Lucinde. Ein Roman von Friedrich Schlegel. Erster Theil. Berlin. Bei Heinrich Frölich. 1799. Prolog . M it lächelnder Rührung überschaut und eröffnet Petrarca die Samm- lung seiner ewigen Romanzen. Höf- lich und schmeichelnd redet der kluge Boccaz am Eingang und am Schluß seines reichen Buchs zu allen Da- men. Und selbst der hohe Cervan- tes, auch als Greis und in der Agonie noch freundlich und voll von zartem Witz, bekleidet das bunte Schauspiel der lebensvollen Werke mit dem kostbaren Teppich einer Vor- rede, die selbst schon ein schönes ro- mantisches Gemälde ist. Hebt eine herrliche Pflanze aus Lucinde I. A dem fruchtbaren mütterlichen Boden, und es wird sich manches liebevoll daran hängen, was nur einem Kar- gen überflüssig scheinen kann. Aber was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe? Nur ein Wort, ein Bild zum Ab- schiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan ist stolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn küm- mert nichts, als daß der Glanz sei- ner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schooß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen. Bekenntnisse eines Ungeschickten . A 2 Julius an Lucinde D ie Menschen und was sie wollen und thun, erschienen mir, wenn ich mich daran erinnerte, wie aschgraue Figuren ohne Bewegung: aber in der heiligen Einsamkeit um mich her war alles Licht und Farbe und ein frischer warmer Hauch von Leben und Liebe wehte mich an und rauschte und regte sich in allen Zweigen des üppigen Hains. Ich schaute und ich genoß alles zugleich, das kräftige Grün, die weiße Blüthe und die goldne Frucht. Und so sah ich auch mit dem Auge meines Geistes die Eine ewig und einzig Geliebte in vielen Gestalten, bald als kindliches Mädchen, bald als Frau in der vol- len Blüthe und Energie der Liebe und der Weiblichkeit, und dann als würdige Mutter mit dem ernsten Knaben im Arm . Ich athmete Früh- ling, klar sah ich die ewige Jugend um mich und lächelnd sagte ich: Wenn die Welt auch eben nicht die beste oder die nützlichste seyn mag, so weiß ich doch, sie ist die schönste. In diesem Gefühle oder Gedanken hätte mich auch nichts stören können, weder allgemeine Zweifel noch eigne Furcht. Denn ich glaubte einen tie- fen Blick in das Verborgne der Na- tur zu thun; ich fühlte, daß alles ewig lebe und daß der Tod auch freundlich sey und nur eine Täu- schung. Doch dachte ich daran ei- gentlich nicht sehr, wenigstens zum Gliedern und Zergliedern der Be- griffe war ich nicht sonderlich ge- stimmt. Aber gern und tief verlor ich mich in alle die Vermischungen und Verschlingungen von Freude und Schmerz, aus denen die Würze des Lebens und die Blüthe der Empfin- dung hervorgeht, die geistige Wollust wie die sinnliche Seligkeit. Ein fei- nes Feuer strömte durch meine Adern; was ich träumte, war nicht etwa bloß ein Kuß, die Umschließung dei- ner Arme, es war nicht bloß der Wunsch, den quälenden Stachel der Sehnsucht zu brechen und die süße Gluth in Hingebung zu kühlen; nicht nach Deinen Lippen allein sehnte ich mich, oder nach deinen Augen, oder nach deinem Leibe: sondern es war eine romantische Verwirrung von al- len diesen Dingen, ein wundersames Gemisch von den verschiedensten Er- innerungen und Sehnsuchten. Alle Mysterien des weiblichen und des männlichen Muthwillens schienen mich zu umschweben, als mich Einsamen plötzlich deine wahre Gegenwart und der Schimmer der blühenden Freude auf deinem Gesichte vollends ent- zündete. Witz und Entzücken be- gonnen nun ihren Wechsel und wa- ren der gemeinsame Puls unsers ver- einten Lebens; wir umarmten uns mit eben so viel Ausgelassenheit als Religion. Ich bat sehr, du möch- test dich doch einmal der Wuth ganz hingeben, und ich flehte dich an, du möchtest unersättlich seyn. Dennoch lauschte ich mit kühler Besonnenheit auf jeden leisen Zug der Freude, da- mit mir auch nicht einer entschlüpfe und eine Lücke in der Harmonie bleibe. Ich genoß nicht bloß, son- dern ich fühlte und genoß auch den Genuß. Du bist so außerordentlich klug, liebste Lucinde, daß du wahrschein- lich schon längst auf die Vermuthung gerathen bist, dies alles sey nur ein schöner Traum. So ist es leider auch, und ich würde untröstlich darüber seyn, wenn ich nicht hoffen dürfte, daß wir wenigstens einen Theil davon nächstens realisiren könn- ten. Das Wahre an der Sache ist, daß ich vorhin am Fenster stand; wie lange, das weiß ich nicht recht: denn mit den andern Regeln der Vernunft und der Sittlichkeit ist auch die Zeitrechnung dabey ganz von mir vergessen worden. Also ich stand am Fenster und sah ins Freye; der Morgen verdient allerdings schön genannt zu werden, die Luft ist still und warm genug, auch ist das Grün hier vor mir ganz frisch, und wie sich die weite Ebne bald hebt bald senket, so windet sich der ruhige, breite silberhelle Strom in großen Schwüngen und Bogen, bis er und die Fantasie des Liebenden, die sich gleich dem Schwane auf ihm wiegte, in die Ferne hinziehen und sich in das Unermeßliche langsam verlieren. Den Hain und sein südliches Colorit verdankt meine Vision wahrscheinlich dem großen Blumenhaufen hier ne- ben mir, unter denen sich eine be- trächtliche Anzahl von Orangen be- findet. Alles übrige läßt sich leicht aus der Psychologie erklären. Es war Illusion, liebe Freundin, alles Illusion, außer daß ich vorhin am Fenster stand und nichts that, und daß ich jetzt hier sitze und etwas thue, was auch nur wenig mehr oder wohl gar noch etwas weniger als nichts thun ist. So weit war an dich geschrie- ben, was ich mit mir gesprochen hatte, als mich mitten in meinen zarten Gedanken und sinnreichen Ge- fühlen über den eben so wunderba- ren als verwickelten dramatischen Zusammenhang unsrer Umarmungen ein ungebildeter und ungefälliger Zufall unterbrach, da ich eben im Begriff war, die genaue und ge- diegne Historie unsers Leichtsinns und meiner Schwerfälligkeit in klaren und wahren Perioden vor dir auf- zurollen, die von Stufe zu Stufe allmählig nach natürlichen Gesetzen fortschreitende Aufklärung unsrer den verborgenen Mittelpunkt des feinsten Daseyns angreifenden Mißverständ- nisse zu entwickeln, und die mannich- fachen Produkte meiner Ungeschicklich- keit darzustellen, nebst den Lehrjah- ren meiner Männlichkeit; welche ich im Ganzen und in ihren Theilen nie überschauen kann, ohne vieles Lächeln, einige Wehmuth und hin- längliche Selbstzufriedenheit. Doch will ich als ein gebildeter Liebhaber und Schriftsteller versuchen, den ro- hen Zufall zu bilden und ihn zum Zwecke gestalten. Für mich und für diese Schrift, für meine Liebe zu ihr und für ihre Bildung in sich, ist aber kein Zweck zweckmäßiger, als der, daß ich gleich Anfangs das was wir Ordnung nennen vernichte, weit von ihr entferne und mir das Recht einer reizenden Verwirrung deutlich zueigne und durch die That behaupte. Dies ist um so nöthiger, da der Stoff, den unser Leben und Lieben meinem Geiste und meiner Feder giebt, so unaufhaltsam pro- gressiv und so unbiegsam systematisch ist. Wäre es nun auch die Form, so würde dieser in seiner Art einzige Brief dadurch eine unerträgliche Ein- heit und Einerleyheit erhalten und nicht mehr können, was er doch will und soll: das schönste Chaos von erhabnen Harmonien und in- teressanten Genüssen nachbilden und ergänzen. Ich gebrauche also mein unbezweifeltes Verwirrungsrecht und setze oder stelle hier ganz an die un- rechte Stelle eines von den vielen zerstreuten Blättern die ich aus Sehn- sucht und Ungeduld, wenn ich dich nicht fand wo ich dich am gewisse- sten zu finden hoffte, in deinem Zim- mer, auf unserm Sopha, mit der zuletzt von dir gebrauchten Feder, mit den ersten den besten Worten, so jene mir eingegeben, anfüllte oder verdarb, und die du Gute, ohne daß ich es wußte, sorgsam bewahrtest. Die Auswahl wird mir nicht schwer. Denn da unter den Träu- mereyen, die hier schon den ewigen Lettern und dir anvertrauet sind, die Erinnerung an die schönste Welt noch das gehaltvollste ist, und noch am ersten eine gewisse Art von Ähnlichkeit mit den sogenannten Ge- danken hat: so nehme ich vor allen andern die dithyrambische Fantasie über die schönste Situazion. Denn wissen wir erst sicher, daß wir in der schönsten Welt leben: so ist es unstreitig das nächste Bedürfniß uns über die schönste Situazion in dieser schönsten Welt durch andre oder durch uns selbst gründlich zu be- lehren. Dithyrambische Fantasie über die schönste Situazion. Eine große Thräne fällt auf das heilige Blatt, welches ich hier statt deiner fand. Wie treu und wie ein- fach hast du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinem lieb- liebsten und geheimsten Vorhaben. In dir ist er groß geworden und in diesem Spiegel scheue ich mich nicht, mich selbst zu bewundern und zu lieben. Nur hier sehe ich mich ganz und harmonisch, oder vielmehr die volle ganze Menschheit in mir und in dir. Denn auch dein Geist steht bestimmt und vollendet vor mir; es sind nicht mehr Züge die erschei- nen und zerfließen: sondern wie eine von den Gestalten, die ewig dauern, blickt er mich aus hohen Augen freu- dig an und öffnet die Arme, den meinigen zu umschließen. Die flüch- tigsten und heiligsten von jenen zar- ten Zügen und Äußerungen der Seele die dem, welcher das höchste nicht kennt, allein schon Seligkeit Lucinde I. B scheinen, sind nur die gemeinschaft- liche Atmosphäre unsers geistigen Athmens und Lebens. Die Worte sind matt und trübe; auch würde ich in diesem Gedränge von Erscheinungen nur immer das eine unerschöpfliche Gefühl unsrer ursprünglichen Harmonie von neuem wiederholen müssen. Eine große Zu- kunft winkt mich eilends weiter ins Unermeßliche hinaus, jede Idee öff- net ihren Schooß und entfaltet sich in unzählige neue Geburten. Die äußersten Enden der zügellosen Lust und der stillen Ahndung leben zu- gleich in mir. Ich erinnere mich an alles, auch an die Schmerzen, und alle meine ehemaligen und künftigen Gedanken regen sich und stehen wider mich auf. In den geschwollnen Adern tobt das wilde Blut, der Mund durstet nach Vereinigung und unter den vielen Gestalten der Freude wählt und wechselt die Fantasie und findet keine, in der die Begierde sich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden könnte. Und dann gedenke ich wieder plötzlich und rührend der dunkeln Zeit, da ich immer wartete, ohne zu hoffen, und heftig liebte, ohne daß ich es wußte; da mein innerstes Wesen sich ganz in unbe- stimmte Sehnsucht ergoß und sie nur selten in halb unterdrückten Seuf- zern aushauchte. Ja! ich würde es für ein Mähr- chen gehalten haben, daß es solche Freude gebe und solche Liebe, wie B 2 ich nun fühle, und eine solche Frau, die mir zugleich die zärtlichste Ge- liebte und die beste Gesellschaft wäre und auch eine vollkommene Freun- din. Denn in der Freundschaft be- sonders suchte ich alles, was ich ent- behrte und was ich in keinem weib- lichen Wesen zu finden hoffte. In dir habe ich es alles gefunden und mehr als ich zu wünschen vermochte: aber du bist auch nicht wie die an- dern. Was Gewohnheit oder Ei- gensinn weiblich nennen, davon weißt du nichts. Außer den kleinen Eigenheiten besteht die Weiblichkeit deiner Seele bloß darin, daß Leben und Lieben für sie gleich viel bedeu- tet; du fühlst alles ganz und un- endlich, du weißt von keinen Ab- sonderungen, dein Wesen ist Eins und untheilbar. Darum bist du so ernst und so freudig; darum nimmst du alles so groß und so nachlässig, und darum liebst du mich auch ganz und überläßt keinen Theil von mir etwa dem Staate, der Nachwelt oder den männlichen Freunden. Es gehört dir alles uud wir sind uns überall die nächsten und verstehn uns am besten. Durch alle Stufen der Menschheit gehst du mit mir von der ausgelassensten Sinnlichkeit bis zur geistigsten Geistigkeit und nur in dir sah ich wahren Stolz und wahre weibliche Demuth. Das äußerste Leiden, wenn es uns nur umgäbe, ohne uns zu tren- nen, würde mir nichts scheinen als ein reizender Gegensatz für den hohen Leichtsinn unsrer Ehe. Warum soll- ten wir nicht die herbeste Laune des Zufalls für schönen Witz und aus- gelassene Willkühr nehmen, da wir unsterblich sind wie die Liebe? Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe; beyde sind sich gleich und vollkommen Eins, so viel Liebe als Gegenliebe. Es ist Ehe, ewige Einheit und Verbindung un- srer Geister, nicht bloß für das was wir diese oder jene Welt nennen, sondern für die eine wahre, untheil- bare, namenlose, unendliche Welt, für unser ganzes ewiges Seyn und Leben. Darum würde ich auch, wenn es mir Zeit schiene, eben so froh und eben so leicht eine Tasse Kirschlorberwasser mit dir ausleeren, wie das letzte Glas Champagner, was wir zusammen tranken, mit den Worten von mir: »So laß uns den »Rest unsers Lebens austrinken.« — So sprach und trank ich eilig, ehe der edelste Geist des Weins ver- schäumte; und so, das sage ich noch einmal, so laß uns leben und lie- ben. Ich weiß, auch du würdest mich nicht überleben wollen, du wür- dest dem voreiligen Gemahle auch im Sarge folgen, und aus Lust und Liebe in den flammenden Abgrund steigen, in den ein rasendes Gesetz die Indischen Frauen zwingt und die zartesten Heiligthümer der Will- kühr durch grobe Absicht und Befehl entweiht und zerstört. Dort wird dann vielleicht die Sehnsucht voller befriedigt. Ich bin oft darüber erstaunt: jeder Gedan- ke und was sonst gebildet in uns ist, scheint in sich selbst vollendet, einzeln und untheilbar wie eine Per- son; eines verdrängt das andre, und was eben ganz nah und gegenwär- tig war, sinkt bald in Dunkel zu- rück. Und dann giebt es doch wie- der Augenblicke plötzlicher, allgemei- ner Klarheit, wo mehrere solche Gei- ster der innern Welt durch wuuder- bare Vermählung völlig in Eins verschmelzen, und manches schon ver- gessene Stück unsers Ich in neuem Lichte strahlt und auch die Nacht der Zukunft mit seinem hellen Scheine öffnet. Wie im Kleinen so, glaube ich, ist es auch im Großen. Was wir ein Leben nennen, ist für den ganzen ewigen innern Menschen nur ein einziger Gedanke, ein un- theilbares Gefühl. Auch für ihn giebts solche Augenblicke des tiefsten und vollsten Bewußtseyns, wo ihm alle die Leben einfallen, sich anders mischen und trennen. Wir beide werden noch einst in Einem Geiste anschauen, daß wir Blüthen Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume sind, und mit Lächeln werden wir dann wissen, daß was wir jetzt nur Hoffnung nennen, eigentlich Erin- nerung war. Weißt du noch, wie der erste Keim dieses Gedankens vor dir in meiner Seele aufsproßte und auch gleich in der deinigen Wurzel faßte? — So schlingt die Religion der Liebe unsre Liebe immer inniger und stärker zusammen, wie das Kind die Lust der zärtlichen Eltern dem Echo gleich verdoppelt. Nichts kann uns trennen und gewiß würde jede Entfernung mich nur gewaltsamer an dich reißen. Ich denke mir, wie ich bey der letzten Umarmung im Gedränge der hef- tigen Widersprüche zugleich in Thrä- nen und in Lachen ausbreche. Dann würde ich still werden und in einer Art von Betäubung durchaus nicht glauben, daß ich von dir entfernt sey, bis die neuen Gegenstände um mich her mich wider Willen über- zeugten. Aber dann würde auch meine Sehnsucht unaufhaltsam wach- sen, bis ich auf ihren Flügeln in deine Arme sänke. Laß auch die Worte oder die Menschen ein Mis- verständniß zwischen uns erregen! Der tiefe Schmerz würde flüchtig seyn und sich bald in vollkommenere Harmonie auflösen. Ich würde ihn so wenig achten, wie die liebende Geliebte im Enthusiasmus der Wol- lust die kleine Verletzung achtet. Wie könnte uns die Entfernung entfernen, da uns die Gegenwart selbst gleichsam zu gegenwärtig ist. Wir müssen ihre verzehrende Gluth in Scherzen lindern und kühlen und so ist uns die witzigste unter den Gestalten und Situazionen der Freude auch die schönste. Eine unter allen ist die witzigste und die schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nach- äffen kann, ob dir die schonende Hef- tigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieses süße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als seine eig- nen? Es ist auch nicht bloß die Wol- lust der Ermattung oder das Vor- gefühl der Rache. Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeu- tende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit. Es liegt viel darin, und was darin liegt, steht gewiß nicht so schnell auf wie ich, wenn ich dir unterliege. Das war die dithyrambische Fantasie über die schönste Situazion in der schönsten Welt! Ich weiß noch recht gut, wie du sie damals gefun- den und genommen hast. Aber ich glaube auch eben so gut zu wissen, wie du sie hier finden und nehmen wirst; hier in diesem Büchelchen, von dem du mehr treue Geschichte, schlichte Wahrheit und ruhigen Verstand, ja sogar Moral, die liebenswürdige Moral der Liebe erwartest. »Wie »kann man schreiben wollen, was »kaum zu sagen erlaubt ist, was »man nur fühlen sollte?« — Ich antworte: Fühlt man es, so muß man es sagen wollen, und was man sagen will, darf man auch schreiben können. Ich wollte dir erst beweisen und begründen, es liege ursprünglich und wesentlich in der Natur des Man- nes ein gewisser tölpelhafter Enthu- siasmus, der gern mit allem Zarten und Heiligen herausplatzt, nicht sel- ten über seinen eignen treuherzigen Eifer ungeschickterweise hinstürzt und mit einem Worte leicht bis zur Grob- heit göttlich ist. Durch diese Apologie wäre ich zwar gerettet, aber vielleicht nur auf Unkosten der Männlichkeit selbst: denn so viel ihr auch im einzelnen von dieser haltet, so habt ihr doch immer viel und vieles wider das Ganze der Gattung. Ich will in- dessen auf keinen Fall gemeine Sache mit einer solchen Race haben und vertheidige oder entschuldige daher meine Freyheit und Frechheit lieber bloß mit dem Beyspiele der unschul- digen kleinen Wilhelmine, da sie doch auch eine Dame ist, die ich überdem auf das zärtlichste liebe. Darum will ich sie auch gleich ein wenig charakterisiren. Charakteristik der kleinen Wil- helmine. Betrachtet man das sonderbare Kind nicht mit Rücksicht auf eine einseitige Theorie, sondern wie es sich ziemt, im Großen und Ganzen: so darf man kühnlich von ihr sagen, und es ist vielleicht das beste was man überhaupt von ihr sagen kann: Sie ist die geistreichste Person ihrer Zeit oder ihres Alters. Und das ist nicht wenig gesagt: denn wie selten ist harmonische Ausbildung unter zweyjährigen Menschen? Der stärkste unter vielen starken Beweisen für ihre innere Vollendung ist ihre hei- tere Selbstzufriedenheit. Wenn sie gegessen hat, pflegt sie beide Ärm- chen auf den Tisch ausgebreitet ih- ren kleinen Kopf mit närrischem Ernst darauf zu stützen, macht die Augen groß und wirft schlaue Blicke im Kreise der ganzen Familie umher. Dann richtet sie sich auf mit dem lebhaftesten Ausdrucke von Ironie und und lächelt über ihre eigne Schlau- heit und unsre Inferiorität. Über- haupt hat sie viel Bouffonerie und viel Sinn für Bouffonerie. Mache ich ihre Gebehrden nach, so macht sie mir gleich wieder mein Nachma- chen nach; und so haben wir uns eine mimische Sprache gebildet und verständigen uns in den Hierogly- phen der darstellenden Kunst. Zur Poesie glaube ich hat sie weit mehr Neigung als zur Philosophie; so läßt sie sich auch lieber fahren und reiset nur im Nothfall zu Fuß. Die harten Übelklänge unsrer nordischen Muttersprache verschmelzen auf ihrer Zunge in den weichen und süßen Wohllaut der Italiänischen und In- dischen Mundart. Reime liebt sie Lucinde I. C besonders, wie alles Schöne; sie kann oft gar nicht müde werden, alle ihre Lieblingsbilder, gleichsam eine klassische Auswahl ihrer kleinen Genüsse, sich selbst unaufhörlich nach einander zu sagen und zu singen. Die Blüthen aller Dinge jeglicher Art flicht Poesie in einen leichten Kranz und so nennt und reimt auch Wilhelmine Gegenden, Zeiten, Be- gebenheiten, Personen, Spielwerke und Speisen, alles durch einander in romantischer Verwirrung, so viel Worte so viel Bilder; und das ohne alle Nebenbestimmungen und künst- lichen Übergänge, die am Ende doch nur dem Verstande frommen und jeden kühneren Schwung der Fan- tasie hemmen. Für die ihrige ist alles in der Natur belebt und beseelt; und ich erinnere mich noch oft mit Ver- gnügen daran, wie sie in einem Al- ter von nicht viel mehr als einem Jahre zum erstenmal eine Puppe sah und fühlte. Ein himmlisches Lächeln blühte auf ihrem kleinen Gesichte und sie drückte gleich einen herzlichen Kuß auf die gefärbten Lippen von Holz. Gewiß! es liegt tief in der Natur des Menschen, daß er alles essen will, was er liebt, und jede neue Erscheinung unmittelbar zum Munde führt, um sie da wo möglich in ihre ersten Bestandtheile zu zergliedern. Die gesunde Wißbegierde wünscht ihren Gegenstand ganz zu fassen, bis in sein Innerstes zu durchdringen und zu zerbeißen. Das Betasten C 2 dagegen bleibt bey der äußerlichen Oberfläche allein stehn, und alles Begreifen gewährt eine unvollkom- mene nur mittelbare Erkenntniß. Indessen ist es doch schon ein in- teressantes Schauspiel, wenn ein geist- reiches Kind ein Ebenbild von sich erblickt, es mit den Händen zu be- greifen und sich durch diese ersten und letzten Fühlhörner der Vernunft zu orientiren strebt; schüchtern ver- kriecht und versteckt sich der Fremd- ling und ämsig ist die kleine Philo- sophin hinterdrein, den Gegenstand ihrer angefangenen Untersuchung zu verfolgen. — Aber freylich ist Geist, Witz und Originalität bey Kindern gerade so selten wie bey Erwachsenen. Doch alles dies und so vieles andre ge- hört nicht hieher und würde mich über die Gränzen meines Zweckes führen! Denn diese Charakteristik soll ja nichts darstellen als ein Ideal, welches ich mir stets vor Augen hal- ten will, um in diesem kleinen Kunst- werke schöner und zierlicher Lebens- weisheit nie von der zarten Linie des Schicklichen zu verirren, und dir, damit du alle die Freyheiten und Frechheiten, die ich mir noch zu nehmen denke, im voraus verzeihst, oder doch von einem höhern Stand- punkte beurtheilen und würdigen kannst. Habe ich etwa Unrecht, wenn ich die Sittlichkeit bey Kindern, Zart- heit und Zierlichkeit in Gedanken und Worten vornehmlich beym weib- lichen Geschlecht suche? — Und nun sieh! diese liebenswür- dige Wilhelmine findet nicht selten ein unaussprechliches Vergnügen da- rin, auf dem Rücken liegend mit den Beinchen in die Höhe zu gesti- culiren, unbekümmert um ihren Rock und um das Urtheil der Welt. Wenn das Wilhelmine thut, was darf ich nicht thun, da ich doch bey Gott! ein Mann bin, und nicht zar- ter zu seyn brauche wie das zarteste weibliche Wesen? O beneidenswürdige Freyheit von Vorurtheilen! Wirf auch du sie von dir, liebe Freundin, alle die Reste von falscher Schaam, wie ich oft die fatalen Kleider von dir riß und in schöner Anarchie umherstreute. Und sollte dir ja dieser kleine Roman meines Lebens zu wild scheinen: so denke dir, daß er ein Kind sey und ertrage seinen unschuldigen Muth- willen mit mütterlicher Langmuth und laß dich von ihm liebkosen. Wenn du es mit der Wahrschein- lichkeit und durchgängigen Bedeut- samkeit einer Allegorie nicht sogar strenge nehmen und dabey so viel Ungeschicklichkeit im Erzählen erwar- ten wolltest, als man von den Be- kenntnissen eines Ungeschickten fodern muß, wenn das Costum nicht ver- letzt werden soll: so möchte ich dir hier einen der letzten meiner wa- chenden Träume erzählen, da er ein ähnliches Resultat giebt wie die Charakteristik der kleinen Wilhel- mine. Allegorie von der Frechheit. Sorglos stand ich in einem kunst- reichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herr- lichsten Blumen, ausländischen und einländischen, prangte. Ich sog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben: aber plötz- lich sprang ein häßliches Unthier mitten aus den Blumen hervor. Es schien geschwollen von Gift, die durch- sichtige Haut spielte in alle Farben und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabey öffnete es Krebsscheeren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Muth, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und sogleich schien es mir nichts als ein gemei- ner Frosch. Ich erstaunte nicht we- nig, und noch mehr, da plötzlich Jemand ganz dicht hinter mir sagte: »Das ist die öffentliche Meinung, »und ich bin der Witz; deine fal- »schen Freunde, jene Blumen sind »schon alle welk.« — Ich sah mich um und erblickte eine männliche Ge- stalt mittlerer Größe; die großen Formen des edlen Gesichts waren so ausgearbeitet und übertrieben, wie wir sie oft an römischen Brustbil- dern sehn. Ein freundliches Feuer strahlte aus den offnen lichten Au- gen, und zwey große Locken warfen und drängten sich sonderbar auf der kühnen Stirn. »Ich werde ein al- »tes Schauspiel vor dir erneuern, »sprach er: einige Jünglinge am »Scheidewege. Ich selbst habe es »der Mühe werth gehalten, sie in »müssigen Stunden mit der göttli- »chen Fantasie zu erzeugen. Es sind »die ächten Romane, vier an der »Zahl und unsterblich wie wir.« — Ich schaute wohin er winkte, und ein schöner Jüngling flog kaum be- kleidet über die grüne Ebne. Schon war er fern und ich sah nur noch eben, daß er sich auf ein Roß schwang und davon eilte als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beynah ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung nebst der treu- herzigen Freundlichkeit in seinen be- deutenden Blicken und umständlichen Gebehrden gab ihm dennoch eine gewisse altväterische Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Ab- hange und sonnte sich in den letzten Strahlen; dann sprang er auf, ent- kleidete sich, stürzte in den Strom und spielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf sich von neuem in die Fluth. Fern- ab im Dunkel des Hains schwebte etwas in Griechischem Gewande wie eine Gestalt: aber wenn es eine ist, dachte ich, so kann sie kaum der Erde angehören; so matt waren die Farben, so eingehüllt das Ganze in heiligen Nebel. Da ich länger und genauer hinsah, zeigte sich's, daß es auch ein Jüngling sey, aber von ganz entgegengesetzter Art. Haupt und Arme lehnte die hohe Gestalt an eine Urne; seine ernsten Blicke schienen bald ein verlohrnes Gut auf dem Boden zu suchen, bald die blassen Sterne, die schon zu schim- mern begannen, etwas zu fragen; ein Seufzer öffnete die Lippen, um die ein sanftes Lächeln schwebte. — Jener erste sinnliche Jüngling war unterdessen der einsamen Leibes- übungen überdrüssig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, fast wie ein Schäfer, aber sehr bunt und sonderbar. Er hätte so auf einer Maskerade erscheinen können, auch spielten die Finger seiner Lin- ken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den fan- tastischen Knaben eben so gut für ein muthwilliges Mädchen halten mögen, das sich aus Laune verklei- det. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unsicher; er ging erst auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabey über sich selbst. »Der junge Mensch weiß »nicht, ob er sich zur Frechheit oder »zur Delikatesse halten soll,« sagte mein Begleiter. Ich sah zur Linken eine Gesellschaft schöner Frauen und Mädchen; zur Rechten stand eine große allein, und da ich hinsehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen so scharf und kühn, daß ich die Augen niederschlug. Mitten unter den Da- men war ein junger Mann, den ich sogleich für einen Bruder der an- dern Romane erkannte. Einer von denen wie man sie gegenwärtig sieht, aber viel gebildeter; seine Gestalt und sein Gesicht war nicht schön, aber fein, sehr verständig und äus- serst anziehend. Man hätte ihn eben so gut für einen Franzosen wie für einen Deutschen halten können; seine Kleidung und seine ganze Art war einfach, aber sorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Gesell- schaft und schien sich für alle lebhaft zu interessiren. Die Mädchen waren sehr beweglich um die vornehmste Dame und schwatzten viel unter einander. »Ich habe doch noch mehr »Gemüth wie du, liebe Sittlichkeit! »sagte die eine; aber ich heiße auch »Seele und zwar die schöne.« Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Thränen schienen ihr nahe zu seyn. »Ich war doch gestern so tu- »gendhaft, sagte sie, und mache im- »mer größere Fortschritte in der An- »strengung. Ich habe genug an »meinen eignen Vorwürfen, warum »muß ich noch welche von dir hö- »ren?« — Eine andre, die Beschei- denheit, war neidisch auf die welche sich die schöne Seele nannte und sprach: »Ich bin böse mit dir, du »willst mich uur als Mittel brau- »chen.« — Die Decenz, da sie die arme öffentliche Meinung so hülf- los auf dem Rücken liegen sah, ver- goß drittehalb Thränen und gebehr- dete sich dann auf eine interessante Weise, Weise, das Auge zu trocknen, wel- ches aber gar nicht mehr naß war. — »Wundre dich nicht über diese Of- »fenheit, sagte der Witz; sie ist we- »der gewöhnlich noch willkührlich. »Die allmächtige Fantasie hat diese »wesenlosen Schatten mit ihrem Zau- »berstabe berührt, damit sie ihr In- »neres offenbaren. Du wirst gleich »noch mehr hören. Aber die Frech- »heit redet von freyen Stücken so.« »Der junge Schwärmer da, sagte »die Delikatesse, soll mich recht amü- »siren; der wird immer schöne Verse »auf mich machen. Ich werde ihn »in der Ferne halten wie den Ritter. »Der Ritter ist freylich schön, wenn »er nur nicht so ernsthaft und feyer- »lich aussähe. Der klügste von Lucinde I. D »allen ist wohl der Elegant, der jetzt »mit der Bescheidenheit spricht; ich »glaube, er persifflirt sie. Wenig- »stens hat er über die Sittlichkeit »und ihr fades Gesicht viel hübsches »gesagt. Er hat doch mit mir am »meisten gesprochen, und könnte mich »wohl einmal verführen, wenn ich »mich nicht anders besinne, oder »wenn keiner erscheint, der noch mehr »nach der Mode ist.« — Der Ritter hatte sich der Gesellschaft nun auch genähert; die linke Hand stützte sich auf den Griff des großen Schwerdtes, und mit der rechten bot er den An- wesenden höflichen Gruß. — »Ihr »seyd doch alle gewöhnlich und ich »habe Langeweile,« sagte der mo- derne Mann, gähnte und ging fort. Ich sah nunmehr, daß die Frauen, die ich beym ersten Blick für schön gehalten hatte, eigentlich nur blü- hend und artig übrigens aber un- bedeutend waren. Sah man genau zu, so fanden sich sogar gemeine Züge und Spuren von Verderbt- heit. Die Frechheit schien mir nun weniger hart, ich konnte sie dreist ansehen und mußte es mir mit Ver- wunderung gestehn, daß ihre Bil- dung groß und edel sey. Sie ging hastig auf die schöne Seele zu und griff ihr gerade ins Gesicht. »Das »ist nur eine Maske, sagte sie; »du bist nicht die schöne Seele, son- »dern höchstens die Zierlichkeit, »oft auch die Coquetterie.« — Dann wandte sie sich zum Witz mit den D 2 Worten: »Wenn du die gemacht »hast, die man jetzt Romane nennt, »so hättest du deine Zeit auch besser »anwenden können. Kaum hie und »da finde ich in den besten etwas »von der leichten Poesie des flüchti- »gen Lebens: aber wohin ist sie ent- »flohen, die kühne Musik des liebe- »rasenden Herzens, sie die alles mit »sich fortreißt, so daß der Wildeste »zärtliche Thränen vergießt und die »ewigen Felsen selber tanzen? Kei- »ner ist so albern und keiner so nüch- »tern, der nicht von Liebe schwatzt: »aber wer sie noch kennt, hat kein »Herz und keinen Glauben, sie aus- »zusprechen.« Der Witz lachte, der himmlische Jüngling winkte Beyfall aus der Ferne, und sie fuhr fort: »Wenn die, welche unvermögend am »Geist sind, Kinder mit ihm zeugen »wollen; wenn die, welche es gar »nicht verstehn, zu leben wagen: das »ist höchst unanständig, denn es ist »höchst unnatürlich und höchst un- »schicklich. Aber daß der Wein »schäumt und der Blitz zündet, ist »ganz richtig und ganz schicklich.« — Der leichtfertige Roman hatte nun gewählt; er war bey diesen Worten schon um die Frechheit und schien ihr ganz ergeben. Sie eilte Arm in Arm mit ihm davon und sagte nur im Vorbeygehn zu dem Ritter: »Wir sehn uns wieder.« — »Das »waren nur äußerliche Erscheinungen, »sprach mein Beschützer, und du wirst »gleich das Innere in dir schauen. »Übrigens bin ich eine wahre Person »und der wahre Witz; das schwöre »ich dir bey mir selber, ohne den Arm »in die Unendlichkeit auszustrecken.« Alles verschwand nun, und auch der Witz wuchs und dehnte sich, bis er nicht mehr war. Nicht mehr vor und außer mir, wohl aber in mir glaubte ich ihn wieder zu finden; ein Stück meines Selbst und doch verschieden von mir, in sich leben- dig und selbstständig. Ein neuer Sinn schien mir aufgethan; ich ent- deckte in mir eine reine Masse von mildem Licht. Ich kehrte in mich selbst zurück und in den neuen Sinn, dessen Wunder ich schaute. Er sah so klar und bestimmt, wie ein gei- stiges nach Innen gerichtetes Auge: dabey waren aber seine Wahrneh- mungen innig und leise wie die des Gehörs, und so unmittelbar wie die des Gefühls. Ich erkannte bald die Scene der äußern Welt wieder, aber reiner und verklärt, oben den blauen Mantel des Himmels, unten den grünen Teppich der reichen Erde, die bald von fröhlichen Gestalten wimmelte. Denn was ich nur im Innersten wünschte, lebte und drängte sich gleich hier, ehe ich selbst den Wunsch noch deutlich gedacht hatte. Und so sah ich denn bald bekannte und unbekannte liebe Gestalten in wunderlichen Masken, wie ein großes Carneval der Lust und Liebe. Innre Saturnalien, an seltsamer Mannich- faltigkeit und Zügellosigkeit der großen Vorwelt nicht unwürdig. Aber nicht lange schwärmte das gei- stige Bacchanal durch einander, so zerriß diese ganze innre Welt wie durch einen elektrischen Schlag und ich vernahm ich weiß nicht wie und woher die geflügelten Worte: »Ver- »nichten und Schaffen, Eins und »Alles; und so schwebe der ewige »Geist ewig auf dem ewigen Welt- »strome der Zeit und des Lebens »und nehme jede kühnere Welle wahr, »ehe sie zerfließt.« — Furchtbar schön und sehr fremd tönte diese Stimme der Fantasie, aber milder und mehr wie an mich gerichtet die folgenden Worte: »Die Zeit ist da, das innre »Wesen der Gottheit kann offenbart »und dargestellt werden, alle My- »sterien dürfen sich enthüllen und die »Furcht soll aufhören. Weihe dich »selbst ein und verkündige es, daß »die Natur allein ehrwürdig und »die Gesundheit allein liebenswürdig »ist.« — Bey den geheimnißvollen Worten, die Zeit ist da , fiel wie eine Flocke von himmlischem Feuer in meine Seele. Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurtheilen wie mit Waf- fen wüthen, zu stürzen und für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen: aber es waren keine Waffen da. Ich öffnete den Mund, um sie in Gesang zu verkündigen, und ich dachte, alle Wesen müßten ihn ver- nehmen und die ganze Welt sollte harmonisch wiederklingen: aber ich besann mich, daß meine Lippen die Kunst nicht gelernt hätten, die Ge- sänge des Geistes nachzubilden. — »Du mußt das unsterbliche Feuer »nicht rein und roh mittheilen wol- »len,« sprach die bekannte Stimme meines freundlichen Begleiters. »Bil- »de, erfinde, verwandle und erhalte »die Welt und ihre ewigen Gestalten »im steten Wechsel neuer Trennun- »gen und Vermählungen. Verhülle »und binde den Geist im Buchsta- »ben. Der ächte Buchstabe ist all- »mächtig und der eigentliche Zauber- »stab. Er ist es, mit dem die un- »widerstehliche Willkühr der hohen »Zauberin Fantasie das erhabene »Chaos der vollen Natur berührt, »und das unendliche Wort ans Licht »ruft, welches ein Ebenbild und »Spiegel des göttlichen Geistes ist, »und welches die Sterblichen Uni- »versum nennen.« Wie die weibliche Kleidung vor der männlichen, so hat auch der weibliche Geist vor dem männlichen den Vorzug, daß man sich da durch eine einzige kühne Combination über alle Vorurtheile der Cultur und bür- gerlichen Conventionen wegsetzen und mit einemmale mitten im Stande der Unschuld und im Schooß der Natur befinden kann. An wen sollte also wohl die Rhe- torik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unschuld richten als an alle Frauen, in deren zarten Herzen das heilige Feuer der gött- lichen Wollust tief verschlossen ruht, und nie ganz verlöschen kann, wenn es auch noch so sehr verwahrlost und verunreinigt wird? Nächstdem frey- lich auch an die Jünglinge, und an die Männer die noch Jünglinge ge- blieben sind. Bey diesen ist aber schon ein großer Unterschied zu ma- chen. Man könnte alle Jünglinge eintheilen in solche, die das haben, was Diderot die Empfindung des Fleisches nennt, und in solche die es nicht haben. Eine seltne Gabe! Viele Maler von Talent und Ein- sicht streben ihr ganzes Leben um- sonst danach, und viele Virtuosen der Männlichkeit vollenden ihre Lauf- bahn, ohne eine Ahndung davon gehabt zu haben. Auf dem gemei- nen Wege kommt man nicht dahin. Ein Libertin mag verstehen mit ei- ner Art von Geschmack den Gürtel zu lösen. Aber jenen höhern Kunst- sinn der Wollust, durch den die männliche Kraft erst zur Schönheit gebildet wird, lehrt nur die Liebe allein den Jüngling. Es ist Elek- trizität des Gefühls, dabey aber im Innern ein stilles leises Lauschen, im Äußern eine gewisse klare Durch- sichtigkeit, wie in den hellen Stellen der Malerey, die ein reizbares Auge so deutlich fühlt. Es ist eine wun- derbare Mischung und Harmonie aller Sinne: so giebt es auch in der Musik ganz kunstlose, reine, tiefe Accente, die das Ohr nicht zu hö- ren, sondern wirklich zu trinken scheint, wenn das Gemüth nach Liebe durstet. Übrigens aber möchte sich die Empfindung des Fleisches nicht weiter definiren lassen. Das ist auch unnöthig. Genug sie ist für Jüng- linge der erste Grad der Liebeskunst und eine angeborne Gabe der Frauen, durch deren Gunst und Huld allein sie jenen mitgetheilt, und angebildet werden kann. Mit den Unglückli- chen, die sie nicht kennen, muß man nicht von Liebe reden: denn von Natur ist in dem Manne zwar ein Bedürfniß aber kein Vorgefühl der- selben. Der zweyte Grad hat schon etwas Mystisches, und könnte leicht vernunftwidrig scheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen seiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, versteht es gar nicht zu seyn, was er doch ist und seyn soll. Er ist eigentlich unvermögend, und kann keine gül- tige Ehe schließen. Zwar verschwin- det auch die höchste endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt sich also das Pro- blem auch bey dem besten Willen nicht auflösen. Aber wer Fantasie hat, kann auch Fantasie mittheilen, und wo die ist, entbehren die Lie- benden gern, um zu verschwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel ist intensive Unendlichkeit, Unzertrenn- lichkeit ohne Zahl und Maaß; und eigentlich brauchen sie nie zu ent- behren, weil jener Zauber alles zu ersetzen vermag. Aber still von die- sen Geheimnissen! Der dritte und höchste Grad ist das bleibende Ge- fühl von harmonischer Wärme. Wel- cher Jüngling das hat, der liebt nicht mehr bloß wie ein Mann, sondern zugleich auch wie ein Weib. In ihm ist die Menschheit vollendet, und er hat den Gipfel des Lebens erstiegen. Denn gewiß ist es, daß Männer von Natur bloß heiß oder kalt sind: zur Wärme müssen sie erst gebildet werden. Aber die Frauen sind von Natur sinnlich und geistig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art. Wenn Wenn dieses tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt, und gar gelesen wird, so muß es auf alle glücklichen Jünglinge un- gefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verschieden nach den verschiede- nen Stufen ihrer Ausbildung. De- nen vom ersten Grad wird es die Empfindung des Fleisches erregen; die vom zweyten kann es ganz be- friedigen; und denen vom dritten soll bloß warm dabey werden. Ganz anders würde es mit den Frauen seyn. Unter ihnen giebt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe schon ganz in sich, von deren unerschöpflichem Wesen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. Schon Lucinde I. E entfaltet, oder noch im Keime, das ist gleich viel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwissenheit doch schon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schooß gezündet, und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat. Und wenn eine Knospe Gefühl hätte, würde nicht das Vorge- fühl der Blume deutlicher in ihr seyn, als das Bewußtseyn ihrer selbst? — Darum giebt es in der weibli- chen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts all- gemeines; sondern so viel Indivi- duen, so viel eigenthümliche Arten. Kein Linné kann uns alle diese schö- nen Gewächse und Pflanzen im großen Garten des Lebens klassifiziren und verderben; und nur der einge- weihte Liebling der Götter versteht ihre wunderbare Botanik; die gött- liche Kunst, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu errathen und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüthe sey und welches Erdreich sie bedürfen. Da wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menschen ist, da ist auch der eigentliche Mittelpunkt der Origina- lität, und kein Weiser hat die Weib- lichkeit ergründet. Eines zwar scheint die Frauen in zwey große Klassen zu theilen. Das nämlich, ob sie die Sinne ach- ten und ehren, die Natur, sich selbst und die Männlichkeit: oder ob sie diese wahre innere Unschuld verloren E 2 haben, und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllo- sigkeit gegen innere Misbilligung. Das ist ja die Geschichte so vieler. Erst scheuen sie die Männer, dann werden sie Unwürdigen hingegeben, welche sie bald hassen oder betrügen, bis sie sich selbst und die weibliche Bestimmung verachten. Ihre kleine Erfahrung halten sie für allgemein und alles andre für lächerlich; der enge Kreis von Rohheit und Gemein- heit, in dem sie sich beständig drehen, ist für sie die ganze Welt, und es fällt ihnen gar nicht ein, daß es auch noch andre Welten geben könne. Für diese sind die Männer nicht Men- schen, sondern bloß Männer, eine eigne Gattung, die fatal aber doch gegen die Langeweile unentbehrlich ist. Sie selbst sind denn auch eine bloße Sorte, eine wie die andre, ohne Originalität und ohne Liebe. Aber sind sie unheilbar weil sie ungeheilt sind? Mir ist es so ein- leuchtend und klar, daß nichts un- natürlicher für eine Frau sey, als Prüderie (ein Laster an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wuth denken kann) und nichts beschwer- licher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Gränze bestimmen, und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube ihre Unnatur kann nie zu- verläßig werden, wenn sie auch noch so viel Leichtigkeit und Unbefangen- heit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Consequenz und Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe ist durchaus unverlöschlich, und noch unter der tiefsten Asche glühen Funken. Diese heilige Funken zu wecken, von der Asche der Vorurtheile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren; das wäre das höchste Ziel meines männlichen Ehr- geizes. Laß mich's bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bil- dung ist. Es ist die älteste kindlichste ein- fachste Religion, zu der ich zurück- gekehrt bin. Ich verehre als vor- züglichstes Sinnbild der Gottheit das Feuer; und wo giebts ein schöneres, als das was die Natur tief in die weiche Brust der Frauen verschloß? — Weihe du mich zum Priester, nicht um es müßig zu beschauen, sondern um es zu befreyen, zu wecken, und zu reinigen: wo es rein ist, erhält es sich selber, ohne Wache und ohne Vestalinnen. Ich schreibe und schwärme, wie du siehst, nicht ohne Salbung; aber es geschieht auch nicht ohne Beruf, und zwar göttlichen Beruf. Was darf sich der nicht zutrauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffneten Himmel herab sprach: »Du bist mein lieber Sohn an dem »ich Wohlgefallen habe.« — Und warum soll ich nicht aus eigner Vollmacht und Willkühr von mir sagen: »Ich bin des Witzes lieber »Sohn;« wie mancher Edle, der auf Abentheuer durch's Leben wan- derte, von sich sagte: »Ich bin des »Glückes lieber Sohn.« — Übrigens wollte ich eigentlich davon reden, welchen Eindruck die- ser fantastische Roman auf die Frauen machen würde, wenn der Zufall oder die Willkühr ihn fände und öffentlich aufstellte. Es wäre auch in der That unschicklich, wenn ich dir nicht in aller Kürze mit einigen kleinen Beweisen von Weissagung und Divination aufwartete, um mein Recht auf die Priesterwürde dar- zuthun. Verstehen würden mich alle, keine so mißverstehen und so mißbrauchen wie die uneingeweihten Jünglinge. Viele würden mich besser verstehen als ich selbst, aber nur Eine ganz, und die bist du. Alle übrigen hoffe ich wechselsweise anzuziehen und abzustoßen, oft zu verletzen und eben so oft zu versöhnen. Bey je- der gebildeten wird der Eindruck ganz verschieden, und ganz eigen seyn; so eigen und so verschieden wie ihre eigenthümliche Art zu seyn, und zu lieben. Clementinen wird das Ganze bloß interessiren als eine Sonderbarkeit, hinter der aber doch wohl etwas seyn könnte; einiges in- dessen wird sie richtig finden. Man nennt sie hart und heftig, und doch glaube ich an ihre Liebenswürdig- keit. Ihre Heftigkeit versöhnt mich mit ihrer Härte, obgleich beyde sich dem äußern Anschein nach vermeh- ren. Wäre die Härte allein, so müßte sie Kälte und Mangel an Herz scheinen; die Heftigkeit zeigt, daß heiliges Feuer da ist, was durch- brechen will. Du kannst leicht den- ken wie sie einem mitspielen würde, den sie im Ernst liebte. Die weiche und verletzbare Rosamunde wird sich eben so oft anneigen als wegwen- den, bis »scheue Zartheit kühner »wird und nichts als Unschuld sieht »in inn'ger Liebe Thun.« Juliane hat eben so viel Poesie als Liebe, eben so viel Enthusiasmus als Witz: aber beydes ist zu isolirt in ihr, da- rum wird sie bisweilen über das kühne Chaos weiblich erschrecken, und dem Ganzen etwas mehr Poesie und etwas weniger Liebe wünschen. Ich könnte so noch lange fort- fahren, denn ich strebe aus allen Kräften nach Menschenkenntniß, und ich weiß meine Einsamkeit oft nicht würdiger anzuwenden, als indem ich darüber reflektire, wie diese oder jene interessante Frau in diesem oder jenem interessanten Verhältnisse wohl seyn und sich verhalten dürfte. Doch genug für jetzt, sonst möchte es dir zu viel werden, und die Vielseitig- keit deinem Propheten übel gerathen. Denke nur nicht so arg von mir und glaube, daß ich nicht allein für dich sondern für die Mitwelt dichte. Glaube mir, es ist mir bloß um die Objektivität meiner Liebe zu thun. Diese Objektivität und jede Anlage zu ihr bestätigt und bildet ja eben die Magie der Schrift, und weil es mir versagt ist, meine Flamme in Gesänge auszuhauchen, muß ich den stillen Zügen das schöne Ge- heimniß vertrauen. Dabey denke ich aber eben so wenig an die ganze Mitwelt, als an die Nachwelt. Und muß es ja eine Welt seyn, an die ich denken soll: so sey es am liebsten die Vorwelt. Die Liebe selbst sey ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache sey frey und kühn, nach alter klassischer Sitte, nicht züch- tiger wie die römische Elegie und die Edelsten der größten Nazion, und nicht vernünftiger wie der große Plato und die heilige Sappho. Idylle über den Müssiggang. »Sieh ich lernte von selbst, und »ein Gott hat mancherley Weisen »mir in die Seele gepflanzt.« So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der Faul- heit. Mit wem sollte ich also lie- ber über den Müssiggang denken und reden als mit mir selbst? Und so sprach ich denn auch in jener un- sterblichen Stunde, da mir der Genius eingab, das hohe Evangelium der ächten Lust und Liebe zu verkündi- gen, zu mir selbst: »O Müssig- »gang, Müssiggang! du bist die Le- »bensluft der Unschuld und der Be- »geisterung; dich athmen die See- »ligen, und seelig ist wer dich hat »und hegt, du heiliges Kleinod! ein- »ziges Fragment von Gottähnlich- »keit, das uns noch aus dem Pa- »radiese blieb.« Ich saß, da ich so in mir sprach, wie ein nachdenkli- ches Mädchen in einer gedankenlosen Romanze am Bach, sah den fliehen- den Wellen nach. Aber die Wellen flohen und floßen so gelassen, ruhig und sentimental, als sollte sich ein Narcissus in der klaren Fläche be- spiegeln und sich in schönen Egoismus berauschen. Auch mich hätte sie locken können, mich immer tiefer in die innere Perspektive mei- nes Geistes zu verlieren, wenn nicht meine Natur so uneigennützig und so praktisch wäre, daß sogar meine Spekulazion unaufhörlich nur um das allgemeine Gute besorgt ist. Daher dachte ich auch, ungeachtet mein Gemüth in seiner Behaglichkeit so matt war, wie die von der ge- waltigen Hitze aufgelösten und hin- gesunknen Glieder, ernstlich über die Möglichkeit einer dauernden Umar- mung nach. Ich sann auf Mittel das Beysammenseyn zu verlängern, und künftig lieber alle kindlich rüh- renden Elegieen über plötzliche Tren- nung zu verhüten, als uns wie bis- her an dem Komischen einer solchen Fügung des Schicksals zu ergötzen, weil es nun doch einmal geschehen und unabänderlich sey. Erst nach- dem die Kraft der angespannten Vernunft an der Unerreichbarkeit des Ideals brach und erschlaffte, über- ließ ich mich dem Strome der Ge- danken, und hörte willig alle die bunten Mährchen an, mit denen Begierde und Einbildung, unwider- stehliche Sirenen in meiner eignen Brust, meine Sinne bezauberten. Es fiel mir nicht ein das verführerische Gaukelspiel unedel zu kritisiren, un- geachtet ich wohl wußte, daß das meiste nur schöne Lüge sey. Die zarte Musik der Fantasie schien die Lücken der Sehnsucht auszufüllen. Dank- Dankbar nahm ich das wahr und beschloß, was das hohe Glück mir diesmal gegeben, auch künftig durch eigne Erfindsamkeit für uns beide zu wiederholen, und dir dieses Ge- dicht der Wahrheit zu beginnen. So erzeugte sich der erste Keim zu dem wundersamen Gewächs von Willkühr und Liebe. Und frey wie es ent- sprossen ist, dacht' ich, soll es auch üppig wachsen und verwildern, und nie will ich aus niedriger Ordnungs- liebe und Sparsamkeit die lebendige Fülle von überflüssigen Blättern und Ranken beschneiden. Gleich einem Weisen des Orients war ich ganz versunken in ein hei- liges Hinbrüten und ruhiges An- schauen der ewigen Substanzen, vor- Lucinde I. F züglich der deinigen und der meini- gen. Größe in Ruhe, sagen die Meister, sey der höchste Gegenstand der bildenden Kunst; und ohne es deutlich zu wollen, oder mich un- würdig zu bemühen, bildete und dichtete ich auch unsre ewigen Sub- stanzen in diesem würdigen Styl. Ich erinnerte mich, und ich sah uns, wie gelinder Schlaf die Umarmten mitten in der Umarmung umfing. Dann und wann öffnete einer die Augen, lächelte über den süßen Schlaf des andern und wurde wach genug um ein scherzendes Wort, eine Liebkosung zu beginnen: aber noch ehe der angefangene Muth- wille geendigt war, sanken wir beide fest verschlungen in den seeligen Schooß einer halbbesonnenen Selbst- vergessenheit zurück. Mit dem äußersten Unwillen dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahiren wollen. Sie ha- ben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtseyn und Absicht nichts thun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und ei- ner liberalen Sorglosigkeit und Un- thätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist F 2 schon da und erhält sich durch seine eigne Kraft. Was soll also das un- bedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es als mit der Antipathie ge- gen die Welt, die jetzt so gemein ist? Der unerfahrne Eigendünkel ahndet gar nicht daß dies nur Man- gel an Sinn und Verstand sey und hält es für hohen Unmuth über die allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiseste Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen sind die To- desengel mit dem feurigen Schwerdt, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren. Nur mit Gelassenheit und Sanftmuth, in der heiligen Stille der ächten Passivität kann man sich an sein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Le- ben anschauen. Wie geschieht alles Denken und Dichten als daß man sich der Einwirkung irgend eines Genius ganz überläßt und hingiebt? Und doch ist das Sprechen und Bilden nur Nebensache in allen Kün- sten und Wissenschaften, das Wesent- liche ist das Denken und Dichten, und das ist nur durch Passivität möglich. Freylich ist es eine absicht- liche, willkührliche, einseitige, aber doch Passivität. Je schöner das Klima ist, je passiver ist man. Nur Italiäner wissen zu gehen, und nur die im Orient verstehen zu liegen; wo hat sich aber der Geist zarter und süßer gebildet als in Indien? Und unter allen Himmelsstrichen ist es das Recht des Müssiggangs was Vornehme und Gemeine unterschei- det, und das eigentliche Prinzip des Adels. Endlich wo ist mehr Genuß, und mehr Dauer, Kraft und Geist des Genusses; bey den Frauen, deren Verhältniß wir Passivität nennen, oder etwa bey den Männern, bey denen der Übergang von übereilen- der Wuth zur Langenweile schneller ist, als der Übergang vom Guten zum Bösen? In der That man sollte das Studium des Müssiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Na- tur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vol- lendetste Leben nichts als ein reines Vegetiren . Ich nahm mir vor, mich zufrie- den im Genuß meines Daseyns über alle doch endliche, und also verächt- liche Zwecke und Vorsätze zu erhe- ben. Die Natur selbst schien mich in diesem Unternehmen zu bestärken, und mich gleichsam in vielstimmigen Chorälen zum fernern Müssiggang zu ermahnen, als sich plötzlich eine neue Erscheinung offenbarte. Ich glaubte unsichtbarerweise in einem Theater zu seyn: auf der einen Seite zeigten sich die bekannten Bretter, Lampen, und bemalten Pappen; auf der andern ein unermeßliches Ge- dränge von Zuschauern, ein wahres Meer von wißbegierigen Köpfen und theilnehmenden Augen. An der rech- ten Seite des Vorgrundes war statt der Dekoration ein Prometheus ab- gebildet, der Menschen verfertigte. Er war an einer langen Kette ge- fesselt, und arbeitete mit der größten Hast und Anstrengung; auch stan- den einige ungeheure Gesellen da- neben, die ihn unaufhörlich antrie- ben und geisselten. Leim und an- dre Materialien waren im Überfluß da; das Feuer nahm er aus einer großen Kohlenpfanne. Gegenüber zeigte sich auch als stumme Figur der vergötterte Herkules wie er ab- gebildet wird mit der Hebe auf dem Schooß. Vorn auf der Bühne lie- fen und sprachen eine Menge ju- gendlicher Gestalten, die sehr fröh- lich waren, und nicht bloß zum Schein lebten. Die jüngsten glichen Amorinen, die mehr erwachsenen den Bildern von Faunen: aber jeder hatte seine eigne Manier, eine auf- fallende Originalität des Gesichts, und alle hatten irgend eine Ähnlich- keit von dem Teufel der christlichen Maler oder Dichter; man hätte sie Satanisken nennen mögen. Einer der kleinsten sagte: »Wer nicht ver- »achtet, der kann auch nicht achten; »beides kann man nur unendlich, »und der gute Ton besteht darin, »daß man mit den Menschen spielt. »Ist also nicht eine gewisse ästheti- »sche Bosheit ein wesentliches Stück »der harmonischen Ausbildung?« »Nichts ist toller, sagte ein andrer, »als wenn die Moralisten Euch »Vorwürfe über den Egoismus ma- »chen. Sie haben vollkommen Un- »recht: denn welcher Gott kann dem »Menschen ehrwürdig seyn, der »nicht sein eigner Gott ist? Ihr irrt »freylich darin, daß Ihr ein Ich zu »haben glaubt; aber wenn ihr in- »dessen euren Leib und Namen oder »eure Sachen dafür haltet, so wird »doch wenigstens ein Logis bereitet, »wenn etwa ja noch ein Ich kom- »men sollte.« — »Und diesen Pro- »metheus könnt ihr nur recht in Eh- »ren halten, sagte einer der größten; »er hat euch alle gemacht, und macht »immer mehrere eures gleichen.« — In der That warfen auch die Ge- sellen jeden neuen Menschen, so wie er fertig war, unter die Zuschauer herab, wo man ihn sogleich gar nicht mehr unterscheiden konnte, so ähnlich waren sie alle. »Er fehlt »nur in der Methode!« fuhr der Sataniskus fort: »Wie kann man »allein Menschen bilden wollen? »Das sind gar nicht die rechten »Werkzeuge.« Und dabey winkte er auf eine rohe Figur vom Gott der Gärten, die ganz im Hintergrunde der Bühne zwischen einem Amor und einer sehr schönen unbekleideten Venus stand. »Darin dachte unser »Freund Herkules richtiger, der funf- »zig Mädchen in einer Nacht für »das Heil der Menschheit beschäftigen »konnte, und zwar heroische. Er hat »auch gearbeitet und viel grimmige »Unthiere erwürgt, aber das Ziel »seiner Laufbahn war doch immer »ein edler Müssiggang, und darum »ist er auch in den Olymp gekom- »men. Nicht so dieser Prometheus, »der Erfinder der Erziehung und Auf- »klärung. Von ihm habt ihr es, daß »ihr nie ruhig seyn könnt, und euch »immer so treibt; daher kommt es, »daß ihr, wenn ihr sonst gar nichts »zu thun habt, auf eine alberne »Weise sogar nach Charakter streben »müßt, oder euch einer den andern »beobachten und ergründen wollt. »Ein solches Beginnen ist niederträch- »tig. Prometheus aber, weil er die »Menschen zur Arbeit verführt hat, »so muß er nun auch arbeiten, er »mag wollen oder nicht. Er wird »noch Langeweile genug haben, und »nie von seinen Fesseln frey werden.« Da dies die Zuschauer hörten, brachen sie in Thränen aus, und sprangen auf die Bühne um ihren Vater der lebhaftesten Theilnahme zu versichern; und so verschwand die allegorische Komödie. Treue und Scherz. Du bist doch allein Lucinde? — Ich weiß nicht... vielleicht... ich glaube — Bitte, Bitte! liebe Lu- cinde. Weißt du wohl wenn die kleine Wilhelmine, Bitte, Bitte! sagt, und man thut's nicht gleich, so schreyt sie's immer lauter und ernst- hafter, bis ihr Wille geschieht. — Also das hast du mir sagen wollen, darum stürzest du so außer Athem ins Zimmer und hast mich so er- schreckt? — Sey nicht böse, süßes Weib! o laß mich, mein Kind! du Schöne! mach mir keine Vorwürfe, gutes Mädchen! — Nun wirst du noch nicht bald sagen: schließ die Thüren zu? — So?... Gleich will ich dir antworten. Nur erst einen recht langen Kuß, und wieder einen, dann noch einige und viele andre mehr. — O, du mußt mich nicht so küssen wenn ich vernünftig bleiben soll. Das macht böse Gedanken. — Die verdienst du. Kannst du wirk- lich lachen, meine verdrießliche Dame? Wer hätte das denken sollen! aber ich weiß wohl, du lachst bloß weil du mich auslachen kannst. Aus Lust thust du es nicht. Denn wer sah nur eben so ernsthaft aus wie ein römischer Senator? Recht ent- zückend hättest du aussehen können, liebes Kind! mit deinen heiligen dunkeln Augen, mit deinen langen schwarzen Haaren im glänzenden Wiederschein der Abendsonne, wenn du nicht da gesessen hättest, als säßest du zu Gericht. Bey Gott! du hast mich so angeblickt, daß ich or- dentlich zurückfuhr. Ich hätte bald das wichtigste vergessen, und bin ganz in Confusion gerathen. Aber warum sprichst du denn gar nicht? Bin ich dir zuwider? — Nun das ist komisch! du närrischer Julius! wen läßt du zum Reden kommen? deine Zärtlichkeit fließt heute ja wie ein Platzregen. — Wie dein Gespräch in der Nacht. — O das Halstuch lassen Sie nur, mein Herr. — Lassen? Nichts Nichts weniger als das. Was soll so ein elendes dummes Halstuch? Vorurtheile! Aus der Welt muß es. — Wenn uns nur nicht jemand stört! — Sieht sie nicht schon wie- der aus, als ob sie weinen wollte! Du bist doch wohl? Warum schlägt dein Herz so unruhig? Komm laß mich's küssen. Ja du sagtest vorhin von Thüren zuschließen. Gut, aber so nicht, nicht hier. Geschwind her- unter durch den Garten, nach dem Pavillon, wo die Blumen stehn. Komm! o laß mich nicht so lange warten. — Wie Sie befehlen mein Herr! — Ich weiß nicht, du bist heute so sonderbar. — Wenn du an- fängst zu moralisiren, lieber Freund, so könnten wir eben so gut wieder Lucinde I. G zurückgehen. Lieber gebe ich dir noch einen Kuß und laufe voran. — O fliehen Sie nicht so schnell Lucinde, die Moral wird Sie doch nicht ein- holen. Du wirst fallen, Liebe! — Ich habe dich nicht länger warten lassen wollen. Nun sind wir ja da. Und du bist auch eilig. — Und du sehr gehorsam. Aber jetzt ist nicht Zeit zu streiten. — Ruhig, ruhig! — Siehst du, hier kannst du weichlich ruhn und wie es recht ist. Nun wenn du diesmal nicht... so hast du gar keine Entschuldigung. — Wirst du nicht wenigstens erst den Vorhang niederlassen? — Du hast Recht, die Beleuchtung wird so viel reizender. Wie schön glänzt diese weiße Hüf- te in dem rothen Schein!.... Warum so kalt, Lucinde? — Lieber, setze die Hyacinthen weiter weg, der Geruch betäubt mich. — Wie fest und selbst- ständig, wie glatt und fein! Das ist harmonische Ausbildung. — O nein, Julius! laß, ich bitte dich, ich will nicht. — Darf ich nicht fühlen, ob du glühst wie ich? O so laß mich doch die Schläge deines Herzens lau- schen, die Lippen in dem Schnee des Busens kühlen!.... Kannst du mich wegdrücken? Ich werde mich rächen. Umarme mich fester, Kuß gegen Kuß; nein! nicht mehre einen ew- gen. Nimm meine Seele ganz und gieb mir deine!.... O schönes herrliches Zugleich! Sind wir nicht Kinder? Sprich doch! wie konn- test du nur erst so gleichgültig G 2 und kalt seyn, und nachher wie du mich endlich fester an dich zogst, machtest du in demselben Augenblick ein Gesicht, als wenn dir etwas weh thäte, als ob es dir leid wäre, daß du meine Gluth erwiedertest. Was ist dir? du weinst? Verbirg nicht dein Gesicht! Sieh mich an, Geliebte! — O laß mich hier an dich liegen, ich kann dir nicht in die Augen sehen. Es war recht schlecht von mir, Julius! Kannst du mir verzeihen, du liebenswürdiger Mann! Wirst du mich nicht verlassen? kannst du mich noch lieben? — Komm zu mir, mein süßes Weib! hier an mei- nem Herzen. Weißt du noch neu- lich, wie schön es war, wie du in meinen Armen weintest? wie leicht dir wurde? Aber sprich nun auch, was ist dir, Liebe? bist du böse auf mich? — Auf mich bin ich böse. Ich könnte mich schlagen... Dir freylich wäre ganz Recht geschehen; und wenn Sie sich künftig wieder einmal ehemännlich betragen, mein Herr! so werde ich schon besser da- für sorgen, daß Sie mich auch wie eine Ehefrau finden sollen. Darauf kannst du dich verlassen. Ich muß lachen, wie es mich überrascht hat. Aber bilden Sie sich nur nicht ein, mein Herr, daß du so unmenschlich liebenswürdig bist. Diesmal war es eigner Wille, daß ich meinen Vor- satz brach. — Der erste und der letzte Wille ist immer der beste. Da- für daß die Frauen meistens weniger sagen, als sie meinen, thun sie bis- weilen mehr als sie wollen. Das ist nicht mehr als billig: der gute Wille verführt euch. Der gute Wille ist etwas sehr gutes, aber das ist schlimm an ihm, daß er immer da ist, auch wenn man ihn nicht will. — Das ist ein schöner Fehler. Aber ihr seyd voll von bösem Willen und verstockt euch darin. — O nein! wenn wir verstockt scheinen, so ists bloß weil wir nicht anders können und also nicht böse. Wir können nicht, weil wir nicht recht wollen; es ist also nicht böser Wille, sondern Man- gel an Willen. Und an wem liegt da wieder die Schuld als an euch, daß ihr uns nicht mittheilen wollt von eurem Überfluß, und den guten Willen allein behalten wollt? Übri- gens ists ganz wider Willen gesche- hen, daß ich hier so in den Willen gerathen bin, und ich weiß selbst nicht was wir damit wollen. In- dessen ists immer besser, wenn ich mein Müthchen an einigen Worten kühle, als wenn ich das schöne Por- cellan zerschlüge. Bey dieser Ge- legenheit habe ich mich doch von meinem ersten Erstaunen über Ihr unerwartetes Pathos, Ihre vortref- liche Rede und Ihren rühmlichen Vorsatz etwas erholen können. In der That ist dies einer der seltsam- sten Streiche von denen, die Sie mir die Ehre verschafft haben kennen zu lernen; und soviel ich mich er- innern kann, haben Sie schon seit einigen Wochen bey Tage nicht in so gesetzten und vollen Perioden ge- redet, wie in Ihrer gegenwärtigen Predigt. Ist es Ihnen gefällig, Ihre Meinung in Prosa zu über- setzen? — Hast du den gestrigen Abend und die interessante Gesell- schaft wirklich schon ganz vergessen? Freylich, das wußte ich nicht. — Also darüber bist du böse, weil ich zu viel mit Amalien gesprochen habe? — Sprechen Sie doch so viel Sie wollen und mit wem Sie wol- len. Aber artig sollst du mir be- gegnen, das will ich haben. — Du sprachst so sehr laut, der Fremde stand gleich daneben, ich war ängst- lich und wußte mir nicht anders zu helfen. — Als unartig zu seyn, weil du ungeschickt warst? — Verzeih mir nur! Ich bekenne mich schuldig, du weißt wie verlegen ich mit dir in Gesellschaft bin. Es thut mir leid in Gegenwart der Andern mit dir zu sprechen. — Wie schön weiß er sich heraus zu reden! — Laß mir so etwas nie hingehen, und sey recht aufmerksam und strenge. Aber sieh, was du nun gethan hast! Ist es nicht Entweihung? O nein! es ist nicht möglich, es ist mehr als das. Gesteh mir's nur, es war Eifer- sucht. — Den ganzen Abend hattest du mich unfreundlich vergessen. Ich wollte dir heute früh alles schreiben, aber ich habe es wieder zerrissen. — Und da ich eben kam? — Verdroß mich deine gewaltige Eil. — Könntest du mich lieben, wenn ich nicht so brennbar und elektrisch wäre? bist du es nicht auch? hast du unsre erste Umarmung vergessen? In einem Augenblick ist die Liebe da, ganz und ewig, oder gar nicht. Alles Göttliche und alles Schöne ist schnell und leicht. Oder sammelt die Freude sich etwa so wie Geld und andre Materien durch ein consequentes Be- tragen? Wie eine Musik aus der Lust, überrascht uns das hohe Glück, erscheint und verschwindet. — So bist du mir erschienen, du Theurer! Aber willst du mir verschwinden? Das sollst du nicht, ich sage es dir. — Ich will nicht. Ich will bey dir bleiben, überhaupt, und auch jetzt. Höre ich habe große Lust einen langen Diskurs über die Eifer- sucht mit dir zu halten: aber eigent- lich sollten wir erst die beleidigten Götter versöhnen. — Lieber erst den Diskurs, und hernach die Götter. — Du hast Recht, wir sind noch nicht würdig, und du fühlst es lange nach, wann du gestört und verstimmt wurdest. Wie schön ist es daß du so empfindlich bist! — Ich bin nicht empfindlicher wie du, nur anders. — Nun so sage mir: ich bin nicht eifersüchtig; wie kommts, daß du eifersüchtig bist? — Bin ich's denn ohne Ursache? Antworten Sie mir! — Ich weiß ja nicht was du meinst. — Nun eifersüchtig bin ich eigentlich nicht; aber sage mir, was Ihr den ganzen Abend zusammen gesprochen habt? — Auf Amalien also? ist das möglich? So eine Kin- derey! Von gar nichts habe ich mit ihr gesprochen, und darum war es amüsant. Und habe ich nicht eben so lange mit Antonio gesprochen, den ich doch eine Zeit her fast alle Tage sah? — Ich soll also wohl glauben, du sprichst mit der koquet- ten Amalia wie mit dem stillen ernst- haften Antonio? Nicht wahr, es ist nichts wie klare reine Freundschaft? — O nein, das sollst du nicht glau- ben, und mußt es auch nicht glau- ben; so ist es gar nicht. Wie kannst du mir eine solche Albernheit zu- traun? denn etwas recht albernes ist es, wenn so zwey Personen von verschiedenem Geschlecht sich ein Ver- hältniß ausbilden und einbilden, wie reine Freundschaft. Mit Amalien ist es gar nichts, als daß ich sie zum Scherz liebe. Ich möchte sie gar nicht, wenn sie nicht ein wenig koquett wäre. Gäbe es nur mehr solche in unserm Cirkel! eigentlich muß man alle Frauen im Scherze lieben. — Julius! ich glaube, du wirst ganz närrisch. — Nun versteh mich wohl; nicht eigentlich alle, sondern nur alle, die liebenswürdig sind und die einem eben vorkommen. — Das ist also weiter nichts als was die Franzosen Galanterie und Coquett nennen. — Weiter nichts, außer daß ichs mir schön und witzig denke. Und dann müssen die Menschen wis- sen, was sie thun und was sie wollen, und das ist selten der Fall. Der feine Scherz verwandelt sich in ihren Händen gleich wieder in gro- ben Ernst. — Dieses im Scherz lie- ben ist nur gar nicht scherzhaft zu- zusehen. — Daran ist der Scherz unschuldig; das ist nichts wie die fatale Eifersucht. Verzeih mir, Liebe! ich will nicht auffahren, aber ich begreife durchaus nicht wie man ei- fersüchtig seyn kann: denn Beleidi- gungen finden ja nicht Statt unter Liebenden, so wenig wie Wohltha- ten. Also muß es Unsicherheit seyn, Mangel an Liebe und Untreue ge- gen sich selbst. Für mich ist das Glück gewiß und die Liebe Eins mit der Treue. Freylich wie die Men- schen so lieben, ist es etwas anders. Da liebt der Mann in der Frau nur die Gattung, die Frau im Mann nur den Grad seiner natür- lichen Qualitäten und seiner bürger- lichen Existenz, und beyde in den Kindern nur ihr Machwerk und ihr Eigenthum. Da ist die Treue ein Verdienst und eine Tugend; und da ist auch die Eifersucht an ihrer Stelle. Denn darin fühlen sie un- gemein richtig, daß sie stillschwei- gend glauben, es gäbe ihres Glei- chen viele, und einer sey als Mensch ungefähr so viel werth wie der andre, und alle zusammen nicht eben sonderlich viel. — Du hältst also die Eifersucht für nichts anders als leere Rohheit und Unbildung. — Ja oder für Mißbildung und Verkehrtheit, was eben so arg, oder noch ärger ist. Nach jenem System ist es noch das beste, wenn man mit Absicht aus bloßer Gefälligkeit und Höflich- keit heirathet; und gewiß muß es für solche Subjekte eben so bequem als unterhaltend seyn, im Verhält- niß der Wechselverachtung neben einander weg zu leben. Besonders die Frauen können eine ordentliche Passion für die Ehe bekommen; und wenn eine solche erst Geschmack da- ran findet, so geschieht es leicht, daß sie ein halbes Dutzend nach einan- der heirathet, geistig oder leiblich; wo es denn nie an Gelegenheit ge- bricht, mit Abwechselung delikat zu seyn und viel von der Freundschaft zu reden. — Du hast schon vorhin so so gesprochen als hieltest du uns zur Freundschaft unfähig. Ist das wirk- lich deine Meinung? — Ja! aber die Unfähigkeit, glaube ich, liegt mehr in der Freundschaft als in euch. Ihr liebt alles was ihr liebt ganz, wie den Geliebten und das Kind. Diesen Charakter würde selbst ein schwesterliches Verhältniß bey euch annehmen. — Darin hast du Recht. — Die Freundschaft ist für euch zu vielseitig und zu einseitig. Sie muß ganz geistig seyn und durchaus be- stimmte Gränzen haben. Diese Ab- sonderung würde euer Wesen nur auf eine feinere Art eben so vollkom- men zerstören wie bloße Sinnlichkeit ohne Liebe. Für die Gesellschaft aber ist sie zu ernst, zu tief und zu Lucinde I. H heilig. — Können denn Menschen nicht mit einander reden, ohne da- nach zu fragen, ob sie Männer oder Frauen sind? — Das dürfte sehr ernsthaft ausfallen. Aufs höchste möchte es einen interessanten Klubb geben. Du verstehst was ich meine. Es wäre schon viel, wenn man da frey und witzig reden dürfte, und weder zu wild noch zu steif wäre. Das Feinste und das Beste würde immer fehlen, was überall, wo sich ein bischen gute Gesellschaft zeigt, Geist und Seele davon ist. Und das ist der Scherz mit der Liebe und die Liebe zum Scherz, der ohne den Sinn für jenen zum Spaß her- absinkt. Aus diesem Grunde nehme ich auch die Zweydeutigkeiten in Schutz. — Thust du das im Scherz oder zum Spaß? — Nein, nein! ich thue es im vollen Ernst. — Aber doch nicht so ernsthaft und so feyer- lich wie Paulline und ihr Liebha- ber? — Gott behüte! ich glaube, die ließen die Betglocken anziehen, wenn sie sich umarmen, falls es nur schick- lich wäre. O! es ist wahr, meine Freundin, der Mensch ist von Na- tur eine ernsthafte Bestie. Man muß diesem schändlichen und leidigen Han- ge aus allen Kräften und von allen Seiten entgegenarbeiten. Dazu sind die Zweydeutigkeiten auch gut, nur sind sie so selten zweydeutig, und wenn sie es nicht sind und nur ei- nen Sinn zulassen, das ist eben nicht unsittlich, aber zudringlich und H 2 platt. Leichtfertige Gespräche müssen geistig und zierlich und bescheiden seyn, so viel als möglich; übrigens aber ruchlos genug. — Das ist gut, aber was sollen sie grade in der Gesellschaft? — Sie sollen das Ge- spräch frisch erhalten, wie das Salz an den Speisen. Es frägt sich gar nicht, warum man sie sagen soll, sondern nur wie man sie sagen soll. Denn lassen kann und darf mans doch nicht. Es wäre ja grob mit einem reizenden Mädchen so zu re- den, als ob sie ein geschlechtsloses Amphibion wäre. Es ist Pflicht und Schuldigkeit immer auf das anzu- spielen, was sie ist und seyn wird; und so unzart, steif und schuldig, wie die Gesellschaft einmal besteht, ist es wirklich eine komische Situa- zion, ein unschuldiges Mädchen zu seyn. — Das erinnert mich an den berühmten Buffo der selbst oft sehr traurig war, während er alle zu lachen machte. — Die Gesellschaft ist ein Chaos, das nur durch Witz zu bilden und in Harmonie zu bringen ist; und wenn man nicht scherzt und tändelt mit den Elementen der Lei- denschaft, so ballt sie sich in dicke Massen und verfinstert alles. — So mögen hier wohl Leidenschaften in der Luft seyn: denn es ist beynah finster. — Gewiß haben Sie Ihre Augen zugeschlossen, Dame meines Herzens! Sonst würde eine allge- meine Klarheit unfehlbar das Zim- mer durchstrahlen. — Wer ist wohl leidenschaftlicher, Julius! ich oder du? — Wir sind's beide genug. Ohne das möchte ich nicht leben. Und sieh! darum könnte ich mich mit der Eifersucht aussöhnen. Es ist alles in der Liebe: Freundschaft, schöner Umgang, Sinnlichkeit und auch Leidenschaft; und es muß alles darin seyn, und eins das andre ver- stärken und lindern, beleben und er- höhen. — Laß dich umarmen, du Treuer! — Aber nur unter einer Bedingung kann ich dir die Eifer- sucht erlauben . Ich habe oft ge- fühlt, daß eine kleine Dosis von ge- bildetem, verfeinertem Zorn einen Mann nicht übel kleidet. Vielleicht ist's dir so mit der Eifersucht. — Getroffen! und also brauche ich sie nicht ganz abzuschwören. — Wenn sie sich nur immer so schön und so witzig äußerte wie heute bey dir! — Findest du das? Nun wenn du das nächstemal schön und witzig auf- fährst, werde ich dir's auch sagen und dich loben. — Sind wir nun nicht würdig, die beleidigten Götter zu versöhnen? — Ja, wenn dein Diskurs ganz zu Ende ist, sonst sage noch das übrige. — Lehrjahre der Männlichkeit. Pharao zu spielen mit dem An- scheine der heftigsten Leidenschaft und doch zerstreut und abwesend zu seyn; in einem Augenblicke von Hitze alles zu wagen und sobald es ver- loren war, sich gleichgültig wegzu- wenden: das war nur eine von den schlimmen Gewohnheiten, unter de- nen Julius seine wilde Jugend ver- stürmte. Diese eine ist genug, den Geist eines Lebens zu schildern, wel- ches in der Fülle der empörten Kräfte selbst den unvermeidlichen Keim ei- nes frühen Verderbens enthielt. Eine Liebe ohne Gegenstand brannte in ihm und zerrüttete sein Innres. Bey dem geringsten Anlaß brachen die Flammen der Leidenschaft aus; aber bald schien diese aus Stolz oder aus Eigensinn ihren Gegenstand selbst zu verschmähen, und wandte sich mit verdoppeltem Grimme zurück in sich und auf ihn, um da am Mark des Herzens zu zehren. Sein Geist war in einer beständigen Gährung; er erwartete in jedem Augenblick, es müsse ihm etwas außerordentliches begegnen. Nichts würde ihn be- fremdet haben, am wenigsten sein eigner Untergang. Ohne Geschäft und ohne Zweck trieb er sich umher unter den Dingen und unter den Menschen wie einer, der mit Angst etwas sucht, woran sein ganzes Glück hängt. Alles konnte ihn rei- zen, nichts mochte ihm genügen. Daher kam es, daß ihm eine Aus- schweifung nur so lange interessant war, bis er sie versucht hatte und näher kannte. Keine Art derselben konnte ihm ausschließend zur Ge- wohnheit werden: denn er hatte eben so viel Verachtung als Leichtsinn. Er konnte mit Besonnenheit schwelgen und sich in den Genuß gleichsam ver- tiefen. Aber weder hier noch in den mancherley Liebhabereyen und Stu- dien, auf die sich oft sein jugendli- cher Enthusiasmus mit einer ge- fräßigen Wißbegier warf, fand er das hohe Glück, das sein Herz mit Ungestüm forderte. Spuren davon zeigten sich überall, täuschten und erbitterten seine Heftigkeit. Am mei- sten Reiz hatte der Umgang aller Art für ihn und so oft er auch so- gar sie überdrüßig ward, waren es doch die gesellschaftlichen Zerstreuun- gen, zu denen er endlich immer wie- der zurückkehrte. Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht, ungeachtet er schon früh gewohnt war, mit ihnen zu seyn. Sie erschienen ihm wun- derbar fremd, oft ganz unbegreiflich und kaum wie Wesen seiner Gat- tung. Junge Männer aber, die ihm einigermaßen glichen, umfaßte er mit heißer Liebe und mit einer wahren Wuth von Freundschaft. Doch war das allein für ihn noch nicht das rechte. Es war ihm, als wolle er eine Welt umarmen und könne nichts greifen. Und so verwilderte er denn immer mehr und mehr aus unbefriedigter Sehnsucht, ward sinn- lich aus Verzweiflung am Geistigen, beging unkluge Handlungen aus Trotz gegen das Schicksal und war wirklich mit einer Art von Treuher- zigkeit unsittlich. Er sah wohl den Abgrund vor sich, aber er hielt es nicht der Mühe werth, seinen Lauf zu mäßigen. Er wollte lieber gleich einem wilden Jäger den jähen Ab- hang rasch und muthig durchs Le- ben hinunterstürmen, als sich mit Vorsicht langsam quälen. Bey diesem Charakter mußte er oft in der geselligsten und fröhlich- sten Gesellschaft einsam seyn, und er fand sich eigentlich am wenigsten allein, wenn niemand bey ihm war. Dann berauschte er sich in Bildern der Hoffnung und Erinnerung und ließ sich absichtlich von seiner eignen Fantasie verführen. Jeder seiner Wünsche stieg mit unermeßlicher Schnelligkeit und fast ohne Zwischen- raum von der ersten leisen Regung zur gränzenlosen Leidenschaft. Alle seine Gedanken nahmen sichtbare Gestalt und Bewegung an und wirk- ten in ihm und wider einander mit der sinnlichsten Klarheit und Gewalt. Sein Geist strebte nicht die Zügel der Selbstherrschaft fest zu halten, sondern warf sie freywillig weg, um sich mit Lust und mit Übermuth in dies Chaos von innerm Leben zu stürzen. Er hatte weniges erlebt und war doch voll von Erinnerun- gen, auch aus früher Jugend: denn ein sonderbarer Augenblick von lei- denschaftlicher Stimmung, ein Ge- spräch, ein Geschwätz aus der Tiefe des Herzens blieb ihm ewig theuer und deutlich, und noch nach Jahren wußte er's genau, als wäre es ge- genwärtig. Aber alles was er liebte und mit Liebe dachte, war abge- rissen und einzeln. Sein ganzes Da- seyn war in seiner Fantasie eine Masse von Bruchstücken ohne Zu- sammenhang; jedes für sich Eins und Alles, und das andre was in der Wirklichkeit daneben stand und damit verbunden war, für ihn gleich- gültig und so gut wie gar nicht vorhanden. Noch war er nicht ganz verdor- ben als im Schooß der einsamen Wünsche ein heiliges Bild der Un- schuld in seine Seele blitzte. Ein Strahl von Verlangen und Erinne- rung traf und entzündete sie und dieser gefährliche Traum war ent- scheidend für sein ganzes Leben. Er gedachte an ein edles Mäd- chen, mit dem er in ruhigen glück- lichen Zeiten der frischen Jugend aus reiner kindlicher Zuneigung freund- lich und fröhlich getändelt hatte. Da er der erste war, welcher sie durch sein Interesse an ihr reizte, so wandte auch das liebliche Kind ihre junge Seele nach ihm hin, wie sich die Blume zum Licht der Sonne neigt. Daß sie kaum reif und noch an der Gränze der Kindheit war, reizte sein Verlangen nur um so unwidersteh- licher. Sie zu besitzen, schien ihm das höchste Gut; er war entschlos- sen alles zu wagen und glaubte nicht ohne das leben zu können. Dabey verabscheute er die entfern- teste Erinnerung an bürgerliche Ver- hältnisse, wie jede Art von Zwang. Er eilte zurück in ihre Nähe und fand sie ausgebildeter, aber noch eben so edel und eigen, so sinnig und stolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebens- würdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie schien nur fröh- lich und leichtfertig durchs Leben zu schwärmen wie über eine blumen- reiche Ebne, und verrieth doch seinem aufmerksamen Auge die entschiedenste Anlage zu einer gränzenlosen Leiden- schaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unschuld und ihr verschwiegenes und verschlossenes Wesen boten ihm leicht Mittel dar, sie allein zu sehen, und die Gefahr, die damit verbunden war, erhöhte den Reiz des Unter- nehmens. Aber mit Verdruß mußte er sich's gestehen, daß er seinem Ziele Ziele nicht näher kam und schalt sich zu ungeschickt, ein Kind zu verfüh- ren. Willig überließ sie sich einigen Liebkosungen und erwiederte sie mit schüchterner Lüsternheit. Sobald er aber diese Gränzen zu überschreiten versuchte, widersetzte sie sich, ohne beleidigt zu scheinen, mit unerbitt- lichem Eigensinn; vielleicht mehr aus Glauben an ein fremdes Gebot als aus eignem Gefühl von dem, was allenfalls erlaubt sey und von dem, was durchaus nicht. Indessen wurde er nicht müde zu hoffen und zu beobachten. Einst überraschte er sie, als sie es am we- nigsten erwartete. Sie war schon lange allein gewesen und mochte sich ihrer Fantasie und einer unbestimm- Lucinde I. I ten Sehnsucht mehr als gewöhnlich überlassen haben. Da er dies ge- wahr ward, wollte er den Augen- blick, der vielleicht nie wieder käme, nicht verscherzen und gerieth durch die plötzliche Hoffnung selbst in einen Taumel von Begeisterung. Ein Strom von Bitten, von Schmeiche- leien und von Sophismen floß von seinen Lippen. Er bedeckte sie mit Liebkosungen und er gerieth außer sich vor Entzücken, da das liebens- würdige Köpfchen endlich an seine Brust sank, wie sich die zu volle Blume an ihrem Stengel senket. Ohne Zurückhaltung schmiegte sich die schlanke Gestalt um ihn, die seidnen Locken der goldnen Haare flossen über seine Hand, mit zärt- licher Sehnsucht öffnete sich die Knospe des schönen Mundes, und aus den frommen dunkelblauen Augen strahlte und schmachtete ein ungewohntes Feuer. Sie setzte den kühnsten Liebkosungen nur noch schwachen Widerstand entgegen. Bald hörte auch dieser auf, sie ließ plötz- lich ihre Arme sinken, und alles war ihm hingegeben, der zarte jungfräu- liche Leib und die Früchte des jun- gen Busens. Aber in demselben Au- genblick brach ein Strom von Thrä- nen aus ihren Augen, und die bit- terste Verzweiflung entstellte ihr Ge- sicht. Julius erschrack heftig; nicht sowohl über die Thränen, aber er kam nun mit einem male zur vollen Besinnung. Er dachte an alles was J 2 vorhergegangen war, und was nun folgen würde; an das Opfer vor ihm und an das arme Schicksal der Menschen. Da überlief ihn ein kal- ter Schauder, ein leiser Seufzer stahl sich aus tiefer Brust über seine Lip- pen. Er verschmähte sich selbst von der Höhe seines eignen Gefühls, und vergaß die Gegenwart und seine Ab- sicht in Gedanken von allgemeiner Sympathie. Der Augenblick war versäumt. Er suchte nur das gute Kind zu trö- sten und zu besänftigen, und eilte mit Abscheu von dem Orte hinweg, wo er den Blüthenkranz der Un- schuld muthwillig hatte zerreißen wollen. Er wußte wohl, daß man- cher seiner Freunde, der noch weniger an weibliche Tugend glaubte wie er, sein Benehmen ungeschickt und lä- cherlich finden würde. Er war bey- nah selbst dieser Meinung, da er wieder mit Kälte zu überlegen an- fing. Indessen hielt er seine Dumm- heit doch für ausgezeichnet und in- teressant. Er glaubte, es sey noth- wendig, daß edle Naturen in ge- meinen Verhältnissen und in den Augen der Menge einfältig oder ra- send erscheinen müßten. Da bey dem nächsten Wiedersehn, wie er schlau bemerkte oder sich einbildete, das Mädchen eher unzufrieden schien, daß es nicht ganz verführt sey, be- stätigte er sich in seinem Mißtrauen und gerieth in eine große Erbitte- rung. Es wandelte ihn beynah eine Art von Verachtung an, zu der er doch so wenig berechtigt war. Er floh, zog sich wieder in die alte Einsamkeit zurück und verzehrte sich in seiner eignen Sehnsucht. So lebte er von neuem eine Zeit auf die alte Weise in einem Wechsel von Schwermuth und Ausgelassen- heit. Der einzige Freund, der Kraft und Ernst genug hatte, ihn trösten und beschäftigen zn können und auf dem Wege zum Verderben einzuhal- ten, war weit entfernt, und seine Sehnsucht also auch von dieser Seite unbefriedigt. Heftig streckte er einst die Arme nach ihm aus, als müsse er nun endlich da seyn, und trost- los ließ er sie wieder sinken, nach- dem er lange vergeblich gewartet. Er vergoß keine Thräne, aber sein Geist fiel in eine Agonie von hoff- nungsloser Wehmuth, aus der er sich nur zu neuen Thorheiten er- mannte. Er freute sich laut, da er im Glanz der prachtvollen Morgensonne auf die Stadt zurücksah, die er schon als Kind geliebt und wo er nur noch eben so ganz lebte, und die er nun auf immer zu verlassen hoffte. Er athmete schon das frische Leben der neuen Heimath, die ihn in der Fremde erwarten sollte, und deren Bilder er schon mit Heftig- keit liebte. Er fand bald einen andern rei- zenden Wohnort, wo ihn zwar nichts fesselte, aber doch vieles an- zog. Alle seine Kräfte und Neigun- gen wurden rege durch die neuen Gegenstände; ohne Zweck und Maaß in seinem Innern, nahm er Theil an allem Äußern, was nur irgend merkwürdig war, und ließ sich überall ein. Da er auch in diesem Geräusch bald Leerheit und Überdruß empfand, so kehrte er oft zurück zu seinen einsamen Träumen und wiederholte das alte Gewebe seiner unbefriedig- ten Wünsche. Eine Thräne entfiel ihm über sich selbst, da er einst im Spiegel sah, wie trübe und stechend das Feuer der unterdrückten Liebe aus seinem dunkeln Auge brannte und wie sich unter der wilden schwar- zen Locke leise Furchen in die kämpfende Stirn gruben, und wie die Wange so bleich war. Er seufzte über seine ungenutzte Jugend; sein Geist empörte sich und wählte unter den schönen Frauen seiner Bekannt- schaft die, welche am freysten lebte und am meisten in der guten Ge- sellschaft glänzte. Er nahm sich vor, nach ihrer Liebe zu streben und er erlaubte seinem Herzen, sich ganz zu überfüllen mit diesem Gegenstande. Was so wild und willkührlich begon- nen wurde, konnte nicht gesund en- digen, und die Dame, welche eben so eitel als schön war, mußte es sonderbar und mehr als sonderbar finden, wie Julius sie mit der ernst- haftesten Aufmerksamkeit förmlich zu umgeben und zu belagern anfing und dabey bald so dreist und zu- versichtlich war wie ein alter Be- sitzer, bald so schüchtern und fremd wie ein völlig Unbekannter. Da er sich so seltsam zeigte, hätte er bey weitem reicher seyn müssen, als er war, um solche Ansprüche haben zu dürfen. Sie hatte ein leichtes, mun- teres Wesen und ihm schien sie ar- tig zu reden. Aber was er an der Geliebten für göttlichen Leichtsinn nahm, war nichts als ein gedan- kenloses Schwärmen ohne eigentliche Freude und Fröhlichkeit, und auch ohne Geist, ausgenommen so viel Verstand und Schlauigkeit, als es braucht, um alles absichtlich und zwecklos zu verwirren, die Männer zu locken und zu lenken und sich selbst in Schmeicheleyen zu berau- schen. Zu seinem Unglücke erhielt er einige Zeichen von Gunst; von der Art, welche die Geberin nicht binden, weil sie sich nie dazu be- kennen darf und welche den gefan- genen Neuling durch den Zauber der Heimlichkeit noch unauflöslicher fesseln. Ihn konnte schon ein ver- stohlner Blick und Händedruck ganz bezaubern, oder ein Wort, was vor allen gesagt in seiner eigentlichen Beziehung und Anspielung nur ihm verständlich war, wenn dir einfache und wohlfeile Gabe nur durch den Schein einer eignen sonderbaren Be- deutsamkeit gewürzt wurde. Sie gab ihm, wie er glaubte, ein noch deut- licheres Zeichen und es beleidigte ihn tief, daß sie ihn so wenig verstehe, daß sie ihm so sehr zuvorkomme. Er war nicht wenig stolz darauf, daß ihn das beleidigte und doch reizte es ihn unwiderstehlich, wenn er dachte, er dürfe nur schnell seyn und die günstige Gelegenheit ergrei- fen, um ohne Hinderniß ans Ziel zu gelangen. Er machte sich schon bittre Vorwürfe über seine Langsam- keit, als er plötzlich Verdacht schöpfte, ihr Zuvorkommen sey nur Täuschung, sie meine es auch mit ihm nicht ehr- lich; und da ein Freund ihn vollends aufklärte, konnte ihm kein Zweifel bleiben. Er sah, daß man ihn lä- cherlich finde und mußte sich gestehn, daß es ganz in der Ordnung sey. Darüber gerieth er etwas in Wuth und hätte leicht Unheil begonnen, wenn er diese leeren Menschen, ihre kleinen Verhältnisse und Mißver- hältnisse und das ganze Spiel ge- heimer Absichten und Rücksichten nicht genau beobachtet und also gründlich verachtet hätte. Auch wurde er wieder ungewiß und da sein Arg- wohn nun keine Gränzen mehr kannte, so war er gegen sein eignes Mißtrauen mißtrauisch. Bald sah er den Grund des Übels nur in sei- nem Eigensinne und übertriebnem Zartgefühl und faßte dann neue Hoffnung und neues Zutrauen; bald sah er in allem Unglück, was ihn in der That absichtlich zu verfolgen schien, nur das künstliche Werk ihrer Rache. Alles schwankte, nur das ward ihm immer klarer und fester, daß vollendete Narrheit und Dumm- heit im Großen das eigentliche Vor- recht der Männer sey, muthwillige Bosheit hingegen mit naiver Kälte und lachender Gefühllosigkeit eine angebohrne Kunst der Frauen. Das war alles, was er lernte durch sein angestrengtes Bestreben nach Men- schenkenntniß. Im Einzelnen ver- fehlte er immer auf eine scharfsinnige Art das rechte, weil er überall künst- liche Absichten voraussetzte und tie- fen Zusammenhang, und gar keinen Sinn hatte für das Unbedeutende. Dabey wuchs seine Leidenschaft zum Spiel, dessen zufällige Verwickelun- gen, Sonderbarkeiten und Glücks- fälle ihn auf eben die Art interes- sirten, wie wenn er in höhern Ver- hältnissen mit seinen Leidenschaften und ihren Gegenständen aus reiner Willkühr ein hohes Spiel wagte oder zu wagen glaubte. So verwirrte er sich immer tie- fer in die Intriguen einer schlechten Gesellschaft und was ihm noch übrig blieb von Zeit und Kraft in dem Wirbel der Zerstreuungen, wandte er auf ein Mädchen, die er so sehr als möglich allein zu besitzen strebte, obgleich er sie unter denen gefunden hatte, die beynah öffentlich sind. Was sie ihm so interessant machte, war nicht allein das weshalb sie all- gemein gesucht und gleichsam be- rühmt war, ihre seltne Gewandtheit und unerschöpfliche Mannichfaltigkeit in allen verführerischen Künsten der Sinnlichkeit. Ihr naiver Witz über- raschte ihn mehr und reizte ihn am meisten, wie die hellen Funken von rohem tüchtigem Verstand, vorzüg- lich aber ihre entschiedne Manier und ihr konsequentes Betragen. Mit- ten im Stande der äußersten Ver- derbtheit zeigte sie eine Art von Cha- rakter; sie war voll von Eigenhei- ten und ihr Egoismus nicht im ge- meinen Styl. Nächst der Unabhän- gigkeit liebte sie nichts so unmäßig wie das Geld, aber sie wußte es zu brauchen. Dabey war sie billig gegen jeden, der nicht sehr reich war und selbst gegen die andern treuher- zig in ihrer Habsucht und ohne Ränke. Sie schien ganz sorgenlos nur nur in der Gegenwart zu leben und war doch immer auf die Zukunft bedacht. Sie sparte im Kleinen um nach ihrer Art im Großen zu ver- schwenden und im Überflüssigen das Beste zu haben. Ihr Boudoir war einfach und ohne alle gewöhnlichen Meublen, nur von allen Seiten große, kostbare Spiegel und wo noch Raum übrig blieb, einige gute Co- pien von den wollüstigsten Gemäl- den des Correggio und Tizian, des- gleichen einige schöne Originale von frischen, vollen Blumen- und Frucht- stücken; statt der Lambris die leben- digsten und fröhlichsten Darstellun- gen in Basrelief aus Gips nach der Antike; statt der Stühle ächte orien- talische Teppiche und einige Gruppen Lucinde I. K aus Marmor in halber Lebensgröße: ein gieriger Faun, der eine Nymphe, die im Fliehen schon gefallen ist, eben völlig überwinden wird; eine Venus, die mit aufgehobenem Ge- wande lächelnd über den wollüstigen Rücken auf die Hüften schaut und andre ähnliche Darstellungen. Hier saß sie oft auf türkische Sitte Tage lang allein und die Hände müssig im Schooß, denn sie verabscheute alle weiblichen Arbeiten. Sie er- frischte sich nur von Zeit zu Zeit mit Wohlgerüchen und ließ sich da- bey von ihrem Jockey, einem bild- schönen Knaben, den sie sich in sei- nem vierzehnten Jahre eigends ver- führt hatte, Geschichten, Reisebe- schreibungen und Mährchen vorlesen. Sie gab wenig darauf Acht, außer wenn etwas Lächerliches vorkam, oder eine allgemeine Bemerkung, die sie auch wahr fand. Denn sie achtete nichts und hatte Sinn für nichts als für Realität und fand alle Poesie lächerlich. Sie war einmal Schau- spielerin gewesen, aber nur kurze Zeit und sie machte sich gern lustig über ihr Ungeschick dazu und über die Langeweile, die sie dabey aus- gestanden. Es war eine von ihren vielen Eigenheiten, daß sie bey sol- chen Gelegenheiten in der dritten Per- son von sich sprach. Auch wenn sie erzählte, nannte sie sich nur Lisette, und sagte oft, wenn sie schreiben könnte, wollte sie ihre eigne Ge- schichte schreiben, aber so als ob es K 2 ein andrer wäre. Für Musik hatte sie gar kein Gefühl, für die bilden- den Künste aber so viel daß Julius oft mit ihr über seine Arbeiten und Ideen sprach, und die Skizzen für die besten hielt, die er unter ihren Augen und bey ihrem Gespräch ent- worfen hat. Doch schätzte sie an Statuen und an Zeichnungen nur die lebendige Kraft, und an Gemäl- den nur den Zauber der Farben, die Wahrheit des Fleisches und allenfalls die Täuschung des Lichtes. Sprach ihr jemand von Regeln, vom Ideal und von der sogenannten Zeichnung, so lachte sie oder hörte nicht zu. Selbst etwas zu versuchen, so viele bereitwillige Lehrer sich auch anboten, war sie viel zu träge und verwöhnt und befand sich zu wohl bey ihrer Lebensart. Auch traute sie allen Schmeicheleien nicht und blieb fest überzeugt, sie würde es mit aller Noth und Arbeit in der Kunst zu nichts Ordentlichem bringen. Lobte man ihren Geschmack und ihr Zim- mer, in welches sie nur selten aus- erwählte Lieblinge führte, so rühmte sie dagegen auf eine komische Weise zuerst das gute alte Schicksal, die schlaue Lisette und dann die Eng- länder und Holländer als die besten Nazionen unter allen, die sie kenne; weil die volle Casse einiger Neulinge von dieser Sorte zuerst einen guten Grund zu ihrer reichlichen Einrich- tung gelegt hatte. Überhaupt freute sie sich sehr damit, wenn sie jeman- den, der dumm war, übervortheilt hatte: aber sie that es auf eine drol- lige, fast kindische Art, mit Witz und mehr aus Übermuth als aus Rohheit. Ihre ganze Klugheit wandte sie darauf, sich der Zudringlichkeit und Unart der Männer zu erweh- ren, und es gelang ihr so sehr, daß die rohen, wüsten Menschen mit einer innigen Achtung von ihr spra- chen, die dem, welcher sie nicht kannte und nur von ihrem Gewerbe wußte, sehr komisch dünkte. Das war es auch, was den neugierigen Julius zuerst reizte, eine so sonder- bare Bekanntschaft zu suchen und er fand bald noch mehr Ursach zu er- staunen. Bey den gewöhnlichen Männern litt und that sie, was sie schuldig zu seyn glaubte; genau, mit Geschicklichkeit und mit Kunstsinn, aber ganz kalt. Gefiel ihr ein Mann, führte sie ihn gar in ihr heiliges Ca- binet; so schien sie eine ganz neue Person zu werden. Sie gerieth dann in eine schöne bacchantische Wuth; wild, ausschweifend und unersättlich vergaß sie beynah der Kunst und verfiel in eine hinreißende Anbetung der Männlichkeit. Darum liebte sie Julius, und auch weil sie ihm so ganz ergeben schien, ungeachtet sie davon nicht viele Worte machte. Sie merkte bald, ob jemand Verstand habe, und wo sie den zu finden glaubte, ward sie offen und herzlich, und ließ sich dann gern von ihrem Freunde erzählen, was er von der Welt wußte. Mancher hatte sie be- lehrt, keiner aber hatte ihr innerstes Wesen so verstanden, so fein ge- schont und ihren eigentlichen Werth so geachtet wie Julius. Darum hing sie auch mehr an ihm als sich sagen läßt. Sie erinnerte sich vielleicht zum erstenmal mit Rührung an ihre erste Jugend und Unschuld und gefiel sich nicht in der Umgebung, mit der sie sonst ganz zufrieden war. Julius fühlte das und freute sich damit, aber er konnte nie über die Gering- schätzung Herr werden, die ihm ihr Stand und ihr Verderben einflößte, und sein unauslöschliches Mistrauen schien ihm hier gerecht zu seyn. Wie entrüstet war er daher, als sie ihm einst unerwarteter Weise die Ehre der Vaterschaft ankündigte. Und er wußte es doch, daß sie trotz ihres Versprechens noch vor kurzem Be- suche von einem andern angenom- men hatte. Das Versprechen konnte sie ihm nicht abschlagen. Sie selbst hätte es wahrscheinlich gern gehal- ten, aber sie brauchte mehr als er geben konnte; sie wußte nur eine Art, Geld zu erwerben, und aus einer Delikatesse, die sie einzig für ihn hatte, nahm sie nur das we- nigste von dem, was er geben wollte. Alles das bedachte der aufgebrachte Jüngling nicht, er hielt sich für be- trogen, er sagte es ihr mit harten Worten und verließ sie in dem lei- denschaftlichsten Zustande, wie er glaubte, auf immer. Nicht lange nachher suchte ihn der Knabe mit Thränen und Klagen und ließ nicht ab, bis er mit ihm ging. Er fand sie fast entkleidet in dem schon dun- keln Cabinet, er sank in die gelieb- ten Arme, mit denen sie ihn so hef- tig an sich riß wie sonst, aber sie sanken sogleich an ihm nieder. Er hörte einen tiefen stöhnenden Seuf- zer, es war der letzte; und da er sich ansah, war er mit Blut bedeckt. Voll Entsetzen sprang er auf und wollte fliehen. Er verweilte nur, um eine große Locke zu ergreifen, die neben dem gefärbten Messer auf dem Boden lag. Sie hatte dieselbe in einem Anfalle von begeisterter Verzweiflung kurz zuvor, ehe sie sich die vielen Wunden gab, von denen die meisten tödtlich waren, abge- schnitten. Wahrscheinlich mit dem Gedanken, sich dadurch dem Tode und dem Verderben als Opfer zu weihen. Denn nach der Aussage des Knaben sprach sie dabey mit lauter Stimme die Worte: »Lisette »soll zu Grunde gehn, zu Grunde »jetzt gleich: so will es das Schick- »sal, das eiserne.« Der Eindruck, den diese über- raschende Tragödie auf den reizbaren Jüngling machte, war unauslösch- lich, und brannte durch seine eigne Kraft immer tiefer. Die erste Folge von Lisettens Ruin war, daß er ihr Andenken mit schwärmerischer Ach- tung vergötterte. Er verglich ihre hohe Energie mit den nichtswürdigen Intriguen der Dame, die ihn ver- strickt hatte, und sein Gefühl mußte laut entscheiden, daß jene sittlicher und weiblicher sey: denn diese Co- quette gab nie eine kleine oder große Gunst ohne Nebenabsicht; und doch ward sie von aller Welt geachtet und bewundert, wie so viele andre, die ihr gleichen. Darüber wider- setzte sich sein Verstand mit Heftig- keit allen falschen und allen wahren Meinungen, die man über die weib- liche Tugend hat. Es ward Grund- satz bey ihm, die gesellschaftlichen Vorurtheile, welche er bisher nur vernachlässigte, nun ausdrücklich zu verachten. Er gedachte an die zarte Louise, die beynah ein Raub seiner Verführung geworden wäre und er erschrack. Denn auch Lisette war von guter Familie, früh gefallen, entführt und in der Fremde verlas- sen, zu stolz gewesen umzukehren, und durch die erste Erfahrung so belehrt wie andre nicht durch die letzte. Mit schmerzlichem Vergnügen sammelte er manchen interessanten Zug von ihrer frühen Jugend. Sie war damals mehr schwermüthig als leichtsinnig, aber in der Tiefe ganz Flamme und schon als kleines Mäd- chen traf man sie bey Gemälden von nackten Gestalten oder bey an- dern Gelegenheiten in sonderbaren Äußerungen der heftigsten Sinn- lichkeit. Diese Ausnahme von dem, was Julius für gewöhnlich hielt beym weiblichen Geschlecht, war einzig und die Umgebung, in der er sie fand, zu unrein, als daß er da- durch zu einer wahren Ansicht hätte gelangen können. Vielmehr trieb ihn sein Gefühl, sich fast ganz von den Frauen und von den Gesell- schaften, wo sie Ton angeben, zurück zu ziehen. Er fürchtete seine Leidenschaftlichkeit und warf seinen ganzen Sinn auf die Freundschaft mit Jünglingen, die wie er der Be- geisterung fähig waren. Diesen er- gab er sein Herz, nur sie waren für ihn wahrhaft wirklich, die übrige Menge gemeiner Schattenwesen freute er sich z verachten Mit Leiden- schaft und mit Spitzfindigkeit stritt er innerlich und grübelte über seine Freunde, über ihre verschiedenen Vorzüge und Verhältnisse zu ihm. Er erhitzte sich in seinen eigenen Gedanken und Gesprächen und war berauscht von Stolz und von Männ- lichkeit. Auch glühten sie alle von edler Liebe, unentwickelt schlummerte hier manche große Kraft, und sie sagten nicht selten in rohen aber treffenden Worten erhabene Dinge über die Wunder der Kunst, über den Werth des Lebens und über das Wesen der Tugend und Selbst- ständigkeit. Vorzüglich aber über die Göttlichkeit der männlichen Freund- schaft, die Julius zum eigentlichen Geschäft seines Lebens zu machen gesonnen war. Er hatte viele Ver- bindungen, und war unersättlich immer neue zu knüpfen. Jeden Mann, der ihm interessant erschien, suchte er, und ruhte nicht, bis er ihn gewonnen und die Zurückhal- tung des andern durch seine jugend- liche Zudringlichkeit und Zuversicht besiegt hatte. Es läßt sich denken, daß er, der sich eigentlich alles er- laubt hielt und sich selbst über das Lächerliche wegsetzen konnte, eine andre Schicklichkeit im Sinne nnd vor Augen hatte als die, welche all- gemein gilt. In dem Gefühl und Umgang des einen Freundes fand er mehr als weibliche Schonung und Zartheit bey erhabenem Verstande und fest gebildetem Charakter. Ein zweyter brannte mit ihm in edlem Unwillen über über das schlechte Zeitalter und wollte etwas Großes wirken. Der liebens- würdige Geist des dritten war noch ein Chaos von Andeutungen: aber er hatte zarten Sinn für alles und ahndete die Welt. Den einen ver- ehrte er als seinen Meister in der Kunst würdig zu leben. Den an- dern dachte er als seinen Jünger und wollte sich nur vor der Hand zur Theilnahme an seinen Ausschwei- fungen herablassen, um ihn ganz zu kennen und zu gewinnen, und dann seine große Anlage zu retten, die so nah am Abgrunde wandelte wie seine eigne. Es waren große Gegenstände, nach denen sie mit Ernst strebten. Indessen blieb es bey hohen Worten Lucinde I. L und vortrefflichen Wünschen. Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht und er bil- dete nichts. Ja er vernachläßigte seine Kunst fast nie mehr, als da er sich und seine Freunde mit Pro- jekten überströmte von allen Wer- ken, die er vollbringen wollte, und die ihm im Augenblick der ersten Begeisterung schon fertig schienen. Die wenigen Anwandlungen von Nüchternheit, die ihm noch übrig blieben, erstickte er in Musik, die für ihn ein gefährlicher, bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Weh- muth war, in den er sich gern und willig versinken sah. Diese innere Gährung hätte heil- sam seyn können, und aus der Ver- zweiflung wäre endlich Ruhe und Festigkeit hervorgegangen, und er wäre klar geworden über sich selbst. Aber die Wuth der Unbefriedigung zerstückte seine Erinnerung, er hatte nie weniger eine Ansicht vom Gan- zen seines Ich. Er lebte nur in der Gegenwart, an der er mit durstigen Lippen hing, und vertiefte sich ohne Ende in jeden unendlich kleinen und doch unergründlichen Theil der un- geheuren Zeit, als müsse es nun in diesem endlich zu finden seyn, was er schon so lange suche. Diese Wuth der Unbefriedigung mußte ihn bald mit seinen Freunden selbst verstim- men und entzweyen, von denen die meisten bey den herrlichsten Anlagen eben so unthätig und mit sich uneins L 2 waren wie er. Dieser schien ihn nicht zu verstehn, jener bewunderte nur seinen Geist, äußerte aber Miß- trauen gegen sein Herz und that ihm wirklich Unrecht. Da hielt er seine innerste Ehre gekränkt und fühlte sich von geheimen Haß zerris- sen. Er überließ sich diesem Gefühl ohne Scheu, denn er glaubte, nur wen man achten müsse, dürfe man hassen, und nur Freunde könnten einer dem andern das zarteste Ge- fühl so tief verletzen. Der eine Jüngling war durch eigne Schuld zu Grunde gegangen; der andre fing gar an selbst gewöhnlich zu werden. Mit einem dritten war sein Verhältniß verstimmt und fast gemein geworden. Es war ganz geistig gewesen, und so hätte es auch bleiben sollen. Aber eben weil es so zart war, mußte mit der feinsten Blüthe alles verloren gehn, als die Gelegenheit es gab, daß einer dem andern Dienste leistete. Da geriethen sie in Wettstreite von Großmuth und Dankbarkeit und fingen endlich an, in der geheimsten Tiefe der Seele irrdische Forderungen an sich zu ma- chen und zu vergleichen. Bald hatte der Zufall ohne Scho- nung aufgelöst, was nur durch Willkühr leidenschaftlich verbunden war. Immer mehr und mehr ge- rieth Julius in einen Zustand, der von der Verrückung nur dadurch verschieden war, daß es einigermaßen auf ihn ankam, wann und wie weit er sich seiner Gewalt hingeben wollte. Auch war sein äußeres Betragen jeder bürgerlichen und gesellschaftli- chen Ordnung gemäß, und grade jetzt fingen die Menschen an, ihn vernünftig zu nennen, da eine Ver- wirrung aller Schmerzen sein Innres wild zerriß, und die Krankheit des Geistes immer tiefer und geheimer an dem Herzen nagte. Es war mehr eine Raserey des Gefühls als des Verstandes, und das Übel war nur um so gefährlicher, weil er äußerlich froh und lustig schien. So war seine gewöhnliche Stimmung, und man fand ihn sogar angenehm. Nur wenn er mehr Wein genossen hatte als gewöhnlich, ward er über- aus traurig und zu Thränen und Klagen geneigt. Aber selbst dann sprudelte er, wenn andre zugegen waren, von bitterm Witz und allge- meinem Spott, oder er trieb sein Spiel mit sonderbaren und dummen Menschen, deren Umgang er nun über alles liebte, und die er in die beste Laune zu setzen wußte, so daß sie sich von Herzen mittheilten und ganz zeigten, wie sie waren. Das Ge- meine reizte und unterhielt ihn; nicht aus liebenswürdiger Herablassung, sondern weil es nach seiner Ansicht närrisch und toll war. An sich selbst dachte er nicht, nur dann und wann überfiel ihn ein klares Gefühl, er werde plötzlich zu Grunde gehn. Die Reue unter- drückte er durch Stolz, und die Ge- danken und Bilder des Selbstmordes waren ihm schon in seiner frühsten jugendlichen Schwermuth so geläufig gewesen, daß sie den Reiz der Neu- heit für ihn verloren hatten. Einen solchen Entschluß auszuführen, wäre er sehr fähig gewesen, wenn er nur überhaupt zu einem Entschluß hätte kommen können. Es schien ihm kaum der Mühe werth, weil er doch nicht hoffen wollte, der Langeweile des Daseyns und dem Eckel über das Schicksal auf diesem Wege zu entfliehn Er verachtete die Welt und alles, und war stolz darauf. Auch diese Krankheit wie alle vo- rigen heilte und vernichtete der erste Anblick einer Frau die einzig war, und die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf. Seine bisherigen Leidenschaften spielten nur auf der Oberfläche, oder es waren vorübergehende Zustände ohne Zu- sammenhang. Jetzt ergriff ihn ein neues unbekanntes Gefühl, daß die- ser Gegenstand allein der rechte, und dieser Eindruck ewig sey. Der erste Blick schon entschied, beym zweyten wußte er's, und sagte sich's, daß es nun gekommen, und wirklich da sey, was er so lange dunkel erwar- tet hatte. Er erstaunte, und er- schrack, denn wie er dachte, daß es sein höchstes Gut seyn würde, von ihr geliebt zu werden und sie ewig zu besitzen, so fühlte er zugleich daß dieser höchste und einzige Wunsch ewig unerreichbar sey. Sie hatte gewählt und hatte sich gegeben; ihr Freund war auch der seinige, und lebte ihrer Liebe würdig. Julius war der Vertraute, er wußte daher alles genau, was ihn unglücklich machte, und urtheilte mit Strenge über seinen eignen Unwerth. Gegen diesen wandte sich die ganze Kraft seiner Leidenschaft. Er entsagte der Hoffnung und dem Glück, aber er beschloß, es zu verdienen, und Herr über sich selbst zu werden. Nichts verabscheute er so sehr, als den Ge- danken, das Geringste von dem was ihn erfüllte, auch nur durch ein un- deutliches Wort durch einen verstohl- nen Seufzer zu verrathen. Gewiß wäre auch jede Äußerung widersinnig gewesen, und da er so heftig, sie so sein, und das Verhältniß so zart war, hätte ein einziger Wink, von denen, die unwillkührlich scheinen, und doch bemerkt seyn wollen, im- mer weiter führen, und alles ver- wirren müssen. Darum drängte er alle Liebe in sein Innerstes zurück, und ließ da die Leidenschaft wüthen, brennen und zehren; aber sein Äus- seres war durchaus verwandelt, und so gut gelang ihm der Schein der kindlichsten Unbefangenheit und Un- erfahrenheit und einer gewißen brü- derlichen Härte, die er annahm, da- mit er nicht aus dem Schmeichel- haften ins Zärtliche fallen möchte, daß sie nie den leisesten Argwohn schöpfte. Sie war heiter und leicht in ihrem Glück, sie ahndete nichts, scheute also nichts, sondern ließ ih- rem Witz und ihrer Laune freyes Spiel, wenn sie ihn unliebenswür- dig fand. Überhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlich- keit, die der weiblichen Natur eigen seyn kann, jede Gottähnlichkeit, und jede Unart, aber alles war fein, ge- bildet, und weiblich. Frey und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sey sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Har- monie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Feinheit einer gebildeten Schau- spielerin nachahmen, und ein erha- benes Gedicht vorlesen mit der hin- reißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Ge- sellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung, und bald half sie mit Rath und That, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art sie zu erzählen so reizend wie ein schö- nes Mährchen. Alles umgab sie mit Gefühl und mit Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam ver- edelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sie vernahm jede Andeutung, und sie erwiederte auch die Frage, welche nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen. Die- selben glaubte man zu sehen, wie sie sich bey dieser oder bey jener Stelle veränderten, wenn man ihre Briefe las, so durchsichtig und see- lenvoll schrieb sie, was sie als Ge- spräch gedacht hatte. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte den- ken können, sie sey nur liebenswür- dig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen, und ihren geflü- gelten Worten fehle nur Maaß und Reim, um zarte Poesie zu werden. Und doch zeigte eben diese Frau bey jeder großen Gelegenheit Muth und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Werth der Menschen beurtheilte. Diese Größe der Seele war die Seite, von der Julius im Anfange seiner Leidenschaft ihr Wesen am meisten ergriff, weil diese zu dem Ernst derselben am besten stimmte. Sein ganzes Wesen war gleichsam von der Oberfläche zurückgetreten nach dem Innern; er versank in eine allgemeine Verschlossenheit und floh den Umgang der Menschen. Rauhe Felsen waren seine liebste Gesellschaft, am Gestade des einsa- men Meeres hing er seinen Gedan- ken nach, und ging zu Rathe mit sich selbst, und wenn das Sausen des Windes in den hohen Tannen rauschte, so wähnte er, die mächti- gen Wogen tief unter ihm wollten sich aus Theilnahme und Mitleiden ihm nähern, und schwermüthig blickte rr den fernen Schiffen nach und der sinkenden Sonne. Dieser Ort war sein Liebling, er ward ihm durch die Erinnerung zu einer hei- ligen Heimath aller Schmerzen und Entschlüsse. Die Vergötterung seiner erhabe- nen Freundin wurde für seinen Geist ein fester Mittelpunkt und Boden einer einer neuen Welt. Hier schwanden alle Zweifel, in diesem wirklichen Gute fühlte er den Werth des Le- bens und ahndete die Allmacht des Willens. Er stand in Wahrheit auf frischem Grün einer kräftigen müt- terlichen Erde, und ein neuer Him- mel wölbte sich unermeßlich über ihm im blauen Äther. Er erkannte in sich den hohen Beruf zur gött- lichen Kunst, er schalt seine Träg- heit, daß er noch so weit zurück sey in der Bildung und zu weichlich ge- wesen war zu jeder gewaltigen An- strengung. Er ließ sich nicht in müssige Verzweiflung sinken, sondern er folgte der weckenden Stimme je- ner heiligen Pflicht. Alle Mittel, die ihm die Verschwendung noch gelassen Lucinde I. M hatte, spannte er nun an. Er zer- riß alle Bande von Ehedem, und machte sich mit einem Streich ganz unabhängig. Seine Kraft und seine Jugend weihte er der erhabenen künstlerischen Arbeit und Begeisterung. Er vergaß sein Zeitalter und bildete sich nach den Helden der Vorwelt, deren Ruinen er mit Anbetung liebte. Auch für ihn selbst gab es keine Ge- genwart, denn er lebte nur in der Zukunft und in der Hoffnung, der- einst ein ewiges Werk zu vollenden zum Denkmal seiner Tugend und seiner Würde. So litt und lebte er viele Jahre, und wer ihn sah, hielt ihn für älter als er war. Was er bildete, war groß gedacht und in altem Styl, aber der Ernst war abschreckend, die Formen fielen ins Ungeheure, das Antike ward ihm zu einer harten Manier, und seine Gemälde blieben bey aller Gründlichkeit und Einsicht steif und steinern. Es war vieles zu loben, nur die Anmuth fehlte; und darin glich er seinen Werken. Sein Charakter war rein gebrannt im Leiden göttlicher Liebe und glänzte in heller Kraft, aber er war spröde und starr wie ächter Stahl. Er war aus Kälte ruhig, und nur dann ge- rieth er in Aufruhr, wenn ihn eine hohe Wildniß der einsamen Natur mehr als gewöhnlich reizte, wenn er seiner entfernten Freundin treuen Be- richt gab von dem Kampf seiner Bildung und dem Ziel aller Arbeit, M 2 oder wenn ihn die Begeisterung für die Kunst in Gegenwart andrer über- raschte, daß nach langem Schweigen einige geflügelte Worte aus seinem innersten Gemüth brachen. Doch das geschah nur selten, denn er nahm so wenig Antheil an den Menschen als an sich selbst. Über ihr Glück und ihr Beginnen konnte er nur freundlich lächeln und er glaubte es ihnen aufs Wort, wenn er bemerkte, wie sie ihn unliebend und unliebens- würdig fanden. Doch schien ihn eine edle Frau etwas zu bemerken und vorzuziehn. Ihr feiner Geist und ihr zartes Ge- fühl zog ihn lebhaft an, da sie noch durch den Reiz einer liebenswürdigen und dabey sonderbaren Gestalt und durch ein Auge voll stiller Schwer- muth erhöht wurden. Aber so oft er herzlicher werden wollte, ergriff ihn das alte Mißtrauen und die ge- wohnte Kälte. Er sah sie häufig und konnte sich nie äußern, bis auch dieser Strom von Gefühl zurückfloß in das innere Meer allgemeiner Be- geisterung. Selbst die Gebieterin des Herzens trat in ein heiliges Dunkel zurück, und würde ihm fern geblie- ben seyn, wenn er sie wiedergesehn hätte. Das einzige was ihn milder und wärmer stimmte, war der Umgang mit einer andern Frau, die er als Schwester ehrte und liebte, und die er auch ganz so betrachtete. Er stand schon länger in bürgerlichen Ver- hältnissen mit ihr, sie war kränklich und etwas älter wie er; dabey aber von hellem reifen Verstand, von gradem gesundem Sinn, und selbst im Auge der Fremden bis zur Lie- benswürdigkeit rechtlich. Alles was sie unternahm, athmete den Geist freundlicher Ordnung, und wie von selbst entwickelte sich die gegenwär- tige Thätigkeit allmählig aus der vorigen und bezog sich still auf die künftige. In dieser Anschauung be- griff es Julius klar, daß es keine andre Tugend gebe als Consequenz. Aber es war nicht die kalte steife Übereinstimmung berechneter Grund- sätze oder Vorurtheile, sondern die beharrliche Treue eines mütterlichen Herzens, das den Kreis seiner Wirk- samkeit und seiner Liebe mit bescheid- ner Kraft erweitert und in sich selbst vollendet, und die rohen Dinge der umgebenden Welt zu einem freund- lichen Eigenthum und Werkzeug des geselligen Lebens bildet. Dabey war ihr jede Beschränktheit häuslicher Frauen fremd, und mit tiefer Scho- nung und gefühlter Milde sprach sie über die herrschenden Meinungen der Menschen, und über die Ausnah- men und Ausschweifungen derer, die gegen den Strom leben: denn ihr Verstand war so unbestechlich als ihr Gefühl rein und unverfälscht. Sie sprach überhaupt gern, vorzüg- lich über sittliche Gegenstände, wo sie den Streit oft ins Allgemeine spielte und auch wohl an Spitzfindig- keiten Gefallen hatte, wenn sie et- was zu enthalten schienen und sinn- reich klangen. Sie war nicht spar- sam mit Worten und ihr Gespräch ward durch keine ängstliche Ordnung gelenkt. Es war eine reizende Ver- wirrung von einzelnen Einfällen und allgemeiner Theilnahme, von fort- gesetzter Aufmerksamkeit und plötzli- cher Zerstreuung. Die Natur belohnte endlich die mütterliche Tugend der vortrefflichen Frau und es keimte, da sie es kaum hoffte, ein neues Leben unter ihrem treuen Herzen. Das erfüllte den Jüngling, der so sehr an ihr hing und an ihrem häuslichen Glücke den wärmsten Antheil nahm, mit leb- hafter Freude: aber es regte vieles in ihm an, was lange geschwiegen hatte. Da nun einige seiner künstleri- schen Versuche auch in seiner Brust ein neues Zutrauen weckten, und ihn der erste Beyfall großer Meister aufmunterte; da ihn die Kunst an neue sehenswürdige Orte und unter fremde fröhliche Menschen führte: so erweichte sich sein Gefühl und floß mächtig, wie ein großer Strom, wenn das Eis schmilzt und bricht, und die Wogen mit neuer Kraft sich durch die alte Bahn reißen. Er war verwundert sich wieder ausgelassen und fröhlich in der Ge- sellschaft der Menschen zu fühlen. Seine Denkart war männlich und rauh, aber sein Herz in der Ein- samkeit wieder kindlich und schüch- tern geworden. Er sehnte sich nach einer Heimath und dachte an eine schöne Ehe, die mit den Foderungen der Kunst nicht streiten sollte. War er dann unter der Blüthe junger Mädchen, so fand er leicht eine oder mehrere von ihnen liebenswürdig. Heyrathen, meinte er, wolle er sie gleich, wenn er sie schon nicht lie- ben könne. Denn der Begriff und selbst der Namen der Liebe war ihm überheilig und blieb ganz in der Ferne. Bey solchen Gelegenheiten lächelte er dann über die scheinbare Beschränktheit seiner augenblicklichen Wünsche und fühlte wohl, wie un- ermeßlich viel ihm noch fehlen möchte, wenn sie durch einen Zauberschlag sogleich erfüllt würden. Ein ande- resmal lachte er lauter über seine alte Heftigkeit nach so langem Ent- halten, da ihm eine schnelle Gele- genheit einen frischen Genuß anbot, und sein Gemüth durch einen Ro- man, der in wenigen Minuten an- gefangen, vollendet und beschlossen war, wenigstens von einigem Brenn- stoff befreyte und erleichterte. Einem sehr gebildeten Mädchen gefiel er, weil er ihr seelenvolles Gespräch und ihren schönen Geist mit sichtbarer Innigkeit bewunderte, und ihr, ohne eine Schmeicheley aus- zusprechen, bloß durch die Art seines Umgangs huldigte, so gut, daß sie ihm nach und nach alles erlaubte, außer das letzte. Und selbst diese Gränze setzte sie ihm nicht aus Kälte, noch aus Vorsicht und Grundsatz: denn sie war reizbar genug, sie hatte eine starke Anlage zum Leichtsinn und lebte in den freysten Verhält- nissen. Es war weiblicher Stolz und Scheu vor dem, was sie für thierisch und roh hielt. So wenig nun ein solches Beginnen ohne Vollendung nach Julius Sinne war, und ob- gleich er über die kleine Einbildung des Mädchens lächeln mußte, wenn er bey diesem verkehrten und ver- künstelten Wesen an das Schaffen und Wirken der allmächtigen Natur, an ihre ewigen Gesetze, an die Hoheit und Größe der Mutterwürde, und an die Schönheit des Mannes dachte, den in der Fülle der Gesundheit und Liebe die Begeisterung des Lebens ergreift, oder des Weibes, das sich ihr hingiebt: so freute er sich doch bey dieser Gelegenheit zu sehn, daß er den Sinn für zarten und feinen Genuß noch nicht verloren habe. Bald aber vergaß er diese und andre ähnliche Kleinigkeiten, da er eine junge Künstlerin traf, welche das Schöne gleich ihm leidenschaft- lich verehrte, die Einsamkeit und Natur eben so zu lieben schien. In ihren Landschaften sah und fühlte man den lebendigen Hauch wahrer Luft, es war immer ein ganzer Blick. Die Umrisse waren zu un- bestimmt, und zwar auf eine solche Weise, daß sie den Mangel einer gründlichen Schule verriethen. Aber alle die Massen stimmten zusammen zu einer Einheit für das Gefühl, die so klar und deutlich war, als sey es unmöglich, etwas anderes dabey zu fühlen. Sie trieb die Ma- lerey nicht wie ein Gewerbe oder eine Kunst, sondern bloß aus Lust und Liebe, und warf jede Ansicht, so wie auf ihren Wanderungen ihr eine gefiel oder merkwürdig schien, nach Zeit und Laune mit der Feder oder in Wasserfarben aufs Papier. Zum Öl hatte es ihr an Geduld und an Fleiß gefehlt, und selten mahlte sie ein Portrait, nur wann sie ein Gesicht sehr ausgezeichnet und werth hielt. Dann arbeitete sie mit der gewissenhaftesten Treue und Sorgfalt und wußte die Pastellfarben mit einer bezaubernden Weichheit zu behandeln. So bedingt und gering der Werth dieser Versuche für die Kunst seyn mochte, so freute sich Julius doch nicht wenig über die schöne Wildheit in ihren Landschaf- ten und über den Geist, mit dem sie die unergründliche Mannichfaltigkeit und wunderbare Übereinstimmung der menschlichen Gesichtszüge auffaßte. Und so einfach die der Künstlerin selbst waren, so waren sie doch nicht unbedeutend, und Julius fand in ih- nen einen großen Ausdruck, der ihm immer neu blieb. Lucinde hatte einen entschiednen Hang zum Romantischen, er fühlte sich betroffen über die neue Ähnlich- keit und er entdeckte immer mehrere. Auch sie war von denen, die nicht in der gemeinen Welt leben, sondern in einer eignen selbstgedachten und selbstgebildeten. Nur was sie von Herzem liebte und ehrte, war in der That wirklich für sie, alles andre nichts; und sie wußte was Werth hat. Auch sie hatte mit kühner Entschlossenheit alle Rücksichten und alle Bande zerrissen und lebte völlig frey und unabhängig. Die wunderbare Gleichheit zog den Jüngling bald in ihre Nähe, er bemerkte daß auch sie diese Gleich- heit fühle, und beyde nahmen es gewahr, daß sie sich nicht gleichgül- tig wären. Es war noch nicht lan- ge daß sie sich sahen und Julius wagte nur einzelne abgerißne Worte, die die bedeutend aber nicht deutlich waren. Er sehnte sich mehr von ih- ren Schicksalen und ihrem ehemali- gen Leben zu wissen, worüber sie gegen andre sehr geheimnißvoll war. Ihm gestand sie nicht ohne gewalt- same Erschütterung, sie sey schon Mutter gewesen von einem schönen starken Knaben, den ihr der Tod bald wieder entrissen. Auch er er- innerte sich an die Vergangenheit und sein Leben ward ihm, indem er es ihr erzählte, zum erstenmal zu einer gebildeten Geschichte. Wie freute sich Julius, da er mit ihr über Musik sprach, und seine inner- sten und eigensten Gedanken über den heiligen Zauber dieser romanti- schen Kunst aus ihrem Munde hörte! Lucinde I. N Da er ihren Gesang vernahm, der sich rein und stark gebildet aus tie- fer weicher Seele hob, da er ihn mit dem seinigen begleitete, und ihre Stimmen bald in Eins flossen, bald Fragen und Antworten der zartesten Empfindung wechselten, für die es keine Sprache giebt! Er konnte nicht widerstehn, er drückte einen schüch- ternen Kuß auf die frischen Lippen und die feurigen Augen. Mit ewi- gem Entzücken fühlte er das gött- liche Haupt der hohen Gestalt auf seine Schulter sinken, die schwarzen Locken flossen über den Schnee des vollen Busens und des schönen Rük- kens, leise sagte er herrliche Frau ! als die fatale Gesellschaft unerwartet hereintrat. Nun hatte sie ihm nach seinen Begriffen eigentlich schon alles ge- währt; es war ihm nicht möglich zu künsteln an einem Verhältniß, das er sich so rein und groß dachte, und doch war ihm jede Zögerung uner- träglich. Von einer Gottheit, dachte er, begehrt man nicht erst das, was man nur als Übergang und Mittel denkt, sondern man bekennt sogleich mit Offenheit und Zuversicht das Ziel aller Wünsche. So bat auch er sie mit der unschuldigsten Unbe- fangenheit um alles, was man eine Geliebte bitten kann, und stellte ihr in einem Strome von Beredsamkeit dar, wie seine Leidenschaftlichkeit ihn zerstören würde, wenn sie zu weib- lich seyn wollte. Sie war nicht N 2 wenig überrascht, aber sie ahndete wohl, daß er nach der Hingebung liebender und treuer seyn würde wie vorher. Sie konnte keinen Entschluß fassen, und überließ es nur den Um- ständen, die es so fügten, wie es gut war. Sie waren nur wenige Tage allein, als sie sich ihm auf ewig ergab und ihm die Tiefe ihrer großen Seele öffnete, und alle Kraft Natur und Heiligkeit, die in ihr war. Auch sie lebte lange in ge- waltsamer Verschlossenheit, und nun brachen zwischen den Umarmungen in Strömen der Rede das zurückge- drängte Zutrauen und die Mitthei- lung mit einemmale hervor aus dem innersten Gemüth. In einer Nacht wechselten sie mehr als einmal heftig zu weinen und laut zu lachen. Sie waren ganz hingegeben nud eins und doch war jeder ganz er selbst, mehr als sie es noch je gewesen wa- ren, und jede Äußerung war voll vom tiefsten Gefühl und eigensten Wesen. Bald ergriff sie eine unend- liche Begeisterung, bald tändelten nnd scherzten sie muthwillig und Amor war hier wirklich, was er so selten ist, ein fröhliches Kind. Durch das, was seine Freundin ihm offenbart hatte, ward es dem Jünglinge klar, daß nur ein Weib recht unglücklich seyn kann und recht glücklich, und daß die Frauen allein, die mitten im Schooß der mensch- lichen Gesellschaft Naturmenschen ge- blieben sind, den kindlichen Sinn haben, mit dem man die Gunst und Gabe der Götter annehmen muß. Er lernte das schöne Glück ehren, was er gefunden hatte, und wenn er es mit dem häßlichen unächten Glück verglich, was er ehedem vom Eigen- sinn des Zufalls künstlich erzwingen wollte, so erschien es ihm wie eine natürliche Rose am lebendigen Stamm gegen eine nachgemachte. Aber we- der im Taumel der Nächte noch in der Freude der Tage wollte er es Liebe nennen. So sehr hatte er sich beredet, daß diese gar nicht für ihn sey und er nicht für sie! Es fand sich leicht ein Unterschied, um diese Selbsttäuschung zu bestätigen. Er hege, so war sein Urtheil, eine hef- tige Leidenschaft für sie und werde ewig ihr Freund seyn. Was sie ihm gab und für ihn fühlte, nannte er Zärtlichkeit, Erinnerung, Hingabe und Hoffnung. Indessen floß die Zeit und die Freude wuchs. Julius fand in Lu- cindens Armen seine Jugend wieder. Die üppige Ausbildung ihres schönen Wuchses war für die Wuth seiner Liebe und seiner Sinne reizender, wie der frische Reiz der Brüste und der Spiegel eines jungfräulichen Lei- bes. Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umschließung war mehr als mädchenhaft; sie hatte einen An- hauch von Begeisterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann. Wenn er sie im Zauberschein einer milden Dämmerung hingegossen sah, konnte er nicht aufhören, die schwel- lenden Umrisse schmeichelnd zu be- rühren, und durch die zarte Hülle der ebnen Haut die warmen Ströme des feinsten Lebens zu fühlen. Sein Auge indessen berauschte sich an der Farbe die sich durch die Wirkung der Schatten vielfach zu verändern schien und doch immer eine und die- selbe blieb. Eine reine Mischung, wo nirgends Weiß oder Braun oder Roth allein abstach oder sich roh zeigte. Das alles war verschleyert und verschmolzen zu einem einzigen harmonischen Glanz von sanftem Le- ben. — Auch Julius war männlich schön, aber die Männlichkeit seiner Gestalt offenbarte sich nicht in der hervorgedrängten Kraft der Muskeln. Vielmehr waren die Umrisse sanft, die Glieder voll und rund, doch war nirgends ein Überfluß. In hellem Licht bildete die Oberfläche überall breite Massen und der glatte Kör- per schien dicht und fest wie Mar- mor, und in den Kämpfen der Liebe entwickelte sich mit einemmale der ganze Reichthum seiner kräftigen Bildung. Sie erfreuten sich des jugendlichen Lebens, Monate vergingen wie Tage und mehr als zwey Jahre waren vor- über. Nun ward Julius erst allmäh- lig inne, wie groß seine Ungeschicklich- keit sey und sein Mangel an Ver- stand. Er hatte die Liebe und das Glück überall gesucht, wo sie nicht zu finden waren, und nun da er das Höchste besaß, hatte er nicht einmal gewußt oder gewagt, ihm den rechten Namen zu geben. Er erkannte nun wohl daß die Liebe, die für die weibliche Seele ein un- theilbares durchaus einfaches Gefühl ist, für den Mann nur ein Wechsel und eine Mischung von Leidenschaft, von Freundschaft und von Sinnlich- keit seyn kann; und er sah mit fro- hem Erstaunen, daß er eben so un- endlich geliebt werde wie er liebe. Überhaupt schien es vorherbe- stimmt, daß jede Begebenheit seines Lebens ihn durch ein sonderbares Ende überraschen solle. Nichts zog ihn anfangs so sehr an, und hatte ihn so mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von ähnlichem ja gleichem Sinn und Geist mit ihm selbst war, und nun mußte er von Tage zu Tage neue Verschiedenheiten entdecken. Zwar gründeten sich selbst diese nur auf eine tiefere Gleichheit, und je reicher ihr Wesen sich entwickelte, je vielsei- tiger und inniger ward ihre Ver- bindung. Er hatte es nicht geahn- det, daß ihre Originalität so uner- schöpflich war wie ihre Liebe. Ihr Aussehn sogar schien jugendlicher und blühender in seiner Gegenwart; und so blühte auch ihr Geist durch die Berührung des seinigen auf und bildete sich in neue Gestalten und in neue Welten. Er glaubte alles in ihr vereinigt zu besitzen, was er sonst einzeln geliebt hatte: die schöne Neuheit des Sinnes, die hinreißende Leidenschaftlichkeit, die bescheidne Thä- tigkeit und Bildsamkeit und den gro- ßen Charakter. Jedes neue Verhält- niß, jede neue Ansicht war für sie ein neues Organ der Mittheilung und Harmonie. Wie der Sinn für einander, wuchs auch der Glauben an einander, und mit dem Glauben stieg der Muth und die Kraft. Sie theilten ihre Neigung zur Kunst und Julius vollendete einiges. Seine Gemälde belebten sich, ein Strom von beseelendem Licht schien sich darüber zu ergießen und in fri- scher Farbe blühte das wahre Fleisch. Badende Mädchen, ein Jüngling der mit geheimer Lust sein Ebenbild im Wasser anschaut, oder eine hold- selig lächelnde Mutter mit dem ge- liebten Kinde im Arm waren beynah die höchsten Gegenstände seines Pin- sels. Die Formen selbst entsprachen vielleicht nicht immer den angenomme- nen Gesetzen einer künstlichen Schön- heit. Was sie dem Auge empfahl, war eine gewisse stille Anmuth, ein tiefer Ausdruck von ruhigem heitern Daseyn und von Genuß dieses Da- seyns. Es schienen beseelte Pflan- zen in der gottähnlichen Gestalt des Menschen. Eben diesen liebenswür- digen Charakter hatten auch seine Umarmungen, in deren Verschieden- heit er unerschöpflich war. Die mahlte er am liebsten, weil der Reiz seines Pinsels sich hier am schönsten zeigen konnte. In ihnen schien wirk- lich der flüchtige und geheimnißvolle Augenblick des höchsten Lebens durch einen stillen Zauber überrascht und für die Ewigkeit angehalten. Je entfernter von bakchantischer Wuth, je bescheidner und lieblicher die Be- handlung war, je verführerischer war der Anblick, bey dem Jünglinge und Frauen ein süßes Feuer durchströmte. Wie seine Kunst sich vollendete und ihm von selbst in ihr gelang, was er zuvor durch kein Streben und Arbeiten erringen konnte: so ward ihm auch sein Leben zum Kunst- werk, ohne daß er eigentlich wahr- nahm, wie es geschah. Es ward Licht in seinem Innern, er sah und übersah alle Massen seines Lebens und den Gliederbau des Ganzen klar und richtig, weil er in der Mitte stand. Er fühlte daß er diese Ein- heit nie verlieren könne, das Räth- sel seines Daseyns war gelöst, er hatte das Wort gefunden, und alles schien ihm dazu vorherbestimmt und von den frühsten Zeiten darauf an- gelegt, daß er es in der Liebe fin- den sollte, zu der er sich aus ju- gendlichem Unverstand ganz unge- schickt geglaubt hatte. Leicht und melodisch flossen ihnen die Jahre vorüber, wie ein schöner Gesang, sie lebten ein gebildetes Leben, auch ihre Umgebung ward harmonisch und ihr einfaches Glück schien mehr ein seltnes Talent als eine sonderbare Gabe des Zufalls. Julius hatte auch sein äußeres Be- tragen verändert; er war geselliger, und obgleich er viele ganz verwarf, um sich mit wenigen desto inniger zu verbinden, so unterschied er doch nicht mehr so hart, wurde vielseiti- ger und lernte das gewöhnliche ver- edeln. Er zog allmählig manche vorzügliche Menschen an sich, Lu- cinde verband und erhielt das Ganze und so entstand eine freye Gesell- schaft, oder vielmehr eine große Fa- milie, die sich durch ihre Bildung immer neu blieb. Auch vorzüg- liche Ausländer erhielten den Zutritt. Julius sprach seltner mit ihnen, aber Lucinde wußte sie gut zu unterhal- ten; und zwar so daß ihre groteske Allgemeinheit und ausgebildete Ge- meinheit zugleich die andern ergötzte, und und weder ein Stillstand noch ein Mislaut in der geistigen Musik er- regt ward, deren Schönheit eben in der harmonischen Mannichfaltigkeit und Abwechselung bestand. Neben dem großen, ernsten Styl in der Kunst der Geselligkeit sollte auch jede nur reizende Manier und flüch- tige Laune ihre Stelle darin finden. Eine allgemeine Zärtlichkeit schien Julius zu beseelen, nicht ein nützen- des oder mitleidendes Wohlwollen an der Menge, sondern eine an- schauende Freude über die Schönheit des Menschen, der ewig bleibt, wäh- rend die einzelnen schwinden; und ein reger und offner Sinn für das Innerste in sich und in andern. Er war fast immer gleich gestimmt zum Lucinde I. O kindlichsten Scherz und zum heilig- sten Ernst. Er liebte nicht mehr nur die Freundschaft in seinen Freunden, sondern sie selbst. Jede schöne Ahn- dung und Andeutung die in der Seele liegt, strebte er im Gespräch mit ähnlich gesinnten ans Licht zu bringen und zu entwickeln. Da ward sein Geist in vielfachen Richtungen und Verhältnissen ergänzt und berei- chert. Aber die volle Harmonie fand er auch von dieser Seite allein in Lu- cindens Seele, wo die Keime alles Herrlichen und alles Heiligen nur auf den Strahl seines Geistes war- teten, um sich zur schönsten Religion zu entfalten. Ich versetze mich gern in den Frühling unsrer Liebe; ich sehe alle die Veränderungen und Verwand- lungen, ich lebe sie noch einmal, und ich möchte wenigstens einige von den leisen Umrissen des entflie- henden Lebens ergreifen und zu ei- nem bleibenden Bilde gestalten, jetzt da es noch voller warmer Sommer in mir ist, ehe auch das vorüber und es auch dazu zu spät wird. Wir Sterblichen sind, so wie wir hier sind, nur die edelsten Gewächse die- ser schönen Erde. Die Menschen vergessen das so leicht, höchlich mis- billigen sie die ewigen Gesetze der Welt und wollen die geliebte Ober- fläche durchaus im Mittelpunkte wie- derfinden. Nicht also du und ich. O 2 Wir sind dankbar und zufrieden mit dem was die Götter wollen und was sie in der heiligen Schrift der schönen Natur so klar angedeutet haben. Das bescheidne Gemüth er- kennt es, daß es auch seine wie al- ler Dinge natürliche Bestimmung sey, zu blühen zu reifen und zu welken. Aber es weiß, daß eines doch in ihm unvergänglich sey. Die- ses ist die ewige Sehnsucht nach der ewigen Jugend, die immer da ist und immer entflieht. Noch klaget die zärtliche Venus um den Tod des holden Adonis in jeder schönen Seele. Mit süßem Verlangen erwartet und sucht sie den Jüngling, mit zarter Wehmuth erinnert sie sich an die himmlischen Augen des Geliebten, an die sanften Züge und an die kindlichen Gespräche und Scherze, und lächelt dann eine Thräne, hold erröthend, auch sich nun unter den Blumen der bunten Erde zu er- blicken. Andeuten will ich dir wenigstens in göttlichen Sinnbildern, was ich nicht zu erzählen vermag. Denn wie ich auch die Vergangenheit über- denke, und in mein Ich zu dringen strebe, um die Erinnerung in klarer Gegenwart anzuschauen und dich an- schauen zu lassen: es bleibt immer etwas zurück, was sich nicht äußer- lich darstellen läßt, weil es ganz innerlich ist. Der Geist des Men- schen ist sein eigner Proteus, ver- wandelt sich und will nicht Rede stehn vor sich selbst, wenn er sich greifen möchte. In jener tiefsten Mitte des Lebens treibt die schaffen- de Willkühr ihr Zauberspiel. Da sind die Anfänge und Enden, wohin alle Fäden im Gewebe der geistigen Bildung sich verlieren. Nur was allmählig fortrückt in der Zeit und sich ausbreitet im Raume, nur was geschieht ist Gegenstand der Ge- schichte. Das Geheimniß einer au- genblicklichen Entstehung oder Ver- wandlung kann man nur errathen und durch Allegorie errathen lassen. Es war nicht ohne Grund, daß der fantastische Knabe, der mir am meisten gefiel unter den vier unsterb- lichen Romanen, die ich im Traum sah, mit der Maske spielt. Auch in dem was reine Darstellung und Thatsache scheint, hat sich Allegorie eingeschlichen, und unter die schöne Wahrheit bedeutende Lügen gemischt. Aber nur als geistiger Hauch schwebt sie beseelend über die ganze Masse, wie der Witz der unsichtbar mit sei- nem Werke spielt und nur leise lächelt. Es giebt Dichtungen in der al- ten Religion, die selbst in ihr einzig schön, heilig und zart erscheinen. Die Poesie hat sie so fein und reich gebildet und umgebildet, daß ihre schöne Bedeutsamkeit unbestimmt ge- blieben ist, und immer neue Deu- tungen und Bildungen erlaubt. Un- ter diesen habe ich, um dir einiges von dem anzudeuten, was ich über die Metamorphosen des liebenden Gemüths ahnde, die gewählt, von denen ich glaubte, der Gott der Harmonie könnte sie, nachdem ihn die Liebe vom Himmel auf die Erde geführt und ihn zum Hirten gemacht, den Musen erzählt oder doch von ihnen angehört haben. Damals an den Ufern des Amphrysos hat er auch, wie ich glaube, die Idylle und die Elegie ersonnen. Metamorphosen . In süßer Ruhe schlummert der kindliche Geist und der Kuß der lie- benden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Rose der Schaam färbt seine Wange, er lächelt und scheint die Lippen zu öffnen, aber er erwacht nicht, und er weiß nicht was in ihm vorgeht. Erst nachdem der Reiz des äußern Lebens, durch ein innres Echo vervielfältigt und verstärkt, sein ganzes Wesen überall durchdrungen hat, schlägt er das Auge auf, frohlockend über die Son- ne, und erinnert sich jetzt an die Zauberwelt die er im Schimmer des blassen Mondes sah. Die wunder- bare Stimme, die ihn weckte, ist ihm geblieben, aber sie tönt nun statt der Antwort von den äußern Ge- genständen zurück; und wenn er dem Geheimniß seines Daseyns mit kindlicher Schüchternheit zu entfliehen strebt, das Unbekannte mit schöner Neugier suchend, vernimmt er über- all nur den Nachhall seiner eignen Sehnsucht. So schaut das Auge in dem Spie- gel des Flusses nur den Wiederschein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die schwankenden Bäume und die eigne Gestalt de in sich selbst versunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüth voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, sich selbst findet, wird es von Erstaunen ge- troffen. Doch bald läßt sich der Mensch wieder durch den Zauber der Anschauung locken und täuschen, seinen Schatten zu lieben. Dann ist der Augenblick der Anmuth gekom- men, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal, und athmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Gestalt. Der Geist verliert sich in seiner kla- ren Tiefe und findet sich wie Nar- cissus als Blume wieder. Liebe ist höher als Anmuth und wie bald würde die Blüthe der Schönheit fruchtlos welken ohne die ergänzende Bildung der Gegenliebe! Dieser Augenblick, der Kuß des Amor und der Psyche ist die Rose des Lebens. — Die begeisterte Dio- tima hat ihren Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe ist nicht bloß das stille Ver- langen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Übergang vom Sterb- lichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit beyder. Es giebt eine reine Liebe, ein untheil- bares und einfaches Gefühl ohne die leiseste Störung von unruhigem Streben. Jeder giebt dasselbe was er nimmt, einer wie der andre, al- les ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder. Durch die Magie der Freude zer- fließt das große Chaos streitender Gestalten in ein harmonisches Meer der Vergessenheit. Wenn der Strahl des Glücks sich in der letzten Thräne der Sehnsucht bricht, schmückt Iris schon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens. Die lieblichen Träume werden wahr, und schön wie Ana- dyomene heben sich aus den Wogen des Lethe die reinen Massen einer neuen Welt und entfalten ihren Glie- derbau in die Stelle der verschwund- nen Finsterniß. In goldner Jugend und Unschuld wandelt die Zeit und der Mensch im göttlichen Frieden der Natur, und ewig kehrt Aurora schöner wieder. Nicht der Haß, wie die Weisen sagen, sondern die Liebe trennt die Wesen und bildet die Welt, und nur in ihrem Licht kann man diese fin- den und schauen. Nur in der Ant- wort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fühlen. Dann will der Verstand den innern Keim der Gottähnlichkeit entfalten, strebt immer näher nach dem Ziele und ist voll Ernst, die Seele zu bilden, wie ein Künstler das einzig geliebte Werk. In den Mysterien der Bil- dung schaut der Geist das Spiel und die Gesetze der Willkühr und des Lebens. Das Werk des Pyg- malion bewegt sich, und den über- raschten Künstler ergreift ein freudi- ger Schauer im Bewußtseyn eigner Unsterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes reißt ihn die gött- liche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp. Zwey Briefe . I. Ist es denn wahr und wirklich, was ich so oft in der Stille wünschte und nicht zu äußern wagte? — Ich sehe das Licht einer heiligen Freude auf deinem Antlitz lächeln, und be- scheiden giebst du mir die schöne Ver- heißung. Du wirst Mutter seyn! — Lebe wohl Sehnsucht und du leise Klage, die Welt ist wieder schön, jetzt liebe ich die Erde, und die Morgenröthe eines neuen Früh- lings hebt ihr Rosenstrahlendes Haupt über mein unsterbliches Daseyn. Wenn ich Lorbeern hätte, würde ich sie um deine Stirn flechten, um dich einzuweihen zu neuem Ernst und zu neuer Thätigkeit; denn auch für dich beginnt nun ein anderes Leben. Da- für gieb du mir den Myrthenkranz. Es steht mir wohl an, mich jugend- lich zu schmücken mit dem Sinnbilde der Unschuld, da ich im Paradiese der Natur wandle. Was vorher war zwischen uns, ist nur Liebe ge- wesen und Leidenschaft. Nun hat uns die Natur inniger verbunden, ganz und unauflöslich. Die Natur allein ist die wahre Priesterin der Freude; nur sie versteht es, ein hochzeitliches Band zu knüpfen. Nicht durch eitle Worte ohne See- gen, sondern durch frische Blüthen und lebendige Früchte aus der Fülle ihrer Kraft. Im endlosen Wechsel neuer Gestalten flicht die bildende Zeit den Kranz der Ewigkeit, und heilig ist der Mensch, den das Glück berührt, daß er Früchte trägt und gesund ist. Wir sind nicht etwa taube Blüthen unter den Wesen, die Götter wollen uns nicht ausschließen aus der großen Verkettung aller wirkenden Dinge, und geben uns deutliche Zeichen. So laß uns denn unsre unsre Stelle in dieser schönen Welt verdienen, laß uns auch die unsterb- lichen Früchte tragen, die der Geist und die Willkühr bildet, und laß uns eintreten in den Reigen der Menschheit. Ich will mich anbauen auf der Erde, ich will für die Zu- kunft und für die Gegenwart säen und erndten, ich will alle Kräfte brauchen, so lange es Tag ist, und mich dann am Abend in den Armen der Mutter erquicken, die mir ewig Braut seyn wird. Unser Sohn, der kleine ernsthafte Schalk wird um uns spielen, und manchen Muth- willen gegen dich mit mir aus- sinnen. Lucinde I. P Du hast Recht, das kleine Land- gut müssen wir durchaus kaufen. Es ist gut, daß du gleich die An- stalten getroffen hast, ohne auf meine Entscheidung zu warten. Richte al- les ein, wie es dir gefällt; nur nicht gar zu schön, wenn ich bitten darf, aber auch nicht zu nützlich und vor allen Dingen nicht zu weitläufig. Wenn du nur alles ganz nach deinem eignen Sinn machst, und dir nichts einreden läßt von Gewöhnli- chem und Schicklichem, so wird es schon recht seyn, wie es seyn muß und wie ichs wünsche, und ich werde eine herrliche Freude haben über das schöne Eigenthum. Was ich sonst brauchte, hatte ich gedankenlos und ohne Gefühl von Besitz. Leichtsinnig lebte ich über die Erde weg, und war nicht einheimisch auf ihr. Nun hat das Heiligthum der Ehe mir das Bürgerrecht im Stande der Natur gegeben. Ich schwebe nicht mehr im leeren Raum einer allgemeinen Begeisterung, ich gefalle mir in der freundlichen Beschränkung, ich sehe das Nützliche in einem neuen Lichte und finde alles wahrhaft nützlich, was irgend eine ewige Liebe mit ih- rem Gegenstande vermählt, kurz al- les was zu einer ächten Ehe dient. Die äußerlichen Dinge selbst flößen mir Hochachtung ein, wenn sie in ihrer Art tüchtig sind, und du wirst am Ende noch frohlockende Lobreden auf den Werth eines eignen Heer- P 2 des und über die Würde der Häus- lichkeit von mir hören. Ich verstehe jetzt deine Vorliebe fürs Landleben, ich liebe sie an dir, und ich fühle wie du. Ich mag sie gar nicht mehr sehn, diese unbeholf- nen Klumpen von allem was ver- derbt und krank ist in der Mensch- heit; und wenn ich sie im allgemei- nen denken will, erscheinen sie mir wie wilde Thiere an der Kette, die nicht einmal frey wüthen können. Auf dem Lande können die Menschen doch noch beysammen seyn, ohne sich häßlich zu drängen. Da könnten, wenn alles wäre wie es sollte, schö- ne Wohnungen und liebliche Hütten wie frische Gewächse und Blumen den grünen Boden schmücken und einen würdigen Garten der Gotthett bilden. Freylich werden wir auch auf dem Lande die Gemeinheit wieder finden, die noch überall herrscht. Es sollte eigentlich nur zwey Stände unter den Menschen geben, den bil- denden und den gebildeten, den männlichen und den weiblichen, und statt aller künstlichen Gesellschaft eine große Ehe dieser beiden Stände, und allgemeine Brüderschaft aller Einzel- nen. Statt dessen sehen wir nur eine Unzahl von Rohheit, und als unbedeutende Ausnahme einige die durch Mißbildung verkehrt sind! Aber in der freyen Luft kann doch das Einzelne, was schön und gut ist, nicht so erdrückt werden durch die schlechte Masse und durch den Schein ihrer Allmacht. Weißt du, welche Zeit unsrer Liebe mir besonders schön glänzt? — Zwar ist mir alles schön und rein in der Erinnerung, und auch an die ersten Tage denke ich mit wehmüthi- gem Entzücken. Aber das wertheste unter allem werthen sind mir doch die letzten Tage, die wir zusammen auf dem Gute lebten. — Ein neuer Grund, um wieder auf dem Lande zu wohnen! Noch eins. Laß mir die Wein- reben nicht zu sehr beschneiden. Ich schreibe dies nur, weil du sie gar zu wild und üppig fandest, und weil es dir einfallen möchte, das kleine Haus von allen Seiten durch- aus sauber vor dir zu sehn. Auch der grüne Rasenplatz muß bleiben wie er ist. Darauf soll das Kleine sein Wesen treiben, kriechen, spielen und sich wälzen. Nicht wahr, der Schmerz, den dir mein trauriger Brief erregt hat, ist völlig vergütet? Ich kann mich in allen diesen Herrlichkeiten und im Taumel der Hoffnung nicht länger mit Sorge quälen. Mehr Schmerz als ich hast du nicht dabey empfun- den. Aber was liegt daran, wenn du mich liebst, wirklich liebst, so recht im Innersten, ohne einen Hinter- halt von Fremdem. Welcher Schmerz wäre der Rede werth, wenn wir damit ein tieferes, heißeres Bewußt- seyn unsrer Liebe gewinnen? Auch du bist so gesinnt. Alles was ich dir da sage, wußtest du lange. Über- haupt ist kein Entzücken und keine Liebe in mir, die nicht schon in ir- gend einer Tiefe deines Wesens ver- borgen läge, du Unendliche und Glückliche! Mißverständnisse sind auch gut, damit das heiligste einmal zur Spra- che kömmt. Das Fremde, was dann und wann zwischen uns zu seyn scheint, ist nicht in uns, in keinem von uns. Es ist nur zwischen uns und auf der Oberfläche, und ich hoffe bey dieser Gelegenheit wirst du es ganz von dir und aus dir wegtreiben. Und woher entstehen solche kleine Abstoßungen als aus der gegensei- tigen Unersättlichkeit im Lieben und Geliebtwerden? Ohne diese Unersätt- lichkeit giebt's keine Liebe. Wir le- ben und lieben bis zur Vernichtung. Und wenn die Liebe es ist, die uns erst zu wahren vollständigen Men- schen macht, das Leben des Lebens ist, so darf auch sie wohl die Wi- dersprüche nicht scheuen, so wenig wie das Leben und die Menschheit; so wird auch ihr Frieden nur auf den Streit der Kräfte folgen. Ich fühle mich glücklich, daß ich eine Frau liebe, die so wie du lie- ben kann. So wie du ist ein grö- ßeres Wort als alle Superlative. — Wie kannst du nur meine Worte loben, da ich, ohne es zu wollen, welche traf, die dich so verletzen mußten? Ich möchte sagen, ich schreibe zu gut, um dir sagen zu können, wie mir im innersten Ge- müth ist. Ach Liebe! glaube es nur, daß keine Frage in dir ohne Ant- wort in mir ist. Deine Liebe kann nicht ewiger seyn als die meinige. — Köstlich ist aber deine schöne Ei- fersucht auf meine Fantasie und ihre Wuthbeschreibungen. Das bezeichnet recht die Gränzenlosigkeit deiner Treue, läßt aber doch hoffen, daß deine Eifersucht nahe daran sey, in ihrem eignen Übermaaß sich selbst zu vernichten. Es bedarf nun dieser Art von Fantasie — der geschriebenen — nicht mehr. Ich werde bald bey dir seyn. Ich bin heiliger, ruhiger wie sonst. Ich kann dich im Geiste nur an- blicken und stets vor dir stehn. Du fühlst alles ohne daß ichs sage, und glühst freudig halb den geliebten Mann halb das Kind im Herzen. Weißt du noch, wie ich dir schrieb, keine Erinnerung könne dich mir entweihen, du seyst ewig rein wie die heilige Jungfrau von un- beflecktem Empfängniß, und nichts fehle dir zur Madonna wie das Kind? Nun hast du es, nun ist es da und wirklich. Bald trage ich ihn auf dem Arm, bald erzähle ich ihm Mährchen, bald unterrichte ich ihn sehr ernsthaft, bald gebe ich ihm gute Lehren, wie der junge Mensch sich in der Welt zu betragen hat. Und dann kehrt mein Geist wie- der zurück zur Mutter, ich gebe dir einen unendlichen Kuß, ich sehe wie sich dein Busen sehnend hebt, und fühle wie sich's unter deinem Herzen geheimnißvoll regt. Wenn wir nur erst wieder bey- sammen sind, wollen wir unsrer Ju- gend ganz eingedenk seyn, und ich will die Gegenwart heilig halten. Wohl hast du Recht: Eine Stunde später ist unendlich viel später. Es ist hart, daß ich eben jetzt nicht bey dir seyn kann! Ich begin- ne aus Ungeduld viel Närrisches. Ich streife fast von Morgen bis Abend umher in der herrlichen Ge- gend; ich eile als ob es Wunder wie nothwendig wäre, und gerathe endlich an einen Ort, wohin ich am wenigsten wollte. Ich gebehrde mich als ob ich heftige Reden hielte; ich glaube allein zu seyn und bin plötz- lich unter Menschen; und muß dann lächeln, wenn ich bemerke, wie ab- wesend ich war. Auch schreiben kann ich nicht lange und will nur bald wieder hinaus, den schönen Abend an den Ufern des ruhigen Stroms zu verträumen. Heute habe ich unter andern auch vergessen, daß es Zeit war, den Brief abzusenden. Dafür erhältst du nun desto mehr Verwirrung und Freude. Die Menschen sind wirklich sehr gut mit mir. Sie verzeihn es mir nicht nur daß ich so oft keinen Theil nehme und dann mit einemmale ihr Gespräch auf eine sonderbare Art unterbreche: sie scheinen sich sogar in der Stille an meiner Freude herz- lich zu freuen. Besonders Juliane. Ich sage ihr nur weniges von dir, aber sie hat viel Sinn dafür und erräth das übrige. Es giebt doch nichts liebenswürdigeres als das reine uneigennützige Wohlgefallen an der Liebe! Ich glaube freylich, ich würde jetzt meine Freunde hier lieben, wenn sie auch weniger vortreffliche Men- schen wären. Ich fühle eine große Veränderung in meinem Wesen: eine allgemeine Weichheit und süße Wärme in allen Vermögen der Seele und des Geistes, wie die schö- ne Ermattung der Sinne die auf das höchste Leben folgt. Und doch ists nichts weniger als Weichlichkeit. Vielmehr weiß ich, daß ich alles was meines Berufs ist, von nun an mit größerer Liebe und frischer Kraft treiben werde. Ich fühlte nie mehr Zuversicht und Muth, als Mann unter Männern zu wirken, ein heldenmäßiges Leben zu beginnen und auszuführen und mit Freunden verbrüdert für die Ewig- keit zu handeln. Das ist meine Tugend; so ziemt es mir, den Göttern ähnlich zu wer- den. Die deinige ist es, gleich der Natur als Priesterin der Freude das Geheimniß der Liebe leise zu offen- baren und in der Mitte würdiger Söhne und Töchter das schöne Le- ben zu einem heiligen Fest zu weihen. Ich mache mir oft Sorge über deine Gesundheit. Du kleidest dich gar zu leicht und liebst die Abend- luft! Das sind gefährliche Gewohn- heiten, die du wie manche andre ablegen mußt. Denke, daß eine neue Ordnung der der Dinge für dich beginnt. Bisher hieß ich deinen Leichtsinn schön, weil er an der Zeit war und zum Gan- zen stimmte. Ich fand es weiblich, wenn du mit dem Glück scherzen, und alle Rücksichten zerreißen und ganze Massen deines Lebens oder deiner Umgebung vernichten konntest. Nun ist aber etwas da, worauf du immer Rücksicht nehmen, worauf du alles beziehen wirst. Nun mußt du dich allmählich zur Ökonomie bilden, versteht sich im allegorischen Sinn. In diesem Brief geht alles recht bunt durch einander, wie im mensch- lichen Leben Gebet und Essen, Schel- Lucinde I. Q merei und Entzücken. Nun gute Nacht. — Ach warum kann ich nicht wenigstens im Traume bei dir seyn, wirklich mit dir und in dir träu- men! Denn wenn ich bloß von dir träume, ists doch immer nur al- lein. — Du willst wissen, warum du nicht von mir träumst, da du doch so viel an mich denkst? Liebe! schweigst du nicht auch oft lange über mich? Amaliens Brief hat mir große Freude gemacht. Freilich seh' ich aus dem schmeichelnden Ton, daß sie mich nicht von den Männern ausnimmt, die der Schmeichelei be- dürfen. Ich verlange das auch gar nicht. Es wäre unbillig zu fodern, daß sie meinen Werth auf unsre Weise anerkennen soll. Genug, daß eine mich ganz kennt! — Sie erkennt ihn ja auf ihre Art so schön! — Sollte sie wohl wissen, was Anbe - tung ist? Ich zweifle daran und bedaure sie, wenn sie es nicht weiß. Du nicht auch? Heute fand ich in einem franzö- sischen Buche von zwei Liebenden den Ausdruck: »Sie waren einer dem andern das Universum.« — Wie fiel mir's auf, rührend und zum Lächeln, daß, was da so ge- dankenlos stand, bloß als eine Fi- Q 2 gur der Übertreibung, in uns buch- stäblich wahr geworden sey! Eigentlich ist's zwar auch für so eine französische Passion buchstäblich wahr. Sie finden das Universum einer in dem andern, weil sie den Sinn für alles andre verlieren. Nicht so wir. Alles, was wir sonst liebten, lieben wir nun noch wärmer. Der Sinn für die Welt ist uns erst recht aufgegangen. Du hast durch mich die Unendlichkeit des menschlichen Geistes kennen gelernt, und ich habe durch dich die Ehe und das Leben begriffen, und die Herr- lichkeit aller Dinge. Alles ist beseelt für mich, spricht zu mir und alles ist heilig. Wenn man sich so liebt wie wir, kehrt auch die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zu- rück. Die Wollust wird in der ein- samen Umarmung der Liebenden wie- der, was sie im großen Ganzen ist — das heiligste Wunder der Natur; und was für andre nur etwas ist, dessen sie sich mit Recht schämen müssen, wird für uns wieder, was es an und für sich ist, das reine Feuer der edelsten Lebenskraft. Drei Dinge wird unser Kind ge- wiß haben: viel Muthwillen, ein ernsthaftes Gesicht und etwas Anla- ge zur Kunst. Alles andre erwarte ich mit stiller Ergebung. Sohn oder Tochter, darüber kann ich keinen be- stimmten Wunsch haben. Aber über die Erziehung habe ich schon unsäg- lich viel gedacht, nämlich, wie wir unser Kind vor aller Erziehung sorg- fältig bewahren wollen; vielleicht mehr als drei vernünftige Väter denken und sorgen, um ihre Nach- kommenschaft gleich von der Wiege in lauter Sittlichkeit einzuschnüren. Ich habe einige Entwürfe gemacht, die dir gefallen werden. Auf dich ist sehr dabei gerechnet. Nur mußt du die Kunst nicht vernachläßigen! — Würdest du für deine Tochter wenn es eine Tochter wäre, lieber das Portrait oder die Landschaft wäh- len? — Du Thörin mit deinen äußerli- chen Dingen! Du willst wissen, was mich umgiebt, wo, wann und wie ich alles thue, lebe und bin? — Sieh doch um dich, auf dem Stuhl neben dir, in deinen Armen, an deinem Herzen, da lebe und bin ich. Trifft dich nicht der Strahl des Ver- langens, und schleicht mit süßer Wärme bis an dein Herz, bis an den Mund, wo es in Küssen über- strömen möchte? — Nun rühmst du dich noch gar, daß du immer innerlich an mich schriebst und ich nur oft, du Syl- benstecherin! Erstlich denke ich immer so an dich, wie du es beschreibst, daß ich neben dir gehe, dich sehe, höre, spreche. Dann aber auch noch anders, besonders wenn ich des Nachts aufwache. Wie kannst du nur an der Wür- digkeit und Göttlichkeit deiner Briefe zweifeln! Der letzte blickt und leuchtet aus hellen Augen; es ist nicht Schrift sondern Gesang. — Ich glaube wenn ich noch einige Monate fern von dir wäre, würde dein Styl sich völlig ausbilden. In- dessen finde ich es doch rathsamer, daß wir den Styl und das Schrei- ben nun lassen und die schönsten und höchsten Studien nicht länger aussetzen, und ich bin so ziemlich entschlossen, in acht Tagen schon zu reisen. Zweyter Brief . Es ist sonderbar, daß der Mensch sich nicht vor sich selbst fürchtet. Die Kinder haben Recht, daß sie so neu- gierig und doch so bange in die Ge- sellschaft der unbekannten Geister hin- einblicken. Jeder einzelne Atom der ewigen Zeit kann eine Welt von Freude fassen, aber sich auch zu ei- nem unermeßlichen Abgrund von Lei- den und Schrecken öffnen. Ich be- greife nun das alte Mährchen von dem Manne, welchen ein Zauberer in wenigen Augenblicken viele Jahre durchleben ließ: denn ich habe die furchtbare Allmacht der Fantasie an mir selbst erfahren. Seit dem letzten Briefe deiner Schwester — es sind nun drei Ta- ge — habe ich die Schmerzen eines ganzen Menschenlebens gefühlt, von dem Sonnenlicht der glühenden Ju- gend, bis zum blassen Mondschein des weißen Alters. Jeder kleine Umstand, den sie mir von deiner Krankheit schrieb, bestätigte mich, mit dem was ich in der vorigen von dem Arzt gehört und selbst beobachtet hatte, in dem Gedanken, sie sey weit gefährlicher, als ihr wüßtet, ja eigentlich nicht mehr gefährlich, sondern entschieden. In diesen Gedanken verloren, alle Kräfte durch die Unmöglichkeit, aus der weiten Ferne zu dir zu eilen, gelähmt, war mein Zustand wirklich sehr trostlos. Erst jetzt weiß ich's recht, wie er war, da ich durch die fröhliche Bothschaft deiner Gesund- heit wiedergeboren bin. Denn ge- sund bist du nun, so gut als völlig gesund. Das schließe ich aus allen Berichten mit eben der Zuversicht, mit der ich vor wenigen Tagen das Todesurtheil über uns aussprach. Ich dachte es mir gar nicht als noch künftig oder als geschehe es jetzt. Alles war vergangen; schon lange warst du im Schooß der küh- len Erde verhüllt, Blumen keimten allmählig auf dem geliebten Grabe, und meine Thränen flossen schon milder. Stumm und einsam stand ich und sah nichts als die geliebten Züge und die süßen Blitze der spre- chenden Augen. Unbeweglich blieb dieses Bild vor mir, nur trat bis- weilen das bleiche Gesicht des letzten Lächelns und des letzten Schlummers leise an die Stelle, oder plötzlich ver- wirrten sich die verschiedenen Erinne- rungen. Mit unglaublicher Schnelle veränderten sich die Umrisse, kehrten zur ersten Gestalt zurück, und ver- wandelten sich von neuem, bis der überspannten Einbildung alles ver- schwand. Nur deine heiligen Augen blieben im leeren Raum und stan- den unbeweglich da, wie die freund- lichen Sterne ewig über unsrer Ar- muth schimmern. Unverrückt schaute ich nach den schwarzen Lichtern, die mit bekanntem Lächeln in die Nacht meiner Trauer winkten. Bald brannte ein stechender Schmerz aus dunkeln Sonnen mit unerträglichem Blenden, bald schwebte und floß ein schöner Glanz, als wollte er mich locken. Da war es, als wehte eine frische Morgenluft mich an, ich warf mein Haupt in die Höhe, und es rief laut in mir: »Warum sollst du dich quälen, in wenigen Augenblicken kannst du ja bei ihr seyn.« Schon eilte ich, dir zu folgen, aber plötzlich hielt mich ein neuer Gedanke an, und ich sagte zu mei- nem Geist: »Unwürdiger, du kannst nicht einmal die kleinen Dissonanzen dieses mittelmäßigen Lebens ertragen und du hältst dich schon für ein hö- heres reif und würdig? Gehe hin zu leiden und zu thun was dein Beruf ist, und melde dich wieder, wenn deine Aufträge vollendet sind.« — Ist es nicht auch dir auffallend, wie alles auf dieser Erde nach der Mitte strebt, wie so ordentlich alles ist, wie so unbedeutend und kleinlich? So schien es mir stets; daher ver- muthe ich — und ich habe dir diese Vermuthung, wenn ich nicht irre, schon einmal mitgetheilt, — daß unser nächstes Daseyn größer, im Guten wie im Schlechten kräftiger, wilder, kühner, ungeheurer seyn wird. Die Pflicht zu leben hatte ge- siegt, und ich war wieder in dem Gewühl des Lebens und der Men- schen, ihrer und meiner ohnmächti- gen Handlungen und fehlervollen Werke. Da befiel mich Entsetzen, wie wenn ein Sterblicher sich in der Mitte unabsehlicher Eisgebirge plötz- lich allein fände. Alles war mir kalt und fremd und selbst die Thrä- ne gefror. Wunderliche Welten erschienen und schwanden mir im ängstlichen Traum. Ich war krank und litt viel, aber ich liebte meine Krankheit und hieß selbst den Schmerz willkom- men. Ich haßte alles Irdische und freute mich, daß es bestraft und zer- rüttet würde; ich fühlte mich so al- lein und so sonderbar, und wie ein zarter Geist oft mitten im Schooß des Glücks über seine eigne Freude wehmüthig wird, und uns grade auf dem Gipfel des Daseyns das Gefühl seiner Nichtigkeit überfällt, so schaute ich mit geheimer Lust auf meinen Schmerz. Er ward mir zum Sinnbilde des allgemeinen Lebens, ich glaubte die ewige Zwietracht zu fühlen und zu sehen, durch die alles wird und existirt, und die schönen Gestalten der ruhigen Bildung schie- nen mir todt und klein gegen diese ungeheure Welt von unendlicher Kraft, und von unendlichem Kampf und Krieg bis in die verborgensten Tie- fen des Daseyns. Durch dieses sonderbare Gefühl ward die Krankheit zu einer eignen Welt in sich vollendet und gebildet. Ich fühlte, ihr geheimnißreiches Le- ben sey voller und tiefer als die ge- meine Gesundheit der eigentlich träu- men- menden Nachtwandler um mich her. Und mit der Kränklichkeit, die mir gar nicht unangenehm war, blieb mir auch dieses Gefühl und sonderte mich völlig ab von den Menschen, wie mich von der Erde der Gedan- ke trennte, dein Wesen und meine Liebe sey zu heilig gewesen, um nicht ihr und ihren groben Banden flüch- tig zu enteilen. Es sey alles gut so und dein nothwendiger Tod nichts als ein sanftes Erwachen nach lei- sem Schlummer. Auch ich glaubte zu wachen, wenn ich dein Bild anschaute, das sich immer mehr zu einer heitern Reinheit und Allgemeinheit verklär- te. Ernst und doch liebreizend, ganz Du und doch nicht mehr Du, die Lucinde I. R göttliche Gestalt umschienen von wunderbarem Glanz. Bald war es wie der furchtbare Lichtstrahl der sichtbaren Allmacht und bald ein freundlicher Schimmer goldener Kind- heit. Mit langen stillen Zügen sog mein Geist aus der Quelle der küh- len reinen Gluth, sich heimlich berau- schend und in dieser seeligen Trun- kenheit fühlte ich eine geistliche Wür- de eigner Art, weil mir in der That jede weltliche Gesinnung ganz frem- de war und mich niemals das Ge- fühl verließ, daß ich dem Tode ge- weiht sey. Langsam flossen die Jahre und mühevoll trat eine That nach der andern, ein Werk und dann wieder eines an sein Ziel, das so wenig das meinige war als ich jene Tha- ten und Werke für das was sie hei- ßen nahm. Es waren mir nur hei- lige Sinnbilder, alles Beziehungen auf die eine Geliebte, die die Mitt- lerin war zwischen meinem zerstück- ten Ich und der untheilbaren ewi- gen Menschheit; das ganze Daseyn ein steter Gottesdienst einsamer Liebe. Endlich nahm ich wahr, das sey nun das lezte. Die Stirn war nicht mehr glatt und die Locken wurden bleich. Meine Laufbahn war geen- digt aber nicht vollendet. Die beste Kraft des Lebens war dahin und noch stand die Kunst und die Tu- gend ewig unerreichbar vor mir. Ich wäre verzweifelt, hätte ich nicht beyde in Dir gesehn und vergöttert, R 2 holdselige Madonna! und Dich und Deine milde Göttlichkeit in mir. Da erschienst Du mir bedeutend und winktest tödtlich. Schon ergriff mich ein herzliches Verlangen nach Dir und nach der Freyheit; ich sehn- te mich nach dem geliebten alten Va- terlande und wollte eben den Staub der Reise von mir schütteln, als ich wieder ins Leben gerufen ward durch das Verheißen und die Gewißheit Deiner Genesung. Nun ward ich meines wachen Traums inne, erschrack über alle die bedeutenden Beziehungen und Ähn- lichkeiten und stand ängstlich an dem unsichtbaren Abgrund dieser innern Wahrheit. Weißt Du was mir am meisten klar dadurch geworden ist? — Zuerst, daß ich Dich vergöttre, und daß es gut ist, daß ich so thue. Wir bey- de sind eins und nur dadurch wird der Mensch zu einem und ganz er selbst wenn er sich auch als Mittel- punkt des Ganzen und Geist der Welt anschaut und dichtet. Doch warum Dichtet, da wir den Keim zu allem in uns finden und doch ewig nur ein Stück von uns selbst bleiben? Und dann weiß ichs nun, daß der Tod sich auch schön und süß fühlen läßt. Ich begreife, wie das freye Gebildete sich in der Blüthe aller Kräfte nach seiner Auflösung und Freyheit mit stiller Liebe sehnen und den Gedanken der Rükkehr freu- dig anschauen kann wie eine Mor- gensonne der Hoffnung. Eine Reflexion . Es ist meinem Gemüth nicht sel- ten sonderbar aufgefallen, wie ver- ständige und würdige Menschen mit nie ermüdender Industrie und mit so großem Ernst das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen können, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch sich einem Ziele nähert, obgleich es das frühste aller Spiele seyn mag. Dann fragte mein Geist, was wohl die Natur, die überall so viel denkt, die List im Großen treibt und statt witzig zu reden, gleich witzig handelt, bey jenen naiven Andeu- tungen denken mag, welche gebilde- te Redner nur durch ihre Namenlo- sigkeit benennen. Und diese Namenlosigkeit selbst ist von zweydeutiger Bedeutung. Je verschämter und je moderner man ist, je mehr wird es Mode sie aufs Schamlose zu deuten. Für die al- ten Götter hingegen hat alles Le- ben eine gewisse classische Würde und so auch die unverschämte Hel- denkunst lebendig zu machen. Die Menge solcher Werke und die Grö- ße der Erfindungskraft in ihr be- stimmt Rang und Adel im Reiche der Mythologie. Diese Zahl und diese Kraft sind gut, aber sie sind nicht das Höchste. Wo schlummert also das ersehnte Ideal verborgen? Oder findet das strebende Herz in der höchsten aller darstellenden Künste ewig nur andre Manieren und nie einen vollendetem Styl? Das Denken hat die Eigenheit, daß es nächst sich selbst am liebsten über das denkt, worüber es ohne Ende denken kann. Darum ist das Leben des gebildeten und sinnigen Menschen ein stetes Bilden und Sin- nen über das schöne Räthsel seiner Bestimmung. Er bestimmt sie im- mer neu, denn eben das ist seine ganze Bestimmung, bestimmt zu wer- den und zu bestimmen. Nur in sei- nem Suchen selbst findet der Geist des Menschen das Geheimniß wel- ches er sucht. Was ist denn aber das Bestimmen- de oder das Bestimmte selbst? In der Männlichkeit ist es das Namen- lose. Und was ist das Namenlose in der Weiblichkeit? — das Unbe- stimmte. Das Unbestimmte ist geheimniß- reicher, aber das Bestimmte hat mehr Zauberkraft. Die reizende Ver- wirrung des Unbestimmten ist ro- mantischer, aber die erhabene Bil- dung des Bestimmten ist genialischer. Die Schönheit des Unbestimmten ist vergänglich wie das Leben der Blu- men und wie die ewige Jugend sterblicher Gefühle; die Energie des Bestimmten ist vorübergehend wie das ächte Ungewitter und die ächte Begeisterung. Wer kann messen und wer kann vergleichen was eines wie das an- dre unendlichen Werth hat, wenn beydes verbunden ist in der wirkli- chen Bestimmung, die bestimmt ist, alle Lücken zu ergänzen und Mittle- rin zu seyn zwischen dem männli- chen und weiblichen Einzelnen und der unendlichen Menschheit? Das Bestimmte und das Unbe- stimmte und die ganze Fülle ihrer bestimmten und unbestimmten Bezie- hungen; das ist das Eine und Gan- ze, das ist das wunderlichste und doch das einfachste, das einfachste und doch das höchste. Das Univer- sum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten und das wirkliche Bestimmen des Bestimmbaren ist eine allegorische Miniatur auf das Leben und We- ben der ewig strömenden Schöp- fung. Mit ewig unwandelbarer Symme- trie streben beyde auf entgegenge- setzten Wegen sich dem Unendlichen zu nähern und ihm zu entfliehen. Mit leisen aber sichern Fortschritten er- weitert das Unbestimmte seinen an- gebohrnen Wunsch aus der schönen Mitte der Endlichkeit ins Gränzen- lose. Das vollendete Bestimmte hin- gegen wirft sich durch einen kühnen Sprung aus dem seeligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen That und nimmt sich selbst verfeinernd immer zu an großmüthiger Selbstbeschrän- kung und schöner Genügsamkeit. Auch in dieser Symmetrie offen- bart sich der unglaubliche Humor, mit dem die consequente Natur ih- re allgemeinste und einfachste Anti- these durchführt. Selbst in der zier- lichsten und künstlichsten Organisa- zion zeigen sich diese komische Spi- tzen des großen Ganzen mit schalk- hafter Bedeutsamkeit wie ein ver- kleinertes Portrait und geben aller In- dividualität, die allein durch sie und den Ernst ihrer Spiele entstehet und bestehet, die letzte Rundung und Vollendung. Durch diese Individualität und jene Allegorie blüht das bunte Ideal witziger Sinnlichkeit hervor aus dem Streben nach dem Unbedingten. Nun ist alles klar! Daher die Allgegenwart der namenlosen unbe- kannten Gottheit. Die Natur selbst will den ewigen Kreislauf immer neuer Versuche; und sie will auch, daß jeder einzelne in sich vollendet einzig und neu sey, ein treues Ab- bild der höchsten untheilbaren Indi- vidualität. Sich vertiefend in diese Indivi- dualität nahm die Reflexion eine so individuelle Richtung, daß sie bald anfing aufzuhören und sich selbst zu vergessen. »Was sollen wir diese Anspielun- gen die mit unverständlichem Ver- stand nicht an der Gränze sondern bis in die Mitte der Sinnlichkeit nicht spielen sondern widersinnig strei- ten?« So wirst Du und würde Julia- ne zwar nicht sagen aber doch ge- wiß fragen. Liebe Geliebte! darf der volle Blumenstrauß nur sittsame Rosen, stille Vergißmeinnicht und bescheidne Veilchen zeigen, und was sonst mädchenhaft und kindlich blüht, oder auch alles andre was in bunter Glorie sonderbar strahlt? Die männliche Ungeschicklichkeit ist ein mannigfaltiges Wesen und reich an Blüthen und Früchten jeder Art. Gönne selbst der wunderlichen Pflanze, die ich nicht nennen will, ihre Stelle. Sie dient wenigstens zur Folie für die hellbrennende Gra- nate und die lichten Orangen. Oder soll es etwa statt dieser bunten Fülle nur eine vollkommne Blume geben, welche alle Schönheiten der übrigen vereint und ihr Daseyn überflüssig macht? Ich entschuldige nicht, was ich lieber sogleich noch einmal thun will, mit vollem Zutrauen auf Deinen ob- jektiven Sinn für die Kunstwreke der Ungeschicklichkeit, welche den Stoff zu dem was sie bilden will oft nicht ungern von der männlichen Begeisterung entlehnt. Es ist ein zärtliches Furioso und ein kluges Adagio der Freundschaft: Du wirst verschiednes daraus lernen können: daß Männer mit ungemei- ner Delicatesse zu hassen verstehn, wie ihr zu lieben; daß sie dann ei- nen Zank, wenn er vollendet ist, in eine Distinction umbilden, und daß Du so viele Anmerkungen darüber machen darfst als Dir gefällig ist. Julius an Antonio . I. Du hast Dich sehr verändert seit einiger Zeit! Sieh Dich vor Freund, daß der Sinn für das Gro- ße Dir nicht abhanden kommt, ehe Du es gewahr wirst. Was soll das geben? Du wirst endlich so viel Zart- heit und Feinheit ansetzen, daß Herz und und Gefühl drauf geht. Wo bleibt da die Männlichkeit und handelnde Kraft? — Ich werde noch dahin kommen, Dir zu thun wie Du mir thust, seit wir nicht mehr mit ein- ander sondern neben einander leben. Ich werde dir Gränzen setzen müs- sen und sagen, wenn er auch Sinn für alles hat, was sonst schön ist, so fehlt ihm doch der eine für die Freundschaft. Doch werde ich den Freund und sein Thun und Lassen nie moralisch kritisiren; wer das kann, der verdient nicht das hohe seltne Glück einen zu haben. Daß Du Dich zuerst an Dir selbst vergreifst, macht die Sache nur schlimmer. Sage mir im Ernst, suchst Du die Tugend in diesen küh- Lucinde I. S len Spitzfindigkeiten des Gefühls, in diesen Kunstübungen des Ge- müths, die den Menschen aushöhlen und am vollen Mark seines Lebens zehren? Schon lange war ich ergeben und still. Ich zweifelte gar nicht, daß Du, da Du so vieles weißt, auch wohl die Ursachen wissen wür- dest durch die unsre Freundschaft un- tergegangen ist. Fast scheint es ich habe mich geirrt, da Du so erstau- nen konntest, daß ich mich ganz an Eduard anschließen will, da Du gleichsam nicht begreifend zu fragen schienst, wodurch Du mich denn be- leidigt hättest. Wenn es nur das wäre, nur etwas einzelnes, dann wäre es den Mislaut einer solchen Frage nicht werth, dann würde sichs von selbst beantworten und ausglei- chen. Ist es aber nicht mehr wenn ich bey jeder Veranlaßung es immer wieder als Entweihung fühlen muß, daß ich Dir alles von Eduard wie es vorfiel, mittheilte? Gethan hast Du freilich nichts gegen ihn, auch nicht laut gesagt: aber ich weiß und sehe recht gut wie Du denkst. Und wenn ich es nicht wüßte und sähe, was wäre denn die unsichtbare Ge- meinschaft unsrer Geister und die schöne Magie dieser Gemeinschaft? — Es kann Dir gewiß nicht einfallen, Dich hier noch länger zurückziehen und durch bloße Feinheit das Mis- verständniß in Nichts auflösen zu S 2 wollen: denn sonst hätte auch ich wirklich nichts weiter zu sagen. Unstreitig seyd ihr durch eine ewige Kluft geschieden. Die ruhige klare Tiefe Deines Wesens, und der heiße Kampf seines rastlosen Lebens liegen an den entgegengesetzten En- den des menschlichen Daseyns. Er ist ganz Handlung, Du bist eine füh- lende und beschauende Natur. Dar- um solltest Du eben Sinn für alles haben und hast ihn auch, wo Du Dich nicht selbst absichtlich verschlie- ßest. Und das verdrüßt mich ei- gentlich. Möchtest Du den Herrli- chen lieber hassen als verkennen! — Aber wohin soll es führen, wenn man sich unnatürlich gewöhnt, das wenige Große und Schöne was noch etwa da ist, so gemein zu nehmen, als es der Scharfsinn nur immer nehmen kann, ohne die Ansprüche auf den Sinn aufzugeben? — Was man überall sehn will, muß man endlich selbst werden. Ist das die gerühmte Vielseitig- keit? — Freilich beobachtest Du da- bey den Grundsatz der Gleichheit, und einem gehts nicht viel besser wie dem andern; nur daß jeder auf ei- ne eigne Art verkannt wird. Hast Du nicht auch mein Gefühl gezwun- gen über das was ihm das heilig- ste ist ewig zu schweigen gegen Dich wie gegen jeden andern? Und das darum, weil Du Dein Urtheil nicht schweigen lassen konntest bis es Zeit war, und weil Dein Verstand über- all Gränzen erdichtet, ehe er seine eigenen finden kann. Du hast mich beynah in den Fall gebracht, Dir auseinandersetzen zu müssen, wie groß eigentlich mein Werth sey, wie viel richtiger und sichrer Du gegan- gen seyn würdest, wenn Du dann und wann nicht geurtheilt sondern geglaubt, wenn Du hie und da in mir ein unbekanntes Unendliches vor- ausgesetzt hättest. Freilich ist meine eigne Nachlä- ßigkeit an allem Schuld. Vielleicht wars auch Eigensinn, daß ich die ganze Gegenwart mit Dir theilen wollte, und Dich über Vergangen- heit und Zukunft doch nicht belehr- te. Ich weiß nicht, es widerstand meinem Gefühl, auch hielt ichs für überflüßig, denn ich traute Dir in der That unendlich viel Verstand zu. O Antonio, wenn ich an ewigen Wahrheiten zweifeln könnte, so hät- test Du mich dahin gebracht, jene stille schöne Freundschaft, die auf der bloßen Harmonie des Seyns und Zusammenseyns beruht, für etwas fal- sches und verkehrtes zu halten! Ist es nun noch unbegreiflich wenn ich mich ganz auf die andre Seite werfe? — Ich entsage dem zarten Genuß und stürze mich in den wilden Kampf des Lebens. Ich eile zu Eduard. Alles ist verabre- det. Wir wollen nicht bloß zusam- men leben, sondern im brüderlichen Bunde vereint wirken und handeln. Er ist rauh und herbe, seine Tugend ist mehr kräftig als empfindsam: aber er hat ein männliches großes Herz, und in jedem bessern Zeitalter wäre er, das sage ich kühn, ein Held gewesen. II. Es ist wohl schön, daß wir end- lich einmal wieder mit einander ge- sprochen haben; ich bin es auch zu- frieden, daß Du durchaus nicht schrei- ben wolltest, und auf die armen un- schuldigen Buchstaben schiltst, weil Du wirklich zum Sprechen mehr Ge- nie hast. Aber ich habe doch noch eins und das andre auf dem Her- zen, was ich nicht sagen konnte und was ich versuchen will, Dir brieflich anzudeuten. Warum aber auf diesem We- ge? — O mein Freund, wenn ich nur noch ein feineres gebildeteres Element der Mittheilung wüßte, um das was ich möchte, in zarter Hülle leise aus der Ferne zu sagen! Das Gespräch ist mir zu laut und zu nah und auch zu einzeln. Diese einzelnen Worte geben immer wieder nur eine Seite, ein Stück von dem Zusammenhange, von dem Ganzen, das ich in seiner vollen Harmonie andeuten möchte. Und können Männer die zusam- men leben wollen, zu zart gegen einander in ihrem Umgange seyn? — Es ist nicht als ob ich befürchtete, etwas zu heftiges zu sagen, und daß ich darum gewisse Personen und gewisse Gegenstände in unserm Ge- spräch vermied. Darüber denke ich ist ja wohl die Gränzscheidung zwi- schen uns auf immer vernichtet! Was ich Dir noch sagen wollte, ist etwas ganz Allgemeines; und doch wähle ich lieber diesen Um- weg. Ich weiß nicht ob es eine falsche oder eine wahre Delicatesse ist, aber es würde mir schwer fallen, viel von der Freundschaft mit Dir zu reden von Angesicht zu Angesicht. Und doch sinds Gedanken über diese, die ich Dir sagen muß. Die Anwendung — und auf die kommt es am meisten an — wirst Du leicht selbst machen können. Für mein Gefühl giebts zwey Arten von Freundschaft. Die erste ist ganz äußerlich. Un- ersättlich eilt sie von That zu That und nimmt jeden würdigen Mann auf in den großen Bund vereinter Helden, schlingt den alten Knoten durch jede Tugend fester, und trach- tet stets neue Brüder zu gewinnen; je mehr sie hat, je mehr begehrt sie. Erinnre Dich an die Vorwelt und Du wirst diese Freundschaft, die den redlichen Krieg gegen alles Bö- se, wenn es auch in uns oder im Geliebten wäre, kämpft, überall fin- den, wo die edle Kraft in großen Massen wirkt und Welten bildet oder beherrscht. Jetzt sind andre Zeiten, aber das Ideal dieser Freundschaft wird in mir seyn, so lange wie ich selbst seyn werde. Die andre Freundschaft ist ganz innerlich. Eine wunderbare Symme- trie des Eigenthümlichsten, als wenn es vorher bestimmt wäre, daß man sich überall ergänzen sollte. Alle Gedanken und Gefühle werden ge- sellig durch die gegenseitige Anre- gung und Ausbildung des Heilig- sten. Und diese reingeistige Liebe, diese schöne Mystik des Umgangs schwebt nicht bloß als fernes Ziel vor einem vielleicht vergeblichem Streben. Nein, sie ist nur vollendet zu finden. Auch hat da keine Täu- schung Statt, wie bey jener andern heroischen. Ob die Tugend eines Mannes Stich hält, muß die That lehren. Aber wer selbst in seinem Innern die Menschheit und die Welt fühlt und sieht, der wird nicht leicht allgemeinen Sinn und allgemeinen Geist da suchen können wo er nicht ist. Zu dieser Freundschaft ist nur fähig, wer in sich ganz ruhig wur- de und in Demuth die Göttlichkeit des andern zu ehren weiß. Haben die Götter einem Men- schen eine solche Freundschaft ge- schenkt, so kann er weiter nichts, als sie mit Sorge vor allem was äußerlich ist bewahren und das hei- lige Wesen schonen. Denn vergäng- lich ist die zarte Blüthe. Sehnsucht und Ruhe . Leicht bekleidet standen Lucinde und Julius am Fenster im Pavillon, erfrischten sich an der kühlen Mor- genluft und waren verloren im An- schaun der aufsteigenden Sonne, die von allen Vögeln mit munterem Ge- sang begrüßt ward. Julius, fragte Lucinde, warum fühle ich in so heitrer Ruhe die tiefe Sehnsucht? — Nur in der Sehn- sucht finden wir die Ruhe, antworte- te Julius. Ja die Ruhe ist nur das, wenn unser Geist durch nichts ge- stört wird, sich zu sehnen und zu suchen, wo er nichts höheres finden kann als die eigne Sehnsucht. Nur in der Ruhe der Nacht, sagte Lucinde, glüht und glänzt die Sehnsucht und die Liebe hell und voll wie diese herrliche Sonne. — Und am Tage, erwiederte Julius, schimmert das Glück der Liebe blaß, so wie der Mond nur sparsam leuch- tet. — Oder es erscheint und schwin- det plötzlich ins allgemeine Dunkel, fügte Lucinde an, wie jene Blitze, die uns das Gemach erhellten, da der Mond verhüllt war. Nur in der Nacht singt Klagen, sprach Julius, die kleine Nachtigall und tiefe Seufzer. Nur in der Nacht eröffnet sich die Blume schüchtern und athmet frey den schönsten Duft, um Geist und Sinne in gleicher Wonne zu berauschen. Nur in der Nacht, Lucinde, strömet tiefe Liebes- gluth und kühne Rede göttlich von den Lippen, die im Geräusch der Ta- ge ihr süßes Heiligthum mit zartem Stolz verschließen. Lucinde . Nicht ich, mein Julius, bin die die Du so heilig mahlst; obschon ich klagen möchte wie die Nachtigall und, wie ich innig fühle, nur der Nacht geweiht bin. Du bists, es ist die Wunderblume Deiner Fantasie, die Du in mir, die ewig Dein ist, dann erblickst, wenn das Gewühl verhüllt ist und nichts gemeines Dei- nen hohen Geist zerstreut. Julius . Laß die Bescheidenheit und schmei- chle nicht. Gedenke, Du bist die Prie- Priesterin der Nacht. Im Strahl der Sonne selbst verkündigts der dunkle Glanz der vollen Locken, der ernsten Augen lichtes Schwarz, der hohe Wuchs, die Majestät der Stirn und aller edlen Glieder. Lucinde . Die Augen sinken, indem Du rühmst, weil jetzt der laute Morgen blendet, und lustger Vögel buntes Lied die Seele stört und schreckt. Sonst möchte wohl das Ohr in stil- ler dunkler Abendkühle des süßen Freundes süße Rede gierig trinken. Julius . Es ist nicht eitle Fantasie. Un- endlich ist nach dir und ewig uner- reicht mein Sehnen. Lucinde I. T Lucinde . Seys was es sey, Du bist der Punkt in dem mein Wesen Ruhe fin- det. Julius . Die heilige Ruhe fand ich nur in jenem Sehnen, Freundin. Lucinde . Und ich in dieser schönen Ruhe jene heilge Sehnsucht. Julius . Ach, daß das harte Licht den Schleyer heben darf, der diese Flam- men so verhüllte, daß der Sinne Scherz die heiße Seele kühlend lin- dern mochte! Lucinde . So wird einst ewig kalter ern- ster Tag des Lebens warme Nacht zerreißen, wenn Jugend flieht und wenn ich Dir entsage wie Du der großen Liebe größer einst entsagtest. Julius . Daß ich doch Dir die unbekann- te Freundinn zeigen dürfte und ihr das Wunder meines wunderbaren Glücks. Lucinde . Du liebst sie noch und wirst sie ewig mein auch ewig lieben. Das ist das große Wunder Deines wun- derbaren Herzens. Julius . Nicht wunderbarer als das Dei- ne. Ich sehe Dich an meine Brust gelehnt mit Deines Guido Locke spie- len; uns beyde brüderlich vereint T 2 die würdge Stirn mit ewgen Freu- dekränzen zieren. Lucinde . Laß ruhn in Nacht, reiß nicht ans Licht, was in des Herzens stiller Tiefe heilig blüht. Julius . Wo mag des Lebens Woge mit dem Wilden scherzen, den zart Gefühl und wildes Schicksal heftig fortriß in die herbe Welt? Lucinde . Verklärt und einzig glänzt der hohen Unbekannten reines Bild am blauen Himmel Deiner reinen Seele. Julius . O ewge Sehnsucht! — Doch endlich wird des Tages fruchtlos Sehnen, eitles Blenden sinken und erlöschen, und eine große Liebesnacht sich ewig ruhig fühlen. Lucinde . So fühlt sich, wenn ich seyn darf wie ich bin, das weibliche Ge- müth in liebeswarmer Brust. Es sehnt sich nur nach Deinem Sehnen, ist ruhig wo Du Ruhe findest. Tändeleyen der Fantasie . Durch die schweren lauten An- stalten zum Leben wird das zarte Götterkind Leben selbst verdrängt und jämmerlich erstickt in der Umarmung der nach Affenart liebenden Sorge. Absichten haben, nach Absichten handeln, und Absichten mit Absichten zu neuer Absicht künstlich verweben; diese Unart ist so tief in die närri- sche Natur des gottähnlichen Men- schen eingewurzelt, daß er sichs nun ordentlich vorsetzen und zur Absicht machen muß, wenn er sich einmal ohne alle Absicht, auf dem innern Strom ewig fließender Bilder nud Gefühle frey bewegen will. Es ist der Gipfel des Verstandes aus eigner Wahl zu schweigen, die Seele der Fantasie wiederzugeben und die süßen Tändeleyen der jun- gen Mutter mit ihrem Schooßkinde nicht zu stören. Aber so verständig ist der Ver- stand nach dem goldnen Zeitalter sei- ner Unschuld nur sehr selten. Er will die Seele allein besitzen; auch wenn sie wähnt allein zu seyn mit ihrer angebohrnen Liebe, lauscht er im Verborgnen und schiebt an die Stelle der heiligen Kinderspiele nur Erinnerung an ehemalige Zwecke oder Aussichten auf künftige. Ja er weiß den hohlen kalten Täuschun- gen einen Anstrich von Farbe und eine flüchtige Hitze zu geben und will durch seine nachahmende Kunst der arglosen Fantasie ihr eigenstes Wesen rauben. Aber die jugendliche Seele läßt sich durch die Arglist des Altklugen nicht bethören, und immer sieht sie den Liebling spielen mit den schönen Bildern der schönen Welt. Willig läßt sie ihre Stirn umflechten von den Kränzen, die das Kind aus den Blüthen des Lebens flicht, und wil- lig läßt sie sich in wachen Schlum- mer sinken, Musik der Liebe träu- mend, und geheimnißvoll freundliche Götterstimmen vernehmend, wie die einzelnen Laute einer fernen Ro- manze. Alte wohlbekannte Gefühle tö- nen aus der Tiefe der Vergangen- heit und Zukunft. Leise nur berüh- ren sie den lauschenden Geist und schnell verlieren sie sich wieder in den Hintergrund verstummter Musik und dunkler Liebe. Alles liebt und lebt, klaget und freut sich in schöner Verwirrung. Hier öffnen sich am rauschenden Fest die Lippen aller Fröhlichen zu allgemeinem Gesange; und hier verstummt das einsame Mädchen vor dem Freunde, dem sie sich vertrauen möchte und versagt den Kuß mit lächelndem Munde. Gedankenvoll streue ich Blumen auf das Grab des zu früh entschlafnen Sohnes, die ich bald voll Freude und voll Hoffnung der Braut des ge- liebten Bruders darreiche, während die hohe Priesterin mir winkt und mir die Hand reicht zu ernstem Bun- de, bey dem ewig reinen Feuer ewi- ge Reinheit und ewige Begeisterung zu geloben. Ich enteile dem Altar und der Priesterin um das Schwerdt zu ergreifen und mit der Schaar der Helden in den Kampf zu stürzen, den ich bald vergesse, wo ich in tief- ster Einsamkeit nur den Himmel und mich beschaue. Welche Seele solche Träume schlummert, die träumt sie ewig fort, auch wenn sie erwacht ist. Sie fühlt sich umschlungen von den Blüthen der Liebe, sie hütet sich wohl die lo- sen Kränze zu zerreißen, sie giebt sich gern gefangen und weiht sich selbst der Fantasie und läßt sich gern be- herrschen von dem Kinde, das alle Muttersorgen durch seine süßen Tän- deleyen lohnt. Dann zieht sich ein frischer Hauch von Jugendblüthe über das ganze Daseyn und ein Heiligenschein von kindlicher Wonne. Der Mann ver- göttert die Geliebte, die Mutter das Kind und alle den ewigen Men- schen. Nun versteht die Seele die Kla- ge der Nachtigall und das Lächeln des Neugebohrnen, und was auf Blumen wie an Sternen sich in ge- heimer Bilderschrift bedeutsam offen- bart, versteht sie; den heiligen Sinn des Lebens wie die schöne Sprache der Natur. Alle Dinge reden zu ihr und überall sieht sie den liebli- chen Geist durch die zarte Hülle. Auf diesem festlich geschmückten Boden wandelt sie den leichten Tanz des Lebens, schuldlos und nur be- sorgt dem Rhythmus der Gesellig- keit und Freundschaft zu folgen und keine Harmonie der Liebe zu stören. Dazwischen ewger Gesang, von dem sie nur dann und wann ein- zelne Worte vernimmt, welche noch höhere Wunder verrathen lassen. Immer schöner umgiebt sie die- ser Zauberkreis. Sie kann ihn nie verlassen und was sie bildet oder spricht, lautet wie eine wunderbare Romanze von den schönen Geheim- nissen der kindlichen Götterwelt, be- gleitet von einer bezaubernden Mu- sik der Gefühle und geschmückt mit den bedeutendsten Blüthen des liebli- chen Lebens.