Ein Lehrgedicht von Friedrich Rückert . Die Weisheit des Brahmanen, ein Lehrgedicht in Bruchstücken. Von Friedrich Rückert . Drittes Bändchen. Leipzig , Weidmann'sche Buchhandlung . 1837. VII. Rückert, Lehrgedicht III. 1 1. D as Veilchen fuͤllt die Luft mit Wohlgeruch von Amber; An Persiens Grenzen ists genannt Guli Peigamber. Guli Peigamber, das besagt Profetenblume; Wie gerne huldigen wir dem Profetenthume! Profetenblum' ist es, weil es uns profezeit Des Fruͤhlings Himmelreich, der Rose Herrlichkeit. 2. Geh, wann du hast am Tag im Hause still zu thun, Am Abend aus, das ist der Weg um auszuruhn. Die Ruh ermuͤdete, Bewegung ruhet aus, Und zu der Arbeitsruh kehrst du gestaͤrkt nach Haus. 1* Und einen frischern Straus, als du mit Kunst geschmuͤckt Daheim, bringst du nach Haus, auf Gottes Flur gepfluͤckt. Auf Gottes schoͤner Flur o wollt' es lenzen nur Wie sonst! doch von dem Lenz ist nirgend eine Spur. Auf Gottes schoͤne Flur o bring im Herzen nur Den Fruͤhling mit, so gehst du nicht auf Winterspur. Der Lenz im Herzen nur zeigt dir des Lenzes Spur Von außen auch, und macht die Welt zur Gottesflur. 3. Als wie ein Kind im Schlaf empor sein Auge schlaͤgt, Und alsobald sein Haupt befriedigt wieder legt, Weil nah das Angesicht sich ihm der Mutter zeigt, Die wachend uͤber ihr geliebtes Kind sich neigt; Begluͤckt, wer so den Traum des Erdenlebens lebt, Und wenn dazwischen er den Blick zum Himmel hebt, Die Mutter Liebe sieht hernieder schauen heiter Und laͤchelnd winken ihm: Ich wache, schlaf nur weiter! 4. Es liegt ein Kluͤmpchen Schnee, da alles rings gethaut, Nordwerts in einer Kluft, wo ihn der Blick nicht schaut, Der Sonne Lebensblick, der weg das Weiße nahm. Nun wird der weiße grau vor Aerger und vor Gram; Und wird vor Jammer schwarz. Schon recht geschieht dem Stolzen; Warum nicht frisch und zart ist er mit weggeschmolzen? — Ihr fragt ob das villeicht auch bildlich sei gemeint? Gemeint nicht eigentlich, doch auch gut, wenn es scheint! Oft wenn ich aus ein Licht und an ein Feuer bließ, Merkt' ich, daß das sich auch sinnbildlich deuten ließ. 5. Wie augentroͤstlich auch und lieblich lenzverjuͤnglich Das Gruͤn der Fluren sei, es ist doch nicht urspruͤnglich. Das Gruͤn ist, wie bekannt, gemischt aus Gelb und Blau; Nun welches Blau und Gelb mischt so das Gruͤn der Au? Der Sonne goldner Schein, das Blau im Aetherraum; Aus beiden ist gewebt des Fruͤhlings gruͤner Traum. Das Gruͤn unzweifelhaft stammt nicht aus gruͤnem Saft, Denn nur durch Luft und Licht erlangt es solche Kraft. Drum ist von Fruͤhlingsgruͤn dein Auge so erquickt, Weils drin vereint die zwei unsichtbaren erblickt. Heil ihm, wenn dankbar es den Erdentraum genießt, Bis er in Sonnengold und Aetherblau zerfließt. 6. Aus Gelb und Blau entspringt nach unten Gruͤn durch Mischen; Nach oben mischt sichs nicht, dort bluͤht das Roth dazwischen. Besonderstes ist Roth und Allgemeinstes Gruͤn, Und beide fordern sich, wo Schoͤnstes soll erbluͤhn. Drum ist der hoͤchste Schmuck, vom Lenz der Welt verliehn, Auf Thronen von Smaragd die Rose von Rubin. 7. Der Fruͤhlingshimmel soll in Wolkenduͤnsten bruͤten, Bis sich die Fruͤhlingsflur gefuͤllt mit Laub und Bluͤten. Schoͤn ist der blaue Raum, der wolkenlose, nur, Wenn ihm entgegen bluͤht die farbenreiche Flur. Doch bis die Lebensfuͤll' erwacht im Erdgefild, Sei ein Ersatz mir ein fantastisch Wolkenbild. 8. Das Licht ist leicht, es ist die umgekehrte Schwere; Einleuchten wird dirs leicht, wenn ich dirs klar erklaͤre. Das Licht von oben nimmt, wenn es hernieder schwimmt, In gleichen Maßen ab, wie zu die Schwere nimmt. Am schwersten alles ist der dunklen Erd' am naͤchsten; Der Sonn' am fernsten wirkt des Lichtes Kraft am schwaͤchsten. Das leichte Licht ist hoch, tief ist die schwere Schwaͤrze, Und zwischen beiden bluͤhn der Toͤn' und Farben Scherze. Der hoͤchste Ton ist Licht, der tiefste Ton ist Nacht, Der endlich ganz erlischt, entschlaͤft und neu erwacht; Wie dir der Schlaf bei Nacht schwer druͤckt die Augenlieder, Die leicht der lichte Stral des Morgens aufschließt wieder. 9. Sieh wie die Blaͤttchen sich um ihren Stengel stellen, Die lebenslustigen vertraͤglichen Gesellen! Stets eines oberhalb des andern, aber so, Daß keines hinderlich ist keinem irgendwo; So in gewundenen Abstufungen erhoben, Daß keines keins verdeckt, von unten frei und oben; Daß jedes saugen kann von unten her den Segen Des Thaus der aufsteigt, und von oben her den Regen, Nach allen Seiten hin sich breitend in die Luft, Schwelgend in Sonnenglanz und in der Naͤchte Duft. 10. Oft haͤngt das Hoͤchste mit dem Niedrigsten zusammen, Wie Knollenfruͤchte, die der Wurzel selbst entstammen, Wo, was die Pflanze sonst durch Zweig' und Kronen sucht, Gleich an der Wurzel ist gefunden, Saam' und Frucht. 11. Was ist der Vorzug wol der menschlichen Vernunft Vor allen Trieben, die besitzt der Thiere Zunft? Thuts nicht der menschlichen in allen Stuͤcken gleich Naturvernunft und Kunst, an Wunderwerken reich? Der Mensch kann feiner als der Seidenwurm nicht spinnen, Und kuͤnstlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen. Und nicht gelernt ist das, geerbt ists vom Geschlecht; Der juͤngste Biber baut gleich wie der aͤlt'ste recht. Die uranfaͤngliche Naturvollkommenheit Ist nie vollkommener geworden durch die Zeit. Und dieses ist, was der Vollkommenheit gebricht; Vollkommnungsfaͤhigkeit fehlt nur dem Menschen nicht. Die junge Spinne spinnt nur wie die alte spann, Indes der Menschensinn stets neu Geweb ersann. Vom Vater erbt ers nicht, vom Meister kann ers lernen, Und ausgelernt von ihm mit Freiheit sich entfernen. Die Freiheit voll Gefahr ist jedes Irrthums Spiel, Indes der sichre Trieb nothwendig geht zum Ziel. Doch ists ein niedres Ziel vor jenem, das erreichen Der Mensch will, soll und kann, mag es auch stets entweichen; Wo Kunstbehendigkeit und Thatverstaͤndigkeit Ihm wird in hoͤhrer Art Naturnothwendigkeit. 12. Ein einzig Bienchen war im Bienenstock erwacht, Die andern schliefen noch in honigduftiger Nacht. Ein einzig Bluͤmchen war am Blumenstock erbluͤht, Die andern schliefen tief im daͤmmernden Gemuͤth. Ein einzig Bluͤmchen lacht, noch schlaͤft der ganze Flor; Ein einzig Bienchen wacht, noch schweigt der ganze Chor. Das eine Bienchen fuhr durch all die Fruͤhlingsflur, Und fand, wie fand es nur? des einen Bluͤmchens Spur. Wenn dis nicht bluͤhte, haͤtt' umsonst sich jens bemuͤht, Und wenn nicht jenes kam, wem haͤtte dis gebluͤht? Hat jenes wol gewußt, daß dieses bluͤhte just? Hat dieses bluͤhn gemußt, weil jenes war voll Luft? Von beiden welches rief das andre das noch schlief? Ein drittes rief die zwei, sonst schliefen sie noch tief. Sei's fern wie Orient von Occident getrennt, Es findet sich und kennt, was gleichen Triebs entbrennt. Was gleichen Triebs entbrennt und gleichen Sinns sich nennt, Es findet sich und kennt und eint sich ungetrennt. Es eint sich ungetrennt in gleichem Element Die Lieb' aus Orient der Lieb' im Occident. 13. Ich hab' ein wonniges Gefild im Traum gesehn, So heller Lichter, die mir noch im Herzen stehn. Ich weiß nicht ob ein Land, wo ich daheim einst war, Daheim einst werde seyn, doch heimisch wunderbar. So heimisch war es mir, so heimlich und geheim, Vertraulich zeigte mir sein Sehnen jeder Keim. Ich sah das gruͤne Laub, das nie wird Windesraub, Die Luft von keinem als erfuͤllt von Bluͤtenstaub. Ich sah des Waldes Kranz im Abendsonnenglanz, Der doch nicht untergieng, und hell war immer ganz. Da ich so helle seh in Traͤumen, soll ich klagen, Daß mehr und mehr den Dienst die Augen mir versagen? Ja wol, es sieht ein Mensch mit Augen nicht allein; Was sehenswerth ist, sieht dein innres Licht allein. 14. Geschichten hab ich viel gelesen und gehoͤrt, Die vielfach angeregt mich haben und verstoͤrt. Geschichten moͤcht' ich euch anregende erzaͤhlen, Doch wollte nie mein Geist sich dieser Form vermaͤhlen. Und mich begeistern koͤnnt' Eine Geschichte nur, Beherrscht' ich deinen Stoff, Geschichte der Natur! Inzwischen hat genug Beruhigung gesogen Befriedigung mein Geist aus deinen Regenbogen. Der Regenbogen wirkt in sanfter Farbenpracht Die Friedensfahne beigelegter Wolkenschlacht, Wie nach der Leidenschaft gedaͤmpfter Wetterschwuͤle Mein heißes Aug' erfrischt der Weltbetrachtung Kuͤhle. 15. Die Unschuld liebt im Thier Menschaͤhnliches zu sehn, Bosheit im Menschen Thierverwandtes zu erspaͤhn. Und leicht ist eines auch aufs andre auszulegen, Weil beides uͤberall in beidem ist zugegen, Da das geringste Thier schon auf den Menschen deutet, Und selten sich ein Mensch hat ganz vom Thier gehaͤutet. Aus jedem Thiere guckt ein Stuͤckchen Mensch hervor, Und jeden Menschen zupft die Thierheit noch am Ohr. Wenn Scharfsinn und Verstand nun liebet Unterscheidung, So liebt dagegen Witz und Fantasie Verkleidung. Doch edler als die Luft an der Karrikatur Ist harmlos spielende Begeistrung der Natur, Die lieber Niederes um eine Stufe ruͤckt Herauf, als Hoͤheres hinab um eine druͤckt; Der Kindermaͤrchenwelt tiefsinnige Betrachtung, Und des Brahmanen draus entsprungne Thierweltachtung. 16. Die Schwalbe die ins Haus, und die am Hause baut, Sind in verschiednem Grad dem Menschen lieb und traut. Die eine bietet sich zu naͤchstem Nachbarsmann, Die andere sich dir zum Hausgenossen an. O haͤtt' ich immer, waͤrs vom Himmel mir beschlossen, So treue Nachbarn und so fromme Hausgenossen! 17. Es ist ein Kraut das Allmannsharnisch wird genannt; Wer's an sich traͤgt, der siegt, wo er wird angerannt. Der Aberglaube sucht das Kraut auf Feld und Wiese, Doch kommts dem Menschen nur herab vom Paradiese. Das Gottbewußtseyn ists, das droben ist zu Haus, Das ist der Straus mit dem du siegst in jedem Straus. 18. Nach Sonne, Mond und Stern in ihrem Strahlenblitze O deute nicht empor mit deiner Fingerspitze! Nach ihnen spaͤhend hebt der Astronom sein Rohr, Du aber schaue nur mit frommem Aug' empor. Denn du hast ihre Bahn nicht ihnen vorzuschreiben; Du gehst darunter weg, und sie dort oben bleiben. 19. Die Furcht vor Sonn- und Mondverfinstrung ist geschwunden, Seit bessere Naturerkentnis sich gefunden. So vor Aufklaͤrung muß verschwinden jede Blendnis, Und selber Goͤtterfurcht vor reinrer Gotterkentnis. 20. Um Mittag, wenn mit Duft der Himmel sich umsaͤumt, Und hinter weißem Flor die stille Sonne traͤumt, Kein Hauch das welke Blatt im Waldgebirg erfrischt, Wo nur die Grille schrillt und nur die Schlange zischt; Dann halten weißverhuͤllt die Geister ihre Runde, Und alle Schaͤtze thun sich auf im Erdengrunde. Das sind die Geister und die Schaͤtze, die der Macht Der Sonne folgen, nicht dem Mond der Mitternacht. Und wer ein Sonnenkind ist rein von allem Boͤsen, Der kann der Schaͤtze Bann, das Band der Geister loͤsen. 21. Ich gieng den Strom hinauf und forschte nach der Quelle, Aus deren Schoße sich ergoͤsse jede Welle. Je weiter aber ich hinaufkam, ward mir kund, Statt einer Quelle sei's ein ganzer Quellengrund. So, welcher Sache nach du forschen magst und graben, Statt einen Grund wirst du gefunden viele haben. 22. Der junge Vogel wo lernt er den frohen Sinn, Flug und Gesang? lernt' ichs von ihm, welch ein Gewinn! Im schwanken Neste schwankt er ob der Fruͤhlingsflur, Und athmet um sich her frisch athmende Natur. Von diesem Athem ist ihm Mark und Bein durchdrungen, Die Brust gehoben und die junge Schwing' erschwungen. Er sieht nur freie Luft, und fuͤhlt nur frischen Duft, Und hoͤrt den Vater froh wie er der Mutter ruft. Nur nachzusingen, nachzufliegen, nachzuahmen Hat ers, und nie wird er verkruͤppeln und erlahmen. Haͤtt' eine Saͤngerinn mein Wiegenkind zur Amme, Die ihm des Wohllauts Oel traͤuft' in die zarte Flamme; Ein farbenbuntes Bett, ein kuͤhles Laubgemach, Den Pfuͤhl des Fruͤhlings und des Himmels goldnes Dach! Auf seinem gruͤnen Pfuͤhl, unter dem goldnen Dach, Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, kuͤßt' ihn die Sonne wach! Er pfluͤckte jede Bluͤt', und braͤche jede Frucht, Und ohn' Erziehung wuͤchs' er auf, ein Bild der Zucht. Er muͤßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden, Und wenn nicht fliegen, doch vor Lust sich so geberden. 23. Als Bluͤtenalter ist die Jugend wol bekannt, Mir aber sei hinfort das Alter so genannt. Die junge Pflanz' ist gruͤn; wielang muß sie sich muͤhn Durch Blatt und Zweig hindurch, bis ihr gelingt zu bluͤhn! Ihr letztes ist das Bluͤhn, nicht erstes, zweifelsohne; Dann stirbt sie wann sie aufgesetzt die Bluͤtenkrone. Wie in der Jugend auch als Raupe kriecht, im Alter Die bluͤtengleiche Schwing' entfaltet der Zwiefalter. Doch fragst du wo denn sei des Alters Schwing' und Bluͤte? So sag' ich: außen nicht, doch innen im Gemuͤte. Das ist die Bluͤte, die hier athmet Seelenduft, Dis Silfenfluͤgelpaar traͤgt uͤber Welt und Gruft. 24. Sieh, wie die Fantasie des Fruͤhlings einen Raum Mit Blumen dort besaͤt, hier schmuͤckt den Bluͤtenbaum, Worin ein ganzer Wald von Trieben ist vereinigt, Doch hat er seine Kunst wie hier auch dort bescheinigt; Wie dich ein Dichter freut, ob einzeln er verstreut Viel Schoͤnes, ob er dir ein schoͤnes Ganzes beut. 25. Gesundes Auge sieht, es hoͤrt gesundes Ohr Durch Kraft von innen das was außen ist davor. Doch wird der Sinn sich selbst zum Gegenstand, ein Graus Ist kranken Augs Gefunk und kranken Ohrs Gebraus. So sei zum Gegenstand die Außenwelt verliehn Gesunder Fantasie, nicht kranke Fantasien. 26. Ohr oder Auge, mit der Toͤn' und Farben Flimmer, Was ist wol besser? was, taub oder blind, ist schlimmer? Auf gleicher Linie sosehr stehn diese beiden Im Menschenangesicht, daß schwer ist zu entscheiden. Das Recht entscheidet nicht, entscheide denn nach seiner Vorliebe jeder, ich entscheide so nach meiner: Von blinden Dichtern hab' ich vieles schon gelesen, Von keinem großen doch gehoͤrt, der taub gewesen. 27. Das Aug' ist uͤberm Ohr in allen Stuͤcken, traun, Nur daß man nicht mit ihm kann um die Ecken schaun. Das Aug' ist uͤberm Ohr fuͤrwahr in allen Stuͤcken, Nur daß man nicht mit ihm kann sehen hinterm Ruͤcken, Wie mit dem Ohre man wol hinterm Ruͤcken hoͤrt, Doch auch nur Schlimmes meist, das unsre Ruhe stoͤrt. 28. Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut, Und mehret so den Schmerz, den sie will machen gut. Wie oft hat so die Zung' auch weh statt wohl gethan Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn. 29. Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab, Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab. Sie sehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfuͤhl, Daß sie nichts sind als ein besondertes Gefuͤhl. Das Auge fuͤhlt das Licht, und sieht, vom Licht beruͤhrt; Und durch Erschuͤttrung wird der Schall ins Ohr gefuͤhrt. Die Nase riecht den Ruch, es schmeckt den Schmack der Mund; Empfindlich spuͤren sie, was sich vom Ding thut kund. Wenn tastend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne, Mag alles Nas' und Mund in sich hineinziehn gerne. Und zwischen beiden schwebt, im wogenden Gewuͤhl Der Sinnenwelt, der allgemeinste Sinn, Gefuͤhl. Du fuͤhlest nicht allein, was deine Hand beruͤhrt; Du fuͤhlst in deiner Brust, dein Herz fuͤhlt sich geruͤhrt. Was aͤußerlich dein Sinn, ist innerlich dein Sinnen; Kein Unterscheiden schied das Außen von dem Innen. 30. Geh in die Welt hinaus mit allen deinen Sinnen, Um Bienen-gleich ins Haus den Honig zu gewinnen. Wohin du fliegen magst, da bist du eingeladen, Und irre kanst du auch nicht gehn auf allen Pfaden. Dich zieht von hier und dort, von jedem Duftversuch, Zu deinen Zellen heim der suͤßre Honigruch, Der Vorrath staͤrker, als den draußen du begehrst, Den aber du mit dem von außen immer mehrst. Muͤde von Flug und Braus, kehr' in dich still zuruͤck, Ruh' in dir selber aus, so fuͤhlst du hoͤchstes Gluͤck, Rückert, Lehrgedicht III. 2 Wenn du dich, ohne zu versinken, ganz versenkest, Ausdichtest spiegelglatt, was du durchsichtig denkest. Wie du ziehst von Natur den Athem aus und ein, Lern' auch im Geiste nur außen und innen seyn. 31. Sieh die Verfassungen der Voͤlkerstaaten hie, Ameisenrepublik und Bienenmonarchie. Die fliegen in der Luft, die kriechen an der Erde; Die sammeln Bluͤtenduft, die Koͤrner mit Beschwerde. Dort waltet ein Gesetz, und hier ein Oberhaupt, Hier wird geschaut, was dort unsichtbar wird geglaubt. Der Bienenstaat ist hin, wann stirbt die Koͤniginn; Ameisenreich besteht, unsterblich ist sein Sinn. Mit Andacht sammle du in reinlichen Geschirren Von Bienen Honigseim, und von Ameisen Mirren. 32. Mein Sohn, sieh an den Hirsch! wie edel, schoͤn und groß, Und doch wie voller Furcht und alles Muthes bloß! Die Waffe des Geweihs kann seine Furcht nicht mindern, Die Zinken dienen nur ihn auf der Flucht zu hindern. Er kann auf seinen Feind nicht wenden ihre Schaͤrfen, Und dem Ausreißer gleich sie nicht einmal wegwerfen. 33. Wol ist im Saamenkorn die Pflanze schon enthalten, Doch siehst du's ihm nicht an, wie sie sich wird entfalten. Viel groͤßer als der Kern des Apfels ist die Bohne, Doch Ranken gibt sie nur, er eines Baumes Krone. 2* 34. An einem Pfuhle sah ich sprudeln eine Quelle, So truͤb sein Wasser war, so hell war ihre Welle. Durch einen schmalen Rand war sie von ihm geschieden, Wie vom Unedelsten das Edelste hienieden. Hat ihre Reinheit vom Unreinen sich genaͤhrt, Gesintert durch den Sand Unklares sich geklaͤrt? Unschoͤnes, so verschoͤnt, waͤr' um nichts minder schoͤn; Doch sieh, die Quelle springt, und deutet nach den Hoͤhn. Nicht springen koͤnnte sie, wenn sie nicht waͤr' entsprungen Von jenen Hoͤhen, die dis niedre Thal umrungen. Sie ist ein schoͤnes Bild, daß, was herab geboren Von dort ist, nie nach dort empor den Trieb verloren. Dis Angedenken hat die Reinheit ihr bewahrt, Ihr Wesen nahm nichts an von ihres Nachbarn Art. Laß dich die Nachbarschaft des Schlechten nur nicht kraͤnken; Den Einfluß wehrt dir ab des Bessern Angedenken. 35. Am Stromesufer steht erschwungen eine Palme Hoch ob der Duͤnste Kreis und erdenahem Qualme, So hoch, daß Menschenwitz nicht ihre Kron' entblaͤttert, So glatt, daß Affenkunst nicht ihren Stamm erklettert. Die reifen Fruͤchte wirft sie aus der Luft hinab Ins Wasser, welches ihr dazu die Nahrung gab. Die Fruͤchte, wann sie sind den Strom hinab geschwommen, Schwimmen dort an ein Land, wo Palmen nicht bekommen. Willkommen sind sie dort, die Gaben aus der Ferne, Die Menschen essen sie und sammeln ihre Kerne. Sie zoͤgen aus dem Kern selbst eine Palme gern, Doch Erd' und Himmel ist dagegen, Sonn' und Stern. 36. Geschichte und Natur, zwei Raͤume sind sie nur, Wo uͤberall der Tod geht auf des Lebens Spur. Du siehst, wohin du siehst, Zerstuͤckelung, Bruchstuͤcke; Das eine ist dahin, das andre noch zuruͤcke. Du siehst Verbindungen und fuͤhlest eine Luͤcke, Suchest Zusammenhang und findest keine Bruͤcke. Blick' in die Sternwelt auf, damit dein Geist gesundet! Dort ist der ewige Kreis, der in sich selb sich rundet. Die Ordnung droben ist, wo aufgehoben ist Die Wirrung, wo sich fuͤgt, was hier verschoben ist. Freu dich in jeder Nacht, daß Sterne niederglaͤnzen Mit hoͤhrer Hofnung Stral dein Daseyn zu ergaͤnzen. 37. Der Apfel faͤllt, gereift, in seines Gaͤrtners Hand; So faͤllt in Gott ein Geist, der seine Reife fand. Wol faͤllt ein Apfel auch, zu fruͤh vom Sturm gebrochen, Von Willkuͤr abgepfluͤckt, oder vom Wurm gestochen. Doch hierin ist der Baum im engen Gartenraum Hoch uͤberragt und weit vom Weltengartenbaum, Den solch ein Gaͤrtner zieht, der auch dem Sturm befihlt, Den keine Willkuͤr stoͤrt, kein schwacher Wurm bestihlt; Und sicher fuͤhlest du's: von ihm wird hingenommen Zum Heile jede Frucht, wann ihre Zeit gekommen. Villeicht erschien sie dir von außen nicht gestreift, Sie aber, glaub' es mir, war innerlich gereift. 38. Wann wacher Sinne Krieg geschlichtet Gottesfriede, Und aufgehoben hat des Daseyns Unterschiede, Wo Inn- und Aeußres ist in Einen Duft verschwommen, Besonderheitsgefuͤhl ins All zuruͤckgenommen, In solchem Schlaf, in den hinein kein Wachen bebt, In dessen Ruh' kein Traum verwirrte Bilder webt; Wann jeder Thaͤtigkeit Thorweg geschlossen steht, Und ungehemmt nur aus und ein der Athem geht; Erloschen ist das Aug' und jedes Bild des Schoͤnen, Erloschen ist das Ohr mit allen hellen Toͤnen, Erloschen Red' und Wort mit der Begriffe Samen, Den Zeichen aller Ding' und aller Wesen Namen; Erloschen, ausgeloͤscht, das Denken der Gedanken, Des Wollens Wallungen und der Gefuͤhle Schwanken; Und nur ein stilles Licht, geklaͤrt von Glut und Rauch, Und von dem Leben nichts zuruͤckbleibt als der Hauch: Der Hauch (sagt der Brahman), der Gottes Athem ist, Bezeugt, daß du in Gott dann aufgenommen bist; Und wann du dann vom Schlaf erwachest sanft und kuͤhl, Bezeugt dasselbe dir ein seligs Nachgefuͤhl. 39. Willst du erquickenden traumlosen Schlaf genießen, Laß wach dich im Genuß nicht Maͤßigkeit verdrießen. Und so im Leben auch sei maͤßig, wenn begraben Du ruhn in Gott willst und nicht boͤse Traͤume haben. Sieh, welchen Lohn der Seel' hat Maͤßigung beschieden! Im Wachen und im Schlaf, im Tod und Leben Frieden. 40. Die Kropfgans schlingt den Fisch hinein auf Einen Schluck; Es fehlt ihr der Geschmack, sie fuͤhlet nur den Druck. Ein Schlemmer aber mag in kleinen Bissen kauen, Die Waͤrzchen des Geschmacks andaͤchtig zu erbauen. So wenig jene mir, gefaͤllt mir diese Sitte; Ich rathe dir auch hier wie uͤberall die Mitte. 41. Geselligkeit erhoͤht den Menschen nicht allein, Das Thier veredelt auch und steigert der Verein. Der Biber baut voll Kunst, der in Gesellschaft lebt, Indeß der einsame nur schlechte Hoͤlen graͤbt. Des Bienenstaates Fleiß thuͤrmt goldner Schloͤsser Duft, Nicht Wachs noch Honig fuͤllt der Mauerbiene Kluft. 42. Ein Voͤglein hatte sich in meinen Schutz begeben, Es wollt' in Sicherheit, wenngleich gefangen, leben, In Sicherheit vorm Schreck des Reichs der Luft, dem Geier, Vor welchem sicher sich kein Vogel fuͤhlt, kein freier. So gern gefangen nun vor meinem Fenster hieng's, Doch im Gefaͤngnisse dem Schicksal nicht entgieng's. Ein Geier nahte kuͤhn zum Kerker seiner Lust, Und schlug durchs Gitter ihm die Krallen in die Brust. Doch konnt' er seinen Raub nicht in die Luͤfte tragen, Und sterbend ließ ers uns zuruͤck, es zu beklagen. Durch seine Dienstbarkeit hat es nur dis erworben, Daß es nicht unbemerkt noch unbeklagt gestorben. 43. Vom Onyx wird gesagt, daß er, im Ring gefaßt, Macht einen, der ihn traͤgt, in jedem Ding gefaßt, Und, wem ein solcher Stein zur Erbschaft ist gelassen, In Gluͤck und Ungluͤck ist er jederzeit gelassen. Wol so gefaßt zu seyn, ist eine schoͤne Fassung, Und die Gelassenheit die reichste Hinterlassung. Doch laß dir deuten recht die Hinterlassenschaft, Und faß in deinen Sinn der Fassung Wunderkraft! Der so gefaßte Ring will an der Hand dir reichen Ein Zeichen, daß dein Herz sich fassen soll desgleichen. Denn wol zu jeder Frist gefaßt wird seyn ein Mann, Der nie vergißt, daß er gefaßt seyn soll und kann. So trag den Stein, und trag das Leben fein gelassen, Wie der das Leben trug, der dir den Stein gelassen. Ja sei wie er, der nun, in Grabesrund gefaßt, Die Welt gelassen hat, gelassen und gefaßt! 44. Das menschlichste Geschaͤft ist Menschen zu erziehn; Und Blumen ziehe, wem nicht Kinder sind verliehn. Der Blumen Jugend laͤßt vor Stuͤrmen und Gefahren Sich immer leichter als die menschliche bewahren. Dankbarer sind sie auch, vom Wiegenrand zur Gruft, Erziehunglohnender mit Farbenspiel und Duft. Gern mag mein altes Aug' aus ihren Kinderaugen Saugen das Licht, das sie selbst aus der Sonne saugen. Dann saugt sie ihnen aus das eingesogene, Entflogen ist der Glanz der angeflogene. Die Farben auf der Flucht von Kronen stets zu Kronen; Trauer ist wo sie fliehn, und Freude wo sie wohnen. Sieh deine Blumen an in deiner Luft und Trauer, Und troͤste dich, daß auch an dir ist keine Dauer. 45. Der Gaͤrtner liefert mir zum Schmuck in meinem Zimmer Blumen von Zeit zu Zeit, neu bluͤhnde Blumen immer. Da stehn sie denn solang als sie in Bluͤte stehn, Und muͤßen abgebluͤht zuruͤck zum Gaͤrtner gehn. Ich habe den Genuß, der Gaͤrtner hat die Muͤhen, Nur bluͤhen seh' ich sie, er sorget daß sie bluͤhen. Was mir der Gaͤrtner ist, das ist der Dichter euch, Der Bluͤt' und Blume zieht am kahlen Weltgestraͤuch. Ihr habt den Augenblick des Aufgehns zu genießen, Doch das ist seine Lust stets neue zu erschließen. 46. Die Sonne, die soviel ist groͤßer als die Erde, Ist sie die Hirtin, und die Erd' ein Lamm der Herde? Ist sie die goldne Trift, mit Flammengras bekleidet, Worauf die Erde mit den andern Laͤmmern weidet? Ist sie der Bronnen, der mit Glanz die Herde traͤnkt? Die Huͤrd', in welche sie wird Abends eingelenkt? Ob Hirtin oder Trift, ob Bronnen oder Huͤrde, Sie hat ein schoͤnes Amt und eine hohe Wuͤrde. Wenn Hirtin, huͤte sie mit treuem Blick die ihren; Wol aus den Augen wird sie leicht kein Stuͤck verlieren. Wenn Trift, so treibe sie mit ew'gen Fruͤhlingstrieben, Und lustgetrieben gehn die Laͤmmer nach Belieben. Wenn Bronnen, sei sie uns voll stets vom Thau der Gnaden; Wenn Huͤrde, sammle sie die Herd' ein ohne Schaden. Ein schoͤner Sommertag, den ausgesprungen habend, Die muͤde Herde sucht den warmen Stall am Abend. 47. Siehst du, wie der Planet sich um sich selber dreht, Und still dabei im Kreis um seine Sonne geht? Was um die Sonn' ihn zwingt, und was um sich ihn schwingt, Ist nicht verschieden, eins durchs andre ist bedingt. Das ist des Mannes Muth, der auf der Liebe ruht, Der selbst sich thut den Dienst, den er dem andern thut. Dagegen ein Trabant ist jener Stern genant, Der seinem Hauptstern sich zuwendet unverwandt. Er kehrt in Dienstespflicht ihm zu sein Angesicht, Und dreht sich so um ihn, doch um sich selber nicht. 48. Es streiten um die Welt das Wasser und das Feuer, Welches von beiden soll fuͤhren der Schoͤpfung Steuer. So schlicht' ich ihren Streit: der Schoͤpfer der Natur Ist Wasser, Feuer sei der Schoͤpfer der Kultur. 49. Die Berge werden stets vom Regen abgespuͤlt, Doch tiefer auch vom Fluß das Bette stets gewuͤhlt. So bleibt im Ganzen das Verhaͤltnis wie zuvor; An Tiefe wird ersezt, was sich an Hoͤh verlor. 50. Von Stroͤmen taͤglich traͤgt und stuͤndlich welch ein Heer Dem Meer suͤß Wasser zu, doch bitter bleibt das Meer. So taͤglich, stuͤndlich bringt von Weisheit auch genug Zur Welt der Weisen Zunft, doch wird die Welt nicht klug. Doch ließen dieses sich die Weisen wol verdrießen, Da unverdrossen stets ins Meer die Stroͤme fließen? Da nie in ihrem Lauf die Stroͤme sich verbittern, Wie sollten Weise sich im ihrigen erbittern? Die Stroͤme suͤßen nie das Meer, doch ziehen sie Aus ihm ihr Suͤßes selbst, und wissen selbst nicht wie, Ob unterirdisch aufgedampft und ausgebraut, Ob uͤberirdisch abgeklaͤrt und angethaut; Des Meeres bittre Flut wird suͤße Quelle wieder, Und billig stroͤmt der Quell darum zum Meere nieder. 51. Die Erd' in ihrem Bau ist gar nicht eingerichtet Ein Paradis zu seyn, wie Fantasie es dichtet, Ganz ungeeignet, von Unsterblichen bewohnt Zu seyn, da uͤberall auf ihr Zerstoͤrung thront, Ihr ew'ges Leben nur auf ewiger Zerstoͤrung, Ihr ew'ger Friede ruht auf ewiger Empoͤrung; Darum unsterblich kann nur das Geschlecht allein Von Anbeginn, wie es noch ist, gewesen seyn, Kein Einzelner, der, selbst unsterblich, das Verderben Nicht haͤtte koͤnnen sehn ringsum, ohn' auch zu sterben, Nicht haͤtte koͤnnen sehn die Pflanzen jaͤhrlich bluͤhn Und welken, ohne mit in Sehnsucht zu vergluͤhn, Nicht zittern sehn die Erd' und ihre Berge splittern, Ohn' uranfaͤnglichem Granit gleich zu verwittern. 52. Die Goͤttin, die, verhuͤllt, ums Antlitz Schleier traͤgt, Die Braut, nach welcher Lust der freche Freier traͤgt, Mit Andacht nahen mußt du der geheimnisreichen, Wenn sie den Schluͤssel dir soll zum Geheimnis reichen. Belausche, die im Traum ununterbrochen spricht, Doch unterbrich sie mit Dazwischensprechen nicht. Behorchen magst du sie, nicht peinlich sie verhoͤren; Gehorchen wird sie nie, nur guͤnstig dich erhoͤren; Erhoͤren guͤnstig den, der bruͤnstig sie ersucht, Den aber aͤffen, der zudringlich sie versucht, Den, der mit Gaukelwerk und Taschenspiel beschwoͤren Sie will, mit Gaukelwerk und Taschenspiel bethoͤren. 53. Was ist unwandelbar in der Verwandlung Reich? Das Ew'ge selber bleibt sich selbst nicht ewig gleich. Der Laͤnder Grenzen ruͤckt nicht Voͤlkerwechsel nur, Es ruͤckt durch Stroͤm' und Meer sie selber die Natur. Und jene Bahnen auch, die unveraͤnderlichen, Wovon die Wandelstern' im Wandel nie abwichen; Daß sie von Zeit zu Zeit ein wenig doch ausbeugen, Muß jede Sternkart' uns, die nicht mehr paßt, bezeugen. 54. Ist dir es nicht verliehn, lebendig anzuschaun Die Welt, als einen Leib mit Geist sie aufzubaun, So zimmre lieber sie aus stoßenden Atomen Und traͤgen Kraͤften, als aus dunstigen Fantomen. Was fuͤr ein Hirngespinst du auch in ihr erkennst, Wenn du in ihr nur siehst kein grinsendes Gespenst, Wie solch ein kranker Geist, der seine Todeswunden Gern fuͤhlet uͤberall, macht aus der kerngesunden. 55. Was glaͤnzt, daß du es siehst, ist gleichsam im Verbrennen; Die Farben werden sich davon wie Funken trennen. Was schallt, daß du es hoͤrst, ist nah dran zu zerspringen; Nur durch Erschuͤtterung vermag's dich anzuklingen. Was duftet, daß du's riechst, und was du schmeckest gar, In diesem nimmst du leicht der Theil' Aufloͤsung wahr. Und das was dich beruͤhrt, daß es dein Finger spuͤrt, Ist seinem Untergang entgegen so gefuͤhrt, Wenn alles auch so leicht nicht der Zerstoͤrung Staub Wird durch Beruͤhrung, wie des Silfen Fluͤgelstaub. Dem Sinne kann die Welt nicht anders kund sich geben Als nur im Uebergang zum Tode von dem Leben. 56. Laß dir in der Natur am Was, Wozu und Wie Genuͤgen! das Warum begreifest du doch nie. Was wirkt, und wie es wirkt, wozu du brauchen kannst Die Wirkung, ohne daß du ihren Grund erkannst. Fuͤhrt sicher uͤbers Meer zum Ziel doch der Magnet Den, der nicht fragt warum, nur sieht wie er sich dreht. 57. Wie mittheilt ein Magnet die eigne Eigenschaft Dem Eisen, ohne daß er selbst verliert an Kraft, Weil, was er mittheilt, nicht ist seiner Kraft Bewegung, Vielmehr die Richtung nur und gleicher Kraft Anregung; Nicht, wie ein Feuchtes, wenn man drein ein Trocknes taucht, Ein Theilchen Feuchte fuͤhlt vom Trocknen aufgebraucht, Und Warmes kaͤlter wird, das Kaltes machet waͤrmer; So wird ein Reicher, der dem Armen reicht, wol aͤrmer, Doch aͤrmer werden soll kein Geist, wenn angehaucht Von ihm ein andrer auch nun brennet oder raucht: Klagst du, daß etwas durch Mittheilung dir entgeht, O schaͤme dich, du bist ein Schwamm, und kein Magnet. 58. Du siehst ein Andres als du hoͤrest, und du schmeckest Und riechst ein Andres als du durchs Gefuͤhl entdeckest, Am Ding, von welchem du verschiedne Kund' einziehst, Wie du es fuͤhlest, riechst, schmeckst, hoͤrest oder siehst. Auch ist kein Zweifel, daß, sobald ein Sinn dir fehlt, Gleich eine Seite sich vom Dinge dir verhehlt; Die wichtigste villeicht, wenn grade dir entweicht Der Sinn, durch den das Ding vorzuͤglich dich erreicht; Wie ja ein Blinder mit all seinen andern Sinnen Den Farben eines Bilds kann wenig abgewinnen. Drum, wenn dir zu Gebot mehr als fuͤnf Sinne stuͤnden, So wuͤrdest du auch mehr als jetzt vom Ding ergruͤnden; Wie schon der edelste, den jetzt du hast, verstaͤrkt Durch Kunst, dein Auge, mehr als von Natur bemerkt. Und gieng dir nicht villeicht ein sechster Sinn verloren, Ein siebenter, villeicht auch wird er einst geboren? Weil mit den fuͤnfen doch, die dir inzwischen dienen, Du unzufrieden bist und kommst nicht aus mit ihnen, Weil mit den fuͤnfen du so wenig kanst bezwingen Das Ding, das du sosehr begehrest zu durchdringen. Unnuͤtze Traͤumerei! Gebrauche fein mit Fug Die fuͤnfe, die du hast, du hast daran genug. Wo sollt' ein sechster Sinn herkommen oder hin? Waͤr' es ein niedrerer, so waͤr' es kein Gewinn; Dir koͤnnt' ein hoͤherer nur als dein hoͤchster frommen, Doch uͤber'm Auge hat den Platz der Geist genommen. Wenn du es recht bedenkst, laß ihm nur seinen Platz! In ihm gefunden hast du den vermissten Schatz. Rückert, Lehrgedicht III. 3 59. Nie der Erscheinung siehst du voͤllig auf den Grund, Die Dinge thun sich nur durch ihre Wirkung kund. Erklaͤren magst du sie dir, wie du willst, mein Kind, Die Hauptsach' aber ist: sie brauchen, wie sie sind. Du siehst: damit dis Naß vom Heber fließe, muß Laͤnger sein aͤußrer seyn, kuͤrzer sein innrer Fuß. Dann gnuͤgt ein Mundeshauch, so steigts von selbst im Rohr Im kuͤrzeren, und fließt im laͤngeren hervor. Warum? ob du's begreifst, das ist nicht von Gewicht; Doch nimmst du ihn verkehrt, so fließt der Heber nicht. Die Dinge der Natur stehn unter Zauberbann, Und der beherrscht sie, wer das Wort aussprechen kann. Es auszusprechen gnuͤgt, ob oder nicht verstanden; Und ganz es zu verstehn, ist noch nicht Zeit vorhanden. 60. Dem edleren Metall ist vom unedlern immer Ein wenig beigemischt, das schwaͤcht nicht dessen Schimmer, Verfaͤlscht nicht dessen Guß; nur daß es viel nicht sei, Sonst wird zu Kupfer Gold und aus dem Silber Blei. 61. Ein Zentner Silber, wenn darein von Gold ein Gran Geschmolzen worden, nimmt nur wenig Goldglanz an; Doch haͤttest du damit das Silber uͤberzogen, Es haͤtte mit dem Schein von Gold die Welt betrogen. 3* 62. Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur, Mit welchem er wird sehn soviel als er bedarf, Im unterirdischen Palast, den er entwarf, Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen, Wenn wuͤhlend er empor wirft die gewoͤlbten Hallen. Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen sucht, Braucht er nicht zu erspaͤhn, nicht schnell ist dessen Flucht. Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen, Auch seinem kleinen Stern wird sich der Himmel zeigen; Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit sich hinnieder Auch einen Stral, und wuͤhlt vergnuͤgt im Dunkeln wieder. 63. Den Maulwurf nennst du blind, weil er, wenn du ans Licht Ihn ziehst, geblendet scheint, blind aber ist er nicht. Vielmehr es ist so fein sein Auge, daß es fuͤhlet Das Licht im dunkeln Grund, wo er die Gaͤnge wuͤhlet. Drum, grabend, graͤbt er stets, die Sonn' im Ruͤcken habend, Am Morgen gegen West, und gegen Ost am Abend; Der Sonne, die er doch nicht siehet, abgewendet, Damit nicht in der Nacht ihr scharfer Glanz ihn blendet. Mein Sohn, oft ist von Unempfindlichkeit der Schein Nur eine aͤußerste Empfindlichkeit allein. 64. Ist dir bekannt, warum in der Gefangenschaft Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft? Weil er, der lustentbrannt im freien Wald gegangen, Von zahmer Weibchen List bethoͤrt ward und gefangen; Die schmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen, Bis sie ins Fangbereich der Menschen mit ihm kamen. Aus Scham nun, daß er sich von ihnen ließ verfuͤhren, Lass' er, so sagt man, nie mehr sich von ihnen ruͤhren. Doch andre sagen, nicht daß er den Weibchen grolle, Nur daß er kein Geschlecht von Knechten zeugen wolle. Noch andre, daß er sei zu schamhaft, weil ihm fehlen Die dunklen Waͤlder, um sein Minnespiel zu hehlen. Und wieder andre, weil mit seinem Kriegerstande Es unvertraͤglich sei, zu knuͤpfen zarte Bande. Darum auch dieses Heer, das stehnde, bald ausstuͤrbe, Wenn nicht List und Gewalt stets neue Mannschaft wuͤrbe. 65. Sieh diese Muschel, Kind, gewunden, glaͤnzendroth, Und sag' ob Menschenkunst je baute solch ein Boot! Als noch der Steuermann darin, der Nautil, lebte; Wie sicher und gewandt durchs Meer der Nachen schwebte! Schiffkuttel hieß er auch, und nie hat Schiff und Kutter Es ihm wol gleich gethan, wenn er schwamm aus auf Futter. Man sagt, es hat von ihm der Mensch gelernt das Schiffen, Doch hat er von der Kunst nur einen Theil begriffen, Und braucht dazu viel mehr Gezeug, Geraͤth, Geruͤst, Als unser Nautil, der sich selber Alles ist. Wenn eben war die Flut, und es ihm duͤnkte gut Zu schiffen, ruͤstet' er sein Schifflein wohlgemut. Von seinen Aermen, den in großer Zahl verliehnen, Streckt' er ein Paar empor, zu Masten ihm zu dienen. Und zwischen ihnen dehnt' er aus nach rechter Regel Ein Haͤutchen zart und fein, das schwoll im Wind als Segel. Als Steuer ist ins Meer ein andres Glied getaucht, Und Ruder rechts und links, soviel er immer braucht. Gliedmaßen blieben ihm frei immer noch genug, Zu haschen einen Raub auch im Voruͤberflug. Wann aber naht ein Feind, wann droht ein Ungewitter, Wovor ein Menschenschiff verzagt und geht in Splitter; Dann zeigt weit ihre Macht ob aller Kunst Natur: Sich selbst und sein Geraͤth zieht ein der Kuttel nur. Meerwasser nimmt er ein, nicht fuͤrchtend zu ertrinken; Statt Untergang dient ihm zur Rettung das Versinken. Zum ewig stillen Grund versinkt er ohne Grausen, Und wartet bis sich legt der Oberflaͤche Brausen. Dann taucht er wieder auf im umgestuͤlpten Nachen, Der Taucherglocke gleich, um nun die Fahrt zu machen. So, lang gesegelt und gesteuert ist sein Schiff, Und seine Ribben wund gerieben hat kein Riff. Und als der Tod gebot dem Bootsmann doch sein Boot Zu raͤumen, blieb der Raum der leere glaͤnzend roth. So ist es dir, mein Kind, zum Spiel ans Land geschwommen, Und seine Farben sind nach Jahren unverglommen. 66. Der Aberglaube sagt: Wirst du beim Wandern spuͤren, Daß dich ein irrer Geist bei Nacht will irre fuͤhren; So halte dich nur mit dem rechten Fuß im Gleise Des Fahrwegs fein, und ungeirrt geht deine Reise. Denn auf dem Gehweg nur, nicht auf dem Fahrweg kann Es Schaden thun, und hat Macht uͤbern Wandersmann. In Zweifelsfaͤllen ists und bei Bedenklichkeiten Im Heerweg besser als auf eignen Pfaden schreiten. 67. Sonst ward dem Zauberer in aberglaͤubischen Tagen Ein Vorderzahn des Munds ein obrer eingeschlagen, Der Schlange gleichsam so der Giftzahn ausgebrochen, Daß kraftlos sei das Wort, undeutlich ausgesprochen. Doch schluͤgst du Zahn und Zahn dem Ohrenblaͤser ein, Sein Ohrenblasen wird nicht minder giftig seyn. 68. Ein Wandersmann, der aus der weiten Wuͤste kam, Wo er nicht Menschenwort noch Menschenblick vernahm, Tritt in ein Felsenthal, von Baͤumen kuͤhl beschattet, Wo eine Quelle rauscht, da setzt er sich ermattet. Nun schaut er in den Quell, und sieht sich selb darinn, Und weiß nicht daß ers ist, und schwankt in seinem Sinn. Er schwankt, alswie er sieht sein Bild im Quelle schwanken, Und sinkt, wie in die Flut, in wogende Gedanken. Dann ruft er staunend aus: Wer bist du? und mit Staunen Hoͤrt er der Felsen Mund Wer bist du? gegenraunen. Durch Gegenfrage wird die Frage nicht beschwichtet, Doch hat die Einsamkeit nichts andres ihm berichtet. Sich selb nur sieht der Mensch im Spiegel der Natur, Und was er sie befragt, das widerholt sie nur. 69. Auf jener Wiese, wo statt Blumen Sterne stehn, Wird auch ein Fruͤhlingswind, der Rosen wecket, wehn, Und Knospen werden dort auch uͤber Nacht aufgehn. Mit bloßen Augen siehst du nicht in jener Ferne, Doch mit bewaffneten, o Sohn, die Nebelsterne, Von außen daͤmmernd noch, doch stralend schon im Kerne. Das sind die Knospen, die noch nicht sind aufgegangen, Die aufgegangen einst als Rosen werden prangen. Wann? frage nicht. Ein Tag schmuͤckt hier den Rosenhag, Doch hunderttausend Jahr sind dort ein Fruͤhlingstag. 70. Im Anfang war das Licht, ein goldner Aetherduft, Der wollte anders seyn, und ward sein Andres, Luft. Die Luͤfte strebten sich mit Sehnsucht auszudehnen, Und nieder flossen sie in Wasser wie in Thraͤnen. Das Wasser gohr vor Lust und zeugete den Schaum, Da ward verdichtet Schlamm, und trug dann Gras und Baum. Die Schlammerd' aber schloß sich fest in sich hinein, Und ward im Innersten verhaͤrtet Erz und Stein. Der Stein erregte sich, und schlug hervor das Feuer, Das ward im Tiefen bald ein Herrscher ungeheuer. Erst glaubt' es ewig sich, am Ende fiel ihm bei, Daß es von Anfang nur das Licht gewesen sei. Und es beschloß die Welt von unten auf zu treiben, Wie Licht von oben her; so wird die Schoͤpfung bleiben. 71. Nicht erst vom Werkzeug wird Naturtrieb angehaucht, Naturtrieb bringt hervor das Werkzeug das er braucht. Das Voͤgelchen im Nest will schon Gefieder regen, Das nicht gewachsen ist, und muß sich wieder legen. Mit ungewachsnem Horn siehst du das Boͤckchen stoßen, Und mit noch glatter Stirn vergebens sich erboßen. Das Boͤckchen fuͤhlt sein Horn, das Voͤgelchen die Schwingen Zum Voraus, und ihr Trieb sucht sie hervor zu bringen. So siehst du auch das Kind mit weicher Zunge lallen, Eh noch das Werkzeug laͤßt vollkommne Toͤn' erschallen, Und siehst es zum Versuch mit seinen Haͤndchen langen, Noch eh sie ganz geschickt es wissen anzufangen. Der Geist gebraucht nicht, weil sie brauchbar ist, die Hand, Die erst die Brauchbarkeit, weil er sie brauchte, fand. Er richtet nicht im schon gebauten Haus sich ein, Von innen baut er es, und zieht nicht erst hinein; Wie nicht die Schnecke kriecht ins leere Schneckenhaus; Sie woͤlbt es um sich her und streckt den Kopf heraus. 72. Aus Aeußerm fuͤhlst du dich und Innerem zusammen Gesetzt, o Mensch, die von verschiednen Enden stammen. Doch deine Aufgab' ist, die beiden auszugleichen, Und weder hier vom Pfad noch dorthin auszuweichen. Zu aͤußern Inneres und Aeußres zu verinnern, Das ist der Dinge Recht, der aͤußern und der innern. Zu aͤußern Inneres und Aeußres zu verinnern, Ist Geistes Aeußerung und geistiges Erinnern. Sich aͤußern soll der Geist, nicht aber sich veraͤußern; Die innern Regungen sind nicht ein Spiel der aͤußern. Dein Innres uͤberwiegt dem Aeußern, das sagt sinnig Die Sprache schon, die bei dem Innern gab ein Innig. Drum huͤte dich, mein Sohn, je außer dich zu kommen; Und ists geschehn, so wird in dich zu gehn dir frommen. Aus ihrem Innern durch Naturtrieb nimmt die Flucht Die Pflanze, bis sie sich erinnert in der Frucht. Doch ganz ist aͤußerlich geworden Stein und Erz, Kann nicht mehr in sich gehn, wie ein verhaͤrtet Herz. Darum muß aͤußerlich der Stein sich lassen waͤlzen Von Fluten, und das Erz von Feuergluten schmelzen. Doch wem die aͤußern gleich sind und die innern Enden, Der ist ein Handschuh, nach Belieben umzuwenden, Und hoͤchstens ein Polyp, den es nicht im Behagen Stoͤrt, wenn sein Magen wird zur Haut, die Haut zum Magen. 73. Betrachtest du die Welt als einzig da fuͤr dich, Bist du ein Thier, das Thier thut ebendis fuͤr sich. Nur wenn du selbst die Welt fuͤr sich wirst anerkennen, Dich selbst auch fuͤr die Welt, bist du ein Mensch zu nennen. 74. Die Mistel, wenn sie kocht fuͤr dich den Vogelleim, Mein Sohn, sorgt nur damit fuͤr ihren Samenkeim. Sie kann im Boden nicht gleich andern Pflanzen wurzeln, Nur Nahrung saugen aus Baumaͤsten oder Sturzeln. Und nimmer wuͤrde sie Nachkommenschaft erzielen, Wenn ihre Samen hoch vom Baum zur Erde fielen. Dis zu verhindern ist die Klebrigkeit bestimmt Dem Koͤrnchen, das in halbdurchsichtiger Beere schwimmt. Das Koͤrnchen kommt im Fall hier oder dort zu kleben An einen Zweig, und wird nicht lang unschluͤssig schweben. Da wo es anklebt, wird's geschwind ein Wuͤrzlein schlagen, Dann treiben einen Sproß, und wieder Beeren tragen. Viel anders aber treibt es untenher und oben Als andre Pflanzen, die sich frei vom Boden hoben. Denn senkrecht senken sie die Wurzel all nach unten, Und gradauf oben steigt ihr gruͤnes Blatt zum bunten. Die Mistel aber muß sich fremdem Stamm bequemen, Wie er gewachsen ist, danach ihr Wachsthum nehmen. Ob oben, unten, ob sie huͤben sitzt ob druͤben Am Stamm, danach muß sie verschiedne Kuͤnste uͤben. Bald abwerts, bald hinauf, bald mehr und minder schief Weiß sie die Wurzel einzuschieben stark und tief, In jeder Richtung dann den Stengel zu entfalten, Und auch kopfuntersich die Schwebe wol zu halten. 75. Welch eine Pflanze traͤgt im Fruͤhling ihren Samen, Da ihre Bluͤten erst hervor im Herbste kamen? Die Zeitlos' ist hierin der Blumen Widerspiel, Daß sie am Anfang ist, wo jene sind am Ziel; Daß sie am Ziel ist, wo am Anfang jene stehn; Drum hat sie die Natur zum Sinnbild ausersehn, Das aus dem Herbste, wo der Sturm das Feld erbeutet, Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinuͤber deutet. Da sie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann, Und nur die Bluͤtenspitz' im Herbste zeigen kann; Jenseit des Frostes tritt, geweckt von Fruͤhlingsluft, Die Samenkapsel samt den Blaͤttern aus der Gruft. Zeitlose heißt sie, weil sie vom Gesetz der Zeit Ist gleichsam losgesagt, der Ewigkeit geweiht. 76. Sieh, wie der Dotter so im Weiß des Eies schwimmt, Daß, wie du's drehst, er stets die obre Stell' einnimmt. Er liegt im weißen Meer geschaukelt an zwei schwanker Doch starker Baͤnder Kraft, alswie ein Schiff vor Anker. Ein Schiff, das ganz und gar aus Proviant besteht, Fuͤr ein Lebendiges, das aus dem Keim entsteht. Der Keim, auf welcher Seit' im Nest das Ei auch liegt, Bleibt immer naͤchst der Brust, die ihn durchwaͤrmt, geschmiegt. Er ist nicht tief ins Ei versenkt, um zu ersticken; Der muͤrben Schale nah, darf nur das Huͤnlein picken. Und hoͤrt die Mutter drin sein Picken zart und schwach, So hilft sie außen mit dem Schnabel leise nach. Wir liegen an der Brust der Liebe noch im Ei, Und werden, wenn sie hilft, von muͤrben Schalen frei. 77. Es scheint alsob Natur bei jedes Thieres Bilden Zur Hauptsach' es gemacht allein vor allen Gilden, Die Absicht nur gehabt, es voͤllig auszuruͤsten, Alsob nicht neben ihm bestehn mehr andre muͤsten. Alswie ein Bildner wol in jedes seiner Werke, Nicht denkend anderer, legt seine ganze Staͤrke. Sie stellt dem Krokodil die Zaͤhne so im Rachen, Als wollte sie zur Beut' ihm alles Leben machen. Die ehrnen Zacken stehn wie festgefugte Mauern, Doch hinter jedem muß ein neuer Zahnkeim lauern. Und wie der erste bricht, so dringt der andre vor, Der schaͤrfer ist als er, und schließt die Luͤck' im Thor. Und unter diesem lauscht ein andrer noch verborgen, Ein andrer unter dem, kein Mangel zu besorgen. Und so nach seiner Art der Tiger und der Hai, Und ebenso bedacht viel andre mancherlei. Bei jedem uͤbet sie gleich unumschraͤnkten Brauch, Daß alle Schoͤpfung sei nur Futter seinem Bauch. Und haͤlt sie dadurch nicht allein das Gleichgewicht, Daß jede Spitze sich an einer andern bricht? Sie schuf die einzelnen, als diene alles ihnen, Da sie einander all', und all dem Ganzen dienen. 78. Du magst, soviel dir nur beliebt von Blumen, pfluͤcken, Um dich, und wen und was du willst, damit zu schmuͤcken. Dazu sind Blumen da, von dir gepfluͤckt zu seyn, Sie laden selber dich dazu mit Nicken ein. Wozu der Fruͤhling auch sei auf der Welt erschienen, Fuͤr dich ist er nun da, zum Kranze dir zu dienen. Nur eines unterlass' ich nicht dir einzuschaͤrfen, Daß du nichts pfluͤcken sollst, nur um es wegzuwerfen. Bedenk: der schoͤne Strauß des Fruͤhlings bluͤht fuͤr dich; Doch wenn du ihn nicht brauchst, so laß ihn bluͤhn fuͤr sich. 79. Der Gaͤrtnerbursche will zu seines Herrn Ergetzen Die Pflanz' aus schlechtem Grund in bessern Boden setzen. Da zieht er sie heraus ganz mit dem Wurzelknollen, Und schuͤttelt, daß herab die Erdentheilchen rollen. Denn in den guten Grund, worein sie nun soll kommen, Soll aus dem schlechten nichts heruͤber seyn genommen. Der Gaͤrtner siehts und spricht: Sei nur zu strenge nicht; Laß haͤngen, was zu fest der Wurzel sich verflicht. Der gute Boden wird das schlechte schon verzehren, Du aber wuͤrdest ihr die Wurzel nur versehren. 80. Die Menschen wollen doch von Werken der Natur, Was ihnen Nutzen bringt, am meisten ruͤhmen nur; Entweder was sie selbst zu fuͤttern dient, zu kleiden, Doch oder wenigstens ihr zahmes Vieh zu weiden. Schrieb' auch ein Vogel nun einmal Naturgeschichte; Wie, meint ihr, lauteten vom Menschen die Berichte? Daß unter allem, was zu Vogelschirm und Schutze Geschaffen Gott, der Mensch sei vom geringsten Nutze; Ja recht zum Ungemach, Verderben und Entsetzen, Mit Raͤnken tausendfach, Nachstellungen und Netzen. Und nichts sei gut an ihm, als daß mit seltnem Triebe Er Baͤume pflanze, zwar dem Vogel nicht zu Liebe, Von denen doch alsdann ein Vogel dann und wann, Wenn ihn der Mensch nicht scheucht, die Fruͤchte picken kann. 81. Ein treuer Kampfgenoß dem Menschen ist das Roß, Scheut keines Schwertes Blitz und fuͤrchtet kein Geschoß. So ist ihm ohne Fehl ein Diener das Kamel, Gehorsam beugt es sich und hebt sich dem Befehl. Roß aber und Kamel sind unter sich in Feindschaft, Im Dienst des Menschen nur gekommen in Gemeinschaft. So ist auch von Natur entzweiet Hund und Katze, Vertragen muͤßen sie sich doch an Einem Platze. Du kanst dich gleich erfreun verschiedenster Gestalten, Lern' auseinander nur die streitenden zu halten. Dich machte die Natur zum Herren ihrer Schaͤtze, Damit du glichest aus all ihre Gegensaͤtze. 82. Die Loͤwin gieng auf Raub, und ließ daheim zwei Jungen, Die hatten noch kein Blut geleckt mit ihren Zungen. Sie hatten nur die Milch der Mutterbrust gesogen, Und ihren Kindern war der Mutter Herz gewogen. Sie schlang den blut'gen Raub nun mit zwiefacher Lust, Um ihrem Paar mit Milch zu fuͤllen jede Brust. Doch als sie heim nun kam, war ihr zuvorgekommen Ein kuͤhner Jaͤger, der die Jungen weggenommen. Die Loͤwin, wie sie sah sich ihrer Brut beraubt, Wie hat sie mit Gebruͤll den Wald durchras't, durchschnaubt! Die Aeffin auf dem Baum (sie hielt im Arm ein Kind) Sah zu, und rief: Warum tobst du so ungelind? Sie sprach: Wie sollt' ich nicht, wenn ihre Lust die Affen Behalten, und ich mir die meine sah entraffen? Die Aeffin sprach: Moͤg' ich stets meine Freude sehn! Dir aber ist villeicht verdientes Leid geschehn. Rückert, Lehrgedicht III. 4 Sprich: wovon naͤhrst du dich? von Fruͤchten wol und Laube? — „Nein! meinem Stamm und Stand gemaͤß, von blut'gem Raube.“ — Und fragtest du erst, die du fraßest, ob sie Gatten, Ob Eltern sie daheim, oder ob Kinder hatten? — Sie sprach: Nein, Alt und Jung fraß ich ohn' Unterscheid; Doch das that ich, wem that die Unschuld was zu Leid? Die Aeffin sprach: Zu Leid wird sie auch nie was thun; Der Kinder Unschuld buͤßt die Schuld der Mutter nun. Doch ists ein Widerspruch, unschuld'ge Loͤwenbrut; Die Milch, die sie an dir getrunken, war schon Blut. 83. Der Koͤnig Loͤwe haͤlt im Walde Mittagsruh, Verdrießlich gehen ihm die Augen auf und zu. Die Sorge kann er sich nicht aus dem Sinne schlagen; Den Unmuth minder noch vertraͤumen als verjagen. Da sieht er uͤber sich im Baum ein Eichhorn huͤpfen, Behaglich durchs Gezweig und unermuͤdlich schluͤpfen. Er ruft hinauf: Warum trag' ich des Thierreichs Krone Du sitzest, kleines Thier, dort auf der Freiheit Throne. Wie kommt es, daß du hast ein Gluͤck, das mir nicht ward? Es rief herab: Das kommt von unsrer Lebensart. Ihr esset Fleisch und Blut, und habet schweren Muth; Ich esse Knosp' und Frucht, und habe leichtes Blut. Entbehrung ist Genuß, Genuß ist eine Buͤrde; Herr Koͤnig, unvereint ist leichter Sinn und Wuͤrde. 84. Den Wald erfuͤllte laut der Loͤwe mit Gebruͤlle, Daß mit dem blut'gen Raub er seinen Rachen fuͤlle; Als unterm Rasen leis' ein Ameisloͤwchen sprach: Was jagt so ungestuͤm dem Wild der Wilde nach? Ich sitze still im Sand, um ruhig zu verspeisen Die durch den Trichter mir herrollenden Ameisen; 4* Und von dem magersten Ameischen werd' ich satt, Wie er vom fettsten Reh, wenn ers erjaget hat. Mag er nun groͤßern Raub und blutigern zerreißen, Was liegt daran, wenn wir doch beide Loͤwen heißen? 85. Der hoͤchsten Liebe Bild, die Henne sieh, die bruͤtet, Wie mit der Fluͤgel Schild sie ihre Brut behuͤtet. Sie hat der Kuͤchlein viel, doch jedes ist gezaͤhlt, Und ruhig ist sie nicht, wenn ihr nur eines fehlt. Versammeln unter sich wird sie den ganzen Haufen, Wie weit auch sich von ihr die einzelnen verlaufen. Wie angelegen laͤßt sie sich es seyn, zu locken; Kanst du, verlaufne Brut, dagegen dich verstocken? Und lockt dich nicht herbei der Mutterliebe Schrei, So schrecke dich von dort mit dem Gekreisch der Weih. Kriech unter, und du bist vor dem Gekreisch geborgen, Und fuͤr dein Futter laß der Mutter Liebe sorgen. 86. Mein Herz, sieh an den Baum in seiner Bluͤtenpracht; Es wird ihm gar nicht schwer, was ihn so herrlich macht. Aus seinem Innern scheint, er braucht sich nicht zu zwingen, Ein Strom von Lust und Licht und Liebe zu entspringen. Mit Muͤhe ringt er nicht, das Einzle zu gebaͤren; Das Ganze lebt und wirkt, er laͤsset es gewaͤhren. Du solltest deine Pflicht, wie er die seine, thun, Dann waͤrest du so licht, und bist so truͤbe nun. 87. Die Bienen wollen auch wie gute Nachbarsleute Behandelt seyn, um gern mit dir zu theilen Beute. Wenn jemand stirbt im Haus, must du's nicht nur ansagen Den Nachbarn, sondern auch dem Bienenstocke klagen. Begruͤßen must du ihn mit einem frommen Spruch, Und breiten druͤberhin zugleich ein Trauertuch; Damit sie merken, daß nicht ihnen Heg und Pfleg Entzogen sei; wonicht, so fliegen sie dir weg. — Du sprichst: Und lehrest du mich solchen Aberglauben? Das nicht; doch will ich dir unschuldigen erlauben. 88. Man sagt: der Donner rollt, wann auf unreine Geister Der Luͤfte reiner grollt und wird im Kampf ihr Meister. Der Blitz ist sein Geschoß, geschleudert aufs Gezuͤchte, Das zitternd sucht, wohin vor seinem Grimm es fluͤchte. Wohin es nehmen mag die Flucht zu Schlucht und Schluft, In jedem Schlupf erreichts der schnelle Geist der Luft. Drum, wenn du bist im Haus, steh nicht am Fenster offen; Sie koͤnnten sich herein vor ihm zu retten hoffen. Und wenn du bist im Feld, steh auch nicht unterm Baum; Dort bergen koͤnnten die Verfolgten sich im Raum. Nur, stille wo du bist, bleib, bis sie ausgekriegt; Bald die unreinen hat der reine Geist besiegt. 89. Warum der Vogel Strauß so garviel Eier legt? Weil er fuͤr alle so garwenig Sorge traͤgt. Er legt sie, ohn' ein Nest zu machen, in den Sand, Der bruͤtet sie fuͤr ihn im heißen Sonnenbrand. Fast wollen ihm es gleich die Gans und Ente thun Am Ufer, und im Feld die Wachtel und das Huhn; Die ihr kunstloses Bett baun zwischen Schilf und Aehren, Und ziehn mehr Junge, dan sie koͤnnten selbst ernaͤhren. Daher die junge Brut, von Schalen halb getrennt, Schon ihrem Futter nach selbstaͤndig schwimmt und rennt. Dagegen auf dem Baum der Fink, die Schwalb' am Haus, Bringen mit viel mehr Muͤh viel wen'ger Kinder aus. Warum? sie baun ihr Nest in kunstgerechter Enge, Das fasset Eier nicht, noch minder Jung', in Menge. Der Finke hats aus Moos den Zweigen eingewebt, Die Schwalbe hats der Wand mit Moͤrtel angeklebt. Der Finke muß gar lang mit Wuͤrmchen, die er nascht, Gar lang die Schwalbe mit den Muͤckchen, die sie hascht, Die Kleinen fuͤttern, die nicht schwimmen und nicht laufen, Und koͤnnen nichts wan schrein nach Fressen und nach Saufen. Den Eltern kostet es der kleinen Bissen viel, Bis ihren Jungen waͤchst der Flaum und dann der Kiel. Nun erst der Liebe Bild, die gattentreue Taube, Die weiße zahm im Haus, die blaue wild im Laube, Zieht, wie gepaart sie ist, auch nur ein Kinderpaar, Weil ihrer Zaͤrtlichkeit mehr ganz unmoͤglich war. Denn harte Saamen, die sie hat kein andres Toͤpfchen Zu kochen, weicht sie ein in ihrem eignen Kroͤpfchen, Und wuͤrgt das Futter, das sie nicht fuͤr sich verschlungen, Hervor und machet satt, selbst hungrig, ihre Jungen. Sie uͤbertrifft an Lieb' allein der Pelikan; Wenn keine Wirklichkeit, so ist es doch kein Wahn, Vielmehr ein hohes Bild, das ewig wahr wird bleiben, Im Herzen wohnend, wenn sie's aus der Welt vertreiben: Daß er voll Zaͤrtlichkeit sich aufreißt seine Brust, Und traͤnket seine Brut mit seinem Blut voll Luft. Die ew'ge Mutter ists, die alle traͤnkt und speiset, Die dir, o Mensch, ihr Bild im Wunderspiegel weiset. Groß ist der Unterschied vom Strauß zum Pelikan; Die andern bleiben wo sie stehn, du ringst hinan. 90. Der Frosch im Laub versteht vom Wetter mehr als du, Und gift'ge Kraͤuter kennt ehr als der Arzt die Kuh. In allem ist das Thier dem Menschen uͤberlegen, Was seiner Nothdurft dient auf dunklen Lebenswegen. Des Menschen Augen sind darum im Einzlen blind, Weil offen sie allein dem Allgemeinen sind; Weil, was die Thierheit spuͤrt mit eigennuͤtz'gem Triebe, Die Menschheit forschet mit uneigennuͤtz'ger Liebe. Drum thuts ein dumpfer Sinn, verwandt mit thier'scher Zunft, Im Irdischen zuvor der goͤttlichsten Vernunft, Weil er nur seinem Zweck die Welt sucht zu bereiten, Doch sie mit Liebe hegt Weltangelegenheiten. 91. Du hast ein Saitenspiel, ganz rein in allen Saiten Gestimmt, die Melodie des Herzens zu begleiten. Nur eine Sait' ist dran, die, wenn du scharf sie ruͤhrst, Gibt einen Mißton an, den du im Herzen spuͤrst. Was willst du thun? du mußt, wenn du die schwachen Saiten Nicht ganz vermeiden kanst, daruͤber leis' hingleiten. Du hast ein liebes Herz, auch rein dir gleichgestimmt, In dessen Widerklang sich deines ganz vernimmt. Nur eine Sait' ist dran, die, wenn du scharf sie ruͤhrst, Gibt einen Mißton an, den du im Herzen spuͤrst. Willst du dem Herzen wie dem Saitenspiel nicht thun? Laß die verstimmende verstimmte Saite ruhn. 92. Wie, wer aus Finsternis auf einmal tritt ins Licht, Geblendet ist und sieht vor lauter Sehen nicht; Und wie hinwiederum wer aus dem vollen Stral Des Tages ploͤtzlich tritt in voͤllig dunkeln Saal: Das Auge starrt, bis es dem Wechsel sich gewoͤhnt, Und mit der innern Welt die aͤußre sich versoͤhnt; Bis dort das Auge lernt im Glanze sich zu weiden, Und hier die Gegenstaͤnd' im Dunkel unterscheiden: So kann ein Menschenherz viel Gluͤck und Ungluͤck fassen, Doch ists am gluͤcklichsten in seiner Ruh gelassen; Von Glanz geblendet nicht, noch auch von Nacht umhuͤllt, Von sanftgedaͤmpftem Licht Aug' und Gemuͤth erfuͤllt. 93. Aus einem Kreise kanst du nie ein Viereck machen, Nicht aus Unendlichem die Endlichkeit der Sachen. Doch wol im Kreise kanst du dir ein Viereck denken, Im Viereck einen Kreis, und eins ins andre schrenken. So von Unendlichem ist Endliches umfangen, Und selbst im Endlichen Unendlichs aufgegangen. Zum Viereck ist der Kreis erstarrt, wenn seiner Speichen Vier stille stehn und sich die Hand durch Sennen reichen. Das Viereck wird zum Kreis sich runden, wenn sich drehn Die Speichen, und im Schwung die Sennen rasch vergehn. Das starrste wandelt sich, in Schwung gesetzt, zum Rade; Des Lebens Kreis ist rund, und Tod ist alles Grade. 94. Wie mangelhaft und falsch kann eines Menschen Wissen Von Himmelslaͤufen seyn, Mondsonnenfinsternissen! Die Sterne werden durch sein Irren irr nicht werden, Weiß er nur selber was er hat zu thun auf Erden. Und wenn er das nicht weiß; was hilft daß er die Bahn Des Himmels kenne, die er doch nicht wandeln kan! 95. Wenn du erkennen willst den Ruhm in seiner Bloͤße, Vergleich am Himmel ihn mit Sternen erster Groͤße. Die letzter Groͤße, sind sie etwa minder groß? Sie scheinen kleiner dir durch ihre Hoͤhe bloß. Drum laͤchle, ruͤckt man dich zum letzten Range nieder; Und ruͤckt man dich empor zum ersten, laͤchle wieder! 96. Zwei Augen, die getrennt im eignen Kreise stehn, Und doch dasselbe Ding als eins, nicht doppelt sehn, Sie sind das schoͤnste Bild von zweier Seelen Innung, Die ganz zu einer macht grundeinige Gesinnung. Den gleichen Gegenstand sehn also gleich die beiden, Das sie als zwei ihn gar nicht koͤnnen unterscheiden. Dis voͤllig gleiche Sehn hat aber zur Bedingung Des innern Sehgewebs Durchdringung und Verschlingung. Anlag' und Stimmung ist sich so harmonisch gleich, Daß ganz unmoͤglich wird Zwiespalt in ihrem Reich. Und nie, wenn Krankheit nicht und Rausch den Frieden bricht, Kommt Doppelsichtigkeit in ihre Weltansicht. 97. Von allen Thieren ist ein Nutzen anzugeben, Auch außer jenem Zweck, dem hoͤchsten, daß sie leben. Denn wenn an einigen kein andrer Nutz erschienen, Die werden wenigstens zur Nahrung andern dienen. Und andere, die ganz und gar sonst schaͤdlich waͤren, Nuͤtzen indem sie sich von schaͤdlichen ernaͤhren. Nun koͤnnten sagen zwar die thoͤrichten Vermessnen, Entbehrlich seien samt den Fressern die Gefressnen. Doch hoͤchste Weisheit wollt' auch denen Leben goͤnnen, Die fuͤr nur oder durch den Tod nur leben koͤnnen. 98. Steh fruͤh auf! fruͤh auf steht die Sonn' am Sommertag, Daher ihr klarer Blick die Welt verklaͤren mag. Am Wintermorgen steht sie spaͤt auf, und verdrossen Bleibt ihr den ganzen Tag das Haupt von Dampf umflossen. 99. Die Winde wechseln wol nach jedem Himmelstrich, Doch Einer ist der bleibt und ist der Wind an sich: Der Ostwind, der sogleich die heil'gen Fluͤgel regt, Sobald das Ungestuͤm der andern sich gelegt; Der Ostwind, der allein, wenn andre aufgestoͤrt Vom Zufall sind, dem Gang der Sonne selbst gehoͤrt; Dem Gang des Sonnenlichts, das sich entgegenbreitet Der Erd' in jedem Nu, wie sie gen Osten schreitet. Wol fuͤhlest du von ihm den Kuß an Stirn und Wange, Wenn windstill ist die Luft, bei jedem Sonnaufgange. Den heil'gen Fruͤhhauch laß, eh einer von den vielen Tagwinden sich erhebt, dich ahnungsvoll umspielen. 100. Der Bach zum Strome sprach: Du schlingst mich ein so jach; Ich dacht' ich waͤr', und fuͤhl', ich bin in dir nichts, ach! Der Strom sprach: Laß das Wort! zum Meere gehn wir fort, Und wie du hier in mir, in ihm vergeh' ich dort. 101. Du ruhst nicht, bis den Strom, der breit durch Laͤnder schwillt, Du schwach und schmal entdeckst, wie er dem Sand entquillt. Und meinst du nun, der Strom sei diesem Quell entsprossen, Da soviel tausend Baͤch' in ihm zusammenflossen? Du legst nur, damit klein des Großen Ursprung sei, Den Namen eines Stroms dem winz'gen Rinsal bei. 102. Vom Abhang rollt ein Stein in jedem Nu hernieder, Von allen aber kommt zur Hoͤhe keiner wieder. So muͤßen nach und nach die Thaͤler hoͤher werden, Die Berge niedriger und alles flach auf Erden. Doch scheinen innerlich die Berge nachzusprießen, Alswie die Wasser, die aus ihnen sich ergießen. Und ewig bleibt die Welt in ihrem Gleichgewicht; Du fuͤhle, wer sie haͤlt, und zittre fuͤr sie nicht! 103. Sieh an den Edelstein, wie fest in sich geschlossen, Wie undurchdringlich, ganz aus Einem Stuͤck gegossen! Von fremdem Einfluß doch erwehret er sich nicht, Den undurchdringlichen durchdringet Waͤrm' und Licht. Und seine Farbe selbst, die er hat eingesogen Mit seiner Art, ist doch von Wechsel angeflogen. Bald blitzt er feuriger, wie er bald matter schmachtet, Und schillert anders, wie man anders ihn betrachtet. Ein leichtes Woͤlkchen, das in seiner Helle schwimmt, Veraͤndert selbst den Platz, daß es dich Wunder nimmt. Nicht Wunder nehm' es dich, doch eine Lehre nim Vom Edelstein, wenn du an Veste gleichest ihm. Es kann kein Herz so starr sich in sich selber schließen, Das nicht ein Mitgefuͤhl der Welt wird doch durchfließen. Bist du so hart wie er, sei auch wie er so rein, Und schmuͤcke Gottes Welt nur auch als Edelstein. 104. Sieh, wie das Raͤuplein auf dem schwanken Blatte geht, Das Koͤpfchen her und hin nach seinem Futter dreht! Wenn es ein Hauch beruͤhrt, wenn einen Feind es spuͤrt, Schnell wirfts ein Seil aus, das es immer bei sich fuͤhrt. Aus seinem Leibe spinnt es selber sich das Seil, Wo's Noth thut, und daran haͤngt seines Lebens Heil. Am Seile selbstgewebt, sieh, wie's hernieder schwebt, Ohne zu fallen haͤngt, und wieder sich erhebt! Was sein Beduͤrfnis heischt zur Sicherheit und Nahrung, Hat es sein Trieb gelehrt, nicht Kunst und nicht Erfahrung. Haͤtt' einen solchen Strick in jedem Augenblick Der Taͤnzer auf dem Seil', nie braͤch' er sein Genick. Wol wandelt wie die Raup' auch er auf schwankem Steig, Und in den Luͤften sucht er seinen Nahrungszweig. Doch treibt der Vorwitz ihn, das Raͤupchen die Natur, Drum schwebt er in Gefahr, und es ist sicher nur. 105. Nicht von der Sprache will ich sprechen, noch vom Licht Des Himmels, welches aus des Menschen Auge spricht; Noch will ich sprechen von der sprechenden Geberde, Der herrschenden, die sich weiß unterthan die Erde; Bezeichnen will ich dir vier kleinre Menschheitszeichen, Laͤcheln und Weinen nur, Erroͤthen und Erbleichen. Ein fluͤcht'ger Sonnenblick, ein Thau aus Wolken spruͤhend, Ein leises Morgenroth anglimmend und verbluͤhend. Von Farben der Natur an Erd' und Himmelsflur Verblieb im Angesicht des Menschen nur die Spur. Die Farben selber sind der niedern Welt gewaͤhrt, In seinem Angesicht sind sie zu Duft verklaͤrt. Der Himmel selber hat ihm aufgedruͤckt die Zeichen, Laͤcheln und Weinen und Erroͤthen und Erbleichen. Drum stehen diese vier nicht in des Menschen Macht; Kein rechter Mensch ist, wer weint wenn er will und lacht. Und wer nicht, weil er will, erbleicht mehr und erroͤthet, Der hat die Menschlichkeit mit Meuchelkunst getoͤdtet; Der hat zerrissen selbst mit thoͤrichtem Verrath Sein adliches Diplom, ein schlechter Diplomat. Heiß' er ein Weiser nur, beherrschend die Natur, Sich und die Welt, er ist ein großer Affe nur; Statt laͤcheln grinsen kann der Aff, statt weinen heulen, Zeigt statt Erbleichen und Erroͤthen farbige Beulen. 106. Kennst du den Boten nicht, der dir allein Bericht Von hoͤhern Welten bringt? Der Bote heißet Licht. Was ist vor ihm der Schall? ein ungestuͤmer Prall, Der hoͤchstens niederkommt vom niedern Wolkenwall. Was ist vor ihm der Wind? ein wetterwendisch Kind, Das uͤber Land und Meer faͤhrt stuͤrmisch oder lind. Was ist vor ihm der Duft? ein weicher Gruß der Luft, Der deine Sehnsucht nur ins Unbestimmte ruft. Hat Schall, Wind oder Duft vom Hoͤchsten dir gesprochen? Hast du das Ewige gehoͤrt, gefuͤhlt, gerochen? Das Licht nur steiget dir aus hoͤchsten Sfaͤren nieder, Und steigt mit deinem Blick zu hoͤchsten Sfaͤren wieder. Folge nur seiner Spur! Verstaͤndest du es nur, Und unverstanden waͤr dir nichts in der Natur. Schon hat der Astronom vom Lichte dort gelernt, Wie weit am Himmelsdom die Kuppeln stehn entfernt. Er hat von ihm gelernt die Groͤßen und die Bahnen, Die Maße messen und die Eigenschaften ahnen. Weißt du, wieviel Gestalt der Vielgestaltige traͤgt, Der Mittler, wie und wo er sich ins Mittel schlaͤgt? Er selbst ist wol der Duft, er selbst ist wol die Luft, Er selbst ist wol der Schall, den er ins Leben ruft. Hier siehst du unvermerkt in Waͤrm' ihn sich verlieren, In Spiel der Farben dort, die seine Saͤume zieren. Der hier des Fruͤhlings Schein, dort Kern von Holz und Stein Wird im Magnet der Zug und Gegenzug auch seyn; Wird schlagen hier als Puls, und dort elektrisch blitzen, Und sich in alles zu verwandeln Kraft besitzen. Du kanst nicht zweifeln, Geist, es sei ein großer Geist; Die Frag' ist was zu ihm du im Verhaͤltnis seist. 107. Die Sterne leuchten auch am Tag, nur siehst du's nicht, Weil deine Augen ganz erfuͤllet Sonnenlicht. Doch wird gesagt, daß man am hellesten Mittag Aus tiefem Brunnengrund die Sterne sehen mag. Wer so sich ganz vertieft, der hat sich ganz erhoben, Ihm leuchtet hoͤhres Licht als von der Sonne droben. Auch sah ich selbst am Tag die Sterne treten vor, Als durch Verfinsterung die Sonn' ihr Licht verlor. Das ist ein ploͤtzliches eingreifendes Geschick, Das aufthut dem Gemuͤth ins Ewige den Blick. Doch der gelinde Weg, wie man am schoͤnsten sieht Die Stern', ist Nachts wann sich zuruͤck die Sonne zieht. Sie troͤsten in der Nacht dein Auge, wenn es wacht, Und wachen, wenn es schlaͤft, bis neu die Sonne lacht. Rückert, Lehrgedicht III. 5 108. Was Waͤrme schnell annimmt, laͤßt schnell sie wieder fahren; Was sie nimmt langsam an, wird lange sie bewahren. Das gilt vom Menschensinn alswie von Holz und Stein; Ein leicht erwaͤrmter Freund wird leicht erkaͤltet seyn. Was schiltst du ihn? Er ist ein guter Waͤrmeleiter; Was er von dir empfieng, gibt er an andre weiter. 109. Licht ist auch ohne Waͤrm', und Waͤrm' auch ohne Licht, Doch ohne Licht zugleich und Waͤrm' ist Feuer nicht; (Gemaltes abgezaͤhlt) drum wird das Feuer seyn, Was Licht und Waͤrm' auch sei, von beiden der Verein: Ein Geist, in dem vermaͤhlt Verstand ist und Gefuͤhl, Des Innigkeit nicht dumpf, und Klarheit nicht ist kuͤhl. 110. Die Klarheit, die man lobt am Wasser, am Kristall, Am Edelstein ist doch ein Fehl in einem Fall: Sie deutet, daß im Ei kein Keim des Lebens sei; Erhalte nur dein Herz von solcher Klarheit frei. 111. Nicht alles in der Welt kanst du gesehen haben; Annehmen mußt du viel, was dir nur Worte gaben. Doch dem Gehoͤrten ist Anschaulichkeit verliehn, Wenn du es weißt auf ein Gesehnes zu beziehn. 5* 112. Such immer was du machst, zu machen besser immer, Doch halte drum, was du gemacht hast, nicht fuͤr schlimmer. Der dunkeln Wurzel mag die lichte Bluͤt' entstammen, Sie hat darum kein Recht die Wurzel zu verdammen. 113. Doch keine Aufgab' hat die Baumfrucht, als zu reifen; Mit Lust wird sie dazu die Sommerglut ergreifen. Doch wann die Todesglut sie nun in sich gesogen, Und fallen soll vom Zweig, der sie solang gepflogen; Mit neuer Lebenslust will sie den Zweig umfangen, Zu spaͤt! was reif ist, faͤllt, unreifes nur bleibt hangen. 114. Am Fenster taͤglich siehst du an dein Blumenstoͤckchen, Doch scheinst du anzusehn nur die gewelkten Gloͤckchen, Nicht die noch bluͤhenden, und die erst bluͤhen sollen, Die an die Stelle der gewelkten treten wollen. O Unzufriedenheit, die ihre Schaͤtze zaͤhlt, Zu sehn nicht was sie hat, zu sehn nur was ihr fehlt. VIII. 1. I ch glaube nicht, daß ich viel eignes neues lehre, Noch durch mein Scherflein Witz den Schatz der Weisheit mehre. Doch denk' ich von der Muͤh mir zweierlei Gewinn; Einmal, daß ich nun selbst an Einsicht weiter bin; Sodann, daß doch dadurch an manchen Mann wird kommen Manches, wovon er sonst gar haͤtte nichts vernommen. Und auch der dritte Grund scheint werth nicht des Gelaͤchters: Daß, wer dis Buͤchlein list, derweil doch list kein schlechters. 2. Vom niedern Huͤgel sah ich auf mein Heimatsthal, Und alles lag vor mir verklaͤrt im Sonnenstral. Ich sah das Einzelste mit Liebesblick, das kleinste, Und jeder Unterschied ward mir vertraut, der feinste. Ich sah mich satt daran, viel liebe lange Stunden; Dann stieg ich hoͤher an, als jene Lust geschwunden. Ich stieg auf einen Berg, der sich vor mir erhoben; Und wieder auf mein Thal schau' ich herab von oben. Es ist dasselbe noch, und ist ein andres doch, Ich seh es ganz, und seh dazu viel andres noch Nun laben will ich mich am neuen Blick mit Schweigen, Und eine Stufe dann vielleicht noch hoͤher steigen. 3. Weltweisheit lehr' ich dich, nicht Weisheit dieser Welt, Doch Weisheit, die zu gut nicht fuͤr die Welt sich haͤlt; Weltweisheit, die die Welt in allen Lebensweisen Dir zur Belehrung will, zur Unterhaltung weisen; Weltweisheit, die nicht sich beweisen will der Welt, Noch in Beweisen vor der Welt sich wohlgefaͤllt; Weltweisheit, in der Welt Wegweiserdienst erweisend, Mild unterweisend hier, dort streng, wo's gilt, verweisend. 4. Welt auszusprechen, welch ein Stuͤck der Welt es sei, Tief oder hoch, groß oder klein, ist einerlei Dem dichtrischen Beruf; es ist zu seinem Gluͤck Die ganze große Welt in jedem kleinen Stuͤck. 5. Die Welt hat solche Schaͤtz' im Innern aufgethan, Daß sie der Dichtkunst Form nun nicht mehr fassen kan; Wie sonst die Dichtkunst wol, was ist und war, umfaßte, Als noch ihr Maß mit dem der Welt zusammen paßte. Doch nun begnuͤgt sie sich, was sie nicht auszubeuten Vermag, mit fluͤcht'gem Schlag der Wunschruth' anzudeuten. Wenn auch den Vollgehalt die Form nicht in sich haͤlt, Doch im Bewußtseyn ruht die Fuͤlle dieser Welt. 6. In schoͤne Leiblichkeit Gedanken eingebaͤren, Und in Gedankenduft ein leibliches verklaͤren, Ist beides Poesie nach zwei verschiednen Seiten; Der mag auf dieser Bahn, und der auf jener schreiten. Das Hoͤchste doch gelingt, Vollkommenstes entspringt, Wo ganz, urspruͤnglich eins, sich beides rein durchdringt. 7. In einer Hoͤle hochgewoͤlbt und tiefgegraben Sind traͤge Wohner, die dort feste Sitze haben. Wie angefesselt sind sie an dem Sitz von Stein, Und sitzen auswerts nicht gewendet, sondern ein. In ihrem Ruͤcken ist von oben eine Kluft Gesprengt, durch welche dringt des Himmels Licht und Luft. Vor ihrem Angesicht der Hoͤle finstre Wand Dient ihrem Augenmerk zum einz'gen Gegenstand. Sie halten zugewandt den Ruͤcken jenem Licht, Und nur auf diese Wand gewendet ihr Gesicht. Was werden sie da sehn? die Schatten, die entstehn Der Dinge, die vorbei in ihrem Ruͤcken gehn; Die Schatten, welche wirft der Sonne Glanz vom Ruͤcken, Um auch mit einem Bild das dunkle Haus zu schmuͤcken. Die Leute drinnen sehn die Dinge nicht, und halten Das Schattenbild davon fuͤr wirkliche Gestalten. Sie freuen maͤßig sich am bunten Schattenspiel, Und wissen doch davon den Grund nicht noch das Ziel. Nun aber ist ein Geist zu einem hergekommen, Der hat die Fesseln ihm, die Traͤgheit abgenommen. Geblieben sind geschnuͤrt die andern unberuͤhrt, Ihn aber hat der Geist befreiet und entfuͤhrt. Sein Angesicht zum Licht wandt' er mit schneller Wendung, Da traf sein Angesicht vom Licht zuerst die Blendung. Doch aufwerts zog er ihn die hehre schwere Kluft, Und ihm entgegen kam zur Staͤrkung Himmelsluft. Und als er draußen war, erstaunt' er nicht geringe, Daß er nun offenbar statt Schatten sah die Dinge. Sein Auge war noch schwach fuͤr die Gewalt des Schoͤnen, Er mußte nach und nach sich an den Glanz gewoͤhnen. Er sah der Sonne Bild zuerst im Spiegelteich; Sie war noch nicht sie selbst, doch schon sich selber gleich. Dann aber konnt' er ihr ins Auge blicken frei, Beseligt, daß ihr Blick in seinem Auge sei. Nun aber durchs Geschick ist er zuruͤckgekommen Zur Hoͤl', und hat den Sitz dort wieder eingenommen. Dort sitzen noch, die sich am Schattenbild erbaun, Denselben wollt' er nun, was er geschaut, vertraun. Viel Muͤhe gab er sich, in Bildern zu erklaͤren, Daß dis die Bilder nur, und nicht die Dinge waͤren. Doch sie verstanden's nicht, und glaubten's nicht, und lachten, Und fuhren ruhig fort die Schatten zu betrachten. 8. Nach Gottes Wesenheit ist gar nicht dein Beruf Zu forschen; forsche du nach Wesen die er schuf. Den Unerschaffnen kanst, Geschaffner, du nicht denken, Doch mit der Schoͤpfung Glanz im Schoͤpfer dich versenken. 9. Die Muͤcke, wenn sie daͤcht' und spraͤch', o Mensch, wie du; Dem Hoͤchsten legte sie wol ihre Fluͤgel zu: „Wie sollte seinem Bild mein Schoͤpfer mir nicht gleichen? Dem, was er schuf, wird er nicht an Vollendung weichen. Drum muͤckenaͤhnlich, nur vollkommner wird er seyn; Wie waͤr' er Gott, wenn er nicht haͤtte Fluͤgelein?“ 10. Zur Gotterkentnis sind die Thiere nicht erschaffen, Du unterscheidest dich durch sie, o Mensch, vom Affen. Ohne sie stehst du nicht mit ihm auf gleichen Stufen, Sondern auf niederern, weil hoͤhern zuberufen. Denn Trank und Speis' und Schlaf und sinnliche Begier, Die voͤllig ihm genuͤgt, genuͤgt nie voͤllig dir. Du haͤltst ein Hoͤheres dir im Bewußtsein vor, Und bist nicht du, wo du nicht ewig ringst empor. 11. Wie koͤnnte Denken denn und Seyn verschieden seyn? Was in dir denket, ist; dein Denken ist dein Seyn. Seyn, das nicht Denken ist, hat nur sich selbst verloren, Und wird im Denken erst zu sich zuruͤck geboren. Das ist, der die Natur verklaͤren soll, der Geist; Dein Leben ist, daß du in ihm lebendig seist. 12. Sie narren dich herum, um dir in Raͤthselworten Zu sagen, was du laͤngst gehoͤrt an andern Orten. Wo es verstaͤndlich klang, beachtetest du's nie, Das Unverstandne nun nennst du Philosophie. 13. Der Erde kann der Mensch, an der er hangt, entbehren Noch eher als des Zugs zum Himmel sich erwehren. Die Pflanze selber koͤnnt' ehr in den Luͤften schweben Mit ihren Wurzeln, als den Trieb nach Licht aufgeben. Um aber zu gedeihn, muß sie im Boden stehn, Und nach der Sonne Schein sich mit dem Wipfel drehn. 14. Von Zeit und Raum ist viel zu hoͤren und zu lesen, Als seien beide gleich, und stets zugleich gewesen. Doch eher ist die Zeit gewesen als der Raum, Wie Wachsthum eher war als der gewachsne Baum. Entstanden war die Zeit sobald als Geister dachten, Der Raum erst als sich breit darinnen Koͤrper machten. Und mit den Koͤrpern wird der Raum zusammenfallen, Doch mit den Geistern erst die Zeit in Gott entwallen. 15. Du bist kein Tropfe der im Ozean verschwimmt, Du fuͤhlest dich als Geist auf ewig selbst bestimmt. Vom hoͤchsten Geiste fuͤhlst du dich nicht zur Verschwimmung Im hoͤchsten Geist bestimmt, sondern zur Selbstbestimmung. 16. Du mußt dein dunkles Selbst zum hellen Selbst erweitern; Nur die Verschlossenheit ist in Gefahr zu scheitern. Dem Ich, dem Schifflein, steht Nicht-Ich, die Klipp' entgegen, Und der Nothwendigkeit ist Freiheit unterlegen. Doch schließ in Gott dich auf, und fuͤhl' dich unbezwinglich, Vom Alldurchdringenden durchdrungen undurchdringlich. Das Nicht-Ich war dein Feind; nun sieh, Nichts ist als Ich! Worin denn fuͤrchtetest du zu verlieren dich! 17. Ich will auch meinen Leib zuruͤck vom Staube fodern; Denn nicht ein Staͤubchen des, was mein ist, soll vermodern. Was ich als ein Gewand hab' abgelegt im Grabe, Anzieh' ichs wieder, wann ich ausgeschlafen habe. Es wird das alte Kleid, und doch ein neues seyn; Die Mutter in der Nacht wusch es dem Kinde rein. 18. Der Zweifel, ob der Mensch das Hoͤchste denken kann, Verschwindet, wenn du recht dein Denken siehest an. Wer denkt in deinem Geist? der hoͤchste Geist allein. Wer zweifelt, ob er selbst sich denkbar moͤchte seyn? In den Gedanken mußt du die Gedanken senken: Nur weil Gott in dir denkt, vermagst du Gott zu denken. 19. Nicht ist das Seyn zuerst und wird nachher gedacht, Vielmehr vom Denken erst wird Seyn hervorgebracht. Des Denkens Vorrang vor dem Seyn ist darin kund: Des Schoͤpfers Denken ist der Schoͤpfung innrer Grund. Gott denkt sich selbst, und ist; er denkt, so ist die Welt, Und sein Gedank' ist das, was sie im Seyn erhaͤlt. Gott denkt sich selbst, und ist; du denkst dich selbst und bist, Bist ewig wie Gott selbst, weil er dein Denken ist. Wie koͤnnte je dein Seyn im Denken untergehn, Da es das ist woraus muß ewig Seyn entstehn? Wer sagt, daß sich der Quell in seinem Strom verliert, Da ewig er vielmehr aus sich den Strom gebiert? 20. Der Tod ist jedenfalls ein wicht'ger Augenblick; Und wie man stirbt, daran haͤngt etwas vom Geschick. Gelingt doch jeder Schritt, den man im Leben schreitet, Je minder oder mehr man ist dazu bereitet. So wird beim letzten auch es nicht gleichguͤltig seyn, Mit welcher Fassung man hier austritt und dort ein. Gewis ist foͤrderlich und wuͤnschenswerth Besinnung Hier zur Beendigung und druͤben zur Beginnung. 21. Was sagt Bewußtseyn aus? es sagt Bewußt und Seyn; Von Seyn und Wissen ist es also der Verein. Von beider welchem ward nun welches angenommen? Ist Wissen hin zum Seyn, zum Wissen Seyn gekommen? Das Wissen steht zuerst, es steht das Seyn zuletzt, Das Wissen also ist dem Seyn vorausgesetzt. Jawohl ist meinem Seyn vorausgesetzt ein Wissen, Ein Wissen, welchem nie mein Seyn kann seyn entrissen. Ich bin von Gott gewußt, und bin dadurch allein; Mein Selbstbewußtseyn ist, von Gott gewußt zu seyn. Ich war nicht mein bewußt, und war nicht dein bewußt, O Gott, und war es doch, denn du warst mein bewußt. Bewußtseyn aber weiß nicht um sich selbst allein, Es weiß auch um die Welt, das wird es gleich entzwein. Doch die Versoͤhnung ist dem Streit schon eingewoben, Da ich die Welt und mich in Gott weiß aufgehoben. Nicht aufgehoben, wie sich Ja und Nein aufhebt; Emporgehoben, wie zur Sonn' ein Adler schwebt. Im Gottbewußtseyn geht nicht mein Bewußtseyn aus; Eingeht es wie ein Kind in seines Vaters Haus. 22. Du denkest fort und fort, dein Denken ist ein Schaffen, Und deine Denkkraft hat zu fuͤrchten kein Erschlaffen. Was du einmal gedacht, das kanst du nie vergessen; Was du geschaffen, stets erinnerst du dich dessen. Indem du meiner dich erinnerst, hast du mich Im Innern ewig, und im Innern hab' ich dich. Vergiß mich, Welt! ich weiß, daß Er sich mein erinnert; Und sterb' ich außen dir, leb' ich in ihm verinnert. 23. Weil nicht ein großer Fuͤrst im weiten Laͤnderbann In alles Einzelne sich mischen soll und kann; So meinest du, daß Gott auch nur das Allgemeine Der Welt geordnet hab', und walte nicht ins Kleine. Doch macht ja wohl ein Fuͤrst auch durch sein Land die Fahrt, Eingreifend hier und dort mit eigner Gegenwart. Und waͤr' Allgegenwart, wie Gott, auch ihm verliehn, So braucht' er nicht die Fahrt, und alles fuͤhr' um ihn. Allgegenwaͤrtig ist Gott in den Welten nicht Sowohl als sie vielmehr es sind in seinem Licht. Er selber ist darum das Groͤste Allgemeinste, Weil in ihm alles ist das Einzelste, das Kleinste. 24. Die Erde hat ein Recht, sich selber anzusehn Als Mittelpunkt, um den sich alle Himmel drehn. Unschuldig uͤbte sie dis Recht seit alten Zeiten, Und die Aufklaͤrung auch soll es ihr nicht bestreiten. Zur Einsicht kam sie zwar, daß sie nur sei ein Theil Vom Ganzen, und auf sie nicht eingeschraͤnkt das Heil. Rückert, Lehrgedicht III. 6 Fuͤrs Ganze laͤsset sie den Geist des Ganzen sorgen, Begnuͤgt, daß sie sich fuͤhlt an ihrem Theil geborgen. Sie fuͤhlet fest sich stehn, und sieht den Himmel drehn; Was kann vereintem Sehn und Fuͤhlen widerstehn? Die Sonne scheint fuͤr sie am Tag, und in der Nacht Schmuͤckt ihr das Himmelbett der Sterne goldne Pracht. Der Geist steigt wie das Licht zu ihr im Traume nieder, Und ihr Gedanke steigt empor und ihre Lieder. Es ist der Augenschein, kein Schein, was ihr erschienen; Sie dienet Gott, und weiß, daß ihr die Himmel dienen. Und dienen sie ihr nicht? Es haͤngt in diesem Tanze Am Ganzen wol das Glied, doch auch am Glied das Ganze. O wunderbarer Bau, o Herr des Baus und Meister! Dein Grundstein bist du selbst, Grundpfeiler deiner Geister. Du bist der Architekt, du bist der Architrab, Der Koͤnig, der sich selbst den Koͤnigsbau aufgab. So groß, vollkommen, schoͤn ist dein Palast, die Welt, Daß jeder Winkel sich fuͤr deinen Thronsaal haͤlt. 25. Zu jeder Stund' ist dir, was du bedarfst gereicht; Ergreif es nur, daß es nicht ungenutzt entweicht. Erkenne immermehr allsehender Vorsicht Walten In dem, was Bloͤdere fuͤr blinden Zufall halten. 26. Der Meister, als er war gestorben, ist erschienen Dem Juͤnger in der Nacht mit sonnenhellen Mienen. Meister, wie stralest du! von wannen ist dein Licht? Er sprach: von wannen als von Gottes Angesicht! — Und hast du und wodurch den Zutritt dort erlangt? Er sprach: dadurch weil ich nach andrem nicht verlangt. Ich ward von Glanz zu Glanz die Himmel durch gefuͤhrt, Voruͤber aber gieng ich allem ungeruͤhrt. 6* Ich ward gefragt: Was hat vor allem dir gefallen? Ich aber sagte: Nichts gefaͤllt mir von dem allen. Da rief der Herr: So fuͤhrt ihn nur zu mir herein! Er sei bei mir, weil er will nirgend anders seyn. Und haͤtte draußen dir genuͤgt ein ander Licht, So haͤtt' ich dir's verliehn, und zu mir kamst du nicht. 27. Sobald dem Menschen wir die Freiheit zugestehn, Scheints um die goͤttliche Allwissenheit geschehn. Denn wenn die Gottheit weiß, wohin mein Thun sich lenkt, So bin ich ja zu thun gezwungen, wie sie denkt. Der alte Meister sprach: das sei nur als ein Zeichen Euch angefuͤhrt, wie weit des Menschen Kraͤfte reichen, Und daß sein schwacher Witz sich lasse nicht verfuͤhren, An unbegreifliche Geheimnisse zu ruͤhren. 28. Der alte Meister sprach: Laß kuͤrzlich dir entfalten, Woran im Forschen du, im Wirken dich sollst halten. Ein Unzugaͤngliches gibt es in der Natur, Und ein Zugaͤngliches; die unterscheide nur! Wer nicht zu scheiden weiß, der quaͤlt sich lebenslaͤnglich Am Unzugaͤnglichen, und macht es nie zugaͤnglich. Doch wer es weiß, wird ans Zugaͤngliche sich halten, Und frei auf festem Grund nach allen Seiten walten. Ja selbst auf diesem Weg, dem unverfaͤnglichen, Wird er von ferne nahn dem Unzugaͤnglichen; 29. Vier Dinge sind zugleich unendlich weit und schmal, Unendlich groß und klein: Zeit, Raum, Bewegung, Zahl. Du kanst die groͤste Zahl vergroͤßern immer doch, Du kanst die kleinste Zahl verkleinern immer noch. So kanst du jeden Raum erweitern und verengern, So kanst du jede Zeit verkuͤrzen und verlaͤngern. Und so verlangsamen kanst du und vergeschwindern Jede Bewegung auch, vermehren und vermindern. So haben diese vier, Zahl, Raum, Bewegung, Zeit, Nach beiden Seiten hin zwiefach Unendlichkeit. Und wie sie wechselnd sich verbinden und bedingen, Siehst du unendliche Verhaͤltnisse entspringen. Doch unerschuͤtterlich auf den vier Pfeilern steht Der Mathematik Bau in kalter Majestaͤt. Dieselbe Grundlag' haͤlt und traͤgt den Bau der Welt; Wo aber ist der Geist, der selbst sie traͤgt und haͤlt? 30. Wie oft geschieht's, daß ich ein Dunkles mir erklaͤre Durch etwas andres, das an sich noch dunkler waͤre. Doch weil der Forschung Blick ruht auf der dunklen Stelle, Erscheint im Gegensatz ihm jede andre helle. Gelang' ich dorthin nun, so ist das Raͤthsel dort, Das Unerklaͤrliche ruͤckt mit der Forschung fort. Und unversehns mach' ich dis neue Dunkel klar Durch jenes alte, das erst zu erklaͤren war. Es scheint, kein Ausgang ist aus diesem Zauberkreise, Sobald der Geist sich will einlassen auf Beweise. 31. Gott ist ein Denkender, sonst waͤr ich uͤber ihn, Ich aber denke, daß ich unter ihm nur bin. Gott ist ein Wollender, sonst haͤtt' ich mehr als er, Mein Wollen aber kommt von seinem Wollen her. Mit deinem Denken sei, mit deinem Wollen still Vor seinem, liebes Herz! er denkt in dir und will. 32. Wenn du ein bergiges Gelaͤnde steigst empor; Als steigest du hinab, kommt dirs zuweilen vor. Denn bis von einer Hoͤh zur andern wird gestiegen, Gehts uͤber Senkungen, die zwischen beiden liegen. Und eh nicht, als erreicht der andre Gipfel ist, Erkennest du, daß du gestiegen wirklich bist. Die Aussicht, schon zuvor gewonnen, dann geschwunden, Hat wieder nun, und zwar erweitert, sich gefunden. Doch auch zur Niederung wo du dich schienst zu neigen, In Wahrheit warst du dort begriffen schon im Steigen, Nur niedrer im Bezug auf das woher du kamest, Hoͤher an sich, weil du den Weg zur Hoͤhe nahmest. Es ist naturgemaͤß der Weg, o geh ihn nur! Selbst keinen andern ist gegangen die Natur, Als sie mit Bildnertrieb und schoͤpferischem Witze Durchs Reich der Formen klomm von Spitz' empor zu Spitze. Sie konnte nicht umhin, in ihrem Vorwertsstreben Sich hier zu senken, um dort wieder sich zu heben. Sie hatte sich vom Gras mit windgeknicktem Halme Emporgehoben schon zum stolzen Schaft der Palme. Dann hat sie sich bequemt und sich herabgelassen, Mit Bildungen von Kraut und Strauch sich zu befassen. Sie dacht' an Palmen nicht zuruͤck beim niedern Strauch, Sie dachte vorwerts an der Rose Liebeshauch. Und als sie hingelangt zum Goͤtterbild der Rose, Stieg sie von ihm hinab, und schuf den Wurm im Moose. Der Rose dachte sie beim Wuͤrmlein auch nicht mehr; Sie dacht', indem es lebt', ein ganzes Lebensheer. Ein großer Ruͤckschritt schien von dort zu hier gethan, Der groͤste Vorschritt war die Senkung ihrer Bahn. Und als hinauf, hinab, die Ordnungen von Thier Zu Thier hindurch, sie kam zu Loͤwe, Roß und Stier; Da sann sie deren Herrn und ihren zu erschaffen, Und schuf zur Menschenvorbereitung erst den Affen. Das war der tiefste Fall, den sie zuletzt gethan, Um sich zum hoͤchsten Schwung zu heben himmelan. Drum troͤst' ein Kuͤnstler sich, wenn ihm ein Bild mislingt, Ist er sich nur bewußt, daß er zum Hoͤchsten ringt. 33. Der große Astronom sprach: Alle Himmelsflur Hab' ich durchforscht und nicht entdeckt von Gott die Spur. Hat er nicht recht gesagt? Bei Mond- und Sonnenflecken, Im Sternennebel dort, ist Gott nicht zu entdecken. Des Sehrohrs Scharfblick sieht den Unsichtbaren nicht, Den nicht berechnen kann Zahl, Groͤße, Maß, Gewicht. Wer Gott will finden dort, der muß ihn mit sich bringen; Nur wenn er ist in dir, siehst du ihn in den Dingen. 34. Was unterscheidet dich, o Mensch, von Thier und Pflanze? Daß du fuͤr dich auch bist, nicht blos wie sie fuͤrs Ganze. Fuͤrs Ganze bist auch du, wie Thier und Pflanze sind, Doch bist du's nicht wie sie, du selbstbewust, sie blind. Sie sind fuͤrs Ganze nur, weil sie nur sind fuͤr sich; Weil du fuͤr's Ganze bist, sind sie und es fuͤr dich. Fuͤrs Ganze bist du ganz, wenn ganz fuͤr dich du bist, Erkennend, daß durch dich das Ganze ganz nur ist. 35. Der Mensch kann nie so ganz ins Sinnliche versinken, Der Geist treibt ihn empor stets Geistesluft zu trinken. Doch hat er seine Lung' erfrischt an Himmelshauchen, Treibt es ihn bald genung zuruͤck in Schlamm zu tauchen. So in sein Leben theilt sich der getheilte Trieb; Nicht Vogel und nicht Fisch, was ist er? ein Amfib; Das nicht ganz Fisch mehr ist, dem stummen Abgrund eigen, Doch auch noch nicht ganz Thier, ans feste Land zu steigen; Das jetzo sich erhebt, und schoͤpft zu leben Luft, Dann wieder sich begraͤbt in feuchten Moderduft. Im innerlichen Streit mit sich befangen ewig, Die ganze Lebenszeit bleibt es hindurch beidlebig. Wird auch die Menschheit so in alle Ewigkeit Hier bleiben unerloͤst von der Beidlebigkeit? Wird nie ihr bessrer Geist sie ihren niedren Wiegen Entraffen, um mit ihr von Hoͤh zu Hoͤh zu fliegen? Soll immer nur der Geist allein, als wie der Schwan, Geschieden von dem Leib, sich schwingen himmelan? 36. Was unterscheidet dich, o Mensch, von der Natur? Du bist ein Werdender, sie ist geworden nur. Sie ist geworden, was sie werden sollt' und kann; Du aber bist ein Kind, das werden soll ein Mann. Darum an der Natur ist alles schoͤn und groß, Vollkommen, reich und stark, du schwach, nackt, arm und bloß. Doch ist die Kraft in dir, stark, reich und groß zu werden; Und daß die Kraft du fuͤhlst, seh' ich an den Geberden. Und dis Gefuͤhl der Kraft soll man dir nicht zerbrechen; Dir soll wenn es erschlafft, der Himmel Muth einsprechen. Du kanst nicht sinken, wenn du dich erheben willst, Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen stillst. Gewonnen ist das Ziel, wenn du den Muth gewannst, Daß du schon jetzt bist viel, und mehr stets werden kannst. 37. Wenn sein Gottaͤhnliches du willst dem Menschen zeigen, So darfst du ihm auch nicht sein Thierisches verschweigen. Gefaͤhrlich ist es, ihn bewundern sich zu lassen; Gefaͤhrlich auch, ihn nur zu zwingen, sich zu hassen. Auffordern mußt du ihn, sich selber zu bekriegen, Um durch sein Besseres sein Schlechteres zu besiegen. 38. Das Boͤse ist nicht aus der Welt hinauszuluͤgen, Und das Bewustseyn laͤßt sich nicht um es betruͤgen. Erklaͤren laͤßt es auch sich nicht im Bild als Schatten, Der nur zu besserm Glanz dem Lichten kommt zu Statten. Es ist zu wenig Tag, und zuviel Schattenschlag, Als daß der Schoͤnheitsinn sich dran erfreuen mag. Und von den glaͤnzenden Partieen nicht beschwichtigt Wird der Beschauer, der die schadhaften besichtigt. Das Bild ist offenbar nicht in dem rechten Stand, Wie es gekommen ist aus seines Meisters Hand. Wir kommen uͤberein hierinnen, und entzwein Uns darin nur, wie dem mag abzuhelfen seyn; Wer uͤbernehmen soll und kann beim Bild das Amt, Es herzustellen so, wie es vom Meister stammt. 39. Nur wer ein Koͤnig war, kann den Verlust empfinden, Daß er ein Reich verlor, und kann's nicht wieder finden. Und so empfindet wol der Mensch, daß er verlor Die Herrschaft der Natur, die er besaß zuvor. Wodurch ließ er den Stab der Herrschaft sich entwinden? Und was soll er nun thun um wieder ihn zu finden! 40. Ein Weiser, um mit Kraft den Vorzug zu beweisen Des Menschen vor dem Thier, wollt' auch sein Alter preisen. Von Thieren soll der Mensch das hoͤchste Alter haben; Denn Fabel nur ist was man sagt von Hirsch und Raben. Doch macht dir nun ein Thier den Vorzug streitig kaum, So thut es jeder Fels, so thut es mancher Baum. Drum etwas anders muß dein Menschenvoraus seyn, Den dir alswie das Thier auch einraͤumt Pflanz' und Stein: Daß du in jedem Nu, in Gott und Welt und dir Mehr lebst als lebenslang Fels oder Baum und Thier. 41. Was nennst du groß und klein? du nennest groͤßer, was Ist uͤber, kleiner wol, was unter deinem Maß. Selbst gegen Kleineres kommst du dir groͤßer vor, Und gegen Großes klein, so schwankest du o Rohr. Bist du das Maß der Welt? hast du an dir das Maß? Sprich, ist an deinem Leib, in deinem Geiste das? Nicht klein nenn' oder groß, was groß ist oder klein Nach deinem Leibe bloß, nach deinem Sinn allein. Groß ist kein Sonnenball, und klein kein Sonnenstaͤubchen; Groß ist der Schoͤpfung Baum, doch klein daran kein Laͤubchen. Nur der Gedank' ist groß, daß nichts so groß, so klein, Als der Gedanken ist, der alles ist allein. 42. O Mensch, sieh hier das Nichts, aus welchem du entsprungen, Dort die Unendlichkeit, in die du bist verschlungen. Das Nichts hier, dort das All, und in der Mitte du, Du schwankst in jedem Nu von diesem jenem zu. Du streifest hier ans Nichts, und schweifest dort ins All, Ergreifest keines doch im Steigen noch im Fall. Wielange fuͤhrest du mit Wolkenbildern Streit? Das Nichts ist nichts, und nichts ist die Unendlichkeit. Gott ist wo Nichts dir scheint, Gott ist wo dir erscheinet Unendlichkeit, in ihm ist Nichts und Nichts verneinet. Du bist vor jedem Nichts gerettet, Ihm vereint; Nichts ist nur, was ohn' Ihn Etwas zu seyn vermeint. 43. Was ist der kleine Mensch in der Unendlichkeit! So eng ist sein Begriff, ihr Umfang ist so weit. Mit Schrecken siehst du dich in einen Kreis gestellt, Der ruͤcksichtlos auf dich, den ew'gen Umschwung haͤlt. Ein Kreis, des Mittelpunkt, wenn er ist irgendwo, Nur uͤberall ist, und sein Umkreis nirgendwo. Wenn dieser Mittelpunkt denn allerorten ist, So ist er ja, o Mensch, am Ort auch wo du bist. Du stellest kuͤhn dich hin als Mittelpunkt der Welt, Und siehst wie sie um dich den ew'gen Umschwung haͤlt. So klar ist ihr Gesetz, daß du's erkennen kannst, Und durch die Einsicht selbst am Weltplan Theil gewannst. Wie du es siehst durchs Rohr, so kreist der Sfaͤren Chor, Als zeichnetest du selbst ihm seine Taͤnze vor. Nur kannst du das Gesetz nicht aͤndern zum Vergnuͤgen, Mußt ins gegebene erkannte schoͤn dich fuͤgen. O Mensch, dis ist dein Loß, dich in Selbstaͤndigkeit Zu fuͤgen frei und groß der Weltnothwendigkeit. 44. Dich irret in der Welt die Vielgestaltigkeit, Einfaͤlt'ger, dir misfaͤllt die Manigfaltigkeit: Daß nicht an jedem Ort gilt, was an einem gilt, Und daß die eine Zeit lobt, was die andre schilt; So ist es, wie der Spruch des Meisters ausgesprochen: Es wird hier Widerspruch von Widerspruch gebrochen. Dich aber moͤcht' ich nicht zum Gaͤrtner meinem Garten, Da du nicht zugestehst den Blumen ihre Arten. Doch stellte gar dich Gott in seinem Garten an, Wie wuͤrde nicht zu Spott sein Plan vor deinem Plan! Wie wuͤrde nicht genutzt die Scheer', und weggeputzt Unnuͤtzer Putz, und fein gleichfoͤrmig zugestutzt; In Unergetzlichkeit wuͤrd' alles eingeschnuͤrt, Soweit Gesetzlichkeit du haͤttest eingefuͤhrt. 45. Wer Gott nicht fuͤhlt in sich und allen Lebenskreisen, Dem werdet ihr ihn nicht beweisen mit Beweisen. Wer uͤberall ihn sieht, was wollt ihr dem ihn zeigen? Drum wollt mit euern Gottbeweisen endlich schweigen! Wollt ihr mir auch vielleicht beweisen, daß ich bin? Ich glaubt' es schwerlich euch, glaubt' ichs nicht meinem Sinn. 46. Ist unsrer Handlungen Beweggrund, wie sie sagen, Gluͤckseligkeit allein, wie sind wir zu beklagen! Denn die Gluͤckseligkeit, wo ist sie zu erfragen? Wo ist sie zu erspaͤhn? wo ist sie zu erjagen? Diese Gluͤckseligkeit, die jeder will erreichen, Je naͤher er ihr kommt, scheint weiter zu entweichen. Diese Gluͤckseligkeit, die jeder wuͤnscht und sucht, Ist einem Schatten gleich bestaͤndig auf der Flucht. Bald scheint der Schatten rechts, bald links an uns zu streifen, Nun vor, nun hinter uns, und nirgend zu ergreifen. Diese Gluͤckseligkeit, ein Trugbild manigfalt, Lockt jeden anderen in anderer Gestalt. Der sieht sie an fuͤr dis, und der fuͤrs Gegentheil; Der nennt Verderben das, was jener nennt sein Heil. Darum kann nimmermehr dis Wechsellaunenspiel, Diese Gluͤckseligkeit, seyn unser Zweck und Ziel. Wir wissen dieses nur, daß hier uns etwas fehlt; Wo es uns werden soll, und wie, ist uns verhelt. Wo ist es? hier im Raum ist es nicht aufzuspuͤren; Und uͤber'n Raum hinaus, wie soll ein Weg uns fuͤhren? Wir koͤnnen aus der Welt und uns hinaus nicht treten; Wann, Himmelsgast, tritst du bei uns ein, laͤngsterbeten. Laͤngst harr' ich deiner hier in Abgeschiedenheit; Das Gluͤck ist nicht bei mir, doch die Zufriedenheit. Gluͤckseligkeit zerpfluͤck', und jedem gib ein Stuͤck, Die Seligkeit gib mir, und dem, wer will, das Gluͤck! 47. Ein Mensch seyn ohne Gott, was ist das fuͤr ein Seyn! Ein beßres hat das Thier, die Pflanze, ja der Stein. Denn Stein und Pflanz' und Thier, die zwar um Gott nicht wissen, Er aber weiß um sie, sie sind ihm nicht entrissen. Sie sind nicht los von Gott, gottlos bist du allein, Mensch, der du fuͤhlst mit ihm, und leugnest, den Verein. 48. Sturm der Vernichtung, sprich, wohin denn mich verschlagen, Wohin denn willst du mich, wo Gott nicht waͤre, tragen? Von Gott ist alles Seyn umschlungen und umrungen, Und ich bin sein, nicht mein, ich bin von ihm durchdrungen. Wohin ich sehe, seh' ich Gottes Schooß mir offen, Der nur dem Zweifel ist verschlossen, nicht dem Hoffen. Verschlossen ist er nur dem ihm verschlossnen Sinn; Drum ist er offen mir, weil ich ihm offen bin. Rückert, Lehrgedicht III. 7 49. Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht; Doch dis: von Gott zu Gott! ist meine Zuversicht. Warum ich jetzo bin, und andre sonst gewesen; Warum mir dieser Platz, kein andrer, ist erlesen? Ich bluͤhe wie die Blum', und wachse wie der Baum, In meiner Jahreszeit, in meinem Gartenraum. Im großen Garten ist kein abgelegnes Beet, Das nicht zu seiner Zeit von Lenzluft ist durchweht. Kein abgelegnes Beet, das nicht erbluͤht in Wonne An seines Gaͤrtners Blick, sein Blick ist Mond und Sonne. Ich fuͤhle Sommerlust, und fuͤhle Winterschauer, Und einen Schauder, daß ich bin von kurzer Dauer, Doch eine Ahnung, daß ich ewig bin von Stamme, Und daß nicht sich verzehrt, die mich verzehrt, die Flamme. Es ist ein niedrer Trieb in mir und hoͤhres Streben, Dem soll ich folgen und mich jenem nicht ergeben. Zur reinsten Bluͤte will ich meine Lust entfalten, Und meine Schmerzen selbst zu Wonnen umgestalten. Ich steh' in Gottes Hand, und ruh' in Gottes Schooß; Vor ihm fuͤhl' ich mich klein, in ihm fuͤhl' ich mich groß. 50. Arabisch heißet Dien Religion von Dienen, Denn nicht zum Herrschen ist sie auf der Welt erschienen. Religion, solang sie dienstbar ist auf Erden, Der Menschheit dienet sie zum Trost in den Beschwerden. Da ist sie Gottesdienst ohn' aͤußern Prunk und Braus; Sobald sie herrschend wird, wird eitler Weltdienst draus. 7* 51. So sprach ich, als ich juͤngst gieng durch die Flur am Abend — Sie war fuͤr Aug' und Ohr und jeden Sinn so labend; Ich aber dachte, was der Filosofen groͤster Von der Natur gedacht, fuͤr mich ein leid'ger Troͤster: Daß ein mislungener Versuch mit viel Beschwerden Sie des Begriffes sei, sich aͤußerlich zu werden. — So sprach ich: O wieviel des Schoͤnen doch entsprang Fuͤr mich aus dem Versuch, der dem Begriff mislang. Und waͤre dem Begriff nun der Versuch gelungen, Welch eine Herrlichkeit waͤr' erst daraus entsprungen! Welch hoͤhere Natur, worin von all den Choͤren, Die meinen Sinn zerstreun, den Geist nichts wuͤrde stoͤren! Welch hoͤhere Natur, worin von all den Choͤren, Die meinen Sinn erfreun, ich sehn nichts wuͤrd' und hoͤren! Ich, dem Begriff zum Spott, will hoͤren, sehn und singen, Und danken, daß ihm Gott ließ den Versuch mislingen. 52. Unleidlicher ist nichts, geeigneter zu Kraͤmpfen, Als zwei Systeme, die als solche sich bekaͤmpfen. Dis klappert hier, das dort, mit eigner Formeln Knarren, Und wer dazwischen steht und hoͤrt es, wird zum Narren. Zwei Instrumenten gleich, in zwei verschiednen Toͤnen Gestimmt, wo eines will das andre niederdroͤhnen. Jedwedes waͤr', allein gehoͤrt, villeicht erfreulich; Ihr Durcheinanderschrei'n ist ganz und gar abscheulich. 53. Nicht darum soll es sich bei deinem Willen handeln, Ihn zu verbessern, Mensch, vielmehr ihn zu verwandeln; Denn unverbesserlich, unheilbar sei der Schade, Umwandlung moͤglich nur durchs Wunderwerk der Gnade. Allein der hoͤchste Streit, der uͤber die Natur Des Willens wird gefuͤhrt, scheint mir ein Wortstreit nur. Umwandeln moͤgt ihr ihn, verwandeln ganz und gar, Zu einem andern doch nicht machen als er war. Verwandeltet ihr mich, daß ich nicht mehr waͤr' ich, So haͤttet ihr, ich weiß nicht wen, geheilt, nicht mich. Doch einen guten Kern muͤßt ihr dem Willen goͤnnen; Denn schlecht im Kerne, wuͤrd' er gut nie werden koͤnnen. Am kahlen Suͤnderkopf muͤßt ihr ein Loͤckchen lassen, Daran der Finger ihn der Gnadenzucht kann fassen. Ein Aschenfuͤnkchen muß doch seyn im Aschenhaufen, Sonst blaͤst das Feuer an kein Schnauben und kein Schnaufen. Ein gleich Beduͤrfnis wird verschiedentlich gefuͤhlt, Daß etwas sei hinweg gewaschen und gespuͤlt, Ein Schmutz hinweggefegt, ein Rost hinweggescheuert, Damit im eignen Glanz der Spiegel sei erneuert. Daß sich der Spiegel selbst nicht klaͤren kann, ist klar; Daß ihm nur Gott den Dienst gewaͤhren kann, ist wahr. Daß Gott sich spiegle, mußt du ihm den Spiegel leihen, Von Selbstbespieglung fern und von Vorspiegeleien. Die Hauptsach' aber ist, daß rein der Spiegel sei; Das Uebrige, mein Sohn, ist Spiegelfechterei. 54. Was ist Zusammenhang der Rede, den du lobst, Und dessen Zauberkraft du tief an dir erprobst? Zusammen scheinen dir zu hangen die Gedanken, Und drum die Sachen auch, die stets so unstaͤt schwanken. Die Frage draͤngt sich auf, und wird zuruͤckgedraͤngt, Ob nur der Denker so zusammen sie gehaͤngt? Zusammenhang der Ding' ist wirklich ihm erschienen, Und seine Rede zeigt dir diesen Schein an ihnen. Am ganzen Netze willst du keine Masche missen; Denn eine fehlt, so ist der schoͤne Schein zerrissen. 55. Die Wahrheit ist durchaus ein mittleres Gebiet, Das nicht nach hier und dort unendlich hin sich zieht. Ihr nachgehn kanst du meist gar wenig Schritte nur, Und ausgehn siehst du schon in Irrthum ihre Spur. Wahrheiten haͤngen nicht zusammen wie Korallen, Die man kann an der Schnur herzaͤhlen nach Gefallen. Oft ist das Wahre gar vom Falschen nicht zu scheiden, Wie Faͤden eines Zeugs, halb wollen und halb seiden. Von Wahrheit einen Kern schließt jeder Irrthum ein, Und jede Wahrheit kann des Irrthums Saame seyn. Vor allem huͤte dich vor strengen Folgerungen, Denn folgerichtig ist meist naͤrrischstes entsprungen. Wahrheit, die du zuweit verfolgen willst und jagen, Ist, eh du dichs versiehst, in Irrthum umgeschlagen. Viel lieber mag, anstatt die Jagd zu uͤbertreiben, Ein ungewisses Wild im Grenzwald uͤberbleiben. Der Schuͤtze laͤßt, was flieht, fliehn an der Grenz', und zieht Mit seiner Beute sich zuruͤck auf sein Gebiet. 56. Bedenke, wenn der Stolz des Denkens dich bethoͤrt, Welch eine Kleinigkeit dein Denken, Denker, stoͤrt. Ein Bißchen Weh im Kopf, ein Bißchen Weh im Magen, Im Fuß, der doch nichts scheint zum Denken beizutragen. Nicht irren kann dich nur der Feldschlacht heisres Klirren, Verwirren kann dich schon der Muͤcke leisres Schwirren. Und haͤttest du wie Gott nun eine Welt gedacht, So haͤtte sie, o Spott, ein Muͤcklein umgebracht. Drum ist es gut, daß du nur denkest schon Gedachtes, Und im Gedanken nur nachmachst von Gott Gemachtes. 57. Du waͤhnst, o Weiser, dich vom alten Wahn entkettet, Wirklich zur Wirklichkeit des Denkens hingerettet. Du sprichst, „Ich setze nichts voraus mehr gegenwaͤrtig, „Eben so wenig nehm' ich etwas an als fertig. „Ich sehe zu, was ist unmittelbar gegeben, „Wie es entwickelnd sich vermittelt.“ — Das ists eben! Wo ist unmittelbar gegebnes denn zu Haus? Was du vermitteln willst, das setzest du voraus. 58. Du hast den Geistern der Geschicht' ihr Recht gethan, Wenn du sie alle nimmst als Fortschritt' auf der Bahn, Die wahre Seit' erkennst an den Einseitigkeiten, Und gleichst in Einsicht aus der Ansicht Streitigkeiten. Dein Irrthum ist allein, daß du zur Offenbarheit Auf deinem Standpunkt glaubst gelangt die ganze Wahrheit. Doch dir geschiht dein Recht, wie ihnen ihrs geschehn, Wenn wir die Wahrheit auch in deinem Irrthum sehn. 59. Der Aehnlichkeiten Spur zu folgen hast du Freiheit, Verwechseln darfst du nur sie nicht mit Einerleiheit. Das Ding, das du begreifst, ist freilich im Begriff, Doch der Begriff ist nicht des Dinges Inbegriff. Wer sieht nicht, daß sein Bild im Spiegel aͤhnlich sei Ihm selber? doch ist es mit ihm drum einerlei? Ob ich der Spiegel sei der Welt, ob sie der meine, Wir bleiben immer Zwei, worin sich zeigt das Eine. 60. Du denkest, was du denkst, das muͤße drum so seyn; Doch denke: denkest du denn auf der Welt allein? Viel andre denken auch, viel andres denken sie, Doch anders wird das Seyn durch anders denken nie. Es laͤßt sich so und so von unserm Denken fassen, Bleibt was es ist, und sieht dem Spiele zu gelassen. 61. Verzweifelst du, der Welt zu schaun ins innre Wesen, So schau umher auf ihr, wie viele sind gewesen, Wie viele werden seyn, wie viele sind um dich, Die ihren Stand zur Welt, den Stand der Welt zu sich Begreifen, und mit ihr wohl wissen auszukommen, Doch haben nie die Hoͤhn des Weltbegriffs erklommen. Drum muͤßen andere Erkenntnisquellen fließen, Die dir kein Schluͤssel braucht des Gruͤbelns aufzuschließen. Aus diesen schoͤpfe, so, daß Vorwitz nie sie stopft; Aus Felsen springt ein Quell, wo nur der Glaub' anklopft. 62. Wenn nur auf Eine Art sich Gott haͤtt' offenbart, Zu offenbar haͤtt' ihn des Menschen Geist gewahrt. Doch nun verhuͤllen ihn viel Offenbarungen, Und unvollkommen sind die Gottgewahrungen. Der Glaubensweisen Streit zeigt seine Herrlichkeit, Denn Er ist Eins, um den sich unser Wahn entzweit. 63. Ein jeder Glaube haͤlt sich fuͤr den einzig wahren, Und seine Kraft kann er auch so nur offenbaren. Der einzig wahre nur ist er an seinem Ort, Nicht minder aber wahr sind andre hier und dort. Was hat denn nun ein Mensch vom Glaubenswort zu halten? Das seinige fuͤr wahr an seinem Ort zu halten. Sohn, halt an deinem Ort an deinem Glaubenswort, Und laß am ihrigen die andern halten dort! 64. Der Esel ist bekannt, der hungernd stehen bliebe, Weil zu zwei Buͤndeln Heu ihn gleicher Hunger triebe. Bekannt ist auch, daß er nicht wirklich stehn wird bleiben, Weil von zwei Treibenden muß eines staͤrker treiben. Und bleibt er gleichwol stehn, so ists aus Eselei; Der Zweifel wohnt ihm selbst, doch nicht der Sache bei. Ein Esel ist wer nicht kommt zum Entschluß deswegen, Weil Fuͤr und Wider er nicht kann aufs Loth abwaͤgen. 65. Die Liebe Gottes kann so werden uͤbertrieben, Daß sie fuͤr Suͤnd' es haͤlt den Menschen auch zu lieben; Als wuͤrde Gott um das, was ihm gebuͤhrt, betrogen, Der Antheil, den du weihst dem Menschen, ihm entzogen. So ists, den Menschen wenn du liebst als Kreatur; Lieb' ihn als ewigen Gedanken Gottes nur! Du liebest Gott nicht ganz, wenn du ihn liebst allein, Wenn nicht auch alles, was er liebet, groß und klein. 66. Gesetze der Natur willst du, o Mensch, entdecken; Du solltest dir das Ziel etwas bestimmter stecken. Nicht das, wie sich verhaͤlt an und fuͤr sich die Welt, Entdecken sollst du, wie sie sich zu dir verhaͤlt. Wozu Gott immer sonst die Dinge moͤgen dienen, Du weißt nicht was sie sind, nur was du hast an ihnen. 67. Wenn du fuͤr dein Verdienst erwartest reichen Lohn; Such dich um Stadt und Land verdient zu machen, Sohn! Denn Wohlthat einzelnen, wie schoͤn sie sei, erwiesen, Bescheiden bleibt sie still von einzelnen gepriesen. Nur voll Beseligung ein goͤttlich Hochgefuͤhl Ist, ringsum danken sehn ein lautes Volksgefuͤhl, Ins Antlitz keinem schaun der Kinder, Muͤtter, Vaͤter, Ohn' in der Brust sich selbst zu fuͤhlen ihr Wohlthaͤter. Dagegen kommt nicht auf, wie groß es sei und echt, Sonst ein Verdienst um Welt und menschliches Geschlecht, Das geistig-fein und zart, von unsichtbarer Art, Entbehret auf dem Markt lebend'ger Gegenwart. 68. Es war ein Koͤnigsschloß, darauf war eine Uhr, Die wies dem Koͤnige die eine Stunde nur, Die eine Stund', in der sein Vorfahr einst erblich, Dieselbe zeigte ihm der Zeiger, der nie wich. Und weißt du, wann er sich erst von der Stelle ruͤhrte? Wann er den nahen Tod des neuen Koͤnigs spuͤrte. Dann gieng er kurze Frist, und wieder in den Frieden Sank er zuruͤck, sobald der Koͤnig auch verschieden. Du fragest: Koͤnige, mit solcher Uhr begabt, Die also ihren Tod vor Augen stets gehabt, Vor allen sind sie weis' und maͤßig wol gewesen? Man sollte meinen, ja! Doch hab' ichs nicht gelesen. 69. Mein Sohn, das Ehrgefuͤhl ist eine Umgestaltung Vom allgemeinen Trieb des Lebens, Selbsterhaltung. Wir fuͤhlen unser Seyn gesteigert und gemehrt, Indem wir anerkannt uns sehen und geehrt, Und moͤgen billig bis von uns erworbne Leben Vertheidigen sogut wie das uns Gott gegeben. 70. Die Stimmenmehrheit nur entscheidet jeden Streit, Doch ehr entscheiden sollt' ihn Stimmenminderheit. Denn gelten sollten mehr die Weisen als die Thoren, Und stets zur Minderheit sind jene auserkoren. 71. Sein eigen nennt der Mensch ein Gut uneigentlich; Daß Gutes ist von Gott, gesteht er schweigentlich. Du sollst, was deiner Art, was deinem Sinn kann eignen, Wo dir's auf deiner Fahrt begegnet, dir aneignen. Der Eigner dieser Welt das ist ein Geist, der eignet Sich dauernd alles zu, was fluͤchtig sich ereignet. Das Eigenthum ist nur ein aͤußerlich Geleit, Dein rechtes Eigenthum ist Eigenthuͤmlichkeit. Auf diese Eigenblum' halt ohne Eigenruhm, Und laß dir rauben nie dein eigenst Eigenthum. Gleichfern von Eigensucht alswie von Eigenflucht, In Eigenzucht gedeiht des Herzens Eigenfrucht. Dis sei mein eigner Sinn, zu seyn ohn' Eigensinn; Mein eigen bin ich nur, wenn ich dein eigen bin. Ich bin in Lust und Schmerz liebeigen und leibeigen Dir, welchem stets mein Herz blieb eigen und bleib' eigen! 72. So sprach zum Koͤnige, der mit den Leuten grollte, Die sich nicht besserten, und sich nicht bessern wollte, Sein Narr Geheimerath, als ihn der Koͤnig fragte, Woher der Unmuth sei, der ihn heut sichtlich plagte? Er sprach: Daher ist er, daß ich der Magd mit Aschen Und Wasser heut befahl die Treppe rein zu waschen. Da wusch sie ungeschickt von unten statt von oben, Und schelten mußt' ich sie, wo ich sie wollte loben. Denn von der obern floß zur untern Stufe nieder Der Unrath, und beschmutzt ward das Gewaschne wieder. Ich hab' es ihr gesagt: Umsonst ist was du putzest, Wenn mit dem Obern du das Untre stets beschmutzest. Ich sagt' es nochmals ihr, mein Wort war ohne Nutzen: Von unten kanst du nicht die Treppe gruͤndlich putzen. Ich sag' es abermals: Wenn sich der Glanz erneuern Der ganzen Treppe soll, fang oben an zu scheuern! 73. So sprach zum Adlichen, der mit den Ahnen prahlte, Der Buͤrgerliche, der mit seinem Werthe zahlte: Wenn du Vorrechte hast, so sei derselben werth; Steck' ein die Zung' und zieh fuͤrs Vaterland das Schwert. Wenn deine Vaͤter all gut waren, sei nicht schlechter; Und sind sie ungerecht gewesen, sei gerechter. Wenn Raub villeicht und Blut klebt am ererbten Gut, So mache durch Gebrauch das schlechterworbne gut. Hab' ich nicht Ahnen auch? nur sind sie ungenannt; Von deinen mancher waͤr' auch besser ungekannt. Die deinen konnten dir Erworbnes nur vererben; Die meinen ließen Lust und Kraft mir, zu erwerben. 74. So sang ein armer Mann, des einz'ger Reichthum lag An seinem Bienenstand und seinem Taubenschlag: Sie haben all ihr Gut verzaͤunet und verschanzt, Und was sie pflanzen drin, ist nicht fuͤr mich gepflanzt. Ich darf und mag auch nicht durchbrechen ihren Zaun, Und nuͤchtern ist die Lust, von außen drein zu schaun. Doch wenn ich selbst sie nicht beraube, so berauben Nun meine Bienen sie fuͤr mich, und meine Tauben. Die Tauben hier und dort aufpickend Koͤrnersaat, Die Bienen fort und fort eintragend Mundvorrath. Die Tauben fuͤttern mir ihr Junges aus dem Kropf, Die Bienen fuͤllen mir mit Fleiß den Honigtopf. Wenn man vom Acker auch mir scheuchen will die Tauben, So muß man freien Flug den Bienen doch erlauben. Und wenn uns dann im Haus entgeht der fette Braten, So werden wir doch nie der Suͤßigkeit entrathen. 75. Der Koͤnig auf der Pirsch' hat einen Hirsch erjagt; Mit Zittern steht der Hirsch, der um sein Leben zagt. Der blickt den Koͤnig an, und beugt vor ihm die Glieder, Selbst eine Thraͤne rann von seinem Auge nieder. Der Koͤnig will geruͤhrt dem Thier das Leben schenken, Und stiftet, wies gebuͤhrt, davon ein Angedenken. Man legt ums Hirschgeweih ein Reiflein Gold, da war Dem Koͤnigsnamen bei geschrieben Tag und Jahr. Der Hirsch enteilt mit Dank, und heim der Koͤnig kehrt; Bald wird der Koͤnig krank, der Hirsch lebt unversehrt. Der Koͤnig stirbt, ihm folgt ein Sohn, und dem ein Sohn; Der jagt im selben Wald, wo einst der Hirsch entflohn. Da stellt der Hirsch sich dar, den Nacken altersteif, Doch um die Stirne war noch hell der goldne Reif. Verwundert schauet ihn der junge Koͤnig an, Bis dort ihm klar erschien der Ruhm von seinem Ahn. Und als man Jahr und Tag zusammenzaͤhlte, war Von damals der Betrag bis heute hundert Jahr. Die hundert Jahre froh hat in dem Wald gewohnt Ein Lebendes, weil so ein Koͤnig es geschont. Groß ist des Koͤnigs Gluͤck, der, wenn man ihn begraͤbt, Ein Denkmal laͤßt zuruͤck, das hundert Jahre lebt. Rückert, Lehrgedicht III. 8 76. Ein Fuͤrst ließ seinem Sohn verfertigen ein Schild, Vier Felder von Azur, in jedem Feld ein Bild. Und jedem Sinnbild war ein Sinnspruch beigegeben, Doch rings ums Ganze stand: Nach diesem sollst du leben. Im ersten Felde war ein Hirsch von Gold, dazu Die Schrift von Diamant: die Goͤtter fuͤrchte du. Im andern Feld ein Storch von Silber, und dazu Die Inschrift von Rubin: die Eltern ehre du. Im dritten Feld, von Erz die Schildkroͤt', und dazu Die Schrift von Karneol: dein Haus bestelle du. Im letzten Feld, von Stahl ein Delfin, und dazu Die Schrift von Perlensaat: den Freunden diene du. Warum ist Goͤtterfurcht vom Hirsch gemeint? Er zittert Im Walde, wenn ob ihm der Himmel hochgewittert. Wodurch ist Elternlieb' im Storch erklaͤrt? Der junge Traͤgt die gealterten mit seiner Fluͤgel Schwunge. Wie zeigt die Schildkroͤt' Hausbestellung an? Sie traͤgt Fest auf dem Ruͤcken eins, das ihr kein Stein zerschlaͤgt. Womit thut Freundesdienst der Delfin kund? Er kuͤndet Den Sturm, und bleibt im Sturm den Schiffenden verbuͤndet. Es ist ihm nicht genug, daß er gewarnet haͤtte; Er muͤht sich auch, daß er umsonst gewarnte rette. 8* 77. Die ihr, und zwar mit Recht, eur altes Recht umwacht, Den Neurer schreckt ihr: laß! denn so hats Gott gemacht. Der Neurer, wenn er dis bestreiten will, ist dumm; Wenn er gescheit ist, kehrt er keck die Waffen um. Ja, Gott hat es gemacht, denn er macht alle Sachen; Drum, weil ers so gemacht, kann ers auch anders machen. Ein Werkzeug seiner Hand ist auch der Andersmacher, Ein Werkzeug stark und neu, an alter statt und schwacher. 78. Sohn, aufrecht sei dein Gang, und all dein Thun aufrichtig! Aufrechter Gang ist fuͤr den Menschen nicht unwichtig. Er ist, von Gott gewaͤhrt, die erste hehrste Gunst, Und ist, vom Kind gelernt, die erste schwerste Kunst; Die, und die eng mit ihr verbundne Kunst der Rede, Begruͤndet und bedingt der andern Kuͤnste jede. Hoch halte sie, o Sohn, und mach Gebrauch davon; Steh aufrecht, wo du stehst, nah oder fern dem Thron. Vorm hoͤchsten Throne selbst halt aufrecht die Gedanken; Wen Gottes Gnade haͤlt, den laͤsset sie nicht wanken. Steh wie ein frommer Knecht vor deinem Herrn aufrecht, Geguͤrtet, winkbereit, zur Arbeit, zum Gefecht. So geh, aufrechtes Haupts, ohn' Hochmuth auf der Erde; Aufrichtig sei dein Sinn, dein Wort und die Geberde. Halt aufrecht, wie dich selbst, das Recht, wo du vermagst; Richt auf Erliegende, und dich, so du erlagst. Die Sterne winken dir, zu ihnen aufzurichten Den Blick, und deinen Gang nach ihrem Lauf zu richten. 79. Dem Menschen ist ein Recht gegeben auf die Sachen, Von Gott hat ers zu Lehn, wer kanns ihm streitig machen? Wenn von den Menschen waͤr' ein einziger am Leben, Die ganze Erde waͤr' in seine Hand gegeben. So wie im Anbeginn, wir glauben's, einer war, In dem sich ungetheilt die Menschheit stellte dar. Doch als zum Manne nun das Weib hinzugekommen, Ward diesem wohl ein Theil, der jenem ward genommen? Mitnichten; weil das Paar in Zweiheit Eines war, War zur Entzweiung im Besitz auch nicht Gefahr. Und also, wo noch zwei in Liebe werden Eines, Ist ihr Besitzrecht an die Welt ein allgemeines. Denn ganz in jedem Paar stellt sich die Menschheit dar, Von allwievielen schon die Welt besessen war. Bescheiden ziehen sie auch ihr beschieden Loß, Und sei es klein, so mach' es Lieb' und Treue groß. Doch als zum Vater dort hinzu die Soͤhne kamen, Besaß das Oberhaupt mit in der Glieder Namen. Sie waren im Besitz von selbst mit eingeschlossen; Wie haͤtten nicht auch, was der Baum hat, seine Sprossen? Doch als die Glieder drauf sich los vom Haupte rissen, Da wollte jedes, was ihm eigen waͤre, wissen. Da sprach ihr Vater: Geht nun in die Welt hinaus, Und bauet, wie und wo ihr moͤget, Feld und Haus. Die Welt ist weit genug, um drin euch auszuweichen, Euch auszubreiten ohn' einander zu erreichen. Es wird am Gegenstand nicht fehlen eurer Hand, Und jeder habe, was er zu ergreifen fand. Demselben druͤck' er auf das Zeichen des Besitzes, Das Zeichen seiner Kraft, das Zeichen seines Witzes. Doch welcher Sache schon ihr eures Bruders Zeichen Seht aufgedruͤckt, davon sollt ihr zuruͤcke weichen. Doch wann die Zweige nun zu Staͤmmen sind geworden, Und ihr das Land erfuͤllt mit Herden und mit Horden; Dann wird der Hader bald im Kleinen, bald im Großen Erwachsen da, wo ihr zusammen werdet stoßen, Wenn ihr entfremdet nicht mehr eure Zeichen kennt, Und, statt was euch verband, nur fuͤhlet was euch trennt. Dann wird Volk gegen Volk zum Schutze sich verbuͤnden, Und einzle Ganze sich im großen Ganzen ruͤnden. Natuͤrlich steht zuerst als Mittelpunkt im Kreise Der Aeltste, der zugleich der beste scheint und weise. Ob einer dann den Platz dem andern streitig mache, Doch immer dienen wird dem staͤrkeren der schwache. Der starke dienet auch dem schwaͤcheren zum Schutze; Doch Kunst und Geist dient bald zur Wohlfahrt, bald zum Putze. Den Muth zu dienen, der da Demuth heißet, lernt, Hochmuͤth'ge, die ihr euch vom Vaterhaus entfernt. Zum Vaterhaus fuͤhrt euch der Geist der Demuth wieder, Wenn menschlich ihr euch fuͤhlt des Leibs der Menschheit Glieder. 80. Wolfeiler kanst du nicht den Fordernden abspeisen, Als ihm, daß er schon was er fordert hat, beweisen. In Ruh genießest du den Ueberfluß der Gaben, Wenn du uns glauben machst, daß wir die Fuͤlle haben. — „Was fechten Niedere der Hoͤhern Vorrecht an? Sein eigen Vorrecht hat auch der gemeine Mann. „Hat nicht der Bettelmann den Vorzug vor dem Reichen? Er nimmt Almosen an, und dieser muß es reichen. „Du hast, was er dir gab, den Reichen hat die Habe; Es geht kein Herrscherstab vor deinem Bettelstabe. „Dir stihlt, weil er ist leer, kein Dieb den Bettelsack; Leicht trag ihn, und entbehr den schweren Sorgenpack. „Schwer haͤlt dem ird'schen Sinn des Irdischen Entschlagung; Leicht faͤllt der Hauptgewinn des Lebens dir, Entsagung.“ — Ein lust'ger Bettler mag so troͤsten seinen Sohn, Doch in des Reichen Mund klingt dieser Trost wie Hohn. 81. Die Suͤnd' ist innerlich; und innerlich fuͤr sich Seyn wollen, eben das ist Suͤnde wesentlich. Die Suͤnde kann gar aus dem Innern nicht heraus, Und wie heraus sie tritt, wird Anderes daraus. Daraus wird eine That, die in die Reihe trat Der andern Thaten, die dort tragen gute Saat. In Gottes Acker ist von Nutzen auch der Mist; Pfui aber uͤber dich, wenn du nichts bessers bist. 82. Was richtet das Gesetz am menschlichen Beginnen? Was davon außen ist, oder was davon innen? Ein Aeußeres allein ist leerer Schein, der flieht; Ein Inneres allein, nur Gott ist der es sieht. Das richtet das Gesetz, wo beides ist vereint, Ein Inneres, soweit im Aeußern es erscheint; Kein voͤllig Inneres, das außen sich verhelt, Noch ein bloß Aeußeres, wobei ein Innres fehlt. 83. Ein eisernes Gesetz hat gleiche Strafe, Tod, Verschiedensten Vergehn, groß oder klein, gedroht. Ein mildres aber raubt ihm seine Kraft, und glaubt, Auch gegen Toͤdtung selbst sei Toͤdtung unerlaubt. Von beiden welch's hat Recht? hat Recht villeicht das dritte, Das zwischen beiden haͤlt der Unterscheidung Mitte? Recht haben beide. Tod verdienen all, die suͤndigen; Doch wer ist suͤndlos gnug, es ihnen anzukuͤndigen? 84. Wennauch von Rache nicht das Recht ist so benannt, Doch von der Seite sind die Wurzeln anverwandt. Tritst du aus deines Rechts in meines Rechtes Kreis, So ist mein Widerstand des Uebertretens Preis. Doch, thatst du Unrecht mir, darf ich dir's wieder thun? Dann thust du's wieder mir, und wo wird's endlich ruhn? Die Rach' ist schrankenlos, das Recht ist nur in Schranken; Darum beschraͤnke dich in Wort, Werk und Gedanken. Beschraͤnke dich, damit du seiest unbeschraͤnkt, Und kraͤnk nicht innen dich, wenn man dich außen kraͤnkt. Dein ist dein Recht, doch dein ist nicht Gericht und Rache; Ein allgemeines Recht vertritt die Einzelsache. Weißt du dein Thun gerecht, und andres ungerecht, So laß die Rache dem, der nichts laͤßt ungeraͤcht. 85. Wer ist freigebig? Wer, dis sagt das Wort, gibt frei, Frei, ohne daß er selbst dazu gezwungen sei, Gezwungen weder durch Gewalt, noch Ruͤcksicht auch, Die gleichgewaltig ist, auf Ruhm, Stand oder Brauch. Freigebig ist, dem Wort wohnt dieser Sinn auch bei, Wer den Unfreien gibt, den Schuldverbundnen, frei. Freigebig ist, wer frei dir gibt, daß, wie du magst, Du hinnimmst, was er gibt, Dank oder nicht ihm sagst. Freigebig, wer als Mann, als freier, kund sich gibt Durch Geben, weil er kann hingeben, was er liebt. Denn Sklav' ist seines Guts, wers nicht hingeben kann; Frei fuͤhlt sich vom Besitz nur der freigeb'ge Mann. 86. Wie wunderbarer Trieb Ameisenmillionen Beseelt, die einen Bau, den alle baun, bewohnen, In Ordnung ohne Bruch, in Eintracht ohne Stoͤrung, Ohn' Obrigkeit und Spruch, ohn' Aufruhr und Empoͤrung; Als regte ganz den Staat gemeinschaftlicher Rath, Da ganz nur ihn bewegt gemeinschaftliche That. Mensch, hinter der Natur wie stehst du weit zuruͤck! Wann wirst du aus dir selbst entfalten solch ein Gluͤck? Wann wie ein hoͤherer Naturgeist dich durchdringt Die goͤttliche Vernunft, und Goͤttliches vollbringt; Daß, wie Ameisen jetzt, einst Menschenmillionen, Von gleichem Trieb beseelt, beisammen also wohnen, In Ordnung ohne Bruch, in Eintracht ohne Stoͤrung, Ohn' Obrigkeit und Spruch, ohn' Aufruhr noch Empoͤrung. 87. Es ist ein altes Wort, ich will es dir entfalten: In einem Zweifelsfall ists gut sich zu enthalten. Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklaͤren, In einer Sfaͤre nicht, es gilt in allen Sfaͤren. Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwischen Mein und Dein Ein Zweifel waltet ob, sag barsch nicht: es ist mein! Es gilt im Sittlichen: Wo zwischen boͤs' und gut Die That ist zweifelhaft, thut wohl, wer nicht sie thut. Es gilt im Handel auch und Wandel: Ist Gewinn Und Schaden zweifelhaft, so leg den Handel hin. Es gilt im Waffenspiel: Wo zweifelhaft der Sieg Dem klugen Feldherrn scheint, vermeidet er den Krieg. Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg Der Weg unsicher scheint, bleib auf dem sichern Weg. Es gilt im Wissen auch: Wo das kann seyn und dis, Sag nicht: das ist, dis nicht! sag: es ist ungewis. So hab' ich dir erklaͤrt dis Wort, um dir zu zaͤhmen Den ungestuͤmen Sinn, doch nicht den Muth zu laͤhmen. Solang ein Zweifel ist, laß dich von ihm bedingen, Doch daß er nicht mehr sei, versuch' ihn zu bezwingen. Verzweifle nicht an dir vor jedem Zweifelsfall; Wenn du mit Muth ihm stehst, siehst du des Zweifels Fall. Gib dich gefangen nie in traͤger Zweifel Haft! In jedem Zweifelsfall raͤth Gott unzweifelhaft. 88. Dem Ganzen offenbar gereicht es nicht zum Heil, Wenn es beguͤnstiget vor andern einen Theil; Doch auch dem Theile wird es nicht zum Heil gereichen, Der sich beguͤnstigt sieht vor allen seines gleichen: Der unbeguͤnstigte wird zwar am Mangel sterben, Doch der beguͤnstigte vor Ueberfluß verderben. 89. Den Menschen wenn der Mensch im Menschen stets erkennte, So manche Schranke nicht von Menschen Menschen trennte; Es wuͤrde weniger Mensch gegen Menschen stehn, Es wuͤrde sich kein Mensch am Menschlichen vergehn. Was wuͤthet hoch vom Thron herab ein Wuͤtherich? Er sieht die Menschen tief gleich Thieren unter sich. Was gilt dem Muselman fuͤr einen Hund der Christ? Er sieht es ihm nicht an, daß er sein Bruder ist. Was macht den Weißen hart dem Schwarzen gegenuͤber? Der Menschheit Zuͤge sind auf dessen Antlitz truͤber. Der Arme, Niedre, haßt den Hoͤheren, den Reichen, Weil er so wenig selbst sich fuͤhlt als dessen gleichen. Und wer sich jedes Rechts von andern sieht beraubt, Haͤlt jedes Unrecht auch sich gegen sie erlaubt. Ihr Menschenwaͤchter, drum, wenn ihr wollt ruhig schlafen, Abhelfen muͤßt ihr dem, was ihr nur wollt bestrafen. Macht, daß ein Mensch sich koͤnn' und muͤß' als Menschen fuͤhlen, So wird er nicht den Grund der Menschheit unterwuͤhlen. 90. Der Streit von Goͤttlichkeit und Menschheit ist geschlichtet, Denn nur vom Gleichen kann das Gleiche seyn gerichtet. Denn nur vom Gleichen kann das Gleiche seyn erkannt; Doch die Ausgleichung ist verschieden zubenannt. Der Hochmuth sagt: Zu Gott hat sich der Mensch erhoben; Die Demuth: Niederstieg zum Menschen Gott von oben. 91. Was heißt dich, wie dich selbst, jedweden Menschen achten? Das Menschenangesicht! Du darfst es nur betrachten. Du siehst dein eigen Bild, und hast dich selbst entehrt, Wenn du die Achtung, die es fordert, ihm verwehrt. Aus jedem Angesicht blickt menschliche Vernumft, Das Gotteslicht, wieauch getruͤbt, gedaͤmpft, verdumft. Wenn du es nicht erkennst, so liegt die Schuld an dir; Du siehst das Thier nur, weil du selbst nur siehst als Thier. Des Thieres Seyn ist Kampf, des Menschen Geist ist Frieden; Sind wir erst Menschen ganz, so ist der Kampf geschieden. 92. Wer keinen Willen hat, kann uͤberhaupt nichts wollen, Auch also dieses nicht, daß wir ihn achten sollen. Du achtest in dem Kind, das keinen Willen hat, Den kuͤnftigen, den du erziehst mit Zucht und Rath. Im Wahnsinn achtest du und im Verbrechen was? Den Willen, der sich dort vergaß, hier sich vermaß. Fuͤr den, der sich vergaß, hast du die Pflicht zu denken, Und den, der sich vermaß, rechtmaͤßig zu beschraͤnken. Dem Kranken unterlegst du deine Willensweise, Und wehrest, die er will, ihm die verbotne Speise. Die Schwachen sind mit Recht dem Starken unterthan, Der das fuͤr sie, was sie nicht koͤnnen, wollen kan. 93. Ein jeder hat sein Recht, um sich in sich zu ruͤnden; Doch was die Einzlen trennt, das soll sie auch verbuͤnden. Denn nur auf den Beding ist dein, was dein du nennst, Wenn du hinwider auch als mein das Mein' erkennst. Doch nimmst du Meines mir, ists nicht genug, daß du Es wiedergibst, du mußt verlieren Deins dazu. Das ist die Strafe, die du selbst dir zuerkannt; Dein eignes Thun hat sich auf dich zuruͤck gewandt. Das ganze Recht ist dis, daß du dem andren nicht Das thust, was du nicht willst, daß dir von ihm geschicht. In diesem seid ihr gleich, und frei, wenn ihr verstaͤndig Des Rechtes Unterschied erkennet als nothwendig. 94. Der Mensch im Weltverkehr lebt nur fuͤr sich allein, Und erst davon getrennt, im menschlichen Verein. Durch Leib, Besitz, Beruf, beschraͤnkt und abgeschieden, Wo faͤnde da der Geist, der schrankenlose, Frieden? Nicht im Gedankentausch, der nur verworren ist, Nicht in der Liebe Rausch, der waͤhrt so kurze Frist. Nur in der Einsamkeit spinnt er ein Traumgewebe, Daß in der Menschheit er, in ihm die Menschheit lebe. Zur Wahrheit aber wird nur dort das Traumgespinnst, Wo du den Sondrungen der Koͤrperwelt entrinnst; Wo alle Geister eins im hoͤchsten Geiste sind: Dort freut sich des Vereins die Menschheit, Gottes Kind. 95. Der erste Koͤnig ist es durch Gewalt geworden, Und um zu siegen fehlt' ihm nicht der Muth zu morden. Auf Blut gegruͤndet, ließ er sterbend seinem Blut Die Herrschaft und die Lust dazu, doch nicht den Muth. Zuletzt ist sie herab gelangt an einen weichen, Der sehn kein rothes Blut kann ohne zu erbleichen. Er scheut sich in der Hand ein bloßes Schwert zu tragen, Aus Furcht deswegen kann er keine Ritter schlagen. Sie aber schlagen sich fuͤr ihn nicht minder kuͤhn, Bereit ihr Herzblut fuͤr den Blutscheu'n zu verspruͤhn. So ob der Wirklichkeit ist siegreich der Gedanken, Der Unumschraͤnkte setzt dem Schrankenlosen Schranken. 96. Es wirkt Gerechtigkeit, es wirkt die Lieb' ein Band; Wie wirken beide schoͤn verbunden Hand in Hand! Warum Gerechtigkeit, warum traͤgt Liebe Binden Ums Aug'? um fuͤr der Welt Ungleichheit zu erblinden. Was die Gerechtigkeit haͤlt aͤußerlich im Bund, Haͤlt nur, weil innerlich die Liebe legt den Grund. Zwar was Gerechtigkeit verbindet, ist verbindlich, Doch nur Verbindlichkeit der Lieb' unuͤberwindlich. Wenn nicht Gerechtigkeit mit Liebe sich verbaͤnde, Wer waͤre so gerecht, der im Gericht bestaͤnde? Nur wo Gerechtigkeit und Liebe sind verbuͤndet, Ist Menschenschuld gesuͤhnt, und ird'scher Sinn entsuͤndet. 97. Warum ist Redlichkeit von Rede so benannt? Weil aus der Rede nur das Innre wird erkannt. Die Redlichkeit besteht darin, daß einerlei Mit seiner Aeußerung dein Innerliches sei. Die Redlichkeit besteht nicht in Wohlredenheit, In Ueberredungskunst, Ausred' und Redestreit. Die Redlichkeit besteht darin: Ein Wort, ein Mann; Weil man den Redlichen beim Worte halten kann. Darin bestehet sie, daß sich dein Herz beredet Mit seiner Pflicht, und thut das was dein Mund geredet. 98. Der Mensch ist, wie er sagt, ein Buͤrger zweier Welten, Doch kann er nicht zugleich und ganz in jeder gelten. In keiner ist er sonst von beiden recht zu Haus, Und zwischen beiden schwebt er wie die Fledermaus. Rückert, Lehrgedicht III. 9 Solang die Buͤrgerschaft ist hier in voller Kraft, Ist deine dortige nur eine Anwartschaft. Du mußt die wirkliche hier wirklich dir erwirken, Jedoch dabei nichts thun, dort jene zu verwirken. So thust du deine Pflicht gleichzeitig und gleichseitig, Und keine Buͤrgerschaft macht dich der andern streitig. 99. Wenn du Gerechtigkeit nicht in des Menschen Brust Gewurzelt anerkennst, wie Unrecht du dir thust! Du bist von staͤrkeren umgeben als du bist, Die schaden koͤnnten dir, wenn wollten, jede Frist. Nichts gibt dir Sicherheit, als aus dir selbst zu wissen, Daß Unrecht dir zu thun sie hindert ihr Gewissen. 100. Wol gibt es zwischen Recht und Unrecht scharfe Graͤnzen, Doch deinen Scharfsinn laß nicht in der Schaͤrfe glaͤnzen. Gewis bestimmter als dis zweifelhaft Gebiet Ist zwischen Acker hier und dort der Unterschied. Doch haͤlt der Ackersmann von hier und der von dort Ein wenig seinen Pflug zuruͤck vom aͤußern Ort; Daß lieber ungebaut ein Streifchen zwischenliege, Als daß sich Pflug und Pflug begegnen dort zum Kriege. So halt den Fuß zuruͤck von der Versuchung Rand, Und setz' im Zweifelsfall in Ruhstand deine Hand. 9* 101. Ob einmal siegen wird das Gute auf der Welt Oder das Boͤse ihm die Wag' auf ewig haͤlt; Der alte Streit ist nicht geschlichtet, nicht zu schlichten, Doch irren kann er dich in deinem Thun mitnichten. Du hast zu handeln so, daß Gutes moͤge siegen, Und dich zu troͤsten, wo du's siehest unterliegen. 102. Des Menschen ganzes Gluͤck besteht in zweierlei, Daß ihm gewis und ungewis die Zukunft sei. Das ist ihm ungewis, wo er wird seyn und wie, Gewis, daß er wird seyn, derselbe dort und hie. Die Ungewisheit macht ihn froh der Gegenwart, Und die Gewisheit gibt ihm Kraft zur Weiterfahrt. Wer moͤchte leben, waͤr' ihm nicht sein Tod verborgen? Und wer koͤnnt' heute seyn, wenn er nichts waͤre morgen? 103. Ein Kind, faͤllt's auf den Kopf, steht wieder auf sogleich, Nicht weil sein Hirn so hart, nur weil es ist so weich, So weich, um einem Druck sich schadlos zu bequemen, Und gleichsam eine Form beliebig anzunehmen. Ein Alter, dessen Hirn sich nicht mehr so kann schmiegen, Wo er den Kopf aufschlaͤgt, bleibt er bewußtlos liegen. Drum braucht der Mann auch nicht alswie ein Kind zu fallen; Denn laufen lernt das Kind, der Mann bedaͤchtig wallen. 104. Schließ aus der ewigen Vollkommenheit der Welt Auf die Vollkommenheit des, der sie so erhaͤlt. Weil er vollkommen ist, ist all sein Thun vollkommen; Von dem Vollkommnen kann nichts kommen unvollkommen. Zwar unvollkommen fuͤhlst du dich, o Mensch, auf Erden; Doch auch den Trieb in dir vollkommner stets zu werden. Er selber kann dich auch nicht lassen unvollkommen; Vollkommen will er dich, und all dein Thun vollkommen. Vollkommen wirst du seyn, weil er vollkommen ist; Vollkommen ist er nur, wenn du vollkommen bist. 105. Hat doch des Kindes Fuß das Gehn gelernt durch Fallen, Und seine Zunge auch das Reden nur durch Lallen. Ich selber falle noch, wenn ich will zu dir gehn, O Herr, ich lalle noch, soll ich dir Rede stehn! Ich bin vor dir ein Kind, und weiß, an Einsicht blind, Nur dis aus mir, wie lieb mir meine Kinder sind. Die Kinder wissen nicht, wie sie der Vater liebt; Das weiß nur der, dem selbst der Vater Kinder giebt. Sie selber wissen nicht, wie lieb mir sei ihr Lallen, Und daß nicht um die Welt ich eines ließe fallen. 106. Nachahmung ist was sich zuerst im Kinde regt, Was ihm die schwache Hand, den zarten Mund bewegt. Es traͤgt die Puppe, wie es selbst die Mutter trug, Und schlaͤgt auf das Klavier, weil es der Bruder schlug. Es nimmt das Buch, woraus der Vater betend las; Was es handfaltend summt, auch ein Gebet ist das. Du kanst nicht besser streun in ihm des Guten Samen, Als wenn du Gutes stets ihm vorthust, nachzuahmen. 107. Wenn du willst nach dem Rath von jedem Thoren fragen, Wirst du wie jener Mann zuletzt den Esel tragen; (Die Fabel ist bekannt) der wandernd seinen Sohn Erst auf den Esel lud, der war beladen schon. Der erste, der es sah, sprach: O verkehrte Sitten! Der Vater geht zu Fuß, das Soͤhnchen ist beritten. Da setzt der Vater sich, dem Esel duͤnkt es schwer, Anstatt des Sohnes auf, der Sohn laͤuft nebenher. Ein andrer, der es sah, sprach: Welcher Thorenritt! Der Vater reitet fort und nimmt den Sohn nicht mit. Der Vater nimmt geschwind den Sohn zu sich hinauf, Und mit der Doppellast der Esel stockt im Lauf. Der dritte, der es sah, sprach: Welche Barbarei! Das Thier erliegt, wenn ihr nicht absteigt alle zwei. Der Vater steigt zugleich mit seinem Sohn hernieder; Der traͤge Esel ruͤhrt nicht flinker drum die Glieder. Der vierte, der es sah, sprach: Viel geschwinder kaͤmet Ihr fort, wenn ihr die Last dem armen Thier abnaͤhmet. Der Vater mit dem Sohn nimmt auf sich das Gepaͤck, Und das entladne Thier will gar nicht mehr vom Fleck. Da sprach der fuͤnfte, der es sah, der war ein Gauch: Tragt ihr des Esels Last, tragt doch den Esel auch! Den Esel packten Sohn und Vater hier und da, Und trugen ihn ins Dorf, es war zum Gluͤcke nah. 108. Was ist es, daß du sagst: es hat mich dieses heut, Und gestern jenes mich, und neulich das gefreut! Wie du dich, armes Herz, mit deinen Freuden quaͤlst, Wenn du die einzelnen zusammenrechnend zaͤhlst! Die Freude kennst du nicht, wenn du nur Freuden kennest; Dir fehlt das ganze Licht, wenn du's in Stralen trennest. Aus all den Freudchen flichst du keinen Freudenkranz; Denn eh das eine bluͤht, verwelkt des andern Glanz. Dir frommt auf kurze Rast nicht mancher Freudengast, Wenn du nicht Freudendaur im Hause wohnen hast. 109. Zu Gottes Angesicht wie steigt sichs schwer empor! Denn sieben Himmel sind, und jeder hat ein Thor. Und ist durchs eine Thor gegeben frei der Lauf, So thun deswegen sich noch nicht die andern auf. Was guͤltig ist als Paß, durch dieses Thor zu kommen, Wird nicht gleich ebenso bei jenem angenommen. Vielmehr wird Reineres von Thor zu Thor begehrt, Daß Reinstes droben sei von Gottes Blick verklaͤrt. Die Engel, die aufs Werk des Menschen merken, tragen Heut eins von ihm empor zum ersten Thor, und sagen: Thorhuͤter, laß uns ein! dis Werk ist schoͤn und rein; Zu Gottes Angesicht soll es getragen seyn. Der Huͤter aber spricht: Wie? ist es fleckenfrei? O nein, das ist es nicht, es ist voll Heuchelei. Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen's mit sich fort die Engel voll Verzagen, Um morgen anderes zum andern Thor zu tragen. Doch dort der Huͤter spricht: Wie? ist es ohne Schmutz? O nein, das ist es nicht, es ist voll Eigennutz. Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen's mit sich fort die Engel voll Verzagen, Um morgen anderes zum dritten Thor zu tragen. Der dritte Huͤter spricht: Hat es die rechte Zier? O nein, die hat es nicht, es ist aus Ruhmbegier. Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen, Um morgen anderes zum vierten Thor zu tragen. Der vierte Huͤter spricht: Ist dieses wirklich gut? O nein, es ist nicht Pflicht, es ist nur Trieb im Blut. Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen, Um morgen anderes zum fuͤnften Thor zu tragen. Der fuͤnfte Huͤter spricht: Ist dieses fromm und treu? Ists aus Gesetzfurcht nicht, und nicht aus Menschenscheu? Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen, Um morgen anderes zum sechsten Thor zu tragen. Und dort der Huͤter spricht: Ist dis vollkommen schon? Um Menschenlohn ists nicht, doch ists um Gotteslohn. Vor Gottes Angesicht kommt ihr mit diesem nicht; Nehmt es und werft es dort dem Menschen ins Gesicht. Da nehmen das auch fort die Engel voll Verzagen, Um morgen eines noch zum letzten Thor zu tragen. Und dort der Huͤter spricht: Vollkommen ist es nicht Doch ists gethan aus Lust an Gottes Angesicht. Zu Gottes Angesicht moͤgt ihr empor denn steigen; Doch wissen Engel nicht, ob Er es wolle zeigen. 110. Ein Beter hat erzaͤhlt: Lang betet' ich, und nickte Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte: Ein Engel stand vor mir, und hielt in seiner Hand Ein Blatt, wo jegliches Gebet geschrieben stand; Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach gesprochen; Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen. Da weint' ich, daß mir die verloren sollte seyn; Warum nicht trugest du dis mit dem andern ein? Er sprach: Im Beten warst du bis hieher gekommen, Als beim Voruͤbergehn der Nachbar dich vernommen. Du wurdest auch gewahr, daß er voruͤber kaͤme, Und sprachest lauter gar, damit er es vernaͤhme. Die Stelle des Gebets stahl deines Nachbars Ohr; Nur was ein Mensch nicht hoͤrt, schreib' ich und trag's empor. 111. Vier Koͤnigstoͤchter sind auf einem rings von Wogen Umspuͤlten Lenzeiland von einer Fee erzogen. Und morgen sollen sie zuruͤck zur Heimath ziehn, Weil ihnen aller Schmuck der Bildung ist verliehn. Da sprach die Fee: Ich bin mit jeder wohl zufrieden, Doch einer muß zuletzt der Vorzug seyn beschieden. Nun geht zur Ruh, und wann euch weckt des Morgens Glanz, Ist einer unter euch beschert ein Perlenkranz. Dieselbe findet ihn am Grund des Koͤrbchens liegen; Den soll die Finderin bewahren hold verschwiegen. — Da blickten alle vier einander laͤchelnd an, Und jede dachte: die wird wol den Preis empfahn. Nicht eine dachte, daß sie selber siegen sollte, Nur, wie sie sich des Siegs der andern freuen wollte. So traͤumten sie die Nacht bis zu des Morgens Glanz, Und an des Koͤrbchens Grund fand jede einen Kranz. Erroͤthend ließen sie den Kranz im Koͤrbchen liegen, Und jede haͤtte gern sich selbst den Fund verschwiegen. Doch als der Abschied kam, verrieth die holde Scham Von jeder jeder wohl, was jede mit sich nahm. Sie brauchten sich es nicht zu fragen noch zu sagen, Und fuͤhlten sich begluͤckt all' einen Kranz zu tragen. 112. Mit Stolz genießen wir, was wir mit Kampf erwarben; Die Wunden sind geheilt, es schmuͤcken uns die Narben. Doch einen Stachel laͤßt der Kampf zuruͤck im Herzen; Bei boͤsem Wetter wird die Ehrennarbe schmerzen. 113. Das ist mein Wunsch, daß gut und gluͤcklich moͤgen werden, Und all mit ihnen ich, die Menschen all auf Erden. Und wenn ich selbst nicht viel zum allgemeinen Heil Beitragen kann, so trag' ich bei mit Lust mein Theil. Die aber nichts dazu bei wollen, koͤnnen tragen, Verklagen kann ich sie darum nicht, doch beklagen. Wer sieht auf andrem Weg als ich das Heil gelegen, Der geh' ihn nur! es geht dahin auf vielen Wegen. Das Streben fuͤr die That nimmt Gott vom Menschen an; Wir haben viel gewollt, zuletzt hat er's gethan. 114. Sei dankbar fuͤr das Gluͤck, das dir der Herr bestimmt Und gib es gern zuruͤck, wenn er es wieder nimmt. Es ist kein Gut so groß, er hat noch groͤßres eben, Und nimmt dir eines bloß um andres dir zu geben. 115. O Herz, in Lust und Schmerz so trotzig als verzagt, Du bist ein Jaͤger, Herz, und bist zugleich gejagt. Du jagest nach der Zeit, die fluͤchtig dir entweicht, Und fliehst die Ewigkeit, die sicher dich erreicht. 116. O Seele, suͤndigst du, und denkst, Gott sieht dich nicht; Wie ist die Blindheit groß, wie klein der Einsicht Licht! Und suͤndigst du und weißt, daß es sein Blick vernahm, Wie ist die Frechheit groß, wie klein ist deine Scham? 117. O Gaͤrtner, der du hier den Baum im Garten ziehst, Mit stolzer Schoͤpferlust auf deine Schoͤpfung siehst! In Wahrheit hast du doch den Samen nicht gemacht, Und hast auch nicht daraus den Baum hervorgebracht. Doch dein ist das Verdienst, daß du den Samen streutest, Und groß den Baum zu ziehn, nicht Muͤh noch Sorgfalt scheutest. 118. Obstbaͤume sind genug, o Kinder, hier im Garten; Ihr muͤßt beim ersten Baum die Reife nur erwarten. Die Baͤume loͤsen sich von Wochen ab zu Wochen, Daß neugereifte Frucht in jeder sei gebrochen. Und kaum an einem Baum habt ihr euch satt gepfluͤckt, Als schon der folgende fuͤr euch die Tafel schmuͤckt. Doch wenn beim ersten ihr zu fruͤh beginnt den Schmaus, Seid ihr dann uͤberall der rechten Zeit voraus. Euch wird von einem Baum Begier zum andern treiben, Und keinem wird die Zeit, die Frucht zu reifen, bleiben. Ihr habt das ganze Jahr zu essen herbe Frucht, Weil von dem ersten Baum ihr habt zu fruͤh versucht. 119. Ein Buͤßer, der im Wald bei strenger Buße buͤßte, Mit suͤßen Fruͤchten nie den herben Gaumen suͤßte, Der trocknen Lippe nie erlaubte kuͤhles Naß, Nur laues Wasser trank, nur welke Wurzeln aß; Ward einst gefragt, warum er sich so gar kasteie, Und ob zum Seelenheil die Pein nothwendig seie? Er sprach: Es ist allein fuͤr meine Seele nicht, Ich halte so zugleich die Welt im Gleichgewicht. Soviele sind die nur nach suͤßen Fruͤchten rennen, Soviele die allein nach kuͤhler Labe brennen, Soviele die wie Gift das Herbe weichlich fliehn, Daß auch das Gegentheil einmal nothwendig schien. So uͤbernahm ich denn, was nicht durft' unterbleiben, Und uͤbertreibe hier, weil sie dort uͤbertreiben. 120. Was knistert neben mir und stoͤrt mein einsam Denken, Vom Sinnen ab den Sinn aufs Sinnliche zu lenken? Ist es die Schlange wol, die sich im Grase ruͤhrt, Die Schlange die zuerst den Menschen hat verfuͤhrt? Doch als ich um mich sah, war es ein grasend Lamm, Und ruhig dacht' ich fort, gelehnt an meinen Stamm. 121. In Waldeseinsamkeit, von Wurzeln und von Wasser Sich naͤhrend, lebt ein Mann, und heißt ein Menschenhasser. Den fragt' ein Wandrer einst: Was trieb dich an zu hassen Die Menschen, und warum hast du die Welt verlassen? Da sprach er: Nicht aus Haß verlassen hab' ich sie, Aus Liebe that ich es, und will dir sagen, wie. In meinem Herzen wohnt ein innres Freudenlicht, Doch ist kein Schein davon auf meinem Angesicht. Die Menschen, die das Licht nicht sahn in meinem Herzen, Der Ernst im Angesicht war Stoͤrung ihren Scherzen. Ungluͤckweissagend war der Ausdruck meiner Mienen, Wie Trauerboten, die beim Freudenfest erschienen. Und um die Weltlichkeit nicht dort in ihrem Gluͤck Zu hindern, zog ich mich mit meinem hier zuruͤck. Ich fuͤhle mir genug das Licht in meiner Brust, Und wuͤnsche daß der Welt genuͤg' auch ihre Lust. 122. Bei einem Lehrer ist von Schuͤlern eine Gilde, Die unterweiset er in Gottesfurcht und Milde. Er weist zu Gottesfurcht und Milde nur sie an, Doch einer eilt voraus den andern auf der Bahn. Am allerjuͤngsten hat der Meister Wohlgefallen, Weil er ihn sieht im Geist voran den andern wallen. Die andern aber, die voran im Alter gehn, Sie fragen sich, warum ihr Meister vorzieht den? Warum uns aͤltern ihn, den juͤngsten, ziehst du vor? Er sprach: Ich sag' es euch, doch thut mir dis zuvor: Von diesen Voͤgelein (er nahm sie aus dem Neste) Nehmt jeder eins zur Hand, und geht damit aufs beste Hinaus an einen Ort, da wo euch sieht kein Blick; Erwuͤrgt die Voͤgel dort, und bringt sie her zuruͤck. — Sie gehn, und bringen dann die todten ohne Beben, Als sollt', ein Wundermann, der Meister sie beleben. Der juͤngste aber bringt sein Voͤgelein lebendig; Was wuͤrgtest du es nicht? Er sprach darauf verstaͤndig: Weil ich den Ort nicht fand, o Meister, welchen du Mich suchen hießest, da kein Blick mir saͤhe zu. Ein Blick sieht uͤberall, er sieht aufs Leben nieder, Wie meins, des Voͤgeleins; drum bring' ichs lebend wieder. — Der Meister sah sich um, die Schuͤler waren stumm; Den juͤngsten zog er vor, nun wußten sie, warum. — Die todten Voͤgelein setzt' er zuruͤck ins Nest, Ums lebende herum, und druͤckte sanft sie fest. Vom Wunderhauch der Huld sind sie lebendig worden; Beleben kann der Herr, doch soll der Mensch nicht morden. 123. Der Wandrer im Gebirg verlor die rechten Steige, Und blickt umsonst umher, wer ihm dieselben zeige. Doch ein Einsiedler sitzt vertieft dort in Gebeten, Und fragend nach dem Weg, kommt er zu ihm getreten. Da hebt der fromme Mann, und spricht dazu kein Wort, Den Finger himmelan, und betet schweigend fort. Es spricht der Wandersmann: Ich weiß, daß durch Gebet Und Weltentsagung dort der Weg zum Himmel geht. Doch jetzo moͤcht' ich den zum naͤchsten Dorfe wissen; Wenn du die Kunde hast, so laß mich sie nicht missen. Da wiegt der fromme Mann, und spricht dazu kein Wort, Das Haupt verneinend ernst. Der Wanderer geht fort, Und denkt: Was koͤnnt' es wol dem frommen Manne schaden, Wenn er bewandert waͤr' auch in der Erde Pfaden? Am Himmel wuͤrd' es dort ihm keinen Eintrag thun, Zeigt' er den Weg mir hier; den zeige Gott mir nun! Rückert, Lehrgedicht III. 10 124. In seiner Klause saß der Klausner und vergaß Das Irdische, dieweil er Himmlisches ermaß. Da gieng ein schoͤnes Weib vorm offnen Eingang hin, Aus ihrem Auge schlug ein Blitz in seinen Sinn. Er fuͤhlte von dem Schlag des Funken sich durchzuckt, Und schon hat er den Fuß zur Schwell' hinaus geruckt. Doch auf dem halben Weg zur Welt ist er zum Gluͤck Vom Geist zuruͤckgemahnt, und zieht den Fuß zuruͤck. Er will ihn ziehn, und kann ihn nicht zuruͤckziehn wieder, Und auf der Schwelle selbst laͤßt sich der Klausner nieder. Es sitzt der Oberleib zur Klaus' hinein gelehnt, Doch auf der Schwelle bleibt der Fuß heraus gedehnt. Seit Jahren muß der Fuß heraus zur Schwelle hangen, Und alle sahn ihn so, die dort vorbeigegangen. — Halt deinen Fuß zuruͤck von Weltlust, laß nicht ihn Voreilen, weil's so schwer ist ihn zuruͤckzuziehn. 125. Sei wahr zu jeder Zeit, wahr in der Gegenwart, Fuͤr die Vergangenheit, und auf die kuͤnft'ge Fahrt. Wahr in der Gegenwart, so wie du bist, dich zeigend; Wahr fuͤr Vergangenheit, Gethanes nicht verschweigend; In Zukunft wahr, bereit, was du versprichst, zu halten; So bist du wahrhaft wahr in allen Zeitgestalten. 126. Dis Wort hat der Profet gesagt den Muselmanen; Laß dir gesagt es seyn, o Schuͤler des Brahmanen: Nicht jeder log, wer dir die Wahrheit vorenthielt; Er hat villeicht dadurch dein wahres Wohl bezielt. 10* Entzweiter Freunde Zwist hat er dadurch geschlichtet, Daß er nicht jedem gleich, was jeder sprach, berichtet; Wenn er, einander sie zu machen wohlgeneigt, Die gute Rede sagt, das boͤse Wort verschweigt. Er will das Herz mit Fleiß dir machen kuͤhl, nicht heiß; Gott sagt dir auch zum Gluͤck nicht alles, was er weiß. 127. Von einem Wandersmann wird nur das Land beschaut, Vom Landbewohner wird's dagegen angebaut. Wo du auf Erden wallst als Pilger voll Beschauung, Dient's zur Erbauung dir, doch ihr nicht zur Bebauung. 281. Daß mit Unthaͤtigkeit ist Ueberdruß verbunden, Und nur in Thaͤtigkeit die Ruhe wird empfunden; Dis, was ein Graͤmlicher haͤlt fuͤr der Menschheit Fluch, Erklaͤrt ein Heiterer fuͤr weisen Goͤtterspruch. Wenn jener sagt: es ist der alten Suͤnd' Ererbnis, Daß unbefriedigt sich der Mensch fuͤhlt in Verderbnis; Sagt dieser ihm darauf: es ist des Himmels Fuͤgung, Daß ihm zum Wohl der Welt nur Arbeit gibt Vergnuͤgung. 129. Zur Arbeit ist der Mensch so von Natur bestimmt, Daß er selbst Arbeit zum Vergnuͤgen unternimmt. Was kann am Spiele dich, was an der Jagd dich reizen? Nach Groschen wirst du nicht und nicht nach Hasen geizen. Du naͤhmest sie nicht an, wer sie dir schenken wollte: Es ist der Arbeit Schein, der dich betruͤgen sollte. Denn deine Kraft muß sich stets auf ein Aeußres lenken, Und nie beruhigts dich, in Ruh dich zu versenken. Ja selbst die Ruh, die du entathmet schoͤpfst im Nu, Spornt dich der Thaͤtigkeit mit neuem Athem zu. Und willst du auf dir selbst nur ausruhn augenblicklich, Gleich wirst du selbst dich abarbeiten unerquicklich. Wie eine Muͤhle sich zermalmet und zerruͤttet, Wenn man dem leeren Gang nicht neues Korn aufschuͤttet. 130. Des Lebens Sorge laͤßt dir wenig Zeit zu denken An dich, und deinen Sinn aufs Ewige zu lenken. Lang sorgst du, sorgenlos zu haben eine Stunde; Dann wird, der Sorgen los, zu lang dir die Sekunde. Du gehst auf Zeitvertreib, auf Unterhaltung aus, Und statt der Sammlung suchst du der Zerstreuung Braus. Du findest wol nach Wunsch dein Innres nicht bestellt, Und wuͤnschest lieber nicht zu sehn was dir misfaͤllt. Du siehst ein weites Leer, und weißt es nicht zu fuͤllen, Und willst mit holem Schein der Luft es uͤberhuͤllen. Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt; Zerstreue dich, bis nichts an dir zu sammeln bleibt; Bis wieder sammelt einst des Lebens Herr und Meister Deine in alle Welt zerstreuten Lebensgeister. Er wird nicht schwerer auch sie bringen zum Vereine Als unsere zu Staub zerstreuten Todtenbeine. 131. Selbliebe liebte gern sich selber ungestoͤrt, Und ist von allem, was darin sie stoͤrt, empoͤrt. Sie moͤchte seyn, um nur recht lieben sich zu koͤnnen, Recht liebenswuͤrdig, und sich jeden Vorzug goͤnnen. Entdecken muß sie da mit Schrecken manchen Flecken; Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und verstecken? Verstecken vor der Welt, daß schoͤn der Welt sie scheine; Verdecken vor sich selbst, daß sie es selber meine. Doch meinen kann sie's nie recht ungestoͤrt und still, Und meint stets, daß die Welt nicht recht es meinen will. Straft ihr die Heuchlerinn? sie straft die Heuchelei; Sie selbst nur weiß, wie schwer die hole Maske sei. 132. Warum die Wahrheit wird so schwer an Mann gebracht? Weil sie den Menschen vor sich selbst zu Schanden macht. Die Selbsucht, die dir schließt vor unserm Rath das Ohr, Verschließt auch selbst den Mund des Rathes uns zuvor. Wenn du zu spenden hast und zu verweigern Gnaden, Wie sollten wir, um dir zu nuͤtzen, selbst uns schaden? Wir werden wenigstens die Bitterkeit der Sachen Durch moͤglichst suͤßes Wort dir halb ertraͤglich machen. Nur wenn von dir nichts ist zu fuͤrchten noch zu hoffen, Erwarte, daß du hoͤrst die Wahrheit frei und offen. Drum ist am weitesten von ihr ein Fuͤrst entfernt, Da leicht ein Bettler sie auch wider Willen lernt. 133. In jedem Zustand ist ein Haben und ein Missen, Und das Gemisste bist zu haben du beflissen. Darum bei jedem Gluͤck ist noch ein Wunsch zuruͤck, Der eben ist davon ein zubehoͤrig Stuͤck. Und wie ein Zustand in den andern uͤbergeht, Siehst du, daß aus dem Wunsch ein neuer Wunsch entsteht. Denn jeder Wunsch, erlangt, ist nicht mehr wuͤnschenswerth; Doch Gluͤck ist auch, daß man stets neu ein Gluͤck begehrt, 134. Es wird gesagt, es sei des boͤsen Herzens Zeichen, Wenn du die Menschen liebst mit Thieren zu vergleichen. Auch ist es so, wenn du mit Fleiß herunterziehst Den Menschen, und in ihm des Thieres Zuͤge siehst. Doch anders ist es, ja es ist kein andrer Rath, Wo wirklich in Gestalt des Thiers der Mensch auftrat, Es sei der Einzelne, es sei ein ganz Geschlecht, An dem verloren scheint der Menschheit ew'ges Recht; Da ist kein andrer Rath, als, liebes Herz, zu sagen: Hier will der Menschengeist einmal Thiermaske tragen. Unwuͤrdig ist das Spiel, daß er die Maske nahm; Und wenn er sich besinnt, legt er sie ab mit Scham. Der Maske Anblick schon ist zur Genuͤge haͤßlich; Als wirkliches Gesicht betrachtet, waͤr' es graͤßlich. 135. Wenn Thiere von dem Tod wuͤßten soviel wie ihr, Zur Speise wuͤrd' euch auf der Welt kein fettes Thier. So sprach einst der Profet. Weil sie vom Tod nichts wissen, Drum werden Thiere fett, und ihnen schmeckt der Bissen. Und fett nur werden auch gleich Thieren mit Behagen Die Menschen, die den Tod sich aus dem Sinne schlagen. 136. Du findest im Besitz Genuͤge nimmermehr; Denn es begehrt dein Herz entweder immer mehr, Oder, hast du genug, so fuͤrchtest du Verlust; Und dort ist so wie hier der Stachel in der Brust. 137. Du siehst, es wankt dein Kind, und, statt ihm beizuspringen, Siehst du mit Angst ihm zu, wie es ihm wird gelingen. Wird es im Gleichgewicht sich halten, wird es fallen? Daruͤber laͤssest du die Zeit der Huͤlf' entwallen. Die Roll' ist ungeschickt, die du dabei gespielt; Gefallen waͤr' es, wenn es nicht sein Engel hielt. Doch troͤste dich, wer weiß du haͤttest, wohlbeflissen Eingreifend, es villeicht erst hin zum Sturz gerissen. Es fiel nicht, danke Gott. Fiel es, so machtest du Vorwuͤrfe dir mit Recht; nun ist kein Grund dazu. 138. Das Kind weiß nicht, warum man etwas ihm verbeut. Warum gehorcht es? weil der Vater Straf' andreut? Es kennt die Straf' auch nicht, doch kennt es schon die Furcht, Weiß nicht warum, doch weiß gar wohl, wenn es gehorcht. 139. Ein Mann zu werden, ist des Kindes Stolz; ein Mann Bedauert wol, daß er kein Kind mehr werden kann. Wollt' er ein Kind seyn, um sich kindisch zu geberden? O nein, als Kind moͤcht' er zu anderm Manne werden. Ein Vater ist begluͤckt, daß er ein andrer Mann, Als er geworden ist, im Kinde werden kann. Mit aller Einsicht, die Erfahrung ihm verliehn, Streb' er sich selbst im Kind zum Manne zu erziehn. 140. Nur die Beschraͤnktheit wird an dem, den sie will ehren, Die Fehler leugnen und fuͤr Tugenden erklaͤren. Des Mannes Groͤß' ist mir, nicht daß er fehlerfrei, Doch uͤber Fehler, die er hat, erhaben sei. 141. Oft bringt nur in Gefahr vor der Gefahr die Warnung, Und was dich retten soll, gereicht dir zur Umgarnung. Ich warne dich; wovor? ich muß den Feind dir nennen; Und darin schon besteht das Uebel, es zu kennen. 142. Ein Bilderbuͤchelchen hat heut mich unterhalten Voll doppelguͤltiger zweideutiger Gestalten. Ein Bild, grad' angesehn, glich einem schoͤnen Schatze, Dann auf den Kopf gestellt, ward es zu einer Fratze. Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward, Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart. Hier schien ein Eselskopf, was dort ein Weiser schien; Und so war jedem Schein sein Gegenschein verliehn. Ich dachte: Wem's gefaͤllt, der kann die ganze Welt Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf gestellt. Wie manches ist darin zu schelten und zu loben, Jenach man es beschaut von unten oder oben. 143. Ein eigner Zauber liegt im langgewohnten Alten, Doch auch im Neuen ist ein eigner Reiz enthalten. Du laͤssest bald von dem, dich bald von dem verfuͤhren, Wie etwas dort dein Herz, hier deinen Sinn mag ruͤhren. Die Welt in Zwiespalt haͤngt halb ab von Vorurtheilen, Halb Neuerungen nach, nicht hier noch dort zu heilen. Wer zwischen Neu und Alt sich in der Mitte haͤlt An das was gilt wie galt, vermittelt erst die Welt. 144. Behalte, was ich hier dir nicht will vorenthalten, Vier Lehren, die nicht sind in jedem Ohr enthalten. Dir geben einen Halt, im Leben einen Stab, Der Worte vier: Halt ein! Halt aus! Halt an! Halt ab! Halt ein den Zorn, die Gier, und jede Leidenschaft; Halt aus, was dich betrifft, mit starker Seelenkraft. Halt an zum Guten wen und wo du Macht gewannst; Halt ab vom Boͤsen wen, von Uebel was du kannst. Behalt und halte dis, und ordne dein Verhalten Danach; so wirst du dich und wirst die Welt erhalten. 145. Die wahre Tugend ist nicht alle Tugend uͤben, Sonst wird der eine Glanz sich durch den andern truͤben. Die wahre Tugend ist, daß jeder jede Frist Das tuͤchtig thut, wozu er taugt und tuͤchtig ist. 146. Nicht Schritte soll man thun, die nur zum Ziele fuͤhren, Der alte Meister sprach's, vielmehr will sichs gebuͤhren, Daß jeder Schritt fuͤr sich ein Ziel, und nebenbei Ein Fortschritt auf dem Weg zu hoͤherm Ziele sei. Das gilt, wie von der Kunst, vom Leben gleicherweise, Vorzuͤglich und zunaͤchst doch gilt es von der Reise. Wenn du als Reiseziel betrachtest jeden Schritt, Wird dir der Weg ein Spiel, und kommst vom Fleck damit. 147. Das Maͤrchen von dem Schatz, den dort der Mann verhieß Drei Soͤhnen, welchen er den Weinberg hinterließ, Vom Schatze, welchen sie im Weinberg sollten graben, Worauf sie umgewuͤhlt den ganzen Weinberg haben, Der, so im Grund erneut, dreifaͤltig Fruͤchte trug, Daß alle drei am Schatz auf einmal hatten gnug; Das Maͤrchen setzt voraus versaͤumten Weinbergsgrund, Dem solche Heilung so gewaltsam war gesund. Doch haͤtt' ihn nach Gebuͤhr der Mann gebaut im Leben, Ein Fleiß'ger Fleißigen ihn sterbend uͤbergeben; Die Soͤhne braucht' er nicht zu taͤuschen noch zu plagen, Der Weinberg ohne Zwang haͤtt' einen Schatz getragen. 148. Ein vielerfahrner Fuchs, der alle Weg' und Stege Wohl ausgegangen hatt' in seinem Waldgehege, Hat den von Jaͤgerkunst gestellten Trug getroffen, Die Falle zugedeckt, und nur die Lockspeis' offen. Die Lockung kannt' er wohl, ihn konnte sie nicht locken; Warum denn gieng er nicht voruͤber ohne Stocken? Er dachte: wuͤrde doch der unsichtbare Grund Des Sichtbarn auch durch mich dem Unerfahrnen kund! Vorsichtig zog er von der Falle weg die Reiser, Bis sie am Tage lag; dann gieng er wie ein Weiser, Zufrieden nicht allein dem Schaden zu entweichen, Davor behuͤtet auch zu haben seinesgleichen. Nie soll ein weiser Mann auf seinem Weg versaͤumen, Versuchung, wo er kann, fuͤr Thoren wegzuraͤumen. 149. Der alte Meister sprach: (bedankt sei der Erzaͤhler!) Man muß ins Alter nicht mitnehmen Jugendfehler; Denn eigne Maͤngel bringt mit sich das Alter schon, Die nur mit Anstand traͤgt, wer jenen ist entflohn. 150. Dem Suͤß entgegen sind gestellt Herb, Bitter, Sauer, Drei Nachwehn einer Lust; o Schmerz, o Leid, o Trauer! Dem Gut entgegen steht Boͤs', Uebel, Schlimm und Schlecht, Vier Schaͤden einem Heil; o Mensch, verstehst du's recht? 151. Willst du dem Irrenden klar seinen Irrthum machen, So sieh, von welcher Seit' er angesehn die Sachen. Raͤum' ein, die Sache sei von dieser Seite wahr, Und mach' ihm nebenbei die andern Seiten klar. 152. Der Mensch ist nicht so schlimm als seine Thaten zeigen, Denn seine Thaten sind zum kleinsten Theil ihm eigen. Nimmst du die Zuthat weg von Zufall, Unverstand, Nachlaͤssigkeit; was bleibt als That der freien Hand? Nichts Boͤses uͤberhaupt thut er villeicht aus Trieb Zum Boͤsen, sondern weil zu thun nichts andres blieb. Laßt ihn das Gute thun, gebt ihm zum Guten Raum; Und Boͤses dann zu thun faͤllt ihm nicht ein im Traum. 153. Geliebt zu seyn, mein Sohn, ohn' auch zugleich geachtet, Nach diesem hab' ich nie getrachtet noch geschmachtet, Wie's manche Leute dieser Zeit, nicht Maͤnner, giebt, Die nicht geachtet nicht geliebt sind, doch beliebt. 154. Weil' an den Graͤbern nur, und pflanze Rosenhecken! So denkst du an den Tod, und er wird dich nicht schrecken. — Wenn dir ein lieber Freund hinweg gestorben ist, Denk: eine Tagereis' ist dieses Lebens Frist. Nun, dein Gefaͤhrte gieng ein Streckchen nur voraus, Und um so fruͤher ist er angelangt zu Haus. Was klagest du, daß ihn die Herberg' aufgenommen? Geh nur des Wegs getrost! Bald bist du nachgekommen. 155. O Menschengeist, du bist zu Gottes Thron gerufen; Doch welches Wegs du kommst, das aͤndert dort die Stufen. Kommst du von deinem Grab, so bist du aufgenommen; Doch kommst du aus der Welt, so bist du erst willkommen. Drum warte nicht durchs Grab den Weg zum Herren ab, Und aus dem Leben nimm zu ihm den Pilgerstab. 156. Wer uͤber Graͤber geht, und denket nicht an sich, Und spricht nicht ein Gebet, thut doppelt freventlich. Er hat vergessen, daß im Herrn die Todten leben, Und hat vergessen, daß er selbst soll sterben eben. 157. Unsterblichkeit ist nicht der Zukunft aufgespart, Unsterblichkeit ist im Gefuͤhl der Gegenwart. Du waͤrst nicht, der du bist, in diesem Nu der Zeit, Wenn du derselbige nicht waͤrst in Ewigkeit. Sobald du denken willst, du waͤrest nicht mehr einst, So fuͤhlst du, daß du dich insoweit selbst verneinst. Verneine nur dis Nein! dazu hast du empfahen Des Geistes Kraft allein, dich ewig zu bejahen. 158. Der Tod, der die Geburt ist in ein hoͤhres Leben, Ist auch wie jegliche Geburt mit Weh umgeben. Alswie ein Kindlein tritt in diese Welt mit Klagen, Aus dieser so die Seel' in jene mit Verzagen. Wie schwer das Kindlein sich entwand dem Mutterschooß, So ringt die Seele sich aus diesem Leibe los. Doch wie das Kindlein nun, gewoͤhnt der neuen Lust, Nichtmehr zuruͤck zum Schooß sich sehnet von der Brust; So wird die Seele bald, von hoͤherm Licht umfangen, Zum dunkeln Aufenthalt nicht mehr zuruͤck verlangen. 159. Du bist gegangen und wir gehn dir alle nach; Du giengst zur Ruh und wir sind noch ein Weilchen wach. Vielmehr wir schlafen noch, du bist vom Traum erwacht; O Leben, Spreu und Wind, o schwerer Traum der Nacht! Was ists, das weiter wir hier zu besorgen haben, Als eins das andere anstaͤndig zu begraben! 160. Beklagen sollt' ich dich? ich kann dich nur beneiden, Denn nicht jedwedem wird gegeben so zu scheiden, Wie du geschieden bist, mit Gott und Welt in Frieden, So ohne Schmerz und Weh von Weh und Schmerz geschieden. Des Himmels Ruh verklaͤrt dein Todtenangesicht; Und waͤre sie gewaͤhrt dem sel'gen Geiste nicht? Es wird mir still zu Muth, ins Antlitz dir zu sehn, Und herzlich wuͤnsch' ich, moͤg' auch mir einst so geschehn. 161. Vom Todten saget man: er ist zu Gott gegangen; Alsob zum Ewigen koͤnnt' Endliches gelangen! Alsob koͤnnt' Endliches vom Ew'gen ferne seyn! Was ist, das ist, wo auch es ist, in Gott allein. Rückert, Lehrgedicht III. 11 Du hast in Gott gelebt, und bist in Gott geschieden, Und bist geblieben, wo du warst, in Gottes Frieden. Das ist die Seligkeit, zu der nicht wird gelangen Die Seele dort, in der sie hier nicht angefangen. Das ist die Seligkeit, die dort sich wird entfalten In jeder Seele, die sie hier im Keim enthalten. Wie unentwickelt auch, wie eingewickelt sei Der Himmelskeim, der Hauch des Himmels macht ihn frei. Die Fuͤlle tritt hervor, die Huͤlle muß verwesen, Und gleich im Wandel bleibt die Wesenheit der Wesen. 162. Soll ich den nahen Tod dem Todesnahen zeigen? Soll ich dem Sterbenden von seinem Sterben schweigen? — Vor Augen hatt' er stets in diesem jenes Leben, Gewaltsam brauchst du nicht den Vorhang ihm zu heben. Doch wuͤrd' er auch dem Tod mit unbefangnem Blick Ins Antlitz schaun, wie sonst manch anderem Geschick. Ob du den Tod ihm magst verdecken, ob entdecken, Gefaͤrden wirst du dort ihn nicht, hier nicht erschrecken. Doch ists ein wicht'ger Schritt, von hier hinuͤbertreten Ins unbekannte dort, bei dem es ziemt zu beten. Du bet', und frage nicht, ob er auch bete mit; Bete fuͤr dich und ihn, wie er hinuͤber tritt. 163. Neuseß , Herbst 1836. Mein Lieblingsaufenthalt, noch einmal recht zum Schluß Lachst du mich freundlich an, eh ich dich lassen muß. Gern thatest du es ehr, das Wetter litt es nicht, Doch laͤcheln hilft dir nun Herbstabendpurpurlicht. Ja laͤcheln helfe dir der Himmel und die Erde! Wer weiß, ob ich so schoͤn noch einmal sehn dich werde. Ists doch als wuͤßtest du's, daß nun sich muß entscheiden, Ob ich dich kuͤnftig noch besuchen soll, ob meiden. So schmuͤckst du dich gefallbegierig meinen Blicken, Und von Gewohntem laͤßt sich gern mein Herz bestricken. Wo bluͤhte mir ein Gluͤck, wie das dein Schooß mir trug? Beschraͤnkt, mir aussichtreich, klein, eng, mir groß genug; Ansprechend anspruchlos, lieb, weil vorlieb ich nehme, Behaglich und bequem, weil ich mich still bequeme: Freu dich! noch manchen Herbst sollst du mich wieder sehn, Und Lieder, diesen gleich, auf deiner Flur entstehn. Leipzig , Druck von Hirschfeld.