Titan von Jean Paul. Erster Band. Berlin , 1800. In der Buchhandlung des Commerzien=Raths Matzdorff. Den vier schönen und edeln Schwestern auf dem Thron. Der Traum der Wahrheit. „ A phrodite, Aglaja, Euphrosyne und Thalia sahen einst in das irdische Hell¬ dunkel hernieder und, müde des ewig heitern, aber kalten Olympos, sehnten sie sich herein unter die Wolken unse¬ rer Erde, wo die Seele mehr liebt weil sie mehr leidet und wo sie trüber, aber wärmer ist. Sie hörten die heili¬ gen Töne heraufsteigen, mit welchen Polyhymnia unsichtbar die tiefe bange Erde durchwandelt, um uns zu erquik¬ ken und zu erheben; und sie trauerten, daß ihr Thron so weit abstehe von den Seufzern der Hülflosen. Da beschlossen sie, den Erdenschleier zu nehmen und sich einzukleiden in un¬ sere Gestalt. Sie giengen von dem Olympos herab; Amor und Amorinen und kleine Genien flogen ihnen spielend nach und unsere Nachtigallen flatterten ihnen aus dem Mai entgegen. — Aber als sie die ersten Blumen der Erde berührten und nur Stralen und keine Schatten warfen: so hob die ernste Königin der Götter und Men¬ schen, das Schicksal, den ewigen Zep¬ ter auf und sagte: der Unsterbliche wird sterblich auf der Erde und jeder Geist wird ein Mensch! — Da wurden sie Menschen und Schwestern und nannten sich Luise , Charlotte , Therese , Friederike ; die Genien und Amorinen verwandel¬ ten sich in ihre Kinder und flogen ih¬ nen in die Mutterarme und die müt¬ terlichen und schwesterlichen Herzen schlugen voll neuer Liebe in einer gro¬ ßen Umarmung. Und als die weiße Fahne des blühenden Frühlings flat¬ terte — und menschlichere Thronen vor ihnen standen — und als sie, von der Liebe, der Harmonika des Lebens, see¬ lig-erweicht, sich und die glücklichen Kin¬ der anblickten und verstummten vor Lieb' und Seeligkeit: so schwebte unsichtbar Po¬ lyhymnia vorüber und erkannte sie und gab ihnen die Töne, womit das Herz Lieb' und Freude sagt und giebt......“ — Und der Traum war geen¬ digt und erfüllt; er hatte, wie immer, nach der Wirklichkeit und dem Wa¬ chen sich gebildet. Darum sei er den vier schönen und edeln Schwestern ge¬ weiht, und alles, was ihm im Titan ähnlich ist, sei es auch! Jean Paul Fr . Richter . Druck¬ Druckfehler. Seite Zeile 10 6 statt in dem, lies: indem . 48 14 st. ein, l. sein . 127 8 st. flagianae ‚ l. hagianae . 138 v. u. 10 st. Wogen, l. 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Fahrt nach Isola bella — der erste Freu¬ dentag im Titan — der Pasquinos-Gö¬ tzendiener — Lob der Reichsintegrität — das Moussiren der Jugend — süßes Blutvergießen — die Erkennung eines Vaters — groteskes Testament — deutsche Vorliebe für Gedichte und Künste — der Vater des Todes — Geister-Akt — der blutige Traum — die Schaukel der Phan¬ tasie. Seite 1 Zweite Jobelperiode. 10 – 16. Zykel. Die beiden biographischen Höfe — die Sennen-Hütte — das Fliegen — der Haar-Verschleiß — die gefährliche Vo¬ gelstange — das in eine Kutsche gesperr¬ te Gewitter — leise Bergmusik — das Kind voll Liebe — H. von Falterle aus Wien — Tortursoupé — das zersplit¬ terte Herz — Werther ohne Bart mit einem Schusse — die Versöhnung. Seite 118 Dritte Jobelperiode. 17 – 20. Zykel. Methoden der beiden Kunstgärtner in ihrer pädagogischen Pelzschule — Schutzschrift für die Eitelkeit — Morgenroth der Freundschaft — Morgenstern der Liebe — 185 Vierte Jobelperiode. 21 – 27. Zykel. Hoher Styl der Liebe — der gothaische Taschenkalender — Träume auf dem Thurme — das Abendmahl und das Donnerwetter — die Nachtreise ins Ely¬ sium — neue Akteurs und Bühnen und das Ultimatum der Schuljahre. — 215 Fünfte Jobelperiode. 28 – 33. Zykel. Prunkeinzug — D . Sphex — der trom¬ melnde Kadaver — der Brief des Rit¬ ters — Retrogradazion des Sterbetags — Julienne — der stille Charfreitag des Alters — der gesunde und verschämte Erbprinz — Roquairol — das Erblin¬ den — Sphexens Liebhaberei für Thrä¬ nen — das fatale Gastgebot — das do ¬ loroso der Liebe Seite 269 Sechste Jobelperiode. 34 – 35. Zykel. Die zehn Verfolgungen des Lesers — Lia¬ nens Morgenzimmer — Disputazion über die Geduld — die malerische Kur — 328 Siebente Jobelperiode. 36 – 40. Zykel. Albano's Eigenheit — das Nestelknüpfen der Politik — der Herostrat der Spiel¬ tische — väterliches mandatum sine clau¬ sula — gute Gesellschaft — H. von Bouverot — Lianens Gegenwart des Geistes und Körpers. Seite 358 Achte Jobelperiode. 41 – 45. Zykel. Le petit lever des D . Sphex — Steig nach Lilar — Waldbrücke — der Morgen in Arkadien — Chariton — Lianens Brief und Dankpsalm — empfindsame Reisen durch einen Garten — das Flö¬ tenthal — über die Realität des Ideals. — 396 Neunte Jobelperiode. 46 – 52. Zykel. Lust der Hoftrauer — das Begräbniß — Roquairol — Brief an ihn — die sie¬ ben letzten Worte im Wasser — die Hul¬ digung — Retude — Puppenretude — der Kopf in der Luft, der Tartarus, die Geisterstimme, der Freund, die Katakom¬ be und die vereinigten Menschen. 446 Erste Erste Jobelperiode. Fahrt nach Isola bella — der erste Freudentag im Titan — der Pasquinos-Götzendiener — Lob der Reichsintegrität — das Moussieren der Jugend — süßes Blutvergiessen — die Erkennung eines Va¬ ters — groteskes Testament — deutsche Vorliebe für Gedichte und Künste — der Vater des Todes — Geister-Akt — der blutige Traum — die Schaukel der Phantasie. I . Zykel. A n einem schönen Frühlingsabend kam der junge Spanische Graf von Cesara mit seinen Begleitern Schoppe und Dian nach Sesto, um den andern Morgen nach der borromäi¬ schen Insel Isola bella im Lago maggiore überzufahren. Der stolz-aufblühende Jüng¬ ling glühte von der Reise und von dem Ge¬ danken an den künftigen Morgen, wo er Titan. I . A die Insel, diesen geschmückten Thron des Früh¬ lings, und auf ihr einen Menschen sehen sollte, der ihm zwanzig Jahre lang versprochen wor¬ den. Diese zweifache Gluth hob den maleri¬ schen Heros zur Gestalt eines zürnenden Mu¬ sengottes empor. In die welschen Augen zog seine Schönheit mit einem größern Triumphe ein als in die engen nördlichen, wovon er her¬ kam; in Mailand hatten viele gewünscht, er wäre von Marmor und stände mit ältern ver¬ steinerten Göttern entweder im farnesischen Pallast oder im klementinischen Museum oder in der Villa Albani; ja hatte nicht der Bischof von Novara mit seinem Degen an der Seite vor wenigen Stunden bei Schoppen, der zuletzt ritt, nachgefragt, wer es sei? Und hatte nicht dieser mit einer närrischen Quadratur seines Runzeln-Zirkels um weitläuftig Lippen versetzt, (um dem geistlichen Herrn Licht zu ge¬ ben): „mein Telemach ists und ich mache den „Mentor dabei — ich bin die Rändelmaschine „und der Prägstok, der ihn münzt — der Glätt¬ „zahn und die Plattmühle, die ihn bohnt — „der Mann, der ihn regelt?“ — Die jugendlich warme Gestalt Cesara's wur¬ de durch den Ernst eines nur in die Zukunft vertieften Auges und eines männlich-festge¬ schlossenen Mundes und durch die trotzige Entschlossenheit junger frischer Kräfte noch mehr veredelt; er schien noch ein Brennspiegel im Mondlicht, oder ein dunkler Edelstein von zu vieler Farbe zu seyn, den die Welt, wie andere Juwelen, erst durch Hohlschleifen lichtet und bessert. — In dieser Nähe zog ihn die Insel, wie ei¬ ne Welt die andere, immer heftiger an. Seine innere Unruhe stieg durch die äussere Ruhe. Noch dazu stellte Dian, ein Grieche von Geburt und ein Künstler, welcher Isola bella und Iso¬ la madre öfters umschifft und nachgezeichnet hatte, ihm diese Prachtkegel der Natur in feu¬ rigen Gemälden näher vor die Seele; und Schoppe gedachte des wichtigen Menschen öf¬ ters, den der Jüngling morgen zum erstenmale sehen sollte. Als man unten auf der Gasse ei¬ nen festschlafenden Greis vorübertrug, dem die untergehende Sonne Feuer und Leben in das markige starkgegliederte Angesicht warf und der A 2 eine nach italienischer Sitte aufgedekt getragne — Leiche war: so fragt' er erschrocken und schnell die Freunde: „sieht mein Vater so aus?“ Was ihn nämlich mit so heftigen Bewe¬ gungen der Insel zutreibt, ist Folgendes: Auf Isola bella hatt' er die drei ersten irrdischen Jah¬ re mit seiner Schwester, die nach Spanien, und neben seiner Mutter, die unter die Erde gieng, mitten in den hohen Blumen der Natur liegend süß vertändelt und verträumt — die Insel war für den Morgenschlummer des Lebens, für sei¬ ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬ mach gewesen. Aber er hatte nichts davon im Kopfe und Herzen behalten als in diesem ein schmerzlich süßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬ men, und in jenem das — Eichhorn, das als Familienwappen der Borromäer auf der ober¬ sten Terrasse der Insel steht. Nach dem Tode der Mutter versetzte ihn sein Vater aus der welschen Blumenerde — ei¬ nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen — in den deutschen Reichsforst, nämlich nach Blu¬ menbühl — im Fürstenthum Hohenflies , das den Deutschen so gut wie unbekannt ist —; hier ließ er ihn im Hause eines biedern Edel ¬ mannes so lange erziehen, oder deutlicher und allegorischer, er ließ hier die pädagogischen Kunstgärtner so lange mit Gießkannen, Inoku¬ liermessern und Gartenscheeren um ihn laufen, bis sie an den hohen schlanken Palmbaum voll Sagomark und Schirmstacheln mit ihren Kan¬ nen und Scheeren nicht mehr langen konnten. Jetzt soll er nach der Rückreise von der In¬ sel, aus dem Feldbeete des Landes in den Loh- und Treibkübel der Stadt und auf das Gestelle des Hofgartens kommen, mit einem Worte nach Pestiz , der Universität und Residenzstadt von Hohenflies, deren Anblick sogar bisher sein Va¬ ter ihm hart verboten hatte. Und morgen sieht er diesen Vater zum — erstenmal! — Er mußte brennen vor Verlan¬ gen, da sein ganzes Leben eine Anstalt zu die¬ ser gemeinschaftlichen Landung war, und seine Pflegeeltern und Lehrer eine chalkographische Gesellschaft waren, die den Autor seines Lebens¬ buches so herrlich vor das Titelblatt in Kupfer stach. Sein Vater, Gaspard de Cesara, Rit¬ ter des goldnen Vliesses (ob spanischer oder österreichischer, wünscht' ich selber genauer zu wissen), ein vom Schicksal dreischneidig und glän¬ zend geschliffner Geist, hatte in der Jugend wil¬ de Kräfte, zu deren Spiel nur ein Schlachtfeld oder Königreich geräumig gewesen wäre und die sich im vornehmen Leben so wenig bewegen konnten als ein Seekraken im Hafen — er stillte sie durch Gastrollen in allen Ständen, und Lust- und Trauerspielen, durch das Treiben aller Wis¬ senschaften und durch eine ewige Reise — er wurde mit großen und kleinen Menschen und Höfen vertraut und oft verflochten, zog aber immer als ein Strom mit eignen Wellen durchs Weltmeer. — Und jetzt, nachdem er die Land- und Seereise um das Leben, um dessen Freuden und Kräfte und Systeme gemacht, fährt er (besonders da ihm der Affe der Vergangenheit, die Gegenwart immer nachläuft) in seinem Stu¬ diren und im geographischen Reisen fort, aber stets für wissenschaftliche Zwecke, wie er denn eben die europäischen Schlachtfelder bereiset. Übrigens ist er gar nicht betrüb noch weniger froh, sondern gesetzt, auch hasset und liebt, oder tadelt und lobt er die Menschen so wenig wie sich, sondern schätzet jeden in seiner Art, die Tau¬ be in ihrer und den Tyger in seiner. Was oft Rache scheint, ist blos das harte kriegerische Durchschreiten, womit ein Mann Lercheneier und Aehren ertritt, der nie fliehen und fürchten kann, sondern nur anrücken und stehen. — — — Ich denke, die Ecke ist breit genug, die ich hier aus der Whisthonschen Kometenkarte von diesem Schwanzsterne, für die Menschen abge¬ schnitten. Ausbedingen will ich, eh' ich weiter rede, mir dieses, daß ich Don Gaspard auch zu¬ weilen den Ritter heißen dürfe, ohne das gold¬ ne Vlies anzuhängen; — und daß ich, zwei¬ tens, nicht von meiner Höflichkeit gegen die kurze Leser-Memorie genöthigt werde, seinem Sohne Cesara (unter diesem Namen soll der Al¬ te nie auftreten) den Taufnamen abzuzwicken, der doch Albano heißet. — Da jetzt Don Gaspard aus Italien nach Spanien gieng: so hatt' er durch Schoppe un¬ sern Albano oder Cesara aus Blumenbühl hier¬ her führen lassen; ohne daß man weiß, warum so spät. Wollt' er in den vollen Frühling der jungen Zweige schauen? — Wollt' er dem Jüng¬ ling einige Bauernregeln im hundertjährigen Kalender des Hoflebens aufschlagen? — Wollt' ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬ bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur waffenfähig und erwachsen vor sich liessen? — Wollt' er nichts weniger als das? — Nur so viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die Last aufbürden liesse, von einem so sonderbaren Manne mit einer um so viele Grade dekliniren¬ den Magnetnadel, schon aus so wenigen Da¬ tis eine Wilkesche magnetische Neigungskarte zu zeichnen und zu stechen; — er, aber nicht ich bin ja der Vater seines Sohns und er soll wis¬ sen, warum er ihn erst bärtig vorbeschieden. Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬ untergang) schlug und Albano die langweiligen Schläge addiren wollte: war er so aufgeregt, daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬ leiter zu ersteigen; er mußte hinaus ans Ufer des Lago , in welchem die aufgethürmten In¬ seln wie Meergötter aufstehen und herrschen. Hier stand der edle Jüngling, das beseelte Angesicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬ gen des Herzens und seufzete nach dem ver¬ hüllten Vater, der ihm bisher mit Sonnen¬ kraft wie hinter einer Nebelbank, den Tag des Lebens warm und licht gemacht. Dieses Sehnen war nicht kindliche Liebe — diese ge¬ hörte seinen Pflegeeltern an, weil kindliche nur gegen ein Herz entsteht, woran wir lange la¬ gen, und das uns gleichsam mit den ersten Herzblättern gegen kalte Nächte und heiße Tage beschirmte — seine Liebe war höher oder seltener. Über seine Seele war der Riesenschat¬ ten des väterlichen Bildes geworfen, der durch Gaspards Kälte nichts verlohr; Dian verglich sie mit der Ruhe auf dem erhabenen Angesichte der Juno Ludovici; und der warme Sohn ver¬ glich sie mit einer andern schnellen Kälte, die im Herzen oft neben zu großer fremder Wär¬ me einfällt, wie Brennspiegel gerade in den heißern Tagen matter brennen. Ja er hoffte sogar, er vermöge vielleicht dieses so quälend ans Eisfeld des Lebens angefrorne Vaterherz durch seine Liebe abzulösen; der Jüngling be¬ griff nicht, wie einem treuen warmen Herzen zu widerstehen sey, wenigstens seinem. Dieser Heros, in der ländlichen Karthause und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬ gewachsen, legte an alles antediluvianische Rie¬ senellen; die Unsichtbarkeit des Ritters machte einen Theil von dessen Größe aus, und die Mosisdecke verdoppelte den Glanz, in dem sie ihn verhieng. — Überhaupt zog unsern Jüngling ein sonderbarer Hang zu übermäßi¬ gen Menschen hin, wovor sich andere entsetzen. Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬ schen mit Wollust, als wären sie auf ihn; und wenn das Volk ungewöhnliche Geister eben darum für schlimme hält — wie es alle seltene Petrefakta für Teufelsglieder nimmt — so wohnte umgekehrt in ihm immer neben der Bewunderung die Liebe an und seine Brust wurde immer zugleich weit und warm . Freilich hält jeder Jüngling und jeder große Mensch, der einen andern für groß ansieht, ihn eben darum für zu groß. — Aber in je¬ dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durst nach einem edlern, im schönen nach einem schö¬ nern; es will sein Ideal außer sich in körper¬ licher Gegenwart, mit verklärtem oder ange¬ nommenem Leibe erblicken, um es leichter zu erstreben, weil der hohe Mensch nur an einem hohen reift, wie man Diamanten nur an Dia¬ manten glänzend macht. — Will hingegen ein Litterator, ein Kleinstädter, ein Zeitungsträ¬ ger oder Zeitungsschreiber einen großen Kopf zu Gesicht bekommen und ist er auf einen gros¬ sen Kopf eben so ersessen wie auf eine Mi߬ geburt mit drei Köpfen — oder auf einen Pabst mit eben so viel Mützen — oder auf einen aus¬ gestopften Haifisch — oder auf eine Sprach- und Buttermaschine: so thut ers nicht, weil ein warmes, seinen innern Menschen besee¬ lendes Ideal von einem großen Manne, Pab¬ ste, Haifische, Dreikopfe und Buttermodelle ihn drängt und treibt, sondern weil er früh morgens denkt: „es soll mich doch wundern, „wie der Kauz aussieht“ und weil ers abends bei einem Glase Bier berichten will. — Albano blickte am Ufer mit steigender Unruhe über das glänzende Wasser nach dem heiligen Wohnplatze der vergangnen Kindheit, der ver¬ gangnen Mutter, der weggezognen Schwester hin — die Freudenlieder schwammen auf den fernen Barken her und berauschten ihn — jede laufende Welle, die schäumende Brandung trieb eine höhere in seinem Busen auf — die Riesen¬ statue des h. Borromäus, Diese 35 Ellen hohe Statue auf einem Gestelle von 25 Ellen, in deren Kopfe 12 Menschen Raum antreffen, steht bei Arona und hält ge¬ rade mit der gegenüberstehenden Isola bella , die mit 10 auf einander gebaueten Gärten oder Terrassen aufsteigt, einerlei Höhe. Keyslers Reisen ꝛc. B. I . die über die Städ¬ te wegsah, verkörperte den Erhabnen (seinen Vater), der sich in seinem Herzen aufrichtete und die blühende Pyramide, die Insel, wurde der väterliche Thron — die funkelnde Berg- und Gletscherkette wand sich fest um seinen Geist und zog ihn empor zu hohen Wesen und hohen Gedanken. — — Die erste Reise, zumal wenn die Natur nichts als weißen Glanz und Orangeblüten und Kastanienschatten auf die lange Straße wirft, beschert dem Jüngling das, was oft die letzte dem Mann' entführt — ein träumen¬ des Herz, Flügel über die Eisspalten des Le¬ bens und weit offne Arme für jede Men¬ schenbrust. Er gieng zurück und bat seine Freunde mit seinem siegenden Auge, noch diesen Abend ab¬ zuschiffen, wiewohl Don Gaspard erst morgen auf die Insel kam. Was er oft nach einer Woche thun wollte, nahm er sich auf den nächsten Tag vor und endlich that ers — sogleich. Dian klopfte dem eiligen Boreas voll Liebe auf den Kopf, und sagte: „ungeduldiges Wesen! Du „hast hier die Flügel vom Götterboten, und „da unten auch (auf die Füße zeigend)! Aber „glühe dich nur ab! In der schönen Nachmitter¬ „nacht steigen wir ein und wenn die Morgen¬ „röthe am Himmel leuchtet, landen wir an.“ — Dian hatte nicht blos eine artistische Auf¬ merksamkeit für den wohlgestalteten Liebling, sondern auch eine zärtliche , weil er in Blu¬ menbühl, wo er als Landbaumeister zu thun hatte, oft sein bildender Kinder- und Ju¬ gendfreund gewesen war, und weil er jetzt auf der Insel für einige Zeit aus seinen Armen nach Rom entwich. Da der Landbaumeister dasselbe Überströmen im Jüngling für keines hielt, das er im Greise schalt, eine Überschwem¬ mung für keine in Ägypten; obwohl für eine in Holland; und da er für jedes Individuum, Alter und Volk eine andere gleichschwebende Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬ schennatur keine Saite zu zerschneiden , son¬ dern nur zu stimmen fand: so mußte wohl Cesara am heitern duldenden Lehrer, auf des¬ sen beiden Gesetztafeln nur stand: Freude und Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als an den — Tafeln selber. Die Bilder der Gegenwart und der nahen Zukunft und des Vaters hatten die Brust des Grafen so sehr mit Größe und Un¬ sterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff, wie jemand sich könne begraben lassen, ohne beide errungen zu haben und daß er den Wirth, so oft er etwas brachte — zumal da er immer sang und wie Neapolitaner und Russen in Moltönen — bedauerte, weil der Mann nie etwas wurde, geschweige unsterblich. Das letztere ist Irrthum; denn hier bekömmt er sei¬ ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern seinen Namen Pippo (der abbrevirte Filippo ). Als sie endlich giengen und bezahlten, und Pip¬ po einen Kremnitzer Dukaten küßte mit den Worten: gelobt sey die h. Jungfrau mit dem Kinde auf dem rechten Arm: so erfreuete sich Albano, daß der Vater dem frommen Töch¬ terlein nachschlage, das den ganzen Abend ein Jesuskind wiegte und fütterte. Freilich merk¬ te Schoppe an: auf dem linken Arme trage sie das Kindlein leichter ; Die alten Kremnitzer haben das Christuskind auf dem rechten Arm; die neuen und leich¬ tern auf dem linken. aber der Irr¬ thum des guten Jünglings ist ein Verdienst wie die Wahrheit. Unter dem Glanze des Vollmondes bestie¬ gen sie die Barke und glitten über die leuchten¬ den Wellen dahin. Schoppe schiffte einige Wei¬ ne mit ein, „weniger, sagt' er, weil auf der „Insel nichts zu haben sey, als weil er, wenn „das Fahrzeug leck würde, dann nichts aus¬ „zupumpen brauchte als die Flaschen Franklin rieth das Aufbewahren und Bouchi¬ ren ausgetrunkener Gefäße an, um das Schiff dadurch oben zu erhalten. ; dann „höb' es sich wieder.“ Cesara sank schweigend immer tiefer in die dämmernden Schönheiten des Ufers und der Nacht. Die Nachtigallen schlugen begeistert auf dem Triumpthore des Frühlings. Sein Herz wuchs in der Brust wie eine Melone un¬ ter der Glocke und er hob sie immer höher über der schwellenden Frucht. Auf einmal be¬ dacht' er, daß er so den Tulpenbaum des pran¬ genden Morgens und die Kränze der Insel nur wie eine italienische Seidenblume Staub¬ faden für Staubfaden, Blatt für Blatt zusam¬ menlegen sehe: — da befiel ihn sein alter Durst nach einem einzigen erschütternden Guß aus dem Füllhorn der Natur; er verschloß die Augen, um sie nicht eher zu öffnen als oben auf der höchsten Terrasse der Insel vor der Morgensonne. Schoppe dachte, er schlafe; aber der Grieche errieth lächelnd die Schwelge¬ rei rei dieser künstlichen Blindheit und band selber vor die großen unersättlichen Augen das breite schwarze Taftband, das als eine weibliche Bin¬ de und Spitzenmaske sonderbar und lieblich gegen das blühende aber männliche Gesicht abstach. Nun neckten ihn beide freundlich mit münd¬ lichen Nachtstücken von den herrlichen Ufer- Ornamenten, zwischen denen sie zogen. „Wie „stolz (sagte Dian zu Schoppen) richtet sich „dort das Schloß Lizanza und sein Berg gleich „einem Herkules, mit zwölffachen Gürteln aus „Weinlaub in die Höhe!“ — „Den Grafen (sagte Schoppe leiser zu Dian) „bringt der „Augen-Schmachtriemen um viel. Seht Ihr „nicht, Baumeister, poetisch zu reden, den „Glimmer von Aronens Stadt? Wie schön legt „sie Lunens blanc d'Espagne auf und scheint sich „im umgeworfnen Pudermantel des Mond¬ „scheins für Morgen aufzusetzen und zu pu¬ „tzen! — Doch ist das wenig, sieht man dort „den heiligen Borromäus, der den Mond als „eine frischgewaschene Nachtmütze aufhat, bes¬ „ser an: steht der Gigant nicht wie der Mi¬ Titan. I . B „kromegas des deutschen Staatskörpers dort, „eben so hoch, eben so starr und so steif?“ — Der Glückliche schwieg und gab statt der Antwort einen Handdruk der Liebe — er träum¬ te nur die Gegenwart und zeigte, er könne warten und entbehren. Wie ein Kinderherz, dem die Vorhänge und die Nachmitternacht das nahe Weihnachtsgeschenk verdecken, zog er auf dem Luftschiffe mit fester Binde dem na¬ hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, so weit es das Doppellicht des Mondscheins und der nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von dem verhüllten Träumer in sein Studienbuch. — — Ich wollt', ich hätte sie da, und säh' es wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬ nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬ gen die äussere Welt gespitzte Ohr der Aufmerk¬ samkeit anstrengt. Wie schön ist so etwas, ge¬ malt — wie viel schöner, erlebt! — Der Mantel der Nacht wurde dünner und kühler — die Morgenluft wehte lebendig an die Brust — die Lerchen mengten sich unter die Nachtigallen und unter die singenden Ruderleu¬ te — und er hörte hinter seiner lichtern Binde die frohen Entdeckungen der Freunde, die in den offnen Städten der Ufer das Menschenge¬ wühl aufleben und an den Wasserfällen der Berge bald Himmelsroth bald Nebel wechseln sahen. — Endlich hieng die zerlegte Mor¬ genröthe als eine Fruchtschnur von Hesperiden¬ äpfeln, um die fernen Kastaniengipfel; und jetzt stiegen sie auf Isola bella aus. Der verhangne Träumer hörte, als sie mit ihm die zehen Terrassen des Gartens hinaufgien¬ gen, neben sich den einathmenden Seufzer des Freudenschauders und alle schnelle Gebete des Staunens; aber er behielt standhaft die Binde und stieg blind von Terrasse zu Terrasse, von Orangendüften durchzogen, von höhern freiern Winden erfrischt, von Lorbeerzweigen umflat¬ tert — und als sie endlich die höchste Terrasse erstiegen hatten, unter der der See 60 Ellen tief seine grünen Wellen schlägt, so sagte Schop¬ pe: jetzt! jetzt! — Aber Cesara sagte: „Nein! „Erst die Sonne!“ Und der Morgenwind warf die Sonne leuchtend durchs dunkle Gezweig em¬ por und sie flammte frei auf den Gipfeln — B 2 und Dian zerriß kräftig die Binde und sagte: schau' umher!“ „O Gott!“ rief er seelig erschrocken, als alle Thüren des neuen Him¬ mels aufsprangen und der Olymp der Natur mit seinen tausend ruhenden Göttern um ihn stand. Welch eine Welt! Die Alpen standen wie verbrüderte Riesen der Vorwelt, fern in der Vergangenheit verbunden beisammen und hielten hoch der Sonne die glänzenden Schilde der Eisberge entgegen — die Riesen trugen blaue Gürtel aus Wäldern — und zu ihren Füßen lagen Hügel und Weinberge — und zwischen den Gewölben aus Reben spielten die Morgenwinde mit Kaskaden wie mit wasser¬ taftnen Bändern — und an den Bändern hieng der überfüllte Wasserspiegel des Sees von den Bergen nieder und sie flatterten in den Spiegel, und ein Laubwerk aus Kastanienwäldern faßte ihn ein. . . . . Albano drehte sich lang¬ sam im Kreise um und blickte in die Höhe, in die Tiefe, in die Sonne, in die Blüthen; und auf allen Höhen brannten Lärmfeuer der ge¬ waltigen Natur und in allen Tiefen ihr Wie¬ derschein — ein schöpferisches Erdbeben schlug wie ein Herz unter der Erde und trieb Gebir¬ ge und Meere hervor. — — O als er dann ne¬ ben der unendlichen Mutter die kleinen wimmeln¬ den Kinder sah, die unter der Welle und unter der Wolke flogen — und als der Morgenwind ferne Schiffe zwischen die Alpen hinein jagte — und als Isola madre gegenüber, sieben Gärten aufthürmte und ihn von seinem Gipfel zu ih¬ rem im wagrechten wiegenden Fluge hinüber lockte — und als sich Fasanen von der Madre- Insel in die Wellen warfen; so stand er wie ein Sturmvogel, mit aufgeblättertem Gefieder auf dem blühenden Horst, seine Arme hob der Morgenwind wie Flügel auf und er sehnte sich, über die Terrasse sich den Fasanen nach¬ zustürzen und im Strome der Natur das Herz zu kühlen. Er nahm, ohne sich umzusehen, verschämt die Hände der Freunde und drückte sie ihnen, damit er nicht sprechen müsse. Das stolze Weltall hatte seine große Brust schmerzlich ausgedehnt und dann seelig überfüllt ; und da er jetzt die Augen wie ein Adler weit und fest in die Sonne öffnete; und da die Er¬ blindung und der Glanz die Erde verdeckte und er einsam wurde; und die Erde zum Rauch und die Sonne zu einer weissen sanften Welt, die nur am Rande blitzte: so that sich sein ganzer voller Geist wie eine Gewitterwolke auseinander und brannte und weinte, und aus der reinen blassen Sonne sah ihn seine Mutter an und im Feuer und Rauch der Erde stand sein Vater und sein Leben eingehüllt. — Still gieng er die Terrassen herunter und fuhr oft über die nassen Augen, um den feuri¬ gen Schatten wegzuwischen, der auf alle Gipfel und alle Stufen hüpfte. — Hohe Natur! wenn wir dich sehen und lie¬ ben, so lieben wir unsere Menschen wärmer und wenn wir sie betrauern oder vergessen müssen, so bleibst du bei uns und ruhest vor dem nassen Auge wie ein grünendes abendro¬ thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher der Morgenthau der Ideale sich zum grauen kalten Landregen entfärbet hat — und vor dem Herzen, dem auf den unterirrdischen Gän¬ gen dieses Lebens die Menschen nur noch wie dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬ takomben begegnen — und vor dem Auge, das verarmt und verlassen ist und das kein Mensch mehr erfreuen will — und vor dem stolzen Göttersohne, den sein Unglaube und seine ein¬ same, menschenleere Brust an einen ewigen unverrückten Schmerz anschmieden — — vor allen diesen bleibst du, erquickende Natur mit deinen Blumen und Gebirgen und Katarakten treu und tröstend stehen, und der blutende Göt¬ tersohn wirft stumm und kalt den Tropfen der Pein aus den Augen, damit sie hell und weit auf deinen Vulkanen und auf deinen Frühlin¬ gen und auf deinen Sonnen liegen! — — 2. Zykel. Ich wüßte einem Menschen, den ich lieb habe, nichts schöneres zu wünschen als eine Mutter — eine Schwester — drei Jahre Bei¬ sammenleben auf Isola bella — und dann im zwanzigsten eine Morgenstunde, wo er auf dem Eden-Eiland aussteigt und alles dieses mit dem Auge und der Erinnerung auf einmal, genies¬ send umfängt und in die offne Seele drückt — — O du allzuglücklicher Albano auf dem Ro¬ senparterre der Kindheit — unter Italiens tief¬ blauem Himmel — in den schwelgerischen Zi¬ tronenlauben voll Blüthen — auf dem Schoße der schönen Natur, die dich wie eine Mutter liebkoset und hält und vor dem Angesichte der erhabnen , die wie ein Vater in der Ferne steht — und mit einem Herzen, das heute den seinigen erwartet! — — Die drei Menschen durchirrten jetzt lang¬ sam und wankend das schwimmende Paradies. Obgleich die beiden andern es öfters betreten hatten: so wurde doch aus ihrem silbernen Zeit¬ alter durch die Sympathie mit Albano's Tau¬ mel wieder ein goldenes; der Anblick einer fremden Entzückung weckt den alten Eindruck der unsrigen auf. Wie Leute, die an Bran¬ dungen und Wasserfällen wohnen, lauter spre¬ chen: so gab das herrliche Brausen des aufge¬ regten Lebens-Meeres ihnen allen, sogar Schop¬ pen, eine stärkere Sprache; nur konnte dieser nie so feierliche Worte, wenigstens Gebehrden treffen wie ein anderer Mensch. Schoppe, der dem guten Italien den Ab¬ schiedskuß zuwerfen mußte, wollte gern noch die letzten nur zerstreuet um den Freudenbecher hängenden Tropfen konserviren, die so süß wie italienische Weine waren, voll deutschem Feuer¬ stoff ohne deutschen Sauerstoff. Unter Sauer¬ stoff meint' er Abschiednehmen und Rührung: „Thut das Schicksal,“ sagt' er „irgend einen Re¬ „traiteschuß, beim Himmel! so wend' ich ge¬ „lassen den Gaul um und reite pfeifend zurück. „Der Henker müßte darin (oder darauf) sitzen, „wenn ein geschickter Bereiter nicht sein Trau¬ „ erroß so zureiten wollte, daß es sich recht „gut zu einem Handgaul des Freudenpfer¬ „ des anstellte; ich schule sowohl mein Son¬ „nenroß als mein Bagageroß viel anders.“ Vor allen Dingen nahmen sie jetzt die Otaheiti-Insel durch Märsche ein und jede Provinz derselben mußte ihnen wie eine persi¬ sche dem Kaiser ein anderes Vergnügen ent¬ richten. — „Die untern Terrassen (sagte Schop¬ „pe) müssen uns Majoratsherren den Obst- und „Sackzehend in Zitronen- und Orangendüften „abliefern — die oberste trägt die Reichssteuer „in Aussichten ab — die Grotte drunten zah¬ „let hoff' ich Judenschutz in Wellen- Gemur¬ „ mel und der Zypressenwald drüben seine Prin¬ „zessinsteuer in Kühle — die Schiffe werden „ihren Rhein- und Neckarzoll nicht defraudiren „sondern ihn dadurch erlegen, daß sie sich von „weitem zeigen.“ — — Es wird mir nicht schwer zu merken, daß Schoppe durch diese scherzhaften Vexierzüge die heftigen Bewegungen in Cesarens Kopf und Herzen brechen wollte; denn noch immer gieng der Glanz der Morgenentzückung, wiewohl der Jüngling über kleinere Dinge unbefangen sprach, nicht von dessen Gesicht. In ihm zit¬ terte jede Erschütterung lange — und eine am Morgen den ganzen Tag — und zwar darum nach, weswegen eine Sturmglocke länger nach¬ summt als eine Schafglocke; gleichwohl konn¬ te ein solcher Nachklang weder seine Aufmerk¬ samkeit noch seine Werke und Gespräche stören. Mittags wollte der Ritter kommen. Bis dahin schwärmten und sumseten sie stiller-genies¬ send mit Bienenflügeln und Bienenrüsseln durch die honigreiche Flora der Insel; und sie hatten jene heitere Unbefangenheit der Kinder, der Künst¬ ler, und der südlichen Völker, die nur den Ho¬ nigbehälter der Minute ausnascht; und daher fanden sie an jeder anfallenden Welle, an je¬ dem Zitronenspalier, an jeder Statue unter Blüthen, an jedem rückenden Wiederschein, an jedem fliehenden Schiffe mehr als eine Blume, die den gefüllten Kelch weiter unter dem war¬ men Himmel aufmachte, anstatt daß es uns unter unserm kalten, wie den Bienen geht, vor denen Maifröste die Blumen verschließen. — O die Insulaner thun Recht. Unser größter und längster Irrthum ist, daß wir das Leben, d. h. seinen Genuß, wie die Materialisten das Ich, in seiner Zusammensetzung suchen, als könnte das Ganze oder das Verhältniß der Bestandtheile uns etwas geben, das nicht jeder einzelne Theil schon hätte. Besteht denn der Himmel unsers Daseyns wie der blaue über uns, aus öder matter Luft , die in der Nähe und im Kleinen nur ein durchsichtiges Nichts ist und die erst in der Ferne und im Großen blauer Aether wird? Das Jahrhundert wirft den Blumensaamen deiner Freude nur aus der porösen Säemaschine von Minuten; oder viel¬ mehr an der seeligen Ewigkeit selber ist keine andere Handhabe als der Augenblick. Das Leben besteht nicht aus 70 Jahren, sondern die 70 Jahre bestehen aus einem fortwehenden Le¬ ben und man hat allemal gelebt und genug gelebt, man sterbe wenn man will. 3. Zykel. Endlich als die drei Frohen sich in die Ta¬ felstube eines Lorbeerwaldes vor ihre Speis¬ und Trankopfer, die Schoppe zu Sesto ins Proviantschiff eingepackt hatte, niedersetzen woll¬ ten: gieng durch die Zweige ein feiner, elegant und einfarbig gekleideter Fremder mit langsa¬ men festen Schritten auf die liegende Tischge¬ sellschaft zu und wandte sich, ohne zu fragen, sofort an Cesara mit der deutschen, langsam, leise und bestimmt prononcirten Anrede: „ich „habe dem H. Grafen Cesara eine Entschuldi¬ „gung zu bringen.“ — „Von meinem Vater?“ fragt' er schnell. — „Um Verzeihung, von meinem „Prinzen; (versetzte der Fremde) er verhinderte „Ihren H. Vater, der kränklich aufstand, in der „Morgenkühle zu reisen, aber gegen Abend „wird er eintreffen. — Indeß bring' ich (setzte er mit einem wohlwollenden Lächeln und mit einer leichten Verbeugung hinzu) dem H. Ritter „ein Opfer, daß ich den Anfang des Glücks, „künftig länger bei Ihnen zu seyn, H. Graf, „mit einer Nachricht Ihres Verlustes mache.“ — — Schoppe, der fein errieth, ohne fein zu sprechen, fuhr sofort heraus — weil er sich von keinem Menschen imponiren ließ —: „so¬ „nach sind wir pädagogische Maskopisten und „Unioten. Willkommen, lieber Grau -Bünd¬ „ner!“ — „Es freuet mich,“ sagte kalt der Fremde, der grau angezogen war. Aber errathen hatt' es Schoppe; der Frem¬ de sollte künftig das Oberhofmeisterthum bei Cesara bekleiden und Schoppe war Kollabora¬ tor. Mir kömmt es vernünftig vor; der elek¬ trische funkelnde Schoppe konnte das Katzenfell, der Fuchsschwanz, die Glasscheibe seyn, die un¬ sern aus Leiter und Nichtleiter gebaueten Jüng¬ ling volllud, der Oberhofmeister konnte als Lei¬ ter der Funkenzieher seyn, der ihn mit feinen Franklin'schen Spitzen auslud. Der Mann hieß von Augusti , war Lek¬ tor bei dem Prinzen und hatte viel in der großen Welt gelebt; er schien wie dieser ganze Hof-Schlag, zehen Jahre älter zu seyn, denn er war wirklich erst 37 Jahre. Man hätt' es auszubaden unter dem um¬ gekehrten Dintentopf rezensirender Xantippen, wenn man die Rezensenten oder Xantippen in der Unwissenheit ließe, wer der Prinz eigentlich war, dessen wir alle oben erwähnten. Es war der Erbprinz von Hohenflies , in dessen Dor¬ fe Blumenbühl der Graf erzogen war und in dessen Hauptstadt er nun ziehen sollte. Der Hohenfliessische Infant jagte aus Italien, wor¬ in er viele Nothmünzen und Territorial¬ mandate nachgelassen hatte, stäubend und keuchend nach Deutschland zurück, um da auf sich Huldigungsmünzen auszuprägen, weil sein regierender Vater die Treppe in das Erb¬ begräbniß hinabgieng und nur noch einige Stu¬ fen zum Sarge hatte. Unter dem Essen sprach der Lektor Augusti mit wahrem Geschmack über die liebliche Ge¬ gend, aber mit wenig Sturm und Drang, und zog sie einigen Tempesta's Gemälde von Peter Molyn, den man wegen seiner guten Gewitter nur Tempesta nannte. im borromäischen Pallaste bei Weitem vor. Dann gieng er — um des Ritters öfter zu gedenken — zu den Perso¬ nalien des Hofes über und gestand, daß der deutsche Herr, Mr. de Bouverot in besonderer Gnade stehe — denn bei Hofleuten und Heili¬ gen thut die Gnade alles — und daß der Prinz ungemein an Nerven leide u. s. w.. Die Hofleute, die sonst ihr Ich nach dem fremden zuschneiden, fassen doch für einen, der nicht am Hofe lebt, ihre ministeriellen Blätter dar¬ über so ausführlich und ernsthaft ab, daß ihr Zeitungsleser dabei entweder lacht oder ein¬ schläft; ein Hofmann und das Buch des er¬ reurs et de la verité nennen den Jesuitergeneral Gott — die Jesuiten Menschen — und die Nichtjesuiten Thiere. — Schoppe horchte mit einem fatalen Kräusel- und Schnörkelwerke auf dem Gesichte zu; er hassete Höfe bitter. Der Jüngling Albano dachte nicht viel besser; ja da er gern wagte, lieber mit dem Arm des innern Menschen als mit den Fingern dessel¬ ben arbeitete und anpackte, und vor den Schneepflug und die Egge- und Säemaschine des Lebens gern Streit- und Donnerrosse vor¬ spannte, anstatt eines Zugs tüchtiger Filial- und Ackerpferde: so konnt' er Leute, die vor¬ sichtig und bedächtig zu Werke giengen und die lieber lackirte Arbeit und leichte Frauenzim¬ merarbeit machten als Herkulesarbeiten, nicht sonderlich leiden. Gleichwohl mußt' er für die auf einer schönen Selbstständigkeit ruhende Be¬ scheidenheit Augusti's, der kein Wort von sich selber sprach, so wie für seine Reisekenntnisse, Achtung tragen. — Cesara — beiläufig, in diesem Zykel will ich ihn noch mit C, der spanischen Orthogra¬ phie zu Gefallen schreiben; aber vom vierten an wird er, weil ich in meiner keines gewohnt bin und mich im langen Buche nicht ewig verschreiben kann, mit einem Z geschrieben — Cesara konnte den Lektor nicht genug über sei¬ nen Vater abhören. Er erzählte ihm die letzte Handlung des Ritters in Rom, aber mit einer irreligiösen Kälte, die im Jüngling eine andere wur¬ wurde. Don Gaspard wettete nämlich mit einem deutschen Nunzius Gemälde gegen Ge¬ mälde, daß er einen gewissen Deutschen, (Au¬ gusti wollt' ihn nicht nennen) dessen Leben nur ein längerer moralischer Kothmonat in Epi¬ kurs Marstalle war, in zwei Tagen ohne ihn zu sehen, auf so lange bekehren wollte, als der Nunzius verlangen würde. Dieser wettete, ließ aber den Deutschen heimlich umstellen. Nach zwei Tagen sperrte sich der Deutsche ein, wur¬ de andächtig, bleich, still, bettlägerig und kam im Handeln einem wahren Christen nahe. Der Nunzius sah dem Übel eine Woche lang zu, dann verlangt' er schleunige Verwandlung oder den Zirze's-Stab, der die thierische Gestalt wieder herstellte. Der Ritter berührte den Deutschen mit dem Stabe und das epikureische Schwein stand genesen da. Ich weiß nicht, was unerklärlicher ist, das Wunderwerk oder die Härte. Aber der Lektor konnte nicht sagen mit welchen Menstruis Gaspard diese schnellen Auflösungen und Wolken und Präzipitazionen erzwang. — — Nun kam der Lektor, den schon lange die Titan. I . C Vokation und das Kollaborat des sonderbaren Schoppe frappirt hatte, auf verbindlichen Um¬ wegen endlich auf die Frage, wie ihn der Rit¬ ter kennen lernen. „Durch den Pasquino! „(versetzt' er.) Er trat eben um die Ecke des „ Palazzo degli Ursini , als er einige Römer und „unsern Erbprinzen um einen Menschen stehen „sah, der zu den Statuen des Pasquino und „Marforio folgendes Gebet auf den Knien — „es waren meine — that: lieber Kastor und „Pollux, warum säkularisiret ihr euch nicht „aus dem Kirchenstaat und bereiset mein „Deutschland als Bischöfe in partibus infi¬ „delium , oder als zwei arbeitsame Vikarien? „— Könntet ihr denn nicht als Gesandtschaftspre¬ „diger und Referendarien in den Reichsstädten „herumgehen, oder euch als Chevaliers d'hon¬ „neur und Wappenhalter auf beide Seiten ei¬ „nes Throns postiren? — Wollte Gott, man „könnte wenigstens dich Pasquino als Ober¬ „hofprediger und Konduitenmeister in Hofka¬ „pellen voziren oder doch darein als Taufen¬ „gel zum Namengeben an einem Strick herun¬ „ter lassen! — Sprecht, könnt ihr Zwillinge „denn nicht einmal als Landrequetenmeister in „Landtagssälen auftreten und sprechen, oder „als magistri sententiarum in Universitätsge¬ „bäuden unter dem Promoviren opponi¬ „ren? — Pasquino, bist du durch keinen Della „Porta Der Pasquino ist bekanntlich verstümmelt. — Della Porta war ein großer Ergänzer alter Statuen. nur so weit herzustellen, daß du bei „Kongressen und Verträgen des diplomatischen „ corps wenigstens als Ofenaufsatz den Sil¬ „houetteur machen könntest, sondern taugt ihr „höchstens nur in Universitätsbibliotheken zu „Brustbildern kritischer Redakteurs? — — Ach, „munteres Paar, möchte nur Chigi, der da „neben mir steht, dich modelliren zu einer trag¬ „baren Taschenausgabe für Damen: ich steckte „dich bei und zöge dich erst in Deutschland aus „der Tasche. — — Ich kanns aber auch hier „auf der Insel thun.“ — Und hier bracht' er das spöttische Kunstwerk heraus; denn der be¬ rühmte Architekt und Modellirer Chigi, der ihm zuhörte, hatt' es wirklich nachgebacken. — C 2 Schoppe erzählte weiter, daß Don Gaspard alsdann ernsthaft an ihn trat und ihn spanisch fragte, wer er sey. „Ich bin, versetzt' er, auch „spanisch, wirklicher Titularbibliothekar „des Großmeisters zu Malta — und ein Ab¬ „kömmling des sogenannten grammatikalischen „Hundes, des gezähnten Humanisten — Sciop¬ „ pius (deutsch Schoppe) — mein Taufname ist „ Pero , Piero , Piètro (Peter). Aber hier nen¬ nen mich viele aus Versehen Sciupio oder „ Sciopio (Vergeudung).“ Gaspard hatte ein partheiloses tiefreichen¬ des Auge für jede, sogar die fremdeste Brust und suchte am wenigsten sein Ebenbild. Er zog daher den Bibliothekar in sein Haus. Da nun dieser nur vom Portraitmalen zu leben schien und jetzt ohnehin nach Deutschland zu¬ rück wollte: so trug er, hoffend, diesem reichen, vieläugigen, strengen Geiste Albanos Gesell¬ schaft an, die blos der gegenwärtige Mitar¬ beiter Augusti mit ihm theilen sollte. — Aber der Bibliothekar verlangte vorher vier Dinge voraus, die Schilderung des Grafen, die Silhouet¬ te desselben, und — als beides gegeben war —, noch das dritte und vierte so: „soll ich von „den drei Ständen kalandert D. h. zwischen zwei hölzernen Walzen und Einer metallenen gepresset werden. werden und „mich glatt und polirt drücken lassen von „Glanzpressen? — Ich will nicht; überall hin, „in den Himmel und in die Hölle will ich Ih¬ „ren Sohn begleiten, aber nicht in die Poch- „Wasch- Röst- Schmelz- und Treibwerke vor¬ „nehmer Häuser.“ Das wurd' am leichtesten zugestanden; dazu war ohnehin der zweite Reichsvikarius des väterlichen Oberhaupts, Augusti, bestimmt. Aber über den vierten Punkt zerfielen sie fast. Schoppe, der lieber vogelfrei als nicht- frei oder freigelassen seyn wollte, und dessen eben so reichsunmittelbarer als fruchtbarer Boden keine Zäune litt, konnte sich nur zu zufälligen unbestimmten Diensten bequemen und mußte das Fixum eines Lohns ablehnen: „ich will Ihm, sagt' er, Kasualpre¬ „digten halten, aber keine Wochenpredigten; „ja es kann seyn, daß ich oft ein halbes Jahr „gar nicht auf die Kanzel steige.“ Der Ritter fand es unter sich, Verbindlichkeiten schuldig zu seyn und zog zurück; bis Schoppe den Dia¬ gonalweg ausmittelte, er gebe seine Gesellschaft als don gratuit , und erwarte daher auch vom Ritter von Zeit zu Zeit ein don gratuit von Belang. Übrigens war dem Ritter jetzt Schoppe gerade so lieb wie der erste beste Hoftürke, der ihm auf den Wagenfußtritt geholfen; seine Prüfung eines Menschen war eine kalte Tod¬ tenbeschau und nach dem Prüfen liebt' er nicht stärker und haßt' er nicht stärker; für ihn waren im Spektakelstück des polternden Lebens der Regisseur und die ersten und zwei¬ ten Liebhaberinnen und die Lears und Iphi¬ genien und Helden weder Freunde, noch die Kasperls und die Tyrannen und Figuranten Feinde, sondern es waren verschiedene Akteurs in verschiedenen Rollen. — — O Gaspard, stehest denn du in der Frontloge und nicht auch auf dem Theater? Und siehest du nicht wie Hamlet, im großen Schauspiele einem klei¬ nern zu? Ja setzet nicht jede Bühne am Ende ein doppeltes Leben voraus, ein kopirendes und ein kopirtes ? — — Entweder die wenigen Paar Gläser Wein oder auch sein verdrüßlicher Abstand vom zier¬ lichen gehaltenen Lektor setzten Schoppe's Fege¬ mühle mit allen Rädern in Gang, — so wenig dieser Humor auf der glänzenden Insel eine vortheilhafte Stelle fand —; und als Augusti wünschte, Schoppe möchte froher als andere Maler nach Deutschland gehen: so zog dieser ein Päckchen vergoldeter Heiligenbilder deutscher Schutzpatrone heraus und sagte Karten-mi¬ schend: „mancher würde hier ein päbstliches „Miserere aufs Pult legen und absingen, zu¬ „mal wenn er mitten im Frühling das Win¬ „terquartier, die deutsche Eis- und Nebelbank „beziehen muß wie ich; — und ungern, das „sag' ich frei, lass' ich den Arlechino und den „Pulcinella und den Scapin und die ganze „ Comedia dell' Arte dahinten. — Aber die „heiligen Herren, die ich hier taillire, haben „ihre Patronatsländer aufs Trockne gebracht; „und man passirt sie gern. Baumeister, Ihr „lacht, aber Ihr wisset im Ganzen zu wenig „von dem, was diese gemalten himmlischen „Schirmvögte für deutsche Kreise stündlich un¬ „ternehmen. Baumeister, sucht mir überhaupt „ein Land, worin so viele Prügel, Program¬ „men, Professoren, Allongeperücken, gelehrte „Anzeigen, Reichsanzeigen, Klein- und Vor¬ „städter, Zeremonien, Krönungen und Heidel¬ „berger Fässer, aber ohne inwohnende Dioge¬ „nesse aufzutreiben sind als im gedachten? Oder „suchen Sie es, mein Hr. v. Augusti! — Weiset „mir doch nur überhaupt ein Territorium auf, dem „ein eben so langes Parliament , nämlich ein „ längster Reichstag bescheret ist, gleich¬ „sam eine außerordentlich heilsame pillula per¬ „petua Diese Pille besteht aus Spiesglaskönig und wird ihrer Festigkeit wegen stets von neuem mit altem Erfolge gebraucht: man schüttet bloß vor¬ her einen Aufguß von Wein darüber. , die der Pazient unaufhörlich ein¬ „nimmt und die ihn unaufhörlich ausreinigt; „und wem fällt dabei nicht eben so gut wie „mir die capitulatio perpetua und überhaupt „das Reichs- corpus als perpetuum immo¬ „ bile aus Gründen ein? — (Hier trank Schoppe.) „Dabei ist der Reichskörper wie das erste „Princip der Moral oder wie Jungfernerde „sehr unauflöslich; ja gesetzt, einer von uns „nähme ein Churschwerdt und schnitte ihn da¬ „mit wie einen Ohrwurm entzwei, so würde „sich die gezähnte Hälfte eben wie der gespal¬ „tene Ohrwurm umkehren und den Hinterrest „rein aufspeisen — und dann wäre ja der ge¬ „sammte verknüpfte Ohrwurm wieder da und „satt dazu. Es ist keine schädliche Folge die¬ „ses festen Reichsnexus, daß das corpus seine „eignen Glieder wie der Bachkrebs seinen Ma¬ „gen verzehren und verdauen ohne wahren „Schaden, so daß einer das corpus wie einen „homerischen Gott nur verwunden, aber nicht „ertödten kann: reibe, sag' ich oft, diesen Fe¬ „derbuschpolypenstamm mit Rösel zu Brei — „stülp' ihn um wie einen Handschuh — schneide „den Polypen wie Lichtenberg geschickt mit ei¬ „nem Haare entzwei — stecke wie Trembley „mehrere abgeschnittene Glieder ineinander „und verleibe wie andere Naturforscher, Reichs¬ „städte, Abteien, kleine Länder größern ein „oder umgekehrt — — und schaue nach eini¬ „gen Tagen darnach: wahrhaftig herrlich und „ganz und genesen sitzt dein Polype wieder „dort, oder ich will nicht Schoppe heissen.“ — Der Graf hörte ihn schon länger und konn¬ te also leichter und besser lächeln; der Lektor mußt' es erst lernen, da sogar der komische Akteur für seinen neuen Zuhörer noch keiner ist. Aber unter allen diesen Zerstreuungen dau¬ erte in Albanos Seele ein verwirrter Tumult, gleichsam das Rauschen vom Wasserfalle der kommenden Zeiten fort. Er blickte sehnend durch die wankenden Fugen der Lorbeerzweige nach den glänzenden Hügeln draussen, da Dian in seiner Malersprache sagte: „ist es nicht als „wenn alle Götter mit tausend Fruchthörnern „auf den Bergen um den Lago maggiore stän¬ „den und Wein und Kaskaden niedergössen, „damit nur der See wie ein Freudenpokal üp¬ „pig überlaufe und herunterschäume?“ — Schoppe versetzte: „Freuden von ausnehmen¬ „dem Geschmack wie Ananas haben das Schlim¬ „me, daß sie wie Ananas das Zahnfleisch bluten „machen.“ — „Ich glaube, sagte Augusti, man „muß über die Freuden des Lebens nicht viel „reflektiren, so wie über die Schönheiten eines „guten Gedichts, man genießet beide besser, „ohne sie zu zählen oder zu zergliedern.“ — „Und ich, sagte Cesara, würde zählen und zer¬ „gliedern schon aus Stolz; was herauskäme, „ertrüg' ich und ich würde mich schämen, un¬ „glücklich zu seyn. Ist das Leben wie eine „Olive eine bittere Frucht, so greife nur beide „scharf mit der Presse an, sie liefern das süs¬ „seste Oel.“ — Hier stand er auf, um bis abends in der Insel allein zu bleiben; er bat um Nachsicht, machte aber keinen Vorwand. Seine hohe ehrgeizige Seele war unfähig, sich zur kleinsten Lüge niederzubücken; nicht einmal gegen — Vieh. Er lockte in Blumenbühl Flug¬ tauben täglich durch Futter näher, und seine Pflegeschwester bat ihn oft, eine zu ergreifen; aber er sagte immer Nein, weil er sogar ein thieri¬ sches Vertrauen nicht belügen wollte. — Als sie ihm nachsahen, da er langsam mit nachspringenden Schatten und mit den an ihm herabschlüpfenden Sonnenblitzen durch die Lor¬ beerbäume gieng und wie in einem Traume die Zweige mit vorausgehaltenen Händen sanft auseinanderbog: so brach Dian aus: „welche „Jupiters Statue!“ — „Und die Alten, „fiel Schoppe ein, glaubten noch dazu, daß je¬ „der Gott in seiner Statue hause.“ — „Eine „herrliche dreifache Breite der Stirn, der Nasen¬ „wurzel und der Brust! (fuhr Dian fort.) Ein „ Herkules , der auf dem Olympus Oelbäu¬ „ me pflanzt“ — „Es frappirte mich sehr „(sagte der Lektor), daß ich durch langes An¬ „schauen auf seinem Gesichte lesen konnte was „ich wollte und was sich widersprach, Kälte — „Wärme — Unschuld und Sanfmuth — am „leichtesten Trotz und Kraft.“ — Schoppe setzte dazu: „ihm selber mag es noch schwe¬ „rer werden, einen solchen Kongreß kriegfüh¬ render Mächte in sich zu einem Friedenskon¬ „greß zusammen zu zwingen.“ — „Wie schön, (sagte der menschlich-fühlende Dian) „muß einer so kräftigen Gestalt die Liebe anstehen und wie erhaben der Zorn!“ — „Das sind zwei male¬ rische Schönheiten, (versetzte Schoppe) woraus „sich zwei Pädagogiarchen und Xenophone wie „wir wenig bei ihrem Zyrus machen in ihrer „Zyropädie.“ 4. Zykel. Zesara hatte blos drei Gläser Wein geko¬ stet; aber der Most seines heißen dichten Blu¬ tes gohr davon stärker. Der Tag erwuchs im¬ mer mehr zu einem daphnischen und delphi¬ schen Hain, in dessen flüsterndes und dampfen¬ des Dickicht er sich tiefer verlor — die Sonne hieng wie eine weisse blitzende Schneekugel im Blau — die Eisberge warfen ihren Silberblick in das Grün herein — aus fernen Wolken donnerte es zuweilen Tirare di prima vere nennts das Volk und Peter Schoppe übersetzt es erhaben genug: elek¬ trisches Pistolenzeug des Lenzes. als rolle der Frühling in seinem Triumphwagen daher und weiter zu uns — die Lebenswärme des Klima's und der Tagszeit, das h. Feuer zweier Entzückungen, (der erinnerten und der gehoften) brüteten alle seine Kräfte an. Jetzt ergriff ihn jenes Fieber der jungen Gesundheit, worin ihm allemal war, als schlage in jedem Gliede ein besonde¬ res Herz — die Lunge und das Herz sind von Blute schwer und voll — der Athem ist heiß wie ein Harmattanwind — und das Auge trü¬ be in seiner eignen Lohe — und die Glieder sind müde vor Kraft. In dieser Überfüllung der elektrischen Wolke, hatt' er einen besondern Trieb nach Zertrümmern. Er half sich jünger oft, daß er Felsenstücke an den Gipfel wälz¬ te und niederrollen ließ; oder daß er im Gal¬ lopp so lange lief bis der Athem — länger wurde, oder am gewissesten dadurch, daß er sich (wie er von Kardan gehört hatte) mit ei¬ nem Federmesser Schmerzen und sogar kleine Verblutungen erregte. — Selten gewinnen ge¬ wöhnliche, und noch seltener ungewöhnliche Menschen die volle mit allen Zweigen blühen¬ de Jugend des Leibes und Geistes; aber desto prangender trägt dann Eine Wurzel einen gan¬ zen Blumengarten. — Mit diesen Wallungen stand Albano jetzt hinter dem Pallast einsam gegen Süden, als ihm ein Spiel seiner Knabenjahre einfiel. Er war nämlich oft im Mai auf einen säulendicken Apfelbaum der ein ganzes hän¬ gendes grünes Kabinet erhob, bei heftigem Wind gestiegen und hatte sich in die Arme sei¬ nes Gezweigs gelegt. Wenn ihn nun so die schwankende Lusthecke zwischen dem Gau¬ keln der Lilienschmetterlinge und dem Summen der Bienen und Mücken und dem Nebeln der Blüthen schaukelte und wenn ihn der aufge¬ blähte Wipfel bald unter fettes Grün versenk¬ te, bald vor tiefes Blau und bald vor Son¬ nenblitze drehte: dann zog seine Phantasie den Baum riesenhaft empor, er wuchs allein im Universum gleichsam als sey er der Baum des unendlichen Lebens, seine Wurzeln stiegen in den Abgrund, die weissen und rothen Wolken hiengen als Blüthen in ihm, der Mond als eine Frucht, die kleinen Sterne blitzten wie Thau und Albano ruhte in seinem unendlichen Gipfel und ein Sturm bog den Gipfel aus dem Tag in die Nacht, und aus der Nacht in den Tag. — — Er sah jetzt zu einer hohen Zypresse empor. In Rom war aus dem Mittags-Schlaf ein Südostwehen aufgestanden und hatte sich un¬ terwegs fliegend in Limoniengipfeln und in tausend Bächen und Schatten gekühlt und lag nun gewiegt auf Zypressenarmen. Da erklet¬ terte er den Baum, um sich wenigstens zu er¬ müden. Aber wie dehnte sich die Welt vor ihm aus mit Bergen, mit Inseln und Wäl¬ dern, da er das donnernde Gewölke über Roms sieben Hügeln liegen sah, gleichsam als rede aus dem Dunkel noch der alte Geist, der in den Hügeln wie in sieben Vesuven gearbeitet hatte, welche vor der Erde so viele Jahrhun¬ derte lang mit feurigen Säulen, mit aufge¬ richteten Gewittern standen und sie mit glühen¬ den Strömen, mit Aschenwolken und mit Fruchtbarkeit übergossen, bis sie sich selber zer¬ sprengten! Die Spiegelwand der Gletscher stand wie ein Vater unzerrüttet vor der Wär¬ me des Himmels und wurde nur glänzend und nicht warm und nicht weich — aus dem weiten See schienen überall die warmen Hügel wie aus ihrem Bade auszusteigen und die kleinen Schiffe der Menschen schienen in der Ferne strandend zu stocken — und im weiten Wehen um ihn giengen die großen Geister der Vergan¬ genheit vorüber und unter ihren unsichtbaren Tritten bogen sich nur die Wälder nieder, aber die Blumenbeete wenig. — Da wurde in in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft — keine Wehmuth, sondern ein Durst nach allem Großen, was den Geist be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den schmutzigen Ködern der Zukunft, zogen sein Auge recht schmerzlich zusammen und schwere Tropfen fielen daraus. — Er stieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatte den Knospengarten seiner Kräfte vor frühzeitiger Morgensonne und schnellem Aufspringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reise wurde der Tag seines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend. Zufällig und träumend verlor er sich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein süßes Wühlen im innersten Herzen dieses be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in seiner Kindheit so oft in die Brust ge¬ sogen, und welche nun jede Phantasie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltsam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬ Titan. I . D gleich den abgenützten Merkmalen des Auges und des Ohres, seltener kommen und also leich¬ ter und heftiger die verblichene Empfindung er¬ neuern. Aber als er in eine Arkade des Pal¬ lastes, welche bunte Steine und Muscheln stik¬ kend färbten, gerieth, und als er die Wogen spielend auf die Schwelle der Grotte hüpfen sah: so deckte sich ihm auf einmal eine bemoo¬ sete Vergangenheit auf — er durchsuchte seine Erinnerungen — die Farbensteine der Grotte lagen gleichsam voll Inschriften der vorigen Zeit vor seinem Gedächtniß. — — Ach hier war er ja tausendmal mit seiner Mutter gewesen, sie hatte ihm die Muscheln gezeigt und die Nähe der Wellen verboten, und einmal, da die Sonne aufgieng und da der durchwehte See und alle Steinchen glänzten, war er auf ihrem Schooße mitten unter den Lichtern auf¬ gewacht. — O war denn nun die Stelle nicht geheiligt und auf ihr seine überwältigende Sehnsucht nicht entschuldigt, die er heute so lange gehabt, die schöne Armwunde dem tobenden und quä¬ lenden Blute aufzumachen? Er ritzte sich, aber zufällig zu tief; und mit einem schönen kühlen Heben seines leichter ath¬ menden Wesens sah er der rothen Quelle seines Armes in der Abendsonne zu, und wurde wie nach abgefallnen Bürden leichter — nüchtern — still — und weich. Er dachte an die verschwund¬ ne Mutter, deren Liebe nun ewig unvergolten blieb — ach er hätte dieses Blut gern für sie vergossen — und nun quoll heißer als je in seiner Brust die Liebe für den kränklichen Va¬ ter auf: o komme bald, sagte sein Herz, ich will dich so unaussprechlich lieben, du lieber Vater! Die Sonne erkaltete an der feuchten Erde — nur noch die zackige Mauerkrone aus den Goldstufen der Gletscherspitzen glühte über aus¬ gelöschten Wolken — und die Zauberlaterne der Natur warf ihre Bilder nur noch gezogner und matter: da gieng eine lange Gestalt in einem offnen rothen Mantel langsam um die Zedratobäume auf ihn zu, rieb mit der Rech¬ ten an der Stelle des Herzens, woran kleine Funken verglommen, und zerdrückte mit der halb erhobnen Linken eine Wachslarve zum D 2 Klumpen und blickte in die eigne Brust. Plötz¬ lich erstarrete sie an der Wand des Pallastes in versteinerter Stellung. Albano drückte die Hand auf die kleine Wunde und gieng nahe zu dem Versteinerten — Welche Gestalt! — Aus einem vertrockneten hagern Angesicht erhob sich zwischen Augen, die halb unter den Augen¬ knochen fortbrannten, eine verachtende Nase mit stolzem Wurf — ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verschmähender gebietender Geist stand da, der nichts lieben konnte, nicht sein eignes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die sich über die Menschen, über das Unglück, über die Erde und über das — Gewissen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menschenblut sie hingießen, ob fremdes oder ihres. — Es war Don Gaspard. Die Funken-werfende Ordenskette aus Stahl und Edelsteinen verrieth ihn. Die Starrsucht, seine alte Krankheit, hatt' ihn ergriffen. „O „Vater!“ sagte Albano erschrocken und umfaßte die unbewegliche Gestalt, aber er drückte gleich¬ sam den kalten Tod ans Herz. Er schmeckte die Bitterkeit einer Hölle — er küßte die starre Lippe und rief lauter — endlich trat er vor ihm mit fallenden Armen zurück und die aufgedeckte Wunde blutete ungefühlt nieder — und er blickte, zähneknirschend vor wilder junger Liebe und vor Schmerz, und mit großen Eistropfen in den Augen, den Stummen an und riß ihm die Hand vom Herzen. — — Hier schlug erwachend Gas¬ pard die Augen auf und sagte: „willkommen, „mein lieber Sohn!“ — Da sank ihm mit unüber¬ schwenglicher Seeligkeit und Liebe das Kind ans Vaterherz und weinte und schwieg. „Du „blutest, Albano,“ sagte Gaspard ihn sanft zu¬ rückstemmend, „verbinde dich!“ — „Laß mich blu¬ „ten, ich will mit dir sterben wenn du stirbst „— o wie hab' ich so lange nach dir geschmach¬ „tet, mein guter Vater!“ sagte Albano, noch tiefer erschüttert von dem kranken väterlichen Herzen, das er jetzt an seinem heftiger schlagen fühlte. „Recht gut, verbinde dich aber!“ sagt' er; und als der Sohn es that und während des schnellsten Umwickelns mit unersättlicher Liebe in das väterliche Auge schauete, und als das Auge nur kalte Blitze warf wie sein Ring-Ju¬ wel — so schlug auf den Kastaniengipfeln, dem heutigen Throne der Morgensonne, der leise Mond sein frommes Auge stillend auf und dem entflammten Albano war es an diesem kindli¬ chen und mütterlichen Wohnplatze, als schaue der Geist seiner Mutter vom Himmel und rufe, „ich werde weinen, wenn ihr euch nicht liebt.“ Sein wallendes Herz zerfloß, und er sagte sanft zu dem im Mondlicht bleichern Vater: „liebst „du mich denn nicht?“ — „Lieber Alban, ver¬ „setzte der Vater, man kann dir nicht genug „antworten — du bist recht gut — es ist recht „gut.“ Aber mit dem Stolze der Liebe, die sich kühn mit der väterlichen maß, ergriff er fest die Hand mit der Larve, und sah den Ritter mit feurigen Thränen an: „mein Sohn, ver¬ „setzte der Müde, ich habe dir heute noch viel „zu sagen und wenig Zeit, weil ich morgen „reise — und ich weiß nicht, wie lange mein „Herzklopfen mich sprechen lässet.“ — Ach also war das vorige Zeichen einer gerührten Seele nur ein Zeichen eines nervenkranken Pulses ge¬ wesen. . . . Du armer Sohn, wie mußte vor dieser scharfen Luft dein bewegtes Meer erstar¬ ren — ach wie an einem eiskalten Metall mußte deine warme Hand ankleben und davon sich wundgeschält abziehen! — Aber guter Jüngling! Wer von uns könnte dich tadeln, daß Wunden dich gleichsam mit Blut an deinen wahren oder falschen Halbgott binden — wiewohl ein Halbgott sich öfter mit einem Halbthier als mit einem Halb¬ menschen schließet — und daß du so schmerz¬ lich liebst? — Ach welche warme Seele sprach nicht einmal die Bitte der Liebe vergeblich aus und konnte dann, gelähmt vom erkaltenden Gifte, gleich andern Vergifteten, die schwere Zunge und das schwere Herz nicht mehr bewegen? — Aber liebe fort, du warme Seele; gleich Früh¬ lingsblumen, gleich Nachtschmetterlingen durch¬ bricht die zarte Liebe zuletzt doch den hart-ge¬ frornen Boden und jedes Herz, das nichts an¬ deres verlangt, als ein Herz, findet endlich seine Brust! — — 5. Zykel. Der Ritter nahm ihn auf eine über stei¬ nerne Säulen geführte Gallerie hinauf, die überall Limonienbäume mit Düften und kleinen regen vom Monde silbern geränderten Schat¬ ten vollstreueten. Er zog zwei Medaillons aus seiner Brieftasche, das eine bildete ein sonder¬ bar- jugendlich aussehendes weibliches Ge¬ sichtchen vor, mit der Umschrift: „ Nous ne nous verrons jamais, mon fils .“ Wir sehen uns nie mein Sohn. „Hier ist deine „Mutter, (sagte Gaspard und gab es ihm,) — „und hier deine Schwester,“ und reichte ihm das zweite, dessen Züge zu einer unkenntlichen veralteten Gestalt einliefen mit der Umschrift: „ Nous nous verrons un jour, mon frère .“ Wir sehen uns einst, mein Bruder. Er fieng nun seine Rede an, die er in so vie¬ len zwanglosen Heften (das eine Komma oft am einen Ende der Gallerie, das andere am andern) und so leise und in einem solchen Wech¬ sel von schnellem und trägem Gehen lieferte, daß in das Ohr eines unter der Gallerie mit¬ laufenden Visitators fremder Gespräche, wenn einer drunten stand, nicht drei zusammengehö¬ rende Laute tropfen konnten. „Deine Aufmerk¬ „samkeit, lieber Alban,“ fuhr er fort, „nicht „deine Phantasie sollte jetzt gespannt seyn; Du „bist leider heute zu romantisch bei dem Ro¬ „mantischen, was du hören sollst. Die Grä¬ „finn von Zesara liebte das Feierliche von je¬ „her; du wirst es aus dem Auftrage sehen, den „sie mir wenige Tage vor ihrem Tode gab, und „den ich gerade an diesem Charfreitage auszu¬ „richten versprechen mußte.“ — Er sagte noch, bevor er anfieng, daß er, da seine Katalepsie und sein Herzklopfen be¬ denklich stiegen, nach Spanien eilen müsse, seine Sachen und noch mehr die seiner Mündel — der Gräfinn von Romeiro — zu ordnen. Al¬ ban that noch eine Bruderfrage über seine liebe so lang' entrückte Schwester; der Vater lies ihn hoffen, daß er sie bald sehen werde, da sie mit der Gräfinn die Schweiz besuchen wolle. — Da ich nicht absehe was die Menschen davon haben, wenn ich die mir beschwerlichen Gän¬ sefüße sammt dem ewigen „er sagte“ hersetze: so will ich den Auftrag in Person erzählen. Es werden einmal — (sagte der Ritter) — drei Unbekannte, einer am Morgen, einer Mittags und einer Abends zu ihm kommen und jeder wird ihm ein eingesiegeltes Kartenblatt zustel¬ len, worauf blos der Name der Stadt und des Hauses steht, worin das Bilderkabinet, das Al¬ bano noch dieselbe Nacht besuchen muß, zu fin¬ den ist. Im Kabinet soll er alle Nägel der Bilder durchtasten und drücken, bis er auf einen kömmt, hinter welchem der Druck eine in die Wand eingebauete Repetiruhr zwölf zu schlagen nöthigt. Hier findet er unter dem Bilde eine geheime Tapetenthür, hinter welcher eine weibliche Gestalt mit einem offnen Souve¬ nir und mit drei Ringen an der Linken, und mit einem Crayon in der Rechten sitzt. Drückt er den Ring des Mittelfingers, so richtet sich die Gestalt unter dem Rollen des innern Ge¬ triebes auf, tritt in das Zimmer und das aus¬ laufende Gehwerk stockt mit ihr an einer Wand, woran sie mit dem Crayon ein verstecktes Fach bezeichnet, in welchem ein Taschenperspektiv und der wächserne Abdruck eines Sargschlüs¬ sels liegen. Das Okularglas des Perspektivs ordnet durch eine optische Anamorphose den Wirwarr alternder Linien auf dein heute em¬ pfangenen Medaillon der Schwester zu einer holden jungen Gestalt, und das Objektivglas giebt dem unreifen Bilde der Mutter die Merk¬ male des längern reifern Lebens zurück. — Dann drücket er den Ringfinger und sogleich fängt die stumme kalte Figur mit dem Crayon in das Souvenir zu schreiben an und bezeich¬ net ihm mit einigen Worten den Ort des Sar¬ ges, von dessen Schlüssel er den wächsernen Abdruck hat. Im Sarge liegt eine schwarze Marmorstufe, in Gestalt einer schwarzen Bibel; und wenn er sie zerschlagen hat, trift er einen Kern darin, aus dem der Christbaum seines ganzen Lebens wachsen soll. — Ist die Stufe nicht im Sarge, so giebt er dem letzten Ringe des Ohrfingers einen Druck — was aber dann dieses hölzerne Guerike's Wettermännchen seines Schicksals beginne, wußte der Ritter selber nicht vorauszusagen. — Ich bin völlig der Meinung, daß man dem bizarren Testamente leicht das Repetir- und das halbe Räderwerk — so wie man jetzt in Londen Uhren blos aus zwei Rädern bauet — ausbrechen könnte, ohne das Vorlege- oder Zeigerwerk zu beschädigen. Auf Alban wirkte das testamentarische Ge¬ triebe und Gebläse wider meine Erwartung — fast nichts; ausgenommen eine weichere Liebe gegen die gute Mutter, welche so sorgend, da sie unten im Strome des Lebens das fliegende Bild vom niederfallenden Habicht des Todes erblickte, nur den Sohn bedachte. Seinem Va¬ ter schauete er unter dem Berichte, mit zärt¬ lichem Danke für diese Mühe des Gedächtnisses und der Erzählung, fast auf Kosten seiner Auf¬ merksamkeit, in das befestigte eiserne Angesicht; und im Mondschein und vor seiner Phantasie, wuchs der Ritter zu einem rhodischen die halbe Gegenwart verdeckenden Kolossus auf, für wel¬ chen ihm dieses testamentarische Memorienwerk fast zu kleinlich schien. — Bisher hatte Don Gaspard blos als ächter Weltmann gesprochen, der von seinem Gespräche (ohne besondere nähere Verhältnisse) stets jede Erwähnung oder Schmeichelei eines Ichs, des fremden so gut wie des eignen ausschliesset, und sogar historischer Personen nur als Be¬ dingungen von Sachen gedenkt — so daß zwei solche Nicht-Ichs mit ihrer grimmigen Kälte, nur zwei sprechende Logiken oder Wis¬ senschaften zu seyn scheinen, aber keine Wesen mit schlagenden Herzen: o! wie sanft floß es, wie eine weiche Tonart in Albanos liebewun¬ des Herz, — das der hellere und lauere Mond und der insularische dämmernde Kindergarten seiner ersten Vorzeit, und die in seiner Seele laut fort- und nachklingende Stimme seiner Mutter gewaltsam auflöseten, — als nun der Vater sagte: „Das hab' ich von der Gräfinn „zu sagen. Von mir hab' ich dir nichts zu sa¬ „gen, als meine bisherige Zufriedenheit mit „deinem bisherigen Leben.“ — „O geben Sie, „theuerster Vater, meinem künftigen Gebote, „Lehre und Rath“ sagte der begeisterte Mensch, und Gaspards rechter Hand, die nach dem schnellern Herzen zuckte, folgt' er mit seiner Linken an die sieche Stelle und drückte heftig das hysterische Herz, als könn' er diesem berg¬ ab umkreisenden Lebensrade in die Speiche grei¬ fen. — Der Ritter versetzte: „ich habe dir wei¬ „ter nichts zu sagen. Die Lindenstadt (Pestiz) „ist dir nun geöffnet; deine Mutter hatte sie „dir verschlossen. Der Erbprinz, der bald Fürst „seyn wird, und der Minister von Fraulay, „der mein Freund ist, werden die deinigen „seyn; ich glaub', es wird dir nützen, ihre Be¬ „kanntschaft zu kultiviren.“ — Der scharfblickende Gaspard sah hier plötz¬ lich über des Jünglings reine offne Gestalt wunderbare Bewegungen und heiße Rosen fliegen, die aus der Gegenwart mit nichts zu erklären waren und die sogleich wie getödtet vergiengen, als er so fortfuhr: „für einen „Mann von Stande sind gelehrte und schöne „Wissenschaften, die für andre Endzweck sind, „nur Mittel und Erhohlung; und so groß deine „Neigung dafür seyn mag: so wirst du doch „am Ende Handlungen den Vorzug vor Ge¬ „nüssen geben; du wirst dich nicht gebohren füh¬ „len, die Menschen bloß zu belehren oder zu „belustigen, sondern zu behandeln und zu be¬ „herrschen. „Es wäre gut, wenn du den Minister ge¬ „wännest und dadurch die Kenntnisse des Re¬ „gierungs- und Kammerwesens, die er dir ge¬ „ben kann; denn in dem Abrisse Eines Landes, „so wie Eines Hofes, besitzest du die Grund¬ „züge eines jeden größern, wozu du auch ge¬ „langen und dich bilden sollst. Es ist mein „Wunsch, daß du sogar dem Fürsten und dem „Hofe lieb wirst, weniger weil du Konnexionen „als weil du Erfahrungen brauchst. Nur durch „Menschen besiegt und übersteigt man Men¬ „schen, nicht durch Bücher und Vorzüge. Man „muß nicht seinen Werth auslegen, um die „Menschen zu gewinnen, sondern man muß sie „gewinnen, und dann erst jenen zeigen. Un¬ „glück ist nichts wie Unverstand und nicht so¬ „wohl durch Tugend als durch Verstand, wird „man furchtbar und glücklich. — Du hast höch¬ „stens die Menschen zu fliehen, die dir zu ähn¬ „lich sind, besonders die ädeln .“ — Das ätzen¬ de Sublimat seines Spottes, bestand hier nicht darin, daß er „ädel“ mit einem accentuirten iro¬ nischen Tone sagte, sondern daß ers wider Er¬ warten kalt ohne einen sagte. Albanos Hand war in seiner schon längst vom Herzen an der stählernen eckigen Ordenskette herabgeglitten auf das goldene metallisch-kalte Lamm daran. Der Jüngling hatte, wie alle Jünglinge und Ein¬ siedler, zu harte Begriffe von Hof- und Welt¬ leuten, er hielt sie für ausgemachte Basilisken und Drachen — wiewohl ich das noch entschul¬ digen will, wenn er nur mit den Naturforschern unter den Basilisken nichts versteht, als unge¬ flügelte Eidexen, und unter den Drachen nichts als geflügelte, so daß er sie für nichts als für kalte fast so fatale Amphibien, wie Linnée solche definirt, ansieht —; ferner hegt' er (so leicht wird Plutarch der Verführer von Jüng¬ lingen, deren Biograph er hätte seyn können wie ich) mehr Grimm als Achtung gegen die Artolatrie (den Broddienst) unsers Zeitalters, das aber umgekehrt immer den Gott ins Brod verwandeln will, gegen die besten Brodstudien oder Brodwagen, gegen das Machen einer Carrière , gegen jeden, der kein Waghals war und der statt der Sturmbalken und Kriegsma¬ schinen etwa unsichtbare Magnetstäbe, Saug¬ werke und Schröpfköpfe ansetzte und damit etwas etwas zog. Jeder Jüngling hat ein schönes Zeitalter, wo er kein Amt, und jede Jungfrau eines, wo sie keinen Mann annehmen will; dann ändern sich beide und nehmen oft sich einander noch dazu. Als der Ritter die obigen gewiß keinem Weltmanne anstößigen Sätze vorbrachte: so stieg in seinem Sohne ein heiliger menschenfreund¬ licher Stolz empor — es war diesem, als werde von einem steigenden Genius sein Herz und so¬ gar sein Körper, wie der eines betenden Heili¬ gen, gehoben über die Laufbahnen einer gieri¬ gen kriechenden Zeit — die großen Menschen einer größern traten unter ihre Triumphbogen und winkten ihn, näher zu ihnen zu kommen — in Osten lag Rom und der Mond und vor ihm der Alpen-Zirkus, eine große Vergangen¬ heit neben einer großen Gegenwart — er er¬ griff mit dem liebend-stolzen Gefühl, daß es noch etwas Göttlicheres in uns gebe als Klugheit und Verstand, den Vater und sagte: „der ganze heutige Tag, lieber Vater, war „eine zunehmende Erschütterung meines Her¬ „zens — ich kann vor Bewegung nicht spre¬ Titan. I . E „chen und nichts recht bedenken — Vater, ich „besuche alle — ich werde mich über die Men¬ „schen hinausreißen — aber ich verschmähe den „schmutzigen Weg des Ziels — ich will im Welt¬ „meer wie ein Lebendiger durch Schwimmen „aufsteigen, aber nicht wie ein Ertrunkner „durch Verwesen — Ja Vater, das Schick¬ „sal werfe einen Grabstein auf diese Brust und „zermalme sie, wenn sie die Tugend und die „Gottheit und ihr Herz verloren hat.“ Albano sprach darum so warm, weil er einer unaussprechlichen Verehrung für die kraft¬ volle Seele des Ritters nicht entsagen konnte; er stellte sich immer die Qualen und das lange Sterben eines so starken Lebens, den scharfen Rauch eines so großen, kalt ausgegossenen Feuers vor, und schloß aus den Regungen sei¬ ner eignen lebendigen Seele auf die der väter¬ lichen, die nach seiner Meinung nur langsam auf einer breiten Unterlage schwarzer kalter Menschen so zerfallen war, wie man Diaman¬ ten nicht anders verflüchtigt als auf einer Un¬ terlage von ausgebrannten todten Schmiedte¬ kohlen. — — Don Gaspard, der die Menschen selten und nur gelinde tadelte — nicht aus Liebe, sondern aus Gleichgültigkeit — antwortete dem Jüng¬ linge geduldig: „Deine Wärme ist zu loben. „Mit der Zeit wird sich alles geben. — Jetzt „lass' uns essen.“ — 6. Zykel. Der Speisesaal unserer Eiländer war im reichen Pallaste der abwesenden borromäischen Familie. Man gab der schönen Insel den Pa¬ risapfel und Lorbeerkranz. Augusti und Gas¬ pard schrieben ihr das Belobungsschreiben in einem leichten klaren Stil, nur Gaspard mit mehr Antithesen. Albanos Brust war mit einer neuen Welt gefüllt, sein Auge mit einem Schim¬ mer, seine Wangen mit freudigem Blut. Der Baumeister erhob sowohl den Geschmack als den Kammerbeutel des Erbprinzen, der durch beide zwar nicht artistische Meister, aber doch Meisterstücke in sein Land mitbrachte und auf dessen Veranlassung eben dieser Dian nach Ita¬ lien gieng, um für ihn Abgüsse von den Anti¬ ken dazu nehmen. Schoppe versetzte: „ich hoffe, E 2 „der Deutsche ist so gut mit Malerakademien „und mit Malerkoliken versehen als irgend ein „Volk; unsere Ballenbilder — unsere Theses¬ „bilder in Augspurg — unsere Leisten über Zei¬ „tungsblättern und unsere Buchdruckerstöcke in „jedem dramatischen Werke, durch die wir eine „frühere Shakespeare Gallery besaßen als Lon¬ „don — unsere Effigie -Gehangnen am Galgen „sind jedem bekannt, und zeigen am ersten, „wie weit wirs treiben. — Aber ich will auch „zulassen, daß Griechen und Welsche so malen „wie wir; so ragen wir doch dadurch über sie „hinweg, daß wir gleich der Natur und den „adelichen Sponsirern, nie die Schönheit iso¬ „lirt ohne angebognen Vortheil suchen. Eine „Schönheit, die wir nicht nebenher braten, ver¬ „aukzioniren, anziehen oder heirathen können, „gilt bei uns nur das, was sie werth ist; „Schönheit ist bei uns (hoff ich) nie etwas an¬ „ders als Anschrot und Beiwerk des Vortheils, „so wie auch auf dem Reichstage nicht die an¬ „gestoßenen Konfekttischchen, sondern die Ses¬ „sionstafeln die eigentlichen Arbeitstische des „Reichs- corpus sind. Ächte Schönheit und „Kunst wird daher bei uns nur auf Sachen „gesetzt, gemalt, geprägt, welche dabei nützen „und abwerfen: z. B. gute Madonnen nur „ins Modejournal — radirte Blätter nur auf „Briefe voll Tabacksblätter — Kammeen auf „Tabacksköpfe — Gemmen auf Pitschafte und „Holzschnitte auf Kerbhölzer — Blumenstücke „werden gesucht, aber auf Schachteln — treue „Wouwermanne, aber zwischen Pferdeständen „neben Bescheelern Ein guter Wouwermann heißet in der Maler¬ sprache ein gut gemaltes Pferd, dessen Beschauen auf die Schönheit des künftigen Füllen einfließet. — erhobenes Bildwerk „von Prinzenköpfen, entweder auf Thalern oder „auf Baierschen Bierkrug-Deckeln, beide nicht „ohne reines Zinn — Rosen- und Lilienstücke „aber an tättauwierten Weibern. — Auf ähn¬ liche Weise war in Basedows Erziehungsan¬ „stalt stets das schöne Gemälde und das latei¬ „nische Vokabulum verknüpft: weil das Phi¬ „lanthropin dieses leichter unter jenem behielt. „— So malte Van der Kabel nie einen Hasen „auf Bestellung, ohne ein frisch geschossenes „Model nach dem andern sich zum Essen und „Kopiren auszubitten. — So malte der Ma¬ „ler Calkar schöne Strümpfe, aber unmittel¬ „bar an seine eignen Beine.“ — — Der Ritter hörte so etwas mit Vergnügen an, ob ers gleich weder belächelte noch nach¬ ahmte; ihm waren alle Farben im genialischen Prisma erfreulich. Nur für den Baumeister wars nicht genug im griechischen Geschmack, und für den Lektor nicht genug im höflichen. Letzterer kehrte sich, während Schoppe neuen Athem zu unserer Verkleinerung holte, wie schmei¬ chelnd zum abreisenden Dian und sagte: „früher „nahm Rom andern Ländern nur die Kunst¬ „ werke hinweg, aber jetzt die — Künstler .“ Schoppe verfolgte: „Eben so sind unsere „Statuen keine müßigen Staatsbürger auf der „Bärenhaut, sondern sie treiben alle ein Hand¬ „werk; was Karyatiden sind, tragen Häuser, „was Engel sind, halten Taufschüsseln, und „heidnische Wassergötter arbeiten in Spring¬ „brunnen und gießen den Mägden das Wasser „in die Scheffel zu.“ — — Der Graf sprach warm für uns, der Lek¬ tor hell: der Ritter bemerkte, daß der deutsche Geschmack und das deutsche Talent für dichte¬ rische Schönheiten den Mangel an beiden für andere Schönheiten vergüte und erkläre. (aus Klima, Regierungsform, Armuth ꝛc.) Der Rit¬ ter glich den Himmelssehröhren, hinter denen die Erden größer erscheinen und die Sonnen kleiner, er nahm wie jene den Sonnen den ge¬ borgten Schimmer ab, ohne ihnen den wahren größern zurückzugeben; er schnitt zwar einem Judas den Strick entzwei, aber einem Christus¬ kopfe goß er den Heiligenschein aus, und suchte überhaupt eine Parität und Gleichheit der Schwärze und des Lichts zu erkünsteln. Schoppe verstummte nie; ich sorge, in sei¬ nem Toleranzmandat für Europa waren die deutschen Kreise ausgelassen, erhob wieder an: „Das Wenige, was ich eben zum Lobe der nützen¬ „den Deutschen vorbrachte, hat mir wie es scheint „Widerspruch zugezogen. Aber die kleine Lor¬ „beerkrone, die ich dem h. Reichskörper aufsetze, „soll mich nie abhalten die Stellen gewahr zu wer¬ „den wo er kahl ist. Ich lobt' es oft an Sokrates „und Christus, daß sie nicht in Hamburg, in „Wien, oder gar in einer brandenburgischen „Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬ „pisten gassatim giengen; von Magistrats we¬ „gen würde man sie haben befragen lassen, ob „sie nicht arbeiten könnten; und wären beide „mit Familie in Wezlar gewesen, so hätte man „dieser die Neglektengelder So heißet das Quantum, daß man den Bei¬ sitzern des Kammergerichts, wenn sie nicht ge¬ nug gearbeitet haben, vorenthält. abgezogen. — „Anlangend die Dichtkunst, H. Ritter, so kannt' „ich manchen Reichsbürger, der aus einem „Karmen — wenns nicht auf ihn selber war — „wenig machte; er glaubte die Eingriffe der „poetischen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬ „nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬ „setzt, bedächtig, in sächsischen Fristen zu Werke „schritt, quälten und störten poetische Schwin¬ „gen sehr. — Und ists denn so unerklärlich und so „schlimm?— der gute Reichsstädter bindet eine „Serviette vor, wenn er weinen will, damit er „die Atlasweste nicht betropft, und die Thräne, „die ihm aufs Kondolenzschreiben entfallen, stip¬ „pet er wie jede dunklere Interpunktion: was „Wunder, wenn er gleich dem Wildmeister keine „schönere Blume kennt als die hinten am Hirsche, „und wenn ihn die poetischen Veilchen gleich „den botanischen Die Ipecacuanha gehört zum Veilchengeschlechte. mit gelinden Brechkräften „angreifen. . . . Das wäre meines Bedünkens „wenigstens Eine Art, den Tadel abzulehnen, „womit man uns Deutsche anschmitzt.“ 7. Zykel. Welche sonderbare Nacht folgte auf diesen sonderbaren Tag! — Alle giengen, vom Rei¬ sen schläfrig, der Ruhe zu; blos Albano, in welchem der heiße volle Tag nachbrannte, sagte dem Ritter, daß er heute mit seiner Brust voll Feuer nirgends Kühlung und Ruhe finde, als unter den kalten Sternen und unter den Blü¬ then des welschen Frühlings. Er lehnte sich auf der obersten Terrasse an eine Statue neben einem blühenden Dockengeländer aus Zitronen an, um die Augen unter dem Sternenhimmel schön zu schließen, und noch schöner zu öffnen. Schon in seiner frühern Jugend hatt' er sich, so gut wie ich, auf die welschen Dächer war¬ mer Länder gewünscht, nicht um als Nacht¬ wandler, sondern um als ein Schläfer darauf zu erwachen. Wie herrlich fällt das aufgehende Auge in den erleuchteten hängenden Garten voll ewi¬ ger Blüthen über dir, anstatt daß du in deinem deutschen schwülen Federpfuhl nichts vor dir hast, wenn du aufblickst, als den Bettzopf! Als Zesara so Wellen und Berge und Ster¬ ne mit stillerer Seele durchkreuzte und als Gar¬ ten und Himmel und See endlich zu Einem dun¬ keln Kolosse zusammenschwammen, und er wehmüthig an seine bleiche Mutter und an seine Schwester und an die verkündigten Wunder seiner Zukunft dachte: so stieg hinter ihm eine ganz schwarz gekleidete Gestalt mit abgebilde¬ tem Todtenkopfe auf der Brust mühsam und mit zitterndem Athem die Terrassen hinauf‚ „Gedenke des Todes! (sagte sie) Du bist Al¬ „bano de Zesara?“ „Ja (sagte Zesara) wer „bist du?“ — „Ich bin (sagte sie) ein Vater „des Todes. Aus dem Orden des h. Pauls oder memento mori , der in Frankreich im 17ten Jahrhundert erlosch. Die obige Anrede ist ihr gewöhnlicher Gruß. Ich zittere, nicht aus Furcht, „sondern aus Gewohnheit so.“ Die Glieder des Mannes blieben auf eine grausende Art in einem allgemeinen Erbeben, das man zu hören glaubte. Zesara hatte oft seiner müßigen Kühnheit ein Abentheuer ge¬ wünscht; jetzt hatt' ers vor sich; indeß wachte er doch behutsam mit dem Auge, und da der Mönch sagte: „schaue zum Abendstern hinauf „und sage mir, wenn er untergeht, denn mein „Gesicht ist schwach,“ so warf er nur einen eilenden Blick dahin: „noch drei Sterne (sagt' „er) sind zwischen ihm und der Alpe.“ — „Wenn „er untergeht (fuhr der Vater fort) so giebt „deine Schwester in Spanien den Geist auf, „und darauf redet sie dich hier aus dem Him¬ „mel an.“ — Zesara wurde kaum von einem Finger der kalten Hand des Schauders berührt, blos weil er in keinem Zimmer war, sondern in der jungen Natur, die um den zagenden Geist ihre Berge und Sterne als Hüter stellt, oder auch, weil die weite dichte Körperwelt so nahe vor uns die Geisterwelt verdrängt und verbauet; er fragte mit Entrüstung: „wer bist „du? was weißt du? was wilst du?“ und griff nach den zusammengefalteten Händen des Mönchs und hielt beide mit Einer gefangen. „Du kennst „mich nicht, mein Sohn! (sagte ruhig der Va¬ „ter des Todes) Ich bin ein Zahuri, Den Zahuri's in Spanien wird bekanntlich die Kraft zugetrauet, Leichname, Metalladern ꝛc. in der tiefen Erde zu erblicken. und „komme aus Spanien von deiner Schwester; „ich sehe die Todten unten in der Erde und „weiß es voraus, wenn sie erscheinen und re¬ „den. Ich aber sehe ihr Erscheinen über der „Erde nicht und hör' ihr Reden nicht.“ Hier blickte er den Jüngling scharf an, dessen Züge plötzlich starrer und länger wur¬ den; denn eine Stimme, wie eine weibliche be¬ kannte, fieng über seinem Haupte langsam an: „nimm die Krone, nimm die Krone — ich helfe „dir:“ Der Mönch fragte: „ist der Abendstern „schon hinunter? Spricht es mit dir?“ — Ze¬ sara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬ worten; die Stimme aus dem Himmel sprach wieder und dasselbe. Der Mönch errieth es und sagte: „So hat dein Vater deine Mutter „aus der Höhe gehöret, als er in Deutschland „war; aber er ließ mich lange in Fesseln le¬ „gen, weil er dachte, ich täusche ihn.“ — Beim Worte „Vater,“ dessen Geisterunglauben Zesa¬ ra kannte, riß er den Mönch an den beiden Händen mit der festhaltenden starken die Ter¬ rassen hinunter, um zu hören, wo jetzt die Stimme stehe. Der Alte lächelte sanft, die Stimme sprach wieder über ihm, aber so: „liebe „die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir. — Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am Tage schon gesehen. Der Mönch, der ihm ver¬ muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬ genen Stimme nehmen wollte, stieg in die Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der Jüngling im Vertrauen auf seine körperliche und geistige Macht, und auf seine Schwimm¬ kunst, entfernte sich mit dem Mönche kühn von der Insel; aber wie griff der Schauder in seine innersten Fibern, da nicht nur die Stimme über ihm wieder rief: „liebe die Schöne, die ich dir „zeige, ich helfe dir“, sondern da er auch ge¬ gen die Terrasse hin eine weibliche Gestalt sich bis an das Herz aus den tiefsten Wellen mit langen kastanienbraunen Haaren und schwar¬ zen Augen, und mit einem glänzenden Schwa¬ nenhals und mit der Farbe und Kraft des reich¬ sten Klimas, wie eine höhere Aphrodite heben sah. Aber in wenig Sekunden sank die Göt¬ tinn wieder in die Wogen zurück, und die Gei¬ sterstimme lispelte oben fort: „liebe die Schöne, „die ich dir zeigte.“ — — Der Mönch betete kalt und schweigend unter der Szene und sah und hörte nichts, endlich sagte er: „am künftigen „Himmelfahrtstage in deiner Geburtsstunde „wirst du neben einem Herzen stehen, daß in „keiner Brust ist, und deine Schwester wird „dir vom Himmel den Namen deiner Braut „verkündigen.“ — Wenn vor uns flüssigen schwachen Gestal¬ ten, die gleich Polypen und Blumen, das Licht eines höhern Elementes nur fühlen und su¬ chen , aber nicht sehen , in der Totalfinsterniß unsers Lebens ein Blitz durch den erdigten Klumpen schlägt, der vor unsere höhere Sonne gehangen ist: Anspielung auf die Erzählung einiger Astrono¬ men, daß die verfinsterte Sonne zuweilen durch eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie es z. B. Ulloa einmal gesehen zu haben ver¬ sichert. so zerschneidet der Strahl den Sehnerven, der nur Gestalten , nicht Licht verträgt; — kein heißes Erschrecken beflügelt das Herz und das Blut, sondern ein kaltes Erstarren vor unsern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt sperrt den warmen Strom und das Leben wird Eis. — — Albano, aus dessen voller Phantasie eben so leicht ein Chaos als ein Universum sprang, wurde bleich, aber ihm war als verlier' er nicht sowohl den Muth als den Verstand; er ruderte ungestüm, beinahe bewußtloß ans Ufer — er konnte dem Vater des Todes nicht ins Gesicht schauen, weil seine unbändige alles auseinanderreißende Phantasie alle Gestalten gleich Wolken zu gräßlichen umwälzte und ausdehnte — er hört' es kaum, als der Mönch zum Abschiede sagte: „vielleicht komm' ich am „nächsten Charfreitage wieder“. — Der Mönch bestieg einen Kahn, der von selber dahinfuhr, (wahrscheinlich durch ein unter dem Wasser umtreibendes Rad) und verschwand bald hin¬ ter oder in der kleinen Fischerinsel (Isola pe¬ schiere ). Eine Minute lang taumelte Alban und ihm kam es vor, als sey der Garten und der Himmel und alles eine weichende aufgelösete Nebelbank, als geb' es nichts, als hab' er nicht gelebt. Diesen arsenikalischen Qualm blies auf einmal von der erstickenden Brust der Athem des Bibliothekar Schoppe, der lustig zum Schlaffenster herauspfiff; jetzt wurde sein Leben wieder warm, die Erde kam zurück, und das Daseyn war . Schoppe, der vor Wärme nicht schlafen konnte, stieg herunter: um sich auch auf die zehnte Terrasse zu betten. Er sah an Zesara ein heftiges inneres Wogen, aber er war schon daran gewöhnt und forschte nicht. 8. Zy¬ 8. Zykel. Nicht von Vernünfteleien sondern von Scherzen schmilzt leicht das Eis in unserem stockenden Räderwerke. Nach einer gesprächi¬ gen Stunde war dem Jünglinge nicht viel mehr davon übrig als eine ärgerliche Empfin¬ dung und eine frohe; jene darüber, daß er den Mönch nicht bei der Kutte genommen und dem Ritter vorgeführt; und die frohe über die hohe weibliche Gestalt und selber über die Aussicht in ein Leben voll Abentheuer, Gleich¬ wohl fuhren, wenn er die Augen schloß, Un¬ geheuer voll Flügel, Welten voll Flammen und ein tiefes wogendes Chaos um seine Seele. Endlich giengen in der Kühle der Nachmit¬ ternacht seine müden Sinnen näher fortgezo¬ gen und auseinanderfallend dem Magnet¬ berg des Schlummers zu; — aber welcher Traum kam ihm auf diesem stillen Berge nach! „Er lag (so träumte ihm) auf dem Krater des „Hekla. Eine aufdringende Wassersäule hob „ihn mit sich empor und hielt ihn auf heißen „Wellen mitten im Himmel fest. Hoch in der „Aethernacht über ihm streckte sich ein finste¬ Titan. l . F „res Gewitter, wie ein langer Drache, von ver¬ „schlungnen Sternbildern aufgeschwollen aus; „nahe darunter hieng ein helles Wölkchen vom „Gewitter gezogen — durch den lichten Nebel „des Wölkchens quoll ein dunkles Roth entwe¬ „der von zwei Rosenknospen oder von zwei „Lippen und ein grüner Streif von einem „Schleier oder von einem Oelzweige und ein „Ring von milchblauen Perlen, oder von Ver¬ „gißmeinnicht — endlich zerfloß ein wenig „Duft über dem Roth, und blos ein off¬ „nes blaues Auge blickte unendlich mild und „flehend auf Albano nieder; und er streckte die „Hände aus nach der umwölkten Gestalt, aber „die Wassersäule war zu niedrig. Da warf „das schwarze Gewitter Hagelkörner, aber sie „wurden im Fallen Schnee und dann Thau¬ „tropfen und endlich im Wölkchen silbernes „Licht, und der grüne Schleier wallte erleuch¬ „tet im Dunst. Da rief Albano: ich will alle „meine Thränen vergießen und die Säule auf¬ „schwellen, damit ich dich erreiche, schönes Au¬ „ge! — Und das blaue Auge wurde feucht von „Sehnen, und sank vor Liebe zu. Die Säule „wuchs brausend, das Gewitter senkte sich und „drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt' „es nicht berühren. Da riß er seine Adern auf „und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬ „liebte, aber all' mein Blut will ich für dich „vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬ „ter dem Bluten drang die Säule höher und „schneller auf — der weite blaue Aether wehte „und das Gewitter verstäubte und alle ver¬ „schlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬ „ken heraus — das flatternde freie Wölkchen „schwebte blitzend zur Säule nieder — das „blaue Auge that sich in der Nähe langsam „auf und schneller zu und hüllte sich tiefer in „sein Licht; aber ein leiser Seufzer sagte in der „Wolke: zieh mich in dein Herz! — O da schlang „er die Arme durch die Blitze und schlug den „Nebel weg, und riß eine weiße Gestalt wie „aus Mondlicht gebildet an die Brust voll „Gluth — Aber ach der zerrinnende Lichtschnee „entwich den heißen Armen — die Geliebte ver¬ „gieng und wurde eine Thräne und die war¬ „me Thräne drang durch seine Brust und sank „in sein Herz und brannte darin und es rann F 2 „auseinander und wollte vergehen“ . . . . Da schlug er die Augen auf. Aber — welches überirrdische Erwachen! — Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬ tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt, noch am Himmel — — — es war der helle, liebend-nahe über ihn hereingesunkne, Mond. Er hatte sich im Schlafe verblutet, weil sich dar¬ in die Binde von der Wunde des Armes durch das heftige Bewegen desselben verschoben hatte. Die Entzückungen hatten den Nachtfrost des Geisterschreckens zerschmolzen. In einem ver¬ klärenden Ersterben flatterte aufgebunden sein so festes Daseyn umher wie ein beweglicher Traum — in den gestirnten Himmel war er wiegend aufgeschwebt wie an eine Mutterbrust und alle Sterne waren in den Mond geflossen und dehnten seinen Schimmer aus — sein Herz, in eine warme Thräne geworfen, gieng sanft darin auseinander — außer ihm schattete es nur, in ihm strahlte es blendend — der Flug der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme seines Ichs vorbei und bog sie nicht um. — Ach seine Psyche glitt mit scharfen ungeregten un¬ gehörten Falkenschwingen entzückt und still durch das dünne Leben. . . . Ihm kam es vor als sterbe er, denn spät war er die steigende Erwärmung des linken ver¬ blutenden Armes innen geworden, der ihn ins lange Elysium, das aus dem Traume ins Wachen reichte, gehoben hatte. Er legte ihm die Binde fester um. — Auf einmal hört' er unter dem Verbinden ein lauteres Plätschern unter sich als bloße Wellen machen konnten. Er schauete über das Geländer — und sah seinen Vater mit Dian ohne Abschied — der für Gaspard nur die gif¬ tige Herbstblume in der Herbstminute einer Ab¬ reise war — wie ausgefallne Blüthenblätter aus der Blumenkrone seines Lebens über die Wel¬ len fliehen unter dem Schwanenliede der Nachti¬ gallen! . . . Guter Mensch, wie oft hat dich diese Nacht bethöret und beraubt! — Er brei¬ tete die Arme ihnen nach — der Schmerz des Traums fuhr fort und begeisterte ihn — der fliehende Vater schien ihm wieder liebender — schmerzlich rief er hinab: „Vater, sieh dich um „nach mir! — Ach wie kannst du mich so stumm „verlassen? — Und du auch, Dian! — O trö¬ „stet mich wenn ihr mich hört!“ — Dian warf ihm Küsse zu und Gaspard legte die Hand auf das sieche Herz. Albano dachte an die Kopistin des Todes, an die Starrsucht, und hätte gern den verletzten Arm über die Wellen gehalten und das warme Leben als eine Libazion für den Vater vergossen; und rief nach: lebt wohl, lebt wohl! — Schmachtend drückt' er die kal¬ ten steinernen Glieder einer kolossalischen Sta¬ tue an seine brennenden Adern an und Thrä¬ nen der vergeblichen Sehnsucht überquollen sein schönes Angesicht, während die warmen Töne der welschen Nachtigallen, die von dem Ufer und der Insel gegeneinanderschlugen, mit lin¬ den Vampyrenzungen das Herz wundsogen. — — Ach wenn du einmal geliebt wirst, glühen¬ der Jüngling, wie wirst du lieben! — Er weckte, im Durste nach einer warmen sprechenden Seele, seinen Schoppe auf und zeigte ihm die Flucht. Aber indem dieser irgend etwas Tröstendes sagte, schauete Albano unverwandt dem grauen Punkte des Fahrzeugs nach und hörte nichts. — 9. Zykel. Beide blieben auf und erfrischten sich durch die Streiferei in der bethaueten Insel; und sie wurden durch den Anblick, wie das erhobene Bildwer des Tages farbig-gleißend aus den erlöschenden Kreidenzeichnungen des Mondlichts heraustrat, lebendig und wach. Augusti kam auch und schlug ihnen die halbstündige Fahrt nach Isola madre vor. Albano flehte beide herz¬ lich an, allein hinzufahren, ihn aber hier in seinen einsamen Spaziergängen zu lassen. Der Lektor faßte jetzt die Spuren der nächtlichen Angriffe schärfer ins Auge — wie schön hatte der Traum, der Mönch, die Schlaflosigkeit, die Verblutung die tapfere kecke Gestalt ge¬ mildert und jeden Laut erweicht und die Kraft war jetzt nur ein zauberischer Wasserfall im Mondenlicht. Augusti nahm es für Eigensinn und fuhr allein mit Schoppe; aber die wenig¬ sten Menschen begreifen, daß man nur mit den wenigsten Menschen (mit keiner Visiten-Ar¬ mee), eigentlich nur mit zweien, mit dem in¬ nigsten und ähnlichsten Freunde und mit der Geliebten spazieren gehen könne. Wahrlich ich will eben so gern im Angesichte des Hofes am Geburtstage der Fürstinn zu einer Liebeserklä¬ rung öffentlich niederknieen als — denn man zeige mir doch den Unterschied — zwischen einem langen Vor- und Nachtrabe das trunkne Auge auf dich, Natur, meine Geliebte heften. — Wie glücklich wurde durch die Einsamkeit Alba¬ no, dessen Herz und Augen voll Thränen standen, die er schamhaft verbarg und die ihn doch vor sei¬ nem eignen Urtheile so rechtfertigten und erho¬ ben! — Er trug sich nämlich mit dem sonder¬ baren Irrthume feuriger und starker Jünglinge, er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl und sey schwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm die Entkräftung einen dichterischen weichen Vor¬ mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles weinend umarmen wollte, was er je geliebt — seine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl — seinen kranken Vater, der's gerade im Frühling war, wo immer der Tod sein blumiggeschmück¬ tes Opferthor aufbauet — und seine in die Vergangenheit gehüllte Schwester, deren Bild er bekommen, deren After-Stimme er diese Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der nächtliche Lügner näher gemalt. — Sogar das nächtliche noch in seinem Herzen verschlossene Schattenspiel machte ihn durch die Unerklärlich¬ keit — da ers keinem bekannten Menschen zu¬ zuschreiben wußte — und durch die Weissagung beklommen, daß er an seiner Geburtsstunde — und diese stand so nahe, am Himmelfahrtstage — den Namen seiner Braut vernehmen würde. Der lachende Tag nahm zwar den Geistersze¬ nen die Todtenfarbe, gab aber der Krone und der Wassergöttinn frischen Glanz. Er durchschwankte alle heilige Stätten in diesem gelobten Lande — Er gieng in die dunkle Arkade, wo er die Reliquien seiner Kindheit und seinen Vater gefunden hatte, und nahm mit einem bangen Gefühle die auf den Boden entfallne zerquetsche Larve zu sich. Er bestieg die von Limonien mit Sonnenschein besprengte Gallerie und sah nach den hohen Zypressen und den Kastaniengipfeln im weiten Blau, wo ihm der Mond wie das aufgegangne Mutter-Auge erschienen war. — Er trat nahe vor eine Kas¬ kade hinter dem Lorbeerwalde, die sich in 20 Absätze wie er in 20 Jahre zertheilte, und er fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen Regen nicht. Er stieg nun auf die hohe Terrasse zurück, um seinen Freunden entgegen zu sehen. Wie gebrochen und magisch stahl sich der Sonnen¬ schein der äußern Welt in den heiligen dunkeln Irrhain der innern! — Die Natur, die gestern ein flammender Sonnenball gewesen, war heute ein Abendstern voll Dämmerlicht — die Welt und die Zukunft lagen so groß um ihn und doch so nahe und berührend, wie vor dem Re¬ gen Eisberge naher scheinen im tiefern Blau — er stellte sich auf das Geländer und hielt sich an die kolossalische Statue und sein Auge schweifte hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen und zu dem Himmel und wieder herab, und unter der freundlichen Luft Hesperiens flatterten leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf — weiße Thürme blinkten aus dem Ufer-Grün, und Glocken und Vögel klangen im Winde durcheinander. — Ein schmerzliches Sehnen faßte ihn, da er nach der Bahn seines Vaters sah; ach nach dem wärmern Spanien voll schwelgerischer Frühlinge, voll lauer Orange¬ Nächte, voll umhergeworfener Glieder zerstück¬ ter Riesengebürge, da wäre er gern durch den schönen Himmel hingeflogen! — Endlich löste sich das Freuen und das Träumen und das Scheiden in jene unnennbare Wehmuth auf, worein das Übermaaß der Wonne den Schmerz der Gränzen kleidet, weil ja unsere Brust leich¬ ter zu überfüllen als zu füllen ist. — — Auf einmal wurde Albano gerührt und er¬ griffen, als wenn die Gottheit der Liebe ein Erdbeben in seinen innern Tempel schickte, um ihn für ihre künftige Erscheinung einzuweihen, da er an einem indischen Bäumchen neben sich den Zettel mit dessen Namen Liane las. Er sah es zärtlich an und sagte immer: liebe Lia¬ ne! Er wollte sich einen Zweig abbrechen; da er aber daran dachte, daß dann Wasser aus ihm rinne, so sagte er: „nein, Liane, durch mich sollst du nicht weinen“ und unterließ es, weil in seiner Erinnerung das Gewächs auf irgend eine Art mit einem unbekannten theuern We¬ sen in Verwandtschaft stand. Sich unaussprech¬ lich-hinübersehnend blickte er jetzt nach den Tempelthoren Deutschlands, nach den Alpen — in einem Frühlingswölkchen schien sich der schnee¬ weiße Engel seines Traums tief einzuhüllen und nur stumm darin dahinzuschweben — und es war ihm als hör' er von Fernen Harmoni¬ katöne. — Er zog, um nur etwas Deutsches zu haben, eine Brieftasche heraus, worauf seine Pflegeschwester Rabette die Worte gestickt: ge¬ denke unserer; — er fühlte sich allein und war nun erfreuet über die Freunde, welche heiter von Isola madre zurückruderten. Ach Albano, welch' ein Morgen wäre die¬ ser für einen Geist wie deinen, zehn Jahre spä¬ ter, gewesen, wo sich die feste Knospe der jun¬ gen Kraft schon weiter und weicher und loser auseinander geblättert hätte! Vor einer Seele wie deiner, wären dann, da die Gegenwart in ihr blaß wurde, zwei Welten zugleich — die zwei Ringe um den Saturn der Zeit — die der Vergangenheit und die der Zukunft mit¬ einander aufgegangen; du hättest nicht bloß über die kurze rückständige Laufbahn an das helle weiße Ziel geblickt, sondern dich umge¬ wandt und die krumme lange durchlaufene über¬ schauet. Du hättest die tausend Fehlgriffe des Willens, die Fehltritte des Geistes zusammen¬ gerechnet und die unersetzliche Verschwendung des Herzens und des Gehirns. Würdest du auf den Boden haben sehen können, ohne dich zu fragen: ach haben die 1004 Erschütterungen In Kalabrien waren im Zeitraume von ¾ Jah¬ ren (1785) tausend und vier Erschütterungen. Münters Reise ꝛc. die durch mich wie durch das Land hinter mir gegangen sind, mich eben so befruchtet wie die¬ ses? — O da alle Erfahrungen so theuer sind, da sie uns entweder unsere Tage kosten oder unsere Kräfte oder unsere — Irrthümer: o war¬ um muß der Mensch an jedem Morgen vor der Natur, die mit jedem Thautropfen in der Blume wuchert, so verarmet über die tausend vergeblich vertrockneten Thränen erröthen, die er schon vergossen und gekostet hat? — Aus Frühlingen zieht diese Allmächtige Sommer auf, aus Wintern Frühlinge, aus Vulkanen Wälder und Berge, aus der Hölle einen Him¬ mel, aus diesem einen größern — — und wir thörichte Kinder wissen uns aus keiner Ver¬ gangenheit eine Zukunft zu bereiten, die uns stillt — wir hacken wie die Steindohle nach je¬ dem Glanze und tragen die Glutkohle als Gold¬ stück bei Seite und zünden damit Häuser an — ach mehr als eine große schöne Welt geht unter in der Brust und läßt nichts zurück, und gerade der Strom der höhern Menschen ver¬ springt, und befruchtet nichts, wie sich hohe Wasserfälle zersplittern und schon weit über der Erde verflattern. — — Albano empfieng die Freunde mit vergü¬ tender Zärtlichkeit; aber dem Jünglinge wurde mit der Zunahme des Tages so öde und bange wie einem, der seine Stube im Gasthofe aus¬ geleeret, der die Rechnung entrichtet und der nur noch einige Minuten in dem rauhen lee¬ ren Stoppelfelde auf- und abzugehen hat, bis die Pferde kommen. Wie fallende Körper, be¬ wegten sich in seiner heftigen Seele Entschlüsse in jeder neuen Sekunde schneller und stärker; er bat mit äußerer Milde aber innerer Heftig¬ keit seine Freunde, noch heute mit ihm abzurei¬ sen. — Und so gieng er Nachmittags mit ihnen von der stillen Kindheits-Insel ab, um durch die Kastanienalleen Mailands eilig auf die neue Bühne seines Lebens und an die Fallthüre zu kommen, die sich in den unterirrdischen Gang so vieler Räthsel öffnet. — Antrittsprogramm des Titans. Eh' ich den Titan dem Flachsenfingischen geheimen Legazionsrath und Lehnprobst, H. von Hafenreffer , dedizirte: so fragt' ich bei ihm erst so um die Erlaubniß an: „Da Sie weit mehr an dieser Geschichte „mit arbeiteten als der russische Hof an Vol¬ „tairens Schöpfungsgeschichte des großen Pe¬ „trus: so können Sie meinem dankbegierigen „Herzen nichts Schöneres geben als die Erlaub¬ „niß, Ihnen wie einem Judengotte das zu „opfern und zu dediziren, was Sie geschaf¬ „fen haben.“ Aber er schrieb mir auf der Stelle zurück: „Aus derselben Raison könnten Sie, wie „es Sonnenfels gethan, das Werk noch besser „sich selber dediziren und in einem richtigern „Sinne als andere, den Verfasser und Gönner „desselben zugleich vereinen. — Laßen Sie mich „(auch schon des Herrn von ** und der Frau „von ** wegen) aus dem Spiele; und schrän¬ „ken Sie sich bloß auf die nothwendigsten No¬ „tizen ein, die Sie dem Publikum von dem „sehr maschinenmäßigen Antheil, den ich an „Ihrem schönen Werke habe, etwa gönnen „wollen, aber um der Götter willen hic haec „ hoc hujus huic hunc hanc hoc hoc hac hoc .“ v. Hafenreffer. Die römische Zeile ist eine Chiffre und soll dem Publikum dunkel bleiben. — Was dasselbe vom Antrittsprogramme zu fordern hat, sind vier Namenerklärungen und Eine Sacherklärung. Die erste Namenerklärung, welche die Jo¬ belperiode angeht, treff' ich schon bei dem Stifter der Periode, dem Superintendent Franke an, der sie für eine von ihm erfundne Aera oder Zeitsumme von 152 Zykeln erklärt, deren jeder seine guten 49 tropischen Mondsonnen¬ jahre in sich hält. Das Wort Jobel setzt der Superintendent voran, weil in jedem siebenten Jahre Jahre ein kleines, und in jedem siebenmal 7ten oder 49sten ein großes Jobel- Schalt- Erlaß- Sabbaths- oder Hall-Jahr anbrach, wo man ohne Schulden, ohne Säen und Arbeiten und ohne Knechtschaft lebte. Glücklich genug wend' ich wie es scheint diesen Jobelnamen auf meine historischen Kapitel an, welche den Geschäfts¬ mann und die Geschäftsfrau in einem sanften Zykel voll Frei- Sabbaths- Erlaß- Hall- und Jobelstunden herumführen, worin beide nicht zu säen und zu bezahlen, sondern nur zu ernd¬ ten und zu ruhen brauchen; denn ich bin der einzige, der als krummgeschlossener pflügender Fröhner an dem Schreibtische steht und welcher Säemaschinen und Ehrenschulden und Hand¬ schellen vor und an sich sieht. — Die siebentau¬ send vier hundert und acht und vierzig tropischen Mondsonnenjahre, die eine Frankesche Jobelpe¬ riode enthält, sind auch in meiner vorhanden, aber nur dramatisch, weil ich dem Leser in je¬ dem Kapitel immer so viel Ideen — und diese sind ja das Längen- und Kubikmaaß der Zeit — vortreiben werde bis ihm die kurze Zeit so lang geworden als das Kapitel verlangte. Titan. I . G Ein Zykel , — welches der Gegenstand mei¬ ner zweiten Namenerklärung ist — braucht nun gar keine. Die dritte Nominaldefinizion hat die obli¬ gaten Blätter zu beschreiben, die ich in zwanglosen Heften in jeder Jobelperiode her¬ ausgebe. Die obligaten Blätter nehmen durch¬ aus nur reine gleichzeitige mit meinem Helden weniger zusammenhängende Fakta von solchen Leuten auf, die mit ihm destomehr zusammen¬ hängen; auch in den obligaten Blättern ist nicht das kleinste nur einer Brandblase große satirische Extravasat von Ausschweifung ersicht¬ lich, sondern der seelige Leser und Lektor wan¬ delt mit den Seinigen frei und aufgeweckt und gerade durch das weite Hoflager und die Reit¬ bahn und Landschaft eines ganzen langen Ban¬ des zwischen lauter historischen Figuren — auf allen Seiten von fliegenden Korps, von thäti¬ gen Knapp- und Judenschaften, anrückenden Marschsäulen, reitenden Horden und spielenden Theatertruppen umzingelt — und er kann sich gar nicht satt sehen. Ist aber der Tomus aus: so fängt — das ist die letzte Nominaldefinizion — sich ein klei¬ ner an, worin ich mache was ich will (nur keine Erzählung) und worin ich mit solcher Seelig¬ keit mit meinem langen Bienenstachel auf und abfliege von einer Blüthen-Nektarie und Ho¬ nigzelle zur andern, daß ich das bloß zum Pri¬ vatvortheile meines Ausschweifens gebauete Fi¬ lialbändchen recht schicklich meine Honigmo¬ nate benenne, weil ich darin Honig weniger mache als esse, geschäftig nicht als eintragende Arbeitsbiene, sondern als zeidelnder Bienenva¬ ter. — Bisher hatt' ich freilich geglaubt, das Durchfahren meiner satirischen Schwanzkometen würde jeder Leser von dem ungestörten Gange meines historischen Planetensystems auf der Stelle absondern und ich hatte mich gefragt: „wird denn in einer Monatsschrift die Einheit „einer Geschichte durch das Abbrechen der letz¬ „tern und durch die Erbfolge eines andern „Aufsatzes beschädigt; und haben sich denn die „Leser darüber beschweret, wenn z. B. in den „Horen-Jahrgängen zuweilen Cellini's Geschich¬ „te abgebrochen und ein ganz anderer Aufsatz „eingehoben wurde?“— Aber was geschah? — G 2 Wie im Jahre 1795 eine medizinische Gesell¬ schaft in Brüssel den contract social unter sich machte, daß jeder eine Krone Strafgeld erle¬ gen sollte, der in der Session einen andern Laut von sich gäbe als einen medizinischen; so ist bekanntlich ein ähnliches Edikt vom 9ten July an alle Biographen erlassen, daß wir stets bei der Sache — welches die Historie ist — bleiben sollten, weil man sonst mit uns reden würde. Der Sinn des Mandats ist der, daß wenn ein Biograph in allgemeinen Welthisto¬ rien von 20 Bänden, ja in noch längern — wie z. B. in dieser — ein oder zweimal denkt oder lacht d. h. abschweift, Inkulpat auf der kriti¬ schen Pillory als sein eigner Pasquino und Marforio ausstehen soll, — welches man an mir schon mehr als einmal vollstreckte. Jetzt aber geb' ich den Sachen eine andere Gestalt, indem ich erstlich Geschichte und Di¬ gression in diesem Werke strenge auseinander halte — wenige Dispensationsfälle ausgenom¬ men — zweitens indem ich die Freiheiten, die ich mir in meinen vorigen Werken nahm, im jetzigen zu einem Rechte, zu einer Servitut ver¬ jähre und verstärke; der Leser ergiebt sich, wenn er weiß, nach einem Bande voll Jobelperioden erscheinet durchaus nie etwas anders als einer voll Honigmonate. Ich schäme mich, wenn ich mich erinnere, wie ich sonst in frühern Werken mit dem Bettelstabe vor dem Leser stand und um Ausschweifungen bat, indeß ich doch — wie ich hier thue — mir das Anleihen hätte erzwingen können, wie man von Weibern mit Erfolg nicht nur Tribut als Almosen , sondern auch das don gratuit als Quatembersteuer zu begehren hat. So macht es nicht bloß der kultivirte Regent auf dem Landtage, sondern schon der rohe Araber, der dem Passagier außer der Baarschaft noch einen Schenkungsbrief dersel¬ ben abnöthigt. Ich komme nun auf den geheimen Lega¬ zionsrath von Hafenreffer, welcher der Gegen¬ stand meiner versprochnen Sacherklärung ist. Aus dem 45sten Hundsposttage sollt' es ein¬ mal bekannt seyn, wer Flachsenfingen beherrscht — nämlich mein H. Vater. Im Grunde war meine so frappante Standeserhöhung mehr ein Schritt als ein Sprung; denn ich war vorher schon Jurist, mithin schon die Knospe, oder das Blütenkätzchen eines noch eingewickelten Doktors utriusque , und folglich ein Edelmann, da im Doktor der ganze Rogen und Dotter zum Ritter steckt; daher er auch so gut wie die¬ ser, wenn gerade etwas vorbeigeht, vom Sat¬ tel oder Stegreif lebt, wiewohl weniger in einem Raubschlosse als Raub immer. Ich habe also seit dem Avancement weniger mich geän¬ dert als mein Residenzschloß — das väterliche in Flachsenfingen ist gegenwärtig mein eignes. Ich mag nun nicht gern am Hofe mein Zuckerbrod mit Sünden essen — wiewohl man gemächlicher Zucker- und Himmelsbrod erwirbt als Schiffsbrod — sondern ich stelle, um zu wuchern mit meinem Schiffspfunde, das ganze flachsenfingische Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu Hause im Schlosse vor sammt der erforderlichen Entzifferungskanzlei. Das will aber gethan seyn: wir haben einen Prokurator in Wien — zwei Residenten in fünf Reichsstädten — einen Komizialsekretarius in Regensburg unter der Queerbank— drei Krais- Kanzlisten und einen bevollmächtigten Envoyé an einem bekannten ansehnlichen Hofe unweit Hohenflies, welches eben der obgedachte Herr Lehnprobst von Hafenreffer ist. Letzterem hat sogar mein H. Vater ein vollständiges Silber¬ service vorgestreckt, das wir ihm lassen bis er den Rappel erhält, weil es unser eigner Vor¬ theil ist, wenn ein Flachsenfingischer Bothschaf¬ ter dem Flachsenfingischen Fürstenhute oder Krönlein auswärts durch Aufwand mehr Ehre macht als gewöhnliche. Auf einem solchen Posten wie meinem steht man nun nicht zum Spaße da; die ganze Lega¬ zions- Schreibe- und Lesegesellschaft kouvertirt und schreibt an mich, die chiffre banal und die chif¬ fre déchiffrant ist in meinen Händen und wie es scheint, versteh' ich den Rummel. Unsäglich ists, was ich erfahre — es wäre nicht zu lesen von Menschen, noch zu ziehen von Pferden, wollt' ich allen den Seidenwurmsaamen von Nouvellen biographisch ausbrüten, groß füttern und abhaspeln, den mir das Gesandten- Corpo posttäglich in festen Düten schickt. Ja (in einer andern Metapher) das biographische Bauholz, das meine Flößinspekzion für mich bald in die Elbe, bald in die Saale, bald in die Donau oben herab wirft, steht schon so hoch vor mir auf dem Zimmerplatze, daß ichs nicht verbauen könnte, gesetzt daß ich die ästhetischen Bauten meiner biographischen Narrenschiffe, Redouten¬ sääle und Zauberschlösser forttriebe Tag und Nacht, Jahr aus Jahr ein und weder mehr tanzte noch ritte noch spräche noch niesete. . . , Wahrlich wenn ich oft so meinen schrift¬ stellerischen Eierstock gegen manchen fremden Rogen abwäge: so frag' ich ordentlich mit einem gewissen Unmuth, warum ein Mann einen so großen zu tragen bekommen, der ihn aus Man¬ gel an Zeit und Platz nicht von sich geben kann, in¬ deß ein andrer kaum ein Windei legt und heraus¬ bringt. — Wenn ich ein Piquet aus meiner Lega¬ zions-Division den Ritterbüchermachern mit des¬ sen offiziellen Berichten zuschicken könnte: würden sie nicht gern Ruinen gegen Schlösser und unter¬ irrdische Klostergänge gegen Korridore und Gei¬ ster gegen Körper vertauschen, anstatt daß ih¬ nen jetzt aus Mangel an offiziellen Berichten des Piquets die Dirnen die Weltdamen, die Veümer die Justizminister vertreten müssen, so wie die Schalken die Pagen, die Burgpfaffen die Hofprediger und der Raubadel die Poin¬ teurs? — Ich kehre zu meinem Gesandten von Ha¬ fenreffer zurück. Am obgedachten ansehnlichen Hofe sitzt dieser trefliche Herr, und fertigt mir — seinen Nebenarbeiten unbeschadet — von Monat zu Monat so viele Personalien von meinem Hohenfliessischen Helden zu, als er durch sieben Legazions-Zeichendeuter oder Clairvoyants erwischen kann — die kleinsten Lappalien sind ihm erheblich genug für eine Depesche. Wahrhaftig eine ganz andre Denk¬ weise als die andrer Gesandten, die nur für Ereignisse, die nachher in die Universalhistorie einrücken, Platz in ihren Berichten machen! — Hafenreffer hat in jeder Sackgasse, Bedienten¬ stube und Mansarde, in jedem Schornstein und Wirthschaftsgebäude seinen Operngucker von Spion, der oft, um Eine Tugend meines Hel¬ den auszumitteln, sich zehn Sünden unterzie¬ het. Freilich bei solchen Hand- und Spanndien¬ sten des Glücks muß es keinen von uns Wun¬ der nehmen, ich meine nämlich bei einem sol¬ chen Schöpfrade, das mir Fortuna selber um¬ dreht — bei solchen Diebsdaumen, die man meinem eignen Schreibdaumen anschienet — bei solchen Silhouetteurs eines Helden, die alles machen außer der Farbe — kurz bei einer so außerordentlichen Vereinigung von Umständen oder Montgolfieren kann es freilich nichts als was man erwartet, seyn, wenn der Mann, den sie heben, droben aus seiner Berghöhe ein Werk zusammenbringt und nachher herunter¬ schickt, das man (denn es verdients) nach dem jüngsten Tage auf der Sonne, auf dem Ura¬ nus und Sirius frei übersetzt, und auf welches sogar der glückliche Posenschraper, der die Kiele dazu abzog, und der Setzer, der die Errata druckt, sich mehr einbilden wollen, als der Au¬ tor selber, und in welches weder die schnelle Sense noch der träge Zahn der Zeit — be¬ sonders da man dieses Gebiß nach Erfordern mit der Zahnsäge der kritischen Feile entzwei¬ bringen kann — einzuschneiden vermögend sind. — Fügt der Verfasser solchen Vorzügen noch gar den der Demuth bei: so ist ihm niemand weiter zu vergleichen; aber leider hält jede Na¬ tur sich, wie D. Krusius die Welt, zwar nicht für die beste, aber doch für sehr gut. Der gegenwärtige Titan benutzt noch den andern Vortheil, daß ich gerade den väterli¬ chen Hof bewohne und schmücke und mithin als Zeichner gewisse Sünden recht glücklicher Weise näher und heller vor dem Auge zum Be¬ schauen habe, wovon mir wenigstens der Egois¬ mus, die Libertinage und das Müßiggehen ge¬ wiß bleiben und sitzen; denn diese Schwämme und Moose säete das Schicksal so weit als es konnte in die höhern Stände hinauf, weil sie in den niedern und breitern zu sehr ausgegrif¬ fen und sie ausgesogen hätten — welches das Muster derselben Vorsicht gewesen zu seyn scheint aus der die Schiffe den Teufelsdreck, den sie aus Persien holen, stets oben an den Mast¬ baum hängen, damit sein Gestank nicht die Fracht des Schiffraums besudle. — — Ferner hab' ich hier oben am Hofe jede neue Mode zur Beobachtung und Verachtung schon um mich, eh' sie drunten nur gelästert, geschweige gepriesen worden. Z. B. Die schöne Pariser Mode, daß die Weiber durch einen kleinen Fal¬ tenwurf ihre Waden vorzeigen, — welches sie in Paris thun, um sehen zu lassen, daß sie nicht unter die Herren gehören, die bekanntlich auf Steckenbeinen gehen — diese wird (denn auf eine einzige Dame kömmt es an) morgen oder übermorgen gewißlich eingeführt. Doch ahmen die Flachsenfingerinnen diese Mode aus dem ganz andern Grunde nach — denn uns Herren fehlet nichts —, weil sie zu beweisen wünschen, daß sie Menschen und keine Affen (geschweige weniger) sind, da nach Camper und andern nur der Mensch allein Waden an¬ hat. — Derselbe Beweis wurde vor einem Jahrzehend, nur mit höhern Gründen geführt. Denn da nach Haller sich der Mensch in nichts von einem Affen trennt, als durch den Besitz eines Steisses: so suchten damals die weiblichen Kronbeamten, die Putzjungfern, an ihren Gebieterinnen diesen Geschlechtskarakter, der sie unterscheidet, durch Kunst — durch den sogenannten cul de Paris — so sehr als mög¬ lich zu vergrößern, und bei einer solchen Pe¬ nultima der Ultima war es damals schon auf 200 Schritte weit ein Spaß und ein Spiel. eine Weltdame von ihrer Äffin abzutrennen, welches jetzt viele, die ihren Büffon auswendig können, in keiner größern Nähe sich getrauen wollen als in einer zu großen — Ähnliche biographische Denunzianten und Familiaren unterhalt' ich in mehrern deutschen Städten — mein H. Vater bezahlts — in den meisten einen, aber in Leipzig zwei, in Dres¬ den drei, in Berlin sechse, in Wien eben soviel in jedem Stadtviertel. Maschinen solcher Art, die den Perspektiven so sehr gleichen, womit man aus seinem Bette alles beschauen kann, was unten auf der Gasse vorfällt, machen es freilich einem Autor leicht, hinter seinem Din¬ tenfasse in dunkle verbauete Haushaltungen — in einer 20 Meilen entfernten Winkelgasse ge¬ führt — hell hinunter zu sehen. Daher kann mir jede Woche der närrische Fall begegnen, daß ein gesetzter stiller Mann, den niemand kennt als sein Barbier und dessen Lebensweg eine dunkle Sackgasse ist — dem aber heimlich einer meiner Gesandten und Spione mit einem biographischen Hohlspiegel nachgeht, welcher des Mannes Unterkleider und Schritte in meine, an dreißig Meilen abliegende Studierstube hinein¬ spiegelt —, es kann mir der Fall aufstoßen sag' ich, daß ein solcher entlegner Mann zufällig vor den Ladentisch des Buchhändlers tritt, und in meinem Werke, das rauchend aus dem Back¬ ofen dort liegt, sich mit seinen Haaren, Knöp¬ fen, Schnallen und Warzen so deutlich auf der 371. Seite abgebildet findet, als man auf den Steinen in Frankreich die Abdrücke indischer Pflanzen antrift. Es thut aber nichts. Leute hingegen, die mit mir an Einem Orte wohnen, welches sonst die Höfer thaten, kom¬ men gut davon; denn neben mir halt' ich keine Gesandten. Aber eben dieser Vorzug, daß ich meine Geschichten nicht aus der Luft greife sondern aus Depeschen, nöthigt mich, mehr Mühe an¬ zuwenden, sie zu verziffern, als andere hätten, sie aufzuschmücken oder auszusinnen. Kein klei¬ neres Wunder als das, welches das Mauer¬ sche Geheimniß und die unsichtbare Kirche und die unsichtbare Loge vergittert und verdeckt, schien bisher die Entdeckung der wahren Na¬ men meiner Historien abzuwenden, und zwar mit einem solchen Glücke, daß von allen bisher an die Verlagshandlungen eingeschickten mit Muthmaßungen gefüllten Brieffelleisen keines Mäuse merkte. (Und recht zum Vortheil der Welt; denn sobald z. B. einer die in der besten Verzifferungskanzlei verzognen Namen der er¬ sten Bände des Titans auseinanderringelt, so stoß' ich das Dintenfaß um und gebe nichts mehr heraus.) — Aus den Namen ist bei mir nichts zu schliessen, weil ich die Pathen zu meinen Hel¬ den auf den sonderbarsten Wegen presse. Bin ich z. B. nicht oft abends, während dem Ro¬ chiren und Brikoliren der deutschen Hee¬ re, die ihre Kreuzzüge nach dem heiligen Grabe der Freiheit thaten, in den Zeltgassen mit der Schreibtafel in der Hand auf- und abgegan¬ gen und habe die Namen der Gemeinen, die vor dem Bettegehen wie Heiligennamen laut angerufen wurden, so wie sie fielen aufgefan¬ gen und eingetragen, um sie wieder unter meine biographischen Leute auszutheilen? Und avan¬ zirte dabei nicht das Verdienst und mancher Gemeine stieg zum tafel- und turnierfähigen Edelmann auf, Profoße zu Justizministern, und Rothmäntel zu patribus purpuratis ? — Und krähte je ein Hahn im ganzen Heere nach die¬ sem herumschleichenden auf zwei Füßen mobil¬ gemachten Observationskorps? — Für Autoren, die wahre Geschichten zu¬ gleich erzählen und vermummen wollen, bin ich vielleicht im Ganzen ein Model und Flügel¬ mann. Ich habe länger als andre Geschichts¬ forscher jene kleinen unschuldigen Verrenkungen, die eine Geschichte dem Helden derselben selber unkenntlich machen können, studirt und imitirt und glaube zu wissen, wie man gute Regen¬ tengeschichten, Protokolle von Majestätsverbre¬ chern, Heiligenlegenden und Selbstbiographien machen müsse; keine stärkere Züge entscheiden als die kleinen, womit Peter von Cortona (oder Beretino) vor dem Herzoge Ferdinand von Tos¬ kana ein weinendes Kind in ein lachendes um¬ zeichnete, und dieses in jenes zurück. — Voltaire verlangte mehr als einmal — wie bei allen Sachen; denn er gab der Menschheit wie einer Armee jeden Befehl des Marsches dreimal, und wiederholte sich und alles unver¬ dros¬ drossen —, daß der Historiker seine Geschichte nach den Gesetztafeln des Schauspiels stellen solle, nach einem dramatischen Fokalpunkt. Es ist aber eine der ersten dramatischen Regeln, die uns Lessing, Aristoteles und griechische Muster geben, daß der Schauspieldichter jeder historischen Begebenheit, die er behandelt, alles leihen müsse, was der poetischen Täuschung zuschlägt, so wie das Entgegengesetzte entzie¬ hen, und daß er Schönheit nie der Wahrheit opfere, sondern umgekehrt. Voltaire gab wie bekannt nicht nur die leichte Regel, sondern auch das schwere Muster und dieser große Thea¬ terdichter des Welttheaters blieb in seinen hi¬ storischen Benefiz -Spauspielen von Peter und Karl nirgends bei der Wahrheit stehen, wo er gewiß seyn konnte, er gelange eher zur Täu¬ schung. Und das ist eigentlich die ächte, dem historischen Romane entsprechende romantische Historie. Nicht ich, sondern Andere — nämlich der Lehnprobst und die Legazionssekretaire — können entscheiden, in wiefern ich eine wahre Geschichte illusorisch behandelt habe. Ein Un¬ glück ists, daß schwerlich je die ächte Geschichte Titan. I . H meines Helden zum Vorscheine kömmt; sonst dürfte mir vielleicht die Gerechtigkeit widerfah¬ ren, daß Kenner meine dichterischen Abweichun¬ gen von der Wahrheit mit der Wahrheit kon¬ frontirten und darnach leichter jedem von uns das Seinige geben, sowohl der Wahrheit als mir. Allein auf diesen Lohn thun alle könig¬ liche Historiographen, skandalöse Chroniker nolens volens Verzicht, weil nie die wahre Hi¬ storie zugleich mit ihrer erscheint. — Aber unter dem Komponiren der Geschichte muß ein Autor auch darauf auslaufen, daß sie nicht nur keine wahre Personen treffe und ver¬ rathe, sondern auch keine falsche und gar nie¬ mand. Eh' ich z. B. für einen schlimmen Für¬ sten einen Namen wähle, seh' ich das genealo¬ gische Verzeichniß aller regierenden und regier¬ ten Häupter durch, um keinen Namen zu brau¬ chen, den schon einer führt; so werden in Ota¬ heiti sogar die Wörter, die dem Namen des Königs ähnlich klingen, nach seiner Krönung ausgerottet und durch andere vergütet. Da ich sonst gar keine jetzt lebende Höfe kannte: so war ich nicht im Stande, in den Schlacht¬ und Nachtstücken, die ich von den Kabalen, dem Egoismus und der Libertinage biographi¬ scher Höfe malte, es so zu treffen, daß Ähnlich¬ keiten mit wirklichen geschickt vermieden wur¬ den; ja für einen solchen Idioten wie mich war es sogar ein schlechter Behelf, oft den Machia¬ vel vor sich hinzulegen, um mit Zuziehung der französischen Geschichte durch das Malen nach beiden den Anwendungen wenigstens auf Länder zu wehren, in denen nie ein Franzos oder ein Welscher den Einfluß gehabt, den man sonst beiden auf andere deutsche beimisset; so wie Herder gegen die Naturforscher, welche gewisse mißgestaltete Völker aus Paarungen mit Affen ableiten, die sehr gute Bemerkung macht, daß die meisten Ähnlichkeiten mit Affen, der zurück¬ gehende Schädel der Kalmucken, die abstehen¬ den Ohren der Pevas, die schmalen Hände in Karolina gerade in Ländern erscheinen, wo es gar keine Affen giebt. Wie gesagt, auffallende Unähnlichkeiten wollten mir nicht gelingen, jetzt hingegen ist jeder Hof, um welchen meine Le¬ gazions-Flotille schifft, mir bekannt und also vor Ähnlichkeiten gedeckt, besonders jeder, den H 2 ich schildere, der Flachsenfingische, der Hohen¬ fliessische ꝛc. Die Theatermaske, die ich in meinen Werken vorhabe, ist nicht die Maske des griechi¬ schen Komödianten, die nach dem Gesichte des ver¬ spotteten Individuums geboßelt war, Reflexions critiques sur la Poesie etc. de Du¬ bois. T. I. Sect . 42. sondern die Maske des Nero, die wenn er eine Göttinn auf dem Theater machte, seiner Geliebten ähn¬ lich sah, Sueton. Nero . oder wenn er einen Gott spielte, ihm selber. Genug! Dieses abschweifende Antrittspro¬ gramm war etwas lang, aber die Jobelperiode wars auch; je länger der Johannistag eines Landes, desto länger seine Thomasnacht. — — Und nun lasset uns sämmtlich ins Buch hineintanzen, in diesen Freiball der Welt — ich als Vortänzer voraus und dann die Leser als Nachhopstänzer —, so daß wir unter den läu¬ tenden Tauf- und Todtenglöckchen am sine¬ sischen Hause des Weltgebäudes — angesungen von der Singschule der Musen — angespielt von der Guitarre des Phöbus oben — mun¬ ter tanzen von Tomus zu Tomus — von Zy¬ kel zu Zykel — von einer Digression zur an¬ dern — von einem Gedankenstrich zum andern — bis entweder das Werk ein Ende hat oder der Werkmeister oder jeder! — Zweite Jobelperiode. Die beiden biographischen Höfe — die Sennen¬ hütte — das Fliegen — der Haar-Verschleiß — die gefährliche Vogelstange — das in eine Kutsche gesperrte Gewitter — leise Bergmusik — das Kind voll Liebe — H. von Falterle aus Wien — Tor¬ tursoupé — das zersplitterte Herz — Werther ohne Bart mit einem Schusse — die Versöhnung. 10. Zykel. M it jugendlichen Kräften und Aussichten flog der Graf zwischen seinen Begleitern durch das helle volle Mailand zurück, wo die Aehre und die Traube und die Olive oft auf Einer Erd¬ scholle zusammen grünen. Schon der Name Mailand schloß ihm einen Frühling auf, weil er wie ich, an allen Mai-Wesen, an Maiblu¬ men, Maikäfern, sogar an der Maibutter in der Kindheit so vielen Zauber fand, wie an der Kind¬ heit selber. Dazu kam, daß er ritt; der Sat¬ tel war für ihn ein Rittersitz der Seeligen, wie eine Sattelkammer eine Regensburger Grafen¬ bank, und jeder Gaul sein Pegasus. Auf der Insel war ihm in jener geistigen und körperli¬ chen Ermattung, worin die Seele sich lieber in helldunkle Schäferwelten als in heiße staubige Kriegs- und Fechtschulen begeben will, die Aus¬ sicht in die nahen Räthsel und Kämpfe seines Lebens zuwider gewesen; aber jetzt mit dem Herzen voll Reise- und Frühlingsblut streckte er die jungen Arme eben so sehr nach einem Gegner als nach einer Freundinn aus, gleich¬ sam nach einem Doppelsiege. Je weiter die Insel zurücktrat, desto mehr fiel der Zauberrauch um die nächtliche Erschei¬ nung zu Boden und hinterließ ihm bloß einen unerklärlichen Gaukler aufgedeckt. Jetzt erst vertrauete er die Spukgeschichte seinen Gefähr¬ ten. Schoppe und Augusti schüttelten Köpfe voll Gedanken, aber jeder über etwas anders; der Bibliothekar suchte eine physikalische Auflösung des akustischen und optischen Betrugs; der Lektor suchte eine politische , er konnte gar nicht fassen, was der Schauspieldirektor dieser Todtengräberszene eigentlich mit allem haben wollen. Den einzigen Trost behielt der Bibliothe¬ kar, daß Alban an seinem Geburtstage dem Herzen ohne Brust eine Visite abzustatten habe, die er nur — bleiben lassen dürfe, um aus dem Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen: „wollte Gott (sagt' er) mir verkündigte einmal „ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬ „gen würde — ich that' es um keinen Preis, „sondern brächte ihn ohne Gnade statt um den „Hals um Kredit und Kopf.“ — Auch seinem ungläubigen Vater schrieb Albano noch unter¬ wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche Historie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an sich oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬ ler- und Igel-Seelen ringeln und krempen sich vor jedem Finger in sich zusammen; unter dem offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz. Endlich kamen sie, da helle Berge und schattige Wälder genug, wie durchlebte Tage und Nächte hinter sie zurückgegangen waren, nahe vor das Ziel ihrer mit Ländern gefüllten Reitbahn, und das Fürstenthum Hohenflies lag nur noch ein Fürstenthum weit von ihnen. Dieses zweite, das ein Thür- und Wandnach¬ bar des erstern war und mit diesem leicht zu Einem Staatsgebäude ausgebrochen werden konnte, hieß, wie geographische Leser wissen, Haarhaar . Der Lektor erzählte dem Biblio¬ thekar neben den Gränzwappen und Gränzstei¬ nen, daß beide Höfe sich fast als Blutfeinde ansähen, nicht sowohl weil sie diplomatische Verwandte wären — da unter Fürsten Vetter, Oheim, Bruder nicht mehr bedeuten, wie bei Postillionen Schwager und bei alten Branden¬ burgern Vater oder Mutter — als weil sie wirkliche wären und einander beerbten. Es würde mir zu viel Platz wegnehmen, wenn ich die Sippschaftsbäume beider Höfe — die ihre Gift- und Drachenbäume wurden — mit allen ihren heraldischen Blättern, Wasserschößlingen und Flechtmoosen für den Leser hereinsetzen wollte; das Resultat kann ihn beruhigen, daß dem Haarhaar'schen Fürstenthume Hohenfliessische Land und Leute zustürben, falls der Erbprinz Luigi, der letzte hohlröhrige Schuß und Fech¬ ser des Hohenfliesser Mannsstammes, verdorrte. Welche Heerden von venezianischen Löwenköpfen Haarhaar ins künftige Erbland treibt, die da nichts verschlingen sollen als gelehrte Anzeigen und Wundzettel — und welche Spitzbubenban¬ de von politischen Mechanikern es da wie in eine Botany-Bay aussetzt, ist gar nicht zu sa¬ gen aus Mangel an Zeit. Doch ist Haarhaar auf der andern Seite wieder so brav, daß es nichts so herzlich wünscht als den höchsten Flor des Hohenfliesser Finanz-Etats, Handels, Acker- und Seidenbaues und Gestütes und daß es im höchsten Grade jede öffentliche Verschwen¬ dung, diese Entnervung des großen Interkostal¬ Nervens (des Geldes) — als das stärkste ka¬ nonische Impediment aller Bevölkerung hasset und verflucht: „der Regent (sagt der ächt men¬ „schenfreundliche Fürst von Haarhaar) ist der „Ober-Hirt, nicht der Schächter des Staats, „sogar die Wollenscheere nehm' er nicht so oft „als die Hirtenflöte in die Hand; nicht über „fremde Kräfte und Ehen ist unser Vetter „(Luigi) Herr, sondern über seine, diese soll er „ruiniren!“ Als sie ins Hohenfliessische einritten, hät¬ ten sie einen Abstecher nach Blumenbühl , Ich habe schon gesagt, daß er da erzogen wur¬ de bei dem Landschaftsdirektor von Wehrfriz . das seitwärts von Pestiz liegt, gleichsam in die Kinderstube Albano's ( Isola bella ist die Wiege) machen können, wenn dieser nicht fortgeritten wäre aus Heißhunger nach der Stadt und aus Wasserscheu vor einem zweiten Abschiede der ohnehin nur den reinen Nachklang des ersten verwirrt. Die Reise, die Reden des Vaters, die Bilder des Gauklers, die Nähe der Akade¬ mie hatten an unserm Vogel Rok die Flügel¬ federn — die in seinem Alter zu lang sind wie die steuernden Schwanzfedern zu kurz — so aufgespreizet, daß sie im enggehäusigen Blu¬ menbühl sich nur verstauchen konnten; beim Himmel, er wollte ja etwas werden im Staate oder auf der Erde, weil ihn so tödtlich jene narkotische Wüste des vornehmen Lebens an¬ ekelte, durch dessen Lilienopium der Lust man schläfrig und betrunken wankt, bis man an doppelseitigen Lähmungen umfällt. Man wird es aus der ersten Jobelperiode nicht behalten haben — weils in einer Note stand —, daß Alban niemals nach Pestiz durste und zwar aus sehr guten Gründen, die dem Ritter allein bekannt sind aber nicht mir. Dieser lange Thorschluß der Stadt schärfte nur seine Sehnsucht darnach noch mehr. — Sie standen jetzt mit ihren Pfer¬ den auf einer weiten Anhöhe, wo sie die Pesti¬ zer Kirchthürme in Westen vor sich sahen und — wenn sie sich umkehrten — unten den Blumenbühler Thurm in Morgen; aus jenen und aus diesem kam zu ihnen ein verwehtes Mittagsgeläute her; Albano hörte seine Zukunft und seine Vergangenheit zusammen tönen. Er sah nieder ins Dorf und hinauf an ein nettes rothes Häuschen auf einem nahen Berge, das ihm wie eine hell bemalte Urne längst ausge¬ wischter Tage nachglänzte; er seufzete; er blickte über die weite Baustelle seines künftigen Lebens und sprengte nun mit verhängtem Zügel den Lindenstädter Thürmen wie den Palmen seiner Laufbahn zu. — — Aber das nette Häuschen gaukelte ihm wie ein rother Schatten voraus. Ach hatt' er denn nicht in dieser Sennenhütte einmal einen träu¬ menden Tag voll Zufälle verlebt, und noch da¬ zu in jener kindlichen Zeit, wo die Seele auf der Regenbogenbrücke der Phantasie trocknes Fußes über die Lachen und Mauern der untern Erde wegschreitet? — Wir wollen in diesen lieben Tag, in dieses kindliche Vorfest des Le¬ bens, jetzt mit ihm zurückgehen und die frühern Stunden kennen lernen, die ihm so schön mit diesem Kuhreigen der Jugend aus der Sennen¬ hütte nachklingen. — 11. Zykel. Es war nämlich an einem herrlichen Ja¬ kobustage — und zugleich am Geburtstage des Landschaftsdirektors Wehrfriz, der aber damals noch keiner war —, als dieser am Morgen den Wagen herausschieben ließ, um darin nach Pestiz zum Minister zu fahren und die Dresch¬ maschine des Staates als Unterhändler der Landschaft versuchsweise in eine Säemaschine umzustellen. Er war ein rüstiger Mann, dem ein Ferientag länger wurde als andern ein Exercizientag und dem nichts Langweile machte als Kurzweile: „aber Abends (dacht' er) mach' „ich mir einen guten Tag, denn es ist einmal „mein Geburtstag.“ — Sein Angebinde sollte darin bestehen, daß er eines — machte; er wollte nämlich aus Pestiz dem kleinen Albano einen Österleinschen Flügel aus seinem eignen Beu¬ tel so wenig darin war — und obendrein einen Musikmeister auf Don Gaspards Ver¬ langen mitbringen. — Aber warum will man das dem Leser nicht vorher auf das deutlichste auseinandersetzen? — Don Gaspard hatte nämlich in der Revi¬ sion des Erziehungswesens für Albano gewollt, daß auf dessen körperliche Gesundheit mehr als auf die geistige Superfötazion gesehen würde; der Erkenntnißbaum sollte mit dem Lebensbaume ablaktiret werden. Ach wer der Weisheit die Gesundheit opfert, hat meistens die Weisheit auch mitgeopfert; und nur angebohrne , nicht erworbne Kränklichkeit ist Kopf und Herzen dienlich. Daher hatte Albano in seinem Bü¬ cherriemen nicht die vielbändige Encyklopädie aller Wissenschaften, gebückt zu schleppen, son¬ dern bloß Sprachlehren. Nach den Schulstun¬ den der Dorfjugend suchte nämlich der Rektor des Orts — Namens Wehmeier , bekannter unter dem Titel: Schachtelmagister — seine schönsten Struve'schen Nebenstunden, seine Otia und noctes Flagianae darin, daß er ihn unter¬ wies, und in die von innern Strömen ange¬ faßte Mühlwelle des ewig regen Knaben al¬ phabetische Stifte zu einer Sprachwalze ein¬ schlug. Freilich aber wollte Zesara bald etwas schwerers bewegen, als die Sprach-Tastatur; so wurde z. B. die Sprachwalze, im eigentli¬ chen Sinne zur Spielwalze; denn stundenlang versucht' er auf der Orgel des Orts ohne son¬ derliche Kenntniß des Kontrapunkts (er kannte keine Note und Taste, und stand unter dem Orgelstücke auf dem fortbrausenden Pedale fest) sich in den entsetzlichsten Mißtönen, wogegen die Enharmonika aller Pizzinisten verstummen muß, senkte sich aber desto länger und tiefer in den zufälligen Treffer eines Wohllauts ein. — Eben so arbeitete sich die saftvolle Seele gleichsam in Laubknöpfen, Holztrieben und Ranken aus, und machte Gemälde, Thonge¬ bilde, Sonnenuhren und Plane aller Art, und sogar in den juristischen Felsen des Pflegeva¬ ters, z. B. in Fabri's Staatskanzlei trieb sie wie oft Kräuter in Herbarien, ihre durstigen Wurzeln herum, und über die dürren Blätter hinaus. O wie schmachtete er (so wie in der Kindheit von Octav- zu Quart-Büchern, von Quart zu Folio, von Folio bis zu einem Buche so groß wie die Welt — welches eben die Welt ist) jetzt nach geahneten Lehren und Leh¬ rern! — Aber desto besser! Nur der Hun¬ ger verdauet, nur die Liebe befruchtet, nur der Seufzer der Sehnsucht ist die belebende aura seminalis für das Orpheus-Ei der Wis¬ senschaften. Das bedenket ihr nicht, ihr Flug¬ lehrer, die ihr Kindern den Trank früher gebt als den Durst, die ihr wie einige Blumi¬ sten in den gespaltenen Stängel der Blumen fertige Lackfarben, und in ihren Kelch fremden Bisam legt, anstatt ihnen bloß Morgensonne und Blumenerde zu geben — und die ihr jun¬ gen Seelen keine stille Stunden gönnt, son¬ dern dern um sie unter dem Stäuben ihres blühen¬ den Weins gegen alle Winzer-Regeln mit Be¬ hacken, Bedüngen, Beschneiden handthiert. — O könnt ihr ihnen jemals, wenn ihr sie vor¬ zeitig und mit unreifen Organen in das große Reich der Wahrheiten und Schönheiten hinein¬ treibt, gerade so wie wir alle leider mit dun¬ keln Sinnen in die schöne Natur einkriechen, und uns gegen sie abstumpfen, könnt ihr ih¬ nen mit irgend etwas das große Jahr vergü¬ ten, das sie erlebet hätten, wenn sie ausgewach¬ sen wie der erschaffne Adam, mit durstigen offnen Sinnen in dem herrlichen geistigen Universum sich hätten umherdrehen können? — Daher gleichen auch euere Eleven den Fu߬ pfaden so sehr, die im Frühling vor allem grü¬ nen, später aber sich gelb und eingetreten durch die blühenden Wiesen ziehen. — Wehrfriz erneuerte, da er schon auf der Wagentreppe das Gesicht in diesen kehrte, wie¬ der den Befehl der Aufsicht über den jungen Grafen und machte die Signatur, womit Kaufleute kostbare Waarenkisten der Post em¬ pfehlen, recht dick auf diesem: er liebte das Titan. I . J feurige Kind wie seines (er hatte nur eins, aber keinen Sohn); — der Ritter hatte Ver¬ trauen auf ihn, und, um dieses zu rechtfertigen, würd' er, da der Ehrenpunkt der Schwerpunkt und die Himmelsaxe aller seiner Bewegungen war, sich ohne Bedenken, wenn der Knabe z. B. den Hals gebrochen hätte, seinen abge¬ schnitten haben; — auch sollte Albano Abends vor dem neuen Lehrer aus der Stadt auffal¬ lend gut bestehen. Albine von Wehrfriz, die Gemahlin, ver¬ sprach alles hoch und theuer; sie konnte sich dem Evangelisten Markus und Johannes gleich setzen, weil ihr heftiger Mann die Gesellschafts- Thiere beider, die Thierkönige Löwe und Ad¬ ler, öfters repräsentirte, so wie sich manche andere Gattinn in Hinsicht ihrer Begleitung mit dem Lucas vergleichen mag und meine mit dem Matthäus. Bekanntlich wird diesem Evangelisten ein En¬ gel beigesellet. Sie hatte ohnehin auf Abends ein kleines Familienfest voll spielender buntgefärbter Ephemeren der Freude ausge¬ schrieben; und zum größten Glück war schon vor einigen Tagen das Diplom eingelaufen, das unsern Wehrfriz zum Landschaftsdirektor installirte, und das man als ein Pathenge¬ schenk des Geburtstages auf heute aufhob. Aber kaum fuhr Wehrfriz hinter dem Schloßgarten, so trat Alban mit seinem Pro¬ jekte hervor, und berichtete, er wolle den gan¬ zen Feiertag droben im einsamen Schießhäus¬ lein versitzen; denn er spielte gern allein, und ein elterlicher Gast war ihm lieber, als ein Spielknabe. Die Weiber gleichen dem Pater Lodoli, der (nach Lamberts Tagebuche) nichts so mied, als das Wörtchen Ja; wenigstens sagen sie es erst nach dem Nein. Die Pflege¬ mutter (ich will aber künftig bei ihr und der Pflege schwester Rabette das verdrießliche Pflege wegstreichen) sagte ohne Bedenken Nein, ob sie gleich wußte, daß sie noch keines gegen den Trotzkopf durchgesetzt. — Dann ent¬ lehnte sie sehr gute Dehortatorien vom Willen des Landschaftsdirektors, und hieß ihn beden¬ ken — dann schlug sich die rothbackige gutmei¬ nende Rabette zum Bruder, und bat mit, ohne zu wissen warum — dann betheuerte Albine J 2 wenigstens das Essen soll' er nur nicht auf den Berg nachgeliefert erwarten — dann marschirte er zum Hofe hinaus. . . . . So stand ich schon öfters dabei und sah zu, wie die weiblichen El¬ lenbogen und Knochen unter dem Wegstemmen allmählig vor meinen Augen Knorpel wurden und sich umbogen. Nur in Wehrfrizens Bei¬ sein halte Albine Kraft zum langen Nein. 12. Zykel. Unser Held war aus den kindischen Jah¬ ren, wo Herkules die Schlangen erdrückte, in die Gottestischfähigen getreten, wo er sie erwärmte unter der Weste, um sie in spätern wieder zu köpfen. Jubelnd schlugen draußen — sie flogen nebeneinander — sein neuer und sein alter Adam die Flügel auf unter einem blauen Himmel, der gar keinen Ankergrund hatte. Was kümmerte ihn die Mahlzeit? Alle Kinder tragen vor und unter einer Abreise kei¬ nen Magen unter ihren Flügeln, wie auch den Schmetterlingen jener einschrumpft, wenn ihnen diese aufgehen. Die oftgedachte Sennenhütte oder das Schieshäuslein war nichts geringers als ein Schieshaus mit einer Wachtstube für eine abgedankte Soldatenfrau, mit einem Schies¬ stand im untern Stock, und mit einem Som¬ merstübchen im obern, worin der alte Wehr¬ friz in jedem Sommer eine Landpartie und ein Vogelschießen haben wollte, es aber nie hatte, weil der arme Mann sich in der Arbeitsstube wie andere im Tafelzimmer, entmastete und ab¬ takelte. Denn obgleich der Staat seine Diener wie Hunde zum zehntenmal wieder herlockt, um sie blos zum eilften wieder abzuprügeln; und ob Wehrfriz gleich an jedem Landtage alle Staatsgeschäfte und Verdienste verschwur — weil ein redlicher Mann wie er, am Staats¬ körper überall so viel wie an denen antiken Statuen zu ergänzen findet, wovon nur noch die steinerne Drapperie geblieben —: so kannt' er doch kein weicheres Faul- und Lotterbette zum Ausruhen als eine noch höhere Ruderbank, und er strebte jetzt vor allen Dingen, Land¬ schaftsdirektor zu werden. Die deutschen Höfe werden das Ihrige da¬ bei denken, daß ich ihnen die folgende Knaben- Idylle anbiete. Mein schwarzäugiger Schäfer lief gegen die Bergfestung der Senne Sturm und erhielt von der Soldatenfrau die Thor¬ schlüssel zum weißgrünen Sommerkabinet. Beim Himmel! als alle östliche und westliche Fenster¬ laden und Fenster aufgestoßen waren und der Wind von Osten blätternd durch die Akten und kühlend durch den Stuben-Schwaden strich — und als außen Himmel- und Erde um die Fen¬ ster herumstanden und nickend hereinsahen — als Albano unter dem Fenster nach Osten das tiefe breite Thal mit dem steinigen springenden Bache beschauete, auf welchem alle Glimmer¬ scheiden, die die Sonne wie Steinchen schief anwarf, auf der Bergseite hinausfuhren — als er vor dem westlichen Fenster hinter Hü¬ geln und Wäldchen den Schwibbogen des Him¬ mels, den Berg von der Lindenstadt sah, der wie ein krummgeworfner Riese auf der Erde schlief — als er sich von einem Fenster zum an¬ dern setzte und sagte! „das ist sehr prächtig!“: so wurden seine Lustbarkeiten im Stübchen am Ende so glänzend, daß er hinausgieng, um sie draußen noch höher zu treiben. Die Göttinn des Friedens schien hier ihre Kirche und ihre Kirchstühle zu haben. — Die rüstige Soldatenfrau legte in einem hochstau¬ digen Gärtlein Früherbsen, und warf zuweilen einen Erdenkloß in den Kirschbaum unter die geflügelten Obstdiebe, und begoß wieder un¬ verdrossen die neue Leinwand und den ver¬ pflanzten Sallat, und lief doch willig zum klei¬ nen zehnjährigen Mädchen, das von Blattern erblindet, auf der Thürschwelle strickte, und nur bei gefallnen Maschen sie als Maschinen¬ göttinn berief. Albano stellte sich an den äus¬ sersten Balkon des sich lieblich-aufschließenden Thals, und jeder Windstoß bließ in seinem Herzen die alte kindische Sehnsucht an, daß er möchte fliegen können. Ach, welche Wonne, so sich aufzureißen von dem zurückziehenden Er¬ denfußblock, und sich frei und getragen in den weiten Aether zu werfen — und so im kühlen durchwehenden Luftbade auf und nieder plät¬ schernd, mitten am Tage in die dämmernde Wolke zu fliegen und ungesehen neben der Lerche, die unter ihr schmettert, zu schweben — oder dem Adler nachzurauschen, und im Flie¬ gen Städte nur wie figurirte Stufensammlun¬ gen, und lange Ströme nur wie graue zwi¬ schen ein paar Länder gezogne schlaffe Seile und Wiesen und Hügel nur in kleine Farben¬ körner und gefärbte Schatten eingekrochen zu sehen — und endlich auf eine Thurmspitze her¬ abzufallen, und sich der brennenden Abend¬ sonne gegenüberzustellen, und dann aufzuflie¬ gen, wenn sie versunken ist und noch einmal zu ihrem in der Gruft der Nacht hell und offen fortblickenden Auge niederzuschauen, und end¬ lich, wenn sich der Erdball darüber wirft, trun¬ ken in den Waldbrand aller rothen Wolken hineinzuflattern! . . . Woher kömmt es, daß diese körperlichen Flügel uns wie geistige heben? Woher hatte unser Albano diese unbezwingliche Sehnsucht nach Höhen, nach dem Weberschiffe des Schie¬ ferdeckers, nach Bergspitzen, nach dem Luft¬ schiffe, gleichsam als wären diese die Bettaufhel¬ fer vom tiefen Erdenlager? Ach du lieber Be¬ trogener! Deine noch von der Puppenhaut be¬ deckte Seele vermengt noch den Umkreis des Auges mit dem Umkreise des Herzens und die äußere Erhebung mit der innern, und steigt im physischen Himmel dem idealischen nach! — Denn dieselbe Kraft, die vor großen Gedan¬ ken unser Haupt und unsern Körper erhebt und die Brusthöle erweitert, richtet auch schon mit der dunkeln Sehnsucht nach Größe den Körper auf, und die Puppe schwillt von den Schwingen der Psyche, ja an demselben Bande, woran die Seele den Leib aufzieht, muß ja auch dieser jene heben können. — Wenigstens flog Albano zu Fuß den Berg hinab, um mit dem Bache fortzuwaten, der in die weißgrüne Birken-Holzung, sich abzuküh¬ len, floß. Schon öfters hatt' ihn seine Robin¬ sonaden-Sucht nach allen Strichen und Blät¬ tern der Windrose fortgeweht; und er gieng gern mit einer unbekannten Straße ein hüb¬ sches Stück Weg, um zu sehen, welchen sie sel¬ ber einschlage. Er lief am silbernen Ariadnens Faden des Baches tief ins grüne Labyrinth und wollte durchaus unter die Hinterthüre des langen Dickigts vor eine weite Perspektive ge¬ langen — er gelangte nicht darunter — die Birken wurden bald lichter bald düsterer, der Bach breiter — die Lerchen schienen draußen in hoher Ferne über ihm zu singen — aber er bestand auf seinem Kopf. Die Extreme hatten für ihn von jeher magnetische Polarität — wie die Mitte nur Indifferenzpunkte —, so war ihm z. B. außer dem höchsten Stande des Barome¬ ters keiner so lieb als der tiefste, und der kür¬ zeste Tag so willkommen als der längste, aber die Tage nach beiden fatal. Endlich nach dem Fortschritte einiger Stun¬ den in Zeit und Raum hört' er hinter den lich¬ tern Birken und hinter einem stärkern Rau¬ schen als des Baches, seinen Namen von zwei weiblichen Stimmen öfters leise und lobend nennen. Jetzt galloppirte er, gleichgültig ge¬ gen das Wogen der Lunge und des Lebens, keuchend wieder zurück — sein Name wurde lange darnach wieder um ihn genannt, aber schreiend — seine heimliche Schutzheilige, die Kastellaninn der Senne that seinetwegen diese Nothschüsse unten am Berge. Er kam hinauf und die runde Tafel der Erde lag hell und sonderbar-erweichend um sein durstiges Auge. Wahrhaftig die weite Ferne sammt der Müdigkeit mußte den Zugvogel hin¬ ter dem Sanggitter der Brust, an seine fernen Länder und Zeiten erinnern, und ihn damit wehmüthig machen, als so die mit rothen Dä¬ chern buntgefleckte Landschaft vor ihm ihre weißen leuchtenden Steine und Teiche wie Licht- Magnete und Sonnensplitter auslegte — als der lange graue Straßendamm nach Linden¬ stadt, deren Prospekte im Sommerstübchen hiengen und wovon zwei Thurmspitzen oben aus dem Gebirge keimten, vor ihm die fernen Wanderer hinauftrug in die für ihn geschlos¬ sene Stadt — und als ja alles nach Westen flog, die vorbeizischenden Tauben, die über die Saaten wogten, und die Wolkenschatten, die leicht über hohe Gärten wegliefen. . . . . Ach das jüngste Herz hat die Wogen des ältesten, nur ohne das Senkblei, das ihre Tiefe misset! — — Das gelehrte Deutschland macht sich, merk' ich, seit mehrern Zykeln, auf große Fata und Fatalitäten gefaßt, die diesem Sonnentage mei¬ nes Helden die nöthige Würde geben; ich, der sie am ersten wissen müßte, weiß gegenwärtig noch von keinen. Aus der Kindheit — ach aus jedem Alter — bleiben unserm Herzen oft Tage unvergänglich, die jedes andere verges¬ sen hätte; so gieng dieser nie aus Albano's seinem. Zuweilen wird ein kindlicher Tag auf einmal durch ein helleres Aufblicken des Be¬ wußtseyns verewigt; in Kindern, zumal sol¬ chen wie Zesara ist, dreht sich das geistige Auge weit früher und schärfer nach der Welt innerhalb der Brust als sie zeigen und wir denken. Jetzt schlugs Ein Uhr im Schloßthurme. Der geliebte nahe Ton, der ihn an seine nahe Pflegemutter — und an das versagte Essen erin¬ nerte — und der Anblick der kleinen Blinden, die schon ihren Holzzweig vom Brodbaum oder ihr dürres Rennthiermoos in Händen hatte — und der Gedanke, daß doch heute der Ge¬ burtstag des Pflegevaters sey — und die un¬ sägliche Liebe für seine gekränkte Mutter, der er oft plötzlich einsam an den Hals fiel — und sein von der Natur bethauetes Herz mach¬ ten, daß er zu weinen anfieng. Aber der Trotzkopf gieng darum nicht nach Hause; nur die Aelplerinn war ungeheißen fortgelaufen, um der suchenden Mutter den Flüchtling zu verrathen. Er wollte in dieser Mittagsstille der klei¬ nen blinden Lea, auf deren Gesicht ein sanftes weiches Zugwerk durch die Punktazion der Blattern leserlich durchlief einige Worte oder doch den langen Stecken, womit sie die Tau¬ ben von den Erbsen und die Spatzen von den Kirschen treiben mußte, mitarbeitend abgewin¬ nen; aber sie drückte schweigend den Arm fest auf die Augen blöde vor dem vornehmen jun¬ gen Herrn. Endlich brachte die Frau das Ge¬ richt für den verlohrnen Sohn und von Rabet¬ ten noch dazu ein Riechfläschchen voll Dessert- Wein. Albine von Wehrfriz gehörte unter die Weiber, die ungleich den Staaten, nur ihr Versprechen halten, aber keine Drohung — die den Nürnbergischen Forstämtern gleichen, welche auf den kleinsten Waldfrevel eine Strafe von 100 Fl. setzen und in derselben Stunde sie auf 100 Kreuzer moderiren An einen deutsch. Kammerpräsident, I . B. Seite 296. — die aber ihre Gesetze, wie Solon seine auf 100 Jahre, nach Verhältniß ihres kleinern Staats doch auf 100 Sekunden hinaus geben. 13. Zykel. Ich würde mehr aus Albano's Gedächtni߬ mahl machen, das er wie ein Erwachsener im Stübchen trenchiren und mit seiner Hausgenos¬ senschaft theilen und wozu er sich selber ein¬ schenken konnte, gieng' ich nicht wichtigern Be¬ gebnissen entgegen, die während dem Zurück¬ tragen des Tafelgeschirres vorfielen. Albano gieng hinaus, indem das ganze Meer seines Innern vom Wein und vom Vormittage phos¬ phoreszirend leuchtete, und der blaue Himmel flatterte heftiger wehend um ihn — er hatte das Gefühl als sey der Morgen schon seit lan¬ gem vorüber, und er erinnerte sich desselben mit weicher Regung, wie wir uns alle in der Ju¬ gend der Kindheit, im Alter der Jugend, sogar Abends des Morgens — und die Bilder der Natur rückten näher heran und bewegten ihre Augen wie katholische. So bringt uns die Gegenwart nur Bilder zu optischen Anamor¬ phosen und erst unser Geist ist der erhabne Spiegel, der sie in schöne Menschen-Formen umstellet. Mit welchem süßen Untertauchen in Träume that er, wenn er dem östlichen Wehen entgegengieng, die Augen zu, und zog das Getöse der Landschaft, das Schreien der Hähne und Vögel und eine Hirtenflöte gleichsam tie¬ fer in die verschattete Seele hinein! Und wenn er dann am Gestade des Berges die Augen wieder öffnete, so lagen friedlich drunten im Thale die geweideten weißen Lämmer neben dem Flötenisten und oben am Himmel lager¬ ten sich die glänzenden Lämmerwolken über sie hin! — Inzwischen mocht' ers einmal versehen und blind zu weit in das Gärtchen — die Blinde sah ohnehin nicht — tappen, die Arme offen voraushaltend, um sich nichts auszustoßen: — als an seiner Brust eine zweite anlag, und er aufsehend das bebende Mädchen so nahe an sich fand, das seitwärts abgebogen stammelte: ach nein, ach nein! — „Ich bins nur (sagte „der Unschuldige, sie fassend), ich thue dir ja „nichts“ — Und er hielt sie, als sie demüthig¬ furchtsam vertrauete, noch ein wenig fest und schauete auf den gebückten Kopf mit süßer Re¬ gung nieder. Herzlich gern hätt' er der Erschreckten Schmerzengelder und Benefiziate in dieser Ko¬ mödie für die Armen gegeben; er hatt' aber nichts bei sich, bis ihm zum Glück seine Schwe¬ ster Rabette — von welcher Bandagistin er irrig schloß, daß mehrere Mädchen des Teu¬ fels auf Bänder sind, und sie wie Taschenspie¬ ler verschlingen aber nicht wiedergeben — und sein neues Zopfband einfiel. Er spuhlte freu¬ dig das lange seidne Wickelband von seinem Kopf an ihren. Aber die liebliche Nachbar¬ schaft, das Flechtwerk eines feinern innern Ban¬ des, und die Süßigkeit zu geben, und das Vi¬ vace seines angebohrnen Übermaaßes machten, daß er ihr gern das Dresdner grüne Gewölbe in die Schürze gegossen hätte; als ein Schnur¬ jude mit seinem kleinern seidnen auf dem Ma¬ gen und mit einem Sack voll eingekaufter Haare auf dem Rücken die Pestizer Straße hin¬ zog. Der Jude ließ sich wohl herrufen, aber nichts ableihen, trotz allen ausgestellten Wech¬ seln auf Eltern und Taschengelder. Ach ein herrliches herrliches rothes Haubenband hätte Lea's blinden Augen so gut wie eine rothe Aderlaßbinde der Wunde gethan! Denn eine blinde Frau putzet sich so gern als eine sehende, sie müßte denn eitel seyn und mehr sich im Spiegel gefallen wollen, als andern außer demselben. Der Handelsmann ließ gern das Band von ihr befühlen und sagte, er handle auf den Dörfern Haare ein und gestern hätten ihm die Wirthskinder durch einen brennenden Schwamm seinen ganzen Sack voll Chignons in kurze Wolle verkrüm¬ melt und wenn ihm die junge Herrschaft ihr braunes Haar bis an das Genicke ablassen wolle, so solle sie das Band und einen noch sehr brauchbaren ledernen Zopf aus der Würz¬ burgischen Fabrik auf der Stelle dazu haben. — Was war zu thun? Das Band war sehr roth — Lea wars vor Hofnungen — der Jude sagte, er packe ein — der Haarzopf lief ohne¬ hin bisher wie ein zweites Rükgrat über das ganze erste hinab, und wurde für Alban durch das langweilige Einwindeln an jedem Morgen ein Sperrstrick und eine Trense seines Feuers — — Kurz der arme Rupfhase trat dem Juden Titan. I . K die königlich-fränkische Insignie ab und schnallte die würzburgische Scheide an. — Und nun schüttelte er ihre Hand recht derb auf und ab und sagte mit einem ganzen Para¬ dies voll liebender Freudigkeit auf dem Gesicht: „das Band ist dir wohl recht lieb, du armes „blindes Ding!“ Jetzt bestieg der unaufhör¬ liche Mäzen gar den Kirschbaum, um droben für Lea als ein lebendiger Popanz den Spa¬ tzen die Kirschen zu verleiden und ihr als ein Fruchtgott mehrere Paternoster und Frucht¬ schnüre von letztern herunterzuwerfen. Beim Himmel! droben unter den Herzkir¬ schen schienen ordentliche Wolfskirschen auf den Kopf des Knaben zu wirken; wie die Erde ihre finstern mittlern Mittelalter hatte, so haben oft Kinder finstere Mitteltage voll lauter Ka¬ puzinaden und Gikse. Auf den hohen Aesten schimmelten ihn die wachsende Landschaft und die auf die Berge niederfallende Sonne und be¬ sonders die Pestizer Thurmspitzen so himmlisch an, daß er sich jetzt nichts höheres denken konnte als die — Vogelstange neben ihm, und keinen glücklicher-thronenden Kron-Adler, als einen auf der Stange. . . . Aber nun bitt' ich sämmtliche Leserinnen entweder in das Schießhaus einzutreten oder sich mit der Soldatenfrau daraus — die fort¬ läuft und den Frevel der gnädigen Frau an¬ zeigt — mit wegzumachen, weil wenige von ih¬ nen es neben mir aushalten, daß unser Held, der Stammhalter des Titans , von einigen Pach¬ ters-Knechten — denen noch dazu Albine das Remarsch-Reglement seines eiligern Kommens mitgegeben — auf ein Queerholz, das unter¬ halb des Hakens der Vogelstange eingefuget ist, festgesetzet und, mit dem Unterleibe an diese angebunden und so in der Lust wagrecht lie¬ gend, allmälig durch den weiten Bogen aufge¬ hoben und mitten im luftigen Himmel aufge¬ stellet wird. — Es ist arg; aber die Knechte konnten den Bitten seiner mächtigen Augen, seinem malerischen Willen und Muthe und den angebotnen Recompensen und Krönungsmünzen, unmöglich widerstehen und dabei wog er ja nur halb so viel wie der letzte Vogel. Ich bin dir doch gut, Kleiner, trotz dei¬ K 2 nem starren zwischen Kopf und Herz gebauten Wagehals! Deine monströsen Barok - Perlen von Kräften wird die Zeit, wie im grünen Ge¬ wölbe Künstler physische Perlen, schon noch zum Bau einer schönen Figur verbrauchen! — Die Reichsgeschichte unsers Reichsadlers auf seinem Stativ, die sich zugleich über die Ereignisse ausbreitet, welche auf dem Berge vorfielen, als der Schachtelmagister und der Landschaftsdirektor zufällig zur besetzten Vo¬ gelstange kamen, soll ungesäumt gegeben werden, wenn wir den 14ten Zykel haben. — 14. Zykel . Der Magister Wehmeier, der sich von wei¬ tem die Gestalt und das Bewegen des Vogels nicht erklären konnte, hatte sich heraufgemacht und sah nun zur Kreuzeserhöhung des Zög¬ lings hinauf. Er stürzte anfangs ins Plon¬ gierbad des Eis-Schauders über die Kühn¬ heit, aber er stieg bald aus ihm heraus unter das Tropfbad des Angstschweißes, den an ihm der Gedanke ansetzte, in jeder Minute falle der Eleve herab und zerschelle in 26 Trüm¬ mer, wie Osiris, oder in 30 wie die medizei¬ sche Venus: „und das jetzt (dacht' er hinzu), „da ich den jungen Satan in Sprachen soweit „gebracht und einige Ehre an ihm erlebte.“ Daher filzte er nur die Hebemaschinisten, aber nicht den Hochwächter aus, weil zu besorgen war, unter dem Verantworten rutsch' er dro¬ ben aus. Den optischen Wagen, mit welchen der Teufel den im Angstkreise befestigten Ma¬ gister zu überrennen drohte, kam endlich ein wahrer nachgefahren, worin der künftige — Landschaftsdirektor saß. Ach lieber Gott! — Der Direktor schöpfte ohnehin allezeit beim Minister die ganze Gallenblase voll bitterer Extrakte ein, bloß weil er dort artigere und stillere Kinder vorfand, ohne doch zu beden¬ ken — wie hundert Väter, die hier mit ange¬ fahren werden müssen —, daß Kinder wie ihre Eltern sich Fremden besser präsentiren als sie sind und daß ihnen überhaupt das Stadtleben statt der höckerigen dicken Borke des Dorfle¬ bens die glatte weiße Birken-Folie überlege, indeß sie am Ende wie ihre Eltern und Hof¬ leute, nur gleich Kastanien an der Außenschaale abgeschliffen, innen aber verdammt borstig an¬ zufühlen sind. So gewiß werden den feinsten Mann vom Lande immer wenigstens Prinzen und Minister überlisten, die zehn Jahr alt sind, — gesetzt auch, er nehm' es leichter mit ihren Vätern auf. Als Wehrfriz seinen Pflegesohn auf dem Schreckhorne horsten sah, und den Schachtelma¬ gister unten, der hinaufschauete! so bildete er sich ein, der Instruktor hab' es veranstaltet; und fieng laut an, ihm aus dem zugesperrten Wagen einen kleinen Himmel voll Donner¬ wetter und Donnerschläge auf den Hals zu fluchen. Der verfolgte Wehmeier fieng auf dem Berge auch an, laut zum Schreckhorne hin¬ aufzuzanken, um dem Direktor darzuthun, daß er seines Amtes warte und mit dem Hammer des Gesetzes als mit einem bildenden Tiefham¬ mer so gut wie einer am Zögling schmiede. Die Soldatenfrau rang die Hände — die Knechte stellten sich zur Kreuzesabnehmung an — der arme glühende Kleine zog sein Messer und rief herab: „er schneide sich gleich los und „werfe sich hinab, sobald einer jetzt die Stange „niederlasse.“ Er hätt' es auch gethan — und sein Leben und meinen Titan frühzeitig ausgemacht — bloß weil er die Schande der väterlichen Real- Verbal-Injurien vor so vielen Leuten — ja im Wagen saß gar ein fremder Herr — ärger noch als Selbstmord und Hölle floh. Allein der Direktor, selber voll Tollkühnheit und doch voll Haß derselben am Kinde, ließ es darauf ankommen und rief entsetzlich nach dem Bedienten, der den Schlüs¬ sel zur Wagenthüre hatte; er wollte heraus und hinauf. Er war unbeschreiblich erboßet, erstlich weil er hinten dem Wagen einen Öster¬ leinschen Flügel als Angebinde des heutigen Freudentages aufgebunden — ach Albano, warum hören deine Freuden wie die Schleifer eines Bierfiedlers mit einem Mißtone auf? — und zweitens, weil er drinnen einen Sing¬ Tanz- Musik- und Fecht-Meister aus dem po¬ lirten glänzenden Ministers Hause für Albano neben sich auf dem Polster als Zuschauer der Debütrolle sitzen hatte. Gottlieb sprang vom Bocke vor die Wagenthüre, fuhr fluchend durch alle Taschen, der Wagenschlüssel war in keiner. Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬ kasten wie ein wedelnder Leopard und sein Grimm sprang, wie ein Löwe, den ein Jäger nach dem andern anschießet, gegen den dritten an. Alban sägte auf allen Fall im Stricke hin und her. Der Schachtelmagister war am be¬ sten dran; denn er war halbtodt und vernahm hinter seinem in saurem Angstschweiße geronnenen kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt, sein Ich war fest und gut wie Schnupftabak, in kühles Blei verpackt. — Ach mit dem geängstigten Knaben leid' ich stärker, als säß' ich mit auf der Stange; seinem rührend-edlen Angesichte mit der feinge¬ bogenen Nase wirft die westliche Aurora und die Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne hängt sich küssend an seine Wangen gleichsam an die letzten und höchsten Rosen der dunkeln Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen von der geliebten Sonne und von dem Tage, der noch auf ihr wohnt, und von den beiden Lindenstädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬ ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬ zeichneten und scharf-winklichten Augenlieder, welche Dian mit den zu heroischen und durch¬ greifenden am Christus-Kinde der aufsteigenden Madonna von Raphael verglich, bange auf den schwülen Zank des tiefen Bodens nieder¬ schlagen. Gottlieb trieb mit aller Mühe den Wagen¬ schlüssel nicht auf, denn er hatt' ihn in der Tasche und in der Hand und wollt' ihn aus Schonung für den jungen Herrn, den die ganze Dienerschaft so „freßlieb“ hatte wie den Ke¬ gelplatz, nicht gern herausgeben. Er votirte auf das Herholen des Schlossers, aber der Kutscher überstimmte ihn mit dem Rathe, lie¬ ber gleich vor die Werkstatt hinzufahren — und schnauzte die Pferde an — und fuhr den inhaftirten Kontroversprediger in seiner Kan¬ zel mit dem aufgepackten Österleinschen Flü¬ gel im Trabe davon. Das wenige was der Bombardeur unter Gottlieb's Aufsitzen noch aus dem Wagen werfen konnte, bestand darin, daß er ein Fenster einstieß und aus der Schieß- Scharte noch einige der nöthigsten nachbren¬ nenden Schüsse zum Unglücks-Vogel auf der Stange hinaufthat. Jetzt bekam der Magister seinen Muth und Aerger wieder und er gebot kühn das Her¬ unternehmen des Absaloms. Indem das Kind mit der Sitzstange vor ihm vorübersank, legte er die fünf Schneidezähne der Finger wie ein Rostral, in die Kopfhaut und rastrirte damit am Hinterkopfe herab, in der Absicht, die krumme Linie des Haars spielend dadurch zu rektifiziren, daß ers mit seiner Hand wie mit dem Frosch eines Fiedelbogens mäßig anzog, — als er zu seinem Erstarren meinem Helden den würzburgischen Zopf wie eine Schwanzfeder ausriß. Wehmeier besah staunend die cauda pren¬ densilis (den Wickelschwanz) und durch seine auf den kleinern Fehler gelenkte Aufmerksamkeit gewann Albano dabei soviel wie Alzibiades bei dem abgehackten Schweife seines — Robes¬ pierre. Der Magister dankte Gott, daß er heute nicht mit dem alten Wehrfriz soupiren durfte und schickte verblüfft ihn mit dem Vexier¬ zopfe nach Haus. 15. Zykel . Die gutherzige Albine hatte den ganzen Tag vor dem Ehegemahl allen brennenden Stoff (da die Vitriolnaphta seines Nervengei¬ stes schon von weitem Zornfeuer fieng) wegge¬ räumt, damit nichts ihre Lustschlösser in Brand¬ stätten der Freude umkehrte — ja als Vorstadt des abendlichen himmlischen Jerusalems hatte Rabette ein vorbeiziehendes Orchester aus Bergknappen ins Kabinet der Tafelstube ver¬ steckt — und für Albano hatte Albine schon eine heraldische Tracht ausgesonnen, worin er ihm die Vokazion der Landschaft überreichen sollte — ach was hatte aber; die Frau davon als Flammen, die der eintretende Wehrfriz auswarf, indeß er wie ein Kameel in seinem Magen noch einen kalten langen Wasserstrahl für das Anspritzen des Magisters aufhob? — Albine, die wie die meisten Weiber, das männliche Steinigen mit Gallensteinen für die 50 Pfd. Passirsteine nahm, die einem Passa¬ gier auf der Ehepost frei passiren, gab ihm anfangs, wie immer, heiter Recht und verbarg jede Zähre des Unmuths, weil kaltes Bespren¬ gen Männer und Sallat verhärtet — dann nahm sie das Recht stufenweise zurück — macht' aber den Tadel erst auf ihrer Zunge mild, wie die Wärterinnen das Waschwasser der Kinder im Munde lau machen — und sagte zuletzt, er solle das Kind nur ihr überlassen. Aber so schwillet uns unter der Hand der alte Wehrfriz zu einem apokalyptischen Dra¬ chen, zu einem Thiere von Gevaudan und Wüthriche auf; — und er ist doch nur ein Lamm mit zwei Hörnchen. — Hatt' er nicht an seinem Geburtsfeste im Karrenjahre seines fröhnenden Lebens einen Anspruch auf einen erleichterten Abend, wenigstens bei einem Kinde, das er stärker liebt als seines und für das er einen Flügel und Lehrer aufgeladen? Und hatt' er ihm — ob er gleich selber zuviel wagte und ausdauerte — es nicht hundertmal verbo¬ ten, ihm nachzuahmen und sich auf Pferde oder in Sturmwinde, in Platzregen und Schneegestöber zu setzen? — Und kam er nicht vom pädagogischen Knutenmeister, dem Mi¬ nister her dessen Erziehungsanstalt nur eine län¬ gere Realterrizion und kürzere Verdammniß war? Und macht nicht der Anblick strenger Eltern stren¬ ger, der Anblick milder hingegen nicht milder? — Albano begegnete zuerst Rabetten mit sei¬ ner ledernen Hinteraxe in der Hand, auf sei¬ nem trotzigen Wege zum Studirzimmer des Vaters und also zur Regimentsstrafe vom rech¬ ten Revoluzionstribunale. Aber sie fieng ihn von hinten mit dem englischen Gruße: bist du da Absalom? und setzte ihn gewaltsam nieder — und band ihm, nach dem nöthigen Erstau¬ nen und Erfragen die Hohl-Ader der Haare knapp und unsanft an — und zeigte ihm den Stoßwind des väterlichen Zorns im furchtbaren Lichte — und die Windstille des musikalischen Bergdepartements wieder im lächerlichen, das neben der Tafelstube, dieser Renn- und Wild¬ bahn des hin- und herlaufenden Direktors, pau¬ sirend Friedenszeiten abwarte — und entließ ihn mit einem Kusse, sagend: du dauerst mich, Schelm! — Er marschirte mit einem Trotze, den das spannende Haar verstärkte, ins Tafelzimmer. „Aus den Augen!“ sagte der funkelnde Sturm¬ läufer. Alban trat sofort aus der Thüre zurück, zornig über den ungerechten Zorn und eben darum weniger betrübt über den ungesunden, da sein Wohlthäter heftig an dem für den Geburtstag gedeckten Tische auf- und ablief und nach der alten Unart die fertig gebrannte Kalkgrube seines Zorns mit Wein ablöschte. Wenige Minuten nach ihm kam auch die musikalische Akademie und Knappschaft mißmu¬ thig und in brummende Kontrabassisten ver¬ wandelt, gegangen. Es war ihnen im trocknen Kabinet die Zeit lang geworden, daher hatten der Bassonist und der Violinist sich durch ein leises Stimmen unterhalten wollen. Der Di¬ rektor, der nicht begreifen konnte, was ihn immer für ein verlohrnes Getöne umfliege, nahms lange für melodisches Ohrenbrausen, als plötzlich der Hammermeister des Hackbrets sei¬ nen musikalischen Fäustel auf die besaitete Tenne fallen ließ. Wehrfriz riß den Augen¬ blick die Thüre auf und sah das ganze musika¬ lische Nest und Komplot bewaffnet vor sich im Zirkel sitzen und aufpassen; — er fragte sie hastig: „was sie im Kabinet zu suchen hätten“ und befahl sogleich nach einer flüchtigen Gabe der ganzen Besatzung ohne klingendes Spiel, mit ihren ledernen Tändelschürzen und culs de Paris abzuziehen. Albine winkte mit einem sanften Gesicht den geächteten Liebling ins Nähzimmer, wo sie ihn recht gelassen um die Wahrheit befragte, weil sie wußte, er lüge nie. Nach der Berichts¬ erstattung stellte sie ihm wenig seinen Fehler (wiewohl sie dem gegenwärtigen Kinde eben so gegen den abwesenden Mann Unrecht gab, wie vorhin dem gegenwärtigen Manne gegen das abwesende Kind) und mehr die Folgen vor — sie zeigte (dabei machte sie ihm das Halstuch auf und um und einige Westenknöpfe zu), wie sich ihr Mann vor dem mitgebrachten zweiten Schulkonsul mit 24 Faszibus, dem Mu¬ sik- und Tanz-Meister H. v. Falterle , der sich droben umkleide, in Albanos Seele schäme — wie der Tanzmeister es wohl gar an Don Gaspard schreiben werde — und wie ihrem gu¬ ten Manne der ganze süße bemalte Gelée- Apfel der heutigen Freude zu Wasser gemacht worden, und er sich gerade an einem solchen feierlichen Tage einsam härme, und vielleicht den Tod hole vom Trunke auf den Zorn. Die Weiber stimmen gewöhnlich wie Harfenisten, mit geringen Fußtritten die ganzen Töne der Wahrheit unter dem Spielen zu halben um. — Nachdem sie ihm noch die väterlichen Abendge¬ witter vorgerechnet, die er immer durch sein Reiten und durch seine Robinson'schen Entdek¬ kungsreisen über sich hergezogen und deren Schläge nur immer den Wetterableiter (sie sel¬ ber) zerschmolzen hätten: so setzte sie mit jener rührenden, nicht aus der knöchernen Kehle son¬ dern aus dem wallenden Herzen fließenden Stimme dazu: „ach Alban, du wirst einst an „deine Pflegemutter denken, aber zu spät“ und weinte recht sanft. Bisher waren in ihm die strengflüssigen Schlacken und der geschmolzene Theil seines Herzens nebeneinander aufgewallet und der warme Guß war höher und heißer im Busen emporgedrungen, nur das Gesicht war kalt und hart geblieben — denn gewisse Menschen haben gerade im Punkte der Zerfließung den Anschein und die Anlage der Verhärtung am meisten, wie der Schnee kurz vor dem Zer¬ schmelzen schmelzen gefriert — aber jetzt riß er sich durch das Ziehen am zu dicht angegürteten Zopfe, welches das verlegne Zeichen des nahen Durch¬ bruchs war, das würzburgische Anhängsel im Krampfe der Ergrimmung über sich heraus. Eh' Albine es sah, hatte sie ihm die Direkto¬ rats-Bestallung mit den Worten gereicht: „Kaum sollt' ich; aber brings ihm nur und „sage, es wäre mein Angebinde und du woll¬ „test künftig ganz anders seyn.“ — Allein da sie seine Hand bewaffnet sah, fragte sie erschrocken mit dem tiefen Nachklange einer verschmerzten Vergangenheit: „Alban?“ und kehrte sich sofort vom armen Kinde, dessen Schmerz sie mißverstand, mit zu bittern Thränen weg und sagte: „was ist denn das wieder? — „O wie quält ihr heute alle mein Herz! — Geh „fort!“ — „O komm her, (rief sie ihm nach) „und erzähl' die Umstände!“ Und als ers unschul¬ dig und wahr gethan hatte, so konnte ihre von Thränen überwältigte Stimme nicht mehr ta¬ deln, sondern nur milde sagen: „trage denn „das Angebinde hin!“ Dennoch hatte sie vor, beim Manne die Abbreviatur des Haars für Titan I . L einen Gehorsam gegen ihren Willen und ge¬ gen die Mode der vornehmen Stadtkinder auszugeben. — Alban gieng, aber auf dem harten Wege zersprangen die gefüllten Thränendrüsen und das angehaltene Herz, und er trat mit fort¬ weinenden Augen vor den einsamen Pflegeva¬ ter, der den müden und sinnenden Kopf auf¬ stützte, und reichte ihm weit voraus das gro߬ gesiegelte Schreiben hin und konnte nur sagen: „das Angebinde“ und weiter nichts, und Fun¬ ken sprangen mit den Gewittertropfen aus den heißen Augen. Lege dich, Unschuldiger, leise an des Vaters aufgeknöpfte Brust und lasse dich von seiner Linken, indem er den Zauberkelch der Ehre mit der Rechten hält und sich aus ihm betrinkt, durchaus nicht wegstemmen! Die ab¬ treibende Hand wird endlich nur schlaff und ohne Schwere auf deinen nassen Feuerwangen und warmen Augen voll Buße zu pulsiren kom¬ men — dann wird der Alte das Dekret noch langsamer wieder überlesen, fast um den ersten Laut zu verschieben — dann wird er, wenn du unbeschreiblich-ungestüm seine Hand in dein küssendes Angesicht eindrückest, sich stellen als wach' er eben auf und wird salpeter-kalt sagen mit Schimmern der Augen: rufe die Mutter — und dann wird er, wenn du dein glühendes von Liebe zuckendes Gesicht unter den herübergefallnen Haaren gegen ihn auf¬ hebst und wenn diese sanft von deinen Kir¬ schenwangen zurückschlagen, seinem weglau¬ fenden Lieblinge ziemlich lange nachschauen und aus seinen Augen etwas wegstreifen, da¬ mit er die Adresse des Diploms so überlaufen könne wie er will. . . . . Sag' Albano, hab' ich recht gerathen? 16. Zykel. Jede Ehrensäule erhebt das Herz eines Mannes, den man daraufstellt, über den Bro¬ dem des Lebens, über die Hagelwolken der Drangsale, über den Frostnebel der Verdrie߬ lichkeit und über die brennbare Luft des — Zorns. Ich will das Zauberblatt einer günsti¬ gen Rezension einem knirschenden Währwolfe vorhalten: — sofort steht er als ein leckendes Lamm mit quirlendem Schwänzchen vor mir; L 2 und könnte eine Frau ihrem hitzigen Schrift¬ steller jedesmal ein kritisches Trompeterstückchen auf Famas Trompete vorblasen, er würde einem Engel und sie jenem Bierfiedler gleich, der im Bärenfange den Saul von Pez durch Tanzstücke besänftigte. Wehrfriz kam als ein neugebohrner Seraph Albinen entgegen und erzählte die Ehre. Ja um die Explosionen seines Aetna ihr abzubit¬ ten, sagte er nicht, wie sonst, nolo episcopari , er sagte nicht, eine unersteigliche Bergkette von Arbeiten setze sich jetzt um ihn fest — son¬ dern statt dieses verlegnen Zurückziehens der Hand vor dem ausschüttenden Fruchthorne des Glücks, statt dieser jungfräulichen Blödigkeit des Entzückens, die Gattinnen gemeiner ist, legt' er die Herzhaftigkeit einer Wittwe an den Tag und sagte Albinen, ihre Wünsche des heutigen Morgens wären schon zu Gaben geworden —, und fragte, wo denn der versprochene Abend¬ schmaus und die Leute und der Magister und der Tanzmeister, den jener gar noch nicht gese¬ hen hätte, und Rabette und alles steckte? — Aber Albine hatte dem Magister schon längst durch Albano die Einladung und das Verziehen aller Gewitter und des neuen Kom¬ mis Ankunft sagen lassen. Wehmeier aß eigent¬ lich mit dem größten Widerwillen bei einem Edelmanne, bloß weil er wie ein speisender Ak¬ teur des Tisches mit Reden, savoir vivre , Auf¬ passen, Halten aller Gliedmaßen und Spedi¬ ren aller Eßwaaren so viel zu thun hatte, daß er aus Mangel an Muße kleine Dinge — z. B. Essiggurken, Kastanien, Krebsschwänze — bloß im Ganzen und ohne Geschmack ver¬ schluckte, so daß er nachher das Hartfutter wie einen verschlungnen Jonas oft drei Tage in der Waidtasche seines Magens herumtragen mußte. Allein diesesmal zog er sich gern zum Essen an, weil er auf seinen pädagogischen Nebenmann neugierig und ungehalten war, und das aus Angst, der neue Mitpäch¬ ter gebe vielleicht die herrliche Wintersaat in Albans besäetem Lande für seine eigne Sommersaat aus. Er schrieb seiner abbre¬ virten Lehrmethode alle Wunderkräfte seines Lehrlings, d. h. dem Boden aus Wasser den aromatischen Geist der Pflanze zu, die darin wuchs. Denn Boyle fand in seinen Versuchen, daß Ranunkeln, Münze ꝛc., die er im Wasser gro߬ wachsen lassen, die gewöhnlichen aromatischen Kräfte entwickelten. Mit größerer nachsichtiger Liebe kam er, den halbierten Liebling eigenhändig führend, vor Rabettens Kabinet in einem saftgrünen Flaus mit dreiblättrigem Kragen an. — — „Herr von Falterle hier — (sagte bei seinem „Eintritt Rabette, nicht aus Neckerei, sondern „aus Unbesonnenheit —) meinten vorhin, Sie „wärens als der Hund hereinwollte.“ — „Mein Herr, (versetzte kalt und ernst der Pa¬ „radeur von Falterle neben unserm Ackergaule) „der Hund kratzte an der Thüre — aber sowol „bei dem Minister als in allen großen Häu¬ „sern in Paris kratzet jedermann mit dem Fin¬ „gernagel, wenn er bloß in ein Kabinet und „in kein großes Zimmer will.“ — — Welcher herrliche malerische Abstand beider Amtsbrüder! Der Exerzitienmeister mit der bun¬ ten Flughaut oder Rückenschürze eines gelben Sommerkleidchens gleichsam mit den gelben Oberflügeln eines Buttervogels, dessen dunkle Unterflügel das Gillet (wenn ers aufknöpft) vorstellen; — Wehmeier aber im geräumigen saftgrünen Flause hängend, den ein Zeltschnei¬ der um ihn gespannt zu haben scheint, und mit Unterleib und Schenkeln in der schwarz¬ sammtnen Halbtrauer der Kandidaten pulsi¬ rend, die sie anlegen, ehe sie sich zur ganzen verkohlen — Falterle hat sein Glatteis von Bein¬ kleidern plattirt um die Beine gegossen und jede Falte in diesen bricht sich in seinem Ge¬ sichte zu einer, als wäre dieses das Unterfut¬ ter von jenen; indeß an den Schenkeln des Schachtelmagisters die Wendeltreppe seiner Wickel-Modesten Modesten wollen einige statt der Beinkleider hören. aufläuft — jener in Brautschuhen, dieser in Pumpenstiefeln — je¬ ner schnalzt als eine weiche schleimige Gold¬ schleie empor mit den Bauchfloßfedern des Ja¬ bots, mit den Seitenfloßfedern der Manschet¬ ten und mit den Schwanzfloßfedern des an drei Hermelin-Schwänzchen hängenden trino¬ mischen Würzelchens oder Zöpfleins; der Magi¬ ster sieht in seinem grünen Flause bloß wie der grüne Schnäpel (Weißfisch) oder die Kaul¬ quappe aus — herrlicher Abstich, wieder¬ hol' ich! — Der Schnäpel hätte die Schleie gern ge¬ fressen, als der Goldfisch mit dem rechten Arme Rabetten und mit dem linken Albano zum Essen vorausführte. Aber jetzt wurd' es viel ärger. Alban hatte mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit die Serviette zuerst offen; die nun gleichsam das Antrittsprogramm und Dokima¬ stikum von Falterle's Lehrart wurde; „ pose¬ „ ment, Monsieur (sagt' er zum Novizen) il est „ messéant de déplier la serviette avant que les „ autres ayent dépliér les leurs. Gemach, es ist unschicklich, wenn man seine Serviette früher aufmacht als andre Leute. “ Nach einigen Minuten gedachte Alban seine Suppe — es war eine à la Brittannière mit Locken — kalt zu blasen: „ il est messéant, Monsieur (sagte der Exerzi¬ „zienmeister) de soufler sa soupe Es ist unschicklich, wenn man auf seine Suppe bläset. .“ Der Schachtelmagister, der schon mit dem Gebläse seiner Brust zu einem Zugwinde für einen Löf¬ fel voll Locken angesetzt hatte, schnappte er¬ schrocken mit einer Windstille ab. AIs nachher eine farschirte Weißkohlbombe wie eine Zentralsonne auf das Tischtuch nie¬ derfiel: schlang der Magister den brennenden Kalbfleisch-Farsch kühn hinein wie ein Taschen¬ spieler oder Vogel Strauß glimmende Kohlen und athmete mehr ein- als auswärts. Nach der Bombe kam ein Hecht au four herein, dem bekanntlich der Wegschnitt des Kop¬ fes und Schwanzes und die Verschlossenheit des Bauchs die Gestalt eines Rehzimmers schenken. Als Alban seinen alten Lehrer fragte, was es wäre, versetzte solcher: ein delikater Rehzim¬ mer. — „ Pardonnés, Monsieur (sagte der Ge¬ „genzüngler) — c'est du brochet au four, mon „ cher comte — mais il est messéant de de¬ „ mander le nom de quelque mets qu'il soit — „ on feint de le savoir Um Verzeihung, es ist Hecht au four ; aber es ist unschicklich, nach dem Namen einer Schüs¬ sel zu fragen — man thut als wisse man ihn schon. .“ Es ist leicht zu zeigen, daß dieser Kern¬ schuß aus einer Doppelbüchse dem Magister durch Mark und Bein, durchfuhr; die Passions- Instrumente, die im weggeschnittenen Kopfe des Hechts au four wie in einer Gewehrkam¬ mer lagen, arbeiteten in seinem weiter. Wie die meisten Schullehrer, glaubt' er so lange die feinste Lebensart zu haben als er sie dozirte und die gröbste bekriegte — eben so lange schätzt' er sie ungemein, so wie den Putz —: wurd' er aber in beiden besiegt, so mußt' er sie von Herzen verachten. Es bracht' ihn wie¬ der auf die Beine, daß er den Exerzizienmei¬ ster im Stillen bei sich gegen beide Kato's und die homerischen Heroen hielt, die nicht viel besser aßen wie Schweine und daß er so den Wiener an einen Schandpfahl anband und ihn daran mit der einen Hand wacker drasch, in¬ deß er mit der andern über ihm die Schand¬ glocke läutete. Ja er stellte sich, um den Amts¬ bruder klein zu machen, auf einen fernen Irr¬ stern und sah herunter auf die Bombe und auf den Hecht au four und mußte droben auf seinem Planeten sehr herablachen, als er den gelb¬ seidnen Ladenhüter der Natur mit dem Wrak von Gehirn nicht größer befand als einen Klei¬ steraal. Dann dauerte ihn der verlaßne Zög¬ ling und er fiel wieder herunter und schwur unterweges, aus ihm jeden Tag so viel auszu¬ jäten als jener einharke. Wir werden es noch bald genug erfahren wie Alban's Nerven auf dieser Drechselbank unter den Schlichthobeln zuckten. Den Direk¬ tor labte dieses pädagogische Schneiden und Brillantiren eines so großen Demants unbe¬ schreiblich, wiewohl der Schnitt (nach Jeffe¬ ries) allen Demanten die halbe Schwere nimmt, und wiewohl er selber noch die ganze hatte und mehrere Karats als Facetten. Wehrfriz konnte nie eher rein vergeben — worauf er jetzt hinarbeitete, weil er dem Kleinen den Österleinschen Flügel mitgebracht — als bis er wenigstens mit Einem Worte eine kurze Marter angethan; er theilte also — blind gegen Alba¬ no's verhülltes blutiges Büßen —, den Gästen mit, wie strenge der Minister seine Kinder er¬ ziehe, wie sie z. B. für unwillkührliches Husten und Lachen an der Tafel, gleich preußischen Kavalleristen, welche stürzen oder im Winde den Huth verlieren, Strafen bekommen und wie sie freilich so alt wären wie Albano, aber völlig so gesittet wie Erwachsene. Beim Minister hatt' er heute umgekehrt mit den Kenntnissen des Pflegesohns geprunkt; aber manche El¬ tern erbauen in jedem fremden Zimmer Rauch¬ opferaltäre für dasselbe Kind, daß sie im eig¬ nen wie Wein und Bienen schwefeln. Der Henker hol' es überhaupt, daß sie wie Landesväter, gerade dann verdoppelte Forderun¬ gen machen, wenn die Kinder unmäßige befrie¬ digt haben, so daß diese durch opera superero ¬ gationis von majorennen Lernstunden die Spiel¬ stunden mehr verwirken als erringen. Hält man es nicht großen Philosophen z. B. Male¬ branche, und großen Feldherren z. B. Scipio, zu Gute, daß sie nach den größten Eroberun¬ gen, die sie im Reiche der Wahrheiten oder in einem geographischen gemacht, sich in die Kin¬ derstube setzten und da wahre Kindereien trie¬ ben, um den Bogen, womit sie so viele Lügen und Menschen zu Boden gelegt, sanft zurück¬ zuspannen? Und warum soll dieses Gleichniß, womit der H. Johannes sich vertheidigte, wenn er sich eine Spielstunde mit seinem zahmen Reb¬ huhne erlaubte, nicht Kinder entschuldigen, daß sie auch Kinder werden, wenn sie vorher den noch dünnen Bogen zu krumm angezogen haben? — Aber nun weiter! Der alte Wehrfriz refe¬ rirte Rabetten ganz freundlich, „wie er heute „die Pupille des Don Zesara die herrliche Grä¬ „ fin de Romeiro gesehen, wahrhaftig 12 Jahre „alt, aber von einer Conduite wie nur eine „Hofdame habe; und der H. Ritter erlebe „an seiner Mündel mehr Freude als sonst.“ Diese harten klirrenden Worte ritzten wie an einem Wasserscheuen, die offnen Nerven des ehrgeizigen Knaben, da für ihn der Ritter bis¬ her das Lebensziel, der ewige Wunsch und der frère terrible war, womit man ihn bezwang; — aber er saß still ohne Zeichen da und er¬ stickte das schreiende Herz. Wehrfriz kannte dieses stumme Verbeißen; gleichwohl handelte er so als hab' ihn Albano nicht verstanden. Nun fieng auch der Wiener an, in alle Ecken und Nischen des ministerialischen Vati¬ kans Leuchtkugeln zu werfen, bloß um seine Tanz- und Musikschüler darin und sich selber günstig zu beleuchten. Kann nicht die Tochter des Ministers, kaum zehn Jahre alt, alle neue Sprachen, und die Harmonika, die Albano noch nicht einmal gehöret, und schon vierhän¬ dige Sonaten von Kotzeluch und singt wie die Nachtigal schon in unbelaubten Aesten und zwar Opernauszüge, die ihre zarte Nachtigal¬ lenbrust aushöhlen, daher er fortgemußt? — Ja kann der Bruder nicht noch weit mehr und hat alle Lesebibliotheken ausgelesen, besonders die Theaterstücke, die er noch dazu auf Lieb¬ haberbühnen auch spielt? Und wird er nicht gerade in dieser Stunde im heutigen bal mas¬ qué seine Sache recht gut machen, wenn er anders da den Gegenstand antrifft, der ihn be¬ geistert? — Wehmeier that Unrecht, daß er unserm Juwelenkolibri Falterle gegenübersaß als eine Ohreule oder Vogelspinne, die bereit ist, den Kolibri jede Minute zu rupfen und zu fressen. Wahrlich Falterle sagte nichts aus Bosheit, er konnte niemand verachten und has¬ sen, weil seine geistigen Augen in seinem auf¬ geschwollenen Ich so tief saßen, daß er damit gar nicht über das geschwollene Ich heraus¬ schauen konnte, er verletzte keine Seele, und umflog die Leute nur wie ein stiller Schmet¬ terling, nicht wie eine stechende sumsende Bremse, und sog kein Blut sondern Honig (d. h. ein kleines Lob). — „Sollte sich wohl H. v. Falterle (sagte „Wehrfriz, der alsdann, sobald er nur diesen „kalten Wetterstrahl auf Albano herunterge¬ „than hatte, diesen nicht mehr fliehend und „kalt anschielen wollte) der junge Minister zu¬ „weilen auf eine Vogelstange setzen wie unser „Albano da?“ — Das war zu viel für dich ge¬ quältes Kind! „Nein!“ sagte Albano ehern und mit der Freundlichkeit eines Leichnams, welche Nachsterben bedeutet, und verließ mit einer optischen Wolke schweifender Farben den unter seinen stummen Zuckungen knackenden Sessel und gieng langsam mit eingeklemmten Fingern hinaus. Der arme junge Mensch hatte heute nach der anscheinenden Vergebung seines adamiti¬ schen Falles und nach dem Anblicke des ge¬ schmückten neuen Lehrers, auf den er sich schon so lange gefreuet und dessen gravirtes glänzen¬ des Gehäuse gerade auf ein Kind imponirend wirkte, die letzte Puppenhaut seines Innern abgeworfen und sich viel vorgesetzt. Irgend eine Hand riß vor einer Stunde seinen innern Menschen aus der engen schläfrigen Wiege der Kindheit auf — er sprang auf einmal aus dem Wärmkorbe — er warf Fallhut und Flügelkleid weit weg — er sah die weite toga virilis dort hängen und fuhr in sie hinein und sagte: kann ich denn nicht auch ein Jüngling seyn? — Ach du Lieber, der Mensch, besonders der rosenwangige, hält betrogen so leicht Bereuen für Bessern, Entschlüsse für Thaten, Blüthen für Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬ baums baums scheinbare Früchte sprießen, die nur die fleischigen Hüllen der Blüthen sind! — Und nun, indeß alle Nerven und Wurzeln seiner Seele nackt an der harten Luft bloßla¬ gen, — und bei so schönen frischen Trieben, wurd' er jetzt so oft beschämend zertreten. In seiner Seele glühte die Ehre — durch die künf¬ tigen Jahre wollte sie wie durch eine weiße Kolonade von Ehrensäulen gehen — schon ein bloßer Alumnus aus der Stadt war seiner ruhm- und wissens-durstigen Seele ein klassi¬ scher Autor — und sollt' ers erdulden, daß ihn bei dem Ritter der Direktor verklagte und der Wiener verzeichnete? — Harte Thränen wurden wie Funken aus der stolzen verletzten Seele geschlagen und den Kometenkern seiner innern Welt zertrieb die Gluth in einen schwü¬ len Nebel. Kurz er beschloß, in der Nacht nach Pestiz zu rennen — vor seinen Vater zu stürzen, ihm alles zu melden — und dann wie¬ der nach Hause zu gehen, ohne ein Wort da¬ von zu sagen. Am Ende des Dorfs fand er einen eiligen Nachtboten, den er nach dem Pe¬ Titan. I. M stizer Wege befragte und der sich wunderte über den kleinen Pilger ohne Hut. — — Man sehe mit mir vorher nach dem Neste der Tischgenossenschaft. Eben dieser Bote über¬ brachte dem Wiener eine böse Neuigkeit, die den so lange gelobten Ministers Sohn betraf, der Roquairol hieß. Die obengedachte Pupille des Ritters, die kleine Gräfinn von Romeiro war sehr schön; Kalte hießen sie einen Engel und Warme eine Göttinn. Roquairol hatte keine Belgische Venen, worin wie im Saturn alle Feuchtigkeiten als feste gefrorne Körper liegen, sondern afrikanische Arterien, worin wie im Merkur geschmol¬ zene Metalle umlaufen. Als die Gräfinn bei seiner Schwester war, versucht' er, mit der Keckheit vornehmer Knaben, sein mit einem Geäder von Zündstricken gefülltes Herz als einen guten Brander auf ihres zuzutreiben; aber sie stellte die Schwester als Feuermauer vor sich. Zum Unglück gieng sie zufällig als Werthers Lotte gekleidet, in die heutige Re¬ tude und die Pracht ihrer despotischen Reize wurde von lauter dunkel-glühenden Augen hin¬ ter Larven verschlungen und umblitzt; er nahm seine innere und äußere ab, drang an sie und forderte mit einiger Eile — weil sie abzureisen drohte —, und mit einiger Zuversicht — auf dem Liebhabertheater errungen —, und mit panto¬ mimischer Heftigkeit — womit er auf diesem immer die schönsten Nachtmusiken der klatschen¬ den Hände gewonnen —, nichts vor der Hand als Gegenliebe. Werthers Lotte kehrte ihm stolz den prangenden Rücken voll Locken, er lief außer sich nach Hause, nahm Werthers Anzug und Pistole und kam wieder. Dann trat er mit einem physiognomischen Orkan des Gesichts vor sie hin und sagte — das Gewehr vorzei¬ gend — er mache sich hier auf dem Saale todt, falls sie ihn verstoße. Sie sah ihn ein wenig zu vornehm an und fragte: was er wolle. Aber Werther — halb trunken von Lottens Reizen, von Werthers Leiden und von Punsch — drückte nach dem fünften oder sechsten Nein (an öffentliches Agiren schon gewöhnt) vor der ganzen Masquerade das Schießgewehr auf sich ab, lädirte aber glücklicher Weise nur M 2 das linke Ohrläppchen — so daß nichts mehr hineinzuhängen ist — und streifte den Seiten¬ kopf. Sie entfloh plötzlich und reisete sogleich ab und er fiel blutend darnieder und wurde heimgetragen. — — Diese Geschichte blies viele Lampen an Fal¬ terle's Ehrenpforte aus — und an Wehmeiers seiner an — ; aber sie setzte auf einmal Albinen in Angst über den eben so wilden Tollkopf Al¬ bano. Sie fragte nach ihm in der Domestiken¬ stube; und der Bote half ihr auf die Spur durch den Knaben ohne Hut. Sie eilte selber in ihrem gewöhnlichen Uebermaaße der Angst durch das Dorf hinaus. Ein guter Genius — der Hofhund Melak — war da der Musculus Antagonista und Schlagbaum des Flüchtlings geworden. Melak wollte nämlich mit; und Alban wollte einen dem Schloßhofe so bedien¬ ten und öfter als der Nachtwächter darin ab¬ rufenden Schirmvoigt und Küstenbewahrer wie¬ der heim haben. Melak war in seinen Sachen fest; er verlangte Gründe, nämlich nachgewor¬ fene Prügel und Steine — allein der weinende Knabe, dessen glühende Hände die kalte Schnauze des gutwilligen Viehes erfrischte, konnte ihm kein böses Wort geben, sondern er drehte bloß den wedelnden Hund um und sagte leise: fort! — Aber Melaken waren bloß laute Dekrete etwas; er kehrte immer wieder um; und in diesen Inversionen — während welchen in Albano's ohnehin immer auf dem Brocken¬ gebirge stehenden Geist, der im Nebel Riesen¬ formen ziehend wachsen sah, seine Thränen und jedes unverdiente Wort tiefer einbrannten, fand ihn die unschuldige Mutter. „Albano, sagte sie freundlich-verstellt, in „ der kalten Nachtluft bist du?“ — Von die¬ sem Nachgehen und Anreden der allein belei¬ digten Seele wurde seine volle, der eine Er¬ gießung es sey durch Thränen oder Galle nö¬ thig war, so sehr ergriffen, daß er mit einem gichterischen Reißen des überspannten Herzens an ihren Hals aufsprang und sich daran aufgelöst und weinend hieng. Er konnte ihren Fragen seinen harten Entschluß nicht gestehen, sondern drückte sich bloß stärker an ihr Herz. — Jetzt kam besorgt auch der bereuende Direktor nach, den die kindliche Stellung umschmolz und sagte: „närrischer Teufel, hab' ich es denn so böse „gemeint?“ und nahm zurückführend die kleine Hand. Wahrscheinlich war Albanos Zürnen durch die ergoßne Liebe erschöpft und durch den versöhnten Ehrgeiz befriedigt; folgsam und sogar — was sonderbar scheint — mit größe¬ rer Liebe gegen Wehrfriz als gegen Albine gieng er mit ihnen zurück und weinte unter¬ wegs bloß aus zarter Bewegung. Als er ins Zimmer trat, war sein Angesicht wie verklärt, obwohl ein wenig geschwollen, die Thränen hatten den Trotz verschwemmt und alle sanfte Schönheitslinien seines Herzens auf sein Gesicht gezogen, wie etwa der Regen die Himmelsblume, die in der Sonne nicht erscheint, in durchsichtigen zitternden Fäden zeigt. Er stellte sich aufmerkend an den Vater und behielt den ganzen Abend dessen Hand; und Albine genoß in der doppelten Liebe ein doppeltes Glück; und sogar auf den Gesichtern der Bedienten lagen zerstreute Stücke von dem dritten Nebenregenbogen des häuslichen Frie¬ dens, dem Bundeszeichen der verlaufenen Was¬ sersnoth. — Wahrlich, ich hab' oft den Wunsch ge¬ than — und nachher ein Gemälde daraus ge¬ macht —, ich möchte dabei stehen können bei allen Aussöhnungen in der Welt, weil uns keine Liebe so tief bewegt als die wieder¬ kehrende . Es müßte Unsterbliche rühren, wenn sie die beladnen, vom Schicksal und von der Schuld oft so weit auseinandergehaltnen Menschen sähen, wie sie gleich der Valisne¬ rie Die weibliche Valisnerie liegt zusammenge¬ rollt unten im Wasser, aus welchem sie mit der Blumenknospe aufsteht, um im Freien zu blühen; die männliche macht sich dann vom zu kurzen Stengel los und schwimmt mit ihrem trocknen Blütenstaube der erstern zu. — , sich vom sumpfigen Boden abreißen und aufsteigen in ein schöneres Element und wie sie nun in der freiern Höhe den Zwischenraum ih¬ rer Herzen überwinden und zusammenkommen. — Aber es muß auch Unsterbliche schmerzen, wenn sie uns unter dem schweren Gewitter des Lebens gegeneinander auf dem Schlacht¬ felde der Feindschaft ausgerückt erblicken, un¬ ter doppelten Schlägen, und so tödtlich getrof¬ fen vom fernen Schicksal und von der nahen Hand, die uns verbinden sollte! — Dritte Jobelperiode. Methoden der beiden Kunstgärtner in ihrer pädago¬ gischen Pelzschule — Schutzschrift für die Eitel¬ keit — Morgenroth der Freundschaft — Morgen¬ stern der Liebe. 17. Zykel. W enn wir beide Schulstuben aufmachen, so sehen wir den Schachtelmagister Vormittags über den zweidottrigen Eiern des Eleven sitzen und brüten, und den Exerzitienmeister Nach¬ mittags, so wie der Tauber das Nest in jener Tagszeit, die Taube in dieser hütet. — Wehmeier wollte nun so gut wie sein Ne¬ benrenner, sich mit ganz neuen Lehren des Zöglings bemeistern; aber neue für diesen wa¬ ren neue für ihn selber. Wie die meisten äl¬ tern Schullehrer wußt' er von der Sternkunde außer dem Wenigen, was im Buch Josua stand, und von der Naturkunde außer den we¬ nigen Irrthümern, die in seinen eher vergesse¬ nen als zerrissenen Heften standen, und von der Weltweisheit, außer der Gottschedianischen, für die aber ein reiferer Eleve gehörte, und von andern Realien genau gesprochen—nichts, aus¬ genommen etwas Historie. Kamen ihm zuweilen in seiner litterarischen Sarawüste, in welche ihn die quälende Schulstunden-Schraube ohne Ende und die Bettel- oder Kröpelfuhre eines mehr verschlackten als vererzten Lebens ohne Geld verwiesen hatten, neue Lehrmethoden oder neue Entdeckungen zu Ohren (zu Augen nie) : so merkt' er den Augenblick, daß es seine eignen wären, nur schwach abgeändert; und er ver¬ hielt niemand das Plagium. Ich bitte aber alle seidene und gepuderte und lockige Prinzen- Instruktoren von Herzen, verdenket meinem ar¬ men von den schweren dicken Erdlagen des Schicksals tief überbaueten Wehmeier seine un¬ terirrdische Optik und sein Krummstehen nicht zu sehr, sondern zählt seine acht Kinder und seine acht Schulstunden und seine nahen Funf¬ ziger in seiner Lebens-Höhle von Antiparos und entscheidet dann, ob der Mann damit wie¬ der herauskann ans Licht? — Aber von der Historie wußt' er wie gesagt doch etwas; und diese ergriff er als pädagogi¬ schen Diebsdaumen und Fortunatus Wünsch¬ hut. Hatt' er nicht schon mit jener epischen ausmalenden Paraphrase, womit er die kleinste Marktflecken-Historie so interessant und lügen¬ haft erzählte (denn woher will ein guter Er¬ zähler die 1000 kleinern aber nöthigen Züge nehmen als aus der Luft?), seinem Albano Hübner's biblische äußerst rührend vorgetra¬ gen? Und wer weinte dabei mehr, der Lehrer oder der Schüler? — Nun hatt' er drei historische Wege vor sich offen. Er konnte den geographischen ein¬ schlagen, der mit der elendesten Geschichte von der Welt anfängt, mit der Landesgeschichte. Aber bloß höchstens Britten und Gallier kön¬ nen die Geschichte wie eine epische und eine Erdbeschreibung von hinten anfangen; hinge¬ gen eine Haarhaarsche, eine Bayreuthische, eine Meklenburger Landesväter-Patristik giebt hoh¬ len Zähnen hohle Nüsse aufzubeißen, ohne Kern für Kopf und Herz. Und schwellet man nicht dadurch einen Holzzweig der Historie, auf welchen der Zufall der Geburt den jungen Borkenkäfer abgesetzt, unverhältnißmäßig zu einem Stammbaume derselben an? Und was fragt man z. B. in Berlin nach einer Mark¬ grafen-, oder in Hof nach der Hohenzollerischen- Regentenlinie? Die zweite Methode ist die chronologische oder die vornen anspannende; diese hebt vom Geburtstage der Welt an, die nach Petav und den Rabbinen den 22sten October Die vorhergehenden schönen Oktobertage so wie die Kanikularferien und der April und kurz der Vorrest des Jahres wurden am gedachten 22sten Oktober und dieser selber nach geschaffen. So lehn' ich leicht die Frage nach der Vorzeit ab. Denn datirt einer die Welt anders, z. B. vom 20sten März, wie Lipsius und die Patres tha¬ ten: so muß er immer zu meinem Nach¬ schaffen des Vorjahrs greifen, wenn ich ihm mit seiner eignen obigen Frage zu Leibe gehe. Vormit¬ tags auf die Welt kam, schreitet zum 28sten October, dem ersten Flegel- und Tölpel¬ tage des jungen Adams, dann über den 29sten, den ersten Sonn- Buß- und Karenztag hinweg und so fort bis zum Karenz- und Bußtage des neuesten Adamssöhnchens, das eben der Sache zuhorchen muß. Diese Milchstraße war unserm Magister zu lang, zu öde, zu fremd. Er schiffte die mittlere Straße zwischen den vorigen, die nach den reichen beiden Indien der Geschichte führt, nach Griechenland und Rom. Die Alten wirken mehr durch ihre Thaten als durch ihre Schriften auf uns, mehr auf das Herz wie auf den Geschmack; ein gefallenes Jahrhundert um das andere empfängt von ihnen die dop¬ pelte Geschichte als die zwei Sakramente und Gnadenmittel der moralischen Stärkung; und ihre Schriften, an welche ihre steinernen Kunst¬ werke jede Nachwelt heften, sind die ewige Bi¬ belanstalt gegen jeden Verfall der Kansteini¬ schen. Aber nun lasset uns an einem schönen Sommermorgen etlichemale vor der Rektorats¬ wohnung vorbeigehen und es außen mit anhö¬ ren, mit welcher Stimme der Magister drinnen obwohl in altväterischen Wendungen aus dem Plutarch — dem biographischen Shakespear der Weltgeschichte — nicht die Schattenwelt von Staaten sondern die darin glänzenden En¬ gel der Gemeine zitirt, die h. Familie großer Menschen, und werfet im Vorbeigehen einen Blick auf das funkelnde Auge, womit der be¬ geisterte Knabe an den moralischen Antiken hängt, die der Lehrer wie in einem Abgußsaale um ihn versammlet. O wenn so die großen Wetterwolken der heroischen Vergangenheit sich an Zesarens Seele, wie an ein Gebirge hien¬ gen und daran mit stillem Blitzen und Tropfen niedergiengen: wurde da nicht das ganze Ge¬ birge mit himmlischem Feuer geladen und al¬ les, was darauf grünte und keimte, befruchtet, erquickt und herausgetrieben? — Und konnt' er dann, so schön bewölkt, wohl in die tiefe Wirklichkeit schauen? Ja blieb es nicht dem Lehrer wie dem Schüler unter dem Marktge¬ töse des römischen und des athenischen Forums, wo sie im Gefolge Katos und Sokrates mit herumgiengen, völlig unbekannt, daß die rüstige Magisterin neben ihnen koche, bette, keife und scheuere? von den acht lärmenden Kindern ver¬ nahmen sie schon der Menge wegen nichts, denn nur Eine sausende Mücke hält man nicht ohne entsetzliche Anstrengung im Zimmer aus, leicht aber einen ganzen Schwarm. Eben so wurde die Schulstube, auf deren Boden nichts fehlte was man in Kanarien-Hekkasten zum Nestmachen wirft, Heu, Moos, Rehhaar, aus¬ gezauseter Flanell und fingerlanges Garn, bei¬ den durch den Fußboden der alten (geographi¬ schen und historischen) Welt zugedeckt, wel¬ cher, der römischen Paulskirche ihrem gleich, aus Marmortrümmern voll abgebrochener In¬ schriften besteht. 18. Zykel. Der Leser ist nun auf den Nachmittag, wo man den Eleven in die Polirmühle des Wie¬ ners schickt, begierig, wie er sich da schleifen lasse. Es muß ihn noch begieriger machen, wenn ich nachhole, daß Wehmeier, der wie an¬ dere Gelehrte dem Elephanten an Verstand und Plumpheit glich, nichts in der alten Geschichte lieber fand — und also abmalte—, als einen großen Mann, der wenig anhatte, wie z. B. Diogenes, oder der baarfuß gieng, wie Kato, oder unbalbirt wie die Philosophen; ja er fiel in die Mittelmark ein und holte sich Friedrichs II Kleider heraus, womit er soviel gewann als Mr . Pagé in Paris, und trug dessen Hemden wie des edlen Saladins seines und unter einerlei Ausrufungen, auf Stangen zur Schau und entwarf als ein zweiter Schei¬ ner die beste Karte, die wir von den Sonnen¬ flecken des Tabacks auf Friedrich haben. Dann nahm er diese nackten rauhen Kolossen und schlichtete sie sämmtlich in die eine Wagschaale auf, und in die andere warf er getäfelte leichte Figuren wie Falterle und die Nürnberger ge¬ leckten Kindergärtchen von neuern Höfen und ersuchte den Scholaren, acht zu geben, wohin das wägende Zünglein schlage. — — Ich bin hier nicht ganz auf deiner Seite, Magister, da kraftvolle Jünglinge ohnehin die Folie des Zeremonialgesetzes zu leicht zerreißen, und oft die Folienschläger, die Oberzeremonien¬ meister, dazu; für Schwache ist die Methode gut. Kam Kam nun Albano zum Exerzizienmeister: so konnt' er vor dem lauten Nachklange der vorigen Stunde — weil Kinder von einer ge¬ wissen Tiefe, wie Gebäude von einiger Größe ein Echo geben — das nur schwach verneh¬ men, was Falterle befahl, und nur, wenn er einige Tage ohne die historische Rührung blieb, wurd' er für die kleinern Lehrstunden weiter offen, wie vergoldete Sachen erst, wenn das Gold herunter ist, sich versilbern lassen. Das Unglück war noch, daß er seine Frohntänze gerade neben der Schreibstube des Direktors, der da in eignen Begriffen war, zu machen hatte. Es traf sich oft, daß Wehrfriz, wenn Alban so zerstreuet wie eine verliebte Moitistin, in der Anglaise aufmerkte, drinnen unter dem Diktiren schrie: ins drei Teufels Namen, chassir'! — Eben so viele Fälle würde man aufzählen können, wo der Mann, wenn der Musikmeister wie ein Trommelbaß mit ewigem Ermahnen zum Piano unter dem Adagio weg¬ lief, drinnen mit dem erdenklichsten Fortissimo rufen mußte: Pianissimo, Satan, Pianissimo! — Einigemale mußt' er von seinen Arbeiten Titan. I. N aufstehen, wenn in der Fechtstunde alles Zu¬ reden zur Quarte nichts half, und die Thür' aufmachen und ergrimmt zum Wiener sagen: „Um Gottes Willen, Herr, seyn Sie doch kein „Haase und stoßen Sie ihm derb aufs Leder, „wenn er nicht aufpaßt“ — worauf der höf¬ liche Fechtmeister nur leise zu Quartstößen an¬ frischte. — Gleichwohl lernt' er viel; in so frühen Jahren setzet man sich weder über den Putz, noch über die schönen Künste eines Falterle hinweg, der noch dazu mit dem zauberischen Vorzuge mächtig war in der verbotnen Haupt¬ stadt geglänzt und gelehrt zu haben. Bloß der laute Aufschritt und die Stiefel waren dem Zöglinge nicht zu nehmen; aber die Achseln waren im Kurzen wagrecht und der Kopf steil¬ recht gedrückt und die oszillirenden Finger sammt dem regen Körper mit einem Stahl¬ schen Augenhalter festgemacht. Ueberhaupt ha¬ ben Menschen mit einer liberalen Seele in einem schöngebauten Körper schon ohne Fal¬ terle's Spalierwand und Scheere einen gefälli¬ gen Stand und Wuchs. Dabei hatte er den niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬ ligen ersten Menschenliebe , womit ein Kinderherz sich an alle Leute des Hauses und des Dorfes anklammert, schon darum lieb, weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬ ger, ja innen um den Goldring selber aufwik¬ keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬ nen Vliesses wie von einem Könige sprach und log, und weil er die gefälligste Haut war, die je über die Erde lief. Da ich in meinen Biographien Duldung und eine vielseitige Gerechtigkeit gegen alle Karaktere lehren will: so muß ich hier mit meinem Muster der Toleranz vorangehen, in¬ dem ich von Falterle bemerke, daß seine arme dünne Seele sich selber nicht unter den steinernen Gesetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬ gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬ was an? Nicht einmal Damen, für welche er zwar gleich einem Kupferstecher, immer vor dem Spiegel arbeitete an seinem Ich, allein nur um mit diesem Kunstwerke, gleich andern Figuri¬ sten reine Schönheiten darzustellen , nicht N 2 aber solche zu verführen . Das Seewasser seines Lebens — denn er ist weder ein Millio¬ när noch eben der größte Gelehrte des Säkuls, ob er wohl bei vielen Bücherverleihern herum¬ gelesen, — süßet er sich durch das Schönheitswas¬ ser ab, worin er sich stündlich badet. Er säuft und frisset fast nichts; flucht und schwört er, so thut ers in fremden Sprachen wie der Päbstler darin betet, und schmeichelt wenigen außer sich. Der Eitle und noch mehr die Eitle has¬ sen Eitle viel zu stark, die doch mehr am Kopfe als am Willen siechen. Ich kann mich hier freudig auf jeden denkenden Leser berufen, ob er sich je, wenn er eben ungewöhnlich eitel einhertrat, tiefe Gewissensbisse oder Mißtöne im Ich verspürt zu haben entsinnt, welche doch niemals fehlten, wenn er sehr log oder zu hart war; er nahm vielmehr ein ungemein liebliches Schaukeln seines innern Menschen in der Pa¬ radewiege wahr. Daher wird ein Eitler so schwer wie ein Spieler kurirt. Aber auch noch darum: die meisten Sünden sind Kasualpredig¬ ten und Gelegenheitsgedichte und müssen häu¬ fig ausgesetzet werden, vom 3ten bis 10ten Gebote inclus . — Die Ehe, den Sabbath, das Wort kann man nicht zu jeder gegebenen Stunde brechen. — Verläumden kann einer so wenig als kegeln oder duelliren mit sich selber — viele beträchtliche Laster sind nur an der Ostermesse — oder am Neujahrstage — oder im Palais royal oder im Vatikan zu verüben — manche königliche, marggräfliche, fürstliche im ganzen Leben nur einmal — manche gar nicht, z. B. die Sünde gegen den h. Geist. — — Hingegen sich innerlich preisen und be¬ kränzen kann einer Tag und Nacht, Sommer und Winter, an jedem Orte, auf dem Katheder, im Prater, im Generalszelte, hinten auf der Schlittenpritsche, auf dem Fürstenstuhle, in ganz Deutschland, z.B. in Weimar. Wie? und diese perennirende Balsamstaude, die den innern Menschen immerwährend anräuchert, sollte man sich ausziehen oder beschneiden lassen? — — 19. Zykel. Alle diese Geschäfte und Dornen waren für Albano recht gute spitze Erdbeben-Ableiter, da in seiner Brust schon mehr unterirrdische Ge¬ wittermaterie umherzog als zum Zersprengen der dünnen Brusthöhle eines Menschen nöthig ist. Nun kam er immer tiefer in die wilden Donnermonate des Lebens. Die Sehnsucht, Don Zesara zu sehen, entflammte sich an der römischen Geschichte mehr, welche Zäsars kolos¬ salisches Bild vor ihm in die Höhe stellte und darunter schrieb: Zesara. Die verhüllte Lindenstadt wurde von seiner Phantasie auf sie¬ ben Hügeln getragen und zum Rom erhoben. Ein Posthorn schallte in sein Innerstes wie ein Schweizer Kuhreigen, der alle Höhen unserer Wünsche in langen Bergketten glänzend, in den Aether hinausbauet; und es blies ihm das Zei¬ chen zum Aufbruch und alle Städte der Erde la¬ gen mit offnen Thoren und mit breiten Fuhrstra¬ ßen um ihn herum. Und wenn er ja in jener Zeit an einem kalten hellen Sommermorgen neben einem nach Pestiz gehenden Regimente so lange metrisch mitzog, als die Trommeln und die Pfeifen lärmten: so feierte seine Seele ein Händelsches Alexandersfest — sie hörte die Vergangenheit — das Fahren der Triumphwa¬ gen — das Gehen der spartischen Heere und ihre Flöten — und die helle Trompete der Fama — und wie unter den letzten Posaunen erstand seine Seele unter lauter glänzenden Todten aus der aufgeriegelten Erde und zog mit ihnen weiter. — — Wenn die Geschichte einen edlen Jüngling in die Ebene von Marathon und auf das Ka¬ pitolium führt: so will er an seiner Seite einen Freund, einen Waffenbruder haben — aber auch weiter nichts, keine Waffenschwester; denn einem Heros schadet eine Heroine sehr. In den starken Jüngling zieht die Freundschaft eher als die Liebe ein; jene erscheint wie die Lerche im Vorfrühlinge des Lebens und geht erst im späten Herbste fort; diese kömmt und fliehet wie die Wachtel, mit der warmen Zeit. Albano hörte schon diese Lerche unsichtbar in den Lüften über ihm schmettern; er fand einen Freund, nicht in Blumenbühl, nicht in der Lindenstadt, an keinem Orte, sondern in seiner — Brust; aber diesen hieß er — Roquairol. Die Sache war diese: für Leute, wie ich, ist das Landleben der Honig, worin sie die Pille des Stadtlebens einnehmen; Falterle hin¬ gegen brachte das bittre Landleben nicht ohne die Versilberung des Stadtlebens hinunter; wöchentlich lief er dreimal nach Pestiz, entwe¬ der in die Logen der Liebhabertheater als Dra¬ maturg oder auf diese selber als Akteur. Nun nahm er jedesmal sein Rollenbüchlein aufs Dorf hinaus und studirte da — im Vertrauen auf die Komödienprobe — seine Rolle insula¬ risch ohne die kollegialischen ein; so wie noch jeder Staatsdiener seine ohne einen Blick in die mitspielenden memorirt; daher jeder von uns nur aus Einer Seelenkraft besteht, und, wie in der russischen Jagdmusik, nur Einen Ton zu pfeifen weiß und seine Stärke ins Pausiren setzen muß. — In diesen von Falterle geliehe¬ nen Bruchstücken der Bühne gieng nun Albano mit einem Entzücken herum, das jener bald höher zu treiben suchte, durch den Tausch der ganzen dramatischen Weltgloben gegen diese Kugelsektoren. Der Wiener hatt' ihm längst den selbst¬ mörderischen Wildfang Roquairol als ein Ge¬ nie im Lernen — besonders sich als eines im Lehren — vorgelobt; jetzt führt' er den Be¬ weis aus den großen Rollen, die der Wildfang immer gut spiele, Uebrigens war es nicht seine Schuld, daß er den Ministers Sohn nicht un¬ gemein heruntersetzte, dem er nicht nur die theatralischen Siege beneidete, sondern auch die erotischen. Denn der phantasiereiche Ro¬ quairol hatte mit dem Selbstschusse des 13ten Jahres das ganze weibliche Geschlecht salutirt und gewonnen und sich zum Opferpriester aus einem Opferthiere gemacht und zum Regisseur des ans Liebhabertheater gestoßenen Liebhabe¬ rinnentheater, indeß der scheue blöde Falterle mit seiner todtgebohrnen Phantasie keine Schöne zu einem andern Schritte brachte, als zum Rückpas im Menuet, und statt der Setzung seines Ichs zu nichts als zur Fingersetzung. Aber der Eitle kann andern kein Lob versagen, das sein eignes wird. Wie mußte das alles unsern Freund für einen Jüngling gewinnen, den er bald als Karl Moor — bald als Hamlet — als Kla¬ vigo — als Egmont durch seine Seele gehen sah! — Was den bekannten Retudenschuß in frühern Jobelperioden anlangt, so mußte unser so unerfahrner Herkules, den der blanke Dolch des Kato blendete, einem so verwandten Hera¬ kliden den Schuß als eine seiner tragischen 12 Arbeiten anrechnen. — Der Lehnprobst Ha¬ fenreffer erzählt sogar, Albano habe einmal mit dem Wiener, der längst aus einem Schul¬ lehrer zu einem Schulkameraden herunter war, über die schönsten Todesarten gestritten und sey gegen den sanften Falterle, der sich für den Schlaftrunk erklärte, auf Roquairols Seite ge¬ treten, sogar mit dem stärkern Zusatze: „am „liebsten stieg' er auf einen Thurm und zöge „den Wetterstrahl auf seinen Kopf!“ — Im letztern zeigt er das hohe Gefühl der Alten, die den Donnertod für keine Verdammniß, sondern für eine Vergötterung hielten; sollt' aber nicht der Körper etwas dabei thun, da seine Ellen¬ bogen und seine Haare oft im Finstern elektri¬ sches Feuer aussprühen und sein Kopf in der Wiege mehrmals einen heiligen Zirkel aus¬ strahlt? Der Lehnprobst ist sehr dafür. — — Albano konnte sein feuriges Herz am Ende nicht anders kühlen als daß er Papier nahm und an den Unsichtbaren schrieb und es dem Wiener zu bestellen gab. Falterle, der die Ge¬ fälligkeit selber war — und dabei auch die Unwahrheit selber —, nahm trotz seiner Abnei¬ gung gegen Roquairol die Briefe herzlich gern mit, — „ich bin beim Minister ja wie zu „Hause“ sagt' er —, bestellte aber, da er so¬ wohl im stolzen Froulayschen Pallaste als bei dem Sohne wenig galt, keinen einzigen und brachte bloß jedesmal eine neue gültige Ursache mit, warum Roquairol nicht darauf antworten können; er war entweder zu sehr in der Arbeit oder auf dem Krankenstuhle — oder in Gesell¬ schaft — jedesmal aber entzückt darüber gewe¬ sen; — und unser argloser Jüngling glaubte alles fest und schrieb und hoffte fort. Vom Legazionsrathe wär' es brav gewesen, wenn er mich, falls er anders konnte, sich verbindlich gemacht und mir Albanos Palm-Blätter eines liebenden Herzens eingeliefert hätte; nicht für das Archiv dieses Buchs, sondern bloß für meine Manualakten, für den Blumenblätterka¬ talog, den ich mir zu eignem Gebrauche von Albano's Nelkenflore hefte und leime. — 20. Zykel. Plötzlich wurde unser Zesara, der in die Jahre trat, wo der Gesang der Dichter und der Nachtigallen tiefer in die aufgeweichte Seele quillt, ein anderer Mensch. Er wurde stiller und wilder zugleich, sanfter und aufbrausen¬ der, wie er denn einmal einem unter Prügeln schreienden Hunde im wildesten Harnische zu Hülfe lief — Himmel und Erde, die bisher in ihm wie nach dem ägyptischen Systeme, in ein¬ ander gelegen, nämlich das Ideal und die Wirklichkeit, arbeiteten sich voneinander los und der Himmel stieg rein und hoch und glän¬ zend zurück — über die innere Welt gieng eine Sonne auf und über die äußere ein Mond, aber beide Welten und Halbkugeln zogen sich zu einer ganzen an — sein Aufschritt wurde langsamer, sein helles Auge träumerisch, seine Athleten-Gymnastik seltener — er mußte jetzt alle Menschen wärmer lieben und sie näher fühlen, und er fiel oft seiner Pflegemutter mit geschlossenen Augen zitternd um den Hals oder nahm draußen im Freien von dem verreisenden Pflegevater einen einsamern und heißern Ab¬ schied. — Und nun wurde vor solchen reinen und scharfen Augen der Ifis-Schleier der Natur durchsichtig und eine lebendige Göttin blickte mit seelenvollen Zügen darunter in sein Herz. Ach als wenn er seine Mutter fände, so fand er jetzt die Natur — jetzt erst wußt' er, was der Frühling sey und der Mond und das Mor¬ genroth und die Sternennacht. . . . . Ach wir haben es alle einmal gewußt, wir wurden alle einmal von der Morgenröthe des Lebens ge¬ färbt! . . . . O warum achten wir nicht alle ersten Regungen der menschlichen Natur für heilig, als Erstlinge für den göttlichen Altar? Es giebt ja nichts Reineres und Wärmeres als unsere erste Freundschaft, unsere erste Liebe, un¬ ser erstes Streben nach Wahrheiten, unser er¬ stes Gefühl für die Natur; wie Adam, werden wir erst aus Unsterblichen Sterbliche; wie Ägypter werden wir früher von Göttern als Menschen regiert; — und das Ideal eilet der Wirklichkeit wie bei einigen Bäumen, die wei¬ chen Blüthen den breiten rohen Blättern vor, damit nicht diese sich vor das Stäuben und Befruchten jener stellen. — Wenn oft Albano von seinen innern und äußern Irrgängen nach Hause kam, zugleich trunken und durstig — zugleich mit geschlos¬ senen Sinnen und mit geschärften , träu¬ mend aber wie Schläfer, die das Auslöschen des Lichts herber empfinden —: so braucht' es freilich wenige kalte Tropfen von kalten Worten, damit die heiße in Fluß gebrachte Seele von den fremden kalten Körpern in Zick¬ zack und Klumpen zerschoß, indeß eine warme Form den Guß zur lieblichsten Gestalt gerün¬ det hätte. — Bei so bewandten Umständen wird sich frei¬ lich keiner wundern über das, was ich bald berichten werde. Der Tanz- Musik- und Fecht- Meister, der wenig auf seine Pas, Griffe und Stöße großthat, aber destomehr auf seine (Reichstags-) Litteratur — denn die neuen Monatsnamen, die Klopstocksche Rechtschrei¬ bung und die lateinischen Lettern in deutschen Briefen hatt' er früher in seinen als einer von uns — wollte dem Wehrfrizischen Hause gern zeigen, daß er ein wenig mehr von Litteratur verstehe und da wisse wo der Haase liegt, als andere Wiener (um so mehr, da er gar nichts las, nicht einmal politische Zeitungen und Ro¬ mane, weil ihm lebendige wahre Menschen lie¬ ber waren); — er trat daher nie ins Haus, ohne zwei Taschen voll Romane und Verse für Ra¬ bette und Albano. Dazu half seine unendliche Dienstbeflissenheit — und sein kollegialisches Wettrennen mit Wehmeier im Bilden — und sein Antheilnehmen am verstummenden Jüng¬ linge, dem er aus den süßen Träumen , die der Rubin Man glaubte sonst, daß ein Rubin ange¬ nehme Träume gebe. des glänzenden jugendlichen Le¬ bens schenkt, mit den exegetischen Traumbü¬ chern , den Dichterwerken helfen wollte. Die Umwälzung des Jünglings, der nun ganze romantische Everdingens Wiesen abmähete und ganze poetische Huysums Blumenrabatten ab¬ pflückte, auch nur leidlich zu schildern, hab' ich jetzt wegen der oben versprochnen Wundersache weder Zeit noch Lust; genug, daß Albano, so dasitzend — der Himmel der Dichtkunst vor ihm aufgethan, das gelobte Land des Romans vor ihm ausgebreitet — einem Erdballe glich, an welchen mehrere Schwanzsterne sich brausend anwerfen und der mit ihnen gemeinschaftlich aufbrennt. Allein wie weiter? der Wiener, das muß ich noch vorher sagen, war ein eitler Narr (wenigstens in Punkten der Demuth, z. B. sei¬ ner Zwergfüße, seiner Litteratur, seines Glücks bei Weibern) und ließ besonders durch ver¬ traute Gemälde von Großen und Damen gern auf sein Föderativsystem mit den Originalen schließen. Der arme Teufel war freilich arm und glaubte mit mehrern Autoren, er und diese hätten — ungleich dem Salomo, der Weisheit erbat und Gold erhielt — umgekehrt das Unglück gehabt, nur erstere zu empfangen, indeß sie um letzteres geworben. Kurz aus solchen Gründen wollt' er — im Vorbeigehen gesagt — gern den Glauben im Wehrfrizi¬ schen Hause ausgebreitet wissen, daß er sehr gut stehe bei seiner vorigen Schülerinn, der Mi¬ nisters Tochter — Liane glaub' ich, wenn ich anders anders Hafenreffers Hand richtig lese —, und daß er sie oft genug sehe und spreche bei ihrer Mutter. Dazu kam noch, daß kein wahres Wort daran war; durch den Tempel, worin Liane war, gieng kein Durchgang für ihn. Allein um so weniger konnt' er den Direk¬ tor vorauslassen, der sie öfters sah und zu Hause immer eifriger lobte, bloß um die roh¬ unschuldige von niemand je erzogne Rabette auszuschelten. Der Wiener wollte freilich auch noch den Grafen — dem er nur die Küste der Freundschaftsinsel Roquairols von weitem zeigte, aber keine Anfuhrt zur Landung — durch die Schwester listig von dem Bruder ablenken, (er war unvermögend, ihn länger zu belügen und hinzuhalten): denn warum malt' ers ihm so lange aus, wie giftig vor einigen Jahren der Nacht- und Todesfrost über den Retraite¬ schuß des Bruders, den sie zu innig liebe, auf diese so zarten weißen Herzblätter gefallen sey? Oefters hieng er unter dem Essen breite von Wehrfriz kontrasignirte Meritentafeln von Lianens musikalischen und malerischen Fort¬ schritten auf, um scheinbar seinen Klavier¬ Titan. I . D und Zeichenschüler zu größern anzutreiben. Denn wär' es nicht scheinbar: warum klebt' er eben so lange Altarsblätter von Lianens Reizen bei Rabetten auf, bei dieser Unpartheiischen, die, nur mit Pfarrers- nicht mit Ministers- Töchtern wettrennend, fast so freudig städti¬ sche Schönheiten, wie wir Homerische , prei¬ sen hörte und vor der nur ein windiger Tropf, der sich vor Weibern aufrecht und im Sattel durch Lobgesänge auf fremde erhalten will, seine auf Lianen anstimmen konnte. Wahrlich, vor einer so resignirten und neidlosen Seele als Rabette war — zumal da ihre Gesichtshaut und Hände und Haare nicht am weichsten wa¬ ren wenigstens härter als die Falterleschen — wär' ich um keine Medaille in der Welt im Stande gewesen, — wie ers doch war —, den glücklichen Erfolg näher zu koloriren, womit der Minister um Lianens ungewöhnliche Schön¬ heit der jüngern Jahre durch Erziehung in die jetzigen herüberzubringen, das Seinige gethan durch zarte und fast magere Kost — durch Ein¬ schnüren — durch Zusperren seines Orangerie¬ hauses, dessen Fenster er selten von dieser Blume eines mildern Klimas abhob — noch weniger hätt' ich wie er malen können, daß sie dadurch ein zartes nur aus Pastelstaub zusam¬ mengelegtes Gebilde geworden, das die Wind¬ stöße des Schicksals und die Passatwinde des Climas fast zerblasen können — und daß sie sich wirklich nur mit Seifenspiritus waschen könne und nur mit den weichsten Linnen ohne Schmerzen trocknen und nicht drei Stachelbee¬ ren ohne blutende Finger abnehmen. — Der flache Wiener, der vor keinem auf einer Bergkuppe stehenden Manne von Stande unten im Sumpfe den Huth abziehen konnte, ohne leise dabei zu sagen: Ihr ganz unterthä¬ nigster! und der von vornehmen Leuten höch¬ stens nur im vertrauten oder satirischen Tone (seine Konnexion zu zeigen) aber nie im ernst¬ haft-kritischen sprach, war freilich — was doch seine Pflicht war — nicht im Stande, den al¬ ten Froulay einen festen scharfen Leichenstein zu heißen, unter welchem zwei so weiche Blu¬ men wie seine Frau mit dem ihr angeschlunge¬ nen Epheu, mit Lianen, sich gebogen und ge¬ drückt ans Licht aufwinden. H. v. Hafenreffer O 2 macht hier zu seiner Ehre — in Betracht, daß er ein Legazionsrath und Lehnprobst ist — die ganz andere, gefühlvollere Bemerkung, daß die har¬ ten Erdschichten solcher Verhältnisse wodurch Lianens Lebensquelle dringen und sikern müsse, diese reiner und heller machen, so wie alle harte Schichten Filtrirsteine des Wassers sind — und alle ihre Reize werden zwar durch ihren Vater Quaalen, aber auch alle ihre Quaalen durch ihr Dulden Reize. — — Aber, guter Zesara! wenn du nun das alles täglich hören mußt, — und wenn der Exerzitienmeister ohnehin nicht zu schildern ver¬ gisset, wie sie ihn nie mit einer ungehorsamen Mine, oder einer Zögerung gekränkt, wie froh sie ihm die papiernen Stundenmarken und am Ende das Schulgeld oder eine Einladung ge¬ bracht — und wie besorgt und mild und höf¬ lich sie gegen ihre Dienerschaft gewesen und wie man hätte denken sollen, ihr Herz könne nicht wärmer werden, als schon die Menschen¬ liebe es mache, hätte man nicht ihre noch hei¬ ßere Tochterliebe gegen die Mutter gesehn — — guter Zesara, sag' ich, wenn du das alles neben deinen Romanen vernimmst und noch dazu von der Schwester deines Roquairols, — weil jeder, wenn es nur halb praktikabel ist, sich gern mit der Schwester seines Freundes einspinnt in Eine Chrysalide — und noch über¬ dieß von einem Mädchen in der geheiligten Lindenstadt, um welche Don Gaspard wie die alten Preußen Arnolds Kirchengeschichte von Preußen. 1. B. um ihre Götter-Haine, noch mystische Vorhänge herumzieht — und was ärger als alles ist, gerade nach deinem 16½ Jahre, Zesara, wo schon die Moussons und Frühlings¬ winde der Leidenschaften über die Blutwellen fahren! Denn früher freilich wars allerdings von dir mitten im gelehrten Kränzchen von so vielen Linguisten — d. h. von Büchern der Linguisten — von Eklektikern — Ober-Ra¬ binern — von 10 Weisen aus Morgen- und aus Griechenland — und wegen der unge¬ mein blendenden Epiktetslampen , die das gedachte Weisen-Dezemvirat Tags- Sterne der Weisen angezündet hatte, da wars wenig zu vermuthen, daß dir Amors Turiner Licht¬ chen , das er noch unaufgebrochen in der Tasche hatte, sehr ins Auge fallen möchte! — Aber jetzt, mein Lieber, jetzt sag’ ich! — Wahrlich nirgends war es uns allen weniger übel zu nehmen, wenn wir ungemein attent darauf sind, was er im 21sten Zykel macht, als im zwanzigsten. Vierte Jobelperiode. Hoher Styl der Liebe — der gothaische Taschenkalen¬ der — Träume auf dem Thurme — das Abend¬ mahl und das Donnerwetter — die Nachtreise ins Elysium — neue Akteurs und Bühnen und das Ultimatum der Schuljahre. 21. Zykel. W ie viele seelige Adams von 16½ Jahren werden gerade jetzt in ihrer Sieste im Grase des Paradieses liegen und aus Theilen ihres eignen Herzens dessen künftige Schoßjüngerinn erschaffen sehen! — Aber sie suchen sie nicht wie der erste Adam, neben sich auf der Baustelle sondern recht weit vom eignen Lager, weil die Ferne des Raums so glänzend verherrlicht wie die Ferne der Zeit. Daher setzet sich jeder Jüngling mit dem Glauben auf die Post, daß in den Städten, wohin er eingeschrieben ist, ganz andere und göttlichere Madonnen unter der Hausthüre stehen als in seiner verdamm¬ ten; — und die Jünglinge jener Städte sitzen wieder ihrer Seits auf dem ankommenden Post¬ wagen und fahren hoffend in seine hinein. — Ach das klingt für alles, was ich vorhabe, viel zu rauh und roh, und mir ist als bring' ich dem Leser statt des lebendigen fliegenden Rosendufts nur die starre schwere dicke Porzel¬ lanrose! — Albano, ich will dein stilles, dicht verhangenes Herz aufdecken und aufschließen, damit wir alle darin Lianens Heiligenbild, die aufschwebende Raphaels Marie, aber, wie Hei¬ ligengestalten in der Leidenswoche, hinter dem Schleier hängen sehen, den du bebend wegzie¬ hest, um es anzubeten, wenn du die Andachts¬ bücher — die Romane — aufschlägst und wenn du darin die Gebete antrifst, die deiner Heili¬ gen gehören. Sogar mir wird es schwer, nicht, wie du und die Alten, den Namen deiner Schutzgöttinn zu verheimlichen — über innere Geistererscheinungen (denn äußere sind Körper¬ erscheinungen) schweiget der Seher gern neun Tage lang — und bei deinem blöden Glauben an einen tausendmal höhern Tugendgehalt Lia¬ nens als deiner ist, und bei deiner heiligen Ehr¬ liebe, die über die fremde wacht, ist dirs frei¬ lich ein Räthsel, wie andere, z. B. der Wiener oder Wehrfriz ohne das geringste Erröthen so laut und lieb von ihr sprechen konnten, da du selber kaum wagst, vor andern viel von ihr zu — träumen. Wahrlich, Albano ist ein gu¬ ter Mensch! — ferner, wie vollends eine solche in gediegnen Aether vererzte lichte Psyche wie Liane, etwa gleich dem auferstandnen Christus, Karpfen essen und ausgräten könne — oder mit den langen hölzernen Heugabeln im Klei¬ nen, den Sallatschober im blauen Napfe umste¬ chen — oder in der Sänfte ein halb Pfund mehr wiegen als ein blauer Schmetterling — oder wie sie laut lachen könne (das that sie aber auch nie, mein Freund!); alles das und überhaupt der ganze kleine Dienst des beleib¬ ten Erdenlebens war dem geflügelten Jüng¬ linge ein Räthsel und eine wahre Unmöglichkeit oder die Wirklichkeit davon eine Fixsternbe ¬ deckung : was soll ichs verhalten, daß er über ein Paar in welsche Felsen eingestampfte Fußtritte von Engeln schwächer erstaunet wäre als über ein Paar von Lianen in der Erde, und daß er für irgend eine irrdische Spur und Reliquie von ihr — ich nenne nur einen Zwirn¬ wickler oder eine Tambourblume — nichts ge¬ ringeres hingegeben hätte als ganze Klaftern vom h. Kreuze sammt den Fässern der h. Nä¬ gel und mehrere apostolische Kleiderschränke sammt den h. Doubletten-Leibern dazu. — So hab' ich oft sehnlich gewünscht, nur ein Pfund Erde vom Monde, oder nur eine Düte voll Sonnenstäubchen aus der Sonne, vor mir auf dem Tische zu haben und anzu¬ greifen. — So schweben wir meisten Autoren von Gewicht einem Leser außer Landes, als ähnliche feine ätherische Gebilde vor, von de¬ nen schwer zu fassen ist, wie sie nur einen Schnitt Schinken, oder ein Glas Märzbier oder ein Paar Stiefel gebrauchen können; es ist als wenn die Leute zusammenführen, wenn sie etwas lesen oder sehen müssen von Lessings Rasirmesser — Shakespears englischem Sattel — Rousseau's Bärenmütze — des Psalmodisten Davids Nabel — Homers Aermel — Gellerts Zopfband — Ramlers Schlafmütze — und der Glatze unter der meinigen, wiewohl sie wenig mehr bedeutet. — Der alte Landesdirektor that zur Heilig¬ sprechung Lianens — da eine Jungfrau durch nichts so viel bei einem Jünglinge gewinnt als durch Lobreden, die ihr seine Eltern geben — dadurch ansehnliche Zuschüsse, daß er die länd¬ lich- und wie er selber lachende Rabette häufig mit jener wog, und seine nachgiebige Frau heimlich mit der strengen Ministerinn; er nahm dann Gelegenheit, auseinander zu setzen, nach welchen strengen Regeln des reinen Satzes diese Kontrapunktistin die melodischen Töne Lianens harmonisch ordne und wie sie besonders Roh¬ heit und Gelächter ausmärze. Die weiblichen Seelen sind Pfauen, deren Juwelen-Gefieder man in reinen und geweißten Wohnungen un¬ terbringen muß, indeß unsere in Entenställen sauber bleiben. — Albano zeichnete sich Mutter und Tochter bloß in den doppelten Gestalten vor, worin uns Maler die Engel geben, näm¬ lich die verständige strenge Mutter als einen der in einer langen Wolke steckt nur mit dem Kopfe sichtbar, und Liane als ein verklärtes Kind, das mit den zarten Flügeln eine weiße Wolke umflattert. — Nur etwas, und wär's eine verblichene zerfallne Rose aus — Seide, wünscht' er sich herzlich aus Pestiz, — und konnte doch ver¬ schämt den Wiener um nichts ersuchen als ganz zuletzt nach langem Sinnen, obwohl verräthe¬ risch-erglühend um eine — Stunden-Marke; „denn er habe noch keine gesehen“ sagt' er. — Falterle hatte noch eine in der Tasche — die Zahl 15, Lianens voriges Alter, stand darauf — sie konnte die Zahl recht gut geschrieben haben — etwas wars immer. Ach konnt' er denn den Direktor nicht lieber um Romane aus der Handbibliothek der Ministerinn angehen, in welchen die Tochter gewiß gelesen, ja sogar einige Lesezeichen vergessen haben wird? — Er thats auch; aber Wehrfriz verwünschte und verurtheilte zuerst alle Romane als vergiftete Briefe; auch vergaß ers über fünfmal, einige zu fordern; — und endlich bracht' er ihm einen von Mde . Genlis mit, sammt einem gothaischen Taschenkalender. Diese Bücher der Seeligen — wogegen meine eignen Werke und die Alexan¬ driner Bibliothek und die blaue nur elende re¬ mittenda sind — hatten alle Stempel weibli¬ cher Bücher; denn sie trugen alle Zierrathen weiblicher Köpfe, nämlich einen Fingerhut voll Puder wie diese — seidne Band-Endchen wie diese, als Demarkazionslinien und Gedenkzettel der Lektüre — und einen Wohlgeruch wie diese, (den Semler auch an alchymischen rühmt) welchen sie aus den Blüthen des Paradieses an¬ gezogen zu haben schienen. Ach seeliger Leser des schönsten Buchs, (ich meine den Grafen) willst du mehr? — Allerdings; und er fand auch mehr, näm¬ lich hinten im gothaischen Taschenkalender auf den beiden Final-Pergamentblättern die Worte: „Armenkonzert d. 21. Februar“ und „Schau¬ „spiel für die Armen d. 1. Nov.“ — Ich habe auf meiner Jagd nach Mysterien oft auf die¬ sen Blättern die wichtigsten aus dem Busche ge¬ klopft. — „Das ist ja meiner Schülerinn Hand „(sagte Falterle) — sie versäumt mit ihrer „Mutter so was selten, weils der Minister „nicht leidet, daß sie sonst den Armen viel ge¬ „ben.“ — — Haltet mich hier nicht mit der Schönheit ihrer Handschrift auf — da man ohnehin auf Pergament und Schiefer schöner schreibt als auf Papier und da gerade eine Ge¬ lehrte ungleich den Gelehrten, mehr Kallygra¬ phie hat als Ungelehrte — sondern lasset mich zur Wirkung dieser Inkunabeln Lianens eilen, deren Sonntags-Buchstaben einen liebenden Menschen mit lauter innern hellen Sonntagen bedecken und deren Blätter an Heiligkeit den Briefen gleichen die im Mittelalter vom Him¬ mel auf die Erde fielen. Erst jetzt war ihm als wenn der fliegende Engel, dessen Schatten nur vorher über die Erde weglief, die Schwin¬ gen falte und auf der Laufbahn des Schattens nicht weit vom Stande Albanos die Nieder¬ fahrt halte. Er lernte den gothaischen Taschen¬ kalender auswendig, Da er glaubte, Liane sey viel sanfter und besser als er und da sie ihm wie der Hesperus vorkam, der unter allen Planeten mit der klein¬ sten Exzentrizität um die Sonne geht, und er sich als der ferne Uranus, ders mit der grö߬ ten thut; — und da er nicht ohne schamhafte Wangen-Lohe daran denken konnte, einmal vor der moralischen Politur der Tochter und Mutter mit einer kleinern zurückzustehen: so wurd' er auf einmal (kein Mensch wußte war¬ um) leiser, milder, williger, über seine Außen¬ seite wachsamer, dem Wiener folgsamer — denn Liane wars ja auch gewesen —, und sein ganzer Vesuv In Catana ist der Schleier der h. Agatha das einzige Gegengift des Aetna. wurde vom Schleier einer Heiligen gebändigt. Der Nordamerikaner be¬ tet die Gestalt, die ihm in dem Traume er¬ scheint, als seinen Schutzgeist an: o wird nicht oft eben so für den Jüngling ein schöner Traum sein Genius? — 22. Zykel. Ein Pfingsten, wie ichs jetzt beschreiben will, Albano, trift man außer in der Apostelge¬ schichte wohl in keiner an, als in deiner! — Er hatte bisher oft Lianens Krankenge¬ schichte mit der Taubheit eines markigen feuer¬ festen Jünglings angehört, als einmal der Di¬ rektor es nach Hause brachte, daß die fromme Ministerinn die Tochter am ersten Pfingsttage das Abendmahl empfangen lasse, weil sie be¬ sorge, der Tod halte solche für eine Erdbeere, die man pflücken müsse ehe sie die Sonne be¬ schienen. — Ach Albano sah nun schon den Tod unter dem Suchen mit der steinernen Ferse auf die bleichrothe Beere tappen und sie ertre¬ ten. Und dann hatte diese Philomele ohne Zunge, weil sie bisher verstummen mußte, ihm wie einer Progne, nur die gemalte Geschichte ihres schweren Daseins gesandt und nur die Pergamentblätter! — Alle liebenden Empfin¬ dungen gehen, wie Gewächse, bei gewitterhaf¬ ter Luft des Lebens schneller in die Höhe; Al¬ bano fühlte zugleich ein weites tiefes Weh und eine quälende Fieber-Wärme in seinen vom Tode ausgehöhlten Herzen. — Auf eine sonder¬ bare Art mengten sich bei seinem musikalischen und poetischen Phantasiren auf dem Österlein¬ schen Flügel die geträumten Töne von Lianens Stimme und das tönende Weinen, die Harmo¬ nika, die sie spielen konnte und die er nie gehört, gehört, gleichsam als ihr Schwanengesang mit seinen Harmonien zusammen. Aber nicht ge¬ nug: er schrieb sogar heimlich ein — Trauer¬ spiel (du gute Seele!), worin er alle seine zar¬ testen und bittersten Gefühle mit nassen Augen auf fremde Lippen legte — aber sie fürchter¬ lich anfachte, indem er sie ausdrückte. — Jeder kann merken, daß er damit dem Schwätzer und Spione, dem Zufalle, entgehen wollte; aber nicht jeder merkt — etwas ganz Eigenes; in fremdem Namen dürf' er, glaubt' er, dem tiefen Schmerze eine heftigere Sprache geben, zu welcher er in seinem vor so vielen stoi¬ schen klassischen Helden verschämt den Muth nicht hatte. So aber konnten die Klassiker nichts anfangen. Das stille warme Schwärmen wuchs unter dieser bedeckenden heißen Glasglocke noch viel größer; nämlich dergestalt, daß er die Pflege¬ eltern rührend bat, ihn am ersten Pfingsttage zum — h. Abendmahle zu lassen. Die Baufällig¬ keit der Dorfkirche, worin man es schwerlich ein Jahr später nehmen konnte, mußte für ihn so gut, wie die körperliche für Liane sprechen. — Titan. I . P Ewig wird den armen durch Leiber und Wü¬ sten zertheilten Menschenseelen die Sehnsucht bleiben, miteinander wenigstens zu gleicher Zeit dasselbe zu thun, zu Einer Stunde Blicke an den Mond, oder Gebete über ihn hinauf (wie Addison erzählt); und so ist dein Wunsch, Albano, ein menschlicher, zarter, mit deiner un¬ sichtbaren Liane zu Einer Stunde an der Al¬ tarstufe zu knieen und dann feurig und regie¬ rend aufzustehen nach der Krönung des innern Menschen! — Er hatte auf dem stillen Lande den Altar der Religion in seiner Seele hoch und fest gebauet, wie alle Menschen von hoher Phantasie; auf Bergen stehen immer Tempel und Kapellen. Aber ich werde ihn nie früher in die Pfingstkirche begleiten als auf den Kirchthurm. Giebt es etwas Trunkneres als wenn er damals an schönen Sonntagen, sobald durch den wei¬ ten Himmel nichts als die schwere Sonne schwamm, zum Glockenstuhle des Thurms auf¬ stieg und überdeckt von den brausenden Wellen des Geläutes einsam über die tiefe Erde blickte und an die westlichen Gränzhügel der geliebten Stadt? — Wenn alsdann der Sturm des Klanges alles ineinander und zusammen¬ wehte; und wenn die Juwelenblitze der Teiche und das blumige Lustlager des hüpfenden Frühlings und die rothen Schlösser an den weißen Straßen und die langsamen verstreue¬ ten Kirchleute zwischen dunkelgrünen Saaten, und der um reiche Auen gegürtete Strom und die blauen Berge, diese rauchenden Altäre der Morgenopfer, und der ganze ausgedehnte Glanz der Sichtbarkeit ihn dämmernd über¬ füllte und ihm alles wie eine dunkle Traum- Landschaft erschien: o dann gieng sein inneres Kolosseum voll stiller Götterformen der gei¬ stigen Antike auf und der Fackelschein der Phantasie Anspielung auf die Fackeln, vor denen man das Kolosseum und die Antiken — und die Glet¬ scher, die beides sind — magischer glänzen sieht. glitt auf ihnen als ein spielendes wandelndes magisches Leben umher — — und da sah' er unter den Göttern einen Freund und eine Geliebte ruhen und er glühte und zit¬ terte. . . . Dann schwankten die Glocken bang¬ P 2 verstummend aus — er trat vom hellen Früh¬ linge in den dunkeln Thurm zurück — er heftete das Auge nur an die leere blaue Nacht vor ihm, in welche die ferne Erde nichts her¬ aufwarf, als zuweilen einen verwehten Schmet¬ terling, eine vorbeikreuzende Schwalbe und eine vorüberwogende Taube — der blaue Schleier des Aethers Wie die Himmelsköniginn, Juno, von den Al¬ ten immer blau verschleiert wird. Hagedorn über die Malerei. flatterte tausendfach ge¬ faltet über verhüllten Göttern in der Weite — o dann, dann mußte das berückte Herz verlas¬ sen ausrufen: ach wo sind' ich, wo find' ich in den weiten Räumen, in dem kurzen Leben die See¬ len, die ich ewig liebe und so innig? — Ach du Lieber, was wird denn schmerzlicher und länger gesucht als ein Herz? Wenn der Mensch vor dem Meere und auf Gebirgen und vor Pyramiden und Ruinen und vor dem Unglücke steht und sich erhebt, so strecket er die Arme nach der großen Freundschaft aus. — Und wenn ihn die Tonkunst und der Mond und der Frühling und die Freudenthränen sanft bewe¬ gen, so zergeht sein Herz und er will die Liebe . — Und wer beide nie suchte, ist tau¬ sendmal ärmer als wer beide verlor. — — Lasset uns jetzt in die Pfingstkirche treten, wo der tiefe Strom seiner Phantasie zum er¬ stenmale in seinem Leben übertrat und sein Herz weit fortriß und damit in einem neuen Bette brausete; ein physisches Gewitter hatte sich in diesen Strom ergossen. Schon am Morgen stand der schwarze Pulverthurm einer Gewitter¬ wolke stumm neben der heißen Sonne und wurde an ihr glühend und nur zuweilen ent¬ fiel einer fernen fremden Wolke unter dem Got¬ tesdienste ein Schlag auf die Feuertrommel; aber als Albano vor den Altar mit erhobnen ver¬ klärten Gefühlen trat und als er seine Liebe für Liane nur in ein inniges Beten für sie ver¬ kleidete und in ein Gemälde ihrer heutigen An¬ dacht und ihrer blassen Gestalt im frommen dunkeln Braut-Putze und als er sanft fühlte, jetzt sey seine gereinigte geheiligte Seele dieser schönen werther: so rückte das Gewitter mit allen seinen spielenden Kriegsmaschinen und Todtenorgeln Eine alte Maschine, die viele Schüsse auf ein¬ mal thut. von der Lindenstadt herüber und trat bewaffnet und heiß über die Kirche. — Aber Albano im Bewußtseyn einer heiligen Be¬ geisterung erschrak nicht, sondern er dachte, schon als er das ferne Rollen der fallenden Lauwine hörte, bloß an Lianen und an das Einschlagen in die Kirche zu Lindenstadt — und nun als die Sonne den Pulverthurm der Wetterwolke über ihm mit ihren heißen Blicken entzündete und in tausend Blitze und Schläge zersprengte: dann jagte ihm seine von den Alten genährte Achtung für den Donnertod die schreckliche Ver¬ muthung ins Herz, Liane sey ihm nun gestor¬ ben in der Glorie der verklärten Frömmigkeit. — O dann mußt' er ja auch glauben, daß ihn jetzt die Schwinge des Blitzes über die Wolken schlage. — Und als lange Blitze um die Heili¬ gen und die Engel des Altars loderten und als das zitternde stärkere Singen und das Wetter¬ läuten der vertrauten Glocken und die vollströ¬ mende Orgel sich mit dem zusammenbrechenden Donner vermischte und er im betäubenden Ge¬ töse einen hohen feinen Orgelton vernahm, den er für den ungehörten der Harmonika hielt: da stieg er vergöttert auf dem Triumph- und Don¬ nerwagen neben seiner Liane ein — der Thea¬ tervorhang des Lebens und die Bühne brann¬ ten unter ihnen ab — und sie flogen verbun¬ den und leuchtend in den kühlen reinen Aether weiter hinauf. . . . Aber die zwölfte Stunde vertrieb diese Gei¬ stererscheinungen und das Gewitter — Albano trat heraus in einen blauern kühlern luftigen Himmel — und die glänzende Sonne lachte freundlich die erschrockene Erde an, der noch die hellen Thränen in allen ihren Blumenaugen zitterten. — Da nun Albano Nachmittags noch den friedlichen Durchzug des Donners durch Lianens Stadt vernahm: so wurde durch den Glauben an ihr neuversichertes Leben — und durch das sanfte Mattgold der ausruhenden Phantasie — und durch die heilige Stille der bekehrten Brust — und durch die innigere Liebe, aus allen Gegenden seiner Seele ein abendro¬ thes magisches Arkadien — — und nie betrat ein Mensch ein holderes. — — 23. Zykel. Es kömmt nicht bloß aus meiner Gefällig¬ keit gegen die Lese-Nachwelt her, mein lieber Zesara, sondern auch aus einer wirklichen ge¬ gen dich, daß ich alle Akte in diesem Schäfer¬ spiele deines Lebens so treu nachschreibe — in deinen alten Tagen sollen dir diese melodischen labend aus meinem Buche nachklingen und du sollst abends nach deinen Arbeiten nichts lieber lesen als meine hier. Die folgende Nacht verdient ihren Zykel. Bald nach Pfingsten wurd' er mit wöchentlichen medizinischen Bedenken über ein neues Krank¬ seyn der armen Liane gequält, das am Abend¬ mahlstage, gleich als hätt' er recht geahnet be¬ gonnen hatte. Er hörte, daß sie in Lilar , dem Lust- und Wohngarten des alten Fürsten, nebst ihrem Bruder lebe oder leide, von dessen Schweigen jetzt der Wiener an 1001 Ursachen aufgebracht hatte. Um Lilar, obwohl nahe an Pestiz, hatte sein Vater keine Sperrketten gezogen — Lianens Nachtlicht konnt' ihm viel¬ leicht entgegenschimmern, oder gar ihre Har¬ monika entgegentönen — ja ihr Bruder konnte wohl noch im Garten herumgehen — die Ju¬ nius-Nacht war ohnehin hell und herrlich — — ach kurz er gieng. Es war spät und still, weit außer dem schlafenden Dorfe ohne Lichter konnt' er die Flötenstücke der Stubenuhr im Schlosse, noch auf dem Pestizer Berge vernehmen. Es er¬ quickte ihn, daß sein Weg eine Strecke lang auf der Lindenstädter Chaussée fortlief. Er drückte das Auge an die westlichen Berge fest, wo die Sterne Ihr wie weiße Blüthen zuzu¬ fallen schienen. Oben auf der weiten Höhe, dem Herkules Scheidewege lief der rechte Arm hinunter und wand sich dem blühenden Lilar durch Haine und Auen zu. Schreite nur freudentrunken voll junger lichter Bilder durch die italienische Nacht, die um dich schimmert und duftet und die wie über Hesperien nicht weit vom warmen Monde einen vergoldeten Abendstern In Italien sehen die Sterne nicht silbern, son¬ dern golden aus. im blauen Westen aufhängt, gleichsam über der Wohnung der geliebten Seele. Dir und deinen jungen Au¬ gen werfen die Sterne nur Hofnungen, noch keine Erinnerungen herunter, du hast einen ab¬ gebrochenen starren Apfelzweig voll rother Blüthenknospen in der Hand, die wie Unglück¬ liche zu blassen werden, wenn sie aufblühen, aber du machst noch nicht solche Anwendungen davon wie wir. Jetzt stand er in einer Thalrinne vor Lilar glühend und bange, das aber ein sonderbarer runder Wald aus Laubengängen noch versteckte. Der Wald wuchs in der Mitte zu einem blü¬ henden Berge auf, den breite Sonnenblumen, Fruchtschnüre von Kirschen und blinkende Sil¬ berpappeln und Rosenbäume in so künstlicher Verschränkung einhüllten und umliefen, daß er vor den malerischen Irrlichtern des Mondes ein einziger ungeheurer Kesselbaum voll Früchte und Blüthen zu seyn schien. Albano wollte sei¬ nen Wipfel besteigen, gleichsam die Stern¬ warte des unten ausgebreiteten Himmels oder Lilars; er fand endlich am Walde einen offnen Laubengang. Die Lauben drehten ihn in Schraubengän¬ gen in eine immer tiefere Nacht hinein, durch welche nicht der Mond sondern nur die stum¬ men Blitze brechen konnten, von denen der warme Himmel ohne Wolken überschwoll. Der Berg hob die Zauberkreise immer kleiner aus den Blättern in die Blüthen hinauf — zwei nackte Kinder hatten unter Myrthen die Arme liebkosend einander um die zugeneigten Köpfe gelegt, es waren die Statuen von Amor und Psyche — Rosennachtfalter leckten mit kurzen Zungen den Honigthau von den Blättern ab und die Johanniswürmchen, gleichsam abge¬ sprungene Funken der Abendgluth, wehten wie Goldfaden um die Rosenbüsche — er stieg zwi¬ schen Gipfeln und Wurzeln hinter dem aroma¬ tischen Treppengeländer gen Himmel, aber die kleine mit ihm herumlaufende Spiralallee ver¬ hieng die Sterne mit purpurnen Nachtviolen und die tiefen Gärten mit Orangegipfeln — endlich sprang er von der obersten Sprosse seiner Jakobsleiter mit allen Sinnen in einen unbedeckten lebendigen Himmel hinaus; ein lichter Berggipfel nur von Blumenkelchen bunt¬ gesäumt, empfieng ihn und wiegte ihn unter dem Sternen- und ein weißer Altar leuchtete hell neben ihm im Mondenlichte. — — Aber schaue hinunter, feuriger Mensch mit deinem frischen Herzen voll Jugend, auf das herrliche unermeßliche Zauber-Lilar! Eine däm¬ mernde zweite Welt, wie leise Töne sie uns malen, ein offner Morgentraum dehnt sich vor dir mit hohen Triumphthoren, mit lispelnden Irrgängen, mit glückseeligen Inseln aus — der helle Schnee des gesunknen Mondes liegt nur noch auf den Hainen und Triumphbogen und auf dem Silberstaube der Springwasser, und die aus allen Wassern und Thälern quellende Nacht schwimmt über die elysischen Felder des himmlischen Schattenreichs, in welchem dem irrdischen Gedächtnisse die unbekannten Gestalten wie hiesige Otaheiti-Ufer, Hirtenländer, daphni¬ sche Haine und Pappelinseln erscheinen — selt¬ same Lichter schweifen durch das dunkle Laub und alles ist zauberisch-verworren — was be¬ deuten jene hohen offnen Thore oder Bogen und die durchbrochnen Haine und der röthliche Glanz hinter ihnen und ein weißes Kind unter Orangelilien und Goldblumen schlafend, aus deren Kelchen weiche Flammen perlen Bei gewitterhafter Luft steigen aus Orangeli¬ lien, Goldblumen, Sonnenblumen, indischen Nelken ꝛc. kleine Flammen. gleich¬ sam als wären Engel zu nahe über sie hinge¬ flogen — die Blitze erleuchten Schwanen, die unter lichtrrunkenen Nebeln auf den Wellen schlafen, und ihre Flammen lodern golden nach in den tiefen Bäumen, Wahrscheinlich auf flatternden Goldblechen gegen die Vögel. wie Goldfische den brennenden Rücken aus dem Wasser drehen — und selber um deine Bergspitze, Albano, schauen dich die großen Augen der Sonnen¬ blumen feurig an, gleichsam von den Funken der Johanniswürmchen entzündet. — — „Und in diesem Reiche des Lichts (dachte „zitternd Albano) verbirgt sich der stille En¬ „gel meiner Zukunft und verklärt es, wenn er „erscheint. — O wo wohnest du, gute Liane? „In jenem weißen Tempel? — Oder in der „Laube zwischen den Rosenfeldern? — Oder „drüben im grünen arkadischen Häuschen?“ — Wenn die Liebe schon Schmerzen zu Freuden macht und den Schattenkegel der Erde zum Sternenkegel aufrichtet, o wie wird sie erst die Entzückung bezaubern! — Albano war in die¬ sem äußern und innern Glanze unvermögend, sich Lianen krank zu denken; er dachte sich jetzt bloß die seelige Zukunft und knieete sehnsüchtig und umfassend an dem Altare nieder — er blickte nach dem glänzenden Garten und malte es sich, wie es wäre, wenn er einmal mit Ihr jede Insel dieses Edens beträte — wenn die heilige Natur seine und Ihre Hände auf die¬ sen Altarstufen ineinander legte — wenn er Ihr unterwegs das Hesperien des Lebens, das Hirtenland der ersten Liebe zeichnete und ihr frommes Jauchzen und ihr süßes Weinen und wenn er sich dann nicht umsehen könnte nach den Augen des weichsten Herzens, weil er schon wüßte, daß sie überfließen vor Seeligkeit. — Jetzt sah er im Mondscheine über die Triumph¬ bogen zwei beleuchtete Gestalten wie Geister ge¬ hen; aber seine brennende Seele fuhr im Ma¬ len fort und er dachte es sich, wie er vor ihr wenn die Nachtigallen in diesem Eden schlagen, wahnsinnig-liebend sagen würde: „O Liane, „ich trug dich früh in meinem Herzen — einst¬ „mals droben auf jenem Berge, als du krank „warst.“ — — — Hier kam er erschrocken zu sich — er war ja auf dem Berge — aber er hatte die Krank¬ heit vergessen. — Nun legt' er knieend die Arme um den kalten Stein und betete für die, die er so liebte, und die gewiß auch hier gebe¬ tet; und ihm sank weinend und verdunkelt das Haupt auf den Altar. Er hörte nähere Men¬ schenschritte unten am Schneckenberge und furchtsam-freudig dachte er daran, es könne sein Vater seyn; aber er blieb kühn auf den Knieen. — Endlich trat über den Blumenrand ein großer gebückter Greis herein, ähnlich dem edlen Bischofe von Spangenberg, das ruhige Angesicht lächelte voll ewiger Liebe und keine Schmerzen standen darauf und keine schien es zu fürchten. Der Alte drückte dem Jünglinge stumm und erfreut die Hände zum Fortbeten zusammen, knieete neben ihn hin und jene Ent¬ zückung, zu welcher öfteres Beten verklärt, breitete den Heiligenschein über die Gestalt voll Jahre. — Sonderbar war diese Vereinigung und dieses Schweigen. Die nur noch aus der Erde ragende Trümmer des Mondes brannte düsterer; endlich sank sie ein; da stand der Alte auf und that mit der aus Gewohnheit der Andacht kommenden Leichtigkeit des Über¬ gangs Fragen über Albano's Namen und Ort; — nach der Antwort sagt' er bloß: „bete un¬ „terwegs zu Gott dem Allgütigen, lieber Sohn, „ — und gehe schlafen, eh' das Gewitter „kömmt.“ — Nie kann diese Stimme und Gestalt aus Albano's Herzen weggehen; die Seele des alten Mannes ragte, wie die Sonne bei der ring¬ förmigen Finsterniß, über den dunkeln Körper, der sie mit seiner Moder-Erde überdecken wollte, mit dem ganzen Rande leuchtend hin¬ aus. — Tief bis an die Nervenanfänge ge¬ troffen, stand Albano auf und die breitern Blitze Blitze zeigten ihm jetzt drunten neben dem Zaubergarten einen zweiten düstern, verwickel¬ ten, schrecklichen, gleichsam den Tartarus des Elysiums. — Er schied mit seltsamen gegenein¬ andergehenden Gefühlen — die Zukunft und die Menschen darin schienen ihm unterwegs ganz nahe zu stehen und hinter dem durchsich¬ tigen Vorhange schon als Theaterlichter hin- und herzulaufen — und er sehnte sich nach ei¬ ner schweren That, als nach der Erquickung dieses entzündeten Herzens; aber er mußte das innere Steppenfeuer auf das Kopfküssen betten; und in sein Einträumen mischte sich der hohe Donner wie ein Gott der Nacht mit den ersten Schlägen. 24. Zykel. Der alte unbekannte Mann blieb viele Tage lang in Albanos Seele stehen und wollte nicht weichen. Überhaupt war jetzt dem Bette seines Lebens eine Krümmung nöthig, die den Zug des Stromes brach. Menschen wie ihn kann das Schicksal nur durch den Wechsel der Lagen bilden, so wie Schwache nur durch den Titan. I . Q Bestand derselben. Denn gieng es länger so fort und kam der Kronleuchter in seinem Tem¬ pel durch innere Erdstöße in immer größere Schwankungen: so konnt' am Ende keine Kerze mehr darauf fortbrennen. Welche Reichs¬ tags-Beschwerden führen nicht schon Wehrfriz und Hafenreffer verbunden darüber, daß der Schiffspatron Blanchard in Blumenbühl mit seinen ärostatischen Seifenblasen aufstieg und daß Zesara beinahe durch den ganzen Despo¬ tismus des Direktors kaum von dem Einschif¬ fen abzuhalten war? Und wie göttlich stellt' er sich es nicht vor, nicht nur der Erde ihre Eisenringe und Haftbefehle herunterzuwerfen und über alle ihre Markthaufen und Gränz¬ bäume und Herkulessäulen steilrecht wegzuflie¬ gen und als ein Sternbild um sie zu ziehen, sondern auch über dem magischen Lilar und der plombirten Lindenstadt mit verschlingenden Au¬ gen zu schweben und eine ganze schwere volle Welt an der Handhabe Eines Blicks zum dur¬ stigen Herzen zu heben? — Aber das Schicksal brach den Fall dieses schnellen Stroms. Es wollte nämlich zum Glück schon lange die Blumenbühler Kirche täg¬ lich einfallen — und ich wollte, der Pfingstdon¬ ner wäre darein gefahren und hätte der Bau¬ direkzion Ohren und Beine gemacht — als zu noch größerem Glück der alte Fürst unpaß wurde. In der Kirche war nun das Erbbe¬ gräbniß des Fürsten, das nicht schicklich wieder das Erbbegräbniß der Kirche werden konnte. Es mußte sich treffen, daß die alte Für¬ stinn mit dem Minister Froulay durch das Dorf passirte. Beide hatten sich längst zu Reichsvikarien und Geschäfts- und Zepterträ¬ gern des Staates bevogtet, weil der alte matte Herr gern die Spiele und die Bürden, den Glimmer und das Gewicht der Krone wegge¬ geben und jene beiden Lehnsvormünder ins Erbamt des Zepters eingelassen hatte. — Kurz das Alter der Kirche entschied neben dem Alter des Fürstenpaars die Baute einer neuen Dachung und Kapsel für die Gruft. Der Landschaftsdirektor besichtigte mit; und invitirte die vornehme Gesellschaft in sein Haus, in welcher aus dem Gefolge besonders der Landbaumeister Dian und der Kunstrath Q 2 Fraischdörfer als Kunstverständige, und die kleine Prinzessin als Naturverständige auszu¬ heben sind. Der arme Tanzmeister bekam durch ein Sehrohr Wind von dem Zuge, als er die Füße voll Pas eben in ein warmes Fußbad streckte. Es wird niemand vergnügen, daß der Wiener das einzige mit dem Magister gemein hatte, was der Teufel mit dem Pferde, nämlich den Fuß, der seine guten anderthalb Pariser Fuß maaß; und daß daher sein doppelter Wurzelast in den engen Treibscherben von Schuhen zu einem fruchttragenden Knotenstock voll Okulir- d. h. Hühneraugen ausschlug. Heute hätt' er diese gordischen Knoten im Fußbade zerschnitten; aber so mußt' er bei einer solchen Visite — wiewohl er sie nie ausgezogen — seine engsten Kinderschuhe anlegen um Effekt zu thun. So fangen sich die Menschen oft mit zu leichten, wie die Affen mit zu schweren Schuhen. Albano hingegen stand auf Kothurnen. Jeder überhaupt, der nur aus Pestiz kam, hatte für ihn geweihte h. Erde an den Sohlen; und hier sah' er mit der liebenden Achtung eines Dorfjünglings der bejahrten, aber rothwangi¬ gen und hochstämmigen Fürstinn auf das von der Zeit aufgebogene Kinn und ins freundliche Gesicht, das sich in ein ganzes tiefes Hauben¬ gebüsch — vielleicht zur Decke der vielen Le¬ benslinien — vergrub. Sie wiegte diesen Kopf lächelnd-vergleichend, im Wahne der Verschwisterung, zwischen ihm und Rabetten hin und her, weil Mütter immer an Müttern zuerst nach den Kindern sehen. Er hätt' es noch wissen sollen, daß er eine Freundinn Lianens an der kleinen krausköpfigen Prinzessinn vor sich hatte, die, wiewohl schon in seinem Alter, noch mit einer freundlichen Lebhaftigkeit, die nie vom Hofmarschallamte unterschrieben wer¬ den kann, an alle hinansah und sogar Rabet¬ ten bei der Hand nahm und ihr ein unbeschreib¬ lich-gutmüthiges und steifes Anlachen abzwang. Furchtbar kam ihm der Minister vor, ein Mann voll starker Parthien an Leib und Seele, voll reißender würgender nur an Blumenketten liegender Leidenschaften und von welchem, ob¬ wohl sein hartes Gesicht erst höflich mit freundli¬ chen 12 himmlischen Zeichen von Liebe überschrie¬ ben war, doch nicht sonderlich einleuchten wollte, wie von der nerven-weichen Liane ein Mann der Vater und Führer seyn könne, bei welchem die Eisentheile, deren der Mensch mehrere im Blute trägt, als irgend ein Thier, sich nicht wie bei Göze, auf die Hand geworfen hatten, sondern auf die Stirn und das Herz. Ich gehe über das einzige Glied in der Gesellschaft, das Albanen unausstehlich war, nur flüchtig weg, über den Kunstrath Fraisch¬ dörfer, der sein Gesicht wie die Drapperie der Alten, in einfache edle große Falten geworfen hatte. Vor vielen Jahren wollt' er nämlich unsern verschämten kleinen Helden bis auf die Herzgrube zum Sitzen haben, um dessen Ge¬ sicht und breite hohe, aus der Hemdkrause glänzende Platosbrust ich weiß nicht ob nach¬ zupinseln oder nachzubossiren. Allein das ver¬ schämte Kind schlug mit Händen und Füßen um sich und es war ihm nichts nachzumünzen alo das nackte Gesicht ohne das Postement, den Thorax . — Hingegen vor mir, liebe Aka¬ demie, mußt du nun Jahre lang wie ein Sty¬ lit auf dem Modell-Stative aushalten und mei¬ ner Reißfeder deinen Kopf und deine Brust sammt ihrem Kubikinhalt bloß stellen, der Grup¬ pirungen gar nicht zu gedenken! — Seiner edlen Gestalt hatt' er es vielleicht zu danken, daß der schöngebildete geradnasige und herrlich-schlanke Grieche Dian mit seinem Rabenhaare und schwarzen Adlerauge, der in jeder gelenken Bewegung eine höhere Freiheit des Anstandes zeigte als in Tanz- und Cour¬ Zimmern gewonnen wird, feurig zu ihm trat und mit wenigen Blicken dem tiefen, aber rei¬ nen Meere des Jünglings auf den grünenden Boden und auf die Perlenbänke sah. Albano stellte mit seiner zu lauten heftigen Stimme, mit seinen ehrerbietigen, aber scharf aufschla¬ genden Blicken, mit seiner eingewurzelten Stellung eine holde Mischung von inne¬ rer Kultur und Uebermacht mit äußerer länd¬ licher Erröthung und Milde dar, gleichsam einen noch zu keinem Tulpenbeete verschnit¬ tenen Tulpenbaum, eine ländliche Eremi¬ tage und Waldklafter mit goldner Ausmeu¬ blirung. — Er hatte die Fehler der einsied¬ lerischen Jugend; aber Menschen und Win¬ terrettiche muß man weit säen, damit sie groß werden; engstehende Menschen und Bäume haben zwar einen schlankern Stangen¬ schuß, aber keine Wetterfestigkeit, keine so reiche Krone und Aestung wie freistehende. — Mit der unbefangensten Herrlichkeit entdeckte der Baumeister dem glühenden Jünglinge: „sie wür¬ „den sich von nun an jede Woche sehen, da er „täglich, um den Bau der Kirche zu besorgen, „komme.“ — — — Das ganze Wehrfrizische Haus guckt jetzt dem hohen Zuge bis auf das letzte ver¬ schwindende Wagenrad hinterdrein und ist doch begierig, über das nachduftende Lavendelwasser der Freude drei Worte zu sagen, daß der Zug in alle Winkel und auf alle Möbeln verspritzet hatte. Vom Exerzizienmeister an, der mit den Kompressionsmaschinen an den Füßen bloß bis an die Knorren im Fegefeuer stand und dann bis an den Wirbel im Himmel, weil die gesprächige Prinzessinn sich seiner fünf Posizio¬ nen sehr gut entsonnen hatte — bis zur be¬ scheidnen Rabette, der Lobrednerinn ihrer Sie¬ gerinn, — und bis zu Albinen, der an einer Fürstinn die warme Mutterliebe gegen die Prinzessinn wohlthat — und bis zum Direktor, den die schönbestandne Klingen- und Ankerprobe des Pflegesohns und die allgemeine Redlichkeit dieses bekehrten Welttheils der großen Welt nachfreuete, weil der Mann es nie behielt, daß Fürsten und Minister, so wie sie in ihrer Garderobe Berghabite zum Einfahren haben, auch Direktoratsanzüge, Justiz-Wildschure, Konsistorial-Schaafspelze und Weiber-Opern- Kleider, in der Anziehstube führen — von allen diesen Menschen bis zum Direktor wuchs der frohe Nachklang, um in Zesara mit einer — Lärmkanone aufzuhören: sein Ehrgeiz trat un¬ ter Waffen — sein Freiheitsbaum fuhr in Blü¬ then aus — die Standarten seiner Jugend- Wünsche wurden eingeweihet und flatterten aufgewickelt im Himmel — und auf den Myr¬ tenkranz deckt' er einen schweren Helm mit einem glänzenden hoch-aufwallenden Feder¬ busche. . . . Der folgende Zykel ist bloß dazu gemacht, um anzugeben, wie man das zu nehmen habe. 25. Zykel. Auch meine Meinung ists, daß das anti¬ phonirende Doppelchor der beiden Erziehungs¬ Kollegien, Wehmeier und Falterle, unsern Nor¬ man bisher so gut erzog, als zwei ähnliche Gymnasiarchen, die Gouvernante England und die Hausfranzösinn Frankreich die Kurrentschü¬ lerin Deutschland nach den besten Schulbüchern wirklich erzogen haben, so daß wir nun wie¬ der unsers Orts im Stande sind, Polacken zu schulen und solche mit dem Schulbakel aus dem Katheder unserer Fürstenschule herab so viel als nöthig zu kantschuen. — Aber jetzt war zu viel in Albano aufge¬ wacht. Er fühlte überschwellende Kräfte, die keinen Lehrer fanden — sein in Italien herum¬ streifender Vater schien ihn zu versäumen — den Musensitz Pestiz (der noch dazu eine Muse mehr hatte) schien er ihm ungerecht zu versperren — er wußte oft nicht zu blei¬ ben — Phantasie, Herz, Blut und Ehrliebe gohren. In solchem Falle ist wie in jedem gäh¬ renden Fasse nichts gefährlicher als ein leerer Raum (es sey an Kenntniß oder Arbeit). Dian füllte das Faß auf. Er kam in jeder Woche aus der Stadt, als hätt' er das Einhämmern der Kirche so gut nach Rissen zu ordnen als ihr Aufmauern. Ein Jüngling, der den ersten Griechen sieht, kanns anfangs gar nicht recht glauben, er hält ihn für klassisch-verklärt und für einen ge¬ druckten Bogen aus dem Plutarch. Wenn ihm nun gar das Herz so brennt wie meinem, und wenn sein Grieche noch dazu ein spartischer Nachkömmling ist wie Dian, nämlich ein un¬ besiegter Mainotte , der im klassischen Dop¬ pelchore der ästhetischen Singschule, in Ati¬ niah (Athen) und Roma erzogen worden: so ist es natürlich daß der begeisterte Jüngling jeden Tag in den Staub- und Moder-Wolken des fallenden Kirchengemäuers steht und dar¬ auf wartet, ob sein Heerführer hinter der Wol¬ kensäule vortrete. Dian begleitete den Geliebten auf seine Spaziergänge — las oft halbe Nächte mit ihm — und nahm ihn auf die architektonischen Landreisen mit, die er immer zu machen hatte. Er führte ihn mit begeisterter Ehrfurcht in die heilige Welt des Homers und des Sophokles ein; und gieng mit ihm unter die höhern, ganz entwickelten, von einseitiger ständischer Kultur noch unverrenkten schöngegliederten Menschen dieses Zwillings-Prometheus, die wie Salomo für alles Menschliche, für Lachen, Weinen, Essen, Fürchten und Hoffen eine Zeit hatten und die bloß die rohe Gränzenlosigkeit flohen; die auf den Altären aller Götter opferten, aber auf dem der Nemesis zuerst. Und Dian — dessen innerer Mensch ein ganzer war, dem kein Glied ausgerissen ist, keines aufgeblasen und alle großgewachsen — gieng selber als ein solcher Sophokles-Homerischer Grieche mit dem Lieblinge um. Er machte ihm — indeß Weh¬ meier und die Pflegeeltern ihm überall mit einer Kanzel und einem Kirchenstuhle nachlie¬ fen, bei jedem heftigen Unwillen oder Wunsche oder Jubel, den er zeigte — mit schöner libe¬ raler Freiheit Raum, sich breit und hoch zu entwickeln. Er ehrte am Jünglinge das St. Elms oder Helenen-Feuer, wie am Greise das Eis; das Herz kräftiger Menschen, glaubt' er, müsse wie ein Porzellangefäß anfangs zu groß und zu weit gedrehet seyn, im Brennofen der Welt laufen beide schon gehörig ein. Eben so fordr' ich von einem Jünglinge erst Intoleranz, dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als die steinige saure harte Frucht eines kräftigen jungen Herzens, diese als das weiche Lager- Obst eines ältern Kopfes. Aber indem der Baumeister mit ihm zeich¬ nete, mit ihm Abgüsse der Antiken und Kunst¬ werke anschauete: so machte er am schönsten vor diesen seine Liebe für das artistische Zeichen der Waage am Menschen, der sein eignes Kunstwerk seyn soll, und seine Ab¬ neigung vor jedem Parorysmus offenbar, der die äußere Schönheit in Falten bricht wie die innere, und seinen Wunsch, seine Gestalt und sein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬ ken zu ordnen, Der Baumeister bewahrte wie oft der Künstler und öfter der Schweizer, europäische Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit nebeneinander, seiner geliebten Baukunst gleich, worin mehr als in den andern Künsten Schön¬ heit und messende Vernunft zusammengränzen; er ließ daher zuerst Albano in den Hörsaal der Philosophie, aber im Freien außen am Fenster stehend hineinsehen und hineinhören. Er führte ihn nicht in den Steinbruch, vor die Kalkgrube und auf den Zimmerplatz der Metaphysik, son¬ dern sogleich in das damit fertig gemachte schöne Bethaus, sonst die natürliche Theologie genannt. Er ließ ihn keine eiserne Schlußkette Ring nach Ring schmieden und löthen, sondern er zeigte sie ihm als hinunterreichende Brun¬ nenkette, woran die auf dem Boden sitzende Wahrheit herauf, oder als eine vom Himmel hängende Kette, woran von den Untergöttern (den Philosophen) Jupiter heruntergezogen wer¬ den soll. Kurz das Skelett und Muskeln- Präparat der Metaphysik versteckt' er in den Gottmensch der Religion. — — Und so soll es (anfangs) seyn; aus der Sprache lernt man die Grammatik leichter als jene aus die¬ ser, aus den Kunstwerken leichter die Kritik, aus dem Leibe das Gerippe als umgekehrt, wiewohl man es immer umkehrt. — Unglück¬ lich sind unsere jetzigen Jünglinge, die vom Baume des Erkenntnisses früher die Tropfen und die Käfer schütteln müssen als die Früchte. Und nun macht' er ihm kühn alle Stuben¬ thüren der philosophischen Schulen auf, d. h. alle drei Himmel; denn in dieser Jugendzeit hält man noch den Docht jedes gelehrten Lich¬ tes der Welt für Asbest, wie Braminen sich in Asbest kleiden — und die Eisstücke an den Po¬ len unserer geistigen Welt stellen noch, wie die der hiesigen, Städte und Tempel auf himmel¬ blauen Säulen vor. Wenn nun Albano über irgend eine große Idee, über die Unsterblichkeit, über die Gott¬ heit, sich in Flammen gelesen: so mußt' er dar¬ über schreiben, weil der Baumeister glaubte — und ich auch —, daß in der erziehenden Welt nichts über das Schreiben gehe, nicht einmal Lesen und Sprechen, und daß ein Mensch 30 Jahre mit weniger Ertrag seiner Bildung lese als ein halbes schreibe. Dadurch schwin¬ gen eben wir Autoren uns zu solchen Höhen; — daher werden sogar schlechte, wenn sie aus¬ halten, am Ende etwas und schreiben sich von Schilda nach Abdera und von da nach Grub¬ street hinauf. — Allein welche glühende Stunde gieng dann für unsern Liebling an! Was sind alle sinesische Laternenfeste gegen das hohe Fest, wo ein ent¬ flammter Jüngling alle Gehirnkammern erleuch¬ tet und in diesem Glanze seine ersten Aufsätze hinwirft? Vorn auf der Schwelle des Aufsatzes gieng Albano vielleicht noch Schritt für Schritt und bediente sich bloß des Kopfes; — aber wenn es weiter kam und das Herz mit den Flügeln zuckte und er wie ein Komet vor lauter schim¬ mernden Sternbildern großer Wahrheiten vor¬ überfahren mußte — konnt' er sich da enthal¬ ten dem rosenrothen Flammantvogel nachzuah¬ men, der im Zuge gegen die Sonne sich zu einem fliegenden Brande anzufärben und sich mit Doppelflammen zu beschwingen scheint? — Kam er vollends auf die Nutzanwendung: wahrhaftig! so war jede wie die andere — in jeder formte und besäete er ein Arkadien voll menschlicher Engel, die in drei Minuten in das so nahe schwimmende Elysium aussteigen konnten auf auf einem dazu hineingeworfenen Charons Ponton — in jeder Nutzanwendung waren alle Menschen Heilige, alle Heilige Seelige, alle Morgen Blüthen und alle Abende Früchte, Liane gesund und er nicht weit davon ihr Lieb¬ haber — alle Völker stiegen die Mittagshöhe lichter hinan und er auf seiner eignen erblickte, wie Menschen auf Bergen, alles Gute näher — ach die ganze sumpfige Gegenwart voll Stur¬ zeln und Egeln hatt' er mit einem Fuße seit¬ wärts weggestoßen und war nur von den grü¬ nenden Welten voll Auen umflogen, die die Sonnenkugel seines Kopfes in den Aether ge¬ worfen hatte. — — Seelige, seelige Zeit! du bist schon lange vorbei! O die Jahre worin der Mensch seine ersten Gedichte und Systeme lieset und macht, wo der Geist seine ersten Welten schafft und segnet, und wo er voll frischer Morgengedan¬ ken die ersten Gestirne der Wahrheit kommen sieht, tragen einen ewigen Glanz und stehen ewig vor dem sehnenden Herzen, das sie ge¬ nossen hat und dem die Zeit nachher nur astro¬ nomische Ephemeriden und Refrakzionstabellen Titan. I. R über die Morgengestirne reicht, nur veraltete Wahrheiten und verjüngte Lügen! — O da¬ mals wurd' er von der Milch der Wahrheit wie ein frisches durstiges Kind getränkt und großgezogen, später wird er von ihr nur als ein welker skeptischer Hektikus kurirt! — Aber du kannst freilich nicht wiederkommen, herr¬ liche Zeit der ersten Liebe gegen die Wahr¬ heit, und diese Seufzer sollen mir eben nur deine Erinnerung wärmer geben; — und kehrst du wieder, so geschieht es gewiß nicht hier im tiefen niedrigen Grubenbaue des Lebens, wo unsere Morgenröthe in den Goldflämmlein auf dem Goldkiese besteht und unsere Sonne im Grubenlicht — nein, sondern dann kann es ge¬ schehen, wenn der Tod uns aufdeckt und den Sargdeckel des Schachtes von den tiefen bla߬ gelben Arbeitern wegreißet, und wir nun wie¬ der wie erste Menschen, in einer neuen vollen Erde stehen und unter einem frischen unerme߬ lichen Himmel! — In dieses goldne Zeitalter seines Herzens fiel auch seine Bekanntschaft mit Rousseau und Shakespear; wovon ihn jener über das Jahr¬ hundert erhob und dieser über das Leben. Ich will es hier nicht sagen, wie Shakespear in seinem Herzen gebietend regierte — nicht durch das Athmen der lebendigen Karaktere sondern — durch die Erhebung aus dem irrdischen lauten Reiche ins stumme unendliche. Wenn man Nachts den Kopf unter das Wasser taucht: so ist eine fürchterliche Stille um uns her; in eine ähnliche überirrdische der Unter¬ welt bringt uns Shakespear. — Was viele Schullehrer an Dian tadeln können, ist, daß er dem Jünglinge alle Bücher untereinander gab, ohne genaue Ordnung der Lektüre. Aber Alban fragte in spätern Jahren: „ist eine solche Ordnung etwas anders als „Narrheit? — Ist sie möglich? Ordnet denn „das Schicksal die Erscheinung der neuen Bü¬ „cher oder Systeme oder Lehrer oder die äus¬ „sern Begebenheiten oder die Gespräche je so „paragraphenmäßig, daß man weiter nichts „brauchte, als die Gegenwart abzuschreiben „ins Gedächtniß, um die Ordnung obendrein „zu haben? — Braucht und macht nicht jeder „Kopf seine eigne? — Und kömmt es mehr R 2 „auf die Rangfolge der Speisen oder auf ihre „Verdauung an?“ — 26. Zykel. Während Dian einen schönern Tempel in die Höhe steigen ließ als den steinigten im Dorfe: verstarb die Fürstinn, deren castrum do¬ loris dieser werden sollte; sie mußte man also vor der Hand in das Absteigequartier einer Pestizer Kirche beisetzen. Das änderte ein Paar tausend Sachen. Der Hohenfliesser Kron¬ prinz Luigi sollte und mußte nun aus Welsch¬ land zum Fürstenstuhle zurück, worauf der alte von den Jahren zusammengewickelte Fürst win¬ zig und sprachlos mehr lag als saß — wie¬ wohl der hinter der Fürstenstuhl-Lehne stehende Minister dessen Figur und Stimme munter ge¬ nug nachspielte — ; Don Gaspard, der alle bisherige Briefe Albanos nicht erhöret hatte, fertigte nun diesem die gleich feurigem Weine die Adern durchbrausende Ordre zu: „auf mei¬ „nem Rückwege aus Italien sehen wir uns in „deinem Geburtsorte Isola bella . Man wird „dich abholen.“ — Auch Leser, die noch keine Woche lang Briefe eines Gesandten-Personale zugeschnitten und zugesiegelt haben, merken leicht, daß der Vließ-Ritter gedenkt, seinen Sohn mit dem jungen Fürsten und ihre ersten Pestizer Verhältnisse zu verknüpfen und zu mischen. — Ich bitte aber die Welt, nun das Para¬ dies eines Menschen auszumessen, der nach so langer Seefahrt endlich die langen Ufer der neuen Welt im Meere hinliegen sieht. War ihm jetzt nicht das Leben an hundert Ecken aufgethan? — Lorbeerkränze — Epheukränze — Blumenkränze — Myrthenkränze — Aehren¬ kränze — — alle diese Guirlanden überhiengen das Pestizer Hauptthor und seine Hausthure. Du Bruder, du Schwester, (ich meine Roquai¬ rol und Liane) welcher volle schmachtende Mensch zog euch entgegen! — Und welcher träumende und unschuldige! Homer und So¬ phokles und die alte Geschichte und Dian und Rousseau — dieser Magus der Jünglinge — und Shakespear und die brittischen Wochen¬ schriften (worin eine höhere humanere Poesie spricht als in ihren abstrakten Gedichten) alle diese hatten im glücklichen Jünglinge ein ewi¬ ges Licht, eine Reinheit ohne Gleichen, Flügel für jeden Thabors-Berg und die schönsten aber schwierigsten Wünsche zurückgelassen. Er glich nicht den bürgerlichen Franzosen, die wie Teiche die Farbe des nächsten Ufers, sondern den hö¬ hern Menschen, die wie Meere die Farbe des unendlichen Himmels tragen. — Überhaupt war jetzt der reifste beste Zeit¬ punkt für seine Veränderung. Durch Dian und durch dessen Reisen war sogar sein äuße¬ rer Mensch schöner entwickelt in Gastzimmern. Die Menschen gehen wie Schießkugeln weiter, wenn sie abgeglättet sind; bei Zesara blieben ohnehin genug Demant-Spitzen stehen, woran sich das Mittelgut stößet und sticht; und sel¬ ber ungewöhnlicher Werth ist ungewöhnlicher Fehler — wie hohe Thürme eben darum übergebogen scheinen. Zesara lernte eben außerhalb des ländlichen Junkerzirkels, eine Behendigkeit der Ideen und Worte ein, die ihm sonst nur im Enthusiasmus zu Gebote stand; denn der Witz, sonst ein Feind des letztern, war bei ihm bloß ein Diener und Kind davon. Er kokettirte nicht wie witzige Säuglinge, mit allen Ideen, sondern er wurde von ihnen ent¬ weder angepackt oder gar nicht angestreift; da¬ her kam jenes stumme, langsame, unscheinbare Reifen seiner Kraft, er glich langsam-aufstei¬ genden Gebirgen, die stets mehr Ausbeute ab¬ werfen als schnell-aufstehende. Bei großen Bäumen ist der Saame kleiner und im Früh¬ linge die Blüthe später als bei dem kleinen Ge¬ sträuche. — Die Zeit, eh' Gaspards abholender Bote kam, wurde dem aufgehaltenen Jünglinge eine Ewigkeit und das Dorf ein Kerker, es schrumpfte zu den Wirthschaftsgebäuden eines Klosters ein. Der bedeckte, aber mit Enkau¬ stik in sein Gehirn geschriebene Plan des Le¬ bens war (wie bei allen solchen Jünglingen) der, nichts größeres zu werden und zu thun als — alles, nämlich zugleich sich und ein Land zu beglücken, zu verherrlichen, zu erleuchten — ein Friedrich II auf dem Throne, nämlich eine Gewitterwolke zu seyn, welche Bannstrahlen für den Sünder, elektrisches Licht für Taube und Blinde und Lahme, Güsse für die Insek¬ ten und warme Tropfen für durstige Blumen, Hagel für Feinde, eine Anziehung für alles, für Blätter und Staub, und einen Regenbo¬ gen für das Ende hat. — — Da er nun Frie¬ drich II nicht succediren durfte so wollt' er künf¬ tig wenigstens Minister werden; — zumal da Wehrfriz soviel aus der Länge dieses Neben¬ scepters, des Ablegers und Schnittlings vom Mutterscepter machte — und in den Freistun¬ den nebenbei ein großer Dichter und Welt¬ weiser. Es soll mir lieb seyn, Graf, wenn du der zweite Friedrich der zweite und einzige wirst; — mein Buch hier wird davon profitiren und ich selber poussire dadurch mein Glück als ein seltener aus Xenophon, Kurtius und Voltaire zusammengewachsener Historiograph! — 27. Zykel. Zesara wird nie den Frühlingsabend ver¬ gessen, woran er einen Passagier im Überrocke — ein wenig hinkend und mit brauner Reise- Schminke, wogegen die weißen Augäpfel glän¬ zend abstachen — den seichten Bach neben dem hohen Stege durchwaten sah, und wie ferner der Passagier einen Wächterspieß, den der zei¬ tige Bettler-Polizei-Lieutenant als seinen vika¬ rirenden Mitarbeiter an seine Hausthüre ange¬ lehnt, mitnahm und solchen unterwegs einem Krüpel mit den Worten reichte: „Alter, ich „habe nichts Kleineres bei mir als den Spieß. „Wenn Ihn jemand frägt, so sag' Er nur, „Er wach' im Dorfe gegen das verhenkerte „Bettelvolk, aber Er habe nicht Augen genug.“ — Dabei streckte der Pilger noch sein Schnupf¬ tuch einem Rektors-Söhnchen, dems nöthig war, auf 3 Minuten vor. — Natürlich war es unser alter Titularbiblio¬ thekar Schoppe, den Don Gaspard mit der Einladungskarte für Isola bella abgesandt. Albanos Entzückung war so groß, daß er erst einige Tage später sich im humoristischen Son¬ derlinge jugendlich irrte, indeß dieser sehr bald den leichten, heißen, stillen Wildling richtig aus¬ wog. — Gieng es nicht dem alten Landschafts¬ direktor noch schlimmer, welcher, bloß weil er den deutschen Reichskörper so hoch anschlug als wär' er die darin eingepfarrte Reichs¬ seele , über Schoppe's Ausfälle gegen die Kon¬ stituzion in einen patriotischen Harnisch kam: „Herr, (sagt' er aufgebracht) wenns auch wo „haperte: so muß ein redlicher Deutscher still „dazu schweigen, wenn er nicht helfen kann, „zumal in so verfluchten Zeiten.“ Das Schönste war, daß auf Luigi's Be¬ gehr zugleich der Baumeister abzureisen hatte, um aus Rom Abgüsse der Antiken zu holen. — — Und nun zieht fort, damit ihr wieder¬ kommt und wir endlich einmal einlaufen in Pestiz! — Freilich wirst du, gutes Kind, (Wald¬ biene sollt' ich sagen) deinen Abflug aus dem ländlichen Honigbaume in den städtischen glä¬ sernen Bienenstand mit tiefern Schmerzen hal¬ ten als du vorausgesetzt — reiset nicht sogar der alte Pflegevater ohne Abschied fort, um nur dem deinigen zu entfliehen — und deiner guten Mutter ist, als reiße eine zornige Parze ihr einen Sohn von der Brust, als lange sein zartes nur aus der kindlichen Gewohnheit gespon¬ nenes Liebes-Band nicht hinein in die weite Zukunft — und deine Schwester sperret sich in die Mansardenstube ein mit ihrem ländlichen von Feuerfoltern tobenden Herzen und kann dir nichts sagen und nichts geben als eine von ihr bisher heimlich gestickte Brieftasche mit der seidnen Umschrift: gedenke unserer! — und selber auf deinen lorbeer-süchtigen Kopf wird der Triumph- oder Regenbogen des Abschiedes, wenn du unter ihm durchschreitest, schwere schwere Tropfen werfen, (ach an den nachblik¬ kenden Augen werden sie länger hängen blei¬ ben) — dein alter redlicher Lehrer Wehmeier wird an dir den letzten Strom seiner Worte und Thränen vergießen und sagen (und dein weiches Herz wird nicht lächeln): „er sey ein al¬ „ter abgeschabter Kerl und habe nun nichts vor „sich als das Loch (das Grab) — du hingegen „seyest ein frischer blutjunger Mann, voll „Sprachen und Alterthümer und herrlicher Ta¬ „lente von Gott — freilich werd' ers nicht er¬ „leben, daß aus dir ein berühmter Mann „werde, aber seine Kinder wohl; und dieser „Würmer sollest du dich einmal annehmen, „junger Herr!“ — — Du reine Seele, an jedem bekannten Hause, an jedem theuren Garten und Thale wird ja der Schmerz sein Einlegemesser schlei¬ fen und damit in dein glühendes zartes Herz leise-quellende Wunden ritzen — wie? sogar von deinen befreundeten Abend- und Morgen- Höhen (den Sprachgittern deiner heiligsten Hoffnungen), und von Lianen selber wirst du zu entweichen glauben. Aber wirf deine weinenden Augen in das offne blaue Italien und trockne sie an Früh¬ linslüften — das Leben hebt an — die Signale zu den Waffenübungen und Lust¬ treffen der rüstigen Jugend werden gegeben — und mitten in den olympischen Kampfspie¬ len wirst du herrlich von nahen Konzert- und Tanzsäälen umschmettert. Was phantasir' ich da her? — Wie, ists nicht uns allen mehr als zu wohl bekannt, daß er längst fort ist schon seit der ersten Jobel¬ periode, ja sogar wieder retour und er hält schon seit der zweiten — jetzt zählen wir die vierte — mit dem Bibliothekar und dem Lektor zu Pferde vor Pestiz und kann nicht hinein wegen der Thorsperre der — fünften Jobelperiode? Prunkeinzug — D . Sphex — der trommelnde Kada¬ ver — der Brief des Ritters — Retrogradazion des Sterbetags — Julienne — der stille Charfrei¬ tag des Alters — der gesunde und verschämte Erbprinz — Roquairol — das Erblinden — Sphe¬ xens Liebhaberei für Thränen — das fatale Gast¬ geboth — das doloroso der Liebe. 28. Zykel. U eber den Gabelweg, dessen rechte Zinke nach Lilar geht, spornte Albano sein Pferd bange hinüber und flog den Berg hinauf, bis die helle Stadt wie eine erleuchtete Peterskuppel lang und breit in der Frühlingsnacht seiner Phantasien brannte. Sie legte wie ein Riese den Oberleib (die Bergstadt genannt) auf die Anhöhe und streckte die andre Hälfte (die Thal¬ stadt) in das Thal. Es war Mittag und keine Wolke am Himmel; in der Mittagszeit steht eine Stadt mit voller blanker Scheibe da, in¬ deß ein Dörfchen erst abends aus dem ersten Viertel ins Volllicht tritt. Sie war gut forti¬ fizirt, nicht von Rimpler oder Vauban, son¬ dern von einem wachsenden Pfahlwerke aus Linden. Oben leuchtete unserm Alban die lange Wand der Palläste der Bergstadt entgegen und die Statuen auf ihren welschen Dächern richte¬ ten sich wie Wegweiser und Ausrufer der Freude gegen ihn — über alle Palläste zog sich das eiserne Gebälke der Ableiter als ein Throngerüst des Donners mit goldnen Scepter¬ spitzen — seitwärts hinab lagerte sich die Thal¬ stadt neben den Fluß zwischen Alleenschatten, mit den bunten Fassaden gegen die Gassen und mit dem weißen Rücken gegen die Natur ge¬ wandt — die Zimmerleute klopften wie Ham¬ merwerke auf dem Anger unter abgeschäälten Stämmen und die Kinder klatschten mit den Rinden — die Tuchmacher spannten grüne Tü¬ cher wie Vogelwände gegen die Sonne aus — aus der Ferne zogen weißbedeckte Fuhrmanns¬ wagen die Landstraße daher, und an den Sei¬ ten des Weges graseten geschorne Schaafe unter dem warmen Schatten der fetten hellen Linden¬ knospen — und über alle diese Massen schwebte das Mittagsgeläute aus den lieben vertrauten Thürmen, (diesen Resten und Leuchtthürmen aus seiner dunklern Zeit) gleichsam verknüpfend und beseelend und rief die Menschen freundlich zusammen. Betrachtet das erhitzte Gesicht meines Helden, der endlich in die offnen aus Sonnentempeln ge¬ baueten Gassen einreitet, wo ja vor jedem langen Fenster, auf jedem Balkon Liane stehen kann — wo sich die lügnerischen oder prophetischen Räth¬ sel von Isola bella entwickeln müssen — wo sich alle Hausgötter und Hausparzen seiner nächsten Zukunft verstecken — wo nun der Montblanc des Hofes und die Alpen des Parnasses, die er beide zu besteigen hat, dicht mit ihrem Fuße an ihm liegen. — — Mich hätt' es in etwas beklom¬ men; aber im Jünglinge zumal vor dem Kronleuchter der Sonne loderte ein Leuchtre¬ gen nieder. O wenn der Morgenwind der Jugend weht: so steht die innere Merkurius¬ säule hoch, gesetzt auch, das äußere Wetter wäre nicht das beste. Wenige von uns werden, da sie die Aka¬ demie bezogen, mit ihren Pferden in ein so la¬ bendes Getümmel gerathen seyn wie mein Held; Schlotfeger sangen oben aus ihren Kan¬ zeln und schwarzen Höhlen herunter und ein Bauredner auf dem Satteldache eines neuen Hauses besprach droben sehr die künftige Feuers¬ brunst und dämpfte eine eigne und schleuderte den gläsernen Feuereimer weit über das Ge¬ rüste, ja sind wir mit ihm auch durch die la¬ chende Kirchengemeinde des Dach-Sprechers geritten und durch die Armreihen blühender Musensöhne, worunter Alban das feurige Auge nach seinem Roquairol herumdreht: so stoßen wir doch vor seiner künftigen Wohnung auf ein neues Geschrei. Es machts der Landphysikus Sphex , sein Miethsherr der ihm den halben Pallast (denn der Doktor ist begütert durch Kuren) absteht, weil das Haus gerade auf der Bergstadt oder dem Westmünster des Hofes liegt; denn in der Thalstadt hausen die Studenten und die city . Der Der kurze untersetzte D . Sphex stand, als das Kleeblatt anritt, neben einem langen Men¬ schen, der auf einer Steinbank saß und zwei Klöppel über eine Kindertrommel in Bereit¬ schaft hielt. Auf ein Zeichen von Sphex schlug der Lange auf seiner Trommel einen schwachen Wirbel und der Doktor sagte gelassen zu ihm: Strauchdieb! Ob sich gleich Sphex ein wenig gegen die lauten Reiter umdrehte, so ließ er doch bald im Wirbeln fortfahren und sagte: Range! — mußt' aber unter dem letzten Schlage nur eilig einschalten: Racker! Die Reiter saßen ab, der Doktor führte sie ohne Zeremonie ins Haus, nachdem er dem Trommler einen Wink mit der Hand gegeben, sich nicht zu regen. Er machte ihnen ihre vier oder zwölf Pfähle auf und sagte kalt: „treten „Sie in Ihre drei Kavitäten.“ Albano zog aus dem warmen Glanze des Tages in den kühlen purpurnen Erebus seines rothverhang¬ nen Zimmers wie in einen Bildersaal malen¬ der Träume ein, gleichsam in die Silberhütte für das dunkle Bergwerk des Lebens. Er fand darin die geöffnete Hand seines reichen Vaters Titan. I. S von den Bildern des Fußteppichs an bis zu den Alabasterstatuen der Wand; und im Ka¬ binet traf er unter den Gaben seiner Pflege¬ eltern alle seine nachgeschickten dichterischen und philosophischen Studienbücher, holde Re¬ flexe aus der stillen ihm durch die Reise weit entrückten Jugend, an, in deren Nelkenscherben nur Konkordien florirt hatten, indeß jetzt Feuer¬ faxe gesäet werden. Da warf, nicht die Göt¬ tinn der Nacht den Mantel, sondern die Göt¬ tinn der Dämmerung den Schleier über sein Auge und ließ im Helldunkel die Gestalten der Zukunft, manche bewaffnet, manche bekränzt, einen Trupp aus Parzen und Grazien an sei¬ nem Herzen, das bisher so ruhig war, Hände und Hebel ansetzen und sein Herz wurde weich und locker — — auf drei Minuten: wahrhaf¬ tig ein Jüngling, zumal dieser, hat die See¬ stürme, die dem Maler, die arbeitenden Vul¬ kane, die den Physiker, die Kometen, die den Astronomen erfreuen in der physischen Welt, eben so lieb in der moralischen. Albano, jetzt von Lianen nur durch Gas¬ sen und Tage getrennt, fürchtete sich fast, daß seine träumerischen Entzückungen ihr Ziel ver¬ riethen. „Sind Briefe da?“ fragte der Lektor nach seiner für Bürgerliche abbrevirten kecken Manier. „Hol' ihn herauf, van Swieten!“ sagte Sphex zu einem Söhnchen, das mit zwei andern, Boerhave und Galenus genannt, bis¬ her eine korrespondirende Entzifferungskanzlei der neuen Miethsleute hinter einem Vorhange gemacht hatte. „Unser alter Herr, (setzte Sphex „auf einmal dazu als häng' es mit dem Briefe „zusammen) hat auch ausgeherret; seit 5 Tagen „ist er maustodt wie ich längst vorausgesagt.“ „Der alte Fürst?“ fragte erstaunt Augusti. „Aber „warum werd' ich noch nichts von Trauerge¬ „läute, schwarz-angelaufnen Schnallen, Thrä¬ „nentöpfen und Jammer in der Stadt ge¬ „wahr?“ fragte Schoppe. Das erklärte der Physikus. Er hatte näm¬ lich als Leibarzt die Sterbensterzie des alten Fürsten kühn genug geweissagt und glücklich getroffen. Allein da gerade einen Tag nach dem Trauerfalle der Erbfolger Luigi in Pestiz einziehen wollte und da die Publikazion des hohen Todes die ganze für den Sohn einge¬ S 2 ölte Illuminazion ausgegossen hätte mit Thrä¬ nentöpfen und die geblümten Ehrenpforten ver¬ hangen mit Trauerflor: so hatte man, bevor der Nachfahrer empfangen war, obwohl zum größten Schaden des prophetischen Sphex, die Sache nicht wollen laut werden lassen, so wie jener Grieche bei der Todespost seines Sohnes die Trauer erst auf die Vollendung seines fro¬ hen Opferns verschob. Sphex betheuerte, schon vor vielen Jahren hab' er dem Höchstseeligen aus den weißen Zähnen Nach Camper haben Hektiker sehr weiße und schöne Zähne. die Nativität der Schwindsucht gestellt und nie die Todesstunde besser getroffen als dasmal; er lasse aber jeden selber beurtheilen, ob ein Arzt, der seine Pro¬ phezeihung überall kund gegeben, viel Seide spinne bei einer solchen politischen Unterschla¬ gung. — „Aber (versetzte Schoppe) wenn man „verstorbene Herren gleich ihren todten Solda¬ „ten, noch als lebendige in der Liste fortführt: „so kann man fast nicht anders; denn da es „bei Großen überhaupt so verdammt schwer zu „erweisen ist, daß sie leben, so ists auch nicht „leicht auszumitteln, wenn sie todt sind; Kälte „und Unbeweglichkeit und Fäulniß beweisen „zu wenig. Doch mag man vielleicht könig¬ „liche Sterbebetten wie die Perser königliche „Gräber auch darum verstecken, um den ar¬ „men Landeskindern den herben Zwischenraum „zwischen dem Tode und der neuen Huldigung „möglichst abzukürzen. Ja da nach der Fikzion „ein König gar nicht stirbt, so haben wir „Gott zu danken, daß wirs überhaupt erfah¬ „ren und daß es nicht mit dem Tode desselben „wie mit dem Tode des eben so unsterblichen „Voltaire geht, den die Pariser Journalisten „gar nicht melden durften.“ Van Swieten und Boerhave und Galenus brachten nach langem Ausbleiben einen Brief an — Albano mit Gaspards Siegel; er riß ihn jugendlich-arglos auf ohne einen Blick auf den Umschlag; aber der Lektor nahm diesen in die Hand und drehte ihn wie ein Postsekretär, Heraldiker und Siegelbewahrer nach seiner Ge¬ wohnheit zur Visitazion sphragistischer Wun¬ den herum und schüttelte über die schlechte Er¬ neuerung des Briefadels d. h. des Wappens leise den Kopf. „Haben die Jungen etwas am „Siegel verletzt?“ sagte Sphex. „Mein Va¬ „ter, (sagte lesend Albano, um eine bis nach „außen reichende Erschütterung zu überdecken, „worein ein Flug schwerer Gedanken plötzlich „alle seine innern Zweige setzte) weiß den Tod „des Fürsten auch schon.“ Da schüttelte Au¬ gusti noch mehr den Kopf; denn da sich vorhin Spher vom Briefe auf einmal auf das fürst¬ liche Sterben versprang, so setzte dieser Sprung fast die Lesung des erstern voraus. Der Leser ziehe sich hiervon die Regel ab, daß er über die Entfernung zweier Töne, zwischen welchen die Leute vor ihm hüpfen, stutzen und daraus auf den Leitton zwischen beiden rathen müsse, den sie verstecken wollen. Für den Grafen war es jetzt recht gut, daß der Doktor den Hofmeistern ihre Zimmer anwies; ach seine vom heutigen Tage schon schwankende Seele wurde jetzt so heftig vom Inhalte des Briefes erschüttert! — 29. Zykel. Als Sphex dem Bibliothekar die Stube aufthat, war solche schon besetzt von einer Kiste (auch aus Italien angelangter) Vipern, von ¾ Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und von 3 durchbohrten Seidenschuhen der Dokto¬ rinn sammt einer Waise und einem Vorrathe von Kamillenkraut; das medizinische eheliche Paar hatte gedacht, das pädagogische niste bei¬ sammen. Aber Schoppe versetzte recht gut und fast mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬ traktirten Augusti: „je kräftiger und geistrei¬ „cher und größer zwei Menschen sind, desto „weniger vertragen sie sich unter Einem Dek¬ „kenstück, wie große Insekten, die von Früch¬ „ ten leben, ungesellig sind (z. B. in jeder Ha¬ „selnuß sitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen, „die nur von Blättern zehren, z. B. die „Blattläuse nesterweise beisammenkleben.“ — Zesara hätte allerdings an seinem unersättlichen Herzen den Geliebten, den ihm das Geschick daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage und Stunde wie einen Waffenbruder behalten wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde, Liebende und Eheleute sollen alles gemein ha¬ ben, nur nicht die — Stube; die groben For¬ derungen und die kleinlichen Zufälle der kör¬ perlichen Gegenwart sammlen sich als Lampen¬ rauch um die reine weiße Flamme der Liebe. Wie das Echo immer vielsylbiger wird, je wei¬ ter unser Ruf absteht, so muß die Seele, aus der wir ein schöneres begehren, nicht zu nahe an unsrer seyn; und daher nimmt mit der Ferne der Leiber die Nähe der Seelen zu. Der Doktor ließ seine lauten Kinder als einen ausräumenden Strom in die Augiasstube laufen; er aber gieng wieder zum Trommler hinunter, mit dem es nach seiner Erzählung diese Vewandtniß hatte: Sphex hatte schon vor mehrern Jahren besondere Vermuthungen über die Fett-Absonderung und den Durchmesser der Fett-Zellen in einem Traktate gewagt, den er nicht eher herausgeben wollte, bis er die ana¬ tomischen Zeichnungen dazu konnte stechen las¬ sen, mit denen er auf die Sekzion und Aus¬ spritzung des dasitzenden Trommlers wartete. Diesen kranken, einfältigen, schlaffen Menschen, Malz mit Namen, hatt' er vor einem Jahre, als sich einige Fett-Augen auf ihm ansetzten, un¬ ter der Bedingung in die Kost genommen, daß er sich zerlegen ließe, wenn er verstorben wäre. Zum Unglück findet Sphex seit geraumer Zeit, daß der Kadaver täglich abfället und eindor¬ ret aus einem Aale zu einer Hornschlange; und es ist ihm unmöglich herauszubringen, was es macht, da er ihm nichts Aussaugendes zulässet, weder Denken noch Mozion noch Passionen, Empfindsamkeit, Essig noch sonst etwas. Die Trommel muß der Kadaver — da er eben so harthörig als hartsinnig ist und schon darum keine Vernunft annimmt, weil er keine hört — immer umgehangen tragen, weil er unter ihrem Rühren besser vernimmt, was sein Brodherr und Prosektor an ihm aussetzt. Derham ( in seiner Physiko-Theologie 1750) bemerkt, daß Taube unter dem Getöse am be¬ sten hören, z. B, ein Harthöriger unter dem Glockengeläute; eine taube Wirthinn unter dem Trommeln des Hausknechts. Daher wird vor — Der Doktor filzte ihn nun drunten, — Schoppe hörte zum Fenster hinab — so aus: „ich wollte, „der Teufel hätte lieber Seinen verdammten „seeligen Vater geholet als daß er gestorben „wäre. Er schießet ja über Sein Lamentiren „ein wie Soldatentuch und weckt ihn doch nicht „auf, und wenn Er sich die Nase wegweinte. „Besser getrommelt, Kahlmäuser! — Weiß Er „denn nicht, Schufft, daß Er mit einem an¬ „dern einen Kontrakt gemacht, ins Fett zu „wachsen so gut Er kann, und daß man den „Broddieb kostbar ernährt, bis er brauchbar „wird? — Andere würden gern fett, wenn „sie's hätten. — Und Ihr! — Redet, Strick!“ — Malz ließ die Trommelstöcke unter die Schenkel niederklappen und sagte: „Sie ha¬ „ben recht Seine Noth mit mir — es ist kein „rechter Seegen bei unserm Schmalz — und „darüber mergelt sich unser einer im Stillen „ab. — Meinen Vater seel. schlag' ich mir Fürsten und Ministern, die meistens schlecht hö¬ ren, Musik- Pauken- und Kanonen-Lärm, wenn sie durchpassiren, geschlagen, damit sie das Volk leichter hören. „wahrhaftig aus dem Kopfe, er mag mir ein¬ „fallen wenn er will.“ — 30. Zykel. Der väterliche Brief, der Albanos Seele in allen ihren Fugen erschütterte, lautet über¬ setzt so: „Lieber Albano, im Kampanerthal er¬ „hielt ich leider einen Brief über die im¬ „mer heftiger wiederkommenden Aphyxien „deiner Schwester, er war am Charfrei¬ „tage geschrieben und setzte ihren Tod „schon als ausgemacht voraus. Auch bin „ich darauf gefasset. Destomehr frappirte „mich deine Nachricht vom Gaukler der „Insel, der den Propheten spielen wollen. „Eine solche Weissagung setzt irgend einen „Antheil voraus, dem ich in Spanien nä¬ „her nachspüren muß. Ich glaube den „Betrüger schon zu kennen. — Sey an „deinem Geburtstage vorsichtig, bewaff¬ „net, kalt und kühn und halte wo mög¬ „lich den Jongleur fest; gieb dir aber kein „ ridicule durch Sprechen darüber. — Dian „ist in Rom und arbeitet recht brav. — „Lege Hoftrauer für den lieben alten Für¬ „sten an aus Gefälligkeit. Addio ! — G . de C . „Ach theuere Schwester!“ seufzete er innig, und zog ihr Medaillon heraus und sah wei¬ nend die Züge eines ihr versagten Alters an, und las weinend die widerlegte Unterschrift: wir sehen uns wieder. Jetzt da sich ihm das Leben lachend und weit aufschließet, gieng es ihm viel näher, daß das Schicksal die Schwe¬ ster so eng bedeckt; ja der harte Gedanke kam dazu, ob er nicht Schuld an ihrem Ver¬ schwinden habe, da seinetwegen der fürchter¬ liche Zahuri der Insel vielleicht eine opfernde Gaukelei getrieben: sogar der Umstand, daß sie seine schwächliche Zwillingsschwester war, wurde ein Schmerz. — Allein kämpfend stan¬ den jetzt die Gefühle in seinem Geiste wie auf einem Schlachtfelde gegeneinander. Welches Schicksal zieht mir entgegen! dacht' er. „Nimm „die Krone!“ hatte jene Stimme gesagt; — „welche?“ fragte aufstehend sein ruhmdurstiger Geist und u ersuchte kühn, ob sie aus Lorbee¬ ren oder Dornen oder Metallen bestehe. — „Liebe die Schöne!“ hatte sie gesagt; aber er fragte nicht: „welche?“, — nur hatt' er, seit¬ dem der Vater des Todes seinen Namen und seine Glaubwürdigkeit fürchterlich zu bewähren schien, die Furcht daß die angekündigte Stimme in der Himmelfahrts- und Geburtsnacht einen andern Namen nenne als den geliebtesten. — Abends nachdem die drei Ankömmlinge ihre häuslichen Einrichtungen, die aus dem wellenschlagenden Albano noch immer nicht den vervielfältigten Zauberglanz der Linden¬ stadt wegbrachten, hinter sich hatten: führte der Lektor den Grafen zum Erbprinzen Luigi . Dieser kopirte täglich eine halbe Stunde lang im Bilderkabinet; und beschied beide dahin zum Warten auf ihn. Sie giengen hinein. Ein andrer als ich würde hier der Welt einen räsonnirenden Küchenzettel aller Schaugerichte des Kabinets zustellen; aber ich mag sie nicht einmal mit den 17 Gemälden beschenken, über deren Reizen jene seidnen Tändelschürzen oder Schleier hiengen, die in Paris eine Dame gern von ihren eignen abheben würde, um nur da¬ mit verschämt das Kunstwerk zu bedecken. Man kann leicht denken, daß unserm Alban im Bilderkabinet das mütterliche In dessen Wand, die Frau mit dem Souve¬ nir ist. einfiel und daß er gern an jedem Nagel gerücket hätte, wäre niemand da gewesen. Aber die Prinzessinn Julienne war da, die er (und wir alle) noch recht gut von Blu¬ menbühl her kannte, wie sie ihn. Sie war zwar voll junger Reize, aber man fand diese doch nicht eher als bis man ein Paar Tage vorher sehr in sie verliebt gewesen war — das machte sie darauf jede Minute hübscher, wie denn überhaupt Amor mehr der Vater als der Sohn der Huldgöttinn ist, und sein Köcher das beste Schmuckkästchen und die reichste Toilet¬ tenschachtel, und seine Binde das beste mou¬ choir de Venus und Schminkläppchen, das ich kenne. Sie zeichnete gerade den Gypsabguß eines schönen alten Kopfs, der dem Grafen gleich¬ sam aus dem Antikenkabinet seiner Erinne¬ rung geholt zu seyn schien und dem sein wal¬ lendes Herz recht liebend entgegenfloß; aber er entsann sich des Urbilds nicht. — Endlich sagte Julienne, die Etiquette verschmähend, recht gutmüthig und aufblickend: „ach lieber „Augusti, mein Vater ist verschieden in Li¬ „ lar .“ Das Wort Lilar kolorirte plötzlich in Albano das bleiche Gedächtnißbild — völlig wie diese blasse Büste sah im Mondscheine der alte Mann aus, der in jener dichterischen Sommernacht Zesarens Hände auf dem Berge zum Gebet zusammenlegte und sagte: gehe schlafen, lieber Sohn, eh' das Gewitter kömmt. Ein andrer hätte sich nun nach dem Namen der Büste erkundigt und erst dann die nächt¬ liche Historie entdeckt; aber der Graf that im Feuer bloß das letztere, nach einem kurzen Warten auf das Auslaufen des Gesprächs, Au¬ gusti wollte ihn, als er die ihm fremde Ge¬ schichte der Bekanntschaft mit dem Urbilde an¬ hob, sorgend unterbrechen; aber Julienne gab ihm einen Wink, ihn zu lassen; und der Jüng¬ ling theilte treuherzig der theilnehmenden Seele das schöne Zusammenkommen gerührt und brennend mit, und wurde beides noch mehr als ihre Augen überflossen in ihr Lächeln. — „Es war mein Vater, das ist sein Abguß!“ sagte Julienne weinend und freudig; Albano schlug nach seiner Art, mit seufzender Brust die Hände vor der Büste zusammen und sagte: „du edle herzlich geliebte Gestalt!“ und sein großes Auge schimmerte von Liebe und Trauer. Die gute weibliche Seele wurde von einer so unhöfischen Theilnahme fortgerissen und sie überließ sich ganz ihrem angebornen Feuer. Das weibliche und das höfische Leben ist zwar nur die längere Strafe des Gewehrtragens — Oberhofmeisterinnen sind, wie es nach dem Modelle der Jaherren Neinherren giebt, wahre Neinfrauen — die siebenfarbige Kokarde der heitern tanzenden Freiheit wird da abgerissen oder läuft schwarz an von der Hoftrauer — jeder weibliche Lusthain ist ein unheiliger — fataleres kenn' ich nichts — — — aber die kraushaarige Julienne brach, mir nichts dir nichts, durch das ewige Gefängniß bei süßem Brodte und gebranntem Wasser des Tages wohl 12mal hinaus und lachte den freien Himmel an an und beleidigte (— sich und andre nie —) die Oberhofmeisterinn stets. Sie erzählte nun dem Grafen (indem sie aus Nervenschwäche und Lebhaftigkeit immer stärker lächelte und schneller sprach), wie ihr lieber schwacher, mehr kindlicher als kindischer Vater dessen alten Lip¬ pen und entkräfteten Gedanken nur noch nach¬ gelallte Gebete möglich waren, sich mit einem eisgrauen mystischen Hofprediger in Lilar ins Betzimmer eingeschlossen ( ein graues Haupt verbirgt sich gern eh' es verschwindet und sucht wie Vögel einen dunkeln Ort zum Entschlafen) — und wie sie und das Fräulein von Froulay (Liane) dem halbblinden Manne abwechselnd Gebete vorgelesen und gleichsam die Abend¬ glocke der Andacht vor dem müden schlaf¬ trunkn e n Leben angezogen. Sie malte, wie er in diesem Vorhofe der Gruft alles Geliebte überlebt oder vergessen habe, wie er immer nach ihrer Mutter gefragt, deren Sterben ihm stets von neuem entfallen und wie das verdun¬ kelte Auge jede Tageszeit für einen Abend und daher jeden Fortgehenden für einen, der schla¬ fen gehen wolle, genommen habe. Titan. I . T Wir wollen nicht zu lange auf diese späte Zeit des Lebens blicken, wo sich die Menschen wie¬ der als Kinder für die längere Wiege des Grabes verkürzen; und wo sie gleich den Abends schla¬ fenden Blumen unkenntlich sind und einan¬ der früher als im Tode gleich werden. Besonders dem Lektor war wie allen Hof¬ leuten schlecht mit diesen Funeralien gedient; auch wollt' er gern die Hiobskrankheit ihres Klagens durch Versetzung heilen und führte sie näher zu Lianen. Aber eben, indem sie den Antheil und die Opfer dieser Freundinn beschrieb und indem ihr wieder die lange weinende Um¬ armung erschien, worin Liane sie und den Schmerz gleichsam fest an sich geschlossen hatte, so kehrte jeder dunkle schwere Blutstropfe den die kräftigen Pulsadern fortgetrieben hatten, wieder in das Herz zurück und sie hörte auf, zu malen, sowohl diese Geschichte als den Kopf. Die beiden Freundinnen waren keine solche, die sich den Kuß durch zwei Flöre hinauslan¬ gen, oder die einander abzuherzen wissen, ohne die kleinste Quetschwunde der Frisur, oder de¬ ren Liebesmahl sich jedes Jahr, wie das Abend¬ mahlbrod jedes Jahrhundert, leichter und dün¬ ner bricht: sondern sie liebten sich innig mit den Augen, mit den Lippen, mit dem Herzen, wie zwei gute Engel. Und wenn vorher die Freude ihren Ärntekranz nahm und ihn für sie zum Trauring der Freundschaft machte: so versuchte jetzt der Gram mit seinem Stachelgür¬ tel dasselbe. — Ihr guten Seelen! mir ist es ganz leicht denklich, wie ein so reiner glänzen¬ der Seelenbund das Herz eueres Freundes Al¬ bano zugleich peinlich ausdehnt und seelig er¬ hebt, wie die ärostatische Kugel zugleich zer¬ stöhrend schwillt und steigt. Für Lianens Ein¬ zug standen ohnehin schon geschmückte Ehren¬ pforten in seinem Innern in die Höhe! Inzwischen hätte ein Fremder ohne diese meine Feder, oder auch ich ohne den Lehn¬ probst Hafenreffer, nichts am sprechenden Gra¬ fen merken können, als ein irres Glühen im Gesicht und schnelle Worte. 31. Zykel. Auf einmal tritt in diese Schilderungen und Genüsse der Thronfolger, oder vielmehr T 2 der Nachwinter des kalten Greises ein, Luigi . Mit einem flachen Schnitzwerke des schwammi¬ gen Gesichts, auf dem sich nichts ausdrückte als der ewige Mißmuth der Lebens-Verschwen¬ der, und mit einigem reifen Grauwerke auf dem Kopfe (als Vorläufer der Weisheitszähne) und mit der unfruchtbaren Superfötazion eines voluminösen Unterleibes gieng er mit der grö߬ ten Höflichkeit auf Albano zu, in der ein fla¬ cher Frost gegen alle Menschen vorstand. Er stäubte sogleich mit der Kleie von leeren schnel¬ len, unähnlichen Fragen um sich und eilte stets; denn er hatte fast noch mehrere Langweile als er machte, wie sich überhaupt für keinen das Leben so widrig verlängert, als für den, der es verkürzet. Luigi war durch die Erde so schnell wie durch ein Puderstübchen gelaufen und war wie in diesem, gehörig grau gewor¬ den; die Milchgefäße seines äußern und in¬ nern Menschen hatten sich, weil sie Sahne- oder Rahmgefäße seyn sollten, eben deswegen in Giftgefäße und Leidensbecher verkehrt. So oft ich vor einer gemalten Fürsten-Suite in einem Korridor vorbeigehe, so verfall' ich stets auf mein altes Projekt und sage ganz über¬ zeugt: „vermöchten wir nur wie die Spar¬ „ter und alle ältere Völker es durchzusetzen, „daß wir einmal einen Regenten gesund auf „den Thron hinaufbrächten; so hätten wir ei¬ „nen guten obendrein und alles gienge. Aber „ich weiß, es sind die Zeiten nicht dazu. Sünd¬ „licher Weise assistiren nur bei der Tortur , „nicht bei der Freude , Chirurgen und Aerzte „die auf den Grad der Freude wie der Folter „und auf die unschädlichen Stellen genau hin¬ „weisen.“ — Albano, fremd vor und in dieser Men¬ schenklasse, sah anfänglich die Kluft zwischen sich und Luigi flacher gegraben als sie war; bloß unbehaglich und drückend wurd' es ihm, wie gewissen Leuten, wenn ohne ihr Wissen eine Katze im Zimmer ist. Die fortgehende moralische Entkräftung und Verfeinerung wird alle unsere Außenseiten noch so absäubern und ausgleichen — und zwar nach demselben Gesetze wornach physische Schwächung die Hautausschläge zurückjagt und in die ed¬ lern Theile verweiset —, daß wahrhaftig ein Engel und ein Satan zuletzt in nichts zu un¬ terscheiden sind als im Herzen. — Alban brachte schon von Wehrfriz, den er immer die Rechte der Landschaft gegen den Fürsten ver¬ fechten hörte, Abneigung gegen den Nachfol¬ ger mit; desto leichter entbrannte in ihm ein moralischer Grimm, da Luigi sich gegen die Bilder kehrte und die Vorhänge oder Bergle¬ der von einigen der indezentesten wegzog, um ihren artistischen Gehalt nicht ohne Geschmack und Kenntniß auszuwägen. Eine kopirte Ve¬ nus von Tizian auf einem weißen Tuche lie¬ gend war nur die Vorläuferinn. Obgleich der unschuldige Erbprinz die voyage pittoresque durch diese Gallerie mit der artistischen Kälte des Gallerieinspektors und Anatomikers machte und mehr seine Kenntnisse zu zeigen als zu berei¬ chern suchte: so nahm doch der unerfahrne Jüng¬ ling alles mit einer tauben und blinden Ent¬ rüstung auf, die ich mit nichts, nicht einmal mit der Gegenwart der Prinzessinn zu verthei¬ digen weiß, um so mehr, da erstlich diese ihre Seele nur zwischen der Gipsbüste und deren Kopie, arbeitend theilte und da zweitens in unsern Tagen Damenuhren und Fächer (wenn sie geschmackvoll sind), Gemälde tragen, gegen die Albano wieder Fächer nehmen würde. Die zwei Flammen des Zorns und der Schaam überdeckten sein Angesicht mit einem glühenden Wiederscheine; aber sein unbehülflicher Trotz kontrastirte gegen die Gewandtheit des Lektors, der mit seinem kalten eben so bestimmten als leichten Tone Selbstständigkeit bewahrte und Reinheit schützte. „Sie gefallen mir alle nicht „(sagt' er barsch) ich gäbe sie für ein einziges „Gewitter von Tempesta weg.“ Luigi lä¬ chelte über sein schülerhaftes Auge und Gefühl. AIs sie in das zweite Bilder-Zimmer traten, hörte Albano die Prinzessinn fortgehen. Da ihm dieses Gemach mit noch mehrern zerrisse¬ nen Vorhängen des Allerunheiligsten drohte: so nahm er seinen Abschied ohne son¬ derliche Zeremonie und gieng ohne den Lektor zurück, der heute vorzulesen hatte. Nie faßte Schoppe seine pulsirende Hand herzlicher an als diesesmal; der Anblick eines verschämten Jünglings ist fast holder (selte¬ ner zumal) als der einer verschämten Jung¬ frau, jener erscheint weiblich-sanfter; wie diese männlich-stärker durch das zugemischte Zürnen der Tugend. Schoppe, der wie Pope, Swift, Boileau Heiligkeit des Geschlechts mit Zynis¬ mus der Kleidung und Sprache zusammen¬ zwang, leerte die größten Zornschaalen über jede Libertinage aus und fiel als eine satyrische Bellona die besten freien Leute an; dasmal aber nahm er sie mehr in Schutz und sagte: „die ganze Gattung liebt fremde Schaamröthe „entschieden und bekämpfet sie lieber als Scham¬ losigkeit, so wie (und aus einerlei Gründen) „ Blinde die Scharlach farbe vorziehen. „Man kann sie den Kröten vergleichen, die „den kostbaren Krötenstein (ihr Herz) auf kein „anderes Tuch wie auf ein rothes setzen.“ — Der Lektor der bei aller Reinheit und Zucht doch dem Scarron ohne Bedenken an der Ode auf das Gesäß einer Herzoginn hätte schreiben helfen, wußte — als er die Flucht des Grafen behandeln wollte — gar nicht, wie ihm geschah, als ihn dieser mit einigem Rosenessig ansprengte und sagte: „der Vater liegt dem „schlechten Menschen auf dem Brette und „ihm liegt eines vor der eisernen Stirn: o „der Schlechte!“ — Allerdings hatte die phy¬ sische und moralische Nähe der zwei schönen weiblichen Herzen und die Liebe dafür den Grafen am meisten gegen Luigi's artistischen Zynismus empört. Der Lektor versetzte bloß: „Er werde bei dem Minister und überall das¬ „selbe hören; und seine falsche Delikatesse werde „sich schon noch geben.“ — „Die Heiligen „(fragte Schoppe) wohnen nur auf, nicht in „den Pallästen?“ Froulays seiner trug näm¬ lich auf seiner Platteforme einen ganzen Kor¬ don von steinernen Aposteln; und auf einer Ecke stand eine Marienstatue, die zwischen lau¬ ter Dächern aus Sphexens Hause zu sehen war. Junger Zesara! wie jagt dir diese mar¬ morne Madonna Blutwellen durchs Gesicht, gleichsam die Schwester deiner schönern, oder die Schutz- und Hausgöttinn derselben! — Aber er beschleunigte den Eintritt in dieses Lararium seiner Seele, die Abgabe des väterlichen Em¬ pfehlungsschreibens mit keinem Laute aus Scheu des Argwohns: so viele Fehltritte thut der Gute schon im Heidenvorhofe der Liebe; wie soll er im Weibervorhofe bestehen, oder im finstern Allerheiligsten fußen? 32. Zykel. Der Hof ließ jetzt (er konnte vor Schmerz nicht sprechen) ausschreiben, daß der todte Ne¬ stor mit Tode abgegangen. Ich setze hier den Jammer der Stadt sammt der Freude derselben über die neue Perspektive bei Seite. Der Land¬ physikus Sphex mußte den Regenten — anstatt daß man uns Unterthanen gleich Schnepfen und Grundeln mit dem ganzen Eingeweide und Gescheide auf die Tafel des Gewürms ser¬ virt — wie ein großes Thier ausweiden. Abends ruhte der Erblaßte auf seinem Parade¬ bette aus — der Fürstenhut und der ganze elektrische Apparat des Throndonners lag eben so ruhig und kalt neben ihm auf einem Ta¬ bouret — ; er hatte die gehörigen Kerzen und Leichenwächter um sich. Diese Todten-Schwei¬ zer — der Klang frappirt mich und ich sehe jetzt die Freiheit auf dem Paradebette der Al¬ pen liegen und die Schweizer wachen — beste¬ hen bekanntlich aus zwei Regierungsräthen, zwei Kammerräthen und so fort. Der eine Kam¬ merrath war der Hauptmann Roquairol. Es kann hier nur einschaltungsweise berührt wer¬ den, wie dieser Jüngling, der vom Kamerale fast nicht mehr verstand als ein Kammerrath im * * hischen, doch zu einem Rathe in Kriegs¬ sachen darin aufstieg —, nämlich wider seinen Willen durch den alten Froulay, der (an sich eben kein sentimentalischer Herr) den alten Fürsten immer die Jugenderinnerungen auf¬ frischte und auffärbte, weil man in dieser wei¬ chen Laune von ihm erbetteln konnte was man wollte. Wie häßlich und niedrig! So kann ein armer Fürst kein Lächeln, keine Thräne, kein freudiges Bild haben, woraus nicht irgend ein Hofprezist, ders sieht, einen Thürgriff arbeitet, sich etwas zu öffnen, oder einen Degengriff zum Verwunden; keinen Laut kann er von sich ge¬ ben, den nicht ein Waidmann und Wildruf¬ dreher zum Mundstück und Wildruf ver¬ brauche. — Julienne besuchte abends um 9 Uhr das einzige Herz, das am Hofe wie ihres und für ihres schlug, ihre gute Liane. Diese bot gern ihrer anfangenden Migraine die Stirn und suchte nur fremde Schmerzen zu fühlen und zu stillen. Die Freundinnen, die vor fremden Au¬ gen nur Scherze und voreinander nur einen weichen schwärmerischen Ernst entfalteten, ver¬ sanken immer tiefer in diesen vor der religiösen strengen Ministerinn, die nie an Juliennen so viel Seele fand als in dieser sanft nachweinen¬ den Stunde, wie Levkoien zu duften anfangen, wenn sie begossen werden. Nicht der käm¬ pfende Schmerz, sondern der fliehende verschö¬ nert die Gestalt; daher verklärt der Todte seine, weil die Quaalen erkaltet sind. Die Mädchen standen schwärmerisch miteinander am Fenster, das zunehmende Mondenlicht ihrer Phantasie wurde durch das äußere voll; sie machten den Nonnen-Plan, auf Lebenslang beisammen zu leben und zusammenzuziehen. Es kam ihnen in dieser stillen Rührung oft mit Erschrecken vor als wehe der klingende Flug abgeschiede¬ ner Seelen vorüber — (bloß ein Paar Fliegen hatten auf der Harfe der Ministerinn mit Füs¬ sen und Flügeln die Töne gegriffen) —; und Julienne dachte recht schmerzlich an ihren tod¬ ten Vater in Lilar. Endlich bat sie die Seelenschwester, mit ihr heute nach Lilar zu fahren und das letzte und tiefste Weh einer Waise zu theilen und zu mildern. Sie that es willig; aber der Mini¬ sterinn war das Ja mühsam abzuringen. Ich sehe die sanften Gestalten aus der langen Um¬ armung im Wagen, in das Trauerzimmer in Lilar treten, die kleinere Julienne mit zucken¬ den Augen und wechselnder Farbe, Liane von Migraine und Trauer blässer und milder und über jene durch ihre schon vom zwölften Jahre geschenkte Länge Diese frühzeitige Vollendung des Wuchses hab' ich an mehreren ausgezeichneten Weibern be¬ merkt, gleich als sollten diese Psychen Schmet¬ terlingen gleichen, die nicht wachsen nach der Entpuppung. erhoben. Wie überirrdische Wesen stralten beide die an allen Ecken brennende Seele Roquairols an. Ein einziger Thränentropfe konnte in diesen Kalzinirofen Sieden und Verwüstung bringen. Schon diesen ganzen Abend blickte er den Greis mit furchtsamen Schaudern über das kindische Ende dieses gewichnen Geistes an, der sonst so feurig gewesen als seiner jetzt; und je länger er hinsah, desto dickere Rauchwolken schwam¬ men vom offnen Krater des Grabes in das grünende Leben herein, und er hörte darin donnern und er sah darin eine Eisenfaust dun¬ kel glühen, die nach unserm Herzen greift. Unter diesen grimmigen Träumen, die je¬ den innern Schmutzflecken beleuchteten und die hart ihm droheten, auch an seinem Vulkane werde nichts fruchtbar seyn als einst die — Asche , traten die traurigen Mädchen herein, die unterwegs nur über die erkaltete Gestalt, und jetzt noch heftiger über die verschönerte weinten; denn die Hand des Todes hatt' aus ihr das Linienblatt der letzten Jahre, das vor¬ tretende Kinn, die Feuermäler der Leidenschaf¬ ten und so viele mit Runzeln unterstrichene Quaalen weggelöscht und gleichsam auf die Hülle den Wiederschein des frischen stillen Mor¬ genlichts gemalt, das jetzt den entkleideten Geist umgab. Aber auf Julienne machte ein schwarzes Taftpflaster auf dem Augenknochen, das noch von einem Stoße daraufgeblieben war, dieses Zeichen der Wunden einen hefti¬ gern Eindruck als alle Zeichen der Heilung; sie bemerkte nur die Thränen, aber nicht die Worte Lianens: o wie ruht Er so schön! — „Aber „warum ruht er? (sagte ihr Bruder mit jener „aus dem Innersten murmelnden Stimme, die „sie von seiner Liebhaber-Bühne her kannte; „und faßte ihre Hand erschüttert, weil er und „sie einander innig liebten und seine Lava „brach nun durch die dünne Rinde) — dar¬ „um, — weil das Herz aus seiner Brust ge¬ „schnitten ist, weil darin das Feuerrad der „Entzückung, das Schöpfrad der Thränen „nicht mehr geht.“ — Diese tyrannische Erinnerung an die Lei¬ chenöffnung wirkte fürchterlich auf die kranke Liane und sie mußte die Augen von der zuge¬ deckten Brust abwenden, weil der Schmerz mit einem Lungenkrampfe den Athem sperrte; und doch fuhr der wilde, andere wie sich verhee¬ rende Mensch, der vorher neben der steifen Leichengarde geschwiegen hatte, im doppelten Zertrümmern fort: „fühlst du wie sich dieser „Fangeball des Schicksals, dieses Ixionsrad der „Wünsche so schmerzlich in uns bewegt? — „nur die Brust ohne Herz wird ruhig.“ — Auf einmal schauete Liane länger und starrer auf die Leiche — eine eiskalte Schneide, wie von der Todessichel, drückte sich durch das warme Gehirn — die Trauerkerzen brannten (schien es ihr) trüber und trüber — dann sah sie im Winkel des Zimmers eine schwarze Wolke spielen und aufwachsen — dann fieng die Wolke zu fliegen an und stürzte voll heraus¬ quellender Nacht über ihre Augen — dann schlug die dicke Nacht tiefe Wurzeln in den wunden Augen und die erschrockne Seele konnte nur sagen: ach Bruder, ich bin blind. Nur der harte Mann, aber kein Weib wird es fassen, daß in Roquairols entsetzlichen Schmerz einige ästhetische Freude über das mörderische Trauerspiel eindrang. Julienne schied vom Todten und von dem alten Schmerze und warf sich mit dem neuen an ihren Hals und und klagte: „o meine Liane, meine Liane! „siehst du noch nicht? — Sieh mich doch an!“ — Der zerrissene und zerreissende Bruder führte die Schwester, der nur einzelne Tropfen als kaltes hartes Wasser auf die blassen Wan¬ gen schlugen, mit der scharfen Frage fort: „schwirret kein Würgengel mit rothen Fittigen „durch deine Nacht, wirft er keine gelbe Nat¬ „tern auf dein Herz und keine Schwerdtfische „in deine Nervengewebe, damit sie sich darin „verstricken und an den Wunden die Sä¬ „gezähne wetzen? — Mir ist wohl in mei¬ „ner Pein, solche Disteln kratzen uns, nach gu¬ „ten Moralisten, auf Mit Disteln wird das Tuch gerauhet, d. h. aufgekratzt, um es besser zu scheeren. und bereiten uns zu. „— — Du jammervolle Blinde, was sagst du, „hab' ich dich wieder recht elend gemacht?“ — Wahnsinniger, sagte Julienne, lassen Sie nach, Sie bringen sie um. — „O was kann Er da¬ „für (sagte Liane); die Migraine machte mir „es schon vorhin neblicht.“ — Der Abschied der Freundinnen wurde in Titan. I . U mehr als einer Finsterniß genommen und dar¬ in will ich ihn mit allen seinen Quaalen las¬ sen. — Dann bat Liane ihr Mädchen, es der Mutter so kurz vor dem Schlafe zu verschwei¬ gen, da es sich vielleicht in der Nacht noch gebe. Aber umsonst; die Ministerinn war es gewohnt, ihren Tag an der Brust und der Lippe ihrer Tochter zu schließen. Nun trat diese geleitet herein und suchte das Mutterherz irrig seitwärts und dem sanftern Weinen konnte sie in dieser geliebten Nähe nicht mehr wehren: da wurde ja alles verrathen und alles gestan¬ den. — Die Mutter ließ erst den Doktor ru¬ fen, eh' sie mit feuchten Augen und mit leisen Armen an der angedrückten Tochter den Be¬ richt anhörte. Sphex kam, prüfte die Augen und den Puls und machte nichts daraus als ein Nerven-Falliment. Der Minister, der überall im Hause Leit¬ hunde mit feinen — Ohren hatte, kam, unter¬ richtet, herein und machte in Sphexens Bei¬ seyn außer weiten Schritten nichts als die kleine Note: „ Voyés, Madame, comme „ Votre le Cain „Sehen Sie wie vortrefflich Ihr Le Cain (ein „berühmter Schauspieler) seine (Mord-) Rolle „spielt.“ joue son rôle à mer¬ „ veille .“ — Sobald Sphex hinaus war, ließ Froulay einige Billionenpfünder und Wachteln (drei¬ pfündige Handgranaten) auf die Gattinn los. „Das sind, notirte er, die Folgen Ihrer visio¬ „nairen Erziehung (freilich schlug seine eigne „am Sohne auch nicht sonderlich an) — War¬ „um ließen Sie die kranke Närrinn gehen? (Er hätt' es selber aus höfischen Rücksichten noch lieber erlaubt; aber Männer tadeln gern die Fehltritte, die man ihnen — ersparte; überhaupt setzen sie wie Köchinnen das Messer lieber an Hüner mit weißem Gefieder als an die mit dunkelm ). — Vous aimés, ce me sem¬ „ ble, à anticiper le sort de cette Reveuse un „ peu avant qu'il soit decidé du nôtre „Sie wollen wie es scheint das Schicksal die¬ „ser Seherinn noch eher entscheiden als das un¬ „srige entschieden ist.“ Er meint hier die Ehe¬ (Ihr U 2 „Schweigen machte ihn immer bitterer) — „ Oh! ce sied si bien à votre art cosmétique „ que de rendre aveugle et de l'être, le dieu „ de l'amour, s'y prête de modéle „So gehört sichs für Ihre Verschönerungskunst, „sowohl blind zu machen als zu seyn; der Lie¬ „besgott ist das Modell dazu.“ .“ Von dieser schreienden Härte ergriffen — besonders da bloß der Minister wider die mütterlichen Wünsche eben diese kosmetische Erziehung Lianens für seine politischen gewählt und be¬ fohlen hatte — mußte die Mutter das nasse Auge an der Tochter verbergen und trocknen. Die Ehemänner — und die neuesten Litteratoren — halten sich für Feuersteine, deren Lichtgeben man nach ihren scharfen Ecken berechnet. Un¬ sere Voreltern schrieben einem Diamant-Ge¬ henke das Vermögen, Liebe unter Ehegatten anzufachen zu — auch find' ich in der That noch an Juwelen diese Kraft —; nur lässet scheidung, die zwischen beiden nur durch den wech¬ selseitigen Wunsch, Lianen zu behalten, verscho¬ ben wurde. dieser zum Kiesel gehörige Stein nach den Ehe¬ pakten so kalt und hart als er selber ist. Wahrscheinlich war Froulays Eheband ein sol¬ ches edelsteinernes. Allein die Frau sagte nur: „lieber Mini¬ „ster, lassen wir das!; aber schonen Sie die „Kranke.“ — „ Voilà précisement ce qui fût vo¬ „tre affaire „Das wäre eben vorher Ihre Sache ge¬ „wesen.“ “ sagt' er hohnlachend. Vergeb¬ lich redete Liane ihn rührend-irrig von der fal¬ schen Weltgegend an und sprach für ihren Bru¬ der — welches ewige zu viel beweisende Defen¬ sorat aller Leute ihr einziger Fehler war —; vergeblich, denn sein Mitleiden mit einer Ge¬ peinigten bestand in nichts als im Grimme ge¬ gen die Peiniger und seine Liebe gegen Liane zeigte sich nur im Hassen derselben: „schweig, „Närrinn! Aber Monsieur le Cain soll mir „nicht ins Haus, Madame, bis auf weitre „Ordre!“ — Ich sage zum alten Ehe-Bra¬ marbas aus Schonung weiter nichts als: geh' zum Teufel, wenigstens zu Bett'! — 33. Zykel. Das deutsche Publikum wird sich noch der vom Antrittsprogramm versprochenen obliga¬ ten Blätter erinnern und mich fragen, wo sie bleiben. Der vorige Zykel war das erste, bestes Publikum; aber sieh' daraus, wie obli¬ gate Blätter sind und daß vielleicht so viel Ge¬ schichte darin stecke als in irgend einem Zykel, wie er auch heiße. Der Graf hatte noch nichts von Lianens Un¬ glück erfahren, als er mit den andern hinunter zum Diner des Doktors gieng, der heute sehr gastfrei war. Sie fanden ihn im heftigsten La¬ chen begriffen, die Hände in die Seiten ge¬ stützt und die Augen über zwei Salbennäpf¬ chen auf dem Tische gebückt. Er stand auf und war ganz ernsthaft. In Reil's Archiv für die Physiologie hatt' er nämlich gefunden, daß nach Fourcroy und Vauquelin die Thränen den Veilsaft grün färben und also Laugensalz enthalten. Um nun den Satz und die Thrä¬ nen zu prüfen, hatt' er sich hingesetzt und ernst¬ haft stark gelacht, um zu weinen und einige Tropfen für die Sohlwage des Satzes zu ge¬ winnen; er hätte sich gern anders erschüttert durch Rührung, aber er kannte seine Natur und wußte, daß nichts dabei herauskäme, nicht ein Tropfe. Er ließ die Gäste ein wenig allein — die Frau war auch noch nicht zu sehen — Malz saß in einer Ottomanne — die Kinder hatten satirische Minen — kurz die Unverschämtheit wohnte in diesem Hause wie in ihrem Tempel. — Auf den Alten wirkte kein Spott und er ordnete nur ab, was ihm, nicht was andern mißfiel. Endlich schwenkte sich als Voressen oder Vorbericht der Suppe die rosabackige Physi¬ kussin in die Stube herein mit 3 oder 4 Esprits oder Federstutzen — mit einer scheckigen Hals- Schürze — in einem rothen Ballkleide, dem die Walzer die Farbe ausgezogen, die sie ihr auf¬ gelegt — und mit einem durchbrochnen Putz¬ fächer. Wenn ich wollte, könnt' ich mich ihrer annehmen; denn anlangend die Esprits (da oft der Esprit wie bei den Embryonen das Gehirn, sich auf die Gehirnschaale heraussetzt und da sonnet), so dachte sie, Weiber und Rebhühner würden am besten mit Federn auf dem Kopfe an der Tafel servirt — anlangend den Fächer, so gab sie vor, sie komme von einem Mor¬ genbesuche (wobei sie recht deutlich voraussetzte, daß Damen so wenig ohne Fächerstäbe als Tischler ohne Maaßstab durch die Gasse dür¬ fen) — anlangend den Rest, so wußte sie, der Gast sey ein Graf. Sonach scheint es, daß sie unter die Honoraziorinnen gehöre, die (der größern Anzahl nach) gleich den Klap¬ perschlangen nie besser zu genießen sind als wenn man vorher ihren Kopf beseitigt; aber das haben wir noch immer Zeit zu glauben, wenn wir besser hinter sie kommen. Der schöne Zesara war für sie blind, taub, stumm, geruch-, geschmack-, gefühllos; aber manchen Weibern kann man mit der größten Mühe und Langweile kaum — mißfallen; Schoppe vermocht' es leichter. Sphex machte sich für seine Person aus einer Fett-Zelle Malzens mehr als aus dem ganzen Zell- und Florgewebe einer oder seiner Frau; gleich allen Geschäfts¬ leuten hielt er die Weiber für wahre Engel , die Gott zum Dienste der Frommen (der Ge¬ schäftsmänner) ausgesandt. — Der Zug des Essens hob an — Augusti, ein feiner Esser, freuete sich auf viel und hielt sich nicht nur ans feine Service, sondern auch an die zerrissenen Servietten, dergleichen er oft an Höfen auf dem Magen gehabt, weil man da in der Moral und im Weißzeuge Wun¬ den lieber hat als Pflaster. — Es traten sogar schon wie gewöhnlich Vorposten und erste Treffen von elenden Speisen auf, die gewöhn¬ lichen Propheten und Vorläufer des besten Kerns, wiewohl ich an hundert Tafeln es ver¬ wünschte, daß sie nicht wie gute Monatsschrif¬ ten die besten Stücke zuerst und die magersten zuletzt geben. — Der Physikus hatte schon zu den 3 Knaben gesagt: „Galenus! Boerhave! „Van Swieten! wie sitzet man artig?“ — und die 3 Aerzte hatten schon 3 rechte Hände zwischen die Westenknöpfe und drei linke in die Westentaschen und passeten steilrecht — als gu¬ ter Schabziger anlangte zum Nachtisch. Sphex gab theils Lust zum Käse theils Abscheu davor wie ers gerade offizinel fand. Er merkte auf der einen Seite an, wie die Tischler in ih¬ rem Leimtopfe keinen bessern Leim hätten als was da vor ihnen stehe — er binde eben so im Menschen — doch würd' er für seine Person ihn lieber mit D . Junker wie Arsenik äußerlich überschlagen; — aber er gestand auch auf der andern Seite, daß der Schabziger für den Lektor Gift sey. „Ich wollte mich dafür ver¬ „pfänden, (sagt' er,) daß Sie, wenn man Sie „untersuchen könnte, hektisch wären; die lan¬ „gen Finger und der lange Hals sprechen für „mich und besonders sind die weißen schönen „Zähne nach Camper ein böses Zeichen. Perso¬ „nen hingegen, die ein Gebiß haben wie meine „Frau da, dürfen sicher seyn.“ Augusti lächelte und fragte bloß die Dok¬ torinn, zu welcher Zeit man am besten zum Minister komme. Solche vergiftende Reflexionen so wie den Mittags-Katzentisch, gab er nicht aus satyri¬ scher Bosheit sondern aus bloßer Gleichgültig¬ keit gegen andre, auf die er gleich einem Rechtschaffnen, nie unter seinem Handeln Rück¬ sicht nahm. Mit der Freiheitsmütze des Dok¬ torhuts auf dem Kopfe erhielt er von seiner medizinischen Unentbehrlichkeit so viele akade¬ mische Freiheiten, daß er zwischen seinen 4 Pfäh¬ len nicht freier aß und agirte als zwischen dem bunten spitzen Pfahlwerke des Hofes. Bracht' er da jemals — das frag' ich — einen Tropfen süßen Wein über die Lippen, ohne vorher einen Ephraimiten , der selber die Proba¬ zionstage nicht überlebte, herauszuziehen und ins Glas zu hängen, bloß um vor dem Hofe zu untersuchen, ob der Ephraimit darin nicht schwarz werde? Und wenns das Silber that, war da nicht das Überschwefeln des Weins so gut als demonstrirt, und hätte der Physikus nicht den Hof, die Süßigkeit, das Schwärzen, Vergiften und Ueberschwefeln recht artig ap¬ pliziren können, wenn er der Mann dazu ge¬ wesen wäre? — Dem Zufalle, daß der Lektor über die Ein¬ laßzeit bei dem Minister für heute nachforschte, hatt' es Albano zu danken, daß er den schmerz¬ lichen Unfall nicht im Hause des Ministers oder neben der Blinden selber erfuhr. „Sie „können, (antwortete Sara, die Doktorinn,) „auch den Bedienten hinschicken; der unter¬ „schreibt sich für Sie alle; mich aber dauert „niemand wie die Tochter.“ — Nun brach ein Sturm von Fragen nach dem unbekannten Vorfalle los. „Es ist so,“ fieng der Physikus mürrisch an, legte sich aber bald, weil er in einigen Augen Wasser für seine Mühle sah, — und weil er alle medizinische Schuld von sich auf den Hauptmann Roquairol zu wälzen suchte — so gut er konnte, auf pathetisches Detail und log fast sentimental. Er schob mit einem unbemerkten Winke der gerührten Frau einen leeren Teller zu als Lakrymatorium, da¬ mit nichts umkäme. Aus den verfinsterten Au¬ gen des vergeblich-kämpfenden Jünglings riß der erste Lebensschmerz einige große Tropfen. „Ist wohl eine Herstellung möglich,“ fragte Augusti sehr bekümmert, wegen seiner Verbin¬ dungen mit der Familie. „Wahrlich ein bloßer Nervenzufall ists „(versetzte Schoppe keck) und weiter nichts; „Whytt erzählt, daß eine Frau, die zu viel „Säuere im Magen hatte (im Herzen wärs „noch ärger) alles umnebelt erblickte, wie „Mädchen vor naher Migraine.“ — Sphex, der nur des Pathos und Laugensalzes wegen gelogen hatte und den es ärgerte, daß der Bibliothekar seiner heimlichen Meinung gewe¬ sen, antwortete so als hätte dieser gar nicht geredet: „der höchste Grad der Schwindsucht, „H. Lektor, schließet sich oft mit Erblinden; „und zu beiden wäre hier wohl Rath. Inzwi¬ „schen kenn' ich eine gewisse nervöse periodische „Blindheit — ich hatte den Fall an einer „Frau Eine nervenschwache (ich weiß nicht obs die nämliche ist), welche viel Religion, Phantasie und Leiden hatte, wurde wie sie mir erzählt, auf dieselbe Weise blind und auf dieselbe geheilt. , die ich bloß durch Aderlassen, „Dampf von gebrannten Kaffeebohnen und „die Abenddünste des Wassers aufbrachte — „das wird nun an der Nervenpazientinn wie¬ „der versucht. Ein pflichtmäßiger Arzt wird „aber immer wünschen, daß der Teufel Mut¬ „ter und Bruder hole.“ Nämlich der Wiederstrich von Lianens Zug¬ krankheit setzte ihn außer sich. Beleidigungen der Ehre, der Liebe, des Mitleidens machten den Physikus nie warm und er behielt seinen Überzug aus Glatteis an; aber Störungen seiner Kuren erhitzten ihn bis zum Zerspringen; und so sind wir alle Springgläser, die den Hammer vertragen und nicht eher in tausend Splitter zerfahren als bis man die kleine Spitze abbricht; bei Achilles wars die Ferse, bei Sphexen der Arznei- D . Ringfinger, bei mir der Schreib¬ finger. Der Doktor schüttete nun sein Herz aus, wie einige ihre Gallenblase nennen; er schwur bei allen Teufeln, er habe mehr für sie gethan als jeder Arzt — er hab' es aber schon vorausge¬ wußt, daß eine so dumme Erziehung bloß für das Schönaussehen und Beten und Lesen und Singen eine verdammte Wirthschaft wäre — er, hätte gern oft die Harmonikaglocken und Tambournadeln Das ewige Prickeln der empfindlichern Finger- Nerven durch Strick- Lambour- u. a. Nadeln macht vielleicht so gut wie das Berühren der Harmonikaglocken, durch Reizen nervenschwach. zerbrochen — er habe oft die Muttter ohne Schonen auf Lianens soge¬ nannte Reize, und auf die Empfindsamkeit, helle Wangenröthe und sammet-weiche Haut aufmerksam genug gemacht, hab' aber damit fast mehr zu erfreuen als zu betrüben geschie¬ nen — was ihn allein belustige, sey daß das Mädchen vor einigen Jahren todtkrank ge¬ worden vom ersten h. Abendmahle, wovon er sie abzuhalten versucht, weil er schon an der vierten Pazientinn die betrübtesten Folgen die¬ ses h. Aktus kennen lernen. — — Zum allgemeinen Erstaunen schlug sich mein Graf gegen alle auf Roquairols Parthei. Ach deine ersten Frühlingsstürme zogen jetzt ge¬ fangen in deiner Brust umher ohne eine freund¬ schaftliche Hand die ihnen einen Ausweg gab, und du wolltest deinen blutigen Gram bedecken! — Und suchtest du nicht einen Geist voll Flammen, ein Auge voll Flammen für deine und hättest du dich nicht lieber mit einem donnernden Höllengot¬ te verbrüdert als mit einem pietistischen matten gleich einer Schabe unterhöhlenden Himmelsbür¬ ger? — Barsch fragt er den Doktor: „wo haben „Sie das Herz des Fürsten?“ — „Ich hab' es „nicht,“ sagte Sphex betroffen, „im Tarta¬ „rus Der Tartarus ist die melancholische Partie in Lilar. liegts — wiewohl's der Wissenschaft „profitabler gewesen wäre, hätte man es un¬ „ter seine Präparate stellen dürfen; groß wars „und sehr singulair.“ Er dachte daran, daß er oft — wo er konnte — wie ein Augur un¬ ter dem Seziren ein oder das andre bedeu¬ tende Glied als ein Prinzen- und Junkern¬ Räuber à la minutta heimlich bei Seite ge¬ schaft — für sein Studium, ein Honig, den er sich gern mit seinem Anatomir- und Zeidelmes¬ ser ausschnitt. „Hat sonach das Fräulein eine unglück¬ „liche Liebschaft oder dergleichen,“ fragte Schoppe. „Mehr als eine (sagte Sphex) Krü¬ „pel — Preßhafte — Waisenjungen — blinde „Methusalems; alle diese Liebschaften hat sie. „Späße und junge Herren, sag' ich oft zur „Alten, bekämen ihr gesünder.“ Aber darin, in der Forderung der Heiter¬ keit geb' ich ihm nach — Freude ist die einzige Univer¬ Universaltinktur, die ich präpariren würde — sie wirkt (und stets) als antispasmoticum , als glutinans und adstringens . — das Freudenöhl dient zur Brand - und Frost -Salbe zugleich. — Der Frühling z. B. ist eine Frühlingskur, eine Landparthie eine Austern kur, eine Brunenbe¬ lustigung eine Maaß Bitter wasser, ein Ball eine Mozion, ein Fasching ein medizinischer Kur¬ sus — und daher ist der Sitz der Seeligen zugleich der Sitz der Unsterblichen . — — „Ja er habe, beschloß der Doktor, weil's „Leute von Stande wären, zuletzt zum Hoch¬ „ muth gerathen, der alle offizinellen Heil¬ „kräfte der Freude zeige; sehr starker wirke „völlig wie diese, belebe den Puls, stähle die „Fibern, sperre die Poren auf und jage das „Blut durchs lange Aderngewinde Den Blutumlauf beschleunigt Hochmuth bis zum Wahnsinn. Übrigens ist die ganze Bemer¬ kung von dem pharmazevtischen Werthe des Hochmuths aus Tissots traité sur les Nerfs geholt. . — Seiner „schwächlichen Frau, wie man sie da sehe, hab' Titan. I. X „er früher durch Kleider und Doktors-Rang „dieses Medikament beigebracht und ihr damit „auf die Beine geholfen. — Aber er wolle lie¬ „ber 60 gemeine Weiber als Eine vornehme „kuriren — und er bedauere als Hausarzt bloß „seine Rezepte und medizinischen Bedenken, „falls einmal, wie er gewiß glaube, die schöne „Liane von hinnen fahre.“ — Die erste Frage, die der nie etwas über¬ hörende Albano auf dem Rückwege vom Dok¬ tor an Augusti that, war was die Doktorinn mit dem unterschreibenden Bedienten haben wollen. Er erklärte es. Es ist nämlich in Pe¬ stiz wie in Leipzig die Observanz, daß, wenn ein Mensch verstirbt oder sonst verunglückt, dessen Familie einen leeren Bogen Papier sammt Dinte und Feder in den Vorsaal legt, damit Personen, die nähern Antheil nehmen und zeigen, einen Lakaien dahin schicken kön¬ nen, der ihren Namen auf den Bogen setzt so gut er weiß; — dieses kaufmännische Indosse¬ ment des nähern Antheils, dieses niedersteigende repräsentative System durch Bediente, die über¬ haupt jetzt die Telegraphen unsers Herzens sind, macht beiden Städten großen Schmerz und Antheil leis' und leicht durch Dinte und Feder. „Ach das, o Gott? — (sagte Alban und „erzürnte sich ungewöhnlich , als dringe man „ihm Bedienten zu Chrysographen und Geschäfts¬ „trägern seiner Gefühle auf) — „o ihr egoisti¬ „schen Gaukler! durch die Feder schreibender „Lakaien gießet ihr euch aus? — Lektor, dem „Satan selber würd' ich wärmer kondoliren „als so!“ — Warum ist dieser verhüllte Geist so rege und laut? — Ach alles hat ihn bewegt. Nicht bloß der Jammer über die, von allen nächtli¬ chen Pfeilen des Verhängnisses verfolgte Liane trat eisern in sein offnes Herz, sondern auch das Erstaunen über das dunkle Einmischen des Schicksals in sein junges Leben; — Roquairols wiederkommender Ausdruck „ Brust ohne „ Herz “ klang ihm als wenn er ihm bekannt seyn sollte; endlich fiel ihm die Umkehrung ein, das Wort der insularischen Sphynx: Herz ohne Brust — — Also sogar dieses Räthsel war gelöset, und der Ort bestimmt, wo er wi¬ X 2 der, jede Erwartung die Weissagung der Gelieb¬ ten hören sollte — aber wie unbegreiflich, un¬ begreiflich! — „O Liane heißet sie und kein Gott soll den „Namen ändern“ sagte seine innerste Seele. — Denn in frühern Jahren hat eben der kräftigste Jüngling an Mädchen reizende Kränklichkeit und weiche Vollgefühle und nasse Augen lieber — so wie man überhaupt in Al¬ banos Jahren die Fluth (später die Ebbe) der Augen zu hoch anschlägt, ob sie gleich oft wie zu reiches Begießen die Saamenkörner der be¬ sten Entschlüsse wegschwemmen — ; indeß er später (weil er den Ehestand und die Wirth¬ schaft antreten will) sich mehr nach hellen und scharfen Augen als nach feuchten, und mehr nach kaltem und gesundem Blute erkundigt. — Da Alban das Feuer seiner innern Wolken meistens an den Ausladeketten der Klaviersai¬ ten niedergehen ließ — seltener in die Hippo¬ krene der Poesie — : so macht' er aus seinem innern Charivari unbewußt einen Klavieraus¬ zug. Ich transponire seine Fantaisie folgender Maaßen in meine Phantasie. Auf den weich¬ sten Molltönen gieng die Erblindung mit ihren langen Schmerzen vorüber und im Sprachgewölbe der Tonkunst hört' er alle leisen Seufzer Lianens laut. — Dann führten ihn härtere Molltöne in den Tartarus an das Grab und Herz des alten freundlichen Man¬ nes, der mit ihm einmal gebetet hatte, und da sank in der Geisterstunde leise wie ein Thau der Laut vom Himmel: Liane! — Mit einem Donnerschlage des Entzückens fiel er in den Majore -Ton und er fragte sich: „diese fromme „lichte Seele konnte das Schicksal deinem un¬ „vollkommnen Herzen versprechen?“ Und da er sich antwortete, daß sie ihn vielleicht lie¬ ben werde; weil sie ihn nicht sehen könne — denn die erste Liebe ist nicht eitel — und da er sie von ihrem gigantischen Bruder führen sah und da er an die hohe Freundschaft dachte, die er ihm geben und abverlangen wollte: so giengen seine Finger in einer erhebenden Kriegs¬ musik über die Tasten und es klangen die himmlischen Stunden vor ihm, die er genießen werde, wenn seine zwei ewigen Träume leben¬ dig aus der Nacht in den Tag herübergien¬ gen, und wenn Ein verschwistertes Paar seinem so jungen Herzen zugleich den Freund und die Freundinn gäbe. — Hier verklang leise sein in¬ neres und sein äußeres Stürmen — und die gleichschwebende Temperatur des In¬ struments wurde die des Spielers. . . . Aber eine Seele wie seine wird leichter vom Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre die Wirklichkeit da, so drang er weiter: unbe¬ schreiblich-hold und überirrdisch sah er Lianens Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die Dornenkrone veredelt leicht zum Christuskopfe und das Blut der unverdienten Wunde ist Wangenroth am innern Menschen und die Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel geliebt. — — Die zarte Liane schien ihm schon für die Flora der zweiten Welt in den Lei¬ chenschleier eingesponnen, wie die weichen Glie¬ der der Bienennymphe durchsichtig über der kleinen Brust gefaltet liegen — die weiße Ge¬ stalt aus Schnee, die einmal in seinem Traume auf seinem Herzen zerronnen war, öffnete das helle Wölkchen wieder und sah blind und wei¬ nend auf die Erde und sagte: „Albano, ich „werde sterben, eh' ich dich gesehen habe.“ — „Und wenn du mich auch, sagte das sterbende „Herz in seiner Brust, niemals siehst: so will „ich dich doch lieben. — Und wenn du auch „bald vergehst, Liane, so erwähl' ich gern den „Schmerz und gehe treu mit dir bis du im „Himmel bist.“ . . . . Der Himmel und die Hölle hatten vor ihm zugleich ihre Vorhänge aufgezogen — nur wenige und dieselben Töne und höchste und unterbrochene konnt' er noch leise bestreifen — und endlich sanken die Hände un¬ ter — und er fieng zu weinen an, aber ohne zu harte Schmerzen, wie das Gewitter, das seine Blitze und Donner aufgelöset hat, nur noch mit einem leisen weiten Regen über der Erde steht. — — Sechste Jobelperiode. Die 10 Verfolgungen des Lesers — Lianens Mor¬ genzimmer — Disputazion über die Geduld — die malerische Kur. 34. Zykel. H eischesätze — Apophthegmen — Philoso¬ pheme — Erasmische Adagia — Bemerkungen von Rochefaucault, von La Bryere, von La¬ vater ersinn' ich in Einer Woche unzählige und mehrere als ich in sechs Monaten loszuwerden und als Einschiebeessen in meinen biographi¬ schen petits soupées wegzubringen im Stande bin. So läuft der Lotto-Schlagschatz meiner ungedruckten Manuskripte täglich höher auf, je mehr ich dem Leser Auszüge und Ge¬ winnste gedruckter daraus gönne. Auf diese Weise schleich' ich aus der Welt und habe nichts darin gesagt. Lavater nimmt sich hier¬ in vernünftiger, er lässet das ganze mit Schätzen gefüllte Lottorad unter dem Titel: Manuskripte (so wie wir umgekehrt Manu¬ skripte den Verlegern auf der Post unter dem Titel gedruckter Sachen zufertigen), selber un¬ ter die Gelehrten laufen. Aber warum thu' ichs nicht und lasse we¬ nigstens eine oder ein Paar Wasseradern mei¬ nes Wasserschatzes springen und auslaufen? — Auf zehn Verfolgungen des Lesers — bloß so nenn' ich meine zehn Aphorismen, weil ich mir die Leser als Märtyrer ihrer Meinungen und mich als den Regenten denke, der sie mit Gewalt bekehrt — schränk' ich mich ein. Der folgende Aphorismus ist — wenn man den vorhergehenden als die erste Verfolgung an¬ schlägt — hoff' ich d ie zweite. Nichts fegt und siebt unsre Vorzüge und Liebhabereien besser durch als eine fremde Nachahmung derselben. Für ein Genie sind keine schärfere Polirmaschinen und Schleif¬ scheiben vorhanden als seine Affen. — Wenn ferner jeder von uns neben sich noch ein Dop¬ pel-Ich, einen vollständigen Archimimus So hieß bei den Römern ein Mann, der hinter der Leiche gieng und die Gebehrden und das Wesen derselben im Leben nachäffte. Pers. Sat. 3. und Repetenten im Komplimentiren, Hutab¬ nehmen, Tanzen, Sprechen, Zanken, Prahlen ꝛc. herlaufen sähe: beim Himmel! ein solches ge¬ naues Repetirwerk unsrer Mißtöne würde ganz andre Leute aus mir und andern Leuten machen als wir gegenwärtig sind. Der erste und kleinste Schritt, den wir zur Besonnenheit und Tugend thäten, wäre schon der, daß wir unsre körperliche Methodologie, z. B. unsern Gang, Anzug, Dialekt, unsre Schwüre, Mi¬ nen, Leibgerichte ꝛc. nicht besser sondern gerade so befänden als alle fremde. Fürsten haben das Glück, daß sich alle Hofleute um sie zu treuen Supranumerarkopisten und Pfeilerspiegeln ih¬ res Ichs zusammenstellen und sie durch diese Heloten -Mimik bessern wollen. Aber sie erreichen selten die gute Absicht, weil der Fürst — und das wäre von mir und dem Leser auch zu befürchten — wie der Grundsatz des Nicht¬ zuunterscheidenden an keine wahre Menäch¬ men glaubt, sondern sich einbildet, in der Mo¬ ral wie in der Katoptrik zeige jeder Spiegel und Nebenregenbogen alles verkehrt . Dritte. Es ist dem Menschen leichter und geläufi¬ ger, zu schmeicheln als zu loben. Vierte. In den Jahrhunderten vor uns scheint uns die Menschheit heranzuwachsen, in denen nach uns abzuwelken, in unserm herrlich-blü¬ hend aufzuplatzen: so scheinen uns nur die Wolken unsers Scheitelpunktes gerade zu ge¬ hen, die einen vor uns steigen vom Hori¬ zonte herauf, die andern hinter uns ziehen ge¬ krümmt hinab. Fünfte. Das Alter ist nicht trübe, weil darin un¬ sre Freuden, sondern weil unsre Hoffnungen aufhören. Sechste. Das Alter der Weiber ist trüber und ein¬ samer als das der Männer: darum schont in jenen die Jahre, die Schmerzen und das Ge¬ schlecht! — Überhaupt gleicht das Leben oft dem Fang-Baume mit aufwärtsgerichteten Sta¬ cheln, an welchem der Bär leicht hinauf zum Honig-Köder klettert, wovon er aber unter lauter Stichen wieder zurückrutschet. Siebente. Habt Mitleiden mit der Armuth, aber noch hundertmal mehr mit der Verarmung! Nur jene, nicht diese macht Völker und Indivi¬ duen besser. Achte. Die Liebe vermindert die weibliche Fein¬ heit und verstärkt die männliche. Neunte. Wenn zwei Menschen im schnellen Umwen¬ den mit den Köpfen zusammenstoßen: so ent¬ schuldigt sich jeder voll Angst und denkt, nur der andre habe den Schmerz und nur er sel¬ ber die Schuld. (Nur ich excusire mich ganz unbefangen, eben weil ich aus meinen Ver¬ folgungen weiß, wie der andre denkt). Wollte Gott, wir kehrtens bei moralischen Stößen nicht um! Letzte Verfolgung des Lesers. Der Hintergangene bedeckte und vom Trauerschleier zum Leichenschleier leben¬ de Mensch glaubt, es gebe kein Übel weiter als das, was er zu besiegen hat; und vergis¬ set, daß nach dem Siege die neue Lage das neue mitbringe. Daher geht — wie vor schnellen Schiffen ein Hügel aus Wasser vor¬ schwimmt und eine nachgleitende Wellengrube hinter ihm zuschlägt — immer vor uns her ein Berg, den wir zu übersteigen hoffen und hinter uns noch eine Tiefe, aus der wir zu kommen glauben. So verhofft der Leser, jetzt nach überstand¬ nen 10 Verfolgungen in den historischen Hafen einzufahren und da ein ruhiges Leben zu füh¬ ren vom unruhigen meines Personale; aber kann ihn der geist- und weltliche Arm denn decken gegen einzelne Gleichnisse — gegen halb¬ seitige Kopfschmerzen — Waldraupen — Rezen¬ sionen — Gardinenpredigten — Regenmonate — oder gar Honigmonate, die nach dem Ende jedes Bandes einfallen? — — Nun zur Historie! Abends fuhren Albano und Augusti mit dem väterlichen Kreditbriefe zum Minister. Den Frost und Stolz desselben suchte der Lektor unterwegs durch das Lob sei¬ ner Arbeitsamkeit und Einsicht zu überfirnissen. Mit Herzklopfen faßte der Graf den Thür¬ klopfer am Himmels- oder Höllenthore seiner Zukunft an. In der Antichambre — diesem höhern Bedientenzimmer und Limbus infantum et patrum — standen noch Leute genug, weil Froulay ein Vorzimmer für eine Bühne hielt, die nie leer seyn darf und auf der es, wie im jüdischen Tempel nach den Rabbinen, denen die knieen und beten, nie zu enge wird. Die Mi¬ nisterinn war als eine Pazientinn abwesend, bloß weil sie eine hüten wollte. Der Minister war auch nicht da — weil er wenig Zeremo¬ nien machte und nur ungemein viel forderte — sondern in seinem Arbeitskabinet; er hatte bisher den Kopf unter dem warmen Thron¬ himmel gehabt und tief in den verbotnen Reichsapfel gebissen, daher opferte er willig auf (nicht andern, sondern andre) und ließ sich als eine Heiligenstatue mit Votivglieder behängen, ohne seine zu regen, und wie der h. Franziskus zu Oporto, mit Dank- und Bitt¬ schriften, die er niemals erbricht. Froulay kam und war — wie immer, außer den Geschäften — so höflich wie ein Perser. Denn Augusti war sein Hausfreund — d. h. die Ministerinn war dessen Hausfreun¬ dinn — und Albano war nicht gut vor den Kopf zu stoßen; weil man dessen Pflegevater in Landschafts-Votis brauchte und weil Don Gaspard viel bei dem Fürsten galt und weil der Jüngling durch einen ihm eignen anstän¬ digen Stolz gebot. — Es giebt einen gewissen edlen, durch welchen mehr als durch Beschei¬ denheit Verdienste heller glänzen. — Fronlay hatte für die Zukunft nicht die bequemste Rolle; denn der Haarhaarsche Hof war dem Vließ-Rit¬ ter so ungewogen wie dieser jenem Dieser hatte früher dem spanischen Ritter die Prinzessinn abgeschlagen; es sind mir aber über ; Haarhaar wurd' aber ohne Zweifel (allen welschen chi¬ rurgischen Berichten zufolge) und in wenig Jahren (allen nosologischen gemäß) der Erbe von dessen Erbschaft oder Throne. — Nun war das Schlimme dabei, daß der Minister, der wie ein Christ mehr auf die Zukunft sah, sich zwischen dem deutschen Herrn von Bouve¬ rot, der eine Haarharsche Kreatur heimlich war, und zwischen der kurzen Gegenwart zu¬ gleich durchzuschleichen hatte. Er nahm sagt' ich den Grafen ungemein verbindlich auf so wie den Lektor; und entdeckte beiden, er müsse ihnen seine Frau vorstellen, die ihre Bekanntschaft wünsche. Er ließ es ihr sagen; führte beide aber, ohne Erwarten der Antwort, in ihr Zimmer. Dem Jünglinge war nun als drehe sich die schwere Thür eines heiligen stillen Tempels auf. — Sogar ich bin jetzt, während ihres Ziehens durch die Zimmer, mit so närrisch, daß ich in eine eben so große Angst diesen wichtigen Artikel hinlängliche Dokumente versprochen. Angst gerathe als gieng' ich mit hintennach. Als wir ins Morgenzimmer, welches Papier¬ tapeten zu einer gegitterten Jelängerjelieber- Laube ausfärbten, eintraten: saß bloß die Mi¬ nisterinn da, die uns gefällig aufnahm, mit fester und kalter Haltung in Mine und Ton. Ihre streng-geschlossenen und wenig bezeichne¬ ten Lippen thaten stumm einen Ernst, der die Gabe des frommen Herzens, und eine Stille kund, die der Schmuck der Schönheit ist — wie manche Flügel nur wenn sie zugefaltet sind, Pfauenspiegel gießen — und das Auge glänzte im Wohlwollen der Vernunft; aber die Augen¬ lieder waren von harten Jahren tief und kränk¬ lich über die milden Blicke hereingezogen. Ach wie zwischen Neuvermählten oft ein Schwerdt trennend lag, so schlief Froulay täglich am dreischneidigen, das ihn und sie absonderte. Sonderbar stach mit dem hellen Nachsommer¬ tage auf ihrem Angesichte, das unreine Gewühl auf seinem ab, wiewohl er vor Zeugen wie es schien, seiner Höflichkeit gegen sie die Ironie benahm und den Haß, wie andre die Liebe, nur für die Einsamkeit aufhob. Titan. I . Y Zum Glück verpflanzte sich dieser Nu߬ baum der einen ungesunden frostigen Nu߬ schatten auf den ganzen Nelkenflor der Liebe und der Dichtkunst warf, bald unter ähnlichere Gäste zurück. Die Ministerinn richtete sich nach den ersten Gaben der Gefälligkeit, mehr an den Lektor, dessen korrekte bürgerliche Mensur zu ihrer religiösen ganz stimmte; besonders da nur er über Liane fragen und kondoliren konnte. Sie versetzte, dieses Zimmer Lianens sey gerade so gelassen wie es am Abend der Erblindung gewesen, damit es, wenn sie heile eine schöne Erinnerung für sie bleibe, oder eine traurige für andre, wenn sie nicht genese. — O bewegter Albano, wenn jede Abwesenheit verklärt, wie muß es erst eine mit so vielen Spuren der Gegenwart thun! Ich bekenne, außer einer Geliebten kenn' ich nichts schöneres als ihr Wohnzimmer in ihrer Abwesenheit. Auf Lianens Arbeitstische lag ein umrisse¬ ner Christuskopf neben der aufgeschlagenen Messiade — ein zusammengelegter Spatzierflohr nebst dem grünen Spatzierfächer mit einge¬ schriebenen Wünschen von Freundinnen — einige aufgeschnittene Couverts — der Gevatterbrief eines Froulayschen Pachters — eine ganze lakirte Schäferei mit Wagen, Stallung und Haus, mit deren lilliputischen Arkadien sie Dians Kin¬ der Dians Familie wohnt in Lilar. erfreuen wollen — ein aus dem ver¬ fliegenden Stammbüchlein einer Freundinn aus¬ gerupftes Blatt, das sie mit einer getuschten Blumenrabatte gerändert und dann mit holden Wünschen vollgepflanzet hatte, die das Schick¬ sal aus ihrem eignen Leben weggenommen. — — Ach schönes Herz, wie gern wollt' ich über alle kleine Rudera deiner lichten Vorzeit etwas Tabellarisches entwerfen und vertheilen, hätte sich der Lehnprobst näher darauf eingelassen! — Was aber mich und den Grafen am tiefsten bewegt, ist eine aufgespannte Stickerei, auf welche ihre Nadel wie ein Inokulirmesser an jenem düstern Tage eine Rose mit zwei Knos¬ pen geimpfet hatte und woran nichts mehr fehlte als die Dornen — — o diese zog an dei¬ nen Freudenrosen das Verhängniß nur zu weit Y 2 hervor und press'te sie dann so tief durch deine Brust bis ans Herz! — In keiner Stunde seines Lebens war Al¬ bano's Liebe so heilig-zart als in dieser, oder sein Mitleiden so innig. Zum Glück blickte die Ministerinn immer durch das Fenster in den Garten und nahm seine Rührung nicht wahr. Zuletzt zeigte sie noch auf Lianens dastehende Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll und zu sichtbar, er sprang auf mit den hasti¬ gen Worten, er habe noch keine gehört und trat davor. Ach er wollte etwas berühren, worauf so oft ihre Finger gewesen. Er legte die Hand wie an ein Heiligthum an diese Betglocken, die so oft unter der ihrigen für fromme Gedanken gezittert hatten; aber sie ga¬ ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein Kenner des Abc's wie der Technologie aller Künste, das Nöthigste in drei Worten gewie¬ sen. Jetzt sog er in die Seele voll Seufzer und Kriege den ersten Dreiklang ein, die ersten Klagesylben dieser Muttersprache der lechzen¬ den Brust — ach dieser Stummenglocken , die der innere Mensch in der Hand schüttelt, weil er keine Zunge hat —; und seine Adern schlugen wild als Flügel, die ihn vom Boden aufwehten und ihn vor eine höhere Aussicht trugen als die in die letzte Freude oder Mar¬ ter ist. Denn in starken Menschen werden große Schmerzen und Freuden zu überschauen¬ den Anhöhen des ganzen Lebensweges. — — Ich weiß nicht, ob viele Leser den Fehler möglich finden werden, den er jetzt wirklich begieng. Die Ministerinn war im Gespräche sehr natürlich — durch Liane und Roquairol — auf den Satz gerathen, daß Kindern keine Schule nöthiger sey als die der Geduld, weil entweder der Wille in der Kindheit gebrochen werde oder im Alter das Herz. Ach sie und ihre Tochter knieeten ja selber voll Geduld vor dem beladenden Schicksale oder auch vor dem bewaffneten; wiewohl die Mutter mit einer frommen, die mehr an den Himmel als auf die Wunde sah, Liane mit einer liebenden, die sich in neue Leiden wie in alte Krankheiten er¬ giebt wie eine Königinn am Krönungstage in die Schmerzen und Frikzionen des schweren Juwelenputzes, und wie ein Kind, das die Wundenmale süß verschläft und süßer ver¬ träumt. — Aber Zesara, der gleich dem Wolfe schon den Klang einer Kette floh, und erbittert gegen jede, von den leichten Panster- und Rit¬ terketten an bis zu den schweren Hafenketten, die den Jünglingen die Fahrt ins arbeitende Meer verhängen, erbittert ansprengte, konnte sich nicht halten, zumal mit diesem Herzen voll Bewegungen, in zu großer zu sagen: „der „Mensch soll sich wehren — lieber will ich auf „dem regen Schlachtfelde freiarbeitend alle „Adern ausgießen als einen Tropfen daraus „über die Folterleiter angebunden.“ — „Die „Geduld (sagte die Ministerinn voll davon) „streitet und siegt auch, aber im Herzen.“ — Lie¬ „ber Graf, (sagte Augusti, nicht bloß auf die Ar¬ „ria anspielend) die Weiber müssen noch immer „zu den Männern sagen: es schmerzet nicht!“ Ich hatte nicht eher als jetzt Gelegenheit, den Fehler Albans bekannt zu machen, daß er seine Meinung niemals freier und stärker sagte als da, wo er mit ihr gerade einen oder ein Paar Himmel seines Lebens zu verspielen fürch¬ ten konnte: bei geringerer Gefahr konnt' er nachgiebiger seyn. Ob er also gleich merkte, daß die Ministerinn dabei an die muskulöse aber auch hartgreifende Hand ihres wilden Sohnes mit schmerzlichen Erfahrungen denke; — oder vielmehr, eben weil ers merkte und weil er für diesen künftigen Freund gern der Waffenschmidt und Waffenträger werden woll¬ te —: so blieb er dabei, warf alles Brechzeug des jungen männlichen Willens aus den Schul¬ stuben auf die Gasse, und sagte in seiner ab¬ stechenden Sprache: „die Gothen schickten ihre „Knaben lieber in keine Schule, damit sie Lö¬ „wen blieben. Wenn man auch Mädchen „einen Tag vor dem Pflanzen in die bürger¬ „liche Welt in Milch einweichen muß: so soll „man doch Knaben wie Aprikosen mit der stei¬ „nernen Schaale in die Erde stecken, weil sie „den Stein durch ihr Wurzeln und Wachsen „schon abwerfen und verlassen.“ — Der Lek¬ tor mit seiner feinen Offenheit — ein krystalle¬ nes Gefäß mit goldnem Schnitt — bemerkte mit leiser Rüge von Albans Heftigkeit: wenig¬ stens habe selber die Art, womit beide ihre Beweise geführt, zu den Beweisen gehört; und die Weiber bedürften und bewiesen mehr Geduld bei Personen, und wir mehr bei Sachen. Die Ministerinn, die mehr ihren Sohn als seinen Freund zu hören glaubte, schwieg und trat näher ans Fenster. Unter den Kriegs¬ troublen hatte der Abend seinen licht-vollen Mond auf die Morgenberge gewälzt und die Güsse seines Lichts flossen jetzt von allen Sei¬ ten herein durch den ganzen vor dem Morgen¬ zimmer ausgespannten Garten und blieben in seinen breiten Alleen und in seinen Blumenzir¬ keln stehen: als auf einmal ein rundes Häus¬ chen durch aufschießende vom Mondlicht zu Ehrenbogen entzündete Wasserstralen bis an sein welsches umgittertes Dach umlodert wurde. Stillgerührt sagte die Ministerinn: „auf je¬ „nem Wasserhäuschen steht meine Liane; sie „gebraucht die Ausdünstung der Fontainen; „der Arzt verspricht sich viel davon. Und die „Vorsicht geb' es!“ — Allein der erschütterte Zesara konnte mit seinen so scharfen Augen doch mitten im Blend¬ werke des wagrechten Mondenscheins und hin¬ ter dem zitternden Nonnengitter aus verschränk¬ ten Silber- oder Wasseradern jetzt nichts aus dem dämmernden Eden absondern als eine un¬ kenntliche stille weiße Gestalt. Aber es war ge¬ nug für ein Herz, das weint und glüht. „Du „Engel meiner Jugendträume, dacht' er, „wirst du es seyn? Sey du mir gegrüßet mit „tausend Schmerzen und Freuden. — Ach kön¬ „nen denn Leiden in dir seyn, du Himmels¬ „seele?“ — Und es ergriff ihn, daß sie mit ihrer gequälten und entzückenden Gestalt, wenn sie hier im Zimmer wäre, sein ganzes Wesen zerknirschen würde durch Mitleid, und er hätte jetzt die Umarmung des Bruders ver¬ worfen, mit dessen Hand das Verhängniß die sanften Augen zum langen Traume zugedrückt. Die Stickluft des bangsten Mitleids zwang ihn wegzusehen und sich umzuwenden und in den aufgeschlagenen Messias die Augen zu hef¬ ten, deren Tropfen er nicht zeigen wollte; aber sie wurden durch die Erinnerung, daß er ihre letzte Lese-Freude wiederhole, nur heißer und dichter. Plötzlich richtete etwas Verfinsterndes, das vor dem Fenster wie ein fallender Rabe niederflatterte, seinen Blick wieder auf Lianen, über welche ein vollgestrahltes Wölkchen stand, gleichsam ein aufgezogener oder niederkommen¬ der Heiligenschein — Unsterbliche schienen dar¬ auf wie auf Ossians Wolken zu wohnen und die Schwester zu erwarten — und da sie end¬ lich sich bewegte und langsam in das Wasser¬ häuschen untersank, schien es da nicht, als gehe ihre Hülle in die Erde und ihr stiller Geist in die Wolke? — Hier gab ihm Augusti, da die Mutter der zurückkommenden Kranken ins Krankenzimmer folgen mußte, den Wink zum Abschiede, den er willig nahm; seine Liebe befriedigte sich jetzt mit Einsamkeit und mit der Hoffnung des Wiedersehens: Junge Liebe und junge Vögel haben anfangs nur Wärme durch Bedek¬ ken nöthig, erst später Nahrung . — Aber ein Paraklet oder Tröster sagte un¬ ter dem Weggehen dem Jünglinge leis' ins Herzohr: morgen siehst du sie wenige Schritte von dir im Garten! — Und das ist recht leicht zu machen; er darf nur morgen in der Abend¬ dämmerung, wenn die Abendwandlerinn die Augenkur gebraucht, sich in die Allee begeben und aus den Blättern frei hinauf in das zau¬ berische Antlitz schauen und dann die ganze Glückseeligkeitslehre in Einem Paragraphen, in Einem Zuge, Athem, Momente verschlingen — — aber welche Aussicht! Der Graf bat den Lektor nicht lange bei dem beschäftigten Minister zu sitzen. Als sie ihn wiederfanden, wußt' er hinter einem Akten¬ stocke kaum nach einigem (vielleicht maskirten) Besinnen, daß sie da gewesen, und bedauert' es innig, daß sie fortgiengen. — Ach der Trö¬ ster lispelt den ganzen Abend und die ganze Nacht: morgen, Albano! — 35. Zykel. Da unsern Albano die gaukelnde Nacht von einer Seite und Träumerei auf die andre warf — denn nicht die nahe Vergangenheit sondern die nahe Zukunft mattet uns mit Probekomödien unsrer wachen Akte, mit Träumen, ab —, wie war er am Morgen so froh, daß die schönste Zukunft noch nicht vorüber war. Im Menschen hausen oft zwei sehr eulenspiegelsche Wünsche; ich thue oft den von ganzem Herzen, daß eine wahre Freude für mich, z. B. ein Meisterwerk, eine Luftfahrt ꝛc. doch mög' endlich ein Ende nehmen, und zwei¬ tens den obigen, daß eine und die andre Luft noch wenig außenbleibe. Der Abend kam mit der größten, wo Ze¬ sara — wie Le Gentil nach Ostindien — nach dem östlichen Park des Ministers abreisete, um den Durchgang des Hesperus und Venusster¬ nes, aber nur durch den Mund, zu observiren. Vor den erleuchteten Pallastfenstern hielt er mitten unter den Leuten und sann nach, ob es sehr lasse, so in den Garten zu laufen; aber wahrhaftig, wär' er umgekehrt, das dürstende Herz hatte ihn zurück durch einen ganzen da¬ vor postirten Klerus und diplomatischen Kon¬ greß hindurch getrieben. Kühn schritt er durch den lauten Pallast vor einer angespannten Wagenburg vorbei, dichte das eiserne Gatter¬ thor auf und trat hastig in den nächsten Lau¬ bengang. Hier gieng er von einem Fackeltanze leuchtender Hoffnungen begleitet hin und her, aber sein Auge war ein Seh- und sein Ohr ein Hör- Rohr. Die Lauben-Allee wuchs oben queer über den Garten in eine andre dem Wasserhäuschen nahe hinein; in diese trat er, um der Blinden oder vielmehr ihrer Leiterinn nicht zu begegnen. Es kam aber nichts. Freilich war er nicht wie der Mond — wie doch zu fordern war — um eine halbe Stunde später gekommen, son¬ dern gar um eine früher. Der Mond, dieser Stern, welcher Weise voll Weihrauch zum An¬ beten leitet, ließ endlich breite lange Silber¬ blätter als Festtapeten an Lianens Morgen¬ zimmer niederfallen — die Madonna auf dem Pallaste war in den Heiligenschein und Non¬ nenschleier seiner Stralen eingekleidet — die Ministerinn stand schon am Fenster — die Natur spielte das Larghetto eines magischen Abends in immer tiefern Tönen — als Albano weiter nichts vernahm als ein kleineres bloß aus Klängen gemachtes, das aus dem Was¬ serhäuschen, dem Lustsitze aller seiner Wünsche kam, und das sterbend mit dem Frühlingstage vertönen wollte. Aber er konnte nicht erra¬ then, wer es spiele; man hätt' es herausbrin¬ gen können, daß es Roquairol war, bloß weil er nachher, wie ich erzählen werde, nach der April-Sitte seines musikalischen Gelichters, aus dem Pianissimo in ein zu wildes Fortissimo hinaufsprang. Der vom Vater relegirte Bru¬ der konnte wenigstens im Wasserhäuschen die theuere Schwester sehen und trösten und ihr seine Liebe und seine Reue zeigen; wiewohl seine stürmische Reue eine zweite nöthig macht und am Ende nur eine frömmere Wiederho¬ lung seines Fehlers war. Obgleich die Phantasie Albanos eine Re¬ tina des Universums war, worauf jede Welt sich scharf abmalte, und sein Herz der Gang¬ boden jeder Sphärenmusik, worin eine umlief: so konnten doch weder der Abend noch das Larghetto mit ihren Stralen und Klängen durch die hohen Wellen hindurch, die in ihm sowohl die Erwartung als die Sorge (beide verdunkeln die Natur und die Kunst) aufwarf. Das Ufer der Fontainen umflocht ein grüner Ring von Orangen, deren Blüthe im Morgen¬ lande nach der Setam-Chiffre Hoffnungen ansagt; aber wahrhaftig eine nach der andern wurde flüchtig, wenn er an die kalte helle Mutter dachte oder an sein vielleicht leeres Warten. Die Fontainen sprangen noch nicht — er rupfte wie ein Vorherbst immer mehr breite Fächerblätter aus seiner grünenden spa¬ nischen Wand und sah doch durch alle weitere Fenster Lianen nicht über den Kiesweg her¬ kommen (welches schon darum unmöglich war, weil sie längst im Wasserhäuschen bei ihrem Bruder stand) — und er verzagte an ihrer Er¬ scheinung: als dieser plötzlich ins gedachte For¬ tissimo stürmte und als alle Fontainen vor dem Monde rauschende Kränze aus Flittersilber aufwarfen. Albano blickte hinaus. . . . Liane stand droben im Mondenschimmer hinter dem flatternden Wasser. Welche Erschei¬ nung! — Er riß die Laubenzweige an seinem Angesichte auseinander und schauete unbedeckt und athemlos an die heilig-schöne Gestalt! Wie griechische Götter überirrdisch vor der Fak¬ kel stehen und blicken, so glänzte Liane vor dem Monde von dem umherrinnenden Wieder¬ scheine der silbernen Regenbogen beschattet und der seelige Jüngling sah die junge offne stille Marienstirn bestrahlt, auf der noch kein Un¬ muth und keine Spannung eine Welle gewor¬ fen — und die dünne zarte, kaum gebogene Augenbraunen-Linie — und das Angesicht, gleich einer vollendeten Perle oval und weiß — und die losgeriegelte Locke auf den Maien¬ blümchen an ihrem Herzen liegend — und den feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬ dung die Gestalt zu erhöhen schien — und die idealische Stille ihres Wesens, mit der sie statt des Arms nur die Finger auf das Geländer legte, gleichsam als schwebe die Psyche nur über der Lilienglocke des Körpers und erschüt¬ tere und beuge sie nie — und die großen blauen Augen, die sich, indeß das Haupt ein wenig sank, unaussprechlich-schön aufschlugen und sich in Träume und in ferne unter Abendröthen wiederglänzende Ebenen zu verlieren schienen.— — Du überglücklicher Mensch! — Dir er¬ scheint die einzige sichtbare Göttinn, die Schön¬ heit, so plötzlich mit ihrer Allmacht und von allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn giebt dir den Wahnsinn — die Gegenwart mit ihren Gestalten wird dir unbekannt — die Vergangenheit vergeht — die nahen Töne ziehen ziehen aus tiefer Ferne her — die überirrdische Erscheinung überfüllt und überwältigt mit Glanz die sterbliche Brust! — Ach warum durfte durch diesen hohen rei¬ nen Himmel eine tiefe kalte Wolke ziehen? — Ach warum fandest du die Himmlische nicht früher oder später? — Und warum mußte sie selber dich, an ihren Schmerz erinnern? — Denn Liane — in deren überflortes Auge nur ein starkes Licht durchsikern konnte — suchte den Mond, den seine eigne Aurora ein wenig verhieng, mit dem wiegenden Kopfe ir¬ rend auf, weil sie dachte, ein Lindengipfel ver¬ decke ihn; — und dieses Wanken malte ihm ihr Unglück so plötzlich mit tausend Farben! Ein schneller Schmerz zertrat seine Augen, daß Thränen daraus sprützten und Funken und das Mitleiden schrie in ihm: „O du unschuldiges „Auge, warum wirst du verhüllt? Warum „wird dieser dankbaren frommen Seele der „Mai genommen und die ganze Schöpfung? „— Und sie wirft vergeblich den Blick der „Liebe auf die Mutter und auf die Freundinn Titan. I. Z „und — o Gott! — sie weiß nicht, wo sie „stehen.“ — Aber der Vorhang des Mondes flatterte bald seitwärts und sie lächelte den Schimmer heiter an wie der blinde Milton in seinem ewigen Gesange die Sonne oder wie ein Irrdischer den ersten Glanz nach dem Leben. — Eine Nachtigall, die bisher zwischen wei¬ ten Blumen einem leuchtenden Würmchen nach¬ hüpfend den Tönen im Zimmer nur mit ein¬ zelnen Wildrufen und Nachschlägen der Freude geantwortet hatte, flog Lianen näher und die geflügelte Zwergorgel riß auf einmal alle Flö¬ tenregister heraus, daß Liane im Vergessen ihrer Blindheit niederblickte und Albano er¬ schrocken zurücktrat als sehe sie auf ihn. Da wurde unter den Tönen des Bruders und der Nachtigall ihr blasses, gleich der weißen Feder¬ nelke auf den Wangen leicht geröthetes Ange¬ sicht zart vom matten Blüthenroth der Rüh¬ rung überdeckt — die Augenlieder zuckten öf¬ ter über die glänzenden Augen hin — und endlich wurde der Glanz eine ruhige Thräne — es war keine des Schmerzes noch der Freude sondern jene sanfte, worein die Sehnsucht des Herzens überquillt, wie im Frühling überfüllte Zweige unverwundet weinen. — — — Im Menschen wohnt ein rauher blin¬ der Zyklope, der allemal in unsern Stürmen zu reden anfängt und uns Zertrümmerung an¬ räth; furchtbar regte sich jetzt in Zesara die ganze aufgewachte Kraft der Brust, der wilde Geist, der uns auf Kuntursfittigen vor Ab¬ gründe schleppt und der Zyklope rief laut in ihm: „stürze hinaus — knie vor sie — sag' ihr „dein ganzes Herz — was ist's wenn du dann „auf ewig verloren bist, hast du nur einen „Laut dieser Seele vernommen — und dann „kühle und opfere dich in den kalten Quellen „zu ihren Füßen.“ — Wahrlich er dürstete nach dem frischen Bassin, worein die Fontainen zurücksprangen — — Aber ach vor dieser Sanf¬ ten, vor dieser Gequälten und Frommen! — „Nein sagte der gute Geist in ihm, verwunde „sie nicht wieder wie ihr Bruder — o schone, „schweige, ehre; dann liebst du sie.“ Hier trat er heraus in die erleuchtete Erde wie in einen Himmelssaal und nahm den offnen Z 2 Sonnenweg, aber leise, vor den Fontainen vorüber. Als er vor ihr vorbeigieng, brach auf einmal die Arkade aus Tropfen, die sie halb vergittert hatte, zusammen, und Liane stand wolkenlos wie eine reine Luna ohne Ne¬ bel-Hof im tiefen Himmelsblau; eine glänzende Lilie Sonst glaubte man, daß eine im Chorstuhle liegende Lilie den Tod dessen bedeute, dem er gehörte. aus der zweiten Welt, die sich selber das Zeichen ist, daß sie bald in diese fliehe. — — O sein Herz voll Tugend empfand erschüt¬ tert die Nähe der fremden; und mit allen Zei¬ chen der tiefsten Verehrung gieng er vor dem ruhigen Wesen vorüber, das sie nicht bemer¬ ken konnte. Erst als ihm mit jedem Schritte ein Him¬ mel entfallen war und er endlich keinen mehr hatte als den über sich: wurd' er ganz sanft und freuete sich, daß er nicht kühner gewesen. — Wie glänzt ihm jetzt die Erde, wie nähert sich ihm der Sonnenhimmel, wie liebt sein Herz! — O noch nach vielen Jahren einst, wenn dieser glühende Rosengarten der Entzückung schon weit hinter deinem Rücken liegt, wie wird er dir, wenn du dich umwendest und dar¬ nach blickst, so sanft und magisch als ein weis¬ ses Rosenparterre der Erinnerung nachschim¬ mern! — Siebente Jobelperiode. Albano's Eigenheit — das Nestelknüpfen der Poli¬ tik — der Herostrat der Spieltische — väterliches mandatum sine clausula — gute Gesellschaft — H. von Bouverot — Lianens Gegenwart des Geistes und Körpers. 36. Zykel. — — W äre der Le hn pr ob st von Hafenreffer nicht, sondern nur meine Phantasie: so würd' ich gewiß in meiner Historie fortfahren und der Welt als wahr berichten (und das ganze ro¬ mantische Schreibgelag ließe sich darauf todt¬ schlagen ), Albano sey am andern Morgen blind und taub hinter der breit vorgebunde¬ nen Binde des Bandagisten, Amor, dortgesessen — er habe nicht mehr über fünf zählen können, außer abends, an der Glocke, um nachher das Froulay'sche Wasserhäuschen magisch zu um¬ kreisen wie einer, der das Feuerbesprechen will, das sich ihm nachschlängelt — aus den beiden Blaselöchern, womit sentimentale Wall¬ fische sich öffentlich ausweinen in Buchläden, hab' er beträchtliche Ströme aufgespritzt — übrigens hab' er kein Buch mehr angesehen (ausgenommen einige Bogen im Buche der Natur) und keinen Menschen mehr (einen blin¬ den ausgenommen) — — „und unter diesen „meinen Wundzettel erotischer Wundfieber „(würd' ich am Schlusse meiner Lüge sagen) „setzt wohl offenbar die Natur ihr Sekrets- „Insiegel.“ Das thut sie nicht, sagt Hafenreffer; — nichts wie verdammte Lügen sinds; die Sache ist vielmehr so: Zesara schlich kein zweitesmal mehr in Froulay's Garten; eine stolze Schaamröthe überflog ihn schon bei dem Gedanken an die peinliche, mit der er das erstemal einem mi߬ trauischen oder fragenden Auge aufgestoßen wäre. Aber auf diese Weise blieb ihm vor der Heilung die liebe Seele verhüllt wie ihr der Mai; und er quälte sich still mit Berechnun¬ gen ihrer Leiden und mit Zweifeln an ihrer Kur. Er schämte sich der Freude während ih¬ rer Trauerzeit und verbot sich den Genuß des Frühlings und den Besuch von Lilar; ach er wußte ja auch, es würde durch den liebenden Frühling und durch das Lilar, wo sie so viele Freuden und die letzte Wunde empfangen, sein Herz zu unbändig werden und zu voll. Sein Durst nach Wissen und Werth, sein Stolz, der ihm bei dem Vater und seinen bei¬ den Freunden in einem rühmlichen Lichte zu ste¬ hen gebot, trieben ihn in seine Laufbahn hin¬ ein. Mit allem ihm eignen Feuer warf er sich über die Jurisprudenz und machte keinen an¬ dern Weg mehr als den zwischen dem Hörsaale und dem Studirzimmer. Zu diesem Eifer zwang ihn ein eigenthümlicher Trieb nach Kompletirung ; alles Unvollendete war ihm beinahe ein physischer Greuel; ihn schmerzten defekte Sammlungen — abgebrochene Mo¬ natsschriften — eingeschlafne Prozesse — Bib¬ liotheken, weil er sie nie auslesen konnte — Leute die als Aczessisten starben, oder in Bau- Planen, oder ohne ein abgeründetes Denksystem, oder als Gesellen, Tuchknappen und Schuh¬ knechte — und sogar Augusti's Flötenblasen, der's so beiher mittrieb. Es war dieselbe Stärke, womit er Psyche's Flügelpferde den Zü¬ gel straff hielt und womit er ihm das Sporn¬ rad einstieß; schon als Kind hatte er diese Stärke an der Zurückhaltung des Athems, oder am peinlichen Pressen einer wunden Stelle versucht — und beim Himmel! figürlich that er ja nun beides wieder. In ihm wohnte ein mächtiger Wille, der bloß zur Dienerschaft der Triebe sagte: es werde! Ein solcher ist nicht der Stoizismus, welcher bloß über innere Mis¬ sethäter oder Hämlinge oder Kriegsge¬ fangene oder Kinder gebeut, sondern es ist jener genialisch-energische Geist, der die gesun¬ den Wilden unsers Busens dingt und bän¬ digt, und der königlicher zu sich, als der spa¬ nische Regent zu andern, sagt: Ich, der Kö¬ nig! — — Ach freilich — wie konnte seine warme Seele anders? — stand er oft in der Nachmit¬ ternacht am luftigen Fenster und schauete voll Thränen auf die weiße Madonna des mini¬ sterialischen Pallastes, die der reine Mond ver¬ silberte. Ja am Tage zeichnete er oft in sein Souvenir (zufällig war's ein Springbrunnen und eine Gestalt dahinter, weiter nichts) — oder er las im Messias (natürlich fuhr er in dem Gesange fort, den er schon bei der Mini¬ sterinn angefangen) — oder er belehrte sich über Nervenkrankheiten (war er bei seinem Studiren dagegen gedeckt?) — oder er ließ das Feuer seiner Finger über die Saiten laufen — ja er hätte nichts als Rosen gepflückt, obwohl mit Dornen, wäre ihre Blüthezeit gewesen. Und diese seufzende schwüle Seele mußte sich verschließen! O er war schon in Sorge, jede Taste werde eine Schriftpunze, das Kla¬ vier ein Letternkasten, und alle Handlungen verrätherisch-leserliche Worte. Denn er mußte schweigen. Die erste junge Liebe hat wie die der Geschäftsleute (die kursächsischen ausgenom¬ men) keine Sprachwerkzeuge, höchstens eine tragbare Schreibfeder mit Dinte. Nur die Weltleute, die ihre Liebeserklärungen eben so wiederholen wie Schauspieler, sind im Stande — und aus gleichen Gründen — sie eben so zu publiziren wie diese. Aber in der heiligern Zeit des Lebens wird das Bild der geliebtesten Seele nicht im Sprach- und Vorzimmer son¬ dern im dunkeln stillen Oratorium aufgehangen; nur mit Geliebten spricht man von Geliebten. Ach er hörte über seine Himmelsbürgerinn un¬ gern sogar andre reden; und er entwich oft (mit dem innern Rauchopferaltar in sich) aus dem Zimmer, worin man für sie eine Rauch¬ pfanne mehr voll Kohlendampf als Wohlge¬ ruch herumtrug. — 37. Zykel. Man erwartete in Pestiz jeden Tag die Zurückkunft des deutschen Herrn, Mr. de Bou¬ verot , der in Haarhaar an die fest skizzirte Vermählung zwischen Luigi und einer haar¬ haarschen Prinzessinn, Isabella, die letzte retou¬ chirende Hand gelegt. Augusti war ihm nicht gut, und sagte sogar, Bouverot habe keine honnêteté ; Honnêteté schließet in den höhern Ständen Morden, deshonnêteté , Lügen etc. völlig aus; ausgenommen in einem gewissen Grade. und erzählte Folgendes, aber mit der weichen Ironie eines Weltmannes. Vor einigen Jahren wurde Bouverot in Kapitel-Streitigkeiten vom Haarhaarschen Hofe Dieser Hof ist katholisch, aber das Land lu¬ therisch, und zu dieser letztern Konfession be¬ kennt sich auch der Hohenfliesser. nach Rom an den Pabst versandt; gerade zur Zeit, wo auch Luigi den gewöhn¬ lichen Römerzug der Fürsten that mit seinen Römer-Zinszahlen. Nun wollte Haarhaar — das eigentlich schon chapeaubas geht mit dem Hohenfliesser Fürstenhute und das alle mögliche offizinelle Aussicht hat, ihn aufzusetzen — eben darum nicht gern den Anschein geben, als seh' es das Erlöschen des Hohenfliesser Stammes mit kalten Augen an, um so mehr, da eben der Stammhalter Luigi gleich in den ersten Jahren kein Held von nervöser Bedeutung war. Ja dem Haarhaarer Hofe mußte daran liegen, daß der gute dünne Stamm-Herbstflor wo möglich anders wiederkäme, als er ausgezo¬ gen war; und eben aus solchen Gründen war von jenem dem Deutsch-Herrn heimlich aufge¬ tragen, dergestalt über alle seine Freuden und Leiden als maitre de plaisirs , zumal bei mai¬ tresses de plaisirs — zu walten und zu wa¬ chen, daß man damit zufrieden wäre. War inzwischen Abiturient schon als Fötus eingesessen, so wurd' er leider gar zum punctum saliens ausgeschliffen zurückgefahren, besonders da er durch mehrere Bocks- und andre Sprünge durch den Reif der Lust verdorben war zu einem Ritter sprunge. Es kann möglich seyn, daß der Deutsch-Herr der Verjüngung des Fürsten zu sehr entgegengieng; ja er kanns der jungmachenden Wunderessenz des Marquis d'Aymar S. des Grafen Lamberg Tagebuch eines Welt¬ mannes. nachgethan haben, welche eine alte unschuldige Dame, die vom Elixir mehr versalbte, als gegen ihre Jahre nöthig war, durch das übermäßige Verjüngen zum kleinen Kinde einzog. Kurz durch diesen Kreuz¬ zug hinter dem Kreuzherrn Bouverot wird ein¬ mal — wie öfters durch Kreuzzüge — der Ho¬ henfliesser Fürstensessel offen zu rechter Zeit und Haarhaar setzt sich darauf. — — Ich gestehe ungern, daß Albano anfangs — weil bei aller seiner Scharfsicht seine Rein¬ heit eben so groß war — das Faktum nur ver¬ worren faßte, als ers aber begriff, wars für ihn pharmazeutisches Manna, wie für Schoppe israelitisches . „Der Kreuzherr, „(sagte dieser,) trägt sein Kreuz nicht umsonst „— es thut ihm eben so viel Dienst wie den „Häusern in Italien ein daran geschmiertes, „es darf beide keine Seele anpissen, ob mans „gleich in Rom vor jedem Vorzimmer mag.“ — Nicht lange darnach giengen unsre drei Freunde in der Stunde, wo die Wagen lär¬ mend zum Thee und Spiele rollen, auf der Gasse, als man vor ihnen eine Sänfte mit dem Sitze rückwärts , worin gleichwohl jemand saß, vorübertrug. „Du heiliger Vater! (rief „Schoppe,) da drinnen sitzt der leibhafte Ze¬ „ fisio aus Rom, der mich irgend einmal „durchprügeln muß.“ — „Leise, leise! (sagte „Augusti) das ist der deutsche Herr; Zesisio ist „sein arkadischer Name Wer in die Akademie der Akadier tritt, nimmt einen arkadischen Namen an. .“ — „Nun so freu' „ich mich destomehr, daß ich mit der Rothnase „einmal herzlich schlecht umsprang“ sagt' er und kehrte um und begleitete mit untergesteck¬ ten Armen die Sänfte fast zehn Schritte weit, um den Vogel des Bauers besser zu beschauen, bis dieser die Vorhänge vorriß. Albano er¬ tappte darin im Vorübereilen nur einen schar¬ fen gleich einem Dolche gezognen Blick und einen rothglimmenden Nasenknopf. — Schoppe kam wieder und erzählte die Hän¬ del in Rom. Nämlich gegen alle Todsünder, Blutschuldner und Sündenbälge trug er keinen so bittern Ingrimm als gegen Professions-Bank¬ halter, Croupiers und Grecs ; er sagte, hätt’ er ein Raupeneisen, womit er dieses Gewürm von der Erde wegschaben, oder eine Kochenille¬ Mühle, worin er es zerknicken könnte, er thät’ es ganz lustig; „o Himmel, (rief er dann aus), „hielt' ich vollends über den ringelnden ver¬ „wickelten Wurmstock gerade meinen ausge¬ „streckten Fuß (und wäre auch das Podagra „daran) freudig stieß ich ihn darein und träte „den Bettel aus.“ — Was er aber konnte, that er. Da er sein eigner Reisediener und eine in ganz Europa hin- und herfahrende Laufer¬ spinne war: so hatt' er recht oft die Freude, diese Pharao-Blattwickler und Blattminirer unter die Finger zu bekommen — ihr Schein- Genosse zu werden — ihre Kriegslisten einzu¬ lernen — und dann irgend ein Feuerrad in ihre zischende Schlangenhöhle zu rollen. Ich bin nicht näher unterrichtet, ob man es in Leipzig weiß, wer der Rädelsführer war, der vor kur¬ zem in der Messe eine Vexier-Polizei mit Schein-Stadtknechten spielte und eine Bank aufhob; — wenigstens waren die Banquiers darüber irrig, weil sie den andern Tag der wahren Polizei aufwarteten und um einige Indulgenzen und Un-Rechtswohlthaten anbet¬ telten; aber ich bin hier im Stande, den Diebsfänger zu nennen: Schoppe wars gewe¬ sen. sen. — — Die Beute legt' er meistens zu neuen Fladderminen unter Pharao-Tischen an. Mit Zefisio hatt' er's anders gekartet. Er trat vor dessen Bank und sah einige Mi¬ nuten zu und belegte endlich ein Blatt mit einem Schildlouisd'or. Es gewann, und er zeigte hinter der Karte eine lange Rolle von Louis. Bouverot wollte diese Rolle nicht be¬ zahlen; „er habe (sagt' er) nichts gesehen.“ Wozu sitzt Ihr Croupier denn dort? sagte Schoppe und erklärte sie für Betrüger, wenn sie nicht zahlten. Man zahlte ihm, um grös¬ sern Schaden zu vermeiden, den Gewinnst. Er nahm ihn kalt und schied mit den Worten an die Pointeurs: „meine Herren, Sie spielen „hier doch mit ausgemachten Betrügern; aber „bloß weil ich sie kenne, haben sie mich be¬ zahlt.“ Unter dem Steif- und Blaßwerden der Interessenten gieng er langsam mit seiner breitschultrigen gedrungnen Figur und mit sei¬ nem Knotenprügel unversehrt davon. — — Augusti, wünschte von Herzen, — der Ver¬ folgung wegen — daß Bouverot den Bibliothe¬ kar nicht mehr kenne. Zu Hause fanden sie Titan. I . Aa eine Einladung vom Minister auf Thee und Sou¬ per: „die arme Tochter! (sagte Augusti) Die¬ „ses Bouverot wegen muß die Halbblinde mor¬ „gen an die Tafel.“ Indeß sieht sie doch unser Jüngling endlich wieder und nur ein Frühlingstag sondert ihn vom theuersten Wesen ab! — Hat Augusti Recht: so trifft meine Be¬ merkung hier ein, daß ein guter Filou immer der motivirende Hecht wird, der den frommen Karpfensatz der Stillen im — Teiche zum Schwimmen bringt; die versteckte Blattermate¬ rie, die kalte Kinder auf einmal lebendig macht. 38. Zykel . Lianens Augen heilten, aber nur langsam; die Natur wollte sie nicht auf einmal aus ih¬ rem düstern Kerker in die Sonne führen; jetzt konnte sie erst wie die Philosophen, mehr Licht als Gestalten erkennen. Gleichwohl gab der Minister den Kabinetsbefehl, sie müsse über¬ morgen die Harmonika spielen, bei dem Sou¬ per erscheinen und sogar den Sallat machen und dabei ihre Blindheit maskiren. Er befahl zuweilen unmögliche Dinge, um so viel Unge¬ horsam zu finden als sein Zorn zum Bestrafen brauchte; gewisse Leute sind den ganzen Tag schon im Voraus voll Ärger für irgend eine Zukunft, gleich dem Urinphosphor, der immer unter dem Mikroskope kocht, oder den Eisen¬ hütten, worin jeden Tag Feuer auskömmt. Die Ministerinn sagte dazu ein sanftes festes Nein. Über die Harmonika, sagte sie, habe sie in seinem Namen den Doktor gefragt, der es streng' verboten, und das Übrige sey eine Unmöglichkeit. Hier konnt' er schon, so gut wurd' es ihm, über mehrere Dinge unge¬ halten werden, besonders über das Fragen des Doktors, das aber gar noch — nicht geschehen war; er wurde toll genug und schwur, er handle nach seinen Prinzipien und frage den Teufel nach fremden . Dieses Prinzip war dasmal der deutsche Herr. Die obige Anekdote nämlich — Bouve¬ rots Fürsorge für den reisenden Erbprinzen — oder die Absicht dabei war an beiden Höfen assemblée- und tafelfähig, und nur dem Für¬ sten Luigi verdeckt; denn an Thronen giebt es fast für niemand Geheimnisse (kaum für seine A a 2 Frau) als für den der darauf sitzt, wie in Schall¬ gewölben die Leute in fernen Winkeln alles laut vernehmen, nur der nicht, der in der Mitte steht. Der deutsche Herr war also im Hohenfliesser Systeme die wichtige Pfortader und Lungenpulsader, womit auch Froulay sich wässern wollte. Dieser mußte durchaus der Gegenwart und der Zukunft oder zweien Her¬ ren dienen, von denen der Haarhaarer sehr bald seiner werden konnte. Bouverot war nicht bloß an Froulay den Minister, sondern auch den Vater geknüpft; ein Mann wie er, der sich aus Italien ein ganzes Kunstkabinet nachfahren lasset und des¬ sen Kunst-Kenntnisse eben ihn und den Fürsten so lange verknüpfen, mußte eine Madonna von solcher Karnazion wie Liane und aus der römischen Schule und die noch dazu von der Leinwand abgelöset sich als eine volle ath¬ mende Rose bewegte, ein solcher mußte derglei¬ chen zu schätzen wissen. Heirathen konnt' er die Rose nicht wollen, da er deutscher Herr war. Er hatte sie seit seiner welschen Reise nicht gesehen — der Graf auch nicht — beiden wollte sie der Minister zeigen als eine Zahlperle von besonderer Weiße und Figur. Froulay hatte — was überhaupt öfter ist als man denkt — gleich viel Eitelkeit und Stolz; diesen gegen Ta¬ del, jene für das Lob. Aber ich müßte nun ein Turnirbuch schreiben, um sein Toben, Rennen, Lanzenstoßen in einem Gefechte, wo er unter den Fahnen der Feindschaft, der Eitelkeit und Hab¬ sucht diente, nur zum Theil auf die Nachwelt zu bringen. Er war so wenig todt zu jagen als ein Wolf. Alle Waffen waren ihm gleich und er nahm immer schärfere und giftigere. In den alten gerichtlichen Zweikämpfen zwischen Mann und Frau stand gewöhnlich der Mann bis an den Magen in einem Loche, um seine Stärke zur weiblichen herabzubringen und sie schlug gegen ihn mit einem in einen Schleier gewickelten Stein; in den ehelichen aber scheint der Mann im Freien zu stehen und die Frau in der Erde und hat oft nur den Schleier ohne den Stein. — — In diesem Gefechte stellle sich ein glän¬ zender Friedensengel zwischen beide und fieng die Wunden auf, nämlich Liane. Die Tochter die eine schwärmerische Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des stärkern Ge¬ schlechts für den Vater hatte, und die so un¬ endlich unter dem Zwiespalte litt, fiel der Mut¬ ter um den Hals und bat sie, ihr das zu er¬ lauben, was der Vater fordere — sie wolle alles gewiß so machen, daß man nichts merke, sie wolle sich recht anstrengen und vorher be¬ sonders üben — ach er werde sonst ihrem ar¬ men Bruder nur noch ungewogner — diese Uneinigkeit bloß ihrentwegen sey ihr so schmerz¬ lich, und vielleicht schädlicher als das Harmo¬ nika-Spiel. „Mein Kind, du weißt, (sagte die Mutter, „denn hatte sie gefragt) was gestern der Arzt „gegen die Harmonika gesagt hat; das andre „kannst du wagen!“ Liane küßte sie freudig. Man mußte sie zum Vater führen, damit sie vor ihm die Freude ihres Gehorsams laut¬ machte. „Ich dank' euchs mit dem Henker, „(sagt' er sanft,) es ist eure verfluchte Schuldig¬ „keit.“ — Sie gieng mit zerstobener Freude, aber ohne große Schmerzen, sie war es schon gewohnt. 39. Zykel. Der Lektor bat Albano noch auf dem Wege zum Minister, das Feuer seiner Behaup¬ tungen und seiner Pantomime zu mäßigen. Er machte ihm vom Hauskriege nur so viel bekannt, als nöthig war, damit er nicht Lia¬ nen durch den Wahn der Heilung in Verlegen¬ heit setze. Als sie ins Spielzimmer traten, war schon alles im Feuer. Da ihm jetzt niemand präsentirt wird: so muß ich es thun; es sind Jünger (wenigstens Zwölfte ) des Ministers. Zuerst stelle ich dir den H. Justizpräsiden¬ ten von Landrok vor, eine gute Apothekerwage der Themis, die Skrupel auswägt und worin keine falsche Gewichte liegen, aber, was eben so schlimm ist, viel Schmutz, Reste und Rost. Die am L'Hombretisch daneben sind die Herren und Frauen von Vey, Flöl und Kob, glatte feine Seelen, die wie Mineralien in Kabinet¬ ten auf der Schauseite abpolirt sind, nur aber auf der verborgnen Basis noch eckig und kratzend. Geh mit mir an den Eingang des andern Zimmers; hier hab' ich dir zu präsentiren den jungen aber fetten Domherrn von Meiler, der, um seinen innern Menschen mit einem dicken warmen äußern zu bekleiden und auszuschla¬ gen, jährlich nicht mehr Bauern abzurinden braucht als der Russe Lindenstämme für seine Bastschuhe abschindet, nämlich 150. Das Zimmer, worein du siehst, präsentir' ich dir als ein Fliegenglas voll Hofbediente, die um ins Himmelreich zu kommen, nicht bloß Kinder , sondern gar Embryonen von vier Wochen wurden, die bekanntlich aussehen wie Fliegen; sie wollen wenn Swift von sei¬ nen Bedienten nichts begehrt als das Zuma¬ chen der Thüren, nichts von ihrem Brodherrn als das Offenlassen derselben. Ich habe die Ehre dir dort — es ist der, der nicht spielt — den H. Kirchenrath Schäpe der Oberhofprediger werden will, vorzustellen, einen weichen Hallunken, der die Saamenkörner des göttlichen und menschlichen Worts wie Melo¬ nenkerne (sie sollen dadurch früher in den Herzen aufgehen) so lange in gezuckertem Weine einweicht, bis sie in jenen verfaulen; ein geistlicher Herr, der in seinem Leben nie andre Bitten that als die beiden, die er stets abschlägt , die vierte und die fünfte . — — Aber der Lektor wird dir im Fenster ja alle Herren und Damen kalt, leise und ohne Pantomime nennen. Jetzt führt dich der Mi¬ nister selber einem spielenden Herrn mit einem Kreuze zu, der Wasser mit Salpeter trinkt und immer den dürren Mund beleckt; es ist Bou¬ verot — jetzt steht er vor dir auf, betrachte das kalte, aber kecke und schneidend-geschliffne Auge, dessen Winkel eine offne Blechscheere oder aufgestellte Falle scheinen — die rothe Nase und den harten lippenlosen Mund, des¬ sen röthliche Krebsscheere sich abgewetzt zusam¬ menzwickt — das aufgestülpte Kinn und die ganze stämmige feste Figur. Albano überra¬ schet ihn nicht, er hat alle Menschen schon ge¬ sehen und er frägt nach keinem. Der Minister erquickte den in sich ver¬ worrenen Jüngling mit der Verheißung, bei dem Souper werd' er ihm seine Tochter vor¬ stellen. Er bot ihm ein Spiel an; aber Alban versetzte mit einem zu jugendlichen Accent: er spiele nie. — Er konnte nun die Spieltischgassen durch¬ streichen, und alles besehen was er wollte. In einem solchen Falle postirt man sich, wenn man niemand in der Gesellschaft ausstehen kann, gerade vor oder neben das Gesicht, das man am meisten anfeindet, um sich über jedes Wort und jeden Zug des Gesichts heimlich zu erärgern. Albano hätte viele Gesichter gehabt, die wenigstens in einem klei¬ nen Grade nicht zu leiden waren und zu de¬ nen er sich hätte stellen können; — ja es wä¬ ren keine hinlängliche Gründe anzugeben, warum er nicht einen gewissen ausgespelzten eingetrockneten Kleisteraal, einen Schwächling voll Impertinenz in Einem fort angesehen hätte, da dieser mit einer Flügelbrille die auf¬ gehenden Kartengestirne observirte, indeß Al¬ bano die Fühlhörner seiner Sehnerven bis zu den Kartenfarben des zweiten Zimmers aus¬ strecken konnte — es wären keine Gründe da gewesen, wäre nicht der deutsche Herr da¬ gewesen; vor diesen mußt' er sich stellen; von diesem wußt' er das Meiste und Schlimmste; dieser stand ja mit Schoppe in weiter Verbin¬ dung, sogar mit Lianen — — Verdammt! ne¬ ben gewissen Gesichtern krümmen und mausern sich die Seelenschwingen, wie neben Adlerkie¬ len Schwanen- und Taubenfedern zerfallen; allen schuldlosen Gefühlen in der so geräumigen Brust Albanos wurd' es so unruhig und eng wie einem Taubenfluge in dessen Schlag man einen Iltisschwanz geworfen. Ich darf es nicht verhehlen, er murrte und grollte innerlich über alles was der Mann that und hatte — dieser mochte nun Finger tra¬ gen, deren Spitzen feingeschabet waren für das Pharaospiel und deren Nägel von einem ganz noch schlimmern Hazardspiele sich etwas ab¬ geblättert hatten — oder er mochte zuweilen durch die Haare der Augenbraunen blicken — oder (nur Einmal) eine Mücke durch ein schnel¬ les Schnappen der Lippen erquetschen wie die Fliegenfalle — oder bald eine deutsche bald eine gallische Zeile sagen, was ich doch von guten Zirkeln erwarte, indeß nur schlechte kein deutsches Wort vorbringen, wenige solche wie Lansquenet, canif (Kneif), birambrot (Bier am Brod) ausgenommen — — — genug er dachte immer an Schoppe's schönen Ausspruch: „es giebt Menschen und Zeiten, wo einen „rechtschaffenen Mann nichts mehr erquicken „könnte als — Prügel, die er gäbe.“ Duelli¬ ren ist eben so gut, meinte der Graf. Indeß muß er hier entschuldigt werden durch eine Autorität. Nämlich selber Schreiber dieses — sonst ein so weiches warmes Schwa¬ nenfell — wurde immer zu einem völligen Kampfhahne hinter Spiel-Sesseln und spreitzte den kratzenden struppigen Flügel weiter auf, je länger er müßig zusah; der Grund ist der, weil man überhaupt nur die Menschen immer leidlicher und besser findet, mit denen man einerlei treibt und will. Albano wünschte sich herzlich seinen Waf¬ fenbruder Schoppe her; er gieng zwar oft zu Augusti, sich auszuschütten; aber dieser linderte stets; ja er schnitt ihm durch die Verflechtung mit dem Kirchenrathe die Gelegenheit ab, seine jugendliche unerfahrne Seele Horchern zu verrathen. Auch wählte der Lektor nachher auf eine halbe Stunde — was Hausfreunde oft thun in Abwesenheit der Hausfreundinnen — letztere (die Abwesenheit). Der Graf stand einige Zeit hinter Bouve¬ rots Sessel und sah in einen innen mit grotes¬ ken Bildern lakirten, sinesischen Spiegel, und veränderte seine Stellung solange bis er darin Zefisios Gesicht hart neben einem gemalten Dra¬ chen stehen hatte zur bloßen Vergleichung; — das alles fiel vor, aber mit immer stärkern Herzschlägen für Lianen unterbrochen: — — als die Bedienten die Thüren öffneten zu dem Speisesaale; und ihm nun das Herz bis zum Schmerzen pochte und seine ohnehin so jugend¬ lich-blühende Gestalt ganz voll Rosen der fro¬ hen und verschämten Röthe hieng. 40. Zykel. Schnellathmend und glühend machte er sich in die bunte Wandel-Reihe mit irgend einer alten Dame hinein, die ihn eitel mißver¬ stand und auf einmal als eine Armschnalle mit Ressort an seinem Arme hieng und die nichts von ihm erhielt als — Antworten. Mit durchfliegenden Blicken trat er in den hellen wie aus Licht krystallisirten Saal voll Köpfe. Er antwortete eben, als er im Tumulte hinter sich das leise Wort vernahm: „ich höre ja den „Bruder“ — und sogleich die leisere Widerle¬ gung: „es ist mein Graf.“ — Er drehte sich um — zwischen dem Lektor und der Mutter stand die liebe Liane, der verschämte, erschrockne blaßrothe Engel im schwarzen Seidenkleide, das nur der blinkende Frühlingsreif einer silbernen Kette überlief, und mit einem leichten Bande im blonden Haar. Die Mutter stellte sie ihm vor und die zarte Wange blühte röther auf — denn sie hatte ja die gleichen Stimmen des Gastes und des Bruders vermengt — und sie schlug die schönen Augen nieder, die nichts se¬ hen konnten. Ach Albano wie zittert dein Herz so sehr, da die Vergangenheit zur Gegenwart, die Mondnacht zum Frühlingsmorgen wird und du diese stille Gestalt in der Nähe noch allmächtiger wirkt als in jedem Traume! — Sie war ihm zu heilig, als daß er vor ihr über die scheinbare Heilung hätte lügen kön¬ nen; er schwieg lieber; — und so kam der wärmste Freund ihres Lebens zum erstenmale nur verhüllt und stumm zu ihr. Der Lektor führte sie bald weg an ihren Sitz unter dem zweiten Lüstre — ihr gegen¬ über saß die Mutter (wahrscheinlich darum, damit die gute unwissende Tochter, die doch nicht immer die Augenlieder senken konnte, diese freundlich und mit Anstand gegen ein ge¬ liebtes Wesen heben durfte) — der deutsche Herr, als Bekannter, setzte sich ohne Weiteres zu ihrer Rechten, Augusti zur Linken — Ze¬ sara als Graf kam oben weit hinauf neben die höchste Dame. — — Der Henker hol's! — das ist leider so oft mein eigner Fall! Ich behaupte oben den Eh¬ renplatz — und bemerke unten eine Meile von mir die Tochter, aber als Myop nur halb und kann den ganzen Abend nichts machen. — Rangirt mich doch ungescheuet hinunter zu ihr — ihr habt mit nichts weniger als einem auf¬ geblasenen Manne zu thun — warum sollen denn auch auf der Erde, wie im Himmel, ge¬ rade die größten Wandelsterne am weitesten von ihrer Sonne absitzen? — Ich ziehe jetzt die Leser an des Ministers Tafel, nicht um ihnen die ministerialische auf Habsucht eingeimpfte Pracht oder seinen zwi¬ schen das Parallellineal der Etiquette einge¬ sperrten Ehrentanz oder auch dessen Familien¬ wappen zu zeigen, das auf jedem Wärmteller und Salzfaß und mit dem Eise und Senfe her¬ umgegeben wurde — uns sey die Allgegenwart des Wappenwerks auf seinen Blumentöpfen, Hemden, Bettschirmen, Hunds-Kravatten und Gedanken genug — sondern der Leser soll jetzt nur auf meinen Helden sehn. Sehr sticht er hervor. Über einen solchen Ankömmling hat man in einer Residenzstadt noch früher als er dem Schwager das Trink¬ geld gegeben, schon alles mögliche Licht der Natur und der Offenbarung; 19 Anwesende waren als seine moralischen Schrittzähler an ihm fest gemacht. Die Kühnheit seines Wesens und sein Rang ersetzten bei ihm die Welt; und diese vermißte man nirgends als darin, daß er keinen andern Antheil nahm als den stärk¬ sten und daß er sich immer in allgemeine und weltbürgerliche Betrachtungen verlief. Aber seht seht doch — o ich wollte, Liane könnt' es se¬ hen — wie die Rosengluth und das frische Grün seiner Gesundheit unter den gelben Maro¬ den des Jahrhunderts glänzt, denen wie Schif¬ fen, an der afrikanischen Küste der Jugend alles zusammenhaltende Pech abgeflossen war — und wie ihn das Wangenroth der geistigen Gesund¬ heit, ein zartes immer wiederkommendes Er¬ röthen (aus Sorge um Lianen) schmückt, indeß mehrere Weltleute am Tische gleich der Baum¬ wolle alle Farben leichter anzunehmen schei¬ nen als die rothe ! Er schauete und horchte, wider die Ord¬ nung des Visiten-Heils, zu sehr Lianen zu. Sie aß, unter dem höhern Rothe der Furcht, fehlzugreifen, nur wenig, aber unbefangen; der Lektor sperrte ihr mit leichter Hand den kleinsten Irrweg zu. Was ihn wunderte war, daß sie ein so empfindliches und so leicht wei¬ nendes Herz mit einer so unbefangnen Heiter¬ keit des Angesichts und des Gesprächs bedeckte — — junger Mann, das ist bei den weichsten Mäd¬ chen ohne Schmerzen der Liebe, kein Bedecken und Verstellen, sondern Genuß des Augenblicks Titan. I. Bb und gewohnte Gefälligkeit! — Sie behielt so besonnen die (wahrscheinlich vorher gelernte) Rangordnung der bekannten Stimmen, daß sie ihre Anwort nie gegen eine falsche Stelle richtete. Sie blickte aber oft zu ihrer Mutter mit vollen Augen auf und lächelte dann noch heiterer, aber nicht um zu täuschen sondern aus rechter herzlicher Liebe. — Anlangend ihren Sallat, so würde die beste und tafelfähigste Leserinn, die ihn mischen se¬ hen, mehrere Gabeln davon nehmen. Unge¬ mein gut ließ es, da sie ernster und röther vor der blauen Himmels-Halbkugel aus Glas die Handschuhe abzog — mit weißen Händen und mit geschmeidigen Armen ohne eine seidne Falte, zwischen dem gläsernen Blau und seide¬ nem Schwarz im Grünen arbeitete — bedächt¬ lich nach dem Essig- und Oelgestelle fassete und so viel zugoß als ihre Übung (und der ver¬ zifferte Rath des Lektors; wenigstens scheint mirs so) gebot. — — Beim Himmel! das Ma¬ chen ist hier der Sallat; und der eitle Mini¬ ster, der sich nicht auf Gemälde verstand, hatte viel Einsichten in Dingen, die zu Gemälden taugten. Die Mutter schien kaum auf die Blätter- Mengerei hinzusehen. — — Dem Grafen schien heute die Ministerinn nur Welt und keine fromme Strenge zu haben; aber er kannte noch nicht genug jene hellen Weiber, die Fein¬ heit ohne Witz, Empfindung ohne Feuer, Klar¬ heit ohne Kälte haben; die von den Schnecken die Fühlhörner, die Weichheit, die Kälte und den stummen Gang entlehnen und die mehr Vertrauen verdienen und fordern als erhalten. Nun trat Zefisio, als ein Engel unter drei Menschen im feurigen Ofen ein, aber als ein schwarzer. Dem Grafen war dessen Nahesitzen und jedes Wort zu ihr ohnehin eine Kreuzi¬ gung — nur von ihr zu ihm mit dem Blicke zu gehen war schon ein Jammer, wenig ver¬ schieden von dem, den ich haben würde, wenn ich in Dresden einen Tag im Antiken-Olymp der alten Götter zubrächte und dann bei dem Herausgehen in ein Refektorium voll geschwoll¬ ner Mönche oder in ein Naturalienkabinet voll ausgestopfter Malefikanten-Bälge und einma¬ B b 2 rinirter Fötus-Kanker geriethe. — Indeß wurde er doch dadurch beruhigt — nach mei¬ ner Meinung nur getäuscht —, daß der deutsche Herr nicht neben ihr lyrisch loderte, noch im Himmel oder außer sich war, sondern bei sich und ganz gesetzt und sehr artig. Auf keine Tauben, Graf, — frage die Landwirthe, — schießen die Habichte öfter nieder als auf glänzend-weiße ! — Der deutsche Herr brachte jetzt eine Taba¬ tiere hervor mit einem niedlichen Gemälde von Lilar und fragte Lianen, wie es ihr gefalle; ihm gefalle daran das Sentimentalische vor¬ züglich. Der Lektor erschrak, bog sich dem Dosen¬ stücke entgegen und jagte einige Urtheile vor¬ aus, die die Halbblinde in den ihrigen führen sollten; aber nachdem sie damit ein paarmal schief gegen die Lichter und nahe vor ihren Au¬ gen vorbeigefahren war, konnte sie selber das eigne fällen, daß das von der halbuntergesun¬ kenen Sonne angestrahlte Kind, das unter dem Triumphbogen eine Blumenkette in die Höhe zieht, nach ihrem Gefühle „so gar lieblich“ sey. Hier kam — und ich habe denselben Fall an einer halbblinden Frau von mächtiger Phantasie und offnem Kunstsinne bemerkt — die Anstrengung und der Kunstsinn oder das geistige Auge dem leiblichen auf halbem Wege entgegen. — Die Dose wurde wie ihr Taback weiter präsentirt und stieg hinab zum Kunst¬ rath Fraischdörfer — dem jetzt die Kunstliebe des neuen Fürsten und die Kunstgelehrsamkeit des Günstlings neue Kronen aufsetzen — ; er rügte nichts als das Blüthenweiß; „der Früh¬ „ling (sagt’ er,) ist wegen seines verdrüßlichen „Weißes ein leeres Monochroma; ich habe Li¬ „lar nur im Herbste besucht.“ — „Wir können „ja den Nachtigallengesang auch nicht malen, „und hören ihn doch“ sagte Liane heiter: er war ihr Lehrer, und jetzt in der malerischen Technologie sogar ihres Vaters seiner. Über allen ihren Kenntnissen und innern Früchten und Blüthen war die Rose des Schweigens gemalt; daran hatte sie der gebieterische Vater über¬ haupt gewöhnt, und vor Männern besonders; in welchen sie immer kopirte Väter furchtsam ehrte. — Als die Landschaft zu Albano kam und er jene Frühlingsnacht verkleinert vor sich hielt wo ihm Lilar und der edle Greis so zaubernd erschienen — und da er berührte, was die liebe Seele angerührt — und da in der seinigen alle Wohllaute zitterten: so griff wieder der Teufel einen dissonirenden Septimenakkord: „Der Fürst, gnädiger Herr (sagte der Mi¬ „nister zum deutschen Herrn) wurde gestern „heimlich beigesetzt; schon in acht Tagen ha¬ „ben wir das öffentliche Begräbniß. Wir „müssen eilen, weil die Suspension der Hof¬ „trauer so lange dauert bis die Huldigung „am Himmelfahrtstage vorüber ist.“ Ich bin zu feurig, mich über den ewigen Zeremo¬ nienmeister Froulay auszulassen, der auf der Sonne Laternensteuer eingetrieben hätte und Brückenzoll vor Parks- und Eselsbrücken; aber Albano, von so vielen innern Seiten- und Streiflichtern geblendet — erinnert an Lianens Trauer über den alten Mann, an seinen Ge¬ burtstag, an das Herz ohne Brust und an den Wahnsinn der Welt — war nicht im Stande, so sehr er sich vorgesetzt, in Sanftmuth und Lammskleidern vor Froulay zu erscheinen, letz¬ tere anzubehalten: sondern er mußte (und lau¬ ter als er meinte ) gegen seinen Gegennachbar, den Kirchenrath Schäpe, mit zu großer Jugend- Ergrimmung — (die durch das nach der Bru¬ derstimme sehnsüchtige Zuhören Lianens nicht kleiner wurde) sich erklären gegen viel — ge¬ gen das ewige todte Vexirleben der Menschen — gegen den zeremoniellen Hohn einer entseel¬ ten Gestalt — gegen dieses Darben an Liebe bloß aus Vorspiegeln derselben — ach sein ganzes Herz brannt' auf seiner Lippe. . . . Der redliche Schäpe, den ich oben einen Hallunken genannt, trat ihm mit mehreren Minen bei. — Aber ich gar nicht; Freund Al¬ bano! du mußt erst noch lernen, daß die Menschen, in Rücksicht der Zeremonien, Mo¬ den und Gesetze, gleich einem Zug Schaafe, insgesammt wofern man nur den Leithammel über einen Stecken setzen lassen, vorsichtig an der Stelle des Stabes, den man nicht mehr hinhält, noch aus Vorsicht aufspringen; — und die meisten und höchsten Sprünge im Staate thun wir ohne den Stecken. Aber ein Jüngling wäre mittelmäßig, der das bürger¬ liche Leben sehr zeitig lieb hätte; so gewiß auch er und wir alle über die Fehler eines jeden Amtes zu bitter richten, das wir nicht selber be¬ kleiden. Die Gesellschaft hörte schweigend zu und wunderte sich aus Artigkeit nur innerlich; Auf Lianens Gestalt trat weicher Ernst. Man stand auf — die Enge verschwand sein Eifer auch; — aber ich weiß nicht, kam es von der Trunkenheit des Sprechens oder des liebenden Anschauens, oder von einem jugend¬ lichen Überspringen der Visiten-Zäune — (von Mangel an Lebensart kams aber nicht her) genug das Faktum ist nicht zu leugnen (und ich thu' auch am besten, es geradezu zu ge¬ ben), daß der Graf die arme alte von ihm hergeführte Dame — Hafenreffer weiß selber nicht wie sie heißet — stehen ließ und ich glaube unbewußt zum Führen Lianen nahm. — Ach diese! Was soll ich sagen von der ma¬ gischen Nähe der geträumten Seele — vom leichten Aufliegen ihrer Hand, das nur der Arm des innern Menschen, nicht des äußern spürte — von der Kürze des Himmelsweges, der wenigstens so lang hätte seyn sollen als die Friedrichs-Straße? — Wahrhaftig er sel¬ ber sagte nichts — er dachte bloß ans abscheu¬ liche Inhibitorial-Zimmer, wo ihre Scheidung vorfallen mußte — er zitterte unter dem Su¬ chen eines Lauts. „Sie haben wohl (sagte „Liane leicht und offen, die gern die befreun¬ „dete Stimme, zumal nach der warmen „Rede hörte) unser Lilar schon besucht?“ — „Wahrhaftig nicht, aber Sie?“ sagt’ er zu verwirrt. „Ich und meine Mutter wohnten „gern in jedem Frühlinge da.“ — Nun waren sie im Scheide-Zimmer. Lei¬ der stand er so mit ihr, die nichts sah, einige Sekunden fest und sah geradeaus willens, et¬ was zu sagen, bis die Mutter ihn aufweckte, die für ihre, von dem ganzen Abend so ge¬ nährte Liebe eifrig eine abgetrennte Stunde am Tochterherzen suchte. — Und so war alles vorbei; denn beide schwanden wie Erscheinun¬ gen weg. Aber Alban war wie ein Mensch, den ein herrlicher Traum verlässet und der den ganzen Morgen so innig-seelig ist, aber ihn nicht mehr weiß. — Und wie, steht ihm nicht Lilar offen und sieht ers nicht gewiß, sobald nur Liane es auch sehen kann? — Nie war er sanfter. Der aufmerksame Lektor legte in dieser warmen fruchtbaren Säezeit einigen guten Saamen ein. Er sagte, als sie miteinander noch in die Mondnacht heraussa¬ hen, Albano habe heute fast bloß stachlichte und sperrige Wahrheiten vorgebracht; die nur erbittern, nicht erleuchten. — Zu einer andern Zeit hätt' ihn der Graf befragt ob ers wie Froulay und Bouverot hätte machen sollen, die einander ganz tolerant Theses und Anti¬ theses vortrugen wie ein akademischer Respon¬ dent und Opponent, die vorher bei einander lo¬ gische Wunden und Pflaster von gleicher Länge bestellen —; aber heute war er ihm sehr gut. Augusti hatte so delikat und liebreich für Mut¬ ter und Tochter gesorgt — er hatte ohne Schwärzen und Schmücken viel Gutes, aber nicht hastig gesagt und man hatte seinem Aus¬ einandersetzen ruhig zugehört — er hatte we¬ der geschmeichelt noch beleidigt. Albano ver¬ setzte also sanft: „aber erbittern ist doch besser, „lieber Augusti, als einwiegen. — Und wem „soll ich denn die Wahrheit sagen als denen, „die sie nicht haben und nicht glauben? — „Doch nicht den andern?“ — Man kann jede sagen, sagt' er, aber man kann nicht jede Art und Stimmung, womit man sie sagt, zur Wahrheit rechnen. „Ach!“ sagte Albano und blickte hinauf; unter dem Sternenhimmel stand wie eine Schutz¬ heilige die Marmor-Madonna des Pallastes sanft beglänzt — und er dachte an ihre Schwester — und an Lilar — und an den Frühling — und an viele Träume — und daß sein Herz so voll ewiger Liebe sey und daß er doch noch keinen Freund und keine Freundinn habe. — Achte Jobelperiode. Le petit lever des D . Sphex — Steig nach Li¬ lar — Waldbrücke — der Morgen in Arkadien — Chariton — Lianens Brief und Dankpsalm — empfindsame Reisen durch einen Garten — das Flötenthal — über die Realität des Ideals, 41. Zykel. I ch bin in voriger Nacht bis gegen Morgen aufgesessen, — denn ich kann keinen fremden Dechiffreur darüber lassen —, um die Jobelpe¬ riode bis zum letzten Worte zu entziffern, so fest hielt mich ihr Reiz; ich hoffe aber, da schon das dünne Blätterskelet aus Hasenreffers Hand so viel that, so soll jetzt das Blatt, wenn ich seine Adern mit Saftfarben und gleißendem Grüne durchziehe, vollends Wunder thun. Mit dem Grafen stand es seit dem letzten Abend betrübt. Denn die duldende bescheidne Gestalt, die er gesehen, glänzte wie der Vorsatz einer großen That, allen Bildern seiner Seele vor und in seinen Träumen und vor dem Ein¬ schlafen ward ihre holde Stimme die Philo¬ mele einer Frühlingsnacht. — Dabei hört' er noch immer von ihr sprechen, besonders den Physikus, der jeden Tag weitere Fort¬ schritte der Augenkur verkündigte und zuletzt Lianens Abreise nach Lilar immer näher stellte — (Von einer Geliebten aber hören ist, sey es immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger als an sie denken) — Er hörte ferner, daß ihr Bruder sich seit der Ermordung ihrer Augen der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht wieder erscheinen will als auf einem sogenannten Freudenpferde bei der Fürstenleiche; — — Und um dieses Eden, oder vielmehr um die Schöpferinn derselben, war eine so hohe Gar¬ tenmauer gezogen und er gieng um die Mauer und fand kein Thor. — — Verhaßteres kenn' ich nichts als das; aber in welcher Residenzstadt ists anders? Schrieb' ich jemals einen Roman, (wozu es keinen An¬ schein hat) das betheur' ich öffentlich, vor nichts würd' ich mich so hüten als vor einer Residenz¬ stadt und vor einer stiftsfähigen Heldinn darin. Denn die Konjunkzion der obern Planeten trägt sich leichter zu als die hoher Amanten. Will Er ein Wort mit Ihr allein reden am Hofe oder beim Thee oder bei ihrer Familie, so steht der Hof, die Theegesellschaft, die Fa¬ milie dabei; — will Er Ihr im Park aufstos¬ sen, so reiset Sie, wie die sinesischen Kurire, doppelt, weil man den Mädchen gern das Gewissen, wie die Natur alle wichtige Glieder, doppelt giebt wie gutem Weine doppelten Bo¬ den; — will Er Ihr zufällig wenigstens auf der Gasse begegnen, so schreitet (wenn diese in Dresden liegt) ein saurer Bedienter hinter¬ drein als ihr Pestessig, Seelensorger, curator sexus , chevalier d'honneur , Sokrates-Genius, Kontradiktor und Pestilenziarius — — Hinge¬ gen auf dem Lande läuft (das ist alles) die Pfarrtochter, weil der Abend so himmlisch ist, um die Pfarrfelder spatzieren und der Kandi¬ dat braucht nun weiter nichts zu thun als Stiefel anzuziehen. — Wahrlich unter Leuten von Stande scheint der Mantel der (erotischen) Liebe anfangs ein D . Fausts Mantel zu seyn, der alles zu überfliegen schwört, indeß er bloß alles überdeckt; allein am Ende steht einem das Schreckhorn, der Pilatusberg und die Jungfrau vor der Nase. Seeliger Held! Am Freitage kam der Lek¬ tor und referirte, am Montage werde der Höchstseelige — nämlich dessen leere Särge — beigesetzt, und Roquairol reite das Freuden¬ pferd — und Liane sey fast genesen, denn sie gehe mit der Ministerinn morgen nach Li¬ lar, höchstvermuthlich um einigen trüben mit einem Trauerrande umfaßten Gedenkzetteln und Leichen-Erinnerungen zu entrinnen — und am Himmelfahrtstage darauf sey Huldigung und Redoute. . . . Seeliger Held! wiederhol' ich. Denn bis¬ her, was besaßest du vom blühenden Tempe- Thal als die dürre Anhöhe, worauf du stan¬ dest und in den Zauber hinuntersahest? — 42. Zykel. Am Mai-Sonnabend schwand um 7 Uhr jeder Dunst aus dem Himmel, und die hell¬ entweichende Sonne zog einem herrlichen Sonn¬ tage entgegen. Albano, der dann endlich das ungesehene Lilar besuchen wollte, war abends vorher so heilig-froh, als feiere er den Beicht¬ abend vor dem ersten Abendmahle; — sein Schlaf war ein stetes Entzücken und Erwachen und in jedem Traume gieng ein bethörender Sonntagsmorgen auf und die Zukunft wurde das dunkle Vorspiel der Gegenwart. — Sonntags früh wollt' er fort, als er vor der halben Glasthüre des Physikus vorüber¬ mußte: „H. Graf, auf einen Augenblick!“ rief dieser. Da er eintrat: sagte der Doktor: „gleich lieber H. Graf!“ und fuhr fort. — — Den Zeichnern, die in künftigen Jahrhunder¬ ten so aus mir schöpfen wollen wie bisher aus dem Homer, geb' ich folgende Gruppe des Doktors als einen Schatz: er lag auf der lin¬ ken Seite; Galenus bügelte mit einer kleinen Kratzbürste den Rücken des Vaters, indeß ne¬ ben ihm Boerhave mit einem weiten Kamme stand stand und solchen unaufhörlich steilrecht (nicht schief) durch die Haare führte. Er sagte stets, er wüßte nichts was ihn so aufheiterte und öffnete als Bürste und Kamm. Vor dem Bette stand van Swieten in einem dicken Pelze, den der Züchtling, bei warmem Wetter und schlimmer Aufführung tragen mußte, um darin sowohl ausgelacht als halb gekocht zu werden. Zwei Mädchen warteten in voller Sonn¬ tagsgalla da und gedachten aufs Land zu einer Pfarrtochter und in die Dorfkirche; diese klopfte er erst von Glied zu Glied mit dem Hammer des Gesetzes ab. Er stellte seine Kin¬ der, als Gegenfüßler römischer Beklagter in Lumpen, gern in Manschetten und Quasten und galonnirt auf die Pillory, besonders vor Fremden. Der Graf hatte sich schon längst der rothen Kinder wegen gegen das offne Fen¬ ster gekehrt; konnte sich aber doch nicht enthal¬ ten lateinisch zu sagen: „wär' er sein Kind, „er hätte sich längst umgebracht; er kenne „nichts mehr beschämendes als im Putze ge¬ „scholten zu werden.“ — „Desto tiefer (sagte „Sphex deutsch) greift es eben ein“ und holte Titan. I . Cc bei den Mädchen nur noch dieses nach: „ihr „seyd ein paar Gänse und werdet in der Kirche „nur von eurem Lumpenkrame schnattern — „warum gebt ihr nicht auf den Pfarrer Acht? „Er ist ein Esel, aber für euch Eselinnen pre¬ „digt er gut genug; abends sagt ihr mir „die Predigt ganz her.“ — „Hier ist ein Laxirtrank, Herr Graf, den „ich Sie, da Sie nach Lilar gehen, der Land¬ „baumeisterinn zu geben bitte für ihre kleinen „Kröten; aber nehmen sie es nicht übel!“ — Beim Henker! das sagen gerade die Leute am häufigsten, die sich nichts übelnehmen. Der Graf — der ihm zu andrer Zeit verachtend den Rük¬ ken zugekehrt hätte — steckt' es erröthend und schweigend vor dem Retter seiner Liane zu sich, auch weil es für die Kinder seines geliebten Dians war, an dessen Gattin er Grüße und Nachrichten bringen wollte. 43. Zykel. Lilar ist nicht wie so viele Fürstengärten, ein herausgerissenes Blatt aus Hirschfeld — ein todter Landschafts-Figurant und Vexir- und Miniaturpark — ein schon an jedem Hofe auf¬ gesetztes und abgegriffenes Schaugericht von Ruinen, Wildnissen und Waldhäusern: sondern Lilar ist das Naturspiel und bukolische Gedicht der romantischen und zuweilen gaukelhaften Phantasie des alten Fürsten. Wir kommen bald insgesammt hinter dem Helden hinein, aber nur ins Elysium ; der Tartarus ist ganz etwas anders und Lilars zweiter Theil. Diese Absonderung der Kontraste lob' ich noch mehr wie alles; ich wollte schon längst in einen bessern Garten gehen als die gewöhnlichen chamäleontischen sind, wo man Sina und Ita¬ lien, Lust- und Gebeinhaus, Einsiedelei und Pallast, Armuth und Reichthum, (wie in den Städten und Herzen der Inhaber) auf Einem Teller reicht und wo man den Tag und die Nacht ohne Aurora, ohne Mitteltinte neben einander aufstellt. Lilar hingegen, wo das Elysium seinen frohen Namen durch verknüpfte Lustlager und Lusthaine rechtfertigt wie der Tartarus seinen düstern durch einsame über¬ hüllte Schrecken, das ist mir recht aus der Brust gehoben. — C c 2 Aber wo geht jetzt unser Jüngling mit sei¬ nen Träumen? — Noch auf der romantischen einleitenden Straße nach Lilar, eigentlich dem ersten Gartenwege desselben. Er wanderte auf einer belaubten Straße, die sanft auf Hügel mit offnen Baumgärten und in gelbblühende Gründe stieg und die wie der Rhein sich bald durch grünende Felsen voll Epheu drängte, bald fliehende lachende Ufer hinter den Zwei¬ gen aufthat. Jetzt wurden die weißen Bänke unter Jesminstauden und die weißen Landhäu¬ ser vielfältiger, er kam näher und die Nachti¬ gallen und Kanarienvögel Sie haben eine ganze Stube zum Winterleben, der man im Sommer bloß die Fenster aushebt. Lilars streiften schon hieher, wie Land ansagende Vögel. Der Morgen wehte frisch durch den Frühling und das zackige Laub hielt noch seine leichten äthe¬ rischen Tropfen fest. Ein Fuhrmann lag schla¬ fend auf seinem Leiterwagen, den die rechts und links abrupfenden Thiere sicher auf dem glatten Wege zogen. Albano hörte am stillen Sonntage nicht das Feldgeschrei der drängen¬ den Arbeit, sondern die Ruhe-Glocken der Thürme; im Morgengeläute spricht die zu¬ künftige, wie im Abendgeläute die vergangne Zeit; und an diesem goldnen Alter des Tages stand auch eines in seiner frischen Brust. — Jetzt zuckten gabelschwänzige Rauchschwal¬ ben mit der Purpurbrust über das Himmel¬ blau des wilden Gamanders und kündigten mit ihren Wohnungen unsre an: als seine Straße durch ein zerstörtes altes offnes, von fetten dicken Blättern wie Schuppen behang¬ nes Schloß durchwollte, an dessen Ein- oder Ausgange ein wegweisender rother Arm sich mit der weißen Aufschrift: „Weg aus dem „Tartarus ins Elysium“ gegen eine nahe Waldung ausstreckte. Sein Herz fuhr auf bei dieser doppelten Nähe so verschiedener Tage. Mit weiten Schritten drang er gegen den Elysiums Wald, den ein breiter Graben abzuschneiden schien. Aber er kam bald aus dem Buschwerke vor eine grüne Brücke, die sich in den Bogen der Riesenschlangen über den Graben, aber nicht auf die Erde sondern in die Gipfel schwang. Sie trug ihn durch dir hereinblühende Wildniß von Eichen-Tannen-Silberpappeln-Frucht- und Linden-Wipfeln. Dann hob sie ihn hin¬ aus in die freie Gegend und Lilar warf ihm schon von Osten die weite spitzige Gipfel-Saat den Glanz einer hohen Goldkugel entgegen. Die Brücke senkte sich mit ihm wieder ins duf¬ tende dämmernde Geniste und unter und neben ihm riefen und flatterten die Kanarienvögel, Singdrosseln, Finken und Nachtigallen und die geätzte Brut schlief gedeckt unter der Brücke. Endlich stieg diese nach einem Bogen¬ gange wieder ans Licht — er sah schon die grü¬ nende Bergkuppe mit dem weißen Altar, wor¬ an er in einer jugendlichen Nacht geknieet hatte; und mehr südlich hinter sich die Decke und Scheidewand des Tartarus, einen hochauf¬ gebäumten Wald — und wie er weiter trat, deckte sich ihm das Elysium weiter auf — eine Gasse kleiner Häuser mit welschen Dächern voll Bäumchen lachte den Blick freudig und einhei¬ misch aus der grünen Weltkarte von Tiefen, Hainen, Bahnen, Seen an — und in Mor¬ gen schlossen fünf Triumpfthore dem Auge die Wege in eine weitausgespannte wie ein grü¬ nendes Meer fortwogende Ebene auf und in Abend standen ihnen fünf andre mit geöffne¬ ten Ländern und Bergen entgegen. — — So wie Albano die langsam-niederschwe¬ bende Brücke herabgieng, so kamen bald bren¬ nende Springbrunnen, bald rothe Beete, bald neue Gärten im großen entwickelt hervor und jeder Tritt schuf das Eden um. Voll Ehr¬ furcht trat er wie auf einen geheiligten Boden heraus, auf die geweihte Erde des alten Für¬ sten und des frommen Vaters So hieß überall der einsiedlerische Emeritus, der da wohnende Hofprediger Spener , der mit dem edlen alten frommen Spener nicht nur von väterlicher Seite verwandt war, son¬ dern auch von geistiger. und Dians und Lianens; sein wilder Gang wurde wie von einem Erdbeben umwickelnd gehalten; das reine Paradies schien bloß für Lianens reine Seele gemacht; und jetzt erst machte ihm die scheue Frage über die Schicklichkeit seiner hastigen Nachreise und die liebende Furcht, zum erstenmale ihrem genesenen Auge zu begegnen, den frohen Busen enge. Aber wie festlich, wie lebendig ist alles um ihn her! Auf den Wassern, die durch die Haine glänzen, ziehen Schwanen, in die Büsche schreitet der Fasan, Rehe blicken hinter ihm neugierig aus dem Walde, über den er ge¬ gangen war, und weiße und schwarze Tauben laufen ämsig unter den Thoren und an den Abendhügeln hängen rufende Schaafe neben liegenden Lämmern; sogar der Turteltaube zit¬ tert in irgend einem verhüllten Thale die Brust vom Languido der Liebe. Er schritt durch ein langes hochstaudiges Rosenfeld, das die Nie¬ derlassung und Pflanzstadt von Grasmücken und Nachtigallen schien, die aus den Büschen auf die wachsenden Grasbänke hüpften und vergeblich ausliefen nach Würmchen; und die Lerche zog oben über diese zweite Welt für die frömmern Thiere und fiel hinter den Thoren in die Saaten nieder. Berausche dich immer, guter Jüngling, und kette deine Blumen so ineinander wie der Knabe, dem du zueilst! — Nämlich oben auf dem welschen Dache, vor dessen Brustgeländer Silberpappeln von breiten Rebenblättern um¬ gürtet spielen, und das er in der Frühlings¬ nacht für eine Laube in Rasen angesehen, stand ein kerniger herübergebückter Knabe, der eine Dotterblumenkette niederließ und dem zu kur¬ zen grünen Ankerseile immer neue Ringe ein¬ steckte. „Pollux heiß' ich, (versetzt' er frisch „auf Albans sanfte Frage,) aber meine Schwe¬ „ster heißet Helena Sie hatten als Zwillinge diese Namen. aber das Brüderchen „heißt Echion.“ — „Und dein Vater?” — „Er „ist gar nicht da, er ist weit draußen in Rom; „gehe nur hinein zur Mutter Chariton, ich „komme gleich.“ — An welchem schönern Tage und Orte, mit welchem schönern Herzen konnt' er in des geliebten Dians h. Familie kommen als an diesem Morgen und mit dieser Brust? Er gieng ins helle lachende Haus, das voll Fenster und grüner Jalousieladen war. Als er in die Frühlingsstube eintrat: so fand er Chariton, ein junges, schmächtiges fast noch jungfräulich-aussehendes Weib von 17 Jahren mit dem kleinen Echion an der säugenden Brust, sich wehrend gegen die kränklich-leb¬ hafte Helena, die auf einem Stuhle stehend immer aus dem Fenster eine vielblättrige Re¬ benschlinge hereinzog und die Hülle um die Augen der Mutter gürten wollte. Mit zaube¬ rischer Verwirrung, da sie zugleich aufstehen, mit der Linken die belaubten Fessel ohne Zerreis¬ sen abnehmen und den Säugling tiefer verhüllen wollte, trat sie dem schönen Jünglinge gebückt entgegen, kindlich-freundlich und feurig, aber unendlich schüchtern, nicht seiner standesmäßi¬ gen Kleidung wegen, sondern weil er ein Mann war und so edel aussah sogar ihrem Griechen ähnlich. Er sagte ihr mit einer zau¬ berischen Liebe auf dem kräftigen Angesichte, die sie vielleicht nie so herrlich gesehen, seinen Namen und den Dank, den sein Herz ihrem Gatten aufbewahre und Nachrichten und Grüße von diesem. Wie loderte an der furchtsamen Gestalt das unschuldige Feuer aus den schwar¬ zen Augen! „War denn mein Herr (so nannte „sie ihren Mann) sehr gesund und froh?“ Und so fieng sie jetzt unbefangen wie ein Kind, ein langes Verhör bloß über ihren Gatten an. Pollux sprang mit seiner langen Kette herein — Alban nahm den Trank vom Doktor scherzend aus der Tasche und sagte, „das „sollst du einnehmen“ — „Soll ichs gleich aus¬ „saufen, Mutter?“ sagte der Heros. Hier erkundigte sie sich eben so unbefangen nach dem ausführlichen Rezepte des Doktors und so lange, bis der kleine Säugling am Busen re¬ bellirte und sie in ein Nebenzimmer über die Wiege trieb. Sie entschuldigte sich und sagte, der Kleine müsse schlafen, weil sie mit Lianen spatzieren gehe, auf die sie jede Minute aufsehe. Kinder lieben kräftige Gesichter; Alban wurde zugleich von Kindern und von Hunden geschätzt; nur konnte er auf dem kindlichen Spielplatze nie mit der keinen springenden Truppe agiren, wenn erwachsene Logen da¬ bei waren. „Ich kann sehr viel“ sagte Pollux; — „ich kann auch lesen, Herr!“ versetzte dem Bruder Helena. „Aber doch nur deutsch; ich „aber kann lateinische Briefe prächtig herlesen, „Du!“ erwiderte ihr das junge Männlein, und lief in der Stube nach Lektüre und Lese¬ proben umher, aber umsonst. „Mann! warte „ein wenig!“ sagte er und lief die Treppe hinauf in — Lianens Zimmer und holte einen Brief von Lianen. — — 43. Zykel. Albano wußte nicht, daß Liane ordentlich das obere so blühend beschattete Zimmer für sich innen habe, worin sie häufig — zumal wenn die Mutter in der Stadt zurückblieb — zeichnete, schrieb und las. Die kindliche Cha¬ riton, vom Liebestranke der Freundschaft be¬ geistert, wußte gar nicht, wie sie nur der schö¬ nen liebreichen Freundinn ihr Feuer so recht zeigen konnte; ach was war ein Zimmer? — In dieses immer offne kamen nun die Kinder, die Liane zuweilen lesen ließ; und so konnte jetzt Pollux aus dem einsamen den Bogen ho¬ len, den sie an diesem Morgen geschrieben. — Als Albano während des Holens so allein im Wohnzimmer des fernen Jugendfreundes neben dessen stiller, blasser Tochter saß, die bald auf ihn bald auf eine ihm noch aus Lia¬ nens Morgenzimmer bekannte Spiel-Schäferei hinsah — als das Morgenwehen durchs kühle Fenster das herrliche Getümmel hereintrieb — besonders als im lichten Ausschnitte des Fußbo¬ dens die sinesischen Schatten des Wein- und Pappellaubes sich ineinander kräuselten — und als endlich Chariton den Säugling mit einem eiligern lautern Wiegenliede einsang, das ihm tönte wie ihr nachhallender Seufzer nach dem schönen Jugendlande: so wurd' ihm das volle vom ganzen Morgen angeregte Herz so wun¬ derbar und — besonders durch das wankende Schattengefecht — fast bis zum Weinen be¬ wegt; und das Kind blickt' ihm immer bedeu¬ tender ins Gesicht. Da kam Pollux mit seinen beiden Quart¬ blättern zurück und setzte sich nun selber auf seine Leseprobe. Schon die erste Seite kompo¬ nirte zu Albans innern Liedern die Melodie; aber er errieth weder die Verfasserinn noch das Datum des Briefes, außer später durch ein hin- und herspringendes Lesen. Die Blätter gehörten zu vorigen — nicht einmal Streusand bezeugte ihre junge Geburt (denn Liane war zu höflich, einen zu brauchen) — ferner wa¬ ren alle Namen anders; nämlich Julienne, an die sie gerichtet waren, hatte leider, in d'Ar¬ gensons bureau décachetage d. h. am Hofe wohnhaft, verzifferte verlangt, und sie hieß mithin Elisa, Roquairol Karl und Liane ihre kleine Linda. Linda ist bekanntlich der Tauf¬ name der jungen Gräfinn von Romeiro, mit welcher die Prinzessinn am Tage jener für Ro¬ quairol so blutigen Retoude ein ewiges, Her¬ zens- und Korrespondenz-Bündniß aufgerich¬ tet hatte; — Liane, vor deren reinen dichteri¬ schen Augen sich jedes edle weibliche Wesen zur Gebenedeieten und Heroine, der undurch¬ sichtige Edelstein zum durchsichtigen aufhellte und reinigte, liebte die hohe Gräfinn gleichsam mit dem Herzen ihres Bruders und ihrer Freundinn zugleich, und die sanfte Seele nannte sich, ihres Werthes unbewußt, nur die kleine Linda ihrer Elisa. Auch die zarte ausgezogene Handschrift kannte Albano nicht; Julienne liebte die galli¬ sche Sprache bis zu den Lettern, aber Lianens ihre glichen nicht den gallischen Sudel-Proto¬ kollen, sondern der reinlichen geründeten Handschrift der Britten. Hier ist endlich ihr Blatt — — du hol¬ des Wesen! wie lange hab' ich nach den ersten Lauten deiner erquickenden Seele gedürstet! — Sonntags-Morgen. — Aber heute, Elisa, bin ich so innig¬ froh und der Abendnebel liegt als eine Aurora am Himmel. Ich sollte dir wohl das Gestrige gar nicht geben. Ich war zu bekümmert. Konnt' aber nicht meine liebe Mutter, die doch bloß meinetwegen hierher gegangen war, dadurch noch kränker werden, so leidlich sie auch eben deßwegen sich gegen mich anstellte? — Und dann kam ja deine Gestalt, Geliebte, und all dein Schmerz und die harte Nachbar¬ schaft Der Tartarus mit dem Vaterherzen Julien¬ nens. und unser letzter Abend hier, o alles das zog ja so klagend vor mein banges Herz! — Sich, als wir vor dem Hause der lieben Cha¬ riton hielten und sie meiner Mutter die Hand mit freudigen Thränen küßte: so war ich so schwach, daß ich auch abgewandte vergoß, aber andre und über die Frohlockende selber, die ja nicht wissen konnte, ob nicht in dieser Stunde ihr theurer Freund in Rom erkranke oder untergehe. — — Nun aber ist der dunkelgraue Nebel auf dem Blumengarten deiner kleinen Linda ganz verweht und alle Blüthen des Lebens glänzen in ihren reinen hohen Farben vor ihr. — — Nach Mitternacht wich die Migraine meiner Mutter fast ganz und sie schlummerte so süß noch an diesem Morgen. O wie war mir da! — Nach 5 Uhr schon gieng ich in den Garten hinunter und fuhr über den Glanz zusammen, der im Thaue und zwischen den Blättern brannte — die Sonne sah erst unter den Triumpfthoren herein — alle Seen sprühten in einem breiten Feuer — ein glänzender Dampf umfloß wie ein Heiligenschein den Erdenrand, den der Him¬ mel berührte — und ein hohes Wehen und Sin¬ gen strömte durch die Morgenpracht — — — Und Und in diese aufgeschlossene Welt kam ich genesen zurück und so froh; ich wollte immer rufen: ich habe dich wieder, du helle Sonne, und euch, ihr lieblichen Blumen, und ihr stol¬ zen Berge, ihr habt euch nicht verändert, und ihr grünet wieder wie ich, ihr duftenden Bäu¬ me! — — In einer unendlichen Seeligkeit schwebt' ich wie verklärt, Elisa, schwach aber leicht und frei, ich hatte die drückende Hülle — so war es mir — nnter die Erde gelegt und nur das pochende Herz behalten und im ent¬ zückten Busen flossen warme Thränenquellen gleichsam über Blumen über und bedeckten sie hell. „Ach Gott, sagt' ich in der großen Freude „schreckhaft, war es denn ein bloßer Schlaf, „das unbewegliche Ruhen der Mutter?“ und ich mußte — lächle immer — eh' ich weiter gieng, wieder zu ihr hinauf. Ich schlich athem¬ los vor das Bette, bog mich horchend über sie und die gute Mutter schloß die immer leise schlummernden Augen langsam auf, sah mich müde aber liebreich an und that sie, ohne sich Titan. I. Dd zu regen, wieder zu und gab mir nur die liebe Hand. Nun durft' ich recht seelig wieder in mei¬ nen Garten gehen; ich brachte aber der immer heitern Chariton den Morgengruß und sagt' ihr, daß ich auf dem breiten Wege zum Al¬ tare So heißet jener Berg, den Albano in der be¬ kannten Frühlingsnacht gefunden. bliebe, sollt' ich etwan gesucht werden. — Ach Elisa, wie war mir dann! Und war¬ um hatt' ich dich nicht an meiner Hand und warum sah mein bekümmerter Karl nicht, daß seine Schwester so glücklich war? — Wie nach einem warmen Regen das Abendroth und das flüssige Sonnenlicht von allen goldgrünen Hü¬ geln rinnt: so stand ein zitternder Glanz über meinem ganzen Innern und über meiner Ver¬ gangenheit und überall lagen helle Freudenzäh¬ ren. Ein süßes Nagen nahm mein Herz ausein¬ ander wie zum Sterben, und alles war mir so nahe und so lieb! Ich hätte der lispelnden Zitterpappel antworten und den Frühlingslüf¬ ten danken mögen, die so kühlend das heiße Auge umwehten! Die Sonne hatte sich mütter¬ lich-warm auf mein Herz gelegt, und pflegte uns alle, die kalte Blume, den jungen nack¬ ten Vogel, den starren Schmetterling, und je¬ des Wesen; ach so soll der Mensch auch seyn, dacht' ich. Und ich gieng den Sandweg und schonte das Leben des armen Gräschens und der liebäugelnden Blume, die ja hauchen und erwachen wie wir — ich vertrieb die weißen durstigen Schmetterlinge und Tauben nicht, die sich nebeneinander von der nassen Erdscholle zum Tranke bückten — o ich hätte die Wellen streicheln mögen — — diese Schöpfung ist ja so kostbar und aus Gottes Hand und das noch so klein gestaltete Herz hat ja doch sein Blut und eine Sehnsucht und in das Augen-Pünkt¬ chen unter dem Blatte kehrt ja doch die ganze Sonne und ein kleiner Frühling ein. — Ich lehnte mich, ein wenig ermattet, unter den ersten Triumpfbogen, eh' ich zum Altare aufstieg; und sah hinaus in die glimmende Landschaft voll Dörfer und Baumgärten und Hügel; und der flimmernde Thau und das Läu¬ ten der Dörfer und das Glockenspiel der Heer¬ Dd 2 den und das Schweben der Vögel uber allem füllte mich mit Ruh' und Licht. Ja, so ruhig und unbekannt und heiter will ich mein eilen¬ des Leben führen, dacht' ich: redet mir nicht der Trauermantel zu, der vor mir mit seinen vom Herbste zerrissenen Schwingen doch wieder um seine Blumen flattert; und mahnet mich nicht der Nachtschmetterling ab, der erkältet an der harten Statue klebt und sich nicht zu den Blüthen des Tages aufschwingen kann? — Darum will ich nie von meiner Mutter wei¬ chen — bleibe nur die theure Elisa auch so lange bei uns als ihre kleine Linda lebt und rufe sie ihre hohe Freundinn bald, Linda de Romeiro. damit ich sie sehe und herzlich liebe! — Ich stieg den grün-schattigen Berg hinan aber mit Mühe; die Freude entkräftet mich so sehr — denk' an mich, Elisa, ich werde einmal an einer großen sterben, oder an einem großen allzugroßen Weh. Der Schneckenweg zum Altare war von den Farben des Blüthen¬ staubes gemalt und droben wanden sich nicht gefärbte feste sondern rege brennende Regen¬ bogen durch die Zweige des Berges. Warum stand ich heute in einem Glanze wie niemals sonst? Die Ursache ist, weil sie nach der Genesung noch kurzsichtig war, und ein Kurzsichtiger sieht den Thau glänzender. Und als die Morgenluft mich wie ein Flügel anflatterte und hob und als ich mich tiefer in den blauen Himmel tauchte: so sagt' ich: nun bist du in Elysium. — Da war mir als sage eine Stimme: das ist das irrdi¬ sche und du bist noch nicht geheiligt für das andre. O feurig faßt' ich wieder den Entschluß, mich von so manchen Mängeln loszuwickeln und besonders dem zu schnellen Wahne der Kränkung abzusagen, den ich andern zwar verhehle womit ich sie aber doch verletze. Und da betete ich am Altare und sagte der ewigen Güte Dank und weinte unbewußt vielleicht zu sehr, aber doch ohne Augenschmerzen. Zuletzt schrieb ich das hier beigelegte Dank¬ gedicht, das ich in Verse bringe, wenn es der fromme Vater gutheißet. Dankgedicht. So schau' ich wieder mit seeligen Augen in deine blühende Welt, du Alliebender und weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde gieng in der Finsterniß wie eine Todte und nur von fern die Geliebten und den Früh¬ ling über mir vernahm: warum war das schwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬ nung mehr zum Leben und zum Lichte? — Denn du warst in der Finsterniß bei mir und führtest mich aus der Gruft in deinen Früh¬ ling herauf; und um mich standen deine fro¬ hen Kinder und der helle Himmel und alle meine lächelnden Geliebten! — — O ich will nun fester hoffen; brich immer der siechen Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern voller reifen! Du führest ja deine Menschen auf einem langen Berge in deinen Himmel und zu dir und sie gehen durch die Gewitter des Lebens am Berge nur verschattet, nicht getroffen hindurch und nur unser Auge wird naß. — — Aber, wenn ich zu dir komme, wenn der Tod wieder seine dunkle Wolke auf mich wirft und mich weg von allen Geliebten in die tiefere Höhle zieht und du mich Allgüti¬ ger noch einmal freimachst und in deinen Früh¬ ling trägst, in den noch schönern als diesen herrlichen: wird dann mein schwaches Herz ne¬ ben deinem Richterstuhle so freudig schlagen wie heute und wird die Menschenbrust in dei¬ nem ätherischen Frühlinge athmen dürfen? O mache mich rein in diesem irrdischen und lasse mich hier leben, als wenn ich schon in deinem Himmel gienge! — — Wenn schon euch, ihr Freunde, die dul¬ dende reine Gestalt ungesehen lieb und rüh¬ rend wird, die sich ergeben freuen kann, daß doch die Wetterwolke nur Platz-Tropfen, und keine Schlossen auf sie warf: wie mußte sie erst das bewegte Herz ihres Freundes erschüt¬ tern! — Er fühlte eine Heiligung seines gan¬ zen Wesens; gleichsam als komme die Tugend in diese Gestalt verkörpert vom Himmel nieder, um ihn heiligend anzulächeln, und fliege dann leuchtend zurück und er folg' ihr begeistert und gehoben nach. Er drang eifrig dem Knaben das Zurück¬ tragen der Blätter ab, um ihr und sich, da sie jede Minute erscheinen konnte, die peinlichste Überraschung zu ersparen; doch beschloß er fest — was es auch koste —, wahr zu seyn und ihr noch heute sein Lesen zu beichten. Der Kleine lief die Treppe hinauf, wieder herab, blieb lange vor der Thüre und kam herein mit — Lianen an der Hand, die weiß gekleidet und schwarz verschleiert war. Sie sah ein wenig betroffen umher als sie mit bei¬ den Händen den Schleier von ihrem freundli¬ chen Gesichte zurückhob, hörte aber Charitons Wiegenlied. Sie kannt' ihn nicht, bis er sprach; und hier erröthete ihr ganzes schönes Wesen wie eine beleuchtete Landschaft nach dem Abendregen; sie habe die Freude, sagte sie, seinen Vater zu kennen. Wahrscheinlich kannte sie den Sohn durch Juliennens und Augusti's Malereien noch besser und von verwandtern Seiten; auch bewegte sich gewiß ihr schwester¬ liches Herz von seiner Bruderstimme; denn der Reiz und sogar Vorzug der Ähnlichkeit und Kopie ist so groß, daß sogar einer, der einem gleichgültigen Wesen ähnlich sieht, uns lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs, bloß weil hier wie in der nachahmenden Kunst die Vergangenheit und Abwesenheit eine durch die Phantasie durscheinende Gegenwart wird. Das immer leisere Einsingen der Mutter sagte das tiefere Einschlummern des Säug¬ lings an und endlich verstummte das dimi¬ nuendo , und Chariton lief mit blitzenden Au¬ gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne Freundschaft blühte zwischen den unschuldigen Herzen und verstrickte sie wie der Wein die na¬ hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's Erzählung mit der Voraussetzung der innig¬ sten Theilnahme; Liane hörte gespannt-auf¬ merkend der Freundinn zu; aber das war ja so viel als blicke sie die nahe historische Quelle selber an. 44. Zykel. Endlich reisete man in den Garten aus; Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens Verheißung, ihm heute wieder ein Pferdstück zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬ rück. Alban sagte zur höchsten Freude der Baumeisterinn, die nun alles dem schönen Manne zeigen konnte, er habe noch wenig von Lilar gesehen. Wie reizend giengen vor ihm die befreundeten Gestalten nebeneinander! Chariton, wiewohl eine Frau, doch griechisch- schlank flatterte als die kleinere Schwester neben der Lilientaille seiner ein wenig längern Liane fort, jene schien nach der Eintheilung der Landschaftsmaler, die Natur in Bewegung zu seyn, Liane die Natur in Ruhe. Als er wie¬ der neben Liane trat, an deren linken Hand Helena lief — zur rechten die Mutter — so fand er ihr weich-niedergehendes Profil unbe¬ schreiblich-rührend und um den Mund Züge, die der Schmerz zeichnet, die Narben wieder¬ kehrender Tage; indeß das schöne Mädchen in der Sonnenseite des Vollgesichts wie in ih¬ rem leichten Gespräche, eine unbefangene be¬ glückende Heiterkeit entfaltete, die Albano, der noch an keiner Schulthüre eines weiblichen Philantropins angeklopft, mühsam mit ihrer weinenden Dichtkunst ausglich. O wenn die weibliche Thräne leicht flieht, so entflattert ja noch leichter das weibliche Lächeln und dieses ist ja noch öfter als jene, nur Schein! Er suchte aus Sehnsucht des durstigen Herzens das Händchen der Kleinen zu fassen, allein sie hieng sich mit beiden auf Lianens Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬ blumen — wie sie, den Schmetterlingen ähn¬ lich — und theilte der Mutter eine zu und Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch eine! Und Liane reichte sie ihm freundlich-an¬ schauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der hell und aufmerksam, aber nicht forschend, kind¬ lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern ist. Gleichwohl senkte sie diese heiligen Augen heute mehrmals nieder; aber — das zwang sie dazu — auf Zesaras felsigem, obwohl von der Liebe erweichtem Gesichte ruhte ein physiognomisches Recht des Stärkern, er schien eine scheue Seele mit hundert Augen anzusehen und seine beiden wahren loderten so warm, obwohl eben so rein, wie das Sonnenauge im Äther. Die Irisblumen haben das Sonderbare, daß der eine sie riecht, der andre aber nicht; nur diesen dreieinigen Menschen thaten sich die Kelche gleich weit auf und sie erfreueten sich lange über die Gemeinschaft desselben Genus¬ ses. Helena lief voraus und verschwand hin¬ ter einem niedrigen Gebüsche; sie erwartete auf einer Kinderbank neben einem Kindertische lächelnd die Erwachsenen. Der gute alte Fürst hatte überall für Kinder niedrige Moosbänke, kleine Gartenstühle, Tischchen und Scherben¬ Orangerieen und dergleichen um die Ruheplätze ihrer Eltern gestellt; denn er trug diese erquik¬ kenden offnen Blumen der Menschheit so nah' an seinem Herzen! — „Man wünscht so oft, „(sagte Liane), in der patriarchalischen Zeit, oder „in Arkadien und auf Otaheiti zu leben; die „Kinder sind ja — glauben Sie es nicht? — „überall dieselben und man hat eben an ihnen „das, was die fernste Zeit und die fernste Ge¬ „gend nur gewähren mag.“ — Er glaubt' es wohl und gern; aber er fragte sich immer, wie wird aus dem todten Meere des Hofes eine so unbefleckte Aphrodite geboren, wie aus dem salzigen Seewasser reiner Thau und Re¬ gen steigt? — Unter dem Sprechen zog sie zu¬ weilen ein ungemein holdes — wie soll ich's beziffern — Hm nach, das wiewohl ein Cour- Donatschnitzer, eine unsägliche Gutmüthigkeit verrieth, ich schreibe es aber nicht dazu her, damit den nächsten Sonntag alle Leserinnen diesen Interpunktzionsreiz hören lassen. „Das Nämliche, (versetzte Albano, aber „gutmeinend) gilt von den Thieren, der „Schwan dort ist wie der im Paradiese.“ Sie nahm es eben so auf wie ers meinte: aber die Ursache war der fromme Vater, Spener, ihr Lehrer; denn auf Albans Frage über Lilars Fülle an schönen sanften Thieren antwortete sie: „der alte Herr liebte diese Wesen ordentlich „zärtlich und sie konnten ihn oft bis zu Thrä¬ „nen bringen. Der fromme Vater denkt auch „so; er sagt, da sie alles auf Gottes Geheiß „thun durch den Instinkt, so sey ihm, wenn „er die elterliche Sorge für ihre Jungen „sehe, so als thue der Allgütige alles selber.“ Sie stiegen jetzt eine halbbelaubte Brücke über einen langen von Pappeln umflatterten Was¬ serspiegel hinauf, worin Lianens Ebenbild, nämlich ein Schwan auf den Wasserringen schlief, den gebognen Hals schön auf den Rük¬ ken geschlungen, den Kopf auf dem Flügel, und leise mehr von den Lüften gedreht als von den Wellen. „So ruht die unschuldige „Seele!“ sagte Albano und dachte wohl an Liane, aber ohne Muth zum Bekenntniss'. „Und so erwacht sie!“ setzte bewegt Liane dazu, als diese weiße vergrößerte Taube den Kopf langsam von dem Flügel aufhob; denn sie dachte an das heutige Erwachen ihrer Mutter. — Chariton wandte sich wie ganz aus hup¬ fenden Punkten zusammengesetzt, immer fra¬ gend an Liane: „wollen wir dahin? oder dort¬ „hinein? oder hier hinaus? — Wäre nur mein „Herr da! der kennt alles!“ — Sie hätte ihn gern um jede Quelle und Blume herumgeführt; und blickte dem Jünglinge so liebend wie der Freundinn ins Gesicht. — Liane sagte ihr auf dem Kreuzwege an der Brücke: „sie glaube, „das Flöthenthal dort mit der leuchtenden Gold¬ „kugel sey vielleicht am schönsten, besonders „für einen Freund der Musik; auch werde man „sie da suchen, wenn man ihrer Mutter die „Harfe bringe.“ Sie hatte ihr mit dieser zu¬ rückzukommen versprochen. Sie mied alle Steige nach Süden, wo der Tartarus hinter seinem hohen Vorhange drohte. Liane sprach jetzt über den Wettstreit der Malerei und Musik und über Herders reizen¬ den offiziellen Bericht von diesem Streite; sie, wiewohl eine Zeichnerinn, ergab sich, dem weiblichen und lyrischen Herzen gemäß, ganz den Tönen, und Albano, obwohl ein guter Kla¬ vierist, mehr den Farben. „Diese herrliche Land¬ „schaft (sagte Albano) ist ja ein Gemälde und „jede menschliche schöne Gestalt.“ „Wär' ich „blind (sagte Chariton naiv), so säh' ich ja „meine schöne Liane nicht.“ — Sie versetzte: „mein Lehrer, der Kunstrath Fraischdörfer setzte „auch die Malerei über die Musik hinauf. „Mir ist aber bei ihr als hört' ich eine laute „ Vergangenheit oder eine laute Zu¬ „ kunft . Die Musik hat etwas Heiliges, sie „kann nichts als das Gute Dieser Satz, daß die reine Musik ohne Text nichts Unmoralisches darzustellen vermöge, malen, verschie¬ „den von andern Künsten.“ — Wahrlich sie war selber eine moralische Kirchenmusik, die Engelstimme in der Orgel; der reine Albano fühlte neben ihr die Nothwendigkeit und das Daseyn einer noch zärtern Reinheit; und ihm schien als könne ein Mann diese Seele, deren Verstand fast nur ein feineres Fühlen war, verletzen ohne es selber zu wissen, wie Fenster¬ gläser von reiner Durchsichtigkeit oft zerstoßen werden, weil sie unsichtbar erscheinen. Er drehte sich, weil er immer um einen Schritt voraus war, mechanisch um und nicht nur das blühende Lilar, sondern auch Lianens volle Gestalt leuchtete ihm auf einmal und neuge¬ staltet in die Seele. — — Nicht sie an sein Herz zu drücken, war jetzt sein Sehnen, son¬ dern dieses Wesen, das so oft gelitten, aus jeder Flamme zu reißen, für sie mit dem Schwerdte auf ihren Feind zu stürzen, sie durch die tiefen kalten Höllenflüsse des Lebens mächtig zu tra¬ gen, — — das hätte sein Leben erleuchtet. 45. Zy¬ verdient von mir mehr untersucht und ausge¬ führt zu werden. 45. Zykel. Sie sahen schon einige nasse Lichter der hohen oben hereinspringenden Fontainen des Flötenthals hochschweben: als Liane wider Charitons Erwartung beide in einen unwegsa¬ men Eichenhain mitzugehen bat — sie sah ihn so vergnügt und offenherzig dabei an und ohne jenen weiblichen Argwohn, mißverstan¬ den zu werden! Im düstern Haine stand ein wilder Fels auf, mit den Worten: Dem Freunde Zesara. Die vorige Fürstinn hatte diese erin¬ nernde Alpe Albanos Vater setzen lassen. — Ergriffen, erschüttert, mit Schmerzen in den Augen stand der Sohn davor und lehnte sich daran wie an Gaspards Brust und drückte den Arm an den scharfen Stein hinauf: und rief innigst bewegt: o du guter Vater! — Seine ganze Jugend — und Isola bella — und die Zukunft überfielen auf einmal das vom ganzen Morgen bestürmte Herz und es konnte sich der zudringenden Thränen nicht länger er¬ wehren. Chariton wurde ernsthaft, Liane lä¬ chelte weich fort, aber wie ein Engel im Ge¬ bet. — Wie oft ihr schönen Seelen, hab' ich Titan. l . Ee in diesem Kapitel mein ergriffenes Herz be¬ zwingen müssen, das euch anreden und stören wollte, aber ich will es wieder bezwingen! Sie traten schweigend in den Tag zurück. Aber Albano's Wogen fielen nie schnell, sie dehnten sich in weite Ringe aus. Sein Auge war noch nicht trocken, als er in das himm¬ lische Thal kam, in diesen Ruheplatz der Wün¬ sche, wo Träume frei, ohne Schlaf, herumgehen konnten. Chariton — durch den Ernst viel ge¬ schäftiger — war nach einer Augenfrage an Liane ob sie es solle — nämlich das Spielen¬ lassen gewisser Maschinen — voraus hineinge¬ eilt. Sie giengen durch den weichenden blü¬ henden Schleier; — und Albano erblickte nun vor sich den jugendlichen Traum von einem be¬ zauberten mit Düften und Schatten umstricken¬ den Zauberthale in Spanien lebendig auf die Erde herausgestellt. An den Bergen blühten Orangengänge, den Untersatz in die höhere Terrasse versteckt — alles was große Blüthen auf seinen Zweigen trägt, von der Linde bis zur Rebe und zum Apfelbaume sog unten am Bache oder bestieg oder bekränzte die zwei lan¬ gen Berge, die sich mit ihren Blüthen um die Blumen der Tiefe wanden und sich miteinan¬ der bogen, um ein unendliches Thal zu ver¬ sprechen — schiefgestellte Fontainen an den Bergen warfen hintereinander silberne Regen¬ bogen über die Bäume in den Bach — in Osten brannte der Goldglobus neben der Sonne, der letzte Spiegel ihres sterbenden Abendblicks. — „Habe Dank, du edler Greis!“ wiederholte Albano immer. Liane gieng mit ihm am westlichen Berge bis zu einer überblühten Bank unter dem her¬ überflatternden Bogen, wo man die erste und zweite Krümmung des Thals und oben in Nor¬ den hohe Fichten und hinter ihnen eine Kirch¬ thurmspitze und unten eine Aurikeln-Wiese über¬ schauen kann, indeß Chariton auf dem östlichen gegenüber hinter einer Musen-Statue — denn die neun Musen glänzten aus dem grünen Tempe — an Gewichten zu winden und auf Spring¬ federn zu drücken schien. „Mein Bruder „(brach Liane leise das Schweigen und strickte „die Arbeit fort, die sie der Freundinn abge¬ „nommen) wünscht recht sehr, Sie zu sehen.“ Ce 2 Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬ wachte Seele Albano's fühlte sich ihr ganz gleich und ohne Verlegenheit, und er sagte: „schon „in meiner Kindheit hab' ich Ihren Karl wie „einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen „Freund.“ Die bewegten Seelen merkten nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe sey. Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben auf den Bergen und aus den Lauben auf — immer mehrere flogen dazu — sie flatterten schön-verworren durcheinander — endlich stie¬ gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie Engel auf und zogen gen Himmel — sie riefen es aus, wie süß der Frühling ist und wie die Freude weint und wie unser Herz sich sehnt und schwanden oben im blauen Frühlinge — und die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬ men auf die hellen Gipfel und schrien freudig in die Triumphlieder des Maies — und das Morgenwehen wiegte die hohen schimmernden Regenbogen hin und her und warf sie weit in die Blumen hinein. — — Lianen entsank die Arbeit in den Schooß und sie schlug nach einer ihr eignen Weise, in¬ deß sie den Kopf wie eine Muse vorsenkte, den Blick empor, ihn in eine träumerische Weite heftend; ihr blaues Auge schimmerte, wie der blaue wolkenlose Aether in der lauen Sommer¬ nacht blitzend überquillt; — aber des Jüng¬ lings Geist brannte in der Bewegung auf wie das Meer im Sturme. Sie zog den schwarzen Schleier, — gewiß nicht allein gegen Sonne und Luft — herab; und Albano mit einer in¬ nern Welt auf seiner bewegten Gestalt, spielte — erhaben mit sich selber kontrastirend — an den Löckchen der hergezogenen Helena und sah ihr mit großen Thränen in das blöde kleine Gesicht, das ihn nicht verstand. Jetzt eilte die Mutter ins Schweigen her¬ über und fragte recht freundlich, wie es ihm gefiele. Seine andern Entzückungen löseten sich in ein Lob der Töne auf; und die liebe Grie¬ chinn erhob das, was sie so oft gehört, sel¬ ber immer stärker als wär' es ihr neu und horchte sehr mit zu. — Ein Mädchen mit der Harfe blickte durch das Eingangsgesträuch des Thales herein und Liane sah den Wink und stand auf. In¬ dem sie den Schleier heben und scheiden wollte: so fiel dem großherzigen Jünglinge sein Be¬ kenntniß ein: „ich habe Ihren heutigen Brief „gelesen, bei Gott das muß ich jetzo sagen“ sagt' er. Sie rückte den Schleier nicht höher und sagte mit zitternder Stimme: „Sie haben „ihn gewiß nicht gelesen, Sie waren wohl „nicht in meinem Zimmer“ und sah Chariton an. Er versetzte, ganz hab' er ihn auch nicht, aber doch viel; und erzählte mit drei Worten eine mildere Geschichte als Liane ahnen konnte. „Der böse Pollux!“ sagte immer Chariton. — „O Gott, vergeben Sie mir diese Sünde der „Unwissenheit!“ sagte Albano; sie hob den dunkeln Schleier auf eine Terzie lang zurück und sagte hochroth, mit niedergesenktem Blicke — vielleicht durch die Freude über die Widerle¬ gung der schlimmem Erwartung versöhnt — : „er gehörte bloß an eine Freundinn — und Sie „werden wohl, wenn ich Sie bitte, nichts „wieder lesen“ — und unter dem Falle des Schleiers gieng das Auge mildernd und ver¬ gebend auf und sie schied langsam mit ihren Geliebten von ihm. O du heilige Seele, liebe meinen Jüng¬ ling! — Bist du nicht die erste Liebe dieses Feuerherzens, der Morgenstern in der däm¬ mernden Frühe seines Lebens, Du, diese Gute, Reine und Zarte! O die erste Liebe des Men¬ schen, die Philomele unter den Frühlingslau¬ ten des Lebens, wird ohnehin immer, weil wir so irren, so hart vom Schicksale behandelt und immer getödtet und begraben; aber wenn nun einmal zwei gute Seelen im blüthenweißen Le¬ bens-Mai — die süßen Frühlingsthränen im Busen tragend — mit den glänzenden Knos¬ pen und Hoffnungen einer ganzen Jugend und mit der ersten unentweihten Sehnsucht und mit dem Erstlinge des Lebens wie des Jahres, mit dem Vergißmeinnicht der Liebe im Herzen — wenn solche verwandte Wesen sich begegnen dürften und sich vertrauen und im Wonnemonat den Bund auf alle Wintermo¬ nate der Erdenzeit beschwören und wenn jedes Herz zum andern sagen könnte: Heil mir, daß ich dich fand in der heiligsten Lebenszeit, eh' ich geirret hatte; und daß ich sterben kann und habe niemand so geliebt als dich! — O Liane, o Zesaro, so glücklich müssen euere schönen Seelen werden! — Der Jüngling blieb noch einige Minuten in der um ihn fortarbeitenden Zauberwelt, deren Töne und Fontainen wie die Wasser und Maschinen in dem einsamen Bergwerke rausch¬ ten; aber am Ende war etwas Gewaltsames im einsamen Forttönen und Schimmern des Thals, worin er so allein zurückgelassen war. Hastig schritt er auf dem nähern Wege und mit Wasseradern beworfen, durch den Lauben- Vorhang, und trat wieder in die freie Morgen- Erde Lilars hinaus. Wie sonderbar! wie fern! wie verändert war alles! In seine weit offne innere Welt drang die äußere mit vollen Strö¬ men ein. Er selber war verändert; er konnte nicht in die Eichennacht an das felsigte Eben¬ bild des Vaters treten. Als er über die in Zweigen stehende Brücke war, sah er auf dem breiten silberweißen Gartenwege die sanfte Ge¬ sellschaft langsam gehen und er pries Lianen seelig, die nun an ihr bewegtes Herz das müt¬ terliche drücken konnte. — Die Kleine drehte sich oft tanzend um und sah ihn vielleicht, aber niemand wandte sich zurück. Durch die nach¬ getragne Harfe riß sich der Morgenwind und führte von den erregten Saiten Töne wie von Äolsharfen mit sich weiter; und der Jüngling hörte wehmüthig dem zurückklingenden Flie¬ hen wie von Schwanen zu, die über die Län¬ der eilen, indeß hinter ihm das leere Thal einsam in den flötenden Hirtenliedern der Liebe fortsprach und ihn wehende nachziehende Laute matt und dunkel erreichten. Aber er gieng auf den Berg des Altars zurück; und da er über die helle Gegend schauete und noch die fernen weißen Gestalten gehen sah, ließ er seine ganze schöne Seele weinen — Und hier schließe sich der reichste Tag seines jungen Lebens! — Aber, ihr guten Menschen, die ihr ein Herz tragt und keines findet, oder die ihr die ge¬ liebten Wesen nur in und nicht an dem Herzen habt, bild' ich nicht alle diese Gemälde der Wonne, wie die Griechen, gleichsam an den Marmorsär¬ gen euerer umgelegten schlafenden Vorzeit ab? Bin ich nicht der Archimimus , der vor euch die zerfallnen Gestalten nachspielt, die euere Seele begrub? Und du, jüngerer oder ärmerer Mensch, dem die Zeit statt der Vergangenheit erst eine Zukunft gab, wirst du mir nicht ein¬ mal sagen, ich hätte dir manche seelige Ge¬ stalten wie heilige Leiber verbergen sollen aus Furcht, du würdest sie anbeten und wirst du nicht dazusetzen, du hättest ohne diese Phönix- Bildnisse leichtere Wünsche genährt und man¬ che erreicht? — Und wie wehe hab' ich dann euch allen gethan! — Aber mir auch; denn wie konnt' es mir besser ergehen als euch allen? — Euer Schluß wäre demnach dieser: Da ihr schöne Tage nie so schön erleben könnt, als sie nachher in der Erinnerung glänzen oder vorher in der Hoffnung : so verlangtet ihr lieber den Tag ohne beide; und da man nur an den beiden Polen des ellyptischen Gewöl¬ bes der Zeit die leisen Sphärenlaute der Mu¬ sik vernimmt, und in der Mitte der Gegen¬ wart nichts: so wollt ihr lieber in der Mitte verharren und aufhorchen, Vergangenheit und Zukunft aber — die beide kein Mensch erleben kann, weil sie nur zwei verschiedene Dichtungs¬ arten unsers Herzens sind, eine Ilias und Odyssee, ein verlornes und wiedergefundnes Miltons-Paradies — wollt' ihr gar nicht an¬ hören und heranlassen, um nur taubblind in einer thierischen Gegenwart zu nisten. — Bei Gott! Lieber gebt mir das feinste stärkste Gift der Ideale ein, damit ich mei¬ nen Augenblick doch nicht verschnarche son¬ dern verträume und dann daran verster¬ be! — Aber eben das Versterben wäre mein Fehler; denn wer die poetischen Träume ins Wachen Es kann mir nicht vorgeworfen werden, daß ja die Szenen meines Buchs wirklich erlebte wären und daß man keine bessere zu erleben wünschte; denn in der Darstellung der Phan¬ tasie nimmt die Wirklichkeit neue Reize an, Reize, mit welchen auch jede andere zurückge¬ wichene Gegenwart magisch die Erinnerung durchschimmert. Ich berufe mich hier auf die tragen will, ist toller als der Nordamerikaner, der die nächtlichen realisirt; er will wie eine Kleopatra den Glanz der Thauperlen zum Labetrunk, den Regen¬ bogen der Phantasie zum haltbaren über Re¬ genwasser geführten Schwibbogen verbrau¬ chen. — Ja, o Gott, du wirst und kannst uns einmal eine Wirklichkeit geben, die unsre hiesigen Ideale verkörpert und verdoppelt und befriedigt — wie du es uns ja schon in der hiesigen Liebe bewiesen hast, die uns mit Mi¬ nuten berauscht, wo das Innere das Äußere wird und das Ideal die Wirklichkeit — aber dann — nein, über das Dann des Jenseits hat dieses kleine Jetzt keine Stimme; aber wenn hienieden sag' ich das Dichten Leben würde und unsre Schäferwelt eine Schäferei und jeder Traum ein Tag: o so würde das unsere Wünsche nur erhöhen, nicht erfüllen, die höhere Wirklichkeit würde nur eine höhere Empfindung des Personales selber, das im Ti¬ tan handelt, ob es nicht in meinem Buche — wenn es anders darüber geräth — an den abge¬ malten Szenen, die doch seine eignen sind, einen höhern Zauber findet, der den wirklichen abgieng, und ders freilich machen könnte — aber ganz mit Unrecht —, daß das Personale wünscht, sein eignes Leben zu — erleben. Dichtkunst gebären und höhere Erinnerungen und Hoffnungen — in Arkadien würden wir nach Utopien schmachten und auf jeder Sonne würden wir einen tiefen Sternenhim¬ mel sich entfernen sehen und wir würden — seufzen wie hier! — Neunte Jobelperiode. Lust der Hoftrauer — das Begräbniß — Roquai¬ rol — Brief an ihn — die sieben letzten Worte im Wasser — die Huldigung — Retude — Pup¬ penretude — der Kopf in der Luft, der Tarta¬ rus, die Geisterstimme, der Freund, die Kata¬ kombe und die vereinigten Menschen. 46. Zykel. D ie werdende Liebe ist die stillste; die schat¬ tigen Blumen in diesem Frühlinge meiden wie die im andern, das Sonnenlicht. Albano spann sich tief in seine Sonntagsträume ein und zog so gut er konnte das grüne Wohn-Blatt der Wirklichkeit in sein Gespinnste; nämlich den Montag, der ihm bei dem Paradebegräbnisse des Fürsten den Bruder seiner Freundinn zei¬ gen sollte. Dieses Trauerfest, wo der dritte, aber größte fürstliche Sarg sollte zur Ruhe bestat¬ tet werden, brach endlich an, und war schon durch das Vorfest wichtig gemacht, wo man die zwei ersten Särge sammt dem Greise beige¬ setzt, wie man etwa Tugenden schon im An¬ fange eines Jahrhunderts beerdigt und erst am Ende desselben ihre leeren Namen, Gehäuse und Franzbände. Am Probe- und Vorbilds¬ begräbnisse des Höchstseeligen war noch dazu der alte fromme Vater, Spener, sein letzter Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um sich das hölzerne und zinnerne Gehäuse des ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu lassen und auf die stille Brust des lieben Schläfers noch dessen Jugend-Portrait und sein eignes mit der umgestürzten Farbenseite zu decken, ohne zu reden und zu weinen; und der Hof machte viel aus dieser Morgen- und Abendgabe der Freundschaft. Alles schwillt für den Menschen unge¬ heuer an, wovon sie lange reden müssen — alle Pestizer Gesellschaften waren Sterbebei¬ tragsgesellschaften und voll Leichenmarschalle — jedes Gerüste der benachbarten Zukunft war ein Trauergerüste und jedes Wort ein Leichen¬ sermon oder eine Grabschrift auf den blassen Mann — Sphex als Leibmedikus freuete sich auf seinen Antheil am Leidtragen und Mitziehen — der Lektor hatte statt der versetzten Winter¬ kleider die Hoftrauer schon an- und approbirt — der Hofmarschall hatte keine Minute Rast und der jüngste Tag, der die Gräber auf- aber nicht zumacht, wär' ihm heute schief ge¬ kommen — der Minister von Froulay, den der kalte Luigi willig alles machen ließ, war als Liebhaber alles altfürstlichen Pompes und als Kreisausschreibender Direktor des gegen¬ wärtigen so gut im Himmel als der Höchstsee¬ lige — die Weiber waren als Hochseelige aus den Betten gestiegen, weil für diese fleißigen Gewändermalerinnen eine lange Wesen¬ kette von Röcken und von deren Trägern, wohl so schwer wiegt als für ihre Männer eine ge¬ kuppelte Sippschaft von Pferden. Albano harrte ungeduldig am Fenster auf Lianens Bruder und liebte den Unsichtbaren immer heißer; wie zwei Flügel hoben und regten Freund¬ Freundschaft und Liebe in ihm einander ver¬ bunden auf. Die Trauerspuhle — nämlich der leere Sarg — war im Tartarus angelegt und wurde allmählig abgespuhlet und man konnte das dunkle Trauerband nun bald bis in die Bergstadt spannen. Schon anderthalb Stun¬ den vor Ankunft des Zuges war der Salpeter der weiblichen Volksmenge an den Mauern und Fenstern angeschossen. Sara, die Frau des Doktors, kam mit den Kindern und dem tauben Kadaver in Schoppe's Zimmer her¬ auf, dessen zweite Thüre in Albanos seines offen stand; und sagte liebäugelnd zum Gra¬ fen hinein: „hier oben wäre alles besser zu „übersehen und Seine Gnaden würden verzei¬ „hen.“ — „Bleibt nur zusammen da und mo¬ „lestirt mir den H. Grafen nicht“ sagte sie zurückgewandt zu den Kindern und wollte ins gräfliche Zimmer, auf dessen Schwelle sie der von Albano kommende Schoppe auffieng und anhielt. Sara war nämlich eine jener gemeinen Frauen, die von ihren Reizen mehr selber hin¬ gerissen werden als damit andre hinreißen — Titan. I . Ff sie setzte bloß ihr Gesicht auf den Sessel und ließ es zünden und sengen und brennen, indeß sie ihres Orts (im Vertrauen auf ihren fau¬ len Heinz Oder Athanor, ein chemischer Ofen, der lange Zeit ohne Nachschüren fortarbeitet. des Gesichts) ruhig und kalt an¬ dre Dinge machte, entweder einfältiges Zeug oder bösen Leumund; und dann wenn sie eine Kleidergeißel der Weiber gewesen war, wie Attila eine Göttergeißel der Völker, so schauete sie auf und besah den Feuerschaden ihres Gesichts in den männlichen Tabaks¬ schwämmen umher. Besonders auf den reichen schönen Grafen hatte sie ein Auge — unter der Amors Binde. Ihr Kopf lag voll guter physiognomischer Fragmente; und Lavaters Vorwurf, daß die meisten Physiognomisten leider am ganzen Menschen nichts studirten als das Gesicht, konnte ihren reinen physiog¬ nomischen Sinn niemals treffen. Schoppe, leicht errathend, daß bei der Seelen — käuferinn der Gang ein Pre߬ gang, das Weißzeug Jagdzeug, der Shawl eine Schlagwand sey und der Hals ein Schwa¬ nenhals für einen nahen Fuchs, faßte sie auf der Schwelle beider Stuben an der Hand und fragte sie: „nehmen Sie auch so viel Antheil „an der allgemeinen Landesfreude und er¬ „wünschten Hoftrauer wie ich? Ihre Augen „lassen dergleichen lesen, Frau Landphysikus¬ „sin.“ — Was für einen Antheil, sagte die Physika ganz dumm gemacht. — „An der „Lust der Hofleute, die sich ohnehin wie die „Urangutangs dadurch von den Affen unter¬ „scheiden, daß sie selten Freudensprünge thun; „wenigstens trommeln sie wie junge Klavieri¬ „sten ihre traurigsten und ihre lustigsten Stück¬ „chen ungerührt hintereinander weg. Wenn „nur dem Hofstaate nichts Herbes die Trauer „versalzt! — Wünschen Sie, daß die Lieben „die schwarzen Freudenkleider, worin sie wie die „Nepoten der in der leuktrischen Schlacht Ge¬ „bliebnen, dem Jubel eines neuen Fürsten „entgegengehen, umsonst angezogen haben? „Wie?“ — Unglücklicherweise versetzte sie spöt¬ tisch: „Schwarz ist hier zu Lande Trauerfarbe, „H. Schoppe.“ — „Schwarz, Frau Doktorinn? F f 2 „(prallt' er staunend zurück) Schwarz? — „Schwarz ist Reisefarbe und Brautfarbe „und Gallafarbe und in Rom Fürstenkinder¬ „farbe und in Spanien ists ein Reichsgesetz, „daß die Hofleute wie in Marocko die Ju¬ „den Nach Lempriere. schwarz erscheinen.“ „Pestalozzi, Madam — aber Malz, ver¬ „steht Er mich denn?“ fuhr Schoppe herum und munterte den Menschen, der seine Trom¬ mel anhatte und sie heimlich unter dem Zuge rühren wollte, um etwas vom gedämpften Lei¬ chentrommeln zu vernehmen, zum Schlägel auf, damit er vom Diskurse profitirte. — „Malz, „sagt' er lauter, Pestalozzi bemerkt ganz gut, „daß die Großen unsrer Zeit sich in Gesicht, „Kleidung, Stellung, Bilderdienst, Aberglau¬ „ben und Liebe zu (Charlatanen den Asiaten „täglich nähern; — es spricht für Pestalozzi, „daß sie den Sinesern, die sich für die Freude „schwarz und für die Trauer weiß anziehen, „nicht bloß Tempel und Gärten und Fratzen¬ „bilder sondern auch eben dieses Freuden¬ „schwarz abborgen.“ Unter den Kindern — wovon die unerzog¬ nen allein noch nicht ungezogen waren — ho¬ ben sich Boerhave, Galenus und van Swieten am meisten durch eingelegte Arbeit und Hand¬ zeichnungen, die sie von den Anwesenden mit den Fingern auf ihr Butterbrodt gravirten und Galenus wies seine satyrische Projektion von der Mama sagend: schau't was Ma¬ ma'n für 'ne lange Nas' an'setzt hab'. Der Bibliothekar, der etwas ähnliches drehte, hielt sie, als sie hineinwollte, indem er versicherte, er lasse sie nicht, bis sie sich er¬ gebe; die Trauermarschsäule könne kaum einen Acker lang aus dem Tartarus heraus seyn und geb' ihm Zeit genug. Er fuhr fort: „Ächte Trauer hingegen, Liebe, macht im¬ „mer wie der Zorn bunt oder wie der Schrek¬ „ken weiß; z. B. die Kreaturen eines todten „Pabstes trauern violet, der französische König „auch, seine Frau kastanienbraun, der venezia¬ „nische Senat um den Doge roth. — Allein „Trauer können Sie so gut wie ich keinem „Regenten verstatten; dem Hohenpriester und „einem Judenkönige Sanhedrin . c . 2. Misch . 3. war sie ganz verbo¬ „ten; warum wollen wir der Dienerschaft „mehr verstatten als dem Herrn? — Und müßte „ein Landesherr, Beste, der die kostbare Land¬ „trauer zuließe, nicht offenbar die abgestellte „Privattrauer aufwecken? Und könnt' er, in¬ „dem er durch sein Exilium wie Zizero durch „seines Cic . ad quirit . poft redit . c . 3. , 20,000 Leute in Trauerhabit steckte, „es verantworten, daß sein letzter Akt ein „ droit d'Aubaine , eine Beraubung wäre und „daß das Sterbebette, worauf man sonst Be¬ „dienten und Armen Kleider vermacht, ihnen „welche auszöge? — Nein, Madam, das sieht „wenigstens Regenten nicht ähnlich, die sogar „durch ihr Sterben oft wie Marcion Seine Sekte ließ durch Christi Höllenfahrt alle Böse aus der Hölle kommen, Abraham, Enoch, die Propheten ꝛc. aber nicht. Tertull . adv . Marcion . „von Christi Höllenfahrt behauptete, einen „Kain, Absalon und mehrere alttestamentliche „Verdammte aus der Hölle bringen in den „Himmel der neuen Regierung. „Sie ergeben sich noch nicht und der Ka¬ „daver sieht mich an wie ein Vieh; aber be¬ „denken Sie das: Perücken- und Zeugmacher „haben häufig gekrönte Häupter angefleht' „ihre Produkte zu tragen, damit sie abgien¬ „gen; — ein Erb- und Kronprinz zieht sich „gleich am ersten frohen Huldigungs- und Re¬ „gierungstage, wo er den Vorfahrer absetzt „d. h. begräbt, kohlenschwarz an, weil die „schwarze Wolle wenig taugt und wenig ab¬ „geht, und ein solches Exempel beschlägt auf „einmal den ganzen Hofstaat, sogar Vieh, „Pauken, Kanzeln schwarz. — Nur noch ein „Wort, Liebe; wahrlich es kömmt noch nichts „als die Chorschülerschaft. Eben deswegen „wird der fürstliche Leichnam, der leicht die „ganze Freude des Leichenbegängnisses stören „könnte, vorher beseitigt und nur ein vakan¬ „ter Kasten mitgeführt, damit der Zug keine „andere pensées habe als anglaises So heißen schwarze Farben. . . . — „O Traute das letzte Wort; was sehen Sie „denn am Stall- und Pagenkorps? — Mei¬ „netwegen! auch ich freue mich, auf einmal so „viele Menschen und den Fürsten mitten unter „seinen Kindern so froh zu sehen.“ — — Aber je länger er die Prozession, dieses schlaffe Gauklerseil, woran man den leeren aber figurirten Cypselus Kasten in die Fami¬ liengruft einließ, werden sah, desto zorniger wurde sein Spott. — Er passete die Hypo¬ these jedem beflorten Gliede der schwarzen Kette an. — Er lobte es, daß man den Bal masqué der neuen Regierung mit diesen lang¬ samen Menuetpas eröffne und sich auf den Walzer der Vermählung und den Großvater¬ tanz der Huldigung anschicke. — Er sagte, da man sich und Thieren an Freudentagen gern alles leicht mache, wie daher die Juden am Schabbes sich und ihr Vieh nichts, nicht ein¬ mal die Hüner die angehangnen Läppchen tra¬ gen lassen, so seh' ers gern, daß in den Zere¬ monienwägen und im Paradekasten und auf den Klagepferden nichts säße, ja daß sogar die Schleppen der Trauermäntel von Pagen und die vier Leichentuchzipfel von vier hand¬ festen Herren fortgebracht würden. — Nur ta¬ delte er es, daß die Soldateska in der Lust das Gewehr verkehrt ergriffen und daß sich ge¬ rade die Personen vom höchsten Range, Luigi, Froulay), Bouverot, da sie vom schnellen Lei¬ chentrunke auf einmal ins Freie kämen, sich wankend müßten auf beiden Seiten führen lassen. 47. Zykel. In Albano sprach ein andrer Geist als in Schoppe, aber beide begegneten sich bald. Dem Grafen machten die Nachtgestalten aus Flor, die stillen Trauerfahnen, der Todten¬ marsch, der schleichende Krankengang, das Glok¬ kengetöse die Todtenhäuser der Erde weit auf, zumal da vor seine blühenden Augen zum er¬ stenmale diese Todtenspiele kamen; aber lauter als alles rief vor ihm etwas — das man kaum errathen wird — die Scheidungen des Lebens aus, der vom Leichentuche erstickte Trommel¬ schlag; eine gedämpfte Trommel war ihm ein von allen irrdischen Katakomben gebrochener Wiederhall. Er hörte die stummen erwürgten Klagen unsrer Herzen; er sah höhere Wesen oben herunterschauen auf das dreistündige wei¬ nerliche Lustspiel unsers Lebens, worin das rothe Kind des ersten Akts im fünften zum Jubelgreis' ermattet und dann erwachsen und gebückt vor dem herablaufenden Vorhange verschwindet. Wie wir im Frühlinge mehr an Tod, Herbst und Winter denken als im Sommer, so malet sich auch der feurigste kräftigste Jüng¬ ling öfter und heller in seiner Jahreszeit die dunkle entblätterte vor als der Mann in sei¬ ner nähern; denn in beiden Frühlingen schla¬ gen sich die Flügel des Ideals weit auf und haben nur in einer Zukunft Raum. Aber vor den Jüngling tritt der Tod in blühender grie¬ chischer Gestalt, vor den müden ältern Men¬ schen in gothischer. Mit komischem Humor fieng Schoppe gewöhnlich an und endigte mit tragischem ; so führte auch jetzt der leere Trauerkasten, die Flöre der Pferde, die Wappen-Schabaracken derselben, des Fürsten Verachtung des schwer¬ fälligen deutschen Zeremoniels und die ganze herzlose Mummerei, alles das führte ihn auf eine Anhöhe, wohin ihn immer das Anschauen vieler Menschen auf einmal trieb und wo er mit einer schwer zu malenden Erhebung Er¬ grimmung und lachenden Kümmerniß ansah den ewigen, zwingenden, kleinlichen, von Zwek¬ ken und Freuden verirrten, betäubten schweren Wahnsinn des Menschengeschlechts; — und seinen dazu. Plötzlich durchbrach die schwarze Kette ein bunter glänzender Ritter, Roquairol auf dem paradirenden Freudenpferde und erschütterte unsre zwei Menschen, und keinen weiter. Ein blasses eingestürztes Angesicht, vom langen in¬ nern Feuer verglaset, von allen Jugendrosen entblößet, aus den Demantgruben der Augen unter dem schwarzen Augenbraunen-Überhange blitzend, ritt in einer tragischen Lustigkeit daher, deren Linien-Geäder sich unter den frü¬ hen Runzeln der Leidenschaft verdoppelte. Welch' ein Mensch voll verlebten Lebens! — Nur Hofleute oder sein Vater konnten dieses tragische Frohlocken zu einer schmeichlerischen Freude über die neue Regierung herabsetzen; aber Albano nahm ihn ganz in sein Herz hin¬ ein und wurde bleich vor inniger Bewegung, und sagte: „ja, Er ists! — O guter Schoppe, „er wird gewiß unser Freund, dieser zerrissene „Jüngling. — Wie schmerzlich lacht der Edle „über diesen Ernst und über Kronen und Grä¬ „ber und alles! Ach er starb ja auch ein¬ „mal.“ — „Daran thut der Reiter recht „(sagte Schoppe mit zuckenden Augen und „tippte schnell an Albanos Hand und dann „an seinen eignen Kopf); mir kömmt schon „der Schädel da als ein enger bonsoir , als „ein Lichttödter vor, den mir der Tod aufge¬ „setzt — wir sind artige mit Silber überzogne „Figuren in einem elektrischen Tanze begriffen „und vom Funken springen wir auf, ich be¬ „wege mich zum Glücke doch noch .... und „dort schleicht unser guter Lektor auch daher „und zieht seinen langen Flor“ — — wobei freilich Augusti's bürgerlich-ernste Stimmung sehr gegen die menschlich-ernste des Bibliothe¬ kars abstach. Auf einmal sagte Schoppe verdrüßlich über die Rührung: „welche Maskerade wegen einer „Maske! Lumperei wegen Lumpenpapier! „Werft einen Menschen still in sein Loch und „rufet niemand dazu. Ich lobe mir London „und Paris wo man keine Sturmglocken läu¬ „tet, und die Nachbarschaft rege macht, wenn „ der Undertaker einen Eingeschlafnen zu Bette „bringt.“ — „Nein, nein, (sagte Zesara, voll „Kraft zum Schmerz) ich lob' es nicht — wem „die heiligen Todten gleichgültig sind, dem wer¬ „den es die Lebendigen auch — nein, ich lasse „gern mein Herz in eine Thräne nach der an¬ „dern zerreißen, kann ich nur des lieben We¬ „sens noch gedenken.“ — O wie traf die Nachbarschaft mit seinem Herzen zusammen! In einer Zisterne, wovor der Sarg des Sarges vorübergieng, stand der abgebildete Greis auf einem Pferde in Bronze und sah unter sich vorübergehen die abgesat¬ telten Trauerpferde und das berittne Freuden¬ Roß — ein Taubstummer machte mit seiner Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute, das er wie der Begrabne nicht vernahm — und war nicht der vergessene Fürst ungesehen und einsamer unter die Erde gelegt als irgend einer seiner Unterthanen? — O Zesara, dir fiel es aufs Herz, wie leicht der Mensch ver¬ gessen wird, er liege in der Urne oder in der Pyramide — und wie man unser unsterbliches Ich wie einen Schauspieler für abwesend ansieht, sobald es nur in der Kulisse steht und nicht auf der Bühne unter den Spielern poltert. — — Aber legte nicht der graue Einsiedler Spe¬ ner dem tiefern Einsiedler eine doppelte Ju¬ gend auf die gesunkne Brust? O zählet nicht in dieser frostigen Stunde des Gepränges die treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes an ihren Thränen ab, diese arme durch Krank¬ heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze befreiete Tochter die nun den vorletzten , vielleicht den letzten Verwandten verloren, da ihr Bruder kaum einer ist? — Und wird Liane in ihrem Elysium nicht das Nachspiel des Schmerzes errathen, das so nahe vor ihr hinter den hohen Bäumen im Tartarus gege¬ ben wird? Und wenn sie etwas vermuthet, o wie wird sie nicht so innig trauern? — — Dieses alles hörte der edle Jüngling in seiner Seele an und er dürstete heiß nach der Freundschaft des Herzens; — ihm war als wehe ihre Berg- und Lebensluft aus der Ewig¬ keit herab und treibe den Todtenstaub weg vom Lebenssteige und er sehe droben den Ge¬ nius die umgestürzte Fackel auf den kalten Bu¬ sen stellen, nicht um das unsterbliche Leben aus¬ zulöschen, sondern um die unsterbliche Liebe anzuzünden. Er konnte nun nicht anders, sondern mußte ins Freie gehen und unter dem fliegen¬ den Getöne des Frühlings und unter dem dumpf-zurückmurmelnden Todtenmarsche die folgenden Worte an Lianens Bruder schreiben, womit er ihm jugendlich sagte: sey mein Freund! Zykel. An Karl. „Fremder! jetzt in der Stunde, wo uns „im Todtenmeere und in den Thränen die „Siegessäulen und Thronen der Menschen „und ihre Brückenpfeiler gebrochen er¬ „scheinen, fragt Dich frei ein wahres Herz — „und Deines antwort' ihm treu und gern! „Wurde Dir das längste Gebet des Men¬ „schen erhört, Fremder, und hast Du „Deinen Freund? Wachsen Deine Wünsche „und Nerven und Tage mit seinen zu¬ „sammen wie die vier Zedern auf Liba¬ „non, die nichts um sich dulden als Ad¬ „ler? Hast Du zwei Herzen und vier Arme „und lebst du zweimal wie unsterblich in „der kämpfenden Welt? — Oder stehst „Du einsam auf einer frostigen verstumm¬ „ten schmalen Gletscherspitze und hast kei¬ „nen Menschen, dem Du die Alpen der „Schöpfung zeigen könntest, und der Him¬ „mel wölbt sich weit von Dir und Klüfte „unter Dir? — Wenn Dein Geburtstag „kömmt, hast Du kein Wesen, das Deine „Hand „Hand schüttelt und Dir ins Auge sieht „und sagt: wir bleiben noch fester bei¬ „sammen? — „Fremder, wenn Du keinen Freund hät¬ „test, hast Du einen verdient? — Wenn „der Frühling glühte und alle seine Ho¬ „nigkelche öffnete und seinen reinen Him¬ „mel und alle hundert Thore an seinem „Paradiese: hast Du da schmerzlich aufge¬ „blickt wie ich und Gott um ein Herz ge¬ „beten für Deines? — O wenn abends die „Sonne einsank wie ein Berg und ihre „Flammen aus der Erde fuhren und nur „noch ihr rother Rauch hinanzog an den „silbernen Sternen: sahest Du aus der „Vorwelt die verbrüderten Schatten der „Freundschaft, die auf Schlachtfeldern wie „Gestirne Eines Sternbildes miteinander „untergiengen, durch die blutigen Wolken „als Riesen ziehen und dachtest Du daran, „wie sie sich unvergänglich liebten und Du „warst allein wie ich? — Und, Einsamer, „wenn die Nacht, wo der Geist des Men¬ „schen, wie in heißen Ländern, arbeitet Titan. I . Gg „und reiset , ihre kalten Sonnen verket¬ „tet und aufdeckt und wenn doch unter „allen weiten Bildern des Äthers kein ge¬ „liebtes theures ist und die Unermeßlichkeit „Dich schmerzlich aufzieht und Du auf „dem kalten Erdboden fühlest, daß Dein „Herz an keine Brust anschlägt als nur „an Deine o Geliebter, weinest Du dann „und recht innig? — „— Karl, oft zählt' ich am Geburts¬ „tage die wachsenden Jahre ab, die Fe¬ „dern im breiten Flügel der Zeit; und be¬ „dachte das Verrauschen der Jugend; da „strekt' ich weit die Hand nach einem „Freunde aus, der bei mir im Charons „Nachen, worin wir geboren werden, ste¬ „hen bliebe, wenn vor mir die Jahreszei¬ „ten des Lebens am Ufer vorüberlaufen „mit Blumen und Blättern und Früchten „und wenn auf dem langen Strome das „Menschengeschlecht in tausend Wiegen „und Särgen hinunterschießet. „Ach nicht das bunte Ufer fliehet vor¬ „über, sondern der Mensch und sein „Strom; ewig blühen die Jahreszeiten „in den Gärten des Gestades hinauf und „hinab, aber nur wir rauschen einmal vor „den Gärten vorbei und kehren nicht um. „Aber der Freund geht mit. O wenn „Du in dieser Stunde der Gaukeleien des „Todes den bleichen Fürsten mit den Ju¬ „gend-Bildern auf der Brust ansiehst und „an den grauen Freund denkst, der ihn „verborgen im Tartarus betrauert: so „wird Dein Herz zerfließen und in sanften „warmen Flammen in der Brust umher¬ „rinnen und leise sagen: ich will lieben „und dann sterben und dann lieben: „o Allmächtiger, zeige mir die Seele, die „sich sehnet wie ich!“ „Wenn Du das sagst, wenn Du so bist, „so komm an mein Herz, ich bin wie Du. „Fasse meine Hand und behalte sie bis sie „welkt. Ich habe heute Deine Gestalt ge¬ „sehen und auf ihr die Wunden des Le¬ „bens; tritt an mich, ich will neben Dir „bluten und streiten. Ich habe Dich schon „früh gesucht und geliebt. Wie zwei Gg 2 „Ströme wollen wir uns vereinigen und „miteinander wachsen und tragen und ein¬ „trocknen. Wie Silber im Schmelzofen „rinnen wir mit glühendem Lichte zusam¬ „men und alle Schlacken liegen ausge¬ „stoßen um den reinen Schimmer her. „Lache dann nicht mehr so grimmig, daß „die Menschen Irrlichter sind; gleich Irr¬ „lichtern brennen und fliegen wir fort im „regnenden Sturme der Zeit. — Und dann, „wenn die Zeit vorbei ist, finden wir uns „wie heute und es ist wieder im Früh¬ „linge.“ Albano de Cesara. 48. Zykel. Wie herrlich — eh' dem innern Menschen, wie dem äußern im Alter, alle Pulsadern zu Knorpeln erstarren und alle Gefäße unbiegsam und erdig werden und das moralische Herz wie das andre kaum sechszig Schläge in einer Minute thut und eh' der alte scheue Narr sich bei jeder Rührung ein Stück seines Wesens aufhebt, das er kalt und trocken erhält und das aufpassen soll, wie benetzte Himbeerblätter stets auf der rauhen Seite trocken bleiben — wie herrlich sag' ich tritt dagegen vor dieser Spio¬ nen-Periode ein Jüngling, zumal ein Albano seine Bahn daher, wie frei, keck und froh! Und sucht gleich dreist den Freund wie den Feind und tritt dicht an ihn, um zu kämpfen entwe¬ der für ihn oder wider ihn! — Damit entschuldige man Albano's feurigen Brief! Den andern Tag erhielt er von Roquai¬ rol diese Antwort: „Ich bin wie Du. Am Himmelfahrts¬ „abende will ich Dich suchen unter den „Larven. Karl. Dem Grafen stieg die Röthe der Kränkung über dieses gesuchte Verschieben der Bekannt¬ schaft ins Gesicht; er wäre — fühlt' er — nach einem solchen Laute des Herzens, ohne ein tod¬ tes Interim von fünf Tagen und ohne eine Huldigungsretude im doppelten Sinne, sofort zum Freunde gegangen und seiner ge¬ worden. Jetzt aber schwor er, ihm nicht wei¬ ter entgegenzulaufen sondern ihn nur zu erwar¬ ten. — Gleichwohl verflatterte bald das ge¬ rührte Zürnen und er bewilligte dem ersten Blättchen des so lange gesuchten Lieblings im¬ mer schönere Milderungen: — Karl konnte ja z. B. in dieses huldigende Getöse nicht gern die heilige Zeit des ersten Erkennens mengen wollen — oder die erste selbst-mörderische Re¬ tude machte ihm jede zur begeisternden Aera eines neuen zweiten Lebens — oder er wußte wohl gar um Albanos Geburtstag — oder endlich dieser glühende Mensch gieng oder flog seinen eignen Pfad. — — Indeß machte dessen Blatt, daß sich der Graf sein eignes vorrückte als eine Sünde ge¬ gen seinen — Schoppe; er hielt das Sehnen in der Freundschaft nach der Freundschaft für Sünde; aber du irrest, schöne Seele! Die Freundschaft hat Stufen, die am Throne Got¬ tes durch alle Geister hinaufsteigen bis zum un¬ endlichen; nur die Liebe ist ersättlich und immer dieselbe und wie die Wahrheit ohne drei Verglei¬ chungsgrade und ein einziges Wesen füllet ihr Herz. Auch hatten sich Albano und Schoppe bei einer so gegenseitigen Seelenwanderung ihrer Ideen und einer so nahen Verwandtschaft ihres Trotzes und Adels weit lieber als sie sich zeig¬ ten. — Denn da Schoppe überhaupt nichts zeigte, so konnte man ihn wieder nur mit dem Finger auf der Lippe aber vielleicht desto stär¬ ker lieben. Albano war ein heißbrennender Hohlspiegel, der seinen Gegenstand nahe hat und ihn aufgerichtet hinter sich darstellt, Schoppe einer, der ihn ferne hat und ihn ver¬ kehrt in die Luft wirft. Abends vor seinem Geburts- und dem Huldi¬ gungstage stand Albano einsam am Fenster und wog seine Vergangenheit — denn ein letzter Tag ist feierlicher als ein erster; am 31sten Dezember überrechn' ich 365 Tage und deren Fata, am 1sten Jenner denk' ich an nichts, weil ja die ganze Zukunft durchsichtig ist oder in fünf Minuten ausseyn kann —; er maaß, während über sein zu Ende gehendes zwanzigstes Jahr die Ves¬ perglocke läutete und die Vesperhora in ihm angieng, die Absidenlinie So heißet die Linie, die man von der Son¬ nenferne zur Sonnennähe zieht. seines morali¬ schen Wesens und sah an den aufgethürmten morgenden Tag hinauf der vollhieng entweder von Frühlingsregen oder von Hagelkörnern. Noch nie hatt' er so weich den Kreis geliebter Menschen überschauet oder durch die offnen Thore der Zukunft geblickt als dasmal. Aber die schöne Stunde störte Malz, der mit der Nachricht hereinbrach, der hinkende Herr sey ins Wasser gesprungen. Aus dem Dachfenster sah man einen zurückkehrenden Dorf-Leichenzug um die Ufer-Stelle gehäuft, wo sich Schoppe hineingestürzt. Mit fürchter¬ licher Wildheit — denn Zorn war in Albano der Nachbar des Schreckens und Schmerzes — riß er den trägen Landphysikus zur Hülfe mit fort und sogar durch harte drohende Worte; denn Sphex wollte auf einen Wagen passen, auch mögliche Fälle von zu späten Rettungs¬ anstalten auseinandersetzen und hatte über¬ haupt vielleicht die Hoffnung gern, den Biblio¬ thekar auf den Anatomirtisch als Doktorschmaus der Wissenschaft aufzutragen. Der Jüngling rannte mit ihm hinaus — durch Kornfelder — unter Thränen — unter Flüchen — mit geballter, mit ausgespreitzter Faust, und immer mehr schwindelte sein Auge und brannte sein Herz, je näher sie dem dun¬ keln Zirkel zuliefen. Endlich konnten sie den Bibliothekar nicht nur sehen sondern auch — hören; wohlbehalten drehte er ihnen den kraus¬ haarigen Kopf aus dem Schilfrohre entgegen und hob zuweilen, weil er das Trauerkondukt haranguirte, feurig den behaarten Arm über die Wasserpflanzen. Freilich wars so: Sein Sorites war so lang' er lebte dieser: „er sey keine Steiß- sondern eine Gesichtsge¬ „burt und trage mithin Kopf und Nase hoch „und empor Ein mit dem Gesichte zuerst in die Welt tre¬ tendes Kind kann später den Kopf nicht vor¬ wärts beugen. Hausmutter V . B. weil er müsse — nun kenn' er „keine ächtere Freiheit als Gesundheit — jede „Krankheit schließe die Seele krumm und die „Erde sey bloß darum ein allgemeines Stock¬ „haus und eine la Salpetière , weil sie ein „Quetschhaus So heißet das Invalidenhospital in Koppen¬ hagen. sey — wer eine Austern- „Schnecken-Vipern-Kur gebrauche, sey selber „eine schleimige geschlängelte klebende Viper, „Auster, Schnecke und daher tödteten die sem¬ „perfreien Wilden die Siechlinge, und die kräfti¬ „gen Sparter gaben keinem Pazienten ein Amt, „geschweige die Krone — besonders sey Stärke „vonnöthen, um in unsern niedrigen Zeiten qua¬ „lifizirte Subjekte auszuprügeln, weil seines „Wissens die Faust mit einigem Inhalte die „beste Injurienklage und actio ex lege diffamari „sey, die ein Bürger anstellen könne.“ — Darum badete er Sommer und Winter eiskalt, so wie er eben darum in allem enthal¬ sam blieb. Nun war er bei dem häßlichen Wonnemo¬ natswetter bloß in seinem grauen Husaren¬ mantel — daheim sein Schlafrock — und mit niedergetretenen Schuhen ans Wasser gegan¬ gen; zu Hause hatt' er sich vorher ordentlich ausgezogen, um am Gestade so gleich fertig zu seyn. Die Trauerkompagnie, die ihn mit sei¬ nem schnellen Schritte am Wasser gehen und endlich alles zurückwerfen und hineinspringen sah, mußte glauben, der Mensch wolle sich er¬ tränken und rannte vereinigt seinem Badeorte zu um ihn nicht zu lassen. „Ersäuf' Er sich „nicht!“ schrie die Trauer-Negerei von wei¬ tem. Er ließ sie erst heran, um mit ihr näher aus der Sache zu reden: „Ich nehme noch „Vernunft an, ob ich gleich schon im Wasser „stehe; aber lasset euch auch bedeuten, lieben „ Kerstene insgemein, denn so hieß man zu „Karls Zeiten die Christen! Ich bin ein armer „Sakramenter, und erinnere mich kaum wovon „ich bisher lebte, so blutwenig wars. Was „ich in der Welt nur anfieng, dabei war kein „Seegen sondern Krebsgang hinten und vorn. „Ich legte in Wien ein hübsches Magazin von „Schnepfendreck an, aber ich setzte nichts ab, „aus Mangel an Schnepfen. — Ich griffs am „andern Ende an und hausirte in Karlsbad „für große Herren, die sonst auf jeden Bettel „und Sessel ein Gemälde setzen, mit hübschen „ Kupferstichen für den Abtritt, damit sie da „statt des bloßen gedruckten Papiers etwas „Geschmackvolles hätten zum Verbrauche; be¬ „hielt aber die ganze Suite auf dem Halse, „weil die Manier zu hart war und nicht idea¬ „lisch genug. — In London macht' ich Reden „voraus (denn ich bin ein Gelehrter) für „Menschen, die gehangen werden und doch „noch etwas sagen wollen; ich trug sie den „reichsten Parliamentsrednern und selber Spitz¬ „buben von Buchhändlern an, hätte aber die „Reden beinah selber gebraucht. — Ich hätte „mich gern vom Vomiren genährt In Darwins Zoonomie I . B. S. 529, wird einer angeführt, der vor Zuschauern es machte. In Paris that ein andrer dasselbe durch Luft, die er in den Magen schluckte. , aber da¬ „zu gehört Fond. — Ich suchte einmal bei einem „gräflichen Regimente als Notenpult unterzu¬ „kommen, weils bei der Wachtparade dumm aus¬ „sieht, daß jeder einen musikalischen Lappen auf „der Schulter hängen hat, den der andre vom „Blatte spielt, ich wollte für ein weniges alle „Musikalien an mir tragen und mit den No¬ „ten vor ihnen stehen, aber der Premier-Lieu¬ „tenant (er sitzt zugleich in der Regierung und „Kammer) glaubte, die Pfeifer würden lachen, „wenn sie bliesen. — So gieng mirs von je¬ „her, theuere Kerstene; aber trabt nicht auf „meinem theuern Mantel herum! — Zum Un¬ „glück schritt ich gar in die Ehe mit einer mit „eingeschmolzenen Siegeln In Wien machte ein Institut aus alten Lack neuen und steuerte mit dem Ertrage Arme aus. ausgestatteten „Wienerinn, Namens Praenumerantia Elemen¬ „ taria Philantropia , So geschmacklos wollte Basedow eine Toch¬ ter zum Andenken des auf Pränumerazion erscheinenden Elementarwerks taufen lassen. S. Schlichtegrolls Nekrolog. — ihr wisset nicht, „was es zu deutsch heißt — einem wahren „Höllenbesen, der mich wie einen Parforcehir¬ „schen hier ins Schilfrohr hereingehetzt. Ker¬ „stene, ich blamire mich im Wasser, wenn ich „mit unserm Wehestande ganz herausgehe; „kurz meine Philantropia war vor der Ehe wie „die Stacheln eines neugebornen Igels weich, „aber in der Ehe, als das Laub herunter war, „sah ich wie auf Bäumen im Winter ein Ra¬ „ben- und Teufels-Nest nach andern. „Sie zog sich stets so lange an bis sie sich wie¬ „der ausziehen mußte — wenn ein Fehler an „mir oder den Kindern gehoben war, zankte „sie noch ein wenig fort, wie man sich noch „fort erbricht wenn das emeticum und alles „schon heraus ist — sie gönnte mir wenig, „und hätt' ich ein Fontanell gehabt, sie hätte „mir die frische Erbse vorgerückt, die ich jeden „Tag hätte hineinlegen müssen — kurz wir „wollten beide verschieden hinaus, der Runk¬ „nagel der Liebe war ausgezogen und ich „fuhr mit den Vorderrädern ins Wasser her¬ „ein und meine Praenumerantia hält mit den „Hinterrädern zu Hause. — Seht, meine Wei¬ „ber, darum thu' ich mir mein Leid an, — „der Atzmann So heißt an einigen Orten die Schwindsucht. hätte mich ohnehin bei der „Kehle gegriffen — ; spiegelt euch aber! Denn „wenn ein Mann der ein Gelehrter ist und „ darum wie Ihr Fichten noch wisset, „als angestellter Aufseher, Lehrherr und Men¬ „tor des Menschengeschlechts herumgeht, vor „seiner Frau ins Wasser springt und seine „Ephorie und Hofmeisterstelle fahren lässet: so „könnt ihr schließen, wozu Eure Männer, die „sich mit mir gar nicht messen dürfen in der „Gelehrsamkeit, kapabel sind, falls Ihr solche „Pränumerantien, Elementarien und Philan¬ „thropien seyd, wie Ihr leider das Ansehen „habt. — — Aber (beschloß er plötzlich, da er „Albano und den Doktor sah) scheert Euch „fort, ich will ersaufen!“ — — „Ach lieber Schoppe!“ sagte Albano — Schoppe erröthete über die Lage — „Es will „ein Hanswurst seyn“ sagte das weichende Leichen-Kondukt — „Was ist denn das für „eine Kinderei?“ fragte Sphex nachzürnend über Albanos vorige Heftigkeit und über den anatomischen Fehlschuß und nahm sich Genug¬ thuung durch die Erzählung von dessen Toben. Schoppe erkannte, wie herzlich ihn der edle Jüngling liebe und er wollte nichts sagen, weil er sich schämte, aber er schwur sich, ihn nächstens (nach seinem auch im stummen Den¬ ken bizarren Ausdrucke) in seine Brusthöhle ein¬ zulassen und ihm darin ein ganzes wildes Herz voll Liebe hängend zu weisen. 49. Zykel. Der blaue Tag, wo eine Himmelfahrt, eine Huldigung und ein Geburtstag gefeiert wurde, stand schon über Pestiz nach abgelegter Morgen¬ röthe — zwei Pferde waren schon die Vorläu¬ fer von vieren, der niedrige Kutschbock vom höch¬ sten — der Landadel gieng schon unbequem-fri¬ sirt in die Wirthsstuben herab und kränkte sich über das gestohlne schönste Wetter zur Birkhahn- Falz und der Stadtadel sprach noch ungepudert über den Tag, aber ohne wahren Ernst — der Hof-Mikrometer Ein Mikrometer besteht aus feinen in das Seh¬ rohr eingespannten Fäden die zum Messen der kleinsten Entfernung dienen. , der Hofmarschall war von allen seinen Fouriers umgeben — die Hof- Passageinstrumente Das Passageinstrument oder Kulminatorium beobachtet es, wenn ein Stern den höchsten Stand in seinem Laufe hat. , die Hofleute, hatten statt statt ihres halben Feiertages, wo sie nur Nach¬ mittags frohnen, einen ganzen Werkeltag und standen schon am Waschtische — der Huldi¬ gungsprediger Schäpe glaubte fast alles von seiner Rede, weil er sie zu oft gelesen und die Nähe der Publikazion flößte ihm Rührung ein — kein Domino für den Abend war mehr zu haben, außer bei den Juden — — als ein Mann vor der Hausthüre des Doktors abstieg, ders unter allen mit der Huldigung am redlich¬ sten und wärmsten meinte, der Direktor Wehr¬ friz. Es war ein Sohn und ein Vater einan¬ der in den Armen, ein feuriger Jüngling und ein feuriger Mann. Albano schien ihm nicht mehr der Alte zu seyn, sondern noch — wär¬ mer als sonst. Er brachte von „seinen Wei¬ „bern“ wie er sie nannte, glückwünschende Brie¬ fe und Angebinde für den Geburtstag mit; er selber machte nicht viel aus dem Tage oder ver¬ gaß ihn, und Albano hatt' ihn nur nach dem Erwachen ein wenig gefeiert. Diese Feste gehö¬ ren mehr weiblichen Wesen an, die gern mit Zeiten liebend und gebend tändeln. Der Titularbibliothekar marschirte auf ein Titan. I . Hh Dorf, Namens Klosterdorf, hinaus, wo der Schulz mit seiner Familie nach einer alten Sitte den Fürsten mit der seinigen nachmachen und so als Kommissionär die Huldigung des benachbarten Umkreises eintreiben mußte; diese, sagte Schoppe, lass' er sich noch gefallen, aber die andre wirke zu fatal auf seine Eingeweide. Der vom heutigen Tage geblendete und mit einer Amtsrede vorn an die Ritterschaft po¬ stirte Direktor biß sich mit Schoppe herum: „Die Kammer und der Hof, sagt' er, sind frei¬ „lich von jeher wie sie sind; aber die Fürsten, „lieber Herr, sind gut, sie werden selber ausge¬ „sogen, und dann scheinen auszusaugen.“ — „Wie etwan, versetzte Schoppe, die Leichen¬ „Vampyren nur Blut von sich geben, indeß sie „es zu nehmen scheinen; aber das bring' ich da¬ „durch wieder ein, daß ich den Regenten außer „den fremden Sünden auch fremde Verdienste, „Siege und Opfer ganz beimesse; hier sind sie „die Pelikane, die ein Blut für ihre Kinder ver¬ „gießen, das wirklich ihr eignes zu seyn scheint „von weitem.“ — Alle giengen; Schoppe aufs Land; Wehr¬ friz in die Kirche mit der Prozession; Albano in eine Zuschauer-Loge am Huldigungssaale; denn er wollte auf keine Weise in die Schleppe des Fürsten eingestickt seyn, nicht einmal als Besatz. Das Prunk-Getümmel rauschte bald in den Saal zurück. — Die Ritterschaft, die Geistlichkeit und die Städte bestiegen die Schwurbühne. — Im Schloßhofe stand ein Fuß auf dem andern und eine Nadel konnte zwar zur Erde kommen, aber kein Mensch, um sie aufzuheben, jeder sah auf den Balkon her¬ auf und fluchte früher als er schwur. — Der Fürst blieb auch nicht weg — der Thron, die¬ ser graduirte und paraphrasirte Fürstenstuhl, stand offen und Fraischdörfer hatt' ihn mit schönen mythologischen und heraldischen Ver¬ kröpfungen und Aussenwerken dekorirt. — Dem Grafen gegenüber blühten die Hof¬ damen und darunter eine Rose und eine Lilie Julienne und Liane. Wie man das Auge von der frostigen starren Wintergegend zum blauen wehenden Himmel aufhebt, der unsre Frühlingsabende ansah und worin die leichten Sommerwolken giengen und der Regenbogen H h 2 stand: so blickte er über das glänzende Schnee¬ licht des Hofes zur lieblichen Grazie des Len¬ zes hin um welche Erinnerungen wie Blumen hiengen, und die nun so fern stand, so abge¬ trennt, so eingekerkert in den schweren Putz des Hofes! Nur durch die nahe Freundinn wurde sie leise mit der grellen Gegenwart verschmol¬ zen und versöhnt. — Nun fiengen schöne Amtsreden an, die längste hielt der alte Minister, die kürzeste Wehrfriz; der Fürst ließ, an seinem Dezember¬ Gesicht ohne aufzuthauen die warmen Lobre¬ den vorüberstreichen; eine fehlerhafte Gleichgül¬ tigkeit! Denn das Lob vom Minister wie von andern Hof-Bedienten kann ihm noch bei der Nachwelt helfen, da nach Bako keines gültiger ist als das so Bediente geben, weil sie ja den Herrn am besten kennen. — Dann las der Obersekretär Heiderscheid Luigi's Stammtafel ab und beleuchtete den hohlen Stammbaum sammt seiner Baumtrock¬ niß und dem letzten blaßgrünen Ästchen; — mit gesunknen Augen hörte Julienne dieses un¬ ter dem Vivat des Volks an, und Albano, nie von Einem Gedanken allein bezwungen, sah ihre Augen und konnte, so hart auch der Re¬ gent zuhörte, sich des Leichengemäldes nicht er¬ wehren, wie einmal d. h. sehr bald dieser er¬ loschne Mensch den Namen seines ganzen Stammes in die Gruft nachziehen werde; er sah das Wappen verkehrt einhauen und den Schild verkehrt aufhängen und hörte die Schaufeln, die den Helm zerstießen und dem Sarge nachwarfen. — — Düstre Idee! die weiche Schwester hätte gewiß geweint, wäre sie nur allein gewesen! — Zuletzt kam die Reihe auch an die, an welche sie nie zuerst kommt, ob sie gleich die einzigen sind, die es mit solchen Zeremonien herzlich meinen; Heiderscheid trat auf den Bal¬ kon und ließ die wimmelnde laute Menge die Vorderfinger und den Daum ausstrecken und den Eid nachsagen. Diese immer bezauberte jauchzete Vivat — in den geblendeten Augen funkelte die Zuversicht einer bessern Regierung und die Liebe für einen Ungekannten. — Der Graf, den ohnehin eine Menge feurig so wie Schoppen trübe machte, glühte begeistert von Bruderliebe und Thatendurst; er sah die Für¬ sten wie Allmächtige auf ihren Höhen walten und sah die blühenden Landschaften und die heitern Städte eines weise regierten Landes aufgedeckt — er stellte es sich vor wie er, wär' er ein Fürst, mit dem schlagenden Funken aus der Zepterspitze in Millionen verknüpfter Her¬ zen auf einmal belebend und erschütternd stra¬ len könnte, indeß er jetzt so mühsam einige nächste entzünde — er sah seinen Thron als einen Berg in Morgenlicht, der schiffbare Ströme statt der Lawa in die Länder herab¬ gießet und die Stürme bricht und um dessen Fuß Ernten und Feste rauschen — er dachte sichs, wie weit er von einer so hohen Stelle das Licht umherstreuen könnte, gleichsam ein Mond, der nicht die Sonne am Tage ver¬ bauet sondern ihr fernes Licht aus seiner Höhe der Nacht zuwirft — und wie er die Freiheit statt sie nur zu vertheidigen erschaffen und erziehen und ein Regent seyn wollte, um Selbstregenten Avtarchen; denn Monarchen oder Einherr¬ scher sind von Selbstherrschern etymologisch verschieden. zu bilden; „aber warum bin „ich keiner?“ sagt' er traurig. Edler Jüngling! geben denn dir deine Rittergüter keine Unterthanen? — Aber eben so glaubt der kleinere Fürst, ein Herzogthum wollt' er ganz anders regieren, und der höhere glaubt es von einem Königreiche und der höchste von der Universalmonarchie. Indeß zogen sich den ganzen sonderbaren unruhigen Tag wilde Jünglings-Perspektiven vor ihm hin und her und die alte Geister¬ stimme, der er heute entgegengieng, wieder¬ holte in ihm den dunkeln Zuruf: nimm die Krone! — Wehrfriz kam abends mit rothem Gesichte vom feurigen Huldigungsmale zurück und Albano nahm von ihm einen bewegten Ab¬ schied, gleichsam von der Ebbe und Windstille des Lebens, von der kindlichen Jugend; denn heute tritt er tiefer in die Wellen desselben. Schoppe kam zurück und wollte ihn vor das Loch seines Guckkastens haben, worin er die Vikariats- Huldigung in Klosterdorf in komischen Bildern vorbeischob; aber diese stachen zu hart mit hö¬ hern ab und machten wenig Glück. Nachts legte Albano seine schöne ernste Karaktermaske an, die eines Tempelherrn — zu einer komischen war seine Gestalt und fast seine Gesinnung zu groß —; die letztere wurde noch feierlicher durch dieses Todtenkleid eines ganzen ermordeten Ritterordens. Nach¬ dem er sich noch einmal die schauerlichen Gänge des Tartarus und die Begräbnißstätte des Fürstenherzens wegen des nächtlichen Verir¬ rens beschreiben lassen: so gieng er um 10 Uhr fort mit einer hochschlagenden Brust, welche die Nachtlarven der Phantasie und die Freund¬ schaft und die Liebe und die ganze Zukunft vereinigt aufregten. 50. Zykel. Albano trat zum erstenmale in die ver¬ kehrte Marionettenwelt einer Retude wie in ein tanzendes Todtenreich. Die schwarzen Ge¬ stalten — die aufgeschlitzten Larven — die dar¬ hinter wie aus der Nacht blickenden fremden Augen, die wie an jenem zerstäubten Sultan im Sarge allein lebendig blieben — die Ver¬ mischung und Nachäffung aller Stände — das Fliehen und Ringrennen des klingenden Tanzes und seine eigne Einsiedelei unter der Larve, das versetzte ihn mit seiner shakespear¬ schen Stimmung in eine Zauber- und Geister- Insel voll Gaukeleien, Schattenbilder und Ver¬ wandlung. Ach das ist das Blutgerüste, dacht' er zuerst, wo der Bruder deiner Liane sein jun¬ ges Leben wie ein Trauergewand zerriß; und er sah bange umher, als fürcht' er, Roquairol versuche wieder den Tod. Unter den Masken fand er keine, worun¬ ter er ihn vermuthen konnte; — diese geistlose Vetterschaft von stehenden Rollen, die Läufer, die Fleischer, die Mohren, die Altvordern ꝛc., diese konnten keinen Geliebten Albano's verber¬ gen. Einsam und umherblickend schritt er hin¬ ter den Reihen der Anglaise auf und ab; und mehr als zehn Augen, die gegenüber in der ringförmigen Finsterniß der Spitzenmaske blitz¬ ten — denn die Weiber lieben aus Offenherzigkeit die Masken nicht, sondern zeigen sich gern — folgten der kräftig und geschmeidig gebaueten Gestalt, die mit dem kühnen Helme und Feder¬ busche, mit dem bekreuzten weißen Mantel und dem Panzerglanze auf der Brust einen Ritter aus der heroischen Zeit zu bringen schien. Endlich gieng eine verlarvte Dame, die zwischen unverlarvten plauderte, mit großen Schritten und Füßen auf ihn zu und faßte keck wie zum Tanze seine Hand. Er war äußerst verlegen über die Kühnheit der Aufforderung und über die Wahl der Antwort; gerade die Tapferkeit ist gern mit Galanterie vermählt, wie die Damaszener Waffe außer der Härte noch einen ewigen parfümirten Geruch besitzt; — aber die Dame schrieb nur die Frage nach seinem Namen — v. C. ? — in die Hand; und nach dem Ja sagte die reizende leise: „kennen Sie „mich nicht mehr? — den Exerzizienmeister von „Falterle?“ Albano bezeugte, ungeachtet sei¬ nes Widerwillens gegen die Rolle, eine wahre Freude über den Fund eines Jugend-Genossen. Er fragte, welche Maske der Oberst Roquai¬ rol sey; Falterle versicherte, er sey noch nicht da. Nun giengen — da die Läufer, die Flei¬ scher, Falterle u. s. w. nur die Schneeglöckchen dieses Retudenfrühlings waren — schon bessere Blumen, Veilchen, Vergißmeinnicht und Pri¬ meln auf oder herein. Für ein solches Vergi߬ meinnicht seh' ich einen hereinkommenden, hin¬ ten und vornen ausgewachsenen und wie ein Brennglas konvexen Kerl an, der bald das Hintergebäude öffnete und Konfekt aus dem Buckel ausschüttete und dann das Vorderge¬ bäude, und Bratwürste gebar. Hafenreffer aber schreibt, die Invenzion sey schon einmal auf einer Wiener Retude gewesen. Dann kam eine Gesellschaft deutscher — Spielkarten, die sich selber mischten und ausspielten und stachen; ein schönes Sinnbild des Atheismus, das ihn ganz ohne das Ungereimte darstellt, womit man ihn so gern beschmitzte! — H. von Au¬ gusti erschien auch, aber im einfachen Kleide und Domino; er wurde (dem Grafen unbe¬ greiflich) sehr bald der Polarstern der Tänzer und der regierende kartesianische Wirbel der Tanzschule. Mit welchem elenden schwarzen Kommis¬ und Bettelbrode von Freude — dachte Albano, dem den ganzen Tag seine Träume, diese Tau¬ ben Jupiters, Götterbrod zutrugen — kommen diese Menschen aus! — Und wie kahl und fahl ist ihr Feuer, ihre Phantasie und Sprache, (dacht' er dazu) ein wahres Leben unten in einer finstern Gletscherspalte! denn er glaubte, jeder müsse so angespannt und glühend sprechen und fühlen wie er. — Jetzt kam ein hinkender Mann mit einem großen Glaskasten auf dem Bauche; — frei¬ lich war der Bibliothekar leicht zu kennen; er hatte — entweder weil er zu spät nach einem Domino schickte oder keinen bezahlen wollte — vom Leichenmäntel-Verleiher etwas Schwarzes an und war von der Achsel bis auf das Schien¬ bein mit gräulichen Masken besetzt, die er mit vielen Fingerzeigen meistens den Leuten antrug, die hinter entgegengesetzten agirten, z. B. lang¬ nasigen kurznasige. Er wartete auf den Anfang einer Hopsanglaise, deren Noten gerade auf der Spielwalze seines Kastens standen; dann fieng er auch an; er hatte darin eine treffliche von Bestelmaier gehobelte Puppen-Retude und ließ nun die kleinen Larven hopsen parallel mit den großen. Es war ihm um vergleichende Anatomie beider Maskeraden zu thun und der Parallelismus war betrübt. Dabei hatt' ers noch mit Beiwerken aufgeputzt — kleine Stum¬ men schwenkten im Kasten ihr Glöcklein — ein ziemlich erwachsenes Kind schüttelte die Wiege eines unbelebten Püppchens, womit das Närr¬ chen noch spielte — ein Mechanikus arbeitete an seiner Sprachmaschine, durch welche er der Welt zeigen wollte, wie weit bloßer Mechanis¬ mus dem Leben der Puppen nachkommen könne, — eine lebendige weiße Maus Spielet er damit auf die fürchterliche weiße Gestalt in meiner Vision von der Vernich¬ tung an? sprang an einem Kettchen und hatte viele vom Klub umgeworfen, falls sie es zerrissen hätte — ein lebendiger eingesargter Staar, eine wahre erste griechische Komödie und Lästerschule im Klei¬ nen, verübte an der Tanzgesellschaft den Zun¬ gentodtschlag ganz frei und distinguirte nicht — eine Spiegelwand ahmte die lebendigen Szenen des Kastens täuschend nach so daß je¬ der die Bilder für wahre Puppen nahm. — — Auf Albano traf die Schneide dieses ko¬ misch-tragischen Dolches senkrecht genug, da ihm ohnehin das hüpfende Wachsfigurenkabi¬ net der großen Retude die Einsamkeit des Menschen zu verdoppeln und zwei Ichs durch vier Gesichter zu trennen schien; aber Schoppe gieng weiter. In seinem Glasschranke stand eine Pha¬ raobank und daneben ein Männchen, das den verlarvten Banquier in schwarzes Pappier ausschnitt, aber dem deutschen Herrn ähnlich; diese Schilderei trug er ins Spielzimmer, wo eine bankhaltende Maske — ganz gewiß Ze¬ sisio — ihn hören und sehen mußte. Der Ban¬ quier sah ihn einigemal fragend an. Dasselbe that eine ganz schwarz gekleidete Maske mit einer sterbenden Larve, die das hippokratische Gesicht vorstellte So heißet die Gestalt eines Sterbenden. . Albano sah feurig nach ihr, weil ihm vorkam, es könne Roquairol seyn, denn sie hatte dessen Wuchs und Fackel¬ auge. Die bleiche Larve verlor viel und ver¬ doppelte immer den Verlust; dabei trank sie aus einem Federkiele unmäßig Champagner Wein. Der Lektor kam dazu; Schoppe spielte vor den zulaufenden Augen weiter; die bleiche Larve sah unverrückt und strenge den Grafen an. Schoppe nahm vor Bouverot seine eigne herab, — aber eine Unterzieh-Maske saß dar¬ unter — er zog diese aus — eine Unterzieh¬ Maske der Unterzieh-Maske erschien — er triebs fort bis zur fünften Potenz — endlich fuhr sein eignes höckeriges Gesicht hervor, aber mit Goldschlägergold bronzirt und sich gegen Bouverot fast fürchterlich-gleissend und lä¬ chelnd verziehend. Die bleiche Larve selber schien zu stutzen und eilte mit weiten Schritten weg in den Tanzsaal; sie warf sich wild in den wildesten Tanz. Auch das bewährte Albano's Vermu¬ thung so wie ihr großer trotzender Hut, der ihm eine Krone schien, weil er an dem männ¬ lichen Anzuge nichts höher schätzte als Pelz, Mantel und Hut. — Immer mehrere Finger zogen die Lettern v. C. in seine Hand und er nickte unbeküm¬ mert. Die Zeit umgab ihn mit vielfachen Dramas und überall stand er zwischen Theater- Vorhängen. Als er mit dem unruhigen Kopfe und Herzen ins Bogenfenster trat, um zu se¬ hen, ob er bald Mondschein für seinen Nacht¬ gang habe: so sah er über den Markt einen schweren Leichenwagen zwischen Fackeln ziehen, der einen Rittergutsbesitzer seiner Familien¬ gruft zufuhr; und der ungestörte Nachtwächter rief dem schleichenden Todten den Anfang der Geister- und einer uns theuren Geburtsstunde nach. Mußte nicht sein getroffnes Herz es ihm sagen, wie der harte, feste, unauflösbare Tod mit seiner Gletscherluft so scharf durch die warmen Szenen des Lebens rückt und alles, worüber er wegweht, hinter sich starr lässet und schneeweis? — Mußt' er nicht an die er¬ kaltete junge Schwester denken, deren Stimme jetzt jetzt seiner im Tartarus wartete? — Und als Schoppe mit seiner Puppen-Travestirung zu ihm kam und er ihm die Gasse zeigte und die¬ ser sagte: „ bon ! der Freund Hain sitzt auf sei¬ „nem Pürschwagen und guckt ruhig herauf als „wolle der Freund sagen: bon ! tanzt nur zu, „ich fahre retour und bring' euch auch an Ort „und Stelle“ — wie mußt' es ihm so enge wer¬ den unter dem schwülen Visier! — In dieser Sekunde kam die bleiche Larve mit andern ins Fenster — er öffnete das glühende Gesicht der Kühlung — ein schneller Weintrunk und noch mehr seine Phantasie zeigte ihm die Welt in brennenden Oberflächen — die Larve beschauete ihn nahe mit einer ungewissen dunkeln Augen- Gluth, die er am Ende nicht länger vertrug, weil sie eben so gut vom Hasse als von der Liebe angezündet seyn konnte, so wie Sonnen¬ flecken bald Gruben, bald Gebürgen ähnlich schienen. — Eilf Uhr war vorbei, er entwich plötzlich den heißen Blicken und dem kreischenden Ge¬ dränge und begab sich auf den Weg zum Her¬ zen ohne Brust. Titan. I . J i 51. Zykel . Indeß er am Thore auf seinen Degen wartete: lief eine Gruppe neuer Masten, (mei¬ stens Repräsentanten der Leblosigkeit, z. B. ein Stiefel, ein Perückenstock u. s. w.) — in die Stadt und sie guckten verwundert den fremden weißen langen Ritter an. Er nahm den De¬ gen mit, aber nicht den Bedienten. Übrigens ließ ihm sein Karakter bei aller Gefahr, worein der Besuch eines abgelegnen düstern Katakom¬ benganges und das fremde Vorauswissen die¬ ses Besuches ihn stürzen konnte, doch keine an¬ dre Wahl als die getroffne; nein, er hätte sich lieber morden lassen als vor seinem Vater geschämt. Wie stieg dein Geist empor, gleich einem Blitze, der aufwärts gegen den Himmel hinein¬ schlägt, als die große Nacht mit ihrem Heili¬ genscheine aus Steinen aufgerichtet vor dir war! — Unter dem Himmel giebt es keine Angst, nur unter der Erde! Breite Schatten legten sich ihm in den Weg nach dem Elysium, den am Sonntage Thautropfen und Schmet¬ terlinge färbten. In der Ferne wuchsen feurige Zacken aus der Erde und giengen; es war der Leichenwagen mit den Fackeln in der tiefen Straße. Als er an den Scheideweg kam, der durch die Schloßruinen in den Tartarus führt: sah er sich nach dem Zauberhaine um, auf dessen gewundner Brücke ihm Leben und Freu¬ denlieder begegnet waren; alles war stumm darin und nur ein langer grauer Raubvogel (wahrscheinlich ein papierner Drache) drehte sich darüber hin und her. Er kam durch das alte Schloß in einen abgesägten Baumgarten, gleichsam ein Baum¬ kirchhof; dann in einen bleichen Wald voll ab¬ geschäälter Maienbäume, die alle mit verblüh¬ ten Bändern und erblaßten Fahnen gegen das Elysium sahen; — ein verdorrter Lusthain so vieler Freudentage. Einige Windmühlen griffen mit langen Schattenarmen dazwischen, um im¬ mer zu fassen und zu schwinden. Ungestüm lief Albano eine von Überhän¬ gen verfinsterte Treppe hinab und kam auf ein altes Schlachtfeld, — eine dunkle Wüste mit einer schwarzen Mauer, nur von weißen Gyps¬ köpfen durchbrochen, die in der Erde standen Ji 2 als wollten sie versinken oder auferstehen — ein Thurm voll blinder Thore und blinder Fenster stand in der Mitte und die einsame Uhr darin sprach mit sich selber und wollte mit der hin- und hergeführten eisernen Ruthe die immer wiederzusammenrinnende Welle der Zeit aus¬ einander theilen — sie schlug drei Viertel auf 12 Uhr und tief im Walde murmelte der Wie¬ derhall wie im Schlafe und sagte noch einmal leise den entfliegenden Menschen die fliegende Zeit. Der Weg umlief im ewigen Kreise ohne Pforte die Gottesackermauer; Alban mußte, nach der Nachricht, eine Stelle an ihr suchen, wo es unter ihm brausete und schwankte. Endlich trat er auf einen mit ihm sinken¬ den Stein, da fiel ein Ausschnitt der Mauer um und ein verstrickter Wald aus Baumklum¬ pen, deren Stämme sich in Buschwerk einwik¬ kelten, war vor jeden Stral des Mondes ge¬ wälzt. Als er unter der Pforte sich umsah, hieng über der schattigen Treppe ein bleicher Kopf gleich einer Büste des Mordfeldes und gieng ohne Körper herab und die verbluteten Todten schienen aufzuwachen und ihm nachzu¬ laufen — der kalte Höllenstein des Schauders zog sein Herz zusammen; er stand; — der Lei¬ chenkopf schwebte unbeweglich über der letzten Staffel. Auf einmal sog das Herz wieder warmes Blut, er wandte sich gegen den unförmlichen Wald mit gezogenem Degen, weil er sein Leben neben dem bewaffneten Tode vorbeitrug. Er folgte in der Finsterniß der grünenden Thürme dem Getöse des unterirrdischen Flusses und dem Wiegen des Bodens. Zum Unglück sah er sich wieder um und der Leichenkopf stand noch hin¬ ter ihm, aber hoch in den Lüften auf dem Rumpfe eines Riesen. — — Der höchste Schau¬ der trieb ihn allzeit mit zugedrückten Augen auf ein Schreckbild los; er rief zweimal durch den hallenden Wald: wer ist da? Aber als jetzt auf einmal ein zweiter Kopf neben dem ersten zu stehen schien: so klebte seine Hand an dem eiskalten Schlosse der Pforte der Todten¬ welt gefroren an und er riß sie blutig ab. — Er floh und stürzte durch immer dichtere Zweige endlich hinaus in einen freien Garten und in den Glanz des Mondes; — hier, ach hier als er den heiligen unsterblichen Himmel und die reichen Sterne im Norden wieder schimmern sah, die nie auf und untergehen, den Pol-Stern, und Friedrichs Ehre, die Bä¬ ren und den Drachen und den Wagen und Kassiopeja, die ihn mild wie mit den hellen winkenden Augen ewiger Geister anblickten: da fragte der Geist sich selber, „wer kann mich „ergreifen, ich bin ein Geist unter Geistern;“ und der Muth der Unsterblichkeit schlug wieder in der warmen Brust. — — Aber welcher sonderbare Garten! Große und kleine blumenlose Beete voll Rosmarin, Raute und Taxus zerstückten ihn — ein Kreis von Trauerbirken umgab wie ein Leichenge¬ folge gesenkt den stummen Platz — unter dem Garten murmelte der begrabne Bach — und in der Mitte stand ein weißer Altar, neben wel¬ chem ein Mensch lag. Albano wurde gestärkt durch die gemeine Kleidung und durch den Handwerksbündel, worauf der Schläfer ausruhte; er trat ganz dicht an ihn, und las die goldne Inschrift des Altars: „nimm mein letztes Opfer, Allgüti¬ „ger!“ — Das Herz des Fürsten sollte hier zur Asche werden im Altare. Ach nach diesen starren Szenen linderte es seine Seele bis zu Thränen, hier Menschen¬ worte zu finden und einen Menschenschlaf und die Erinnerung an Gott; aber als er gerührt dem Schläfer zusah, sagte ihm plötzlich die Schwesterstimme, die er auf Isola bella gehört, leise ins Ohr: Linda de Romeiro geb' ich dir. — — Ach guter Gott! rief er und fuhr herum — und nichts war um ihn — und er hielt sich an die Altarecke — „Linda de Romeiro geb' ich dir“ sagte es wieder — fürchterlich packte ihn der Ge¬ danke, der schwebende Leichenkopf rede neben ihm — und er riß am festen Schläfer, der nicht erwachte — und riß und rief noch gewaltsa¬ mer, als die Stimme zum drittenmale sprach. „Wie? — (sagte der Schlaftrunkene) Gleich! „— Was will Er? — Sie?“ und richtete sich unwillig und gähnend auf, aber er fiel bei dem Anblicke des nackten Degens wieder auf die Kniee und sagte: „Barmherzigkeit! ich will ja „alles hergeben!“ — „Zesara!“ rief es im Walde, „Zesara, wo „bist du?“ und er hörte seine eigne Stimme; aber kühn rief er nun zurück: am Altare! — Eine schwarze Gestalt drang heraus mit einer weißen Maske in der Hand, und stockte im Mondlichte vor der bewaffneten; da erkannte endlich Albano den Bruder Lianens, nach dem er so lange gelechzet — er schleuderte den De¬ gen zurück und lief ihm entgegen — Roquairol stand stumm, bleich und mit einer erhabnen Ruhe auf dem Gesichte vor ihm — Albano blieb nahe stehen und sagte gerührt: hast du mich gesucht, Karl? — Roquairol nickte stumm und hatte Thränen in den Augen und öffnete die Arme. — Ach da konnte der seelige Mensch mit allen Flammen und Thränen der Liebe an die langgeliebte Seele stürzen und er sagte un¬ aufhörlich: nun haben wir uns, nun haben wir uns! Und immer heftiger umschlang er ihn wie den Pfeiler seiner Zukunft und strömte in Thrä¬ nen hin, weil ja nun die verschlossene Liebe so langer Jahre, und so viele zugedrückte Quellen des armen Herzens auf einmal fließen durf¬ ten — Roquairol drückte ihn nur zitternd an sich und leise mit Einem Arme; und sagte, aber ohne Heftigkeit: „ich bin ein Sterbender und „das ist mein Gesicht (indem er die gelbe „Todtenmaske emporhielt), aber ich habe mei¬ „nen Albano und ich sterbe an ihm.“ Sie verstrickten sich wild — das Mark des Lebens, die Liebe, durchdrang sie schöpfe¬ risch — der Boden über dem rollenden Erden¬ flusse wankte heftiger — und der Sternenhim¬ mel zog mit dem weißen Zauberrauche seiner zitternden Sterne die magische Gluth — — Ach ihr Glücklichen! — 52. Zykel. Einige Menschen werden verbunden gebo¬ ren, ihr erstes Finden ist nur ein zweites und sie bringen sich dann als zu lange Getrennte nicht nur eine Zukunft zu, sondern auch eine Vergangenheit; — die letztere forderten einan¬ der die Glücklichen ungeduldig ab. Roquairol antwortete auf Albans Frage, wie er hieher komme, mit Feuer: „er sey ihm diesen ganzen „Abend gefolgt — er habe ihn am Fenster „unter dem Leichengepränge so peinlich-schmach¬ „tend angeschauet und beinahe umarmen müs¬ „sen — er sey schon vorhin dicht an ihm ge¬ „standen und habe auf seine Frage: „wer da,“ „sogleich die Maske abgethan.“ — — Jetzt griff wieder Albanos gefallner Arm straff durch das dünne Schattenspiel der Geisterfurcht, da er nun erfuhr, der zweiköpfige Riese sey bloß vom optisch-vergrößernden Wahne der Ferne einer so nahen Gestalt erwachsen, und der Lei¬ chenkopf habe auf der Treppe seinen Rumpf nur eingebüßt durch die finstern Überhänge und durch die schwarze Bekleidung; sogar die harte Geisterszene am Altare schien ihm jetzt bezwing¬ licher durch den reichen Gewinnst der lebendi¬ gen Liebe. Roquairol fragte ihn, welche Quaal oder Freude ihn in der Mitternacht hierher auf einen herrnhutischen Gottesacker getrieben und wohin er den Menschen mit dem Degen abgeschickt. Albano wars unbekannt, daß hier Herrnhuter ruhen; und eben so hatt' er den wahrscheinlich aus Furcht des Gebrauchs ver¬ übten Diebstahl des Degens nicht bemerkt. Er antwortete: „meine todte Schwester wollte am „Altare mit mir reden; und sie hat geredet“ aber er fürchtete sich, mehr davon zu sprechen. Da änderte sich plötzlich Roquairols Gesicht — er starrte ihn an und forderte Betheuerung und Erklärung — unter dieser schauete er in die Luft als wollt' er aus ihr durch Blicke Gesich¬ ter ziehen und sagte, indem er doch Albano an¬ sah, eintönig: „Todte, Todte, rede wieder!“ — Aber nur der Todtenfluß redete unter ihnen fort und nichts weiter. Aber er warf sich vor dem Altare auf die Kniee und sagte vermessen und doch mit bebenden Lippen: „spring′ auf „Geisterpforte und zeige deine durchsichtige „Welt — ich fürcht' euch Durchsichtige nicht, ich „werde einer von euch, wenn ihr erscheint, und „gehe mit und erscheine auch.“ — „O mein Gu¬ „ter, lasse nach,“ bat Albano nicht nur aus Got¬ tesfurcht, auch aus Liebe; denn ein Zufall, ein vorüberschießender Nachtvogel konnte sie ja durch ein Entsetzen tödten; — auch stand dieses Entsetzen nicht weit von ihnen; denn auf der er¬ leuchteten Seite der Trauerbirken trat eine ma¬ jestätische weiße alte Gestalt heraus. Aber da Roquairol, durch Wein und Phantasie wahnsin¬ nig, die sterbende Larve in die Lüfte reichte und gegen das Grab des Herzens sagte: „nimm die¬ „ses Gesicht, wenn du keines hast, alter Mann, „und blicke mich an hinter ihr!“ so riß ihn Albano auf — die weiße Gestalt trat mit ge¬ bücktem Kopfe und gefalteten Händen in die Zweige zurück — der runde Thurm auf dem Schlachtfelde schlug die Stunde aus und die träumende Gegend schlug sie murmelnd nach. „Komm an mein warmes Herz, du heftige „Seele, — o daß ich dich gerade an meinem „Geburtstage in meiner Geburtsstunde erhal¬ „ten durfte!“ — Dieser Laut schmolz auf ein¬ mal den immer wechselnden Menschen und er hieng sich mit nassen Freudeuaugen an ihn und sagte: „— und bis in unsre Sterbe¬ „stunden hinein! O sieh mich nicht an, du Un¬ „veränderlicher, weil ich so schwankend und ge¬ brochen erscheine — in den Wogen des Lebens „bricht sich und ringelt sich der Mensch wie „der Stab im Wasser flattert, aber das Ich „steht doch fest wie der Stab. — Ich will dir „folgen in andre Orte des Tartarus; aber er¬ „zähle auch die Geschichte.“ Diese Geschichte geben, hieß ein Allerheilig¬ stes des Innern oder auch einen Sarg dem Tageslichte öffnen; aber glaubt ihr, daß Al¬ bano sich eine Minute bedachte? Oder ihr sel¬ ber? — Wir sind alle bessere, offnere, wär¬ mere Freunde als wir wissen und zeigen; es begegne euch nur der rechte Geist wie ihn die dürstende Liebe ewig fordert, rein, groß, hell, und zart und warm, dann gebt ihr ihm alles und liebt ihn ohne Maaß weil er ohne Fehler ist. Albano fand in diesem Fremdlinge den er¬ sten Menschen, der sein ganzes Herz mit glei¬ chen Tönen erwiderte, das erste Auge, das seine schüchternen Gefühle nicht flohen, eine Seele, vor deren erster Thräne aus seinem ganzen künftigen Leben Blumen auffuhren wie aus den trocknen Wüsten heißer Länder unter der Regenzeit; — daher gab die Liebe seinem starken Geiste nur die gleiche weite Bewegung eines Meeres, indeß der obwohl ältere und länger gebildete Freund ein Strom mit Was¬ serfällen war. Karl führte ihn in die sogenannte Kata¬ kombe, indeß er der Geistergeschichte von Isola bella zuhörte, aber, von der vorigen erschöpft, mit fallender Furcht. Ein ödes verkohltes Thal voll offner verfallner Schachte sonnte sich grau im Mondscheine; aus dem Walde kroch unter ihren Füßen der Todtenfluß hervor und sprang auf eine steinerne Treppe in die Katakomben hinein; beide folgten ihm auf einer darneben. Der Eingang trug als Stirnblatt ein altes Zifferblatt, wovon einmal der Donner gerade die Stunde Eins weggeschlagen: „Eins? „(sagte Alban) Sonderbar! Gerade unsre künf¬ „tige Stunde?“ Wie abentheuerlich zieht sich die Katakombe fort! Der lange Todtenfluß murmelt verfinstert tief hinein und blitzt zuweilen unter dem silbernen Dampfe, den das Mondlicht durch die Schacht¬ löcher hereintreibt — feste Thiere, Pferde, Hunde, Vögel stehen saufend am finstern Ufer, näm¬ lich ihre ausgepolsterten Häute — schmale von der Zeit geschleifte Leichensteine mit wenigen Namen und Gliedern sind das Pflaster — an einer hellern Nische lieset man, daß hier eine Nonne eingemauert gewesen — in einer an¬ dern steht das vererzte Skelet eines verschütte¬ ten Bergmanns mit vergoldeten Rippen und Schenkeln — an zerstreueten Orten waren schwarze Papierherzen arquebusirter Menschen und Blumensträußer armer Sünder gesammlet, die Ruthe, die einen Begnadigten durch Be¬ streifen getödtet, eine gläserne Büste mit einem Phosphorpunkte im Wasser, Westerhemdchen und andre Kinder-Kleider und Spielwaaren und ein Zwergskelet — — — Als ihm Roquairols erklärende Worte, dessen Lebensweg immer in Grüfte hinab und auf Gräber hinauflief, das Leben immer durch¬ sichtiger und flitterhafter schlugen: so fuhr Ze¬ sara nach seiner Art auf einmal kopfschüttelnd, die Brust vorhebend, in den Sand einstam¬ pfend, und fluchend (was er leicht im Erschrek¬ ken und in großer Rührung that) mit den Worten auf: „beim Teufel! — Du zerdrückst „mir und dir die Brust. Es ist ja nicht so! „Sind wir nicht beisammen? Hab' ich nicht „deine warme lebendige Hand? Brennt in uns „nicht das Feuer der Unsterblichkeit? Ausge¬ „brannte Kohlen sind diese Gebeine und weiter „nichts; und das himmlische Feuer, das sie „zerlegte, hat wieder andres Brennholz ergriffen „und lodert fort.“ — „O, (setzt' er wie getröstet „dazu und trat in den Bach und blickte durch die „Schacht-Öffnung zum reichen Monde empor, „der vom Himmel herunterströmte und seine „großen Augen standen voll Glanz,) o, es ist ein „Himmel und eine Unsterblichkeit — wir bleiben „nicht in der dunkeln Höhle des Lebens — wir „ziehen auch durch den Äther wie du, du glän¬ „zende Welt!“ „Ach du Herrlicher (sagte Karl, dessen „Seele aus Seelen bestand) ich will dich nun „auch zu einer frohern Stelle bringen.“ — Sie waren kaum acht Schritte weg, als es sich hinter ihnen verdunkelte und ein oben hereingeworfener Degen aufrecht mit der Spitze in den Sand der Wellen fuhr. „O du höllischer Teufel dro¬ „ben!“ rief der ergrimmte Roquairol; aber Alban wurde weich über die eiserne Jungfrau der Sterbensstunde, die so nahe an ihm die scharfen Arme zusammengeschlagen hatte. Sie faßten sich wärmer und giengen still und bange einem leisen Getöne und einem Grabhügel ent¬ gegen. Sie setzten sich auf ihn, gegenüber einem mit der quälenden Katakombe einen einen rechten Winkel bildenden Gang, den grünes Moos auslaubte und dessen Länge die zerbrök¬ kelten Funken von faulem Holze bezeichneten. Er verlor sich in eine offne Pforte und Aus¬ sicht ins — Elysium von welchem nur die weis¬ sen Gipfel einiger Silberpappeln zu erkennen waren und in der Ferne sah man das Früh¬ lingsroth der Mitternacht am Himmel blühen und zwei Sterne blitzten darüber. Doch wurde die Pforte vergittert und bewacht durch ein Skelet mit einer Äolsharfe in der Hand, das auf ihr die dünnen Moltöne zu greifen schien, mit denen jetzt der Zugwind in die Höhle floß. „Erzähle hier (sagte Karl an der schönen „Stelle, und neugieriger durch den Mörder¬ „wurf von Albans Degen), das heutige aus!“ Albano berichtete ihm redlich das Wort der Schwesterstimme: „Linda de Romeiro geb' ich „dir.“ Er dachte im Geräusche seines Innern nicht an die Anekdote, daß ja Karl für eben diese als Knabe sterben wollen. „Die Ro¬ „meiro? (fuhr dieser auf) Sey still! — O „diese? — Spielender Scharfrichter du Schick¬ „sal! Warum sie und heute? Ach Albano, „für diese gieng ich früh dem Tode entgegen „(fuhr er weinend fort und sank ihm an die „Brust); und darauf ist mein Herz so schlecht „geworden, weil ich sie verloren habe — „Nimm sie nur hin, denn du bist ein reiner „Geist — die herrliche Gestalt, die dir auf „dem Meere erschien, so sieht sie aus, oder jetzt „noch schöner. — — Ach Albano!“ — Dieser edle Mensch erschrak über die Verwickelung und über das Schicksal und sagte: „nein, nein, du lieber „Karl, du denkst über alles ganz falsch.“ Plötzlich war es als tönten alle Gestirne und ein melodisches Geisterchor dränge unsicht¬ bar durch die Pforte herein; Albano war be¬ troffen. „Nichts, lass' es, (sagte Karl.) Es ist „das Skelet nicht; der fromme Vater geht „im Flötenthale und zieht jetzt seine Flöten, „weil er betet — — Aber wie sagst du, ich „dächte über alles falsch?“ — — „Wie?“ wiederholte Albano und konnte im zauberischen Kreise dieser Nachklänge, die den Sonntags¬ morgen allmächtig wiederbrachten, nicht denken und reden. Wehten denn nicht die Silberpap¬ peln an den Sternen hin und her und Rosenwol¬ ken lagerten sich um den Himmel und das ganze Elysium zog offen vorüber mit den Lauten, die es durchschwebet, mit den Thränen, die es benetzet hatten und mit den Träumen, die kein Herz ver¬ gisset und mit der heiligen Gestalt, die ewig in seinem bleibt? — Die Hand ihres Bruders hielt er jetzt so fest; der Liebe und der Freundschaft, die¬ sen zwei Brennpunkten in der Ellypse der Lebens¬ bahn, war er so nahe; — ungestüm umfassete er den Bruder mit den Worten: „bei Gott, sag' ich „dir, die so du genannt, geht mich nichts an — „und sie wird es nie.“ „Aber, Albano, du kennst sie ja nicht?“ sagte Karl viel zu hart fortfragend; denn der edle Jüngling neben ihm war zu blöde und zu fest, dem Verwandten der Geliebten — einem Fremden viel leichter — das Heiligthum seiner Wünsche auszuschließen. „O martere du „mich nicht! (antwortete er empfindlich; aber er „setzte sanfter hinzu) glaube mir doch das „erstemal, mein guter Bruder!“ — Karl gab eben so selten nach wie er und sagte, obwohl den Fragton verschluckend und recht liebend, doch dieses: „bei meiner Seeligkeit, ich thu' „es; und mit Freude — ein Herz muß herrlich¬ „geliebt und göttlich-glücklich seyn, das ein sol¬ „ches entbehren kann.“ Ach weiß denn das Albano? — Nur schweigend lehnt' er sich mit der Feuerwange voll Rosen an Lianens Bru¬ der, verschämt das Erforschen scheuend; bloß als die schwindenden Rufe des Flötenthals sich wie Seufzer in seiner Brust versammelten und ihn zu oft erinnerten, wie der Sonntagsmor¬ gen schloß, wie Liane wich und wie er ihr mit nassen dunkeln Blicken vom Altare nachsah: so brach sein Auge, obwohl nicht sein Herz und er weinte heftig, aber schweigend an seinem ersten Freunde. — Dann kehrten sie mit stummen Seelen nach Hause und schaueten sinnend den langen schwindenden Wegen der Zukunft nach; und als sie schieden, fühlten sie wohl, daß sie sich recht von Herzen liebten, nämlich recht schmerz¬ lich. — — Am Morgen darauf lag der fromme Vater an einer Erschütterung darnieder, die mehr seelig als traurig war; denn er sagte, er habe in der Nacht seinen Freund, den ver¬ storbenen Fürsten weißgekleidet im Tartarus gehen sehen. — Ende des ersten Bandes.