadelt, und ohne Kenntniß der Sache urtheilet, wenn er die Hausens auf Kosten dieser Maͤnner lobet. Ei- ne deutsche Geschichte soll freilich noch geschrieben werden: aber wahrhaftig nicht nach Klotzischem Jdeal, Drittes Waͤldchen. Jdeal, da dieser Vielwisser aus einigen Proben Siebe zuruͤck in die Veurtheil. des Beitr. zur Ge- schichte der Muͤnzen. nichts weniger zu wissen scheint, als Deutsche Ge- schichte — — Und Griechische Geschichte — wenn ich man- che seiner Urtheile uͤber das Jnnere Griechenlandes, und am meisten seinen suͤßen in lauter hogarthschen Wellen und Schlangenlinien schleppenden Stil be- trachte — nie hat Hr. Kl. weiser geurtheilet, und weiser geschrieben, als da er dem Auszuge aus der Allgemeinen Weltgeschichte, wichtigerer Thaten wegen, entsagte. Ueber die Philosophie des Hrn. Klotz. K lotz und die Philosophie! das Paar scheint sich nicht sonderlich zu lieben, und wenn beide gar offenbar gegen einander antipathisiren, was wollte sie verbinden? Nur sollte das Maͤnnlein auch also das arme Fraͤulein unbeschimpft lassen, und nicht an ihrer Ehre kraͤnken. Gegen die Metaphysik hat Hr. Klotz feierlich eine satyrische Lobrede Ridic. litter. gehalten: er hat ihre allwei- Kritische Waͤlder. allweite Herrschaft, ihre Abstammuug von der Zankgoͤttinn, ihr Regiment uͤber die Theologen, Juristen und Poeten, ihre Nutzbarkeit zu Zaͤn- kereyen und Erfindung neuer Woͤrter, ihre An- nehmlichkeit und Unsterblichkeit — so fein und langweilig ausgezischt, daß ich nicht weiß, was ich erst fragen soll? ob nach der Gruͤndlichkeit der Materie, oder der Neuheit der Jronie, oder der Bestimmtheit des Spottes, oder der Kuͤrze in Wendungen — wornach zuerst? Hr. Kl. geruhet, die ganze Metaphysik, ohne Einschraͤnkung und Bestimmung, ihrem Wesen und Nutzen, und nicht ihrem Misbrauche nach, ohne Reim und Ur- sache, schaal und matt auszuzischen — O des Phi- losophischen Satyrs im achtzehnten Jahrhundert. Gegen die scientifische Methode, und gegen die systematische Philosophie und gegen die barbari- schen Kunstwoͤrter der Philosophie hat Hr. Kl. einen magern, wiederholten Spott sich so zur Falte eines verrunzelten Geistes werden lassen Opusc. var. argum. und Ueber das Stud. des Alth. u. s. w. , daß er auf dieser Saite sehr gerne leiert. So tief wie Cicero, und so systematisch wie Montagne, sollen unsre Phi- losophen philosophiren; sie sollen die metaphysische Grundlage, die Polybius und Tacitus geliefert, weiter ausbauen: sie sollen so genau und bestimmt wie Baco sprechen, und Montesquieu, wie wir schon Drittes Waͤldchen. schon eine Probe haben, in ein Compendium bringen: das will Hr. Klotz, oder redet wenigstens so unbe- stimmt, und der trocknen philosophischen Genauig- keit und Ordnung so gehaͤßig, als ob er dies wollte. „Sie raͤchet sich gegen ihre Veraͤchter!„ dies sagt Luther von der Grammatik der Worte, und noch mehr ließe es sich von der Grammatik der Gedanken, von der Philosophie, sagen. Sie raͤ- chet sich gegen ihre Veraͤchter, und sie hat sich reich- lich an Hrn. Klotz gerochen. Sie, die genaue Philosophie ists, die jeden Satz in seinem Muͤnzen- gerichtlein bestimmt und vest gemacht hat: sie, die genaue Philosophie ists, die sein Buͤchlein von der verecundia Virgils geschrieben, die mit ihm uͤber Homer critisiret, die die Mythologie verworfen und uns eine neue geschaffen, die gegen Lessing gestritten, die aus geschnittnen Steinen eine Aeneide und Jliade erbauet, die die Hallische deutsche Biblio- thek, wie ein Weltgeist, und ein rector Archaeus fuͤllet; die in alle Schriften meines Hrn. Verfas- sers Ordnung bringet; die ihn nie ein Wort zu viel und unzeitig und unertraͤglich schielend schrei- ben laͤsset; die die Baumgartensche Aesthetik, und die Wolfische Philosophie in Stuͤcken zerhauen S. Klotz. Bibl. vom Anfange an bis zum kuͤnftigen seligen Ende. ; die in einem Athemzuge ohne ein stummes Wort des Beweises „ Hollmann zum Schulphilosophen und Kritische Waͤlder. „und Palaͤologus, der nichts, was schoͤn ist, ken- „net, Crusius zum Diebe Hoffmanns, und die „Darjesianer ihrem meisten Theile nach zu Barba- „ren ohne Geschmack, ohne Wissenschaft und „Kenntnisse„ macht: sie ists, die große Freundinn des Hrn. Klotz, die Philosophie. — — Sie raͤchet sich gegen ihre Veraͤchter! Nun komme ich endlich in das rechte Feld des Hrn. Kl., wo er unter geschnittenen Steinen und Muͤnzen und Scherben dasitzt, wie ein Kind unter Schnecken, und bunten Steinchen und Spielzeuge: Jch soll von seinem Buche reden: Ueber die geschnittnen Steine. W o doch Hr. Kl. wahrhaftig alle seine Bele- senheit, recht haͤßlich weite Gelehrsamkeit, und recht honigsuͤßen Geschmack bewiesen hat? Habe er doch! Mein einziges Urtheil ist dies, daß, wenn ein Mann wirklich so viel große, schoͤne, kost- bare Werke nachgelesen, nachgeschlagen hat, und nichts mehr, als die elenden, trivialen Anmerkun- gen, das halbkluge und verzuckertsuͤße Geschwaͤtz herauslesen und herausausschlagen kann, was Hr. Kl. hier vorzeiget: so schlage man ihm die Buͤcher zu. Mit Drittes Waͤldchen. Mit allem seinen Lesen wird der belesene Leser in seinem Leben nichts Rechts herausbringen. Ein denkender Schriftsteller, der da irrt; und ein irrender Schriftsteller, der da denkt; und ein strauchelnder Schriftsteller, der noch nicht gnug ge- lesen, aber lesen kann: der nehme Buͤcher in die Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große Sachen hervordenken: sein Geist wird wachsen. Aber der Anagnoste, der da lieset, um gelesen zu haben, und citirt, was er nicht gelesen, und mit allen seinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt sich einen Rock von Citationen zusammen, um seine Bloͤße zu decken. — — Fuͤr wen ich zu frei schreibe, der sage mir: was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch- stabenbelesne Klotz denn bisher mit seiner Lecture Neues gesagt? Wer mit so vieler Belesenheit uͤber Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geschmack auf Muͤnzen, und den Nutzen der geschnittnen Steine nicht mehr sagt, als Er, der hat mir nichts gesagt: der sage Nichts. Herr Klotz hat aus Ursachen, die ich nicht weiß, und nicht wissen will, den guten Vorsatz ge- habt, die Lipppertsche Dactyliothek der Welt und insonderheit den Schulen anzupreisen. Es sei gu- ter Kritische Waͤlder. ter Vorsatz. Es sei, daß dazu die Anpreisung unsrer halbhundert Deutschen und Lateinischen Journale, Bibliotheken, Akten, Zeitungen nicht gnug war: es sei, daß das eigne Lippertsche Ver- zeichniß, woraus ich mich nicht schaͤme, manches gelernt zu haben, nicht gnug war: es sei, daß die Anpreisung der Bibliothek d. sch. W., der Goͤt- tingschen Zeitungen, und aller der Journale, in de- nen Hr. Klotz, als ein Proteus, in mehr als einer Zunge und Sprache redet, nicht gnug war: aber warum mußte denn Hr. Klotz so gar Lipperten pluͤndern, und was dieser in Reihen sagt, Seiten- lang wiederkauen? warum denn Caylus und Win- kelmann pluͤndern, die doch jeder Halbkenner ken- net! warum so ein unordentliches Gemisch von An- merkungen, wo man nicht weiß, ob der Steinle- ser mit Knaben oder mit Kuͤnstlern, oder Gelehr- ten, oder Liebhabern spreche? warum nach allen solchen Anfuͤhrungen so arm, wie eine Kirchenmaus, erscheinen? — — Es wird mir schwer, mich uͤber Einzelnheiten zu erklaͤren, und das wiederzufinden, was ich im Buche des Hrn. Kl. vorbeiging. Ohne Abschnitte und Theilungen watet man in ihm eine Strecke von zweihundert sieben und dreyßig Seiten, ich haͤtte beinahe geschrieben, Meilen, durch eine große Sandwuͤste, ohne Ruheplaͤtze, voll lauter Misch- materien, in denen der Autor bald mit der lieben Ju- Drittes Waͤldchen. Jugend, bald mit dem lieben Kuͤnstler, und bald mit dem Antiquariensammler ohne Geschmack, und bald mit dem Liebhaber voller Geschmack, und mit Einem, wie mit dem Andern redet — so wallet man eine Duͤrre von eignen Gedanken durch, um hinten auf ein sehr unterrichtendes Furienhaupt Jch habe es beigefuͤgt, um Hr. Lessing zu uͤberzeugen, daß die alten Kuͤnstler u. s. w. zu kommen, das mich nicht aus dem Gedaͤchtniß herfragen sollte, was ich gelesen? So watete Ale- xanders Heer die Lybische Sandwuͤste durstig und in der Sonnenhitze gebraten durch, und fand — ein Ziegenbild, einen gehoͤrnten Jupiter Ammon. Fallen wir Deutsche nicht immer von einem Aeußersten aufs andre? Vor kurzem der Geschmack in Paragraphen: aus Paragraphen wurden zer- schnittne Brocken von Capiteln à la Montesquieu : nun wieder Akademische Diskurse ein ganzes Buch durchweg, ohne Kopf und Hand, eine langgestreckte sich fortringelnde Schlange, ein liebes Bild der Unendlichkeit. Jn Kritischen Waͤldern herumspa- tzieren, heißt freilich nicht wie ein Seiltaͤnzer schrei- ben; aber in einem Werke, wie des Hrn. Klotz, wo er die Kuͤnstler lehret, und den Liebhaber vor- schmecket, und den Antiquaren vorerklaͤrt, und die liebe Jugend umarmet, und uͤberall so wichtig und vornehm spricht: da keinen Plan und Ordnung haben? — — Doch M Kritische Waͤlder. Doch ich weiß, warum ihn Hr. Klotz nicht haben mag; wenigstens darf ichs rathen. Jst ein Buch genau eingetheilt: steht jedes Chor unter seinem Hauptmanne: so ists leicht zu uͤbersehen und, wenn ich dazu setzen darf, auch leicht zu pruͤfen. Das Auge laͤuft druͤber weg, und da es jedes seine Stelle weiß, so weiß es auch: wo dieses her? war- um jenes nicht da ist? Es haͤlt scharfe Musterung im Einzelnen und im Ganzen, es pruͤft, wie viel jede Materie neu, wahr, vollstaͤndig sey. Wer seine Voͤlker aber nach Codomannus Art, auf gut Scythisch oder Persisch stellt: freilich, der ist auf eine sehr eigne Weise unuͤbersehbar. Jch nehme z. E. das Winkelmannische Ge- baͤude der Kunstgeschichte — welch ein großer er- goͤtzender Blick, der sich an der Ordnung, Har- monie und Vollkommenheit der Theile und des Ganzen weidet! Einheit und Mannichfaltigkeit! Groͤße und Schoͤnheit! zum Anstaunen und zur suͤßen Anschauung des Schoͤnen! Ein Griechischer Pallast, an Materialien ein Werk der Cyklopen, an Bauart und Form ein Maͤchtniß der Goͤtter, in Auszierung eine Arbeit der Grazien und Musen — wer wuͤnschte sich nicht, es gebauet zu haben? Jch nehme Klotzens Buch uͤber die geschnittnen Steine; mit allem seinem kleinen Mannichfaltigen ists ein Haufen kleiner Ruinenstuͤcke und Scherbchen. — — Und sein Vortrag, sein Styl? damit es nicht heiße, als suche ich mißguͤnstige Stellen auf: o so Drittes Waͤldchen. o so lese man den honigsuͤßen, bis zum Ekeln suͤ- ßen Anfang: „Wenn die gute Absicht, die ein Schrift- „steller bei seiner Arbeit gehabt hat, zugleich fuͤr „dieselbe eine Empfehlung seyn kann: so ver- „spreche ich diesem Buche einigen Beyfall und ih- „rem (des Buchs oder der Absicht?) Verfasser von „den Freunden der Kuͤnste und des Geschmacks „Dank.„ An guter Absicht hat es bisher, Gott sei Dank! noch keinem Schriftsteller gefehlt; und kann schon die gute Absicht nach Hr. Kl. suͤßer Manier zu schreiben: Empfehlung seyn: so ver- spreche ich allen Betruͤbten und Bloͤden Beifall, und von allen Freunden der Kuͤnste und des Geschmacks den ergebensten Dank. „Dieses Bekaͤnntniß macht nicht aus der Ur- „sache den Anfang meiner Schrift, aus welcher „es von vielen fuͤr ein wesentliches Stuͤck ihrer „Vorreden angesehen wird. Diese moͤgen allein „und aus eigner Erfahrung die Staͤrke dieser „Worte kennen, und man mißgoͤnne ihnen die „Kunst nicht, hiedurch entweder gutherzige Rich- „ter zu ihrem Vortheile einzunehmen, oder wenn „ihnen diese Hoffnung mißlingt, das Publikum, „dessen groͤßerer Theil sich aus gewissen eignen „Empfindungen auf die Seite des getadelten „Schriftstellers schlaͤgt, zum Mitleiden zu bewe- „gen.„ — Tand! lauter suͤßer Tand! Hr. Kl. will nichts mit dem gemeinen Haufen der Schrift- M 2 stel- Kritische Waͤlder. steller gemein haben, als was er mit ihnen gemein hat, und mit ihnen das nicht gemein haben, was er mit ihnen nicht gemein hat, und alles dies laͤuft in die kleinzaͤhligen Bruͤche von Absichten, von Em- pfindungen ein, deren Aesthetometrie ich nicht verstehe. „ Jch rechne mir den aufrichtigen Wunsch, „daß die gruͤndlige Gelehrsamkeit ꝛc. in meinem „Vaterlande ausgebreitet werde, zu einem Ver- „dienste an, dessen Werth ich nie verkennen „werde und dessen Bewußtseyn mir den Man- „gel andrer Verdienste ersetzen muß u. s. w. Wie? so ist dies der ganze Unterschied des Ver- fassers von den vorigen Schriftstellern? So ist ein Wunsch, ein kruͤppelhafter Wunsch schon ein Verdienst? ein Verdienst, das man sich selbst vor den Augen des Publikum anrechnen, so kuͤhn anrechnen kann, daß es der Welt bei dem Anfange der Schrift dreust vorschwoͤre „ein Verdienst, des- „sen Werth ich nie verkennen werde, dessen Be- „wußtseyn mir den Mangel andrer Verdienste er- „setzen muß „ Und das alles ein Wunsch: Und das alles heißt Urbanitaͤt, guter Ton, Patriotismus? — „Eben um deßwillen halte ich es auch fuͤr mei- „ne Pflicht, die Lehrer der Wissenschaften auf ge- „wisse Mittel, wodurch sie sich diesem Endzwecke, „der auf das Wohl unsrer Mitbuͤrger und das Gluͤck „der Nachkommenschaft abzielt, naͤhern koͤnnen, „aufmerksamer zu machen, als sie es bisher ge- „wesen find, oder vielmehr haben seyn koͤnnen. „ — Und Drittes Waͤldchen. — Und was sind diese geheimen gewissen Mittel, die so sehr aufs Große der Welt und Nachwelt gehen, die keiner bisher hat wissen koͤnnen — es kommt im Meteorenzuge: „Jst aber ein Mittel leichter, „gewisser und edler, als wenn man ihnen behuͤlflich „wird, das Herz unsrer Jugend den sanften Ein- „druͤcken des Schoͤnen zu oͤffnen, und welches allezeit „eine Folge von der aufrichtigen und weisen Cultur „der Wissenschaften ist, es selbst gegen die Reize der „Tugend fuͤhlbarer zu machen. —„ Und das ist Alles: und wer hat dies Mittel nicht laͤngst gewußt? noͤthig erkannt? angepriesen? Von Quintilian bis auf unsre Quintiliane, wer hoͤrt damit etwas Neues? und wenn es, bestimmter als Hr. Klotz gesprochen, auf die Bildung der Kunst abzwecken soll: wer kennt nicht auch hieruͤber die vortrefliche Winkel- mannische Abhandlung? Und was hat Hr. Kl. un- ter dem, was er geschrieben hat, und schreiben wird, was hiebei gestellt zu werden verdiente? Und was bleibt ihm also uͤbrig, als sein frommer christlicher Wunsch, und ein honigsuͤßes Geschwaͤtze? Das letzte zieht sich fort: Er lobt die heutige Verfassung der Schulen, beklagt den Mangel an geschickten Maͤnnern, bekennet endlich, „daß eini- „ge vernuͤnftige Maͤnner das Gluͤck gehabt (denn „an den Siegen uͤber Vorurtheile und Unwissenheit „haͤtte das Gluͤck einen viel groͤßern Antheil, als „unsre Kraͤfte und Arbeiten) andre zu uͤberzeugen, „daß der gute Geschmack — —„ Gottlob! so M 3 ge- Kritische Waͤlder. gehoͤrt schon das außerordentlichste Wundergluͤck da- zu, um das Publikum von der Nuͤtzlichkeit des guten Geschmacks zu uͤberzeugen: so sind wir nicht weiter, als daß einige vernuͤnftige Maͤnner, und das blos durch ein Gluͤcksspiel, andre davon uͤberzeuget: so tief haͤtte ich mir doch nicht unsre Zeit gedacht! Doch Hr. Kl. weiß es gut zu machen. Er frohlockt, wie weit man in Verbesserung der Schu- len gekommen, mahlet eine Seitenlang verkleckte Aussicht uͤber die Gelehrsamkeit, und empfiehlt sich folgender Gestalt: „Meine Schrift wird einsichts- „vollen Richtern vielleicht nicht mißfallen, wenn man „es ihr gleich ansieht, daß ihr Verf. sie nicht mit „der seufzenden und duͤstern Mine geschrieben hat, „welche so viele unsrer Verbesserer der Schulen an- „nehmen. Das Bewußtseyn meiner Absicht, „und die Ueberzeugung von dem Nutzen, welchen „mein Vorschlag nothwendig haben muß, gibt „mir den Muth, mich unter dem Haufen derer, „die einerlei Endzweck mit mir haben, hervorzu- „draͤngen, und zu verlangen, daß man mich an- „hoͤre — —„ Sachte! sachte! Ueber nichts, als eine Schulmaterie, wer wird sich unter dem Haufen aller u. s. w. hervordraͤngen: uͤber eine Materie, uͤber die andre schon besser geschrieben, deren schuͤchterne Mine gewiß mehr gefallen wird, als die fodernde unsres Schreiers, der sich hervor- draͤngt, und verlangt, daß man ihn hoͤre: uͤber eine Materie — Kurz! hier ist mein Urtheil: Hat Drittes Waͤldchen. Hat Hr. Klotz fuͤr Schulen geschrieben: so finde ich sein Buch weder zu einem bildenden Buche in die Hand der Jugend, noch in die Hand der Lehrer wuͤrdig. Fuͤr jene ein Ruinenhaufen von alten Schloͤssern, in dem sie wahrhaftig nicht wer- den umher klettern wollen: fuͤr diese ein Mengsel von unbestimmten, zusammengerafften Materien, wo eben das fehlt, was sie zu Bildung der Ju- gend deutlich, ausfuͤhrlich, gruͤndlich, bestimmt suchten. Hat Hr. Kl. zu Lipperts Dactyliothek geschrie- ben: schlecht! Die schoͤnsten und einzigen Anmer- kungen sind aus Lipperts Commentar: und welcher Liebhaber, welche Schule diesen hat, wirft jenen weg. Hat ers fuͤr Liebhaber, fuͤr Exoterische Leser ge- schrieben, wie etwa ein Algarotti, ein Fontenelle; — ich habe Proben seines schoͤnen Styls, seiner Ordnung, seines guten Tons gegeben. Soll es endlich fuͤr Gelehrte, fuͤr Kuͤstler seyn — Und da kommen mir eben Lessings antiquarische Briefe, die ich gern eher gehabt haͤtte! Welch ein hinreissender Strom! welche Belesenheit! welche Kaͤnntniß des Alterthums! welcher Scharfsinn! — Schade, daß Ein Lessing seine Zeit verschwenden muß, um einem Klotz das zu sagen, was ihm jetzt mehrere von Gesicht ansehen werden. Jn meinen Waͤldern wird bisher wohl nie- mand eine Spur von Verabredung und Einstim- mung haben ertraͤumen wollen, und daher so ent- fernt Kritische Waͤlder. fernt L. von mir lebt; so einen Stral von gutem Vorurtheile geben mir seine Briefe fuͤr manches, das ich an Klotz ausgesetzt. Ein Schriftsteller, wie die- ser, von dem unser Lustrum bisher so willig ge- lernt, ist ja auch wohl werth, daß das zweite Lu- strum an ihm lerne. So wenig die Grazien im Styl des Hrn. Kl. meine Freundinnen seyn moͤgen; so wuͤnsche ich doch mich in Entschuldigung meines oft scharfen, oft An- tiquarischen Ausdrucks an ihn anzuschließen. Mit ihm sage ich: „der schleichende fuͤße Komplimenten- „ton schickte sich weder zu dem Vorwurfe, noch zu „der Einkleidung; auch liebt ihn der Verfasser uͤber- „haupt nicht. Die Alten kannten das Ding nicht, „was wir Hoͤflichkeit nennen. Jhre Urbanitaͤt war „von ihr eben so weit, als von der Grobheit, entfernet. „Der Neidische, der Haͤmische, der Rangsuͤch- „tige, der Verhetzer, der ist, er mag sich noch so „hoͤflich ausdruͤcken, der wahre Grobe„ und wer in diesem suͤßen Tone seine Seichtigkeit und Halbge- lehrtheit verbirgt, fuͤr alle, die er anlockt, sich nach ihm zu bilden, der schaͤdlichste Gleißner — Die Klotzische Episode in der Deutschen Litteratur Schande, wahre Schande! — — Doch, wie viel Zeit habe ich verloh- ren — —