Lebenslaͤufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C. Meines Lebenslaufs Zweiter Theil. Beylage A, und Beylage B . Berlin , bey Christian Friedrich Voß , 1779 . D ie Koͤnigin ist weg: Das Spiel ist ver- loren, sagte Herr v. G.; da von der Abreise meines Vaters geredet ward. Ich wuͤrde diesen Umstand meinem Vater nicht nachleichreden, wenn ich mich nicht bei den Lesern des zweiten Theils entschuldigen muͤßte, warum ich aus der Noth eine Tu- gend gemacht, und mich in den festen Ort der Erzaͤhlung geworfen. Freylich ist man hiebey vor den leichten Truppen der Kritik sicherer; was aber meine kunstrichterlichen Leser dazu sagen werden, die entweder bei der schweren Cavallerie in Diensten stehen — oder blos aus Lust und Liebe lesen, und gar nicht in gelehrten Kriegs- diensten sind, muß die Zeit lehren. — Aug und Ohr haben zwar viel Aehnlichkeit mit einander, allein alle Welt spricht von schoͤ- nen Augen; ein verzaͤrtelter Kenner aber nur vom schoͤnen Ohr. Das Gesicht ist un- streitig der edelste Sinn, ohn’ ihn ist kein anderer Sinn vollstaͤndig. Auch selbst, wenn ich ich im gemeinen Leben erzaͤhlen hoͤre, seh’ ich — ich sehe den Erzaͤhler steif an, recht als schien ich es zu bedauren, daß ich diese Geschichte nicht im Original gesehen, ich ver- lange, der Erzaͤhler soll sie nachhandeln: Soll, was und wie es geschehen, leibhaftig zeigen. Je mehr ein Erzaͤhler zu sehen ist, je mehr freu ich mich, je mehr sind ich die Kopie getroffen. Oft’ hab ich gedacht, daß es eine Geschichte geben koͤnne, (ob einen Ro- man, weis ich nicht, wo man nicht hoͤre, sondern sehe, durch und durch sehe, wo nicht Erzaͤhlung sondern Handlung waͤre, wo man alles oder wenigstens mehr sehe, als hoͤre. — Man sieht freilich den Erzaͤhler im gemeinen Leben; allein die Wahrheit zu sagen, man hoͤrt ihn mehr, und es wuͤrd’ Affektation seyn, wenn er mehr zu sehen, als zu hoͤren waͤre. Ein Erzaͤhler, wenn er im Druck erscheint, wie wenig ist er zu se- hen! wie weit weniger als im gemeinen Le- ben! — — — — Dergleichen Geschichte , wo, wie meine Mutter sagen wuͤrde, ge- wandelt und gehandelt wird, will man sie eine redende , eine Geschichte mit eignen Worten nennen, meinthalben! Daß eine Ge- schichte durchweg in Gespraͤchen , eine in Frag Frag und Antworten , ein ganz ander Ding sey, versteht sich. Waͤren in einer redenden Geschichte auch nur ausgerissene Lebensblaͤt- ter, wie leicht wuͤrden sie zusammen zu setzen seyn. — Man wuͤrde dem Leser noch oben ein eben hiedurch unvermerkt Gelegenheit zu mehrerer Anstrengung geben, und ihn zum Mitarbeiter an seinem Werke machen. — — Daß ich es bei dieser Geschichte zu diesem Ziel nicht angelegt, bescheid’ ich mich von selbst, und ich bin schon zufrieden, wenn mein Lebenslauf nur hier und da Darstellung ent- haͤlt, und wenn sich in dem Schlusse des ersten Bandes die Personen selbst zu erkennen und zu verstehen gegeben. Rede und du bist, koͤnnte das Motto zu diesen Gespraͤchen seyn: es liegt eine besondre Natur in der Rede. — — Zwar waren auch ohne meinen Vater noch vortrefliche Officier auf dem Brette, die noch immer redend eingefuͤhrt zu werden verdient haͤtten; allein der kommandirende General war gefallen. — Wer wuͤrde mei- nem Vater wohl diese Ehre streitig gemacht haben, wenn er nicht zu oft auf die Kanzel gestiegen? Herr v. G. hatte, um auf dem Brette zu bleiben, den Gang des Elephanten: A 3 Wer Wer den Springer vorstellte, wissen wir alle — Vielleicht finden meine Leser noch mehr aus dem Schachspiel in der Gesellschaft, aus der mein Vater ploͤtzlich schied. Dies Spiel ist Bild der Welt, wenn auch nur Koͤnig und Koͤnigin in Erwaͤgung genom- men werden. — So wie sie im Schach ge- schehen, so gemeinhin in der Welt — Herr v. W. hatte den Dionysius beschaͤmt, und den Waldhornisten ein ansehnliches und fuͤhl- bares Compliment in die Hand gedruͤckt. Die Art, wie er dieses Geschenk gegeben, haben wir nicht noͤthig abzulauern, um ihn mehr zu wißen; denn wir wissen ihn schon inwendig und auswendig. Er hatte Ursache, diese Schreier zum Schweigen zu bringen; denn es gingen die Vigilien wegen eines den folgenden Tag zu feyernden Trauerfesies an. Der Laufer , Herr Herrmann , bedeu- tete mehr, nachdem mein Vater weg war, und Herr v. W. ihn deckte. Herr Herrmann schien sich so gar, vielleicht in Ruͤcksicht die- ser Deckung, ein Direktorium uͤber mich an- zumaaßen. Ich konnt’ ihm hiezu keine Be- fugniß zugestehen; denn obgleich er mir zu Brusttuͤchern ehemals Maas genommen; so glaubt glaubt’ ich doch dieserhalb keine Pflicht zur Verehrung auf mir zu haben. Die Feyer- kleider waren ihm ohnedem nicht anver- trauet worden. Von meiner Seite ge- hoͤrte die Nachsicht auf Minchens Rech- nung. Ihretwegen that ich, was ich that; indessen vergaß ich nicht, daß sie selbst mich mit dem Herrn Herrmann, als Vater , nicht beschweren wolte . Herr v. G. war durch den Alten so geruͤhrt, daß er nicht ins Leben zuruͤckkehren konnte; er sahe schon jetzt immer gen Himmel, obgleich noch nicht die acht Tag’ um waren, wo der Alte ein Zeug- niß in perpetuam rei memoriam fuͤr ihn im Himmel einzulegen versprochen. Die Vigi- lien des Herrn von W. kamen dem Herrn v. G. so zur rechten Zeit, daß er mit festlich ward. Die Frau v. W., und ihre kleine Tochter, unterhielten sich von dem armen bedraͤngten Sterbenden, den mein Vater troͤsten solte. Frau v. G. selbst hatte sich zu diesem Vorfall, obgleich der Sterbende nicht von Adel — nicht einst ein Litteratus, mit- hin nach Landesart ein Bauer war, hoch- adlich herunter zu lassen geruhet, und so war unsere Gesellschaft des alten Mannes, der in acht Tagen sterben wird, und des unschuldi- A 4 gen gen Sohnsmoͤrders wegen, in eine so heilige Schwermuth gesunken, daß Herr v. W., der den sanft und seligen Hintritt seines Ael- tervaters zu feyern anfieng, mit Herz und Sinn dieses Fest, und wie mir’s vorkam fruͤher, als es sonst geschehen waͤre, begann. Die Herren v. X. Y. Z. und ihre Ge- mahlinnen gehoͤrten nicht zur heiligschwer- muͤthigen Gesellschaft. Sie waren zwar ver- stummet; allein blos, weil die Waldhorni- sten verstummt waren, denen Herr v. W. das Maul gestopft hatte. Diese Herren schienen von curscher Politik, Wein und Waldhoͤrnern trunken, so daß sie sich weder in Ruͤcksicht des Leibes, noch der Seele, aufrecht halten konnten. Sie saßen nicht, sondern lagen auf ihren Stuͤhlen; jeder hatte sich zwei Stuͤhle zugeeignet, den dritten Stuhl rechne ich nicht, auf dem der rechte Arm uͤbergeschlagen lag: denn auf diesem dritten ungerechneten saß die eine Haͤlfte des Nach- bars. Die Herren v. X. Y. Z. waren also in einander gekettet. So schwach indessen diese gute Herren schienen; so hatten sie doch so viel Staͤrke, Hand an ihre Pfeiffen zu le- gen, und sich in Rauch zu huͤllen. Sie schmauchten wie aus einem Munde, und hiel- hielten so genau Takt, als ihn Herr Herr- mann, wenn er ein Positiv schlug, oder meine Mutter, wenn sie ihrem Hause eine neue Melodie beibringen wollte, nur halten konnten. Aus dieser Lage zu urtheilen, waͤ- ren die Herren v. X. Y. Z. so leicht nicht aus dem Schlaf zu bringen gewesen: es haͤtte denn an den Herzog Jocobus gedacht wer- den muͤssen, der den Uniten, welche sich mit der Katholischen Religion vereiniget, als ver- triebenen Exulanten rußischer Nation, die freie Religionsuͤbung zugestanden — oder an den Titel Wohlgebohren , welcher der Rit- terschaft im Jahr unsers Herrn, ein tau- send sechshundert und vier und achtzig bewil- liget wurde, obgleich sie durch aus und durch all Hochwohlgebohren heißen wollten — oder an den Rangstreit mit der Geistlichkeit, woruͤber bitter gestritten worden — oder an den Oberkammerherrn v. — und dessen maͤnnliche Descendenten — oder an die Ka- tholische Religion in Curland. — Dergleichen Staatsanstoͤße wuͤrden viel- leicht (gewiß weiß ichs nicht) die Herren v. X. Y. Z. ermuntert und von drittehalb Stuͤhlen auf einen, oder gar auf die Beine gebracht haben. A 5 Es Es war indessen niemand aus der heilig- schmermuͤthigen Gesellschaft, der diesen Ap- pel zu schlagen, und den Versuch zu machen Lust hatte, ob die liegende Herren hierdurch aufzuwiegeln waͤren? Daß sie nicht still ge- blieben, ist zuverlaͤßig: ob sie aber aufgebro- chen waͤren — daran zweifl’ ich. Giebts denn nicht Agenten von Haus aus ? — Ein Wort der Ermunterung waͤr’ es auch gewesen, wenn man den Hunden ein Patent als Adjudanten des Menschen aus- gefertigt: oder einen meerschaumen Pfeifenkopfs- handel aufgebracht haͤtte. Die gnaͤdigen Frauen v. X. Y. Z. saßen, die Haͤnde um den Magen kreuzweise gelegt, als ob sie ihre Magen zur Verdauung ein- seegnen wolten. Sie sahen hierbey die Frau v. G. steif und fest an, als ob sie sich fuͤr die empfangene Gaben bedanken, und sich, vor wie nach, ihrer Protektion empfeh- len wolten. Der Frau v. G. Aushuͤlfe bei Gelegenheit des Schooshuͤndchens war ihnen, und das mit Recht, im frischen An- denken. — Mein Reisegeferth war nicht Fisch nicht Fleisch. Er hatte mit mir Bruͤderschaft gemacht, gemacht, und ich hatte Hofnung ihn zu er- weichen, und ihn zu einen gutgesinnten Kir- chenpatron zu bekehren, der die Jagd an- dern Pflichten unterordnen muß; allein die Herren v. X. Y. Z., als jagdgerechte Jaͤger, hatten ihn wieder ganz und gar — wie es schon aus den Tischreden des vorigen Bandes zum Theil hervorstrahlt. Er war in Gedan- ken, Geberden, Worten und Werken, mit den Herren v. X. Y. Z. auf Wild ausge- wandert: denn selbst in der tiefsten Stille, die auf die Herren v. X. Y. Z. lag, hielten sie die Pfeifen als ein Mordgewehr, zielten und machten Puf, Paf, und wieder Puf Paf! Mein Reisegefehrte hielt seine Pfeife, zielte wie sie, und toͤnte Puf, Paf! wie sie, und wieder Puf, Paf! — Er war in ihrer Wolke auf und angenommen. — Doch muß ich (und das wird meinen Le- sern eine erfreuliche Nachricht seyn, weil der juͤngere Herr v. G. ein Sohn des aͤltern Herrn v. G. ist) pflichtschuldigst bemerken, daß er seinen kuͤnftigen Pastor nicht voͤllig vergessen hatte. Wenn er seine Pfeife nach- stopfte und aus dem Takte kam, brach sich sein Blick durch den Nebel zu mir, und da seine Pfeife gluͤhete und nicht sogleich wieder gela- geladen werden konnte, kam er sogar zu mir, faßte mich bruͤderlich an und fragte: warum so traurig? und warum nicht auf Puf und Paf mitgemacht? So was, fuͤgt’ er hinzu, staͤrkt das Auge, und wenn wir morgen auf die Jagd gehen, hast du schon eine vorlaͤu- fige Theorie, die du benutzen kannst — ich versicherte, heut am wenigsten zum Puf, Paf Ansatz zu haben. Ich verdenk dir deinen Truͤbsinn nicht, fuhr er fort — Dein Va- ter — — Scheiden heißt sterben, hatt’ ich zu ihm gesagt, da mein Vater abfuhr, und dies Wort zu seiner Zeit war so gluͤcklich gewesen, den Weg zu seinem Herzen zu finden, der so leicht nicht zu finden war. Seine Liebes- grenze ging nicht weiter, als bis Vater und Mutter, und zur Noth Schwester und Bru- der. — Weiter, glaub’ ich, geht sie auch bei keinem Jaͤger, Koch und Schlaͤchter, welches Professionsverwandte oder hoͤchstens von einem und demselben Handwerk unter- schieden sind, wie Frauens- und Manns- schneider. — Außer Vater und Mutter, und zur Noth Bruder und Schwester, schien dem Herrn v. G. dem juͤngern alles Wild — — — Man Man gieng den Abend zeitig zur Tafel, weil alles die Karten verbeten hatte. — Zur Ehre der Herren v. X. Y. Z. muß ich noch anfuͤhren, daß sie nach ihrem Ausschlaf, um die edle Zeit auszukaufen, eine Stunde Wuͤr- fel gespielt. — Bei Tafel war alles auf den Ton des Herrn v. W. gestimmt, der mit schwarzer Weste, schwarzen Beinkleidern, und einem Flor um den linken Arm, bei der Mahlzeit erschien. Man sprach viel von den Schick- salen der Menschen und von der Ungewißheit der Todesstunde. Herr v. W. erzaͤhlte den Lebenslauf des Herr v. W., seines Herrn Grosvaters, dem heute aufs neue parentirt ward. Herr v. G. sprach vom Tode, wie ein Gerechter, der in seinem Tode getrost ist. Die Vernunft, sagt’ er, ist ein Kuͤssen; al- lein kein Kopfkuͤssen. Die Einbildungskraft muß auch Beschaͤftigung haben, wenns zum Scheiden geht. Wohl uns indessen, daß wir nicht wissen, wenn wir sterben: denn wir wuͤrden dann nicht leben, nicht sterben — beides ist gut. — Doch, fuhr er fort, giebts einige, die’s wissen, die auf die Stunde ihrer Erloͤsung mit Gewißheit rechnen koͤnnen — Nur heute — — hier schwieg er, und stuͤtzte sich sich traurig auf. Ich verstand ihn ganz. Seine Frau fragt’ ihn: ist dir nicht wohl? mit einem Tone, der mich uͤberfuͤhrte, daß sie ihren Mann nach sich am meisten liebte, und warum sollte sie’s nicht? er war ja von gutem Adel. Sehr wohl, erwidert’ er, mein Kind. — Sie stand auf und kuͤßt’ ihn; er blieb mit aufgestaͤmmten Arm. Es ging al- les still, wie bei einer Leichenwache zu, und dieses brachte die Herren v. X. Y. Z. zum Aufbruch. Schon lange hatten sie nach dem Monde gesehen und es ihm uͤbelgenommen, daß er nicht eher aufgegangen war; denn es ward nicht getrunken, wie des Mittags: nicht geschrieen, wie des Mittags: nicht ge- blasen wie des Mittags. Das haͤtte frei- lich der Mond bedenken sollen. Sie zogen unter einander auf die Wache, um keine Zeit zu versaͤumen. Der erste Strahl war ein all- gemeiner Wink zum Abschiede. Sie empfah- len sich und fuhren mit ihren gnaͤdigen Frauen, denen des Mittags die Zeit lang geworden war, weil viel , und des Abends weil wenig gesprochen worden, heim. Die Waldhoͤrner wurden auf eine kuͤnstliche Art in Posthoͤrner verwandelt und man macht’ ein solches Lerm; als wenn dreißig blasende Postillions vorher- ritten. ritten. Der Herr v. W., den dies unverse- hens uͤberfiel, brach ein Glas, das er eben in der Hand hatte und begoß sich seine Trauer- weste, die, wie er sagte, zum Gluͤck schwarz waͤre. So bricht unser Leben, sagt’ er, um den Glasbruch geschickt bey dem gegenwaͤrti- gen Fall anzuwenden. — Es war der Herr v. W. wie von neuem geboren, da die Herren v. X. Y. Z. fort waren, und so giengs auch dem Herrmann , der zwar viel uͤber die Herren X. Y. Z. ge- dacht, allein wenig gesagt hatte. Mir war immer bang, die guten Herren wuͤrden aus Freude, von den Waldhoͤrnern und ihren An- haͤngern befreit zu seyn, aus dem Trauerton des Festes kommen; indessen fiel es ihnen zeitig wieder ein, daß die heutige Freude in ihren Schranken bleiben muͤßte. Der arme Herrmann hatte wegen der Herren v. X. Y. Z. in ecclesia pressa gelebt. Was er, so lang sie da waren, thun konnte, war aufs Aug’ ein- geschrenkt. Dieses, dem Herrn v. W. ge- widmet, war oft Gelegenheitsmacher, oft Theilnehmer, nachdem Herr Herrmann we- niger oder mehr von den Herren v. X. Y. Z. und ihren Damen bemerkt werden konnte. Er wußt’ aus vieljaͤhriger Erfahrung, was Zweiter Th. B der der Adel in Curland zu bedeuten habe, und fuͤhlt’ es auch noch in den Gliedern, daß er wegen einer Grabschrift drey Tage und drey Naͤchte wachen muͤssen. Er dacht’ an alle Ehrenerklaͤrungen und Maulschlaͤge, die er zu uͤbernehmen nothgedrungen worden, und an seine eigene Grabschrift, die man noch le- bend auf ihn gemacht: Hier wacht der lebendig Todte. — Viele Leute pflegten dieser Grabschrift wegen mit Herrn Herrmann ein Gespoͤtte zu treiben und zu behaupten, daß er mit lebendigem Leibe spuͤcke. Ein Tag, wie der heutige, fieng Herr v. G. an, nachdem er die Haͤnde gefalten und sie gen Himmel gebrochen hatte, ein Tag, wie der heutige, ist eines solchen Abends werth! Ich hab diesen Tag gelebt, und wenn gleich viel vom Leben dieses Tages auf die Rechnung der zehnjaͤhrigen Entfernung gehoͤret; ich setze zehn fuͤr eins — zwoͤlf Tage koͤnnte man im Jahre von dieser Art leben. Wer wolt’ aber vergessen, daß der Tod aufs Leben folgt, fuhr Herr v. G. fort! Der Herr v. W. wußte nicht Worte zu finden, dem Herrn v. G. seine Erkenntlichkeit zu beweisen; denn er er hielte dieses alles fuͤr Folgen seiner schwar- zen West und Beinkleider und des Flors um den linken Arm, ob gleich die Weste begossen war. Gern haͤtt’ er, in der ersten Hitze sei- ner Erkenntlichkeit, das Gartengespraͤch mit Herrn Herrmann uͤber den Herrn v. G. oͤffentlich wiederrufen: allein dieses wuͤrde sich nicht geschickt haben. Die Worte: „ Traget die Groben , weil ihr hoͤflich seid , waren ihm unertraͤglich geworden, so erkenntlich war er, und diese Anlage zur Erkenntlichkeit werden sich meine Leser schon bei dem Feste der Deut- schen angezeichnet haben. Die Frau v. W. und die uͤbrigen schrie- ben die heilige Schwermuth des Herrn v. G. auf die Rechnung des Sterbenden, dem mein Vater in die andre Welt zu leuch- ten gegangen war. Ich hatte den Hauptschluͤssel zu dem Her- zen des Herrn v. G., den er bis dahin hin- terhalten hatte. Jezt erzaͤhlt’ er der Frau v. W., was mit ihm und dem alten Manne vorgefallen war, doch so, daß es alle hoͤren konnten. Wem haͤtt’ er diese Geschicht’ auch besser dediciren koͤnnen, als der Frau v. W.? Der Herr v. G. sah es mir an, daß mir diese Geschichte nicht neu waͤre und ich fand B 2 keine keine Ursache zuruͤckzuhalten, daß ich den al- ten Mann mit dem einen Handschuh selbst gehoͤret haͤtte. Ich hatte mein Bekenntnis noch nicht vollendet, als Herr v. G. auf- sprang, mir seine eingeweihte Hand reichte: der Seegen dieses Himmlischen, sagt’ er, indem er mir die Hand druͤckte, wird auch auf dir ruhen, du Sohn deines Vaters! Nach mir gab er diese Hand der Frau v. W. ihrer Tochter, und zuletzt seinem Sohne, der aber nicht wußte, was ihm geschah. — Der Herr v. W. haͤtte diesen Handschlag fuͤr einen Mangel der feinen Lebensart ge- halten, wenn der Herr v. G., der sich aber von selbst zu bescheiden wußte, auch ihm ihn angeboten haͤtte; indessen war Herr v. W. doch sehr bewegt uͤber diese Geschichte und wer weis, wenn dieser Himmlische ein Edel- mann gewesen waͤre, ob er ihn nicht mit in sein Trauerfest eingeschaltet haͤtte. Jetzo konnt’ er auf diese Ehre nicht Anspruch ma- chen, und das um so weniger, da er nur einen Handschuh getragen. Herr Herrmann wolte bey dieser Gele- genheit den Herrn v. G. mit Witz unter den Arm greifen, auf den Herr v. G. sich gestuͤtzt hatte, und ihn durch einen Einfall troͤsten. troͤsten. Der elendeste Trost von allen, der jedem klugen Mann ekelt! Um zum witzigen Ziel zu kommen, mußt er einen langen un- angenehmen Umweg machen. — Endlich an Ort und Stelle. Er erzaͤhlte, daß der Pastor in — — einen Amtmann uͤber die schlechte Zeit zur Ruhe gesprochen und ihn auf den Himmel gewiesen haͤtte. Der Amt- mann aber in seiner Einfalt haͤtt’ ihm zur Antwort gegeben: „Herr Pastor, wie man „hoͤrt, soll es auch da nicht mehr seyn, wie „zuvor.“ Herr v. W. war gewohnt, alles was er sprach, abzuruͤnden, und dieses vermißt’ er zuweilen am Herrmann, der, eh man es sich versah, aus der Rolle kam. Wahrlich er spielte zuviel Rollen. — Ob nun gleich Herrmann alles that, was er dem Herrn v. W. an den Augen ansehen konnte; und immer Colophonium (Geigenharz) in der Hand hielt, um den Bogen des Herrn v. W. zu staͤrken; so war dem Herrn v. W., der aus Hoͤflichkeit erkenntlich zu seyn wohl ver- stand, jedoch dieser Gedanke voͤllig unpassend und ungeschliffen. Er schuͤttelte sein Haupt und verwies dem Herrn Herrmann diese Ge- schichte, wiewohl aus Erkenntlichkeit — blos B 3 mit mit einem Winke, der sagen solte: „alles zu „seiner Zeit“ Herr v. G. aber sprang auf. Der Funke, fieng er an, war nicht werth, daß sie so oft darnach schlugen. Ich habe diese Geschichte, welche nach ihrer Aussage dem Pastor in — begegnet seyn soll, schon in meiner Jugend gehoͤrt. Der Herr v. W. nahm sich des Herrn Herrmanns nicht an, weil Herr Herrmann sich nicht in die Zeit geschickt hatte, und Herr v. G. behauptete, um den Witz desto geschwinder los zu werden, daß man sich nicht beßer des Todes erinnern koͤnne, als wenn man schlafen gienge. Heil dem, sagt’ er, der so stirbt, als ein Bauer einschlaͤft, der gedroschen hat. Nach ausge- standener schwerer Arbeit in der Welt laͤßt sichs selig und ruhig sterben. In der letzten Stunde des Lebens sieht man schon den Un- terschied zwischen reicher Mann und armer Lazarus . — — Man wuͤnschte sich eine gute Nacht. Herrmann beurlaubte sich. Herr v. W. lies es bey dem Wunsch’ eine gute Nacht nicht bewenden, sondern wuͤnschte noch ergiebiger, daß die ewige Vorsicht sowohl den Herrn v. G. als die gnaͤdige Frau vor allen Trauer- faͤllen bewahren und sie die hoͤchsten Stuffen des des menschlichen Lebens hinauf fuͤhren moͤch- te. — Herr Herrmann nahm Gelegenheit, dem Herrn v. W. wegen des Ablebens seines Hochwohlgebohrnen Herrn Grosvaters zu condoliren. Ich buͤckte mich blos, und da er dieses gleichmaͤßig fuͤr eine Condolenz an- sah, wandt’ er sich zu jedem von uns beyden, zu mir zuerst, und wuͤnschte jedem was be- sonders, jedem aber eine lange Reihe gluͤckli- cher Jahre. — Der Herr v. G. nahm die Frau v. W. bei der Hand, um ihr das Schlafzimmer an- zuweisen. Da die Frau v. G. durchaus sie auch begleiten wolte; gab ihr Herr v. W., nach vielen Complimenten und Bitten zu- ruͤck zu bleiben, auch die Hand. Dem juͤn- gern Herrn v. G. ward das kleine Fraͤulein v. W. angewiesen. Mich mußte der gewe- sene Hofmeister, den sein gewesener Unterge- bener nicht mehr vor voll ansahe, wiewohl in das nehmliche Zimmer bringen, wo ich schon die vorige Nacht geschlafen hatte, und das ich also ohne diese Anweisung gefunden haben wuͤrde. Hier solt’ auch der alte Herr schlafen. Dieser lezte Umstand, obschon er von der Frau v. G. zu meiner Erniedrigung ausgekuͤnstelt schien, und mich einen Augen- B 4 blick blick befremdete, war mir doch gleich nach diesem Augenblick willkommen. Ein betruͤb- tes Herz liebet zaͤrtlicher, und wahre Liebe ist keine frohe Leidenschaft. — Sie faͤngt mit Seufzern an, so wie wir mit Thraͤnen ge- boren werden. Mine war mit Leib und Seel vor meinen Augen, es ist doch ihr Va- ter, dacht’ ich, und reichte dem Herrn Herr- mann die Hand. So Hand in Hand kamen wir ins Schlafzimmer. Hier legte der alte Herr sein Protektionsansehen, womit er mich ohnehin nur nach der Abreise meines Vaters, und das sehr beylaͤufig, heimgesucht hatte, zugleich mit seiner Peruͤk’ ab, und that un- gemein vertraut mit mir. Um seine heuti- ge Hofnarrenfuͤhrung zu entschuldigen, zog er auf den Adel los. Traget die Narren, sagt’ er, weil ihr klug seyd, und restituirte also diesen Spruch in integrum, nachdem er von ihm und dem Herrn v. W. in der Art war verdrehet worden: Traget die Groben, weil ihr hoͤflich seyd . Ich weis nicht, wie’s mir anwandelte, daß ich dem alten Herrn bey den Worten: traget die Narren, weil ihr klug seyd, ins Wort fiel: „allein macht euch nicht selbst zum Narren„ Es Es that mir leid, sobald ich diesen Zu- satz ausgesprochen hatte. Der alte Herr schien es zu empfinden, und setzte seine Rechtfertigungen fort. Ein Litteratus ist freylich, sagt’ er, ein halber Edelmann; in- dessen ist zwischen halb und ganz ein Unter- schied. Man laß’ ihnen das von, wenn sie uns nur den Verstand lassen. Da er her- ausgieng, sich eine Flasche Wein zu besor- gen, um noch eine Pfeife, wie er sagte, in bona pice et pace zu rauchen: nahm ich das Testament meines Vaters heraus, wel- ches ich die ganze Zeit uͤber verborgen in der Hand gehalten. Ich hatte beynah diesen Abend nur mit einer Hand gegessen; denn ich konnte dies Testament in der Tasche kei- nen Augenblick allein lassen. Die Hand, mit der ichs hielt, war in einer solchen Tran- spiration, als wenn sie nicht zu den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers gehoͤrte. ανεχου και απὲχου las ich, und las wieder: ανεχου και απὲχου. Oefne sie nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth bist, und was ist die groͤßte Noth? — dacht ich bey mir selbst. Ich fand, daß Geld in diesem letzten Willen lag, und da es sich nicht thun lies, meinen Kasten aufzuschließen, B 5 und und diese donationem mortis caussa zu den Denkzetteln meiner Mutter zu legen, die mir als eine donatio inter viuos vorkam; so de- ponirt’ ich diese Schrift vor der Hand ins Bett unters Kopfkuͤssen, und dacht’ an mei- ne Mutter, und an den hochheiligen Abend vor der ersten Predigt bey diesem Interims- deposito. Ich mußt’ eilen; denn der alte Herr kam wieder, und ein Bedienter hinter her, mit Wein und einem Teller voll Rauch- toback. Da ist Essen und Trinken, sagte der alte Herr, und that dabey, als ob er etwas sehr witziges gesagt haͤtte, welches ich aber nicht finden konnte. Bald darauf fieng er sich an zu beklagen, daß er einen guten Freund seines Hauses an mir verloͤhre, und ich nahm Gelegenheit, mich nach seinem Sohne zu erkundigen; vielleicht, dacht’ ich, faͤngt er von selbst von seiner Tochter an, — wenn er doch anfienge! Ich sah es seinen Augenwimpern, seiner Nas’ und Stirn an, daß er sein ganzes Gesicht umstimmen mußte, eh’ er heraus zu bringen im Stande war, daß der Sohn eines Litte- ratus ein Schneider geworden waͤre, ob- gleich mein Brusttuch, wie man es in Cur- land nennt, noch von der selbst eigenen ge- lehrten lehrten Hand des alten Herrn edirt war. Zwey, die ich im Kasten hatte, waren so gar durch ihn geflickt — und verbessert und vermehrt zum andernmal aufgelegt. Das ist dem Benjamin nicht, fuhr er fort, in seiner Wiege vorgesungen, und da er Darius war, hatt’ er so gut Koͤnig zu seyn die Ehre, als ein anderer. Manchem kommen die ge- bratene Tauben entgegen, ein anderer muß ihnen Netz und Strick legen, und sie erst fangen und braten. — Das Schneider- handwerk, fuhr er nach einer Weile fort, da ich nicht noͤthig fand, ihm auf den Wie- gengesang und die Dariusehre zu antwor- ten, das Schneiderhandwerk ist bey alle dem fuͤr den Sohn eines Litteratus noch das schick- lichste. Gott der Herr setzte selbst, nach dem betruͤbten Suͤndenfall, dieses geschenkte Handwerk ein, und verfertigte die ersten Kleider. — Was zu thun? Er sitzt bey einem sehr geschickten Schneider auf Prima, und wird kuͤnftige Ostern Student, oder Gesell, wie es die Leute nennen. (Diese Worte waren ein Gemisch von Stolz und Satyre. Sie waren der alte Herr selbst. Wer ihn hier nicht findet, findet ihn nirgend.) Meine selige Frau sagte mir gleich nach uͤber- stande- standenen Wochen, Benjamin wird entweder Schneider oder Litteratus, welches sie der Nothtaufe wegen vermeynte, die Benjamin empfieng. Das, versicherte sie, hab ich von alten Leuten, was die Nothtauf’ empfaͤngt, wird eines von beiden. — Ich suchte sie auf den rechten Weg zu lenken, und wolte durch- aus nur vom Litteratus hoͤren und wissen; allein sie blieb bey ihrem entweder und oder, Das Bein, welches sich, als er Darius war, zu seinem Vortheil wendete, und die rechte Hand, der er auch redlich nachgehol- fen, bestaͤrkten meine Hofnung, und war- um solt er nicht? Sein Vater ist ein Lit- teratus, und meine selige Frau war auch von gutem Hause; wenigstens kann man ih- ren Vater ohne Bedenken nennen, (das war niederschlagend Pulver fuͤr mich, damit ich mich ja nicht uͤberheben moͤchte) und — hier glaubte der alte Herr, daß jemand zu uns kaͤme, und kehrte das Blatt bey der dritten Reihe von oben auf eine sehr komische Art um, „das alte Weib, sagt’ er, als ob er fortfuͤhre, hatte dem Organisten einen Streich gespielt, und er sang bey ihrer Trauung mit einem jungen Menschen, der sie des leidigen Geldes wegen heyrathete: Was Was Gott thut, das ist wohlgethan! Soll ich den Kelch gleich schmecken, der bitter ist nach meinem Wahn; laß ich mich doch nicht schrecken, weil doch zuletzt (nehmlich wenn sie stirbt) ich werd ergoͤtzt mit suͤssem Trost im Herzen; da weichen alle Schmerzen. Der alte Herr sahe seinen Irthum ein, der jemand, von dem er befuͤrchtete, daß er uns bey diesen Familienangelegenheiten uͤber- fallen wuͤrde, gieng unsre Thuͤr vorbey. Herrmann nahm also sein und auf und , fuhr er fort, (als wenn er das Blatt zuvor zu rechter Zeit umgekehrt haͤtte) was wolt’ ich sagen? und meiner Frauen Ent- weder, Oder ist erfuͤllet! Entweder Littera- tus oder Schneider. — Was Gott thut, sagt’ ich, das ist wohlgethan! Diese Worte brachten ihn auf Minchen, ich weis nicht wie — Minchen verdient einen Litteratus, fuhr er fort. Sie verdient, sagt’ ich, einen Lit- teratus, der ihren Bruder nicht vernachlaͤs- siget, wenn gleich er ein Schneider ist. Dies beschaͤmte den alten Herrn, der, sobald nur etwas etwas unsere Thuͤr vorbey rauschte, seinen Sohn versteckte, um sich als Litteratus zu zeigen. Ich glaub’ er waͤr’ eher gestorben, als daß er gestern Abend uͤber Tafel, da man sich ungefehr nach seinen Kindern er- kundigte, bemerken sollen, daß Benjamin das Schneiderhandwerk ergriffen. „Eine „Tochter und einen Sohn, antwortete er„ auf die Erkundigung nach seinen Kindern, und mehr keine Sylbe. — Ich kann mir vorstellen, wie sorgfaͤltig er sein eigenes Bie- geleisen, Nadel und Zwirn und Scheere und Schusterpfriem und Leisten und Toͤpferrad verborgen haben wird. Minchen, sagt’ er, ohn auf meine Zu- rechthuͤlfe zu achten, ist ein Maͤdchen „die der Familie keine Schande machen wird„ Er erzaͤhlte mir ihre Vorzuͤge, die ich gottlob! besser wußte, wie ein Mann, der seines Sohns sich schaͤmen konnte, blos weil der Sohn ein Schneider war. Bey alledem hoͤrt’ ich ihr Lob mit Vergnuͤgen. Da er aber auf ihre Kinderjahre kam, ward ich entzuͤckt. Ich fuͤhlte die Worte von gan- zem Herzen: Was Gott thut, das ist wohlgethan! Der Der alte Herr hieß mich waͤhrend dieser Erzaͤhlung Herr Candidat, und freute sich, daß auch ich ihn Herr Candidat nennte. Eine Hoͤflichkeit ist der andern werth. Je oͤfter ich Herr Candidat sagte, je mehr er- zaͤhlt’ er mir von Minchen mit einer ge- wissen vaͤterlichen Wohlmeinung, und je oͤf- ter nannt’ er auch mich wieder Herr Candi- dat. Er fieng an, mir diesen Titel beyzu- legen. Ein Paar lose Buben (ich erzaͤhl ein Paar Geschichtchen von meiner Mine) hat- ten aus einem Finkenneste zwey Eyerchen gestolen, und den Inhalt derselben heraus- geblasen. Dies erzaͤhlten diese Buben dem kleinen Minchen. Sie bildete sich ein — sie hat eine starke Einbildungskraft — daß das beraubte Paar ihr verlaßnes Nest vom benachbarten Baume ansaͤhe, und sich ihr Leid einander klagte. — Minchen klagte mit. Das liebe Maͤdchen wußte, daß man der Henne die Eyer nicht wegnimmt, daß sie solche als getreues Hausthier dem Men- schen hinlegt. Sie bat ihre Mutter um zwey Eyer, die ihr heute und gestern die Henne mit der schwarzen Muͤtze geschenkt hatte, und hat den Benjamin, ihr den Ge- fallen fallen zu thun, die Wallfahrt auf den Bir- kenbaum zu uͤbernehmen, und das verlaßne eiskalt gewordene Finkennest durch die zwey Huͤnereyer zu entschaͤdigen. Dieser schlug es der Gefahr wegen aus, er war zu der Zeit noch link und lahm — und bemerkte sehr weislich, daß die Huͤnereyer groͤßer waͤren, als die Finkeneyer, die er selbst in den Haͤnden der Buben gesehen. Minchen freute sich daruͤber: indem sie glaubte, den Schaden desto vollstaͤndiger zu ersetzen. Ge- gen kleine! große! Sie bat ihren Bruder, und bat ihn wieder. Er aber blieb bey sei- nem Nein, und seiner weisen Bemerkung. — Endlich sah sie den Baum einigemal an, uͤbermaas sich und ihn, und da sie ganz al- lein war, erstieg sie ihn, und legte die bey- den Eyer in das verlaßne Nest, in Hof- nung, es wuͤrden sich die Eigenthuͤmer wie- der zu Hause finden. Die Voͤgel, die haͤu- fig auf den Aesten des Baumes saßen, den sie erstieg, wurden nicht im mindesten ver- scheucht. Sie sahen sie ohngefehr, wie fromme Leute einen Engel sehen wuͤrden. — Den beyden Finken, die Minchen vor die bestolne Eltern hielt, sah’ und hoͤrte sie die Freud’ und Dankbarkeit an. Voll Entzuͤ- ckung ckung uͤber dies alles huͤpfte Minchen auf dem Baum, und fiel auf die Erde, so daß sie sich nicht regen konnte. Einer von den boͤsen Buben sah sie liegen; allein es war ihm nicht viel anders, als ein ausgeblase- nes Finkeney. Ihre Mutter, der man ih- ren wuͤrklichen Tod angekuͤndiget hatte, kam halb todt zu ihrer Tochter, die sich nach und nach erholte. Der ganze Fehler meynte Minchen, (wiewohl kindlich) laͤge darin, daß sie sich schon auf dem Baum gefreut haͤtte — Ich haͤtte sie sollen auf diesem Bette der Ehren sehen, sagt’ ich, da der alte Herr an diese Stelle kam. — Sie ist eine gebohrne Koͤnigin, setzt’ ich hinzu. Der alte Herr. Ein Litteratus wird ihr schon zu Theil werden — Ich — Benjamin that unrecht, daß er sich entschuldigte. Der alte Herr — link und lahm. Ich — Wer nur ein Bein hat, wagt nur ein Bein. Aber, fuhr der alte Herr fort, ein Huͤ- nerey — Zweiter Th. C Bey Bey Gott ist das einerley, erwiedert’ ich, nur bey den Finken nicht. — Ich glaube, Herr Candidat, bey unsern meisten guten Handlungen ist ein Huͤnerey, anstatt eines Finkeney’s. — Lieben Leser! seht da Minchen! Ists moͤglich, daß der alte Herr so was erzaͤh- len, und der alte Herr bleiben konnte? — Minchen gieng einen schoͤnen Morgen ins Feld, und begegnet’ einen Jungen mit bey- den Haͤnden in den Haaren und weinen bit- terlich. Er hatt’ einen Milchtopf zerbrochen, und befuͤrchtete von seiner Mutter daruͤber geschlagen zu werden. Sey gutes Muths, sagte Minchen, und nahm ihm die rechte Hand von den Haaren, die linke Hand gab sich von selbst. Er lies sich troͤsten. Je naͤher er aber zum Dorfe kam, je langsamer gieng er, und da er das Haus sah, fieng er von neuem an zu weinen, und wolte durch- aus wieder mit der rechten Hand in die Haa- re — die linke nach. — Die Mutter des Jungen kam ihnen entgegen, und ihr erstes Wort war: der Topf. Minchen trat vor und sagte: liebe Nachbarin, ich! ich! bin den Topf schuldig. Seht! ich gieng schnell zu, und da war der Topf hin. Meine Mut- Mutter hat heute die Waͤsche, und da wißt ihr kann man nicht sagen, daß ein Topf gebrochen ist. Wenn die Waͤsche vorbey ist, will ich euch einen andern Topf brin- gen. Die Baͤurin war gegen des alten Herrn Toͤchterchen so galant, daß sie kei- nen Topf verlangte. Minchen verbat dieses Geschenk. Der Jung indessen, so- bald er merkte, daß die Mutter sich gefun- den hatte, sprach Minchen los, und eignete sich der Wahrheit gemaͤß alle Schuld zu. Nehmt keinen Topf, Mutter, sie hat ihn nicht zerbrochen, ich sah, wie es alles so schoͤn gruͤn und gelb auf dem Felde war, und da fiel der Topf mir aus der Hand. Die Baͤurin war so bewegt, daß sie Minen wie eine Heilige verehrte, und an ihrer Hand zu Hause begleitete. Ich erkundigte mich nach dem Jungen, und wuͤrd’ es gern ge- sehen haben, daß Helm sich durch diese große That in seiner Jugend ausgezeichnet haͤtte; allein der Herr Candidat versicherte, daß dieser Edle im siebenten Jahre selig verstor- ben waͤre. Alle Welt, fuͤgte der alte Herr hinzu, sagte: der Jung’ ist zu schad’ fuͤr diese Welt, und die Wahrheit zu sagen, ich wundre mich, daß Mine so gros geworden C 2 ist ist. Der liebe Gott weis freylich was gut ist, Herr Candidat, erwiedert’ ich, und will gern so was im Himmel haben; indessen ist es auch auf der Erde zur Art noͤthig. Was wuͤrde sonst am Ende aus uns werden? Der alte Herr gefiel mir so sehr bey die- ser Gelegenheit, daß ich ihn bey mir selbst we- gen seiner heutigen Fuͤhrung und wegen vie- ler andern mir bewußten Umstaͤnde zu entschul- digen anfieng. Wuͤrde nicht Minchens Zeugnis selbst wider ihn das Wort genom- men haben, ich haͤtt’ ihn noch laͤnger und mehr entschuldiget, und vielleicht eben so oft Vater genannt, als ich ihn jetzo Herr Candidat zu seiner Seelenfreude nannte. Es fiel mir zur rechten Zeit ein, daß man mit dem Vaternamen sehr behutsam seyn muͤsse, da das ganze Christenthum dar- innen bestehet, daß Gott unser Vater ist. Minchen (aus der Erzaͤhlung des alten Herrn) nahm sich in ihrer Kindheit immer der schwaͤchlichsten Pflanzen an. Sie begeg- nete ihnen, wie armen Leuten. Sie begoß sie zuerst, und streichelte, liebkosete und troͤ- stete sie. Wenn der Wind eins beschaͤdigte, zog sie ihm das gebrochene Bein in Ord- nung, und heilte den Schaden. Gieng ihr eins eins aus, war es ihr so, als wenn was le- bendiges gestorben waͤre. Gott hab es se- lig, sagte sie, und begrub es in die Erde, die, wie sie sagte, unser aller Mutter ist. Das ist die Weise aller guten Seelen, bemerkt’ ich, und der Herr Candidat fuͤhrte bey dieser Gelegenheit an, daß mein Vater keinen Citronen oder Pomranzenkern in die Erde gesteckt. Ich halte dies, haͤtt’ er zu ihm gesagt, fuͤr eine Suͤnd’ in einem Lande, wie Curland, einen Citronenbaum zu pflan- zen. Aber die Blaͤtter riechen schoͤn, und sind gut im Schnupftobak, sagt ich zum Herrn Vater. Der Blaͤtter wegen, erwie- dert’ er, muß man keinen Citronenbaum in die Welt setzen. Nichts halb, lieber Freund! und ein Blat ist kaum ein Viertel. — Ich sahe wohl ein, daß der Herr Candidat mei- nen Vater bei diesem Umstande sehr unrichtig berechnete; indessen sah ich keine Pflicht ab, ihn auf den rechten Weg zu lenken, und hie- durch die edle Zeit zu verlieren. Wo ist eine Zeit, die edler waͤre, als die, wo ich von Minchens Kinderjahren erzaͤhlen hoͤrte. Wer ein Maͤdchen kennen will, frage nicht wie es jezt ist, da es Ja sagen soll; sondern wie’s als Kind war, wo noch an kein Ja gedacht C 3 wer- werden konnte. Dies war freylich mein Fall nicht mit Minchen. Ich hatt’ ihre Kinder- jahre nicht zu diesem Belag in beweisender Form noͤthig; allein ich war entzuͤckt, meine Vorstellungen von den ersten Jahren ihres Lebens so genau getroffen zu finden; ich fand alles, wie ich’s mir gedacht hatte. Noch eins von Minchen unter so vielem. Ein benachbarter von Adel hatt’ einen kleinen juͤdischen Knaben, der mit Pfeifenkoͤpfen fuͤr andre Juden herumgieng, in Fesseln legen lassen, weil er eben zu der Zeit, da dieser Judenknabe ihm Pfeifenkoͤpfe angebothen, sein Federmesser nicht vorfinden konnte. Der Knabe ward gleich bis aufs Hemde ausge- zogen; allein man entdeckte kein Federmesser, ob gleich er noch keinen Tritt oder halben Schritt aus dem adlichen Hofe seit der Zeit gesetzet hatte, da das Messer vermißt war. Der Edelmann behielte zu Anfang wohlbe- daͤchtig alle Pfeifenkoͤpfe. Da sich die zwey Eigenthuͤmer zur rechtlichen Vindication an- gaben, macht’ er ihnen viele Schwierigkeiten und setzt’ auf das verlohrne Messer einen uner- hoͤrten Lieblingswerth. (Pretium affectionis) Es wuͤrden die Vindicanten nichts dagegen ausgerichtet haben, wenn sich nicht zwey an- dre dre benachbarte Edelleute, die zu ihren Pisto- len: macht euch fertig, sagten, dieser Juden und ihrer Pfeifenkoͤpfe angenommen haͤtten. Der arme Junge blieb also der einzige Gegen- stand der Grausamkeit, die durch diesen Vor- gang noch mehr vergroͤßert ward. Der Un- gluͤckliche solte verbuͤßen, daß sich die Juden als Vindicanten und die zwey Edelleute als Sekundanten gemeldet hatten. Man konnte nicht begreifen, was Herr v. — mit diesem Arrest beabsichtigte; indessen schien er zu glau- ben, daß sich einer von den Israeliten mel- den, und den armen Jungen loͤsen wuͤrde. Alles bedaurte den ungluͤcklichen Knaben. Christ und Jude sprach von des Edelmanns Grausamkeit. Der Christ sagt’ indessen, es ist ein Judenknabe, und der Jude, wer wirds mit dem vornehmen Christen anbinden. Die zwey Eigenthuͤmer der Pfeifenkoͤpfe, welche dem Ungluͤcklichen die Commißionsguͤter an- vertrauet hatten, giengen auch wie der Prie- ster und Levite vorbey, und wuͤnschten sich, so oft an die Grausamkeit des Edelmanns ge- dacht wurde, Gluͤck, daß sie ihre Pfeifenkoͤ- pfe in Sicherheit haͤtten. Der grausame Edelmann, dem das Brod und Wasser mit der Zeit zu kostbar ward, welches er zu dem C 4 hohen hohen Ausloͤsungspreis treufleißig geschlagen hatte, setzte diesen Preis bis auf die Helfte herab. Allein niemand that einen Both. Wegen der Pfeifenkoͤpfe schlugen sich sogleich zwey Edelleut’ ins Mittel, und bedrohter ihren Mitbruder, mit ihm Kugeln zu wech- seln, oder ihm einen rothen Hahn aufs Haus zu setzen. Was ist aber ein Judenjunge ge- gen meerschaume Pfeifenkoͤpfe? Die Eigen- thuͤmer hatten sich, unter uns gesagt, mit diesen Renomisten abgefunden. Die Hoch- wohlgebohrnen Schlaͤger droheten nicht um- sonst, sondern vor Geld und gute Worte. — Der arme Judenjunge! Zu den schoͤnen Reden, womit man ihn bedaurete, und sich uͤber die Grausamkeit des Edelmanns beklagte, kam nun noch der Umstand, den man hinzu- fuͤgte: der Edelmann haͤtte den Preis des Federmessers und den des Brods und Was- sers, womit der Knab’ im Gefaͤngniße bekoͤ- stiget worden, auf die Helfte herabgeschla- gen — hiebey bliebs. — Es war um Weynachten, da Minchen und ihr Bruder ihren bemittelten Verwannten muͤtterlicher Seits besuchten, um ein Christgeschenk, wel- ches in allerley Spielzeug bestand, abzuho- len. — Dieser Verwannte wohnte dem Ty- ran- rannen noch naͤher. Man weis, wie gern Kinder, und besonders wie gern Maͤdchens spielen. Es war Weynachten, wo die Na- tur den Kindern, außer den Schneebaͤllen, die keinem Maͤdchen anstehen, alles Spiel- zeug versagt. — Weynachten ist ein wah- res Kinderfest, an dem das Spiel zur an- dern Natur wird. Es liegt uns im christ- lichen Blut, und alte Leute selbst muͤssen sich zwingen, wenn sie nicht selbst in Weynachten spielen wollen. — Alles dieses zusammen- gerechnet, in Summe, konnte Minchen von ihrem Entschluß nicht abwendig machen. Ihre Verwannten waren furchtsam wie Tau- ben, die in der Nachbarschaft von Raubvoͤ- geln genistelt haben. Der arme Judenjunge stoͤrt’ ihre heilige Christfreude. Sie waren nicht halb so weynachtsfroh, als sie es sonst gewesen seyn wuͤrden. Das Federmesser hatte sich nach der Zeit vorgefunden, und der un- schuldige Knabe war blos wegen des verzehr- ten Brods und Wassers in Ketten und Ban- den. — Minchen schickte stillschweigend durch ihren Bruder Benjamin, der aber kein Stuͤck von dem Seinigen dazu legte, ihr Weynachtsspielzeug dem Edelmann, um den Knaben zu befreyen. Benjamin hatte Gele- C 5 gen- genheit zu Schlitten hinzukommen: denn sonst waͤr’ ihm dieser Liebesdienst, weil er hinkte, auch etwas zu stehen gekommen, ob- schon er von seinem Spielzeug kein Stuͤck da- zu gelegt hatte, und obgleich es nur uͤber Feld war. Haͤtt’ er nicht Gelegenheit gehabt, eine Schlittenfarth zu gewinnen, die bey ihm uͤber alles gieng, es waͤr’ aus der Negotia- tion nichts geworden. — Zu Benjamins Ruhme wird bemerkt, daß er seiner Schwe- ster die Erlaubnis gegeben, sich seines Spiel- zeugs, dessen Eigenthum er sich aber aus- druͤcklich vorbehielt, zu bedienen. Es war indessen nicht Spielzeug fuͤr Maͤdchen, die am liebsten eine Wiege, eine Puppe, und so etwas lieben. Benjamin ward, weil er als ein Knabe mit Spielzeug angemeldet wurde, vorgelassen. Der ehrliche Benjamin erweckte sogleich ein Haͤndeklatschen, da er nur ins Zimmer trat; denn man glaubt’ einen großen Kram, und es war nur ein Arm voll. Ursache genug! daß sogleich scrutinirt und Benjamin bei diesem Verhoͤr nach Lan- desmanier mit dem Stock hochadlich bedro- het wurde. Benjamin lies es nicht zur pein- lichen Frage kommen, sondern gestand alles haarklein. — Meine Schwester, sagte der be- bedraͤngte Benjamin, hat an allem Unheil schuld. Kurz, es blieb kein Wort auf seinem verzagten Herzen. — Benjamin war zu dieser Zeit noch nicht zum Darius gediehen, und wer kennt’ ihn nicht vom Finkennest? Der Teufel, dachte Herr v. —, wenn es nur nicht ein satyrischer Ball ist, den der alte Herr auf mich schlaͤget, und hatte Lust, ihn auf den jungen Herrn zuruͤckzuschlagen, und den armen Benjamin mit seinem christ- lichen Spielzeuge dem Judenjungen zuzuge- sellen. Da aber Benjamin, der aus See- len- und Leibesangst aͤchtzte, kniefaͤllig bat, seinem Vater nichts von allem, was der gnaͤ- dige Herr gesehen und gehoͤret hatte, zu entdecken, weil Herr Herrmann von die- ser Sache nichts, gar nichts wußte, und ihn an einem ganz andern Ort glaubte; so fiel dem Blutygel zu guter Zeit ein, daß der alte Herr freylich nur von hinten mit einem Cavalier gescherzet haben wuͤrde. — Der Teufel, dacht’ er wieder, (man sah es ihm ordentlich an, daß er jeden Ge- danken mit dem Teufel anhob,) der alte Herr wuͤrde nicht den Sohn geschickt ha- ben! — Die Sonne gieng wieder in sei- nem Angesicht fuͤr Benjamin auf. Der Teu- Teufel, sagt’ er, deine Schwester muß ein feines Maͤdel seyn! Die Sache gab zu vie- len satyrischen Fragen, Benjamins Schwe- ster betreffend, Anlaß. Er fragte nach ih- rem Alter? und ob sie denn eine solche Nei- gung zu Juden haͤtte? Der Schluß war, daß nur ein Stuͤck Spielzeug zuruͤckbehalten wur- de, welches sich der Junker Fritz sogleich zuge- eignet hatte. Der Judenknabe ward losge- lassen; — Benjamin aber mußte dieser Grosmuth wegen, um der Hochadlichen Herrschaft zur Weynachtszeit ein Vergnuͤ- gen zu machen, dreymal um den großen Tisch hinken, und alles wolte vor Lachen niedersinken. Eine natuͤrliche Polonoise! schrie alles, und lachte, was es konnte; nur der hinkende Benjamin nicht. Der Junker Fritz gab sein Spielzeug der gnaͤdigen Mam- ma zu halten, und versuchte dem Benjamin nachzuspotten, da er aber bey einem Haar ein adliches Bein gebrochen haͤtte; so blieb es bey einem mahl, und Benjamin sahe nach dem armen Judenknaben, der blas wie eine Leiche stand. Der Tod haͤtt’ ihn bald befreyt, wenn Benjamin dem Tode nicht zuvor gekommen waͤre. Benjamin bot dem Judenknaben, so bald sie aus der adlichen Gesell- Gesellschaft im Freien waren, von seinem, oder beßer, von seiner Schwester heiligen Christ an, um sich dafuͤr Eßen zu kaufen. Der Judenknabe verbat es aus Religions- eifer, und blieb lieber hungrig und durstig, als daß er sich fuͤr dieses christliche Spielzeug labte. Benjamin hatte sich bey dieser Ge- legenheit die Schlittenfahrt so verekelt, daß er nie ohne Herzensangst daran denken konnte. Dieses Vergnuͤgen hatte fuͤr ihn keinen Werth mehr. Er hinkte zu Haus’ und dankte Gott, daß niemand druͤber lachte, als wie er dreymahl um den großen Tisch hinken mußte. — Obgleich Benjamin das Spielzeug bis auf ein Stuͤck, so der Junker Fritz behalten hatte, zuruͤckbrachte, indem er wegen des uͤbrigen, dreymal um den Tisch hinken muͤs- sen; so ward doch diese Begebenheit so be- kannt, daß Minchen daruͤber viel ausste- hen, und die bittersten Thraͤnen weinen mußte. (Ich hab Ursache, aus der Er- zaͤhlung des Herrn Candidaten zu ver- muthen, daß der Herr Vater Minchen selbst im Litterateneifer reichlich und taͤglich beschaͤmt haben wird.) Man zog Min- chen unter ihres Gleichen mit dem Juden- knaben knaben auf, und sie nahm es sich unendlich zu Herzen. Ich habe, sagte sie in ihrer Unschuld zu Benjamin, den Judenknaben nicht gesehen, und will es auch nicht. — Der Spott zehrte sie so ab, als das Gefaͤng- nis bey Wasser und Brod den Judenknaben. Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der alte Herr in sich, welcher mit Beyhuͤlfe des Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge- leise brachte. — Der alte Herr bemerkte, daß sich die Liebe zur Schlittenfarth beym Benjamin wieder gefunden, und daß Min- chen noch bis auf den heutigen Tag bleich im Gesicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde, wenn man das Wort Jude ausspraͤche, wie — (Der Herr Candidat legte seine Pfeife hin, und kam mir dicht ans Ohr, da er mir diese Pille eingab) ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck Melchi- sedech . Diese Zugabe setzte mich nicht wenig in Erstaunen, und ich machte die Bemerkung, daß jeder Mensch, der unschuldigste nicht ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es sey Melchi- sedech — Judenjunge — ich zum Exem- pel — — — Gott! Gott! muß man denn, rief ich aus, noch ehe der Herr Candidat geendiget hatte, Gott! muß man denn ein Fieber ausstehen, durch den D. Saft gerettet, und mit ei- nem Judenjungen gepaart werden, wenn man Gutes thut! Der alte Herr setzte noch hiezu: und dreymal um den großen Tisch hinken! O Minchen! welch eine Seele hast du! (dies fuͤhlt’ ich nur) wie gluͤcklich bin ich, daß sie mein ist! — ich war außer mir. — Bey dem Alexanderspiel hatt’ es Min- chen in der ersten Zeit uͤbel aufgenommen, daß ihr Bruder Darius immer geschlagen wurde. Laß mich den Darius machen, sagte sie zu Benjamin. — Du wirst sehen wir gewinnen. Benjamin aber entschuldigte sich sehr weise mit der Geschichte, welcher er nachgeben muͤßte, obgleich ich auch beym Ringen, eh’ er Darius und ich Alexander war, jederzeit bey allem seinem Schweis des Angesichts Ueberwinder war. Nach- dem sie groͤßer war, setzte der Herr Candi- dat hinzu, ließ sie sich gern schlagen und ge- fangen nehmen. Sie sah’ es ohnfehlbar selbst ein, daß es die Geschichte so mit sich brachte. Wie viel Muͤhe hatt’ ich, nicht uͤber- uͤberlaut zu rufen: Mine! Mine! liebe Mine! Der alte Herr bemerkte, daß Min- chen fuͤr ein Frauenzimmer zu viel Herz haͤtte, und rechnet’ es ihr zum Fehler an. — Entweder, sagt’ er, ist die Rolle daran Schuld, die sie bey den Kriegen als aͤlteste Prinzeßin Tochter des Darius uͤbernahm — oder sie kennt keine Damen von Stande. — Mag sie sich doch, fuhr er fort, der Littera- tus, der sie zur Frau macht, beßer ziehen. Sie fuͤrchtet sich fuͤr keine Maus und keinen Frosch, und wenn die Spinnen den Weg verwuͤrkt haben, zieht sie das Geweb’ wie einen Vorhang in die Hoͤhe mit bloßen Haͤn- den. — Noch bemerkte der Herr Candidat, daß Mine in ihrer Jugend, obschon sie we- gen des Finkennests einmal ruͤhmlichst vom Baum gefallen, doch nicht nachgelassen, wie- wohl nur auf der Erde zu huͤpfen, und zu springen. — Je groͤßer sie aber wurde, je ernsthafter, setzt’ er hinzu. Nur sehr sehr selten wandelt ihr jetzo, fuhr er fort, das Huͤpfen und Springen an, weit oͤfter aber das Weinen — welches nach dem Tod ihrer Mutter ohn’ End’ und Ziel ist, und das — (der alte Herr zog selbst den Mund zur Thraͤ- ne in Ordnung, indessen wolt’ es die Pfeife nicht nicht zugeben —) und das, sagt’ er, so schoͤne Thraͤnen, und schien nicht undeutlich zu verstehen zu geben, daß zwischen Thraͤnen und Thraͤnen schoͤn und heßlich statt finde. — Was mich wunderte war, daß er selbst fuͤhl- te, Minchen saͤnge vortreflich. Was das Spielen betrift, fuhr er fort, so hat sie ihre eigene Manier. Freylich, dacht’ ich, den steinigten Acker versteht sie nicht auszudruͤ- cken, auch nicht die fuͤnf Gersten Brodte und ein wenig Fischlein. Da der Herr Candidat außer ihren ersten Jugendjahren — nichts von Minchen zu sagen wußte, was mir nicht weit genauer und richtiger bekannt war; so lenkt’ ich ihn auf die Universitaͤten, allein ich fand ihn nicht bewaͤrth. Er sagte davon we- niger, wie mein Vater von seinem Vater- lande, und dies war wohl natuͤrlich, da mein Vater gewiß ein Vaterland hatte, der Herr Candidat aber schwerlich auf irgend einer Uni- versitaͤt gewesen seyn wird. — Des Herrn Candidaten fruͤhere Spargel, Pfeife in der freien Luft, und Wein bey der Quelle, waren bey dieser Gelegenheit ein Vade mecum von Studentenstreichen, womit er meine Frage nicht befriedigte. Ich brach also ab, ohne ihm, so schlecht er auch Zweiter Th. D beym beym Examen bestand, den Candidatentitel zu entziehen. Ich weiß nicht, ob ich schon wo bemerkt habe, daß er kein Curlaͤnder von Geburt war, und daß man ihm seine Litte- ratenwuͤrde aus der ersten Hand nicht wider- legen konnte. Ich merkt’ aus meiner Munterkeit, daß ich diese Nacht Minchens wegen eben so we- nig schlafen wuͤrde, als ich die vorige Nacht des neuen Bettes halber geschlafen; indessen sah ich dem Herrn Candidaten, meinem sehr werthen Herrn Collegen, der seine Bouteille Wein ausgetrunken und seinen Teller mit Tobak bis auf eine halbe Pfeife ausgeraucht hatte, an, daß er schlaftrunken war. Wein und Tobak hatten hiebey, wie es mir vorkam, nicht den mindesten Einfluß. Er fieng mit mir zu complimentiren an, in welchem Bett ich schlafen wolte und verlangte durchaus das Bette, wo das Depositum lag, weil das, so ich ihm bestimmt hatte, und in welchem mein Vater geschlafen, mit einem Gesimse war. Vorhaͤnge konnten in dem Hause des Herrn v. G. an dem Bette nicht seyn. Ich glaube, sagte der Herr Candidat, da wir uͤber diesen Umstand sprachen, Herr v. G. haͤtte, wenn er Adam im Paradiese gewesen, sich keine Schuͤrze Schuͤrze von Feigenblaͤttern gemacht. Der Herr v. W. brachte sich, wenn er zum Herrn v. G. kam, seine seidne Vorhaͤnge mit. Ohn- fehlbar wird wohl die Farbe der Vorhaͤnge nach Beschaffenheit des Festes gewesen seyn. Mit Zuverlaͤßigkeit weiß ich’s nicht. — Da ich den Herrn Candidaten versicherte, daß ich in diesem Bette schon eine Nacht schlaflos zu- gebracht und den Tribut bezahlt haͤtte: so bat er sich, wenn es ohne mir etwas zu ent- ziehen geschehen koͤnnte, ein Kopfkuͤssen von den Meinigen aus. Das war eine neue Ver- legenheit fuͤr mich wegen des lezten Willens, den ich seinem Aug’ entziehen wolte. Er stand an meinem Bette und wolt’ aus Be- scheidenheit und Dankbarkeit das Kuͤßen selbst nehmen: ich hatte viele Kunst noͤthig, ihm das unterste in die Hand zu spielen. Kaum war er im Bette, so schlief er, wovon er durch sein Schnarchen untruͤgliche Beweise gab. Ich widmete Minchen diese Nacht, und wenn ich schlummerte, sah ich den Ju- denjungen und das Finkennest und den Milch- topf, alles in Lebensgroͤße. — Gegen den Morgen schlief ich fester ein; indessen sagt’ ich dem Herrn Candidaten den ersten guten Morgen, weil ich ihn aufwachen hoͤrte, und D 2 fuhr fuhr mit sechsen aus meinem Bette. Er dankte fuͤr den guten Morgen; allein er blieb bey dem Dank, wie ’s sich eignet’ und ge- buͤhrt’, im Bette. — Nach seinem schoͤnen guten Morgen war sein erstes Wort, daß ich zweymal Minchen gerufen haͤtte. Ich weis nicht, fuͤgt’ er sehr hoͤflich hinzu, ob es mei- ne Tochter ist? Gewiß, erwiedert’ ich, und begrif es selbst nicht, wie’s zugieng; ich war beym Woͤrtchen Gewiß nicht im mindesten verlegen: vielleicht kam es, weil der alte Herr noch im Bette war. — Wie haͤtt’ ich Minchen verleugnen koͤnnen! Wir haben ge- stern, fuhr er fort, viel von ihr gesprochen, der Herr Candidat werden es verzeihen, daß ich Sie so lange von meiner Tochter unterhal- ten. Ich konnte kein Wort hierauf antwor- ten — ohnfehlbar wolte der Herr Candidat einen voͤlligen Herzensaufschluß; allein wie solt’ ich den bewilligen? Der alte Herr Can- didat war noch immer im Bett und, wie’s mir vorkam, auf einem Haͤufchen. Er schien nicht in Lebensgroͤße zu liegen und so lang er war; er wußte sich nicht nach seiner Decke zu strecken. Damit meine Leser nur ja nicht auf den Gedanken fallen, daß ich noch viele Tage in in — — geblieben und ihnen all diese Tage meines Aufenthalts — — eben so langwei- lig wie bisher erzaͤhlen werde; so will ich nur kurz und gut bemerken, daß der folgende Tag zu unserm Aufbruch bestimmt war. — Hof- fentlich wird ihnen diese Anzeige eine froͤli- che Botschaft seyn. — Der junge Herr v. G. nahm mich we- gen der Jagd in Anspruch. Ich hatt’ ihm daruͤber mein Wort gegeben und sogar den Commandostab hiebey anvertrauet. Ohne Murren nahm ich also seinen Antrag als eine Ordre an, Vormittage diese Jagd anzustel- len. Die Wahrheit zu sagen: ich wolt’ ihn auf der Jagd wo moͤglich von der Jagd ab- bringen, und diesen Jaͤgertrieb beschraͤn- ken. — Ich war in dieser ritterlichen Uebung we- nig erfahren, obgleich ich ein Auge zum Ziel- schuß auf ein Haar hatte, ohne mir durch Puf, Paf, und durch das Exercitium mit der Tobakspfeife, diese Geschicklichkeit erzielt, oder ihr auch nur nachgeholfen zu haben. — Warum willst du, sagt’ ich, ein so blutiges Andenken zuruͤcklassen, eben da du von hin- nen ziehst? Mein Recht nicht zu vergeben, erwiedert’ er. Du glaubst es nicht, man D 3 muß muß die Baͤren und Woͤlfe im Respekt er- halten, wenn es auch nur durch einen Schuß ist, die Bestien machen unser einem sonst das Eigenthum strittig — der Haase kennt seinen Junker. — Wir hatten oft angelegt, und eben legte mein Reisegefehrt’ an, da ich eine Menschen- stimme hoͤrte: Rett! Rett! Herr v. G. kam nicht aus der Stellung: ich lief und schrie wo? wo? hier! hier! wo? wo? hier! hier! — und denn wieder Rett! Rett! und mitten drunter mit einer erbaͤrm- lichen Stimme: Lorchen im Wasser! — Auch dies brachte den Herrn Braͤutigam in keine andre Lage; er hatt’ angelegt. — — Noch viele Rett’s! Rett’s! und viele hiers! hiers! und noch mehrere wo? wo? ich rief wo bis ich sah — ich sah die Begleiterin der Fraͤu- lein v. W. jaͤmmerlich die Haͤnde ringen. Hier, hier, rief sie noch zu guter lezt. — O Gott! matt! matt! Die Wasser uͤber Sie! — Ich warf meine Flinte weg, und diese gieng los. Luise fiel in Ohnmacht. Das wird sich geben, dacht’ ich, und sprang ins Wasser, und brachte das liebe kleine Ge- schoͤpf heraus. Die Angst hatte ihre kleine Haͤnde gelaͤhmt. Das Wasser war ihr mehr an an die Seele, als an den Leib, gegangen — jezt war sie — frisch wie ein Fisch worden, wuͤrde meine Mutter des Reims wegen ge- sagt haben. — Luischen, sagte sie, da sie ihre Beglei- terin wie todt liegen sah. Ich nahm einen Hut mit Waßer, um Luischen ins Seyn zu- ruͤckzubringen; allein das Wort ihrer Pfleg- befohlnen: Luischen , hatte sie schon aufer- weckt. Ich kam mit meinem Hut voll Was- ser zu spaͤt, und goß dies Waßer, welches zum Schlagwaßer bestimmt und eingeweihet war, so andaͤchtig aus, als meine Mutter das Restchen vom Taufwaßer ausgegos- sen haben wuͤrde, welches nach ihrer Mei- nung ein paradisisches Gruͤn befoͤrdert. — Wir wollen, sagt’ ich zu Luisen, unser Schaͤfchen aufs Trockne bringen. Es lief Waßer von ihr herab, wie nach einem star- ken Regen von den Daͤchern. Luise wolt sie schelten, daß sie einem Steige zu sehr ge- trauet haͤtte; allein Luise sahe wohl ein, daß das Wiedervergeltungsrecht zu Hause nicht ausbleiben wuͤrde. Es ward also verabredet, daß sich das Fraͤulein v. W. ganz sauber und schoͤn ankleiden, und darauf erst ihrer Mutter den Vorfall erzaͤhlen sollte. Wißen, D 4 sagte sagte sie, muß Sie’s. Mich, bat ich, las- sen Sie aus dieser Geschichte. Sie? ant- wortete die Kleine, und reichte mir die Hand. Ich wußte nicht ob dies Sie ? Ja oder Nein war. Es sprach das liebe kleine Maͤdchen Sie ganz besonders aus. — Ich koͤnnt’ es ihr zur Noth noch nach sprechen! — Waͤhrend der Zeit kam mein Reisegefehrt’, und, ohne sich nach seiner Braut zu erkun- digen, macht’ er mir Vorwuͤrfe, daß ich ihn mit meinen Wos und Luise mit ihren Retts und Hiers gestoͤret haͤtte. Bruder, sagt’ ich, das Wort Rett ist das deutsche hohe Nothwort. Wenn es ein Sterbender hoͤrt, muß er sich noch aufrichten. — Nur keiner, fiel er ganz gelassen ein, der ange- legt hat, und was hast denn du getroffen? fuhr er fort. Dies edle Geschoͤpf, sagt’ ich. Er ward von allem unterrichtet, und ver- sicherte hoch und theuer, daß wenn er nicht angelegt gehabt, er gewiß eben so, wie ich, ge- laufen und die Flinte weggeworfen haben wuͤrde, so unverantwortlich es gleich waͤre, Pul- ver und Schrot, diese Gabe Gottes, umkom- men zu laßen. Luise lachte herzlich. — Die liebe Kleine sah mich blos lieblich an. Beyde wußten sich nicht drinn zu finden, daß daß Pulver eine Gabe Gottes sey. Der junge Herr v. G. konnte nicht leugnen, den Namen Lorchen gehoͤrt zu haben, indessen hatt’ er angelegt, das wolte mehr sagen, als Lorchen. Es ist wahr, durchs Ohr kommt weniger Mitleiden ins Herz, als durchs Auge. Man kann eher seine Stimme als sein Auge verstellen, und wen siehst du, wenn du jemand ins Auge siehst? — dich selbst im Kleinen. Du bist in gewißer Art gegen dich selbst mitleidig; allein hier ist nicht von mehr oder weniger die Rede, son- dern von Menschenstimme und von einem Jaͤger, der angelegt hat. — Das kleine Fraͤulein und ihre Begleiterin schlichen sich nach Hause, recht als ob die Frau v. W. sie hier schon beym Wasser be- merken koͤnnte. — Mein Reisegefehrt’ unterrichtete mich in noch einigen Jaͤgerkunstworten, und da ihm eben ein Haas’ aufstieß, den er traf, war unsre Jagd zu Ende. — Ich ließ mir sei- nen Unterricht mit vielem Eifer gefallen, um ihn desto mehr zu meiner Predigt vorzu- bereiten, die ich uͤberdacht hatte, und noch uͤberdachte. Gewiß war mein Reisegefehrte vergnuͤgter uͤber seinen Haasen, als ich uͤber D 5 die die Ehre, seine kleine Braut gerettet zu ha- ben. Er lies mich merken, daß im Hof- dorf’ ein schmuckes Maͤdchen waͤre, so wie Fraͤulein v. W. wie er sich ausdruͤckt’ in die- sem Jammerthal nicht werden wuͤrde, und wenn Herr v. W. nicht ein Gut haͤtte, das er ihm gleich, ohne sich selbst zu entbloͤßen, nach ritterlich uͤberwundenen academischen Jahren uͤberlaßen koͤnnte; so wuͤrd’ er, aus- ser dem schmucken Maͤdchen im Hofdorfe, schon eine Frau finden. Ich sprach viel von der guten Gemuͤthsart der Kleinen, und der edlen Gemuͤthsart ihrer Mutter; allein dies schien ihm gegen das Gut, das er nach uͤber- wundenen Universitaͤtsjahren zu bejagen ge- daͤchte, eine unbedeutende Kleinigkeit zu seyn. Obgleich der Vorfall mit Lorchen mir eben keinen gluͤcklichen Erfolg uͤber eine Pre- digt erwarten lies, die ich meinem kuͤnftigen Kirchenpatron zu halten entschloßen war; so wolt’ ich doch nicht alle Hofnung aufgeben. Meine Leser wißen schon, daß ich waͤhrend dem Anlegen auf die Bekehrung meines jetzi- gen Reisegefehrten und kuͤnftigen Goͤnners gezielt hatte, und wer haͤlt nicht gern eine Predigt, die er im Concept hat? Bruder, Bruder, fieng ich an: die Spinne faͤngt Fliegen. v. G. Der Mensch Baͤren, Woͤlfe, Haasen und so weiter. Ich. Der Mensch, Bruder, — aber lei- der zwischen Mensch und Mensch ist Un- terschied. — Du wuͤrdest kein Scharf- richter seyn, nicht wahr? v. G. Warum nicht? wenn dem Delin- quenten die Augen verbunden sind. Ich. aber Menschenblut. — Dein Blut bey kaltem Blute sehen, ich kanns nicht, wenn Ader gelaßen wird. — Mich duͤnkt’ ich seh’ den Menschen mehr, als nackt, wenn ich sein Blut sehe — das der liebe Gott zweymal verschloßen hat. — Im Kriege hat niemand kaltes Blut, als der Oberfeldprobst und seine Juͤnger. — Wir haben schon uͤber Krieg und Jagd ge- redet: allein es ist auf kein gut Land, son- dern auf steinigten Acker, gefallen, den der alte Herr in Musik gesetzt hat. — Du bist zu edlern Geschaͤften da. Er. Gelt! Lorchen aus dem Wasser zu ziehen. — Ich. Und wenns die schmucke Hofdirne gewesen waͤre? Er. Er. Bruder, ein ander Ding! ich weiß auch, wenn der Mensch selbst schreiet, der in Noth ist — hohl mich — Haͤtte Lorchen selbst geschrien, und nicht schreien laßen, ich waͤre gelaufen, auch wenn ich eben angelegt haͤtte. — Ich. Lorchen bey Seite. — Er. Schoͤn. — Ich. Ein Jaͤger und Student? — Er. Das solt nicht paßen? Ich. Hast du den Plinius uͤbersetzt? — Er. Nein! diese Ehre habe ich nicht ge- habt. — Das solt mein kuͤnftiger Schwie- gervater, Gott hab’ ihn selig! hoͤren! — Ich. Des Plinius Brief an seinen Corne- lius Tacitus ist fuͤr dich. — Ridebis, et licet rideas, hebt er sich an. Ego ille, quem nosti, apros tres et quidem pulcher- rimos cepi. Ipse inquis? und der Schluß: Proinde quum venabere, licebit, auctore me, panarium et lagunculam, sic etiam pugillares, feras. Experieris, non Dia- nam magis montibus quam Mineruam iner- rare. Vale. Er. In deutsch? Ich. Ich. Verstehst du nicht latein? Er. Hier und da erjag’ ich ein Wort. Den Plinius hab’ ich nicht uͤbersetzt: es soll den Mund zu sehr spitzen, sagt mein Vater. — Ich. Plinius hat drey, und was noch mehr ist, recht schoͤne wilde Schwein’ er- jagt. — Er. Das ist mein Mann. — Schoß er? Ich. Plinius? Er. Uebereilt, Bruder! freylich — das Pulver ist spaͤtere christliche Erfindung. — Ich. Er jagt’ und studirte. Er. Siehst du! Ich. Bey der Jagdtasche und Hirschfaͤnger, um in unsrer Mundart zu reden, hatt’ er Bleyfeder und Schreibtafel, und was noch mehr ist, er versicherte seinem Freund — Er. Hoffentlich ein Jagdspoͤtter, wie du. — Ich. Daß Diana und Minerva Geschwi- sterkind waͤren, und zuweilen auf Jagd- bergen sich verloͤren, aber! Er. Aber! beym Plinius ein aber? — Ich. Ich. Ein zu spitzer Mund. — Er fieng Worte, wie er Wild fieng — vielleicht verdarb ihn die Jagd. — Er. Mich soll sie nicht verderben, weder Herz noch Styl . — Eins bekenn ich — ein Hund gilt mir zween Bauren. Hunde sind aber auch Geschoͤpfe, die wenigstens Wackers verdienten zu seyn. (Aufseher uͤber die Bauren.) Wir brachen gestern zu schnell ab von den Hunden. Es giebt Hundsinseln, warum nicht festes Land von der Art? Mein Vater hetzt nicht gerne, das hast du wohl gestern beym Schuß gehoͤret, wie man die Hunde los- lies. Dein Vater hingegen — „Die „Sternseher haben diesen Namen in den „Himmel versetzt. Die Dichter schildern „uns die Diana in Gesellschaft einer Kup- „pel Hunde.„ Das ist ein Weib! „Die „griechischen Damen hatten schon Huͤnd- „chens.„ Es ist nur zu wenig fuͤr die Hunde, sonst waͤre der Gedanke was werth; Gott wolte nicht, daß ein Mensch dem andern aufwarten solte, drum Hunde, die sind gebohrne Lakaien und Kammer- diener. Sie bieten sich gleich zur Miethe an, wo sie einen Menschen sehen. Ein Mensch Mensch, zu dem kleine Kinder und Hunde kommen, ohne daß er sie lockt, ist ein guter Mensch. Siehst du, hab’ ich nicht von gestern behalten? Ich. Treflich! allein warum nicht noch eins von gestern Mittag? Jener Philo- soph der alten Welt, der aus Gefaͤlligkeit fuͤr die gnaͤdige Frau des Hauses ihrem Schooshuͤndchen Schmeicheleyen vorsagte! Ey der! da er das Huͤndchen in die Hoͤhe hob, um es zu kuͤssen, p. — es ihm in den Bart und die Gesellschaft lachte, und der Philosoph hatte nicht das Herz, seinen Bart zu trocknen. — Er. Das erzaͤhlte dein Vater der Frau v. W. zum Munde, die gestern bitterboͤs’ auf die Hunde war, wer weiß obs wahr ist! Ich. Zwischen wahr und wahrscheinlich, in Ruͤcksicht der alten Welt, kein Un- terschied! — Er. Wahr oder nicht wahr! zu meinen zwo Flinten, einem Paar Pistolen, und dem Jagdmesser, wirst du mir doch ein Paar Hund’ erlauben? Eine Flinte, Bruder, ist der Hunde Fahne. Es sol- ten viel, viel mehr, als ein Paar, bey der der Fahne seyn; da du aber kein Freund von Hunden bist — Ich. Bruder! die Wissenschaften lieben Stille, in ein weiches Herz ziehen sie ein, und machen Wohnung daselbst. Wald- hoͤrner sind nicht ihr Instrument. Ich soll dein Pastor werden. Du, und nicht der Wacker, sondern der letzte deiner Bauren, sind gleich vor Gott und — — — Da sah man uns kommen. Ich ward, weil ich leer kam, ausgelacht; uͤber Tafel aber, da die Frau v. W. die Geschicht’ ihrer Tochter erzaͤhlte, bestand Herr v. G. der juͤngere schlechter, als ich. Herr v. G. be- schaͤmte seinen Sohn. Wer wird seine Braut um einen elenden Haasen uͤberlaßen, die Erstgeburt um ein Linsengericht? So seyd ihr Jaͤger alle. Ich bin auch ein Jaͤ- ger, das weißt du, aber —. Frau v. G. entschuldigt’ ihren Sohn, ich weiß nicht mehr womit? Frau v. W. dankte mir herz- lich, und ihr Gemahl schalt aus Hoͤflichkeit auf seine Tochter, um dem jungen Herrn v. G. Genugthuung zu verschaffen. Mei- netwegen war er in erschrecklicher Verlegen- heit: denn so sehr dieser Vorfall zu einem neuen Feste Anlaß zu geben schien; so blieb es es ihm doch bedenklich, weil ich nicht von Adel war, und wie haͤtt’ ich mir ein ander Schicksal, als der Mann mit dem einem Hand- schu , versprechen koͤnnen, der a Dato nach sieben Tagen sterben wird. — Er kaͤmpft’ indessen, weil es seine Tochter betraf, mei- netwegen auf eine unbeschreibliche Art, und endlich kam es dahin, daß er mit vielen Complimenten sich bedankte, und diese Be- gebenheit an den Rand zu verzeichnen sich verbindlich machte; wie denn auch meine Gesundheit bey Tafel von ihm ausgebracht wurde. Es war eine unaussprechliche Hoͤf- lichkeit, mit der mir der Herr v. W. zu ver- stehen gab, daß beym: was ist geschehen ? die Frage wer thats ? nothwendig sey. Hoͤflichkeit und Festlichkeit scheinen und sind zuweilen wirklich Antipoden: allein un- ser Herr v. W. hatte diese Eigenschaften so zusammen vereinigt, daß sie wie eins waren. Beyde stammen vom Hofe: der Geringere ist hoͤflich aus Falschheit oder Furcht, der Vornehme aus Stolz, und dies ist auch die rechte Quelle der Festlichkeit. So wie sich eine große freye Stadt zum Hofe ver- haͤlt, so die Urbanitaͤt, die Staͤdlichkeit, zur Hoͤflichkeit. Zweiter Th. E Wenn Wenn diese Bemerkungen zur Erlaͤute- rung des Charakters des Herrn v. W. etwas beyzutragen im Stande waͤren, so wuͤrd’ es mir lieb seyn. — Was mich bey der Frage: wer thats? betraf; so war ich hiebey verlege- ner, als bey dem Sprung ins Wasser. Ich konnte nichts mehr, als meinen Reisegefehr- ten entschuldigen. Der herzliche Blick der Frau v. W. und das frohe Laͤcheln der Kleinen war mir mehr, als zehn Feste des Herrn v. W. Dieser Vorfall inzwischen bracht’ uns eine geraume Zeit nicht aus dem Zank. Ein Vorwurf vom Herrn v. G. dem aͤltern, dann eine Entschuldigung von seiner Gemahlin, und vom Herrn v. W., der es mit keinem verderben wollte. Beylaͤufig, oder am Ran- de, wiederholt’ er seinen Dank, die Frau v. W. ihren Blick, und das kleine Fraͤulein ihr Laͤcheln. Die große Achtung, die Herr v. G. der aͤltere gegen meinen Vater aͤußerte, bewies zwar die Redlichkeit seiner Aussoͤhnung; al- lein sie machte mir ihre zehnjaͤhrige Tren- nung zugleich unbegreiflicher. Es ward vieles wiederholt, was mein Vater gesagt hatte, und alles mit einer dem Herrn v. G. eigenen Wendung, so, daß es wie neu aus- sah. sah. Sein plein good sense, sein gesunder Menschenverstand, wußte gleich ein Exem- pel, wenn eine Regel gegeben ward; und vielleicht verhielt er sich gegen meinen Vater, um den Vergleich ins Kurze zu ziehen, wie Regel und Erlaͤuterungsbeyspiel. Wir haben heut Ragout, eingeschnitte- nen Braten, sagte Herr v. G. Alles von gestern. — Wir wiederholen die Predigt , und fragen sie uns ab. — Wenn je ein Ausdruck auf meinen Va- ter paßt, und der Wahrheit angemessen ist; so ist es der von einer Predigt. Dies Kleid war wie auf den Leib gegossen, konnte man sagen, um von der Bemerkung, daß Worte Kleider der Gedanken waͤren, Gebrauch zu machen. Wer kann aber meinem Vater, den Pastor, und meiner Mutter, die Pasto- rin verdenken? Die Predigt und den Gesang! Herr v. G. erklaͤrte seiner Gemahlin was naif und was Laune sey, woruͤber sie zuweilen eine naife und launigte Unterredung gehabt. Laune, sagt’ er, ist der koͤrnigte Ausdruck eines naifen Gedanken. Naifitaͤt ist eine Satyre auf die Kunst, es beste- he diese Satyre in Gedanken, Geberden, Worten oder Werken. — Er belehrte sie, E 2 daß daß sie sich nicht ferner Laune zueignen koͤnnte. Wer Laune hat, fuͤgt’ er hinzu, muß un- term Barte lachen, wenn von einer guten Laune die Red’ ist: obwohl bey jeder Laune wenigstens ein Zug vom Lachen unterm Barte, zur Ehre des Lachens, sich hervor- schleicht, oder durchbricht, wenn es gleich stock finster auf dem Gesicht ist. — Un- term Barte lachen, sagte die Frau v. G. mit einem Veraͤnderungszeichen! Naif aber, meine gnaͤdige Frau, sind Sie — der Herr v. G. buͤckte sich gegen die Frau v. W. Sie wieder — ihr Mann aus Hoͤflichkeit auch; die Frau v. G. hatte heut’ ihren guten Tag. — Ein launigtes Weib, fuhr Herr v. G. fort, wuͤrd’ ein Weib mit einem Barte heißen, und also setzt er hin- zu — — Daß es verschiedene Arten von Laune giebt, sahen wir gestern, sagte Herr v. G. Nachdem die Feste sind, erwiederte Herr v. W. Je nachdem, fuhr Herr v. G. fort, je nachdem ein kluger Mensch Ding’ ansieht, je nachdem sehen sie ihn wieder an. Die Vorstellung von Gluͤck und Ungluͤck kommt nicht von den Dingen in der Welt, sondern von von der Gemuͤthsart der Menschen. Der Standpunkt thut bey Seel und Leib viel, sehr viel! alles! — Die misantropische Laune, wolt er fortfahren, da ihm wieder sein Sohn und das Fraͤulein Lorchen einfiel. — Diesmal aber, wie mich duͤnkt, zum Vor- theil meines Reisegefehrten. — Es ward von der Donquichotterie und den Windmuͤhlen und verfluchten Schloͤßern in der Liebe gesprochen. Jede Luͤge, ward bemerkt, hat was richtiges in sich, sonst wuͤrd sie kein Mensch anhoͤren und ausste- hen koͤnnen. (Meine Mutter nahm hier- aus den Beweis, daß es am Ende Gespen- ster gaͤbe.) Die Feenmaͤrchen wurden ana- tomirt, und die Naturtheilchen abgesondert. Wo ist, ward gefragt, ein feu’rfangen- der Juͤngling, der nicht bis ins ein und zwanzigste Jahr wuͤnscht, daß der Vater sei- ner Schoͤnen abbrennen moͤchte, um die Ge- liebte aus dem Feuer zu retten? Es sind ihm diese Lebensguͤter (wie meine Mutter singen wuͤrde) eine Hand blanker Sand, Kummer der Gemuͤther. E 3 Nackt Nackt, wie die Tugend ist, will er seine Fiducia ; allein ist dies der Weg zur guten Ehe? Dies war die zwote Frage. Herr v. G. behauptete in dienstlicher Antwort, zum Wohlgefallen der Frau v. W., daß man heyrathen muͤßte, um einen ge- treuen Gehuͤlfen oder Gehuͤlfin zu haben, und eben hiedurch entschuldigt’ er in gewißer Art seinen Sohn, welches ihm die Frau v. G. auf eine naive Weise zu verstehen gab. Um sich herauszuhelfen, sagt’ er von mei- nem Vater gehoͤrt zu haben, daß man sich auch in die Tugend verlieben koͤnnte. Man muß aber, wie der Pastor bemerkte, nicht aus Neigung, sondern aus Urtel des Ver- standes, tugendhaft seyn, nicht, weil die Tu- gend huͤbsch ist, sondern weil es die Tugend ist. Man muß sie lieben, wie sein Weib, und nicht wie sein Maͤdchen. — Ein Tugendverliebter wird kalt, wie jeder uͤbertriebene Liebhaber. — Aber, fiel die Frau v. G. ein — Ich weiß dein Aber, fuhr Herr v. G. fort, die Damen wollen Neigung. — Sie glauben, daß eine unsichtbare hoͤhere Macht ihr Band geschlungen habe. Neigung ist ihnen der Him- mel , in dem die Ehen geschlossen werden. Frau Frau v. W. war auch einigermaaßen fuͤrs Aber, und es erinnerte sich der Herr v. G. zu rechter Zeit, daß mein Vater be- hauptet haͤtte, wir Menschen spraͤchen im- mer von Neigung, auch selbst da, wo Urtel des Verstandes entschieden haͤtte. Es schei- net, daß der Mensch seiner Vernunft nicht recht trauet. Bey einem Hauptargument hat er noch verschiedene ad hominem, setzte Herr v. G. hinzu, ohne besonders zu bemer- ken, ob es sein Eigenthum, oder von mei- nem Vater herkaͤme. Es schien, als ob er vieles von meinem Vater jure antichretico besaͤße. Herr v. G. brach sich sehr den Kopf uͤber die Extreme, von denen ihm mein Vater be- sondere Dinge gesagt haͤtte. Zwey Extre- me sind zwey Enden, wiederholte der Herr v. G., als wenn er zu sich selbst spraͤche. Zwey Enden, die man den Augenblick ver- binden kann. So war der Teufel Gottes- freund. Wollust und Nothdurft sind Nach- barskinder. Schwindsucht und Wassersucht, Schlaflosigkeit und Schlafsucht, Licht und Schatten, Leben und Sterben, himmlische erhabenste Weisheit und Einfalt. — Die groͤßte Wuth ist, wenn ein Mensch den an- E 4 dern dern frißt — und geschieht das nicht? Ha- ben nicht die Menschen mehr, als Wolfshun- ger? Ist es mit ihnen nicht oft in dem Zwoͤlften? Ist nicht oft leiblicher Bruder des leiblichen Bruders Teufel, welcher die Seelen verschlingt, als schluͤrft’ er weiche Eyer, oder Austern? Herr v. G. kam aufs Freßen zuruͤck, und doch, sagt er, (alles wie zu sich selbst) Die groͤßte Liebe auszudruͤcken, sagt man: ich moͤchte dich vor Liebe auffressen . Niemand hat mehr Blasphemien gesagt, als ein Quaͤker. Er, und ein Gottesleug- ner, sind naͤher verwandt, als man glau- ben solte. Ich habe nicht noͤthig zu bemerken, daß Herr v. G. dieses lange vor sich so aussprach, daß, wenn ers auch nicht so oft treulich und sonder Gefehrde angefuͤhrt, jeder doch theils aus seinem Ton, theils aus seinem Kopf- schuͤtteln, gesehen haben wuͤrde: es sey nicht sein, sondern meines Vaters. Dies! dies! dies! Herr v. G. sagte drey- mal dies, wie meine Mutter dreymal das Wir im Glauben sang, dies ist mir et- was am Pastor, das ich noch bey keinem Men- Menschen sonst, er sey Pastor oder nicht Pa- stor, gefunden habe. Es ist was Seel und Leib eigenes, was theosophisches, wie soll ichs nennen? Unser Freund Pastor hat den heili- gen Busch im Brande gesehen. — Rechnet man dazu, daß er die Bibel nicht in schwarz Saffian gebunden hat, sondern im weißem Pergament, selbst — ohne goldnen Schnitt, daß er sie nicht als Medicin, sondern als taͤg- lich Brod braucht; so ist der gute Pastor ein ganz besondrer Pastor. Seine andern Sei- ten, daß er z. E. die Glatze nicht mit Puder bedeckt, daß er kein Jaherr ist, daß sein Ausdruck nicht Scheidemuͤnze, nicht Gang- und Gaͤbemuͤnze, oder courent, sondern aus der Sparbuͤchse genommenes Geld ist, und um, mit Erlaubnis, in eine andre Figur zu kommen, nicht wie auf den Kauf gemacht, sondern wie bestelte Arbeit aussieht; so, daß es von ihm heißen kann: „ was er spricht, „das geraͤth wohl !“ Daß der Pastor nicht ein gelernter Gelehr- ter, nicht einer des Buchstabens, sondern einer des Geistes und der Kraft ist; daß er nichts bloß theoretisch weiß, son- dern alles, alles in Blut und Lebenssaft oder Praxis bey ihm uͤbergegangen; E 5 daß daß er die meisten Dinge aus einem oft un- betraͤchtlichen Gesichtspunkt nimmt, und eben dadurch beym rechten Ende faßt; — daß er einen koͤniglichen, einen Revisions- blick, der immer mit einem gewissen Gluͤck verknuͤpft ist, besitzet; — (Sein Blick trift immer, ohne daß er zielt) daß, und noch viele daß , gehen vor sich. — Beym letzten daß erzaͤhlte der Herr v. G. eine Geschichte, die sich noch vor der Schei- dung vom Tisch und Bette , und also vor zehn Jahren, zugetragen haͤtte. Ein Barbier schnitt mit moͤrderischer Hand dem — den Hals ab, nachdem er ihn zuvoͤrderst ganz sauber und koͤstlich von der Buͤrde seines Barts befreyet, und leicht ums Kinn gemacht hatte. Waͤr ich Inquirent, (haͤtte mein Vater nicht blos gesagt, sondern behauptet,) wuͤrde eine meiner Hauptfragen, sowohl im Generalverhoͤr, als bey den Spe- cialartikeln, seyn: Warum der Barbier den Ermordeten zu- vor sauber und koͤstlich von der Buͤrde seines Barts befreyet, und leicht ums Kinn gemacht, eh’ er? — (Der Boͤsewicht! setzte Herr v. G., ohne das Comma abzuwarten und meinen Vater aus- ausreden zu laßen, hinzu, das kommt vom Aderlassen heraus! Man solte nicht Leute an den Hals laßen, die Blut sehen koͤnnen, als saͤhen sie suͤße Milch. —) Der Moͤrder haͤtte bekannt, daß er mit Mordgedanken zum — gegangen. Alle Um- staͤnde bestaͤtigten diese Aussage. Der erste Strich war in seiner Seele Mord. Warum vollbracht’ er ihn erst beym lezten? — Nota bene. Er fand den — allein, und so blie- ben sie auch — die That kam nach vier Stunden erst aus. — Ich weiß nicht, sagte meine Mutter im ersten Bande und dessen zweyhundert und sie- benzigsten Seite, ich weiß nicht, gegen das gemeinste Volk hab’ ich, bis ich bekannt bin, ruͤckhaltende Achtung; ich glaube, das macht das Bild Gottes. Wenn meine Leser den ersten Band nicht bey der Hand haben; so war es bey Gelegenheit der Blutreinigung, deretwegen meine Grosmutter muͤtterlicher Seits das alte Gesinde behielt, welcher blu- tigen Meynung meine liebe Mutter, in Ruͤck- sicht der Koͤniglichen Frau Mutter Babbe, beytrat. So ohngefehr beantwortete mein Vater seine General- und Specialfrage: denn ich muß muß aufrichtig gestehen, daß sich der Herr v. G. daruͤber so ungefehr, wie uͤber die be- ste Welt, ausdruͤcke. Unser Pastor, fuhr Herr v. G. fort, nachdem er sich von so vielen daß losgemacht, unser Pastor besitzet etwas, was man nicht aussprechen kann, in diesem Punkte. Er ist ein Gegenfuͤßler von einem Lauen, und ich kenne keinen Menschen, der mehr Theil- nehmer waͤr’ als er! Obgleich der Herr v. G. diesen Zug in meines Vaters Charakter nicht in seinem hei- ligen Dunkel stoͤrte, so daß er hoͤchstens nur den heiligen, nicht aber den lezten, den al- lerhoͤchsten Vorhang, hohepriesterlich zog, und in gewisser Art eben so unbegreiflich blieb, als mein Vater selbst; so muß ich doch bey dieser Gelegenheit gestehen, daß mein Vater wuͤrklich in diesem Stuͤck was ganz besonders eigenthuͤmliches besaß. Ich hab’ ihn einen im Himmel Angeschriebenen, einen Verklaͤr- ten genannt, und als einen aus dem Reiche Gottes dargestelt, von welchem wir beten: dein Reich komme! Ich weiß nicht mehr, wer von ihm in seinem eigenen Pastorat, da er eben den Ruͤ- cken gekehret hatte, das Urtheil aussprach, daß daß er, sobald er spraͤche, den Sprengwedel in der Hand haͤtte, und die Seele mit ge- weihtem Wasser besprenge, und daß er jeder- zeit mit gewaschenen Haͤnden erschien, so wie man von dem alten und neuen Gebrauch sich, ehe man in den Tempel gieng, zu besprengen und zu reinigen, zu sagen pfleget: mit un- waschenen Haͤnden . Vielleicht uͤbertrieb es mein Vater an vielen Orten, wie jener Juͤnger, der anfaͤnglich auf die Art des Herrn v. W. mit seinem Herrn und Meister com- plimentirte, nachher aber auf einmal aus- brach: nicht die Fuͤß’ allein, sondern die Haͤnd’ und das Haupt. — — Der Socinianismus ist etwas kleinstaͤdt- sches, etwas verlahmtes, etwas ermuͤdetes, pflegte mein Vater zu sagen. Entweder Hof, oder plattes Land. Kalt oder warm. Alles oder nichts. Aut aut — Eltern sehen sonst nicht, daß Kinder wachsen, und Kinder sehen nicht, daß ihre Eltern alt werden, weil sie sich taͤglich und stuͤndlich sehen; wenn es aber ein Fremder bemerkt, denn reißt sich ihr Aug’ auf. — Mir werden meine Leser den Vorwurf nicht machen, und wenn sie mit mir in Ruͤcksicht dieses Charakters nicht zufrieden sind; so ge- hoͤrt hoͤrt es nicht auf meine, sondern auf die Rech- nung meines Vaters. — Wer mir aber den Einwand entgegen setzt, daß ich meine Cha- raktere nicht frisirt und gepudert, und voͤllig vom Haupt zu Fuß geschmuͤckt, und fein an- gethan praͤsentire; hat es in den Tod ver- gessen, daß ich eine Geschicht’ erzaͤhle. Schon im Roman muß man seine Leute kennen, der Natur nachfolgen, und den Menschen sich oͤf- fentlich ankleiden lassen. Man muß den Men- schen im Seelencamisoͤlchen, in der Federmuͤ- tze, wenn er ein Gelehrter, und mit einem seidnen Tuch kuͤnstlich rußisch um den Kopf gebunden, wenn er ein Edelmann ist, dar- stellen — in naturalibus. Jeder Mensch hat seine Art, sich anzukleiden und zu erzaͤhlen, und diese beyde Arten stimmen mit einander so uͤberein, daß wenn ich jemanden sich an- kleiden sehe, ich sagen will, wie er erzaͤhlt, und umgekehrt, wenn ich ihn erzaͤhlen hoͤre, will ich sagen, wie er sich ankleidet. Die Art sich auszukleiden, kann den Kenner vie- lerley lehren, und unter andern auch, wie der sich entkleidende sterben werde. Hievon ein andermal. — — Eine Erzaͤhlung, der man das Studierte, das Gefliehene, das Geordnete ansieht, ist unaus- unausstehlich. — So wie es in der Welt geht, so muß es auch in der Geschichte ge- hen. — Bald so, bald so. — Der Hoͤrer, der Leser, mag sich hieraus ein Miniatur- stuͤckchen auf theophrastisch, bruͤyerisch zeich- nen, wenn er will. — Belaͤge zu dieser Bemerkung die Menge in meinem Lebenslauf, und um meine Leser auf der Stelle zu uͤberzeugen — Herr v. G. erzaͤhlte, daß mein Vater nicht die mindeste Wirthschaftskenntniße be- sessen haͤtte, da er Pastor geworden. Jetzt weiß er so gut, wie Einer, wenn Zeit zu saͤen und Zeit zu erndten ist, wenn man dreschen, malzen, Haus- Acker- Gar- ten- und Fischergeraͤthe bessern muß. Er versteht sich auf die Eisfischerey, auf die Nachtfroͤste, Holz und Mistfuhren, Flachs- und Hanfbrechen. Wie er anzog, wolte der gute Pastor, fuhr Herr v. G. fort, den Pastoratsbauern seine Schwaͤche nicht verrathen, und was that er? Eh’ er durch Gesicht und Ohr so weit gebracht war, als er jetzt ist? Er visitirte sein Inventarium. Das Register in der Hand frug er: Neun Neun Braune? Ja. neunzehn Schimmel? Ja. acht Fuͤchse? Ja. dreißig Kuͤhe? Ja. Wer hier nicht den Pastorem loci findet — Herr v. G. war mit Ehren zu melden ein großmaͤchtiger Wirth. Er las, ver- suchte, fehlte und verstand zuletzt seinen Bo- den, als wenn er mit ihm sprechen koͤnnte. Er benutzte, im Ganzen genommen, seine Aecker auf eine Art, welche ihm den Neid sei- ner hochwohlgebohrnen Bruͤder zuzog. Der gemeine Mann sagte: er haͤtte den Alp. Die Frau v. G. nannte die oͤconomischen Buͤcher, die er sich mit vielen Kosten ver- schrieb „Wurzelbuͤcher„ und wußte sehr ge- nau, wenn und wo er durch Versuche ver- loren hatte. So war der Herr v. G., um seinen eigenen Ausdruck zu adoptiren, eine Erdscholle, ein glebæ adscriptus; allein er war selbst auch dies als v. G. Wenn ich ihnen mit dem Ausdruck einen Dienst erwei- sen kann , gnaͤdige Frau v. G., er war ein Wurzelmann — Die Blaͤtter fallen im Herbst in der Truͤbsal abe. — Ob- Obgleich wir ein Trauerfest hatten, und der Herr v. W., sein Waffentraͤger, und Herr v. G. sehr hoͤflich gegen einander wa- ren, welches gemeinhin bey Trauerfesten zu seyn pflegt; so konnte doch Herr v. G. nicht umhin, wiewohl ohne ihnen diese Saladiere anzubieten, gelegentlich anzumerken, daß derjenige, der nicht bezahlen koͤnnte, sehr hoͤflich waͤre, welches gestern mit alten Maͤn- nern, wenn sie junge Weiber zur Ehe haͤt- ten, bewiesen sey. Wie denn Herr v. G. sich wider alle Ge- burtstags Gluͤckwuͤnsche erklaͤrte. — Wer wird, sagt er, gratuliren, daß man schwaͤ- cher geworden? Zum Geburtstage muß man nur bis zum dreyßigsten, und da in der Weichlichkeit der Juͤnger immer staͤrker, als der Meister ist, nach unserm Weltlauf bis zum fuͤnf und zwanzigsten, ein und zwan- zigsten, und wohl neunzehnten Lebensjahre Gluͤck wuͤnschen — es waͤre denn, daß man auf die andere Welt Ruͤcksicht nehmen wolte, nach der aber in gesunden Tagen wenig Nachfrag’ ist. — Noch eins! Mein Vater haͤtte gesagt, sagte Herr v. G., wer einen Brief schreibt, Zweiter Th. F muß muß glauben, er schreibe ihn an die Welt, und wer ein Buch, ich sag’ ein Buch , schreibt, schreib’ es an einen guten Freund, wenn man nicht in beyden Faͤllen alltaͤglich seyn will. — Ich ergreife dieses noch eins als eine er- wuͤnschte Gelegenheit, um meinem Leser auf Ehre zu versichern, daß ich dies noch eins nicht aus den Augen gelassen, und dieses Ganze an Einen gerichtet habe. Ich habe dieses Einen in dem ersten Bande erwehnt, und es ist eben derjenige, der mich auf der ein und zwanzigsten Seite besuchte, und dem ich auf eben der Seite (ich rede von der er- sten Ausgabe, denn wer steht mir dafuͤr, daß es zu mehrern kommt) eine gluͤckliche Reise gewuͤnscht habe. Wie viel liegt in dem Wort Einer ? Wer es fassen kann, der faß’ es, und wers nicht kann, wird auch schwerlich begreifen, was eigentlich Einheit in einer jeden Schrift list, welche da seyn muß, die Schrift wandle gleich im finstern Thal, sie gehe gleich durch dick und duͤnn, durch Licht und Finsterniß. Eine Schrift, welche dieses Ziel nicht hat, und nicht an Ort und Stelle kommt, ist eine Mißgeburt. — Je weiter man es gebracht hat, hat, alles zu Einem einzulenken, und kein Rad zu viel und keins zu wenig in seinem Buch zu uhrmachen, je mehr Ganzes ist da. Man sagt: Ein Apostel Paulus, Ein Rath, Eine christliche Gemeine wolle mit gebuͤhren- der Andacht verlesen hoͤren. — — Gott schuf nur einen Menschen! sein Bild! und wenn ihr Herren Praͤadamiten in die Kreuz und in die Queere euch dagegen baͤumet. In dem Gedanken: Ein Mensch und sein Weib von ihm genommen, liegt was Goͤttliches, was Großes! was — Ein System, wenn es so ganz da liegt, so ganz , wie Thier und Mensch, ist Arbeit eines Halbgottes. Wo ist ein System dieser Art? Wenn es ja fer- tig werden kann, wird es das Werk eines Deutschen seyn. — Im System geht man vom Ganzen zu den Theilen. Man sieht den Menschen ganz. Ein Blick ist genug hiezu, und sodann anatomirt man ihn. — Sonst geht man von den Theilen zum Ganzen. Ein System heißt nicht Compendium, und ist nicht ein auf Drat gezogenes Gerippe. Seht die Welt! Sie ist ein Mensch im Großen. So ganz wie ein Mensch. Gott sieht sie, wie ich meinen Haushahn, meinen Philax, meinen Leopold; wir aber finden sie so in F 2 Un- Unordnung, daß es Kunstrichter gegeben hat, die dem lieben Gott gern was ins Ohr daruͤber gesagt haͤtten. Wo das, was ich verstehe, gut ist, da leg’ ich beyde Haͤnde auf den Mund, wenn ich an etwas stoße, das ich nicht verstehe. — Mein Einer, an den ich dieses Buch ge- schrieben, ist mein lieber getreuer — — den ich auch getreu lieben werde bis in den Tod. Dieses ganze Buch ist eine Dedication, eine Zuschrift, in Ruͤcksicht auf ihn, ein Brief mit einem cachet volant sub sigillo volante (unter offenem fliegenden Siegel) allein kein Wunsch ist sehnlicher, als daß meine Leser hiebey nichts verloren, sondern vielmehr reich- lich gewonnen haben moͤgen. — — — Mitten in diesen und andern Wiederho- lungen kam ein Brief von meinem Vater an den Herrn v. G., und an mich ? Nichts an mich, zum offenbarsten Be- weise, daß mein Vater nicht fuͤrs Schrei- ben war. Auch der Brief an den Herrn v. G. war kurz und enthielt nur eine Anwei- sung, einen Fingerzeig, wegen der Beylage. Unser Bekannte , der das erste und letzte- mal, da er eine Flinte losdruͤckte, oder viel- vielmehr, da sie ohne sein Vorwissen und Mitwuͤrkung in seiner unerfahrnen Hand losgieng, seinen Sohn erschoß, hatte seine Lebensumstaͤnde eigenhaͤndig verfaßt, und sie seinem Troͤster, meinem Vater, in die Haͤnde gelegt. Der Herr v. G., den der Alte mit dem einen Handschu aufmerksam gemacht, hatte meinen Vater beschworen, ihm den Erfolg von dem Trostamte, welches dieser Ungluͤckliche in seiner Seelenangst auf- gefordert hatte, zu berichten. Ein kurzer Brief, sagte Herr v. G., da er den Brief meines Vaters entfaltete, der, wie ich bey Gelegenheit des Conversus bemerkt habe, fuͤrs muͤndliche war. Dies gab Anlaß, von meines Vaters Weise kurz zu schreiben, nach seinem Beyspiel ein lan- ges Gespraͤch zu halten, das Herr v. G. auf eine mir unvergeßliche Weise beschloß. Die Sprache Gottes! Gott sprach, hauchte nur auf, und es ward. Gott ist auch Schriftsteller worden, fuhr Herr v. G. fort. Das Wort Fleisch. — Es ist viel von Gottes Wort zu sagen. Ein Ausdruck, den alle Welt im Munde fuͤhrt, und doch ein tiefer, tiefer Ausdruck! F 3 Eine Eine lange Beylage, sagte Herr v. G., nachdem er den kurzen Brief durch und durch geblickt hatte. Er las ihn nicht, er blickt’ ihn auf. Die Beylage ward woͤrtlich ab- gelesen. Einige Stellen hatten Thraͤnen uͤberschwemmt, und sie schienen wie verwuͤ- stete Wiesen, die das ausgerißene Waßer zerstoͤret hat. Hier ist ein wohlgemeynter Auszug. Es war der — — der einzige Sohn eines Amtmanns. Seine Mutter, die Tochter eines Litteratus. Seine Eltern starben in Ketten. Der ungnaͤdige Herr Principal hatt’ ihnen Defekte gezogen, ohne sich Zeit zu nehmen, eine Probe bey seiner Rechnung zu machen. Die Cavaliere, schreibt er, rechnen ge- meinhin mit ihren Amtleuten ohne Probe, und sind Klaͤger! Richter und Henker! Unser Bekannte hatte Gelegenheit ge- habt, in seiner ersten Jugend schreiben und rechnen zu lernen, ohne daß er sich unter- stehen durfte, von dieser Kunst bey der Ver- rechnung des Herrn v. — in Ruͤcksicht sei- nes Vaters Gebrauch zu machen, und ihr durch eine Probe nachzuhelfen. Er entgieng mit vieler Muͤhe der Schuldunterthaͤnigkeit, konnte konnte von Gluͤck sagen, daß er frey blieb, und als Bedienter sich in einem andern hoch- adelichen Hofe anzubringen die Erlaubniß erhielt. Er versprach Charlotten die Ehe, einer freyen Person, die aber weder reich noch schoͤn war. — Sie hatten sich von dem ersten Augenblick geliebt, da sie sich ge- sehen hatten. Sie war verliebt und tugend- haft, das ist nicht viel aus einander, und verliebt und tugendhaft war alles, was man von Charlotten sagen konnte. Gewiß wuͤrd’ unser Bekannte an ihrer Hand gluͤcklich ge- worden seyn. Er hatt’ ihr die Ehe einmal, da es donnerte, verheißen, und so laut, wie er schreibt, daß er fast den Donner uͤber- schrien! — Alles was Charlott’ und un- ser Bekannte sahen, alles was sie hoͤrten bestaͤtigt’ ihre Liebe — denn Aufforderung, hatten sie nicht mehr noͤthig. Unser Bekann- te hatt’ eine Laube gepflanzt, welche Char- lotte begoß. Sie wuchs mit ihrer Lieb’ um die Wette. Charlotte hatte das Gluͤck, wie’s die Leute hießen, den gnaͤdigen Herrn in verliebten Aufruhr zu setzen. Sie war die vierte, der er ein seidenes Schnupftuch zugeworfen; allein die drey, so vor ihr ge- wesen, die Cammerjungfer nicht ausgenom- F 4 men, men, waren auf einen andern Fuß genom- men. Er fieng an zu seufzen, und Char- lotten foͤrmlich die Cour zu machen. Wenn niemand dabey war, kuͤßt er ihr die Haͤnde, und das Cammermaͤdchen seiner Frau Ge- mahlin Gnaden hatt’ ihn auf Knien vor Charlotten gesehen. Dieses verdroß dem Cammermaͤdchen beynahe mehr, als der gnaͤdigen Frau, welche letztere die Kunst sich zu entschaͤdigen aus dem Grunde verstand, und den Herrn Gemahl laͤnger verloren hatte, als die Cammerzofe den Liebhaber. Indes- sen fand auch die entschaͤdigte gnaͤdige Frau unschicklich, daß Se. Hochwohlgebohrnen einem Dienstmaͤdchen die Cour machten. Die Cour! auf Knien! So was hielte Sie ihrer Ehre zu nahe, und das Cammermaͤd- chen setzte hinzu: wenn Charlotte noch eine Cammerjungfer waͤre! Charlotte haͤtte, wenn sie den Plan der gnaͤdigen Frau und des Cammermaͤdchens befolgen, und den gnaͤdigen Herrn oͤffentlich laͤcherlich machen wollen, ein ziemlich gros- ses Spiel gewonnen; allein sie wolte nicht durchs Spiel reich werden. Sie suchte Se. Hochwohlgebohrnen auf den rechten Weg zu bringen, er aber blieb auf dem Irwege zu ihrem ihrem Herzen. Da sie ihn nicht los werden konnte, entfernte sie sich, wie sie stand und gieng, und lies wie Joseph ihre Plundern zuruͤck, die man ihr bey Haͤngen und Wuͤr- gen auslieferte. Die Sache macht’ Aufse- hen, und Charlotte war die einzige Person, die den Herrn v. — vom Theater der dor- tigen Gegend bringen konnte. Sie that es, und da unser Bekannte sie selbst darum bat, kehrte sie zuruͤck ins Hauß. Solche Herren wißen sich durch Ableiter vor dem Ungewit- ter zu sichern. Sie wißen nicht, was eine fehlgeschlagene Liebe sagen will. Der Herr v. — hatte sich mit weniger Muͤhe, ohne zu knien, versorgt und unser Bekannte be- saß Charlotten nun ohn’ Anfechtung. Sie war ihm jetzo theurer; denn ihre Tugend hatte gesiegt und das Feld behalten. — Es ist unaussprechlich, wie gluͤcklich un- sere Verliebten waren. Er pfluͤckt’ ihr die ersten Blumen, und die Natur schien sie recht geflißentlich fuͤr ihn, oder eigentlich fuͤr Charlotten, zu verwahren. Nur ein durch Liebe geweihtes Auge konnte die Blu- men finden, die er fand. Sie hingegen bracht’ ihm die ersten Fruͤchte. Er aß sie F 5 aus aus ihrer Hand, und dann schmekten sie ihm desto suͤßer. Nach dem Auftritt mit dem Herrn v. — schien Charlott’ unserm Bekannten eine Maͤr- tyrin, und er glaubt’, daß diese erhabene Idee seiner Liebe Schaden gethan haben koͤn- ne. Nachdem ich sie, schreibt er, uͤber- menschlich liebte, schien sich ein gewißes Feuer im Herzen zu legen. Er gestehet mit allen Merkzeichen einer wahren Reue, die niemand gereuet, daß sein Herz vorzuͤglich durch die Geschenke sei- nes Principals den ganzen Rest von An- haͤnglichkeit zu Charlotten verloren. Welch ein Verlust! O Gott, welch ein Verlust! Ich ward wie ein schwankendes Rohr, schreibt er, lange vom Winde hin und her getrieben. Ein Flick Land, und ein blanker Hut mach- ten das Garaus mit mir. Ich balancirte schon zuvor. Dies Flickwerk gab den Aus- schlag. Der gnaͤdige Herr konnte Char- lottens Gutherzigkeit empfinden. Viel vom gnaͤdigen Herrn! Er haßt’ und ehrte Char- lotten, wie die Teufel glauben und zittern . Sie hatte seine Beschaͤmung oder Beschimpfung in ihrer Gewalt: allein ihre edle himmlische Seele wußte von keiner Rache. Charlot- tens tens Herz hatte nicht seines Gleichen. Sie frug nicht, ehe sie Mitleiden zeigt’, ob der Ungluͤckliche Schuld an seinem Ungluͤck waͤre? Oft dacht’ ich, wenn sie weinte mit den Weinenden, und wenn es ihr genug war, Elend zu sehen, um bewegt zu werden: Sie laͤßt, wie Gott der Herr, regnen uͤber Ge- recht’ und Ungerechte! — Diese edle Den- kungsart vermochte vielleicht den gnaͤdigen Herrn, durch sein Geschenk die gute Sache mit Charlotten ins Reine zu bringen. Der Hut, sagt’ er zu mir, ist mir zu groß. Das Land ist mir zu klein! Es ist beydes sein. — Weg war ich, ja wohl weg. — Unser Bekannte verdarb sein Herz von Tage zu Tage. Je mehr Charlott’ ihm sagte, daß ihm der Hut schlecht stuͤnde, (sie sah da- bey auf sein Herz; er war sonst ein schoͤner Mann,) je gleichguͤltiger ward er gegen sie. Er hatt’ an jedem Finger eine Schoͤne, die sich in dem blanken Hute spiegelt’, um sich nach Maasgabe desselben das Tuch und den Halß zurecht zog, bis endlich Luise ihn zur heiligen Ehe bestimmte. Sein Hut war ab- getragen und Luise war reich. Diese Luise ist das ungluͤckliche Weib, das nach dem un- gluͤckseligen Schuß mehr aus Gram uͤber den Gram Gram ihres Mannes, als uͤber den Verlust ihres einzigen Sohnes starb ; wie ich im er- sten Bande bereits bemerkt habe. Das Stuͤck Acker, so ihm der Herr v. — schenkte, war zur Noth eine Brodstelle; allein einen blan- ken Hut warf es nicht ab. Bis auf den Zu- schlag mit Luisen hatte Charlotte noch Hof- nung gefaßt. Sie, die alles zum Besten zu kehren gewohnt war, verlohr nicht all’ Aus- sicht zur Besserung ihres ungetreuen Liebha- bers. Vom Tage seiner Verlobung mit Char- lotten sank sie in Schwermuth! o Gott! sie sank tief. Dicke Wolken uͤberzogen sie, und es war so feyerlich anzusehen, als wenn schwarze Wolken den Mond beziehen. — Wer diesen Bezug nicht bemerkt hat, thue Charlotten die Ehre, und bemerk’ ihn noch. Waͤhrend der Zeit, da sich unser Bekannte von Charlotten gedrehet, bekam sie einen Freyer, der sie herzlich zu lieben vorgab. Man konnt’ an der Ehrlichkeit seiner Liebe nicht zweifeln, da er reich und sie arm war. Dies wußte sie zu empfinden; allein sie em- pfand auch, daß es nicht unser Bekannte war! Die erste Liebe, merkte Herr v. G. bey dieser Gelegenheit an, stimmt unser Herz auf auf ewig. Der Ausschweifendste koͤnnte be- haupten, er habe nur eine einzige geliebt, und in Wahrheit, das koͤnnt’ ihn heilen, — wenn es sein Ernst waͤre, heil zu werden. Man liebt immer die erste Liebe, auch selbst, wenn man am Hof’ ist. In jeder neuen Theaterprinzeßin ist wenigstens ein Zug von der ersten Liebe. Sie ist uns ins Herz ge- schrieben, im theologischen Sinn, — und beweiset, daß von Anbeginn nur ein Weib und ein Mann gewesen. Der arme Freyer! Es war seine erste Liebe, er heyrathete; allein es war keine Charlotte. Die Braut unsers Bekannten wandte sich an Charlot- ten; denn sie hatte zu ihrem Braͤutigam mit dem abgetragenen blanken Hut kein ab- solutes Vertrauen. — Charlotte gab ihm mit weinenden Augen das beste Zeugniß. Sie kuͤßte die Ruthe, womit sie gezuͤchtiget ward. Sie kuͤßte Luisen herzlich. — Arme Charlotte! Ihrem beklommenen Herzen Luft zu machen heyrathete sie; allein, was ist von einer Heyrath aus Verzweiflung zu er- warten? Sie macht’ ihren Mann ungluͤck- lich, und sie war es noch weit mehr. Sie kuͤßt’ ihn zitternd, wie eine Taube, die den uͤber sich hangenden Moͤrder sieht, indem sie ihren ihren Gatten schnaͤbelt. Charlotte sah den Habicht ganz allein, und mithin wußt’ ihr Mann nicht, was ihr war! — Sie hatte keine Kinder, und Charlotte ward allgemein fuͤr eine Person erklaͤret, die schwermuͤthig waͤre. Besonders aͤußerte sich dieser Truͤb- sinn, wenn sie was blankes sah; es muͤßte denn durch die Sonne verguͤldet seyn, sonst konnte sie nichts schimmerndes ohne Thraͤ- nen ansehen. Ihr Silber und Zinn muß- te nicht glaͤnzend gemacht werden. Am liebsten aß sie von Holz. — Man verschloß so gar Scheer und Messer eine zeitlang. Ein Schrecken war das einzigste, was Charlotten ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte man vor Hitze, so wie ihre Thraͤnen vor Frost, bis man mit ihrer Art bekannter ward, und Messer und Scheere wieder aufschloß. Charlotte konnte keine Kinder ausstehen; allein wenn sie heimlich den einzigen Sohn unsers Bekannten habhaft werden konnte, druͤckte sie ihn fest an ihr Herz. Es war ruͤh- rend anzusehen. — Unser Bekannte hatte das Gluͤck, sich zu uͤberreden, Charlotte sey nicht seinet, sondern ihres einzigen Mannes wegen, schwermuͤthig. Es war Charlottens Mann der beste Mann in der Welt; indessen ward ward er ordentlich gehaßt, und wenn man ihn am Ende so boͤse nicht fand, als man ihn ausgab, kam es auf den gnaͤdigen Herrn, man sagt’ es sich ins Ohr, daß Charlotte sei- netwegen so truͤbe geworden waͤre. — Sie starb — und so froh, daß es er- baulich war, von ihrem Tode zu hoͤren. Wer sie sterben gesehen; war bis an die Thuͤr des dritten Himmels entzuͤckt worden. Char- lotte war aber gewiß weiter eingedrungen zur ewigen Freud und Herrlichkeit. Wer ihre lezten Worte gehoͤrt hatte, redete von ihr mit Ausgelassenheit. — Es hatte kein Aug ge- sehen, es hatte kein Ohr gehoͤrt, es war in keines Menschen Herz kommen, was die Um- stehenden gesehen und gehoͤrt hatten, und was ihnen ins Herz gekommen. Ihr Ehe- mann hatt’ in Wahrheit die Freuden des Ehe- standes nicht an ihrer Hand erfahren; allein ihr Andenken ließ ihn an keine zweite Verbin- dung gedenken. Unsere Verbindung, sagt’ er, war fuͤr die andere Welt, wo keine Thraͤnen mehr von Charlottens Augen fallen werden! Sie sind getrocknet, diese Thraͤnen, und Engelsfreud ist in ihren Augen. — Halleluja! Charlotte bat bat ihm sterbend ab, und er ihr, und alle, die Messer und Scheer verschlossen hatten, verlangten ihren Segen. — Vergib mir, sagte sie zu ihrem Manne, es wird dir alles im Himmel gelohnt werden. Am Grab’ endet sich alles Elend, aller Kum- mer. — Dort wird das Buch meines Schick- sals aufgethan, damit ich les’ und verstehe, was hier kein weiser Mann zu erklaͤren wuß- te. Alle Finsterniß wird dort Licht seyn. O! wie froh werd ich seyn, den Zusammenhang meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr Mann rang die Haͤnde, und wenn sie ihm abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe sie ihr edles Auge schloß, sah sie sich rund herum. Bey ihrem Manne ließ sie das Auge etwas ruhen, und nachdem sie diesen Lauf vollen- det, sah sie gen Himmel und ihr Auge schloß sich, als wenn man muͤd’ ist, von selbst. Es durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent- schlief. — Wahrlich! wahrlich! sie starb in einer seligen Stunde. — Ihr Liebling, der Sohn unsers Bekannten, spielt’ oft auf ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens, Dornen und Disteln, entehrte, obgleich es rund herum stand. Es schien, als ob Dor- nen und Disteln Achtung fuͤr das Grab un- serer serer Seligen haͤtten. Der Sturmwind, wenn er daher fuhr, und die Kirchenlinden absplit- terte, und Aeste brach, schonte der Blumen auf dieser heiligen Staͤte. Sie war jedem heilig, wie die Pforte des Himmels. — Ich glaube, meine Leser verlieren bey die- sem Auszuge: denn das weitschweifige Origi- nal hatte Stellen, die schrecklich waren. Unser Bekannte war durch diesen denk- wuͤrdigen Tod noch nicht auf Bußgedanken gebracht. Er konnte Charlottens Leiche so gar folgen, ohne eine Thraͤne fallen zu lassen! Das nenn ich, sagte Herr v. G., Ge- richt der Verstockung ! Die Trostlosigkeit des Mannes unsrer Charlotten bestaͤtigte das Vor- urtheil, daß er Charlotten ungluͤcklich ge- macht haͤtte. Man hielt es fuͤr Gewissens- bisse. Die Umstaͤnd’ ihres Todes, die un- serm Bekannten, wiewohl zum groͤßten Theil sehr unrichtig und nur beylaͤufig, erzaͤhlet worden, bestaͤtigten diesen unerhoͤrten Wahn. — Da Charlott’ ihrem Ungetreuen auswich, und ihn nicht anders, als in ihrem Herzen sah, so unterhielt alles die Ruhe unseres Be- kannten, um mich desto unruhiger zu ma- chen (Dies sind seine eigene Worte.) Zweiter Th. G Der Der Herr v. G. bemerkte, daß ihm nichts schrecklicher, als ein ganz ruhiger Mensch waͤre. Die Ruhe der Weisen sey so sehr, bemerkt’ er, mit einer gewissen seligen Unru- he, mit einer Sehnsucht verknuͤpft, daß man sie eine selige Unruhe nennen koͤnnte. Ruh’ ist Dekoration, wie’s eine Aufrichtigkeit von der Art giebt, eine Aufrichtigkeit, die ver- kleideter Mord ist — und wodurch man siche- rer betruͤgt, als durch Ruͤckhalt. — Unsern Herrn und Meister, sagte Herr v. G., konnte nur eine gewisse Ruhe, die Folge von einem goͤttlichen Ruf, kleiden — Seinen Aposteln kommt sie schon nicht zu — dem Sokrates nicht — wohl aber der Ma- ria, des Herrn Mutter, und jedem Weibe, die einen Sohn hat, der seiner Mutter Ehre macht. — Solch ein Weib hat es vollen- det. — Hier in der Welt sind wir in der strei- tenden Kirche. — Wer wird die Haͤnde in den Schoos legen, wer sein Auge sinken las- sen? Ruh’ ist der Anzug der Seligen, der Vollendeten des Herrn! Von Gott kann man sagen: er sah’ an, was er gemacht hatte, und siehe da: Es war alles sehr gut! — — — Der Gang auf Vogelwild unseres Be- kannten war sein lezter ruhiger oder verstock- ter ter Gang. Der Schuß, wodurch er seinen Sohn toͤdtete, sprengte sein Gewissen auf. Knall und Fall paßte nicht blos auf seinen Sohn, sondern auch auf seine Ruhe. Er fuͤhrt’ an, daß er im Schuß den nemlichen Knall gehoͤrt haͤtte, als im Donnerschlag, den er uͤberschrien, und den er zum gerechten Zeugen fuͤr seine ehrliche Liebe zu Charlotten aufgerufen! Die Molltoͤne hatten sein Herz nicht erweichen koͤnnen, so wie goͤttliche Wohlthaten die wenigsten Menschen zu Gott lenken. Es mußt’ einschlagen, und nun fielen die Schuppen von seinen Augen. Der Schuß schleifte seine ganze Vestung. Da stand er, und trauerte wie ein Baum, dem ein brausend wuͤthender Angrif des Sturms alle seine Blaͤtter auf einmal raubt, und ihn schnell ganz nackt auszieht. — Nun war ihm Charlottens Grab die ein- zigste Zuflucht; hier sah er Charlotten und seinen Sohn, der auf diesem Grab’ oft ge- spielt hatte. — Was fuͤr ein schreckliches Licht war ihm aufgeblitzt! Gott ist gerecht, schrieb er, und alle seine Gerichte sind gerecht. Seine Ausdruͤcke waren brennend. Sie gien- gen durch Mark und Bein. Wie gern haͤtt’ er sein verpfaͤndetes Wort eingeloͤset. Sein G 2 Weib Weib war ihm unertraͤglich, und er sich noch unertraͤglicher, weil sie’s ihm war. Sein einziger Umgang war mit dem Manne seiner Charlotte, der ihm alles haarklein erzaͤhlen mußte, was unser Bekannter, nachdem er zur Erkenntniß der Suͤnden gekommen war, besser verstand, als sein Freund. Die Lau- be, welche er gepflanzet und Charlotte begos- sen, war ihm fuͤrchterlich finster worden; in- dessen gieng die Sonne keinen Tag unter, wo er sie nicht besuchte. Er suchte Charlotten drinn und weinte. Er, der ehemals mit dem Fruͤhling um die Wette bluͤhte, konnt’, außer dem Herbst, keine Jahreszeit ausstehen. Abgefallenes Laub sah er lieber, als eine Ro- senknospe, und wenn er einen verdorreten Baum fand, setzt’ er sich unter ihn: er war ihm der liebste. — Gott hat mich verstoßen, seufzt’ er zu- weilen, und niemand konnt’ ihn seufzen hoͤ- ren, ohn ihn herzlich zu bedauren, — das bracht’ einen neuen Seufzer hervor. Wenn er zum Nachtmahl gieng, weint’ er so, als wenn er unter den Kriegsknechten gewesen waͤre, und jetzo oͤffentliche Kirchenbuße thaͤte. Er war stets zerschlagenen zerrißenen Herzens. Sein ganzes Leben war eine immerwaͤhrende Lita- Litaney, ein ewiges Kyrie eleison. Froh wuͤrd er seiner Erloͤsung entgegen gegangen seyn, wenn nicht Charlotte und sein Sohn im Himmel gewesen. — Seinen Sohn durft’ er nur vor den Menschen bekennen; desto mehr litt’ er, daß er Charlottens Na- men verbeißen mußte. In der Still nannt’ er ihn tausendmal in einem fort. Er zitterte vor dem Tage seines Todes, und das Leben war ihm auch unertraͤglich. O Gott! es muß ein schrecklicher Zustand seyn, wenn man nicht leben, nicht sterben kann. Am Ende war ihm doch das Leben das unertraͤg- lichste. Er sehnte sich vom Fegfeuer dieses seines Lebens, und von allem Uebel befreyt zu werden, — und wenn ihn eine Furcht vor dem Himmel ergrif, wo er seinen Sohn, Charlotten und Luisen finden wuͤrde; schlug er seine Haͤnde gen Himmel: Vergieb! war alles was er sagen konnte. Sein Morgen und Abendgebet war: Von allem Uebel mich erloͤs’; es sind die Tage bitterboͤs; erloͤs’ mich von dem ew’gen Tod, und troͤst mich in der letzten Noth. Bescheer mir, Herr! ein seel’ges End; nimm meine Seel in deine Haͤnd’! G 3 und und so beschloß er auch seinen Aufsatz, den meine Mutter nicht der Sache angemessener beschließen koͤnnen. Charlottens Mann solt’ ihm nach sei- nem Testament im ersten Paar folgen, und alles erben, was er nachließ. Folgen will ich ihm, sagte dieser Ungluͤckliche; was soll mir aber sein Gut, da ich seit Charlottens Tode nicht mehr lebe. — Dies war der Schluͤßel zu der Seelen- angst unsers Bekannten. Sein Sohn war nur der erste Eingang. Charlotte war das Thema. — Er hatte, wie mein Vater in seinem Briefe bemerkte, sich auch darum Vorwuͤrfe gemacht, daß er diesen innern Gram seinem Weib’ und dem Manne Charlottens und sei- nem Beichtvater, meinem Vater, und sei- ner Beichtmutter, meiner Mutter, verheim- liget; allein mein Vater absolvirt’ ihn des- falls, weil er eben durch diese Verschwiegen- heit gebuͤßet. Er rief nicht blos, ich soll meinen Gerg sehen, sondern auch, ich soll Charlotten sehen, und er wolte nicht blos von meinem Vater eine Anleitung, sich ge- gen seinen Sohn, sondern auch gegen Char- lotten, zu fuͤhren. — Diese Umstaͤnde wa- ren ren so verwandt in seinen Empfindungen, daß bey ihm All eins war, Charlott’ und sein Sohn. — Den Ehemann Charlottens uͤberfiel eine ordentliche Art von Eifersucht, da ihm unser Bekannt’ im Himmel zuvorkam; allein mein Vater heilt’ ihn. Er hatte sich feyerlich erklaͤret, nichts von dem Nachlaß des Bekannten sich zuzueig- nen, und da ihm mein Vater die Folgen hie- von vorstellte, versprach er zu nehmen und zu geben. Mit der Linken nahm er, und mit der Rechten wandt’ er dies Erbtheil bis zum letzten Dreyer den Armen des Kirchen- sprengels zu. „Dank fuͤr die Anweisung, „sagt’ er zu meinem Vater, das sind die „rechten Erben„ — Das letzte Wort unsers Bekannten war ein mit gefaltenen gen Himmel gehobenen Haͤnden, bey denen er aber sein Gesicht, als wenn er sich vor dem Donner fuͤrchtete, wegwandte: Gedenke mein ! Er hielt sich fuͤr einen vierfachen Moͤrder. — Seines Sohnes, Luisens, seines Weibes, und Luisens Ehemanns. — — Herr v. G. war dieser Geschichte wegen aͤußerst bewegt, und Herr v. W. fieng den G 4 heili- heiligen Abend zum Freudenfest diesmal spaͤ- ter an, um das Trauerfest, das ohnehin fruͤher seinen Anfang genommen, hiedurch recht vollstaͤndig zu machen. Ich habe mich, wie meine Leser schon wis- sen, bey dem Auszuge kurz gefaßt, und wenn ich die Anmerkungen, welche vorfielen, hin- zufuͤgen solte, wuͤrde die Stuͤtze vollends groͤs- ser, als das Gebaͤude, geworden seyn. Die Frau v. W. hatte die Haͤnde gefal- ten, als wenn Hausgottesdienst gehalten wuͤrde, und ihre Thraͤnen fielen gerad her- ab, ohne daß sie, ihr Kleid zu schonen, et- was untersetzte, wie man Regenwasser auf- faͤngt. — Sie flossen von ihrem Kleide, wie Thautropfen von Blumen. — Die Frau v. G. weint’ in ihr einbalsamirtes Schnupftuch. — Es freute den Herrn v. G., diese Bewe- gung an ihr wahr zu nehmen, da unser Be- kannter kein Edelmann war. Waͤhrend die- ser Vorlesung und der Nutzanwendung, die Herr v. G. aus seinem guten Herzen schuͤt- tete, fiel mir all’ Augenblick Mine ein. Gern haͤtt’ ich ihr gesagt, was ich bey die- ser Geschicht’ empfunden, und siehe da, ihr Bruder Darius Benjamin ! — — Mir ist ist es oft begegnet, daß das alles, was mir von der Lieb’ ahndete, auf ein Haar eintraf, und dies bestaͤtigte meine Idee, daß eine un- sichtbare Hand mit meiner Liebe sey, so wie sie’s mit jeder reinen Lieb’ ist. — Benjamin hatt’ einen verstelten Auftrag an seinen Vater, der unaufhaltsam boͤse war, daß sich Benjamin unterstanden, ihn hier aufzusuchen. Es fiel ihm gar nicht ein, daß das Schneiderhandwerk fuͤr den Sohn eines Litteratus noch das allerschicklichste sey, daß Gott der Herr selbst nach dem be- truͤbten Suͤndenfall dieses geschenkte Hand- werk eingesetzet, und die ersten Roͤcke verfer- tiget, daß sein Sohn auf Prima saͤße, und kuͤnftige Ostern Student werden wuͤrde. Noch boͤser wuͤrde der alte Herr gewesen seyn, wenn Benjamin nicht sein Ehrenkleid ange- legt, und die Haar’ in Verse gezwungen haͤtte; so nannte meine Mutter die damalige Art in Curland, Locken im eigentlichsten Sinn — anzunehen. Dem Benjamin war diese Frisur die natuͤrlichste. Waͤhrend der Zeit, daß der alte Herr dem Benjamin seine Herausnahme, ihn hier aufzusuchen, verwieß, winkte Darius seinem Freunde Alexander, daß er aus ei- G 5 ner ner ganz andern Ursache hergekommen, die er in der Tasche haͤtte. Benjamin sollte so- gleich fort. Herrmann stand Schildwache, damit niemand den Primaner saͤhe, und be- fahl seinen Sohn, vom Fenster zu gehen. — Der arme Junge mußte sich lange kehren und wenden, bis er ein Plaͤzchen fand, wo man am wenigsten entdecken konnte, daß Benja- min, des alten Herrn Sohn, hier waͤre. Ich wuͤrd ihn nicht von dieser Wache weg- gebracht haben, wenn ich nicht mit Benja- min wie du und du umgegangen. Dies brach- te den Herrn Candidaten von der Thuͤr, und vielleicht fiel ihm zu rechter Zeit ein, daß er selbst zu Hause Fingerhut, Buͤgeleisen, Na- del und Zwirn, (wiewohl unter ein Paar Schloͤßer verwahrt,) haͤtte. — Er loͤsete sich von der Schildwach’ ab, und Benjamin und ich waren allein. — Mir war von je her angst und bange uͤber Benjamin, wie meine Leser es selbst wißen, weil er das geschlagen werden schon gewohnt war. Das Finkennest und der Juden- junge hatten diese Angst und Bangigkeit wieder aufgefrischt, die der Gedanke, daß Minchen Benjamins Schwester war, zum groͤßten Theil widerlegt hatte. Benjamin war schon bey bey der vaͤterlichen Belagerung ungewoͤhn- lich beherzt. Er hatte nicht Ruh noch Rast, mich von seiner Schwester zu gruͤßen, und mir ihren Brief, das Handgeld, so er, als un- ser Vertrauter, genommen, zu uͤberreichen. Hier ist er. Ich hatte nicht Zeit, den Ben- jamin in seinen neuen Posten einzufuͤhren. Ein Brief von Minen! — wie konnt’ ich das? Ich bespart’ also das Introduktions- geschaͤft’ auf eine gelegenere Zeit. — G ottlob! daß du noch in Curland bist, und gottlob! daß ich noch von dir Abschied nehmen kann. Gottlob! gottlob! — Ich bin sehr daruͤber bekuͤmmert, daß es so unordent- lich bey unserm lezten Gespraͤch hergieng. In Wahrheit, ich weiß kein Wort von dem, was du mir zu guter lezt gesagt hast, oder hast du mir nichts zu guter lezt gesagt? Nichts? — Was noch aͤrger ist, und was mich noch mehr bekuͤmmert, darf ich dir nicht sagen. Du wirst es leider! zu sehr, zu sehr wißen, und dir daruͤber Gedanken machen! Ich fuͤhl es, daß ich selbst, daß ich dir auch kein Sterbenswort gesagt — nichts zu zu guter lezt — und doch liegts auf meinem Herzen, wie ein Berg. O lieber Junge, verzeih mir! — Es war alles so geschwind, ich sah dich nicht gehen, du bist auch nicht gegangen, du bist verschwunden. — Vielleicht hiengst du schon lange, lange nicht mehr an meiner Hand, eh’ ich dich mißte, eh’ ich wußte, daß ich allein war. Allein! großer Gott, ich allein! Ein schrekliches Wort — allein! O wie betruͤbt bin ich! wie sehr be- truͤbt! und am meisten, daß wir einen so schnellen Tod sterben. Wir beten: Fuͤr einen boͤsen schnellen Tod Behuͤt’ uns, lieber Herre Gott! Ich habe bis hieher geglaubt, es sey gut schnell zu sterben, wenn es nur nicht ein boͤser Tod ist, denn du hast es mich gelehrt; allein nimm deine Lehre zuruͤck, ein schneller, duͤnkt mich jetzt, ist immer ein boͤser! Leib und Seel’, denk’ ich, wißen nicht wo sie ge- blieben, wenn es zu schnell geht, so wie ich von dir nichts wußte. — Junge! die ganze Zeit uͤber und noch diesen Augenblick seh’ ich mich nach dir um, allein du bist nicht mehr. — Gott segne dich, und behuͤte dich! Dich! Dich! Dich! Mir ist so, mein Lieber, als als wenn dieser Brief der lezte sey, den du, eh’ ich sterbe, von mir lesen wirst, der lezte, duͤnkt mich, ohne zu wißen warum? Diese Ahndung faͤhrt mir kalt durch alle Glieder, und laͤßt ein Zittern und Beben zuruͤck, ein Zittern und Beben, daß ich die Feder nicht halten kann, auch die Gedanken nicht. — Lieber Junge! wie kann mir so was ahnden? Ich bin noch nie ohnmaͤchtig gewesen; allein wenn dieser ganze Brief nicht schon eine wuͤrk- lich’ Ohnmacht ist; — so ist mir so, als sey eine in der Naͤhe. — Unser Briefplan, Lieber! wird eine Abaͤnderung leiden. — Benjamin kann dir muͤndlich die Ursache sa- gen. Es sind ihrer viel, Benjamin ist mein Bruder, mein Geliebter, mach ihn, wenn er dir diesen Brief abgiebt, zu dem Deini- gen. Weih’ ihn dazu ein! damit es Ein- druck bey ihm mache! — Wir haben beyde, Benjamin und ich, lange lange uͤberlegt, und ganze Seiten in Gedanken ausgestrichen und links und rechts versucht, — das best’ ist und bleibt, daß du deine Briefe nicht an Benjamin uͤberschreibst und — sondern — sondern — — — Benjamin kennt ihn vollstaͤndig. Es bleibt, daß du die Brief’ an — — meinem Vater zur Abgab’ em- pfiehlst pfiehlst. Die meinige wird Benjamin durch seine Ueberschrift an dich verkleiden, wenn er und ich wißen, wo du zu finden bist. Du schreibst den ersten. Er an Sie. So bleibts, so und anders nicht. Findest du diesen Plan ganz oder zum Theil unrecht, aͤndere, das heißt beßere, anders aͤnderst du nicht, das weiß ich. Von Benjamin erwart’ ich deinen Entschluß, und da ich deine lezten Worte bis in den Tod vergeßen habe, schreib mir andere lezte, im Fall du die ersten lezten selbst vergeßen hast — und hast du keine Gelegenheit zu schreiben, lehre sie den Benjamin auswendig, damit er sie mir ja unversehrt uͤberbringe, und sie mir eine Feuersaͤule werden, und eine Wolken- saͤule, je nachdem ichs bedarf. Bald zittre ich, bald wuͤtet ein maͤchtiges Feu’r in mir. Sommer und Winter, dicke Nacht und Sommermittag. Das ist wohl die Liebe, Herzensjunge, sonst wuͤßt’ ich nicht, was es seyn koͤnnte. O Junge, wie sehn’ ich mich nach deinem: zu guter lezt, zu guter lezt, zu guter lezt! Es bleibt mit der Aufschrift und mit allem. Außer dem Briefe, den mir, wenn das Gluͤck gut ist, Benjamin jetzt bringt, schreibst schreibst du mir den ersten. — Alles uͤbrige wird dir Benjamin sagen. Wenn du es nicht selber endlich fuͤrs beste gehalten haͤttest, dem Benjamin den Vor- hang unsrer Lieb’ aufzuziehen, ich waͤre ver- gangen in meinem Elend. Der Brief, den Benjamin von dir mitbringt, wird nicht gerechnet. Er an Sie zuerst, wenn du an Ort und Stelle bist, wo dich Gott hingeleiten wolle durch seinen heiligen Engel, dem ich, wie dir, eine gluͤckliche, gluͤckliche Reise wuͤn- sche. Ich haͤng’ an einem deiner Blick’, ich weiß aber nicht, ob es der lezte war. So hieng ich nie an deinem Mund, so fest nie, als an diesem Blick. Was ist aber in dei- nem Auge? Schwermuth, tiefe Schwer- muth? Um wen traurest du, Lieber, um wen? Kannst du um wen anders trauren, als um deine Mine? Ist sie tod, deine Mi- ne? Hat sie ausgekaͤmpft, den schweren Kampf, die Dulderin? Mir liegt der Spruch so tief in der Seele: sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben; daß die Krone des Lebens vor mei- nen Augen schimmert. — Liebe und An- dacht, pflegst du zu sagen, sind zwey Lieder auf eine Melodie. Ist denn die Liebe nicht, wie wie die Seel’ ewig? Wo bist du, mein Ge- liebter? Denke mein, denke mein! — Ge- schwind, wie der Gesang des Vogels durch den Wald laͤuft, geschwinder bist du entflo- hen. — Am Abend duftet, was man pflanzet am lieblichsten, und die Seele duftet eben so lieblich, wenn sie der Tod uͤberfaͤlt. Ich weis nicht, was ich schreibe, du wirst es aber wißen, was ich schreiben wolte. Ich bitte Gott, daß er’s dir eingebe, wenn du es nicht von selbst wißen soltest. Wir sind eins, lieber Junge, du und ich! — Ver- giß nicht, mit Benjamin einen andern Weg zu bahnen, wenn der meinige nicht gut ist, du mußt alles bis auf ein Haar abreden, wenn du meinen Vorschlag nicht annimmst. Benjamin wird dir die Ursache zur Abaͤnde- rung sagen, ich kann es nicht, ich weiß sie nicht mehr, ich weiß nichts, nichts mehr, als daß ich dich liebe, und dich lieben werde im Gluͤck und im Ungluͤck, im Leben und im Sterben, bis vor Gottes Angesicht! O! wie wohl ist mir, da ich daran denke! wie wohl! Da ist er wieder dein Blick! — War- um so finster? Ist denn der Tod so bitter? Lebe wohl, das weiß ich noch, daß ich es dir, dir, daß du es mir sagtest. Aber das letzte? — ich kann nicht mehr. Lebe gluͤck- lich und wohl, und Gott segne dich und be- huͤte dich, er laße sein Antlitz leuchten uͤber dir und sey dir gnaͤdig! — ich leb’ und sterbe dein. — N. S. Am Ende hab’ ich wieder nicht recht Abschied genommen. Gott segne dich — ich bete lange fuͤr dich, und werd’ jeden Mor- gen und jeden Abend, und vor Tisch und nach Tisch, fuͤr dich beten. — Ich werde mir manches Gebet entziehen, und es fuͤr dich thun. — Der liebe Gott sey mit dir! und gebe dir noch einen Engel zu, da du auf Rei- sen gehest — und wohl ein Paar noͤthig hast. — Du schreibst bald! und bald kommst du wieder, und wenn ich nicht todt bin, bist du bald ganz der Meinige. Wie Gott will! Er, der Gnaͤdige, sey dir gnaͤdig, der allein Gnaͤdige sey es dir! Amen! Amen! Amen! Ich bin auch im Tode dein, und ewig dein! und ewig, ewig, ewig dein, dein, dein, dein. — Ich weiß nicht wie mir ist! Der Tod wird uns nicht scheiden. Wir sind und bleiben eins. — Der Tod nicht? was ich schreibe! Sind wir nicht schon geschieden, bist du nicht fort? und wenn ich stuͤrbe, wer Zweiter Th. H wird wird mir das Auge zudruͤcken, das nach dir noch starr offen stehn wird. Sonst hat es nach nichts zu sehen, in diesem Jammerthal, nach Vater nicht, nach Mutter nicht, nach der ganzen Welt nicht. Du wuͤrdest es mit einem sanften Kuß schluͤßen, wie die Abend- luft eine Lilie, das wuͤrdest du, mein Einzi- ger, wenn du geblieben waͤrest. Dies, dies truͤbt mich bey deinem Abschiede, du wuͤrdest meine Leiche mit Thraͤnen salben, wenn du geblieben waͤrest. — Ich wuͤrd’ in deinem Arm sterben, wenn du geblieben waͤrst. — O wie mir ist! Verzeih, Geliebter! ich weiß nicht was ich schreibe — und werfe Blicke hin und her auf diesen Brief, und fast moͤcht’ ich ihn zuruͤck halten, wenn ich nicht schrei- ben muͤßte des guter lezt und des neuen Vor- schlages wegen. Schreib mir doch was dir ahndet, und Gott sey mit seiner Gnade bey und uͤber dir! Amen, jezt und in Ewigkeit, Amen, in Ewigkeit Amen! I ch hatte diesen Brief nicht ohne die heißesten Thraͤnen lesen koͤnnen. All’ Augen- blick druͤckt’ ich ihn an meine Lippen und dann, dann, als ob dies viel zu wenig waͤr’, und dann wieder an mein Herz, das ihm entge- gen schlug. — Benjamin hatte des Vaters Posten eingenommen, und war auf die Wa- che gezogen, wie er mir nachher erzaͤhlte; denn gesehen hatt’ ichs nicht, ich wolt’, ich mußte schreiben. — O wie war mir! — als schrieb ich ein Todesurtel, als schrieb ich mit Blut — so angst und bang! und dann wieder so vergnuͤgt ums Herz, daß Blut uͤber und uͤber stuͤrzte, und denn wieder so sanft, als im Junius, wenn es geregnet, und jede Blume Wonnetrunken ist, und sich noch auf ihrem Ruͤcken fuͤr den schwuhlen Mittag des kuͤnftigen Tages einen großen, großen Tro- pfen aufgespart hat. — Alle Jahreszeiten in einer Viertelstunde — ich weiß nicht, was eigentlich mit mir vorgieng. Nur das weiß ich, daß Benjamin einigemal zu mir kam eilfertig, um seinen Posten nicht kalt werden zu laßen, und mich in seine Arme nahm, und mir die Arme kuͤßte; meine Thraͤnen waren ihm zu heilig, um ihren Lauf zu hemmen und sie mit den Seinigen zu mischen. Kein Waßer, sagt’ er, zu diesem Wein — der gute Benjamin! H 2 Und Und dann fieng er wieder an: ich werd’ ihr alles sagen. Alles. Er schrie: alles und jedes, bis ers merkte, daß er zu laut ge- wesen, und nun seufzt’ er wieder: Alles und jedes! Ich brach die Haͤnde, daß es ruͤhrend war. Das nicht, erwiedert’ er. Warum ringst du? Zwar ists, als saͤh’ ich den En- gel und Jacob ringen! so schoͤn ringst du! so schoͤn ringt nur Lieb’ und Pflicht! Das nicht, sagt’ ich, Benjamin! das nicht! — Mein zu guter letzt ist Segen von Gott, dies Ringen zu dem Allguͤtigen ist Sorge fuͤr sie! Mehr sag’ ihr nicht, mehr ’nicht von diesem zu guter letzt, als was sie tragen kann. Ich weinte herzlich und Benjamin weint’ auch. Wir waren beide sehr bewegt — und ich wett’ es, waͤre gekommen, wer da wolte, er haͤtte mich um keine Thraͤne gebracht, nicht um eine einzige. — Ich billigte den Plan ohn’ ihn zu uͤber- denken: denn wie konnt’ ich das? Benja- min waͤre nicht die Nacht geblieben, um alles nicht. Warum? Das solten meine Leser rathen. Seines durch ihn beschaͤmten Va- ters halben? Nein! geliebtester Leser! Nein! — Minens wegen. Mehr braucht’ ich nicht zum Beweise, daß er meines Ver- trauens trauens werth sey. Ich vergaß seine Rolle beym Finkennest, beym Judenjungen, und als Darius, ich dachte nur dran, daß er Minchens ihrer, blos ihretwegen, nicht die Nacht bleiben wolte. — Dein Plan ist gut, weil du ihn gemacht hast, sagt’ ich ihm, — du siehst, ich kann nichts uͤberdenken. — Es kam mir alles uͤbern Halß, Minens Brief, der Mann mit dem einen Handschu, und die Geschicht’ unseres Bekannten. Wenn ich ein Boͤsewicht waͤre, sagt’ ich zu Benja- min, wie koͤnnt’ ich diese Geschichte wißen, und Minen untreu seyn? Ich empfahl Ben- jamin die Laube, welche der Ueberwundene gepflanzt hatte, die jetzt fuͤrchterlich finster war. So finster und zehnmal finsterer sey es um meine Seele, wenn ich Minen ver- geße! — Erinnern sie sie, Benjamin, an die kalte Hand ihrer Mutter! — Ich liebe Minen sehr, sehr. — Da sank ich abgemattet nieder, und er- hohlte mich erst nach einer Viertelstunde. — Was ich mich freue, (fieng Benjamin an, hielte beyde Haͤnde gefalten, und huͤpft’ auf seinem Posten immer auf einer Stelle.) Ich. Warum? H 3 Ben- Benjamin. Weil Mine so gluͤcklich ist. Ich. Ich bin es mehr, Bruder! weit mehr! — Benjamin. Gott gebe, daß Sie’s ganz wer- den moͤgen! Ich. So sage du! oder — Benjamin. Kann ich? Ich. Warum nicht? Benjamin. Litteratus und Schneider! Alex- ander und Darius! Ich. Beydes Koͤnige, beydes Menschen! Wenn du keine Schwester Mine haͤttest, muͤßtest du mich du nennen. Benjamin. Sehr guͤtig! Ich. Gerecht, Bruder! Wenn ich tausend- mal Superintendent waͤre! Was waͤr’ es? Nannten wir uns nicht du als Kin- der im Stande der Unschuld? Wenn du nicht einen natuͤrlichen Ekel gegen das liebe Latein gehabt haͤttest, du wuͤrdest wißen, daß man in Latein alle Welt du nennet. Dutzen wir nicht Gott den Herrn, ohn’ ihm mit diesem Wort zu nahe zu kommen? Und was unter uns fuͤr fuͤr Umstaͤnde? Bruder Benjamin, das heißt, Minens Bruder. Benjamin. Nun du! du! du! du! ich muß es nur einigemal hinter her sagen, da- mit ich in die Gewohnheit komme, ja du bist ein Mensch, ein ganzer Mensch. Ich. Ich hab’s angefangen zu seyn, und mit Gottes Huͤlfe will ichs vollenden. Benjamin. Bleib Minen gut. Ich. Das bitt ich dich! ich bin ihr naͤher, als du! — Benjamin. Sie ist dir schrecklich gut, schreck- lich. — Es ist ihr Ausdruck. — Ich. Ich ihr auch — schrecklich, Bruder! Benjamin. Schrecklich, das heißt: Eur Ziel ist noch fern. Ich. Das heißt, wir haben noch viele Berge zu steigen, viele! Grausam aber soll, wie ich zu Gott hoffe, unsre Liebe nie werden, das heißt, hocheifersichtig. Ei- fersichtig ist jede, jede Liebe! Benjamin. Minens wegen eifersichtig? Ich. Du bist mein, Mine! ich bin dein! Mein, dein! Mein, dein! Mein, dein! O Bruder, was ist die Liebe? Ruhm, H 4 Reich- Reichthum und andere Narrenpoßen, gehn all durch Menschenhaͤnd, ich fuͤhls, Bruder! Die Lieb’ allein kommt aus der Hand der Natur. Sie ist roh, sie ist Obst; denn bey nach alles andere ist ge- kocht und gebraten! Bruder! Bruder! ich gehoͤre Minen, ganz und gar gehoͤr’ ich ihr! ihr! und wenn sie mich zuruͤckgeben wolte! O Gott wie ungluͤcklichreich wuͤrd’ ich seyn! verdammt verflucht reich, ich verlange mich nicht. — Wie gut bin ich bey ihr aufgehoben — bey ihr wie gut versorgt? — Benjamin. Faß dich, Bruder, sonst sinkst du wieder. Ich. Laß mich! Mine ist mein! — lebend und sterbend! O wie suͤß, wie suͤß werd’ ich in ihrem Arm sterben! sterben, Bru- der! hoͤrst du, sterben! — Dann komm’ ich aus einem Engelsarm in den an- dern. Benjamin. Faß dich, Alexander! faß dich! — Ich. Laß mich nicht faßen! ich bitt’, ich beschwoͤre dich! Laß es mich nicht. Faßen ist gut, sich nicht faßen, ist auch gut. Kann sich die Liebe faßen? ich glaube, man man liebt nicht mehr, wenn man sich faßt. — O Bruder, das Menschenge- schlecht wird nicht aussterben; allein die Liebe liegt in den letzten Zuͤgen, die rechte Liebe, die rechte. — O Liebe! Liebe! Du bist stark, singt meine Mutter. — Benjamin. Die Deinig’ ist staͤrker, als Alex- ander. — Gott helf meiner Schwester, die ihrige tragen! — Ich. Gott helf ihr — aus der Hoͤhe! — Gib du ihr auch die Hand, wenn sie sie noͤthig hat. — Greift sie nach beyden, gib ihr beyde. — Du bist link, ehrlicher Junge, gib ihr deine Arme! Stuͤtze sie! — O Jammer, daß du so weit entfernt von ihr bist. Wenn sie so ist, wie sie war, da sie den Brief schrieb, den du brach- test — den himmlischen Brief! O Bru- der! hilf ihr! hilf ihr! Benjamin. Gott helfe mir, um ihr zu helfen! Ich. Warum bricht die Wolke? warum? weil es nicht zur rechten Zeit regnet. Will Minens Herz brechen, bring sie zu Thraͤ- nen! zum sanften, sanften Regen! — Warum weinst du jezt, Benjamin? Benjamin. Wer kann dich dutzen, und dann dich hoͤren, und nicht weinen! H 5 Ich. Ich. Weine nicht, Benjamin! wein’ ihr aber vor, wenn sie verzweiflend die Haͤn- de ringt, wenn sie verzagt, sag’ ihr, sag’ ihr mit Ueberzeugung, als ob du Gott, und als ob du mich vor dir saͤhest, daß Gott im Himmel, und ich in der Welt bin — ich reis’ in die Nachbarschaft, es ist abvotirt, daß ich in Koͤnigsberg stu- dire. — Sterb’ ich! — sterb ich — o Benjamin! o Benjamin! sag’ ihr, daß ich als ihr Mann gestorben! — daß ich ihr entgegen kommen werde, mit einem erweitertem Arm, o Benjamin, wenn ich sterbe! — Benjamin. Denke nicht an den Tod! — Ich. Du weißt vor vielen Jahren, da ich krank war, setzt’ ich dich zu meinem Er- ben ein, du soltest nach meinem Tode den Alexander ohne Abzug, so wie ich ihn hatte, erben! Das Spiel hat aufgehoͤrt. Ich vermache dir Minen! Minen! — ich vermache sie dem lieben Gott, der erqui- cke sie, wenn sie muͤhselig und beladen ist. — Das ist mein leztes Gebet, mein lez- ter Seufzer! Wir umarmten unß. Benja- Benjamin. Die Liebe wird dich im Studie- ren stoͤren. — Ich. Recht, Bruder! Sie wirds, und ich werde kein so großer Kunsterfahrner Ge- lehrter werden; allein ein herzlicher werd’ ich seyn, ich werd’ aus jedem Buche lieben lernen. Die Liebe schlaͤfert Trieb’ ein; allein sie weckt auch Trieb’ auf! — Weiß Gott, wie’s zugeht; allein wer nicht liebt, sieht durchs Glaß, durchs Fenster, wer liebt sieht mit eigenen Augen! Durch und durch mit Leib und Seel! Benjamin. Gott helfe dir! ich weiß nicht, wie ich einfaͤdeln und das Nadeloͤhr finden werde, da ich dich nur lieben gesehen und gehoͤrt habe, — und du, du solst Predi- gen lernen? Ich. Das ist bey der Liebe leichter, als schneidern. Sieh, Benjamin! Heut zu Tag’ ist unsre Liebe mehr geistisch geworden, und Geist mit Geist kommt in die Ver- wanntschaft. Sorge nicht fuͤr mich, Bru- der, sorge nur fuͤr Minen! — Sag ihr alles, alles! und bitte sie, daß sie mir treu- lich ein Tagebuch halte, und Auszuͤge hie- von alle Vierteljahr uͤbersende. Es bleibt bey der Anordnung, es bleibt ganz dabey! Ein Ein Brief von meiner Mine wird mir ihr Wiederschein seyn. Gruͤße sie tausend, tausend, tausendmal! — Ich schaͤm’ es mich, das weiß Gott! nie- derzuschreiben: Benjamin gefragt zu haben, ob er Geld brauche? Seine Antwort war Nein, und ein solches Nein, daß ich kein Wort mehr daran wagen durfte. Warum traͤgst du denn Geld in der Ta- sche los, fuhr er fort? Das weiß ich selbst nicht, war meine Antwort. — Es war die- ses ein Gebrauch, den ich an Kindesstatt auf- genommen hatte, und noch trag ich mein all- taͤgliches Geld, wie ein großer Koͤnig den Toback, in der Tasche. Ich hab’ es in der Folge gefunden, daß sich das Geld so sehr an den Beutel gewoͤhnt, daß es nicht heraus will, wenn gleich Menschen da sind, die es zu for- dern befugt sind. Das Geld ist kein seidnes Netz, kein Schloͤßchen werth; wer erst los- winden und aufschluͤßen muß, findet ge- meinhin die nemliche Schwierigkeit beym Herzen. — Ich klagte mich beym Benjamin an, daß ich, weil er das Schlagen gewohnt gewesen, ihn nicht zu unserm Vertrauten in Vorschlag gebracht gebracht haͤtte. — Ich verwieß ihm alles, was ihm in der Geschichte vom Huͤnerey und Judenjungen zu verweisen war, und nun fieng ich an: ersteige Berge, und schaudre nicht vor Thaͤlern! Sey Mann! Sey Mi- nens Bruder! und der Meinige! Ich habe dir nicht zugetraut, was ich heut’ in dir gefun- den. — Hiemit weihet’ ich ihn zu unserm dritten Blatt ’ ein, das bey jeder ehrlichen Liebe vor der Hochzeit seyn muß, so bald die Sache nicht eins, zwey, drey, zu End’ ist. Ich. Denk an Gott, an Minen, und an deinen Bruder! — Benjamin. Ich werd’, ich werd’, ich werd’ an Gott denken, an Minen, und an Dich! — Wir gaben uns die Hand, und sahen gen Himmel. — Benjamin brach auf, und ich gab ihm noch einen heißen Kuß fuͤr Minen mit. — Benjamin ritt’, ohn’ Abschied von seinem Vater zu nehmen, davon. Da ich ins Zimmer trat, wo die Gesell- schaft war, fiel mir die Angst des alten Herrn in alle fuͤnf Sinnen. Er schlich sich an mich, und und brannte zu wissen, ob Benjamin schon weg waͤre? — Obgleich sein so unbaͤndiger Stolz, welcher dieses Angstfeuer angesteckt hatte, eine so schleunige Loͤschung nicht ver- diente; so konnt’ ich’s doch nicht uͤber mein Herz bringen, den Herrn Candidaten so lich- terloh brennen zu sehen. Er war der Vater meiner Mine. — Er konnte wahrlich das Gesicht nicht so verziehen, wenn ihn das Zip- perlein plagte, und er dem Nicolaus Herr- mann leiblich aͤhnlich war, als jezt, da er befuͤrchtete, sein Sohn wuͤrd’ ihn verdunkeln. Eben darum hatt’ er auch den Benjamin aus dieser Gegend so weit entfernt. Wie dies seine Schwester, nachdem Benjamin vollends der Vertraut’ unsrer heiligen Liebe geworden, bedauret, wie sehr ich’s zu bedauren fand, darf ich nicht bemerken, da es sich, wie vieles in dieser Geschichte, von selbst verstehet. — Um mir Zaum und Gebiß in den Mund zu legen, sprach er gestern, wie meine Le- ser es sich erinnern werden, von seinem Sohn, als von einem angehenden Praͤpo- situs! Wie sehr ward sein Stolz bestraft! — Ich konnt’, um aufrichtig zu seyn, mich des Laͤchelns nicht enthalten, da ich sahe, wie der Herr Candidat mit seiner gestrigen fal- schen schen Muͤnze angehalten ward, die ihm auf der Stelle confisciret wurde. — Heute haͤtt’ ich uͤberlaut lachen muͤßen; allein ich konnt’ es nicht, weit eher haͤtt’ ich mich aͤr- gern koͤnnen. — Ich sah’ und hoͤrte den Herren v. G. un- willig, ohne zu wißen, was ihn unwillig ge- macht; endlich erfuhr ich, daß es darum waͤre, weil der Herr Candidat Herrmann mein Schlafgesell gewesen. Feur und Was- ser, Schuld und Unschuld, hoͤrt’ ich ihn sagen! — Er ordnet’ an, daß ich die letzte Nacht durchaus mit seinem Sohne schlafen solt; auch Gottfried , der unser Begleiter war, mußt’ in dies Zimmer. Dies Zimmer , sagt’ er, heißt Koͤnigsberg , und ihr muͤßt so thun, liebe Reisende, als ob ihr schon an Ort und Stelle waͤret. Die Frau v. G. hatte verschiedene Einwendungen wider dies’ Anordnung; indeßen kam sie nicht zum Wort, und die Einrichtung des Herrn v. G. ward ganz puͤnktlich befolgt. Gottfried brachte mir, so bald wir nur in Koͤnigsberg, oder in unserm Schlafge- mach, waren, von meiner Mutter viele Gruͤß’ und einen zweygliedrigen Segen, auch auch versichert’ er mich hoch und theuer, daß er unmoͤglich von hinnen ziehen koͤnnen, oh- ne der Frau Pastorin, der Mutter seines zweyten Herrn, aufzuwarten. — Es kam mir vor, daß Gottfried sehr geweint hatte, und wie konnte dies fehlen, da er von den Ermahnungen einer Pastorin kam? Eine schriftlich’ Instruktion schien er so wenig, als der Conversus zu haben, allein man sah dem ehrlichen Gottfrieden einen geheimen Auftrag an. Ich war inzwischen viel zu sehr ein Sohn meines Vaters, um desfals mit Gottfrieden eine Untersuchung anzustellen. — Mein Reisegefehrt’ und ich gingen zu Bett, als wenn wir wirklich schon unsern Stab in ein fremdes Land gesetzet haͤtten. Wie ge- faͤlts dir hier? fieng er an. Wie in Cur- land, erwiedert’ ich, es ist uͤberall Gottes Erd- boden. Schon mehr als ein und zweymal ist auf den vorigen Blaͤttern an Koͤnigberg gedacht, auch hab ich bemerkt, wie dieses der Ort un- serer Bestimmung war, welches beyde Vaͤ- ter abvotirt hatten: indeßen war es nur ein Interlocut, die Definitivsentenz solte nach- folgen, — wenn wir unsern Vaͤtern von unserm academischen Leben zu Koͤnigsberg in Preus- Preußen, einen getreuen Bericht wuͤrden eingesandt haben. — Es war unter der vorigen Regierung auf der Koͤnigsbergschen Akademie auch Alexander und Darius gespielt, und ein grausam laͤcherlicher Streit zwischen Pietisten und Ortodoxen gefuͤhert worden. Nicht blos Theologen, sondern auch Juristen und Mediciner, hatten sich werben laßen. — Es waren Presbyterianer und englische Kirche, Pilatus und Herodes, Wigs und Torrys. — Dies veranlaßte uͤberhaupt ein kurzweiliges Gespraͤch uͤber den Pietismus und Inpietis- mus, und hiebey ward eines curlaͤndischen Theologen Bedenken vom Pietismo in dreyen Abschnitten betrachtet, mir einer Vorrede von Erdmann Neumeistern. Hamburg bey Philipp Hertel, im Jahr 1737 zum Grun- de geleget. Dieser curlaͤndische Theologus oder Bedenker soll Pastor Johann Wilhelm Weinman seeliger, gewesen seyn. Er hat in Frag und Antworten die Pietisten an- gegriffen, indem er nemlich selbst fragt’ und selbst antwortet’, und so, wie’s oft sehr kluͤglich in dergleichen Faͤllen zu geschehen pflegt, so war auch hier die Antwort eher, als die Frage fertig. Zweiter Th. J Die Die sechs und siebenzigste Antwort auf die sechs und siebenzigste Frage des ersten Abschnittes ließ den Herrn v. G. und mei- nen Vater herzlich lachen. Frage. Hat sich denn der Pietismus auch in Eurland einnisteln wollen? Antwort . (Ich laß’ einen großen Theil dieser Ant- wort unangefuͤhrt, damit meine Leser desto beßer das Ende fuͤhlen moͤgen.) — — de externis tantum, non autem de occultis, ju- dicat ecclesia . Als ob , sagte mein Vater. Ja wohl , antwortete Herr v. G. Eine Stell’ aus der Vorrede des mehr besagten Grundtextes wider die Pietisten, wo der Vorredner Neumeister noch am saͤu- berlichsten mit dem Knaben Absalon ver- faͤhrt. — „Doch auch ihre (der Pietisten) Tu- „genden will ich nicht verschweigen. Es „preiset sich an ihnen die Gottseligkeit, wenn „sie nemlich aus ihr ein Gewerbe machen. „Die Liebe zu Gottes Wort und geistlichen „Buͤchern, „Buͤchern, denn sie laßen eine unzaͤhlige „Menge Bibeln, Arends wahres Christen- „thum, und andere Schriften drucken, ih- „ren Gewinst damit zu treiben. Die Liebe „gen den Naͤchsten, ihn von den Beschwer- „den des Seinigen zu befreyen, und sich „selbst damit zu belustigen. Die bruͤderliche „Liebe gegen ihre heilige Schwestern. Die „Selbstverleugnung , da sie sich verleugnen „laßen, wenn sie von ihren Schuldnern ge- „mahnt werden. Die Kreuzigung des Flei- „sches, sonderlich bey gebratenen Haasen, „die in Form eines Kreuzes in der Schuͤßel „liegen. Die Maͤßigkeit beym ungarischen „Wein. Die Keuschheit auf dem Kranken- „bette. Die Freygebigkeit , sie andern zu „empfehlen. Die Gutthaͤtigkeit , fuͤr ihren „Bauch. Die Gnuͤgsamkeit , wenn alles „bey ihnen uͤberlaͤuft. Die Dienstfertigkeit , „ehrliche Maͤnner aus Amt und Dienst zu „bringen. Die Demnth , zu knien, wo es „nicht noͤthig ist. Die Vorsichtigkeit , ihre „Bosheit nicht an den Tag zu bringen. Die „Geduld , wenn es mit ihren Tuͤcken nicht „recht fort will. Die Bestaͤndigkeit , in ih- „rer Heucheley. Die Eintraͤchtigkeit , da „sie alle eines Sinnes sind, diejenigen die J 2 „nicht „nicht von ihnen sind, zu verlaͤumden, zu „schaͤnden, zu verfolgen. Der Gehor- „sam , den sie ihren eigenen Luͤsten leisten. —„ Es war allerliebst anzusehen, wie sich Herr v. G. und mein Vater bey dieser Ver- lesung gebehrdeten. Als ob , sagte mein Vater. Ja wohl , antwortete Herr v. G. Es ward bey die- ser Gelegenheit eine Geschichte folgendes In- halts eingeschaltet: Eine Person weiblichen Geschlechts, die ihrer gesegneten Umstaͤnde wegen, Gewis- sensschmerzen empfand, und eben darum in den andaͤchtigen Erquickungsstunden nach Trost liebaͤugelte, weil sie Pein in dieser Flamme litt; hoͤrt’ in diesen pietistischen Zu- sammenkuͤnften ohne End und Ziel vom verkehrten Herzen reden. Sie kam nie- der! und siehe da! ein Kind mit einem verkehrten Herzen! Es hat dieses Kind (nach dem Bericht des Candidaten, der diese verkehrte Herzens- geschichte von Universitaͤten mitgebracht,) nur drey Tage gelebt. Seine Mutter folgt’ ihm, und zwar ebenfals nach drey Tagen, von diesem Todestage an gerechnet. Sie verbat indessen sorgfaͤltig im letzten Willen alle alle Besichtigung nach ihrem Tode, um nicht durch ihr eigenes noch ein verkehrtes Herz mehr an Tageslicht zu bringen. Herr v. G. erzaͤhlte diese interimistische Geschichte; ich konnte, fuhr er fort, dem Candidaten nicht beßer antworten, als durch eine gleichmaͤßige Geschichte von einem Jagdhunde, der sich die Beine abgelaufen haͤtt’, und ein Dachs geworden waͤre. Und um dem Herrn Candidaten mit die- ser Herzensgeschichte, keinen Heller schuldig zu bleiben, fuͤgt’ ich noch vom Paradiesgaͤrt- lein den Umstand hinzu, daß dies Werkchen oft und viel in Feuersgefahr gewesen; al- lein es verbrannte nicht nur selbst nicht, schrie ich! sondern es besprach auch das Feu- er; es war eben so gut, als ein halb Du- tzend Feuerhaken, und ein Dutzend Schlan- genspruͤtzen, und ist also dies Paradiesgaͤrt- lein das wohlfeilste Recept wider Feuersge- fahr. Probatum est — — Der curlaͤndische Bedenker nimmt sich die Freyheit, im ersten Abschnitt seines cate- chetischen Unterrichts eine historische Erzaͤh- lung vorauszusenden, was fuͤr Unruhe der Pietismus in der evangelischen Kirche von J 3 Anfang Anfang bis zur jetzigen Zeit erwecket, und da sind viele Hoͤfe, Staͤdt’ und Flecken, wo diese Krankheit gewuͤtet, und nicht der Kin- der in der Wiege verschonet. Auf dieser Reise kommt er gluͤcklich und wohlbehalten nach Koͤnigsberg, und ruft ach! und wehe! — Was wuͤrd’ er aber jetzt rufen, sagte Herr v. G.? Der Herzens Candidat hatte versichert, der jetzige Koͤnig von Preußen haͤtte das ganze alte Testament durch den Codicem Fridericia- num abgeschaft , und das neue Testament durch eine Instruktion verkuͤrzet. — Als ob , sagte mein Vater. Ja wohl , sagte Herr v. G. und das war das letzte mal, daß ich als ob , und ja wohl , von ihnen hoͤrte. Die Gewohnheit der Pietisten, wo sie stehen, oder liegen, oder sitzen, die Haͤnde zu kreuzen und laut zu beten, brachten den Herrn v. G. und meinen Vater aufs Gebet. Man kann wohl, sagt’ er, wie Dioge- nes uͤberall eßen; allein nicht uͤberall beten. Warum, erwiederte mein Vater, — Ist Gott nicht uͤberall? Herr Herr v. G. Wenn Sie mir so kommen, Freund, so komm ich Ihnen so. Zugege- ben, Gott ist uͤberall; allein wir sollen an Gott glauben; durchs Gebet thun wir mehr, wir reden ihn an. — Thun Sie das gegen irgend jemand , von dem sie nur glauben, daß er da ist? Pastor. Gott ist nicht irgend jemand . — Herr v. G. Wenn Sie reden, muͤßen sie se- hen — nicht? Pastor. Der Blinde spricht, ohne zu sehen, und sind wir mehr in diesem Verhaͤltniß? Herr v. G. Der Blinde greift mit der Hand, eh’ er spricht, und das ist ihm anstatt des Sehens. Pastor. Und ist Gott nicht handgreiflich, — ist er fern von uns, leben, weben und sind wir nicht in ihm? — Herr v. G. Gott ist ein Geist, und nicht so handgreiflich, als dem Blinden der Jemand, den er zur Rede stellt. Das Sehen ist von der Anrede unzertrennlich. Wer uns nicht ansieht, wenn er mit uns spricht, was sagen wir von dem? Um Ihnen mein Glaubensbekenntniß auf ein- J 4 mal mal abzulegen: wenn ich mit jemand re- den soll, muß ich leibhaftig sehen; an Gott glaub ich, und ich kann ihn also nicht anreden. — Pastor. Wir beten, um Gott und an Gott desto festerer zu glauben. — Glaub’ und Gebet sind sich so nahe verwandt. — Herr v. G. lieber Pastor! man nennt oft den einen Seher, der ohne zu sehen sich einbildet, daß er saͤhe. Das sind Sie, mit Ihrer Erlaubniß, uͤber diese Lehre. Dem Glauben ist das Wuͤnschen angemes- sen. Wuͤnschen kann ich also! beten aber nicht. Pastor. Wuͤnschen Sie sich nicht, was Sie von oben herab beten, was Sie von Gott bitten? Herr v. G. Recht Pastor! allein ein Wunsch ist nicht ein Gebet. Laßen Sie uns ins gemeine Leben gehen. Wenn ich in Ge- sellschaft sag’, ich wuͤnsche herzlich, daß Gott meiner Schwester huͤlfe, wer findet dies nicht wohlanstaͤndig! wer nicht bruͤ- derlich! Sie wissen doch, meine arme Schwester kann sich nicht nach dem Wo- chenbett’ erholen. Ich fuͤrchte, ich fuͤrchte! fuͤrchte! — Das Soͤhnlein christlicher El- tern ist vorausgegangen, und die Mutter werd’ ihm folgen! — Pastor. Eine wuͤrdige Frau. — — Herr v. G. Ein gutes Weib! Gelt! wenn ich, sagt’ ich, wuͤnsche von meinem gan- zen Herzen, daß Gott meiner Schwester huͤlfe; Sie wuͤrden mit wuͤnschen, Pastor. Pastor. Von Herzen — der liebe Gott helf’ ihr! Herr v. G. Wenn ich aber in einer großen Gesellschaft die Haͤnde falt’ und wie aus der Pistol’ anfange: lieber Gott! Du hilfst, wenn nichts mehr helfen kann! ich bitte dich, hilf meiner Schwester, der armen Kranken, die dir schon ihren Sohn geopfert hat. Sie lieget da in deiner Gewalt! — ich wett’ es steht alles auf oder — oder — oder — Pastor. Woher und warum? Vielleicht weil wir nicht gern mit dem lieben Gott in Ge- sellschaft sind, weil wir, wenn ich so sa- gen soll, manchmal unter uns seyn wol- len. Ey in der Kirche? Herr v. G. Das nemliche, Pastor! Euer einer kann zwar fuͤr meine Schwester be- J 5 ten, ten, aber solt’ ichs in meinem Kirchen- stuhl? — Pastor, das nemliche! auf ein Haar das nemliche. Es geschiehet zuweilen, daß einer von der Gesellschaft in Privathaͤusern sich auf einmal gerade stellt, ein Paar Handschuh anlegt, und Allerseits anfaͤngt, wie es bey meinem Schwager v. W. nichts neues ist; allein wie ist ihnen dabey? — Wenn aber dieser Redner feyerlich eben herein tritt, und seine Rede fein zuͤchtig anhebt? — Man schaͤmt sich, wenn man eben ein Glaß in der Hand hat, man stelt es un- vermerkt an einen entlegenen Ort des Zimmers, so bald man Allerseits hoͤrt, man sieht den geputzten Redner, wenn man ihn auch noch so gut kennt, fuͤr ei- nen Fremden an, und hat nicht das Herz sich gerade hin, sondern ehrfurchtsvoll an ihn zu wenden. Dem Vater gehts so mit dem eheleiblichen Sohn. Der Sohn wird Vater, der Vater Sohn, wenn der Sohn redet, und der Vater hoͤret. Man sieht den Saal als eine Kirche an, und den Sohn auf der Kanzel. Der Redner hats vollbracht; allein man traͤgt noch Bedenken, so gleich ein Glaß Wein mit ihm ihm zu versuchen. Man ist im Handgrif, den Hut fuͤrs Gesicht zu halten, womit man in unsrer Zeit den Anblick eines hei- ligen Orts bezeichnet. Pastor. Also nur Anstand ins Zimmer ge- bracht, nur heilige Haͤnde, und Sie koͤn- nen fuͤr ihre wuͤrdige Schwester beten, die Sie ein gutes Weib zu nennen be- liebten. — Herr v. G. Pastor! wenn ich ganz rein her- aus sagen soll; daß Euch das oͤffentliche Gebet kleidet, fließt aus dem frommen Vorurtheil, daß ihr in Gottes Dienst seyd. — Man glaubt, ihr sehet Gott den Herrn, wenn ihr die Augen verdreht, ihr sehet ihn, wie man sieht. — So lange wir aber Gott nicht sehen, wie man sieht, solten wir mehr als wuͤnschen? Pastor. Redt man im Eifer nicht mit sich selbst? Herr v. G. Mit sich selbst zwar — Pastor. Auch mit andern — so gar mit leb- losen Dingen. — Herr v. G. Im Eifer! oder in Redfiguren? Pastor. Auch in Entzuͤckung, in Verle- genheit. Christus verschließt daher das Gebet Gebet ins Kaͤmmerlein, weil uns da nie- mand hoͤrt. Die Idee ist sehr natuͤrlich, daß wenn uns kein Mensch hoͤret, Gott uns hoͤre. — Dein Vater, der ins Verborgene siehet, spricht Christus, wird sich oͤffentlich an dir offenbaren. Das Gebet bringt uns den Glauben, daß Gott sey, fast bis zum Schauen. Das Gebet ist der Spiegel, durch welchen wir im dunklen Ort Gott sehen! — Ihn se- hen! — Wenn aber kommt das Vollkom- mene, wird das Stuͤckwerk aufhoͤren. Wenn mein Gebet eintrift; ists mir so, als waͤr’ ich entzuͤckt bis zum unaussprechli- chen. — Es ist die Probe, daß mein Glaub’ an Gott richtig gerechnet, und die wahre Summe herausgebracht. Chri- stus, der Herr, kam unserer Schwach- heit zu Huͤlfe. Auch was ohn unser Ge- bet geschehen waͤre, wenn es auf unser Gebet geschieht, hilft unserer Schwach- heit auf. — Kurz, das Gebet setzt den Menschen mit Gott in Verbindung! — Wer erzaͤhlt nicht gern, was er gesehen und gehoͤrt hat, und was geschehen ist? Wie viel hoͤrt, sieht man, und laͤßt ge- schehen, blos um es erzaͤhlen zu koͤnnen! und und wer hat nicht wenigstens etwas, (mancher hat viel) so er vor seinem ver- trautesten Freunde, seinem Weibe, sei- nem Kinde, verbirgt? (Der Herr v. G. laͤchelte, ich aber dacht’ an das Land, wo man fruͤher als in Curland Spar- gel ißt, den Wein bey der Quelle hat, und lange Manschetten traͤgt, ich dacht’ an den Melchisedech und —) Mit sich selbst kan man nur kurz spre- chen. Das vor sich muß noch kuͤrzer im gemeinen Leben, als nach den Regeln auf dem Theater seyn. Eigentlich solt’ es nur in Schreys, in Aufwallungen, in Silben, bestehen — Herr v. G. Gott weiß alles, warum Zeit- verlust? Pastor. Ist es Zeitverlust, sich mit Gott bekannt machen, mit ihm umgehen, mit ihm reden? — Herr v. G. Ohne daß er antwortet? Pastor. O! Er antwortet! Laut schallt es in der Seele! laut — Herr v. G. Solch ein Hoͤrer hoͤrt aber, was tausend andre nicht hoͤren. Er ist mit dem Seher von einerley Art. Pastor. Pastor. Die Erfuͤllung unsers Gebets — Herr v. G. Die ohn unser Gebet gekommen waͤre. — Ich hab’ auf meinen Guͤtern einen alten Kerl, der, wenn er fuͤr seinen Fritzen betet, ihn dem lieben Gott auf ein Haar beschreibt. Segne meinen Sohn, den Friedrich Emanuel, Gold- schmidt in Mitau, nah bey der Kirche, oben im Stuͤbchen zur rechten Hand. — Freund, so ist all unser Gebet! Wir sa- gen dem lieben Gott, was er beßer weiß, wir sagen ihm alle, daß unser Sohn ein Goldschmidt in Mitau sey, daß er Friedrich Emanuel heiße, nah bey der Kirche oben im Stuͤbchen zur rechten Hand wohnhaft. Mein ehrlicher Franz machts beßer! Der kauft sich ein Gebet- buch, das er in seinen Kasten verschließt, und wenn er des Abends schlaͤfrig ist, klopft er dreymal an den Kasten, und sagt Amen! „ Wie das Franz ?„ ich denk, sagt’ er, es ist dem lieben Gott eins, wo er es heraus nimmt, ob aus dem Kaͤstchen, oder aus dem Herzen: wenn nur das Amen dabey ist. — Lieber Pa- stor. Gott bedarf unsers Gebets nicht. Pastor. Pastor. Aber wir beduͤrfen des Gebets, wir! Wir sollen alles mit Danksagung empfa- hen, wir sollen nicht vergeßen, daß alles von Gott komme! Herr v. G. Er ist der Herr Himmels und der Erden! Koͤnige wollen Bitte und Dank! Gott der Herr! — Pastor. Gebet und Dank von anderer Art! Unser Lallen, unser Verstummen ist ihm mehr, als ein studirtes Geplerr! Solch Gebet und Dank, als wir Gott widmen, verstehen Koͤnig’ und Fuͤrsten nicht. — Es ist mir unausstehlich, wenn meine Amtsbruͤder sich pharisaͤisch ein langes Ge- bet concipiren, und es sich zehn und mehr- mal in ihrer Studierstube vorsumsen, als ob der liebe Gott in ihrer Studierstube nicht waͤre? und als ob sie ihn blos in der Kirch’ auf einen Panegyrikus ein- geladen haͤtten? Christus, der uns eine Vollmacht zu beten gab, und es uns in seinem Namen zu thun nachließ, will, daß wir als Kinder zum Vater treten. — Hier liegt die ganze Lehre vom Gebet. — Hochtrabende Gebete mit allen goͤttlichen Titeln! Studirte Gebete! wie sehr die- ser Idee entgegen? — Der Mann be- tet tet auf der Kanzel so vortreflich, heißt mit andern Worten: der Mann ist ein falscher Spieler! Herr v. G. Ists aber nicht kindlicher, sich in Gottes Willen ergeben und ihm alles anheim stellen? Pastor. Das ist Gebet. Das Vater unser ist bis auf die bescheidene Bitte: Brod auf heute , Ergebung in den goͤttlichen Willen. — Es ist ein heidnischer, allein ein uͤberdachter großer Vorschlag „wenn ein anderer betet, daß er seinen Sohn nicht verlieren moͤge; so bitte du, daß du dich nicht weigern oder fuͤrchten moͤgest, ihn zu verlieren —„ Der Christ braucht dies nicht von Heiden zu lernen. Sein Herr und Meister lehrt es ihm. Wer so stark ist, daß er nicht Worte braucht, bete mit der Seele, Geist zu Geist! Schwer- lich wird jemand, der von Jugend auf sagen gelernt: Abba, mein Vater! sich ohne Worte behelfen. — Ein Wort, ein Wort, sagt man, ein Mann, ein Mann; allein Lebens und Sterbens we- gen schreibt mans doch auf. — Was dies Schriftliche beym Menschen ist, das ist das Gebet bey Gott, es geschehe, wie die die Theologen sagen, mit dem Herzen allein, oder mit Herz, mit Hand und Mund! Herr v. G. Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, muͤßen es in Geist und in Wahrheit. Pastor. Luther sagt von der Taufe: Wasser thuts freilich nicht. — Worte thun es auch beym Gebet freylich nicht. Das Gebet selbst, was ists ohne Handlungen? ohne gute Gesinnungen? Gehe hin, und versoͤhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und bete, empfinde das in- nere Bewustseyn dieser guten That, und dieses Bewustseyn opfre Gott dafuͤr! dank ihm! Warum solten wir aber auch von einer so theuren Gab’, als die Sprach’ ist, Gott nicht die Erstling’ opfern? Es giebt ein gewisses herzliches kindliches Denken, das durchaus in Worte ausbricht. — Wir sind und bleiben Menschen! Das weiß der liebe Gott, der Engel kennt und Menschen kennt. — Er erlaubt uns gern, ein Woͤrt- chen mitzureden, wenn sich unser Geist zu seinem Schoͤpfer, dem Geist der Geister, emporschwingt. — Ich hab’ einen Stum- Zweiter Th. K men men gekannt, der alle Morgen und all Abend an den lieben Gott schrieb. — Herr v. G. Pastor! da wolt’ ich drauf wet- ten, das hat der liebe Gott recht gern gesehen — Pastor. Weil eine kindlich’ Einfalt drinn ist. Herr v. G. Jeder wird seines Glaubens le- ben! — — Vielleicht solten wir nichts mehr, als das Vater unser beten, wenig- stens ist es das allervollkommenste Gebet, wie ihr Herren selbst sagt. Warum solt ich etwas, das weniger vollkommen ist, vorziehen? Pastor. Das nicht! wer kann aber das Va- ter unser so oft beten und mit Andacht? — So wie man Linien mit Bleyfeder zieht, damit die Kinder gerad schreiben, so Chri- stus mit dem Vater unser. Ich spar’ das Vater unser, bin darauf geizig, und thue mir ordentlich damit was zu gut. — Alle Kubache haben mehr Schaden als Nutzen gestiftet. Der gemeine Mann wird durchs Gebet aus dem Herzen klug, er lernt sich fassen, und wenn wir Volksgebete samm- len koͤnnten, Herzensgebete guter Men- schen, ich sage, wenn wirs koͤnnten — wie vortreflich wuͤrde diese lautere Milch schme- schmecken, wie wohl uns bekommen! — Ein solch naifes Buch waͤr noch nicht in der Welt. — Es koͤnnte nur blos vom Himmel fallen, — um menschlich zu re- den. Gott muͤßt es aus seinem himmli- schen Archiv herausgeben. Es waͤre das beste Lehrbuch fuͤr Priester und Leviten, die vor Gelehrsamkeit nicht zu Gott kom- men koͤnnen. — In Wahrheit, man kann von den meisten Gelehrten sagen, daß vor Rauch nicht Feur zu sehen ist! Meine Wuͤnsche werden indessen Wuͤnsche bleiben, weil Herzensgebete durchaus ins Kaͤmmerlein zu Hause gehoͤren. — Es fielen außer diesem piissimo desiderio noch mancherley pia desideria vor. Es ward stuͤck- weise von Bitte, Gebet, Fuͤrbitte und Dank- sagung gehandelt — wovon ich aber vor jetzt nachzuhandeln bedenklich finde. — An den geneigten Leser, und an den ungeneigten Kunstrichter . D ies Gespraͤch ist uͤber Pausch und Bo- gen, wie mir alles war, was bey meiner K 2 An- Ankunft in — — dem Hause des Herrn v. G. vorfiel. Mein Vater betete weniger, als er vom Gebet sprach, und es gefiel mir seine Anmer- kung, die er zu einer Zeit machte, daß vom Gebet reden, auf gewisse Weise beten heis- sen koͤnne. — Wenn diese Anmerkung rich- tig ist; so wird man fast behaupten koͤnnen, es waͤr’ ohn Unterlaß in dieser Geschichte ge- betet worden. — Dieses Gespraͤch haͤtt’, ich gesteh es, uͤberschlagen werden koͤnnen, ich wolt’ indessen ehrlich bey dieser Sache ver- fahren, und so, wie in der ganzen Schrift verfahren ist. Des ungeneigten Kunstrichters wegen (der geneigte Leser wird es so genau nicht nehmen) muß ich anfuͤhren, daß dieses alles und jedes nach der Tafel an dem Tage vorgefallen, da wir nach — zum Herrn v. G. kamen, und zwischen Herrn v. G. und meinem Vater eine Koppelweide bruͤderlich verabredet ward, und da dieser Vergleich mit einem aͤchten Glase Wein aus einem Schauer begossen ward, und wo ich, quod bene no- tandum, alles uͤber Pausch und Bogen sah und hoͤrte; wovon der Schluß dieses Ge- spraͤchs einen hinreichenden Beweis zu geben im Stand’ ist. Dies Dies ist also das Datum zum Gebetsgespraͤch, zur Frage wohin? Zur Antwort: Koͤnigsberg vor der Hand, — der Pietisterey des Codicis Fridericiani und der Instruktion unerachtet, Koͤnigsberg vor der Hand. Goͤttingen nach der Hand. Dies nach der Hand aber, sag’ ich meinen Lesern ins Ohr, wie ich es mit mancher Nach- richt aus gutem Herzen gemacht habe. Herr v. G. wolte nicht, daß wir den an- dern Tag zeitig unsre Reis’ antreten solten. — Große Reisen, sagt’ er, immer nach Mittage. Tagereisen fangen des Morgens an. Er war sehr kurz in den Ermahnungen an seinen Herrn Sohn. — Er rieth ihm nach Anleitung meines Va- ters an, lebendige Thiere zu halten. Sein theurer Herr Sohn hatte schon, wegen des Satans, den er gern mitgenommen haͤtte, eine abschlaͤgige Antwort erhalten, und war also seine etwas stoͤrrische Frage sehr natuͤrlich: Was fuͤr Thiere? Der junge Herr v. G. hielt den Hund fuͤr ein K 3 Com- Compendium aller nuͤtzlichen Thiere, fuͤr ein lebendiges Thier κατ̕ εξοχὴν. Noch eine andere Bemerkung, eh’ ich die Antwort auf die stoͤrrische Frage: was fuͤr Thiere? mittheile: es hatte der gute Herr v. G. der aͤltere viele Huͤner. Aus seinem geschmackreich gebauten Huͤnerhaͤuslein, und der Weise des Herrn v. G., sie selbst zu fuͤt- tern, haͤtte man schluͤßen sollen, daß er das alte Wahrsagerprincipium angenommen, und daß er aus der Begierde, womit die Huͤner fraßen, so, daß die Koͤrner auf dem Boden herum tanzten, Gluͤck oder Ungluͤck sagen koͤnnte. — Huͤner, antwortete der Herr v. G. sei- nem Sohne. Alles was Othem und Leben hat, zieht an, fieng ich an. Die Sympa- thie hat im Othem ihren Hauptsitz. — Im Othem ist Leben und Tod. — Der Herr v. G. der aͤltere loͤsete mich ab, und wandte sich zu seinem Sohne. Du wirst bey deinen Huͤnern bleiben, wenn du dir Huͤner anschaffest und meinen Rath befolgst, du wirst mancher Gesellschaft eine abschlaͤgige Antwort geben. Der Satan haͤtte dich zur Jagd verfuͤhrt, ob er gleich auch auch Othem hat, und mit dir sympathisirt, — auf der Akademie keine Jagdhunde! — In Pohlen halten sich einige Familien ein Paar, um die Teller zur zweyten, dritten und vierten Schuͤssel stehendes Fußes rein lecken zu lassen. — Das wirst du nicht noͤthig ha- ben. Die Reinlichkeit hat man uͤberall um- sonst. — Hast du Huͤner und Tauben, fuhr er fort, und hat der Wirth ein Gaͤrtchen beym Hause, verdople die Miethe. — Jeder Mensch muß einen Zeitpunkt in seinem Leben haben, wo er zu Hause bleibt. Laß dir den Vorfall mit deiner Braut, der lieben Kleinen, zur Lehre dienen, — und thue der Jagd einen Possen, und schieß’ und hetz’ in drey Jahren nicht. — Conversation ist dem Studieren und selbst der Lektuͤr spinnefeind. — Vergeßt nicht, (sein Blick traf uns beyde) daß ihr aus einem freyen Lande seyd. — Die Monarchie hat viel verfuͤhrerisches; allein Sie versaͤuret das Herz, sie nimmt Seel’ und Gewissen in Beschlag. — Ein Monarch! Ja, was so ein Herr nicht alles thut! Wunder uͤber Wunder! — Es ist aber auch darnach. — Das leichteste Stuͤckchen Brod ist es, das Gott giebt. Sie saͤen nicht, sie erndten nicht, K 4 wie wie die Lilien auf dem Felde, und Gott naͤhret sie doch. — Der Pastor, ihr Vater, (Herr v. G. der aͤltere wandte sich zu mir) der mich ehegestern beten gelehrt, wird mich nie, nie dahin bringen, in dieser Ruͤcksicht etwas an- ders zu beten, als daß Gott der Herr Cur- land wo moͤglich noch unabhaͤngiger mach’, als es jetzt Gott sey Lob und Preis schon ist! — Je unabhaͤngiger, je mehr Gott aͤhnlicher. Ich hab’ einen Franzosen gekannt, der von Curland sagte, das elendeste Land, das ich kenne! Man kann im Sommer nicht seinen Winterrock versetzen. Das Wetter wechselt wunderlich. — Du guter Schlucker! Ich will dir dein Land und deinen allerchrist- lichen Koͤnig lassen. — Gott ehr mir mein schlecht und rechtes Haus, wo manche prie- sterliche Schwalbe nistet. — Du solst so viel Freyheit haben, wie ich gutes Ding Wohl- ehrwuͤrdiger Vogel! Seht nur Kinder! wie die mich da eben ansieht! ich kann den Schwalben nichts nachsagen, und außer dem Umstande, daß sie den Todtengraͤber Tobias blind gemacht, — weiß ich nichts boͤses von ihnen! Preußen hat einen gebohrnen Koͤnig, den man nicht X vor U machen kann, der koͤnig- koͤnigliche Gaben hat; allein roth, blau und gruͤn, machen schwarz, kohlschwarz. — Gern haͤtt’ ich den Herrn v. G. gebeten, mir dieses Raͤthsel zu loͤsen; allein er hielt inne. Nach einer Weile fuhr er fort: der Staat, dem ihr zueilt, hat — ich gesteh es, einen Philosophen und einen Koͤnig zum Beherrscher. Er hoͤrt jeden, er sieht jeden, er hilft so weit seine lange Koͤnigshand es kann. — Jeden! und es ist mir ordent- lich bange, daß er euch die Monarchie in ei- nem zu vortheilhaften Lichte zeigen werde. — Pruͤfet alles, und das Gute behaltet. Eine Schwalbe macht keinen Sommer! Die Monarchen solten nur angeloben zu hoͤren, physisch zu hoͤren; allein thun sie es? Sie meßen ihre Superioritaͤt nicht mit ih- ren allerunterthaͤnigsten treugehorsamsten Knechten, sondern mit andern Monarchen, und da mag der Teufel Unterthan seyn. Sie haben keinem Rechenschaft zu geben, als dem lieben Gott in der andern Welt, und den Poeten und Geschichtschreibern in dieser. — Die letzten haben nicht aufs Recht geschwo- ren, und nehmen Geschenk’ an, und mit dem lieben Gott hats Zeit genug, daß sie K 5 Ihm Ihm im Titel den Rang laßen! Kommt Zeit kommt Rath. — Der Herr v. G. der aͤltere hielte diese Anrede mit einer unaussprechlichen Waͤrme, Er schien im Ernst zu fuͤrchten, wir wuͤrden uns in Preußen werben laßen, und Koͤnig- sche werden. — Noch muß ich bemerken, daß er sich waͤhrend der Zeit, da er Curland prieß, aufs gruͤne Gras geworfen hatte, als wenn er der freyen Erde seinen Dank ablegen und sie umarmen, umfaßen wolte. — Es schien, da er geendiget hatte, als besorg’ er, nicht aufstehen zu koͤnnen. Dies bewog den alten Herrn, ihm un- ter den Arm zu greifen; allein Herr Herr- mann kam beym Herrn v. G. jederzeit zu kurz, er mocht’ es anlegen, wie ers wolte. Es riß Herr v. G. den allzeit dienstfertigen Herrmann auf Gottes Erdboden. Da lag mein Schwiegervater so lang er war. Herr v. G. stand auf, so frisch als ein Juͤngling von funfzehn Jahren. — Es war bey die- sem Niederriß nicht Gewaltthaͤtigkeit, son- dern nur Staͤrke. — Es war schoͤn anzu- sehn! — — Den Den Abschied durchaus im Freyen! Er verfliegt eher, sagte Herr v. G. Es ward auch im Freyen Abschied genommen. Wolte Gott, fuhr Herr v. G. fort, wir koͤnnten auch so den letzten Abschied nehmen, und im Frey- en sterben, und warum solten wir es nicht? Wo ist uns am meisten Gutes geschehen? Der Geist sucht das Freye, und wird dort nicht wohnen in einem Hause mit Men- schen Haͤnden gemacht. Der Tod wuͤrde nur halb so schwer seyn. Wahrlich der Mensch entzieht sich zu sehr der Luft, und zieht eben dadurch Leib und Seel eine Art von Stockung zu. Ward unser Geist denn nicht, wenn er das Freye sucht, schon ent- zuͤckt, obgleich ihn der Leib wie ein Bleyge- wicht zur Erde zog! — Die Frau v. G. hatte noch viel auf ih- rem Herzen; indeßen empfahl sie ihrem Soh- ne das Alter zu ehren, und es macht ihr viele Muͤhe, die Sache endlich zu drehen, wohin sie sie wolte. Sie sagte, daß sie fuͤr einen alten Baum, fuͤr einen alten Mann, (an eine alte Frau dachte sie nicht,) und fuͤr eine alte Familie große Hochachtung haͤtte. — Also Also auch fuͤr eine alte Familie : Ein neuer Edelmann, setzte sie, um es noch ein- druͤcklicher zu machen, hinzu, ist ein Baum, der noch nicht die Blattern gehabt, der noch nicht oculirt ist. — Weiter lies sie ihr Ge- mahl nicht, das paßt, sagt’ er, wie die Faust aufs Auge, und in Wahrheit, du weißt nicht, wer Koch oder Kellner ist. — Von der Frau v. W. wieder einen Blick — von ihrer liebenswuͤrdigen Tochter ein Laͤcheln. Leben Sie wohl und gluͤcklich, sagte die Frau v. W., — und gluͤcklich! hall’te die liebe Kleine nach. — Die Worte fielen auf den jungen Herrn v. G.; allein das Aug’ auf mich. — Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken kam, daß mein Reisegefehrt’ seiner kleinen Braut einen Kuß geben solte. Ihrem Ret- ter auch einen, sagte Herr v. G., und die Frau v. W. als wenn sie darauf gewartet haͤtte, freylich kleine Undankbare, das soltest du von selbst thun — ich nahm mich sehr un- geschickt dabey. Die arme Kleine ward roth uͤber roth — und da ich mich zum letzten- mal gegen sie beugte, trat ihr eine Thraͤn’ in ihr blaues schoͤnes Auge, welches so durch- schimmerte, wie ein Veilchen durch ein Thau- troͤpf- troͤpfchen. — Gott segne die gute Frau v. W. und ihre Tochter, dacht’ ich, und den Herrn v. G., der mir zum Kuß verhalf, und zu der schoͤnen Thraͤne! — Jetzt war die Reih’ an den Herrn v. W. und den Herrn Herrmann. Ich hatte schon eini- gemal mich an den Herrn v. W. gewendet; al- lein er hatt’ es sehr hoͤflich verbeten, weil es — wie er sich auszudruͤcken gefaͤlligst beliebte — noch nicht an ihn waͤre. Er umarmte meinen Reisegefehrten und that mir, wie wohl mit steifen Arm, eine gleiche Ehr’ an. — Hiebey macht’ er, (weil es eine Abschiedsumarmung war,) ein grißgraͤmisches Gesicht. — Bey meiner Umarmung weniger, Bey des jungen Herrn v. G. mehr. Der Herr v. G. der aͤltere sagte, Herr Bruder, du siehst ja aus, als ob du vom verbotenen Baum gegeßen haͤttest! — Laß mich, sagt’ er, und that so peinlich, als verloͤr’ er ein Glied vom Finger. — Es ist, fieng er an: Es ist — er unterbrach sich wieder mit einem tiefen Seufzer. — — Es ist mein Herr Schwiegersohn, brach er endlich heraus, und die heißesten Wuͤn- sche, daß der große Gott ihn auf seinen Rei- sen sen begleiten, seine Studien zu seiner Ehre und des Vaterlandes Nutzen segnen, und ihn zu seiner Zeit in die Arme seiner kleinen Braut gesund zuruͤckbringen wolle! — Das, das ist ein Theil, der kleinste, von der Em- pfindung. — Zieh ein Paar weiße Handschu auf, sagte Herr v. G., solch’ eine Rede verdient es, deine Briefe sind all’ auf Postpapier mit verguldetem Schnitt und — Dieser Eingrif war sehr erwuͤnscht, um den Herrn v. W., der viel zu leiden schien, zurecht zu bringen. Ich bin ein Diener der deutschen Sprache, sagt’ er, Herr Bruder! allein ein gewißes je ne sais quoi such’ ich in Gedanken, Geberden, Worten und Wer- ken. — Das ist auf deutsch, du suchst nichts, rein nichts, erwiederte der brave Herr v. G. — Mir konnte Herr v. W. nichts mehr sa- gen, als Dank! und tausend Dank! — Sein Compliment war noch nicht ausgeknetet. Du hast mich gestoͤrt, sagt’ er zum Herrn v. G., wie ehegestern die Waldhoͤr- ner. — Das wundert mich, fiel ihm Hert v. G. ein, du faͤhrst ja sonst immer mit fuͤnf Raͤdern, Raͤdern, auf allen Fall, eins aufgebunden — du haͤttest ja das fuͤnfte abbinden koͤnnen. — Der alte Herr drengte sich vor, um mich vor aller Augen zu kuͤßen. Ich that es, die- ser Schwachheit unerachtet doch, und — das ganz ehrlich, ich entzog ihm nichts. — Gruͤßen Sie, sagt’ ich ihm — ich werd, erwiedert’ er. Ich. tausendmal — Er. tausendmal — Dieser Gruß gehoͤrte nicht Vater, nicht Mutter, sondern blos Minen, blos ihr, alle tausend ihr, all ihr. — Mir kam es vor, daß der alte Herr es fuͤhlte, wen es galt, und fuͤr dieses Gefuͤhl druͤckt’ ich ihm die Hand, und er schien uͤberaus mit mir zufrie- den zu seyn, ich sagt’ ihm noch ganz leise, tausendmal, tausendmal! — Herr v. G. sah mich an, und sein Blick wolt’ in Beziehung auf meinen herzlichen Ab- schied vom alten Herrn sagen: junger Mensch, dir fehlt Erfahrung ! Man siehts; sonst wuͤr- dest du den Herrmann so nicht herzen und kuͤssen, den ich nur eben koͤrperlich zur Erde riß, mit seiner Seele mach’ ichs all’ Augen- blick so, — der gute Herr v. G. irrte dies- mal mal mit dieser Gebehrde. — Zwar hatt’ er, wie meine Leser so gut wissen als ich, einen naturfindenden umfassenden Blick, daß er aus diesem Abschiede haͤtte wissen koͤnnen und sollen, Herrmann hab’ eine Tochter, deren Freund, deren Seelenmann ich sey — allein diesmal fand er nicht den rechten Weg. — Die Frau v. G. konnte sich nicht des La- chens erwehren, da sie meinen Feldkessel, den mir mein Vater mitgeben lassen, und den meine Mutter nicht zu kennen die Ehre hatte, (sonst waͤr’ er gewis nicht mitgekommen,) aufbinden sahe. — Der junge Herr v. G. hatt’ alles nach Jagdmanier, als ob er auf eine weite Jagd sich begeben solte, obgleich der Herr v. G. der aͤltere den Satan seinem Sohn abgeschlagen und ihn versichert hatte, „daß jeder Mensch einen Zeitpunkt in sei- „nem Leben haben muͤßte, wo er zu „Hause bleibt.“ obgleich er ihm die Jagd wohlmeynend wie- derrathen, und ihm Huͤner empfohlen, um nach der Meynung meines Vaters etwas, was Othem hat, um und neben sich zu haben. Obgleich — so war doch der Sohn wie Jaͤger ausstaffirt! — Der Der gute Herr v. G. der aͤltere that dies in seiner Unschuld! Seht da einen Original- zug von Curland, dem Herr v. G. der aͤltere nicht ausweichen wolt’ und konnte. — Die gruͤne Farb’ ist Trumph. Herr v. W. schlug eine Begleitung aus Hoͤflichkeit vor; allein Herr v. G. verbat sie nachdruͤcklich. — Es blieb alles so lange ste- hen, als es uns sehen konnte, und da wolt’ ich wetten, Herr v. W. noch ein wenig laͤn- ger. — Sobald wir ihrem Nachblick entfahren waren, kuͤßte mich mein Reisegefehrt von freyen Stuͤcken herzlich. — Wir wollen uns einander alles seyn — Vater und Mutter, sagt’ er — ich seufzete, denn ich dacht’ an Minchen. — Wir langten in der Haupt und Residenz- stadt Mitau an, um hier mit einem Koͤnigs- bergschen Fuhrmann, (man nennt derglei- chen Leute Rigasche Fuhrleute,) die Fahrt bis Koͤnigsberg zu verabreden. — Ich fand in dem Fuhrmann und seinem Untergebenen ein Paar so gesunde und starke Menschen, daß ich wohl einsahe, wie man auch im mo- narchischen Staat, der Ermahnung des Herrn v. G. auf dem curschen Gras’ unerachtet, Zweiter Th. L seinen seinen stattlichen Schritt haben, gerade aus- sehen und sich wohl befinden koͤnne. — Ich konnte nicht aufhoͤren, diese Menschen zu fragen und sie anzusehen, so daß ich die Haupt- und Residenzstadt Mitau daruͤber vergaß, die am Ende auch nur zur Johanniszeit unter die sichtbaren gehoͤrt und gewis unter den sichtbaren nicht die vornehmst’ ist. Um Jo- hann ist eine allgemeine Wallfahrth nach Mi- tau; dann laͤßt der Edelmann in Begleitung eines Theils Bauren die Eßwaaren, und so gar Meubles, an diesen Johannisort nach- bringen. Dem Vorreuter ist auf dem linken Arm ein Silberblech aufgeneht, worauf das hochadliche Wapen steht, um — Mitau Ehre zu machen. — Ich hatte mir, die Wahrheit zu sagen, einen zu großen Begrif von Mitau gemacht, woran meine Mutter zum groͤßten Theil Schuld war. Dies bitt’ ich zu den preußi- schen Leuten hinzuzurechnen, um das unbe- traͤchtliche Interesse herauszubringen, das ich an Mitau nahm. — Das vom Herzoge Ernst Johann angelegte Schloß, wozu 1738 den vierzehnten Junius der Grundstein gelegt worden, und welches in die Stelle des alten seit 1269 gestandenen verwuͤsteten errichtet wor- worden, stand da zum glaͤnzenden Beweise, daß Plan und Ausfuͤhrung, Verlobung und Hochzeit, zweyerley sind. Diese Betrach- tungen fuͤhrten mich zu Minen, und was fuͤhrte mich nicht alles zu ihr? Meine Mutter wuͤrd’ es mir sehr ver- dacht haben, daß das anschauende Erkennt- niß meinen Begrif von Mitau so sehr herab- gestimmet. Wohnet denn, wuͤrd’ ohn’ In- tegralrechnung ihre Bemerkung gewesen seyn, wohnet denn nicht der Herr Superinten- dent hier? Mein Reisegefehrt war im Mittelpunkt’ und konnte nicht aufhoͤren zu sehen. Mie- tau schien ihm terrarum Dea gentiumque Roma, cui par est nihil \& nihil secundum. Die Hauptstadt der Welt! — obgleich es nicht Johann war. Die Residenz ist fuͤr jeden Edelmann das Treibhaus im kalten Cli- ma. So wie’s Arzeneyen giebt, die nur durch das heilige himmlische Feuer der Son- ne gekocht, gebleicht und getrocknet werden koͤnnen; so ist auch die Residenz die Insola- tion in Absicht des Edelmannes. Mein Rei- segefehrt empfand alle Nepos wollas, die er L 2 in in seinem Leben geben wuͤrde: und Adam haͤtte nicht auf die Schwangerschaft von al- len Seelen, die in ihm lagen, so stolz seyn koͤnnen, wenn man ihre Fortpflanzung per traducem sich traͤumet, wie Herr v. G. auf alle Nepos wollas, als die Insignien eines Edelmannes in Pohlen und Curland. Was ist denn, fieng ich an, in Mitau? Man muß es in Johann sehen, erwiedert’ er! Denn ists illuminirt, erwiedert’ ich, und wenn die Lichter ausgebrannt sind, was ist’s denn? Kennst du ein Johannswuͤrmchen, fragt’ ich zur Wiedervergeltung? ich will es dir praͤsentiren. Es ist ein Wuͤrmchen gruͤnlicht auf dem Bauch. — Hier hat es auch ein kleines Blaͤschen, welches einen gruͤnlichen hellen Glanz wirft, so bald dies Blaͤschen sich einzieht — weg ist ihr Glanz. Die Existenz dieses Wuͤrmchens waͤhret nur einige Sommernaͤchte. — Mein Reisege- fehrt’ lachte — ich mochte nun denken, daß der Superintendent in Mitau sey oder nicht; so war es mir doch so, als ob ich nicht in Curland, sondern da zu Hause gehoͤre, wo man fruͤher Spargel ißt, eine Pfeife in der freyen Luft raucht, den Wein bey der Quelle hat, und lange Manschetten traͤgt. Kein Wun- Wunder also, daß Mitau nicht meine Re- sidenz war. In Curland gehoͤrt ich in un- serm Pastorat und auf dem Gute des Herrn v. G. zu Hause. Ueberhaupt schei- nen die Curlaͤnder zu keiner Stadt Lust und Liebe zu haben. Sie gehoͤren aufs Land, wo sie auch Geschmack anzubringen wißen. — Sie sind gestiefelt und gesporet, und es laͤßt keinem Curlaͤnder, wenn gleich er sich in Un- kosten setzt, und Schu und Struͤmpf’ an- legt. Sie sind gebohrne Cavalleristen. Wenn sie geputzt sind, muß es ihr Pferd auch seyn. Ich hab’ allerliebste Reit- und Jagdkleider in Curland gesehen, die Mitgabe meines Reisegefehrten kann hier zum Belag dienen, unerachtet sein Herr Vater durch- aus keinen Jaͤger auf der Universitaͤt haben wolte, seinem Sohn den Satan abschlug, und unter lebendigen Thieren die Huͤner in Vorschlag brachte. — Unsere Preußen verzoͤgerten uns beynahe zwey Tage, ehe wir endlich die cursche Re- sidenz verließen. Das herzogliche Schloß hat so wenig Verhaͤltniß zu dem uͤbrigen Theil der Stadt, als das mitausche Pflaster zur Regelmaͤßigkeit und Ordnung. In Wahrheit, wenn man die Nation beschrei- L 3 ben ben wolte, muͤßte man Mitau beschreiben. Ich fiel auf den Gedanken, indem ich dies niederschrieb, ob nicht jede Residenz das Land im verjuͤngten Maasstabe sey, allein ich habe mich geirrt; es giebt so viel Ausnahmen, so viel ungerathene Soͤhne bey dieser Regel, daß die Regel selbst den Mutternamen Regel nicht verdient. — Unter dem Alltaͤglichen, was auf der Reise vorkommt, fielen mir die armen Menschen auf, die an Hecken sitzen, und sie den Reisenden oͤfnen. In Wahr- heit, dacht’ ich, das koͤnnen nicht alles Leute von niedriger Geburt seyn. Ich sah’ einen alten Mann in einem dergleichen Diogenes- haͤuschen am Heck, der einen so vortrefli- chen Kopf hatte. — Das war wenigstens ein Litteratus! und wo anders sah ich ein armes krankes Weib, die in der groͤßten Be- hendigkeit aus ihrer Behausung kam, und Hand ans Werk legen wolte; allein kraͤm- pfigte Zufaͤlle laͤhmten ihr stehendes Fußes die Hand. — Es war ruͤhrend anzusehn. Die Preußen wolten ihr keinen Schilling ge- ben, weil sie ein altes Weib war, und der Kraͤmpfe wegen das Heck nicht oͤfnen konn- te; ich entschaͤdigte sie zwar, allein ich mußte die Entschaͤdigung auf Gottes Acker, auf die Erde, Erde, werfen. — Nicht Geld konnte sie halten. Dafuͤr ward ich im Wagen aus- gelacht — und wer weiß, was noch der Kritikus thut? — In Wahrheit, wenn sich jemand finden solte, die Lebenslaͤufe aller dieser Ungluͤck- lichen in Diogeneshaͤuschen zu schreiben, auf einer Reise, die freylich nicht durch die Welt seyn duͤrfte, wie ohnedem noch niemand gereiset ist; gewiß er waͤr’ ein vortreflicher Schriftsteller, und wuͤrde gelesen werden, bis an den lieben juͤngsten Tag. — Ich hatte, um mir eine Bewegung zu machen, den Wagen verlaßen, und hiezu kam noch dankbare Empfindung gegen mein freyes Vaterland, die ich unmoͤglich sitzend aushalten konnte. Ich sahe die Graͤnzschei- dung, und da ich eben einen gruͤnen Platz fand, beredet’ ich meinen Gefehrten, Cur- land zu umarmen. Wir legten uns hin, so lang wir waren. — Der Wagen fuhr langsam weiter, so unvermerkt, wie aus ei- ner Monarchie Despotismus wird, wenn sie es nicht schon an sich ist, woruͤber die Gelehr- ten noch uneins sind. — Lebe denn wohl! herzlich geliebtes Va- terland! Ich danke dem Himmel, daß dein L 4 freyer freyer Boden das erste war, was mein Fuß betrat. Das fuͤhl’ ich noch! noch! daß er frey war, und ich wuͤnschte, meine Leser moͤchten es auch, wo nicht uͤberall, so doch wenigstens an einigen Stellen gefuͤhlt haben! Natur und freyer Staat sind Geschwisterkind, und vertragen sich wie Kinder! — Etwas reine klare Natur muß bey jedem Werk der Kunst seyn, und dies etwas eignet sich See- lenwuͤrde zu, es ist Seele, es ist goͤttlicher Hauch, lebendiger Othem in die Nase. Die Kunst, die Verschoͤnerung, ist Leib. — Man kann in Wahrheit auch die Menschensee- le durch den Menschenkoͤrper verschoͤnern. — Nur leider heut zu Tage wird der Koͤrper nicht verschoͤnert, sondern geschwaͤcht. Ich leugn’ es nicht, daß dadurch, daß der auswendige Mensch gelitten, der inwendige Mensch zum Theil zugenommen, wir haben mehr Seele und weniger Koͤrper bekommen; es fraͤgt sich aber, ob wir gewonnen oder verloren ha- ben? Wir haben aufgehoͤrt zu genießen, und haben angefangen zu denken! Wer lacht, macht zu lachen: wer weint, macht zu weinen. Denn es giebt kein ge- faͤhrlicheres Thier, den Affen selbst nicht ausgenommen, als den Menschen, allein wer wer darstellt, wer handelt, und handeln laͤßt, bereitet ein Lachen von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und von allen Kraͤften, und auch solch ein Weinen. — Wer im ge- meinen Leben keinen Blick hervorlacht, son- dern nur durch sein Handeln mit Fleiß zum Lachen Gelegenheit giebt, ist komisch im ho- hen Grade! Und in Wahrheit, ein verstohl- nes Ach gilt mehr, wenn man darauf vor- bereitet ist, das ist, wenn man leiden gese- hen, und es nicht blos gehoͤret, als eine Suͤndfluth von Thraͤnen. Pruͤft nach die- sen Angaben die Dichter alter und neuer Zeit. Ich fuͤr mein Theil wolte hier nur sagen, so wie Darsteller vom Selbstlacher und Selbst- weiner unterschieden ist; so wie Werk vom Wort, so monarchischer Staat vom Freyen . Wer es faßen kann, der faß’ es. — Ich merk’ es, daß ich meinem gruͤnen Platz entlaufen bin! und will mich gleich wieder, so lang ich bin, hinstrecken, um mein Vaterland zu Ende zu segnen. — Der Mensch ist zum Scheiden geboren. Ster- ben lernen und philosophiren, ist von je her fuͤr einerley gehalten worden; denn in Wahr- heit, diese Welt ist entweder ein Vorberei- L 5 tungs- tungsort, oder wir sind die elendesten unter allen Geschoͤpfen! Drum nehm ich so gern Abschied auf die Art, wie vom Vaterlande, wenn ich schon weg bin. — Ich empfand warlich mehr, als ich sagen kann, und was noch mehr, als sagen ist: schreiben kann. — Noch wo ich gruͤn sehe, kommt mir vor, als saͤh’ ich Freyheit. Seht! was ich die- sem Scheidewaͤndchen zwischen Curland und Preußen, und dem gruͤnen Fleck, auf dem Herr v. G. der aͤltere uns belehrte, daß wir Curlaͤnder waͤren, zu verdanken habe! — ich wuͤnsch’ allen Koͤnigschen, wes Standes und Geburt sie seyn moͤgen, sonder Arglist und Gefehrde, etwas Gruͤnes, damit sie wenigstens einiger- maaßen wißen, was Freyheit sey? Monar- chischer Staat ist wie eine Lanze, oben klingt es, unten ist Holz, wie ein Kegelspiel, das die Kugel nicht trift. — Was Se. Ma- jestaͤt nicht allerhoͤchst eigenhaͤndig faͤllt, das thun die fallende Kegel, einer wirft den an- dern mit. — So wie gesteiftes und unge- steiftes Kleid, so Monarchie und freyer Staat. Hier stammen wir in gerader Linie von der Mutter Natur ab; dort hoͤchstens von der Seitenlinie. Im monarchischen Staat Staat waͤchst, was noch in die Hoͤhe schießt, wie eine Bohne an der Stange. Im freyen Staate, sagt man, sind die Menschen wild, das heißt mit andern Worten: im monar- chischen Staat sind die Menschen, Menschen. Warum denn alles nach der Regel de tri? Ein Koͤnigscher, ein Unterthan, ist ein zah- mes Thier, das aus der Hand frißt, und nicht weis, was es erst thun soll, ob fres- sen? oder die Hand kuͤßen? Er sitzt bestaͤn- dig auf den Tod, und wartet nur auf den Appetit seines allergnaͤdigsten. Ruft nicht Pensionairs! Im freyen Staat ist wenigstens eben so viel Sclaverey, als Freyheit. Dies hat mir Herr v. G. beßer gelehrt, der mei- nes Wißens keine Pension zog. Wo Wai- zen waͤchst, waͤchst Unkraut, und je beßer der Boden, je beßer schießt beydes hervor. — Die ganze Natur ist fuͤr und wider sich, alles kreutzt sich in der Welt, Voͤgel und Aeste. Was sich neckt, das liebt sich. — Seht da wieder Natur im freyen Staat, Homersche, Schakespaͤrsche Natur! Das Lobopfer, das ihr der Monarchie bringt, ihr Profeßores Poeseos! was ists? Erbau- liche Gedanken neben einer Hecke, die eben gekoͤpft ist, auf die Melodie: Nun sich der Tag Tag geendet hat, und keine Sonn mehr scheint. Lebe wohl, herzlich geliebtes Vaterland! Du hast mich gelehrt, die Freyheit schaͤtzen, obgleich du selbst bey weitem noch nicht frey bist, sondern dich zu Pohlen verhaͤlst, wie ein Aufschlag zum Kleide . — Frevelhafte Beschuldigung ist es, daß man in deinem Schoos wie eine Flinte sey, die nicht mehr, nicht weniger knallt, es fall’ ein Sperling oder ein Mensch, nach Gottes Bilde ge- macht. Es giebt monarchische Staaten, wo man sich uͤber den Kopf eines Moͤrders wenigstens zwoͤlf Monate bedenkt, so, daß das Publikum die Verbindung zwischen Ver- brechen und Strafe vergißt, und der Pastor loci recht gemaͤchlich Gelegenheit nehmen kann, den Geist und Kraft der Religion an diesem Boͤsewicht ad oculum zu demon- striren. Alle Moͤrder sterben alsdenn wie der Schaͤcher am Kreutze! Dagegen fließt in diesen Staaten das Blut von tausend Edlen im Kriege. Niemand loͤtet die Wunden der Redlichen. — Es giebt Thiere, sagte mein Vater, die im Marmor, aber nicht im Leben gefallen, und so wie der Bienen- schwarm, so der freye Staat. — Nicht also also, mein Vater: ich glaub, daß das Den- ken im monarchischen Staat, und das Re- den im Freyen zu Hause gehoͤre, oft auch das thun, — so wie ein Sclave nur eigent- lich unverschaͤmt seyn kann; im freyen Staat kennt man dies Wort nicht. — Meine Leser werden ohne Fingerzeig ein- sehen, daß ich dieses nicht auf dem gruͤnen Platz schreibe, sondern in einem Staat. — Bald haͤtt’ ich zu viel gesagt. Ich empfand auf diesem gruͤnen Platz, und zwischen em- pfinden und denken ist oft so ein Unterschied, wie zwischen wachen und traͤumen. Ein schoͤner Traum! ich gaͤb’ einen Tag drum unbesehens. — Meine Empfindungen wurden den Preus- sen, dem Fuhrmann und seinem Untergebe- nen zu lange. — Ich schlief ihnen zu viel. Sie schrien mich heraus, und gaben mir zu verstehen, daß hier guter Weg sey, wo der Wagen ohne Noth aufgehalten wuͤrde, und daß schon Stellen vorfallen wuͤrden, wo ich Gelegenheit haben wuͤrde, mich zur Ruhe zu begeben. (eigentlich zu empfinden.) So gruͤndlich gleich diese Aufforderung war, so verdroß mich doch dieses Commando, und ich konnte nicht umhin, ich weiß selbst nicht nicht wie ich darauf fiel, zu fragen, warum sie denn nicht Soldaten waͤren? Ich haͤtte doch gehoͤrt, daß alles was einen stattlichen Schritt in Preußen haͤtte, gerad ausseh’ und sich wohlbefaͤnde, Soldat waͤre, dahero auch zaͤrtliche Muͤtter Gott auf Knien danken sol- ten, sobald sie aus dem Wochenbett’ auf die Fuͤße kaͤmen, wenn er sie einen Kruͤppel auf die Welt zu bringen gewuͤrdiget, weil dieser allein das Recht haͤtte, eine Stuͤtze der Fa- milie zu werden. — Herr! sagten die Preus- sen, wer ihnen das gesagt hat, ist ein H — t. Beym hoͤchstseeligen Herrn giengs zuweilen in diesem Stuͤck bunt uͤber Eck — und da konnte man manches nicht spitz kriegen. Gott laß ihn hoͤchstseelig ruhen! Unser jetzige Herr, sie zogen ihre abgekrempften Huͤt’ ab, braucht Fuhrleut’ und Generals, und es thut in Preußen nichts, ob man einen Orden, oder eine Peitsch’ umgehangen hat. (Sie hatten die Peitschen wuͤrklich auf Ordensart.) Ich laße keinem Menschen die Mittelsteine, wenn ich nicht will. Ein General und ein Corpo- ral geht mich mit keiner Ader an! — Ich fuͤr mich, sie fuͤr sich. — Wer dem Herrn die Abgaben giebt, ist ihm angenehm, so wie dem lieben Gott, wer recht thut, und wenn die die Soldaten zur Revue sind, verstehn Sie mich, (der Alte sprach,) junger Herr Cur- laͤnder, so bin ich waͤhrend der Zeit Major von der Cavallerie, und dieser mein Schwe- stersohn ist Junker, und ich versichre dem Herrn, daß wir unsern Saͤbel fuͤhren, er machte Luftstreich’ und der Junker gleichfalls, wie einer — Es fiel mir eben, da die preußische Grenz’ anfieng, eine große hohe Eich’ ins Auge, die sich nicht um das, was unter ihr war, bekuͤmmerte. Sie hatte sogar gegen unten keine Schattenaͤste fuͤr ihr’ Unterthanen. — Stolz wuchs sie gen Himmel, und selbst ich hatte Muͤh’ ihren Gipfel zu erreichen. — Sieh da einen Monarchen, sagt ich zum jun- gen Herrn v. G., und er verstand die Eich’ und mich auf ein Haar. — Ich wuͤnschte, daß mein Vater diese koͤnigsche Fuhrleute gesehen haͤtte; — denn ich selbst war so begeistert, daß ich gern Luftstreiche mit diesen tapfern Preußen um die Wette gewagt haͤtte, wenn mir nicht mein Reisegefehrt heimlich auf den Fuß ge- treten, und eben so heimlich die rechte Hand gedruͤckt haͤtte, als wolt’ er treten und druͤ- cken. cken. — Bruder, laß den Major und Jun- ker, den Fuhrmann und seinen Unterge- benen. — — Es war gleich alles wie abgeschnitten. — Unsere Heerfuͤhrer waren so sehr von allem Eifer zuruͤckgebracht, daß sie uns herzlich ver- sicherten, wie die Fuhrleut’ und Studenten in Koͤnigsberg Schwaͤger und Freunde waͤ- ren! Trotz dem gruͤnen Platz, und dem klei- nen Streit, der zuweilen vorfiel. — Sie bewiesen uns ihre aufrichtige schwaͤgerliche Verwandschaft, daß sie den folgenden Tag schon um drey Uhr halt machten, um uns, oder eigentlich mir, Zeit und Raum zu las- sen, eine Leichenbeerdigung zu hoͤren und zu sehen. — Wir waren eben im Begrif in — — Mittag zu machen, da die Glocke gezogen ward! Ich verstand auf den ersten Anschlag, daß es Trauertoͤne werden solten. Wer ist todt, fragt’ ich den Hauswirth? Fragen Sie, antwortet’ er, wer wird begra- ben? Auch das, erwiedert’ ich, und wer? Schoͤn, fuhr er fort, nun werd ich Sie fragen, wer wird begraben? Ich sah den unwitzigen Mann ernsthaft an, und wenn nicht eben eine Sturmglocke fuͤr fuͤr mein Herz zu hoͤren gewesen waͤre, es waͤre schwerlich beym Anblick geblieben. — Der Hauswirth war indessen so gefaͤllig, mir sogleich auf meinen ersten Augenschlag (der Herr v. G. trat und druͤckte mich wieder,) aus dem Traume zu helfen. Mein Herr, setzte der Hauswirth im Geschichtsstyl hinzu: Es ist ein Fremder, ein Unbekannter. Nie- mand weiß, wo er her ist. Ohnfehlbar hat er nicht nach Hause reichen koͤnnen, denn man sieht ihm sein hohes Alter an. — Er hat ein sehr gutes Aussehen, — weil man einige Gulden und eine Schreibtafel (beydes hat der Pfarrer gleich an sich genommen) bey ihm gefunden; so wird er mit einer Lei- chenpredigt begraben. — Gott, schrie ich, das ist der Alte! Alt ist er, sagte der kupfernasige Hauswirth, — ganz gelassen. — Ich konnte nicht mehr — ich will hin, ich will hin — und seine kalte starre Hand angreifen. — Noch ist Seegen Gottes drinn. Da die Gebeine jenes Mannes, den man in Elisa Grab warf, die Gebeine des Prophe- ten beruͤhrten, wurden sie lebendig — und es trat der Mann auf seine Fuͤße. — Zweiter Th. M Ich Ich will hin, ich will hin — und wenn ich seinen einen Handschu erben koͤnnte! — O welch eine Erbschaft haͤtt’ ich gethan! Der Hauswirth nahm, waͤhrend dieser heiligen Entschluͤße, Toback und zog ihn sehr hoch in die Hoͤhe. — Jetzt erst wandt’ ich mich zu unsern Fuhr- leuten, um sie zu uͤberreden, den Mittag und Abend in einem weg zu halten. Abgemacht. — Der Herr v. G. erkundigte sich nach Wild, — und ich gieng spornstreichs in die Kirche. — Eben hatte der Pfarrer den Text, den er zu der Leichenpredigt ausgesondert hatte, verlesen. Den Spruch fand der Leichenpre- diger in der Schreibtafel des Seligen aufge- schrieben und dreymal unterstrichen. Er ste- het in der zweyten Epistel an die Corinther im sechsten Capitel, vom vierten bis zehn- ten Vers: „Sondern in allen Dingen lasset uns beweisen, als die Diener Gottes, in gro- ßer Geduld, in Truͤbsalen, in Noͤthen, in Aengsten, in Schlaͤgen, in Gefaͤngnis- sen, in Aufruhren, in Arbeit, in Wachen, in in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geiste, in ungefaͤrbter Liebe, in dem Worte der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken, durch Ehr’ und Schande, durch boͤse Geruͤchte und gute Geruͤchte, als die Verfuͤhrer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe wir leben; als die Gezuͤchtigten und doch nicht ertoͤdtet; als die Trauri- gen, aber allezeit froͤhlich; als die Armen, aber die doch viel reich machen; als die nichts inne haben, und doch alles haben.“ Ein Thema pflegt bey den Geistlichen ein lee- res Haus zu seyn, wo man mancherley und manches anschlagen kann, ein Nagel, an den man viel haͤngt, ich weiß nicht, ob man nicht auch in diesem Sinn sehr richtig sagen wuͤrde: man muß nicht zu viel an einen Na- gel haͤngen? Das Ziel, nachdem der Pastor loci an- legte, war der Schein und das Seyn des Christen! Meine Mutter haͤtte, wenn sie selbst diese Leichenpredigt gehalten, kein ge- reimteres Thema gefunden; ich fuͤr mein Theil hatt’ alle Fassung noͤthig, um mich zu- M 2 ruͤck ruͤck zu halten. — Ich brannte vor Begierde, den Sarg dieses Seligen aufzusprengen, und mir einen Seegen abzufordern. Es war sehr zu merken, daß ich dem Pfarrer ein Meteor war, und ein unverhofter Gast, — er ha- spelte seine Predigt in hoͤchster Eil herab; in- dessen verzaͤhlt’ er all’ Augenblick die Faͤden, und dies zwang ihn von neuem zu zaͤhlen. — Endlich die Nutzanwendung, zum Schein und Seyn . „Meine Geliebte! der selig verstorbene „schien uns anfaͤnglich ein Mann nach der „Weise Melchisedech.“ Ich fragt’ ihn nach Namen? Geburtsort? Vaterland? Ob er noch in dieser Welt etwas zu berichtigen haͤt- te? Auf alle diese Fragen nicht eins zur Antwort. (Ich ward uͤber und uͤber roth, und nun erschien mir der Pfarrer als ein Meteor, und ein ungebetener Gast, und das aͤrgste bey die- ser Verlegenheit war, daß ich nicht haspeln konnte. Nichts ist einem Verlegenen heilsa- mer, als wenn er reden kann; er faͤlt zwar immer tiefer drein, indessen ist es ihm Labsal reden zu koͤnnen, wenn er auch nur stam- meln und stottern solte. Er ist wenigstens vor einer Seelenlaͤhmung sicher, die eben so, wie wie eine koͤrperliche, oft Zeit Lebens auf die Seel’ einen Einflus hat. Die Zung’ ist in solchen Faͤllen Ventilator in einem stockigen Zimmer. — Sie bringt frische Luft herein.) Da ich einsahe, fuhr der Leichenprediger fort, daß unser Seliger Ursachen zur Zuruͤck- haltung hatte, wandt’ ich schnell um, und klopft’ an eine andre Thuͤr, die zum Seelen- heil fuͤhrt. Hier blieb er mir kein Wort schuldig. — Nach seinem seligen Hintritt klaͤrte sich alles auf. Er fand nicht fuͤr gut zu erzaͤhlen, was seine Schreibtafel enthielt, er wolt’ sich nicht die Augenblicke entwenden, die er himmlisch anwenden konnte. Sein Wandel war nicht von hier, sondern von dro- ben. — Das erste, was ich oͤfnete, war seine Schreibtafel, die wie ein Commu- nionbuch gebunden war. Seinen Geldbeutel, worinnen vierzig Gulden waren, oͤfnete ich nachher. (Ich war im preußischen Gelde ganz un- erfahren, und ich muß mich noch huͤten, um ja hiebey nicht wider das Costume zu suͤn- digen.) In seinem Communionbuch von Schreib- tafel fand ich mehr, als ich gefragt hatte. Man pflegt oft in Schreibtafeln das Geheim- M 3 ste, ste, das man oft seinem geheimsten Rathe nicht entdeckt, zu finden. Es ist der Maͤn- ner Schooshuͤndchen. Unser Selige heißt — — — — — — — Ha, kunstrichterlicher Leser! da hattest du schon deine Bleyfeder zum Strich gespitzt. — Wieder einer ohne Namen, eine unbe- nannte Geschichte ! Stecke dein Schwert in die Scheide; denn wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen, und damit ich bey dieser Gelegenheit auch an eine andre Thuͤr anklopfe, die zum Seelenheil fuͤhrt, bet’ ich ein Vater unser fuͤr dich! — damit du nicht vielleicht ohne Namen dahin faͤhrest in deinen Suͤnden. — Halt den Hut vor! — ne nos inducas in tentationem sed libera nos a malo. Amen. Unser Selige heißt — — — — — — — wie er seinen Namen ganz mit allen Punkten und Clausuln ausgeschrieben. Er faͤhrt fort: Ich war reich — ich hatte so viel, daß meine großstaͤdtsche Freunde zuweilen zu mir kamen, und sich laͤndlich vergnuͤgen konnten. — Ich ward arm, faͤhrt er fort: der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name Name des Herrn sey gelobt! Wie er um das Seinige gekommen, meine Lieben, ist nicht angefuͤhrt. In seinem Wohlstande hatt’ er zum Aufbau eines Lusthauses und Lustgartens fuͤr eben diese Freunde, wenn sie ihr stocken- des Blut wieder in Fluß bringen wolten, zwey tausend Gulden angeliehen, schwer Geld . Da er arm geworden, erließen sie ihm die Schuld, und gaben ihm seinen Schuld- brief zuruͤck. Sie bedachten vielleicht, daß er nur ihretwegen diesen Bau unternommen. — „Was dankt’ ich Gott„ schreibt der Se- lige „daß ich unter meinen Freunden Men- schen fand. „So in der Naͤhe, dacht ich! — Gott schlaͤget, Gott heilet, Halleluja!„ Un- ser Selige hatte zwar nicht das Gluͤck des Hiobs, der zwiefaͤltig so viel bekam, als er gehabt hatte, und außer dem schoͤnen Gro- schen und dem guͤldenen Stirnband, so ihm seine Bruͤder und Schwestern und Bekannten verehrten, noch vierzehntausend Schaafe, und sechstausend Cameel und tausend Jochrinder und tausend Esel — wie er denn auch nach seinem gehabten Unfall einhundert vierzig Jahre lebte und Kinder und Kindeskinder sa- he, bis in das vierte Glied. — Unser Se- lige konnte zwar nicht seine Freunde zum laͤnd- M 4 lichen lichen Vergnuͤgen mehr einladen, sein Gaͤrt- chen und sein Lusthaͤuschen war in fremden Haͤnden; allein er hatte doch Nahrung und Kleider! — Seine Freunde hatten auch nach der Zeit sich bitter und sauer Brunnen an- gewoͤhnt, welchen sie die nemliche Kraft als guter frischer Milch, und einem Garten- haͤuschen und einem Lustgarten, beyleg- ten. — Der Selige hatte sich indessen so weit herausgewunden, daß er viertausend und siebenzig Gulden nach Koͤnigsberg neh- men konnte, um sein Verkehr durch einige neue Waaren zu verstaͤrken. Bey viertau- send und siebenzig Gulden baar Geld konnt’ ein so ehrlicher Mann, als er, auf noch ein- mal so viel Credit rechnen. — Seine An- verwandten hoͤrten von den viertausend sie- benzig Gulden, und nahmen ihn allein. — Sie fragten nach der Handschrift. Hier, sagt’ er, und zog sie aus der Schreibtafel. So lang ich lebe, soll auch diese Handschrift leben; ich koͤnnte vielleicht aufhoͤren dankbar zu seyn, wie viele Menschen, wenn sie zu satt werden, Gottes vergessen. — Hier, sagt’ er, ohne Flecken, ohne Runzel, oder des etwas, so wie ich sie gestellt hatte, und zuruͤck erhielt. — Der Der Senior Familiaͤ, ein alter herzlo- ser Mann, nahm sie entgegen, und es ward dem Dankbaren angedeutet, daß da man von den viertausend Gulden, ohne an die sieben- zig zu denken, gehoͤret, er wohl ihre zwey- tausend Gulden, zusammt den Verzoͤgerungs- zinsen, entrichten koͤnnte. Freunde, fieng er an: allein man droht’ ihm mit dem breiten Wege Rechtens , der zur Verdammnis fuͤhret, und viele sind, die darauf wandlen. Freunde, fieng der Selige wieder an: allein (und dies kraͤnkt’ ihn am meisten) sie machten ihm Vorwuͤrfe, daß er noch dazu die zweytausend Gulden zu Lusthaus und Garten verwendet haͤtte. Aber — fieng er wieder an, und der Senior Familiaͤ fiel ihm ins Wort, freylich hatte Sie Gott damals reichlich geseegnet, und Sie konnten an Lust denken, jetzt aber bey viertausend siebenzig Gulden muͤßen Sie an Zahlung denken. — Denkt , sagte der Selige. Zahlt , sagten die Verwandten, die Unseligen. Sie hatten ohne Flecken, ohne Runzel, oder des etwas, das Document, und er hatte keinen Beweis der Schenkung, und wenn ich auch, schreibt er, Beweis der M 5 Schen- Schenkung gehabt haͤtte — und wenn auch — — Er bezahlte. „Nur die Zinsen! es macht’ auf jeden „der Herren eine Kleinigkeit. — Keinen Dreyer, sagte Senior Familiaͤ. Es sind die usurae morae (die Verzoͤge- rungszinsen,) er hatte diesen Bissen Latein von einem Rechtsgelehrten erhandelt! — Der Selige mußte von Heller zu Pfen- nig, Capital und Zinsen berichtigen, und da einig’ andere von seinen unbetraͤchtlichern Glaͤubigern, die ihm aber nichts erlassen, sondern theils auf seine Verbesserung wegen der alten Schuld gewartet, theils ihn mit neuem Flickvorschus unterstuͤtzet hatten, die- ses hoͤreten, verlangten auch sie Geld und reservirten sich quaevis juris competentia con- tra quem vel quos, wenn der Arme nicht noch so viel uͤbrig behalten haͤtte, daß ihr neuer Vorschuß hinreichend berichtiget wer- den koͤnnte. Es fehlten ihm dreyhundert Gulden, der Arme gieng zum Senior Fami- liaͤ, und dieser? Er hatte nur eben Zeit zu einem Vorschlage, der dem Seligen bis in die Seele gieng. Er schlug ihm vor, seinen Wa- Wagen und vier Pferde zu verkaufen, um auszulangen. — Vierzig Gulden war alles, was unser Selige eruͤbrigte, und ein Paar Fuͤße, die seine schwermuͤthige Seele mit genauer Noth tragen konnten. Sein Leib wog nicht vier Pfunde. „Vierzig Gulden„ sagt’ er zu sich selbst, und sah seinen ledig gewordenen Geldbeutel an! Er hob’ ihn und fuͤhlt’ es, daß auch er noch zu schwer fuͤr seine Fuͤße war. — Wenn sich doch Gott erbarmen wolte! rief er! hier in der Welt ist’s mit der Erbarmung aus! Wenn doch Gott sich erbarmen wolte! — Wenn er doch meine Thraͤnen so zaͤhlen wolte, wie die Schlucker mein Geld! Er hatt’ auf diesen sauren Tag eine angenehme Nacht; es traͤumt’ ihm, daß das Lusthaͤuschen und das Gaͤrtchen, welches wie er verarmte subhastirt ward, ihm wieder zufielen, und alles so gruͤn, so schoͤn, daß es ihn duͤnkte, als hoͤr’ er die Stimme: Ey du frommer und ge- treuer Knecht, du bist uͤber wenig treu ge- wesen, ich will dich uͤber viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude . Was das fuͤr eine Freud’ im Traum war, schreibt’ er, ist unaussprechlich! So was was kann man nicht leben, so was muß man traͤumen. Er ging zu Fuß aus Koͤnigsberg, und es sey, daß die Ungewohnheit ein Fuß- gaͤnger zu seyn, oder daß der gerechte Schmerz uͤber dergleichen Verfahren ihn noch tiefer, als sein hohes Alter, angrif; unser Selige ward in — — krank. Ich fuͤhlte, schreibt er, beym ersten Stich in der linken Seite, daß mein Stuͤndlein vorhanden sey, und die Erfuͤllung des Traumes: Geh’ ein zu deines Herrn Freude . — Diese Worte wiederhohlte der Sterbende unzaͤhligemal, und allemal mit einer Freude, die wie Kraft der zukuͤnftigen Welt aussah. — Er hatte in Ruͤcksicht seiner Wohnung nichts weiter auf seinem Herzen, als die Bitte, seinen Tod in — —, wo er zu Hause gehoͤrte, zu melden und alle, die sich seiner erinnern solten, gruͤßen zu lassen. Er hatte nicht Frau nicht Kind. Gehabt zwar beydes; allein beydes war vorausge- gangen, um ihm dort entgegen zu kommen. Gott ruft mich, schreibt er, zu rechter Zeit. Ich habe meine Schulden bezahlt, und bin keinem weiter, als dem lieben Gott, schul- dig, der mit mir wahrlich, das hoff’ ich, anders rechnen wird, als meine Verwand- ten. ten. — Die mir zu tragen schwergewordene vierzig Gulden bleiben zu meinem Begraͤbnis und fuͤr — und fuͤr, waren seine letzten Worte. — Ich haͤtte diesen Bruch, fuhr der Pfar- rer fort, heben und es so erklaͤren koͤnnen: und fuͤr den Pastorem loci; denn ich hab’ ihn zweymal mit Gottes Wort besucht, und den glimmenden Tocht der Hofnung, die in ihm war, so wenig ausgeloͤscht, daß ich ihn vielmehr vollends anfachte; — allein ich hab’ Euch auch all’ an diesem und fuͤr Theil neh- men lassen wollen. Den Organisten und die Leichenbegleiter, — und an uns allen ver- dient der Selig’ einen Gotteslohn! — Mir fiel eine natuͤrliche Erklaͤrung des und fuͤr ein. Da schon des Begraͤbnisses er- wehnt war; so hat der Selige dacht’ ich mit seinem und fuͤr die Dorfarme gemeint: denn in Wahrheit, das waren bey seinen Umstaͤn- den seine naͤchsten Anverwandten! — Es ge- hen freylich verschiedene Sterbende, die noch viel Unrecht auf ihrem Herzen und Gewissen haben, zur Beichte, um am Himmel nicht aufgehalten zu werden: sie lassen sich hier plombiren, um dort bey der Himmelspforte sich keiner Revision auszusetzen, und da traͤgt es es sich freylich wol zu, daß dem Geistlichen, dem Besucher, etwas in die Hand gedruͤckt wird. — Unser Todte! das wett’ ich, nicht also! — Wohl dem! rief unser Pfarrer aus, wohl dem, der so lang er mit seinem Bruder auf dem Weg’ ist, das heißt: so lange sie beyde die Straße dieses Lebens gehen, ihm ersetzt, was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den er beleidiget; den in integrum restituirt, den er beschaͤdiget hat. Wohl dem! der alles mit warmer Hand abtraͤgt; denn wie leicht kann der Glaͤubiger sterben? und die Erse- tzung ist alsdenn nicht moͤglich; wie leicht kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt werden, und wie leicht kann es kommen, daß sie aufhoͤren, einen und denselben Weg zu wandeln! Weh’ alsdenn dem Schuld- ner! Alles ist aus! — Er kann nicht mehr bezahlen, so gern er auch wolte. Seine Muͤnze galt nur in dieser Welt, mit einem ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit uͤber. Diese Stell uͤberwog die ganze Predigt. Wer sie lieset, der merke drauf; so lang er eine warme Hand hat, so lang er noch auf dem Wege mit seinem Glaͤubiger ist, und mit ihm lebenslaͤuft! — Es Es starb, der Selige, (meine Leser hoͤren wieder den Pastorem loci) seines Lebens muͤd’ und satt, mit der dringenden Bitt’, ihm auf unserm Gottesacker ein Raͤumlein zu goͤnnen, bey frommer Christen Grab. So wie Abraham zu den Kindern Heth, nach dem ersten Buch Mose im drey und zwan- zigsten Capitel, im vierten Vers sprach: ich bin ein Fremder bey euch: gebet mir ein Begraͤbniß; so sprach auch unser Seliger, und obgleich er nicht vierhundert Seckel Silbers, das im Kauf gang und gaͤbe war, wie Abraham zu bezahlen im Stande war; so war unser Alte doch auch nicht der Abraham, und wir nicht die Kinder Heth. — Das Plaͤtzchen, das wir ihm verstattet, ist kein Erbbegraͤbniß, wer wolt auch seine Anver- wandte mit den zwey tausend Gulden Capi- tal und den Verzoͤgerungszinsen zur Nach- barschaft haben! Man erzaͤhlt, daß Haͤnde, die ihre Eltern geschlagen, nicht verwesen, sondern aus dem Grabe herauswachsen, ob- gleich ich viele ungerathene Kinder, bisher aber leider! noch keine herausgewachsene Hand, gesehen habe. — Wahrlich wir wuͤrden alle die Haͤnde der Anverwandten unsres Seligen sehen, wenn diese Sage wahr wahr waͤre, — und die Hand des Senioris Familiaͤ hager und ungestaltet mit langen un- abgeschnittenen Naͤgeln. — Wie schrecklich — Nein — nicht fuͤr hundert Seckel Sil- bers, das im Kauf gang und gaͤb’ ist, nicht fuͤr tausend! — Fuͤr dich aber, Seliger, machet die Thuͤr’ unseres Kirchhofs weit und die Thoͤre hoch, damit er bey uns einziehe! — Wenn der Fall nicht so, wie er wuͤrklich ist, gewesen waͤre, wir haͤtten keinen Dreyer fuͤr dieses Plaͤtzchen genommen. — Die Kirche dankt dir, lieber Seliger, fuͤr das, was sie durch meine Hand erhalten hat, und ich danke dir fuͤr das, so uns allen zugewendet worden, bis auf den letzten Traͤger. Ju- das verrieth wegen dreyßig Silberlinge seinen Meister. — Hier sind freylich nur vierzig Kupferlinge, und es ist allerdings mehr Schein als Seyn dran; indeßen wie bald wird sein abgetragener Leib in einer Hand Raum haben. — Diese Handvoll ehrliche Erde giebt er uns ohnehin als Agio von den vierzig Gulden. — Uns allen lehre der Herr unseres Lebens bey dieser Gelegenheit unser Schein und Seyn , daß heißt: er lehr uns wohl beden- ken, daß wir nicht wißen, wenn der Herr kommt kommt — Darum wachet! So gesund wir scheinen, so ist doch nichts gewisser, als daß es ein End mit uns haben muͤße, daß unser Leben ein Ziel habe und wir davon muͤßen. Das ist unser Seyn! — Ihr Gebeugten im Volke! freuet euch in dem Herrn, und abermal sag’ ich euch! freuet euch; denn ihr werdet sterben! und eben dann, wenn ihr nicht aus noch ein wißt, wird euch der Herr gen Himmel zeigen — da werdet ihr Friede haben und nicht hoͤren die Stimme des Steuereinnehmers, da werden getrocknet werden die Thraͤnen von den Wan- gen der Wittwen, da werden die Gottlosen aufhoͤren mit Toben, und sanft ruhen die des Lebens Last und Hitze gerragen haben. — Fasset eure Seelen in Geduld, und wenn euch eine Krankheit anficht, denket, daß sich eure Erloͤsung nahet. Sehet an den Feigen- baum und alle Baͤume, wenn sie jetzt aus- schlagen; so sehet ihrs und merket, daß jetzt der Sommer nahe sey. — Bey Menschen- kindern ist es umgekehrt. — Wenn der auswendige Mensch stirbt, faͤngt der inwen- dige zu leben an. Gern haͤtt’ ich diese Le- bensumstaͤnde, die mir, so wie sie da sind, gewiß nicht wenig Muͤhe gemacht, da sehr Zweiter Th. N viele viele Worte halb verwischt und viel unleser- lich geschrieben war, gern haͤtt’ ich, weil mir wohl bekannt ist, daß ihr lieber einen Lebens- lauf, als eine Predigt hoͤret, gern haͤtte ich diese Lebensumstaͤnde verstaͤrkt, wenn ich mehr im Taschenbuch gefunden haͤtte. Zum Beschluß wollen wir vom ein und dreißigsten Vers bis zum sechs und vierzigsten des fuͤnf und zwanzigsten Capitels des Evangelii Mat- thaͤi verlesen hoͤren und verlesen: Wenn aber des Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit. Und werden vor ihm alle Voͤlker versammlet werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schaafe von den Boͤcken schei- det. Und wird die Schaafe zu seiner Rech- ten stellen, und die Boͤcke zur Linken. Da wird denn der Koͤnig sagen zu denen zu seiner Rechten: kommet her, ihr Gesegneten mei- nes Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbegin der Welt. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getraͤnket. Ich bin ein Gast ge- wesen, und ihr habt mich beherberget. Ich bin bin nackend gewesen, und ihr habt mich be- kleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen ge- wesen, und ihr seyd zu mir kommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wenn haben wir dich hungrig gesehen, und haben dich gespeiset? oder dur- stig, und haben dich getraͤnket? Wenn haben wir dich einen Gast gesehen und beherberget? oder nackend, und haben dich gekleidet? Wenn haben wir dich krank oder gefangen ge- sehen, und sind zu dir kommen? Und der Koͤnig wird antworten und sagen zu ihnen: wahrlich, ich sag’ euch: was ihr gethan habt, einem unter diesen meinen geringsten Bruͤdern, das habt ihr mir gethan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: ge- het hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht ge- traͤnket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet. Da werden N 2 sie sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wenn haben wir dich gesehen hungrig oder durstig, oder einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und haben dir nicht gedienet? Dann wird er ihnen antworten und sagen: wahrlich ich sag euch, was ihr nicht gethan habt Einem unter diesen gering- sten, das habt ihr mir auch nicht gethan. Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben. — — — Ins ewige Leben verhelf uns alle zusam- men der Herr des Lebens, Amen! Nach der Predigt lies der gute Pfarrer singen: Lieber Gott, wenn werd ich ster- ben , und seine werthen Zuhoͤrer, welches bis auf mich lauter Bauren und Fischer waren, sangen dies Lied mit einem so himmlisch sehn- suchtsvollen der Welt abgestorbenem Herzen, daß ich sehr geruͤhrt ward. Man hoͤrt’ es ihnen genau an, daß niemand unter ihnen vierzig Kupferlinge im Vermoͤgen hatte, und daß sie alle des Tages Last und Hitze dieses Lebens truͤgen. — Der Pfarrer sang eben so herzlich, nur mit dem Unterschiede, daß er mit seiner Stimme die ganze Gemeine commandirte. Mei- Meinen Lesern zu gefallen, die kein Ge- sangbuch haben, will ich die Stelle, die mir der Pfarrer vorzuͤglich ins Ohr und Herz sang, abschreiben: Lieber Gott wenn werd ich sterben? meine Zeit laͤuft schnell dahin, und des alten Adams Erben, (wo ich auch ein Erbe bin) haben dies zum Vatertheil, daß sie eine kleine Weil arm und elend sind auf Erden, und am Ende Erde werden. Ich mit allen meinen Bruͤdern lebe eine kleine Zeit. — Trag ich nicht in allen Gliedern Saamen zu der Sterblichkeit? geht nicht immer da und dort einer nach dem andern fort? und wie mancher liegt im Grabe, den ich hochgeehret habe . Aber Gott, was werd ich denken, wenn es wird zum Sterben gehn! wo wird man den Leib versenken? wie wird’s um die Seele stehn? ach ! ein Kummer faͤlt mir ein: weßen wird mein Vorrath seyn? — — N 3 Man Man haͤtte glauben sollen, das Gewißen haͤtte beym guten Pfarrer wegen seiner Er- klaͤrung der Wort’: und fuͤr, diese Reihe mitgesungen; allein ich versichr’ auf Ehre, das Gewißen gab seine Stimme nicht dazu. — Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein Haar kennen, wenn es mitsingt. — Es haͤlt selten Melodie, singt lahm und so, als duͤrft’ es nicht. — Schriebe meine Mutter dies Buch, sie haͤtte von diesem Liede keinen Buchstab aus- gelassen; indessen will ich einigen meiner Le- fer diesen Gefallen thun. — Die ganze Gemeine, o Gott! wie in- bruͤnstig sang sie diese Zeilen: Lieber heute noch als morgen, denn ich werd’ einst auferstehn! ich verzeih’ es gern der Welt , daß sie alles hier behält , und bescheide meinen Erben einen Gott! — der wird nicht sterben! Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die- ser Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr Traͤger wegen seiner sehr hohen Jahre seyn konnte, und sich in einem etwas finstern Kir- chenwinkel aufgestuͤtzt hatte. — Ich haͤtte mich nicht enthalten koͤnnen, diesem aufge- stuͤtz- stuͤtzten etwas aus meinem ανεχου και απε- χου zu geben, wenn ich es bey mir gehabt. — Diesem alten Mann gehoͤrte, das merkte man, noch ein Haufen Kinder an, der um Brod schrie! Es war recht, als wenn alle diese Kleinen mitleierten. — Zwinge dich nicht, schreibt meine Mut- ter, ohne Geld auszugehen, das heißt: aus einem guten ein schlechter Mensch werden wollen . — diesmal freut’ ich mich aber, ohne dieses versiegelte Schatzpaͤckchen gewe- sen zu seyn, da ich zu Hause kam; denn ich haͤtte mich in Wahrheit nicht gehalten, und meines Vaters Auflage gerade zu entgegen gehandelt! „ In der groͤßten Noth! „ Dies brachte mich zum Geluͤbde bey mir selbst, dies Schatzpaͤckchen nie bey mir zu tragen. Ohne Geld aber, liebe Mutter! werd’ ich nicht ausgehen. Bey der lezten Strophe, die ich meinen Lesern auch nicht entziehen will, war der Ton ganz anders: Herrscher uͤber Tod und Leben, man einmal mein Ende gut! lehre mich den Geist aufgeben mit recht wohlgefaßtem Muth! hilf, daß ich ein ehrllch Grab N 4 neben neben frommen Christen hab’ und auch selber in der Erde nicht zu Spott und Schande werde! Ob nun gleich der Alte, den ich bis oben zu, begraben gesehen, nicht der mit dem einen Handschu war, als welchen Handschu ich mithin eben so wenig, als den Segen dieses himmlischen, aus seiner Hand erben konnte; so war ich doch sehr belohnt, daß Mittag und Abend in einem weggehalten ward. — Ich dacht’ an Minen , wie beym Schloß in Mitau, und bey aller Gelegenheit; und wie haͤtte wol ein Vorfall, der mich zum stehen, zum denken, bringen konnte, nicht zugleich Minen und ihn in einem Paar dar- stellen sollen? Wenn man liebt, ist uͤberall schoͤne Natur fuͤr den Liebenden. — Mein Reisegefehrt kam eben von der Jagd, und hatte drey Voͤgel erlegt, die wir uns braten ließen. Ich hatte noch nichts gegeßen, und er hatte sich weide- maͤnnlich ermuͤdet. — Indem wir uns niedersetzten, und ich ihm von meinem Todten, er mir von seinen drey Voͤgeln erzaͤhlte; siehe da der Pastor loci! und mit ihm ein Melotenpflastergeruch, so, daß der Pastor die ganze Stube wuͤrzte. — Er Er konnte nicht unterlaßen, denjenigen, der heut ihm die Ehre gethan, sein Zuhoͤrer zu seyn, naͤher kennen zu lernen, und da wir aus seiner Art sich zu fuͤhren, uns uͤber- zeugten, daß er nicht abschlagen wuͤrde, mit uns vor’n Willen zu nehmen; so baten wir ihn, seine Kapuse abzulegen. Der Herr v. G. erzaͤhlt’ eben, drey Voͤgel geschoßen zu haben. Eben drey , sagte der Pastor, und fand hiebey was besonders. Der Mann ein Vogel, beschloß ich! und der Pastor konnte nicht aufhoͤren zu wiederholen: eben drey ! Der arme Pfarrer entdeckt’ uns gele- gentlich seine recht schlechte Verfaßung. — In Curland, sagt’ er, sind meine Herren Amtsbruͤder Edelleute! Moͤgen sie doch. — Wenn ich nur einen beßern Fang, wie vorm Jahr haͤtte! Diesen Wunsch klaͤrt’ er uns durch die Erzaͤhlung auf, daß er auf den Droßelfang gewiesen waͤre, und dieses ein Hauptaccidenz bey der Pfarre sey. — Ohnfehlbar war dies die Ursache, warum er: eben drey so oft sagte. Wir oͤfneten dem armen Pastor noch unsern Eßkorb, den uns die Frau v. G. reichlich gefuͤllt hatte. Unser Wein war ihm Labsal. — Ich konnte mich kaum N 5 des des Lachens enthalten, da er den heut be- grabenen einen Zugvogel nannte. Da ich die Versaßung dieses ehrlichen Droßelpfarrers hoͤrte; fand ich die Erklaͤrung, die er von den letzten Worten: und fuͤr gemacht hatte, der Sache so vollkommen an- gemeßen, daß ich uͤberzeugt war, das Geld haͤtte nicht beßer angelegt werden koͤnnen, wenn es ins Hospital gekommen waͤre! Die so genannte Pastoralklugheit ist, in einer gu- ten Uebersetzung, eine wohlehrwuͤrdige Be- muͤhung, auf anderer Leute Kosten zu leben, bey unserm Droßelpastor nicht also. — Ich erkundigte mich noch nach verschie- denen Umstaͤnden des zur Ruhe gebrachten; allein außer dem, was der gute Pfarrer in der Kirche angebracht, wußt’ er kein Wort. — Ich gab dem Pastor loci fuͤr den Alten, der sich in einem finstern Kirchenwinkel auf- gestuͤtzt hatte, und die Worte: und hescheide meinen Erben einen Gott, der wird nicht sterben! uͤberlaut sang, eine Kleinigkeit, um sie ihm morgen abzugeben. So hat er, sagt’ ich, zwey frohe Tage, — denn wenn er gleich Alters wegen nicht getragen hat — Aller- Allerdings, fiel der Pfarrer ein, ich habe die Anordnung gemacht, daß sie alle was zu eßen und zu trinken haben. Der Alte ein Theil mehr, weil er noch außer den gro- ßen Kindern, drey kleine Kinder zu Hause hat. — Da der Pastor hoͤrte, daß wir auf die Akademie giengen, wuͤnscht’ er uns tausend Gluͤck. Mit einer besondern Freude, die ihn wohl kleidet’, erzaͤhlt’ er von seinen aka- demischen Jahren, wo er sich alles ganz ge- nau zu besinnen wußte, wie alle von gewis- sen Jahren, die nach Art von Leuten, welche treflich in die Ferne sehen, schlecht aber in der Naͤhe sehen koͤnnen, alles haarklein wis- sen, was in ihrer Jugend geschahe, wenig aber oder gar nichts von dem, was gestern und ehegestern vorfiel. — Das ist die beste, beste Zeit, sagt’ er, so bald man ein lastbares Geschaͤftsvieh wird, ists aus. Ich pfluͤge zwar Gottes Acker; indessen fallen doch all’ Augen- blick Menschensatzungen vor. Wohl dem, mein Herr v. G., dem die Geburt das Recht ge- geben — ein Mensch zu seyn fuͤr ein Amt zu halten. „Wenn Jagdten dabey sind„ fiel ihm Herr v. G. ein. — Der Der ehrliche Pfarrer ließ sich merken, daß er herzlich gern einen Adjunctus haͤtte, und wenn es auch nur der Gesellschaft, und der Maulbeerbaͤume wegen waͤre, welche das ehrwuͤrdige Consistorium ihm zu pflanzen aufgegeben haͤtte. Endlich kam seine Toch- ter Marthe hinter dem Berge hervor, und man sahe wohl, daß der Adjunctus nicht blos seiner Gesellschaft und der Maulbeer- baͤume halber gewuͤnscht ward. Noch hat er keinen gefunden, der einen so uͤberwiegen- den Droßelgeschmack gehabt, daß er ihm andere Vortheile aufzuopfern kein Bedenken getragen haͤtte. — Man sagt, setzt’ er hinzu, daß man darum nicht gern ein Testa- ment mache, damit den Erben nicht die Zeit zu lang wuͤrde; allein ich versichr’ auf Ehre, daß ich bey der Anfrage meines Schwieger- sohns wie ich geruhet, und wie ich mich be- faͤnde? keine Falschheit vermuthen wuͤrde. Die Gegend war wuͤst’ und oͤde. Ich habe keine Biene gehoͤrt, und ich wolte was drum geben, daß hier kein Bienengewaͤchß im ganzen Bezirk anfzutreiben gewesen. Nachdem der Pastor drey bis vier Glaͤ- ser Wein getrunken hatte, sang er das Stu- dentenliedchen: Vivat Viuat Academia! Nach dem Liede, (dacht ich mit einem Verwunderungszeichen,) nach dem Liede: Lieber Gott, wenn werd ich sterben? indessen, wenn gleich ein solcher Zugvogel nicht tagtaͤglich kommt, so wird ein Predi- ger doch mit der Zeit mit dem Tode so be- kannt, wie eine geuͤbte Woͤchnerin mit einer Entbindung. Muth, das bin ich vollkommen uͤberzeugt, ist nicht Staͤrke der Seele, son- dern Bekanntschaft mit dem Gegenstande. — Unser alte Pfarrer war nicht ohne Em- pfindung; er ward sehr leicht roth, wenn man ihn nur mit einem Blick etwas zu hart anfuͤhlte. Gleich roth — ist ein so sichres Zei- chen von einem empfindlichen als empfindsa- men Menschen, von einem Menschen, der sich fuͤhlt, und der auch fuͤhlt, was um und neben ihm ist! so wie es was sanftes, was weibisches verraͤth, wenn man Musik liebt! — Der gute Pastor! in Wahrheit, er brauchte keinen andern Beweis von seiner Froͤmmigkeit, als sein heiteres Gott erge- benes Auge, in dem Ruh’ und Zufriedenheit lag. Ich will nicht, sagt’ er, wie Israel uͤber die Wachteln murren, und waͤr’ es auch der vierzig Wuͤstenjahre, der vierzig Fe- stungs- stungsjahre wegen, — ich bin schon, fuͤgt’ er seufzend hinzu, zehn Jahre bey dieser Wachtelstelle. — Es wußt’ unser Gast nicht viel von dem Zustande der Koͤnigsbergschen Universitaͤt, außer daß er uns einen Catalogum lectionum aus den Intelligenzzetteln vorwies, und uns versicherte, daß es noch bis jetzo nicht fried- lich hergienge; er war ein Inpietist, denn einen Orthodoxen kann ich ihn nicht nennen, fals nehmlich die Orthodoxie, wie ich fast vermuthe, eine Strenge der Observanz ist, sich und andere an angenommene Regeln zu binden. — Ihm schien der Pietismus so sehr nicht zu Herzen zu gehn, obgleich er nicht umhin konnte zu bemerken, daß die Pietisten viel saͤhen, was kein Impietist saͤhe, und viel empfaͤnden, was sie nicht ausdruͤ- cken koͤnnten. Es blieb dabey, ohne die inpietistische Parthie unsers guten Pastors zu nehmen, daß Gedanken, die man nicht aus- druͤcken koͤnnte, unreifes Obst waͤren. Bald, sagte der Pastor, haͤtt’ ich gesagt, daß ein Wort ein verdauter Gedanke sey. — Er ward roth dabey! — So wie Gaͤrtner ihre Blumen oft so pflanzen, daß die Farb’ einer in die andre spielt, spielt, und dadurch jede einzele verdirbt; so ists auch auf Universitaͤten. — Bey dem zweyten Vers des: Viuat Academia! ward die Frag’ aufgeworfen, warum man beym Trunk so gern Lerm mach’ und vorzuͤg- lich Fenster einwuͤrfe: welches auch solche Juͤnglinge thaͤten, die bey spaͤtern Jahren einen stillen innerlichen Rausch bekaͤmen? — Unser Pastor nahm Abschied. Sein leztes Wort war viuat Academia! Wir verpfaͤndeten uns schluͤßlich, so oft wir diese Straße zoͤ- gen, uns ihm aufzudringen. Dies Wort bitt’ ich zu streichen, fiel er ein, vielleicht giebt mir Gott bald ein Stuͤck Brod anstatt der Droßeln, und alsdenn bitt’ ich zu mir — Alles andere: Gott sey mit Euch, lebt wohl, faßt’ er zusammen in das vielbedeutende vi- uat Academia! Kaum hatten wir uns niedergelegt, so hoͤrten wir einen schrecklichen Streit, den unsere Fuhrleute, die von Mittag bis Abend in einem Zuge gezecht hatten, erregten. — Ich wolte Mittler seyn; allein mein Rei- segefehrt verbat es dringend. Warum Warum, Bruder, willst du gerad oder ungerad spielen? Deine Worte werden nichts gegen diese Roß und Maͤuler verfangen. — Glaub mir, ich zittre vor einem Lande, wo ein Fuhrmann Major, sein Schwestersohn Junker, und ein Pastor ein Drosselfaͤnger ist. — Das Ungewitter legte sich und stieg wie- der auf — ich schlief vielleicht beym haͤrte- sten Schlag’ ein. — Habt ihr je in einer Gesellschaft, in der alles uͤberlaut war, auf eurem Stuhl ge- schlafen? Wie suͤß! — Mein Reisegefehrt versicherte mich des folgenden Tages, daß er noch nach meinem Einschlaf zwey Stunden gewacht haͤtte. — Ich. Aus Furcht, Bruder? Er. Ich kann es nicht leugnen — Ich. Entschließ dich, Bruder, meinem Bey- spiel zu folgen. Ich fuͤrchte mich nur vor der Furcht, das scheint ein Wort- spiel; allein es ist ein richtiges wahres Wort. — — Auf mein Wort gehe hin, und thue desgleichen! — Unser Major und Junker waren mit den Wirthsleuten des Hauses an diesem guten Mor- Morgen so einig, daß man nichts anders hoͤrt’ als bitten: bald! bald! wieder zuzusprechen, und Versprechungen bald! bald! Wie schoͤn es sich, sagte Herr v. G., nach dem gestrigen Gewitter abgekuͤhlet hat! — Da siehst du, Bruder, erwiedert’ ich, der Teufel traue den Preußen, beschloß er! — — U nd nun in Koͤnigsberg! Ein großer weitlaͤuftiger Ort. — Ich fragte meine Fuhr- leute, wo dieser und jener Profeßor wohne, die mir dem Namen nach bekannt waren? Das weiß Gott am besten, sagten sie. — Im Kneiphoff gehoͤrt die Akademie in die Kirche, und vor diesem kam der Magnifi- cus mit einem Purpurmaͤntelchen, es war spannlang und mit einer goldnen Borte be- braͤmt, alle Michaelis und alle Ostern in diese Kirche. — nun nicht mehr? Nein! nun nicht mehr. Man erzaͤhlt, daß ein grober Kerl von Bauer, der von ohngefehr zu dieser Ceremonie zu Maas ge- Zweiter Th. O kom- kommen, uͤberlaut der Puͤffel! (doch was versteht ein Bauer von Safran!) gesagt ha- ben soll: Wie sich doch so ein alt und wohlbetag- ter Herr noch zum Narren macht! — Nach der Zeit geht der Magnificus ohne spannlanges Maͤntelchen in die Kirche. — Die Kneiphofsche Kirche ist der Dom, und auch die akademische Kirche. Die zur Akademie gehoͤrigen Gebaͤude sind in einer so vertrauten Nachbarschaft mit dieser Kirche, daß alles wie Eins aussieht. — Dies ist eine Erklaͤrung zur Fuhrmanns Erzaͤhlung. Wir stiegen bey dem Major ab, der uns zwey Zimmer mit der Versicherung aufraͤumte, daß wir sie so lange gebrauchen koͤnnten, bis wir ein gutes Quartier bekommen wuͤrden. Er fuͤr sein Theil schluͤg’ uns die Magistergasse im Kneiphofe vor, wo die meisten Studen- ten logiren — und der Name selbst schien ihm sehr angemessen. Es waͤhrete nicht drey Stun- den, so waren drey Landsleute bey uns, wel- che die Sorg’ uͤber sich nahmen, uns ein Quartier zum Kuͤßen , wie sie’s nannten, anzuangeln. Dies Wort war damals, so wie das Wort Fidel, Universitaͤtsparole. Diese Diese Nacht blieben wir bey unserm Fuhrmann. Den Morgen um neun Uhr kamen schon unsre fidele Landsleute, verstaͤrkt mit drey andern; das Quartier zum Kuͤssen war angeangelt, — und wir Burschen, (um ganz akademisch zu sprechen) zogen vom Pfer- dephilister aus. Ist es Hecht? oder Barsch? fragt’ ich, was sie uns angeangelt haben? und sie lachten herzlich uͤber eine so unakademi- sche Frage. — Wir giengen unser Quartier besehen, das uns uͤber alle Maaße gefiel. Es hatt’ es ein Curlaͤnder bewohnt, der heim reißte, um nachher in franzoͤsische Dienste zu gehen. Warum in franzoͤsische, sagt’ ich? Zum groͤßten Theil der Sprachewegen. Auch gut! Ehemals verliebte man sich, um fran- zoͤsisch und das Feine der Sprache, das je ne sais quoi des Herrn v. W., zu lernen! — Es ward verabredet, daß die Landsmann- schaft von dem Abziehenden und dem Anzie- henden bewirthet werden solte. — Jeder, sagten die Aeltesten und Vorsteher, giebt sein Theil, und zwar der Abziehende allein so viel, als ihr Anziehende beyde — denn er kommt bald nach Canaan. — O 2 Um Um indessen diesen Schmaus mit Ehren zu geben, ward beschlossen, daß wir zuvor immatriculirt werden solten. Einer der Landsleute begleitet’ uns zu Sr. Spektabilitaͤt, wie man den Decanus der Facultaͤten nennet, zum Examen. Curlaͤnder? fanden Se. Spektabilitaͤt der Decanus der philosophischen Facultaͤt fuͤr gut zu fragen, als wollten sie zugleich an- deuten, daß das Examen darnach eingerich- tet werden wuͤrde. Man hat uͤberhaupt die Gewohnheit, Fremde entweder ganz und gar nicht, oder hoͤchstens nur sehr wenig zu exa- miniren. — Es sind, wie sich unser ehrliche Pastor in — — ausgedruͤckt haben wuͤrde, Zugvoͤgel. Se. Spektabilitaͤt schienen ohnedem uͤber- schwenglich lustig, und, wie wir nach der Zeit erfuhren, waren sie die Nacht vorher Grosvater geworden. — Sie kamen uns mit einem mundvoll Latein entgegen, und erkundigten sich in dieser Sprache nach un- serm Namen? Geburtsort? und Alter? Ich antwortete sehr behende, und da das lateini- sche Gespraͤch blos zum Spaß angehoben, von mir aber im Ernst fortgefuͤhrt wurde; so wolten Se. Spektabilitaͤt es durch- aus aus nicht glauben, daß ich ein Curlaͤnder waͤre. — Nachdem ich ihm dieses in lateini- scher, nachhero aber, um es desto kraͤftiger zu machen, auch in deutscher Sprache ver- sicherte, fand er fuͤr gut mich zu fragen: ob mein Vater ein Curlaͤnder waͤre? Dies setzte mich aus aller Fassung, besonders da er diesen Ausfall in reinem Deutsch that, und meinem Reisegefehrten diese verfaͤngliche Frage zu Ohren gekommen war. Ich ward Blut- roth — und nach einer Weile (dergleichen Empfindung ist immer wie ein kaltes Fieber) fuͤhlt ich, daß ich wie eine bleich gewordene Rose ausgesehen haben muͤßte. — Der Pro- feßor, (das merkt’ ich auch,) sah mich so an, wie man eine bleichgewordene Ros’ anzuse- hen gewohnt ist — mit einer großen Theil- nehmung. Er trieb diese Frage nicht weiter; allein ich war bestimmt, bey Sr. Spekta- bilitaͤt aus dem Regen in die Traufe zu kommen. Erst einige Fragen nach Art meiner Gros- mutter muͤtterlicher Seits, z. E. wie sich la- tinum von latinitas unterschiede? Was der Magister Saliorum fuͤr eine Wuͤrde bekleidet? was fuͤr ein unlauteres un- orthodoxes Wort dem Tiberius Gewissens- O 3 bisse bisse gemacht, da er Neujahrsgeschenke ver- beten, und daruͤber ein Edict erlassen? Wie Attejus Capito, dem er daruͤber ge- beichtet, ihn absolviret? Was Marcus Pomponius Marcellus, als der zweyte Hofprediger, ihm im Beichtstuhl gesagt? (Jener meynte, das Wort koͤnnte wohl dem Kayser zu Gefallen auf- und angenom- men werden, dieser aber war so stockortho- dox, daß er dem Kayser gerade zu sagte, er koͤnne zwar den Menschen das Buͤrgerrecht ertheilen; allein den Worten nicht.) Was den Virgilius bewogen, wie er selbst gesagt, aurum se ex Ennii stercoribus legere, und warum er nicht, da doch Ennius ingenio maximus, arte rudis gewesen, lieber gerade zu, zur Natur oder zum Homer , gegangen, der fuͤr uns Adam der Natur ist, ob es gleich in diesem Stuͤck Praͤadamiten gegben? — Bey jedem großen Werk muͤssen zwey Koͤpfe arbeiten; wenn auch der eine nur den Kalk loͤschen, oder einen Grundstein legen oder abmessen solte. Moses und Aron sind gemeinhin noͤthig. Einer erfindet, der an- dere sagt. Einer schaft den Leib, der andere die Seele. Einer weiset den Weg, der an- O 4 dre dre geht. Niemand, der sterblich ist, kann ein selbststaͤndiges Genie seyn! Hier ein Wort von der Natur des Dich- ters und von dem Lande, wo er sie pfluͤckt. Er pfluͤckt seine Natur; denn der Ort, wo er sie nahm, ist, wenn man die Natur wiedersucht, die der Dichter beherzigte, wie abgemaͤht: man sieht hoͤchstens die Staͤte, das, was der Dichter sah, ist es wohl mehr ersichtlich? Des Dichters Natur ist unsterblich. Sie macht die Seele, die Monaden in seinem Werke. — Man sagt, und in Wahrheit kluge Leute sind unter diesem Man sagt inbegriffen. Er- giebiger Boden zieht nicht Genies, sondern schwieriger. — Nicht also! Reiset nach Hol- land, um nur eine einzige Reise vorzuschla- gen, hier hat der Fleiß alles gethan. Wie das Land, so die Koͤpfe. Ein schwieriger Bo- den zieht Kritik, ein ergiebiger Genies. Wieder eine Frage. Was den Casimirus, den vierten Koͤnig in Pohlen, zum Befehl bewogen, die lateini- sche Sprache in Pohlen zu treiben? In wie viel Tagen Josephus Justus Sca- liger, des Jul. Cæs. Scaliger Sohn, den gan- ganzen Homer, und also 63,000 griechische Verse durchgelesen, und zwar so, daß die Frage wegfiel: verstehst du auch, was du liesest? Es waren, glaub’ ich, ein und zwan- zig. Elias, setzten Se. Spektabilitaͤt hinzu, oder, wie er sich schreibt, Helias Putschius, der so bald er auf die Welt kam, herzlich zu lachen anfieng, bis in sein vierzehntes Jahr kein latein konnte, und eben drum als Grammaticus und Criticus es so weit brachte, wie Einer, nennt den Joseph in seiner Epi- stola dedicatoria vor den zwey und dreyßig Grammatiken, die er commandirt, illustrem et incomparabilem Virum. (Wir solten, bemerkten Se. Spektabilitaͤt, alle spaͤter die Wissenschaften anfangen, alle wie Putschius sein latein. Wir waͤren auf Ehre weiter! — Fruͤhzeitige Unterrichte sind feine Ketten, die uns binden, oft so fein, wie Seidenfaͤden. — Bey spaͤtern Anfaͤngen wuͤrde der Schuͤler wo nicht selbst was erfin- den, so doch den Lehrer drauf bringen.) Die Scaligers bildeten sich ein, aus dem Geschlecht der Fuͤrsten de la Scala abzustam- men, sagten Se. Spektabilitaͤt. Jammer und Schade, fuhren sie fort, Putschius ver- gaß gaß sein latein bald; denn er starb im sechs und zwanzigsten Jahre, so, daß er also nur etwas uͤber zehn Jahre latein gekonnt hat. — Se. Spektabilitaͤt kamen wieder auf ihre Raͤthselaufgaben, und wandten sich zur Auf- loͤsung Notarum, und vorzuͤglich juridicarum, und so wie unser Grosvater sich herzlich auf- hielt, daß man Aut verkuͤrzet durch A. Ante durch AN̅. Auctor durch AVCT. Est durch E. so gab er mir vielerley Abreviaturknoten zu entchiffern und zu loͤsen. — Ich lies mich mit einer Bemerkung hoͤren, wie man ein Volk aus der Sprache kennen lernen und be- urtheilen kann; so sind, sagt’ ich, in der Sprache vorzuͤglich diese Abreviaturen, so bald sie ins Allgemeine gehen, eine Findgru- be. Sie sind das Volk in compendio. Jeder Mensch hat indessen seine eigene Abreviatu- ren, und dies ist ein Grundriß eines jeden Menschen. — Bey dem Abreviaturknoten bewieß ich mich als Alexander, und da das meiste, so bis dahin verhandelt war, latei- nisch zwischen uns vorfiel; so konnte mein Reisegefehrt und Begleiter nicht wissen, wo ich gieng, und wo ich stand — mithin wuß- ten sie nicht, was aus dem Kindlein wer- den wuͤrde! O 5 Kann Kann was aͤhnlicheres zwischen meiner Grosmutter muͤtterlicher Seits, und diesem seit der vorigen Nacht gewordenen Grosvater seyn? Meine Grosmutter ist mir seit der Zeit eben so spectabilis, (sichtbar) als ein Decanus. Seltene Fragen sind seltene Fra- gen. Raͤthsel sind Raͤthsel. Knoten sind Kno- ten. Die Sprache thut hiebey nichts. — — Ich rechne nicht blos auf Leser, sondern auf Leserinnen, und diese guten Kinder ha- ben nicht noͤthig, mit fremden Kaͤlbern zu pfluͤgen, und ihre Liebhaber wegen einer Ue- bersetzung, die ohnehin stutzerfrey ausfallen doͤrft’, in Anspruch zu nehmen: denn was der Magister saliorum fuͤr eine Wuͤrde beklei- det, heißt mit andern Worten, was der En- gel Gabriel fuͤr Federn in seinen Fluͤgeln ge- habt? und alles, was sie von Tiberius, En- nius, Attejus Capito und Marcus Pomponius Marcellus gelesen, betrift den Nabel des Adams, die Farbe Rahels, die Frag’: ob David ein Adagio oder ein Allegro vor Saul gespielt? Ob Pilatus sich mit Seife gewa- schen, und wie viel Selas in der heiligen Schrift vorkommen? Durch die Aufloͤsung der Abreviaturen, wo ich — meine Leser wissen warum? gieng und und nicht am Berge stand, wetzt ich alle ge- machte Scharten aus, und Se. Spektabili- taͤt beliebten mich wuͤrklich auch fuͤr ein sicht- bares Geschoͤpf zu halten! wofuͤr ich Sr. Spektabilitaͤt noch jetzt dienstergebenst verbun- den bin. — Nun ließen mich Se. Spektabilitaͤt einige Stellen aus den Carminibus saliariis ins La- tein kuͤnsteln, und sodann dieses Kunststuͤck mit einigen Stellen aus den zwoͤlf Tafeln machen. Meinem Reisegefehrten bot er auch einen lateinischen Rapier an; allein er erhielt eine abschlaͤgige Antwort, und ich nahm das Wort fuͤr ihn. — Ὡς αἰεὶ τὸν ὁμοῖον ἁγει ϑεος ὡς τὸο ὁμοῖον, sagten Se. Spektabilitaͤt, und ich weiß nicht, ob diese Stelle, oder ein Hund, der auf der Straße sich hoͤren ließ, und eben dadurch den Herrn v. G. aufsprengte und ans Fenster zog, Se. Spektabilitaͤt auf die Frage brachte: Ob auch im Griechischen? Der ehrliche Noster holte seinen Homer — nicht aus einem rußigen Buͤcherschrank. Homer war so wenig, wie die Bibel, die neben neben ihm lag, bestaͤubt. Ich dachte, wenn ja ein Mann Grosvater zu werden verdient, ist Ers. Er lies mich eine der Lieblingsstellen meines Vaters, die ein adliches Thier an- gieng, uͤbersetzen, ich wußte sie eben, weil sie eine vaͤterliche Lieblingsstelle war, fast auswendig. Sie faͤngt an Ὡς οἰ μεν τοιαῦτα πρὸς αλληλους ἀγορευον. Αν δὲ κύων κεφαλήν τε καὶ ȣ῏ατα κίμενως ἔχεν Ἂργος Οδυσσῆος ταλασίφρονος, ὅν ῤά ποτ̕ αυτός Θρεψε μὲν, ȣ᾿δ̕ ἀπόνητο παρος δ̛εις ίλιον ιρήν Ὡιχετο. τὸν δὲ παροιϑεν ἀγινεσκον νέοι ἂνδρες Ἆιγας ἐπ ἀγροτέρας, ἠδέ πρόκας, ἠδὲ λα- γω´ς — — — Mein Vater hatte die Gewohnheit nicht an- genommen, die haͤufig graßirt, das Griechi- sche zu verlateinen, ich mußt’ es verdeutschen, und diese Gewohnheit behielt ich bey, und mein Reisegefehrt lernte den Hund Argos kennen, der nach zwanzig Jahren seinen Herrn Ulysses erkannte, sich von seinem Sterb- lager aufrichtete, mit dem Schwanze we- delte; indessen nicht mehr das Vermoͤgen hat- te, mit seiner Zunge seinen Herrn zu beruͤh- ren, um ihm Dank zu lecken. — Dieser weinte! — Argos Argos aber, der seine starren Augen noch angestrenget hatte, seinen Herrn zu sehen, starb, nachdem er ihn gesehen hatte, in Frie- den. — Gott hab’ ihn selig, sagte Herr v. G., und eine Thraͤne blinkt’ in seinen Augen; — denn es war ein Hund, von dem geredet ward. — Herr v. G., sie haben mir etwas sehen lassen, sagte der Großvater, was eben so gut ist, als griechisch verstehn. — Wollte Gott, anwortete Herr v. G., ich koͤnnte griechisch, des Argos wegen. — Es sind mehr schoͤne Seelen im Homer, fuhr der Grosvater fort. — Herr v. G. wiederhohlte: des Argos wegen. — Endlich fiengen Se. Spektabilitaͤt (auch dies, weil sie Grosvater geworden waren,) etwas aus der lieben Weltweisheit an. Es sah so aus, als wenn wir einen Ritt dran wagen wolten. Quid est — Wenn Ewr. Spektabilitaͤt es im Deutschen erlauben? — Der gute Mann stimmte bey, und aus unserm Examen ward ein Gespraͤch, ein Pik- nik, wo jeder sein Schuͤsselchen giebt. — Die D ie Philosophie und die deutsche Sprache, — wolte Gott, dies koͤnnt’ ein Paar wer- den fuͤr und fuͤr! — Wolte Gott, unsere Philosophen moͤchten solche Gewißenskoliken haben, als Tiberius uͤber jenes Wort im Edict, und uͤber das Wort Monopolium, von welchem mir bekannt ist, daß er es mit salua venia verbraͤmt, und uͤber das Wort ἔμβλημα, welches er wie Se. Spektabilitaͤt beylaͤufig anzumerken beliebten, aus einem Edikt ausradiren laßen. — Es giebt Natur-Philosophie und Kunst- Philosophie. Leben! Leben! Leben! und Schulweisheit. Philosophie, die blos weiß, und Philosophie, die weiß und thut, ge- lehrten Wust und Weisheit. Aristoteles war ein Kuͤnstler, Epikur, Diogenes, (mit Fleiß zusammen,) waren Naturalisten, und Sokrates desgleichen. — Die kuͤnstliche wird ganz und gar gelehrt, bey der natuͤr- lichen ist nur eine gewisse Methode, die ge- zeigt wird. Das Faß des Diogenes, die Brey des Epikurs, wie verehrungswerth! — Die Fenster im Auditorio, wo natuͤrliche Weisheit gelehrt wird, gehen all’ ins ge- meine meine Leben. — Die natuͤrliche lehrt die Zeit gebrauchen, die kuͤnstliche, sie vertreiben. Die Naturphilosophie ist fließend Waßer, Springwaßer, die kuͤnstlich’ ist Waßer, wel- ches steht. Die Kunstphilosophie treibt Com- mißionshandel, die Naturphilosophie hat blos eigenes Produkt. Das Leben der Na- turphilosophie ist eine Copia vidimata ihrer Grundsaͤtze, und zu ihren Angaben ein solch erklaͤrender nachhelfender Belag, daß ohne Beylage sub Vide ihre ganze Lehre wie gar nichts ist. Wohl dem, der von diesem Was- ser des Lebens getrunken hat! Die Idee der Weisheit liegt der Naturphilosophie zum Grunde, die nicht gleichguͤltig, sondern gleich- muͤthig macht. — Ist wohl ein paßende- res Motto zur kuͤnstlichen Philosophie, als „die Herren werden doch wohl Spas ver- stehn„ Will man ein Emblem, so ist’s ein optischer Kasten. — Vom natuͤrlichen Philosophen sagt man, er philosophirt. Ein kuͤnstlicher Philosoph hat Philosophie. Er hat sie vor Geld und gute Worte zum Verkauf und zur Pacht. — Man muß es bey der Philosophie nicht anle- gen, ein Buch, den beliebten Autor, son- dern die Sache zu verstehn. Man will sich vorzuͤg- vorzuͤglich selbst verstehn, und das Buch Gottes, die Welt. — Diese Philosophie kann nicht auswendig gelernt werden; es ist was inwendiges, ein Philosoph zu seyn. Denken und leben heißt: philosophiren. Wenn man die Wissenschaften in die, der Gelahrtheit, und die, der Einsicht eintheilt; so wuͤrd’ ich die kuͤnstliche Philosophie zur Gelahrtheit rechnen, und so, wie man z. E. von einem Historikus sagen kann: er sey ein Gelahrter, er habe viel gelernt; so auch von einem Kunstphilosophen. Die natuͤrliche Philosophie bestehet nicht in Nachricht, son- dern in Einsicht. Man kann nicht vom na- tuͤrlichen Philosophen sagen: er habe viel ge- lernt; allein er kann viel lehren. Alle Ver- nunfterkenntniß aus Begriffen, gehoͤret zwar zur Philosophie; allein der Philosoph ist ei- gentlich ein Fuͤhrer der Vernunft, und brin- get den Menschen an Ort und Stelle. Der Mensch ist nicht bey sich, heißt, oder solte heißen: er habe diesen eigentlichen philoso- phischen Weg verfehlt. Die Bestimmung des Menschen, und die Mittel dahin zu ge- langen, das ist das Ziel, wo alle philoso- phische Erkenntniß zusammen trift. Es ist die Probe der Philosophie. Der gemeine Mann Mann meynt und wuͤnscht, und selbst dazu ist er ex speciali gratia privilegirt; der Weise denkt und will. Verstand und Wille zu- sammen ist eine Seele. Wer kann die Seele halbiren? Der Mann hat Geist und Leben, das heißt: der Mann ist ein Philosoph na- tuͤrlicher Art. Zwar sagt man auch, dies Buch hat Geist und Leben; allein alsdann denkt man, der Verfaßer, ein Philosoph der besagten Art, hat es geschrieben, und es sich so aͤhnlich gemacht, daß er ihm etwas Geist und Leben abgegeben. Er hat es angehau- chet! — wie Gott den bis auf die Seele fer- tigen Adam. Der Mann ist im Buch ge- troffen! — — — Oft hab’ ich gehoͤrt: wenn man den Mann sieht, und sein Buch, solte man sie wohl fuͤr Vater und Sohn hal- ten? Ja — und wenn ihr sie nicht dafuͤr haltet, liegt es an euch. Wie der Autor, so das Buch, per omnia sæcula sæculorum. Jeder Physionomist muß den Autor aus dem Buch abziehen, und zum reden treffen. Das Buch hat Hand und Fuß, der Mann hat Hand und Fuß, heißt ein Mann mit Winkelmaaß und Waage, der alles mißt und paßt, und ein Buch von der nemlichen richtigen abgemessenen Weise, wo weder Zweiter Th. P Man- Mangel noch Ueberfluß ist, sondern just die erforderlichen Gelenke. — Die Naturphi- losophie ist keine Feindin von reinen Vernunfts- begriffen; allein sie bestaͤtiget sie, wenn ich so sagen soll, auf der Stelle. — Sie schaft sich gleich einen Abdruck — wie Gott die Welt. — Die Religion faͤngt heut zu Tage mit dem Catechismus, und die Philosophie mit einem Compendio an. — Allein in Wahrheit, man solt’ auf ein lebendiges Er- kenntniß dringen, dann wuͤrde man doch ein- mal einen Philosophen zu sehen bekommen. — Roußeau, damit ich eine Bemerkung mache, die in unsern Tagen zu Hause ge- hoͤrt, Roußeau, (schade! daß er todt ist,) war wirklich eine Spektabilitaͤt unter den Philosophen. — Der bloße philosophische Kuͤnstler weiß nichts rechtes, nicht daß ein Gott ist; der arme Schelm! man koͤnnte die natuͤrliche: Philosophie κατ̕ εξοχην, die kuͤnst- liche: Vernuͤnfteley nennen. Die Vernuͤnf- teley und die Zweifelsucht sind Grenznachba- ren. Ein Zweifler und ein Aberglaͤubischer sind Schwester und Bruder. — Ein Zweif- ler macht sich sein Leben nicht gemaͤchlich. — Nein, er hat sich mehr aufgelegt. Er hat Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt. Im Im Fall er aber blos spaßt, ist er nur ein Scheinzweifler, und ein Mann, der alles der Nachfrage wegen hat. Man glaubt ge- meinhin, ein Zweifler sey kein Vielwisser; allein er ist es im eigentlichsten Verstande, und es kann gemeinhin von ihm heißen: das Wis- sen blaͤset auf. Wer Dinge, die gaͤng und gaͤbe sind, bepruͤft, und keinen Stein auf den andern laͤßt, ist kein Zweifler, sondern ein Pruͤfer; im Fall er nemlich aus pro und contra, aus links und rechts, sich etwas auspunktirt, was Stich haͤlt. Solch ein Mann ist nicht aufgeblasen, sondern beschei- den. Seine Zweifel leiteten ihn auf den rechten Weg zur Ueberzeugung, zur Wahr- heit und zum Leben. — Ein Lehrer der Naturphilosophie kann von sich und seinen Juͤngern sagen; ich leb’, und ihr solt auch leben. — Wer hat je mit den Pietisten uͤber die Wahrheit der christlichen Religion gestrit- ten? Wer so lebt, als er lehrt, darf nur bitten, ihm die Ehre zu thun, bey ihm ein- zusprechen. Man ist heut zu Tage von der Naturphilosophie so abgekommen, daß man den, der so lebt, als er lehrt oder glaubt, einen Schwaͤrmer nennt. — Sehr unrich- tig! — P 2 Meine Meine Leser werden, hoff ich, nicht vergessen haben, daß sie zu einem Pikenik ge- laden sind, wo nur Se. Spektabilitaͤt und ich, (meinen Vater kann ich immer mit ein- rechnen,) ihr Schuͤßelchen auftrugen. Wenn ein Koch diese Schmauserey angeordnet haͤtte, waͤr es freylich abgemessener gewesen — ob schmackhafter, weiß ich nicht. Ich bemuͤhe mich auch hier, Lebenslaͤu- fer zu seyn, und dies’ Abschrift ist dem Ori- ginal aͤhnlich. — Wir fielen von einem aufs andre. Wir scheitelten die Haare nicht. Wuͤrd ich nicht einen Roman schrei- ben, wenn ich nicht auch von einem aufs andre fallen und die Haare scheiteln solte? Ein Roman! fern sey er von mir! — Die Eintheilung der Philosophie in die natuͤrlich’ und kuͤnstliche, ist die Hauptein- theilung, die philosophische Eintheilung der Philosophie. Sonst giebt es Eintheilungen Gott weiß wie viel! — In Absicht der Kraͤfte des Menschen, in Absicht der Prin- cipien, in Absicht der Objekte, der Erkennt- nisse. — Ein Philosoph muß das allgemeine in concreto, und das einzelne in abstracto er- waͤgen, und wenn man gleich gern zugiebt, daß daß bey jeder Wissenschaft die Idee des Gan- zen die Avantgarde macht, und daß aus der Eintheilung des Ganzen die Theile entstehen, und daß, um die Theile zu wissen, man erst das Ganze von Person zu kennen die Ehre haben muͤße; so ist doch nicht gut, wenn ein erschreklicher Eingang praͤludirt und pro- logirt wird, ehe man zum Thema schreitet, auch wenn die Praͤludia, wie die des Herr- manns, noch so ausstudirt sind. Wozu die Prolegomena, und das erschrekliche Geschrey: da werden sie sehn! da werden sie sehn! Gleich das Lied, ist am besten! Wenn ich heiß- hungrig bin und der Wirth, der mich gela- den hat, zeiget mir erst seine drey Porcelain Service, und sodann sein Silberzeug, und endlich seine Faiance, bis ich mich uͤberhun- gert, und keine ordentliche Mahlzeit thun kann, wie wenig Ursach hab ich den Wunsch einer gesegneten Mahlzeit anzunehmen, und mich ergebenst zu bedanken; ich wolt’ anbeis- sen, und nicht mit der Gabel anspießen. Warum nicht kurz praͤsentirt: Herr Gott dich loben wir. Befiehl du deine Wege. Philoso- phie! Verstands- und Willenphilosophie, theo- retische und praktische, wenn es ja nach der alten Leyer gehen soll. Vernunfts- und Er- P 3 fah- fahrungsphilosophie. Empirische und ratio- nale, und damit die Eintheilung in Ruͤck- sicht des Objekts nicht vernachlaͤßiget wer- de — Philosophie der engelreinen Vernunft, und der menschlichen Sinne. Die Philosophie der Sinne heißt die Naturlehre. Die Sin- ne sind zwiefach, innerlich und aͤußerlich. Was ich mit dem innerlichen Sinn gewahr werde, ist einzig und allein meine Seele. Also giebts Seelennaturlehre und Koͤrperna- turlehre. — Empirisch und rational kann jene und diese seyn, und was kann nicht alles so seyn? — — Ich kann zwar nur mit mir selbst Seelenbetrachtungen anstellen; allein ich kann nach dem Kennzeichen der Ueberein- stimmung auf andre schließen. Welch ein großes Wort: lern dich selbst kennen! — Mancher Philosoph, der sich auf die Seelen- naturlehre legt, und viel drinn philosophirt, kommt endlich zu einer Art nota bene, zu einer Art von Geisterseherey, von Anschauung vom Platonismus und mystischen Wesen. Er wird entzuͤckt, und wenn man gleich mit dem Verstande nicht sehen, sondern nur denken kann; so ist er doch in einer Verfassung, wo es heißen koͤnnte: Es hat kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤrt, es ist in keines Menschen Herz Herz kommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Oft versehen sich diese guten Leute so, daß sie an ihren Ort gestellet wer- den, der nicht der angenehmst’ ist. — Bie- gen oder brechen ist die Losung dieser Seher! Jammer und Schade, daß es gemeinhin bricht! — Ist denn in den aͤußern Sinnen Wahr- heit, ihr Sinnenglaͤubige? Seht die Sonn’ an, geht oder steht sie? Selbst wenn unser Urtel mit der Erscheinung uͤbereinstimmt, und wenn man sagen kann, die Sach’ ist wahr- scheinlich, ist sie drum so und nicht anders? Gott allein kann die Gegenstaͤnde mit dem Verstand’ anschanen ; denn sie sind durch ihn und in ihm. — Er hat alles in originali, wir uns selbst nur so! — Was heißt: Gott schauen und in Gott alle Dinge? — — Durch eine einzelne Vorstellung erkennen, koͤnnte man anschauen nennen, durch allge- meine Begriffe erkennen, wuͤrde denken heis- sen. Man kann physisch und mystisch schauen, durch Koͤrper und Seelenaugen. Die Seele hat, nach der Mystiker mystischem Dafuͤr- halten, wie die Cyclopen nur ein Auge. Die Logik ist Verstands Grammatik. Sie lehrt uns, von keinem Gegenstande etwas — P 4 selbst selbst vom Verstande nichts; allein sie lehret uns von Dingen, die wir gar nicht kennen viel, und, was noch mehr ist, gelehrt — reden. Von Dingen, die man weiß, von denen man uͤberzeugt ist, spricht man nur wenig. Man handelt wie oben gezeigt wor- den. Dingen aber, von denen man nicht uͤberzeugt ist, legt man durch eine gewisse Hitze einen Grund bey. Man legt es recht dazu an, sich dadurch, daß man den an- dern uͤberzeugt, auch selbst zu uͤberzeugen, und oft ist man hiebey gluͤcklich, so daß man in der That auch hier durchs Lehren lernt. Es kann eine allgemeine Grammatik aller Spra- chen geben, so auch eine des Denkens, die nemlich allgemeine Regeln des Denkens ent- halten muͤßte. Was thun Woͤrter zur Gram- matik! Allgemeine Regeln der Sprachen wuͤrd’ eine allgemeine Grammatik seyn. Vielleicht haͤtte die lateinische dazu all’ Anlage. Die Dialektik ist die Logik des Scheins. Wahrheit ist der Inhalt der Erkenntnisse, mithin kann sie durch die Dialektik nicht erkannt werden. Die Dialektik traͤgt die Liverey des Verstan- des, sie ist die Kunst des Scheins, die Wis- senschaft der Sachwalter und der Sceptiker. — Die Roͤmer waren nicht speculativisch in der der Philosophie, sondern gesund. Sie waren nicht Aristoteliker sondern Menschen. Den Cicero machten die Wissenschaften ruhig; denn er sprach wenigstens, wie Sokrates lebte, und schon diese von der Naturphilosophie ent- zuͤndeten Worte weheten ihm Ruhe zu. — Durch die Scholastiker ist dem Summus Ari- stoteles ein Ehrengedaͤchtnis gestiftet. Der Ausleger weiß immer ein Drittel mehr, als sein Autor; so geht es immer, und so gieng es auch hier! Man findet von diesem Greuel der Verwuͤstung noch Ueberbleibsel, und vor- zuͤglich sind diese Antiquitaͤten noch in der Lo- gik zu sehen. — Da giebt es Alterthuͤmer die Menge, (Einen Winkelmann bey den Anti- quitaͤten der Logik, wuͤnscht ich blos der Seltenheit wegen; dieses ist ein Wunsch der ohne Fingerzeig weit juͤnger, als mein Exa- men, ist.) Des Aristoteles, Gott! verzeih mir mei- ne Suͤnden! oder vielmehr seiner Ausleger wegen; denn wahrlich Er, fuͤr seine Person, war ein Mann, der sich gewaschen hatte, solte man eine Feindschaft wider all’ undeut- sche Namen in der Philosophie haben. — Die Ausleger! was sind sie meistentheils und was sind sie in casu besonders? Canaͤle in die kreuz P 5 und und quer, die dem Lande die feuchte Kraft nehmen, und den Reisenden hindern. — — Viele behaupten, daß wir mit Erkennt- nissen auf die Welt kommen, die man all- maͤhlig herausspinnt, wie Garn aus Flachs. Diese halten die Seele fuͤr eine beschriebene, andere halten sie fuͤr eine unbeschriebene Ta- fel. Beyde fuͤr Tafeln von Wachs, und nicht von Stein, wie die Tafeln Mosis. Alle Suͤn- den aus der Erbsuͤnde herleiten, heißt: eben dadurch eine wuͤrkliche Suͤnde mehr begehen. Es waren schon Weise des Alterthums, die der Meynung waren, daß alles noch Ueber- bleibsel von unserer vorigen Gemeinschaft mit Gott waͤre, daß alles, damit ich mich deut- lich und christlich ausdruͤcke, aus dem Para- diese herkaͤme. Was mein Vater von ange- bohrnen Begriffen dachte, konnte ich nicht anbringen, Se. Spektabilitaͤt uͤberkrieschen mich, und was Se. Spektabilitaͤt davon dachten, ergiebt sich ziemlich deutlich aus dem vorigen. Sie glaubten, der Tisch sey nicht mit Eßen und Trinken besetzt; allein auf dem Tisch stuͤnd’ ein Beutel mit Dukaten und Thalern, groß und klein Geld, je nach- dem die Faͤhigkeiten sind, Eßen und Trinken anzuschaffen. Die Erkenntniße moͤgen nun aus aus den Sinnen geschoͤpft werden, oder die Sinne moͤgen blos Gelegenheitsmacher seyn; dies sey der Weg zur Erkenntniß. — — Es ist die Frag’, ob wir alle gut, alle boͤs’ oder bald gut, bald doͤs’ auf die Welt kommen? Wenn wir in die Hoͤhe wollen, muͤßen wir steigen. — Wenn der Mensch alles aus dem lieben Gott beweiset, so will er ohne Leiter auf den Kirchthurm, gluͤckliche Reise! So philosophiren nenn’ ich, einen leichtsinni- gen Eyd schwoͤren. Man muß sich nicht anders auf Gott berufen, als bis Noth am Mann ist. Du solst den Namen deines Got- tes nicht unnuͤtzlich fuͤhren! — Eure Rede sey Ja, ja, Nein, nein, was druͤber ist, ist vom Uebel. So wie sich Gott durch die Werk’ offenbaret hat, und der Mensch von allen Geschoͤpfen, die wir die Ehre haben zu kennen, sein Meisterstuͤck ist; so will er auch keinen Sprung zu ihm hinauf, son- dern will, daß es fein in dem Geleise der Na- tur bleibe, die nicht springt. Die Instan- zien, die Gott angeordnet hat, muͤßen nicht uͤbergangen werden. Schein ist ein Urtheil, das aus der falschen Anleitung des Verstan- des des entspringt, Wahrheit ist die Ueberein- stimmung der Erkenntniß mit dem Gegen- stande. Wenn also gefragt wird, was ist Wahrheit? reine gediegene Wahrheit? so kann man nicht beßer drauf antworten, als Wahrheit ist Wahrheit. Wenn mir nicht ein Gegenstand gegeben wird; so kann ja auch keine Probe der Uebereinstimmung ge- zogen werden. Eine Erklaͤrung der Wahr- heit in der Art zu geben, daß sie auf alle Objekte ohn’ Unterschied paßt, ist unmoͤglich. Jeder hat seine Uhr, jeder seine Brille, je- der sein Pferd — und jeder seinen Hund, seinen Argos, setzte Herr v. G. hinzu. Ein allgemeines Wahrheitsmerkzeichen, wo ist es? Eine Regel, die all’ Objekte umfaßt und sie herzt und kuͤßt, wo ist sie? Ich muß verglei- chen Erkenntniß und Gegenstand; wenn ich aber keinen Gegenstand habe, wie kann ich’s? Vielleicht koͤnnte sie, die Uebereinstimmung der Erkenntniß mit den Gesetzen des Verstan- des und der Vernunft heißen, und der Ir- thum, der Widerstreit der Erkenntniß mit den Gesetzen des Verstandes und der Ver- nunft — vielleicht! — — Die Seel’ in jeder Sache, oder dasje- nige in der Erkenntniß von ihr, was in al- len len Vorstellungen, die wir von der Sache haben koͤnnen, gilt, ist das wahre darin. In so weit sich eine Sache nicht wider- spricht, in so weit ist eine Seitenwand zum Wahrheitsgebaͤude fertig, in so weit ist eine Be- dingung da, unter der etwas wahr ist. Wer kann und will aber sagen: alles was sich nicht widerspricht, ist wahr? Es kann wahr werden. Es ist in Gott wahr, jeder Gedanke bey ihm steht da. Das Principium des Widerspruchs ist immer ein negatives Wahrheits kennzeichen. Es ist nur eine Laterne in der Hand; allein es ge- hoͤrt mehr dazu, als meiner Mutter Hand- laternchen, wenn man hier sicher und ohn- angefallen an Stell’ und Ort kommen soll. Die Sinne lehren das Formale eines Dinges, der Verstand das Materiale. Das, wodurch das Mannigfaltige auf gleiche Art gedacht werden kann, heißt Regel. Der Verstand ist das Vermoͤgen der Vorstellungen nach Regeln. Wir haben viele Vorstellun- gen, die wir nicht wahrnehmen, deren wir uns nicht bewußt sind. Man kann mit ei- nem Menschen sprechen, ohne daß man weiß, was er fuͤr ein Kleid hat, und man kann denken, ohne daß man es wahrnimmt. Ein abstrakter Kopf ist, der so denkt, daß er nur nur immer auf das sieht, was den Begrif- fen gemein ist. Das Vermoͤgen, sich Dinge durch Begriffe vorzustellen, heißt denken. Einen Begrif analysiren, ihn klar machen, ist ein Hauptstuͤck der Philosophie. Sie macht Gold; denn wenn es aus der Erde kommt, ist es Erde, durch Laͤuterungen wird es Gold. — Ein Moralphilosoph kann kei- nen Buchstab mehr, als dies. Laͤge der Begrif der Tugend nicht in uns, wie koͤnn- ten wir von ihm uͤberzeugt werden? Wie? — Begrif, Urtheil, Schluß, major, mi- nor, conclusio! Ein Uebergang von einem Urtheil zum andern, heißt Schluß. Major enthaͤlt mehr in sich, als das Subjekt quæ- stionis. Es ist der Vater vieler Kinder, Soͤhne und Toͤchter. Ehe man sein Zimmer bezieht, sieht man den ganzen Pallast. — Das Praͤdicat ist groͤßer, als das Subjekt. — Es behaupten einige: Empfindung waͤre die groͤßte Wahrheit; allein sie giebt nur Stof zum Urtheil. Die Sinne urtheilen nicht; die Vernunft urtheilt. Die Sinne sind Stahl, Feuerstein und Zunder. Zum Ir- thum (Heil mir und meinem Buche!) gehoͤrt so gut, als zur Wahrheit, Verstand. Die Die Unwissenheit allein kann sich ohn’ ihn be- helfen. Der Verstand wird beym Irthum anders gewendet. Beym Irthum ist Illu- sion des Verstandes. Sinne und Verstand sind Waßer und Wein. Wer hat Wein ohne Waßer getrunken? Schon in der Traube ist Waßer! — Jedes muß sein Maas und Gewicht ha- ben. Die Schranken des Verstandes brin- gen nicht Irthuͤmer hervor, sondern nur weniger Erkenntniße. Ein engbegraͤnzter Verstand irrt weniger als ein großer! Bey Gelehrten sind mehr Irthuͤmer, bey gemei- nen Leuten aber mehr Vorurtheile. — Wenn man den Menschen bindet; so laͤuft er nicht davon. — Man sagt von großen Genies, ihre Irthuͤmer, ihre Fehler, waͤren schoͤn. — Schmeicheley! Ein Kleid hebt das Gesicht. Ein kleines Maͤnnchen kann so richtig gebaut seyn, als der groͤßeste; es kommt nur auf das Ver- haͤltniß unter den kleinen Theilchen an. Ir- thum, wenn ihn ein Kluger begeht, ist Ta- schenspielerey; es gehoͤrt ein Auge dazu, den Trug zu entdecken, und dies Aug hat nicht jeder. Irthum liegt oft in Saͤtzen, oft in der Anwendung dieser Saͤtze. Ein Fehler in Absicht Absicht der Saͤtze heißt wirckliche, in Absicht der Anwendung Schwachheitssuͤnde. Erst buchstabiren, dann lesen, sagten unsere liebe Alten. — Erst ein Urtheil uͤber Pausch und Bogen, dann ein richtiges. Erst der Laͤufer, dann der Herr. Wer in seinen vorlaͤufigen Urtheilen das rechte trift, heißt: ein Gluͤckskind, oder solt’ es eher heißen, als der, in dessen Familie viele alte Tanten sind. Es waͤre wohl werth, ein Buchstabirbuch in diesem Verstande, in diesem Sinn, herauszu- geben, und uͤber die vorlaͤufige Urtheile eine Anleitung zu ertheilen. Die Franzosen sind vorlaͤufige Urtheiler. — Der erste Gedank’ ist oft der beste, und in Wahrheit, es giebt vorlaͤufige Urtheile, die werth sind, in Rah- men gefaßt zu werden! Vorurtheile sind Urtheile aus der bloßen Sinnlichkeit, die man fuͤr Urtheile aus dem Verstande haͤlt. Die Sinnlichkeit laͤuft dem Verstande vor. Den Grund, den wir ha- ben, von einer Sache zu urtheilen, der aber nicht aus den Gesetzen des Verstandes genom- men ist, heißt ein Vorurtheil. Die Eltern haben Vorliebe zu ihren Kindern; hieraus entstehet eine Vorsprache, welches die Rede- kunst des Vorurtheils ist. — Ein Ein Vorurtheil ist eine Luͤge, nur daß sie nicht immer vom Vater, dem Teufel, ist. Große Koͤpfe stiften viel Gutes; allein auch wahrlich viel Unheil: denn sie werden verehrt, und niemand untersteht sich, weiter zu gehen. Sie sind ein Wall, den kein Re- mus zu ersteigen sich unterfaͤngt. Jeder Mensch hat einen Hang, seine Meynungen andern mitzutheilen, und der Gelehrteste ist nicht gleichguͤltig gegen das Urtheil seiner Waͤscherin und seines Ofenheizers. Die Me- thode ist dogmatisch uͤber apodiktische Wahr- heiten, und dies ist die Methode der Unter- weisung und Behauptung. Die Methode ist aber sceptisch, polemisch, wo man erst unter- sucht, ob etwas apodiktisch heißen kann. Dies ist die Methode der Untersuchung, Bepruͤ- fung oder Kritik. Die polemische Method’ ist die Laͤuterung, das Sterben, die Verwe- sung in der Kenntniß, ehe wir zum Licht und Leben kommen. Die sceptische Philosophie ist hievon verschieden, von welcher wir oben loco congruo schon ein Woͤrtchen gewechselt. Zweifeln und sein Urtheil aufschieben, ist so unterschieden, als vorurtheilen und nach- urtheilen. Zweiter Th. Q Hier Hier eine schoͤne Predigt uͤber die Worte: Der Glaube kommt durch die Predigt, viua vox docet. — Ein muͤndlicher Vortrag verraͤth die Art zu denken. Sie zeigt den Lehrer unangeklei- det. Beym Hoͤren denkt man immer mehr, als beym Lesen. Hoͤren ist auch natuͤrlicher, als lesen. Zwar koͤnnen auch Buͤcher er- bauen; allein es ist hier das nemliche Ver- haͤltniß, wie zwischen Kirchen und Hauß- andacht. — Man muß beym Lesen die Seele des Buchs suchen, und der Idee nachspuͤren, welche der Auctor gehabt hat, alsdann hat man das Buch ganz. Zuweilen ist freylich die Seele schwer zu finden, wie bey manchem Menschen sie wahrlich auch schwer zu finden ist. Der Verfaßer selbst wuͤrde Muͤhe haben, die Seel aus seinem Buch herauszurechnen — indessen hat jedes Buch eine Seele! Et- was hervorstehendes wenigstens, und ge- meinhin pflegt sich hiernach das Uebrige zu bequemen. — Es scheint in der Welt bey allen Sachen eine Fibel noͤthig zu seyn, uͤberall ein gewis- ser Mechanismus, uͤberall eine Schule, eine Akademie. — Wer nur ein Buch lieset, vergißt, vergißt, daß das Jahr vier Jahreszeiten, und daß jeder Tag vier Tagezeiten habe. Man lese vier Buͤcher auf einmal, und man wird finden, daß dies dem Gemuͤthe Erho- lung sey! Ein einzig Buch lesen heißt im Seelenverstande: den Pflug fuͤhren, oder dreschen. — Neue Beschaͤftigung ist wahr- lich Erholung. Warum ist die Gesellschaft Erholung? Weil ein kluger Mann hier mehr, als ein Buch, lieset. Der hat es weit gebracht, der Menschen lesen kann! — (Gott weiß! dies ist ein großes Stu- dium. Die schoͤnste Gegend, was ist sie ge- gen einen Menschen? Und wer die Gesell- schaft aus diesem Gesichtspunkt nimmt, kann gelehrt werden, ohn’ ein gedrucktes Buch, das ohnehin selten Leben hat.) Es giebt einen gewissen Lesegeiz, alles, was man lieset, in seinen Nutzen zu verwen- den. — Einen Lesevielfraß, alles zu ver- schlingen, — und da ereignen sich oft Kopf- druͤcken und Verschleimungen. Sich in ei- nem Buche betrinken heißt: druͤber sehen und hoͤren vergeßen, und es so vorzuͤglich finden, daß nichts druͤber ist. — Wenig und gut lesen, ist großen Koͤpfen eigen. Es ist schwerer, so schreiben, als so reden, daß Q 2 es es einen intreßirt. Das best’ ist, sich selbst herausdenken, nicht bey Hand und Lehrbuͤ- chern, sondern bey seinem Genie in die Schule gehen und ihm Folge leisten, und die Lo- gik dem natuͤrlichen Gange seines selbst eige- nen Geistes, so wie die Moral seinem Ge- wißen, zu verdanken zu haben! Wohl dem, der sich von allem entkleiden kann, was nicht er selbst (das letzte Hemde nicht ausgenom- men) ist! Wohl dem, der seine Willkuͤhr dem Gesetz der Wahrheit und der Tugend unterwirft, wohl dem, der Wesen vom Schein, Schatten vom Licht absondert! Men- schenfurcht, Menschenehre und den ganzen un- wuͤrdigen Troß von Vorurtheilen, sie moͤgen gleich die hoͤchste Stuffe des menschlichen Le- bens und ihre achtzig erreicht haben, und mit dem regierenden Hause in Einverstaͤnd- niß leben, vom Hauptpastor kanonisirt, und vom Profeßore Philosophiae ordinario als ein Anhang dem Catechismus der Vernunft bey- gebunden seyn, fuͤr das haͤlt, was sie sind — Menschensatzungen und Tand! — — Wohl — Alles rationale zusammen genommen, heißt Metaphysik. Sie ist die Seele der Philosophie. Die Methapysik enthaͤlt Urtheil des des Verstandes, abgesondert von aller Er- fahrung, und von allen Verhaͤltnißen der Sinne, wenn z. E. von der Moͤglichkeit, Zufaͤlligkeit u. s. w. gehandelt wird. Hier reden wir nicht vom Schein, sondern vom Seyn, um dem Droßelpastor nachzuahmen. Die Metaphysik hat kein Verhaͤltniß zu den Sinnen. Es will hier alles geistisch gerich- tet seyn. Sie ist ein Lexicon der reinen Vernunft; ein Versuch, die Saͤtze des rei- nen Denkens in eine Tabelle zu bringen. Was in der Logik Urtheile sind, sind in der Ontologie Begriffe, unter die wir die Dinge setzen, Titel des Verstandes, Inhalt der Vernunft. Die Metaphysik muß critisiren. Ihr Gebrauch ist negativ, wenn — Wir waren im Begrif, uns recht viel Metaphysik ins Auge zu streuen; allein siehe da! Die Hausmuͤtze Sr. Spektabilitaͤt, die Grosmutter, wuͤrgte die Thuͤr’ auf, und blinkte durch ein Ritzchen. Man sahe, daß die alte Frau noch einen Brand im Auge hatte. Sie schlug einen Strahl ins Zim- mer. Dieser Wink solt’ ihren lieben Ehe- gatten zum Schluß bringen, weil sie ohn- fehlbar beym Grossohn den Abend verspro- chen waren. Man sah es Sr. Spektabili- Q 3 taͤt taͤt an, daß Sie wußten, was man einem Blick durchs Ritzchen schuldig waͤre. Es gieng uͤber und uͤber. — Ich weiß nicht, ob ich dies uͤber und uͤber schriftlich werde nachmachen koͤnnen. Die moralische Maximen, fingen Se. Spektabilitaͤt, nach diesem Blick durchs Ritzchen, (ich weiß nicht warum?) an, zei- gen, wie ich der Gluͤckseligkeit wuͤrdig wer- den koͤnne; die pragmatischen zeigen, ihrer theilhaftig zu werden. Die Moral leh- ret der Gluͤckseligkeit wuͤrdig zu seyn; ihrer theilhaftig zu werden, ist eine Lehre der Ge- schicklichkeit. Es ist nicht moͤglich, die Regeln der Klugheit und der Sittlichkeit zu trennen. Es ist kein natuͤrlicher Zusammenhang zwi- schen dem Wohlverhalten und der Gluͤckselig- keit: um es zu verbinden, muß man ein goͤttliches Wesen annehmen. Ohne dies kann ich keine Zweck’ in der Welt finden, keine Einheit. — Ich spiel in der Welt blinde Kuh. — Ohne Gott hab’ ich keinen Punkt, wo ich anfangen soll, nichts, was mich leitet. Gott ist groß und unaussprech- lich! — — Die Menschen bedienen sich ihrer Vernunft a priori, zum Nachtheil des prakti- schen Gebrauchs, wenn sie nicht durch kuͤnstli- che che Schranken zuruͤckgehalten werden. Dieses ist auch die Pflicht der Metaphysik. — — (Zehnmal fiengen Se. Spektabilitaͤt: quid est? an, und zehnmal macht’ ich eine Verbeugung, um ihn vom Fragen ab- zubringen. —) Das erste, was ich bey mir gewahr werde, ist das Bewußtseyn, dies ist kein be- sonderes Denken, sondern die Bedingung und die Form, unter der wir denkende We- sen sind. Wie schoͤn bauen und wuͤrken nicht manche Thiere, wie nah kommen sie uns nicht auf die Seele; allein eins, was nicht ersetzt werden kann, das Bewußtseyn fehlt, und wahrlich es fehlt wenig! und es fehlt viel! Mein Reisegefehrt wolte wegen der Hunde einwenden; indessen konnt’ er nichts mehr, als husten. — Alles was da ist, ist im Raum und der Zeit. Raum und Zeit sind Formen der An- schauungen, sie gehn den Erscheinungen vor, wie das Formale dem Wesentlichen. Ich muß Zeit und Raum haben, damit, wenn Erscheinungen vorfallen, ich sie hinstellen und beherbergen koͤnne. Die Objekte der aͤus- sern Sinne werden im Raum, die der in- nern Sinne, in der Zeit, angeschaut. Hier Q 4 ein ein ganz kleiner Commentarius uͤber den theologischen terminum technicum Zeit und Raum zur Buße, der, wie Se. Spektabi- litaͤt sich ausdruͤckten, nicht außerm Wurf laͤge. Wie vielen Dingen mußten wir auf der Stelle, des Blicks durch die Ritze wegen, einen Scheidebrief geben. Wir nannten blos ihre Namen, und behalfen uns damit, daß wir diese Namen nannten, und uns einan- der zulaͤchelten. — Ein wahres Exa- men! — — Bey reinen Verstandsbegriffen haben wir keine Begriffe von Sachen, sondern nur Titel, worunter wir uns eine Sache denken koͤnnen. Durch diese Titel koͤnnen wir nichts ausrichten, außer wenn wir sie auf Gegen- staͤnde der Erfahrung und Anschauung an- wenden. Wer kann aber ohne die Titel des Verstandes vorauszusetzen, wer kann Er- fahrungen anstellen? Wer Fisch’ ohne Netz oder Hamen fangen? Die Metaphysik ent- haͤlt alles, und enthaͤlt nichts. Sie macht nichts von den Gegenstaͤnden aus; allein ohne sie kann man nichts von Gegenstaͤnden ausmachen. Sie ist das Zollhaus, die oͤf- fentliche Wage der philosophischen Erkennt- niß. Sie enthaͤlt Titel des Denkens; allein keine keine Praͤdicata der Dinge. Nur die Er- scheinungen verleihen Begriffe von den Din- gen. — — Vernuͤnfteley (Se. Spektabilitaͤt wurden von einer Muͤcke verfolgt, die um sie herum- sausete, und sich nicht haschen lies,) ist das, was kein Objekt hat. Was eine Bedingung der Vorstellung und des Begrifs vom Ge- genstand ist, machen wir oft zur Bedingung des Gegenstandes selbst, die subjektive Be- dingung zur objektiven. — Die Muͤcke ver- hinderte Se. Spektabilitaͤt, dieses Thema weiter auszufuͤhren. Im Ernst, die Muͤcke haͤtte nicht beßer ihre Sache machen koͤnnen, wenn sie von der Frau Gemahlin Sr. Spek- tabilitaͤt waͤr’ auf den Hals geschickt worden. Der analytische Theil der Metaphysik enthaͤlt Definitionen meiner Begriffe, der synthetische, Bereicherung von Erkenntnis- sen. Der Begrif von den Monaden muß billig nur auf denkende Wesen gedeutet wer- den, fiengen Se. Spektabilitaͤt mit einem frischen Athemzuge, nach einer geendigten Cadenz an, und schienen noch sehr viel Me- taphysik auf ihrem Gewissen zu haben; al- lein die Thuͤre gieng auf. — — Wir sahen ein Grosmuͤtterchen in Sterbensgroͤße; denn Q 5 sie sie war so zusammen gefallen, daß man Ke- gel mit ihr schieben koͤnnen, wie Herr v. G. bemerkte. Was fuͤr Feuer im rechten Auge! Damit hatte sie durch die Ritze geblitzet, das linke Auge war schon aus der Welt gegan- gen, es war stumpf und todt, als wenn eine Blatter darauf gefallen waͤre; allein das war es nicht. Die Zeit hatt’ es so ab- gefeilt. — Die Tochter, fieng sie an, und ohne sie auszuhoͤren, schrie die uͤberfallene Spektabilitaͤt — Gleich, gleich! — Nur das Signum depositionis. Er schrieb uns einen Paßierzettel, einen Freybrief, womit wir uns noch bey Sr. Magnificenz zu mel- den haͤtten. Waͤhrend der Ausfuͤllung dieses gedruck- ten Zettels wandt’ er sich zu mir: Sie, fieng er an, werden sich wohl der Universitaͤt widmen? ich, fragt’ ich, etwas einfaͤltig? Der Herr v. G. nicht , erwidert’ er, ich auch nicht! Alles was geschieht, hat seine Ursach, fuhr er fort, und warum? Es war so gar, mit Ewr. Spektabilitaͤt Erlaubnis, Streit, ob ich gar auf eine Uni- versitaͤt gehen solte? Die- Dieser Streit war wohl gewiß generis feminini, und die Frau Mutter? = Ich. Wenn sie daran Theil nahm, so geschah’ es blos, um den Akademien Ruhm, Preiß und Ehre zu geben, und Staͤrk und Kraft; denn sie behauptete, daß das Para- dies die erste Universitaͤt gewesen, weil die ersten Eltern relegirt worden. — Der neue Grosvater lachte herzlich uͤber diesen Einfall und — machte mir viele Complimente auf Rech- nung meiner lieben Landsleute. Der eine der Landsleute, der uns zu Sr. Spektabilitaͤt begleitet hatte, war die ganze Zeit uͤber in Seelennoth gewesen. — Es waren ihm alles boͤhmische Waͤlder, bis auf den Casimirus den IV ten Koͤnig von Pohlen, welcher vom Koͤnig’ in Schweden Carolo Canuto in Danzig examinirt ward, und mit seinem ganzen Hofstaat kein Latein verstand. Diesen Koͤnig kannt’ er par renom- mée; alles uͤbrige war ihm dicke Finster- niß. Er erzaͤhlte mir beym Weggehen, daß er gefuͤrchtet haͤtte, der Profeßor wuͤrd’ ihn aus Hoͤflichkeit ein Woͤrtchen mitfragen. — und wenn, sagt’ ich? Bru- Bruder, erwiedert’ er, deutsch, latein und griechisch — alles war mir gleich un- verstaͤndlich. — Wegen der zwoͤlf Tafeln fragt’ er mich in Vertrauen, wie der gute Profeßor auf zwoͤlf Ta- feln gefallen waͤre, da ihm doch nur zwey stei- nerne Tafeln bekannt waͤren? — und mußt’ ich ihm erklaͤren, daß Se. Spektabilitaͤt nicht von den Tafeln Mosis geredet haͤtten. — — Ich erinnre mich an ein Versprechen zu- ruͤck. Den Regen kennen meine Leser; al- lein die Traufe bin ich ihnen noch schuldig. — Nachdem das Signum Depositionis un- terschrieben und besiegelt war, und wir uns der Gewogenheit Sr. Spektabilitaͤt, als un- sers Vorgesetzten, empfohlen hatten, sagten Se. Spektabilitaͤt laͤchelnd zu mir: So wuͤnsch’ ich ihnen denn ein Secessum, Secretum, Angulum, das ist, ein Pastorat in ihrem Vaterlande, damit sie bald ihre zu- ruͤckgelassene Schoͤne heyrathen koͤnnen! — Das war die Traufe. Ich weiß nicht, was ich geantwortet; nur das weiß ich, daß es nicht griechisch, nicht latein, nicht deutsch war, und daß ich mich gern noch einmal lie- ber examiniren lassen wollen, als —. Se. Spektabilitaͤt beschlossen den ganzen Actum mit mit einer guͤldenen Aberegel: minus est actio- nem habere, quam rem. — Unser Begleiter begegnete mir mit einer ganz vorzuͤglichen Achtung. Beym Schmause sagt’ er der ganzen Landsmannschaft, was ich fuͤr ein Kerl waͤre, und daß ich von zehn Tafeln mehr wuͤßte, als er bis heute gewußt haͤtte. Man versicherte mich, daß kein Cur- laͤnder bey Menschen Gedenken durch so viel Truͤbsal des Examens in das akademische Reich eingegangen waͤre, und daß besonders Se. Spektabilitaͤt gar kein beißiger Hund waͤren. — Wer Henker, setzt’ er hinzu, konnt’ es wissen, daß er eben die Nacht vorher Gros- vater geworden. — Ich dachte bey dieser Gelegenheit an den Backofen, der bey mei- ner Geburt, wie der Tempel zu Ephesus, als Alexander gebohren ward — abbrannte, und hatt’ in Verbindung mit diesem Examen- vorfall, nach meiner Mutter Anweisung, recht erbauliche Gedanken. Das Testimo- nium unsers Begleiters setzte mich in eine solche Achtung bey meinen Landsleuten, daß ich dux fax et tuba war, und kein Duell konnte vorfallen, keine Fackel angezuͤndet, keine Musik gebracht werden, wo mir nicht, der der zwoͤlf Tafeln wegen, ein votum decisi- uum waͤr’ eingeraͤumet worden. Bald haͤtt’ ich Sr. Magnificenz vergessen, wohin uns Se. Spektabilitaͤt sandten. Gott verzeih mir meine Suͤnd’ ich dachte, von Pi- latus zu Herodes. — Se. Magnificenz sahen den weißen Stein, den wir aus den Haͤnden Sr. Spektabilitaͤt mit hatten, und wollten uns anfaͤnglich auf den Stein und Bein des Albrechts, Stifters dieser hohen Schule, schwoͤren lassen; allein sie besannen sich eines andern, eines bessern, und verwandelten den Eid in einen Handschlag — worauf wir die akademische Gesetze erhielten, und mit großen Siegeln zu den lieben Unsri- gen nach Hause kehrten, wo uns die Lands- manschaft mit einem curschen Liedchen bewill- kommete. Jede Strophe ward mit einem Lihgo oder Frohlocken beschloßen. Es war mir, als waͤr’ ich mit dem Ritter Jachins und seinen Leuten zusammen! — Unsere Landsleute besahen die großen Siegel und die Schriften, als wenn sie ihnen was Neues waͤren, und bliesen den Sand von unsern Taufscheinen. — — Kinder, hieß es am Ende, ihr kriegt darauf nicht ei- nen Dreyer geborgt. — — Ich Ich muß noch einen Vorfall nachholen, der in dem Hause Sr. Magnificenz auf mich zukam. Der Edelmann, sagten Sie, zahlet dop- pelt, und hat die Ehre, einen Degen zu tra- gen, der in preußischen Staaten dem buͤrger- lichen Studenten wegen vieler vorgefallenen Schlaͤgereyen verboten ist. — Die auswaͤr- tigen Familien sind uns indessen nicht so be- kannt, (mit einem Fragzeichen,) also beyde Edelleute? Mein Reisegefehrt nahm hier das Wort, wie ich beym Latein. Beyde, sagt’ er. — Verzeihung, Bruder, erwiedert’ ich — Es verdroß mich, daß ich in einem frem- den Lande, wo ich mein Geld und, im Fall der Noth, mein ανέχου και απέχου aus- zugeben willens war, und wo es keinem was angieng, ob ich als Edelmann, oder als Buͤr- ger, aͤß’ und traͤnke, durchaus Adel oder Una- del documentiren solte — und wie? dacht’ ich, hat man hier zur Ruhe des Degens, wenn ihn der Edelmann traͤgt, ein besseres Zutrauen, als wenn ihn ein Buͤrgerlicher angelegt hat? Ich bezahlte, wie ein Edelmann; allein ich hat sehr, mich als Buͤrgerlicher in Al- bum bum Studiosorum einzufuͤhren. Dies fiel Sr. Magnificenz nicht wenig auf. Da aber Dieselben die vorige Nacht nicht Grosvater geworden waren; so gaben Dieselben weiter nichts darauf, sondern nahmen was ihnen gebuͤhrte, und wuͤnschten wohl zu leben. — Ich konnte nicht umhin, von diesem Um- stande gegen meine buͤrgerliche Landesleute Gebrauch zu machen; allein diese lachten herz- lich uͤber meine Einfalt. — „Den Edelmann „dir so nah zu legen, und ihn nicht zu neh- „men„ — und eine Luͤge? „Sie wird ja „bezahlt„ und wenn ich heim komme? „Ja „denn muͤssen wir freylich Ew. Hochwohl- „gebohrnen oder mein Goͤnner sagen,„ in- „dessen sind wir doch Litterati„ — Daß Euch Gott helfe, dacht’ ich, Litterati, ohne von keinen Tafeln mehr, als von den zween des Moses, zu wissen! Der Abend ward mit Eßen und Trinken und Musik zugebracht. — Einige gaben dem Abreisenden das Geleit, und da in der gan- zen Straße, so weit nur das Gesicht reichte, die ganze Nacht hindurch Licht brannte; so brachte mich dieses auf die Frage, was diese Erleuchtung und nachbarliche Aufmerksamkeit zu bedeuten haͤtte? Die Antwort unsers Vor- fahrs fahrs war: Seht da, Kinder! So viel Lich- ter, so viel Maͤdels, die ich euch unentgeld- lich laße; indessen will ich wohlmeynend an- raͤthig seyn, daß sich jeder eins oder zwey aussondre, und die andern fahren lasse. Sonst geht es Euch wie mir! Diese, jene, dort, hier, die, da, disseits, jenseits, links, rechts, kurz, in all den Haͤusern, die ihr seht, sind Maͤdchen, die den ganzen ausgeschlagenen Tag, von fruͤh bis in die sinkende Nacht, im Fenster liegen und liebaͤugeln, die guten Din- ger! Man sieht ihnen den Verdruß an, daß sie nicht Mittag und Abend am Fenster hal- ten koͤnnen! — Ihr koͤnnt es nicht glauben, wie die Maͤdchen unsrer Landsmannschaft treu, hold und gewaͤrtig sind. Ein Praͤsent- chen, und ihr habt das ganze Spiel gewon- nen. — Glaubt mir, die all zusammen, wo ihr Licht seht, waren mein! Sie sahen mich so steif und fest an, als ob sie mich mit den Augen faßen wolten! Die guten Dinger! und ich sahe sie all zusammen so, (der Him- mel weiß, wie mein Aug’ auf diese Art aus- fiel,) daß jede glaubte, ich saͤhe nur sie an! Ich regierte hier wie Sultan, hol mich der Teufel! nur daß jedes Fenster glaubte, es haͤtte mein Schnupftuch. — Die guten Din- Zweiter Th. R ger! ger! Die eine da! Ein Aug’ ins Himmels- blau getaucht — der, den sie mit diesem Aug’ ansieht, glaubt, er saͤhe den Himmel in Mi- niatuͤr. — Wenn ich sie zuweilen (denn sie verdient’ es) ganz allein ansah’, dann! dann! fragte mich ihr Auge so, daß es mein Inner- stes hoͤren konnte: ist’s auch wahr? und wenn ihr mein Auge vorlog! Ja, es ist wahr! o wie zitterte dann suͤße Verwirrung in ihrem Auge, recht als ob wir zur Trau gehen solten, und noch weiter. — Das ist ein Maͤdchen, so ich dir goͤnne, (er wandte sich zu mir.) Ihr Athem goͤttlich! Bruder! Wen sie anhaucht, von dem koͤnnt’ es heißen: also ward der Mensch eine lebendige Seele! Sie spielt eine Laute, Bruder! Des Abends im Sommer, wenn sie am Fenster diesem Instrument die Zunge loͤset — Zephirs, die eben der Hitze halber Mittagsruhe gehalten — denn es ist im Sommer hier sehr heiß, flatterten ganz frisch und munter herum, und brachten mir alles, bis auf die geheimste Bebung zu! Auf Ehr’ in jedem Finger hat sie eine Seele! und wenn alle diese Seelen einen Ton heraus- brachten — Bruder, da ist die Nachtigal ein Kind! — Leb wohl, Amalia! Leb wohl! Ich laß dir einen braven Jungen zuruͤck, der auch auch Bebungen versteht. Schau, wie sie die Laute haͤlt, und wie sie den Ordensband sich so leicht umhaͤngt, als floͤß’ er, Bruder! — Die Laut’ ist an sich ein so gutherziges In- strument! Amalia traurte juͤngst, und da kam die Weiße ihres Arms aus der Dunkelheit so abstechend hervor, daß ich sitzen blieb, wie vom Schlage geruͤhrt. Hast du bemerkt, wenn das Hemd’ auf dem Busen eines Dorfmaͤd- chens sich einen Finger breit verschiebt und bey dem sonnenschwarzen Busen den weißen Fleck verraͤth! — Das, sagte Herr v. G., hab ich bemerkt, meine Leser wissen wo? Die, sagt’ unser Mahler zum Herrn v. G., die in diesem Hause! Bruder, schwarz Haar, wie Ebenholz! Ein Auge, das immer drey Schritt weiter gieng, als meines, so stark auch meines zudrang. — Ein Busen! zehntau- send Liebesgoͤtter tanzten darauf. — Pfui, sagte Herr v. G., was muß das fuͤr ein Busen seyn! Unser Reisende hatte Muͤhe, ihn mit dem Busen und den Liebesgoͤttern auszusoͤh- nen, die er auf zehn reducirte, wobey sich am Ende Herr v. G. zufrieden gab. Bey deiner lebt man, bey des — (auf mich) stirbt man. Bey deiner haͤlt man sich gerade, denn sie ist eine Goͤttin. Man sieht gen Himmel — R 2 Bey Bey deiner (wieder auf mich) legt man den Kopf von einer zur andern Seite, denn sie ist eine Schaͤferin! O die schoͤnen Schaͤferstun- den! Ich hab noch vergessen, fuhr er zu mir fort, ihr Busen wallt, so wie eine Laute, er bebt nur herauf, und Bruder! ihre Stimme, wenn sie singt — Sie thut es selten, sie hat eine blonde Stimme, du wirst mich verstehen, sie stiehlt das Herz, deine Brunette (zum Herrn v. G.) nimmt es mit Gewalt! sie raubt! — Sie kommt nicht mit vollen Segeln! Sie ist stolz, und scheint sich wenig aus einem Siege zu machen; denn sie ist sich bewust, daß sie Herzen wie Fliegen zu fangen im Stand’ ist. Jene streichelt, diese schlaͤgt; allein wenn sich diese Koͤnigin herablaͤßt, ist’s auch so, als wenn die Sonne aufgeht. Man hat sich besof- fen, wenn man sie liebt, und einen Jesuiter- rausch, wenn es die mit der blonden Stimme gilt. — Diese spielt kein Instrument. Die Orgel wuͤrde sie spielen: allein wenn sie singt — das thut sie oft, Bruder, so praͤchtig wie ein Donnerwetter! Diese beyden Auserwaͤhl- ten empfehl ich euch zu Gemahlinnen, die andern — zur linken Hand und so neben an, zum Spiel! — Noch eine Warnungsanzeige eh ich von hinnen gehe. — Die beyden wa- ren ren freylich die Hauptpersonen und meine Gemahlinnen; allein auch unter den andern giebts Dingerchen zum rasend werden! Sie waren gleich in den ersten acht Tagen alle mein! Ich meyne mit den Augen, und nun hielt da unten zu — ein Kaufmann Hochzeit, der die ganze Gegend und mich mit bat. Ich kam zum erstenmal mit all diesen angeangel- ten Maͤdchen zusammen; jedes Auge forderte Rechenschaft. Da ward ich, wie Caͤsar, mit drey und zwanzig Wunden erstochen. — Sah ich eine an, so waren die andern wie Tyger auf mich, und forderten Antwort uͤber meine Untreue! O wer da mehr Augen gehabt haͤt- te, als zwey! Ich wußte nicht aus noch ein — bis ich endlich Muth zum Entschluß faßte, und mich zu vieren bekannte, und in Ruͤcksicht der andern die Augenehen aufhob, und dies Band trennte. Diese vier halfen mir selbst die an- dern abfertigen — und diesen vieren bin ich auch so treu geblieben, als moͤglich. Sie ha- ben sich bis an mein End’ in meinem Gewahr- sam befunden! Seht! da ist es am hellsten. Es blieb nicht bey den Augen in Ruͤcksicht die- ser vier; indessen doͤrft’ ihr nichts von mir fuͤrchten. — R 3 Mich Mich muͤßte der Teufel plagen, setzte der Abschiedsredner fort, ein Maͤdchen in Koͤ- nigsberg zu heyrathen, wo Curlaͤnder grad’ uͤber logirt haben! — Ihr werdet Wunder sehen! und glauben! Schaut die andern selbst, von denen ich mich, nach dem fatalen Gefech- te, scheiden mußte, auch die noch Licht! — Wenn es angeht, schraͤnke sich jeder auf zwey ein, damit kann man bestehen und bey Ehren bleiben, einer das rechte, der andern das linke Auge! — — Wie wenig ich von dieser Uebergabe Ge- brauch gemacht, darf ich nicht bemerken. — Herr v. G. vergaß zwar seine Dorfdirne, seine schmucke Trine, nicht; indessen legt’ er sich dennoch, wenn er nicht zu jagdmuͤde war, ins Fenster, und dann hatt’ er sie, nach seinem etwas jagdfreyen Ausdruck, wie am Rosen- kranz! — Ich habe mich nie in Liebeshaͤndel andrer Leute gemischt, nur das konnte mir nicht verborgen bleiben, daß er seine uͤbrige Zeit (er hatt’ indessen nicht viel uͤbrig,) den beyden von unserm Vorgaͤnger beschriebenen Maͤdchens schenkte, mit denen er, wie er zu sagen pflegte, so ziemlich bekannt waͤre. — Sie sind, sagt’ er, meine Dorfdirn’ in man- gelhafter Copie; allein mich soll der Teufel beym beym ersten Kuß, den ich ihnen zudruͤcke, ho- len, wenn ich nicht mein Dorfmaͤdchen viel hoͤher schaͤtze, als sie! — Ehrlicher! und das heißt genau genommen, auch schoͤner! Meine Trine, ausgewachsen wie eine Goͤttin, kein Mißglied an ihr, keins verkruͤmmet und ver- kratzt. — Alles reif, herausgegangen wie die Natur! — redet dein Vater aus dir? fiel ich ihm ein. getroffen, erwiedert’ er, aber meine Empfin- dung bestaͤtigt seine Rede. Mein akademischer Wandel — ich kam nicht mit Denksucht sondern mit Lernsucht, in die Hoͤrsaͤle, nicht verwoͤhnt, sondern hung- rig und durstig. Ich dachte nicht meinen Le- benslauf zu schreiben, welcher Einfall mich nur seit kurzem uͤberfiel, sondern ich wolte le- ben lernen. Ich durfte nicht meine Hengste der Einbildungskraft ausspannen, die mich zu tausend Zeitungslorbern fuͤhren solten; denn ich hatte sie nie angespannet. Ich flog nicht, ich gieng, und wußte, wie es waͤchsernen Fluͤ- geln, wenn sie der Sonne nahe kommen, zu gehen pflegt. Hoͤchstens lief ich — um aus einer Stunde zeitig genug in die andre zu stuͤr- zen. Im Hoͤrsal dacht’ ich: Er hats gesagt ; zu Hause frug ich mich: was hat er gesagt ? R 4 Ich Ich schreibe (meine Leser werden es, wie ich nach der Liebe hoffe, wissen) Leben , nicht Schule , und was kann ich also von meinem akademischen Laufe sagen, was eingroßer Theil meiner Leser nicht schon selbst, wie ihren Haus- und Wirthschaftscalender, aus und inwendig wuͤßte. Die Lehrer lasen ; ich hoͤrte . Ich lernte von allem, was ich schon wußte, die Grammatik, auf der Reitschule, auf dem Tanz- boden, in der Philosophie, in — allem. Ich lernte meinen Lehrern den kuͤrzesten Weg zum Ziel ab, und war aufmerksam auf die Straße, die zu gehen, und auf die Straße, die zu mei- den, war. Solte man nicht uͤberhaupt auf Universitaͤten mehr Polemik als Thetik in al- len menschmoͤglichen Wissenschaften lehren? Und solte nicht Kritik , in einem besondern Sinn, der Gegenstand der akademischen Be- schaͤftigungen seyn? Der ist in meinen Augen der beste Professor, der am gruͤndlichsten sei- nen Schuͤlern zu sagen weiß, was nicht ver- lohnt gelernt zu werden, und die Titel von dem, was Lernens werth ist. Meine Haupt- bemuͤhung in Ruͤcksicht der Gelehrsamkeit auf der Universitaͤt war, ein Lexicon zusammen zu tragen, wo ich die Gelehrsamkeit weiter nach- schlagen koͤnnte, wenn ich, wie Felix, geleg- nere nere Zeit haben wuͤrde. Gottlob! Diese ge- legene Zeit ist gekommen. Die Sprachen, die ich angefangen, setzt’ ich fort, in so weit es von ihnen und mir heißen konnte: der Schmidt hat mehr, als eine Zange. Ich wuͤn- sche, daß sie ihre Zeit gut anwenden moͤgen, war damals in dem Munde eines Profeßors, wenn er mit einem Studenten sprach, so viel, als guten Morgen, guten Abend und gute Nacht! — Die Pietisten setzten hinzu: Gott segne ihre Studia, und mehr, als dies, weiß ich von diesen Leuten nicht zu sagen. — Se. Spektabilitaͤt nannten mich, wo sie mich reichen konnten, den curschen Philoso- phen und empfohlen mich ihren Herren Col- legen, wo ich nicht viel Grosvaͤter fand; in- dessen wuͤnschten alle, daß ich meine Zeit gut anwenden, und daß Gott meine Studia seg- nen moͤgte! Wenn sie zum Inpietismus ge- hoͤrten, blieb der eingliedrige Segen weg. — Froh denk ich noch heut, (es ist eben Michaelstag,) an diese akademische Zeit, und rufe mit dem guten Drosselpastor: viuat Aca- demia! Mir fehlte nichts, als Mine, der Kirchhof, das Waͤldchen, und die andre hei- lige Oerter, wozu noch die gruͤndicke Laube des Bekannten gekommen war; indessen er- R 5 setzte setzte mir die Einbildungskraft alles. Ich las Minens Briefe, beschaͤftigte mich mit den von ihr eingeweihten Sachen, und kam mir wie ein Wittwer vor, der seine Frau in sei- nen von ihr zuruͤckgelassenen Kindern sucht. Seine schoͤnste Zeit ist, wenn er mit ihnen spielen kann. — Meine Spaziergaͤnge waren Kirchhoͤfe, Waͤldchens, und uͤberhaupt Oer- ter, die mich desto deutlicher an Minen erin- nern konnten. Sie sah ich uͤberall. Ich stu- diert’ an ihrer Hand. — Sie beseelte mich mit Muth, und war mir sans comparaison das, was jedem Ritter seine Schoͤne ist. — Mein lieber v. G. blieb keinem Professor einen Dreyer schuldig, das ist alles, was ihm zum Ruhm im Testimonio behauptet werden koͤnnen, wenn er ein dergleichen Ding noͤthig gehabt haͤtte. Ich studirt’ in seine Seele, als sein Sachwalter, und erzaͤhlt’ ihm des Abends im Zeitungston, was ich den Tag uͤber in eig- nem Nahmen, und vi specialis mandati, ge- hoͤrt hatte, woruͤber er, wenn er jagdmuͤde war, sanft einschlief. — Ich indessen setzte meine Wiederholung fort, und hatte dadurch den Vortheil, mit dem gehoͤrten Wort bekann- ter zu werden. Die Digestion der Wissenschaf- ten wird eben hiedurch unendlich befoͤrdert, wenn wenn man erzaͤhlt, was man weiß. Man lernt auf diese Art, mit der Wissenschaft conversiren, und sie auf einen freundschaftlichen Fuß neh- men: der Hoͤrer sey uͤbrigens jagdmuͤde oder nicht. — Was konnte Herr v. G. dafuͤr, daß es um Koͤnigsberg solche schoͤne Jagdplaͤtze gab, und daß ihm davon viele Feldmarken, die durch zwey besondre Thore lagen, als plus licitanti zugeschlagen wurden. — Herr v. G. hatte sich vortrefliche Jagdbuͤcher angelegt, und war jetzo so sattelfest in der Jagdterminologie, daß er nicht allein Hochselbst fuͤr Fund zeitle- bens sicher war; sondern er war noch oben ein im Stande, andern Fund zuzuwenden, die ihre Zeit auf der Akademie nicht so gut, wie er, angewendet hatten. Mir versprach er, wenn es noͤthig seyn solte, aus Noth zu helfen, du hilfst mir wieder, setzt’ er hinzu, wenn etwas vom Argos vorfaͤllt. — Am Ende, fuhr er fort, duͤnkt mich, daß uͤberall bey eurer welt- gepriesenen Gelehrsamkeit Jagdterminologie ist. — — Den mangelhaften Copien seiner Dorfdirn entgieng oft zu viel durch diese Jagdneigung, und gern haͤtten sie ihn davon abgebracht — allein so sehr hatten sie ihn nicht getroffen , wie er sehr jagdmaͤßig sich ge- gen mich erklaͤrte. — Die eine ließ ihre blon- de de Stimme hoͤren, die andere donnerwetterte; allein es gehoͤrte mehr dazu, als Orgel und Laute, den Herrn v. G. auf die Springe zu bringen. Bey alledem war er Sieger, und die beyden Schoͤnen geschlagen. Die andern Schoͤnen in der Straße sah er an, wie solche Feldmarken, die ihm nicht als plus licitanti zugeschlagen waren. Bruder, sagt’ er zu mir, in Ruͤcksicht der Beyden, sie sind abgerichtet, sie sind dreßirt, sie verstehn alles auf ein Haar. — Die werthen Eltern dieser beyden setzten die Freundschaft mit uns fort, wobey ich freylich in der Hauptsache sehr leer aus- gieng. Diese Freundschaft war also nicht an die Personen, die hier logirten, sondern an die Zimmer gebunden, nicht eine personal, sondern eine real Bekanntschaft, wie es jede nachbarliche Bekanntschaft ist. Freylich trug es sich zuweilen zu, daß die Dirnen den Herrn v. G. in die Enge brachten; allein er pflegte sehr richtig mir ins Ohr zu bemerken, daß die Stadtschoͤnen, wenn gleich sie mit Witz ausziehen, doch ohne Witz in die Flucht ge- schlagen werden koͤnnen, wenn nur — — Herr v. G. besaß von diesem Wenn nur ge- rade so viel, um seinen Posten zu behaupten. — Der Schweiß Abels , hatt’ er im Jagd- eifer eifer gesagt, schrie zu Gott um Rache , und unsre Stadtnympfen wolten ihm hart fallen. — Ich war Augen- und Ohrenzeuge von ihrem witzigen Ausfall — er sah sie nur an und sie, gleich in die Flucht. — Unsere Bekanntschaften waren, außer den beyden Nachbarn, das Hauß eines Creys- richters, auf deßen Hauß uns unser Vorfahr gleichfals eine Aßignation zuruͤck gelaßen. Die- ser Creysrichter, der eine alte Frau des Gel- des wegen geheyrathet, hatte keine Kinder. Er braucht’ ein Paar junge Leute zu seinen haͤufigen Gesellschaften, als Hausofficire, und obgleich diese Stellen besetzt waren; so honorirt’ er doch die Aßignation unsers Vor- fahren, deßen Andenken uͤberhaupt im Se- gen war. Ich nahm selten an diesen Zeit- verkuͤrzungen Antheil; indessen lernten wir ei- nen koͤniglichen Rath bey dem Creysrichter kennen, der an Leib und Seel auffiel, und sich auch bey jedermann zu erhalten im Stande war. Er schien gegen vierzig, und hatte sehr feine Kenntniße. Er las die Alten und kannte die Neuern. Er legt’ es nicht dazu an, daß man ihm dies anhoͤren und ansehen moͤchte; allein wo er stand und gieng streut’ er Funken. Er verdraͤngte keinen. Er ver- nich- nichtete nicht Sproͤslinge von Witz der Juͤng- linge, die mit ihm zu Tische saßen, um den Saft den bejahrten Zweigen zuzuleiten. Witz und Verstand war ihm Witz und Verstand — es mochte hervorsproßen, wo es wolte. — Er wußte wohl, daß alles Obst nicht reif sey, das der Wind herabwirft. — Es war nicht abgezogener Geist, nicht Lebenstinktur — was er sprach. Beym Creysrichter sprach er, wie der Creyßrichter, der uͤber nichts als Schlaͤgereyen, neue Brautschaften, Todes- faͤlle, oder dergleichen Dinge mehr, sich ver- lauten lies; indessen wußt unser Rath uͤber die gemeinsten Dinge besonders zu seyn. Oft war er ganz still, und alsdann sah man es ihm an, daß er wohlbedaͤchtig mit den fal- schen Spielern in der Gesellschaft nicht mit- spielen wolte. — Ich fand, wenn er sprach, so viel eigenes, daß ich tausendmal wuͤnschte, wenn er doch schreiben moͤchte, oder wenn er doch wenigstens mehr spraͤche. Er verbesserte nie ein Urteil, das er in Gesellschaft hoͤrte, und legte sich nie das Ansehen einer Appella- tions und Revisions Instanz bey. Wenn ich eine Rechtssache gehabt haͤtte, waͤre mir sein Gutachten Entscheidung gewesen. Viele hatten dies Zutrauen zu seinem Herzen und Ver- Verstande, und sein Laudum, (sein Schieds- spruch,) galt ihnen mehr, als ein fuͤr Geld und gute Wort’ in bester Form genommenes Urtel. — Er war ungeheyrathet. Man sagt’, er waͤr’ in der Liebe ungluͤcklich gewe- sen! Schade! Es haben Curlaͤnder vielleicht, bemerkte Herr v. G., seiner Schoͤne gerad uͤber logirt. — Mag wohl seyn! — Dieser wuͤrdige Mann war im Stande, Menschen zu lesen, und dis schien sein Hauptgeschaͤft’ in Ge- sellschaft zu seyn. Durch vereinte Kraft eins seyn, ist der Zweck der großen Staatsgesellschaf- ten, sagt’ er zu mir! So im Großen, so im Klei- nen! Instinkt und Vernunft lehren uns, daß ein großer Theil unserer Gluͤckseligkeit von Menschen abhaͤngt, und darum seh ich Men- schen, darum geh’ ich nach ihnen aus, und freue mich herzlich, wenn ich was unerwar- tetes vorfinde. Im Collegio ist alles auf ei- nen gewissen bestimmten Horizont calku- lirt. — — — Noch seh’ ich den Mann mit seiner ofnen, weit ofnen Stirn, schwarz Haar, ein Aug’, in dem man ihn im Kleinen — allein doch ganz sahe. Zuweilen hatt’ er kleine Abendgesellschaft- ten, woran er mich Theil nehmen ließ. Dieses Collegium versaͤumt ich nie. Ich fand einen Officier, Officier, einen koͤniglichen Rath, seinen Col- legen, einen Prediger, und einen Profeßor; allein alle waren große Lehrer in ihrer Art fuͤr mich. — Da war er zuweilen ausgelas- sen. — Er warf Muͤnzen aus, und ich muß aufrichtig bekennen, daß wenn ich je in meinem Leben mit Leib und Seel zugleich gegeßen und getrunken; so war es hier: ich wundre mich noch jetzt, daß es mir so gut bekam. Wenn er es nicht laͤnger aussetzen konnte, gab er eine große Mahlzeit. Da that er wenig mehr, als vorlegen, und hiezu braucht’ er auch als dann den Officier, den koͤniglichen Rath, den Predi- ger, den Profeßor, und mich. — — — — Ich habe schon bemerket, daß ich das votum decisiuum bey der Landsmannschaft hatte, und so lang’ ich den Praͤsidentenstuhl bekleidete, ist kein Stein von einer curschen Hand gehoben, um ehrlichen Leuten die Fen- ster zu verwuͤsten. — Mit der Zeit waͤr’ ich weiter bis zum Kopf meiner Landsleute gekommen. Vors erste hatt’ ich Ursach, mir Gluͤck zu wuͤnschen, daß ich uͤber ihre Haͤnde disponiren konnte. — Wenn ein Landsmann kam, oder gieng, ward ein Mahl gegeben, wozu ich zwar meine meine Stimme, allein nicht meinen Magen gab. Herr v. E. war, unter vielen andern, Koͤnig eines solchen Mahls. Er war von seiner Mutter, die Wittwe geworden, aus Frankreich nach Curland gerufen. Seine Ge- schaͤft’ indessen hatten ihn noch ein halbes Jahr in und um Koͤnigsberg zuruͤck gehalten ohne daß wir uns zusammen getroffen. Kein Wunder! Er gieng nicht in die Hoͤrsaͤle, und gieng nicht auf die Jagd. Seine Geschaͤfte wa- ren wie man sich leicht vorstellen wird — Liebesangelegenheiten. Freylich hatten die koͤnigsbergschen Schoͤnen Ursach’ einem Manne Complimente zu machen, der von Paris kam, und sie nicht verschmaͤhete. — Endlich schlug seine Stunde. — Ich war, ohne selbst zu wissen, wie’s zugieng, bey diesem Mahl, und lernt’ ei- nen Menschen ohne Kopf und Herz kennen, der auf den preußischen Adel loszog, weil ihm nie- mand, (die Sach’ ohn’ Allegorie vorzutragen,) obgleich er angeklopft, aufgethan. — Wahrlich dies brachte mir eine sehr gute Meynung vom preußischen Adel bey, die ich auch nie aufzu- geben Ursache gefunden. Ich brachte die Nacht, da Herr v. E. mit Extrapost abgieng, wider Gewohnheit schlaflos zu, und selten Zweiter Th. S hab hab’ ich einen Menschen gefunden, in dem je- der Zug mir so entgegen arbeitete! — Dem Herrn v. G. war er auch unausstehlich. Er solt’ ihn bis Schacken begleiten; allein er konnte nicht. Herr v. E. kroch, und war stolz, er war Franzos und Curlaͤnder. Fuͤr und wider sich — und gewiß auch Freund und Feind eines jeden, der es mit ihm an- binden wollen. — Sein Gesicht und Er schie- nen zweyerley! und waren es auch immer. — Er frug uns, ob wir nicht an unsere Maͤd- chens was zu bestellen haͤtten! Da fuhr es mir so durch die Seele, daß ich außer mir war! — Herr v. G. sagte, daß er ihn am wenigsten zum Liebespostillon brauchen wuͤrde, weil er aus Frankreich kaͤme, und Sie, fuhr er fort, indem er sich zu mir wandte? — Ich habe, sagt’ ich, nur eben Briefe von ihr. — Er nahm es als Scherz, und ich fand diesmal, und hab es oft gefunden, daß selbst bey dergleichen Verlegenheiten die Wahr- heit am besten aushilft. Ich hatte wirklich Briefe von Minen. — Sie erfuͤlte redlich ihr Versprechen, sie hielt ein Tagebuch, und alle Vierteljahr’ er- hielt ich es durch den bezeichneten Weg. Das erste Paͤckchen kam nach Monatsfrist, ich hoffe hoffe, niemand werde fragen: warum? Er an Sie gieng vor sich, so bald ich an Ort und Stelle war. Ich fuͤhlt’ jeden Kuß in ihren Briefen, so warm, so sonnenwarm, obgleich er seine funfzig Meilen gereiset war. In Wahrheit, haͤtt’ ich Minchen nicht ge- habt, ich haͤtte nicht die Haͤlfte von dem auf der Universitaͤt gethan , was ich jetzt that , nicht die Haͤlfte vor mich gebracht. — D a bin ich an einer schweren Stelle mei- nes Lebens! wo ich noch zittr’ und bebe! Der Himmel helfe mir auch in diesem Buch uͤber! Er! der sie mir leben geholfen, helfe sie mir auch schreiben. — Ein bittrer Kelch! — Gottes Wille gescheh’ auf Erden, wie im Himmel! — Ich will Ihm nicht fluchen, dem Va- ter meiner Mine, denn diese Holdselige verbietet es mir! — Ich will Ihm nicht fluchen. — Sie schrieb mir ehemals: „ich will meinen Vater nie unsern Vater „nennen. Der meinige ist er, weils „Gott hat haben wollen, warum solst du „dich aber mit ihm beschweren?„ S 2 O O Mine, warum warst aber du mit ihm beschweret. Warum? du Dulderin, du Maͤrtyrinn! du Heilige! mit diesem Peini- ger, mit diesem Tyrannen, mit diesem Un- heiligen — mit diesem — Ich will abbrechen, bis ich beßer gefaßt bin, sonst wuͤrd’ ich dein heiliges Gebot uͤber- treten, du heiliger Engel , und ihm doch — fluchen. — Auf heute, morgen und uͤbermorgen, nehm ich von meinen Lesern Abschied. — Ich will mir ordentlich Zeit nehmen, mich zu fas- sen — und wenn ich es in dreyen Tagen nicht bin, noch einen und noch einen — zu- geben, und bis acht Tage zu dieser Faßung aussetzen! In dieser stillen Woche soll meine Seele gen Himmel sich aufrichten, und mit meiner Mutter will ich beten: Herr, wie du wilst, so schicks mit mir, im Leben und im Sterben. — — Rede, Herr! dein Knecht hoͤret. — Thue mit mir, wie’s dir wohlgefaͤlt. In deine Haͤnde befehl ich meinen Geist. — An einem schwarz bezogenen Tage, da es Vormittag donnerte. — Ich habe meine Leser nur drey Tag’ al- lein gelaßen. — Jemehr ich mir Zeit nehme, mich mich zu faßen, jemehr verlier’ ich das Gleich- gewicht. — Fast glaub’ ich, daß die Faßung so schnell komme, als der Schreck, die Huͤlfe wie die Krankheit, und wenn alle Faßung nur Betaͤubung waͤre? — Der Gedanke hat mich am meisten in die- sen drey heiligen Tagen erfrischt, daß es Tu- genden gaͤbe, die es nicht geben wuͤrde, wenn nicht boͤse Menschen in der Welt waͤren. Wahrlich, die groͤßten Tugenden werden hie- durch an Tageslicht gebracht. — Durch Schatten wird das Bild erhoͤht. Es ist, ich gesteh’ es gern, dieses eben nicht einer von den Gedanken, die einer goͤttlichen Eingebung nahe kommen; allein wenn Noth am Mann ist, schmeckt Haußmannskost am besten, und bekommt auch so. — Der Ungluͤckliche, der Furchtsame, glaubt alles, wenn es nur Trost enthaͤlt. — Fluchen will ich dem Herrmann nicht; allein ich will treu befunden werden. Von dem ersten Tag’ an, da meine Leser den alten Herrn kennen lernten, fanden sie einen Mann, (kaum kann das Wort Mann von jemanden gebraucht werden, der sich nicht nach seiner Decke zu strecken versteht. — Doch Minchens wegen —) einen Mann, S 3 der der allem, was man Belang heißen kann, gerad’ entgegen war. Sie fanden eine ge- schwaͤchte, eine zu Fall gekommene Person, einen Hofnarren, Cammerherrn, Forst und Jaͤgermeister, einen Witzdiener, Positiv- schlaͤger. — Einen, von dem man nicht be- haupten kann, daß er seinen Namen, wie mein Vater sein Vaterland, geflißentlich ver- schloß , (wie einer meiner Splitterrichter des ersten Bandes der Meynung gewesen,) son- dern den man den alten Herrn zu nennen fuͤr gut fand, und der, weil mit dem Wort’ Alt das Wort Herr verschwaͤgert war, (wo- mit man wahrlich in Curland nicht ver- schwendrisch ist) nichts mehr erwarten konnte, und mit dieser Ehre sehr zufrieden schien, und wie haͤtte wohl dieser Schneider, Schu- ster, Toͤpfer, Ton und Tausendkuͤnstler, und waͤr’s auch nur des Podagras wegen, wel- ches keine gemeine Krankheit ist, wider den Ehrennamen, Nicolaus Herrmann, eine Sylbe einwenden und den Kopf schuͤtteln koͤnnen? Der alte Herr war kriechend und stolz, wie die Stolzen immer zu seyn pflegen. — Obgleich er seinen Abschied als Witzdiener in hoͤchsten Gnaden erhalten; so sprudelte doch ein schwarzes Blut in seiner satyrischen Ader Ader auf, sobald es Gelegenheit gab. Die Ader war recht schwarz und fuͤrchterlich auf- gequollen zu sehen. — Seine ganze Geberde verstelte sich, so bald dies’ Ader auflief. Er pflegte sich selbst einen Invaliden des Apolls zu nennen, und Dank sey meiner Mutter, die ihn, wie ich mich eben erinnre, bey die- ser Gelegenheit einmal frug: wie’s mit sei- ner Wund’ am Kopf stuͤnde? Die Zeiten , sagte Herrmann selbst, sind gottlob vorbey , und dies waren Zeiten, da er Graͤber schaͤn- dete; allein kann auch ein Mohr seine Haut bleichen, und ein Parder ein Fleckkuͤgelchen benutzen? Erst mehr Fechter, jetzt mehr Taͤnzer ! Ich bin der Meynung, daß sich die Physionomisten nie eher, als in der Miene eines Pasquillanten, (waͤr’ es auch ein Re- censent,) und Moͤrders irren koͤnnen? Da muß ein sehr feiner Unterschied seyn! Sie sind eines Handwerks: beyde schlagen aus Gewinst todt — und es kommt nur auf Um- staͤnd’ an. Beyde legen Haͤnd’ an uns, und so wie es blos von der Kuͤrze der Jahre kommt, daß nicht jeder, dem der Strick in den Liniamenten liegt, gehangen wird; so — S 4 Wenn Wenn ich in einer großen Gesellschaft ei- nen Witzling sehe, der nach Landesmanier wie der dritte Mann zum Spiel gebeten wird, und der uͤber Tisch und Stuͤhle schreit, ist mir nicht anders, als waͤr’ ich mit dem verstockten Schaͤcher zusammen! Wer in ei- ner Gesellschaft von zwoͤlf Personen witzig seyn, und sich hoͤren und sehen laßen kann, ist ein schrecklicher Mensch. — Wo zwey und drey versammlet sind, da ist Witz an Ort und Stelle. Niemand ist geiziger, als ein wirklich witziger. Er wirft seine Perlen nicht weg. — Ein Witziger ohn’ Urtheil ist ein Witzling — und wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt! Vorrede genug — Herrmann hatte, nach dem Tode der Mutter meiner Mine und der Meinigen, noch Lust sich ein Hochzeitbett anzulegen. Der Tischler, den er daruͤber besprach, glaubt es sey ein Sarg, da er sich in der Still’ an ihn wandte. Der Tischler wandte sich mit einem warum? auch in der Still’ an Herr- mann zuruͤck. — Ich hab’ es von meiner Mutter, daß eben dieser Tischler in seiner Gewerksstube herzlich geweint habe, wenn er einen Sarg fuͤr einen Redlichen im Land’ erbau- erbaute. Meine Mutter nannt’ ihn oft des Todes Zimmermann, und gratulirte Cur- land und der dortigen Gegend, wo hoͤlzerne Haͤuser etwas gewoͤhnliches sind, weil sie, schon im Leben, mit ihrem lezten Hause sich bekannt gemacht. — Wir sind schon im Le- ben im Sarge, pflegte sie zu sagen. Wir sterben taͤglich, heil uns! Der eigentliche Sarg wird uns kein so wild fremdes Ge- mach seyn! — „Lieber Freund„ fieng Herr Herrmann wieder in der Still’ an, und der liebe Freund lies ihn nicht zum Worte, wenigstens nicht zum Ende, kommen. Sie sind ja, unterbrach er ihn, munter und gesund — frisch und gesund hab’ ich sie nie gekannt. — „Eben darum, weil ich munter und ge- sund bin. —„ Recht! Es steht uns nicht vor der Stirne geschrieben. „Vor der Stirn? —„ Sie fochten lang in die Luft, bemerkt mein Waffentraͤger Benjamin, von dem ich dies alles hab’, ehe sie zusammen trafen. — „Ein Himmelbett ,„ sagte Herrmann, al- lein da man einen Sarg eben so gut, wo S 5 nicht nicht beßer, als ein Brautbett’, ein Him- melbette nennen kann; so erwiederte der Tischler: „schoͤner Ausdruck!„ Der gute Tischler konnte den Sarg nicht aus Sinn und Gedanken bringen, und selbst, da ihm Herrmann ziemlich laut (er war hitzig ge- worden,) gesagt hatte: „Ein Brautbette„ schuͤttelte der Tischler noch den Kopf — und dies Schuͤtteln war dem Herrmann widriger, als das vorige Misverstaͤndniß vom Him- melbett’ , und von der Stirn , und von munter und gesund . In Ruͤcksicht der Jahre haͤtte freylich Herrmann eher an Sarg, als an Braut, oder, wie man es gewoͤhnlich in Curland nennt, an ein Himmelbette denken koͤnnen; wenigstens haͤtte Herrmann, der ein Weib, wie unsere Mutter gehabt, eine andere, der Seligen — und ihm anstaͤndigere Wahl treffen sollen. Ich will, um aller Parthey- lichkeit auszuweichen, an seine Tochter nicht denken, obgleich auch Toͤchter, wenn sie wie Mine sind, hiebey einen Blick verdie- nen. — Seine Schoͤne war eine Person, die sich in der Nachbarschaft, Gott weiß wie! ein kleines Vermoͤgen erworben hatte. Der Un- Unterricht der Kinder ward dem Herrmann in die Laͤnge zu beschwerlich, und es ist freylich eine andre Sache Kinderlehrer, und eine andre Hofnarr zu seyn. Dies war die Ur- sach, warum er zuweilen zu sehr fuͤr die koͤr- perliche Uebungen war, und die Kinder ohn’ Unterricht ganze Wochen hinschlendern ließ. Hiedurch litte sein guter Ruf. Seine Se- lige wußt’ alles zum Besten zu kehren. Nach ihrem Tode war er sich ganz und gar allein uͤberlaßen, und das hieß, an der Hand ei- nes schlechten Fuͤhrers seyn. — Die Schul- jugend trieb sich um, und der Lehrer desglei- chen. Kurz, Herrmann war wieder auf der schlimmen Seite und lebendig todt, ja wohl! lebendig todt! Ich will mir, sagte Herrmann, einen ruhigen guten Tag machen: eigentlich wolt’ er sich diesen ruhigen guten Tag fuͤr baar Geld kaufen, ohne zu bedenken, daß Ruhe nicht feil sey. Immer noch uͤberzeugt, daß es beßer sey, ein Schneider, als ein Hofnarr, zu seyn, blieb des Herrmanns Losung zwar: Gottlob! die Zeiten sind vorbey; in- dessen war er doch fest entschloßen, aus ei- nem Hofnarren ein Stocknarr zu werden. Der Der Unterschied ist ungefehr, wie zwischen Postbot’ und Nachtwaͤchter. Magdalene, (so hieß die Schoͤne quaͤ- stionis,) war nicht abgeneigt, mit diesem Manne zu ziehen. Sie hatte nicht erman- gelt, weit und breit herumzublicken, und ihr Augennetz auszuwerfen; allein sie hatte nichts gefangen, sie hatt’, um die Sache deutlicher zu machen, nicht abgesehen, daß sich ein anderer mit ihr in diesem Leben ein- spannen wuͤrde. — Magdalene weinte herz- lich, so oft sie an den seligen gnaͤdigen Herrn dachte, dessen gnaͤdige zuruͤckgebliebene Wittwe so herzlich nicht uͤber diesen Verlust weinte. Dies macht’ Aufsehen in der ganzen Gegend, die nur eine solche Kleinigkeit von Anlaß brauchte, um laut zu sagen, was jedes laͤng- stens, und schon bey Lebzeiten des seligen gnaͤ- digen Herrn, da Magdalene noch nicht so herzlich weinen durfte, gedacht hatte. Man machte uͤber diese Thraͤnen der Magdalene, bittre Anmerkungen, so daß, da der groͤßte Theil davon an die beyden Weinenden kam, Wohlstandes wegen Magdalene weniger, als die nachgebliebene Frau Wittwe, zu weinen anfieng. Der wunderbare Wohlstand! Es Es hatte der Herr Gemahl der Frau v. E. in seinem lezten Willen die feyerliche Verfuͤgung gemacht, daß seine Gemahlin und Mamsell Dene, (so ward Magdalene im ganzen Haus’ und uͤberall genannt,) sich nicht von einander trennen, sondern beysam- men bleiben solten, bis sie der Tod schiede. Das war ein neuer Gegenstand zu Anmer- kungen, welche die ganze Gegend machte, so bald das Testament eroͤfnet war. Die Frau Wittwe, die vor der Eroͤfnung des Testaments, und vorzuͤglich bey Gelegenheit der Thraͤnen, den Plan gemacht hatte, De- nen in allen Gnaden zu verabschieden, war jetzo, wie sie sich ausdruͤckte, gezwungen, diese Klett’ am Kleide zu leiden. Sie sah’ es also im Herzen sehr gern, daß Herr Herrmann Denen die Aufwartung machte. Zwar hatte sie sich so fest an dem Willen ihres verstorbe- nen Gemahls gebunden, daß sie keine Tren- nung von Denen moͤglich glaubte; indessen glaubte sie, durch Denens Umgang mit Herrmann wenigstens die Scene zu veraͤn- dern, und der Nachred’ eine andere Wen- dung zu geben. Einen Rechtsgelehrten hatte sie nicht das Herz, daruͤber zu Rathe zu zie- hen. — Es giebt Krankheiten, die man nicht nicht gern entdeckt. Dene fand von dieser Seite nicht die mindeste Schwierigkeit, wohl aber war ihr bedenklich, daß sie die Eheschei- dungsstrafen, wenn sie den Aufstand anheben solte, zu tragen wuͤrd’ angewiesen werden. Wenn aber die Frau v. E. anfienge, dachte Dene, was koͤnntest du nicht fuͤr Bedin- gungen vorschreiben! — Dene sahe wohl, wie uͤberlaͤstig sie der Wittwe war, sie mochte mehr oder weniger weinen, als sie. Wenn Dene also nach dieser ihrer Verbindung mit dem Herrn Herrmann gefragt ward, war ihre Antwort: Sie belieben zu scherzen, oder, ich bitte tausendmal um Verzeihung, oder, mir fehlt ohne den Herrn Herrmann nichts auf der Welt. Roth zu werden hatte sie entweder schon laͤngst verlernt, oder hatt’ es nie gekonnt. Es blieb also ihre Verbindung mit dem Herrn Herrmann problematisch. Die Nachbarschaft pflegte die gnaͤdige Frau und Denen zu nennen Sara und Hagar. — Sowohl Sara als Hagar aͤrgerten sich uͤber diese Beynahmen, ohne gegen einander sich diese Aergerniß merken zu laßen. — Magdalene hatte, seit ihrer vieljaͤhrigen Praxis, alle Kniffe auf einem Schnuͤrchen, wodurch unser in Liebesangelegenheiten aber- glaͤu- glaͤubisches Geschlecht gefeßelt gehalten wer- den kann, so daß es noch diese Feßeln als Ordensketten verehret. — Sie hatte den alten Herrn erst aͤußerst verliebt gemacht, und war ihm in allem — wenigstens ein Viertel Meilchen, (ich rede von deutschen Meilen,) zuvor gekommen. Auf einmal eine andere Dekoration. Wer A sagt, muß auch B sa- gen, war bey Denen keine Regel, und alle ausgelernte Koqetten denken so. Der alte Herr hatte durch eine uͤberaus gefaͤllige Auf- nahme in dem Hause der Sara, sich das Wohlleben so angewoͤhnt, daß, wenn auch nicht die koͤrperliche Uebungen seine Schul- jugend, die wie Schaafe in der Irre gieng, zerstreut haͤtten, diese guten Tage sich mit den Schulstunden nicht laͤnger vertragen ha- ben wuͤrden. Was solte der alte Herr an- fangen? Der Unterhalt, den ihm seine ver- storbene Witzprincipalen zugestanden hatten, war klein, und zum Theil ungewiß. Dene hatte, nach der Meynung des alten Herrn, mit Herzen Mund und Haͤnden A gesagt; allein nun war sie nicht aus der Stelle, und bey weitem nicht zum B. zu bringen; viel- mehr schien sie zuweilen gar das A zuruͤckge- hen zu wollen, wenigstens ward aus dem großen großen A ein so kleines, daß man es bey- nah dafuͤr nicht ansehen konnte. — Ich habe, dachte der alte Herr, das unreine Waßer ausgegossen, ohne reines aufgefangen zu haben — obgleich er wirklich reines Was- ser ausgegossen hatte, um unreines zu schoͤ- pfen. — — Dies macht’ ihn aͤußerst verle- gen; allein diese Scharten wezt’ er zu Haus’ aus, und Mine, die arme Mine, haͤtte nicht in Egypten mehr ausstehen koͤnnen, als bey diesem wetzenden Vater, der reines Wasser ausgegoßen hatte, und keinen Tro- pfen unreines auffangen konnte, seine Zunge zu kuͤhlen; denn es gieng ihm, wie dem rei- chen Mann, in seinem Praͤludio. Der Frau Sara Gnaden, welche sich auf dergleichen Wendungen, (meine Muter wuͤrde Raͤnke und Schwaͤnke geschrieben haben,) wohl ver- stand, suchte dem alten Herrn Trost zuzunei- gen, und ihn wenigstens durch guten Fraß und Sof zu staͤrken, und zu festigen, seine Last zu tragen. — Dene blieb indessen halsstar- rig beym kleinen, ganz kleinen a, und so wie kein Ungluͤck allein, sondern paarweise kommt; so mußt’ es auch dem Amtmann S. einfallen, um Denen in einem Brief’, eh ihr Trauer- jahr noch um war, foͤrmlich anzuhalten. — Die- Diesen Amtmann, der ohnehin in den nem- lichen Jahren des Herrmanns sich befand, obgleich ihn kein Zipperlein plagte, wuͤrde Dene um alles nicht einem Litteratus, (ohn- erachtet dieser Litteratus den kalten Brand hatte,) vorgezogen haben, indessen konnt’ ihr nichts erwuͤnschter kommen, um den Herrn Herrmann voͤllig aufs Haupt zu schla- gen. — Herrmann litte zusehens; denn er war in das Geld der Dene sterblich ver- liebt. — So wenig Herz auch der alte Herr hatte, so wuͤrd’ er doch mit diesem Amtmann eins versucht haben, (nemlich in Briefen,) wenn nicht die gnaͤdige Wittwe das glim- mende Tocht der Hofnung in dem Herzen des alten Herrn aufgefacht haͤtte. — Zwar brannt’ es sehr schwach; indessen brannt’ es doch. — Zu keiner kleinen Freude des alten Herrn, veranstaltete die Wittwe einen Be- such beym Herrn Herrmann. So viel Ehr’ ihm dieser Besuch war, so wußt’ er doch nicht, wie er seine Gaͤste aufnehmen wuͤrde. — Der Frau Sara Gnaden wolten mit, wie haͤtt’ auch die viel Ehr uud Tugend belobte Jungfer Magdalene, ohn’ eine solche Bede- ckung, zu einer los und ledigen Mannsper- son kommen koͤnnen? Die Frau Sara war Zweiter Th. T jetzt jetzt ihre veste Burg, in welche sie sich zu werfen Willens war, wenn die boͤse Nachrede sie verfolgen wuͤrde. — Im Herzen konnt’ ihr nichts willkommner, als dieser Vorschlag seyn; denn sie wolte gar zu gern, ihr kuͤnfti- ges Bleibchen kennen lernen, und auch ihre Stieftochter, von der so viel gutes gesagt ward. Uebermorgen also! — Der alte Herr beur- laubte sich so gleich, und reisete mit Freuden und mit Kummer zu seiner Wohnung. — Mine! Mine! Mine, das arme von einem Briefe an mich verscheuchte Maͤdchen, kam und erfuhr die große Neuigkeit von dem Heil, das diesem Hause wiederfahren solte. Der Stolz macht’ ihren Vater verdrießlich; denn es war nicht nach Herzenslust in seinem Haus’ einge- richtet — uͤberall blickte Duͤrftigkeit hervor. — Wuͤrde nicht die Hofnung auf Denen die- ser Leidenschaft Zaum und Gebiß angelegt ha- ben; die arme Mine, was haͤtte sie nicht noch mehr ausgestanden, als sie ausstand! — Das arme Maͤdchen, das viel zu edel war, um ein einziges Wort von ihren haͤus- lichen Verfaßungen gegen mich auch nur fallen zu lassen: das sich in alles schi- cken konnte: das selbst auch ihren Bruder Benjamin, obgleich er das Schneiderhand- werk werk lernte, zu dieser Denkungsart hinauf gestimmt, der um alles in der Welt willen nichts von meinem ανέχου και απηχου an- genommen haͤtte, dies arme Maͤdchen solte zu meinen Eltern gehn — und borgen, da- mit die hohen Gaͤste, wie Herrmann sie nannte, uͤbermorgen wie es sich eigne und gebuͤhre aufgenommen werden koͤnnten. Verzeihung, Vater! das kann ich nicht, sagte Mine sehr gefaßt. Herrmann stampfte, wuͤtete und tobte, bis ihm Mine endlich einen Plan vorlegte, der ohne, daß geborgt werden duͤrfte, zu bestreiten waͤre. — Mag es — antwortet’ er, wiewohl noch unwillig, mag es — denn er konnte es Minen nicht ver- zeihen, daß sie zu meinen Eltern zu gehen verweigert hatte. Er gab ihr, wiewol un- ter Hyeroglyphen, zu verstehen, daß sie mei- netwegen dieses Schrittes wegen die Pein- lichkeit eben so noͤthig nicht haͤtte. — Mine verstand nicht blos was er sagte, sondern auch, was er dachte; indessen verschwieg Hrrrmann meinen Namen vorsichtig, und da Mine ihren Plan gut einzukleiden wußte, uͤberwand ihn die Hofnung, Magdalenens Reichthum zu uͤberzaͤhlen, endlich ganz. — Die Freude nahm Oberhand, und diese ver- T 2 fuͤhrt’ fuͤhrt’ ihn, Minen seine Heyrath rund aus zu entdecken. Das gute Maͤdchen hoͤrte keine Neuigkeit; allein sie konnte nicht um- hin, ihm im Hintergrunde des Gemaͤldes, das so schoͤn in seiner Erzaͤhlung aussah, die Fehler zu zeigen. Die Sache war in- dessen nach ihrer Meynung zu weit gekom- men, als daß sie sich lange bei diesen Feh- lern im Hintergrunde verweilte. — Mine hatte durch ihrer Haͤnde Arbeit sich schon seit der Zeit, daß ihr Vater De- nens wegen die Schulanstalten aufgehoben, beinah allein erhalten. — Jetzt brachte sie von diesem ihrem kuͤmmerlich ernaͤhten Ver- dienst, von freyen Stuͤcken etwas in den Plan zur Aufnahme, ohne sich einst daruͤber ein Verdienst zuzueignen, und es dem Va- ter zu entdecken. Das gute Kind! — Der feyerliche Tag erschien, den Sara und Ha- gar zum Besuch bestimmt hatten. Der alte Herr konnte diesen Mittag nicht eßen nicht trinken, er blies selbst den Staub ab, wo er noch Staub in dem Zimmer entdeckte, und vergaß so sehr, daß er Litteratus war, daß er Holz gespalten haben wuͤrde, wenn es auf diesen Umstand bei Minens Plan an- gekommen waͤre. — Er trug nicht tagtaͤglich Man- Manschetten; allein er legte sie, wie die Pastores den Kragen, in die große Bibel, um die Manschetten in Zuͤchten und Ehren zu erhalten. Diesmal nahm er ein ganz neues Paar; allein dem unerachtet mußte Mine sie ihm noch aufbiegeln, und, da sie’s ihm nicht zu Dank machte, vollendet’ er die- ses Werk selbst. So lang, wie des Him- melsbuͤrgers, waren die Manschetten des Herrmanns nicht: allein Herrmann war auch in Wahrheit nicht werth, meines Va- ters Landsmann, in dem allerentferntesten Sinne, zu seyn. Mine hatte Tannenreiser und Kalmus in die Zimmer gestreut, und mit Wacholder ge- raͤuchert, da Herrmann eben mit den Augen seinen Gaͤsten entgegen gelaufen war. — Dies mußt’ alles, bis auf das lezte Woͤlk- chen Rauch, das sich im Zimmer herum zog — heraus; so bald Herrmann wieder kam, weil es, wie er sagt’, in großen Haͤusern nicht mehr Sitte sey, Tannen, Kalmus und Wacholderrauch zu riechen. Man spritzet, fuhr er fort, die Zimmer mit wohlriechen- dem Wasser aus, um den Staub eben hie- durch niederzuschlagen. Die Nase des alten Herrn fand, nachdem schon alles aus dem T 3 Zim- Zimmer war, noch so einen gemeinen und, wie er ihn nannte, Coriandergeruch, daß er durchaus Modeweihwaßer verlangte, um es auszusprengen. Mine konnt’ ihm damit nicht dienen — sie haͤtte gern das Gruͤne im Zimmer beybehalten. Es schlug die Stunde, da er seine Gaͤst’ erwartete, und da man nach Ortsumstaͤnden sie mit Grund erwarten konnte; allein verge- bens. — Herrmann, ob schon er einen Bo- ten ausgesandt hatte, um ja den hohen Gaͤ- sten weit genug entgegen kommen zu koͤnnen, konnte sich nicht entbrechen, auf die Zinne des Tempels zu steigen. Es konnte bei die- ser Gelegenheit nicht fehlen, daß seine Unter- und Oberkleider, obgleich er die letzte durch einen Mantel von Glanzleinwand in Obhut genommen, vom Staub’ angegriffen wur- den. — Er hatte nichts von seinen Gaͤsten entdeckt, und das war sehr natuͤrlich. Wenn der gute Mann sein hoͤchstunzulaͤngliches Ge- sicht zuvor uͤbermessen; so haͤtt’ er diese Muͤhe sparen, und den Mautel von Glanzleinwand in sanfter Ruhe lassen koͤnnen. — Er war von unten bis oben zu beschaͤftiget, sich wie- der zu reinigen und zu laͤutern, und zittert’ an Haͤnd’ und Fuͤßen, und uͤber Leib und Leben, Leben, wenn er was rauschen hoͤrte. Da sind sie, schrie er, und lief und kam wieder, und lief noch einmal, und kam noch einmal wieder. Obgleich Mine, die heute wohl Marta haͤtte heißen koͤnnen, ihm eben so oft, als er lief und wieder kam „der Bote„ nach- schrie; so war er doch in einem solchen Ge- dankenconcours, daß er nicht aus noch ein wußte. — Endlich, (nachdem er schon eine halbe Stunde rein und sauber, wie aus ei- nem Schreinchen gezogen, da stand,) der Bote! — Wie ein Blitz war er fort. „Noch eine halbe Viertel Meile„ auch die halbe Vier- tel Meile hielt ihn nicht. — Er flog. — Re- gine, das Hausmaͤdchen, schrie ihn dies- mal bey aller seiner Eil zuruͤck, ohnfehlbar glaubt’ er, daß Mine ihm noch eine Frage zu thun haͤtte. Wollen Sie, sagte sie auf lettisch, nicht den Glanzleinwandsmantel uͤberziehen? — Keine Furie kann wuͤtender werden, als un- ser alte Herr ward, und nun haͤtt’ ihn nichts zuruͤckgebracht, nichts — Sie kamen — Mine war hoͤflich, ohne sich wegzuschleudern. Sie batte mich vor Augen und im Herzen — und der alte Herr konnte nicht aufhoͤren, mit Gebehrden ihr T 4 zu zu verstehen zu geben, daß sie zu wenig, viel zu wenig, thaͤte. — Er, daß wissen ja meine Leser, war ein Regenwurm. — Die gnaͤdige Sara hatte so viel mitge- bracht, daß Minchens wohlgemeinter Plan voͤllig vereitelt ward. Die hohen Gaͤste haͤt- ten, duͤnkt mich, wenn es auch nur der gu- ten wohlmeynenden Hand Minchens wegen, gewesen waͤre, sich zu demjenigen bequemen koͤnnen, was dieses gute arme Maͤdchen des Hausfriedens halber zum Theil von ihrem Rehgelde angerichtet hatte; allein Sara und Hagar waren viel zu stolz, um sich so tief herabzulassen. — Mine hatte den Einfall, gleiches mit glei- chem zu vergelten, und nichts von dem Mit- gebrachten anzugreifen; allein konnte sie’s ihres Vaters wegen? Er winkte so lange, bis sie nahm und aß. — Nun haͤtt’ er zu winken aufhoͤren koͤnnen und sollen; allein er setzt’ es fort, und wollte durchaus, daß Mine sich den Magen verderben sollte. Das that sie nicht. — Es war ein unbeschreiblicher Stolz, womit diese Antiken, Sara und Hagar, uͤber Minen herfuhren. Daß sie nicht von den natuͤrlichen wohlgemeinten Speisen nahmen, wuͤrde den beiden Damen endlich zu verzei- hen hen gewesen seyn; allein es war unverzeih- lich, daß sie sich uͤber Gottes Gaben heruͤber bogen, und die Nase ruͤmpften. — Sie maa- ßen Minen hundertmal mit ihren Augen, und hier und da hielt sich der Blick auf, als ob er ein Plaͤtzchen gefunden haͤtte, das werth waͤr’, ein wenig anzuhalten. Dies alles war Minen unertraͤglich. Sie durfte nicht hundertmal auf- und abblicken, um dieses Paar voͤllig zu uͤbersehen, und ihre Ueberle- genheit zu fuͤhlen. — Die Wittwe Sara that einige Fragen an sie. Womit sie sich die Zeit vertriebe? Ob sie einen Liebhaber haͤtte? Ob sie auch die Kuͤche verstuͤnde? Anzusehen, setzte sie hinzu, ist es nicht. — Ihre Haͤnde sind so kuͤchenrein, als einer Dame vom Stan- de. — Nicht wahr, liebe Dene ? — Dene enthielt sich aller Fragen; allein man konnt’ es deutlich bemerken, daß sie sich solche in be- ster Form Rechtens vorbehielt. Ihre Stun- de hatte noch nicht geschlagen. — Das abgebohnte Clavier brachte die ho- hen Gaͤste auf die Musik, und die gnaͤdige Sara auf die Frage: ob Minchen musikalisch waͤre? Mine beantwortete diese Frage mit der ihr eignen Bescheidenheit. — Obgleich die hohen Gaͤste keinen Beweiß, in wie weit T 5 sie sie musikalisch sey, begehrten; so bestand doch „der alte Herr darauf, „Mine solte singen und spielen„ da er es seinen hohen Gaͤsten so nahe legte, bestanden sie auch darauf; denn eine Bitte war es noch lange nicht. — Etwas be- kanntes, sagt’ er, denn er wußte wohl, daß ein Praͤludium, wenn es Hand und Fuß ha- ben solte, bey ihm vierzehn Tage zuvor be- stellt werden mußte. — Mine sang und spiel- te, weil sie singen und spielen mußte. — Es war indessen keine Dedication an die hohen Anwesende. Wenn diese Damen Gefuͤhl ge- habt; haͤtten sie wohl den Vogel im Bauer gehoͤrt! Indessen hatten die hohen Gaͤste we- der so feine Ohren, noch so feine Herzen. — Dene hatt’ ein Paar Strahlen der Hof- nung auf den alten Herrn fallen lassen, die ihn entzuͤckten. — Uebermorgen erwart ich meinen Sohn, sagte die gnaͤdige Sara zum Herrmann, sie werden doch so gut seyn, und zu uns kom- men. Minen fuhr es in alle Glieder. Mir war es, wie sie schreibt, als ob Sara hinzu- setzen wuͤrde: bringen Sie ihre Tochter mit. — Ihre Befuͤrchtung war vergebens. Der Stolz ließ diese Bitte nicht zu. — Noch Noch ein Paar Blicke von oben bis un- ten, und dann wieder von unten bis oben, ohne daß der Blick Minen die Ehre that, ir- gendwo zu weilen, und nun — Gott be- wahre Sie, mein Kind! — Ein gewoͤhnli- ches Compliment. Mine schreibt: „Mir war „es als haͤtt’ ich gesagt: vor solchen Leu- „ten — ich erschrack; allein ich hatt’ es „nur herzlich und von ganzer Seele gedacht„ So ward hier, und so wird jederzeit, das Gesetz erfuͤllt: Unrecht straft seinen eigenen Herrn. — — Der alte Herr war in Seelenangst, auf welche Art, ohne sich zu viel herauszuneh- men, er die gnaͤdige Wittwe in den Wagen bringen solte. — Endlich legt’ er Hand ans Werk. — Mit Denen ward er geschwinder fertig. Sie hatt’ ihm Muth und Leben ein- gefloͤßt. — Er wolte durchaus zu Pferd’ und den hohen Gaͤsten vorreiten; allein sie ver- baten es, der uͤblen Rachrede wegen, und also begnuͤgt’ er sich, sie wieder bis auf die Stelle zu begleiten, wo er sie entgegen ge- nommen. — Froh kam er zu Minen; allein dies konnte die Strafpredigt nicht abwenden, die er ihr hielte, viel zu wenig, viel zu wenig sich ge- buͤckt, buͤckt, gesungen, gespielt und gegessen zu ha- ben. — „und wie gefaͤllt dir„ (diese Frage außer al- lem Zusammenhang) „wie gefaͤllt dir „ Dene „? wie sie mir gefaͤllt? „wie sie dir gefaͤllt?„ da sie meine Mutter werden soll — „das ist sie schon„ unterbrach er Minen, we- gen der Paar Stralen von Hofnung, die sie auf ihn geworfen hatte, „so ist es Pflicht — „diese Antwort erwart’ ich von Minen.„ Es ist schwer, schreibt Mine, sehr schwer, wenn man eine so gute Mutter gehabt, einer Dene als Mutter zu huldigen, und waͤre das vierte Gebot nicht — Der alte Herr verfehlte nicht, der Ein- ladung der gnaͤdigen Sara gemaͤß, sich zu rechter Tageszeit einzufinden, und wer haͤtte das gedacht? Der Herr Sohn der Madam Sara war kein andrer, als der Herr v. E., der franzoͤsische Curlaͤnder, welcher kriechend und stolz, fuͤr und wider sich, und gewis auch Freund und Feind eines jeden Menschen war, je nachdem es die Umstaͤnde gaben. — Der Affe Affe mit den Halbstiefeln! Der alte Herr fand ihn schon, da er ankam, und machte tausend Umstaͤnde, daß er ihm nicht entgegen gekommen! — Der Teufel, Herr! wo haben Sie wis- sen koͤnnen, daß ich kommen wuͤrde? — Die gnaͤdige Mamma! — Wir waren beym Herrn Herrmann, ich und Dene, fieng die gnaͤdige Mamma an. Dank Herr Herrmann fuͤr alle erzeigte Hoͤf- lichkeiten! — Fuͤr den schoͤnen Sang ihrer Tochter! das ist wahr, Herr Herrmann! Sie koͤnnen sich was auf solch eine Tochter einbilden. Ist es ihre rechte Tochter? Ein huͤbsches Maͤdchen! Nur scheint sie mir die Finger nicht in kaltes, nicht in warmes, Was- ser zu stecken. — Ihre Hand faßt sich wie Atlaß an. Da war unser Ankoͤmmling wie ein Geyer auf die Taube. — Ich liebe schoͤne Haͤnde, gnaͤdige Mam- ma, die nicht kalt und warm vertragen, die sich wie Atlaß anfassen lassen, wenn sind Sie zu Hause, Herr Herrmann? Wenn Ewr. Hochwohlgebohrnen befeh- len. — Ich Ich will meiner Mutter nicht die Ehr’ allein lassen, sie besucht zu haben: denn in Wahrheit, es kann kein Mensch ein groͤßerer Liebhaber von einer schoͤnen Hand, oder von der Musik seyn, das ist beynah’ einerley, als ich. — Die Wittwe v. E. (ich habe sie lang ge- nug und bis zum Ueberdruß meiner Leser Sara genannt,) macht’ ihrem Sohn Vor- wuͤrfe, daß er sie so lang auf sich haͤtte war- ten lassen. Dein Brief aus Koͤnigsberg — Schoͤnste Mutter, (Frau von E. hoͤrte dies gern,) ich fand in Koͤnigsberg noch dies und das, und Sie wissen wohl, wenn man dies und das findt; so kann man so geschwin- de nicht. — Wir wissen das dies und das, wobey Herr v. E. in und um Koͤnigsberg, vor seiner Ruͤckkunft nach Curland, noch zum Ritter zu werden den Beruf hatte; nicht zum irrenden, denn hiezu hatt’ er keinen An- satz. — Deine Mutter aber haͤttest du uͤber dein Dies und Das nicht vergessen sollen, sagte die Frau v. E. — Vergessen! Schoͤnste, vergessen! — Noch unterwegs traf ich ein huͤbsches liebes Kind, und sagen Sie selbst, wie kann man eine schoͤne Gegend Gegend sehen, und nicht wenigstens darauf athmen? und sich freuen, daß man athmen kann? Die gnaͤdige Wittwe holte sehr tief Athem, und ward durch diese und dergleichen Unterredungen, die alle ergaben, daß Herr v. E. ein großer Verehrer von schoͤnen Gegen- den war, zur eigentlichen Materie gebracht. Du weißt, mein Kind, fieng sie an, was dein seliger Vater wegen der Fraͤulein S. noch bey seinen Lebetagen berichtiget. — Du weißt, daß dein Herz und deine Hand vergeben sind, und wenn du diese Gegend, die dir bald ei- genthuͤmlich zugehoͤren soll, mehr in Erwaͤ- gung gezogen, ich wette du haͤttest deine Mut- ter nicht so lange warten lassen. — Im Te- stament denkt’ er an diese deine Verlobte, welche dich mehr liebet, als du dir vorstellen kannst. Sein lezter Wille setzet fest, hier nahm sie ihren Sohn, um sich mit ihm die- ses Testaments wegen, zur vertraulichen Un- terredung einzuschließen. — — Herrmann hatte Gelegenheit, mit seiner Dene eine gleich vertrauliche Unterredung an- zustellen, bei der es beynah bis zum B. ge- kommen waͤre. Es war dieses im eigentlichen Sinn fuͤr Herrmann ein Schaͤferstuͤndchen — denn er liebte, er liebte brennend — nicht Denen, Denen, sondern das liebe Ihrige, und davon solt’ in dem gegenwaͤrtigen Stuͤndchen gehan- delt werden. — Es fiel sehr auf, daß die Frau v. E. sich mit ihrem Sohne, nicht sei- ner Heyrath wegen, eingeschlossen. Diese diente nur zum Vorwand’ und Ueberrock: Dene war die Hauptrolle. Herrmann em- pfand den gluͤcklichen Vorfall, daß sich die Frau v. E. und ihr Sohn paarten; denn wo ein vertrautes Paar sich sondert, da giebts mehr. — Sehen Sie nur, Herr Herrmann, fieng Dene an, es ist bei alledem eine eigene Sa- che mit dem Testament, ich bin mit der gnaͤ- digen Frau wie getraut, wir koͤnnen es nicht, der Tod soll uns scheiden. — Das daͤcht’ ich, sagte Herrmann, haͤtte nichts zu sagen. — Ein Testament! — Eine Ehescheidung! — recht, lieber Herrmann. — (Herrmanns Herz fieng diesen Ballen, und freute sich, wie sich ein Kind freut, wenn es den Bal- len gefangen hat.) nun, meine Englische? — Aber die Scheidungsstrafen? — Das Das ist zu machen. — Und wie? Und wie? Sie giebt Ihnen ein Jaͤhrli- liches, so lang sie leben. — Wenn sie will. — Sie muß wollen. Wenn ich zur Scheidung Anlaß gebe? Wenn auch! — im Herzen glaub ich sieht sie nicht ungern — Daß ich gehe? — Dies ist auch meine Hofnung. — Zu der Meinigen gehoͤrt mehr. — Was mehr? Sie, meine Englische — Lieber Herrmann, ich dacht’ eben dran. O wie gluͤcklich bin ich! Ich dacht’ eben, wenn die Frau v. E. diese Pension nur auf meine Lebenszeit ver- schraͤnkt, so wuͤrden meine kuͤnftige Erben — (Hierbey haͤtte dem Herrmann angst und bange werden koͤnnen; indessen deutet’ er diese Erben, wie es auch wohl gemeint zu seyn den Anschein hatte, auf sich. — O englische, o guͤtigste! Sie denken auch nach ihrem Tode. — (Er weinte, denn das Zweiter Th. U ward ward ihm nicht schwer. Ein Mensch, wie er, haͤtte beim Wort Tode heulen und zaͤhn- klappen sollen; allein es waren diese Thraͤ- nen, wie alles an ihm war. Seine Empfin- dungen waren Kunst. Sie ergossen sich nie, sie wurden nur durchs Druckwerk getrieben. Er hatte beides Lachen und Weinen in einem Behaͤltniß — wie man wolte, wolt’ er mit. —) O, den werd ich, den werd ich nicht uͤberleben! — Dene, welcher unfehlbar der selige gnaͤ- dige Herr beim Ueberleben einfiel, fieng auch bitterlich zu weinen au. Herrmann deutete dieses auf sich, und umfaßte ihre Knie und — da hoͤrten diese Turteltauben die zuruͤck kommende Frau v. E. und ihren Sohn, das Testament in der Hand. Jedes, Dene und Herrmann, giengen in ein ander Fenster. Es hatte sich schon jedes etwas kalt gewordenes Theewaßer aufs Schnupftuch gegoßen, um desto gruͤndlicher alles zu verwischen. — Herr v. E. wandte sich, da er zuruͤckkam, das Testament noch in der Hand, zu Denen — da find ich, liebe Dene, fing er an, eine naͤrrische Clausul. — Hat der Teufel je so was was gehoͤrt, zwey Frauenzimmer sollen sich verheyrathen! — Sie haben mir nie was boͤses gethan, liebe Dene, und noch bey meines Vaters Leben, wo sie im Hause was galten, hab ich alles Liebes und Gutes, es versteht sich in allen Ehren, von ihnen ge- noßen; — allein so weit geht die Erkennt- lichkeit nicht, und so nah sind wir mit ihrer Erlaubniß nicht verwandt, daß meine Mut- ter eine Person im Haus’ ertragen solte, die ihretwegen gar nicht ins Haus kommen sol- len. Sie verstehen mich doch, Dene? O ja, sagte Dene. — Sie haben also ihren Abschied. — Frau v. E. ohne daß sie sich eben uͤber- eilen duͤrfen. — Herr v. E. heute, morgen, uͤbermor- gen. — Dene, und wegen meiner treugeleisteten Dienste? — Frau v. E. sah’ ihren Sohn an, als ob sie sagen wolte: hab’ ich es nicht gedacht? — Herr v. E. Es wird sich finden — Frau v. E. die herzlich froh war, daß sie Denen so auf gute Manier, ohn’ einst ei- nem Rechtsgelehrten desfals zu beichten, los U 2 war, war, fiel ihrem Sohn ins Wort: — Dene soll nicht drunter leiden! — Wir werden dar- uͤber eins werden! — Dene kuͤßte der Frau v. E. die Hand, und dem Herrn v. E. desgleichen, und so war also Herr v. E. ein treflicher Executor testamenti. Herrmann erzaͤhlte diese Geschichte, da er heim kam, seiner Tochter Minen. — Denn er war außer sich. — Kein Stein des Anstos- ses mehr auf dem Wege zu Denens Herzen — aber, ein großes Aber, blieb ihm im Herzen stecken, weil es noch nicht berichtiget war, was Dene zum Abtrag haben solte. Minen ergrif eine große Angst. Sie hatte bestaͤndig Ahndungen. — In dem Augen- blick, schreibt sie, da mein Vater den v. E. aussprach, noch eh’ er ihn aussprach, wußt’ ich, daß Herr v. E. zu uns kommen wuͤrde, nur wer er war, wußt’ ich nicht halb, nicht ein Viertel. — Den achten Tag, so lange hatte sich Herrmann wegen kleiner podagrischer Anfaͤlle, die ihm sehr ungelegen kamen, zu Hause ge- halten, langte Herr v. E., wie er schwor, der Musik wegen, an, und neben her zu se- hen, wie Herrmann sich befaͤnde. Mine that that einen heftigen Schrey, da sie den Herrn v. E. sah. Er aber, nachdem er sie durchs Glaß betrachtet, fand sie aller allerliebst — und das sagt’ er ihr so ohne Ruͤckhalt, als ob sie zum Kauf stuͤnde, wo jedem Vorbey- gehenden frey stehet, ohne Umstaͤnd’ allerliebst zu sagen. — Es blieb bei diesem allerliebst nicht. Sie war im Neglischee, und da fand er das Band am Busen so sehr der Jahrszeit angemessen, daß man es nicht besser in Paris haͤtte waͤh- len koͤnnen. — Er packte seine drey Glaͤser, (durch alle drey hatt’ er sie gesehen,) ein, und schien es dazu anzulegen, Minen mit seinen leiblichen Augen zu erreichen. Er war fertig, sie in naͤhern Augenschein zu nehmen. Da nahm Mine ihre ganze Gewalt im Aug zusammen, um ihn zur Erde zu sehen. — Er fuͤhlte diesen Blick, obgleich er ein ganzes run- des Jahr in Paris gewesen war, und er kam wieder zuruͤck, zu seinen drey Glaͤsern, und zum Allerliebst. Von dieser Stelle haͤtt’ ihn das Auge der Tugend selbst nicht wegblitzen koͤnnen. — Mine hatte nichts mehr noͤthig, als diesen Zwitter von Franzos und Cur- laͤnder zu sehen, um ihn unausstehlich zu finden. — Sie wuͤrd’ uͤber den ersten Sterb- U 3 lichen lichen mich nicht vergessen haben. Sie war ganz mein. Sobald sie diesen Gecken gese- hen hatte, sahe sie, was sie oft gesehen, daß ihre Ahndungen nicht immer traͤfen. — Ein Geck dieser Art kann nicht schwer zu ent- fernen seyn, dachte sie, und in Wahrheit sie dachte sehr richtig, denn mich duͤnkt, nichts ist einem jeden gutdenkenden Maͤdchen leich- ter, als einen Stutzer, der ein Jahr in Pa- ris gewesen, auf seine Graͤnze und zu seinen drey Glaͤsern zu bringen — ich weiß wohl wer unverschaͤmter ist. Es ist mir unbekannt, ob meine Leser schon einen curschen Franzosen gesehen haben! Werth zu sehen ist er! Franzos und Curlaͤn- der reimen sich, als Chapeaubashuͤtchen und Stallmeisterstiefel, als Sonnenschirm und Jagdtasche. — Ich habe schon die Ehre gehabt, den Herrn v. E. als meinen Nebenbuhler zu praͤ- sentiren, und jetzt kennen ihn meine Leser noch oben ein. Herr v. E. konnte nicht ein Auge, oder eigentlich ein Glaß, von Minen laßen. — Er war außer sich, steckte die drey Glaͤser an ihren Ort, und kam wieder an das der Jahreszeit so angemessene Band am Busen, das das man in Paris nicht besser waͤhlen koͤn- nen. — Mine warf ihn auch wieder mit ei- nem Blick zu Gottes Erdboden — den Elen- den! der nicht werth war, daß ihm die Sonne beschien. — Dem Kuß zum Abschiede ward ihr schwer zu entgehen, sie entgieng ihm zwar; indessen fiengen ihre Ahndungen wieder ihr Recht zu behaupten an. — Herrmann selbst schien die Freyheiten, die sich Herr v. E. her- ausgenommen, zu mißbilligen. Diesen Schein dedicirt’ er indessen blos Minen hin- ter des Herrn v. E. Ruͤcken. — Uebrigens verstattete das Podagra dem Herrmann nicht, so hart er sich gleich stelte, den Herrn v. E. so weit zu begleiten, als seine Geburt es mit sich brachte, und wegen dieses Umstan- des konnt’ er nicht aufhoͤren, um Verzeihung zu bitten. — Schon den folgenden Tag ward Herr- mann zur Frau v. E. gebeten; allein er konnte von diesem Ruf erst den dritten Tag Gebrauch machen. — Herrmann war noch nie so bitterboͤs’ aufs Podagra gewesen, als diesmal. Herr v. E. haͤtte beynah, wie er sich aus- druͤckte, den Verstand uͤber Minen verlo- ren! — Dazu, glaub’ ich zwar, wuͤrde we- U 4 nig nig erforderlich gewesen seyn, weil er gewiß keine große Summe zu verlieren hatte; in- dessen sahe man aus allem, daß, so bereiset er gleich war, er selten eine so schoͤne Gegend, als Minchen, gefunden, obgleich er ein gan- zes rundes Jahr in Paris gewesen. Da er ohne und mit den drey Glaͤsern gesehen, daß Minchen kein bonum vacans, (erbloses lediges Gut,) wobey der Dieb gal- genfrey stehlen kann, sondern zu tugendhaft waͤr’, um sein aller Allerliebst zu beherzigen; so fand er noͤthig, einen andern Weg einzu- schlagen, und diese Festung, nach seinem Ausdruck, die nicht im Sturm uͤbergieng, durch List einzunehmen. — Nachdem ich das Testament, fieng er an, genau erwogen, find ich Ihre Schei- dung von Denen so leicht nicht, gnaͤdige Mutter, als zuvor. (Herrmann und Dene gegenwaͤrtig.) Das dacht’ ich wohl, erwiederte Frau v. E. in ihrer Unschuld. Ein Testament ist ein Testament. — Es ist der Wille eines Vaters! eines Gemahls! der lezte Wille — und ich glaube nicht, daß sie sich von Denen so leicht zu trennen im Stande sind. — Die Die Frau v. E. wuͤrde mehr gesagt haben, wenn nicht der Herr Sohn dieses Drama in Gegenwart Denens und Herrmanns aufgefuͤh- ret. Die Mutter schrieb diesen Umstand auf die Rechnung seines Leichtsinns; allein er ge- hoͤrt’ auf ein unwuͤrdigeres Blatt, auf die Rechnung einer niedrigen List. Es war die- ses Drama Ausduͤnstung eines boͤsen Her- zens. Die Mutter blinzte bald mit dem rech- ten, bald mit dem linken Auge; allein der Sohn ließ den Vorhang nicht fallen, das Stuͤck hatte seine fuͤnf Aufzuͤge — Dene und Herrmann hoͤrten wie natuͤrlich auf. Er machte dem Herrmann, auf den es bey die- ser List angelegt war, so bange, daß er ste- henden Fußes Minen verrathen und verkauft haͤtte, wenn er damit dem Testament eine guͤnstige Wendung geben koͤnnen. Dies war das Ziel, nach welchem Herr v. E. redete. — Je mehr seine Mutter bey dieser Sache abbrach, je weitschweifiger ward er. Sein Auge lag auf der Erde, und konnt’ also dem Winken der Frau v. E. nicht begegnen. — Die Mutter nahm ihn endlich bey der. Hand — er kuͤßte die Hand, und fuhr fort. — Wollen wir nicht allein, sagte sie? War- U 5 um um, schoͤnste Mutter, antwortet’ er: es sind ja unsere Freunde. — Seht! was ist Recht und Unrecht! Wachs in einer warmen Hand; du aber, gerechter Gott, siehst auf alle, die auf Er- den wohnen! Nach einem sehr ausstudirten Vortrage aller der Schwierigkeiten, warum Dene nicht das muͤtterliche Haus verlaßen koͤnnte, sucht’ er mit Fleiß eine Gelegenheit, den Herrmann allein zu sprechen, um ihn vol- lends in sein Netz zu ziehen. Herr v. E. that, da er diese Gelegenheit hatte, als ob sie ganz von ungefehr gekommen oder, wie man sagt, vom Himmel gefallen waͤre. — Noͤthig hatt’ er nicht, den Herrmann uͤber Denen auszufragen; denn alles war gegenkuͤndig; indessen fieng er von Denen, als von einer Sache, zu sprechen an, bey der man wenig oder nichts verloͤre. Dies wirkte. — Er brachte den Herrmann immer weiter, bis er ihn endlich so weit hatte, daß er zu allem Ja zu sagen warm war; nur Dene mußte von diesem Ja abhaͤngen. Was meynen Sie, sagte Herr v. E., wuͤrd’ ihre Tochter wohl Denens Platz vertreten? Kurz Mine Mine solte Dene werden. — Ein Engel, ein Teufel. Herrmann nahm nicht nur den Apfel vom verbotenen Baum und aß, son- dern riß noch einen ganzen Ast mit. Er dankt’ in tiefster Unterthaͤnigkeit fuͤr die gnaͤ- dige Versorgung, und es ward auf Treu und Glauben verabredet und abgeschlossen, daß Mine die erledigte Stelle der Dene ein- nehmen solte. Boͤsewichter! warum starrte nicht euer Kopf, da ihr diese Verraͤtherey, diesen Mord, dachtet, und eure Zunge, da ihr ihn aus- spracht! Herrmann, deine Tochter! die Ge- rechte! kannst du verrathen und verkaufen? Minen! die dir nicht mehr zugehoͤrt, sondern mir! Minen! — — Herr v. E. brachte den Herrmann krum und gebuͤckt zu seiner Mutter. Er trug die Sach’ oͤffentlich vor, das heißt: in Gegen- wart seiner Mutter und Denens, die nun wohl einsahen warum? Sie laͤchelten beyde; allein sie fanden die Sach’ an sich sehr uͤber- dacht. — Die Frau v. E. hatte nur noch die eine Bedenklichkeit, daß ehe Mine Dene wuͤrde, ihr Sohn sich mit der Fraͤulein S. verheyrathen solte. Es ist nicht darum, son- dern dern darum, sagte die gnaͤdige Mutter. — Sie behauptete, dergleichen Dinge zu verste- hen und endlich, nach vielen Zweifeln und Aufloͤsungen, blieb es dabey, daß er sich, ehe Mine zur Frau v. E. zoͤge, wenigstens oͤffent- lich verlobt haben muͤßte. Wer die Beystim- mung des Herrmanns zu diesem Morde fuͤr Uebertaͤubung gehalten, wird jetzt auf diese Entschuldigung Verzicht thun und — was vom Herrmann denken? Zu Anfange solte Herrmann, dem unter dieser Bedingung sein Ja gegeben war, Minens Ja abholen. — Dene mußt’ unter dieser Bedingung B. sagen; allein dieser Plan ward abgeaͤndert. Herr v. E. entschloß sich, selbst in hoher Person Mi- nens Ja abzuholen — wenn gleich Minchen nicht ehe Dene wird, sagt’ er, als bis ich verlobt bin; so kann ich doch mit ihr den Contrakt vollziehen und ihn, um eine feste Bindung zu haben, verkitten. Warum nicht, frug Herrmann? alles frug ihm nach? Das Stratagem, dachte Herr v. E., kann nicht fehlschlagen, und du hast das suͤße Vergnuͤ- gen, Minen Ja sagen zu hoͤren — „und „wenn ichs auch nur durchs Glaß hoͤren soll. „— Wer hoͤrt nicht gern Maͤdchen — Jas „— ich will hin! —„ Herr Herr v. E. machte jetzt einen ganz andern Auftritt, als im ersten Akt. Der Knoten war geschuͤrzt. Wer den Vogel im Kefig hat, be- darf keinen Vogelleim. Ohne ihr Band am Busen der Jahreszeit angemessen zu finden, ohne die Exclamation: aller allerliebst! trug er Minen, die auf diesen Antrag nicht im mindesten vorbereitet war, das bewuste Brod- stellchen an. — Vielleicht wuͤrd’ ein weniger kluges Maͤdchen, als Mine, drey Schritt zu- ruͤckgetreten und Bedenkzeit nachgesucht, oder wohl gar Jagesagt haben; obgleich es an sich immer ein falscher, ein Pariserzug war, diese Anwerbung selbst, und nicht durch gute Maͤn- ner, auf deutsche Weise zu thun. — Mine sagte: Nein! — Ein so ofnes Nein, ein so kurz und gutes Nein, daß Herr v. E. nicht weiter das Herz hatte, auf ein Ja bei diesem hartschaͤligen Maͤdchen, (wie er es zu nennen beliebte,) zu bestehen. Herrmann war bey dieser Anwerbung nicht gegenwaͤrtig. — Herr v. E., der von Minen Ja (dies Wortspiel von Ja; denn sie solte den Worten nach Aus- geberin, Gesellschafterin, werden) hoͤren wolte, fand sie auch schoͤn beym Nein. Er kuͤßt’ ihr die Hand! — brennend — Ich Ich beklage, sagt’ er, und wußte nicht von sich selbst, ich beklage meine Mutter, mei- ne liebe, liebe Mutter, meine schoͤne Mutter, die schoͤnste, die ich kenne. Es faͤhrt mir durch Mark und Bein, wenn mein Finger noch so leise den Ihrigen tipt. Eine aller, aller, aller- liebste Mutter. Der Saum ihres Kleides macht mich schon gluͤcklich — sein Auge re- dete weiter. — Es war so unverschaͤmt, so ungezogen, als moͤglich. Viele Leute glau- ben zwar, daß man mit dem Auge nicht un- gezogen seyn koͤnnte. — Die Pariser! — Herrmann reisete mit, und kam so bald Herr v. E. zu seiner S. abgieng, wieder heim. Er that Minen eine Frage, die ihr durch die Seele gieng. Wie gefaͤlt dir der Herr v. E., fieng er an — allein Mine, die das vierte Ge- bot wußte, und auf die Frage: wie ihr Dene gefiel? — „als Mutter„ antworten konnte, besaß keine Faßung auf diese außer dem Ge- biet des vierten Gebots liegende Frage: wie ihr Herr v. E. gefiele, zu antworten. Sie vergaß hiebey den Vater im Kupler, und sprach so gewaltiglich, so zudringlich, daß sie den Herrmann aus aller Fassung setzte. — „Solch einen Antrag„ fieng Mine an: ihre Zunge war feurig, „solch einen Antrag mir! „War „War ich denn auch nicht einmal eines gefir- „nißten eines verkleideten werth? mußte mir „denn dieser Entwurf ganz wie er war! und „nicht einst gekruͤmmelt dargelegt werden! „Mir! — zwar waͤre mir die Bosheit auch „in ihrer Larve nicht entgangen, ich haͤtte das „Gift auch im Wein erkannt, und wenn ich „zu schwach gewesen, wahrlich! Gottes En- „gel haͤtten mir den Vorhang aufgezogen, „wenn er noch so kuͤnstlich waͤre gewebt wor- „den! aber diese Dummdreistigkeit im La- „ster! — Gott!„ — — sie reckte ihre Hand weit gen Himmel, um sich durch diese Voll- macht zu der guten Sache zu berechtigen: sie sprach im Namen der Tugend, als ihre Macht- haberin, und Herrmann rang die Haͤnde, schlug an seine Brust und versprach, sie nicht zu verrathen, und zu verkaufen: sie nicht zu vertauschen, auch selbst — was konnt’ er mehr versprechen, auch selbst — „wenn ich druͤber Denen verlieren soll!„ — Diese Busandacht bewegte Minen, sie fiel ihm um den Hals, sie weinte, sie betete, sie versprach ihn mit ihrer Haͤnde Arbeit zu ernaͤhren, und ihren Bruder, der bald aus der Lehre treten wuͤrde, zur Beysteuer zu be- quemen, um ohne Denen leben zu koͤnnen. „Diese „Diese Haͤnde„ sie faltete sie, und sprach so feyerlich, als wenn sie einen Eid ablegte, „diese Haͤnde sollen Tag und Nacht arbeiten„ „— Herrmann war wirklich bewegt.„ Ist „ihnen der Unterricht der Kinder schwer, sie „koͤnnen ja nicht blos ein Mundwerk, son- „dern mehr als ein Handwerk —„ Pfuy, sagte der alte Herr, so geruͤhrt er auch war. Mine wolte das Handwerk dieses Pfuys we- gen verreden; allein Herrmann ließ sie nicht vom Fleck. Handwerk! fuhr er fort. Wie kannst du mir ein Handwerk vorruͤcken? Was hab’ ich denn fuͤr eins getrieben? Die Schnei- derey an ihren Ort gestelt, wo ich doch auch kein Kleid, keinen Ueberrock, sondern Sa- chen fertigte, die nicht ins Auge fielen. Brusttuͤcher und so was. — Von Stie- feln Schuh, von Schuhen Pantoffeln kuͤnsteln, heißt das Schustern? Und etwas aus Thon drechseln, heißt das Toͤpfer seyn? Ich war, damit du’s einmal fuͤr allemal weißt, Freyschneider, Freyschuster, Freytoͤpfer, so wie viele von unsern Hochwohlgebohrnen Herren, wenn sie von Reisen kommen, Frey- maͤurer sind. Mine gab sich alle nur ersinn- liche Muͤhe, ihren Vater zu beruhigen; al- lein vergebens. Er konnt’ ihr das Hand- werk werk nicht verzeihen, und die Schule? fuhr Mine fort. Auch nicht! erwiederte Herr- mann, der nicht Commißbrod essen wolte, wenn er magenverderbendes Gebacknes haben konnte. Du weißt, sagt’ er ihr, daß wir die letzte Zeit jaͤhrlich eingeschustert haben. — (Gern haͤtt’ er dieses Wort zuruͤck gehabt.) — Du weißt — — Mine weinte. — Sie lei- tet’ ihren Vater auf Gott, den Brunnquell aller Gnaden! Wie ein Vater sich erbarmet uͤber seine Kinder, so wird sich Gott erbarmen uͤber uns, wenn wir ihn fuͤrchten — wenn wir auf seinem Wege wandeln, seine Rechte halten und darnach thun. Ich will Nacht und Tag zu Gott empor rufen! Ich will eine Naͤhschule halten, ich will beten und arbeiten, bey Brod und Wasser. — Ich will alles, alles versuchen, was ehrlich und recht ist, vor Gott und Menschen. — — Aller Augen warten auf den Herrn! Er giebt Speise zu seiner Zeit, er thut seine milden Haͤnd’ auf, saͤttiget alles was lebet, bis auf die himmelschreiende Ra- ben. Sind wir denn nicht, als sie! — Mine sagte dies mit solcher Zuversicht, daß Herr- mann ihr nicht weiter den Vorschlag von Mund und Handwerk nachtrug. — Zweiter Th. X Herr- Herrmann wiederholte sein Versprechen langsam, bedaͤchtig, als schwoͤr’ er einen Eyd, Minen zu behalten, auch wenn er Denen druͤber einbuͤßen moͤchte. — „Wie haͤtt’ ich, schreibt Mine, ihm Glau- „ben verweigern koͤnnen! — Das Blut, das „mir bey dieser Scene zu Herzen schoß, redete „fuͤr ihn„ — — So weit konnt es Mine nicht bringen, daß er nicht mehr nach — zur Frau v. E. reisete. — Wer hingeht, sagte Herrmann, muß zu- ruͤckgehen: indessen wiederholt’ er mit einem feyerlichen Gott anrufenden Blick sein Ver- sprechen. Es war gleich den folgenden Tag nach seinen Brustschlaͤgen, nach seinem Blick, oder, welches einerley ist, nach seinen Schwuͤ- ren, da er zur Frau v. E. dringend geladen ward. Mine nahm Gelegenheit, da sie ihren Vater auf dem rechten Wege hatte, ihm unsere Verbindung so deutlich zu machen, daß nur noch die Worte fehlten: ich bin mit Alexan- der verlobt, wir sind Eins. — Mit Fleiß oͤfnete sie ihm Aussichten, wodurch er Denens wegen entschaͤdigt werden solte, und glaubte sie, wie sie schreibt, ihn im Geistlichen und im Leiblichen gewonnen zu haben. So unbe- schei- scheiden Herrmann in dergleichen Faͤllen war; so hascht’ er doch nach keiner Sylbe mehr von mir, als ihm Mine gab. Diese Bescheiden- heit leistete Minen Buͤrgschaft fuͤr alles. — Vergessen Sie ihre Tochter nicht, sagte Mine, da er von ihr Abschied nahm, Gott wird sie auch nicht vergessen, wenn ihnen Huͤlfe, Trost, Rath, — Noth ist. Es bleibt, erwiederte Herrmann, und schwur wieder mit einem Blick. — — Um also zuruͤckzugehen, gieng Herrmann noch — und Mine war voll guter Hofnun- gen, und diese gab sie, so sehr sie gleich das lange Ausbleiben des Vaters befremdete, doch noch den ganzen Tag, den Abend, die Nacht, den folgenden Mittag, nicht auf. — Da aber Herrmann auch den Mittag drauf noch nicht zu Hause kam, stiegen wieder Wolken oder Ahndungen auf. Sie wartete noch dis Mittag des folgenden Tages, und nun war es Minen mittagsklar, daß ihr Vater so viel Zeit nicht bedoͤrfe, um zuruͤck zu ge- hen. Gegen Abend ein Brief von Herr- mann! — Mine wußte schon, eh sie ihn oͤf- nete, was drinn war, und meine Leser wer- den es auch wissen — X 2 „ich „ich bin krank, komm deinen Vater sehen, „denn vielleicht stirbt er, damit er dich „segne. —„ Das war der abscheuliche Inhalt eines Briefes, den ein Mann schreiben konnte, in dessen Mark Gichtgift verborgen lag, das oft, eh’ er sichs versah, aufgaͤhrte! Der mit fey- erlichen Gott anrufenden Blicken geschworen hatte. — O Herrmann, konntest du so mit dem vaͤterlichen Segen spotten, und so mit dem Tode? und so mit Eyden? Mit diesem Brief’ ein sehr gemeines Fuhrwerk, um alles desto glaubwuͤrdiger zu belaͤgen — und die Sache desto kluͤglicher zu machen. Man wolte durch diesen Einfall den vorigen zu plumpen Plan ausputzen, und in einem elenden Zimmer Schildereyen auf- schlagen. — Mine schrieb sehr kalt an ihren Va- ter, bedaurete seine Zufaͤlle, kommen wuͤrde sie nicht, die Ursachen muͤßten ihm erin- nerlich seyn, sie hoff’ er wuͤrde sein Verspre- chen erfuͤllen, und hiemit: leben Sie wohl! — Dieser Brief machte dem Herrmann na- tuͤrlich sehr viele Muͤhe, um sich herauszu- winden; denn er hatt’ aller seiner Betheu- rungen unerachtet, auf den ersten gegensei- tigen tigen Angriff alles, alles, aufgeopfert, alles. — Das Wort von der Hofnung, daß Herr- mann sein Versprechen erfuͤllen wuͤrde, das Mine eingestreuet hatte, machte seiner Hermenevtik die meiste Muͤhe. Herr v. E. sowohl, als Dene, wolten daraus herleiten, daß er zween Herren diene. Dieser saure Schweiß bey der Auslegung brachte den Herr- mann wider Minen auf eine hoͤchst ungerecht’ und unnatuͤrlich’ Art auf. Nun hatt’ er mit genauer Noth diese Briefstelle gerettet und die hohen Anwesenden uͤberzeugt, daß er nur ei- nem Herrn diene, und nun war ihm auch nichts heilig. Der Satan fuhr in ihn. Er wolte Gift mischen, und wußt’ es nur nicht anzu- fangen. — Er entdeckte meine Verlobung mit Minen, als den einzigen Grund ihres Neins. — Die Sache ward im ganzen Zusam- menhange genommen, und nach dem er meine Mutter und meinen Vater und mich! (Herr v. E. erinnerte sich meiner Haarklein,) in Lebensgroͤße dargestellt, so ward beschlossen, meiner Mutter Minens Liebesverstaͤndniß mit mir, zu entdecken, ihr einen von meinen Briefen in der Urschrift beyzulegen, und Mi- nen alle Auswege zu beschneiden, den Stri- cken so vieler Teufel zu entkommen — X 3 Arme, Arme, arme Mine! Herrmann kam, um seine Krankheit desto wahrscheinlicher zu machen, und Minen desto gewisser ins Verderben zu stuͤrzen, erst nach dreyen Tagen, von diesem ungluͤcklichen Brief’ an gerechnet, nach Hause. Was Mine waͤhrend dieser Zeit ausgehalten, ist unbeschreiblich. Die erste Beschaͤftigung des Herrmanns nach seiner Ruͤckkunft war, einen von meinen Briefen an Minen zu entwenden. Dieser Vorposten macht’ ihm keine Muͤhe, weil Mine von dieser Seite nichts befuͤrchtete. Vielleicht kuͤhlt’ ihn dieser Umstand, oder vielmehr die Vorstellung, daß Zorn die gute Sache verderben koͤnnte. Seine Maske war Guͤt’ und Freundlichkeit. Eine leichte Rolle fuͤr einen Boͤsewicht. Der entwandte Brief ward sogleich an die Behoͤrde, nemlich an meine Mutter, und zwar in Begleitung ei- nes anonymischen Briefes versandt. Ich weiß nicht, ob meinen Lesern mit einem Theil des anonymischen Uriasbriefes ge- dient seyn werde, womit diese Rotte Mi- nen bei meiner Mutter anschwaͤrzte, um ihr die letzte Trostquelle zu stopfen. Herr- mann war dabey der Faͤnchenfuͤhrer; denn oben oben ein raͤcht’ er sich an meiner Mutter, ohne daß sie wußte, von wannen es kam. „ D a lesen Sie selbst! hochzuehrende Frau Pastorin. Sie kennen Bild und Uberschrift — wahrlich ein unwuͤrdiger Sohn einer so wuͤrdigen gottesfuͤrchtigen Mutter, die ge- nug fuͤr ihn gebetet und gesungen hat! So viel ist indessen gewiß, daß er nicht der Ver- fuͤhrer, sondern der Verfuͤhrte sey. Retten Sie seine Seele, die im Argen liegt, und machen Sie, daß er sie aus dem Argen ziehe, und in seinen Haͤnden trage. — Die ganze Gegend, und vorzuͤglich die in derselben, so seine Predigt angehoͤret, ziehen uͤber ihn die Achseln. Man glaubt, er habe Wilhelmi- nen ein lebendiges Andenken zuruͤckgelassen. Das wolle der Himmel nicht! Indessen waͤr’ aus den Worten: Mann und Weib, du und du, auf ein dergleichen im Verborgenen gebildetes Andenken, dem Sie, hochzueh- rende Frau Pastorin! gewiß den Namen Großkind entziehen wuͤrden, nicht unsicher zu schließen. — Das best’ ist, Wilhelminen — den Kauf aufzukuͤndigen, und ihr bey Haͤn- X 4 gen gen und Wuͤrgen alles Einverstaͤndniß mit dem Herrn Sohn zu untersagen, der in Koͤnigs- berg nichts thut, als Wilhelminen schriftlich lieben. Man weiß aus sicherer Hand —„ Genug, ich kann nichts mehr abschreiben. Mein Brief an Minen, den Herrmann entwendet hatte, und der diesem Schleich- handel den Schein des Rechts beylegte, war wie gewoͤhnlich treu und herzlich. — Die Stelle: „O! Mine, o Weib! Du bist mir wie ge- „genwaͤrtig, und alles, alles, ist mir ge- „genwaͤrtig. Denkst du auch dran, wenn „wir uns die Augen kuͤßten, als traͤnken „wir sie aus, wenn ich deine Hand so fest „an mein Herz hielt, daß du jeden und „den allergeheimsten Schlag drinn fuͤhlen „konntest, den Puls der Liebe —„ Diese Stelle klammerte meine Mutter ein, und nahm sie in frommen Beschlag. Zur Seite schrieb sie „Gedenke nicht der Suͤn- „den meiner Jugend und meiner Uebertretun- „gen, gedenke aber mein nach deiner großen „Barmherzigkeit! — Ueberall, wo Weib stand, zog sie einen Strich, als zoͤge sie ei- nen Vorhang — — Mine Mine konnt’ es nicht uͤber ihr Herz brin- gen, sich nach dem Befinden ihres Vaters zu erkundigen. Er dagegen hatt’ auch kein Herz, an seine Krankheit zu denken. Herr- manns Gesicht war bei aller angenommenen Freundlichkeit so durchsichtig, daß Mine woͤrtlich ihr Schicksal daraus abnehmen konnte. — Er fieng die Lobred’ auf Herrn v. E. mit dem Eingang an: Wir haben uns geirrt, Mine. Irren ist menschlich. Wir haben uns geirrt. Herr v. E. ist nicht der Herr v. E. den wir glaubten, sondern ein ganz anderer Herr v. E.. Der Text der Lobrede betraf seine Verlobung mit der Fraͤulein S., und seine Erd- Wand- Band- Niet- und Nagel- feste Liebe zu ihr. Oft kam die Verlobungserzaͤhlung so un- zeitig, daß Mine mehr als zu deutlich sehen konnte, was diese Wiederholung sagen wollte. — Nach einer Weile fieng er an: du kannst nicht glauben, mein Kind, wie du dich durch deine Tugend dem Herrn v. E. empfohlen hast: er hat zum ersten und zum zweiten mal ein Geschenk fuͤr dich in der Hand gehabt; allein du hast ihm so viel Achtung eingefloͤßt, daß er es nicht wagen doͤrfen — X 5 Ein Ein Geschenk, warum das? Beym Geschenk, liebes Kiud , fraͤgt nie- mand warum? Mine konnt’ und wolte nicht, ihren Va- ter an seine Schwuͤre erinnern. Sie zit- terte. — Wenn sich zu seiner Zeit ein Candidat faͤnde, der dich heyrathen wolte, fuhr Herr- mann fort, er solte gewiß nicht lange auf ein Pastorat warten doͤrfen. — Hat der Herr v. E. Pastorate zu vergeben, frug Mine bitter? Das nicht; allein die Con- nexion der Edelleute untereinander — Wieder nach einer Weile. Magdalene wird meine Frau! Das war nicht der erste Blitz, der Minen durchs Herz gieng. — Meine Frau! wiederholte Herrmann: ob du aber ihre Tochter werden willst, haͤngt von dir ab — die alte gnaͤdige Frau will dich — du solst nichts mit der jungen Herrschaft zu thun haben. Herr v. E. heyrathet, das weißt du doch? Ja, sagte Mine, ich weiß — Wieder nach einer Weile. Er will, wenn du verlangst, noch herkommen und sich sich wegen seines Antrages bey dir entschul- digen, den er dir sehr unzeitig gethan. Sei- ner Mutter kam dieser Antrag zu. Ich solte denken, sagte Mine — und dann wieder nach einer Weile: er sieht seinen Fehler ein. — Mit, oder ohne Glaß, erwiederte Mine so bitter, so Todes bitter, daß das weise Hofmaͤnnchen ganz aus dem Concept kam. Mine war in einer schrecklichen Situa- tion. — Sie sagt’, ihr Plan waͤr’, ihre kuͤnf- tige Stiefmutter zu ehren, nie wuͤrde sie in den Hof, mein Leben, setzte sie sehr lebhaft hinzu, und meine Ehr’ ist eins! „So„ sagte Herrmann. Ja, Vater, sagte Mine. — „Und weißt du auch„ Er wolte zu drohen an- fangen; allein eben zu rechter Zeit fiel ihm seine Mask’ ein, er begnuͤgte sich daher gros- muͤthigst, Minen den Bettelstab, Elend und Verachtung, zu prophezeihen. Arme Mine, edel ungluͤckliches Maͤdchen! Ich empfinde, was du empfandest, und doͤrft’ ich doch nicht erzaͤhlen, was Minen sehr na- tuͤrlich noch weit ungluͤcklicher, noch bedau- renswuͤrdiger machen mußte. Dies Dies verfolgte ungluͤckselige Maͤdchen entschloß sich in den Armen meiner Mutter eine Freystadt zu suchen. Sie war aufs aͤus- serste gebracht. Es schrieb an sie. Den Brief hat Mine mir nie gezeigt. Es ist deine Mutter! schrieb die Holdselige, und machte einen — Ehe sie aber diesen Brief abschicken konnte, siehe da! ein Brief von meiner Mutter an Minen. Die Wuͤrkung des Uriasbriefes und seiner Beylage. Dieser Brief fieng sich an: „Es will verlauten, daß Sie meinen „Sohn verfuͤhret haͤtten und noch verfuͤhren „—„ und schon dieser Anfang lehret, daß meine Mutter dem Uriasbriefe seine Schliche abgemerket und den Verfasser fuͤr das, was er war — einen Schwarzkuͤnstler, gehalten. Sie glaubte sein Hokuspokus vom lebendigen Andenken nicht; allein anstatt daß sie der verfolgten Mine, ihrer so wohlgerathenen Schwiegertochter, die Hand geben und sie in Schutz nehmen sollen, was that sie? Sie verschwieg diesen ganzen Vorgang meinem Vater! und wenn ich ihren Brief ganz mei- nen Lesern mittheilen solte; wuͤrd’ ich der Ach- tung zu nahe treten, die ich meiner Mutter schuldig bin. Sie ließ Minen, aus besonderer Milde, Vorzuͤge; nur den konnte sie ihr nicht zuge- zugestehen, die Frau eines Pastors, und die Schwiegertochter einer so ahnenreichen Pa- storin zu werden. Es waͤre nicht das erste- mal, schreibt sie, daß ein Cavalier ein ar- mes Maͤdchen geheyrathet haͤtte, sie wuͤnschte, daß aus Scherz Ernst, und Mine die Frau v. E. wuͤrde: „denn unverhofft- setzte sie hin- zu- kommt oft- Ein Paar Stellen muß ich ohngekuͤrzt geben: „Es waͤre Stank fuͤr Dank, wenn Sie „die Nachbarsrechte so gewissenlos aus den „Augen setzen, und meine grauen Haare so „mit Schimpf und Schande hinab ins Grab „bringen wolten. Ich habe etwas in Origi- „nali gelesen, auf dessen Rechnung eine grau- „gewordene Stelle meines Hauptes gehoͤrt. „Ich weiß die Minute, da sie grau ward. „Gott verzeih dem Urheber dieses etwas in „Originali die graue Stelle auf meinem „Haupte. — Lasset alles ehrlich und ordent- „lich zugehen, das, daͤcht’ ich, hieße wohl „ziemlich klar und deutlich, die Tochter ei- „nes noch zu bezweifelnden Litterati koͤnne „meine Schnur nicht werden. — Ich habe „schwarz auf weiß, und verbitt’ alle Spruͤnge „durch einen Reif; alle Kunststuͤcke der Ent- „schul- „schuldigung, und kurz und gut, alles und „jedes zur Antwort, die ich, so warm als „ich sie erhalte, zuruͤcksenden werde. Ih- „ren Zuspruch muß ich noch aus einer Ur- „sach mehr verbitten, auch selbst wenn Sie „an der Hand meines Sohnes kaͤmen, wuͤrd’ „ich fuͤr beyde uͤber Feld gegangen, und „nicht zu Hause seyn. So was kann nicht „geschlichtet, sondern muß gerichtet werden. „Ungern hab’ ich an Sie geschrieben; allein „um nicht Oel zum Feuer zu gießen, und „das allgemeine Gerede noch gemeiner zu ma- „chen, das ohnehin schon in fliegende Blaͤt- „ter ausartet, wie eine Raupe in einen „Schmetterling — blos darum dieser Brief, „der erst’ und der letzte — „Sing bet’ und geh auf Gottes Wegen, „verricht das Deine nur getreu! „vertrau des Himmels reichem Segen, „und er wird jeden Morgen neu; „denn wer nur seine Zuversicht „auf ihn setzt, den verlaͤßt er nicht. — —„ Da war nun Mine von aller Welt verlaßen! Diese Gerechte! das schwarz und weiß, und das allgemeine Gerede, und das etwas in Originali, auf dessen Rechnung eine grau- gewordene Stelle gehoͤrte, die Gott dem Ur- heber heber verzeihen solte, waren Minen unbe- greifliche Dinge; — allein die Hauptsache war desto brgreiflicher. — Mine that ihren Mund nicht auf. — Zu meinem Vater sich zu wenden, hatte sie kein Herz. — Es fiel ihr der Ueberfall im Waͤldchen ein. — Dieser hatte bey Minen etwas zuruͤckgelassen, was sie hielt — sie wolte schon; allein sie konnt’ es nicht vollenden, o! liebe, liebe Mine, warum nicht? — Als ich einem meiner Freunde aus freyer Faust meinen Lebenslauf erzaͤhlte, und an diese Stelle kam, bey der ich ihn fragte: ha- ben Sie das von meiner Mutter gedacht? antwortet’ er: ja, Freund; denn sie konnte buchstabiren, sie setzte ihren Casum, und war fromm. Ob mein Freund recht gerichtet, moͤ- gen meine Leser, nicht hier, sondern uͤber ein kleines beurtheilen. — — Herr v. E. kam jeden Sonntag’ in unsre Kirche. Mine sah ihn nicht an; allein er sahe sie, und wie er sahe? das wissen wir schon. Er verlobte sich wirklich mit dem Te- staments Fraͤulein; den Sonntag darauf war er in unsrer Kirche mit ihr, und trieb die Sache Sache so weit mit Minen, daß alles das Kir- chengestuͤhl, wo Herr v. E. saß, und Minen, in einer Reihe ansahe, so, daß mein Vater selbst ein paarmal ein Wort zweymal sagen, und ein andres lang ziehen mußt’, um sich auf das folgende zu besinnen. So sehr ward er gestoͤhrt! Mine hoͤrt’, indem sie aus der Kirche gieng „der Braut im Gestuͤhl druͤckt’ er „die Hand, und von Jungfer Minchen laͤßt er „kein Auge, was ist besser Hand oder Auge?„ Herrmaun ward in dieser Verlobungszeit mit keiner Ladung beehrt; allein daß er mit dem Herrn v. E. in Verbindung war, ergab sich unter andern daraus, weil sie haͤufig Briefe wechselten, weil verschiedenes in die Kuͤche kam, wovon aber Mine keinen Bissen aß, und weil Herrmann so gefaͤllig gegen Mi- nen that, daß sie sich vollstaͤndig uͤberzeugte: es gieng’ etwas vor. — Sie hatte schon oft an ihren Bruder in diesen Herzensnoͤthen geschrieben; jetzt schrieb sie dringender, und Benjamin kam. Seine Ankunft konnte bey Herrmann um so weniger Verdacht erwecken, da er selbst verlangt hat- te, daß sein Sohn zur Schicht und Theilung kommen solte. Es ist unaussprechlich, wie sich Mine freute, ihres Geliebten Gevollmaͤch- tigten, tigten, ihrer Liebe Zeugen, ihren Benjamin zu sehen. — Sie konnte sich nicht zuruͤckhal- ten, diese Freude vor den Augen des Vaters aufflammen zu lassen — Schoͤn, wie ein Opferfeur! Mine entdeckt’ ihrem Bruder mehr, als sie zu schreiben im Stande gewesen, und Ben- jamin kannte sie kaum wieder; so sehr hatte sie sich veraͤndert: arme, arme Mine, rief er, und sah sich um, ob es auch Herrmann ge- hoͤrt haͤtte. — Die ungewoͤhnlich starke Cor- respondenz ihres Vaters mit dem v. E. fiel beyden zu deutlich auf. Zwar giengen alle Briefe: An die Hochedelgebohrne Ehr und Tugend belobte Jungfer Magdalene — dienstfreundlichst in indessen schien sie nur uͤberhaupt das Feigen- blatt zu seyn. Bald, schreibt Mine, hatt’ ich Hofnung, es wuͤrd’ ein Ende gewinnen, daß ich’s koͤnnt’ ertragen, bald verlohr ich den letzten warmen Tropfen Muth — und ich zittert’ uͤber Leib und Leben. — So gieng es auch dem Benjamin. — Ohne daß dieser sei- ner Schwester sagte, (wer weiß, ob sie’s zu- gegeben haͤtte?) entschloß er sich, da Herr- Zweiter Th. Y mann mann einen guten Nachbar besuchte — (noch ward er nicht zum Herrn v. E. beschieden,) das Pult zu oͤfnen, und eine handvoll Briefe zu nehmen. Er rief seine Schwester, „lies„ sagt’ er. Sie konnte nicht weit kommen. Es uͤberfiel sie eine Ohnmacht, nach wenigen Rei- hen. Meine Leser sollen einen Brief ganz le- sen und eine Antwort ganz. Brief des v. E. an Herrmann. Herr! sie sollen nicht Denen haben und wenn ich Denen selbst heyrathen solte. Ich selbst! hoͤrt der Herr! wenn ich sie selbst solte. Ihr kruumer Puckel und ihr Haͤndedruck macht es nicht. Fuͤr was ist was! Ich bin Sohn, und will das vaͤterliche Testament aufrecht erhalten. Das will ich! ich will das! Der Herr schreibt nicht hin, nicht her! nicht gehauen, nicht gestochen. Ich muß wissen, woran ich bin! denn ich liebe ihre bildschoͤne Tochter zum Entsetzen. Unter uns gesagt, ich denk auch nicht, daß Sie ihr Va- ter sind. Minchens Mutter wird sonder Zweifel so bildschoͤn gewesen seyn, wie die Tochter noch ist, und dessen Gebeine moͤgen sanft ruhen, der den Weg mit der Mutter ging, den ich, wenn ich lebe und gesund bleibe, mit der Tochter gehen will. — Das Maͤd- Maͤdchen hat Verstand, wie ein Engel, oder beßer, wie ein Teufel. Gegen mich ist sie ein Teufel. Damit Sie, lieber Herr- mann, sich alles zuruͤckerinnern, worauf es bey der Sache ankommt; so bitt’ ich ja nicht zu vergessen und zu versaͤumen, Min- chen alle zwoͤlf Stunden, und wenn es auch oͤfter waͤre, zu sagen, daß ich heyrathe und zwar aus lichterloher Liebe. Sie wissen es anders, lieber Freund! allein Mine braucht es nicht anders zu wissen, wenn ich nicht muͤßte. — Es ist wenigstens ein zehnfaches Muß, das eilfte sag’ ich keinem, als Ih- nen, meinem vertrautesten Freunde! Ich habe Reiseschulden, und im kurzen werden ein halb Duzend A Datos eintreffen. Se- hen Sie nur, lieber Herrmann! um sie recht von meiner ehrlich und redlichen Ab- sicht zu uͤberzeugen; ich will das Testaments- fraͤulein und Minchen zu gleicher Zeit, mit einer Klatsche zwo Fliegen. — Sagen Sie selbst, wie mir bey der Trau zu Muthe seyn muͤßte, wenn ich nicht auf den Trost ihres Engels rechnen koͤnnte. Ihr gutes Herz wird mich nicht verwahrlosen. Alle Welt hat Holz zu diesem Brande gelegt, und nun verbrenn’ ich in dieser Flamme. Ich weiß Y 2 alle alle Fehler bey dieser Sache: denn sonst waͤre Mine schon mein — ihrer stoischen Tugend unerachtet, die eben so wenig, wie heut zu Tag’ irgend eine Festung, Stich haͤlt. — Wir leben in uͤberwindlichen Zei- ten. — Ich knirsche mit den Zaͤhnen vor Liebe und vor Wuth, daß ich so schlecht ge- spielt habe. Wenn meine Mutter Minen den Antrag gethan, haͤtt’ ich gewonnen Spiel gehabt; allein alsdann koͤnnten Sie, Freund! ihre Kunst nicht zeigen, alles wie- der in Ordnung zu bringen. Kurz, Herr! so wahr ein Teufel in der Hoͤll’ und ich ein Cavalier in Curland bin, das ist viel gesagt, Dene ist nicht die Ihrige, wenn Minchen nicht die Meinig’ ist. — Eine Hand waͤscht die andre. Wird aber Mine, Dene; sie verstehen doch deutsch? so sollen Sie von meiner Mutter, nemlich von ihrem Witt- wengehalt, von Testaments wegen, so lange Dene lebt, und wenn Dene eher als Sie stirbt, noch so lang Sie leben, achtzig Tha- ler Albertus haben. Gelt! das schmeckt! Außer dem geb’ ich Ihnen ein fuͤr allemal noch zweyhundert Thaler Albertus, sobald Minchen sich zum Ziele legt. — Die Kinder sol- len als deutsche Leute gezogen werden, wie mein mein seliger Vater Denens Kinder gezogen hat. Um die Sach’ ihnen ganz auf ein Haar deutlich zu machen: ich verlange Mi- nen nur her, und Sie haben die Wette zum groͤßten Theil gewonnen. Es muͤßte mit dem Feu’rspeyenden Drachen zugehen, wenn ich nicht Minchen bewegen sollte. — Nur her, Herr Magister! und das Uebrige wird sich finden, wie eine auswendig gelernte Pre- digt. Wenn Minchen sich weigert, wie sich ein Ast weigert, wenn man Kirschen pfluͤcken will: ein hundert funfzig Thaler Alb., wenn Sie nichts hoͤren und wissen will und doch herkommt, hundert Thaler Alb. und bald vergessen! Muß man doch dem Herrn alles zu Haͤchsel schneiden! — — Die Kruste kann der Herr Braͤutgam nicht vertragen, darum Krume, wo nicht gar Pappe. — Ge- nug, wenn Sie sich alle Muͤh’, es versteht sich all’ erdenkliche geben, Minen zu beque- men, und man dennoch Nein schreyt, und weint und klagt; ist noch ein Mittel. Ich denke doch, Sie wissen was ein Cavalier in Curland vermag? und daß er wie Koͤnige lange Haͤnde hat? Drei verschwiegene Kerls zu Hand- und Spanndiensten, sind auf einen Wink hier, und dort und da. — Das beste Y 3 waͤre waͤre, sie braͤchten Minchen her. — Schla- gen sie vor, was sie vor gut finden, sparen Sie keinen Fleiß. Auch auf den Fall der drey handfesten Kerls, funfzig Thaler Alb. und in allen Faͤllen, wo nur Mine ist, auch Dene. Sonst aber, hol mich der Teufel, nicht — ewig nicht! — Der Herr soll wie- der seine Klippschule halten, und seine Knack- wurst essen, und Kofent dazu trinken. So was von Minchen trift man nicht so leicht. Ich bin nicht etwa in sie verliebt; ich bin in sie verruͤckt, und das kommt wohl zum groͤß- ten Theil, weil ich eben Braͤutigam bin, und den verliebten spielen soll. Eine ver- dammte Rolle! Bey einer Braut, die mir so unertraͤglich ist, und die mir noch uner- traͤglicher waͤre, wenn ich nicht eine Mine haͤtte, bey der ich mich erholen koͤnnte. Mi- nen gehoͤrt alles, was ich der Testaments- braut sag’, und wahrlich ich wuͤrd’ ihr nichts sagen koͤnnen, ich wuͤrde vergessen, was ver- liebt seyn und verliebt thun hieße, wenn ich Minen nicht zur Uebung haͤtte. Aber Mi- nens Tugend? — Ist so etwas Tugend, so ist wenig auf der Welt — hol mich der Teu- fel — wenig! — Ich schwoͤre nur fuͤr Eva, weil Niemand als Adam da war. — In Paris Paris und andern Orten essen die Schaͤfchen aus der Hand. Nur ganz zuletzt in Koͤ- nigsberg hab’ ich Ihnen ein Maͤdchen — muͤndlich mehr! Einen so langen Brief hab’ ich, seitdem ich schreiben kann, nicht ge- schrieben. Waͤr Minchen nicht der Inhalt; so muͤßte mich der Teufel plagen, so viel zu schreiben. Das Testamentsfraͤulein soll bey meiner Seel keinen uͤber sechs Reihen besitzen. Haben Sie nicht was guts von Liebesbrief- steller? damit ich draus ein Paar Briefe fuͤr die S. abschreiben kann. Ich hab’ aus vie- len Gruͤnden, und auch darum, an Sie ge- schrieben, weil ich dich kenne du verzagter argwoͤhnscher Hund ! Nun hast du doch was schriftliches in der Hand, und kannst mich vor allen Gerichten knaͤbeln. Neu ists bey alledem, daß meine Testamentsbraut die Courtage fuͤr Minchen bezahlt. Glaubt mir Herrmann! ich meyn’ es ehrlich mit Minen. Man wird von Tag zu Tag aͤlter, und muß solide denken. — Wenn der Pastor uns, S. und mich, traut; laß Mine dabey stehen. Der Testamentsfraͤulein geb’ ich zwar die Hand, denn das bringt die Ceremonie so mit; aber Minen will ich ein ganzes Aug voll Jas schenken, und hol mich der Teufel, Y 4 ich ich will sie selbst ansehen, wenn ich Ja zu S. sage, und dies Ja soll so leise seyn, daß es der liebe Gott selbst kaum hoͤren soll. Mehr, glaub’ ich, kann Minchen nicht zur Gewissensberuhigung fordern, wenn Sie Superintendentin waͤre, und mehr kann sie nicht fordern, wenn sie zehn Jahr Jura stu- dirt haͤtte. Dieser Brief muß zerrissen wer- den, so bald er gelesen ist, oder ich stecke dem Herrn Herrmann das Haus an. Hat Magdalena nicht oͤfter Wochen gehalten, als meine Mutter? und einen Mund voll Zaͤhne abgerechnet, was fehlt ihr zur Ehre, die Frau eines Litteratus zu werden? Reinen Wein, oder ich heiß nicht — — v. E. — Wenn meine Leser die saubere Antwort auf diesen cursch-franzoͤsischen Brief lesen wollen; hier ist sie: Hochwohlgebohrner Herr und Goͤnner, Gnaͤdiger Herr Baron und Goͤnner, Ew. Hochwohlgebohrnen werden gnaͤdigst zu verzeihen geruhen, daß ich gleich anfaͤng- lich in aller Ehrfurcht bemerke, wie ich mich wohl zu bescheiden weiß, an Briefe von gnaͤ- digen Haͤnden nicht gewaltthaͤtige Hand zu legen; legen; indessen ist dieser hohe Brief fuͤr Mi- nen wie verbrannt, und noch aͤrger wie ver- brannt, da sie nicht einst die uͤbrig gebliebene Asche sehen soll. Es wird Ew. Hochwohlge- bornen par renommee bekannt seyn, daß es mir nicht an Witz und Faͤhigkeit gebricht; in- dessen sieht mir jetzo alles still, und ich muß aufrichtigst bekennen, daß ich bei dieser Sa- che keinen Einfall anzubeißen weiß, wenns mir das Leben kosten sollte. Die Ochsen ste- hen, mit Ew. Hochwohlgebohrnen Erlaubniß, am Berge. — Der Auftrag, womit Ew. Hochwohlgebohrnen mich zu beehren geruhet, zeiget von so vielem gnaͤdigen Zutrauen, daß ich beschaͤmt bekennen muß, nie auf so viel Gnade gerechnet zu haben. Minen, (ver- zeihen Ew. Hochwohlgebohrnen, daß ich mit dem Namen meiner Tochter den Punkt an- hebe; es geschieht blos in Aussicht der Ehre, die ihr vorstehet,) hab’ ich alles gesagt, was ein redlich gesinnter Vater seiner ins Verder- ben laufenden Tochter nur bei dieser Gelegen- heit sagen kann. Sie bleibt indessen bei dem, was Ew. Hochwohlgebohrnen schon wissen. Ich habe leis’ und laut geredet, sau’r und suͤß, boͤses und gutes gezeigt, Finsterniß und Licht, was hats geholfen? Was die Tugend Y 5 ohne ohne Brod ist, weiß ich leider aus eigner Er- fahrung, und da Ew. Hochwohlgebohrnen entschlossen sind sich zu verheyrathen; so faͤllt ja alle Gelegenheit zum Verdacht weg, wel- ches in Absicht eines Maͤdchens, nach meiner wiewohl unmaasgeblichen Meynung, die ganze Maͤdchentugend ist. Meidet den Schein, kommt mir als die ganze Maͤdchenordnung des Heils vor. Es ist nichts versaͤumt, sie ist gebeten, sie ist bedroht, sie ist gesegnet, ihr ist geflucht; allein sie bleibt bey ihrem Eigen- sinn. Ich sag’ es ohn’ End und Ziel: Herr v. E. sind Braͤutigam, und da ich es ihr schon so oft gesagt habe, thu ich als sagt’ ichs zu mir selbst! „der Herr v. E. Braͤutigam! wie’s „ihm doch lassen wird!„ u. s. w. Es waͤr’ also mein Rath, uͤber drey Wochen, so lange geruhen Ew. Hochwohlgebohrner sich gnaͤdigst zu behelfen, zu uns zu kommen, und noch Hochselbst einen Besuch zu kuͤnsteln. Wie wuͤrd’ ich mich freuen, wenn er einschluͤge. Solt’ auch dieser Vorschlag vergebens seyn; so muß ich schon auf die drey verschwiegene Kerls votiren, und werd’ich alsdann muͤnd- lich Zeit und Ort zu bestimmen die Gnade ha- ben; indessen bitt’ ich, ihr diese Widerspen- stigkeit nicht nachzutragen, sondern ihr so- gleich gleich zur bewusten Brodstelle zu verhelfen, und mit der Zeit sie ihrem Seelenhirten, als Pastorin, zu uͤberliefern. Ew. Hochwohl- gebohrnen koͤnnen sich ganz sicher darauf ver- lassen, daß ich nicht zum erstenmal bey einer solchen Gelegenheit, wo drey verschwiegene Kerls dabey sind, in Dienst gewesen; nur bey einer Tochter, ich muß es zu meiner Schande bekennen, doͤrft’ es mir schwer werden, falsch zu weinen, und die Haͤnde zu reiben. Viel- leicht kann ich indessen so gluͤcklich seyn, und mir die einhundert funfzig Thaler Alb. ver- dienen, daher wiederhohl’ ich ganz unter- thaͤnigst meine Bitte, mir und ihr annoch drey Wochen huldreichst nachzusehen. Fuͤr die Nachricht von Magdalenens gluͤcklichen Nie- derkuͤnften bin Ew. Hochwohlgebohrnen ich ganz dienstlich verbunden; indessen wuͤnscht’ ich doch ohnschwer zu wissen, wie oft sie Dero seliger Herr Vater begnadiget, um sie desto hoͤher schaͤtzen zu koͤnnen. Wiewohl ich ohne Stolz glaube, daß es ihr nicht gleichguͤltig seyn koͤnne, daß sie einem Litteratus zu Theil wer- de. Ew. Hochwohlgebohrnen Bedienter hat sich sehr schoͤn bey diesem Briefe genommen. Er verdient das Geschenk, wozu Ew. Hoch- wohlgebohrnen ihm bedingliche Hofnung gege- ben. — Meine Tochter ist auf keinen Schat- ten ten von Verdacht gefallen, und da ich, wie ihr bekannt ist, mit der Jungfer Dene in einem Liebesverstaͤndniß stehe, so kann es sie nicht befremden, daß ich in dieser kritischen Zeit mehr schreibe, als ich sonst zu schreiben gewohnt gewesen. Wenn Mine an Ort und Stelle und, (was ich unter Ort und Stell’ einbegreife,) zu sich selbst zuruͤckgekommen seyn wird; so wird sie’s einsehen, wie redlich gut es Ew. Hochwohlgebohrnen mit ihr ge- meynet. Ich weiß nicht, was sie bei der hef- tigsten Gewissenskolik, (anders kann ich die Stiche nicht nennen, welche die Maͤdchens uͤber dergleichen Dinge zuweilen, wenn ein Ungewitter aufsteigt, befallen,) mehr beruhi- gen koͤnnte, als wenn sie erwaͤget, daß sie die Ehre gehabt, in gewisser Art selbst mit Ew. Hochwohlgebohrnen getraut zu werden. Das Aug ist doch wohl mehr am Menschen, als die Hand, obgleich mir noch wohl bekannt ist, daß Ew. Hochwohlgebohrnen eine weiße Hand nicht verachten, wie es denn auch wohl zu seiner Zeit ein Leckerbissen seyn kann. Uebri- gens rechnet Ew. Hochwohlgebohrnen ganz unterthaͤniger Diener es sich zur vorzuͤglichsten Ehre, daß Ew. Hochwohlgebohrnen ihn mit einem so langen Briefe zu beehren geruhet. Von Liebesbriefen im neuen Geschmack ist mir wohl wohl außer dem bewaͤhrten Talander nichts bekannt; indessen wenn es Ew. Hochwohlge- bohrnen gar zu viel Muͤhe machen solte; so steh ich sehr zu Befehl, und leg’ auch zu die- sem End’ ein Proͤbchen nach eigener Weise bey. Wenn Ew. Hochwohlgebohrnen so viel Zutrauen zu mir haͤtten, die Uebergabe der Jungfer Dene an mich gnaͤdigst zu bewilligen, ehe Minchen uͤbergeben wird, und ohne daß es eben Zug um Zug gienge; so koͤnnten Sie ja Denen noch oben ein den Eyd abnehmen, daß Mine Ihnen allenfalls gegen einen Sola Wech- sel, Kontrakt, Revers, oder wie es in den Rechten am besten und schnellsten gilt, abge- liefert werde. Dene wuͤrde hiebey mehr als vier Kerls verschlagen; indessen ist dieses nur ein unvorgreiflicher Vorschlag, uͤber den ich nicht entruͤstet zu werden ganz unterthaͤnigst bitte. Ich ersterbe, nachdem ich die Hand des Ge- bers mit den aufrichtigsten Wuͤnschen, daß es ihm reichlich wiedervergolten werde, ge- kuͤßt, mit der tiefsten Ehrfurcht Ew. Hochwohlgebohrnen Meines gnaͤdigen Herrn Barons und hohen Goͤnners ganz unterthaͤnigster Knecht und Diener woͤrtlich abgeschrieben den — abgeschickt den — Es Es fanden sich auch ein Paar kurze Briefe, worin Montags der Termin zur Suͤhne an- gesetzt war. Herrmann wolt’ alsdann mit- fahren und wiederkommen, und dann solte der Ueberfall verabredet, und Mine mit Ge- walt fortgeschleppt werden. Der alte Herr wuͤnschte nichts sehnlicher, als daß er die hundert funfzig Thaler Alb. verdienen moͤchte. Bey diesen vaͤterlichen Wuͤnschen blieb es, bis auf den letzten Brief. Hier schreibt er: ich thue jetzt auf alles Geld Verzicht, wenn Ew. Hochwohlgebohrnen Minen gutwillig be- reden koͤnnen. Ich habe sie ehegestern durchs Schluͤßelloch beten gesehen und gehoͤrt. O! gnaͤdiger Herr! ich wuͤrd’ ein ungluͤcklicher Mensch Zeitlebens seyn, wenn diese Entfuͤh- rung uͤbel fuͤr Minen ablaufen solte. Um alles wuͤnscht’ ich, daß Mine nicht so kraͤftig, so maͤchtig, als ich sie durchs Schluͤßelloch sah und hoͤrte, wider mich beten moͤchte. Da muß Donner und Blitz wuͤten, wowider sie betet. — O gnaͤdigster Herr! Sie werden sie wohl gutwillig an Ort und Stelle brin- gen? — Daß der Herr v. E. des Herrmanns Vorschlag verworfen, ihm Denen zuvorzuge- ben, und sie auf die Entehrung Minchens in Eydes- Eydespflicht zu nehmen, darf ich kaum be- merken. Herr v. E. muͤßte nicht in — — in — — und — — gewesen seyn, wenn er einem Eyde haͤtte trauen sollen — und du Boͤsewicht kannst du so was auf einen Eyd aussetzen? — kannst du deine Tochter durchs Schluͤßelloch behorchen, wenn sie mit Gott allein ist, wenn sie betet! — — Gerechter Gott! Nach diesem allen, was konnte fuͤr ein anderer Entschluß gefaßt werden, als — zu fliehen. — Ohne Geld, ohne Beystand? Schrecklich! Was hilf’s aber dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewoͤnne, und naͤhme Schaden an seiner Seele, oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele loͤse? — Mine war entschlossen, und Benjamin war Alexander. — Mine, dies war das Re- sultat, solte zu Fuß nach — gehen. Da wuͤrde Benjamin Wagen und Pferde besor- gen, und sie kaͤm’ alsdann zu ihm, nicht zu seinem Meister, sondern — — und von da nach Mitau, bei einem Anverwandten ihrer seligen, seligen Mutter. Um alles desto geheimer zu machen, solte Mine allein bis —. Von — wolte Benjamin sie bis Mitau begleiten, — von Mitau Mine wie- der der allein mit einem Fuhrmann nach Koͤnigs- berg, nicht zu mir — — Ach Mine! Mine! warum nicht zu mir? sondern nach L — wieder zu einem Verwandten ihrer seligen Mutter. Von da aus, einen Brief zu sei- ner Zeit an mich, daß ich kaͤme, und sie im Schoos ihrer Freunde spraͤche. — Dieser Plan ward bebetet und besungen. Es bricht mir das Herz, wenn ich dran denke. Arme Mine! ich haͤtte wissen sollen! Arme — Und wenn, frug Mine? Dienstags, Schwester, Sonntags kannst du noch Gott in seinem Hause anflehen, daß er mit uns sey, und vor uns her eine Wolken und Feu’r- saͤule ziehen lasse! — Gott! sagte Mine und rang ihre Haͤnde, aus denen ein kalter Angst- schweiß drang. Gott, du weißt! — Leite mich! Fuͤhre mich! Verlaß mich nicht! — Ich gehe deinen Weg, den Weg der Tu- gend! ich hoff’ auf dich! — Vater und Mutter haben mich verlassen, aber der Herr nimmt mich an. Hier bin ich! mach’ es mit mir wie’s dir wohlgefaͤllt. Laß meine Seele, wenn sie schwach wird, empfinden was geschrieben steht: Fuͤrchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott: ich staͤrke dich: ich helfe dir auch, ich erhal- erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit! Amen! Herrmann war in Gedanken weggegan- gen, und kam in Gedanken zuruͤck. In Wahrheit, er hatte Ursach zu denken! — Mine war nachgebend gegen ihren Vater, ohn’ eine Luͤge, auch nur mit dem Auge, zu begehen; dies bracht’ ihn zu Ruhepunkten — zu Hofnungen, hundert und funfzig Thaler Alb. in der Lotterie zu gewinnen. — Benjamin drang auf die Berechnung, weil er nicht Zeit haͤtte, sich laͤnger aufzu- halten. Es war dies Donnerstags Abends. — Morgen, sagte Herrmann. — Sie be- rechneten sich Freytags, und diese Berech- nung waͤhrete keine Stunde. Sein Erbtheil war auf den Fingern abzuzaͤhlen, es war nicht viel! Da Benjamin sehr bat, weil er der Gewerkslade Geld zu zahlen haͤtt’, ihm den wenigen Muttertheil baar auszu- zahlen; so zeigt’ ihm Herrmann die Unmoͤg- lichkeit. — Ich will, wenn du es durchaus und durchall noͤthig hast, an den Herrn v. E. schreiben, mir dieses Anlehn auf Abschlag De- nens zu geben. — Mine stieß ihren Bruder an, der es sogleich ausschlug. Mit solchem Gelde, sagten sie, da sie wieder allein waren, Zweiter Th. Z wuͤr- wuͤrden wir nicht weit kommen . — Benja- min hatte vor, dieses Geld seiner Schwester mitzugeben. Jetzt mußte der lezte Weg ein- geschlagen, und Minens Kleider und viel von ihren Sachen, welche ohn’ Aufsehen wegge- nommen werden konnten, verkaufet werden. Benjamin besorgte dies mit einer unbeschreib- lichen Behutsamkeit. Er brachte zehn Thaler Albertus zusammen. Mine bat ihren Bru- der herzlich, zu bleiben, und ihr noch Mon- tags beym Termin zur Suͤhne beyzustehen; allein er konnte nicht — sondern befahl sie dem Schutze Gottes. — Dein Mann, sagt er, ist Gottes Liebling, und du bist es auch, ihr seyd beyde fromm! Wie kann euch Gott verlassen? Euch seine Kinder! — Sie wein- ten, da sie schieden. Zum leztenmal im vaͤ- terlichen Hause, lieber Benjamin — wo ich die erste Thraͤne weinte, wo! — Sie konnte vor Thraͤnen nicht mehr. — Auch Benjamin weinte. — — O! Schwester, fieng er an: Du warst von je her weit — weit besser als ich! Alexander und du haben mich zum Menschen gemacht. — Du warst nie boͤse, Benjamin, sagte Mine, jetzt bist du gut! gut! „und „dann wieder „du warst nie boͤse —„ O Gott! fieng Benjamin an, wenn ich denke, wie du dich dich nicht blos des Viehes, sondern der Pflan- ze, der Blumen auf dem Feld’ erbarmtest, wenn ich denke, wie du dich nicht satt sehen konntest an dem gruͤnen Grase und an den gelben Bluͤmchen, wenn ich denke, wie du mich batest, die Rinnen zu oͤfnen, wenn sie ver- stopft waren, damit das arme Wasser, wie du sagtest, nicht aufgehalten wuͤrde! Wenn ich bedenke, daß ich dir oft dergleichen Bitten ab- schlug, und dir den Ruͤcken kehrte, wenn du mir so was uͤbermenschliches, so was himm- lischguͤtiges, batest: wenn ich denke. — Laß dies — fiel ihm Mine ein, du warest nie boͤse, denk vielmehr, wo wir oft unschuldig saßen, und Sallat fuͤr unsere fromme selige Mutter lasen, und wo wir mit Alexandern herzlich froh waren, mit Alexandern! Denk, wo wir rothe und weiße Johannisbeeren pfluͤckten, und ich euch den Saft mit Zucker zubereitete, und wir uns einander sagten, wenn es uns herzlich schmeckte: zweyerley Wein, rother und weißer ! Denk an meine Liebe zu Alexan- dern, und an seine zu mir! Du bleibst hier, Bruder! Laß mich jetzt Uebergabe halten; ich will alles in deine Haͤnde geben. — Komm, da liegt unsere Mutter begraben! Oft hab’ ich hier gebetet. Oft Gott gedankt; Z 2 denn denn hier hat Er mich manche seelenfrohe Stunde leben lassen! Sie knieten beyde aufs Grab und weinten bitterlich. — — Ich nehm Abschied von dir, o du mir liebes Grab! — sie bog ihr Haupt auf selbi- ges, als ob sie’s kuͤßte. O moͤcht’ ich, wie die Selige ruhen, die du bedeckest, liebe sanfte Erde! o moͤcht’ ich — Sie konnten beyde nicht mehr. Bruder, ich beschwoͤre dich bey der heili- gen Asche unserer Mutter, die auferstehen wird am juͤngsten Tage, daß du dies Grab ehrest. Pfleg’ es, wart sein. — Gott erhoͤr dich, wenn du hier betest. — Geh’ oft hin, und wenn der Vater Hochzeit haͤlt, vergiß nicht auf diesem Grabe zu weinen. — Wenn dich Gott aus Curland ruft, es ist moͤglich — gieb dies Grab in die Haͤnde deines Vertrau- testen, beschwoͤr ihn, wie ich dich beschworen habe, daß er sein pfleg’ und warte! O liebe, liebe Mutter, bald! bald! werd’ ich dich wie- dersehen! Ja, Benjamin, bald werd’ ich sie sehn, und sie von dir herzlich gruͤßen! Du bist ihr gut, unserer Mutter. — Hier wieder eine Thraͤnenscene. — — Lebe wohl, liebes Grab, lebe wohl bis an den lieben juͤngsten Tag! — Ich Ich uͤbergebe dir diesen heiligen Ort, wo ich mit Alexandern getraut bin. Mit dei- nem Freunde! Gott gab uns zusammen, Menschen wollen uns scheiden! — allein sie sollen es nicht! — sie sollen es nicht! — Was meynst du, Benjamin? Benjamin schluchzte „sie sollen nicht„ — Hier ist der Ort, wo er mich zum ersten- mal kuͤßte! Sieh, wie die Natur ihn ge- schmuͤckt hat. — Es sind mir heilige Oerter gewesen. Du weißt, wie mich Alexander liebte „ich weiß„ sagte Benjamin. So! So! lag ich in seinem Arm, wenn er mich kuͤßte. O seine Kuͤße! Wahrheit und Leben war in ihnen! Ich sein! Er mein! Wenn ich was liebliches gegessen oder getrunken hatte, wo- von der Nachgeschmack noch auf meinen Lip- pen war, fand er meinen Kuß nicht halb so! O der liebe, liebe Junge! Ich will dich! so natuͤrlich wie du bist, sagt’ er, und ich wolt’ ihn auch so natuͤrlich, wie er war. Wir liebten beyde die Natur, und wahrlich die Na- tur liebt’ uns wieder. Sie hat viel an uns gethan! Der Bach spricht nicht, Benjamin, allein wenn wir zusammen giengen, hoͤrten und verstanden wir ihn aufs genaueste. Die ganze liebe guͤtige Natur sprach mit uns, Z 3 und und alles so zuthaͤtig, so freundlich. — O Benjamin, alle diese heilige Oerter befehl ich dir! — Hier! Benjamin! falte deine Haͤnde! denn die Staͤte ist heilig! Hier sah Alexan- der mein Gesicht, er sah mich im Monden- glanz, wie er mich nach der Auferstehung se- hen wird in all’ Ewigkeit. — Dort sah’ ich ein Gesicht! ich sah Alexandern im Sonnen- glanz! — ich sah uns beid’ im Himmel! ihn in Sonne, mich in Mond gekleidet — und meine Mutter zog mir das Sterbhemd’ ab, und kleidete mich ein zur ewigen Selig- keit. — Diese Staͤte, Bruder, ist heilig und jene Staͤt’ ist heilig! — Amen! Sie ist heilig, sie ist Gottes Hauß, die Pforte des Himmels! Amen! — — Die Oerter, wo wir in unserer Jugend froh waren, da wir noch keinen v. E. und keine Dene kannten, laß sie dir empfohlen seyn! Vergiß sie nicht! Wir haben hier den besten Theil gelebt, glaub mir, den besten Theil! — Komm! — Paulus war der juͤngst’ unter den Aposteln, und doch ein auserwaͤhltes Ruͤstzeug. — Sieh hier mei- nen Paulus! dies ist der lezte Ort, den ich in deine Haͤnde befehle! ich bin zulezt mit ihm ver- vertraut worden, der — (unser Bekannte) pflanzte diese Laube, seine Charlotte begoß sie. — Hier bejammert’ er sie, da ihm seine Augen aufgiengen, hier wallfahrtet’ er taͤg- lich, du weißt seinen Lebenslauf — seinen stummen seinen bohrenden Gram! — Gott hat seines Leidens ein Ende gemacht. — Diese Laube, Bruder! sey der Ort, wo du deine Schwester beweinen kannst. — O hier! sind schon viele, viele Thraͤnen vergossen! — Gott laß es dir wohlgehen, lieber Benjamin, wenn du heyrathest. Lehre hier in dieser Laube deinem Weibe ihre Schwester kennen, und sag’ihr, daß sie ungluͤcklich war. Lehre deinen Kindern hier weinen . Es ist eine schwere Sache, Gott gefaͤllig zu weinen. — Schreibe dir, Benjamin, alle diese Oerter tief ins Herz! und Gott sey mit dir — mit meinem Alexander und mir! — — So schieden Benjamin und Mine aus dem vaͤterlichen Hause. — Er reisete Frey- tags gegen die Nacht. — Woͤrtlich von Minen: „Sonnabends — den — —„ „Wie geruͤhrt, lieber Mann meiner „Seele, wie geruͤhrt ich gestern war, weißt „du besser, als ich es dir heute sagen koͤnnte! Z 4 „O „O Gott, wie sehr anders bin ich heut! Fel- „senhart ist mein Herz! Gallenbitter meine „Zunge! Weißt du von wenn an? Vom Ab- „schied an, den mein Vater vom Benjamin „nahm. Nach einer so warm empfundenen „Sonne, ein kaltes: gluͤckliche Reise an Ben- „jamin, und denn hinterher, wenn du den „Augenblick Geld zur Gewerkslade noͤthig „hast, will ich den Herrn v. E. druͤber schrei- „ben! — Da fuhr all das unausstehliche „Wesen, das Unwesen, was ich noch diesen „Augenblick an mir habe, fuhr in mich!„ Liebe Mine, kalt und warm bekommt dem Herzen so wenig, als dem Magen. In den Worten: gluͤckliche Reise! sahst du dei- nen Vater ganz! Alle Briefe des v. E., alle Briefe deines Vaters, — und nicht blos die ersten wenigen Reihen, die du gelesen hast — bis auf den lezten, lezten Hefen, dachtest du diese Briefe, alle Briefe, den ganzen hoͤllischen Plan, alles, alles dachtest du dir, und dir ekelte vor dieser losen Speise! — — Mine befand sich den ganzen Sonnabend in einer schrecklichen Lage! Ihr Vater haͤtt’ ihr das sturmlaufende Herz ansehen muͤssen, wenn er ein Auge auf seine Tochter gehabt haͤtte. Sie war mehr als unruhig. — Ein Auf- Aufruhr in jeder Ader, das Blut schien alle Aderdaͤmme brechen zu wollen. — Doch! sie selbst — Gott sey gelobt und gebenedeyt! Ich hab’ uͤberwunden! Ich bin wieder ruhig, und wieder gut! — O lieber Mann, man hat mir erzaͤhlt, daß eh’ die lezte Todesangst eintritt, jeder Ster- bende entsetzlich unruhig sey, da er nichts weiter kann, soll er das Deckbette reißen — unsere Mutter riß es nicht. — So, lieber Mann, war ich gestern! ich riß das Deck- bett’ und warf mich graͤslich, bald zur Rech- ten, bald zur Linken. — Allein nach dieser Unruhe folgt bey Sterbenden was — der Name des Herrn sey gelobt! Bey mir folgte — sanfte, sanfte Ergebung. — Ich gieng noch mit einem aufgewiegelten Herzen, mit siedendem Blut. — Alle Adern schienen mir den Dienst aufzusagen, und wolten springen — so gieng ich in die Kirche — zum lezten- mal, dacht’ ich! Gewiß ein ruͤhrender Ge- danke; mir war ers nicht. — Ich fieng an zu beten, ich druͤckte die Augen dicht zum Gebet zu; allein konnt’ ich? — Die Augen rissen sich los. Sie hielten nicht zusammen, und ich mußte das Kirchengestuͤhl ansehen, wo der Verfuͤhrer mich zur allgemeinen Stoͤh- Z 5 rung rung buhlerisch angesehen! — Ich mußt’, ich mochte wollen oder nicht, ich sah diesen Ort, und wenn Teufel drinn gewesen waͤren, er haͤtte mir nicht fuͤrchterlicher seyn koͤnnen! Ich denke, mein Liebster, ein Unschuldiger, den falsche Zeugen vom Leben zum Tode ge- bracht, sieht so den Richtplatz, wie ich diesen Ort — ich sah deiner Mutter Stuhl. Ver- zeih lieber Mann, zwar sah’ ich keinen Teu- fel drinn; allein ich dachte doch Arges in meinem Herzen. Das eine fromme Frau! Das eine heilige Saͤngerinn! dacht’ ich — da kam deine Mutter. — Sie gruͤßte mich, allein so verstohlen, als ob sie diesen Gruß vor der Gemeine bergen, und ja nicht mer- ken lassen wolte. Das konnte wohl freylich meine Hitze nicht niederschlagen! Gottlob, der Boͤsewicht blieb diesen Sonntag aus. Es verzeih mir der allerbarmherzigste Gott mein steinernes Herz, das ich in sein Hauß mitnahm, das sich noch mehr versteinerte, verfelsete! — — Schon beim Liede vor der Predigt: Ich hab’ mein Sach Gott heimgestellt ꝛc. fieng dies Herz an fleischern zu werden, und die Predigt! O Gott welch eine Arzeney fuͤr mein Herz! Es war recht, als ob dein Va- ter ter von meinem Entschluß wußte, als wenn er mich! mich! predigte. — Bis dahin war jede Nerve gespannt. Kein Schlaf hatte die lezte zween Naͤchte mein Auge gebrochen. Kein Gebet brach es. — Es war starr. — Mein Blut schlug Wellen, o lieber Junge, diese Predigt bedrohete den Wind und das Meer, und es ward ganz stille — ich sahe dich, da ich deinen Vater, den Boten Got- tes, sah. Er kam herein, der Gesegnete des Herrn, er stand nicht draussen, der Name des Herrn sey gelobt! O mein Einziger! Ich wuͤnschte nicht, noch solch einen Abend, solch eine Nacht, solch einen Tag und solch eine Nacht, und noch solch einen Morgen zu le- ben, als vom Freytag Abend bis zur Pre- digt. — Eine Hitze, und keinen Tropfen Wasser in dieser Hitze, wo mir die Zung’ an den Gaumen klebte, warum bat ich nicht Gott in dieser Duͤrre um Thau und Erqui- ckung, warum sucht’ ich nicht durch seine heilige Religion mich abzukuͤhlen, und in die selige Fassung zu setzen, in der ich jetzt bin, wo es wie im Fruͤhling weder zu kalt noch zu warm ist. Gott ist nah’ allen, die ihn an- rufen, warum nannt’ ich ihn nicht, im Geist und in der Wahrheit, Vater, da der leib- liche liche es ganz und gar aufgehoͤrt hatte zu seyn! Warum betet’ ich nicht um Thraͤnen? Warum sang ich nicht mit Innbrunst: Gott gib einen milden Regen; denn mein Herz ist duͤrr, wie Sand! Vater gib vom Himmel Segen; traͤnke du dein durstig Land! — Warum? Ey koͤnnen! Ich mache mir jetzt Vorwuͤrfe; allein es ist, als hoͤrt’ ich eine Stimme zu meiner Lossprechung. Das Gebet ist auch eine Gabe Gottes, und Thraͤ- nen sind ein unaussprechliches Geschenk! Habe denn Dank, Allguͤtiger, daß ich jetzt beten, daß ich jetzt weinen kann! Habe Dank fuͤr diese Gabe, fuͤr dies Geschenk! Es ist das schrecklichste, mein Lieber, das hab’ ich erfahren, wenn ein Vater zum Sohn gluͤckliche Reise sagt, und wenn er seine Toch- ter verhandelt! Habe Mitleiden mit deiner Mine, wenn du dies liesest, und Gott wird es mit dir haben, und dich nie solch eine Herzens Duͤrre erleben lassen! — Gleich die erste Strophe: Ich hab mein Sach Gott heim gestelt, er mach’s mit mir wie’s ihm gefaͤlt! wie empfieng sie mein Herz! Sie zogen sich ein ein, diese Trostworte, wie Thau auf einer welken Pflanze. — Bey der dritten Strophe regnet’ es schon: Es ist allhier ein Jammerthal, Angst, Noth und Truͤbsal uͤberall; des Bleibens ist eine kleine Zeit, voll Muͤhseligkeit! — Was ist der Mensch? Ein Erdenkloß, von Mutterleibe nackt und blos; bringt nichts mit sich auf diese Welt, kein Gut noch Geld, nimmt nichts mit sich, wenn er hinfaͤlt. Ich hab hier wenig guter Tag; mein taͤglich Brod ist Muͤh und Klag, wenn mein Gott will, so will ich mit hinfahren in Fried! — O lieber Junge! singe, wenn du dieses ließt. — Gott weiß, wenn du es lesen wirst, singe dieses schoͤne Regenlied! — Deines Vaters Predigt war Vollendung fuͤr mich, wie auf mich gemacht. Wort fuͤr Wort auf mich. O lieber Junge, wie gluͤcklich ist man, wenn man todt ist — wie namlos gluͤcklich! — Er kam ohne Gebet mit den Worten auf die Kanzel: „Geh „Geh aus deinem Vaterlande, und von dei- „ner Freundschaft, und aus deines Va- „ters Hause, in ein Land, das ich dir „zeigen will„ Ich zeichnete mir diese Stelle, sie steht im ersten Buch Mosis im zwoͤlften Capitel im ersten Vers; ich zeichnete sie aber heimlich. Ein oͤffentliches Zeichen, dacht’ ich, wuͤrde mich verrathen — ich konnt’ in einigen Mi- nuten nicht aufblicken. — Wahrlich, Gott redete mit mir durch deinen Vater! Wie er die Wort’ anfieng: Geh aus deinem Vater- lande, von deiner Freundschaft, und aus deines Vaters Hause, wars mir, als ob es die ganze Gemeine nun wußte, daß ich weggehen wuͤrde. Der erste Aufblick, den ich wagte, war nach dem Stuhl meines Vaters. Er war leer; kurz vor dem Gelaute war ihm was vorgefallen. — Dies staͤrkte mich; ich sah mich rund um. — O lieber Junge! Laß mich noch mehr von der Predigt deines Va- ters predigen, die mich so erquickt hat. Gott lindre dafuͤr seine Todesangst, und so wie er mich gestaͤrkt und getroͤstet hat; so staͤrk und troͤst ihn der Herr, wenn er heim faͤhrt aus diesem Elend, und so wie er die Bande loͤsete, die mein Herz und meine Augen hiel- ten; ten; so loͤs’ auch der Herr seine Bande, und mach’ ihm alles leicht, wenn seine Stunde kommen! Die Stimme Gottes an Abraham war mir ein sichres Geleit, ein Paß auf mei- ner Reise, ich war gefaßt, getrost — und so heiter, als waͤr ich schon angelangt, und wo? Ich gieng in meinen Gedanken nirgend anders, als in die selige Ewigkeit, aus mei- nes Vaters Hause — aus meinem Vater- land’ und aus meiner Freundschaft! — Gern haͤtt’ ich communicirt, wenn es so angegan- gen waͤre — ich war recht dazu vorbe- reitet, recht — Der Text zur Predigt war Ebr. im drey- zehnten Capitel der vierzehnte Vers: Wir haben hie keine bleibende Statt, sondern die zukuͤnftige suchen wir! Alles auf mich! — Du kannst dir dei- nen Vater vorstellen, der auch nicht in Cur- land zu Haus’ ist. Er redete mitten durchs Herz. So hat er noch nie gepredigt. Es war Seelenspeise auf den Weg. — Er pre- digt’ als wenn er auch schon den Abend von hinnen ziehen solte. — Dein Vater fuͤhrt’ in seiner Predigt die Geschichte vom Sohne der Wittwe zu Nain an, er erhob seine Stimme, und diese nahm sich sich so heraus, daß jedes aufmerkte. Als er aber nah’ an das Stadtthor kam, Luc. im siebenten Capitel im eilften Vers: als er aber nah’ an das Stadtthor kam, siehe da trug man einen Todten heraus, der ein einziger Sohn war seiner Mutter. — So wenig diese Wort’ eine Deutung auf mich zu haben schienen; so fielen doch auch diese Worte schwer auf mich, und es war mir, als sagte wer „das bist du — du bist die Person des Todes! —„ Wie kommt das, mein Lieber, wenn es einem so ist, als hoͤrte man eine Stimme: das bist du! Nach der Predigt ward gesungen aus Befiel du deine Wege die letzten Verse: Der Anfang war: Auf, auf, gib deinen Schmerzen und Sorgen gute Nacht! Laß fahren, was im Herzen dir bangen Kummer macht! Der lezte Vers ist schon laͤngst mein Lieb- ling gewesen, und, nach dieser Leichenpre- digt auf mich, war ers noch weit mehr. Mach’ End, o Herr! mach Ende mit aller meiner Noth — staͤrk meine Fuͤß’ und Haͤnde, und und laß, bis in den Tod, mich allzeit deiner Pflege und Treu befohlen seyn; so gehen meine Wege Gewiß zum Himmel ein! O Lieber! das Amen, welches dein Va- ter sagte, war ein Amen fuͤr alle; allein fuͤr mich besonders — fuͤr mich! Es war ein Wink fuͤr mich, in diesem Gottes Haus’ Ab- schied zu nehmen, wo wir unser Glaubensbe- kenntniß vor dem Altar ablegten, und auch oft zu Gott in die Hoͤhe schwuren: wir wer- den uns lieben, bis vor deinen Thron! — O Gott, dieser Abschied war mir ruͤhrend, und wie ruͤhrend aus No. 5. zu gehen, wo ich so oft gesessen, wo ich so oft einen uͤberzeugten Mann Gottes Wort reden gehoͤrt, wo ich so oft inbruͤnstig gesungen und gebetet und er- hoͤret worden, wo ich dich predigen gehoͤrt, mein Lieber! — Gott sey fuͤr alles gelobet und gebenedeyet, Halleluja! Er sey mit sei- nem Hause! Amen! ich betete fuͤr dich und fuͤr mich — und riß mich endlich von No. 5. los. Sanft faßt’ ich diese Bank noch an, recht als wenn ich ihr die Hand druͤckte, und nun raft’ ich mich auf, um nach Hause zu gehen, da mir deine Mutter ins Auge kam. Zweiter Th. A a Was Was weiß ich, ob sie’s mir ansehen koͤnnen, daß ich geweint hatte, oder ob etwas anders die Ursache war: Sie gruͤßte mich liebreich! Zum leztenmal dacht’ ich, und eine Thraͤ- ne stuͤrzt’ aus meinen Augen! — Deines Vaters Hand, oder die Deinige, war auch das lezte, was ich ansah, und hiemit fielen mir die Wort’ ein: Der Herr behuͤte deinen Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit! — Da ich zu Hause war, und die Predigt deines Vaters, und den liebreichen lezten Gruß deiner Mutter, mir wiederholte, uͤber- fiel mich der Gedanke, deinen Eltern lieber alles zu entdecken. Wer steht dir, dacht’ ich, fuͤr den Erfolg? Fuͤr deinen Vater war mir zwar seine Predigt Buͤrge geworden, seine Hand war mir Buͤrge, du warst mir Buͤrge; indessen schlug der Eifer deiner Mutter fuͤr den Stamm Levi, diesen Gedanken nieder. Die feste Verabredung mit Benjamin, die Gewalt, die sich ein curscher Cavalier bey- legt — und endlich das Waͤldchen, waren Beytraͤge zur Entkraͤftung meines Muths — ich kaͤmpfte lange, endlich siegte der Zwei- fel. — — Mine Mine packte noch das uͤbrige zusammen, berichtigte jeden Dreyer, wo sie etwa fuͤr Milch, oder fuͤr Fruͤchte etwas schuldig war, schenkt’ ihren Pathen im Dorfe viele Saͤchel- chen, die ihr auf der Reise nichts helfen konnten. — Nichts, schreibt sie, Montags fruͤhe Nichts ist, mein Einziger! von den ge- segneten Sachen zuruͤckgeblieben! Alles, alles, was ich von dir habe, alles, was dein Mund, deine Hand eingeweyhet hat, geht mit mir. Regine bat mich, da sie sahe, daß ich im Aus- theilen begriffen war, um das Band, das dir so sehr gefallen hatte; du hattest es oft in deiner Hand. — Nein, Regine, das nicht — ich gab ihr ein ander Band, und da ich kein schlechtes hatte, eins, das zehnmal hoͤher im Weltwerth war. Du packst ja, Mine, sagte Herrmann, in- dem er sich Sonntags an den Tisch, der mit Schoͤpsenfleisch und weißen Kohl besetzt war, hinsetzte. — Mine muß es sehr merklich ge- macht haben. Ich raͤume auf, antwortete sie. Schoͤn, mein Kind! es ahndet dir viel- leicht ein Besuch! A a 2 Ein Ein Besuch? Es koͤnnte sich zutragen, daß Herr v. E. kaͤme! Wenn es sich zutruͤge, liebe Mine, wenn? Folg deinem Vater und sey gefaͤllig. — Sie hatte kein Wort im Vermoͤgen; al- lein sie war so ruhig, daß Hermann diese Ruhe fuͤhlte und sie zu seinem Vortheil ent- gegen nahm. Er klopft’ ihr auf die Wange, und sagte, du bist doch ein huͤbsches gutes Maͤdchen, und wirst eine Pastorin werden zum kuͤssen. Auch daruͤber entruͤstete sich Mine nicht. — Sie blieb ruhig. Herrmann zaͤhlte schon die hundertfunfzig Judasthaler in Ge- danken. — Montag Nachmittag kam Herr v. E., alles wie es geschrieben stand. Die Suͤhne ward eroͤfnet. Herrmann entfernte sich, nach- dem er, wie er glaubte, die Sach’ in Gang gebracht. So bald die Hauptpartheyen allein waren, fieng Herr v. E. ohne Glas seine Rede mit vielem Bitten um Verzeihung an, und machte sich als Braͤutigam mit Fraͤulein S. bekannt. Mine gab drauf nichts, als das All- taͤgliche. Es hatte wieder das Ansehen, daß Herr v. E. ein Geschenk in der Naͤhe haͤtte. Er wollte wagen, es zum Vorschein zu brin- gen; allein es schien, als duͤrft’ ers nicht. Nun Nun nahm er einen andern Weg, und be- merkte, daß er mich kenne. Zwar haͤtt’ er nur einen Abend in meiner Gesellschaft zuge- bracht; indessen waͤr’ ein Abend hinreichend, wenn man Leute wie mich traͤfe. — Mine hatte sich so sehr in ihrer Gewalt, daß sie Fragen nach mir that, die Herr v. E. zu mei- nem Vortheil beantwortete. Mine ward dadurch aufgeraͤumt, und Herr v. E. ergrif diesen Zeitpunkt, im Namen seiner Mutter seine Anwerbung zu thun. So setzt’ er hinzu, haͤtte diese Sache gleich gefaßt werden koͤnnen, und gefaßt werden sollen. Verzei- hen Sie diesen, verzeihen Sie alle und jede Fehler — ich bin jung; allein merken Sie es nicht selbst, fuͤgt’ er hinzu, bin ich nicht aͤlter geworden, seitdem ich mich verlobt ha- be? Meine Mutter darf also hoffen? Mine sagt’ ihm mit einem Anstande, der nicht seines Gleichen hatte, daß sie nie ge- wohnt gewesen Hofnungen zu geben, die sie zu erfuͤllen außer Stande waͤre. Sie muͤß’t es abschlagen, und warum? fiel Herr v. E. hitzig ein. Sie und mich zu schonen — und, wol- len Sie noch mehr, ihre kuͤnftige Gemah- lin. — A a 3 Er Er widerlegte sie Schritt vor Schritt mit vielem kuͤnstlichen Zubehoͤr. Da Mine aber fest in ihrer Gottseligkeit blieb, und das segne Gott und stirb des Herrn v. E. mit englischer Geduld trug, lief Herr v. E. uͤber, und stand da ganz, wie er war. Mine er- schrack, da sie die ploͤtzliche Verwandlung der Schlang’ in einen Tyger sah; indessen kam sie nicht aus der Fassung. — Es scheint, Sie haben ihrem Adonis zu- geschworen, keine Mannsperson anzusehen, fieng Herr v. E., nach einigen Erholungsbli- cken, spitzig und hohnlaͤchelnd an. Seine Zaͤhne blieben unbedeckt. — Eben wuͤrd’ ich das Gegentheil bewiesen haben, wenn ich einen Adonis haͤtte, erwie- derte Mine. Du solst nicht andere Goͤtter haben ne- ben mir, ist zwar, fuhr Herr v. E. fort, das erste Gebot im Catechismus; allein die Liebe hat keinen Catechismus. Die Meinige hat einen — Herr v. E. war in Unordnung gekom- men, und hatte tief vergessen, was in seiner Rolle stand, er extemporirte, ward zudringlich grob, und Mine gab ihm auf eine Art seinen Abschied, daß er mitten im Worte blieb. — Ihre Ihre Haͤnde riß er an seine Lippen, eine nach der andern, und brannt’ ihnen Kuͤße auf. Mine fuͤhlt’ in jedem Handkuß das Siegel, das er auf seinen teuflischen Plan druͤckte, und ein Schreckschauer ergrif sie uͤber den andern. — Seine Handkuͤsse brannten wie hoͤllisch Feuer, auf einmal faßte sich Mine zusammen, und entriß ihm beyde Haͤnde. — Er zum Herrmann, mit dem er heftig sprach. — Im Plan folgte, daß Herr- mann mitfahren sollte; allein dies unterblieb — und Herr v. E. fuhr allein. — Herrmann schien nicht zu wissen, wie er gegen Minen seyn sollte. — Er wolt’ und konnte nicht. — Mine sank in eine entsetz- liche Angst: denn es fiel ihr ein, daß v. E. vielleicht seinen Plan abgeaͤndert, und der Ueberfall noch diesen Abend erfolgen koͤnnte! — zwar sagt’ ihr Herrmann, daß er morgen nach — reisen wuͤrde. Er haͤtte mich heute schon mitgenommen; indessen sind zu viel Gaͤste. — Minchens Befuͤrchtungen wurden hiedurch nicht im mindesten widerlegt. Die Art, wie Herrmann sich gegen Minen betrug, bestaͤtigte vielmehr ihre Furcht. — Masken dachte sie uͤber Masken! und rang die Haͤnde, betete und war in einem unaussprechlichen A a 4 Zustan- Zustande Gott der Huͤlfe, rief sie, sende mir Trost und Rath! — Wende dich, Herr, zu mir nach deiner großen Barmherzigkeit, und verbirg dein Angesicht nicht von mir; denn mir ist angst, erhoͤre mich! Ich vergeh’ in meinem Elende! Wahrlich sie vergieng — — — Was konnte sie anfangen? Wahr oder nicht wahr, ein Entschluß mußte gefaßt wer- den. — Sie schloß kein Auge, blieb in Klei- dern, und nach einem Gebet um Rettung! um Huͤlfe! frug sie bei dem Herrn ihres Lebens, bey Gott, um die Erlaubniß an, (ich schaudre, da ich es schreibe,) sich das Leben zu nehmen. — Sie las Todtenlieder, singen konnte sie nicht, und fand in dem Liede: Ich bin ja, Herr, in deiner Macht, Ruhe. Ich bin ja, Herr, in deiner Macht, betete sie dreymal nach einander, denn du hast mich ans Licht gedracht du unterhaͤltst mir Leib und Leben. Du kennest meiner Mondenzahl und weißt, wenn diesem Jammerthal ich wieder gute Nacht soll geben. Wo! wie! und wenn! ich sterben soll das weißt du Lebensvater wohl! und nun war sie entschlossen. O O Gott! wohin kann die Tugend kommen? Mine war entschlossen, sich das Leben zu nehmen, wenn man Gewalt brauchen sollte. Freylich wuͤrd ein’ Casuist feiner distinguirt, und die Grenze richtiger abgemessen haben, wenn und zu welcher Zeit — allein Gott der Herr laͤßt nicht durch Casuisten Recht sprechen und — Sein Richter ist das Gewissen, sein Urtel nicht: in Sachen — entgegen erkennen und sprechen wir, sondern: kommt und geht! Ich will in Gottes Haͤnde fallen! Er ist gerecht, er ist barmherzig! Sie warf sich zur Erde und betet’ an, den der gemacht hat Himmel und Erde, sie bat um Hofnung der Seligkeit, wenn sie eine Selbst- moͤrderin wuͤrde, um Verzeihung, wenn sie in der Art fehle! Sie betete: so du wilt Herr! Suͤnde zurechnen, Herr, wer kann, wer wird bestehen! Bey dir ist die Verge- bung — und nach einer Weile: „erforsche mich, Herr, und, pruͤfe wie ich’s meyne, wie ich’s meyne! Sieh ob ich auf falschem Wege bin, und leite mich, fuͤhre mich zu- recht, auf den Weg zum Leben! Laß, wenn ich irre, Gnade fuͤr Recht ergehen! Gnade! Gnade! Wenn diese Hand! Moͤrder an die- sem Herzen wird, und es durchbohrt — o A a 5 Gott! Gott! Gnade! Gnade! — Allbarmherziger, nimm mich an zu Gnaden, und laß mich se- lig sterben. — — Denkt, empfindsame Leser, wie Minen zu Muth gewesen! Sie sucht’ ein Messer und mußte lang suchen. — Find’ ich es nicht, dachte sie, kann es Gottes Wille nicht seyn. — Sie fand! sie fand! — schaͤrfte das Messer, hielt es gen Himmel, flehte noch einmal zu Gott! versuchte wieder zu singen, konnte nicht, legte das Messer, das zuge- schlagen war, vor sich zur Erd, und warf sich aufs Bett! Die Unruh ihres Herzens war groß. Sie sprang schnell auf, nahm ihre Bibel, riß das Messer auf, und legt’ es auf die Spruchstelle im ersten Buch der Chronick im zwei und zwanzigsten Capi- tel im dreizehnten Vers: „Mir ist fast angst: doch ich will in die „Hand des Herrn fallen; denn seine Barm- „herzigkeit ist sehr groß, und will nicht in „Menschenhaͤnde fallen.” Nach einem namlosen Seesenschmerz, nach einer wahren Todesnoth, legte sich Mine wieder auf ihr Bett in Kleidern, wie sie war. Soll diese Nacht die letzte seyn betete sie in in diesem Jammerthal! so faͤhr mich, Herr, im Himmel ein zur auserwaͤhlten Zahl! Und also leb’ und sterb’ ich dir, du starker Zebaoth, im Tod und Leben hilfst du mir aus aller Angst und Noth! Sie legt’ es nicht an zu schlafen, denn daran war nicht zu denken — Sie wolte nur ruhen — auch das konnte sie nicht. All’ Au- genblick sprang sie auf, dies Isaacsopfer! Je naͤher aber zum Morgen, je ruhiger. Sie fieng an einzusehen, daß sie sich vergebens gefuͤrchtet hatte. — Sie war indessen so sehr an Furcht und Zittern gewoͤhnt, daß auch der helle lichte Morgen sie nicht voͤllig beruhigen konnte. — Da kamen Pferd und Wagen nach ih- rem Vater, und diese brachten ihr die verlohr- ne Ruhe mit. Mine dankte Gott, der Großes an ihr gethan, der bisher geholfen, und al- les, alles, wohlgemacht hatte. — Sie konnte weder die aufgeschlagene Bibel, noch das aufgeschlagene Messer, ansehen! — Mit Entsetzen wand sie ihr Gesicht weg, und machte beydes zu! Es kam ihr vor, als saͤhe sie Menschenblut auf dem Messer! Der Ort, wo sie dies Messer gewetzet, machte sie schwind- schwindlicht, da er ihr ins Auge fiel. — Das Messer warf sie unter Dank und Gebet fort. Gott, sagte sie, lass’ es nie einen finden, der es brauchen will, als ich wolte. Sie glaubte hiedurch diesen schrecklichen Vor- satz aus ihren Gedanken geworfen zu haben; allein hierin fand sie sich getaͤuscht. — Durch stille seyn und hoffen, heißt es, werdet ihr stark seyn! Wer kann aber, o Gott, wer kann immer stille seyn und hoffen? — Waͤhrend der Zeit war Herrmann reise- fertig. — Herrmann. Leb wohl, Mine. Mine. Leben Sie wohl, mein Vater — Le- ben Sie wohl, mein Vater, leben Sie wohl. — Herrmann. Was fehlt dir? du weinst ja! Mine. Ach Gott! Herrmann. Mine uͤberdenk alles! uͤberleg! du bist klug! Du jammerst mich! Mine uͤberleg — Leb wohl! Mine. Leben Sie wohl. Moͤrder, wo willst du hin? fuͤrchtest du dich denn nicht, daß die Erde ihren Mund oͤfne, und dich verschlinge, und die Wolken sich trennen, und Feuer und Schwefel auf dich regnen lassen! — Du kennst Minen, wie wie Judas seinen Meister. Der Abend, da du mir die Geschichte vom Judenknaben und von den Huͤnereyern erzaͤhltest, wird wider dich zeugen, Frevler! Kuppler! Boͤ- sewicht! — — Mine nahm von ihrer Zelle Abschied, und konnte nicht umhin, noch einmal nach ihrer Mutter Grab zu blicken. Hiebey lies sie es bewenden. Sie befahl Reginen das Hauß, und sagt’ ihr, sie doͤrfe nicht warten, sondern koͤnne nur immerhin zeitig zu Bett gehen, womit Reginen sehr gedient war. Ich, fuhr Mine fort, werde diese Nacht nicht zu Hause kommen, und nun ging Mine mit dem Gesang: So gehen meine Wege gewiß zum Himmel ein! aus ihrem Vaterlande, und aus ihrer Freundschaft, und aus ihres Vaters Hause, in ein Land, das ihr der Herr, wie sie glaubte, zeigen wuͤrde. — Ihre Fuͤß’ und Haͤnde zitterten; indessen fand sie sich durch die Gedanken gestaͤrkt, daß sie den Anschlaͤ- gen der Bosheit entgienge. Sie fand an dem bestimmten Ort ein Wagchen und zwey Pferde. Ohne zu fragen wie? und wohin? setzte setzte sie sich auf. Alles verstand sich einan- der. Der Fuhrmann hatte selbst nicht noͤ- thig, die Pferde zu ihrer Schuldigkeit aufzu- schreyen. Es gieng alles seinen Gang. Bis hieher hat der Herr geholfen, sagte sie, und fieng an freyer zu athmen. Sie haͤtte schla- fen koͤnnen, so ruhig war sie; allein die Dankempfindungen gegen Gott verwiesen den Schlaf aus ihren Augen. Arme Mine! Du weißt nicht, was auf dich wartet — arme Mine! Sie kam in den Flecken, wo Ben- jamin war. Vortreflich! dachte sie, und noch ein vortreflich dachte sie hinzu, da der Wagen nicht bey der Thuͤr des Meisters ihres Bruders hielt: — Alles Plangemaͤß — nur ihr Bruder Benjamin fehlte. Zwar fand sie eine willige Frau, die sie herzlich bewill- kommte; allein ihren Bruder Benjamin fand sie nicht. Anfangs fieng sie an zu zweifeln, ob sie Benjamin nach der Verabredung vor- finden solte? oder nicht? Ihr Kopf, das heißt ihr Gedaͤchtniß, hatte sehr gelitten, sie frug sich ob Ja? oder Nein? und da sie noch mit Ja und Nein kaͤmpfte, fieng die gute Frau an: „Sie werden sich doch nicht erschre- cken! Die gewisseste Art uns einen Schreck beyzubringen. Sie werden doch nicht! Gott! rief rief Mine und glaubte, sie sey verrathen und verkauft. Nach vielen unertraͤglichen Sie werden doch nicht erfuhr die Ungluͤckliche erst, daß ihr Bruder in den lezten Zuͤgen waͤre. Noch ehe Benjamin sich legte, hatt’ er in diesem Hause von seiner Schwester geredet; allein blos vorlaͤufig. Ist es moͤglich, fieng Mine an! Es ist erschrecklich zu lesen, was Mine hiebey ausgestanden. — — Sie zit- terte zu ihm hin, ohn’ an die Gefahr zu den- ken, der sie sich blos gab, und da sie an sein Bette trat, und seine Hand nahm — schlug er mit Heftigkeit auf sie zu! — Was Ge- walt! Dene — wie! Gewalt! Bluthund! ich werde dir Gewalt lehren! Gegen Minen Gewalt, du Aftermutter! Er sprang aus dem Bett, und da er sich weder im Guten noch im Boͤsen beruhigen ließ, so mußt’ er gebunden werden — und Mine davon Au- genzeuge seyn! — „Der Meister, der mich ohne Beden- „ken bey meinem Namen nannte, und sich „einbildete, daß ich, blos weil ich von Ben- „jamins Krankheit gehoͤret haͤtte, da waͤre, „erzaͤhlte mir, daß Benjamin gleich Freytags, „als er zuruͤck gekommen, uͤber Kopfweh ge- „klaget. — In der Nacht haͤtt’ er eine grau- „same „same Hitze bekommen, und diese haͤtte Sonn- „tag Abend seinen Verstand voͤllig zerruͤttet. — „In seiner Phantasie haͤtt’ er: rett sie! rett „sie, die arme Schwester, gerufen. Seht „ihr nicht Raͤuber? Diebe? Rett sie, rett „sie, und dann all Augenblick: spannt an! „spannt an! Sie kommt! spannt an! — „und dann wieder haͤtt’ er die Hausfrau bey „der Hand genommen. — Ach liebe, liebe „Frau, was ich auf meinem Gewissen habe. „— Sind wir auch allein? Ihnen will ichs „wohl entdecken — ich kann keine Verge- „bung der Suͤnden haben — ich bin ein „Hoͤllenbrand! Und wissen sie warum? ich „hab meinen Vater nicht todt geschlagen, „und das haͤtt’ ich sollen. — Es sind lauter „Flicken, liebe Jungfer, sagte der Meister, „es kann kein Mensch ein Kleid daraus ma- „chen. Sie sehen doch, wie er leider! ist. „Er kennt seine eheleibliche Jungfer Schwe- „ster nicht. —” Mine, die wohl einsahe, wie alles die- ses zusammenhieng, und die noch uͤberdem sehr leicht herausbringen konnte, daß ihr un- gluͤckliches Schicksal ihren Bruder so sehr an- gegriffen, daß er in die entsetzliche Krankheit, die einen Menschen auf eine Zeitlang aus dem Buch Buch der Menschen streicht, gefallen — machte sich bittre Vorwuͤrfe. Ich bin Schuld an seinem Tode, schrie sie mahl auf mahl! Ich legt’ ihm mehr auf, als er tragen konnte. Mine war so von Mitleiden und Kummer durchdrungen, daß sie nichts mehr, als ein erbarm dich Gott! uͤber das andre ausrufen konnte. — Sie fiel sich indessen selbst zur rech- ten Zeit ein. Stirbt er, sagte sie zu den be- wegten Leuten, die ihren Lehrling mit Thraͤ- nen in den Augen gebunden hatten. Stirbt er: werd ich ihn finden, wo man nicht rett sie! rett sie! mehr rufen darf. — In den Wohnungen der Gerechten! — Bald! bald werd’ ich ihm folgen. — Hilft ihm Gott, wie ich hoff’ und bete; so bitt’ ich ihm zu sagen, daß ein Frauenzimmer bey ihm gewesen, die ihre Haͤnde zu Gott aufgehoben, da man die Seinigen gebunden haͤtte, die Kyrie Eleison gerufen. — — Sie konnte nicht ausreden — so bewegt war sie. — Sie gieng und kam wieder, faßt’ ihn an und sagte Benjamin! — Er sah sie mit starrem Blick an, wolte sich losreißen — konnte nicht, und sie gieng be- truͤbt bis in den Tod! — Benjamin hatte die Reise nach Mitau nicht bestelt. Mine dacht’ aus dem: spannt Zweiter Th. B b an, an, spannt an, sie kommt! Ja „allein sie fand Nein“ und sah’ sich genoͤthiget, alles selbst zu berichtigen. — Wer beten kann, pflegte mein Vater selbst auf der Kanzel zu sagen, kann auch mit Vornehmen und Ge- ringen umgehen — und dies fiel ihr ein, wie sie schreibt. — Sie fand die Bestaͤtigung zu derselben Stund, traf Anordnungen, schloß Contrakt und reisete nach Mitau. — Kurz vor der Stadt hatte Mine einen neuen Schreck, gegen den alles, was sie am Kran- kenbett’ ihres Bruders erlitten, nach ihrem Ausdruck wie gar nichts war. Sie war abgestiegen, weil der uͤble Weg diese Wa- generleichterung nothwendig gemacht. Sie suchte sich gruͤne schoͤne Stellen aus, wo sie gieng, und wo sie mit den Voͤgeln des Him- mels den Schoͤpfer lobte, in dessen heilige Haͤn- de sie sich befahl. „Wenn auch hie und da „schwere Stellen auf dem Wege des Lebens „sind, es giebt doch, dacht’ ich, links oder „rechts gruͤne blumenreiche Stellen, aus denen „uns die schoͤne Natur willkommen heißt. Gott „segne meinen Mann, hilf meinem Bruder! „— so dacht’ ich, oder so betete, so dankt’ „ich Gott“ schreibt Mine, und schnell sprengte ein Reuter auf sie zu, der sie steif ansahe, und und wen solte man wohl weniger vermuthen, als den Herrn v. E.? Er war es selbst! Er selbst! — Kein Erdbeben kann so erschuͤt- tern, als dieser Anblick Minen! — „Ich „verlohr“ schreibt sie „gleich auf der Stell’ „alle Kraft, Staͤrk’ und Macht. Gott, „wie unergruͤndlich sind deine Gerichte, wie „unerforschlich deine Wege! Das Messer, „das ich, auf den Fall mich Raͤuber, Boͤse- „wichter uͤberfallen sollten, fuͤr meinen Bu- „sen geschaͤrft hatte, war der Dankbarkeit „gegen Gott, der Liebe zum Leben, und dem „Zutrauen, daß der, welcher bisher gehol- „fen, auch weiter helfen wuͤrde — geopfert. „Da war ich also ohne Rettung in des Moͤr- „ders Haͤnden“ — Er war es! Er! v. E. selbst! „Schon wolt’ ich niederknien und von „dem Boͤsewicht den Tod als die einzige „Gnad erbetteln. Moͤrder dieser Art sind „aber so menschlich nicht, umzubringen. Sie „morden Seelen! Gewissen! Mir fielen „die Wort’ unsers Herrn und Meisters ein: „Hebe dich weg, Satan! — Schon wolt’ „ich knien und Abgoͤtterey begehen, als ein „Wagen kam.“ B b 2 In In diesem Wagen saß seine Verlobte und Frauenzimmer ihrer Verwandtschaft. Herr v. E. hatt’ also keine Zeit, Minen naͤher kennen zu lernen. Allerliebste Augen, sagt’ er, in dem Wagen! Ich kenne nur noch ein Paar der Art! Ohnfehlbar eignete sich die Braut dieses Compliment zu, das aber Mi- nen gehoͤrte. Alles lacht’ ohn End’ und Ziel im Wagen uͤber dieses Abentheuer, und Herr v. E. mußte Schand halber sich beym Wagen, der sich zur Linken wandt, halten: indessen sandt’ er unvermerkt einen seiner Ge- treuen Minen nach, sie zu examiniren: wo- hin? und wo her? Mine, welche zwar in diesem Vorfall, daß Herr v. E. mit Blind- heit geschlagen war, und sie verließ, aufs neue gesehen hatte, daß sie auf Gottes We- gen waͤre, konnte sich doch von diesem Um- stande nicht erholen. — Es kam alles Schlag auf Schlag. — Da sie den Abgesandten des Satans sahe, machte sie einen Schrey! der diesen Inquirenten mit erschreckte. Sie wußte nicht seinen Auftrag, und stelte sich nichts anders vor, als daß er sie fort- schleppen wuͤrde. Der Abgesandte hielt Mi- nen fuͤr keinen Bissen, der einer Jagd werth waͤre. Es war dieser Helfershelfer nie ber Herr Herrmann gewesen — noch in der Kirche zu — und wie konnte man alles Wild fahen, was Herr v. E. aufjagen ließ? Ermuͤdet von dergleichen Auftraͤgen, begnuͤgte der Abge- sandte sich, als er von Minen „ nach Mitau, zu meiner Muhme ” heraus hatte, kehrte zuruͤck, und log seinem Befehlshaber das uͤbrige zu, um diesen Roman fein saͤuberlich zu endigen. Durch diesen Vorfall war Mine so außer Fassung gebracht, daß sie nicht ein- mal Gott danken konnte. — Es war ihr alles, wie im Traum! Groß ist, Herr, deine Huͤte, fieng sie zuweilen an, und dann rief sie wieder: Herr! hilf, ich verderbe! Wenn sie sich recht gesammlet hatte, erschrack sie vor sich selbst. — Fast kannte sie sich nicht, so sehr hatte sie sich veraͤndert. — Kurz vor Mitau fand sie sich wieder, und rang ihre Haͤnde zu Gott! Der dich behuͤtet, schlaͤfet und schlummert nicht, dachte sie, in Finster- niß ist er dein Licht! Die dir nachstellen, er- schrecken sehr, und werden zu Schanden ploͤz- lich. — So dachte Mine, und freute sich, daß Bibel und Gesangbuch seit einiger Zeit ihre Hauptbuͤcher, ihre einzigen Buͤcher, ge- wesen. Dein Wort, rief sie, ist meiner Fuͤße Leuchte und Licht auf meinen Wegen! — B b 3 Mine Mine kam nach Mitau. Ihre Anver- wandten, die sie bald ausfragte, waren in der traurigsten Verfassung. Sie hatten in der Nachbarschaft einem Cavalier ein Stuͤck Land abgepachtet, und da an den Schaden nicht ausdruͤcklich im Contrakt gedacht war; so mußten sie von Heller zu Pfennig bezahlen, und den Schaden ersetzen, obgleich er vom Himmel kam. — „Der liebe Gott hats gethan“ sagten die armen Leute vor Gericht; allein die Richter behaupteten W. R. J. V. R. W. daß dieser Contrakt ohne den lieben Gott gemacht waͤre. — Die Armen! In der Welt habt ihr Angst, sagt Christus zu seinen Juͤngern, und das konnte man von diesen Armen mit Wahrheit behaupten! Alles, was sie an und um sich hatten, ward ihnen genommen. Sie behiel- ten sich nur allein uͤbrig und die Erinnerung an einen Contrakt, der ohne den lieben Gott gemacht war. W. R. J. V. R. W. Anstatt, daß Mine also von diesen Armen Beystand erwartete, ließ sie ihnen etwas von ihren Sa- chen. Sie wolt’ ihnen auch durchaus von ihrem wenigen Vorrath an Gelde die Helfte abgeben; allein diese Armen erklaͤrten dies fuͤr den groͤsten Diebstal. Mine must’ ihnen den Ster- Sterbenslauf ihrer Mutter, (die Verwandt- schaft kam von Mutter Seite her,) erzaͤhlen, und die guten Leute freuten sich uͤber ihre Ver- sorgung! Wer einmal oben ist, o! der ist wohl versorgt! sagten sie beyde. Wer weiß, wie nahe mir mein End’, setzten sie hinzu, auch Mine sagte: Wer weiß, und alle drey freu- ten sich. Die ungluͤcklichen Leute hatten einen Sohn, der Pastor an der Grenze war, wie sie sich ausdruͤckten! Wenn er lieber was anders waͤre, wuͤnschten sie, dann wuͤrden wir eher Huͤlfe von ihm erwarten koͤnnen. Mine befragte sie, ob sie denn schon Proben von sei- ner Haͤrte haͤtten? Haͤrte koͤnnen wir es nicht nennen, erwiederten sie. Er hat sich das Be- ten statt des Gebens so angewoͤhnt, und frey- lich kommt man dabey am wohlfeilsten ab. Hohl doch, sagt’ er, liebe Mutter, hohl doch den Brief vom neuen Jahr, da ist ein Ge- bet drinn, das ein Kirchengebet werden koͤnnte! Unser Nachbar, sagte die liebe Mutter, anstatt daß sie den Brief mit dem Gebet holte, welches ein Kirchengebet werden koͤnnte, un- ser Nachbar hatt’ eben so ein Pachtungluͤck; aber wie weit gluͤcklicher ist der! Er hat ei- B b 4 nen nen Schneider zum Sohne, der schon alles reichlich mit Zinsen ersetzt hat, was der Va- ter verloren. — Sag nicht, Mutter, be- schloß der Alte — du weißt noch nicht, was unser thun wird! — geben ist gut — beten ist auch gut. — Nicht wahr, Jungfer Muͤhm- chen? frug der Alte. — Minchens ehrliche Anverwandten halfen die Sache mit einem preußischen Fuhrmann berichtigen, und da Mine ihren Freunden von ihrer Geschichte so viel, als ihnen zu wis- sen noͤthig war, entdeckt hatte; blieb die Hauptsache eine geschwinde Abreise. — Minens Verwandte gab ihr einen Brief nach L. in Preußen, neun Meilen hinter Koͤ- nigsberg, mit, wo eine leibliche Schwester des ehrlichen verungluͤckten Paͤchters wohnte, und wohin auch Minchen gleich Anfangs hin- dachte. Es sind reiche Leute, sagt’ er. Viel- leicht thaͤten sie an uns etwas. — Gott wird es ihnen bezahlen, hier zeitlich und dort ewiglich. — Und Minens Vater? — Er hatt’ einen harten Kampf mit dem Herrn v. E., daß er Minen nicht weichher- ziger, wie er sich auszudruͤcken beliebte, ge- macht. — Dieser Kampf hatte schon, wie sich sich meine Leser erinnern werden, in Herr- manns Hause angefangen, und ward noch hitziger fortgesetzet, da Herrmann zum Herrn v. E. kam. Was will die Naͤrrin, schrie er? Nach einer Viertelstunde raunte er dies was will sie? dem Herrmann ins Ohr. Um aus der Noth eine Tugend zu ma- chen, war Herrmann es ganz unterthaͤnigst zu- frieden, daß Gewalt fuͤr Recht gehen, und Mine dem Herrn v. E. als ein Schlachtopfer gebunden zu Fuͤßen geleget wuͤrde. Ich hoffe doch, sagte Herrmann, daß es alles ehrlich und ordentlich mit Minen zugehen werde — denn wahrlich, Hochwohlgebohrner und gnaͤ- diger Herr Baron! es ist ein Maͤdchen, die sterben koͤnnte, ehe man sichs verseh’ und ey, dann Vater seyn! — Versteht sich, sagte Herr v. E., ehrlich und ordentlich — ich werde doch Herr! zum Teufel wissen, mit einem Maͤdel eine Comoͤdie zu spielen! Hat der Herr schon gehoͤrt, daß die Personen im lez- ten Akt des Lustspiels sterben? und ein Lust- spiel, hoͤrt der Herr! ein Lustspiel soll es wer- den! Dieses Lustspiel waͤre Dienstags vollen- det worden; allein Herr v. E. mußte nolens volens seine Braut zu einem ihrer Anver- B b 5 wand- wandten, der bey Mitau wohnte, begleiten. Herrman blieb, auf Geheiß des Herrrn v. E. so lange bey der Frau v. E. Gnaden, und bey der Jungfer Denen Hochedelgebohrnen. In zwey bis drey Tagen bin ich hier; schrie noch Herr v. E. dem Herrmann vom Pferde zu, und dann ohne Verzug. — Sie hatten sich in die Haͤnde geschlagen, wenn al- les gut gienge, soll es nicht bey vierzig Tha- ler Alb. bleiben. — Gott gebe, daß es gut geht, sagte Herrmann; das Uebrige werden meine Leser an seinen Ort zu stellen und ein- zuschalten wissen. Wuͤrde Herr v. E. Mi- nen nahe bey Mitau vermuthet haben, und haͤtte sein Abgesandter ihm hievon auch nur die entfernteste Spuren zuruͤck gebracht; das Gelaͤchter im Wagen wuͤrd’ ihn eben so we- nig von ihren Augen abgebracht haben, als Gottes Wort in der Kirche. Sein Herz hieng an Minen, und eben weil es an ihr hieng, verfolgt’ er das Maͤdchen nicht weiter, das nach seiner Einsicht blos Minens Augen haͤtte; obgleich sie es gottlob selbst war. — Herr v. E. traf nach dreyen Tagen ein, fand den Herrmann froͤlich und guter Dinge, und es ward der Mord ganz puͤnktlich verab- redet. Herrmann reisete nach Haus’ um alles alles zu dieser Gewaltthaͤtigkeit vorzubereiten. Regine hatte von Minens Entfernung dem Herrmann keine Nachricht ertheilet. Zwar hatte Mine ihr nur blos gesagt, daß sie die Nacht nicht heimkommen wuͤrde; indessen dachte Regine, wer weiß, was fuͤr ein Zufall sie bindet! — Herrmann kam betruͤbt nach Hause. — Ich glaub’, es ist es jeder Nach- richter, wenn er den Streich vollfuͤhren soll, wenn er sich bewußt ist: unschuldig Men- schenblut. Hermann fand die unbesorgte Re- gine, und statt Minen folgende Schrift: Sie wissen selbst mein Vater — Vater werd ich sie nennen, es gehe wie es gehe. — Sie wissen selbst, daß ich nicht aus Tuͤcke des Herzens aus meinem Vaterlande, und aus meiner Freundschaft, und aus meines Vaters Hause gegangen, in ein Land, das Gott mir gezeigt hat! — Sie wissen alles! Ich bin ihre Tochter! Mehr als dies: Sie wissen alles, darf ich mich nicht unterstehen zu schreiben, und solten oder wolten Sie nicht alles wissen; so waͤr’ es ein sehr unzei- tiges Geschaͤfte, mehr zu schreiben. Gott verzeih’ es mir! wenn ich jetzt oder jemals die die Achtung aus dem Auge verloren, die ich Ihnen schuldig bin. — Mein Weg geht, wie ich fuͤhle, zum Himmel ein. Ich habe zu viel Angst, zu viel Kummer erlitten, um hoffen zu koͤnnen, eher als vor Gottes Thron bey meiner seligen, ja wohl, seligen Mutter gluͤcklich zu seyn! Dann, dann wird, o wie freu’ ich mich dessen! das Grab in Absicht meines hinfaͤlligen Theils meine Behausung, Finsterniß mein Bette, die Verwesung mein Vater, und die Wuͤrmer die Meinigen seyn — allein mein Geist! — dort, dort werden abgewischt werden die Thraͤnen von meinen Augen. — Im Himmel ist mein Theil und Erbe. — Ich bitte Gott, daß ich Sie einst auch da finden moͤge, mein Vater! da wo Ruh’ ist! Sie haben mir auf volle acht Tag’ Ausgabegeld gegeben; die Rechnung vom Sonntag und Montag liegt auf ihrem Schreibtische. Reginen hab’ ich Geld auf zwey bis drey Tage zuruͤckgelassen, hier ist das Uebrige vom Wochengelde. — Ich habe nichts von dem Ihrigen mir zugeeignet, ich hab’ Ihnen nichts entwendet. Sie berech- neten sich mit meinem Bruder Benjamin, und wie’s mir vorkam; legten sie auch mein Theil ab. Diesen schenk ich meinem Bruder. Ich Ich wuͤnschte wohl, daß Dene nichts truͤge, was meine theure Mutter getragen hat, wenn es ihr, wie ich vermuthe, nicht schon an sich zu schlecht ist. — — Solten Sie, mein Vater, wider all mein Vermuthen etwas missen, so muß Regine davon Anzeige thun koͤnnen, die indessen, wie Sie wissen, die Ehrlichkeit selbst ist. Ich gehe, und das koͤnnen Sie sich leicht vorstellen, mit schwe- rem Herzen, o Gott! mit schwerem Herzen von hier. An diesem Briefe hab’ ich drey Tage geschrieben. Thraͤnen beziehen mir so die Augen, daß ich auch jetzt nicht sehe, was ich schreibe. — Gott sey mir gnaͤdig! Ich bet’ auch fuͤr Sie! und werd’ es nie aufhoͤ- ren zu thun. Haben Sie tausend Dank fuͤr alles Gute, so Sie meiner Munter, und so Sie mir gethan. Meine Mutter laͤßt sich noch durch mich bedanken. Gott vergelt es Ihnen! — Ihr Grab war mein Labsal, sonst waͤr’ ich vergangen in meinem Elende. Verzeihen sie alle meine Fehler, wodurch ich Sie in meiner Jugend betruͤbt habe. Seit vielen Jahren, duͤnkt mich, hab’ ich Ihnen nicht Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben. Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen. — Meine Entfernung rechnen Sie Sie nicht unter Fehler, die ich ihnen abzu- bitten schuldig waͤre — ich bitte sie Ihnen dennoch ab, weil ich weiß, daß sie Ihnen einigen Verdruß machen wird. Der Him- mel gebe, daß er so klein sey, als nur moͤg- lich, nur moͤglich. — Wenn Sie nicht glau- ben wollen, daß mich Gott zu gehen geheis- sen hat; so lassen Sie sich von dem Herrn Pastor die Predigt vom vorigen Sonntag ge- ben. Diese Predigt ließ Gott durch ihn an mich halten — das koͤnnen Sie mir glau- ben, weil ich es empfunden habe, und wenn Sie die Predigt lesen, werden Sie’s auch empfinden, und mir wenigstens eine gluͤckli- che Reise wuͤnschen, wie sie meinem Bruder wuͤnschten. — Die Frau Pastorin haben Leute, das weiß ich, wider mich aufge- bracht. Ich bitte Sie, meine liebe Frau Pasto- rin, um Gottes willen, um Gottes willen, nicht zu denken, daß ich ihren Sohn verfuͤhrt habe, und noch verfuͤhre. Eben so wenig, als er mich verfuͤhret hat, und verfuͤhren wird, eben so wenig ich, ihn. — Sie sind eine gute ver- ehrungswuͤrdige Frau, meine geistliche Mut- ter, die mich uͤber die Taufe gehalten hat — ach! — — Gott der Herr segne Sie! Ich kuͤß’ kuͤß ihnen und dem Herrn Pastor, dem Bo- ten Gottes, die Hand. Gott wird ihn so in seinem Lezten erquicken, als er mich vori- gen Sonntag in meinem Lezten in — er- quicket hat. Lieber Vater, sagen Sie diese Stellen der Frau Pastorin vor, und danken Sie dem Herrn Pastor tausendmal, tausendmal! Lie- ber Herr Pastor! Engel Gottes! ich dank’ Ihnen tausendmal, tausendmal! — Ich wuͤnschte sehr, mein Vater, daß diese frommen Leute gut von mir daͤchten, des Ge- bets dieser Frommen wegen, dem ich mich empfehle. Setzen Sie mich, mein Vater, in die Guͤte, in das fromme Andenken der Frau Pastorin zuruͤck. Schlagen Sie mir, lieber Vater, diese lezte Bitte nicht ab: und denn noch eine nicht: — das Grab meiner Mutter in Ehren zu halten! Wenn die Erde nachlaͤßt, und das Grab sinkt, laßen Sie, laßen Sie doch Erde, gute schwarze Erde nachschuͤtten, damit es nicht das Ansehen, das edle Ansehn eines Grabes, eines Huͤgels, ver- liere. Meine Mutter ist ja die Hand voll schwarzer Erde werth! — Nun leben Sie wohl! — Wenn Sie Denen heyrathen, las- sen Sie sie nicht veraͤchtlich von meiner Mut- ter ter reden. Es ist eine selige Mutter. Verdop- peln Sie Ihre Liebe gegen meinen Bruder Benjamin. Er ist jetzt das einzige Kind, das von einer Mutter stammt, die im Himmel ist. — Gruͤßen Sie ihn von mir tausendmal. So oft er zu Ihnen kommt, gruͤßen Sie ihn tausendmal. — Gruͤßen Sie alle, die sich mei- ner zu erinnern die Guͤte haben. Verfolgen Sie mich nicht, denn ich geh’ auf Gottes We- gen. Regine ist so unschuldig an meiner Ent- fernung, als die Sonn’ am Himmel. Gruͤßen Sie auch Reginen von mir! Ich bitte Regi- nen ab, daß ich sie wegen meiner Flucht ge- taͤuschet habe. — Gott laß’ es Ihnen allen, allen, allen, wohl gehen zeitlich! geistlich! und ewig! wohl! wohl! Wenn Herr von E. seine Gemahlin treu lieben wird, nur dann wird er gluͤcklich seyn. Gott steht das Herz an, und alle guten Leute, die Gottes Bild an sich tragen, desgleichen. Ich wuͤnsch’ auch ihm alles, alles Gute! Hiemit leben Sie wohl alle! alle! Leben Sie wohl! — H errmann war geruͤhrt — weinen konnt’ er nicht. Schon wolt’ er den ganzen Han- del mit Denen wieder aufgeben, und zu mei- nem nem Vater gehen, und seine Suͤnde in den Schoos seines Beichtvaters bekennen. Er konnte sich nicht entbrechen, vor sich zu sagen, als ob er sich auf das Compliment zu meinem Vater besoͤnne: Vater, ich habe gesuͤndiget im Himmel und vor dir, ich bin hinfort nicht werth, daß ich dein Beichtsohn heiße. — Diese Bußgedanken wurden aber bald zerstreuet. Nimmt Herr v. E. Denen von mir! Was heb’ ich an? Graben mag ich nicht; doch schaͤm’ ich mich zu betteln. Dies setzt’ er seinen Bußgedanken entgegen, und wenn sie gleich nicht voͤllig in die Flucht ge- schlagen wurden; so waren sie doch wenig- stens wankend gemacht. Je weiter er dem Vorfall nachdachte, je mehr befestigte sich sein Entschluß, sich unter die gewaltige Hand des Herrn v. E. zu demuͤthigen. Sein letz- ter Vorsatz war, dem Herrn v. E., der, wenn er wollte, ihn ganz und gar an den Bettelstab bringen koͤnnte, alles zu entdecken — und sich ihm auf Gnad und Ungnad, auf Tod und Leben, zu ergeben. Er nahm den Brief mit (die Hand zittert’ ihm, da er ihn angrif,) und ritt nach — zum Herrn v. E. — Zweiter Th. C c Nun, Nun, Teufel, war der Willkommen — Hochwohlgebohrner! gnaͤdiger Herr! hier! — Was? (Herr v. E. nahm und las —) Blitz! Donner! Zeter! Wetter! Wo ist die Bestie? Gnaͤdiger Herr! Verzeihen Sie — Er ist doll! Wie Ew. Hochwohlgebohrnen befehlen. Die Bestie, wo ist sie? Das ist Gott bekannt! Nach einem laugen Mißverstaͤndniß kam es heraus, daß der Abgesandte Jacob die Bestie war. Ich hab sie begegnet! Gewis und wahrhaftig, sie war es, schrie Herr v. E. Ketten! — Jacob! wo ist die Bestie? Jacob kam, und, nach den entsetzlichsten Fluͤ- chen, wurde Jacob in Eisen geschmiedet Die- ser Kerl, mit dem ein kurzer Proceß gemacht ward, schien der Ableiter der Wuth des Herrn v. E. zu seyn — v. E. erholte sich. — So lang als ich sie nicht habe, sollst du so liegen, Bestie, das war das Urtel. — Es wurden Steckbriefe und Boten zu Fuß, zu Pferde und zu Wagen, ausgesandt — al- lein Mine kam gluͤcklich nach — Koͤnigs- berg! — Sie erschrack uͤber diesen Ort! So groß groß, sagte sie zu den Fuhrleuten! Es war der nehmliche Major, und der nehmliche Junker, die mich nach Koͤnigsberg gebracht hatten! — Mine schlief in Koͤnigsberg auf der nemlichen Stelle, wo ich geschlafen hatte, und es sey, daß Ahndung es ihr eingab, oder was weiß ich wie sie empfand, daß ich da gewesen. Bis dahin hatte sie hievon keinen Gedanken gehabt. — Jetzt kam es ihr schnell ein, wie alles kommt, was gut ist. — Mine lenkte das Gespraͤch auf die hohe Schule, und immer weiter und weiter, bis die Majorin selbst von mir anfing. Der Major hatte mich laͤngst vergessen. Ueberhaupt schwaͤcht nichts so sehr das Gedaͤchtniß, als Reisen. Die Majorin gab so viel Umstaͤnd’ an, daß Mine mich vor sich sahe. Haͤtte Kummer und Elend, und vorzuͤglich der Ueberfall des Boͤsewichts, da Mine zu Fuße gieng, und die peinlichen Fragen des Abgesandten, der jetzt in Eisen ge- schmiedet war, diese Arme nicht so sehr zuruͤck- gesetzt, ich glaube die Liebe haͤtt’ ihre Gruͤnde, mich nicht zu sehen, uͤberwunden. Jetzt uͤberwanden die Gruͤnde. Wer siehet gern Leute, die man recht zaͤrtlich liebt, wenn man so kuͤmmerlich ist, wie Mine war. Ihre Gruͤnde: C c 2 „Die „Die Pastorin nennt mich eine Verfuͤh- „rerin! Koͤnnt’ ich es nicht werden? Und „unter welchem Namen solt ich? Unter wes- „sen Schutz? Was wuͤrden seine Bekannten „von mir denken? von ihm sagen? wie und „wo soll er mich sehen?” Mine, die uͤber- all auf Gottes Wegen gieng, hatte schon der Majorin gesagt, daß sie keinen Verwandten in Koͤnigsberg haͤtte, und daß sie nach L — wolte. Es war schon unterwegs abgemacht, daß man sie dorthin senden wuͤrde. Eine ge- wisse fraͤuliche Delikatesse, die, wenn sie Schwaͤche waͤre, selbst unserm Geschlecht, angenehmer als Staͤrk’ ist, gab jedem Ge- danken Nachdruck — „Koͤnnte man nicht denken, ich waͤre sei- „netwegen? — Er kann und wird mich se- „hen, im Schoos meiner Verwandten — und „sterb’ ich — in der seligen Ewigkeit! —” Kurz, es ward beschlossen, nach L —. Der Herr Major sagte: Frau, solch ein Frauen- zimmer hast du noch nicht gesehen, und die Frau Majorin that mir die Ehre, Notabene nachdem mein Andenken bey ihr aufgefrischt war, bey dieser Gelegenheit zu bemerken, daß sie solch einen jungen Herrn, als mich, so leicht nicht gesehen haͤtte. Mine schreibt: „dies „dies kam mir so unerwartet, daß ich feuer- „roth wurde, — ich freute mich, mein Lie- „ber, so sehr sich Mine freuen konnte! —„ Da Mine eine Lust bezeigte, die Stadt zu besehen, so ward den Morgen eine Kutsche angespannet. Die Majorin machte Umstaͤn- de, mit Minen zusammen zu sitzen. Sie wolte gerad uͤber sitzen. Endlich — — All Augenblick, wenn Mine einen jungen Men- schen sah, fiel sie zuruͤck. Sie glaubte mich — Den nemlichen Tag nach Tische. Herr v. G. und ich. Er. Endlich. Ich. Ich bin auch heut noch zu beklommen, ich habe noch kein empfaͤngliches Herz fuͤr die Natur — keinen Hunger und Durst — nach ihrer Milch und Honig. Sie nimmt es uͤbel, Bruder! wenn man zu ihr kommt und sauer sieht. — Er. Sie wird dich aufmuntern. — Ich. Das thut sie nicht. Er. Ihren Lieblingen wohl, und du sitzest ihr im Schoos. — Ich. Wohin denn? Er. Das laß mir uͤber! Unser ehrlicher Ma- jor hat, daß weißt du, Ursach, es uͤbel zu C c 3 neh- nehmen, daß wir nicht schon die Parole von ihm abgehohlt. — Ein Paar Pferde — Ich. Meinetwegen! Wen senden wir? Er. Uns selbst. — Ich. Desto besser. — Er. Zum Major! — Ich. Zum Major! — Wir giengen, nachdem wir uns umge- zogen. Schon sahen wir sein roth abgeputz- tes Hauß, freueten uns unsere Kriegscame- raden zu sehen, und frugen einander. — Da begegneten uns ein Paar Landleut’ im Wa- gen, die uns hineinwinkten. — Wir nah- men diesen Wink entgegen — und fuhren ihren Weg nach Hollstein, (einem Lustorte bei Koͤnigsberg.) Warum konnten wir nicht zum Major, obschon wir das roth abgeputzte Hauß sahen? Große Frage! warum? O Gott warum? Eine kurze Freude fuͤr meine Leser! — Der Weg nach Hollstein ist einer der schoͤnsten, den man fahren kann. Auf der einen Seite Wasser, wo Schiffe sich kreuzen, auf der andern die anmuthigsten Wiesen. — Man koͤnnte, sagt’ einer in unsern Wagen, um den Wiesen ein Compliment zu machen, Billard darauf spielen! — Ich Ich war blind und taub! Wie konnt’ es anders! Schon sechs Wochen uͤber das Vier- teljahr, und kein Brief von Minen! Mine reiste den andern Tag nach L — zu ihren Verwandten. — Wie sie zum Thor heraus fuhr, fielen ihr wieder die Wort’ ein: Man trug einen Todten aus der Stadt, der war der einzige Sohn seiner Mutter. Sie konnte diese Worte nicht los werden. — Mine schreibt: „mein Weg, mein Lieber, „wie du schon weißt, wie ich dir schon tau- „sendmal geschrieben habe, gieng Himmel an, „uͤberall Himmel an. —” Sie fand ihren Verwandten auf dem Brete. Seine Frau war schon laͤngst gestor- ben. Muͤd’ und matt fiel Mine, bey dem An- blick ihres Verwandten in Ohnmacht. Nach- dem sie sich erholt hatte und den Todten an- sah, fand sie eine Aehnlichkeit von ihrer Mut- ter in allen seinen Zuͤgen. Sie konnt’ ihr Aug nicht von ihm lassen. Sie selbst: „Es sey, mein Lieber, daß alle Todten „eine Aehnlichkeit haben, die im Herrn ster- „ben, oder der Selige hatte, der Verwand- „schaft wegen, wuͤrklich aͤhnliche Zuͤge von „meiner Mutter. Mir war es Zug an Zug! „— Lieber Gott, dacht’ ich, indem ich ihn C c 4 „starr „starr anfah, nun hab ich auch einen Brief in „den Himmel. Du weißt doch, mein Lieber, „den Brief aus Mitau! — Gott, dein heiliger „Wille geschehe! — Nur daß du mich „nicht verlaͤßest, wenn ich diesen seligen Weg „gehe — und die lezte, letzte Reise thue. „Laß mich, wenn ich sterbe „mit der Schaar der Frommen „aus Sturm und Wellen kommen „an den erwuͤnschten Ort. — „Wieder ein Wegweiser Himmel an! „Himmel an, mein Lieber! Ich glaube nicht, „daß ich mehr weit zum Ziele habe. — Es „kann, es kann nicht mehr weit seyn! —” „Ich wolt’ in Koͤnigsberg mich mit dem „Fuhrmann und seiner Frau abfinden, die „Leute hatten mir viel, sehr viel Gutes ge- „than; allein weder er, noch sie, waren zu „einem Dreyer zu bequemen. Ich schenkte „der kleinen Tochter, die nicht von mir ließ, „einen Kopfputz, und mehr war den Leuten „nicht aufzudringen. — Sie hatten mir gar „zu essen und zu trinken auf den Weg gege- „ben, ohne daß ich’s wußte. — Mein Gott, „was giebt es doch fuͤr gute Menschen in der „Welt! Diese Guͤte bewegte mich bis zu „Thraͤ- „Thraͤnen, die, Gott sey gepriesen, sogleich „da sind, und mir sehr treue und gute Dien- „ste thun. —” Der Prediger in L—, wahrlich ein Mann, der nicht blos betete, sondern auch arbeitete, der nicht blos lehrte, sondern auch gab, kam eben von der Erfuͤllung des lezten Willens des Seligen! Es hatte der Verstorbene verord- net, da er keine Erben hatte, daß sein ganzer Nachlaß an das Hospital und die Hausarmen gegeben werden solte. Der gute Prediger hatt’ alle die frohen Zuͤge der Armen in seinem Ge- sicht, die er veranlasset hatte, und so kam er ins Trauerhauß. — Einen Tag eher, und Mine haͤtte fuͤr die bewusten Armen in Mitau Anspruch auf diesen lezten Willen machen koͤn- nen! Es war seit undenklichen Jahren keine Nachricht von ihnen in L eingelaufen, und der Selige glaubte, sie schon alle da zu fin- den, wo er hingieng. „Auch ich Hospitalitin, schreibt Mine, „haͤtt’ ein Recht an dieser Austheilung gehabt, „ich pruͤfte mich vor Gott, ob ich es einem „beneidete? auch der es weniger, wie ich, „noͤthig hatte; allein ich bestand in der Wahr- „heit. — Mein Lieber! ich bin verlassen; „allein Gott weiß, dieser Gedanke koster mir C c 5 keinen „keinen bittern Augenblick. — Keinen ein- „zigen ist der verlassen, der auf Gottes We- „gen geht! Wenn mir einfaͤlt, wo Brod in „der Wuͤsten? bild ich mir ein, wenn ich kein „Brod habe, werd’ ich auch keinen Hunger „haben, und das ist jetzt mein unaufhoͤrliches „Denken, so lang ich bey der Leiche bin — „und denn noch ein großer uͤber alle maaßen „wichtiger Gedank’ ist mein: bald wird mich „gar nicht mehr hungern und duͤrsten — „und nicht mehr auf mich fallen Froͤste des „Schrecks, und keine Flamme der Anfechtung „mich mehr ergreifen. Ich fuͤhl’ es, Gelieb- „ter, innerlich, obgleich mir aͤußerlich nichts „anzusehen ist, es werde bald Amen mit mir „seyn. — Glaub mir, ich bin mehr dort, „wie hier; ich sehne mich nach meiner rech- „ten Behausung! denn kann ich nicht mit „Wahrheit sagen: Ich habe hier keine blei- „bende Statt gefunden, sondern die zukuͤnf- „tige such’ ich. — Bald! bald! wird man „einen Todten heraustragen. — Was solt’ „ich mich also graͤmen, und wider Gott mur- „ren, der den Himmel ausbreitete und die „Erde gruͤndete, und so groß er ist, doch auch „meinen Schmerz wog, warum solt ich mur- „ren, und uͤber die klagen, die den Nach- „laß „laß meines Verwandten in Empfang ge- „nommen. Da ich den Herrn sucht’, ant- „wortete er mir, und errettete mich aus aller „meiner Furcht. — Er ließ mein Angesicht „nicht zu Schanden werden, da mich v. E. „und sein Bothschafter sahen. Ich Elende „rief, und es hoͤrte mich der Herr, und half „mir aus allen meinen Noͤthen. Der Engel „des Herrn lagerte sich um mich her, und „schlug mit Blindheit, die mich greifen wol- „ten! — Du kannst nicht glauben, Gelieb- „ter, wie froh ich bin! Froh bey einem Tod- „ten! — Er ist entgangen, ich werd’ auch „entgehen. — Von ganzer Seel empfind ich „die Worte: der Mensch lebt nicht vom Brod „allein! — Ich habe so wenig Hunger, daß „ich noch drey Tag’ ohne Essen und Trinken „bleiben koͤnnte. Ich schmecke und sehe, wie „freundlich der Herr ist, wohl dem, der auf „ihn trauet!„ Der Pfarrer in L — fand Minen ver- ehrungswuͤrdig. Er sah ihr an, was sie war. Er war mit einem gestaͤrkten Auge zu ihr gekommen. Mit einem Anstande, frey wie die Tugend, erzaͤhlt’ ihm dies lie- benswuͤrdige frisch und muntere Maͤdchen einen Theil der Geschicht’ ihrer Reise. Es bluͤhte, bluͤhte, wie eine Rose; allein es fiel auch so hin, wie sie. Indem sie mit dem Prediger sprach, sank sie zur Erde. — — Vielleicht daß sie der Theil der Geschichte, den sie zu- ruͤck behielt, so angrif, vielleicht daß die Krankheit, wie es oͤfters geschieht, den Ru- hepunkt, den sie abgewartet hatte, eben jetzt erreichet, um auszubrechen. — Mine bemerkte zwar, daß die Erschei- nung des Herrn v. E. und seines Gesandten ihr ganzes Wesen bebend gemacht, und daß dieser Schreck sie mehr angegriffen, als alles — indessen half sie sich wieder auf. Jetzt aber war ihr Stuͤndlein vorhanden. — Sie konnte nicht mehr. Sie sank! — O Gott! sie sank! — Es ist, glaubt mir, lieben Freunde, mit Leben und Tod eine besondere Sache. Der Mensch bringt zwar die Ursa- che seines Todes mit auf die Welt. Er stirbt an seiner Geburt; allein man koͤnnte behaup- ten, daß der Tod immer, wie ein Dieb in der Nacht, immer wie ein Blitz, komme, und daß man in gewisser Art jederzeit, und auch als denn noch ploͤtzlich sterbe, wenn man gleich an einer Lungenkrankheit stirbt. Der Eintritt dieser Krankheit ist als denn der ploͤzliche Tod, und sobald diese Sterbenskrankheit eingetre- ten, ten, sagt, leben wir wohl mehr? — wir hoffen doch? Wir zweifeln, wilst du sagen, und das ist wahrlich kein so gluͤcklicher Zu- stand! Ein Hektikus, der in der Lebenshof- nung, wie man sagt, am staͤrksten seyn solt’, ist er nicht schon immer todt? wenn gleich er dem Arzt entgegen hustet „heut befind’ ich „mich so leidlich! —” Was er nicht weiß, ist der Augenblick, da ihn die Welt todt nennt. — Eigentlich ist er schon verschieden. — Was duͤnkt dich, frischer Juͤngling, dich, bluͤhendes Maͤdchen, was duͤnkt euch, die ihr dieses leset? Wenn euch beim Worte: sie sank ein Schau- der durchs Herz fuhr! denkt dran! so wird auch euer Tod kommen, so wird er eintreten. — Darum wachet, wacht, jedes, so dieses Blatt lieset, alt und jung! Ich beschwoͤr’ Euch alle bey dem Gott, der an den Tag bringen wird, was im Dunkeln geschah, und der den Rath der Herzen offenbaren kann, ich beschwoͤr je- des, so dieses Blatt lieset, heute! heute! — heute! — eine gute Handlung im Stillen zu thun: diese Handlung, wenn es moͤglich ist, vor sich selbst zu verbergen — damit sie im Sterben euch Luft zuwehe! Heute Freunde! heute folget mir — heute noch! Der Der Selige war ein großer Liebhaber vom Voͤgelsang. Da er nicht mehr aus- gehen, und ihn im Freyen hoͤren konnte, hatt’ er verschiedene von diesen Saͤngern im Zim- mer. — Ihr Gesang soll mich auch im Ster- ben nicht stoͤren, pflegt’ er zu sagen. Es ist der Ausbruch der Freud’ und der Unschuld, es sind gluͤckliche Geschoͤpfchen. Seine lezte Verfuͤgung war: seine Voͤgel nach seinem Tod’ ins Freye zu lassen. Zuweilen wuͤnscht’ ich, hatt’ er hinzugefuͤgt, daß ich ihnen et- was im Testament legiren koͤnnte — allein was wuͤrd ihnen ein Legat gegen die weit und breite Welt seyn, die ihnen eignet und gebuͤh- ret. Mine war bey der Erfuͤllung dieses lez- ten Willens, den der gute Pfarrer mit sehr vieler Empfindung befolgte. Nach den er- sten Begruͤßungen an Minen war dies sein Geschaͤfte. Sie brauchen kein Legat, sagte der Prediger, diese Weltbuͤrger. Auf jedem Aestchen ist ihr Bette gemacht. Gott sey mit euch, fuͤgt’ er hinzu, und ließ die Voͤgel flie- gen. Mine sank — der gute Prediger ermun- terte sie; allein er sahe, daß ihr das Herz gebrochen war — Sie war nicht mehr! — Sie haben mich sterben gesehen, sagte sie zum Pfar- Pfarrer. Das hab’ ich, erwiederte er. Der Bote des Friedens ließ sie nicht von seiner Hand, und bat sie, mit ihm zu kommen. — Dieses nahm sie als Gottes Einladung an, und dankt ihm herzlich fuͤr das Aestchen, das er ihr anbot. Mine war so schwach, daß sie sich gleich ins Bette legen mußte, so bald sie zum Prediger kam. — Laßt mich kurz seyn, liebe Leser, ihr koͤnnt fuͤhlen, nicht wahr? ihr koͤnnt es — wie mir ist. Wenigstens hier und dort und da. Laßt mich abbrechen, und leset mehr als da steht. — Die Dulderin konnte selbst ihren Ver- wandten nur durchs Fenster begraben sehen. Da man ihn einsenkte, sank sie ohnmaͤchtig hin, und mußt’ ins Bett getragen werden. — Sie sagte, da sie wieder zu sich selber kam, es waͤr’ ihr im sanften Schlummer so vor- gekommen, als truͤge man sie selbst ins Grab. — Sie war zuweilen sehr unruhig, und blieb es so lange, bis sie dem rechtschaffenen Geistlichen ihren ganzen Lebenslauf gebeichtet, und ihr schwer beladenes Herz gelichtet hatte. — Der redliche Mann staͤrkt’ und troͤstete sie! Er billigte diese so engelreine Liebe, die Lilien- keusche Liebe, wie er sie zu nennen die Guͤte hatte hatte — und, was man Minen an ihren gebrochenen Augen ansehen konnte, war da. Die Absolution des guten Predigers machte Minen munter. Dies kann man auch bey einer großen Krankheit seyn. Man sahe, daß ihr Geist heiter war, und nicht zu seyn aufhoͤren wuͤrde, wenn gleich der Koͤrper dahin fiele. — Er war so sehr dem Koͤrper uͤberlegen, daß der Prediger mich versicherte, dies waͤre sein Beweiß von der Unsterblichkeit. Oft, sagt’ er, hab’ ich dies gefunden, und noch oͤfter haͤtt’ ichs finden koͤnnen, wenn nicht die meisten Seelen im Concurs stuͤrben! und von so vielen Schuld- nern uͤberlaufen wuͤrden, die sie nicht befrie- digt, so lange sie mit ihnen auf dem Wege dieser Welt waren. — Mine wollte die Communion, und zwar in der Gemeine empfangen. — Ich werde, sagte sie, drinn schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist, und wie wohl denen auch dort seyn wird, die auf ihn trauen, ich werd’ einen Vorschmack drin von dem himmlischen Manna finden. — Der Predi- ger setzte hiezu einen Tag an, und sie em- pfieng die Communion mit zwoͤlf Personen in ihrem Zimmer. — Diese Zahl kam ganz von von ungefehr; indessen fiel sie Minen sehr auf! — „Gott laß doch keinen Verraͤther unter diesen zwoͤlfen seyn!„ Mine gab jedem von ihrer geistlichen Tischgesellschaft die Hand. — Wir sehen uns wieder, sagte sie. Die Dank- sagung, welche der Prediger aus der Agende nach der Communion las, sprach Mine laut und mit Seelenwonne mit. Die Tochter des Predigers, ein Maͤdchen von neunzehn Jahren, wollte durchaus sterben, da sie Mi- nen so sterben sah. — Sie war immer um und bey ihr. Mine bat den Prediger nicht, mit ihr zu beten. — Dazu hatte sie keinen Geistlichen noͤthig, obgleich sie den Prediger sehr gern um sich hatte. Sie sprach bestaͤn- dig mit ihm von Sterbenden, die er zum Tode vorbereitet hatte, und freute sich, wenn sie von Leuten hoͤrte, die freudig aus dieser Welt gegangen, und deren Seelen so stark gewesen, daß man ihnen die Vollendung an- gesehen. — So was, sagte der Prediger, uͤberzeugt. Man steht in gewisser Art Gei- ster — und so, wie sie sich aus dem Koͤrper herausschlauben, so werden sie sich auch zu seiner Zeit beym Weltgericht aus dem Stau- be machen. — Wenn Minchen allein war, gieng sie im besondern Sinn mit Gott um. — Zweiter Th. D d Von Von langen Gebeten hielt sie nicht — auch in gesunden Tagen nicht. — Sie war das sah man, das hoͤrte man, ihrer Sache gewiß. Sie war im Himmel bekannt. Ich habe dort eine Mutter, die mir gewiß ent gegen kommen wird, pflegte sie zu sagen, und dann wieder, ich behalte denselben Gott in Curland, in Preußen, im Himmel! Ich veraͤndere nicht den Beherrscher, sondern nur den Ort. Ich zieh aus einer Provinz Got- tes in die andere. Hier wohn ich zu Miethe, und dort werd’ ich Eigenthuͤmer seyn. — Es war ruͤhrend, sie sterben zu hoͤren! sie sterben zu sehen! — ( O Gott, lehre mich bedenken, daß ich sterben werde, daß mein Leben ein Ziel habe! daß ich davon muͤsse! lehr’ es jedem, der dies ließt!) Auf einmal fiel es Minchen ein, mich noch zu sehen. — Da sie gewiß zu sterben ge- dachte, sprach sie von unserer Verbindung mit so wenigem Ruͤckhalt, daß sie mich ge- gen den Prediger ihren Mann hieß. Der Prediger sprach auch von uns, wie von Ver- lobten. Gretchen, die Tochter des Predi- gers, wußt einen großen Theil von meiner Geschichte; nur gegen die Predigerin war man ruͤck- ruͤckhaltend. — Man ließ sie selbst selten zu Minen, obgleich sie sich recht nach ihr sehn- te. Sie neigte sich sehr zur Schwermuth, und man mußt alles entfernen, was diesem Tem- peramente Nahrung gab. Bei ihren letzten Wochen war einer von den drey Lindenbaͤu- men, die vor dem Pastorhause standen, aus- gegangen; dies hatte sie sich so zu Gemuͤthe gezogen, daß vorzuͤglich jeder Lindenbaum sie gleich zum Tiefsinn brachte. Wenn die Linden bluͤheten, war sie immer in Thraͤnen. Die gemeinen Leute nannten es eine Linden- krankheit. — Sie fanden indessen auch in an- dern Vorfaͤllen Anlaͤsse zur Traurigkeit, und Nahrung fuͤr ihre Schwermuth. Die gute Pastorin hatte sich eingebildet, daß der Lin- denbaum vor dem Pastorat, da er in ihrem Geburtsjahre gepflanzet worden, jetzo ihren Tod ankuͤndige, und ihr Vorlaͤufer, ihr Jo- hannes, seyn wuͤrde. Gewiß hat dieser Baum ihr Leben mitgenommen! — Sie weint’, oft am heitersten Tage. — Der arme Prediger, welcher anfangs alle Mittel ange- wendet hatte, diese Krankheit zu heilen, sahe wohl ein, daß sie nicht heilbar waͤre. Oft mußt er ihr sogar die Bibel wegneh- men. Sie war nicht aus den Klagliedern D d 2 Jere- Jeremiaͤ, den sieben Bußpsalmen, und der Offenbarung Johannis herauszubringen — und im Gesangbuch waren die Todten- und die Abendlieder ihre Sache. „So komm doch auf einen gruͤnen Fleck!„ sagte der Kreuz- tragende Prediger; allein sie blieb wo sie war. — Sie sah in jedem Gruͤn die Linde vor ih- rem Hause. Es war diesem Baum sein Taufattest, sein Pflanzjahr, eingeschnitten, und also wußte sie gewiß, daß sie eines Jahrs Kinder waren. — Zuweilen kam die Schwer- muth der Frau Predigerin bis zu Ausbruͤ- chen. Dann waren ihre Begriffe alle durch- einander. — Was meynen Sie, lieber Pastor, sagte Mine, soll ich ihn noch sehen? Ihre Gruͤn- de hatte sie jetzt all’ aufgegeben. Der Prediger war fuͤr; der Arzt wider. Es war betruͤbt anzusehen. Sie wollte mit ihrem Arzt druͤ- ber sprechen; allein das konnte sie nicht. Sie hatte kein Wort unmittelbar mit ihm gewech- selt. Er war sehr harthoͤrig — und eines der Hauptuͤbel, die sich bey Minen aͤußer- ten, war kurzer Othem und Brustschwach- heit. Da man dem Arzt Minens Wuͤnsche ins Ohr schrie; widerrieth er. Nichts, setzt’ er hinzu, was sie angreift! Der erste Blick ih- res Freundes wuͤrd’ ihr letzter seyn. — Die ge- ringste Spannung wuͤrd’ ihre Nerven in Stuͤ- cken reissen. Mine war es zufrieden, oder mußt’ es zufrieden seyn, da der Prediger dem Arzt beytrat. Sie erholte sich, allein nicht zum Leben, sondern zum Tode, wie sie selbst be- merkte; indessen dankte sie ihrem Arzt mit einem Haͤndedruck! Zuweilen stand sie auf, sahe nach dem Grabe ihres letzten Verwand- ten, ließ sich von fern die Graͤber der Frauen dieses frisch begrabenen , und ihrer Kinder zeigen. Sie waren alle mit einer kleinen in die Hoͤhe stehenden Tafel bezeichnet, worauf ein Spruch stand. Die Tochter des Predi- gers mußte sie lesen gehen, und sie Minen erzaͤhlen — das Auge reichte nicht so weit. — Auf seiner Tafel standen die Worte, Da- niel 12. v. 13. Du aber, Daniel, gehe hin, bis das Ende kommt, und ruhe, daß du aufstehest in deinem Theil, am Ende der Tage. Er hieß Daniel. — Auf der Tafel seiner Frauen, Hiob 7. v. 2, 3. Wie der Knecht sich sehnet nach dem Schatten, und ein Tagloͤhner, daß seine D d 3 Arbeit Arbeit aus sey; also sind mir elender Naͤchte viel worden. Auf dem Grabe der Tochter, Buch der Weisheit 3. v. 1. Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Quaal ruͤhret sie an. Auf dem Grabe des Sohnes, 2 Samu- el, 12. v. 23. Ich werde wohl zu ihm fahren. Er kommt aber nicht zu mir. Mine eignete sich diese Denkspruͤche zu. Es war ihr Stammbuch , und jedes Grab brachte sie auf das Grab ihrer Mutter. Oft machte sie die Augen dicht zu, um, wie sie sagte, mit ihrer Seel’ in naͤhere Bekannt- schaft zu treten, und zu versuchen, wie es ihr nach dem Tode seyn wuͤrde. Zuweilen saß ich schon, so fuhr sie fort, wie ich noch lebte, wenn ich mich sehen wollte, ich macht’ eine Schlafende, um desto besser uͤber die Fra- gen: wo kommst du her? wo wilst du hin? Auskunft zu finden. Ich kehrte mein Aug in mich, und ab von der Welt, und von dem was in der Welt ist. Da ließ ich mich denn nicht aus den Augen, ich konnte mir selbst nicht entlaufen, und welche selige Stunden hab’ ich auf diese Art zugebracht! Jetzt Jetzt uͤb’ ich mich auf gleiche Weise zu sterben. — Sie pflegte zu Gretchen, des Pfarrers Tochter, zu sagen, da war ich uͤber drey Stunden zur Probe todt. — Es war den — — ein Tag, da sie sehr munter war, und da sie zu Gretchen sich ausließ: mich duͤnkt, liebe Freundin, es geht mir, wie dem Koͤnige Hiskias. Ich hoͤrte die Stimme: beschicke dein Haus, denn du wirst sterben, und nicht leben bleiben, und nun geht der Schatten hinter sich zuruͤck, zehn Stufen am Zeiger Ahas, die er war niederwaͤrts gegangen. — Mine wollte nicht fuͤr sich, sondern fuͤr mich leben. Mine und Grete waren diesen Morgen froh mit einander; allein wahrlich eine kurze Freude! Denn Mine und das ganze Haus, hatte einen Schreck, der Minen auch den letzten Herzensrest gab. — Um die Sache in ihrem Zusammenhange zu zeigen, muͤssen wir aus diesen Vorhoͤfen des Himmels in die arge boͤse Welt zuruͤck. Alle Boten zu fahren, zu reiten, und zu Fuß, die Herr v. E. ausgesandt hatte, kamen ohne Minen zuruͤck; allein nicht oh- ne Spuren, welchen Weg sie genommen. Es war voͤllig klar und deutlich ausgemittelt, D d 4 daß daß sie in L — bei ihren Verwandten sich aufhielte. Herrmann, wie es sich von selbst versteht, hatte zu dieser Klarheit und Deut- lichkeit einen Familienbeytrag geliefert. Er stand als ein Gefaͤngnißwaͤrter, der eine Staatsverbrecherin entfliehen lassen: indessen begegnet’ ihm Herr v. E., der zu seinen Absichten noch auf Herrmann mehr als einen Anschlag in petto hatte, leidlich — das heißt, er schlug ihm nicht vorm Hals, er spie ihm nicht ins Gesicht, er hob seinen Fuß nicht auf wider ihn. — Was ist zu thun? frug Herr v. E. das ganze Hauß, und niemand wußte, was zu thun waͤre. Endlich fiel es ihm ein, ein Gutachten von ein Paar Rechtsgelehrten, die ihren Schnitt verstanden, vor Geld und gute Wort’ einzuziehen. Diesen Zween ward noch einer zugeselt, um die Sache von allen Enden zu fassen. Herr v. E. dirigirte. Die preußische Staaten hat uns der Teufel zur Nachbarschaft zugemessen, sagte Herr v. E. Aus der Hoͤll’ ist keine Erloͤsung, setzt’ einer von den Dreyen hinzu. Das consilium juridicum eroͤfnete seine Seßion. Herrmann war Beysitzer. — Die Sache mußt’ in hoͤchster Eil getrieben wer- den. den. Einer der Rechtsgelehrten, der, wie er selbst zu bemerken die Ehre hatte, sich in allen Faͤllen am Kopf zu halten gewohnt sey, schlug vor, an den Koͤnig selbst zu schreiben. Er ist das in Preußen, was Ew. Hochwohl- gebohrnen auf ihren Guͤtern sind, setzte Herrmann hinzu. Herr v. E. war fuͤr die- ses Compliment in hoͤchsten Gnaden dem Herrmann wohl beygethan. Die andern zwey Rechtsgelehrten, die sich nicht so sehr am Kopf zu halten gewohnt waren, brach- ten ein Anschreiben an die Landesregierung in Koͤnigsberg in Vorschlag, mit welcher die kursche Regierung in freundnachbarlichem Vernehmen, wie sie nach der Liebe hoften, stuͤnde. Dieses Votum gieng durch. Der Thron bleibt uns — sagten sie alle, bis auf den Kopfhalter . — Wenn Ew. Hochwohl- gebohrnen, fieng derselbe, oder Herr α, (ich will die drey Rechtsgelehrten mit ihrer Er- laubniß α. β. γ. nennen,) nach einer Weil’ an, nur innerhalb vier und zwanzig Stun- den von ihrer Flucht Nachricht eingezogen — Wenn, sagte Herr β? — und wenn, Herr γ? — Der Edelmann hat in Curland das Recht, wenn ihm sein Unterthan entlaͤuft, ihn inner- D d 5 halb halb vier und zwanzig Stunden zu nehmen, wo er ihn findet, und Hand an ihn zu legen, auf jeglichem Boden. Nach der Zeit wird der Unterthan gerichtlich gefordert; doch wird stehendes Fußes obtorto collo verfahren, und gehts hiebey eins, zwey, drey; wie denn das Recht der Wiederforderung, obschon der Menschen Leben siebenzig und, wenns hoch kommt, achtzig waͤhret, allererst in hundert Jahren verjaͤhret. Das Hochweise Consilium sahe Minen als eine Unterthanin des Herrn v. E. an, und niemanden fiel ein Wort zum Widerspruch ein. Der Litteratus Herrmann, pro tem- pore Assessor , wolte — allein konnt’ er? Man disputirte ins Kreuz und in die Quere. Herr α, der sich gewoͤhnlich am Kopf hielt, und der sich das Ansehn gab, als saͤß’ er unter einem Baldachin, und einer von sei- nen Collegen ihm zur Rechten, und der an- dere ihm zur Linken, schuͤttete so viel Gelehr- samkeit uͤber die Ruͤckforderung der Untertha- nin aus, daß die Staͤdte bey dieser Gelegen- heit uͤbel wegkamen, wie gewoͤhnlich in Cur- land. — Herr β nahm sich der Staͤdt’ an; in- dessen sah man nach vielen Streifereyen in an- andere, wiewohl mit der gegenwaͤrtigen ver schwaͤgerte Materien, wie Herr α sich aus- druͤckte, ein, daß die Staͤdte in Curland gar nicht zum Gutachten gehoͤrten, indem von Preußen die Rede sey. Ich besitze eine Abschrift des bey diesem Blutgerichte gefuͤhrten Protokols. Herr α brachte, des Kopfs wegen, in Vorschlag, daß das Pro und Contra bey dieser Sache genau verzeichnet werden moͤchte, und eben dieser Vorschlag des Herrn α wuͤrde mich in Stand setzen eben so ganz, als ich diese Verhandlung empfangen habe, sie meinen Lesern mitzutheilen; wenn das meist’ in die- sem Protocol nicht Dinge waͤren, die ganz und gar keine Beziehung auf den gegenwaͤr- tigen Fall haben. Juristische Hobelspaͤne. — Wozu die kunsterfahrnen Einschaltungen: wie es mit dem Großherzogthum Litthauen und mit Liefland ehemals in dergleichen Angele- genheiten gehalten worden? und jetzt gehal- ten werde? welches der Protokollist alles ge- treulich und sonder Gefaͤhrde mit einverzeich- net. Der gelehrte α hatt’ ihm befohlen, nichts auf die Erde fallen zu lassen, was sie quirlen und nach Beschaffenheit kochen wuͤr- den, und dies war die Ursache, warum der Pro- Protokollist ganz fremden zur Sache nicht zweckenden Materien, das Gastrecht in sei- nem Protokol angedeihen ließ. Herr — (so hieß der Protokollist,) war damals ein jun- ger Mensch, der durch diese Proben wie Gold gelaͤutert und bewaͤhret werden solte, und ist jetzt — mein Rechtsfreund. — Ausser den Protokollen hab’ ich viel von ihm muͤnd- lich. — Aus allem nur ein Extrakt. — Es ward ein Gesuch beliebet, Kraft des- sen Mine als eine Unterthanin vindiciret wer- den sollte. Auf einmal fiel es dem ganzen Concilio, wie es sagte, zum Gluͤck ein, daß die Sach’ ob und in wie weit Mine wuͤrk- lich Unterthanin sey? sehr leicht zur naͤhern Untersuchung in Preußen fortgesetzt werden koͤnnte, wenn man sie (und was ist gewisser?) in Preußen uͤber ihren Statum befragen wuͤrde. Ey denn, sagte Herr α, ey denn β, ey denn γ, und ey denn der Beysitzer dieses Consili- ums, der sich herzlich freute, daß seine Tochter ohne sein Zuthun emancipirt war. Herr α wuͤnschte, seinen Gedanken, de- nen er ob periculum in mora Zaum und Ge- biß anlegen mußte, freien Lauf lassen zu koͤnnen. In obscuro libertas praevalet 15. ff. de de fideic. libert. und fauor libertatis saepe benigniores sententias exprimit. 1. 32. in f. ff. ad L. Falcid. Er war im Begrif, noch mehr fuͤr die Ehre der Freyheit anzufuͤhren, wovon ein rechtskraͤftiges oder rechtsgestaͤrk- tes Auge, auch selbst im monarchischen und seinem Grenznachbar, im despotischen Staat schoͤne Ruinen finden wuͤrde; allein Herr v. E. als Praͤsident dieses Collegiums, bat, weil es ein agonisirender Fall waͤre, um ein ge- schwindes Recept — welches Herr β und Herr γ, die dem gelehrten Herrn α nicht gleich thun konnten, auch sehr nothwendig fanden. Der voͤllige Abschluß war folgendes Gesuch, das in Pleno bis auf die letzten Kleinigkeiten, ins Unreine und ins Reine ge- bracht ward: Durchlauchtigster Herzog, Gnaͤdigster Fuͤrst und Herr, Das Ableben meines Vaters legte mei- ner Mutter, der — v. E. gebohrnen v. R. die Verbindlichkeit auf, die Sorge fuͤr seine betraͤchtliche Guͤter eine geraume Zeit zu uͤbernehmen; denn meine auswaͤrtige Ver- bindungen ließen mich nicht eher als jetzo den Wuͤnschen meines Herzens genuͤgen, um mein mein Vaterland wieder zu sehen, das ich auch selbst auf allen meinen Reisen nicht ver- lassen hatte. Wie gluͤcklich duͤnkte ich mich zu erfahren, daß Curland als frey und ge- recht weit und breit bekannt ist. Diese große Eigenschaften meines Vaterlandes nehm’ ich bey einem Vorfall in Anspruch, der, so klein er beim ersten Ueberblick anscheinet, ins Große uͤbergehen koͤnnte. Meine Mutter, ich muß es ohne Ruͤckhalt gestehen, hatte durch ihre Gelindigkeit die den Guͤtern Ange- hoͤrige von genauer Erfuͤllung ihrer Pflichten abgebracht, anstatt daß diese meiner Mut- ter eigene Denkungsart ihr die Herzen aller Unterthanen zuziehen sollte. Besonders gab eine gewisse Wilhelmine — — — durch un- ertraͤglichen Stolz und Ungehorsam ein so schlechtes Beyspiel, daß da meine Ermahnun- gen nichts bewuͤrkten, ich ihr drohen mußte. Diese wohlgemeinte Bedrohung, die in den Grenzen der Worte blieb, und gewiß nicht anders, als im hoͤchsten Nothfall, weiter herausgeruͤckt seyn wuͤrde, brachte die besagte Person so sehr aus allen Schranken des Ge- horsams und der Verbindlichkeit, daß sie es fuͤr gut fand, fluͤchtigen Fuß zu setzen, und ein hoͤchsinachtheiliges Exempel zuruͤck zu las- sen. sen. Hiebey blieb es nicht, sondern es leh- ret die Anlage, daß besagte Wilhelmine noch mehr Pflichten durch eben diesen Austritt ver- letzet, indem sie diebischer Weise verschiedene Sachen an sich gebracht, welche sie theils verkaufet, theils leibhaftig, oder in natura mitgenommen. Das Corpus Delicti bey diesem Diebstal ist wohl ganz unstrittig bewiesen, da wegen der geschehenen Entwendung und der dabey beabsichtigten Gewinnsucht alles entschieden ist; die kuͤnftige mit der Laͤuflingin zuhal- tende Untersuchung wird die Groͤße des Dieb- stahls noch genauer begraͤnzen, indem vor der Hand nur ohne alle Nebenruͤcksichten die Frage seyn kann: ob Wilhelmine — eine Diebin sey? Die Flucht der besagten Person wuͤrde dem angeschlossenen Protokol noch einen Grad der Gewißheit ertheilen, wenn noch mehr Gewißheit erforderlich waͤre, und die Sache nicht schon an sich da und offen laͤge. Denn was ist auffallender, als daß Wilhelmine — — welche wenige Tage, nachdem sie die Sachen verkaufet, entsprun- gen, blos aus Furcht vor der Strafe sich ent- fernet, zu diesem Behuf abgelegene Straßen gesucht, und den Weg nach Preußen genom- men? men? Der Umstand, daß ihr Begleiter so- gar den Martin Jakob Kegler moͤrderischer Weis’ ums Leben bringen wollen, erschwert ihr Verbrechen so ungemein, daß man die Tuͤcke des Herzens dieser Ungluͤcklichen im ganzen heßlichen Umfang’ erblickt. Ein wohl- gefuͤhrtes Leben ist fuͤr die Unschuld ein alles uͤberredender Vertheidigungsgrund, und wenn selbst nach einem, viele Jahre her ge- fuͤhrten guten Lebenswandel, jemand wegen eines Verbrechens in Anspruch genommen wird, ist und bleibt der vorige gute Lebens- wandel ein unbezweifelter Linderungsgrund. Ludovici de praesumt: bonitat:) Wenn aber der Lebenslauf des Bezuͤchtig- ten wider ihn das Wort nimmt, und eine Kette von schlechten Aeußerungen ist, kann da ein An- und Sachwald eine Vertheidigung, ich will nicht sagen unternehmen, sondern auch selbst wagen? Wilhelmine — — ist eine so bos- hafte Person, daß sie mit der Besserungs- aussicht praͤcludirt zu seyn scheint. Es sind selbst schwerlich, wenn ich mich hier dieses Ausdrucks bedienen darf, gute Stunden, hei- tere Abwechselungen, dilucida interualla, von ihr zu erwarten. Damit ich indessen Ew. Durchlauchten nicht zu beschwerlich werde; so so sey es mir erlaubt, meinem eigentlichen Gesuch naͤher zu treten. Es ist die mehr besagte Wilhelmine — — nach Preußen ge- fluͤchtet, und haͤlt sich in L — im — schem bey ihren Anverwandten Namens — — auf. Ech ersuch’ also Ew. Hochfuͤrst. Durchl. unterthaͤnigst gehorsamst, die preußische Lan- desregierung zur Noth und Rechtshuͤlfe zu ersuchen: besagte Wilhelmine — — nach Sicht dieses nachbarlichen Requisitorial-An- schreibens dingfest zu machen und unter Bedeckung bis an die Grenzstadt Memel ge- faͤlligst auszuliefern, wo ich sie entgegen zu nehmen und wegen des Gewahrsams die er- forderlichen Einrichtungen zu treffen nicht er- mangeln werde. Dieses Gesuch bedarf keiner Unterstuͤtzung in Ruͤcksicht der preußischen Regierung, denn obgleich, wie es die Archive nach- weisen, in aͤltern Zeiten Bauerforderungen zwischen Preußen und Curland vorgefallen; so ist doch nach der Zeit keine Nachfrage weiter deshalb vorgefallen. Der Cursche Land- tags-Abschied von 1624. setzet in §. 23 fest: „Wir wollen auch alle fremde Bauren „ausantworten, welches eine edle Rit- Zweiter Th. E e „ter- „ter- und Landschaft ebenmaͤßig zu thun „verbunden, ausgenommen welche uͤber „dreißig Jahr nicht abgefordert und „verjaͤhret worden„ und so wie ich Ew. Durchlauchten tiefunter- thaͤnigst anflehe, diese Stelle mit der Urschrift gegen einander halten und als stimmig verge- wissern und attestiren zu lassen; so werden Ew. Durchlauchten auch der koͤniglichen Lan- des-Regierung in Koͤnigsberg die Versiche- rung, wenn sie erforderlich waͤre, ertheilen, daß nach diesem Abschiede verfahren, und vorzuͤglich die preußischen Laͤufer ohne Anstand ausgeliefert worden, wovon sowohl der Stadt Memel, als dem Koͤniglichen Amte Althof Memel, Beyspiele bekannt seyn werden. Die Seltenheit der Faͤlle entscheidet nichts zu mei- nem und zu Curlands Nachtheil: denn die preußischen Grenzen sind besetzt, und so ge- schlossen, daß selten ein Laͤufling sich durchzu- dringen Gelegenheit findet. Wenn diese Auslieferung indessen schon bey Bauren von curscher Seits beobachtet wird; so werd’ ich um so mehr bey einer Die- bin, Stoͤrerin der allgemeinen Ruhe, ja selbst einer Mordanfuͤhrerin auf diese Rechtshuͤlfe Anspruch machen koͤnnen. Es Es ist eine Sache der Menschheit, der- gleichen Verbrechen zu strafen, und ohne mich in einen Streit einzulassen, was fuͤr ein fo- rum das vorzuͤglichste sey, ob das des delicti des domicilii, oder deprehensionis, so ist wohl offenbar, daß Preußen keines von allen dreyen ist, sondern allererst durch das Ange- such Ew. Durchlauchten bewogen wird, die Wilhelmine — — dingfest zu machen, so, daß also diese Deprehension Namens Ew. Durchlauchten geschieht, und was ist wohl angemessener, als da das Verbrechen zu un- tersuchen, wo es vollbracht worden? Hier bieten alle Umstaͤnde dem Inquirenten die Hand, und wuͤrde man nicht selbst dem End- zweck der Strafe entgegen handeln, wenn man an einem mit dem Verbrechen unbe- kannten Orte die Strafe vollziehen wollte? Bey diesen sehr auffallenden und in gesitteten Staaten allgemein beliebten Grundsaͤtzen bin ich der Erhoͤrung meines Gesuchs gewiß, und koͤnnte mit der vollkommensten Zuversicht schluͤßen, wenn ich nicht noch unterthaͤnigst gehorsamst bemerken muͤste: wie außer den bezeichneten Lastern, die der Wilhelme — — natuͤrlich geworden, die Liebe zu Unrichtigkeiten mit gehoͤret, wel- E e 2 che che ohnehin bestaͤndig, so wie mit allen Lastern so vorzuͤglich mit der Dieberey, in Geselschaft zu treten pflegt. Wenn also ein Verhoͤr mit ihr veranlasset werden solte; so wuͤrd’ ihre Verschlagenheit, die alle Gestalten sich zuzu- eignen versteht, der Sache ganz andere Wen- dungen beylegen. Dieses zwingt mich zu einer Beyschrift meines unterthaͤnigen Gesuchs: die Koͤnigliche Preußische Landes-Regie- rung zu requiriren, die Wilhelmine — — ohne alle Weitlaͤuftigkeiten einzuzie- hen und zu transportiren. Der Einfluß, den dieser ins Publicum drin- gende Vorfall auf meine Guͤter hat, ist un- aussprechlich, und kann nur dadurch den Fremden, die unsre Landsart nicht kennen, be- greiflich gemacht werden, daß die Letten, so wie alle begraͤnzte eingeschraͤnkte Menschen, mehr nach Exempeln, als nach Grundsaͤtzen leben. Damit allendlich wegen der Person der Wilhelmine — — — keine Irrung entste- he; ist selbige in Absicht ihres Koͤrpers das Ge- gentheil von dem was man Gewoͤhnlich nennt, ihr Wuchs selbst ist zwey Finger breit uͤber das Gewoͤhnliche, den gang und gaͤben Wei- berwuchs. Sie hat nichts kleinigliches, und nichts nichts kindisches, sondern graͤnzt ans maͤnn- liche; allein es ist demunerachtet nichts maͤnn- lich an ihr. — Sie ist schlank, sehr gesund, roth und weiß, hat schwarzes Tint, allein nicht Zigeuner Haar, große stimmige schwar- ze Augen, wo aber nichts gutes wohnt. In der Mund Gegend, die Zaͤhne nicht ausge- nommen, liegt Spott und Hohn. Ihre Sprache ist klingend, ihr Gang kraͤftig und entschieden. Sie sieht mehrentheils aus, als ob sie Kreuz truͤge; allein es ist eine Heuch- lerin und Spitzbuͤbin von Hauß aus. Die mir durch die Willfahrung meines auf Gleich und Recht sich gruͤndenden Gesuchs zu erzeigende Landesvaͤterliche Huld, Gnade und Gerechtigkeit werd ich lebenslang vereh- ren und niemals aufhoͤren, mit so viel Ehr- furcht als Treue zu seyn Ew. Hochfuͤrstlichen Durchlaucht unterthaͤnigst gehorsamster v. E. — — — Actum — — den — — Des Herrn v. E. auf — — Hochwohlgebohr- nen erklaͤren, wie sehr entfernt sie waͤren, gleich bey dem Antritt der vaͤterlichen Erbguͤther, auch nur durch eine anscheinende Haͤrte sich E e 3 die die Zuneigung und Liebe ihrer Unterthanen zu entziehen, und stellen den leiblichen Vater der entlaufenen Wilhelminen — — vor Gericht, um wegen ihrer strafbaren Auffuͤhrung gewis- senhafte Anzeige zu thun. Es wird bemerkt, daß man den Vater, der Gewohnheit gemaͤß, zu seiner Anfrage rechtlich vorbereiten und mit einem Eyde be- legen wollen. Der Herr v. E. indessen bittet bei dieser Gelegenheit, den so betruͤbten Va- ter, in so weit es rechtlich bestehen koͤnnte, zu schonen. So viel faͤlt sehr auf, daß ein leiblicher Vater das Verbrechen der Tochter nicht vergroͤßern werde, und wuͤrd’ also nur blos zu besorgen seyn, daß er aus vaͤterlicher Neigung vielleicht zu wenig anbringen und der Sache einen Anstrich zuwenden doͤrfte. In dieser Ruͤcksicht wird dem Publiko sein Recht bei der kuͤnftigen naͤhern hier mit der Wilhelmine — — anzustellenden Untersu- chung ausdruͤcklich vorbehalten und der hoͤchst- betruͤbte Vater vorgelassen. Er heißt — — — ist acht und funfzig Jahr alt, lutherischer Religion. Der ge- genwaͤrtige Fall druͤckt ihn so sehr, daß er nicht aus noch ein weiß. Seine Tochter Wilhelmine — — — hat von Jugend an einen einen Trieb zur Widerspenstigkeit geaͤußert, und sowohl ihm, als seiner verstorbenen Ehe- gattin, viele betruͤbte Tage zugezogen. Ihr Wortauffang, ihre Spitzfindigkeit, ihre Griffe und Hinterhalte, konnten einem gutgesinn- ten Vater freylich keine Freude machen, wozu diese Ungerathene es auch nie anlegte. Nach dem Tode seiner Ehegattin aͤußerte sie den Trieb zur Unregelmaͤßigkeit noch naͤher, vor- zuͤglich empoͤrte sie sich wider eine Heyrath, die er zu unternehmen mit Huͤlfe Gottes ent- schlossen. Diese und andre Umstaͤnde hatten den Comparenten nothgedrungen, sie im Hofe zu — — anzubringen, wo sie, anstatt sich die gnaͤdige Zuneigung der Hochwohlge- bohrnen Herrschaft zu erwerben, sich auf eine strafbare Art fuͤhrete. Ich habe nicht verfehlt, sie vaͤterlich zu ermahnen, so vie- len unverdienten gnaͤdigen Gesinnungen nicht entgegen zu seyn, bemerkte der Vater, (um seine eigene Worte beyzubehalten,) allein diese Zusprache wolte nicht Platz greifen. Guͤte wiegelte sie noch mehr auf, bis sie, dem zu- rechtbestaͤndigen Contrakt zuwider, der mit der Hochwohlgebohrnen Gutsherrschaft ver- abredet, getroffen und geschlossen ist, das weite suchte, nachdem sie vorher ihrer Haͤnde nach E e 4 unrech- unrechtem Gute ausgestrecket, und verschie- dene Sachen und Baarschaft Geld und Gel- deswerth diebischer Weise mitgenommen. Comparent zeiget ein Verzeichnis vor, und verbindet sich solches bey der kuͤnftig wi- der seine Tochter zu eroͤfnenden Untersuchung zu den Akten zu legen. Es wird dem Comparenten aufgegeben abzutreten; allein vor dem Abschluß des ge- genwaͤrtigen Verhoͤrs sich nicht zu entfernen. Das Verzeichniß der entwandten Sachen bleibt in richterlichen Haͤnden, um davon bey diesem Verhoͤr Gebrauch zu machen. Ob es gleich aus dieser vaͤterlichen An- zeige schon vollstaͤndig erhellet, daß mehr be- sagte Wilhelmine — — — a ) Als eine Dienstfluͤchtige sich selbst zur wohlverdienten Straf’ und andern zum schreckenden Beyspiel dingfest zu machen, nicht minder, daß Wilhelmine — — — b ) unstrittig als eine Diebin zn nehmen, die nicht als eine ausgetretene Person et- wa blos der Dieberey bezuͤchtiget worden, sondern deren Diebstal voͤllig am Tag’ ist; so so sind doch, um die Sache noch mehr zu er- gruͤnden, einige Zeugen wegen der Dienstflucht der Wilhelminen — und ihrer Dieberey ver- nommen. Des Herrn v. E. Hochwohlgebohrnen benahmen eine lange Reihe von dergleichen Zeugen, wovon aber nur einige zum Verhoͤr vorgelassen werden. Der erste unter diesen Ausgewaͤhlten ist: Johann Peter Beifuß, von welchem, nachdem er wohl ermahnet worden, die reine Wahrheit zu sagen, folgendes vorschrifts- maͤßig zum voraus bemerket wird. Er heißt Johann Peter Beifuß, ist ein Deutscher, und steht in Diensten Sr. Hochwohlgebohr- nen des Herrn v. E. Sein Alter ist sieben und dreyßig Jahr, und seine Religion die lutherische. Zur Sache. Wilhelmine — hat ihrer Geburt nach nichts solideres erwarten koͤnnen, als die Lage, in welche sie ihr Vater gebracht; indessen war ihr stoͤrrisches Betragen so unausstehlich, daß wohl sonst schwerlich jemand anders, als eine so gut denkende gnaͤdige Herrschaft so nachgebend seyn koͤnne: man gab, so vieler Hintergehung unerachtet, nicht alle Hofnung E e 5 auf, auf, sie auf den rechten Weg zuruͤck zu len- ken, dem aber die Laͤuferin bei aller Gele- genheit auswich. Von ihren ersten Lebens- jahren ist dem Zeugen zwar nichts genaues bewußt; indessen war Wilhelmine — — als eine dem Stolz und Eigensinn ergebene Person jederzeit bekannt, die Flitterstaat und Frechheit liebte; wie denn bey dem unerwar- teten Tode ihrer Mutter die Rede gefallen, daß sie selbige ins Grab geaͤrgert. Compa- rent besinnet sich sehr genau, wie Wilhelmine — — bey dem Begraͤbniß ihrer Mutter so leichtsinnig gewesen, daß sie, anstatt ihre Augen auf den Sarg zu heften, mit selbigen herumgeschweift und flankirt, auch solche zum allgemeinen Aergerniß einem jungen Menschen zugebracht, mit dem sie ein unan- staͤndiges Verkehr getrieben. Comparent ste- het an, diesen jungen Menschen zu nennen, obgleich die Sach’ an sich jedermann, jung und alt bekannt seyn soll. Die Steine wuͤr- den schreyen, fuͤgt’ er hinzu, wenn nicht je- dermann, jung und alt, in — — wo die Laͤuflingin zu Hause gehoͤrt, reden solte. Ich selbst, faͤhrt er fort, bin ein Augen- und Ohrenzeuge gewesen, wie Wilhelmine — — den gnaͤdigen Ermahnungen des Herrn v. E. Hoch- Hochwohlgebohrnen widerstand, die doch nichts, als ihr wahres Heil, bezweckten. Mit ihrem leiblichen Vater lebte diese heillose Wilhelmine — — in einer aͤrgerli- chen Feindschaft. Der ehrliche Mann, der auch am besten weiß, wo ihm der Schuh druͤckt, wollte zur zweyten Heyrath schreiten; allein Mine vertrat ihm den Weg, das macht’ in der ganzen Gemeine gewaltiges Aufsehen; indessen ging es ihr vor genossen aus, und sie kam jezt und immer ungeschlagen davon. So viel weiß Zeuge gewiß, daß die Er- mahnungen des Herrn v. E. Hochwohlgebohr- nen an die Entwichene von keiner Haͤrte be- gleitet gewesen, und daß der Zwang sie viel- leicht weit eher in das Verhaͤltniß gebracht haben wuͤrde. Sie haͤtt’ einem jeden als eine solche geschienen, die fuͤhlen muͤßte, weil sie nicht hoͤren wolte. Ihr Beispiel hat so gar viele von ihrem Gelichter zu einem glei- chen Aufruhr gegen die Wohlmeynung des Herrn v. E. Hochwohlgebohrnen gelenkt, der nur eben die Guͤter angetreten, und die Liebe selbst waͤre. Sonst sey die Fluͤchtlingin nicht uneben, wend’ aber sowohl Geistes als Leibes Gaben nicht nicht zum Nutz des Raͤchsten an, wie aus dem obigen sich ergeben wuͤrde. Nichts sey zuverlaͤßiger, als der Dieb- stal, oder die Diebstaͤle, denn schwerlich koͤnnte die Laͤuflingin auf einmal so viel ent- wendet haben, wer weiß es nicht, faͤhrt Com- parent fort, daß sie im Dorfe viele gestohlne Sachen versilbert? und daß sie eine Menge Sachen in Paͤcken mitgenommen? Den eigent- lichen Werth des Diebstals kann Comparent zwar nicht abwiegen; indessen glaubt er, daß ohne viele Stuͤcke nach dem Lieblingswerth zu wuͤrdigen, der Diebstahl wohl ein hundert Reichsthaler Albertus wiegen und betragen koͤnnte. Comparent bedient sich des Aus- drucks, da er die Verschlagenheit der Wil- helmine — — und ihre Verkleisterungs- und Verflechtungskunst beschreiben will, sie sey Verstandflink, und versichert, daß sie sich in einen Engel des Lichts luͤgen und ausstaffi- ren koͤnnte, welches zur Steuer der Wahr- heit mit verzeichnet wird. Auf die Frage, ob und in wie weit Comparent Leute nahm- haft zu machen wuͤßte, denen Wilhelmine — — — Sachen verkauft? erwiedert’ er: ich kann viele nennen. Die Amtmannin — — Die Die Schwester dieser Amtmannin, ein noch unverheyrathetes Maͤdchen, fallen ihm urploͤtzlich ein. Es ist so gewiß, als irgend etwas seyn kann, und als meine Aussag’ ist, sagt Comparent, daß Wilhelmine — — laͤngstens Handel und Wandel getrieben, wo waͤr’ auch ihr Prunk hergekommen, wenn es nicht unrichtig zugegangen waͤre? Es wird dem Comparenten woͤrtlich seine Aussage vorgehalten, welche er in allen Punkten sich zueignet. Von den Umstaͤnden der Flucht weiß Beifuß nichts zuverlaͤssiges; indessen giebt er an, wie Kegler hievon vollstaͤndig unterrichtet sey, indem er ihr auf Hochwohlge- bohrnen Befehl nachgesetzet, und uͤberlaͤßt es der Erkenntniß, ob und in wie weit dieser Martin Jakob Kegler noch zum Verhoͤr zu ziehen seyn werde? Martin Jakob Kegler wird vorgefordert, wohl ermahnt, die reine klare Wahrheit aus- zusagen, und solche nicht zu lassen, um Lieb oder Leid, um Freundschaft oder Feindschaft, um Geschenk oder Gabe, und um keinerley Ursach willen. Vorlaͤufig wird bemerkt, daß Comparent Martin Jakob Kegler heiße, im Hofe wird er Jakob genennet. Er ist im Dienst Sr. Hochwohlgebohrnen des Herrn v. E. v. E. Seine Religion ist die lutherische. Alt ist er fuͤnf und zwanzig Jahr. In Ruͤck- sicht der Sache selbst stimmet er in seinen Aussagen mit dem Beyfuß puͤnktlich: außer daß er wegen der Flucht der Wilhelmine — — — noch folgende Umstaͤnde nachtraͤgt: Es ward ihm aufgegeben, die Fluͤchtlin- gin einzuholen, nachdem ihre Flucht und ihr grober Diebstal zu jedermanns Wissenschaft drang. Nach einigen fruchtlosen Bemuͤhun- gen war er wuͤrklich so gluͤcklich, sie auf der Flucht zu erspuͤren und zu bezirken, da indes- sen sein Auftrag sich nicht weiter erstreckte, als die Laͤuflingin guͤtlich zur Ruͤckkehr zu bequemen, blieb er bey der Verfolgung dieser Laͤuflingin unbewaffnet. So bald er sie traf, machte sie einen Schrey, welcher ihm zwar sehr auffiel; indessen haͤtt’ er sich eher den Tod, wie er bemerkt, als die Folge vorgestelt, welche dieser Schrey wuͤrklich gehabt: denn es war ein Huͤlfs- und Nothzeichen, und sogleich stuͤrzte eine starke Mannsperson auf ihn zu, mit einem Messer, mit welchem sie den Comparenten nicht etwa bedrohete, son- dern sie stuͤrmte los auf ihn, und wuͤrd’ ihm auch wuͤrklich auf der Stelle das Leben genom- genommen haben, wenn er sich nicht zu ret- ten gesucht haͤtte. Wilhelmine — — forder- te diesen Moͤrder mit Gebehrden und Wor- ten auf, setzt’ Comparent hinzu, mich zu ver- folgen; indessen war mein Pferd aller dieser Bemuͤhung uͤberlegen. Dieser ungluͤckliche Vorfall brachte den Comparenten nicht ab, der Fluͤchtlingin nachzusetzen, vielmehr sprengt’ er ins naͤchste Dorf, um sich zu verstaͤr- ken. Er hatte Muͤhe wegen der Feldarbeit, ein Paar Maͤnner fuͤr Geld und gute Worte zu Stande zu bringen. Er ritte mit zwey herz- haften Begleitern — wir alle drey, wie die Baͤren, sagt er, allein Wilhelmine und der Moͤrder (anders kann ich ihn nicht nennen,) waren nicht aufzufinden — ihre Staͤte war nicht mehr. — Wir ritten ins Kreuz und in die Queer, bis in die sinkende Nacht hinein. Auf die Frag’, in welchem Verhaͤltniß Com- parent den Moͤrder gegen Wilhelminen ge- funden? und was sich eins gegen das andre angemaaßet? erwiedert’ er, um seine eigene Worte beyzubehalten: Ich halt diesen Kerl fuͤr nichts weniger, als ihren Liebhaber, wohl aber fuͤr einen, den der Liebhaber gedungen haben koͤnne, ihr sicher Geleit zu geben. Ohn- fehlbar schlief Mine, da ich sie entdeckte, und schon schon die Entfernung des Moͤrders bei dieser Gelegenheit beweiset meine Meynung. Ob Wilhelmine zu fahren, oder zu rei- ten, oder zu Fuß gewesen, weiß Comparent nicht anzugeben, der sehr bedauert, daß Se. Hochwohlgebohrnen ihm, dieses Vorfalls we- gen, einen großen Theil des vorigen gnaͤdi- gen Zutrauens entzogen: so daß ihm, wenn selbst er ein Schuldgenoß, Mitgehuͤlfe und Theilhaber von dieser Laͤuflingin gewesen, nicht ungnaͤdiger begegnet werden koͤnnte, in- dem Guͤte und Wohlwollen die Hauptzuͤge an Sr. Hochwohlgebohrnen waͤren. Seine des Comparenten Wuͤnsche, die er mit gefaltenen Haͤnden thut, gehen dahin, daß Wilhelmine — — als eine Landstreicherin, Die bin und Mord- befehlshaberin, dingfest gemacht und zur Be- strafung eingeliefert werden moͤchte, und daß alsdann nicht Gnade fuͤr Recht gienge, wie er aber, nach der Milde Sr. Hochwohlge- bohrnen, nach vielen belebten Datis, be- fuͤrchten muͤste. Nachdem dem Comparenten seine Aus- sage woͤrtlich vorgelesen worden, und er ihr in alle Wege beygestimmet, wird er abgelassen. Bey der kleinsten Nachfrage findet sich vor, daß Wilhelmine — — weit und breit gestohl- gestohlne Sachen verkauft. Um die Akten nicht ohne Noth zu haͤufen, schrenkt man sich auf die laudirte Amtmannin und ihre Schwester ein, welche bey all n Anstrichen und Bemaͤntelungen, die sie der Sache zuwen- den, jedoch so viel unverdreht eingestehen, daß sie Waͤsch’ und Kleider, wenige Tage vorher, da Wilhelmine entsprungen, gekaufet. Sie versichern, daß sie auf keinen hoͤsen Gedanken gefallen, da Wilhelmine — — schon sonst Kopfputz und andere Stuͤcke ihnen kaͤuflich uͤberlassen. Diesesmal, sagt die Amtmannin, war das erstemal, daß sie nicht unmittelbar mit uns handelte, sonst geschah es nie durch die dritte Hand, sondern vor aller Welt Au- gen und Ohren, und allen andern Sinnen. — Diesmal war das erste mal, daß die Sachen unter der Vorspiegelung zu uns gebracht wur- den, die Person, welcher diese Stuͤcke als Ei- genthuͤmerin zustuͤnden, sey in Geldverlegen- heit und nothgedrungen, dies und das aus- zustossen. Beyde, sowohl die Amtmannin als ihre Schwester, bekennen, aus vielen Umstaͤnden gemerkt zu haben, daß Wilhel- mine — — bey diesem Verkauf unter der Decke spiele, gewiß aber, fuͤgen sie hinzu, wußten wirs nicht. Sie bitten instaͤndigst, Zweiter Th. F f es es zu verguͤnstigen, daß sie diese Sachen, da sie solche nicht unter den Werth berichti- get, behalten und nicht auszuantworten moͤ- gen angewiesen werden. Nebenumstaͤnde findet man nicht noͤthig diesem Protokol einzuverleiben, welche diese beyden lezten Personen, nemlich die Amt- mannin nnd ihre Schwester, eingestreuet. Alle Broͤdlinge des Herrn v. E. Hoch- wohlgebohrnen treten den Aussagen des leib- lichen Vaters der Laͤuflingin bey, und be- kunden, daß diese Wilhelmine — — ein verhaͤrtetes verdorbenes Herz besitze, und sich durch die gnaͤdigsten Verheißungen der Hochwohlgebohrnen Gutsherrschaft, sie aus- zustatten, und den Kranz zu bezahlen, nicht auf andere Wege lenken lassen; wie sie denn geflissentlich, vorsetzlich und arglistig, Zwi- stigkeiten, Irrungen und Verschiedenheiten erreget, die klarsten Dinge verflochten und verdrehet. Mit diesen Gesinnungen verein- barte sie auch oben ein die verteufelte Scha- densfreude, so daß, um die Sache kurz zu fassen, diese Person, welche schnoͤde zu han- deln sich zur Gewohnheit gemacht, und ih- res Blendwerks von Gesicht unerachtet, den Satan im Herzen gehabt, Untersuchung und Be- Bestrafung verdienet. Es strahlt aus vie- len Umstaͤnden hervor, wenn es gleich nicht durch aͤußere Kundgebung an den Tag ge- legt worden, daß Wilhelmine — — falls sie nicht anders ihre Absichten erreichen koͤn- nen, sich aus einem Mordmesser kein Ge- wissen gemacht haben wuͤrde. Der Vater der Ungluͤcklichen ward noch vor dem Abschluß dieses Protokols vorgelas- sen, welcher vor Wehmuth sich nicht zu ber- gen weiß. Da ihm indessen von Sr. Hoch- wohlgebornen, seinem gnaͤdigen Goͤnner, ein Wort des Trostes verehret wird; so be- ruhiget er sich in der Hofnung, daß, da er sehr leicht selbst in seinem guten Ruf durch diesen Vorfall leiden koͤnnte, allererst die kuͤnftige auszuuͤbende Strafe an seiner ent- laufenen Wilhelmine, Vater und Tochter unterscheiden, und ihn in die Achtung des Hochwohlgebohrnen Publikums zuruͤcksetzen wuͤrde, die von je her der Gesichtspunkt sei- ner Handlungen gewesen. Um diesen be- draͤngten Vater nicht noch mehr in die Enge zu bringen, hat man ihm viele Stellen aus diesem Verhoͤr verschwiegen, und dieses Protokoll, in so weit es seine Aussag’ ent- F f 2 haͤlt, haͤlt, von ihm in sidem unterzeichnen lassen. Actum ut supra . Namen des Justizbeamten — Namen des Herrn v. E. — Namen des Hermanns — Ists moͤglich! — Mehr als diesen Ausruf kann ich nicht. Ists moͤglich! — Nichts ist mir von je her herzschneiden- der gewesen, als wenn die Bosheit ihre Luͤ- gen mit ein wenig Wahrheit salzet und wuͤr- zet, und sie dann auftischet, und wie war euch zu Muth, ihr edlen Leserinnen, da Jo- hann Peter Beifuß Minen einen Muttermord, eine Grabesschaͤnderey anruͤget? — und wie! da er unsere engelreine Liebe schaͤndet und laͤ- stert. Wie, edle Seelen? Eine Luͤg’ ist schaͤnd- lich; allein sie ist es um die Helfte weniger, wenn nichts von Wahrheit eingemischt ist. — Das ist ein ehrlicher Luͤgner, der so luͤgt! und fast wolt’ ich behaupten, daß solch ein recht- schafner Luͤgner nicht vom Vater, dem Teu- fel, in gerader Linie abstamme; allein der ist der Teufel selbst, der ein Schild der Wahr- heit aushaͤngt, um desto besser Mord und Toot- schlag im Hinterhalt zu verstecken. — Solch ein Giftmischer! solch ein Hostienverfaͤlscher von Luͤgner, welch ein Scheusal! — Verzeiht Leser! ich bin ein Mensch, und Mine ist ein Engel! — Die Regierung in Mitau fand nichts unbilliges in dem Gesuch des Herrn v. E., das von den Herren α, β, γ, mit einem gerichtlichen Verhoͤr ausgestattet ward, und das Requisitorialschreiben an die Preußische Landesregierung ward ohne An- stand bewilliget. Ich koͤnnt’ es woͤrtlich mit- theilen; allein warum? Hier ist die treffen- de Stelle: Ew. Ew. Excellenzen werden sich aus die- sen Umstaͤnden uͤberzeugen, aus was fuͤr Gruͤnden wir das unterthaͤnigst gehorsamste Gesuch des Wohlgebohrnen v. E. verstattet, und da der ausfuͤhrliche Vortrag der Sache, welcher durch gerichtliche Verhoͤre bestaͤrkt worden, uns der Pflicht uͤberhebt, noch naͤ- here Aufschluͤsse beyzufuͤgen; so begnuͤgen wir uns, die ausdruͤckliche Versicherung zu erthei- len, daß von Seiten dieser Herzogthuͤmer in gleichen Faͤllen eine gleiche Gerechtigkeit be- wiesen werden soll. Der Verlust dieser an sich unbedeutenden Person, kann den Wohl- gebohrnen v. E. freilich nicht bestimmen, die nach Preußen verlaufene Wilhelmine — — — wieder zuruͤck zu suchen; allein die Fol- gen sind zu bedeutend, die dieser Vorfall, F f 3 wenn wenn er nicht eingelenkt wuͤrde, dem Wohl- gebohrnen v. E. und der ganzen Gegend zu- ziehen doͤrfte. So wie aus den gleichmaͤßig in der Anlage bis zur Vollstaͤndigkeit ge- brachten Gruͤnden sich ergeben wird, warum der Wohlgebohrne v. E. alle Untersuchung in Preußen verbeten; so treten wir des Endes, so wie in allem, so auch in Ruͤcksicht dieses Theils seines Gesuchs, ihm bey, und sehen uͤberhaupt der geneigtesten Erfuͤllung dieser unsrer Wuͤnsche um so zuversichtlicher entge- gen, als Ew. Ew. Excellenzen uns jederzeit von einer so großen Gerechtigkeitsliebe, als nach- barlichen Gefaͤlligkeit, beweisende Proben ge- geben. Wir verharren mit vollkommener Hochachtung, Ew. Ew. Excellenzen ergebenste Diener Mitau den — — Oberburggraf 17 — — Canzler — Landhofmeister — Landmarschall. Die Antwurt der preußischen Regierung: Hochwohlgebohrne, Insonders Hochgeehrte Herren, E. Hochfuͤrstl. Herzogl. Curlaͤndschen Re- gierung erwiedern wir auf das gefaͤllige An- schrei- schreiben vom — 17 — wie wir sogleich den erforderlichen Auftrag an die Behoͤrde erlassen, die aus Curland entlaufene Wilhel- mine — — uͤber die im Angesuch des cur- schen von Adel v. E. enthaltene Umstaͤnde, welche durch ein gerichtliches Protokoll be- kraͤftiget worden, vorschriftsmaͤßig zu verneh- men, und nach diesem Verhoͤr wegen ihres Arrestes die noͤthigen Verfuͤgungen, die wir ihm auf alle Faͤlle zugemessen, werkthaͤtig zu machen, weil wir, ohn’ ein mit dieser Per- son gehaltenes Verhoͤr, uns in der Sach’ entscheidend zu erklaͤren ausser Stande sind. Wir haben die Ehre mit vollkommener Hoch- achtung zu seyn, E. Loͤbl. Herzogl. Curlaͤndischen Regierung Freund- und Dienstwillige N. N. N. — Zu gleicher Zeit ein Auftrag an das — — Collegium, Minen durch einen Deputatus zu vernehmen, und, wenn sich die Umstaͤnde protokollgemaͤß und nach dem curschen An- schreiben verhielten, sie sogleich dingfest zu machen, und zu dem Ende dem zu ernennen- den Commissarius zugleich ein Gesuch an die F f 4 naͤch- naͤchste Guarnison mitzugeben, um davon, wenn die Laͤuflingin gefaͤnglich eingezogen werden sollte, einen augenblicklichen Gebrauch machen zu koͤnnen. Solt’ indessen Mine Milderungs, oder gar Aufhebungsumstaͤnde, fuͤr sich anfuͤhren, oder auch nur die wider sie angebrachte Klage zu entkraͤften vermoͤ- gend seyn; so koͤnnte sie zwar nicht in feste Hand genommen, und in engere Verwah- rung gebracht werden; indessen scheinen so viel Umstaͤnde wider sie einzutreten, daß wenn gleich dieser Kummer nicht nachgeblich waͤre, dennoch eine genaue Aufsicht ihrer Person, oder wenigstens eine hinreichende Caution, anzuordnen seyn wuͤrde. Von allen diesen Vorgaͤngen solt’ ein so schleuniger, als ge- nauer Bericht erstattet werden. Das Ruͤckschreiben der preußischen Re- gierung fand in Mitau keinen, am wenig- sten den vollwichtigen Beyfall, und da es dem Wohlgebohrnen v. E. in Abschrift zuge- fertigt ward, ließ er sogleich, wie Pharao, da er von den sieben fetten und sieben ma- gern Jahren getraͤumet, den hohen Rath der Traͤume: und Zeichendeuter α, β, γ, zu sich kommen und anstatt der ersten Frage: Was Was ist zu thun? fragten Se. Hochwohlgebohrnen: Was nun? und schienen nicht undeutlich zu verstehen zu geben, daß bey allen bewiesenen Merkzei- chen der Einsicht und Geschicklichkeit die Her- ren α, β, γ, kein Gluͤck haͤtten. Jeder der Herren α, β, γ, behauptete, daß er von Gluͤck sagen koͤnnte, und schrieb alles fluchs auf die Rechnung der preußischen Staaten, die der Teufel ihnen zur Nachbarschaft zugewiesen haͤtte. Hab ich nicht gesagt, fing Herr β an: aus der Hoͤlle ist keine Erloͤsung! Mit ihrer Erlaubniß, Herr College, erwiederte Herr α, aus der Hoͤll nicht, wohl aber aus dem Feg- feuer. Wenn man, fuhr dieser Kopfhalter fort, auf meine unvorgreifliche Meynung, an den Koͤnig selbst zu gehen, stimmige Ruͤcksicht genommen; die Sache waͤr’ in einer andern Lage. Ich lasse meinen Kopf in einer andern — vielleicht in einer gefaͤhrlicheren, bemerkte Herr v. E., und jeder, selbst Herr α, trat ihm bey mit einem Vielleicht! — Wenn ein Bollwerk erklettert werden soll, muß eins da seyn, und dies suchten die Her- ren α, β, γ, in der groͤßten Geschwindigkeit zu schuͤtten und zu haͤufen. F f 5 Man Man that, ohne auf die gegebene Frage: Was nun? das Auge zu richten, wie gewoͤhn- lich verschiedene Ausfaͤlle, und hatte dagegen Einfaͤlle, bis der Herr v. E. die in die Irre ge- henden Rechtsgelehrten zusammen rief und fest hielt. Was nun? sagte jeder. Herr v. E. wolt’ an der Abschrift des koͤnigsbergschen Ruͤckschreibens ein Exempel statuiren, und sich daran vergreifen; indessen ließ er sich bedeu- ten, und sah zu rechter Zeit ein, daß es nur Papier — und, was noch mehr war, eine cur- sche Abschrift sey. — Endlich und endlich war noch ein erneuertes und geschaͤrftes Anschrei- ben nach Koͤnigsberg verabredet, geschlossen, und getroffen. Hie und da bitter, und hie und da wieder suͤß. Laͤndlich, sittlich, sagte Herr β. Es ist nicht so ganz ohne, daß man Wilhelminen — — zuvor verhoͤrt. Audiatur et altera pars, und wenn, setzt er hinzu, und wenn Preußen alle seine Unterthanen recla- miren sollte, was meynen Sie, mein Goͤn- ner und meine Herren? wer wuͤrde mehr ver- lieren, Curland an Wilhelminen, oder wir an so vielen wuͤrdigen Praͤpositis, Pastoren, Aerzten und Rechtsgelehrten? Bey dem lez- ten Wort ließ er die Stimme fallen, und man besann sich, daß Herr Collega aus Preus- sen sen waͤre — welches so ganz dreist heraus zu behaupten, er ohnfehlbar außerhalb der Jahreszeit hielt; da Herr v. E. so sehr geruͤ- stet schien, sich an allem, was preußisch war, zu vergreifen und ein Exempel zu statuiren. Herr α nannte diese Zuruͤckhaltung, um zu zeigen, daß er durch das preußische Ruͤckschrei- ben nicht Kopfscheu geworden waͤre, wie ei- ne Katze um den heißen Brey gehn . Er sa- he den Herrn β steif und fest an, und man merk- te, daß er seinen Einwand aus dem Grunde widerlegen wollte. Schon recht, sagte Herr α, allein Preußen hat noch keinen Praͤpositus, Pastor, Arzt und Rechtsgelehrten, unter de- nen ich einen guten Freund habe, den wir alle kennen, gefordert: wir aber fordern Wilhel- minen. — Was das Fordern anbetrift, wolte Herr β fortfahren, indessen schlug Herr α vor, das Wiederholungsschreiben noch ein- mal vorzulesen, und punktatim zu bepruͤfen. Es ward als eine Zugabe festgesetzet, daß es nach drey Wochen allererst abgelassen, und, falls in dieser Zeit eine Definitivantwort aus Preußen kaͤme, nach Bewandniß derselben mit diesem Entwurf verfahren werden sollte. Diese Erzaͤhlung ist wieder ein Auszug aus genau gefuͤhrten Protokollen und den muͤnd- lichen lichen Zusaͤtzen des Herrn —, der eben jetzo bei mir ist, und nie, wie er sagt, an diese Erst- linge seiner rechtlichen Arbeiten zuruͤckdenken kann, ohne daß ihn ein Herzensfieber, Kaͤlte und Hitz’ ergreift, es ist ein guter Mann und kein α, β, und γ, obgleich er beim α das Handwerk gelernt hat. Eine Einschaltung, die freylich zu die- sem Rechtskram wunderlich abstechen wird. — Eine Eul’ unter den Kraͤhen. — Herr v. E., das zeigt freilich sein Krieg und Kriegesgeschrey, — fand fuͤr gut, Mi- nen zu lieben, und alles, was ich thue, wie er es dem Vater Herrmann, (bald haͤtt’ ich dem Vater, dem Teufel geschrieben,) sagte, geschieht aus lichterloher Liebe. Dieser Boͤse- wicht sprach das Wort Liebe, so wie die Teufel den lieben Gott aus, und fand fuͤr gut, Mi- nen zu lieben — ein Teufel einen Engel! — Sie, nur Sie! alles, was ich bisher ge- liebt habe, ist Staub, Erd’ und Asche — schrie Er! Ich vergaß alles, was ich je von Mutter- leib’ an geliebt habe, seitdem ich sie sahe, sie hoͤr- te, und ihre Hand druͤckte. So sehr liebt’ ich Sie so rein! — Sie schwebt mir vor Seel’ und Sinn! Sie, nur Sie! nur Sie! rief er mal uͤber mal, und kuͤßte den Herrmann, der nicht wußte, wie wie geschwind er die Hoch wohlgebohrne Hand erhaschen sollte, um ihr diesen Kuß ganz warnt wieder abzugeben, — bald jagt’ er den Herr- mann zu allen Teufeln, und sah ihn als den Raͤuber dieses Kleinods an. — Dann wieder wie in Gedanken, wie vor sich. Wenn ich denk: sie in Preußen! im Soldatenlande, o dann ist mir, als wenn ich Gift eingenommen haͤtte, und hab ichs nicht? Es wuͤtet in meinem Eingeweide. Es schneidet in mir! Ist denn kein Gegengift? Da lieg ich! Ein abgerissener Ast, der von seinem Baum getrennt ist und welkt, wahr- lich ich welke! Herr, schrie er auf, zu Herr- mann, nicht wahr? ich welke? — Herrmann jubelfroh, daß er auf keine categorische Antwort bestand, buͤckte sich bis auf die Erde. — Sie haͤtte was aus mir gemacht! Sie haͤtte gemacht, daß ich den Testamentsnickel geliebt haͤtte. Minen zu Gefallen haͤtt’ ich es, und was haͤtt ich nicht alles, ihr zu Gefallen! — Ihrer Liebe zu Gefallen! Hin ist sie — hin! hin! und Satanas weiß, welch ein Gluͤcklicher auf mein Fundament bauet. (Ich fiel dem Herrn v. E. ein. Ich bin eifersichtig, schrie er wieder, zum rasend werden! Die blaue Farbe, wo wo ich sie sehe, martert mich, denn — — war blau gekleidet. — Auf die Art, Hut und Haarlocken und Stiefel zu tragen, und auf al- les, was sein war, bin ich gallenbitter boͤse! — Was ich geschrieben habe, das hab’ ich geschrieben, was ich habe schreiben lassen, das hab’ ich schreiben lassen. — Bin ich nicht mehr, viel mehr gefangen, wie sie. Ich! ich! sitz’ im Kefig. — Laßt mir die Freud’, in die Stangen des Kefigs zu beis- sen. — Wenn jedwede ein und einzige Liebe, Adam und Evasliebe, solche Leiden macht; so sind es Einfaͤlle von Milzsuͤchtigen, eine ein- zige Liebe! wer kann so lieben und leben? — Sonst war mein Stolz, in der Liebe wetterwendisch zu seyn. Diese Grundsaͤtze haben sich verlaufen, und das erschreckliche Gericht der Bestaͤndigkeit ist uͤber mich eroͤf- net. Weh mir! daß ich bestaͤndig bin! weh! weh mir! daß ich es bin! — — Vergieb mir diese Wehs, liebe Mine, vergieb sie mir, wohl mir, daß ich bestaͤndig bin, wohl — wahrlich eine ganz nagelneue Erfindung fuͤr mich! — Haͤtt’ ich ihr nur einen Kuß ge- geben, so wuͤßt’ ich doch, wie’s waͤre, wenn man einen Engel kuͤßt. — Ihren Othem hab’ ich von fern geschmeckt, und wie Veil- chen chen und Rosenduft eingesogen! — Meynt ihr denn, lieben Freunde, daß ich sie hasse, ihr aus Wuth mit Ruͤge und Bezuͤchtigung nachsetze, meynt ihr? Ich kann nicht Ohs und Achs rufen; allein hier liegen sie Finger- dick im Herzen. Ich liebe sie. — Ich hasse sie, weil ich sie liebe, ich liebe sie unendlich. — Ein Schwanenbett soll ihr Gefaͤngnlß seyn: Liebe, die liebste Liebe, ihre Ketten. So bald die Nachricht eingehet: Mine ist einge- schlossen! — Entzuͤckt will ich schon uͤber diese unbetagte Schuld seyn! Entzuͤckt, noch ehe der Verfalltag kommt — all ihr Leiden sey wie abgeschnitten! Bis Memel soll sie zwar zum Schein leiden; der Teufel trau den preußi- schen Staaten, aber dann im Triumph! — Mine du bist mein, meine Gemahlin bist du! Dir gehoͤrt mein Herz. Mit deinem Auge will ich getrauet werden, mit dir Hochzeit halten, dir will ich das Ja zusagen, und es halten, so lang ein Stuͤck von mir ist. — Wenn gleich nicht vor der großen Welt, so doch im Stillen. — Im Stillen, wo’s sich am besten liebt. — Mine! Liebe gehoͤrt in die Stille zu Hause. — Mine, die verbotene Frucht schmeckt am suͤßsten. Waͤr’ alles Ge- bot und kein Verbot, so moͤchte der Teufel ein ein Mensch seyn! — Nur einen Versuch, Mine. Komm Mine! Komm — komm! Komm doch! wird sie kommen? — Was meynen Sie, rechtsgelehrter lieber Achseltraͤger! zum Protokollisten, den Herr v. E. nicht von sich ließ, um ohne Aufhoͤren zu fragen.) Wird sie? Wird sie? Dieser junge Mann, der den Herrn v. E. von Universitaͤten her kannte, war uͤber dies und jenes bey der Sache im Irrgarten, aus dem er sich end- lich herausgefunden haben wuͤrde, (obschon v E. auf die Art noch nie gelebt hatte, oder eigentlicher verliebt gewesen war,) wenn nicht Minens leiblicher Vater eine Rolle in diesem Stuͤcke gehabt. — — Herr v. E. litte wuͤrklich; allein so wie jeder Suͤnder leidet. — Kann man so etwas leiden nennen? Zuweilen war er stummdoll. — Man hatte Ursach seinetwegen zu fuͤrch- ten. — Der Protokollist hatte wuͤrklich Mit- leiden mit ihm; so nah wußt’ ers ihm zu le- gen. Koͤnnt’ ich doch weinen! sagt’ er einen Abend zu ihm, Herzensfreund, weinen! Wer kann es aber in der Hoͤlle? Haͤtt’ es der reiche Mann gekonnt, wuͤrd’ er nicht noͤthig gehabt haben, einen Tropfen Wasser zu bet- teln — teln — und dann wieder: „Freund! wenn „die Hoͤll aͤrger seyn kann, ist kein Gott im „Himmel!„ — Wuͤrde Mine auch nur in Mitteldingen, (wenn es dergleichen giebt,) ergiebiger gewesen seyn, Herr v. E. wuͤrde sie geliebt haben, wie er sonst zu lieben gewohnt war. — Ihr edler Ruͤckhalt, ihre heroische Flucht, bracht’ ihn mit zu diesem, ihm sonst wildfremden Schwung — — — Der Justizrath — — (wir sind wieder in Preußen,) ward vom Direktor, als das A und Q im Collegio, zu diesem Geschaͤft ausersehen und eben, weil er ausersehen, war, wollt’ er ein Meisterstuͤck liefern. Er lernte fast das Gesuch des Herrn v. E. an die cursche Regierung, und das Protokoll auswendig, um ja keine Sylbe ungetrof- fen zu lassen. Folgender Entwurf zu den Fragen an die engelreine unschuldige Mine, kann von seinem Diensteifer ein Proͤbchen abgeben. Es konnte sich der Deputatus nichts gewissers denken, als daß Mine alles und jedes waͤre, wozu sie das feine cursche Protokoll, und dessen Ueberrock, das verklei- sterte gekuͤnstelte Gesuch des Herrn v. E., ma- chen wolte. Dieses blinde Zutrauen zu ei- nem gerichtlichen Protokoll bestimmt’ ihn, den Zweiter Th. G g Re- Requisitorialbrief an die Guarnison noch eher abzusenden, als er Minen gesehen und ge- hoͤrt hatte. Eine Meile vor L — — sand’ er, nachdem er nochmals alles uͤberlesen, und das Volwort des Protokolls ihn uͤber- schienen hatte, den Requisitorialbrief ab. Den Erfolg dieser Absendung wolt’ er eben hier und eine Meile vor L — abwar- ten. Es kann seyn, daß auch etwas Furcht vor dem starken Kerl, der dem Martin Ja- cob Kegler so schwer gefallen, zu den Ingre- dienzen dieser Eilfertigkeit und dieses Vorlauts gehoͤret. — Zwar erfolgte keine schriftliche Antwort; allein es erfolgten ein Unterof- ficier und zwey Mann, die sich Verhaltungsan- ordnungen ausbaten. Einen Augenblick, sagte unser Scharfrichter, denn er uͤbersah noch seine Fragstuͤcke, und fand sie hie und da nicht band- fest. Einen einzigen Augenblick, sagte unser Justizrath; allein es waͤhrte eine Stunde. — Ein Proͤbchen von unserm Justizrath — Promemoria in Untersuchungssachen wider die aus Curland entlaufene Dienstbotin und Diebin Wilhelmine — — ihre vor- laͤufige Abhoͤrung und Haft betreffend. Nach den gewoͤhnlichen Fragen: Namen Namen? Geburtsort? Vaterland? Eltern? Wer ihr Vater sey? (Es ergiebt sich nicht aus den Akten — unterthaͤnig ist sie nicht.) Bey der Mutter, ein Wort zu seiner Zeit. Wie alt? Religion? Wozu noch außerhalb der Linie kommen koͤnnte: ob sie vom vierten Gebot unterrich- tet? und mit den Pflichten bekannt sey, die sie allen denen, die Gottes Bild an sich tra- gen, welches im gegenwaͤrtigen Fall Herr v. E. waͤre, schuldig? Des Vaters Segen bauet den Kindern Haͤuser. Stof zur dreyfachen Ermahnung — Bleib’ im Lande und naͤhre dich redlich. Ob sie das siebente Gebot Gottes wisse? Geschaͤrfte Ermahnung! Ob das fuͤnfte Gebot Gottes? Wer luͤgt, stiehlt auch, und wer stiehlt, mordet — Eine Erschuͤtterung !!!! Wer Menschen Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden. G g 2 Ob Ob sie nicht alle zehn Gebote Gottes uͤber- treten, und ob, wenn noch mehr als zehn waͤren, sie nicht auch die mehrere mit Fuͤßen gestoßen? Es giebt nur ein Laster, nur eine Tugend. Einmal eins ist eins. Das gegebene boͤse Exempel ist wie eine Brandstiftung; wenn man auch gern die Flamme hemmen wolte, kann man? Donner und Blitz — Vogel friß, oder stirb! Nach diesen Vorbereitungsfragen: Ihr stehet vor Gott und der Obrigkeit, die von ihm geordnet ist, pruͤft euch, ob ihr mit dem Vorsatz hergekommen, Gott die Ehre zu ge- ben, und die reine ungeschminkte Wahrheit zu bekennen? Ist es nicht euer Vorsatz ge- wesen, sondern habt ihr geflissentlich Suͤnden mit Suͤnden haͤufen wollen; so verstockt we- nigstens auf dies Wort euer Felsenherz nicht. Das wenigste, was ihr thun koͤnnt, ist Bekenntniß und eine geduldige Unterwerfung in Ruͤcksicht der zeitlichen Strafe, die gegen die ewige leicht ist. Antwortet ohne Gleis- nerey und Kunststuͤck, aus dem innersten eu- res Herzens, und so, wie ihr es einst vor dem lezten strengen Richtstuhl Gottes zu ver- ant- antworten gedenkt, wohin, so jung ihr seyd, ihr uͤber ein kleines citiret werden koͤnnet. Wolt ihr? — Ehe noch Mund und Hand ans Werk ge- legt wird, die Recognition der Person, nach denen, wiewol im besondern Styl, uͤbersand- ten Angaben: Wuchs. Sie grenzt ans Maͤnnliche. Schlank, gesund, roth und weiß. schwarzes Haar, große Augen von der nemlichen Farbe, Spott und Hohn. Kraͤftiger Gang. Heuchlerin und Spitzbuͤbin von Hauß aus. Hauptpunkte : Sie hat ihre Mutter ins Grab gebracht — Ungehorsam, verstockt gegen ihren Vater Sie hat sich wider seine Heyrath empoͤrt. Warum? Kinder muͤssen auch wunderlichen Eitern gehorchen. Ihr Vater hat zu ihrem wahren Heil an eine zweite Heyrath gedacht. Viel- G g 3 leicht leicht weniger, um| eine Frau fuͤr sich, als eine Mutter fuͤr sie, zu haben. Er ist acht und funfzig Jahr! Ein schoͤnes Alter! Der Vater hat sie im Hof’ angebracht; sie ist aus dem Contrakt gelaufen. In welcher Qualitaͤt und Gestalt sie im Hof’ angebracht worden? (Es ist hievon in der Schrift mit keinem Jota gedacht, und solte doch. Ohne Zweifel als Cammerjungfer, Ausgeberin, oder so Etwas.) Warum sie diese gute Absichten vereitelt? und dem Herrn v. E. in seiner Wohl- meynung widerstanden, der doch die Liebe selbst sey, und der, wenn sie aus- gedient, sie gewiß zu seiner Zeit un- ter die Haube gebracht haben wuͤrde? Sie hat andere aufgewiegelt? (Dunkelheit.) Sie hat Verschiedenheiten und Zwist’ im Haus’ erreget. (Auch dunkel. Die Broͤdlinge sagen es zwar aus, Gott weiß aber wer? und warum?) Sie hat gestohlen? Was sie gestohlen? (Unzulaͤnglichkeit.) Wenn? (Ungewisheit.) Wen sie bestohlen? (Finsterniß.) Ob Ob sie noch von den gestohlnen Sachen etwas bey sich haͤtte? Wo sie die an- dern Sachen angebracht? Das Geld? Wider die Amtmannin und ihre Schwe- ster ist aller Verdacht der Mitwissen- schaft. Das Verhoͤr mit ihnen ist vol- ler Maͤngel. Da Inculpatin erst ge- rades Weges mit diesen beyden feinen Zeisigen gehandelt, haͤtte der Neben- weg, den Inculpatin jetzt einschlug, sie zum Nachdenken bringen sollen, wenn sie anders nachdenken koͤnnen. Es fraͤgt sich: Ob Inculpatin der Amtmannin und ihrer Schwester angezeiget, daß es gestohl- ne Sachen? Ob der Kopfputz, den die Inculpatin der Amtmannin und ihrer Schwester ver- kaufet, auch gestohlen Gut? Was es fuͤr andere Stuͤcke gewesen, wel- che Inculpatin der Amtmannin und ihrer Schwester verhandelt? (Andere Stuͤcke! wie unbestimmt!) Sie hat fluͤchtigen Fuß gesetzet. Wer ihr behuͤlflich gewesen? G g 4 Wer Wer der junge Mensch sey, mit dem sie in unregelmaͤßigem Verkehr gestanden? (Ein tiefes Stillschweigen im Protokoll.) Wie sie geflohen? ob zu Fuß? oder wie sonst? Sie hat zum Morde aufgefordert. (Gott sey ihrer Seele gnaͤdig! Beym ersten Ueberblick nahm ich schon die Sache der Inculpatin; allein, alles genau genom- men, ist sie nicht zu retten, um alles nicht.) Die starke Mannsperson. Der Schrey, als das Nothzeichen. Warum Inculpatin so gar diesen Boͤse- wicht, obgleich Martin Jakob Kegler sie bleiben lassen muste, welches sie sahe, aufgefordert, diesen Kegler, (im Hofe Jakob genannt,) zu verfolgen? Ob dieser starke Kerl allein sie begleitet? Ob noch wer mehr? Wer ihn zu diesem Mordgeschaͤfte gedun- gen? — — — Noch vor dem Verhoͤr das Haus besetzen. Den Wirth des Hauses an seinen des Koͤniges Majestaͤt geleisteten theu- ren Eid erinnern. Alles Alles im Hause zu erinnern, Ohne Er- laubniß mit der Inculpatin keine Ge- meinschaft zu haben. Die Inculpatin mit einer kurzen Anrede der Wache zu uͤberliefern: Da sehet ihr nun die traurigen Folgen eures Ungehorsams! Diese koͤnigliche Solda- ten, nicht wie die Engel bereit, zum Dienst derer, die ererben sollen die Seligkeit, son- dern fertig, Boßheit zu bestrafen, und Frev- ler zu bewachen, sollen euch vorerst an Haͤn- den und Fuͤßen geschlossen in feste Hand neh- men, und in engere Verwahrung bringen, damit ihr, nach eingezogenen naͤhern Ver- haltungsbefehlen, nach Memel gebracht, und von dort aus den Abgeschickten eures so anaͤ- digen Brodherrn des v. E. uͤberreichet wer- den koͤnnet! Wolte der Himmel, daß euch eure so grobe Verbrechen das Herz durch bohren, und ihr, noch ehe ihr dort! dort! eure Mut- ter vor Gottes Richterstuhl erblickt, euch mit ihrem Schatten aussoͤhnen moͤchtet! Wolte der Himmel, daß eure verfaͤlschte unlautere Seele noch gerettet, und ihr wenigstens die Hofnungen auf die andere Welt nicht aufge- ben doͤrftet, da in dieser fuͤr euch kein Ort abzusehen, wo ihr vor Vorwuͤrfen eures Ge- G g 5 wissens wissens, und anderer ehrlichen Leute, werdet sicher seyn koͤnnen. Eure Flucht nach Preus- sen ist euch gegluͤckt; allein euch selbst, und den Augen der Rechtschafnen, koͤnnet ihr nicht ent- fliehen! — Gehet hin zu eurem gnaͤdigen Herrn, werfet euch vor ihm auf die Knie. Ein gutes Wort findet ein gutes Herz! Viel- leicht, daß er euch seine gnaͤdige alles verzei- hende Hand zureicht, und eure Strafe nicht ganz genau mit eurem Frevel abmißt! Gehet zu eurem leiblichen Vater. Ob verlohrner Sohn, oder verlohrne Tochter, gleich viel! Wenn ihr von ganzem Herzen sagt: ich habe gesuͤndiget, im Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Kind und des Herrn v. E. Magd heiße; so wird er vielleicht so sehr durch Reue, durch eure ganze Buß- und Beichtandacht, erweicht, als ihn testantibus actis eure Boßheit und Got- tesvergessenheit erweicht hat! Sein Fuͤrwort wird den Herrn v. E., der die Liebe selbst seyn soll, voͤllig aussoͤhnen. Eure Jugend redet euch das Wort, und wenn euch Gott, nach ausgestandener Strafe, noch Leben und Gesundheit fristet, habt ihr noch Zeit und Raum, Gutes zu thun, die Leute, die ihr bestohlen habt, zu entschaͤdigen, und da Friede und und Ruhe zu stiften, wo ihr Zank und Zwist verbreitet habt. Seht! wie nahe liegt der Mord, das lezte schrecklichste Cainsverbrechen in dieser Welt, dem ersten Schritt vom rech- ten Wege! Wie nahe! — Wir werden uns schwerlich in dieser Welt mehr sehn, wie sehr aber wuͤrd’ ich mich freuen, wenn wir uns da zusammen finden wuͤrden, wo wir beyde Partheyen sind, und wo ich auch mein Rich- teramt dem, der mich damit belehnt hat, ab- zugeben verbunden bin. Thut eure Pflicht, brave tapfere Soldaten! nehmt diese Frevle- rin hin! — Vor der Hand kann sie nach — ins Gefaͤngniß abgeliefert werden, bis ihres weitern Transports wegen von hoͤherm Ort Verhaltungsbefehl erfolgt. Gott bekehre die Frevlerin! saluis omnibus. Dieses Promemorias wegen, musten der Unterofficier und die zwey Mann eine Meile vor L — einen so genannten Augenblick, der aber eine Stunde war, verziehen, indem der Deputatus noch hier und da ein Wort nahm und gab, und nun nach L — Das erste, was Deputatus vornahm, war die Belagerung des — — Hauses des verstor- verstorbenen — — und da er damit fertig war, gieng er gerade zu ins Hauß, und re- dete den Wirth ohn’ ihn zu sehen an: „Er moͤchte wohl bedenken, was er naͤchst „Gott Sr. Majestaͤt schuldig waͤre, nemlich „treu, hold und gewaͤrtig zu seyn, das Beste „Sr. Majestaͤt uͤberall zu befoͤrdern, Schaden „und Nachtheil aber zu verhindern„ und, nachdem er ziemlich weit in dieser Anrede ge- diehen, ward er erst gewahr, daß niemand, als ein altes Weib, vor ihm gestanden. Sie war, außer einer Katze, welche ihr selbst zu- gehoͤrte, die einzige lebendige Seele im gan- zen Hause. Er war also, nachdem er sich mit diesem Phaͤnomen bekannter gemacht, verbun- den, sein Protokoll wie folget anzuheben — Actum L — 17 — Dem hoͤchsten Befehl der koͤniglichen Re- gierung von — — zur unterthaͤnigsten Fol- ge, begiebt sich Endesunterschriebener, nach- dem er die ihm zugefertigten Akten genau ge- lesen, bepruͤft, und sich den erforderlichen Plan entworfen, nach L — — in die Behausung des — wo der Angabe nach Inculpatin Wil- helmine — — sich aufhalten soll. Das Hauß ist indessen voͤllig wuͤst und bis auf eine alte Person leer, welche sogleich vernommen wird. Sie Sie heißt Catharina — — ist acht und siebenzig Jahr alt, lutherischer Religion, naͤh- ret sich von Kinder- und Krankenwartungen, und ist nicht eher, als nach dem seligen Ab- leben des — — in dieses Hauß gekommen. Der Pfarrer des Orts hat sie dazu berufen, damit, so lange das Hauß nicht verkaufet sey, welches nicht anders, als nach oͤffentlicher Feilbietung, und mittelst gewoͤhnlichem An- schlage, geschehen koͤnnte, es nicht ledig ste- hen und am Werth einbuͤßen moͤchte. Der selige Mann ist seit fuͤnf Wochen, wie es ihr duͤnkt, begraben und zwar Kinder- und Er- benlos. Sein Haab und Gut ist, nach sei- nem letzten Willen, den Orts Armen zu Theil geworden. Die Comparentin sagt, ich selbst hatte Ursach seine kalte Hand zu kuͤssen. Der Prediger ist Testamentswaͤrter und Vollstrecker gewesen, und um ihren eigenen Ausdruck bey- zubehalten „ es ist viel davon zu sagen. „ Zur Sache fuͤhret sie an, daß ein Frauen- zimmer, wohl gebildet wie Milch und Blut, gleich nach dem Ableben des — — angelanget. Sie kam ohn alle Begleitung und ganz allein an, sagt Comparentin, und wie ich nicht an- ders weiß, in einem gemeinen Wagen mit vier Pferden bespannet. Ihr Besuch, der auf diese diese Art zu spaͤt gekommen, hat, wie’s der Comparentin duͤnkt, keine andre Absicht ge- habt, als ihren Verwandten zu besuchen und ihn vielleicht, wenn es Gottes heiliger Wille so genehmiget, zu beerben. Auf die Frage: ob sich keine starke Mannsperson zu dieser Zeit, oder vor und hernach, blicken lassen? erwiederte sie ja! es haͤtt’ einige Tage vorher sich jemand blicken lassen. Nachdem aber diesem Umstande ge- nauer nachgespuͤret wird; so kommt endlich heraus, daß dieses ein Luftspringer sey, der sich im Dorf zur Schau gestellt. In wie weit dieser Luftspringer mit der Inculpatin in Ver- bindung gewesen sey? noch sey? und seyn werde? ist der Catharine — ganz und gar unbekannt. Damit alle Gerechtigkeit erfuͤlt und bey dieser Gelegenheit der Umstand eingetrieben und eingemahnet werde: ob dieser Gaukler die starke Mannsperson mit dem gezogenen Messer sey? und in wie weit dieser Gaukler ein Allerhoͤchst- privilegirter sey? wird dem Amtswachmei- ster aufgegeben, diesen Luftspringer vorzube- scheiden. Dieser stellt sich mit seiner Bestallung die allerhoͤchst eigenhaͤndig vollzogen ist, dar, dar, und will durch einige Proben dem De- putatus ad oculum seine Geschicklichkeit de- monstriren, welches verbeten wird. Außer dieser Nothdurft bringet er bei, wie der Pre- diger die Kirchspielskinder von ihm abgepre- diget, und ganz offenbar zu verstehen gege- ben, daß sie besser thaͤten, wenn sie was an- ders thaͤten, als einen allerhoͤchst privilegir- ten Gaukler saͤhen, und daß ein Gaukler ein Gaukler bleibe, wenn er auch ein koͤnigliches Patent haͤtte, und daß dergleichen Gaukler mit koͤniglichen Patenten viel waͤren, obgleich sie nicht alle spraͤngen — und daß — Depu- tatus kann und mag diese Sache nicht angrei- fen, und begnuͤget sich zu bemerken, daß der Gaukler auch nicht den mindesten Verdacht abschatte, daß er die starke Mannsperson sey, daher er abgelassen wird. Es ist aller Muͤh’ unerachtet nichts rein, nichts von der starken Mannsperson mit dem gezogenen Messer her- auszubringen, und behaͤlt Deputatus wider ihn dem preußschen, curschen und dem Welt- publico, seine Rechte vor. Ob (um wieder auf Inculpatin einzulenken) die fehlgeschlage- ne Hofnung, ihren Verwandten zu beerben, oder der Umstand, daß der verstorbene Ver- wandte ihren Besuch nicht mehr annehmen koͤnnen, koͤnnen, oder sonst was anderes Schuld daran gewesen, weiß Comparentin nicht anzugeben, wohl aber daß Inkulpatin, nachdem sie frisch und gesund angekommen, in Gegenwart des Pfarrers, der als Testamentsvollstrecker (wie der Selige es angeordnet) einige Voͤgel ins Freye gelassen, in Ohnmacht gesunken. Der Pfarrer erschrack nicht wenig, sie erhohlte sich aber wieder, und der Pfarrer nahm sie zu sich. Nach der Zeit hoͤrt’ und sah man nichts von ihr. Es hieß: „sie ist krank, sie ist immer „krank„ aber zuweilen sieht man sie am Fen- ster, nach der Kirche zu, stehen oder sitzen. Wer sie zuruͤck haben will, darf nur stehen blei- ben, weg ist sie. Es kommt zwar ein Doktor zum Pfarrer; aber man weiß nicht, ob zu ihr? oder zu wem anders? Seit dem sie ins Hauß gekommen, ist alles beim Prediger wie um- gekehrt. Man sagt sogar, es sey eine Ver- lobung zwischen dieser Unbekannten und Gott- bekannten, und noch Jemand vorgefallen — wenigstens sind zwoͤlf Personen beim Pfarrer eingeschlossen gewesen, und heißt es, Gott verzeih mir meine Suͤnden, sie haͤtten all’ com- municirt! Auf die Frage: ob der Pfarrer ver- heyrathet sey? erfolgt die Antwort: er ist ver- heyrathet, er ist auch nicht verheyrathet — seine seine Frau ist melancholisch, Gott weiß wovon, er lebt nicht so recht zusammen mit ihr. Jetzt soll alles uͤber und uͤber seyn. Es ist viel zu sagen. Melancholisch ist die Pfarrin zwar schon zum Theil vorhin gewesen, aber, aber — Deputatus traͤget Bedenken aus diesen, dem exemplarischen Lebenswandel des Pfar- rers sehr entgegen arbeitenden Umstaͤnden, Schluͤsse zu ziehen, und der Comparentin ihren Seelsorger durch einige naͤhere Fragstuͤcke uͤber die Aufnahme der Inculpatin Wilhel- mine — —? deren Verlobung? und der Schwermuth die Pfarrin? ver- daͤchtig zu machen, oder fals Comparentin schon von selbst, wie es fast das Ansehen hat, auf diesen Verdacht gefallen, ihn nicht zu bestaͤrken, und diesen Funken anzufachen. In der Hauptsach ist kein anderer Weg, als Inculpantin beym Pfarrer aufzusuchen, dies Protokol dort fortzusetzen, und vorschrifts- maͤßig uͤberall zu verfahren v. s. N. N. Waͤhrend der Zeit, daß Deputatus sein Verhoͤr schloß, und seinen Muthmaßungen freyen Lauf ließ, gieng Catharine — — spornstreichs zum Pfarrer, drengte sich bey Zweiter Th. H h Minen Minen vor, und sagte der Aufgestandenen gerade zu unter die Augen, daß ein Herr mit Soldaten da waͤre, um sie zur Haft zu ziehen. Wie wußte dies Cathrine? Und wie wußte der Deputatus, daß die Pfarrin, die doch die Lindenkrankheit hatte, Minchens wegen noch tiefer in Schwermuth gesunken? Sorget nicht fuͤr den andern Morgen, ein jeder Tag wird fuͤr das Seine sorgen, und es ist genug, daß ein jeg- licher seine eigene Plage habe; findet auf den Verdacht und das Mistrauen Anwendung, zu dem die Rechtsgelehrten oft aus Amtspflicht verbunden sind, obgleich sie den Grundsatz de- bitiren: jeder ist gut, bis das Gegentheil erprobt und W. R. J. erwiesen ist. Es ist kein mistraui- scher Volk, als das rechtsgelehrte. — Tau- sendmal hab’ ich gefunden, daß sich die Men- schen uͤberhaupt hiedurch geflissentlich ihr Le- ben truͤben, und sich vor dem Teufel und sei- nen Engeln fuͤrchten, wenn gleich keine da sind. — Ob Catharine die Gabe der Feinheit ge- habt, weiß ich nicht; allein das weiß ich, daß Mine nur einen Hauch noͤthig hatte, um o Gott! wieder — zu sinken. Eine geknikte Lilie Lilie kann ein Zephyr niederwerfen. Ein Hauch ist Sieger uͤber sie. — Catharinens Zudring- lichkeit und der Voͤrfall, daß Mine eben am Fenster stand, da die Soldaten anruͤckten, schlug sie ganz und gar nieder, und nie hat sie sich weiter aufgerichtet — nie! — — Fuͤr sie war keine Quelle mehr, die den muͤden ab- getragenen Wanderer am schwulen Tag’ er- goͤtzt. Kein Trunk mehr kuͤhlte sie! — Sie hatte ausgelebet! — den letzten Lebenstropfen kostete ihr dieser Vorfall. Gott, rief sie, in deine Haͤnde, in deine Haͤnde! nicht Herr in die Haͤnde meiner! deiner Feinde! — Dir, dir, Herr! leb ich, dir, dir sierb’ ich! — Der Pfarrer hatte genug mit dem Justizrath — zu thun, und konnte nach der kraͤnklichen Pflanze nicht sehen, die er bisher mit so vieler Sorgfalt jedem Sturm, jedem sengenden Sonnenstral entzogen, die er gepfleget, wie ein Vater eine kranke Tochter pflegt, die sei- nem seligen Weib’ aͤhnlich ist. — Das Pastorat, oder, wie man in Preus- sen spricht, die Widdem, war von Soldaten umzingelt. — Mine war ohne Trost, ohne Leben. Das ganze Hauß war in Aufruhr, und die arme Predigerin uͤber diesen Vorfall so weg, daß sie voͤllig aus ihrem Geleise trat, H h 2 und und Zeter rief, Zeter! Rettet — und Huͤlfe! Huͤlfe! Der Wachmeister, dessen Stimm’ ins Hauß einschlug, hatte sie voͤllig erschuͤttert. — Ihre Nerven waren fein, das Geweb’ einer Spinne, wuͤrd’ ich sagen, wenn Spin- nen gut waͤren. Kein Wunder! daß sie aller Fassung und Besinnung entwich! — Erbar- mung! Erbarmung! — Weh! weh! kriesch sie und flog wie Espenlaub! Jedes Glied war in Bewegung. — Sie hauen die Lin- den, schrie sie! die lezten —! meine Rinder geraubt —! meine Tochter! bete doch, bete doch, Gretchen, ha! wie er sie entfuͤhrt, der Boͤsewicht! Mein Mann in Retten und Banden! — was hat er gethan? Die arme Tochter, wenn sie nur gewust haͤtte, wornach sie greifen wolte, waͤre sie gluͤcklich gewesen. Es lag ihr hart an, ob sie Mutter oder Minen troͤsten, staͤrken, und in die Arme schluͤßen solte. — Catharine, wenn sie zu ihrem Beicht- vater gegangen waͤre wuͤrd’ all diesem Jam- mer vorgebeugt haben! Allein jetzt alles, alles, aus! Der gute Prediger war der lezte, der dies Erdbeben merkte, und da sah er auch schon den Schlund weit! weit! offen! Herr! hilf! schrie er, es lag zu viel auf ihn, wir verderben! Er wolte sich dagegen baͤumen; allein allein konnt’ er? Ueberall Jammer! — Der Instizrath hielt alles dies fuͤr Gewissensauf- gaͤhrung, und wollt’ eben thun, was seines Amts war, da ihn der Prediger bat, so viel Menschlichkeit zu haben, und ihm nur eine Viertelstunde Fassungszeit zu bewilligen und, ehe diese abgelaufen, keine Gewaltthaͤtigkeit in einem Kirchenhause zu beginnen. Der Ju- stizrath fand Bedenklichkeiten. — Gott, sagte der Prediger, wird ihnen die Viertelstund’ in ihrem lezten, in ihrem letzten, vergelten — ich bin ein geschlagener ein ungluͤckseliger Mann! — Der Justizrath gab ihm dies Sterbvier- telstuͤndchen mit dem Beding nach, daß der Wachmeister vor Minens Thuͤr sich lagern koͤnnte. Es war ein erschrecklicher Kerl. Wenn er nur nicht donnert, sagte der Pre- diger, das soll er nicht, erwiederte der De- putatus; allein er bedachte nicht, daß ein Segen in dem Munde dieses Menschen Fluch waͤre. Es konnte dieser Henkerhandlanger nichts als Zeter rufen, und Staͤbe brechen, und Moͤrder schließen, und Leitern zum Gal- gen ansetzen. — Ein Maͤrtyrer wuͤrde hier die Standhaf- tigkeit verloren haben. Seine Geduld wuͤrd’ H h 3 aus- ausgerissen seyn. — Da stand der Wachmei- ster, wie eine Katze vorm Keficht, und die Soldaten, als wenn hungrige Tyger vor der Thuͤre witterten. Des Justizraths Au- gen glaͤnzten vor Wonne, als haͤtt er Gott einen Dienst gethan. Er ging auf und nie- der, in Erwartung der Dinge, die kommen sollten. — Der Prediger blieb eine kleine Weile’ im Lehnstuhl, schlug die Haͤnd’ in einander, sprang auf, und wand sich zu seiner Frau! Gretchen, seine Tochter, hatt’ ihm diese Sorg’ anheim gestellt. Fasse dich! Seele, beruhige dich, wilst du mit Gott rechten, sagte der arme Prediger? Harr’ auf den Herrn. Die Linden sollen bleiben, und deine Tochter soll gruͤnen, wie die Weiden an dem Kirchengraben. Ich bin nicht in Ketten und Banden. Gretchen ist nicht entfuͤhrt, sie soll nicht einen Boͤsewicht, sondern wenn Zeit und Rath kommt, ihren Hansen haben. Hoͤr’ auf mit Zeter und Weh. — Man sucht hier jemand, der nicht hier ist. Diese herzliche Trostworte haͤtten den Justizrath freylich auf andere Gedanken brin- gen koͤnnen und sollen; allein er ließ nicht von Catharinens Hand, die ihn leitete und fuͤhrte fuͤhrte auf unebner Bahn, und von der er jedes Wort als baar annahm. Die Spra- che des Herzens ist nicht jedermanns Ding. Sie findet sich nicht, wie das Griechische , nach einem bewaͤhrten Spruͤchwort, und wenn ich mich recht besinne; kann ich nur diese Herz- lichkeit den Verliebten zustehen — wie kaͤme sie an einen koͤniglich preußischen Justizrath, der gemeinhin ein rechtlicher Dominikaner von Hauß aus ist. Der gute Mann hatte Muͤhe, die verstattete Frist unverletzt und unbefleckt zu halten. Welche Frechheit, dacht’ er, man sucht hier jemand, der nicht hier ist. Er dacht’ es bey allem treufleißigen Ruͤckhalt, doch so laut! so laut! — Eben so uͤberlaut, als es sein marktschreyender Wachmeister ge- sagt haben wuͤrde. Wie konnt’ er bey die- sem Gedanken sitzen bleiben! Diese Worte: Man sucht jemand, der nicht hier ist — brachten ihn auf die Fuͤße, nachdem er bis da- hin Platz genommen. „Armes, armes Weib, „du solst glauben! Solch einen Glauben hab’ „ich in Israel nicht funden. Glauben! was „sie anders mit ihren sichtlichen Augen gese- „hen hat! — Ein feiner Glaube!„ Die Un- geduld des Justizraths war unbeschreiblich, sie hatte nicht in der Widdem Raum, er H h 4 gieng gieng in Gottes weite Welt mit den Vorstel- lungen: mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habts gemacht zu einer Moͤrdergru- be! Es war das beste, daß er gieng — indessen ließ er die Widdem nicht aus den Augen, um zu bemerken, wer zn ihrer Thuͤr aus oder eingieng. — Der ploͤtzliche Aufbruch des Justizraths beruhigte die arme Predigerin mehr, als der Zuspruch ihres Mannes. Sinn- lichkeit gegen Sinnlichkeit. — Sie ward still, das war ein gutes Zeichen, der Prediger be- nutzte diese Stille, und ließ seine Tochter ru- fen, die das Werk vollenden mußte. Er loͤsete sie bey Minen ab, die er staͤrker fand, als er glaubte. O Mann Gottes, fing sie an! ich soll? oder soll ich nicht? in die Haͤnde der Menschen! Nein, Sie sollen nicht, antwortete der Prediger, allein sie blieb bey ihrem entsetzlichem: ich soll , und konnte sich davon nicht abgewoͤhnen. — Es gieng dem Prediger durch die Seele, sie so leiden, ohne Hofnung, ohne Zutrauen, lei- den zu sehen! Er kniete nieder, und betete kurz! stark! himmelstuͤrmend! und nun auf dies Gebet versprech ich Ihnen, sagt’ er zu Minen: Sie sollen nicht . — Sie blieb still. — Nach der Zeit gestand sie, daß es ihr wie- der der eingefallen sey, sich selbst das Leben zu nehmen, um nicht ein schreckliches Schau- spiel der Bosheit zu werden. — Ihre starke Einbildungskraft hatte ihr den v. E. in der Naͤhe gezeigt, frohlockend uͤber seine gegluͤckte Rache — alle seine Helfer und Helfershelfer, die ihr nach der Seele standen, waren ihr erschienen, und diese Erscheinungen waren ihr schwer zu ertragen. — Mine litte ge- waltig; indessen ließ Gott sie nicht versucht werden uͤber Vermoͤgen. Er, der sie aus sechs Truͤbsalen erloͤset, ließ sie auch jetzt nicht verzweifeln. Sie unterdruͤckte die auf- steigenden Selbstmordgedanken beym ersten Anfang. — Das weggeworfene Messer und auf ihm die Tropfen Menschenblut, fielen ihr ein — (Sie sah’ alles, was ihr ein- fiel —) Das Gebet des Predigers hatte eine Nachwuͤrkung — Sie fand sich — Sie schmeckte Trost in dem Kelch der Leiden, und diese Pruͤfungsstunde kuͤhlte sie etwas ab; indessen blieb sie noch aͤngstlich wegen der Dinge die kommen solten. — — Der Prediger gieng zum Justizrath — Eben recht, fieng dieser an! Der Prediger. Und wenn ich jetzt fragen darf? H h 5 De- Deputatus. An mich ist zu fragen — Prediger. So erbitt ich mir die Erlaubniß zu antworten. Deputatus. Schrecklich wenn ein Prediger selbst! — Prediger. Ungluͤckliche aufnimmt? Deputatus. Und eben dadurch Ungluͤckliche macht. Herr Prediger! — Ich wuͤnscht’ ich waͤr zu diesem Auftrage nicht — Prediger. Und dieser Auftrag? Deputatus. Nicht mehr, und nicht weniger, als die Diebin, die Laͤuferin, ja ich kann Moͤrderin hinzusetzen, das kann ich, der sie in ihrem Hause Obdach gegeben, zur gefaͤnglichen Haft zu bringen, damit sie an Stell’ und Ort leide, was ihre Thaten werth sind. Pred. Ach Gott, vor dir ist kein Lebendiger gerecht! Du weiß’st — Deput. Er weiß! allein leider! auch Men- schen wissen — Pred. Fuͤrchtet euch nicht vor denen, die den Leib toͤdten, und die Seele nicht toͤd- ten moͤgen, spricht mein Herr und Meister, der mit Zoͤllnern und Suͤndern umgieng. Deput. Aber es nicht selbst ward. Pred. Das hof’ ich auch nicht — De- Deput. Er war Herr und Meister, und Sie Prediger in L —. Von ihm, dem Hei- ligen, konnt es nicht heißen: gleich und gleich — Pred. Wenn Sie selbst wuͤßten — Deput. Ich weiß alles. — Pred. Desto besser! — Deput. Und vorzuͤglich, daß Sie den Na- men der Communion entweihen, daß Sie den Ihren Herrn und Meister nennen — Pred. der es in seinem Leben, Leiden und Sterben ist. Deput. Das koͤnnen Sie sagen? Pred. Das kann ich! Deput. Mir? Pred. und dem ganzen Justiz Collegio — Deput. und ihren Frauen? man sucht hier jemand, der nicht hier ist . — Pred. Sie ist zuweilen nicht bey Trost — Deput. und wer hat sie trostlos gemacht? Wer ihr den Kopf verdreht? Wer? Pred. Der Lindenbaum! der so alt wie sie war, und in ihren letzten Wochen aus- gieng! — Deput. Herr meinen Kopf sollen sie nicht verdrehen. Irret euch nicht, Gott laͤßt sich nicht spotten, und ich auch nicht. Meine Meine Geduld ist wie die viertelstuͤndige Frist zum Ende. — Kurz und gut, der Koͤnigliche allerhoͤchste Auftrag ans Colle- gium — „Wir Friedrich von Gottes Gnaden, „Koͤnig in Preußen, Marggraf zu Bran- „denburg, des heiligen roͤmischen Reichs „Erzkaͤmmerer und Churfuͤrst ꝛc. Unsern „gnaͤdigen Gruß zuvor. Edler, hochge- „lahrte Raͤthe, Pred. Daß sich Gott erbarme! Deput. „liebe getreue! aus der Anlage wer- „det ihr ersehen, was die curlaͤndische „Negierung wegen einer aus dem Dienst „entlaufenen Diebin Wilhelmine — — „bey Uns angesucht und zu verfuͤgen ge- „beten. Pred. und ich bitt’ um Gottes Willen — Deput. „Ob nun gleich so viel Umstaͤnde wi- „der sie aus dem gerichtlich abgehaltenen „Protokoll und der, in Curland von dem „v. E. — Pred. Gott erbarm dich! und bekehre was zu bekehren ist. Deput. „eingereichten Vorstellung hervor- „gehen, daß die besagte Person nicht al- „len Ruͤgen zu entwachsen im Stande ist; „so „so befehlen Wir euch jedoch diese Wilhel- „mine — — zuerst durch einen zu er- „nennenden Deputatum abhoͤren zu las- „sen. Finden sich bey diesem Verhoͤr Um- „staͤnde, welche die curschen Angaben ent- „kraͤften, und als Milderungs- oder wohl „gar Aufhebungsumstaͤnde in den Rech- „ten geltend zu machen waͤren; so ist es „des Deputati Pflicht, die ihm hiemit „auferlegt wird, wegen ihrer Person eine „leidliche doch genaue Aufsicht anzuord- „nen, oder die etwa einzulegende rechts- „guͤltige Caution anzunehmen, und in „Rechtsform einzulenken. Pred. Ich cavire mit Leib und Seel, mit Leib und Leben! Deput. Das glaub’ ich „im Fall sich aber „alles den eingesandten Schriften gemaͤß „verhaͤlt und angeruͤgte Wilhelmine — — „nicht das mindeste von sich abzulehnen in „den Umstaͤnden ist, was als Rechtfertigung, „Entschuldigung, Vertheidigung vor den „Ding- und Rechtsstuͤhlen zu gebrauchen „waͤre; so muß Wilhelmine — — sogleich „dingfest gemacht werden. Zu dem Ende „habt ihr die naͤchste Garnison von L — zu „ersuchen, euch hinlaͤngliche Mannschaft „zu „zu bewilligen, und dieses Requisitorial- „schreiben eurem Deputato anzuvertrauen, „um davon beym Befinden der Sache, ohne „aufhaltende Ruͤckschrift an euch, augen- „blicklichen Gebrauch machen zu koͤnnen. „In allen Faͤllen liegt dem von euch zu be- „stimmenden Deputato ob, so genau als „schleunig an Uns Bericht zu erstatten, da- „mit in dieser Sache, entweder den Wuͤn- „schen der curlaͤndischen Regierung gemaͤß, „oder anders wie, in alle Wege aber recht- „lich, die Verfahrungsart eroͤfnet werden „koͤnne. Das ist unser eigentlicher Wille. „Sind Euch mit Gnaden gewogen. Gege- „ben Koͤnigsberg den — 17 —„ Pred. Tausend Dank fuͤr diese Eroͤfnung, und nun? Deput. Und nun werd’ ich Wilhelminen ver- hoͤren, sie dingfest machen, und nach — ins Gefaͤngniß bringen lassen. Pred. Wenn sie aber unschuldig ist? wenn ich Caution einlege? wenn — Deput. Kein Wenn weiter — Sie verdienen nicht, daß man ein einziges von Ihnen hoͤrt, damit ich Ihnen gerad aus mein Herz aus- schuͤtte, und alle Wenns auf einmal be- nehme. — Pred. Pred. Wenn Sie aber erlauben wollen — Deput. Wieder Wenn! Pred. Die Koͤnigliche Landesregierung, (um gerade zu, und ohne Wenn, meinem Her- zen Luft zu machen,) hat nur Bedingungs- weise den gefaͤnglichen Haft verfuͤgt, und dem Collegio nicht uͤberhanpt nachgelassen, die Garnison um Beyhuͤlf anzutreten. Ich weiß also nicht, warum mein Hauß bela- gert ist, und ich, wie Jerusalem, an allen Orten geaͤngstiget werde, ehe noch Minchen verhoͤret worden. Sie ist die Ehre ihres Geschlechts. Deput. Und Sie, Herr Prediger! nicht wahr, die Ehre ihres Standes? — Hier loͤseten sich die Raͤthsel; denn der gute Prediger konnte die wohlgemeinte Grobheiten des Deputatus laͤnger nicht tragen. Er dul- dete, da ihm die Grenzen des Auftrags die- ses feurspeyenden Rechtsgelehrten, und seines Spießgesellen, unbekannt waren. Jetzt sah’ er keine Verbindlichkeit ein, den Deputatus im verkehrten Sinn reden zu lassen, was nicht taugt; und da ihm der Justizrath seine Zwei- fel entdeckt, und der redliche Prediger ihm den Unsinn von diesem Vorurtheil gewiesen hatte, ging Deputatus in sich, und hatte nichts wei- weiter in petto. — — Wenn man sich eine geraume Zeit im Cirkel herumgedreht, schei- nen die aͤußere Gegenstaͤnde eben dergleichen Bewegung zu bekommen, auch wenn man aufgehoͤrt hat, sich herum zu drehen, bleiben die Objekte noch immer in einer cirkelrunden Bewegung in unserm Auge. — So gieng es dem Justizrath, bis ihm das Verstaͤndniß ganz geoͤfnet war! und nun? Heftige Leute Leute uͤber Halß und Kopf, kennen nicht die Mittel- straße, und unser Deputatus war nun wieder so aufs Haupt geschlagen, daß er nicht aus noch ein wuste. Der Prediger gab seiner Gewissens- regung, Minen mit eigenen Augen zu sehen, nach. Sie sollen, sagte der Prediger, wie Tho- mas, alles handgreiflich haben, und gieng hin, Minen zu diesem Besuch vorzubereiten. Da der Deputatus sie sahe, fiel er zuruͤck. — So hatt’ er sie sich nicht vorgestelt! Gott sey mir Suͤnder gnaͤdig, fing er aus dem Innersten an, sah die abgezehrten Haͤn- de, die eingefallenen Augen, und die langsam und Seligsterbende! — Mit einem Blick hatte er alles. Er konnte nach diesem Blick seine Augen nicht mehr aufthun. Das erste war, daß er die Soldaten abgehen hieß, die nicht sehr mit dieser Commißion zufrieden wa- ren ren, auch der Amtswachmeister muste mit Schanden unten an sitzen, und im Wirths- hause seine Diaͤten verzehren. Dies geschahe gleichfals nicht ohne Kopfschuͤtteln. Man sah es dem Peiniger an, daß er gern Ketten und Band’ angelegt haͤtte. — Da stand der Justizrath, wie von Gott verlassen! — Mine wuͤnschte, nachdem er lange vor ihr als Inculpatus gestanden, allein zu seyn, er schwur, er koͤnne nicht von dannen, bis sie ihm verziehen haͤtte. Mein Gott, was ist der Mensch? Ein trotzig und verzagt Ding. Wer kann ihn ergruͤnden? Der Deputatus weinte bitterlich. Mine hob ihre halb abgestorbene Haͤnd- auf, und blickte den Bußfertigen sanft laͤ- chelnd an. Ihr Blick sagte: Sie wusten nicht, was Sie thaten. Er hatte sich vorgenommen, ihr einige Fragen, wiewohl außerhalb den Grenzen seines Promemorias, zu thun; allein er konnte nicht. — Kommen Sie, sagte der Prediger, da- mit wir uns nach langem Mißverstaͤndniß mit Herz und Seele verstehen. Der Predi- ger erzaͤhlt’ ihm den lezten Theil von Mi- Zweiter Th. J i nens nens Lebenslauf, um dem Deputatus die curschen Papiere in einem andern Licht, und uͤberall verborgene Schlangen, zu zeigen. Der gute Rechtsgelehrte konnte sich nicht be- ruhigen, und wenn der Prediger ihm nicht grosmuͤthigst die Folgen verschwiegen haͤtte, welche dieser Vorfall auf Minens Gesund- heitsverfassungen gehabt, er waͤre nicht ge- sund aus dem Kirchenhause gekommen, wel- ches schon ohnehin in aller Form ein Lazaret war. Er aß den Mittag beym Prediger. Gretchen wollte nicht mit essen. Der Predi- ger muste es verlangen. Sie kam; allein sie konnte den Deputatus nicht ansehen. — Die Predigerin hatte sich uͤber alle Erwar- tung ziemlich erhohlt. Der arme Rechts- gelehrte konnte nicht essen, nicht trinken. Er war unlaͤngst ans Collegium wegen sei- nes bekannten Diensteifers , der ein ander Ding als Dienstverstand ist, gekommen, um die Schwachen und Kranken, und zum Theil entschlafenen Mitglieder dieses Colle- giums, wieder herzustellen. — Seine Un- bekanntschaft mit seinem Kreise trug viel zu dieser Uebereilung bey. Bey Tisch uͤberfiel den Bußfertigen und Zerschlagenen der Ge- danke, sein Amt in die Haͤnde der Obern zu legen. legen. Er hatte zu leben. Aus Noth durft’ er nicht ein Zelote seyn, und sich vom Dienst- eifer fressen lassen. — Nachdem ich so uͤbel gerichtet, kann ich, frug er, kann ich wohl hinfort mehr Haus- halter seyn? Bei dem Blicke der Unschuld: sie wußten nicht, was sie thaten! wie ward mir Gott! kalt unter den Fuͤßen. Der Prediger sucht’ ihn von diesem Ge- danken zu entfernen; allein er blieb. Wie kann ein Mensch, fieng er an, seines Bru- ders Richter seyn? — Bin ich darum gerecht, wenn ich nicht uͤber Dinge strauchle und falle, uͤber die andere straucheln und fallen? Je- der Mensch hat seine besondere Welt, seine besondere Klippe, sein ihm eigenes Fleisch und Blut. — Ja und Nein sey mir genug! Ich will nicht richten, damit ich nicht auch gerichtet werde! Gott, schrie er, der du aller Welt Rich- ter bist, und stand auf, dir! stehen wir, dir! fallen wir, und brach die Haͤnde. — Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Wer kann vor dir bestehen! wer? Der Prediger versichert’ ihn, nachdem er ihn ganz um und um kennen gelernt, daß J i 2 wenn wenn je ein Mann den Namen Nathanael verdiente, er’s waͤre. Der heutige Fall sey in gewisser Art Nathanaels Geschichte. Er sagte in Beziehung auf meinen Herrn und Meister, fuͤgte der Prediger hinzu, wie kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Allein Christus nennt ihn dem unerachtet einen Is- raeliten, in dem kein falsch ist. — Dies richtete den armen Rechtsgelehrten ziemlich auf, wozu der Umstand einen be- traͤchtlichen Beitrag lieferte, daß Natha- nael einer seiner Vornamen war. Seine Heiterkeit war indessen nicht dau- erhaft. Er konnte nicht aufhoͤren, sich Zwei- fel vorzuwerfen. Wenn ich schwiege, fuhr er fort, wenn ich schwiege, wuͤrden die Steine schreyen. Minens Geschichte gieng ihm ge- rade durch die Seele, und doch bat er ohn End’ und Ziel, sie ihm zu erzaͤhlen, und das Erzaͤhlte zu wiederholen. Mein taͤgli- ches Gebet soll seyn, sagte der Bußfertige: Schaf in mir Gott ein reines Herz, und gib mir einen neuen gewissen Geist! — Er ersuchte den Prediger so oft und viel, sein Freund zu bleiben, daß der gute Pre- diger herzlich bewegt war. Wahrlich, wer im- immer mit schand- und lasterhaften Men- schen im Gemeng’ ist, bekommt am End’ ein Inquirentengesicht. Er findet uͤberall arme Suͤnder und Suͤnderinnen, Diebe, Raͤuber und Moͤrder. — So unter Nathanael, der den Menschenblick eingebuͤßet, und nur blos diesen Blick uͤbrig behalten hatte, den man nicht Richterblick nennen kann. Dieser Fah- nenschwung ist ein defensio ex officio , die ich dem Nathanael schuldig bin. — Der Pre- diger, (von dem ich dieses alles haarklein habe,) und Nathanael sprachen viel von Menschenkenntniß. Ihr Endurtel war, der Mensch soll offen seyn; allein er ist unzugang- bar. Wer die Menschen leicht findet, hat nicht sie, sondern sich gesucht und gefunden, wer andere richtet, bestrafet seine Unart in andern, und glaubt sich eben dadurch weiß gebrannt zu haben, wie die liebe Unschuld. — Wer hinter dem Fenster in seinem ein- samen Zimmer steht, kann alles ganz deut- lich wahrnehmen, was auf der Straße vor- geht, ohnerachtet er von den Leuten auf der Straße entweder gar nicht, oder doch nicht deutlich, gesehen wird. Es kommt mehr Licht aus der Straße ins Zimmer, als aus dem Zimmer in die Straße. — — — J i 3 Alle Alle diese Vorstellungen loͤseten sich jetzo beim Nathanael auf, (und damit ich mit der Erlaubniß meiner Leser vorgreife,) er legte wuͤrklich sein Amt uͤber ein Kleines nieder, und ist nicht mehr Richter im Volke. Dies Geschaͤfte war sein leztes. — Ich muß eine Stell’ aus dem Briefe des Nathanaels an den Prediger in L —, in dem er ihm seinen Er- laß eroͤfnete, praͤnumerationsweise hersetzen, ich mag wollen oder nicht. „Ich lege mein Amt nieder, um dem „Herrn zu dienen, und auf ebener Bahn zu „wandeln. Es muß eine Zeit der Heiligung „seyn, ein Reinigungsperiod — ein Feg- „feuer — ein Selbstgericht, ehe wir vor Got- „tes Richterstuhl treten. Diese meine Stund’ „ist kommen — ich will mich selbst richten — „und den Krieg Rechtens mit mir selbst an- „stellen. Ein schoͤn Stuͤck Arbeit! — Nur „bloß auf diese Weise sollen fortan meine „Vermuthungen, wenn sie nicht zu Gunsten „meines Herzens ausfallen, zu Tagefahrten „und Protokollen Gelegenheit geben.„ „In diesem einzigen Fall kann Riemand „zu strenge seyn; allein um andere zu rich- „ten, wahrlich Niemand gelind genug — „ich „ich besitze nicht Richterkaͤlte, nicht Entschei- „dungsfaͤhigkeit.„ Wenn ihn der Prediger nicht an den Be- richt und an den Amtswachmeister erinnert haͤtte; er haͤtte weder Bericht erstattet, noch den Amtswachmeister mitgenommen, der schon uͤber seine Diaͤten getrunken hatte, und den Nathanael ins Geheim, doch wegen sei- ner durchfahrenden Stimme, so daß es je- dermann hoͤren konnte, um Loͤsegeld ansprach. — Nathanael ließ dem Prediger alle Akten, und bat zur Probe seiner Vergebung, und zum Siegel der ihm zugestandenen Freundschaft, diesen Bericht aufzusetzen. Das Promemo- ria konnt’ er so wenig ansehen, als Gretchen ihn. Die Predigerin lief noch vor ihm. Hier ist der Bericht, oder vielmehr sein Inhalt; denn meine Leser haben, wie ich selbst zu befuͤrchten anfange, schon zu viel Cu- rialien gelesen. Es wird die schlechte Denkungsart des Herrn v. E. und des Herrmanns aufgedeckt, und der Gesichtpunkt eroͤfnet, aus dem die- ser ganze Vorgang zu nehmen ist. J i 4 „Die „Die lezten Worte des Sterbenden ent- „fernen schon den Begrif des unterlaufenden „Betrugs und der Falschheit, und was solte „diese Sterbende, die vielleicht nur noch sehr „wenige Stunden in dieser jammervollen Welt „zu leben, und keinen Transport nach Cur- „land, oder sonst eine uͤble Begegnung zu be- „fuͤrchten hat, was sollte diese Sterbende, „welche der Tod gegen alles in Schutz genom- „men, was solte sie wohl bewegen, mit Ge- „wissensbissen sich auf der Reise zur Ewigkeit „zu beladen, und sich eben dadurch ihre Sterb- „stunde zu erschweren? Dagegen decken die „angegebene Maͤngel des Protokolls und der „Vorstellung, die v. E. eingebracht, uͤberall „und besonders an denen unterthaͤnigst be- „zeichneten Stellen, eine schlechte Absicht auf. „Ew. Koͤniglichen Majestaͤt kann ich auf mei- „nen Amtseyd und bey meinem Seelenheil „versichern, daß ich den Eindruck, den der „Anblick dieser Sterbenden auf mich gemacht, „nie verlieren werde, und wie kann eine Per- „son, die mit so erhabener Fassung, und der „Selenruh einer Maͤrtyrinn, diese Welt ver- „laͤßt, sich solcher Laster, als ihr angedichtet „worden, schuldig wissen? Der Prediger — „— hat sich verbindlich gemacht, so gleich wenn „wenn diese Unschuldige im Herrn entschlaͤft, „ihren Tod Ew. Koͤniglichen Majestaͤt einzu- „berichten„ „ich ersterbe in tiefster Treue„ „Ew. Koͤniglichen Majestaͤt„ „allerunterthaͤnigster Knecht„ ‚Nathanael — —„ Meine Leser wissen schon, daß Mine die- sen Vorfall zu uͤberleben außer Stande war. Vielleicht waͤre sie mit der Zeit so stark gewor- den, mich noch in dieser Welt zu sehen, o waͤre sie’s doch! Gott waͤre sie’s doch! Jetzt war hiezu keine Aussicht. — Sie selbst sagte zum Prediger, ehe dieser Vorfall sich vollends zu Grunde richtete, was meynen Sie, werd’ ich nicht bald stark genug seyn, Alexandern zu sehen, nur ihn zu sehen — in dieser Welt — und dann! dann! laß mich in Frie- den fahren! ich habe genug! Nimm Herr mei- ne Seele! — Der Prediger trug Bedenken, ihr die ganze Anlage des Herrn v. E. zu ent- decken, und besonders war er bemuͤhet, einen Vorhang uͤber den Antheil, den Minens Va- ter an dieser Mordgeschichte genommen, zu ziehen! — Sie drang nicht weiter. — Sie war zu schwach, um ihre Bitte zu wiederho- J i 5 len. len. Wiederholungen derselben Sache ko- sten allen schwaͤchlichen Personen unglaublich viel. Sie sahe des Predigers Bedenklichkeit, und that ihren Mund nicht auf. — Ihr gan- zes, ganzes Leben war Duldung. Sie war nur ein Zuͤgling fuͤr eine andere Welt. Dies empfand sie, wie mir der Prediger auf das heiligste versichert hat, so sehr, daß sie diese Welt nur wie die erste Erde ansah, aus der sie versetzt wuͤrde. „Sie war froh in Gott„ des Predigers eigene Worte, „und sich selbst bis auf Faͤlle von der Art, „wie der Tod ihres lezten Verwandten, und „die Veranstaltung zur Haft, immer gleich „— das heist, Gott ergeben. Solche außer- „ordentliche Faͤlle schienen ihren Geist in der „Hofnung der Kuͤnftigkeit zu verstaͤrken; al- „lein ihren schwachen Koͤrper fuͤhrten sie im „Triumph. Ihr Geist war willig, das „Fleisch schwach. Die Gottesfreud’ ist von „Dauer, sie ist sich gleich, sie jauchzt, sie „lermt und kreischt nicht, wie die Weltfreude, „die mit aller ihrer Lust oft nach vier und „zwanzig Stunden vergehet. Wer den „Willen Gottes thut, bleibt in Ewigkeit. — „Fast moͤcht’ ich sagen, daß die Gottesfreude „niemals im Gesicht laͤge, sie liegt tiefer — „und „und im Herzen. Zuweilen erhebt sie sich „bis zum Aug, und das sieht denn erst gen „Himmel, eh’ es um sich herum sieht. So „eine Gottesfrohe war Ihre Mine. Sie „dankte dem Herrn; denn er ist freundlich, „und seine Guͤte waͤhret ewiglich. — Freuen „und froͤhlich muͤssen seyn in Gott, die nach „ihm fragen, und die sein Heil lieben immer „sagen: hochgelobt sey Gott! —„ Der Prediger setzte zu diesem allem etwas hinzu, worauf ihn Mine gebracht hatte; „die viel beten, sind nicht froh, sie verkla- „gen den lieben Gott bey ihm selbst. Sie „sind schwach. Allein Freud’ am Herrn ist „unsere Staͤrke. Nehemia im achten Ca- „pitel, im zehnten Vers. „Mine betete wenig; ihr ganzes Herz „war Gottes. —„ Nach einiger Erholung, die Minen so gar erlaubte, wieder aufzustehen, erschlich sie den Ort, welcher der Catharine mit zum Verdacht Gelegenheit gegeben, um nach den Gebeinen ihrer Verwandten zu sehen. Es war ihr eine Aussicht zum Himmel. Eben kam der Prediger, da sie so voll guter Zuversicht, so voll Seelenwonne hinsah, und freute sich uͤber ihren heitern Blick. — Solt’ ich nicht, sagte sagte Mine, und erzaͤhlte dem Prediger das, was er ihr verschweigen wolte, und die ganze Absicht des Nathanaels — mit samt dem Einfluß, den ihr Vater dabey gehabt — fast woͤrtlich wie er da stand. — Sterbende, sagte der Pastor, indem er mir dieses erzaͤhlte, haben den Geist der Weis- sagung. Ich hab’ in meiner lieben Gemeine Vorfaͤlle gehabt. — Mine schien schon lange die Gabe der Ahndungen zu besitzen, fuhr der Prediger fort, und sie hatte wuͤrklich diese Salbung, die nicht jedermanns Ding ist. — Hier ein Auszug eines weitlaͤuftigen Ge- spraͤchs, das zwischen dem Prediger und mir bey dieser Gelegenheit vorfiel. Valcat, in quantum valere potest. Ein großer Boͤsewicht ist allemal ein tuͤch- tiger, starker, gesunder Mensch! — ein Himmels- und Hoͤllenstuͤrmer! — Es giebt auch schwaͤchliche, feige, hinterlistige Bu- ben: allein diese erreichen nie den Grad der Bosheitsstaͤrke, zu dem jene faͤhig sind. Diese morden von hinten, jene von vorn. Den Beelzebub wuͤrd’ ich so fest benervt, bruststark, als den Herkules mahlen, nur — Wenn Wenn aber tuͤchtige, starke, gesunde Leute, Menschen Gottes werden, welch ein Vergnuͤgen, diese starke Geister, diese Engel (die auch stark sind,) zu sehen. Die Tu- gend, und ihre Tochter, die Religion, braucht auch in ihrem Dienst Leute fuͤr den Riß, und Feldherren! Einen Petrus mit dem Schwert, einen Luther mit dem Tintfaß — solchen Leuten ahndet wenig oder gar nichts, und wenn die Welt voll Teufel waͤr’, und wol- ten sie verschlingen, wenn tausend zu ihrer Rechten fallen, und zehn tausend zu ihrer Linken, sind sie gefaßt, sie gehen auf Loͤwen und Ottern, und treten auf junge Loͤwen und Drachen. Sie glauben nicht an Traͤume, und fuͤhlen kein Ungewitter, wenn es gleich schwer in der Luft liegt. Wer das Ungewit- ter vor empfindet, kommt schon in die Classe dieser frommen Riesen nicht. — Diese un- besorgte sind stark genug, allem was ihnen entgegen will, auf der Stelle stattlichen Wi- derstand zu thun, und uͤberall das Feld zu behaupten. Den frommen guten Seelen aber, welche ein ploͤzlicher Ueberfall gleich zu Boden reißen wuͤrd’, ist eine Warnung vor einem kommenden Ungluͤck nothwendig. Die Ahndungen sind ihnen Wecker zur Fassung zur zur Geduld, zur Gottergebung. Sie sind Sturmgloͤckchen, die sie zum Oelkruge brin- gen, ihr verloͤschendes Laͤmpchen aufzufri- schen. — Diese Seelen sind fast zu schwaͤch- lich fuͤr diese Welt, wo so viel Streit, Jam- mer und Elend ist. — Ich bin schon in der- gleichen Faͤllen gewiegt, sagte der Prediger, der selbst die Ahndungsgabe zu besitzen glaubte, ich konnte mich, fuhr er fort, in diese puͤnkt- lich treffende Erzaͤhlung Minchens finden, da sie alles wuste, warum solt ich laͤnger ruͤckhalten? Dergleichen Ahndungsbegabte pflegen sich die Sachen nicht leichter zu ma- chen, und selbst der Zweifel, der sie, sie moͤ- gen noch so weit in der Selbstweissagung, in der Ahndung, gediehen seyn, bekaͤmpft, ist ein Kampf, und kaͤmpfen macht Muͤhe. — Kurz, der Prediger las Minen alles und jedes, und auch das vor, was ich mei- nen Lesern verkuͤrzt habe. — Gott Lob und Dank, sagte Mine, daß ich sterbe! Bey der Aussage des Keglers , daß sie zum Mord angefuͤhret, und den Worten: daß sie sich aus einem Mordmesser kein Gewissen gemacht haben wuͤrde, sagte sie: Solls ja so seyn, Daß Straf und Pein auf auf Suͤnden folgen muͤssen; Herr! fahr hier fort, nur schone dort! Ich muß Ihnen gestehen, lieber Beicht- vater! fuhr sie zum Prediger fort, daß der Vorsatz, mir selbst das Leben zu nehmen, der wieder, wie ich die Gewafnete sahe und Ca- tharinen hoͤrte, in mir Feuer faßte — daß dieser Vorsatz mir oft! oft! als etwas vor- gekommen, das mir meine lezte Stunde er- schweren koͤnnte. — Nun sind diese Stiche hin — ich habe nichts, nichts mehr, was mich druͤckt! und ich fuͤhl’ es! Ich werde selig und ruhig sterben! und wie Alexanders Mutter singt, wenn wir die Gedanken, wie ein Licht, das hin und her wankt, bis ihm die Flamm gebricht, vergehen; werd’ ich sanft und still einschlafen — ich werd ausgehen wie ein Licht. Sagt man nicht: Er ist aus- gegangen, wie ein Licht? — Gott! so war ihr End’ auch wuͤrklich. Ihre Ahndung ließ sie nicht zu Schanden werden. Puͤnktlich traf sie ein. — Allein Mine blieb nicht fest bey diesen beruhigenden Vermuthungen. Zuweilen schien es ihr schreck- lich — zu sterben, sie nannte dies Leben einen hellen Tag, zwischen zwei dunklen Naͤchten. Nur Nur des Leibes wegen, setzte sie hinzu, nenn’ ich es so, meines Lebens besserer Theil, mein eigent- liches Leben, geht nicht aus, stirbt nicht. — Wenn diese Anfechtungen Minen uͤberfielen, wie es der Prediger nannte, kam es Minen vor, daß ihr leztes, leztes Ende vielleicht schreckhaft werden koͤnnte, vielleicht ein Maͤrtyrer Tod; so wie ihr Leben ein Maͤrtyrer Leben war. Herr, fahr hier fort; nur schone dort! rief sie denn zu Gott empor! und ihr Busen hob die Decke, so schlug ihr das das Herz! — Geschiehet das am gruͤnen Holz, was will am duͤrren werden? sagte der Prediger bey dieser Erzaͤhlung und bemerkte, daß er Minen auf diese Stroph’ aus dem Liede gebracht, die er in einer Unterredung mit ihr verloren, im eigentlichen Verstande, fuͤgt er hinzu, ver- loren; denn Sie, das weiß Gott! hatte nur mein Trostamt noͤthig! Ich durfte nicht zu ihr sagen: wache auf, die du schlaͤfst, und steh’ auf, um noch so viel in dieser Welt gut zu machen, als du kannst. — — Sie war die Unschuld selbst. Minens Trost bey dem Gedanken, daß ihr Ende nicht sanft seyn, und daß sie nicht wie ein Licht ausgehen wuͤrde, war, daß auch dies dies sein Gutes haben koͤnnte. Das Sterb- bette ist weit mehr, als das Grab, die Schule der Weißheit, bemerkte der Prediger. Man erlangt ein anschauendes Erkenntniß, wenn man den Todten da sieht. Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch. — Sie nahm ein feyerliches Versprechen vom Prediger, mir ihren Tod auf das aller, aller genanste zu erzaͤhlen, ist er schrecklich, ist er sanft! wie er war! Alles! alles! Ihm! Er braucht Lebenslehren; wenn ich sie ihm zu- ruͤcklasse, so werden sie ihm, das weiß ich, desto werther seyn! — Einen Morgen — die Sonne gieng un- bewoͤlkt auf — war Mine schwaͤcher als je. Alle Faͤserchen verloren ihre zusammenziehen- de Kraft. Mine empfand diese Schwaͤche, und dies bewog sie, Gretchen sehr zeitig zu sich bitten zu lassen. Sie bat sie um Licht, damit sie ihre Briefe zusiegeln koͤnnte. Es war das Tagebuch. Sie befahl Gretchen Gott und seiner Huld und Gnade, und bat mich tausendmal zu gruͤßen — tausendmal und mir dieses Pack, (sie gab es ihr,) und noch andere Sachen, zu behaͤndigen, in seine eigene Haͤnde! sagte sie, und eine Zaͤhre floß sanft ihre Wangen herab. — Minens Aug’ und Zweiter Th. K k Herz Herz brach zu gleicher Zeit. Grete konnte nie an diesen Herz- an diesen Augenbruch denken, ohne bitterlich zu weinen. — Mine erhohlte sich indessen mit dem Tage, der sich auch er- hohlte. Was sie nach der Zeit schrieb, konnte sie nicht mehr versiegeln. Sie nahm die Ver- abredung mit Gretchen, diese Postscripte, gleich nach ihrem lezten Hauch, an sich zu nehmen, und sie mir zu geben. Von ihrem Begraͤbnisse sprach sie wenig oder nichts. Zuweilen aͤußerte sie den Wunsch, und auch dies nur beylaͤufig, unter ihren Verwandten begraben zu werden. Mitten unter ihnen — da hat man doch gleich Be- kannte bey der Auferstehung um sich herum, sagte sie! Ich, das bat sie sehr, und es ward ihr heilig versprochen, solte bey ihrem Begraͤb- niß seyn. Vielleicht wuͤnscht’ er mich noch zu sehen! Der Arme! troͤsten Sie ihn! ich sterbe dem Herrn, unserm Gott, ich sterb’ als Alexan- ders Freundin. Er hat mir geschrieben, daß er gern eine Haarlocke von mir haͤtte. Wenn er nicht vor dem Haar einer Todten zuruͤckbebt, kann er sie nehmen. Gott sey ihm gnaͤdig! — Der Tod grub jede Stunde naͤher, um Minen ans Herz zu kommen. Sie lebte zwar nach nach dem dunkeln Morgen noch einige Tage; allein es waren nur noch wenige Tropfen im Kelch! — Sie klagte wenig uͤber Schmerzen, was ich dulde, duld’ ich Gott. Kopfweh, Brust- schmerz und ein schleichendes Fieber, waren die Zerstoͤrer ihres Lebens. — An einem sehr schoͤnen Morgen kam der Prediger zu ihr. Gretchen war schon da. Sie nahm den Prediger und Gretchen bey der Hand. Dank! Dank! fuͤr alles Gute! Gott lohn Sie, sprach sie sehr leise — fuͤr alles, fuͤr alles — sie sprach noch schwaͤcher, stam- melte, schwieg, blickte sehr schnell auf, sah Gretchen, sah den Prediger an, hob ihr Haupt, fiel zuruͤck, schloß ihre Augen und (Gott mein Ende sey wie ihr Ende!) starb — — S o war die Ahndung der Seligen er- fuͤllt, daß sie des Morgens sterben wuͤrde. Der Tag, der letzte Tag fuͤr Minen unter der Sonne, gieng schoͤn auf, und blieb, wie er anfieng. Gretchen war außer sich! Sie war nicht von der Seligen zu bringen! O! der letzte Tropfen Todesschweiß, schrie sie, wie er da starr steht, und der Prediger — Gott hat abgewaschen die Thraͤnen von ihren Au- K k 2 gen. gen. Sie ist eingegangen zu ihres Herrn Freude! — Mir fielen, sagt’ er, da er mir diesen Sterbenslauf und den Umstand, daß sie ihr Haupt gehoben, erzaͤhlte, die Wort’ ein: Wenn dieses anfaͤhet zu geschehen, so sehet auf, und hebet eure Haͤupter auf, darum daß sich eure Erloͤsung nahet. Die Predigerin, als ob es ihr jemand gesagt haͤtte, empfand, daß ein Todter in ihrem Hause waͤre, und ward so unruhig, daß der gute Prediger Muͤhe hatte, ihr alles auf eine fuͤr sie ertraͤgliche Art beyzubringen. Er, und seine Tochter, konnten nicht von der Leiche kommen! — Gretchen nahm, um den lezten Willen der Seligen zu erfuͤllen, ihren Brief an sich, die sie neben ihr fand. Sie kuͤßte sie, und bat ihren Vater, sie zu versiegeln. — Sie lasen beide keine Sylbe. — Der Prediger schrieb an seinen Bruder in Koͤnigsberg, mich zu erfragen, und mich zu allem vorzubereiten. Er bat ihn, Sorge zu tragen, daß ich wohlbehalten nach L — kaͤme. Wagen, Pferde, und Vorlegpferde, alles war von dem Testamentsvollstrecker be- forgt. Den Bruder bat er nur halb mit zu kommen; denn er wuste nicht, daß ich ihn kannte kannte, und daß er in Koͤnigsberg mein Beichtvater waͤre, so wie er es in L — von Minen gewesen. Ich darf, nach diesem Umstande, es meinen Lesern nicht naͤher legen, daß dieser Bruder eben der koͤnigliche Rath, der Men- schenleser, war, mit einer ofnen, weit of- nen Stirn, schwarzem Haar, und einem Aug’, in dem man ihn zwar im Kleinen, al- lein doch ganz sahe, und dessen Abendgesell- schaften aus einem Officier, einem Collegen, einem Prediger, einem Professor, und mir bestanden. Der koͤnigliche Rath — hatte nicht noͤ- thig, mich zu erfragen. Er ließ mir sagen, daß er gern den Abend mit mir theilen moͤchte. Ich kam, und fand nicht den Collegen, den Prediger und Professor, sondern blos ihn! — Mit einer Klugheit, die ihres gleichen nicht hat, bracht er mich auf meine Liebe, wovon sein Bruder ihm, wiewohl nur ge- rade so viel, als ihm hoͤchst noͤthig zu seinem Auftrage war, entdeckt hatte! Ich wuste wo ich war. — Deutlich vermuthet’ ich aus ei- nigen Stellen unsers Gespraͤchs, daß der koͤ- nigliche Rath von meiner Geschicht’ unter- richtet war. Das Vierteljahr, und noch K k 3 viele viele Wochen druͤber, waren laͤngst uͤbers chrit- ten , ohne daß ich das Tagebuch erhalten. Da ich auf alle meine Erinnerungen und Briefe keine Sylbe erhielt, schlug die Ahn- dung wie ein Blitz, bey mir ein, ohne daß ich mir diese Ahndungsgabe je zu geeignet habe, noch jetzt zueignen darf: „ Mine ist — — — hier „! Wo ist sie, theurester Herr — Rath, frug ich, wo? Das Feuer, womit ich sprach, und womit ich ihm mein Herz voͤllig aufschloß, erlaubte diesem feinen sehr feinen Menschenkenner, und eben so großen Menschenfreunde nicht, mir alles zu entde- cken. Ich erfuhr nur, daß Mine in L — bey seinem Bruder waͤre! daß sie krank ge- wesen, und daß sie sehr krank gewesen. Ich wuͤrde mit — obgleich mein Bruder mich nur so, als wolt’ er mich nicht gebeten, sagte der — Rath — allein der koͤnigliche Dienst — Wie mir war, kann ich nicht schreiben, ich hab’ es selbst nie aussprechen koͤnnen. — Gleich so wie ich stand und gieng, wolt’ ich in den Wagen. — Er versicherte mich, daß ich nicht noͤthig haͤtte mich zu uͤbereilen, und daß es schon besser mit ihr waͤre. Tausend- mal wolt’ es mir einfallen, sie ist todt; al- lein lein es wolte nur, ich ließ es nicht dazu. Ich stieß diesen Einfall mit allen Kraͤften fort — und baͤumte mich so dagegen, daß ich auch wuͤrklich nur kurz vor L — mich davon uͤberzeugte. Wenn ich auf die Gegenstaͤnd’ acht gehabt, welche mein Lehrer abhandelte, wuͤrd ich freylich nicht bis kurz vor L — ungewiß geblieben seyn — ich hatte, die Wahrheit zu sagen, nicht das Herz, auf diese Gegenstaͤnde acht zu haben. Es waren alles Trostgruͤnde unter fremden Namen; un- ter ihrem eigenem taugen Trostgruͤnd’ ohne- dem nichts. Sie muͤssen all’ incognito kom- men. — Ich hatte nicht das Herz, den Fuhr- mann eher, als kurz vor L — nach Minen zu fragen. Hundertmal wolt’ ich, und hun- dertmal konnt’ ich nicht. Da grif ich Herz, und der gute Fuhrmann, dem freylich ver- boten war, mit der Thuͤr ins Hauß zu stuͤr- zen, sagte mir eben alles, da er mir nichts sagte, oder nichts sagen wolte. — Gott! mehr konnt’ ich nicht. Der Fuhr- mann bot mir ein Glaß Wasser an, um die Sache gut zu machen: allein ich hatt’ es nicht noͤthig. — Ists Betaͤubung, oder was ist eine solche Staͤrke? — K k 4 Auf Auf dem Kirchhofe, kurz vor dem Pasto- rat, ergriffen mich Schauer auf Schauer und ich fieng an zu zittern und zu zagen. — Der Pfarrer und seine Tochter kamen mir entgegen — ich hatte kein Wort, ich glaub’ auch keinen Ausdruck, im Vermoͤgen, wenn es mir das Leben gekostet haͤtte. Der Pfar- rer, der, wie er mich versicherte, selten einen so Seel und Leib gesunden Juͤngling gesehen hatte, sah mir alles! alles! an, — Gretchen wuste nicht, was sie denken sollte. Todt! fieng ich nach einer schrecklichen stummen Scene an, und Todt! war alles, was ich konnte. — Der Pfarrer wust’ auch nicht, nachdem er mich sahe, womit er anfangen sollte. Alles, worauf er sich vorbereitet hatte, war nicht anwendbar. Er hatte sich ein ander Bild, wie er mir nach- her entdeckte, von mir gemacht. — Todt! alles todt! sagte ich — und hielt mir den Kopf mit der rechten Hand. Der Pfarrer ergrif meine Linke. Fassung, sagt’ er so furchtsam, als wenn er zu fehlen glaubte, als wenn er selbst nicht wuste, was er sagen solte, als wenn er selbst nicht gefast war. Er war es wuͤrklich nicht, der gute Mann. Gott, der dieser Zeit Leiden so einrichtet, daß wirs koͤn- koͤnnen ertragen, ließ mich nicht lang in diesen schrecklichen, erschrecklichen Lage, in diesem: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! Sie ließ sie tausendmal gruͤßen, sagte Gretchen, und dies Wort wuͤrkt’ auf meine Empfindung, die Spannung ließ nach. — Mein Auge bezog sich. — O Mine! sagt’ ich mit einem Ton, der Greten durch Mark und Bein gieng, auch den Prediger traf er. Sie weinten beyde — auch ich fieng an zu wei- nen; allein heftig. Das Donnerwetter hatte sich noch nicht voͤllig verzogen. Es donnerte und blitzte waͤhrend dem heftigen Regen. Oft hab ich daruͤber gedacht, wie es zu- gegangen, daß ich nicht sogleich gerungen, sie zu sehen. — Nun fiel es mir auf einmal ein, wo ist sie? wo? fieng ich an, und da war sie auch schon in meinen Armen, an meinen Lippen! Gott, welche Scene! — — O Mine! Mine! Mine! Mine! Mehr konnt’ ich nicht, ich fiel zuruͤck. — Eine Seelenohn- macht ergrif mich. — Der gute Prediger und seine Tochter sagten abwechselnd: Sie ist bey Gott! mehr konnte sie auch nicht. Wir wa- ren alle drey so Lebens muͤde und satt, daß K k 5 wir wir gern! gern allzusammen da gestorben waͤ- ren. Gern, um in Minens Geselschaft zu seyn. Gott! ist sie dann nicht werth, daß man ihret- wegen stirbt! Sie war mir alles, fieng ich an, und weinte. Welt! Leben! alles! sagt’ ich, und weinte bitterlich. — Geliebte Leser und Leserinnen, habt Mit- leiden mit mir, auch jetzt, da ich dies schreibe, wein’ ich und weine bitterlich. — Nach einer langen Weile, da ich mit star- rem Blick sie angesehen, sprang ich auf und schrie: sie lebt! Noch diese Minute weiß ich nicht, wie ich zu diesem: Sie lebt! kam — ich sprang auf, druͤckte sie fest an mich, und siehe da — — ich fuͤhlt’ einen warmen Othem. — Der Prediger kam, Gretchen kam, alles mir nach: Sie lebt! — Minchen, rief ich, du lebst, du lebst! Steh’ auf von den Todten! Erwach! erwach! Du schlaͤfst nur! Mine, Weib meiner Seele! sieh auf! sieh nur noch einmal auf! nur noch ein Wort! Mine! nur ein einziges! Der Prediger machte Proben mit dem Othem, wie es schien, und das nicht ohne die Fassung, die eine jede Probe erfor- dert. — Sie lebt! schrie er mit einer erpruͤf- ten Gewißheit, daß ich vor Freud’ außer mir war! Es ging so weit, daß wir lebendiges Blut Blut in ihrem Gesicht bemerkten, und froh und froͤhlich waren. Wir haben einen Gott, sagte der Prediger, der da hilft, und einen Herrn, der vom Tod errettet. — S ie lebte nicht! — hin ist hin — Wir haben einen Gott, der da hilft und einen Herrn, der vom Tode errettet. Dort lebt sie, dort wird sie leben, dort! Ich werde sie eher nicht wiederfinden, als unter den Vollendeten Got- tes, die zu seinem Reiche gekommen sind! — Heil denen, die kommen sind aus großem Truͤb- sal, und die dort ruͤhmen koͤnnen, daß der Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, die an ihnen offenbar worden! — — O Gott, dieser Lebensstunde, wie viel bin ich ihr nicht schuldig? Dies war der En- gel, der mich staͤrkte. Es war so, als ob die Selige mir Trost eingehaucht, und einen himmlischen Othem verliehen haͤtte. Ich fuͤhlte mich kraͤftig, bald! bald! werd’ ich seyn, wo sie ist, bald bey ihr seyn! Durch das eingebildete Leben ward’ ich lebendig. Sind wir Menschen nicht beson- dere Geschoͤpfe? Oft troͤstet uns, was uns mehr niederschlagen sollte! — Wir Wir blieben ein Paar Stunden bey der Leiche. Der Prediger machte nun wieder Entgegenproben! — Nachdem wir die Leiche verließen, und der Prediger mich, nach sei- nem selbst eigenen Ausdruck, wie umgekehrt fand, nahm er mir ein Versprechen ab, ihre Huͤll, ihr Erdenkleid, nicht mehr, als noch einmal, zu sehen. — Er machte dies zur Sache Gottes, und ich versprach — und hielte . Gott weiß, wie schwer es mir ward. Ich aß wenig, trank noch weniger. Der Prediger glaubte, daß ich nach so entsetz- lichen sprachlosen Stunden Ruhe noͤthig hatte. Gott schenk sie ihnen, setzt’ er hinzu! — Wir giengen ein jeglicher in sein Kaͤm- merlein, wie uͤber ein kleines jeglicher in sein Grab gehen wird, am Ende seiner Tage! — allein welch eine Nacht! — Mein Herz schlug ein andres Capitel auf. — Die Ver- klaͤrte hatte mich ihres Ablebens wegen zuvor mit verklaͤrt; allein jetzt fiel es mir ein! wie kam Miene nach Preußen? Ich ungluͤcklicher! so nah bey ihr! Diese Sandkoͤrner wurden mir zu Bergen; ich druͤckte die Augen zu, um diese Vorstellungen zu erdruͤcken; allein dies war eben der Weg, noch mehr zu se- hen. — Ich sah’ im eigentlichen Sinn Ge- spen- spenster. Anfangs fuhr ich auf, und nach- her wimmert’ ich — ich wuste von nichts, was ich that. Im Bette hatt’ ich nicht Raum, mit allen diesen Dingen. — Der redliche Prediger hatte sein Kaͤmmer- lein neben mir genommen. Anstatt schlafen zu gehen, zog er also eigentlich auf die Wa- che, um, wenn es noͤthig waͤre, bey der Hand zu seyn. — Der Schlaf floh auch ihn, und es war mir besonders, daß wir all’ im Hause nicht eher eine ruhige Schlafstunde hatten, so muͤd’ und matt wir auch waren, als bis Mine begraben war. Der Prediger meinte, daß es ein unempfindliches Herz verrathen wuͤrde, in einem Hause schlafen zu koͤnnen, wo ein noch uneingesargter Mensch laͤge. Er wenig- stens haͤtt’ es, wie er sagte, nie koͤnnen. — Man bildet sich ein, duͤnkt mich, zu ster- ben, wenn man so nahe bey einem Todten einschlafen solte, und fuͤrchtet sich vor dem Schlafe — daher die Leichenwachen, oder aus einem andern Gesichtspunkte: man sieht sich selbst todt, wenn ich so sagen soll, bei einem mit Haͤnden zu greifenden Leichnam. Die Ae- gyptier wuͤrden nicht bey einer Leiche haben essen und trinken koͤnnen. Dafuͤr steh’ ich. Wir Wir blieben zusammen. Der Prediger hielt fuͤrs dienlichste, mir die ganze Sache so, wie sie war, darzustellen, und in Wahrheit, das ist das einzige Mittel zur Beruhigung. Wenn ein Ungluͤcklicher die Grenzen seines Ungluͤcks wissen will, meßt sie ihm gleich ganz und gar zu — keinen Strich weniger, ihr macht ihn sonst bey jedem neuen Zuge ungluͤcklicher — ihr laßt ihn einen so vielfachen Tod sterben, als ihr Absaͤtze, Ruͤckhalte, und Punkte macht; ich selbst kann zum Belage in Ruͤcksicht dieser Bemerkung dienen. Was der lebendige Othem Minens gestern Abends war, das war die Geschichte des Predigers heute Mor- gens. — Gretchen kam, hoͤrte was vorgieng, und holte mir das Depositum. Da hatt’ ich nun Minens Geist in allen Haͤnden. Ewig werth sind mir diese Papiere, wenn ich sterbe, sollen sie mein Hauptkuͤssen im Sarge seyn. — Das, so der Prediger be- siegelt hatte, war das erste, welches ich las. Aus dem versiegelten Pack wissen meine Le- ser schon, was mir schien, als koͤnnt es ih- nen wissenswuͤrdig seyn. Vieleicht ist ihnen vieles nicht also? Verzeihung in diesem Fall, geneigter Leser! Ich hab’ es oft, nie aber so sehr, als hier gefuͤhlt, wie schwer es sey, mit mit ich anzufangen. Pilatus und Herr v. E. sagen: was ich geschrieben habe, das hab’ ich geschrieben. Schade! sonst wuͤrd’ ichs auch auf mich anwenden. — Minchens lezte Schrift. aus Gretens Haͤnden . D as lezte, das ich in dieser Welt schrei- be, sey dein. Gott der Herr! der Herr! sey mit dir! Wenn ich sagen wuͤrd’, ich gieng’ ohne Wunsch aus der Welt, noch laͤnger hier zu seyn, wuͤrd’ ich einen falschen Eid vor Gottes Ge- richt zu verantworten haben. Eng’ ist die Pforte, durch die ich mich drenge — allein wenn ich durchgebrochen — ich fuͤhl’s was fuͤr Erquickung mir entgegen wehen wird. Meine Seele sehnet sich nach Ruhe, nach dem Sab- bath —! Der Gerechten Seelen sind in Got- tes Hand, und keine Quaal ruͤhret sie an. Ich liebe dich! Ich liebe dich! Gern haͤtt’ ich dich noch in der Welt gesehen und gesprochen — gekuͤßt — jetzt nicht mehr, so gern ich dich- sonst gekuͤßt habe. — Deine Hand haͤttest du mir aber reichen muͤssen! Ich war immer stark an ihr — und auch nun haͤtt’ ich die Staͤrke aus ihr herausgenommen. — Ich sterbe dar- um um getrost, weil ich unsrer Liebe wegen Gott geopfert werde, und ihm und seinem Gebot sterbe. Ich sterb’ einen Maͤrtyrertod und fuͤhl’ es, wie weit leichter es seyn muß, so und nicht anders zu sterben. Zwischen Tod und Tod muß ein großer Unterschied seyn! Das kann ich bes- ser wissen, wie du. — Wir werden uns wie- dersehen, Lieber! Lieber! Lieber! Mit diesen Augen werd’ ich dich sehen, mit diesem Herzen dich lieben, mit diesem Herzen — wie schwach ists, sehr schwach. Ich will die lezte Kraft abwarten, das lezte Aufflackern meiner Seele. — Ich habe meinen Geist in die Haͤnde Got- tes befohlen, so lang ich mich noch ganz be- saß. Jetzt sterb ich allmaͤhlig! Bald vollbracht! Ihm, dem Vater aller Barmherzigkeit und alles Trostes, sey Lob und Preiß fuͤr alles! fuͤr alles! Er schlaͤgt und heilt! Er verwundet und laͤßt genesen! Oft dacht’ ich, er haͤtte sich von mir gewendet. Ich rief, und er antwortete nicht; allein er erloͤsete mich gewaltiglich aus aller Noth! Bald vollbracht! bald! Ich dachte schon nicht mehr in dieser Welt zu schreiben, denn es uͤber fiel mich sehr ploͤzlich; allein ich habe noch viel zu schreiben, wuͤrde mich der Tod uͤbereilt haben, haͤtt’ ichs muͤndlich zuruͤck- lassen muͤssen. Wie oft ich gewuͤnscht und mich ge- gesehnt habe, dich noch zu sehen, weiß Gott der Herr! Der Arzt widerrieth es, und der liebe Prediger auch. Gottes heiliger Will ist geschehen. Ich hatte mich schon ziemlich er- hohlt — nicht zum Leben — nein, dich zu sehen, und diese Hofnung, eben diese, diese Hofnung, frischte mich zusehens auf. — Got- tes Gedanken sind nicht unsre Gedanken, seine Wege nicht unsre. Bald haͤtt’ ich dir wieder erzaͤhlt, was du schon weißt — mein Kopf ist schwach, sehr schwach. — Daß es keine Suͤnd’ ist dich zu lieben, kann ich am besten jetzt entscheiden — jetzt, wo uͤber das ganze Leben entschieden wird. Es entgeht mir nicht das mindeste von allem! allem! allem! was ich von Jugend an gedacht und gethan! — uͤber alles haͤlt das Gewissen Gericht! — Ver- zeihe mir, Herr, alle meine Fehler, dein harret meine Seele! meine muͤde Seele. Du allein, Herr! schenkst den Beladenen Ruhe, Seelen- ruhe. Dein Joch ist sanft, deine Last ist leicht, schon hier sanft und leicht; allein noch mehr sanft und leicht, wenn man auf die Zukunft sieht. Vor Gott ist kein Lebendiger gerecht; allein glaub mir, mein Lieber! ich bin ruhig — und ich bin der festen, festen Zuversicht, daß, der hier in mir angefangen hat das gute Werk, Zweiter Th. L l es es bestaͤtigen und vollfuͤhren werde bis an den lezten Gerichtstag! Ich lieb dich, mein Lie- ber! Gott weiß es. Er weiß auch wie! Es ist eine andre Liebe, wie in — — auf dem Kirch- hofe, mit der ich dich jetzt sterbend liebe. Ue- ber all’ unsre Liebe hat mich das Gewissen gleich losgesprochen, gleich ohne Umstaͤnde — Das kann ich dir zum Trost schreiben. O Gott! waͤr’ doch dies zureichend, dich zu troͤsten. Wenn ich wuͤst’ und glauben koͤnnte, daß es dir zum groͤßern Trost gereichet, wenn du mich gesehen und mich gesprochen, was wuͤrd’ ich mir fuͤr Vorwuͤrfe machen! Wahrlich dann haͤtt’ ich mich sehr an dir versuͤndigt — ich glaube nicht, daß es dir troͤstlicher gewesen waͤre — ich glaub’ es nicht — und dieser Ge- danke beruhiget mich! — Ich will, ich werd’ an dich denken, mein Geliebter! auch in meinem lezten! allerlezten! — Verlaß dich drauf und sey nicht unruhig, daß du mich und ich dich nicht noch gesehen. — Wir werden uns doch kennen, wie ich hoffe, daß Leib und Seel, wenn sie gleich lange durch Tod und Grab getrennet worden, sich gleich wieder kennen werden. Das wird eine Freude seyn. All diese Freuden stehen mir vor, und auch dir! O Selig sind die Todten, die im Herrn Herrn sterben! — Deinen Namen, mein Ge- liebter, will ich tausendmal aussprechen und dir die kalte Hand zureichen, wenn du auch nicht da bist. Deinen Namen will ich mir auch beym Scheiden vorstammeln, so daß ich noch mit der lezten Sylbe bis in den Him- mel, bis in die andere Welt, lange. Ich werd’, ich kann ihn nicht vergessen, auch wenn ich deinen himmlischen Namen erfahre, will ich deinen irrdischen nicht vergessen! Ich habe dich sehr, sehr geliebt, mehr als du gedacht, mehr als ich dir gesagt hab’ und sagen konnte. Meine Mutter will ich dort von dir gruͤßen, und ihr sagen, welch ein guter edler Junge du gewesen bist, bis in meinen Tod — Gott sey mit seiner Gnade, mit seinem Segen uͤber dir, hier zeitlich nnd dort ewiglich. Das fuͤhl’ ich im Sterben! im Sterben, bey der lezten Probe von dem, was gut ist, und was es nicht ist! Das fuͤhl ich, daß eine Liebe, wie die unsrige, eine himmlische Liebe sey. Sie war nicht fuͤr diese Welt, sie war nicht von dieser Welt. — Ich empfehle dich Gott und seiner Gnade, der walt’ uͤber dich — wieder schwach — ich lege die Feder noch nicht weg — ich hoffe Staͤrke. Nein — schwach noch immer, sehr! sehr schwach! — L l 2 Noch N och schwach, allein so sehr nicht, wie gestern. — Gegen Abend bin ich immer matter, so gehts allen Kranken. Der Pre- diger sagt, daß die meisten mit dem Tage sterben, sie gehen des Abends zur Ruhe. Mir ahndet, daß ich des Morgens sterben, und zu meiner Ruh eingehen werde. — Wie Gott es beschlossen hat. Nicht was ich will, sondern was Gott will. Die Stunde des Todes ist Gottes Sache! Ihm sey alles heimgestelt! Laß mich nur selig sterben! Gott, meine Zuversicht, laß mich vor dir Barmher- zigkeit im Tode finden! im Tode! So wie das Leben ist, so ists Sterben. Bald schwach — bald etwas besser. Ganz gut ist’s doch nicht hier, sondern dort. Der liebe Pastor, seine Frau und Gretchen, sind gute Seelen! O lieber Gott, wie wird’s in deinem Him- mel seyn, wo dir alles nach macht und so gut seyn will, wie du’s bist. Da kommt Gret- chen mit ihrer Mutter — ich soll zu Bette gehen. — Gott sey mit dir! — Ich denk immer, wenn ich zu Bette gehe, wie wirds seyn, wenn ich begraben werde? wie? Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Quaal ruͤhret sie an — das troͤstet mich! mich! Dieser Trost bleibt auch im Tode un- uͤberwunden! Ich lebe dem Herrn! Ich sterbe dem Herrn, im Leben und Sterben bin ich des Herrn! — I ch habe lang mit mir gestritten, ob ich dir das lezte Stuͤck von meinem Tagebuch, das mit einem großen Kreuz bezeichnet ist, zuruͤcklassen, oder ob ichs mit ins Grab neh- men sollte? Du weiß’st, daß ich dir bis an das große Kreuz keine Klage uͤber meinen Vater gefuͤhret habe, ich wolt’s auch jetzo nicht — ich stritt lang mit mir, endlich und endlich hielt ich mich verbunden, dir, fuͤr den ich kein Geheimniß gehabt und haben kann, Rechenschaft von meinem Tode zu ge- ben. Im Himmel haͤtt’ ich dir ohnedem so was nicht erzaͤhlen koͤnnen, und niemand weiß es, was ich weiß, und was dir dieses Tagebuch sagen kann, ausser Benjamin! und den hof’ ich auch dort zu finden. — Lies, und fluche meinem Vater nicht, ich hab’ ihm naͤchst Gott mein Leben zu danken. Wuͤrd’ ich nicht in dieser Pruͤfung gelebet haben, koͤnnt’ ich nicht Gottes Angesicht sehen, und ewig genesen. Dort ist mein unbeflecktes Erbe mir aufbehalten im Himmel! Fluch’ L l 3 ihm ihm nicht, meinem Vater. Denen, die Gott lieben, muͤssen alle Dinge zum besten dienen. Seine Grausamkeit ist meine Befoͤrderung zur ewigen Ruhe. Mein Leib stirbt je laͤn- ger je mehr, und der Geist, sein Freund, nimmt oft mehr hier an Theil, als ichs gerne sehe. Doch giebts Stunden, wo ich fuͤhle, daß meine Seel’ unsterblich sey, wo ich nicht sehe auf das Sichtbare, sondern auf das Un- sichtbare, denn was sichtbar ist, ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, (o Gott hilf mir!) ist ewig, ist ewig. Es ist meiner Seel oft so, als wenn man den Kirchthurm von dem Orte sieht, wo man hin will. Man denkt, man sey schon da! Ich habe heute mit meinem lie- ben Pastor wegen des Tagebuchs mit dem Zeichen des Kreuzes noch einmal gespro- chen. Er nimmt es auf sich, dich zu allem vorzubereiten. — Fluche meinem Vater nicht. Fluch’ ihm nicht! — Darf ich hier eine Einschaltung machen; dies Kruztagebuch lag im großen Pack. Nach einem großen Kreuze faͤngt es an: Ob Ob du je dies Blatt und die Folge die- ser Geschichte lesen wirst, weiß Gott, der alles weiß. Ich zittere, daß meine Ahn- dungen so haarklein eingetroffen sind. Wenn noch eine andere eintrift; sehen wir uns nicht eher, als in der ewigen Freud und Se- ligkeit. Waͤrst du nicht, lieber Junge, in dieser kummervollen Welt, wie gerne, wie herzlich gerne! — im Leben und im Sterben bin ich dein, und ewig dein! dein! dein! — Wieder Minchens Schrift aus Gretchens Haͤnden . E in Testament, lieber Junge, ist mir von je her was feyerliches, eine Herzenslust, eine Seelenwonne, gewesen. Schon laͤngst hab ich drauf gedacht, dir eins zuruͤckzulassen. Wo ich nur dazu kommen konnte, las ich Testamente, und wie sehr freut’ ich mich, wenn ich eins gelesen hatte, daß die Leut’ oft in ganz gesunden Tagen bedenken, daß ihr Leben ein Ziel hat, und daß sie davon muͤs- sen. Heute will ich mein Testament machen. Ein Testament in meinem neunzehnten Jahre! — So winkt Gott manchem am truͤben L l 4 Abend Abend seines Lebens, manchem am heitern Morgen — komm, Herr, ich bin bereit! Im Namen Gottes. In deine Haͤnde befehl’ ich meinen Geist, treuer Gott und Herr! Wenn mein Haupt sich neigt, wenn mich nichts mehr erwaͤrmt, wenn die Haͤnde saftlos dahin sinken, und der Puls, statt zu schlagen, zittert, als ob er selbst vor dem Tod’ erschroͤcke, sey nicht fern von mir, Gott meine Huͤlfe! Sey mir nicht schrecklich, mein Gott! in meiner lez- ten Noth! Ich harre dein. Laͤngst hab’ ich den Tod kennen gelernt; denn ich bin schon viel und oft gestorben, wenn ich aber zum leztenmal sterbe, o Gott, hilf mir! Wenn ich heimfahr’ aus diesem Elend, sey mein Herr und mein Gott. Amen! Amen! Dich, herzlich Geliebter, bekenn’ ich ster- bend als den Meinigen! — Ich beschwoͤre dich, daß du uͤber meinen Tod nicht traurest, wie die, so nicht glauben eine Zusammen- kunft der Auserwaͤhlten zu Gottes Rechten, und dann Freud’ und Wonn’ in Ewigkeit vor dem Angesicht des Herrn aller Welt! — Ich setze dich zum Erben ein alles dessen, was ich habe. Es sind Sachen, die du in deinen Haͤnden gehabt; eben hiedurch hast du sie sie fuͤr mich geweihet. Nach unserer Tren- nung hab ich auf nichts neues gedacht. Ma- che mit diesen Sachen, was dich gut duͤnkt. Ein Stuͤck gib meinem Vater zum Andenken, wenn ers will, ich glaub’ er wird wollen, und ein Stuͤck behalt deiner Mine zum An- denken. Wenn eine Thraͤne auf dies dein Lieb- lingsgewand hinabfaͤlt, (Gott laß sie sanft wie Thau fallen!) hast du genug Leid getra- gen um deinen Todten — und hiemit nehm’ ich von dir, als meinem Mann, Abschied. — Ich danke dir fuͤr deine eheliche Treue, du hast mich herzlich geliebet. — Habe Dank, mein Seelenmann, fuͤr alles Gute, das du an mir gethan! fuͤr deinen treuen Unterricht! fuͤr dein Beispiel! fuͤr alle, alle Proben dei- ner Liebe! — Gott lohne dir fuͤr alles zeit- lich! geistlich! und ewig! Meine Sinnen sind ausgetrocknet. Fast hab’ ich keine Thraͤ- nen mehr, um diese Wuͤnsche zu begleiten. — Da quilt ein’ empor! Sie sey dir zum Se- gen geweint, Amen! Nun meine feyerlichste Bitte: mein Beschwur! — Ich bitte dich vor Gott und nach Gott! ich beschwoͤre dich bey allem, was heilig ist im Himmel und auf Erden, und nach diesem hohen Schwur — bey meinem lezten, lezten Seufzer, bey L l 5 mei- meinem lezten Todesstoß, bey meinem lezten warmen Hauch — dich zu seiner Zeit ehe- lich zu verbinden! Gott segne dein Weib und die Kinder, die sie dir schenken wird! Wir sind geschieden! Gott hat uns verbunden und geschieden; der Tod bringt uns den Scheidebrief. Von diesem Augenblick an, da ich dieses schreibe, bist du nicht mehr mein Mann! Das leztemal nenn’ ich dich meinen Mann, o Gott, das leztemal! — und von diesem leztenmal bist du nicht der Meinige, sondern der Mann deines kuͤnftigen Weibes. Wenn dir ein Sohn stirbt, schreckliche Ahn- dung! sey er mein, in der andern Welt — ich will mich mit ihm verbinden, wie sich Engel Gottes verbinden, und deine himmlische Schwiegertochter werden. Da kommen dir dann und deinem kuͤnftigen Weib’ entgegen, ich, meine Mutter, dein Sohn — und lehren dich in der Stadt Gottes die Haͤuser kennen. Halleluja! Halleluja! Amen! — Ich bat Gott um einen Engel, mit Staͤrkung aus seiner Hoͤhe; er sandte mir sei- nen Knecht auf Erden, die auch des Herrn ist. Er ließ mich essen aus seiner Hand, und trinken aus seinem Becher. Es ist bey wei- tem nicht dein Vater; allein er ist auch ein treu- treuer Diener seines Herrn, nach der Gabe, die er empfangen hat. Seine Tochter Gret- chen druͤckte mir den Kopf zusammen, wenn er aus einander fallen wolte, eh’ es Zeit war — und seine Frau, man sagt sie sey schwer- muͤthig; allein ich sage, sie ist entzuͤckt, sie hoͤrt und sagt Worte, die uͤbermenschlich sind. — Sie war mir als eine Gereisete, die zu erzaͤhlen wuste, wies dort zugeht. — Der Mann sanft, wie Johannes, den der Herr lieb hatte! — Sie eine Hanna. — Er hat mich getroͤstet, da nichts mehr Mark und Bein erquickte, da kein Trunck mich labte, und das Wasser selbst, wies der liebe Gott giebt, mir schaal schmeckte — ich durstete nach dem Wasser des Lebens. Bald! bald! — Zehn und mehrmal war mir der Puls abgelaufen, sein Trost zog ihn, so daß ichs recht merken konnt’, auf — freylich nur auf wenige Stunden; allein glaub mir, je naͤher am Tode, je koͤstlicher die Zeit. Wenn du dich diesem Priesterhause verbinden kannst, thu es. — Es sind all zusammen gute gnuͤg- same Leute, die nicht aufs Sichtbare sehen, son- dern auf die Erscheinung des Herrn warten. — Schon oft hab’ ich gebeten, und ich wie- derhohl’ es noch einmal, in diesem meinem lezten lezten Willen, meinem Vater nichts zuzurech- nen. Vergib ihm, o Lieber! Vergib ihm, so wie du wilst, daß mir und dir Gott ver- gebe. Kannst du ihm helfen, hilf ihm. Meine Flucht kann ihn vielleicht in noch schlechtere Verfassung bringen, als er schon war, da er die Schule aufgegeben hatte. — Vergib ihm, und dem v. E. — — so wie ich bey- den vergebe! — O es ist eine schoͤne Sache zu vergeben. Vergib ihnen alle Leiden, die sie mir gemacht, und auch dir — du kannst in deiner eigenen Sache nicht Richter seyn. Mein Leiden und Tod trift dich zu nahe, ver- gib allen alles — den Eßig und Gall am Kreuz — sie wissen nicht, was sie thun! Oft denk ich an den Tod des groͤsten Todten! der uns ein Fuͤrbild ließ nachzufolgen seinen Fußstapfen, und dann bin ich froh uͤber die Kriegsknechte, welche die Widdem besetzten, und uͤber so manchen Pilatus, der nur den Leib toͤdten kann, und die Seele nicht, wor- unter ich aber den ehrlichen Nathanael nicht rechne; denn wahrlich er that mehr, als sich die Haͤnde waschen. — Sag’ ihm, wenn du ihn in dieser Welt sprichst, daß ich ihm von Herzen vergeben habe. Seit der Zeit, da er mich schreckte, war es vollbracht! al- les les vollbracht! Wenn mein Bruder lebt, gib ihm den Brief, den ich deinem großen von mir versiegelten Pack beygelegt. Meinem Vater gieb auch den Seinigen. Kannst du meinen Verwandten in Mitau foͤrderlich und dienstlich seyn; sey es! — Gott wird dich lohnen. Er segne dich mit reichlichem Se- gen, mit mehr als einem Segen. Amen! Ueber ein Klelnes werden wir uns nicht sehen, und uͤber ein Kleines werden wir uns sehen; ich gehe zum Vater. Diese Worte hat mir der liebe Pastor in L — — so eindruͤcklich gemacht, daß sie mich staͤrken fuͤr und fuͤr. Gruͤße deinen Vater und Muter — ich kuͤsse beyden die Haͤnde. Gott laß es ihnen wohl gehen, ewig, ewig wohl! — ich bin matt, sehr matt! — Wenn mein Bruder mir im Himmel zuvorgekommen ist, denk’ an das Grab meiner Mutter, damit es nicht ver- falle, sondern ein Grab bleibe; denk’ an alle heilige Oerter, von denen ich meinem Bru- der geschrieben habe. Ich bin in — — nahe am Kirchhofe in die Welt gekommen, in L — — nah am Kirchhof’ geh ich aus der Welt. Ich verbiete dir nicht, an mich zu denken; allein thu es nie, wenn du allein bist, sondern im Beyseyn der der Deinigen, damit du stark bleibest. Amen! — Dies ist mein lezter Wille, den du in al- len Stuͤcken und besonders wegen meiner feyerlichsten Bitte vor Gott und nach Gott erfuͤllen must, so wahr dir mein An- denken lieb ist! Nun zum leztenmal Amen; Angefangen fruͤh Morgens, geendigt um sie- ben Abends den — — 17 — Nach diesem Testament, das sie den Tag vor ihrem Tode gemacht hatte, schrieb sie nur noch folgende Zeilen: Sey gut — ich kann nicht mehr — Nach diesem Elend ist uns bereitet ein Leben in Ewigkeit — Heilig! heilig! heilig! ist Gott der Herr! — hinauf! hinauf! ich kann nicht mehr! — aber denken, beten, segnen noch! — noch — noch — Leb wohl! wohl! wohl! — Noch sehr unleserlich und immer in die Hoͤhe standen die Worte: ich bin bereit — Komm Herr! — Schmerz — Angst, keine — im Himmel — lieber Wie sehr mich diese Zugabe geruͤhrt hat, ist unaussprechlich — Alles himmelan! Sie ist entgangen! Gott helf’ auch mir und allen, die seine Erscheinung lieb haben, kaͤmpfen den guten guten Kampf des Glaubens und den Le- benslauf vollenden! Ihm sey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! — Der Brief an ihren Vater, dessen sie erwehnt: Mein Vater! Wenn Sie diesen Brief lesen, hat ihre Tochter alles geendiget, alles! — Sie hat ausgerungen, ausgekaͤmpft — uͤberwunden. Ihr ist wohl, ewig wohl! Sie ist bey ihrer Mutter in der ewgen Freud’ und Seligkeit, verklaͤrt! und herrlich! Halleluja! — Ich mache dem Herrn v. E. keine Vorwuͤrfe, und habe meinen Geliebten gebeten, auch keine zu machen, sondern ihm alles zu verzeihen, so wie ich alles dem Herrn v. E. verziehen habe, und jetzt mit sterbender Hand verzeihe. Wenn ihn mein Tod auf den Gedanken bringt, daß die verfolgte unterdruͤckte Tugend den großen Vorzug habe, sterben zu koͤnnen, (wahrlich ein großer Vorzug!) so wird er einsehen, daß sie uͤber alle Gewalt erhaben sey, und sie eben darum vielleicht hochschaͤt- zen lernen. — Moͤcht’ er es doch! — Ihnen, mein Vater, wuͤnsche ich Gottes Gnad und Segen. Es gehe Ihnen wohl, sehr wohl! wohl! Unser Leben ist kurz. Sie sind aͤlter, als ich. — Was ist doch die ganze, ganze Welt, wenns zum Sterben geht! — Solt’ es Ihnen in dieser Welt noch fehlen, sehen Sie meinen Geliebten, als ihren Freund, an, der sie nicht verlassen, noch versaͤumen wird. Ich empfehle mich Ihrem Andenken. Meine Mutter werd ich von Ihnen gruͤßen, und wie froh werd’ ich seyn, Sie, mein Vater, einst dort wieder zu finden, und meiner Mutter diese feste Hof- nung zu geben. Es wird ihr, das weiß ich, eine große Freude seyn. Leben Sie wohl! Le- ben Sie wohl! — — ewig wohl! — — Der Brief an ihren Bruder Benjamin ist eine Wiederholung Ihres von ihm genomme- nen Abschiedes, da sie in — — sich schieden, und der Uebergab’ und Einweisung in Ruͤck- sicht aller heiligen Oerter, unter denen das Grab ihrer Mutter das vornehmste war. So- dann die Eroͤfnung, daß sie mich auf seinen Todesfall in dieser Aufsicht substituirt haͤtte, und auch im Leben schreibt sie, wird er dich unterstuͤtzen. Er ließt diesen Brief, den ich ihm offen lasse. — Ich lernte die Predigerin den Tag nach meiner Ankunft kennen, ihn, glaub’ ich, ken- nen meine Leser ohne meine Nachhuͤlfe. Er war war ein ehrlicher Mann, und wolte nichts mehr, allein auch nicht weniger, als ein Pre- diger seyn. Seine Stelle war nicht die vorzuͤg- lichste; indessen warf sie so viel ab, daß er le- ben konnte, mehr, sagt’ er, bedarf ich nicht. Er hatte zwey Soͤhne, welche der koͤnigliche Rath als die Seinigen in Koͤnigsberg erzog. Gretchens Bruͤder giengen in eine der besten Schulen, sie solten beyde Geistliche werden. Unser Prediger war kein Kipper und Wipper. Er verfaͤlscht’ und beschnitte nichts, sondern ließ alles, wie es war, unumgeschmolzen beym alten Schroot und Korn. — Die Bibel, sagt er, ist an sich schon eine lautere und vernuͤnf- tige Milch. Wer die Bibel anders, als aus der Bibel erklaͤrt, ist ein Miethling. — Schon seit fuͤnf Jahren hat er an einem Werk uͤber die Suͤnde wider den heiligen Geist gear- beitet, woran er mich nach Minens Begraͤbniß naͤhern Theil nehmen ließ. Er wolte seinem Bruder eine unvermuthete Freude machen und ihm diese Schrift zueignen. So weit ich den Bruder kenne, konnt ihm mit einer Zuschrift uͤber ein Werk von der Suͤnde wider den hei- ligen Geist nicht sonderlich gedient seyn. Seine Frau? Bey ihrer Einbildungskraft war der Zaun gebrochen, sagte der Prediger, Zweiter Th. M m und und traf sie vollstaͤndig. Sie hatte viel Gutes, viel Herzliches an sich. Sie sah’ jeden starr an und kam dem, mit welchem sie sprach, unge- woͤhnlich nahe. Sie grif ihn mit ihren großen etwas verwilderten Augen. Es ließ diese Pro- phetin gleich beim erstenmale so viel Zutrauen gegen mich aus ihren Augen schießen, daß sich der Prediger und alle, die sie kannten, daruͤber wunderten. Sie blieb sich die ganze Zeit uͤber gleich, ohne tiefer in ihre Lindenkrankheit zu fallen, die sie indessen nie ganz verließ. Sie hatt’ eine schleichende Lindenkrankheit, sagte Gretchen, wie man dergleichen Fieber hat, das auch zuweilen in Heftigkeit ausbricht, und nicht immer schleicht. — Gretchen, ein rein und unschuldiges Maͤd- chen, das aus Liebe zu Minen mit dem Depu- tatus nicht essen wolte. Sie hatte Verstand; allein ihr Verstand lag in ihrem Herzen, oder wenigstens nicht weit davon. Alles, was Gret- chen sagt’ und that, sagt’ und that sie von gan- zem Herzen — Ich habe mit Fleiß meine Leser und mich von Minchens Leich’ abgezogen; allein konnt’ ich sie lassen? Wenn meine Leser scheel uͤber diesen Abzug gesehen, dann! dann erst! koͤnnt’ ich vom Gluͤck sagen! — Mine Mine hatte sich mit Gretchen am meisten unterhalten und Gedanken mit ihr gewechselt. Gretchen nahm Stunden bey Minen. Ich weiß nicht, ob ich meinen Lesern einen Gefallen er- weise, wenn ich Ihnen etwas aus einem Auf- satz ausziehe, den Gretchen, wie sie sagte, Mi- nen nachgeschrieben. Nur etwas — Ich hab mich sehr mit mir selbst gestrit- ten, ob ich das Leben verliere. Allein in Wahrheit ich verliere nichts, nichts, wenn ich auch einen Strich zwischen dieser und jener Welt ziehe. Denn hatt’ ich dies Le- ben? Hoͤchstens haͤtt’ ich es haben koͤnnen. Hatt’ ich Alerandern den Pastor? War ich Frau Alexander, die Pastorinn? Ich hab nur Hofnung, nicht Leben eingebuͤßt — und (wenn ich den Strich wiederloͤsche,) diese Hofnung mit jener Hofnung abge- wogen: Sterben ist mein Gewinn, und schadet mir nicht . — Wie wahr in jedem Munde, und wie ruͤh- rend wahr in einem sterbenden! — Wer neun- zig Jahr gelebt hat, ist im siebenten gestorben, und hat sich hin und zuruͤckgelebt. Wer sich nicht mit Leben uͤberhaͤuft und zuviel auf ein- mal gelebt hat, ist im sechszigsten Jahre stark, wie ein Juͤngling, und kann selbst noch Vater werden, wie es oft geschehen ist. Im M m 2 sieben- siebenzigsten Jahr’ ist man Kind, oder faͤngt es an zu werden. Niemand sagt daher sein Alter gern, wenn er in diese Jahre kommt, auch wenn er, in keiner einzigen Ruͤcksicht, Nachtheile davon fuͤr sich absieht. Der Mensch will durchaus und durchall nicht gern ein Kind seyn. Alles, was um ihn lebt und schwebt, kommt so schnell zur Reife; nur er allein ist der Spaͤtling. Er ist ohn End’ und Ziel auf Tertia, dann ruͤckt er freylich schnell fort; allein bald sind die Classen aus. Wer zwanzig Jahre gelebt hat, ist hundert alt worden; das kuͤnf- tige Jahrhundert sagt man. Thor! wie viel sind nicht schon gewesen, was brachte das neue, Neues? recht Neues vom Gott deiner Seel’ und der andern Welt? — — Es muß doch bey den Menschen groͤ- ßere Uebel geben, als der Tod, weil sich viele den Tod wuͤnschen, um diesem und jenem Uebel zu entkommen. Die Men- schen wuͤnschen selbst ihren Lieblingen den Tod, und freuen sich, daß sie durch ihn oft einer kleinen Schmach und Schan- de entkommen: „Gottlob, daß er, daß „sie todt ist, und daß er und daß sie nicht „dieses, nicht jenes erlebt haben!” Ist wohl eine Frage, was Alexander lieber ge- gewuͤnscht haͤtte, mich todt? oder mich in buhlerischen Armen? Wie der Arbeiter am schwuͤlen Tag sich sehnt nach Schat- ten, und ein Tagloͤhner, daß seine Arbeit aus sey; (Hiob das siebente Capitel, der zweyte und dritte Vers,) so hab’ ich mich auch gesehnt Tag und Nacht, um zu kom- men aus großem Truͤbsal. In dieser Ruͤcksicht, in dieser Aussicht, wie gut ist der Tod — und was ist er? Ein Weg uͤber Feld — — — Dies Leben ist wahrlich ein Jam- merthal. Vielleicht wickelt sich diese Welt noch anders aus, wenn sie aͤlter wird. Vielleicht kommt noch Gottes Reich in diesem Leben! Vielleicht daß die Menschen durch so viel Thor- heit kommen werden zur Wahrheit, durch so viel Abweichungen zum Gesetz des Herrn. Ein Mensch beherrscht den andern. Schrecklich — Der Haupttitel, den man der Seele beylegt, ist arm ; alle Welt spricht, die ar- me Seele! und woher? Ist sie reicher, als der Leib? Der Leib ist, ohne sie, eine Handvoll Staub und sie ist, ohne Leib, eben das, was sie mit ihm ist — — Arme Seele! warum arm ? Weil man nicht weiß, wo sie ist? wie sie ist? Doch die- ses steht mit der Armuth in keinem Verhaͤlt- M m 3 niß; niß; genug, daß sie ist! — Sie ist ungefehr das im Koͤrper, was Gott der Herr im All ist — ungefehr — Sie ist Gottes Bild. Sie ist in allem, und durch alles, und mit allem, und in ihr leben, weben und sind wir. Vor- zuͤglich nennen wir sie arm , wenn der Mensch stirbt, und die Seele den Leib verloren hat. Leute, die sich einmal an Koͤrpern die Augen verdorben; halten sie fuͤr arm, fuͤr bettel- arm: wie man in der Welt, aus dem Kleide Armuth und Reichthum beurtheilt. Man giebt der Seel’ ein Koͤrperchen mit, damit sie nur nicht ganz und gar nackt und bloß erscheine. Dann ist sie doch, denkt man, wenigstens im Hemde: allein warum diese Umstaͤnde? Bleibt die Seele nicht in Gottes Welt, in Gottes Hand, wo nichts arm ist, als was sich dafuͤr haͤlt? — — — Gott der Herr arbeitet ins Große und ins Kleine. In ihm lebt, webt und ist al- les! Wer nicht in seinem Leben einen zu- sammenhang findet, auch selbst, wenn er es nicht dazu anlegt, hat nicht an Gott und nicht an sich gedacht — — Wir koͤn- nen nicht den Vorhang vor der Zukunft zerreißen. Bey unserm Tode zerreißt er, wie beym Tode Christi der Vorhang vor dem dem Allerheiligsten. Wahrlich die Zu- kunft ist das Allerheiligste! Wer kann das Triebwerk der Schoͤpfung leiten! Auf Gott aber koͤnnen wir uns verlassen! — Eine selige Empfindung! — Der Meister druͤckt seinem Werke seinen Namen ein, nicht ohne Schaamroͤthe, wenn er ein ehrlicher Kerl ist, und wenn er auf die kleineren Gelegenhei- ten zuruͤck denkt, die ihn zu dem Meisterstuͤcke brachten. Darum, und nicht aus Affektation, sollten große Kuͤnstler auch ihren Namen nur so hin — werfen, und Gott die Ehre geben, ihrem Obermeister ihre Arbeit weyhen und zu- eignen. Wer gab ihnen Handwerkzeug und Materie? Wer Zeit, Ort und Umstaͤnde? Selbst das Formale gehoͤrt dem Obermeister. Ists denn Wunder, wenn das Werk so sehr uͤber den Stand des Kuͤnstlers ist, daß es laͤn- ger lebt, wie er, und daß jedes eher darnach greift, als nach ihm! Des Kuͤnstlers Verdienst in dieser Welt ist ein Kunstgrif, ein Grif nach gutem Stof zu seiner Arbeit, nach einem gu- ten Reißbrett in der Werkstube Gottes, nach guten Zeichnungen, die ihm die Natur dar- reicht — — — Doch! wo gerath’ ich hin? Ich solte mich begnuͤgen zu sagen: Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlaͤßt! M m 4 Eben Eben hab’ ich einem Freunde im Ganzen Mienchens Gedanken, in Gretchens Abschrift, vorgelesen. Seine Aufforderung, diesen Auf- satz entweder ganz oder gar nicht mitzuthei- len, hemmt Text und Noten. Es ist ein beson- derer Gedankengang in diesem Aufsatz. Die Stellen, die ich herausnahm, sind nicht genom- men, weil sie charakteristisch waren, sondern weil sie eben meinen Empfindungen, da ich dieses schrieb, accompagnirten — Zur Beylage A. hab’ ich meinen Lesern diejenigen Stuͤcke bestimmt, die mein Engel in einer ziemlich angewachsenen Sammlung gezeichnet hatte. Diese Sammlung war ent- standen, wie alle Sammlungen entstehen sol- ten, ohne daß man zu samlen dachte. Je nach- dem Minen dies oder jenes Stuͤck gefiel, schrieb ich es ihr auf — ihr . — Viele Stuͤcke sind aus der lettischen Garbe meines Vaters, die aus lauter curschen zaͤrtlichen Liedlein be- stehet, die ich halb und halb oͤffentlich mitzu- theilen verheißen habe. Viele sind Ueberse- tzungen aus andern nordischen Zungen und Sprachen. Mein Vater, der gewiß Natur- kenner war, pflegte zu sagen, daß die mei- sten dieser Stuͤcke (er hat sie alle gelesen) er- neu- neuert und geheiliget waͤren. Zwar gab er sich viele Muͤh’, alles roh, unerneuert und ungeheiliget zu haben: allein dahin war es nicht zu bringen. Manche Stuͤcke sind offenbar Kinder neuerer Zeit; alles und jedes aber ist Uebersetzung. Mein Vater (dies trift die Stuͤcke aus der Garbe) war, wie wir alle wissen, vor dem Brande nicht musikalisch. Die Uebersetzung seiner baͤurisch zaͤrtlichen Liederchen ist, wie ich schon im ersten Theil an- gemerkt, nach meines Vaters Manier. Eine freye Uebersetzung, pflegt’ er zu sagen, ist nicht hin nicht her, ist Wein und Wasser, wo oft das Wasser die Kraft des Weins ersaͤuft, und doch, setzt’ er hinzu, muß die Ueberse- tzung frey seyn, in Absicht der Sprache, in die man uͤbertraͤgt. — Ueberhaupt sind alle Uebersetzungen, die ich hier uͤberliefere, mit Haut und Haar deutsch und ehrlich, oder, wie ich mich an einem andern Ort heilsamer ausgedruͤckt καρα ποδα. Wer mir aber des Inhalts selbst wegen etwas anhaben will, und sich gebehrdet, als thue er der Kunst ei- nen Dienst dran, mag wohl bedenken, daß Gott die Menschen aufrichtig gemacht; al- lein sie suchen, wie es heißt, viele Kuͤnste . Sie vergessen, daß die Lerche fruͤh aufstehe, M m 5 und und die Nachtigal lang aufsitze, (schon wolt’ ich lucubrire schreiben) daß die See brause und sause , wie meine Mutter sich ausdruͤcken wuͤrde, und der Bach sparsam und wohl gar geizig wandle und handle : daß der Nord, so wie die helle Sonne, das Gesicht roth mach’ als waͤr es feurig, und ein Abend- luͤftchen sich blos mit den ungebundenen Haa- ren necke. — — Da verschlag’ ich wieder in das Feld der Anmerkungen ! Mit den lieben Anmerkungen ! Macht sie nur, so viel ihr wolt, Schriftsteller ! Auch selbst ihr vom goͤtt- lichen Geschlecht, vom heiligen Volk, vom koͤ- niglichen Priesterthum, vom Volk des Ei- genthums; darum seyd ihr nicht geborgen. Der Kunstrichter findet doch seinen Zaun, von dem er brechen kann; das weiß ich aus sichrer Hand, und wenn es auch nur eine Anmerkung uͤber eure Anmerkung waͤre. — Gern wuͤrde meine Wenigkeit Anmer- ker dieser Art beym Brodte lassen; allein Euch ! die ihr nicht im Vorgemach bleibet, sondern weiter dringt, Euch, Pfeifer und Geiger ! die ihr diese unschuldige Haut und Haargesaͤngchen mit eurem Accompagne- ment haben, und groß- und kleinmeistern wolt wolt — wie gern, wie herzlich gern, haͤtt’ ich Euch mit samt euren gestimmten Instrumen- ten aus meinem Philomelenwaͤldchen, so wie ihr damals heraus mustet, als Jairi Toͤch- terlein zu sich selbst kommen solte! Gerade seyd ihr in meiner Schrift, was ehemals die Kaͤufer und Verkaͤufer im Tempel wa- ren! — Da eben ein Brief von einem Redlichen im Lande ! Er schreibt mir, (er schreib’ es auch meinen Lesern,) daß man sich an vielen Orten den Kopf zerbreche , um die Namen in diesem Buch zu ergaͤnzen. Dieser Redliche befuͤrchtet, man wuͤrde sich an noch mehr als an vielen Orten die Beine brechen , weil man dem Lebenslaͤufer spornstreichs nach- liefe, um ihn einzuholen. — Ich fuͤr mein Theil bedaure vorzuͤglich die Beine der Steckbrieftraͤger oder Nachlaͤufer; an den Koͤpfen der andern, die sie sich meinetwegen zu brechen belieben, wird hoffentlich weniger gelegen seyn. Warum lauft ihr, eh’ ihr ge- jagt werdet, und ihr Kopfbrecher! warum brecht ihr? Doch wolt ihr nicht hoͤren, so moͤgt ihr fuͤhlen: wolt ihr nicht den dritten Theil abwarten, in dem ich ganz klar und deutlich sagen werde wo? — — Wie Wie werd’ ich wieder auf Beylage A. kommen? Ich habe bemerkt, daß Minchen die folgende Stuͤcke in einer Sammlung ge- zeichnet hatte , viele selbst in ihrer Krank- heit. — Gretchen versicherte, diese Stuͤcke haͤtten Minchen auf ihrem Lager abgekuͤhlet, wie Fruͤchte, wenn es heiß ist. Die nehm- liche Freude, die mich bey den Schriftstellen uͤberfiel, welche in meines Vaters Hand- und Hausbibel gezeichnet waren, die nemliche Freude belebte mich hier. Auch bin ich der gu- ten Zuversicht, daß diese gezeichneten Stuͤcke meinen Lesern nicht misfallen werden, waͤr’ es auch nur Minchens Zeichen wegen. Beylage A. D u bist mir treu, Hans , treu bist du mir! Ich weiß es, du bist mir treu, aber ach! das arme Kornbluͤmchen, das mir diese gute Zeitung brachte, wie schlecht belohnt! Ich legte mir an ein Kornbluͤmchen, so blau als deine Adern, wenn du das Hemd an deinem nervigten Arm aufgeschoben hast, so blau als der Himmel, wenn der liebe Gott freundlich aussieht. — Was mich das freut, daß ichs noch an der Wurzel ließ, das arme Kornbluͤm- chen, ich wolt es abreißen und da waͤr es noch aͤrger. Sieh Hanns ! Ich muß es nur beich- ten: ich riß ein Blaͤttchen und sagt’ „Er ist „mir „mir treu” und das andre „Er ist mir nicht „treu” und wieder eins „ treu ” und das an- dre „ nicht treu ” Das lezte war! treu treu ! Du bist mir treu, das hat mir das Korn- bluͤmchen zugeschworen. Jammer und Schade, daß die Blaͤtter abgerissen sind! Schade, daß es da im bloßen Kopf steht! Schoͤn, daß der Stengel noch an der Wurzel blieb. Schoͤn, uͤber alles schoͤn, daß Hans mir treu ist! Gottlob! Der Junker hat gefreyt und Gret ist mein. Gottlob! Der Herzog ist uͤber Land gezogen! Gret ist mein. O Herzog! o Junker! O Junker! o Herzog! Herzog fahr wohl! und Junker fahr wohl! Du im frem- den Land, und du im Brautbett. Nun moͤcht’ ich sehen, wer mich uͤberprunken kann! Den Hanns bey Greten ! Hoͤrts weit und breit, den moͤcht’ ich sehn, wer dieses kann, wer den- ken kann „ich koͤnnt’ es wohl” auch den moͤcht’ ich sehn, auch den noch, dem es nur getraͤumt hat „er koͤnnt’ es.“ Wie Gras will ich sie all zusammen wegmaͤhen, und wenns Baͤume sind, will ich einhauen, bis sie fallen. Gret ’ ist mein. Gottlob der Junker hat gefreyt. Gret ’ ist mein. Gottlob! Der Herzog ist uͤber Land gezogen. Ach Ach, daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! Nicht, wie mich im ersten festen Schlaf ein Blitzstral erweckte. Er schoß mir dicht vor- bey, als wenn er sich bey mir, dem Haus- vater melden wolte. Schnell sprang ich auf und siehe da! mein Strohdach in Flammen! Ich armer alter Mann! was konnt’ ich? was mehr als meine Freunde und Bekannte auf- schreyen, die so fest schliefen, als ich geschla- fen hatte. Ich that Schrey auf Schrey und seht! nicht blos meine Freunde und Bekann- ten; nein jedes, jung und alt, von Ehren mannigfalt, sprang so schnell auf, als wenn es der Blitz erweckt haͤtte, so als wenn es ihm uͤberm Kopf brannte, und kam und loͤschte das brennende Strohdach meines Hauses. Der Blitz war so gut zu bedenken, daß ich alt sey und nicht Daͤcher mehr steigen koͤnne. Er ließ sich gern loͤschen, des dank’ ich ihm, und noch mehr dem lieben Gott, der den Faden in seiner Hand behaͤlt, wenn er den Blitzknaͤuel auf seinen Erdboden schießen laͤßt. Der liebe Gott kennt den alten Peter , und wolte von seinem Hause Zweiter Th. N n nicht nicht mehr, als eine Handvoll Stroh, treffen lassen. Das folgende Jahr war das Gras Mann hoch. — War es nicht recht anzuse- hen, daß der liebe Gott es gut mit dem Peter meynte? Ach, daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! nicht, wie die Hagelkugeln mein schoͤnes Korn niederschossen, das aller meiner Nachbarn Fel- der uͤbersah. Die Leute waren neidisch auf mich, und mancher mag mir den Tod gewuͤnscht ha- ben, dieses schoͤnen Korns halber, und der Tod, dacht’ ich zu der Frist, wird von selbst kommen, ungewuͤnscht. Jezt komme der Tod, wenn er will: damals haͤtt’ ich noch Lust zu leben. Da- mals hatt’ ich noch Weib und Kind, und das ist Lust zu leben. Erst beneidete jedes mein wohlgewachsenes Korn, und nun beklagte mich jedes an Ort und Stell des vorigen Neides. Jedes wuͤnschte mir langes Leben, und das so rechtschaffen, daß mir hundert- mal Thraͤnen das Aug’ uͤberschwommen. Man schuͤttelte mir so ehrlich die Hand, daß sie mir alten Mann wehe that. Am Ende fand ich, daß ich so viel behalten, als die, so der Hagel nicht betroffen hatte. Ach, Ach daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm, nicht, wie mir mein Weib starb, die hart an der Kirche liegt, wo ich Weynachten, Ostern, Pfingsten feyre, indem ich auf ihrem Grabe den ersten heiligen Tag knie und bete. Es wird mir schwer, mir alten Mann! Zum Gluͤck ist das Grab hoch, und je aͤlter ich werd, je hoͤher wird das Grab. Sie starb, und ich dacht’, ich waͤre mitten entzwey geschnit- ten; doch waren noch da, Tochter, Schwie- gersohn und mein und ihr Lieschen. Noch schlaf ich in dem großen Bette, wo ich mit der Seligen schlief, und wenn ich nicht alle Woche dreymal von ihr traͤume, denk’ ich, ich sey undankbar, und bitte Gott und ihr ab. Ich dacht’ ewig zu weinen! Dumm war es von mir, daß ichs dachte, wie bald muß ich bey Maschen seyn! Drey Jahr aͤlter als sie, wie bald muß ich bei ihr seyn! O! waͤr’ ich gestorben vor dir! liebe Masche — vor dir! O waͤr ich vor dir gestorben, und du gleich nach mir; denn wenn ich wuͤnschen solte, daß du er- lebt haͤttest, was ich erlebe, wuͤrd’ ich ein Boͤse- wicht seyn, und nie zu dir im Himmel kommen. Ach daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! N n 2 nicht, nicht, wie mir meine Tochter starb, die ein- zige, die mir mein Weib gleich das erste Jahr nach der Hochzeit schenkte. Das nenn’ ich ein Heyrathsgut! Masche brachte nicht Geld nicht Gut; allein sie brachte mir mehr, als Geld und Gut, mehr als ein Herzogthum: reines Herz und reinen Mund , und nach weniger, als einem Jahre, ein Toͤchterlein — das nenn’ ich Heyrathsgut ! So was kann nur der liebe Gott mitgeben. Es war ein huͤbsches Kind, ihr Toͤchterlein, mein Toͤchterlein, unser Toͤchterlein! Wahrlich un- ser Toͤchterlein ! Man durfte sie nur sehen, halb meine Seel, halb Maschens, halb mein Leib, halb Maschens. Es war ein Drittes von uns zweyen. Als dies Maͤdchen geboh- ren ward, war sie weiß wie Schnee , und hatt’ Aderchen wie Vergiß mein nicht ; aber sie scheute nicht Gottes Wetter: so strich es sie braun an! Weiße Scherung und brauner Einschlag! Allerliebst! Geschwind wie der Wind lief Lottchen bey Sonn und Mond. Nicht Hitze nicht Kaͤlte scheute sie. Am lieb- sten brachte sie den Leuten Essen aufs Feld, und die Leute, so hungrig sie waren, wußten nicht, ob sie essen, oder das Kind ansehen solten. Sie aßen ohn’ Augen; die Augen brauch- brauchten sie, Lottchen anzusehen. Es lag nicht an Maschen und mir, daß wir nicht mehr Kinder hatten; am lieben Gott lag es, der am besten weiß, was jedem dient. O du lieber Gott! Lotte starb im ersten Kind- bette. Alles weinte, nur ich konnte nicht weinen; so gings mir ans Herz. Lotte starb; doch zum Trost ließ sie mir ein ander Lottchen , ihr Wesen. Ach daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! nicht, wi mein Schwiegersohn starb! Der brave Junge. Er ward mit Lottchen erzo- gen, und sie waren im fuͤnften Jahr schon Mann und Weib. Gern sah ichs, daß sie Greger nahm, obschon er nichts hatte. Er war gut, das ist mehr, als alles, wenn man bey allem nicht gut ist. Schoͤn war es zu sehn, wie sich die junge Leutchens lieb- ten! Haͤtten sie sich nicht so abgezehret; wuͤrd’ ich sie so bald noch nicht haben Hoch- zeit machen lassen. So was gieriges im Aug’ als die Leutchens zeigten, hab’ ich noch nie gesehen — man bekam Appetit, wenn man ihren Hunger und Durst nach einander sahe. Er starb vier Wochen nach ihr. Wer ihn kannte, weint’ uͤber seinen Tod; ich aber N n 3 freute freute mich, da er starb, und lobte Gott; denn er starb zu seinem Gluͤck. Ohne sie haͤtt er nur gethan, als lebt’ er. Er konnte nichts mehr anfassen. Seine Haͤnde zitterten, und uͤber seine Fuͤße fiel er, drum troͤstete ich mich darob, und sagte wie der Pastor: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genom- men, der Name des Herrn sey gelobet ! Sie schlafen zusammen in einem Grabe, und es kostet mir was, es dahin zu bringen, daß sie in sein Sarg geleget ward. Es war ein Bett auf zwey Personen. Die Leute, die sie handhabten, sagten all, sie haͤtte gelaͤchelt, und ihre Hand waͤr’ um ihn herumgefallen, als wenn sie gelebt haͤtte. — Schlaft gesund, liebe Kinderchens, und liebt euch im Himmel! — Ach, daß sich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! das Toͤchterlein meiner Kinder, das sie mir ließen, mein Lottchen ist todt, ist todt, lieber Gott, ist todt, o ich Bettler! Lottchen ist todt, und ich bin es bey lebendigem Leibe. Das ist mehr als todt. Alles todt — alles todt — nur ich nicht todt. Sie ist bey ihrer Mutter, sie ist bei ihrem Vater, sie ist bey meinem Weibe; allein die hatten an einander genug. Was hab denn ich? was? Seit Lottchen todt ist, oder oder seit sie begraben ist, (bis dahin dacht’ ich noch immer, ich haͤtt’ sie) seitdem sie be- graben und ganz todt ist, ist alles todt fuͤr mich, alles bis auf mich! Ich leider! lebe! o ich armer Mann! ich wie Brod ohne Kruste so weich! so kraftlos, so! recht so bin ich — ich armer alter Mann! Es stirbt nur wer le- ben will. Habt Mitleiden mit mir im Him- mel, ihr Seligen, und bittet den lieben Gott, daß er mich zu sich nehme. Mein Haus und Hof kommt doch in fremde Haͤnd’, ich will es wem vermachen, der Lottchen aͤhn- lich sieht; denn wo soll ichs sonst lassen? Oft freut’ ich mich darauf, Euch , meine Seli- gen! von Lotten neue Zeitung zu bringen, wenn ich zu euch kaͤme, zu euch, ihr mir verwandte Seligen! Sie ist mir vorgelaufen. O! wie gut ists, wie sehr gut, einen von den Seinen auf dieser Welt zu haben. Ist es denn nicht auch Gottes Welt? Diese Welt der Leib, der Himmel die Seele. Beydes gut. Wer wird nun vor Tisch, wer wird beten, damit mir das Essen gedeye, da Lotte todt ist? Wer wird mir so schoͤn, so laut vor- beten, wer? wer? Wer wird mir Weib, Toch- ter, Schwiegersohn, wer Lotte selbst seyn? Lotte selbst ? Wer wird mir die Augen zu- N n 4 druͤcken? druͤcken? O ich armer Mann! O ich blut- armer Mann, ich Bettler ich! Komm, Schwesterchen, komm auf den gruͤnen Kirchhof, da liegt mein Mutterchen, dein Mutterchen, wir wollen sie besuchen beym Mondenlicht, wenn gute Geister nacht- wandeln, und wenn sie in den Mond sehen, in des lieben Gottes Nachtlampchen. Viel- leicht erscheint sie uns, o moͤcht sie! vielleicht fraͤgt sie: was wolt ihr mein Paarchen, was hier? Dich! ach dich! dich wollen wir, dann kommt sie wohl mit — und wenn sie nicht vom Kirchhof kann, wenn sie nicht vom grasgruͤnen Kirchhof will; laß uns bey ihr blei- ben, Schwesterchen! bey ihr! Hier? o! wenn wir nur bey dir sind, liebes Mutterchen „was werdet ihr essen? gruͤnes Kraut, das sieht auf dem Kirchhof uͤber und uͤber „Was trin- ken? Seht! kein Wasser des Lebens ist hier! Den Thau des Morgens, den Thau des Abends, wollen wir trinken, und wenn der Thau sich des Morgens verspaͤtet, wol- len wir unsre Thraͤnen trinken, die wir so lange weinen werden, bis das Aug’ uns bricht, wie das Deine brach. O! wenn wir wir nur bey dir sind, nur bey dir, liebes Mutterchen! wir, dein Paarchen, deine zwey kleine Toͤchterchen, die Treuen! Ha! du! du! die Baumschaͤnderin! Sprich, nein, schrey, schrey, damit der hart- hoͤrige Wiederhall es vernehm’, und der Ge- gend ausposaune. Schrey! Warum ziehest du stellenweis den Baͤumen die Kleider, das Hemd’ aus, und die Haut ab ? Die Haut! Weiß du nicht, daß die Baͤume dann in drey Jahren (wenns hoch kommt) ausgehen an der Schwindsucht — und so langsam ster- ben, so langsam, als die Leut’ an der stillen Aergerniß. Sieh her! du hast den Baum geaͤrgert, zu Tod geaͤrgert! und warum die Haut? Zur Farbe! Zur Farbe? Schaͤm dich, Baummoͤrderin! Schaͤm dich von un- ten bis an den Hals, und dann ganz voll; Schaͤm dich so, daß du von Stund an ver- stummest! Solch ein’ Entschuldigung! Ist die werth, daß sie die Gegend durchs wahr- haft ehrliche Echo erfahre? Traͤgt dein Vater, du Ungerathene, traͤgt er nicht einen weißen Schaafpelz? Der unschuldige Mann, der jeden Baum bey Haut und Hemd und Kleid N n 5 laͤßt laͤßt, wenn er ihn nicht in Zuͤchten und Eh- ren braucht zu Bau oder Brand. Er weiß, was dem Stamm gebuͤhret, der himmelan mit seinem Wuchs stuͤrmt und groͤßer ist, als ein Mensch es werden kann. Schaͤm dich, du Baummoͤrderin, schaͤm dich! Faͤrberin! Die Natur versteht das Faͤrberhandwerk besser, als du. Sie weiß, was angemahlt werden muß, die liebe Mahlerin! Zu Handschuhen ? Sind denn deine Haͤnde nicht weiß? Warum deine Handschu anders? Streich die Butter im Sommer weiß, und im Winter gelb an. Schaͤm dich, du Naturbeschaͤmerin, schaͤm dich bis in deinen Hals — bitte den Vater, daß er diesen Baum bald erloͤse von all seinem Elend’, und dann bleib’ beim weißen Schaaf. Laß dem Wacker die sprenklichten und dem Amtmann die schwarzen. Es sind viele Felle von Boͤcken sprenklicht und schwarz. Bleib wie dein Vater beym weißen ehrlichen Schaaf, und das gnaͤdige Volk laß tragen Marder, Woͤlfe, Baͤren, den Herzog Loͤwen, so traͤgt alles sein eigen Haar Bey dieser Stelle sind ich angemerkt: unwoͤrt- lich. Die Feinheit des Originals kann nicht erreicht werden. . Fritz- Fritzchen , mein Bruder, starb! o wenn! er noch lebte! o wenn! o wenn! wenn! Welch Lieschen hat nicht ein Fritzchen noͤ- thig, ein Bruder Fritzchen . Fuͤr ein anderes Fritzchen dank ich. Seliges Fritzchen ! War- um nahmst du mich nicht mit? Warum die Nachtigal? Warum? — Das Voͤgelchen ver- schied in Fritzens Hand. Sie hatten sich sehr lieb — das Voͤgelchen und Fritzchen. Ich sah sie beye sterben. Der Vogel laurte recht auf Fritzens Seelchen, um sich ihm an- zudraͤngen, wie das Voͤgelchen sich hier an ihn anschloß. Sie ließen nicht von einander. Fritz sieht mich an. Was siehst du, Fritz- chen? Was — ich weinte — solt ich nicht? „ Still, Lieschen „ ich hoͤr es ihn noch sa- gen „ still Lieschen, bleib bei Vater und „Mutterchen, ich finde dort auch ein Lies- „chen, unser Schwesterchen, dort, wo „der liebe Gott seinen Himmel hat, der „besser als seine Erd’ ist, auch wenn Fel- „der und Wiesen voll sind. Hilf ihn bit- „ten sehr bitten, den lieben Gott, daß er „mich in den Himmel nimmt, und auch „mein Voͤgelchen herein laͤßt — uns beyd’ „fuͤr einen. Du bist ein gutes Maͤdchen, „der „der liebe Gott thut dirs gewiß zu Gefallen !„ Fritz sah gen Himmel, das Nachtigaͤl- chen auch. Fritz seufzete, das Voͤgelchen sang noch auf, und jedes neigte sein Koͤpfchen auf die Brust, und jedes starb. O wenn sie noch lebten! Wenn Bruder Fritzchen noch lebte! Dort leben sie beyde, Fritzchen , auch sein Nachtigaͤlchen. Was kommts dem lieben Gott auf ein Plaͤzchen fuͤr ein Nachtigaͤlchen an. In das kleine Gestraͤuch jenseit des Flus- ses kam ein Sturmwind aus dem Flusse. Der Fluß erschrack und lief was er konnte. Der Sturmwind fuhr durchs Gestraͤuch raßlend, wie ein vornehmer Prinz, und riß mir mei- nen Blumenkranz vom geflochtenen Haar- thuͤrmchen, ich grif — weg war das Kraͤnz- chen! ich lief nach, weg — weg — wer ist so ge- schwind, wie der Wind? Da kam Hans, mein Herzlieber, und Peter, der was beym Junker gilt — bey mir gilt Peter nichts. Sie sahen mich im bloßen, und liefen suchen alle beyde . Findet Haͤnschen den Blumenkranz, gern nehm ich ihn und setz ihn auf und trag ihn, so lang noch ein Blumblaͤttchen lebt und freu mich, daß mich der Wind im bloßen gelassen! Wenn Wenn Er doch faͤnde. Aus Peters Hand nichts, rein nichts, auch nicht einen Kranz, der mir gehoͤrt, und den ich mir zusammen gefluͤckt. Nichts, nichts, wenn er auch gleich beym Junker gilt und viel gilt! Da bin ich uͤberm Wasser und Mutter- chen ist jenseits. Es ging schwer ab, wie wir Abschied nahmen, und nun ists mir noch schwe- rer, da du jenseit des Wassers bist, am schwer- sten wirds seyn, wenn ich dich nicht mehr se- hen kann, o du liebe liebe Mutter! — Noch — noch — noch — steh doch — steh doch nur noch einen Augenblick. Weg ist sie und ich? — O gutes Mutterchen, ich in der weiten lang und breiten Welt, erst bey dir, nun in der wei- ten pfadlosen Welt. — Es muß geschieden seyn. — — Nun hoͤr’ ich dich nicht mehr be- ten, nun seh ich dich nicht mehr weinen! Nun rufst du nicht mehr: Lieschen , wenn der Tisch raucht, Lieschen , wenn du reife Beeren fin- dest, Lieschen , wenn du eine Quelle am schwuhlen Mittag’ entdeckest, die von der Son- ne nicht gefunden war! Ich armes Lieschen! Dies Wellchen kommt von mir, liebes Mut- terchen, und bringt ein Thraͤnchen mit von mir — von mir. Sieh’ es an, es walt zu dir, sey sey ihm gut dem Wellchen, es kommt von mir. Da bin ich, arme Wayse! allein! ganz allein! Mutterchen weg! alles weg! alles! — Das Sternchen dort oben — wie es mich an- blitzt! Willkommen! dich hab’ ich auch in unserm Doͤrfchen gesehen, du solst Mutter- sternchen heißen. Es war das erste, was ich wieder aus unserm Dorfe sah. Ewig solst du, ewig Mutterchen heißen, so lang ich sehen kann, soll es Mutterchen heißen — Dies Sternchen ein Spann lang vom Mond. Nenn auch du ein Sternchen: Lieschen, nenn’ es: Toͤchterchen, o! du gute Mutter jenseit des Flusses. — Gottlob, wieder ein Bekannter, der Kukuk, und eine gute Freundin, die Nach- tigal. Mutterchen, leb wohl jenseit des Was- sers! Dich hab’ ich nicht, kein Mutterchen hab’ ich, doch bin ich nicht mehr in der Fremd. Ich hab’ ein Sternchen dort oben, den Nach- bar Kukuk und die liebe Freundin, die aller- liebste Nachtigal. Schilt nicht, strenger Vater, daß ich bey Hannchen gewesen! Schilt nicht, Vaterchen, ich bitte dich, Sieh in den Stall, deinen Liebling, den Schwarzen hab’ ich gefuttert. Sieh! das hab’ ich schon so viel Jahre gethan, und und das werd’ auch so viel Jahre thun, als dich Gott leben laͤßt und den Schwarzen. Ich streu mit gluͤcklicher Hand die Saat, und schlag das Getreyd wie ein Gewapneter. Warum schilst du? Du hast vergessen was lieben heißt, sonst wuͤrdest du wissen, wie mir waͤre, wenn ich zu Hause bliebe. Immer wuͤnsch’ ich wenn ich hinreit, und wenn ich wieder komme: Wenn es doch Nebel waͤre! daß er nicht saͤhe, der strenge Vater: und wenn auch Nebel ist und wenn ichs auch noch so leise mache; was kann ich dafuͤr, daß der Braune wiehert? und sich laut freut, wenn er geht, und wenn er kommt. Alterchen, nur Sonntags reit’ ich. Gehoͤrt denn der Sonntag dir, Vaterchen? Nur Sonn- tags reit’ ich bey mein Maͤdchen! nicht mit deinem Schwarzen, den schon’ ich, wie mein Aug im Kopf, ich reit’ geschwind zu Hann- chen, und du wilst, dein Liebling der Schwarze soll so gehen, wie du, Alterchen, ob er gleich nur sechsjaͤhrig ist. Laß mich reiten und schilt nicht, ich reit nur Sonntags, ich reit zum lieben Gott, und auf diesem Wege tref ich Hannchen und ihre Mutter. Mein Vaterchen! mein Trostchen! bist du vorm Thor gewesen? Da ist glatt und schluͤpf- schluͤpfrich, wer da geht, faͤlt schneller, als auf dem blanken Spiegeleise. So ists den ganzen Sommer auch, wenn die Erde rings- umher brennt, wie ein Backofen. Immer glatt und schluͤpfrich, wie Leim, wenn er zum Hausbau geknetet wird. Weißt du auch, wie es glatt und schluͤpfrich ward, Vaterchen, mein Vaterchen? Eben da, da, wo es jetzt glatt und schluͤpfrich ist, gab mir Peter den Silberring, bey Mondschein — so schoͤn Silber, wie der Mond, ich hielt beyde zusammen und prahlte mich gegen den Mond. Silber ist Silber. Da, eben da, verlohr ich mich selbst. Meine Unschuld, mein Le- ben, es ist all eins. — Der Boͤsewicht schwur und fluchte, als er verfuͤhrte. Philax nimm kein Brod von ihm, und wenn er mit frischer Maybutter es auch salbet: nimm nicht vom Boͤsewicht, der spotten konnte nach der That. Du weißt, er spottete auch dein, Vater! und deiner gesprenkelten Haare. Den Ring hab ich an der schluͤpfrichen Stelle vorm Thor verworfen, verworfen vorm Thor, wo es jetzt glatt und schluͤpfrich ist. Alles war da schoͤn, gruͤn und gelb, wie der Boͤsewicht mich verfuͤhrte, aber ich weinte, Vater! ich weinte, und weinte von Herzen sehr, sehr, ach sehr! — Gleich, Vater, ist das gruͤne Plaͤzchen moraͤstig worden, seitdem ich die erste Thraͤn’ darauf fallen ließ, und so glatt und schlipfrich, daß alles faͤllt, was drauf geht! Wo bleibst du, mein Liebchen? wo? Schreyen darf ich nicht, sonst moͤcht’ es meine Mutter hoͤren, die mich zu Greten zwingen will, weil ihre Eltern Acker haben, und du nur gesunde Haͤnde. Nur ! das sey Gott geklagt Nur zu sagen, wenn man von gesunden Haͤn- den spricht. Schreyen darf ich nicht — allein ich rufe: Liebchen! Liebchen! so wie ein Zeisig: Liebchen, Liebchen! wo bleibst du, mein Lieb- chen? wo bleibst du, wo? Schreyen darf ich nicht, aber der schoͤne Abend lispelt ers dir nicht ins Ohr, daß ich warte, daß ich nach dir seh, und nach dir laufe? — Ha! da kommt sie! Nein, ein Stieglizchen, leicht — leicht, wie du, mein Liebchen — wo bleibst du? wo bleibst du, Hannchen? Hast du ihn abgeschickt? Voͤgelchen — weg ist er. — Er kam nicht von dir, waͤr’ er nicht sonst geblieben? Schrey- en darf ich nicht, aber — hoͤrst du nicht, hoͤrst du nicht, Liebchen, hoͤrst du nicht die Nachti- gal, sie ruft ihr Siechen, und ruft dich mit. Zweiter Th. O o Die Die Nachtigal kann lauter seyn, als ich, denn sie hat keine Mutter zu fuͤrchten, und keine Grete , ich darf nicht schreyen, aber du wirst doch wohl so eine deutliche Ausred, als die Nachtigalsche verstehen? Wo bleibst du, mein Hannchen , wo? All Augenblick denk’ ich, da! da ist sie! und immer ist ein Voͤgelchen, eins schoͤner als das andre — keins so schoͤn, wie du. Wenn du nicht mich, nicht den Abend, nicht die Nachtigal hoͤren kannst; o! wenn du taub uͤber taub bist, hoͤr’ den lieben Gott, du hast mir ver- sprochen zu kommen, und kommst nicht. Weißt du auch, daß wir auf die Nacht Ungewitter haben? wo bleibst du, wo? Hanne? wo? Warum weinst du, Schwaͤgerin, du hast einen Mann verloren; allein er hat dir drey zuruͤckgelassen. Drey Soͤhne, drey ge- sunde starke Jungens, die dich auf ihren Haͤn- den tragen, drey brave Jungens, die was tragen koͤnnen. Goͤnn’ ihm die Ruhe, seine Krankheit ließ ihn nicht viel schlafen, da er aͤlter war, und in der Jugend ließ es die Ar- beit nicht. Er hat in dieser Welt nicht viel geschlafen. Goͤnn’ ihm den tiefen, suͤssen Schlaf, du hast drey Soͤhne, laß ihn aus- schlafen, Schwaͤgerin, weine nicht! Was Was weint ihr, Kinder? Ihr habt nur einen Theil verloren, und einen Theil habt ihr noch. Eine gute Mutter — wischt ihr die Thraͤnen. Pflegt sie, damit sie nicht auch krank werde, wie er war, und ihr es nicht am Ende selbst von Gott bitten muͤßt: ach, wenn sie doch nur stuͤrbe! wer kann sie ringen sehn? wer? wer kann sie wimmern hoͤren? Ach wenn sie doch nur stuͤrbe! Dann muͤßtet ihr weinen, wenn ihr daran Schuld haͤttet, daß ihr so beten muͤßtet; jetzt weint nicht! Mich! mich laßt weinen, lieben Leut- lein! laßt mich! mich! laßt weinen! Ich hab meinen Bruder verloren, den einzigen, den ich hatte, und was hab’ ich von ihm be- halten? Zwar auch was, aber was? Einen Baum am vaͤterlichen Hause, den unser gute Vater an dem Tage pflanzte, da unsre Mut- ter zu ihm sagte: es geht unter meinem Her- zen auf. Der Vater pflanzte den Baum, und Caspar und der Baum waren Jahreskinder. Der Vater nannte sie beyde Caspar, den Sohn Caspar, den Baum Caspar. Der Baum steht und bluͤht und ist immer Kerngesund. Sein Milchbruder todt! Das ist nicht troͤst- lich, aͤrgerlich ists! Der Baum Caspar steht, der Bruder Casper stirbt; aber auch ich finde O o 2 mich mich drinn, und solt’ ich nicht? Der Baum lebte nur im Sommer, und Bruder Casper lebt’ auch im Winter. Zwar schlaͤft der Mensch: doch lebt er drum nicht? Ich moͤcht’ einen Traum nicht um drey Tage hingeben, und der Baum schlaͤft er nicht auch? Laͤßt er seine Fluͤgel nicht fallen? Seine Blaͤtter geniessen die fuͤsse sanfte Ruh, und werden durch den Sonnenstrahl erweckt fruͤher, wie wir. Waͤren die Baͤume im Winter, wo die Stoͤrche sind, wuͤrden sie inwaͤrts aus- schlagen und bluͤhen; o! denn waͤr’ es was an- ders! Ist aber im Winter der Wald nicht eine Einoͤde bis auf die Tannen, die nicht aus den Kleidern kommen? Da stehen sie, wie Trabanten, in voller Pracht und Herrlichkeit, wie eine gruͤne rußische Wache um den Re- genten, so stehen die Tannen um die Eiche herum — und Bruder Caspar! war er nicht ein Mensch? Das ist vielmehr, als ein gan- zer Wald voll Eichen und Tannen. Der Baum ist Baum und bleibt Baum. Bruder Caspar ist ein Engel worden. Baum Caspar ist Baum und bleibt Baum. Sey ruhig, lieber Baum, ich werde dich nicht toͤdten! Ihr, die ihr die Hand nach ihm ausreckt, laßt ihn, wenn er auch noch so alt und wohl betagt ist, oben eine eine Glatze bekommt und blaͤtterlos wird. — Laßt ihn, er ist mit mir verwandt. Er heißt Caspar. Und wenn ich mit dem rechten Caspar im Himmel zusammen komme, will ich es seinem Milchbruder erzaͤhlen, daß der Baum noch vor dem vaͤterlichen Hause stehe. Ich weine nicht mehr Dieses Stuͤck war Gretchen, des Predigers Toch- ter in L —, Liebling. Sie besaß es, wie sie sich zu mir ausdruͤckte, schriftlich und muͤnd- lich. Sie hatt’ es abgeschrieben und wußt’ es auswendig, — Das gute Maͤdchen fand etwas aͤhnliches von der muͤtterlichen Linde drinn. — — . Der Krieger ist gefallen, doch fiel er? Nein, er sank. Wer faͤlt, hat das Herz ver- loren, und man braucht das Herz bis auf den lezten Lebenshauch. Er sank! Allmaͤhlig kam er zur Erde. Hoͤrt es, Krieger, die mit ihm lebtet und nach ihm leben werdet. Nicht der Feind, nicht der Feind, sondern der Tod hat ihn uͤbermannt. Unser Held hatte den lezten Schlag. Den Krieger schlug er, der ihm den Todesschlag gab, und der fiel, aber unser Held nicht. Unser — sank. Die Sonne geht allmaͤhlig unter. Seht ihn, wie langsam er sich zum Staube neigt. Zum Staube, ein Held. Kommt! Kommt! Laßt uns unter sein schwindelndes Haupt einen O o 3 bemo- bemosten Stein legen. Solch ein Kopfkuͤs- sen geziemt ihm. Kommt, laßt uns seinen Leib auf eine schoͤne Wiese tragen, und den Blutstropfen nicht auswaschen, der auf un- ser Kleid faͤlt. Es ist edles Blut. Der Staub soll sich nicht drinn betrinken. Du, grasreiche Wiese! Lager fuͤr Helden! Du verstehst diesen Trank, du traͤgst Blumen fuͤr Helden, womit sie bekraͤnzet werden, wenn sie den Frieden auf schwarz gewordenen Haͤn- den heimtragen. — Er richtet sich auf! Kein Ach! Das kann kein Held aussprechen! Was ists dann, was? Seine Zung’ ist ge- laͤhmt, er kann nicht mehr, er wolte — — Sieg . Krieger! Die Deinen haben gesiegt: ha! wie er laͤchelt! Seht ihn, den Großen! Eh’ euch Engel verdraͤngen, denn die muͤssen zu solch einem Anblick herabstuͤrzen, sie ha- ben solcher nicht viel. Sieg! Held ! Sieg! Gott, so ein leichtes Wort kann er nicht mehr aussprechen. Gern wolt’ ers! aber hoͤren kann ers! Schreyt, Bruͤder: Sieg! Sieg! Er laͤchelt wieder und — stirbt. O gluͤckli- cher Halm! O gluͤcklichster, auf den der lezte Tropfen fiel, auf den er noch warmes Blut thaute! Wie schnell wirst du wachsen und alles uͤbersehen, was rings um dich steht, und und groͤsser zu werden droht! — O gluͤck- liche Maͤnner, auf die noch der lezte Stral aus seinen Augen schoß. Wir haͤtten die Altarlichter dran anzuͤnden koͤnnen, so feurig! Er stirbt — ich wolte weiter singen; kann ich? kann ich mehr? Er stirbt! er stirbt! ist alles was ich sagen werde, bis auch ich sterbe. Das erst und lezte vom Menschen ist das beste! Ich habe viel gesehen! sah’ ihn, wie er gebohren ward, sah, wie er starb! Ich hab’ ihn ganz! Er laͤchelte, wie er zur Welt kam; allein er lag so schoͤn nicht, als jetzt, da er starb. Wie schoͤn er da todt ist! So todt sind nur wenige; denn sonst wuͤrd’ es nicht schwer seyn zu sterben. Du hast gesiegt, Held! Du hast den Feind uͤberwunden, und zween Tode, zween Tode starbst du, ohn zu sterben; dem drit- ten mußtest du nachgeben. Du warst matt! — Ists Wunder? Goͤnnt der heiligen Stelle die Ehre, daß er noch laͤnger darauf liege. Sie ist warm durch ihn worden. Laßt sie auch kalt durch ihn werden. Der warme Tag ist schoͤn, der kuͤhle Abend auch, und dann scharrt ihn nicht ins Thal, auf jenen steilen Berg, wo wenige hinauf koͤnnen, keiner der einen kurzen Othem O o 4 hat. hat. Da scharrt ihn auf die Spitze, damit er den Berg noch groͤßer mache. Er war Berg im Leben, und nicht Thal, und muß bey seines Gleichen im Tode — Wie! du willst ihm die Augen zudruͤcken? Laß sie starr; wie sie sind! Laß sie, Freund! Die Sonne bleibt Sonne, wenn sie gleich verfinstert ist, und auch ein Viertel vom Mond ist Mond. Laß sie so starr, wie sie da sind. Ihre Seel’ ist weg; allein sie haben noch was, das viele Augen mit Seelen nicht ha- ben. Es wohnt’ eine große Seel’ in ihnen, und das sieht man jedem Haus’ an, wenn schon der, welcher es baute, lang todt ist. Aendre nichts — was die Natur will, sey auch dein Wille. Wilst du was thun, setz oben uͤber sein Grab ein Kreuz, das ist das groͤßte Zeichen, was mir bekannt ist, eine Krone hat auch ein Pfau! Mache dies Kreuz groß, damit es in der See gesehen werde und Schiffe, die sich verirren, dies Kreuz als Weg- weiser ehren, und sich freuen, wenn sie es sehen. Leb wohl, Streiter! Erzaͤhle den Gei- stern des Himmels, die nie gestorben sind, daß es auch gut sey zu sterben, damit sie den Sterblichen nicht verachten, weil er sterblich ist. Die Engel, die dich todt gesehen haben, kannst kannst du auf mein Wort zu Zeugen rufen. Erhabener Todter! Man achtet das Leben nicht, wenn man dich siehet! O moͤchtest du nicht verwesen! Du soltest ewig dazu dienen, den Furchtsamen zu steifen, und jeden zu leh- ren, daß nicht jeder auf gleiche Weise todt sey. Dir sieht man es an, daß du nicht aufhoͤren kannst, daß du nicht aufgehoͤret hast. Es stirbt nicht jeder auf gleiche Weise, es lebt nicht jeder auf gleiche Art. Stiller Mond, dies große Grab empfehl’ ich dir! Du siehst viel, was die Sonne nicht sieht, du bist ein Sonntagskind und kannst Gesichter sehen, die sonst niemand zu sehen versteht. Du siehst fromme Geister, wenn sie um die Graͤber der Ihrigen wanken, die sie noch nicht in dem wei- ten Himmel aufgefunden haben, Du siehst, wenn sie sich von ungefehr treffen; und wenn sie den himmlischen Bund machen „wir lassen uns nicht in Ewigkeit.“ — Du siehst erkennt- liche Geister, die ihren Ueberrest, ihren ver- wesenden Koͤrper, besuchen; die Stuͤck vor Stuͤck von ihm Abschied nehmen, und ihn bedauren, daß er Koͤrper war und daß er ge- storben ist. Ruͤhrend muß es dir seyn, lie- ber Mond, ruͤhrend, so was zu sehen, wenn Geist und Leib sich zusammen finden, und sich O o 5 nicht nicht mit einander besprechen koͤnnen: wenn die Seel’ erkenntlich seyn will gegen ihren gu- ten Freund, den Leib, und es nicht seyn kann! Oft hab’ ich einen Freund auf dem Brette gesehen, mit dem es mir fast so gieng, als dem Geist mit dem Erd werdenden Koͤrper! — Da wankt der Betruͤger, der der armen Witt- we den Acker abgrenzte. Gern moͤcht’ er sie mit einem dreymal groͤssern Stuͤck entschaͤdi- gen. Kann er? will sie? Noch haben sie sich nicht begegnet, allein wenn auch; hat sie denn jetzt nicht mehr, als Er? Hier wankt ein Geist, der als roher Juͤngling ein warmbluͤtiges zu leichtglaͤubi- ges Maͤdchen ins Verderben zog. Bald war ihr Jammer vollendet. Sie starb, ohne dem Berraͤther Vorwuͤrfe zu machen, die Abge- zehrte! Ihr Auge durfte nicht zugedruͤckt wer- den, es war so tief gesunken, daß manns nicht mehr sehen konnte. Es war ein eingefallnes Grab. Sterbend rang sie ihre verwelkten Haͤnde, und bat um Gnade bey Gott und den Menschen. Die Menschen erhoͤrten sie nicht. Mit Spott und Schande ward sie begraben: aber jezt hat sie ausgerungen, ihre Leiden sind geendigt — wenn werden die Deinigen geendiget seyn? Ungluͤckseliger! Wenn? — Im Im Traum sieht man alles groͤßer und naͤher und so sehen Geister auch! Desto besser fuͤr den Guten, desto schlechter fuͤr den Boͤsen, und fuͤr dich! Moͤrder! Ungluͤckseliger! Das alles, Mond, Seelenfreund, das alles siehst du, als Sonntagskind, und was siehst du nicht unter den Lebendigen? Doch du bist verschwiegen, ich will es auch seyn — — — Wenn der von seinen ungerathenen Kin- dern verstossene Greiß die Haͤnde gen Him- mel uͤber sein Haupt zusammenschlaͤgt, und sich nach einem seligen Ende sehnt: wenn er laut betet: „es ist genug, Herr! Laß mich ruhen! Ich kann nicht mehr!“ Dann be- strale das Kreuz auf diesem Grabe, mach’ es ringsumher hell und klar; denn in des Grei- ses Augen ist Abend worden. Es war nicht Raum in der Herberge fuͤr mich Unterdruͤck- ten in der Welt! Gott nimm mich in den Himmel, wo fuͤr mich Raum ist. So bet’ er, wenn er dies Kreuz sieht, und sanft und selig geh’ er dann zur Ruhe! Mond! dem frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchen- thuͤrme der benachbarten Stadt reichen kann, den der Tod auf dem Feld’ uͤberrascht, Mond! diesen Pilger leuchte nach Hause, diesem Pil- ger ger sey dies Kreuz ein Kirchthurm des Him- mels! Mond, laß es dies jenem Kreuztraͤ- ger seyn und jedem Boͤsewicht ein Schreck- bild, damit er an seine Brust stark klopfe, und umkehr’ und gut werde, und endlich, Mond, wenn unser Land Helden braucht, laß sie von diesem Grab’ ausziehen, und wenn blutduͤrstige Feinde wie Heuschreckeu uns uͤber- fallen, dann verhuͤlle dein Haupt und drey- mal blitz’ es um dies Grab! Da sage dann ein Ehrenmann im Volke: so wie dieser Blitz, so blinkte mit dem Schwerdte der da oben begraben liegt, da oben, nah am Himmel, und wie ein kalt Fieber im Fruͤhiing in die Glieder faͤhrt, ehe mans merkt; so fahre Furcht und Schrecken in die Feinde, wenn sie das Grab und das Kreuz druͤber im Blitze sehen! Das ist anders, als ein Mondschein ! Du bist derselbe, wo man steht und geht, weit aussehender Mond ! Sey den Freunden des Helden, uns, den edlen Todtengraͤbern, sey ein Spiegel, in dem wir das Grab und das Ehrenzeichen druͤber immer sehen, wir moͤgen stehen und gehen, wo wir wollen, und auch in deinem lezten Viertel! — Bitt’ ich zu viel, so denke wie nah wir diesem Grabe verwandt sind — auch in deinem lezten Viertel sey dies Grab Grab bis zur Helfte zu sehen, bis zur Helfte! — Genug, Freunde! Mond! Kreuz! Grab ! Das sey unsre Losung, bis auch wir begraben werden im stillen Thal, wie es uns geziemet. Ein kleines Graͤblein, das sich nichts uͤber das Thal heraus nehmen und kein Huͤgel seyn darf, sey unser Hauß. Ein Orden, ein Kreuz, gebuͤhret nur Helden. Wenn der Geisterseher der Seelenvertraute Mond, wenn er mit den Graͤbern der Helden fertig ist, und noch einen Blick uͤbrig hat; er wird ungebe- ten mit ein Paar holden Stralen unsere Graͤ- ber beehren, damit ein Minnesaͤnger unser Ruhethal bemerke, und auf unser Grab durch heilige Ahndung gebracht, ein Grablied auf seine Geliebte singe, und auf sich selbst eins, weil jene ihm starb! — Dank sey Euch, ihr Treuen, ihr Lieben des Helden, die er beschuͤtzet hat! Wir ha- ben eine heilige Pflicht erfuͤllet und Ehre ge- geben, dem Ehre gebuͤhret und einen Hel- den und einen Berg verbunden! — Gleich mit gleich. — Laßt uns froh heim gehen; denn es laͤßt nicht, wenn Helden weinen, und wer kann einen Berg mit Thraͤnen im Aug’ ansehen, wer? Er hat uͤberwunden und ist mit Ehren vom dritten Tod’ uͤberwunden. Noch Noch eine Pflicht liegt uns ob, dies Grab zu verhehlen seiner Vielgetreuen. Was wir koͤn- nen, kann sie nicht. Sie ist so sehr ein Weib, als er ein Mann war! Kommt, Freunde! Sie koͤnnt’ uns uͤberraschen, kommt! Warum seht ihr euch um? Freunde, kein Held sieht sich um, kommt! Wir nehmen den Mond mit. Weh! weh! Ists nicht ihr Silberton? Versteckt Euch — doch nein! Es ist eine Nachtigal, die auch den Geliebten verloren hat. Solch ein Paar Stimmen, Luisens und der Nachtigal, sind leicht zu verwechseln. Schluchze nicht, kleine Betruͤbte! Dein Ge- liebter ist nicht im Felde gewesen, da faͤlt nur was vortreflich und ehrlich unter den Men- schen ist, du wirst ihn wieder finden; allein Luise nicht ihren Geliebten! Was fuͤr ein Geschrey? Ists eine Taube, die nach ihrem Gatten girrt? Ist es ein Kaͤuzlein, das erbaͤrmlich sich hoͤren laͤßt? Ists beydes? Ists keins? Ha, Freunde! Sie ists, es ist Luise! Gott wie veraͤndert! Aus einer Nachtigal, was ist sie worden? Kommt, laßt uns fliehen — fliehen — flie- hen! — Unsern Freund haben wir sterben gesehn. Luisen werden wir nicht leben hoͤ- ren koͤnnen. Kommt, Freunde! Auch du, Alter Alter! Nimm dich zusammen, gib deinem Sohn die Hand, damit er ein Stuͤck von dir uͤbertrage. Kommt, kommt alle! Du starrst, Geliebter! Du starrest! Du, vor allen Ge- treuer ! Was ist mein Gesang gegen dein Ge- sicht? Laß es mich abschreiben. Ich bitte dich Laß! Dann haben Kinder und Kindes- kinder ein Muster von edlen Schmerz. Doch seht! Es bricht sich Tod und Leben auf dei- nem Gesicht, mein Geliebter! mein Freund! Gottlob die Herzens Blutschleuse ist nicht mehr gehemmt. Sie ist wieder aufgezogen, und es fließt Blut in dein Gesicht. — Ach Geliebter ! soll ich, soll ich weiter singen? Es ist Luise , Freund! Sie ists! Kann ich? Soll ich? Flieht, Freunde, sie ist uns nahe! Verbergt euch ins Gestraͤuch tief — tiefer — Freunde eines Helden fliehen? verber- gen? Doch! einem Weibe zum besten! dem Weibe eines Helden zum besten! Solch ein Weib koͤnnen nur Memmen aushalten! Maͤn- ner nicht! Wir sind Helden, Freunde, weil wir fliehen, weil wir uns verbergen tief im Gestraͤuch. Je tiefer, je heldenmuͤtiger! — Ist Luise nicht eine Heldin, weil sie be- truͤbt ist bis in den Tod! Weil sie ihre Stim- me verloren hat, und was weiß sie? Weiß sie sie mehr, als daß ihr Geliebter im Feld’ ist, weiß sie seinen Tod? Weiß sie die Losung: Kreuz! Grab! Tod! Louise ! sie ists, Freunde! O waͤr’ es ihr Geist; dann waͤren Franz und Louise doch bey einander! Wie hat ihr Gesang sich veraͤndert? Haͤtt’ ich sie nicht gesehen; durchs Gehoͤr haͤtte sie niemand gekannt, der singen kann, niemand, der nur singen hoͤren kann! Louise! Louise ! Seufz’t ihren Namen, Freunde! seufzt inwaͤrts! So wie der Seufzer aus dem Herzen kommt, stoß ihn ins Herz — sie koͤnnt uns sonst merken, und wir waͤren verloren. — Auf unserer Stirn wuͤrde sie lesen, was sie nicht wissen soll. Wir waͤ- ren ihre Moͤrder! Die geheimen Worte: Kreuz! Grab! Tod ! sind uns angeschrie- ben an der Stirn einmal! zweymal! drey- mal! uͤberall — Stecket die Koͤpf’ ins Ge- buͤsche. Juͤngling ! Du hast noch zu wenig Kreuz gehabt, du verstehst nicht Seufzer zu daͤmpfen, lern es von uns, du wirst es be- nutzen. Freunde , wenn euch die Haͤnde zit- tern und die Fuͤß’ auch; schlagt sie ins Kreuz, damit eins das andre halte, und Louise nichts merke! — Ins Kreuz, Freunde — Wo Wo bist du, Franz ? Wo bist du hin, Falscher! Du liebst den Krieg mehr, als mich, den Tod mehr, als das Leben! Wo bist du? — Du hast deine Geliebte verlas- sen, die nach dir zielte, wie ein Jaͤger nach Wild! — nach dir sang, wie die Voͤgel im Fruͤhling nach einander singen, bis sie sich gefunden haben. Wo sind deine Schwuͤre? Deine Verwuͤnschungen? Ungluͤcklicher! Was hat der Krieg, das dich reizen konnte, da du mich hattest! Dein Leben gehoͤrt Gott! dir! und mir! oder besser Gott! mir! und dir! und keinem von uns dreyen giebst du es. Du bringest es dem Vaterland! Kennst du dies Ungeheuer? Ich kenn’ es nicht, ich mag es nicht, ich will es nicht kennen, dieses blutduͤrsti- ge Thier, das seinen Weg mit Menschenleichen pflastert, um weich zu treten, und an ver- wuͤsteten Feldern und an ausgebrannten Waͤl- dern seine Lust sieht, das jedes Grab haßt, weil es lebt! — Vaterland, wie heßlich bist du! — Auch meinen Geliebten hast du auf deiner Seele, wenn du eine Seele hast! Va- terland, du wohnst in einer Moͤrdergrube! Franz! wie konntest du dich verleiten lassen? Ehre! Was ist Ehre? Weißt du es? Ich weiß es nicht! — Wer uns in die Augen Zweiter Th. P p ehrt ehrt, ehrt uns der? Und wers thut, wenn wir nicht dabey sind, ehrt uns der? Weiß dieser Fels, wenn ich sag’ein schoͤner Fels, und richtet sich die abgehauene Tanne in die Hoͤhe, wenn ich sag’: ein treflicher Baum? Hoͤren wir, wenn wir gestorben sind, und was ist die Ehre, wenn wir nicht hoͤren koͤnnen? Du hast falsch Geld eingewechselt, Franz! Schaͤme dich, daß du gestorben bist. Doch! bist du todt! Franz , rede doch, ich ringe meine Haͤnde, ich halt sie gen Himmel! Ich — was weiß ich, was ich thue! — So rede doch, Franz , bist du todt? Lebst du? Verzeih’ einem Weibe, daß sie nicht maͤnn- lich denkt. Du hattest zwo Haͤnd’, eine fuͤr mich, eine fuͤr deine Pflicht. Es war Pflicht daß du in den Krieg giengest. Du hattest dein Wort eher der Fahn’ als mir gegeben. Verzeih mir, Franz ! Ich sah dein linkes Aug’ in Thraͤnen, da du Abschied nahmst. Im Rechten war Muth. Eine Hand war stark, die andre sank. O Franz! Franz ! Wenn wir uns doch eher gekannt haͤtten. — Vielleicht haͤttest du dich mit keiner andern Pflicht vermaͤhlt, als mit der, mich zu lie- ben! — Die schoͤne Pflicht! — Ist sie nicht schoͤn? Traurig schoͤn! O wenn du leben moͤch- moͤchtest, doch — du lebst nicht, du bist todt! todt! todt! Ich sah dich kaͤmpfen, du edler Kaͤmpfer! Ich sah dich mit vielen zu- gleich anbinden. Ich sah dich kriegen, ed- ler Krieger! Ich sah dich den ganz treffen, der dich halb traf, den stuͤrzen, der nach dir schlug — ich sah Blut und Schweiß, beydes edel zusammen rinnen, und vor dei- ner Stirn stehen, und da der Zufluß zu stark war, es von deinen Wangen herab- thauen — ich sah! O Gott! ich sah dich die Knie steifen, die schon zu sinken anfiengen! Wie bleich, welche Blutduͤrre auf deinen Wangen! wie welk, Tod! da liegt er! das dacht’ ich wol, ich dacht’ es, Geliebter, daß du sterben wuͤrdest—Schreckliche Ahndung! doch war es bloß Ahndung? Es war Zei- chen vom Himmel: denn es starb ein Edler! Wenn ein solcher stirbt, macht man im Him- mel Platz — O ein Treflicher ist gefallen. Klagt, ihr Jungfrauen! Der edelste unter allen Juͤnglingen ist gestorben, ohne seinen Stamm fortzupflanzen, und ohn einen Sohn zuruͤck zu lassen, der seinem Bilde aͤhnlich. Klagt, ihr Feigen! Ein Held ist todt. Klagt, ihr Helden, euer Bruder ist dahin. Es sterben tausend und abermal tausend mit ihm! P p 2 mich mich ohngerechnet! — Ich fuͤhlt’ jeden Her- zensstich, den er ausstand, den er uͤberwand, und den lezten, lezten Todesstich, der ihm das Leben nahm! Ach! noch dehnet sich dieser Stich in meinem Busen — Franz ist todt! todt! todt, todt! Rufe laut, uͤberlaut, al- les was rufen kann: todt! — und was nicht Sprache hat, halle nach: todt! — Fuͤr mich alles todt, die ganze Welt todt — mein Geliebter hin, alles hin — Leben hin, Tod hin, ach selbst der Tod hin. Luise soll nicht in Franzens Arm sterben, o des schoͤnen Todes in seinem Arm! So treflich soll Luise nicht sterben, so lebendig nicht gen Himmel kommen! Ha, schreckliche Nacht, die ich uͤberstand! Ich fuͤhl’ es, keine werd’ ich mehr uͤberstehen — ich traͤumte, was ich sang! Ahndungsvoll sprang ich auf im Traum, und Ahndung bestaͤtigt diesen Todestraum: Franz ist todt! — Ich rief im Walde, wo das Echo so oft Franz nachgerufen! Ich rief in den Wald: Franz — keine Antwort. Nichts auf mein Franz , auf mein wiederholtes Franz ! Echo bist du verstummt? Du rufst alles, nur Franz nicht — kannst du den suͤssen leichten Namen Franz nicht mehr nachsprechen? Oder liegt es an mir, daß ich mir nicht getrau, ihn ihn laut vorzusprechen! Ich koͤnnte Franzen , duͤnkt mich, im Sterben stoͤren — ihn stoͤ- ren, wenn ich schrie: Franz ! Und nun end- lich wie aus einer tiefen Kluft hohl: Franz ! Schnell lief ein Schauder mir dnrch alle Glie- der, durch den geheimsten Mark! Der schoͤn- ste Name in der Welt, wie schrecklich ward er mir! Wie ists, Echo! Ich weiß alles! Heult nicht Hunde! Rufe nicht Eule! Laßt mich rufen, laßt mich heulen! Ich weiß al- les! Schrecklich! Wie traurig das Licht brannte, als auf einer Leichenwache. Ver- gebens muntert’ ichs durch eine Nadel auf, womit mein Busen befestiget war. Verge- bens facht’ ich es an! Es wolte nicht, es konnte nicht. Franz auch du hast ausge- brannt! Umsonst waͤlzen dich Freunde, um- sonst schuͤtteln sie deine Haͤnde! umsonst! — du bist todt! todt! todt! Doch sind es Freunde, die dich umgeben. Vielleicht Feinde — Deine Moͤrder — Moͤrder, die deinen Hel- denwerth verkennen, und sich nicht einst ruͤh- men ihrer Mordthat. — Vielleicht rinnt dein Blut, dein edles Blut, in eine Pfuͤtze voll unreinem dicken Blut der gemeinsten Krieger! — O Franz ! wuͤßt’ ich, daß du wie ein Held begraben waͤrst, wie du gelebt P p 3 hast, hast, und wie du gewiß gestorben bist, ich wuͤrde mich beruhigen: denn bald! bald! werd’ ich bey dir seyn. Wenn aber dein Leib als Scheusal aufgestelt ist, dein schoͤner Leib, das Meisterstuͤck der Natur, Franz ! was heb’ ich an? Engel! Menschen! wen ruͤhren meine Klagen zuerst? Wer ist am menschlichsten unter allen Geschoͤpfen — wer? Franz ist todt! todt! Wer zeigt mir den Weg zu dem einzigen Trost, daß ich weiß, daß ich sehe, wie er todt ist! wo seine matte Haͤnde ruhen! und seine kuͤhne Brust! Wer ist der Holde! der mir den Schluͤßel zu sei- nem Grabe giebt? O waͤre sein Kaͤmmerlein verschlossen! Waͤre seine Gruft heilig, wie ruhig!! — Auf, Freunde! tretet hervor, folgt mir, verdoppelt euren Schritt, damit wir Luisen das Grab des Helden zeigen! — Luise, wenn du haͤlst, was du versprochen hast, wenn du ruhig seyn wilst! wenn du es kannst! Sie that einen Schwur mit ihren Augen, die sie gen Himmel anstrengte — Diese Haͤnde trugen ihn in die Hoͤhe, sagte der Aelteste, sie trugen ihn in den Vorhof des Himmels, wo Lohn nach Arbeit auf ihn wartet! Mache dein Auge groß, Luise, du solst solst sein Grab sehen, und ein Ehrenzeichen oben drauf. Goͤnn’ ihm die Ruhe, aoͤnn sie dir selbst. — Sein Andenken sey uns ewig heilig! — Bist du vorbereitet? Hast du den lezten Tropfen Thraͤnen in deinem Aug ver- wischt, hast du Staͤrke hinauf zu blicken? Wohlan! Dort oben schlaͤft Franz! — Sie sah mit einem umfassenden Blick. Ach, seufzte Luise ! schlug ein Kreuz vor ihre Brust, und sank todt zur Erde. Heut hab’ ich einen Leichenschmauß! Alle meine Kinder sind bey mir! Komm auch, Nachbar! — Damit alles paarweis’ gehe, hab’ ich die Wittwe Marthe eingeladen. Du wirst Gelegenheit haben, an deine selige Frau zu denken, wenn du die Wittwe Marthe , deiner Seligen leibliche Schwester siehst, und wenn du auf meinem Leichenschmause bist — ich hab’ einen Enkel verloren, einen Kern- jungen. Der Tod hatte lang mit ihm zu thun, eh’ er ihn zu Boden riß. Jacob wehrte sich, so klein er war, mit Juͤnglings- staͤrke. Jacob, der Erstgebohrne meines Aeltesten, der im vaͤterlichen Hause bleiben wird, weil er der Alteste ist. Jacob fuͤhrte meinen Namen, und war mir so auggreif- P p 4 lich lich aͤhnlich, als mir keiner von allen meinen Kindern und Groskindern ist, die mir all’ aͤhnlicher sind, als jene. Alle Leute nann- ten den Seligen: Großvater, und der kleine Junge freute sich druͤber, und that so alt, als wenn ers waͤre. Er ist ein Theil von mir, ein Ast vom Stamm, und soll da be- graben werden, wo ich einst begraben zu wer- den den Meinigen anbefohlen habe. Nach- bar! wir wollen betruͤbt und froh seyn, so wie man in der Abenddaͤmmerung sieht, und nicht sieht. — O Greger ! Es ist ein koͤstlich Ding, wie unser Pastor sagt, zu sterben, eh man stirbt! Was meinst du, wenn man sich begraben sieht? Du bist gestorben, Gre- ger, eh du starbst, du hast dich begraben ge- sehen, und lebst; denn dein Weib, Wittwer, war du selbst! Sieh, ich habe noch all die Meinigen; nur Jacob den Hauptenkel hab’ ich verloren, den begrab’ ich heute! Da liegt er schon auf einem weißen Laken, du wirst ihm folgen mit deiner seligen Frauen Schwe- ster in einem Paar! Ich werde mir selbst folgen mit meinem Weibe Hand in Hand. Gott geb’ ich stuͤrb mit ihr paarweis’! Zwar hat mich Gott gesegnet mit Kindern und Kin- deskindern, die noch gruͤnen und bluͤhen und Fruͤcht’ Fruͤcht’ ansetzen werden zu seiner Zeit. Hast du aber nicht bemerkt, Greger , die Blaͤtter straͤuben sich lang, und trotzen dem Herbst; faͤlt aber das erste gelbe Blatt: fallen ihm mehr nach, bis der Baum nackt und blos steht! — Ich bin bereit, mein Weib ist be- reit. O, waͤren wir die ersten, die nach diesem gelben Blatt fielen! Ruhe wohl, Ja- cob ! Du bist, so klein du warest, eines christlichen Begraͤbnisses werth, und eines Leichenschmauses! Fromm wollen wir reden, Nachbar, und das lezte Glas wollen wir trinken: auf ein seliges Ende! — Tanne ; warum so stolz unter deines gleichen? Warum Meuterey wider die koͤ- nigliche Familie der Eiche? Ich, dein Landsmann, aus Norden gebuͤrtig, wie du, finde keine Hoheit an dir von Fuß bis zur Scheitel! Wenn sanfte Winde dich und al- les, was um dir ist, mit einer verstehbaren Sprache beleben, rausche mir zu, was dein Vorzug ist, damit ichs durch den Wiederhall deinen Nachbaren, wer sie auch sind, ver- kuͤndige, auf daß sie dich ehren, wie die koͤ- nigliche Eiche geehrt wird, und wenn du es verdienst, noch mehr. Sieh an die maje- P p 5 staͤti- staͤtische dreyhundertjaͤhrige Eiche, die die Ge- schichte des ganzen Waldes weiß, da steht sie unerschuͤttert, trotzt den Stuͤrmen aller Weltgegenden, trotzt allem — nur Gottes Donner nicht; wenn du dich vor jedem Winde buͤckest und dich windest, kriechst und wie ein Hofmann schmeichelst, damit jeder Wind dich nicht aushebe, und deine Wurzel aufdecke allen die voruͤbergehn! Gruͤn bist du im Winter, wenn die Eiche, von ihrem koͤnig- lichen Schmuck entkleidet, nach Art wahrer Groͤße sich nichts vor ihren Unterthanen her- aus nimmt. Ist aber das Kleid wahre Ho- heit? Wo ist dein Werth, wenn auf einem einzigen Eichenblatte sich ganze Geschlechter niederlassen, und du Nadeln statt Blaͤtter zaͤhlest? Sieh nicht veraͤchtlich, Tanne, auf die tief unten gruͤnende Waldblume, die, wenn sie im Fruͤhling aufgeht, und rings umher im nackten Walde alles oͤde und leer findet, sich erst im Thau badet, um desto heller und klaͤrer zu dir hinauf zu blicken. und das erste Baumgruͤn zu sehen! Neige dich zu dieser aufgehenden Waldblume,Tanne, die du dich vor jedem nur rauschenden Winde so tief beugest! Blick her auf die Eiche, die keinem Unterthan, der zu ihr flieht, Schutz und und Schirm versagt, und wenn der in die Hoͤhe strebende Baum von Buben gebrochen wird, und sich zu ihr wendet, ihm einen Ast reichet, damit er den Streich verwachse, den der Bube an ihm vollfuͤhrte. Schmetterling, Schmetterling, setz dich! — Sieh den Sperling, der auf dich laurt, und seinen Schnabel wetzet, um dich, als ei- nen Braten zu essen, und Sallat von dem Blaͤdchen, wo du sitzest, dazu zu bicken. Schmetterling, Schmetterling, setz dich! Ich will dir nicht einen Fluͤgel ausreißen, oder ei- nen Fuß oder dich aͤngstigen,Raͤrrchen! Nein! Du bist klein, wie ich! Gerg , mein groͤße- rer Bruder, faͤngt sich groͤßere Voͤgel, und er geht nicht mit ihnen um, wie ich mit dir umgehen werde. — Weißt du, was ich will? Ich will dich ein wenig ansehen, schoͤ- nes Jungferchen, nicht lange. — Ich weiß, du lebst nur kurz, armes Voͤgelchen! kuͤnf- tigen Sommer bist du nicht mehr, und ich bin schon sieben Sommer alt. — Ich will dich nicht vom Leben aufhalten, armes Voͤ- gelchen, aber besehen will ich dich, dein niedliches Koͤpfchen, und dein schlankes Leib- chen, und deine Spitzenfluͤgelchen, das will ich ich besehn, und damit du keine Zeit verlierst, werd’ ich dir ein Blaͤdchen vorhalten, damit du waͤhrend der Zeit essen kannst. Schmet- terling, Schmetterling, setz dich! Naͤrrchen, ich meyn’ es gut mit dir! Schmetterling, Schmetterling, setz dich! — Es war einmal ein Edelmann, der ritt stets einen Fuchs, der Edelmann war so falsch, wie der Fuchs, und der Fuchs wie der Edelmann. Ein schaͤndlich Paar! Zwar war der Fuchs ein schoͤnes Thier, der Edel- mann nicht minder. Doch einer schlug so aus, wie der andre, und beyde waren be- schlagen, der eine mit Bosheit, der andre mit Eisen. Beyde schlugen und trafen Men- schen. Der Fuchs hatt’ einen seltenen Kopf, einen Hals zum mahlen, und einen Fnß ! gewiß! einen niedlichen Fuß! Sein Schweif hieng ihm herrlich herab, zum Schrecken aller Bremsen und Fliegen, die er nicht ver- jagte, sondern auf der Stelle todtschlug. Auf seinem Ruͤcken war ein Bremsen Kirchhof! O des praͤchtigen Schweifs! Der Edelmann, gewachsen wie eine Buͤrke, hoch und gerade. Sein Gesicht braun, wie eine Eichel, wenn sie rein und reif ist, und seine Hand noch brau- brauner. Nichts an ihm verungluͤckt; kein Fleck, nichts schiefes an ihm, wie ein ausge- wachsener Halm im Kleinen, war er im Gros- sen, gerad bis auf sein Seitenhaar, das kraus lag in natuͤrlichen Locken. Man glaubte, die liebe Natur haͤtt es mit ihnen zu einem Knoten angelegt, und sie waͤren im Zuziehen gestoͤrt worden. Sein Auge meldte jedem an, es sey der Mann ein Edelmann. Nur die Augenbranen waren wild gewachsen, sehr wild! Da lag das Boͤse vom Edelmann, denn wenn er gleich schoͤn von außen war, so hatt’ er doch einen innerlichen Schaden. Sein Herz war eine Moͤrdergrube, und von draußen stand ein schoͤner adlicher Hof. O hoͤrt, ihr tu- gendsame Jungfrauen, was sich zutrug im Jahr nach Christi Geburt ein tausend sieben hundert und sieben, hoͤrt es und weint um eure Schwester! Es war einmal ein ehrlicher Buͤr- gersmann, der hatt’ eine schoͤne Tochter. Der Pastor sah sie an, wenn er die Schoͤnheit des Engels beschrieb, der auf Gottes Geheiß einen menschlichen Leib auf eine kurze Zeit angezo- gen. Er sah nicht seine Frau an, denn die war alt, obgleich sie sich beyde nichts vorzuruͤ- cken hatten, und er auch alt war. Annens Leib Leib war ein Engelskind; so passend gemacht, daß der Engel nichts abschneiden durfte, wenn er ein Menschengewand auf Gottes Befehl noͤ- thig gehabt. Freylich sahe sie so schwindsuͤch- tig nicht aus, wie das vornehme Ding in un- serer Nachbarschaft, von der alles sagt, sie sey die schoͤnst’ im Lande. Daß sich Gott erbarm! Wer Annen sah, wust sicher, was Schoͤnheit sey. Wer sie nicht gesehen hatte, war zwei- felhaft. Man verglich die andern Gesichter nicht mehr mit der Natur, sondern mit Annen , nicht mit der weißen Lilie den Busen, nicht mit dem Himmelsblau das Aug, nicht mit einer aufbrechenden Rose das Frische im Gesicht — man verglich es mit Annen . Sie hat das von Annen und jenes von Annen . So sprach jeder wer Annen gesehen. Man hatte nicht noͤthig, sich herum zu thun und hier und da was in der Natur zusammen zu suchen — Anne war alles zusammen. — Sie war weiß; allein wer auch eine Braune liebte, blieb stehen, wenn er sie sah, und sagte laut: schoͤn! Sie hatte so was gesundweißes im Gesicht, daß man das Blut rinnen sebn kounte. O ein schoͤnes Blut! Der ganze Himmel lag auf ihrem Gesicht! weiß! roth! blau! Wenn man ihn im Klei- nen wollte, sah man Annen an — und ihre Seele? Seele? Wer eine Seele sehen wollte, sah’ ihr ins Aug’. Da hatte sie sich eiquartiert. Wen sie damit ansah, hatte Gottes Bild gesehen, und ein Strahl von diesem Bilde ließ so viel Ehrfurcht zuruͤck, daß man Annen liebt und ehrte. Ihr Aug war die Sonn’ am Himmel! Man dankte Gott, daß er so schoͤne Menschen auf seiner Welt gemacht — und waͤr’ es er- laubt, daß ein Engel, wenn er auf Gottes Extrapost faͤhrt, und der Erdenluft wegen ein Menschengewand angezogen hat, waͤr’ es er- laubt, daß ein Engel ohne Gottes Trauschein sich verheyrathen koͤnnte: er naͤhme sie! — Sie waͤre Fleisch von seinem Fleisch! Geist von seinem Geist! — O ihr Jungfrauen, hoͤrt was sich mit Annen zutrug und mit dem Edel- mann, der stets einen Fuchs ritt. Er stelte sich, als liebt’ er sie; allein er liebte sie nicht, denn die Liebe macht tugendhaft, wenn man einen Engel wie Annen liebt! Er liebte sie, doch war seine Liebe Leckerey! — Der Boͤsewicht meynte nicht sie, sondern sich. — Hast du ihr nicht ins Aug gesehen? — und recht ins Gesicht? oder fuͤrchtest du dich nicht fuͤr Gott und fuͤr den Himmel! Boͤsewicht! fuͤr was fuͤrchtest du dich denn? Sie waren beyde schoͤn! — schoͤn! allein welch ein Unterschied in der Schoͤn- Schoͤnheit! Sie schoͤn, wie ein Engel; Er schoͤn, wie ein Teufel, wenn er sich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er schwur Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand zum Betrug anlegt, der so schoͤn ist, wie der Edelmann. Wer sieht immer auf die Augen- branen? Anne sagt’ auf sein Zudringen, ich will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va- ter war waͤhrend der Zeit gestorben, und der Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte sich so betruͤbt gestelt, daß Anne ihres Vaters und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war! Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er- sier Schritt war ins Trauerhauß! Eine schreck- liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich will, wenn meine Mutter will; allein sie sprach es immer schwaͤcher. Der Boͤsewicht gruͤßte die Mutter nicht mit den suͤßen Worten: gib mir deine Tochter! — Er suchte die Tochter ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die Mutter merkte — wie ists? fragte sie den Edelmann: Ernst oder Scherz, Spiel oder Ehe? — O Anne , warum sahst du ihm nicht in sein verruchtes Gesicht, bey dieser muͤtter- lichen lichen Frage — recht ins Gesicht? Du haͤt- test den Boͤsewicht entdeckt in Lebensgroͤße. Er rafte sich bald zusammen. Ernst , sprach er, Ehe ! Wie, sagte die Tochter, da der Boͤsewicht diesen Abend das Hauß der Unschuld verließ, wie waͤr’ es anders zu denken? Die Mutter ward ruhig nach diesem Abend. Mehr hatte dem Edelmann nicht gefehlt, seiner Gottlosig- keit vollen Lauf zu lassen, und die Unschuld zu vergiften, als diese Ruhe der Mutter — — O Ihr Jungfrauen! weint um eure Schwe- ster, die durch einen Boͤsewicht von der stren- gen Bahn der Unschuld und Tugend verfuͤhrt ward. Nur Mutter und Tochter und drey aus ihrer Verwandschaft wußten ihren Fall! Der Tod entriß ihn dem Ottergift der Stadtlippen. Ihre Mutter rang die Haͤnde. Anne konnte sie nicht ringen — der Tod war ihr Leben! — Sie konnte, sie wolte nichts weiter, als ster- ben. Kniend bat sie ihre Mutter, fuͤr sie zu beten. Ja! Tochter! ich will fuͤr dich beten! Ich will beten, daß dich Gott beruhige. — Nein, Mutter, daß ich sterbe, daß ich sterbe, daß ich sterbe, alles andre Gebet wiederruf’ ich — der Tod, das ist mein Alles. — Anne sprach dies gelaßner, als ich, so gelassen, daß man wohl sahe, der Tod sey Zweiter Th. Q q ihr ihr alles. — Sie knieten beyde, Mutter und Tochter, dicht zusammen, und hielten die Haͤn- de gen Himmel, als waͤr’ es nur eine. — Sehn- lichst beteten sie um den Tod, und das ist eine große Gabe Gottes, die der liebe Gott nicht erst wem giebt, sondern nur denen er gut ist. Wir sterben zwar alle; allein es kommt beym Tod aufs wenn? an, auf eine erwuͤnschte, das ist, auf eine selige Stunde. Da nimmt man nicht zehn Leben um Einen Tod! — Die Tochter starb so ruhig, daß man ihr die ewge Seligkeit ansehen konnte. Die Mutter muste noch acht Tag’ jammern. Sie hatte keinen Schmerz; allein sie jammerte — mein Mann todt, meine Tochter todt — und ich! ich! hab’ ein heimtuͤckisches hartes Leben! Schon lange bey Lebenszeit ihres Mannes war sie siech! Der Tod ihrer Tochter hatt’ ihr vollends das Herz gebrochen. Nun gieng es gegen den ach- ten Tag, daß die Leich’ ihrer Tochter auf sie wartete, unbegraben! Auf einen Tag, sagte die Mutter zu ihrer sterbenden Tochter, auf einen Tag, sagte die Tochter. Auf einen Tag, sagten sie sich hundertmal, und auf einen Tag waren auch ihre lezten Worte. Sie starb! o Gott — fast wie ihre Tochter. Fast! Ganz nicht, denn die Tochter starb noch leichter! Die Die Mutter war aͤlter, das Leben hatte sich mehr angeklammert, und der Tod muste stark reißen, eh’ er seinen Zweck erriß Der Mut- ter Sarg stand schon laͤngst bey dem Sarg ihrer Tochter, noch eh die Mutter selbst drinn war. Was das fuͤr ein Leichenzug war! Sie wolten still begraben seyn; allein alles im Staͤdtchen, was gehen konnte, gieng den Saͤr- gern nach. Es waren allen und jeden Wegwei- ser zur ewigen Ruhe! Die Tagloͤhner verdun- gen sich nur auf den halben Tag, um dieses Begraͤbniß zu sehen. Der Pastor weinte. Er war außer den Dreyen der vierte, der An- nens Fall wuste! Die Engel fielen und wur- den Teufel; allein Anne blieb, was sie war, im priesterlichen Auge. Der Pastor weinte: denn er hatte kein Engelbild mehr in seiner Ge- meine. Er wuste nicht, wie er die Engelgestalt deutlich machen wuͤrde, da er Annen nicht mehr sehen konnte — ich werde sie bald sehen, fieng er prophetisch an mit entzuͤckten Muthe, druͤckte sich den Hut in die Augen, und gieng so, als ob er den Tod ausfordern wolte. Der gute Pastor! Er wolt’ ein Erbauungswort bey dem Grabe dieser beyden Seligen verbreiten, doch, das konnt’ er nicht! Annens Gesicht, das ihm noch zu lebhaft vor den Augen schwebte, Q q 2 stoͤrte stoͤrte ihn. Er verstummte selbst in der Kol- lekte, und schluchzte laut. Der Schuster Veit , der so gut singt als Einer, half ihm aus, ohne daß es viel zu merken war. Dieser war be- kannt, daß er Melodie hielt, und nicht weinen konnte. Sie hatten eben die Todten begraben und wollten heim gehen; da kam der Edelmann auf sie zugesprengt. Er ritt keinen Fuchs, son- dern einen Schwarzen. Ha! dachte der Pastor, da er den Edel- mann, den er wohl kannte, auf einem Rap- pen, und nicht mehr auf dem Fuchs, sahe — Ha, das Gewissen! das Gewissen! Es war ihm Vergnuͤgen, den Judas haͤngen zu sehen, und wahrlich wenn ein Boͤsewicht von der Welt Verzeihung haben will, muß er unstaͤt und fluͤchtig — verzweifelnd aussehen. — Der Boͤsewicht haͤtt’ ohngefragt wissen koͤnnen was? und wie? und wer? Denn unsre Todten kamen in eine Reih mit Mann mit Vater. An dieser Stelle, Boͤsewicht, hast du geweint. Er frug aber ein blosses kaltbluͤtiges wer? Anne , sagte der Pastor, und zog seinen Hut ab, und die Thraͤnen stuͤrzten herunter, als goͤß’ er seine Augen aus — Anne , sagt, er, und die ganze Versammlung wimmerte Anne Anne , und lange hernach sagt’ alles, „ihre Mutter auch“ da haͤtte man doch denken sol- len, wuͤrd’ er sich an die Brust schlagen und verzweifeln! Eins sagte dem andern: das ist er, und mancher, der Herz hatte, setzte, wiewohl ins Ohr, hinzu: der Moͤrder ! Al- les wuste von seiner Falschheit gegen Annen ; allein nur drey, außer dem Pastor von ihrer Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤsewicht schien, mir nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen — ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, sagte der Pa- stor, und konnte das Wort verziehen lang nicht herausbringen. Der alte Mann war zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie- derhohlt’ er mit blossem Haupt’, und ich, versetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch, daß sie gestorben ist! O Jung frauen! denkt ans Jahr nach Christi Geburt ein tausend sieben hundert und sieben, und an die Verzeihung, daß sie gestorben ist! Traut nicht den gnaͤdigen Herren, wenn sie gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei- nen! Es ward dem Pastor und seiner Gemeine, als ob die Erde bebte, da der Moͤrder sieg- prangte und trotzte. Der Pastor setzte sei- nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei- Q q 3 terin- terinnen falteten die Haͤnde. Der Edelmann mir nichts, dir nichts, sprengte davon; denn er hatte seit vielen Wochen ein ander Ann- chen , drum verzieh er unserm, daß es gestor- ben war! Diese schreckliche Worte hatten dem Pa- stor schnell die Thraͤnen gestauet. Beym hef- tigen Ungewitter regnet es nicht — Da fieng der Pastor an, da habt ihr meine Lieben, den Teufel gesehn! — Sie war ein Engel! Er ein Teufel, und alle, die solche Augenbranen sahen, fuͤrchteten sich nach der Zeit, als saͤhen sie den boͤsen Geist. — Einige von den Stadt- frauen, welche das selige gute unschuldige Annchen gekannt hatten, und unter denen die bewußten drey am meisten, wunderten sich und sprachen: warum erscheint nicht Annchens Geist dem Boͤsewicht? Warum faͤhrt nicht ihre kalte Hand uͤber sein Gesicht, bis Todesschweiß vor seiner Stirn steht? Warum heulen nicht des Abends zwischen eilf und zwoͤlf Hunde, damit ihm die Ohren gellen? Warum kreiselt nicht ein Sturmwind sich um ihn herum, damit ihm Hoͤ- ren und Sehen vergehe? Warum pfeift ihm nicht der Nord zu: du bist der Mann des To- des? Warum rasseln nicht, wenn er mit seiner Buhlerin ins Bett steigt, unter seinem Bette Ketten Ketten? Warum fahren nicht kalte Schauer kreuzweis durch seine Seele? Warum schrey- en nicht Eulen, wenn er des Abends nach fri- scher Luft schnapt? Und warum verscheucht sich nicht sein Pferd vor einer Erscheinung, und wirft ihn herab auf ebenem Wege? Warum schlaͤgt es nicht an sein Fenster mit Faͤusten an, damit wenn er wer da! rufet, er nichts als ein Schatten von der Seite wegziehen saͤhe? Warum klirrt und klarrt, knistert und knastet es nicht in seinem Zim- mer, obgleich alles rings herum altes reif ausgeerocknetes Holz ist, als wolt’ es in die Wort’ ausbrechen: Moͤrder, Moͤrder ! — Wundert euch des nicht, meine Lieben, sagte der Pastor gar eben, daß das alles nicht ge- schieht, Anne hat ihm verziehen, eben weil sie ein Engel ist! — Wenn sich die Menschen dem Teufel ergeben, laͤßt der Teufel sie seine Knechtsjahre ungestoͤrt. — Des Teufels Knechte sind fast immer vornehme Herren — allein wenn die Contraktsjahr’ aus sind — Die Gemeine schlug sich ein Kreuz, und alles betete: „Fuͤr den Teufel uns bewahr!„ Q q 4 Zwar Zwar eine Aehrenleserin, und doch reich! Wie ich noch arbeiten konnte, band ich Gar- ben, und beschaͤmt oft junge Maͤdchen in der Schnelligkeit. Man sagte von mir, ich grif Gluͤck, wenn ich unter der blinkenden Sichel Getreyde grif. Im Alter les ich’ Aeh- ren, und frene mich, daß ichs kann. Lie- ber wuͤrd’ ichs sehen, wenn ich mich nicht buͤ- cken doͤrfte. Doch buͤckt man sich nicht auch, wenn man stirbt? und mir ist immer so wohl, wenn ich eine Aehre find, als faͤnd ich mei- nen seligen Tod! — Auch der wird kommen, wenn Zeit und Stunde seyn wird, so wie der liebreiche Gott mir meine Schuͤrze voll Aeh- ren beschert, wenn es Zeit ist. — Da sa- gen mir oft Leute, die jung sind und Aeh- ren lesen kommen: Mutter, dort steht noch Korn, was leßt ihr, schneidet mit einem Messer Aehren, so habt ihr in einer halben Stunde mehr, als ihr tragen koͤnnt! Seht! wie wir es machen! Schaͤmt euch, Kinder, antwort’ ich, daß ihr euch mit Aehrenlesen abgebt, und schaͤmt euch doppelt, daß ihr Gott und Menschen mit dem Messer betruͤgt. Der liebe Gott, der unser Haar zaͤhlt, zaͤhlt auch jedes Erdenhaar, jeden Halm! — Glaubt Glaubt wir, jede Aehre, die ihr abgeschnit- ten habt, wird euch uͤber kurz oder lang im Gewissen schneiden. Wie kann euch Brod an- schlagen, das ihr stehlt? — Brod stehlen, das heißt so viel, wenn es nicht noch mehr heißt, als vom Altar Gottes nehmen, ohn- erachtet die liebe Sonn hell brennt. Ehe Hungers gestorben, als solch gestohlnes Brod gegessen! Seht! wenn ein Halm dem Stahl des Schnitters entkommen, und wie ver- wayst — allein unter Stoppeln da sieht! — Ich nehm’ ihn nicht! Steh, sag’ ich zu ihm, bis dich der Nord knickt, wie mich das Al- ter! — Wenn ihr ehrlich Aehren lesen wuͤr- det, ihr Aehrendiebe! waͤr’ es Schand und Suͤnd: denn koͤnt ihr nicht noch arbeiten, und Gluͤck greifen, wie ichs gegriffen habe, ohne Aehren zu lesen, oder bey Gottes Thuͤr zu betteln? Ich werd’ euch nicht lang mehr im Wege seyn! Alle Jahr find’ ich weniger Aehren, und immer hab’ ich denn auch weniger noͤthig. Je aͤlter, je weniger Hunger: je weniger Zaͤhne, je weniger Magen. — Dies Jahr nur wenige Haͤnde voll Aehren. So wenig hab’ ich noch kein Jahr gehabt — ich glaub’, ich habe dies Jahr zum letztenmal ge- lesen. O wie gern, wie gern moͤcht’ ich aus Q q 5 die dieser argen, boͤsen boͤsen Welt herausschei- den, wo man so gar Gottes Altar beym hell- brennenden Licht bestiehlt! Lebt wohl, wenn ich euch nicht mehr wieder sehen soll, guͤtige Felder! Tragt siebenfaͤltig und mehrfaͤltig, so vielfaͤltig, als es eurem Eigenthuͤmer nuͤtzlich und selig ist! — Gott vergelt’ jedem die Aeh- ren, die mir sein Acker verliehen hat! Lebt wohl all’ ihr mitleidigen Oerter, wo ich mich ausruhete, wenn ich mich nicht mehr buͤcken konnte, und du vor allen, guͤtigster Ort, wo mir ein sanfter spannbreiter Bach Kuͤhlung gab, und in suͤßen Schlaf rauschte, leb wohl! Da sah’ ich, wie das neugierige Feldbluͤmchen, welches am Ufer bluͤhete, sich recht muͤhsam heruͤber bog, als wolt es das Ohr ans kleine Welchen legen, und es be- horchen. Da sah ich — bis ich sanft ein- schlief — sanft. O so sanft komme mir auch der Tod, so sanft! — dann bin ich reicher, als wenn mir all’ diese Felder gehoͤrten, und der spannbreite Bach, den die neugierige Feld- blume belauschte, und die mitleidigen Oerter, wo ich mich so sanft ausruhete — so sanft! — Ende der Beilage A. Daß D aß mir Minens Nachlaß kostbar ge- wesen, darf ich nicht bemerken. Ich bat Gret- chen, dnrch geschworne Leute die Sachen wuͤr- digen zu lassen, um dem Herrmann nichts zu entziehen, was ihm die Rechte, als Erbe seiner Tochter, zuwenden. Ich konnte bey dieser Wuͤrdigung nicht gegenwaͤrtig seyn. Gretchen und ich theilten uns diesen un- schaͤtzbaren Nachlaß. Sie lehnte meinen An- trag nicht im mindesten, auch nicht durch eine Verbeugung ab. Sie dankt’ auch nicht; sondern eignete sich ihren Theil zu, als etwas, das ihr eignet’ und gebuͤhrte. Fuͤr den Herr- mann ward auf alle Faͤlle, oder eigentlicher auf den Fall, ein Stuͤck abgelegt, wenn er wollen wuͤrde, und fuͤr den ehrlichen Benja- min, unter dem einen Beding — wenn er noch lebet. — An die Theilung ward nicht eher, als den Siebenden Tag nach Minens Beerdigung, gedacht. — Ueber Minens Begraͤbniß werd ich kurz seyn. Den ganzen Tag vor dem Begraͤb- nißtage brachten wir in Gesellschaft der Lei- che zu. Nur bis dahin war ich an mein Versprechen, Minen nicht zu sehen, gebun- den. Jetzt gieng das noch einmal an, das ich mir vorbehalten hatte; und dies noch ein- einmal waͤhrte einen ganzen Tag. — Gret- chen hatte mir den muͤndlichen Bescheid ab- gegeben: „Wenn er nicht vor dem Haar einer Todten zuruͤck bebt, kann er eine Haarlocke nehmen.“ Die Empfindung, mit der ich mir dies Geschenk nahm, ist unbeschreiblich! — O! du mir theur und werthes Geschenk, wie noch angenehmer waͤrst du mir aus Min- chens Hand gewesen, die kalt ist und kalt bleibt, obgleich sie dein Freund, dein Mann, an brennenden Lippen anzuͤnden will. All’ ihre Sachen nannt’ ich mittelbar, diese Haar- locke war was unmittelbares. Sie war ein Stuͤck von Minen selbst, das einzige, was Menschen unmittelbar mit Anstand von ein- ander nehmen koͤnnen — Dies war mit ein Hauptstuͤck fuͤr mich, ins Grab — — Der Tag, den wir mit Minen, eigent- lich mit ihrer Haͤlfte, mit weniger als ihrer Haͤlfte, zusammen waren, wie kurz war er! Eh’ er sich neigte, schien es mit meiner Fas- sung auch zum Ende zu gehen! Bis dahin hatt’ ich mich gut gehalten, wie der Prediger sagte. Er legt’ es nach verschiedenen Methoden mit mir an; allein keine einzige hielt Stich. — Wir hatten ein tiefes und ein hohes uͤber die Gleichmuͤthigkeit gesprochen — Der gute Pa- Pastor sagte mir, als etwas ganz Neues, daß die Gleichmuͤthigkeit zum Charakter ge- hoͤre, die Gleichguͤltigkeit zum Tempera- ment. — Ich wußte so gut und besser, wie der Prediger, daß wenn die Gleichmuͤthig- keit aus der Selbstbeherrschung entstehet, sie bey allen Vorfaͤllen des Lebens das Kleid des Weisen, und so sehr von der Fuͤhllosigkeit unterschieden sey, als lieben und verliebt seyn. — Was helfen aber all diese Vortreflichkeiten, die nicht zum Herzen gehen! Minens Leich- nam machte alle Kunst zu Schanden. Mit Freuden thaten wir alle auf das Kleid des Weisen Verzicht, und suchten eine Wonne drinn, blos Menschen zu seyn, wie die liebe Mutter Natur sie am liebsten hat! Und am Ende, Freunde! gehts der abgehaͤrteten Seele und dem abgehaͤrteten Koͤrper, wie dem Stahl — dies und das springt! Ihr! die ihr den Menschen an Leib und Seele ver- haͤrten wolt, bedenkt, was wir sind. Ich bin ein Mensch, heißt das nicht, ich bin schwach? Der lezte Abschied, den wir von Minens zuruͤckgelassenem Theil nahmen, war ruͤh- rend! Wir sprachen mit ihm, als koͤnnt’ er hoͤren, wir verstummten, da er nicht ant- wor- wortete. Wie sehr es mir zur Beruhigung gereichte, daß alles meinen Schmerz mit em- pfand, kann ich nicht aussprechen. Er vertheilte sich, doch blieb fuͤr mich so viel zu- ruͤck, daß mir das Leben wie gar nichts war! Diese Empfindung haͤtt’ ich um alles nicht weggegeben. Da wir heraus giengen, und ich Minen noch zum leztenmal ansehen wolte, konnt’ ich es nicht. — Ich war mit Blindheit ge- schlagen; allein mein Ohr und Herz hoͤrte die Worte, welche der Prediger, der sich ans Sarg stelte, mit geruͤhrter Seel’ aussprach: Der Herr behuͤte deinen Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit! Und nun kamen zwey Leute, die den Sarg fest zudruͤckten, und nach diesem schrecklichen Zudruck sich zu uns mit den Worten wende- ten: Gott bescheer’ uns allen eine selige Nachfahrt! Sie hielten ihre Muͤtzen vor und beteten, und wir beteten alle! — Minens Sarg war sehr einfach, ohn’ alle Verzierung. Sie hatt’ es nicht aus- druͤcklich so angeordnet; allein sie bezeugte ihr Misfallen, daß der Sarg ihres Verwand- ten zu gekuͤnstelt gewesen. — Schon lange zuvor ward ich vom guten Prediger befragt, ob ob Mine nach curscher, oder preußischer Art, begraben werden solte? Sie selbst hatte weder im Testament, noch im Codicill, we- der schriftlich noch muͤndlich, daruͤber Ver- fuͤgungen getroffen, außer daß sie gern bey ihren Verwandten begraben werden wolte, um sie am lieben juͤngsten Tag gleich bey der Hand zu haben. Ich bat ihn sehr, es wie es Sitte im Lande waͤre, zu halten; und nun noch ein Umstand. Zu den ausgezeichneten Eingepfarrten gehoͤrte der Graf v. — — Ein besondrer Mann! Seine Hauptbeschaͤftigung war, Leute sterben zu sehen. Er nahm, wo er von Kranken hoͤrte, sie bey sich auf, und wenig- nigstens waren sieben, die bey ihm starben; man mochte zu ihm kommen, wenn man wolte. Oft waren mehr. Unter den Kran- ken zog er Verlaßne und solche Leute vor, de- ren Schicksal ungemein war, und die meiste Zeit war die Zahl außerordentlich, und uͤber sieben. Seine Sterbezimmer waren immer besetzt. Der Graf hatte sehr traurige Schick- sale uͤberlebt. Seine sieben Kinder, all’ in voller Bluͤthe, unter deneu zwey Toͤchter als Braͤute, und ein Sohn als Braͤutigam, star- ben in Zeit von drey Jahren. Die Braͤuti- gams gams der Toͤchter, die Braut des Sohns, folgten, und seine Gemahlin auch. Ein ein- ziger Bedienter war von seiner Jugend, oder wie er sich ausdruͤckte, von seiner Fruͤhlings- bekanntschaft uͤbrig, alle Uebrigen hatten ihn im Stich gelassen. Mit diesem alten Be- dienten hielt er Hauß, das hieß in seiner Sprache, bestelte er sein Hauß, in dem bibli- schen Sinn: bestelle dein Hauß, denn du wirst sterben! Der Graf ging mit diesem al- ten Bedienten als Freund, als Mensch um. Nicht war es Herablassung; denn wahrlich die ist oft aͤrgerlicher, als Stolz und Hof- fahrt, sondern Menschengefuͤhl war es. Spoͤtter nannten sein Schloß ein Gebein- hauß; allein er setzte sich uͤber dieses und mehr hinaus, ich lerne sterben, sagt’ er, und laß es mir von andern vormachen; ich lasse mir vor- sterben — und bin mit allen lezten Dingen in genaue Bekanntschaft getreten. Seine Ge- danken, die er mir bey der Leichenfolge weit- laͤuftiger eroͤfnete, sind im kurzen: Ein Arzt und Prediger sehn sterben; allein außerdem, daß sie selten zu Maaß kommen; so haben sie zu wenig Zeit, den Tod abzuwarten. Der eine sieht auf den Leib, und der andre auf die Seele. Keiner von, beiden sieht auf den Menschen. So So befremdend es scheint; so hat es mir doch die Erfahrung bestaͤtiget, daß der Arzt, wenn er gleich das Pulver erfunden hat, das er eingiebt, doch eben so selten, wo nicht selte- ner, den Leib des Kranken treffe, als der Pre- diger die Seele. Beide gehen aus ihrem Com- pendio, und nicht aus der Sterbestube, aus — und so und nicht anders werden sie auch von Seelen und Leibespatienten behandelt. — Ich habe nicht sagen gelernt, der Tod mag mir so oder so kommen, ich will ihm die Spi- tze bieten; wohl aber ich sterbe taͤglich. — Wahrlich man macht zu wenig Erfahrungen uͤber den Eingang des Menschen in, und den Ausgang des Menschen aus der Welt! — Wir lernen den Menschen kennen, wenn er nicht mehr zu kennen ist. Wenn Leib und Seele sich nolens volens so in einander geworfen, daß man in die Schule gehen, und sich be- glaͤubigen lassen muß, daß man eine Seel und auch einen Leib habe. — Freund! Wer zehn Menschen sterben gesehn, weiß was ein Mensch ist. Ein andrer weiß es gar nicht, oder hat es Muͤhe zu wissen. — Dieser Graf, dieser besondre Mann, ward zur Leichenfolge gebeten. Es ist das einzige Mittel, sagte der Prediger, um mich Zweiter Th. R r mit mit ihm auszusoͤhnen; denn in Wahrheit, er wuͤrd’ es fuͤr eine Todsuͤnde halten, daß ich ihm Minchen entzogen, wenn ich nicht die Sach’ auf diese Art, wenigstens einigermaßen, ins Reine bringen solte! — Er kommt gewiß, fuhr der Prediger fort, ohne daß ihm jemand daruͤber Zweifel entgegensetzte. Er kommt gewiß, wenn ihn nicht was sterbendes ab- haͤlt, um, nach seiner Sprache, der Ent- seelten das Bette machen zu helfen. Ich war sehr entfernt, mich dem Prediger in den Weg zu legen. Ein Mann, wie dieser Graf, stoͤrt nicht, wenn man auch eine Mine begraben laͤßt, und eben so wenig hatt’ ich dagegen, da der gute Prediger mir seine Absicht eroͤfnete, Minen einen Leichenser- mon zu halten, wie er, nach seinem Ausdruck, in dem Herrn entschlossen waͤre. Auch die- ser gehoͤrte vorzuͤglich auf die Rechnung des Grafen. Die Einladung beantwortete der Graf wuͤrkich mit Ja, weil er eben nichts versaͤu- me. Auf alle Faͤlle wird mein Bruder, (der alte Bediente,) die noͤthige Sorgfalt uͤberneh- men, schrieb er zuruͤck. Seit sechs Wochen ha- ben sich drey von meinen Sterbenden gebes- sert, oder soll ich nicht lieber verschlimmert sagen! Sie sind gesund geworden. — Mi- Minens Begraͤbnißtag war so schoͤn, wie ihr Sterbetag, als wenn sich diese Tage be- redet haͤtten, gleich schoͤn zu seyn, und sich einander nichts nachzugeben. Schon des Morgens ward gelaͤutet. Nachmittag gegen fuͤnf Uhr wieder, und dies war ein Wink, daß sich ein großer Theil aus dem Dorf, Weiber und Maͤnner, versammleten. Die meisten, nicht alle, waren schwarz gekleidet. Unter diesen zu Hauf gelaͤuteten war auch der Orga- nist, und einige wenige Kinder. Diese lezten stellten sich paarweise vors Hauß, und fiengen das Lied an: Was Gott thut, das ist wohlgethan! welches die versammlete Gemeine inbruͤnstig mitsang. Die Knaben und ihr Lehrer giengen dar- auf voraus, mit dem Liede: Ich hab mein Sach Gott heim gestellt. In der Kirche fanden sich alle Maͤdchen um Minchens Sarg zusammen, nicht mit Blumenkraͤnzen. Daran dachte niemand: der Fall war zu ruͤhrend, um ihn mit Blu- men zu verderben. Sie sangen aus der Tiefe ihres Herzens, so beteten sie auch. Es hat- ten sich von freyen Stuͤcken zwoͤlf Maͤdchen gemeldet, Minens Leiche zu tragen, und zu R r 2 ver- versenken; allein der Prediger liebte keine Neuerungen, und es blieb bey der Sitte in diesem Kirchspiel, daß die Aeltesten im Dorf sie trugen. An andern Orten, bemerkte der Pfarrer, sind die Juͤngsten, Traͤger. Ich will es so lassen, wie ich es gefunden habe, Diese verließen den Sarg, nachdem sie ihn vor dem Altar gesetzt hatten, und mehr als zwanzig junge Maͤdchen traten in ihre Stelle. Waͤhrend der lezten Strophe des Liedes: Amen! mein lieber frommer Gott, bescheer uns all’n ein’n selgen Tod. Hilf, daß wir moͤgen allzugleich, bald in dein Reich kommen und bleiben ewiglich! trat der Prediger auf den Altar. Er hielt nach diesem Gesang eine Red’ uͤber die Worte aus der Offenbarung Johannis des dritten Capittels eilften Vers: Siehe ich komme bald, halt was du hast, das niemand deine Krone nehme. Die herzliche Art, mit welcher der Pre- diger den Text behandelte, war alles, was ich von dieser Rede hoͤrte, oder eigentlich behielt. Ich war an Minens offenem Grabe! Schwer und leer, pflegte meine Mutter zu sagen, was schwer ist, ist mehrentheils leer. leer. In den alten Liedern ist immer die ganze weit und breite Brust, und in den Melodien die ganze Lunge. Wenn auch hier und da ein Paar Sylben uͤberlaufen — was mehr? Wenn du dazu weinst, Saͤnger! Saͤngerin! so laͤufst du auch uͤber. Wer, wenn er singt, Triller schlagen und Kadenzen springen kann, bringt dem lieben Gott ein Staͤndchen, ehret ihn mit seiner Zun- ge, und naht sich zu ihm mit seinen Lippen; allein sein Herz ist fern von ihm. — Dies Lieblingslied Minens, da sie sang, da sie aus ihres Vaters Hause und aus ihrer Freund- schaft ausgieng in ein Land, das Gott ihr zeigte, dies Lied, das sie mir so herzlich em- pfahl, kann keinen bessern Vertheidiger, als meine Mutter haben. Es konnte kein ange- messeneres bey dieser Leiche gesungen werden, und so das Lied, so die Rede! Der Prediger hatte wenig oder nichts aufsetzen koͤnnen. Dies haͤtt’ ich, wie es mir eben einfaͤlt, nicht noͤthig gehabt zu bemerken, nicht wahr? Es versteht sich. — Der Pastor wuste meiner Mutter Grund- saͤtze, zu denen mein Vater den zweyten Discant sang. Mine hatte diese Grundsaͤtze auf- und angenommen. Schon in den Tagen, von de- R r 3 nen nen es hieß: Sie gefielen ihr, noch mehr aber in den Tagen, von denen es hieß; Sie gefielen ihr nicht. Einem Leidenden scheint die Prosa zu hart, zu angreifend. Er sehnt sich nach etwas milderm, sagte meine Mutter, wenn sie von dem Druck sprach, in dem sie lebte. — — In dieser Ruͤcksicht hatte der gute Pre- diger mehr Liederstellen in seiner Sermon an- gebracht, die er mit einer Stroph’ aus ei- nem alten Kirchenliede schloß: Darum, du milde Erd, halt dieses Pfand in Werth! was Gott zu Ehr’n erhaut, das wird dir jetzt vertraut. Gott wird sein schoͤn Bild in Lenzen des juͤngsten Tags ergaͤnzen; mit Ehren wird es glaͤnzen! Es war ziemlich dunkel in der Kirche geworden, und dies war ein freiwilliger Beytrag zur Fey- erlichkeit. Dieses heilige Dunkel! Noch liegt es vor meinen Augen und vor meiner Seele! — — Nach der Rede ward eine Stille. Dies wuͤrkte fast mehr auf mich, als alles — zu sel- ten bedient man sich dieses Ruͤhrungsmittels. Auf einmal fing ein Maͤdchen, das ganz weis gekleidet war, und das ich noch nicht ge- sehen sehen hatte, allein zu singen an: Sie stand dicht am Sarge — — Gehabt euch wohl, ihr meine Freund’ die ihr aus Liebe um mich weint — — Die ganze Gemeine antwortete mit dem Liede: Nun laßt uns den Leib begraben! und so giengs durchs ganze Lied hindurch. Es waren zwey Gehabt euch wohl Saͤnger, und zwey Gehabt euch wohl Saͤngerinnen in der L — Gemeine, die bey dieser Cere- monie weiß gekleidet waren, ein Alter, eine Alte, ein Juͤngling, ein Maͤdchen. Ich will sehr gern zugeben, daß nicht alle, sagte mir der Prediger, nachdem wir Minen in ihre Schlafkammer begleitet hatten, die Art billigen werden, einen Todten redend einzufuͤhren, und ihm Abschiedsworte in den Mund zu legen; wenn wir aber hoffen, daß die Seel’ in Gottes Hand sey und lebe, war- um nicht? So viel weiß ich, daß mich dieser Ueber- fall anfangs erschuͤttert, nachhero sanft be- wegt hat. Die Strophe: Mein Elend, wie auch mein Beschwerd, wird nun verscharrt mit kuͤhler Erd. R r 4 Was Was fuͤr Thraͤnen hat sie mir gekostet? — Am meisten ruͤhrten mich folgende Stellen: In dieser Welt war Angst und Noth. Bekuͤmmerniß, zuletzt der Tod! Nun aber schwindet alles Leid, und folget drauf die Ewigkeit! So lasset mich in stolzer Ruh, und geht nach eurer Wohnung zu. Bedenkt, wie bald euch Gottes Hand versetzen kann in diesen Stand! und denn die letzten Worte: Ich scheide, lebet alle wohl! seyd Hofnung-Liebe-Glaubensvoll; ein jeder sterb der Suͤnden ab: so kommt er selig in das Grab! Was mich, versunken in Empfindungen, bey der Hand nahm und herauszog, war das Lied: Nun danket alle Gott! das gleich darauf angestimmet ward. Es war die Gewohnheit in L —, daß die Kirche nie anders, als nach einem Lobge- sang, geschlossen wurde. Haben wir nicht, sagte der Prediger, da ich ihn daruͤber in sei- nem Hause befragte, haben wir nicht Ursach, Gott fuͤr alles zu danken? Koͤnnen wir aber, wuͤrde wuͤrde mein Vater entgegen gefragt haben? Die zweyte Strophe, die meines Vaters Lieb- lingsstrophe, und mehr Gebet als Dank ent- haͤlt, sey uns allen heilig! Der ewig reiche Gott woll’ uns, bei unserm Leben, ein immer froͤhlich Herz und edlen Frieden geben, und uns in seiner Gnad erhalten fort und fort, und uns aus aller Noth erloͤsen hier und dort ! Amen! Amen! Die Leiche ward ohne Gesang von den Alten herausgetragen, und versenkt. — Die erste Schaufel Erde, die aufs Sarg fiel — noch uͤberfaͤllt mich ein Schauer, wenn ich mir die- sen dumpfen Ton zuruͤck denke! Wenn ich ihn zuruͤckhoͤre! Mensch du bist Erde, und wirst zur Erde werden! Das lag drin. Der Pastor sprach die Kollekte nach der ersten Schaufel Erde, und den Beschluß machte das Lied; O! wie selig seyd ihr doch, ihr Frommen, die ihr durch den Tod zu Gott gekommen! Ihr seyd entgangen aller Noth, die uns noch haͤlt gefangen! und nach diesem Liede giengen wir unserer R r 5 Woh- Wohnung zu. Der Graf und ich waren beym Hingang ein Paar. Beym Ruͤckwege schloß sich der Prediger uns an. Ich buͤckte mich tief gegen den Haufen Begleiter und Begleiterin- nen. — Jedes, das mich ansahe, bedaurte mei- nen Verlust, und schien es zu empfinden, was ich verloren hatte, ohne daß es jemand, aus- ser dem Pfarrhause eigentlich wuste. Der Graf wolte mir seine Einrichtung (wie er bemerkte, mich zu zerstreuen,) noch naͤher eroͤfnen, und fieng schon an, daß sein Bette wie ein Gewoͤlbe gestaltet, und daß in den Zimmern, die er selbst unmittelbar inhaͤtte, Urnen und Saͤrger der Zierrath waͤren; al- lein ich weiß selbst nicht, wie er auf einmal auf die unverbrennliche Lampe, das ewi- ge Grabesfeur, fiel. Er versicherte mich, daß er schon sehr lange auf diese Art Lampen ge- dacht haͤtte, welche man zuweilen in den alten Graͤbern angetroffen haben will, die ohne Oel- zuguß eine so lange Zeit gebrannt haͤtten. Der gute Graf hatte noch manches von diesem ewigen Grabesfeur, wie ers nannte, zu sa- gen. Wie’s mir vorkam, hatte der Graf Lust die Sache zu Kuͤnsten zu rechnen, die durch die Zeit verloren gegangnn, ( si fabula vera ) — und siehe da! Ein keichender Bote mit einem einem Briefe von seinem Bruder. Der Brief hatte einen breiten schwarzen Rand. Nach meiner Meynung war es ein Eroͤfnungsschrei- ben eines Todesfalls aus der graͤflichen Fa- milie — oder wenigstens unter den sieben; allein es ward nicht anders, als auf derglei- chen Papier, im graͤflichen Hause geschrieben. Die Sache kam dem Grafen eilig vor. Eine Sterbende aus Curland, von ihrem Mann verlassen, ward angemeldet, und da sie, nach der Bemerkung des Herrn Bruders, sehr viel auf ihrem Herzen und Gewissen haͤtte, bat er den Grafen, keine Zeit zu versaͤumen, sie ab- zuhoͤren. Es waͤre die hoͤchste Zeit. — Ich kann es nicht laͤugnen, daß mir der Umstand aus Curland sehr auffiel. Der Graf nabm von diesem Umstande blos Gele- genheit, seine Bitte zu wiederholen, daß ich ja nicht von hinnen ziehen moͤchte, ohne sei- nen Kirchhof, wie ers nannte, mit allen Anhaͤngen und Beystoͤcken zu besuchen. Ich habe, setzt’ er hinzu, noch uͤber mancherley von Seiten ihrer Seligen Sie zum Verhoͤr zu ziehn. Er stieg mit den Worten in sei- nen Wagen: heute mir, morgen dir! — Nach unserm Hingange hatte der Or- ganist eine Red’ aus dem Hut gelesen. Ich habe habe nichts verloren, daß ich sie nicht aus seinem Munde empfangen; denn ich war an diesem Tage nicht zum Hoͤren auferlegt. So wie ich sie meinen Lesern mittheil, erhielt ich sie vom Verfasser noch den nemlichen Abend. Er aß den Abend mit uns beym Prediger, und wir wurden, der bittern Stellen uner- achtet, wie er selbst sagte, Herzensfreunde! Aus Erkenntlichkeit will ich diese Abdankung zu Beylage B. erheben. Bey- Beylage B. Abdankung des Organisten in L —. Ich moͤchte was drum geben, so wenig es auch ist, denn daß ich blutwenig habe, ist euch bekannt. Allerseits nach Tugend und Alter lieb und werthe Nachbaren, und wenn man mir noch oben ein die Lei- chenabdankungen entzieht, wie es heute (unter uns gesagt) schier den Anfang genommen; so werd werd ich wohl am Ende gar nichts drum ge- ben koͤnnen. Und doch! moͤcht’ ich was drum geben, wenn ich fein der erste gewesen, welcher das menschliche Leben mit einer Mahlzeit ver- glichen haͤtte. Gelt! es ist ein recht schmackhafter Vergleich! Indessen haben, außer mir, schon andre kluge Leute diesen gesunden Einfall gehabt, und wohl gewust, was gut schmecke: denn in Wahrheit, es ist der natuͤrlichste Gedanke, den ein Mensch, wenn er nemlich einen gesunden Magen im Leibe hat, nur haben kann. Wir essen und trinken, das heißt wir leben, und wir leben, das heißt, wir essen und trinken. — Die liebe Seel ist beim Leben nur, so zu sagen, zu Gast — in der andern, oder in der Seelenwelt, — soll der Leib der Seele Kostgaͤnger werden: denn, wie man liest, so wird unser Leib was extrafeines seyn. So ein Unterschied, wie zwischen Hirts Lise , und der Graͤfin Friederikchen — ihr kennt beyde, meine Lieben. Mir ist bange, wenn ich die Graͤ- fin Friederikchen ansehe, daß mein Blick ihr einen Fleck machen wird, so fein ist sie: man hat nicht das Herz, sie anzusehen. — Wenn Wenn wir auf diese Welt kommen, heißt es, wie vor Tisch: „Aller Augen warten auf dich, Herr, du „giebst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit, du „thust deine milde Hand auf, und saͤtigest „alles, was lebet, mit Wohlgefallen.„ Die junge Raben sperren den Mund gen Himmel auf als hochjaͤhnten sie, und schreyen den lieben Gott an, wie unverschaͤmte Bett- ler unß. Kleine Kinder, das hab ich an mei- nem Caspar gesehen, der sich wieder erhohlt hat und dick und fett ist, ja ich wolt von klei- nen Kindern sagen, die sehen nicht gen Him- mel — ich dacht schon, das kaͤme wegen der Erbsuͤnde, und weil wir unß dem lieben Gott entwoͤhnt haben; allein ich besinn mich wie- der — denn nicht wahr? alles was saugt, sieht auf die Mutter, und sein Blick kommt erst durch Umwege zum lieben Gott! — Wer in die Hoͤhe sieht, ist gleich ein Paar Zoll groͤs- ser. Das wissen die Werber wohl, die uns Angst und Furcht genug ausjagen. — Ist aber je ein Rabe, wenn ihn gleich seine El- tern nach Rabenart behandelt, Hungers ge- storben? Habt ihr je so was von der kleinsten Muͤcke gehoͤrt! Ich nicht! Und doch sagt man von Menschen, daß sie im eigentlichen Brod- Zweiter Th. S s ver- verstande Hungers gestorben sind! Daß sich Gott uͤber solche Bengel erbarme, die nicht werth waren, junge Naben zu seyn! — Seyd ihr nicht mehr, denn sie ? haͤtte man auf das Grab dieser Verhungerten schreiben, und ein Nest voll junger Raben, eben im Gebet be- griffen, aushauen sollen! Sterben wir, liebe getreue Nachbaren und desgleichen ! ster- ben wir, so heißt es, als wenn wir vom Tisch aufstehen, und das Tischtuch , bald haͤtt’ ich Leichentuch , gesagt, zusammen legen: Wir danken Gott fuͤr seine Gaben, die wir von ihm empfangen haben, und bitten Gott unsern lieben Herrn, er woll’ uns allzeit mehr bescheren! Er speis uns stets mit seinem Wort; damit wir satt werden hier! und dort! Ach lieber Gott, du wolst uns geben, nach dieser Welt das ewige Leben! Kann ein besser Todten- oder Begraͤbniß- lied seyn? Aber zur Sache zu kommen! Der Stu- dent, der im ersten Paar mit dem Hochge- bohrnen Herrn gieng, mag wohl wissen, wie’s in Curland bey Begraͤbnissen gehalten wird; von unserer Manier weiß er keinen Theeloͤffel aufzuwaschen, das ist ein Loͤffel- chen chen wie mein kleiner Finger! — Der Juͤng- ling wuͤrde mich sonst ersucht haben, ein Wort aufs Grab zu sprechen, das mir im- mer zustehet, wenn die Leiche nicht ins Ge- woͤlbe kommt, sondern in die Kirchhofserde. — — Ich sag’ es nicht des Gewinstes wegen! denn seine Schoͤne! (Ende gut alles gut, sonst waͤre noch Mancherley und Manches davon zu sagen, daß er sich ihr, und sie sich ihm, verpfaͤndet hatten, mein Sohn solt’ es nicht versuchen! doch, sie ist todt!) seine Schoͤne! seine verstorbene Wilhelmine, ist eines Geistlichen Tochter, und er Predi- gers Sohn, wie ich, wiewohl alles nur durchs Schluͤßelloch, gehoͤret habe. Eine Kraͤhe hackt der andern die Augen nicht aus! Ich hatte keinen Dreyer genommen, ob ich gleich es eben jetzt zum Fuderholz noͤthig habe. — Doch wenn ihr Nahrung und Kleider habt, (an Holz ist nicht gedacht, wie es denn auch unser Glaubensvater Luther bey der vierten Bitte, Gott weiß warum, ausgelas- sen hat,) so lasset euch begnuͤgen. Was ich also heute rede, das red’ ich von Herzen: denn ich hab’ es oft und viel be- merkt, daß meine Grabreden oder Leichenab- dankungen nicht ohne Segen geblieben. — S s 2 Gott Gott verzeih mir meine Suͤnde! Manch- mal dacht ich, wenn ihr alle aufs Grab wein- tet, so, daß die Thraͤnen ordentlich drauf zu kennen waren, der selige Mensch werde bald aufgehen — und ich haͤtte die Ehre gehabt, diese Pflanze Gottes auf seinem (nehmlich Gottesacker) zu begruͤßen. — Wenn man recht herzlich weint, hat man nicht Zeit, an einen Schwamm zu den- ken; und es ist wahrlich ein schoͤner Anblick, so natuͤrlich weg weinen zu sehen! — Aber wieder auf das Leben und die Mahlzeit zu kommen! Kennt ihr, lieben getreuen Nachbarn und desgleichen , kennnt ihr was angeneh- mers, als eine gute Mahlzeit? — Ich glaub’ es thut den Engelchens leid, wenn sie uns es- sen sehen, daß sie es nicht auch koͤnnen. — Der liebe Gott hat uns alle, nach dieser Welt, mit Abraham, Isaac und Jacob, zu Tisch bitten lassen — das wird schmecken! Freylich werden nur blos geistliche Gerichte aufgetragen werden; aber man sieht doch draus, daß der liebe Gott selbst an Essen und Trinken denkt, und wohl weiß, daß uns der Mund alsdenn eher nach dem Himmel waͤssern werde, als wenn er gesagt haͤtte, wir wir solten mit Abraham, Isaac und Jacob, dort eine lange Predigt anhoͤren. Wenn ihr so mit euren gesunden Kinderchens um den Tisch euch lagert, und bey Sommerszeit Milch, und bey Winterszeit Erbsen und Speck eßt. O Nachbaren, mich hungert, wenn ich daran denke, und ich wuͤrd’ mich bey einem von euch gleich heut Abend auf frischer That zu Gast bitten, um meinen heu- tigen Vortrag recht lebhaft zu machen, wenn ich nicht bey dem Herrn Pfarrer gebeten waͤre! Der Herr Pfarrer weiß schon, was einem Handlanger am goͤttlichen Wort zu- kommt, und ich versichre euch, daß ich dem Studenten begegnen werde, wie meinem eig- nen Kinde, obgleich er die Landes Manier nicht weiß, und mir nicht die Ehre angethan hat, eine Leichenabdankung bey mir zu bestellen. Seht liebe Nachbaren, wie die Mahl- zeit, so das Leben! Es ist, unter uns ge- sagt, recht gut zu leben! — Wenn ihr nicht arbeiten moͤchtet, wuͤrd’ es euch wohl schme- cken? Die wenigsten Vornehmen essen und trinken, sie thun nur so, als aͤßen und traͤn- ken sie! und denn am Sonntage! — denkt nur noch an jenen Sonntag, wo wir des Morgens um vier Uhr ein Werk der Liebe S s 3 und und der Noth verrichteten, und dem Herrn Pfarrer sein Getreyde wegen des bezogenen Himmels in die Scheure sammelten, und hernach, wiewohl nach der Predigt, unterm Schauer sassen, und regnen sahen! und un- ser gute Seelenhirte mitten unter uns! Das gieng Prosit! Gevatter! und ich glaube solche Prosittage habt ihr viel gehabt. Niemand ist schlaͤfrig zum Todesschlaf. Jedes hat noch Lust ein Stuͤndchen aufzu- bleiben. Alles will gern leben. Die lahme Trine im Hospital haͤtte gern noch einige Jah- re gehinkt, und es ist gewiß und wahrhaftig so viel huͤbsches, besonders im Sommer, in der Welt zu sehen und zu hoͤren; daß man recht gern lebt! — Ich liebe darum vorzuͤglich den Sommer, weil so viel Leben drinn ist! — Alles lebt im Sommer! Die ausgewachsenen Baͤu- me sind fuͤr Voͤgel und Gewuͤrmer große Staͤdte, so wie das Gras schlechte Doͤrfer, und Gestraͤuch Kirchdoͤrfer sind. — Manche Eiche koͤnnte man wohl ein Schloß nennen: alles wie man es nehmen will. — Mir hat noch keine Fliege einen Gedanken weggesnmmt, und es ist mir gleich nicht recht, wenn nicht ein Paar in meiner Stube sind. Kann sie ein so großer Herr, als der liebe Gott ist, in in seiner Welt leiden; so koͤnnen sie doch wohl in meiner Stube seyn! Ich hab es von einem sehr vornehmen Herrn, der bey seinem Feste auch fuͤr seine Fliegen und Muͤcken Wein eingießen laͤßt, um alles, was um ihn lebt und schwebt, zu saͤtigen und zu traͤnken, mit Wohlgefallen. Seine Hausthiere muͤssen all ein Spitzglaͤschen Wein haben; allein das halt’ ich, unter uns gesagt, unrecht, wenn man die Thiere zu menschlich macht! — Man wird schon einen Lazarus finden, warum also Fliegen und Muͤcken? Der Gevatter Brise sprach mir gestern von der Groͤße des lieben Gottes! und ich hatte den Einfall, daß der liebe Gott jeden Sperling, jeden Stieglitz, jeden Haͤmpfling, jede Milbe, jede Muͤcke, mit Namen zu nennen wuͤste, so wie ihr! die Leute im Dorfe: Schmieds Greger, Brie- sens Peter, Heyfrieds Hanß — denkt nur! wenn der liebe Gott so jede Muͤcke ruft, die sich einander so aͤhnlich sehen, daß man schwoͤ- ren solte, sie waͤren all Schwester und Bruder! denkt nur! Kurz lieben Freunde! der liebe Gott ist ein guter Herr, bey dem ihr dient, und seyd ihr gleich auf Taglohn bey ihm, und ist die Welt gleich nicht verdungen Werk, hat S s 4 gleich gleich jeder Tag das Seine, und wird gleich nicht fuͤrs Leben im ganzen Stuͤck, sondern fuͤr jede Tagesabtheilung Rechenschaft gege- ben, was schadet es? Desto kuͤrzer die Rech- nung! Desto leichter alles uͤbersehen! Wir sind wahrlich nicht in Egypten! wenn wir den lieben Gott dienen — Seyd ehrlich — Habt ihr wohl uͤber eure weltliche Herrschaft zu klagen? ob es gleich oft adeliche Aegyptier giebt, und unter den koͤniglichen Beamten manchen pharaonischen Frohnvogt. — Der liebe Gott laͤßt jedem, was er hat — Er nimmt nicht Zoll und Accise, nicht Huben- schoß und Vorspann, er will nur das Herz, das heist: daß ihr das Eurige gut anwen- det, und euch all zusammen fuͤr Schwester und Bruder haltet. Er goͤnnt uns Wuͤrden und Ehren, und laͤßt den beym Schulzen- amt , den einen Landgeschwornen , den ei- nen Haußvater seyn, und mich einen Mit- diener am goͤttlichen Worte ! Er will nur das Herz, das heist: daß wir uns einander Ge- vatter nennen, und nicht einer uͤber den an- dern erheben, und all’ einander die Hand geben und wohl bedenken, daß nicht wir, sondern Er, durch uns regieret; dahero wer- den auch die Schulzen und Landgeschwornen, wie wie die liebe Obrigkeit all zusammen, Goͤt- ter der Erden genannt. — Der liebe Gott hats nicht verboten, in den Krug zu gehen und ein Glaͤschen zu trinken, und Hannchen herumzudrehen, wenn es nur des Sonntags ist, nichts dabey versaͤumt wird, und alles in Zuͤchten und Ehren bleibt. Pfuy, wer wolte sich betrinken, um vergnuͤgt zu seyn, wer sich die Augen verbinden, um desto bes- ser zu sehen! — Seht, lieben Freunde, so ist das Leben eine Mahlzeit. — Es giebt aber auch bey jeder Mahlzeit Mancherley und Manches, was unange- nehm ist. Wo Waizen ist, da schleicht sich auch Unkraut herein, wie in unsers Herrn Pfarrers Waizenland. Gott wolle geben, daß in seiner Gemeine weniger Unkraut sey, als dies Jahr auf seinem Acker! — Sonst wuͤrden die liebe Engellein zu jaͤten kriegen, und es wuͤrden nicht viele in Frieden und Jauchzen eingefuͤhret werden in die Scheuren — das ist auf den Kirchhof, den ich vor des lieben Gottes Scheure ansehe. — Wir essen im Schweiß des Angesichts. Wir essen, was wir sauer verdient haben. — Ich kann zuweilen das Brod nicht ansehen, S s 5 ohne ohne daß mir der Angsischweiß ausbricht; denn ich weiß, was es mir gekostet hat. Wenn man nur bedenkt, was der liebe Gott erst mit dem Brod fuͤr Wege geht, eh’ es Brod wird. Wer kann es ohne Sorgen essen? Und mit dem Hemd’ eh es ein Hemd wird! Wer kann es ohne Seufzer anziehen? Gott weiß wie es kommt, man sorgt am liebsten am Tisch, und sieht anf die Erde, obgleich man dankvoll gen Himmel sehen sollte. — Man sieht all’ um sich herum, die Nahrung und Kleider haben wollen, und das bringt uns in einen Gedankenwald — oder man glaubt vielleicht, sich das Sorgen leichter zu machen, wenn man bei Tische sorgt; allein man macht es sich schwerer, denn man wird dadurch unthaͤtig, und anstatt, daß man die verlorne Kraͤfte ersetzen solte, verliert man ihrer noch mehr. — Es ist so, wie ein unruhiger Schlaf, der mehr schadet als nuͤ- tzet, man ist nach ihm noch schlaͤfriger. — Wenn man einmal ins Sorgen hinein kommt; findet man sich bald nicht heraus. Mein College in B —, der in seiner Jugend Bal- bier gewesen, ist bis zur Verzweiflung be- truͤbt, daß er nicht so viel Buͤcher hat, als sein Pfarrer! Und ich sag’ oft und viel zu mei- meiner Frauen, daß ich Gott fuͤr dreyerley besonders danke, nemlich, daß sie ein treues fleißiges Weib ist, die ihre Finger ins Kalte und ins Warme steckt, wie ihr sie alle kennt. daß mein Acker nicht der schlechteste ist, und seinen Organisten schon naͤhrt, und daß ich nicht viel Buͤcher habe: denn wahrlich Buͤ- cher stehlen einem das Leben unter den Haͤn- den weg. Freylich muß man der Bibel Ge- sellschaft machen, außer dem Gesangbuch, das in Absicht der Bibel wie Mann und Frau, Bein von der Bibel Bein, Fleisch von der Bibel Fleisch ist, von dem man sagen kann: man wird es Maͤnnin heißen, weil es vom Mann genommen ist. — Außer der Bibel und dem Gesangbuch hab’ ich acht bis neun Buͤcher. Was will aber der liebe Herr Amts- bruder mit mehr! mit Bibel, Gesangbuch und Luthers Catechismus, kann man schon hauß- halten. — Wenn ich lese, dann leb’ ich nicht, sondern der, so das Buch geschrieben, lebet in mir! — So ist es aber mit dem verdamm- ten Neide. Da lob ich mir doch noch Suͤn- den, bey denen man seine Lust hat, unb die man mit lachendem Munde thut: denn da ist doch noch etwas dabey. Aber der Neid, der Zorn und desgleichen, sind so traurige, so so milzige Laster, daß man gar nicht begrei- fen kann, wie man zornig und neidisch und desgleichen ist. Bey jenen ist man auf der Hochzeit und Kindstaufe, bey diesen auf Be- graͤbnißen! Man nennt daher diese lezten schwarze Laster , und das von Rechts we- gen , wie’s in den Urtheilen steht, das Gott erbarm! Fuͤr solche Sorgen, wie mein College, der gewesene Balbier, sich aufbindet, bin ich zwar sicher; allein ich hab andre — und meine neun Kinder alle mit Magen, wie Kornsaͤcke! — So was will gefuͤllt seyn, — Ich mag mein Aemtchen berechnen, wie ich will, uͤber zwey hundert Gulden dresch ich nicht heraus. Wenn noch so eine Erndte ge- wesen, und ich noch so viel Leichenabdankun- gen gehalten, ist doch am Ende nicht ein Bund Stroh mehr, als zweyhundert Gul- den. Was das kostet, einen Sohn auf der Universitaͤt zu haben, das koͤnnt ihr nicht glauben, liebe Nachbaren! Indessen ist auch Waare dafuͤr, und wenn Gott uns leben laͤßt, wird er kuͤnftige Pfingsten seine erste Predigt auf unserer Canzel thun, wozu ich jung und alt hiemit zum voraus dienstlich eingeladen haben will. — Da wird man doch sehen, sehen, ob er weiß, wo er zu Hause gehoͤret. Da ich an diesen hofnungsvollen Juͤngling denke, werd’ ich Muͤhe haben, die Mahlzeit dieses Lebens unschmackhaft zu finden. — Findet ihr nicht etwas aͤhnliches zwischen ihm, und dem tiefgebeugten Curlaͤnder? Ich glaub’, am Ende sehen sich die Studenten alle gleich, und doch! Herzlich geliebte Nachbaren! wenn man auch einen hofnungsvollen Juͤngling zum Sohn hat, der auf Pfingsten predigen wird, isis doch ein elend jaͤmmerlich Ding um al- ler Menschen Leben. Auch die Vornehmen haben nicht alle Tage Rebhuͤner. Ich aß ehegestern ein halbes beym gnaͤdigen Herrn v — auf dem Gebetsverhoͤr; allein, unter uns gesagt, es war ein wenig alt! So isis mit dem Leben, wenn auch Rebhuͤner aufge- tragen werden! Wer eine Wittwe mit Geld heyrathet, ißt ein altes Rebhuhn, und wer zu Ehren kommt, ißt ein altes Rebhuhn, und gesetzt, die Rebhuͤner sind frisch, und gesetzt, sie waͤren auch ein Alltagsgericht; was hilfts? Die Kinder Israel wurden des Manna uͤber- druͤßig, wie es Leute giebt, die des preußi- schen Mannas, der Schwadegruͤtze, muͤde werden koͤnnen. Das Manna, es sey das Israel Israelitische, oder das Preußische, in Ehren — allein wer es dazu hat, daß er alle Tage Haßelhuͤner essen kann, dem muͤssen sie, wie unser einem die graue Erbsen, werden. Man sagt, wenn es am besten schmeckt soll man aufhoͤren, und wahrlich so ists mit dem Leben. Beym Leibgericht verdirbt man sich am ersten den Magen. — Die Leibge- richte der Vornehmen koͤnnte man am fuͤg- lichsten nennen: Der Tod in Toͤpfen , und von den ausgewachsenen Baͤuchen der Land- pfleger heißt es: uͤbertuͤngte Graͤber . Habt ihr schon, meine Lieben! einen dicken Bauren ? einen dicken Organisten? und einen dicken Schneider gesehen? In unserm, und den drey uns benachbarten Kirchspielen, ist keiner aufzutreiben, und uͤberhaupt ist so was ein seltener Vogel — allein bey unß, die zu Pharaonis magern Kuͤhen gehoͤren, sitzt das Uebel wo anders — Wo sitzt es immer bey Reichen oder Armen, Vornehmen oder Ge- ringen? — Wir futtern alle durch die Bank den Tod, wenn wir essen und trinken — wir moͤgen dick oder duͤnn seyn. — Wie oft kommt unß was in die Queere bey Tisch, und waͤr’ es auch nur eine Graͤte! Da verbrennt sich der der Kleine den Mond und Trinchen kriegts in die unrechte Kehle! Selten ist eine Hochzeit, wo nicht was trauriges sich zutraͤgt, ihr wisset es wohl, wie es des Hiobs Kindern gieng, da sie recht froͤh- lich und guter Dinge waren! Wenn man lu- stig ist, hat der Teufel immer sein Spiel. Er streicht die Violin beym Tanz. Wo ge- trunken wird, werden Glaͤser zerbrochen, und man kann ordentlich zu viel auf einmal leben, wie man zu viel auf einmal essen und trinken kann. Wie viele uͤberleben sich dahero selbst? — Und dies alles zusammen genommen, was meynt ihr? Das Leben ist zwar eine Mahlzeit; allein es ist darauf nicht eben einzuladen — So fuͤrs Hauß, so aus der Hand in den Mund! — Wenn es nicht schmeckt, steht man gern ein Viertelstuͤndchen fruͤher auf, und sieht sich im Freyen um, wenn es Mittag, und in den lieben Mond, wenns Abend ist. Man hat alsdenn dem lieben Gott eben so viel Ur- sach zu danken, daß man aufgestanden ist, als daß man sich niedergesetzt hat. Das heißt mit andern Worten: im Fall wir uns nicht das Leben gar zu suͤß gemacht, sterben wir gern und danken dem lieben Gott fuͤr den Tod, so so wie fuͤrs Leben. Wahrlich, es kann nicht schlimm mit dem Tode seyn! Frische Luft und ein Blick in den Mond ist das wenigste — Wer recht muͤd’ ist, liebe Nachbarn! legt sich lieber, als daß er essen und trinken solte. Der hoͤrt die Kugel nicht, den sie trift, der sieht den Blitz nicht, den er erschießt. Ich glaub’ es hat noch kein Mensch recht gewust, wenn er stuͤrbe — Weg sind wir! Der Tod ist, die Sache beym Licht genommen, eben so ein Werk der lieben guͤtigen Natur, als das Le- ben, und der Schlaf eben so gut, als das Essen. — Wer nicht schlafen kann, kann auch nicht essen; allein wenn es moͤglich waͤre, daß jemand immer schlafen koͤnnte; so wuͤrd’ er nicht essen duͤrfen. — Wolt ihr die Sach’ ins Feine haben, denkt Euch die Jugend als Fruͤhstuͤck, die Juͤng- lingsjahre als Mittag, die maͤnnlichen als Vesperkost, das Alter als Abendbrod — Da ließ sich viel, besonders beym Mittag , an- bringen; allein denkt der Sache selber nach — und fasse jeder in seinen Busen, allwo ich das meiste, was ich gesagt, herausgenom- men. — Laßt uns, lieben Freunde! nicht zu viel essen, damit wir sanft schlafen koͤnnen. Man sitzt sitzt hoͤchstens eine Stund’ am Tisch. Wer schlaͤft aber nicht gern seine sieben Stunden? Manche Bluͤthe, die schon angesetzt hat, faͤllt ab, weil ein boͤser Junge, indem er nach einem Vogel wirft, die kernfrische Bluͤte trift. Viele vergeuden ihre Jugendkraͤfte, und sind Lebensdurchbringer — — Wie der Baum faͤlt, so bleibt er auch liegen! Sorget nicht fuͤr den andern Morgen, sonst verlieret ihr den heutigen und den folgenden Tag, und wer weiß, ist nicht der Tag, da ihr am mei- sten fuͤr den folgenden sorget, eu’r juͤngster, eu’r lezter Tag! — Hiemit verlassen wir dieses Grab! Gewiß, Freunde, ein denkwuͤrdiges Grab! — Flieg vorbey, du Geyer und Habicht, und wenn du in diese kalte Gegend, (wo der D. Luther gewiß an Holz in der vierten Bitte gedacht haͤtte, wenn er in L — Organist gewesen,) wenn, sag’ ich, du in diese kalte Gegend dich verirren soltest, auch du, Adler! — und all ihr unheilige Voͤgel! allein ihr heilige, Nach- tigall! Lerche! und Schwalbe! setzt euch auf dies Grab, waͤrs auch nur, weil Christen- leute Minen das Geleit gegeben und an ihre Brust geschlagen und gebetet: Zweiter Th. T t Was Was ich gelebt hab, decke zu. was ich noch leben soll, regiere du! — — Man faͤngt die Grabschriften mit Wanderer an! Warum aber nicht mit Reuter? — Reu- ter so gut, als Wanderer, und auch du selbst, der du mit sechsen faͤhrst — Hier ruhet ein Maͤdchen aus fremden Landen, sie fand hier den Tod, auch du wirst ihm nicht entwan- dern, entreiten, entfahren — Ihr habt alle einen Weg — alle zum Grabe! Genug! auf heute, liebe Nachbaren! Da ich dies Wesen, (eine Abdankung kann ichs nicht mit gutem Gewissen nennen,) bis beynah ans Ende fertig hatte, fiel es mir ein, daß ich auch das Leben mit einer Reife haͤtte vergleichen koͤnnen, weil unsre Seligtodte nicht von hier war, und ein reisendes Maͤdchen was seltenes ist; allein da ich eben zu Hause war, und den nemlichen Abend, als ich dies Wesen aufsetzte, eine sehr maͤßige Mahlzeit that, schien mir das erste besser, und so wuͤnsch’ ich Euch denn, und die Selige, wenn sie re- den koͤnnte, wuͤrd’ außer dem herzlichen Dank, daß Ihr ihr auf eurem Kirchhof’ ein Plaͤtzchen gegoͤnnet, nnd sie dahin fein sau- ber angezogen in Communionskleidern beglei- tet habt, und die Selige, sag’ ich, wuͤrd’ euch euch außer diesem Dank ein gleiches wuͤn- schen, das ist: Eine gesegnete Mahlzeit ! Schluͤßlich laßt uns allerseits auf unsre Knie fallen, um ein glaͤubiges und andaͤchti- ges Vater unser zu beten! Ihr wißt wohl, wie ich mich aͤrgre, wenn ihr Leutchen erst eure Beine anseht, eh ihr hinkniet, als wenn ihr von ihnen Erlaubniß baͤtet. — Wozu die Umstaͤnde! Ich hab doch auch ein Ehrenroͤck- chen an, aber ich fall, mir nichts dir nichts, nieder wie ein Stuͤck Holz, und meine Mar- the auch so, wenn auch am Kleid oder Schuͤrz’ ein Fleck bleibt. — Kinderchens, ists doch kein Fettfleck . Er bleibe! Dieses Grabzeichen. Eine schoͤne Erinnerung: Mensch, du bist Erde! bedenke das Ende ! Betet also, als betet ihr zum leztenmale: Vater unser ꝛc. Ende der Beylage B. T t 2 Der D er Prediger erinnerte sich an seine Pflicht, der Regierung nach Koͤnigsberg von dem erfolgten Tod’ unserer Seligen Nachricht zu ertheilen. Ich schrieb an meine Mutter , und an meinen Va- ter, an Benjamin und an Herrmann . Ich leugn’ es nicht, daß der Brief an meine Mutter mit Bitterkeit gewuͤrzt war, der an Herrmann war gewissensruͤhrig! Ich bestaͤtigt’ alles, was Mine in meinem Namen versprochen hatte. Ich forderte nicht ihr Blut von seines und des v. E. Haͤnden; allein ich forderte den Herrmann auf, zu bedenken zu dieser seiner Zeit, was zu seinem Frieden diene. Bald wuͤrd’ es vor seinen Augen verborgen seyn, wenn der Richter der Lebendigen und der Todten sein Gericht eroͤfnen wuͤrde! — Um Minens Grab ward ein viereckigt Boll- werk geschlagen, welches man in L — einen Kranz nannte Es war nichts weiter darauf geschrie- ben, als: Wilhelmine — — — gebohren zu — in Curland gestorben zu L — in Preußen wer so stirbt, der stirbt wohl ! Acht Tage blieben wir so versammelt, so ein- muͤthig, so bei verschlossenen Thuͤren, wie die Juͤnger, da ihr Herr und Meister sich ihren sicht- lichen Augen entzogen hatte. Wir sprachen von Minen, und giengen Hand in Hand zu ihrem Grabe. Mine war der Mittelpunkt aller unsrer Unterredungen, bis auf die Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geist , worin sich weder Gretchen noch ihre Mutter mischte. So oft ich allein zu Minens Grabe wallfahrtete, be- gegnete ich Gretchen, die mir nie im Wege war.