Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Erste Sammlung von Fragmenten . Eine Beilage zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. 1767 . Jnhalt der ersten Sammlung. I. Einleitung: die von einem allgemeinen Gemaͤl- de der Deutschen Litteratur traͤumt, und nach die- sem Traume, die allgemeine Deutsche Bibliothek, die Bibliothek der schoͤnen Wissenschaften und die Briefe uͤber die neueste Litteratur zu pruͤfen ver- sucht. S. 3. II. Fragmente von Abhandlungen: 1. Die Sprache ist ein großer Theil der Litteratur: Allgemeines Projekt fuͤr einen Philosophen uͤber die Deutsche Sprache. 19 2. Ueber die verschiednen Lebensalter einer Spra- che: von ihrem Poetischen, Prosaischen und Phi- losophischen Zeitpunkte, von denen jener dem hoͤchsten Punkte der Schoͤnheit, der lezte der Stufe der Vollkommenheit sich naͤhert: der mittlere das Alter der Behaglichkeit ist. 23 3. Hiedurch bekommen viele Urtheile uͤber den Zu- stand der Sprache eine andere Richtung: Probe an zween Klopstockischen. 33 4. Und noch mehr die Plane zur Verbesserung ei- ner Sprache. 38 5. Ueber die Philosophischen Sprachenverbesserer: insonderheit uͤber die Sulzerschen Vorschlaͤge in dieser Art. 40 6. Jst es gut, daß eine Sprache ihre Jdiotismen verliert? gut fuͤr die Nation? fuͤr den Sprach- weisen? fuͤr die Schriftsteller? Was die Gott- schedianer, Schweizer, und neuere Virtuosen der Deutschen Sprache fuͤr Gestalt gegeben? 44 7. Parallele zwischen einer richtigen und reichen Sprache; in Vergleichung der Morgenlaͤndischen mit der unsrigen. Pruͤfung der Cramerschen Psalmen in Absicht der Deutschen-Morgenlaͤn- dischen Wiederholungen. 53 8. Ueber die Aesthetischen Sprachenverbesserer, die Uebersezzungen anpreisen. Was koͤnnen wir aus dem Poetischen, Zeitalter der Griechen fuͤr unsre. Spra- Sprache nuzzen? die Sylbenmaaße? die Lenkung des Perioden? die Jnversionen? — Alles aus dem Geist des Zeitalters betrachtet: uͤber die Uebersezzung Homers und Orpheus fuͤr unsre Sprache. S. 62 9. Ueber die Uebersezzungen der Griechischen Prose, fuͤr unsern Historischen und Dialogenstil. 74 10. Ueber die Uebersezzungen aus dem Lateinischen: fuͤr den Poetischen und historischen Ausdruck, nach dem Genie der Sprache und Schriftsteller. 81 11. Von neuern Sprachen: die Rauhigkeit der Deutschen Sprache wird durch Doppellauter und insonderheit Hauche gemildert. Geschichte der Aspi- rationen in verschiednen Sprachen. Von der Deut- schen und Franzoͤsischen Ordnung der Worte. 87 12. Allgemeine Aussicht uͤber die Jnversionen uͤber- haupt. 95 13. Anwendung dieser Aussicht auf neuere Sprachen, die Deutsche und Franzoͤsische vornehmlich. 101 14. Ueber den Deutschen Hexameter, nach der Pro- sodie und dem Genie unsrer Sprache. 108 15. Vorschlaͤge uͤber das Klopstockische freie Syl- benmaas, fuͤr die Dithyrainben, Oden, Lyrischen Gemaͤlde, Kantaten, das Theater und die De- klamation. 126 16. Was haben wir von den Franzosen zu lernen, um unsre langweilige oder dunkele Schreibart auszubessern? Koͤnnen sie das Laͤcherliche bes- ser, als wir, ausdruͤcken? 132 17. Klagen, daß wir so wenigen Vortheil von den Englaͤndern ziehen. 141 18. Charakter unserer Claßischen Schriftsteller: Winkelmanns, Hagedorns, Mosers, Abbts mit Zimmermann, Spaldings mit Acken ver- glichen, des Moses, Leßings und des Verfas- sers der Sokratischen Denkwuͤrdigkeiten. 144 III. Beschluß: von der Jdealschoͤnheit unsrer Spra- che. 162 Ueber Ueber die neuere deutsche Litteratur. A Einleitung (Die einen Traum von einem allgemeinen Ge- maͤlde der deutschen Litteratur enthaͤlt, und An- laß gibt, die allgemeine deutsche Bibliothek, die Bibliothek der schoͤnen Wissenschaften, und die Litteraturbriefe zu pruͤfen.) S o sehr die Schriftsteller der Journaͤle sich uͤber ihre Leser erheben: so sind sie doch beide mit einander Zwillinge eines Schicksals. Beide jagt die liebe Goͤttin Langeweile, die Mutter so vieler Menschen und menschlichen Werke, in die Arme der Musen; beide fliehen aus Eckel uͤber Ar- beit oder Muße, uͤber politische Neuig- keiten und Schriftstellerey, in den Schoos der Goͤttin Critik, um sich hier durch einen wachenden Schlummer zu zerstreuen und zugleich auch zu sammlen. Man wird ein Verfasser, oder ein Leser der Journaͤle, um die Ruhe und Geduld zu erlangen, die einem verwundeten Sohne des Mars oder der Pallas sehr eifrig zu empfehlen ist S. Vorrede zu den Litter. Br. . Die A 2 Lit- Litteraturbriefe waren im Anfange ein Zeitvertreib eines kranken Officiers, nach- her des kranken Publikums, und oft auch kranker und ermuͤdeter Verfasser, die vom Buͤcherlesen muͤde, und aus dem Felde des Autorruhms siech zuruͤckkamen. Daher ist auch unsre Zeit um so viel reicher an Journaͤlen, als sie an Original- werken arm wird. Der junge Schrift- steller nimmt alten Richtern das Brot vor dem Munde weg, weil er glaubt, urtheilen zu koͤnnen, ohne denken zu doͤrfen; Arbei- ten schaͤzzen zu koͤnnen, ohne selbst ein Meister zu seyn. Der Leser wiederum lieset Advokatenberichte, um nicht selbst richten zu duͤrfen; Auszuͤge und Critiken, um keine Buͤcher durchzustudiren. Je mehr Buͤcher, sagt Rousseau, desto weni- ger Weisheit; je mehr Ehebruch, desto weniger Kinder: je mehr Journaͤle, desto minder wahre Gelehrsamkeit. Man laͤuft auf die Maͤrkte, Neuigkeiten zu hoͤren: der Kunstrichter als ein Proselyt der Ge- rechtigkeit; der Leser als ein Proselyt des Thors; und der wahren Buͤrger sind so we- wenig, daß man auch selbst schon zu den Neuigkeiten Fremde braucht. Jndessen denke ich mir ein Journal, das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk, das sich den Plan vorzeichnete zu einem ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung auf das Ganze waͤre, er mag sich im Schatten verbergen, oder aus Licht her- vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die Natur des Titian, mit der Grazie des Correggio und der bedeutungsvollen Jdea des Raphaels zu verbinden suchte: kurz! ein Werk, das eine pragmatische Geschichte im gelehrten Staat wuͤrde, so wie die Annales des Tacitus im politischen Staat diesen hohen Namen verdienen. Man lasse mich meinen Traum verfol- gen! Diesem allgemeinen und einzigen Werke muͤste eine Geschichte der Littera- tur zum Grunde liegen, auf die es sich stuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet sich diese Nation? und zu welcher koͤnnte und sollte sie kommen? Was sind ihre Talente, A 3 und und wie ist ihr Geschmack? Wie ihr aͤus- serer Zustand in den Wissenschaften und Kuͤnsten? Warum sind sie bisher noch nicht hoͤher gekommen, und wodurch koͤnn- te ihr Geist zum Aufschwunge Freiheit und Begeisterung erhalten? Alsdenn ruffe der Geschichtschreiber der Litteratur aus: „Wohlan! Landesleute, diese Bahn lau- fet, und jene Abwege und Steine vermei- det: so weit habt ihr noch, um hierinn den Kranz des Zieles zu erreichen!„ Man stelle ihnen die Alten als Vorlaͤufer, die Nachbarn als Nebenbuhler vor, und su- che die Triebfeder des Nationalstolzes so rege zu machen, als man das National- genie untersucht hat. Kurz! eine solche Geschichte suche das, was sie bey den Al- ten war, zu werden: die Stimme der patriotischen Weisheit und die Verbesse- rin des Volks. Sie suche das in der Lit- teratur zu seyn, was der Schaͤzzer der eng- lischen Sitten und Grundsaͤzze, der re- publikanische Browne, fuͤr den Staat war: eine Stimme patriotischer Weisheit, die Verbesserin seines Vaterlandes. Jetzt Jetzt mache ich den Riß zu dem Ge- baͤude auf diese Grundlage: wiefern wird durch jede merkwuͤrdige Frucht des Gei- stes ein neuer Stein und Pfeiler dazu ge- bracht werden? wie jener ungluͤcklich ge- bauet; dieser das gutgebauete ungluͤcklich niedergerissen? wie jener Handlanger ein Baumeister, und dieser Baumeister ein Kalkloͤscher seyn sollte? wie viel unerkann- tes Verdienst jener stille Fleißige habe, wie viel Aufmunterung dieses Genie ver- diene, um nicht im Fleiße zu ersticken; wie viel Schaden jener Laͤrmer dem Gan- zen zugefuͤget, und wie er auf bessere We- ge zu lenken sey? Dies alles zeige ein Kunstrichter im Plan, der Gelehrte uͤbe es aus, und der Pfleger der Wissenschaf- ten halte jene zur Ausuͤbung an, befoͤrdere den Fleiß, und erwecke das Genie. Wo ist nun ein hundertaͤugiger Argos, um dies alles zu uͤbersehen? Wo ein Bria- reus mit hundert Haͤnden, um es auszu- fuͤhren? Und wo ein Gesezzgeber, wider den auch die eigensinnigen Genies, die Ziegenbaͤrtigen Grammatiker, und der A 4 Poͤ- Poͤbel von Uebersezzern und Systemschrei- bern keine Widerrede haͤtte? Wir arbei- ten in Deutschland wie in jener Verwir- rung Babels; Secten im Geschmack, Par- theien in der Dichtkunst, Schulen in der Weltweisheit streiten gegeneinander: kei- ne Hauptstadt, und kein allgemeines Jn- teresse: kein großer allgemeiner Befoͤrde- rer und allgemeines gesezzgeberisches Ge- nie. Wenn im Homer die Versammlung der Griechen erscheint: so bebt vom Ge- murmel die Erde, und neun schreiende Herolde laufen mit Staͤben umher, sie zu baͤndigen, daß sie die Goͤttersoͤhne, die Koͤ- nige, hoͤren sollen. Da dies Werk fuͤr einen nicht ist; so theile man die Arbeit, oder den Plan. Den Plan? Dies gienge nicht so fuͤglich an. Ein großer Theil der Wissenschaften macht einen Koͤrper, wo man kein einzel- nes Glied nach bloßem Gutduͤnken pfle- gen kann, ohne dem Ganzen zu schaden: und dieser Theil traͤgt den Namen Litte- ratur. Ein weiter Name, dessen Gebiet sich von den ersten Buchstabierversuchen er- erstreckt, bis auf die schoͤnste Blumenlese der Dichtkunst: von der Zuͤchtigung elen- der Uebersezzer nach der Grammatik und dem Woͤrterbuch bis zu den tiefsten Be- merkungen uͤber die Sprache: von der Tropologie bis zu den Hoͤhen, die nur das Sonnenpferd der Einbildungskraft auf Fluͤgeln der Aurore erreicht: von den Handwerkssystemen bis zu den Jdeen des Plato und Leibniz, deren jede, wie ein Sonnenstral, siebenfarbichtes Licht ent- haͤlt: Sprache, Geschmackswissenschaf- ten, Geschichte und Weltweisheit sind die vier Laͤndereien der Litteratur, die ge- meinschaftlich sich zur Staͤrke dienen, und beinahe unzertrennlich sind. So theile man alsdenn die Arbeit? — Nur theile man sie recht, lenke sie recht zusammen, und habe stets das Ganze im Auge. Ein wahrer Kunstrichter in sol- chem Journal muß nicht Buͤcher, sondern den Geist beurtheilen, sie mit ihren Schwaͤ- chen und Groͤßen gegen einander abwaͤgen, und nicht ihr System sondern ihr Urbild verbessern. So lange man nicht Jdeen A 5 in in ihre Quelle zuruͤckzulenken weiß, in den Sinn des Schriftstellers: so schreibt man hoͤchstens wider ihn, und erregt — wenn er sich nicht in unsre Stelle zu sezzen weiß — statt Ueberzeugung, Widerspruch. Wie schwer ists, Proben zu Grundsaͤzzen zuruͤck- zufuͤhren, und Versuche zu Meisterstuͤcken zu erheben; bestaͤndig mit und statt seines Autors denken zu koͤnnen, statt seiner zu arbeiten, und das Ganze nicht aus der Acht zu lassen: wie schwer ists, sich und seinem Schriftsteller, und dem Leser und der Schutzgoͤttin Litteratur ein Gnuͤge zu thun? so schwer, daß mein Plan lange ein Traum meiner Phantasie bleiben wird. Drey Werke sind es, die mit diesem Grundriß eine Aehnlichkeit haben, und die ich also darnach beurtheilen darf. Jst mein Jdeal eigensinnig so zeichne ich, wie es der Gestalt und Schwaͤche meiner Augen erscheint. Sie erheben sich uͤber die uͤbrigen Journaͤle so sehr, als nach Virgils Gleichniß Rom uͤber die Schaͤfer- huͤt- huͤtten und die Cypressen uͤber das Ge- straͤuch. Jndessen kann man doch auch uͤber Rom urtheilen. Die deutsche Bibliothek hat einen zu weiten Plan, um allgemein zu seyn. Da sie sich uͤber die erst gezeichneten Graͤnzen der Litteratur auch den sogenannten hoͤhern Wissenschaften mittheilet: so muß sie die hoͤhern Handwerks- und Kunstwerke nur in einem philologischen Gesichtspunkte zei- gen, der dem gemeinen Leser zwar bequem, aber dem Liebhaber dieses Feldes viel zu entfernt ist. Entweder man befriedigt also den leztern nicht, der sie im ganzen Licht erblicken will: oder man hat dem groͤsten Theil der fremden Leser die Fra- ge vorzulegen: Verstehest du auch, was du liesest? Entweder man thut den Verfas- sern nicht gnug; oder fodert vom exote- rischen Leser ein Pythagoraͤisches αυτος εφα, oder das Sokratische Urtheil, das er uͤber Heraklits Schriften faͤllte: „auch, was ich nicht verstehe, ist gut.„ Jch koͤnnte aus jedem Theil solche Schriften anfuͤhren, die oft blos aus einem Neben- ge- gesichtspunkt betrachtet sind, ja von de- nen man gar nur ein allgemeines, und einseitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in einer allgemeinen Bibliothek stehen sollte. Auf die Art bildet man unvollkommene Polyhistors, aber keine Pansophen der Litteratur: das Werk wird ungleich, und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex toto nihil. Man sieht es jedem Recen- senten an, daß er uns mehr sagen konnte; allein um des Allgemeinen willen muste er sich in der Gottesgelahrtheit auf Tole- ranzpredigten, in der Arznei- und Rechts- lehre auf die Graͤnzen dieser Wissenschaf- ten, und in der Aesthetik auf Auszuͤge einschraͤnken. Gewiß! Recensionen allein, machen noch keine allgemeine Bibliothek aus; Vergleichungen und Aussichten, Beob- achtungen uͤber Fehler und Tugenden, diese karakterisiren den hohen kritischen Geist, der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt. Das ganze Bild der himmlischen Goͤttin lebte stets in der Seele des Zev x es, da er von seinen irrdischen Goͤttinnen Reize borg- borgte. Was in jeder Schrift neu ist, und wozu Pfade eroͤfnet werden; fuͤr wel- che Classe von Lesern jenes und dieses Werk ist; was man wegzuwerfen und auszubes- sern habe, um den Bau des Ganzen zu befoͤrdern — dies heißt eine allgemeine Bibliothek. Und von diesem doͤrfte man bisher nicht eben viel neues in dem gedach- ten Werk wahrgenommen haben. Bloße Auszuͤge, mit einem fluͤchtigen Urtheil uͤber einzelne Saͤzze; Auszuͤge, die gegeneinander nicht immer Ebenmaas ha- ben; Auszuͤge nach Gesezzen und Sazzun- gen, nicht nach dem Genie des Verfassers, und der Wichtigkeit der Sache; sind eine encyklische Gelehrsamkeit, einer Spiral- linie gleich, die um ihren Mittelpunkt laͤuft, um ihn spaͤt zu erreichen.— Jch sehe selbst die Schwuͤrigkeiten ein, die diesen schoͤnen Plan, im Lehnstul ausgeheckt, schwer gnug machen, allein unmoͤglich ist er nicht fuͤr ei- nen Ort, wie Berlin, fuͤr einen Verleger, wie Nicolai ist, und fuͤr Verfasser, wie die meisten bey der Bibliothek sind. Die Die Briefe uͤber die N. Litteratur ha- ben kein Lehrgebaͤude liefern wollen, doch aber nennen sie es ein Gemaͤlde der Litte- ratur s. Schluß der Litt. Br. in den lezten Jahren. Vielleicht koͤnnte man die Briefe uͤber den jetzigen Zustand der schoͤnen Wissenschaften Breslau 1755. in Deutschland fuͤr ihre Grundlage anse- hen; allein auch diese reden blos von Stuͤckwerken von Betrachtungen, wie ich von Fragmenten: und als Gebaͤude wollen sie also ihr Werk nicht beurthei- len lassen. Man dankt es also den Verfassern, daß sie manchmal ihre Lieblingswendun- gen ergreifen, um von einer Sache uͤber- haupt zu schwazzen: Briefeingaͤnge, Praͤ- ludien und Episoden, die mehr werth sind, als ganze Critiken. Warum ists nicht oͤfter geschehen, daß sie die Bibliothek der schoͤnen Wissenschaf- ten zur Basis ihrer Briefe gemacht, wie sie es versprachen. Oft wenn diese, ihres Namens Bibliothek eingedenk, Auszuͤge von von Buͤchern lieferte, die ich mir selbst ma- chen konnte und mußte, waͤre ein freies Urtheil im Geschmack der Litteraturbriefe willkommen gewesen. Vielleicht waͤren oft beider Urtheile verschiedner gefallen, wenn sie sich mehr bemerkt haͤtten: indes- sen bleiben beide Werke die Pendanten zu einander, die manche Nachbarn nicht auf- zuzeigen haben. Die Bibliothek der schoͤnen Wissenschaf- ten ist in ihren Nachrichten von den Aus- laͤndern uns voͤllig und noch mehr als ein Journal étranger; daher ich bey diesen Nachrichten zu lesen anfange und alsdenn die Bibliothek auf gut alt βουστρεφοδον zu- ruͤckpfluͤge. Allein, wenn man diese fremde Nachrichten mehr in Auszuͤge ausbreitete, insonderheit von Buͤchern die oft selbst ei- ne kleine Bibliothek der schoͤnen Wissen- schaften sind? Wenn man einlaͤndische Auszuͤge oft verkuͤrzte, von Buͤchern, die man selbst lesen muß? Wenn man bei die- sen sich vorzuͤglich auf Urtheile, Beobach- tungen und Aussichten beflisse? Wenn die eignen Abhandlungen bestaͤndig eine nahe nahe Beziehung zum Titel des Buchs Haͤtten? Wenn sie oͤfters Gemaͤlde der schoͤnen Kuͤnste und Wissenschaften in Laͤn- dern und Gegenden enthielten, aͤhnliche Schriftsteller verglichen, und einem Sul- zer fertiges Baugeruͤst zu seiner allge- meinen Aesthetik lieferten? Wenn sie an dringender Kuͤrze und schoͤner Gruͤndlich- keit den Mosesschen, Winkelmannischen und Hagedornschen gleich kaͤmen, und in ihrer Wahl fremder Stuͤcke genau waͤren; wenn man die Nachrichten und Urtheile, wie zerstreuete Perlen in einen Halsschmuck sammlen, und bei der Critik der Dichter haͤrter seyn wollte — ich gestehe es frei- lich, daß man eher eine Reihe von Ein- wendungen mit dem Worte Wenn ma- chen, als dies Wenn ausbessern kann. Die Litteraturbriefe haben mehr Urtheil; allein schaͤzzen sie nicht die Merkwuͤrdigkeit gewisser Werke beinahe blos nach dem Maas, wie sie dabei Raum zum eignen Urtheil, zur Strafe und Spekulationen fin- den? Das Publikum war verwoͤhnt, bei allen wichtigen Werken ihre Stimme zu er- erwarten, und ihr Correspondent wird doch gewiß mit andern Journaͤlen haben buh- len muͤssen, um die Merkwuͤrdigkeiten alle zu erfahren. — Jhre Philosophie ist nach dem Ausspruche Cicerons: „Philoso- phire! aber mit wenigem„ und diese Maͤs- sigung hat sie, als Leitband, vor dem Sin- ken bewahrt. Jn dessen faͤllt es mir ein, daß einst in Athen zween Kuͤnstler stritten; jener betrog die Voͤgel, und dieser gar seinen Miteiferer, der nach dem Vorhange grif, und blos ein Gemaͤlde ertappete. Wenn die Litteraturbriefe in ihren Urtheilen oft einfaͤltige Leser bei dem Naschen zum be- sten haben, so geht dies noch hin; wenn aber der Ordensbruder, der Philosoph selbst, nach ihren allgemeinen Anmerkun- gen greift und sie verschwinden; so ists beinahe wider die Zunftgesezze. Beide Werke, die ich ohngeachtet ihrer Verschiedenheit vergleiche, haben sich in- dessen alle beide um den deutschen Ge- schmack sehr verdient gemacht, und werden merkwuͤrdig seyn, wenn gleich die Nach- B rich- richten des einen und der homiletische Ei- fer des andern nicht mehr zum Neuesten der Litteratur gehoͤren werden. Jch liefere die vornehmsten Stellen der Litteraturbriefe ausgezogen, und betrach- tet: daher kann meine Arbeit vielleicht fuͤr einen Realauszug aus denselben gel- ten. Wenn ich ihnen widerspreche oder beistimme, citire ich blos, und uͤberlasse dem Leser, der jenes Werk besizzet, die Ci- tationen selbst aufzuschlagen. So vermei- de ich den Ton eines Tadlers und Lobred- ners, und spreche mit einigen Verfassern Pantomimisch: wie es dort von jenem Griechischen Orakel hieß: ουτε λεγει, ουτε κρυπτει; αλλα σημαινει. Frag- Fragmente . 1. D ie Sprache ist ein Werkzeug der Wissen- schaften, und ein Theil derselben: wer uͤber die Litteratur eines Landes schreibt, muß ihre Sprache auch nicht aus der Acht lassen. Ein Volk, das ohne poetische Sprache große Dichter, ohne eine biegsame Sprache gute Prosaisten, ohne eine genaue Sprache große Weise gehabt haͤtte, ist ein Unding. Wenigstens muͤsten bei einer unausgebildeten Sprache die Geister, die gebohren sind, Hin- dernisse zu uͤberwinden, selbst erfinden, sie muͤsten verwuͤsten und schaffen: schwaͤchere Nachfol- ger aber quaͤlen sich, ohne nachher zeigen zu koͤnnen: das habe ich geliefert. Lernet also, ihr Kunstrichter! eure Sprache kennen: und sucht sie zur Poesie, zur Weltweisheit und zur Prose zu bereiten. Alsdenn ebnet ihr einen Boden, damit er ein Gebaͤude trage. Oder noch mehr! ihr lie- fert Werkzeuge fuͤr den Schriftsteller: fuͤr den Dichter schmiedet ihr Donnerkeile; fuͤr den Red- B 2 ner ner glaͤnzet ihr seine Ruͤstung; fuͤr den Welt- weisen schaͤrfet ihr die Waffen. Sie ist aber mehr als Werkzeug: Worte und Jdeen sind genau in der Weltweisheit verwandt: wie viel haͤngt vom Ausdrucke in der Critik der schoͤnen Wissenschaften ab: durch die Sprache lernen wir bestimmt denken, und bei bestimmten, und lebhaften Gedanken suchen wir deutliche und lebendige Worte: unsre Waͤrterinnen, die unsre Zunge bilden, sind unsre erste Lehrer der Logik. Der Genius der Sprache ist also auch der Genius von der Litteratur einer Nation. Die Sprache, sagt Jsokrates, war die Be- zaͤhmerin der alten Wilden, und man sezze da- zu auch die Bilderin jeder Nation in den Wissenschaften. Die Griechen, die Roͤmer, wie arbeiteten sie nicht in ihrer Sprache. Die Araber, die die Grammatik das Salz der Wissenschaften benannten, hatten so viel Cri- tiker, daß jener Rabbi 60 Camele mit Woͤr- terbuͤchern bepacken konnte, wie ein arabischer Schriftsteller mit arabischer Genauigkeit, be- richtet. Jhr Jhr koͤnnt also die Litteratur eines Volks ohne ihre Sprache nicht uͤbersehen, ihr koͤnnt jene durch diese kennen lernen, ihr koͤnnt bei- de durch einander ausbessern, denn ihre Voll- kommenheit geht mit ziemlich gleichen Schrit- ten fort. Wir haben noch keinen sprachkundigen Phi- losophen gehabt, der das fuͤr unsre Sprache gethan haͤtte, was Michaelis S. Litter. Br. Th. 4. p. 366. , in einigen allgemeinen Exempeln der Akademie zeigte: „daß die Sprachen einen Einfluß auf die „Meinungen; die Meinungen auf die Spra- „chen haͤtten, und wie eines durch das andere „ verbessert werden koͤnnte.„ Folgende Auf- gabe ist vielleicht nicht unwuͤrdig untersucht und im Einzeln bestaͤtigt zu werden. „Wie fern hat auch die natuͤrliche Den- „kungsart der Deutschen einen Einfluß in „ihre Sprache? Und die Sprache auf ihre „Litteratur. Von ihren Elementen, ihrer „Aussprache und Sylbenmaas an. Wie viel B 3 „kann „kann aus der Beschaffenheit ihrer Umstaͤnde „und Sprachwerkzeuge erklaͤrt werden? Wie „fern kann ihr Reichthum und ihre Armuth „nach den Zeugnissen der Geschichte von ihrer „Denk- und Lebensart entsprossen seyn? Wie- „fern die Etymologie ihrer Woͤrter aus den „Gesichtspunkten bestimmt werden, die ih- „nen mit andern Nationen gemein, oder ei- „gen gewesen? Wiefern halten auch die „Sprachregeln, mit den Gesezzen ihrer Denk- „art eine Parallele? und wie koͤnnen die Jdio- „tismen aus ihr erklaͤrt werden? Welche „Revolutionen hat die deutsche Sprache in „ihrem Wesentlichen erfahren muͤssen? Und „wie weit ist sie jezt fuͤr den Dichter, den „Prosaisten und den Weltweisen?„ Eine große Aufgabe! Denn das Wie fern fordert nicht blos Exempel „daß so etwas ohnge- „faͤhr seyn koͤnnte„ sondern Beweise, Samm- lungen von Beispielen, die das Allgemeine zeigen, und philosophische Beobachtungen, die bis zu den Grundsaͤzzen heraufsteigen. Man hat noch in der That wenig uͤber un- sre Sprache philosophiret: Breitinger, Bod- mer, Boͤdicker, Heinze, Oest, Klopstock ha- ben ben zerrissene Anmerkungen geliefert; und von so vielen deutschen Gesellschaften haben nur zwey oder drey gezeiget, daß sie auch nur so etwas zu liefern im Stande waͤren — Jch kann verschiedene Litteraturbriefe nennen, die nuͤzliche Beobachtungen in diesem Felde ge- liefert: ich samle sie, und schreibe meine Ein- faͤlle dazu — weil nach dem Zustand unserer Philosophie uͤber die deutsche Sprache, man sich nicht der Fuͤllsteine schaͤmen und noch lan- ge nicht an ein ganzes Gebaͤude denken darf. 2. „ W arum mag es doch so schwer seyn, uͤber „den Ursprung der Sprachen mit einiger „Gruͤndlichkeit zu philosophiren? Jch weiß „wohl, daß sich von geschehenen Dingen, da- „von wir keine urkundliche Nachrichten ha- „ben, selten mehr als Muthmaßungen her- „ausbringen lassen. Allein warum will den „Weltweisen auch keine Muthmaßung, keine „Hypothese gluͤcken? Wenn sie uns nicht sa- „gen koͤnnen, wie die Sprachen wirklich ent- „standen, warum erklaͤren sie uns nicht we- B 4 „nig- „nigstens, wie sie haben entstehen koͤnnen? — „Sollte es nicht daher kommen, weil uns die „Sprachen so natuͤrlich geworden, daß wir „nicht ohne dieselben denken koͤnnen? So „wenig die Augen in ihrem natuͤrlichen Zu- „stande, das Werkzeug des Sehens, die Licht- „stralen deutlich wahrnehmen: eben so we- „nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug „ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur- „sprung untersuchen koͤnnen — Dies mag uns „so lange zur Entschuldigung dienen, bis ein „gluͤcklicheres Genie die Entschuldigungen un- „noͤthig macht Litter. Br. Th. 4. p. 366. . —„ Jch bin nicht dies gluͤckliche Genie, sondern sezze, da ich von einer aͤhnlichen, nicht aber der- selben Aufgabe schreiben will, diese Entschuldi- gungen zum Voraus, weil ich ihrer noͤthig habe. Jm 13. Theil der Litt. Briefe p. 100. kommen Bemerkungen vor, die ich gleichsam meinem Geist entwandt glaubte: sie gefielen mir aber nicht so, daß ich nicht eine sorgfaͤltigere Ent- wikkelung, Auseinandersezzung und Anwendung fuͤr moͤglich gehalten haͤtte Mein Aufsazz, wo ich diese Materie weitlaͤuftiger behandelt hatte, hatte, war verlohren gegangen, und ich neh- me also jene Worte zum Leitfaden, etwas uͤber die Lebensalter einer und besonders unserer Sprache zu sagen. Hier ist die Stelle: „Das Genie einer Sprache ist in ihrer Ju- „gend nicht weiter bestimmt, als durch die Bil- „dung der Worte, ihre Abaͤnderungen und ih- „re Reihen in einer gewissen Abhaͤngigkeit. „Zu dem ersten Stuͤcke laͤßt sich vermittelst „der Analogie, vieles dazu sezzen: das an- „dre Stuͤck bleibt wohl meist unwandelbar, „aber der verschiedene Gebrauch kann noch „bestimmt werden: und das dritte Stuͤck be- „haͤlt zwar seine wesentlichen Zuͤge; aber die „feinern Zuͤge koͤnnen noch hinzu gethan und „veraͤndert werden, ohne daß das Gesicht zu „einem andern Gesicht wird, als es urspruͤng- „lich war. — Ohne Versuche, die mit dieser „Absicht verknuͤpft sind, kann keine rohe Spra- „che vollkommen, kann kein Prosaiste in der- „selben vollkommen werden. Eine ausgear- „beitete Sprache druͤckt schon die Namen der „Begriffe aus, erhaͤlt Nachdruck und Reuig- „keit durch die mannichfaltige Anordnung der „Vorstellungen; Deutlichkeit und Genauigkeit B 5 „durch „durch die Verschiedenheit ihrer Beugungen; „Kurze und Ernst durch gut bezeichnete Ver- „bindungen. Man gebe einem rohen Genie „eine ganz rohe Sprache: es wird nichts „vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das „Drama, und zwar dieses nur in seinen be- „sten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden- „schaften, zu lebhaften Bildern sind alle Spra- „chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber „der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernsthafte „historische Styl; die gute Versifikation in „der Dichtkunst, diese erfordern eine ganz be- „arbeitete Sprache. Daher erscheinen auch „die besten Schriftsteller von den lezten Ar- „ten nicht vor dieser Periode, und wenn sie „in ihrer Landessprache erscheinen: so haben „sie dieselbe erst nach dem Muster einer an- „dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakespea- „re und selbst die griechische Litteratur, wenn „wir vor Homers Zeiten etwas gewissers als „Muthmaßungen von ihr wuͤsten; koͤnnen sich „in diesem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen.„ Wie fern ich mit dem Verfasser einerlei Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen. Von Von den Lebensaltern einer Sprache. S o wie der Mensch auf verschiedenen Stuf- fen des Alters erscheinet: so veraͤndert die Zeit alles. Das ganze Menschengeschlecht, ja die todte Welt selbst, jede Nation, und jede Fa- milie haben einerlei Gesezze der Veraͤnderung: vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Vortreflichen, vom Vortreflichen zum Schlech- tern, und zum Schlechten: dieses ist der Kreislauf aller Dinge. So ists mit jeder Kunst und Wissenschaft: sie keimt, traͤgt Kno- spen, bluͤht auf, und verbluͤhet. — So ists auch mit der Sprache. Daß man dies bis- her so wenig als moͤglich unterschieden, daß man diese Zeitalter bestaͤndig verwirret, wer- den die Plane zeigen, die man so oft macht, um eine Stuffe aus der andern ausbilden zu wollen: man reifet das Kind zu fruͤh zum Milchhaar des Juͤnglings; den muntern Juͤng- ling fesselt man durch den Ernst des Mannes, und der Greis soll wieder in seine vorige Kind- heit zuruͤckkehren; oder gar eine Sprache soll auf auf einmal die Tugenden aller Alter an sich haben. Verkehrte Versuche, die schaͤdlich wuͤr- den, wenn nicht die Natur mit vielen nach- theiligen Entwuͤrfen einen Grad von Schwaͤ- che verbunden haͤtte, der sie zuruͤckhaͤlt. Ein junger Greis, und ein Knabe, der ein Mann ist, sind unleidlich, und ein Ungeheuer, das alles auf einmal seyn will, ist nichts ganz. Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht wie ein Kind, einsylbichte, rauhe und hohe Toͤ- ne hervor. Eine Nation in ihrem ersten wil- den Ursprunge starret, wie ein Kind, alle Ge- genstaͤnde an; Schrecken, Furcht und als- denn Bewunderung sind die Empfindungen, derer beide allein faͤhig sind, und die Sprache dieser Empfindungen sind Toͤne, — und Ge- berden. Zu den Toͤnen sind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich sind jene hoch und maͤchtig an Accenten; Toͤne und Geber- den sind Zeichen von Leidenschaften und Em- pfindungen, folglich sind sie heftig und stark: ihre Sprache spricht fuͤr Auge und Ohr, fuͤr Sinne und Leidenschaften: sie sind groͤßerer Leidenschaften faͤhig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit ist: sie ver- stehen stehen also auch die Sprache des Affects mehr, als wir, die wir dies Zeitalter nur aus spaͤ- tern Berichten und Schluͤssen kennen; denn so wenig wir aus unsrer ersten Kindheit Nach- richt durch Erinnerung haben, so wenig sind Nachrichten aus dieser Zeit der Sprache moͤg- lich, da man noch nicht sprach, sondern toͤnete; da man noch wenig dachte, aber desto mehr fuͤhlte; und also nichts weniger als schrieb. So wie sich das Kind oder die Nation aͤn- derte: so mit ihr die Sprache. Entsezzen, Furcht und Verwunderung verschwand all- maͤlich, da man die Gegenstaͤnde mehr ken- nen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Na- tur abgezogen waren, und ihr so viel moͤglich im Toͤnen nachahmten. Bei den Gegenstaͤn- den fuͤrs Auge muste die Geberdung noch sehr zu Huͤlfe kommen, um sich verstaͤndlich zu ma- chen: und ihr ganzes Woͤrterbuch war noch sinnlich. Jhre Sprachwerkzeuge wurden biegsamer, und die Accente weniger schreyend. Man sang also, wie viele Voͤlker es noch thun und wie es die alten Geschichtschreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man Man pantomimisirte, und nahm Koͤrper und Ge- berden zu Huͤlfe: damals war die Sprache in ih- ren Verbindungen noch sehr ungeordnet und unregelmaͤßig in ihren Formen. Das Kind erhob sich zum Juͤnglinge: die Wildheit senkte sich zur politischen Ruhe: die Le- bens- und Denkart legte ihr rauschendes Feuer ab: der Gesang der Sprache floß lieblich von der Zunge herunter, wie dem Nestor des Ho- mers, und saͤuselte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Spra- che; man nannte sie aber, wie von selbst zu vermuthen ist, mit bekannten sinnlichen Namen; daher muͤssen die ersten Sprachen bildervoll, und reich an Metaphern gewesen seyn. Und dieses jugendliche Sprachalter, war blos das Poetische: man sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhoͤhete nur seine Accente in einem fuͤr das Ohr gewaͤhlten Rhythmus: die Sprache war sinnlich, und reich an kuͤhnen Bildern: sie war noch ein Ausdruck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen ungefesselt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte — Seht! das ist die Poetische Sprache, der Poetische Perio- de. de. Die beste Bluͤthe der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jezt sangen die αοιδοι und ραψωδοι: da es noch keine Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwuͤrdigsten Thaten durch Lieder: durch Gesaͤnge lehrten sie, und in den Gesaͤngen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sitten- spruͤche, Gesezze und Mythologie enthalten. Daß dies bei den Griechen so gewesen, be- weisen die Buͤchertitel der aͤltesten verlohrnen Schriftsteller, und daß es bei jedem Volk so gewesen, zeugen die aͤltesten Nachrichten. Je aͤlter der Juͤngling wird, je mehr ern- ste Weisheit und politische Geseztheit seinen Carakter bildet: je mehr wird er maͤnnlich, und hoͤrt auf Juͤngling zu seyn. Eine Spra- che, in ihrem maͤnnlichen Alter, ist nicht ei- gentlich mehr Poesie; sondern die schoͤne Prose. Jede hohe Stuffe neiget sich wieder zum Ab- fall, und wenn wir einen Zeitpunkt in der Sprache fuͤr den am meisten poetischen an- nehmen: so muß nach demselben die Dicht- kunst sich wieder neigen. Je mehr sie Kunst wird, je mehr entfernet sie sich von der Na- tur. tur. Je eingezogener und politischer die Sitten werden, je weniger die Leidenschaften in der Welt wirken, desto mehr verlieret sie an Gegenstaͤnden. Je mehr man am Perio- den kuͤnstelt, je mehr die Jnversionen ab- schaffet, je mehr buͤrgerliche und abstrakte Woͤrter eingefuͤhret werden, je mehr Regeln eine Sprache erhaͤlt: desto vollkommener wird sie zwar, aber desto mehr verliert die wahre Poesie. Jezt ward der Periode der Prose geboren, und in die Runde gedrehet: durch Uebung und Bemerkung ward diese Zeit, da sie am besten war, das Alter der schoͤnen Prose, die den Reichthum ihrer Jugend maͤßig brauchte, die den Eigensinn der Jdiotismen einschraͤnkte, ohne ihn ganz abzuschaffen, die die Freiheit der Jnversionen maͤßigte, ohne doch noch die Fesseln einer philosophischen Construction uͤber sich zu nehmen, die den poetischen Rhythmus zum Wohlklang der Prose herunter stimmte, und die vorher freie Anordnung der Worte mehr in die Runde eines Perioden ein- schloß: — dies ist das maͤnnliche Alter der Sprache. Das Das hohe Alter weiß statt Schoͤnheit blos von Richtigkeit. Diese entziehet ihrem Reichthum, wie die Lacedaͤmonische Diaͤt die At- tische Wohllust verbannet. Je mehr die Gram- matici den Jnversionen Fesseln anlegen; je mehr der Weltweise die Synonymen zu unter- scheiden, oder wegzuwerfen sucht, je mehr er statt der uneigentlichen eigentliche Worte ein- fuͤhren kann; je mehr verlieret die Sprache Reize: aber auch desto weniger wird sie suͤn- digen. Ein Fremder in Sparta siehet keine Unordnungen und keine Ergoͤzzungen. Dies ist das Philosophische Zeitalter der Sprache. 3. E ndlich kann ich Othem schoͤpfen, und uns- rer Sprache naͤher treten. Man siehet von selbst, daß diese Zeitalter so wenig zu einer Zeit seyn koͤnnen bei der Sprache, als bei dem Menschen. Wenn sie zur Poesie am hoͤchsten geschickt ist: so kann sie nicht eine hoͤchst Philosophische Sprache seyn. So wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht einerlei ist: so ist auch die schoͤnste und voll- C kommen- kommenste Sprache nicht zu einer Zeit moͤg- lich; die mitlere Groͤße, die schoͤne Prose, ist unstreitig der beste Plaz, weil man von da aus auf beide Seiten auslenken kann. Hier zeigt sich also der Lieblingsgedanke so vieler neuen Sprachverbesserer in seinem fal- schen Licht: „so lange eine Sprache die Mund- art des sinnlichen Volks war: so blieb sie ein- geschlossen und unvollkommen; das Denken, Philosophiren, die schoͤnen Kuͤnste und Wis- senschaften brachten sie zur Vollkommenheit. Breitingers Crit. Dichtk. Th. 2. durchgaͤngig. „ Ja zur Philosophischen Vollkommenheit wohl; aber zum Ungluͤck daß die schoͤnen Wissen- schaften ein andres Hoͤchstes haben: Schoͤn- heit — und dieser wurde durch jene entzogen. So loͤset sich auch der Zweifel eines sprach- gelehrten Mannes hiemit leicht auf: Klopstocks Abhandl. uͤber die Poet. Sprache Litt. Br. Th. 6. „Jch „weiß nicht, ob es wahr ist, was man in „vielen Buͤchern wiederholet hat, daß bei al- „len Nationen, die sich durch die schoͤnen „Wissenschaften hervorgethan haben, die Poe- „sie eher, als die Prose zu einer gewissen „Hoͤhe „Hoͤhe gestiegen sey?„ Es ist allerdings wahr, was alle alte Schriftsteller einmuͤthig behaupten, und was in den neuen Buͤchern wenig angewandt ist, daß die Poesie, lange vorher, ehe es Prose gab, zu ihrer groͤsten Hoͤhe gestiegen sey, daß diese Prose darauf die Dichtkunst verdrungen, und diese nie wie- der ihre vorige Hoͤhe erreichen koͤnnen. Die ersten Schriftsteller jeder Nation sind Dich- ter: die ersten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der schoͤnen Prose wuchs in Gedichten nichts als die Kunst: sie hatte sich schon uͤber die Erde erhoben und suchte ein Hoͤchstes, bis sie ihre Kraͤfte erschoͤpfte und im Aether der Spitzfuͤndigkeit blieb. Jn der spaͤtern Zeit hat man blos' versificirte Philosophie, oder mittelmaͤßige Poesie. Ueberhaupt bekommt hierdurch die ganze schoͤne Abhandlung: wie man den Poetischen Stil uͤber den Prosai- schen erheben koͤnne? Litt. Br. Th. 3. p. 305. durchaus eine an- dere Wendung. Sein Grundsaz ist: „Keine „Nation ist weder in der Poesie noch in der „Prose vortreflich geworden, die ihre Poetische „Sprache nicht sehr merklich von der Prosai- C 2 „schen „schen unterschieden haͤtte.„ Und nach den Zeugnissen der Alten, und nach einer Philoso- phischen Kaͤnntniß von der Verwandlung ei- ner Sprache nach den Sitten heißt er so: Jede Nation lieferte die vortreflichste Meister- stuͤcke der Poesie, ehe sich noch die Prose von jener getrennet und zu ihrer Runde ausgebil- det hatte. Da die Sprache aus der Wild- heit zur Politischen Ruhe trat, war sie merk- lich von der Prosaischen unterschieden: die staͤrksten Machtwoͤrter, die reichste Frucht- barkeit, kuͤhne Jnversionen, einfache Parti- ckeln, der klingendste Rhythmus, die staͤrkste Declamation — alles belebte sie, um ihr ei- nen sinnlichen Nachdruck zu geben, um sie zur Poetischen zu erheben. Aber da die Prose aufkam, die zuerst, wie Herodot, auch noch ihren Perioden, ohne Schwung und Fuͤlle zerfallen ließ da sie sich mehr zur Vollkom- menheit bildete, entfernte sie sich von der sinnlichen Schoͤnheit. Der Deutlichkeit we- gen wurden die Machtwoͤrter umschrieben, die Synonyme ausgesucht, bestimmt, ausge- mustert, die Jdiotismen gemildert: so wie das Voͤlkerrecht jezt im Staat zum Gesezz ward: ward: so auch in der Sprache: man bilde- te eine Sprache nach der andern, mit der sie umgieng. Es entstand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelstand unter den Woͤrtern, wie er in der Gesellschaft entstand: die Beiwoͤrter wurden in der Prose Gleichnisse, die Gleich- nisse Exempel: statt der Sprache der Leiden- schaft ward sie eine Sprache des mittlern Wiz- zes: und endlich des Verstandes. So ist Poesie und Prose in ihrem Ursprunge unterschieden. Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die diese ganz natuͤrliche Metempsychosis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wissen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich selbst weiß, diese ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei- gen, mit aller Aehnlichkeit zusammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unsrer Zeit macht. — Jch rede also von den Zeitaltern der Deutschen Sprache, und verspa- re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit. C 3 4. Wo 4. W o steht unsre Deutsche Sprache? Jn allen Staaten ist zu unsrer Zeit die Prose die Spra- che der Schriftsteller, und die Poesie eine Kunst, die die Natur der Sprache verschoͤnert, um zu gefallen. Gegen die Alten und gegen die wilden Sprachen zu rechnen, sind die Mund- arten Europens mehr fuͤr die Ueberlegung, als fuͤr die Sinne und die Einbildungskraft. Die Prose ist uns die einzig natuͤrliche Sprache, und das seit undenklichen Zeiten ge- wesen — nun sollen wir diese Sprache aus- bilden? Wie kann das seyn? Entweder zur mehr dichterischen Sprache, damit der Stil vielseitig, schoͤn und lebhafter werde; oder zur mehr Philosophischen Sprache, damit er einseitig, richtig und deutlich werde; oder wenn es moͤglich ist, zu allen beiden. Das lezte kann in einem gewissen Grade geschehen; und muß nach unsrer Zeit, Denk- art und Nothwendigkeit auch geschehen. Als- denn werden wir zwar von beiden Seiten nicht die hoͤchste Stuffe erreichen, weil beide Enden nicht einen Punkt ausmachen koͤnnen; allein wir werden in der Mitte schweben, und und von den sinnlichen Sprachen durch Ue- bersezzungen und Nachbilden borgen; andern- theils durch Reflexionen der Weltweisheit das geborgte haushaͤlterisch anwenden. Wir wer- den fuͤr neue Buͤrger Vortheile ausmachen; und nicht dem Spartanischen Eigensinn nach- ahmen, der allen fremden Ankoͤmmlingen und Gebraͤuchen den Eintritt versagt; wir werden aber auch, so wie die Akademie della Crusca, und Johnson in seinem Woͤrterbuch, die Landeskinder zaͤhlen, ordnen und gebrau- chen, so daß die fremde Kolonien blos die Maͤngel des Staats unterstuͤzzen doͤrfen. — Man bilde also unsre Sprache durch Ueber- sezzung und Reflexion. Man sehe die meisten Vorschlaͤge zur Bil- dung der Sprache, und sie fallen in ein Aeus- serstes, statt das Mittel zu halten. Einige entwerfen einen Plan zur Philosophischen Spra- che; andere wollen sie allein auf die dichteri- sche Seite lenken. Daß, wenn beide etwas wir- ken, beide einander die Stange halten, macht das Gluͤck unsrer Sprachenverbesserung. C 4 5. Unter 5. U nter so vielen Philosophischen Sprach- verbesserern nehme ich einen, dessen Lob ich in den Litteraturbriefen gern unterzeichne: Sulzer, in seinem beliebten Jnbegriff der Wissenschaften, Litter. Br. Th. 4. p. 230. in dem vielleicht kein Ar- tikel aͤrmer ist, als der uͤber die Sprache. Er fordert zur Vollkommenheit einer Sprache „1) einen hinlaͤnglichen Vorrath von Woͤrtern „und Redensarten, wodurch jeder Begriff „deutlich und bestimmt ausgedruckt wird.„ Nun! und wenn die Sprache einen uͤber- fluͤßigen Vorrath hat? So muß der Ue- berfluß fort! — Vollkommen fuͤr den Philoso- phen, aber schlecht fuͤr den Dichter, der von diesem Ueberfluß leben muß, der nicht Be- griffe deutlich und bestimmt, sondern Be- griffe und Empfindungen ruͤhrend und reich ausdruͤcken will. Wenn dieser neue Plato eine Republik errichtet, wo Synonyme, und uneigentliche Woͤrter verbannt werden: lebet lebet wohl, ihr Dichter! ihr muͤßt von selbst Abschied nehmen. „2) Eine gnugsame Anzahl deutlicher Len- „kungen,„ und „3) eine Biegsamkeit in der Zusammensez- „zung vieler Woͤrter in einen Sazz, damit „ein ganzer Gedauke richtig, bestimmt und „nach Beschaffenheit der Sache leicht und nach- „druͤcklich ausgedruckt werde.„ Hier steigt schon der Weltweise etwas herunter, weil er sieht, daß seine Sprache von Menschenkindern geredet werden soll. Wenn der Weise sich ganz genau, ganz richtig und bestimmt aus- drucken will: so braucht er keinen biegsamen, keinen leichten, keinen nachdruͤcklichen Perioden; die Richtigkeit ist steif, die Gruͤndlichkeit vest, und die Ueberzeugung statt des Nachdrucks. „4) Eine hinlaͤngliche Mannigfaltigkeit „langer und kurzer, hoher und tiefer, heller „und dunkler Sylben, und der daher entste- „henden Fuͤße, Perioden und Versarten.„ Ei- ne vollkommene Sprache braucht diese gar nicht. Wenn wir blos als Geister einander Begriffe in die Seele reden: so fragen wir nicht nach hohen und tiefen Sylben: so we- C 5 nig nig als in den Buͤchern, wo diese Philosophi- sche Sprache allein gelten kann, die helle und dunkle Sylben ins Auge fallen. Auf die Art gehe man das ganze Stuͤck von der Sprache durch, und man findet in allen Vorschlaͤgen den nehmlichen Fehler, daß er dem Schoͤnen der Sprache immer zu nahe tritt. Ja waͤren wir ganz Geist: so spraͤchen wir blos Begriffe, und Richtigkeit waͤre das einzige Augenmerk; aber in einer sinnli- chen Sprache muͤssen uneigentliche Woͤrter, Synonymen, Jnversionen, Jdiotismen seyn. Sein Plan, der Philosophisch seyn soll, ist also ein Hermaphrodit: die Philosophische Vollkommenheit erreicht er nicht, und der sinn- lichen Schoͤnheit thut er zu viel: als Plan, was eine vollkommene Sprache seyn sollte, zu wenig; als Projekt, was irgend eine wirk- liche Sprache seyn koͤnnte, viel zu viel: und was die beste Sprache waͤre, vielleicht nicht getroffen. Der Kunstrichter in den Litteraturbrie- fen Litter. Br. Th. 4. p. 230. stoͤßt auch auf diesen Fehler. Sulzer sagt: „Es waͤre nuͤtzlich, wenn man eine all- „gemeine „gemeine Philosophische Grammatik haͤtte, „welche Regeln gaͤbe, nach denen die Vollkom- „menheit einer Sprache beurtheilt werden „muͤßte; mit diesen Regeln koͤnnten die, durch „den Gebrauch eingefuͤhrten verglichen, und „daraus gebessert, und vermehrt werden.„ Und der Recensent sezt dazu: „Jch weiß nicht, „ob die schoͤuen Wissenschaften von dieser Ver- „gleichung Vortheil haben wuͤrden. So wie „die Sprachen jetzt sind, hat eine jede, so zu „sagen, ihre Eigensinnigkeit, die der schoͤne „Geist vortreflich zu nutzen weiß. Er zieht „aus dem Ueberfluͤßigen und Unregelmaͤßigen „seiner Sprache oͤfters Schoͤnheiten, die eine „richtige Philosophische Sprache entbehren „muß. Nur ein einziges Exempel anzufuͤh- „ren: die Philosophische Grammatik wuͤrde „vermuthlich die Unterscheidung der Geschlech- „ter bei leblosen Dingen fuͤr uͤberfluͤßig er- „klaͤren, und gleichwohl wuͤrden sich die Fran- „zoͤsischen und Deutschen Dichter die Schoͤn- „heiten ungern rauben lassen, die sie aus die- „sem unnoͤthigen Unterscheide der Geschlechter „gezogen haben. Einige Sprachen unter- „scheiden die Geschlechter auch in der Conju- „gation „gation der Zeitwoͤrter, welches ihren Schrif- „ten zu einer besondern Zierde gereicht So ists fuͤr die Orientalische Dichter eine be- queme und vortheilhafte Schoͤnheit, daß sie, die bei ihren Kaͤnntnissen in der Botanik ver- muthlich auch das Geschlecht der Pflanzen schon gekannt haben, in ihrer Sprache auch das Ge- schlecht unterscheiden, ja so gar fuͤr eine Pflan- ze, die Jungfer und Ehefrau ist, verschiedne Namen haben. So haben die Griechischen und Roͤmischen Dichter, alle unuͤbersezbare Schoͤn- heiten, aus dem Eigensinn ihrer Sprache ge- zogen, und in ihn verwebt. .„ Eine Anmerkung, die man oft in diesem Frag- ment wird wiederholen muͤssen. 6. U eberhaupt wuͤrde dieser weise Vorschlag, so wie jener andre Litt. Br. Th. 4. p. 232. : „es sollte keiner Schrift- „steller werden, der nicht die Alten gelesen„ uns alle Originalschriftsteller rauben. Jdio- tismen sind Patronymische Schoͤnheiten, und gleichen jenen heiligen Oelbaͤumen, die riugs um die Akademie bei Athen ihrer Schuzgoͤt- tin Minerve geweiht waren. Jhre Frucht dorfte dorfte nicht aus Attica kommen, und war blos der Lohn der Sieger am Panathenaͤischen Feste. Ja da die Lacedaͤmonier einst alles verwuͤsteten: so ließ die Goͤttin es nicht zu, daß diese fremde Barbaren ihre Haͤnde an die- sen heiligen Hain legten. Eben so sind die Jdiotismen Schoͤnheiten, die uns kein Nach- bar durch eine Uebersezzung entwenden kann, und die der Schuzgoͤttin der Sprache heilig sind: Schoͤnheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerstoͤrt, wenn man sie austrennet: Reize, die durch die Sprache, wie der Busen der Phryne durch einen seid- nen Nebel, durch das Wassergewand der al- ten Statuen, das sich an die Haut anschmie- get, durchschimmern. Wober lieben die Britten so sehr das Launische in ihrer Schreib- art? Weil diese Laune unuͤbersezzbar und ein heiliger Jdiotisme ist. Warum haben Sha- kespear und Hudibras: Swift und Fielding sich so sehr das Gefuͤhl ihrer Na- tion zu eigen gemacht? Weil sie die Fund- gruben ihrer Sprache durchforschet, und ih- ren Humour mit Jdiotismen, jeden nach seiner Art und seinem Maas, gepaart haben. War- Warum vertheidigen die Englaͤnder ihren Shakespear, selbst, wenn er sich unter die Concetti, und Wortspiele verirrt — Eben die- se Concetti, die er mit Wortspielen ver- maͤhlt, sind Fruͤchte, die nicht in ein anderes Clima entfuͤhrt werden koͤnnen: Der Dichter wuste den Eigensinn der Sprache so mit dem Eigensinn seines Wizzes zu paaren, daß sie fuͤr einander gemacht zu seyn scheinen: hoͤchstens gleicht jener dem sanften Widerstande einer Schoͤne, die blos aus Liebe sproͤde thut, und bei der ihre jungfraͤuliche Bescheidenheit dop- pelt reizet. Es muß auch wirklich schwer seyn, zu die- sen Geheimnissen zu gelangen; weil wir so wenige Deutsche Humoristen haben. Rab- ner ist kein voͤlliger National - Swift in Deutschland so wohl in Charakteren, als der Schreibart. Von unsern komischen Schrift- stellern vielleicht keiner, als Leßing — dieser aber in einem großen Grade. Keine Par- thei hat auch in diesem Stuͤck, dem wahren Genie der Deutschen Sprache so sehr gescha- det, als die Gottschedianer. Waren es nicht noch einige Schimpfwoͤrter, und poͤbel- hafte hafte Ausdruͤcke, die man beibehielt: sonst wurde alles waͤsserich, und eben, durch eine gedankenlose Schreibart, und durch schlechte Uebersezzungen Franzoͤsischer Buͤcher. Man entmannete sie voͤllig, die schon durch den Weisischen, Talandrischen, und Menantischen Stil wenig Mannheit behalten hatte: man machte so wohl die Jnversionen, als Jdiotis- men der Schweizer laͤcherlich, statt sie zu pruͤ- fen: Kurz, diese Sekte hat sich der Deutschen Sprache mit Willen der irrdischen, nicht aber himmlischen Muse angenommen, und von ihr gilts, was jener Griechische Koͤnig auf ei- nen schwindsuͤchtigen und doch gefraͤßigen Bettler sagte: Αμφοτερους αδικεις, τον Πλουτεα, και Φαε- ϑοντα; Τον μεν, ετ’ εισοροων, τον δε απολειπο- μενος. „Beiden thust du Unrecht, dem Pluto, und „Phaeton; diesem, daß du ihn noch anblickst; „jenem, daß er dich noch nicht hat.„ Man muß den Schweizern wirklich das Recht lassen, daß sie den Kern der Deutschen Sprache mehr unter sich erhalten haben. So wie wie uͤberhaupt in ihrem Lande sich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da sie durch die Alpen, und den Helvetischen Na- tionalstolz von den Fremden getrennet sind: so ist ihre Sprache auch der alten Deutschen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unstrei- tig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am besten ausgedruckt; und ausgelacht hat man sie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes ist noch zu wenig gepruͤft. Die Gottschedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnversionen so ziemlich in ihren Pasquillen gesammlet; jetzt ist die Hitze des Streits verflogen, nun sollte man nicht mehr lachen, sondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchische Bodmer auch kein andres Verdienst — wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; — und aus den alten Schwaͤbischen Poesien ist doch, meinem Erachten nach, wenigstens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich sollten die Schweizer auch mehr Muͤhe sich dabei gegeben haben, die Jdiotis- men zu zeigen, zu pruͤfen, und kritisch einzu- fuͤhren. Wenn sie auch diese Woͤrter verste- hen; hen; wer Deutsches in lateinischen Lettern lesen kann, ist ja nicht deswegen ein Schweizer! Jch rede von ihren Deutschen Verdien- sten, denn von ihren Nachbildungen aus dem Griechischen muͤste ich vielleicht anders ur- theilen: ich rede von ihrem Verdienst um die Sprache, denn von ihrer Dichterei und von ihrer Abneigung gegen die Philosophie, gegen die sie aus den Zuͤrchischen freimuͤthigen Nach- richten so lange Zeit Calefonium-Blizze ge- sandt, urtheile ich jetzt nicht; und in diesem eingeschraͤnkten Gesichtspunkt kann ich selbst ihre Hizze entschuldigen, die den Gottschedia- nern die Stange halten muste. Zwei Geg- ner, die auf beiden Seiten ausschweifen, und beide ohne Weltweisheit streiten; — da kam zum Gluͤck eine dritte Parthei, die Baumgar- tensche Schule, die Soͤhne des Deutschen Athens, und brachten sie beide aus einander. Jn der Dichtkunst Ramler, Kleist, und insonderheit Gleim; in der Prose Leßing und Abbt; wenn man diese lieset, wie be- dauret man nicht den Sulzerschen Einfall, uns keine Jdiotismen zu lassen. Gleims D Kriegs- Kriegslieder und sein versificirter Philotas insonderheit ist voll von dieser Deutschen Staͤr- ke. — Eine fleißige Seele in Liefland hat einen Anhang zu Frischens Woͤrterbuch, aus der Bibliothek der schoͤnen Wissen- schaften, Litteraturbriefen, Leßings, Uz und dergleichen Schriften gemacht; aus dem ich, weil er doch zu gut ist, um in einem Winkel ohne Anwendung zu vermodern, wenn er vollendet seyn wird, einen Auszug liefern werde. Aus den Zeiten der Meistersaͤnger, des Opitz und Logau, des Luthers u. s. w. sollte man die Jdiotismen sammlen, und insonderheit mehr von Klopstock lernen, die- sem Genie in Schoͤnheiten und Fehlern, der selbst in der Deutschen Sprache sich den Schoͤ- pfungsgeist anmaaßte, und auch diesen Geist der Freiheit eigentlich in Deutschland zuerst ausbreitete: wirklich ein Genie, das selbst in seiner Eccentricitaͤt groß ist, und das, so wie Alexander Macedonien, die damalige Deutsche Sprache nothwendig fuͤr sich zu enge finden muste. Und sind die Jdiotismen zu nichts gut: so eroͤfnen sie dem Sprachweisen die Schach- ten, ten, um das Genie der Sprache zu untersu- chen, und dasselbe zuerst mit dem Genie der Nation zusammen zu halten. Viele Jdiotis- men fremder Voͤlker wuͤrden wir daraus er- klaͤren: (z. E. warum die meisten Nationen der Sonne und die Mond sagen; wir aber umgekehrt; warum das Lateinische fusus in herba immer fuͤr uns fremde klingt, koͤnnte immer aus dem Zustande unsrer alten Urvaͤ- ter bewiesen werden. Sie fingen bekannter maßen von der Nacht zu rechnen an: hielten in der Nacht ihre Zusammenkuͤnfte, Kriegs- und Friedensschluͤsse: und wusten kein groͤße- res Siegel der Vertraͤge, als das Klirren der Degen, mit dem Zuruf: der Mond ist Zeuge! Eben daher ist das: im Grase hingegossen s. Klopst. Abhandl. von der Poet. Spr. im 1. Th. des Nord. Aufs. wohl ein zu wohlluͤstiges Bild fuͤr das wal- digte kalte Deutschland, wie es vormals ge- wesen.) Wie sehr sind nicht die alten Schot- tischen Gedichte Abdruͤcke ihres Landes? Auch die Kuͤhnheit in Jdiotismen bei einem einzelnen Autor gibt Gelegenheit, auf sein Ge- D 2 nie nie Acht zu haben. Derselbe Blick, der die Begriffe, wie die Farben im Sonnenstral, theilt, nimmt auch die Lichtbrechung in den Nuancen der Sprache wahr. Der mittel- maͤßige Scribent bequemt sich, nach dem or- dentlichen Wege, um ins Cabinett seines Fuͤr- sten zu gelangen; dieser besticht jener betriegt, ein andrer schmeichelt: ein gewisser Deutscher Pythagoras laͤßt sich beschneiden, um hinter die Vorhaͤnge der Weisheit zu kommen; das kuͤhne Genie durchstoͤßt das so beschwerliche Ceremoniel: findet und sucht sich Jdiotismen; graͤbt in die Eingeweide der Sprache, wie in die Bergkluͤfte, um Gold zu finden. Und be- triegt es sich auch manchmal mit seinen Gold- klumpen: der Sprachenphilosoph probire und laͤutere es: wenigstens gab er Gelegenheit zu chymischen Versuchen. Moͤchten sich nur viele solche Bergleute und Schmelzer in Deutschland finden, die, wenn die Deutsche Sprache eine Berg- und Weidsprache ist, auch als Graͤber und Jaͤger sie durchsuchten. Caͤsar schrieb uͤber die Aehnlichkeit der Spra- chen; Varro uͤber die Etymologie; Leibniz schaͤmte sich nicht, ein Sprachforscher zu seyn, und und wir, trotz unsrer Deutschen Gesellschaft, haben hierinn wenig oder nichts gethan. 7. E s bleibt uͤberhaupt wahr: „die Richtigkeit „einer Sprache entzieht ihrem Reichthum:„ Litter. Br. Th. 15. p. 179. und wir duͤrfen, um dies in Augenschein zu sezzen, die aͤlteste Sprache, die Hebraͤische, oder Arabische mit der Unsern in Absicht auf den Reichthum vergleichen; er ist so unter- schieden, wie die Haushaltung jener und un- serer Gegenden. Sie samleten Vieh und Knechte; wir samlen Gold und Hausgeraͤth: so ist auch der Reichthum beider Sprachen. Jhre ist reich an Vieh:) Naturna- men sind in ihr haͤufig: im kleinen Buch der Hebraͤer, das wir allein noch uͤbrig haben, sind schon 250 Botanische Woͤrter: Namen, die unsre Sprache zwar kann ausdruͤcken, aber nicht auszudruͤcken weiß; s. Michaelis Reflexions sur l’influence des opi- nions etc. weil die D 3 καλοι καλοι καγαϑοι unserer buͤrgerlichen Welt sich auf nichts minder legen, als Hirtenkaͤnnt- nisse einzuziehen: weil unsre Naturphiloso- phen unter Buͤchern wohnen, und wieder zu Lateinischen Buͤchern hinkehren Unsre Schaͤ- ferdichter und Saͤnger der Natur koͤnnen al- so die Blumen dieser Kraͤuter nicht brechen: haͤtte man auch Deutsche Namen: so waͤren diese nicht bekannt gnug: sie haͤtten nicht gnug Poetische Wuͤrde: denn unsre Gedichte wer- den nicht mehr fuͤr Hirten geschrieben; son- dern fuͤr staͤdtische Musen; unsre Sprache ist zur Buͤchersprache eingeschraͤnkt. — Hinge- gen hat es schon Leibniz bemerkt, daß unsre Sprache eine Weid- und Bergwerks- sprache ist; ich glaube aber, zum Theil, ge- wesen ist; weil viele dieser Woͤrter theils veraltet sind; theils vor Kunst- und Hand- werkswoͤrter gelten, da unsre Lebensart nicht mehr Jagd und Bergwerke ist. Wir bemuͤhen uns also mehr um Hausge- raͤth:) Kunstwoͤrter: buͤrgerliche Ausdruͤcke: Redensarten des Umganges sind die haͤufig- sten Scheidemuͤnzen im muͤndlichen und Buͤ- chercommerz: die Alten hingegen wechselten mit mit Goldstuͤcken: sie sprachen durch Bilder; wir hoͤchstens mit Bildern, und die bilder- volle Sprache unsrer schildernden Dichter verhaͤlt sich zu den aͤltesten Poeten, wie ein Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum Bilde in einem Zuge. Leset den Homer, und denn leset Klopstock; jener malet, indem er spricht; er malet lebende Natur und Politi- sche Welt: dieser spricht um zu malen, er schildert; und um neu zu seyn: eine ganz andre Welt; die Welt der Seele und der Gedanken, da jener sie hingegen in Koͤrper kleidet und spricht: Laß sie selbst reden! Die Oekonomie der Morgenlaͤnder war reich an Knechten; so ist es auch ihre Spra- che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne Zweifel nichts minder als Philosophen, druck- ten natuͤrlicher Weise das durch ein neues Wort aus, was sie noch nicht unter einen andern Begrif zu ordnen wußten. So ent- standen Synonyme, die dem Dichter eben so vortheilhaft waren, als sie dem Gramma- tischen Philosophen zum Aergerniß gereichen. Der Arabische Dichter, der zum Loͤwen 500 Woͤrter hat, die verschiedene Zustaͤnde dessel- D 4 ben ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Loͤwe ꝛc. kann durch ein Wort malen, und durch die- se mit einem Zuge entworfne Bilder vielseiti- ger sprechen, wenn er sie gegen einander sezzt; als wir, die diesen Unterscheid blos durch da- zu gesezzte Bestimmungen deutlich machen. Die Choͤre der Morgenlaͤnder koͤnnen sich in ihren beiden Gegensaͤzzen beinahe wiederho- len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt durch eine Wendung, oder ein Wort Neu- heit. Das Kolorit veraͤndert sich, und diese Veraͤnderung gefaͤllt dem Ohr der Morgen- laͤnder; hingegen unsre Sprache, die an die- sen beinahe- Synonymen gefesselt ist, muß entweder die Wiederholungen ohne diesen Nebenzug ausdruͤcken; und alsdenn sind sie fuͤr unser Ohr verdrießliche Tavtologien; oder sie druͤckt sie gar schielend aus, und ver- irrt sich, wie sehr oft in der Deutschen Bibel- uͤbersezzung, von der Hauptidee des Gemaͤl- des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver- schiedenheit unsrer Sprachen, und ist schwer zu vermeiden. Hieraus erklaͤrt sich, glaube ich, die Be- merkung unsers Philologischen Sehers in den Orien- Orientalischen Sprachen: Michael, praef. in Lowth. lectiones P. I. „daß diese Tav- „tologien, die dem Ohr der Morgenlaͤnder ge- „fielen, unserm unleidbar sind„ jenen waren sie nicht Tavtologien, denn Tavtologien sind immer eckelhaft, und koͤnnen wenigstens nie vergnuͤgen; sondern wenn ein Chor das andere erklaͤrte, bestimmte, oder das vorge- tragne Gemaͤlde mit Nebenzuͤgen neu machte: so befriedigte dies Aug und Ohr. Jch glau- be, Michaelis wird finden, daß es in der Grundsprache selten voͤllige Wiederholungen sind; nur freilich in der Deutschen Uebersez- zung, und am meisten in den Cramerischen Psalmen, da sind es perpetuae tavtologiae, Europae inuisae, aures laedentes, pru- dentioribus stomachaturis, dormitaturis reliquis. Cramer scheint sich in seinen Predigten so- wohl, als in den sogenannten Oden; in Cantaten und in der fließenden Prose so sehr an diese Wiederholungen und Umschreibungen gewoͤhnt zu haben, daß er vergißt, ob das Deutsche Ohr, das Kuͤrze fodert, und der Deut- D 5 sch sche Verstand, der Nachdruck liebet, damit zufrieden ist. Seine ungemein gluͤckliche Leich- tigkeit in der Versifikation verfuͤhrt ihn so sehr, daß er vergißt, ob seine Wiederholun- gen auch der Deutschen Sprache angemessen seyn. Seine Oden — und sie waren vor Klopstock und Ramler das Muster der Deutschen Oden — sind ja oft ein Geklin- gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da- vid und Assaph, zu unserer Zeit, in unsrer Sprache Cramersche Psalmen geschrieben haͤt- te? „Er hat sie ja aber uͤbersezzen, nicht „ umbilden wollen?„ Gut! so uͤbersezze er sie als Orientalische Psalmen, mit allem ih- rem Licht und Schatten; nur umschreiben muß er nichts; alsdenn ists weit natuͤrlicher fuͤr unser Genie und Sprache, sie zusammen zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube so urtheilen zu koͤnnen und doͤrfen: Haͤtte Michaelis Cramers Versifikation, oder Cramer Michaelis Geschmack des Orients: so wuͤrden wir erst die Morgenlaͤndischen Ge- dichte nach dem Genie unsrer Sprache, als einen Deutschen Schatz bewahren koͤnnen; jetzt fehlt beiden was. Aber Aber meine Anmerkung verirret sich zu weit davon ab: daß die Grammatik und das Ver- nuͤnfteln uͤber die Sprache, den Reichthum geschwaͤchet hat. Der haushalterische Philo- soph fragte: warum sind so viel unnuͤtze Knechte? sie stehen sich im Wege! und er hat sie abgeschaft; den uͤbrigen aber ihr ge- naues Geschaͤfte angewiesen, um nicht muͤßig zu seyn. Jch will ohne Bilder reden! Da man die Begriffe mehr unter einander ordnen lernte: so druckte man das mit einer Bestim- mung ( adiectiuum, participium, aduer- bium ) aus, wozu man erst ein neues Wort sezzte. — Noch blieben aber Synonymen! Aber der Philosoph suchte seine Unterschiede in sie zu legen, und sie also als neue, guͤltige Woͤrter zu gebrauchen. Zum Beweise fuͤhre ich im Deutschen Wolf und Baumgarten an. Durch die Deutschen Schriften des er- sten sind die Woͤrter, die unter dem Gebiet der Philosophie stehen, sehr an Synonymen vermindert, da er sie genau zu bestimmen ge- sucht. Und noch mehr Baumgarten: geht seine Metaphysik durch, und bemerkt, die un- ten angezogne Deutsche Woͤrter: die Philo- sophie sophie gibt den meisten muͤßigen Synonymen Arbeit und bestimmte Posten. Das ist nun aber die Sprache der Philosophie: lasset Sulzern, der noch lebende Baumgarten, die Woͤrter: angenehm, schoͤn, lieblich, reizend, gefaͤllig, in seiner Aesthetik bestim- men; die Welt wird ihm vielen Dank wis- sen: lasset andere auf der Bahn des Baum- gartens fortgehen, und einen Kant in seinen Beobachtungen uͤber das Schoͤne und Erhabene, seine Unterschiede zwischen bei- nahegleichen Woͤrtern bemerken: sie arbeiten fuͤr die Deutsche Philosophie und Philosophi- sche Sprache; aber nicht fuͤr die Sprachkunst, uͤberhaupt. Alle kannst du nicht bestimmen, Philologischer Weltweise! Die wirst du ver- muthlich auswerfen wollen? Aber wirft sie auch die Sprache des Umganges aus? Nein! so weit reicht noch nicht dein Gebiet, und noch minder ins Land der Dichter — Der Dichter muß rasend werden, wenn du ihm die Synonyme raubst; er lebt vom Ueber- fluß. — Und wenn du sie bestimmest? Ge- sezt, aber du kannst es nicht: so faͤllt schoͤne Prose und schoͤne Poesie ganz weg; alles wird ein ein Rosenkranz abgezaͤhlter Kunstwoͤrter. Jm- mer ein Gluͤck fuͤr den Dichter, und ein Un- gluͤck fuͤr den Weltweisen, daß die ersten Er- finder der Sprache nicht Philosophen und die ersten Ausbilder meistens Dichter gewesen sind. Unsere Sprache hat also die Synonyme eingeschraͤnkt und bemuͤhet sich statt Knechte, Gold und Muͤnzen zu sammlen. Man er- laube mir die Woͤrter abstrakter Jdeen damit zu vergleichen. Beide werden willkuͤhrlich gepraͤgt, und durch einen willkuͤhrlich festge- sezzten Werth gaͤng und gaͤbe; die solidesten unter beiden werden als Schaͤzze aufbewahrt; das kleinere wird Scheidemuͤnze. Auch auf dieser Seite verliert unsre Poesie, in der der eingebildete Werth schwindet, und blos der natuͤrliche gilt; wo die abstrakten Woͤrter also blos gelten, nach dem Maas man sie sinnlich darstellen kann. — Durch unsre Philosophen kann die Dichtkunst also nichts gewinnen, und hat nichts gewonnen; so we- nig als die Alten unsre Buͤcher-und Catheder- sprache in allen ihren Nuancen uͤbersezzen koͤnnten: so wenig koͤnnen wir den Alten nachsprechen. Und Und was folgt nun aus allem diesem? Viel- leicht viel — aber hier mag eins genug seyn! — Es ist immer ein Girard im Deutschen zu wuͤnschen; recht sehr zu wuͤn- schen — aber ein Gesezgeber muß er nicht durchaus werden. Jn einer nicht Jdeal- Philosophischen Sprache alle Synonymen ab- schaffen zu wollen, gebuͤhret einem zweiten Claudius und Chilperich, die neue Buch- staben einfuͤhren wollten, und Grammatiker zu A B C Maͤrtirern machten. 8. V on der andern Seite hat man, um unsre Sprache auszubilden, so sehr die Uebersezzun- gen angerathen, daß ich hieruͤber eine merk- wuͤrdige Stelle der Litteraturbriefe anfuͤhre: Th. 13. p. 98. „Der wahre Uebersezzer hat eine hoͤhere „Absicht, als den Lesern fremde Buͤcher ver- „staͤndlich zu machen; eine Absicht, die ihn zum „Range eines Autors erhebt, und den kleinen „Kraͤmer „Kraͤmer zum Kaufmann umschnizzt, der „wirklich den Staat bereichert. „Diese Absicht ist nun keine andere, als „seiner Muttersprache vortrefliche Gedanken „nach Muster einer vollkommenern Sprache an- „zupassen. So machte Apoll, daß Achilles „Ruͤstung Hektorn so gerecht war, als ob sie „auf seinen Leib verfertiget worden. Ohne „Versuche, die mit dieser Absicht verknuͤpft „sind, kann keine rohe Sprache vollkommen, „kann kein Prosaiste in derselben vollkom- „men werden. „Zu eignen Versuchen uͤber die Bildung „der Sprache haben nur die oͤffentlichen Red- „ner Anmunterung genug, und die groͤste Zahl „dieser Versuche ist vergeblich; aber man „thue es durch Versuche nach einer bessern „Sprache. Diese stellt uns schon viele Be- „griffe deutlich dar, dazu wir Worte suchen „muͤssen, und stellt diese Begriffe so ne- „ben einander vor, daß uns neue Verbindun- „gen noͤthig werden. Von dem Wohlklan- „ge jetzt nicht zu reden, der besser gemessen „werden kann, wenn immer das Ohr unmit- „tel- „telbar vorher von einem Perioden sehr rich- „tig angefuͤllet gewesen. „Was fuͤr ansehnliche Vortheile muͤßten „nicht unsrer Sprache zuwachsen, wenn sie „sich an die Griechische und Lateinische Spra- „che, so viel als moͤglich, anschmiegen lernte, „und ihre Geschmeidigkeit den Augen des „Publikum zeigte! Diese Uebersezzungen koͤnn- „ten unsre Claßische Schriftsteller werden. „An den Gedanken waͤre nichts auszusezzen, „weil auf diese laͤngst das Siegel der Vor- „treflichkeit gedruckt worden: und die Sorg- „falt in Erhaltung der Harmonie ihres Aus- „drucks, wuͤrde auch so viel Wohlklang in „unsre Sprache uͤbertragen, als ihr Genie „erlaubte. Gesellen sie zu diesen Alten noch ei- „nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „und deren Sprache mit der unsrigen verwandt „ist: was wuͤrden wir nicht unsern Ueber- „sezzern zu verdanken haben? und sie wuͤr- „den auch mit unsrer Dankbarkeit zufrieden „seyn, woruͤber Ebert ihnen die Gewaͤhr lei- „sten kann, den wir als einen vortreflichen „Uebersezzer mit Recht unter unsre besten „Schriftsteller rechnen. Fehlt es uns denn „an „an der Tugend, quae serit arbores, vt al- „teri seculo prosint! „ Der wahre Uebersezzer soll also Woͤrter, Redarten und Verbindungen seiner Mutter- sprache aus einer ausgebildetern anpassen: aus der Griechischen und Lateinischen vorzuͤg- lich, und denn auch aus neuern Sprachen. Nun wollen wir hieruͤber nach unsern vor- ausgesezten Pramissen schwazzen: Alle alte Sprachen haben, so wie die al- ten Nationen, und ihre Werke uͤberhaupt, mehr karakteristisches, als das, was neuer ist. Von ihnen muß also unsre Sprache mehr ler- nen koͤnnen, als von denen, mit welchen sie mehr verwandt ist; oder der Unterschied zwi- schen beiden liefert wenigstens den Sprach- philosophen eine Menge Stoff zu Betrach- tungen. Wir wollen vom leztern etwas ver- suchen. So wie uns unsre besten Heldenthaten, die wir als Juͤnglinge thaten, aus dem Gedaͤcht- niß verschwinden: so entgehen uns aus dem Juͤnglingsalter der Sprache jedesmal die be- sten Dichter, weil sie vor der Schriftstellerei vorausgehen. Jm Griechischen haben wir E aus aus dieser Zeit eigentlich nur den einzigen Ho- mer, dessen Rhapsodien durch einen gluͤckli- chen Zufall viele Olympiaden nach seinem To- de blieben, bis sie gesamlet wurden: da alle uͤbrige Dichter vor ihm, und viele nach ihm verlohren sind. Aeschylus und Sophokles und Euripides beschlossen die Poetische Zeit; in ihrem Zeitalter erfand Pherecydes die Prose; Herodot schrieb seine Historie, noch ohne Perioden; bald gab Gorgias der Rede- kunst die Gestalt einer Wissenschaft, die Welt- weisheit fieng an oͤffentlich gelehrt zu werden, und die Grammatik wurde bestimmt. — Was sollen wir aus dieser Zeit durch Uebersezzun- gen fuͤr unsre Sprache rauben? Nur nicht die Sylbenmaaße! denn es ergiebt sich gleich, daß diese schwer nachzuah- men seyn muͤssen. Damals, als noch die αοιδοι, und ραψωδοι sangen; da man auch im gemeinen Leben die Woͤrter in so hohem Ton aussprach, daß man nicht blos lange und kurze Sylben, sondern auch hohe und niedri- ge Accente deutlich hoͤren ließ, daß jedes Ohr der Urteiler der Prosodie seyn konnte; damals war der Rhythmus der Sprache noch so helle, daß daß die Cadence, in der man die Verse aus- sprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten sang, den Gang eines Hexameters aus- halten konnte. Und dieser war also das gewaͤhlteste Sylbenmaas, das die meiste Har- monie in sich schloß, das so genau in ihrer Sprache lag, als die Jamben unserm Ge- sange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr und ihrer Kehle am gemaͤßesten war, weil ih- re Melodie im Gesange, und Deklama- tion des gemeinen Lebens eine hoͤhere Ton- leiter auf und nieder stieg, als unsere. Aber wir reden mit wenigern Accenten monoto- nischer, man mag es fließend oder schleichend nennen; wir sind also an die Mensur eines Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem guten gesunden Verstande ohne Schulweisheit, Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu lesen; er wird sogleich, wenn sie gut sind, scandiren; gebet ihm einen gemischten Hexameter — er wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Ca- deneen bei dem Gesange der Kinder und der Nar- ren zu; sie sind nie Polymetrisch; oder wenn ihr daruͤber lacht; so geht unter die Bauern, gebt auf die aͤltesten Kirchenlieder acht; ihre E 2 Fall- Falltoͤne sind kuͤrzer, und ihr Rhythmus ein- foͤrmig: dahingegen sangen die Griechischen Rhapsodisten ihre lange Gedichte in immer- waͤhrenden Hexametern: ohne Zweifel, weil der Hexameter ihrem Ohr auch selbst fuͤr Gassenlieder nicht zu lang, und ihrer Spra- che nicht zu Polymetrisch war: und weil ihre Prosodie und Gesangweise jede Sylbe und Re- gion gehoͤrig bestimmte. Aber jetzt! wollt ihr Griechische Hexameter lesen; lernet erst Prosodie, um die Sylben in ihre rechte Re- gionen bringen zu koͤnnen. Jhr wollt Deutsche Hexameter machen; machet sie so gut ihr koͤnnet, und alsdenn lasset dem ohngeachtet die Versart druͤber druͤcken, wie man es Klopstock rieth, oder bittet, wie Kleist, dies Sylbenmaas als Prose zu lesen. Koͤnnet ihr Hexameter deklamiren? Wohl! so werdet ihr auch wissen, daß das die beste Deklamation ist, die seine Fuͤße am meisten verbirgt, und nur alsdenn hoͤren laͤßt, wenn sie die Mate- rie unterstuͤzzen. Sehet! so wenig ist der Hexameter und die Polymetrischen Sylben- maaße unsrer Sprache natuͤrlich: bei den Griechen foderte ihn die singende Deklama- tion, tion, das an den Gesang gewoͤhnte Ohr, die vieltrittige Sprache; bei uns verbeut ihn, Sprache und Ohr und Deklamation. Was sollen wir denn aus dieser Zeit nach- ahmen? Die Lenkung des Perioden? Auch nicht! Homer sang und wurde spaͤt gesamm- let! Die Tragoͤdien des Aeschylus und So- phokles wurden, wie die Alten gemeinschaft- lich bezeugen, auf der Buͤhne durchaus ab- gesungen. Die Sprache stuͤzzte sich also damals maͤchtig auf eine Deklamation, die fuͤr uns ganz ausgestorben ist, und die ihr damals Geist und Leben gab. — Mit dieser Deklama- tion verlieren wir also auch den Gebrauch vieler Partikeln, Verbindungen, und Fuͤllwoͤrter, die zur damaligen Deklamation gehoͤren. Das Αλλ οταν, womit jedesmal die Orakel an- fiengen, das αλλα, δε und αυταρ des Ho- mers, womit er die Glieder seiner Perioden verbindet, wuͤrden, da wir an Prosaische Perio- den gewoͤhnt sind, sehr wunderlich in der Ueber- sezzung klingen; eben so laͤcherlich, als wenn der ehrliche blinde Saͤnger aufstuͤnde, uns seine 24 Buchstaben vorzusingen. E 3 Nach Nachahmen koͤnnen wir hievon also nichts; aber doch gehoͤrt es dazu, um die Alten die- ses Zeitalters Poetisch zu lesen. Wenn ich den Homer lese, so stehe ich im Geist in Grie- chenland auf einem versammleten Markte, und stelle mir vor, wie der Sanger Jo, im Plato die Rhapsodien seines goͤttlichen Dichters mir vorsinget, wie er „voll von goͤttlicher Be- „geisterung seine Zuhoͤrer staunen macht, wie, „wenn er sich selbst entrissen, von dem Ulys- „ses redet, da er sich seinen Feinden zu er- „kennen giebt, oder da Achilles den Hektor „anfaͤllet, er bei jedem Fuͤrchterlichen, die Haa- „re aufrecht stehen, und das Herz schlagen „macht; wie er jedem die Thraͤnen in die „Augen lockt, wenn er von dem Ungluͤck der „Andromache, der Hekuba, des Priamus sin- „get. Wie die Corybanten, von der Melodie „des Gottes, der sie begeistert, entzuͤckt, ihre „trunkene Freude in Worten und Geberden „zeigen; so begeistert ihn Homer, und macht „ihn zum goͤttlichen Boten der Goͤtter.„ Jn dieser Entzuͤckung erfuͤllet die ganze Harmonie des Hexameters, und die ganze Pracht seines Perioden mir Ohr und Seele; jede Verbin- dung dung, und jedes Beiwort wird lebendig, und traͤgt zum Pomp des Ganzen bei: und wenn ich mich wieder zuruͤck in mein Vaterland fin- de: so beklage ich die, so den Homer in einer Uebersezzung lesen wollen, wenn es auch die richtigste waͤre. Jhr leset nicht mehr Ho- mer, sondern etwas, was ohngefaͤhr wieder- holet, was Homer in seiner Poetischen Spra- che unnachahmlich sagte. Sollen wir unsre Sprache durch die Jn- versionen bereichern, die damals in ihrer biegsamen Sprache jedem Wink der Leiden- schaft und des Nachdrucks nachgaben? Ver- sucht es; unsrer Sprache, selbst dem freiesten und verworrensten Klopstockischen Hexameter sind Fesseln der Construktion angelegt worden, die die Harmonie des Griechischen Perioden meistens zerstoͤren werden. Oder sollen wir unsre Sprache in Bildung der Machtwoͤr- ter, nach dem Griechischen uͤben? Versucht es; wenn ihr gleich ein Schweizer seyd, wer- det ihr die Beiwoͤrter im Homer, Aeschy- lus und Sophokles, oft genug umschrei- ben muͤssen. E 4 Jch Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr nicht so alt, daß sie, so wie sie sind, bis an den Orpheus reichen sollten; aber, so wie unsre Kirchensprache, und Kirchenpoesie, bestaͤndig Jahrhunderte zuruͤckbleiben: so zeigen sie, nach meiner Meinung, am besten, wie die aͤl- teste Sprache der Poesie, zur Zeit des hohen Stils gewesen ist. Wohlan nun! versucht, diese Hymnen so ins Deutsche zu verpflanzen, als Skaliger sie in Altlatein uͤbersezte: ihr werdet, ohngeachtet aller Staͤrke doch oft das alte Deutsche vermissen, das bei den alten Druiden in ihren heiligen Eichenwaͤldern Or- pheiisch geklungen haben mag! — Solche kuͤh- ne Versuche mache ein junges munteres Ge- nie fuͤr unsre Sprache; aber es lasse auch al- te unparteiische Philologen daruͤber urteilen. Homer, Aeschylus, Sophokles schuf- fen einer Sprache, die noch keine ausgebildete Prose hatte, ihre Schoͤnheiten an; ihr Ueber- sezzer pflanze diese Schoͤnheiten in eine Spra- che, die auch selbst im Sylbenmaas und — wie wir bewiesen zu haben glauben — selbst im Hexameter Prose bleibt, daß sie so wenig als moͤglich verlieren. Jene kleideten Ge- danken danken in Worte, und Empfindungen in Bil- der; der Uebersezzer muß selbst ein schoͤpferi- sches Genie seyn, wenn er hier seinem Original und seiner Sprache ein Gnuͤge thun will. Ein Deutscher Homer, Aeschylus, Sophokles, der im Deutschen eben so klaßisch ist, als jene in ihrer Sprache, errichtet ein Denkmal, das weder einem Klein - noch Schulmeister ins Auge faͤllt, das aber durch seine stille Groͤs- se und einfaͤltige Pracht das Auge des Wei- sen fesselt, und die Aufschrift verdienet: Der Nachwelt und Ewigkeit heilig! Ein solcher Uebersezzer ist unstreitig viele Koͤpfe groͤßer, als ein anderer, der aus ei- ner naͤhern Zeit, aus einer verwandten Sprache, aus einem Volke, das mit uns einerlei Denkart und Genie hat, ein Werk uͤbersezzt, das im leichtesten Poetischen Ton, Didaktisch, geschrieben ist, und das dem ohn- geachtet doch in der Uebersezzung sein bestes Colorit verlieret — sollte dieser Uebersezzer auch Ebert selbst seyn. — Sein Young haͤt- te im Deutschen, zu unsrer Zeit, nach unsern Sitten und Religion, immer seine Naͤchte E 5 schrei- schreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in unsrer Sprache? in unsrer Zeit? bei unsern Sitten? — Niemals! So wenig als wir Deutschen je einen Homer bekommen wer- den, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns sey, was jener fuͤr die Griechen war. 9. S o sehr verzweifle ich also an Uebersez- zung der aͤltesten Griechischen Dichter; aber desto mehr suche man von der Griechischen Prose eines Platons und Xenophons, ei- ues Thucydides und Polybius, und die spaͤtern Griechischen Dichter zu nuzzen. Zu dieser Zeit lebten die κἀλοι κἀγαϑοι der Wissenschaften, die mit dem Genie unserer Zeit naͤher verwandt sind; der Periode war in seinem besten Glanze, und die Jdiotismen milderten sich. Von diesen Schriftstellern kann die Deutsche Sprache unstreitig viel lernen; weil sie sich in die Griechische eher und biegsamer schicken kann, als in die Latei- nische; weil die Griechische es auch unstreitig mehr mehr verdient, und weil fuͤr die Deutschen eine ausgebildete Poesie und Prose des gu- ten Verstandes, ohnstreitig die beste Spra- che ist. Heilmann, der Uebersezzer des Thucydi- des, der gewiß seinen Autor, und die Kunst zu uͤbersezzen gekannt hat: scheint die Biegsamkeit der Deutschen Sprache nicht genug in seiner Gewalt gehabt zu haben, um sie mit der Grie- chischen zusammen zu passen. Jndessen hat freilich dieser Baumgartensche Philolog noch ziemlich seinen Mann gewaͤhlt, da er uns den koͤrnichten Thucydides liefert, dessen Schreib- art er uns mit Meisterzuͤgen geschildert hat: s. Litt. Br. Th. 3. p. 202. „Man siehet uͤberall die Miene des großen, „des vornehmen Mannes, der als ein Staats- „mann schreibt, der aber auch nur fuͤr Staats- „leute schreiben will; der nichts weniger im „Sinne hat, als ein klaßischer Schriftsteller „zu werden, aus welchem einmal kuͤnftig Red- „ner Beispiele zu ihren Vorschriften samm- „len sollten. Er siehet also uͤberall nur auf „die Wuͤrde in den Gedanken, und auf den „Adel „Adel im Ausdruck. Er fasset jene kurz und „buͤndig, und in diesem sucht er sich bestaͤn- „dig von dem gemeinen zu entfernen. Er „hatte in seiner Jugend ohnfehlbar die Grund- „saͤzze der Beredsamkeit gefasset; allein er be- „hielt sie hernach, um sie zu brauchen, und „nicht sich daran zu binden. — Er ist ein „Schriftsteller, der aus den Gedanken alles, „und aus dem Ausdruck nur so viel macht, „als zu jenen noͤthig ist; der seine Jdeen ge- „nau und buͤndig fasset und sie durchaus so, wie „er sie gefasset, ausdrucken will: und hiernach „muͤssen sich Ausdruck, Saͤtze, und deren Ver- „bindungen, Perioden und deren Beziehungen „und alles richten. — Seine Schreib- und „Denkungsart ist im hoͤchsten Grade Pathetisch. „Er ist seiner Sprache vollkommen kundig, „das Bluͤhende, das er durch den Reichthum „des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet, „haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der „nachdruͤcklichsten Woͤrter, und durch die Ener- „gische Beugung und Verbindung derselben „zu erhalten; und er ist dreust genug, der- „gleichen zu machen, wo er es nicht vor sich „findet. Aus diesen Stuͤcken zusammenge- „nom- „nommen erwaͤchst eine Schreibart, die in „Ansehung ganzer Ausspruͤche, schwer, ge- „drungen und in einander gewunden, in An- „sehung der Wortfuͤgungen sonderbar und oft „unregelmaͤßig, in Ansehung des Ausdrucks „sehr fruchtbar, aber auch neu und unge- „woͤhnlich ist. Er ist der Schoͤpfer seiner „ganzen Schreibart. Dieses erhellet daraus „am deutlichsten, daß sich das besondre dar- „inn nirgends mehr zeigt, als in solchen Stel- „len, worinn er blos selbst denkt, in seinen „Reden und eingemischten Betrachtungen. „Hier sind die Perioden oft von ungewoͤhnli- „cher Laͤnge; denn er schließt nicht eher, bis „seine Reihe von Gedanken zu Ende ist. Hier „sind die Wortfuͤgungen sehr versteckt, und „durch haͤufige Einschaltungen unterbrochen; „denn er will jeden Begrif durchaus an dem „Orte, in dem Verhaͤltnisse ausdrucken, wo „er sich in dem zusammengesezten Bilde sei- „ner Jdeen befindet; hier sind die einzelnen „Ausdruͤcke von der gewoͤhnlichen Bedeutung „und Gebrauch entfernt, weil das Gewoͤhn- „liche das Ebenmaas seiner Begriffe nicht „genau ausdruͤckte, und eine Umschreibung „ihm „ihm zu langweilig duͤnkte.„ — So ka- rakterisiret Heilmann des Thucydides Schreib- art — und vielleicht die seinige selbst mit, so wie er sie durch diese Uebersezzung und das Lesen der Baumgartenschen Schriften gebildet hatte. Wie sticht diese Schilderung ab, ge- gen die, so Geddes vom Thucydides macht: er als ein Schulmeister, und Heilmann als ein Mann von Geschmack. Schade fuͤr die Deutsche Litteratur, daß Heilmann ihr so fruͤh entrissen worden. GriechischeUebersezzer von solchem Geschmack finden sich selten; und sie sollten sich doch finden, weil der Deutsche historische Stil am mei- sten durch die Griechen gebildet werden kann. Und dieser muß vorzuͤglich gebildet werden: „denn eine Sprache, die wenig Unterschied „in den Zeiten angiebt, die wenig ohne Huͤlfs- „woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern sezzen, und wenig Aenderung in „der Reihe der Worte anbringen kann; eine „solche Sprache ist nicht sonderlich geschickt „zur Geschichte; und hier muß man ihr also die „groͤßte Huͤlfe geben. Litter. Br. Th. 17. p. 187. , Und so ist die Deutsche. „Fer- „Ferner! Litt. Br. Th. 7. p. 24. Die grosse Manier im Dia- „logiren sollen wir auch zu erreichen stre- „ben, die wir an den Alten bewundern? „Sie wusten einen Discurs mit vieler Ge- „schicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizu- „fuͤhren, die Materie unter die unterreden- „de Personen gluͤcklich zu vertheilen, jede Per- „son karaktergemaͤß denken, und gelegent- „lich sprechen zu lassen, und gleichwohl war „ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge- „richtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤg- „te die mannichfaltige Theile so gluͤcklich an „einander, daß man dem Faden der Unter- „redung ohne Verwirrung folgen, und den „Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberse- „hen konnte. Sokrates hatte seine eigene „Weise. Er wuste seinen Gegner durch „geschickte Umwege dahin zu locken, wo er „ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen „entstand, so erlaubte er ihm zuruͤck zu „kehren, und wenn er es noͤthig findet, sich „besser vorzusehen. Seine groͤßte Kunst aber „sezte er daran, die wichtigen Lehren, davon „er „er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile „aufzuloͤsen, so wie man die harten Speisen „zerhackt, um sie fuͤr schwaͤchliche Magen „etwas verdaulicher zu machen. Er fieng „sodann von dem Bekanntesten an, das „sein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konn- „te, lockte ihm ein Gestaͤndniß nach dem an- „dern ab, und ganz unvermerkt befand er „sich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein ge- „meines Talent dazu, sich diese Manier ei- „gen zu machen, und selbst einem Cicero ist „sie nicht sonderlich gelungen.„ Freilich ge- hoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen Shaftesburi, der sie vom Plato ziemlich abgelernet, so wie er selbst wieder der Lehrer des Diderot zu seyn scheint. Warum wol- len wir aber nicht aus der Quelle selbst schoͤ- pfen, da diese Art zu dialogiren der Sprache selbst viele Biegsamkeit, Abwechselung und Munterkeit ertheilt? Unter den Deutschen bat sie Leßing vorzuͤglich in seiner Gewalt: sowohl in den Lustspielen, als der Fabel. 10. Und 10. U nd nun die Uebersezzer aus dem Lateini- schen! Eine nuͤtzliche Bemerkung schreibe ich her, Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130. uͤber die Verschiedenheit des Lateini- schen und Deutschen Perioden. „Jm Deutschen ist ein Stil schon Perio- „disch, wenn auch die Bindewoͤrter der La- „teiner nicht so genau dazwischen gestellet, „und die Absaͤzze so an einander gekettet sind. „Die Roͤmer musten dieses, wegen der Kuͤrze „ihrer Worte thun, wenn sie nicht in den „abgeschnittenen Stil verfallen wollten. Oh- „ne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Par- „ticipien, fuͤgte sich ihre Sprache so an einan- „der, daß immer ein Satz in wenigen Worten „da stand. Weil die Seele also wenige Zei- „chen zu fassen hatte: so konnten auch die „folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden, „wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung „den Autor zwang, lieber dem Geiste viel „Ruheplaͤzze zu verschaffen, als das Ohr zu „fuͤllen. Jm Deutschen aber, welcher Un- „ter- F „terschied! wenn wir die Perioden nicht „schleppen wollen, muͤssen wir sie mannich- „mal trennen, und wenn wir nicht ganz zu- „ruͤckbleiben wollen, muͤssen wir unsrer Spra- „che Huͤlfe geben. Es ist wahr! es ist dem „Uebersezzer nicht erlaubt, den alten Roͤmer „zum witzigen Franzosen zu machen, und „seine Lehren in Antithesen zu verwandeln; „allein seine Lebhaftigkeit muß er ihm erhal- „ten. Wir sind nicht so albern, daß wir „einem Tullius, wenn er unter uns aufstehen „koͤnnte, nicht anders als frisert zu erscheinen „erlaubten: aber seinen muntern Blick und „sein os rotundum wollten wir auch nicht „gerne entbehren. Jndessen ist der Unter- „schied zwischen dem Lateinischen und Deut- „schen Perioden ein neuer Grund, warum die „Bekanntschaft mit den Griechen, und auch „die Uebersezzungen aus ihnen, fast noch mehr „anzurathen sind, als die Uebungen mit den „Lateinern. Kann ich wohl dieses laut ge- „nug ruffen, damit man mich in Deutsch- „land allenthalben hoͤre?„ — Wenn ich aus dem Lateinischen Uebersez- zungen riethe; so waͤre es erst ihrer Poeti- schen schen Sprache, denn ihres historischen Stils wegen. Die Poetische Sprache! Ein Deutscher Horaz wuͤrde unsre Sprache gewiß bereichern, und unsern Perioden der Ode bestimmen, daß er ganz das Ohr fuͤl- let. Da Ramler das lezte im Deutschen am besten getroffen und uͤberhaupt viele Kaͤnntniß des Antiken und Deutschen Wohl- klanges zu haben scheint: von wem sollen wir uns einen Deutschen Horaz lieber wuͤnschen, als von ihm? Horaz ist seiner Sprache ganz Meister. Sein Periode wird ein Gemaͤlde, wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an denen er gluͤcklich ist, eine Figur ausmachet: die Anordnung dieser Figuren erhebet dabei das ganze Gemaͤlde: man versuche es, Woͤr- ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies ist ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu- tung legt. Jn der That, es kommt mir vor, daß Horaz den Griechen das meiste unter den Lateinischen Dichtern abgelernt: seine Freiheit in Bildung schoͤner Graͤcismen, und sein wirklich Griechischer Wohlklang wuͤrden uns in der schwersten Gattung der Gedichte F 2 zei- zeigen koͤnnen, wie man eine andere Sprache nachzuahmen haͤtte, wenn nicht Alcaͤus und Sappho und die uͤbrigen Lyrischen Griechen verlohren waͤren. Die historische Uebersezzungen waͤren wieder fuͤr unsern Stil unentbehrlich. „Der „historische Stil will Kuͤrze, und uns man- „geln viele Participien; er fodert Sprach- „naivitaͤten, und das Deutsche giebt sie nicht. „Mit wie vielem Reize brauchen nicht die „Lateiner ihre Jnfinitiven, wenn wir uns im- „merfort mit unserm Imperfecto schleppen „muͤssen: Ille hostem aggredi \&c. Die „Franzosen haben dies in ihre Sprache uͤber- „tragen. Unsre Huͤlfswoͤrter, die wir zur „Bildung des Perfecti brauchen, machen „den Stil zu weitschweifig. Die Franzosen „haben ihr erzaͤhlendes Perfectum; wir un- „ser Imperfectum, aber sie haben es ja auch. „Folglich kommen wir immer zu kurz. Jn „einem Stil, der durch wenig Zierrathen „abgewechselt wird, wo die Perioden nicht „gedehnt, und durch praͤchtige Worte voll- „gestopft werden, kommt unendlich viel auf „solche Abaͤnderungen an. Hier muͤssen wir „un- „unserer Sprache zu helfen suchen, und wenn „sie uns ihre Huͤlfe entzieht, doch Wendun- „gen ausdenken, dadurch dieser Mangel er- „sezzt wird. Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187. „ — Jn diesem Gesichts- punkt — wie manche Vorzuͤge um das Ver- gnuͤgen im Lesen, um das Deutsche Ohr, und die Deutsche Sprache, hat nicht der Magdeburgische Uebersezzer des Tacitus vor dem Hamburger. Und Tacitus ist mehr fuͤr unsre Zeiten ein Muster, als Livius. Jn seinem Geist der Erzaͤhlung? gewiß: denn die sorgfaͤltigen Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen ge- hoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geschichte, die ihre Religion unterstuͤzzen sollte: die vie- len eingestreueten Reden schmecken auch nach dem Geist der damaligen Zeit, wo Beredsam- keit eine nothwendige Eigenschaft des Buͤr- gers war: die enthusiastischen Wunder der Tapferkeit von Personen beiderlei Geschlechts, belebten einen Roͤmer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unsrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hin- gegen Tacitus mit seinen Reflexionen, die in F 3 den den Geist der Begebenheiten dringen, ist ein Geschichtschreiber fuͤr Deutsche. Und in sei- nem Stil auch mehr, als jener. Litt. Br. Th. 10. p. 213. „Der „Stil kann durch die verschiednen Zeiten auch „bestimmt werden. Dies ist eine Anmer- „kung, die ich dem Gordon aus seinen Be- „trachtungen uͤber den Tacitus abborge. „Einige Zeiten koͤnnen eine starke braune Far- „be uͤber die meisten Gemaͤlde verbreiten, „wenn andre Zeiten ein hoͤherés und bren- „nenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt „daraus den Unterschied zwischen dem Stil „des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde „sich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der „Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤ- „hern duͤrfen. Unsre Sprache, die ohnehin „viel weitschweifiger ist, als die Lateinische, „fodert dies mit desto staͤrkerm Rechte. Man „hat den historischen Stil mit einem sanften „Bach verglichen, der ohne Geraͤusch seinen „gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß „nur dabei bedenken, daß dieser Bach immer „seine gehoͤrige Tiefe behalten muß; weil sich „sonst „sonst das Auge nicht mehr an der Durch- „forschung vergnuͤgt, und also keine Schoͤn- „heiten mehr findet.„ Ueberhaupt kleidet auch eine Nachdrucksvolle Schreibart die Deutschen am besten. Die Points; die Epigrammatische Einfaͤlle; die Wendungen, und der blendende Witz des Seneka und Plinius, sind mehr fuͤr die Franzosen; und ein Beaumelle, der in mes pensées so gluͤcklich ist, kann auch Pensées de Seneque schreiben. 11. „ G esellen Sie nun zu diesen Alten noch ei- „nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „und deren Sprache mit der unsrigen ver- „wandt ist: was wuͤrden wir nicht unsern „Uebersezzern zu verdanken haben?„ Diese neuere Auslaͤnder sind ohne Zweifel Franzo- sen und Englaͤnder, zwischen welchen der Deutsche in der Mitte steht. So wie die Franzosen vormals von der Litteratur unsrer Nation urtheilten: so urtheil- F 4 ten ten sie auch von unsrer Sprache; ich darf die unwissende Urtheile des Mauvillon und so vieler andern nicht wiederholen; sie lassen uns jetzt mehr Gerechtigkeit wiederfahren, seitdem das Journal étranger unserm Stil, Premontval und andere sogar unserer Spra- che haben Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Dem ohngeachtet aber macht die wirklich zu große Verschiedenheit der Nationen, ihrer Denk - und Schreibart, ihrer Sitten und Sprache bei ihnen noch immer Jrrungen, die wir ihren mindern Kaͤnntnissen zuzuschrei- ben haben. „ Deutsches Ohr, Deutsche Haͤrte, „Deutsche Rauhigkeit! heißt es noch immer! „Unsere Sprache soll etwas barbarisches „an sich haben: so wohl wegen der vielen „Consonanten, mit denen sie uͤberhaͤuft ist, „als wegen der sonderbaren (bisarren) Con- „struktion ihrer Redensarten, die dem Schrift- „steller keines Weges mehr Freiheit, oder „mehr Huͤlfsmittel gibt, sondern nur ohne „Noth die Metaphysische Ordnung der Wor- „te stoͤret.„ Wir wollen diese Stelle etwas beherzigen. Un- Unsere Sprache hat wegen der Consonanten etwas barbarisches an sich:) Litt. Br. Th. 16. p. 20. und die Fran- zoͤsische wegen der oͤftern Elisionen, wegen der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb ver- schluckt werden, wegen der laufenden Aus- sprache, keinen gewissen Tritt. Aber das erhebt ja nicht unsre Sprache, wenn die andre an einer andern Seite leidet? Nein! aber die unsere leidet darinn nicht so, wie ein Franzose glaubt. Damit unsre Laute sich nicht unter den Consonanten verlieren moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und staͤrkere Vokale, als sie: so daß unsre Sprache eine gewisse Dorische Fuͤlle bekommt, die in starken Monologen des Trauerspiels, in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnn- lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber im ernsthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤck- lichen Betrachtungen sich unserm Charakter sehr anschmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur diese Dorische Rauhigkeit so viel Einfluß in das Jnnere unserer Sprache haben, als die Do- rische Haͤrte desto vollere Schoͤnheiten in die F 5 Oden Oden des Pindars, und in die Aeolische Schriftsteller hat einweben koͤnnen: so woll- ten wir zu den Franzosen laut sagen, was wir seit kurzem haben anfangen koͤnnen zu sagen: Jhr sagt! meine Sprache schaͤnde mich! sehet zu, daß ihr nicht die eurige schaͤn- det: wie einst der Koͤnigl. Scythe Anachar- sis, gegen die Griechen sein Vaterland ver- theidigte. Zweitens: wir haben mehr Hauche in un- serer Sprache, als sie: und die Aspiration gehoͤrt so sehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der schmeichelnde West, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit diesen hat sie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: sie empfehlen sich alle durch ein sanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker so uͤbel nachspre- chen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Rus- sen, in ein scharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, fast wie das Ain der Hebraͤer aus- stoßen muͤssen: daher das H bei einigen Voͤl- kern das Schibolet ist, woran man kennen kann, daß sie gebohrne Gergesener sind: da die die Letten z. E. Jmmel und Eute (statt Him- mel und Heute) aussprechen. — Das H ist uͤberhaupt die Graͤnze zwischen Laut und Mitlauter: es gibt, nach Gellius Bemer- kung, dem Worte Haltung, und dem Schalle Munterkeit: es nimmt dem Vokal etwas vom Laute, und gibt dem Mitlauter etwas dazu: es verhindert die gar zu große Oeffnung des Mundes bei den Vokalen, und die Zerrung bei den Consonanten: daher die Griechen, die die Hauche ( Spiritus ) bei ihrer Sprache so sehr brauchten, um insonderheit das Ypsi- lon fortzustoßen; im Physischen Verstande den Ausspruch des Horaz verdienen: — Grajis dedit ore rotundo Musa loqui. Und doch reicht die Griechische Sprache hierinn nicht an die Morgenlaͤndischen, deren Aspirationen, (z. E. bei den Hebraͤern das , , und ) kaum mehr zu bestimmen sind. Die Roͤmer, die ihre Sprache so Griechisch als moͤglich machen wollten, nahmen daher auch die Hauche auf, um ihre alte Mundart zu mildern. Quintilian fuͤhrt an, die Alten haͤt- haͤtten aedus, ircus (statt haedus, hircus ) gesprochen: man haͤtte aus dem Griechischen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catullische Epigramm kennet, das uͤber hinsidias und hionios (statt insidias und ionios ) spottet: so weiß man, daß die Klein- meister von lieblichem Ton ihn endlich zu all- gemein auch bei den sanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert sich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, statt pulcer und triumpus aussprechen muͤste, und Quinti- lian aͤrgert sich, daß man schon ausschweif- te, um chorona und praecho zu schreiben. Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer- kung, die unsrer neuen Orthographie noͤthig ist. Die Alten hatten sich so in das H verliebt, daß sie es gerne sprachen, selbst wo sie es nicht schreiben dorften, und auch nicht schrieben. Uns neuern ist so wenig an diesem Musikali- schen Buchstaben gelegen, daß wir ihn im Schrei- ben so gern wegwerfen, da wo wir ihn doch nothwendig, und insonderheit bei einsylbigen Woͤrtern sehr unterscheidend sprechen muͤssen. Die Orthographie des Denso und vieler an- dern ist mir also unausstehlich: die bewonen, Lon, Son schreiben: bald wird man also auch Geen (statt geben), aben statt haben, und An, statt Die Die Nordlichen Voͤlker verschlingen die Aspi- ration der Kehle durch den starken Gebrauch der Zunge, Lippen und des Gaumens, und da sie die Lateinischen Laͤnder uͤberschwemmten: so fanden sie das H unaussprechlich. Es verlor sich also aus der Jtaliaͤnischen und meistens auch aus der Franzoͤsischen Sprache. Unsrer Deutschen Sprache, als einer Origi- nalmundart blieb es, und mildert also recht sehr ihre Barbarey der Consonanten. „Das Deutsche hat aber so bisarre Construk- „tionen, daß die Metaphysische Ordnung der „Worte ohne Noth gestoͤrt wird, und der „Schriftsteller doch keine Freiheit mehr hat. Litt. Br. Th. 16. p. 20. 21. „Zum Exempel! die Metaphysische Ordnung „der Worte wird gestoͤrt: denn wie laͤcher- „lich klingts: Hier au soir vint le Comte „ici par; und doch sagen die Deutschen: „Gestern Abend kam der Graf hier an!„ — Wer von den Deutschen ist von diesem Exem- pel nicht so getroffen, als von einem Blitze, daß statt Hahn schreiben. Schade fuͤr unsre Spra- che, wenn man zwei Menschenalter nach uns so spricht, als diese Sprachverderber schreiben. daß er so gleich den Eigensinn der Franzoͤsi- schen Sprache, und ihre Ungelenkigkeit fuͤr die wahre, einzige Metaphysische Ordnung der Woͤrter haͤlt, und kuͤnftig immer den Franzosen zu Gefallen, und zu Ehre der Sprachenphilosophie folgende Construktions- ordnung einfuͤhret: „weil ihr nicht uns da- „von habt nicht heute wollen thun den Ge- „fallen: wir euch ihn werden thun.„ Denn dies ist die aͤchte Franzoͤsische Construktions- ordnung ( puisque vous ne nous en avez pas aujourd’hui voulû faire la grace; nous vous la ferons ); und der Eigensinn der Franzoͤ- sischen Construktion, ist doch die Metaphysische Ordnung selbst. Wenn man sich doch scheuen wollte, Sachen in die Welt zu schreiben, von denen man nicht die gehoͤrige Kaͤnntniß haben kann. „Jn wie fern Jnversionen nuͤtzlich oder „schaͤdlich sind, muß gewiß, aus ganz andern „Gruͤnden, als solchen woͤrtlichen Uebersez- „zungen eroͤrtert werden; und die Ursache, „warum dergleichen Partikeln in der Deutschen „Sprache so und nicht anders gesezzt werden, „mag sich doch wohl koͤnnen Philosophisch erklaͤ- „ren „ren lassen.„ Jch versuche es, sie Philosophisch zu erklaͤren; — aber nicht die Partikel — denn jede Sprache hat ihren Eigensinn; son- dern die Jnversionen uͤberhaupt: so wird sich ihre Erlaubniß und Nutzen von selbst zeigen. 12. D as Hauptgesez bei der Verbindung der Worte zu einer ganzen Jdee ist folgendes: Litt. Br. Th. 17. p. 184. „Man lasse mehrere Jdeen, die zusammen ei- „nen Gedanken ausmachen sollen, in der Ord- „nung folgen, die der Faßlichkeit des Gedan- „kens, und dem jedesmaligen Zwecke des Re- „denden gemaͤß ist. Nun kann der Zweck des „Redenden in tausend Faͤllen einerlei seyn; „also wird es eine gewisse allgemeine Con- „struktionsordnung geben. Hundert mal „aber gibt es einen besondern Zweck des Red- „ners, und denn ist die Sprache die beste, „welche raͤumig gnug aufgeschuͤrzt ist, um ih- „re Ordnung nach diesem Zwecke wenden zu „koͤnnen.„ Stel- Stellet euch zwei Geister vor, die sich ein- ander ihre Gedanken, und blos Gedanken un- mittelbar mittheilen; so wird die Ordnung, in der das eine Wesen sie denket, auch zugleich die seyn, in der sie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen sich entweder aus seinem innern Grunde hervorwickeln, oder so wie es sie aus den Dingen außer sich schoͤpfet: so theilet es dieselben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedan- ken einer andern Vernunft saget: gehet also den gewoͤhnlichen Pfad der Zusammensezzung der Begriffe; sie zeiget den Gegenstand zuerst und ihr Urtheil daruͤber an. Hier ist also der Bau eines Perioden so regelmaͤßig be- stimmt, daß, nach der Arabischen Prosodie zu reden, jedes Wort einen Pfosten und Saͤule ausmacht, der eben hier an seinem Orte stehet. Betrachtet eine Philosophische Sprache; waͤre sie von einem Philosophen erdacht: so huͤbe sie alle Jnversionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: so waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung so bestimmt, als in unsrer Deka- dik. So lange wir aber noch keine durch- aus aus Philosophische Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: so nehmt die, die am meisten zur Weltweisheit ge- braucht wird, die Lateinische, nehmt sie, wie sie in den Buͤchern der Weltweisheit ist, wenn sie Lehrsaͤzze und trockene Beweise vortraͤgt; wie ist sie? ohne Jnversionen meistentheils. Nun stellet euch zwei sinnliche Geschoͤpfe vor, davon der eine spricht, der andre hoͤret: Dem ersten ist das Auge die Quelle seiner Begriffe; und jeden Gegenstand kann er in verschiedenen Gesichtspunkten sehen; dem andern zeiget er diesen Gegenstand, und es kann auf eben so verschiedenen Seiten geschehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen die- ser Gegenstaͤnde: so habt ihr den Ursprung der Jnversionen. Je mehr sich also die Auf- merksamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben diese Seite zeigen, am er- sten zeigen, im hellesten Lichte zeigen — und dies ist der Ursprung der Jnversionen. Ein Beispiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu seinem Haupt- augenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. — G Die Die Schlange fleuch! ruft ein anderer, der nichts geschwinder will, als mir die Schlan- ge zeigen; fliehen werd ich von selbst, so bald ich von ihr hoͤre. — Er hat mir das Geld gestohlen; und kein anderer; Er hat mir das Geld gestohlen; ich weiß es gewiß; das Geld hat er mir gestohlen (und keinen Ring); Mir hat er das Geld gestohlen, und keinem andern; gestohlen hat er mir das Geld (nicht abgeborgt): wie viel Veraͤnderung macht hier nicht die Jnversion in der Wendung des Ge- dankens. Entspringt also die Jnversion von der sinn- lichen Aufmerksamkeit: so muß bei einer noch ganz sinnlichen Nation ihre Sprache unregel- maͤßig und voll Veraͤnderungen seyn: wie die Gegenstaͤnde ins Auge fallen, so saget sie die- selbe; eine Grammatikalische Construction ist noch nicht eingefuͤhrt. So sind noch jetzt die Sprachen der Wilden, und alle alte Spra- chen, die urspruͤnglich sind, und das Gepraͤ- ge der ersten sinnlichen Lebensart fuͤhren, sind voll Jnversionen. Geberden, und Accent kommt zu Huͤlfe, um dies Chaos von Worten verstaͤndlich zu machen. — Noch immer spricht man man von den aͤltesten Sprachen, als waͤren sie von GOtt, oder einem Philosophen erfun- den, und waͤren aus seinem Gehirn mit aller Ruͤstung gesprungen, wie Pallas aus dem Ge- hirn des Jupiters. Alles, was wir schoͤnes in den aͤltesten Sprachen finden: ist erst spaͤ- ter in sie gekommen, nur wir kennen die er- sten unfoͤrmlichen Zeiten nicht; daher schei- nen sie uns gleich im Anfange im Glanz. Nehmet das sinnreichste Spiel, wo ein Euler durch die Berechnung der Faͤlle der Wahr- scheinlichkeit die weiseste Anordnung entdeckt; ist es im Anfange so gewesen — nichts als ei- ne Zusammenhaͤufung ungefaͤhrer Wuͤrfe; ei- ne Folge von Versuchen, bis Versuche endlich Kunst in dasselbe brachten — So bald gewisse Dinge mit bestimmten Worten fortgepflanzt wurden; wie dies durch die ersten Lieder geschahe; so fieng sich dieses unordentliche Chaos an zu senken; man suchte die Ordnung der Worte aus, die dem Lernenden am faßlichsten waren; das Syl- benmaas muste sie einpassen, und so ward sie zwar kein Gesez, keine Regel, aber ein Muster, ein Praͤjudicat: und man weiß, daß alle Voͤl- G 2 ker ker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe sie Ge- sezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten, und so ward auch die Con- struktionsordnung dazu, doch daß ihre Ueber- tretung noch keine Suͤnde war. Endlich naͤherte sie sich dem Ansehen ei- nes Gesezzes, da die Buͤchersprache auf- kam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die Jnversionen erlaͤutert hatte. „Denn dem „Sprechenden helfen seine Gebaͤrden und der „Ton der Stimme den wahren Verstand be- „stimmen; da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.„ Litt. Br. Th. 17. p. 186. Man muste also einer ge- wissen Ordnung folgen, um dem Lesenden verstaͤndlich zu werden; indessen war diese noch sehr frei, wie die urspruͤnglichen aͤltesten Griechischen und Roͤmischen Dichter bezeugen, denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrun- gen nachmachen kann. Man bestimmte die Ordnung der Wor- te so lange, bis man endlich den Prosaischen Perioden herausdrechselte, der der Ordnung der Jdeen, so wie sie sich der Verstand bildet, folg- folgte, und doch auch das Ohr und das Auge zu Rathe zog. Und er ward also in seiner Struktur eine Anordnung von Bildern, so wie sie sich dem Auge darstellen wuͤrden, von Jdeen, wie sie sich der Verstand denkt, von Toͤnen, wie sie das Ohr fodert, daß es mit Wohllust erfuͤllet werde. Der bloße Verstand, der nichts mit Auge und Oho zu thun hat, folgt blos der Ordnung der Jdeen, und hat also keine Jnversionen; so ist der Logische Periode. Er verwirft jede Veraͤnderung, weil das Einfache das einzige Deutliche ist, und jede Jnversion wenigstens einen moͤglichen Fall macht, daß eine dop- pelte Beziehung entspringen kann. 13. N un untersuchen wir hiernach die neuern Sprachen. Je mehr eine derselben von Gram- matikern und Philosophen gebildet worden; desto haͤrtere Fesseln traͤgt sie: je mehr sie ihrem urspruͤnglichen Zustande nahe ist; desto freier wird sie seyn. Je mehr sie lebt: desto G 3 mehr mehr Jnversionen; je mehr sie zur todten Buͤ- chersprache zuruͤckgesezzt ist; desto mindere. Alles beweiset die Franzoͤsische Sprache: Diderot klagt, daß ihr die Grammatiker der mittlern Zeiten, die ihre Sprachkunst gebildet, Fesseln angelegt, unter denen sie auch wirklich noch jetzt seufzet. Wegen dieses einfoͤrmigen Ganges mag es vielleicht seyn, daß man sie eine Sprache der Vernunft nennet; daß sie eine so schoͤne Buͤchersprache zum Lesen ist. Aber fuͤr das Poetische Genie ist diese Spra- che der Vernunft ein Fluch, und diese schoͤne Buͤchersprache hat, um im Reden nicht zu schleppen, den fluͤchtigen und ungewissen Tritt annehmen muͤssen, der fuͤr die hohe Deklama- tion diese galante Sprache Nervenlos macht. Wenn es von unsern jetzigen Sprachen gilt, „daß wir eine Menge besonderer Zwecke gar „nicht durch die Wortfuͤgung anzuzeigen ver- „moͤgend sind: sondern sie nur muͤssen aus „dem Zusammenhange errathen lassen:„ Litter. Br. Th. 17. p. 186. so ist diese Unvollkommenheit gewiß vorzuͤglich bei der Franzoͤsischen Sprache. Aber Aber so ist doch ihre Sprache eine Spra- che der Vernunft, weil ihre Ordnung der Metaphysischen Reihe getreuer bleibt? Es sey so! getreuer! aber getreu bleibt sie ihr nie, und keine menschliche Sprache sinnlicher Geschoͤpfe kann ihr treu bleiben; denn die Franzoͤsische Sprache hat so gut, wie jede an- dere, unphilosophischen Eigensinn — und nun schliesse ich mit einemmal! ihre Ordnung ist schlechter, als die unsere, weil die unsrige raͤu- miger aufgeschuͤrzt ist, um ihre Ordnung nach jedem Zwecke lenken zu koͤnnen. Vollkom- menheit kann keine Sprache erreichen; die groͤßte Poetische Schoͤnheit auch nicht: sie bleibt also in der Mitte, und sucht: Behag- lichkeit, Man erlaube mir dies Wort, das ein Claßischer Schriftsteller unter uns, wenn ich nicht irre, gerechtfertiget hat: der Verf. der Phil. Schr. — und zu der gehoͤren auch Jn- versionen. Die Sprache hat den Punkt der Behag- lichkeit getroffen, die Poeten, Prosaisten, und Philosophen ein leichtes Werkzeug ist; die beiden ersten nutzen von den Jnversionen: wenn nun ihr Nutzen dem dritten nicht G 4 nach- nachtheilig ist; so koͤnnen und muͤssen sie bleiben. Ja! aber beweise, daß sie ihm nutzen! Der Franzose leugnet schlechterdings, daß sie ihm Freiheit und Huͤlfsmittel verschaffen: und denn beweise auch, daß sie dem Weltweisen nicht schaden: sonst muß man einen kleinern Nutzen dem groͤßern aufopfern. Jch will es versuchen. Jch fange vom leichtesten an. Das Ohr will einen Perioden, der es durch seinen Wohl- klang fuͤllet, der gnug abwechselt, und nicht zu oft wiederkommet. Kann dies eine Rede ohne Jnversionen erreichen? Schwerlich! ein Periode schließt sich, wie der andre, wenn er seine Meinung gesagt hat; das stolze Ohr wird durch einerlei Cadencen gequaͤlt: es em- pfindet es, die Jnversionen in der Sprache sind eben so noͤthig, als das Unebenmaaß in der Malerei, und in der Musik der Mißlaut. Die Franzoͤsische Sprache hat ja noch immer viele Jnversionen — und doch wird ein Griechisches Ohr in ihrem Poetischen und gewoͤhnlichen Prosaischen eine große Monotonie bemerken, die oft bei dem leztern d en Constructionen un- sers Canzleist il s gleicht. Dies Dies gienge endlich wohl noch hin — aber der Schriftsteller, der fuͤrs Auge, fuͤr die Einbildungskraft schreibt, der durch die Ein- bildungskraft, Aufmerksamkeit, Empfindung, ja oͤfters Leidenschaft erregen will — der braucht sie nothwendiger. Er malet der Einbildungs- kraft ein Gemaͤlde hin, wo jedes Wort von seinem Orte Schoͤnheit erhaͤlt — und die Ord- nung der Phantasie ist doch gewiß nicht die Ordnung der kalten Vernunft. Diese Jn- version ist, um die Aufmerksamkeit zu erregen, jene, um sie zu erhalten; diese uͤberraschet, jene beweget die ganze Seele: diese gehoͤrt zum Hinterhalt, um unversehens hervor zu brechen; jene gehoͤren zur Schlachtordnung, daß jedes Wort an seinem Orte trift, und in seinem Lichte erscheint. Hiedurch bekommt die Prose Munterkeit, die Poesie Feuer; und die muntern Franzosen haben es bis zur mun- tern Prose des Umganges gebracht; und die Jnversionen, die sich unsre gute Poeten haben erlauben koͤnnen; gehoͤren mit zur Deutschen Freiheit. Litter. Br. Th. 16. p. 8. G 5 Aber Aber wie? leidet nicht die Philosophische Sprache der Deutschen darunter? Was das anbetrift: so fuͤhlen wir weit eher Fesseln in der Dichterischen, als Philosophischen Sprache; auch wir fuͤhlen es: „daß wir eine Menge „besonderer Zwecke gar nicht durch die ordent- „liche Wortfuͤgung anzeigen koͤnnen; die wir „nur muͤssen aus dem Zusammenhange errathen „lassen.„ Unvollkommenheit unsrer Sprache von der sinnlichen Seite; aber voll der Seite der Vernunft?„ „Zur Weltweisheit Th. 7. p. 163. scheint die Deutsche „Sprache, mehr als irgend eine von den le- „bendigen Sprachen, ausgebildet zu seyn. Sie „ist bestimmt und reich genug, die feinsten „Gedanken des Metaphysikers in ihrer nack- „ten Schoͤnheit vorzutragen, und von der „andern Seite nachdruͤcklich und bilderreich „genug, die abgezogensten Lehren durch den „Schmuck der Dichtkunst zu beleben. Je- „nes hat sie Wolfen und dieses Hallern zu „danken. Zwei solche Schriftsteller sind genug, „einer Sprache von einer gewissen Seite die „gehoͤrige Ausbildung zu geben. Die Na- „tion „tion hat ihnen auch so zu sagen das Muͤnz- „recht zugestanden; denn die mit ihrem Stem- „pel bezeichnete Ausdruͤcke, sind in dem Ge- „biete der Weltweisheit nunmehr gaͤng und „gaͤbe worden. „Der Philosophische Geist hat sich bei uns „auf alle Theile der Gelehrsamkeit verbrei- „tet, und giebt unsern schoͤnen Schriften „selbst eine gewisse Teinture von Ernst und „Gruͤndlichkeit, die uns eigenthuͤmlich ist, und „einem Auslaͤnder den Karakter der Nation „zu erkennen geben muß. Hingegen muͤssen wir „von auswaͤrtigen Lesern aus eben der Ursach der „Dunkelheit beschuldigt werden, so lange sie „noch mit unserer Litteratur nicht genug be- „kannt sind. Wenn uns Deutschen die „Schriften eines Pascal, Fontenelle, Mon- „tesquieu und einiger andern Franzoͤsischen „Weltweisen nicht bekannt waͤren; so wuͤr- „den wir uns in die neuern Schriften dieser „Nation gleichfalls nicht zu finden wissen. „Und wie viel mehr muß dieses den Auslaͤndern „in Ansehung unsrer Litteratur wiederfahren, „da bei uns die Philosophie eine merkliche „Gewalt uͤber die Sprache gewonnen, und „wir „wir zur Verbesserung der schoͤnen Wissen- „schaften, so zu sagen, den Weg uͤber die „Metaphysik genommen haben.„ Jn diesen Gesichtspunkten hat unsre Spra- che vor der Franzoͤsischen voraus, und sollte es also Gelehrten noͤthig geschienen haben, diese Freiheiten aufzuopfern: „seit dem sie „Philosophie und Franzoͤsische Sprache studirt „haͤtten.„ Th. 16. p. 20. Philosophie und Franzoͤsische Sprache — ein Paar, was sich hier sehr fremde zusammen findet. 14. E s ist gut, daß ein Franzose es nicht unter- nimmt, uͤber unsre Sylbenmaasse zu urthei- len: sein Ohr ist zu einer Monotonie ver- woͤhnt, und es wuͤrde ihm, wie einem unge- lenkigen Alten, gehen, der seinen muntern Kna- ben das Springen verbeut, weil er selbst nicht mit springen kann. Einem Franzosen kann man es schwerlich begreiflich machen, „daß „unsre lange und kurze Sylben von so ver- „schiedener Art sind, daß man, um diese Nuan- „cen „cen richtig zu bezeichnen, ausser dem gewoͤhn- „lichen ⏑ und ̅ wenigstens noch drei ver- „schiedene Zeichen haben muͤste, daß unser „Hexameter also durch die Kraft eines Ge- „nies sich dem Hexameter der Alten unge- „mein naͤhern koͤnne.„ Litter. Br. Th. 16. p. 24. Jch wollte, da ich von der Uebersezzung aus den Alten redete, die Materie nicht zer- reißen: jezt sezze ich die vornehmsten Bemer- kungen der Litteraturbriefe mit einigem Kriti- schen Urtheil hieher: Ueber den Hexameter. „ D er Deutsche Uebersezzer des Rabelais, „Huldrich Elloposcleros (wahrscheinlich „Johann Fischart; denn ελλοπος κληρος „heißt, einer, den das Loos der Fische getrof- „fen, und die Uebersezzung des Philipp von „ Marnix von Fischart, ist dem Deutschen „ Rabelais sehr gleich) hat unter seinen Zu- „saͤzzen, den Anfang eines scherzhaften Hel- „dengedichts in gereimten Deutschen Hexa- „metern, „metern, und eine Zueignung an die Deutsche „Nation in Hexametern und Pentametern, wo „sich nicht blos Pentameter mit Pentameter, „sondern auch jedes Hemistichion mit dem an- „dern reimet. Das war 1617. Einige „Jahre nachher gab Alsted in seiner voll- „staͤndigen Ausgabe der Encyklopaͤdie ein Mu- „ster von Deutschen Hexametern. Von Al- „sted bis auf Heraͤus ist des Deutschen Hexa- „meters selbst nicht in den Lehrbuͤchern der „Dichtkunst gedacht, wo doch Muster in an- „dern Lateinischen Sylbenmaassen, in dem „Alcaischen z. E. vorkommen. Litter. Br. Th. 1. p. 110. ꝛc. Nach He- „raͤus gaben bald Omeis, bald Gottsched „nach allen ihren Kraͤften Beispiele davon; bis „endlich andere Maͤnner ins Spiel traten, die „der Sache nicht durch ihren Kritischen Rich- „terspruch, sondern durch ihren stillschweigen- „den Gebrauch den Ausschlag gaben. Der „Verfasser des Meßias und des Fruͤhlings „schienen sich das Wort gegeben zu haben, und „traten fast zu gleicher Zeit mit Werken in „dieser Versart hervor, auf deren noch im- „mer wachsenden Beifall, ich allein die Hoff- „nung „nung gruͤnde, daß sich der Deutsche Hexa- „meter erhalten werde. Man sezze aber, das „Ungluͤck haͤtte es gewollt, und der Verfas- „ser des Nimrods waͤre jenen beiden Dich- „tern im Gebrauch desselben zuvorgekommen „(wie er sich dessen auch in allem Ernste ruͤh- „met). Wuͤrde er wohl einen einzigen Nach- „folger bekommen haben, wenn seine Hexa- „meter auch schon zehnmal richtiger und wohl- „klingender gewesen waͤren, als sie in der „That nicht sind?„ Litter. Br. Th. 2. p. 305. Klopstock sezzte vor seinen Meßias, eine Ab- handlung von der Nachahmung des Grie- chischen Sylbenmaasses im Deutschen, ein Fragment, „das in seiner Art kein schlech- „teres Fragment, als bisher der Meßias „selbst ist, worinn zwar nicht alles gesagt „wird, aber was gesagt wird, ist vortreflich. „Nur muß man selbst uͤber die alten Syl- „benmaasse nachgedacht haben, wenn man „alle die seinen Anmerkungen verstehen will, „die Herr Klopstock mehr im Vorbeigehen „als mit Vorsaz zu machen scheinet. Der „Pro- „Prosaische Vortrag des Dichters gefaͤllt mir „sehr wohl, und die ganze Abhandlung ist „ein Muster, wie man von Grammatikalischen „Kleinigkeiten ohne Pendanterie schreiben „soll.„ Litter. Br. Th. 1. p. 108. 109. Kurz! wenn einige Grammati- ker die Abhandlung des Dionys von Hali- karnaß guͤlden genannt: so kann man die bei- den vor dem Meßias, und die uͤber den Poe- tischen Stil mit mehrerem Rechte so nennen. Klopstock fand es hierinn moͤglich, dem Grie- chischen und Lateinischen Hexameter so nahe zu kommen, daß er groͤßern Werken einen Vorzug gaͤbe, den wir durch unsre gewoͤhnli- che Sylbenmaaße nicht erreichen koͤnnen. Er fand es moͤglich, ohne doch der Prosodie der Alten so genau nachkommen zu doͤrfen, als Uz in seinem Gedichte: der Fruͤhling, und oh- ne ihm die Vorschlagssylbe geben zu muͤssen, die Kleist in seinem Fruͤhlinge der Welt ein- fuͤhrte. Nirgends ward er so sehr Mode, als in der Schweiz: sie sahen ihn vor so vollkom- men an, „daß es nichts weiter bedoͤrfe, als „ihn zu gebrauchen, um sich der seltensten „Wirkun- „Wirkungen des Wohlklanges und des Poe- „tischen Ausdrucks zu versichern. Sie „wuͤnschten sich unter einander Gluͤck, daß „eben dieselben Genien, die den Muth ge- „habt, die erhabensten Wahrheiten der irr- „dischen Wissenschaft zum Gegenstande ihres „Gesanges zu nehmen, und sich in die Olym- „pischen Sphaͤren, den Wohnplaz hoͤherer „Naturen, zu schwingen; uns auch den wah- „ren heroischen Vers, den Hexameter der „Griechen und Roͤmer, in aller seiner Ver- „schiedenheit und schoͤnsten Harmonie hervor- „gebracht haben.„ Th. 10. p. 355. Ein Gedicht in He- xametern folgte auf das andere. Noah und Jacob und Joseph und Rahel und Abraham und Telemach und Suͤndfluthen und Frag- mente, und Hymnen, und Briefe, lebendige und todte — keinem Menschen kam es ein, ihn gegen den Hexameter der Alten recht zu pruͤfen — bis es der that, der vielleicht selbst die haͤrtesten unter allen geschrieben hatte: Oest, der Verfasser des Siechbettes. Hier H Hier ist der Titel seiner neuen Ausgabe: Oests Versuch einer Kritischen Prosodie: oder Anmerkungen und Regeln uͤber das Syl- benmaas der Alten, vornehmlich Griechen und Lateiner, nebst einer Beurtheilung des neuern Deutschen Hexameters und der ver- mischten feineren Sylbengroͤßen bei einigen unserer juͤngern Dichter: 1765. Der Ver- fasser hat eine groͤßere Kenntniß der Deut- schen Sprache, als alle Beurtheiler der Syl- benmaaße vor ihm; ein genaues Gefuͤhl der Rhythmik der Alten; eine große Belesenheit und eine Geduld, die nicht jedermanns Ding ist. Allein bei allem diesen ist seine Kritische Prosodie wuͤste; Finsterniß auf der Tiefe, und Winde, die das Gewaͤsser bewegen. Eine dunkle affektirte Schreibart, in der die Jdeen selbst nicht im gehoͤrigen Licht erscheinen. Weitlaͤuftigkeiten, wo Kuͤrze zugereicht haͤtte: Unordnung in den Stuͤcken, und Stuͤcke, die kein Ganzes ausmachen. Vielleicht waͤre es also besser gewesen, wenn der Herr Pfarrer: Johann Peter Muͤller seines Herrn Ober- inspectors Anmerkungen nicht blos herausge- geben, geben, sondern, geordnet, gefeilt, und er- leuchteter herausgegeben haͤtte. „ Ramler, einer der einsichtvollesten „Kunstrichter Deutschlandes, dem — und „dem fast allein — wir die feinsten Anmer- „kungen uͤber den Wohlklang Deutscher Ge- „dichte zu danken haben, nahm ihn unter „sein Feld der Beobachtung, theils im Bat- „teux, theils (wenn ich mich nicht irre) im „18ten Theil der Litteraturbriefe. p. 119-180. Und „diese haben hin und wieder so davon geur- „theilt. „Haben wir den Griechischen oder Roͤmi- „schen Hexameter in aller seiner Verschie- „denheit und schoͤnsten Harmonie? Leute soll- „ten dies wenigstens nicht behaupten, die die „Natur der Griechischen und Roͤmischen Poe- „sie und auch die Natur der unsrigen kennen „wollen. Jene haben ein Sylbenmaas, das „aufs genaueste bestimmet, und gleichsam aus- „gerechnet ist, sie haben wenige Sylben, die „lang und kurz koͤnnen gebraucht werden, „schon der Zusammenstoß zweier Consonanten H 2 „wird „wird von ihnen gehoͤrt und macht eine Syl- „be lang u. s. w. Wir haben nichts derglei- „chen; wir richten uns blos nach einer zu- „weilen ziemlich unbestimmten Aussprache. „Fast alle einsylbichte Woͤrter, deren wir ei- „ne sehr große Menge haben, koͤnnen nach Be- „lieben lang oder kurz gebraucht werden; hiezu „kommt, daß wir gezwungen seyn, uns an- „statt der Spondaͤen mehrentheils der Tro- „chaͤen zu bedienen, daß wir sehr wenige Dak- „tylen haben u. s. w.„ Blos diese beide lezte Punkte beweisen, daß ein Vers, wo es einer- lei ist ̅ ̅ oder ̅ ⏑; entweder ̅ ⏑ ⏑ oder ̅ ⏑ ̅ oder gar ̅ ̅ ⏑ zu sezzen, ohnmoͤglich eben derselbe Vers der Alten seyn kann, in- dem jedes Sylbenmaas aufs genaueste be- stimmt war. „Wir koͤnnen also blos den alten Hexame- „ter auf gewisse Weise nachahmen, und da „unsre Tonmessung in vielen Stuͤcken noch „gar nicht unter gehoͤrige Regeln gebracht „ist: so muß indessen das Ohr hauptsaͤchlich „die Richtigkeit des Deutschen Hexameters „entscheiden. Dieses muß am sichersten be- „stimmen, ob ein Wort an einem gewissen „Orte „Orte vortheilhafter lang oder kurz gebraucht „werden koͤnne: dieses muß uns lehren, daß „man auf einen Trochaͤen nicht einen Dakty- „lus muͤsse folgen lassen, dessen erste Sylbe „lang oder kurz seyn kann, weil sonst das „Sylbenmaas verwirrt wird, und derglei- „chen mehr; alsdenn erfolget statt der Har- „monie eine unausbleibliche Verwirrung, und „das Ohr wird weit mißvergnuͤgter, als bei „einer noch so unharmonischen Prose. „Folgendes sind also die allgemeinen Re- „geln des Deutschen Hexameters. Die Laͤnge „und Kuͤrze muß nach dem Accente, der Aus- „sprache gemaͤß, genau beobachtet werden; „die Daktylen muͤssen insbesondere, so viel „moͤglich, rein seyn; keine Endung muß einer „andern, oder der Mitte des Verses allzusehr „aͤhnlich seyn; kein Hexameter muß auf zwei- „erlei Art koͤnnen scandiret werden. Der „Abschnitt muß, so viel moͤglich, im dritten „Fuß und maͤnnlich seyn. „Wir haben in unserer Sprache einen „Mangel an Spondaͤen, und dieser Mangel „entzieht dem Deutschen Theater keinen gerin- „gen Theil von dem gesezten Wohlklange, den H 3 „die „die Griechischen und Lateinischen Hexameter „haben. Solten wir alsdenn die Spondaͤen, „die uns die Sprache noch giebt, nicht sorg- „faͤltig zu Rath halten? Unsre lange Sylben „werden ganz genau durch das Zeitmaas der „Aussprache bestimmt; und dieses hangt ent- „weder von der Natur der Sylbe selbst ab, „welche eine merklich laͤngere Zeit zum Aus- „sprechen erfodert, oder von dem Accent, den „wir in der Aussprache drauf legen. Muͤs- „sen wir nun nicht zweisylbige Woͤrter, de- „ren Sylben einerlei Laͤnge des Zeitmaaßes „haben, als natuͤrliche Spondaͤen ansehen, „dafuͤr wir der Sprache Dank schuldig sind? „z. E. Umgang, Schicksal, Ungluͤck, Aufruhr, „Freundschaft ꝛc. Diese muͤssen wir also nie „als Trochaͤen und noch weniger als Dakty- „len gebrauchen. „Aus Mangel der Spondaͤen muͤssen wir „oft Trochaͤen gebrauchen. Das Ohr ver- „liert etwas dabei, und der Hexameter be- „kommt einen weniger maͤnnlichen Klang, „wir muͤssen ihn also durch Trochaͤen so voll- „klingend zu machen suchen, als es moͤglich „ist. Die Trochaͤen muͤssen sich also mit ei- „ner „ner bestimmten langen Sylbe anfangen, daß „der Leser nie verleitet werde, sie Jambisch zu „lesen: die Daktylen, die wir mit einmischen, „muͤssen sehr rein seyn, und dem Ohr die dop- „pelte kurze Sylbe merklich zu vernehmen „geben. Durch diesen geschwindern Fall „werden die Trochaͤen gleichsam kontrastirt „und gehoben, ihr langsamer Gang faͤllt „deutlicher ins Gehoͤr, und naͤhert sich dem „Spondaͤischen. Wenn man aber Trochaͤen „nach dem Sylbenmaas Jambisch lesen muß, „wenn man eine natuͤrlich lange Sylbe bald „im Trochaͤen lang, bald wieder in Dakty- „len kurz gebraucht findet: so verschwindet „dem Leser die Harmonie des Verses. „Man hat es sich auch, wie mich duͤnkt, „zu leichtsinnig angewoͤhnt, die einsylbigen „Woͤrter als gleichguͤltig in der Prosodie zu „betrachten. Allein die Aussprache, oder „der Accent, den der Nachdruck der Rede „auf ein einsylbiges Wort legt, bestimmt seine „Laͤnge oder Kuͤrze in den meisten Faͤllen ganz „genau, und das Ohr wird sehr beleidigt, „wenn es Sylben kurz hoͤren muß, die doch „der Nachdruck und die Aussprache lang H 4 „macht „macht — und so umgekehrt. Je groͤßern „Vorrath nun unsre Sprache an einsylbigen „Woͤrtern hat; desto genauer muͤssen wir in „Beobachtung der Prosodischen Regeln seyn. „Hier darf uns die Prosodie der Griechen „und Roͤmer, die uͤberdem auf unsere schwer- „faͤlligere und vollsylbige Sprache nicht ap- „plikabel ist, gar nicht zur Regel dienen. Die „einsylbigen Woͤrter, die sie in ihrer Sprache „als gleichguͤltig ansahen, moͤgen wirklich in „ihrer Aussprache ein mitleres Maas gehabt „haben: oder das Maas aller uͤbrigen Syl- „ben war auch so genau bestimmt, daß die „wenigen ancipites keinen Mißklang in der „Harmonie machen konnten. Dies ist bei- „des aber nicht bei uns. Die Natur unsrer „Sprache scheint auch selbst das Tonmaas „zu bestimmen, und vielleicht auf folgende „Weise: Alle einsylbige Nomina sind immer „lang; die einsylbige Verba auch, nur ist „und hat scheint davon eine Ausnahme zu „machen, das lang und kurz ist; die einsyl- „bigen Nomina mit ihrem Artikel, und die „ Verba mit ihrem Vorwort sind offenbar „Jamben, und ein einsylbiges Adiectiuum, „das „das kurz gebraucht wird, beleidigt fast alle- „zeit das Ohr. Unter allen uͤbrigen einsyl- „bigen Woͤrtern, die Partikeln und Vorwoͤr- „ter sind, gibts wenige lange; die meisten „sind kurz, es sei denn, daß der Nachdruck „der Rede einen Accent darauf legt.„ Dies sind die grammatikalische Regeln, die die Litteraturbriefe zum Bau des Hexa- meters gegeben; ich sezze eine Philologische Bemerkung dazu, ohne mich in die Gramma- tik einzulassen, die blos aus dem Genie der Sprache die Sache betrachtet. Fraͤgt man denn: koͤnnen wir Hexameter machen? Nein! wir haben ja schon gnug! Fraͤgt man: koͤnnen wir welche nach der Pro- sodie der Alten machen? Nein! denn das koͤnnen hat Uz gezeigt! Sondern ists unsrer Sprache natuͤrlich, Hexameter zu machen? Und wie weit muͤssen wir Zwang großen Zwecken aufopfern? Natuͤrlich! und wie ist das zu sehen? Entwoder aus der Natur der Sprache, oder aus Versuchen. Aus dem ersten Gesichtspunkt merke man: H 5 Nach Nach Lowths Bemerkung ist selbst die Hebraͤische Sprache zu feurig und in ihren Formen zu einfach, als daß sie so einem ab- gemessenen Polymetrischen Numerus, als die Griechen nachher hatten, sich haͤtte bequemen koͤnnen. Und trift nicht das Gegentheil auf unsere Sprache vielleicht? Viel zu volltoͤnig und in ihren Formen zu zerstuͤckt und zu- sammengesezt, als daß sie sich dem Polyme- trischen Numerus bequemen koͤnnte. Jene, und unsere halten beide, Extreme, nur beide entfernen sich von der Mitte. Zu volltoͤnig;) da die Sprache der Grie- chen hochtoͤnend war, und außer langen und kurzen auch hohe und niedrige Accente hat- te; einen Unterschied, den wir entbehren. Aber fuͤr Hexameter nicht entbehren koͤnnen, denn bei unserm niedrigen vollen Accent erhoͤ- het man sich ja wenig zum Daktylus, ohne einsylbige Woͤrter als Flickwoͤrter in der Rhyth- mik noͤthig zu haben; wie kann die Sprache aber Polymetrisch seyn, die eigentlich nur zu Jamben und Trochaͤen eine Hoͤhe und Tiefe hat; die sich selten in Spondaͤen erhalten kann, kann, weil sie diese nicht mit den kurzen Syl- ben zu compensiren weiß. Zu zerstuͤckt in ihren Formen;) Dies zei- gen die vielen einsylbigen Woͤrter, und unse- re ganze Flexion. Unser ganzer Periode be- kommt also, da die meisten dieser Woͤrter lang sind, was steifes, oder Prosaisches. Woher aber sind sie lang? Weil unsre volltoͤnige Sprache, die die hoͤheren Accente entbehrt, sie durch mehrere ersezzen muß, und also fal- len die Griechischen ατονα im Deutschen fort, die den Ton auf die vorhergehende Syl- be schoben; theils fallen die Lateinischen anci- pites weg, die den Ton, der nach einem hohen folgte, ungewiß lassen konnten. Unsere Sprache mag in der Wendung des Perioden noch so biegsam seyn; ihre Bestandtheile kann sie doch schon nicht aͤndern, und selbst unsre Vaͤter im Poetischen Zeitalter aͤhnlicher Spra- chen, die Skaldrer, sie haben nie auf Griechi- sche Art Polymetrisch gesungen; hoͤchstens Sapphisch, und das ist noch immer die leichtste Griechische Versart fuͤr uns. Hiezu sezze man nun noch Versuche? Nicht in Hexametern, sondern in einem freien Syl- Sylbenmaas, um zu sehen, was fuͤr Fuͤße am meisten in unsrer Sprache liegen? Ob, wenn man den Gedanken den Zuͤgel laͤßt, man Pindarische Oden und Tragische Choͤre erbli- cken werde, oder einfoͤrmigere Cadencen? Und ich glaube alsdenn; tanzt unser Deut- sches nicht einmal nach Griechischen Sylben- maaßen ungebunden; wie viel minder, wenn es in Metrischen Fesseln so tanzen muß. Ramler that dies in einer andern Absicht: er loͤsete die Prose Geßners und Eberts in ihre natuͤrliche Sylbenmaaße auf, um den Wohl- klang zu zeigen. Vielleicht haͤtte er feurigere Stellen zergliedern sollen, die nicht mehr ge- lesen, sondern deklamirt werden muͤssen, um alsdenn gewiß mehr als Prosaische Harmonie zu entdecken — und ich glaube, wenn man dies thut: so wird man immer weniger Polymetrisches finden, als man zu finden glaubt. Jch darf nicht mehr versuchen: es hat es ein andrer gethan: Klopstock hat „seine „Poetische Empfindungen so frei ausgedruͤckt, „daß sie sich selbst in symmetrische Zeilen ge- „ordnet zu haben scheinen, die voller Wohl- „klang „klang sind, aber kein bestimmtes Sylben- „maas haben.„ Er hebt am Fest der Sou- veraͤnitaͤt in Daͤnnemark an: We̅ht san̅ft, au̅f ih̅ren⏑ Gruͤ̅ften⏑, ih̅⏑r Wi̅nde⏑! Un⏑d ha̅t e⏑in u⏑nw̅issen⏑der⏑ Ar̅m De⏑r P̅atr⏑iot̅en⏑ Stau̅b wo⏑ au̅sge⏑gra̅be⏑n, Ve⏑rwe̅ht ih⏑̅n ni̅cht! Ver⏑ach̅t ih̅n, Le̅yer⏑, we̅r sie̅ ni̅cht ehr̅t, Un⏑d stam̅mt’ er⏑ au̅ch au̅s al̅tem⏑ Hel̅den⏑stam̅me⏑, Ver⏑ach̅t ih̅n! Si⏑e ha̅be⏑n un̅s de⏑r hu̅nde⏑rtkoͤ̅pfi⏑ge⏑n Her̅rschsu̅cht e⏑ntri̅ssen⏑ Un⏑d e̅inen⏑ Koͤ̅ni⏑g ge⏑ge̅ben⏑. Man sezze dies fort: Spondaͤen, Trochaͤen und Jamben wird jedes Naturgenie antref- fen; Daktylen — wird es nur in Partici- pien und wenig andern Woͤrtern finden; und zu den uͤbrigen vielsylbigen Tritten, sind unsre ein- einsylbige Woͤrter wirklich zu unbestimmt, und Prosaisch. 15. D och gnug von diesen grammatischen Schwuͤ- rigkeiten, die einem Genie immer verdrießlich seyn muͤssen: um vielleicht einige solche ver- drießliche Genies zu versoͤhnen, sezze ich fol- gende Anmerkung dazu, von der ich wuͤnsche, angewandt zu werden. Das Klopstockische angefuͤhrte Sylben- maas soll dazu Gelegenheit geben. Bei dem ersten Anblick sogleich schien es mir sehr aͤhn- lich zu seyn mit dem Numerus der Hebraͤer, so viel wir von ihm wissen, und mit dem Syl- benmaas der Barden. Jch sahe, daß es Klopstock, einem Meister in der Deutschen Sprache, oft sehr wohl, und seinen Nachah- mern meistens elend gelungen. Jch wuste nicht, ob diese neue gluͤckliche Versart nicht eher die natuͤrlichste und urspruͤnglichste Poesie Litt. Br. Th. 3. p. 103. genannt werden koͤnnte, „in alle „klei- „kleinen Theile ihrer Perioden aufgeloͤset, de- „ren jeden man als einen einzelnen Vers ei- „nes besondern Sylbenmaaßes betrachten „koͤnnte„ statt daß ihn die Litteraturbriefe eine kuͤnstliche Prose nannten. Jch uͤberließ mich meinen Gedanken, und glaubte endlich, daß dies Sylbenmaaß uns vielleicht von vie- lem Uebel erloͤsen, und viel Ausschluß und Bequemlichkeit bringen koͤnnte. Man hoͤre mich an: Erstens: Haͤtten wir einen Dithyrambi- schen Dichter, der wirklich von dem Bliz- strahle des Bacchus getroffen, trunken, und begeistert toͤnen wuͤrde: — natuͤrlich waͤre kein gefesseltes Sylbenmaaß fuͤr ihn; er zer- reißt es, wie Simson die Bastseile, als Zwirnsfaͤden. Allein diese Verse sind Pinda- rische Pfeile in der Hand des Starken: die, mit Pindar zu reden, blos fuͤr die Mitver- staͤndige klingen, dem großen Haufen der Aus- leger aber, wie eine dunkle Wolke scheinen. Unser mißgluͤckter Dithyrambensaͤnger kann dieser Bemerkung, durch seinen Jkarischen Fall ein Gewicht beilegen. Zwei- Zweitens: Die hohen Oden des Affekts werden natuͤrlich ihre Empfindungen aufloͤsen, sie moͤgen in kurzem Odem jauchzen, oder donnern, oder seufzen und weinen. Dies Sylbenmaaß kann, nach jener Scythischen Zeichensprache zu reden, wie ein Pfeil treffen, sich wie ein Adler aufschwingen, es kann die Sprache durchgraben, und sich wieder, ohne zu sinken, schwimmend erhalten. Wenn man manche Deutsche Lehroden in ihrem gewoͤhnlichen Sylbenmaaße ansieht, so sollte man beinahe denken, daß das gewoͤhnliche Strophenmaaß der Graͤnzstein eines Para- graphen seyn sollte. Das geht denn nun so hin, aber sollen diese Oden Affekt singen — ein Gesang nach einer Kirchenmelodie. Drittens: Die Gemaͤlde der Einbil- dungskraft koͤnnen ein gefesseltes Sylben- maaß nicht ertragen, ohne daß sie, oder das Sylbenmaaß leidet. Bei Pindar und Horaz laͤuft die Periode und das Gleich- niß uͤber die Strophe; bei den meisten Deut- schen Dichtern sind sie zahm genug. sich in die Strophe einzuschließen. Eine Karschin, die jetzt nichts weniger, als den Perioden der Ode Ode trift, wuͤrde in diesem Sylbenmaaße ihre ganze Phantasie ausschuͤtten, und freilich auch allen unregelmaͤßigen Wust derselben. — Will man also Klopstocks Poetische Stuͤcke von dieser Art, auch nicht Oden nennen; am Namen liegt nichts: so lasset es Lyrische Ge- maͤlde seyn, zu denen die Griechen den Na- men ειδος hatten. Ferner: Auf dem Orchester kann die Mu- sikalische Sprache in diesem Leitbande freier und sicherer gehen. Vornehmlich in den Recitativen, wo der Musikus „die Harmonie wieder zerstoͤren muß, die dem Dichter so un- saͤgliche Muͤhe gekostet hat: wo der Prosai- sche Wohlklang entweder von dem Musikali- schen verschlungen wird, oder wohl gar durch die Collision leidet, und Wohlklang zu seyn aufhoͤret.„ Jn den Arien, wo ein Sylben- maas seyn muß, koͤnnten die rimes assonan- tes der Spanier den Reim ersezzen, und vie- le Freiheit dem Dichter verschaffen. Ram- ler in seiner Musikalischen Jdylle: der May, in der ihm die zwei Schwestern der Harmo- nie zur Seite gestanden, hat hier mehr ge- zeigt, als ich sagen kann. J Und Und fuͤr das Theater? Es kann sich die- ser Vers so Prosaisch als moͤglich machen; und dies ist in den ersten Auftritten noͤthig, wo das Sylbenmaas oft unleidlich wird. Er kann sich aber auch hernach zum hoͤch- sten Tragischen Affekt erheben, und dem Brau- sen des Sturmes nachahmen, der im Virgil auf den Wogen reitet. Er kann die Thea- tergemaͤlde beleben, die Diderot will, und kann die heftigen kurzen Doppelgespraͤche fuͤl- len, die die Alten auf ihren Buͤhnen so sehr liebten, und die bei uns so sehr ausarten (auch vielleicht des Sylbenmaaßes wegen), daß bei Franzosen und ihren Nachahmern, den Deutschen, ein Wort, das den Vers un- vermuthet schließen soll, aber oft durch ei- nige gedehnte Verse deutlich gnug zu erra- then gegeben wird, ein besonderes Kunststuͤck ist. Das Jch, oder Du, oder Nein! u. s. w. das alsdenn so hergeschraubt wird, gehoͤrt in ein Epigramm, nicht in ein Trauerspiel. Wenn nun in diesem Sylbenmaas so viel Schazz von Sprache, Leidenschaft, Einbil- dungskraft und Musik liegt; so muß es auch ein Muster der Deklamation seyn. Lies ei- ne ne hinkende Deutsche Alcaͤische Ode; dekla- mire sie gut: verbirg ihre Fehler: laß die Schoͤnheiten des lebendigen Wohlklanges hoͤ- ren; — es ist nicht mehr Alcaͤische Ode, es ist eine Sprache, in diese Verse zerstuͤckt. Hoͤre einen Redner in seinem Feuer. brausen, oder zerschmelzen; du wirst einige Fußsta- pfen dieser Abschnitte in seiner Deklamation hoͤren; hoͤre einen Garrick in einem Selbst- gespraͤche mit sich selbst kaͤmpfen, fast unter- liegen und dennoch siegen; sein Affekt wird die Sprache aufloͤsen: er wird einen Takt halten, der dich an das Kunststuͤck der Al- ten erinnern wird, ihren Akteurs Noten und Ton mitzugeben. — Wie waͤre es nun? wenn dies Sylben- maas in den Oden die Griechischen Verse, und in der Affektsprache die Poetische Prose etwas einschraͤnkte? Wenn ein Dithyramben- dichter, ein Pindar, ein Barde unter uns in diesem Feierkleide sich sehen ließe? Wenn ein Deutscher Shakespear — oder wenig- stens, wenn man den Englischen Shakespear in dieser Tracht bei uns einfuͤhrte; den wir jezt, ohngeachtet der Uebersezzung, noch so we- J 2 nig nig kennen: wenn Ebert den Poetischen Perioden des Youngs mit allem seinem Ko- lorit in dies Sylbenmaas uͤbertruͤge — Der Kunstrichter schreibt vor: Genies, ihr muͤßt die Regeln durch euer Exempel guͤltig machen! 16. J n dem Barbarischen unsrer Sprache, in den Jnversionen, in den Sylbenmaaßen haben wir nichts von den Franzosen zu lernen; wir sind vor ihnen voraus; worinn denn? in ihrer muntern Prose, und in ih- ren kritischen Bemerkungen uͤber die Sprache. Unsere witzige Prose hat, nach den meisten Buͤchern zu rechnen, noch den Ton der alten Wochenschriften, deutlich, und bis zum Gaͤh- nen deutlich zu seyn. Weil unser Publikum nicht vor gar zu langer Zeit entweder so bloͤd- sichtig war, daß es blos einen Flecken sahe, wo andere ein fein gezeichnetes Gemaͤlde er- blickten; so bequemten sich die Schriftsteller nach dem Leser. Das Buch ward das beste, was was ihnen die angenehme Ruhe ließ, im Le- sen wenig zu denken, was ihnen das Ver- gnuͤgen schaffte, hie und da ein Bluͤmchen zu finden, ohne sich bestaͤndig buͤcken zu doͤrfen, was sie in den suͤßen Traum einwiegte, das hier zu lesen, was sie selbst schon gedacht zu haben glaubten. Das Buͤcherschreiben ward von Verlegern ausgepachtet, und man be- quemt sich nach dem Geschmack seines Lehn- herrn. Das Publikum bestand aus einigen Journalisten, die nicht zu denken, wohl aber zu recensiren Zeit hatten; von diesen ward das Publikum angefuͤhrt und gleichsam ge- bildet. Hier und da fand sich ein Mecaͤn, der aber blos Arbeiten liebte, und lobte, und lohnte, die ihm nicht viel Kopfbrechens ma- chen — nun denke man sich diese Reihe von Lesern; man wird entweder die Feder aus der Hand werfen, oder man wird sie eintunken, nicht wie jener Grieche in Verstand, sondern in waͤsserichtes, Phlegmatisches Gehirn; dies hat wie der Mond eine sympathetische Ein- wirkung auf leere Koͤpfe. Willst du ein Kirchenvater bei Toiletten und Ruhebetten seyn; entmanne deinen Stil, wie jener Orige- J 3 nes nes sich selbst, um des Himmelreichs willen: alsdenn wirst du allen allerlei, wenn die An- dachtsseufzer sich bei dem Lesen deiner Schrif- ten mit dem Gaͤhnen satter und bequemer Zuhoͤrer vermischen koͤnnen. O wenn man die Stoͤße von Deutschen Monats-und Wo- chen- von Lehr und Trost-und Erbauungs- und Lustreichen Schriften siehet, die vormals und auch noch jetzt gelobt, gesucht und ge- schmiert werden: muß man nicht ausrufen: O curas hominum, quantum est in rebus inane! Heic aliquis, cui circum humeros hyacinthina laena est, Rancidulum quiddam balba de nare locutus Phyllidas, Hypsipilas, vatum et plorabile si quid Eliquat, et tenero supplantat verba palato Assensere viri ‒ ‒ ecce inter pocula quaerunt Romulidae saturi, quid dia poemata narrent. Daher traͤgt ein Christ am Sonntage, und so viel Baͤnde Andachten, und Erholun- gen und Zerstreuungen, und Briefe, und — den Preis wegen der Deutlichkeit davon: sie schreiben fuͤr die lange Weile des Publikum: ihre Buͤcher sind also des Cedernoͤls und Mar- morbandes werth, und auf ihrem Grabe werden, werden, nach dem Spott des Persius, Ro- sen und Violen wachsen. Jch fuͤhre keine namentlich an; ich muͤßte Aerzte, und Auf- seher und Greise ꝛc. auch nennen, und fuͤr diesen Staͤnden habe ich alle gehoͤrige und moͤgliche Ehrfurcht. Koͤnnte unser Publikum in solchen Schrif- ten denn nicht wenigstens Franzoͤsisch ausge- bildet werden? Uns fehlen freilich witzige Aebte, Damen, die den Ton angeben, Mode- schoͤnheiten, denen man zu Gefallen, wie Car- tesius seine Wirbel, Einfaͤlle erfinden kann! Aber das alles koͤnnte man entbehren, oder sich anschaffen, wenn man nur wollte; aber — Wo bliebe alsdenn die Deutsche Gruͤndlich- keit? Ja! das hatte ich vergessen! Nun muß man wahrhaftig die Augenbraunen zu einer Wolke zusammenziehen, um der Pallas nach- zuahmen, wenn sie bei den Griechen, als Erregerin des Volks erschien ‒ ‒ γλαυκωπις Αϑηνη Η σειουσα λαον ‒ ‒ J 4 Die Die Schriftsteller des ernsten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes muͤssen in dem Toil ihrer Vaterstadt schreiben, und nicht wie die Menschenkinder in ganz Deutschland. Jn religioͤsen Gespraͤchen, vornehmlich wenn sie im Reiche der Todten sind, in Spartanischen Betrachtungen uͤber die Lykurgische Gesezge- bung, darf sich der Verfasser freilich nur de- nen verstaͤndlich machen, die ihn verstehen sollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern am Praͤdestinirten Sollen). So erscheint die Py- thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare straͤuben sich: der Mund murmelt Worte, nur denen verstaͤndlich, die sie ver- stehen sollten: Obscurum verborum ambage novorum Ter nouies carmen magico de murmurat ore. Jndessen, wir arme, ungeweihete Leser! denken, als λογωδεου μενοι uͤber diese Dun- kelheit folgendes: Entweder es ist ein eigensinniger Zwang, gruͤndlich zu scheinen, wie jenes Pferd die Epilepsie bekam, um ein Elendthier zu wer- den, den, und mancher ein Hyp-Hypochondrist ist, um ein Philosoph zu seyn. Diesem Herrn rufen wir doch endlich zu: Jch wußt es wohl, daß es ein ‒ ‒ ‒ war. Oder es sind wirkliche Ursachen der Dun- kelheit, die an dem Verfasser liegen: und die- se sind: die Dunkelheit seiner Begriffe selbst: die kann man meistens, zehn gegen eins, angeben, wenn auch dem Ganzen des Werks Anlage, und der Bestimmung der Jdeen Genauigkeit fehlt: Cui lecta potenter erit res, Non facundia deseret hunc, nec lucidus ordo. Alles dies entspringt alsdenn aus einer Quelle: man sieht den Geist des Verfassers, in dem, wie im Chaos des Ovids noch die Elemente der Jdeen, in einiger harmonischen Uneinigkeit schlummern, und in einer uneini- gen Harmonie sich zur Bildung draͤngen. Jst ein solcher Schriftsteller noch ein junges Genie, so ist es nicht zu verwundern. Es ist ein Blinder, der noch Menschen als Baͤu- me sieht: der Kunstrichter versuche die ge- duldige Cur, seine Augen zum Licht zu ge- J 5 woͤh- woͤhnen. Die Kinder sollen desto besser re- den, die spaͤt, und schwer lernen, und solche Dunkelheit ist dreimal besser, als jenes lang- weilige Plappern, mit vielen deutlichen Wor- ten nichts zu sagen. — Einem Alten ist nun freilich der Staar schwerer zu stechen. Noch oͤfter ruͤhrt diese Dunkelheit her, von einer Stubengelehrsamkeit, die durch den muͤndlichen Vortrag nicht hat lebendig wer- den koͤnnen. Durch den muͤndlichen Vor- trag wird man deutlich: man lernt den be- sten Gesichtspunkt, faßlich zu seyn, bemerken: so lernte Sokrates von seiner Aspasie Weis- heit und Vortrag: so lerne es der Lehrer in dem Kreise seiner Zuhoͤrer, wenn er sie nicht als Maschinen behandeln will: so trete der Gelehrte in die große Welt, um sich seiner Cathedersprache zu entwoͤhnen: er erinnere uns nicht so oft, daß er vor seinem Schrei- bepult sizzet; er geselle die Deutsche Arbeit- samkeit und Genauigkeit zur Franzoͤsischen Freiheit; denn wird er mehr seyn, als ein Franzoͤsischer Abbe, mehr als ein fader Kan- zelredner, mehr als ein Zeitungsschreiber; kurz! mehr als eine waschhafte Sibylle, die wohl- wohlriechende, oder heilige, oder neue und ra- re Kraͤuter zum Verkauf traͤgt; er wird mehr, aber doch nicht auf Kosten der Deutlichkeit. Man sagt auch, daß eine gewisse Deutsche Bescheidenheit, die kurz seyn, die nicht belei- digen, die durch Mienen, nicht Worte spre- chen will, Schuld an mancher Dunkelheit seyn soll; und hier ists also noͤthig, den Schriftsteller aus dieser Verlegenheit zu zie- hen: und unsere Staatsverfassung in der Lit- teratur so unabhaͤngig und republikanisch zu machen, als moͤglich. Bei den Alten war die Wahrheit, nach Cupers Litter. Br. Th. 4. p. 362. Briefen, oh- ne aͤussere Verehrung, aber das Haupt und der Mund der Weisen war ihr heilig: bei uns hat sie Tempel und Altaͤre gnug; jeder Kunstrichter raͤuchert ihr, aber als einer Alle- gorischen Person. Gute Goͤttin! die du die Schuzgoͤttin Deutschlandes seyn solltest: Si qua Dea es, tua me in sacraria dono! Wir wollen die Franzoͤsische Munterkeit, und Freiheit in unsere Abhandlungen einfuͤh- ren, ren, und mit dem Deutschen Nachdruck be- gleiten. Der Vorredner des Journal étran- ger schrieb unter andern der Franzoͤsischen Sprache einen groͤßern Vorrath von Aus- druͤcken fuͤr das Laͤcherliche zu; Litter. Br. Th. 16. p. 8. er glaubte, die Deutsche Sprache haͤtte daran Mangel; der Kunstrichter leugnet es; auch ich, und jenem gebe ich doch den Vorzug der Franzoͤ- sischen Sprache zu, weil ich es selbst erfah- ren. Jch habe seit einiger Zeit meine Ne- benstunden auf eine Untersuchung des Laͤcher- lichen in Sitten, und des Laͤcherlichen in der Vorstellung und dem Ausdruck, nach seinem Hauptbegrif und seinen vielerlei Arten, gewandt: und habe im Franzoͤsischen wirklich mehr Worte gefunden, weil diese Nation, die ohnedas mehr und lieber lacht, als die Deutschen; mehr Bemerkung aus der Cultur des Umganges zieht, als wir, und sich uͤberhaupt mehr zu erklaͤren weiß, wie die Seele durch den Koͤrper spricht, als un- sere Sprache. Man gehe auch nur das Ver- zeichniß durch, was Girard und Mauvillon von Woͤrtern dieser Art gesammlet: so wird man man dem Arnaud recht geben.— Und uͤberhaupt hat unsere Sprache durch Ueber- sezzungen von der Franzoͤsischen Prose des Um- ganges seit einigen Jahren schon merklich viel gewonnen. 17. A ber Englische Uebersezzungen haben ihnen das Gleichgewicht gehalten, und auch dies zum Vortheil der Denkart, weil unser Ge- nie sich mehr auf die Brittische Seite neigt, und wir durch die Englische Staͤrke die Fran- zoͤsische Leichtigkeit nahrhaft machen. Da die ersten Uebersezzungen aus dieser Sprache, die so voll von Beiwoͤrtern und Schilde- rungen ist, Poetische Prose enthalten musten: so ward dadurch wider Willen der Uebersez- zer jener holprichte Prosaisch-Poetische Stil eingefuͤhrt, der unsrer Sprache gar nicht an- gemessen ist. Ganz Deutschland theilte sich in drei Haufen: die Hexametristen, als Reuter mit schweren Cuirassen, und schwerem Gange; die die Prosaischen Poeten, Dragoner, zu Pferde und Fuß streitbar. Great on the Bench, great in the Saddle That cou’d as well bind o’er, as swaddle So some Rats, of amphibious Nature Are either for the Land or Water. Und denn die Franzoͤsirenden leichten Voͤl- ker, die in Critischen Briefen, und Arz- neien und Possen, mit Franzoͤsischen Mo- deausdruͤcken um sich warfen, und als Schmet- terlinge umherschwaͤrmten. Wenn wird unser Publikum aufhoͤren, die- ses dreykoͤpfichte Apokalyptische Thier, schlecht Griechisch, Franzoͤsisch und Brittisch auf ein- mal zu seyn? Wenn wird man den Plaz einnehmen, den unsere Nation verdient, Prose des guten gesunden Verstandes, und Philosophische Poesie zu schreiben? Oder vorher frage man, wenn wird man aufhoͤren, die besten Englischen Schriftsteller durch Uebersezzungen zu verunstalten, und Prior, Milton, Young, in elende oder mittelmaͤßige Hexameter zu uͤbersezzen: ein Sylben- Sylbenmaas, an das sie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in waͤsserichter Prose, und Shakespear im ungleichsten, fast nie getroffenen Ton uͤbersez- zen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitsamen Deutschen! Ein Deutscher Johnson fehlt uns noch, der das fuͤr die Deutsche Sprache wage, was jener fuͤr die seinige! Die Philosophie, das Nach- denken, das Sammlen ist ja euer Theil, und wir stehen den Britten auch in unserm Eigen- thume nach? Wird es bald seyn, daß ihr eure Sprache durch Untersuchungen „ihr Weltwei- sen! durch Sammlung und Critik, ihr Phi- lologen! durch Meisterstuͤcke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, „alten „Sachen Neuheit; neuen das Ansehen des Al- „terthums; verrosteten Glanz; dunkeln Licht; „widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤr- „digkeit; allen aber Natur„ verschaffen kann. Werden die Deutschen bald aufhoͤren, durch ihre langweilige Prose, gegen die Franzosen solche gute Alte vorzustellen, als Terenzens Chremes gegen seinen Darus? Werden auch auch bei ihren Brittischen Schriftstellern bald die Fehler wegfallen, da die Fuͤlle der Ge- danken und der Vorrath von Bildern, aus Mangel der Oekonomie, in dem Perioden in Verwirrung geraͤth; so wie Verschwen- dung nicht den wirklichen, sondern scheinba- ren Reichthum begleitet? Werden die besten Deutschen Schriftsteller zu ihrer Titelvignette, bald die drei Gratien, als Sinnbild haben koͤnnen: die Thalia mit ihrem Fuͤllhorn voll Fruͤchte, die leichte, gefaͤllige Euphrosyne, und die bezaubernde Aglaja. Lasset uns einige neuere Originalschriftsteller anfuͤhren, die diesen Gratien geopfert haben, und die Ehre unsrer Deutschen Litteratur sind: 18. 1. W inkelmann, Th. 12. u. 16. der Ruhm der Deutschen selbst unter dem Roͤmischen Himmel, den die Muse des Alterthums und der Geschichte, die unsterbliche Clio, hat lassen geboren werden, um, wie jener, der auf dem Cithaͤron gefun- den den wurde, die Kunst der Alten zu erklaͤren. Jch fuͤhre es nicht an, wie er die besten Bluͤ- then jeder Antiken Schoͤnheit in seine Seele gesammlet: wie er hier unter Schriften, dort unter Denkmaͤlern sein Auge und seinen Geist gebildet: wie er seine Werke, so wie Raphael seine Gemaͤlde, mit Feuer entwarf, und mit einem gluͤcklichen Phlegma vollendete: wie er eine Systematische Geschichte unter Ruinen und Ueberbleibseln liefern konnte: sondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einschraͤn- ken. So wie die Attischen Juͤnglinge an dem Altar der Pallas Aglavros ihrem Va- terlande den Eid der Liebe schwuren: so hat die Muse auch auf seine Schriften geschrie- ben: dem Vaterlande geweihet. Wenn ich mir zum Gebaͤude des Koͤrpers die weise Ein- falt des Sokrates, des Lehrers der Gratie denke, wenn ich diesem Koͤrper das Gewand der Natur von dem einen Schuͤler des So- krates, dem Xenophon, und ihm von dem andern, die Fluͤgel hoher Jdeen gebe: so ste- het ein Bild vor mir, als wenn es die Muse der Winkelmannischen Schriften waͤre. Ein- faͤltig im Vortrage: natuͤrlich in der Aus- K fuͤh- fuͤhrung, und erhaben in den Schilderungen, sind sie Werke der Unsterblichkeit wuͤrdig, und der Name unsers Jahrhunderts. 2. Hagedorn Th. 23. p. 3. hat der Goͤttin der Ge- maͤlde einen Altar von weißem Marmor er- richtet, und mit vieler Annehmlichkeit um ihn Blumen zu streuen gewußt: das ganze Werk zeiget vielen Geschmack des Kuͤnstlers, noch mehr Kaͤnntniß des Werkmeisters, und die feinste Critik des Costume: das Bildniß der Goͤttin selbst aber ist dem Fleiß, der Muͤh- samkeit und Dauer nach, eine aͤchte Mosaische Arbeit — — Doch ich rede frei und ohne Schleier. Der Verfasser verraͤth viele Be- kanntschaft in den Kunstsaͤlen von hohem Ge- schmack, und in den Malerakademien nach dem Ueblichen; aber vielleicht etwas mindere in dem heiligen Haine der schoͤnen Natur; daher seine Philosophische Betrachtungen uͤber das Schoͤne ꝛc. in der Kunst nie das Wesen erreichen. Fuͤr Lehrlinge ist sein Lehrbuch eine zu dunkle und in den Schoͤnheiten zu verschlossene Encyklopaͤdie der Malerei; desto an- angenehmer aber einem Leser, der eben so sehr Werkmann seyn will, als er leichte und ga- lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anspielungen verstehen, und den ganzen Zuschnitt bis auf die kleinste Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤsar trug be- staͤndig das Bild der Venus bei sich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er seyn wollte: sie war nach Roͤmischem Geschmack bewafnet; aber die Griechische Venus, wenn sie die Pal- las uͤberwinden will, ist nackt, und mit den Zier- rathen ihrer irdischen Schwester nicht be- harnischt. So kann auch ein Verfasser der Sohn der irrdischen bekleideten Schoͤnheit seyn, bei der man von dem schoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem schoͤnen Anstande auf die Seele schließt; allein viel- leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber sein Kunst- stuͤck urtheilen: fuͤhre diesen Paris in die Eleusinischen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn- heit nackt erblicke, und nackt sage. Jndes- sen wer kann so genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhsamkeit verriethe, der Geschmack sich nicht manchmal mit einem kleinen schoͤnen Eigensinn paarete, und der K 2 Un- Unterricht nicht oft nach Grundsaͤzzen eine Luͤsternheit uͤbrig ließe. Jch urtheile, wie ein Deutscher! ihr Deutsche! haltet ein Werk werth, an dem der Franzose blos etwas vom Geschmack; der Britte vom Fleiß, und der Waͤlsche vom Unterricht abborgen kann: das uͤbrige ist euer! Von den Denkmaͤlern der Kunst komme ich zu denen, die den Buͤrger bilden! Und da steht ein Deutscher Browne! 3. Moser Th. 5. 11. 18. 20. kennet das Schroot und Korn der Deutschen Sprache: der alten Lutheri- schen Religion, der alten Freiheit, Ehrlich- keit, und gesunden Vernunft unserer Vaͤter: und er kann mit mehrerem Rechte unser Deut- scher Browne seyn; als Jselin mit seinen Platonischen Traͤumen, und Wegelin mit seiner Hypochondrischen Fuͤlle von Tugend, in der Schweiz. Wie Parrhasius dort den Geist der Athenienser malte, „der ver- „aͤnderlich, rachsuͤchtig, ungerecht, unerbittlich „und gnaͤdig, ruhmraͤthig, erhaben und nie- „drig, wild und feige, und alles zugleich war„ so so kann Moser den Geist der Deutschen ma- len, wie er war, und seyn sollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geschmack der Er- findung keine fromme Misanthropie, in der Zusammensezzung kein ungesunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein schiefer Geschmack herr- schen, der halb Franzoͤsisch und halb Brittisch ist. Er liefere sein Werk auch der Form nach mit allen Deutschen Vollkommenheiten geschmuͤckt: tiefsinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu- sammensezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutsche Leser bei allen Mo- serischen Schriften saͤmtlich und sonders be- dauren: daß Moses keinen Aaron hat: daß der Minister zu sichtbar diktire, der Welt- weise nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftsteller nicht Muße gnug, selbst zu schrei- ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver- fasser irgend in Deutschland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geschick- lichkeit besaͤße, seine zerstreute Gedanken zu verbinden; und die Wassersuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle gesun- K 3 de de Adern unter einer seinen Haut sich verber- gen: ein zweiter Moser, der auch bisweilen sein Antipode seyn koͤnnte, um viele schwer- muͤthige Klagen mit leichtem und gesundem Blut zu lesen, und ihn endlich davon ab- braͤchte: ein Prediger in der Wuͤste zu seyn, wie jener, der nur ein Vorbote von dem war, der kommen sollte, und ganz anders als sein Vorlaͤufer seyn muste. — Sollte es nicht mit zur Deutschen Nationalfreiheit gehoͤren, daß ein Genie, welches selbst nicht Mutter seyn kann, fremde, wohlgebildete aber ausgestoße- ne Kinder, aufnaͤhme, und sich an ihnen Mut- terverdienst erwuͤrbe? Ein Patriot fuͤr drei Zeitalter in Deutschland verdient dies! 4. Jezt ein Censor, aber ein munterer Censor der Verdienste! Abbts Schriften Litt. Br. Th. 11. p. 39. sind fuͤr die Deutschen Original: der gute gesunde Menschen- und Buͤrgerverstand, der in ihnen herrschet, ist das Erbstuͤck unsrer Nation: die Analytische Aufloͤsung der Be- griffe ist die beste Methode Deutscher Philo- sophie; die Laune seiner Schreibart, die statt der der Franzoͤsischen Karaktere, und der Britti- schen erdachten Beispiele, durch Geschichte lehrt, naͤhrt unsern Geist, und seine Schreib- art unsere Einbildungskraft. Das Feuer der Phantasie, in dem der Verfasser dach- te, und schrieb, aber nicht haͤtte lesen sol- len; gluͤht jeden Leser an, der es versteht, ein Buch in eine Person, und todte Buchsta- ben in Sprache zu verwandeln; alsdenn hoͤrt man, und denkt, und fuͤhlt mit dem Autor. Kannst du aber, lieber Leser! nichts als lesen, nicht die Luͤcken, die dir uͤberlassen wurden, in Gedanken selbst ausfuͤllen, nicht weiter den- ken, wo dir Aussichten eroͤfnet werden: so wirst du inne werden, was vielleicht eben der Verfasser sagt: „dem Sprechenden helfen „seine Geberden, und der Ton der Stimme „den Verstand bestimmen: da dies alles hin- „gegen in einem Buche wegfaͤllt.„ Da Abbt in seiner Vorrede den werthen Herrn Claville nennt: so fuͤhre ich einen andern Fran- zoͤsischen Schriftsteller unsers Jahrhunderts an: Tr a ité du merite p. Mons. l’Abbé de Vassez: 1703. und die zweite Ausgabe 1704. der aber uͤber das Verdienst sehr Franzoͤsirt zu haben scheint: da er von den Verdiensten eines bel- esprit, Wenn K 4 ich ich diesen Schriftsteller mit Zimmermann vergleiche: so bemerke ich freilich an dem lez- ten mehr Fleiß in der Auswahl der Gedan- ken und Worte; aber einen gewissen Franzoͤ- sischen Geschmack, einen Reichthum von An- fuͤhrungen, der dem Verfasser selbst weniger uͤbrig laͤßt als er liefern koͤnnte. — 5. Jezt ein Schriftsteller, nicht blos des Vaterlandes, sondern auch der Menschheit: Spalding. Th. 18. p. 3. So wie seine Wahrheiten sich zwischen Philosophie und gemeine Beob- achtungen stellen; so graͤnzt auch sein Vor- trag mit Genauigkeit und Aufwand: sein ge- sezter Stil nimmt hie und da die Miene des Tiefsinns an, und sein bluͤhender Stil scheint sich in den Luxus zu verlieren; aber man trete naͤher! Selbst der Aufwand wird als- denn ein Stuͤck des Nothwendigen, und die Schreibart schließt sich der Denkart so an, wie esprit, von den sinnlichen Verdiensten viel zu schwazzen weiß, etwas was Abbt p. 284-287. in seiner Bloͤße darstellt. Magre Discourse uͤber den Vorzug des Verdiensts vor Geburt und Reichthum scheinen das A und O dieses Werks zu seyn, das ich nur aus Recensionen kenne. wie die nassen Gewaͤnder der Alten den Koͤr- per durchschimmern ließen. Dies geht so weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfasser bisweilen muͤhsam gewordene Denkart im- mer durchblickt; er mag sie so sehr mit Blu- men bestreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er seine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er schreibt, und in unserer Zeit ein seltenes Muster ist. Vielleicht gelingt es Spalding, gesunden Menschenverstand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit- tel zwischen gelehrter Weisheit und unver- staͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ- dischen und gelehrten Griechischen Ton mit ei- nerlei Vorsicht vermeidet, der die Kanzel er- niedrigt, aber weder zum Mosaischen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philosophischen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen- sorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben so wenig Deismus und Freigeisterei, als nachgebetete Formel ist. — Welch ein Unterschied, wenn ich Spalding mit einem K 5 eben- ebenfalls denkenden, gelehrten, und beredten Theologen vergleiche; es ist kein andrer, als Acken. Wenn ich die Predigten dieses Man- nes, als erbauliche Abhandlungen ansehe: so verbinden sie Philosophische Genauigkeit, Deutschen Nachdruck, und Griechische Schoͤn- heiten mit einander bis zu den kleinsten Thei- len: zu lesen sind sie vielleicht die besten Deutschen Predigten, die die meisten Fran- zosen an Gruͤndlichkeit, die Englaͤnder an fei- nen Verzierungen, und seine Landsleute an nachdruͤcklicher Kuͤrze in dieser Art von Schrif- ten hinter sich lassen. Daruͤber wundere ich mich also nicht, daß sie wider ihr Verdienst unbekannt geblieben; denn sie sind ja keine Postillen, und keine blendende Sermons; aber daruͤber wundere ich mich, wie dieser Deutsche Chrysostom in seinem Pathmos sich so hat verirren koͤnnen, um vom Ursprung der Opfer auf eine so mystische Art zu schreiben: Infert se tectus nebula. Mirabile dictu! 6. Sokrates fuͤhrte die Weltweisheit unter die Menschen; hier ist der Philosophi- sche sche Schriftsteller unserer Nation, der sie mit der Schoͤnheit des Stils vermaͤlt haben soll: der Verfasser der Philosophischen Schriften. Th. 23. p. 59. Ja er ists, der seine Welt- weisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu stel- len weiß; als haͤtte es die Muse selbst gesagt: er denkt da, wo andere sich begnuͤgen, Schoͤn- heiten zu empfinden: er hat unter den Deut- schen die Critik der schoͤnen Wissenschaften ausgebreitet, die Baumgarten in Absicht der Lateinischen Schriftsteller so vorzuͤglich bewies; und — Jch fuͤhle es doch bei seinen Philosophi- schen Schriften manchmal, was er selbst fuͤhlte: „ich bekenne es, daß sich zu blos spe- „kulativen Untersuchungen kein Vortrag bes- „ser schickt, als der strenge Systematische. Jch „trauete mir aber das Vermoͤgen und die Fer- „tigkeit nicht zu, meine Gedanken bestaͤndig „an eine so strenge Ordnung zu kehren.„ Man hat ihm hieruͤber, als uͤber ein Kompli- ment, Gegenkomplimente gemacht; allein wenn Moses unter dem Systematischen Vortrage mehr mehr als eine aͤußere Mathematische Lehrart verstehet, so wird jeder seine Entschuldigung fuͤr Wahrheit annehmen. Jugendliche Ein- kleidungen in Briefe, und Gespraͤche; die Episoden in den Briefen, und die fremden Eingaͤnge in den Gespraͤchen: scheint mir ein Putz, den die Philosophische Wuͤrde nicht braucht. Denkende Leser fuͤhrt er von der Betrachtung der Wahrheit selbst ab: sie muͤs- sen sich von den Spazziergaͤngen nachher wie- der zuruͤck finden: und wer blos wegen die- ser Einkleidungen lieset — fuͤr den hat Mo- ses nicht geschrieben: eine Braut blos wegen ihres Putzes lieben, ist laͤcherlich. Der Weise sehe seinen Gegenstand so helle als Moses; er zeige ihn im rechten Gesichtspunkte, er lei- te die Jdeen natuͤrlich fort, er habe die Er- laͤuterungen, und die Sprache in seiner Ge- walt: so wird eine simple Abhandlung draus werden, ohne Trockenheit und fremden Schmuck; sie wird ihren ganzen Zweck er- reichen, einem Leser, der Wahrheit sucht und liebt, ohne Zwang und Umwege, ein Geleits- mann zu seyn — wozu? nicht zu lernen, son- dern selbst zu denken. So sind die Abhand- lun- lungen im 2ten Theil der Philosophischen Schriften; einige Litteraturbriefe, die eigene Betrachtungen liefern, vielleicht von eben dem Verfasser, und — die Leßingschen Ab- handlungen. 7. Leßing — Th. 4. p. 327. und Th. 16. p. 51. leider! daß ich von ihm ein einziges ausgearbeitetes Prosaisches Werk anfuͤhren kann, da doch das Publikum laͤngst eine neue veraͤnderte Ausgabe seiner Schriften erwartet hat, die, in Betracht seiner Talente in Wiz und Phantasie; in Betracht seines Scharfsinns im Zergliedern, und seines gluͤck- lichen Ausdrucks, die Worte zur Aufschrift verdienen wird: „so viel that er: Nachwelt! „schließe draus, was er thun konnte!„ Nach der Zeit, da ich dies geschrieben, ist sein Laokoon erschienen, von dem ich zur andern Zeit reden werde. 8. Wir haben noch einige niedliche Abhand- lungen in der Litteratur, die lezten Jahre her erhalten: unter denen ich die Moͤserschen Th. 23. p. 14. und Th. 12. p. 331. Schriftgen: Harlekin, oder vom Groteske- Komischen, sein Brief an den Savoyischen Vi- Vikar u. s. w. nenne. — Es ist uͤbrigens zu beklagen, daß man einige der besten Deut- schen Poeten, nicht sonderlich im Prosaischen Stil loben will; wie ich dies bei dreien in- sonderheit bemerkt zu haben glaube, denen es nicht gleich gut gelingt, Briefe und Lieder, Fabeln und Abhandlungen zu schreiben. 9. Darf ich unsre Schriftsteller mit ei- nem Autor beschließen, der nach dem ersten Urtheil der Litteraturbriefe mit Winkel- mann eine Aehnlichkeit hatte, und nach dem lezten Richterspruche sein Antipode gewor- den: der erst ein Heiligthum unsrer Zeit (αναϑημα) war, und nachher zum Zeichen des Schreckens (αναϑεμα) wurde: es ist der Verfasser der Sokratischen Denkwuͤr- digkeiten: Th. 6. und 1 9 . wer ihn nicht als Gestirn be- trachten will in unserer Litteratur: sehe ihn als Meteor an; ein Phoͤnomenon bleibt er doch immerfort. Der Kern seiner Schriften enthaͤlt viele Samenkoͤrner von großen Wahrheiten, neuen Beobachtungen und einer merkwuͤrdigen Be- lesen- lesenheit: die Schale derselben ist ein muͤh- sam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤ- cken, Anspielungen und Wortblumen. Der Philolog hat, damit ich mich seines eigenen Zeugnisses bediene: Gelesen:) und allerdings, sehr viel, sehr weitlaͤuftig und mit Geschmack gelesen ( multa et multum legit ); allein die Balsamduͤfte vom Aetherischen Tisch der Alten, mit eini- gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem der Brittischen Laune vermischt, sind zu einer Wolke geworden. Diese umhuͤllt ihn, er mag strafen, oder weißagen (die beiden Verrich- ungen seiner Schriften), wie die Juno, wenn sie den Ehebrecher belauscht, oder die Pythis- se, wenn sie Weißagungen in Kabbalistischer Prose murmelt. Seine Belesenheit ist also zusammen geflossen, so wie die Koͤnigliche Schrift, auf unzusammenhaͤngend Papier ge- schrieben, dies zuerst thut. — Jndessen wuͤrde oft freilich eine kleine naͤhere Anzeige der Spruchstelle, woruͤber er commentirt, vieles entraͤzeln, aber auch verrathen; und da ich selbst unter die stummen Leser seiner Schriften gehoͤre; so bin ich nicht in der La- ge, ge, hier Errathungen fuͤr Gesichtspunkte an- geben zu koͤnnen. Beobachtet) Seine Bemerkungen vereini- gen eine ganze Aussicht in einen Gesichts- punkt: hier stehe aber ein Leser, der diesen Punkt treffe, der sein Auge, der seine Laune zu Beobachtungen hat — sonst sieht er ver- zogne Stellungen, und Schimmel statt eines Mikroscopischen Waͤldchens. Leser, der du biese hingeworfne Beobachtungen verstehen, brauchen, ergaͤnzen kannst: du hast sie er- funden! Gedacht:) wie es scheint, uͤber Schriften, die ihm ein Aergerniß oder eine Augenweide gewesen — und uͤber Vorfaͤlle, dazu er al- lein den Schluͤssel behaͤlt. Weil er aber die Spinnengewebe der Systeme haßt: so ist je- der Gedanke eine unaufgefaͤdelte Perle; jeder Gedanke ist in ein Wort eingekleidet, ohne welches er ihn nicht denken und sagen konnte. Angenehme Worte gesucht und gefunden.) Seine Annehmlichkeiten sind keine Folgen von gelernten Regeln: seine Fehler sind so gar, bis auf die Einkleidungen, Anspielungen und Licht und Schatten, bei ihm regelmaͤßig. Viel- Vielleicht hat ihn also der ehrliche Fulbert Kulmius, umsonst zum Schuͤler der Baum- gartenschen Aesthetik zu machen gesucht, und vielleicht haͤtte ihn der 254ste Litteraturbrief nicht eben nach allen Regeln zum Verbrecher des Stils machen doͤrfen. Erfindung und Zeichnung sind Fruͤchte der Denk-und Seh- art, die vielleicht einer gewissen Sokratischen Unwissenheit aͤhnlich seyn moͤgen, wie er sie beschreibt. Eine Zunge kann stammlen, wenn die Seele gewisse Jdeen nicht zu ver- knuͤpfen und auszudruͤcken weiß. — Baroc- ci malte gruͤnes Fleisch: und Guercius ein trauriges Colorit: Von den Schriften dieses Verfassers gilt es also vermuthlich, was Plinius vom Maler Eutykrates sagt: austero maluit genere, quam iucundo placere. Seine Nahrung von ferne gebracht:) oft woher und wo es niemand vermuthete, und dachte. Wo der ehrwuͤrdige Satyr, Swift, leichtfertige Traͤumer und fromme Seleni- ten fand; im Monde; da findet ein anderer Ritter und Riesen: L Jch Jch hieb viel tausend Feinde nieder, Jn allen Nesseln, die ich fand Da lagen denn die kleinen Leichen u. s. w. s. Gedichte von Karschin. Haͤtte unser jezo ebentheuerlicher Sokrat, eine Aspasia, seine Gedanken auszudruͤcken, und einen Alcibiad, sie auszubilden; viel- leicht haͤtte er Schuͤler und Nachkommen, bis alsdenn vielleicht im dritten Gliede ein Aristote- les, Socratis et Platonis peior progenies, ein System errichtete, in der Philologie und Aesthetik, woran sein Großvater nicht ge- dacht hatte. Beschluß, uͤber das Jdeal der Sprache. Litter. Br. Th. 17. p. 180. „ W enn man Werkzeuge nicht so vollkommen „haben kann, als man sie wuͤnschet: so „muß man aus den vorraͤthigen zu machen „suchen, was sich daraus machen laͤßt. Leib- „nizens gelehrte Sprache ist nicht zu bekom- „men: wie koͤnnten wir uns der Deutschen „z. E. „z. E. noch am bequemsten zu den Wissen- „schaften bedienen? Diese Frage doͤrfte al- „lenfalls eine andre als Vorlaͤuferin haben, „welche unter denen in Europa recht bekannt „gewordenen Sprachen der Jdealvollkom- „menheit einer Sprache, die Worte braucht, „am naͤchsten koͤmmt. Eine gar nicht weit- „laͤuftige Metaphysik der Sprache, wuͤrde „uns diese Jdealvollkommenheit wenigstens „einigermassen kennen lernen.„ Wir wol- len zu diesen angegebenen Stuͤcken von Jdeal- vollkommenheit einige Anwendungen auf die Deutsche Sprache dazusezzen; erinnern unsern Leser aber zuruͤck an den Unterschied, den wir zwischen Jdealschoͤnheit, mittlern Bequemlich- keit, und wirklichen Vollkommenheit gemacht, und den der Verfasser dieses Briefes hie und da verfehlt hat. „Man kann die Sprache unter zwei Aug- „punkten betrachten, in sofern sie einmal un- „verbundene, und unzusammenhaͤngende Be- „griffe vorstellt; hernach so fern sie diese Be- „griffe in Verbindungen anzeigt.„ „Vom ersten Stuͤcke haͤngt der Reichthum, „und der Wohlklang und auch das Bilder- L 2 „reiche „reiche der Sprache ab.)„ Der Reichthum kann seyn in Namen der Sachen, oder in Zeichen der Begriffe; der erste macht ei- ne Sprache sinnlich oder Bilderreich; der zweite abstrackt oder Gedankenreich; und den Unterschied von beiden hat das 7te Frag- ment zu zeigen gesucht. — Der Wohlklang hat mit Begriffen keine Verbindung, sondern muß aus der Natur der Sprach-und Hoͤr- werkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unsre Sprache hat das 11te und 14te Frag- ment versucht. „Das erste Stuͤck ist solcher Vollkommen- „heiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, „wenn sie aufhoͤrt, Landessprache zu seyn, ver- „loͤschen.)„ Nicht blos mit dem Tode der Sprache, sondern mit jedem Lebensalter ge- hen gewisse Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebens- alters ersezzt werden. So lange sich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen- Digkeit, ist bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederspra- che ist: so hat sie Reichthum an Bildern, und den den hoͤchsten Wohlklang: Wird sie Sprache des sittlichen Volks: so bekommt sie mehr Reichthum an Politischen Ausdruͤcken, allein der hohe Wohlklang und das Bildervolle mil- dert sich: Als Buͤchersprache wird sie rei- cher an Begriffen; allein der Poetische Wohl- klang wird Prose; das Bild wird Gleichniß: die malenden klingenden Beiwoͤrter verlie- ren sich: Als Philosophische Sprache wird sie bestimmt, aber arm; verliert Synonymen; und Bilder und Wohlklang achtet sle nicht. Dichterisch ist eine Sprache am vollkom- mensten, ehe sie; und Philosophisch am voll- kommensten, wenn sie blos geschrieben wird: am brauchbarsten und bequemsten, wenn sie gesprochen und geschrieben wird. Die An- wendung auf die Deutsche Sprache macht das 3te bis 5te und 8te Fragment. „Es ist doch unstreitig, daß ausser den fuͤnf „Selbstlautern noch viele Zwischenlaute haͤt- „ten angebracht werden koͤnnen; so wie die „vorhergehende und nachfolgende Bewegung „der Redewerkzeuge zu solchen Lauten noch „weit mannichfaltiger einzurichten waͤre.)„ Nach der Bewegung der Redewerkzeuge ha- L 3 ben ben wir wirklich mehr Selbstlauter, als fuͤnfe: weil diese fuͤnfe mit verschiedener Hoͤhe und Tie- fe, Laͤnge und Kuͤrze ausgedruckt werden. Daß wir nun nicht fuͤr diese Zwischenlaute neue Zeichen, wenigstens Unterscheidungen ha- ben; ist eine große Unvollkommenheit unsrer Orthographie, die unter allen mir bekannten Europaͤischen Sprachen die lezte und fuͤr ei- nen Lehrling die schwerste seyn doͤrfte. Wer wird Meer und mehr, Zehn, Zeen, Zaͤhn, zaͤ- he u. s. w. als Fremdling bestimmt finden? Was wir bei J zuviel an Zeichen haben, ist bei A und E zu wenig. — Und brauchen wir Accente nicht noch immer, obgleich unsre Spra- che kurzsylbig und eintoͤnig ist? Der Laͤcherli- che Fehler mit Gés-pen-stern, statt Ge- spénstern; mit vérg-lich, statt ver-glìch; mit Enter-bẽter, statt Ent-érbeter: ist doch bei Lehrlingen immer moͤglich, da er uns gebohrnen Deutschen manchmal in Gedanken und bei verzerrtem Druck, oder verzerrter Hand anwandeln kann. Bei vielen Woͤrtern aͤndert sich ja die Bedeutung selbst; z. E. Unterhálten ( entreténir ) und únterhalten ( supposer ), uͤbersézzen ( vertere ) und í eber- sezzen sezzen ( traiicere ), Uebersézzer ( translateur ) und Uébersezzer (Bootsknecht) sind ja him- melweit verschieden. Zu dem Hebraͤischen Schin fehlt uns gar das Zeichen, weil ich Geschmack als ein Fremder immer eher Ges- chmack lesen werde. Der Mangel an punctis diaereticis macht auch insonderheit fremde Namen verwirrt; und uͤberhaupt kann man den Mangel unsrer Zeichenschrift am besten aus Reise- und Erdbeschreibungen sehen, wenn die Namen fremder Sprachen in unsern Buchstaben sich kaum mehr erken- nen. — Soll unser Hexameter ausstehlich werden; so muß er Accente haben, und der erste Dichter, der sich die Muͤhe geben wird, wahre Hexameter zu machen, wird sich auch der Accente nicht schaͤmen, weil er sie vor allen am wenigsten braucht. Sollte unsre Sprache sterben; Himmel! wie schlecht wuͤr- de man sie aus Buͤchern lernen; um sie aus- zubilden, stelle man sie sich todt vor; man nutze die Provinzialismen, um sie zu bestimmen. „Bei der Verbindung der Begriffe komme „es hauptsaͤchlich an: 1) ob man sie durch bloße „Abaͤnderung des Ausdrucks fuͤr eine jede L 4 „Jdee; „Jdee; oder 2) durch Zwischensezzung kleiner „Worte, oder 3) durch die bloße Stellung der „Jdeen anzeigen wolle. Denn diese drei „Faͤlle sind, glaube ich, blos moͤglich.„ Der erste Fall ist der einfachste, und bei dem An- fange jeder Sprache der geradeste gewesen; er ist daher noch bei den heutigen Sprachen von antikem Karakter sehr sichtbar; gut fuͤr Dichter, aber unphilosophisch. Der mit- telste ist am uͤblichsten, bei der Deutschen Sprache sehr gebraͤuchlich; und fuͤr die Spra- che des gemeinen Lebens bequem. Aber weil diese zwischengeschobene kleine Worte nicht Ac- cent gnug haben, und doch nicht wie die wenigen Woͤrterchen der alten Griechen, auch nicht ganz ohne Accent sind; so entstehet dar- aus die Unbestimmtheit der Prosodie, die un- sern neuen Sprachen so laͤstig faͤllt. — Der dritte Fall ist der philosophischvollkommene; und wenn Leibnizens allgemeine Sprache ja moͤglich waͤre; so waͤre es eine Algebra, wo die Verbindung der Jdeen sehr von ihren Stellung abhienge. „2) Was fuͤr Gesezze man zur Folge einer „gewissen Anzahl von Jdeen, die in Verbin- „dung „dung stehen, annehmen wolle. Hier ist das „Hauptgesezz; man lasse sie in der Ordnung „folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken „und dem jedesmaligen Zweck des Redenden „gemaͤß ist. Nun kann der Zweck des Re- „denden in tausend Faͤllen nur einerlei sey n; „also wird es eine gewisse allgemeine Con- „struktionsordnung geben; hundertmal aber „gibt es einen besondern Zweck des Redners, „und denn ist diejenige Sprache die beste, „welche raͤumig genug geschuͤrzt ist, um ihre „Ordnung nach diesem Zweck wenden zu koͤn- „nen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt „uns, daß wir in unsern jezzigen Sprachen „eine Menge besondrer Zwecke gar nicht durch „die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend sind, „sondern sie nur aus dem Zusammenhange „unsrer Gedanken muͤssen errathen lassen. „Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber diesen Philosophischen Artikel kann das 11- 13te Fragment ein Commentar seyn, der un- sern Nachtheil nach der Griechischen und La- teinischen, aber Vortheil vor der Franzoͤsi- schen Sprache zeigt. L 5 Man Man muß die Worte so ordnen, daß sie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Be- ziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Diese Zwei- deutigkeit ist am ersten in Sprachen zu besor- gen, die wenige Casus z. E. den Nominativ und Accusativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuschiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Construk- tionsordnung wenig bestimmt ist. Die erste Unvollkommenheit aͤussert sich bei der Fran- zoͤsischen; die zweite bei dem schleppenden Perioden der Deutschen, und die dritte bei den elenden Lateinischen Perioden neuerer Buͤ- cher, die sich jede Jnversion erlauben, weil sie die Gesezze der alten Roͤmer in ihrem vortrefli- chen Perioden nicht kennen, der nichts unbe- stimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich schreibt. „Nach dieser Vorschrift muͤssen wir die „Sprache der Schriftsteller ausbilden: denn „dem Sprechenden helfen Geberden und der „Ton der Stimme, den wahren Verstand be- „stimmen, da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat also ganz an- dere Gesezze und Freiheiten, wenn ein Volk sie sie stammlet, singet, spricht, schreibet, und nicht mehr spricht, sondern allein schreibt. Und hierauf gruͤndet sich mein Fragment von den Zeitaltern, und den Graͤnzen der Nach- ahmung alter Sprachen. (Fragm. 2. und 8.) Jezt sezze ich folgende wahre Beobachtung Samuel Johnsons dazu: „Es giebt Wor- „te, deren Sinn allzufein ist, als daß man ihn „mit Worten sollte fassen, und in eine Umschrei- „bung bringen koͤnnen. Das sind diejenigen „Worte, welche die Sprachlehrer particulas „expletivas, oder ausfuͤllende Woͤrter nennen. „Jn todten Sprachen uͤbersieht man sie als „leere Toͤne; als Toͤne, die zu anders „nichts dienen, als einen Vers auszufuͤllen, „oder einen Perioden wohlklingender zu ma- „chen. Aber in lebenden Sprachen wird „man bald inne, daß dergleichen Woͤrter „mehr, als ausfuͤllende Woͤrter sind, daß „sie Kraft und Leben haben, ob man gleich „ihren Nachdruck mit andern Worten nicht „ausdrucken kann.„ Dies wird jedem bei dem Lesen Homers unzaͤhliche mal bei- fallen; wenige Fuͤllwoͤrter, aber desto oͤfter und kraͤftiger: die spaͤtern Dichter mehr; die spaͤ- spaͤtern Prosaisten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht dessen gegen He- rodot, vor, als eine Kanzleischrift voll alldie- weil, sintemalen und anerwogen, gegen die fluͤssende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die also, die Orientalisch zu schreiben glauben, wenn sie das Und vor jeden Perio- den, und jedes Glied desselben sezzen; und unausstehlich im Deutschen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen. „Durch was fuͤr Kuͤnste haben es die Fran- „zosen dahin gebracht, daß man ihre Sprache, „die Sprache der Vernunft nennet?)„ Jch glaube, drei Ursachen dazu angeben zu koͤnnen. Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch welche Ursachen es auch seyn moͤge, eine ge- wisse Regelmaͤßigkeit sich eingedruͤckt, die un- sere Sprache nicht hat. Da ihre Construk- tionsordnung sehr bestimmt ist: so kommt man minder in die Verlegenheit, sich schielend aus- zudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zei- ten hat man an sie so viel Politur angewandt, als nicht viel andere Sprachen erhalten ha- ben: zu einer Zeit, da Deutschland noch Bar- barisch oder Lateinisch schrieb, feilte man schon schon sehr die Franzoͤsische Sprache, weil die Franzosen immer lieber fuͤr ein Publikum und schoͤnes Publikum schreiben, wenn der Deutsche fuͤr Studirstuben und Katheder schrieb. So wie schon die alten Gallier zur hoͤchsten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: so ist das schoͤne Geschlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreises ge- blieben: man sah die Buͤcher immer mehr fuͤr schriftliche Gespraͤche, fuͤr Unterredungen im schoͤnen Ton an: und gab sich also die un- terhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche An- stalten gedenken sollte, die der Sprache auf- geholfen, will ich blos dazu sezzen, daß die Franzoͤsische Sprache auch nichts waͤre, wenn sie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Musik elend; waͤsserich, Nervenlos, unharmonisch fuͤr die Poesie; zu unbestimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat sie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunst eine hohe Stuffe erreicht. Premontval Premontval préservatif contre la corru- ption P. 1. urtheilt nicht nicht unbillig: „soll ich bei ihrem großen „Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr sie ausfinden: „so wuͤrde ich ihn in einer gewissen Gleichung „mittelmaͤßiger Eigenschaften suchen. Richt „so sanft, als die Jtaliaͤnische; nicht so „majestaͤtisch, als die Spanische; weniger „zusammengedraͤngt, als die Englische; an „Nachdruck weit unter der Deutschen; an „Reichthum, an Ueberfluß fast unter jeder „Sprache Europens; hat sie doch bei ihrer „Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Maje- „staͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein sehr „schaͤzbares Werkzeug der menschlichen Ge- „danken zu seyn. Jnsonderheit legt die Klar- „heit und Politesse/ die sie karakterisiren, „ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein huͤbscher, artiger Mensch, deutlich und ver- nuͤnftig in Gespraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefsinniger, stiller Mann, so hat auch die Franzoͤsische Sprache fuͤr der Deutschen sich das Lob des Verstandes geben lassen, da die unsrige sich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaassen koͤnnte. „Stellt eine Philosophische Materie, die „ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo „Sprachen „Sprachen vorgetragen worden, in der ei- „nen sich klaͤrer, netter und uͤberzeugender „dar, als in der andern?)„ Ja! und Exem- pel bestaͤtigen dies allerdings. Eine tiefe Philosophische Materie kann sich in der alten reinen Lateinischen Sprache nicht so klar, so nett, so uͤberzeugend ausdruͤcken, als in ei- ner gewissen neuern Lateinischen Sprache, die eben deswegen noch nicht Barbarisch ist, weil sie von den Worten der Alten abgeht. Jn den Schriften des Philosophen Baumgar- ten herrscht ein gewisser aͤchter Roͤmischer Geist, seine Blumen, die gleichsam selbst aus seiner Weltweisheit zu wachsen scheinen; und nicht uͤber dieselbe gestreuet sind: eine so nachdruͤckliche Kuͤrze, daß jeder Gedanke sich ein Wort selbst zu schaffen scheint: kurz eine Sprache, die nicht netter und uͤberzeu- gender und fuͤr den denkenden Leser klaͤrer seyn kann. Jch habe mich gezwungen, mir diesen Eigensinn auszureden, weil andre sie eben fuͤr Barbarisch, oft spielend und dunkel hielten: ich fieng an, sie in das fliessende Latein der Schriften des Cicero zu uͤbersez- zen, zu umschreiben, zu verschoͤnern; und der Geist Geist der Philosophie war weg. Nun versu- che man gar die Uebersezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr ver- lieren. Die Ursache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieser Materie gleichsam die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge- bildet hat, und an dem geschickten Schrift- steller, der sich in diese Fugen zu schicken weiß. „Das also Dinge in der einen „Sprache sich besser ausdruͤcken lassen, als „in der andern, kann eines Theils von der „Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zwei- „tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung „bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt ist, „als bei dem andern.„ Theils von dem Schriftsteller selbst, der als Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewisses Haus- und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem selten ein Uebersezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftstellers selbst denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte auf- opfert. Nach diesen drei Ursachen muß sich so ziemlich eine Landkarte entwerfen lassen, wiefern gewisse Materien in gewissen Sprachen Sprachen sich vorzuͤglich schoͤn behandeln lassen. Materien der Weltweisheit theilen sich am leichtsten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und diese sich in jeder uͤber das Sinnli- che erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤber- all gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateinische Sprache hierinn so viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichsam nach ihren Worten bequemet, und den Be- grif einem Ausdruck zu gut erfunden: ist zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns fast zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤz- lich als schaͤdlich. Man glaubt mit gewissen geerbten Worten Schaͤzze zu besitzen, und hat Huͤlsen statt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein- wurf, daß, wenn er seine Dogmatik Lateinisch geschrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Or- thodoxie, die so sehr von einer Sprache ab- haͤngt, daß sie in derselben, wie in ihrem M Hause, Hause, maͤchtig ist. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Gesichtspunkt der Phi- losophie, zu der doch auch unsre Sprache vorzuͤglich sich gebildet hat. „Eine Sprache, die wenig Unterschied in „den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfs- „woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern sezzen kann, ist nicht sonderlich „zur Geschichte geschickt, wie z. E. die „Deutsche. Wir haben gar keinen Begrif „von den temporibus der Griechischen „Sprache. Der Deutsche hat selten das „Gefuͤhl von dem Unterschiede der beiden tem- „porum praeteritorum der Franzosen, daß „aus der Verwechselung oft laͤcherliche Miß- „verstaͤndnisse entstehen.„ Jndessen ist diese Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbe- traͤchtlich so gar. Sie ist nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnversio- nen haben wir sogar vor dem Franzosen vie- le Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die historische Periode in Gang brin- gen, und selbst als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man statt der Aus- zuͤge zuͤge es unternehmen wird, einzelne Zeitpunkte der Geschichte mit allem Fleiß zu bearbeiten: so wird unsere Sprache so leicht Muster im historischen Stil bekommen, als sie schon in der Weltweisheit hat. Schoͤne Prose ist schon mehr in die Jdiotismen verwebt; und unsre Sprache hat also in dieser Schreibart viel von der Franzoͤsischen gewonnen. Poesie ist beinahe in ihren Schoͤnheiten unuͤbersezzbar, weil hier der Wohlklang, der Reim, einzelne Thei- le der Rede, Zusammensezzung der Worte, Bildung der Redarten, alles Schoͤnheit giebt. Aus alle diesem folgt, daß unsre Sprache unstreitig von vielen andern was lernen kann, in denen sich dies und jenes besser ausdruͤ- cken laͤßt (sollte es auch nur das Schim- pfen seyn, wozu den Critikern gemeiniglich das schoͤnste Latein gedienet); daß sie von der Griechischen die Einfalt und Wuͤrde der Ausdrucks, von der Lateinischen die Nettigkeit des mittlern Stils, von der Englischen die kurze Fuͤlle, von der Fran- zoͤsischen die muntere Lebhaftigkeit, und M 2 der der Jtaliaͤnischen ein sanftes Malerische lernen koͤnne. Allein, man sieht auch, daß in jeder Gattung der Schreibart kein Genie sich seiner Muttersprache schaͤmen, oder sich uͤber sie beklagen darf, weil uͤberhaupt fuͤr einen jeden vortreflichen Schriftsteller die Gedanken Soͤhne des Himmels, die Worte, Toͤchter der Erde sind. Ueber