Der Nachsommer. Der Nachsommer. Eine Erzählung von Adalbert Stifter. Dritter Band. Pesth, Verlag von Gustav Heckenast. 1857. Das Recht der Übersezung bleibt vorbehalten. 1. Die Entfaltung. W ir waren in dem nehmlichen Zimmer zum Speisen zusammen gekommen, in dem wir die Zeit her, die ich im Schlosse gewesen war, unser Mahl am Morgen Mittag und Abend, wie es die Tageszeit brachte, eingenommen hatten, der Tisch war mit dem klaren weißen feinen Linnen gedeckt, in das schönere und alterthümlichere Blumen, als jezt gebräuchlich sind, gleichsam wie Silber in Silber eingewebt wa¬ ren, der Diener stand mit den weißen Handschuhen hinter uns, der Hausverwalter ging in dem Zimmer hin und her, und es war an der Wand der Schrein mit den Fächerabtheilungen, in denen die mannigfal¬ tigen Dinge sich befanden, die in einem Speisezimmer stets nöthig sind: aber heute war mir alles wie feen¬ Stifter , Nachsommer. III . 1 haft. Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid mit dunkleren Streifen an und um die Schultern war ein Gewebe von schwarzen Spizen. Sie kleidete sich jedes Mal, wenn ein Gast da war, zum Speisen neu an, hatte es bisher meinetwillen auch gethan, und hatte es an diesem Abende nicht unterlassen. Mit dem fei¬ nen lieben und freundlichen Angesichte, das durch die dunkle Seide fast noch feiner und schöner wurde, ließ sie sich in ihren Armstuhl zwischen uns nieder. Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechseln, sie hatte das¬ selbe lichtgraue Seidenkleid an, das sie am Nachmit¬ tage getragen hatte, und das mir so lieb geworden war. Ich getraute mir fast nicht, sie anzusehen, und auch sie hatte die großen schönen unbeschreiblich edlen Augen größtentheils auf die Mutter gerichtet. So vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet gesprochen, das Mathilde immer in ihrem Armstuhle sizend stille mit gefalteten Händen verrichtete, und das daher die Anderen ebenfalls sizend und stille vollbrach¬ ten. Als dieses geschehen war, wurden, wie es der Gebrauch in diesem Hause eingeführt hatte, die Flügelthüren geöffnet, ein Diener trat mit einem Topfe herein, setzte ihn auf den Tisch, der Hausver¬ walter nahm den Deckel desselben ab, und sagte, wie er immer that: „ich wünsche sehr wohl zu speisen.“ Mathilde streckte den Arm mit dem dunkeln Sei¬ denkleide aus, nahm den großen silbernen Löffel, und schöpfte, wie sie es sich nie nehmen ließ zu thun, Suppe für uns auf die Teller, welche der Diener dar¬ reichte. Der Hausverwalter hatte, da er alles in Ord¬ nung sah, das Zimmer nach seiner Gepflogenheit ver¬ lassen. Das Abendessen war nun wie alle Tage. Mathilde sprach freundlich und heiter von verschiede¬ nen Gegenständen, die sich eben darboten, und vergaß nicht, der abwesenden Freunde zu erwähnen und des Vergnügens zu gedenken, das ihre Rückkunft veran¬ lassen werde. Sie sprach von der Erndte, von dem Segen, der heuer überall so reichlich verbreitet sei, und wie sich alles, was sich auf der Erde befinde, doch zulezt immer wieder in das Rechte wende. Als die Zeit des Abendessens vorüber war, erhob sie sich, und es wurden die Anstalten gemacht, daß sich jedes in seine Wohnung begebe. Mit derselben sanften Güte, mit der sie mich vor dem Abendessen begrüßt hatte, verabschiedete sie sich nun, wir wünschten uns wechsel¬ seitig eine glückliche Ruhe, und trennten uns. Als ich in meinem Zimmer angekommen war, 1 * trat ich in der Nacht dieses Tages, der für mich in meinem bisherigen Leben am merkwürdigsten gewor¬ den war, an das Fenster, und blickte gegen den Him¬ mel. Es stand kein Mond an demselben und keine Wolke, aber in der milden Nacht brannten so viele Sterne, als wäre der Himmel mit ihnen angefüllt, und als berührten sie sich gleichsam mit ihren Spizen. Die Feierlichkeit traf mich erhebender, und die Pracht des Himmels war mir eindringender als sonst, wenn ich sie auch mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Ich mußte mich in der neuen Welt erst zurecht finden. Ich sah lange mit einem sehr tiefen Gefühle zu dem sternbedeckten Gewölbe hinauf. Mein Ge¬ müth war so ernst, wie es nie in meinem ganzen Leben gewesen war. Es lag ein fernes unbekanntes Land vor mir. Ich ging zu dem Lichte, das auf meinem Tische brannte, und stellte meinen undurch¬ sichtigen Schirm vor dasselbe, daß seine Helle nur in die hinteren Theile des Zimmers falle, und mir den Schein des Sternenhimmels nicht beirre. Dann ging ich wieder zu dem Fenster, und blieb vor demselben. Die Zeit verfloß, und die Nachtfeier ging indessen fort. Wie es sonderbar ist, dachte ich, daß in der Zeit, in der die kleinen wenn auch vieltausendfältigen Schönheiten der Erde verschwinden, und sich erst die unermeßliche Schönheit des Weltraums in der fernen stillen Lichtpracht aufthut, der Mensch und die größte Zahl der andern Geschöpfe zum Schlummer bestimmt ist! Rührt es daher, daß wir nur auf kurze Augen¬ blicke und nur in der räthselhaften Zeit der Traum¬ welt zu jenen Größen hinan sehen dürfen, von denen wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht ein¬ mal immer näher und näher werden schauen dürfen? Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung ha¬ ben? Oder ist es der großen Zahl der Menschen nur darum blos in kurzen schlummerlosen Augenblicken gestattet, zu dem Sternenhimmel zu schauen, damit die Herrlichkeit desselben uns nicht gewöhnlich werde und die Größe sich nicht dadurch verliere? Aber ich bin ja wiederholt in ganzen Nächten allein gefahren, die Sternbilder haben sich an dem Himmel sachte bewegt, ich habe meine Augen auf sie gerichtet gehalten, sie sind dunkelschwarzen gestaltlosen Wäldern oder Erd¬ rändern zugesunken, andere sind im Osten aufgestie¬ gen, so hat es fortgedauert, die Stellungen haben sich sanft geändert, und das Leuchten hat fortgelächelt, bis der Himmel von der nahenden Sonne lichter wurde, das Morgenroth im Osten erschien und die Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerüste er¬ loschen waren. Haben da meine vom Nachtwachen brennenden Augen die verschwundene stille Größe nicht für höher erkannt als den klaren Tag, der alles deutlich macht? Wer kann wissen, wie dies ist. Wie wird es jenen Geschöpfen sein, denen nur die Nacht zugewiesen ist, die den Tag nicht kennen? Jenen gro¬ ßen wunderbaren Blumen ferner Länder, die ihr Auge öffnen, wenn die Sonne untergegangen ist, und die ihr meistens weißes Kleid schlaff und verblüht herab¬ hängen lassen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder den Thieren, denen die Nacht ihr Tag ist? Es war eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen in mir. Träumend, ehe ich entschlief, begab ich mich auf mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgelöscht, und die Vorhänge der Fenster absichtlich nicht zugezo¬ gen hatte, damit ich die Sterne hereinscheinen sähe. Des anderen Morgens sammelte ich mich, um mir bewußt zu werden, was geschehen ist, und welche tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich an, um in das Freie zu gehen, und mein Angesicht und meinen Körper der kühlen Morgenluft zu geben. Als ich mein Zimmer verlassen hatte, suchte ich einen Gang zu gewinnen, der im südlichen Theile des Schlosses in der Länge desselben dahin läuft. Seine Fenster münden in den Hof, und von ihm gehen Thüren in die gegen Mittag liegenden Zim¬ mer Mathildens und Nataliens. Diese Thüren, einst vielleicht zum Gebrauche für Gäste bestimmt, waren jezt meistens geschlossen, weil die Verbindung im Innern der Zimmer hergestellt war. Ich hatte den Gang darum aufgesucht, weil er an der Westseite des Schlosses zu einer kleinen Treppe führt, die abwärts geht, und in ein Pförtchen endet, das gewöhnlich des Morgens geöffnet wurde, und durch das man unmittelbar in die Felder auf breite trockene Wege ge¬ langen konnte, die den Wanderer unbemerkter ins Weite führen, als es durch den Hauptausgang des Schlosses möglich gewesen wäre. Die Bewohnerin¬ nen der Zimmer, die an den Gang stießen, glaubte ich darum nicht stören zu können, weil das Stein¬ pflaster des Ganges seiner ganzen Länge nach mit einem weichen Teppiche belegt war, der keine Tritte hören ließ. Außerdem hatte die Sonne auch bereits einen so hohen Morgenbogen zurückgelegt, daß zu vermuthen war, daß alle im Schlosse schon längst aufgestanden sein würden. Da ich gegen das Ende des Ganges und in die Nähe der Treppe gekommen war, sah ich eine Thür offen stehen, von der ich vermuthete, daß sie zu den Zimmern der Frauen führen müsse. War die Thür offen, weil man fortgehen wollte, oder weil man eben gekommen war? Oder hatte eine Dienerin in der Eile offen gelassen, oder war irgend ein anderer Grund? Ich zauderte, ob ich vorbeigehen sollte; allein da ich wußte, daß die Thür doch nur in einen Vor¬ saal ging, und da die Treppe schon so nahe war, die mich ins Freie führen sollte, so beschloß ich, vorbei zu gehen, und meine Schritte zu beschleunigen. Ich schritt auf dem weichen Teppiche fort, und trat nur behutsamer auf. Da ich an der Thür angekommen war, sah ich hinein. Was ich vermuthet hatte, be¬ stätigte sich, die Thür ging in einen Vorsaal. Derselbe war nur klein und mit gewöhnlichen Geräthen ver¬ sehen. Aber nicht blos in den Vorsaal konnte ich blicken, sondern auch in ein weiteres Zimmer, das mit einer großen Glasthür an den Vorsaal stieß, welche Glasthür noch überdies halb geöffnet war. In diesem Zimmer aber stand Natalie. An den Wänden hinter ihr erhoben sich edle mittelalterliche Schreine. Sie stand fast mitten in dem Gemache vor einem Tische, auf welchem zwei Zithern lagen, und von welchem ein sehr reicher alterthümlicher Teppich nieder hing. Sie war vollständig gleichsam wie zum Aus¬ gehen gekleidet, nur hatte sie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre schönen Locken waren auf dem Hinter¬ haupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewöhnlich bis zu dem Halse und schloß dort ohne irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von lichtem grauem Seidenstoffe, hatte aber sehr feine stark rothe Streifen. Es schloß die Hüften sehr genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten bis zum Handgelenke, und hatten an diesem wie am Oberarme dunkle Querstreifen, die wie ein Armband schlossen. Natalie stand ganz aufrecht, ja der Ober¬ körper war sogar ein wenig zurückgebogen. Der linke Arm war ausgestreckt, und stüzte sich mittelst eines aufrecht stehenden Buches, auf das sie die Hand legte, auf das Tischchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeschreiblich schöne An¬ gesicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt von den Lidern bedeckt waren, sich gesenkt und sie dächte nach. Eine solche reine feine Geistigkeit war in ihren Zügen, wie ich sie an ihr, die immer die tiefste Seele aussprach, doch nie gesehen hatte. Ich ver¬ stand auch, was die Gestalt sprach, ich hörte gleichsam ihre inneren Worte: „Es ist nun eingetreten!“ Sie hatte mich nicht kommen gehört, weil der Teppich den Fußboden des Ganges bedeckte, und sie konnte mich nicht sehen, weil ihr Angesicht gegen Süden gerichtet war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre sin¬ nende Stellung, und ging dann leise vorüber und die Treppe hinunter. Es erfüllte mich gleichsam mit einem Meere von Wonne, Natalien von der nehmlichen Empfindung beseelt zu sehen, die ich hatte, von der Empfindung, sich das errungene kaum gehoffte und so hoch gehaltene Gut geistig zu sichern, sich klar zu machen, was man erhalten hat, und in welche neue unermeßlich wichtige Wendung des Lebens man ein¬ getreten sei. Ich konnte es kaum fassen, daß ich es sei, um den eine Gestalt, die das Schönste ausdrückt, was mir bis jezt bekannt geworden ist, eine Gestalt, die man wohl auch stolz geheißen, die sich bisher von jeder Neigung abgewendet hatte, in diese tiefe sinnende Empfindungen gesunken sei. Ich dachte mir, daß ich, so lange ich lebe, und sollte mein Leben bis an die äußerste Grenze des menschlichen Alters oder darüber hinaus gehen, mit jedem Tropfen meines Blutes mit jeder Faser meines Herzens sie lieben werde, sie möge leben oder todt sein, und daß ich sie fort und fort durch alle Zeiten in der tiefsten Seele meiner Seele tragen werde. Es erschien mir als das süßeste Gefühl, sie nicht nur in diesem Leben sondern in tausend Leben, die nach tausend Toden folgen mögen, immer lieben zu können. Wie viel hatte ich in der Welt gesehen, wie viel hatte mich erfreut, an wie Vielem hatte ich Wohlgefallen gehabt: und wie ist jezt Alles nichts, und wie ist es das höchste Glück, eine reine tiefe schöne menschliche Seele ganz sein eigen nennen zu können, ganz sein eigen. Ich ging durch das Pförtchen hinaus, das ich nur angelehnt fand, und ging auf dem Wege fort, der an dieser Seite vor dem Schlosse vorbei führt, und dann in die Felder hinaus geht. Er ist breit, mit feinem Sande belegt, und eignet sich daher seiner Trockenheit willen ganz besonders zu Morgenspazier¬ gängen. Er ist von dem vorigen Besizer des Schlosses angelegt und von Mathilden verbessert worden. Er geht von dem Pförtchen nach beiden Richtungen nach Norden und nach Süden ziemlich weit fort, und bildet auf diese Weise zu dem Schlosse eine Berüh¬ rungslinie. Roland hatte ihn scherzweise auch immer den Berührweg genannt. Die Obstbäume, die ihn jezt häufig säumen, hat Mathilde meistens schon erwachsen an ihn versezt. Früher war der ganze Weg eine Allee von Pappeln gewesen; allein da er ganz gerade durch die Gegend geht, und mit den geraden Bäumen bepflanzt war, so erschien er sehr unschön, und für einen Lustweg, was er sein sollte, wenig geeignet. Nach Berathungen mit ihren Freunden hatte Mathilde die Pappeln, welche außerdem auch den Feldern sehr schädlich waren, nach und nach be¬ seitigt. Sie waren gefällt, und ihre Wurzeln aus¬ gegraben worden. Da man die Obstbäume an ihre Stelle sezte, vermied man es absichtlich, an allen Pläzen, an welchen Pappeln gestanden waren, Obst¬ bäume zu pflanzen, damit nicht wieder statt der Pappelallee eine Obstbaumallee würde, was zwar minder unschön als früher gewesen wäre, aber doch immer noch nicht schön. Durch diese Unterbrechung der Baumpflanzung erhielt der Weg, dessen gerade Richtung schwer zu beseitigen gewesen wäre, und die doch sonst zu eigenthümlich war, als daß man sie hätte abändern sollen, wenn man nicht Alles nach ganz neuen Gedanken einrichten wollte, die nöthige Ab¬ wechslung. Mitternachtwärts von dem Schlosse führt er durch Wiesen und Felder an Gebüschen hin, steigt dann zu einem Walde hinan, in welchen er eine Strecke eindringt. Südwärts geht er durch Felder, hat dort besonders schöne Apfelbäume an seinen Sei¬ ten, wölbt sich sanft über einen Ackerrücken und ge¬ währt von ihm eine schöne Aussicht in die Gebirge. Ich schlug die Richtung nach Süden ein, wie ich überhaupt sehr gerne bei dem Beginne eines Spazier¬ ganges so gehe, daß ich leicht nach Mittag sehe, das Licht vor mir habe, und in den schöneren Glanz und die lieblichere Färbung der Wolken blicken kann. Der Himmel war wie gestern ganz heiter, die Sonne stand in seinem östlichen Theile, und begann die Tropfen, welche an allen Gräsern und an dem Laube der Bäume hingen, aufzusaugen. Die Morgenkühle war noch nicht vergangen, obwohl der Einfluß der Sonne immer mehr und mehr bemerkbar wurde. Ich sah mit neuen Augen auf alle Dinge um mich, es schien, als hätten sie sich verjüngt, und als müßte ich mich wieder allmählich an ihren Anblick gewöhnen. Ich kam auf die Anhöhe, und sah aus den langen Zug der Gebirge. Die blauen Spizen blickten auf mich herüber, und die vie¬ len Schneefelder zeigten mir ihren feinen Glanz. Ich sah auch die Berghäupter an dem Kargrat, wo ich zulezt gearbeitet hatte. Mir war, als wäre es schon viele Jahre, seit ich in jenen Eisfeldern und Schnee¬ gründen gewesen war. Ich ließ, während ich so da¬ stand, die milde Luft den Glanz der Sonne und das Prangen der Dinge auf mich wirken. Sonst hatte ich immer irgend ein Buch in meine Tasche gesteckt, wenn ich in der Gegend herum gehen wollte; heute hatte ich es nicht gethan. Mir war jezt nicht, als sollte ich irgend ein Buch lesen. Ich ging nach einer Weile wieder an den Bäumen dahin, an denen schon die mannigfaltigen Äpfel hingen, die jeder nach seiner Art brachte, und die schon hie und da ihre eigenthümliche Farbe zu erhalten begannen. Ich ging so lange auf der Anhöhe des Felderrückens fort, bis sie sich leicht zu senken anfing, über welche Senkung der Weg noch hinabgeht, um in dem Thale an der Grenze eines fremden Gutes zu enden, oder vielmehr in einen anderen Weg überzugehen, der die Eigenschaften aller jener Fußwege hat, die in un¬ zähligen Richtungen unser Land durchziehen, und auf deren taugliche Beschaffenheit, Verbesserung oder Verschönerung niemand denkt. Ich ging auf der Sen¬ kung des Weges nicht mehr hinunter, weil ich nicht thalwärts kommen wollte, wo die Blicke beengt sind. Ich wendete mich um, und hatte den Anblick des Schlosses vor mir, welches jezt von solcher Bedeu¬ tung für mich geworden war. Die Fenster schimmer¬ ten in dem Glanze der Sonne, das Grau der von der Tünche befreiten südlichen Mauer schaute sanft zu mir herüber, das dunkle Dach hob sich von der Bläue der nördlichen Luft ab, und ein leichter Rauch stieg von einigen seiner Schornsteine auf. Ich ging langsam auf dem Rücken des Feldes an den Obstbäumen vorüber meines Weges zurück, bis er sachte gegen das Schloß abwärts zu gehen begann. An dieser Stelle sah ich jezt, daß mir eine Gestalt, welche mir früher durch Baumkronen verdeckt gewesen sein mochte, entgegen kam, welche die Gestalt Nata¬ liens war. Wir gingen beide schneller, als wir uns erblickten, um uns früher zu erreichen. Da wir nun zusammen trafen, blickte mich Natalie mit ihren gro¬ ßen dunkeln Augen freundlich an, und reichte mir die Hand. Ich empfing sie, drückte sie herzlich, und sagte einen innigen Gruß. „Es ist recht schön,“ sprach sie, „daß wir gleich¬ zeitig einen Weg gehen, den ich heute schon einmal gehen wollte, und den ich jezt wirklich gehe.“ „Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?“ fragte ich. „Ich habe sehr lange den Schlummer nicht ge¬ funden,“ antwortete sie, „dann kam er doch in sehr leichter flüchtiger Gestalt. Ich erwachte bald, und stand auf. Am Morgen wollte ich auf diesen Weg heraus gehen, und ihn bis über die Felderanhöhe fortsezen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, wel¬ ches zu einem Gange außer dem Hause nicht taug¬ lich war. Ich mußte mich daher später umkleiden, und ging jezt heraus, um die Morgenluft zu ge¬ nießen.“ Ich sah wirklich, daß sie das lichte graue Kleid mit den feinen tiefrothen Streifen nicht mehr an habe, sondern ein einfacheres kürzeres mattbrau¬ nes trage. Jenes Kleid wäre freilich zu einem Morgenspaziergange nicht tauglich gewesen, weil es in reichen Falten fast bis auf den Fußboden nieder ging. Sie hatte jezt einen leichten Strohhut auf dem Haupte, welchen sie immer bei ihren Wande¬ rungen durch die Felder trug. Ich fragte sie, ob sie glaube, daß noch so viel Zeit vor dem Frühmahle sei, daß sie über die Felderanhöhe hinaus und wieder in das Schloß zurückkommen könne. „Wohl ist noch so viel Zeit,“ erwiederte sie, „ich wäre ja sonst nicht fortgegangen, weil ich eine Stö¬ rung in der Hausordnung nicht verursachen möchte.“ „Dann erlaubt ihr wohl, daß ich euch begleite,“ sagte ich. „Es wird mir sehr lieb sein,“ antwortete sie. Ich begab mich an ihre Seite, und wir wandelten den Weg, den ich gekommen war, zurück. Ich hätte ihr sehr gerne meinen Arm angebothen; aber ich hatte nicht den Muth dazu. Wir gingen langsam auf dem feinen Sandwege dahin, an einem Baumstamme nach dem andern vor¬ über, und die Schatten, welche die Bäume auf den Weg warfen, und die Lichter, welche die Sonne da¬ zwischen legte, wichen hinter uns zurück. Anfangs sprachen wir gar nicht, dann aber sagte Natalie: „Und habt ihr die Nacht in Ruhe und Wohlsein zu¬ gebracht?“ „Ich habe sehr wenig Schlaf gefunden; aber ich habe es nicht unangenehm empfunden,“ entgegnete ich, die Fenster meiner Wohnung, welche mir eure Mutter so freundlich hatte einrichten lassen, gehen in Stifter . Nachsommer. III . 2 das Freie, ein großer Theil des Sternenhimmels sah zu mir herein. Ich habe sehr lange die Sterne be¬ trachtet. Am Morgen stand ich frühe auf, und da ich glaubte, daß ich niemand in dem Schlosse mehr stören würde, ging ich in das Freie, um die milde Luft zu genießen.“ „Es ist ein eigenes erquickendes Labsal, die reine Luft des heiteren Sommers zu athmen,“ erwiederte sie. „Es ist die erhebendste Nahrung, die uns der Him¬ mel gegeben hat,“ antwortete ich. „Das weiß ich, wenn ich auf einem hohen Berge stehe, und die Luft in ihrer Weite wie ein unausmeßbares Meer um mich herum ist. Aber nicht blos die Luft des Sommers ist erquickend, auch die des Winters ist es, jede ist es, welche rein ist, und in welcher sich nicht Theile finden, die unserm Wesen widerstreben.“ „Ich gehe oft mit der Mutter an stillen Winter¬ tagen gerade diesen Weg, auf dem wir jezt wandeln. Er ist wohl und breit ausgefahren, weil die Bewoh¬ ner von Erlthal und die der umliegenden Häuser im Winter von ihrem tief gelegenen Fahrwege eine kleine Abbeugung über die Felder machen, und dann unseren Spazierweg seiner ganzen Länge nach befahren. Da ist es oft recht schön, wenn die Zweige der Bäume voll von Kristallen hängen, oder wenn sie bereift sind, und ein feines Gitterwerk über ihren Stämmen und Ästen tragen. Oft ist es sogar, als wenn sich auch der Reif in der Luft befände, und sie mit ihm erfüllt wäre. Ein feiner Duft schwebt in ihr, daß man die nächsten Dinge nur wie in einen Rauch gehüllt sehen kann. Ein anderes Mal ist der Himmel wieder so klar, daß man alles deutlich erblickt. Er spannt sich dunkelblau über die Gefilde, die in der Sonne glänzen, und wenn wir auf die Höhe der Felder kom¬ men, können wir von ihr den ganzen Zug der Gebirge sehen. Im Winter ist die Landschaft sehr still, weil die Menschen sich in ihren Häusern halten, so viel sie können, weil die Singvögel Abschied genom¬ men haben, weil das Wild in die tieferen Wälder zurück gegangen ist, und weil selbst ein Gespann nicht den tönenden Hufschlag und das Rollen der Räder hören läßt, sondern nur der einfache Klang der Pferdeglocke, die man hier hat, anzeigt, daß irgend Wo jemand durch die Stille des Winters fährt. Wir gehen auf der klaren Bahn dahin, die Mutter leitet die Gespräche auf verschiedene Dinge, und das Ziel unserer Wanderung ist gewöhnlich die Stelle, wo der Weg in das Thal hinabzugehen anfängt. In 2 * der Stadt habt ihr die schönen Winterspaziergänge nicht, welche uns das Land gewährt.“ „Nein Natalie, die haben wir nicht. Wir haben von der dem Winter als Winter eigenthümlichen Wesenheit nichts als die Kälte; denn der Schnee wird auch aus der Stadt fortgeschafft,“ erwiederte ich, „und nicht blos im Winter auch im Sommer hat die Stadt nichts, was sich nur entfernt mit der Frei¬ heit und Weite des offenen Landes vergleichen ließe. Eine erweiterte Pflege der Kunst und der Wissen¬ schaft eine erhöhte Geselligkeit und die Regierung des menschlichen Geschlechts sind in der Stadt, und diese Dinge begreifen auch das, was man in der Stadt sucht. Einen Theil von Wissenschaft und Kunst aber kann man wohl auch auf dem Lande hegen, und ob größere Zweige der allgemeinen Leitung der Menschen auch auf das Land gelegt werden könnten, als jezt geschieht, weiß ich nicht, da ich hierin zu wenig Kenntnisse habe. Ich trage schon lange den Gedanken in mir, einmal auch im Winter in das Hochgebirge zu gehen, und dort eine Zeit zuzubrin¬ gen, um Erfahrungen zu sammeln. Es ist seltsam, und reizt zur Nachahmung, was uns die Bücher mel¬ den, die von Leuten verfaßt wurden, welche im Win¬ ter hochgelegene Gegenden besucht oder gar die Spizen bedeutender Berge erstiegen haben.“ „Wenn es für Leben und Gesundheit keine Ge¬ fahr hat, solltet ihr es thun,“ antwortete sie. „Es ist wohl ein Vorrecht der Männer, das Größere wa¬ gen und erfahren zu können. Wenn wir zuweilen im Winter in großen Städten gewesen sind, und dort das Leben der verschiedenen Menschen gesehen haben, dann sind wir gerne in den Sternenhof zurückgegan¬ gen. Wir haben hier in manchen größeren Zeiträu¬ men alle Jahreszeiten genossen, und haben jeden Wechsel derselben im Freien kennen gelernt. Wir sind mit Freunden verbunden, deren Umgang uns veredelt, erhebt, und zu denen wir kleine Reisen machen. Wir haben einige Ergebnisse der Kunst und in einem ge¬ wissen Maße auch der Wissenschaft, so weit es sich für Frauen ziemt, in unsere Einsamkeit gezogen.“ „Der Sternenhof ist ein edler und ein würdevoller Siz,“ entgegnete ich, „er hat sich ein schönes Theil des Menschlichen gesammelt, und muß nicht das Widerwärtige desselben hinnehmen. Aber es mußten auch viele Umstände zusammentreffen, damit es so werden konnte, wie es ward.“ „Das sagt die Mutter auch,“ erwiederte sie, „und sie sagt, sie müsse der Vorsehung sehr danken, daß sie ihre Bestrebungen so unterstüzt und geleitet habe, weil wohl sonst das Wenigste zu Stande gekommen wäre.“ Wir hatten in der Zeit dieses Gespräches nach und nach die höchste Stelle des Weges erreicht. Vor uns ging es wieder abwärts. Wir blieben eine Weile stehen. „Sagt mir doch,“ begann Natalie wieder, „wo liegt denn das Kargrat, in welchem ihr euch in die¬ sem Theile des Sommers aufgehalten habt? Man muß es ja von hier aus sehen können.“ „Freilich kann man es sehen,“ antwortete ich, „es liegt fast im äußersten Westen des Theiles der Kette, der von hier aus sichtbar ist. Wenn ihr von jenen Schneefeldern, die rechts von der sanftblauen Kuppe, welche gerade über der Grenzeiche eures Weizenfeldes sichtbar ist, liegen, und die fast wie zwei gleiche mit der Spize nach aufwärts gerichtete Dreiecke aussehen, wieder nach rechts geht, so werdet ihr lichte fast wag¬ recht gehende Stellen in dem graulichen Dämmer des Gebirges sehen, das sind die Eisfelder des Kargrats.“ „Ich sehe sie sehr deutlich,“ erwiederte sie, „ich sehe auch die Spizen, die über das Eis empor ragen. Und auf diesem Eise seid ihr gewesen?“ „An seinen Grenzen, die es in allen Richtungen umgeben,“ antwortete ich, „und auf ihm selber.“ „Da müßt ihr ja auch deutlich hieher gesehen ha¬ ben,“ sagte sie. „Die Berggestaltungen des Kargrates, die wir hier sehen,“ erwiederte ich, „sind so groß, daß wir seine Theile wohl von hier aus unterscheiden können; aber die Abtheilungen der hiesigen Gegend sind so klein, daß ihre Gliederungen von dort aus nicht erblickt werden können. Das Land liegt wie eine mit Duft überschwebte einfache Fläche unten. Mit dem Fern¬ rohre konnte ich mir einzelne bekannte Stellen suchen, und ich habe mir die Bildungen der Hügel und Wäl¬ der des Sternenhofes gesucht.“ „Ach nennt mir doch einige von den Spizen, die wir von hier aus sehen können,“ sagte sie. „Das ist die Kargratspize, die ihr über dem Eise als höchste seht,“ erwiederte ich, „und rechts ist die Glommspize und dann der Ethern und das Krumm¬ horn. Links sind nur zwei, der Aschkogel und die Sente.“ „Ich sehe sie,“ sagte sie, „ich sehe sie.“ „Und dann sind noch geringere Erhöhungen,“ fuhr ich fort, „die sich gegen die weiteren Berghänge sen¬ ken, die keinen Namen haben, und die man hier nicht sieht.“ Da wir noch eine Weile gestanden waren, die Berge betrachtet und gesprochen hatten, wendeten wir uns um, und wandelten dem Schlosse zu. „Es ist doch sonderbar,“ sagte Natalie, „daß diese Berge keinen weißen Marmor hervorbringen, da sie doch so viel verschiedenfarbigen haben.“ „Da thut ihr unseren Bergen ein kleines Un¬ recht,“ antwortete ich, „sie haben schon Lager von weißem Marmor, aus denen man bereits Stücke zu manigfaltigen Zwecken bricht, und gewiß werden sie in ihren Verzweigungen noch Stellen bergen, wo vielleicht der feinste und ungetrübteste weiße Marmor ist. „Ich würde es lieben, mir Dinge aus solchem Marmor machen zu lassen,“ sagte sie. „Das könnt ihr ja thun,“ erwiederte ich, „kein Stoff ist geeigneter dazu.“ „Ich könnte aber nach meinen Kräften nur kleine Gegenstände anfertigen lassen, Verzierungen und der¬ gleichen,“ sagte sie, „wenn ich die rechten Stücke be¬ kommen könnte, und wenn meine Freunde mir mit ihrem Rathe beiständen.“ „Ihr könnt sie bekommen,“ antwortete ich, „und ich selber könnte euch hierin helfen, wenn ihr es wünscht.“ „Es wird mir sehr lieb sein,“ erwiederte sie, „unser Freund hat edle Werke aus farbigem Marmor in sei¬ nem Hause ausführen lassen, und ihr habt ja auch schöne Dinge aus solchem für eure Eltern veranlaßt.“ „Ja, und ich suche noch immer schöne Stücke Marmor zu erwerben, um sie gelegentlich zu künfti¬ gen Werken zu verwenden,“ antwortete ich. „Meine Vorliebe für den weißen Marmor habe ich wohl aus den reichen schönen und großartigen Dingen gezogen,“ entgegnete sie, „die ich in Italien aus ihm ausgeführt gesehen habe. Besonders wird mir Florenz und Rom unvergeßlich sein. Das sind Dinge, die unsere höchste Bewunderung erregen, und doch, habe ich immer gedacht, ist es menschlicher Sinn und menschlicher Geist, der sie entworfen und ausgeführt hat. Euch werden auch Gegenstände bei eurem Aufent¬ halte im Freien erschienen sein, die das Gemüth mächtig in Anspruch nehmen.“ „Die Kunstgebilde leiten die Augen auf sich, und mit Recht,“ antwortete ich, „sie erfüllen mit Bewun¬ derung und Liebe. Die natürlichen Dinge sind das Werk einer anderen Hand, und wenn sie auf dem rechten Wege betrachtet werden, regen sie auch das höchste Erstaunen an.“ „So habe ich wohl immer gefühlt,“ sagte sie. „Ich habe auf meinem Lebenswege durch viele Jahre Werke der Schöpfung betrachtet,“ erwiederte ich, „und dann auch, so weit es mir möglich war, Werke der Kunst kennen gelernt, und beide entzückten meine Seele.“ Mit diesen Gesprächen waren wir allmählich dem Schlosse näher gekommen, und waren jezt bei dem Pförtchen. An demselben blieb Natalie stehen, und sagte die Worte: „Ich habe gestern sehr lange mit der Mutter gesprochen, sie hat von ihrer Seite eine Einwendung gegen unseren Bund nicht zu machen.“ Ihre feinen Züge überzog ein sanftes Roth, als sie diese Worte zu mir sprach. Sie wollte nun sogleich durch das Pförtchen hinein gehen, ich hielt sie aber zurück, und sagte: „Fräulein, ich hielte es nicht für Recht, wenn ich euch etwas verhehlte. Ich habe euch heute schon einmal gesehen, ehe wir zusammentrafen. Als ich am Morgen über den Gang hinter euren Zim¬ mern ins Freie gehen wollte, standen die Thüren in einen Vorsaal und in ein Zimmer offen, und ich sah euch in diesem leztern an einem mit einem alterthüm¬ lichen Teppiche behängten Tischchen die Hand auf ein Buch gestüzt stehen.“ „Ich dachte an mein neues Schicksal,“ sagte sie. „Ich wußte es, ich wußte es,“ antwortete ich, „und mögen die himmlischen Mächte es so günstig gestal¬ ten, als es der Wille derer ist, die euch wohlwollen.“ Ich reichte ihr beide Hände, sie faßte sie, und wir drückten uns dieselben. Darauf ging sie in das Pförtchen ein, und über die Treppe empor. Ich wartete noch ein wenig. Da sie oben war, und die Thür hinter sich ge¬ schlossen hatte, stieg ich auch die Treppe empor. Das ganze Wesen Nataliens schien mir an diesem Morgen glänzender, als es die ganze Zeit her gewe¬ sen war, und ich ging mit einem tief tief geschwellten Herzen in mein Zimmer. Dort kleidete ich mich in so weit um, als es nöthig war, die Spuren des Morgenspazierganges zu beseitigen, und anständig zu erscheinen, dann ging ich, da die Stunde des Frühmahles schon heran nahte, in das Speisezimmer. Ich war in demselben allein. Der Tisch war schon gedeckt, und alles zum Morgenmahle in Bereitschaft gesezt. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, kam Mathilde mit Natalie zugleich in das Zimmer. Na¬ talie hatte sich umgekleidet, sie hatte jezt ein festlicheres Kleid an, als sie beim Morgenspaziergange getragen hatte, weil sie gleich Mathilden bei Tische einen Gast durch ein besseres Kleid ehrte. Mit der gewöhnlichen Ruhe und Heiterkeit, aber mit einer fast noch größe¬ ren Freundlichkeit als sonst, begrüßte mich Mathilde, und wies mir meinen Plaz an. Wir sezten uns. Wir waren nun bei dem Frühmahle, wie wir es die meh¬ reren Tage her gewohnt waren. Dieselben Gegen¬ stände befanden sich auf dem Tische, und derselbe Vor¬ gang wurde befolgt wie immer. Obgleich nur ein Dienstmädchen ab und zu ging, und wir in den Zwischenzeiten allein waren, indem Mathilde nach ihrer Gepflogenheit manche Handlungen, die bei einem solchen Frühmahle nöthig sind, an dem Tische selbst verrichtete, so wurde doch über unsere besonderen An¬ gelegenheiten auch jezt nicht gesprochen. Gewöhnliche Dinge, wie sie sich an gewöhnlichen Tagen darbiethen, bildeten den Inhalt der Gespräche. Theils Kunst theils die schönen Tage der Jahreszeit, die eben war, und theils ein Abschnitt des Aufenthaltes während der Rosenzeit im Asperhofe wurden abgehandelt. Dann standen wir auf, und trennten uns. Und so wurde auch am ganzen Tage von dem Verhältnisse, in welches ich zu Natalien getreten war, nichts gesprochen. Wir fanden uns noch im Laufe des Vormittages im Garten zusammen. Mathilde zeigte mir einige Veränderungen, welche sie vorgenommen hatte. Meh¬ rere zu sehr in geraden Linien gezogene geschorne Hecken, die sich noch in einem abgelegenen Theile des Gartens befunden hatten, waren beseitigt worden und hatten einer leichteren und gefälligeren Anlage Plaz gemacht. Blumenbeete waren gezogen wor¬ den, und mehrere Pflanzen, welche man erst kennen gelernt hatte, welche mein Gastfreund sehr liebte, und unter denen sich außerordentlich schöne befanden, waren in eine Gruppe gestellt worden. Mathilde nannte ihre Namen, Natalie hörte aufmerksam zu. Am Nachmittage wurde ein Spaziergang gemacht. Zuerst besuchten wir die Arbeiter, welche mit der Hinwegschaffung der Tünche von der Steinbekleidung des Hauses beschäftigt waren, und sahen eine Zeit hindurch zu. Mathilde that mehrere Fragen, und ließ sich in Erörterungen über Dinge ein, die diese Angelegenheit betrafen. Dann gingen wir in einem großen Bogen längs des Rückens der Anhöhen herum, die zu einem Theile das Thal beherrschen, in dem das Schloß liegt. Wir kamen an dem Saume eines Wäldchens vorüber, von dem man das Schloß den Garten und die Wirthschaftsgebäude sehen konnte, und gingen endlich durch den nördlichen Arm desselben Spazierweges in das Schloß zurück, in dessen südlichem Theile ich heute Morgens mit Nata¬ lien gewandelt war. Gegen Abend kam der Wagen mit den Wande¬ rern an. Mein Gastfreund stieg zuerst heraus, dann folgten fast gleichzeitig die übrigen jüngeren Männer. Ich wurde von allen gegrüßt, und von allen getadelt, daß ich so spät gekommen sei. Man begab sich in das ge¬ meinschaftliche Gesellschaftszimmer, und besprach sich dort eine Weile, ehe man sich in die Gemächer ver¬ fügen wollte, die für einen jeden bestimmt waren. Mein Gastfreund fragte mich, wo ich mich heuer aufgehalten, und welche Theile des Gebirges ich durchstreift habe. Ich antwortete ihm, daß ich ihm schon im Allgemeinen gesagt habe, daß ich an den Simmigletscher gehen werde, daß ich aber meinen besonderen Wohnort im Kargrat aufgeschlagen habe, in dem mit dem Gebirgsstocke gleichnamigen kleinen Dörflein. Von da aus habe ich meine Streifereien ge¬ macht. Ich nannte ihm die einzelnen Richtungen, weil er besonders in der Gegend der Simmen sehr bekannt war. Eustach sprach über die schönen Natur¬ bilder, die in jenen Gestaltungen vorkommen. Roland sagte, ich möchte doch auch einmal die Klamkirche, in der sie gewesen seien, besuchen; die Zeichnungen werde mir Eustach schon zeigen, damit ich einen vorläufi¬ gen Überblick davon zu erlangen vermöge. Gustav grüßte mich einfach mit seiner Liebe und Freundschaft, wie er es immer gethan hatte. Auf die gelegentliche Frage meines Gastfreundes, ob ich nun lange in der Gesellschaft meiner Freunde zu bleiben gesonnen sei, antwortete ich, daß mich eine wichtige Angelegen¬ heit vielleicht schon in sehr kurzer Zeit fortführen könnte. Nach diesen allgemeinen Gesprächen begaben sich die Reisenden in ihre Zimmer, um die Spuren der Reise zu beseitigen, staubige Kleider abzulegen, sich sonst zu erfrischen, oder Mitgebrachtes in eine Ord¬ nung richten. Wir sahen uns erst bei dem Abendessen wieder. Dasselbe war so heiter und freundlich, wie es im¬ mer gewesen war. Am anderen Morgen nach dem Frühmahle ging mein Gastfreund eine Zeit mit Mathilden im Garten spazieren, dann kam er in mein Zimmer, und sagte zu mir: „Ihr habt Recht, und es ist sehr gut von euch, daß ihr das, was euren hiesigen Freunden lieb und angenehm ist, euren Eltern und euren Angehö¬ rigen sagen wollt.“ Ich erwiederte nichts, erröthete, und verneigte mich sehr ehrerbiethig. Ich erklärte im Laufe des Vormittages, daß ich, sobald es nur immer möglich wäre, abreisen müßte. Man stellte mir Pferde bis zur nächsten Post zur Verfügung, und nachdem ich mein kleines Gepäck geordnet hatte, beschloß ich, noch vor dem Mit¬ tage die Reise anzutreten. Man ließ es zu. Ich nahm Abschied. Die klaren heiteren Augen meines Gastfreundes begleiteten mich, als ich von ihm hin¬ wegging. Mathilde war sanft und gütig, Natalie stand in der Vertiefung eines Fensters, ich ging zu ihr hin, und sagte leise: „Liebe liebe Natalie, lebet wohl.“ „Mein lieber theurer Freund, lebet wohl,“ antwor¬ tete sie ebenfalls leise, und wir reichten uns die Hände. Nach einem Augenblicke verabschiedete ich mich auch von den anderen, die, da sie wußten, daß ich abreisen werde, in das Gesellschaftszimmer gekommen waren. Ich schüttelte Eustach und Roland die Hände, und empfing Gustavs Kuß, welche innigere Art des Bewillkommens und Scheidens schon seit längerer Zeit zwischen uns üblich geworden war, und welche mir heute so besonders wichtig wurde. Hierauf ging ich die Treppe hinab, und bestieg den Wagen. Mathildens Pferde brachten mich auf die nächste Post. Dort sendete ich sie zurück, und nahm andere in der Richtung nach dem Kargrat. Ich gönnte mir wenig Ruhe. Als ich dort angekommen war, erklärte ich meinen Leuten, daß Umstände eingetreten wären, welche die Fortsezung der heurigen Arbeiten nicht er¬ laubten. Ich entließ sie also, händigte ihnen aber den Lohn ein, den sie bekommen hätten, wenn sie mir in der ganzen vertragsmässigen Zeit gedient hätten. Sie waren hierüber zufrieden. Der Jäger und Zitherspieler war früher, ehe ich gekommen war, fortgegangen. Wohin er sich begeben habe, wußten die Leute selber Stifter , Nachsommer. III . 3 nicht. Das Verhältniß mit meinen Arbeitern zu ord¬ nen, war mir das Wichtigste auf meinem Arbeitsplaze gewesen; deßhalb war ich hingereist. Ich hatte ihnen vor meinem Besuche im Asperhofe gesagt, daß ich bald wieder kommen werde, hatte ihnen während meiner Abwesenheit Arbeit aufgetragen, und hatte ihnen Arbeit nach meiner Wiederkunft in Aussicht ge¬ stellt. Dieses mußte nun umgeändert werden. Da es geschehen war, gab ich meine Sachen im Kargrat so in Verwahrung, daß sie gesichert waren, und reiste sogleich wieder ab. Ich hatte die Pferde, die ich von dem lezten größeren Orte in das Kargrat mitgenom¬ men hatte, bei mir behalten, und fuhr jezt mit ihnen wieder fort. Auf dem ersten Postamte verlangte ich eigene Postpferde, und schlug die Richtung zu meinen Eltern ein. Als ich dort angekommen war, machte mein un¬ vermuthetes Erscheinen beinahe den Eindruck des Er¬ staunens. Alle Ereignisse waren so schnell gekommen, daß, da einmal meine Abreise zu meinen Eltern fest¬ gesezt war, ein Brief, der sie von meiner Ankunft be¬ nachrichtigt hätte, wahrscheinlich nicht früher zu ihnen gekommen wäre als ich selbst. Sie konnten sich daher nicht erklären, warum ich ohne vorhergegangene Be¬ nachrichtigung nun im Sommer statt im Herbste komme. Ich sagte ihnen auf ihre Frage, daß aller¬ dings ein Grund zu meiner jezigen Heimreise vor¬ handen sei, aber keineswegs ein unangenehmer, daß ich in Ungeduld so schnell abgereist sei, und daß ich ihnen eine frühere Nachricht von meiner Ankunft nicht habe zugehen lassen können. Hierauf waren sie be¬ ruhigt, und, wie es ihre Art war, fragten sie mich nun nicht nach meinem Grunde. Am anderen Morgen, ehe der Vater in die Stadt ging, begab ich mich zu ihm in das Bücher¬ zimmer, und sagte ihm, daß ich zu Natalien der Tochter der Freundin meines Gastfreundes schon seit langer Zeit her eine Zuneigung gefaßt habe, daß diese Neigung in mir verborgen geblieben, und daß es mein Vorsaz gewesen sei, sie, wenn sie ohne Aus¬ sicht wäre, zu unterdrücken, ohne daß ich je zu irgend jemanden ein Wort darüber sagte. Nun habe aber Natalie auch mich ihres Antheils nicht für unwerth gehalten, ich habe davon nichts gewußt, bis ein Zu¬ fall, da wir von anderen weit entlegenen Dingen sprachen, die gegenseitig unbekannte Stimmung zu Tage brachte. Da haben wir nun einen Bund ge¬ schlossen, daß wir uns unsere Neigung bewahren 3 * wollen, so lange wir leben, und daß wir sie in dieser Art nie einem anderen Wesen schenken würden. Natalie habe verlangt, und mein Sinn stimmte diesem Ver¬ langen vollkommen bei, daß wir unseren Angehörigen diese Thatsache mittheilen sollten, damit wir uns un¬ seres Gutes durch ihre Zustimmung erfreuen, oder, wenn von einem Theile die Billigung versagt würde, die Neigung zwar unverändert erhalten aber den per¬ sönlichen Umgang aufheben. Da nun Nataliens An¬ gehörige nichts eingewendet haben, so sei ich hier, um die Sache meinen Eltern zu sagen, und ihm sage ich sie zuerst, der Mutter würde ich sie später mittheilen. „Mein Sohn,“ antwortete er, „du bist mündig, du hast das Recht Verträge abzuschließen, und hast einen sehr wichtigen abgeschlossen. Da ich dich genau kenne, da ich dich seit einiger Zeit noch viel genauer kennen zu lernen Gelegenheit hatte, als ich dich frü¬ her kannte, so weiß ich, daß deine Wahl einen Gegen¬ stand getroffen hat, der, wenn ihm auch gewiß wie allen Menschen Fehler eigen sind, an Werth und Güte entsprechen wird. Wahrscheinlich hat er beide Dinge in einem höheren Maße als die Menschen, wie sie in größerer Menge jezt überall sind. In dieser Meinung bestärken mich noch mehrere Umstände. Eure Neigung ist nicht schnell entstanden, sondern hat sich vorbereitet, du hast sie überwinden wollen, du hast nichts gesagt, du hast uns von Natalien wenig erzählt, also ist es kein hastiges fortreißendes Verlangen, wel¬ ches dich erfaßt hat, sondern eine auf dem Grunde der Hochachtung beruhende Zuneigung. Bei Natalien ist es wahrscheinlich auch so, weil, wie du gesagt hast, ihre Gegenneigung vorhanden war, ehe du sie erkennen konntest. Ferner hat bei deinem Gastfreunde die Ge¬ sammtheit deines Wesens eine so entschiedene Förderung erhalten, du hast nach manchem Besuche bei ihm auch so hervorragende Einzelheiten zurückgebracht, daß ihm eine große Güte und Bildung eigen sein muß, die auf seine Umgebung übergeht. Ich habe nichts ein¬ zuwenden.“ Obgleich ich mir vorgestellt hatte, daß mein Vater dem geschlossenen Bunde kein Hinderniß entgegen¬ stellen werde, so war ich doch bei dieser Unterredung beklommen und ernst gewesen, so wie in der Haltung meines Vaters eine tiefe Ergriffenheit nicht zu ver¬ kennen gewesen war. Jezt, da er geredet hatte, kam in mein Herz eine Freudigkeit, die sich auch in meinen Augen und in meinen Mienen ausgedrückt haben mußte. Mein Vater blickte mich gütig und freundlich an, und sagte: „Du wirst mit der Mutter von diesem Gegenstande nicht so leicht sprechen, ich werde deine Stelle vertreten, und ihr von dem geschlossenen Bunde erzählen, daß du schneller über die Mittheilung hin¬ wegkömmst. Lasse den Vormittag vergehen, nach dem Mittagessen werde ich die Mutter in dieses Zimmer bitten. Klotilde wird dann gelegentlich auch Kenntniß von deinem Schritte erhalten.“ Wir verließen nun das Bücherzimmer. Mein Va¬ ter rüstete sich, in seine Geschäftsstube in die Stadt zu gehen, wie er sich jeden Morgen gerüstet hatte. Als er fertig war, nahm er von der Mutter Abschied, und ging fort. Der Vormittag verfloß, wie gewöhnlich die Zeit nach meiner Ankunft verflossen war. Die Mutter und Klotilde fragten nicht nach dem Grunde meines ungewöhnlichen Zurückkommens, und gingen ihren Geschäften nach. Als das Mittagmahl vorüber war, nahm der Vater die Mutter in das Bücherzimmer, und blieb eine Weile mit ihr dort. Als sie wieder zu mir und Klotilden herauskamen, blickte sie mich freund¬ lich an, sagte aber nichts. Sie sezten sich wieder zu uns, und wir blieben noch eine Zeit an dem Tische sizen. Als wir aufgestanden waren, gingen wir in den Garten, welchen ich jezt durch eine Reihe von Jahren nicht im Sommer gesehen hatte. Die Rosen, welche hie und da zerstreut waren, glichen nicht denen meines Gastfreundes, waren aber auch nicht schlechter, als die, welche sich in dem Sternenhofe befanden. Der Garten, welcher mir in meiner Kindheit immer so lieb und traulich gewesen war, erschien mir jezt klein und unbedeutend, obwohl seine Blumen, die gerade in dieser Sommerzeit noch blühten, seine Obstbäume seine Gemüse Weinreben und Pfirsichgitter nicht zu den geringsten der Stadt gehörten. Es zeigte sich nur eben der Unterschied eines Stadtgartens und des Gartens eines reichen Landbesizers. Man wies mir alles, was man für wichtig erachtete, und machte mich auf alle Veränderungen aufmerksam. Man schien sich gleichsam zu freuen, daß man mich doch einmal zu Anfang der heißeren Jahreszeit hier habe, während ich sonst nur immer am Beginne der kälteren gekom¬ men war, wenn die Blätter abfielen, und der Garten sich seines Schmuckes entäußerte. Gegen den Abend ging der Vater wieder in die Stadt. Wir blieben in dem Garten. Da sich in einem Augenblicke die Schwe¬ ster mit dem Aufbinden eines Rebenzweiges beschäf¬ tigte, und ich mit der Mutter allein an dem Marmor¬ brunnen der Einbeere stand, in welchen das köstliche helle Wasser nieder rieselte, sagte sie zu mir: „Ich wünsche, daß jedes Glück und jeder Segen vom Him¬ mel dich auf dem sehr wichtigen Schritte begleiten möge, den du gethan hast, mein Sohn. Wenn du auch sorg¬ sam gewählt hast, und wenn auch alle Bedingungen zum Gedeihen vorhanden sind, so bleibt der Schritt doch ein schwerer und wichtiger; noch steht das Zusam¬ menfinden und das Einleben in einander bevor.“ „Möge es uns Gott so gewähren, wie wir glau¬ ben es erwarten zu dürfen,“ antwortete ich, „ich wollte auch kein Glück gründen, ohne daß ich meine Eltern darum fragte, und ohne daß ihr Wille mit dem meinigen übereinstimmte. Zuerst mußte wohl Gewißheit gesucht werden, ob sich die Neigungen zu¬ sammen gefunden hätten. Als dieses erkannt war, mußte der Sinn und die Zustimmung der Angehörigen erforscht werden, und deßhalb bin ich hier.“ „Der Vater sagt,“ erwiederte sie, „daß alles recht ist, daß der Weg sich ebnen wird, und daß jene Dinge, die in jeder Verbindung und also auch in dieser im Anfange ungefügig sind, hier eher ihre Gleichung fin¬ den werden als irgendwo. Wenn er es aber auch nicht gesagt hätte, so wüßte ich es doch. Du bist unter so vortrefflichen Leuten gewesen, du würdest auch ohne dem nicht unwürdig gewählt haben, und hast du ge¬ wählt, so ist dein Geist gut, und wird sich in Kürze in ein Frauenherz finden, wie auch sie ihr Leben in dem deinigen finden wird. Es sind nicht alle es sind nicht viele Verbindungen dieser Art glücklich; ich kenne einen großen Theil der Stadt, und habe auch einen nicht zu kleinen Theil des Lebens beobachtet. Du hast im Grunde nur unsere Ehe gesehen: möge die deinige so glücklich sein, als es die meine mit deinem ehrwürdigen Vater ist.“ Ich antwortete nicht, es wurden mir die Au¬ gen naß. „Klotilde wird jezt einsam sein,“ fuhr die Mutter fort, „sie hat keine andere Neigung als unser Haus als Vater und Mutter und als dich.“ „Mutter,“ antwortete ich, „wenn du Natalien sehen wirst, wenn du erfahren wirst, wie sie einfach und gerecht ist, wie ihr Sinn nach dem Gültigen und Hohen strebt, wie sie schlicht vor uns allen wandelt, und wie sie viel viel besser ist als ich, so wirst du nicht mehr von einer Vereinsamung sprechen sondern von einer Verbindung, Klotilde wird um eines mehr haben als jezt, und du und der Vater werdet um eines mehr haben. Aber auch Mathilde mein Gastfreund und der Kreis jener trefflichen Menschen wird in eure Verbindung gezogen werden, ihr werdet zu ihnen hingezogen werden, und was bis jezt getrennt war, wird Einigung sein.“ „Ich habe mir es so gedacht, mein Sohn,“ ant¬ wortete die Mutter, „und ich glaube wohl, daß es so kommen wird; aber Klotilde wird die Art ihrer Nei¬ gung zu dir umwandeln müssen, und möge das alles mit gelindem Kelche vorübergehen.“ Zu dem Ende dieser Worte war auch Klotilde herzu gekommen. Sie brachte mir eine Rose, und sagte mit heiteren Mienen, daß sie mir dieselbe blos darum gebe, um mir einen kleinen Ersaz für alle die Rosen zu biethen, welche ich heuer im Asperhofe durch meine Hieherreise versäumt habe. Mir fiel es bei diesen Worten erst auf, daß im väterlichen Garten die Rosen blühten, während sie doch in dem höher gelegenen und einer rauheren Luft ausgesezten Asperhofe schon verblüht waren. Ich sprach davon. Man fand den Grund bald heraus. Die Asperhofrosen waren den ganzen Tag der Sonne ausgesezt, mochten auch besser gepflegt werden und einen besseren Boden haben, während hier theils durch Bäume, die man des kleineren Raumes wegen enger sezen mußte, theils durch die Mauern näherer und entfernterer Häuser vielfältig Schatten entstand. Ich nahm die Rose, und sagte, Klotilde würde meinem Gastfreunde einen schlechten Dienst thun, wenn sie in seinem Garten eine Rose pflückte. „Dort würde ich nicht den Muth dazu haben,“ antwortete sie. Wir blieben nun eine Weile bei dem Marmor¬ wasserwerke stehen. Klotilde zeigte mir, was der Vater im Frühlinge habe machen lassen, zum Theile, um den Wasserzug noch mehr zu sichern, zum Theile, um Verschönerungen anzubringen. Ich sah, wie treff¬ lich und zweckmäßig er die Dinge hatte zubereiten lassen, und wie sehr ich von ihm lernen könne. Ich freute mich schon auf die Zeit, die nicht mehr ferne sein konnte, in welcher der Vater mit meinem Gast¬ freunde zusammen kommen würde. Als wir von dem Wasserwerke weg gingen, führte mich Klotilde nun zu dem Plaze, von welchem eine Aussicht in die Gegend geboten ist, und den man mit einer Brustwehr zu versehen beschlossen hatte. Die Brustwehr war schon zum Theile fertig. Sie war auf¬ gemauert, war mit den von mir gebrachten Marmor¬ platten belegt, und war seitwärts mit Marmor be¬ kleidet, den sich der Vater verschafft hatte. Auch meine Simse und Tragsteine waren verwendet. Ich sah aber, daß noch vieles an Marmor fehlte, und versprach, daß ich suchen werde, zu Stande zu bringen, daß die ganze Brustwehr aus gleichartigen Stücken und in gleicher Weise könne hergestellt werden. „Du siehst, daß wir auch in der Ferne deiner den¬ ken, und dir etwas Angenehmes zu bereiten streben,“ sagte Klotilde. „Ich habe ja nie daran gezweifelt,“ antwortete ich, „und denke auch eurer, wie meine Briefe beweisen.“ „Du solltest doch wieder einmal einen ganzen Sommer hier bleiben,“ sagte sie. „Wer weiß, was geschieht,“ erwiederte ich. Als die Dunkelheit bereits mit ihrer vollen Macht hereinzubrechen anfing, kam der Vater wieder aus der Stadt, und wir nahmen unser Abendessen in dem Waffenhäuschen. Da sehr lange Tage waren, und da es nach dem Eintreten der völligen Finsterniß schon ziemlich spät war, so konnten wir nach dem Speisen nicht mehr so lange in dem Häuschen mit den gläser¬ nen Wänden beim Brennen der traulichen Lichter sizen bleiben, wie in dem Herbste, wenn ich nach einer langen Sommerarbeit wieder zu den Meinigen zurück¬ gekehrt war. Auch hatte man heute in dem lauen Abende mehrere der Glasabtheilungen geöffnet, der Eppich flüsterte in einem gelegentlichen Luftzuge, und die Flamme im Innern der Lampe wankte unerfreulich. Wir trennten uns, und suchten unsere Ruhe. Am anderen Tage am frühesten Morgen kam Klotilde zu mir. Als ich auf ihr Pochen geöffnet hatte, und sie eingetreten war, verkündigte ihr An¬ gesicht, daß die Mutter über meine Angelegenheit mit ihr gesprochen habe. Sie sah mich an, ging näher, fiel mir um den Hals, und brach in einen Strom von Thränen aus. Ich ließ ihr ein Weilchen freien Lauf, und sagte dann sanft: „Klotilde, wie ist dir denn?“ „Wohl und wehe,“ antwortete sie, indem sie sich von mir zu einem Size führen ließ, auf den ich mich neben ihr niederließ. „Du weißt nun also alles?“ „Ich weiß alles. Warum hast dun mir es den nicht früher gesagt?“ „Ich mußte doch vorher mit den Eltern sprechen, und dann, Klotilde, hatte ich gegen dich gerade den wenigsten Muth.“ „Und warum hast du nicht in früheren Sommern etwas gesagt?“ „Weil nichts zu sagen war. Es ist erst jezt zu gegen¬ seitiger Kenntniß gekommen, und da bin ich hergeeilt, mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl nur das meine war, und die Zukunft sich noch ver¬ hüllte, dürfte ich nicht reden, weil es mir nicht männ¬ lich schien, und weil die Empfindung, die vielleicht in Kurzem gänzlich weggethan werden mußte, durch Worte nicht gesteigert werden durfte.“ „Ich habe es immer geahnt,“ sagte Klotilde, „und habe dir immer das höchste und größte Glück ge¬ wünscht. Sie muß sehr gut sehr lieb sehr treu sein. Ich habe nur das Verlangen, daß sie dich so liebt wie ich.“ „Klotilde,“ antwortete ich, „du wirst sie sehen, du wirst sie kennen lernen, du wirst sie lieben; und wenn sie mich dann auch nicht mit der in der Geburt ge¬ gründeten schwesterlichen Liebe liebt, so liebt sie mich mit einer anderen, die auch mein Glück dein Glück das Glück der Eltern vermehren wird.“ „Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzähltest, wie wenig du auch sagtest, und gerade, weil du wenig sagtest,“ fuhr sie fort, „daß sich etwa da ein Band ent¬ wickeln könnte, daß es sehr zu wünschen wäre, daß du ihre Neigung gewännest, und daß daraus eine bessere Einigung entstehen könnte als durch die Ver¬ bindung mit einem Mädchen unserer Stadt oder mit einem anderen.“ „Und nun ist es so,“ erwiederte ich. „Warum hast du denn nie ein Bild von ihr ge¬ malt ?“ fragte sie. „Weil ich sie eben so wenig oder noch weniger darum bitten konnte als dich oder die Mutter oder den Vater. Ich hatte nicht das Herz dazu,“ ant¬ wortete ich. „Nun sei recht glücklich, sei zufrieden bis in dein höchstes Alter, und bereue nie, auch nicht im geringsten, den Schritt, den du gethan hast,“ sagte sie. „Ich glaube, daß, ich ihn nie bereuen werde, und ich danke dir innig für deine Wünsche, meine theure meine geliebte Klotilde,“ erwiederte ich. Sie trocknete ihre Thränen mit dem Tuche, ord¬ nete gleichsam ihr ganzes Wesen, und sah mich freundlich an. „Wer wird jezt mit mir zeichnen spanische Bücher lesen Zither spielen, wem werde ich alles sagen, was mir in das Herz kömmt?“ sprach sie nach einer Weile. „Mir, Klotilde,“ erwiederte ich, „alles, was ich früher war, werde ich dir bleiben. Lesen zeichnen Zitherspielen wirst du mit Natalien; auch mittheilen wirst du dich ihr, und mit ihr wirst du das alles vollführen, was du bisher mit mir vollführt hast. Lerne sie nur erst kennen, und du wirst begreifen, daß es wahr ist, was ich sage.“ „Ich möchte sie gerne sehr bald sehen,“ sagte sie. „Du wirst sie bald sehen,“ antwortete ich, „es muß sich jezt eine Verbindung unserer Familie mit jenen Menschen, bei denen ich bisher so häufig gewe¬ sen bin, anknüpfen; ich wünsche selber, daß du sie bald sehr bald sehest.“ „Bis dahin aber mußt du mir sehr viel von ihr erzählen, und wenn es möglich ist, mußt du mir ein Bild von ihr bringen,“ sagte sie. „Ich werde dir erzählen,“ antwortete ich, „jezt, da wir einmal von der Sache gesprochen haben, werde ich dir sehr gerne erzählen, ich werde mit dir leichter von dem Bunde reden als mit ihr selber. Ob ich dir ein Bild werde bringen oder schicken können, weiß ich nicht; wenn es möglich ist, werde ich es thun. Aber es wird nur in dem Falle sein können, wenn ein Bild von ihr da ist, und man es mir oder eine Abbildung davon überläßt. Behalte es dann, bis du mit ihr selber zusammen kömmst, und wir in freundlicher Verbindung mit einander leben. Endlich aber, Klo¬ tilde . . .“ „Endlich?“ „Endlich wird doch auch die Zeit kommen, in welcher du von uns ausscheiden wirst, zwar nicht mit deinem Geiste, wohl aber mit einem Theile deiner Beziehungen, wenn nehmlich auch du eine tiefere Verbindung eingehst.“ „Nie, nie werde ich das thun,“ rief sie beinahe heftig, „nein, ich könnte ihm zürnen, ihm, der mein Herz hier wegführen würde. Ich liebe nur den Vater die Mutter und dich. Ich liebe dieses stille Haus und alle, die berechtigt in demselben aus und ein gehen, ich liebe das, was es enthält, und die Dinge, die sich in ihm allmählich gestalten, ich werde Natalien und ihre Angehörigen lieben, aber nie einen Fremden, der mich von euch ziehen wollte.“ „Er wird dich aber von uns ziehen, Klotilde,“ sagte ich, „und du wirst doch da bleiben, er wird be¬ rechtigt sein, hier aus und ein zu gehen, er wird ein Ding sein, das sich in dem Hause allmählich gestaltet, und du wirst vielleicht nicht von Vater und Mutter Stifter , Nachsommer. III . 4 gehen dürfen, gewiß aber wird kein Zwang sein, daß du sie oder mich weniger lieben müssest.“ „Nein, nein, rede mir nicht von diesen Dingen,“ erwiderte sie, „es peinigt mich, und zerstört mir das Herz, das ich dir mit großer Theilnahme in der Morgenstunde habe bringen wollen.“ „Nun, so reden wir nicht mehr davon, Klotilde,“ sagte ich, „sei nur beruhigt, und bleibe bei mir.“ „Ich bleibe ja bei dir,“ antwortete sie, „und sprich freundlich zu mir.“ Sie hatte die lezte Spur der Thränen von ihrem Angesichte vertilgt, sie sezte sich auf dem Size neben mir noch mehr zurecht, und ich mußte mit ihr sprechen. Sie fragte mich von neuem um Natalien, wie sie aussehe, was sie thue, wie sie sich zu ihrer Mutter ihrem Bruder und zu meinen Gastfreunde verhalte. Ich mußte ihr erzählen, wann ich sie zum ersten Male gesehen habe, wann ich in dem Sternenhofe gewesen sei, wann sie den Asperhof besucht habe, wann ein Ahnungsgefühl in mein Herz gekommen, wie es dort gewachsen sei, wie ich mit mir gekämpft habe, was dann gekommen sei, und wie es sich gefügt habe, daß wir endlich die Worte zu einander gefunden haben. Ich erzählte ihr gerne, ich erzählte ihr immer leichter, und je mehr sich die Worte von dem Herzen löseten, desto süßer wurde mein Gefühl. Ich hatte nicht geglaubt, daß ich von diesem meinen innersten Wesen zu irgend jemanden sprechen könnte; aber Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in welchem ich das Theure niederlegen konnte. Wir blieben sehr lange sizen, immer fragte mich Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da kam die Mutter in meine Stube. Da sie uns in ver¬ traulichem Gespräche sizen fand, sezte sie sich auch zu dem Tische, der vor mir und Klotilden stand, und sagte nach einer kurzen Weile, daß sie gekommen sei, uns zum Frühmahle zu holen. Sie hätte Klotilden nirgends gesehen, und hätte gemeint, daß sie an die¬ sem Morgen bei mir sein müsse. „Meine geliebten Kinder,“ fuhr sie fort, „bewahrt euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen, und bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch jezt und wie ihr den Eltern zugewandt seid; dann werdet ihr einen Schaz haben, der einer der schönsten im Leben ist, und der so oft verkannt wird. Ihr wer¬ det in eurer Vereinigung sittlich stark sein, ihr werdet die Freude eures Vaters bilden und mir werdet ihr das Glück meines Alters sein.“ 4 * Wir antworteten nichts auf diese Rede, weil uns ihr Inhalt so natürlich war, und folgten der Mutter aus dem Zimmer. Der Vater harrte schon unser in dem Speisege¬ mache, und da jezt die Ursache meiner unvermutheten Nachhausekunft allen bekannt war, und keines sich dagegen erklärte, so sprachen wir nun unverholen gemeinschaftlich von der Angelegenheit. Die Eltern hegten die besten Erwartungen von dem neuen Bunde, und freuten sich der Übereinstimmung zwischen mir und der Schwester. Ich mußte ihnen nun, wie ich es schon gegen Klotilde gethan hatte, noch mehreres von Natalien erzählen, wie sie sei, was sie thue, wohin sich ihre Bildung neige, und wie sie ihre Jugend könne zugebracht haben. Auch von Mathilden und dem Sternenhofe so wie von dem Asperhofe und meinem Gastfreunde mußte ich noch Manches nachholen, was das Bild ergänzen sollte, welches sich die Meinigen von den dortigen Verhältnissen machten. Ich sagte ihnen auch, daß ein günstiges Geschick hier walte, da gerade Natalie jenes Mädchen gewesen sei, welches einmal bei der Aufführung des „König Lear“ in einer Loge neben mir so ergriffen gewesen sei, welches mir großen Antheil eingeflößt, und mich, der ich den Schmerz im Trauerspiele getheilt hätte, im Heraus¬ gehen gleichsam zum Danke freundlich angeblickt habe. Erst in lezter Zeit sei das aufgeklärt worden. Der Vater sagte, daß die Familien, die durch längere Zeit gleichsam durch ein unsichtbares Band verbunden gewesen waren, durch das Band der gei¬ stigen Entwicklung seines Sohnes und des Verkehrs desselben mit beiden Theilen, auch in der Wirklichkeit sich nähern, sich kennen lernen, und in eine Verbin¬ dung treten werden. Die Mutter entgegnete, das sei jezt die dringendste Veranlassung, ja es sei nicht nur eine gesellschaftliche sondern sogar eine Familienpflicht, daß der Vater, welcher, je älter er werde, mit einer desto wärmeren Ausdauer, welche unbegreiflich ist, sich an seine Arbeitsstube kette, nun endlich einmal sich den Ge¬ schäften entreiße, eine Reise mache, und sich in derselben nur mit heiteren und schönen Dingen beschäftige. „Nicht nur ich werde eine Reise machen,“ antwor¬ tete er, „sondern auch du und Klotilde. Wir werden die Menschen dort, welche meinen Sohn so freundlich aufgenommen haben, besuchen. Aber auch sie werden eine Reise machen; denn auch sie werden zu uns in die Stadt kommen, und in diesen Zimmern verweilen. Wann aber diese Reisen stattfinden werden, läßt sich jezt noch gar nicht beurtheilen. Jedenfalls muß unser Sohn zuerst allein wieder hinreisen, und muß die Einwilligung seiner Familie überbringen. Seinem Ermessen und hauptsächlich den Rathschlägen seines älteren Freundes wird es dann anheimgegeben sein, wie die Sachen im weiteren Verlaufe sich entwickeln sollen. Die Reise unseres Sohnes muß aber sogleich geschehen; denn so fordert es die neue Pflicht, die er eingegangen ist. Wir werden abwarten, welche Nach¬ richten er uns von seiner Ankunft im Sternenhofe zusenden, oder welche Meinung er uns selber über¬ bringen wird.“ „Die Reise, mein Vater,“ entgegnete ich, „wünsche ich, so bald es nur möglich ist, anzutreten, am liebsten sogleich morgen oder wenn ein Aufschub sein muß, doch übermorgen.“ „Es wird nicht verspätet sein, wenn du übermor¬ gen reisest, da sich doch noch Einiges zum Besprechen ergeben kann,“ antwortete er. Klotilde äußerte ihre Freude daß einmal alle eine Reise antreten würden. „Und für den guten Vater könnte nun öfter der Anlaß gegeben sein,“ sagte die Mutter, „daß er in das Freiere und Weitere komme, daß er reine Luft athme, und Berg und Wald und Feld betrachte.“ „Ich werde doch, einmal, meine liebe Therese, mein Buch abschließen,“ erwiederte der Vater, „und es wird für mich der Stillstand der Geschäfte eintreten. Sie mögen in andere Hände übergehen, oder sich ganz auflösen. Dann wird es Zeit sein, im Anblicke von Berg Wald und Feld ein Haus zu miethen oder zu bauen, daß wir im Sommer dort und im Winter hier wohnen, wenn wir nicht gar lieber auch manchen Winter draußen bleiben wollen.“ „So hast du oft gesagt,“ antwortete die Mutter, „aber es ist nicht geschehen.“ „Wenn Zeit und Ort darnach angethan sind, wird es geschehen,“ erwiederte er. „Wenn dann noch deine Gesundheit und dein geistiges Wesen davon den gewünschten Nuzen ziehen,“ sagte die Mutter, „werde ich jeden Winter preisen, welchen wir mitten in irgend einem Lande zubringen.“ „Es wird sich vieles ereignen, woran wir jezt nicht denken,“ antwortete der Vater. Wir standen von dem Frühmahle auf, und jedes ging an seine Geschäfte. Im Laufe des Vormittages ließ mich die Mutter wieder zu sich bitten, und fragte mich, wie ich es denn zu halten gedenke, wo ich mit Natalien wohnen wolle. Es sei in dem Hause Plaz genug, nur müßte alles gerichtet werden. Auch seien viele andere Dinge zu ordnen, besonders meine Kleider, in denen ich doch nun anders sein müsse. Sie wünsche meine Meinung zu hören, damit man zu rechter Zeit beginnen könne, um noch fertig zu werden. Ich sagte, daß ich in der That auf diese Angele¬ genheit nicht gedacht habe, daß ihre Erwägung wohl noch Zeit habe, und daß wir vor Allem den Vater um Rath fragen sollten. Sie war damit einverstanden. Als wir nach dem Mittagsessen den Vater frag¬ ten, war er meiner Meinung, daß es noch zu frühe sei, an diese Dinge zu denken. Es würde schon zu rechter Zeit geschehen, daß alles, was noth thue, in Ordnung gesezt werden könne. Jezt seien andere Dinge zu besprechen und zu bedenken. Wenn es an der Zeit sei, werde es die Mutter erfahren, daß sie alle ihre Maßregeln ausreichend treffen könne. Sie war damit zufrieden. Nachmittags fragte ich in der Stadt im Hause der Fürstin an, und erfuhr, daß dieselbe zufällig auf mehrere Tage anwesend sei. Sie habe die Absicht nach Riva zu gehen, um dort einige Wochen an den Ufern des blauen Gardasees zu verleben. Sie sei jezt eben damit beschäftigt, die Vorbereitungen zu dieser Reise zu machen. Ich ließ anfragen, wann ich sie sprechen könnte, und wurde auf den nächsten Tag um zwölf Uhr bestellt. Ich nahm zu dieser Zeit eine Mappe mit einigen meiner Arbeiten zu mir, und verfügte mich in ihre Wohnung. Nach den freundlichen Empfangsworten drückte sie ihre Verwunderung aus, mich jezt hier zu finden. Ich gab die Verwunderung für ihre Person zurück. Sie führte mir als Grund ihre beabsichtigte Reise an, und ich sagte, daß plözlich gekommene An¬ gelegenheiten meinen Sommeraufenthalt unterbro¬ chen, und mich in die Stadt geleitet hätten. Sie fragte mich um meine Arbeiten während der Zeit meiner Abwesenheit. Ich erklärte ihr dieselben. Als ich von dem Simmigletscher sprach, nahm sie besonderen Antheil, weil ihr dieses Gebirge aus früherer Zeit her bekannt war. Ich mußte ihr genau beschreiben, und zeigen, wo wir gewesen, und was wir gethan haben. Ich zog die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern ihren Einränderungen ihrer Einbuchtung ihrer Ab¬ gleitung und ihres oberen Ursprunges gemacht hatte, und in meiner Mappe mit mir trug, hervor, und breitete sie vor ihr aus. Sie ließ sich jedes auch das kleinste an diesen Zeichnungen beschreiben und erklären. Ich mußte ihr auch versprechen, bei nächster günstiger Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des Lautersees ihr vorzulegen und auf das Genaueste zu erörtern. Es sei ihr dies doppelt wünschenswerth, weil sie jezt selber zu einem See reise, der einer der merkwürdigsten des südlichen Alpenabhanges sei. Hier¬ auf befragte sie mich um meine anderen Bestrebungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, worauf ich er¬ wiederte, daß ich heuer außer den Gletscherzeichnungen, die doch wieder fast nur wissenschaftlicher Natur seien, nichts hatte machen können, weder in Landschaften noch in Abbildung menschlicher Köpfe. „Wenn ihr ein sehr schönes jugendliches Angesicht abbilden wollt,“ sagte sie, „so müsset ihr suchen, das Angesicht der jungen Tarona abbilden zu dürfen. Ich bin alt, habe viel erfahren, habe sehr viele Menschen gesehen und betrachtet, aber es ist mir wenig vorgekommen, das edler, einnehmender und liebenswürdiger gewesen wäre, als die Züge der Tarona.“ Ich erröthete sehr tief bei diesen Worten. Sie richtete die klaren lieben Augen auf mich, lächelte sehr fein, und sagte: „Haltet ihr etwa schon jemanden für das Schönste?“ Ich antwortete nicht, und sie schien auch eine Antwort nicht zu erwarten. Von Natalien konnte ich ihr nichts sagen, da die Sache nicht so weit gediehen war, um sie andern verkündigen zu können. Wir brachen ab, ich verabschiedete mich bald, sie reichte mir gütig die Hand, welche ich küßte, und lud mich ein, ja im künftigen Winter sehr bald von dem Gebirge zurück zu kommen, da auch sie sehr bald in der Stadt einzutreffen gedenke. Ich antwortete, daß ich über jenen Zeitpunkt jezt durchaus nicht zu verfügen im Stande sei. Am zweiten Tage Morgens stand ich reisefertig in meinem Zimmer. Der Wagen war vor das Haus bestellt worden. Ich hatte mir es nicht versagen kön¬ nen, in einem besonderen Wagen so schnell als mög¬ lich in den Sternenhof zu fahren. Vater Mutter und Schwester waren in dem Speisezimmer, um von mir Abschied zu nehmen. Ich begab mich auch in dasselbe, und wir nahmen ein kleines Frühmahl ein. Nach dem¬ selben sagte ich Lebewohl. „Gott segne dich, mein Sohn,“ sprach die Mutter, „Gott segne dich auf deinem Wege, er ist der ent¬ scheidende, du bist nie einen so wichtigen gegangen. Wenn mein Gebet und meine Wünsche etwas vermö¬ gen, wirst du ihn nicht bereuen.“ Sie küßte mich auf den Mund, und machte mir das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn. Der Vater sagte: „Du hast von deiner frühen Jugend an erfahren, daß ich mich nicht in deine An¬ gelegenheiten menge; handle selbstständig, und trage die Folgen. Wenn du mich frägst, wie du jezt gethan hast, so werde ich dir immer beistehen, in so weit es meine größere Erfahrung vermag. Aber einen Rath möchte ich dir doch in dieser wichtigen Angelegenheit geben, oder vielmehr nicht einen Rath geben, son¬ dern deine Aufmerksamkeit möchte ich auf einen Um¬ stand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit dieser Tage nicht gedacht hast. Ehe du das ernste Band schließest, ist noch Manches für dich nothwen¬ dig, deinen Geist und dein Gemüth zu stärken und zu festigen. Eine Reise in die wichtigsten Städte Eu¬ ropas und zu den bedeutendsten Völkern ist ein sehr gutes Mittel dazu. Du kannst es, deine Vermö¬ genslage hat sich sehr gebessert, und ich lege wohl auch etwas dazu, wie ich überhaupt mit dir Abrech¬ nung halten muß.“ Ich war sehr bewegt, und konnte nicht sprechen. Ich nahm den Vater nur bei der Hand, und dankte ihm stumm. Klotilde nahm mit Thränen Abschied, und sagte leise, als ich sie an mich drückte: „Gehe mit Gott, es wird Alles recht sein, was du thust, weil du gut bist, und weil du auch klug bist.“ Ich sprach die Hoffnung aus, daß ich bald wieder kommen werde, und ging die Treppe hinab. Meine Reise war sehr schnell, weil überall die Pferde schon bestellt waren, weil ich nirgends schlief, und zum Essen nur die kürzeste Zeit verwendete. Als ich im Sternenhofe in das Zimmer Mathil¬ dens trat, kam sie mir entgegen, und sagte: „Seid willkommen, es ist Alles, wie ich gedacht habe; denn sonst wäret ihr nicht zu mir sondern zu unserm Freunde gekommen.“ „Meine Angehörigen ehren euch, ehren unseren Freund, und glauben an unser Glück und an unsere Zukunft,“ erwiederte ich. „Seid willkommen, Natalie,“ sagte ich, als diese gerufen worden und in das Zimmer getreten war, „ich bringe freundliche Grüße von den Meinigen.“ „Seid willkommen,“ antwortete sie, „ich habe immer gehofft, daß es so geschehen, und daß eure Abwesenheit so kurz sein wird.“ „Meine Hoffnung war wohl auch dieselbe,“ erwie¬ derte ich, „aber jezt ist alles klar, und jezt ist völlige Beruhigung vorhanden.“ Wir blieben bei Mathilden, und sprachen einige Zeit mit einander. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft reiste ich zu meinem Gastfreunde. Mathilde hatte mir einen Wagen und Pferde mit gegeben. Als ich in das Schreinerhaus gekommen war, in welchem sich mein Gastfreund bei meiner Ankunft be¬ fand, reichte er mir die Hand, und sagte: „Ich bin von eurer Rückkunft bereits benachrichtigt; man hat mir von dem Sternenhofe gleich nach eurem Eintreffen in demselben geschrieben.“ Eustach sah mich seltsam an, so daß ich vermu¬ thete, er wisse auch bereits von der Sache. Wir gingen nun in das Haus und man öffnete mir meine gewöhnliche Wohnung. Gustav kam nach einer Weile zu mir herauf, und konnte seiner Freude beinahe kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist. Mein Gastfreund hatte ihm die Thatsache erst heute eröffnet. Er sprach ohne Rückhalt aus, daß ihm die Sache so weit weit lieber sei, als wenn Tillburg seine Schwester aus dem Hause geführt hätte, dessen Wille wohl immer dahin gerichtet gewesen wäre. 2. Das Vertrauen. Ich blieb einige Zeit bei meinem Gastfreunde, theils weil er es selber verlangte, theils, um jene Ruhe zu gewinnen, die ich sonst immer hatte, und die ich brauchte, um in meinen Bestrebungen klar zu sehen, und sie nach gemachter Einsicht zu ordnen. Die Leute blickten mich fragend oder verwundert an. Vermuthlich hatte es sich ausgebreitet, in welche Beziehung ich zu Personen getreten bin, welche Freunde des Hauses sind, und welche oft in dasselbe als Besuchende kommen. Nirgends aber trat mir der Anschein entgegen, als ob man mir das Verhältniß mißgönnte, oder es mit ungünstigen Augen ansähe. Im Gegentheile, die Leute waren fast freundlicher und dienstwilliger als vorher. Ich kam in das Gartenhaus. Der Gärtner Simon trat mir mit einer Art Ehrerbiethung entgegen und rief seine Gattin Clara herbei, um ihr zu sagen, daß ich da sei, und um sie zu veranlassen, daß sie mir ihre Verbeugung mache. Er hatte dies sonst nie gethan. Als diese Art von Vorstellung vorüber war, führte er mich erst in den Garten, wie er mit kurzem Ausdrucke blos seine Gewächshäuser nannte. Er zeigte mir wieder seine Pflanzen, erklärte mir, was neu erworben worden war, was sich besonders schön entwickelt habe, und was in gutem Stande geblieben sei; er erzählte mir auch, welche Verluste man erlitten habe, wie die Pflanzen im schönsten Gedeihen gewesen seien, die man verloren habe, und welchen besonderen Ursachen man ihren Verlust zuschreiben müsse. Er bedachte hiebei nicht, daß etwa meine Gedanken anderswo sein könnten, wie er bei einer früheren Gelegenheit auch nicht geahnt hatte, daß mein Gemüth abwesend sei, da er mir ebenfalls mit vieler Lust und großer Umsicht seine Gewächse erklärt hatte. Besonders eifrig war er in der Darlegung der Vorzüge und Schön¬ heiten der Rose, welche die Frau des Sternenhofes für den Herrn des Hauses aus England verschrieben habe. Er führte mich zu ihr, und zeigte mir alle Vortrefflich¬ Stifter . Nachsommer. III . 5 keiten derselben. Dann mußte ich auch mit ihm in das Cactushaus gehen, wo er mir sogleich den Cereus Peruvianus wies, der durch meine Güte, wie er sich ausdrückte, in den Asperhof gekommen sei. Er wachse bereits steilrecht in seinem Glasfache empor, was durch viele Mühe und Kunst bewirkt worden sei. Die gelbliche Farbe vom Inghofe sei in die dunkelblau¬ grüne gleichsam mit einem Dufte überflogene über¬ gegangen, welche die völlige Gesundheit der Pflanze beweise. Wenn es so fortgehe, so könne auch noch die Freude der fabelhaften weißen Blumen der lebendigen Säule in dieses Haus kommen. Er führte mich dann zu einigen Cactusgestalten, die eben im Blühen be¬ griffen waren. Es lag eine ziemlich große Sammel¬ linse in der Nähe, um die Blumen und nebstbei auch die Waffen und die Gestaltungen der Pflanzenkörper unter dem Einflusse des vollen Sonnenlichtes betrach¬ ten zu können. Er bath mich, die Linse zu gebrauchen. Es war eine farblos zeigende und zugleich eine, bei welcher die Abweichung wegen der Kugelgestalt auf ein Kleinstes gebracht war. Überhaupt wies sie sich als vortrefflich aus. Er erzählte mir, daß der Herr das Vergrößerungsglas eigens zum Betrachten der Cacteen habe machen, es in das schöne Elfenbein fassen, und in das reine Sammetfach habe legen lassen. Heute erst sei er noch indem Cactushause gewesen und habe mit dem Glase die Blüthen und viele Stacheln angeschaut. Ich bediente mich des Glases, und sah in den von den seidenartigen Blumenblättern umstandenen gelben weißen oder rosenfarbigen Kelch hinein, wie sie eben vorhanden waren. Daß der Glanz dieser Blu¬ menfarben besonders schön weit schöner als die feinste Seide und als der der meisten Blumen sei, wußte ich ohnehin, mußte es mir aber doch von dem Gärtner Simon zeigen lassen, so wie er auch der schönen grün oder rosig oder dunkelrothbraun dämmernden Tiefe des Kelches erwähnte, aus der die Wucht der schlan¬ ken Staubfäden aufsteige, die keine Blüthe so zierlich habe. Überhaupt seien die Cactusblumen die schön¬ sten auf der Welt, wenn man etwa einige Schmarozer¬ gewächse und ganz wenige andere vereinzelte Blumen ausnehme. Er machte mich auch auf einen Umstand aufmerksam, den ich nicht wußte, oder den ich nicht beobachtet hatte, daß nehmlich bei einigen Kugel¬ cactus sich die Blumen stets aus neuen Stachelaugen meistens mit ganz kurzem Stengel entwickeln, wäh¬ rend sie bei andern auf einem mehr oder minder hohen Stiele aus vorjährigen oder noch älteren Stachel¬ 5 * augen sich erheben. Er sagte, das werde gewiß ein¬ mal einen Grund zu einer neuen Eintheilung dieser Cactusgestalt geben. Er zeigte mir an vorhandenen Gewächsen den Unterschied, und ich mußte ihn erken¬ nen. Er sagte, daß dies nicht zufällig sei, und daß er die Thatsache schon dreißig Jahre beobachte. Da¬ mals, als er jung gewesen, seien kaum einige dieser Gestaltungen bekannt gewesen, jezt vermehre sich die Kenntniß derselben bedeutend, seit die Menschen zur Einsicht ihrer Schönheit gekommen sind, und Reisende Pflanzen aus Amerika senden, wie jener Reisende, der von deutschen Landen aus fast in der ganzen Welt gewesen sei. Es könne nur Unverstand oder Oberfläch¬ lichkeit oder Kurzsichtigkeit diese Pflanzengattung un¬ gestaltig nennen, da doch nichts regelmäßiger und manigfaltiger und dabei reizender sei als eben sie. Nur eine erste genaue Betrachtung und Vergleichung derselben sei nöthig, und nur ein sehr kurzes Fortsezen dieser Betrachtung, damit die Gegner dieser Pflanzen in warme Verehrer derselben übergehen — es müßte nur ein Mensch überhaupt kein Freund der Pflanzen sein, welche Gattung es vielleicht in der Welt nicht gibt. Als ich das Pflanzenhaus verließ, begleitete er mich bis an die Grenze der Gewächshäuser, und auch seine Gattin trat aus der Thür ihrer Wohnung, um sich von mir zu verabschieden. In dem Blumengarten und in der Abtheilung der Gemüse blieben die Arbeitsleute vor mir stehen, nahmen den Hut ab, und grüßten mich artig. Eustach war mild und freundlich wie gewöhnlich; aber er war noch weit inniger, als er es in früheren Zeiten gewesen war. Mich freute die Billigung gerade von diesem Menschen ungemein. Er zeigte mir alles, was in der Arbeit war, und was sich an wirklichen Dingen was an Zeichnungen was an Nachrichten in der jüngsten Zeit zu dem bereits Vorhandenen hinzu¬ gefunden hatte. Er sagte, daß mein Gastfreund in Kurzem eine ziemlich weit entfernte Kirche besuchen werde, in welcher man auf seine Kosten Wiederher¬ stellungen mache, und daß er mich zu dieser Reise ein¬ laden wolle. Ich sah unter allen vorhandenen Dingen und Stoffen den sehr schönen Marmor nicht, den ich meinem Gastfreunde zum Geschenke gemacht hatte, und war auch nie in Kenntniß gekommen, daß daraus etwas verfertigt worden sei. Es sprach niemand da¬ von, und ich fragte auch nicht. In mancher Stunde sah ich den Arbeiten zu, welche in dem Schreinerhause ausgeführt wurden. Roland war wie gewöhnlich im Sommer nicht in dem Asperhofe anwesend. Mit Eustach besuchte ich auch die Bilder meines Gastfreundes seine Kupferstiche seine Schnizereien und seine Geräthe. Wir sprachen über die Dinge, und ich suchte mir ihren Werth und ihre Bedeutung immer mehr eigen zu machen. Auch in das Bücherzimmer den Marmorsaal und das Treppenhaus meines Gastfreun¬ des ging ich. Wie war die Gestalt auf der Treppe erhaben edel und rein gegen die Nimphe in der Grotte des Gartens im Sternenhofe, die mir in der lezten Zeit so lieb geworden war. Durch meine Bitte ließ sich mein Freund bewegen, mir die Zimmer aufzu¬ schließen, in denen Mathilde und Natalie während ihres Aufenthaltes in dem Asperhofe wohnen. Ich blieb länger als in den anderen in dem lezten kleinen Gemache mit der Tapettenthür, welches ich die Rose genannt hatte. Mich umwehte die Ruhe und Klar¬ heit, die in dem ganzen Wesen Mathildens aus¬ geprägt ist, die in den Farben und Gestalten des Zim¬ mers sich zeigte, und die in den unvergleichlichen Bil¬ dern lag, die hier aufgehängt waren. Wir gingen auch in den Meierhof. Die Leute be¬ gegneten mir achtungsvoll, sie zeigten mir alle Räume, und wiesen, was sich in ihnen befinde, was dort gear¬ beitet werde, wozu sie dienen, und was sich in neuerer Zeit geändert habe. Der Meier hatte seine besondere Freude an der neuen von ihm selbst verbesserten Zucht der Füllen und an dem Volke aller von meinem Gast¬ freunde eingeführten Gattungen von Hühnern. Als wir uns von dem Meierhofe entfernten, und uns der vielstimmige Gesang der Vögel aus dem Garten des Hauses entgegen schallte, sah ich im Rückblicke, daß sich unter dem Thorwege eine Gruppe von Mägden mit ihren blauen Schürzen und weißen Hemdärmeln gesammelt habe, und uns nachschaue. Wenn ich auch erkannte, daß ich der Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden war, so entschlüpfte doch niemandem ein Wort, welches einen Grund dieser Auf¬ merksamkeit angedeutet hätte. Gustav, welcher wohl Anfangs seine Freude ge¬ gen mich ausgesprochen hatte, daß es sei, wie es ist, und daß keiner von denen, die es gewollt hatten, seine Schwester fortgeführt, sprach nun von dem Gegen¬ stande nicht mehr, und schloß sich nur noch herzlicher, wenn dieses möglich war, an mich an. Mein Gastfreund sagte mir endlich auch von der Reise nach der Kirche, von welcher Eustach gesprochen hatte, und lud mich zu derselben ein. Ich nahm die Einladung an. Wir fuhren eines Morgens von dem Asperhofe fort, mein Gastfreund Eustach Gustav und ich. Gustav wird, wie mir mein Gastfreund sagte, auf jede kleinere Reise von ihm mitgenommen. Wenn dies bei ausgedehnteren Reisen nicht der Fall sein kann, so wird er zu seiner Mutter in den Sternenhof gebracht. Wir kamen erst am zweiten Tage bei der Kirche an. Roland, welcher von unserer Ankunft unter¬ richtet gewesen war, erwartete uns dort. Die Kirche war ein Gebäude im altdeutschen Sinn. Sie stammte, wie meine Freunde versicherten, aus dem vierzehnten Jahrhunderte her. Die Gemeinde war nicht groß und nicht besonders wohlhabend. Die leztvergange¬ nen Jahrhunderte hatten an dieser Kirche viel ver¬ schuldet. Man hatte Fenster zumauern lassen, ent¬ weder ganz oder zum Theile, man hatte aus den Nischen der Säulen die Steinbilder entfernt, und hatte hölzerne, die vergoldet und gemalt waren, an ihre Stelle gebracht. Weil aber diese größer waren als ihre Vorgänger, so hat man die Stellen, an die sie kommen sollten, häufig ausgebrochen, und die frü¬ heren Überdächer mit ihren Verzierungen weggeschla¬ gen. Auch ist das Innere der ganzen Kirche mit bun¬ ten Farben bemalt worden. Als dieses in dem Laufe der Jahre auch wieder schadhaft wurde, und sich Aus¬ besserungsarbeiten an der Kirche als dringlich noth¬ wendig erwiesen, gab sich auch kund, daß die Mittel dazu schwer aufzubringen sein würden. Die Gemeinde gerieth beinahe über den Umfang der Arbeiten, die vorzunehmen wären, in großen Hader. Offenbar waren in früheren Zeiten reiche und mächtige Wohl¬ thäter gewesen, welche die Kirche hervorgerufen und erhalten hatten. In der Nähe stehen noch die Trüm¬ mer der Schlösser, in denen jene wohlhabenden Ge¬ schlechter gehaust hatten. Jezt steht die Kirche allein als erhaltenes Denkmal jener Zeit auf dem Hügel, einige in neuerer Zeit erbaute Häuser stehen um sie herum, und rings liegt die Gemeinde in den in dem Hügellande zerstreuten Gehöften. Die Besizer der Schloßruinen wohnen in weit entfernten Gegenden, und haben, da sie ganz anderen Geschlechtern angehö¬ ren, entweder nie eine Liebe zu der einsamen Kirche gehabt, oder haben sie verloren. Der Pfarrer, ein schlichter frommer Mann, der zwar keine tiefen Kennt¬ nisse der Kunst hatte, aber seit Jahren an den Anblick seiner Kirche gewöhnt war, und sie, da sie zu verfallen begann, wieder gerne in einem so guten Zustande ge¬ sehen hätte, als nur möglich ist, schlug alle Wege ein, zu seinem Ziele zu gelangen, die ihm nur immer in den Sinn kamen. Er sammelte auch Gaben. Auf leztem Wege kam er zu meinem Gastfreunde. Dieser nahm Antheil an der Kirche, die er unter seinen Zeich¬ nungen hatte, reiste selber hin, und besah sie. Er ver¬ sprach, daß er, wenn man seinen Plan zur Wieder¬ herstellung der Kirche billige, und annehme, alle Kosten der Arbeit, die über den bereits vorhandenen Vorrath hinausreichen, tragen, und die Arbeit in einer gewissen Zahl von Jahren beendigen werde. Der Plan wurde ausgearbeitet, und von allen, welche in der Angele¬ genheit etwas zu sprechen hatten, genehmigt, nachdem der Pfarrer schon vorher, ohne ihn gesehen zu haben, sehr für ihn gedankt, und sich überall eifrig für seine Annahme verwendet hatte. Es wurde dann zur Aus¬ führung geschritten, und in dieser Ausführung war mein Gastfreund begriffen. Die Füllmauern in den Fenstern wurden vorsichtig weggebrochen, daß man keine der Verzierungen, welche in Mörtel und Ziegeln begraben waren, beschädige, und dann wurden Glas¬ scheiben in der Art der noch erhaltenen in die aus¬ gebrochenen Fenster eingesezt. Die hölzernen Bilder von Heiligen wurden aus der Kirche entfernt, die Nischen wurden in ihrer ursprünglichen Gestalt wieder hergestellt. Wo man unter dem Dache der Kirche oder in anderen Räumen die alten schlanken Gestalten der Heiligenbilder wieder finden konnte, wurden sie, wenn sie beschädigt waren, ergänzt, und an ihre muthma߬ lichen Stellen gesezt. Für welche Nischen man keine Standbilder auffinden konnte, die wurden leer ge¬ lassen. Man hielt es für besser, daß sie in diesem Zu¬ stande verharren, als daß man eins der hölzernen Bilder, welche zu der Bauart der Kirche nicht paßten, in ihnen zurückgelassen hätte. Freilich wäre die Ver¬ fertigung von neuen Standbildern das Zweckmäßigste gewesen; allein das war nicht in den Plan der Wie¬ derherstellung aufgenommen worden, weil es über die zu diesem Werke verfügbaren Kräfte meines Gast¬ freundes ging. Alle Nischen aber, auch die leeren, wurden, wenn Beschädigungen an ihnen vorkamen, in guten Stand gesezt. Die Überdächer über ihnen wurden mit ihren Verzierungen wieder hergestellt. Zu der Übertünchung des Innern der Kirche war ein Plan entworfen worden, nach welchem die Farbe jener Theile, die nicht Stein waren, so unbestimmt gehalten werden sollte, daß ihr Anblick dem eines blossen Stoffes am ähnlichsten wäre. Die Gewölb¬ rippen, deren Stein nicht mit Farbe bestrichen war, so wie alles Andere von Stein wurde unberührt ge¬ lassen, und sollte mit seiner bloß stofflichen Oberfläche wirken. Die Gerüste zu der Übertünchung waren bereits dort geschlagen, wo man mit Leitern nicht aus¬ langen konnte. Freilich wäre in der Kirche noch vie¬ les Andere zu verbessern gewesen. Man hatte den alten Chor verkleidet und ganz neue Mauern zu einer Emporkirche aufgeführt, man hatte ein Seitenkapell¬ chen im neuesten Sinne hinzugefügt, und es war ein Theil der Wand des Nebenschiffes ausgenommen worden, um eine Vertiefung zu mauern, in welche ein neuer Seitenaltar zu stehen kam. Alle diese Fehler konnten wegen Unzulänglichkeit der Mittel nicht verbessert werden. Der Hauptaltar in alt¬ deutscher Art war geblieben. Roland sagte, es sei ein Glück gewesen, daß man im vorigen Jahrhun¬ derte nicht mehr so viel Geld gehabt habe als zur Zeit der Erbauung der Kirche, denn sonst hätte man gewiß den ursprünglichen Altar weggenommen, und hätte einen in dem abscheulichen Sinne des vergange¬ nen Jahrhunderts an seine Stelle gesezt. Mein Gast¬ freund besah alles, was da gearbeitet wurde, und es ward ein Rath mit Eustach und Roland gehalten, dem auch ich beigezogen wurde, um zu erörtern, ob alles dem gefaßten Plane getreu gehalten werde, und ob man nicht Manches mit Aufwendung einer mäßi¬ gen Summe noch zu dem ursprünglich Beabsichtigten hinzu thun könnte, was der Kirche noth thäte, und was ihr zur Zierde gereichte. Die Ansichten vereinig¬ ten sich sehr bald, da die Männer nach der nehmlichen Richtung hin strebten, und da ihre Bildungen in die¬ ser Hinsicht sich wechselweise zu dem gleichen Ergeb¬ nisse durchdrungen hatten. Ich konnte sehr wenig mit reden, obgleich ich gefragt wurde, weil ich einerseits zu wenig mit den vorhandenen Grundlagen vertraut war, und weil andererseits meine Kenntnisse in dem Einzelnen der Kunst, um welche es sich hier handelte, mit denen meiner Freunde nicht Schritt halten konnten. Der Pfarrer hatte uns sehr freundlich aufgenommen, und wollte uns sämmtlich in seinem kleinen Hause beherbergen. Mein Gastfreund lehnte es ab, und wir richteten uns, so gut es ging, in dem Gasthofe ein. Der Ehrerbiethung und des Dankes aber konnte der bescheidene Pfarrer gegen meinen Gastfreund kein Ende finden. Auch kam eine Abordnung mehrerer Ge¬ meindeglieder, um, wie sie sagten, ihre Aufwartung zu machen, und ihren Dank darzubringen. Wirklich, wenn man die schlanken edlen Gestaltungen der Kirche ansah, welche da einsam auf ihrem Hügel in einem abgelegenen Theile des Landes stand, in dem man sie gar nicht gesucht hätte, und die schon geschehenen Ver¬ besserungen betrachtete, welche ihre feinen Glieder wie¬ der zu Ansehn und Geltung brachten, so konnte man nicht umhin, sich zu freuen, daß die reinen blauen Lüfte wieder den reinen einfachen Bau umfächelten, wie sie ihn umfächelt hatten, als er nach dem Haupte des längst verstorbenen Meisters aus den Händen der Arbeitsleute hervor gegangen war. Und wirklich mußte man sich auch zum Danke verpflichtet fühlen, daß es einen Mann gab, wie mein Gastfreund war, der aus Liebe zu schönen Dingen, und ich muß wohl auch hinzufügen, aus Liebe zur Menschheit, einen Theil seines Einkommens seiner Zeit und seiner Einsicht opfert, um manch Edles dem Verfalle zu entreißen, und vor die Augen der Menschen wohlgebildete und hohe Gestaltungen zu bringen, daß sie sich daran, wenn sie dessen fähig sind und den Willen haben, erheben und erbauen können. Das alles wußten aber die Gemeindeglieder nicht, sie dankten nur, weil sie meinten, daß es ihre Schul¬ digkeit sei. Nachdem mein Gastfreund den Bau gut befunden, und mit Eustach dem eigentlichen Werkmeister das Nähere angeordnet hatte, und nachdem auch Roland die Zusicherung gegeben hatte, daß er dem Wunsche meines Gastfreundes gemäß öfter nachsehen und Be¬ richt erstatten werde, rüsteten wir uns, unsere ver¬ schiedenen Wege zu gehen. Roland wollte wieder in das nahe liegende Gebirge zurückkehren, von dem er zu der Kirche heraus gekommen war, und wir wollten den Weg nach dem Asperhofe antreten. Roland ent¬ fernte sich zuerst. Wir besuchten noch den Inhaber eines Glaswerkes in der Nähe, der von großem Ein¬ flusse war, und begaben uns dann auf den Weg nach dem Hause meines Freundes. Auf dem Rückwege kamen wir über die Bildung des Schönen zu sprechen, wie es gut sei, daß Menschen aufstehen, die es darstellen, daß über ihre Mitbrüder auch dieses sanfte Licht sich verbreite, und sie immer zu hellerer Klarheit fort führe; daß es aber auch gut sei, daß Menschen bestehen, welche geeignet sind, das Schöne in sich aufzunehmen, und es durch Umgang auf Andere zu übertragen, besonders, wenn sie noch wie mein Gastfreund das Schöne überall aufsuchen, es erhalten, und es durch Mühe und Kraft wieder herzustellen suchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es sei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und den Drang hiezu. „Wir haben schon einmal über Ähnliches gespro¬ chen,“ sagte mein Gastfreund, „meine Erfahrungen in der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es ganz bestimmte Anlagen zu ganz bestimmten Dingen gibt, mit denen die Menschen geboren werden. Nur in der Größe unterscheiden sich diese Anlagen, in der Möglichkeit, sich auszusprechen, und in der Gelegen¬ heit, kräftig zur Wirksamkeit kommen zu können. Da¬ durch scheint Gott die Manigfaltigkeit der Thaten mit ihrem nachdrücklichsten Erfolge, wie es auf der Erde nothwendig ist, vermitteln zu wollen. Es er¬ schien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit hatte, es zu beobachten, wie bei Menschen, die be¬ stimmt sind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung zu leisten, sich ihre Anlage bis in die feinsten Fäden ihres Gegenstandes ausspricht, und zu ihm hindrängt, während sie in Anderm bis zum Kindlichen unwissend bleiben können. Einer, der über Kunstdinge troz aller Belehrung troz alles Umganges troz langjähriger täg¬ licher Berührung mit auserlesenen Kunstwerken nie Anderes als Ungereimtes sagen konnte, war ein Staatsmann, der die feinsten Abschattungen seines Gegenstandes durchdrang, der die Gedanken der Völ¬ ker und die Absichten der Menschen und Regierungen, mit denen er verkehrte, errieth, und es verstand, alle Dinge seinen Zwecken dienstbar machen zu können, so daß das anderen wie ein Zauberwerk eines Geistes erschien, was gleichsam ein Naturgesez war. In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit einem Verstande, über den wir uns vor Bewunderung kaum zu fassen wußten, in die Tiefen eines Kunst¬ wesens, das er besprechen wollte, einging, und Ge¬ danken zu Tage brachte, von denen wir nicht begrie¬ fen, wie sie in das Herz eines Menschen haben kom¬ men können; während er die Meinungen und Absich¬ ten ganz gewöhnlicher Menschen und gerade solcher, die tief unter ihm standen, nicht durchschaute, und den nothwendigen Gang der Staaten nicht sah, weil ihm das Auge dafür versagt war, oder weil er im Drange seiner Gegenstände darauf nicht achtete. Ich könnte noch mehrere Beispiele anführen: den zum Feldherrn Geborenen im Richtersaale um mein und dein, oder den, der wissenschaftliche Stoffe fördert, in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch manchen gegeben, daß sie dem Schönen nachgehen Stifter , Nachsommer. III . 6 müssen, und sich zu ihm wie zu einer Sonne wenden, von der sie nicht lassen können. Es ist aber immer nur eine bestimmte Zahl von solchen, deren einzelne Anlage zu einer besonderen großen Wirksamkeit aus¬ geprägt ist. Ihrer können nicht viele sein, und neben ihnen werden die geboren, bei denen sich eine gewisse Richtung nicht ausspricht, die das Alltägliche thun, und deren eigenthümliche Anlage darin besteht, daß sie gerade keine hervorragende Anlage zu einem her¬ vorragenden Gegenstande haben. Sie müssen in gro¬ ßer Menge sein, daß die Welt in ihren Angeln bleibt, daß das Stoffliche gefördert werde, und alle Wege im Betriebe sind. Sehr häufig aber kömmt es nun leider auf den Umstand an, daß der rechten Anlage der rechte Gegenstand zugeführt wird, was so oft nicht der Fall ist.“ „Könnte denn nicht die Anlage den Gegenstand suchen, und sucht sie ihn nicht auch oft?“ fragte Eustach. „Wenn sie in großer Macht und Fülle vorhanden ist, sucht sie ihn,“ entgegnete mein Gastfreund, „zu¬ weilen aber geht sie in dem Suchen zu Grunde.“ „Das ist ja traurig, und dann wird ihr Zweck verfehlt,“ antwortete Eustach. „Ich glaube nicht, daß ihr Zweck ganz verfehlt wird.“ sagte mein Gastfreund, „das Suchen und das, was sie in diesem Suchen fördert, und in sich und anderen erzeugt, war ihr Zweck. Es müssen eben verschiedene und zwar verschieden hohe und verschie¬ den geartete Stufen erstiegen werden. Wenn jede Anlage mit völliger Blindheit ihrem Gegenstande zugeführt würde, und ihn ergreifen und erschöpfen müßte, so wäre eine viel schönere und reichere Blume dahin, die Freiheit der Seele, die ihre Anlage einem Gegenstande zuwenden kann oder sich von ihm fern halten, die ihr Paradies sehen, sich von ihm abwen¬ den und dann trauern kann, daß sie sich von ihm abgewendet hat, oder die endlich in das Paradies eingeht, und sich glücklich fühlt, daß sie eingegan¬ gen ist.“ „Oft habe ich schon gedacht,“ sagte ich, „da die Kunst so sehr aus die Menschen wirkt, wie ich an mir selber wenn auch nur erst kurze Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte, ob denn der Künstler bei der An¬ lage seines Werkes seine Mitmenschen vor Augen habe, und dahin rechne, wie er es einrichten müsse, daß auf sie die Wirkung gemacht werde, die er beabsichtiget.“ 6 * „Ich hege keinen Zweifel, daß es nicht so ist,“ erwiederte mein Gastfreund, „wenn der Mensch über¬ haupt seine ihm angeborne Anlage nicht kennt, selbst wenn sie eine sehr bedeutende sein sollte, und wenn er manigfaltige Handlungen vornehmen muß, ehe seine Umgebung ihn oder er sich selber inne wird, ja wenn er zulezt sich seiner Freiheit gemäß seiner Anlage hin¬ geben oder sich von ihr abwenden kann: so wird er wohl im Wirken dieser Anlage nicht so zu rechnen im Stande sein, daß sie an einem gewissen Punkte an¬ landen müsse; sondern je größer die Kraft ist, um so mehr glaube ich, wirkt sie nach den ihr eigenthümlichen Gesezen, und das dem Menschen inwohnende Große strebt unbewußt der Äußerlichkeiten seinem Ziele zu, und erreicht desto Wirkungsvolleres, je tiefer und un¬ beirrter es strebt. Das Göttliche scheint immer nur von dem Himmel zu fallen. Es hat wohl Menschen ge¬ geben, welche berechnet haben, wie ein Erzeugniß auf die Mitmenschen wirken soll, die Wirkung ist auch gekommen, sie ist oft eine große gewesen, aber keine künstlerische und keine tiefe; sie haben etwas anderes erreicht, das ein Zufälliges und Äußeres war, das die, welche nach ihnen kamen, nicht theilten, und von dem sie nicht begriefen, wie es auf die Vorgänger hatte wirken können. Diese Menschen bauten vergäng¬ liche Werke und waren nicht Künstler, während das durch die wirkliche Macht der Kunst Geschaffene, weil es die reine Blüthe der Menschheit ist, nach allen Zei¬ ten wirkt und entzückt, so lange die Menschen nicht ihr Köstlichstes, die Menschheit, weggeworfen haben.“ „Es ist einmal in der Stadt die Frage gestellt worden,“ sagte ich, „ob ein Künstler, wenn er wüßte, daß sein Werk, das er beabsichtigt, zwar ein unüber¬ troffenes Meisterwerk sein wird, daß es aber die Mit¬ welt nicht versteht, und daß es auch keine Nachwelt verstehen wird, es doch schaffen müsse oder nicht. Einige meinten, es sei groß, wenn er es thäte, er thue es für sich, er sei seine Mit- und Nachwelt. An¬ dere sagten, wenn er etwas schaffe, von dem er wisse, daß es die Mitwelt nicht verstehe, so sei er schon thöricht, und vollends, wenn er es schaffe und weiß, daß auch keine Nachwelt es begreifen wird.“ „Dieser Fall wird wohl kaum sein,“ antwortete mein Gastfreund, „der Künstler macht sein Werk, wie die Blume blüht, sie blüht, wenn sie auch in der Wüste ist, und nie ein Auge auf sie fällt. Der wahre Künstler stellt sich die Frage gar nicht, ob sein Werk verstanden werden wird oder nicht. Ihm ist klar und schön vor Augen, was er bildet, wie sollte er meinen, daß reine unbeschädigte Augen es nicht sehen? Was roth ist, ist es nicht allen roth? Was selbst der ge¬ meine Mann für schön hält, glaubt er das nicht für alle schön? Und sollte der Künstler das wirklich Schöne nicht für die Geweihten schön halten? Woher käme denn sonst die Erscheinung, daß einer ein herr¬ liches Werk macht, das seine Mitwelt nicht ergreift? Er wundert sich, weil er eines andern Glaubens war. Es sind dies die Größten, welche ihrem Volke voran gehen, und auf einer Höhe der Gefühle und Gedanken stehen, zu der sie ihre Welt erst durch ihre Werke führen müssen. Nach Jahrzehenden denkt und fühlt man wie jene Künstler, und man begreift nicht, wie sie konnten mißverstanden werden. Aber man hat durch diese Künstler erst so denken und fühlen gelernt. Daher die Erscheinung, daß gerade die größten Men¬ schen die naivsten sind. Wenn nun der früher angege¬ bene Fall möglich wäre, wenn es einen wahren Künst¬ ler gäbe, der zugleich wüßte, daß sein beabsichtigtes Werk nie verstanden werden würde, so würde er es doch machen, und wenn er es unterläßt, so ist er schon gar kein Künstler mehr, sondern ein Mensch, der an Dingen hängt, die außer der Kunst liegen. Hieher gehört auch jene rührende Erscheinung, die von man¬ chen Menschen so bitter getadelt wird, daß einer, dem recht leicht gangbare Wege zur Verfügung ständen, sich reichlich und angenehm zu nähren, ja zu Wohlstand zu gelangen, lieber in Armuth Noth Entbehrung Hunger und Elend lebt, und immer Kunstbestrebungen macht, die ihm keinen äußeren Erfolg bringen, und oft auch wirklich kein Erzeugniß von nur einigem Kunstwerthe sind. Er stirbt dann im Armenhause oder als Bettler oder in einem Hause, wo er aus Gnaden gehalten wurde.“ Wir waren unseres Freundes Meinung. Eustach ohnehin schon, weil er die Kunstdinge als das Höchste des irdischen Lebens ansah, und ein Kunststreben als blosses Bestreben schon für hoch hielt, wie er auch zu sagen pflegte, das Gute sei gut, weil es gut sei. Ich stimmte bei, weil mich das, was mein Gastfreund sagte, überzeugte, und Gustav mochte es geglaubt haben — Erfahrungen hatte er nicht — weil ihm alles Wahrheit war, was sein Pflegevater sagte. Von einem Streben, das gewissermaßen sein eige¬ ner Zweck sei, vom Vertiefen der Menschen in einen Gegenstand, dem scheinbar kein äußerer Erfolg ent¬ spricht, und dem der damit Behaftete doch alles An¬ dere opfert, kamen wir überhaupt auf Verschiedenes, an das der Mensch sein Herz hängt, das ihn erfüllt, und das sein Dasein oder Theile seines Daseins um¬ schreibt. Nachdem wir wirklich eine größere Zahl von Dingen durchsprochen hatten, die zu dem Menschen in das von uns angeführte Verhältniß treten können, als ich je vermuthet hätte, machte mein Gastfreund folgenden Ausspruch: „Wenn wir hier alle die Dinge ausschließen, die nur den Körper oder das Thierische des Menschen betreffen und befriedigen, und deren andauerndes Begehren mit Hinwegsezung alles An¬ dern wir mit dem Namen Leidenschaft bezeichnen, weßhalb es denn nichts Falscheres geben kann, als wenn man von edlen Leidenschaften spricht, und wenn wir als Gegenstände höchsten Strebens nur das Edelste des Menschen nennen: so dürfte alles Drängen nach solchen Gegenständen vielleicht nicht mit Unrecht nur mit einem Namen zu benennen sein, mit Liebe. Lieben als unbedingte Werthhaltung mit unbedingter Hinneigung kann man nur das Göttliche oder eigent¬ lich nur Gott; aber da uns Gott für irdisches Füh¬ len zu unerreichbar ist, kann Liebe zu ihm nur An¬ betung sein, und er gab uns für die Liebe auf Er¬ den Theile des Göttlichen in verschiedenen Gestalten denen wir uns zuneigen können: so ist die Liebe der Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur Mutter der Mutter zum Vater, die Liebe der Geschwi¬ ster, die Liebe des Bräutigams zur Braut der Braut zum Bräutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde, die Liebe zum Vaterlande, zur Kunst zur Wissenschaft zur Natur, und endlich gleichsam kleine Rinnsale, die sich von dem großen Strome abzweigen, Beschäftigun¬ gen mit einzelnen gleichsam kleinlichen Gegenständen, denen sich oft der Mensch am Abende seines Lebens wie kindlichen Nothbehelfen hingibt, Blumenpflege Zucht einer einzigen Gewächsart einer Thierart und so weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei be¬ legen. Wen die größeren Gegenstände der Liebe ver¬ lassen haben, oder wer sie nie gehabt hat, und wer endlich auch gar keine Liebhaberei besizt, der lebt kaum und betet auch kaum Gott an, er ist nur da. So faßt es sich, glaube ich, zusammen, was wir mit der Richtung großer Kräfte nach großen Zielen bezeichnen, und so findet es seine Berechtigung.“ „Jene Zeit,“ sagte er nach einer Weile, „in wel¬ cher die Kirchen gebaut worden sind, wie wir eben eine besucht haben, war in dieser Hinsicht weit größer als die unsrige, ihr Streben war ein höheres, es war die Verherrlichung Gottes in seinen Tempeln, wäh¬ rend wir jezt hauptsächlich auf den stofflichen Verkehr sehen, auf die Hervorbringung des Stoffes und auf die Verwendung des Stoffes, was nicht einmal ein an sich gültiges Streben ist, sondern nur beziehungs¬ weise, in so fern ihm ein höherer Gedanke zu Grunde gelegt werden kann. Das Streben unserer älteren Vorgänger war auch insbesondere darum ein höheres, weil ihm immer Erfolge zur Seite standen, die Her¬ vorbringung eines wahrhaft Schönen. Jene Tempel waren die Bewunderung ihrer Zeit, Jahrhunderte bauten daran, sie liebten sie also, und jene Tempel sind auch jezt in ihrer Unvollendung oder in ihren Trümmern die Bewunderung einer wieder erwachen¬ den Zeit, die ihre Verdüsterung abgeschüttelt hat, aber zum allseitigen Handeln noch nicht durchgedrungen ist. Sogar das Streben unserer unmittelbaren Vor¬ gänger, welche sehr viele Kirchen nach ihrer Schön¬ heitsvorstellung gebaut, noch mehr Kirchen aber durch zahllose Zubauten durch Aufstellung von Altä¬ ren durch Umänderungen entstellt, und uns eine sehr große Zahl solcher Denkmale hinterlassen haben, ist in so ferne noch höher als das unsere, indem es auch auf Erbauung von Gotteshäusern ausging auf Dar¬ stellung eines Schönen und Kirchlichen, wenn es sich auch in dem Wesen des Schönen von den Vorbildern der früheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unsere Zeit von dem Stofflichen wieder in das Höhere über¬ geht, wie es den Anschein hat, werden wir in Bau¬ gegenständen nicht auch gleich das Schöne verwirk¬ lichen können. Wir werden Anfangs in der bloßen Nachahmung des als schön Erkannten aus älteren Zeiten befangen sein, dann wird durch den Eigenwillen der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte ent¬ stehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blicken¬ den größer wird, bis man nach einer allgemeineren und begründeteren Einsicht vorgeht, und aus den alten Bauarten neue der Zeit eigenthümlich zuge¬ hörige entsprießen.“ „In der Kirche, welche wir eben gesehen haben,“ sagte ich, „liegt nach meiner Meinung eine eigenthüm¬ liche Schönheit, daß es nicht begreiflich ist, wie eine Zeit gekommen ist, in welcher man es verkennen, und so manches hinzufügen konnte, was vielleicht schon an sich unschön ist, gewiß aber nicht paßt.“ „Es waren rauhe Zeiten über unser Vaterland ge¬ kommen,“ erwiederte er, „welche nur in Streit und Verwüstung die Kräfte übten, und die tieferen Rich¬ tungen der menschlichen Seele ausrotteten. Als diese Zeiten vorüber waren, hatte man die Vorstellung des Schönen verloren, an seine Stelle trat die bloße Zeit¬ richtung, die nichts als schön erkannte als sich selber, und daher auch sich selber überall hinstellte, es mochte passen oder nicht. So kam es, daß römische oder korinthische Simse zwischen altdeutsche Säulen gefügt wurden.“ „Aber auch unter den altdeutschen Kirchen ist diese, welche wir verlassen haben, wenn ich nach den Kir¬ chen, die ich gesehen habe, urtheilen darf, eine der schönsten und edelsten,“ sagte ich. „Sie ist klein,“ erwiederte mein Gastfreund, „aber sie übertrift manche große. Sie strebt schlank empor wie Halme, die sich wiegen, und gleicht auch den Hal¬ men darin, daß ihre Bögen so natürlich und leicht aufspringen wie Halme, die da nicken. Die Rosen in den Fensterbögen die Verzierungen an den Säulen¬ knäufen an den Bogenrippen so wie die Rose der Thurmspize sind so leicht wie die verschiedenen Ge¬ wächse, die in dem Halmenfelde sich entwickeln.“ „Darum überkam mich auch wieder ein Gedanke,“ antwortete ich, „den ich schon öfter hatte, daß man nehmlich die Fassung von Edelsteinen im Sinne alt¬ deutscher Baudenkmale einrichten sollte, und daß man dadurch zu schöneren Gestaltungen käme.“ „Wenn ihr den Gedanken so nehmet,“ erwiederte er, „daß sich die, welche Edelsteine fassen, im Sinne der alten Baumeister bilden sollen, welche Würdiges und Schönes auf einfache und erhebende Art darstell¬ ten, so dürftet ihr, glaube ich, recht haben. Wenn ihr aber meint, daß Gestaltungen, welche an mittel¬ alterlichen Gebäuden vorkommen, im verkleinerten Maßstabe sofort als Schmuckdinge zu gebrauchen seien, so dürftet ihr euch irren.“ „So habe ich es gemeint,“ sagte ich. „Wir haben schon einmal über diesen Gegenstand gesprochen,“ erwiederte er, „und ich habe damals sel¬ ber auf die alterthümliche Kunst als die Grundlage von Schmuck hingewiesen; aber ich habe damit nicht blos die Baukunst gemeint, sondern jede Kunst auch die der Geräthe der Kirchenstoffe der weltlichen Stoffe die Malerkunst die Bildhauerkunst die Holzschneide¬ kunst und Ähnliches. Auch habe ich nicht die unmittel¬ bare Nachahmung der Gestaltungen gemeint, sondern die Erkennung des Geistes, der in diesen Gestaltun¬ gen wohnt, das Erfüllen des Gemüthes mit diesem Geiste, und dann das Schaffen in dieser Erkenntniß und in diesem Erfülltsein. Es steht der Übertragung der baulichen Gestaltungen auf Schmuck auch ein stoff¬ liches Hinderniß entgegen. Die Gebäude, an denen der Schönheitssinn besonders zur Ausprägung kam, waren immer mehr oder weniger ernste Gegenstände: Kirchen Palläste Brücken und im Alterthume Säulen und Bögen. Im Mittelalter sind die Kirchen weit das Überwiegende; bleiben wir also bei ihnen. Um den Ernst und die Würde der Kirche darzustellen, ist der Stoff nicht gleichgültig, aus dem man sie verfer¬ tiget. Man wählte den Stein als den Stoff, aus dem das Großartigste und Gewaltigste von dem, was sich erhebt, besteht, die Gebirge. Er leiht ihnen dort, wo er nicht von Wald oder Rasen überkleidet ist, son¬ dern nackt zu Tage steht, das erhabenste Ansehen. Daher gibt er auch der Kirche die Gewalt ihres Ein¬ druckes. Er muß dabei mit seiner einfachen Oberfläche wirken, und darf nicht bemalt oder getüncht sein. Das Nächste unter dem Emporstrebenden, was sich an das Gebirge anschließt, ist der Wald. Ein Baum übt nach dem Felsen die größte Macht. Daher ist eine Kirche in Würde und künstlerischem Ansehen auch noch von Holz denkbar, sobald es nicht bemalt und nicht bestri¬ chen ist. Eine eiserne Kirche oder gar eine von Silber könnte nicht anders als widrig wirken, sie würde nur wie roher Prunk aussehen, und von einer Kirche aus Papier, gesezt man könnte den Wänden auf die Dauer Widerstand gegen Wetter und den Verzierungen durch Pressen oder dergleichen die schönsten Gestalten geben, wendet sich das Herz mit Widerwillen und Verach¬ tung ab. Mit dem Stoffe hängt die Gestaltung zu¬ sammen. Der Stein ist ernst, er strebt auf und läßt sich nicht in die weichsten feinsten und gewundensten Erscheinungen biegen. Ich rede von dem Bausteine nicht von dem Marmor. Daher hat man die Gestalten der Kirche aus ihm emporstrebend einfach und stark gemacht, und wo Biegungen vorkommen, sind sie mit Maß und mit einem gewissen Adel ausgeführt, und überladen nicht die Wände und die andern Bildun¬ gen. In der Zeit, als sie das Übergewicht zu bekom¬ men anfingen, hörte auch die strenge Schönheit der Kirchen auf, und die Niedlichkeit begann. Zu den Fassungen unseres Schmuckes nehmen wir Metall und zwar meistens Gold. Das Metall aber hat we¬ sentlich andere Merkmale als der Stein. Es ist schwe¬ rer; darf also, ohne uns zu drücken, nicht in größeren Stücken angewendet werden, sondern muß in zarte Gestaltungen auseinander laufen. Dabei hat es unter allen Stoffen die größte Biegsamkeit und Dehn¬ barkeit, wir glauben ihm daher die kühnsten Windun¬ gen und Verschlingungen, und fordern sie von ihm. Die Bildungen besonders Zierrathen aus Gold kön¬ nen daher nicht genau dieselben sein wie die aus Stein, wenn beide schön sein sollen. Aber aus dem inneren Geiste des einen, glaube ich, kann man recht gut und soll man den innern Geist des andern kennen, und es dürfte Treffliches heraus kommen.“ Ich vermochte gegen diese Ansicht nichts Wesent¬ liches einzuwenden. Eustach führte sie noch genauer durch Beispiele aus, die er von bekannten Steingestal¬ tungen an Kirchen hernahm. Er zeigte, wie eine ge¬ läufige leichte kirchliche Steinbildung, wenn man sie etwa aus Gold machen lasse, sogleich schwer träg und un¬ beholfen werde, und er zeigte auch, wie man nach und nach die Steingestaltung umwandeln müsse, daß sie zu einer für Gold tauge, und da lebendig und eigen¬ thümlich werde. Er versprach mir, daß er mir über diese Angelegenheit, wenn wir nach Hause gekommen sein würden, Zeichnungen zeigen würde. Ich sah hieraus, wie sehr meine Freunde über diesen Gegenstand nach¬ gedacht haben, und wie sie thatsächlich in ihn einge¬ gangen seien. „Es sind aber nicht blos die Äußerlichkeiten an unserer Kirche sehr schön,“ fuhr mein Gastfreund fort, „sondern die Gestalten der Heiligen auf dem Altare und in den Nischen sind schöner, als man sie sonst meistens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche stammt, zu sehen gewohnt ist. Wenn ich sagte, daß die griechischen Bildergestalten eine größere sinnliche Schönheit haben als die aus dem Mittelalter, so ist dieses nicht ausnahmlos so. Es gibt auch höchst lieb¬ liche Gestalten aus dem Mittelalter, und wo keine Verzeichnung ist, und wo sich Sinnlichkeit zeigt, sind sie meistens wärmer als die griechischen. In der klei¬ nen Kirche ist Ähnliches vorhanden, deßhalb habe ich so gerne ihre Wiederherstellung übernommen, deßhalb bedaure ich, daß meine Mittel nicht so groß sind, die gänzliche Vollendung herbeiführen zu können, und de߬ halb habe ich so sehr nach den Gestalten, die in den Nischen fehlen, suchen lassen, um so viel als möglich die Kirche zu bevölkern, wenn auch der Gedanke Raum hatte, daß vielleicht nicht einmal alle Gestalten fertig ge¬ worden und alle Pläze besezt gewesen seien. Vielleicht steht einmal eine höhere und allgemeinere Kraft auf, die diese und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer Reinheit darstellt.“ Stifter , Nachsommer. III . 7 Wir kamen am zweiten Tage in dem Asperhofe an, und ich sagte, daß ich nun nicht mehr lange da verweilen könne. Mein Gastfreund erwiederte, daß er in einigen Tagen in den Sternenhof fahren werde, daß er mich einlade, ihn zu begleiten, und daß ich bis dahin noch bei ihm bleiben möge. Ich erklärte, daß bei mir wohl einige Tage keinen wesentlichen Unterschied machten, daß ich aber doch wünsche, bald zu meinen Eltern zurückkehren zu können. So war der Abend vor der Abreise in den Sternen¬ hof gekommen, und mein Gastfreund sagte an dem¬ selben in einem gelegenen Augenblicke zu mir: „Ihr tretet nun zu jemandem, der mir nahe ist, in ein inniges Verhältniß; es ist billig, daß ihr alles wisset, wie es in dem Sternenhofe ist, und in welchen Be¬ ziehungen ich zu demselben stehe. Ich werde euch alles darlegen. Damit ihr aber in noch viel größerer Ruhe seid, und mit Klarheit das Mitgetheilte auf¬ nehmen könnet, so werde ich es euch erzählen, wenn ihr wieder in den Asperhof kommt. Ihr werdet jezt zu euren Eltern gehen, wie ihr sagt, um ihnen zu berichten, wie ihr aufgenommen worden seid, und wie die Angelegenheit steht. Wenn ihr dann nach eurem beliebigen Willen wieder zu mir kommt, sei es zu was immer für einer Zeit, so werdet ihr willkommen sein und bereitwilligen Empfang finden.“ Am anderen Morgen saß ich nebst Gustav mit ihm in dem Wagen, und wir fuhren dem Sternen¬ hofe zu. Wir wurden dort so freundlich und heiter aufge¬ nommen wie immer, ja noch freundlicher und heiterer als sonst. Die Zimmer, welche wir immer bewohnt hatten, standen für uns wie für Personen, welche zu der Familie gehörten, in Bereitschaft. Natalie stand mit lieblichen Mienen neben ihrer Mutter, und sah ihren älteren Freund und mich an. Ich grüßte mit Ehrerbietung die Mutter und fast mit gleicher Ehr¬ erbietung die Tochter. Gustav war etwas schüchterner als sonst, und blickte bald mich bald Natalien an. Wir sprachen die gewöhnlichen Bewillkommungsworte und andere unbedeutende Dinge. Dann verfügten wir uns in unsere Zimmer. Noch an demselben Tage und am nächsten besah mein Gastfreund verschiedene Dinge, welche zur Be¬ wirthschaftung des Gutes gehörten, besprach sich mit Mathilden darüber, besuchte selbst ziemlich entfernte Stellen, und ordnete im Namen Mathildens an. Auch die Arbeiten in der Hinwegschaffung der Tünche von 7 * der Außenseite des Schlosses besah er. Er stieg selber auf die Gerüste, untersuchte die Genauigkeit der Hin¬ wegschaffung der aufgetragenen Kruste und die Rein¬ heit der Steine. Er prüfte die Größe der in einer gewöhnlichen Zeit vollbrachten Arbeit, und gab Auf¬ träge für die Zukunft. Wir waren bei den meisten dieser Beschäftigungen gemeinschaftlich zugegen. Man behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Ma¬ thilde war so sanft, so gelassen und milde wie immer. Wer nicht genauer geblickt hätte, würde keinen Unter¬ schied zwischen sonst und jezt gewahr geworden sein. Sie war immer gütig, und konnte daher nicht gütiger sein. Ich empfand aber doch einen Unterschied. Sie richtete das Wort so offen an mich wie früher; aber es war doch jezt anders. Sie fragte mich oft, wenn es sich um Dinge des Schlosses des Gartens der Fel¬ der der Wirthschaft handelte, um meine Meinung wie einen, der ein Recht habe, und der fast wie ein Eigen¬ thümer sei. Sie fragte gewiß nicht, um meine Mei¬ nung so gründlich zu wissen; denn mein Gastfreund gab die besten Urtheile über alle diese Gegenstände ab, sondern sie fragte so, weil ich einer der ihrigen war. Sie hob aber diese Fragen nicht hervor und be¬ tonte sie nicht, wie jemand gethan hätte, bei dem sie Absicht gewesen wären, sondern sie empfand das Zu¬ sammengehörige unseres Wesens, und gab es so. Mir ging diese Behandlung ungemein lieb in die Seele. Mein Gastfreund war wohl beinahe gar nicht anders; denn sein Wesen war immer ein ganzes und geschloße¬ nes; aber auch er schien herzlicher als sonst. Gustav verlor sein anfängliches schüchternes Wesen. Obwohl er auch jezt noch kein Wort sagte, welches auf unser Verhältniß anspielte, — das thaten auch die anderen nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten, um, obgleich er noch so jung war, hierin eine Aus¬ nahme zu machen — so ging er doch zuweilen plözlich an meine Seite, nahm mich bei meinem Arme, drückte ihn, oder nahm mich bei der Hand, und drückte sie mit der seinen. Nur mit Natalie war es ganz anders. Wir waren beinahe scheuer und fremder, als wir es vor jenem Hervorleuchten des Gefühles in der Grotte der Brunnennimphe gewesen waren. Ich durfte sie am Arme führen, wir durften mit einander sprechen; aber wenn dies geschah, so redeten wir von gleichgültigen Dingen, welche weit entfernt von unseren jezigen Be¬ ziehungen lagen. Und dennoch fühlte ich ein Glück, wenn ich an ihrer Seite ging, daß ich es kaum mit Worten hätte sagen können. Alles, die Wolken die Sterne die Bäume die Felder schwebten in einem Glanze, und selbst die Personen ihrer Mutter und ihres alten Freundes waren verklärter. Daß in Nata¬ lien Ähnliches war, wußte ich, ohne daß sie es sagte. Wenn wir an dem Scheunenthore des Maierhofes vorbeigingen, oder an einer anderen Thür oder an einem Felde oder sonst an einem Plaze, auf welchem gearbeitet wurde, so traten die Menschen zusammen, blickten uns nach, und sahen uns mit denselben be¬ deutungsvollen Augen an, mit denen man mich in dem, Asperhofe angeschaut hatte. Es war mir also klar, daß man auch hier wußte, in welchen Beziehun¬ gen ich zu der Tochter des Hauses stehe. Ich hätte es auch aus der größeren Ehrerbiethung der Diener her¬ aus lesen können, wenn es mir nicht schon sonst deut¬ lich gewesen wäre. Aber auch hier wie in dem Asper¬ hofe bemerkte ich, daß es etwas Freundliches war, etwas, das wie Freude aussah, was sich in den Mie¬ nen der Leute spiegelte. Sie mußten also auch hier mit dem, was sich vorbereitete, zufrieden sein. Ich war darüber tief vergnügt; denn auf welchem Stande der Entwickelung die Leute immer stehen mögen, so ist es doch gewiß, wie ich aus dem Umgange mit vielen Menschen reichlich erfahren habe, daß Gerin¬ gere die Höheren oft sehr richtig beurtheilen, und namentlich, wenn Verbindungen geschlossen werden, seien es Freundschaften, seien es Ehen, mit richtiger Kraft erkennen, was zusammen gehört, und was nicht. Daß sie mich also zu Natalien gehörig ansahen, erfüllte mich mit nachhaltender inniger Freude. Wie Natalie über diese Kundgebungen der Leute dachte, konnte ich nicht erkennen. Nachdem so drei Tage vergangen waren, nachdem wir die verschiedensten Stellen des Schlosses des Gartens der Felder und der Wälder gemeinschaftlich besucht hatten, nachdem wir auch manchen Augen¬ blick in den Gemäldezimmern und in denen mit den alterthümlichen Geräthen zugebracht und an Verschiedenem uns erfreut hatten, nachdem endlich auch alles, was in Angelegenheiten des Gutes zu be¬ sprechen und zu ordnen war, zwischen Mathilden und meinem Gastfreunde besprochen und geordnet worden war, wurde auf den nächsten Tag die Abreise be¬ schlossen. Wir verabschiedeten uns auf eine ähnliche Weise, wie wir uns bewillkommt hatten, der Wagen war vorgefahren, und wir schlugen die Richtung zurück ein, in der wir vor vier Tagen gekommen waren. Ich fuhr mit meinem Gastfreunde nur bis an die Poststraße und auf derselben bis zur ersten Post. Dort trennten wir uns. Er fuhr auf Nebenwegen dem Asperhofe zu, weil er mir zu lieb einen Umweg ge¬ macht hatte, ich aber schlug mit Postpferden die Rich¬ tung gegen das Kargrat ein. Ich war entschlossen, im Kargrat für jetzt ganz abzubrechen, und also die Gegenstände, die ich noch dort hatte, fortschaffen zu lassen. Als ich in dem kleinen Orte eingetroffen war, richtete ich meine Verhältnisse zurecht, ließ alle meine Dinge einpacken, und schickte sie fort. Ich nahm von dem Pfarrer, welchen ich kennen gelernt hatte, Ab¬ schied, verabschiedete mich auch von meinen Wirths¬ leuten und von den anderen Menschen, die mir be¬ kannt geworden waren, sagte, daß ich nicht weiß wann ich in das Kargrat zurückkehren werde, um meine Arbeiten, welche ich wegen eines schnell einge¬ tretenen Umstandes hatte abbrechen müssen, fortzu¬ sezen, und reiste wieder ab. Ich ging jezt in das Lauterthal, um es zu besuchen. Es war in der Richtung nach meiner Heimath ein ge¬ ringer Umweg, und ich wollte das Thal, das mir lieb geworden war, wieder sehen. Besonders aber führte mich ein Zweck dahin. Obwohl ich wenig Hoffnung hatte, daß mein Auftrag, den ich in dem Thale gegeben hatte, zu forschen, ob sich nicht doch noch die Ergän¬ zungen zu den Vertäflungen meines Vaters fänden, einen Erfolg haben werde, so wollte ich doch nicht nach Hause reisen, ohne in dieser Hinsicht Nachfrage ge¬ halten zu haben. Die gewünschten Ergänzungen hatten sich zwar nicht gefunden, auch keine Spur zu denselben war entdeckt worden; aber manche Leute hatte ich gesehen, denen ich in früheren Tagen geneigt worden war, Gegenstände hatte ich erblickt, von denen ich in vergangenen Jahren zu meinem Vergnügen umringt gewesen war, und manches kleine Zwiege¬ spräch hatte ich gepflogen, welches mir und den Leu¬ ten, mit denen es gepflogen worden war, zu einiger Erquickung gereichte. Ich ging auch in das Rothmoor. Dort fand ich die Arbeiten noch in einem höheren Maße entwickelt und im Gange, als sie es bei meiner lezten Anwesen¬ heit gewesen waren. Von mehreren Orten hatte man Bestellungen eingesendet, selbst von unserer Stadt, wo das Becken der Einbeere bekannt geworden war, und manchen Beifall gefunden hatte, waren Briefe geschickt worden. Fremde kamen zu Zeiten in diese abgelegene Gegend, machten Käufe, und hinterließen Aufträge. Ich sah also, daß sich manches hier gebessert habe, betrachtete die Arbeiten, und bestellte auch wie¬ der einige neue, weil ich theils noch Stücke schönen Marmors hatte, aus denen irgend etwas gemacht werden konnte, und weil anderen Theils in dem Garten des Vaters zur Brüstung oder zu anderen Stellen noch Gegenstände fehlten. Die Leute hatten mich recht freundlich und zuvorkommend empfangen, sie zeigten mir, was im Gange war, welche Ver¬ besserungen sie eingeführt hatten, und welche sie noch beabsichtigen. Sie ließen hiebei nicht unerwähnt, daß ich der kleinen Anstalt immer zugethan gewesen sei, und daß ich zu den Verbesserungen manchen Anlaß und manchen Fingerzeig gegeben habe. Ich drückte meine Freude über alles das aus, und versprach, daß ich, wenn ich in die Nähe käme, jederzeit recht gerne einen kurzen Besuch in dem Rothmoor machen würde. Nach diesem unbedeutenden Aufenthalte im Lauter¬ thale und im Rothmoor sezte ich meine Reise zu mei¬ nen Eltern ohne weitere Verzögerung fort. 3. Die Mittheilung. Zu Hause hatten sie mich noch nicht erwartet, weil ich ihnen durch meinen Brief angezeigt hatte, daß ich mit meinem Gastfreunde eine kleine Reise zu einer alterthümlichen Kirche machen würde. Auch hatten sie sich vorgestellt, daß ich noch einmal in mei¬ nen Aufenthaltsort in das Hochgebirge gehen und mich auf der Rückreise eine Zeit in dem Sternenhofe aufhalten werde. Sie irrten aber; denn obwohl ich in beiden Orten war, war ich doch nicht lange dort, und es drängte mein Herz, den Meinigen zu eröffnen, wie meine Angelegenheiten stehen. Als ich dieses ge¬ than hatte, waren sie bei Weitem, weniger ergriffen, als ich erwartet hatte. Sie freuten sich, aber sie sag¬ ten, sie hätten gewußt, daß es so sein würde, ja sie hätten seit Jahren die jezige Entwicklung schon ge¬ ahnt. Im Rosenhause und im Sternenhofe, meinten sie, würde man mich nicht so freundschaftlich und gütig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb gehabt, und wenn man nicht selbst das, was sich jezt ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet hätte, dessen Spuren man ja doch habe entstehen sehen müssen. So lieb mir diese Ansicht war, weil sie die Gesinnungen meiner Angehörigen gegen mich aus¬ drückte, so konnte ich doch nicht umhin, zu denken, daß nur die Meinigen die Sache so betrachten, weil sie eben die Meinigen sind, und daß sie mich auch darum des Empfangenen für würdig erachteten. Ich aber wußte es anders, weil ich Natalien und ihre Umgebung kannte, und ihren Werth zu ahnen ver¬ mochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur als ein Glück ansehen, welches mir ein günstiges Schicksal entgegen geführt hatte, und dessen immer würdiger zu werden ich mich bestreben müsse. Mein Vater sagte, es sei alles gut, die Mutter ließ in wehmüthiger und freudiger Stimmung immer wieder die Worte fallen, daß denn so gar nichts für ein so wichtiges Verhältniß vorbereitet sei; die Schwe¬ ster sah mich öfter sinnend und betrachtend an. Ich sprach die Bitte aus, daß die Eltern mir nun beistehen müßten, das, was in den gegenwärtigen Verhältnissen zu thun sei, auf das Schicklichste zu thun, und ich legte auch den Wunsch dar, daß ich nach des Vaters Ansicht eine größere Reise unter¬ nehmen möchte. „Es sind mehrere Dinge nöthig,“ sagte der Vater. „Zuerst, glaube ich, erwartet man von deinen Eltern eine Annäherung an sie; denn die Angehörigen der Braut können sich nicht schicklich zuerst den Angehörigen des Bräutigams vorstellen. Außerdem hat mir dein Gastfreund Liebes erwiesen, was ich ihm noch nicht habe vergelten können. Ferner hat dir dein Gastfreund Mittheilungen zu machen, die er für nothwendig hält; und endlich solltest du wirklich, wie du auch selber wünschest, eine größere Reise machen, um wenigstens im Allgemeinen Menschen und Welt näher kennen zu lernen. Was deine Gegenleute thun werden, ist ihre Sache, und wir müssen es erwarten. Unsere Angele¬ genheit ist jezt, das, was uns obliegt, auf solche Weise zu thun, daß wir uns weder vordrängen, noch daß etwas geschehe, was wie geringere Achtung dessen aussähe, was uns durch diese Verbindung gebothen wird. Ich glaube, die natürlichste Ordnung wäre fol¬ gende. Du mußt zuerst die Mittheilungen deines Freundes anhören, weil sie dir zuerst ohne Bedingung angetragen worden sind. Dann werde ich mit deiner Mutter eine Reise zur Mutter deiner Braut machen und bei dieser Gelegenheit deinen Gastfreund besuchen. Endlich magst du den Vorschlag thun, daß du eine Reise zu höherer Ausbildung zu unternehmen wün¬ schest. Weil aber dein Gastfreund selber gesagt hat, daß du, ehe er dir seine Mittheilungen macht, zu größerer Ruhe kommen sollst, und weil es anderer¬ seits unziemend wäre, zu sehr zu drängen, so kannst du nicht jezt sogleich zu ihm gehen, und ihn um seine Eröffnungen bitten, sondern du mußt eine Zeit ver¬ fließen lassen, und ihn später, vielleicht im Winter, besuchen. Dadurch sieht er auch, daß du einerseits nicht zudringlich bist, und daß du andererseits, da du in ungewohnter Jahreszeit zu ihm kömmst, doch die Sehnsucht zu erkennen gibst, deine Sache zu fördern. Und damit du gewisser zu der erforderlichen Ruhe ge¬ langest, schlage ich dir vor, mich aus einer kleinen Reise in meine Geburtsgegend zu begleiten, die wir in Kürze antreten können. Wenn du dann im Win¬ ter zu deinem Gastfreunde kömmst, so kannst du ihm unsere Grüße bringen, und ihm sagen, daß wir mit Beginn der schöneren Jahreszeit kommen und für dich um die Hand der Tochter seiner Freundin werben werden.“ Alle waren mit diesem Vorschlage vollkommen ein¬ verstanden. Besonders freute sich die Mutter, als sie hörte, daß der Vater von freien Stücken auf einen Reiseplan gekommen sei, dessen Richtung sie gar nicht errathen hätte. „Ich muß mich ja üben,“ erwiederte er, „wenn ich im Frühlinge eine Reise in das Oberland bis in die Nähe der Gebirge antreten soll, die uns auch in den Rosenhof bringt, und weiß Gott, wie weit noch führen kann; denn wenn Leute, die immer zu Hause sind, einmal von der Wanderungslust er¬ griffen werden, dann können sie auch ihres Reisens kein Ende finden, und besuchen Gegend um Gegend.“ Ich aber sagte hierauf: „Weil Klotilde nie die Gebirge gesehen hat, weil sie in dieser ganzen Ange¬ legenheit am weitesten zurückgesezt ist, weil ich ihr immer versprochen habe, sie in die Berge zu führen, und weil die Erfüllung dieses Versprechens durch meine größere Reise wieder hinaus geschoben werden könnte: so mache ich ihr den Vorschlag, mit mir, wenn ich mit dem Vater von unserer kleinen Reise zurückgekom¬ men bin, einen Theil des Herbstes in dem Hochgebirge zuzubringen. Die Tage des Herbstes, selbst die des Spätherbstes, sind in den Gebirgen meistens sehr schön, und wir können in den klaren Lüften weiter her¬ um sehen, als es oft in dem schwülen und gewitter¬ reichen Dunstkreise der Monate Juni oder Juli mög¬ lich ist.“ Klotilde nahm diesen Vorschlag mit Freude an, und ich versprach ihr, in den Tagen, die noch bis zu meiner Abreise mit dem Vater verfließen werden, alles anzugeben, was sie an Kleidern und sonstigen Din¬ gen zu der Gebirgsreise bedürfe, welche Gegenstände sie dann während meiner Abreise vorrichten lassen könne. „Wenn ich zu den Mittheilungen meines Freun¬ des an Ruhe gewinnen muß,“ sezte ich hinzu, „so könn¬ ten diese Reisen das beste Mittel dazu abgeben.“ Der Vater und die Mutter waren mit meinem Vorschlage sehr zufrieden. Die Mutter sagte nur, sie werde an den Vorbereitungen Klotildens mitarbeiten, und besonders darauf sehen, daß alles vorhanden sei, was zu dem Schuze der Gesundheit gehöre. Ich erwiederte, daß das sehr gut sei, und daß ich auch bei der Reise selber alle Maßregeln ergreifen werde, daß Klotildens Gesundheit keinen Schaden leide. Wir fingen wirklich am andern Tage an, die Dinge zu bereden, welche Klotilde zur Reise brauche. Sie ging rüstig an die Anschaffung. Ich entwarf ein Verzeichniß der Nothwendigkeiten, welches ich nach und nach ergänzte. Als einige Zeit verflossen war, glaubte ich es so vervollständigt zu haben, daß nun nicht leicht mehr etwas Wesentliches vergessen wer¬ den konnte. Indessen rückte auch der Tag heran, an welchem ich mit dem Vater abreisen sollte. Am frühen Morgen desselben sezten wir uns in den leichten Reisewagen, dessen sich der Vater immer bedient hatte, wenn er größere Entfernungen zurück¬ legen mußte. Jezt war er lange nicht mehr aus dem Wagenbehältniß gekommen. Auf Anordnung der Mutter wurde er einige Tage vorher von Sachkundi¬ gen genau untersucht, ob er nicht heimliche Gebrechen habe, welche uns in Schaden bringen könnten. Als dies einstimmig verneint worden war, gab sie sich zu¬ frieden. Wir hatten Postpferde, wechselten dieselben an gehörigen Orten, und hielten uns in ihnen so lange auf, als es uns beliebte. Gegen jeden Abend Stifter , Nachsommer. III . 8 ließ der Vater noch bei Tageslicht halten, es wurde das Nachtlager bestellt, und wir machten vor dem Abendessen einen Spaziergang. In diesen Tagen, an denen ich mehr Stunden hintereinander ununterbro¬ chen mit dem Vater zubrachte, als dies je vorher der Fall gewesen war, sprach ich auch mehr mit ihm als je zu einer anderen Zeit. Wir sprachen von Kunstdingen: er erzählte mir von seinen Bildern, sagte mir manches über ihre Erwerbung, was ich noch nicht wußte, und verbreitete sich in guter Rede über ihren Kunstwerth, er kam auf seine Steine, und erklärte mir manches; wir ergingen uns in Büchern, die uns beiden geläufig waren, sezten ihren Werth, wenn er dichterisch oder wissenschaftlich war, auseinander, und erinnerten uns gegenseitig an Theile des Inhaltes; wir sprachen auch von Zeitereignissen und von der Lage unsers Staates. Er erzählte mir endlich von seinem kaufmännischen Geschäfte, und machte mich mit dessen Grundlagen und Stellungen bekannt. Er zeigte mir Theile der Gegend, durch die wir fuhren, und unterrichtete mich von dem Schicksale mancher Familie, die in diesem oder jenem Abschnitte der Landschaft wohnten. Unter diesen Verhältnissen kamen wir am vierten Tage an dem Orte unserer Bestimmung an. Die Gegend war mir völlig unbekannt, weil mich meine Wanderungen nie hieher getragen hatten. Am Saume des Waldes, der den Norden unseres Landes begrenzt, ging ein Thal hin, das einst Wald gewesen war, und das jezt zerstreute Häuser, einzelne Felder, Wiesen, Felsen, Schluchten und rinnende Wasser in seinem Bereiche hegte. Eines der Häuser, halb aus Holz gezimmert und halb gemauert, war das Geburthaus meines Vaters. Es stand am Rande eines Wäldchens, das von dem großen Walde her¬ stammte, der einst diese ganzen Gegenden bedeckt hatte. Es war gegen West durch eine Gruppe sehr großer und dicht stehender Buchen gedeckt, daß ihm die Winde von dorther wenig anhaben konnten, hatte gegen Ost den Schuz eines Felsens, im Norden den des gro¬ ßen Waldbandes, und schaute gegen Süden auf seine nicht unbeträchtlichen Wiesen und Felder, deren Ergiebigkeit in Getreide gering in Futterkräutern außerordentlich war, weßhalb der größere Reichthum auch in Heerden bestand. Wir fuhren in das Gast¬ haus des Thales, ließen unsere Reisedinge abpacken, bestellten uns auf einige Tage Wohnung, und besuch¬ ten dann die sehr entfernten Verwandten, welche jezt des Vaters Stammhaus bewohnten. Es war gegen 8 * Mittag. Sie nahmen uns, da wir uns entdeckt hat¬ ten, sehr freundlich auf, und verlangten, daß wir unser Gepäcke holen lassen und bei ihnen wohnen sollten. Nur auf die dringenden Vorstellungen des Vaters, daß wir ihnen die Bequemlichkeit nähmen und selber keine gewännen, gaben sie nach, und ver¬ langten nur noch, daß wir zum bevorstehenden Mit¬ tagessen bei ihnen bleiben sollten, was wir annahmen. Da wir nun in der großen Wohnstube saßen, zeigte mir der Vater den geräumigen Ahorntisch, bei dem er und seine Geschwister ihre Nahrung einge¬ nommen hatten. Der Tisch war alt geworden, aber der Vater sagte, daß er noch in derselben Ecke stehe, von den zwei Fenstern beglänzt, und von der herein¬ scheinenden Sonne beleuchtet wie einst. Er zeigte mir seine gewesene neben der Stube befindliche Schlaf¬ kammer. Dann gingen wir hinaus, er wies mir die Treppe, die auf den hölzernen Gang führte, welcher rings um den Hof lief, und den Quell, der sich noch immer mit hellem Wasser in den Granittrog ergoß, welchen schon sein Urgroßvater hatte hauen lassen, er wies mir den Stall die Scheune und hinter ihr den Waldweg, auf dem er noch ein halbes Kind mit einem Stabe in der Hand die Heimath verlassen habe, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Wir gingen sogar in das Freie und dort herum. Der Vater blieb häufig stehen, und erinnerte sich noch der Fruchtgat¬ tungen, welche auf verschiedenen Stellen gestanden waren, als er mit einem Täfelchen, darauf sich rothe und schwarze Buchstaben befanden, in das eine Vier¬ telstunde entlegene hölzerne Haus ging, das an der Straße stand, von Buchen umgeben war, und die Schule für alle Kinder des Thales vorstellte. Er sagte, es sei alles noch wie zur Zeit seiner Kindheit, die nehmlichen Begrenzungen die nehmlichen kleinen Feldwege und dieselben Wassergräben und Quellrinn¬ sale. Er sagte, es sei ihm, als ständen sogar dieselben Arnicablumen auf der Wiese, die er als Knabe ange¬ schaut habe, und da er mich zu dem Steinbühl ge¬ führt hatte, der am Rande der Felder lag, so rag¬ ten die Himbeerzweige empor, rankten sich die dor¬ nenreichen Brombeerreben um die Steine, und wu¬ cherten die Erdbeerblätter, gerade wie die, von denen er als Knabe gepflückt hatte. Vom Steinbühl gingen wir zu dem einfachen Essen, das wir mit unsern Ver¬ wandten verzehrten. Nach demselben besuchten wir mit dem jezigen Eigenthümer alle Besizungen. Der Vater sagte, dort habe sein Vater gepflügt geegt ge¬ graben, hier habe seine Mutter mit der Schwester der Magd und den Tagelöhnern Heu gemacht, dort seien die Kühe und Ziegen gegen den Wald hinan gegan¬ gen, wie sie jezt gehen, und die Seinigen haben aus¬ gesehen, wie die Leute jezt aussehen. Als wir zurückgekehrt waren, verabschiedeten wir uns, der Vater dankte für die Bewirthung, und sagte, daß er gegen den Abend noch einmal in das Haus kommen werde. Da wir uns in dem Zimmer unseres Gasthofes befanden, öffnete der Vater seinen Koffer, und nahm allerlei Dinge aus demselben hervor, welche zu Ge¬ schenken für die Bewohner des Hauses bestimmt waren, in dem wir gespeist hatten. Ich war von ihm nie in die Kenntniß gesezt worden, welche Be¬ wohner wir in seinem Vaterhause treffen würden, er mußte sie wohl auch selber nicht genau gekannt haben. Ich war also nicht mit Geschenken ver¬ sehen. Der Vater hatte aber auch für diesen Fall gesorgt, er gab mir mehrere Dinge besonders Stoffe kleine Schmucksachen und Ähnliches, um es bei unse¬ rem Abendbesuche in dem Hause auszutheilen. Er hatte nicht gleich bei seiner Ankunft die Geschenke mit¬ nehmen wollen, weil er es, obwohl die Leute nur die gewöhnlichen Thalbewohner dieser Gegend waren, für unschicklich hielt, mit Gaben belastet das Haus zu betreten, und ihnen gleichsam sagen zu wollen: „Ich glaube, daß ihr das für das Wichtigste haltet.“ Jezt aber war er ihnen etwas schuldig geworden, und konnte den Dank für die gute Aufnahme abstatten. Als wir die Geschenke in dem Hause vertheilt, und dafür die Freude und den Dank der Empfänger geerntet hatten, die in zwei Eheleuten mittlerer Jahre in deren zwei Söhnen einer Tochter und in einer alten Großmutter bestanden, — den Knecht und die zwei Mägde nicht gerechnet — war es mittlerweile Nacht geworden, und wir kehrten wieder in unsere Herberge zurück. Wir blieben noch vier Tage in der Gegend. Der Vater besuchte in meiner Begleitung viele Stellen, die ihm einst lieb gewesen waren, einen kleinen See, einen Felsblock, von dem eine schöne Aussicht war, eine Gartenanlage in einem nicht sehr entfern¬ ten schloßähnlichen Gebäude, die hölzerne Schule, und vor allen die eine und eine halbe Wegestunde entfernte Kirche, welche das Gotteshaus des Thales war, und um welche der Kirchhof bog, in welchem sein Vater und seine Mutter ruhten. Eine weiße Marmortafel, die er und sein Bruder hatten sezen lassen, ehrte ihr Angedenken. Sonst ging der Vater auch fast in allen Zeiten des Tages auf den Wegen der Felder und des Waldes herum. Am fünften Tage traten wir die Rückreise zu den Unsrigen an. Wir waren am frühen Morgen noch zu unsern Verwandten gegangen. Sie waren, wie es bei Land¬ leuten in solchen Fällen gebräuchlich ist, schöner an¬ gekleidet als sonst und erwarteten uns. Wir nahmen in herzlicher Weise Abschied. Ich versprach, da ich ohnehin das Wandern gewohnt sei, und viele Gegen¬ den besuche, auch hieher wieder zu kommen, und noch öfter in dem kleinen Hause vorzusprechen. Der Vater sagte, es könne sein, daß er wieder komme, oder auch nicht, wie es sich eben beim Alter füge. Man müsse erwarten, was Gott gewähre. Die Leute begleiteten uns in das Gasthaus, und blieben da, bis wir den Wagen bestiegen hatten. Aus den Wor¬ ten ihres Abschiedes und ihrer Danksagungen erkannte ich, daß der Vater ihnen auch eine Summe Geldes gegeben haben müsse. Sie sahen uns sehr lange nach. Im Fortfahren war der Vater anfangs ernst und wortkarg, es mochte ihm das Herz schwer gewesen sein. Später entwickelte sich bei uns wieder ein Ver¬ kehr der Rede, wie er auf der Herreise gewesen war. Am Abende des dritten Tages nach unserer Abfahrt waren wir wieder in dem Hause in der Vaterstadt. Die Mutter war sehr erfreut, daß der Aufenthalt von eilf Tagen in der freien Luft für den Vater von so wohlthätigen Folgen gewesen sei. Seine Wangen haben sich nicht nur schön roth gefärbt, sie seien auch voller geworden, und das Auge sei weit klarer, als wenn es immer auf das Papier seiner Schreibstube geblickt hätte. „Das ist nur die Wirkung des Anfangs und eine Folge des Reizes des Wechsels auf die körperlichen Gebilde,“ sagte der Vater, „im Verlaufe der Zeit ge¬ wöhnt sich Blut Muskel und Nerv an die freie Luft und Bewegung, und das erste röthet sich nicht mehr so, und die lezten schwellen. Allerdings aber wirkt viel Aufenthalt in freier Luft und gehörige Bewegung, in welche sich keine Sorgen mischen, weit günstiger auf die Gesundheit, als ein stetiges Sizen in Stuben und ein Hingeben an Gedanken für die Zukunft. Wir werden schon einmal, und wer weiß wie nahe die Zeit ist, auch dieses Glück genießen und uns recht darüber freuen.“ „Wir werden uns freuen, wenn du es genießest,“ erwiederte die Mutter, „du entbehrst es am meisten und dir ist es am nöthigsten. Wir andern können in unsern Garten und in die Umgebung der Stadt gehen, du suchst immer die düstere Stube. Weil du es aber schon so oft gesagt hast, so wird es doch einmal wahr werden.“ „Es wird wahr werden, Mutter,“ antwortete der Vater, „es wird wahr werden.” Sie wendete sich an uns, wir sollen bestättigen, daß der Vater nie so gesund und so heiter ausgesehen habe als nach dieser kurzen Reise. Wir gaben es zu. Nun mußte aber auch noch auf eine andere Reise gedacht werden, weil heuer einmal der Sommer der Reisen war, und wir mußten dieselbe ins Werk sezen, meine und Klotildens Fahrt ins Gebirge. Der Herbst war schon da, wie ich an den Buchenblättern um das Geburthaus meines Vaters hatte wahrnehmen kön¬ nen, die bereits im Begriffe waren, die rothe Farbe vor ihrem Abfallen zu gewinnen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Für Klotilden waren die Vorbereitungen fertig, ich brauchte keine, weil ich immer in Bereitschaft war, und so konnten wir ungesäumt unsere verabredete Fahrt beginnen. Die Mutter legte mir das Wohl der Schwester sehr an das Herz, der Vater sagte, wir sollen die Muße nach unserer besten Einsicht genießen, und so fuhren wir bei dem Aufgange einer klaren Herbstsonne aus dem Thore unseres Hauses. Ich wollte die Schwester, welche ihre erste größere Reise machte, nicht der Berührung mit andern Men¬ schen in einem gemeinschaftlichen Wagen aussezen, da man deren Wesen und Benehmen nicht voraus wissen konnte; deßhalb zog ich es vor, mit Postpferden so lange zu fahren, als es mir gut erscheinen würde, und dann die Art unsers Weiterkommens im Gebirge je nach der Sachlage zu bestimmen. Es hatte diese Art zu reisen noch den Vortheil, daß ich anhalten konnte, wo ich wollte, und daß ich der Schwester manches erklären durfte ohne dabei auf jemand Rück¬ sicht nehmen zu müssen, der als Zeuge gegenwärtig wäre. Auch konnten wir uns in unseren geschwister¬ lichen Gesprächen über unsere Angehörigen unser Haus und andere Dinge nach der freien Stimmung unserer Seele bewegen. Auf diese Art fuhren wir zwei Tage. Ich gönnte ihr öfter Ruhe, da sie ein fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete immer noch lange vor Abend unsere Tagreise. Wir sahen die Berge schon immer in der Nähe von eini¬ gen Meilen mit unserem Wege gleich laufen; aber ihre Theile waren hier weniger wichtig. Es war mir äußerst lieblich, die Gestalt der Schwester neben mir in dem Wagen zu wissen, ihr schönes Angesicht zu sehen, und ihren Athem zu empfinden. Ihre schwe¬ sterliche Rede und die frische Weise, alles, was ihr neu war, in die vollkommen klare Seele aufzuneh¬ men, war mir unaussprechlich wohlthätig. Am Vormittage des dritten Tages ließ ich sie ruhen. Für den Nachmittag miethete ich einen Wagen, und wir fuhren von der Poststraße weg gerade dem Gebirge zu. Unsere Fahrt war von angenehmer und heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns in manigfaltigen Gesprächen. Als die blauen Berge in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schim¬ mer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge immer freundlicher, und ihre Mienen waren theil¬ nehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt. Gleich wie bei dem Vater rötheten sich nach dieser dreitägigen Reise auch ihre zarten Wangen, und ihre Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an dem Orte an, den ich für unsere Nachtruhe bestimmt hatte. An demselben rauschte die grüne Afel mit ihren Gebirgswässern vorüber, welches Rauschen durch ein schief über das Flußbett gezogenes Wehr noch ver¬ mehrt wurde. Waldhänge in langen Rücken began¬ nen schon sich zu erheben, und oberhalb des dunkeln Randes eines bedeutend hohen Buchenwaldes blickte bereits das rothe Haupt eines im Abende glühenden Berges herein, auf welchem schon einzelne Strecken von Schnee lagen. Des andern Tages miethete ich ein Gebirgswägel¬ chen, wie sie zum Fortkommen auf Wegen, die nicht Poststraßen sind, in den Gebirgen am besten dienen, und deren Pferde an die Gegenstände des Gebirges und an die Beschaffenheit seiner Wege gewöhnt und daher am zuverlässigsten sind. Wir brachten unsere Sachen in demselben, so gut es ging, unter, und fuhren der glänzenden Afel entgegen, immer tiefer in die Berge hinein. Ich nannte jeden Namen eines vorzüglichen Berges, machte auf die Bildungen auf¬ merksam, und suchte die Farben die Lichter und die Schatten zu erörtern. Überall begannen schon die Laubwälder die röthliche und gelbliche Färbung anzu¬ nehmen, was den Hauch über all den Gestaltungen noch lieblicher machte. Da ich in eine gewisse Tiefe des Gebirges gekom¬ men war, änderte ich die Richtung und fuhr nun nach der Länge desselben hin. Als zwei Tage vergangen waren, und der dritte auch schon dem Nachmittag zu¬ neigte, blickte uns aus der Tiefe des Thales das Ge¬ wässer des Lautersees entgegen. Wir kamen um den Rücken eines breiten Waldberges herum, und die Glanzstellen entwickelten sich immer mehr. Endlich lag der größte Theil des Spiegels unter dem Ge¬ zweige der Tannen der Buchen und der Ahorne zu unsern Füssen. Wir sanken mit unserem Wäglein auf dem schmalen Wege immer tiefer und tiefer, bis wir nach etwa zwei Stunden an dem Ufer des Sees anlangten, und die Steinchen in seinen seichten Buchten hätten zählen können. Wir fuhren an dem Ufer dahin, umfuhren eine kleine Strecke des Sees, und kamen in dem Seewirthshause an. Dort lohnte ich unsern Fuhrmann ab, und mie¬ thete uns für mehrere Tage ein. Klotilde mußte das¬ selbe Zimmer bekommen, welches ich während der Zeiten meiner Vermessungen des Lautersees innege¬ habt hatte. Ich begnügte mich mit einem kleineren Stübchen in ihrer Nähe. Man staunte das schöne, und wie man sich ausdrückte, vornehme Mädchen an, und ich gewann sichtbar an Ansehen, da ich eine solche Schwester hatte. Alle, die ein Ruder führen konnten, oder die geübt waren, Steigeisen anzulegen und einen Alpenstock zu gebrauchen, kamen herzu, und bothen ihre Dienste an. Ich sagte, daß ich sie rufen werde, wenn wir sie bedürfen, und daß wir uns dann ihrer Gesellschaft sehr erfreuen würden. Zuerst machte ich Klotilden ein wenig in ihrem Zimmerchen wohnhaft. Ich zeigte ihr bedeutsame Stellen, die sie aus ihren Fenstern sehen konnte, und nannte ihr dieselben. Ich zeigte ihr, wie ich in ver¬ schiedenen Richtungen auf dem See gefahren war, um seine Tiefe zu messen, und wie wir uns bald auf dieser bald auf jener Stelle des Wassers festsezen mu߬ ten. Sie richtete sich Farben und Zeichnungsgeräthe zurechte, um zu versuchen, ob sie nicht auch nach der unmittelbaren Anschauung von den Räumen ihres Zimmerchens aus etwas von den Gestaltungen, die sie hier sehen konnte, auf das Papier zu übertragen vermöchte. Die folgenden Tage brachten wir damit zu, in den Umgebungen des Seehauses Spaziergänge zu machen, damit Klotilde sich ein wenig in diese Bil¬ dungen einlebe. Das vorausgesagte schöne Wetter war eingetroffen, es dauerte fort, und so konnten wir uns der Freude und dem Vergnügen, welche diese Gänge uns gewährten, um so ungestörter hingeben, als auch der Stand unserer Gesundheit ein vortreff¬ licher war und die Befürchtungen, welche die Mutter und zum Theile auch ich in Hinsicht Klotildens ge¬ hegt hatten, nicht in Erfüllung gingen. Wir schickten von hier aus Briefe nach Hause. In der Folge der Tage führte ich sie auf den See hinaus. Ich führte sie auf die verschiedenen Theile, die entweder an sich schön und bedeutend waren, oder von denen man schöne und merkwürdige Anblicke gewinnen konnte. Ich unterstüzte sie mit allen meinen Erfahrun¬ gen, die ich mir durch meine mehrfältigen Aufenthalte in dem Gebirge gesammelt hatte. Sie nahm alles mit einer tiefen Seele auf, und durch meine Hilfe waren ihr manche Umwege erspart, welche diejenigen, die zum ersten Male die Berge besuchen, machen müssen, ehe es ihnen gelingt, sich die Größe und Erhabenheit der Gebirge aufschließen zu können. Auf den Seefahrten unterstüzten uns zwei junge Schiffer, die meine steten Begleiter bei meinen Messungen gewesen waren. Wir gingen auch bergan. Ich hatte Klotilden Fußbeklei¬ dungen machen lassen, welche nach Innen weich, nach Außen aber hart und dem rauhen Gerölle Widerstand leistend waren. Auf dem Haupte trug sie einen be¬ quemen Schirmhut, und in der Hand einen eigens für sie gemachten Alpenstock. Wenn wir auf die Höhen kamen, wurde mit Freude die Aussicht genossen. Klotilde versuchte auch nach der Anschauung etwas zu zeichnen und zu malen; aber die Ergebnisse waren noch weit mangelhafter als bei mir, da sie einen geringeren Vorrath von Erfahrung zu dem Versuche brachte. Nachdem über eine Woche vergangen war, führte ich Klotilden mittelst eines gleichen Fuhrwerkes, wie wir sie bisher im Gebirge gehabt hatten, in das Lauterthal und in das Ahornhaus. Dort fanden wir ein besseres Unterkommen als in dem Seehause, und wir erhielten zwei nebeneinander befindliche geräumige und freundliche Zimmer, deren Fenster auf die Ahorne vor dem Hause hinausgingen, und durch die gelben Blätter derselben auf die blauduftigen Höhen sahen, die vom Hause gegen den Süden standen. Ich zeigte meine Schwester der Wirthin, ich zeigte sie dem alten Kaspar, der auf die Kunde meiner Ankunft sogleich herbei gekommen war, und ich zeigte sie den andern, Stifter , Nachsommer. III . 9 welche sich gleichfalls reichlich eingefunden hatten. Es war hier ein noch größerer Jubel als in dem See¬ hause, es freute sie, daß eine solche Jungfrau in die Berge gekommen, und daß sie meine Schwester sei. Sie bothen ihr Dienste an, und näherten sich mit eini¬ ger Scheu. Klotilde betrachtete alle diese Menschen, die ich ihr als meine Begleiter und Gehilfen bei mei¬ nen Arbeiten vorstellte, mit Vergnügen, sie sprach mit ihnen, und ließ sich wieder erzählen. Sie lernte sich immer mehr in die Art dieser Leute ein. Ich fragte um meinen Zitherspiellehrer, weil ich Klotilden diesen Mann zeigen wollte, und weil ich auch wünschte, daß sie sein außerordentliches Spiel mit eigenen Ohren hören möchte. Wir hatten zu diesem Zwecke unsere beiden Zithern in unserm Gepäcke mitgenommen. Man sagte mir aber, daß seit der Zeit, als ich ihnen erzählt habe, daß er von meinen Arbeiten fortgegangen sei, kein Mensch weder in den nähern noch in den fernern Thälern etwas von ihm gehört habe. Ich sagte also Klotilden, daß sie keinen andern als die gewöhn¬ lichen einheimischen Zitherspieler werde hören können, wie sie dieselben auch bereits gehört habe, und wie sie ihr anziehender erschienen seien als die Kunstspieler in der Stadt und als ich, der ich wahrscheinlich ein Zwitter zwischen einem Kunstspieler und einem Spie¬ ler des Gebirges sei. Wir richteten uns in unserem Zimmer ein, und begannen ungefähr so zu leben, wie wir in der Umgebung des Seehauses gelebt hatten. Ich führte Klotilden in das Echerthal zu dem Meister, welcher unsere Zithern verfertiget hatte. Er besaß noch immer die dritte Zither, welche mit meiner und Klo¬ tildens ganz gleich war. Er sagte, es seien zwar Käufer von Zithern gekommen, die diese gepriesen hätten; aber das seien Gebirgsleute gewesen, die nicht so viel Geld haben, sich eine solche Zither kaufen zu können. Die Andern, welche die Mittel besässen, vorzüglich Reisende, ziehen Zithern vor, welche eine schöne Aus¬ schmückung haben, wenn sie auch theurer sind, und lassen die stehen, deren Tugenden sie nicht zu schäzen wissen. Er spielte ein wenig auf ihr, er spielte mit einer großen Fertigkeit; aber in jener wilden und weichen Weise, mit welcher mein schweifender Jägers¬ mann spielte, und welche gerade diesem Musikgeräthe so zusagte, vermochte weder er zu spielen, noch hatte ich jemanden so spielen gehört. Ich sagte dem alten Manne, daß das Mädchen meine Schwester sei, und daß sie auch eine von den drei Zithern besize, von denen er sage, daß sie die besten seien, die er in 9 * seinem Leben gemacht habe. Er hatte seine Freude darüber, gab Klotilden ein Bündel Saiten und sagte: „Es sind meine besten Zithern, und werden wohl auch meine besten bleiben.“ Wir besuchten die Thäler und einige Berge um das Ahornhaus, und Kaspar oder ein anderer waren zuweilen unsere Begleiter und Träger. Ich führte Klotilden auch in das Häuschen, in welchem ich die Pfeilerverkleidungen für den Vater gekauft hatte, ich führte sie in das steinerne Schloß, in welchem sie ursprünglich gewesen sein mochten, und ich führte sie auch in das Rothmoor, wo sie das Ar¬ beiten in Marmor betrachten konnte. Wir blieben länger in dem Ahornhause, als wir im Seehause gewesen waren, und alle Menschen waren hier noch freundlicher zutraulicher und hilfreicher als dort. Die Wirthin war unermüdet in Dienstanerbie¬ thungen gegen meine Schwester. Zu Ende unseres Aufenthaltes traten hier kühle und regnerische Tage ein. Wir verbrachten sie still in der heitern Wohn¬ lichkeit des Hauses. Aber aus der Beschaffenheit des Laubes an den Bäumen und dem Aussehen der Herbst¬ pflanzen auf den Matten, aus dem Verhalten der Thiere und aus der Beschaffenheit des Pelzes derselben er¬ kannte ich, daß die dauernde kalte und unfreundliche Zeit noch nicht gekommen sei, und daß noch warme und klare Tage eintreten müssen. Als daher das Wetter sich wieder aufheiterte, verließ ich mit Klotilden das Ahornhaus, und schlug den Weg in das Kargrat ein. Ich hatte mich in meinen Voraussezungen nicht getäuscht. Nachdem zwei halb heitere und kühle Tage gewesen waren, die wir mit Fahren zugebracht hatten, zog wieder ein ganz heiterer zwar am Morgen kalter, in seinem Verlaufe aber sich schnell erwärmender Tag über die beschneiten Gipfel herauf, dem eine Reihe schöner und warmer Tage folgte, die den Schnee auf den Höhen und den, welcher das Eis der Gletscher bedeckt hatte, wieder weg nahmen, und das leztere so weit sichtbar machten, als es in diesem Sommer überhaupt sichtbar gewesen war. Wir hatten am zweiten dieser schönen Tage das Kargrat erreicht. Die Reise war darum von so langer Dauer gewesen, weil wir kleine Tagefahrten gemacht hatten, und weil wir die Berge hinan und hinab recht langsam gefahren waren. Wir zogen in die Ärmlichkeit unserer Wohnung, die durch die Größe und Öde der Gegend, von welcher sie umgeben war, noch mehr herabgedrückt wurde, ein. Am zweiten Tage nach unserer Ankunft, da alles vor¬ bereitet worden war, folgte mir Klotilde auf das Simmieis. Es waren Führer Träger von Lebens¬ mitteln und von Allem, was auf einer solchen Wan¬ derung nothwendig oder nüzlich sein konnte, und endlich auch solche, die eine Sänfte hatten, mitge¬ gangen. Wir waren am ersten Tage bis zur Kar¬ zuflucht gekommen. Dort waren wir in dem aus Holzblöcken für die Besteiger der Karspize gezimmerten Häuschen über Nacht geblieben, hatten aus mitge¬ brachtem Holze Feuer gemacht, und uns unser Abend¬ essen bereitet. Mit Anbruch des nächsten Tages gingen wir weiter, und kamen im Glanze des Vor¬ mittages auf die Wölbung des Gletschers. Daß an eine Besteigung der Karspize nicht gedacht werden konnte, war natürlich. Wir betrachteten hier nun, was zu betrachten war, und als sich Kälte in den Gliedern einstellen wollte, traten wir den Rückweg an. In der Zuflucht wurden wieder Speisen bereitet, und dann gingen wir vollends hinab. Als wir zurückgekehrt waren, sank mir Klotilde fast erschöpft an das Herz. Ich legte am andern Tage Klotilden mehrere Zeich¬ nungen, die ich von Gletschern ihren Einfassungen Wölbungen Spaltungen Zusammenschiebungen und dergleichen gemacht hatte, vor, damit sie in der frischen Erinnerung das Gesehene mit dem Abgebil¬ deten vergleichen konnte. Ich machte auf vieles aufmerksam, führte manches in ihr Gedächtniß zu¬ rück und erwähnte hier auch als an der geeignetsten Stelle, wie sehr die Abbildung hinter der Wirklichkeit zurück bleibe. In den nächsten zwei Tagen besuchten wir noch verschiedene Stellen, von denen wir das Eis und die Schneegestaltungen dieser Berge betrachten konnten. Auch einen Wassersturz von einer steilrechten Wand zeigte ich Klotilden. Hierauf aber begann ich, auf unsere Rückreise zu den Eltern zu denken. Die Zeit war nach und nach so vorgerückt, daß ein Auf¬ enthalt in diesen hochgelegenen Räumen besonders für ein der Stadt gewohntes Mädchen nicht mehr er¬ sprießlich war. Ich schlug daher Klotilden vor, nun auf dem nächsten Wege durch das ebenere Land unsere Heimath zu gewinnen zu suchen. Sie war damit ein¬ verstanden. Von dem nächsten größeren Orte her wurde ein Fuhrwerk bestellt, welches uns auf die erste Post bringen sollte. Wir nahmen von unserer Wirthin und ihrem Manne so wie von unsern Trägern und Führern, die noch zum Empfange eines kleinen Ge¬ schenkes herbei gekommen waren, Abschied, wir ver¬ abschiedeten uns von dem Pfarrer, der uns zuweilen besucht, und uns auf Schönheiten, von seinem kleinen Gesichtskreise aus, aufmerksam gemacht hatte, und fuhren auf unserem Karren, der nur mit einem Pferde bespannt war, auf dem schmalen Wege von dem Kar¬ grat hinab. Das Lezte, was wir von dem kleinen Örtchen sahen, war die mit Schindeln bedeckte Wand des Pfarrhofes und die gleichfalls mit Schindeln be¬ deckte Wand der schmalen Seite der Kirche. Ich sagte Klotilden, daß diese Bedeckungen nothwendig seien, um die in diesen Höhen stark wirkende Gewalt des Regens und des Schnees von dem Mauerwerke ab¬ zuhalten. Wir konnten nur noch einen Blick auf die zwei Gebäude thun, dann trat eine Höhe zwischen unsere Augen und sie. Wir glitten mit unserem Fuhr¬ werke sehr schnell abwärts, wilde Gründe umgaben uns, und endlich empfing uns der Wald, der die Niederungen suchte, in ihnen dahin zog, und schon wohnlicher und wärmer war. Wir kamen unter Wie¬ gen und Ächzen unseres Wägleins immer tiefer und tiefer, Fahrgeleise von Holzwegen, die den Wald durchstrichen, mündeten in unsere Strasse, diese wurde fester und breiter, und wir fuhren zuweilen schon eben und behaglich dahin. Als wir den Ort erreicht hatten, an welchem sich die nächste Post befand, lohnte ich den Führer meines Wägleins ab, sendete ihn zurück, und nahm Post¬ pferde. Wir fuhren in gerader Richtung auf dem kürzesten Wege aus dem Gebirge gegen das flachere Land, um die Heerstraße zu gewinnen, die nach un¬ serer Heimath führte. Immer mehr und mehr sanken die Berge hinter uns zurück, die milde Herbstsonne, die sie beschien, färbte sie immer blauer und blauer, die Höhen, die uns jezt begegneten, wurden stets kleiner und kleiner, bis wir in das Land hinaus kamen, dessen Gefilde mit lauter dem Menschen nuzbarem Grunde bedeckt waren. Dort trafen wir auf die große Straße. Bisher waren wir gegen Norden gefahren, jezt änderten wir die Richtung, und fuhren dem Osten zu. Wir hatten auch bessere Wägen. Da wir einen Tag auf dieser Strasse gefahren waren, ließ ich an einem Orte halten, und beschloß, einen Tag an demselben zu bleiben; den Abend und die Nacht brachten wir in Ruhe zu. Am andern Tage gegen Mittag führte ich die Schwester auf einen mäßig hohen Hügel. Der Tag war ein sehr schöner Herbst¬ tag, der Schleier, welcher im Vormittage so Hügel als Gründe zart umwebt hatte, war einer völligen Klarheit gewichen. Ich befestigte mittelst Schrauben mein Fernrohr an dem Stamme einer Eiche, und richtete es. Dann hieß ich Klotilden durchsehen, und fragte sie, was sie sähe. „Ein hohes dunkles Dach,“ sagte sie, „aus wel¬ chem mehrere breite und mächtige Rauchfänge empor ragen. Unter dem Dache ist ein Gemäuer von eben¬ falls dunkler Farbe, in welchem große Fenster in ge¬ mäßen Entfernungen stehen. Das Gebäude scheint ein Viereck zu sein.“ „Und was siehst du weiter, Klotilde, wenn du das Rohr in die Umgebungen des Gebäudes richtest?“ fragte ich. „Bäume, die hinter dem Hause stehen, gleichsam wie ein Garten,“ antwortete sie. „Die Mauern des Gebäudes sind dort licht wie die unserer Häuser. Dann sehe ich Felder, in ihnen wieder Bäume, hie und da ein Haus, und endlich wolkenartige Spizen, die wie das Hochgebirge sind, das wir verlassen haben.“ „Es ist das Hochgebirge,“ antwortete ich. „Ist das etwa — —?“ fragte sie, den Kopf von dem Fernrohre wegwendend und mich ansehend. „Ja, Klotilde, das Gebäude ist der Sternenhof,“ antwortete ich. „Wo Natalie wohnt?“ fragte sie. „Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde ver¬ weilt, wo so treffliche Menschen ein und aus gehen, wohin meine Gedanken sich mit Empfindung wenden, wo sanfte Gegenstände der Kunst thronen, und wo ein liebes Land um all die Mauern herum liegt,“ antwortete ich. „Das ist der Sternenhof!“ sagte Klotilde, blickte wieder in das Fernrohr, und sah lange durch dasselbe. „Ich habe dich mit Freude auf diesen Hügel ge¬ führt, Klotilde,“ sagte ich, „um dir diesen Ort zu zeigen, in dem mein warmes Herz schlägt, und ein tiefer Theil von meinem Wesen wohnt.“ „Ach lieber theurer Bruder,“ antwortete sie, „wie oft gehen meine Gedanken an den Ort, und wie oft weilt mein Gemüth in seinen mir noch unbekannten Mauern!“ „Du begreifst aber,“ sagte ich, „daß wir jezt nicht hingehen können, und daß die Angelegenheit ihre naturgemäße Entwickelung haben muß.“ „Ich begreife es,“ antwortete sie. „Du wirst sie sehen, an deinem Herzen halten, und sie lieben,“ sagte ich. Klotilde sah wieder in das Rohr, sie sah sehr lange in dasselbe, und betrachtete alles genau. Ich lenkte ihren Blick auf die Theile, die mir wichtig schienen, erklärte ihr alles, und erzählte von dem Schlosse und von denen, die in demselben sind. Es war indessen der Mittag gekommen, wir lösten das Fernrohr ab, und gingen langsam unserer Wohnung zu. „Kann man hier nicht auch das Rosenhaus deines Freundes sehen?“ fragte sie im Heimgehen. „Hier nicht,“ erwiederte ich, „hier ist nicht einmal der höchste Theil der Rosenhausgegend zu erblicken, weil der Kronwald, den du gegen Norden siehst, sie deckt. Im Weiterfahren werden wir auf einen Hügel kommen, von dem aus ich dir die Anhöhe zeigen kann, auf welcher das Haus liegt, und von dem aus du mit dem Fernrohre das Haus sehen kannst.“ Wir gingen in unsere Wohnung, und am nächsten Tage fuhren wir weiter. Als wir an die Stelle ge¬ kommen waren, von welcher man die Höhe des Asper¬ hofes sehen konnte, ließ ich halten, wir stiegen aus, ich zeigte Klotilden den Hügel, auf welchem das Haus meines Gastfreundes liegt, richtete das Fernrohr, und ließ sie durch dasselbe das Haus erblicken. Wir waren aber hier so weit von dem Asperhofe entfernt, daß man selbst durch das Fernrohr das Haus nur als ein weißes Sternchen sehen konnte. Nach dessen Betrachtung fuhren wir wieder weiter. Als nach diesem Tage der dritte vergangen war, fuhren wir gegen Abend durch den Thorweg des Vor¬ stadthauses unserer Eltern ein. „Mutter,“ rief ich, da uns diese und der Vater, der unsere Ankunft gewußt hatte, und daher zu Hause geblieben war, entgegen kamen, „ich bringe sie dir gesund und blühend zurück.“ Wirklich war Klotilde, wie es dem Vater auf sei¬ ner kleinen Reise ergangen war, durch die Luft und die Bewegung kräftiger heiterer und in ihrem Ange¬ sichte reicher an Farbe geworden, als sie es je in der Stadt gewesen war. Sie sprang von dem Wagen in die Arme der Mutter und begrüßte diese und dann auch den Vater freudenvoll; denn es war das erste Mal gewesen, daß sie die Eltern verlassen hatte, und auf längere Zeit in ziemlicher Entfernung von ihnen gewesen war. Man führte sie die Treppe hinan, und dann in ihr Zimmer. Dort mußte sie erzählen, erzählte gerne, und unter¬ brach sich öfter, indem sie das inzwischen heraufge¬ brachte Gepäck aufschloß, und die manigfaltigen Dinge heraus nahm, die sie in den verschiedenen Ortschaften zu Geschenken und Erinnerungen gekauft oder an man¬ cherlei Wanderstellen gesammelt hatte. Ich war eben¬ falls mit in ihr Zimmer gegangen, und als wir ge¬ raume Weile bei ihr gewesen waren, entfernten wir uns, und überließen sie einer nothwendigen Ruhe. Nun folgte für Klotilden fast eine Zeit der Be¬ täubung, sie beschrieb, sie erzählte wieder, sie sezte sich vor Zeichnungen hin, blätterte in ihnen, oder zeich¬ nete selber, und suchte in der Erinnerung Gesehenes nachzubilden. Aber auch für mich war diese Reise nicht ohne Erfolg gewesen. Was ich halb im Scherze halb im Ernste gesagt hatte, daß ich durch diese Reise zu einer größeren Ruhe kommen werde, ist in Wirklichkeit ein¬ getroffen. Klotilde, welche alle die Gegenstände, die mir längst bekannt waren, mit neuen Augen ange¬ schaut, welche alles so frisch, so klar und so tief in ihr Gemüth aufgenommen hatte, hatte meine Gedanken auf sich gelenkt, hatte mir selber etwas Frisches und Ursprüngliches gegeben, und mir Freude über ihre Freude mitgetheilt, so daß ich gleichsam gestärkter und befestigter über meine Beziehungen nachdenken, und sie mir gewissermassen vor mir selber zurecht legen konnte. Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechsel verab¬ redet, ich hatte nicht daran gedacht, sie wahrschein¬ lich auch nicht. Unser Verhältniß erschien mir so hoch, daß es mir kleiner vorgekommen wäre, wenn wir uns gegenseitig Briefe geschickt hätten. Wir mußten in der Festigkeit der Überzeugung der Liebe des Andern ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern, und mußten warten, wie sich alles entwickeln werde. So konnte ich mit dem Gefühle von Seligkeit von Natalien fern sein, konnte mich freuen, daß alles so ist, wie es ist, und konnte dessen harren, was meine Eltern und Nataliens Angehörige beginnen werden. Klotilden, welche ihren Bergen Lüften Seen und Wäldern die Farbe geben wollte, die sie gesehen hatte, suchte ich beizustehen, und zeigte ihr, worin sie fehle, und wie sie es immer besser machen könne. Wir wußten es jezt, daß man die zarte Kraft, wie sie uns in der Wesenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht darstellen könne, und die Kunst des großen Meisters mir in der besten Annäherung bestehe. Auch in ihrem Bestreben, die Art, wie sie im Gebirge die Zither spielen gehört hatte, und die eigenthümlichen Töne, die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen, suchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide unsere Vorbilder nicht völlig erreichen, freuten uns aber doch unserer Versuche. Bei einigen Freunden machte ich gelegentlich zwei oder drei Besuche. So war der Winter gekommen. Ich faßte, weil ich schon nach dem Rathe des Vaters beschlossen hatte, im Winter meinen Gastfreund zu besuchen, zugleich auch den Entschluß, einmal im Winter in das Hoch¬ gebirge zu gehen, und, wenn dies möglich sein sollte, einen hohen Berg zu besteigen, und auf dem Eise eines Gletschers zu verweilen. Ich bestimmte hierzu den Januar als den beständigsten und meistens auch klarsten Monat des Winters. Gleich nach seinem Be¬ ginne fuhr ich von dem Hause meiner Eltern ab, und fuhr in dem flimmernden Schnee und in der blendenden Hülle, die alle Fluren deckte, im Schlitten der Gegend zu, in welcher meine Freunde lebten. Das Wetter war schon durch zehn Tage beständig und mäßig kalt gewesen, der Schnee war reichlich, und auf der Bahn glitten die Fahrzeuge wie in den Lüften dahin. Wie ich sonst nie anders als im offenen Wagen fuhr, so fuhr ich auch jezt mit guten Pelzen versehen im offenen Schlitten, und freute mich der weichen Hülle, die um meinen Körper war, und auch der, die überall und allüberall lag, freute mich der schweigenden bereiften Wälder, der ruhenden Obst¬ bäume, die ihre weißen Gitter ausstreckten, der Häu¬ ser, von denen der wohnliche Rauch aufstieg, und der Unzahl der Sterne, die Nachts in dem kalten und finsteren Himmel feuriger funkelten als je sonst im Sommer. Ich hatte vor, zuerst die Gebirge und dann meinen Gastfreund zu besuchen. Ich fuhr bis in die Nähe des Lauterthales, Da ich die Straße verlassen sollte, miethete ich einen ein¬ spännigen Schlitten, weil in den Seitenwegen, auf denen man immer im Winter nur mit einem Pferde fährt, die Bahn zu enge ist, als daß zwei Pferde sicher neben einander gehen könnten, und fuhr in das Thal und in das Ahornwirthshaus. Die Ahorne streckten ungeheure abenteuerlich gestaltete entblätterte und mit feinen Zweigen wie mit Bärten versehene Arme der winterlichen Luft entgegen, das fensterreiche Wirthshaus war in seiner braunen Farbe gegen die Schneedecke auf seinem Dache und gegen den Schnee, der überall ringsum lag, noch brauner als sonst, und die Fichtentische vor dem Hause waren abgebrochen und in Aufbewahrung gethan worden. Die Wirthin empfing mich mit Erstaunen und mit Freude, daß ich in einer solchen Jahreszeit komme, Stifter , Nachsommer. III . 10 und gab mir das beste Versprechen, daß meine Stube so warm und heimlich sein solle, als wehe kein einziges Lüftchen hinein, und so licht, als schiene die Sonne, wenn sie überhaupt scheint, sonst nirgends hin als auf meine Fenster. Ich ließ meine Geräth¬ schaften in die Stube bringen, und bald loderte auch ein lustiges Feuer in dem Ofen derselben, der aus¬ nahmsweise, wie es sonst in den Gebirgen fast gar nicht vorkömmt, von Innen zu heizen war. Die Wirthin hatte es so einrichten lassen, weil von Außen der Zugang zu dem Ofen so schwer gewesen war. Als ich mich ein wenig erwärmt, und meine Haupt¬ sachen in Ordnung gebracht hatte, ging ich in die allgemeine Gaststube hinunter. In ihr waren ver¬ schiedene Leute anwesend, die der Weg vorbei führte, oder die eine kleine Erquickung und ein Gespräch such¬ ten. Bei den vielen und sehr nahe stehenden Fenstern drang ein reichliches Licht herein, so daß die Sonnen¬ strahlen des Wintertages um die Tische spielten, was um so wohlthätiger war, da auch eine behagliche Wärme von den in dem großen Ofen brennenden Klözen das Zimmer erfüllte. Ich fragte wieder um meinen Zitherspiellehrer, es hatte niemand etwas von ihm gehört. Ich fragte um den alten Kaspar, er war gesund, und es wurde auf meine Bitte um ihn gesen¬ det. Ich sagte, daß ich im Sinne hätte, von dem Lautersee in die Eisfelder der Echern hinaufzusteigen. Ich hätte Anfangs Lust gehabt, das Simmieis an der Karspize zu besuchen; aber der Zugang ins Kar¬ grat sei mir im Winter sehr unangenehm, und wenn die Echern auch etwas tiefer liegen als die Simmen, so seien sie doch schöner, und von unvergleichlich wohlgebildeten Felsen eingefaßt. Alle riethen mir von meinem Unternehmen ab, es sei im Winter nicht durchzudringen, und die Kälte sei auf den Bergen so groß, daß sie kein Mensch zu ertragen vermöge. Ich widerlegte die Einwürfe vorerst dadurch, daß ich sagte, es sei eben im Winter niemand auf den Echern ge¬ wesen, wie sie selber berichten, und daß man daher nichts Sicheres wissen könne. „Aber man kann es sich denken,“ erwiederten viele. „Erfahrung ist noch besser,“ sagte ich. Indessen kam der alte Kaspar. Die Sache wurde ihm gleich von den Anwesenden erzählt, und er rieth auch entschieden von dem Unternehmen ab. Ich sagte, daß viele Forscher in Naturdingen im Winter schon auf hohen Bergen gewesen seien, auf höheren als den Echern, daß sie dort Nächte und zuweilen auch 10 * eine Reihe von Tagen und Nächten zugebracht haben. Man wendete immer ein, das seien andere Berge ge¬ wesen, und in den hiesigen gehe es durchaus nicht. Der alte Kaspar verstand sich endlich ganz allein dazu, mich, wenn ich durchaus wolle, zu begleiten. Aber das Wetter, meinte er, müßten wir uns sorg¬ sam dazu auslesen. Ich erwiederte ihm, daß ich Geräthe bei mir hätte, die mir anzeigen, wenn eine schöne Zeit bevorstehe, daß ich mich auch ein wenig auf die Zeichen an dem Himmel verstehe, und daß ich selber auf den Höhen nicht gar gerne in einen Schneesturm oder in einen langedauernden Nebel ge¬ rathen möchte. Alle andern Leute, welche mir sonst gerne bei meinen Bergarbeiten geholfen hatten, und welche ich ebenfalls ins Wirthshaus hatte rufen lassen, lehnten es durchaus ab, mich im Winter in die Echern zu begleiten. Dem Kaspar sagte ich, er müsse sich vorbereiten. Ich hätte selber verschiedene Dinge bei mir, von denen er sich die aussuchen könne, von welchen er glaube, daß er sie auf unserer Wanderung mitnehmen möge. Den Tag, an welchem wir zum See hinunter gehen werden, würde ich ihm dann schon sagen. Ich ging unter den lebhaftesten Gesprä¬ chen der Anwesenden über diesen Gegenstand in meine Stube zurück, und brachte den Abend in derselben zu. Ich wußte, daß sie nun tief in die Nacht hinein über die Sache sprechen würden, und daß in den nächsten Tagen für das ganze Thal diese Unternehmung den Stoff der Unterredungen bilden würde. Es meldete sich nun auch wirklich keiner mehr, um mich und Kaspar zu begleiten. Die Zeit bis zum Beginne unsers Unternehmens brachte ich damit zu, daß ich Wanderungen in der Umgegend machte. Ich betrachtete die Wälder, die in Ruhe und Pracht dastanden, ich betrachtete die Höhen, auf welchen die unermeßlichen Schneemengen lagen, ich betrachtete die Echernwand, von der eine Last von Eiszapfen niederhing, deren manche die Dicke von Bäumen hatten, zuweilen losbrachen, und mit Krachen und Klingen in den Schnee niederstürzten, ich ging auf Berge, und schaute in die stille gleichsam verdich¬ tete Winterluft, und auf alle die weißen Gebilde, die durch dunkle Wälder durch Felsen und durch das sanfte Blau der fernen Bergzüge geschnitten waren. Gegen die Mitte des Januars, zu welcher Zeit gewöhnlich das Wetter am ausdauerndsten zu sein pflegt, stellten sich die Zeichen ein, daß längere Zeit schöne Tage sein werden. Ein etwas weicher Luftzug der vorigen Tage hatte sich verloren, die graue Decke am Himmel war verschwunden, und den verwaschenen Federwolken war eine tiefe Bläue gefolgt. Die Luft zog aus Osten, die Kälte mehrte sich, der Schnee flimmerte, und Abends zeigte sich der feine blauliche Duft in den Gründen, der heitere Morgen und immer größere Kälte versprach. Meine Werkzeuge gaben starken Luftdruck und große Trockenheit an. Ich sagte dem alten Kaspar, daß wir nunmehr aufbrechen würden. Wir nahmen an Alpenstöcken Steigeisen Stricken Schneereifen Decken Kleidern, was wir nöthig erachteten, eine Schaufel eine Axt Kochgeschirr und Lebensmittel auf mehrere Tage. So bepackt gingen wir zu dem See. Dort theilten wir unsere Dinge in zwei bequeme Lasten, daß jeder mit der seinigen so leicht als möglich gehen könne, und erwarteten den nächsten Morgen. Beim Grauen des Lichtes machten wir uns auf den Weg, und stiegen mit unseren sehr hohen Stie¬ feln, die ich eigens zu diesem Zwecke hatte machen lassen, in den tiefen Schnee der Wege, die zu den Höhen, auf die wir wollten, führten, die aber nur im Sommer betreten wurden, die jezt keine Spur zeigten, und die wir nur fanden, weil wir der Gegend sehr kundig waren. Wir gingen mehrere Stunden in diesem tiefen Schnee, dann kamen Wälder, in denen er niederer lag, und durch welche das Fortkommen leichter war. Viele Gerölle und schiefliegende Wände, die nun folgten, zeigten ebenfalls weniger Schnee als die Tiefe, und es war über sie im Winter leichter zu gehen, als ich es im Sommer gefunden hatte, da die Unebenheiten und die kleinen scharfen Riffe und Steine mit einer Schneedecke überhüllt waren. Als wir die ersten Vorberge überwunden hatten, und auf die Hochebene der Echern gekommen waren, von der man wieder den blauen See recht tief und dunkel in der weißen Umgebung unten liegen sah, machten wir ein wenig Halt. Die Oberfläche der Echern oder die Hochebene, wie man sie auch gerne nennt, ist aber nichts weniger als eine Ebene, sie ist es nur im Ver¬ gleiche mit den steilen Abhängen, welche ihre Seiten¬ wände gegen den See bilden. Sie besteht aus einer großen Anzahl von Gipfeln, die hinter und neben einander stehen, verschieden an Größe und Gestalt sind, tiefe Rinnen zwischen sich haben, und bald in einer Spize sich erheben, bald breitgedehnte Flächen darstellen. Diese sind mit kurzem Grase und hie und da mit Knieföhren bedeckt, und unzählige Felsblöcke ragen aus ihnen empor. Es ist hier am schwersten durchzukommen. Selbst im Sommer ist es schwie¬ rig, die rechte Richtung zu behalten, weil die Gestal¬ tungen einander so ähnlich sind, und ein ausgetretener Pfad begreiflicher Weise nicht da ist: wie viel mehr im Winter, in welchem die Gestalten durch Schnee¬ verhüllungen überdeckt und entstellt sind, und selbst da, wo sie hervorragen, ein ungewohntes und fremd¬ artiges Ansehen haben. Es sind mehrere Alpenhütten in diesem Gebiethe zerstreut, und es befinden sich im Sommer Heerden hier oben, die aber, wie zahlreich sie auch sind, in der großen Ausdehnung verschwin¬ den, und sich gegenseitig oft Monate lang nicht sehen. Wir wünschten noch beim Lichte des Tages über diese Erdbildungen hinüber zu kommen, und hatten vor, zur Einhaltung der Richtung uns gegen¬ seitig in unserer Kenntniß der Riffe und der Hügelge¬ staltungen zu unterstüzen, und uns die entscheidenden Bildungen wechselseitig zu nennen und zu beschreiben. Am oberen Ende der Hochebene, wo wieder die größe¬ ren Felsenbildungen beginnen, und das Verirren weit weniger möglich ist, steht im Bereiche großer Kalksteinblöcke eine Sennhütte, die Ziegenalpe ge¬ nannt, welche das Ziel unserer heutigen Wanderung war. Am Rande der Bergansteigung und dem An¬ fange der Hochebene, wo wir jezt waren, sezten wir uns nieder. Es liegt da ein großer Stein der beinahe ganz schwarz ist. Er ist nicht nur dieser Farbe willen an sich merkwürdig, sondern besonders darum, weil er durch eben diese Farbe dann durch seine Größe und seine seltsame Gestalt von Weitem gesehen wer¬ den kann, und denen, die von der Ziegenalpe durch die Hochebene abwärts kommen, zum Zeichen, und wenn sie bei ihm angelangt sind, zur Beruhigung des richtig zurückgelegten Weges dient. Weil vielen, die auf der Hochebene sind, Sennen Alpenwanderern Jägern, der Stein ein Versammlungsort ist, so fin¬ det sich von ihm ab schon ein merkbar ausgetretener Pfad und man kann die Richtung zu dem See hinab nicht mehr leicht verfehlen. Auch ist die gegen Son¬ nenaufgang überhängende Gestalt des Felsens geeig¬ net, vor Regen und heftigen Westwinden zu schüzen. Als wir bei ihm angelangt waren, sahen wir freilich keine Spur eines Menschen rings um ihn; denn unberührter Schnee lag bis zu seinen Wänden hinzu, und er stand noch einmal so schwarz aus dieser Umgebung hervor. Wir fanden aber auf klei¬ neren Steinen, die unter seinem Überdache lagen, und auf die der Schnee nicht hereingefallen war, Raum zum Sizen, und folgten dieser Einladung willig, da sich schon Ermüdung eingestellt hatte. Kaspar schnallte die Umhüllungen der Decken aus¬ einander, und holte zwei leichte aber wärmende Pelze und andere Pelzsachen hervor, die ich dazu bestimmt hatte, unsere Körper und Füsse, die im Wandern sich sehr erwärmt hatten, in der Ruhe vor Verkühlung zu schüzen. Als wir diese Pelzdinge umgethan hatten, schritten wir dazu, uns durch Speise und Trank zu erquicken. Etwas Wein und Brod reichte zu dem Zwecke hin. Ich betrachtete, nachdem unser Mahl vollendet war, den Wärmemesser, welchen ich gleich nach unserer Ankunft an einer freien Stelle auf mei¬ nen Alpenstock aufgehängt hatte, und zeigte meinem Begleiter Kaspar, daß die Wärme hier oben größer sei, als wir sie gestern zu gleicher Tageszeit unten in der Ebene des Sees gehabt hatten. Die Sonne schien sehr kräftig auf den Schnee, es wehte kein Lüftchen, an dem grünlich blaulichen Himmel lagerten nur ein paar sehr dünne weißliche Streifen. Auch konnte man von dem Steinvorsprunge, von dem aus der See zu erblicken war, fast deutlich wahrnehmen, daß unten nicht nur die dichtere, sondern auch kältere Luft liege. Denn so deutlich und klar der See zu er¬ blicken war, so zog sich doch an den weißen oder wei߬ gesprenkelten Wänden desselben ein feiner blaulich schillernder Dunst hin, zum Zeichen, daß dort unsere obere wärmere Luft mit der unteren schon seit längerer Zeit über dem See stehenden kälteren zusammengrenze, und sich da ein sanfter Beschlag bilde. Ich schaute nur noch auf den Feuchtigkeitsmesser und den des Luft¬ druckes, dann packte Kaspar unsere Decken und Pelze, ich meine Geräthe ein, und wir gingen unsers Weges weiter. Mit großer Vorsicht suchten wir die Richtung, die uns noththat, zu bestimmen. Auf jeder Stelle, die eine größere Umsicht gewährte, hielten wir etwas an, und suchten uns die Gestalt der Umgebung zu ver¬ gegenwärtigen, und uns des Raumes, auf dem wir standen zu vergewissern. Ich zog zum Überflusse auch noch die Magnetnadel zu Rathe. In den Niederun¬ gen und Mulden zwischen einzelnen Höhen mußten wir uns der Schneereife bedienen. Gegen den spätern Nachmittag stiegen uns die höheren und dunkleren Zacken der Echern aus dem Schnee entgegen. Als die Sonne fast nur mehr um ihre eigene Breite von dem Rande des Gesichtskreises entfernt war, kamen wir in der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigenthüm¬ lichen Anblick. Es ist da eine Stelle, von welcher aus man nicht mehr zu dem See oder zu seiner Umgebung zurücksehen kann, dafür öffnet sich gegen Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lich¬ tung des Lauterthales besonders aber in das Echer¬ thal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine und Klotildens Zither gemacht hatte. In diese Ferne wollte ich noch einen Blick thun, ehe wir in die Hütte gingen. Aber ich konnte die Thäler nicht sehen. Die Wirkung, welche sich aus dem Aneinandergrenzen der oberen wärmeren Luft und der unteren kälteren, wie ich schon am schwarzen Steine bemerkt hatte, ergab, war noch stärker geworden, und ein einfaches wag¬ rechtes weißlichgraues Nebelmeer war zu meinen Füssen ausgespannt. Es schien riesig groß zu sein, und ich über ihm in der Luft zu schweben. Einzelne schwarze Knollen von Felsen ragten über dasselbe em¬ por, dann dehnte es sich weithin, ein trübblauer Strich entfernter Gebirge zog an seinem Rande, und dann war der gesättigte goldgelbe ganz reine Himmel, an dem eine grelle fast strahlenlose Sonne stand, zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von unbeschreiblicher Größe. Kaspar, welcher neben mir stand, sagte: „Verehrter Herr, der Winter ist doch auch recht schön.“ „Ja Kaspar,“ sagte ich, „er ist schön, er ist sehr schön.“ Wir blieben stehen, bis die Sonne untergegangen war. Die Farbe des Himmels wurde für einen Au¬ genblick noch höher und flammender, dann begann alles nach und nach zu erbleichen, und schmolz zulezt in ein farbloses Ganzes zusammen. Nur die gewal¬ tigen Erhebungen, die gegen Süden standen, und die das Eis, das wir besuchen wollten, enthielten, glommen noch von einem unsichern Lichte, während mancher Stern über ihnen erschien. Wir gingen nun in dem beinahe finster gewordenen und ziemlich unwegsamen Raume zur Hütte, um in derselben unsere Vorbereitungen zum Übernachten zu treffen. Die Hütte war, wie es im Winter immer ist, wo sie leer steht, nicht gesperrt. Ein Holzriegel, der sehr leicht zu beseitigen war, schloß die Thür. Wir traten ein, steckten eine Kerze in unsern Hand¬ leuchter, und machten Licht. Wir suchten das Gemach der Sennerinnen, und ließen uns dort nieder. In den Schlafstellen war etwas Heu, ein grober Bretter¬ tisch stand in der Mitte des Gemaches, eine Bank lief an der Wand hin, und eine bewegliche stand an dem Tische. Wir hatten vor, hier erst unser eigent¬ liches warmes Tagesmahl zu bereiten. Aber, worauf wir kaum gefaßt waren, es zeigte sich nirgends auch nicht der geringste Vorrath von Holz. Ich hatte für den Fall Weingeist bei mir, um einige Schnitten Braten in einer flachen Pfanne rösten zu können; aber wir zogen es vorzüglich wegen der Erwärmung des Körpers vor, ein Stück Bank zu verbrennen, und dem Eigenthümer Ersaz zu leisten. Kaspar machte sich mit der Axt an die Arbeit, und bald loderte ein lustiges Feuer auf dem Heerde. Ein Abendessen wurde bereitet, wie wir es oft bei unsern Gebirgsarbeiten bereitet hatten, aus dem Heu der Schlafstellen den Decken und den Pelzen wurden Betten zurecht gemacht, und nachdem ich noch meine Meßwerkzeuge, die im Freien vor der Hütte aufgehängt waren, betrachtet hatte, begaben wir uns zur Ruhe. Auch jezt am späten Abende war bei ganz heiterem sternenvollen Himmel eine viel mindere Kälte in dieser Höhe, als ich ver¬ muthet hatte. Ehe der Tag graute, standen wir auf, machten Licht, kleideten uns vollständig an, richteten all unsere Dinge zurecht, bereiteten ein Frühmahl, verzehrten es, und traten unsern Weg an. Die Echernspize stand fast schwarz im Süden, wir konnten sie deutlich in die blasse Luft über dem Haustein, der uns noch un¬ sere Eisfelder deckte, empor ragen sehen. Der Tag war wieder ganz heiter. Obgleich es noch nicht licht war, durften wir eine Verirrung nicht fürchten, denn wir mußten geraume Zeit zwischen Felsen empor gehen, die unsere Richtung von beiden Seiten begrenzten, und uns nicht abweichen ließen. Wir legten, weil der Schnee in diesen Rinnen sich angehäuft hatte, unsere Schneereifen an, und gingen in der ungewissen Dämmerung vorwärts. Nach etwas mehr als einer Stunde Wanderung kamen wir auf die Höhe hinaus wo die Gegend sich wieder öffnet, und gegen Osten weite Felder hinziehen. Diese biegen, nachdem sie sich ziemlich hoch erhoben, gegen Süden um einen Fels herum, und lassen dann den Eisstock erblicken, zu dem wir wollten. Dieser drückt mit großer Macht von Süden gegen Norden herab, und hat zu seiner süd¬ lichen Begrenzung die Echernspize. Auf den erklom¬ menen Feldern war es schon ganz licht; allein die Berge, welche wir am östlichen Rande derselben unter uns und weit draußen erblicken sollten, waren nicht zu sehen, sondern am Rande der mit Schnee bedeckten Felder sezte sich eine Farbe die nur ein klein wenig von der Schneefarbe verschieden war, fast ins Uner¬ meßliche fort, die des Nebels. Er hatte seit gestern noch mehr überhand genommen, und begrenzte unsere Höhe als Insel. Kaspar wollte erschrecken. Ich aber machte ihn aufmerksam, daß der Himmel über uns ganz heiter sei, daß dieser Nebel von jenem sehr ver¬ schieden sei, der bei dem Beginne des Regen- oder Schneewetters zuerst die Spizen der Berge in Gestalt von Wolken einhüllt, sich dann immer tiefer oft bis zur Hälfte der Berge hinabzieht, und den Wanderern so fürchterlich ist; unser Nebel sei kein Hochnebel son¬ dern ein Tiefnebel, der die Bergspizen, auf denen das Verirren so schrecklich sei, freilasse, und der beim Höhersteigen der Sonne verschwinden werde. Im schlimmsten Falle, wenn er auch bliebe, sei er nur eine wagrechte Schichte, die nicht höher stehe, als wo der schwarze Stein liegt. Von dort hinab aber ist uns der Weg sehr bekannt, wir müssen unsere eigenen Fu߬ stapfen finden, und können an ihnen abwärts gehen. Kaspar, welcher mit dem Gebirgsleben sehr vertraut war, sah meine Gründe ein, und war beruhigt. Während wir standen und sprachen, fing sich an einer Stelle der Nebel im Osten zu lichten an, die Schneefelder verfärbten sich zu einer schöneren und anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem sie bisher bedeckt gewesen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der immer größer wurde, und endlich in der Größe eines Tellers schweben blieb, zwar trübroth aber so innig glimmend wie der feurigste Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge überwunden hatte, und den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der Schnee, immer deutlicher fast grünlich seine Schatten, die hohen Felsen zu unserer Rechten, die im Westen standen, spürten auch die sich nähernde Leuchte, und rötheten sich. Sonst war nichts zu sehen, als der un¬ geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher gelegt hatte, standen nur die zwei Menschen, die da winzig genug sein mußten. Der Nebel fing endlich an seiner äußersten Grenze zu leuchten an wie ge¬ schmolzenes Metall, der Himmel lichtete sich, und die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬ lung empor. Die Lichter schossen plözlich über den Schnee zu unsern Füssen, und fingen sich an den Fel¬ sen. Der freudige Tag war da. Wir banden uns die Stricke um den Leib, und Stifter , Nachsommer. III . 11 ließen ein ziemlich langes Stück von der Leibbinde des einen zu der des andern gehen, damit, wenn einer, da wir jezt über eine sehr schiefe Fläche zu gehen hat¬ ten, gleiten sollte, er durch den andern gehalten würde. Im Sommer war diese Fläche mit vielen kleinen und scharfen Steinen bedeckt, daher der Übergang über sie viel leichter. Im Winter kannte man den Boden nicht, und der Schnee konnte ins Gleiten gerathen. Ohne Hilfe der Schneereife, die hier, weil sie unbehilflich machten, nur gefährlich werden konnten, gelangten wir mit angewandter Vorsicht glücklich hinüber, lös¬ ten die Stricke, bogen nach einer darauf erfolgten mehrstündigen Wanderung um die Felsen, und stan¬ den an dem Gletscher und auf dem ewigen Schnee. Auf dem Eise, da wir nach uns sehr bekannten Richtungen auf demselben vorschritten, zeigte sich bei¬ nahe mit Rücksicht auf den Sommer gar keine Ver¬ änderung. Da auch im Sommer fast jeder Regen des Thales die Höhen entweder gar nicht trift, oder auf ihnen Schnee ist, so war es jezt auf dem Gletscher wie im Sommer, und wir schritten auf bekannten Ge¬ biethen vorwärts. Wo die Eismengen geborsten und zertrümmert waren, hatte sie an ihren Oberflächen der Schnee bedeckt, mit den Seitenflächen sahen sie grün¬ lich oder blaulich schillernd aus dem allgemeinen Weiß hervor, weiter aufwärts, wo die Gletscherwölbung rein dalag, war sie mit Schnee bedeckt. Der einzige Unterschied bestand, daß jezt keine einzige breite oder lange Eisstelle blosgelegt in ihrer grünlichen Farbe da stand, was doch zuweilen im Sommer geschieht. Wir verweilten einige Zeit auf dem Eise, und nah¬ men auf demselben auch unser Mittagsmahl in Wein und Brod bestehend ein. Unter uns hatte sich aber indessen eine Veränderung vorbereitet. Der Nebel war nach und nach geschwunden, ein Theil der fernen oder der näheren Berge war nach dem andern sichtbar geworden, verschwunden, wieder sichtbar geworden, und endlich stand alles im Sonnenglanze ohne ein Flöckchen Nebel, der wie ausgetilgt war, in sanfter Bläue oder wie in goldigem Schimmer oder wie im fernen matten Silberglanze in tiefem Schweigen und unbeweglich da. Die Sonne strahlte einsam ohne einer geselligen Wolke an dem Himmel. Die Kälte war auch hier nicht groß, geringer als ich sie im Thale beobachtet hatte, und nicht viel größer, als sie auch zu Sommerszeiten auf diesen Höhen ist. Nachdem wir uns eine geraume Weile auf dem 11 * Eise aufgehalten hatten, traten wir den Rückweg an. Wir gelangten leicht an den gewöhnlichen Ausgang des Gletschers, von wo aus man das Hinabgehen über die Berge einleitet. Wir fanden unsere Fußstapfen, die in der ungetrübten Oberfläche des Schnees, da hierauf selten auch Thiere kommen, sehr deutlich er¬ kennbar waren, und gingen nach ihnen fort. Wir kamen glücklich über die schiefe Fläche, und langten gegen Abend in der Ziegenalpe an. Es war hier schon zu dunkel, um noch etwas von der Umgebung sehen zu können. Wir hielten in der Hütte wieder unser warm zubereitetes Abendmahl, wärmten uns am Reste der Bank, und erquickten uns durch Schlaf. Der nächste Morgen war abermals klar, in den Thälern lag wieder der Nebel. Da auch die Nacht vollkommen windstill gewesen war, so hatten wir uns jezt in Hin¬ sicht unsers Rückweges über die Hochebene nicht zu sorgen. Unsere Fußstapfen standen vollkommen unver¬ wischt da, und ihnen konnten wir uns anvertrauen. Selbst da, wo wir rathend gestanden waren, und etwa den Alpenstock seitwärts unseres Standortes in den Schnee gestoßen hatten, war die Spur noch völlig sichtbar. Wir kamen früher, als wir gedacht hatten, an dem schwarzen Steine an. Dort hielten wir wieder unser Mittagmahl, und gingen dann unter dem sich immer mehr und mehr lichtenden Nebel, der uns aber hier kein wesentliches Hinderniß mehr machte, die steile Senkung der Berge hinunter. Der an ihrem Fuße beobachtete Wärmemesser zeigte wirklich eine größere Kälte, als wir auf den Bergen gehabt hatten. Am Nachmittage waren wir wieder in dem See¬ wirthshause. Am andern Tage gingen wir in das Ahornhaus im Lauterthale. Alles umringte uns, und wollte un¬ sere Erlebnisse wissen. Sie wunderten sich, daß die Unternehmung so einfach gewesen sei, besonders aber, daß die Kälte, die schon im Sommer gegen die Wärme der Thäler so abstehe, im Winter nicht ganz fürchter¬ lich soll gewesen sein. Kaspar war ein wichtiger Mann geworden. Ich aber war von dem, was ich oben gesehen und gefunden hatte, vollkommen erfüllt. Die tiefe Em¬ pfindung, welche jezt immer in meinem Herzen war, und welche mich angetrieben hatte, im Winter die Höhen der Berge zu suchen, hatte mich nicht getäuscht. Ein erhabenes Gefühl war in meine Seele gekommen, fast so erhaben wie meine Liebe zu Natalien. Ja diese Liebe wurde durch das Gefühl noch gehoben und ver¬ edelt, und mit Andacht gegen Gott den Herrn, der so viel Schönes geschaffen und uns so glücklich gemacht hat, entschlief ich, als ich wieder zum ersten Male in meinem Bette in der wohnlichen Stube des Ahorn¬ hauses ruhte. Es hat mich nicht gereut, daß ich noch die Weihe dieser Unternehmung aus mich genommen hatte, ehe ich zu meinem Gastfreunde ging, um ihm meinen Winterbesuch zu machen. Ich hielt mich nur noch so lange in dem Lauter¬ thale auf, um noch die bedeutendsten Stellen dessel¬ ben im Winterschmucke zu sehen, und um die Einlei¬ tung zu treffen, daß dem Eigenthümer der Ziegenalpe die Bank, die wir verbrannt hatten, ersezt würde. Dann fuhr ich in einem Schlitten in der Richtung nach dem Asperhofe hinaus. Kaspar hatte recht herz¬ lich von mir Abschied genommen, er war mir durch diese Unternehmung noch mehr befreundet geworden, als er es früher gewesen war. Die größere Wärme in den oberen Theilen der Luft, welche nur ein Vorbote des beginnenden Süd¬ windes gewesen war, hatte sich nun völlig geltend gemacht, der Südwind war in den Höhen eingetreten, obwohl es in der Tiefe noch kalt war, Wolken hatten die Berge umhüllt, zogen über die Länder hinaus, und schüttelten Regen herab, der in Gestalt von Eis¬ körnern unten ankam, und mir um das Haupt und die Wangen prasselte, als ich in dem Asperhofe eintraf. Die Pferde und der Schlitten wurden in den Meierhof gebracht, ich ging zu meinem Gastfreunde. Er saß in seinem Arbeitszimmer, und ordnete Perga¬ mentblätter, von denen er einen großen Stoß vor sich hatte. Ich begrüßte ihn, und er empfing mich wie immer gleich freundlich. Ich sagte ihm, daß ich seit meiner lezten Anwesen¬ heit im Asperhofe fast immer gereist sei. Erst hätte ich noch das Kargrat besucht, weil ich dort zu ordnen gehabt hätte, dann sei ich zu meinen Eltern gegangen, hierauf habe ich mit meinem Vater einen Besuch in seiner Heimath gemacht, dann sei ich mit meiner Schwester auf eine Zeit, um ihr ein Vergnügen zu bereiten, in das Hochgebirge gefahren, als hierauf der Winter gekommen sei, habe ich die Echerngletscher besucht, und nun sei ich hier. „Ihr seid wie immer herzlich willkommen,“ sagte er, „bleibt bei uns, so lange es euch gefällt, und seht unser Haus wie das eurer Eltern an.“ „Ich danke euch, ich danke euch sehr,“ erwie¬ derte ich. Er zog an der Klingel zu seinen Füssen, und die alte Katharina kam herauf. Er befahl ihr, meine Zim¬ mer zu heizen, daß ich sie sehr bald benüzen könne. „Es ist schon geschehen,“ antwortete sie. „Als wir den jungen Herrn hereinfahren sahen, ließ ich durch Ludmilla gleich heizen, es brennt schon; aber ein wenig gelüftet muß noch werden, neue Überzüge müssen kom¬ men, der Staub muß abgewischt werden, ihr müßt euch schon ein wenig gedulden.“ „Es ist gut und recht,“ sagte mein Gastfreund, „sorge nur, daß alles wohnlich sei.“ „Es wird schon werden,“ antwortete Katharina, und verließ das Zimmer. „Ihr könnt, wenn ihr wollt,“ sagte er dann zu mir, „indessen, bis eure Wohnung in Ordnung ist, mit mir zu Eustach hinüber gehen, und sehen, was eben gearbeitet wird. Wir können hiebei auch bei Gustav anklopfen, und ihm sagen, daß ihr gekom¬ men seid.“ Ich nahm den Vorschlag an. Er zog eine Art Überrock über seine Kleider, die beinahe wie im Som¬ mer waren, an, und wir gingen aus dem Zimmer. Wir begaben uns zuerst zu Gustav, und ich begrüßte ihn. Er flog an mein Herz, und sein Ziehvater sagte ihm, er dürfe uns in das Schreinerhaus begleiten. Er nahm gar kein Überkleid, sondern verwechselte nur seinen Zimmerrock mit einem etwas wärmeren, und war bereit, uns zu folgen. Wir gingen über die ge¬ meinschaftliche Treppe hinab, und als wir unten an¬ gekommen waren, sah ich, daß mein Gastfreund auch heute an dem unfreundlichen Wintertage barhäuptig ging. Gustav hatte eine ganz leichte Kappe auf dem Haupte. Wir gingen über den Sandplaz dem Ge¬ büsche zu. Die Eiskörner, welche eine bereifte weiße und rauhe Gestalt hatten, mischten sich mit den weißen Haaren meines Freundes, und sprangen auf seinem zwar nicht leichten aber doch nicht für eine strenge Winterkälte eingerichteten Überrocke. Die Bäume des Gartens die uns nahe standen, seufzten in dem Winde, der von den Höhen immer mehr gegen die Niederungen herab kam, und an Heftigkeit mit jeder Stunde wuchs. So gelangten wir gegen das Schrei¬ nerhaus. Wie bei meiner ersten Annäherung stieg auch heute ein leichter Rauch aus demselben empor, aber er ging nicht wie damals in einer geraden lufti¬ gen Säule in die Höhe, sondern wie er die Mauern des Schornsteins verließ, wurde er von dem Winde genommen, in Flatterzeug verwandelt, und nach ver¬ schiedenen Richtungen gerissen. Auch waren nicht die grünen Wipfel da, an denen er damals empor gestie¬ gen war, sondern die nakten Äste mit den feinen Ru¬ then der Zweige standen empor, und neigten sich im Winde über das Haus herüber. Auf dem Dache des¬ selben lag der Schnee. Von Tönen konnten wir bei dieser Annäherung aus dem Innern nichts hören, weil außen das Sausen des Windes um uns war. Da wir eingetreten waren, kam uns Eustach ent¬ gegen, und er grüßte mich noch freundlicher und herz¬ licher, als er es sonst immer gethan hatte. Ich be¬ merkte, daß um zwei Arbeiter mehr als gewöhnlich in dem Hause beschäftigt waren. Es mußte also viele oder dringende Arbeit geben. Die Wärme gegen den Wind draußen empfing uns angenehm und wohnlich im Hause. Eustach geleitete uns durch die Werkstube in sein Gemach. Ich sagte ihm, daß ich gekommen sei, um auch einen kleinen Theil des Winters in dem Asperhofe zu bleiben, den ich in demselben nie gesehen, und den ich mir meistens in der Stadt verlebt habe, wo seine Wesenheit durch die vielen Häuser und durch die vielen Anstalten gegen ihn gebrochen werde. „Bei uns könnt ihr ihn in seiner völligen Gestalt sehen,“ sagte Eustach, „und er ist immer schön, selbst dann noch, wenn er seine Art so weit verläugnet, daß er mit warmen Winden blaugeballten Wolken und Regengüssen über die schneelose Gegend daher fährt. So weit vergißt er sich bei uns nie, daß er in ein Afterbild des Sommers wie zuweilen in südlichen Ländern verfällt, und warme Sommertage und aller¬ lei Grün zum Vorschein bringt. Dann wäre er frei¬ lich nicht auszuhalten.“ Ich erzählte ihm von meinem Besuche auf dem Echerngletscher, und sagte, daß ich doch auch schon manchen schönen und stürmischen Wintertag im Freien und ferne von der großen Stadt zugebracht habe. Hierauf zeigte er mir Zeichnungen, welche zu den früheren neu hinzu gekommen waren, und zeigte mir Grund- und Aufrisse und andere Pläne zu den Wer¬ ken, an denen eben gearbeitet werde. Unter den Zeich¬ nungen befanden sich schon einige, die nach Gegen¬ ständen in der Kirche von Klam genommen worden waren, und unter den Plänen befanden sich viele, die zu den Ausbesserungen gehörten, die mein Gast¬ freund in der Kirche vornehmen ließ, welche ich mit ihm besucht hatte. Nach einer Weile gingen wir auch in die Arbeits¬ stube, und besahen die Dinge, die da gemacht wur¬ den. Meistens betrafen sie Gegenstände, welche für die Kirche, für die eben gearbeitet wurde, gehörten. Dann sah ich ein Zimmerungswerk aus feinen Eichen- und Lärchenbohlen, welches wie der Hintergrund zu Schnizwerken von Vertäflungen aussah, auch erblickte ich Simse wie zu Vertäflungen gehörend. Von Ge¬ räthen war ein Schrein in Arbeit, der aus den ver¬ schiedensten Hölzern ja mitunter aus seltsamen, die man sonst gar nicht zu Schreinerarbeiten nimmt, be¬ stehen sollte. Er schien mir sehr groß werden zu wol¬ len; aber seinen Zweck und seine Gestalt konnte ich aus den Anfängen, die zu erblicken waren, nicht er¬ rathen. Ich fragte auch nicht darnach, und man be¬ richtete mir nichts darüber. Als wir uns eine Zeit in dem Schreinerhause aufgehalten und auch über andere Gegenstände ge¬ sprochen hatten, als sich in demselben befanden oder mit demselben in Beziehung standen, entfernten wir uns wieder, und mein Freund und Gustav geleiteten mich in das Wohnhaus zurück und dort in meine Zimmer. In ihnen war es bereits warm, ein lebhaf¬ tes Feuer mußte den Tönen nach, die zu hören waren, in dem Ofen brennen, alles war gefegt und gereinigt, weiße Fenstervorhänge und weiße Überzüge glänzten an dem Bette und an jenen Geräthen für die sie ge¬ hörten, und alle meine Reisesachen, welche ich in dem Schlitten geführt hatte, waren bereits in meiner Wohnung vorhanden. Mein Gastfreund sagte, ich möge mich hier nun zurecht finden, und einrichten, und er verließ mich dann mit Gustav. Ich packte nun die Gegenstände, welche ich in meinen Reisebehältnissen hatte, aus, und vertheilte sie so, daß die beiden Gemächer, welche mir zur Ver¬ fügung standen, recht winterlich behaglich, wozu die Wärme, die in den Zimmern herrschte, einlud, aus¬ gestattet waren. Ich wollte es so thun, ich mochte mich nun lange oder kurz in diesen Räumen aufzu¬ halten haben, was von den Umständen abhing, die nicht in meiner Berechnung lagen. Besonders richtete ich mir meine Bücher meine Schreibdinge und auch Vorbereitungen zu gelegentlichem Zeichnen so her, daß alles dies meinen Wünschen, so weit ich das jezt ein¬ sah, auf das Beste entsprach. Nachdem ich mit allem fertig war, kleidete ich mich auch um, damit die Reise¬ kleider mit bequemeren und häuslicheren vertauscht wären. Hierauf machte ich einen Spaziergang. Ich ging in dem Garten meinen gewöhnlichen Weg zu dem großen Kirschbaume hinauf. Aus dem in dem Schnee wohl ausgetretenen Pfade sah ich, daß hier häufig gegangen werde, und daß der Garten im Winter nicht verwaist ist, wie es bei so vielen Gärten ge¬ schieht, und wie es aber auch bei meinen Eltern nicht geduldet wird, denen der Garten auch im Winter ein Freund ist. Selbst die Nebenpfade waren gut ausge¬ treten, und an manchen Stellen sah ich, daß man nach dauerndem Schneefalle auch die Schaufel ange¬ wendet habe. Die zarteren Bäumchen und Gewächse waren mit Stroh verwahrt, alles, was hinter Glas stehen sollte, war wohl geschlossen und durch Ver¬ dämmungen geschüzt, und alle Beete und alle Räume, die in ihrer Schneehülle dalagen, waren durch die um sie geführten Wege gleichsam eingerahmt und geord¬ net. Die Zweige der Bäume waren von ihrem Reife befreit, der Schnee, der in kleinen Kügelchen daher jagte, konnte auf ihnen nicht haften, und sie standen desto dunkler und beinahe schwarz von dem umgeben¬ den Schnee ab. Sie beugten sich im Winde, und sausten dort, wo sie in mächtigen Abtheilungen einem großen Baume angehörten, und in ihrer Dichtheit gleichsam eine Menge darstellten. In den entlaubten Ästen konnte ich desto deutlicher und häufiger die Nestbehälter sehen, welche auf den Bäumen ange¬ bracht waren. Von den gefiederten Bewohnern des Gartens war aber nichts zu sehen und zu hören. Waren wenige oder keine da, konnte man sie in dem Sturme nicht bemerken, oder haben sie sich in Schlupf¬ winkel namentlich in ihre Häuschen zurückgezogen? In den Zweigen des großen Kirschbaumes herrschte der Wind ganz besonders. Ich stellte mich unter den Baum neben die an seinem Stamme befindliche Bank, und sah gegen Süden. Das dunkle Baumgitter lag unter mir, wie schwarze regellose Gewebe auf den Schnee gezeichnet, weiter war das Haus mit seinem weißen Dache, und weiter war nichts; denn die fer¬ nere Gegend war kaum zu erblicken. Bleiche Stellen oder dunklere Ballen schimmerten durch, je nachdem das Auge sich auf Schneeflächen oder Wälder richtete, aber nichts war deutlich zu erkennen, und in langen Streifen gleichsam in nebligen Fäden, aus denen ein Gewebe zu verfertigen ist, hing der fallende Schnee von dem Himmel herunter. Von dem Kirschbaume konnte ich nicht in das Freie hinausgehen; denn das Pförtchen war geschlossen. Ich wendete mich daher um, und ging auf einem anderen Wege wieder in das Haus zurück. An demselben Tage erfuhr ich auch, daß Roland anwesend sei. Mein Gastfreund holte mich ab, mich zu ihm zu begleiten. Man hatte ihm in dem Wohn¬ hause ein großes Zimmer zurecht gerichtet. In dem¬ selben malte er eben eine Landschaft in Öhlfarben. Als wir eintraten, sahen wir ihn vor seiner Staffelei stehen, die zwar nicht mitten in dem Zimmer, doch weiter von dem Fenster entfernt war, als dies sonst gewöhnlich der Fall zu sein pflegt. Das zweite der Fenster war mit einem Vorhange bedeckt. Er hatte ein leinenes Überkleid an seinem Oberkörper an, und hielt gerade das Malerbrett und den Stab in der Hand. Er legte beides auf den nahestehenden Tisch, da er uns kommen sah, und ging uns entgegen. Mein Gastfreund sagte, daß er mich zu dem Besuche bei ihm aufgefordert habe, und daß Roland wohl nichts da¬ gegen haben werde. „Der Besuch ist mir sehr erfreulich,“ sagte er, „aber gegen mein Bild wird wohl viel einzuwen¬ den sein.“ „Wer weiß das?“ sagte mein Gastfreund. „Ich wende viel ein,“ antwortete Roland, „und andere, die sich des Gegenstandes bemächtigen, wer¬ den auch wohl viel einzuwenden haben.“ Wir waren während dieser Worte vor das Bild getreten. Ich hatte nie etwas Ähnliches gesehen. Nicht, daß ich gemeint hätte, daß das Bild so vortrefflich sei, das konnte man noch nicht beurtheilen, da sich Vieles in den ersten Anfängen befand, auch glaubte ich zu bemerken, daß manches wohl kaum würde bemeistert werden können. Aber in der Anlage und in dem Ge¬ danken erschien mir das Bild merkwürdig. Es war sehr groß, es war größer als man gewöhnlich land¬ schaftliche Gegenstände behandelt sieht, und wenn es nicht gerollt wird, so kann es aus dem Zimmer, in welchem es entsteht, gar nicht gebracht werden. Auf diesem wüsten Raume waren nicht Berge oder Wasser¬ fluthen oder Ebenen oder Wälder oder die glatte See mit schönen Schiffen dargestellt, sondern es waren starre Felsen da, die nicht als geordnete Gebilde empor standen, sondern wie zufällig als Blöcke und selbst hie und da schief in der Erde staken, gleichsam als Fremdlinge, die wie jene Normannen auf dem Boden der Insel, die ihnen nicht gehörte, sich seßhaft gemacht hatten. Aber der Boden war nicht wie der Stifter , Nachsommer. III . 12 jener Insel, oder vielmehr, er war so, wo er nicht von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬ kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬ men bedeckt ist, sondern wo er zerrissen und vielge¬ staltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬ sern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzähligen Steinen bestehender Quarz angehäuft ist, und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke, das überall ausgesät ist, der dörrenden Sonne ent¬ gegenschaut. So war Rolands Boden, so bedeckte er die ungeheure Fläche, und so war er in sehr großen und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzählig schim¬ mernd und Schatten werfend in einem Himmel stan¬ den, welcher tief und heiß und südlich war. Wir standen eine Weile vor dem Bilde und be¬ trachteten es. Roland stand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, sah ich, daß er die Leinwand mit glänzenden Augen betrachte. Wir sprachen wenig oder beinahe nichts. „Er hat sich die Aufgabe eines Gegenstandes ge¬ stellt, den er noch nicht gesehen hat,“ sagte mein Gastfreund, „er hält sich ihn nur in seiner Ein¬ bildungskraft vor Augen. Wir werden sehen, wie weit er gelingt. Ich habe wohl solche Dinge oder vielmehr ihnen Ähnliches weit unten im Süden ge¬ sehen.“ „Ich bin nicht auf irgend etwas besonderes aus¬ gegangen,“ antwortete Roland, „sondern habe nur so Gestaltungen, wie sie sich in dem Gemüthe finden, entfaltet. Ich will auch Versuche in Öhlfarben machen, welche mich immer mehr gereizt haben als meine Wasserfarben, und in denen sich Gewaltiges und Feuriges darstellen lassen muß.“ Ich bemerkte, als ich seine Geräthe näher betrach¬ tete, daß er Pinsel mit ungewöhnlich langen Stielen habe, daß er also sehr aus der Ferne arbeiten müsse, was bei einer so großen Leinwandfläche wohl auch nicht anders sein kann, und was ich auch aus der Behandlung ersah. Seine Pinsel waren ziemlich groß, und ich sah auch lange feine Stäbe, an deren Spizen Zeichnungskohlen angebunden waren, mit welchen er entworfen haben mußte. Die Farben waren in starken Mengen auf der Pallette vorhanden. „Der Herr dieses Hauses ist so gütig,“ sagte Ro¬ land, „und läßt mich hier wirthschaften, während ich verbunden wäre, Zeichnungen zu machen, welche wir eben brauchen, und während ich an Entwürfen arbei¬ 12 * ten sollte, die zu den Dingen nothwendig sind, die eben ausgeführt werden.“ „Das wird sich alles finden,“ antwortete mein Gastfreund, „ihr habt mir schon Entwürfe gemacht, die mir gefallen. Arbeitet und wählt nach eurem Gut¬ dünken, euer Geist wird euch schon leiten.“ Um Roland, der hier vor seinem Werke stand, und dessen ganze Umgebung, wie sie in dem Zimmer ausgebreitet war, auf Ausführung dieses Werkes hin¬ zielte, nicht länger zu stören, da die Wintertage ohne¬ hin so kurz waren, entfernten wir uns. Da wir den Gang entlang gingen, sagte mein Gastfreund: „Er sollte reisen.“ Als es dunkel geworden war, versammelten wir uns in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes bei dem wohlgeheizten Ofen. Es war Eustach Roland Gustav und ich zugegen. Es wurde von den verschie¬ densten Dingen gesprochen, am meisten aber von der Kunst, und von den Gegenständen, welche eben in der Ausführung begriffen waren. Es mochte wohl vieles vorkommen, was Gustav nicht verstand, er sprach auch sehr wenig mit; aber es mochte doch das Gespräch ihn manigfaltig fördern, und selbst das Unverstandene mochte Ahnungen erregen, die weiter führen, oder die aufbewahrt werden, und in Zukunft geeignet sind, feste Gestaltungen, die sich fügen wol¬ len, einleiten zu helfen. Ich wußte das sehr wohl aus meiner eigenen Jugend und selbst auch aus der jezigen Zeit. Da ich in mein Schlafgemach zurückgekehrt war, fühlte ich es recht angenehm, daß die Scheite aus dem Buchenwalde meines Gastfreundes, der ein Theil des Alizwaldes war, in dem Ofen brennen. Ich beschäf¬ tigte mich noch eine Zeit mit Lesen und theilweise auch mit Schreiben. Am anderen Morgen war Regen. Er fiel in Strö¬ men aus blaulich gefärbten gleichartigen über den Himmel dahin jagenden Wolken herab. Der Wind hatte zu solcher Heftigkeit zugenommen, daß er um das ganze Haus heulte. Da er aus Südwesten kam, schlug der Regen an meine Fenster, und rann an dem Glase in wässerigen Flächen nieder. Aber da das Haus sehr gut gebaut war, so hatte Regen und Wind keine anderen Folgen, als daß man sich recht geborgen in dem schüzenden Zimmer fand. Auch ist es nicht zu leugnen, daß der Sturm, wenn er eine gewisse Größe erreicht, etwas Erhabenes hat, und das Gemüth zu stärken im Stande ist. Ich hatte die ersten Morgen¬ stunden bei Licht in Wärme damit hingebracht, dem Vater und der Mutter einen Brief zu schreiben, worin ich ihnen anzeigte, daß ich auf dem Echerneise gewesen sei, daß ich alle Vorsicht beim Hinaufsteigen und Herun¬ tergehen angewendet habe, daß uns nicht der geringste Unfall zugestoßen sei, und daß ich mich seit gestern bei meinem Freunde im Rosenhause befinde. An Klotilden legte ich ein besonderes Blatt bei, worin ich auf ihre theilweise Kenntniß des Gebirges, die sie sich auf der mit mir gemachten Reise erworben hatte, bauend eine kleine Beschreibung des winterlichen Hochgebirgbe¬ suches gab. Als es dann heller geworden, und die Stunde zum Frühmahle gekommen war, ging ich in das Speisezimmer hinunter. Ich erfuhr nun hier, daß es im Winter der Gebrauch sei, daß Eustach und Roland, deren gestrige Anwesenheit bei dem Abend¬ essen ich für zufällig gehalten hatte, mit meinem Gast¬ freunde und Gustav an einem Tische speisen. Es sollte auch im Sommer so sein; allein da oft in dieser Jah¬ reszeit in dem Schreinerhause lange vor Sonnenauf¬ gang aufgestanden, und zu einer Arbeit geschritten wird, so verändern sich die Stunden, an denen eine Erquickung des Körpers nothwendig wird, und Eu¬ stach hat selber gebethen, daß ihm dann die Zeit und Art seines Essens zu eigener Wahl überlassen werde. Roland ist ohnehin zu jener Jahreszeit meistens von dem Hause abwesend. Ich war nie so spät im Winter in dem Rosenhause gewesen, daß ich diese Einrichtung hätte kennen lernen können. Mein Gastfreund Eustach Roland Gustav und ich sassen also bei dem Frühmahl¬ tische. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um das Wetter, welches so stürmisch herein gebrochen war, und es wurde erläutert, wie es hatte kommen müssen, wie es sich erklären lasse, wie es ganz natürlich sei, wie jedes Hauswesen sich auf solche Wintertage in der Verfassung halten müsse, und wie, wenn das der Fall sei, man dann derlei Ereignisse mit Geduld er¬ tragen, ja darin eine nicht unangenehme Abwechslung finden könne. Nach dem Frühmahle begab sich jedes an seine Arbeit. Mein Gastfreund ging in sein Zim¬ mer, um dort im Ordnen der Pergamente, das er angefangen hatte, fortzufahren, Eustach ging in die Schreinerei, Roland, für den die Zeit troz des trüben Tages doch endlich auch hell genug zum Malen ge¬ worden war, begab sich zu seinem Bilde, Gustav sezte sein Lernen fort, und ich ging wieder in meine Zimmer. Da ich dort eine Zeit mit Lesen und Schreiben zugebracht hatte, und da der Sturm statt sich zu mil¬ dern in den Vormittagstunden nur noch heftiger ge¬ worden war, beschloß ich doch, wie es meine Gewohn¬ heit war, auf eine Zeit in das Freie zu gehen. Ich wählte eine zweckmässige Fußbekleidung, nahm mei¬ nen Wachsmantel, der eine Wachshaube hatte, die man über den Kopf ziehen konnte, und ging über die gemeinschaftliche Treppe hinab. Ich schlug den Weg durch das Gitterthor auf den Sandplaz vor dem Hause ein. Dort konnte der Südwestwind recht an meine Person fallen, und er trieb mir die Tropfen, welche für einen Winterregen bedeutend groß waren, mit Prasseln auf meinen Überwurf in das Angesicht in die Augen und auf die Hände. Ich blieb auf dem Plaze ein wenig stehen, und betrachtete die Rosen, welche an der Wand des Hauses gezogen wurden. Manche Stämmchen waren durch Stroh geschüzt, bei manchen war stellenweise die Erde über den Wurzeln mit einer schüzenden Decke bekleidet, andere waren blos fest gebunden, bei allen aber sah ich, daß man außerordentliche Schuzmittel nicht angewendet habe, und daß alle nur gegen Verlezungen von äußerlicher Gewalt gesichert waren. Der Schnee konnte sie über¬ hüllen, wie ich noch die Spuren sah, der Regen konnte sie begießen, wie ich heute erfuhr, aber nirgends konnte der Wind ein Stämmchen oder einen Zweig lostren¬ nen, und mit ihm spielen, oder ihn zerren. Die ganze Wand des Hauses war auch im Übrigen unversehrt, und der Regen, der gegen dieselbe anschlug, konnte ihr nichts anhaben. Ich ging von dem Sandplaze über den Hügel hinunter. Der Schnee hatte schon die Gewalt des Regens verspürt, welcher ziemlich warm war. Die weiche sanfte und flaumige Gestalt war verloren gegangen, etwas Glattes und Eisiges hatte sich eingestellt, und hie und da standen gezackte Eis¬ trümmer gleichsam wie zerfressen da. Das Wasser rann in Schneefurchen, die es gewühlt hatte, nieder, und an offenen Stellen, wo es durch die löcherichte Beschaffenheit des Schnees nicht verschluckt wurde, rieselte es über die Gräser hinab. Ich ging ohne auf einen Weg zu achten, durch den wässerigen Schnee fort. In der Tiefe des Thales lenkte ich gegen Osten. Ich ging eine Strecke fort, ging dort über die Wiesen, und ließ das Schauspiel auf mich wirken. Es war fast herrlich wie der Wind, welcher den Schnee nicht mehr heben konnte, den Regen auf ihn nieder jagte, wie schon Stellen blos lagen, wie die grauen Schleier gleichsam bänderweise nieder rollten, und wie die trüben Wolken über dem bleichen Gefilde unbekümmert um Menschenthun und Menschenwerke dahin zogen. Ich richtete endlich in der Tiefe der Wiesen mei¬ nen Weg nordwärts gegen den Meierhof hinauf. Als ich dort angelangt war, erfuhr ich, daß der Herr, wie man hier meinen Gastfreund kurzweg nannte, heute auch schon da gewesen aber bereits wieder fortgegan¬ gen sei. Er hatte Mehreres besichtigt, und Mehreres angeordnet. Ich fragte, ob er heute auch barhäuptig gewesen sei, und es wurde bejaht. Da ich den Meier¬ hof besehen hatte, und in verschiedenen Räumen des¬ selben herum gegangen war, sah ich erst recht, was ein wohleingerichtetes Haus sei. Der Regen fiel auf dasselbe nieder wie auf einen Stein, in den er nicht eindringen, und von dem er äußerlich nur in Jahr¬ hunderten etwas herab waschen könne. Keine Rize zeigte sich für das Einlassen des Wassers bereit, und kein Theilchen der Bekleidung schickte sich zur Los¬ lösung an. Im Innern wurden die Arbeiten gethan wie an jedem Tage. Die Knechte reinigten Getreide mit der sogenannten Getreidepuzmühle, schaufelten es seitwärts, und massen es in Säcke, damit es auf den Schüttboden gebracht werde. Der Meier war dabei beschäftigt, ordnete an, und prüfte die Reinheit. Ein Theil der Mägde war in den Ställen beschäftigt, ein Theil richtete auf der Futtertenne das Futter zurecht, ein Theil spann, und die Frau des Meiers ordnete in der Milchkammer. Ich sprach mit allen, und sie zeigten Freude, daß ich sogar in dieser Jahreszeit ein¬ mal gekommen sei. Von dem Meierhofe ging ich über den mit Obst¬ bäumen bepflanzten Raum gegen den Garten hinüber. Das Pförtchen an dieser Seite war unter Tags selbst im Winter nicht gesperrt. Ich ging durch dasselbe ein, und begab mich in die Wohnung des Gärtners. Dort legte ich meinen Wachsmantel, durch dessen Fal¬ ten das Wasser rann, ab, und sezte mich auf die reine weiße Bank vor dem Ofen. Der alte Mann und seine Frau empfingen mich recht freundlich. In ihrem gan¬ zen Wesen war etwas sehr Aufrichtiges. Seit gerau¬ mer Zeit war bei diesen alten Leuten beinahe etwas Elternhaftes gegen mich gewesen. Die Gärtnersfrau Clara sah mich immer wieder gleichsam verstohlen von der Seite an. Wahrscheinlich dachte sie an Natalien. Der alte Simon fragte mich, ob ich denn nicht in die Gewächshäuser gehen, und die Pflanzen auch im Winter besehen wolle. Das sei außer dem Besuche, den ich ihm und seiner Gattin machen wollte, meine Nebenabsicht gewesen, erwiederte ich. Er nahm einen anderen Rock um, und geleitete mich in die Gewächshäuser, welche an seine Woh¬ nung stießen. Ich nahm wirklich großen Antheil an den Pflanzen selber, da ich mich ja in früherer Zeit viel mit Pflanzen beschäftigt hatte, und nahm Antheil an dem Zustande derselben. Wir gingen in alle Räu¬ me des nicht unbeträchtlich großen Kalthauses, und begaben uns dann in das Warmhaus. Nicht blos, daß ich die Pflanzen nach meiner Absicht betrachtete, nahm ich mir auch die Zeit, freundlich anzuhören, was mein Begleiter über die einzelnen sagte, und hörte zu, wie er sich über Lieblinge ziemlich weit ver¬ breitete. Diese Hingabe an seine Rede und die Theil¬ nahme an seinen Pfleglingen, die ich ihm stets bewie¬ sen hatte, mochten nebst dem Antheile, den er mir an der Erwerbung des Cereus peruvianus zuschrieb, Ur¬ sache sein, daß er eine gewisse Anhänglichkeit gegen mich hegte. Als wir an dem Ausgange der Gewächs¬ häuser waren, welcher seiner Wohnung entgegenge¬ sezt lag, fragte er mich, ob ich auch in das Cactus¬ haus gehen wolle, er werde zu diesem Behufe, da wir einen freien Raum zu überschreiten hätten, meinen Wachsmantel holen. Ich sagte ihm aber, daß dies nicht nöthig sei, da er ja auch ohne Schuz herüber gehe, daß mein Gastfreund heute schon barhäuptig in dem Meierhofe gewesen sei, und daß es mir nicht schaden werde, wenn ich auch einmal eine kurze Strecke im Regen ohne Kopfbedeckung gehe. „Ja der Herr, der ist alles gewohnt,“ antwor¬ tete er. „Ich bin zwar nicht alles aber vieles gewohnt,“ erwiederte ich, „und wir gehen schon so hinüber.“ Er ließ sich von seinem Vorhaben endlich abbrin¬ gen, und wir gingen in das Cactushaus. Er zeigte mir alle Gewächse dieser Art besonders den peruvia¬ nus, welcher wirklich eine prachtvolle Pflanze gewor¬ den war, er verbreitete sich über die Behandlung dieser Gewächse während des Winters, sagte, daß mancher schon im Hornung blüht, daß nicht alle eine gewisse Kälte vertragen sondern in der wärmeren Abtheilung des Hauses stehen müssen, besonders verlangen dieses viele Cereusarten, und er ging dann auf die Einrich¬ tung des Hauses selber über, und hob es als eine Vorzüglichkeit heraus, daß der Herr für jene Stellen, an denen die Gläser über einander liegen, ein so treff¬ liches Bindemittel gefunden habe, durch welches das Hereinziehen des Wassers an den übereinandergeleg¬ ten Stellen des Glases unmöglich sei, und das die¬ sen Pflanzen so nachtheilige Herabfallen von Wasser¬ tropfen vermieden werde. Dadurch kann es auch allein geschehen, daß an Regentagen und an Tagen, an welchen Schnee schmilzt, das Haus nicht mit Brettern gedeckt werden müsse, was finster macht, und den Pflanzen schädlich ist. Ich könne das ja heute sehen, wie bei einem Regen so heftiger Art nicht ein Tröpf¬ lein herein dringen kann, oder vom Winde hereinge¬ schlagen wird. Bretter würden überhaupt über dieses Haus nicht gelegt. Gegen den Hagel sei es durch dickes Glas und den Panzer geschüzt, und wenn kalte Nächte zu erwarten sind, werde eine Strohdecke ange¬ wendet, und der Schnee werde durch Besen entfernt. Mir war wirklich der Umstand merkwürdig und wich¬ tig, daß hier kein Herabtropfen von dem Glasdache statt finde, was meinem Vater so unangenehm ist. Ich nahm mir vor, meinen Gastfreund um Eröffnung des Verfahrens zu ersuchen, um dasselbe dem Vater mitzutheilen. Als wir auf dem Rückwege durch die anderen Gewächshäuser gingen, sah ich, daß auch hier kein Herabtropfen vorhanden sei und mein Be¬ gleiter bestätigte es. Da ich noch ein Weilchen in der Wohnung der Gärtnerleute geblieben war und mit der Gärtnerfrau gesprochen hatte, machte ich Anstalt zum Heimwege. Die Gärtnerfrau hatte meinen Wachsmantel in der Zeit, in der ich mit ihrem Manne in den Gewächs¬ häusern gewesen war, an seiner Außenfläche von allem Wasser befreit, und ihn überhaupt handlich und an¬ genehm hergerichtet. Ich dankte ihr, sagte, daß er wohl bald wieder verknittert sein würde, empfahl mich freundlich, nahm die anderseitigen freundlichen Empfehlungen in Empfang, und ging dann in meine Zimmer. Dort kleidete ich mich sorgfältig um, und ging dann zu meinem Gastfreunde. Er war eben mit Gustav beschäftigt, der ihm Rechenschaft von seinen Morgen¬ arbeiten ablegte. Ich fragte, ob es mir erlaubt wäre, in das Bildergemach oder in ähnliche zu gehen. „Das Lesezimmer und das Bilderzimmer so wie das mit den Kupferstichen sind ordnungsgemäß ge¬ heizt,“ antwortete mein Gastfreund, „der Büchersaal der Marmorsaal und die Marmortreppe werden leid¬ lich warm sein. Verschlossen ist keiner der Räume. Bedient euch derselben, wie ihr es zu Hause thun würdet.“ Ich dankte, und entfernte mich. Nach meiner Kennt¬ niß der Tageintheilung wußte ich, daß er seine Be¬ schäftigung mit Gustav fortsezte. Ich ging zuerst auf die Marmortreppe. Ich suchte sie von oben zu gewinnen. Als ich von dem gemein¬ schaftlichen Gange in den oberen Theil des Marmor¬ ganges eingetreten war, zog ich, wie es hier vorge¬ schrieben war, Filzschuhe, welche immer in Bereit¬ schaft standen, an, und ging die glatte schöne Treppe hinunter. Als ich in die Mitte derselben gekommen war, wo sich der breite Absaz befindet, hielt ich an; denn das war das Ziel meiner Wanderung gewesen. Ich wollte die alterthümliche Marmorgestalt betrach¬ ten. Selbst heute in dem bleiernen Lichte, das durch die Glaswölbung, welche noch dazu durch das auf ihr rinnende Wasser getrübt war, gleichsam träge nieder fiel, war die Erscheinung eine gewaltige und erhebende. Die hehre Jungfrau, sonst immer sanft und hoch, stand heute in den flüssigen Schleiern des dumpferen Lichtes zwar trüb aber mild da, und der Ernst des Tages legte sich auch als Ernst auf ihre unaussprechlich anmuthigen Glieder. Ich sah die Ge¬ stalt lange an, sie war mir wie bei jedem erneuerten Anblicke wieder neu. Wie sehr mir auch die blendend weiße Gestalt der Brunnennimphe im Sternenhofe nach der jüngsten Vergangenheit als liebes Bild in die Seele geprägt worden war, so war sie doch ein Bild aus unserer Zeit, und war mit unseren Kräften zu fassen: hier stand das Alterthum in seiner Größe und Herrlichkeit. Was ist der Mensch, und wie hoch wird er, wenn er in solcher Umgebung und zwar in solcher Umgebung von größerer Fülle weilen darf. Ich ging langsam die Treppe wieder hinan, und ging in den Marmorsaal. Seine Größe seine Leer¬ heit, der, wenn ein solches Wort erlaubt ist, dunkle Glanz, der von dem dunkeln und mit ungewissen und zweideutigen Lichtern wechselnden Tage auf seinen Wänden lag, und wechselte, ließ sich nach dem An¬ blicke der Gestalt des Alterthums tragen und ertragen. Ja der Saal erschien mir in dem finstern Tage noch größer und ernster als sonst, und ich weilte gerne in ihm, fast so gerne wie an jenem Abende, an welchem ich mit meinem Gastfreunde unter dem sanften Blizen eines Gewitterhimmels in ihm auf und ab gegan¬ gen war. Ich ging auch jezt wieder in demselben hin und wider, und ließ den Sturm draußen mit seinen trüben Lichtern die Wände herinnen mit ihrem matten Stifter , Nachsommer. III . 13 Glanze und die Erinnerung der eben gesehenen Ge¬ stalt in mir wirken. Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem düsteren Glanze des Tages da, und konnten selbst dort, wo der Künstler die kraftvollsten Mittel des Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur vollen Wirksamkeit gelangen, weil das, was die Bil¬ der erst recht malen hilft, fehlte, die Macht eines son¬ nigen und heiteren Tages. Selbst als ich zu einigen, die ich besonders liebte, näher getreten war, selbst als ich vor einem Guido, der auf der Staffelei stand, die nahe an das Fenster und in das beste Licht gerückt worden war, niedersaß, um ihn zu betrachten, konnte die Empfindung, die sonst diese Werke in mir erreg¬ ten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ur¬ sache, welche darin bestand, daß ohnehin eine viel höhere in meinem Gemüthe waltete, welche durch die Gestalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden war. Die Gemälde erschienen mir beinahe klein. Ich ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odysseus aus seinem Schreine, begab mich in das Lesezimmer, in welchem die gesellige Flamme die Freundin des Men¬ schen, die ihm in der Finsterniß Licht und im Winter des Nordens Wärme gibt, hinter dem feinen Gitter eines Kamines freundlich loderte, und in welchem alles auf das Reinlichste geordnet war, sezte mich in einiger Entfernung von dem Fenster in einen weichen Siz, und begann unter dem Prasseln des Regens an den Fenstern von der ersten Zeile an zu lesen. Die fremden Worte, die als lebendig gesprochen einer fernen Zeit angehörten, die Gestalten, welche durch diese Worte in unsere Zeit mit all ihrer ihnen einstens angehörigen Eigenthümlichkeit heraufgeführt wurden, schlossen sich an die Jungfrau an, welche ich auf der Treppe hatte stehen gesehen. Als Nausikae kam, war es mir wieder, wie es mir bei der ersten richtigen Be¬ trachtung der Marmorgestalt gewesen war, die Ge¬ wänder des harten Stoffes löseten sich zu leichter Milde, die Gliede bewegten sich, das Angesicht er¬ hielt wandelbares Leben, und die Gestalt trat als Nausikae zu mir. Es war auch die Erinnerung jenes Abends gewesen, die heute meine Hand, als ich von der Treppe in den Marmorsaal und in das Bilderzim¬ mer herauf gekommen war, und in diesen keine Befrie¬ digung gefunden hatte, zu den Worten Homers im Odysseus greifen ließ. Als die Helden das Mahl in dem Saale genossen hatten, als der Sänger gerufen 13 * worden war, als die Worte jenes Liedes vernommen worden waren, dessen Ruhm damals bis zu dem Himmel reichte, als Odysseus das Haupt verhüllt hatte, damit man die Thränen nicht sähe, welche ihm aus den Augen floßen, als endlich Nausikae schlicht und mit tiefem Gefühle an den Säulen der Pforte des Saales stand: da gesellte sich auch lächelnd das schöne Bild Nataliens zu mir; sie war die Nausikae von jezt, so wahr so einfach nicht prunkend mit ihrem Gefühle und es nicht verhehlend. Beide Gestalten verschmolzen in einander, und ich las und dachte zu¬ gleich, und bald las ich, und bald dachte ich, und als ich endlich sehr lange blos allein gedacht hatte, nahm ich das Buch, das vor mir auf dem Tische lag, wie¬ der auf, trug es in das Bücherzimmer auf seinen Plaz, und ging durch den Marmorsaal und den Gang der Gastzimmer in meine Wohnung zurück. Das Werk des Vormittages war abgethan. Am Mittagtische fanden sich wieder dieselben Per¬ sonen ein, welche bei dem Frühmahle versammelt ge¬ wesen waren. Nach dem Genusse eines einfachen aber für Gedeihen und Gesundheit sehr wohl zubereiteten Mahles, wie es immer in dem Rosenhause sein mußte, nach manchem freundlichen und erheiternden Gespräche stand man auf, um wieder zu seinen Geschäften zu gehen, die jedem ernst und wichtig genug waren, mochten sie nun im Erwerben von Kenntnissen be¬ stehen, wie fast ausschließlich bei Gustav, oder moch¬ ten sie im Vorwärtsdringen in der Kunst oder auf wissenschaftlichem Felde oder in einer richtigeren Ge¬ staltung der eigenen Lebenslage enthalten sein. Für den heutigen Nachmittag war ein besonderes Geschäft vorbehalten worden, zu welchem auch Ro¬ land kommen, und deßhalb seine heutige Arbeit an seinem Bilde abbrechen mußte. Es war eine Samm¬ lung von Kupferstichen eingelangt, welche zum Kaufe angebothen waren, und deren Besichtigung man auf den heutigen Nachmittag anberaumt hatte. Mein Gastfreund lud mich zu der Sache ein. Die Kupfer¬ stiche lagen in zwei Mappen in dem Zimmer meines Gastfreundes. Wir gingen über die Treppe, die für die Dienerschaft bestimmt war, in sein Zimmer empor, und rückten den Tisch, auf welchem die Mappen lagen, näher an ein Fenster, damit wir die Blätter besser betrachten konnten. Die Mappen wurden geöffnet, und bald sah man, daß der Sammler der in denselben enthaltenen Stücke kein Mann gewesen sei, der von der Tiefe der Kunst von ihrem Ernste und von ihrer Bedeutung für das menschliche Leben eine Vorstellung gehabt habe. Er war eben ein Sammler gewöhnlicher Art gewesen, der die Menge und die Manigfaltigkeit der Stücke vor Augen gehabt hatte. Jezt lag er im Grabe, und seine Erben mußten weder für die Ver¬ hältnisse der Kunst zum menschlichen Leben noch für Sammeln von was immer für einer Art einen Sinn gehabt haben, daher sie alle Hefte meinem Gast¬ freunde, von dem sie gehört hatten, daß er solche Merkwürdigkeiten suche, zum Verkaufe anbothen. Neben ganz werthlosen Erzeugnissen des Grabstichels nach heutiger unbedeutender Weise, wie sie in Büchern und Bilderwerken zum Behufe des Gelderwerbes vor¬ kommen, neben Steinzeichnungen mit der Feder und der Kreide befanden sich auch bessere Werke von jezt und besonders einige Stücke aus älterer Zeit von großem Werthe. Mein Gastfreund und seine zwei Gehilfen sprachen bei dieser Gelegenheit Manches über Kupferstiche, was mir neu war, und woran ich die Bedeutung dieses Kunstzweiges mehr kennen lernte, als ich sie früher kannte. Da er die Übersezung der Werke der großen Meister aller Zeiten vermitteln kann, da er ein Bild, das nur einmal da ist, das für viele Menschen an fernen und ihnen nie erreichbaren Orten sich befindet, oder das als Eigenthum eines einzelnen Mannes nicht einmal allen denen, die denselben Ort mit ihm bewohnen, zugänglich ist, vervielfältiget, und zur Anschauung in viele Orte und in ferne Zeiten bringen kann, so sollte man ihm wohl die größte Auf¬ merksamkeit schenken. Wenn er nicht einer gewissen zu bestimmten Zeiten in Schwung kommenden Art huldigt, sondern strebt, die Seele des Meisters, wie sie sich in dem Bilde darstellt, wieder zu geben, wenn er nicht blos die Stoffe, wie sie sich in dem Bilde befinden, von der Zartheit des menschlichen Ange¬ sichtes und der menschlichen Hände angefangen durch den Glanz der Seide und die Glätte des Metalles bis zu der Rauhigkeit der Felsen und Teppiche herab sondern auch sogar die Farben, die der Maler ange¬ wendet hat, durch verschiedene aber immer klare leicht geführte und schöngeschwungene Linien, die niemals unbedeutend niemals durch Absonderlichkeit auffallend sein niemals einen bloßen Fleck bilden dürfen, und die er zur Bemeisterung jedes neuen Gegenstandes neu erfinden kann, darstellt: dann kann er zwar nicht der Malerei in ihren Wirkungen an die Seite gesezt wer¬ den, die sie auf ihre Beschauer geradehin ausübt, aber er kann ihr an Kunstwirkung überhaupt als eben¬ bürtig erkannt werden, weil er auf eine größere Zahl von Menschen wirkt, und bei denen, welche die nach¬ geahmten Gemälde nicht sehen können, eine desto tiefere und vollere Kunstwirkung hervorbringt, je tiefer und edler er selber ist. Dies habe ich bei mei¬ nem Gastfreunde in der Zeit, als ich mit ihm in Ver¬ bindung war, immer mehr kennen gelernt, und dies ist mir wieder besonders klar geworden, als die Kupferstiche durchgesehen wurden, und als man über ihren Werth und über Mittel Wege und Wirkung der Kupferstecherkunst überhaupt sprach. Es wurde, da man die Einzelheiten der guten Blätter genau unter¬ sucht, und ihre Vorzüge und ihre Mängel sorglich be¬ sprochen hatte, festgesezt, daß man der guten Stücke willen die ganze Sammlung kaufen wolle, wenn ihr Preis einen gewissen Betrag, den man anboth, und den man gerechter und billiger Weise geben konnte, nicht überstiege. Die schlechten Blätter wollte man dann vernichten, weil sie durch ihr Dasein eine gute Wirkung nicht nur nicht hervorbringen, sondern das Gefühl dessen, der nichts Besseres sieht, statt es zu heben, in eine rohere und verbildetere Richtung len¬ ken, als es nähme, wenn ihm nichts als die Gegen¬ stände der Natur gebothen würden. Den Geist des Menschen, sagten die Männer, verunreinige falsche Kunst mehr als die Unberührtheit von jeder Kunst. Da es dämmerte, wurden die Kupferstiche in ihre Behältnisse gethan, der Tisch wurde wieder an seine Stelle gerückt, und wir trennten uns. Der Sturm hatte eher zu als ab genommen, und der Regen schlug in Strömen an die Fenster. Abends waren wir wieder in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes vereinigt, nur Gustav fehlte, weil er sich in seinem Zimmer noch mit seiner Tages¬ aufgabe beschäftigte. Ehe wir zu dem Abendessen gingen, zeichnete mein Gastfreund noch den Stand der naturwissenschaftlichen Geräthe, welche sich auf Luftdruck Feuchtigkeit Wärme Electricität und der¬ gleichen bezogen, in seine Bücher, und dann ging er durch das ganze Haus, und besah den Verhalt der Dinge in demselben die geförderten Arbeiten der Hausleute ihr jeziges Thun und den allfälligen Ein¬ fluß des heutigen stürmischen Wetters. Bei dem Abendessen wurde, nachdem man die Nahrungsbedürfnisse in kurzer Zeit gestillt und heitere Gespräche geführt hatte, noch aus einem Buche vor¬ gelesen, das damal neu war. Es betraf größtentheils die Geschichte des Seidenbaues und der Seiden¬ weberei, und besonders wurde der Abschnitt behan¬ delt, wie dieses Gewerbe aus dem fernsten Morgen¬ lande nach Sirien nach Arabien Egipten Bizanz dem Pellopones nach Sicilien Spanien Italien und Frank¬ reich gekommen sei. Mein Gastfreund behauptete, daß in der Anfertigung von jenen Prachtstoffen, die aus Seide und Gold oder Silber bestanden, was die Fein¬ heit und Zartheit des Gewebes, was dessen Weich¬ heit verbunden mit mildem Glanze, gegen den die heutigen Stoffe dieser Art in ihrer Steifheit und in ihrem harten Schimmer stark abstehen, und was end¬ lich den Schwung die feine Zierlichkeit und die reiche Einbildungskraft in den Zeichnungen betrift, die Zeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts den späteren Zeiten und besonders der unsrigen weit vor¬ zuziehen sei. Er habe zu spät angefangen, diesem Zweige des Alterthumes, der beinahe ein Zweig der Kunst sei, seine Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Sammlung solcher Stoffe müßte merkwürdig sein, er könne aber keine mehr anlegen, da sie Reisen durch ganz Europa ja durch nicht unbedeutende Theile von Asien und Afrika vorausseze, und wahrscheinlich die Kräfte eines einzelnen Mannes überschreite. Gesell¬ schaften oder der Staat könnten solche Sammlungen zur Vergleichung zur Belehrung ja zur Bereicherung der Geschichte selber zu Stande bringen. In reichen Abteien in den Kleiderschreinen alter berühmter Kir¬ chen in Schazkammern und andern Behältnissen könig¬ licher Burgen und größerer Schlösser dürfte sich vieles finden, was dort zu entbehren wäre, und in einer Sammlung Sprache und Bedeutung gewänne. Wie viel müßte nach den Kreuzzügen aus dem Morgen¬ lande nach Europa gekommen sein, da selbst einfache Ritter mit dort gewonnener Beute an Gold und kost¬ baren Stoffen in die Heimath zurückgekehrt seien, und sich Prunk außer bei kirchlichen Feierlichkeiten Krö¬ nungen Aufzügen Kampfspielen auch im gewöhnlichen Verkehre mehr eingefunden hatte, als er früher ge¬ wesen war. Wie müßte dieser Zweig auch ein Licht auf die mit seinem Blühen ganz gleich laufende Zeit werfen, in welcher jene merkwürdigen Kirchen gebaut wurden, deren erhabene Überbleibsel noch heute unsere Bewunderung erregen, wie müßte er auch eine Be¬ ziehung eröffnen zur Verzierungskunst jener Zeit in Steinmezarbeit in Elfenbein- und Holzschnizerei ja zum Beginne der später blühenden großen Malerschulen in dem Norden und Süden Europas, und wie müßte er sogar auf Gedanken über Anschauungsweise der Völker ihre Verbindungen und ihre Handelswege leiten. Thun das ja auch Münzen thun es Siegel und andere diesen untergeordnete Dinge. Roland sagte, er wolle nun solche Stoffe zu sammeln suchen. Wir gingen an jenem Abende später auseinander als gewöhnlich. Am anderen Morgen, als ich aufgestanden war, und das beginnende Licht einen Ausblick durch die Fenster gestattete, sah ich frischen Schnee über alle Gefilde ausgebreitet, und in dichten Flocken, die um das Glas der Fenster spielten, fiel er noch immer von dem Himmel herunter. Der Wind hatte etwas nach¬ gelassen, die Kälte mußte gestiegen sein. Wir machten an diesem Tage alle zusammen einen ziemlich großen Spaziergang. Im Garten wurde her¬ umgegangen, ob etwas zu richten sei, die Gewächs¬ häuser wurden besucht, in dem Meierhofe wurde nach¬ gesehen, und Abends wurde in dem Buche, welches von der Seidenweberei handelte, weiter gelesen. Der Schneefall hatte bis in die Dämmerung gedauert, dann kamen heitere Stellen an dem Himmel zum Vorscheine. Wie diese zwei Tage vergangen waren, so ver¬ gingen nun mehrere und mein Gastfreund begann nicht, seine Mittheilungen, welche er versprochen hatte, zu machen. Wir hatten außer der Zeit, die jeder in seiner Wohnung bei seinen Arbeiten zubrachte, manche Gänge durch die Gegend gemacht, was um so ange¬ nehmer war, als nach den stürmischen Tagen bei mei¬ ner Ankunft sich heiteres stilles und kaltes Wetter eingestellt hatte. Ich war zu mancher Zeit in der Ge¬ sellschaft meines Gastfreundes, ich sah ihm zu, wenn er seine Vögel vor dem Fenster fütterte, oder wenn er für Ernährung der Hasen außerhalb der Grenze sei¬ nes Gartens sorgte, was des tiefen Schnees willen, der gefallen war, doppelt nothwendig wurde, wir hatten weitere Fahrten in dem Schlitten gemacht, um Nachbarn zu besuchen, manches zu besprechen, oder die freie Luft und die Bewegung zu genießen, einmal war ich mit meinem Gastfreunde zu einer Brücke ge¬ fahren, die er mit mehreren Männern beschauen sollte, weil man vorhatte, sie im Frühlinge neu zu bauen — man hatte meinen Gastfreund nicht verschont, und ihn mit Gemeindeämtern betraut — mehrere Male waren wir in verschiedenen Theilen der Wälder gewesen, um bei dem Fällen der Hölzer nachzusehen, welche zum Bauen und zur Verarbeitung in dem Schreiner¬ hause verwendet werden sollten, welche Fällung in dieser Jahreszeit vor sich gehen mußte; wir waren auch einmal im Inghofe gewesen, und hatten die dortigen Gewächshäuser besehen. Der Hausverwalter und der Gärtner hatten uns bereitwillig und freund¬ lich herum geführt. Der Herr des Besizthums war mit seiner Familie in der Stadt. Eines Tages kam mein Gastfreund in meine Woh¬ nung, was er öfter that, theils um mich zu besuchen, theils um nach zu sehen, ob es mir nicht an etwas Nothwendigem gebreche. Nachdem das Gespräch über verschiedene Dinge eine Weile gedauert hatte, sagte er: „Ihr werdet wohl wissen, daß ich der Freiherr von Risach bin.“ „Lange wußte ich es nicht,“ antwortete ich, „jezt weiß ich es schon eine geraume Zeit.“ „Habt ihr nie gefragt?“ „Ich habe nach der ersten Nacht, die ich in eurem Hause zugebracht habe, einen Bauersmann gefragt, welcher mir die Antwort gab, ihr seied der Asper¬ meier. An demselben Tage forschte ich auch in weite¬ rer Entfernung, ohne etwas Genaues zu erfahren. Später habe ich nie mehr gefragt.“ „Und warum habt ihr denn nie gefragt?“ „Ihr habt euch mir nicht genannt; daraus schloß ich, daß ihr nicht für nöthig hieltet, mir euren Namen zu sagen, und daraus zog ich für mich die Maßregel, daß ich euch nicht fragen dürfe, und wenn ich euch nicht fragen durfte, durfte ich es auch einen andern nicht.“ „Man nennt mich hier in der ganzen Gegend den Asperherrn,“ antwortete er, „weil es bei uns gebräuch¬ lich ist, den Besizer eines Gutes nach dem Gute, nicht nach seiner Familie zu benennen. Jener Name erbt in Hinsicht aller Besizer bei dem Volke fort, die¬ ser ändert sich bei einer Änderung des Besizstan¬ des, und da müßte das Volk stets wieder einen neuen Namen erlernen, wozu es viel zu beharrend ist. Einige Landleute nennen mich auch den Aspermeier, wie mein Vorgänger geheißen hat.“ „Ich habe einmal zufällig euren richtigen Namen nennen gehört,“ sagte ich. „Ihr werdet dann auch wissen, daß ich in Staats¬ diensten gestanden bin,“ erwiederte er. „Ich weiß es,“ sagte ich. „Ich war für dieselben nicht geeignet,“ antwor¬ tete er. „Dann sagt ihr etwas, dem alle Leute, die ich bisher über euch gehört habe, widersprechen. Sie loben eure Staatslaufbahn insgesammt,“ erwie¬ derte ich. „Sie sehen vielleicht auf einige einzelne Ergeb¬ nisse,“ antwortete er, „aber sie wissen nicht, mit wel¬ chem Ungemache des Entstehens diese aus meinem Herzen gekommen sind. Sie können auch nicht wissen, wie die Ergebnisse geworden wären, wenn ein an¬ derer von gleicher Begabung aber von größerer Gemüthseignung für den Staatsdienst, oder wenn gar einer von auch noch größerer Begabung sie ge¬ fördert hätte.“ „Das kann man von jedem Dinge sagen,“ erwie¬ derte ich. „Man kann es,“ antwortete er, „dann soll man aber das, was nicht gerade mißlungen ist, auch nicht sogleich loben. Hört mich an. Der Staatsdienst oder der Dienst des allgemeinen Wesens überhaupt, wie er sich bis heute entwickelt hat, umfaßt eine große Zahl von Personen. Zu diesem Dienste wird auch von den Gesezen eine gewisse Ausbildung und ein ge¬ wisser Stufengang in Erlangung dieser Ausbildung gefordert, und muß gefordert werden. Je nachdem nun die Hoffnung vorhanden ist, daß einer nach Voll¬ endung der geforderten Ausbildung und ihres Stufen¬ ganges sogleich im Staatsdienste Beschäftigung finden, und daß er in einer entsprechenden Zeit in jene höhe¬ ren Stellen empor rücken werde, welche einer Familie einen anständigen Unterhalt gewähren, widmen sich mehr oder wenigere Jünglinge der Staatslaufbahn. Aus der Zahl derer, welche mit gutem Erfolge den vorgeschriebenen Bildungsweg zurückgelegt haben, wählt der Staat seine Diener, und muß sie im Gan¬ zen daraus wählen. Es ist wohl kein Zweifel, daß auch außerhalb dieses Kreises Männer von Begabung für den Staatsdienst sind, von großer Begabung ja von außerordentlicher Begabung; aber der Staat kann sie, jene ungewöhnlichen Fälle abgerechnet, wo ihre Begabung durch besondere Zufälle zur Erscheinung gelangt, und mit dem Staate in Wechselwirkung ge¬ räth, nicht wählen, weil er sie nicht kennt, und weil das Wählen ohne nähere Kenntniß und ohne die vor¬ liegende Gewähr der erlangten vorgeschriebenen Aus¬ bildung Gefahr drohte und Verwirrung und Mißlei¬ tung in die Geschäfte bringen könnte. Wie nun die¬ jenigen, welche die Vorbereitungsjahre zurückgelegt haben, beschaffen sind, so muß sie der Staat nehmen. Oft sind selbst große Begabungen in größerer Zahl darunter, oft sind sie in geringerer, oft ist im Durch¬ Stifter , Nachsommer, III . 14 schnitte nur Gewöhnlichkeit vorhanden. Auf diese Beschaffenheit seines Personenstoffes mußte nun der Staat die Einrichtung seines Dienstes gründen. Der Sachstoff dieses Dienstes mußte eine Fassung bekom¬ men, die es möglich macht, daß die zur Erreichung des Staatszweckes nöthigen Geschäfte fortgehen und keinen Abbruch und keine wesentliche Schwächung er¬ leiden, wenn bessere oder geringere einzelne Kräfte abwechselnd auf die einzelnen Stellen gelangen, in denen sie thätig sind. Ich könnte ein Beispiel gebrau¬ chen, und sagen, jene Uhr wäre die vortrefflichste, welche so gebaut wäre, daß sie richtig ginge, wenn auch ihre Theile verändert würden, schlechtere an die Stelle besserer, bessere an die Stelle schlechterer kämen. Aber eine solche Uhr dürfte kaum möglich sein. Der Staatsdienst mußte sich aber so möglich machen, oder sich nach der Entwicklung, die er heute erlangt hat, aufgeben. Es ist nun einleuchtend, daß die Fassung des Dienstes eine strenge sein muß, daß es nicht er¬ laubt sein könne, daß ein Einzelner den Dienstesin¬ halt in einer andern Fassung als in der vorgeschriebe¬ nen anstrebe, ja daß sogar mit Rücksicht auf die Zu¬ sammenhaltung des Ganzen ein Einzelnes minder gut verrichtet werden muß, als man es von seinem Stand¬ punkte allein betrachtet thun könnte. Die Eignung zum Staatsdienste von Seite des Gemüthes abgese¬ hen von den andern Fähigkeiten besteht nun auch in wesentlichen Theilen dann, daß man entweder das Einzelne mit Eifer zu thun im Stande ist, ohne dessen Zusammenhang mit dem großen Ganzen zu kennen, oder daß man Scharfsinn genug hat, den Zusammen¬ hang des Einzelnen mit dem Ganzen zum Wohle und Zwecke des Allgemeinen einzusehen, und daß man dann dieses Einzelne mit Lust und Begeisterung voll¬ führt. Das leztere thut der eigentliche Staatsmann, das erste der sogenannte gute Staatsdiener. Ich war keins von beiden. Ich hatte von Kindheit an, freilich ohne es damals oder in den Jugendjahren zu wissen, zwei Eigenschaften, die dem Gesagten geradezu entge¬ gen standen. Ich war erstens gerne der Herr meiner Handlungen. Ich entwarf gerne das Bild dessen, was ich thun sollte, selbst, und vollführte es auch gerne mit meiner alleinigen Kraft. Daraus folgte, daß ich schon als Kind, wie meine Mutter erzählte, eine Speise ein Spielzeug und dergleichen lieber nahm, als mir geben ließ, daß ich gegen Hilfe widerspänstig war, daß man mich als Knaben und Jüngling un¬ gehorsam und eigensinnig nannte, und daß man in 14 * meinen Männerjahren mir Starrsinn vorwarf. Das hinderte aber nicht, daß ich dort, wo mir ein Fremdes durch Gründe und hohe Triebfedern unterstüzt gege¬ ben wurde, dasselbe als mein Eigenes aufnahm, und mit der tiefsten Begeisterung durchführte. Das habe ich einmal in meinem Leben gegen meine stärkste Nei¬ gung, die ich hatte, gethan, um der Ehre und der Pflicht zu genügen. Ich werde es euch später erzäh¬ len. Daraus folgt, daß ich eigensinnig der Bedeu¬ tung des Wortes, wie man es gewöhnlich nimmt, nicht gewesen bin, und es auch im Alter, in dem man überhaupt immer milder wird, gewiß nicht bin. Eine zweite Eigenschaft von mir war, daß ich sehr gerne die Erfolge meiner Handlungen abgesondert von jedem Fremdartigen vor mir haben wollte, um klar den Zusammenhang des Gewollten und Gewirk¬ ten überschauen und mein Thun für die Zukunft regeln zu können. Eine Handlung, die nur gesezt wird, um einer Vorschrift zu genügen oder eine Fassung zu voll¬ enden, konnte mir Pein erregen. Daraus folgte, daß ich Thaten, deren lezter Zweck ferne lag oder mir nicht deutlich war, nur lässig zu vollführen geneigt war, während ich Handlungen, wenn ihr Ziel auch sehr schwer und nur durch viele Mittelglieder zu erreichen war, mit Eifer und Lust zu Ende führte, sobald ich mir nur den Hauptzweck und die Mittelzwecke deutlich machen und mir aneignen konnte. Im ersten Falle vermochte ich es mir nur durch die Vorstellung, daß der Zweck wenn auch dunkel doch ein hoher sei, abzu¬ ringen, daß ich mit aller Kraft an das Werk ging, wobei ich aber immer zum Eilen geneigt war, we߬ halb man mich auch ungeduldig schalt: im zweiten Falle gingen die Kräfte von selber an das Werk, und es wurde mit der größten Ausdauer und mit Verwen¬ dung aller gegebenen Zeit zu Stande gebracht, we߬ halb man mich auch wieder hartnäckig nannte. Ihr werdet in diesem Hause Dinge gesehen haben, aus denen euch klar geworden ist, daß ich Zwecke auch mit großer Geduld verfolgen kann. Sonderbar ist es über¬ haupt, und dürfte von größerer Bedeutung sein, als man ahnt, daß mit dem zunehmenden Alter die Weit¬ aussichtigkeit der Pläne wächst, man denkt an Dinge, die unabsehliche Strecken jenseits alles Lebenszieles liegen, was man in der Jugend nicht thut, und das Alter sezt mehr Bäume und baut mehr Häuser als die Jugend. Ihr seht, daß mir zwei Hauptdinge zum Staatsdiener fehlen, das Geschick zum Gehorchen, was eine Grundbedingung jeder Gliederung von Per¬ sonen und Sachen ist, und das Geschick zu einer thäti¬ gen Einreihung in ein Ganzes und kräftiger Arbeit für Zwecke, die außer dem Gesichtskreise liegen, was nicht minder eine Grundbedingung für jede Gliederung ist. Ich wollte immer am Grundsäzlichen ändern und die Pfeiler verbessern, statt in einem Gegebenen nach Kräften vorzugehen, ich wollte die Zwecke allein ent¬ werfen, und wollte jede Sache so thun, wie sie für sich am besten ist, ohne auf das Ganze zu sehen, und ohne zu beachten, ob nicht durch mein Vorgehen anderswo eine Lücke gerissen werde, die mehr schadet, als mein Erfolg nüzt. Ich wurde, da ich noch kaum mehr als ein Knabe war, in meine Laufbahn geführt, ohne daß ich sie und mich kannte, und ich ging in derselben fort, so weit ich konnte, weil ich einmal in ihr war, und mich schämte, meine Pflicht nicht zu thun. Wenn ei¬ niges Gute durch mich zu Stande kam, so rührt es daher, daß ich einerseits in Betrachtung meines Am¬ tes und seiner Gebote meinen Kräften eine mögliche Thätigkeit abrang, und daß andererseits die Zeiter¬ eignisse solche Aufgaben herbei führten, bei denen ich die Pläne des Handelns entwerfen und selber durch¬ führen konnte. Wie tief aber mein Wesen litt, wenn ich in Arten des Handelns, die seiner Natur entge¬ gengesezt sind, begriffen war, das kann ich euch jezt kaum ausdrücken, noch wäre ich damals im Stande gewesen, es auszudrücken. Mir fiel in jener Zeit im¬ mer und unabweislich die Vergleichung ein, wenn etwas, das Flossen hat, fliegen, und etwas, das Flü¬ gel hat, schwimmen muß. Ich legte deßhalb in einem gewissen Lebensalter meine Ämter nieder. Wenn ihr fragt, ob es denn nothwendig sei, daß sich in der Gliederung des Staatsdienstes eine so große Anzahl von Personen befinde, und ob man nicht einen Theil der allgemeinen Geschäfte, wie sie jezt sind, zu beson¬ dern Geschäften machen, und sie besondern Körper¬ schaften oder Personen, die sie hauptsächlich angehen, überlassen könnte, wodurch eine größere Übersichtlich¬ keit in den Staatsdienst käme, und wodurch es möglich würde, daß sich hervorragende Begabungen mehr im Entwerfen und Vollführen von Plänen zu allgemei¬ nem Besten geltend machen könnten: so antworte ich: diese Frage ist allerdings eine wichtige und ihre richtige Beantwortung von der größten Bedeutung; aber eben die richtige Beantwortung in allen ihren Einzelnheiten dürfte eine der schwersten Aufgaben sein, und ich ge¬ traue mir nicht, von mir zu behaupten, daß ich diese richtige Beantwortung zu geben im Stande wäre. Auch liegt dieser Gegenstand unserem heutigen Ge¬ spräche zu ferne, und wir können ein anderes Mal von ihm reden, so weit wir im Urtheile über ihn zu kommen vermögen. Das ist gewiß: wenn auch im ge¬ genwärtigen Staatsdienste Veränderungen nothwen¬ dig sein sollten, und wenn die Veränderungen in dem früher angeführten Sinne vor sich gehen werden, so hat der gegenwärtige Zustand doch in den allgemeinen Umwandlungen, denen der Staat so wie jedes mensch¬ liche Ding und die Erde selbst unterworfen ist, sein Recht, er ist ein Glied der Kette, und wird seinem Nachfolger so weichen, wie er selber aus seinem Vor¬ läufer hervor gegangen ist. Wir haben schon vielmal über Lebensberuf gesprochen, und daß es so schwer ist, seine Kräfte zu einer Zeit zu kennen, in welcher man ihnen ihre Richtung vorzeichnen, das heißt, einen Lebensweg wählen muß. Wir hatten bei unsern Ge¬ sprächen hauptsächlich die Kunst im Auge, aber auch von jeder andern Lebensbeschäftigung gilt dasselbe. Selten sind die Kräfte so groß, daß sie sich der Be¬ trachtung aufdrängen, und die Angehörigen eines jungen Menschen zur Ergreifung des rechten Gegen¬ standes für ihn führen, oder daß sie selber mit großer Gewalt ihren Gegenstand ergreifen. Ich hatte außer den Eigenschaften meines Geistes, die ich euch eben darlegte, noch eine besondere, deren Wesenheit ich erst sehr spät erkannte. Von Kindheit an hatte ich einen Trieb zur Hervorbringung von Dingen, die sinnlich wahrnehmbar sind. Bloße Beziehungen und Verhält¬ nisse sowie die Abziehung von Begriffen hatten für mich wenig Werth, ich konnte sie in die Versammlung der Wesen meines Hauptes nicht einreihen. Da ich noch klein war, legte ich allerlei Dinge an einan¬ der, und gab dem so Entstandenen den Namen einer Ortschaft, den ich etwa zufällig öfter gehört hatte, oder ich bog eine Gerte einen Blumenstengel und der¬ gleichen zu einer Gestalt und gab ihr einen Namen, oder ich machte aus einem Fleckchen Tuch den Vetter die Muhme; ja sogar jenen abgezogenen Begriffen und Verhältnissen, von denen ich sprach, gab ich Ge¬ stalten, und konnte sie mir merken. So erinnere ich mich noch jezt, daß ich als Kind öfter das Wort Kriegswerbung hörte. Wir bekamen damals einen neuen Ahorntisch, dessen Plattentheile durch dunkel¬ farbige Holzkeile an einander gehalten wurden. Der Querschnitt dieser Keile kam als eine dunkle Gestalt an der Dicke der Platte quer über die Fuge zum Vor¬ scheine, und diese Gestalt hieß ich die Kriegswerbung. Diese sinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben, wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher und stärker. Ich hatte Freude an allem, was als Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Kei¬ men des ersten Gräsleins an dem Knospen der Ge¬ sträuche an dem Blühen der Gewächse an dem ersten Reife der ersten Schneeflocke an dem Sausen des Windes dem Rauschen des Regens ja an dem Blize und Donner, obwohl ich beide fürchtete. Ich ging zusehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten, wenn eine Hütte gezimmert ein Brett angenagelt wurde. Ja die Worte, die einen Gegenstand sinnlich vorstellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die, welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beispiele traf es mich viel mächtiger, wenn jemand sagte: der Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem Pferde. Ich zeichnete mit einem Rothstifte Hirsche Reiter Hunde Blumen, mit Vorliebe aber Städte, von denen ich ganz wunderbare Gestalten zusammen¬ sezte. Ich machte aus feuchtem Lehm Palläste aus Holzrinde Altäre und Kirchen. Ich nenne diesen Trieb Schaffungslust. Er ist bei vielen Menschen mehr oder minder vorhanden. Eine noch größere Zahl aber hat die Bewahrungslust, von der der Geiz eine häßliche Abart ist. Selbst in späteren Jahren trat diese Lust nicht zurück. Da ich einmal an unserem schönen Strome zu wohnen kam, und im ersten Winter zum ersten Male das Treibeis sah, konnte ich mich nicht satt sehen an dem Entstehen desselben und an dem gegenseitigen Anstoßen und Abreiben der mehr oder minder runden Kuchen. Selbst in den nächstfolgenden Wintern stand ich oft stundenlange an dem Ufer, und sah den Eisbildungen zu, besonders der Entstehung des Standeises. Das, was vielen so unangenehm ist, das Verlassen einer Wohnung und das Beziehen einer andern, machte mir Lust. Mich freute das Ein¬ packen das Auspacken und die Instandesezung der neuen Räume. In den Jünglingsjahren trat eine weitere Seite dieses Triebes hervor. Ich liebte nicht blos Gestalten, sondern ich liebte schöne Gestalten. Dies war wohl auch schon in dem Kindertriebe vorhanden. Rothe Farben sternartige oder vielverschlungene Dinge sprachen mich mehr an als andere. Es kam aber diese Eigenschaft damals weniger zum Bewußt¬ sein. Als Jüngling begehrte ich die Gestalten, wie sie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunst hervor gehen, als Flächen Linien und Farben aus der Malerei, als Folge der Gefühle in der Musik, der menschlich sittlichen und der irdisch merkwürdigen Zustände in der Dichtkunst. Ich gab mich diesen Ge¬ stalten mit Wärme hin, und verlangte Gebilde, die ihnen ähnlich sind, im Leben. Felsen Berge Wolken Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegenge¬ sezten verachtete ich. Menschen menschliche Handlun¬ gen und Verhältnisse, die ihnen entsprachen, zogen mich an, die andern stießen mich ab. Es war, ich er¬ kannte es spät, im Grunde die Wesenheit eines Künstlers, die sich in mir offenbarte und ihre Erfül¬ lung heischte. Ob ich ein guter oder ein mittelmäßiger Künstler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer aber wahrscheinlich nicht, weil dann nach allem Ver¬ muthen doch die Begabung durchgebrochen wäre, und ihren Gegenstand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich mich auch darin, und es war mehr blos die Anlage des Kunstverständnisses, was sich offenbarte, als die der Kunstgestaltung. Wie das aber auch ist: in jedem Falle waren die Kräfte, die sich in mir regten, dem Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als för¬ derlich. Sie verlangten Gestalten und bewegten sich um Gestalten. So wie aber der Staat selber die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Men¬ schen ist, also nicht eine Gestalt sondern eine Fassung: so beziehen sich die Ergebnisse der Arbeiten der Staats¬ männer meist auf Beziehungen und Verhältnisse der Staatsglieder oder der Staaten, sie liefern daher Fassun¬ gen nicht Gestalten. So wie ich in der Kindheit oft den abgezogenen Begriffen eine Gestalt leihen mußte um sie halten zu können, so habe ich oft in gereiften Jah¬ ren im Staatsdienste, wenn es sich um Staatsbezie¬ hungen um Forderungen anderer Staaten an uns oder unseres Staates an andere handelte, mir die Staaten als einen Körper und eine Gestalt gedacht, und ihre Beziehungen dann an ihre Gestalten ange¬ knüpft. Auch habe ich nie vermocht, die bloßen eige¬ nen Beziehungen oder den Nuzen unseres Staates allein als das höchste Gesez und die Richtschnur mei¬ ner Handlungen zu betrachten. Die Ehrfurcht vor den Dingen, wie sie an sich sind, war bei mir so groß, daß ich bei Verwicklungen streitigen Ansprüchen und bei der Nothwendigkeit, manche Sachen zu ordnen, nicht auf unsern Nuzen sah, sondern auf das, was die Dinge nur für sich forderten, und was ihrer Wesen¬ heit gemäß war, damit sie das wieder werden, was sie waren, und das, was ihnen genommen wurde, erhalten, ohne welchem sie nicht sein können, was sie sind. Diese meine Eigenschaft hat mir manchen Kum¬ mer bereitet, sie hat mir hohen Tadel zugezogen; aber sie hat mir auch Achtung und Anerkennung einge¬ bracht. Wenn meine Meinung angenommen und ins Werk gesezt worden war, so hatte die neue Ordnung der Dinge, weil sie auf das Wesentliche ihrer Natur gegründet war, Bestand, sie brachte in so ferne, weil wir vor erneuerten Unordnungen also vor wiederhol¬ ter Kraftanstrengung geschüzt waren, unserem Staate einen größeren Nuzen, als wenn wir früher den ein¬ seitigen angestrebt hätten, und ich erhielt Ehrenzeichen Lob und Beförderung. Wenn ich in jenen Tagen der schweren Arbeit eine Ruhezeit hatte, und auf einer kleinen Reise die erhabene Gestalt eines Berges sah oder eine Hügelreihe sich thürmender Wolken oder die blauen Augen eines freundlichen Landmädchens oder den schlanken Körper eines Jünglings auf einem schö¬ nen Pferde — oder wenn ich auch nur in meinem Zimmer vor meinen Gemälden stand, deren ich da¬ mals schon manche sammelte, oder vor einer kleinen Bildsäule: so verbreitete sich eine Ruhe und ein Wohlbehagen über mein Inneres, als wäre es in seine Ordnung gerückt worden. Wenn ein künstleri¬ sches Gestaltungsvermögen in mir war, so war es das eines Baumeisters oder eines Bildhauers oder auch noch das eines Malers, gewiß aber nicht das eines Dich¬ ters oder gar eines Tonsezers. Die ersteren Gegen¬ stände zogen mich immer mehr an, die lezteren stan¬ den mir ferner. Wenn es aber mehr eine Kunstliebe war, was sich in mir äußerte, nicht eine Schöpfungs¬ kraft, so war es immerhin auch ein Vermögen der Gestalten, aber nur eines, die Gestalten aufzuneh¬ men. Wenn diese Art von Eigenthümlichkeit den Be¬ sizer zunächst beglückt, wie ja jede Kraft selbst die Schaffungskraft zuerst ihres Besizers willen da ist, so bezieht sie sich doch auch auf andere Menschen, wie in zweiter Hinsicht jede Kraft, selbst die eigenste eines Menschen, nicht in ihm verschlossen bleiben kann, sondern auf andere übergeht. Es ist eine sehr falsche Behauptung, die man aber oft hört, daß jedes große Kunstwerk auf seine Zeit eine große Wirkung hervor¬ bringen müsse, daß ferner das Werk, welches eine große Wirkung hervor bringt, auch ein großes Kunst¬ werk sei, und daß dort, wo bei einem Werke die Wir¬ kung ausbleibt, von einer Kunst nicht geredet werden kann. Wenn irgend ein Theil der Menschheit ein Volk rein und gesund am Leibe und an der Seele ist, wenn seine Kräfte gleichmäßig entwickelt nicht aber nach einer Seite unverhältnißmäßig angespannt und thätig sind, so nimmt dieses Volk ein reines und wahres Kunstwerk treu und warm in sein Herz auf, wozu es keiner Gelehrsamkeit, sondern nur seiner schlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen Gleichartiges aufnehmen, und hegen. Wenn aber die Begabungen eines Volkes, und seien sie noch so hoch, nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus eilen, wenn sie gar auf bloße Sinneslust oder auf Laster gerichtet sind, so müssen die Werke, welche eine große Wirkung hervor bringen sollen, auf jene Rich¬ tung, in der die Kräfte vorzugsweise thätig sind, hin¬ zielen, oder sie müssen Sinneslust und Laster darstellen. Reine Werke sind einem solchen Volke ein Fremdes, es wendet sich von ihnen. Daher rührt die Erschei¬ nung, daß edle Werke der Kunst ein Zeitalter rühren und begeistern können, und daß dann ein Volk kömmt, dem sie nicht mehr sprechen. Sie verhüllen ihr Haupt, und harren, bis andere Geschlechter an ihnen vorüber wandeln, die wieder reines Sinnes sind, und zu ih¬ nen empor blicken. Diesen lächeln sie, und von diesen werden sie wieder wie herübergerettete Heiligthümer in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zu¬ weilen aber sehr selten ein reines Werk wie ein ver¬ einsamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet, und wird später von einem Menschenforscher entdeckt, wie jener Gerechte in Sodoma. Damit aber der Dienst der Kunst leichter erhalten werde, sind in jedem Zeit¬ alter solche, denen ein tieferer Sinn für Kunstwerke gegeben ward, sie sehen mit klarerem Auge in ihre Theile, nehmen sie mit Wärme und Freude in ihr Herz, und übergeben sie so ihren Mitmenschen. Wenn man die Erschaffenden Götter nennt, so sind jene die Priester dieser Götter. Sie verzögern den Schritt des Unheiles, wenn der Kunstdienst zu verfallen beginnt, und sie tragen, wenn es nach der Finsterniß wieder hell werden soll, die Leuchte voran. Wenn ich nun ein solcher war, wenn ich bestimmt war, durch An¬ schauung hoher Gestalten der Kunst und der Schöpfung, die mir ja immer mit freundlichen Augen zugewinkt haben, Freude in mein Herz zu sammeln, und Freude Erkenntniß und Verehrung der Gestalten auf meine Mitmenschen zu übertragen, so war mir meine Staats¬ laufbahn in diesem Berufe wieder sehr hinderlich, und dürftige Spätblüthen können den Sommer, dessen kräftige Lüfte und warme Sonne unbenüzt vorüber gingen, nicht ersezen. Es ist traurig, daß man sich nicht so leicht den Weg, der der vorzüglichste in jedem Leben sein soll, wählen kann. Ich wiederhole, was Stifter , Nachsommer. III . 15 wir oft gesagt haben, und womit euer ehrwürdiger Pater auch übereinstimmt, daß der Mensch seinen Lebensweg seiner selbst willen zur vollständigen Er¬ füllung seiner Kräfte wählen soll. Dadurch dient er auch dem Ganzen am Besten, wie er nur immer die¬ nen kann. Es wäre die schwerste Sünde, seinen Weg nur ausschließlich dazu zu wählen, wie man sich so oft ausdrückt, der Menschheit nüzlich zu werden. Man gäbe sich selber auf, und müßte in den meisten Fällen im eigentlichen Sinne sein Pfund vergraben. Aber was ist es mit der Wahl? Unsere gesellschaft¬ lichen Verhältnisse sind so geworden, daß zur Befrie¬ digung unserer stofflichen Bedürfnisse ein sehr großer Aufwand gehört. Daher werden junge Leute, ehe sie sich selber bewußt werden, in Laufbahnen gebracht, die ihnen den Erwerb dessen, was sie zur Befriedigung der angefühlten Bedürfnisse brauchen, sichern. Von einem Berufe ist da nicht die Rede. Das ist schlimm, sehr schlimm, und die Menschheit wird dadurch immer mehr eine Heerde. Wo noch eine Wahl möglich ist, weil man nicht nach sogenanntem Broderwerbe aus¬ zugehen braucht, dort sollte man sich seiner Kräfte sehr klar bewußt werden, ehe man ihnen den Wir¬ kungskreis zutheilt. Aber muß man nicht in der Ju¬ gend wählen, weil es sonst zu spät ist? Und kann man sich in der Jugend immer seiner Kraft bewußt werden? Es ist schwierig, und mögen, die betheiligt sind, darüber wachen, daß weniger leichtsinnig ver¬ fahren werde. Lasset uns über diesen Gegenstand ab¬ brechen. Ich wollte euch das, was ich gesagt habe, sagen, ehe ich euch erzähle, wie ich mit den Ange¬ hörigen eurer künftigen Braut zusammen hänge. Ich sagte es euch, damit ihr ungefähr den Stand beur¬ theilen könnt, auf dem ich nun stehe. Wir wollen zur Fortsezung eine andere Zeit bestimmen.“ Nach diesen Worten ging das Gespräch auf an¬ dere Gegenstände über, wir machten dann auch einen Spaziergang, dem sich auch Gustav zugesellte. 15 * 4. Der Rückblick. Ohne daß ich eine nähere oder entferntere Auf¬ forderung oder Bitte gemacht hätte, fuhr mein Gast¬ freund nach Verlauf eines Tages in seinen Mitthei¬ lungen fort. Er hatte gefragt, ob er eine Zeit in meinem Zimmer zubringen dürfe, und ich hatte es begreiflicher Weise bejaht. Wir sassen an einem ange¬ nehmen und stillen Feuer, das von sehr großen und dichten Buchenklözen unterhalten wurde, er lehnte sich in seinem Polsterstuhle zurück, und sagte: „Ich möchte, wenn es euch genehm ist, heute meine Mit¬ theilungen an euch vollenden. Ich habe Sorge ge¬ tragen, daß wir nicht gestört werden, ihr dürft nur sagen, ob ihr mich hören wollt.“ „Ihr wißt, daß es mir nicht nur angenehm, son¬ dern auch meine Pflicht ist,“ antwortete ich. „Zuerst muß ich von mir erzählen,“ begann er, „es dürfte so nothwendig sein. Ich bin im Dorfe Dallkreuz in dem sogenannten Hinterwalde geboren worden. Ihr wißt, daß der Name Hinterwald nicht mehr so viel zu bedeuten hat, als er sagt. Einmal war er wie über die ganze Gegend, welche von unse¬ rem Strome als ein Gebilde von Hügeln nordwärts geht, auch über die Gründe von Dallkreuz verbreitet. Dallkreuz war damals nicht, und sein Entstehen mochte mit dem Aufschlagen von einigen Holzarbeiterhütten begonnen haben. Jezt sind Felder Wiesen und Wei¬ den über das ganze Hügelland gebreitet, und einige Reste der alten Waldungen schauen ernst auf diese Gründe herab. Das Haus meines Vaters stand außerhalb des Ortes in der Nähe einiger anderer, war aber doch frei genug, um auf Wiesen Felder Gärten und im Süden auf ein sehr schönes blaues Waldband zu sehen. Als ich ein Knabe von zehn Jahren war, kannte ich alle Bäume und Gesträuche der Gegend, und konnte sie nennen, ich kannte die vorzüglichsten Pflanzen und Gesteine, ich kannte alle Wege, wußte, wohin sie führten, und war in allen benachbarten Orten schon gewesen, die sie berühren. Ich kannte alle Hunde von Dallkreuz, wußte welche Farben sie hatten, wie sie hießen, und wem sie gehör¬ ten. Ich liebte die Wiesen die Felder die Gesträuche unser Haus außerordentlich, und unsere Kirchen¬ glocken däuchten mir das Lieblichste und Anmuthigste, was es nur auf Erden geben kann. Meine Eltern lebten in Frieden und Eintracht, ich hatte noch eine Schwester, welche meine Knabenfahrten mit mir machen mußte. Zu unserem Hause, das nur ein Erd¬ geschoß hatte, welches aber schneeweiß war, und weithin in dem Grün leuchtete, gehörten Wiesen Fel¬ der und Wäldchen. Der Vater ließ aber das durch Knechte verwalten, er selber trieb einen Handel mit Flachs und Linnen, der ihn auf vielfache Reisen führte. Ich wurde, da ich noch ein Kind war, zu dem Erben dieser Dinge bestimmt, sollte aber vorher auf einer Lehranstalt die nothwendige Ausbildung bekommen. Der Vater hatte, als dessen Eltern, die ich nur wenig gekannt hatte, gestorben waren, keine Verwandten mehr. Meine Mutter, die der Vater von ferne her geholt hatte, hatte noch einen Bruder, der aber mit ihr, weil sie als von einem wohlhabenden Hause stammend eine Verbindung unter ihrem Stande, wie er sich ausdrückte, geschlossen hatte, zerfallen war, und durch nichts versöhnt werden konnte. Wir wu߬ ten nichts von ihm, man vermied es, seiner Erwäh¬ nung zu thun, und oft in einem ganzen Jahre wurde sein Name nicht genannt. Die Zustände meines Va¬ ters aber blühten empor, und er war fast der Ange¬ sehenste in der Gegend. In dem Jahre, nach dessen Ende ich in die Lehranstalt abgehen sollte, trafen mehrere Unglücksfälle ein. Hagelschaden verwüstete die Felder, ein Theil des Gebäudes brannte ab, und als das alles wieder hergestellt und in das Geleise gebracht worden war, starb der Vater eines plözlichen unvorhergesehenen Todes. Ein lässiger Vormund hin¬ terlistige Handelsfreunde, welche zweifelhafte For¬ derungen stellten, und ein unglücklicher Prozeß, der daraus entsprang, brachten für die Mutter eine Lage herbei, in welcher sie mit Sorgen für unsere Zukunft zu kämpfen hatte. Sie war, da man endlich alles zur Ruhe gebracht hatte, auf das Nothdürftigste beschränkt. Ich mußte im Herbste das geliebte Haus das geliebte Thal und die geliebten Angehörigen verlassen. Mit ärmlicher Ausstattung ging ich an der Hand eines größeren Schülers zu Fuß den ziemlich weiten Weg in die Lehranstalt. Dort gehörte ich zu den Dürftig¬ sten. Aber die Mutter sandte das, was sie senden konnte, so genau und zu rechter Zeit, daß ich nie viel aber doch das zum Bestehen Nöthige hatte. Es war an der Anstalt Sitte, daß die Knaben in den höheren Abtheilungen denen in den niedreren außerordentlichen Unterricht ertheilten, und dafür ein Entgelt bekamen. Da ich einer der besten Schüler war, so wurden mir in meinem vierten Lehrjahre schon einige Knaben zum Unterrichten zugetheilt, und ich konnte der Mutter die Auslagen für mich erleichtern. Nach zwei Jahren erwarb ich mir bereits so viel, daß ich meinen ganzen Unterhalt selbst bestreiten konnte. Jede Jahresferien brachte ich bei der Mutter und Schwester in dem weißen Hause zu. Von dem Antreten des Hauses als Erbschaft war nun keine Rede mehr. Ich dachte, ich werde mir durch meine Kenntnisse eine Stellung verschaffen, und das Haus und den Grundbesiz einmal als Nothpfennig der Schwester überlassen. So war die Zeit heran gekommen, in welcher ich mich für einen Lebensberuf entscheiden mußte. Die damals übliche Vorbereitungsschule, die ich eben zu¬ rückgelegt hatte, führte nur zu einigen Lebensstellun¬ gen, und machte zu andern eher untauglich als taug¬ lich. Ich entschloß mich für den Staatsdienst, weil mir die andern Stufen, zu denen ich von meinen jezi¬ gen Kenntnissen emporsteigen konnte, noch weniger zusagten. Meine Mutter konnte mir mit keinem Rathe beistehen. Ich hatte mir ein kleines Sümmchen durch außerordentliche Sparsamkeit zusammengelegt. Mit diesem und tausend Segenswünschen der Mutter ver¬ sehen und mit den Abschiedsthränen der geliebten Schwester benezt begab ich mich auf die Reise in die Stadt. Zu Fusse wanderte ich durch unser Thal hin¬ aus, und suchte durch allerlei Betrachtungen die Thrä¬ nen zu ersticken, welche mir immer in die Augen stei¬ gen wollten. Als unsere Wäldergestalten hinter mir lagen, als die Herbstsonne schon auf ganz andere Felder schien, als ich durch meine Jugend hindurch gesehen hatte, wurde mein Gemüth nach und nach leichter, und ich durfte nicht mehr fürchten, daß mir jeder, der mir begegnete, ansehen könne, daß mir das Weinen so nahe sei. Die Entschlossenheit, welche mir eingegeben hatte, in die große Stadt zu gehen, und dort mein Heil in dem Berufe eines Staats¬ dieners zu suchen, ließ mich immer fester und rascher meinen Weg verfolgen, und tausend glänzende Schlös¬ ser in die Luft bauen. Als ich an jenem Rande ange¬ kommen war, wo unser höheres Land in großen Ab¬ säzen gegen den Strom hinabgeht, und ganz andere Gestaltungen anfangen, sah ich noch einmal um, segnete das Mutterherz, das nun beinahe schon eine Tagereise weit hinter mir lag, streichelte gleichsam mit den Fingern die schönen langwimperigen Augen¬ lider der Schwester, die immer etwas blaß aussah, segnete unser weißes Haus mit dem rothen Dache, segnete all die Felder und Wäldchen, die hinter mir lagen, und die ich durchwandelt hatte, und stieg nun wirklich schwere Thränen in den Augen tragend in den tiefen Weg hinunter, welcher damals unter hohem Laubdache hingehend einen der Pässe ausmachte, die das rauhere Oberland mit dem tiefen Stromlande verbinden. Ich konnte nun, nachdem ich drei Schritte gemacht hatte, die Gestaltungen meines Geburtslan¬ des nicht mehr sehen, nur sein Rand war alles, was meine Augen erreichen konnten, und was mich noch lange begleiten würde. Ganz andere Bildungen lagen vor mir. Es war mir, ich müsse umkehren, um nur noch einmal zurück schauen zu können. Ich that es aber nicht, weil ich mich vor mir selber schämte, und ich ging beeiligten Schrittes den Weg hinunter und immer tiefer hinunter. Ich durfte auch nichts ver¬ zögern, wenn ich vor Einbruch der Nacht noch zu dem Strome hinunter gelangen wollte, auf dem mich am andern Morgen ein Schif weiter tragen sollte. Die herbstliche Abendsonne spielte durch die Zweige, man¬ che Kohlmeise ließ einen Ruf erschallen, wie ihn die hatten erschallen lassen, welche jezt noch in meinen heimatlichen Bergwäldchen verweilten, mancher Fuhr¬ mann mancher Wanderer begegnete mir, ich ging mit ernstem Herzen weiter, und als die Sonne unterge¬ gangen war, hörte ich das Rauschen des Stromes, der mir nun so wichtig geworden war, und sah sein goldenes abendliches Glänzen.“ „Ich vergesse mich,“ unterbrach sich hier mein Gastfreund, „und erzähle euch Dinge, die nicht wich¬ tig sind; aber es gibt Erinnerungen, die, wie unbe¬ deutende Gegenstände sie auch für andere betreffen, doch für den Eigenthümer im höchsten Alter so kräftig dastehen, als ob sie die größte Schönheit der Ver¬ gangenheit enthielten.“ „Ich bitte euch,“ entgegnete ich, „fahret so fort, und entzieht mir nicht die Bilder, die euch aus frühe¬ ren Zeiten übrig sind, sie gehen schöner in das Ge¬ müth, und verbinden leichter, was verbunden werden soll, als wenn von dem lebendigen Leben ein flacher Schatten gegeben werden sollte. Auch ist meine Zeit, wenn anders die eurige nicht strenger zugemessen ist, kein Hinderniß, daß ihr mir irgend etwas vorent¬ halten solltet.“ „Meine Zeit,“ antwortete er, „ist entweder so gemessen, daß ich nichts anderes thun sollte, als auf mein Ende sehen, oder daß ich über sie verfügen kann, wie ich will; denn was sollte ein so alter Mann noch Ausschließliches zu thun haben? Er mag für die paar Stunden, die ihm übrig sind, noch Blumen zurecht legen, wie er will. Ich thue ja eigentlich hier auf dieser Besizung nichts anders. Auch dürfte das, was ich euch sagen will, für euch nicht ganz unwichtig sein, wie sich wohl in der Folge zeigen wird. Ich fahre daher fort, wie sich eben unter den Worten die Er¬ zählung gibt.“ „Die Nacht verbrachte ich in gutem Schlummer, und der erste Morgen sah mich auf einem jener rohen kleinen Schiffe, wie sie damals mit verschiedenen Gütern beladen unsern Strom abwärts befuhren, und auch Menschen mit sich nahmen. Mehrere junge Leute, die entweder ganz gleichen oder ähnlichen Be¬ ruf mit mir verfolgten, standen auf dem Verdecke, und legten sogar manches Mal Hand an die Ruder, da unser Schif auf dem breiten rauchenden Strome sich abwärts bewegte, und die kleine Stadt, die uns Nachtherberge gegeben hatte, sich aus den Morgen¬ nebeln ringend unsern Augen immer weiter und wei¬ ter zurück trat. Manches Lied mancher Spruch, der aus der Schaar meiner Begleiter hervortrat, machte seine Wirkung auf mich, und ich wurde stärker und entschlossener.“ „Als am Abende des zweiten Tages unserer Was¬ serfahrt der hohe schlanke Thurm der Stadt, deren Miteinwohner ich nun werden sollte, gleichsam luftig blau unter den Gebüschen der Ufer sichtbar wurde, als man sich rief, und das Zeichen sich zeigte, das man nun nach Verlauf von etwas mehr als einer Stunde erreichen werde, wollte mir das Herz im Bu¬ sen wieder unruhiger pochen. Dieses Merkmal ver¬ gangener Menschenalter, dachte ich, welches so viele große und gewaltige Schicksale gesehen hatte, wird nun auch auf dein kleines Geschick herabsehen, es mag sich nun gut oder übel abspinnen, und wird, wenn es längstens abgelaufen ist, wieder auf andere schauen. Wir fuhren rascher zu, weil alles hoffnungs¬ voll die Ruder führte, die Entschlossneren sangen ein Lied, und ehe noch die Stunde um war, legte unser Schif an der steinernen Einfassung des Flusses im Angesichte sehr großer Häuser an. Ein älterer Schü¬ ler, der schon zwei Jahre in der Stadt zugebracht hatte, und jezt von den bei seinen Eltern verlebten Ferien zurückkehrte, erboth sich, mir einen Gasthof zur Unterkunft zu zeigen, und mir morgen zur Auf¬ findung eines Wohnzimmerchens für mich behilflich zu sein. Ich nahm es dankbar an. Unter dem Thor¬ wege des Gasthofes, in den er mich geführt hatte, nahm er Abschied von mir, und versprach, mich mor¬ gen mit Tagesanbruch zu besuchen. Er hielt Wort, ehe ich angekleidet war, stand er schon in meinem Zimmer, und ehe die Sonne den Mittag erreichte, waren meine Sachen schon in einem Miethzimmer¬ chen, das wir für mich gefunden hatten, untergebracht. Er verabschiedete sich, und suchte seine wohlbekannten Kreise auf. Ich habe ihn später selten mehr gesehen, da uns nur die Schiffahrt zusammengebracht hatte, und da seine Laufbahn eine ganz andere war als die meine. Als ich von meinem Stübchen ausging, die Stadt zu betrachten, befiel mich wieder eine sehr große Bangigkeit. Diese ungeheure Wildniß von Mauern und Dächern dieses unermeßliche Gewimmel von Menschen, die sich alle fremd sind, und an einander vorübereilen, die Unmöglichkeit, wenn ich einige Gas¬ sen weit gegangen war, mich zurecht zu finden, und die Nothwendigkeit, wenn ich nach Hause wollte, mich Schritt für Schritt durchfragen zu müssen, wirkte sehr niederdrückend auf mich, der ich bisher immer in einer Familie gelebt hatte, und stets an Orten ge¬ wesen war, in denen ich alle Häuser und Menschen kannte. Ich ging zu dem Vorstande der Rechtsschule, um mich für die Vorbereitungsjahre zum Staatsdienste einschreiben zu lassen. Er nahm mich meiner treff¬ lichen Zeugnisse willen sehr gut auf, und ermahnte mich, durch die große Stadt mich von meinem Fleiße nicht abbringen zu lassen. Ach Gott, die große Stadt war für mich bei meinen so kargen Mitteln nichts als ein Wald, dessen Bäume auf mich keine Beziehung haben, und sie trieb mich durch ihre Fremdartigkeit eher zum Fleiße an, als daß sie mich abgehalten hätte. Am Tage der Eröffnung des Unterrichtes ging ich, der ich nun doch schon einige auf mich bezügliche Wege wußte, in die hohe Schule. Dort wogte ein großes Gewimmel durch einander. Alle Fächer wurden hier gelehrt, und für alle Fächer fanden sich Schüler. Die meisten sahen sehr begabt gebildet und behende aus, so daß ich wieder im Glauben an meine nur geringen Kräfte zu zagen anfing, hier gleichen Schritt halten zu können. Ich begab mich in den Lehrsaal, in den ich gehörte, und sezte mich auf einen der mittleren Pläze. Die Lehrstunde begann, und ging vorüber, so wie nun viele nach und nach begannen, und vor¬ über gingen. Sie und die ganze Stadt hatten noch immer etwas Ungewöhnliches für mich. Das Liebste war mir, in meinem Stübchen zu sizen, an meine Ver¬ gangenheit zu denken, und sehr lange Briefe an meine Mutter zu schreiben.“ „Als einige Zeit verflossen war, wuchs mir Muth und Kraft im Herzen. Unser Lehrer ein würdiger Rath in der Rechtsversammlung der Schule lehrte fragend. Ich schrieb getreulich seine Lehren in meine Hefte. Als schon eine große Zahl meiner Mitschüler gefragt worden war, als endlich die Reihe auch mich getroffen hatte, erkannte ich, daß ich vielen, die mich an Kleidern und äußerem Benehmen übertrafen, in unserem Lehrfache nicht nachstehe, sondern einer gro¬ ßen Zahl vor sei. Dies lehrte mich nach und nach die mir bisher fremd gebliebenen Verhältnisse der Stadt würdigen, und sie wurden mir immer mehr und mehr vertraut. Einige Schüler hatte ich schon früher gekannt, da sie vor mir von der nehmlichen Lehranstalt, in der ich bisher gewesen war, hieher übergetreten waren; andere lernte ich noch kennen. Als meine Barschaft, mit der ich sehr strenge Haus hielt, sich schon sichtlich zu verringern begann, wurde ich von einem meiner Mitschüler, der mein Nachbar auf der Schulbank war, und aus meinem Munde ge¬ hört hatte, daß ich früher Unterricht gegeben habe, aufgefordert, seine zwei kleinen Schwestern zu unter¬ richten. Wir hatten durch die tägliche Berührung eine Art Freundschaft geschlossen, und waren einan¬ der geneigt. Als er daher zu Hause gehört hatte, daß man für die zwei kleinen Mädchen einen Lehrer suche, schlug er mich vor, und erzählte mir auch von der Sache. Die Eltern wollten mich sehen, er führte mich zu ihnen, und ich wurde angenommen. Auch hatten die Schritte, welche ich selber nach meiner Berechnung der Dinge gethan hatte, um durch Ertheilung von Unterricht einen Erwerb zu bekommen, Erfolg. Sie hatten zwar keinen bedeutenden, auf einen solchen hatte ich nicht gerechnet, aber sie hatten doch einen. So war das in Erfüllung gegangen, was ich durch meine Umsiedlung in die große Stadt angestrebt hatte. Ich lebte jezt sorgenfrei, hatte in dem Hause meines Freundes, in welches ich öfter geladen wurde, eine Gattung Familienumgang, und konnte mit allem Ei¬ fer der Erlernung meines Faches mich widmen.“ Stifter , Nachsommer. III . 16 „In den ersten Ferien besuchte ich die Mutter und Schwester. Ich hatte die besten Zeugnisse in meinem Koffer, und konnte ihnen von meinen sehr guten an¬ derweitigen Erfolgen erzählen; denn gegen das Ende des Schuljahres hatten sich diese sehr gebessert. Mit ganz anderem Herzen als vor einem Jahre konnte ich nach dem Ende der Ferien das mütterliche Haus ver¬ lassen, und die Reise in die Stadt antreten.“ „Nach dem zweiten Jahre konnte ich die Meinigen nicht mehr besuchen. Ich war in der Stadt bekannt geworden, die Art, wie ich Kinder unterrichtete, sagte vielen Familien zu, man suchte mich, und gab mir auch einen größeren Lohn. Ich konnte mir dadurch mehr erwerben, legte mir stets etwas als Sparpfennig zurück, und hatte bei der Freudigkeit meines Gemüthes über diesen Fortgang Kraft genug, neben meinem Fache auch noch meine Lieblingswissenschaften Mathe¬ matik und Naturlehre zu betreiben. Nur das Einzige war störend, daß die Familien, bei denen ich Unter¬ richt gab, nicht gerne sahen, daß ich durch eine Reise den Unterricht unterbreche. Es war diese Forderung eine begreifliche, ich blieb mit den Meinigen in einem lebhafteren Briefwechsel als früher, und verabredete mit ihnen, daß ich nicht eher als nach Beendigung meines Lehrganges sie wieder besuchen, dann aber einige Monate bei ihnen bleiben wolle. Hiemit waren auch die, in deren Dienste ich stand, zufrieden.“ „Die Stadt, welche mir Anfangs so unheimlich gewesen war, wurde mir immer lieber. Ich gewöhnte mich daran, immer fremde Menschen in den Gassen und auf den Pläzen zu sehen und darunter nur selten einem Bekannten zu begegnen; es erschien mir dieses so weltbürgerlich, und wie es früher mein Gemüth niedergedrückt hatte, so stählte es jezt dasselbe. Einen schönen Einfluß übten auf mich die großen wissen¬ schaftlichen und Kunsthilfsmittel, welche die Stadt, besizt. Ich besuchte die Büchersammlungen die der Gemälde, ich ging gerne in das Schauspiel, und hörte gute Musik. Es lebte von jeher ein großer Eifer für wissenschaftliche Bestrebungen in mir, und ich konnte demselben jezt bei der Heiterkeit meiner Lage Nahrung geben. Was ich bedurfte, und was ich durch meine Mittel mir nicht hätte anschaffen können, fand ich in den Sammlungen. Da ich den sogenannten Vergnü¬ gungen nicht nachging, sondern in meinen Bestrebun¬ gen mein Vergnügen fand, so hatte ich Zeit genug, und weil ich gesund und stark war, reichte auch meine Kraft aus. In hohem Maße befriedigten mich einige 16 * schöne Gebäude, besonders Kirchen, dann Bildsäulen und Gemälde. Ich brachte manchen Tag damit zu, mich in die Betrachtung der kleinsten Theile dieser Dinge zu vertiefen. Auch hatte ich manche Familien kennen gelernt, wurde bei ihnen aufgenommen, und bildete nach und nach meinen Umgang mit Menschen etwas mehr heraus.“ „Da ich in dem zweiten Jahre meiner Lernzeit war, vermählte sich meine Schwester. Ich hatte ihren jezigen Gatten schon früher gekannt. Er war ein sehr guter Mann, hatte keine Leidenschaften keine übeln Gewohn¬ heiten, war häuslich sogar auch thätig, hatte eine an¬ genehme Körpererscheinung, war aber sonst nichts mehr. Diese Vermählung hatte mir keine Freude und kein Leid gemacht. Da ich meine Schwester so liebte, so war mir stets, daß sie nie einen andern Mann als den allerherrlichsten bekommen solle. Dies war nun wohl nicht der Fall. Die Mutter schrieb mir, daß mein Schwager seine Gattin sehr verehre, daß er lange und treu um sie geworben und endlich ihr Herz ge¬ wonnen habe. Sie wohnen in unserem Hause, und von da aus treibe er still und emsig sein kleines Han¬ delsgeschäft, das sie nähre. Ich schrieb einen Brief entgegen, worin ich den Vermählten Glück und Segen wünschte, und den Schwager bath, seine Gattin sehr zu lieben zu schonen und zu ehren; denn ich glaube, daß sie es verdiene. Die Antworten versprachen alles, so wie die folgenden Briefe immer den Stempel eines stillen häuslichen Friedens trugen.“ „In diesen Verhältnissen kam die Zeit heran, da ich mit den lezten Prüfungen meine Vorbereitungs¬ jahre beendigt hatte. Ich richtete eben mein Reise¬ gepäcke zusammen, um der Verabredung gemäß nach langer Trennung die Meinigen wieder zu sehen, als ein Brief von der Hand der Schwester kam, dessen Inneres häufige Thränenspuren zeigte, und der mir sagte, daß unsere Mutter gestorben sei. Sie war vor einiger Zeit krank geworden, man hielt das Übel nicht für gefährlich, und da man mich in der Vorbereitung zu meinen lezten Prüfungen wußte, so wollte man mir, um mich nicht zu stören, keine Meldung von der Krankheit zukommen lassen. So zog es sich durch zehn Tage hin, von wo es sich rasch verschlimmerte, und ehe man es sich versah, mit dem Tode endigte. Man konnte mir nur mehr diesen melden. Ich raffte sofort alles zusammen, was zu einer Reise nöthig schien, schrieb zwei Zeilen an einen Freund, worin ich ihn bath, die Sache meinen Bekannten, die ich ihm bezeich¬ nete, zu melden und mich zu entschuldigen, daß ich ohne Abschied abreise. Hierauf ging ich auf die Post, und ließ mich einschreiben. Zwei Stunden darnach saß ich schon in dem Wagen, und obwohl wir in der Nacht wie am Tage fuhren, obwohl ich von der lezten Post aus, an der der Weg nach meiner Heimath ab¬ lenkte, eigene Pferde nahm, und mittelst Wechsels derselben unaufhörlich fortfuhr, so kam ich doch zu spät, um die irdische Hülle meiner Mutter noch ein¬ mal sehen zu können. Sie ruhte bereits im Grabe. Nur in ihren Kleidern in Geräthen im Arbeitszeuge, das auf ihrem Tischchen lag, sah ich die Spuren ihres Daseins. Ich warf mich in eine Lehnbank, und wollte in Thränen vergehen. Es war der erste große Verlust, den ich erlitten hatte. Zur Zeit des Todes des Vaters war ich zu jung gewesen, um ihn recht empfinden zu können. Obwohl der erste Schmerz unsäglich heiß gewesen war, und ich geglaubt hatte, ihn nicht über¬ leben zu können, so verminderte er sich wider meinen Willen von Tag zu Tag immer mehr, bis er zu einem Schatten wurde, und ich mir nach Verlauf von eini¬ gen Jahren keine Vorstellung mehr von dem Vater machen konnte. Jezt war es anders. Ich hatte mich daran gewöhnt, die Mutter als das Bild der größten häuslichen Reinheit zu betrachten als das Bild des Duldens der Sanftmuth des Ordnens und des Be¬ stehens. So war sie ein Mittelpunkt für unser Den¬ ken geworden, und mir kam fast nicht zu Sinne, daß das je einmal anders werden könne. Jezt wußte ich erst, wie sehr wir sie liebten. Sie, die nie gefordert hatte, die nie auf sich irgend eine Beziehung gemacht hatte, die geräuschlos immer gegeben hatte, die jedes Schicksal als eine Fügung des Himmels empfangen hatte, und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der Decke der Schollen schlummerte ihr Herz, das dort vielleicht so ergebungsvoll schlummerte, wie es sonst in der Kammer unter der Hülle seiner weißen Decke geschlummert hatte. Die Schwester war wie ein Schatten, sie wollte mich trösten, und ich wußte nicht, ob sie des Trostes nicht noch bedürftiger wäre als ich. Der Gatte meiner Schwester war in einer gewissen Ergebung, er war stille, und ging an die Beschäfti¬ gungen seines Berufes. Ich ließ mir nach einer Zeit das frische Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine Seele aus, und betete für sie zu dem Herrn des Him¬ mels. Da ich in das Haus zurückgekehrt war, besuchte ich alle Räume, in denen sie zulezt geweilt hatte, be¬ sonders ihr eigenes Stübchen, in welchem man alles gelassen hatte, wie es bei ihrer Erkrankung gewesen war. Der Schwager und die Schwester bothen mir an, und bathen mich, eine Zeit bei ihnen zu verwei¬ len. Ich nahm es an. In dem hinteren Theile des Hauses, den ich immer am meisten geliebt hatte, war schon vor der Erkrankung der Mutter ein Zimmer für mich größtentheils durch ihre Hände hergerichtet wor¬ den. Dieses Zimmer bezog ich, und packte darin mei¬ nen Koffer aus. Seine zwei Fenster gingen in den Garten, die weißen Fenstervorhänge hatte noch die Mutter geordnet, und das Linnen des Bettes war durch ihre vorsorglichen Finger gleichgestrichen wor¬ den. Ich getraute mir kaum etwas zu berühren, um es nicht zu zerstören. Ich blieb sehr lange unbeweg¬ lich in dem Zimmer sizen. Dann ging ich wieder durch das ganze Haus. Es schien mir gar nicht, als ob es das wäre, in welchem ich die Tage meiner Kindheit verlebt hatte. Es erschien mir so groß und fremd. Die Wohnung, welche sich meine Schwester und ihr Gatte darin eingerichtet hatten, war früher nicht da gewesen, dafür war das Gemach für Vater und Mut¬ ter, das immer auch nach seinem Tode noch bestanden war, verschwunden, ebenso fand ich das Zimmer für uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien, die ich zu Hause zugebracht hatte, noch in dem Zu¬ stande aus unserer früheren Zeit her gesehen hatte. Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebäude eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen sah ich, daß man schadhafte Stellen des Daches aus¬ gebessert hatte, daß man neue Ziegel genommen hatte, und daß an den Kanten, wo sich früher die Rundzie¬ gel befunden hatten, die neue Art der Verklebung durch Mörtel angewendet worden war. Dies alles that mir wehe, obwohl es natürlich war, und obwohl ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben würde. Jezt aber war mein Gemüth durch den Schmerz er¬ legt, und jezt schien es mir, als ob man alles Alte auch die Mutter aus dem Hause hinaus gedrängt hätte.“ „Ich lebte von jezt an still in dem Zimmer, las, schrieb, ging täglich auf das Grab der Mutter, be¬ suchte die Felder und manches Wäldchen, hielt mich aber von den Menschen ferne, weil sie immer von meinem Verluste redeten, und mit den Worten in ihm stets wühlten. Das Haus war auch sehr stille. Die Vermählten hatten noch keine Kinder, mein Schwa¬ ger, dessen Wesen friedlich und einfach war, befand sich größtentheils außer Hause, die Schwester besorgte mit der einzigen Magd, die sie hatte, die häuslichen Geschäfte, und wenn die Abenddämmerung kam, wurde die Thür, die gegen die Straße ging, mit den eisernen Stangen von Innen verriegelt, und nur die in den Garten führende blieb offen, bis die Stunde zum Schlafen kam, wo sie dann auch die Schwester mit eigenen Händen schloß. Das häusliche Glück der zwei Ehegatten schien fest gegründet zu sein, das war eine Linderung für meine Wunde, und ich verzieh dem Schwager, daß er nicht ein Mann war, der durch hohe Begabung und den Schwung seiner Seele die Schwester zu einem himmlischen Glücke emporgeführt hatte.“ „So vergingen mehrere Wochen. Vor meiner Abreise ging ich noch in unser Gerichtsamt, verzich¬ tete dort für meine Schwester auf jeden Erbanspruch des von unsern Eltern hinterlassenen Besizthumes, und ließ meine Rechte auf die Schwester überschrei¬ ben. So war den beiden Gatten das Dasein, so lange es ihnen der Himmel verlieh, gesichert; ich hatte als Erbtheil den Unterricht bekommen, und hoffte durch das, was er mir an Kenntnissen eingebracht hatte, und was ich mir noch erwerben wollte, den Unterhalt meines Lebens schon zu decken. Hierauf reiste ich von dem Danke und von den wärmsten Wünschen für mein Wohl von der Schwester und dem Schwager begleitet wieder in die Stadt ab.“ „In derselben begann ich jezt ein sehr zurückgezo¬ genes Leben zu führen. Ich hatte mir so viel erspart, daß ich nur einen kleinen Theil meiner Zeit zum Un¬ terrichtgeben verwenden mußte. Die übrige wendete ich für mich an, und verlegte mich auf Naturwissen¬ schaften auf Geschichte und Staatswissenschaften. Mei¬ nen eigentlichen Beruf ließ ich etwas außer Acht. Die Wissenschaften und die Kunst, deren Vergnügen ich nie entsagte, füllten mein Herz aus. Ich suchte jezt weniger als je die Gesellschaft von Menschen auf. Die Nothwendigkeit, die Zeit der Vorbereitung zu meinem Berufe recht zu benuzen, und mir außerdem noch meinen Lebensunterhalt zu erwerben, hatte mich schon in früheren Jahren fast nur auf mich allein zu¬ rückgewiesen, und ich sezte jezt dies Leben fort.“ „Allein es dauerte nicht lange in dieser Art. Schon nach einem halben Jahre, als ich das Grab der Mut¬ ter verlassen hatte, kam mir von meinem Schwager die Nachricht zu, daß zu den zwei Gräbern des Vaters und der Mutter auf unserer Familienbegräbnißstätte ein drittes Grab gekommen sei, das meiner Schwe¬ ster. Sie hatte sich seit dem Tode der Mutter nicht recht erholt, und eine unversehene Verkühlung raffte sie dahin. Der Schwager schrieb mir, und wie ich sah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬ lassen sei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬ sam sein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der Verewigten zum Erben eingesezt worden sei, daß er aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind, seine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht mehr viel auf Besizungen, sein Stückchen Brod, wel¬ ches für sein einfaches Leben recht klein sein dürfe, werde er für die Zeit schon finden, die er noch zubrin¬ gen müsse, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der Mann meine Schwester sehr geliebt hatte, da ihre Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten, gönnte ich ihm das kleine Besizthum, und schrieb ihm zurück, daß ich keine Ansprüche erhebe, und daß er das Hinterlassene ungetheilt genießen möge. Er dankte mir, ich sah aber aus seinem Briefe, daß er über das Geschenk eben keine sonderliche Freude habe.“ „Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein Leben war sehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Thon, und suchte sogar man¬ ches in Farben darzustellen. Nach einiger Zeit kam mir von befreundeter Hand der Antrag, daß ich bei einer gebildeten und wohlhabenden Familie wohnen möchte, daß ich einen Theil des Unterrichtes eines Knaben, der in der Familie sei, gegen vortheilhafte Bedingungen übernehmen möchte, worunter auch die war, daß ich nicht gebunden sei, daß ich öfter abwe¬ send sein, und zum Theile sogar kleine Reisen machen könne. In der Verödung, in der ich mich befand, hatte die Aussicht auf ein Familienleben eine Art An¬ ziehung für mich, und ich nahm den Antrag unter der Bedingung an, daß ich die Freiheit haben müsse, in jedem Augenblicke das Verhältniß wieder auflösen zu können. Die Bedingung wurde zugestanden, ich packte meine Sachen, und nach drei Tagen fuhr ich in der Richtung nach dem Landsize der Familie ab. Dieser Siz war ein angenehmes Haus in der Nähe großer Meiereien, die einem Grafen gehörten. Das Haus war beinahe zwei Tagereisen von der Stadt entfernt. Es war sehr geräumig, hatte eine sonnige Lage, lieb¬ liche Rasenpläze um sich, und hing mit einem großen Garten zusammen, in dem theils Gemüse theils Obst theils Blumen gezogen wurden. Der Besizer des Hauses war ein Mann, der von reichlichen Renten lebte, sonst aber kein Amt noch irgend eine andere Beschäftigung zum Gelderwerb hatte. So war er mir geschildert worden, mit dem Beifügen, daß er ein sehr guter Mann sei, mit dem sich jedermann vertrage, daß er eine treffliche sorgsame Frau habe, und daß außer dem Knaben nur noch ein halberwachsenes Mädchen da sei. Diese Dinge waren es auch vorzüglich, welche mich zur Annahme bestimmt hatten. Mein Name sei der Familie in einem Hause genannt worden, mit dem sie in sehr inniger Beziehung stand, und ich sei sehr empfohlen worden. Man hatte mir auf die lezte Post einen Wagen entgegen gesandt. Es war ein schöner Nachmittag, als ich in Heinbach, das war der Name des Hauses, einfuhr. Wir hielten unter einem hohen Thorwege, zwei Diener kamen die Treppe herab, um meine Sachen in Empfang zu nehmen, und mir mein Zimmer zu zeigen. Als ich noch im Wagen mit Her¬ ausnehmen von ein paar Büchern und andern Kleinig¬ keiten beschäftigt war, kam auch der Herr des Hauses herunter, begrüßte mich artig, und führte mich selber in meine Wohnung, die aus zwei freundlichen Zim¬ mern bestand. Er sagte, ich möge mich hier zurecht richten, möge hiebei nur meine Bequemlichkeit vor Augen haben, ein Diener sei angewiesen, meine Be¬ fehle zu vollziehen, und wenn ich fertig sei, und etwa heute noch wünsche, mit seiner Gattin zu sprechen, so möge ich klingeln, der Diener werde mich zu ihr füh¬ ren. Hierauf verließ er mich unter höflichem Abschiede. Der Mann gefiel mir sehr wohl. Ich entledigte mich meiner staubigen Kleider, reinigte mich, legte nur das Nothwendigste in meinem Zimmer in Ordnung, klei¬ dete mich dann besuchsgemäß an, und ließ die Frau des Hauses fragen, ob ich bei ihr erscheinen dürfe. Sie sendete eine bejahende Antwort. Ich wurde über einen Gang geführt, in welchem allerlei Bilder hin¬ gen, wir traten in einen Vorsaal und von dem in das Zimmer der Frau. Es war ein großes Zimmer mit drei Fenstern, an welches ein niedliches Gemach stieß. In diesem Zimmer waren heitere Geräthe einige Bilder, und die Nachmittagssonne war durch sanfte Vorhänge gedämpft. Die Frau saß an einem großen Tische, zu ihren Füßen spielte ein Knabe, und seit¬ wärts an einem kleinen Tischchen saß ein Mädchen und hatte ein Buch vor sich. Es schien, es habe vor¬ gelesen. Die Frau stand auf, und ging mir entgegen. Sie war sehr schön, noch ziemlich jung, und was mir am meisten auffiel, war, daß sie sehr schöne braune Haare aber tief dunkle große schwarze Augen hatte. Ich erschrak ein wenig, wußte aber nicht warum. Mit einer Freundlichkeit, die mein Zutrauen gewann, hieß sie mich einen Plaz nehmen, und als ich dies gethan hatte, nannte sie meinen Vor- und Familiennamen, hieß mich beinahe herzlich willkommen, und sagte, daß sie sich schon sehr gesehnt habe, mich unter ihrem Dache zu sehen.“ „„Alfred,““ rief sie, „„komm, und küsse diesem Herrn die Hand.““ „Der Knabe, welcher bisher neben ihr gespielt hatte, stand auf, trat vor mich, küßte mir die Hand und sagte: „„Sei willkommen!““ „„Sei auch du willkommen,““ erwiederte ich, und drückte ein wenig das Händchen des Knaben. Er hatte ein sehr rosiges Angesicht, ebenfalls braune Haare wie die Mutter aber dunkelblaue Augen, wie ich sie an dem Vater gesehen zu haben glaubte.“ „„Das ist das Kind, dessentwillen ich euch so sehr in unser Haus gewünscht habe,““ sagte sie. „„Ihr sollt dasselbe weniger unterrichten, dazu sind Lehrer da, welche das Haus besuchen, sondern wir bitten euch, daß ihr bei uns lebet, daß ihr dem Knaben öfter eure Gesellschaft gönnt, daß er außer dem Umgange mit seinem Vater auch den eines jungen Mannes hat, was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung ist wohl nichts als Umgang, ein Knabe, selbst wenn er so klein ist, muß nicht immer mit seiner Mutter oder wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht ist viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur etwas wissen, und es mittheilen können, zur Erziehung muß man etwas sein. Wenn aber einmal jemand et¬ was ist, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, dessen Waarengewölbe dem großen Thore des Erzdomes gegenüber ist, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu unterrichten, so ist es eurem Ermessen überlassen, wie und wie weit ihr es thut.““ „Ich konnte auf diese Worte nichts antworten; ich war sehr erröthet.“ „„Mathilde,““ sagte die Frau, „„begrüße auch die¬ sen Herrn, er wird jezt bei uns wohnen.““ „Das Mädchen, welches immer bei seinem aufge¬ schlagenen Buche sizen geblieben war, stand jezt auf, und näherte sich mir. Ich erstaunte, daß das Mäd¬ chen schon so groß sei, ich hatte es mir kleiner gedacht. Es war auf einem etwas niederen Stuhle gesessen. Da es in meine Nähe gekommen war, stand ich auf, Stifter , Nachsommer. III . 17 wir verneigten uns gegen einander, Mathilde ging wieder zu ihrem Size, und ich nahm auch den meini¬ gen wieder ein. Die Frau hatte wohl diese Begrü¬ ßung eingeleitet, um mein Erröthen vorüber gehen zu machen. Es war auch zum großen Theile vorüber gegangen. Sie hatte eine Antwort auf ihre an mich gerichtete Rede auch wahrscheinlich nicht erwartet. Sie fragte mich jezt um mehrere gleichgültige Dinge, die ich beantwortete. In meine näheren Verhältnisse oder etwa gar in die meiner Familie ging sie nicht ein. Nachdem die Unterredung eine Weile gedauert hatte, verabschiedete sie mich, sagte, ich möchte von der Reise etwas ausruhen, bei dem Abendessen würden wir uns wieder sehen. Der Knabe hatte während der ganzen Zeit meine Hand gehalten, war neben mir stehen ge¬ blieben, und hatte öfter zu meinem Angesichte herauf¬ geschaut. Ich löste jezt meine Hand aus der seinen, grüßte ihn noch, verneigte mich vor der Mutter, und verließ das Zimmer.“ „Als ich in meiner Wohnung angekommen war, sezte ich mich auf einen der schönen Stühle nieder. Jezt wußte ich, weßhalb man mir so gute Bedingun¬ gen gestellt hatte, und wie schwer meine Aufgabe war. Ich zagte. Das Benehmen der Frau hatte mir sehr gefallen, darum zagte ich noch mehr. Als ich eine Zeit auf meinem Stuhle gesessen war, erhob ich mich wieder, und es fiel mir ein, daß ich ja dem Herrn des Hauses auch einen Besuch zu machen habe. Ich klin¬ gelte, und verlangte von dem eintretenden Diener, daß er mich zu dem Herrn führe. Der Diener ant¬ wortete, der Herr sei in den Wald gegangen, und werde erst Abends zurückkehren. Er hatte den Befehl hinterlassen, daß man mir sage, ich möge nur meine Reisesachen auspacken, möge ausruhen, und möge mir seinethalben keine Pflichten auflegen, morgen könne das Weitere besprochen werden. Ich legte daher die Kleider, welche ich zu dem Besuche bei der Frau genommen hatte, wieder ab, zog mich anders an, und brachte meine Sachen nun in meiner Woh¬ nung in Ordnung. Bei dieser Beschäftigung ging mir nach und nach der ganze Rest des noch übrigen Tages dahin. Als ich fertig war, dämmerte es bereits. Nach¬ dem ich mich gereinigt und zum Abendessen angekleidet hatte, sagte mir mein Diener, daß sich der Herr, der schon nach Hause zurückgekehrt sei, zum Be¬ suche bei mir melde. Ich sagte zu, der Herr kam, und fragte, ob man in meiner Wohnung alles nach Gebühr vorbereitet habe, und ob ich nichts 17 * vermisse. Ich antwortete, daß alles meine Erwar¬ tung übertreffe, und daher ein weiteres Begehren die größte Unbescheidenheit wäre. Er sagte, daß er nun wünsche, daß mein Eintritt in sein Haus gesegnet sei, daß mein Aufenthalt darin erfreulich sein möge, und daß ich es einst nicht mit Reue und Schmerz ver¬ lasse. Hierauf lud er mich zum Abendessen ein. Wir gingen in ein sehr heiteres Speisezimmer, in wel¬ chem ein einfaches Abendmahl unter einfachen Gesprä¬ chen eingenommen wurde. Bei demselben war der Herr die Frau die zwei Kinder und ich gegenwärtig.“ „Am nächsten Vormittage ließ ich anfragen, ob ich den Herrn besuchen dürfe. Ich wurde dazu eingeladen, und mein Diener führte mich zu ihm. Ich war in denselben Besuchkleidern wie gestern bei der Frau. Der Herr saß bei Papieren und Schriften, er erhob sich bei meinem Eintritte, ging mir entgegen, grüßte mich auf das Ausgezeichnetste, und führte mich zu einem Tische. Er war schon völlig und sehr fein angekleidet. Als wir uns niedergelassen hatten, sagte er: „„Seid mir noch einmal in meinem Hause willkommen. Ihr seid uns so empfohlen worden, daß wir uns glücklich schäzen, daß ihr zu uns gekommen seid, daß ihr eine Zeit bei uns wohnen wollt, und daß ihr erlaubt, daß mein lieber Knabe, dem ich eine glückselige Zukunft wünsche, eure Gesellschaft genieße. Ich glaube, ihr werdet vielleicht in einiger Zeit sehen, daß wir eure Freunde sind, und ihr werdet uns etwa auch eure Freundschaft schenken. Richtet eure Beschäftigungen ein, wie ihr wollt, verlegt euch auf das, was euer künftiger Beruf fordert, und betrachtet euch in allen Stücken wie in eurem eigenen Hause. Ihr werdet euch wohl hier an Einfachheit gewöhnen müssen. Wir haben hier und in der Stadt wenig Besuch, und ma¬ chen auch wenig. Mathilde wird von der Frau selber erzogen. Mit Erzieherinnen hatten wir kein Glück. Wir gaben es daher auf, für Mathilden eine Gesell¬ schafterin zu suchen. Sie ist bei der Mutter, zuweilen sieht sie Mädchen ihres Alters, und manches Mal wohnt sie Gesprächen und Spaziergängen mit zwei älteren guten und lieben Mädchen bei. Sonst ist sie in ihrer Ausbildung begriffen, und bringt ihre Zeit mit Lernen zu. Wie es mit dem Knaben ist, werdet ihr wohl sehen. Man hat uns gesagt, daß ihr in der Stadt sehr zurückgezogen gelebt habt, deßhalb glaub¬ ten wir, daß ihr bei uns nicht gar sehr die menschliche Gesellschaft vermissen werdet. Ich beschäftige mich mit einigen wissenschaftlichen Dingen, und wenn euch ein Gespräch hierin, falls wir in den Gegenständen zu¬ sammentreffen, nicht unangenehm ist, so betrachtet mich als euren älteren Bruder, und zwar nicht blos hierin sondern auch in allen anderen Dingen.““ „„Ich bin durch eure Güte sehr beschämt,““ ant¬ wortete ich, „„und sehe jezt erst, wie groß die Aufgabe ist, die ich in eurem Hause habe. Ich weiß nicht, ob ich ihr auch nur in einem geringen Maße werde ge¬ nügen können.““ „„Es wird vielleicht nicht schwer sein, zu genü¬ gen,““ erwiederte er.“ „„Wenn es aber doch nicht geschähe?““ fragte ich.“ „„Dann wären wir so offen, und sagten es euch, damit man darnach handeln könnte,““ antwortete er.“ „„Das erleichtert mir mein Herz sehr,““ erwiederte ich; „„denn auf diese Weise wird nie Mißtrauen auf¬ kommen können. Ich habe bisher nur in zwei Fami¬ lien gelebt, in der meiner Mutter — denn mein Vater ist in meiner frühen Jugend gestorben — und in der eines würdigen alten Amtmannes, in dessen Hause ich während meiner lateinischen Schulen in Kost und Wohnung war. Die erste Familie ist mir wie jedem Menschen unvergeßlich, und die zweite ist es mir auch.““ „„Vielleicht wird es auch die unsere,““ sagte er, „„jezt laßt euch das Haus und sein Zugehör zeigen, daß ihr den Schauplaz kennt, auf dem ihr ein Weil¬ chen leben sollt. Oder wollt ihr etwas anders thun, so thut es. Zu mir steht euch der Zutritt stets offen, laßt euch nicht ansagen, und klopft nicht an meine Thür.““ „Mit diesen Worten war unser Gespräch zu Ende, wir erhoben uns, verabschiedeten uns, er reichte mir freundlich die Hand, und ich verließ das Zimmer.“ „Ich kleidete mich nun in meine gewöhnlichen Klei¬ der, und ließ fragen, ob Alfred Zeit habe, mich zu begleiten, und mir etwas von dem Hause und dem Garten zu zeigen. Man antwortete, daß Alfred gleich kommen werde, und daß er hinlänglich Zeit habe. Die Mutter führte den Knaben selbst zu mir, und sie brachte auch einen Diener mit, welcher einen Bund Schlüssel trug, und den Auftrag hatte, mir die Räume des Hauses zu zeigen. Der Diener war ein alter Mann, und schien die Aufsicht über die andern Dienst¬ leute zu haben. Die Mutter entfernte sich sogleich wie¬ der. Ich sprach einige freundliche Worte mit dem Knaben, welcher über sieben Jahre alt schien, er erwiederte diese Worte unbefangen, und, wie ich glaubte, zutraulich. Dann gingen wir, die Räume des Hauses zu betrachten. Das Haus war nicht alt, es war kein Schloß und mochte in dem siebenzehnten Jahrhunderte gebaut worden sein. Es bestand aus zwei Flügeln, die einen rechten Winkel bildeten, und einen Sandplaz einschloßen. Die Zufahrt war aber von entgegengesezter Seite, daher der Sandplaz, wel¬ cher Blumenbeete hatte, mehr einem Garten und einem Spielplaze für die Kinder als einer Anfahrt glich. Es waren auf demselben und zwar an den Mauern des Hauses auch Linnendächer zum Aufspannen gegen die Sonne angebracht. Das Haus hatte ein Erdgeschoß und ein Stockwerk. Durch beide lief der Länge nach ein breiter Gang, von dem aus man in die Zimmer gelangen konnte. Die Mauern des Ganges waren schneeweiß, hatten Stuckarbeit, schön vergitterte Fen¬ ster, und zeigten braune wohlgebohnte Gemächer¬ thüren. An vielen Stellen der Gänge hingen Ge¬ mälde. Sie waren durchaus nicht vorzüglich aber auch bei Weitem nicht so schlecht, als solche Gang- und Treppengemälde gewöhnlich zu sein pflegen. Die Gegenstände, welche auf ihnen abgebildet waren, drehten sich in einem kleinen Kreise: Landschaften mit Ansichten der Umgegend oder merkwürdiger Gebäude, Thiere — vorzüglich Hunde mit Jagdgeräthschaften — Küchengeschirr, oder Inneres von Zimmern und anderen Gelassen. Der alte Diener schloß manche Gemächer auf, die im Gebrauche waren; denn das Haus hatte mehr, als die jezigen Bewohner benüzten. Es war ein großer mit sehr schönen Geräthen versehe¬ ner Saal da, in welchem, wenn es nothwendig war, Gesellschaften aufgenommen wurden, dann waren andere Zimmer zu verschiedenem Gebrauche, darunter ein sehr großes Bücherzimmer und die Zimmer für Gäste. Alles war sehr schön eingerichtet und rein und ordentlich gehalten. Als wir das Haus gesehen hatten, sagte Alfred, Raimund, der alte Diener, sei nun nicht mehr vonnöthen, den Garten werde er mir schon allein zeigen. Ich war damit einverstanden, ver¬ abschiedete den alten Diener, und ging mit Alfred ins Freie. Das Erdgeschoß, worin sich die Küche die Gesindezimmer und dergleichen befanden, hatten wir nicht besucht. Die Ställe und Wagenbehälter waren abseits des Hauses in eigenen Gebäuden. Als wir in das Freie gekommen waren, zeigte sich ein sehr schöner Rasenplaz, der von manigfaltigen künstlich angelegten Wegen durchkreuzt war. Auf diesem Ra¬ senplaze standen in ziemlichen Entfernungen sehr große Bäume. Zu jedem führte ein Weg, und fast unter jedem stand ein Bänkchen oder ein Siz. Alfred führte mich zu den meisten, und nannte mir sie. Mich erfreute dieses Zeichen des Gedächtnisses und der Auf¬ merksamkeit. Er erzählte mir auch, was sie bald unter diesem bald unter jenem Baume gethan, und wie sie gespielt hätten. Die Bäume waren Eichen Linden Ulmen und eine Anzahl sehr großer Birnbäume. Diese Art von Wald hatte etwas sehr Anmuthiges.“ „„Ich darf allein nicht zu dem Teiche gehen,““ sagte Alfred, „„weil ich leicht hinein fallen könnte, und ich gehe auch nicht hin; aber weil du heute bei mir bist, so dürfen wir ihn besuchen. Komme mit, ich habe Brot bei mir, um es den Enten und den Fischen zu geben.““ „Er faßte mich bei der Hand, und ich ließ mich von ihm führen. Er geleitete mich durch ein kleines Gebüsch zu einem mäßig großen Teiche, der das Merk¬ würdige hatte, daß auf ihm hölzerne Hüttchen in ge¬ ringen Entfernungen angebracht waren, die die Be¬ stimmung hatten, daß darin Wildenten nisteten. Das geschah auch reichlich. Es war noch nicht so weit im Sommer, und wir sahen noch manche Mutter mit ihren fast erwachsenen, aber noch nicht flugfähigen Jun¬ gen auf dem Wasser herumschwimmen. An den Ufern waren an verschiedenen Stellen Futterbrettchen ange¬ bracht. Im Wasser selber bewegte sich eine große Zahl schwerfälliger Karpfen. Alfred zog ein Weißbrot aus seiner Tasche, zerbrach es in kleine Stückchen, warf diese einzeln in das Wasser, und hatte seine Freude daran, wenn die Enten und auch manch ungeschickter Mund eines Karpfen darnach haschten. Es schien, daß er mich dieses Zweckes halber zu dem Teiche ge¬ führt hatte. Als er mit seinem Brote fertig war, gingen wir weiter. Er sagte: „„Wenn du auch den Garten sehen willst, so werde ich dich schon hin¬ führen.““ „„Ja wohl will ich ihn sehen,““ antwortete ich.“ „Er führte mich nun aus dem Gebüsche, wir be¬ gaben uns auf die entgegengesezte Seite des Hauses, dort war ein mit einem Gitter umgebener großer Gar¬ ten, und wir gingen durch das Thor desselben hinein. Blumen Gemüse Zwerg- und Lattenobst empfingen uns. In der Ferne sah ich die größeren und wahr¬ scheinlich sehr edlen Obstbäume stehen. Daß mir der Garten um viel mehr gefiel als der Teich, sagte ich Alfred nicht, er mochte es auch nicht wissen. In sehr schöner Art waren hier die Blumen gepflegt, die man gewöhnlich in Gärten findet. Sie hatten nicht blos ihre ihnen zusagenden Pläze, sondern sie waren auch zu einem sehr schönen Ganzen zusammengestellt. An Gemüsen glaubte ich die besten Arten zu sehen, wie man sie nur immer in den Handlungen der Stadt finden konnte. Zwischen ihnen stand das Zwergobst. Die Gewächshäuser enthielten Blumen aber auch Früchte. Ein sehr langer Gang, welcher mit Wein überwölbt war, führte uns in den Obstgarten. Die Bäume standen in guten Entfernungen, waren gut gehalten, hatten Grasboden unter sich, und es führ¬ ten auch hier wieder Wege von einem zum andern. An seiner rechten Seite war dieser Gartentheil von dichtem Haselnußgebüsche begrenzt. Ein Pfad führte uns durch dasselbe hindurch. Wir trafen jenseits einen freien Plaz, auf welchem ein ziemlich großes Garten¬ haus stand. Es war gemauert hatte hohe Fenster ein Ziegeldach und seine Gestalt war ein Sechseck. Die Außenseite dieses Hauses war ganz mit Rosen über¬ deckt. Es waren Latten an dem Mauerwerke ange¬ bracht, und an diese Latten waren die Rosenzweige gebunden. Sie standen in Erde vor dem Hause, hat¬ ten verschiedene Größe, und waren so gebunden, daß die ganzen Mauern überdeckt waren. Da eben die Zeit der Rosenblüthe war, und diese Rosen auch außerordentlich reich blühten, so war es nicht anders, als stände ein Tempel von Rosen da, und es wären Fenster in dieselben eingesezt. Alle Farben, von dem dunkelsten Roth, gleichsam veilchenblau, durch das Rosenroth und Gelb bis zu dem Weiß waren vor¬ handen. Bis in eine große Entfernung verbreitete sich der Duft. Ich stand lange vor diesem Hause, und Alfred stand neben mir. Außer den Rosen an dem Gartenhause waren auf dem ganzen Plaze Rosen¬ gesträuche und Rosenbäumchen in Beeten zerstreut. Sie waren nach einem sinnvollen Plane geordnet, das zeigte sich gleich bei dem ersten Blicke. Alle Stämmchen trugen Täfelchen mit ihrem Namen.“ „„Das ist der Rosengarten,““ sagte Alfred, „„da sind viele Rosen, es darf aber keine abgepflückt werden.““ „„Wer pflanzt denn diese Rosen, und wer pflegt sie?““ fragte ich.“ „„Der Vater und die Mutter,““ antwortete Alfred, „„und der Gärtner muß ihnen helfen.““ „Ich ging zu allen Rosenbeeten, und ging dann um das ganze Haus herum. Als ich alles betrachtet hatte, gingen wir auch in das Haus hinein. Es war mit Marmor gepflastert, auf dem feine Rohrmatten lagen. In der Mitte stand ein Tisch und an den Wänden Bänkchen, deren Size von Rohr geflochten waren. Eine angenehme Kühle wehte in dem Hause; denn die Fenster, durch welche die Sonne herein schei¬ nen konnte, waren durch gegliederte Balken zu schüzen. Da wir wieder aus dem Innern dieses Gartenhauses getreten waren, besuchten wir noch einmal den Obst¬ garten, und gingen bis an sein Ende. Da wir an das Gartengitter gekommen waren, sagte Alfred: „„Hier ist der Garten zu Ende, und wir müssen wieder um¬ kehren.““ „Das thaten wir auch, wir gingen wieder zu dem Eingangsthore zurück, durchschritten es, begaben uns in das Haus, und ich führte Alfred zu seiner Mutter.“ „Das war das Haus und der Garten in Hein¬ bach, der Besizung des Herrn und der Frau Mak¬ loden.“ „Der erste Tag verging sehr gut, so auch ein zwei¬ ter ein dritter und mehrere. Ich wohnte mich in meine zwei Zimmer ein, und die Stille des Landes that mir in meiner jezigen Gemüthsverfassung sehr wohl. Für den Unterricht Alfreds war in der Art gesorgt, daß der Graf, dessen Meiereien in der Nähe von Heinbach lagen und ein Herr von Heinbach, wie man Maklo¬ den jezt auch nannte, eine Summe stifteten, und dem Lehrer der Gemeinde Heinbach zulegten, unter der Bedingung, daß ein in gewissen Fächern gebildeter Mann stets diese Stelle bekleide, welchen sie in Vor¬ schlag zu bringen das Recht hatten, und der die Ver¬ bindlichkeit übernahm, die Kinder des Hauses Hein¬ bach und die des Verwalters der Meiereien in ihren Wohnungen zu unterrichten, wofür er aber besonders bezahlt wurde. Die Schule und die Kirche Heinbach waren eine kleine halbe Wegstunde von dem Herren¬ hause entfernt. Der Lehrer kam jeden Nachmittag her¬ über, und blieb eine Zeit bei Alfred. Mathilde wurde nur mehr in seltenen Stunden noch von ihm unterrich¬ tet. Für Alfred sollte ich die Art der Lehrstunden ein¬ richten, was ich auch im Übereinkommen mit dem Lehrer, der ein sehr bescheidener und nicht ungebildeter junger Mann war, that. Den Unterricht in gewissen Dingen, jezt vor allem den Sprachunterricht, behielt ich mir vor. So kam die Sache in den Gang, und so ging sie fort.“ „Das Leben in Heinbach war wirklich sehr ein¬ fach. Man stand mit der Morgensonne auf, versam¬ melte sich in dem Speisezimmer zum Frühmahle, dem einiges Gespräch folgte, und ging dann an seine Ge¬ schäfte. Die Kinder mußten ihre Aufgaben machen, von denen Mathilde besonders von der Mutter manche in einigen Zweigen bekam. Der Vater ging in seine Stube, las, schrieb, oder er sah in dem Garten oder in dem kleinen Grundbesize nach, der zu dem Hause gehörte. Ich war theils in meiner Wohnung mit meinen Arbeiten, die ich in der Stadt begonnen hatte, und hier fortsezte, beschäftigt, theils war ich in Alfreds Zimmer, und überwachte und leitete, was er zu thun hatte. Die Mutter stand mir hierin bei, und sie hielt es für ihre Pflicht, noch mehr um Alfred zu sein als ich. Der Mittag versammelte uns wieder in dem Speisezimmer, am Nachmittage waren Lehrstun¬ den, und der Rest des Tages wurde zu Gesprächen zu Spaziergängen zum Aufenthalte im Garten, oder, besonders wenn Regenwetter war, zum gemeinschaft¬ lichen Lesen eines Buches benüzt. Was man im Freien thun konnte, wurde lieber im Freien als in Zimmern abgemacht. Besonders war hiezu der Auf¬ enthalt unter den Linnendächern am Hause geeignet, den die Mutter sehr liebte. Stundenlang war sie mit irgend einer weiblichen Arbeit und die Kinder mit ihrem Schreibzeuge oder mit Büchern auf diesem Plaze beschäftigt. Dies war besonders der Fall, wenn die Vormittagssonne die Luft durchwürzte, und doch noch nicht so viel Kraft hatte, die Mauern zu erhizen und den Aufenthalt an ihnen zu verleiden. Auch wurden die manigfaltigen Bänkchen auf dem Rasenplaze, vor welche man Tischchen stellte, und das Innere des Ro¬ senhauses benüzt. Zuweilen wurden größere Spazier¬ gänge verabredet. An solchen Tagen waren keine Lehr¬ stunden, man bestimmte die Zeit, in welcher fortge¬ gangen werden sollte, alle mußten gerüstet sein, und mit dem betreffenden Glockenschlage wurde aufgebro¬ chen. Wir besuchten zuweilen einen Berg einen Wald, oder gingen durch schöne ansprechende Gründe. Man¬ ches Mal war es auch eine Ortschaft, in welche wir uns begaben. Um das Haus lagen in geringen Ent¬ fernungen Besizthümer von Familien, mit denen die Bewohner von Heinbach Umgang pflegten. Öfter fuhr ein Wagen vor unserem Hause vor, öfter fuhr der unsere in die Nachbarschaft. Die Kinder mischten sich zur Geselligkeit, und ältere traten zusammen. Die Mutter Alfreds sah es gerne, wie sie mir sagte, wenn eine Freundin Mathildens bei ihr durch längere Zeit verweilte, sie aber konnte sich nie entschließen, ihre Tochter zu anderen Leuten auf Besuch zu geben. Sie Stifter , Nachsommer. III . 18 wollte nicht getrennt sein. Auch, meinte sie, würde sich Mathilde fern von ihr nicht wohl fühlen. Von Künsten wurde bei wechselseitigen Besuchen vorzüg¬ lich die Musik geübt. Es war der Gesang, der ge¬ pflegt wurde, das Clavier, und zu vierstimmigen Dar¬ stellungen die Geigen. Der Vater Alfreds schien mir ein Meister auf der Geige zu sein. Wir hörten solchen Vorstellungen zu. Wir Unbeschäftigten sahen aber auch sehr gerne zu, wenn die Kinder auf dem Rasenplaze hüpften, und sich in ihren Spielen ergözten. Bei alle dem besorgte die Mutter Alfreds aber auch ihr aus¬ gedehntes Hauswesen. Sie gab den Dienern und Mägden hervor, was das Haus brauchte, sorgte für die richtige und zweckmäßige Verwendung, leitete die Einkäufe, und ordnete die Arbeiten an. Die Beklei¬ dung des Herrn der Frau und der Kinder war sehr ausgezeichnet aber auch sehr einfach und wohlbildend. Nach dem Abendessen saß man oft noch eine geraume Weile in Gesprächen bei dem Tische, und dann suchte jedes sein Zimmer.“ „So war eine Zeit vergangen, und so kam nach und nach der Herbst. Ich lebte mich immer mehr in das Haus ein, und fühlte mich mit jedem Tage woh¬ ler. Man behandelte mich sehr gütig. Was ich be¬ durfte, war immer da, ehe das Bedürfniß sich noch klar dargestellt hatte. Aber auch nicht blos das wurde hergestellt, was ich bedurfte, sondern auch das, was zum Schmucke des Lebens geeignet ist. Blumen, die ich liebte, wurden in Töpfen in meine Zimmer gestellt, ein Buch ein neues Zeichnungsgeräthe fand sich von Zeit zu Zeit ein, und da ich einmal auf mehrere Tage abwesend war, sah ich bei meiner Rückkehr meine Wohnung mit Farben bekleidet, die ich einmal bei einem Besuche in einem Nachbarschlosse sehr gelobt hatte. Bei Spaziergängen gesellte sich der Vater Al¬ freds gerne zu mir, wir gingen abgesondert von den andern, und führten Gespräche, die mir in dem, was er sagte, sehr inhaltreich schienen. Ebenso war die Mutter Alfreds nicht ungeneigt, sich mit mir zu be¬ sprechen. Wenn ich in Alfreds Zimmer war, das an das ihrige grenzte, kam sie gerne herein, und sprach mit mir, oder sie ließ mich in ihr Zimmer treten, wies mir einen Siz an, und redete mit mir. Ich hatte ihr nach und nach alle meine Familienverhältnisse erzählt, sie hatte theilnehmend zugehört, und hatte manches Wort gesprochen, das höchst wohlthätig in meine Seele ging. Alfred war mir gleich in den ersten Ta¬ gen zugethan, und diese Neigung wuchs. Sein Wesen 18 * war nicht verbildet. Er war körperlich sehr gesund, und dies wirkte auch auf seinen Geist, der nebstdem überall von den Seinigen mit Maß und Ruhe um¬ geben war. Er lernte sehr genau, und lernte leicht und gut, er war folgsam und wahrhaftig. Ich wurde ihm bald zugeneigt. Noch ehe der Winter kam, ver¬ langte er, daß er nicht mehr neben der Mutter sondern neben mir wohnen solle, er sei ja kein so kleiner Knabe mehr, daß er die Mutter immer brauche, und er müsse nun bald neben den Männern sein. Man willfahrte ihm auf meine Bitte, er bekam ein Zimmer neben mir, und der Diener, der bis jezt nebst andern meine Auf¬ träge zu besorgen gehabt hatte, wurde uns gemein¬ schaftlich beigegeben. Sein Körper entwickelte sich auch ziemlich regsam, er war in dem Sommer gewach¬ sen, sein Haupt war regelmäßiger und sein Blick war stärker geworden.“ „So endete der Herbst, und als bereits die Reife an jedem Morgen auf den Wiesen lagen, zogen wir in die Stadt. Hier änderte sich manches. Alfred und ich wohnten wohl wieder neben einander; aber statt des Himmels und der Berge und der grünen Bäume sahen Häuser und Mauern in unsere Fenster herein. Ich war es von früherem Stadtleben gewohnt, und Alfred achtete wenig darauf. Es wurden mehr Lehrer in mehr Fächern genommen, und die Lehrstunden wa¬ ren gedrängter als auf dem Lande. Auch kamen wir mit viel mehr Menschen in Berührung und die Ein¬ wirkungen vervielfältigten sich. Aber auch hier wurde ich nicht minder gut behandelt als auf dem Lande. Ich wurde nach und nach zur Familie gerechnet, und alles, was überhaupt der Familie gemeinschaftlich zukam, wurde auch mir zugetheilt. Die Mutter Alfreds sorgte für meine häuslichen Angelegenheiten, und nur die Anschaffung von Kleidern Büchern und dergleichen war meine Sache.“ „Als kaum die ersten Frühlingslüfte kamen, gin¬ gen wir wieder nach Heinbach. Mathilde Alfred und ich sassen in einem Wagen, der Vater und die Mutter in einem anderen. Alfred wollte nicht von mir ge¬ trennt sein, er wollte neben mir sizen. Man mußte es daher so einrichten, daß Mathilde uns gegenüber saß. Sie war, als ich das Haus betreten hatte, noch nicht völlig vierzehn Jahre alt. Jezt ging sie gegen fünfzehn. Sie war in dem vergangenen Jahre bedeu¬ tend gewachsen, so daß sie wohl so groß war, wie ein vollendetes Mädchen. Ihr Körper war äußerst schlank, aber sehr gefällig gebildet. Man kleidete sie gerne in dunkle Stoffe, die ihr wohl standen. Wenn sie in dem tiefen Blau oder in dem Nelkenbraun oder in der Farbe des Veilchens ging, und das schöne Weiß das Kleid oben säumte, so wurde eine Anmuth sichtbar, die gleichsam sagte, daß alles sei, wie es sein muß. Ihre Wangen waren sehr frisch, sanft roth, und wur¬ den jezt ein wenig länglich, ihr Mund war fast rosen¬ roth, die großen Augen waren sehr glänzend schwarz, und die reinen braunen Haare gingen von der sanften Stirne zurück. Die Mutter liebte sie sehr, sie ließ sie fast gar nicht von sich, sprach mit ihr, ging mit ihr spazieren, unterrichtete sie auf dem Lande selber, und wohnte in der Stadt jeder Unterrichtsstunde bei, die ein fremder Lehrer ertheilte. Nur mit mir und Alfred ließ sie sie im vergangenen Sommer oft im Garten auf dem Rasenplaze ja sogar in der Gegend herum gehen. Da ging ich mit beiden Kindern, fragte sie, erzählte ihnen, ließ mich selber fragen, und ließ mir erzählen. Alfred hielt mich größtentheils an der Hand, oder suchte sich überhaupt irgendwie an mich anzu¬ hängen, sei es selbst mit einem Hakenstäbchen, das er sich von irgend einem Busche geschnitten hatte. Mathilde wandelte neben uns. Ich hatte nur den Auftrag, zu sorgen, daß sie keine heftigen Bewegun¬ gen mache, welche an sich für ein Mädchen nicht an¬ ständig sind, und ihrer Gesundheit schaden könnten, und daß sie nicht in sumpfige oder unreine Gegenden komme, und sich ihre Schuhe oder ihre Kleider be¬ schmuze; denn man hielt sie sehr rein. Ihre Kleider mußten immer ohne Makel sein, ihre Zähne ihre Hände mußten sehr rein sein, und ihr Haupt und ihre Haare wurden täglich so vortrefflich geordnet, daß kein Tadel entstehen konnte. Ich zeigte den Kin¬ dern die Berge, die zu sehen waren, und nannte sie, ich lehrte sie die Bäume die Gesträuche und selbst manche Wiesenpflanzen kennen, ich las ihnen Stein¬ chen Schneckenhäuschen Muscheln auf, und erzählte ihnen von dem Haushalte der Thiere, selbst solcher, die groß und mächtig sind, und in entfernten Wäl¬ dern oder gar in Wüsten wohnen. Alfred liebte das Walten und das Thun der Vögel sehr, besonders ihren Gesang. Er freute sich, aus dem Fluge einen Vogel zu errathen, und wenn die Stimmen in dem Gebüsche oder im Walde ertönten, konnte er alle die Sänger herzählen, von denen sie strömten. Er lehrte dies ein wenig auch Mathilden, und fragte sie bei manchem Laute, woher er rühre. Ich hatte die Vor¬ schriften der Mutter nie überschritten, und Mathilde gewann an Schönheit des Aussehens und an Gesund¬ heit durch diese Spaziergänge. So wie die Mutter im Sommer und Herbste sie mit uns hatte herum gehen lassen, so ließ sie sie jezt mit uns fahren. Sie saß zwei Tage uns gegenüber. Es war am Morgen und Abende noch ziemlich kühl. Ich hatte einen Man¬ tel, und Alfred war in einen warmen Überrock ge¬ knöpft. Mathilde hatte über ihr dunkles Wollkleid, aus dem nicht einmal die Spizen ihrer Schuhe her¬ vorsahen, ein Mäntelchen, das ihren ganzen Ober¬ körper bis an das Kinn verhüllte, auf dem Haupte hatte sie einen warmen wohlgefütterten Hut, dessen weite Flügel sich wohl anschmiegten, so daß nichts, als beinahe nur die Wangen, welche in der Märzluft noch röther geworden waren, und die glänzenden Au¬ gen hervorsahen. Wir beredeten, was wir in dem nächsten Sommer vornehmen wollten. Der Haupt¬ inhalt unserer Gespräche aber war, daß alles, was uns auf unserem Wege oder in dessen Nähe begegnete, bemerkt wurde, daß wir es nannten, und darüber sprachen. So kamen wir endlich bei heiterem und kla¬ rem Märzwetter in Heinbach an. Die Bäume vor den Fenstern hatten noch kein Laub, der Garten war öde, und die Felder waren noch nicht grün, außer dort, wo sie die Wintersaaten trugen.“ „Obwohl es draußen sehr unwirthlich war, wenn man den äußerst freundlichen blauen Himmel abrech¬ net, so war es in dem Hause sehr heimisch. Alles war auf das Reinlichste gepuzt und zu dem Empfange der Bewohner hergerichtet. Die Zimmer glänzten, die Fenster spiegelten, durch die Vorhänge schien eine helle Märzsonne herein, und in den Kaminen brannte ein behagliches Feuer. Meine zwei Gemächer waren um ein sehr liebliches Eckzimmerchen vermehrt wor¬ den, und man hatte mir schönere und bequemere Ge¬ räthe in meine Wohnung gestellt. Ich traf jezt die Veranstaltung, daß die Thür von meiner Wohnung in Alfreds Zimmer immer offen war, daß beide Woh¬ nungen eine bildeten, und daß ich gleichsam neben einem jüngeren Bruder lebte. Hatte ich eine Arbeit vor, bei der eine Störung hindernd gewesen wäre, so ging ich in mein Eckzimmer.“ „Das Leben in dem Landhause begann jezt wieder wie in dem vorigen Sommer. Wenn auch noch kein Laub auf den Bäumen war, wenn sich das Grün der Wiesen noch dürftig zeigte, und auf den Feldern für die Sommerfrucht noch die nackte Scholle lag, so gin¬ gen wir doch schon vielfach spazieren. Alfred und ich gingen täglich, selbst wenn trübes Wetter war, nur nicht, wenn heftiger Regen von dem Himmel strömte. Wenn nach einem klaren Morgen, an dem wir noch die Erde und die Dächer weiß gesehen hatten, ein hei¬ terer Tag kam, und die Wege trocken waren, ging Mathilde mit uns, und wir führten sie auf Anhöhen oder Felder, wo wir kurz vorher die schönsten Triller der Lerchen gehört hatten. Diese Sänger waren die einzigen, die mit uns schon die Gegend bevölkerten.“ „Nach und nach wurde das Weiß auf Feld und Wiesen seltener, die Sonne schien kräftiger, das Feuer in den Kaminen war nicht mehr nöthig, die Wiesen gewannen Grün die Bäume Knospen, und an den Zweigen der Lattenpfirsiche im Garten erschienen ein¬ zelne Blüthen. Die Sänger der Luft erschienen in verschiedenen Gestalten und Farben. Wenn ich irgend¬ wo Veilchen oder andere Frühlingsblumen fand, welche Mathilde nicht mit uns hatte pflücken können, so brachte ich sie ihr in einem Strauße für das Blu¬ menglas ihres Tischchens nach Hause. Als Dank für solche Aufmerksamkeiten erhielt ich zu meinem Ge¬ burtsfeste, welches in die ersten Tage des Frühlings fiel, von ihrer Hand gestickt ein rundes Deckchen, wor¬ auf ein silberner Handleuchter, den mir Mathildens Mutter gab, zu stehen bestimmt war.“ „Der Frühling war endlich mit voller Pracht ge¬ kommen. Im vergangenen Jahre hatte ich ihn in dieser Gegend nicht gesehen, weil ich erst später ange¬ langt war. Überhaupt hatte ich meines längern Stadt¬ lebens willen schon lange nicht einen vollkommenen Frühling in der Tiefe des Landes erblickt. Nur an der Grenze des Landes, das heißt, wo es an die Stadt reicht, hatte ich den einen oder andern Früh¬ lingstag zugebracht, oder irgend einen Sonnenblick erlauscht. Das theilt man aber mit vielen, die aus der Stadt hinaus kommen, und muß es im Gedränge und Staube genießen. In Heinbach war Einsamkeit und Stille, die blaue Luft schien unermeßlich, und die Blüthenfülle wollte die Bäume erdrücken. Jeden Morgen strömte neue Würze durch die geöffneten Fen¬ ster. Man fühlte in Heinbach, wie sehr mich Unge¬ wohnten dieser Reichthum überrasche und freue, und man suchte mir diese Freude auf jede Weise noch fühl¬ barer zu machen und sie zu erhöhen. Jeden Tag wurden die Blumen in meiner Wohnung durch neu aufgeblühte aus den Gewächshäusern ersezt. Wenn in dem freien Grunde sich etwas zeigte, sei es ein Ge¬ sträuch, sei es eine Blume, so machte man mich darauf aufmerksam, man brachte den größten Theil der Zeit im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere Spaziergänge als sonst. Mathilde erzählte mir es, wenn sie den Gesang eines Vogels gehört hatte, wenn Faltern vorüber geflogen waren, wenn sich ein Becher in einem Gebüsche geöffnet hatte, ja sie gab mir zu¬ weilen Blumen, um sie in meiner Wohnung aufzu¬ bewahren.“ „So verging der Frühling, und der Sommer rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre in dieser Familie angenehm gewesen, so war es mir in diesem noch angenehmer. Wir gewöhnten uns im¬ mer mehr an einander, und mir war zuweilen, als hätte ich wieder eine unzerstörbare Heimath. Der Herr des Hauses zeichnete mich aus, er besuchte mich oft in meiner Wohnung, und sprach lange mit mir, er lud mich zu sich, zeigte mir seine Sammlungen, seine Arbeiten, und sprach über Gegenstände, die be¬ wiesen, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter war sehr liebreich freundlich und gütig. Sie sorgte wie früher für mich; aber sie that es einfacher, und fast wie ein Ding, das sich von selber verstehe. Wir waren oft alle in ihrem Zimmer, und spielten ein kin¬ disches Spiel, oder trieben Musik. Alfred hatte gleich Anfangs schon viel Zutrauen zu mir gezeigt, dieses Zutrauen war immer gewachsen, und war dann un¬ bedingt geworden. Er war ein vortrefflicher Knabe, offen klar einfach gutmüthig lebendig, ohne doch einem heftigen Zorne anheimzufallen, heiter unschul¬ dig und folgsam. Er war jezt gegen neun Jahre alt, entwickelte sich stets fröhlicher, und gewann am Geiste sowie am Körper. Mathilde wurde immer herr¬ licher, sie war zulezt feiner als die Rosen an dem Gar¬ tenhause, zu denen wir sehr gerne gingen. Ich liebte beide Kinder unsäglich. Wenn Alfred Unterrichts¬ stunde hatte, war ich dabei, und leitete, und über¬ wachte sie, ich überwachte sein Lernen, und fragte ihn immer um das Gelernte, damit er sich bei dem Lehrer keine Blöße gebe. Die Gegenstände, die ich mit ihm vornahm, vermehrte ich ansehnlich, ich suchte sie ihm recht gut beizubringen, und er lernte sie auch besser als früher bei andern Lehrern. Vater und Mut¬ ter waren oft bei dem Unterrichte zugegen, und über¬ zeugten sich von den Fortschritten. Mathilde nahm ich nicht nur sehr gerne, sondern viel lieber als früher zu unsern Spaziergängen mit. Ich sprach mit ihr, ich erzählte ihr, ich zeigte ihr Gegenstände, die an unserm Wege waren, hörte ihre Fragen ihre Erzählungen, und beantwortete sie. Bei rauhen Wegen oder wo Nässe zu befürchten war, zeigte ich ihr die besseren Stel¬ len oder die Richtungen, auf denen man trockenen Fußes gehen konnte. Zu Hause nahm ich an ihren Bestrebungen Antheil. Ich sah öfter ihre Zeichnun¬ gen an, und gab ihr einen Rath, den sie sehr gerne verlangte, und befolgte. Sie freute sich sehr, wenn das Veränderte dann viel besser aussah. Ich war dabei, wenn sie auf dem Claviere spielte, und hörte zu, so lange ihre Finger aus den Saiten die Töne hervor zu locken suchten. Ich schrieb ihr in Hefte sehr zierlich ab, wenn sie irgendwo einen Gesang hörte, und sich denselben aus dem Gedächtnisse in Musik¬ noten aufschrieb. Dies war besonders in Hinsicht der Zither der Fall, die sie spielen zu lernen angefan¬ gen hatte, die sie sehr liebte, und auf der sie bedeu¬ tende Fortschritte machte. Oft hörte die Mutter Ma¬ thildens mit Aufmerksamkeit zu, wenn sie anmuthige Weisen aus den Metallsaiten hervorbrachte, und ich und Alfred regten uns nicht, und lauschten. Ich las ihr und der Mutter aus ihren Büchern vor, und bezeichnete schöne Stellen durch eingelegte Zeichen. Auch Blumen Waldfrüchte und dergleichen brachte ich ihr, wenn ich dachte, daß sie ihr Freude machen könnten.“ „Der Sommer war beinahe vergangen, und der Herbst stand bevor. Wir hatten so viel gethan, daß uns die Zeit sehr kurz schien. Wir waren uns auch genug, um unsere Stunden zu erfüllen. Wenn fremde Kinder zugegen waren, wenn Spiele veranstaltet wa¬ ren, und alle auf dem heiteren Rasen hüpften, und sprangen, stand Mathilde seitwärts, und sah theil¬ nahmlos zu. Wir fuhren auch nicht so oft in die Nachbarschaft wie im vergangenen Jahre, und ver¬ langten es auch nicht.“ „Eines Tages nachmittags standen wir drei an dem Ausgange des langen Laubenweges, der mit Re¬ ben bekleidet ist, und zu dem Obstgarten führt. Ma¬ thilde und ich standen ganz allein an der Mündung des Laubganges, Alfred war unter den Bäumen damit beschäftigt gewesen, einige Täfelchen, die an den Stämmen hingen, und schmuzig geworden waren, zu reinigen, dann las er abgefallenes halbreifes Obst zusammen, legte es in Häufchen, und sonderte das bessere von dem schlechteren ab. Ich sagte zu Mathil¬ den, daß der Sommer nun bald zu Ende sei, daß die Tage mit immer größerer Schnelligkeit kürzer werden, daß bald die Abende kühl sein würden, daß dann dieses Laub sich gelb färben, daß man die Trau¬ ben ablesen, und endlich in die Stadt zurückkehren würde.“ „Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die Stadt gehe.“ „Ich sagte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier gar so schön sei, und daß es mir vorkomme, in der Stadt werde alles anders werden.“ „„Es ist wirklich sehr schön,““ antwortete sie, „„hier sind wir alle viel mehr beisammen, in der Stadt kom¬ men Fremde dazwischen, man wird getrennt, und es ist, als wäre man in eine andere Ortschaft gereist. Es ist doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.““ „„Ich habe keinen Vater keine Mutter und keine Geschwister mehr,““ erwiederte ich, „„und ich weiß da¬ her nicht wie es ist.““ „„Man liebt den Vater die Mutter die Geschwi¬ ster,““ sagte sie, „„und andere Leute.““ „„Mathilde, liebst du denn auch mich?““ erwie¬ derte ich.“ „Ich hatte sie nie du genannt, ich wußte auch nicht, wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als wären sie mir durch eine fremde Macht hineingelegt worden. Kaum hatte ich sie gesagt, so rief sie: „„Gu¬ stav, Gustav, so außerordentlich, wie es gar nicht auszusprechen ist.““ „Mir brachen die heftigsten Thränen hervor.“ „Da flog sie auf mich zu, drückte die sanften Lip¬ pen auf meinen Mund, und schlang die jungen Arme um meinen Nacken. Ich umfaßte sie auch, und drückte die schlanke Gestalt so heftig an mich, daß ich meinte, sie nicht loslassen zu können. Sie zitterte in meinen Armen, und seufzte.“ „Von jezt an war mir in der ganzen Welt nichts theurer, als dieses süsse Kind.“ „Als wir uns losgelassen hatten, als sie vor mir stand erglühend in unsäglicher Scham, gestreift von den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als sich, da sie den süssen Athem zog, ihr Busen hob und senkte: war ich wie bezaubert, kein Kind stand mehr vor mir sondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehr¬ furcht schuldig war. Ich fühlte mich beklommen.“ „Nach einer Weile sagte ich: „„Theure, theure Mathilde.““ „„Mein theurer, theurer Gustav,““ antwortete sie.“ „Ich reichte ihr die Hand, und sagte: „„Auf im¬ mer Mathilde.““ Stifter , Nachsommer. III . 19 „„Auf ewig,““ antwortete sie, indem sie meine Hand faßte.“ „In diesem Augenblicke kam Alfred auf uns herzu. Er bemerkte nichts. Wir gingen schweigend neben ihm in dem Gange dahin. Er erzählte uns, daß die Namen der Bäume, die auf weiße Blechtäfelchen ge¬ schrieben sind, welche Täfelchen an Draht von dem untersten Aste jedes Baumes hernieder hängen, von den Leuten oft sehr verunreinigt würden, daß man sie alle puzen solle, und daß der Vater den Befehl erlassen sollte, daß ein jeder, der einen Baum wäscht, puzt oder dergleichen, oder der sonst eine Arbeit bei ihm verrichtet, sich sehr in Acht zu nehmen habe, daß er das Täfelchen nicht besprizt oder sonst eine Unreinig¬ keit darauf bringt. Dann erzählte er uns, daß er schöne Borsdorfer Äpfel gefunden habe, welche durch einen Insektenstich zu einer früheren beinahe vollkom¬ menen Reife gediehen seien. Er habe sie am Stamme des Baumes zusammengelegt, und werde den Vater bitten, sie zu untersuchen, ob man sie nicht doch brau¬ chen könne. Dann seien viele andere, welche vor der Zeit abfielen, weil die Bäume heuer mit zu viel Obst beladen wären, und ihre Kraft nicht genug ist, alle zur Reife zu bringen. Diese habe er auch zusammen¬ gelegt, so viele er in der ersten Baumreihe habe fin¬ den können. Sie werden wohl zu gar nichts tauglich sein. Er freue sich schon sehr auf den Herbst, wo man alles das herabnehmen werde, und wo auch die schö¬ nen rothen blauen und goldgrünen Trauben von die¬ sem Ganggeländer heruntergelesen werden würden. Es sei gar nicht mehr lange bis dahin.“ „Wir sprachen nicht, und gingen einige Male in dem Gange mit ihm hin und wider.“ „Die große Erregung hatte sich ein wenig gelegt, und wir gingen in das Haus. Ich ging aber nicht mit Mathilden zu ihrer Mutter, wie ich sonst immer gethan hatte, sondern nachdem ich Alfred in sein Zim¬ mer geschickt hatte, schweifte ich durch die Büsche her¬ um, und ging immer wieder auf den Plaz, von wel¬ chem ich die Fenster sehen konnte, innerhalb welcher die theuerste aller Gestalten verweilte. Ich meinte, ich müsse sie durch mein Sehnen zu mir herausziehen können. Es war erst ein Augenblick, seit wir uns getrennt hatten, und mir erschien es so lange. Ich glaubte, ohne sie nicht bestehen zu können, ich glaubte, jede Zeit sei ein verlornes Gut, in welcher ich das holde schlanke Mädchen nicht an mein Herz drückte. Ich hatte früher nie irgend ein Mädchen bei der Hand 19 * gefaßt als meine Schwester, ich hatte nie mit einem ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick gewechselt. Dieses Gefühl war jezt wie ein Sturm¬ wind über mich gekommen. Ich glaubte sie durch die Mauern in ihrem Zimmer gehen sehen zu müssen mit dem langen kornblumenblauen Kleide mit den glanz¬ vollen Augen und dem rosenherrlichen Munde. Es bewegte sich der Fenstervorhang; aber sie war nicht an demselben, es schimmerte an dem Glase wie von einem rosigen Angesichte; aber es war nur ein schiefes Hereinleuchten der beginnenden Abendröthe gewesen. Ich ging wieder durch die Büsche, ich ging durch den Weinlaubengang in den Obstgarten, der Weinlauben¬ gang war mir jezt ein fremdwichtiges Ding, wie ein Pallast aus dem fernsten Morgenlande. Ich ging durch das Haselnußgebüsch zu dem Rosenhause, es war als blühten und glühten alle Rosen um das Haus, ob¬ wohl nur die grünen Blätter und die Ranken um dasselbe waren. Ich ging wieder zu unserem Wohn¬ hause zurück, und ging auf den Plaz, von dem ich Ma¬ thildens Fenster sehen mußte. Sie beugte sich aus einem heraus, und suchte mit den Augen. Als sie mich erblickt hatte, fuhr sie zurück. Auch mir war es gewesen, da ich die holde Gestalt sah, als hätte mich ein Wetterstrahl getroffen. Ich ging wieder in die Büsche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine Strecke Rasen säumten, und in ihrer Mitte eine Bank hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieser Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich wieder auf ein Fleckchen Rasen, und sah gegen die Fenster. Sie beugte sich wieder heraus. Dies thaten wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth der Abendröthe schwamm, und die Fenster wie Rubi¬ nen glänzten. Es war zauberhaft, ein süsses Geheim¬ niß mit einander zu haben, sich seiner bewußt zu sein, und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es entzückt in meine Wohnung.“ „Als wir zum Abendessen zusammen kamen, fragte mich Mathildens Mutter: „„Warum seid ihr denn heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬ gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?““ „Ich vermochte auf diese Frage nicht ein Wort zu antworten; es wurde aber nicht beachtet.“ „Ich schlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬ genblicke. Ich freute mich schon auf den Morgen, an dem ich sie wieder sehen würde. Wir trafen alle in dem Speisesaale zu dem Frühmahle zusammen. Ein Blick ein leichtes Erröthen sagte alles, sie sagten, daß wir uns besaßen, und daß wir es wußten. Den gan¬ zen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen zu. Gegen Mittag, als Gräser und Laubblätter ge¬ trocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde flog mit einem Buche, in dem sie eben gelesen hatte, aus dem Hause, sie eilte auf uns zu, und wir tauschten den Blick der Einigung. Sie sah mich innig an, und ich fühlte, wie meine Empfindung aus meinen Augen strömte. Wir gingen durch den Blu¬ mengarten und durch den Gemüsegarten auf den Wein¬ laubengang zu. Es war, als hätten wir uns verab¬ redet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich sprachen gewöhnliche Dinge, und in den gewöhnlichen Dingen lag ein Sinn, den wir verstanden. Sie gab mir ein Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem Herzen. Ich reichte ihr ein Blümchen, und sie steckte das Blümchen in ihren Busen. Ich nahm ihr das Papierstreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche steckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder haben, ich gab es nicht, und sie lächelte, und ließ es mir. Wir kamen in das Haselgebüsch, durchstreiften es, und traten vor die Rosen des Gartenhauses. Sie nahm einige welke Blätter ab, und reinigte dadurch den Zweig. Ich that das nehmliche mit dem Nachbar¬ zweige. Sie gab mir ein grünes Rosenblatt, ich knickte einen zarten Zweig, was eigentlich nicht erlaubt war, und gab ihr den Zweig. Sie wendete sich einen Au¬ genblick ab, und da sie sich wieder uns zugewandt, hatte sie den Rosenzweig bei sich verborgen. Wir gin¬ gen in das Gartenhaus, sie stand an dem Tische, und stüzte sich mit ihrer Hand auf die Platte desselben. Ich legte meine Hand auch auf die Platte, und nach einigen Augenblicken hatten sich unsere Finger berührt. Sie stand wie eine feurige Flamme da, und mein gan¬ zes Wesen zitterte. Im vorigen Sommer hatte ich ihr oft die Hand gereicht, um ihr über eine schwierige Stelle zu helfen, um sie auf einem schwanken Stege zu stüzen, oder sie auf schmalem Pfade zu geleiten. Jezt fürchteten wir, uns die Hände zu geben, und die Berührung war von der größten Wirkung. Es ist nicht zu sagen, woher es kommt, daß vor einem Herzen die Erde der Himmel die Sterne die Sonne das ganze Weltall verschwindet, und vor dem Herzen eines Wesens, das nur ein Mädchen ist, und das andere noch ein Kind heißen. Aber sie war wie der Stengel einer himmlischen Lilie zaubervoll anmuths¬ voll unbegreiflich.“ „Wir gingen wieder in das Haus, und wir gin¬ gen, ehe wir zu dem Mittagessen gerufen wurden, zu der Mutter. Bei der Mutter waren wir stiller und wortarmer als gewöhnlich. Mathilde suchte sich ein Papierstreifchen, und legte es wieder an jener Stelle in das Buch, wo ich ihr das Merkzeichen herausge¬ nommen hatte. Dann sezte sie sich zu dem Claviere, und rief einzelne Töne aus den Saiten. Alfred er¬ zählte, was wir in dem Garten gethan hatten, und berichtete der Mutter, daß wir verdorrte und un¬ brauchbare Blätter von den Rosenzweigen, die an den Latten des Gartenhauses angebunden sind, herabge¬ nommen hätten. Hierauf wurden wir zu dem Mit¬ tagessen gerufen. Nachmittag war kein Spaziergang. Die Eltern gingen nicht, und ich schlug Alfred und Mathilden keinen vor. Ich nahm ein Buch eines Lieblingsdichters, las sehr lange, und feurige Thränen wie heiße Tropfen kamen öfter in meine Augen. Spä¬ ter saß ich auf der Bank in dem Fliedergebüsche, und schaute zuweilen durch die Zweige auf die Wohnung Mathildens. Dort stand manches Mal das Mäd¬ chen, das so schön wie ein Engel war, an dem Fenster. Gegen den Abend spielte Mathilde in dem Zimmer der Mutter auf dem Claviere sehr ernst sehr schön und sehr ergreifend. Dann nahm sie noch die Zither, und spielte auf derselben ebenfalls. Die Saiten mußten sie so ergriffen haben, daß sie nicht aufhören konnte. Sie spielte immer fort, und die Töne wurden immer rührender, und ihre Verbindung immer natürlicher. Die Mutter lobte sie sehr. Der Vater, welcher in einem Geschäfte in der nächsten kleinen Stadt gewesen war, kam endlich auch zur Mutter, und wir blieben in dem Zimmer derselben, bis wir zu dem Abendessen gerufen wurden. Der Vater nahm Mathilden an den Arm, und führte sie zärtlich in den Speisesaal.“ „Es begann nun eine merkwürdige Zeit. In mei¬ nem und Mathildens Leben war ein Wendepunkt ein¬ getreten. Wir hatten uns nicht verabredet, daß wir unsere Gefühle geheim halten wollen; dennoch hiel¬ ten wir sie geheim, wir hielten sie geheim vor dem Vater vor der Mutter vor Alfred und vor allen Men¬ schen. Nur in Zeichen, die sich von selber gaben, und in Worten, die nur uns verständlich waren, und die wie von selber auf die Lippen kamen, machten sie wir uns gegenseitig kund. Tausend Fäden fanden sich, an denen unsere Seelen zu einander hin und her gehen konnten, und wenn wir in dem Besize von die¬ sen tausend Fäden waren, so fanden sich wieder tau¬ send, und mehrten sich immer. Die Lüfte die Gräser die späten Blumen der Herbstwiese die Früchte der Ruf der Vögel die Worte eines Buches der Klang der Saiten selbst das Schweigen waren unsere Boten. Und je tiefer sich das Gefühl verbergen mußte, desto gewaltiger war es, desto drängender loderte es in dem Innern. Auf Spaziergänge gingen wir drei Mathilde Alfred und ich jezt weniger als sonst, es war, als scheuten wir uns vor der Anregung. Die Mutter reichte oft den Sommerhut, und munterte auf. Das war dann ein großes ein namenloses Glück. Die ganze Welt schwamm vor den Blicken, wir gin¬ gen Seite an Seite, unsere Seelen waren verbun¬ den, der Himmel die Wolken die Berge lächelten uns an, unsere Worte konnten wir hören, und wenn wir nicht sprachen, so konnten wir unsere Tritte ver¬ nehmen, und wenn auch das nicht war, oder wenn wir stille standen, so wußten wir, daß wir uns be¬ saßen, der Besiz war ein unermeßlicher, und wenn wir nach Hause kamen, war es, als sei er noch um ein Unsägliches vermehrt worden. Wenn wir in dem Hause waren, so wurde ein Buch gereicht, in dem unsere Gefühle standen, und das Andere erkannte die Gefühle, oder es wurden sprechende Musiktöne hervorgesucht, oder es wurden Blumen in den Fen¬ stern zusammengestellt, welche von unserer Vergan¬ genheit redeten, die so kurz und doch so lang war. Wenn wir durch den Garten gingen, wenn Alfred um einen Busch bog, wenn er in dem Gange des Weinlaubes vor uns lief, wenn er früher aus dem Haselgebüsche war als wir, wenn er uns in dem In¬ nern des Gartenhauses allein ließ, konnten wir uns mit den Fingern berühren, konnten uns die Hand reichen, oder konnten gar Herz an Herz fliegen, uns einen Augenblick halten, die heißen Lippen an einan¬ der drücken, und die Worte stammeln: „„Mathilde, dein auf immer und auf ewig, nur dein allein, und nur dein nur dein allein!““ „„O ewig dein, ewig, ewig, Gustav, dein, nur dein, und nur dein allein.““ „Diese Augenblicke waren die allerglückseligsten.“ „So war der tiefe Herbst gekommen. Wir hatten in dem Reste des Sommers ein Äußeres nicht ver¬ mißt. Mathilde und Alfred hatten immer weniger verlangt, in die Nachbarschaft zu fahren, und so war es gekommen, daß auch die Eltern weniger fuhren, und daß auch Fremde weniger zu uns kamen. Wenn sie aber da waren, wenn auch Alfred an den Spielen und Ergözungen der Kinder Theil nahm, so war Mathilde doch theilnahmloser als je. Sie hielt sich ferne, wie eine, die nicht hieher gehört. Auch in ihrem körperlichen Wesen war in dieser kurzen Zeit eine große Veränderung vorgegangen. Sie war stärker gewor¬ den, ihre Wangen waren purpurner ihre Augen glän¬ zender geworden. Alfred liebte mich sehr. Neben seinen Eltern und seiner Schwester liebte er vielleicht nichts so sehr als mich, und ich vergalt es ihm mit ganzer Seele.“ „Der späte Herbst war endlich dem Beginne des Winters gewichen. Wie wir sehr früh von der Stadt auf das Land gingen, so blieben wir auch sehr tief in die sinkende Jahreszeit hinein auf demselben. Alfreds Erwartung war in Erfüllung gegangen. Das Obst und die Trauben waren abgenommen worden. Auf den Zweigen der Bäume war kein Blatt mehr, und der Nebel und der Frost zogen sich durch die Gründe des Thales. Da gingen wir in die Stadt. Dort war Mathilde enger umgrenzt. Lehrer Erziehungsstunden Unterricht Arbeiten drängten sich an sie heran. Ihr ganzes Wesen aber war begeisterter und getragener, und ich erschien mir reich, um vieles reicher als die Besizer all der Häuser der Palläste und des Glanzes der ungeheuren Stadt. Wir konnten uns nur seltener sprechen; aber wenn sie mir auf dem Gange begeg¬ nete, wenn sie mir in dem Zimmer der Mutter einige Worte sagen konnte, wenn in der Menge das Geschick uns an einander vorüberführte, oder wenn uns ein anderer günstiger Augenblick gegeben war: dann sag¬ ten mir ihre schönen Augen, dann sagten einige Worte, wie sehr wir uns liebten, wie unveränderlich diese Liebe sei, und wie unbegrenzt unsere Seelen einander beherrschten. Sie wurde jezt auch von andern Leuten bemerkt, und junge Männer richteten ihre Augen auf sie; aber wenn man ihr entgegen kam, wenn ihr ge¬ huldigt wurde, wenn man sie in einer Familie feierte: so war sie ganz ruhig gegen diese Dinge, sezte ihnen gar keine Äußerung entgegen, und ihr engelschönes Wesen sagte mir, es sagte es nur von mir verstanden, daß sie mit ihrer wundervollen Gestalt mit der Wärme ihrer Seele und dem Glanz ihres Aufblühens nur mich beglücke, und daß es ihr Wonne mache, mich beglücken zu können. Oft, wenn ich von weiten Gän¬ gen in der Stadt zurückkehrte, und zu dem Hause kam, in welche wir wohnten, blieb ich stehen, und betrachtete das Haus. Es war merkwürdiger es war gefeit worden vor den Häusern der Stadt, und mit Rührung sah ich auf die Mauern, innerhalb welcher das Wesen wohnte, das von überirdischen Räumen gekommen war, meine Seele zu erfüllen. Mathilde sah die Vergötterung, welche ich ihr weihte, sie sah dieselbe genau auf den geheimen Wegen, auf denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete darüber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von mir gesehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen auch an, sie in vorzüglichere Stoffe zu kleiden, als sie bisher gethan hatten, und wenn sie mit edlen Gewän¬ dern angethan vor mir stand, kam sie mir ferner und näher fremder und angehöriger vor als sonst.“ „Eines Tages, als ich über die Treppe unsers Hauses, welches nur von unserer Familie allein be¬ wohnt wurde, herabging, um einen Freund zu besu¬ chen, begegnete mir Mathilde. Sie war mit der Mut¬ ter an das Haus gefahren, die Mutter war in dem Wagen sizen geblieben, sie aber sollte hinaufgehen, um irgend etwas zu holen. Sie war in schwarze Seide gekleidet, ein seidenes Mäntelchen war um ihre Schultern, und aus dem Hute mit dem grünen Flore sah das blühende durch die Kälte erfrischte An¬ gesicht hervor. Da wir uns hinter einer Biegung der Treppe begegneten, wurde sie dunkelglühend. Ich er¬ schrak, und sagte aber: „„O Mathilde, Mathilde, du himmelvolles Wesen, alle streben sie nach dir, wie wird das werden, o wie wird das werden?!““ „„Gustav, Gustav,““ antwortete sie, „„du bist der trefflichste von allen, du bist ihr König, du bist der Einzige, alles ist gut und herrlich, und Millionen Kräfte sollen es nicht zerreißen können.““ „Ich ergrif ihre Hand, ein glühender Kuß nur einen Augenblick gegeben aber mit fest aneinanderge¬ drückten Lippen bekräftigte die Worte. Ich hörte ihre Seide die Treppe emporrauschen, ich aber ging die Stufen hinunter. Da ich unten die gläserne Doppel¬ thür der Treppe geöffnet hatte, sah ich den Wagen stehen. Hinter den Fenstern desselben saß freundlich die Mutter Mathildens, und sah mich an. Ich grüßte sie ehrerbiethig, und ging vorüber. Ich ging nun nicht mehr zu dem Freunde, den ich hatte besuchen wollen.“ „Mit Alfred betrieb ich das, was er zu lernen hatte, immer eifriger, ich war immer sorgsamer, daß er es gut inne habe, und legte, wo ich konnte, wie früher und in noch größerem Maße selber Hand an. Auch auf den Gang seiner Entwickelung im Allge¬ meinen suchte ich so einzuwirken, wie es mir nur möglich war. Ich sprach sehr viel mit ihm, und ging sehr viel mit ihm um. Er schloß sich, da er es wohl wußte, daß ich ihn liebe, immer inniger an mich an, ja er schloß sich auf das Innigste und fast ausschlie߬ lich an mich. Er wohnte wie auf dem Lande so auch in der Stadt neben mir.“ „Im ersten Frühlinge fuhren wir wieder wie im vorigen Jahre nach Heinbach. Es war wieder die Veranstaltung getroffen, daß Mathilde Alfred und ich in einem Wagen fuhren. Alfred saß wieder neben mir, und schmiegte sich an mich. Mathilde saß gegen¬ über. Und so konnten wir uns zwei Tage mit den Augen der Liebe ungehindert ansehen, und konnten mit einander sprechen. Und wenn wir auch von gleich¬ gültigen Dingen redeten, so hörten wir doch unsere Stimme, und in gewöhnlichen Dingen zitterte das tiefe Herz durch. Jene zwei Tage waren die glückse¬ ligsten meines Lebens.“ „Auf dem Lande begann nun wieder ein Leben, wie es im vergangenen Jahre gewesen war. Wir waren ungebunden, und konnten leichter unsere See¬ len tauschen. Wir waren freier in dem Zimmer der Mutter oder in dem des Vaters, wir konnten den Garten besuchen, wir konnten unter den Bäumen des Rasenplazes wandeln, und wir konnten spazieren gehen. Am liebsten wurde uns der Weinlaubengang. Er war ein Heiligthum geworden, seine Zweige sahen uns vertraut an, seine Blätter wurden unsere Zeugen, und durch seine Verschlingungen bebte manches tiefe Wort und wehte mancher Hauch der unergründlichsten Glückseligkeit. Fast eben so lieb war uns das Garten¬ haus. Manchen Flug der Wonne deckte es mit seinen schüzenden Mauern, und es umgab uns wie ein stil¬ ler Tempel, wenn wir alle drei eintraten und zwei Gemüther wallten. Wir gingen oft an diese beiden Orte. Die Verbindungsfäden wuchsen tausendfach, Mathilde wurde stets noch herrlicher, sie wurde von andern immer heißer begehrt, aber ihre Seele schloß sich nur fester an die meinige.“ „Ich machte jezt oft sehr große Wege allein. Wenn ich so weit war, daß ich das Haus nicht mehr sehen konnte, und wenn ich so dastand, und die wei¬ ßen Wolken betrachtete, die über dem Hause stehen mußten, und wenn ich auf den Wald sah, jenseits dessen das Haus sich befand, so kam eine tiefe Bewe¬ gung in mich. Und wenn ich dann nach Hause eilte, ins Innere der Mauern ging, sie da sah, und an ihr die Freude des Wiedersehens erkannte, so frohlockte gleichsam springend mir das Herz in dem Busen über meinen unendlichen Besiz.“ Stifter , Nachsommer. III . 20 „Dennoch war allgemach etwas da, das wie ein Übel in mein Glück bohrte. Es nagte der Gedanke an mir, daß wir die Eltern Mathildens täuschen. Sie ahnten nicht, was bestand, und wir sagten es ihnen nicht. Immer drückender wurde mir das Gefühl, und immer ängstender lastete es auf meiner Seele. Es war wie das Unheil der Alten, welches immer größer wird, wenn man es berührt.“ „Eines Tages, da eben die Rosenblüthe war, sagte ich zu Mathilden, ich wolle zur Mutter gehen, ihr alles entdecken, und sie um ihr gütiges Vorwort bei dem Vater bitten. Mathilde antwortete, das werde gut sein, sie wünsche es, und unser Glück müsse da¬ durch sich erst recht klären und befestigen.“ „Ich ging nun zur Mutter Mathildens, und sagte ihr alles mit schlichten Worten aber mit zagender Stimme.“ „„Ich habe das von euch nicht erwartet, und nicht geahnt,““ erwiederte sie, „„ich kann euch auch einen Bescheid nicht geben. Ich muß erst mit meinem Gat¬ ten sprechen. Kommt in einer Stunde in mein Zim¬ mer, und ich werde euch antworten.““ „Ich verbeugte mich, verließ ihr Gemach, und begab mich in mein Eckzimmer.“ „Als die Stunde vorüber war, ging ich in das Besuchzimmer der Mutter Mathildens. Sie erwar¬ tete mich schon. Sie saß an ihrem Tische, um den wir uns so oft versammelt hatten. Sie both mir auch einen Stuhl an. Nachdem ich mich gesezt hatte, sagte sie: „„Mein Gatte ist mit mir gleicher Ansicht. Wir haben euch ein Vertrauen geschenkt, das so groß war, daß wir es nicht verantworten können. Ihr gabet uns Grund zu diesem Vertrauen. Wir wollen nicht wei¬ ter darüber rechten. Aber eins muß gesprochen wer¬ den. Die Verbindung, welche ihr beide geschlossen habt, ist ohne Ziel, wenigstens ist jezt ein Ziel nicht abzusehen. Ihr mögt wohl beide einen gleichen An¬ theil an der Schließung dieses Bundes haben. Aber beide dürftet ihr vielleicht an seine Folgen nicht gedacht haben, sonst könnten wir euch schwerer entschuldigen. Ihr habt euch nur eurem Gefühle hingegeben. Ich begreife das. Ich kann mir nur nicht erklären, daß ich es nicht schon früher begriffen habe. Ich habe euch so — so sehr vertraut. Hört mich aber jezt an. Ma¬ thilde ist noch ein Kind, es muß eine Reihe von Jah¬ ren vergehen, in denen sie noch lernen muß, was ihr für ihren einstigen Beruf noth thut, es muß noch eine Reihe von Jahren vergehen, ehe sie nur begreift, was 20 * der Bund ist, den sie eben geschloßen hat. Sie ist leb¬ haft, sie hat ein Gefühl von ihrer Seele Besiz nehmen lassen, welches ihr angenehm ist, und welches wahr¬ scheinlich diese ihre ganze Seele erfüllt. Sollen wir sie in diesem Gefühle befangen sein lassen in der gan¬ zen Zeit, in der sie erst die wichtigsten Vorbereitun¬ gen zu ihrem künftigen Leben treffen muß, oder soll sie ruhiger sein, um diese Vorbereitungen in dem rech¬ ten Maße treffen zu können? Soll das Gefühl nun fortdauern, immer fort, bis wir sagen können, daß sie Braut sei? Wenn es fortdauert, wird es nicht peini¬ gende Stunden bringen, da es nicht so bald in seinen natürlichen Abschluß gelangen kann, und Zweifel Ungeduld Vorwärtstreiben Unmuth und Schmerz in seinem Gefolge führen? Wird es da nicht jene schönen edlen heitern ruhigen Tage wegfressen, die der aufblühenden Jungfrau bestimmt sind, ehe sie den Brautkranz in ihre Haare flicht? Sind nicht oft früh¬ zeitige auf weite Ziele gerichtete Neigungen die Zerstö¬ rerinnen des Lebensglückes geworden? Wenn ihr Ma¬ thilden liebt, wenn ihr sie mit wahrhafter Liebe eures Herzens liebt, könnt ihr sie einer solchen Gefahr aus¬ sezen wollen? Gräbt nicht tiefes Sehnen und heftiges Fühlen durch Jahre fortgesezt alle Kräfte des Men¬ schen an? Und wie, wenn die Neigung des einen schwindet, und das andere trostlos ist? oder wenn sie in beiden ermattet, und eine Leere hinter sich läßt? Ihr werdet beide sagen, das sei bei euch nicht möglich. Ich weiß, daß ihr jezt so fühlt, ich weiß, daß es bei euch vielleicht auch nicht möglich ist; allein ich habe oft gesehen, daß Neigungen aufhörten und sich än¬ derten, ja daß die stärksten Gefühle, welche allen Gewalten trozten, dann, da sie keinen andern Wider¬ stand mehr hatten als die zähe immer dauernde auf¬ reibende Zeit, dieser stillen und unscheinbaren Ge¬ walt unterlegen sind. Soll Mathilde — ich will sagen eure Mathilde — dieser Möglichkeit anheim gegeben werden? Ist ihr das Leben, in das sie jezt mit frischer Seele hinein sieht, nicht zu gönnen? Es ist größere Liebe, auf die eigene Seligkeit nicht achten, ja die gegenwärtige Seligkeit des geliebten Gegenstandes auch nicht achten, aber dafür das ruhige feste und dauernde Glück desselben begründen. Das, glaube ich, ist eure und ist Mathildens Pflicht. Ihr könnt mir nicht einwenden, daß dieses Glück durch eine Ver¬ bindung, die sogleich geschlossen wird, zu begründen sei. Wenn auch Mathildens Vermögen so groß wäre, daß daraus ein Familienbesizstand gegründet werden könnte, wenn ihr es auch über euch vermöchtet, von dem Vermögen eurer Gattin wenigstens eine Zeit hin¬ durch zu leben, was ich bezweifle, so wäre damit doch noch nichts gewonnen, da Mathilde, wie ich sagte, die bei weitem größere Zahl von Eigenschaften noch nicht besizt, welche eine Gattin und Mutter besi¬ zen muß, da sie ferner nach den Ansichten, die wir über das körperliche Wohl unserer Kinder für unsere Pflicht halten, wenigstens vor sechs oder sieben Jah¬ ren sich nicht vermählen kann, und da also die Unsi¬ cherheit und Gefahr, wie ich früher sprach, auch bei dieser eurer Behauptung für sie und euch vorhanden wären. Da die Kinder in dem Alter Mathildens ihren Eltern ohne Bedingung zu folgen haben, und da gute Kinder, wozu ich Mathilden zähle, auch wenn es ihrem Herzen Schmerz macht, gerne folgen, weil sie der Liebe und der bessern Einsicht der Eltern ver¬ trauen: so hätte ich nur sagen dürfen, mein Gatte und ich erkennen, daß zum Wohle Mathildens das Band, das sie geschlungen hat, nicht fortdauern dürfe, und daß sie daher dasselbe abbrechen möge; allein ich habe euch die Gründe unserer Ansicht entwickelt, weil ich euch hochachte, und weil ich auch gesehen habe, daß ihr mir zugethan seid, wie ja auch euer Geständ¬ niß beweist, welches freilich etwas früher hätte gemacht werden sollen. Erlaubt, daß ich nun auch von euch etwas spreche. Ihr seid wenn auch älter als Mathilde doch als Mann noch so jung, daß ihr die Lage, in der ihr seid, kaum zu beurtheilen fähig sein dürftet. Mein Gatte und ich sind der Ansicht, daß ihr, so weit wir euch kennen, durch euer Gefühl, das immer edel und warm ist, in die Neigung zu Mathil¬ den, der wir auch als Eltern immerhin einigen Lieb¬ reiz zusprechen müssen, gestürzt worden seid, daß sich euch das Gefühl als etwas Hohes und Erhabenes angekündigt hat, das euch noch dazu so beseligte, und daß ihr daher an keinen Widerstand gedacht habt, der euch ja auch als Untreue an Mathilden erscheinen mußte. Allein eure Lage in dieser Art genommen darf nicht als die gesezmäßige bezeichnet werden. Ihr seid so jung, ihr habt euch in den Anfang einer Laufbahn begeben. Ihr müßt nun in derselben fortfahren, oder, wenn ihr sie mißbilligt, eine andere einschlagen. In ganz und gar keiner kann ein Mann von eurer Bega¬ bung und eurem inneren Wesen nicht bleiben. Welche lange Zeit liegt nun vor euch, die ihr benüzen müßt, euch in jene feste Lebensthätigkeit zu bringen, die euch noth thut, und euch jene äußere Unabhängigkeit zu erwerben, die ihr braucht, damit ihr beides zur Er¬ richtung eines dauernden Familienverhältnisses anwenden könnt. Welche Unsicherheit in euren Be¬ strebungen, wenn ihr eine verfrühte Neigung in die¬ selben hinein nehmt, und welche Gefahren in dieser euch beherrschenden Neigung für euer Wesen und euer Herz! Es wird euch beiden jezt Schmerz machen, das geknüpfte Band zu lösen oder wenigstens aufzuschie¬ ben, wir wissen es, wir fühlen den Schmerz, ihr beide dauert uns, und wir machen uns Vorwürfe, daß wir die entstandene Sachlage nicht zu verhindern gewußt haben; aber ihr werdet beide ruhiger werden, Ma¬ thilde wird ihre Bildung vollenden können, ihr wer¬ det in eurem zukünftigen Stande euch befestiget haben, und dann kann wieder gesprochen werden. Ihr hättet auch ohne diese Neigung nicht lange mehr in eurer gegenwärtigen Stellung bleiben können. Wir verdan¬ ken euch sehr viel. Unser Alfred und auch Mathilde reiften an euch sehr schön empor. Aber eben deßhalb hätten wir es nicht über unser Gewissen bringen kön¬ nen, euch länger zu unserem Vortheile von eurer Zu¬ kunft abzuhalten, und mein Gatte hatte sich vorge¬ nommen, mit euch über diese Sache zu sprechen. Überdenkt, was ich euch sagte. Ich verlange heute keine Antwort; aber gebt sie mir in diesen Tagen. Ich habe noch einen Wunsch, ich kenne euch, und ich will ihn euch deßhalb anvertrauen. Ihr habt eine sehr große Gewalt über Mathilden, wie wir wohl immer gesehen haben, wie sie uns in ihrer Größe aber nicht erschienen ist, wendet, wenn meine Worte bei euch einen Eindruck machten, diese Gewalt auf sie an, um sie von dem zu überzeugen, was ich euch gesagt habe, und um das arme Kind zu beruhigen. Wenn es euch gelingt, glaubt mir, so erweiset ihr Mathil¬ den dadurch eine große Liebe, ihr erweiset sie euch und auch uns. Geht dann mit dem Eifer der Bega¬ bung und der Ausdauer, wie ihr sie in unserem Hause bewiesen habt, an euren Beruf. Wir waren euch alle sehr zugethan, ihr werdet wieder Neigung und An¬ hänglichkeit finden, ihr werdet ruhiger werden, und alles wird sich zum Guten wenden.““ „Sie hatte ausgesprochen, legte ihre schöne freund¬ liche Hand auf den Tisch, und sah mich an.“ „„Ihr seid ja so blaß wie eine getünchte Wand,““ sagte sie nach einem Weilchen.“ „In meine Augen drangen einzelne Thränen, und ich antwortete: „„Jezt bin ich ganz allein. Mein Va¬ ter meine Mutter meine Schwester sind gestorben.““ Mehr konnte ich nicht sagen, meine Lippen bebten vor unsäglichem Schmerz.“ „Sie stand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬ tel, und sagte unter Thränen mit ihrer lieblichen Stimme: „„Gustav, mein Sohn! du bist es ja immer gewesen, und ich kann einen besseren nicht wünschen. Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn dann einst euer gereiftes Wesen dasselbe sagt, was jezt das wallende Herz sagt, dann kommt beide, wir werden euch segnen. Stört aber durch Fortspinnen Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen Gefühle nicht die euch so nöthige lezte Entwicklung.““ „Es war das erste Mal gewesen, daß sie mich du genannt hatte.“ „Sie verließ mich, und ging einige Schritte im Zimmer hin und wieder.“ „„Verehrte Frau,““ sagte ich nach einer Weile, „„es ist nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬ sen Tagen antworte; ich kann es jezt sogleich. Was ihr mir an Gründen gesagt habt, wird sehr richtig sein, ich glaube, daß es wirklich so ist, wie ihr sagt; allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht zu fassen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe, und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich jezt nicht denken kann. Aber eins ist es, was ich fasse. Ein Kind darf seinen Eltern nicht ungehorsam sein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn es nicht die Eltern oder sich selbst verwerfen soll. Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und sie ist selber so gut, daß sie auch sich nicht verwerfen kann. Ihre Eltern verlangen, daß sie jezt das geschlos¬ sene Band auflösen möge, und sie wird folgen. Ich will es nicht versuchen, durch Bitten das Gebot der Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche ihr mir gesagt habt, und welche in mein Wesen nicht ein¬ dringen wollen, werden in dem eurigen fest haften, sonst hättet ihr mir sie nicht so nachdrücklich gesagt, hättet sie mir nicht mit solcher Güte und zulezt nicht mit Thränen gesagt. Ihr werdet davon nicht lassen können. Wir haben uns nicht vorzustellen vermocht, daß das, was für uns ein so hohes Glück war, für die Eltern ein Unheil sein wird. Ihr habt es mir mit eurer tiefsten Überzeugung gesagt. Selbst wenn ihr irrtet, selbst wenn unsere Bitten euch zu erweichen vermöchten, so würde euer freudiger Wille euer Herz und euer Segen mit dem Bunde nicht sein, und ein Bund ohne der Freude der Eltern ein Bund mit der Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund der Trauer sein, er wäre ein ewiger Stachel, und euer ernstes oder bekümmertes Antliz würde ein unvertilgbarer Vorwurf sein. Darum ist der Bund, und wäre er der berechtigteste, aus, er ist aus auf so lange, als die Eltern ihm nicht beistimmen können. Eure ungehorsame Tochter würde ich nicht so unaus¬ sprechlich lieben können, wie ich sie jezt liebe, eure gehorsame werde ich ehren und mit tiefster Seele, wie fern ich auch sein mag, lieben, so lange ich lebe. Wir werden daher das Band lösen, wie schmerzhaft die Lösung auch sein mag. — O Mutter, Mutter! — laßt euch diesen Namen zum ersten und vielleicht auch zum lezten Male geben — der Schmerz ist so groß, daß ihn keine Zunge aussprechen kann, und daß ich mir seine Größe nie vorzustellen vermocht habe.““ „„Ich erkenne es,““ antwortete sie, „„und darum ist ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfin¬ den, so groß, daß wir unserem theuren Kinde und euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht ersparen können.““ „„Ich werde morgen Mathilden sagen,““ erwie¬ derte ich, „„daß sie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen müsse. Heute erlaubt mir, verehrte Frau, daß ich meine Gedanken etwas ordne — und daß ich auch noch andere Dinge ordne, die noth thun.““ „Die Thränen waren mir wieder in die Augen getreten.“ „„Sammelt euch, lieber Gustav,““ sagte sie, „„und thut, was ihr für gut haltet, sprecht mit Mathilden oder sprecht auch nicht, ich schreibe euch nichts vor. Es wird eine Zeit kommen, in der ihr einsehen wer¬ det, daß ich euch nicht so unrecht thue, als ihr jezt vielleicht glauben mögt.““ „Ich küßte ihr die Hand, die sie mir gütig gab, und verließ das Zimmer.“ „Am andern Tage bath ich Mathilden, mit mir einen Gang in den Garten zu machen. Wir gingen durch den ersten Theil desselben, und wir gingen durch den Weinlaubengang bis zu dem Gartenhause, an dem die Rosen blühten. Während wir so wandel¬ ten, sprachen wir fast kein Wort, außer daß wir sag¬ ten, wie uns hie und da eine Blume gefalle, wie das Weinlaub schön sei, und wie der Tag sich so ausge¬ heitert habe. Wir waren zu gespannt auf das, was da kommen werde, Mathilde auf das, was ich ihr mitzutheilen habe, und ich auf das, wie sie die Mit¬ theilung aufnehmen werde. In der Nähe des Gar¬ tenhauses war eine Bank, auf welche von einem Ro¬ sengebüsche Schatten fiel. Ich lud sie ein, mit mir auf der Bank Plaz zu nehmen. Sie that es. Es war das erste Mal, daß wir ganz allein in den Garten gingen, und daß wir allein bei einander auf einer Bank sassen. Es war das Vorzeichen, daß uns dies in Zukunft entweder ungestört werde gestattet sein, oder daß es das lezte Mal sei, und daß man darum ein unbedingtes Vertrauen in uns seze. Ich sah, daß Mathilde das empfinde; denn in ihrem ganzen Wesen war die höchste Erwartung ausgeprägt. De߬ ohngeachtet rief sie mit keinem Worte den Anfang der Mittheilungen hervor. Mein Wesen mochte sie in Angst gesezt haben; denn obwohl ich mir unzählige Male in der Nacht die Worte zusammengestellt hatte, mit denen ich sie anreden wollte, so konnte ich doch jezt nicht sprechen, und obwohl ich suchte, meine Em¬ pfindungen zu bemeistern, so mochte doch der Schmerz in meinem Äußern zu lesen gewesen sein. Da wir schon eine Weile gesessen waren, auf unsere Fußspizen gesehen, und, was zu verwundern war, uns nicht an der Hand gefaßt hatten, fing ich an, mit zitternder Stimme und mit stockendem Athem zu sagen, was ihre Eltern meinen, und daß sie den Wunsch hegen, daß wir wenigstens für die jezige Zeit unser Band auflösen mögen. Ich ging auf die Gründe, welche die Mutter angegeben hatte, nicht ein, und legte Ma¬ thilden nur dar, daß sie zu gehorchen habe, und daß unter Ungehorsam unser Bund nicht bestehen könne.“ „Als ich geendet hatte, war sie im höchsten Maße erstaunt.“ „„Ich bitte dich, wiederhole mir nur in Kurzem, was du gesprochen hast, und was wir thun sollen,““ sagte sie.“ „„Du mußt den Willen deiner Eltern thun, und das Band mit mir lösen,““ antwortete ich.“ „„Und das schlägst du vor, und das hast du der Mutter versprochen, bei mir auszuwirken?““ fragte sie. „„Mathilde nicht auszuwirken,““ antwortete ich, „„wir müssen gehorchen; denn der Wille der Eltern ist das Gesez der Kinder.““ „„Ich muß gehorchen,““ rief sie, indem sie von der Bank aufsprang, „„und ich werde auch gehorchen; aber du mußt nicht gehorchen, deine Eltern sind sie nicht. Du mußtest nicht hieher kommen, und den Auf¬ trag übernehmen, mit mir das Band der Liebe, das wir geschlossen hatten, aufzulösen. Du mußtest sagen: „Frau, eure Tochter wird euch gehorsam sein, sagt ihr nur euren Willen; aber ich bin nicht verbun¬ den, eure Vorschriften zu befolgen, ich werde euer Kind lieben, so lange ein Blutstropfen in mir ist, ich werde mit aller Kraft streben, einst in ihren Besiz zu gelangen. Und da sie euch gehorsam ist, so wird sie mit mir nicht mehr sprechen, sie wird mich nicht mehr ansehen, ich werde weit von hier fortgehen; aber lie¬ ben werde ich sie doch, so lange dieses Leben währt und das künftige, ich werde nie einer andern ein Theil¬ chen von Neigung schenken, und werde nie von ihr lassen.“ So hättest du sprechen sollen, und wenn du von unserm Schlosse fortgegangen wärest, so hätte ich gewußt, daß du so gesprochen hast, und tausend Millionen Ketten hätten mich nicht von dir gerissen, und jubelnd hätte ich einst in Erfüllung gebracht, was dir dieses stürmische Herz gegeben. Du hast den Bund aufgelöset, ehe du mit mir hieher gegangen bist, ehe du mich zu dieser Bank geführt hast, die ich dir gutwillig folgte, weil ich nicht wußte, was du gethan hast. Wenn jezt auch der Vater und die Mut¬ ter kämen, und sagten: „Nehmet euch, besizet euch in Ewigkeit,“ so wäre doch alles aus. Du hast die Treue gebrochen, die ich fester gewähnt habe als die Säulen der Welt und die Sterne an dem Baue des Him¬ mels.““ „„Mathilde,““ sagte ich, „„was ich jezt thue, ist unendlich schwerer, als was du verlangtest.““ „„Schwer oder nicht schwer, von dem ist hier nicht die Rede,““ antwortete sie, „„von dem, was sein muß, ist die Rede, von dem, dessen Gegentheil ich für un¬ möglich hielt. Gustav, Gustav, Gustav, wie konntest du das thun?““ „Sie ging einige Schritte von mir weg, kniete gegen die Rosen, die an dem Gartenhause blüh¬ ten, gewendet in das Gras nieder, schlug die beiden Hände zusammen, und rief unter strömenden Thrä¬ nen: „„Hört es, ihr tausend Blumen, die herabschau¬ ten, als er diese Lippen küßte, höre es du, Weinlaub, das den flüsternden Schwur der ewigen Treue ver¬ nommen hat, ich habe ihn geliebt, wie es mit keiner Zunge in keiner Sprache ausgesprochen werden kann. Dieses Herz ist jung an Jahren, aber es ist reich an Großmuth; alles, was in ihm lebte, habe ich dem Geliebten hingegeben, es war kein Gedanke in mir als er, das ganze künftige Leben, das noch viele Jahre umfassen konnte, hätte ich wie einen Hauch für ihn hingeopfert, jeden Tropfen Blut hätte ich langsam Stifter , Nachsommer. III . 21 aus den Adern fließen und jede Faser aus dem Leibe ziehen lassen — und ich hätte gejauchzt dazu. Ich habe gemeint, daß er das weiß, weil ich gemeint habe, daß er es auch thun würde. Und nun führt er mich heraus, um mir zu sagen, was er sagte. Wären was immer für Schmerzen von Außen gekommen, was immer für Kämpfe Anstrengungen und Erduldungen; ich hätte sie ertragen, aber nun er — er — ! Er macht es unmöglich für alle Zeiten, daß ich ihm noch ange¬ hören kann, weil er den Zauber zerstört hat, der alles band, den Zauber, der ein unzerreißbares Aneinan¬ derhalten in die Jahre der Zukunft und in die Ewig¬ keit malte.““ „Ich ging zu ihr hinzu, um sie empor zu heben. Ich ergrif ihre Hand. Ihre Hand war wie Glut. Sie stand auf, entzog mir die Hand, und ging gegen das Gartenhaus, an dem die Rosen blühten.“ „„Mathilde,““ sagte ich, „„es handelt sich nicht um den Bruch der Treue, die Treue ist nicht gebrochen worden. Verwechsle die Dinge nicht. Wir haben gegen die Eltern unrecht gehandelt, daß wir ihnen verbargen, was wir gethan haben, und daß wir in dem Verbergen beharrend geblieben sind. Sie fürch¬ ten Übles für uns. Nicht die Zerstörung unserer Ge¬ fühle verlangen sie, nur die Aufhebung des Äußer¬ lichen unseres Bundes auf eine Zeit.““ „„Kannst du eine Zeit nicht mehr du sein?““ erwie¬ derte sie, „„kannst du eine Zeit dein Herz nicht schla¬ gen lassen? Äußeres, Inneres, das ist alles eins, und alles ist die Liebe. Du hast nie geliebt, weil du es nicht weißt.““ „„Mathilde,““ antwortete ich, „„du warst immer so gut, du warst edel rein herrlich, daß ich dich mit allen Kräften in meine Seele schloß: heute bist du zum ersten Male ungerecht. Meine Liebe ist unendlich, ist unzerstörbar und der Schmerz, daß ich dich lassen muß, ist unsäglich, ich habe nicht gewußt, daß es einen so großen auf Erden gibt; nur der ist größer, von dir verkannt zu sein. Ich unterscheide nicht, wer dir das Gebot der ältern hätte sagen sollen, es ist das einerlei, sie sind die Eltern, das Gebot ist das Gebot, und das Heiligste in uns sagt, daß die El¬ tern geehrt werden müssen, daß das Band zwischen Eltern und Kind nicht zerstört werden darf, wenn auch das Herz bricht. So fühlte ich, so handelte ich, und ich wollte dir das Nothwendige recht sanft und weich sagen, darum übernahm ich die Sendung; ich glaubte, es könne dir niemand das Bittere so sanft 21 * und weich sagen wie ich, darum kam ich. Aus Güte aus Mitleid kam ich. Die Pflicht leitete mich, in der Pflicht bricht mein Herz, und in dem brechenden Her¬ zen bist du.““ „„Ja, ja, das sind die Worte,““ sagte sie, indem ihr Schluchzen immer heftiger und fast krampfhaft wurde, „„das sind die Worte, denen ich sonst so gerne lauschte, die so süß in meine Seele gingen, die schon süß waren, als du es noch nicht wußtest, denen ich glaubte, wie der ewigen Wahrheit. Du hättest es nicht unternehmen müssen, mich zur Zerreissung unse¬ rer Liebe bewegen zu wollen, es soll, wenn hundert¬ mal Pflicht, dir nicht möglich gewesen sein. Darum kann ich dir jezt nicht mehr glauben, deine Liebe ist nicht die, die ich dachte, und die die meinige ist. Ich habe den Vergleichpunkt verloren, und weiß nicht, wie alles ist. Wenn du einst gesagt hättest, der Him¬ mel ist nicht der Himmel, die Erde nicht die Erde, ich hätte es dir geglaubt. Jezt weiß ich es nicht, ob ich dir glauben soll, was du sagst. Ich kann nicht anders, ich weiß es nicht, und ich kann nicht machen, daß ich es weiß. O Gott! daß es geworden ist wie es ward, und daß zerstörbar ist, was ich für ewig hielt! wie werde ich es ertragen können?““ „Sie barg ihr Angesicht in den Rosen vor ihr, und ihre glühende Wange war auch jezt noch schöner als die Rosen. Sie drückte das Angesicht ganz in die Blumen, und weinte so, daß ich glaubte, ich fühle das Zittern ihres Körpers, oder es werde eine Ohn¬ macht ihren Schmerz erschöpfen. Ich wollte sprechen, ich versuchte es mehrere Male; aber ich konnte nicht, die Brust war mir zerpreßt und die Werkzeuge des Sprechens ohne Macht. Ich faßte nach ihrem Körper, sie zuckte aber weg, wenn sie es empfand. Dann stand ich unbeweglich neben ihr. Ich grif mit der bloßen Hand in die Zweige der Rosen, drückte, daß mir leichter würde, die Dornen derselben in die Hand, und ließ das Blut an ihr nieder rinnen.“ „Als das eine Zeit gedauert hatte, als sich ihr Weinen etwas gemildert hatte, hob sie das Angesicht empor, trocknete mit dem Tuche, das sie aus der Ta¬ sche genommen, die Thränen, und sagte: „„Es ist alles vorüber. Weßhalb wir noch länger hier bleiben sollen, dazu ist kein Grund, lasse uns wieder in das Haus gehen, und das Weitere dieser Handlung verfolgen. Wer uns begegnet, soll nicht sehen, daß ich so sehr geweint habe.““ „Sie trocknete neuerdings mit dem Tuche die Au¬ gen, ließ neue Thränen nicht mehr hervorquellen, richtete sich empor, strich sich die Haare ein wenig zurecht, und sagte: „„Gehen wir in das Haus.““ „Sie richtete sich mit diesen Worten zum Gehen gegen den Weinlaubengang, und ich ging neben ihr. Das Blut an meiner Hand konnte sie nicht sehen. Ich unternahm es nicht mehr, sie zu trösten, ich sah, daß ihre Verfassung dafür nicht empfänglich war. Auch erkannte ich, daß sie im Zorne gegen mich ihren Schmerz leichter ertrage, als wenn dieser Zorn nicht gewesen wäre. Wir gingen schweigend in das Haus. Dort gingen wir in das Zimmer der Mutter. Ma¬ thilde warf sich ihrer Mutter an das Herz. Ich küßte der Frau die Hand, und entfernte mich.“ „Den ganzen übrigen Theil des Tages verbrachte ich damit, meine Habe zu packen, um morgen dieses Haus verlassen zu können. Mathildens Vater besuchte mich einmal, und sagte: „„Kränket euch nicht zu sehr, es wird vielleicht noch alles gut.““ „Im Übrigen waren seine Gründe, die er freund¬ lich und sanft sagte, die nehmlichen wie die seiner Gattin. Auch Mathildens Mutter kam einmal zu mir herüber, lächelte trübsinnig bei meinem Treiben, und gab mir die Hand. Meine Hoffnungen waren düste¬ rer, als es die dieser zwei Menschen zu sein schienen. Mathildens Glauben an mich war erschüttert. Da ich meine Absicht, morgen abreisen zu wollen, erklärt hatte, und man nichts mehr dagegen einwendete, was man Anfangs that, rief ich Alfred, und sagte ihm, daß ich nicht etwa eine größere Reise vor habe, wie er glauben mochte, sondern daß ich auf lange vielleicht auf immer dieses Haus verlasse. Es seien Umstände eingetreten, die dies nothwendig machten. Er fiel mir mit Schluchzen um den Hals, ich konnte ihn gar nicht besänftigen, ja ich weinte beinahe selber laut. Er wurde später zu beiden Eltern, die in der Schreibstube des Vaters waren, geholt, damit sie ihn beruhigten. Sein Schlafzimmer war heute unter der Aufsicht eines Dieners ein anderes. Als er in das¬ selbe gebracht worden war, ging ich zu den Eltern, und sagte ihnen den Dank für alles Gute, das ich in ihrem Hause genossen habe. Sie dankten mir auch, und ließen mich Hoffnungen erblicken. Es ward ver¬ abredet, daß ich mit den Pferden des Hauses auf die nächste Post gebracht werden solle. Mathilde erschien nicht zum Abendessen.“ „Am nächsten Morgen wurde der Wagen bepackt. Ich machte mich reisefertig. Es war mir erlaubt worden, von Mathilden Abschied nehmen zu dürfen. Sie weigerte sich aber, mich zu sehen. Ich ging da¬ her in meine Wohnung, reichte dem alten Raimund die Hand, und sagte: „„Lebe wohl Raimund.““ „„Lebt recht wohl, junger Herr,““ antwortete er, „„und seid recht glücklich.““ „„Du weißt nicht Raimund!““ „„Ich weiß, ich weiß, junger Herr — es kann ja werden.““ „„Lebe wohl.““ „Ich ging nun die Treppe hinab, er begleitete mich. Unten bei dem Wagen stand der Herr und die Frau des Hauses und mehrere von den Dienstleuten. Auch vom Meierhofe waren Leute herbei gekommen. Alfred, der spät entschlummert war, schlief noch; die Besizer des Hauses nahmen auf eine auszeichnende Weise von mir Abschied, die Umstehenden beurlaubten sich auch, wünschten mir Glück und eine fröhliche Wiederkehr. Ich bestieg den Wagen, und fuhr von Heinbach dahin.“ „Der Besizer dieses Hauses hatte mir einmal ge¬ sagt: „„Vielleicht verlasset ihr einst unser Haus nicht mit Reue und Schmerz.““ „Ich verließ es nicht mit Reue, aber mit Schmerz.“ „Er hatte auch die Vermuthung ausgesprochen, daß mir etwa auch seine Familie unvergeßlich bleiben dürfte. Sie blieb mir unvergeßlich.“ „Ich verabschiedete auf der Post den Wagen aus Heinbach, das lezte Merkmal aus diesem Orte, und ließ mich nach der Stadt einschreiben, wo ich so lange gewesen war, wo ich meine Lernzeit vollendet hatte, von wo ich nach Heinbach gegangen war, und wo sich das Haus von Mathildens Eltern befand. Ich blieb aber nicht in der Stadt.“ „In der Nähe meiner Heimath ist im Walde eine Felskuppe, von welcher man sehr weit sieht. Sie geht mit ihrem nördlichen Rücken sanft ab, und trägt auf ihm sehr dunkle Tannen. Gegen Süden stürzt sie steil ab, ist hoch und geklüftet, und sieht auf einen dünnbestandenen Wald, zwischen dessen Stämmen Weidegrund ist. Jenseits des Waldes erblickt man Wiesen und Feld, weiter ein blauliches Moor, dann ein dunkelblaues Waldband und über diesem die fer¬ nen Hochgebirge. Ich ging von der Stadt in meine Heimath und von der Heimath auf diese Felskuppe. Ich saß auf ihr, und weinte bitterlich. Jezt war ich verödet, wie ich früher nie verödet gewesen war. Ich sah in das dunkle Innere der Schlünde, und fragte, ob ich mich hinabwerfen solle. Das Bild meiner ver¬ storbenen Mutter mischte sich in diese unklare schauer¬ liche Vorstellung, und wurde mir ein Liebes, an das ich denken mußte. Ich ging täglich auf diese Kuppe, und blieb oft mehrere Stunden auf ihr sizen. Ich weiß nicht, warum ich sie suchte. In meiner Jugend war ich oft auf ihr, und wir machten uns das Vergnügen, Steine ziemlicher Größe von ihr hinab zu werfen, um den Steinstaub aufwirbeln zu sehen, wenn der Ge¬ worfene auf Klippen stieß, und um sein Gepolter in den Klippen und sein Rasseln in den am Fuße des Felsens befindlichen Gerölle zu hören. Von dieser Kuppe war kein Einblick in jene Länder, in denen Mathildens Wohnung lag, man sah nicht einmal Gebirgszüge, die an sie grenzten. Ich ging auch nach und nach in anderen Theilen der Umgebung meines Heimathortes herum. Mein Schwager war ein sanfter und stiller Mann, und wir sprachen in meinem Ge¬ burtshause oft einen ganzen Tag hindurch nicht mehr als einige Worte.“ „Als eine geraume Zeit vergangen war, dachte ich auf meine Abreise und auf meine Berufsarbeiten, die ich schon so lange vergessen hatte, und auf die ich in dem Hause in Heinbach befangen vielleicht noch länger nicht gedacht haben würde.“ „Ich ging wieder in die Stadt, in der ich meine Habe gelassen hatte, und widmete mich ernstlich der Laufbahn, zu welcher ich eigentlich die Vorbereitungs¬ schulen besucht hatte. Ich meldete mich zum Staats¬ dienste, wurde eingereiht, und arbeitete jezt sehr fleißig in dem Bereiche der unteren Stellen, in welchen ich war. Ich lebte noch zurückgezogener als sonst. Mein kleiner Gehalt und das Erträgniß meines Ersparten reichten hin, meine Bedürfnisse zu decken. Ich wohnte in einem Theile der Vorstadt, welcher von dem Hause der Eltern Mathildens sehr weit entfernt war. Im Winter ging ich fast nirgends hin, als von meiner Wohnstube in meine Amtsstube, welcher Weg wohl sehr lange war, und von der Amtsstube in meine Wohnstube. Meine Nahrung nahm ich in einem kleinen Gasthause an meinem Wege ein. Freunde und Genossen besuchte ich wenig, mir war alle Ver¬ bindung mit Menschen verleidet. Als Erholung diente mir der Betrieb der Geschichte der Staatswissen¬ schaften und der Wissenschaften der Natur. Ein Gang auf dem Walle der äußeren Stadt oder eine Wan¬ derung in einen einsamen Theil der Umgebungen der Stadt gaben mir Luft und Bewegung. Mathilden sah ich einmal. Sie fuhr mit ihrer Mutter in einem offenen Wagen in einer der breiten Strassen der Vor¬ städte in einer Gegend, in welcher ich sie nicht ver¬ muthet hatte. Ich blickte hin, erkannte sie, und meinte umsinken zu müssen. Ob sie mich gesehen hat, weiß ich nicht. Ich ging dann in meine Amtsstube zu meinem Schreibtische. In der ersten Zeit wurde ich von meinen Vorgesezten wenig beachtet. Ich arbeitete mit einem außerordentlichen Fleiße, er war mir Arznei für eine Wunde geworden, und ich flüchtete gern zu dieser Arznei. So lange alle die Verhältnisse, welche in meinen Amtsgeschäften vorkamen, in meinem Haupte waren, war nichts anderes darin. Schmerzvoll waren nur die Zwischenräume. Auch die Wissenschaften leiteten nicht so sicher ab. Mein Fleiß lenkte endlich die Aufmerksamkeit auf sich, man beförderte mich. Anfangs ging es langsamer, dann schneller. Nach dem Verlaufe von mehreren Jahren war ich in einer der ehrenvolleren Stellungen des Staatsdienstes, welche zu dem Verkehre mit dem gebildeteren Theile der Stadteinwohnerschaft berechtigten, und ich hatte die gegründete Aussicht, noch weiter zu steigen. In solchen Verhältnissen werden gewöhnlich die Ehen mit Mädchen aus ansehnlicheren Häusern geschlossen, welche dann zu glücklichem und ehrenvollem Familien¬ leben führen. Mathilde mußte jezt ein und zwanzig oder zwei und zwanzig Jahre alt sein. Irgend eine Annäherung ihrer Eltern an mich hatte nicht statt gefunden, auch konnte ich nicht die geringsten Merk¬ male auffinden, wie unermüdlich ich auch suchte, daß sie sich nach mir erkundigt hätten. Ich konnte also unmittelbare Schritte zur Annäherung an sie nicht thun. Ich leitete also solche mittelbar ein, welche sie auf die gewisseste Art von der Unwandelbarkeit meiner Neigung überzeugten. Ich erhielt die unzweideutig¬ sten Beweise zurück, daß mich Mathilde verachte. Zu einer Verehelichung, wozu ihres Reichthums und ihrer unbeschreiblichen Schönheit willen sich die glän¬ zendsten Anträge fanden, konnte sie nicht gebracht werden. Mit tiefem schwerem Ernste breitete ich nun das Bahrtuch der Bestattung über die heiligsten Ge¬ fühle meines Lebens.“ „Ich will euch nicht mit dem behelligen, wie es mir weiter in meiner Staatslaufbahn erging. Es ge¬ hört nicht hieher, und ist euch wohl im Wesentlichen bekannt. Die Kriege brachen aus, ich wurde abwech¬ selnd zu verschiedenen Stellen versezt, große um¬ fassende Arbeiten Reisen Berichte Vorschläge wurden erfordert, ich wurde zu Sendungen verwendet, kam mit den verschiedensten Menschen in Berührung, und der Kaiser wurde, ich kann es wohl sagen, beinahe mein Freund. Als ich in den Freiherrnrang erhoben wurde, kam mein alter Oheim Ferdinand aus der Entfernung zu mir, um, wie er sagte, mir seine Auf¬ wartung zu machen. Obwohl er meine Mutter ver¬ nachlässigt hatte, ja nach dem Tode meines Vaters durch seine Zurückhaltung beinahe hart gegen sie ge¬ wesen war, so nahm ich ihn doch freundlich auf, weil er in meiner Verlassenheit zulezt der einzige Verwandte war, den ich noch hatte. Wir blieben seit jener Zeit mit einander in Briefwechsel. Es kamen wohl viele Menschen mit mir in Verbindung und ich lernte manche Seiten der Gesellschaft kennen; aber theils waren die Verbindungen Geschäftsverbindungen, theils drängten sich Menschen an mich, die durch mich zu steigen hofften, theils waren die Begegnungen ganz gleichgültig. Wie schwer mir aber meine Ge¬ schäfte wurden, wie sehr ich im Grunde zu ihnen nicht geeignet war, davon habe ich euch schon gesagt. Ich war nach und nach beinahe ein alter Mann ge¬ worden. Da ich viel in der Entfernung lebte, wußte ich manche Beziehungen der Hauptstadt nicht. Ma¬ thilde hatte sich in etwas vorgerückteren Jahren ver¬ mählt. Der Friede wurde dauernd hergestellt, ich blieb wieder beständig in der Hauptstadt, und hier that ich etwas, das mir ein Vorwurf bis zu meinem Lebensende sein wird, weil es nicht nach den reinen Gesezen der Natur ist, obwohl es tausend Mal und tausend Mal in der Welt geschieht. Ich heirathete ohne Liebe und Neigung. Es war zwar keine Ab¬ neigung vorhanden, aber auch keine Neigung. Die Hochachtung war gegenseitig groß. Man hatte mir viel davon gesagt, daß es meine Pflicht sei, mir einen Familienstand zu gründen, daß ich im Alter von theuern Angehörigen umgeben sein müsse, die mich lieben pflegen und schüzen, und auf die meine Ehren und mein Name übergehen können. Es sei auch Pflicht gegen die Menschheit und den Staat. Auf meine Einwendung, daß ich eine Neigung gegen irgend ein weibliches Wesen nicht habe, sagten sie, Neigungen führen oft zu unglücklichen Verbindungen, Kenntniß der gegenseitigen Beschaffenheit und wech¬ selseitige Hochachtung bauen dauerndes Glück. Troz meiner gereifteren Jahre hatte ich in diesen Dingen noch immer sehr wenige Kenntnisse. Meine Jugend¬ neigung, die so heftig und beinahe ausschweifend ge¬ wesen war, hatte kein Glück gebracht. Ich heirathete also ein Mädchen, welches nicht mehr jung war, eine angenehme Bildung hatte, vom reinsten Wandel war, und gegen mich tiefe Verehrung empfand. Man sagte, ich hätte reich geheirathet, weil mein Haus¬ wesen ein ansehnliches war; allein die Sache verhielt sich nicht so. Meine Gattin hatte mir eine namhafte Mitgift gebracht, aber ich hätte eine größere Gabe hinzulegen können. Da ich in meinem mäßigen Leben beinahe nichts brauchte, so hatte ich, besonders da ich einmal in höherer Stellung war, bedeutende Er¬ sparungen gemacht. Diese legte ich in den damaligen Staatspapieren nieder, und da dieselben nach Been¬ digung des Krieges ansehnlich stiegen, so war ich bei¬ nahe ein reicher Mann. Wir lebten zwei Jahre in dieser Ehe, und in dieser wußte ich, was ich vor der Schließung derselben nicht gewußt hatte, daß nehmlich keine ohne Neigung eingegangen werden soll. Wir lebten in Eintracht, wir lebten in hoher Verehrung der gegenseitigen guten Eigenschaften, wir lebten in wechselweisem Vertrauen und in wechselweiser Auf¬ merksamkeit, man nannte unsere Ehe musterhaft; aber wir lebten blos ohne Unglück. Zu dem Glücke gehört mehr als Verneinendes, es ist der Inbegrif der Holdseligkeit des Wesens eines Andern, zu dem alle unsre Kräfte einzig und fröhlich hinziehn. Als Julie nach zwei Jahren gestorben war, betrauerte ich sie redlich; aber Mathildens Bild war unberührt in meinem Herzen stehen geblieben. Ich war jezt wie¬ der allein. Zur Schließung einer neuen Ehe war ich nicht mehr zu bewegen. Ich wußte jezt, was ich vor¬ her nicht gewußt hatte. Liebe und Neigung, dachte ich, ist ein Ding, das seinen Zug an meinem Herzen vorüber genommen hatte.“ „Ein Jahr nach dem Tode Juliens starb mein Oheim, und sezte mich zu dem Erben seines beträcht¬ lichen Vermögens ein.“ „Meine Geschäfte wurden mir indessen von Tag zu Tag schwerer. So wie ich in früheren Zeiten schon gedacht hatte, daß der Staatsdienst meiner Eigenheit nicht entspreche, und daß ich besser thäte, wenn ich ihn verließe: so wuchs dieser Gedanke bei genauerem Nachdenken und schärferem Selbstbeobachten zu immer größerer Gewißheit, und ich beschloß, meine Äm¬ ter niederzulegen. Meine Freunde suchten mich dar¬ an zu verhindern, und Mancher, den ich als feste Säule des Staates kennen zu lernen Gelegenheit ge¬ Stifter , Nachsommer. III . 22 habt, und mit dem ich in schwierigen Zeiten manche harte Amtsstunde durchgemacht hatte, sagte eindring¬ lich, daß ich meine Thätigkeit nicht einstellen sollte. Aber ich blieb unerschüttert. Ich zeigte meinen Aus¬ tritt an. Der Kaiser nahm ihn wohlwollend und mit übersendeten Ehren an. Ich hatte die Absicht, mir für die lezten Tage meines Lebens einen Landsiz zu grün¬ den, und dort einigen wissenschaftlichen Arbeiten eini¬ gem Genusse der Kunst, so weit ich dazu fähig wäre, der Bewirthschaftung meiner Felder und Gärten, und hie und da einer gemeinnüzigen Maßregel für die Umgebung zu leben. Manches Mal könnte ich in die Stadt gehen, um meine alten Freunde zu besuchen, und zuweilen könnte ich eine Reise in die entfernteren Länder unternehmen. Ich ging in meine Heimath. Dort fand ich meinen Schwager schon seit vier Jah¬ ren gestorben, das Haus in fremden Händen und völlig umgebaut. Ich reiste bald wieder ab. Nach mehreren mißglückten Versuchen fand ich diesen Plaz, auf dem ich jezt lebe, und sezte mich hier fest. Ich kaufte den Asperhof, baute das Haus auf dem Hü¬ gel, und gab nach und nach der Besizung die Gestalt, in der ihr sie jezt sehet. Mir hatte das Land gefallen, mir hatte diese reizende Stelle gefallen, ich kaufte noch mehrere Wiesen Wälder und Felder hinzu, be¬ suchte alle Theile der Umgebung, gewann meine Be¬ schäftigung lieb, und machte mehrere Reisen in die bedeutendsten Länder Europas. So bleichten sich meine Haare, und Freude und Behagen schien sich bei mir einstellen zu wollen.“ „Als ich schon ziemlich lange hier gewesen war, meldete man mir eines Tages, daß eine Frau den Hügel herangefahren sei, und daß sie jezt mit einem Knaben vor den Rosen, die sich an den Wänden des Hauses befinden, stehe. Ich ging hinaus, sah den Wagen, und sah auch die Frau mit dem Knaben vor den Rosen stehen. Ich ging auf sie zu. Mathilde war es, die einen Knaben an der Hand haltend und von strömenden Thränen überfluthet die Rosen ansah. Ihr Angesicht war gealtert, und ihre Gestalt war die einer Frau mit zunehmenden Jahren.“ „„Gustav, Gustav,““ rief sie, da sie mich ange¬ blickt hatte, „„ich kann dich nicht anders nennen als: du. Ich bin gekommen, dich des schweren Unrechtes willen, das ich dir zugefügt habe, um Vergebung zu bitten. Nimm mich einen Augenblick in dein Haus auf.““ „„Mathilde,““ sagte ich, „„sei gegrüßt, sei auf die¬ 22 * sem Boden, sei tausend Mal gegrüßt, und halte dieses Haus für deines.““ „Ich war mit diesen Worten zu ihr hinzugetreten, hatte ihre Hand gefaßt, und hatte sie auf den Mund geküßt.“ „Sie ließ meine Hand nicht los, drückte sie stark, und ihr Schluchzen wurde so heftig, daß ich meinte, ihre mir noch immer so theuere Brust müsse zer¬ springen.“ „„Mathilde,““ sagte ich sanft, „„erhole dich.““ „„Führe mich in das Haus,““ sprach sie leise.“ „Ich rief erst durch mein Glöckchen, welches ich immer bei mir trage, meinen Hausverwalter herzu, und befahl ihm, Wagen und Pferde unterzubringen. Dann faßte ich Mathildens Arm, und führte sie in das Haus. Als wir in dem Speisezimmer angelangt waren, sagte ich zu dem Knaben: „„Seze dich hier nieder, und warte, bis ich mit deiner Mutter gespro¬ chen, und die Thränen, die ihr jezt so weh thun, ge¬ mildert habe.““ „Der Knabe sah mich traulich an, und gehorchte. Ich führte Mathilde in das Wartezimmer, und both ihr einen Siz an. Als sie sich in die weichen Kissen niedergelassen hatte, nahm ich ihr gegenüber auf einem Stuhle Plaz. Sie weinte fort; aber ihre Thränen wurden nach und nach linder. Ich sprach nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen ihre Tropfen sparsamer und weniger aus den Augen, und endlich trocknete sie die lezten mit ihrem Tuche ab. Wir sassen nun schweigend da, und sahen einan¬ der an. Sie mochte auf meine weißen Haare schauen, und ich blickte in ihr Angesicht. Dasselbe war schon verblüht; aber auf den Wangen und um den Mund lag der liebe Reiz und die sanfte Schwermuth, die an abgeblühten Frauen so rührend sind, wenn gleich¬ sam ein Himmel vergangener Schönheit hinter ihnen liegt, der noch nachgespiegelt wird. Ich erkannte in den Zügen die einstige prangende Jugend.“ „„Gustav,““ sagte sie, „„so sehen wir uns wieder. Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir angethan habe.““ „„Es ist kein Unrecht geschehen, Mathilde,““ sagte ich.“ „„Ja du bist immer gut gewesen,““ antwortete sie, „„das wußte ich, darum bin ich gekommen. Du bist auch jezt gut, das sagt dein liebes Auge, das noch so schön ist wie einst, da es meine Wonne war. O ich bitte dich, Gustav, verzeihe mir.““ „„O theure Mathilde, ich habe dir nichts zu ver¬ zeihen, oder du hast es mir auch,““ antwortete ich. „„Die Erklärung liegt darin, daß du nicht zu sehen vermoch¬ test, was zu sehen war, und daß ich dann nicht näher zu treten vermochte, als ich hätte näher treten sollen. In der Liebe liegt alles. Dein schmerzhaftes Zürnen war die Liebe, und mein schmerzhaftes Zurückhalten war auch die Liebe. In ihr liegt unser Fehler, und in ihr liegt unser Lohn.““ „„Ja in der Liebe,““ erwiederte sie, „„die wir nicht ausrotten konnten. Gustav, ich bin dir doch troz allem treu geblieben, und habe nur dich allein geliebt. Viele haben mich begehrt, ich wies sie ab; man hat mir einen Gatten gegeben, der gut aber fremd neben mir lebte, ich kannte nur dich, die Blume meiner Jugend, die nie verblüht ist. Und du liebst mich auch, das sagen die tausend Rosen vor den Mauern deines Hauses, und es ist ein Strafgericht für mich, daß ich gerade zu der Zeit ihrer Blüthe gekommen bin.““ „„Rede nicht von Strafgerichten, Mathilde,““ er¬ wiederte ich, „„und weil alles Andere so ist, so lasse die Vergangenheit, und sage, welche deine Lage jezt ist. Kann ich dir in irgend etwas helfen?““ „„Nein, Gustav,““ entgegnete sie, „„die größte Hilfe ist die, daß du du bist. Meine Lage ist sehr einfach. Der Vater und die Mutter sind schon längst todt, der Gatte ist ebenfalls vor Langem gestorben, und Alfred — du hast ihn ja recht geliebt —““ „„Wie ich einen Sohn lieben würde,““ antwor¬ tete ich.“ „„Er ist auch todt““ sagte sie, „„er hat kein Weib kein Kind hinterlassen, das Haus in Heinbach und das in der Stadt hat er noch bei seinen Lebzeiten ver¬ kauft. Ich bin im Besize des Vermögens der Familie, und lebe mit meinen Kindern einsam. Lieber Gustav, ich habe dir den Knaben gebracht — — wie wußtest du denn, daß er mein Sohn sei?““ „„Ich habe deine schwarzen Augen und deine brau¬ nen Locken an ihm gesehen,““ antwortete ich.“ „„Ich habe dir den Knaben gebracht,““ sagte sie, „„daß du sähest, daß er ist, wie dein Alfred — fast sein Ebenbild — aber er hat niemanden, der so lieb mit ihm umgeht, wie du mit Alfred umgegangen bist, der ihn so liebt, wie du Alfred geliebt hast, und den er wieder so lieben könnte, wie Alfred dich geliebt hat.““ „„Wie heißt der Knabe?““ fragte ich.“ „„Gustav, wie du,““ antwortete sie.“ „Ich konnte meine Thränen nicht zurückhalten.“ „„Mathilde,““ sagte ich, „„ich habe nicht Weib nicht Kind nicht Anverwandte. Du warst das Ein¬ zige, was ich in meinem ganzen Leben besaß, und be¬ hielt. Lasse mir den Knaben, lasse ihn bei mir, ich will ihn lehren, ich will ihn erziehen.““ „„O mein Gustav,““ rief sie mit den schmerzlich¬ sten Tönen der Rührung, „„wie wahr ist mein Ge¬ fühl, das mich an dich den besten der Menschen wies, als ich ein Kind war, und das mich nicht verlassen hatte, so lange ich lebte.““ „Sie war aufgestanden, hatte ihr Haupt auf meine Schulter gelegt, und weinte auf das Innigste. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, meine Thränen flossen unaufhaltsam, ich schlang meine Arme um sie, und drückte sie an mein Herz. Und ich weiß nicht, ob je der heiße Kuß der Jugendliebe tiefer in die Seele gedrungen, und zu größrer Höhe erhebend gewesen ist als dieses verspätete Umfassen der alten Leute, in denen zwei Herzen zitterten, die von der tiefsten Liebe über¬ quollen. Was im Menschen rein und herrlich ist, bleibt unverwüstlich, und ist ein Kleinod in allen Zeiten.“ „Als wir uns getrennt hatten, geleitete ich sie zu ihrem Size, nahm den meinigen wieder ein, und fragte: „‚Hast du noch andere Kinder?““ „„Ein Mädchen, welches mehrere Jahre älter ist als der Knabe,““ erwiederte sie, „„ich werde dir das¬ selbe auch bringen, es hat ebenfalls die schwarzen Augen und die braunen Haare wie ich. Das Mäd¬ chen behalte ich, den Knaben lasse, weil du so gütig bist, um dich leben, so lange du willst. Er möge wer¬ den wie du. O ich hatte kaum geahnt, wie hier alles werden wird.““ „„Mathilde, beruhige dich jezt,““ sagte ich, „„ich werde den Knaben holen, wir werden mit ihm freund¬ lich sprechen.““ „Ich that es, trat mit dem Knaben an der Hand herein, und wir sprachen mit dem Kinde und abwech¬ selnd unter uns noch eine geraume Weile. Ich zeigte Mathilden hierauf das Haus den Garten den Meier¬ hof und alles Andere. Gegen Abend fuhr sie wieder fort, um in Rohrberg zu übernachten. Den Knaben sollte sie der Verabredung gemäß wieder mit sich neh¬ men, ihn ausrüsten und vorbereiten, und ihn, wie sie es für gelegen halte, bringen. Wir blieben von dem Augenblicke an in Briefwechsel, und als eine Zeit vergangen war, brachte sie mir Gustav, der noch bei mir ist, sie brachte mir auch Natalien, die damals im ersten Aufblühen begriffen war. Eine größere Gleich¬ heit als zwischen diesem Kinde und dem Kinde Ma¬ thilde kann nicht mehr gedacht werden. Ich erschrak, als ich das Mädchen sah. Ob in den Jahren, in denen jezt Natalie ist, Mathilde auch ihr gleich ge¬ wesen ist, kann ich nicht sagen; denn da war ich von Mathilden schon getrennt.“ „Es begann nun eine sehr liebliche Zeit. Mathilde kam mit Natalien öfter, um uns zu besuchen. Ich machte ihr in den ersten Tagen den Vorschlag, daß ich die Rosen, wenn sie ihr schmerzliche Erinnerungen weckten, von dem Hause entfernen wolle. Sie ließ es aber nicht zu, sie sagte, sie seien ihr das Theuerste ge¬ worden, und bilden den Schmuck dieses Hauses. Sie hatte sich zu einer solchen Milde und Ruhe gestimmt, wie ihr sie jezt kennt, und diese Lage ihres Wesens befestigte sich immer mehr, je mehr sich ihre äußeren Verhältnisse einer Gleichmäßigkeit zuneigten, und je mehr ihr Inneres, ich darf es wohl sagen, sich be¬ glückt fühlte. Ein freundlicher Verkehr hatte sich ent¬ wickelt, Gustav hatte sich an mich gewöhnt, ich an ihn, und aus der Gewöhnung war Liebe entstanden. Mathilde gab Rath in meinem Hauswesen, ich in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Nataliens Er¬ ziehung wurde oft zwischen uns besprochen, und Schritte gethan, die wir verabredet hatten. Und in der gegenseitigen Hilfleistung stärkte sich die Neigung, die wir gegen einander hatten, die nie verschwunden war, die sich zu einem edlen tiefen freundlichen Ge¬ fühle gebildet hatte, und die nun offen und rechtmäßig bestehen konnte. Ich hatte wieder Jemanden, den ich zu lieben vermochte, und Mathilde konnte ihr Herz, das mir immer gehört hatte, unumwunden an mein Wohl und an mein Wesen wenden. Nach einer Zeit wurde der Sternenhof verkäuflich. Ich schlug Mathilden den Kauf vor. Sie besah das Gut. Seiner Nachbarschaft mit mir willen und schon seiner Linden willen, die sie an die großen Bäume auf dem Rasen¬ plaze vor dem Hause in Heinbach erinnerten, war sie zu dem Kaufe geneigt. Auch hatte der Sternenhof überhaupt große Ähnlichkeit mit dem Hause in Hein¬ bach, war an sich eine sehr angenehme Besizung, und gab Mathilden für den Rest ihres Lebens einen festen Punkt und einige Abrundung ihrer Verhältnisse. Also wurde er erworben. Um dieselbe Zeit ließ ich in meinem Hause die Wohnung für Mathilden und Natalien herrichten. In dem Sternenhofe war viel Arbeit, bis alles zur gefälligen Wohnlichkeit geordnet war. Und auch nach dieser Zeit wurde beständig geändert und umgewandelt, bis das Haus so war, wie es jezt ist. Und selber jezt, wie ihr wißt, wird dort wie hier gebaut, befestigt, verschönert, und es wird wohl immer so fortgehen. Die Rosen, dieses Merk¬ mal unserer Trennung und Vereinigung, sollten vor¬ zugsweise auf dem Asperhofe bleiben, weil es Ma¬ thilden lieb war, daß sie dieselben dort gefunden hatte. Jede Rosenblüthezeit verlebte sie bei mir, sie liebte diese Blumen außerordentlich, pflegte sie, und konnte sich freuen, wenn sie mir eine Art, die ich noch nicht hatte, zubringen konnte. Dafür ließ ich ihr in ihrem Schlosse die Geräthe machen, die ihr so viel Ver¬ gnügen bereiten. Gustav wurde von Tag zu Tage trefflicher, und versprach, einmal ein Mann zu wer¬ den, woran seines Gleichen Freude haben sollten. Natalie wurde nicht blos schön und herrlich, sondern sie wurde auch im Umgange mit ihrer Mutter so rein und edel, wie wenige sind. Sie hatte das tiefe Ge¬ fühl ihrer Mutter erhalten; aber theils durch ihr Wesen theils durch eine sehr sorgfältige Erziehung ist mehr Ruhe und Stettigkeit in ihr Dasein gekommen. Zwischen Mathilden und mir war ein eigenes Ver¬ hältniß. Es gibt eine eheliche Liebe, die nach den Tagen der feurigen gewitterartigen Liebe, die den Mann zu dem Weibe führt, als stille durchaus auf¬ richtige süsse Freundschaft auftritt, die über alles Lob und über allen Tadel erhaben ist, und die vielleicht das Spiegelklarste ist, was menschliche Verhältnisse aufzuweisen haben. Diese Liebe trat ein. Sie ist innig ohne Selbstsucht, freut sich, mit dem Andern zu¬ sammen zu sein, sucht seine Tage zu schmücken und zu verlängern, ist zart, und hat gleichsam keinen irdischen Ursprung an sich. Mathilde nimmt Antheil an jeder meiner Bestrebungen. Sie geht mit mir in den Räumen meines Hauses herum, ist mit mir in dem Garten, betrachtet die Blumen oder Gemüse, ist in dem Meierhofe, und schaut seine Erträgnisse an, geht in das Schreinerhaus, und betrachtet, was wir machen, und sie betheiligt sich an unserer Kunst und selbst an unsern wissenschaftlichen Bestrebungen. Ich sehe in ihrem Hause nach, betrachte die Dinge im Schlosse im Meierhofe auf den Feldern, nehme Theil an ihren Wünschen und Meinungen, und schloß die Erziehung und die Zukunft ihrer Kinder in mein Herz. So leben wir in Glück und Stettigkeit gleichsam einen Nachsommer ohne vorhergegangenen Sommer, Meine Sammlungen vervollständigen sich, die Bau¬ lichkeiten runden sich immer mehr, ich habe Menschen an mich gezogen, ich habe hier mehr gelernt als sonst in meinem ganzen Leben, die Spielereien gehen ihren Gang, und etwas Weniges nüze ich doch auch noch.“ Er schwieg nach diesen Worten eine Weile, und ich auch. Dann fuhr er wieder fort: „Ich habe das alles mittheilen müssen, damit ihr wißt, wie ich mit der Familie in dem Sternenhofe zusammenhänge, und damit in dem Kreise, in welchen ihr nun auch tretet, für euch Klarheit ist. Die Kinder wissen die Verhält¬ nisse im Allgemeinen, ein näheres Eingehen war für sie nicht so nöthig wie für euch. Ich wünsche nicht, daß ihr gegen eure künftige Gattin Geheimnisse habt, ihr könnt Natalien mittheilen, was ich euch sagte, ich konnte es, wie ihr begreifet, nicht. Über Nataliens Zukunft sprach ich oft mit Mathilden. Sie sollte einen Gatten bekommen, den sie aus tiefer Neigung nimmt. Es sollte die gegenseitige größte Hochachtung vor¬ handen sein. Durch beides sollte sie das Glück finden, das ihre Mutter und ihren väterlichen Freund ge¬ mieden hat. Mathilde hat in Begleitung des alten Raimund, der seitdem gestorben ist, große Reisen gemacht. Sie hat auf denselben dauerndere Ruhe gesucht, und auch gefunden. Sie hat sie in der Be¬ trachtung der edelsten Kunstwerke des menschlichen Ge¬ schlechtes und in bei Anschauung mancher Völker und ihres Treibens gefunden. Natalie ist dadurch befe¬ stigt veredelt und geglättet worden. Manche junge Männer hat sie kennen gelernt, aber sie hat nie ein Zeichen einer Neigung gegeben. Sogenannte sehr glänzende Verbindungen sind auf diese Weise für sie verloren gegangen. Ich hätte auch große Sorge gehabt, wenn ich unter unseren jungen Männern hätte wählen müssen. Als ihr zum ersten Male an dem Gitter meines Hauses standet, und ich euch sah, dachte ich: „das ist vielleicht der Gatte für Natalien.“ Warum ich es dachte, weiß ich nicht. Später dachte ich es wieder, wußte aber warum. Natalie sah euch, und liebte euch, so wie ihr sie. Wir kannten das Keimen der gegenseitigen Neigung. Bei Na¬ talien trat sie Anfangs in einem höheren Schwunge ihres ganzen Wesens später in einer etwas schmerz¬ lichen Unruhe auf. In euch erschloß sie euer Herz zu einer früheren Blüthe der Kunst und zu einem Ein¬ gehen in die tieferen Schäze der Wissenschaft. Wir warteten auf die Entwicklung. Zu größerer Sicherheit und zur Erprüfung der Dauer ihrer Gefühle brachten wir absichtlich Natalien zwei Winter nicht in die Stadt, daß sie von euch getrennt sei, ja sie wurde von ihrer Mutter wieder auf größere Reisen und in größere Gesellschaften gebracht. Ihre Gefühle aber blieben beständig, und die Entwicklung trat ein. Wir geben euch mit Freuden das Mädchen in eure Liebe und in euren Schuz, ihr werdet sie beglücken, und sie euch; denn ihr werdet euch nicht ändern, und sie wird sich auch nicht ändern. Gustav wird einmal den Sternenhof und was dazu gehört, erhalten; denn das Haus ist Mathilden so lieb geworden, daß sie wünscht, daß es ein Eigenthum ihrer Familie bleibe, und daß die kommenden Geschlechter das ehren, was die erste Besizerin darin niedergelegt hat. Gustav wird es thun, das wissen wir schon, und seinen Nachfolgern die gleiche Gesinnung einzupflanzen, wird wohl auch sein Bestreben sein. Natalie erhält von mir den Asperhof mit allem, was in ihm ist, nebst meinen Barschaften. Ihr werdet mein Andenken hier nicht verunehren.“ Mir traten die Thränen in die Augen, da er so sprach, und ich reichte ihn, meine Hand hinüber. Er nahm sie, und drückte sie herzlich. „Ihr könnt hier auf dem Asperhofe wohnen oder in dem Sternenhofe oder bei euren Eltern. Überall wird Plaz für euch zu machen sein. Ihr könnt auch euern Aufenthalt abwechselnd zwischen uns theilen, und das wird wohl wahrscheinlich der Fall sein, bis sich alle unsere Verhältnisse dem neuen Ereignisse gemäß gerichtet haben. Die Schriften bezüglich der Übertragung meines Vermögens an Natalien werden ihr nach der Vermählung eingehändigt werden. So lange ich lebe, erhält sie einen Theil, den Rest nach meinem Tode. Wie ihr mit dem, was sie jezt em¬ pfängt, gebaren sollt, darüber wird euer Vater die beste Belehrung geben können. Er wird wohl mit mir auch darüber sprechen. Natalie erhält auch nach ihrer Vermählung den Theil, der ihr aus dem Nachlasse ihres Vaters Tarona gebührt.“ „Ist Nataliens Name Tarona?“ fragte ich. „Habt ihr das nicht gewußt?“ fragte er seiner¬ seits. „Ich habe Mathilden immer die Frau von Ster¬ nenhof nennen gehört,“ antwortete ich, „bin mit Ma¬ thilden und Natalien nirgends zusammen gewesen als im Sternenhofe Asperhofe und Inghofe, und da wurden beide stets bei ihrem Vornamen genannt. Weitere Forschungen stellte ich gar nie an.“ „Mathilde ließ geschehen, daß sie nach dem Ster¬ nenhofe geheißen wurde, der Name war ihr lieber. Stifter , Nachsommer. III . 23 So mag es wohl gekommen sein, daß ihr keinen an¬ dern gehört habt. Für Gustav wird die Erlaubniß zur Führung dieses Namens nachgesucht werden.“ „Aber die Tarona, erzählte man mir, sei gerade in jenem Winter, an welchem ich Natalien in der Loge gesehen habe, nicht in der Stadt gewesen,“ sagte ich, und dachte an Preporn, welcher mir diese That¬ sache mitgetheilt hatte. „Ganz richtig,“ erwiederte mein Gastfreund, „wir sind auch nur zur Aufführung des König Lear hin¬ gefahren. Ich war in der Loge hinter Natalien, habe euch aber nicht gesehen.“ „Ich euch auch nicht,“ antwortete ich. „Natalie hat uns von dem jungen Manne erzählt, der ihr im Schauspielhause aufgefallen sei,“ erwie¬ derte er, „aber erst nach langer Zeit konnte sie uns eröffnen, daß ihr es gewesen seid.“ „Habe ich euch nicht einmal im Winter in der Stadt nach der Wiedergenesung des Kaisers mit euren Ehrenzeichen geschmückt fahren gesehen?“ fragte ich. „Das ist möglich,“ antwortete er, „ich war in jener Zeit in der Stadt und an dem Hofe.“ „Nun mein sehr lieber junger Freund,“ sagte er nach einer Weile, „ich habe euch von meinem Leben erzählt, da ihr einer der unseren werden sollt, ich habe zu euch von meinem tiefsten Herzen geredet, und jezt enden wir dieses Gespräch.“ „Ich bin euch Dank schuldig,“ antwortete ich, „allein all das Gehörte ist noch zu mächtig und neu in mir, als daß ich jezt die Worte des Dankes finden könnte. Nur eins berührt mich fast wie ein Schmerz, daß ihr mit Mathilden nach eurer Wiedervereinigung nicht in einen nähern Bund getreten seid.“ Der Greis erröthete bei diesen Worten, er errö¬ thete so tief und zugleich so schön, wie ich es nie an ihm gesehen hatte. „Die Zeit war vorüber,“ antwortete er, „das Ver¬ hältniß wäre nicht mehr so schön gewesen, und Ma¬ thilde hat es auch wohl nie gewünscht.“ Er war schon früher aufgestanden, jezt reichte er mir die Hand, drückte die meine herzlich, und verließ das Zimmer. Ich blieb eine geraume Weile stehen, und suchte meine Gedanken zur Sammlung zu bringen. Das wäre mir nie zu Sinne gekommen, als ich zum ersten Male zu diesem Hause heraufstieg, und des andern Tages seinen Inhalt sah, daß alles so kommen würde, wie es kam, und daß das alles zu meinem Eigen¬ 23 * thume bestimmt sei. Auch begriff ich jezt, weßhalb er meistens, wenn er von seinem Besize sprach, das Wort „unser“ gebrauchte. Er bezog es schon auf Mathilden und ihre Kinder. Nachdem ich noch eine Zeit in meiner Wohnung verweilt hatte, verließ ich sie, um in frischer Luft einen Spaziergang zu machen, und noch das Gehörte in mir ausklingen zu lassen. 5. Der Abschluß. Am nächsten Tage ging ich im Laufe des Vor¬ mittages zu einer Stunde, an welcher ich meinen Gastfreund weniger beschäftigt wußte, in gewähltem Anzuge in seine Stube, und dankte ihm innig für das Vertrauen, welches er mir geschenkt habe, und für die Achtung, welche er mir dadurch erweise, daß er mich würdig erachte, Nataliens Gatte zu werden. „Was das Vertrauen anbelangt,“ erwiederte er, „so ist es natürlich, daß man nicht jeden, der uns ferne steht, in unsere innersten Angelegenheiten ein¬ weiht; aber eben so natürlich ist es, daß derjenige, der für die Zukunft einen Theil, ich möchte sagen, unserer Familie ausmachen wird, auch alles wisse, was diese Familie betrifft. Ich habe euch das Wesent¬ lichste gesagt, einzelne kleine Umstände, die der Vor¬ stellungskraft nicht immer gegenwärtig sind, ändern wohl an der Sachlage nichts. Was die Hochachtung anbelangt, die darin liegt, daß ich euch zu Nata¬ liens Gatten geeignet erachte, so habt ihr vor allen Männern dieser Erde den unermeßlichen Vorzug, daß euch Natalie liebt, und euch und keinen an¬ dern will; aber auch troz dieses Vorzuges würden Mathilde und ich, dem man hierin ein Recht einge¬ räumt hat, nie eingewilligt haben, wenn uns euer Wesen nicht die Zuversicht eingeflößt hätte, daß da ein dauernd glückliches Familienband geknüpft werden könne. Was die Hochachtung anbelangt, die ich euch abgesehen von dieser Angelegenheit schuldig bin, so habe ich meiner Meinung nach euch die Beweise der¬ selben gegeben. Wenn ich auch gedacht habe, ihr dürftet Nataliens künftiger Gatte sein, so war der Eintritt dieses Ereignisses so unbestimmt, da es ja auf die Entstehung einer gegenseitigen Neigung an¬ kam, daß der Gedanke daran auf mein Benehmen gegen euch keinen Einfluß haben konnte, ja im Ver¬ laufe der Zeiten war der Gedanke erst der Sohn mei¬ ner Meinung von euch.“ „Ihr habt mir wirklich so viele Beweise eures Wohlwollens und eurer Schonung gegeben,“ antwor¬ tete ich, „daß ich gar nicht weiß, wie ich sie verdiene; denn Vorzüge von was immer für einer Art sind gar nicht an mir.“ „Das Urtheil über den Grund, woraus Achtung und Neigung oder Mißachtung und Abneigung ent¬ steht, muß immer andern überlassen werden; denn wenn man zulezt auch annähernd weiß, was man in einem Fache geleistet hat, wenn man sich auch seines guten Willens im Wandel bewußt ist, so kennt man doch alle Abschattungen seines Wesens nicht, in wie ferne sie gegen andere gerichtet sind, man kennt sie nur in der Richtung gegen sich selbst, und beide Rich¬ tungen sind sehr verschieden. Übrigens, mein lieber Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung ist, daß man in der Gesellschaft der Menschen einen gewissen Anstand und Abstand in Kleidern und sonstigem Be¬ nehmen zeigt, so wäre es in der eigenen Familie eine Last. Komme also in Zukunft in deinen Alltagsge¬ wändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter deiner Braut bin, so betrachte mich als einen solchen, wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird schon alles recht werden, es wird schon alles gut werden.“ Er hatte bei diesen Worten die Hand auf mein Haupt gelegt, sah mich an, und in seinen Augen stan¬ den Thränen. Ich hatte nie im Verkehre mit mir die Augen die¬ ses Greises naß werden gesehen; ich war daher sehr erschüttert, und sagte: „So erlaubt mir, daß ich in dieser ernsten Stunde auch meinen Dank für das aus¬ spreche, was ich in diesem Hause geworden bin; denn wenn ich irgend etwas bin, so bin ich es hier gewor¬ den, und gewährt mir in dieser Stunde auch eine Bitte, die mir sehr am Herzen liegt: erlaubt, daß ich eure ehrwürdige Hand küsse.“ „Nun, nur dieses eine Mal,“ erwiederte er, „oder höchstens noch einmal, wenn du mit Natalien, die ein Kleinod meines Herzens ist, von dem Altare gehst.“ Ich faßte seine Hand und drückte sie an meine Lippen; er legte aber die andere um meinen Nacken, und drückte mich an sein Herz. Ich konnte vor Rüh¬ rung nicht sprechen. „Bleibe noch eine Weile in diesem Hause,“ sagte er später, „dann gehe zu den Deinigen und leiste ihnen Gesellschaft. Dein Vater bedarf deiner Person auch.“ „Darf ich den Meinigen eure Mittheilung erzäh¬ len?“ fragte ich. „Ihr müßt es sogar thun,“ antwortete er, „denn eure Eltern haben ein Recht, zu wissen, in welche Ge¬ sellschaft ihr Sohn durch Schließung eines sehr hei¬ ligen Bundes tritt, und sie haben auch ein Recht zu wünschen, daß ihr Sohn nicht Geheimnisse vor ihnen habe. Ich werde übrigens wohl selber mit eurem Vater über dieses und viele andere Dinge sprechen.“ Wir beurlaubten uns hierauf, und ich verließ das Zimmer. Den Rest des Vormittages verbrachte ich mit Ab¬ fassung eines Briefes an meine Eltern. Am Nachmittage suchte ich Gustav auf, und er erhielt die Erlaubniß, mit mir einen weiteren Weg in der Gegend zu machen. Wir kamen in der Däm¬ merung zurück, und er mußte die Zeit, welche er am Tage verloren hatte, bei der Lampe nachholen. Unter Arbeiten in meinen Papieren, in welche ich einige Ordnung zu bringen suchte, im Um¬ gange mit meinem Gastfreunde, der mir leutselig manche Zeit schenkte, unter manchem Besuche im Schreinerhause, wo Eustach sehr beschäftigt war, oder bei seinem Bruder Roland, der jeden lichten Augenblick des Tages zu seinem Bilde benüzte, und endlich unter manchem weiten Gange in der Umge¬ bung, da dieser Winter der erste war, den ich so tief im Lande zubrachte, verging noch die Zeit bis gegen die Mitte des Hornung. Ich nahm nun Abschied, sendete meine Sachen auf die Post nach Rohrberg und ging zu Fuße nach, harrte dort der Ankunft des Wa¬ gens aus dem Westen, erhielt, da er gekommen war, einen Plaz in ihm, und fuhr meiner Heimath zu. Ich wurde wie immer sehr freudig von den Mei¬ nigen gegrüßt, und mußte ihnen von der Winterreise im Hochgebirge erzählen. Ich that es, und erzählte ihnen in den ersten Tagen auch, was mir mein Gast¬ freund mitgetheilt hatte. Es war ihnen bisher unbe¬ kannt gewesen. „Ich habe Risach oft nennen gehört,“ sagte mein Vater, „und stets war der Ausdruck der Hochachtung mit der Nennung seines Namens verbunden. Von der Familie, welche Heinbach besaß, habe ich nur Alfred flüchtig gekannt. Mit Tarona war ich einmal in einer entfernten Geschäftsverbindung gestanden.“ Die Jugendbeziehungen meines Gastfreundes zu Mathilden mußten sehr geheim gehalten worden sein, da weder je der Vater noch irgend jemand aus seiner Bekanntschaft von dieser Sache etwas gehört hatte, obwohl über ähnliche Gegenstände die Sprechlust am regesten zu sein pflegt. Daß meine Mitthei¬ lungen auf meine Angehörigen nach dem Bunde mit Natalien den größten Eindruck machten, ist be¬ greiflich. Deßohngeachtet hatte ich doch auch dem Vater etwas gebracht, was ihn sehr freute. Ich war in den lezten Tagen meines Aufenthaltes in dem Ro¬ senhause noch bei dem Gärtner gewesen, und hatte ihn ersucht, mir die Vorschrift zur Bereitung des Bindemittels an den Gläsern des Gewächshauses zu verschaffen, wodurch das Hineinziehen des Was¬ sers zwischen die Gläser und das dadurch bewirkte Herabtropfen verhindert wird. Er hatte die Vorschrift wohl nicht selber, ging aber zu meinem Gastfreunde, und durch diesen erhielt ich sie. Ich erzählte meinem Vater von der Sache, und übergab ihm die Anlei¬ tung zur Bereitung. „Das wird das für die Pflanzen so schädliche Herabtropfen des Winterwassers in unserem hiesigen Gewächshause also für die Zukunft verhindern,“ sagte er, „noch mehr freue ich mich aber, es gleich neu in den neuen Gewächshäusern anwenden zu können, welche neben dem Landhause stehen werden, das ich bauen werde.“ Die Mutter lächelte. „Bereitet euch einstweilen auf die Reise in den Sternenhof und in das Rosenhaus vor,“ sagte der Vater, „alles andere ist geschehen, der Schritt, der nun zu thun ist, liegt uns ob. In den ersten Tagen des Frühlings werden wir hinreisen und ich werde für meinen Sohn werben. Ihr Weiber bereitet euch gerne auf solche Dinge vor, thut es, und beeilt euch, ihr habt nicht lange Zeiten vor euch, zwei Monate und etwas darüber. Was mir bis dahin obliegt, wird nicht auf sich warten lassen.“ Daß diese Maßregel Beifall hatte, ging aus der Sachlage hervor; die Zeit zur Vorbereitung aber wollte man etwas kurz nennen. Der Vater sagte, es dürfe nicht das Geringste zugegeben werden, weil man es sonst der Wichtigkeit des Verhältnisses nähme. Das war einleuchtend. Es ging nun an ein Arbeiten und Bestellen, und kein Tag war, dem nicht seine Last zugetheilt wurde. Die Mutter traf auch Vorbereitungen für den Fall, daß die neuen Ehegatten in ihrem Hause wohnen würden. Der Vater sagte ihr zwar, daß meiner Ver¬ bindung noch meine große Reise vorangehen werde; allein sie widerlegte ihn mit der Bemerkung, daß es keinen Schaden bringe, wenn manches früher fertig sei, als man es eben brauche. Er ließ sofort ihrem hausmütterlichen Sinne seinen Lauf. Zu Ende des Märzes brachte der Vater einen sehr schönen Wagen in das Haus. Es war ein Reisewagen für vier Personen. Er hatte den Wagen nach seinen eigenen Angaben machen lassen. „Wir müssen unsere Freunde ehren,“ sagte er, „wir müssen uns selber ehren, und wer kann wis¬ sen, ob wir den Wagen nicht noch öfter brauchen werden.“ Er verlangte, daß man ihn genau besehe, und in Hinsicht seiner Bequemlichkeit besonders für Reise¬ gegenstände von Frauen prüfe. Es geschah, und man mußte die Einrichtung des Wagens loben. Es war Festigkeit mit Leichtigkeit verbunden und bei einer gefälligen Gestalt both er Räumlichkeit für alle nöthi¬ gen Dinge. „Ich bin nun fertig,“ sagte er, „sorgt, daß eure Vorbereitungen nicht zu lange dauern.“ Aber auch die Frauen waren zu der rechten Zeit in Bereitschaft. Der Vater hatte den Beginn der Baumblüthe und des Blätterknospens als Reisezeit bestimmt, und zu dieser Zeit fuhren wir auch fort. Ich fuhr nun einen Weg, den ich so oft allein oder mit Fremden in einem Wagen zurückgelegt hatte, mit allen meinen Angehörigen. Wir fuhren mit Pferden, die wir uns auf jeder Post geben ließen; allein wir fuhren zur Bequemlichkeit der Mutter und Klotildens, weßhalb wir uns oft länger an einem Orte aufhielten, und kleine Tagereisen machten. Ein sehr schönes Wetter und eine Fülle von weißen und rothschimmernden Blüthen begleitete uns. Am vierten Tage vormittags fuhren wir in den, Sternenhofe ein. Mathilde war von unserer Ankunft unterrichtet worden. Wir hatten das Wagendach zurückgelegt, und alle Blicke meiner Angehörigen hafteten schon von weiter Entfernung her auf dem Blüthenhügel, auf dem das Schloß stand, sie richte¬ ten sich jezt auf die Gestalt des Bauwerkes, endlich auf das Sternenschild über dem Thore, auf die Wöl¬ bung des Thorweges, und zulezt auf Mathilden und Natalien, die da standen, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus. Natalie wechselte die Farben zwi¬ schen Blaß und Purpurroth. Man wartete nicht wei¬ ter mit dem Gruße. Klotilde und Natalie lagen sich an dem Halse, und weinten. Meine ehrwürdige Mut¬ ter war von Mathilden umfaßt und an das Herz ge¬ drückt. Dann wurde der Vater von ihr anmuthsvoll und herzlich gegrüßt, sie reichte ihm beide Hände, und sah ihn mit ihren Augen, die noch immer so schön waren, auf das Innigste an. Natalie hatte indessen die Hand meiner Mutter gefaßt, und sie geküßt. Diese gab den Kuß auf die Stirne des schö¬ nen Mädchens zurück. Der Vater wollte wahrschein¬ lich etwas Heiteres oder gar Scherzhaftes zu Natalien sagen; aber als er sie näher anblickte, wurde er sehr ernst und beinahe scheu, er grüßte sie anständig und sehr fein. Wahrscheinlich hatte ihn ihre Schönheit überrascht, oder er erinnerte sich, wie es auch mir ergangen war, an die Pracht seiner geschnittenen Steine. Klotilde wurde von Mathilden auch an das Herz gedrückt. Auf mich dachte beinahe niemand. Ob dieser Empfang der strengen Umgangssitte oder irgend einer Rangordnung gemäß war, darnach fragte niemand. Wir gingen unter einander gemischt die Treppe hinan, und wurden in Mathildens Gesell¬ schaftszimmer geführt. Dort lieh man den Grüßen erst lebhaftere Worte und einen geregelten Ausdruck. „So lange haben wir uns gekannt, und erst jezt sehen wir uns,“ sagte Mathilde zu meinen Eltern, als sie dieselben zum Niedersizen auf ihre Pläze ver¬ anlaßt hatte. „Es war ein Wunsch von vielen Jahren,“ entgeg¬ nete mein Vater, „daß wir die Menschen sähen, die gegen meinen Sohn so wohlwollend waren, und die sein Wesen so sehr gehoben hatten.“ „Das ist nun Natalie, meine theure Klotilde,“ sagte ich, indem ich beide Mädchen einander vorstellte, „das ist Natalie, die ich so sehr liebe, so sehr wie dich selbst.“ „Nein mehr als mich, und so ist es auch recht,“ erwiederte Klotilde. „Sei meine Schwester,“ sagte Natalie, „ich werde dich lieben wie eine Schwester, ich werde dich lieben, so sehr es nur mein Herz vermag.“ „Ich nenne dich auch du,“ erwiederte Klotilde, „ich liebe meinen Bruder wie mein eigenes Herz, und werde dich auch so lieben.“ Die beiden Mädchen umarmten sich wieder, und küßten sich wieder. Als wir uns um den Tisch gesezt hatten, sagte ich zu Natalien: „Und mich grüßt ihr beinahe gar nicht.“ „Ihr wißt es ja doch,“ erwiederte sie, indem sie mich freundlich ansah. Das Gespräch dauerte nun allgemeiner über den¬ selben Gegenstand fort. Die zwei Frauen konnten sich kaum genug betrach¬ ten, und nahmen sich immer wieder bei den Händen. Als man endlich auf andere Gegenstände über¬ gegangen war, und über die Reise und ihre Annehm¬ lichkeiten und Unannehmlichkeiten gesprochen hatte, sagte mein Vater, daß wir noch sämtlich in Reise¬ kleidern seien, daß wir uns verabschieden müßten, und er fragte, wann er die Ehre haben könnte, sich Mathilden wieder vorstellen zu dürfen. „Nicht Vorstellung,“ erwiederte sie, „Besuch, wann ihr immer wollt.“ „Also in zwei Stunden,“ entgegnete mein Vater. Wir gingen in unsere Zimmer, und mein Vater wies uns an, uns in Festkleider zu kleiden. Nach zwei Stunden ging er allein mit der Mutter, beide wie an einem hohen Festtage geschmückt, zu Mathilden, welche sie zu sprechen verlangten. Mathilde empfing sie in dem großen Gesellschaftszimmer, und mein Va¬ ter warb um die Hand Nataliens für mich. Nach wenigen Augenblicken wurden Natalie Klo¬ Stifter , Nachsommer. III. 24 tilde und ich hineingerufen, und Mathilde sagte: „Der Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie.” Natalie, welche in einem so festlichen Kleide da stand, wie ich sie nie gesehen hatte, weßhalb sie mir beinahe fremd erschien, blickte mich mit Thränen in den Augen an. Ich ging auf sie zu, faßte sie an der Hand, führte sie vor ihre Mutter, und wir sprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete sehr freund¬ lich. Dann gingen wir zu meinen Eltern, und dank¬ ten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich ant¬ worteten. Klotilde war in ihrem Festanzuge sehr be¬ fangen, was auch fast bei allen andern der Fall war. Mein Vater löste die Stimmung, indem er zu einem Tische schritt, auf welchen er ein Kästchen niederge¬ stellt hatte. Er nahm das Kästchen, näherte sich Na¬ talien, und sagte: „Liebe Braut und künftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geschenk; aber es ist eine Bedingung daran geknüpft. Ihr seht, daß ein Faden um das Schloß liegt, und daß der Faden ein Siegel trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet ihr dann auch sehen. Wollt ihr sie freundlich er¬ füllen?” „Ich danke für eure Güte innig,“ antwortete Na¬ talie, „und ich werde die Bedingung erfüllen.“ Sie empfing das Kästchen aus der Hand des Vaters. Auch die Mutter und Klotilde gaben ihr Geschenke, so wie Mathilde und Natalie Gegenstände aus den benachbarten Zimmern herbeiholten, um die Mutter Klotilden und den Vater zu beschenken. Na¬ talie und ich gaben uns nichts. Dann sezten wir uns um einen Tisch nieder, und es begannen herzliche Ge¬ spräche. Am Schlusse sagte Mathilde: „So wäre denn der Bund, den die Herzen unserer Kinder ge¬ schlossen haben, auch durch die Beistimmung der El¬ tern bekräftigt. Der Tag der ewigen Verbindung mag nach ihrem Wunsche und unserer Meinung fest¬ gesezt werden. Wir wollen darüber jezt nicht sprechen, sondern es der Berathung und Vereinbarung anheim¬ geben.“ Nach diesen Worten trennten wir uns, und bega¬ ben uns in unsere Zimmer. Die festlichen Kleider wurden nun abgelegt, und es begann das Besuchsleben, wie es in ähnlichen Ver¬ hältnissen, und namentlich, wenn man in so nahe Beziehungen getreten ist, der Fall zu sein pflegt. Mathilde führte nach und nach den Vater und die 24 * Mutter in alle Theile des Schlosses des Gartens des Meierhofes der Felder der Wiesen und der Wälder. Sie zeigte ihnen alle Zimmer des Hauses: ihre Wohnzimmer die Zimmer mit den alten Geräthen, sie zeigte ihnen die Bilder und was sich nur immer in dem Schlosse befand. Sie ging mit ihnen in den Garten: zu den Linden zu allen Obstbäumen zu den Blumenbeeten in die Grotte mit der Brunnennimphe auf die Eppichwand und in jede Anlage, die in dem Garten enthalten war. Ebenso wurde alles, was sich auf die Landwirtschaft bezog, auf das Genaueste durchgenommen. Gegen den Abend, wenn die Son¬ nenstrahlen milde auf die blühende Erde leuchteten, wurde ein gemeinschaftlicher Gang durch irgend einen Theil der Gegend gemacht. Wiederholt gingen wir die ganze Länge des Berührweges durch, und die El¬ tern fanden Gefallen an dieser Bahn, die eine freie und rüstige Bewegung in trüben Tagen so wie im Winter auf eine angenehme Weise gestatte. Der Va¬ ter konnte über alles der Freude und des Lobes kein Ende finden. Mathilde und die Mutter sprachen oft lange und immer sehr freundlich mit einander, sie tauschten wahrscheinlich ihre Ansichten über Häus¬ lichkeit und Verwaltung des Zugehörigen aus. Na¬ talie und Klotilde waren fast unzertrennlich, sie schlos¬ sen sich an einander an, bezeigten sich jede Innigkeit, und oft, wenn wir alle in das Schloß zurückgekehrt waren, gingen sie noch auf einem einsamen Wege des Gartens oder auf einem Pfade des nächstgelegenen Feldes herum. „Siehst du, Klotilde,“ sagte ich, „ich konnte dir kein Bild von Natalien bringen, weil keins da war, jezt hast du sie selber.“ „Um wie viel lieber als jedes Bild,“ antwortete sie, „aber ein Bild muß doch ausgeführt werden, da¬ mit man später wisse, wie sie in diesen Jahren aus¬ gesehen habe.“ Acht Tage entließ uns Mathilde nicht von dem Sternenhofe, und jeder Tag fand seine freundliche Beschäftigung. Am neunten wurden die Anstalten gemacht, daß wir alle in das Rosenhaus abreisen konnten. Mathilde und die Eltern fuhren in unserem Reisewagen. Natalie Klotilde und ich in dem Wagen Mathildens. Als wir den Hügel hinanfuhren, konnte mein Vater seine Neugierde kaum mehr bemeistern. Ich sah ihn öfter in dem Wagen aufstehen, und herumblicken. Es war ein wolkig heiterer Tag, Strichregen gingen auf entferntere Wälder nieder, Sonnenblicke schnitten goldne Bilder auf den Hügeln und Ebenen aus, und das Haus meines Gastfreundes schaute sanft von seiner Anhöhe hernieder. Obwohl, da wir von der Stadt abfuhren, dort bereits alles in Blüthe stand, war in der Umgebung des Rosenhauses troz der Zeit, die wir auf der Reise und in dem Hause Ma¬ thildens zugebracht hatten, doch noch die Baumblüthe nicht vorüber, sondern sie war erst in ihrer vollen Entfaltung. Denn das Land hier lag um ein Be¬ deutendes höher als die Stadt. Ein Theil des Win¬ tergetreides stand auf dem Hügel in üppigstem Wuchse, ein Theil schickte sich dazu an, das Sommergetreide keimte hie und da, und hie und da war noch die braune Erde zu sehen. Mein Gastfreund hatte durch Mathilden Nach¬ richt von unserer Ankunft erhalten. Als wir bei dem Gitter anfuhren, stand er mit Gustav Eustach Roland mit der Haushälterin Katharine mit dem Hausver¬ walter mit dem Gärtner und anderen Leuten auf dem Sandplaze vor dem Gitter, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus, und da standen sich nun mein Vater und mein Gastfreund gegenüber. Der leztere hatte schneeweiße Haare mein Vater etwas minder weiße, aber liebe ehrwürdige Männer waren beide. Sie reichten sich die Hand, sahen sich einen Augenblick an, und schüttelten sich dann ihre Rechte herzlich. „Seid mir gegrüßt, seid mir tausendmal gegrüßt an meiner Schwelle,“ sagte mein Gastfreund, „selten ist hier einer eingegangen, der so willkommen gewesen wäre wie ihr, und selten habe ich mich nach jemanden so gesehnt wie nach euch. Wir sind nun so lange in Verbindung und ich habe euch schon so lange in der Liebe eures Sohnes geliebt.“ „Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes,“ erwiederte mein Vater, „es ist einer meiner liebsten Tage, der mich unter dieses Dach bringt. Ich komme in das Haus des Mannes, den ich durch meinen Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hoch¬ achten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes belastet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es nur im geringsten Maße um euch verdient hatte.“ „Laßt das jezt, es machte mir ja selber Freude,“ entgegnete mein Gastfreund, „aber seht, so begeht man Fehler, wenn man von einer Leidenschaft befan¬ gen ist, besonders, wenn zwei alte Alterthumsfreunde zusammentreffen. Ich habe versäumt, eurer verehrten Gattin meinen ersten Gruß darzubringen, wie es Pflicht gewesen wär. Aber theure Frau, ihr werdet es, wenn auch nicht ganz entschuldigen, doch als ein geringeres Vergehen ansehen, als eine andere Frau, da ihr euren Gatten und seine Beziehungen zu seinen Schäzen kennt. Seid mir gegrüßt, und wenn ich sage, daß ich euch nicht minder als euren Gatten hie¬ her gewünscht habe, so sage ich die Wahrheit, und euer eigener Sohn ist gegen euch Zeuge, wenn ihr meine Worte bezweifeln wolltet. Es freut mich, euch in mein Haus führen zu können, erlaubt, daß ich eure Hand fasse. Mathilde Natalie Heinrich, ihr müsset heute etwas Nebensache sein, und dieses Fräu¬ lein, das ich wohl schon als Klotilde kenne, wird erlauben, daß ich sie auch ein wenig liebe und um Gegenneigung bitte. Gustav, führe das Fräulein.“ „Gönnt mir die Gnade, euch führen zu dürfen,“ sagte Gustav zu Klotilden. Sie sah den Jüngling sanft an, und sagte: „Ich bitte um die Gefälligkeit.“ „Ehe wir gehen,“ sagte mein Gastfreund noch, „sehet noch hier meine zwei ausgezeichneten Künstler Eustach und Roland, die mit mir in unserem Besize leben, den ich Sorgenfrei nennen würde, wenn er nicht voll von Sorgen steckte. Sie wollen euch vor dem Hause begrüßen. Seht da auch meine Katharine, die das Haus zusammenhält, und dann meinen Haus¬ verwalter und Gärtner und andere, welche die Lust des Empfanges nicht missen wollten.“ Mein Vater reichte jedem die Hand, und die Mut¬ ter und Klotilde verbeugten sich auf das Artigste. Hierauf nahm mein Gastfreund den Arm meiner Mutter mein Vater den Mathildens ich Nataliens Gustav Klotildens und so gingen wir bei dem Eisen¬ gitter in den Garten und in das Haus. Die Wägen fuhren in den Meierhof. In dem Hause wurden wir gleich in unsere Zimmer geführt. Mathilde und Na¬ talie gingen in ihre gewöhnliche Wohnung. Für mei¬ nen Vater und für meine Mutter war ein Aufenthalt von drei Zimmern eigens gerichtet worden. Sie hat¬ ten sehr schöne Wandbekleidungen und vorzügliche Geräthe. Für alle und jede Bequemlichkeit war ge¬ sorgt. Klotilde hatte ein zierliches blaßblaues Zim¬ merchen daneben. Ich ging von der Wohnung meiner Eltern in meine Zimmer, welche die gewöhnlichen waren. Gustav besuchte mich hier in dem ersten Au¬ genblicke, und umschlang mich mit der größten Freude und Liebe. „Nun ist doch alles sicher und gewiß,“ sagte er. „Sicher und gewiß,“ entgegnete ich, „wenn Gott sein Vollbringen gibt. Jezt bist du mein theurer viel¬ geliebter Bruder in der That, wenn du es auch der Fassung nach erst in einiger Zeit wirst.“ „Darf ich auch du sagen?“ fragte er. „Von ganzem Herzen,“ erwiederte ich. „Also du, mein geliebter mein theurer Bruder,“ sagte er. „Auf immer, so lange wir leben, was auch sonst für Zwischenfälle kommen mögen,“ sagte ich. „Auf immer,“ antwortete er, „aber jezt kleide dich schnell um, damit du nicht zu spät kommst. Man wird in dem Besuchsaale zu ebener Erde noch einmal zu einem Grusse zusammenkommen, ehe man zum Mit¬ tagessen geht. Ich muß mich selber zurecht richten.“ Es war so, wie Gustav gesagt hatte, und es war an alle die Einladung ergangen. Er verließ mich, und ich kleidete mich um. Wir versammelten uns in dem Besuchzimmer zu ebener Erde, in welchem ich, da ich das erste Mal in diesem Hause war, allein gewartet hatte, während mein Gastfreund gegangen war, ein Mittagessen für mich zu bestellen. Ich hatte damals den Gesang der Vögel hereingehört. Der eingelegte Fußboden war heute mit einem sehr schönen Teppiche ganz über¬ spannt. Auch Eustach und Roland waren zu der Ver¬ sammlung eingeladen worden. Als sich alle eingefunden hatten, stand mein Gast¬ freund, welcher so festlich angezogen war wie wir, auf, und sprach: „Ich richte noch einmal an alle, welche gekommen sind, den Empfangsgruß innerhalb der Wände dieses Hauses. Es ist ein schöner Tag. Wenn gleich mancher liebe Freund und gewissermassen Schlachtkamerade, den ich noch besize, nicht hier ist, so kann eben nicht immer alles, was man liebt, ver¬ sammelt sein. Das Eigentliche ist hier, ist aus einem lieben Anlasse hier, aus welchem ein noch schönerer Tag für manche hervorgehen kann. Ihr sehr hochge¬ ehrte Frau, die Mutter des jungen Mannes, welcher zu verschiedenen Malen unter dem Dache dieses Hau¬ ses gewohnt hat, seid dem Hause willkommen. Es hat euren Namen oft gehört und die Namen eurer Tugenden, und wenn der Schall der Rede oft auch ganz Anderes zu verkünden schien, so gingen unbe¬ wußt eure Eigenschaften daraus hervor, sammelten sich hier, und erzeugten Ehrerbiethung und, erlaubt einem alten Manne das Wort, Liebe. Ihr, mein edler Freund — gönnt mir den Namen auch, den ich euch so gerne gebe — ein graues Haupt wie ich, aber ehrwürdiger in der Verehrung seiner Kinder, und darum auch in der anderer Leute, ihr habt mit eurer Gattin un¬ sichtbar dieses Haus bewohnt, und ehrt es, da es eure Gestalt nun selber in seinen Räumen sieht. Ihr, Klo¬ tilde, wandeltet mit euren Eltern hier, und seid gleich¬ falls in eurem Eigenthume. Zu dir, Mathilde, spre¬ che ich erst jezt, nachdem ich zu den andern gesprochen habe, die nicht so oft die Schwelle dieses Hauses be¬ treten haben wie du. Du bringst uns heute etwas, das allen lieb sein wird. Sei deßhalb nicht mehr ge¬ grüßt und willkommen, als du hier immer gegrüßt und willkommen gewesen bist. Sei willkommen Na¬ talie, und seid gegrüßet Heinrich. Eustach Roland Gustav sind als Zeugen hier von dem was da ge¬ schieht.“ Meine Mutter antwortete hierauf: „Ich habe im¬ mer gedacht, daß wir in diesem Hause werden herzlich empfangen werden, es ist so, ich danke sehr dafür.“ „Ich danke auch, und möge die gute Meinung von uns sich bewähren,“ sagte der Vater. Klotilde verneigte sich nur. Mathilde sprach: „Sei bedankt für deinen Gruß, Gustav; und wenn du sagst, daß ich etwas bringe, das allen lieb sein wird, so berichte ich, daß Heinrich Drendorf und Natalie vor neun Tagen im Sternen¬ hofe verlobt worden sind. Wir haben den Weg zu dir gemacht, um deine Billigung zu dieser Vornahme zu erwirken. Du hast immer wie ein Vater an Natalien gehandelt. Was sie ist, ist sie größtentheils durch dich. Daher könnte ein Band sie nie beglücken, das deinen vollen Segen nicht hätte.“ „Natalie ist ein gutes treffliches Mädchen,“ erwie¬ derte mein Gastfreund, „sie ist durch ihr innerstes We¬ sen und durch ihre Erziehung das geworden, was sie ist. Ich mag ein Weniges beigetragen haben, wie alle nicht bösen Menschen, mit denen wir umgehen, zu unserem Wesen etwas Gutes beitragen. Du weißt, daß der geschlossene Bund meine Billigung hat, und daß ich ihm alles Glück wünsche. Weil du mich aber Vater Nataliens nennst, so mußt du erlauben, daß ich auch als Vater handle. Natalie erhält als meine Erbin den Asperhof mit allem Zubehör und allem, was darin ist, sie erhält auch, da ich gar keine Ver¬ wandten besize, meine ganze übrige Habe. Die Aus¬ folgung geschieht in der Art, daß sie einen Theil des gesammten Vermögens an ihrem Vermählungstage empfängt nebst den Papieren, welche ihr das Anrecht auf den Rest zusprechen, der ihr an meinem Todes¬ tage anheim fällt. Einige Geschenke an Freunde und Diener werden in den Papieren enthalten sein, die sie gerne verabfolgen wird. Weil ich Vater bin, so werde ich auch meine liebe Tochter ausstatten, von ihrer Mutter kann sie nur Geschenke annehmen. Und einen Eigensinn müßt ihr mir gestatten, dessen Bekämpfung von eurer Seite mich sehr schmerzen würde. Die Ver¬ mählung soll auf dem Asperhofe gefeiert werden. Hieher ist der Bräutigam vor mehreren Jahren zuerst gekommen, hier habt ihr ihn kennen gelernt, hier ist vielleicht die Neigung gekeimt, und hier endlich wohnt jader Vater, wie er eben genannt worden ist. Vom Vermählungstage an wird im Asperhofe für die jun¬ gen Eheleute eine Wohnung in Bereitschaft stehen, es wird aber an sie nicht die Forderung gestellt werden, daß sie dieselbe benüzen. Sie sollen nach ihrer Wahl ihre Wohnung aufschlagen: entweder im Asperhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt oder auch abwechslungsweise, wie es ihnen gefällt.“ Mathilde war während dieser ganzen Rede mit Würde und Anstand in ihrem Size gesessen, wie überhaupt in der ganzen Versammlung ein tiefer Ernst herrschte. Mathilde suchte ihre Haltung zu bewahren; allein aus ihren Augen stürzten Thränen, und ihr Mund zitterte vor starker Bewegung. Sie stand auf, und wollte reden; aber sie konnte nicht, und reichte nur ihre Hand an Risach. Dieser ging um den Tisch — denn eine Ecke desselben trennte sie — drückte Ma¬ thilden sanft in ihren Siz nieder, küßte sie sachte auf die Stirne, und strich einmal mit seiner Hand über ihre Haare, die sie glatt gescheitelt über der feinen Stirne hatte. Mein Vater nahm hierauf, da Risach wieder an seinem Plaze war, das Wort, und sprach: „Es ist noch ein Vater da, welcher auch einige Worte reden und einige Bedingungen stellen möchte. Vor allem, Freiherr von Risach, empfanget den innigsten Dank von mir im Namen meiner Familie, daß ihr ein Mit¬ glied derselben zu einem Mitgliede der eurigen aufzu¬ nehmen für würdig erachtet habt. Unserer Familie ist dadurch eine Ehre erzeigt worden, und mein Sohn Heinrich wird sich sicherlich bestreben, sich alle jene Eigenschaften zu erwerben, welche ihm zur Erfüllung seiner neuen Pflichten und zur Darstellung jener Menschenwürde überhaupt nöthig sind, ohne welche man ein Theil der besseren menschlichen Gesellschaft nicht sein kann. Ich hoffe, daß ich hierin für meinen Sohn bürgen kann, und ihr selber hofft es, da ihr ihn in die Stellung aufgenommen habt, in der er ist. Mein Sohn wird in die neue Haushaltung bringen, was nicht für unbillig erachtet werden soll. In meinem Hause in der Stadt wird eine anständige Wohnung für die Neuvermählten immer in Bereitschaft stehen, und wenn ich das Landleben einmal vorziehen sollte, so werden sie auch in meiner neuen Wohnung einen Plaz finden. Ihr eigenes ständiges Haus mögen sie nach Belieben aufschlagen. Daß die Vermählung in dem Asperhofe sei, ist nach meiner Meinung gerecht, und ich glaube, es wird niemand die Maßregel be¬ streiten. Und nun habe ich noch eine Bitte an euch, Freiherr von Risach, nehmt mich alten Mann und meine alte Gattin nebst unsrer Tochter nicht ungerne in euren Familienkreis auf. Wir sind bürgerliche Leute, und haben als solche einfach gelebt; aber in jedem Verhältnisse unsere Ehre und unsern guten Namen aufrecht zu erhalten gesucht.“ „Ich kenne euch schon lange,“ antwortete Risach, „obwohl nicht persönlich, und habe euch schon lange hoch geachtet. Noch höher achtete und liebte ich euch, als ich euren Sohn kennen gelernt hatte. Wie sehr es mich freut, in eine nähere Umgangsverbindung mit euch zu kommen, kann euch euer Sohn sagen, und wird euch die Zukunft zeigen. Was die Bürger¬ lichkeit anlangt, so gehörte ich zu diesem Stande. Vergängliche Handlungen, die man Verdienste nannte, haben mich auf eine Zeit aus ihm gerückt, ich kehre durch meine angenommene Tochter wieder zu ihm zurück, der mir allein gebührt. Ehrenvoller würdiger Mann einer stettigen Thätigkeit und eines wohlge¬ gründeten Familienlebens, wenn ihr mich, der ich beides nicht habe, für werth erachtet, so kommt an mein Herz, und laßt uns die lezten Lebenstage freund¬ lich mit einander gehen.“ Beide Männer verließen ihre Pläze, begegneten sich auf halbem Wege zu einander, schloßen sich in die Arme, und hielten sich einen Augenblick fest. Wie erschütternd das auf alle wirkte, zeigte die Thatsache, daß es todtenstill im Zimmer war, und daß manche Augen feucht wurden. Meine Mutter war, da Risach Mathilden ver¬ lassen hatte, zu ihr gegangen, hatte sich neben sie gesezt, und hatte ihre beiden Hände gefaßt. Die Frauen küßten sich, und hielten sich noch immer bei¬ nahe umfangen. Ich und Natalie traten jezt vor Risach, und sag¬ Stifter , Nachsommer. III . 25 ten, daß wir ihm für alles Liebe und Gute gegen uns aufs Tiefste danken, und daß unser einziges Be¬ streben sein werde, seiner guten Meinung über uns immer würdiger zu werden. „Ihr seid lieb und freundlich und ehrlich,“ sagte er, „und alles wird gut werden.“ Wir gingen wieder an unsere Pläze, und Eustach Klotilde Roland Gustav und selbst die Eltern wünsch¬ ten uns nun alles Glück und allen Segen. Hierauf nahm das Gespräch eine Wendung auf einfachere und gewöhnlichere Dinge. Man stand auch öfter auf, und mischte sich durcheinander. Meine Mutter hatte heute einige der schönsten geschnittenen Steine meines Vaters als Schmuck an ihrem Körper. Mein Gastfreund hatte öfter darauf hingeblickt; allein jezt konnten er und Eustach dem Reize nicht mehr wider¬ stehen, sie traten zu meiner Mutter, betrachteten ver¬ wundert die Steine, und sprachen über dieselben. Später kam auch Roland hinzu. Meinem Vater glänz¬ ten die Augen vor Freude. Als das Gespräch noch eine Weile gedauert hatte, trennte man sich, und bestellte sich auf einen Spazier¬ gang, der noch vor dem Mittagessen statt finden sollte. Auf dem Sandplaze vor dem Rosengitter an dem Hause wollte man sich versammeln. Wir kleideten uns in andere Kleider, und kamen vor dem Hause zusammen. Mein Vater, der wahrscheinlich sehr neugierig war, alles in diesem Hause zu sehen, hatte sich zu Risach gesellt, sie standen vor den Rosengewächsen, und mein Gastfreund erklärte dem Vater alles. Ma¬ thilde war an der Seite meiner Mutter, Klotilde und Natalie hielten sich an den Armen, und ich und Gu¬ stav so wie zu Zeiten auch Eustach und Roland hiel¬ ten uns in der Nähe der alten Männer auf. Wir gingen von dem Sandplaze in den Garten, damit die Meinigen zuerst diesen sähen. Mein Gastfreund machte für meinen Vater den Führer, und zeigte und erklärte ihm alles. Wo meine Mutter und Klo¬ tilde an dem Gesehenen Antheil nahmen, wurde es ihnen von ihren Begleiterinnen erläutert. „Da sehe ich ja aber doch Faltern,“ sagte mein Vater, als wir eine geraume Strecke in dem Garten vorwärts gekommen waren. „Es wäre wohl kaum denkbar und möglich, daß meine Vögel alle Keime ausrotteten,“ antwortete mein Gastfreund, „sie hindern nur die unmäßige Verbrei¬ 25 * tung. Einiges bleibt aber immer übrig, was für das nächste Jahr Nahrung liefert. Zudem kommen auch von der Ferne Faltern hergeflogen. Sie wären wohl auch die schönste Zierde eines Gartens, wenn ihre Raupen nicht so oft für unsere menschlichen Bedürf¬ nisse so schädlich wären.“ „Bringen denn nicht aber auch die Vögel manchen Baumfrüchten Schaden?“ fragte mein Vater. „Ja sie bringen Schaden,“ entgegnete mein Gast¬ freund, „er trift hauptsächlich die Kirschenarten und andere weichere Obstgattungen; aber im Verhältnisse zu dem Nuzen, den mir die Vögel bringen, ist der Schaden sehr geringe, sie sollen von dem Überflusse, den sie mir verschaffen, auch einen Theil genießen, und endlich, da sie neben ihrer natürlichen Nahrung von mir noch außerordentliche und mitunter Lecker¬ bissen bekommen, so ist dadurch der Anlaß zu An¬ griffen auf mein Obst geringer.“ Wir gingen durch den ganzen Garten. Jedes Blumenbeet jede einzelne merkwürdigere Blume jeder Baum jedes Gemüsebeet der Lindengang die Bienen¬ hütte die Gewächshäuser alles wurde genau betrach¬ tet. Der Tag hatte sich beinahe ganz ausgeheitert, und eine Fülle von Blüthen lastete und duftete über¬ all. Wir gingen bis zu dem großen Kirschbaume em¬ por, und sahen von ihm über den Garten zurück. Der Vater fühlte sich ganz glücklich, alles das sehen und betrachten zu können. Die Mutter mochte wohl ihren Umgebungen nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt ha¬ ben wie der Vater, und sie mochte mit Mathilden mehr über das Wohl und Wehe und über die Zukunft ihrer Kinder gesprochen haben. Auch dürfte der Inhalt der Gespräche zwischen Klotilden und Natalien nicht vor¬ herrschend der Garten gewesen sein. Sie konnten manche Fäden über andere Dinge anzuknüpfen gehabt haben. Von dem großen Kirschbaume mußte wieder in das Haus zurückgegangen werden, weil die Zeit, wel¬ che noch bis zu dem Mittagessen gegeben gewesen war, ihren Ablauf genommen hatte. Man verfügte sich einen Augenblick in seine Zimmer, und versam¬ melte sich dann im Speisesaale. Der Nachmittag war zur Besichtigung des Mei¬ erhofes der Wiesen und Felder bestimmt. Wir gingen von dem großen Kirschbaume auf den Getraidehügel hinaus, und auf ihm fort bis zu der Felderrast. Wir gingen genau den Weg, welchen ich an jenem Abende mit meinem Gastfreunde gegangen war, als ich mich zum ersten Male in dem Asperhofe befunden hatte. Wir sahen von der Felderrast ein wenig herum. Die Esche hatte eben ihre ersten kleinen Blätter angesezt, und suchte sie auszubreiten. Wir konnten uns nicht niedersezen, weil das Bänkchen dazu viel zu klein war. Von der Felderrast gingen wir in den Meierhof. Wir schlugen den Weg ein, welchen ich einmal mit Nata¬ lien allein gewandelt war. Nach der Besichtigung des Meierhofes, in welchem mein Gastfreund meinem Vater das Kleinste und Größte zeigte, und in wel¬ chem er ihm erklärte, wie alles früher ausgesehen hatte, was daraus geworden war, und was noch werden sollte, gingen wir durch die Meierhofwiesen, durch die Felder am Abhange des Hügels des Rosen¬ hauses, dann den Hügel herum, endlich in das Ge¬ hölze des Teiches hinauf, und von ihm an dem Erlen¬ bache zurück, so daß wir wieder zu dem großen Kirsch¬ baume kamen, und von ihm in das Haus zurück¬ kehrten. Es war mittlerweile Abend geworden. Alles hatte die Bewunderung meines Vaters erregt. Der nächste Tag war dazu bestimmt, das Innere des Hauses seine Kunstschäze und alles, was es sonst enthielt, zu besehen. Mein Gastfreund führte meinen Vater zuerst in alle Zimmer des Erdgeschosses, dann über den Marmorgang die Treppe hinan zur Mar¬ morgestalt. Wir waren alle mit, außer Eustach und Roland. Bei der Marmorgestalt hielten wir uns sehr lange auf. Von ihr gingen wir in den Marmorsaal, in welchem mein Gastfreund meinem Vater alle Mar¬ morarten nannte, und ihm die Orte ihres Vorkom¬ mens bezeichnete. Dann besuchten wir nach und nach die Wohnzimmer meines Gastfreundes die Zimmer mit den Bildern Büchern Kupferstichen das Lesezim¬ mer das Eckzimmer mit den Vogelbrettchen und end¬ lich die Gastzimmer und die Wohnung Mathildens. Auch Rolands Gemach wurde besehen, in welchem auf einer Staffelei sein beinahe fertiges Bild stand. Den Beschluß machte der Besuch des Schreinerhau¬ ses und die Besichtigung seiner Einrichtung und alles dessen, was da eben gefördert wurde. War mein Va¬ ter schon gestern voll Bewunderung gewesen, so war er heute beinahe außer sich. Die Marmorgestalt hatte seinen Beifall so sehr, daß er sagte, er könne sich von seinen Reisen her nicht auf vieles erinnern, was von alterthümlichen Werken besser wäre als diese Gestalt. Sie wurde von allen Seiten besehen und wieder besehen, dieser Theil und jener Theil und das Ganze wurde besprochen. So etwas, sagte mein Va¬ ter, könne er nicht entfernt aufweisen, nur einige sei¬ ner alten geschnittenen Steine könnten neben dieser Gestalt noch besehen werden. Der Marmorsaal gefiel ihm sehr, und der Gedanke ein solches Gemach zu bauen, erschien ihm als ein äußerst glücklicher. Er pries die Geduld meines Gastfreundes im Suchen des Marmors, und lobte die, welche die Zusammen¬ stellung entworfen hatten, daß etwas so Reines und Großartiges zu Stande gekommen sei. Die alten Geräthe die Bilder die Bücher die Kupferstiche be¬ schäftigten meinen Vater auf das Lebhafteste, er sah alles genau an, und sprach als Liebhaber und auch als Kenner über vieles. Mein Gastfreund verstän¬ digte sich leicht mit ihm, ihre Ansichten trafen häufig zusammen, und ergänzten sich häufig, in so ferne man überhaupt Ansichten in einer Gesellschaft, in welcher man sich kurz fassen mußte, aussprechen konnte. Meine Mutter freute sich innig über die Freude des Vaters. So war es denn also doch in Erfüllung gegangen, was sie so oft gewünscht hatte, daß mein Vater das Haus meines Gastfreundes besuchte, und es war auf eine liebe Art in Erfüllung gegangen, die sie sich gewiß einstens nicht gedacht hatte. Rolands Bild betrachtete der Vater sehr aufmerksam, er hielt es für höchst bedeutend, er sprach mit Risach über Verschie¬ denes in demselben, und äußerte sich, daß nach diesem Werke zu urtheilen Roland eine hoffnungsvolle Zu¬ kunft vor sich haben dürfte. Daß es meinen Gast¬ freund mit Vergnügen erfüllte, daß seine Schöpfun¬ gen mit solcher Anerkennung von einem Manne, aus dessen Worten die Berechtigung zu einem Urtheile her¬ vorging, betrachtet werden, ist begreiflich. Die zwei Männer schlossen sich immer mehr an einander, und vergassen zuweilen ein wenig die übrige Gesellschaft. In dem Schreinerhause, in welchem Eustach den Füh¬ rer machte, wurden nicht nur alle Zeichnungen und Pläne durchgesehen, sondern die ganze Einrichtung und die Art, wie hier verfahren werde, sammt allen Werkzeugen wurde einer genauen Beobachtung unter¬ zogen. Der Vater war voll der Billigung darüber. Mit Besichtigung dieser Dinge war der ganze Tag verbraucht worden. Am nächsten Tage fuhr man in den Alizwald, da¬ mit mein Gastfreund meinen Eltern den Forst zeigen konnte, welcher zu dem Asperhofe gehörte. Die folgenden Tage waren für die Gesellschaft schon weniger vereinigend. Man zerstreute sich, und ging dem nach, was eben die meiste Anziehungskraft ausübte. Zu mir und Natalien kamen nach und nach alle Bewohner des Rosenhauses und des Meierhofes, um uns Glück und Segen zu unserer bevorstehenden Vereinigung zu wünschen. Sie hatten jezt erst nach geschehener Verlobung die Gewißheit davon erhalten, hatten es aber in früherer Zeit aus den Vorgängen, die sie sahen, gemuthmaßt und geschlossen. Mein Va¬ ter holte Vieles wieder im Einzelnen nach, was er im Allgemeinen gesehen hatte, er war bald hier bald dort, und war viel mit dem Besizer des Hauses be¬ schäftigt. Die Frauen ließen sich das angelegen sein, was Sache des Hauswesens ist, und verkehrten manche Weile mit Katharinen. Wir jüngeren Leute gingen viel in dem Garten herum, besuchten manche Stelle, und machten Spaziergänge. Wir waren meh¬ rere Male bei den Gärtnerleuten, saßen einmal lange bei ihrem Tische, und besahen einmal ausführ¬ lich für uns die Gewächshäuser, und ließen uns das Vorhandene von dem Gärtner erklären. Eines Tages waren wir auch alle im Inghofe, und die Bewohner des Inghofes waren eines andern Tages im Asper¬ hofe. Der Pfarrer von Rohrberg und mehrere der an¬ geseheneren Bewohner der Gegend waren von nahe oder von ferne herzugekommen, um zu dem ihnen be¬ kannt gewordenen Ereignisse ihren Glückwunsch dar¬ zubringen. Selbst Bauersleute der Nachbarschaft und andere, die mich und Natalien kannten, kamen zu demselben Zwecke. Wir mußten zwölf Tage in dem Asperhofe zu¬ bringen, dann aber wurde unser Reisewagen bepackt, und wir traten die Rückreise in unsere Vaterstadt an. Da wir zu Hause angekommen waren, wurde so¬ gleich daran gegangen, Zimmer in Bereitschaft zu sezen, daß wir den Gegenbesuch, wenn er eintreffen würde, anstandsvoll empfangen könnten. Ich rüstete mich indessen auch noch zu etwas anderem, was noch vor der Verbindung mit Natalien statthaben mußte, zu meiner großen Reise. Ich suchte die Anstalten so zu treffen, daß ich glaubte, nichts Wesentliches außer Acht gelassen zu haben. Die Nothwendigkeit, mir durch diese Reise noch Manches, was mir fehlte an¬ zueignen, und in dieser Hinsicht nicht zu weit hinter Natalien zurückstehen zu müssen, war mir einleuchtend, und eben so einleuchtend war es mir, daß ich eine größere Reise allein machen müsse, ehe ich in künftiger Zeit mit Natalien eine Reise antreten könnte. Ich hatte auch vor, mich gleich nach der Zeit, in der uns der Gegenbesuch abgestattet sein würde, auf die Reise zu begeben. Der Gegenbesuch kam drei Wochen nach dem Ta¬ ge, an welchem wir in der Stadt angelangt waren. Ein Brief hatte ihn vorher angekündigt. Mathilde Risach Natalie und Gustav trafen in einem schönen Reisewagen ein. Sie wurden in die für sie in Bereit¬ schaft gehaltenen Zimmer geführt. Nachdem sie sich umgekleidet hatten, kamen wir zum Gruße in unserem Besuchzimmer zusammen. Der Empfang in unserem Hause war so herzlich und innig, wie er nur immer in dem Sternenhofe und in dem Hause meines Gast¬ freundes gewesen war. In allen Mienen war Freude, und alle Worte sezten die begonnene Bekanntschaft und die sich entwickelnde Freundschaft fort. Selbst bis auf die Dienerschaft pflanzte sich das angenehme Ge¬ fühl über. Aus einzelnen Worten und aus den hei¬ tern Angesichtern entnahm man, wie sehr ihnen die wunderschöne Braut gefalle. Was unser Haus und die Stadt für die Gäste Angenehmes biethen konnte, wurde ihnen zur Verfügung gestellt. Wie auf den beiden Landsizen wurde auch hier alles gezeigt, was das Haus enthält. Die Gäste wurden in die Zimmer geführt, besahen Bilder Bücher alte Schreine und geschnittene Steine. Sie kamen in das gläserne Eckhäuschen und in alle Theile des Gartens. In Hinsicht der Bilder meines Vaters sprach sich mein Gastfreund dahin aus, daß sie als Ganzes durchaus werthvoller seien als seine Sammlung, obwohl er auch einzelne Stücke besize, welche dem Besten aus meines Vaters Sammlung an die Seite gestellt wer¬ den könnten. Meinen Vater freute dieses Urtheil, und er sagte, er hätte ungefähr dasselbe gefällt. Die geschnittenen Steine, sagte mein Gastfreund, seien auserlesen, und denen hätte er nichts Gleiches ent¬ gegen zu stellen, es müßte nur das Marmorstandbild sein. „Das ist es auch, und das ist das Höchste, was in beiden Kunstsammlungen besteht,“ erwiederte mein Vater. Die Schnizarbeiten im Glashäuschen waren mei¬ nem Gastfreunde aus meinen Abbildungen bekannt. Er beschäftigte sich aber doch mit ihrer genauen Be¬ sichtigung, und ertheilte ihnen mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung viel Lob. Mein Einbeerblatt aus Marmor im Garten wurde einer Anerkennung nicht für unwürdig erachtet. Meinen Vater erquickte die Würdigung seiner Schäze von einem Manne, wie Risach war, sehr, und ich glaube, er hatte keine an¬ genehmeren Stunden gehabt, seit er all diese Dinge zusammen gebracht, als die Zeit, die Risach bei ihm gewesen war. Selbst jenen Augenblick dürfte er kaum vorgezogen haben, da sich zum ersten Male meine Augen für den Werth dessen geöffnet hatten, was er besaß. Bei mir war es damals nur Gefühl gewesen, bei Risach war jezt es Urtheil. Zum Vergnügen außer dem Hause geschahen zwei Theaterbesuche drei gemeinschaftliche Besuche in Kunst¬ sammlungen und einige Fahrten in die Umgebung. Bei dieser Zusammenkunft wurde auch die Ver¬ mählungszeit besprochen. Ich sollte meine angekün¬ digte Reise unternehmen, und nach der Zurückkunft sollte kein Aufschub mehr stattfinden. Der Tag werde dann festgestellt werden. Nach dieser Verabredung wurde Abschied genommen. Der Abschied war dieses Mal sehr schwer, weil er auf länger genommen wurde, und weil unglückliche Zufälle in der Abwesenheit nicht unmöglich sein konnten. Aber wir waren stand¬ haft, wir scheuten uns, vor Zeugen, selbst vor so lie¬ ben, einen Schmerz zu äußern, sondern trennten uns, und versprachen, uns zu schreiben. Als uns unsere Gäste verlassen hatten, zeigten wir in Briefen an einige uns sehr befreundete Familien meine Verlobung an. Zur Fürstin ging ich selbst, um ihr dieses Verhältniß zu eröffnen. Sie lächelte herz¬ lich und sagte, daß sie sehr wohl bemerkt habe, daß ich einmal, da sie des Namens Tarona Erwähnung gethan hatte, äußerst heftig erröthet sei. Ich erwiederte, daß ich damals nur erröthet sei, weil sie mich auf einer inneren Neigung betroffen habe, den Namen Tarona habe ich in jener Zeit an Natalien noch gar nicht gekannt. Ich sprach auch von meiner Reise, sie lobte diesen Entschluß sehr, und erzählte mir von den Verhältnissen verschiedener Hauptstädte, in denen sie in früheren Jahren zeitwei¬ lig gewohnt hatte. Sie erwähnte kurz auch Manches über das äußere Ansehen der Länder, da sie eine große Freundin landschaftlicher Schönheiten war. Sie hatte eben in dem Augenblicke vor, wieder an den Gardasee zu gehen, den sie schon öfter besucht hatte. Das war auch die Ursache, daß sie noch so spät im Frühlinge in der Stadt war. Sie ersuchte mich, nach meiner Zurückkunft wieder bei ihr auf ein Weilchen zu erscheinen. Ich versprach es. Meine Reise wurde nun keinen Augenblick mehr verzögert. Ich nahm von den Meinigen Abschied, und fuhr eines Tages zu dem Thore unserer Stadt hinaus. Ich ging zuerst über die Schweiz nach Italien; nach Venedig Florenz Rom Neapel Syrakus Palermo Malta. Von Malta schiffte ich mich nach Spanien ein, das ich von Süden nach Norden mit vielfachen Abweichungen durchzog. Ich war in Gibraltar Gra¬ nada Sevilla Cordoba Toledo Madrid und vielen anderen minderen Städten. Von Spanien ging ich nach Frankreich, von dort nach England Irland und Schottland und von dort über die Niederlande und Deutschland in meine Heimath zurück. Ich war um einen und einen halben Monat weniger als zwei Jahre abwesend gewesen. Wieder war es Frühling, als ich zurückkehrte, die mächtige Welt der Alpen der Feuerberge Neapels und Siciliens der Schneeberge des südlichen Spaniens der Pirenäen und der Nebel¬ berge Schottlands hatten auf mich gewirkt. Das Meer, vielleicht das Großartigste, was die Erde be¬ sizt, nahm ich in meine Seele auf. Unendlich viel Anmuthiges und Merkwürdiges umringte mich. Ich sah Völker, und lernte sie in ihrer Heimath begreifen, und oft lieben. Ich sah verschiedene Gattungen von Menschen mit ihren Hoffnungen Wünschen und Be¬ dürfnissen, ich sah Manches von dem Getriebe des Ver¬ kehres, und in bedeutenden Städten blieb ich lange, und beschäftigte mich mit ihren Kunstanstalten Bücher¬ schäzen ihrem Verkehre gesellschaftlichem und wissen¬ schaftlichem Leben und mit lieben Briefen, die aus der Heimath kamen, und mit solchen, die dorthin abgingen. Ich kam auf meiner Rückreise früher in die Ge¬ gend des Asperhofes und des Sternenhofes als in meine Heimath. Ich sprach daher in beiden ein. Alles war sehr wohl und gesund, und fand mich sehr gebräunt. Hier erfuhr ich auch eine Veränderung, die mit meinem Vater vorgegangen war, und die sie mir in den Briefen verschwiegen hatten, damit ich überrascht würde. Alle seine Anspielungen, daß er plözlich einmal in den Ruhestand treten werde, daß er sich, ehe man sich's versehe, auf dem Lande befin¬ den werde, daß sich vieles ereignen werde, woran man jezt nicht denke, daß man nicht wisse, ob man nicht den Reisewagen öfter brauchen könne, waren in Erfüllung gegangen. Er hatte sein Handelsgeschäft abgetreten, und hatte den auf einer sehr lieblichen Stelle zwischen dem Asperhofe und Sternenhofe gele¬ genen verkäuflich gewordenen Gusterhof gekauft, den Stifter , Nachsommer. III . 26 er eben für sich einrichten lasse. Man freute sich schon darauf, wie er sich in diesem neuen Besizthume häuslich und wohnlich niederlassen werde. Ich nahm mir nicht Zeit, diesen Hof, den ich von Außen kannte, zu besuchen, weil ich Natalien, die mir wie ein Gut wieder gegeben worden war, nicht noch un¬ nöthig länger von meiner Seite entfernt wissen wollte. Nach innigem Empfange und Abschiede reiste ich zu meinen Eltern, und reiste Tag und Nacht, um bald einzutreffen. Sie wußten von meiner Ankunft, und empfingen mich freudig. Ich richtete mich sogleich in meiner Wohnung ein. Es war mir seltsam und wohl¬ thuend, den Vater jezt immer zu Hause und ihn stets mit Plänen Entwürfen Zeichnungen umringt zu sehen. Er war während meiner Abwesenheit fünf Male in dem Gusterhofe und bei diesen Gelegenheiten öfter bei Mathilde oder Risach als Gast gewesen Die Mutter und Klotilde hatten ihn zweimal begleitet. Er war in diesen zwei Jahren um ein gut Theil jünger geworden. Auch die Bewohner des Sternen- und Asperhofes hatten sich einmal im Winter bei meinen Eltern als Gäste eingefunden. Die Bande waren sehr schön und lieb geflochten. Gleich am ersten Tage meiner Anwesenheit im elterlichen Hause führte mich meine Mutter in die Zimmer, die für mich und Natalien als Wohnung hergerichtet worden waren, wenn wir uns in der Stadt aufhalten wollten. Ich hatte gar nicht gedacht, daß in dem Hause so viel Plaz sei, so geräumig war die Wohnung. Sie war zugleich so schön und edel angeordnet, daß ich meine Freude daran hatte. Ich sprach bei dieser Gelegenheit von dem Vermählungs¬ tage, und die Mutter antwortete, daß der Vater glaube, es sei nun keine Ursache einer Säumniß, und von uns als von der Seite des Bräutigams müsse die Anregung ausgehen. Ich bath um Be¬ schleunigung, und am folgenden Tage gingen schon unsere Briefe in den Sternenhof und zu Risach ab. In Kurzem kam die Antwort zurück, und der Tag war nach unsern Vorschlägen festgesezt. Der Sam¬ melplaz war der Asperhof. Meinem Versprechen getreu stellte ich mich nun auch bei der Fürstin. Sie war schon auf ihren Land¬ siz abgereist. Ich schrieb ihr daher einige Zeilen, daß ich zurück sei, und zeigte ihr meinen Vermählungstag an. In kurzer Zeit kam eine Antwort von ihr nebst einem Päckchen, welches ein Erinnerungszeichen an meine Vermählungsfeier von ihr enthalte. Sie könne 26 * es mir nicht persönlich übergeben, weil sie seit einigen Wochen kränklich sei, und sich deßhalb so früh auf das Land habe begeben müssen. Das Erinnerungs¬ zeichen liege schon seit länger in Bereitschaft. Ich öffnete das Päckchen. Es enthielt eine einzige aber sehr große und sehr schöne Perle. Die Fassung war fast keine. Nur ein Stengel und ein Goldscheibchen hafteten an der Perle, daß sie eingeknöpft werden konnte. Ich freute mich außerordentlich über die Ge¬ sinnung der edlen Fürstin über die Trefflichkeit des Geschmackes und über dessen Sinnigkeit; denn eine Perle ist es ja in meinen Augen, die ich mir als Ge¬ schenk an meine Brust zu heften im Begriffe war. Ich schrieb eine innige Dankantwort zurück. Unsere Vorbereitungen waren bald gemacht, und wir reisten ab. „Wir können ja unsere lezten Rüstungen in mei¬ nem Landhause machen,“ sagte der Vater mit heiterem Lächeln. Wir fuhren in den Gusterhof. Eine kleine aber freundlich bestellte Wohnung, die der Vater vorläufig für solche Gelegenheiten hatte herrichten lassen, em¬ pfing uns. Es war ein liebliches Gefühl, in unserem eigenen uns zugehörigen Landsize zu sein. Der Vater schien dieses Gefühl am tiefsten zu hegen, und die Mutter freute sich dessen ungemein. Wir blieben hier so lange, und vervollständigten unsere Vorbereitun¬ gen, daß wir zwei Tage vor der Vermählung in dem Asperhofe eintreffen konnten. Mathilde und Natalie waren schon anwesend, da wir ankamen. Wir be¬ grüßten uns herzlich. Alles war in einer gewissen Spannung der Vorbereitungen. Ich konnte Natalien oft nur auf einige Augenblicke sehen. Klotilde wurde auch sofort hineingezogen. Botschaften kamen und gingen ab, Gäste und Trauzeugen trafen ein. Ich selber war in einer Art Beklemmung. Am Nachmittage des ersten Tages fand ich ein¬ mal Mathilden meinen Gastfreund und Gustav im Lindengange auf und ab wandeln. Ich gesellte mich zu ihnen. Gustav verließ uns bald. „Wir sprachen eben davon, daß mein Sohn sich nun bald von hier entfernen, und in die Welt gehen müsse,“ sagte Mathilde, „habt ihr ihn nach eurer Reise nicht auch verändert gefunden?“ „Er ist ein vollkommner Jüngling geworden,“ erwiederte ich, „ich habe auf meinen Reisen keinen gesehen, der ihm gleich wäre. Er war ein sehr kraft¬ voller Knabe, und ist auch ein solcher Jüngling ge¬ worden, aber, wie ich glaube, gemilderter und sanfter. Ja sogar in seinen Augen, die noch glänzender gewor¬ den sind, erscheint mir etwas, das beinahe wie das Schmachten bei einem Mädchen ist.“ „Es freut mich, daß ihr das auch bemerkt habt,“ sagte mein Gastfreund, „es ist so, und es ist sehr gut, wenn auch gefährlich, daß es so ist. Gerade bei sehr kraftvollen Jünglingen, deren Herz von keinem bösen Hauche angeweht worden ist, tritt in gewissen Jahren ein Schmachten ein, das noch holder wirkt als bei heranblühenden Mädchen. Es ist dies nicht Schwäche sondern gerade Überfülle von Kraft, die so reizend wirkt, wenn sie aus den meistens dunkeln sanftschim¬ mernden Augen blickt, und gleichsam wie ein Juwel an den unschuldigen Wimpern hängt. Solche Jüng¬ linge dulden aber auch, wenn böse Schicksalstage kommen, mit einem Starkmuthe, der der Krone eines Märtirers werth wäre, und wenn das Vaterland Opfer heischt, legen sie ihr junges Leben einfach und gut auf den Altar. Sie können aber auch zu falscher Begeisterung getrieben und mißbraucht werden, und wenn ein solches Jünglingsauge zu rechter Zeit in das rechte Mädchenauge schaut, so flammt die plöz¬ lichste heißeste aber oft auch unglücklichste Liebe em¬ por, weil der junge unverfälschte Mann sie fast un¬ ausrottbar in sein Herz nimmt. Wir werden, wenn die jezige Angelegenheit vorüber ist, weiter von dem sprechen, was etwa noth thut.“ „Ich sehe ja das Gute und die Gefahr,“ sagte Mathilde. Wir gingen bald in das Haus zurück. „Er muß in die Härte der Welt, die wird ihn stählen,“ sagte mein Gastfreund auf dem Wege dahin. Endlich war der Vermählungstag angebrochen. Die Trauung sollte am Vormittage in der Kirche zu Rohrberg stattfinden, in welche der Asperhof einge¬ pfarrt war. Der Versammlungsort war der Marmor¬ saal, dessen Fußboden zu diesem Zwecke mit feinem grünem Tuche überspannt worden war. Gleiches Tuch lag auf allen Treppen. Ich kleidete mich in meinen Zimmern an, that ein Gebeth zu Gott, und wurde von einem meiner Trauzeugen in den Mar¬ morsaal geführt. Von unsern Angehörigen waren erst die Männer dort. Die Zeugen und die meisten Gäste waren zugegen. Risach war im Staatskleide und mit allen seinen Ehren geschmückt. Da that sich die Thür, die von dem Gange hereinführte, auf, und Natalie mit ihrer und meiner Mutter mit Klo¬ tilden und mit noch andern Frauen und Mädchen trat herein. Sie war prachtvoll gekleidet und mit Edel¬ steinen gleichsam übersät; aber sie war sehr blaß. Die Edelsteine waren in mittelalterlicher Fassung, das sah ich wohl; aber ich hatte nicht die Stimmung, auch nur einen Augenblick darauf zu achten. Ich ging ihr entgegen, und reichte ihr sanft die Hand zum Gruße. Sie zitterte sehr. Mein Gastfreund sagte zu meinen Eltern: „Das Lieblingsgespräch eures Sohnes waren bisher seine Eltern und seine Schwester, wer ein so guter Sohn ist, wird auch ein guter Gatte werden.“ „Die schöneren Eigenschaften, die eine Zukunft gewähren,“ sagte mein Vater, „hat er von euch ge¬ bracht, wir haben es wohl gesehen, und haben ihn darum immer mehr geliebt, ihr habt ihn gebildet und veredelt.“ „Ich muß antworten wie bei Natalien,“ erwie¬ derte mein Gastfreund, „sein Selbst hat sich entwickelt, und aller Umgang, der ihm zu Theil geworden, vor¬ erst der eurige, hat geholfen.“ Ich wollte etwas sprechen, konnte aber vor Be¬ wegung nicht. Gustav, der in der Nähe der Frauen stand, sah mich an, ich ihn auch. Er war ebenfalls sehr blaß. Indessen hatten sich alle nach und nach eingefun¬ den, die bei der Trauung gegenwärtig sein sollten, die Stunde der Abfahrt war da, und der Hausver¬ walter meldete, daß alles in Bereitschaft sei. Mathilde machte Natalien das Zeichen des Kreu¬ zes auf die Stirne den Mund und die Brust, und diese beugte sich mit ihren Lippen auf die Hand der Mutter nieder. Dann faßten die Mädchen den Schleier, der wie ein Silbernebel von dem Haupte Nataliens bis zu ihren Füssen reichte, hüllten sie in ihn, und Natalie ging von ihren Mädchen umringt und von den Frauen geleitet die Treppe hinunter, auf welcher die Marmorgestalt stand. Wir folgten. Mit mir waren meine Zeugen und Risach und der Vater. Den ersten Theil der Wagenreihe nahmen die Frauen die Braut und die Mädchen ein, den lez¬ ten die Männer und ich. Wir stiegen ein, der Zug sezte sich in Bewegung. Es war viel Volk gekom¬ men, die Brautfahrt zu sehen. Darunter erblickte ich meinen Zitherspiellehrer, welcher mir mit einem grü¬ nen Hute, auf dem er Federn hatte, winkte. Die Bewohner des Meierhofes und die Diener des Hau¬ ses waren größtentheils vorausgegangen, und harr¬ ten unser in der Kirche. Einige befanden sich auch in den Wägen. Der Zug fuhr langsam den Hügel hinab. In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung ward vollbracht. Zum Zurückfahren kamen Natalie und ich allein in einen Wagen. Sie sprach nichts, der Schleier blieb zurückgeschlagen, und Tropfen nach Tropfen floß aus ihren Augen. Da wir wieder in dem Marmorsaale waren, wur¬ den auf den langen Tisch, den man heute hier auf¬ gerichtet und mit vielen Stühlen umgeben hatte, von Risach und von meinem Vater die Papiere nieder¬ gelegt, die sich auf unsere Vermählung und unser Ver¬ mögen bezogen. Ich aber nahm indessen Natalien an der Hand, und führte sie durch das Bilder- und Lese¬ zimmer in das Bücherzimmer, in welchem wir allein waren. Dort stellte ich mich ihr gegenüber, und brei¬ tete die Arme aus. Sie stürzte an meine Brust. Wir umschlangen uns fest, und weinten beide beinahe laut. „Meine theure, meine einzige Natalie!“ sagte ich. „O mein geliebter, mein theurer Gatte,“ antwor¬ tete sie, „dieses Herz gehört nun ewig dir, habe Nach¬ sicht mit seinen Gebrechen und seiner Schwäche.“ „O mein theures Weib,“ entgegnete ich, „ich werde dich ohne Ende ehren und lieben, wie ich dich heute ehre und liebe. Habe auch du Geduld mit mir.“ „O Heinrich, du bist ja so gut,“ antwortete sie. „Natalie, ich werde suchen, jeden Fehler dir zu Liebe abzulegen,“ erwiederte ich, „und bis dahin werde ich jeden so verhüllen, daß er dich nicht verwunde.“ „Und ich werde bestrebt sein, dich nie zu kränken,“ antwortete sie. „Alles wird gut werden,“ sagte ich. „Es wird alles gut werden, wie unser zweiter Vater gesagt hat,“ antwortete sie. Ich führte sie näher an das Fenster, und da stan¬ den wir, und hielten uns an den Händen. Die Früh¬ lingssonne schien herein, und neben den Diamanten glänzten die Tropfen, die auf ihr schönes Kleid ge¬ fallen waren. „Natalie, bist du glücklich?“ sagte ich nach einer Weile. „Ich bin es im hohen Maße,“ antwortete sie, „mögest du es auch sein.“ „Du bist mein Kleinod und mein höchstes Gut auf dieser Erde,“ erwiederte ich, „es ist mir noch wie im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will es erhalten, so lange ich lebe.“ Ich küßte sie auf den Mund, den sie freundlich both. In ihre feinen Wangen war das Roth zurück¬ gekehrt. In diesem Augenblicke hörten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde meine Mutter Risach mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten, traten ein. „Mutter, theure Mutter,“ sagte ich zu Mathil¬ den, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand faßte, und sie zu küssen strebte. Mathilde hatte sich nie die Hand von irgend jemanden küssen lassen. Die¬ ses Mal erlaubte sie, daß ich es thue, indem sie sanft sagte: „Nur das eine Mal.“ Dann küßte sie mich auf die Stirne, und sagte: „Sei so glücklich, mein Sohn, als du es verdienst, und als es die wünscht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat.“ Risach sagte zu mir: „Mein Sohn, ich werde dich jezt du nennen, und du mußt zu mir wie zu dei¬ nem ersten Vater auch dies Wörtchen sagen — mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine erste Pflicht, ein edles reines grundgeordnetes Fami¬ lienleben zu errichten. Du hast das Vorbild an deinen Eltern vor dir, werde, wie sie sind. Die Familie ist es, die unsern Zeiten noth thut, sie thut mehr noth als Kunst und Wissenschaft als Verkehr Handel Auf¬ schwung Fortschritt, oder wie alles heißt, was begeh¬ rungswerth erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst die Wissenschaft der menschliche Fortschritt der Staat. Wenn Ehen nicht beglücktes Familienleben werden, so bringst du vergeblich das Höchste in der Wissen¬ schaft und Kunst hervor, du reichst es einem Ge¬ schlechte, das sittlich verkommt, dem deine Gabe end¬ lich nichts mehr nüzt, und das zulezt unterläßt, solche Güter hervor zu bringen. Wenn du auf dem Boden der Familie einmal stehend — viele schließen keine Ehe, und wirken doch Großes — wenn du aber auf dem Boden der Familie einmal stehst, so bist du nur Mensch, wenn du ganz und rein auf ihm stehst. Wirke dann auch für die Kunst oder für die Wissen¬ schaft, und wenn du Ungewöhnliches und Ausge¬ zeichnetes leistest, so wirst du mit Recht gepriesen, nüze dann auch deinen Nachbarn in gemeinschaftlichen Angelegenheiten, und folge dem Rufe des Staates, wenn es noth thut. Dann hast du dir gelebt und allen Zeiten. Gehe nur den Weg deines Herzens wie bisher, und alles wird sich wohl gestalten.“ Ich reichte ihm die Hand, er zog mich an sich, und küßte mich auf den Mund. Natalie war indessen in den Armen meiner Mut¬ ter meines Vaters und Klotildens gewesen. „Er wird gewiß bleiben, wie er heute ist,“ sagte sie, wahrscheinlich auf einen Wunsch für die Zukunft antwortend. „Nein, mein theures Kind,“ sagte meine Mutter, „er wird nicht so bleiben, das weißt du jezt noch nicht: er wird mehr werden, und du wirst mehr werden. Die Liebe wird eine andere, in vielen Jahren ist sie eine ganz andere; aber in jedem Jahre ist sie eine größere, und wenn du sagst, jezt lieben wir uns am meisten, so ist es in Kurzem nicht mehr wahr, und wenn du statt des blühenden Jünglings einst einen welken Greis vor dir hast, so liebst du ihn anders, als du den Jüngling geliebt hast; aber du liebst ihn unsäglich mehr, du liebst ihn treuer, ernster und unzerrei߬ barer.“ Mein Vater wandte sich ab, und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Meine Mutter küßte Natalien noch einmal, und sagte: „Du liebe gute theure Tochter.“ Natalie gab den Kuß zurück, und schlang die Arme um den Hals meiner Mutter. „Kinder, jezt müssen wir zu den andern gehen,“ sagte Risach. Wir gingen in den Saal. Dort gab Risach Pa¬ piere in die Hände Nataliens. Sie legte sie in die meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle Anwesenden wünschten uns nun Glück, vor allen Gustav, den ich die lezte Zeit her gar nicht ge¬ sehen hatte. Er fiel der Schwester um den Hals und auch mir. In seinen schönen Augen perlten Thränen. Dann beglückwünschten uns Eustach Roland die vom Inghofe der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf unser erstes Zusammentreffen in diesem Hause an jenem Gewitterabende erinnerte, und alle andern. Risach sagte, daß jezt jedem zwei Stunden zur Verfügung gegeben seien, dann müsse sich Alles in dem Marmorsaale zu einem kleinen Mahle ver¬ sammeln. Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß sie dort die Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Woh¬ nung, kleidete mich um, und verschloß die Papiere, ohne sie anzusehen. Nach einer geraumen Zeit ging ich in das Vorzimmer zu Mathildens Wohnung, und fragte, ob Natalie schon in Bereitschaft sei, ich ließe bitten, mit mir einen kurzen Gang durch den Garten zu machen. Sie erschien in einem schönen aber sehr einfachen Seidenkleide, und ging mit mir die Treppe hinab. Sie reichte mir den Arm und wir wandelten eine Zeit unter den großen Linden und auf anderen Gängen des Gartens herum. Nachdem die zwei Stunden verfloßen waren, wurde mit der Glocke das Zeichen zum Mahle gegeben. Alles begab sich in den Saal, und erhielt dort seine Size angewiesen. Das Mahl war wie gewöhnlich bei Risach einfach aber vortrefflich. Für Kenner und Lieb¬ haber standen sehr edle Weine bereit. Es war nie in dem Saale ein Mahl abgehalten worden, und der Ernst des Marmors, bemerkte mein gewesener Gast¬ freund, dürfe nur in den Ernst des edelstens Weines nieder blicken. Trinksprüche wurden ausgebracht, und sogar Reime auf ewiges Wohl hergesagt. „Habe ich es gut gemacht, Natta,“ sagte mein einstiger Gastfreund, „daß ich dir den rechten Mann ausgesucht habe? Du meintest immer, ich verstände mich nicht auf diese Dinge, aber ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt. Nicht blos die Liebe ist so schnell wie die Electricität sondern auch der Geschäftsblick.“ „Aber Vater,“ sagte Natalie erröthend, „wir haben ja über diesen Gegenstand nie gestritten, und ich konnte dir die Fähigkeit nicht absprechen.“ „So hast du dir es gewiß gedacht,“ erwiederte er, „aber richtig habe ich doch geurtheilt: er war immer sehr bescheiden, hat nie vorlaut geforscht und gedrängt, und wird gewiß ein sanfter Mann werden.“ „Und du, Heinrich,“ sagte er nach einer Weile, „werde darum nicht stolz. Verdankst du mir nicht end¬ lich ganz und gar Alles? Du hast einmal, da du zum ersten Male in diesem Hause warst, in der Schreinerei gesagt, daß der Wege sehr verschiedene sind, und daß man nicht wissen könne, ob der, der dich eines Ge¬ witters wegen zu mir herauf geführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, worauf ich antwortete, daß du ein wahres Wort gesprochen habest, und daß du es erst recht einsehen werdest, wenn du älter bist; denn in dem Alter, dachte ich mir damals, übersieht man erst die Wege, wie ich die meinigen übersehen habe. Wer hätte aber damals geglaubt, daß mein Wort die Bedeutung bekommen werde, die es heute Stifter , Nachsommer. III . 27 hat? Und alles hing davon ab, daß du hartnäckig gemeint hast, ein Gewitter werde kommen, und daß du meinen Gegenreden nicht geglaubt hast.“ „Darum, Vater, war es Fügung, und die Vor¬ sicht selber hat mich zu meinem Glücke geführt,“ sagte ich. „Die alte Frau, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarin und zuweilen unser Gast war,“ sagte mein Vater, „hat dir, Heinrich, die Weis¬ sagung gemacht, es werde recht viel aus dir werden: und nun bist du blos, wie du selber sagst, glücklich geworden.“ „Das Andere wird kommen,“ riefen mehrere Stimmen. „Eine gute Eigenschaft habe ich an deiner Gattin zu ihren andern Tugenden entdeckt,“ fuhr mein Vater fort, „sie ist nicht neugierig; oder hast du, liebe Toch¬ ter, das Kästchen schon eröffnet, welches ich dir ge¬ geben habe?“ „Nein, Vater, ich wartete auf deinen Wink,“ ant¬ wortete Natalie. „So lasse das Kästchen bringen,“ entgegnete mein Vater. Es geschah. Der Faden mit dem Siegel wurde entzwei geschnitten, das Kästchen geöffnet, und auf weißem Sammt lag ein außerordentlich schöner Schmuck von Smaragden. Ein allgemeiner Ruf der Verwunderung machte sich hörbar. Nicht nur waren die Steine an sich, obwohl nicht zu den größten ihrer Art gehörend, sehr schön, sondern die Fassung, die Steine nicht drückend, war doch so leicht und so schön, daß das Ganze wie ein zusammengehöriges in einan¬ der gewachsenes Werk wie ein wirkliches Kunstwerk erschien. Selbst Eustach und Roland sprachen ihre Bewunderung aus, und vollends Risach. Sie ver¬ sicherten, daß sie keine neue Arbeit gesehen hätten, die dieser gliche. „Dein Freund, mein Heinrich, hat diesen Schmuck fertigen lassen,“ sagte mein Vater, „wir haben Sma¬ ragde gewählt, weil er eben sehr schöne und in erfor¬ derlicher Anzahl hatte, weil Smaragde unter allen farbigen Steinen den Ton des weiblichen Halses und Angesichtes am sanftesten heben, und weil du tief ge¬ färbte und reine Smaragde so liebst. Und alle hier sind tief und rein. Wir haben gesucht, nach deinen Grund¬ säzen die Steine fassen zu lassen. Es sind viele Zeich¬ nungen gemacht gewählt verworfen und wieder ge¬ wählt worden. Es dürfte der beste Zeichner unserer 27 * Stadt sein, der endlich das Vorliegende zusammen gestellt hat. Es wurde hierauf beinahe Tag und Nacht gearbeitet, um zu rechter Zeit fertig zu sein. Geöffnet sollte das Kästchen darum nicht werden, da¬ mit meine Tochter nicht etwa blos mir zu Liebe diesen Schmuck an ihrem Trauungstage nehmen, und einen schöneren und kostbareren, den sie besize, zu ihrem Leidwesen ruhen lasse.“ „Sie besizt keinen schöneren,“ erwiederte Risach, „wir haben den, welchen sie heute trug, nach Zeich¬ nungen, die wir aus mittelalterlichen Gegenständen frei zusammen trugen, ebenfalls bei Heinrichs Freunde verfertigen lassen. Mathilde, laß doch den Schmuck herbei bringen, daß wir beide vergleichen.“ Mathilde reichte an Natalien ein Schlüsselchen, und diese holte selber das Fach, in welchem der Schmuck lag. Er war eine Zusammensezung von Diamanten und Rubinen. Er sah so zart rein und edel aus, wie ein in Farben geseztes mittelalterliches Kunstwerk. Ein wahrer Zauber lag um diese Innig¬ keit von Wasserglanz und Rosenröthe in die sinnigen Gestalten vertheilt, die nur aus den Gedanken unserer Vorfahren so genommen werden können. Und den¬ noch stand nach einstimmigem Urtheile der Smaragd¬ schmuck nicht zurück. Der Künstler der Gegenwart kam zu Ehren. „Es ist aber auch keiner in unserer Stadt und vielleicht in weiten Kreisen, der so zeichnen kann,“ sagte mein Vater, „er huldigt keinem Zeitgeschmacke, sondern nur der Wesenheit der Dinge, und hat ein so tiefes Gemüth, daß der höchste Ernst und die höch¬ ste Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es mich aus seinen Gestalten so an wie aus den Nibe¬ lungen oder wie aus der Geschichte der Ottone. Wenn dieser Mann nicht so bescheiden wäre, und statt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber große Gemälde machte, er würde seines Gleichen jezt nicht haben, und nur mit den größten Meistern der Vergangenheit zusammengestellt werden können.“ „Ein Schmuck in seinem Fache,“ sagte eine Stim¬ me, „ist doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch mehr wie ein Rahmen ohne Bild.“ „Freilich ist es so,“ entgegnete Risach, „man kann jedes Ding nur an seinem Plaze beurtheilen, und da mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten ist, so wäre es nicht zu verwerfen — — Natta bist du mein liebes Kind?“ „Vater, wie gerne!“ antwortete diese. Sie stand von ihrem Stuhle auf, entfernte sich, und kam so gekleidet wieder, daß man ihr einen kost¬ baren Schmuck umlegen konnte. Es geschah zuerst mit den Diamanten und Rubinen. Wie herrlich war Natalie, und es bewährte sich, daß der Schmuck der Rahmen sei. Am Vormittage in beklemmenden und tieferen Gefühlen befangen konnte ich dem Schmucke keine Aufmerksamkeit schenken. Jezt sah ich die schö¬ nen Gestaltungen wie von einem sanften Scheine umgeben. Im Mittelpunkte aller Blicke erröthete die junge Frau, und die Rosen ihrer Farbe gaben den Rubinen erst die Seele, und empfingen sie von ihnen. Der Ausdruck der Bewunderung war allgemein. Hier¬ auf wurde der Smaragdschmuck umgelegt. Aber auch er war vollendet. Der dunkle tiefe Stein gab der Oberfläche von Nataliens Bildungen etwas Ernstes Feierliches fremdartig Schönes. War der Diamant¬ schmuck wie fromm erschienen, so erschien der Sma¬ ragdschmuck wie heldenartig. Keiner erhielt den Preis. Risach und der Vater stimmten selber überein. Nata¬ lie nahm ihn wieder ab, beide Schmuckstücke wurden in ihre Fächer gelegt, Natalie trug sie fort, und er¬ schien nach einer Zeit wieder in ihrem früheren Anzuge. Bei dem Smaragdschmucke hatte sich etwas Auf¬ fälliges ereignet. Von ihm waren die Ohrgehänge im Fache zurückgeblieben. Der Diamantschmuck ent¬ hielt keine Ohrgehänge. Mathilde und Natalie tru¬ gen Ohrgehänge nicht, weil nach ihrer Meinung der Schmuck dem Körper dienen soll. Wenn aber der Körper verwundet wird, um Schmuck in die Ver¬ lezung zu hängen, werde er Diener des Schmuckes. Als noch immer von den Steinen gesprochen wurde, was ihre Bestimmung sei, und wie sie sich auf dem Körper ganz anders ansehen lassen als in ihrem Fache, sagte Eustach etwas, das mir als sehr wahr erschien: „Was die innere Bestimmung der Edelsteine ist,“ sprach er, „kann nach meiner Meinung niemand wissen: für den Menschen sind sie als Schmuck an seinem Körper am schönsten, und zwar zuerst an den Theilen, die er entblößt trägt, dann aber an seinem Gewande, und an allem, was sonst mit ihm in Berührung kommt wie Königskronen Waffen. An bloßen Geräthen, wie wichtig sie sind, erscheinen die Steine als todt, und an Thieren sind sie entwürdigt.“ Man sprach noch länger über diesen Gegenstand, und erläuterte ihn durch Beispiele. „Da heute unser Wettkampf unentschieden geblie¬ ben ist,“ sagte Risach zu meinem Vater, „so wollen wir nun sehen, wer mit geringerem Aufwande seinen Siz zu einem größeren Kunstwerke machen kann, du deinen Drenhof, oder wenn du ihn lieber Gusterhof nennen willst, oder ich meinen Asperhof.“ „Du bist schon im Vorsprunge,“ entgegnete mein Vater, „und hast gute Zeichner bei dir: ich fange erst an, und mein Zeichner liefert mir wahrscheinlich keine Zeichnung mehr.“ „Wenn es uns im Asperhofe an Arbeit fehlt, so werden wir in den Drenhof hinüber geliehen,“ sagte Eustach. „Auch dann, wenn wir hier Arbeit haben,“ erwie¬ derte Risach, „ich will dem Feinde Waffen liefern.“ Der Nachmittag war ziemlich vorgerückt, und es fehlte nicht mehr viel zum Abende. Das Mahl war schon längst aus, und man saß nur mehr, wie es öfter geschieht, im Gespräche um den Tisch. Mir war schon länger her das Benehmen des Gärt¬ ners Simon aufgefallen; denn er, so wie die vorzüg¬ licheren Diener des Hauses und Meierhofes war zu Tische geladen worden. Die andern hatten in dem Meierhofe ein Mahl. Ich hatte ihm am Morgen zur Erinnerung an den heutigen Tag eine silberne Dose mit meinem Namen in dem Deckel gegeben. Diese Dose hatte er bei sich auf dem Tische, und sprach ihr unruhig zu. Manches Mal flüsterte er mit seinem Wei¬ be, das an seiner Seite saß, und öfter ging er fort, und kam wieder. Eben trat er nach einer solchen Ent¬ fernung wieder in den Saal. Er sezte sich nicht, und schien mit sich zu kämpfen. Endlich trat er zu mir, und sprach: „Alles Gute belohnt sich, und euch er¬ wartet heute noch eine große Freude.“ Ich sah ihn befremdet an. „Ihr habt den Cereus Peruvianus vom Unter¬ gange gerettet,“ fuhr er fort, „wenigstens hätte er leicht untergehen können, und ihr seid Ursache gewe¬ sen, daß er in dieses Haus gekommen ist, und heute noch wird er blühen. Ich habe ihn durch Kälte zu¬ rück zu halten gesucht, selbst auf die Gefahr hin, daß er die Knospe abwerfe, damit er nicht eher blühe als heute. Es ist alles gut gegangen. Eine Knospe steht zum Entfalten bereit. In mehreren Minuten kann sie offen sein. Wenn die Gesellschaft dem Gewächshause die Ehre anthun wollte. . . .“ „Ja Simon, ja wir gehen hin,“ sagte mein Gast¬ freund. Sofort erhob man sich von dem Tische, und rüstete sich zu dem Gange in die Gewächshäuser. Simon hatte alles andere um die Stelle des Peruvianus, der in ein eigenes Glashäuschen hinein ragte, ent¬ fernt, und Plaz zum Betrachten der Pflanze gemacht. Die Blume war, da wir hinkamen bereits offen. Eine große weiße prachtvolle fremdartige Blume. Alles war einstimmig im Lobe derselben. „So viele Menschen den Peruvianus haben,“ sagte Simon, „denn gar selten ist er eben nicht, so mächtig groß sie auch seinen Stamm ziehen, so selten bringen sie ihn zur Blüthe. Wenige Menschen in Eu¬ ropa haben diese weiße Blume gesehen. Jezt öffnet sie sich, morgen mit Tagesanbruch ist sie hin. Sie ist kostbar mit ihrer Gegenwart. Mir ist es geglückt, sie blühen zu machen — und gerade heute. — Es ist ein Glück, das die wahrste Freude hervorbringen muß.“ Wir blieben ziemlich lange, und erwarteten das völlige Entfalten. „Es kommen auch nicht viele Blumen wie bei gemeinen Gewächsen hervor,“ sagte Simon wieder, „sondern stets nur eine, später etwa wieder eine.“ Mein Gastfreund schien wirklich Freude an der Blume zu haben, ebenso auch Mathilde. Natalie und ich dankten Simon besonders für seine große Aufmerksamkeit, und sagten, daß wir ihm diese Über¬ raschung nie vergessen werden. Dem alten Manne standen die Thränen in den Augen. Er hatte Lampen um die Blume angebracht, die bei hereinbrechender Dämmerung angezündet werden sollten, wenn etwa jemand die Blume in der Nacht betrachten wolle. Bei längerem Anschauen gefiel uns die Blume immer mehr. Es dürften in unsern Gärten wenige sein, die an Seltsamkeit Vornehmheit und Schönheit ihr gleichen. Von den Anwesenden hatte sie nie einer gesehen. Wir gingen endlich fort, und der eine und der andere versprach, im Laufe des Abends noch ein¬ mal zu kommen. Da wir auf dem Rückwege waren, und an dem Gebüsche, das sich in der Nähe des Lindenganges befindet, vorbeigingen, ertönte dicht am Wege in den Büschen ein Zitherklang. Risach, welcher meine Mut¬ ter führte, blieb stehen‚ ebenso mein Vater und Ma¬ thilde, und dann auch die andern, die sich eben in unserer Nähe befanden. Ich war mit Natalien mehr gegen den Busch getreten; denn ich erkannte augen¬ blicklich den Klang meines Zitherspiellehrers. Er trug eine ihm eigenthümliche Weise vor, dann hielt er inne, dann spielte er wieder, dann hielt er wieder inne, und so fort. Es waren lauter Weisen, die er selber ersonnen hatte, oder die ihm vielleicht eben in dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er spielte mit aller Kraft und Kunst, die ich an ihm so oft bewundert hatte, ja er schien heute noch besser als je zu spielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden liebte als seine Zither. Alles, was sich in der Nähe befand, lauschte unbeweglich, und nicht einmal ein Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde sah einmal auf Natalien hin und zwar so bedeut¬ sam, als wollte sie sagen: das haben wir nicht ge¬ hört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen. Die Zither war ein lebendiges Wesen, das in einer Sprache sprach, die allen fremd war, und die alle verstanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder beginnen zu wollen schienen, trat ich mit Natalien ins Gebüsch, und da saß mein Zitherspiellehrer an einem Tischchen, und hatte seine Zither vor sich. Sein Anzug war graues Tuch und sehr abgetragen, sein grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tische. „Joseph, bist du wieder in der Gegend?“ fragte ich ihn. „So recht nicht,“ antwortete er, „ich bin gekom¬ men, euch auf der Hochzeit einmal gut aufzuspielen.“ „Das hast du gethan, und das kann keiner so,“ sagte ich, „du sollst dafür eine Freude haben, und ich weiß dir eine zu verschaffen, welche dir die größte ist. Bessere Hände können das, was ich dir geben will, nicht fassen, als die deinen. Das Rechte muß zusam¬ menkommen. Ich bin dir ohnehin auch noch einen Dank schuldig für dein eifriges Lehren und für deine Begleitung im Gebirge.“ „Dafür habt ihr mich bezahlt, und das Heutige that ich freiwillig,“ sagte er. „Warte nur einige Tage hier, dann wirst du empfangen, was ich meine,“ sprach ich. „Ich warte gerne,“ erwiederte er. „Du sollst gut gehalten sein,“ sagte ich. Indessen waren alle andern auch herbeigekommen, und überschütteten den Mann mit Lob. Risach lud ihn ein, eine Weile in seinem Hause zu bleiben. Er spielte noch einige Weisen, er vergaß beinahe, daß ihm jemand zuhöre, spielte sich hinein, und hörte end¬ lich auf, ohne auf die Umstehenden Rücksicht zu neh¬ men, genau so, wie er es immer that. Wir entfern¬ ten uns dann. Ich rief sogleich den Hausverwalter herbei, sagte ihm, er möge mir einen Boten besorgen, welcher auf der Stelle in das Echerthal abzugehen bereit sei. Der Hausverwalter versprach es. Ich schrieb einige Zeilen an den Zithermacher, legte das nöthige Geld bei, versprach noch mehr zu senden, wenn es nöthig sein sollte, und verlangte, daß er die dritte Zither, welche die gleiche von der meinigen und der meiner Schwe¬ ster sei, in eine Kiste wohlverpackt dem Boten mitgebe, der den Brief bringt. Der Bote erschien, ich gab ihm das Schreiben und die nöthigen Weisungen, und er versprach, die heutige Nacht zu Hilfe zu nehmen, und in kürzester Frist zurück zu sein. Ich hielt mich nun für sicher, daß nicht etwa im lezten Augenblicke die Zither wegkomme, wenn sie überhaupt noch da sei. Indessen war es tief Abend geworden. Ich ging mit Natalien und Klotilden noch einmal zu dem Ce¬ reus Peruvianus, der im Lampenlichte fast noch schö¬ ner war. Simon schien bei ihm wachen zu wollen. Immer gingen Leute ab und zu. Joseph hörten wir auch noch einmal spielen. Er spielte in der großen unteren Stube, wir traten ein, er hatte guten Wein vor sich, den ihm Risach gesendet hatte. Das ganze Hausvolk war um ihn versammelt. Wir hörten lange zu, und Klotilde begrif jezt, warum ich im Gebirge so gestrebt habe, daß sie diesen Mann höre. Ein Theil der Gäste hatte noch heute das Haus verlassen, ein anderer wollte es bei Anbruch des näch¬ sten Tages thun, und einige wollten noch bleiben. Im Laufe des folgenden Vormittages, da sich die Zahl der Anwesenden schon sehr gelichtet hatte, kamen noch einige Geschenke zum Vorscheine. Risach führte uns in das Vorrathshaus, welches neben dem Schrei¬ nerhause war. Dort hatte man einen Plaz geschafft, auf welchem mehrere mit Tüchern verhüllte Gegen¬ stände standen. Risach ließ den ersten enthüllen, es war ein kunstreich geschnittener Tisch, und hatte den Mar¬ mor als Platte, welchen ich einst meinem Gastfreunde gebracht hatte, und über dessen Schicksal ich später in Ungewißheit war. „Die Platte ist schöner als tausende,“ sagte Ri¬ sach, „darum gebe ich das Geschenk meines einstigen Freundes in dieser Gestalt meinem jezigen Sohne. Keinen Dank, bis alles vorüber ist.“ Nun wurde ein großer hoher Schrein enthüllt. „Ein Scherz von Eustach an dich, mein Sohn,“ sagte Risach. Der Schrein war von allen Hölzern, welche unser Land aufzuweisen hat, in eingelegter Arbeit verfertigt. Eustach hatte die Zusammenstellung entworfen. Die Sache sah außerordentlich reizend aus. Ich hatte bei meinem Winterbesuche im Asperhofe an diesem Schrei¬ ne arbeiten gesehen. Ich hatte damals die Ansamm¬ lung von Hölzern seltsam gefunden, auch hatte ich den Zweck des Schreines nicht erkannt. Er war in mein Arbeitszimmer für meine Mappen bestimmt. Zulezt wurden mehrere Gegenstände enthüllt. Es waren die Ergänzungen zu meines Vaters Vertäflun¬ gen. Das war gleich auf den ersten Blick zu erken¬ nen, und erregte Freude; aber ob sie die rechten oder nachgebildete seien, war nicht zu entscheiden. Risach klärte alles auf. Es waren nachgebildete. Zu diesem Behufe hatte man von mir die Abbildungen der Ver¬ täflungen des Vaters verlangt. Roland hatte vergeb¬ lich nach den echten geforscht. Er hatte Messungen nach den vorhandenen Resten vorgenommen, und nach Orten gesucht, auf welche die Messungen paßten. In einem abgelegenen Theile der Holzbauten des steiner¬ nen Hauses hatte er endlich Bohlen gefunden, welche den Messungen genau entsprachen. Die Bohlen wa¬ ren theils vermorscht, theils zerrissen, und trugen die Verlezungen, wie man die Schnizereien von ihnen herab gerissen hatte. Es war nun fast gewiß, daß die Er¬ gänzungen verloren gegangen seien. Man machte da¬ her die Nachbildungen. In demselben Winterbesuche hatte ich auch das Bohlenwerk zu diesen Schnizereien gesehen. Mein Vater erklärte die Arbeit für außer¬ ordentlich schön. „Sie hat auch lange gedauert, mein lieber Freund,“ sagte Risach, „aber wir haben sie für dich zu Stande gebracht, und sie wird genau in dein Glashäuschen passen, oder leicht einzupassen sein; außer du zögest vor, die Schnizereien in den Drenhof bringen zu lassen.“ „So wird es auch geschehen, mein Freund,“ sagte mein Vater. Nun ging es erst an ein Danksagen und an ein Ausdrücken der Freude. Die Geber lehnten jeden Dank von sich ab. Man beschloß, die Gegenstände in kurzer Zeit auf ihren Bestimmungsort zu bringen. An diesem Tage und in den folgenden verließen uns nach und nach alle Fremden, und erst jezt begann ein liebes Leben unter lauter Angehörigen. Risach hatte für mich und Natalien eine sehr schöne Woh¬ nung herrichten lassen. Sie konnte nicht groß sein, war aber sehr zierlich. In den zwei Jahren meiner Stifter , Nachsommer. III . 28 Abwesenheit waren ihre Wände bekleidet und waren neue ausgezeichnete Geräthe für sie angeschafft wor¬ den. Wir beschloßen aber unsere regelmäßige Woh¬ nung so lange in dem Sternenhofe aufzuschlagen, bis ihn Gustav würde übernehmen können, damit Ma¬ thilde in der Zwischenzeit nicht zu vereinsamt wäre. Dabei würde ich oft in den Asperhof kommen, um mit Risach zu berathschlagen oder zu arbeiten, oft würden auch die andern kommen, und oft würden wir uns da, oder im Gusterhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt besuchen, und zeitweilig dort woh¬ nen. Mit Natalien hatte ich eine größere Reise vor. Für den Fall, daß ich in was immer für Angelegen¬ heiten abwesend sein sollte, nahm jedes Haus das Recht in Anspruch, Natalien beherbergen zu dürfen. Der Zitherspieler spielte täglich und oft ziemlich lange vor uns. Am fünften Tage kam die Zither. Ich über¬ reichte sie ihm, und er, da er sie erkannte, wurde fast blaß vor Freude. Dieses Geschenk durfte das Beste für ihn genannt werden; von diesem Geschenke wird er sich nicht trennen, während es von jedem andern zweifelhaft wäre, ob er es nicht verschleudere. Als er die Zither gestimmt, und auf ihr gespielt hatte, sahen wir erst, wie trefflich sie sei. Er wollte fast gar nicht aufhören zu spielen. Risach ließ ihm noch über ihr Fach ein wasserdichtes Lederbehältniß machen. Nach mehreren Tagen nahm er Abschied, und verließ uns. Wir machten alle eine kleine Reise in das Ahorn¬ wirthshaus, und ich stellte Kaspar und alle andern, die mit mir in Verbindung gewesen waren, Risach Mathilden meinen Eltern und Natalien vor. Wir blieben sechs Tage in dem Ahornhause. Von da gin¬ gen wir in den Sternenhof. Die Tünche war nun überall von ihm weggenommen worden, und er stand in seiner reinen ursprünglichen Gestalt da. Auch hier wurden wir in die Wohnung eingeführt, die während meiner Abwesenheit für uns hergestellt worden war. Sie konnte in dem weitläufigen Gebäude viel größer sein als die im Asperhofe. Sie war zu einer voll¬ ständigen Haushaltung hergerichtet. Von dem Sternenhofe gingen wir in die Stadt. Dort machten wir alle Besuche, welche in den Krei¬ sen meiner Eltern und in denen Mathildens noth¬ wendig waren. Risach stellte manchem Freunde seine angenommene und neuvermählte Tochter nebst ihrem Gatten und ihrer Mutter vor. Ich erfuhr, daß meine Vermählung mit Natalie Tarona Aufsehen errege; ich erfuhr, daß insbesonders einige meiner Freunde 28 * — sie hatten sich wenigstens immer so genannt — geäußert haben, das sei unbegreiflich. Nataliens Nei¬ gung zu mir war mir stets ein Geschenk und daher unbegreiflich; da aber nun diese es aussprachen, be¬ grif ich, daß es nicht unbegreiflich sei. Ich besuchte meinen Juwelenfreund, der wirklich ein Freund ge¬ blieben war. Er hatte die innigste Freude über mein Glück. Ich führte ihn in unsere Familien ein. Be¬ kannt war er mit allen Theilen schon lange gewesen. Ich dankte ihm sehr für die prachtvolle Fassung der Diamanten und Rubinen und des Smaragdschmuckes. Er fühlte sich über Risachs und meines Vaters Ur¬ theil sehr beglückt. „Wenn wir solche Kunden in großer Zahl hätten, wie diese zwei Männer sind, theurer Freund,“ sagte er, „dann würde unsere Beschäftigung bald an die Grenzen der Kunst gelangen, ja sich mit ihr vereini¬ gen. Wir würden freudig arbeiten, und die Käufer würden erkennen, daß die geistige Arbeit auch einen Preis habe wie die Steine und das Gold.“ Ich nahm bei ihm eine sehr werthvolle und mit Kunst verzierte Uhr als Gegenscherz für Eustachs Mappenschrein. Klotilde hatte sie ausgewählt. Für Roland ließ ich einen Rubin in einen Ring fassen, daß er ihn zur Erinnerung an mich trage, und meine Dankbarkeit für seine Bemühungen zur Auffindung der Ergänzungen der Pfeilerverkleidungen anerkenne. „Er ist ohnehin ein Nebenbuhler von mir,“ sagte ich, „er hat Natalien oft lange und bedeutend ange¬ sehen.“ „Das hat einen sehr unschuldigen Grund,“ ent¬ gegnete mein Gastfreund, „Roland erwarb sich ein Liebchen mit gleichen Augen und Haaren, wie sie Natalie besizt. Er hat uns das öfter gesagt. Das Mädchen ist die Tochter eines Forstmeisters im Ge¬ birge, und ihm äußerst zugethan. Da nun der Arme ihren Anblick oft lange entbehren muß, so sah er zur Erquickung Natalien an. Es hat Schwierigkeiten mit diesem jungen Manne, ich wünsche sein Wohl. Er kann ein bedeutender Künstler werden oder auch ein unglücklicher Mensch, wenn sich nehmlich sein Feuer, das der Kunst entgegen wallt, von seinem Gegen¬ stande abwendet, und sich gegen das Innere des jun¬ gen Mannes richtet. Ich hoffe aber, daß ich alles werde ins Gleiche bringen können.“ Da alle nothwendigen Dinge in der Stadt abge¬ than waren, wurde die Rückreise angetreten, und zwar in den Asperhof. Die Zeit der Rosenblüthe war herangerückt, und heuer sollte sie von den vereinigten Familien als ein Denkzeichen der Vergangenheit und aber auch als eins der Zukunft zum ersten Male in dieser Vereinigung und mit besonderer Festlichkeit begangen werden. Mein Vater sollte sehen, welche Gewalt die Menge und die Manigfaltigkeit auszu¬ üben im Stande ist, wenn diese Menge und Manig¬ faltigkeit auch nur lauter Rosen sind. Nach Verlauf der Rosenblüthe sollte alles und jedes, das durch diese Vermählung unterbrochen worden war, in das alte Geleise zurückkehren. Da wir in dem Asperhofe angekommen waren, gelangte ich erst zu einiger Ruhe. Da sah ich auch gele¬ gentlich die Papiere an, die uns Risach und der Vater gegeben hatten, und erstaunte sehr. Beide enthiel¬ ten für uns viel mehr als wir nur entfernt vermuthet hatten. Risach wollte bis zu seinem Tode das Haus in der Art wie bisher fort bewirthschaften, damit, wie er sagte, er seinen Nachsommer bis zum Ende ausgenie¬ ßen könne. Unser Rath und unsere Hilfe in der Bewirth¬ schaftung wird ihm Freude machen. Einen namhaften Theil seiner Barschaft hatte er uns übergeben. Und weil öfter zwei Familien in dem Asperhofe sein kön¬ nen, so lagen den Papieren Plane bei, daß auf einem schönen Plaze zwischen dem Rosenhause und dem Meierhofe hart am Getreide ein neues Haus auf¬ geführt und sogleich zum Baue geschritten werden möge. Aber auch das von dem Vater uns Übergebene war der gesammten Habe Risachs ebenbürtig, und übertraf weit meine Erwartungen. Als wir unsern Dank abstatteten, und ich mein Befremden ausdrückte, sagte der Vater: „du kannst darüber ganz ruhig sein; ich thue mir und Klotilden keinen Abbruch. Ich habe auch meine heimlichen Freuden und meine Leiden¬ schaften gehabt. Das geben verachtete bürgerliche Gewerbe eben bürgerlich und schlicht betrieben. Was unscheinbar ist, hat auch seinen Stolz und seine Größe. Jezt aber will ich der Schreibstubenleidenschaft, die sich nach und nach eingefunden, Lebewohl sagen, und nur meinen kleineren Spielereien leben, daß ich auch einen Nachsommer habe wie dein Risach.“ Als wir einige Zeit in dem Rosenhause verweilt hatten, traten eines Tages Natalie und ich zu unserem neuen Vater, und bathen ihn, er möge ein Versprechen von uns annehmen, dessen Annahme uns sehr freuen würde. „Und was ist das?“ fragte er. „Daß wir, wenn du uns dereinst in dieser Welt früher verlassen solltest als wir dich, keine Verände¬ rung in allem, wie es sich in dem Hause und in der Besizung vorfindet, machen wollen, damit dein theu¬ res Andenken bestehe und forterbe,“ sagten wir. „Da thut ihr zu viel,“ antwortete er, „ihr ver¬ sprecht etwas, dessen Größe ihr nicht kennt. Diese Bande darf ich nicht um euren Willen und eure Ver¬ hältnisse legen, sie könnten von den übelsten Folgen sein. Wollt ihr mein Gedächtniß in manigfachem Bestehenlassen ehren, thut es, und pflanzt auch euren Nachkommen diesen Sinn ein, sonst ändert, wie ihr wünscht, und wie es noth thut. Wir wollen, so lange ich lebe, selber noch mit einander ändern verschönern bauen; ich will noch eine Freude haben, und mit euch zu ändern und zu wirken ist mir lieber, als wenn ich es allein thue.“ „Aber der Erlenbach muß als Denkmal der schö¬ nen Geräthe bestehen bleiben.“ „Sezt eine Urkunde auf, daß ihm nichts angethan werde von Geschlecht zu Geschlecht, bis seine Reste vermodern, oder ein Wolkenguß ihn von seiner Stelle feget.“ Er küßte Natalien, wie er gerne that, auf die Stirne, mir reichte er die Hand. Als die Rosenzeit wirklich recht innig und zum Staunen meiner Angehörigen, welche so etwas nie gesehen hatten, vorüber gegangen war, nahmen wir Abschied, die Vereinigung, welche nun so lange be¬ standen hatte, löste sich, und die Tage kehrten in ihren gewöhnlichen Abfluß zurück. Meine Eltern gin¬ gen mit Klotilden in den Gusterhof, wo sie bis zum Winter bleiben wollten, und ich siedelte mit Natalien in unsere ständige Wohnung in den Sternenhof über. Wir sollten nun die eigentliche Familie desselben sein, Mathilde werde bei uns wohnen und mit an unserem Tische speisen. Die Bewirthschaftung des Gutes sollte ebenfalls ich leiten. Ich übernahm die Pflicht und bath um Mathildens Beihilfe, so ausgedehnt sie die¬ selbe leisten wolle. Sie sagte es zu. So rückte nun die Zeit in ihr altes Recht, und ein einfaches gleichmäßiges Leben ging Woche nach Woche dahin. Nur im Herbste fand eine Abwechslung statt. Die Vettern aus dem Geburtshause des Vaters be¬ suchten meine Eltern in dem Gusterhofe. Wir fuhren zu ihnen hinüber. Der Vater ließ sie reichlich beschenkt in einem Wagen in ihre Heimath zurückführen. Mit Beginn des Winters war Rolands Bild fer¬ tig. Es war seiner Größe willen zu rollen, hatte einen großen Goldrahmen, der zu zerlegen war, und wurde in dem Marmorsaale auf einer Staffelei aufgestellt. Wir reisten alle in den Asperhof. Das Bild wurde vielfach betrachtet und besprochen. Ro¬ land war in einer gehobenen schwebenden Stimmung; denn was auch die Meinung seiner Umgebung war, wie sehr sie auch das Hervorgebrachte lobte, und wohl auch Hindeutungen gab, was noch zu verbessern wäre: so mochte ihm sein Inneres versprechen, daß er einmal vielleicht noch weit Höheres ja ein ganz Großes zu Stande zu bringen vermögen werde. Risach sagte ihm die Mittel zu, reisen zu können, und ord¬ nete die Zubereitung zu einer baldigen Abreise nach Rom an. Gustav mußte noch den Winter im As¬ perhofe zubringen. Im Frühlinge sollte er endlich in die Welt gehen. So waren nun manigfaltige Beziehungen geord¬ net und geknüpft. Mathilde hatte einmal, da ich sie im Sternenhofe besuchte, zu mir gesagt, das Leben der Frauen sei ein beschränktes und abhängiges, sie und Natalie hätten den Halt von Verwandten verloren, sie müßten Man¬ ches aus sich schöpfen wie ein Mann, und in dem Widerscheine ihrer Freunde leben. Das sei ihre Lage, sie daure ihrer Natur nach fort, und gehe ihrer Ent¬ wicklung entgegen. Ich hatte mir die Worte gemerkt, und hatte sie tief ins Herz genommen. Ein Theil dieser Entwicklung, glaubte ich nun, war gekommen, der zweite wird mit Gustavs Ansiedlung eintreten. An mir hatten die Frauen wieder einen Halt gewonnen, daß sich ein fester Kern ihres Da¬ seins wieder darstelle; ein neues Band war durch mich von ihnen zu den Meinigen geschlungen, und selbst das Verhältniß zu Risach hatte an Rundung und Festigkeit gewonnen. Den Abschluß der Familienzu¬ sammengehörigkeit wird dann Gustav bringen. Was mich selber anbelangt, so hatte ich nach der gemeinschaftlichen Reise in die höheren Lande die Frage an mich gestellt, ob ein Umgang mit lieben Freunden ob die Kunst die Dichtung die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende, oder ob es noch ein Ferneres gäbe, das es umschließe, und es mit weit größerem Glück erfülle. Dieses größere Glück, ein Glück, das unerschöpflich scheint, ist mir nun von einer ganz an¬ deren Seite gekommen als ich damals ahnte. Ob ich es nun in der Wissenschaft, der ich nie abtrünnig werden wollte, weit werde bringen können, ob mir Gott die Gnade geben wird, unter den Großen der¬ selben zu sein, das weiß ich nicht; aber eines ist ge¬ wiß, das reine Familienleben, wie es Risach ver¬ langt, ist gegründet, es wird, wie unsre Neigung und unsre Herzen verbürgen, in ungeminderter Fülle dauern, ich werde meine Habe verwalten, werde sonst noch nüzen, und jedes selbst das wissenschaft¬ liche Bestreben hat nun Einfachheit Halt und Be¬ deutung. Ende. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.