Briefe eines Verstorbenen . Vierter Theil . Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828. Vierter Theil . Stuttgart , 1831 . Hallberger’s che, vormals Franckh’sche Verlagshandlung. Inhaltsverzeichniß des vierten Theils. Fuͤnfzehnter Brief . Seite 1 Correspondenz. Das Lord-Mayor-Din é. The flying privy. Nebelgefahren. Freiheit der Presse. Besondere Sitten. Liston. Der Areopag. Almacks. Schnelles Reisen. Ein Nachmittag im Parlament. Melodramatisches. Politisi- rende Damen. Der weiße Kopf. Glaͤnzende Feste. Das neue Venusgespann. Kutscherthaten. Ein Din é beim Her- zog von Clarence. Das selbst gemachte Pferd. Gold und Silber. Der Damenbazar. Der Erzbischoͤfe Schuͤrze. Alte Musik. City-Industrie. Die aͤchten Religionsaristokraten. Traumphantasieen. Sechszehnter Brief . Seite 47 Mr. Hopes Kunstsammlung. Toilettenbeduͤrfnisse eines Dandy. Damenconferenz. Einladungsstyl. Pferderennen von As- cot. Die reizende Fee und ihr Landhaus. Der unsterbliche Rousseau. Beutelschneiderei. Ein lebensrettender Backofen. Englische Cavallerie. Die Schneiderhusaren. Baͤlle. Ent- zauberung. Zweitausend Fruͤhstuͤcksgaͤste. Colossale Ana- nas. Die Tyroler-Saͤnger. Palais des Herzogs von Nord- humberland. Persische Politik und Fruchtbarkeit. Der Blu- mentisch. Kinderbaͤlle. Kunst und Natur. Greenwitch. Die Execution. Hofvergnuͤgen. Kingsbench und Newgate. Der seltne Philosoph. Vauxhall. Die Schlacht von Wa- terloo. Der Phrenolog. Charakteristik. Des Herren Nash Bibliothek. St. Giles. Die Kunstausstellung. Pfunde und Thaler. Excerpte. Geplauder. Der Tunnel. Gute Parodie des Freischuͤtzen. Haymarket-Theater. Hetaͤren. Bethlem. Der letzte Stuart. Der omineuse Leichenzug. Barclays Brauerei. Westindiadocks. Ergoͤtzliche Prellerei. Der Nachtritt. Ein Harpagon aus Ispahan. Der sich koͤpfende Bauer. Neues Organ. Miß Lindwood. Cannings Tod. Vivian Grey. Respekt vor dem Publikum. Zeitungsartikel. Siebenzehnter Brief . Seite 136 Kleine Tour in der Taucherglocke. Privatfeuersbrunst. Die falsche Seejungfer. Der kluge Orang Outang. Seltsame Verwundung. Das lebende Skelett. Herr von S … und seine Avantuͤren. Salthill. Stokepark. Dropmore. Das Schloß zu Windsor. Eaton. St. Leonhards-Hill. Ver- stohlne Fahrt in Virginiawater. Die Giraffe. Lord H …s Furcht vor dem Koͤnig. Ueber Lord Byron. Die seltsame Bettnachbarschaft einer alten Dame. Die Capelle. Hiesi- ges Militaͤr. Eine Anekdote uͤber Canning. Eghams Pferderennen. Zwergbaͤume. Maͤdchenpromenade. Avan- tuͤre bei Mondschein. Achtzehnter Brief . Seite 163 Wie ein Park seyn soll. Annehmlichkeiten der Freundschaft. Hatfield und Burleighhouse. Dunkasters Pferderennen. Staat auf dem Lande. Frau von Maintenon. Unnuͤtze Ta- lente. Der Dom zu York. Promenade in der Stadt. Das Skelett der Roͤmerin. Cliffords Thurm. Die Grafschafts- Gefaͤngnisse. Diebsgarderobe. Thurmbesteigung. Das Rath- haus und mehrerer Lord-Mayors Wappen. Sitz des Erz- bischofs. Seine Kuͤchengaͤrten. Merkwuͤrdige Distraktion. Schloß Howard. Gemalte Memoiren. Schlechtes Clima. Die alten Frauen. Der Sand von Scarborough. Die Fel- senbruͤcke. Leuchtthurm auf Flamboroughhead. Neunzehnter Brief . Seite 202 Whitby. Was an einem Herzoge merkwuͤrdig ist. Die Ruine. Das Museum. Alaunbergwerke. Lord Mulgrave’s Schloß und Park. Fountains Abbey. Sieben alte Jungfern, doch nicht in Uniform. Die Catakomben zu Ripon. Das Bad zu Harrowgate. Der Welt Ende. Der alte General. Harewoodpark. Jagdhunde. Hoͤlzerne Vorhaͤnge. Leeds. Der Kaffeemahlende Tuͤrke. Tuchfabriken. Templenew- some. Dissapointment. Wentworthhouse. Sheffield, die Messer- und Scheerenstadt. Wilde Thiere. Lord Middle- ton’s Schloß. St. Albans-Abtei. Des Herzogs von Bed- ford Beinknochen aus Shileila. Ruͤckkehr nach London. Zwanzigster Brief . Seite 236 Excursion nach Brighton. Arundel castle. Petworthhouse. Ei- nige Portraits. Hotspurs Schwerdt. Der alte Whalebone. Die gluͤckliche Herzogin. Die im October Gebornen. Don Juans weitere Schicksale in der Hoͤlle. Der Roman aus dem Jahr 2200. Vorsichtsregel. Politische Kannengießerei. Li- cenzen der englischen Schauspieler. Young als Percy. Verstaͤndiges Zusammenspiel. Heutige Wunder. Haͤusli- cher Ball. Ueber Macbeth. Marcready’s Darstellung des- selben. Nerveuse Kranke. Straßenmystificateurs. Ange- nehme Nachtpromenaden. Besuch auf dem Lande. Naͤ- heres uͤber Hatfield. Persische Kostbarkeiten. Tuͤrkisches Pansanger. Ein und zwanzigster Brief . Seite 280 Billy der Rattenvertilger. Thierschauspiel. Der neueste Ros- cius. Erbsuͤnde. Oesterreichische Philosophie. Die Farben der Tage. Freitag, ein gefaͤhrlicher. Don Miguel. Un- angenehme Christbescheerung. Portugiesische Etikette. Laͤ- cherlicher Vorfall im Theater. Feste zu Ehren des In- fanten. Der liebenswuͤrdige Adjutant. Anecdote von Sir W. Scott. Nachtheil der Sandlaͤnder. Das Indiahouse. Tippo Sayb. Zeitvertreib. Shawls. Fahrt im Dampfwagen. Ditto in einem andern mit Drachen bespannt. Die ro- mantische Fuchsjagd. Der famoͤse geistliche Fuchsjaͤger. Krankheit. Empfehlung des Blotting Pappers. Der Le- bensatlas. Vortheile des Aufgeblasenwerdens. Instruction. Reconvalescenz. Zwei und zwanzigster Brief . Seite 320 Der reiche Telluson. Der Dandy in Amerika. Englische Ju- stiz. A Chancery suit. Auch die Taschenspieler werden dramatisch. Das Theater Braunschweig faͤllt ein. Herrn Carr’s Gemaͤldesammlung. Genrebilder des Generals Lejeune. Der Hofmann. Mina, Arguelles und Valdez. Etwas uͤber die Darstellung und Uebersetzung Shakes- peares. Kean, Young und Kemble im Othello. Drei und zwanzigster Brief . Seite 344 Aristokraten und Liberale in einer Person. Dreifache Feste. Merkwuͤrdige Erzaͤhlung des Herrn H … Naturgeschicht- liches. Des Koͤnigs Lever. Die Menagerie im Regents- Park. Der Marschall Beresford. Laͤndliches Mahl in H. Lodge. R. Park. Der Patentwitzbold. Unbequeme Gewohnheiten. Sir Walter Scott. Sein Aussehen und Gespraͤch. Ein reizendes Maͤdchen. Schneider, Fleischer und Fischhaͤndler. Crochford. Fruͤhjahrsfeier. Laͤndliche Freuden. Musikindigestion. Strawberryhill, der ehema- lige Sitz des Horace Walpole. Es gibt Deutschthuͤm- ler in England. Gefahr des zu vielen Weintrinkens. Epsom’s Pferderennen. Soir é e beim Koͤnige. Historische Gallerie. Bilder in Wasserfarben. Das kleine Para- dies. Der Ast aus Birnam’s Wald. Bonneau der Zweite. Der Stockkaͤfer. Der Kaiserin Josephine Wahrsagebuch. Vorstellung bei der Herzogin von Meiningen. Der Tau- benclub. Das nautische Theater. Der Ungluͤckliche. Die gut Conservirte. Noch ein déjeuné champėtre. Die beiden Marschaͤlle. Vier und zwanzigster Brief . Seite 382 Ein rout par excellence. Besuch in Cobham. Mr. Child’s Rede. Rochester’s Schloß. Das natuͤrlichste Kameel. Die Wasserfahrt. Ruͤckkehr nach London. Die Gewerbs- ausstellung. Der Nurserygarden. Apper ç u uͤber die eng- lische Gesellschaft im Allgemeinen. Einige Details. Die Nichte Napoleons. Fuͤnfzehnter Brief . London, den 15ten April 1827. Liebste Freundin! Endlich ist der langersehnte Brief erschienen, und sogar zwei auf einmal. Warum sie so lange un- terwegs geblieben? Quien sabbe! wie die Süd- amerikaner sagen. Wahrscheinlich ist der offizielle Leser faul gewesen, und hat sie zu lange liegen lassen, ehe er sie künstlich wieder zugesiegelt hat. Aber wie zart und lieblich, theure Julie, ist Dein Gedicht — ein ganz neues Talent, das ich an Dir entdecke. Ja gebe Gott doch, „daß alle Deine Thrä- nen zu Blumen werden, uns zu schmücken und uns durch ihren Duft zu erfreuen,“ und daß diese schöne, liebevolle Prophezeihung bald in Erfüllung gehe! Doch sind selbst die schönsten Blumen so zu theuer für mich erkauft. Deine Thränen wenigstens sollen nicht darum fließen! Briefe eines Verstorbenen. IV. 1 Was Du von H. sagst: „qu’il se sent misérable, parcequ’il n’est fier que par orgeuil, et liberal que par bassesse,“ ist schlagend, und es wird leider auf gar zu viele Liberale passen! Ich schrieb Dir in der bewußten Angelegenheit, Du möchtest dabei nur an Dich selbst denken, und Du erwiederst: Ich wäre ja Dein Selbst. Du Gute! ja ein Selbst werden wir bleiben, wo wir auch sind, und hätten die Menschen Schutzgeister, die unsern müßten gemeinschaftlich wirken — aber es gibt hier wohl keinen andern Schutzgeist, als die moralische Kraft, welche in uns selbst liegt! Und in M.. sieht es so traurig aus? Es stürmt, schreibst Du, und die Gewässer drohen Verderben! Doch seitdem sind 14 Tage verflossen, und ehe dieser Brief bei Dir ankömmt, schon 4 Wochen — ich darf also hoffen, Du liesest ihn im Grünen, wo Alles um Dich blüht und der Zephyr fächelt, statt dem Heulen des häßlichen Sturms. Ich sagte meinem alten B.. dt: in M. wären abscheuliche Stürme. „Ja, ja,“ erwiederte er, „das sind die von Brighton.“ Wenn Du das gewußt hättest, liebe Julie, so wären sie Dir gewiß angenehmer vorgekommen; sie brachten Dir ja die jüngsten Nachrichten von Deinem Freunde. Wer doch mit ihnen segeln könnte! Unserm verehrten Premier bitte ich, meinen innig- sten Dank zu Füßen zu legen. Wären doch alle unsers Standes ihm gleich, wie viel populairer würde dieser seyn, wären doch alle Minister überall so edel und gerecht, wie viel weniger Unzufriedenheit würde in allen Ländern herrschen, und wäre er selbst doch noch freier und unabhängiger von so manchen Ge- wichten, die schwer danieder ziehen, wo Aufschwung nöthig ist. Hier ist Alles beim Alten und eine prächtige Fete bei Lord H… beschloß an diesem Abend die Lust- barkeiten vor Ostern. Die meisten Weltleute machen jetzt von Neuem einen kurzen Aufenthalt auf dem Lande, und beginnen dann erst in 14 Tagen die eigentliche Season. Auch ich werde wieder auf einige Tage nach Brighton gehen, will aber vorher noch das große Lord Mayor diné abwarten. Den 16ten. Heute fand dieses in Guildhall statt, und nach glücklich überstandner Mühseligkeit, freut es mich sehr, ihm beigewohnt zu haben. Es dauerte volle 6 Stunden, und wurde 600 Per- sonen gegeben. Die Tafeln waren sämmtlich, der Länge des Saales nach, neben einander parallel lau- send gestellt, bis auf eine, welche quer vor auf einer erhöhten Estrade stand. An dieser saßen die Vor- nehmsten und der Lord Mayor selbst. Der Coup d’ocuil von hier war imposant, auf den ungeheuern Saal und seine rund um laufenden hohen Säulen, mit den unabsehbaren Tischen und colossalen Spie- 1* geln hinter ihnen, die sie bis ins Unendliche zu ver- längern schienen. Die Erleuchtung machte Nacht zu Tag, und zwei Musikchöre in der Höhe, auf einem Balkon am Ende des Saals uns gegenüber, spielten während den Gesundheiten, denen immer ein Tusch voranging, allerlei Nationelles. Der Lord Mayor hielt, wohlgezählt, 26 längere und kürzere Reden. Auch einer der fremden Diplomaten wagte sich an eine solche, aber mit sehr schlechtem Erfolg, und ohne die Gutmüthigkeit des Auditoriums, das jedes- mal, wenn er nicht weiter konnte, so lange hear hear schrie, bis er sich wieder gesammelt, wäre er förm- lich stecken geblieben. Bei jeder Gesundheit, die der Lord Mayor aus- brachte, rief ein mit silbernen Ketten behangener Ce- remonienmeister hinter seinem Stuhle: Mylords and Gentlemen, fill Your glasses! Die Lady Mayoreß und alle ihre Damen erschienen übrigens in abscheu- lichen Toiletten, und mit entsprechenden Tournüren. Mir war der Platz neben einer Amerikanerin, der Niece eines frühern Präsidenten der vereinigten Staaten, wie sie mir sagte, aber ich erinnere mich nicht mehr, von welchem, angewiesen. Es ist zu vermuthen, daß weder ihr rothes Haar, noch ihr Albinos teint bei ihren Landsmänninnen häufig vor- kömmt, sonst würde das schöne Geschlecht daselbst nicht so sehr gerühmt werden. Ihre Unterhaltung war aber recht geistreich, manchmal fast mit der Laune Washington Irwings. Um 12 Uhr begann der Ball, welcher sehr originell seyn soll, da Creti und Pleti darauf erscheint , ich war aber von dem sechsstündigen Din é , in voller Uniform so ermüdet, daß ich schnell meinen Wagen aufsuchte, und mich zu Hause begab, um einmal we- nigstens vor Mitternacht zu Bett zu kommen. Brighton, den 17ten. Diesen Morgen lasen wir schon die gestern er- wähnte Rede des Diplomaten in den Zeitungen, NB. so wie sie hatte gehalten werden sollen , aber nicht wie sie gehalten worden war , und dergleichen kömmt wohl nicht selten vor. Gleich nach dem Frühstück fuhr ich mit Graf D.., einem sehr lustigen Dänen, hierher, und brachte den Abend bei Lady K… zu, wo ich noch viele der frühern Badegäste antraf, auch Lady G. …, deren Du Dich aus Paris erinnerst, wo der Herzog von Wellington ihr Anbeter war. Apropos von diesem, liest Du die Zeitungen? In der politischen Welt ist hier eine gewaltige Krise ein- getreten. Durch die Ernennung Cannings zum Premier haben sich die andern Minister so beleidigt gefühlt, daß, mit Ausnahme von Dreien, die übri- gen Sieben den Abschied genommen haben, obgleich welche darunter sind, die, wenn ihre Parthei nicht noch siegt, den Staatsgehalt schwer entbehren können, wie z. B. Lord Melville. Der Herzog von Welling- ton verliert auch sehr bedeutend dabei, und Er, der Alles war, ist, wie sich ein ministerielles Journal, mit der gewöhnlichen Uebertreibung des hiesigen Partheigeistes heute ausdrückt „nun politisch todt.“ Es hat aber doch etwas Großartiges, so seiner Mei- nung alle persönlichen Rücksichten aufzuopfern. Die Carrikaturen regnen auf die Geschlagnen herab, und sind mitunter recht witzig, besonders wird dem nicht sehr geliebten, alten Großkanzler Lord Eldon, übel mitgespielt, so wie dem Grafen W. ...... einem sonderbaren alten Manne, der einen ungeheuren ari- stokratischen Stolz besitzt, wie eine Mumie aussieht, und ohngeachtet seiner 80 Jahre, täglich auf einem Hartdraber zu sehen ist, wie er durch St. James Park mit der Schnelligkeit eines Vogels hindurch- fliegt. Diesen Moment hat man auch für die Carri- katur gewählt, mit der boshaften Unterschrift: The flying privy. Er hatte nämlich früher das privy seal, welches nebst den übrigen Insignien aus der Luft auf das sich mit allen Zeichen des Abscheus wegwendende Publikum niederfällt — denn die zweite Bedeutung des Worts läßt sich leicht errathen. Brighton, den 20sten. Heute habe ich die Erfahrung gemacht, wie ge- fährlich die hiesigen Nebel werden können, was ich früher kaum glauben wollte, da sie in London ge- wöhnlich nur zu komischen Scenen Anlaß zu geben pflegen. Ein Bekannter hatte mir eins seiner Jagdpferde geborgt, da die meinigen in London geblieben sind, und ich nahm mir vor, meine Direktion diesmal nach einer mir noch unbekannten Seite der Dünen zu nehmen, die man die Teufelsschlucht nennt, war auch schon mehrere Meilen durch Berg und Thal über den glatten Rasen fortgeritten, als plötzlich die Luft sich zu verfinstern anfing, und in wenigen Mi- nuten ich nicht mehr 10 Schritt weit vor mir sehen konnte. Dabei blieb es auch, und war fortan an keine Aufhellung des Wetters mehr zu denken. So verging wohl eine Stunde, während ich bald dort, bald dahin ritt, um einen gebahnten Weg aufzufin- den. Meine leichte Kleidung war schon durchnäßt, die Luft eiskalt geworden, und hätte mich die Nacht übereilt, so war die Perspective eine der unangenehm- sten. In dieser Noth, und ganz unbekannt mit der Gegend, fiel es mir glücklicherweise ein, meinem al- ten Pferde, das so oft hier den Fuchsjagden beige- wohnt, völlig freien Willen zu lassen. Nach wenig Schritten, und sobald es sich frei fühlte, drehte es auch sogleich in einer kurzen Volte um, und setzte sich in einen ziemlich animirten Gallop, den Berg, wo ich mich eben befand, grade herunter laufend. Ich nahm mich wohl in Acht, es nicht mehr zu stö- ren, ohngeachtet der halben Dunkelheit um mich her, selbst als es durch ein Feld hohen stachlichten Ginsters in fortwährenden Sätzen, wie ein Hase, brach. Ei- nige unbedeutende Gräben und niedrige Hecken hiel- ten es natürlich noch weniger auf, und nach einer starken halben Stunde angestrengten Laufens brachte mich das gute Thier glücklich an die Thore Brigh- tons, aber von einer ganz andern Seite, als von welcher ich ausgeritten war. Ich fühlte mich sehr froh, so wohlfeilen Kaufs davon gekommen zu seyn, und nahm mir ernstlich vor, in diesem Nebellande künftig vorsichtiger zu seyn. Meine Abende bringe ich jetzt gewöhnlich bei Lady K.. oder Mrß. F… zu, und spiele Ecart é und Whist mit den Herren, oder Loo mit den jungen Damen. Diese kleinen Kreise sind weit angenehmer als die großen Gesellschaften der Metropolis. Denn dort versteht man Alles, nur eben die Gesel- ligkeit nicht . So werden Künstler dort auch blos als Modesache vorgeführt und bezahlt; mit ih- nen zu leben, Genuß aus ihrer Unterhaltung zu ziehen, das kennt man nicht. Alle wahre Bildung ist meistens nur politischer Natur, und der politische Parthei-wie der modische Kastengeist gehen auch auf die Gesellschaft mit über. Es entsteht daraus eben- sowohl ein allgemeines Decousu, als eine strenge Abscheidung der einzelnen Elemente, welches, verbun- den mit dem an sich schon höchst unsocialen Wesen der Engländer, den Aufenthalt für den Fremden auf die Dauer unangenehm machen muß, wenn er sich nicht die intimsten Familienkreise öffnen, oder selbst ein lebhaftes politisches Interesse annehmen kann. Am glücklichsten und achtungswürdigsten ist in dieser Hinsicht ohne Zweifel die wohlhabende mittlere Classe in England, deren active Po- litik sich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz be- schränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche Ansichten und Grundsätze herrschen. Diese unmo- dische Classe allein ist auch wahrhaft gastfrei und kennt keinen Dünkel. Sie recherchirt den Fremden nicht, aber kömmt er in ihren Weg, so behandelt sie ihn freundlich und mit Theilnahme. Ihr eignes Va- terland liebt sie leidenschaftlich, aber ohne zu persön- liches Interesse, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und ohne Intrigue. Diese Art Leute sind zwar auch manchmal lächerlich, aber immer achtungswerth, und ihr National-Egoismus in billigere Schranken ge- bannt. Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit vollkommenem Rechte auch in England sagen: que les deux bouts du fruit sont gatés, die Aristokratie und der Pöbel. Die erste hat allerdings eine be- wunderungswürdig herrliche Stellung — aber ohne große Mäßigung, ohne große, der Vernunft und der Zeit gebrachte Concessionen , wird sie diese Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert mehr inne haben. Ich sagte dies einmal dem Für- sten E…, und er lachte mich aus, mais nous verrons! Schlüßlich excerpire ich Dir noch einige Stellen aus den hiesigen Journalen, um Dir einen Begriff von der Freiheit der Presse zu geben. 1) „Jedes Schiff in England sollte seine Freuden- „fahnen aufstecken, denn Lord Melville war ein „Incubus, auf den Dienst drückend. Verdienst- „volle Offiziere mögen nun eine Chance finden, „unter Lord Melville hatten sie keine.“ 2) „Wir hören aus guter Quelle, daß der große „Capitaine (Lord Wellington) sich außerordentliche „Mühe gibt, wieder in das Cabinet zu dringen, „jedoch vergebens. Dieses verzogne Kind des „ Glücks hätte sich nicht einbilden sollen, daß „sein Austritt einen Augenblick das Gouver- „nement in Verlegenheit setzen könnte. Wir „glauben übrigens, daß er nicht der einzige Ex- „Minister ist, der bereits seine Thorheit und „Arroganz bitter bereut.“ 3) „Das Minister-Septemvirat (sieben sind, wie „gesagt, ausgeschieden), welches erhöhte Statio- „nen erzwingen wollte, ist Herrn Humes neuem „Penalty-Gesetz viel Dank schuldig; denn nach „dem alten Gesetz wurden Bediente, die höheres „Gehalt von ihren Herrschaften extorquiren woll- „ten, mit Recht in die Tretmühle geschickt.“ 4) „Man versichert, ein großer Septemviratist „(Lord Wellington) habe sich erboten, in den „Dienst zurückzukehren, jedoch nur unter der „Bedingung, das man ihn zum dirigirenden „Minister, zum Groß-Connetable, und zum Erz- „Bischof von Canterbury mache.“ Unsre Minister würden sich nicht wenig wundern, wenn eine der löschpapiernen Zeitungen so mit ihnen umspränge. Morgen begebe ich mich nach der Stadt zurück, denn wie einst die Römer Rom, nennen auch die Engländer London nur „die Stadt.“ London, den 22sten. Ich kam grade noch zur rechten Zeit an, um einem großen Din é beim neuen Premier beizuwohnen, zu dem ich die Einladung schon in Brighton erhalten. Dieser ausgezeichnete Mann macht die Honneurs seines Hauses eben so angenehm, als er die Herzen seiner Zuhörer im Parlament hinzureißen weiß. Schöngeist und Staatsmann tour à tour, fehlt ihm nichts als eine bessere Gesundheit, denn er schien mir sehr leidend. Mistriß Canning ist ebenfalls eine geistreiche Frau. Man behauptet, daß sie das De- partement der Zeitungen im Hause habe, d. h. diese lesen müsse, um ihrem Manne die nöthigen Auszüge daraus mitzutheilen, und auch selbst manchmal einen Partheiartikel darin zu schreiben nicht verschmähe. Ein Concert bei Gräfin A. … war sehr besucht. Galli und Madame Pasta, die vor Kurzem angekom- men sind, und die Oper sehr heben werden, sangen darin. Die Zimmer waren gepfropft voll, und meh- rere junge Herren lagen auf dem Teppich zu den Füßen ihrer Damen, den Kopf bequem an die So- phakissen gelehnt, die den Schönen zum Sitze dien- ten. Diese türkische Mode ist wirklich recht bequem, und es wundert mich ungemein, daß sie C. in Ber- lin noch nicht eingeführt, und sich einmal bei Hof zu den Füßen einer der Hofdamen hingelagert hat. Man würde vom englischen Gesandten dies gewiß sehr „charmant“ wie die Berliner sagen, gefunden haben. Den 25sten. Nach langer Zeit besuchte ich heute wieder das Theater. Ich traf es glücklich, denn Liston spielte zum Kranklachen in einer kleinen Farce, die zur Zeit Ludwig XV. in Paris vorgeht. Ein reicher englischer Kaufmann, den der Spleen quält, reist nach jener Stadt, um sich zu zerstreuen. Kaum ist er im Gast- hofe einige Tage etablirt, als man ihm den Besuch des Polizeiministers meldet, der (sehr gut im Co- stume der Zeit gehalten) sofort eintritt, und dem er- staunten Cytisen eröffnet, wie man einer berüchtig- ten Spitzbubenbande auf der Spur sey, welche diese Nacht noch hier einbrechen wolle, um ihn, bei dem man viel Geld vermuthe, zu berauben und zu er- morden. Alles hänge nun von seinem Benehmen ab, fügt der Minister hinzu, wenn er sich das Ge- ringste merken lasse, weniger heiter scheine als sonst, oder irgend etwas besonders thue, was Besorgniß verrathe, und dadurch vielleicht die Unternehmung der Räuber beschleunige, so könne man ihm für nichts stehen, und sein Leben sey in der höchsten Gefahr, denn noch wisse man selbst nicht, ob die Hausleute mit im Complott wären. Er müsse sich daher auch wie gewöhnlich um 10 Uhr zu Bett legen, und es darauf ankommen lassen, was dann geschähe. Mr. Jackson, mehr todt als lebendig über diese Nachricht, will sogleich das Haus verlassen, der Mi- nister erwiedert aber ernst, daß dies durchaus nicht zugelassen werden, ihm auch nichts helfen könne, da die Räuber bald seine neue Wohnung auffinden, und er dann um so sichrer ihre Beute werden müsse. „Beruhigen Sie sich,“ schließt Herr v. Sartines, „es wird Alles gut gehen, wenn Sie nur gute Conte- nance halten.“ Du stellst Dir leicht vor, zu welchen lächerlichen Scenen die schreckliche Angst des alten Kaufmanns, die er fortwährend unter Lustigkeit zu verbergen su- chen muß, Anlaß gibt. Sein Bedienter, ein ächter Engländer, immer durstig, findet unterdessen in ei- nem Schrank Wein, den er gierig austrinkt. Es ist aber Brechweinstein, und er bekömmt in wenig Mi- nuten die heftigsten Uebelkeiten, wodurch sein Herr sich nun überzeugt, daß, anstatt ihn zu erstechen oder zu erschießen, man den Plan gemacht habe, ihn zu vergiften. In diesem Augenblick erscheint die Wir- thin mit der Chocolade. Außer sich saßt sie Liston bei der Gurgel, und zwingt sie die Tasse selbst aus- zutrinken, welches diese, obgleich in großer Verwun- derung über die seltsamen Sitten der Engländer, sich doch zuletzt ganz gern gefallen läßt. Das stumme Spiel Listons dabei und wie er, seines Versprechens sich plötzlich erinnernd, nachher, krampfhaft lachend, bloßen Spaß daraus machen will, ist höchst drollig. Endlich kömmt 10 Uhr heran, und nach vielen bur- lesken Zwischenscenen legt Herr Jackson sich, mit Degen und Pistolen, und in seinen Sammthosen ins Bett, dessen Vorhänge er dicht zuzieht. Unglücklicher- weise hat die Tochter vom Hause eine Liebschaft, und bevor noch der Fremde das Logis bezogen, ih- rem Liebhaber bereits in demselben Zimmer ein Ren- dezvous gegeben. Um die Entdeckung zu vermeiden, kömmt sie jetzt leise hereingeschlichen, löscht das Licht behutsam aus, und geht ans Fenster, in welches ihr Amant schon hereinsteigt. So wie dieser in die Mitte des Zimmers springt und zu sprechen anfängt, hört man seltsame Angsttöne im Bette, und eine Pistole fällt mit Geprassel heraus, bald nachher die andere , der Vorhang thut sich auf, Liston versucht einen schwachen Stoß mit dem Degen, der aber seiner zit- ternden Hand ebenfalls entfällt, worauf er sich eben- falls herausstürzt und in seinem abentheuerlichen Costüme vor dem eben so erschrockenen Mädchen auf die Kniee fällt, und herzbrechend um sein Leben fleht, während sich der Liebhaber schleunig hinter dem Bette versteckt. Da öffnen sich die Thüren, und der Polizeiminister tritt mit Fackeln ein, um dem zit- ternden Jackson anzukündigen, daß die Bande gefan- gen sey, aber, fügt er, die Gruppe vor sich betrach- tend, lächelnd hinzu: „Ich mache Ihnen mein Com- pliment, daß Sie, wie ich sehe, Ihre Zeit auf eine so gute Art anzuwenden gewußt haben.“ Den 26sten. Einen recht wunderlichen Ort habe ich heute früh besucht, eine Kirche, der Areopag genannt, wo ein Geistlicher, the Reverent Mr. Taylor, gegen das Christenthum predigt, und Jedem erlaubt, öffentlich zu opponiren. Er hat von den englisch-christlichen Kirchen nur das beibehalten, daß man auch hier für seinen Platz einen Schilling bezahlen muß. Hr. Tay- lor ist gelehrt, und kein übler Redner, aber ein eben so leidenschaftlicher Schwärmer für die Zerstörung der christlichen Religion, als es so viele Andere für ihre Begründung gegeben hat. Er sagte außerordentlich starke, zuweilen wahre, oft schiefe, manchmal witzige und auch ganz unanständige Dinge. Der Saal war übrigens gedrängt voll von Zuhörern aus allen Stän- den. Hier, wo die Nation auf einer so geringen Stufe religieuser Bildung steht, begreift man wohl, daß ein solcher negativer Apostel viel Zulauf haben kann. Bei uns, wo man auf dem vernunstgemäßen Wege allmähliger Reform schon weit fortgeschritten ist, würde ein Unternehmen dieser Art die Einen mit heiligem Abscheu erfüllen, den Andern nicht nützen, und Alle mit Recht schokiren, die Polizei es aber ohnedem unmöglich machen. Der erste Almacks-Ball fand diesen Abend statt, und nach Allem, was ich von dieser berühmten Re- union gehört, war ich in der That begierig, sie zu sehen, aber nie ward meine Erwartung mehr ge- täuscht. Es war nicht viel besser wie in Brighton. Ein großer, leerer Saal mit schlechten Dielen, Stricke darum her, wie in einem arabischen Lager der Platz für die Pferde abgepfergt ist, ein paar kleine nackte Nebenstuben, in denen die elendesten Erfrischungen gereicht werden, und eine Gesellschaft, wo, ohngeach- tet der großen Schwierigkeit, Entreebillets zu erhal- ten, doch recht viel Nobodys sich eingeschwärzt hatten, und die schlechten Tournüren und Toiletten vorherr- schend waren, das war Alles, mit einem Wort, ein völlig wirthshausmäßiges Fest, höchstens nur Musik und Beleuchtung gut — und dennoch ist Almacks der höchste Culminationspunkt der englischen Modewelt. Diese übertriebene Einfachheit war indeß in ihrem Ursprung absichtlich, indem man grade der Pracht der reichen parvenûs etwas ganz Wohlfeiles entge- gensetzen und es demohngeachtet, durch die Einrich- tung der Lady Patronesses, ohne deren Genehmigung Niemand Theil daran nehmen konnte, inaccessibel für sie machen wollte. Das Geld und die schlechte Ge- sellschaft (im Sinne der Aristokraten) hat sich aber dennoch Bahn hereingebrochen, und als einzig Cha- rakteristisches ist blos das unpassende Aeußere geblie- ben, welches nicht übel dem Lokal eines Schützen- balles in unsern großen Städten gleicht, und mit dem übrigen englischen Prunk und Luxus so lächer- lich kontrastirt. Den 1sten May. Bei Est … fand ich gestern Morgen den Fürsten S ......, der erst vor wenigen Monaten, von der Krönung in Moskau kommend, hierdurch nach Bra- silien gegangen war, und jetzt bereits von dort zu- rück kam. Wie schnell man doch in unsern Zeiten die größten Reisen mit Leichtigkeit zurücklegt! Von allem, was er gesehen, gab er, für Naturschönheiten, der Insel Madeira den Vorzug. Er hatte von da kaum 8 Tage bis London gebraucht, was mir große Lust macht, die Excursion auch zu versuchen, sobald die Season vorüber ist. Von 4 Uhr Nachmittags bis 10 Uhr Abends saß ich im Hause der Gemeinen, gedrängt, in fürchter- licher Hitze, höchst unbequem, und dennoch mit so angespannter Aufmerksamkeit, so hingerissen, daß die 6 Stunden mir wie ein Augenblick vergingen. Es ist in der That etwas Großes um eine solche Landesrepräsentation! Diese Einfachheit in der Er- scheinung, diese Würde und Erfahrung, diese unge- heure Macht nach Außen, und dieses prunklose Fa- milienverhältniß im Innern. — Briefe eines Verstorbenen IV. 2 Die heutige Debatte war überdies vom höchsten Interesse. Das vorige Ministerium hat, wie Du weißt, größtentheils resignirt, unter ihnen die wich- tigsten Männer Englands, ja selbst der (nach Na- poleons und Blüchers Tode) berühmteste Feldherr Europa’s. Canning, der Vorfechter der liberalen Parthei, hat dieses Ministerium besiegt, und ist trotz aller ihrer Anstrengungen der Chef des neuen ge- worden, dessen Zusammensetzung ihm, wie es in Eng- land in solchem Falle üblich ist, allein überlassen wurde. Aber die ganze Gewalt der entrüsteten Ul- tra-Aristokratie und ihres Anhangs drückt noch im- mer schwer auf ihn, ja selbst einer seiner bedeutend- sten Freunde, ein Commoner dazu wie er, ist gleich- falls einer der ausscheidenden Minister, und schließt sich der ihm feindlichen Parthei an. Dieser (Mr. Peel) eröffnete heute den Kampf, in einer langen und geschickten, sich jedoch zu oft wiederholenden Rede. Es würde mich viel zu weit führen, und ganz über die Gränzen einer Correspondenz wie die unsrige hinausgehen, wenn ich mich in das Detail der grade jetzt vorliegenden politischen Fragen einlassen wollte, meine Absicht ist nur, Dir die Taktik anzudeuten, mit der auf der einen Seite gleich vom Anfang an der Gewandteste der neuen Opposition angriff, und dann erst noch mehrere gemeinere Streiter derselben losgelassen wurden, die regellos bald da bald dort anpackten; dagegen die alte Opposition der Whigs, die jetzt das liberale Ministerium aus allen Kräften unterstützt, umgekehrt und zweckmäßiger mit dem kleinen Gewehrfeuer anfing, und nachher erst, als schwe- res Geschütz, einen ihrer Hauptkämpfer, Brougham, sich erheben ließ, welcher in einer herrlichen Rede, die wie ein klarer Strom dahin strömte, seine Geg- ner zu entwaffnen suchte, sie bald mit Sarkasmen peinigte, bald einen höheren Schwung nehmend, alle Zuhörer tief ergriff und überzeugte. Z. B. wenn er sagte: „Nicht um Plätze zu erlangen, nicht um Reich- thümer zu erwerben, ja nicht einmal um den Catho- liken unsres Landes ihr natürliches und menschliches Recht wiedergegeben zu sehen, eine Wohlthat, um die ich seit 25 Jahren Gott und die Nation verge- bens anrufe, nicht für alles dieses habe ich mich dem neuen Ministerium angeschlossen, nein, sondern nur, weil, wohin ich mein Auge wende, nach Europa’s civilisirten Staaten, oder nach Amerika’s ungeheurem Continent, nach dem Orient oder Occident, ich überall die Morgenröthe der Freiheit tagen sehe, — ja, ihr allein habe ich mich angeschlossen, indem ich dem Manne folge, der ihr Vorfechter zu seyn, eben so würdig als willig ist!“ Hier schloß der Redner, nachdem er noch die feier- liche Erklärung abgegeben, daß er um so unparthei- ischer hierin sey, und seyn könne, da er nie, und un- ter keiner Bedingung je in ein Ministerium dieses Reichs treten werde Man sieht jetzt, daß dies nur eine Redensart war. A. d. H. . — 2* Schon früher hatte ich Brougham gehört und be- wundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leich- tigkeit gesprochen, stundenlang in einem nie unter- brochenen klaren Fluß der Rede, mit schönem und deutlichem Organ, die Aufmerksamkeit fesselnd, ohne irgendwo anzustoßen, nachzusinnen, zu wiederholen, oder, sich versprechend, ein Wort für das andere zu gebrauchen, welche störenden Fehler z. B. die Reden Peel’s oft verunstalten. Brougham spricht, wie ein geübter Leser Gedrucktes vorliest — demohngeachtet sieht man darin nur außerordentliches Talent, beißen- den, vernichtenden Witz und seltne Gegenwart des Geistes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des Genies , wie Canning sie ausströmt, besitzt er, meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade. Jetzt erst trat Canning, der Held des Tages, selbst auf. Wenn der Vorige einem geschickten und eleganten geistigen Boxer zu vergleichen war, so gab Canning das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanz- punkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hin- reißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die, als sey es die Folge der so kürzlich erlebten Krän- kungen, so wie der überhäuften Arbeit, seiner Ener- gie etwas zu entnehmen schien, gewann ihm vielleicht in anderer Rücksicht noch mehr von Seiten des Gefühls. Seine Rede war in jeder Hinsicht das Gediegenste, auch den Unbefangensten Ergreifende, der Culmina- tionspunkt des heutigen Tages! Nie werde ich den Eindruck vergessen, den sie, und jene schon berühmt gewordene, die er vor mehreren Wochen über die portugiesischen Angelegenheiten hielt, auf mich mach- ten. Ich fühlte beidemal tief, daß die höchste Ge- walt, die der Mensch auf seine Mitmenschen aus- üben, der blendendste Glanz, mit dem er sich umge- ben kann, und vor dem selbst der des glücklichen Kriegers wie Phosphorschein vor der Sonne er- bleicht — nur in dem göttlichen Geschenk der Rede liege! Dem großen Meister in dieser nur ist es ge- geben, Herz und Gemüth einer ganzen Nation in jene Art von magnetischem Somnambulismus zu versetzen, wo ihr nur blindes Hingeben übrig bleibt, und der Zauberstab des Magnetiseurs über Wuth und Milde, über Kampf und Ruhe, über Thränen und Lachen mit gleicher Macht gebietet. Am folgenden Tage wurde das Haus der Lords eröffnet, unter gleich merkwürdigen Umständen als gestern das Haus der Gemeinen, jedoch zeigten sich darin keine so großen Talente, als Brougham und vor Allen Canning. Lord Ellenborough (der beiläufig gesagt, die schönste Frau in England besitzt Sie wurde spaͤter von demselben jungen Fuͤrsten, der in diesem Briefe als schneller Reisender angefuͤhrt ist, mit gleicher Schnelligkeit nach dem Continent entfuͤhrt. A. d. H. , erhob sich zuerst, und sagte in der Hauptsache: Man klage die ausscheiden- den Minister an, in Folge einer gemeinschaftlichen Vereinigung resignirt, und sich dadurch des hohen Unrechts schuldig gemacht zu haben, dem Könige seine constitutionelle Prärogative: ganz nach freier Willkühr seine Minister zu erneuern, schmälern zu wollen. Zu- vörderst müsse er daher verlangen, daß sie, um ihre Ehre zu retten , sich hierüber genügend rechtfer- tigten. Hier sah ich den großen Wellington in einer fatalen Klemme. Er ist kein Redner, und mußte nun bongré malgré sich wie ein Angeklagter vor seinen Richtern vertheidigen. Er war sehr agitirt, und die- ser Senat seines Landes, obgleich aus lauter Leuten bestehend, die einzeln ihm vielleicht nichts sind, schien wirklich imposanter in seiner Masse für ihn, als weiland Napoleon und alle seine Hunderttau- sende. Daß so etwas aber nicht möglich wird, ist die große Folge weiser Institutionen! Es war bei alle dem rührend, den Heros des Jahrhunderts in einer so untergeordneten Lage zu sehen. Er stotterte viel, unterbrach und verwickelte sich, kam aber doch am Ende, mit Hülfe seiner Parthei — die bei jedem Stein des Anstoßes (grade wie bei der Gesandtenrede am Lord Mayor’s-Tage) durch Beifall und Lärm eine Pause herbeiführte, in der er sich wieder zurecht finden konnte — endlich so ziemlich damit zu Stande: zu beweisen, daß keine Conspiracy obgewaltet habe. Er sagte zuweilen starke Sachen, vielleicht mehr als er wollte, denn er war seines Stoffes nicht Meister, unter andern folgende Worte, die mir sehr auffielen: „Ich bin Soldat und kein Redner. Mir gehen alle Talente ab, in dieser hohen Versammlung eine Rolle zu spielen, ich müßte mehr als toll seyn ( mad ), wenn ich je, wie man mich beschul- digt, dem wahnsinnigen Gedanken Raum hätte ge- ben können, erster Minister werden zu wollen Diese Aeußerung des Herzogs ist seitdem, selbst im Un- terhause, oͤfters zur Sprache gekommen; weniger bekannt aber moͤchte folgende ganz neuere seyn, die ich der liebens- wuͤrdigen Dame verdanke, an die sie gerichtet war. Im Monat November dieses Jahres 1830 unterhielt sich der Premier mit der Fuͤrstin C. und der Herzogin von D. uͤber mehreres Charakteristische der englischen und franzoͤsischen Nation, und ihre gegenseitigen Vorzuͤge. Ce qui est beau, en Angleterre, sagte der Herzog mit vielem Selbstgefuͤhl, c’est que ni le rang, ni les richesses, ni la faveur sauraient élever un Anglois aux premières places. Le génie seul les obtient, et les conserve chez nous. Die Damen schlugen die Augen nieder, und 8 Tage darauf war der Herzog von Wellington nicht mehr en place. A. d. H. .“ Alle ausgeschiedenen Lords nach der Reihe machten nun, so gut sie konnten, auch ihre Apologieen. Der alte Lord Eldon versuchte es mit dem Weinen, was er bei großen Gelegenheiten immer bei der Hand hat, es wollte aber heute keine rechte Rührung her- vorbringen. Dann antwortete der neue Lord und Minister (Lord Gooderich, ehemals H. Robinson) für sich und den Premier, der im Hause der Lords nicht erscheinen kann, weil er nur ein Commoner ist, als solcher aber dennoch jetzt England regiert, und zu berühmt als Mr. Canning geworden ist, um daß er diesen Namen gegen einen Lords-Titel vertau- schen möchte. Der Anfang der sonst guten Rede des neuen Pairs erregte ein allgemeines Gelächter, denn der langen alten Gewohnheit getreu, redete er die Lords, wie den Sprecher des Unterhauses mit „Sir“ statt „My- lords“ an. Er war selbst so sehr dadurch deconte- nancirt, daß er sich vor die Stirne schlug, und eine ganze Weile sprachlos blieb, aber durch viele freund- liche hear, hear, doch bald wieder seine Fassung gewann. Lord Holland zeichnete sich, wie gewöhnlich, durch Schärfe und frappante Aufstellungen aus; Lord King durch vieles, zuweilen nicht sehr geschmackvolles Wi- tzeln; Lord Landsdowne durch ruhigen, sachgemäßen, mehr verständigen als glänzenden Vortrag. Lord Grey sprach von Allen mit dem meisten äußern An- stande, den die englischen Redner fast ohne Ausnahme entweder zu sehr verschmähen, oder seiner nicht mäch- tig werden können. Einen ähnlichen Mangel an An- stand bietet das Local des Unterhauses dar, das ei- nem schmutzigen Kaffeehause gleicht, und auch das Benehmen vieler Volksrepräsentanten, die mit dem Hut auf dem Kopfe oft auf den Bänken ausgestreckt liegen, und sich während der Reden ihrer Collegen von Allotrien unterhalten, erscheint seltsam. Local und Verhandlung im Oberhause sind dagegen sehr schicklich. Wenn ich von dem Totaleindruck dieser Tage auf mich Rechenschaft geben soll, so muß ich sagen, daß er erhebend und wehmüthig zugleich war. Das Erste, indem ich mich in die Seele eines Engländers versetzte, das Zweite im Gefühl eines Deutschen ! Dieser doppelte Senat des englischen Volks, mit allen menschlichen Schwächen, die mit unterlaufen mögen, ist etwas höchst Großartiges — und indem man sein Walten von Nahem sieht, fängt man an zu verstehen, warum die englische Nation bis jetzt noch die erste auf der Erde ist. Den 3ten. Aus dem ernsten Parlament folge mir, zur Ver- änderung, heute ins Theater. Man führt ein Spektakelstück auf, dessen äußere Ausschmückungen hier täuschender bewerkstelligt wer- den als irgendwo. Nur die „Scenery,“ zweier Auf- tritte will ich beschreiben. Zwischen Felsen, im wilden Gebirge Spaniens, er- hebt sich ein maurisches Schloß in weiter Entfernung. Es ist Nacht, aber der Mond scheint hell am blauen Himmel, und mischt sein blasses Licht mit den hell- erleuchteten Fenstern des Schlosses und der Capelle. Ein langer sich durch die Berge ziehender Weg wird an mehreren Stellen sichtbar, und führt zuletzt, auf hohe Mauerbogen gestützt, bis in den Vordergrund. Jetzt schleichen vorsichtig Räuber aus den Gebü- schen herbei, verbergen sich lauernd an der Straße, und man hört aus ihrem Gespräch, daß sie eben ei- nen Hauptfang zu machen gedenken. Ihr schöner junger Hauptmann ist erkenntlich durch gebietenden Anstand und sein prächtiges Costume, im Geschmack der italienischen Banditi. Nach kurzem Zwischenraum sieht man in der Ferne die Schloßthore sich öffnen, eine Zugbrücke wird heruntergelassen, und eine Staatskutsche mit sechs Maulthieren be- spannt, rollt dem Gebirge zu. Einigemal verliert man sie hinter den Bergen, immer größer kömmt sie wieder zum Vorschein (welches durch mechanische Figuren von verschiedener Dimension sehr artig und geschickt bewerkstelligt wird) und gelangt endlich im raschen Trabe auf die Scene, wo sogleich von den versteckten Räubern einige Schüsse fallen, deren ei- ner den Kutscher tödtet, worauf die Beraubung des Wagens unter Lärm und Getümmel vor sich geht. Während diesem Tumulte fällt der Vorhang. Beim Anfang des zweiten Akts erblickt man zwar wieder dieselbe Dekoration, aber sie erweckt ganz verschiedene Empfindungen. Die Lichter im Schloß sind verlöscht, der Mond ist hinter Wolken getreten. In der Dämmerung unterscheidet man nur undeut- lich die Kutsche, mit aufgerißnen Thüren, auf dem Bocke liegt der getödtete Diener hingestreckt, aus ei- nem steinigten Graben sieht man das blasse Haupt eines gefallenen Räubers hervorragen, und an ei- nem Stamme lehnt der sterbende, schöne Haupt- mann, dessen fliehende Lebensgeister der Knabe Gilblas vergebens bemüht ist, zurückzuhalten. Dies halb lebende halb todte Gemälde ist wirklich von er- greifender Wirkung. Meine heutigen Frühvisiten waren nützlich, denn sie verschafften mir 3 neue Billets für die nächsten Almacks, und ich bewog sogar eine der gefürchte- ten, strengen Patronesses, mir ein Billet für eine kleine obscure Miss meiner Bekanntschaft zu geben, eine große faveur! Ich mußte aber lange intriguiren und viel bitten, ehe ich es errang. Die Miss und ihre Gesellschaft küßten mir beinahe die Hände, und be- nahmen sich, als wenn sie sämmtlich das große Loos gewonnen hätten. Je crois qu’après cela, il y a peu de choses qu’elle me refuserait. Außer Almacks ist den englischen Damen am besten durch die Politik beizukommen. Diese letzte Zeit hörte man, weder bei Tisch noch in der Oper, ja selbst auf dem Ball nie etwas anders als von Canning und Wellington aus jedem schönen Munde, ja Lord E. beklagte sich sogar, daß seine Frau selbst in der Nacht ihn damit behellige. Plötzlich im Schlafe habe sie ihn durch ihren Ausruf aufgeschreckt: „Wird der Premier stehen oder fallen?“ Wenn ich mich daher hier in nichts Anderm ver- vollkommne, so geschieht es wenigstens in der Poli- tik und auch im Cabrioletfahren, denn das Letztere lernt man hier perfect, und windet sich im schnellen Lauf durch Wagen und Karren, wo man früher mi- nutenlang angehalten haben würde. Ueberhaupt wird man nach einem langen Aufenthalt in solcher Welt- stadt in allen Dingen wirklich etwas weniger klein- lich. Man sieht die Dinge breiter und mehr en bloc an. Den 10ten. Das ewige Einerlei der Season geht noch immer so fort. Eine Soir é e bei Lady Cooper, einer der sanftesten Lady Patronesses, eine andere bei Lady Jersey, einer der schönsten und ausgezeichnetsten Frauen Englands, vorher aber noch ein indisches Melodram füllte den heutigen Abend recht angenehm. Das Melodram spielte auf einer Insel, deren Ein- wohner mit dem herrlichen Geschenk des Fliegens begabt waren. Die hübschesten Mädchen kamen, wie Kranichschwärme, in Masse angesegelt, und ließen nur, wenn man ihnen recht eindringlich die Cour machte, die Flügel sinken, aber zu viel durste man auch nicht wagen, — ein Nu — und die gracieusen bunten Falter breiteten sich schnell aus, und weg waren sie, ohne daß man sogar die dünnen Seile sehen konnte, an denen sie heraufgezogen wurden. Auf einem Din é und der darauf folgenden Soir é e beim Fürsten Polignac waren mehrere interessante Personen zugegen, unter andern der Gouverneur von Odessa, einer der liebenswürdigsten Russen, die ich kenne, und Sir Thomas Lawrence, der berühmte Maler, von dem man sagt, daß er alle die unge- heuren Summen, welche ihm seine Kunst einbringt, regelmäßig im Billardspiel verliert, weil er sich irrig darin ein Meister zu seyn einbildet. Es ist ein Mann von interessantem Aeußern, mit etwas Mittelaltri- gem in seinen Zügen, was auffallend an Bilder aus der venetianischen Schule erinnert. Noch mehr zogen mich indeß die portugiesischen Augen der Marquise P … an, denn portugiesische und spanische Augen übertreffen alle andern. Die Niece des Fürsten Polignac erzählte mir, daß ihr Onkel, der bei einem noch ganz jugendlichen und angenehmen Aussehen doch einen ganz weißen Kopf hat, diesen in den französischen Revolutions- Gefängnissen, noch nicht 25 Jahre alt, in wenigen Wochen vor Kummer und Angst ergrauen gesehen hätte. Er mag den jetzigen Contrast mit damals gar wohlthätig finden, aber die Haare kann ihm leider die Restauration doch nicht wieder schwarz machen! Wie wenig mochte mein verstorbener Freund damals ver- muthen, daß dieser schlecht organisirte Kopf noch solches Unheil uͤber die Welt zu bringen bestimmt war! Auch aus ihm wird zwar, wie aus allem Uebel, einmal Gutes her- vorgehen, aber schwerlich werden wir diese Fruͤchte aͤrndten. A. d. H. Mich interessirte dieser Gegenstand, besonders deß- halb, gute Julie, weil die meinigen leider auch, mit zu viel Patriotismus, hie und da unsre National- farben, schwarz und weiß, anzunehmen anfangen. Uebrigens ist die hiesige Season, wenn man, als lernbegieriger Fremder, alle Gradationen der haus- machenden Welt sehen will, kaum auszuhalten. Mehr wie 40 Einladungen liegen auf meinem Tische, fünf bis sechs zu einem Tage. Alle diese Gastgeber wol- len nachher früh Visiten haben, und um höflich zu seyn, muß man sie in Person machen. C’est la mer à boire, und dennoch sehe ich Abends beim Vorbei- fahren immer noch vor vielen Dutzenden mir unbe- kannter Häuser, ebenfalls dichte Wagenburgen stehen, durch die man sich mühsam durchdrängen muß. Ein Ball, dem ich neulich beiwohnte, war beson- ders prachtvoll, auch einige königliche Prinzen zuge- gen, und wenn dies der Fall ist, hat die Eitelkeit der Wirthe die Mode eingeführt, dies immer schon auf den Einladungskarten anzuzeigen. „To meet his royal highness“ etc. ist die lächer- liche Phrase. Der ganze Garten des Hauses war überbaut und zu großen Sälen umgeschaffen, die man in weißen und Rosa-Mousselin drapirt, mit enormen Spiegeln und 50 Kronleuchtern von Bronze ausgeschmückt, und durch die Blumen aller Zonen parfumirt hatte. Die Herzogin von Clarence beehrte das Fest mit ihrer Gegenwart, und Alles drängte sich, sie zu sehen, denn sie ist eine jener seltnen Prin- zessinnen, deren Persönlichkeit weit mehr Ehrfurcht als ihr Rang gebietet, und deren unendliche Güte, und im höchsten Grade liebenswerther Charakter ihr eine Popularität in England gegeben haben, auf die wir Deutsche stolz seyn können, um so mehr, da sie al- ler Wahrscheinlichkeit nach einst die Königin jenes Landes zu werden bestimmt ist. Die Person, welche diesen glänzenden Ball gab, war demohngeachtet nichts weniger als modisch, eine Eigenschaft, die hier den seltsamsten Nüancen unter- worfen ist. Indeß raffinirt Jeder, modisch oder nicht, wie er es dem Andern bei seinen Festen zuvorthun möge. Die Gräfin L. gab den Tag nach dem erwähnten Ball einen andern, wo ich, gewiß tausend Schritt vom Hause schon, aussteigen mußte, da vor der Menge von Wagen gar nicht mehr heranzukommen war, und bereits verschiedene Equipagen, die sich gewaltsam Bahn brechen wollten, unter schrecktichem Fluchen der Kutscher unauflöslich zusammenhingen. Bei diesem Ball waren die Treibhäuser mit Moos aus verschiedenen Farben tapezirt, und der Boden mit abgehauenem Grase dicht belegt, aus dem hie und da Blumen frei hervorzuwachsen schienen, die vom Stiel aus erleuchtet waren, was ihre Far- benpracht verdoppelte. Die Gänge aber wurden durch bunte Lampen, die gleich Edelsteinen im Grase sun- kelten, markirt. Eben so hatte man solche bunte Arabesken im Moose der Wände angebracht. Im Hintergrunde schloß eine schöne transparente Land- schaft, mit Mondschein und Wasser die Aussicht. Den 15ten. Mit mehrern Damen diesen Morgen spazieren rei- tend, erhob sich die Frage, welchen Weg man neh- men sollte, die herrliche Frühlingsnacht am besten zu genießen. Da sahen wir am hohen Himmel einen Luftballon schweben, und die Frage war beantwor- tet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen Damen, gleich einer steeple chase, dem luftigen Füh- rer, der aber doch endlich unsern Blicken ganz ent- schwand. Der Mittag war einem großen diplomatischen Din é gewidmet, wo mehrere der neuen Minister zugegen waren, und der Abend einem Ball in einem deutschen Hause, dessen solide und geschmackvolle Pracht den besten englischen gleichkömmt, und durch die liebens- würdigen Eigenschaften der Wirthe die meisten über- trifft, ich meine beim Fürsten Esterhazy. Bald aber wird mein Journal den Reiseberichten des weiland Bernouilly gleichen, die auch nur von Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhal- tungen handeln. Aber Du mußt es nun schon hin- nehmen, wie es sich trifft. Vergleiche dies Tagebuch mit einem Gewande, auf dem sehr verschiedne, rei- chere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der feste dauerhafte Stoff repräsentirt meine immer gleiche Liebe zu Dir und den Wunsch, Dich, so gut es geht, mein fernes Leben mit leben zu lassen; die Sticke- reien aber, die nur Copieen des Erlebten sind, müssen daher auch den Charakter desselben annehmen, bald glühender in Farben, bald blässer seyn — und zu verwundern wäre es nicht, wenn sie in der dum- pfen Stadt ganz verblaßten, die nimmer so liebliche Bilder bietet als die herrliche Natur! Den 21sten. Ich muß vor der Hand noch bei demselben Thema bleiben, und eines Frühstücks in Chiswick beim Her- zog von Devonshire erwähnen, der hübschesten Art Feten, die man hier gibt, weil sie auf dem Lande, abwechselnd im Hause und in den schönsten Gärten, statt finden, Dejeuners heißen , aber erst um 3 Uhr anfangen und vor Mitternacht nicht aufhören. Der Fürst B. …, weiland Schwager Napoleons, war zu- gegen, auch einer von denen, die ich früher in einem äußern Glanz gesehen, den ihnen nur die damalige Welt-Sonne verlieh, und der mit ihr so schnell über- all verlöscht ist! Die größte Zierde dieses Frühstücks war aber die schöne Lady Ellenborough. Sie kam in einem klei- nen Wagen mit Ponys bespannt an, die sie selbst dirigirte, und die nicht größer als kamtschadalische Hunde waren. Man möchte versucht seyn, von nun an dem Fuhrwerke der Venus die Tauben auszuspan- nen und Ponys statt ihrer vorzulegen. Uebler wird aber mit allen Sorten Equipagen hier umgegangen als irgendwo. Auf dem gestrigen Al- Briefe eines Verstorbenen. IV. 3 macks-Ball entstand eine solche Bagarre unter ihnen, daß mehrere Damen Stunden lang warten mußten, ehe sich das Chaos entwickelte. Die Kutscher beneh- men sich bei solchen Gelegenheiten wie unsinnig, um vorzudringen, und die Polizei bekümmert sich nicht um dergleichen in England. So wie diese heroischen Wagenlenker die kleinste Oeffnung vor sich sehen, peit- schen sie ihre Pferde hinein, als wären Pferde und Wagen ein eiserner Keil. Beider Erhaltung wird für nichts geachtet. Auf diese Weise war eins der Pferde der liebenswürdigen Lady Stigo mit beiden Hinter- beinen in das Vorderrad des Nebenwagens so ein- gedrungen, daß es nicht mehr möglich war, es zu de- gagiren, und eine Umdrehung des Rades ihm ohn- fehlbar beide Knochen zermalmt haben würde. Dem- ohngeachtet war der fremde Kutscher kaum dahin zu bringen, still zu halten. Man mußte zuletzt, als sich die Foule etwas geklärt, beide Pferde ausspannen, und dann gelang es noch schwer, sie von einander zu lösen. Während dieser Zeit brüllte das arme Thier so laut, wie der Löwe Nero in Exeterchange. Ein Cabriolet wurde daneben ganz zertrümmert, und fuhr seinerseits mit den Gabeln in die Fenster einer Kutsche, aus der das Zetergeschrei von mehreren Weiberstim- men anzeigte, daß sie schon besetzt war. Viele andere Wagen wurden noch beschädigt. Nach dieser Schilderung würdest Du Gute mit Deiner Poltronnerie Dich wohl hier nie mehr einem Wagen anvertrauen. Sicherer war es auch gewiß zu Zei- ten der Königin Elisabeth, wo Alles, auch die zarten Hoffräuleins, noch zu Pferde sich zu Balle begaben. Den 27sten. Ich hatte die Ehre, beim Herzog von Clarence zu speisen, wo auch die Prinzessin Augusta, die Herzogin von Kent mit ihrer Tochter und die Herzogin von Gloucester gegenwärtig waren. Der Herzog macht einen sehr freundlichen Wirth, und erinnert sich im- mer gütig der verschiednen Epochen und Länder, wo er mich früher gesehen. Er hat sehr viel National- Englisches, im besten Sinne des Worts, auch die englische Liebe zur Häuslichkeit. Es war heute der Geburtstag der Prinzessin Carolath, den er feierte, und ihre Gesundheit dabei ausbrachte, welches die sanfte Emilie, ohngeachtet der Intimität, mit der sie hier als Verwandtin der liebenswürdigen Herzogin behandelt wird, doch vielfach erröthen machte. Unter den übrigen Gästen muß ich den Admiral Sir George Cockburn erwähnen, der Napoleon nach Helena führte, und mir nach Tisch viel von des Kai- sers ungemeinem Talent erzählte, diejenigen zu ge- winnen, welche er zu gewinnen die Absicht hatte. Der Admiral bewunderte auch die Aufrichtigkeit, mit der Napoleon über sich selbst, wie über eine fremde historische Person sprach, und unter andern offen äußerte: die Russen hätten ihn in Moskau so völlig 3* überlistet, daß er jeden Tag bis zum letzten bestimmt auf den Frieden gehofft, bis es endlich zu spät ge- wesen sey. C’était sans dout une grande faute, setzte er nachher gleichgültig hinzu. Die Töchter des Herzogs sind d’nn beau sang, alle außerordentlich hübsch, wenn gleich alle in einem ganz verschiednen Genre; und unter den Söhnen zeichnet sich in vieler Hinsicht der Obrist Fitzclarence aus, dessen Landreise von Indien durch Aegypten nach England Du mit so viel Interesse gelesen hast. Er hat auch über die deutsche Landwehr geschrieben, de- ren Partisan er jedoch keineswegs ist. Selten findet man einen jungen Officier von so vielseitiger Bil- dung. Ich kenne ihn schon von älteren Zeiten her, und habe mich schon oft vieler Freundlichkeit von seiner Seite zu rühmen gehabt. Seine älteste Schwester ist an Sir Sidney ver- heirathet, und ich hörte von ihr, daß in dieser Fa- milie, seit Lord Leicesters Zeit, die ununterbrochne Reihe der Ahnenbilder nicht nur, sondern sogar eine Haarlocke von jedem der Vorfahren aufbewahrt werde. Auch finde sich dort, unter allen Documenten, noch eine Liste sämmtlicher Gäste bei dem Feste von Ken- nilworth, und sehr merkwürdige Haushaltsrechnungen aus jener Zeit vor. Walter Scott hat, glaube ich, diese Papiere benützt. Abends flötete die Pasta herrlich bei Gräfin St. A., und zwei bis drei Bälle schlossen den Tag. Den 29sten. Herzlich mußte ich diesen Morgen über einen jun- gen Lord lachen, dem der Aufenthalt in Paris noch nicht viel genützt hat, und dessen schönes Pferd mehr als er selbst die Blicke im Park auf sich zog. Quel beau cheval vous avez là, sagte ich. Ja, erwiederte er mit seinem englischen Accent: C’est une belle bête, je l’ai fait moi même, et pour cela je lui suis beaucoup attaché. Er wollte ohne Zweifel sa- gen, daß er es selbst bei sich aufgezogen habe. Ist das nicht ganz der Pendant zu dem tauben russischen Officier in B., dem der König bei Gelegenheit eines auf den Tisch kommenden Esturgeons zurief: Ce poisson est bien fréquent chez vous, und der, auf- stehend, mit einem tiefen Bückling, erwiederte: Oui Sire, je l’ai été pendant quinze ans. Rex Judaeorum gab ein prachtvolles Din é, dessen Dessert allein, wie er mir sagte, 100 Lst. kostete. Ich saß neben einer sehr geistreichen Dame, der Freundin des Herzogs von W… Mtss. A.... eine sehr cha- rakteristische, feine, nicht englische Physiognomie. Du kannst Dir denken, welche enragirte Politikerin! Ich habe sie ohne Zweifel nicht wenig ennuyirt, denn erstens bin ich ein Canningianer, zweitens hasse ich die Politik bei Tische. Wir sahen hier viel Pracht. Das Tafelservice war Vermeil und Silber, das zum Dessert, glaube ich, ganz Gold. Auch in der Neben- stube, unter dem Portrait des Fürsten Metternich (Präsent des Originals) befand sich ein großer, ditto goldner Kasten, wahrscheinlich eine Copie der Bun- deslade. Ein Concert folgte der Mahlzeit, in wel- chem Herr Moscheles so hinreißend spielte, wie seine danebenstehende junge Frau aussah, und erst um 2 Uhr kam ich auf den Rout des Herzogs von Northumberland, eine kleine Gesellschaft, zu der blos 1,000, sage tausend Personen eingeladen worden wa- ren. In einer ungeheuern Gemäldegallerie wurden bei 30 Grad Reaumur große Musikstücke aufgeführt. Man hörte aber nicht viel davon wegen des Lärms und Drängens. Der Schweißgeruch war gleich der schwarzen Höhle in Indien, fast unerträglich. Sind es nun wirklich civilisirte Nationen, die sich so amüsiren? Den 31sten. Die an Kohlenbergwerken reiche Lady L...., de- ren Teint zu der Farbe jener den angenehmsten Ge- gensatz bildet, und deren air chiffonné ganz originell ist, zeigte mir diesen Morgen ihren Bazar. Es ist kein gewöhnlicher, denn es lagen wohl für 300,000 Rtllr. Edelsteine darauf. Das ganze Boudoir, voller Wohlgerüche, Blumen und Seltenheiten, das Clair- obscur rother Vorhänge, und die Marquise selbst in einem gelben Gazekleide auf ihrer Chaise longue hingestreckt, plongée dans une douce langueur, es war ein hübsches Bild „of refinement.“ Diamanten, Perlen, Feder und Tinte, Bücher, Briefe, Spielsa- chen und Petschaften lagen vor ihr mit einer ange- fangenen Börse. Unter den Petschaften waren zwei Inschriften pikant durch ihren Contrast; die eine, von Lord Byron, sagt in zwei schönen Strophen: Love will find its way Where wolves would fear to stray. Liebe wird den Weg erspähn, Wo der Wolf sich scheut zu gehn. Die andere Inschrift sagt mit ächt französischer Philosophie: Tout lasse, tout casse, tout passe! Außerdem war nichts häufiger im Hause als Por- traite des Kaisers Alerander in allen Größen, der in W… der Marquise die Cour gemacht, und dessen Conterfey die Dankbarkeit daher so sehr vervielfältigt. Ihr Mann war dort Gesandter, und gebrauchte seine englische Prärogative im vollen Maße. Einmal borte er mit einem Fiaker, ein andermal präsentirte er die Erzherzogin, und wenn ich nicht irre, gar die Mo- narchin selbst seiner Frau, statt umgekehrt, dann lief er in die Küche, seinen Koch zu erstechen, weil dieser seine Frau beleidigt, enfin il faisait la pluie et le beau tems à V.... ou plûstot l’orage et la grêle. Denke nun, wie desappointirt die arme Dame, welche so lange auf dem Continent regierte, jetzt seyn muß, hier malgré ses Diamans, son rang et sa jo- lie mine, nicht recht fashionable werden zu können! Aber dieser Mode-Aristokratie ist schwerer beizukom- men, als dem obersten Grade der Freimaurer, und viel capriciöser ist sie noch dazu, als diese ehrwür- digen Männer, obgleich beide, wie der liebe Gott, aus Nichts schaffen! Ich speiste bei Lord Darnley, wo ich unter an- dern den Lord Bloomfield, sonst ein markanter Mann und Favorit des Königs, du tems de ses fredaines, und den Erzbischof von York fand, ein majestätischer alter Herr, der als Hofmeister angefangen hat, und durch die Protektion seines Pupillen zu dieser hohen Würde gelangt ist. Nichts ist häßlicher und zugleich komischer als die Demitoilette der englischen Erz- bischöfe. Eine kurze Schulmeisterperücke, schlecht ge- pudert, ein schwarzer französischer Rock und eine kleine schwarzseidne Damenschürze vorne über die Iner- pressibles, wie sie die Bergleute hinten zu tragen pflegen. Lord D. lachte sehr, als ich ihn verwundert fragte: si ce tablier faisait allusion au voeu de chasteté. Ich besann mich in dem Augenblick nicht, daß die englischen Erzbischöfe, die sonst so ächt-ka- tholisch sind, sich das Heirathen reservirt haben. Doch ist es wahr, daß ihre Frauen eigentlich nur wie Mai- tressen behandelt werden, denn sie dürfen nicht den Namen ihres Mannes führen. Wir wurden sehr gut bewirthet, mit zahmem Gar- ten-Wildpret und herrlichen Früchten von Cobham, und fuhren nach Tisch in ein Concert, was sich gar sehr von den hier gewöhnlichen unterschied. Es ist dies eine Entreprise mehrerer vornehmen Edelleute, Freunde der alten Musik von Händel, Mozart und den alten Italienern, deren Compositionen hier allein aufgeführt werden. Ich habe lange keinen ähnlichen Genuß gehabt. Was ist doch das moderne Trilliliren gegen die Er- habenheit dieser alten Kirchenmusik! Ich fühlte mich ganz lebhaft in die Jahre meiner Kindheit zurück- versetzt, ein Gefühl, das in der That die Seele auf viele Tage stärkt und ihr von Neuem leichtere Schwingen gibt. Der Gesang war durchaus vor- züglich, und in seiner Einfachheit oft überirdisch schön, denn es ist unglaublich, welche Gewalt Gott in die menschliche Stimme gelegt hat, wenn sie recht angewandt wird, und einfach und sicher aus einem schönen Munde ertönt. Bei Händels Chören glaubte man entsetzt die Nacht zu fühlen, die sich über Egyp- ten ausbreitet, und den Tumult der Heere Pharaos mit dem Gebrause des Meeres zu hören, das sie un- ter seine Wogen begräbt. Ich konnte mich nicht entschließen, nach so heiligen Tönen die Ball-Fiedeln zu hören, und begab mich daher um 12 Uhr zu Hause, Almacks und noch einen andern Ball der fashionablen Welt gern im Stich lassend. Ich will den Nachhall jener Sphärenmusik mit in meine Träume hinübernehmen, und auf ih- ren Fittigen mit Dir, meine Julie, eine verklärte Nachtreise antreten. Are You ready? Now we fly.... Den 1sten Juni. Sehr bei Zeiten weckte mich heute mein alter B …, welches er nur thut, wenn ein Brief von Dir da ist. Bei minder wichtigen Gelegenheiten läßt er mich im- mer ruhen, wenn ich ihm Abends auch noch so sehr einschärfe, mich zu wecken. Die Entschuldigung ist dann stets: Sie schliefen so gut! Es ist ein wahres Glück, daß ich nicht die Art Eitelkeit besitze, die durch Lob schwindlich wird — sonst müßtest Du einen rechten Thoren aus mir machen. Ach ich kenne mich nur selbst zu gut, und hundert Fehler, die Deine Liebe zur Hälfte übersieht! Das kleine Teufelchen aber, das Du attakirst, spuckt allerdings manchmal in mir. Es ist aber ein ziemlich unschuldiges, oft ein recht dummes, armes, ehrliches Teufelchen, eine Sorte, die hinsichtlich der Moralität, im Grunde zwischen Engel und Teufel in der Mitte steht, mit einem Wort: ein ächtes, schwaches Menschenkind! Da es Dir aber mißfällt, das kleine Teufelchen, so stecke ich es in die Bouteille wie Hofmann, und pfropfe sie mit Salomonis Siegel zu. Von nun an producire ich Dir nur den Herrnhuter; denn Du weißt, unter ihnen verlebte ich meine Jugend, et si je m’en ressens, je ne m’en ressens guêres. Auf dem Fancyball, den Du denen in Brighton nachahmen willst, erscheine ich gewiß, und es wird mich dennoch sicher Niemand erkennen, da ich nur unsichtbar zugegen seyn kann. Ich werde bloß einen Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver- schwinden wie eine Ahnung. Gib also Acht! Den 3ten Juni. Aus der großen Welt wandelte ich gestern wieder einmal in die City, und beobachtete die mühsame Industrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da- hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie sie en evidence gesetzt werden. Früher begnügte man sich, sie anzuschlagen. Jetzt sind sie ambulant. Ei- ner hat einen Hut von Pappe aufgesetzt, dreimal höher als andre Hüte sind, auf welchem in großen Buchstaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re- kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art Fahne, auf der ein Waschweib abgebildet ist, und darunter steht: Only one six pence a shirt. (Nur einen Sixpence das Hemde). Kasten, wie die Arche Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der Größe eines kleinen Hauses, mit Menschen oder ei- nem Pferde bespannt, durchziehen langsam die Straßen, und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch- hausen je finden konnte. Als ich bei H. R… anlangte, war ich sehr müde, und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem Comptoir zu essen. Während dem Essen philosophir- ten wir über Religion. R. est vraiment un très bon enfant, und gefällig, mehr wie Andere seines Standes, sobald er nur nicht selbst etwas dabei zu riskiren glaubt, was man ihm auch keineswegs ver- denken kann. Bei dem Religionsgespräch war er übrigens gewissermaßen im Vortheil, da seine Glau- bensgenossen von älterem Religionsadel sind, als wir Christen. Sie sind die wahren Aristokraten in die- sem Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung passiren lassen wollten. Ich sagte endlich mit Göthe: Alle Ansichten sind zu loben, und fuhr in einem höchst zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem Westend of the town zurück, wo es weder Christen noch Ju- den, sondern nur Fashionables und Nobodys gibt, um bei Mistriß P… die Pasta wieder singen zu hö- ren, und mit der Freundin des Lords H. de moitié Ecarté zu spielen. Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim rosigen Tageslicht eingeschlafen war, bildete ich mir ein, mein Lager sey das Moos eines Waldes. Da weckte mich ein klägliches Geschrei. Ich sah mich um und erblickte einen armen Teufel, der eben von der Spitze eines hohen Baumes schräg durch die Luft fuhr, und neben mir zur Erde stürzte. Stöhnend und leichenblaß raffte er sich auf und jammerte schmerz- lich: nun sey es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein Wesen, das einem zugestöpselten Tintenfaß glich, herbeikam, und dem halbtodten Men- schen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem Stöpsel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpsel heraus, und wie die Tinte nachströmte, verwandelte es sich in einen Mohren in glänzend silberner Jacke und prächtigem Costum, der lachend rief: ich sollte ihm nur in Frieden lassen, er wolle mir Sachen zeigen, die ich noch nie gesehen. Jetzt fingen auch sogleich Zaubereien an, die alle Pinettis und Philadelphias der Welt weit hinter sich zurückließen. Ein großer Schrank unter andern veränderte seinen Inhalt je- den Augenblick, und alle Schätze Golkondas mit den unerhörtesten Seltenheiten kamen nach einander zum Vorschein. Ein dicker Mann mit vier hübschen Töch- tern, welcher eifrig zusah, und den ich sogleich als einen Herrn erkannte, der früher in Brighton Bälle gab, und Rolls hieß, weshalb man ihn (seiner Cor- pulenz wegen) dubble Rolls, seine Töchter aber hut Rolls nannte, äußerte indeß, das Ding daure ihm zu lange, er sey hungrig. Sogleich rief der be- leidigte Zauberer mit zorniger Miene, indem sein Anzug sich vor unsern Augen scharlachrotb färbte: Zwei wird fünf und sieben zehn. Augen eßt! Der Mund soll seh’n, Vorn und hinten wechselt schnell. Fitzli Putzli very well. Kaum war diese Beschwörung ausgesprochen, als ein prächtiges Mahl erschien, und der arme Rolls sich eifrig frische grüne Erbsen in die Augen steckte, die auch ohne alle Umstände heruntergingen, während er, mit dem Lorgnon vor dem Munde, alle die übrigen Wunderdinge, die sich auf der Tafel ausbreiteten, betrachtete und in Gedanken verschlang. Jetzt wollte er Frau und Töchter auch dazu einladen, konnte aber über kein anderes Sprechorgan als dasjenige dispo- niren, dem gewöhnlich das Lautwerden untersagt ist, so daß alle hut Rolls sich über Papas sonderbare „propos“ fast todt lachen wollten. Zu guter Letzt ging er noch, in der groteskesten Verdrehung, auf den Händen zum Zauberer hin, um sich zu bedanken, und langte en passant mit den Füssen in eine Schüssel tutti frutti, die sein neues Sprachorgan mit einem melodischen: Delicious! begleitete. Hat man je von so tollen Träumen gehört, als mich hier heimsuchen? Es sind die trüben Dünste, die Stickluft Londons, die meine Sinne umnebeln. Ich schicke sie daher fort, um sich im heimathlichen Sonnenschein wieder aufzulösen, und lege auf ihre schweren Fittige tausend liebevolle Grüße Deines treuen Freundes L. Sechszehnter Brief . London, den 5. Juni 1827. Bei Gelegenheit einer Visite, die ich Mistriß Hope machte, besah ich ihres Mannes Kunstsammlung heute etwas mehr en detail. Eine sehr schöne Venus von Canova war für mich besonders deßwegen sehr anzie- hend, weil ich sie, noch nicht völlig vollendet, im At- telier des liebenswürdigen Künstlers in Rom vor ziemlich vielen Jahren gesehen, wo sie schon damals von allen seinen Werken den angenehmsten Eindruck bei mir zurückließ. Unter den Gemälden frappirte mich das des berüch- tigten Cäsar Borgia, von Corregio. Ein erhabener Sünder! In der kühnsten, männlichen Schönheit steht er da, Geist und Größe blitzt aus allen Zügen, nur in den Augen lauert ein häßlicher Tiger. Ganz besonders reich ist die Sammlung an Bil- dern der niederländischen Schule. Viele sind von der unübertreffbarsten Wahrheit, welche, ich gestehe es gern, für mich oft einen größern Reiz hat, als selbst das erreichte Ideal, wo dieses keinen verwandten Punkt in meiner Seele anspricht. So war eine alte sehr anständige holländische Bür- gersfrau, die mit großer D é lice ein Glas Wein in sich sog, während ihr in einem Mantel danebenste- hender Mann, die Bouteille, aus der er ihr einge- schenkt, noch in der Hand, mit gutmüthigem Ver- gnügen auf sie herabsieht, ein höchst anziehender Ge- genstand. Eben so einige Offiziere aus dem 16ten Jahrhundert in ihrer schönen und zweckmäßigen Tracht, die sich’s nach harter und blutiger Arbeit beim frohen Mahle wohl seyn lassen, und andre mehr. Unter den Landschaftsmalern machte ich die neue Bekannt- schaft eines Hobbena, der die größte Aehnlichkeit mit der Manier Ruysdaels hat. Täuschende Früchte von van Huysum und van Os, Häuser von van der Meer, auf denen bekanntlich jeder Ziegel ausgeführt ist, mehrere Wouvermanns, Paul Potters ꝛc. ꝛc., nichts fehlte in dieser reichen Sammlung. Nur die neueren englischen Gemälde waren schlecht. Später ging ich nicht mehr aus, um im Stillen den Geburtstag meiner guten Mutter zu feiern. Den 7ten. Als ein Beispiel, was ein Dandy hier alles bedarf, theile ich Dir folgende Auskunft meiner fashionablen Wäscherin mit, die von einigen der ausgezeichnetsten Elegants employirt wird und allein Halstüchern die rechte Steife, und Busenstreifen die rechten Falten zu geben weiß. Also in der Regel braucht ein solcher Elegant wöchentlich 20 Hemden, 24 Schnupftücher, 9 — 10 Sommer-„Trowsers“, 30 Halstücher, wenn er nicht schwarze trägt, ein Dutzend Westen, und Strümpfe à discrètion. Ich sehe Deine hausfrauliche Seele von hier versteinert. Da aber ein Dandy ohne drei bis vier Toiletten täglich nicht füglich auskommen kann, so ist die Sache sehr natürlich, denn 1) erscheint er in der Frühstücks-Toilette im chinesi- schen Schlafrock und indischen Pantoffeln. 2) Morgentoilette zum Reiten im frock coat , Stie- feln und Sporen. 3) Toilette zum Din é , in Frack und Schuhen. 4) Balltoilette in Pumps, ein Wort, das Schuhe, so leicht wie Papier, bedeutet, welche täglich frisch lackirt werden. Der Park war um 6 Uhr so voll, daß er einem Rout zu Pferde glich, jedoch weit anmuthiger, da die Stelle der Bretter eine grüne Wiese einnahm, statt der Dampfhitze frische Kühle herrschte, und start die eignen Beine zu ermüden, die der Pferde die Arbeit thun mußten. Als ich vorher die Fürstin E. besuchte, fand ich dort drei junge und schöne Ambassadrices en con- férence, toutes les trois profondément occupées d’une queue, nämlich ob eine solche bei der Königin von Würtemberg getragen werden müsse oder nicht. Briefe eines Verstorbenen IV. 4 Auf dem Ball, dem ich Abends beiwohnte, bei der neulich erwähnten Marquise L .... sah ich zum er- stenmal hier Polonaisen und auch Masurka tanzen, aber sehr schlecht. Man aß im Saal der Statüen, denen verschiedene Damen ihre Hüte aufgesetzt und ihre Shawls umgehangen hatten, was dem Kunst- sinne sehr wohlthat. Um 6 Uhr kam ich zu Hause und schreibe Dir noch, während man schon meine Laden schließt, um mir eine künstliche Nacht zu be- reiten. Die Kammerdiener haben es hier schlimm, und können nur, so zu sagen: aus der Hand schla- fen, oder wie die Nachtwächter am Tage. Den 13ten. Ich habe Dir schon erzählt, daß man hier auf die königlichen Prinzen eingeladen wird, wie an andern Orten im vertrauten Zirkel auf irgend eine Delikatesse. So war ich gestern auf die Herzogin von Gloucester, und heute auch auf den Herzog von Sussex zu Tisch eingeladen. Dieser Prinz, der mit dem König ganz brouillirt ist Man vergesse nicht, daß hier vom vorigen die Rede ist. A. d. H. , sich aber durch sehr liberale Gesin- nungen bei der Nation beliebt gemacht hat, und dies in jeder Hinsicht verdient, war viel auf dem Conti- nent, und liebt die deutsche Lebensart. Unsere Sprache ist ihm, wie den meisten seiner Brüder, völlig ge- läufig. Seinetwegen wurden nach Tisch, sobald die Damen uns verlassen hatten, Cigarren gebracht und mehr als eine geraucht, was ich in England bisher noch nicht gesehen habe. M. de Montron erzählte mit französischer Kunst sehr lustige Anekdoten; am unterhaltendsten war aber Major Keppel, der Rei- sende in Persien, der heute manche scrabreuse, aber höchst pikante Geschichten aus jenen Ländern zum besten gab, die er dem Druck nicht übergeben konnte, und die ich daher auch Dir nicht mittheilen darf, was mir jedoch sehr leid thut. Morgen werde ich mit dem jungen Capt. R … nach Ascott fahren und Windsor besehen, um wieder einige Varietät in mein einförmiges Leben zu brin- gen. Man vermuthet, daß die Wettrennen unge- wöhnlich brillant seyn werden, da sie der König dies- mal besucht, und Pferde von ihm Theil daran nehmen. Windsor, den 14ten. Nach einer raschen Fahrt von 25 englischen Meilen, zum Theil durch den Park von Windsor, hinter dem sich das Schloß, die alte Residenz so vieler Könige, erhebt — erreichten wir die weite und dürre Haide von Ascott, wo die Wettrennen statt finden. Der Platz bot ganz das Bild eines Luftlagers dar. Un- absehbare Reihen von Zelten für Pferde und Men- schen, Wagenburgen längs der Rennbahn, größten- 4* theils mit schönen Damen besetzt, häuserhohe Gerüste in drei, vier Etagen übereinander, mit der Loge des Königs am Ziele — alles dies durch 20 — 30,000 Menschen belebt, von denen Viele schon seit sechs Tagen hier stationiren. — Dies sind ohngefähr die Hauptzüge des Gemäldes. Das eine Quartier bil- det den Markt, wo sich unter den übrigen Buden und Zelten, gemäß einer alten Freiheit, auch vielfache Arten von Hazardspielen befinden, welche sonst streng verboten sind. Doch mehr als Pluto wird noch der holden Venus geopfert, und nirgends sind Intriguen unbemerkter anzuspinnen. Die Damen in den Wä- gen sind dabei täglich mit Champagner und vortreff- lichem Frühstück reichlich versehen, was sie sehr gast- freundlich austheilen. Ich fand viele alte Freunde, und machte auch einige neue Bekanntschaften, unter andern die einer höchst liebenswürdigen Frau, Lady G...., die mich nach ihrer Cottage mit R.... zum Essen einlud. Als daher um 6 Uhr die Races für heute beendigt waren, fuhren wir durch eine wun- derschöne Gegend, deren Baum-Reichthum ihr, ohnge- achtet der bebauten Fluren, das Ansehen eines culti- virten Waldes giebt, nach T.... Park. Wir kamen früher an, als die Familie selbst, und fanden das Haus zwar offen, doch ohne einen Diener oder ein anderes lebendiges Wesen darin. Es war wie die bezauberte Wohnung einer Fee, denn einen reizende- ren Aufenthalt kann es nicht geben! Hättest Du es nur sehen können. Auf einem Hügel, unter den prachtvollsten uralten Bäumen halb verborgen, lag ein Haus, dessen vielfache Vorsprünge, zu verschiede- nen Zeiten gebaut, und da und dort durch Gebüsch versteckt, nirgends erlaubten, seine ganze Form auf einmal ins Auge zu fassen. Eine gallerieartige Ro- senlaube, von hundert Blumen strotzend, führte di- rekt in das Vorzimmer, und durch einige andere Pie ç en und einen Corridor gelangten wir dann in den Eßsaal, wo schon eine reiche Tafel gedeckt stand, aber immer noch kein Mensch zu erblicken war. Hier lag die Gartenseite vor uns, ein wahres Paradies, von der Abendsonne reich beleuchtet. Am ganzen Hause entlang, bald vorspringend, bald zurücktretend, wechselten Verandas von verschiedenen Formen und mit verschiedenen blühenden Gewächsen berankt, mit einander ab, und dienten dem buntesten Blumengar- ten zur Bordure, der den Abhang des Hügels durch- aus bedeckte. An ihn schloß sich ein tiefes und schma- les Wiesenthal, hinter dem sich das Terrain wieder zu einem höheren Bergrücken erhob, dessen Abhang mit uralten Buchen besetzt war. Am Ende des Tha- les links schloß Wasser die nächste Aussicht. In der Ferne sahen wir über den Baumkronen den round tower (runden Thurm) von Windsor Castle mit der darauf gepflanzten kolossalen königlichen Fahne, in die blaue Luft emporsteigen. Er allein erinnerte in dieser Einsamkeit daran, daß hier nicht bloß die Na- tur und eine wohlthätige Fee walte, sondern auch Menschen mit ihrer Freude, ihrer Noth und ihrem Glanz sich hier angesiedelt! Wie ein Leuchtthurm des Ehrgeizes schaute er auf die friedliche Hütte herab, verlockend zu einem höheren trügerischen Genuß — doch wer diesen erreicht, erkauft ihn nur mit schwe- rem Verlust! Friede und Ruhe bleiben zurück in des Thales trauter Stille. — Ich wurde bald in meiner poetischen Exstase durch die schöne Wirthin unterbrochen, die sich an unserer Schilderung des verzauberten Schlosses sehr ergötzte, und nun sogleich selbst dafür sorgte, daß uns Stu- ben angewiesen wurden, um unserer Toilette obzulie- gen, die der Staub und die Hitze des Tages sehr nö- thig machten. Ein excellentes Din é mit geeistem Champain und vortrefflichen Früchten wurde mit Ver- gnügen angenommen, und hielt uns bis um Mitter- nacht bei Tisch. Caffee und Thee mit Musik nahmen noch ein paar andere Stunden hinweg, und, auf- richtig gesagt, die letzte, ich meine die Musik, hätten wir der Familie gern erlassen. Meine Verdauung wurde wesentlich durch die ungeheure Anstrengung gestört, mit der ich das Lachen, in einer wahren Agonie, unterdrücken mußte, als die alte Mutter der Hausfrau sich zuletzt ans Clavier setzte, und uns eine Arie aus ihrer Jugend, von Rousseaus Compo- sition, zum besten gab, an deren Refrain: „Je t’aimerai toujours“ ich ebenfalls Zeit meines Lebens denken werde. Sie benutzte nämlich das ai jedesmal zu einem Trillo, der im Anfang dem Mekkern eines Lammes glich, dann eine Zeitlang der Lachtaube nach- ahmte, und mit der Cadenze eines balzenden Auer- hahns endete. Das Lied schien unendlich, der junge R …, der leider eben so leicht als ich zum Lachen zu bringen ist, hörte bereits in der Stellung eines Fiedelbogens, mit gewaltsam zusammengedrücktem Leibe zu, und schnitt hinter seinem großen Schnurr- barte die seltsamsten Grimassen. Was mich betrifft, so suchte ich meiner moralischen Kraft hauptsächlich dadurch zu Hülfe zu kommen, daß ich unaufhörlich an Dich , gute Julie, und Deine so musterhafte Con- tenance bei ähnlichen Gelegenheiten dachte. Die Leute waren dabei so ausserordentlich gütig und freundschaft- lich gewesen, daß ich wahrhaftig lieber hätte Blut weinen, als über sie lachen mögen; aber was soll man anfangen, wenn der Sinnenreiz unwiderstehlich wird! Die Annäherung der ominösen Stelle war immer eine furchtbare Epoche für mich. Ich betete förmlich zu Gott, er möge die gute Alte doch regie- ren, nur diesmal „Je t’aimerai toujours“ ohne Ver- zierung abzukrähen. Aber vergeblich; kaum war das verhängnißvolle ai angeschlagen, so folgte auch im- manquablement der unbarmherzige Trillo. Beim 7ten Verse konnte ich es nicht mehr aushalten, Rous- seau schien mir zum erstenmale wahrhaft unsterblich — ich fuhr der Alten, wie die Studenten sagen, in die Parade, ergriff ihre Hand, ehe sie die Tasten von neuem anschlagen konnte, schüttelte sie herzlich, dankte für ihre Güte, versicherte, ich fühle die Indiscretion, sie so lange zu belästigen, drückte gleichfalls die Hand der schönen Tochter, ( car ce’st l’nsage ici ) wie der übrigen Familienmitglieder, und fand mich in einem clin d’oeuil mit R … im Wagen, der schon seit einer Stunde angespannt auf uns gewartet hatte. Du kannst Dir denken, daß wir unsre Lachmuskeln mit Bequemlichkeit entschädigten. Bis Windsor er- götzte uns noch der Nachhall des unnachahmlichen Trillos — mich aber erwartete hier, nach ausgelas- sener Lustigkeit, ein ziemlich unangenehmes Abküh- lungsmittel. Wie ich mich nämlich zu Bett legen wollte, fing B . . . . zu jammern an, „daß ihn doch das Unglück überall verfolgen müsse!“ „Nun, was ist Dir denn geschehen?“ „Ach Gott, wenn ich könnte, ich sagte es gar nicht, aber es muß nun doch heraus.“ „Nun zum T . . . .l, mach’ ein Ende, was ist es?“ Was kam nun zum Vorschein? Der confuse Alte hatte mein Geld, 25 L. St., ihm in einem Beutel von mir übergeben, um es in das Wagenkästchen zu thun, anstatt dessen in die Tasche gesteckt, und wie der dumme Landjunker von Kotzebue, um ein Glas Bier zu bezahlen, im Gedränge der Buden den Beu- tel herausgenommen, einen Souverain gewechselt, wie er sagte, weil er kein kleines Geld mehr hatte, wahrscheinlich aber um mit der Goldbörse groß zu thun, und dann den Beutel sorgfältig wieder einge- steckt. Es war sehr natürlich hier in England, daß er ihn, als er zum Wagen zurückkam, nicht mehr fand. Ein wahres Glück im Unglück ist es, daß ich noch einiges Geld selbst bei mir trug, und also we- nigstens in keine augenblickliche Verlegenheit gesetzt wurde. Richmond, den 13ten. Wir besahen heute früh das Schloß, welches jetzt erst nach den alten Plänen völlig ausgebaut wird, und bereits die größte und prachtvollste Residenz ist, die irgend ein europäischer Fürst besitzt. Die Zeit war zu kurz, das Innere zu besehen, was ich daher auf ein anderesmal aufschob. Ich besuchte blos die Herzogin von C …, die hier im großen Thurme wohnt, und eine himmlische Aussicht von ihrem hohen Söl- ler genießt. Unter ihrer Dienerschaft war ein schöner griechischer Knabe in seiner Nationaltracht, Schar- lach, Blau und Gold mit bloßen Schenkeln und Füßen. Er war bei dem Massacre von Scio in ei- nen Backofen versteckt, und so gerettet worden. Er ist jetzt bereits ein vollkommner Engländer geworden, hat aber in der Tournure etwas ungemein Nobles und Ausländisches beibehalten. Um 1 Uhr begaben wir uns wieder auf den Raceground, und ich erhielt diesmal mein Frühstück von einer andern Schönheit. Nach dem beendigten Rennfeste fuhren wir nach Richmond, wo R … s Regiment garnisonirt, und verlebten dort mit dem Offizier-Corps einen sehr lu- stigen und geräuschvollen Abend. Die allgemeine Wohlhabenheit erlaubt hier ein weit luxurieuseres Leben, denn die Herren versagen sich nichts, und ihre mess ist überall servirt, wie bei uns gar oft nicht eine fürstliche Tafel. Morgen wird das Husaren-Regiment nebst einem Regiment Uhlanen vom General-Inspecteur gemu- stert werden, was ich noch abwarten will, bevor ich nach London zurückkehre. Den 16ten. Das Regiment machte seine Sachen sehr gut, mit weniger Affektation, und auch Präcision vielleicht, als unsere wunderbar dressirten dreijährigen Reiter, aber mit mehr ächt militärischer Ruhe und langgewohnter Sicherheit, auch alle Evolutionen schneller, wegen der vortrefflichen Pferde, mit denen die des Continents doch nicht zu vergleichen sind. Dabei hat die englische Cavallerie an Zäumung und militärischem Reiten seit dem letzten Kriege durch die darauf gewandte Sorg- falt des Herzogs von Wellington ganz ungemein ge- wonnen. Die Leute hatten ihre Pferde so gut in der Gewalt als die besten der unsrigen. Merkwürdig nach unsern Begriffen war es, die Ungeniertheit zu sehen, mit der wohl 50 — 60 Offiziere in Civil-Klei- dern, darunter mehrere Generäle, einige in Stolpen- stiefeln und Morgenjacken, die andern im frock coat und bunten Halstüchern die Revue mitmachten und den inspizirenden General umschwärmten, der, ausser dem Regiment selbst, welches inspizirt wurde, allein mit seinen beiden Adjutanten in Uniform erschie- nen war. Ja sogar einige übercomplette Offiziere des- selben Regiments, die gerade nicht im activen Dienst waren, ritten in Civilkleidern und Schuhen mit herum, ein Anblick, der einem . . . . General vor Erstaunen den Verstand kosten könnte. Mit einem Wort, man sieht hier mehr auf das Reelle , bei uns mehr auf die Form . Hier machen in der That die Kleider den Mann nicht , und diese Simplicität ist zuweilen sehr imposant. R. sagte mir, daß dieses Regiment ursprünglich, als die Franzosen mit Invasion drohten, von der Londner Schneidergilde errichtet wurde, und im An- fang aus lauter Schneidern bestand, die sich jetzt in sehr tüchtige und martialische Husaren verwandelt, und mit großer Auszeichnung, namentlich bei Belle- Alliance, gefochten haben. Den 13ten. Seit vorgestern bin ich denn wieder im alten Gleise und debütirte mit vier Bällen und einem Din é bei Lord Caernarvon, wo ich den berühmten Griechen- protektor, Herrn Eynard, fand, dessen hübsche Frau einen gleichen Enthusiasmus für die Hellenen an den Tag legte. Gestern aß ich bei Esterhazy, und fand einen jungen Spanier dort, von dem ich gewünscht hätte, er sey ein Schauspieler, um den Don Juan darstellen zu können, denn er schien mir das Ideal dafür zu seyn. Mit den Tönen der dramatischen Pasta im Ohr, die man jetzt alle Abende irgendwo hört, ging ich zu Bett. Heute war Concert beim großen Herzog, in dem der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber den- noch Alles in Entzücken gerieth, weil er einst gut sang, hier aber noch immer den alten Ruhm usur- pirt. Dann ging ich auf einen der hübschesten Bälle, den ich noch in London gesehen, bei einer vornehmen schottischen Dame. Der große Saal war unter an- dern ganz mit Papierlampen dekorirt, die sämmtlich Formen der verschiedensten Blumen nachahmten, und sehr geschmackvoll gruppirt waren. Als wir um 6 Uhr bei Sonnenschein in die Wägen stiegen, nahmen sich die Damen höchst sonderbar aus. Keine Fraicheur konnte diese Probe bestehen. Sie changirten Farben wie das Chamäleon. Einige sa- hen ganz blau, andere scheckig, die meisten leichenar- tig aus, die Locken herabhängend, die Augen glä- sern. Es war ganz abscheulich anzusehen, wie die beim Lampenschein blühenden Knospen vor den Strah- len der Sonne plötzlich zu entblätterten Rosen ver- blichen. Das Loos des Schönen auf der Erde! Den 23sten. Was sagst Du, gute Julie, zu einem Frühstück, zu dem 2000 Menschen eingeladen sind? Ein solches fand heute statt in den horticultural gardens, die groß genug sind, um so viel Menschen bequem zu fassen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches Gedränge bei den Eßzelten ab, besonders da, wo die Ausstellung der Früchte statt fand, die zu einer bestimmten Stunde Preis gegeben, und dann auch im Nu höchst unanständig verschlungen wurden. Man sah dort eine Providence-Annanas, die 11 Pfund wog, hochrothe und grüne, von nicht viel geringern Di- mensionen, Erdbeeren von der Größe kleiner Aepfel, überhaupt die seltenste Auswahl der kostbarsten Früchte. Auch war im Ganzen das Fest heiter und in ange- nehmen ländlichem Charakter. Der glatte Rasen und die Menge geputzter Men- schen darauf, die Zelte und Gruppen in den Büschen, eine ungeheure Masse von Rosen und Blumen aller Art, gaben den freundlichsten Anblick. Ich war mit unserm Gesandten hingefahren, mit dem ich auch um 7 Uhr Abends wieder zurückkehrte. Wir mußten über die Industrie eines Irländers lachen, der sich das Air gab, uns mit einer Laterne, in der natürlich kein Licht brannte, da es heller Tag war, zum Wagen zu leuchten, und sich durch diesen Spaß bei den Froh- gesinnten und Gutmüthigen einige Schillinge erwarb. Unterwegs rief ihm einer seiner englischen Kamera- den zu: „Du führst wahrlich großmüthige Leute!“ „O,“ sagte er, „wenn ich sie dafür nicht kennte, ginge ich auch nicht mit ihnen.“ Originell waren auch die Tyroler Sänger, die hier sehr Mode geworden sind, Alle, selbst den König, der mit ihnen deutsch spricht, Du nennen, und keine falsche Menschenfurcht kennen. Es sieht komisch genug aus, wenn einer von ihnen auf den Fürsten Esterhazy losgehr, dessen patriotischer Protektion sie ihre große Vogue hauptsächlich verdan- ken, ihm die Hand reicht, und ihm zuruft: Nun, was machst Du Esterhazy? Das Weibchen, welches sich unter diesen Tyroler Wunderthieren befindet, kam heute auch auf mich zu und sagte: Dich habe ich mir schon lange angesehen, denn Du siehst meinem lieben John so ähnlich, daß ich Dir einen Kuß geben will. Die Offerte war eben nicht sehr einladend, denn das Mädchen ist häßlich, da sie aber auch Se. Majestät geküßt hat, auf welche Scene eine gute Carrikatur in den Handel gekommen ist, so findet man jetzt die Zumuthung schmeichelhaft. Den 26sten. Der Herzog von Northumberland hatte die Güte, mir diesen Morgen seinen sehenswerthen Palast en detail zu zeigen. Ich fand hier etwas, was ich lange vergebens zu sehen gewünscht, nämlich ein Haus, in dem, bei hoher Pracht und Eleganz, das Größte wie das Kleinste mit völlig gleicher Sorgfalt und Voll- kommenheit ausgeführt ist — ou rien ne cloche . Ein solches Ideal ist wirklich hier erreicht. Man findet auch nicht die geringste Kleinigkeit vernachläs- sigt, keine schiefe Linie, keinen Schmutzfleck, nichts Fanirtes, nichts aus der Fa ç on Gekommenes, nichts Abgenutztes, nichts Unächtes, kein Meuble, keine Thüre, kein Fenster, das nicht in seiner Art ein wahres Mei- sterstück der Arbeit darböte. Diese außerordentliche Gediegenheit hat freilich mehrere Hunderttausend Pfd. St. und gewiß nicht ge- ringe Mühe gekostet, aber sie ist auch vielleicht einzig in ihrer Art. Die reichste Ausschmückung von Kunst- schätzen und Curiositäten aller Art fehlt ebenfalls nicht. Die Ausstellung der letzteren in, mit violettem Sammt ausgeschlagenen, Terrassenschränken, hinter Spiegelgläsern aus einem Stück, war sehr geschmack- voll. Besonders auffallend ist die große Marmor- treppe, mit einem Geländer aus vergoldeter Bronze. Die Wange von polirtem Mahonyholz, welche das Geländer deckt, bietet eine ganz eigenthümliche Merk- würdigkeit dar. Es ist nämlich durch eine Vorrich- tung, die noch ein Geheimniß ist, das Holz so be- handelt, daß es durchaus unmöglich ist, auf der gan- zen Länge der mehrmals gewundenen Treppe irgendwo auch nur die mindeste Spur einer Fuge zu entdecken. Das Ganze scheint aus einem Stück zu seyn, oder ist es wirklich. Eine andere Sonderbarkeit ist eine falsche portc cochêre in der äußern Hausmauer, die nur bei Fe- sten für den größern Andrang der Wagen geöffnet wird, und wenn sie zu ist, in der Fa ç ade nicht mehr aufgefunden wird. Sie ist von Eisen, und durch den Anwurf einer Steincomposition und ein falsches Fenster so vollständig maskirt, daß man sie von dem übrigen Hause nicht unterscheiden kann. Ueber die Gemälde ein andermal mehr. Bei’m Herzog von Clarence lernte ich Abends ei- nen interessanten Mann kennen, Sir Gore Ousely, den letzten Ambassadeur in Persien, den der Verfas- ser des Hadj é Baba, Herr Morier, als Legations- Sekretär begleitete. Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakterisi- rende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzäh- len hörte. Der jetzige Schach wurde von seinem ersten Mini- ster Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron gesetzt, als er noch ein Kind war, lange in solcher Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach regierte. Es war ihm um so unmöglicher, Wider- stand zu leisten, da jede Gouverneurstelle der Pro- vinzen und ersten Städte des Reichs ohne Ausnahme durch Verwandte und Creaturen des Ministers be- setzt worden war. Endlich beschloß der König, um jeden Preis sich einer solchen Sklaverei zu entziehen, und wählte folgendes energische Mittel dazu, welches den ächten orientalischen Charakter an sich trägt. Es existirt nämlich, nach den alten Gesetzen des Reichs, eine Klasse Soldaten in Persien, die in allen Hauptstädten nur sparsam vertheilt ist, und des Kö- nigs Garde heißt. Diese befolgen keine andern Be- fehle als solche, welche unmittelbar vom König selbst gegeben werden, und mit seinem Handsiegel unter- zeichnet sind, daher auch diese Garden allein vom alles beherrschenden Minister unabhängig geblieben waren, und die einzige sichere Stütze des Throns bildeten. An die Chefs dieser Vertrauten erließ der König nun im Geheim selbst geschriebene Befehle, die dahin lauteten, an einem gewissen Tage und Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte, hielt der Schach einen Divan, suchte während dessel- ben Streit mit Ibrahim herbeizuführen, und als die- ser, wie gewöhnlich, einen hohen Ton annahm, be- fahl er ihm, sich sofort in das Staatsgefängniß zu begeben. Der Minister lächelte, indem er erwiederte: „Er werde gehen, der König möge jedoch bedenken, daß jeder Gouverneur seiner Provinzen deshalb Re- chenschaft von ihm fordern werde.“ Nicht mehr, Freund Ibrahim, rief der König heiter; — nicht mehr — und indem er seine englische Uhr hervorzog und dem betretenen Minister einen verderbenden Blick zuwarf, setzte er kaltblütig hinzu: In dieser Minute hat der letzte Deines Blutes zu athmen aufgehört, und Du wirst ihm folgen. — Und so geschah es. Die zweite Anekdote zeigt, daß der König zugleich nach dem Prinzip der französischen chanson handelte, welche sagt: „quand on â dépeuplé la terre, il faut la répeupler après.“ Sir Gore bat bei seiner Abschieds-Audienz den König, ihm gnädigst zu sagen, wie viel Kinder er habe, um über einen so interessanten Umstand seinem eignen Monarchen Rechenschaft geben zu können, wenn dieser sich darnach, wie zu vermuthen stehe, erkundigen sollte. „Hundert vier und fünfzig Söhne,“ erwiederte der Schach. Darf ich nochmals Ew. Ma- jestät zu fragen wagen, wie viel Kinder? Das Wort Mädchen durfte er nach der orientalischen Etikette nicht aussprechen, und die Frage überhaupt war schon nach dortigen Ansichten fast eine Beleidigung. Der König indeß, der Sir Gore sehr wohl wollte, nahm es nicht übel auf. Aha ich verstehe, lachte er ihm zu, und rief nun seinen obersten Verschnittenen her- bei: „Musa! wie viel Töchter habe ich?“ König der Briefe eines Verstorbenen. IV. 5 Könige, antwortete Musa, sich auf sein Angesicht niederwerfend: Fünfhundert und Sechzig. — Als Sir Gore Ousely diese Unterredung in Petersburg der Kaiserin Mutter erzählte, rief diese bloß aus: Ah le monstre ! Den 29sten. Da die Season sich nun (Gottlob!) ihrem Ende naht, so gedenke ich in Kurzem eine Reise nach dem Norden von England und Schottland anzutreten, wohin ich auch mehrere Einlandungen erhalten habe, mich aber lieber in Freiheit erhalten will, um das Land â ma guise zu durchstreifen, wenn es Zeit und Um- stände erlauben. Wir hatten heute einen der schönsten Tage, seit ich in England bin, und als ich Abends vom Lande zurückkehrte, wo ich zeitig beim Grafen Münster ge- speist, sah ich zum erstenmale hier eine italienische Beleuchtung der Ferne mit Blau und Lila so reich geschmückt, wie ein Gemälde Claude’s. Apropos, als Notiz zur Nachahmung muß ich Dir noch einen sehr hübschen Blumentisch der Gräfin beschreiben. Die Platte ist krystallhelles Glas, dar- unter ein tiefer Tischkasten, in welchen feuchter Sand gethan wird, und ein feines Drahtnetz darüber ge- legt, in dessen Zwischenräume man dicht, eine neben der andern, frische Blumen steckt. So schiebt man den Kasten wieder ein, und hat nun zum Schreiben und Arbeiten das schönste Blumengemälde vor sich. Will man sich aber am Dufte erlaben, so schlägt man den Glasdeckel auf, oder nimmt ihn ganz weg, wozu er eingerichtet ist. Die Kinderbälle sind in dieser Season sehr an der Tagesordnung, und ich besuchte Abends einen der hübschesten dieser Art bei Lady Jersey. Diese vornehmen nordischen Kinder waren alle möglichst aufgeputzt; und viele nicht ohne Grazie, aber es that mir ordentlich weh, zu bemerken, wie sehr sie schon aufgehört hatten, Kinder zu seyn, denn die armen Dinger waren größtentheils schon eben so unnatür- lich, so unlustig, und so mit sich selbst beschäftigt, als wir größern Figuren um sie her. Italienische Bauernkinder würden hundertmal liebenswürdiger gewesen seyn. Nur beim Essen erschien der ange- borne Trieb wieder offner und ungenirter, und die durchbrechende Sinnlichkeit setzte die Natur wieder in ihre Rechte ein. Das hübscheste und reinste die- ser Naturgefühle war die Zärtlichkeit der Mütter, die sich ohne Affektation in ihren glänzenden Blicken verrieth, und manche Häßliche sehr leidlich erscheinen machte, die Schönen aber zu höherer Schönheit ver- klärte. Ein zweiter Ball bei Lady R … bot nur die hundertste Wiederholung des gewöhnlichen stupiden Gedränges dar, in dem der arme Prinz B., für dessen Korpulenz diese Presse nicht geeignet ist, ohnmächtig geworden war, und auf das Treppengeländer gelehnt, wie ein abstehender Karpfen nach Luft schnappte. Vergnügen und Glück werden doch auf sehr seltsame Weise in der Welt gesucht. 5* Den 3ten Juli. Um eine einsame Fischmahlzeit zu machen, ritt ich Nachmittag, nach einem großen Umweg gen Green- witch. Die Aussicht von der dortigen Sternwarte ist be- sonders dadurch merkwürdig, daß das ganze Stück Erde, welches man übersieht, fast nur von der Stadt Lon- don eingenommen wird, denn immer weiter und wei- ter breitet sie seit Jahren ihre Polypenarme aus, und verschlingt einen der kleinen Oerter, die sie umgeben, nach dem andern. Freilich für eine Population, die bald der des Königreichs Sachsen (seit dieses jüdisch behandelt, nämlich beschnitten wurde) gleichkömmt, bedarf es Platz. Ich kehrte in der Shiptaverne ein, übergab mein Pferd dem Hausknecht (denn ich war ganz allein, und die Wartung der Pferde ist hier so allgemein vortrefflich, daß man das beste Pferd unbedingt der Sorge des Hostlers in jedem Gasthofe überlassen kann) und erhielt ein sehr nettes Zimmer, mit einem über die Themse hervorspringenden Erker, unter dem die Fische noch herumschwammen, die ich, menschli- ches Raubthier, bald unbarmherzig verzehren sollte. Der Fluß war durch hundert Barken belebt, Gesang und Musik tönte freundlich von den vorbeisegelnden Dampfschiffen herüber, und die Sonne senkte sich über der bunten Scene, blutroth im leichten Nebel- schleier, dem Horizonte zu. Ich gab, am Fenster sitzend, meinen Gedanken vielfache Audienz, bis die hereinkommenden Seeaale, Flounders und Sole, alle auf verschiedene Art zubereitet, mich zu materiellerem Genusse aufforderten. Champagner in Eis und Lord Chesterfields Briefe, die ich zu mir gesteckt, würzten das Mahl, und nach einer kleinen Sieste, während der die Nacht eingebrochen war, bestieg ich wieder mein Roß, und ritt die anderthalb deutschen Meilen bis zu meiner Wohnung in einer ununterbrochenen Allee von hellschimmernden Gaslaternen, auf der wohl- arrosirten Straße langsam nach Hause. Es summte gerade Mitternacht, als ich dort ankam, und ein schwarzbehangener Sarg fuhr, wie eine Geistererschei- nung, links an mir vorüber. Den 5ten. Auf Almacks gab mir B. Deinen Brief, und ich eilte sogleich damit home. Wie sehr haben mich Deine Schilderungen gefreut, und fast hätte ich über die ehrlichen alten Parkbäume geweint, die mir durch Dich zuriefen: O Herr, hörst Du nicht, von tausend Vögelchen belebt, unsrer Wipfel Rauschen? . . Ach ja! ich höre es im Geiste, und werde auch nicht eher wieder wahre Freude empfinden, bis ich dort ange- langt bin, wo meine treueste Freundin weilt, und wo meine Pflanzenkinder mir entgegenwachsen. Für das fünfblättrige Kleeblatt danke ich vielmals, und da das Pferd des beigefügten, tausend Glück brin- genden Wiener Postillons unterwegs seinen Schweif verloren hat, so habe ich diesen durch das Kleeblatt ersetzt, welche Vegetabilie ihm ein wahres heiliges Allianz-Ansehen gibt. Hier unterbrach mich der alte B .... dt mit der Frage, ob er den Rest der Nacht wohl ausgehen könne, früh um 8 Uhr sey er wieder da. Ich gab lächelnd meine Erlaubniß, und frug, welche Aben- teuer er sich denn vorgenommen? „Ach,“ war die Antwort, „ich will blos einmal hängen sehen, und wie sie das bier machen, denn um 5 Uhr sollen fünf auf einmal gehenkt werden.“ Welcher Mißton klang mit diesen Worten in mein Leben voll Saus und Braus! Welcher Contrast mit den Tausenden, von Tanz und Lust Ermüdeten und Uebersättigten, die um jene Stunde zu behaglicher Ruhe zurückkehren, und jenen Unseligen, die unter Todesangst und Schmerzen zur ewigen eingehen müs- sen. Ich rief wieder mit Napoleon: O monde, o monde! und konnte lange nach dem in Frivolität ver- geudeten Tage nicht einschlafen, verfolgt von dem Gedanken, daß eben jetzt die armen Unglücklichen ge- weckt würden, um von der Welt und ihren Freuden einen so schaudervollen Abschied zu nehmen, nicht ge- hoben und gen Himmel getragen durch das Gefübl, Martyrer des Guten und Großen zu seyn, sondern sich der gemeinen, der erniedrigenden Schuld bewußt. Man bemitleidet den, der unschuldig leidet, weit be- mitleidungswerther scheint mir der Schuldige! Meine Einbildungskraft geht, einmal angeregt, immer etwas weiter als räthlich, und so erschien mir auch jetzt aller eitle Genuß, alle jene die Armuth und das Elend höhnenden Raffinements des Luxus eine wahre Sünde, und recht oft fühle ich mich in dieser Stimmung. — Nicht selten hat es mir die beste Mahlzeit verbittert, wenn ich die armen Diener be- trachtete, die zwar gegenwärtig seyn dürfen, aber nur als zureichende Sklaven, und doch von derselben Mutter Natur geboren sind — oder an den Dürfti- gen dachte, der nach des langen Tages angestreng- ter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend kaum erschwingen kann, während wir, wie auf jener englischen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den Bettler um seinen Hunger beneiden! Darin eben liegt aber vielleicht die Compensation, und un- sere Entschuldigung, daß wir aller dieser guten und gerechten Gefühle ungeachtet (ich schließe von mir auf andere) uns dennoch sehr entrüsten würden, wenn der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von der wohlbesetzten Tafel zulangen, oder der Arme im unhochzeitlichen Kleide sich selbst bei uns zu Tische bitten wollte. Gott hat es selbst so angeordnet, daß die Einen genießen, die Andern entbehren sollen, und es bleibt so in der Welt! Jedem Ruf der Freude ertönt am andern Ort ein Echoschrei der Angst und Verzweiflung, und wo Raserei sich hier den Kopf zerschmettert, fühlt ein Andrer in demselben Augen- blick das höchste Entzücken der Lust! Also gräme sich Niemand unnütz darüber, wenn er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm besser oder schlechter als Andern geht. Das Schicksal liebt einmal diese bittere Ironie — drum pflückt, o Menschen, die Blumen kindlich so lange sie blühn, theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit, und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne Brust. Den 7ten. Ich kehre wieder zur Tages-Chronik zurück. Nachdem ich bei Sir L … dem Epikuräer, gegessen, brachte ich den Abend in einer kleinen Gesellschaft bei der Herzogin von Kent sehr angenehm zu; denn die hiesigen Hofzirkel, wenn man sie so nennen will, haben gar nichts Aehnliches mit denen des Conti- nents, welche den distraiten Grafen R … einst ver- führten, dem Könige von B . ., der ihn frug, wie er sich auf dem heutigen Balle amüsire, zu antwor- ten: O, sobald der Hof weg ist, denke ich sehr lustig zu seyn! Ganz spät fuhr ich von hier noch zu einem Ball bei der Fürstin L . . . ., eine Dame, deren Feste ihrer Vornehmheit par excellence stets völlig angemessen sind. Das hier zusällig angesponnene Gespräch mit einem andern Diplomaten verschaffte mir einige nicht uninteressante Notizen. Er erzählte von jener diffi- cilen Mission, deren Aufgabe war, die Kaiserin der Franzosen mitten aus einer, Napoleon noch ganz er- gebenen Armee, die aus wenigstens 12,000 Mann auserlesener Truppen bestand, gutwillig zu entführen. Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luise fast gar keinen Widerstand, und sehr wenig Liebe zum Kaiser (was auch wohl die Folge bestätigt hat). Der kleine fünfjährige König von Rom allein wei- gerte sich standhaft zu folgen, und konnte nur mit Gewalt dazu gezwungen werden, so wie er sich auch, wie durch einen heldenmäßigen Instinkt geleitet, schon in Paris eben so bestimmt der püsillanimen Abreise der Regentschaft nicht anschließen wollte. Die Rolle, welche manche andere bekannte Männer dabei spiel- ten, übergehe ich, aber sie bestärkte mich in der Ue- berzeugung, daß die französische Nation sich nie so tief unter ihrer Würde gezeigt, als zu der Zeit der Abdikation Napoleons. Den 10ten. Es wird nun so drückend heiß, wie ich es in die- sem Nebellande kaum für möglich gehalten hätte. Der Rasen in Hydepark gleicht der Farbe des San- des, und die Bäume sind fahl und vertrocknet, auch die Squares in der Stadt sehen ungeachtet alles Be- gießens, nicht viel besser aus. Demungeachtet wer- den die Grasplätze fortwährend so sorgfältig gescho- ren und gewalzt, als ob wirklich noch Gras darauf vorhanden wäre. Gewiß könnte man mit gleicher Pflege und Sorgfalt im südlichen Deutschland schö- neren Rasen als hier erzielen, aber man wird es doch nie dahin bringen, denn wir sind zu bequem dazu. Mit der Hitze leert sich auch London täglich mehr, und die Season ist so gut wie vorbei. Zum ersten- mal befand ich mich heute ohne irgend eine Einla- dung, und benutzte die Freiheit sogleich zu verschiede- nen Excursionen. Unter andern besah ich die Gefäng- nisse von Kingsbench und Newgate. Das erste, wel- ches hauptsächlich für Schuldner bestimmt ist, bildet eine völlig isolirte Welt im Kleinen, einer nicht un- bedeutenden Stadt ähnlich, welche jedoch von unge- wöhnlichen, nämlich dreißig Fuß hohen Mauern um- geben ist. Garküchen, Leihbibliotheken, Kaffeehäu- ser, Buden und Handwerker aller Art, schönere und ärmlichere Wohnungen, selbst öffentliche Plätze und Mädchen, auch ein Markt fehlen nicht. Auf dem letztern wurde bei meiner Ankunft eben sehr geräusch- voll Ball gespielt. Wer Geld mitbringt, lebt, bis auf die Freiheit, im Bezirk des Orts so gut und ange- nehm als möglich. Selbst an sehr anständiger Ge- sellschaft von Damen und Herren ist in der kleinen Commune von tausend Menschen nicht immer Man- gel, nur wer nichts bat, ist übel dran. Für einen Solchen aber ist ja jeder Fleck der Erde ein Gefäng- niß! Lord Cochrane hat eine Zeit in Kingsbench zu- gebracht, als er, um die Fonds fallen zu machen, eine falsche Nachricht hatte verbreiten lassen, und der reiche und angesehene Sir Francis Burdet saß eben- falls hier geraume Zeit wegen eines Libells, das er verfaßt. Der Gefangene, welcher mich herumführte, war bereits zwölf Jahre ein Bewohner dieses Orts, und äußerte mit dem besten Humor, daß er wohl nie mehr heraus zu kommen Hoffnung habe. Aehn- lich sprach sich eine alte, sehr anständige Französin aus, die gar nicht einmal ihre Verwandten von ihrer Lage unterrichten wollte, indem sie hier zufrieden lebe, und nicht wisse, wie es ihr in Frankreich erge- hen möchte, wohl eingedenk que le mieux est l’enne- mi du bien. Schlimmer sieht es in Newgate, dem Gefängnisse für Verbrecher aus. Aber auch hier herrschte viel Milde in der Behandlung, und dabei eine muster- hafte Reinlichkeit. Das Gouvernement gibt jedem Verbrecher früh eine halbe Kanne dicke Gersten- schleim-Suppe, Mittags, den einen Tag ein halbes Pfund Fleisch, den andern Fleischbrüh-Suppe, und täglich ein Pfund gutes Brod. Ausserdem ist ihnen auch noch anderes Essen und eine halbe Flasche Wein täglich zu kaufen erlaubt. Sie beschäftigen sich den Tag über, wo sie sich in besondern Höfen, die zu ei- ner gewissen Anzahl Stuben gehören, aufhalten kön- nen, wie und womit sie wollen. Für diejenigen, welche arbeiten wollen, gibt es Werkstätten; viele aber rauchen und spielen nur von Früh bis Abend im Hofe. Um 9 Uhr Morgens müssen sich alle zum Gottesdienst versammeln. Gewöhnlich wohnen 7—8 in einer Stube. Zum Schlafen erhalten sie jeder eine Matratze und zwei Decken, auch Kohlen zum Kochen, und im Winter zum Heizen, so viel nöthig ist. Die zum Tode Verurtheilten kommen in beson- dere, etwas weniger kommode Zellen, wo zwei bis drei in einer schlafen. Am Tage haben indeß auch diese ihren Hof zur Recreation und zum Essen eine besondere Stube. Ich sah sechs Knaben, wovon der älteste kaum vierzehn Jahre zählte, und die alle un- ter Todesurtheil schwebten, sehr lustig hier rauchen und spielen. Das Urtheil war indessen noch nicht be- stätigt, und sie daher noch mit den übrigen Gesan- genen zusammen. Man glaubte, sie würden begnadigt und nur Zeitlebens nach Botanybay geschickt werden. Vier Aeltere, die sich in derselben Lage befanden, nur mit dem Unterschied, daß sie, wegen zu schwerer Verbrechen auf keine Begnadigung rechnen durften und ihr Lebensende in wenig Wochen erwarten muß- ten, nahmen demohngeachtet ihr Schicksal noch bumo- ristischer auf als jene, denn drei davon spielten sehr geräuschvoll, unter Späßen und Gelächter Whist mit dem todten Mann, der vierte aber saß auf dem Fen- sterbrett, wo er eifrig in einer Grammatik studierte, um — französisch zu lernen! C’etait bien un phi- losophe sans le savoir. Den 12ten. Gestern Abends besah ich mir zum erstenmal Vaur- hall, ein öffentlicher Garten, in dem Geschmack von Tivoli in Paris, aber weit glänzender und grandio- ser. Die Illumination mit Tausenden von Lampen in den brennendsten Farben ist ungemein prachtvoll. Besonders schön nahmen sich colossale unter den Bäu- men aufgehangene Blumen-Bouquets aus, wo die Blumen von rothen, blauen, violetten und gelben Lampen, die Blätter und Stiele von grünen gebildet wurden, dann Kronleuchter von einem bunten türki- schen Muster aller Nüancen, und ein Tempel für die Musik, von dem königl. Wappen nebst dem crest dar- über gekrönt. Mehrere Triumphbögen waren nicht wie sonst gewöhnlich, von Brettern aufgeführt, son- dern transparent von Eisen gegossen, welches sie un- endlich eleganter und dennoch eben so reich erscheinen ließ. Weiterhin breitet sich der Garten noch mit verschiede- nen Abwechslungen und Darstellungen aus, wovon heute die merkwärdigste die der Schlacht von Water- loo war. Um 7 Uhr wird der Garten geöffnet. Aller Orten giebt es verschiedene Darstellungen. Um 8 Uhr beginnt die Oper. Dieser folgen anderswo Seiltän- zer, um 10 Uhr zum Schluß die erwähnte Schlacht von Waterloo. Dies Schauspiel ist sonderbar genug, und die Täuschung wirklich in manchen Scenen sehr groß. Zum Schauplatz dient ein Theil des freyen Gartens selbst, der mit uralten Kastanienbäumen mit Gebüsch untermengt, besetzt ist. Zwischen vier der ersten, deren Laub so dicht ist, daß kaum der Himmel durchschimmern kann, war eine Tribune mit Gradins für ungefähr 1,200 Menschen errichtet, die wohl bis 40 Fuß Höhe hinanstieg. In einem furchtbaren Ge- dränge, nicht ohne einige empfindliche Stöße zu er- halten und auszutheilen, erreichten wir unsern Sitz. Es war eine warme, wunderliebliche Nacht. Der Mond schien äußerst hell und zeigte in einer Entfer- nung von ohngefähr 50 Schritt zwischen zwei Riesen- bäumen einen colossalen Vorhang von rothem Zeuge mit den vereinigten Wappen Großbrittaniens bemalt. Hinter dem Vorhang ragten viele andere Baum- Gipfel, so weit man sehen konnte, hervor. Nach einer minutenlangen Stille donnerte ein Kanonenschuß durch den Wald und die militairische Musik von 2 Garde-Regimentern ertönte zugleich in grandioser Harmonie aus der Ferne. Der Vorhang öffnete sich in der Mitte, rauschte von einander, und wir erblickten wie im Tageslicht auf einem Boden der sich sanft erhebt, unter hohen Bäumen hervor- schimmernd, das Vorwerk Houguemont (nicht eine Dekoration, sondern aus Holz aufgebaute Facaden mit gemalter Leinwand bekleidet, die wirkliche Häu- ser vollkommen nachahmten) und aus dem Walde avancirten unter militairischer Musik die französischen Garden, treu uniformirt, mit ihren bärtigen Sapeurs voran. Sie formiren sich in Parade und Napoleon auf seinem Schimmel, im grauen Ueberrock, von mehreren Marschällen begleitet, passirt sie en revûe. Ein tausendstimmiges vive l’ Empereur erschallt, der Kaiser berührt seinen Hut, eilt im Gallop weiter, und die Truppen in gedrängten Massen bivouakiren. Nach einiger Zeit beginnt ein fernes Schießen, es wird immer tumultuarischer auf der Scene, und die Franzosen marschiren ab. Kurz darauf erscheint Wel- lington mit seinem Generalstab, alle in recht guter Copie der Personalitäten, haranguirt seine Truppen und reitet langsam ab. Das große Original befand sich selbst unter den Zuschauern, und lachte herzlich über sein Conterfey. Jetzt beginnt das Gefecht durch Tirailleurs, ganze Colonnen rücken dann gegeneinan- der an, machen Attaken mit dem Bajonet, die fran- zösischen Cürassiere chargiren die schottischen Quarees, und da gegen 1,000 Menschen und 200 Pferde in der Action sind, auch das Pulver nicht gespart wird, so waren manche Momente in der That auffallend ei- nem wirklichen Gefechte ähnlich. Besonders gut ge- rieth der Sturm auf Houguemont, das in derselben Zeit durch einschlagende Bomben in Feuer aufgeht. Der dichteste Rauch eines wirkichen Feuers, verhüllte eine Zeit lang die Streitenden, die im allgemeinen Tumult nur durch die Blitze des kleinen Gewehr- feuers theilweise sichtbar wurden, während mehrere Sterbende und Todte den Vordergrund einnahmen. Als der Rauch sich verzog, stand Houguemont noch in Flammen, die Engländer als Sieger, die Franzosen als Gefangene umher, und von weitem sah man Napoleon zu Pferde, und hinter ihm seinen vierspän- nigen Wagen über die Scene fliehen. Wellington aber als Sieger wurde unter dem fernen Kanonen- donner mit Hurrah-Geschrei begrüßt. Die lächerliche Seite der Vorstellung war Napoleon, welcher der Eitelkeit der Engländer zu Liebe, mehreremal flüch- tend und verfolgt über die Scene jagen und dem Plebs in gutem und schlechtem Anzug zum Jubel die- nen mußte. Das ist das Loos des Großen auf der Erde! der Welteroberer, vor dem einst die Erde zit- terte, dem das Blut von Millionen bereitwillig floß, und auf dessen Wink die Könige lauschten — ist jetzt ein Kinderspiel, die Mährchen seiner Zeit verschwun- den wie ein Traum, der Jupiter dahin, und Scapin, wie es scheint allein noch übrig. Obgleich nach Mit- ternacht, war es doch noch Zeit genug, mich aus der seltsamen Licht- und Mondscheinsscene auf einen glän- zenden Ball bei Lady L … zu begeben, mit vielen Diamanten, schönen Weibern, kostbaren Erfrischun- gen, schwelgerischem Soup é , und colossalem Ennui. Schon um 5 Uhr früh ging ich daher zu Bett. Den 12ten. Oft hatte ich von einem gewissen Herrn Deville in der City gehört, einem Schüler Galls, passionir- ten Cranologen, der unentgeltlich, um seine eignen Kenntnisse zu bereichern, alle Tage der Woche zu ge- wissen Stunden Audienz ertheilt, und jedem die ge- wünschte Auskunft giebt. Er untersucht den Schä- del sorgfältig und macht gefällig mit dem Resultat bekannt. Voller Neugierde besuchte ich ihn diesen Morgen, und fand sein Empfangzimmer, in welchem eine merk- würdige Sammlung aller Arten von Schädeln auf- gestellt war, mit mehrern Damen und Herren ange- füllt, die theils ihre Kinder zum Behufe fernerer Er- ziehung untersuchen ließen, theils, vielleicht Aemter suchend, oder schon im Besitze derselben, sich erkundig- ten, ob sie sie wohl auch verwalten könnten? Ein einfacher, ernster und blasser Mann verrichtete dies Geschäft mit sichtlichem Wohlwollen und Vergnügen. Ich wartete, bis alle Uebrigen weg waren, und bat nun Herrn Deville, mir eine besondere gütige Berück- sichtigung zu schenken, da es zwar zur Erziehung lei- der zu spät bei mir sey, ich auch kein Amt habe, aber sehr wünsche, eine solche Charakteristik von ihm zu ver- nehmen, die ich mir, zu noch thunlicher Vervollkomm- nung, gleich einem Spiegel vorhalten könne. Er sah mich sehr aufmerksam an, vielleicht um zuerst auf Lavater’schem Wege zu erspähen, ob ich de bonne foi oder als Schalk hier aufträte, und bat mich dann höf- lich, Platz zu nehmen. Er befühlte hierauf meinen Kopf wohl eine gute Viertelstunde lang, wonach er in abgebrochenen Sätzen folgendes Portrait von mir entwarf, das Dich, die mich so genau kennt, gewiß eben so sehr überraschen wird, als es mich, ich ge- stehe es, in keine geringe Verwunderung setzte, denn es war ganz unmöglich, daß er je früher irgend et- was von mir erfahren haben, noch mich kennen konnte. Da ich Alles sogleich aufschrieb, und die Sache, wie Du denken kannst, mich nicht wenig interessirte, so glaube ich nicht, daß ich mich bei der Wiederho- lung in einem irgend wesentlichen Punkte irren kann Ich war im Begriff, diese Stelle wegzulassen, die aller- dings zu sehr der vertrauten Correspondenz angehoͤrt, um viele Leser interessiren zu koͤnnen. Da sie aber den seligen Verfasser wirklich ungemein treu schildert, und spaͤter der- selbe manchmal darauf Bezug nimmt, so hoffe ich, wird man mir die Beibehaltung derselben verzeihen. A. d. H. . „Ihre Freundschaft,“ fing er zuerst an, „ist sehr schwer zu gewinnen, und nur durch Solche, die sich Ihnen ganz und mit der größten Treue widmen. In diesem Falle werden Sie aber Gleiches mit Glei- chen mit unwandelbarer Beständigkeit vergelten.“ „Sie sind leicht zu reizen in jeder Hinsicht und dann großer Extreme fähig, geben aber weder der leidenschaftlichen Liebe, noch dem Haß, noch andern Leidenschaften eine lange Folge.“ „Sie lieben die Kunst, und werden, wenn Sie ausübend darin sind oder werden wollen, sich ohne Schwierigkeit darin ausbilden können, und ich finde die Kraft der Composition auf Ihrem Schädel stark ausgedrückt. Sie sind kein Nachahmer, sondern wol- Briefe eines Verstorbenen. IV. 6 len selbst schaffen, ja es muß Sie das Gefühl oft drängen, Neues hervorzubringen.“ „Sie haben auch einen starken Sinn für Harmo- nie, Ordnung und Symmetrie. Wenn Sie Diener haben, oder Handwerker beschäftigen, werden diese viel Mühe finden, Sie zu befriedigen, weil Ihnen nichts genau und accurat genug seyn kann.“ „Sie haben sonderbarerweise die Liebe zum Häus- lichen und die des Umherschwärmens in der Welt, welche sich gegenseitig opponiren, gleich stark“. „Gewiß werden Sie daher auf Reisen, so weit es Ihre Mittel erlauben, gern recht viel Dinge mit sich führen, und überall sich so schnell, als möglich, das häusliche, gewohnte Bild wieder herzustellen suchen.“ (Dies so treffende und so sehr in’s Detail Gehen- de frappirte mich besonders.) „Ein ähnlicher Widerspruch findet sich bei Ihnen, in einem scharfen Verstande (verzeihe, aber ich muß seine Worte treu wiederholen) und einer bedeutenden Anlage zur Schwärmerei. Sie müssen innig religieus seyn, und werden doch wahrscheinlich keiner positiven Form der Religion sonderlich anhängen, vielmehr (ebenfalls seine eignen Worte) eine erste Ursache aller Dinge unter einem moralischen Gesichtspunkte ver- ehren mögen.“ „Sie sind sehr eitel, doch nicht von der Art, die viel zu seyn glaubt, sondern viel seyn möchte. Daher wird Ihnen auf die Länge die Gesellschaft Ueberlege- ner, Höherer in irgend einer Art, ja selbst Ihres Gleichen nicht ganz wohl thun. Recht behaglich ( easy ) finden Sie sich nur da, wo Sie auf eine Weise we- nigstens entweder durch ihre Stellung, oder in ir- gend einer andern Beziehung anerkannt präponderi- ren. Das Gegentheil, versteckte Satyre, scheinbare Kälte, besonders wo sie sich nicht bestimmt feindlich, nur ungewiß ausspricht, paralysiren ihre Fähigkeiten leicht, und Sie werden sich, wie gesagt, ganz unge- zwungen und heiter ( cheerfull ) nur da bewegen kön- nen, wo Ihre Eitelkeit durch nichts niedergedrückt ( hurt ) wird, die Menschen, mit denen Sie umgeben sind, Ihnen aber zugleich wohlwollen, wofür Ihre Gutmüthigkeit eines Ihrer starken Organe Sie sehr empfänglich macht.“ „Diese letztere, mit einem scharfen Urtheil gepaart, macht Sie auch zu einem großen Verehrer der Wahr- heit und Gerechtigkeit. Das Gegentheil empört Sie, und Sie werden ohne alles persönliche Interesse im- mer die Parthei eines Unterdrückten lebhaft zu neh- men im Stande seyn. Auch Ihr eignes Unrecht ge- stehen Sie gerne ein, und verbessern es bereitwillig. Unangenehme Wahrheit, die Sie betrifft, kann Sie wohl verdrießen. Sie werden aber dem, der sie aus keiner feindlichen Absicht Ihnen sagt, doch eher ge- neigt seyn, und jedenfalls deshalb wahre Achtung für ihn fühlen. Aus demselben Grunde werden Sie Geburtsdistinktionen eigentlich nicht zu hoch anschla- gen, wenn Ihre Eitelkeit auch nicht ganz unempfind- lich dagegen ist.“ 6* „Sie lassen sich leicht hinreissen, es fehlt Ihnen aber dennoch an leichtem Sinn. Im Gegentheile ha- ben Sie cautionsness Ist schwer zu uͤbersetzen, denn Vorsichtssinn druͤckt es nicht hinlaͤnglich aus, vielmehr ist es das Vermoͤgen, sich augen- blicklich Alles zu denken, was in Folge einer Handlung ge- schehen koͤnnte, und sie so, fast unwillkuͤhrlich, von allen Seiten beleuchten und sich ausmalen zu muͤssen, welches oft die Thatkraft laͤhmt. in zu hohem Grade, welche Ihrem Leben als Wermuth beigemischt ist, denn Sie werden über Alles viel zu viel reflektiren, sich ab- wechselnd die seltsamsten Grillen machen, und gerade bei Kleinigkeiten, ohne Noth in Kummer und Sorge, Mißtrauen in sich selbst und Argwohn gegen Andere, oder auch in Apathie verfallen, sich im Ganzen fast immer mit der Zukunft , wenig mit der Ver- gangenheit und noch weniger mit der Gegenwart be- schäftigen.“ „Sie streben beständig, sind begierig nach Aus- zeichnungen, und sehr empfindlich für Vernachlässi- gung, haben überhaupt sehr viel Ambition und von al- len Arten, die Sie zugleich schnell wechseln, auch gleich damit am Ziele seyn wollen, da Ihre Imagination stärker ist, als Ihre Geduld, weshalb Sie besonders günstige Umstände finden müssen, um zu reüssiren.“ „Sie haben jedoch Eigenschaften, die Sie fähig machen, nicht Gemeines zu leisten, und selbst das Organ der Ausdauer und Festigkeit ist stark bei Ihnen ausgedrückt, aber von so vielen widerstreben- den Organen gehindert, daß Sie einer großen Auf- regung ( excitement ) bedürfen, um Spielraum dafür zu gewinnen. Dann treten die edlern Kräfte hervor, und die geringern sinken.“ „Sie schätzen Geld und Vermögen sehr hoch, wie Alle, die viel thun wollen, aber nur als Mittel, nicht als Zweck. Geld an sich ist Ihnen gleichgültig, und es ist wohl möglich, daß Sie nicht immer sehr haus- hälterisch damit umgehen.“ „Sie wollen in allen Dingen schnell und augen- blicklich befriedigt seyn, wie mit dem Zauberstab; oft stirbt der Wunsch eher, als die Erfüllung möglich ist. Die Sinnlichkeit und das Wohlgefallen am Schönen hat einen zu mächtigen Einfluß auf Sie, und da Sie sich zum Gebieterischen, Herrschsüchtigen und Eitlem al- lerdings neigen, so findet sich hier ein Foyer von Ei- genschaften, die Sie sehr zu hüten haben, um nicht in große Fehler zu verfallen, denn alle Eigenschaften an sich sind gut, nur ihr Mißbrauch bringt Unheil hervor. Selbst die so unrichtig von dem Vater un- serer Wissenschaft bezeichneten Organe des Mord- und Diebssinnes (jetzt richtiger Destruktionssinn und Er- langungssinn benannt) sind nur Anzeichen von That- kraft und Begehrlichkeit, die, mit Gutmüthigkeit, Ge- wissens- und Vorsichtssinn verbunden, einen wohlbe- gabten Schädel formiren, ohne diese intellektuellen Eigenschaften aber leicht zu Verbrechen führen mögen.“ Er sagte daher auch, daß bei Beurtheilung eines Schädels es gar nicht auf die einzelnen Organe, son- dern auf ihren Complex ankomme, indem sie sich gar mannichfaltig gegenseitig modificirten, ja zum Theil völlig neutralisirten, also nur die Proportion des Ganzen den eigentlichen Schlüssel zu dem Charakter des Menschen geben könne. Als allgemeine Regel stellte er auf: daß Men- schen, bei deren Schädel — wenn man sich eine ge- rade Linie von oben bis unten, durch die Mitte des Ohres gezogen denkt — der vordere Theil eine größere Masse, als der hintere darbiete, empfehlungswerther seyen, weil der vordere Theil mehr die intellektuellen Eigenschaften, der hintere die thierischen enthalte. Alle Schädel der Hingerichteten z. B., die er be- saß, zeugten für diese Lehre, und bei einem der Grau- samsten nahm der Hinterkopf ⅔ des ganzen Schä- dels ein. Auch bei den Büsten von Nero und Ca- racalla bemerkt man ein ähnliches Verhältniß. Ist dieses jedoch im entgegengesetzten Extrem vorhanden, so fehlt es den zu intellektuellen Indivi- duen wiederum an Thatkraft, und auch hier, wie in allen Dingen, ist ein billiges Gleichgewicht das Wünschenswertheste. Herr Deville behauptet, daß man nicht nur her- vorstechende günstige Organe durch Uebung der von ihnen bedingten Eigenschaften sehr vergrößern könne, sondern auch dadurch andere nachtheilige vermindern, und versichert, daß kein Lebensalter hiervon ganz ausgeschlossen sey. Er zeigte mir den Schädel eines Freundes, der sich noch im sechzigsten Jahre einem sehr anhaltenden Studium der Mathematik widmete, und in wenigen Jahren dadurch die betreffende bosse so merklich hervortreten machte, daß sie alle übrigen überragte. Zuletzt gab er mir noch, gleichsam als Beleg zu seiner Charakterschilderung, eine Liste der bei mir hauptsächlich hervorstehenden und gemeinschaftlich wir- kenden Organe meines Schädels, die mir sein Urtheil sehr wohl erklärten, die ich aber nicht ganz mitthei- len mag, da man über sich selbst immer weislich noch etwas zurückbehalten muß, wie die vertrauteste Dame doch auch nicht alle Toilettengeheimnisse enthüllt. Oh- nedieß kennst Du mich in mancher Hinsicht wahr- scheinlich noch besser, als Deville, da Dir ein mäch- tigerer Talisman dazu zu Gebote steht, als die Cranologie — ächte und wahre Liebe. Nur so viel muß ich des Scherzes wegen anführen. Organ des Wunderbaren, schwach — weshalb ein Gläubiger an mir verdorben ist, ohne deshalb ein Schuldner werden zu müssen. Idealität, sehr stark — weshalb ich nie mit der Gegenwart zufrieden bin. Zablensinn, schwach — weshalb ich sehr viel Mühe habe, Einnahme und Ausgabe stets im richti- gen Verhältniß zu erhalten, und überhaupt Adam Rieß Rechenbuch nie geschrieben haben würde. Zeitsinn ist auch schwach, weswegen ich gewöhn- lich überall zu spät komme, als eine personifizirte moutarde apres diné. Eminentes Vergleichungsorgan. Wieder unglück- lich für gläubigen und blinden Gehorsam. Ueber so viele Fehler tröstet mich schlecht die große bosse des Causalitäts-Organs, welches uns unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der mensch- lichen Existenz immer recht bitter vor Augen zu be- halten, indem es das Vermögen ausübt, sich selbst und den eignen Geist als ein Fremdes zu betrachten und zu analysiren, sich zugleich mit den andern Men- schen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei will- kürlich von allem zu abstrahiren, was durch Erzie- hung, Schicksal u. s. w. auf diese Wesen Einfluß gehabt hat und noch hat — oder um schulgerechter zu sprechen: welches von allem die Ursache ergründen will, die Verbindung zwischen Ursach und Wirkung genau erforscht, und bei Allem den Menschen zu fra- gen zwingt: Warum? eine … lästige Eigen- schaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Ver- nunft zu nennen pflegt. Leider ist Eventualität bei mir weit schwächer, als jenes Organ. Dieses, welches man das Reali- tätsvermögen nennen könnte, ist ebenfalls ziemlich schwer zu definiren, und sein geringes Volumen bei mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art Poeten, der nur im Traume sehen und leben darf, was er in der Welt selbst nicht erreichen kann. Eventualität ist nicht Thatkraft, obgleich ihr Mangel eine auf denselben Zweck fortwährend ge- richtete Thatkraft verhindert, denn wo sie nicht ist, entsteht eine Abwesenheit des Interesses und der Auf- merksamkeit auf das was geschieht, ein Mangel des praktischen Gesellschaftssinnes. Man hat bemerkt, daß alle großen Staatsmänner das Organ der Even- tualität im hohen Grade besitzen, welches zugleich eine große Begierde in sich begreift, Alles zu wissen, was im Getreibe der Welt vorgeht, sich nur wohl im Geschäftsstrudel zu befinden, der daraus hervor- geht, stets bereit zu seyn, darin handelnd einzugrei- fen, keine Mühe dabei scheuend, und alle ihre Im- pulse nur von der äußern Wirklichkeit, nie von der innern Phantasie zu erhalten. An Cannings und noch mehr an Napoleons Gyps-Schädel zeigte Herr Deville Eventualität gigantisch vorherrschend, bei bei- den waren aber auch die andern intellektuellen Eigen- schaften sehr ausgebildet, bei Napoleon die animali- schen eben so kräftig, bei Canning mehr Phantasie und Kausalität. Darum starb auch der Eine als Gefangener Europa’s in Helena, der Andere vor Kummer uͤber die Intriguen sei- ner Feinde im trauernden Vaterlande. A. d. H. Den 14ten. Schon mehreremal habe ich den Architekten Herrn Nash besucht, dem ich viel Lehrreiches in meiner Kunst verdanke. Man sagt, daß er sich ein Vermö- gen von 500,000 L.St. im speziellen Sinne des Wortes „aufgebaut“ habe. Er besitzt einige herrliche Land- sitze, und kein Künstler in der Stadt wohnt auch in dieser anmuthiger. Vor allen gefiel mir seine Biblio- thek. Sie bildet eine lange, breite Galerie mit zwölf tiefen Nischen auf jeder Seite, und zwei großen Por- talen an den Enden, die in zwei andere geräumige Zimmer führen. Die Galerie ist flach gewölbt, und erhält einen Theil ihres Lichts von oben durch eine zusammenhängende Reihe eleganter Rosetten, deren mattes Glas verschiedene grau in grau gemalte Fi- guren schmücken. In jeder Nische befindet sich in der Decke ebenfalls ein halbrundes Fenster von lich- tem Glase, an der Rückwand oben ein Alfresco- Gemälde aus den Logen Raphaels, und unter die- sem auf Postamenten aus Gyps-Marmor: Abgüsse der besten Antiken. Den übrigen Raum der Nische nehmen Schränke mit Büchern ein, welche jedoch nicht höher, als das Postament der Statur ist, em- porsteigen. Auf den breiten Pfeilern zwischen den Nischen sind ebenfalls Arabesken nach Raphael aus dem Vatican, vortrefflich al fresco ausgeführt. Vor jeder Nische, und etwas entfernt davon, steht in der mittleren Gallerie ein Tisch von Bronce mit offenen Fächern, welche Mappen mit Zeichnungen enthalten, und auf den Tischen Gypsabgüsse irgend eines berühmten architektonischen Monuments des Alterthums. Ein breiter Gang bleibt noch in der Mitte frei. Aller Raum an Wänden und Pfeilern, der keine Malereien enthält, ist mit mattem Stuck belegt, der in einem blaßröthlichen Tone gehalten, und mit goldnen schmalen Leisten eingefaßt ist. Die Ausfüh- rung erscheint durchgängig gediegen und vor- trefflich. Als ich von hier zum Din é fuhr, sah ich in der Themse ein Boot mit ganz nackten Menschen, gleich Wilden, darin, von denen zu Zeiten einer binaus- sprang, um zu schwimmen, eine Indecenz, die mich mitten in London verwunderte, um so mehr, da ich erst gestern in der Zeitung las, daß vor einiger Zeit ein Officier einen Mann, der sich auf ähnliche Art mit seinem Sohne nackt unter den Fenstern seines Hauses badete, und der auf seinen Zuruf sich nicht entfernen wollte, ohne Umstände mitten durch den Leib geschossen habe. Vor Gericht sagte er aus, daß der Badende sich vor den Augen seiner Frau scham- los entblößt, was er nicht habe dulden können, und im ähnlichen Falle daher eben wieder so handeln würde. Es ist charakteristisch, daß er von der Jury frei gesprochen wurde. Das Mittagsmahl bei dem portugiesischen Gesandten hätte bald wie das berühmte Fest des Fürsten Schwarzenberg in Paris geendet. Eine der schönen silbernen Girandolen von Run- del and Bridge, die wie Diamanten glänzte, kam dem Vorhange zu nahe, welcher sogleich lichterloh aufloderte. Das Feuer wurde jedoch schnell gelöscht, und zwar vom spanischen Gesandten, was bei den jetzigen politischen Conjuncturen den Zeitungen zu Witzeleien hätte Anlaß geben können. Spät in der Nacht fuhr ich noch eine halbe Post weit in die Stadt hinein, um mir den Kirchthurm von St. Giles zu besehen, dessen neues colossales, rosenrothes Zifferblatt mit vielen Lampen erleuchtet, wie ein herrlicher Stern in der Nacht strahlt. Zu Hause fand ich Deinen Brief mit allerlei liebe- vollen Vorwürfen, das Persönliche zu sehr über äußere Dinge zu vernachläßigen. Wäre dieses auch zuweilen der Fall, so denke darum doch nicht, daß mein Herz je weniger von Dir erfüllt sey. Auch die Blume duf- tet ja zu Zeiten schwächer, zu andern stärker, ja manchmal gibt es wohl gar keine Blume am Rosen- strauch, zu seiner Zeit dringen und blühen sie dann alle wieder hervor — aber die Natur der Pflanze bleibt immer dieselbe. Herders Gebet ist schön, doch hier auf Erden be- währt es sich nicht, denn hier scheint zwar Gottes Sonne über Gute und Böse, aber auch Gottes Ge- witter trifft Gute und Böse. Jeder muß sich selbst wahren so gut er kann! Die Menschen sind Dir lästig, sagst Du — ach Gott, und wie lästig sind sie mir! Wenn man so lange in größter Intimität der Austauschung aller Gefühle, und Aufrichtigkeit aller Gedanken mit ein- ander gelebt hat, wird der Umgang mit der banalen, theilnahmlosen Welt oft mehr als leer und ge- schmacklos. Deine Hypothese, daß hier verwandte Seelen einst in einer andern Welt zu einem Wesen sich ver- schmelzen, ist wohl lieblich, aber mit Dir möchte ich doch nicht auf diese Weise verbunden werden, denn ein Wesen muß sich freilich selbst lieben, zwei aber lieben sich freiwillig , und nur das hat Werth! Wir wollen uns also zwar immer wieder begegnen, aber auch immer nur durch gegenseitige Liebe und Treue Eins werden, wie wir es jetzt sind, und vor der Hand auf dieser Welt auch so lange als möglich noch bleiben mögen. Diese Betrachtung bringt mich ganz natürlich zum Gegenwärtigen wieder zurück, in dessen vielfachem Treiben der Strom mich gestern auf die hiesige Kunstausstellung führte. Von historischen Gemälden war wenig Erfreuliches zu sehen. Einige Portraits von Thomas Lawrence zeigten, wie immer, eben so sehr sein Genie wie seinen Uebermuth, mit dem er nur einzelne Theile ausmalt, und alles Uebrige so hinkleckst, daß man es nur von weitem, wie eine Theater-Dekoration, betrachten muß, um es einiger- maßen den darzustellenden Gegenständen ähnlich zu finden. So malte Raphael und die Heroen der Kunst nicht, wenn sie sich einmal zur Portraitmalerei ver- standen. Unter den Genre-Bildern fand sich dage- gen manches sehr Anziehende. Zuerst: der todte Elephant. Man erblickt eine wilde Berggegend im Innern Indiens; seltsame Riesenbäume und üppig verworrenes Gestrüpp, tie- fer Wald im Hintergrunde, umgeben einen dunkeln See. Ein todter Elephant liegt vorn am Ufer aus- gestreckt, und ein, seinen Rachen weit aufsperrendes, und die furchtbaren Zähne fletschendes, Crocodill klettert eben an ihm herauf, einen ungeheuren Raub- vogel verjagend und den andern Crocodillen drohend, die aus dem See eilig zum Fraße herbeischwimmen. Auf den Aesten der Bäume wiegen sich Geyer, und in den Büschen zeigt sich eben der Kopf eines Ti- gers. Auf der andern Seite erblickt man aber schon mächtigere Raubthiere, nämlich drei englische Jäger, deren Büchsen bereits auf das große Crocodill ange- legt sind, und bald unter der gräulichen Versamm- lung noch gräulichere Verwirrung erregen werden. Ein anderes Stück spielt in Afrika. Das Ufer des Meers ist die Scene. Man entdeckt Schiffe in weiter Ferne. In der Nähe senkt sich ein Palmen- wald, von Lianen durchzogen, bis in die klare Fluth bin- ab, wo ein Boot am Anker liegt, in dem ein Neger schläft — aber in welcher schauderhaften Umgebung! Eine der riesenhaften Boa-Schlangen ist aus dem Walde hervorgesprungen, und während ihr Schweif noch dort ruht, hat sie vorn schon einen losen Ring um den Schläfer geschlagen, und streckt nun ihren Hals hoch empor, zischend den Rachen gegen die Ge- fährten des Negers öffnend, die mit Beilen zu Hilfe eilen. Eben hat der Eine glücklich einen Theil ihres Körpers zerschnitten, und so den nun erwachten, mit den Zügen des gräßlichsten Entsetzens auf die Schlange starrenden Sclaven gerettet; denn sobald die Rückenmuskeln der Boa irgendwo durchschnitten sind, verliert ihr ganzer Körper augenblicklich alle Kraft. Die Scene ist einer wahren Begebenheit treu nachgebildet, die sich 1792 zutrug. Wir bleiben noch in den fernen Welttheilen, gehen aber zugleich in ferne Zeiten zurück. Eine wunderherrliche silberne Mondnacht glänzt und glittert über Alexandriens Meerbusen. Die Pracht ägyptischer Denkmäler und Tempel zieht sich am Seegestade in vielfacher Erleuchtung hin, und unter einer Halle von edler Architektur im Vorgrunde, besteigt Cleopatra, von allem Luxus Astens umgeben, die goldne Barke, ihrem Antonius entgegen zu eilen. Die schönsten Mädchen und Knaben streuen Blumen unter ihre Füße, und ein Chor weißbärtiger Greise in Purpur gekleidet, spielt, auf einem Felsen am Meeresstrande sitzend, auf goldnen Harfen das Ab- schiedslied. Hast Du noch nicht genug, gute Julie? Nun wohlan, so sieh noch den gereisten Affen , der als Erclusiv gekleidet zu seinen Brüdern und Schwe- stern in die Einsamkeit der Wälder zurückkehrt. Alles umgibt ihn staunend, hier zupft einer an der Uhrkette, dort ein anderer am gesteiften Halstuch. Zuletzt gibt ihm, eifersüchtig auf solche Pracht, Cocotte eine Ohrfeige, die das Signal zum allgemeinen Ausplündern wird — und, geht das nur noch eine Minute so fort, so steht Balzer bald in naturalibus da, wie meine antiken Statuen, die Dich so sehr scandalisiren. Hiermit beschließe ich die Kunstausstellung. Gute Julie, gestehe, wenn Du selbst Redacteur des Mor- genblattes wärest, Du könntest keinen fleißigern Re- ferenten haben als mich, und es mag mir schlecht oder gut gehen, ich mag traurig oder heiter seyn, dennoch thue ich immer meine Pflicht. Grade jetzt geht es mir nicht zum besten. Ich bin unwohl, und habe viel Geld im Whist verloren. Uebrigens ist es merkwürdig, wie schnell man sich hier in England gewöhnt, ein Pfund wie einen Thaler zu betrach- ten. Obgleich ich den Unterschied wohl kenne, und oft nicht ganz angenehm empfinde, so bleibt doch der sinnliche Eindruck des Pfundes hier grade derselbe, wie der eines Thalers bei uns, worüber ich oft selbst lachen muß. Ich wünschte, das Schicksal machte auch einmal eine ähnliche Verwechselung, und unsere Thaler zu Pfunden, gewiß vergrübe ich das meinige nicht. Doch wucherten wir immer gut mit dem uns Ver- liehenen, denn wenn man eine verschönerte Gottes- Natur aus todtem Gelde zu machen sucht wie ich, so hat man gut gewuchert, auch wenn man glückliche und zufriedene Menschen damit macht, und auch das that ich durch gegebene Arbeit, Du auf direkterem Wege reichlich durch Wohlthaten an die Bedürftigen. Klugheit war weniger unsre Stärke, und wenn Du etwas mehr als ich davon aufzuweisen hast, so kömmt das blos daher, weil Du ein Weib bist, welche sich immer auf der Defensive halten müssen. Klugheit ist aber weit mehr eine Vertheidigungs- als eine Angriffskunst. Du kannst sie jetzt grade in der S ..... schen An- gelegenheit üben, und ich sehe Dich schon in Gedan- ken die Widerspenstigen bezähmen, und würdevolle Worte des Friedens über sie aussprechen. Erblicke hier am Rande Dein Portrait à la Thomas Law- rence — Du wirst ohne Zweifel viel von der An- lage zur Kunst darin wahrnehmen, welche der Gal- lianer auf meinem Schädel gelesen hat, die umste- henden Carrikaturen aber rechne meiner etwas mür- rischen Laune zu. Da eine solche plattgedrückte Stimmung aber we- nig Gedanken liefert, so erlaube mir, Dir aus einem seltsamen Buche einige Stellen mitzutheilen, von de- nen Du glauben wirst, daß sie nicht nur aus meiner Feder, sondern auch aus meinem Innersten ge- flossen sind. „Es ist nicht zu berechnen,“ sagt der Autor, „welche Wichtigkeit die Umgebungen unsrer Jugend auf spätere Charakterausbildung haben. Die düstern Wälder meines Geburtslandes, meine vielfachen ein- samen Wanderungen in jener Natur waren es, wo meine frühe Liebe zu meinen eignen Gedanken ent- stand, und in dem Maße wie ich auf der Schule mit meines Gleichen bekannter wurde, machte es mir schon den Zustand meines Gemüths ohnmöglich, ir- gend eine intime Cameradschaft anzuknüpfen, ausge- nommen die, welche ich bereits in mir selbst zu entdecken anfing. Am Tage war einsames Wandern in der Natur meine Freude, Abends das Lesen romantischer Fik- Briefe eines Verstorbenen. IV. 7 tionen, die ich mit jenen gesehenen Scenen verband, und ich mochte nun im Winter am Kamin über mei- nem Buche sitzen oder in wollüstigem Nichtsthun im Sommer unter einem Baum ausgestreckt liegen, meine Stunden waren immer angefüllt mit allen den nebelhaften und üppigen Träumen, welche viel- leicht die Essenz jener Poesie waren, welche zu verkörpern ich nicht das Genie besaß . Diese Stimmung ist nicht für das Leben mit Men- schen gemacht. Bald verfolgte ich etwas mit rastlo- ser Thätigkeit, bald lebte ich blos in thatenloser Re- flection. Nichts gelang meinen Wünschen gemäß, und mein Wesen wurde endlich tief von jener bittern melancholischen Philosophie durchdrungen, die mir, gleich Faust, lehrte, daß Wissen nichts sey als un- nützer Stoff, daß in Hoffnung nichts als Trug liege — und die den Fluch auf mich legte, gleich ihm, durch die Genüsse der Jugend, wie alle Lockungen des Vergnügens, immer die Gegenwart eines feindlichen Geistes der Finsterniß zu fühlen. Die Erfahrung langer und bitterer Jahre läßt mich jetzt zweifeln, ob diese Erde je eine lebende Form hervorbringen kann, die den Visionen desjenigen genügen möchte, welcher zu lange nur in den Schö- pfungen seiner Phantasie verloren lebte.“ Ein andermal heißt es von einem gepriesenen Manne: „Er war eine von den macadamisirten Vollkom- menheiten der Gesellschaft. Sein größter Fehler war seine vollkommene Ebenheit und Gleichheit, und man schmachtete nach einem Hügel, den man ersteigen könnte, oder nach einem Stein, wenn er auch im Wege läge. Liebe hängt sich nur an etwas Hervor- stehendes, wäre es auch etwas, das Andere hassen würden. Schwer kann man Extreme für Mittel- mäßiges fühlen.“ C’est vraiment une consolation! Weiter: „Unsre Sinne mögen durch Schönheit gefesselt wer- den, aber Abwesenheit verwischt den Eindruck, Ver- nunft kann ihn besiegen. Unsre Eitelkeit kann uns Rang und Auszeichnung mit Leidenschaft verehren lassen, aber das Reich der Eitelkeit ist auf Sand gebaut. Doch wer kann den Genius lieben, und nicht inne werden, daß die Gefühle, die er einflößt, ein Theil unsres eignen Wesens und unsrer Unsterb- lichkeit sind!“ Den 18ten. Glaubst Du wohl, beste Julie, daß ich, obgleich von verschiedenem Unangenehmen berührt, und fast krank, dennoch diese Tage der Einsamkeit, wo ich nur mit Dir, meinen Büchern und Gedanken beschäftigt war, weit genügender, wie soll ich sagen, weit voller ausgefüllt finde, als die trostlose Existenz, welche man große Welt und Gesellschaft nennt. Das Spiel gehört auch dahin, denn es ist eine bloße Zeittöd- tung ohne Resultat, jedoch hat es wenigstens den 7* Vortheil, daß man die Zeit, die man verschwendet, nicht während dem gewahr wird, wie in dem andern Falle. Wie wenig Menschen mögen solche Stimmun- gen recht verstehen, und wie glücklich kann ich mich schätzen, daß Du es thust. Nur bist Du zu nachsich- tig gegen mich, und diese Ueberzeugung läßt mich Deinen Urtheilen keinen vollen Glauben beimessen. Wische also die Rosenfarbe, die Deine Liebe auf das Glas haucht, durch das Du mich beschaust, mit dem Schwamme des kalten Verstandes ein wenig ab (ganz eben nicht) und wage es dann immer keck auf meine Dir annoncirte Eitelkeit hin, mir ganz unum- wunden die Wahrheit zu sagen. Nun noch die Entdeckung eines Geheimnisses. Wenn ich Dir Ercerpte schicke, kannst Du nie darauf schwören, von wem sie sind, denn vermöge meines gerühmten Compositions-Vermögens (Du siehst selbst, daß Deville mich noch fortwährend beschäftigt), ist mir das reine Abschreiben fast unmöglich. Es wird selbst ein fremder Stoff immer etwas anders, wenn auch nichts Besseres, unter meinen Händen. Weil ich aber so beweglich bin, erscheine ich gewiß oft in- consequent, und meine Briefe mögen daher manche Widersprüche enthalten. Dennoch, hoffe ich, tritt im- mer ein rein menschlicher Sinn daraus hervor, und hie und da wohl auch ein ritterlicher, denn jeder zahlt den Umständen, die Geburt und Leben um- schließen, seinen schuldigen Tribut. Lebten wir wohl schon zusammen in jenen wah- ren Ritterzeiten? Gewiß, denn gar lieblich erhob sich schon oft vor meiner Phantasie wie eine dunkle Erinnerung das reizende Bild der Burg unsrer Vä- ter, die wir damals bewohnten, im wilden Spessart vom Felsen herabdrohend, rund umher alte Eichen und Tannen, und durch den Hohlweg im Thal sehe ich den Besitzer mit seinen Reisigen der Morgensonne entgegen ziehen (denn als Ritter stand er früher auf. Du, gute Julie, lugst vom Söller und winkst und wehst mit dem weißen Tuche, bis kein Stahl- panzer mehr in den Sonnenstrahlen blinkt und nichts Lebendes mehr sichtbar bleibt, als ein scheues Reh, das aus dem Laube schielt, oder ein hochgeweih- ter — Hirsch, der auf der Bergspitze sich ernsthaft die Gegend beschaut. Ein andresmal sitzen wir, nach glücklich geendeter Fehde, beim Humpen, wie in Paris einmal beim Champagner. Du kredenzest, ich trinke ritterlich, und der gute Hauspfaff liest die Wunder einer Legende. Da schallt des Zwerges Horn vom Thurme, und zeigt ein Fähnlein an, das sich dem Burgthor nähert. Dein ehemaliger Geliebter ist’s, der aus dem gelob- ten Lande zurückkehrt. — Gare à toi! Es ist historisch erwiesen, daß selbst die alten deutschen Ritter schon die Unart hatten, sich zuweilen französischer Floskeln zu bedienen. A. d. H. Den 19ten. Ein freundlicher Sonnenblick lockte mich ins Freie, das ich jedoch bald wieder mit dem Unterirdischen ver- tauschte. Ich besah nämlich den berüchtigten Tun- nel, die wunderbare, 1,200 Fuß lange Communication unter der Themse. Du hast wohl in den Zeitungen gelesen, daß vor einigen Wochen das Wasser des Flusses einbrach, und sowohl den über 100 Fuß tie- fen und 50 Fuß breiten Thurm am Eingang, als auch den schon 540 Fuß langen, fertigen doppelten Weg gänzlich anfüllte. Auf glückliche und unglück- liche Begebenheiten ist hier immer ein paar Tage dar- auf die Carricatur fertig. So sieht man bei der Ca- tastrophe des Tunnels, als das Wasser einbricht, ei- nen dicken Mann, der wie eine Kröte auf allen Vie- ren sich zu retten sucht, in der Angst mit weit auf- gerissenem Munde „Feuer“ schreien. Durch Hilfe der Taucherglocke hat man das Loch im Grunde des Flusses, wo die Erde nachgegeben, durch Säcke voll Lehm nicht nur wieder zugefüllt, sondern jetzt, so weit der Tunnel noch fortzusetzen ist, den Erdboden unter dem Wasser überall 15 Fuß hoch durch Ver- mischung mit Lehm so befestigt, daß, wie man sagt, keine ähnliche Gefahr mehr zu befürchten ist. Eine Dampfmaschine der stärksten Art, die in der Höhe des Thurms placirt ist, hat gleichzeitig das einge- drungene Wasser fast ganz wieder ausgepumpt, so daß man schon wieder das Ganze bequem besehen kann. Es ist ein gigantisches Werk, nur hier aus- führbar, wo die Leute nicht wissen, was sie mit ih- rem Gelde anfangen sollen. Aus dem Tunnel fuhr ich nach Astleys Theater, dem hiesigen Franconi, und diesem überlegen. Ein Pferd mit angeschnallten Flügeln, Pegasus genannt, macht wunderbare Kunststücke, und der russische be trunkene Courier, der auf 6 — 8 Pferden auf einmal reitet, kann in Geschicklichkeit und Kühnheit nicht übertroffen werden. Die theatralische Vorstellung bestand in einer sehr ergötzlichen Parodie des Frei- schützen. Statt des Kugelgießens wird durch Pierrot und Pantalon ein Eierkuchen gebacken, wozu sich die beibehaltene Weber’sche Musik höchst komisch aus- nimmt. Die Geister, welche erscheinen, sind sämmt- lich Küchengeister, Satanas selbst ein bloßer Chef de cuisinc. Bei dem letzten Graus bläst ein ge- spenstischer Blasebalg alle Lichter aus, bis auf eine große Kerze, die immer wieder von Neuem Feuer fängt. Da ergreift eine Riesenfaust den armen Pier- rot, legt ihn über die Flamme, und eine Köchin, so groß wie das Theater, in schwarz und rothem Teu- felscostüme, deckt beide mit einem Ertinguisher vom Umfange eines Hauses zu. Währenddem fliegt Pan- talon mit einer Rakette an einer gewissen Stelle, die sich unter seinem Wehgeschrei nach unten entla- det, durch die Lüfte davon. Aller dieser Unsinn macht allerdings im Augen- blick lachen, ein trauriges Gemüth macht er aber doch nicht heiterer, und Du weißt, ich habe so manche Ursache zu Kummer, die ich nicht immer vergessen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Es muß eine schlechte Constellation jetzt für uns am Himmel stehen — denn gewiß gibt es glückliche und unglückliche Strömungen in der Lebensperiode, und sie zu wissen würde dem Steuermann gar sehr zu Hülfe kommen. Der Stern, der, wie Du schreibst, über Deinem Schloß so brennend funkelte, muß ein feindlicher ge- wesen seyn. Mir funkelt nur noch ein Stern gün- stig, und das ist der Stern Deiner Liebe. Mit ihm würde mein Leben verlöschen! Veränderung der Umgebung für mich scheint mir immer nöthiger, besonders da ich mich aus der we- nigen Gesellschaft, die noch hier ist, fast ganz zurück- gezogen habe. Till sagt sehr weise: Nach Regen folgt Sonnenschein — dem also entgegen! und richte auch mich durch Deine Briefe auf. Laß sie heiter und stärkend seyn durch eigne Heiterkeit, denn diese ist wichtiger für mich als alle Nachrichten, böse oder gute, die sie enthalten. Nichts ist mir schrecklicher als der Gedanke, Dich in der weiten Entfernung be- kümmert zu wissen, denn es ist eine so große Kunst, freudig zu leiden, wie ein Märtyrer! Man kann es auch nur, wo man unschuldig, oder aus Liebe zu einem Andern leidet. Du meine, theure Julie, haft kaum andere Leiden gekannt, ich aber darf nicht so stolz von mir sprechen. Den 23sten. Haymarket-Theater ist jetzt mit sehr guten Schau- spielern besetzt, und das Rendezvous aller, nach be- endigter Season vacant gewordener gai Ladies. Ich saß gestern in meiner Loge, ganz aufmerksam auf das Stück, als sich plötzlich der allerniedlichste Fuß, in einen netten Schuh und perlfarbnen seidnen Strumpf gehüllt, auf den Stuhl neben mir aufstützte. Ich sah mich um, und ein paar prächtige braune Augen lä- chelten mich schalkhaft aus einem Philinengesichte an, das ein großer italienischer Strohhut halb verdeckte, während ein ganz einfaches, sehr weißes Kleid, von einem ponceaurothen Bande unter der züchtig ver- deckten Brust zusammengehalten, den ganzen Putz der kleinen Person ausmachte, welche kaum 18 Som- mer zu zählen schien. Alle Dandies, und auch viele junge Leute in der großen Welt, die dies eben nicht sind, pflegen hier Maitressen zu halten, denen sie ein eignes Haus miethen, sie darin einrichten, und ihre müßigen Au- genblicke dort zubringen, ganz wie ehemals die pe- tites maisons in Frankreich. Sie kommen bald auf einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und sind auch in diesem Verhältniß so systematisch als in allen übrigen. Treu sind diese Art Weiber „auf Zeit“ selten, aber oft weit gebildeter an Geist und Sitte als ihres Gleichen in andern Ländern. Die Kleine hinter mir schien die Absicht zu haben, ein solches Verhältniß anzuknüpfen, denn sie benahm sich nicht ohne Feinheit, und wußte eben so sehr durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch ein äußerst gemessenes Benehmen gegen Andere, die sich ihr zu nähern suchten, bald eine Art Einver- ständniß zwischen uns hervorzubringen, ohne daß wir noch ein Wort gewechselt hatten. Auch fehlte des Anstands halber eine Mutter neben ihr nicht, die sie chaperonirte, aber sey es nun eine gemiethete oder eine wahre, nirgends sind diese Mütter beque- mer als in London. — Es ist sonderbar, daß die meisten jungen Mädchen, die hier einem langen Elend so lustig entgegengehen, nicht von Männern und durch Liebe, sondern, wie mir ein sehr Kundiger versicherte, fast immer von ihrem eignen Geschlecht zu solcher Lebensart verführt werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände so sehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von ihnen weniger interessirt, und weit gefühlvoller als ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Roman- tische selbst verläßt sie nicht immer bei ihrem jam- mervollen Beruf! Die Nüancen unter diesen Damen sind übrigens eben so verschieden, als die der ver- schiedenen Stände in der Gesellschaft, und ihre Zahl in London bekanntlich eben so groß, als die der sämmtlichen Einwohner Berlins. Es ist kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe, das ich diesen Morgen besuchte. Nirgends logiren die Narren besser, das heißt die eingesperrten. Ein pleasure ground befindet sich vor dem Thore des Palastes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßi- ger eingerichtet seyn als das Innere. Als ich in die erste Weiber-Galerie, von einer sehr hübschen jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich eins der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre alt, lange aufmerksam, und kam dann plötzlich auf mich zu, indem sie sagte: You are a foreigner — J. Know You Prince! Warum haben Sie Ihre Uni- form nicht angezogen, um mich zu besuchen, fuhr sie fort, das hätte sich besser geschickt. Ach wie schon sah Charles unter der seinigen aus! Die arme Seele, sagte die Schließerin, welche mein Befremden gewahr ward, ist von einem fremden Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem Ausländer einen solchen zu sehen. Manchmal weint sie Tagelang, und läßt dann Niemanden sich nahe kommen. Nachher ist sie wieder Wochenlang ganz vernünftig. Einst war sie sehr schön, aber der Kum- mer hat jeden Reiz von ihr abgestreift. Merkwürdig war ein reicher und sehr gebildeter junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er sey ein Stuart, und habe daher das legitime Recht zum Throne. Ich unterhielt mich eine halbe Stunde mit ihm, ohne ihn auf dieses Thema bringen zu kön- nen. Er brach immer vorsichtig, ja schlau ab, und sprach dabei höchst interessant über verschiedene Dinge, unter andern über Amerika, das er lange bereist, hatte auch in seinem Benehmen und Aeußern nicht die mindeste Spur von Wahnsinn. Endlich gelang es mir, indem ich bei Gelegenheit von Walter Scotts Romanen des Prätendenten vielfach erwähnte, ihn wärmer zu machen, und als ich endlich vertraulich sagte: „Ich weiß, Sie selbst sind ein Stuart,“ schien er zu erschrecken, und den Finger auf den Mund legend, flüsterte er: „Davon dürfen wir hier nicht sprechen. Ich bin es — aber nur von der Zeit kann ich den Sieg der Gerechtigkeit erwarten. Das Licht wird aber bald hell leuchten!“ Ich gehe nach Wa- les, erwiederte ich (dort ist er her, und sein Vater ein reicher Gutsbesitzer) wollen Sie mir die Adresse Ihres Vaters mittheilen, damit ich Ihre Grüße an ihn ausrichten kann? Mit großem Vergnügen, er- wiederte er, geben Sie mir Ihr Taschenbuch, ich werde die Adresse hineinschreiben. Ich gab es ihm, und er schrieb nun seinen wirklichen Namen B. G .... hinein, und indem er lächelnd darauf hin- wies, sagte er mir ins Ohr: Unter diesem Namen passirt mein Vater dort. Leben Sie wohl — und mit gnädigem Winke der Hand entließ er mich. So etwas ist doch recht schrecklich! Eine einzige fixe Idee macht den liebenswürdigsten Menschen zum incurablen Narren, kostet ihm seine Freiheit, und verdammt ihn für sein Leben zur Gesellschaft der gemeinsten Wahnsinnigen! Was ist doch der un- glückliche Mensch im Conflict mit physischen Uebeln, und wo ist dann die Freiheit des Willens! Spaßhafter war ein fremder Narr, ein deutscher Pedant und Reisebeschreiber, der sich mit anschloß, um das Haus zu besehen, wo er eigentlich hinein gehörte. Er konnte mit seinen Noten kaum fertig werden. Jeden der Eingesperrten redete er weit- schweifig an, und brachte sogleich seine Antwort sorg- fältig zu Papier, ohngeachtet sie manchmal nicht die artigste für ihn war. Kaum hatte er meine Unter- redung mit B. G. bemerkt, als er auf mich zustürzte, und dringend bat, ihm doch mitzutheilen, was der Herr, wie er bemerkt, in mein Taschenbuch geschrie- ben. Ich erzählte ihm kurz die Geschichte. O vor- trefflich, höchst merkwürdig, rief er, vielleicht dennoch wirklich ein Verwandter der Stuarts. B. G. — ich muß deshalb gleich nachschlagen, vielleicht ein Staats- geheimniß, wer kann wissen? Ist er in der That ein Verwandter, wie sehr ist seine Narrheit zu ent- schuldigen! Sehr merkwürdig, ein reicher Stoff, ich empfehle mich unterthänigst, und damit stolperte er so tölpisch, so unbeholfen, albern, und doch so mit sich selbst zufrieden von dannen, daß man sich fast ver- wunderte, ihn nicht gleich wieder einfangen zu sehen. Beim Zuhausefahren begegneten mir abermals eine Menge Leichenzüge, was freilich in einem Gouffre wie London, wo der Tod immerwährend hart arbei- ten muß, kein Wunder ist, aber doch ein übles Omen bleibt, wenn auch der Aberglaube, der solches glaubt, gleichfalls mehr nach Bedlam als in einen vernünf- tigen Kopf gehört; bei mir hat er indeß einigen Grund Ich fuhr einst, als ich noch sehr jung war, in ei- nem eleganten Curricle durch die Stadt J …, wo ich mich damals aufhielt. Ein langer Begräbnißzug kam mir entgegen, ich mußte halten, und da meine Pferde scheu und unruhig wurden, so daß ich Mühe hatte, sie zu regieren, theilte sich endlich ihre Unge- duld mir selbst mit. Ich brach mit Gewalt durch den Zug und rief die unbesonnenen Worte: Hole der T .... den alten Leichenprunk, ich werde mich nicht länger von ihm aufhalten lassen. So stürmte ich dahin, und war kaum 50 Schritte weiter gefah- ren, als ein kleiner Knabe aus einem nahestehenden Laden heraussprang, und wie eine Fliege ins Licht, mit solcher Schnelligkeit zwischen die Pferde und den Wagen lief, daß es unmöglich war, sie eher anzuhal- ten, bis schon das Rad der Länge nach über den armen Knaben gegangen war, und er leblos, wie ein aus dem Wagen verlornes Bündel auf dem Pfla- ster lag. Du kannst Dir meinen tödtlichen Schreck denken! Ich sprang hinaus, hob den Kleinen auf, und schon attroupirten sich viele Menschen um uns, als die jammernde Mutter herzustürzte, mit ihren Wehklagen mein Herz zerriß, und zugleich den Pöbel dadurch aufregte, sogleich ihre Rache zu übernehmen. Ich mußte das Volk schnell haranguiren, um den beginnenden Tumult zu beschwichtigen, und indem ich den Hergang der Sache kurz erzählte, meinen Namen nannte, und der Mutter Geld zurücklief, gelang es mir endlich, wiewohl nicht ohne Mühe, meinen Wagen wieder zu besteigen und mich aus der Bagarre ziehen zu können. Ich befand mich nahe am Thore, vor welchem sich ein ziemlich steiler Berg hinabsenkt. In der Zerstreuung mochte ich auf die Zügel nicht gehörig achten, kurz einer entglitt meiner Hand, die wilden Pferde gingen durch, und trafen in einem Querwege mit dem Karren eines Fracht- fuhrmanns dermassen zusammen, daß eins davon auf der Stelle todt blieb, und mein Wagen ganz zer- schmettert wurde. Ich selbst ward mit unwidersteh- licher Gewalt hinausgeschleudert und einen Augen- blick durch den ungeheuren Chok betäubt. Im zwei- ten fand ich mich mit dem Gesicht in den Boden ein- gedrückt, so daß ich fast erstickte. Ueber mir aber fühlte ich das Toben eines rasenden Thieres, und hörte das Donnern von Schlägen, die meinen Kopf zu treffen schienen, und dennoch mir nur wenig Schmerz verursachten. Dazwischen vernahm ich noch deutlich das Wehklagen vieler Umstehenden und den Ausruf: der ist eine Leiche, schießt doch das Thier todt. … Bei diesen Worten erhielt ich eine Ver- wundung am Schlaf, nach welcher ich die Besinnung gänzlich verlor. Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich mitten in einer ärmlichen Stube auf einer Matraze, eine alte Frau wusch mir das herabrinnende Blut vom Kopf und Antlitz, und ein Chirurgus, mit seinen Instrumenten beschäftigt, schickte sich eben an, mich zu trepaniren. O laßt doch den armen Herrn ruhig sterben, rief mitleidig die Frau, und da ich selbst, eini- gen Schmerz meiner äußern Wunden ausgenommen, mit Gewißheit zu fühlen glaubte, daß keine innere wesentliche Verletzung statt gefunden habe, so wi- dersetzte ich mich noch glücklich der Operation, die auch ganz unnütz gewesen wäre, obgleich der junge Mann, ein Eleve der clinischen Anstalt, sehr begierig war, seine Geschicklichkeit an einer Operation zu er- proben, die er bis jetzt, wie er sehr encouragirend versicherte, noch nicht selbst zu machen Gelegenheit gehabt hätte. Ich raffte mich sogleich auf, um meine rückkehren- den Kräfte zu beweisen, verlangte einen Wagen und ließ, um mich zu reinigen, mir einen Spiegel geben, in dem ich jedoch mein Gesicht durchaus nicht wieder erkennen konnte, weil der größte Theil der Haut davon in der Chauss é e geblieben war. Erst später, als sie die Natur durch eine neue wieder ersetzt hatte, er- klärte mir mein Kutscher, der während des Accidents neben mir saß, und seitwärts ins Feld geschleudert, weniger beschädigt worden war, welche wirklich selt- samen Umstände die Begebenheit begleitet hatten. An dem Frachtwagen war nämlich die Deichsel des zweirädrigen Curricle wie eine Lanze am Harnisch zersplittert, das leichte Fuhrwerk vorwärts gestürzt, und ich mit ihm. Der übriggebliebene Rumpf der Deichsel hatte sich in die Erde gebohrt, und meinen Kopf mit eingeklemmt. Ueber mir lag, vom Geschirr gefesselt, das eine Pferd, welches die wüthendsten Versuche machte, aufzukommen, und fortwährend mit den Hinterfüßen gegen den zerbrochnen Deichselschaft schlug, welcher auf diese Art mein alleiniger Retter wurde, indem er die Schläge auffing, welche sonst meinen Kopf zehnmal zerschmettert hätten. Fast eine Viertelstunde hatte es gedauert, ehe man im Stande war, mich und das Pferd loszumachen. Seit dieser Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen. Als Nachschrift zu dieser Erinnerung aus meinem vergangnen Leben muß ich noch ein komisches Ele- ment hinzufügen. Der überfahrne Knabe genaß völlig, und sechs Wochen nach seiner und meiner Catastrophe brachte mir ihn die Mutter rosig und im Sonntags- staat ins Haus. Während ich ihn küßte, und der Mutter ein letztes Geschenk einhändigte, rief diese arme Frau unter Thränen der Freude: Ach Gott, wenn mein Sohn doch täglich so überfahren würde! Den 28sten. Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt, manchmal einen Tag zubringe, wie der Gourmand zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskost erfrischt, nicht besucht, und widmete ihr daher den gestrigen Tag. Da ich (als deutscher Ritter) auch ein Bierbrauer bin, so lenkte ich mein Cabriolet zuerst nach jener, Briefe eines Verstorbenen IV. 8 durch ihre ungeheuren Dimensionen fast phantastisch gewordnen, Barcley’schen Brauerei, eine der sehens- werthesten Merkwürdigkeiten Londons. Hier werden täglich 12 — 1500 Fässer, d. h. gegen 20,000 große Quart Bier, gebraut. Alles wird durch Maschinen bewegt, aber eine einzige Dampfmaschine treibt diese, und zugleich die Flüssigkeit durch alle Instanzen in kupfernen Röhren hin, die, beiläufig gesagt, das Bier eben nicht zum gesündesten machen mögen. In vier Kesseln wird es gekocht, deren jeder 300 Fässer und darüber faßt. Beim Kochen wird der Hopfen zuerst trocken in die Kessel gethan, und eine Ma- schine rührt ihn beständig um, damit er nicht an- brennt. Die süße Masse fließt während dem Rühren fortwährend zu. Eine besondere Vorrichtung findet statt, das Bier in der heißen Jahreszeit zu kühlen. Es wird nämlich zu diesem Endzweck durch eine Menge Röhren, die einer Orgel mit ihren Pfeifen gleichen, getrieben, worauf frisches Wasser denselben Weg nachgeht, und sofort, immer mit dem Biere abwechselnd. Zuletzt fließt das fertige Getränk in haushohe Faßbehälter, deren es unter gigantischen Schuppen 99 gibt. Nichts ist sonderbarer, als sich ein solches Haus, das 600,000 Quart enthält, an- zapfen zu lassen, um ein kleines Glas vortrefflichen Porters zu schöpfen, der sich so kalt wie Eis darin erhält. Diese Fässer sind oben mit einem kleinen Hü- gel frischen Sandes belegt, und conserviren das Bier ein Jahr lang frisch und gut. Dann erst wird es auf kleine Fässer gezogen und an die Käufer ver- sendet. Das Abziehen geschieht durch Schläuche, wie das Begießen aus einer großen Spritze, sehr schnell, indem die kleinen Fässer schon in Gewölben unter dem Boden des Raumes, wo die großen auf- bewahrt werden, bereit stehen. Hundert und fünfzig elephantenartige Karrenpferde sind täglich mit dem Verfahren des Biers in der Stadt beschäftigt, von denen zwei: 100 Centner ziehen. Eine einzige thurmhohe Feueresse absorbirt den Rauch der ganzen Anstalt, und auf der mit Zink ge- deckten eleganten Platform des Hauptgebäudes hat man die Aussicht auf ein sehr schönes Panorama Londons. Nachher besah ich die Westindia Docks und Warehouses, ein unermeßliches Werk, eines von denen, bei deren Anblick auch der Kaltblütigste Ehr- furcht und Staunen für Englands Größe und Macht empfinden muß. Welches Capital liegt hier in Ge- bäuden, Waaren und Schiffen aufgehäuft! Das künstlich ausgegrabene Bassin, welches zu umgehen ich eine halbe Stunde brauchte, ist 36 Fuß tief und rund umher befinden sich die Waarenhäuser und Schuppen, zum Theil 5 — 6 Stock hoch. Einige Ma- gazine sind ganz aus Eisen aufgebaut, nur der Grund in der Erde ist Stein. Man hat jedoch diese Bauart gefährlich gefunden, da das Eisen durch den Einfluß der Witterung sich auf unegale Weise bald aus- dehnt, bald zusammenzieht. In diesen unermeßlichen Waarenlagern war Zucker genug vorbanden, um das nebenliegende Bassin zu versüßen, und Rum genug, um 8* halb England trunken zu machen. 2500 Aufseher und Ar- beiter pflegen hier täglich beschäftigt zu seyn, und der Werth der aufgespeicherten Güter wird auf 20 Million en L.St. geschätzt, außer den Stores Stores heißt Alles, was zum Betriebe des Ganzen noͤ- thig ist. welche in großer Menge im Vorrathshause aufbewahrt werden, so daß das Verderben oder Brechen irgend eines Ge- räthes die Arbeit nur wenige Minuten aufhalten kann. Die Menge der angewandten Maschinen und zweck- mäßigen Utensilien ist bewundernswürdig. Ich sah mit großem Vergnügen zu, wie Blöcke von Maha- gony- und andern ausländischen Hölzern, manche größer als die stärksten Eichen, durch Maschinen gleich Flaumfedern aufgehoben und so behutsam, wie die zerbrechlichste Waare, auf die Transportwagen wieder niedergelegt wurden. Alles erscheint hier im colossa- lesten Styl. Im Bassin selbst stand auf beiden Sei- ten Schiff an Schiff gereiht, deren größter Theil eben jetzt neu angestrichen wurde. Solcher Bassins sind zwei, eins für den Import, das andere für den Export. Ich mußte sie früher als ich wünschte, ver- lassen, da um 4 Uhr das Eingangsthor wie alle Magazine geschlossen werden, und man dabei nicht die mindeste Rücksicht nimmt, ob noch Jemand darin ist, welcher, wenn er die Stunde versäumt, bis zum nächsten Morgen ohnfehlbar bivouakiren muß. Der Mann am Thore versicherte mir ganz kaltblütig, und wenn der König darin wäre, so würde nicht eine Minute gewartet werden. Ich eilte also schleunigst von dannen, um in keine ähnliche Verlegenheit zu gerathen. Auf dem Rückweg kam ich bei einer Bude vorbei, wo man ausschrie, daß hier gezeigt werde: der be- rühmte deutsche Zwerg mit drei Zwergkindern, fer- ner das lebende Skelet, und endlich das dickste Mäd- chen, das je gesehen worden sey. Ich bezahlte der Curiosität wegen meinen Schilling, ging hinein, und nachdem ich ¼tel Stunde hatte warten müssen, bis noch fünf andere Angeführte sich zu mir gesellten, wurde der Vorhang weggezogen, um die imperti- nenteste Charlatanerie zu produciren, die mir je vor- gekommen ist. Als lebendes Skelet erschien ein ganz gewöhnlicher Mensch, nicht viel magrer als ich selbst bin, und zur Erklärung dieser Ueberraschung wurde entschuldigend angeführt, er sey als Skelet aus Frankreich angekommen, aber hier durch die engli- schen guten Beefsteaks unaufhaltsam corpulenter ge- worden. Darauf kam „die fetteste Frau in der Chri- stenheit“ das vortrefflichste Pendant zum Skelet, denn sie war nicht dicker als die Königin von Vir- giniawater. Zuletzt zeigten sich die sogenannten Zwerge, welche nichts anders als — kleine Kinder des Unterneh- mers waren, die man in eine Art Vogelbauer ge- steckt hatte, der ihr Gesicht verhüllte, und nur Beine und Hände frei sehen ließ, mit welchen letzteren die kleinen Dinger mit großen Klingeln einen furchtbaren Lärm machen mußten. Damit schloß die Vorstellung, eine englische Prellerei, die kein Franzose burlesker und mit mehr Effronterie hätte ausführen können. Den 29sten. Seit ich Devilles Schüler geworden bin, kann ich nicht umhin, immer den Schädel meiner neuen Be- kannten mit den Augen zu messen, ehe ich mich wei- ter mit ihnen einlasse, und heute habe ich, wie in der Kotzebueschen Comödie, einen englischen Bedien- ten, den ich annahm, vorher in optima forma unter- sucht. Hoffentlich wird das Resultat nicht das näm- liche seyn, denn die durch’s Ohr gezogne Linie gab guten Ausweis, wobei es mir lebhaft auffiel, daß das gemeine Sprichwort (und wie viel populäre Wahrheit enthalten oft diese) mit Devilles Princip ganz einverstanden sey, indem es sagt: Er hat es hinter den Ohren, hütet Euch vor ihm. Allen Scherz bei Seite, bin ich ganz überzeugt, daß man, wie mit dem Magnetismus, auch bei der Cranologie das Kind mit dem Bade verschüttet, wenn man sie selbst nur für ein Hirngespinnst ansieht. Es mögen noch manche Modificationen nicht aufgefunden seyn, aber ich habe die Richtigkeit des bestehenden Princips an meinem eignen Schädel so sehr erprobt, daß ich es durchaus nicht mehr lächerlich finden kann, wenn Aeltern bei der Erziehung ihrer Kinder darauf Rücksicht nehmen, und auch Erwachsene zu Erleichterung der Selbst- kenntniß es zu benutzen suchen. Wenigstens habe ich auf diesem Wege mehr Klarheit über mich selbst er- langt, als mir sonst vielleicht möglich gewesen wäre. Da ich den ganzen Tag mit einigen schriftlichen Arbeiten beschäftigt war, so benutzte ich die milde und helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn Gott- lob, ich brauche mich nicht sclavisch an die Zeit zu binden! Die Nacht war ganz italienisch, und außerdem hin- länglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich mich stets hielt, und so mehrere Stunden lang in Stadt und Vorstädten umherritt. Von Westminister- bridge aus entfaltete sich eine wunderbare Aussicht. Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwische auf der Themse, und die vielen Brücken spannten sich wie weite illuminirte Bogen-Festons von einer Häusermasse zur andern über den Fluß. Nur West- minster-Abtey lag ohne Lampenschein da, und die sehnsüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und gothischen Denkmälern, buhlte mit ihrem blassen Scheine mystisch um die steinernen Spitzen und Blu- men, senkte sich inbrünstig in die dunklen Tiefen, und versilberte emsig die langgestreckten, glitternden Fenster, während Dach und Thurm des hohen Baues, in schwarzer farbloser Majestät, über den Lichtern und dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternen- himmel still und starr emporstrebten. Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich be- lebt, ja ich sah sogar einen Knaben von höchstens acht Jahren, der ganz allein in einem kleinen Kinder- wagen, mit einem großen Hunde bespannt, im vollen Trabe neben den letzten Diligencen und Equipagen furchtlos vorbeifuhr. Dergleichen findet man gewiß nur in England, wo Kinder schon im achten Jahre selbstständig, und im zwölften gehangen werden. Doch guten Morgen, liebe Julie, es ist Zeit, das Bett zu suchen. Den 1sten August. Die Hitze bleibt noch immer drückend, der Boden wird ganz zu Asche, und wenn nicht in den macada- misirten Straßen überall fortwährend, mit großen, sich immer abwechselnden, Wagen gegossen würde, so wäre es gewiß vor Staub in der Stadt nicht aus- zuhalten. So aber bleibt Fahren und Reiten immer angenehm, und obgleich die elegante Zeit vorbei ist, auch Shopping noch sehr unterhaltend. Es ist eine der größten Versuchungen hierbei, mehr zu kaufen als man braucht, und da ich grade jetzt wenig Geld habe, so helfe ich mir bei Dingen, die ich sonst wohl für Dich und mich zu acquiriren wünschte, mit der Phantasie, wie jener vortreffliche persische Geizhals, von dem uns Malcolm Folgendes erzählt: Ein Harpagon in Ispahan, der lange Zeit mit sei- nem jungen Sohne nur von trocknem Brod und Wasser gelebt hatte, wurde eines Tages doch durch die zu einladende Beschreibung eines Freundes verlockt, ein schmales Stück von einem besonders vortrefflichen und wohlfeilen Käse zu kaufen. Doch ehe er noch da- mit zu Haus kam, überfielen ihn schon Gewissensbisse und Reue. Er verwünschte seine thörichte Extra- vaganz, und statt den Käse, wie er früher beabsichtigte, zu essen, verschloß er ihn in eine Flasche, und begnügte sich in Gesellschaft des Knaben bei jedem Mahle ihre Brodrinden im Angesicht des Käses zu genießen, dieselbe aber vor jedem Bissen gegen die Bouteille zu reiben, und so den Käse einstweilen nur mit der Einbildungskraft zu schmecken. Einmal, berichtet die Geschichte weiter, verspätete Harpagon sich auswärts, und fand, als er eine Stunde nach der Essenszeit zu Haus kam, seinen Sohn bereits mit der täglichen Brodrinde beschäftigt, und diese emsig gegen die Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel? rief er verwundert aus: „O Vater! es ist Essens- zeit, Ihr habt den Schlüssel zum Schranke mitge- nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis- chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur Flasche kommen konnte.“ Infame Range, schrie der Vater im höchsten Zorne, kannst Du nicht einen ein- zigen Tag ohne Käse leben? Geh mir aus den Au- gen, verschwenderische Brut, Du wirst nimmer ein reicher Mann werden. So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich ebenfalls längst aufgegeben. Ich schilderte Dir einmal einen gewissen Sir L. M. als ein besonderes Original. Bei diesem war ich heute zu einem luxurieusen Mahle eingeladen, welches seit so lange vorbereitet wurde, daß sogar einer der diplomatischen Gäste, vor vier Wochen schon, durch einen Courier von Baden über das Meer herüber dazu citirt worden war, auch pünktlich am selben Morgen eintraf, und ausländischen mit inländischen Appetit vereinigt, mitgebracht zu haben schien. Er hatte nicht vergessen, sich mit verschiedenen continentalen Delicatessen zu befrachten, denen man, nebst einer Anzahl der ausgesuchtesten Weine, die größte Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Es gehört ein starker Kopf dazu, um solchen Gelagen hier zu wider- stehen, aber die Luft macht wirklich viel Essen und starke Getränke nöthiger als bei uns, und wer im Anfang kaum einigen englischen (d. h. mit Brannt- wein versetzten) Claret trinkt, findet später eine ganze Flasche Portwein recht verträglich mit seiner Gesund- heit und den englischen Nebeln. Wenn aber auch dem sinnlichen Genuß hier haupt- sächlich geopfert ward, so blieb die Unterhaltung doch auch nicht ohne Salz. Ein Officier unter andern, der den Krieg gegen die Birmanen mitgemacht, er- zählte uns sehr interessante Details aus jenen Ge- genden, z. B. daß die dortigen Kinder, nach unsrer Theorie Kälber fett zu machen, oft drei Jahre lang gesäugt werden. Da nun auch das Tabakrauchen in frühester Jugend anfängt, so sah der Capitän öfters Jungen, die, indem sie die Brust der Mutter ver- ließen, zum Nachtische die brennende Cigarre in den Mund steckten. Am ergötzlichsten erschien mir aber folgende Geschichte eines irländischen Bulls. Es ist gewiß der stärkste, der je statt gefunden hat, indem es sich um nichts weniger handelt, als um einen Bauer, der sich aus Distraktion selbst den Kopf ab- schneidet. Dabei ist dennoch das Factum authentisch, und folgendermassen trug sich die unerhörte Begeben- heit zu. Die Bauern in Ulster haben die Gewohnheit, wenn sie vom Wiesenmähen zu Hause gehen, ihre kolossalen Sensen, welche eine Spitze am Griff ha- ben, um sie in die Erde zu stecken, gleich einem Ge- wehre in die Höhe stehend, auf der Schulter zu tra- gen, so daß die Schärfe der Sense ganz über ihrem Halse schwebt. Zwei Kameraden schlenderten auf diese Weise den Fluß entlang nach Hause, als sie einen großen Lachs gewahrten, der, mit dem Kopf unter einem Baumstamm verborgen, den Schwanz im Was- ser emporstreckte. Sieh Paddy, ruft der Eine, den dummen Lachs, der glaubt, daß wir ihn nicht sehen, weil er uns selbst nicht sieht. Hätt’ ich doch meinen Speer, dem wollte ich einen guten Stoß geben. O, sagt der An- dere, an den Lachs heranschleichend, das muß auch mit dem Sensenstyl gehen. Gieb acht! und zu stößt er, und trifft den Lachs richtig, leider aber auch zu- gleich seinen Kopf mit der Sense, der vor den Au- gen des erstaunten Kameraden schallend in’s Wasser plumpt. Lange konnte dieser nicht begreifen, wie Paddy’s Kopf so schnell berunterkam, und noch heute giebt er nicht zu, daß die Sache mit rechten Dingen zugegangen sey. Ein böser Kobold, meint er, habe sicher die Sense geführt. Mit der englischen Oper beschloß ich den Tag, wo am Ende des ersten Akts ein Bergwerk einstürzt, und die Haupthelden des Stücks begräbt. In der letzten Scene des zweiten Aktes erscheinen sie aber im Bauche der Erde wieder, in der That schon drei- viertel verhungert, wie sie selbst erzählen, da sie nun bereits 3 Tage hier verschmachtet lägen, und jetzt ihre letzten Kräfte dahinschwänden. Das verhin- dert die prima Donna jedoch keineswegs, eine lange Arie mit Polonaisenmusik zu singen, worauf das Chor mit Trompeten einfällt: „Ha wir sind verlo- ren, alle Hoffnung ist dahin“ — doch, o Wunder, die Felsen fallen von neuem ein , und er- öffnen eine weite Pforte dem hereinbrechenden Tageslichte . Aller Jammer und mit ihm aller jammervolle Unsinn des Stücks haben ein Ende. Den 2ten. Die gestrige Schwelgerei hat mich auf ein Organ aufmerksam gemacht, das Herr Deville noch unter seiner Liste nicht aufgenommen hat. Es ist dieses der Gourmandise, und befindet sich unmittelbar ne- ben dem ehemaligen Mordsinn, denn es findet, gleich ihm, im Zerstören sein höchstes Vergnügen. Ich be- sitze es in bedeutendem Maße, und wünschte, alle übrigen Buckel und Beulen meines Schädels gäben so unschuldige und angenehme Resultate. Es ver- leiht dieses Organ nicht blos die gemeine Lust am Essen und Trinken, sondern befähigt seine Inhaber auch, die wahre Qualität der Weine und ihr Bou- quet zu würdigen, so wie jeden Fehler und jede Ge- nialität des Kochs augenblicklich gewahr zu werden. Dieses genußreiche Organ wird nur dann der mensch- lichen Zufriedenheit nachtheilig, wenn es mit einem sentimentalen Magen verbunden ist, was glücklicher Weise bei mir nicht der Fall zu seyn scheint. Ich besah heute die Ausstellung einer mit der Nadel genähten und von einer Person allein an- gefertigten ganzen Gemäldegallerie, deren Vortreff- lichkeit wirklich in Erstaunen setzt. Miß Linwood heißt die Künstlerin, diese geduldigste aller Frauen. In geringer Entfernung scheinen die Kopien den Ori- ginalen gleich, und wie sehr sie Anerkennung fin- den, kann man aus den ungeheuren Preisen beur- theilen. Eine solche Tapete nach Carlo Dolce war eben für 3000 Guineen verkauft worden. Ein Porträt Napoleons als Konsul soll, so sehr es von seiner spätern Persönlichkeit abweicht, den- noch eine seltene Aehnlichkeit aus jener Zeit darbie- ten, und wurde von den anwesenden Franzosen mit großer Ehrfurcht betrachtet. Einige Häuser weiter waren Mikroskope von millionenfacher Vergrößetungskraft aufgestellt. Was sie zeigen, könnte einen Menschen von lebhafter Ein- bildungskraft verrückt machen. Es kann gar nichts Schauerlicheres geben, keine furchtbareren Teufels- frazzen je erfunden worden seyn, als jene gräßlich scheußlichen Wasserinsekten, die wir täglich (mit blo- ßen Augen und selbst geringern Vergrößerungsglä- sern unbemerkbar) hinunterschlucken — wie sie gleich Verdammten in dem sumpfig erscheinenden Kloak mit der Schnelle des Blitzes umherschießen, und deren wahrscheinliche Begattung wie Kampf und Schmerz auf Tod und Leben aussieht. Da ich einmal im Sehen begriffen war, und den entsetzlichen Eindruck dieser Unterwelt durch lieb- lichere Bilder tilgen wollte, so wurden noch drei ver- schiedene Panorama mit Muße genossen: Rio Ja- neiro, Madrid, Genf. Das erste ist eine, aus unsern Naturformen ganz heraustretende, originelle und zugleich paradie- sisch üppige Natur. Das zweite sieht in der baum- losen, sandigen Ebene wie Stillstand und Inqui- sition aus. Glühende Hitze brütet über dem Gan- zen, wie ein Auto da fe. Das dritte dagegen erschien mir wie ein lieber alter Bekannter, und Herz erho- ben blickte ich lange auf den unerschütterlichen, sich allein stets gleichbleibenden vaterländischen Freund hin, den majestätischen Montblanc. Den 8ten. Canning ist todt! Ein Mann in der Fülle der geistigen Kraft, seit wenigen Wochen erst am Ziel seines thätigen Lebens angelangt, endlich der Regie- rer Englands und dadurch ohne Zweifel der einfluß- reichste Mann in Europa, mit einem Feuergeiste be- gabt, der diese Zügel mit mächtiger Hand zu führen wußte, und einer Seele, die das Wohl der Mensch- heit von einem noch höhern Standpunkte zu umfas- sen fähig war. — Ein Schlag hat dieses stolze Ge- bäude vieler Jahre zertrümmert, und enden mußte der kühne Mann, wie ein Verbrecher — plötzlich, tragisch, unter den fürchterlichsten Leiden, das Opfer einer unbarmherzigen Natur, die mit eisernem Fuße fort und fort niedertritt, was in ihren Weg kömmt, unbekümmert, ob sie die junge Saat, die schwellende Blüthe, den königlichen Baum, oder die schon hin- sterbende Pflanze zerknickt. Was werden die Folgen dieses Todes seyn? In Jahren werden sie erst klar werden, und vielleicht eine Auflösung beschleunigen, die uns in vielen Din- gen droht, und der nur ein großartiger, aufgeklär- ter Staatsmann, wie Canning es war, Einheit und günstige Richtung zu geben im Stande seyn möchte. Vielleicht wird grade die Parthei, die jetzt so unan- ständig und gefühllos über seinen frühen Tod trium- phirt, durch diesen Tod die erste ernstlich gefährdete werden, denn nicht mit Unrecht hat Lord Chester- field vor langer Zeit mit prophetischem Sinne ge- sagt: Je prevois que dans cent ans d’ici les me- tiers de gentilhomme et de moine ne seront plus de la moitié aussi lucratifs qu’ ils sont aujourd’hui. Doch was kümmert mich die Politik! Könnte ich nur immer in mir selbst das gehörige Gleichgewicht erhalten, wäre ich zufrieden. Das von Europa wird sich schon von selbst herstellen. Klugheit und Dummheit führen am Ende alle zu demselben Ziel — der Nothwendigkeit . Indessen ist Canning’s Tod natürlich jetzt das Stadtgespräch, und die Details seiner Leiden empö- rend. Die Frömmler, denen er wegen seiner freisin- nigen Meinungen sehr zuwider war, suchen auszu- breiten, er habe sich während dieser Schmerzen be- kehrt — was sie nämlich Bekehrung nennen — einer seiner Freunde dagegen, der lange an seinem Todes- Bette zugebracht, konnte nicht genug den stoischen Muth und die Sanftmuth rühmen, mit der er sein herbes Geschick getragen, bis zum letzten Augenblicke der Besinnung nur von seinen Plänen zum Wohle Englands und der Menschheit erfüllt, und ängstlich sorgend: sie dem Könige noch einmal an’s Herz zu legen. Wie sich nun Frivoles und Ernstes hienieden stets die Hand reicht, so erregt nebst diesem tragi- schen Tode zugleich ein höchst seltsamer Roman: „Vi- vian Grey,“ durch seine oft barokken, oft aber auch sehr witzigen und wahren Schilderungen der Sitten des Continents hier viele Aufmerksamkeit. Die Be- schreibung des Anfangs eines Balles in Ems möge hier Platz finden, als eine Probe, wie Engländer das Eigenthümliche unsrer Gebräuche beobachten. „Des Prinzen F ê te war äusserst ausgesucht, d. h. sie bestand aus Allen, die eine Invitations-Karte ent- weder durch Protektion hatten erhalten können, oder dieselbe von des Fürsten Haushofmeister Crakofsky mit schwerem Geld erkauft hatten. Alles war höchst königlich, keine Kosten und Mühe waren gespart, das gemiethete Haus in eine fürstliche Residenz um- zuschaffen, und seit einer Woche war das ganze kleine Herzogthum Nassau dafür in Contribution gesetzt worden. Am Eingange der Salons, gefüllt mit ge- mietheten Spiegeln und provisorischen Draperien, stand der Prinz voller Orden, empfing Alle mit der ausge- zeichnetsten Herablassung, und versäumte nicht, jeden der angesehenen Gäste mit der schmeichelhaftesten An- rede zu beehren. Seine Suite, hinter ihm aufgestellt, bückte sich jedesmal gleichzeitig, so bald die schmei- chelhafte Anrede beendigt war. Nach einander hörte ich, seitwärts stehend, fol- gende Unterhaltung. „Frau von Fürstenberg, sagte der Prinz, sich verbeugend, ich fühle das größte Ver- gnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Frau von Fürstenberg, ich hoffe, daß Ihre liebenswürdige Fami- lie sich wohl befindet. (Die Familie passirt vorbei.) Cravaticheff! fuhr seine Hoheit fort, den Kopf halb zu einem seiner Adjudanten gewandt, Cravaticheff, ei- ne charmante Frau, Frau von Fürstenberg, es gibt Briefe eines Verstorbenen. IV. 9 wenig Frauen, die ich mehr bewundere, als Frau von Fürstenberg. — Prinz Salvinsky, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Ver- gnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Niemand macht Polen mehr Ehre, als Prinz Sal- vinsky. — Cravaticheff! ein merkwürdig langweili- ger Kerl der Prinz Salvinsky. Es giebt wenig Men- schen, die ich mehr en horreur habe, als Prinz Sal- vinsky. — Baron von Königstein, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Baron von Königstein, ich habe die excellente Geschichte von der schönen Venetianerin noch nicht vergessen. Cravaticheff! ein höchst amüsanter Kerl, der Königstein. Es giebt wenig Menschen, deren Gesellschaft mich mehr amüsirt, als die des Baron Königsteins. — General Altenburg, ich fühle das größte Vergnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn. Vergessen Sie nicht, mir nachher Ihre Mei- nung über das österreichische Manöuvre zu geben. Cravaticheff! ein excellenter Billardspieler ist General Altenburg. Es giebt wenig Menschen, mit denen ich lieber Billard spiele, als mit Graf Altenburg. — O Lady Madeline Trevor, ich fühle das größte Ver- gnügen, Sie zu sehen. Mein größtes Vergnügen ist, von meinen Freunden umgeben zu seyn, Miß Jane, Ihr Sclave. Cravaticheff! eine magnifique Frau, Lady Trevor. Es giebt wenig Frauen, die ich mehr bewundere, als Lady Trevor, und, Cravaticheff! Miß Jane ein herrliches Mädchen! es giebt wenig Mäd- chen, die ich lieber ......“ Hier raubte mir das Geräusch der einfallenden Polonaisenmusik den Rest der Phrase, und ich gieng zu einer andern Scene über. Nicht wahr, Julie, beißend genug! Es giebt wenig Schilderungen, die mich mehr amüsirt hätten, und meine Uebersetzung, nicht wahr? sehr gelungen. Es giebt wenig Uebersetzungen, die mir besser ge- fielen, als meine eignen. Auch im Ernsten ist der Verfasser nicht übel. „Wie furchtbar, sagt er, ist das Leben, welches doch unser höchstes Gut ist! Unser Wesen athmet unter Wolken, und ist in Wolken gehüllt, ein unbegreif- liches Wunder für uns selbst. Es giebt nicht einen einzigen Gedanken, der seine bestimmte Gränze hätte. Sie sind wie die Cirkel, die das Wasser bildet, wenn man einen Stein hineinwirft, immer weiter sich aus- dehnend und immer schwächer sich zeichnend, bis sie sich zuletzt ganz verlieren in dem unermeßlichen Rau- me, den der Gesichtskreis nicht mehr fassen kann. Wir sind gleich Kindern im Dunkeln, wir zittern in einer düster beschatteten und schrecklichen Leere, die nur durch die Bilder unserer Phantasie bevölkert ist. Leben ist unsere wahre Nacht, und vielleicht der erste Strahl der Morgenröthe der Tod. —“ Praktischer noch schrieb der berühmte Smolett an einen Freund: „Ich bin alt genug geworden, um gesehen und mich überzeugt zu haben, daß wir alle ein Spielzeug des Schicksals sind, und daß es auf 9* eine Kleinigkeit, so unbedeutend als das in die Hö- hewerfen eines Pfennings, ankömmt, ob ein Mensch zu Ehren und Reichthum sich emporschwingen, oder bis zu seinem Tode in Elend und Noth vergehen soll.“ Den 15ten. Täglich besehe ich mir die Arbeiten in den soge- nannten Parks von St. James und Greenpark die, früher bloße Viehweiden waren, und nun nach den Plänen des Herrn Nash in reizende Gärten und Wasserparthien umgeschaffen werden. Ich lerne hier viel Technisches, und bewundere die zweckmäßige Vertheilung und Folge der Arbeit, die ingenieusen Transportmittel, die beweglichen Eisenbahnen u. s. w. Charakteristisch ist es, daß während die Gesetze, welche das Eigenthum schützen, so streng sind, daß ein Mensch, der über die Mauer steigt, um in einen Privatgarten zu gelangen, riskirt gehangen zu wer- den, und jedenfalls grausam bestraft wird, auch der Besitzer, wenn es des Nachts geschieht, ihn ohne Umstände todtschießen darf — man auf der andern Seite mit dem Publikum, wo es nur einen Schein von Anspruch hat, so subtil umgehen muß, wie mit einem rohen Ey. In den beiden genannten Parks, die königliches Eigenthum sind, aber seit ewigen Zei- ten dem Publikum Sonntags offen gegeben wurden, wagt man jetzt, ohngeachtet der Umwälzungen und Arbeiten, die der König (freilich wohl auf Kosten der Nation) machen läßt, nicht den Plebs den Ein- gang temporär zu verbieten, sondern hat nur Tafeln anschlagen lassen, auf denen wörtlich folgendes steht: „Das Publikum wird respektueusest ersucht, wäh- rend der Arbeiten, die nur die Vergrößerung seines eigenen Vergnügens bezwecken, die Karren und Uten- silien der Arbeiter nicht zu beschädigen, und über- haupt den Distrikt, worin die Arbeiten stattfinden, möglichst zu schonen.“ Demungeachtet wird sehr wenig Rücksicht auf diese respektueuse Bitte genommen, und die Karren, die nach der Arbeit aufgeschichtet liegen, werden häufig gebraucht, um Jungen darin herum zu fahren, und allerhand andern Unfug damit zu treiben. Auf den langen Brettern schaukeln sich die Mädchen, und viele unnütze Brut wirft Steine gerade da in’s Wasser, wo Damen davor stehen, die natürlich so davon be- sprützt werden, daß sie, unwillkührlich gebadet, zu Hause eilen müssen. Diese Rohheit des englischen Publikums ist in der That sehr eigenthümlich, und die einzige Entschuldigung für die Inhumanität aller Wohlhabenden, mit der sie ihre reizenden Besitzun- gen so neidisch verschließen. Es ist aber auch mög- lich, daß diese Inhumanität der Reichen die Rohheit und Bosheit der Armen erst hervorgerufen hat. Die Spaziergänge und Ritte in der Umgegend wer- den jetzt ebenfalls wieder sehr einladend, da der Herbst schon früh beginnt. Das verbrannte Gras prangt von Neuem in hellem Grün, und die Bäume erhal- ten ihr Laub fester und frischer als bei uns, obgleich sie sich auch zeitiger zu färben anfangen. Der Win- ter aber kömmt sehr spät, oft gar nicht, um sein weißes Todtengewand über sie zu breiten. Dabei hört das Mähen des Rasens, und das Reinhalten der Plätze und Gärten nie auf, ja auf dem Lande, wo der Herbst und Winter die Season ist, wird in dieser Zeit grade die meiste Sorgfalt darauf verwendet. London wird aber dann von den Fashionablen geflohen, und das mit solcher Affektation, daß Viele sich, bei etwanigem nöthigen Aufenthalt daselbst, förmlich zu verstecken suchen. Die Straßen sind im westend of the town so leer wie in einer verlassenen Stadt; nur die gemeinen Mädchen verfolgen Abends auf die unanständigste Weise und mit den handgreif- lichsten, gewaltsamen Liebkosungen jeden Vorüberzie- henden. Nicht nur Engländerinnen, sondern auch Fremde, nehmen schnell diese abscheuliche Sitte an. So desesperirte mich neulich eine alte Französin mit bleichen Lippen und geschminkten Wangen, die mir angemerkt, daß ich ein Fremder sey, mit solcher Be- harrlichkeit, daß selbst die Gabe des geforderten Schil- lings mich noch nicht von ihr befreite. Encore un moment, rief sie immer, je ne demande rien, c’est seulement pour parler français, pour avoir une con- versation raisonnable, dont les Anglais ne sont pas capables. Diese Geschöpfe werden hier zu einer wah- ren Landplage. Bei der jetzigen Einsamkeit hat man nun wenig- stens so viel Zeit für sich als man will, kann arbei- ten und die Legion der Zeitungen mit Muße lesen. Die Albernheiten, welche täglich in diesen über fremde Angelegenheiten stehen, sind unglaublich. Heute fand ich folgenden Artikel: „Des seligen Kaiser Alexanders Bewunderung Napoleons war eine Zeit lang ohne Grenzen. Man weiß, daß in Erfurth, als Talma auf dem Theater die Worte sprach: L’amitié d’un grand homme est un bienfait des dieux, Alexander sich gegen Napoleon verbeugte und ausrief: Ces pa- roles ont été ecrites pour moi. — Weniger bekannt ist vielleicht folgende Anekdote, deren Wahrheit wir verbürgen können . Eines Tages äußerte Ale- xander gegen Duroc den lebhaften Wunsch, ein Paar Hosen seines großen Verbündeten, des Kaisers Na- poleon zu besitzen. Duroc sondirte seinen Herren über die allerdings ungewöhnliche Angelegenheit. Na- poleon lachte herzlich. O, auf jeden Fall, rief er, don- nez lui tout ce qu’il veut, pourvû qu’il me reste une paire pour changer. Dieß ist authentisch, man versicherte uns indessen noch, daß Alexander, der sehr abergläubig war, in den Campagnen 1812 und 13 im Felde nie andere als „Napoleons-Hosen“ trug!!! Solchen Unsinn glaubt jedoch ein Engländer unbe- denklich. Der Tag endete sehr angenehm für mich mit der Ankunft meines Freundes L ...., für den ich Dich jetzt auch verlasse, und den entsetzlich langen, leider nichts weniger als im Verhältniß inhaltreichen Brief, mit der eben so alten, aber für Dich, wie ich weiß, doch stets den Reiz der Neuheit behaltenden Versiche- rung schließe, daß Du, fern oder nah, meinem Her- zen immer die Nächste bist und bleibst. Dein treuer L. Siebzehnter Brief . London, den 20sten August 1827. Liebe Getreue! Die Neugierde führte mich heute nochmals zu den Arbeiten am Tunnel, wo ich in der Taucherglocke mit auf den Grund des Wassers hinabfuhr, und wohl eine halbe Stunde dem Stopfen der Lehmsäcke, um den Bruch wieder mit festem Boden zu füllen, zusah. Einen ziemlich starken Schmerz in den Ohren abge- rechnet, aus denen sogar bei manchen Menschen Blut fließt, ohne jedoch nachher der Gesundheit zu scha- den, fand ich es, je tiefer wir sanken, desto behagli- cher in dem metallenen Kasten, der oben dicke Glas- fenster hat, neben welchen zwei Schläuche ausgehen, die frische Luft ein- und die verdorbene auslassen. Dieses Behältniß hat keinen Boden, sondern nur ein schmales Brett, um die Beine darauf zu stellen, nebst zwei festen Bänken an den Seiten. Einige Gruben- lichter geben die nöthige Helle. Die Arbeiter hatten herrliche Wasserstiefeln, welche 24 Stunden lang der Nässe widerstehen, und es belustigte mich, die Adresse des Verfertigers derselben hier bei den Fischen, „auf des Stromes tiefunterstem Grunde“ in mein Porte- feuille zu schreiben. Nachdem ich glücklich dem Wasser widerstanden, hätte mir am Abend bald das Feuer einen üblen Streich gespielt. Ein herabgebranntes Bougeoir zün- dete, als ich auf einen Augenblick in eine andere Stube gegangen war, die Papiere meines Schreibti- sches an, und ehe ich löschen konnte, wurden viele mir sehr interessante Sachen vernichtet. Brief-Copien, Kupfer und Zeichnungen, ein angefangener Roman (wie Schade!) eine Unzahl gesammelter Adressen, ein Theil meines Tagebuchs — Alles wurde ein Raub der Flammen. Lächeln mußte ich als ich sah, daß die Quittungen unberührt geblieben, die unbezahlten Rechnungen aber alle bis auf die letzte Spur consu- mirt waren. Das nenne ich ein verbindliches Feuer! Der große Pack Deiner Briefe ist nur rundum ange- brannt, so daß sie jetzt wie auf Trauerpapier geschrie- ben, aussehen. Auch ganz richtig — denn Briefe unter Lieben trauern immer, daß man sie überhaupt zu schreiben genöthigt ist. Den Dir bekannten Wie- ner Courier mit 100,000 Glück, der zum Neger ge- worden, aber glücklich das Leben gerettet und sein Kleeblatt conservirt hat, sende ich als Zeugen und Boten des Brandes jetzt wieder zurück. Den 21sten. Es gibt in dem unermeßlichen London so viel terra incognita, daß man, auch nur vom Zufall ge- führt, stets etwas Neues und Interessantes darin antrifft. So kam ich diesen Morgen nach Linkoln Inn fields, einem herrlichen Square, wohl eine deut- sche Meile von meiner Wohnung entfernt, mit schö- nen Gebäuden, hohen Bäumen, und dem wohlun- terhaltendsten Rasenplatz versehen. Der ansehnlichste Palast enthält das Collegium der Wundärzte, mit einem sehr interessanten Museum. Einer der Herren zeigte mir die Anstalt mit vieler Gefälligkeit. Das Erste, was meine Aufmerksamkeit in An- spruch nahm, war eine allerliebste kleine Seejungfer, die vor einigen Jahren in der Stadt für Geld ge- zeigt, und dann für tausend Pfd. Sterl. verkauft wurde, worauf man erst entdeckte, daß sie nur ein chinesisches betrügliches Kunstprodukt sey, aus einem kleinen Orang Outang und einem Lachs auf das künstlichste verfertigt. Die wirkliche Existenz solcher Geschöpfe bleibt also nach wie vor ein Problem. Daneben stand ein veritabler großer Orang Ou- tang, der lange hier lebte, und sogar mehrere häus- liche Dienste im Hause verrichtete. Herr Clist, so hieß mein Führer, versicherte, daß er diese Affenart für ein eigenes Geschlecht halten müsse, das dem Men- schen näher stehe als dem Affen. Er habe das er- wähnte Individuum lange aufmerksam beobachtet, und die sichersten Anzeichen von Nachdenken und Ue- berlegung bei ihm gefunden, die offenbar über den bloßen Instinkt hinausgingen. So habe z. B. Mr. Dyk, wie er ihn nannte, gleich andern Affen, nach erhaltener Erlaubniß die Taschen der Menschen un- tersucht, ob Eßwaaren darin seyen, aber stets das, was er darin fand, wenn es seinem Zweck nicht ent- sprach, sorgfältig wieder hereingesteckt, statt es, wie seine Kameraden, wegzuwerfen oder hinfallen zu las- sen. Auch sey er gegen das geringste Zeichen von Mißfallen so empfindlich gewesen, daß er Tage lang darüber habe schwermüthig bleiben können, und oft habe man ihn den Hausdienern, wenn ihnen die Ar- beit sauer zu werden schien, freiwillig Hülfe leisten sehen. Zu den fast unglaublichen Verwundungen gehört folgende: Herr Clist zeigte mir den Vordertheil der Brust eines Menschen in Spiritus, den eine Deichsel bei durchgehenden Pferden so mitten durchgerannt und angespießt hatte, daß er nachher nur mit großer Kraftanstrengung mehrerer Leute von ihr wieder ab- gezogen werden konnte. Der Schaft war immediat bei Herz und Lungen vorbeigegangen, die er jedoch nur sanft zur Seite gedrückt, ohne sie im geringsten zu verletzen, wohl aber vorn und hinten die Rippen zerbrochen hatte. Nachdem der Mann von der Deich- sel abgezogen worden war, blieb ihm noch so viel Kraft, daß er zwei Treppen hoch steigen und sich zu Bette legen konnte. Er lebte seitdem vierzehn Jahre gesund und wohl, die Herren Chirurgen hatten ihn aber nicht aus den Augen gelassen, und bemächtigten sich seines Körpers sobald er todt war, um ihn, nebst der Deichsel, die als eine Reliquie in der Familie aufbewahrt wurde, ihrem Museo einzuverleiben. Merkwürdig war mir noch ein kleines, schönge- formtes Windspiel, welches in einem Keller ver- mauert, und nach vielen Jahren im Zustand völliger Vertrocknung gefunden wurde. Es erschien wie von grauem Sandstein ausgehauen, und bot ein rühren- des Bild der Resignation, wie zum Schlaf zusam- mengerollt, und mit einem so wehmüthigen Ausdruck des Köpfchens dar, daß man es nicht ohne Mitleid ansehen konnte. Eine eben so verhungerte und ver- trocknete Katze sah dagegen wild und teuflisch aus. So, dachte ich mir, bleibt Sanftmuth selbst im Lei- den schön! Es war wie ein Bild des Guten und Bö- sen in gleicher Lage, und doch mit so verschiedener Wirkung. Endlich muß ich noch des Skeletts des berühmten Franzosen erwähnen, der sich, noch lebend, doch schon als Skelett hier sehen ließ, da wirklich seine Knochen fast ganz ohne Fleisch und nur von Haut bedeckt wa- ren. Sein Magen war kleiner wie bei einem neuge- bornen Kinde, und der Aermste zu einer fortwähren- den Hungerkur verdammt, da er nicht mehr als eine halbe Tasse Bouillon täglich verzehren konnte. Er ward zwanzig Jahre alt, starb hier in London, und verkaufte sich noch lebendig dem Museo. Während dem Zuhausefahren hatte ich beim Wech- seln am Turnpike eine Menge kleines Geld bekom- men, und amüsirte mich, in einer seltsamen Laune, jedesmal wenn ich einem arm aussehenden zerlump- ten Menschen begegnete, ein Stück dieses Geldes stillschweigend aus dem Wagen fallen zu lassen. Auch nicht einer ward es gewahr, sie gingen alle ruhig vor- über. Und grade so macht es Fortuna! Sie fährt auf ihrem Glückswagen fortwährend durch die Welt, und wirft mit verbundenen Augen ihre Gaben aus. Wie selten wird sie aber einer von uns gewahr, und bückt sich darnach, sie aufzuheben. Ja meistens sucht er eben im günstigen Moment wo anders. Als ich indeß zu Hause kam, fand ich diesmal wirklich eine Gabe des Schicksals, und eine sehr theure — einen langen Brief von Dir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Herr von S., dessen Du als späten Badegast erwähnst, ist ein alter Bekannter von mir, ein selt- sames Original, dem wir Alle gut waren, und den- noch Alle unwiderstehlich zum Besten haben mußten, und dem fortwährend die ernstesten und lächerlichsten Dinge zugleich begegneten. Du hast Dich selbst über- zeugen können, daß er wie eine Carrikatur aussieht, und von allen am wenigsten zum Liebesglück geschaf- fen schien. Nichts destoweniger war er als junger Lieutenant wie ein Wahnsinniger in eine der schön- sten Frauen seiner Zeit, die Baronin B … verliebt, und als diese eines Abends ihn durch ihren beißenden Spott auf das Aeußerste gebracht, stach er sich vor ihren Augen den Degen durch den Leib. Das Eisen war mitten durch die Lunge gegangen, so daß ein Licht, welches man an die Wunde hielt, vom Athem- holen verlöschte. Dem ungeachtet wurde unser tragi- scher Narr geheilt, und Frau von B …, die ohne- dem ziemlich galant war, von der bewiesenen Liebe so gerührt, daß sie, nach der völligen Herstellung ih- res desperaten Liebhabers, nicht länger grausam zu bleiben vermochte, und ihm endlich ein belohnendes Rendez-vous verhieß. Ich weiß nicht, wie ein teuflischer Schadenfroh unter seinen Kameraden davon Kunde bekam, und dem armen S …, über dessen Todtste- chen, so ernstlich es war, man doch nur gelacht hatte, den abscheulichen Streich spielte, ihm einige Stunden vor der bestimmten Zeit eine starkwirkende Medizin beizubringen. Man kann sich den burlesken Erfolg denken; indessen bekam er dem Spaßmacher doch übel. S. tödtete ihn im Duell zwei Tage darauf, mußte den S .... schen Dienst verlassen, und hat nun, wie ich höre, unter Alexanders Fahnen sich ein besseres Loos erkämpft. Gern hätte ich den drolligen Kauz wieder gesehen, dessen Leidenschaften nun wohl auch gleich seiner angebornen Possierlichkeit minder her- vorstechend geworden seyn mögen! Salthill, den 25sten. Ich habe mich endlich aufgemacht, und die Stadt mit L .... verlassen, der mich einige Tage begleiten will, worauf ich allein weiter in’s Land hineinreisen werde. Der erste Ruhepunkt ist ein reizender Gast- hof in der Nähe von Windsor, der der Villa eines Vornehmen gleicht. Die lieblichste Veranda mit Ro- sen und allen möglichen rankenden Pflanzen, so wie mit Hunderten von Blumentöpfen geschmückt, nimmt die ganze Fronte ein, und ein auf das sorgfältigste gehaltner pleasure ground und Blumengarten dehnt sich weit vor meinen Fenstern aus, von denen ich eine herrliche Aussicht auf das gigantische Schloß von Windsor habe, das in der Ferne, in den Rahmen zweier Kastanienbäume eingefaßt, wie ein Feenschloß in der Abendsonne glänzt. Der lange Regen hat alles smaragdgrün gefärbt, und das liebe frische Land hat den wohlthätigsten Einfluß auf meine Stimmung. Ich spreche dabei viel von Dir, gute Julie, mit L …, dessen Gesellschaft mir sehr angenehm ist. Morgen gedenken wir eine Menge Dinge zu sehen, heute Abend mußten wir uns, da es schon zu spät war, mit einem Spaziergang im Felde begnügen, und machten dann ein gutes Din é mit Champain, der auf Deine Gesund- heit, wie sich von selbst versteht, getrunken wurde. Den 26sten. Früh am Morgen fuhren wir nach Stoke-Park, der Besitzung des Enkels des berühmten Quäkers Penn, wo im Schlosse noch ein Theil des Baumes aufbewahrt wird, unter dem er den Vertrag mit den Chefs der Wilden schloß, von dem Pensylvanien seinen Namen hat. Wir sahen hier in einem schönen Park die größte Varietät von Damm-Hirschen, wie sie sowohl L … als mir noch nicht vorgekommen wa- ren, schwarze, weiße, getigerte, scheckige, schwarze mit weißer Blässe, und braune mit weißen Füßen. Park und Garten, obgleich recht schön, boten doch nichts Außerordentliches dar. Dies war dagegen sehr der Fall in Dropmore, dem Lord Grenville gehörig, wo die wundervollsten Bäume, und einer der reizend- sten Blumengärten unsere ganze Aufmerksamkeit er- regten. Es waren eigentlich drei oder vier Gärten an verschiedenen Orten vertheilt, im Reichthum der Blumen wirklich einzig — theils Parthieen mit Bee- ten auf dem Rasen, theils auf Kies. Die Letzteren nehmen sich in der Regel weit schöner aus. Beson- ders originell und vom ausgezeichnetsten Effekt war es, daß jedes Beet immer nur eine Art Blumen enthielt, welches über das ganze Bild einen unbe- schreiblichen Reichthum gesättigter Farbenpracht ver- breitete. Eine Unzahl von Geranien aller Art und Färbung, nebst vielen andern Blumen, die wir kaum kennen, oder höchstens nur einzeln besitzen, bildeten große und imposante Massen. Eben so viele hundert Arten Malven und Georginen. Dabei waren die Farben im Großen so sinnig zusammengestellt, daß das Auge überall mit wahrem Genuß darauf ruhte. Ein großer Theil des Parks bestand dennoch nur aus dürrem Boden mit Kiefernhaide und Haldekraut, völlig wie in unsern Wäldern. Der Rasen zeigte sich noch verbrannt, demungeachtet gab die große Cultur dem Ganzen ein durchaus liebliches Ansehen, und bestärkte mich wieder in meiner Ueberzeugung, daß mit Geld und Sorgfalt in dieser Hinsicht jeder Bo- den, nur das Clima nicht, bezwungen werden kann. Nachdem wir noch einen andern Park besehen hat- ten, der einige ausgezeichnet schöne Aussichten dar- bot, fuhren wir nach Windsor, um das neue Schloß (welches ich, wie Du Dich erinnerst, nur von Außen bei meinem letzten Dortseyn gesehen) en detail zu be- trachten. Unglücklicherweise kam mit uns beinahe zu- gleich der König mit seinem Gefolge in fünf Phae- tons, mit Pony’s (kleinen Pferdchen) bespannt, dort an, so daß wir über eine Stunde warten mußten, ehe er wieder fortfuhr, und uns der Eingang gestat- tet werden konnte. Wir besuchten unterdessen Eaton College, eine alte, von Heinrich VI. gestiftete Erziehungsanstalt, äußerlich ein weitläuftiges und schönes gothisches Ge- bäude mit einer dazu gehörigen Kirche, innerlich von einer Simplizität, die kaum von unsern Dorfschulen übertroffen werden kann. Weiße, kahle Wände, höl- zerne Bänke, und die darin eingegrabenen Namen der Schüler, die hier studierten, (mitunter berühmte Männer, wie Fox, Canning und andere) sind Alles, was man in den Sälen sieht, wo die vornehmste Ju- gend Englands erzogen wird. König Heinrichs Stif- tung gemäß bekommen die Freischüler Tag für Tag kein andres als Schöpsenfleisch. Was muß sich der Stifter hierbei nur gedacht haben! Die Bibliothek ist recht schön dekorirt, und hat interessante Manuscripte. Als wir von Eaton zurückkamen, war der König wieder abgefahren, und Herr Whyattville, sein Archi- tekt, welcher den neuen Schloßbau leitet, hatte die Güte, uns mit größter Gefälligkeit von allem genau zu unterrichten. Dieser Bau ist ein ungeheures Werk, und der einzige dieser Art in England, welcher nicht Briefe eines Verstorbenen. IV. 10 allein mit vielem Gelde und technischer Fertigkeit, sondern auch mit ungemeinem Geschmack, ja Genie ausgeführt wird. Die Größe und Pracht des Schlos- ses, welches, noch nicht halb fertig, schon an drei Millionen unsers Geldes gekostet hat, ist in der That eines Königs von England würdig. Auf einem Berge, grade über der Stadt sich erhebend, und auf allen Seiten eine herrliche Aussicht und Ansicht gewährend, bietet seine Lage schon einen großen Vortheil dar. Sein historisches Interesse, sein hohes Alter, und die erstaunliche Größe und Ausdehnung, die es jetzt erhält, vereinigen sich, es einzig in der Welt zu machen. Die Pracht des Innern entspricht dem Aeußern. In den ungeheuren gothischen Fenstern kostet z. B. jede der einzelnen Spiegelscheiben zwölf L. St., und Sammt, Seide und Vergoldung blenden im Innern das Auge. Eine hohe Terrasse auf der Seite der Zimmer des Königs, die die Treibhäuser nach Innen bildet, und nach Außen nur eine hohe schroffe Mauer im ernsten Charakter des Ganzen zeigt, umschließt den reizendsten Blumengarten und pleasure ground. Die vier großen Eingangsthore im Schloßhofe sind so sinnig angebracht, daß jedes einen der interessan- testen Theile der Landschaft wie im Rahmen faßt. Alle Zusätze sind, wie ich wohl schon erwähnt, so vortrefflich ausgeführt, daß sie vom Alten nicht zu unterscheiden sind, und ich mag es nicht tadeln, daß man dabei, auch im weniger Geschmackvollen, sich dennoch ganz treu an den frühern Styl gehalten hat. Dagegen gestehe ich, daß die Verzierungen des Innern, ungeachtet ihres Reichthums, mir Vieles zu wünschen übrig ließen. Sie sind zum Theil höchst überladen, und nicht immer, weder dem Charakter des Ganzen analog, noch von angenehmer Wirkung. Den 28sten. L .... verließ mich gestern schon, früher als er erst gewollt, was mir sehr leid that, da ein so anmuthiger und freundlich gesinnter Gesellschafter je- den Genuß verdoppelt. Ich fuhr daher noch an dem- selben Tage mit einem Bekannten von den Horse- guards, der hier stationirt ist, nach St. Leonhards- Hill, dem Feldmarschall Lord H … gehörig, an den mir E ..... einen Brief mitgegeben hatte. Das Wetter, welches früher bezogen, und von Zeit zu Zeit regnerig gewesen, war heute prächtig, kaum eine Wolke am Himmel. An keinem schöneren Tage konnte ich einen schöneren Ort sehen als St. Leonhardshill. Diese Riesenbäume, dieser frische Wald voller Abwechselung, diese bezaubernden Aussichten in der Nähe und Ferne, dies liebliche Haus mit dem heimlichsten und entzückendsten aller Blumengärten, diese üppige Vegetation, und diese reizende Einsam- keit, aus der man, wie hinter dem Vorhang lau- schend, eine Welt voll Mannigfaltigkeit meilenweit im Thale unter sich erblickte, hat ihres Gleichen nicht in England. Die Besitzer sind zwei sehr liebenswür- dige alte Leute, der eine von fünf und achtzig, die andere von zwei und siebenzig Jahren, leider ohne Kinder und fast ohne nahe Verwandte, so daß alle 10* ihre Herrlichkeit an entfernte theilnahmlose Menschen fällt. Der alte Herr fand sehr viel Wohlgefallen an meinem Enthusiasmus für die Gegend, und lud mich auf den folgenden Tag bei sich ein, was ich auch mit Vergnügen annahm. Zu Heute war ich schon von meinem Bekannten, Capt. B .... zur Meß der Garde in Windsor eingeladen, wo ich mich um 6 Uhr hin- begab, und erst um Mitternacht wieder weg kam. Bei guter Zeit am andern Morgen citirte mich Lord H ...., welcher Ranger of the Park in Wind- sor ist, und mir diesen zeigen wollte, ehe der König darin erscheint. Denn dann sind die Privatanlagen desselben für Jedermann ohne Ausnahme, der nicht zu der eben eingeladenen immediaten Gesellschaft des Königs gehört, hermetisch verschlossen. Ich kam etwas spät, der gute alte Herr schmälte ein wenig, und gleich mußte ich in den mit vier herrlichen Pferden bespannten Landau hinein, mit welchen wir eiligst durch den hohen Buchenwald da- hin rollten. Der König hat in seinem immensen Park von Windsor, der 15,000 Morgen groß ist, mehrere Fahrwege für sich allein anlegen lassen, die nach den interessantesten Punkten hingeleitet sind. Auf einem solchen fuhren wir, und gelangten nach einer halben Stunde zu den königlichen Ställen, wo die viel besprochene Giraffe sich jetzt befindet. Wir erfuhren hier leider, daß der König eben auch seine Wagen hatte bestellen lassen, die schon angespannt auf dem Hofe standen. Es waren sieben, von allen Formen, aber alle mit ganz niedrigen Rädern, auf das Leichteste gleich Kinderwagen gebaut, und mit kleinen Ponys bespannt, der des Königs mit vieren, die er selbst fährt, die andern mit zweien, und die meisten Pferde von verschiedenen Farben. Lord H.... sah diese Equipagen mit Schrecken, da sie ihn fürch- ten ließen, der König möchte uns begegnen, und sich mal à son aise fühlen, unerwartete Fremde zu sehen, denn der Monarch ist darin seltsam. Es ist ihm unangenehm, irgend ein fremdes Gesicht, oder über- haupt Menschen in seiner Besitzung zu sehen, und der Park ist daher auch, die hindurchführenden Hauptstra- ßen ausgenommen, eine völlige Einsamkeit. Des Königs Lieblingsparthien sind außerdem dicht um- schlossen, und täglich werden noch große Pflanzun- gen angelegt, um Alles mehr privatim und versteckt zu machen. An manchen Orten, deren Beschaffenheit so ist, daß man leicht einen lauschenden Blick hinein- werfen könnte, sind sogar drei Etagen Plankenzaun übereinander gethürmt. Wir eilten daher sehr, wenigstens die Giraffe zu sehen, die uns zwei Türken, die sie von Afrika her- übergebracht, vorführten. Ein seltsames Thier in der That! Du kennst seine Gestalt, aber nichts kann eine Idee von der Schönheit seiner Augen geben. Denke Dir ein Mittelding zwischen den Augen des schönsten arabischen Pferdes und des reizendsten süd- lichen Mädchens mit langen rabenschwarzen Wim- pern und dem innigsten Ausdruck von Güte, verbun- den mit vulkanischem Feuer. Die Giraffe liebt die Menschen, und ist äußerst „gentle“ und von gutem Humor, auch gutem Appetit, denn sie säuft täglich die Milch von drei Kühen, die neben ihr ruhen. Ihre lange, himmelblaue Zunge gebraucht sie wie einen Rüssel, und nahm damit unter andern meinen Regenschirm weg, der ihr so gefiel, daß sie ihn gar nicht wieder herausgeben wollte. Ihr Gang war noch ein wenig ungeschickt, da sie sich auf dem Schiff verlegen hatte, sie soll aber im ganz gesunden Zu- stande sehr rasch seyn, wie die Afrikaner versicherten. Aus Furcht vor dem König trieb uns Lord H .... zur Eile, und nachdem wir nur durch einen kleinen dichtver- pflanzten Theil des pleasure grounds der Cottage ge- fahren waren, und diese selbst blos von weitem er- blickt, dirigirten wir uns nach Virginiawater, dem Lieblingsaufenthalte Sr. Majestät, wo er auf einem zwar künstlichen, aber sehr natürlich aussehenden, großen See täglich zu fischen pflegt. Ich war nicht wenig verwundert, hier die ganze Gegend plötzlich einen ganz andern Charakter annehmen zu sehen, der in England sehr selten vorkömmt, nämlich den des eigenen Vaterlandes. Kiefern und Fichtenwald, mit Eichen und Erlen gemischt, und darunter unser Hai- dekraut und auch unser Sand, auf dem die Pflan- zungen dieses Frühjahrs sämmtlich vertrocknet waren. Ueber das Pflanzen auf Sand hätte ich den königli- chen Gärtnern guten Rath geben können, denn ich überzeugte mich, daß sie die Behandlung solchen Bo- dens gar nicht verstehen. Auf dem See schaukelte sich eine Fregatte, und an seinen Ufern waren viele angenehme Spielereien, chinesische und amerikanische Häuser ꝛc. mit Geschmack und ohne Ueberladung an- gebracht. Die Eile, mit der uns der Lord trieb, ließ uns Alles nur flüchtig und größtentheils nur in der Ferne betrachten; ich war jedoch sehr froh, durch diese Gelegenheit wenigstens eine allgemeine Idee des Ganzen bekommen zu haben. Der alte Mann kletterte mit vieler Mühe auf den Sitz des Wagens, und stand dort aufrecht, von mir und seiner Frau gehalten, um zu spähen, ob der König nicht etwa doch irgendwo hervorbrechen möchte, und beruhigte sich erst wieder ganz, als sich die Thore des Allerheiligsten hinter uns geschlossen hatten. Auf dem Rückwege sahen wir auch die Jagdpferde des Königs, schöne Thiere, wie Du denken kannst, und eine eigne Art sehr zierlicher, ganz kleiner Par- force-Hunde, die man ausser England nicht findet. Mit gutem Appetit kamen wir zum Essen zurück, wo ich noch einige andere Gäste antraf. Unsre Wir- thin ist eine sehr liebenswürdige Dame, und eben so parkomane als ich. Alle die herrlichen großen Bäume vor dem Hause, unter und zwischen denen man, wie so viele einzelne Tableaux, die verschiedenen Aussich- ten erblickt, sind von ihr selbst vor 40 Jahren ge- pflanzt worden, und nur zwei davon hat sie in die- ser Zeit wieder weggenommen. Jeden Tag überzeuge ich mich mehr, daß die breiten, zu offenen Aussichten, welche hier fast ganz verbannt sind, alle Illusion zer- stören. Einige ganz alte Anlagen abgerechnet, fin- dest Du fast kein Haus oder Schloß in England, dessen An- und Aussicht nicht vielfach durch hohe Bäume unterbrochen wäre. In den Abbildungen davon wird man getäuscht, weil die Zeichner gewöhn- lich, da ihre Hauptabsicht ist, die Architektur des Ge- bäu des und seinen Umfang zu zeigen, die davorste- henden Bäume weglassen. Eine recht zweckmäßige Sache im hiesigen Garten war ein gigantischer Parapluie, von der Größe eines kleinen Zeltes, unten mit einer eisernen Spitze ver- sehen, um ihn in den Rasen zu stecken, so daß man an jedem beliebigen Orte sich vor der Sonne geschützt darunter hinsetzen konnte. Es war mir sehr willkommen, als der freundliche Hauswirth mich auf morgen wieder einlud, an wel- chem Tage die Hofdamen der Königin von Würtem- berg dort essen sollten, was, wenn sie hübsch sind, unsre Parthie nicht verderben wird. Nach Tisch mach- ten wir noch einen Spaziergang, und besahen eine Cottage im Thalgrund des Parks, die, überall von Berg und Wald umschlossen, einen reizenden Contrast zu der reichen Villa in der Höhe bildet, und ritten dann in der Nacht (B. und ich) bei romantischem Sternenlicht zu Haus. Den 29sten. Nachdem ich früh in Windsor einen Besuch bei Mistriß C .... abgestattet, deren hübsche Töchter Du aus früheren Briefen kennst, fuhr ich um 4 Uhr wieder zu Lord H …, immer mit neuem Entzücken den herrlichen Eichenwald seines Parks genießend, an dessen Eingang die niedlichste Gärtnerwohnung von rohen Stämmen und Aesten geschmackvoll aufge- baut, und mit Rosen überwachsen, den lieblichen Charakter des Ganzen schon im voraus anzeigt. Ich fand eine große Gesellschaft, die Oberhofmeisterin, zwei Hofdamen und zwei Cavaliere der Königin von Wür- temberg, sämmtlich Deutsche, le Marquis de H …, einen Franzosen mit seinen zwei Söhnen und seiner artigen Tochter, einer ächten Pariserin, ferner einen englischen Geistlichen und noch einen andern frem- den Edelmann. Die französischen Herren haben sehr gescheidterweise bei dem alten Lord ohne Verwandten die Cousinschaft geltend gemacht, sind sehr gut aufgenommen, wohnen in der Cottage im Thale, die ich gestern beschrieb, und haben alle Anwartschaft, die Erben des ganzen colossalen Vermögens zu werden. Auch sieht man die kleine Französin schon für eine große Parthie an. Von allen interessirte mich indessen die Gräfin am meisten, weil sie eine höchst liebenswürdige alte Frau ist, voller Würde und Höflichkeit mit dem anmuthig- sten Geiste verbunden, die überdieß viel gesehen und erlebt hat, und es auf interessante Weise wieder zu erzählen weiß. Sie sagte mir Manches über Lord Byron, der als Knabe lange in ihrem Hause lebte, und schon damals so unbezähmbar war, daß sie, wie sie sagte, unsägliche Noth mit dem trotzigen, gern Un heil anstiftenden Buben gehabt habe. Sie hielt ihn nicht für schlecht, aber doch für böse, weil er von jeher eine Art Vergnügen daran gefunden habe, wehe zu thun, besonders Weibern, obgleich, wenn er liebenswürdig seyn wollte, ihm, wie sie selbst nicht läugnen konnte, kaum Eine zu widerstehen v er- mochte. Seine Frau, fuhr sie fort, sey allerdings eine kalte, eitle, und dabei noch dazu gelehrte När- rin gewesen, aber Byron habe sie auch übel behan- delt, und wirklich raffinirt gemartert, wahrscheinlich besonders deßwegen, weil sie ihn zuerst ausgeschla- gen, als er um sie anhielt, wofür er ihr gleich am Hochzeitstage eine nie endende Rache geschworen habe. Ich traute diesen Erzählungen nicht sehr, so viel Respekt ich auch sonst für die alte Dame fühlte, denn eine Dichterseele, wie die Lord Byrons, ist schwer zu beurtheilen! Der gewöhnliche Maaßstab paßt nun und nimmermehr dafür, und ich bezweifle sehr, daß bei dem Geäusserten ein anderer angelegt war. Wenn man sich irgendwo gut gefällt, gefällt man auch gewöhnlich selbst, und so bat man mich denn dringend, einige Tage in diesem kleinen Paradies wohnen zu bleiben. Meine Rastlosigkeit ist aber, Du weißt es zur Genüge, eben so groß als meine Träg- heit, und wie ich da, wo ich einmal fest sitze, schwer zur Bewegung zu bringen bin ( témoin mein unnützer langer Aufenthalt in London) so kann ich mich auch schwer zum Bleiben zwingen, wo das Interesse des Augenblicks bereits erschöpft ist. Ich lehnte also die Einladung dankbar ab, und kehrte nach Salthill zurück. Den 30sten. Die Terrasse des Schlosses zu Windsor dient den Städtern zu einer sehr angenehmen Promenade, welche häufig durch die Musik der Garde belebt wird. Ich besuchte sie diesen Morgen mit den liebenswür- digen Misses C., und machte dann der Castellanin des Schlosses, einer alten unverheiratheten Dame, mit ihnen eine Visite. Man konnte nicht schöner wohnen. Jedes Fenster bot dem Blicke eine andre herrliche Landschaft dar. Die jungen Damen hatten sich unterdessen in den Nebenstuben vertheilt, und ich erschrack fast, als die bejahrte Jungfer mich beim Arme nahm und mir zu- flüsterte: sie fühle jetzt noch ein wahres Bedürfniß, mir eine zwar alte, aber doch sehr interessante Merk- würdigkeit in ihrem Schlafzimmer zu zeigen. — Das Schlafzimmer einer Engländerin pflegt sonst ein Hei- ligthum zu seyn, das nur den Vertrautesten geöffnet wird. Ich war also nicht wenig über diese Offerte verwundert, um so mehr, da die alte Dame ohne Weiteres gerade auf ihr Bett zusteuerte, die Vor- hänge aufzog, und .... que diable veut elle faire? sagte ich zu mir selbst — als sie mich auf einen Stein in der Wand aufmerksam machte, auf dem ich eine verwitterte Inschrift erblickte. „Dies hat ein junger reizender Ritter in seiner Todesstunde geschrieben, my dear Sir, der hier im Gefängniß schmachtete, und unter dem Stein erdrosselt wurde.“ „Mein Gott, fürchten Sie sich denn nicht, hier zu schlafen?“ er- wiederte ich; „wenn der junge Ritter nun als Geist wiederkehrte?“ — „Never fear,“ rief die joviale Alte, „in meinen Jahren ist man nicht mehr so furcht- sam, und vor lebenden und todten jungen Rittern sicher.“ Wir wanderten nun nach der herrlichen Capelle zum Gottesdienst. Die Banner, Schwerdter und Coronets der Hosenbandritter, stolz rund umherge- reiht, das trübe Licht der bunten Fenster, das künst- liche Schnitzwerk in Stein und Holz, die andächtige Menge, gaben ein schönes Bild, nur durch Einzeln- heiten entstellt, wie z. B. das ridicüle Monument der Prinzessin Charlotte, wo die vier Nebenpersonen alle dem Beschauer den Rücken kehren, ohne irgend etwas anders von sich seben zu lassen, wogegen aber die Prinzessin doppelt erscheint, zugleich als Leiche daliegt und als Engel in die Höhe fliegt. Von dem Gesang und der Musik umwogt, über- ließ ich mich, still in eine Ecke gedrückt, meinen Phan- tasieen, und vergaß, im Reich der Töne tief versun- ken, bald Alles um mich her. Ich dachte mich end- lich selbst todt, und als Besucher jener gothischen Kapelle, die wir, liebe Julie, bauen wollen, vor mei- nem eignen Grabe stehend. Auf einem weißen Mar- mor-Sarkophag, dem Chore gegenüber, in der Mitte der Kirche, lag vor mir eine in faltenreiche Gewän- der gehüllte Gestalt, ein Lamm und einen Wolf zu ihren Füßen. Ein anderes gleiches Postament dane- ben war noch leer. Ich näherte mich, und las fol- gende Inschriften in den Marmor gegraben, und mit goldenen Metall-Buchstaben überkleidet. Auf der schmalen Vorderseite unter dem Haupte des Liegen- den standen folgende Worte: In deinem Schooß, o Gott! Ruht seines Geistes unvergaͤnglich Theil — Denn des ewigen Lebens Gesetz Ist Sterben und Auferstehn! Auf der anstoßenden Seite war geschrieben: Seiner Kindheit fehlte ihr groͤßter Segen — Liebevolle Erziehung in der Eltern Haus! Seine Jugend war stuͤrmisch, und eitel und thoͤricht — Doch nie entfremdet von Natur und Gott. Auf der andern Seite: Ernst war des Mannes Alter und truͤbe, Gehuͤllt in dunkle Nacht waͤr’ es gewesen, Haͤtte nicht eine liebende Frau, Der Sonne gleich, mit hellen wohlthuenden Strahlen Gar oft die dunkle Nacht zum heitern Tag gemacht. Auf der letzten Seite: Des Greises Alter wurde ihm versagt. — Was er gewirkt, und was er schuf? Es bluͤhet um Dich her — Was sonst er Irdisches erstrebte und erwarb — Den Andern galt es viel, doch wenig ihm. Nun dachte ich viel an Dich, und sie, und alle meine Lieben, und weinte im frommen Schmerze über mich selbst — und als ich mit dem raschen Auf- hören der Musik im vollen Accorde aus der Träume- rei wieder wach wurde, liefen mir wahrhaftig die hellen Thränen über die Backen, so daß ich mich fast vor den Leuten schämte. Den 31sten. Gut bedient wird man in England, das ist wahr! Ich war um 6 Uhr bei den Gardeoffizieren einge- laden, wo sehr pünktlich gegessen wird, und hatte mich beim Schreiben verspätet. Die Kaserne ist eine Stunde von meinem Gasthof (der wie gewöhnlich zugleich Posthaus ist) entfernt. Ich jagte also mei- nen Diener die Treppe hinunter „für Pferde.“ In weniger als einer Minute waren diese schon ange- spannt, und in 15 war ich, mit Windesschnelle fah- rend, mit dem Schlage sechs am Tisch. Das hiesige Militair ist im Ganzen weit gesell- schaftlicher gebildet, als das unsre, schon aus dem Grunde, weil es viel reicher ist. Obgleich der Dienst nichts weniger als vernachlässigt wird, so ist doch von unserer Pedanterie nicht eine Spur, und ausser dem Dienst auch nicht der mindeste Unterschied zwi- schen dem Obristen und dem jüngsten Lieutenant. Jeder nimmt eben so ungezwungen als in andern Gesellschaften Theil an der Conversation. Bei Tisch sind auf dem Lande alle Offiziere in Uniform, in London nur der, welcher du jour in den Beracken ist — nach dem Essen aber macht sich’s jeder bequem, und ich sah heute einen der jungen Lieutenants sich im Schlafrock und Pantoffeln mit dem Obristen, der in Uniform blieb, zu einer Partie Whist hinsetzen. Die Herren haben mich, wenn mich kein anderes En- gagement hindert, so lange ich in der Gegend bleibe, für immer zu ihrer Tafel gebeten, und sind ausser- ordentlich freundschaftlich für mich. Am Morgen hatte ich Frogmore besehen, und noch einige Stunden mit Besichtigung der Gemälde in Windsor zugebracht. Im Thronsaal sind viele nicht üble Schlachtenbilder von West, die Thaten Eduards III. und des schwarzen Prinzen vorstellend, ein Gewühl von Rittern, schnaubenden Rossen, alten Trachten und Pferdeschmuck, Lanzen, Schwerdtern und Fah- nen, das gut zur Dekoration eines Königssaales paßt. In einem andern Zimmer frappirte mich das höchst ausdrucksvolle Portrait eines Herzogs von Savoyen, ein wahres Herrscherideal. Luther und Erasmus, von Holbein, bilden ein paar gute Pendants, und zugleich Contraste. Das feine und sarkastische Gesicht des Letzteren scheint eben die Worte aussprechen zu wollen, die er dem Pabste schrieb, als ihm dieser vorwarf, daß er die Fasten nicht halte: „Heiliger Vater, meine Seele ist katholisch, mein Magen aber protestantisch.“ Die Schönheiten am Hofe Carls des Zweiten, die eine ganze Wand daneben schmücken, könnten leicht Gefühle gleicher Unenthaltsamkeit in anderem Sinne erwecken. Frogmore bietet wenig Sehenswerthes dar. Die große Wasserparthie ist noch jetzt nur ein Froschsumpf, obgleich von Taxus und Rosenhecken umgeben. Ein ganzes Lager beweglicher, leichter Zelte auf dem Ra- sen nahm sich gut aus. Den 3ten. Ich habe mich überreden lassen, bei der schönen Lady G …, einer nahen Verwandtin Cannings, einige Tage dem speciellen Landleben zu widmen. Beim Frühstück erzählte sie mir, daß sie vor drei Monaten noch gegenwärtig war, als Canning von seiner Mutter, beide in bester Gesundheit, mit den Worten Abschied nahm: „Adieu, liebe Mutter, im August sehen wir uns gewiß wieder.“ Im Juli starb die Mutter sehr plötzlich, und Anfang August folgte ihr der Sohn. — Welch’ seltsames Zusammentreffen, denn zur bestimmten Zeit waren sie ja, wie abgere- det, wieder vereint! Gestern und vorgestern fuhren wir zu den Races nach Egham, die auf einer von Hügeln umgebenen großen Wiese statt fanden. Ich traf viele Bekannte, ward vom Herzog von Clarence der Königin von Würtemberg vorgestellt, wettete glücklich, und wohnte Abends einem Piquenique-Ball in dem Städtchen bei, der, tout comme chez nous, gar viel Kleinstädti- sches und sehr lächerliche Dandi’s vom Lande pro- ducirte. Heute nahm eine andere Landparthie und ein Spa- ziergang mit den jungen Damen fast den ganzen Tag weg. Die jungen Engländerinnen sind unermüd- liche Fußgängerinnen durch Dick und Dünn, über Berg und Thal, so daß etwas Ambition dazu gehört, um immer mit ihnen gleichen Schritt zu halten. In dem Park eines Nabobs fanden wir eine in- teressante Merkwürdigkeit, nämlich zwei aus China hertransportirte Zwergbäume, hundertjährige Ulmen, ganz mit dem verkrüppelten, runzlichen Ansehn ihres Alters und doch kaum zwei Fuß hoch. Das Geheim- niß, Bäume so zu ziehen, ist in Europa unbekannt. Zuletzt stiegen die muthwilligen Mädchen sogar über eine Verzäunung des Windsor-Parks, und störten die streng gehütete königliche Einsamkeit mit ihren Scherzen und Lachen. Ich sah bei dieser Gelegenheit noch mehrere verbotene Parthieen des reizenden Auf- enthalts von Virginiawater, wohin sich die Aengst- lichkeit des Lord H … nicht gewagt hatte, und wä- ren wir ertappt worden, in so guter Gesellschaft hätte man es ohne Zweifel gnädig mit uns gemacht. Briefe eines Verstorbenen IV. 11 Windsor, den 5ten. Wir hatten uns in den vier Tagen meines Aufent- haltes so herzlich Alle genähert, daß der Abschied fast schwer wurde. Die Damen begleiteten mich wohl eine Stunde weit, ehe ich in den Wagen stieg. Ich pflückte einige Vergißmeinnicht am Bache, und übergab sie sentimental als stummen Abschied der schönen Rosa- bel zuerst, die gebietend unter ihnen stand, wie eine stolze Herrin unter lieblichen Sclavinnen. Sie löste sanft ein Blümchen aus dem Strauß, und drückte mir es wieder in die Hand. — Moquez vous de moi, mais je le conserve encore. Endlich fuhr ich, ganz niedergeschlagen davon, und dirigirte meinen Postboy nach den Barraks der Garde zu Pferd, wo ich noch gerade zur rechten Zeit zum Din é ankam. Mit vielem Champagner und Claret (denn ich war sehr durstig von den langen Promena- den, gute Julie), tröstete ich mich über die verlas- senen Schönen, so gut sich’s thun ließ, und fuhr dann mit Capt. B .... zu einer Soir é e bei Mistriß C .... Hier wurde nach dem Thee um 11 Uhr, da der Mond wundervoll schien, auf dem Wunsche der Damen, der Entschluß gefaßt, noch einen Gang im Park zu machen, um das gigantische Schloß von einem besonders vortheilhaften Punkte bei Mond- schein zu betrachten. Die Promenade war abermals ein wenig lang, aber höchst belohnend. Der Himmel hatte Heerden von Schäfchen auf seine blauen Wei- den geschickt, welches jedoch einer der Offiziere, nicht sehr poetisch, aber allerdings ziemlich wahr, mit ei- nem zusammengelaufenen Milchbrei verglich — und die Beleuchtung des glänzenden Mondes darüber konnte nicht herrlicher seyn. Wir wurden in unserer Freude aber bald ziemlich unsanft durch zwei Wild- wächter mit Flinten unterbrochen, die uns als auf verbotenen Wegen gehend und als Friedensstörer (eine Gesellschaft von 20 Personen, meistens Damen und wenigstens 7 Gardeoffiziere in Uniform dabei) arre- tiren wollten. Sie begnügten sich indeß zuletzt mit zwei Offizieren, die sie sogleich mitnahmen. Welcher Unterschied der Sitten! Bei uns würden die Offi- ziere sich durch die ganz harten Worte, deren sich die Wächter bedienten, entehrt und vielleicht sie todtzu- stechen verpflichtet gefühlt haben. Hier schien Alles ganz in der Ordnung, und nicht der mindeste Wi- derstand wurde geleistet. Wir Uebrigen gingen zu Hause und nach einer Stunde erst kamen die beiden Arretirten nach, die viele Weitläuftigkeiten gehabt hatten, ehe man sie entließ. Der Rittmeister T …, einer von ihnen, erzählte mit vielem Lachen, daß ihn der Förster sehr hart angelassen habe und ge- sagt: es sey eine Schande, daß Offiziere, die ihr Dienst verpflichte, Unordnung zu verhüten, sich nicht scheuten, selbst welche zu verüben ꝛc. „Ganz Unrecht hatte der Mann nicht,“ setzte er hinzu, „aber der Damen Wünsche müssen immer be- friedigt werden, quand même. —“ Im Gasthof fand ich meinen alten B., der vor sei- nem Abgange noch meine persönlichen Befehle ent- 11* nehmen wollte. Ich bin mit dem cranologisch unter- suchten Engländer sehr zufrieden, und werde den Landsmann daher nicht so sehr entbehren. Er bringt Dir einen großen Gartenplan von mir, auf dem ich vor dem Zubettegehen noch eine Stunde in meiner Schlafstube ausgestreckt lag, ehe ich damit fertig wurde, wie Napoleon auf seinen Karten und Welt- plänen. Er zeichnete aber mit seinen rothen Nadeln Blut, ich nur Wasser und Wiesen, er Festungswerke, ich Lusthäuser, er endlich Soldaten, ich nur Bäume. Vor Gott mag es am Ende einerlei seyn, wie seine Kinder spielen, ob mit Kanonenkugeln oder Nüssen, aber für die Menschen ist es ein bedeutender Unter- schied, und größer offenbar der, nach ihrem eigenen Urtheil, welcher sie zu Tausenden todtschießen läßt, als der, welcher blos für ihr Vergnügen sorgt. Eine lange Liste erklärt Dir den Plan, führe fleißig aus, was ich vorschreibe, und erfreue mich bei mei- ner Rückkunft mit der Realifirung aller Gartenträume, die Deinen Beifall haben. Meine Absicht ist jetzt, noch einmal nach London auf wenige Tage zurückzukehren, um meine Pferde selbst einschiffen zu sehen, und dann erst meine län- gere Tour ins Land anzutreten. Das Tagebuch wird also wohl eine geraume Zeit lang anschwellen, ehe ich es Dir wieder zuschicken kann; glaube deßhalb nur nicht, daß ich in meinen Nachrichten saumseliger werde, denn, wie der geistreiche Prinz sagt: „ich kenne wenig Sachen, die ich lieber thue, als Dir zu schreiben.“ Dein L. Achtzehnter Brief . London, den 7. Sept. 1827. Theure Freundin! Ich bin zwar, wie Du weißt, nicht stark in Erin- nerungen von Anniversaires ꝛc., weiß aber diesmal doch, daß morgen derjenige Tag wiederkehrt, an dem ich meine arme Julie in B … allein zurücklassen mußte! Ein Jahr rollte seitdem über die Welt, und wir Insekten kriechen noch in dem alten Gleise — wir haben uns aber auch noch eben so lieb, und das ist die Hauptsache! Endlich werden wir doch durch den großen Haufen glücklich hindurchkommen, durch den wir uns jetzt so mühsam arbeiten müssen, und dann vielleicht frisches Gras mit schönen Blümchen erreichen, auf denen eben der Morgenthau seine Dia- manten abgesetzt hat, und bunte Sonnenstrahlen sich in dem feuchten Crystall blitzend umhertummeln. Soyez tranquille, nous doublerons encore un jour le cap de bonne espérance! Ich habe Dir die letzten Tage nichts über mein Thun und Treiben geschrieben, weil es sich blos darauf reducirte, daß ich täglich mit B .... arbei- tete und schrieb, mit L ...... im Travellers Club aß, und endlich allein zu Bett ging. Gestern war jedoch bei unserm Din é noch ein anderer Deutscher, Graf .... zugegen, der Pferde zu kaufen hierher gekommen ist. Er scheint reich, und ist jung genug, um es lange zu genießen; übrigens das ächte Bild eines gutarti- gen Landjunkers, gewiß eine höchst glückliche Art Menschen. Wünschte wohl, ich wäre ein solcher! Dein Gutachten über den Park betreffend, bemerke ich, daß die Ausdehnung desselben, besonders mit ge- höriger Arrondirung verbunden, nie groß genug seyn kann. Windsor-Park ist der einzige, der mich hier, als ein Ganzes, völlig befriedigt hat, und der Grund liegt wesentlich in seiner Größe. Er idealisirt, was ich haben will. Eine anmuthige Gegend, in deren Bezirke man ohne Entbehrung leben und weben kann, jagen, reiten, fahren, ohne sich je zu enge zu fühlen, und die, ausser eben den Ausgangspforten, nirgends einen Punkt zeigt, wo man bemerkt: hier sey sie be- gränzt; worin aber dennoch Alles, was die Umge- gend Gutes besitzt, ein feiner Sinn sich bis in die weiteste Ferne zu eigen zu machen wußte. Uebrigens hast Du recht, man muß das Kind nicht mit dem Bade verschütten, und viele Mangel und Beschrän- kungen des Terrains lassen sich durch klug berechnete Wege und Pflanzungen lieber verbergen, als daß man unverhältnißmäßige Opfer für ihre Hinwegschaf- fung oder neue Acquisitionen brächte. Meine Pferde sind heute glücklich abgesegelt, wie- wohl sich der schöne Hyperion wie wahnsinnig dabei anstellte, und den Kasten, in den er gesperrt war, nebst den eisernen Schienen, den Halftern und Rie- men, alles wie Glas zersprengte. Er wäre bei ei- nem Haar ins Meer gefallen, und wird unterwegs wahrscheinlich noch manche Noth machen, obschon wir ihn wie ein wildes Thier gebunden haben. Man kann es übrigens den armen Geschöpfen nicht verden- ken, daß ihnen angst wird, wenn der große Krahn sie wie ein Riesenarm ergreift und im weiten Bogen in der Luft vom Quai über’s Wasser in das Schiff versetzt. Manche leiden es indeß mit der größten Ruhe, denn auch unter den Pferden giebt es Stoiker. Es hielte mich nun eigentlich nichts mehr in London auf, aber Lady R … ist hier, und allein, und so an- ziehend! Einer solchen Freundin aus dem Wege zu gehen, wäre Unrecht, um so mehr, da ich nicht daran denke, in sie verliebt zu seyn. Aber ist nicht auch die wirkliche, bloße Freundschaft einer schönen Frau etwas sehr Süßes? Ich habe gefunden, daß sich viele Männer alle Verhältnisse verderben, weil sie sich im nähern Verkehr mit Weibern immer sogleich verbun- den glauben, die Verliebten zu spielen, und dadurch die Frau, mit der sie zu thun haben, von Hause aus sur le qui vive setzen, und die allmählige, rücksichts- lose Vertraulichkeit und Unbefangenheit verhindern, auf welchem Boden am besten später alles aufblüht, was man hinsäen will. Ich begnüge mich daher sehr gern ganz allein mit einer zärtlichen Freundschaft, besonders wenn ich sie, so wie hier, im Blicke sanf- ter, schmachtender, blauer Augen lesen kann, ein purpurrother Perlenmund sie ausspricht, und eine sammtne Hand vom schönsten Ebenmaß sie durch ih- ren warmen Druck bekräftigt. Zu diesem Portrait brauchst Du nur noch den Unschulds-Ausdruck einer Taube, langes, dunkelbraun gelocktes Haar, eine schlanke mittlere Taille, und den schönsten englischen Teint hinzuzufügen — so hast Du Lady R … vor Dir, ganz wie sie leibt und lebt. Duncaster, den 16ten. Ich hätte bald von London datirt, so schnell habe ich die 180 Meilen bis hier in 20 Stunden zurückge- legt, und dennoch Zeit genug übrig behalten, um zwei berühmte Schlösser und Parks aus Elisabeths Zeit, wenn auch nur flüchtig, zu besehen. Das eine, Hatfield, welches ihr selbst zugehörte, und was sie oft bewohnte, ist weniger prachtvoll, als das zweite, Burleighhouse, welches ihr berühmter Minister Cecil sich erbaute. Hatfield ist von Ziegeln aufgeführt, nur die Fenstereinfassungen, Mauerkan- ten und Cr é neaux von Sandstein. Die Verhältnisse sind gut und großartig. Park und Gärten bieten nichts Interessantes dar, als sehr hohe Eichenalleen, die angeblich von der Königin selbst gepflanzt seyn sollen. Burleighhouse konnte ich nur von Aussen sehen, da die alte Castellanin, obgleich die Herrschaft abwesend war, durch nichts sich bewegen ließ, den Sonntag durch Herumführen eines Fremden zu entheiligen, was ich um so mehr bedauerte, da sich hier eine sehr bedeutende Gemäldesammlung befindet. Im Hof des Schlosses, der mit vergoldeten Eisengittern eingefaßt ist, bewunderte ich einen ungeheuren Kastanienbaum, dessen Aeste sich so weit ausdehnten, daß man unter ihnen Platz genug gehabt hätte, ein Pferd zuzurei- ten. Der alterthümliche Park ist ebenfalls voll der schönsten Bäume, das Wasser aber auch hier, wie in Hatfield, nur stehend und sumpfig. Der Pallast selbst ist in einem verwirrten Styl aus Quadern aufge- führt, unten gothisch, oben mit Feueressen, die corin- thische Säulen-Capitäle darstellen. Der große Staats- mann muß einen corrupten Kunstgeschmack gehabt haben. Den 17ten. Duncasters Pferderennen sind die besuchtesten in England, und der hiesige Rennplatz auch allen an- dern im Lande für Schmuck, Zweckmäßigkeit und leichter Uebersicht vorzuziehen. Die Ansicht des Wett- rennens giebt mehr Vergnügen und auch ein weni- ger kurzes Schauspiel, da man von den hohen thurmartigen, höchst eleganten Stands den ganzen Lauf von Anfang bis zu Ende deutlich überblickt. Die Pferde rennen in der Runde, und derselbe Punkt dient zum Auslauf und Ziel. Die Menge des Volks, schöner Frauen und fashionabler Gesellschaft war aus- serordentlich. Alle benachbarte große Edelleute kamen in Galla hergefahren, was mich sehr interessirte, weil ich dadurch eine Art des hier üblichen Staates auf dem Lande kennen lernte, welcher von dem in der Stadt sehr verschieden ist. Die Equipage des Her- zogs von Devonshire war die ausgezeichnetste, und als Notiz für M … beschreibe ich Dir den Zug. Die Gesellschaft des Herzogs saß in einem viersitzigen Glaswagen mit 6 Pferden bespannt, die Geschirre und Bockdecke nur mittelreich und der Kutscher in Interimslivree, blonder Perrücke und Stiefeln. 12 Reiter escortirten den Wagen, nämlich 4 Reit- knechte, welche verschiedenfarbige Reitpferde mit leich- ten Satteln und Zäumen ritten, 4 Outriders auf Kutschpferden, denen gleich, die den Wagen zogen, mit Geschirrzäumen und Postillon-Sätteln, endlich 4 Bedienten in Morgenjacken, ledernen Beinkleidern und Stolpenstiefeln, mit gestickten Schabracken und Pistolenhalftern, auf beiden das Wappen des Her- zogs in Messing. Die Ordnung des Zugs war fol- gende. Vorn zwei Reitknechte, dann zwei Outriders, hierauf der Wagen mit seinen schönen sechs Pferden, die der Kutscher vom Bock fuhr, auf dem vordern Sattelpferde ein Postillon. Links von diesem ritt ein Bediente, ein anderer etwas weiter zurück rechts, hinter dem Wagen wieder 2 Outriders, dann 2 Reit- knechte, und am Schluß die letzten zwei Bedienten. Der kleine Vorreiter war allein in vollständiger Staatslivree, gelb, blau, schwarz und silber, nebst gepuderter Perrücke, etwas theatralisch gekleidet, mit dem bunt gestickten Wappen auf dem linken Arm. Das heute statt findende St. Leger-Rennen mag Manchem eine schlaflose Nacht kosten, denn es sind ungeheure Summen verloren worden, da eine kleine Stute, der man so wenig zutraute, daß die Wetten gegen sie 15 gegen 1 standen, unter allen 26 Pfer- den, welche eingeschrieben waren, die erste blieb. Ein Bekannter von mir gewann 9,000 L. St., und hätte im Fall des Verlustes kaum so viel hundert verloren. Ein Anderer soll fast um sein ganzes Vermögen ge- kommen seyn, und zwar, wie man allgemein sagt, durch die Betrügerei des Besitzers eines Hauptpfer- des, auf das er selbst öffentlich sehr hoch, im Geheim aber noch weit höher dagegen gewettet habe, und es dann absichtlich verlieren lassen. Gleich nach dem Rennen, das mit seinem Trouble und Tausenden von Equipagen mir ein höchst auf- fallendes Bild englischen Reichthums zurückließ, fuhr ich weiter nach Norden, einem bis jetzt mir noch un- bekannten Ziele zu, und kam um 1 Uhr in der Nacht hier in York, der zweiten Hauptstadt Englands, an. Die ganze Tour über las ich bei meiner Laterne im Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die Princesse des Ursins, ein Buch, das mich sehr un- terhielt. Viele Stellen sind für die Schilderung je- ner Zeiten und Sitten höchst merkwürdig. Uebrigens versteht die Incognito-Königin natürlich das Hofle- ben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Beneh- men oft auffallend an einen Deiner guten Freunde, besonders in der Art, wie sie stets Unwissenheit al- les dessen, was vorgeht, affektirt, und mit Gering- schätzung von ihrem eignen Einfluß spricht. Dabei zeigt sie aber auch viel Milde und Klugheit, und so ungemeinen Anstand in Allem, daß man sie lieber gewinnen muß, als die Geschichte sie uns eigentlich schildert. Es ist zwar immer schlimm, ein altes Weib regieren zu lassen, es mag nun einen Jupon oder Hosen anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt, naive große Kinder, und führten sogar den Krieg auf diese Weise, ja selbst den lieben Gott sahen sie nur wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten an, und, wie ächte Höflinge, verließen sie in arti- culo mortis augenblicklich den irdischen König, keine Notiz weiter von ihm nehmend, um sich von nun bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis jetzt vernachlässigten, mächtigeren Herrscher allein zu weihen. Man kann auch in den alten Memoiren sehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleich- falls mit mehr Vertrauen auf ihr savoir faire im Himmel sterben, diejenigen aber, welche sich zu der Zeit in völliger Ungnade befanden, einen weit schwe- rern Tod und größere Gewissensbisse erleiden muß- ten. Man kann sich eine solche Zeit, einen solchen Hof und solches Leben gewiß nicht mehr recht treu vorstellen, aber grade für unsern Stand mag es allerdings nicht so übel gewesen seyn. Ich machte viele Betrachtungen über diesen ewigen Wechsel in der Welt, und rief zuletzt, angeweht vom unsichtba- ren Geisterhauch, der fortwährend durch das All strömt, liebender Sehnsucht Gruß dem herrlich fun- kelnden Abendsterne zu, der seit Aeonen Jahren sich all dieß Treiben mit so vieler Toleranz und unge- trübter Ruhe ansieht. Den 9ten. Es gibt wirklich einige Talente in mir, um die es Schade ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alles das geht nun verloren, (denn sich selbst dient man immer schlecht) grade wie etwas noch viel Besse- res, z. B. ein wunderherrlich schöner Baum in Ame- rikas Wildnissen sich vergebens jedes neue Frühjahr mit dem prächtigsten Laube, mit den süßduftendsten Blüthen schmückt, ohne daß je auch nur eine arme Menschenseele ihre Augen und ihr Gemüth daran er- götzen mag. Eine solche Existenz nennen wir Men- schen nur unnütz! Welcher aimable Egoismus — dessen ungerechte Verdammung ich auch mit leiden muß, denn meine erwähnten schönen Tugenden blei- ben ebenfalls unnütz, und meine ganze Person wäre es vielleicht, wenn ich nicht glücklicherweise wenigstens meinen Leuten, nebst verschiedenen Gastwirthen und Posthaltern, indem ich sie täglich bezahle, noch im- mer von reellem Nutzen, und Dir, gute Julie ( je m’en fiatte au moins ) aus andern Gründen gar un- entbehrlich wäre. Also ganz um nichts und wieder nichts lebe ich nicht auf der Welt, und da ich auf der andern Seite Niemanden schade, gleichsam Einnahme ohne Aus- gabe, so stellt sich meine Rechnung noch immer leid- lich genug. Diesen ganzen Tag bin ich in der Stadt umher gewandert. Ich begann mit dem Dome, der rück- sichtlich des Reichthums seiner Zierrathen, wie auch seiner Größe, mit dem Mailänder einige Aehnlichkeit hat. Der Erbauer, d. h. der ihn zu bauen anfing, war Erzbischof Scope, eine Shakspear’sche Person, den Heinrich IV. 1405 als Rebell köpfen ließ. Er liegt in der Kirche begraben, und im Kapitelhause daneben ist noch ein Tisch mit einem ihm früher zu- gehörigen, also vierhundert Jahre alten Teppich be- deckt, auf dem sein Wappen vielfach eingewürkt ist. Der Teppich ist immer noch in leidlichen Umständen. Die Fenster im Dom sind größtentheils von altem, buntem Glase (eine große Seltenheit in England), nur hie und da durch Neues ersetzt. Die Steinar- beit überall vortrefflich, auf das Feinste und Nied- lichste wie geschnitztes Holz gearbeitet, alle Arten von Blättern, Thieren, Engeln und Potentaten darstel- lend. Von den zwei Hauptfenstern an den beiden Enden der Kirche ist das Eine nicht weniger als fünf und siebenzig Fuß hoch und zwei und dreißig Fuß breit. Das entgegengesetzte stellt in seinen seltsamen Steinverzweigungen die Adern des menschlichen Her- zens dar, und giebt mit dem blutrothen Glase einen wunderbaren Anblick. Ein andres großes Seitenfen- ster ist dadurch merkwürdig, daß das Glas in Nachah- mung von Stickerei und Nadelarbeit gemalt ist, so daß es nur einer feinen bunten Tapete gleicht, ohne irgend ein andres Bild zu enthalten. Im Chor steht ein alter Stuhl, auf dem mehrere Könige Englands gekrönt worden sind. Ich setzte mich neugierig auch darauf, und fand ihn für einen Steinstuhl sehr be- quem. Noch angenehmer mag es sich allerdings dar- auf sitzen, wenn man im Begriff ist, die königliche Krone zu empfangen. Neben der Kirche ist eine sehr hübsche, gothisch verzierte Bibliothek, deren Einrichtung mir sehr zweck- mäßig schien. Die Schränke und Fächer sind nume- rirt, die ersten mit römischen Zahlen, die zweiten mit Buchstaben. Jedes Buch hat drei Nummern aufgeklebt, oben die des Schranks, dann des Fachs und unten seine eigne Zahl, so daß man es im Au- genblick finden kann. Die Nummern verstellen auch die Bücher gar nicht, da es Papierchen in Form gold- ner Sonnen sind, in deren Mitte der Buchstabe oder die Nummer steht. In der Ecke des Saals ist eine äußerst leichte und bequeme Wendeltreppe angebracht, um zur Gallerie zu gelangen, die etwas über der Mitte der Schränke umherläuft. Ueber allen Büchern (ein excellentes Mittel, um sie vor dem Staube zu bewahren) sind leichte Pappdeckel mit umgeschlagenen Enden an dem Repositorio befe- stigt, die beim Herausnehmen der Bücher nur ein wenig aufgehoben zu werden brauchen. Sie sind mit violettem Papier überzogen, und liegen nur ganz lose auf. Der Buchstaben-Catalog ist folgendermaßen ein- gerichtet: pagina 20 . Dieß wird genügen, ihn Dir deutlich zu machen, und da ich aus Erfahrung weiß, welch’ schwieriges Geschäft das Ordnen einer Bibliothek ist, und wie viel verschiedene Manieren es dafür gibt, so habe ich diese, als sehr passend für eine kleinere Büchersamm- lung, aufzeichnen wollen. Eine andere gute Einrichtung besteht in der Auf- stellung von Bücherbehältnissen, um das einzelne Herumliegen derjenigen Bücher zu verhindern, die in öfterem oder gewöhnlichem Gebrauch sind. Sie haben die Form einer doppelten Schaufel, mit einem Unterschied in der Mitte, und emporstehenden Sei- tenrändern. Auf beiden Seiten werden die Bücher hineingestellt. Die gothischen Fenster sind hier zwar modern, aber denen in der Kirche sehr gut nachge- abmt. Auch die Art, wie sie in Blei gefaßt, sehr ge- fällig, mit sich fortwährend durchschneidenden Cirkeln. Der Kamin war mit sammt der Einfassung ebenfalls in der Form eines gothischen Fensters gehalten, eine originelle Idee aus alter Zeit. Von den seltnen Bü- chern und Manuscripten, die hier aufbewahrt wer- den, konnte ich nichts zu sehen bekommen, da der Bibliothekar abwesend war. In einem Winkel fand ich jedoch eine sehr curieuse Abbildung der großen Prozession bei des Herzogs von Marlbouroughs Be- gräbniß. Es ist fast unglaublich, wie sich seit dem die Trachten und Gebräuche schon so vollständig verän- dert haben. Der steinalte Küster, welcher mich herum- führte, wollte sich noch als Knabe erinnern, derglei- chen Soldaten mit langen Haarbeuteln gesehen zu haben. Eine Viertelstunde vom Dom liegen auf einem Hügel, angränzend der Stadt, die romantischen, mit Bäumen reich überwachsenen und mit Epheu bedeck- ten Ruinen der Abtei von St. Mary. Man hat die nicht lobenswerthe Absicht, auf demselben Hügel, Briefe eines Verstorbenen. IV. 12 dicht daneben, ein öffentliches Gebäude aufzurichten, und ist eben jetzt beschäftigt, den Grund dazu zu gra- ben, wobei man auf die schönsten verschütteten Ueber- reste der alten Abtei gestoßen ist, die kunstreiche Ar- beit noch so wohl erhalten, als wenn sie erst gestern fertig geworden wäre. Ich sah mehrere herrliche Ca- pitäle noch in der Erde, und in einem Hause dane- ben vorzügliche Basreliefs, die man während der Ar- beit dahin gebracht hatte. Wir passirten hierauf den Fluß (die Ouse) in einem Kahn, und setzten unsere Promenade auf der Höhe der alten Stadtmauer fort, ein pittoresker, aber fast unzugänglicher Weg. Die umliegende Gegend ist äußerst frisch und grün, und die vielen gothischen Thürme und Kirchen geben ihr viel Abwechslung und bieten herrliche Prospekte dar. Nach einer Viertelstunde Wegs erreichten wir das sogenannte Micklethor, von dem der alte Barbecan (Seitenwerk) so eben abgerissen worden ist, welches aber im Uebrigen noch seine ursprüngliche Form ganz beibehalten hat. Die bunten und vergoldeten Wap- pen von York und England glänzten ritterlich dar- über in der Sonne. Auf einem nahen Felde hat man vor fünfzehn Jahren ein römisches Grab entdeckt, und der Hausbesitzer, der es gefunden hat, zeigt es jetzt Fremden für Geld in seinem Keller. Das Ge- wölbe, von römischen Ziegeln, ist so frisch wie mög- lich, und das Gerippe im Steinsarge darunter, wel- ches die Zeit dunkelbraun gefärbt, ist nach Aussage der Anatomen eine junge Frau, und was nach zwei- tausend Jahren viel sagen will, sie hat noch einige beaux restes — nämlich herrliche Zähne, und dazu einen der schönsten cranologischen Schädel. Ich un- tersuchte ihre Organe sorgfältig, und fand die wün- schenswerthesten Eigenschaften, ja in solchem Maße, daß ich es sehr bedauerte, sie zweitausend Jahre zu spät kennen gelernt zu haben, sonst hätte ich sie ge- heirathet. Einen besser organisirten Schädel finde ich gewiß nie. Reich scheint sie indessen nicht gewe- sen zu seyn, denn es haben sich nur zwei Glas-Fla- cons in ihrem steinernen Sarge gefunden — an sich jedoch höchst merkwürdige Gegenstände, deren Glei- chen man, so vollkommen erhalten und unserm Glase so ähnlich, so viel ich weiß, außer Pompeji noch nir- gends angetroffen. Das Glas unterscheidet sich von unserm nur durch einen silberartigen Schein, und hat, was am meisten auffällt, nirgends eine Marke, die anzeigt, daß es geblasen sey, welche Marke man bei allen unsern ungeschliffenen Gläsern nicht verber- gen kann. Die Direktion des Londoner Museums hat dem Besitzer schon große Summen für diese Glä- ser geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für ei- nen Thaler unseres Geldes die Merkwürdigkeit Frem- den zu zeigen. Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt wa- ren, ging es nun noch mühsamer auf der zerbröckel- ten Stadtmauer weiter, bis wir nach halbstündigem Klettern eine schöne Ruine, Cliffords Thurm ge- nannt, erreichten. Dieser alte feste Thurm spielt eine Rolle in der englischen Geschichte. Einmal un- ter andern wurden tausend Juden bis auf Einen 12* darin verbrannt, die heut zu Tage Rothschild wohl gerettet haben würde. Zuletzt flog Cliffords Tower als Pulverthurm vor hundert Jahren in die Luft, und ist seitdem dem Saturn, der alten fressenden Zeit, gänzlich verfallen. Doch die Zeit reißt ein, baut aber auch auf, daher stürzten die Trümmer zwar zu- sammen, aber Ephen umschloß sie wieder wie dichter Haarwuchs, in dem Tausende von Sperlingen nisten, und in der Mitte des hohen Thurmes ist sogar ein stolzer Nußbaum emporgewachsen, dessen Krone be- reits viele Fuß über die dachlosen Mauern hervor- ragt. Der Hügel, auf dem die Ruine steht, soll von den Römern aufgefahren worden seyn, und ein Mann, der kürzlich um Schätze zu suchen einen Schacht durch- arbeitete, fand den ganzen Fuß des Berges fast ganz aus Menschen- und Pferde-Knochen bestehend. So ist die Erde, überall ein großes Grab und eine große Wiege! Von Ruinen und Todten begab ich mich zu den lebendig Todten, die zu den Füßen des Thurmes schmachten; den armen Gefangenen in den Graf- schaftsgefängnissen. Aeußerlich scheint ihre Wohnung zwar ein Palast. Innerlich sieht es aber anders aus, und die armen Teufel dauerten mich herzlich, die in zwar reinlichen aber doch schauerlichen und naßkalten Zellen hier den ganzen Winter hindurch, bis Monat März, blos Verdachts wegen , sitzen müssen, mit der angenehmen Perspektive, dann vielleicht gehangen zu werden. Keine Entschädigung erwartet sie, wenn sie frei gesprochen werden sollten! Im Hofe, wo die Schuldner herumgehen dürfen, weideten zugleich in ihrer Gesellschaft zwei Jagdpferde, eine Hirschkuh und ein Esel. In allen Räumen und Zellen, die ich be- suchte, fand ich Ordnung und Reinlichkeit gleich lo- benswerth. Die merkwürdigste Eigenthümlichkeit die- ser Gefängnisse aber ist eine Art Diebes-Garderobe, mit wahrer Eleganz, wie eine Theater-Garderobe aufgestellt. Ein stark mit Wein überladener Gefan- genwärter stammelte folgende Erklärungen her: „Hier sehen Sie die Perrücke des berühmten Gran- by, die ihn so verstellte, daß er zehn Jahre lang nicht attrapirt werden konnte. Wurde hier gehangen 1786. Hier der Zaunpfahl, mit dem Georg Nayler vor zwei Jahren auf dem Wege nach Duncaster erschlagen wurde. Delinquent wurde letztes Frühjahr hier ge- hangen. — Der Knockdown (Schlagnieder) von Stef- fens, womit er sechs Leute auf einmal umgebracht. Wurde vor zwei Jahren ebenfalls hier gehangen. — Die ungeheuren eisernen Schienen, mit denen Kirk- patrick allein festgehalten werden konnte. Siebenmal entwischte er vorher aus den festesten Gefängnissen. Aber diese Schienen, die ich ihm selber noch ange- legt, die waren ihm doch ein bischen zu gewichtig. (Es waren complette eiserne Balken, die ein Pferd kaum hätte fortschleppen können.) Er trug sie nicht lange, denn zwei Monate darauf wurde er, gerade am ersten Mai, an einem herrlichen Tage, gen Him- mel expedirt. — Hier die Maschine, mit der Cork falsche Guineen gestempelt. War ein sehr anständi- ger Gentleman. Gehangen 1810.“ Bitte, unterbrach ich ihn hier, was für eine Waffe war dieser riesen- große hölzerne Schlegel? „O, schmunzelte der alte Kerl schwankend, die ist unschuldig, he he, das ist nur mein Zuckerschlegel, wenn ich Nigus mache, he he, den habe ich mir hier nur so parat gestellt.“ Die Garderobe befand sich auch immediat neben seiner Wohnstube, und schien eine Liebhabersammlung, die seinem eigenen Eifer allein ihr Entstehen verdankte. Wie verschieden sind doch die Steckenpferde der Men- schen! Ich fürchte, Du bist bereits müde von der langen Promenade, liebe Julie, mußt mir aber doch noch ein wenig weiter folgen, ja aus der Tiefe geht es sogar wieder mühsam bis zur höchsten Höhe hin- auf. Ich wünschte nämlich das ganze Amphitheater meiner bisherigen Tour nebst dem prächtigen Mün- ster, auf einen Blick zu übersehen, und wählte mir dazu einen gothischen Thurm von den schönsten Pro- portionen aus. Er ist von oben bis unten von kunst- reicher durchbrochener Arbeit, und hinter dem trans- parenten Gewebe hatte ich mit meinem Operngucker schon von fern Leitern bis oben hinauf entdeckt, die mich sehr reizten, sie zu besteigen. Nach einem der- ben Marsch, auf dem wir ein altes Stadtthor berühr- ten, das Adelsthor genannt, welches seit fünfzig Jah- ren vermauert war, und nun wieder geöffnet wor- den ist, um zur Passage für den neuen Viehmarkt zu dienen, der sehr elegant und zweckmäßig mit drei Reihen Bogen für Schaafe, Rindvieh und Pferden versehen ist, gelangten wir endlich zu besagtem Thur- me, eine Zierde der ältesten Kirche in York. Es machte einige Mühe, den Küster zu finden, einen schwarzen Mann, der mehr einem schmutzigen Köhler, als einem geistlichen Offizianten ähnlich sah, sich aber dabei doch voller guten Willens zeigte. Ich frug, ob man auf die mit herrlichen Galerien gezierte Spitze des Thurmes gelangen könne? Das weiß ich nicht, war die Antwort, denn ich bin selbst nie oben ge- wesen, obgleich ich schon zehn Jahre Küster bin. Es sind blos alte Leitern da, und oben fehlt ein Stück daran, es wird also wohl nicht gehen. Dies be- feuerte meinen abenteuerlichen Tik, und ich eilte ohne Zögern thurmaufwärts auf der schlechtesten, dunkel- sten, engsten und verwittertsten Wendeltreppe, die man sich denken kann. In Kurzem erreichten wir die Leitern. Wir bestiegen sie ohne Aufenthalt, und kamen auf die erste Plattform. Hier aber bedankte sich schon Küster und Lohnbediente weiter zu klettern. Eine hohe und allerdings sehr schwankende Leiter mit vie- len fehlenden Sprossen führte zur Spitze, wo oben, ungefähr sechs Fuß weit, die Sprossen ganz fehlten, bis zu einem viereckigen Loch, durch welches man auf das platte Dach hinaus gelangte. Ich mochte nun nicht mehr unverrichteter Sache zurückgehen, klet- terte fort, war bald oben, erreichte mit den Händen den Rand der obern Oeffnung, und schwang mich, mit einiger Mühe, glücklich hinauf. Die Aussicht war in der That prächtig, und ganz nach Wunsch erreichte ich besonders meinen Hauptzweck, den unten so sehr von Häusern encombrirten Dom nun völlig frei, in aller seiner colossalen Majestät gleich einem Kriegsschiff unter Kähnen vor mir zu sehen. Der Wind sauste aber fürchterlich in der Höhe, und alles war hier so sehr im Absterben begriffen, daß die steinernen Sitze der Candelabres in den Ecken der Gallerie, wie diese selbst bereits zum Theil einge- stürzt waren, die noch stehenden aber sich wie Schie- fer abblätterten, auch die Eisen welche sie zusam- menhielten, so locker und verrostet waren, daß im Winde die ganze Plateforme zu schwanken schien. Nach und nach wurde mir in dem fortwährenden Sturme unheimlich zu Muthe. Ich begann also den Rückzug, fand aber das Herunterkommen weit schwerer als das Hinaufklimmen, wie es immer bei solchen Gelegenheiten der Fall ist. Nur muß man sich den entmuthigenden Gedanken keinen Augenblick überlassen, das beste und einzige Mittel, wenn man, wie die Engländer sagen „nervous“ zu werden an- fängt. Indem ich mich also rückwärts nach der Lei- ter gewendet, fest an die Balken anklammerte, ließ ich mich in die Tiefe unter mir hinab und suchte, an den Armen hängend und meine Beine wie Fühlhör- ner ausstreckend, emsig die oberste Stufe — sehr froh als ich endlich festen Fuß faßte. Unten ange- kommen erschien ich eben so schwarz als der Küster. Unterdessen war es Zeit zum Abend-Gottesdienst im Dom geworden, wo die größte Orgel Eng- lands und eine ausgewählte Musik, mir in dem herrlichen Lokal einen schönen Ausruhepunkt ver- hieß. Ich eilte schnell dahin, und verträumte bald eine süße halbe Stunde unter der Töne Gewalt- und Zartheit, denn als Tyrann der Musik, wie Heinze sie nennt, rollte die Orgel dröhnend durch die uner- meßlichen Hallen, und sanft wie Frühlingsbauch be- ruhigten wieder die Stimmen lieblicher Kinder das aufgeschreckte Gemüth. Halb schon in der Dämmerung besuchte ich nach- her noch die goldne Stadthalle, das Rathhaus, wo der Lord Mayor ( nur London und York haben Lord Mayors) dreimal die Woche Gericht hält, und auch die dreimonatlichen Assisen statt finden. Es ist ein altes und schönes gothisches Gebäude. Daneben sind, neu aufgeführt, zwei Säle für die obern und untern Advokaten. In dem der obern sind in modernem bunten Glas die Wappen aller Lord Mayors in den Fenstern angebracht, denn jeder Handwerksmann hat hier ein Wappen. Gewöhnlich sieht man auch schon aus dem Inhalt desselben, weß Geistes Kind der Besitzer ist; der Kaufmann hat ein Schiff, der Holzhändler einen Balken, der Schuster einen Lei- sten ꝛc. Die Devisen dazu fand ich aber zu vornehm gewählt. Am besten hätten sich für die drei ange- führten ohne Zweifel gepaßt, für die ersten das Lieb- lingslied der Berliner Straßenjugend: „O fliege mein Schifflein, o fliege!“ beim Zweiten: „Sieh nicht den Splitter in des Fremden Auge, indem Du den Bal- ken in Deinem eignen übersiehst.“ Beim Dritten endlich: „Schuster bleib bei deinem Leisten!“ Das Letzte aber wäre freilich zu schwierig für einen Lord Mayor! Ich habe nun das gehörige Gleichgewicht herge- stellt, d. h. meine Hände sind eben so müde vom Schreiben, als meine Beine vom Gehen. Es ist Zeit, dem Magen auch einige Arbeit zu gönnen. Wäre ich Walter Scott, so gäbe ich Dir den Küchenzettel, so aber wage ich es nicht, statt dessen lieber noch ein Wort über die Nachtisch-Lektüre, zu der mir wiederum die berühmte Maintenon gedient. Es rührte mich, wie die arme Frau das traurige Einerlei, die bittere G é ne ihrer Lage so treu schil- dert, und sich so oft und herzlich, mit unverkennba- rer Wahrheit, nach dem Abtreten von diesem Thea- ter sehnt, das wie sie sagt, schlimmer wie jedes an- dere, von Morgen bis Abend dauert ! Un- ter aller Pracht und Macht scheint ihr doch der Tod das Wünschenswertbeste, und man kann sich nach so unendlich langer Leere, nach dem Aufopfern aller Eigenthümlichkeit so viele, viele Jahre hindurch, die tödtliche Ermüdung des Geistes wohl denken, die nach Erlösung schmachtet. Der religieuse Wahn, dem sie sich hingegeben, ist auch daraus erklärlicher, und lag überdem in der Zeit, die in dieser Hinsicht völlig kindisch war. Hätte ein Geist wie Frau von Main- tenon später gelebt, so würden Molinisten und Jan- senisten ihr kaum ein Lächeln der Verachtung abge- wonnen haben, in der ihrigen war es anders. Sie bleibt in ihrer Art eine große Frau , wie Ludwig der XIV. ein großer König , in einer kleinen Zeit, die eben, weil sie klein war, die kleinen Dinge, Hof, Gesellschaft ꝛc., weit vollkommner ausbildete als die unsrige, und daher dem dichterischen Ge- müth, das überall das Vollkommene, es sey klein oder groß, mit Vergnügen gewahr wird, ein immer neu anziehendes Bild darstellt. Den 20sten. Ich hielt heute früh die Nachlese, und besah noch die uralte Kirche All Saints, wo ich, leider in sehr schlechter Erhaltung, vortreffliche bunte Gläser antraf, besonders eine Jungfrau mit dem Christus- Kinde von einer Schönheit, und Lieblichkeit des Ausdruckes, deren Raphael sich nicht zu schämen hätte. Ferner St. Mary’s alte Kirche, die ein selt- sames Thor hat, auf dem eine Menge Hieroglyphen und die Zeichen des Zodiaks in Stein zierlich ausge- hauen sind. Da ich den Erzbischof von York in London hatte kennen lernen, so schrieb ich ihm ge- stern ein Billet, und bat ihn um die Erlaubniß, seine Villa, wo er jetzt residirt, und ihm selbst meinen Besuch zu machen. Er hat mir sehr artig geantwor- tet, und mich gebeten, einige Tage bei ihm zu blei- ben. Da ich dazu keine Lust habe, so nahm ich blos ein Din é auf heute an, und fuhr um 5 Uhr hinaus. Ich fand einen vortrefflich gehaltnen, üppig fruchtbaren pleasure ground und ein stattliches altes gothisches Gebäude in einem ganz besondern Style, der mir sehr wohl gefiel. Es war nicht sehr groß, aber äußerst elegant, und an den 4 Enden des plat- ten Daches standen 4 colossale Adler mit ausgebrei- teten Flügeln. Statt der schweren Cr é neaux, die nur auf ungeheuren Massen sich gut ausnehmen, lief eine durchbrochene Steinbroderie, als Galerie rund um das Dach, die sehr künstlich, leicht und reich zugleich aussah. Daß das Innere wie alles Uebrige prächtig war, kannst Du Dir bei einem Manne denken, der 40,000 L.St. geistliche Revenüen hat. Der alte Erz- bischof, noch ein sehr rüstiger Mann, führte mich überall herum, und unter andern auch in seinen Küchengärten und Treibhäusern, die ausgezeichnet schön sind; besonders die Küchengärten, welche überall mit Blumen geschmückt waren, und in denen alle Arten von Gemüsen und Früchten in höchster Fülle wuchsen. Dabei waren sie so reinlich, wie das ele- ganteste Zimmer gehalten, eine Sache, die unsre Gärtner durchaus nicht begreifen wollen; eben so die Treibhäuser. Keine Spur hier von Unordnung und Schmutz, von herumliegenden Brettern und Utensi- lien, Dünger an den Wegen u. s. w. An den ver- schiedenen Mauern sah man auf beiden Seiten die auserlesensten Fruchtbäume in symmetrischen Linien gezogen, unter andern viele Johannisbeerstämme, die durch Wegnahme aller kleinen Aeste einen solchen Wachsthum erlangt hatten, daß sie wohl 12 Fuß hoch an der Mauer in die Höhe gingen, und über und über mit Trauben behangen waren, welche klei- nen Weinbeeren an Größe glichen. In den Treib- häusern, wo herrliche Ananas und Grenadillas (eine westindische Frucht in Form einer kleinen Melone und von Geschmack der Granate ähnlich), üppig wuchsen, war an jedem Fenster eine verschiedene Weinsorte gezogen. Alles hing voller Früchte. Die Bäume an den Mauern im Freyen, deren ich vor- hin erwähnte, waren mit Netzen verhangen, und werden später mit Matten zugedeckt, so daß man bis Ende Januar reife Früchte davon pflücken kann. So war auch noch jetzt eine Stelle im Garten voll reifer Erdbeeren von einer besondern Sorte, und der Erzbischof versicherte, er erhalte diese ebenfalls bis im Januar im Freien. Als ein neues Gemüse von besonders gutem Geschmack zeigte er mir nor- männische Kresse, die auf dem Schnee abgeschnitten wird. Die Menge der noch blühenden Blumen, welche überall die Gänge und Gemüsebeete umgaben, war auffallend. Ich weiß zwar, daß das Klima die Gärt- ner hier sehr begünstigt, demohngeachtet müssen sie vor den unsrigen noch andere Vortheile in der Be- handlung der Blumen voraus haben. Im pleasure ground fand ich Lerchenbäume, die nicht nur riesenmäßig groß waren, sondern auch so dunlel im Laub wie Fichten, und ihre herabhängen- den Aeste wohl 20 Fuß weit umher auf dem Rasen ausbreiteten. Wie ich hier zum erstenmale hörte, hält man es für die Nadelhölzer sehr heilsam, wenn ihre Aeste die feuchte Erde berühren können, weil sie durch diese ungemein viel Nahrung einsaugen sollen. Ein ächt Erzbischöfliches Din é beschloß den ange- nehmen Abend. Dabei fiel mir das Verhältniß der vornehmen englischen Geistlichen zu ihren Weibern wieder recht sonderbar auf. Ich sagte Dir, glaub’ ich, schon, daß diese weder den Titel noch Namen ihrer Männer tragen, sondern, wie bloße Freundinnen, blos den ihrigen behalten. Die hiesige Dame des Hauses war indeß eine Lady in her own right von angesehener Familie und dabei eine sehr artige Frau. Sie hat 10 Söhne und 3 Töchter. Von den letzten befand sich nur eine zugegen, ohngefähr 20 Jahr alt, die ein bei Weibern seltnes Unglück gehabt hat, näm- lich ein Bein zu verlieren, das man ihr nach einem Falle vom Pferde abnehmen mußte. Die Kleidung versteckt aber bei einer Frau diesen Mangel weit bes- ser als bei einem Manne, und ich bemerkte nicht einmal einen gehinderten Gang an ihr, ehe ich davon unterrichtet war. Scarborough den 21sten. Ich vergaß gestern einer drolligen Geschichte zu erwähnen, die bei Tische erzählt wurde, und gewiß das stärkste Beispiel von Distraktion aufstellt, welches Du, den sich köpfenden Irländer abgerechnet, noch gehört haben wirst. Lord Seaford erzählte von sei- nem Onkel dem alten Grafen von Warwick, der schon früher wegen seiner Zerstreutheit berühmt war, daß er einst in einem wichtigen Geschäft von War- wick Castle Abends nach London reiste, dieses dort den andern Tag zu seiner Zufriedenheit beendigte und in der Nacht wieder zurückfuhr. Als er in Warwick ankam, fiel er in Ohnmacht. Alles er- schrack und frug den Kammerdiener, ob sein Herr schon in London krank gewesen sey. Nein, sagte die- ser, er ist ganz wohl, aber ich glaube, Gott verzeih mir, er hat, seit er weg ist, vergessen — zu essen. Dies war auch wirklich der Fall, und ein Teller Suppe, den man so fort Seiner Herrlichkeit applizirte, brachte schnell Alles wieder in die gewohnte Ordnung. Ich schreibe Dir aus einem Seebade, das sehr romantisch seyn soll. Ich selbst weiß zwar nichts da- von, denn es war stockfinster als ich ankam. Mor- gen früh habe ich dagegen alle Hoffnung auf die schönste Aussicht, da ich im 4ten Stock logire, weil das ganze Haus schon besetzt ist. Während der Reise hierher besah ich das Schloß Howard, dem Lord Carlisle gehörig. Es ist dieß ei- ner der englischen shewplaces, (Schau- und Para - deplätze) gefällt mir aber nicht im Geringsten. Schloß Howard stammt von Sir Vanburgh her, demselben Baumeister, aus Ludwig XIV ten Zeit, der in dem gleichen schlechten französischen Geschmack Blenheim gebaut hat. Dieses imponirt jedoch durch seine Masse, dagegen Schloß Howard weder imponirt noch anmuthig erscheint. Dabei hat der ganze Park etwas höchst Trauriges, Steifes und Desolates. Auf einem Berge steht ein großer Tempel, das Erbbegräbniß der Familie. Die Särge sind in Zellen rund herum ver- theilt, die meisten noch leer, so daß das Ganze in- wendig wie ein Bienenstock aussieht, nur freilich stil- ler! Im Schloß befinden sich schöne Gemälde und Antiken. Unter den ersten sind besonders die soge- nannten 3 Marieen von Annibal Carrache berühmt. Es stellt dieses Gemälde den todten Christus dar, hinter welchem seine Mutter Marie in Ohnmacht ge- sunken ist. Die Großmutter Marie eilt klagend her- bei, und Marie Magdalene stürzt sich verzweifelnd über den Leichnam. Die Abstufung zwischen dem wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten Schmerz des Alters, und der lebendigen Verzweif- lung der Jugend ist bewunderungswürdig wahr dar- gestellt. Jedes Glied an Christus Körper erscheint wahrhaft todt; man sieht, diese Form hat für immer ausgedient, bewegungslos, kalt und starr. Alles dagegen ist Bewegung und Leben an der schönen Magdalene, bis auf die Haare selbst, möchte ich sa- gen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bit- tersten Jammer. Gegenüber hängt Annibals Bild von ihm selbst gemalt. Es zeigt sehr auffallende Züge, und sieht einem verwegnen Highwayman ähnlicher als einem Künstler. Dich liebe Julie würde eine Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des I. , die sämmtlichen Herren und Damen seines Hofes, in 50 — 60 Portraits, am meisten angezogen haben. Es waren gemalte Memoires. Unter den Antiken amüsirte mich eine der Capitol-Gänse von Bronze, die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgesperrten Schnabel schnattern zu hören glaubt. Ein vortreff- lich erhaltenes Bild Heinrich VIII. von Holbein ist der Erwähnung werth, sonst fiel mir eben nichts be- sonders auf. Der bekannte heilige Johannes von Domenechino befindet sich auch hier, angeblich als Original. Wenn ich nicht irre, ist das ächte jedoch in Deutschland. Der Park, in großen Massen steif gepflanzt, ist besonders reich an Thorwegen. Ich kam durch 7, sage Sieben, ehe ich das Schloß er- reichte. Ueber eine schmutzige Wasserlache, ohnfern dem Schloß, führt eine große Steinbrücke mit fünf oder sechs Bogen, über die Brücke jedoch kein Weg! Sie dient blos als Prospekt, und damit man dies recht genau gewahr werde, ist auch nicht ein Strauch daneben, oder davor gepflanzt. Es scheint, daß die ganze Anlage völlig so geblieben ist, als sie vor 120 Jahren gestiftet wurde, mit allen ihren Alleen, Quinconcen ꝛc. Obelisken und Pyramiden sind wie Pilze darin aufgewachsen, denn jede Aussicht bietet dergleichen als harten Endpunkt. Die eine Pyra- mide ist indessen wenigstens nützlich, denn sie ist zu- gleich ein Gasthof. Den 22sten. Wenn die Leute in England so oft an Erkäl- tungen und Schwindsucht sterben, so liegt es noch mehr an ihren Gewohnheiten als an dem Clima. Spaziergänge auf dem nassen Rasen sind die belieb- Briefe eines Verstorbenen. IV. 13 testen, und in jedem öffentlichen Zimmer sind bestän- dig mehrere Fenster offen, so daß man es vor Zug kaum aushalten kann. Auch wenn sie zugemacht sind, pfeift der Wind doch hindurch, denn selten sind sie dicht und nie doppelt. Das Clima selbst ist aber auch, so gut es die Vegetation unterstützt, für Men- schen abscheulich. Heute ritt ich bei dem schönsten Wetter und klarsten Himmel, auf einem Miethgaul, um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde fort, als mich schon der schrecklichste Platzregen über- fiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte ich ein Dorf, wo ich, in der Verzweiflung, nirgends einen Thorweg zum Unterreiten zu finden, vom Pferde absprang, und in eine Stube zu ebner Erde eindrang, deren Thür offen stand, und wo zwei ur- alte Weiber etwas am Kamine brauten. In Eng- land wird alles Häusliche so heilig gehalten, daß ein Mensch, der in eine fremde Stube tritt, ohne sorg- fältig vorher sich annoncirt und um Erlaubniß ge- beten zu haben, stets Schrecken und Unwillen erregt. Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Ursache meines Eindringens deutlich genug von meinem Hut und Kleidernrann, nicht zum besten von den alten Da- men empfangen, deren Rang höchstens dem einer Schusters- oder Tischlers-Frau gleich seyn mochte; nichts aber malt das Entsetzen und den ohnmächti- gen Zorn meiner Wirthinnen malgré elles, als, kaum daß ich beim Feuer angelangt war, der Miethgaul, dessen Klugheit Nestor Ehre gemacht haben würde, sich ebenfalls durch die Thüre drängte, und ehe man ihm wehren konnte, höchst ruhig und anständig beim Kamine stand, um mit einer schalkhaft dummen Miene seine triefenden Ohren am Feuer zu trocknen. Die beiden alten Hexen wollten vergehen vor Wuth, ich vor Lachen. Mit Gewalt sollte ich nun das Thier wieder herausbringen — mir aber that der arme Gefährte zu leid, selbst wagten sie nicht Hand an ihn zu legen, und unter Schelten und Schmähen, was ich, so gut ich konnte, durch süße Worte und einen Schilling zu besänftigen suchte, blieben wir so, halb bittend, halb gewaltsam, beide glücklich in der Stube, bis wir ein wenig trockener geworden waren, und die Bouraske aufgehört hatte. Das Trocken- werden half indeß nicht viel, denn beim Eintritt in das romantische Forge-Valley fingen Sturm und Regen von neuem zu toben an. Ich ergab mich in mein Schicksal, obgleich ohne alle Schutzmittel, und tröstete mich mit den Schönheiten der Umgebung, ein enges hohes, mit üppigem Wald bewachsenes Thal, in dem ein reißender Waldbach sich schäumend seinen Weg bahnte. An dem Bache hin führte eine bequeme Straße. Ich bemerkte unterwegs eine einfache und hübsche Art, einen Quell zu fassen, blos durch zwei große gesprengte Steine mit einem noch größern quer darüber gelegt, unter welcher Pforte das Wasser sprudelnd hervorströmte. Um einer Verkältung wo möglich zu begegnen, nahm ich bei meiner Zuhausekunft ein warmes See- bad, und begab mich dann auf den Sand , d. h. 13* auf die Stelle, wo das Meer bei der Ebbe zurück- tritt, eine sehr eigenthümliche Promenade. Reitpferde und Wagen stehen darauf in Menge zum Miethen bereit, und man kann mehrere Meilen, hart am Saum der Wellen, auf einem Boden zart wie Sammt da- hinreiten. Das alte Schloß von Scarborough auf der einen Seite, und eine prächtige eiserne Brücke, die zwei Berge verbindet, auf der andern, erhöhen das Pittoreske des Anblicks. Ich ritt nachher bei der Abendsonne Schein auch noch auf das Schloß hinauf, von dem die Aussicht prächtig ist, und das eine imposante Ruine bildet. Hier wurde Gaveston, der Günstling Eduard II. , vom Grafen Warwick, dessen Grab ich Dir auf meiner ersten Landtour be- schrieb, gefangen, und schnell zur Hinrichtung nach seinem Schlosse abgeführt. Auf dem höchsten Punkte der Ruine steht ein ei- sernes Behältniß, wie ein Kiehnkorb construirt, das zu Signalen dient. Es wird eine große Tonne Theer hineingesetzt und angezündet. Sie brennt dann in hohen, lodernden Flammen die ganze Nacht. Das Schloß steht auf einem weit in die See hervortre- tenden Felsen, der circa 150 — 200 Fuß senkrecht aus der See emporsteigt, und oben neben dem Schloß auf seiner Oberfläche noch eine schöne Wiese bildet. Den 23sten. Meine heutige Excursion führte mich an der See- küste hin nach Filey, wo eine berühmte Felsenbrücke von der Natur selbst in das Meer hineingebaut wor- den ist. Derselbe Miethgaul, eine Stute ihres Ge- schlechts, den ich gestern ritt, zog mich heute in ei- nem ziemlich gut conditionirten Gig. Das Meer war schön blau und voller Segel. In Filey, einem Fischerdorf, nahm ich einen Führer, und eilte auf dem festen Meersande der Brücke zu. Wir kamen bei vielen seltsam gestalteren Felsen vorüber, hie und da lag auf einer Spitze ein Fisch in der Sonne, der bei der Ebbe sitzen geblieben, und dort lebendig ge- röstet worden war; manche Hohlungen in Stein fand ich mit einer Unzahl kleiner Muscheln angefüllt, die von weitem Thonkugeln glichen. Die Brücke selbst ist eigentlich nur ein breites Felsenriff, welches eine halbe Viertelstunde in das Meer hinausgebt. Selt- sam sind die einzelnen Blöcke in phantastischen Fi- guren durcheinander geworfen, und man muß sich sehr in Acht nehmen, nicht von ihren schlüpfrigen Kanten hinabzugleiten. Die Fluth kam bereits heran, und deckte schon einen Theil des Riffs. Nachdem ich alles hinlänglich betrachtet, kletterte ich an den Uferfelsen ziemlich beschwerlich hinan, um den Rückweg oben zu nehmen, wo ein angenehmer Wiesenweg mich bald zum nahen Gasthof brachte, in dem mein Fuhrwerk mich erwartete. Flamboroughhead den 24sten Abends. Entfernungen werden hier ganz anders calculirt als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte mich heute, fünf deutsche Meilen weit, bequem in zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mie- thete ich ein anderes Pferd, um den noch 1½ deutsche Meile weiter entfernten Leuchtthurm und die Fel- senhöhlen zu erreichen, welche Flamboroughhead merk- würdig machen. Es war das schönste Wetter ge- worden, und dabei sehr windig, so daß ich diesmal wenigstens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, — ich irrte mich aber sehr, denn kaum bei den Meerfelsen angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platz- regen, sondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine ange- nehme Veränderung, denn Donner und Blitz nah- men sich auf der Spitze der Kalkfelsen, senkrecht über dem schäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Doua- nier, welcher mich begleitete (es ist eine Station die- ser Leute hier neben dem Leuchtthurm), brachte mir, den nur ein leichter Frack schützte, zwar sehr gefällig einen Regenschirm, der Sturm erlaubte aber nicht, auf dem gefährlichen und schlüpfrigen Wege über den Abgrund sich desselben zu bedienen. Das Meer hat die Kalkfelsen hier so unter- und ausgewaschen, daß viele thurmartige Pfeiler ganz einzeln im Wasser stehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den schwarzen Himmel noch greller gemacht, riesenhaften Seegespenstern gliechen, in weite Leichentücher ge- hüllt. Außerdem gibt es eine große Menge Höhlen von verschiedener Größe, zu denen man während der Ebbe trocknen Fußes gelangen kann. Jetzt war in- deß grade hohe Fluth, und ich mußte ein Fischerboot benützen, was glücklicherweise sich dort eben aufhielt, um zu der größten der Höhlen zu fahren. Der fri- schen Luft wegen ruderte ich den ganzen Weg tapfer mit, und fand diese Bewegung, die ich heute zum erstenmal versuchte, so angenehm, daß ich sie künftig so oft als möglich wiederholen will. Die See ging so hoch, daß ich an Gefahr glaubte, und dem Fischer dies äußerte. Er antwortete ganz poetisch: „O Herr! glaubt Ihr, daß mir das Leben nicht eben so süß ist als Euch, weil ich nur ein armer Fischer bin? Bis an die Höhle ist keine Gefahr, aber hinein dür- fen wir heute nicht.“ Ich warf also nur einige Blicke in den ungeheuern Thorweg, wo der Meeres- schaum unter dem Heulen der Wellen, wie Rauch emporwirbelnd, umherspritzte. Da mich der Fischer versicherte, daß man sich vom Seewasser nie erkälte, so tauchte ich meine nassen Glieder nochmals in die grüne Salzfluth, und bestieg dann mein Roß, um dem Leuchtthurm zuzureiten. Dieser war mir um so interessanter, da ich nur einen sehr unvollkommenen Begriff von der Construction dieser Thürme hatte. Er hat oben einen Aufsatz von Glas wie ein Treib- haus, in dessen Mitte an einer eisernen Stange 21 Lampen im Cirkel umher befestigt sind, die sich durch eine Art Uhrwerk immerwährend langsam drehen. Alle diese Lampen sind mit großen, inwendig stark mit Silber plattirten, stets mit höchster Reinlichkeit geputzten Reflectoren versehen, und sieben davon ha- ben außerdem eine Scheibe rothes Glas vor sich, welches in Newcastle gemacht wird, und dem alten Rubinglas fast ganz gleich kömmt. Dies hat den Zweck, das Licht des Leuchtthurms so zu wechseln, daß es in der Ferne bald roth bald weiß erscheint, und dadurch, von den Schiffen aus, von jedem an- dern Licht ohne Mühe unterschieden wird. Die Lam- pen werden mit Oel gespeist, das so rein wie Wein ist, und von dem ein ganzer Keller voll Fässer stets im Vorrath bleibt. Eben so ist der ganze Apparat doppelt vorhanden, um bei einem Zufall das Be- schädigte auf der Stelle ersetzen zu können. Die Lampen bilden zwei Kreise übereinander, unten 12, oben 9. Ich bemerkte einen Tisch zum Putzen der Lampen, der mir sehr zweckmäßig schien, um das Springen der Gläser zu verhindern. Die obere Platte ist von Eisenblech, mit mehreren Nischen und Löchern neben einander, um die Gläser hineinzustellen. Auf einer Platte darunter steht ein Kohlfeuer. Diese Vorrich- tung darunter hat den doppelten Nutzen, einmal daß die Gläser gleich in eine sichere Lage kommen, zwei- tens daß sie nicht leicht springen, da fortwährend das Blech in gelinder Wärme erhalten wird. Eine Gelegenheit, die ich hier finde, diesen Brief sicher nach London an die Gesandtschaft zu spediren, erlaubt mir meinen Reisebericht zu theilen. Ich schließe daher für diesmal, immer mit der Bedingung, wie Sheherazade morgen wieder anzufangen. Also sans adieu. Dein L. Neunzehnter Brief . Whitby den 25sten. Theure Julie! Ich hatte etwas lange nach der gestrigen fati- guanten Tour geschlafen, und verließ daher Scar- borough erst um 2 Uhr. Der Weg bis Whithy ist der vielen Berge wegen schwierig und der Anblick der Gegend sonderbar. So weit man umherblickt, kein Strauch, kein Haus, keine Mauer noch Zaun. Nichts als endlos wogende Hügel, oft von der selt- samen Form regelmäßig aufgestürzter Halden, dicht mit Heidekraut bedeckt, das in der Nähe die schönsten violetten und rosenrothen Blüthen darbietet, in der Ferne aber nur ein und dieselbe düstere, rothbraune Farbe über das ganze Land breitet, welches den Grouse-Jägern eine reiche Erndte darbietet. Keine Abwechselung als eine Menge weißer Punkte, die sich langsam hin und her bewegen — und was sind diese? — Tausende von Haidschnucken, die sehr scheu sind, meistens schwarze Köpfe haben, und gegen de- ren Wolle Pudel und Schafspitze Seide aufweisen können. Eine Stunde vor Whithy, wenn man aus den kahlen Bergen wieder hinabsteigt, verändert sich die Gegend nach und nach, und wird bei der Stadt sehr romantisch. Die englische Reinlichkeit und Zier- lichkeit verliert sich indeß immer mehr und mehr. Whitby sieht einer alten deutschen Stadt vollkommen gleich. Ohne Trottoirs, eben so schmutzig, mit engen Gassen, aber auch mit herzlichern, freundlichern Bewohnern. In diesen ärmlichen Ort kommen wahrscheinlich selten Reisende von einiger Apparence an, oder hielt man mich für einen Andern, kurz man belagerte mich wie ein Wunderthier, und ließ mich nicht ohne eine Eskorte von wenigstens hundert Menschen ausgehen, die sich zwar sehr gutmüthig, aber doch auch sehr zu- dringlich andrängten, um mich vom Kopf bis zum Fuß zu betrachten. Mir fiel dabei eine komische Anek- dote ein, die ich neulich vom Herzog von Leeds hörte. Dieser Herr war sehr herablassend mit seinen Unter- gebenen und Pächtern, deren Einer einmal, als der Herzog eben spazieren ging, an ihn herantrat und ihm eine Bitte vortragen zu dürfen bat. Als dies freundlich gewährt wurde, kam er damit heraus, daß sein 12jähriger Sohn ihn Tag und Nacht quäle, den Herrn Herzog zu sehen, und daß, da Er grade jetzt nicht weit von seiner Hütte sey, Er doch die hohe Gnade haben möge, sich von seinem Sohne beschauen zu lassen. Der Herzog gab lächelnd seine Einwilli- gung, ging nach der Hütte, und der erfreute Vater holte den neugierigen Sprößling. Kaum war dieser jedoch hereingestürzt, als er schon verwundert vor dem etwas ältlichen und unansehnlichen Herzog, von dessen Macht und Größe er so viel gehört hatte, stehen blieb, ihn lange ansah, dann befühlte, und nun plötzlich fragte: „Könnt Ihr schwimmen?“ Nein, mein guter Knabe. „Könnt Ihr fliegen?“ Nein, das kann ich auch nicht. „Nun dann, bei meiner Treu, da ist mir doch Vaters Entrich lieber, denn der kann Beides.“ Whitby hat einen, von höchst malerischen Felsen eingefaßten Seehafen, mit einem schönen Molo von Granit, der sich weit ins Meer hinein erstreckt, und von dem man zugleich eine herrliche Aussicht auf die Stadt hat. Besonders schön nimmt sich auf dem ei- nen schroffen Felsenufer die berühmte Ruine der Abtey aus, welche im sechsten Jahrhundert von ei- nem König von Northumberland gegründet ward. Sie ist jetzt das Eigenthum eines Privatmannes, der gar nichts für die Unterhaltung dieses erhabnen Denkmals alter Größe thut. Sein Vieh weidet in den Ruinen, die so voller Unflath liegen, daß man sie kaum näher besichtigen kann. Ich stieg beim Schein des jungen Mondes hinauf, und war entzückt über den romantischen Effekt. Ungeheure Pfeiler, leicht wie schlanke Tannen in die Höhe steigend, mit langen Fensterreihen, sind noch wohl erhalten, und viele kunstreiche Verzierungen so unversehrt, als rauschte heute der erste Herbstwind durch ihre weiten Bogen. Andere waren dagegen durch die Zeit ganz umgewandelt, und manche scheußliche Larven grinz- ten mich im Mondlicht wie Todtenschädel an. Da- neben steht eine noch ältere Kirche, welche auch noch im Gebrauch, und von einem mit Tausenden von dicht bemoosten Leichensteinen bedeckten Kirchhof umgeben ist. Ich wohne in einem ländlichen, aber ganz vortreff- lichen Gafthof, der von zwei Schwestern gehalten wird, welche voller Bereitwilligkeit der Art sind, die nicht aus Interesse, sondern aus wahrer Gutmü- thigkeit entspringt. Da ich etwas zu lesen verlangte, brachten sie mir die Chronik von Whitby, in der ich blätterte, während es draußen heftig stürmte, und der Wind grade so unheimlich pfiff als im guten Schloß zu M.... In dieser Chronik ist einer Schä- tzung der Güter im siebenten Jahrhundert erwähnt, wo Whitby mit Pertinenzien (jetzt vielleicht eine Mil- lion L. St. am Werth) zu 60 Schilling (3 L. St.) angeschlagen ist! Ich lerne auch daraus, daß die große und pracht- volle Abtey weder durch Feuer noch Schwert, sondern im Wege stiller Gewalt, dem Zahne der Zeit überwiesen wurde. Heinrich VIII. confiscirte dies Kloster mit den übrigen, als er vom Pabste abfiel, und verkaufte alles bis auf die einzelnen Steine der Gebäude. Glücklicherweise erstand, nachdem mehrere Häuser der Stadt von dem Material der Abtey schon aufgebaut worden waren, noch der Ahnherr des jetzigen Besitzers den Rest, und ließ wenigstens die Kirche seitdem in statu quo. Guisborough Abends. Ich hatte einen Brief an Lord Mulgrave, den Besitzer eines großen Alaunbergwerks, schönen Schlosses und Parks am Seeufer, geschrieben, und ihn gebe- ten, mich diese Dinge sehen zu lassen. Er schickte mir eine sehr artige Antwort und einen Reitknecht zu Pferde, mich überall hinzubegleiten. Dies machte das gestrige Uebel in der kleinen Stadt noch ärger, und der Magistrgt becomplimentirte mich eine Stunde darauf durch Absendung zweier Mitglieder, die zu- gleich Secretaire des Museums waren, welches sie mir zu zeigen sich anboten. Da dieses Museum in der That wegen der vielen hier gefundenen Fossilien sehr merkwürdig ist, so nahm ich es an. Die halbe Stadt war wieder versammelt, und folgte uns mit der Arriergarde einer sehr geräuschvollen Jugend. Im Museum waren eine große Menge Honoratioren versammelt, und ein Blumenflor neugieriger Damen, von deren anziehenden Blicken ich meine Augen je- den Augenblick auf ein Crocodill, einen alten Wall- fischzahn, oder einen versteinerten Fisch wenden mußte. Die beiden Secretaire hatten sich in die Merkwür- digkeiten getheilt. Der eine machte die Honneurs der Fische und Amphibien, der andere die der Qua- drupeden, Vögel und Mineralien. Beide waren aber so eifrig, mir nichts entgehen zu lassen, daß in der Regel einer den andern unterbrach, wenn dieser eben seinen Spruch angefangen hatte, um mich mit etwas aus seinem respectiven Reiche zu erfreuen. Dies war im Anfang lächerlich, wurde aber zuletzt be- schwerlich, denn während mich A. beim linken Arme festhielt, und anhub: dies ist der berühmte kleine Crocodill, der hier im Bauche einer Boa-Schlange versteinert gefunden wurde, und hier der noch be- rühmtere große, 6 Ellen und . . . . . . ergriff B. mich beim rechten Arm, drehte mich herum, und machte mich auf Mäntel aus Papageyenfedern und den tatovirten Kopf eines Neuseeländers aufmerk- sam, dem man im eigentlichen Verstande die Haut über die Ohren gezogen, und wie Leder gegerbt hatte. Einige Dilettanten empressirten sich noch da- zwischen, mir andere Dinge vorzuzeigen, so daß ich Argus hundert Augen hätte haben mögen, um Alles auf einmal zu betrachten. Was mich am meisten in- teressirte, war ein von Parry geschenktes, vollstän- diges Canot mit Fischer-Apparat der Esquimaur. Es ist nur aus Fischknochen und Seehundsfell ge- macht, und von einer solchen Leichtigkeit, daß man kaum begreift, wie es möglich ist, sich darauf dem Meere anzuvertrauen. Obgleich ziemlich lang, ist es in seiner größten Breite in der Mitte doch kaum einen Fuß breit, und überall, auch von oben, ge- schlossen wie ein Kasten, bis auf ein einziges rundes Loch in der Mitte, worin der Esquimaur sitzt und mit einem Doppelruder, das die Form einer Balancir- stange hat, sich im Gleichgewicht erhält. Eine Art Spaten von den Südsee-Inseln war so schön ge- schnitzt, daß kein Londner Künstler es besser machen könnte. Die Versteinerungen aller Art, sowohl von noch existirenden als antediluvianischen Thieren und Pflanzen, sind außerordentlich zahlreich und schön, und das große, fast ganz erhaltene versteinerte Cro- codill (das ich früher schon anführte), ist allerdings einzig in seiner Art. Etwas sehr Eigenthümliches war auch eine Conglomeration, die sich durch den Ablauf der Kohlenwerke hier in der Nähe, in einer viereckigen hölzernen Rinne vor vielen Jahren ge- bildet hatte. Man sah nämlich darauf sechs schwarze und einen gelben Streifen, wie an einem angeschnittenen Baum- kuchen, fortwährend abwechseln, welches daher ent- standen ist, daß an den Wochentagen, wo im Werke gearbeitet wurde, der Abfluß von den Kohlen schwarz gefärbt war, am Sonntag aber, dem Ruhe- tag, das Wasser, welches viel Ocker enthält, in seiner natürlichen gelblichen Farbe floß. Diese Abwechselung geht mit der größtmöglichsten Regelmäßigkeit sieben Wochen hindurch fort, und bildet jetzt geschliffen eine sehr nette Zeichnung. Die Herren ließen es sich nicht nehmen, mich mit dem gewöhnlichen Gefolge wieder nach meinem Gasthof zurück zu bringen, wo, als ich fortfuhr, ein furchtbares Hurrah erschallte, und meh- rere der Jüngeren beiderlei Geschlechts mich nicht eher verließen, als bis es ihrer Lunge unmöglich wurde, es den Pferden länger gleich zu thun. Auf dem Meersande hin ging es nun langsam dem Alaun- werke zu, Lord Mulgraves Reitknecht voraus. Ich stieg aus, um eine Strecke zu Fuß zu gehen, und amüsirte mich dabei, kleine Steinchen zu sammeln, von denen die glänzendsten Exemplare aller Farben und Formen das Ufer bedeckten. Nach einer Stunde erreichten wir das Bergwerk, welches höchst roman- tisch zwischen den schroffen Felsen am Meere liegt. Ich besah Alles sehr gründlich, wie Du aus meinem beiliegenden Schreiben an den A. D. ersehen wirst. Um von da, wo ich mich befand, zu den Förderungen zu gelangen, mußte ich einen Weg zurücklegen, der nur für Ziegen gemacht zu seyn schien, und von des- sen Unannehmlichkeit mich der Steiger vorher schon avertirt hatte. Einigemal war er kaum einen Fuß breit, und die abhängende Seite ein glatt abgear- beiteter Alaunfelsen von 200 Fuß Höhe. Auf solchen Fußwegen, deren mehrere den Felsen durchschneiden, arbeiten die Leute, und hauen das zu Tage liegende Felsenerz neben sich ab, welches das seltsamste Schau- spiel darbietet, das man sich denken kann, da die Menschen wie Schwalben an der Mauer zu hängen scheinen, und sich, um dahin zu gelangen, oft an Stricken hinaufwinden lassen müssen. Unten im Thal stehen große Karren, die auf Eisenbahnen das Erz fortfahren, welches immerwährend aus der Höhe herabprasselt. Ich brauchte drei Stunden, um Alles zu besehen, und fuhr dann auf’s Schloß, wo mich Lord Mulgraves Söhne (er selbst war krank am Po- dagra) mit einem guten Luncheon bewirtheten, und Briefe eines Verstorbenen. IV. 14 darauf in dem schönen Park umherführten. Er hat seine Schönheit nur der Natur zu verdanken, zu de- ren Felsen, Waldbächen und baumreichen Schluchten sinnig gewählte Fahrwege führen, die einige deutsche Meilen lang sind. Aus dem Schloß sah man unter hohen Eichen und Buchen über einen sanften Rasen- abhang nahe vor sich das Meer mit hundert Segeln bedeckt. Eine Hauptzierde des Parks ist die Ruine des „Old Castle,“ von dem man glaubt, daß es früher ein römisches Fort, und dann die Burg des Sachsen-Fürsten Wanda gewesen sey. Später wurde es einem Vorfahren der Familie vom König Johann für den Mord des jungen Prinzen, den Shakespear so rührend schildert, geschenkt, also ein blutig roman- tischer Ursprung. Die Aussicht von den alten Zinnen ist wild und malerisch. Im neuen Schlosse, welches vor 50 Jahren im gothischen Styl erbaut wurde, fiel mir das Portrait einer Urgroßmutter des jetzigen Lords auf, die eine reizende, und dabei originelle Frau gewesen seyn muß, denn sie ist in tiefer Trauer gemalt, und sitzt dennoch lächelnd am Fenster mit der Ueberschrift in veraltetem Englisch: „Da meines Mannes Liebe nur Spaß war, so ist meine Trauer auch blos Spaß.“ Der jüngste Sohn des Hauses, dessen Familienname für uns nicht wohllautend klingt — nämlich Fips, also der junge Mr. Fips er- zählte mir, daß vor 10 Jahren auf den nahen Schie- ferfelfen, die mit einer scharfen Kante ins Meer hin- eintreten, sich eine sonderbare Begebenheit zutrug. Zwei Mädchen saßen auf einem Abhang mit dem Rücken gegen die See gekehrt. Ein scharfer Felsen- schiefer hoch über ihnen löste sich durch ein Ungefähr ab, und durch die zunehmende Schnelligkeit des Falls fast mit Blitzesschnelle ankommend, schnitt er dem ei- nen Mädchen, das eben emsig mit dem andern schwatzte, den Kopf so rein ab, daß dieser weit auf den Meersand hinausrollte, und der Körper ruhig sitzen blieb. Die Aeltern leben noch im Dorse . Ripon den 27sten. Ich schlief die Nacht sehr gut in meinem Wagen, frühstückte im Blumengarten eines netten Gasthofs, und eilte dann nach Studley-Park, der die famösen Ruinen von Fountains Abbey enthält, welche für die größten und schönsten in England gehalten werden. Sie übertrafen bei weitem noch meine Erwartung, so wie auch den Park. Ich will Dir daher dies Alles in der Ordnung beschreiben. Durch einen majestätischen Wald führt der Weg zuerst an einem Abhange hin, bis man an einer jäh- lingen Wendung desselben in ein langes Wiesenthal kömmt, dessen Breite ohngefähr 300 — 400 Fuß seyn mag, und in dessen Mitte ein kleiner Fluß strömt, den verschiedene natürliche Wasserfälle unterbrechen. Die eine Seite des Thals bildet ein ansehnlicher Bergrücken mit alten Eschen, Buchen und Eichen bewachsen, die andre eine schroffe Felsenmauer mit Schlingpflanzen überhangen und ebenfalls mit ural- 14* ten Bäumen gekrönt. Am Ende schließt sich das Thal in seiner ganzen Breite mit den Ruinen und dem hohen Thurme der Abtey. Du wirst Dir leicht einen Begriff von der Größe dieser Trümmer ma- chen, wenn Du hörst, daß einst die Gebäude der Ab- tey 15 Morgen einnahmen, jetzt die Ruinen noch vier. Das Schiff der Kirche, deren Wände größten- theils noch stehen, ist 351 Fuß lang, das große Fenster dem Altar gegenüber 50 Fuß, und der Thurm, ob- gleich ein Theil einstürzte, noch jetzt 166 Fuß hoch. Die Architektur ist aus der besten Zeit, dem 12ten und 13ten Jahrhundert, eben so einfach als grandiös. Aus der Kirche führt ein Thor nach dem doppelten Klostergang, der 300 Fuß lang und 42 breit ist; ein zweites nach dem Klostergarten, der jetzt wieder von den Besitzern in einen Blumengarten umgeschaffen worden, und rund umher von andern pittoresken Ruinen umgeben ist, nämlich die der Bibliothek, des Justizgebäudes und des Capitelhauses. Das Gewölbe dieses letztern wird, gleich dem Römer in Marien- burg nur durch eine einzige Mittelsäule getragen. In der Küche bewundert man dagegen fast grade , höchst künstlich construirte Wölbungen ohne alle Stütze, und daneben den prachtvollen Eßsaal, der 108 Fuß lang und 45 breit ist. Dies war wie billig der Culminationspunkt der Abtey, welche ihrer Schwel- gerei und Sittenlosigkeit wegen sehr berüchtigt war. In der Kirche sieht man noch mehrere Grabmähler, eines Lord Mowbray in voller Kettenrüstung in Stein ausgehauen, ferner mehrerer Aebte, und zu- letzt einen leeren Steinsarg, in dem Hotspur Perey begraben gelegen haben soll. In der Höhe erblickt man einen wohlerhaltnen Engel mit der deutlichen Jahreszahl 1283 darunter. An der Spitze des Thurms aber liest man noch in gothischen Riesenbuchstaben eine lateinische Inschrift, die schön und passend, da oben in den Lüften schwebend, folgende Worte herab- ruft: „Ehre und Preis dem einzigen Gott durch alle Jahrhunderte!“ Die ganze Ruine ist mit Epheu und Schlingpflan- zen wie mit Vorhängen bedeckt, und majestätische Bäume wehen hie und da daraus hervor. Der Fluß schlängelt sich an ihr hin und treibt einige Schritte weiter die alte Klostermühle, welche immer noch im Gebrauch geblieben ist, fast als wollte sie die Lehre geben, daß, wenn Pracht und Hoheit untergehen, das Nützliche sich bescheiden erhält. Ohngefähr 200 Schritte hinter der Abtey steht das alte Wohnhaus der Familie der Besitzer, welches im 16ten Jahrhun- dert aus den abgefallenen Steinen der Ruine auf- gebaut wurde. Auch dieses ist höchst malerisch, ob- gleich in einem bei weitem weniger edlen Style ge- baut. Seine mit Mauern umgebenen Gärten mit beschnittenen hohen Taxushecken und regelmäßigen Blumenbeeten, und die Mischung des noch ganz Al- ten und schon werdenden Neuen geben der Phan- tasie einen angenehmen und weiten Spielraum. Hier stehen vielleicht die ältesten Taxusbäume in England. Einer, den man 1000 Jahre alt schätzt, hat in der größten Dicke seines Stammes 30 Fuß im Umfang. Auf dem Hause befindet sich, zwischen den Bildern zweier alten Ritter, aus der alten Abtey geraubt, die wahrscheinlich auf diese Figuren anspielende mo- derne Inschrift: Sic transit gloria mundi. Auch Fountain Abbey dankt ihren Untergang der Ein- ziehung der Klöster durch Heinrich VIII. Wenn man die Abtey verläßt, gelangt man nach einer halben Stunde Wegs in einen höchst prachtvollen und mit großem Aufwand unterhaltenen pleasure ground, der durch viel Abwechselung von Berg und Thal, herrliche Bäume und wohlbenützte Gruppirungen sehr anzieht, im Uebrigen aber mit etwas alterthümlichen Anlagen und einer Menge Lusthäusern, Tempeln und bleiernen Statuen ohne Werth zu sehr überladen ist. In einem dieser Tempel, den alten Göttern ge- widmet, stand die Büste des — Nero. Doch diesen kleinen Mängeln wäre leicht abzuhelfen, das viele Schöne der Natur und Anlage wird man aber sel- ten so reich vereinigt antreffen. Am Ende des Wild- parks liegt das Wohnhaus der Besitzerin, welche mit 40,000 L. St. Einkünften doch eine alte Jungfer, von 67 Jahren, geblieben ist. Ich begegnete ihr im Garten und wurde von ihr zum Luncheon eingela- den, was ich mit Vergnügen annahm, da die Pro- menade mich ziemlich hungrig gemacht hatte. Ich fand dort noch sechs andere alte Jungfern, einen Advokaten und einen jungen Husaren-Offizier, der coq en pàte zu seyn schien. Um jedoch noch einmal auf die Ruine zurückzukom- men (ich meine die Abtey, nicht die alte Jungfer), so würde ich, wenn ich meiner kritischen Ader Raum geben wollte, nur Eins an ihr aussetzen, nämlich: daß sie, im Contrast mit der von Whitby, die es zu wenig ist, hier zu gut erhalten wurde. Kein loser Stein liegt auf dem Boden, welcher so eben wie ein Teppich sorgfältig geschoren ist. Der Blumengarten im alten Klostergarten war auch zu modern gehal- ten, und wäre das poetische Gebäude mein, ich würde es schnell wieder ein wenig künstlich zu verwildern suchen, denn in der halb verfallenen Größe eben liegt ja ihr ganzer Zauber für das Gemüth. Nach meiner Rückkunst in Ripon besah ich den alten dortigen Dom, auch ein schönes Ueberbleibsel des Alterthums mit einem überaus kunstreich ge- schnitzten Chor. In einem unterirdischen Gewölbe befinden sich eine Art, mit Knochen und Todten- köpfen ausgeschmückte, Catakomben, wo ich mich mei- nem Steckenpferde gemäß, lange mit cranologischen Untersuchungen beschäftigte. Unter diesen menschli- chen Ruinen war ein Schädel dem meinigen so frap- pant ähnlich, daß es selbst dem alten Küster auffiel. Wer mag der alte Knabe gewesen seyn? Vielleicht ich selbst unter anderm Gewande? Ueber den eigent- lichen Ursprung dieser Knochengebäude konnte mir Niemand rechte Auskunft geben, nur über den ächt französisch aussehenden Schädel eines emigrirten Priesters, den der Küster selbst eingeschwärzt harte. Er sah noch immer so gesprächig und artig aus, als ob er eben sagen wolle: Monsieur, j’ai l’honneur de vous présenter mes respects, vous êtes trop poli de venir nous rendre visite. — Nous avons si ra- rement l’occasion de causer ici! Es war ein wohl- erzogner Schädel, das zeigte er auf den ersten Blick, sehr tiefsinnig und still dagegen schien der meines Ebenbildes. Es wäre doch sonderbar, wenn man so, ohne es zu wissen, manchmal seinen eignen alten Knochen wieder gegenüber stünde. Harrowgate, den 28sten. Dieser Badeort ist ziemlich auf die Art unsrer Bä- der eingerichtet, und mit mehr Geselligkeit begabt als gewöhnlich die englischen. Man sieht sich an der table d’hôte, beim Thee, beim Brunnentrinken, und macht daher leichter Bekanntschaften. Der Ort be- steht aus zwei Dörfern, beide nett und freundlich in einer schönen fruchtbaren Gegend gelegen. Leider ist aber jetzt grade das Wetter abscheulich. Es regnet unaufhörlich, und der Schwefelbrunnen, den ich heut früh trank, hat mich überdieß so krank gemacht, daß ich noch nicht aus meiner Stube kommen konnte. Nichts ist fataler als die englische Mode, daß nur das Wohnzimmer unten, das Schlafzimmer aber im- mer 2 — 3 Treppen hoch ist, und doppelt unerträglich beim Gebrauch eines Wassers, welches den ganzen Tag durch sehr heftig zu operiren pflegt. Den 29sten. Der Brunnen bekömmt mir noch immer nicht gut, demohngeachtet ging ich heute bis an der Welt Ende, hier eine kurze Promenade, da the world’s end nur ein nahes Dorf ist, mit einer schönen Aussicht in — den Anfang der Welt — denn da diese rund ist, so kann man ja recht wohl jeden beliebigen Punkt, der Welt Anfang oder Ende nennen. Ich fand einen Bekannten, in dessen Gesellschaft ich, mit 70 andern Menschen, an der table d’hôte aß. Obgleich die Saison ziemlich vorbei ist, sind doch noch circa 1000 Badegäste hier, meistens aus dem Mittelstande, weil Harrowgate nicht zu den fashionablen Bädern gehört, wiewohl es mir weit angenehmer vorkömmt als das höchst fashionable Brighton. Ein alter General von 80 Jahren, der bei Tisch mein Nachbar war, unterhielt mich sehr gut. Er hatte Friedrich den Großen, Kaunitz, Kaiser Jo- seph, Mirabeau und später Napoleon in vielen Be- ziehungen gekannt, und erzählte manche interessante Particularitäten von ihnen, war überdem Gouver- neur von Surinam und Isle de France gewesen, hatte lange in Indien commandirt und war jetzt, was man bei uns General der Infanterie nennt, der nächste Grad am Feldmarschall. Alles dies würde ihm bei uns einen hohen Rang geben. Hier nicht im Geringsten, und er äußerte dies selbst. Hier, sagte er, ist die Aristokratie Alles. Ohne Credit der Familie, ohne Verwandtschaft mit hohem Adel, durch den man fortgeschoben wird, kann man zwar wohl einen hohen Rang in der Armee erlangen, aber ohne ganz besondere Umstände nie ein Mann von Ansehen werden. Ich bin nur Baronet, sagte er, demohnge- achtet gibt mir dieser leere Geburtstitel noch mehr Ansehen und Rang als mein hoher Militärgrad, und ich werde nicht Herr General, oder wie bei Ihnen Ew. Excellenz genannt, sondern Sir Charles. (Sir ist der Titel der Baronets.) Nach dem Din é versammelte sich die Gesellschaft zum Thee, der mit einem kleinen Ball endigte. Leeds den 1. October. Ich war hauptsächlich deshalb in Harrowgate so lange geblieben, um Briefe von Dir zu erwarten, da ich L ...... diese Adresse gegeben. Heute erschien denn auch einer, den ich vorfand, als ich von mei- nem Spaziergang zu Haus kam. Du kannst denken, wie viel Freude er mir machte! Ich bin in Gedanken mit Dir in Dresden gewesen und habe Deine Gesundheit vor dem illuminirten Namenszug getrunken. Es gehört übrigens wohl zu meiner natürlichen Sonderbarkeit, daß ich, obgleich vier Jahr in D .... in Garnison stehend, doch nie weder Pillnitz noch Moritzburg gesehen habe, daher Deine Beschreibung des letzteren mit dem Portrait des alten Landvoigts mich so sehr interessirte. Du tadelst es, daß ich in gewissen Dingen lieber schreibe wie rede. Du hast im Ganzen recht. Es ist aber diese Sache und alles Suppliciren so meiner ganzen Natur entgegen, daß ich unbeholfen und schlecht spreche, und daher immer noch besser thue, wenn ich schreibe. Auch ist dann das Mißlingen nicht so unangenehm. Doch zu meiner Reise zurück. Die Menge prachtvoller Besitzungen in England ist wirklich fast zahllos zu nennen. Man muß sich nur auf die wichtigsten einschränken. Ohngefähr 10 Mei- len von Harrowgate fand ich an der Straße Hare- woodpark, einen sehr reizenden Aufenthalt. Dieser Park ist vor 100 Jahren von Brown ganz auf ei- nem Terrain angelegt, wie ich es mir immer wünschte, nämlich in einem natürlichen Wald mit Thalschluch- ten, Felsen darin, einem reich mit Wasser versehenen Waldbach, und auf einem der Hügel die Ruine ei- nes alten Schlosses — alles dies in der fruchtbarsten Gegend mit fernen Aussichten auf die Gebirge Cum- berlands. Der große Meister hat diese Materialien herrlich benützt, ein prächtiges Schloß im edlen anti- ken Geschmack auf einen der Hügel gebaut, im Thal- grund davor den kleinen Fluß zu einem weiten See ausgedehnt, und so dem Schloß auf der einen Seite eine überaus liebliche Aussicht in den einsamen Park, auf der andern in die weite Ferne und reiche Ge- gend gegeben. Auf eine auffallende Art wurde für mich die Scene noch dadurch belebt, daß grade, als ich vor dem Schlosse vorfuhr, der Besitzer Graf Harewood (Ha- senwald im Deutschen) mit seiner Meute von 100 Hunden, seinen rothgekleideten Piqueurs und einer Menge muthiger Jagdpferde, den Bergabhang herab, über die Wiesen, vom Fuchsjagen zurückkam. Es war nicht zu vermeiden, ihm entgegen zu gehen, um die Ursache meines Hierseyns zu erklären. Ich fand einen großen schönen Mann von außerordentlich ein- nehmendem Aeußern, in Gestalt und Benehmen noch jung und rüstig, an Jahren aber, was man sich sa- gen lassen mußte, um es zu glauben, schon ein Fünf- undsechziger. Er empfing mich auf’s Höflichste, sagte, daß er das Vergnügen gehabt habe, mich mehrmals in London zu sehen (je n’en savois pas un mot) und bat mich, zu erlauben, daß er mir selbst seine Be- sitzungen zeige. So sehr ich dies nach seiner Fatigue auf der Fuchsjagd (bei einer solchen pflegt man ge- wöhnlich 5 — 6 deutsche Meilen im Gallop zu jagen und während dem 50—60 Sprünge über Hecken und Gräben zu machen) ablehnte, half mein Sträuben doch nichts, und der alte Mann begleitete mich, berg- auf, bergab, über den größten Theil seiner fürstlichen Domaine. Was mich, als mir neu, diesmal am mei- sten interessirte, waren die Hundeställe. 150 Stück Hunde fand ich dort in zwei sehr reinlichen Sälen, jeder Saal mit einer großen Bettstelle versehen, auf der 75 Stück Hunde schlafen. Jeder der Säle hat vorn seinen eignen Zwinger. Nirgends spürte man den mindesten üblen Geruch, noch bemerkte man die kleinste Unreinlichkeit. In jedem Zwinger befand sich ein Ständer mit fließendem Wasser, und ein Diener ist den ganzen Tag gegenwärtig, der mit einem Besen bewaffnet, fast fortwährend den Boden wäscht, auf dem er das Wasser nach Belieben überfließen lassen kann. Die Hunde selbst sind an den größten Ge- horsam gewöhnt, und verunreinigen ihr Bett und die Stube nie. Es ist eine große Kunst, sie gehörig zu füttern, denn sie müssen, um die große Anstren- gung aushalten zu können, ganz mager und doch zu- gleich von so festem Fleisch wie Eisen seyn, einer wie der andere. Dies war auch durchgängig der Fall, und man konnte nichts Hübscheres sehen als diese schlanken, gehorsamen und muntern Thiere, von de- nen die eine Hälfte eben erst von der Jagd zurück- gekommen war, und dennoch keineswegs übermüdet schien. Sie lagen indeß doch alle ruhend auf ihrem colossalen, gemeinschaftlichen Bett, und sahen uns sehr freundlich und wedelnd an, während die andre Hälfte ungeduldig und muthwillig im Zwinger um- hersprang. Auch die Pferdeställe, ohngefähr 1000 Schritt vom Schloß in einem Carr é erbaut, waren sehr schön, und kost- bare Pferde darin, ohngefähr 30 an der Zahl. Der alte Herr hatte meinen Wagen folgen lassen, instru- irte nun noch den Postillon auf das genaueste, wel- chen Weg er durch den Park zu nehmen habe, damit ich die schönsten Punkte desselben sehen möge, und wanderte dann erst mit zwei großen Wasserhunden und einem rabenschwarzen Hühnerhunde zu Hause, um sich zu seinem Din é anzuziehen, da er sich noch in seinem scharlachrothen Rock, dem Fuchs- jägercostüme, das wie eine Livr é aussieht, befand. Ich habe noch vergessen zu sagen, daß wir zuerst eine Tour durch die Zimmer des Schlosses gemacht hatten, welches ebenfalls reich und schön meublirt, und mit Familiengemälden von Vandyk, Reynolds und Lawrence, den besten Malern Englands aus drei verschiedenen Jahrhunderten geziert ist, vorzüg- lich aber eine Seltenheit ganz eigenthümlicher Art darbot, nehmlich in der Hauptpi è ce Vorhänge von roth gemaltem Holz, so kunstreich in alter Zeit ge- schnitzt, daß gewiß Rauch selbst über diesen Falten- wurf erstaunt seyn würdet. Obgleich man mir es sagte, konnte ich es kaum glauben, bis ich mich durch das Gefühl überzeugte, so vollkommen täuschend war die Nachahmung des seidnen Stoffes. Die Fransen nur waren ächtes Gold, also grade das Umgekehrte unsrer Theatervorhänge aus Seide mit hölzernen Fransen. Eine andere ungewöhnliche Zierde bestand darin, daß die Decken, in schönem Stuck, durchgän- gig von demselben Dessein wie die Teppiche waren, eine sehr kostbare Sache, wenn, wie zu vermuthen, die Teppiche nach dem Muster der Plafonds haben gewürkt werden müssen. Die lange Fahrt durch den Park, eine gute Stunde weit, war höchst belohnend. Der Weg führte uns zuerst am See hin, mit einer majestä- tischen Aussicht auf das Schloß, und dann im Walde am Flusse fort, der viele Cascaden und kleinere Seen bildete. Der Wald selbst bot die größte Ver- schiedenheit dar, bald dick und dem Blick undurch- dringlich, bald Hainartig, dann freie Wiesen mit dunkler Einfassung, oder junge Dickichte mit darin sich bergendem Damwild, zuweilen eine schmale und weite Aussicht auf ferne Berge. Ein so situirter Edelmann repräsentirt seinen Stand würdig, und es ist sehr natürlich, wenn er unter diesen günstigen Umständen so gut, wohlwol- lend, achtungswerth und zufrieden erscheint, wie die- ser edle Graf, dessen Bild mir immer eben so wohl- thätig vorschweben wird, als das der schönen Land- schaft, der er gebietet. Von den Eindrücken des Tages ganz verschieden, und doch nicht minder schön war der Abend. Mit anbrechender Dämmerung erreichte ich die große Fabrikstadt Leeds. Eine durchsichtige Rauchwolke war über dem weiten Raum, den sie auf und zwi- schen mehreren Hügeln einnimmt, gelagert; hundert rothe Feuer blitzten daraus hervor, und eben so viel thurmartige, schwarzen Rauch ausstoßende Feueressen reihten sich dazwischen. Herrlich nahmen sich darunter fünfstöckige, colos- sale Fabrikgebäude aus, in denen jedes Fenster mit zwei Lichtern illuminirt war, hinter welchen bis tief in die Nacht hier der emsige Arbeiter verkehrt. Da- mit aber dem Gewerbe Gewühl, der industriellen Il- lumination auch das Romantische nicht fehle, stie- gen hoch über den Häusern noch zwei alte gothische Kirchen hervor, auf deren Thurmspitzen der Mond sein goldnes Licht ergoß, und am blauen Gewölbe die grellen Feuer der geschäftigen Menschen unter sich, mit majestätischer Ruhe zu dämpfen schien. Leeds hat nahe an 10,000 Einwohner und doch keinen Repräsentanten im Parlament, weil es eine neue Stadt ist, während bekanntlich mancher elende, ver- fallne Ort, der kaum zwei erbärmliche Häuser hat, deren 2 und mehrere ins Parlament schickt, die na- türlich der Besitzer mit seinen Creaturen besetzt. So grell ungerecht dieser Mißbrauch ist, so haben doch die englischen Staatsmänner noch nicht gewagt, ihn abzuschaffen, vielleicht weil sie fürchten, daß jede Veränderung bei einer so complicirten Verfassung, eine gefährliche Operation ist, zu der man nur im höchsten Nothfalle schreiten darf. Spaͤt Abends. Ich habe mich hier schon an manche englische Sitten gewöhnt, unter andern auch an kalte Din é s. Als Veränderung zuweilen sind sie der Gesundheit zuträglich und da sie ganz national sind, findet man sie hier fast immer von vorzüglicher Qualität. So wurde heute mein einzelner Tisch mit nicht weniger als Folgendem bedeckt, zu dessen Verarbeitung ein engli- scher Magen gehört hätte: ein kalter Schinken (alles große, nur zum Theil angeschnittene Piecen) ein impo- santer Rostbeef, eine Hammelkeule, ein Kälberbra- ten, eine kalte Hasenpastete, ein Haselhuhn, dreier- lei Arten Pickles, in Wasser gekochter Blumenkohl, Kartoffeln, Butter und Käse. Daß man damit ein ganzes Kränzchen Spießbürger bei uns gespeist hätte, springt in die Augen. Den 2ten October. Das Erste was ich heute früh vor meinen Fen- stern erblickte, war die raffinirte Industrie eines Ma- terialhändlers, der sich nicht begnügt hatte, wie es in England bei allen seinen Collegen der Fall ist, eine große Menge chinesischer Theebüchsen, Mandarine, und Vasen vor seiner Boutike aufzustellen, sondern außerdem noch ein Uhrwerk am Fenster produzirte, wo ein stattlicher Türkenautomat emsig Mocca-Kaffee mahlte. Von hier begann ich meine weitere Tour. Zuvörderst besah ich die Stadt-Markt-Halle, ein schönes Gebäude, wo der Markt unter einem Glas- dach gehalten wird; dann die Tuchhalle, ein unge- heurer Raum, der blos mit Tüchern aller Art und Farben angefüllt ist, und endlich die größte Tuch- Fabrik im Orte, welche durch 3 Dampfmaschinen be- trieben wird. Man sieht mit dem rohen Material (hier das Sortiren der Wolle) anfangen, und mit dem fertigen Tuche endigen, und könnte recht gut seine Wolle früh in die Fabrik bringen, und Abends mit dem daraus gefertigten Rocke wieder heraus- kommen, wenn man zugleich einen Schneider mit- Briefe eines Verstorbenen. IV. 15 brächte. Unser R. hat dieses Kunststück wirklich rea- lisirt, und trug den Schnellrock lange mit großer Vorliebe. Die verschiednen Maschinen sind im höch- sten Grade ingenieus, aber der Gestank dabei und die ungesunde Luft, wie der Staub bei manchen Operationen, müssen für die armen Arbeiter, die übrigens gleich Negern alle blaugefärbt aussahen, sehr ungesund seyn. Der junge Mann, welcher mir die Fabrik zeigte, sagte jedoch, daß Baumwollen- Manufakturen noch weit ungesunder wegen des fei- nen Staubes wären, daher auch selten ein Arbeiter daselbst 50 Jahr erreiche, hier aber habe man Bei- spiele von 60. Die gothischen Kirchen, welche gestern in der Ferne so viel Effekt machten, boten nichts Merkwürdiges in der Nähe dar, und die Stadt selbst, in der man, des Tag und Nacht nie ununterbroche- nen Rauches wegen, in einem ewigen Nebel lebt, ist der unangenehmste Aufenthalt, den man sich den- ken kann. Rotherham Abends. Meine Reise fortsetzend, machte ich den ersten Halt in Templenewsome, einem Schlosse aus Elisa- beths Zeiten, der verwittweten Markise Hertford ge- hörig. Das Schloß hat die Eigenthümlichkeit, daß statt der Zinnen, eine Steingalerie von Buchstaben rund um das Dach läuft, die einen Spruch aus der Bibel enthält. Der Park ist traurig, und das Ameublement des Hauses altväterisch ohne Reiz. In der Bildergalerie fand ich ebenfalls nichts Besonderes, in den Stuben aber einige interessante Bilder. Er- stens die beiden Guise, die Onkel der Maria von Schottland, den General Monk, der auffallend un- serm alten Freund Thielemann ähnlich sieht, und das Bild Lord Darnley’s (Marias Gemahl) dem dieses Schloß gehörte und in derselben Stube aufgehangen ist, wo er geboren wurde. Ich litt sehr an Kopf- schmerz, weshalb ich vielleicht einen zweiten Park, Stainbrook Castle, nur öde und unheimlich fand, auch den Gemälden nicht viel Geschmack abgewinnen konnte. Hierauf führte der Weg fortwährend durch mehrere Fabrikorte, die alle wie brennende Dörfer und Städte aussahen. Rotherham selbst, wo ich mich jetzt befinde, ist wegen seiner großen Eisenwerke berühmt, und ich gedenke morgen einige davon zu besehen, wenn mein Uebelbefinden nachläßt. Den 3ten Oktober. Nachdem ich eine halbe deutsche Meile nach dem größten Eisenhammer gewandert war, fand ich leider das Werk still stehen, indem der hohe Ofen gestern schadhaft geworden war. Ich konnte folglich nur wenig sehen, und begab mich, wieder eine Viertel- stunde weiter, nach dem Gußstahlwerk. Hier war aber eben die Dampfmaschine in Unordnung gerathen, und das Werk stand ebenfalls still. Ich wanderte also abermals weiter zu der Zwirn- 15* und Leinewand-Fabrik, und mein wie meines Füh- rers Erstaunen war nicht gering, als wir auch hier keine Arbeit gewahr wurden, und erfuhren, daß heut früh die große Spindel in der Hauptmaschine gebro- chen sey. Mit diesem ganz besondern Guignon en- digten meine vergeblichen Versuche, mich heute weiter zu unterrichten, da ich keine Zeit zu mehreren hatte. Das einzige Erwähnungswerthe was ich en passant noch sah, war die Einrichtung an einem hohen Ofen, wo statt der hölzernen Brücke, die gewöhnlich hinauf- führt, eine eiserne Bahn angebracht war, auf der, durch eins der Wasserräder mit getrieben, der Koh- lenwagen von selbst hinauf und herunter lief. Sheffield Abends. Von Rotherham fuhr ich nach Wentworthouse, dem Lord Fitzwilliam gehörig, abermals eine wahr- haft königliche Besitzung, was Größe, Pracht und Reichthum betrifft, aber auch (wie im Ganzen die meisten englischen Parks) eben so traurig und mo- noton, denn die unabsehbaren Strecken dürren Gra- ses mit einzelnen Bäumen und dem zahmen, schaaf- artigen Wilde darauf, werden darauf ganz unver- träglich. — Gewiß ist es eine abgeschmackte Sitte, diese Oeden fast immer auf einer Seite an das Schloß anstoßen zu lassen, welches solchen Gebäuden das Ansehen verwünschter Palläste giebt, die statt der Menschen nur von Hinschen bewohnt werden. Dieser Täuschung könnte man sich um so mehr über- lassen, da man selten ein menschliches Wesen außer- halb dem Hause zu sehen bekömmt, dieses auch in der Regel verschlossen ist, so daß man oft an der Thüre desselben eine Viertelstunde klingeln und war- ten muß, ehe man eingelassen wird, und die Frau Castellanin erscheint, um den Cicerone zu machen und ihr Trinkgeld einzunehmen. Viele schöne Statüen und Gemälde schmücken Wentworthouse. Unter andern ein herrliches Bild Vandyks, den Erbauer des Schlosses, Lord Strafford darstellend, wie ihm eben sein Todes-Urtheil notifi- cirt worden ist, und er, es noch in der Hand hal- tend, dem Sekretair seinen letzten Willen diktirt. Auf einem andern Bilde ist sein Sohn abgebildet, ein schöner Knabe von 16 Jahren in einem äußerst vortheilhaften Trauerkostüm, schwarz mit reichen Svitzen, rehfarbnen Stiefeln, einem dicht anschließen- den Collet, mit Schmelz gestickt, kurzem Mantel, reichem Schwerdt und Schärpe en bandoulière. Das Bild eines Rennpferdes in Lebensgröße auf graue Leinewand gemalt und ohne Rahmen in eine Nische placirt, täuschte, als sey es lebendig. Dieses Pferd hat so viel gewonnen, daß der vorige Lord ein Quarr é magnifiker Ställe, die vollständigsten, die ich noch hier gesehen, dafür aufbauen lassen konnte. In diesen Ställen, die auch eine Reitschule enthal- ten, stehen 60 schöne und ausgesuchte Pferde. Ein vortreffliches Portrait des eben so unterneh- menden als eitlen Kardinal Wolsey, so wie das des leichtsinnigen Herzogs von Buckingham gewähren viel Interesse. Als die Castellanin mir das Portrait Harveys zeigte, sagte sie: dies ist der Mann, der die Circulation des Bluts erfunden hat. (who has invented the circulation of the blood.) Wer doch des Mannes Bekanntschaft machen könnte! In den Blumengärten fand ich einige einzelne hübsche Partieen, unter andern eine an bunten Parterres hinlaufende Gallerie von Drahtgittern, mit auslän- dischen Vögeln darin, einem klaren Bach der durch sie hinfloß, und immergrünen Sträuchern, auf denen sich das gefiederte Volk frei herumtummeln konnte. Auf einem kleinen Teich daneben schwammen meh- rere schwarze Schwäne, die bereits vier junge Spröß- linge hier großgezogen haben. Sie scheinen sich vollkom- men an das hiesige Clima zu gewöhnen. Auffallend war mir eine gewöhnliche Buche am Ufer des Was- sers, die durch frühes Köpfen zu einem ganz andern Charakter gekommen war. Sehr niedrig nach oben, bedeckten dagegen ihre sich auf allen Seiten gleich weit ausbreitenden Zweige einen ungeheuern Raum in der Breite, und formten sich zu einem regelmäßi- gen Laubzelte ohne Gleichen. Auch einer Hemlocks- Tanne hatte man durch Köpfen weit größere Schön- heit gegeben, als ihr der natürliche Wuchs verleiht. Ich kam noch bei guter Zeit nach Sheffield, wo des vieles Rauches wegen die Sonne keine Strahlen mehr warf, sondern nur wie der Mond erschien. In- dem ich mir hier die bewunderungswürdigen Pro- dukte im Messer- und Scheeren-Fach betrachtete, als z. B. ein Messer mit 180 Klingen, Scheeren die voll- kommen schneiden und brauchbar sind, obgleich man sie kaum mit bloßen Augen erkennen kann ꝛc. ꝛc. — kaufte ich auch für Dich, ohne Aberglauben, Nadeln und Scheeren für Deine ganze Lebenszeit, nebst einigen andern Kleinigkeiten neuer Erfindung, die Dir, wie ich hoffe, Vergnügen machen werden. Nottingham den 4ten October. Ich fuhr die Nacht hindurch, und sah nur von weitem bei Mondschein Newstead Abbey, Lord By- rons jetzt sehr vernachlässigten Geburtsort und Fa- milienschloß. Ausser der gothischen Kirche, deren fast jede Stadt in England eine mehr oder minder schöne aufzuweisen hat, ist in Nottingham nicht viel zu sehen, eine merkwürdige Manufaktur von Petinet ausgenommen, wo die Maschinen ganz allein alle Arbeit machen und nur ein einziger Mensch dabei steht, um acht zu geben, wenn sich etwa irgend et- was verschieben sollte. Es sieht höchst seltsam aus, wenn, wie durch unsichtbare Hände geführt, die Eisenungeheuer mit allen ihren Klammern und Spitzen zu handthieren anfangen, und der schönste Petinet im Rahmen gespannt, nett und fertig oben langsam hervorkömmt, während man unten die Spindel mit den darum gewickelten rohen Faden sich langsam fort- drehen sieht, ohne daß, wie gesagt, eine einzige menschliche Hand das Ganze berührte. Es war eben die Zeit der hiesigen Messe, welche eine Menge Curiositäten herbeigezogen hatte, unter andern eine schöne Sammlung wilder Thiere. Zwei bengalische Tiger von enormer Größe waren so voll- ständig gezähmt, daß selbst Damen und Kinder ge- stattet ward, zu ihnen in den Käficht hineinzutreten, oder die Thiere selbst in die Reitbahn herauszulassen, worin die Sammlung aufgestellt war. Kein Hund konnte frömmer seyn, doch bezweifle ich, daß unsere Polizei solche Experimente geduldet haben würde. Ein merkwürdiges, und so viel ich weiß, noch nie in Eu- ropa gesehenes Thier, war das gehörnte Pferd, oder Neyl Ghu aus der asiatischen Tartarei vom Hi- malaya-Gebirge, schön und flüchtig, und von einer höchst seltsamen Construktion einiger Theile. Neu war mir auch der schöne persische Waldesel, der schnel- ler und dauerhafter als ein Pferd laufen, und Wo- chen lang ohne Nahrung zu leben im Stande seyn soll. Wie auf der Pfaueninsel bei Berlin befand sich auch hier ein Riese und ein Zwerg mit unter der Thiersammlung. London, den 6ten. Ehe ich Nottingham verließ, besuchte ich den in der Nähe gelegenen Sitz des Lord Middleton, dessen Schloß sehenswerth ist. Liebhaber von Georginen können im hiesigen Garten dergleichen finden, welche fast die Größe von Sonnenblumen erreichen. Auch einige Glashäuser zeichneten sich aus, der Park bot wenig. Im Schloß ist ein altes Gemälde, welches dieses und die Gärten treu darstellt, wie sie vor 200 Jahren waren. Es gibt zu interessanter Betrachtung Anlaß, um so mehr, da man die Herrschaft mit gro- ßer Gesellschaft und Gefolge im wunderlichsten Co- stüme sich im Garten ergehen sieht, und der darge- stellte Lord derselbe ist, welcher wegen jener berühm- ten Geistergeschichte so oft citirt wird. Dergleichen Darstellungen sollte Jeder für seine Nachkommen an- fertigen lassen, die Vergleiche sind immer ergötzlich, und zuweilen lehrreich. In der Nacht erreichte ich St. Albans, und sah die berühmte Abtei bei Mond- und Laternenschein. Der Küster wurde schnell aufgeweckt, und mußte mich noch hinführen. Zuerst bewunderte ich das im achten Jahrhundert von den Sachsen mit römischen Ziegeln (welche ganz unverwüstlich sind) erbaute Aeußere des Gebäudes beim Mondlicht, dann trat ich mit der La- terne in das imposante Innere. Das Schiff der Kirche ist wohl eines der größten, die es gibt, denn es ist über sechshundert Fuß lang. Viele herrliche Arbeit in Stein und Schnitzwerk ist darin angebracht, und obgleich man bei dem schwachen Lichte wenig deutlich sehen konnte, so machte doch das Ganze, eben durch die abentheuerliche und ungewisse Beleuchtung, nebst unsern beiden schwarzen Figuren in der Mitte, und den Tönen der Mitternachtsglocke vom Thurm herab, einen recht romanhaften Eindruck. Noch mehr war dies der Fall, als wir in die Gruft hinabstiegen, wo in einem aufgebrochenen zinnernen Sarge das Gerippe des Herzogs von Bedford, des Reichsverwesers liegt, der vor 600 Jahren vom Kar- dinal Beaufort vergiftet wurde. Es ist durch die Länge der Zeit so braun und glatt wie polirtes Ma- hagoniholz geworden, und neugierige Antiquare ha- ben es deshalb schon mehrerer Knochen beraubt. Auch der Küster, ein Irländer, ergriff ohne Umstände ei- nen der Beinknochen, und ihn wie einen Knüppel in der Luft schwingend, bemerkte er: der Knochen wäre so schön und hart durch die Zeit geworden, daß er einen vortrefflichen Shileila abgeben könnte. Was würde der stolze Herzog gesagt haben, wenn er bei Lebzeiten erfahren, wie so geringe Leute einst mit seinem armen Leichnam umgehen würden. Den soliden Bau damaliger Zeiten beweist am be- sten die über tausend Jahr alte prachtvolle hölzerne Decke, die noch so schön und wohlerhalten ist, als wenn in der angegebenen Zahl keine Nullen hinter der 1 stünden. Die bunten Fenster, nebst dem gol- denen Grab des heiligen Alban, sind leider auch in Cromwells Zeit größtentheils zerstört worden. Noch zeitig genug, um die Hälfte der Nacht aus- zuruhen, kam ich in London an, und mein erstes Geschäft am Morgen war, vorliegenden, zum Paket angeschwollenen Brief für Dich zu beendigen. In we- nigen Stunden, hoffe ich, ist er schon unterwegs. Laß Dir also bis dahin die Zeit nicht lang werden, und empfange diesen Brief mit gleicher Liebe und Nachsicht, als seine zahlreichen Vorgänger. Dein treuer L. Zwanzigster Brief . London, den 1sten Nov. 1827. Ein Franzose sagt: L’illusion fut inventée pour le bonheur des mortels, elle leur fait presques autant de bien que l’espérance. Wenn dieser Aus- spruch wahr ist, so ist mir viel Glück zugemessen, denn an Illusionen und Hoffnungen lasse ich es nie fehlen. Von diesen bat nun Dein Brief allerdings einige über den Haufen geworfen, indeß sey guten Muths, es wachsen schon neue wieder, so schnell wie Pilze, hervor. Bald mehr darüber. Aber an den wider- wärtigen, immer schlafenden Präsidenten kann ich unmöglich von hier aus schreiben. Dazu, würde ein Dandy sagen, ist der Mensch nicht fashionable genug. Du besorgst überdieß alle diese Geschäfte so vortreff- lich, daß es unrecht wäre, sie Dir nicht ganz allein zu überlassen. Dies ist zwar Egoismus von meiner Seite, aber ein verzeihlicher, weil er uns Beiden Vortheil bringt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ich habe in den letzten Tagen eine kleine Excur- sion nach Brighton gemacht, und einen Umweg bei der Rückkehr genommen. Das Schloß des Herzogs von Norfolk, Arundel-Castle, war einer der Gegen- stände meiner Neugier. Es hat einige Aehnlichkeit mit Warwick, bleibt jedoch weit hinter diesem zurück, obgleich es theilweise vielleicht eben so alt ist. Auch hier ist am östlichen Ende ein künstlicher Berg und Keep. Auf dem runden verfallenen Thurme soll man von dessen Gipfel eine herrliche Aussicht genießen. Der Nebel verhinderte sie heute, und ich konnte nicht einmal die das Schloß umschließenden Terrassengär- ten übersehen. Ich unterhielt mich dafür in nächster Nähe mit einem Dutzend zahmer Puhus (der größ- ten Eulenart) welche des ehemaligen Thurmwärters Stube bewohnen. Einer davon war schon 50 Jahre hier, sehr zuthulich, und bellte, wenn er etwas ver- langte, vollkommen wie ein Hund. Die Engländer sind große Freunde von Thieren, eine Neigung, die ich mit ihnen theile. So findet man in den meisten großen Parks eine Unzahl von Raben, die in Schwär- men von Tausenden oft das Schloß umkreisen, und zu so einer alterthümlichen Burg und den sie umge- benden Riesenbäumen nicht übel passen, obgleich ihr Gekrächze keine angenehme Musik gewährt. Das In- nere des Schlosses hat nichts Ausgezeichnetes. Die vielen bunten Fenster sind alle modern, und unter den Familiengemälden schien mir blos das des Lords Surrey, seines seltsamen Costüms wegen, merkwürdig. Er wurde unter Heinrich VIII. hingerichtet. Die Bibliothek ist klein, aber sehr magnifik, ganz mit Cedernholz getäfelt, mit schönem Schnitz- und Bildwerk verziert, kurz an nichts fehlt es ihr, ausser an Büchern, denn kaum ein paar hundert waren darin. Ein sehr großer, aber einfacher Saal, heißt die Halle der Barone, und hat viele bunte Fenster, de- ren Malereien nicht besonders gerathen sind. In den Stuben hatte man, so viel als möglich, lauter alte Meubles vereinigt, und ihnen möglichst nachgebolfen, damit sie nicht in ihrer Wurmstichigkeit zusammenfielen. Dies ist jetzt überall die Mode in England, Sachen, die man bei uns als zu gebrech- lich und altmodisch wegwirft, werden hier auf’s theuerste bezahlt, und auch die neuen wenigstens ganz im Styl der alten bestellt. Ich finde das in solchen ehrwürdigen Schlössern recht passend, sobald die Be- quemlichkeit nicht zu sehr dadurch leidet, in modernen Gebäuden ist es aber lächerlich. Der alte Theil des Schlosses soll schon in der Rö- mer Zeit eine Festung gewesen seyn, weßhalb man in den Mauern viel römische Ziegel findet. Auch spä- ter hat es immer als Festung gedient, und viele Be- lagerungen ausgehalten; der neuere Theil, im Style des Uebrigen, wurde erst vom Vater des jetzigen Herzogs gebaut, und kostete, wie mir gesagt wurde, 800,000 L. St. Bei uns würde man ganz dasselbe gewiß mit 300,000 Rthlrn. herstellen können. Die Gärten schienen mir mannichfaltig und weitläuftig, und der Park soll auch sehr ausgedehnt und pittoresk seyn; das abscheuliche Wetter hinderte mich aber, al- les dies zu sehen. Ich fuhr den Abend noch bis Petworth, wo ein anderes sehenswerthes Schloß ist, und schreibe Dir jetzt aus dem Gasthof, wo ich in wenigen Minuten wie zu Hause eingerichtet war, denn meine Reiseequipage und Bequemlichkeitsroutine hat sich in England noch sehr vervollkommnet. Petworthhouse, den 26sten. Obrist C . . . . kam heute früh zu mir in den Gasthof, machte mir viel Vorwürfe, nicht bei seinem Schwiegervater, Lord E . . ., dem Besitzer von Pet- worth-Schloß, gleich vorgefahren zu seyn, und bat mich dabei so freundlich, wenigstens einen Tag bei ihnen zu bleiben, daß ich es nicht abschlagen konnte. Meine Sachen wurden also auf das Schloß gebracht, und ich sogleich dort installirt. Es ist ein schöner mo- derner Pallast mit einer herrlichen Gemälde- und Antiken-Sammlung, und einem großen Park, der auch eine berühmte Stuterei in sich schließt. Unter den Gemälden sprachen mich drei besonders an, ein ganz ausgezeichnetes Bild Heinrich VIII. in Lebens- größe, von Holbein, merkwürdig durch den prachtvol- len täuschend gemalten Schmuck und das frische, mei- sterhafte Colorit; ein Portrait des unsterblichen New- ton, der bei weitem weniger geistreich als emi- nent vornehm aussieht, und ein anderes des Mo- ritz von Oranien, unserm Dichter Houwald so ähn- lich, daß man es unbedingt für das seinige ausge- ben könnte. Die Mischung von Statuen und Bil- dern untereinander, die hier beliebt worden ist, wirkt unvortheilhaft und schadet Beiden. Zu den Curiositäten gehört eine Familien-Reliquie, nämlich Percy Hotspur’s, eines Ahnherrn des Besitzers, großes Schwerdt. Die Bibliothek diente, wie gewöhn- lich, zugleich als Salon, gewiß eine sehr zweckmäßige Sitte. Sie war überdieß hier so eingerichtet, wie Du es liebst, d. h. nur die modernsten und werth- vollsten, vor allen elegantest gebundenen Bücher in der Bibliothek aufgestellt, und für alle übrigen ein besonderer Saal im obern Stock eingeräumt. Die Schränke waren weiß lackirt, und mit mehreren Con- solen versehen, an denen man zugleich bequem hinauf- steigen konnte, um zu den obern Büchern zu ge- langen. Die Freiheit in diesem Hause war vollkommen, wo- durch es seine Annehmlichkeit für mich verdoppelte. Hier empfand man in der That auch nicht die min- deste gêne. Es waren eine Menge Gäste gegenwär- tig, worunter mehrere sehr liebenswürdige Damen. Der Hauswirth selbst ist ein sehr gelehrter Kunstken- ner und zugleich ein bedeutender Mann on the turf, denn seine Rennpferde gewinnen öfter als andere. In seinem Gestüt sah ich einen Hengst von mehr als 30jährigem Alter (Whalebone) der von mehreren Stall- knechten unterstützt werden mußte, um gehen zu kön- nen, und von dem die Fohlen dennoch, im Mutter- leibe noch, mit großen Summen bezahlt werden. Das nenne ich ein glorreiches Alter. Uebrigens sind die hiesigen Stuterei-Prinzipien von den unsrigen ausnehmend verschieden. Dies Thema möchte Dich aber bei aller Deiner Wißbegierde doch zu wenig in- teressiren, ich will also die hierüber erlangte Wissen- schaft lieber einem andern Hefte anvertrauen. Am nächsten Tage kam die Herzogin von S. A .... hier an, eine Frau, deren immer steigender Glücks- wechsel seltsam genug ist. Nach den ersten Erinnerungen, die sie hat, fand sie sich, ein verlassenes, hungerndes und frierendes Kind, in der entlegensten Scheune eines englischen Dorfes. Eine Zigeunerbande nahm sie dort auf, von der sie später zu einer wandernden Schauspielertruppe überging. In diesem Fach erlangte sie durch ange- nehmes Aeussere, stets heitere Laune und originelle Eigenthümlichkeit einigen Ruf, erwarb sich nach und nach mehrere Freunde, die großmüthig für sie sorg- ten, und lebte lange in ungestörter Verbindung mit dem reichen Banquier C . . . ., der sie zuletzt auch heirathete, und ihr bei seinem Tode ein Vermögen von 70,000 L. St. Einkünften hinterließ. Durch die- ses colossale Erbtheil ward sie später die Gemahlin des Herzogs von St. A . . ., des dritten englischen Herzogs im Range, und, was ein ziemlich sonderba- res Zusammentreffen ist, des Nachkommen der be- kannten Schauspielerin Nell Gwynn, deren Reizen der Herzog auf ganz gleiche Weise (nur einige hun- Briefe eines Verstorbenen. IV. 16 dert Jahre früher) seinen Titel verdankt, wie seine Gemahlin jetzt den ihrigen. Es ist eine sehr gute Frau, die sich nicht scheut, von der Vergangenheit zu sprechen, im Gegentheil ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung thut. So unter- hielt sie uns den ganzen Abend aus freien Stücken mit der Darstellung mehrerer Rollen aus ihrem Schau- spielerleben. Das drolligste dabei war, daß sie ihren sehr jungen Mann, der 30 Jahr jünger ist als sie, die Liebhaber-Rollen einstudirt hatte, welche ihm gar nicht recht gelingen wollten. Die bösen Zungen wa- ren natürlich dabei sehr geschäftig, um so mehr, da viele der rezitirten Stellen zu den pikantesten An- spielungen fortwährend Anlaß gaben. Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt kehrte ich hieher zurück, und feire heute meinen Ge- burtstag in tiefster Einsamkeit bei verschlossenen Thü- ren. Drei Viertel meiner melancholischen Anwande- lungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken, in dem ich das Licht der Welt erblickte. Mai- kinder sind weit heiterer, ich habe noch nie einen hypochondrischen Sohn des Frühlings gesehen. Mir fiel einmal ein Lied, überschrieben: Prognostica, in die Hände. Es thut mir sehr leid, daß ich es nicht aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt war den Erdenkindern ihr Loos verkündet. Nur das erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebor- nen ein trüber Sinn zugeschrieben war, und der Spruch also anhub: Ein Junge, geboren im Monat Oktober, Wird ein Critiker, und das ein recht grober! Ich verlasse Dich aber jetzt für ein großes Din é beim Fürsten E . ., denn den ganzen Tag will ich der Einsamkeit doch nicht widmen, dazu bin ich zu abergläubig. Adieu. Den 4ten November. Als Ludwigsritter wohnte ich heute, am Namens- tag meines Heiligen, glaube ich, oder des Königs von Frankreich, ich weiß es wahrlich nicht gewiß, einem großen Mahle beim Fürsten P. bei, und sah darauf noch die Fortsetzung des Don Juan in Drurylane. Of course spielt der erste Akt in der Hölle, wo Don Juan bereits die Furien, und zuletzt gar des Teufels Großmutter verführt hat, und deßhalb von Seiner Satanischen Majestät höchsteigenhändig aus der Hölle hinausgeworfen wird. Als er bei Charon und den pittoresken Ufern des feuerfluthenden Styx ankommt, fährt der Alte eben drei weibliche Seelen aus London herüber. Don Juan beschäftigt beim Aussteigen den Fährmann mit dem Wechseln einer Banknote, denn auch in der Hölle ist schon Papiergeld eingeführt, und nimmt während dessen den Augenblick wahr, mit den drei Weibern schnell vom Ufer abzustoßen, und sie so der Erde wieder zuzuführen. In London 16* angelangt, hat er seine gewöhnlichen Abenteuer, Duelle, Entführungen ꝛc., die Reiter-Statue im Charing-Croß ladet ihn zum Thee ein, seine Gläubi- ger aber bringen ihn nach Kingsbench, aus dem eine reiche Heirath ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun erst — in einer bösen Frau endlich die genügende Strafe seiner Sünden findet, was die Hölle nicht ver- mochte. Madame Vestris ist als Don Juan der wun- derlieblichste und verführerischeste Jüngling, dem man es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine fehlt. Das Stück amüsirte mich, und noch unterhaltender fand ich einen neuen Roman auf meinem Tische zu Hause, der (allerdings eine schon oft gebrauchte Idee) im Jahr 2200 spielt. England ist darin wieder katholisch und eine abso- lute Monarchie geworden, und die allgemeine Bil- dung hat solche Fortschritte gemacht, daß Gelehrsam- keit Gemeingut der niedrigsten Klassen geworden ist. Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach ma- thematischen und chemischen Prinzipien. Lakayen und Köchinnen, welche Namen, wie Abelard, Heloise ꝛc. führen; sprechen mit dem Tone der Jenaer Litera- turzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen Mode geworden ist, sich, im Gegensatz zu dem Plebs, der gemeinsten Sprache und Ausdrücke zu bedienen, und ausser Lesen und Schreiben jede weitere Kennt- niß sorgfältig zu verbergen. Dieser Gedanke ist witzig, und vielleicht prophetisch! Auch die Lebensart dieser Stände ist höchst einfach, grobe und wenig Speisen erscheinen allein auf ihrer Tafel, und Küchenlurus wird nur noch bei den Die- nertischen angetroffen. Daß übrigens Luftballons das gewöhnliche Fuhr- werk sind, und Dampf die ganze Welt regiert, ver- steht sich fast von selbst. Ein deutscher Professor macht aber, vermöge einer neuen Anwendung des Galva- nismus, gar die Entdeckung, Todte zu erwecken, und die Mumie des Königs Cheops, kürzlich in ei- ner der bis jetzt noch uneröffneten Pyramiden auf- gefunden, ist die erste Person, an welcher dieses Ex- periment versucht wird. Wie nun die lebende Mu- mie nach England kömmt, und wie abscheulich sie sich dort aufführt, magst Du nachlesen, wenn der Roman ins Deutsche übersetzt seyn wird. Uebrigens komme ich mir selbst manchmal hier auch wie eine Mumie vor, an Händen und Füßen gebunden, und sehnlich meiner Auferstehung wartend. Den 5ten. Diesen Morgen bedeckte ein solcher Nebel die Stadt, daß ich in meiner Stube nur bei Licht frühstücken konnte. An Ausgehen war bis gegen Abend nicht zu denken. Zum Essen war ich bei Lady Love ein- geladen, und P. auch gegenwärtig, den sie sonst, ich weiß nicht recht warum, sehr anfeindet. Mit seiner gewöhnlichen Etourderie verdarb er es aber heute vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch aus älteren Zeiten erinnern wirst, eine etwas rothe Nase, und Uebelwollende suchen die Ursache davon in der Sitte, welche der General Pillet den Englän- derinnen vorwirft. P. wußte dies wahrscheinlich nicht, und bemerkte, als er am Tisch neben ihr saß, daß sie ihren Wein aus einer andern Flasche mit einer dunkeln Flüssigkeit mischte, die wie Liqueur aussah. In seiner Unschuld — oder Bosheit, frug er scher- zend, ob sie schon so ganz Engländerin geworden sey, ihren Wein mit Cognac zu mischen. An dem nun- mehrigen Rothwerden ihres ganzen Gesichts, wie an der Verlegenheit der Nahesitzenden entdeckte er erst seine Bevue, denn das unschuldige Tischgetränk war wirklich nur Brodwasser. Mir fiel dabei die ko- mische Vorschrift ein, die ein Lehrbuch für gute Le- bensart in unsrer nationell pedantischen Manier giebt: „Wenn du in eine Gesellschaft gehst,“ heißt es dort, „so erkundige dich vorher immer genau nach den Per- „sonen, die du dort anzutreffen vermuthen kannst, „nach ihren Verwandtschaften, Schwächen, Fehlern „und ausgezeichneten Eigenschaften, damit du auf „der einen Seite nicht unbewußt etwas sagst, das „eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit „Unbefangenheit angenehm und passend schmeicheln „kannst.“ Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas schwer auszuführende, aber nicht üble Regel! Es war viel von Politik die Rede, und dem pracht- vollen Kriegsanfang mit Vertilgung der türkischen Flotte. Welche Inconsequenz ist es doch, Engländer so sprechen zu hören! aber seit Napoleons Fall wissen die leitenden Politiker fast alle nicht mehr recht, was sie wollen. Die jammervollen Resultate ihres Con- gresses genügten ihnen zwar selber nicht, aber den- noch erschien keine Originalidee, sie weiter zu treiben, kein Hauptwille steht mehr hinter ihnen, und das Schicksal Europa’s hängt schon nicht mehr von seinen Führern, sondern von dem Zufalle ab. Cannings Erscheinung war nur eine transitorische, und wie sind seine Nachfolger beschaffen! Die Zerstörung der Flotte ihres sichersten und treuesten Bundesgenossen ohne Krieg ist wohl der beste Beweis dafür, obgleich ich mich als Mensch und Griechenfreund herzlich darüber freue. Wir werden aber bei diesen Mißgeburten politischer Systeme, bei diesem Schwanken aller Orten, gewiß noch seltsame Dinge erleben, und vielleicht Zusam- menstellungen, die man jetzt für unmöglich hält. Canning selbst ist zum Theil daran Schuld, da seine angefangenen Pläne nicht reif wurden, und ein Mann von eminentem Genie auf einem hohen Platze immer seinen Nachfolgern verderblich wird, wenn diese Pyg- mäen sind. Die jetzigen Minister haben ganz das Ansehen, als wollten sie England langsam dem Ab- grund zuführen, den Canning für Andere gegraben hat. Auch diese Gewitter, die sich an Asiens Gränze zusammenziehen, schlagen vielleicht erst später mitten in Europa am heftigsten ein. Mit uns hoffe ich aber, wird der Donnergott seyn, Preußens Zukunft steht in meiner Ahnung selbst hoher und glänzender da, als sie ihm bis jetzt das Schicksal gönnte, nur verliere es seine Devise nicht aus den Augen: „Vor- wärts!“ Zu Haus angekommen, fand ich Deinen Brief, der mich sehr belustigte, besonders die von H. vergeb- lich in Paris auf Bouteillen gezogenen Saillien, die in S … so wenig Anwendung finden, denn wohl hast Du Recht: „Rien de plus triste qu’un bon mot qui se perd dans l’oreille d’un sot,“ und in diesem Falle mag er sich oft genug befinden. Den 20sten. Da man jetzt Zeit hat, das Schauspiel zu besuchen, und gerade die besten Akteurs spielen, so widmete ich viele meiner Abende diesem ästhetischen Zeitvertreibe, und sah unter andern gestern mit erneutem Vergnü- gen Kembles künstlerische Darstellung des Falstaff wieder, von der ich Dir schon einmal schrieb. Nach- holen kann ich jetzt noch, daß sein Costume, in weiß und rothen Farben, sehr gewählt, und von der sorg- fältigsten Eleganz, wenn gleich ein wenig abgenutzt war, so daß es wie sein schön gelockter weißer Kopf und Bart ihm eine glückliche Mischung von Vorneh- mem und Komischem gab, welches, meines Erachtens, die Wirkung sehr erhöhte, und so zu sagen verfeinerte. Ueberhaupt waren alle Costume musterhaft, dagegen es unverzeihlich störend genannt werden muß, wenn so eben Heinrich IV. mit seinem prachtvollen Hofe und so vielen in Stahl und Gold glänzenden Rittern ab- gezogen ist, zwei Bediente in der Theaterlivree, Schu- hen und rothen Hosen erscheinen zu sehen, um den Thron hinwegzutragen. Eben so wenig kann man sich daran gewöhnen, Lord Percy eine Viertelstunde mit dem im Hintergrunde sitzenden Könige sprechen zu hören, ohne daß das Publikum von besagtem Percy dabei etwas anders als seinen Rücken zu sehen bekömmt. Es ist auffallend, daß gerade die berühm- testen hiesigen Schauspieler diese Unart förmlich affek- tiren, während man bei uns in den entgegengesetzten Fehler verfällt, und zum Beispiel der primo amoroso während der feurigsten Liebeserklärung seiner Schö- nen den Rücken weiset, um mit dem Publikum zu liebäugeln. Das gehörige Mittel zu halten ist aller- dings schwierig, und die scenische Anordnung muß es dem Schauspieler erleichtern. Aus dem Charakter des Percy machen die deutschen Akteurs gewöhnlich eine Art wüthendes Kalb, das sich sowohl mit seiner Frau als mit dem Könige ge- behrdet, als sey es eben von einem tollen Hunde ge- bissen worden. Diese Leute wissen gar nicht mehr, wo man den Dichter mildern , wo ihn steigern soll. Young versteht dies vollkommen, und weiß das jugendlich stürmische Aufbrausen sehr wohl mit der Würde des Helden, und dem Anstande eines Fürsten zu vereinen. Er ließ jenes Feuer nur wie Blitze über eine Gewitterwolke zucken, aber nicht in ein Hagel- wetter ausarten. Auch das Zusammenspiel finde ich besser als auf den deutschen Bühnen, und in den scenischen Anordnungen viel gesunde Beurtheilung. Um nur ein Beispiel zu geben, so erinnere Dich (da Du einmal mit mir zusammen dies Stück in Berlin gesehn, und Vergleiche die Sache anschaulicher ma- chen) der Scene, wo der König die Gesandten Per- cys empfängt. Du fandest sie damals so unanstän- dig, weil sich Falstaff dabei vor und an den König drängte, um ihm jeden Augenblick mit seinen Späßen grob in die Rede zu fallen. Es kömmt dies aber nur daher, weil unsre Schauspieler mehr an ihre Per- sönlichkeit als an ihre Rolle denken. Herr D … fühlt sich dem Herrn M .... gegenüber selbst every inch a King, und vergißt, wen er und wen der Andere in dem Augenblick vorstellt. Hier wird Shakespeare besser verstanden, und die Scene demgemäß darge- stellt. Der König steht mit den Gesandten im Vor- dergrunde, der Hof im Gemache vertheilt, und in der Mitte des Theaters seitwärts der Prinz und Fal- staff, welcher letztere als ein halbprivilegirter Lustig- macher zwar seine Spässe macht, aber sie nur mit halblauter Stimme mehr an den Prinzen als an den König richtet, und zurechtgewiesen, sogleich respect- voll die ihm gebührende ehrfurchtsvolle Attitüde wie- der einnimmt, nicht aber mit dem Könige wie mit seines Gleichen fraternisirt. Auf diese Weise kann man sich der Illusion hinge- ben, einen Hof vor sich zu sehen; bei der andern glaubt man sich immer in Eastcheap. Die hiesigen Schauspieler leben in besserer Gesellschaft, und haben daher mehr Takt. Den 23sten. Es ist seltsam genug, daß der Mensch bloß das als Wunder anstaunen will, was im Raum oder der Zeit entfernt von ihm steht, die täglichen Wun- der neben sich aber ganz unbeachtet läßt. Dennoch müssen wir in der Zeit der Tausend und einen Nacht noch wirklich leben, da ich heute ein Wesen gesehen, was alle Phantasiegebilde jener Epoche zu überbieten scheint. Höre, was das erwähnte Ungethüm alles leistet. Zuvörderst ist seine Nahrung die wohlfeilste, denn es frißt nichts als Holz oder Kohlen. Es braucht aber gar keine, so bald es nicht arbeitet. Es wird nie müde, und schläft nie. Es ist keinen Krankhei- ten unterworfen, wenn von Anfang an nur organi- sirt, und versagt nur dann die Arbeit, wenn es nach langer, langer Zeit vor Alter unbrauchbar wird. Es ist gleich thätig in allen Climaten, und unter- nimmt unverdrossen jede Art von Arbeit. Es ist hier ein Wasserpumper, dort ein Bergmann, hier ein Schiffer, dort ein Baumwollenspinner, ein Weber, ein Schmied- und Hammerknecht, oder ein Müller — in der That es treibt alles und jedes Geschäft, und als ein ganz kleines Wesen sieht man es ohne An- strengung neunzig Schiffstonnen Kaufmannsgüter, oder ein ganzes Regiment Soldaten auf Wagen ge- packt, mit einer Schnelligkeit sich nachziehen, welche die der flüchtigsten Stagecoaches übertrifft. Dabei markirt es noch selbst jeden seiner taktmäßigen Schritte auf einem vorn angehefteten Zifferblatte. Auch re- gulirt es selbst den Wärmegrad, den es zu seinem Wohlseyn bedarf, ölt wunderbar seine innersten Ge- lenke, wenn diese es bedürfen, und entfernt beliebig alle nachtheilige Luft, die durch Zufall in Theile drin- gen sollte, wo sie nicht hingehört — sollte sich aber in ihm etwas derangiren, dem es nicht selbst abhelfen kann, so warnt es sogleich durch lautes Klingeln seine Herr- schaft vor Unglück. Endlich ist es so folgsam, un- geachtet seine Stärke der von sechshundert Pferden gleich kömmt, daß ein Kind von vier Jahren mit dem Drucke seines kleinen Fingers jeden Augenblick seine ungeheure Arbeit zu hemmen im Stande ist. Hätte man wohl sonst einen solchen dienstbaren Geist ohne Salomons Siegelring erhalten können, und hat je eine wegen Zauberei verbrannte Hexe Aehn- liches geleistet? Jetzt — ein neues Wunder — magnetisirst Du blos fünfhundert Goldstücke mit dem festen Willen, daß sie sich in eine solche lebendige Maschine verwan- deln sollen, und nach wenig Ceremonien siehst Du sie in Deinem Dienste etablirt. Der Geist geht in Dampf auf, aber er verflüchtigt sich nicht. Er bleibt mit göttlicher und menschlicher Bewilligung Dein le- gitimer Sklav. Dies sind die Wunder unsrer Zeit, die wohl die alten heidnischen und selbst christlichen aufwiegen. Ich brachte den Abend bei der braunen Dame, Lady C. B. zu, die eben wieder einen neuen Ro- man „Flirtation“ (Liebeley) beendigt hat. Ich sprach sehr freisinnig mit ihr darüber, denn sie ist eine ge- scheidte und gute Frau, und das Resultat war ein für mich unerwartetes, nämlich sie drang in mich, selbst ein Buch zu schreiben, und versprach es nach- her zu übersetzen. Dieu m’en garde! übrigens ist zuviel vom Sceptiker in mir, um daß, wenn ich schriebe, die sanfte, fromme, regelrechte Lady B. nur zwei Seiten davon übersetzen könnte, ohne mein Buch mit einer Bekreuzigung von sich zu schieben. Viel- leicht habe ich auch hie und da ein bischen Humor, der ihr nicht zusagen würde. Dagegen will ich sie, wozu sie mich heute ebenfalls angelegentlich eingela- den, mit großem Vergnügen künftigen Sommer nach Schottland begleiten. Dies wird ein völliger Triumph- zug seyn, da sie, als Schwester einer der mächtigsten Großen in Schottland, und dabei von eignem lite- rärischen Glanze strahlend, in dem Feudal-Lande, wo wahre Gastfreandschaft noch keine Fabel ist, und wo man statt Fashionables noch Seigneurs antrifft, überall eine freudige Erscheinung seyn wird. Ich sehe sie schon im Geiste, von Schloß zu Schloß zie- bend, ein Gefolge stolzer Ohnehosen hinter sich, und Fama in eleganter englischer Toilette vor sich. Ich selbst schließe mich als fremder Ritter an das Gefolge, und nehme alle die guten Sachen mit, die uns geistig und körperlich, romantisch und prosaisch zustoßen wer- den, bei dem großen Barden aber schließen wir die Tour, und kosten, nachdem er uns so oft den phan- tastischen Tisch gedeckt, einmal auch seinen eigenen. Ich weiß nicht, ob ich Dir gesagt, daß ich in Al- bemarlestreet bei einer Putzmacherin wohne, die einen wahren Blumenflor von Engländerinnen, Italiene- rinnen und Französinnen um sich versammelt hat. Alles ist die Decenz selbst, demungeachtet macht sich manches Talent darunter geltend und nützlich, so un- ter andern eine Französin, welche ganz vortrefflich kocht, und mich daher in den Stand gesetzt hat, heute meinen Freund L . ., der so viele Artigkeiten für mich gehabt, auch einmal in meiner Häuslichkeit zu bewir- then. Din é , Concert (spaßhaft genug war es, denn blos Putzmacherinnen sangen und spielten), kleiner Ball für die jungen Damen, viele künstliche Blumen, viele Lichter, sehr wenig ausgewählte Freunde, kurz eine Art ländlichen Festes mitten in dem Londner Jahrmarkt. Es war fast Morgen, ehe die wilden Mädchen zu Bett kamen, obgleich die Duegna sie treulich bis zum letzten Augenblick chaperonirt hatte, ich aber wurde von allen hoch gepriesen, wenn auch mein jüngerer Freund L.... ihnen im Herzen ohne Zweifel besser gefallen hatte. Den 28sten. Ein großer Schauspieler, ein wahrer Künstler in diesem Fach, steht gewiß sehr hoch! Was muß er alles wissen und können! und wie viel Genie muß er mit körperlicher Grazie und Gewandtheit, wie viel Schaffungskraft mit der größten und langweiligsten Routine verbinden. Ich sah heute zum Erstenmal seit meinem Aufent- halt in England Macbeth, vielleicht die erhabenste und vollendetste der Tragödien Shakspeares. Ma- cready, ein erst kürzlich von Amerika zurückgekehrter Schauspieler spielte die Hauptrolle vortrefflich. Be- fonders wahr und ergreifend erschien er mir in fol- genden Momenten — erstens in der Nachtscene, wo er nach dem Morde Dunkans mit den blutigen Dol- chen herauskömmt, und seiner Frau die geschehene That mittheilt. Er führte das ganze Gespräch leise (wie es die Natur der Sache mit sich bringt) wie ein Geflüster im Dunkeln, und doch so deutlich und mit so furchtbarem Ausdruck, daß alle Schauder der Nacht und des Verbrechens in die Seele des Zu- schauers für den Augenblick mit übergingen. Eben so gut gelang das schwierige Spiel mit Banquo’s Geist. Die schöne Stelle: „Was Männer wagen, wag auch „ich. Komm als der zott’ge Bär, komm als Hirka- „niens Tiger, komm’ mit der Kraft von Zehn, ich „stehe Dir, und meine Nerven sollst Du nimmer zit- „tern sehn. Sey lebend wieder, und rufe in die „Wüste mich zum Todeskampf — ich stehe Dir. Doch „diese blut’gen Locken schüttle nicht, starre mich nicht „an mit diesen Augen ohne Leben — fort! fürchter- „licher Schatten, fort, verbirg Dich in der Erde Ein- „geweiden wieder, u. s. w.“ fing er sehr rich- tig, statt zu steigern, gleich mit aller Anstrengung verzweifelnder Wuth an, sank nach und nach, von Entsetzen überwältigt immer mehr mit der Stimme, bis er die letzten Worte nur lallend aussprach. Dann plötzlich schlug er, in fürchterlicher Todesangst dumpf aufschreiend, den Mantel über das Gesicht, und sank halb leblos auf seinen Sessel zurück. Er erreichte hierdurch die höchste Wirkung. Man fühlte als Mensch es schaudernd mit, daß unser kühnster Muth doch dem Grausen einer andern Welt nicht gewachsen ist — und bemerkte keine Spur von dem bloßen Thea- terhelden, der um die Natur sich wenig bekümmert, und nur für die Gallerie auf Effekt spielend, in im- mer steigendem Geschrei und Wüthen seinen höchsten Triumph sucht. Herrlich nimmt Macready auch den letzten Akt, wo Gewissen und Furcht gleichmäßig erschöpft sind, und starre Apathie schon beider Stelle eingenommen hat, wenn in drei schnell auf- einanderfolgenden Schlägen nun das letzte Gericht über den Sünder hereinbricht, der Tod der Königin, die Erfüllung der trügerischen Weissagung der Hexen, und endlich Macduffs vernichtende Erklärung, daß ihn kein Weib geboren. Was früher Macbeths Gemüth marterte, und ihn über seinen Zustand grübeln, gegen die Plage seines Gewissens ankämpfen ließ, kann ihn jetzt nur, Blitzen gleich, augenblicklich noch mit Erschütterung durch- zucken. Er ist seiner und des Lebens überdrüßig, und kämpfend, wie er mit bitterem Hohne sagt: „gleich einem rings umstellten Eber“ fällt er endlich — ein großer Verbrecher, aber dennoch ein König und ein Held. Gleich meifterhaft ward auch das Gefecht mit Mac- duff ausgeführt, was so leicht ungeschickten Schau- spielern mißräth. Nichts Uebereiltes, und doch Alles Feuer, ja alles Gräßliche des Endes — der letzten Wuth und Verzweiflung hineingelegt. Ich vergesse nie die lächerliche Wirkung dieser Scene bei der ersten Aufführung der Spikerschen Ue- bersetzung des Macbeth in Berlin. Macbeth und sein Gegner überhaspelten sich dabei dergestalt, daß sie wider ihren Willen hinter die Coulissen geriethen, ehe sie noch mit ihren Reden zu Ende waren, wes- halb das von dort heraus schallende „Halt, genug“ (dessen Vorhergehendes man nicht mehr gehört hatte) vollkommen so klang, als wenn der überrannte Mac- beth, mit vorgehaltenem Degen den weitern Kampf deprecirend, geschrieen hätte: Laßt’s gut seyn, — halt genug ! Lady Macbeth, obgleich nur von einer Schauspie- lerin zweiten Ranges gespielt, denn leider gibt es seit Mistriß Siddons und Miß Oneils Abgang keine erste mehr, gefiel mir in ihrer schwachen Darstellung doch besser als viele gerngroße Künstlerinnen unseres Briefe eines Verstorbenen. IV. 17 Vaterlandes, deren affektirte Manier keinem Charak- ter Shakspeares gewachsen ist. Ich theile über diese Rolle nicht nur ganz Tieks bekannte Ansicht, sondern ich möchte noch weiter darin gehen. Die wenigsten Männer verstehen, wie die Liebe eines Weibes Alles blos auf den geliebten Gegenstand beziehen und richten kann, und daher, eine Zeit lang wenigstens, auch nur in Bezug auf ihn Tugend und Laster kennt. Lady Macbeth, als eine rasende Megäre darge- stellt, die ihren Mann nur als Instrument eigener Ambition gebraucht, ermangelt aller innern Wahr- heit, und noch mehr alles Interesses. Eine Solche würde gar nicht des tiefen Gefühls ihres Elends fä- hig seyn, das sich so schauerlich in der Schlafwach- scene ausspricht, während sie nur vor ihrem Manne, um ihm Muth zu geben, immer als die stärkere er- scheint, nie Furcht und Gewissensbisse zeigt, die sei- nigen verspottet, und sich über sich selbst zu betäuben sucht. Sie ist allerdings kein sanfter, weiblicher Charak- ter zu nennen, aber weiblich sich äußernde Liebe zu ihrem Manne ist dennoch das Haupt-Motiv ih- res Benehmens. So wie uns der Dichter ihre heimlichen Leiden deutlich in jener Nachtscene vorführt, so läßt er uns auch sehen, daß Macbeth lange vorher schon die ge- heimen, und sich selbst kaum gestandenen, ehrgeizi- gen Wünsche seiner Brust ihr schon verrathen hat, und auch die Hexen wählen sich, wie Raupen und Maden nur das schon Krankhafte angreifen, Maebeth nur deshalb aus, weil sie ihn schon reif für ihre Zwecke finden. Sie weiß also, was er im Innersten möchte, und ihn zu befriedigen , hilft sie mit wilder Leidenschaft nach, schnell, nach Weiberart noch viel weiter gehend, als er selbst gedachte. Je mehr Macbeth, sich weigernd, eine halbe Comödie mit sich selbst und ihr spielt, je mehr wächst ihr Eifer, und sie ebenfalls stellt sich vor sich selbst und ihm anders, grausamer und schlechter an, als sie ist, reizt sich künstlich auf, nur um ihm dadurch den kühnsten Muth und raschen Entschluß einzuflößen. Ihm opfert sie nicht nur Alles, was zwischen Macbeth und seinen geheimen Wünschen steht, sondern auch sich selbst , die Ruhe ihres Gewissens, ja alle weibliche Gesin- nung gegen Andere auf, und ruft die unterirdischen Mächte um Hülfe und Stärke an. Nur auf diese Weise erscheint mir der Charakter dramatisch, und der fernere Gang des Stücks psychologisch wahr, im andern Sinne kann man nur eine Carrikatur darin finden, deren Shakspeares Schöpferkraft unfähig ist, welcher immer mögliche Menschen , keine unnatür- liche Scheusale und Phantasieteufel malt. So stoßen sich denn Beide endlich gegenseitig in den Abgrund hinein, während jeder einzeln vielleicht nie so weit gekommen wäre, Macbeth aber offenbar mit größerem Egoismus, weshalb auch sein Ende, wie seine Qual, furchtbarer sind. Es ist ein großer Vortheil für die Darstellung dieses Stücks, wenn dem genialsten Talent die Rolle 17* des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über- zeugte ich mich heute sehr lebhaft. — Wird Lady Macbeth durch überwiegende Darstellungskunst zur Hauptrolle gemacht, so sieht man die ganze Tra- gödie aus einem falschen Gesichtspunkte. Sie wird eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih- res Interesses, wenn man nur eine cannibalische Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel sieht, der sich wie ein Pinsel von ihr, blos zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt. Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde vom Anfang an, sein Weib hilft ihm nur nach, und er ist keineswegs ein ursprünglich edler Mann, der, durch die Hexen verführt, ein Scheusal wird, was Unnatur wäre, sondern, wie in Romeo und Julie, die Leidenschaft der Liebe in einem für sie zu em- pfänglichen Gemüth, von der unschuldigen Kind- lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genusses hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird — so ist hier selbstischer Ehrgeiz der Gegenstand des Gemäldes, wie er durch böse Mächte ausgebildet, in Macbeths Person, von ebenfalls nur scheinbarer Un- schuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu Tode gehetzten Bestie gelangt. Dennoch ist der Mann, in dessen Seele das Gift wühlt, mit so vielen andern hohen Eigenschaften begabt, daß wir dem Kampfe und der Entwickelung mit Antheil für den Helden folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es seyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch- gängig großen Schauspielern aufgeführt zu sehen, wo keine Rolle zur Nebenrolle würde! Dieß wäre aber freilich nur von Geistern zu leisten, wie in Hof- manns gespenstischer Aufführung des Don Juan. Du wirst vielleicht Manches in diesen Ansichten barok finden, aber bedenke, daß große Dichter wie die Natur selbst wirken. Jeden sprechen sie in dem Gewande seines eignen Gemüths an, und vertragen daher auch viele Auslegungen. Sie sind so reich, daß sie tausend Armen ihre Gaben geben, und den- noch Jedem eine andere reichen können. Viele Theateranordnungen waren gleichfalls sehr zu loben. So sind z. B. die beiden Mörder, welche der König zum Morde Banquo’s gedungen, nicht, wie auf unsern Theatern, zerlumpte Banditen, in deren Gesellschaft sich der König in seinem Prachtornate und der Nähe seiner Großen lächerlich ausnimmt, und die er nie in solchem Aufzuge in seinem Palast sehen könnte, sondern von anständigem Aeußern und Benehmen, Bösewichter, aber keine Lumpen. Die altschottische Tracht ist durchgängig sehr schön, und auch der Zeit nach wahrscheinlich richtiger, gewiß aber malerischer als ich sie auf den deutschen Thea- tern gesehen. Die Erscheinung Banquo’s, so wie das ganze Arrangement der Tafel, war ebenfalls unend- lich besser. Der Regisseur in Berlin macht hiebei eine lächerliche Bevüe. Wenn der König die Mörder über Banquo’s Tod befragt, antwortet der eine: Depend upon, he has had his throat cut. (Seyd versichert, wir haben ihm die Kehle abgeschnitten); dies ist eine eng- lische Redensart für tödten, so wie wir sagen: er hat den Hals gebrochen, wenn einer an den Folgen eines Pferdesturzes gestorben ist, ohne daß er gerade den Hals in zwei Stücke gebrochen hat. Diese Re- densart hat man nun wörtlich aufgefaßt, und läßt bei Tafel einen höchst eckelhaften Kopf von Pappe er- scheinen, dem die Kehle auf das Gräulichste abge- schnitten ist! — Das Hinauf- und Hinunterfahren dieses Monstrums ist dabei so nahe der Puppen-Co- mödie verwandt, daß man mit dem besten Willen kaum ernsthaft bleiben kann. Hier wird durch das Gewühl der Gäste, die an mehreren Tischen sitzen, das Erscheinen des Geistes so geschickt verdeckt, daß er nur dann, als der König sich niederlassen will, von ihm und den Zuschauern zugleich, plötzlich auf des Königs Stuhle sitzend erblickt wird. Zwei blu- tige Wunden entstellen sein blasses Antlitz ( es versteht sich, daß es der Schauspieler selbst ist, der den Ban- quo gespielt hat), ohne es durch die abgeschnittene Kehle lächerlich zu machen, und wenn er von der Tafel aus, umgeben vom geschäftigen Treiben der Gäste, starr den König anblickt, dann ihm winkt, und hierauf langsam in die Erde sinkt — so erscheint dieß eben so täuschend wahr als grausenerregend. Um aber billig zu seyn, muß ich doch auch einer Lächerlichkeit erwähnen, die hier vorfiel. Lady Mac- beth sagt nach dem Morde des Königs, als man an das Thor klopft, zu ihrem Manne, er solle davon eilen und einen Nachtrock anziehen, damit es nicht auffiele, ihn in seinen Kleidern zu finden. Nachtrock heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der That meinen Augen kaum, als Macready in einem modernen Schlafrock von geblümtem Ziz (wahrschein- lich seinen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er blos über seine vorige Stahlrüstung geworfen, die darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus kam, und in diesem ergötzlichen Costüme den Degen zog, um die Kammerherren zu erstechen, die bei’m König schlafen. Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend Jemand aufgefallen wäre. Freilich war die Theilnahme über- haupt eben so gering, als Lärm und Unfug fortwäh- rend andauernd, so daß man wirklich kaum begreift, wie sich so ausgezeichnete Künstler bei einem so un- gezogenen, indifferenten und unwissenden Publikum bilden können, als sie hier fast immer vor sich ha- ben, denn wie ich Dir schon sagte, das englische Thea- ter ist nicht fashionable, und die sogenannte gute Ge- sellschaft besucht es fast nie. Das einzige Vortheil- hafte dabei für die Schauspieler ist: sie werden nicht verwöhnt — ein Umstand, dessen Gegentheil sie in Deutschland gänzlich verdorben zu haben scheint. Nach dem Macbeth wurde noch der Freischütz an demselben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart muß es sich gefallen lassen, mit Verkürzungen und Zu- sätzen von Herrn Bischoff bearbeitet zu werden. Es ist ein wahrer Jammer, und nicht allein der Musik, selbst der Fabel des Stücks ist ihr ganzer Charakter benommen. Nicht Agathens Liebhaber, sondern der Schützenkönig kömmt in die Wolfsschlucht und singt auch Caspars beliebtes Lied. Der Teufel, in langen rothen Gewändern, tanzt zuletzt einen förmlichen Shawltanz, ehe er mit Caspar in seiner Hölle zur Ruhe kömmt, welche letztere durch feurige Wasserfälle, rothe Coulissen und übereinander liegende Gerippe sehr anmuthig versinnlicht wird. Hier fällt nun jeder Vergleich mit Deutschland ganz zu unserm Vortheil aus, so sehr wir bei der Tra- gödie verlieren. Ich wünschte aber, es wäre umge- kehrt. Den 2ten Dezember. Ich schrieb Dir neulich, daß ich mich wohler be- finde, und seit dieser Zeit bin ich immer unwohl. Man muß nie etwas verrufen, wie die alten Weiber sagen, denn, wie W. Scott hinzusetzt: Dinge anzu- kündigen, die noch nicht ganz sicher sind, bringt Un- glück. Dies Letzte habe ich in der That sehr oft er- fahren. Was aber meine Gesundheit betrifft, so ist sie so kauderwelsch als mein ganzes Wesen, und da ich einmal im Citiren begriffen bin, laß mich Dir eine kurze Stelle aus einem hier sehr beliebten medi- zinischen Buche abschreiben, die auch außer uns gar vielen Naturen unsrer Zeit über sich selbst Aufschluß geben kann. Höre: „Eine Art Individuen, ohne im Allgemeinen schwach zu seyn, werden doch von der Wiege bis zum Grabe stets das seyn, was man nerveus nennt; das heißt, sie mögen von Natur fest und gut gebildet seyn, so weit als das Grundwerk der Maschine geht; sie mögen ein starkes und dichtes Knochengebäude haben, und von ausgedehnten Verhältnissen, sie mö- gen ein eben so starkes Muskelsystem besitzen, die Circulation des Blutes und die absorbirenden Organe energisch seyn, und dennoch werden sie in einem Punkte immer schwächlich genannt werden müssen, nämlich die Organe, welche von der Natur bestimmt sind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens weiter zu befördern, werden so beschaffen seyn, daß sie mit Blitzesschnelle durch die leichteste Irritations- Ursache in einen unordentlichen Zustand übergehen, zu einer Zeit krankhaft reizbar sind, zu einer andern in eine Art Gefühllosigkeit verfallen, und nie ganz den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer festen und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfor- dert werden.“ Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung unsrer selbst und durch die Kraft des Willens. Aber nun fährt unser ärztlicher Freund eben so er- götzlich als weise so fort: „Der nerveuse Kranke ist immer mit seinen Kla- gen fertig. Dem Freunde wird er hundert seltsame Seelenleiden mitzutheilen, und täglich neue Ent- deckungen an sich zu machen haben, dem Arzte aber bald von sonderbaren Schmerzen in den Augen, an allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in den Ohren erzählen; dann vom Kopfe aus den gan- zen Körper durchgehen, und bald im Leibe, bald im Rücken, bald in den Beinen über Leiden klagen. Nachdem er seinen Arzt mit dem Catalog seiner Krank- heiten, deren Grund, Symptome und Folgen, eine halbe Stunde kostbarer Zeit geraubt hat, wird er ihn wohl noch einmal zurückrufen, um noch genauer zu fragen! was und wie viel er essen und trinken kann, da er grade jetzt etwas Appetit fühle, oder wie er sich, warm oder kühl, anzuziehen habe? Der be- rühmte Doktor Baillie, der so beschäftigt war, daß er, wie er selbst sagte, einen Arbeitstag von sieben- zehn Stunden hatte, schwebte in wahrer Furcht vor nerveusen vornehmen Patienten. Während er einst, auf die Folterbank gespannt, die endlose Prosa einer Dame von solcher Beschaffenheit anhören mußte, die so wenig wirklich krank war, daß sie im Begriff stand, denselben Abend in die Oper zu fahren — ge- lang es ihm endlich, durch die Ankunft eines Dritten unbemerkt zu entwischen. Aber kaum hatte der Be- diente den Wagenschlag aufgemacht, als die Kammer- jungfer ausser Athem herunterstürzte, um den Herrn Doktor dringend zu ersuchen, nur noch einen Augen- blick wieder heraufzukommen. Seufzend erschien er. O bester Doktor, rief die Dame, ich wollte nur wis- sen, ob ich wohl heute Abend, wenn ich aus der Oper zurückkomme, Austern essen darf? Ja Madame, schrie der entrüstete Aesculap, Schalen und Alles.“ „Es ist seltsam, daß nerveuse Personen, die, so lange diese Affektion vorwaltet, so apprehensiv sind, und jedes kleine Uebel für höchst gefährlich ansehen und fürchten, in der Regel von dem Augenblick an, wo sich bei ihnen ein wirkliches organisches Uebel bil- det, ganz von selbst ihren Zustand als leicht und un- bedenklich anzusehen anfangen, und während sie vor- her den Arzt mit Hererzählung aller Symptome ihrer Uebel ermüdeten, nun beinahe gezwungen werden müssen, ihm genügende Information zu geben, und anstatt ihn zurückzuhalten, eben so froh als er selbst scheinen, wenn die Conferenz zu Ende ist. Eben so gibt sich die Furcht; und ich habe Viele gesehen, die, nachdem sie früher Stunden lang durch das Oeffnen eines Fensters beunruhigt worden waren, die Ankün- digung eines unvermeidlichen und nicht fernen Todes mit der größten Seelenruhe anhörten. Viel thut der Wille.“ „Der Dyspepsiker oder Nervenschwache muß fest entschlossen seyn, von jedem ersten drohenden Gefühle von Unzufriedenheit und Trauer entweder durch Zer- streuung wegzulaufen oder es determinirt zu be- kämpfen . Das Annähern der hypochondrischen Muth- losigkeit kann oft noch unterwegs zurückgedrängt wer- den, wenn man vom ersten Augenblick an es ernst- lich versucht. Ich will gut seyn, sagt das Kind, wenn es die Ruthe im Begriff sieht, ihm den Wil- len zum Guten zu geben — und ich will heiter seyn, muß der Dyspepsiker sagen, wenn ihm die schlimmere Ruthe der Hypochondrie droht. Es ist ohne Zweifel leichter zu rathen als zu thun, vorzu- schreiben als zu folgen; aber das weiß ich aus eigner Erfahrung (denn auch Aerzte sind hypochondrisch) daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä- gen Unterwerfens unter solche Gefühle unbesiegbar geworden ist, ein frischer, und ich möchte sagen ge- wissenhafter Entschluß die anrückenden Uebel jener vaporeusen Bedrückung gewaltsam zu zertheilen — einen weitern Weg zu diesem Zwecke zurücklegen kann. Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können , welche zu können glauben ). Wir wollen demun- geachtet nicht so extravagant seyn, um zu sagen, daß eine Person, um gesund zu werden, es nur ernstlich zu wollen brauche; aber das sind wir überzeugt, daß ein Mensch oft unter der Last einer Indisposition unterliegt, der mit einer geist- und muthvollen An- strengung sie abgeworfen haben würde. Die Lehre von der Unwiderstehlichkeit des Schicksals ist weder eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder sollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth sagt: Künftig sollst Du mein einziges Gut seyn, er nicht allein sein eigenes Schicksal feststellt, son- dern auch das derer, die ihn lieben, mehr oder weniger mit bestimmt .“ „Melancholie hat überdem etwas Poetisches und Sentimentales in sich, welches ihr bei allem Schmerz einen gewissen Reiz gibt — doch wenn es von allem äußern Schmuck völlig entblößt, und in seiner Nackt- heit dargestellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit. Ich kann mir kein schöneres Schauspiel denken, als das eines Wesens, dessen constitutionelle Verfassung es zum Melancholischen hinneigt, und das mit sei- nem Temperament herzhaft kämpfend, durch Willens- kraft sich zwingt, Theil an der Heiterkeit der es um- gebenden Welt und der wechselnden Scenen des ge- sellschaftlichen Lebens zu nehmen. In diesem Fall behält es allen Reiz der Melancholie ohne seine Qual.“ Ist das nicht sehr schön und einleuchtend? und wird es Dich nicht eben so bekehren, als es mich in meiner Bekehrung bestärkt hat? Ich hoffe, Du wirst mir bei der nächsten hypochondrischen Anwandlung antworten: Lieber Freund, bitte, kein Wort weiter, ich will heiter seyn. Du wunderst Dich gewiß, daß ich in dieser un- dankbaren Jahreszeit noch immer in London verweile, aber Lady R..... ist noch hier — überdem habe ich mich in das einsame Leben eingerichtet, das blos von dem Lärm der kleinen Heerde Putzmacherinnen im Hause manchmal unterbrochen wird, das Theater hat auch angefangen mich zu interessiren, und die Friedlichkeit dieses Stilllebens bekömmt mir wohl nach dem frühern trouble. Es ist wirklich so still, daß, gleich dem be- rühmten Gefangenen in der Bastille, ich seit Kurzem eine Liaison mit einer Maus begonnen habe, ein allerliebstes kleines Thierchen, und ohne Zweifel eine verwünschte Lady, die, wenn ich arbeite, schüchtern hervorschleicht, mich von weitem mit ihren Aeuglein, gleich blinkenden Sternchen, anblickt, immer zahmer wird, und angelockt durch Kuchenstückchen, die ihr jeden Tag sechs Zoll entfernter von ihrer Residenz in der rechten Stubenecke hingelegt werden — eben jetzt ein solches mit vieler Grazie verzehrt hat, und sich nun unbefangen in der Stube umhertummelt. Aber was höre ich! Unaufhörliches lautes Geschrei auf der Straße! Mein Mäuschen floh bereits bestürzt in ih- ren Winkel. Was gibt’s, frage ich, welcher abscheuliche Lärm? „der Krieg ist erklärt — ein Extrablatt wird auf der Straße ausgerufen.“ Mit wem? „I dont know.“ Das ist einer der Industriezweige der armen Teu- fel in London. Wenn sie nichts anderes ausdenken können, so schreien sie eine große Neuigkeit aus, und verkaufen den Neugierigen ein altes Zeitungsblatt für einen halben Schilling. Man ergreift es hastig, versteht es nicht recht, sieht nach dem Datum, und lacht, daß man angeführt wurde. Wie es mir immer geht, wenn ich allein lebe, bin ich leider wieder so sehr in das Tag in Nacht verkeh- ren gekommen, daß ich in der Regel erst um 4 Uhr Nachmittags frühstücke, um 10 oder 11 Uhr nach dem Theater, zu Mittag esse, und des Nachts spazieren gehe und reite. Es ist auch gewöhnlich in der Nacht jetzt nicht nur schöner, sondern, mirabile dictu, auch heller . Am Tage decken Nebel die Stadt so, daß man Licht und Laternen, selbst wenn sie um Mittag brennen, nicht sieht, in der Nacht aber funkeln letz- tere so hell wie Edelsteine, und überdem scheint noch der Mond so klar wie in Italien. Als ich beim gestri- gen Nachtritt auf der breiten Straße einsam dahin- gallopirte, zogen auch über mir mit gleicher Schnelle weiße und rabenschwarze Wolken, wie feine durch- sichtige Schleier über den Mond hin, und gewährten lange ein eigenthümliches, wildes und reizendes Schau- spiel! Unten war die Luft ganz still und warm, denn nach der letzten Kälte haben wir wahres Frühlings- wetter. Ausser L. und den Statisten der Clubs sehe ich jetzt wenig andere Personen als den Fürsten P., dem man hier viel Hochmuth und Schroffheit vorwirft, und von dem man sich überdieß in’s Ohr raunt, daß er ein wahrer Blaubart sey, der seine arme Frau furchtbar behandelt, und sechs Jahr in einem einsa- men Waldschloß eingesperrt habe, so daß sie endlich, der Mißhandlungen müde, in die Scheidung von ihm habe willigen müssen. Was sagst Du, gute Julie, zu diesem traurigen Schicksal Deiner besten Freundin? Wie seltsam gestalten sich doch zuweilen Gerüchte und Verläumdungen in der Welt! Wie wenig ist man im Stande vorherzusehen, welche unbegreiflich heterogene Folgen die Handlungen der Menschen ha- ben, welche ganz unerwartete Klippen die Lebens- reise gefahrvoll machen werden — ja in der morali- schen wie in der materiellen Welt sieht man nur zu oft da, wo Waizen gesäet wurde, Unkraut aufgehen, und dem hingeworfenen Mist Blumen und duftige Kräuter entsprießen! Deinen langen Brief habe ich erhalten, und sage dafür den herzlichsten Dank. Verdenke es mir aber nicht, daß ich so selten Einzelnes beantworte, ge- wissermaßen den Empfang jeder Stelle quittire, wel- che Unterlassung Du mir so oft vorwirfst. Deshalb geht doch gewiß kein Wort bei mir verloren. Denke nur, daß man der Rose keine andere Antwort auf ihren köstlichen Duft gibt, als daß man ihn mit Wohl- behagen einathmet. Sie einzeln zu zerpflücken würde den Genuß nicht vermehren. Uebrigens bedaure ich, jetzt selbst zu wenig Stimmung und zu wenig Stoff zu haben, um Dir gleiche Rosen zuzusenden. Die Wand ist so kahl vor mir wie ein weißes Tuch, und keine Art von ombre chinoise will noch darauf er- scheinen. Woolmers, den 11ten. Sir G. O., früher englischer Gesandter in Persien, hatte mich auf sein Landgut eingeladen, und da es so nahe ist, und einige Abwechslung versprach, fuhr ich gestern dahin. Bei Nacht und Regen kam ich spät an, und mußte sogleich Toilette machen, um zu einem Ball bei Lady Salisbury nach Hatfield zu fahren, den diese dort auf ihrem Schlosse an einem bestimmten Tage jeder Woche für die Umgegend gibt, so lange sie auf dem Lande ist. Das Besuchen desselben wird daher wie eine Art Visite angesehn, und keine Einladung dazu ertheilt. Sir G. nahm seine ganze Gesellschaft mit, unter der sich ausser seiner Familie auch Lord Strang- ford, der bekannte Ambassadeur in Constantinopel, befand. Du erinnerst Dich, daß ich auf meiner frühern Ex- cursion nach dem Norden Hatfield nur en passant von außen sah. Jetzt fand ich auch das Innere eben so imposant und respektabel durch seine Alterthümlich- keit, als das Aeußere. Man tritt zuerst in eine sehr große Halle mit Fahnen und Rüstungen, wan- delt dann eine seltsame hölzerne Treppe hinauf, mit Figuren von Affen, Hunden, Mönchen ꝛc., und gelangt von hier in eine lange, etwas schmale Gale- rie, in der heute getanzt wurde. Die Wände dersel- ben sind aus alter eichener Boiserie, mit altväteri- schen silbernen Wandleuchtern, gothischen Stühlen und rothen Rouleaus verziert. An einem Ende dieser, wohl 130 Fuß langen Galerie ist eine Bibliothek, und am andern Ende ein prachtvolles saalartiges Zimmer, mit tief herabhängenden metallenen Verzierungen an den Caissons der Decke, und einem haushohen Ka- min, durch die Bronce-Statue des Königs Jakob gekrönt. Die Wände sind mit weißem Atlas beklei- det, Vorhänge, Stühle, Sopha’s in Cramoisi, Sammt und Gold. Dies Lokal war recht schön, der Ball indeß ziemlich todt, die Gesellschaft gar zu ländlich, Erfrischungen keineswegs im Ueberfluß, und das Soup é nur aus einem magern Büffet bestehend. Um 2 Uhr war Alles aus, und ich sehr froh, es über- standen zu haben, da ich mich müde und ennuyirt nach Ruhe sehnte. Als ich am andern Morgen ziemlich spät aufgestan- den, und fast zu spät bei’m Frühstück erschienen war, Briefe eines Verstorbenen IV. 18 das hier etwas zeitig eingenommen wird ergötzte ich mich an den vielen persischen Merkwürdigkeiten, wel- che die Salons zieren. Sehr auffallend war mir ein prachtvolles Manuscript mit Miniaturen, deren Far- benpracht selbst die besten Sachen dieser Art aus dem europäischen Mittelalter übertreffen, und die in der Zeichnung oft richtiger sind. Das Buch enthält die Geschichte der Familie Tamerlans, und soll in Per- sien zweitausend L. St. gekostet haben. Es ist ein Präsent des Schachs. Mit kostbaren Metallen eingelegte Thüren, So- pha’s und Teppiche aus eigenthümlichen Sammtzeu- gen mit Gold und Silber durchwürkt, vor allem aber eine goldne Schüssel mit dem vollkommensten bunten Email incrustirt, und mehrere äußerst künstlich gear- beitete Bijour zeigen, daß die Perser, wenn sie uns in Vielem nachstehen, uns auch in Manchem sehr übertreffen. Das Wetter hatte sich ein wenig aufgeheitert, und lockte mich zu einem einsamen Spaziergang. Herr- liche Bäume, ein kleiner Fluß, und ein Wäldchen, dessen Boden und Bäume mit Schlingelkraut ganz bedeckt waren, und in dessen dichten Schatten eine merkwürdige Quelle entspringt, die mit Gewalt aus der Erde Eingeweiden hervorsprudelnd, fünfhundert Kannen in der Sekunde dem Flusse zuführt, waren die Hauptzierden des Parks. Als ich zurückkam, war es zwei Uhr, die Stunde des Luncheon, worauf mir Sir Gore seine arabischen Pferde producirte, von denen schnell einige zu einem Spazierritt gesattelt wurden. Der Reitknecht hatte während desselben nichts zu thun als unaufhörlich ab - und aufzusteigen, um die Thore zu öffnen, die überall den Weg versperrten, wie es in den englischen Parks, und noch mehr in den Fel- dern der Fall ist, was das Spazierenreiten, außer den großen Landstraßen, etwas unbequem werden läßt. Abends wurde Musik gemacht, wobei sich die Tochter vom Hause und Mistriß F … als vortreffliche Kla- vierspielerinnen auswiesen. Das Auditorium war in- dessen ganz ungenirt, und man ging und kam, sprach oder hörte auf die Musik, wie man Lust hatte. Nach- her, als die Lady’s zur Toilette auf ihr Zimmer ge- gangen waren, erzählte uns Sir G … und Lord Strangford Geschichten aus dem Orient, ein Thema, was nie ermüdend für mich ist. Beide sind große Partisans der Türken, und Lord Strangford lobte den Sultan als einen sehr aufgeklärten Mann. Er selbst sey, sagte er, vielleicht der erste von allen christ- lichen Gesandten, der mehrere Privatunterredungen mit dem Großherrn gehabt, wobei jedoch stets eine sonderbare Etiquette beobachtet worden sey. Der Sultan habe ihn nämlich im Garten des Serails in der Kleidung eines Offiziers seiner Leibwache empfan- gen, und dabei immer vom Sultan im Charakter sei- ner Rolle mit der größten Ehrfurcht in der dritten Person gesprochen, wobei Lord Strangford es nicht blicken lassen durfte, daß er ihn kenne. Der Lord versicherte, daß der türkische Kaiser Rußland besser 18* und genauer kenne, als gar viele europäische Politi- ker, und daher gewiß sehr wohl wisse, was er un- ternehme Wenn man nach dem Erfolg urtheilen darf, so hat sich diese Meinung eben nicht bestaͤtigt. A. d. H. . Nach dem Din é , das auch einige orientalische Schüsseln enthielt, und bei dem ich zum erstenmal ächten Shiras trank (beiläufig gesagt kein angeneh- mer Wein, der nach den Bocksschläuchen riecht), wurde wieder musicirt und kleine Verstandesspiele gespielt, welche indeß nicht besonders reusirten, wes- halb denn auch bei guter Zeit jeder seinen Hand- leuchter ergriff, um zu Bett zu gehen. Den 12ten. Ich habe von der arabischen Zucht meines Wirtbs einen rabenschwarzen Wildfang gekauft, den länger probiren zu können, wir heut früh einen Besuch bei Lady Cooper in der Nachbarschaft machten. Ihr Schloß und Park Pansanger ist sehr sehenswerth, besonders die Gemäldegallerie, welche zwei Madon- nen Raphaels aus seiner frühern Zeit enthält, auch ein ausgezeichnet schönes Bild des Marschalls Tu- renne zu Pferde von Rembrandt. Lady Cooper em- pfing uns in ihrem Boudoir, das unmittelbar in ei- nen, selbst jetzt noch reizenden und vortrefflich gehal- tenen, Blumengarten führte, an den sich auf der andern Seite wiederum Gewächshäuser, und eine Dairy in Tempelform anschloß, in deren Mitte Del- phine von Bronce ihr kühles Wasser ergossen. Pansanger ist durch die größte Eiche in England berühmt, die den pleasure ground ziert. Sie hat zwei Ellen über dem Grunde noch 19½ Fuß im Um- fang, und ist dabei sehr hoch und schlank gewachsen, ohngeachtet ihre Aeste sich auf allen Seiten ausbrei- ten. In Deutschland haben wir größere Bäume die- ser Art. Um die Gegend noch mehr zu recognosciren, mach- ten wir nachher einen zweiten Besuch in Hatfield, bei wel- cher Gelegenheit ich dieses genauer als früher musterte. Das ganze Schloß nebst Küche und Waschhaus wird durch eine Dampfmaschine geheizt, ein Ofen, der dem grandiösen Ganzen angemessen ist. Die Marquise Douairi è re, die rüstigste Dame ihres Al- ters in England, führte uns Trepp auf Trepp ab in allen Winkeln umher. In der Kapelle fanden wir vortreffliche alte Glasgemälde, die man in Crom- wells Zeit vergraben hatte, welchem Umstand sie ihre Rettung verdankten, als die verrückten Bilderstürmer alle gemalten Kirchenfenster zertrümmerten. In einer der Stuben befand sich ein sehr gutes Bild Carl des Zwölften, dieses Don Quixotte en grand, der ohne Pultava vielleicht ein zweiter Alexander geworden wäre. In den jetzigen Ställen Hatfields, dem ehemaligen Schlosse, saß Elisabeth unter der Regierung Maria’s gefangen. Die Königin ließ auf einem Giebel, ihrem Fenster gegenüber, eine sehr hohe, spitzige Feueresse mit einer eisernen Stange errichten, und der Gefan- genen insinuiren: diese Stange sey bestimmt, um ihren Kopf darauf zu stecken. So erzählte uns die Marquise. Die Esse steht noch, und ist jetzt dick mit Epheu überwachsen, Elisabeth aber baute, um sich an dem wohlthuenden Contrast späterer Jahre zu weiden, den neuen Pallast daneben, aus dem sie den drohenden Rauchschlund nun mit besserer Gemüths- ruhe betrachten konnte. An Kunstgegenständen ist das Schloß arm, der Park nur reich an großen Ei- chenalleen und Krähen, sonst öde und ohne Wasser, ausgenommen eine häßliche, grün überzogne Pfütze nahe am Schloß. Den 13ten. In dem Hause meines Wirths befindet sich eine eigenthümliche Bildergallerie, nämlich eine persische, die wenigstens ziemlich barocke Dinge enthält. Die Portraite des Schachs und seines Sohnes Abbas Mirza sind das Interessanteste darin. Die gelbe mit Edelsteinen aller. Art bedeckte Tracht des Schachs und sein enormer schwarzer Bart, repräsentiren die- sen Sohn des Himmels und der Sonne nicht übel. Sein Sohn aber übertrifft ihn an Schönheit der Züge. Dagegen ist das Costume desselben fast zu einfach, und auch die spitze Schafmütze nicht wohl- bekommend. Der letzte persische Gesandte in Eng- land beschließt das Kleeblatt. Dies war ein sehr hübscher Mann, der sich in die europäischen Sitten so gut fand, daß er von den Engländern wie ein wahrer Lovelace geschildert wird. Zu Hause ange- kommen, soll er sich überdem keineswegs discret ge- zeigt, sondern manche vornehme englische Dame von dort her sehr boshaft compromittirt haben. Einige angezogene Puppen in demselben Local ga- ben uns eine treue Idee des schönen Geschlechts in Persien, mit langen, roth oder blau gefärbten Haa- ren, gewölbten und gemalten Augenbraunen, schmach- tend feurigen, großen Augen, allerliebsten Gaze-Pan- talons und Goldringen um die Fußknöchel. Lady O. erzählte uns dazu viele interessante Ha- rem-Details, die ich Dir mündlich mittheilen werde, denn ich muß doch Einiges auch dafür aufbewahren. Manches scheint in Persien ganz angenehm, man- ches nichts weniger, so unter andern die Scorpione und Insekten. Einmal kroch Lady O., während sie auf dem Divan lag, eine Schlange am Nacken her- unter in die Kleider, die sie nur durch schnelle Ent- fernung der ganzen Toilette loswerden konnte. So etwas geschieht uns doch nicht leicht in unsrer climatischen Mitteltemperatur. Sie sey daher geprie- sen, und alle Zufriedene darin, zu denen ich herzlich wünsche uns Beide immer zählen zu dürfen. Dein L. Ein und zwanzigster Brief . London, den 16. December 1827. Liebe Julie! Nachdem ich ein Gedicht in das W … sche Haus- stammbuch geschrieben, in welchen es von arabischen Rossen und Timurs Herrlichkeit, Cecil, Elisabeth, und Teherans weißen Schönen ꝛc. wimmelte, verließ ich gestern meine freundlichen Wirthe, um nach London zurückzukehren. Noch an demselben Abend meiner Ankunft führte mich L. zu einem sonderbaren Schauspiel. In einer, eine gute deutsche Meile entlegnen Vor- stadt, nahm uns eine Art Scheuer auf, schmutzig, ohne andere Decke als das rohe Dach, durch welches hie und da der Mondschein blickte. In der Mitte befand sich ein, ohngefähr 12 Fuß im Quadrat hal- tender, mit dichten Holzbrüstungen eingefaßter und gedielter Platz, umgeben von einer Gallerie voll ge- meinen Volks und gefährlich aussehender Gesichter beiderlei Geschlechts. Eine Hühnersteige führte höher hinauf zu einer zweiten Gallerie, für Honoratioren bestimmt, welche pro Sitz mit drei Schillingen be- zahlt wurde. Seltsam contrastirte mit diesem Aeußern ein an den Balken des Dachstuhls hängender Crystall- Lustre mit 30 dicken Wachskerzen besteckt, und einige Fashionables über dem höchst gemeinen Volk, wel- ches letztere übrigens fortwährend Wetten von 20—50 L. St. ausbot, und annahm. Der Gegenstand der- selben war ein schöner Ferrier, der hochberühmte Billy, welcher hundert lebendige Ratzen in 10 Minu- ten todt zu beißen sich anheischig machte. Noch war die Arena leer — und es harrte mit bangem, mit schrecklichem Weilen — während auf der untern Gallerie große Bierkrüge als Erfrischung von Mund zu Mund gingen, und dichter Cygarrenrauch empor- wirbelte. Jetzt endlich! erschien ein starker Mann, einen Sack tragend, der einem Kartoffelsacke gleich, in der That aber die hundert lebendigen Ratzen ent- hielt, denen er, durch Lösung des Knotens, auf ein- mal die Freiheit gab, sie über den ganzen Platz hin- säete, und während ihres Herumtummelns schleunigst seinen Rückzug in eine Ecke nahm. Auf ein gege- benes Zeichen stürzte nun Billy herein, und begann mit unglaublicher Wuth sein mörderisches Geschäft. Sobald eine Ratze leblos dalag, nahm sie der ihm folgende Knecht Ruprecht wieder auf und steckte sie in den Sack, wobei wohl manche blos ohnmächtige mit unterlaufen mochte, ja vielleicht gab es alte Praktiker darunter, die sich von Hause aus todt stell- ten. Kurz Billy gewann in 9¼ Minute, nach Aus- weis aller gezogenen Uhren, in welcher Zeit sämmt- liche 100 Leichname und Scheintodte sich schon wieder im Sacke befanden. Dies war der erste Akt. Im zweiten kämpfte Billy von neuem, stets unter großem Beifallsgeschrei des Publikums, mit einem Dachs. Jeder der Kämpfer hatte einen Sekundanten, der ihn beim Schwanze hielt. Es wurde nur ein Biß oder Packen erlaubt, dann beide auseinander gerissen, und gleich wieder zugelassen, wobei Billy indeß immer den Vortheil hatte, und des armen Dachses Ohren von Blute trieften. Auch hier mußte Billy in einer gewissen Anzahl Minuten, ich weiß nicht mehr wie vielmal, den Dachs festgepackt haben, was er ebenfalls glän- zend durchführte, zuletzt aber doch sehr erschöpft abzog. Das Schauspiel endigte mit Bearbiting, worin der Bär einige Hunde übel zurichtete, und selbst wenig zu leiden schien. Man sah im Ganzen, daß den En- trepreneurs ihre Thiere zu kostbar waren, um sie ganz ernstlich zu erponiren, daher ich auch schon im Anfang, selbst die Ratzen, als einiges verborgenen Künstlertalents verdächtig, angegeben habe. In demselben Lokal werden einige Monate später auch die Hahnenkämpfe gehalten, wovon ich später eine Beschreibung liefern werde. Den 21ten. Es gibt ohne Zweifel drei Naturen im Menschen; eine Pflanzennatur, die sich begnügt zu vegetiren, eine thierische, die zerstört, und eine geistige, die schafft. Viele begnügen sich mit der ersten, die mei- sten nehmen noch die zweite in Anspruch, und nicht allzuviele die dritte. Ich muß leider gestehen, daß meine hiesige Lebensart mich nur in der erstgenann- ten Classe verweilen läßt, was mich oft sehr unbe- friedigt stimmt, but I can’t help it. Du hast wohl ehemals von dem englischen Roscius gehört? ein neues Wundermännchen dieser Art ist aufgetreten, und die Reife seines frühzeitigen Ta- lents ist in der That höchst auffallend. Master Burke, so wird der zehnjährige Knabe genannt, spielte im Surrey-Theater bei vollem Hause 5—6 sehr ver- schiedene Rollen mit einer Laune, scheinbaren Büh- nenerfahrung, Aplomb, Volubilität der Sprache, treuem Gedächtniß, und gelenkiger Gewandtheit sei- ner kleinen Person, die in Erstaunen setzen. Was mich aber am meisten frappirte, war, daß er in ei- nem Vorspiel seine natürliche Rolle, nämlich die ei- nes Jungens von 10 Jahrer., ebenfalls mit so un- gemeiner Wahrheit gab, daß diese ächte Naivität dar- gestellter Kindlichkeit, nur Inspiration des Genies, ohnmöglich Resultat der Reflection bei einem solchen Knaben seyn konnte. Er begann die nachfolgenden Charaktere mit der Rolle eines italienischen Musik- meisters, in der er sich zugleich als wahrer Virtuose auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa blos in einigen eingelernten Fertigkeiten, sondern in dem gu- ten Geschmack seines Spiels und einer selten erreich- ten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte es seinem ganzen Spiele an, daß er zum Musiker geboren sey. Hierauf folgte die Darstellung eines pedantischen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapi- tains u. s. w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt, und besonders ganz vortrefflich und unbefangen im stummen Spiel, woran so viele scheitern. Napoleon war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich möchte sagen, daß grade dies Mißlingen meinem Bei- fall die Krone aufsetzte. Es ist ein Kennzeichen des wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpassen- den, Albernen selbst mit albern erscheint, und die Rolle war die Quintessenz des Abgeschmackten. Im Leben ist es nicht anders. Macht z. B. einen Lessing zur Hofschranze, oder Napoleon zum r ..... Lieute- nant, und Ihr werdet sehen, wie schlecht beide ihre Rollen ausfüllen. Ueberhaupt kömmt es nut darauf an, daß Jeder an seinem Platze stehe, so wird auch Jeder etwas Vorzügliches entwickeln. So besteht mein Genie z. B. in einer so zu sagen praktisch angewandten Phantasie, die ich stellen kann wie eine Uhr, mit der ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage sogleich zu- rechtfinden, sondern mit der ich mich auch, sie als Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, sie zugleich wieder als Heilmittel, durch ein erfunde- nes Glück benutzen kann. Ist das nun die Folge einer zufälligen physischen Organisation, oder ein Gewinn aus eigner Kraft durch vielleicht hundert vorhergegangene Generatio- nen? Lebte dieses mein geistiges Individuum schon vorher in mit einander zusammenhängenden Formen und dauert es selbstständig fort, oder verliert es sich nach jeder Blase, die die ewige Gährung des Welt- alls aufwirft, wieder im Allgemeinen? Ist, wie viele wollen, die Weltgeschichte, oder das, was in der Zeit sich begibt, eben so wie die Natur, oder das, was im Raume existirt, nach festen Gesetzen und Regeln einer leitenden Hand schon in seinem ganzen Verlauf im Voraus bestimmt, und endigt wie ein Drama im sogenannten Sieg des Guten über das Böse, oder bildet die freie geistige Kraft ihre Zukunft sich, in Allem unvorherbewußt, nur unter der noth- wendigen Bedingung ihrer eignen Existenzmöglichkeit selbst aus? that is the question! Soviel indessen scheint mir klar, daß wir bei Annahme der ersten Hypothese, man drehe es wie man wolle, doch nur mehr oder weniger alle mit einander künstliche Pup- pen sind — nur bei der zweiten Voraussetzung wahr- haft freie Geister bleiben. Ich will es nicht leugnen, es ist etwas in mir, ein unbezwingliches Urgefühl, gleich dem innersten Bewußtseyn meiner selbst, das mich zu dem letztern Glauben hinzieht. Es ist dies vielleicht der Teufel! Doch verführt er mich nicht so weit, daß ich nicht mit innigster höchster Liebe einem uns umfaßbaren Gotte unsern geheimnißvollen Ur- sprung in Demuth verdanken will, aber eben weil eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müssen wir von nun an auch selbstständig in Gott fortleben. Höre, was Angelus Silescus, der fromme Catholik, darüber sagt: Soll ich mein letztes End, und ersten Anfang finden, So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen, Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein, Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte seyn. Eben deshalb ist mir auch jener Lehrsatz unerträg- lich: daß früher der Mensch höher gestanden und besser gewesen, sich aber nach und nach verschlech- tert habe, und nun wieder eben so nach und nach, durch Sünde und Noth sich zur ersten Vollkommen- heit wieder durcharbeiten müsse. Wie viel mehr allen Gesetzen der Natur und des Seyns angemessen, wie viel mehr einer ewigen, höchsten, über Alles walten- den Liebe und Gerechtigkeit entsprechend, ist es an- zunehmen, daß die Menschheit (die ich überhaupt als ein wahres Individuum, einen Körper, ansehe), aus dem nothwendig unvollkommenern Anfang fort und fort einer stets weiter schreitenden Vervollkomm- nung, einer höhern geistigen Ausbildung aus eigner Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch die Liebe des Höchsten erschaffend hineingelegt wurde. Das goldne Zeitalter der Menschen, sagt der Graf St. Simon sehr richtig, ist nicht hinter uns, sondern vor uns. Das Unsrige könnte man (mehr des Wol- lens als des Vermögens wegen) das mystische nen- nen. Aechte Mystik ist nun freilich selten, aber man muß es doch auch eine sehr vortheilhafte Erfindung der Weltklugen nennen, daß diese der Absurdität selbst ebenfalls einen Mantel von Titularmystik um- zuhängen verstanden haben. Hinter diesen Vorhang gehört leider das Meiste, z. B. eben auch diese Erb- sünde, wie sie unsre modernen Mystiker zu nennen belieben. Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in ei- ner geistreichen Gesellschaft, die jedoch an Zahl ge- ring, nur aus einer Dame und zwei Herren bestand. Man stritt auch über die Erbsünde. Die Dame und ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür, wiewohl mehr vielleicht um eines geistigen Feuer- werks ihrer Gedanken willen, als aus Ueberzeugung. „Ja,“ sagten die Gegner endlich, „die Erbsünde ist ge- wiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charte der Franzosen, es war der Drang des Wissens, der sich Bahn machte. Mit seiner Befriedigung kam das Un- heil in die Welt, das aber freilich auch nöthig war zu unserer Läuterung, zum eignen Verdienste, dem einzig verdienstlichen.“ Auf diese Weise, erwie- derte ich, mich zu meiner Mitstreiterin wendend, können wir es uns gefallen lassen, denn es ist mit andern Worten unsre Meinung , ein Lernen, der nöthige Uebergang aus Schlimmem zu Besserem durch eigne Erfahrung und Erkenntniß. Allerdings, fiel die Dame ein, nur sollen Sie es dann nicht Erbsünde nennen. „Gnädige Frau,“ erwiederte einer der Antagonisten, „über den Namen wollen wir nicht streiten, wenn es Ihnen reckt ist, nennen wir es fortan Erbadel .“ Nach allen diesen Grübeleien habe ich heute erfah- ren, daß die frivolsten Weltleute auch über sich selbst nachdenken. Ein Oesterreicher von Stande, der sich seit einiger Zeit hier aufhält, ertheilte mir folgenden Rath praktischer Philosophie, den ich seiner Origina- lität wegen wörtlich hersetzen muß. „Nix is halt dümmer,“ sagte er, „als sich um de Zukunft gräme! Schaun’s, als i hierher kam, war’s grade Sommer, und die Season schon vorbei. Nu hätt’ en Andrer sich gegrämt, grad in so schlechter Zeit herkommen zu seyn; aber i dacht, ’s wird sich schon hinziehen, und richtig, ’s hat sich bis zum No- vember hingezogen! Unterdessen hat mich der Ester- hazy ufs Land genemmen, wo i mich gar herrlich amüsirt hab, und nu is noch a Monat schlecht, dann wird’s wieder full, die Bälle und die Routs gehn an, und i kann’s nie mehr besser wünschen! Wär’ i nu nich a rechter Narr gewesen, mi zu gräme ohne Noth? hab i ni recht? Man muß in der Welt grad wie ne H .... leben und nimmer zuviel an die Zu- kunft denken.“ Ich kann annehmen, daß dieser praktische Mann und ich sehr verschiedene Naturen sind, so wie man- cher Philosoph vom Fache meine Grübeleien ohnge- fähr eben so mitleidig betrachten wird, als ich die des Oesterreichers; und doch kömmt das Resultat am Ende, wie es scheint, leider bei Allen auf eins heraus! ungewiß bleibt blos, welcher der größte Theil unter ihnen ist? Wahrscheinlich der, welcher sich für den Gescheidesten hält! Den 28sten. Ich habe die unangenehme Nachricht erhalten, daß nahe bei Helgoland das Schiff, mit dem ich Dir die gekauften Sämereien und Blumen schickte, unterge- gangen ist, und nur wenige der Equipage gerettet wurden. Freund L. verliert auch einen großen Theil seiner Effecten dabei. Es ist das einzige Schiff, was dieses Jahr in jenen Gewässern verloren ging, und hat ohnbezweifelt sein Mißgeschick dem Frevel zu verdanken, an einem Freitag abgefahren zu seyn. Du lachst, aber mit diesem Tage hat es eine besondere Bewandtniß, und ich scheue ihn auch, da er in dem unerklärlichen verkörperten Bilde, das sich meine Phantasie von den Wochentagen unwillkührlich ge- schaffen hat, der einzige von rabenschwarzer Farbe ist. Vielleicht interessirt es Dich, bei dieser Gelegenheit die Farbe der andern, als ein mystisches Räthsel zu erfahren. Der Sonntag ist gelb, Montag blau, Dienstag braun, Mittwoch und Sonnabend ziegel- roth, Donnerstag aschgrau. Dabei haben alle diese Tagindividuen einen seltsamen und gewissermassen geistigen Körper, d. h. durchsichtig ohne bestimmte Form und Gränzen. Briefe eines Verstorbenen. IV. 19 Doch um auf den Freitag zurückzukommen, so er- zählte mir der hiesige amerikanische Legations-Se- cretair neulich Folgendes davon. „Der Aberglaube, daß Freitag ein übler Tag sey“, sagte er, „bleibt bis zu dieser Stunde bei allen unsern Seeleuten mehr oder weniger eingewurzelt. Ein aufgeklärter Handelsmann in Connecticut hatte vor einigen Jahren den Wunsch, das Seinige beizutra- gen, um einen Eindruck zu schwächen, der oft sehr unbequem wirkt. Er veranlaßte daher, daß ein neues Schiff für ihn an einem Freitag zu bauen ange- fangen wurde. An einem Freitag ließ er es vom Stapel laufen, gab ihm den Namen Freitag , und auf seinen Befehl begann die erste Reise gleichfalls an einem Freitag . Unglücklicherweise für den Erfolg dieses so wohlgemeinten Experiments, hat man von Schiff und Mannschaft nie wieder das Mindeste gehört. — Gestern erhielt ich Deinen Brief. Daß Dein Edelstein, wie Du ihn liebreich nennst, von Vielen in der Welt nicht nur übersehen, son- dern oft sogar gern in die Erde getreten werden möchte, kömmt sehr natürlich daher, weil er im Grunde nur an wenig Stellen geschliffen wurde, und strahlt nicht durch Zufall grade eine solche dem Vor- übergebenden entgegen, so wird er comme de rai- son den gemeinen Kieseln gleich geachtet, und wo eine hervorragende Spitze verwundet, wo möglich eingetreten. Nur hie und da schätzt ihn jedoch ein Kenner, und der Besitzer — der übers chätzt ihn. Die Schilderung der englischen Familie M. in B. hat mich lachen gemacht, und die Originale zu diesen Portraits sind in der großen Welt hier sehr häufig, ja die Tournüre der Damen im Allgemeinen, und mit seltnen Ausnahmen, ist eben so schlecht als die, welche Du in B. gesehen — aber lang befeßner und ungemeßner Reichthum, alte historische Namen und strenge Zurückhaltung geben doch dieser aristokrati- schen Gesellschaft etwas Imposantes, namentlich für einen norddeutschen Edelmann, der so we- nig ist! Die kleinen Unglücksfälle, welche Du mir meldest, nimm nicht zu Herzen. Was sind sie anders als unbedeutende Wölkchen, so lange die Sonne des Geistes klar in unserm innern Him- mel scheint ! Uebrigens solltest Du mehr Zer- streuung aufsuchen. Geh auch zu W., zu H., zu L. Man muß die Leute nicht blos sehen, wenn man ih- rer bedarf, sie glauben sonst nicht, daß man sie liebt und schätzt, sondern nur, daß man sie braucht; und doch wäre es gut, wenn eben diese drei uns ins Herz sehen könnten. Sie würden uns mehr lieben lernen als durch Worte und Visiten. Den Park be- treffend hast Du, fürchte ich, wie ein grausamer Ty- rann, erhabne Greise mit kaltem Blute gemordet. Dreihundertjährige Linden fielen also, wie unwill- kührliche Märtyrer, einer hellern Aussicht zum Opfer? Das ist allerdings zeitgemäß — von nun an gebe ich Dir jedoch die Instruction, nur zu pflanzen, und zwar so viel Du willst, aber nichts, was da ist, 19* wegzunehmen. Später werde ich ja selbst kommen, und die Spreu vom Weitzen sondern. Den 31sten. Don Miguel von Portugal ist hier angekommen, und ich ward ihm heute früh vorgestellt. Nur das Corps diplomatique und einige wenige Fremde wa- ren zugegen. Der junge Prinz ist nicht übel, sieht sogar Napoleon ähnlich, war aber etwas embarras- sirter in seinem Benehmen. Er trug sieben Sterne und gleichfalls sieben große Ordensbänder über den Rock. Seine Gesichtsfarbe glich der Olive seines Va- terlandes, und der Ausdruck seiner Physiognomie war mehr melancholisch als heiter. Den 1sten Jaͤnner 1828. Meinen besten Wunsch zum heutigen Tage, und den herzlichsten Kuß zum Anfang desselben. Viel- leicht ist dies das gute Jahr, welches wir, wie die Juden den rechten Messias, schon so lange vergebens erwarten. Die Eröffnung desselben ward wenigstens von mir sehr heiter verlebt. Wir hatten den gestri- gen Tag bei Sir L. M., der fünf bis sechs sehr hübsche Weiber und Mädchen eingeladen hatte, zu- gebracht, und gegen Mitternacht dem neuen Jahr einen Toast zugetrunken. L. und ich führten dabei die deutsche Mode ein, die Damen zu küssen, was sie sich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht gern gefallen ließen. Heute speiste ich dagegen ein hanövrisches Reh (hier gibt es keine) beim Grafen Münster auf dem Lande, dem man zum Weihnachtsgeschenk ein Blun- derbuß ( Cacafoco im Italienischen) in das große Fenster der Wohnstube abgeschossen hat, grade wäh- rend die Gräfin ihren Kindern den heiligen Christ bescheerte. Das Schrot war durch die Spiegelschei- ben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zer- schmettern. Glücklicherweise war die Christbescheerung so entfernt vom Fenster, daß die Schrote nicht so weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber einer solchen Infamie seyn kann! Die Anwesenheit Don Miguels macht London leb- hast. Eine Soir é e beim Herzog von Clarence fand diesen Abend statt, und morgen wird ein großer Ball bei Lady K. seyn. Der Prinz scheint allgemein zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu Hause ist, etwas recht Gemessenes und Vornehmes in seiner Tournüre, wiewohl es so aussieht, als ruhe im Hintergrunde seiner großen Affabilität doch mehr als eine arrière-pensée. Die Etikette ist übrigens für die Portugiesen so streng, daß unser guter Mar- quis P.... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerst ansichtig wird, auf seine Kniee niederfallen muß. Den 3ten. Das gestrige Fest bei’m Fürsten E. übergehe ich, um Dir von der heutigen Pantomime zu erzählen, die Don Miguel ebenfalls mit seiner Gegenwart be- ehrte. Es ging ihm dabei noch schlimmer, wie dem seligen Churfürsten von Hessen in Berlin, der bei dem Eröffnungs-Chor der Oper, welches die Ama- zonen-Königin leben ließ, aufstand, um sich zu be- danken. Das hiesige Volk nämlich, dem Don Miguel als ein tyrannischer Ultra geschildert worden war, und das nun in dem gefürchteten Ungeheuer einen ganz artigen und hübschen jungen Mann sieht, ist vom Abscheu zur Liebe übergegangen, und empfängt überall den Prinzen mit Enthusiasmus. So auch heute im Theater. Don Miguel stand sogleich mit seiner por- tugiesischen und englischen Suite auf, und dankte verbindlichst. Kurz darauf rollte der Vorhang em- por, und ein neues unbändiges Klatschen zollte der schönen Dekoration Beifall. Abermals erhob sich Don Miguel, und dankte verbindlichst. Verwundert und überrascht rief dennoch gutmüthig das Publikum, den Irrthum übersehend, von neuem Vivat. Nun aber erschien der Lieblingspossenreißer auf dem Theater, und zwar als großer Orang-Outang mit Mazuriers Gelenkigkeit. Stärker als je ertönte der Enthusias- mus des Beifalls, und abermals erhob sich Don Mi- guel, und dankte verbindlichst. Diesmal aber wurde das Compliment nur durch lautes Lachen erwiedert, und einer seiner englischen Begleiter, Lord M. C., ergriff ohne Umstände den Infanten bei’m Arme, um ihn wieder auf seinen Sitz zurück zu ziehen. Gewiß aber blieben Don Miguel und der Lieblingsakteur lange im Geiste des Publikums wider Willen identi- ficirt. Den 6ten. Wir schweben in fortwährenden Festen. Gestern gab die schöne Marquise das ihrige, heute die ge- feierte Fürstin L., welches bis nach 6 Uhr früh dauerte. Von Morgen bis Abend bemüht man sich unablässig, den Prinzen zu amüsiren, und es ist wohl angenehm, eine so bevorrechtete Person zu seyn, die zu unter- halten und ihr zu gefallen die Höchsten wie die Nie- drigsten, die Klügsten wie die Dümmsten, ihr Mög- lichstes thun. Mitten unter diesem trouble erhielt ich wieder ei- nen Brief von Dir durch L …, und freute mich, die darin enthaltene hunderttausendste Versicherung Dei- ner Liebe, eine Versicherung, die ich vor der ersten Million gewiß nicht zu hören müde werde, und nach dieser Million sogar noch ausrufen werde: L’apetit vient en mangeant! So geht es auch mit den hiesi- gen Festen, d. h. die Welt wird ihrer nicht müde. Während sie immer mehr ihren Horizont sich mit Ge- wittern überziehen sieht, tanzen und diniren unsre Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes mischt sich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem, wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien. Meine Stimmung ist durch alles das günstig ge- reizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele (denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört, auch noch eine eigne weibliche) ist jetzt du jour, und dann fühle ich mich immer selbstständiger, freier und weniger empfänglich für Aeußeres. Dies ist sehr passend für den hiesigen Aufenthalt, denn die Eng- länder sind wie ihre Flintkiesel, kalt, eckig, und mit schneidenden Kanten versehen, aber dem Stahl ge- lingt es deshalb am leichtesten, belebende Funken aus ihnen zu schlagen, die Helle geben durch wohlthäti- gen Antagonismus. In der Regel bin ich indessen zu träge, oder besser gesagt, zu wenig durch sie erregt, um als Stahl auf die mich umgebenden Individuen agiren zu mögen und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenig- stens immer noch größeren entgegengesetzt, und Man- che dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und das Andere war mir recht, denn der Cranolog sagt ganz wahr über mich, daß mir ein wesentlich schaffen- wollender Geist zugetheilt sey, und solche lieben allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket, oder was unter ihnen stehend, ein brauchbares In- strument für sie wird, um ihre eignen Melodien dar- auf zu spielen. Den Uebrigen stehen sie entgegen oder fern. Den 11ten. Die letzte Soir é für Don Miguel fand heute end- lich beim holländischen Ambassadeur statt, an welchen Umstand man allerhand interessante historische Remi- niscenzen knüpfen könnte, denn Portugal wie Hol- land, beides kleine Lander nur, waren doch einst Weltmächte. Eins ging den Weg der Freiheit, das andere den der Sclaverei, und beide wurden dennoch gleich unbedeutend, und ihr inneres Glück scheint auch nicht sehr verschieden zu seyn. Doch ich will diese Betrachtung verlassen, und dafür lieber mit ein Paar Worten die Liebenswürdigkeit der Ambassadrice rüh- men, deren französischer leichter Sinn noch nichts von den schwermüthigen Narrheiten der englischen Fashion angenommen hat. Ihr Haus ist zugleich eins von den wenigen, das man uneingeladen Abends der Con- tinentalsitte gemäß besuchen, und eine Conversa- tion daselbst finden kann. Als Madame de F .... noch unverheirathet in Tournay lebte, wohnte im Befreiungskriege mein theurer Chef, der alte Groß- herzog von W .... in ihrer Eltern Hause und pflegte die reizende Tochter scherzend den liebsten seiner Ad- jutanten zu nennen. Ich habe also, da ich denselben Posten bekleidete, eine Art Kameradschaft geltend zu machen, eine Ehre, die ich mir um so weniger neh- men lassen mag, da auch ihr Gemahl ein sehr ange- nehmer Mann ist, der sich durch Geist und Güte gleich sehr auszeichnet. Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deutsches Din é eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit wilde Hannovraner auftischt. Heute war es ein herr- licher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Er- findung Georg IV., von der im Almanach des gour- mands steht: qu’avec une telle Sauce on mangerait son père. Außer dieser Delikatesse wurde eine gute Anekdote von W. Scott zum Besten gegeben. Die- ser begegnete auf der Straße einem irländischen Bett- ler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat. Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm end- lich einen ganzen Schilling, indem er scherzend sagte: aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence schuldig seyd. „O gewiß!“ rief der Bettler, „und möge Gott Euch so lange leben lassen, bis ich ihn wieder bezahle.“ Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachlese Deiner letzten Briefe. Meine Ansicht der Rolle des Macbeth hast Du sehr wohl verstanden, und sprichst Dich in wenig Worten meisterhaft darüber aus, so wie über die Leistung der dortigen Schauspieler. Es ist wohl sonderbar, aber wahr, daß beinahe überall die Bühne gegen sonst degenerirt. Gewiß liegt es auch in der überegoistischen, mehr mechanischen als poetischen Zeit. Eben so wahr ist Deine Bemerkung über die B. .. höhere Gesellschaft, und daß der Witz, ja selbst das Wissen, welches dort sich brüstet, nichts von dem gutmüthig Anschmiegenden habe, das beiden eigentlich den wahren gesellschaftlichen Reiz allein verleihen kann. Der warme Pulsschlag des Herzens fehlt jenem ver- trockneten Boden, die Leute können nicht davor, und wenn sie Phantasie heimsucht, erscheint sie ihnen wie dem seligen Hofmann, auch immer nur als schauerli- cher Gliedermann und als Gespenst. Dein Freund, dem es oft nicht besser geht, wurde leider auch im Sande geboren, aber der Duft des Erzes, glaub’ ich, aus den Schachten, der flammende Hauch der Gnomen von da unten her, die dunkle Waldesein- samkeit der Tannen oben, und das Geflüster der Dryaden aus ihren in dichten Festons herabhängen- den Zweigen haben seine Wiege umgeben, und dem armen Kleinen einige fremdartige wohlthätige Elemente verliehen. Die Parforce -Theilnehmer der neuen Parforce- Jagd haben mich herzlich lachen gemacht. Sie sind das beste Gegenstück zu den freiwilligen Landwehr- männern. Da ich indeß selbst ein aufrichtig Freiwil- liger der Letzteren bin, weil ich unsern König von Herzen liebe, und ihm dienen zu können nicht blos Pflicht, sondern ein Genuß für mich ist, so werde ich mir, wieder zu Haus angekommen, auch sehr gern une douce violence zur Parforcejagd anthun lassen, da ich den elegantesten und liebenswürdigsten Prinzen, wel- cher der Hauptunternehmer derselben ist, eben so innig verehre und ihm zugethan bin. Die bei uns fast vergesse- ne Feldreiterei wird dadurch gewiß wieder aufblühen, und England lehrt mich täglich, daß die Wirkung solcher mit Gefahren und Strapazen verbundenen Sitten auf die Jugend, und man kann wirklich sagen National- bildung, sehr vortheilhaft einwirkt. Den 14ten. Mit dem Grafen B. und einem Sohne der berühm- ten Madame Tallien, fuhr ich diesen Morgen in die City, um das Indiahouse zu besehen, wo viele merk- würdige Gegenstände aufbewahrt werden. Tippo Saybs Traumbuch unter andern, in dem er jeden Tag selbst seine Träume und ihre Auslegung auf- schrieb, und dem er auch seinen Untergang, gleich Wallenstein, hauptsächlich dankte. Seine Rüstung, ein Theil seines goldnen Thrones, und eine seltsame Drehorgel werden gleichfalls hier aufbewahrt. Die letzte befindet sich in dem Bauche eines sehr gut dar- gestellten, metallenen Tigers, in natürlichen Farben und Lebensgröße. Unter dem Tiger liegt ein Eng- länder in rother Uniform, den er zerfleischt, und wäh- rend man dreht, wird täuschend das Geschrei und Gewimmer eines mit der Todes-Agonie kämpfenden Menschen, schauerlich abwechselnd mit dem Brüllen und Grunzen des Tigers, nachgeahmt. Es ist dieß Instrument recht charakteristisch zur Würdigung je- nes furchtbaren Feindes der Engländer, der selbst die Tigerstreifen zu seinem Wappen machte, und von sich zu sagen pflegte: daß er lieber einen Tag lang ein auf Raub ausgehender Tiger, als ein Jahrhundert lang ein ruhig weidendes Schaaf seyn möge. Das Prachtwerk über die berühmten, im harten Felsen ausgehauenen Tempel von Ellora von Daniels interessirte mich ungemein. Das Alter dieser herrli- chen Denkmäler ist im Grunde gänzlich unbekannt. Höchst seltsam, und mit Merkels Hypothese, daß die älteste Kulturperiode der Erde von Negern ausge- gangen sey, völlig übereinstimmend ist es, daß die Statue des Gottes im Allerheiligsten des ältesten Budda-Tempels ganz offenbar die sehr markirten Züge und das wollige Haar eines Negers darbietet. Ein großer Stein von den Ruinen aus Persepolis, ganz bedeckt mit der immer noch unentzifferten Pfeil- schrift, große chinesische Gemälde, haushohe chinesi- sche Laternen, ein riesengroßer Plan der Stadt Cal- cutta, schöne persische Miniaturen ꝛc. sind die vor- züglichsten Merkwürdigkeiten dieser Sammlung. Wir besahen hierauf auch die Waarenlager, wo man alle indischen Produkte, wenn man sie sogleich nach dem Continent verschickt, äußerst wohlfeil kau- fen kann, da sie in diesem Fall keine Abgabe an das Gouvernement zahlen. Shawls, die bei uns hun- dert Louisd’or wenigstens kosten würden, sind in größeren Quantitäten hier wohl für vierzig zu haben. Die schönsten, die ich je gesehen, und deren Feinheit und Pracht bei unsern Damen gewiß das größte Auf- sehen machen würden, standen nur im Preis von 150 Guineen — in England sind indessen Shawls über- haupt wenig Mode, und werden nicht geachtet, so daß man auch fast alle nur in’s Ausland verkauft. Den 16ten. Der neue Dampfpostwagen ist so eben fertig ge- worden, und legt probeweise im Regentspark fünf Meilen in einer halben Stunde zurück. Doch ist im- mer noch jeden Augenblick etwas daran zu repariren. Ich war einer der ersten Neugierigen, die ihn ver- suchten, fand aber den fettigen Eisengeruch, der auch die Dampfschiffe so unangenehm macht, hier doppelt unerträglich. Seltsamer ist noch ein anderes Fuhrwerk, dem ich mich ebenfalls anvertraute. Es besteht in nichts Ge- ringerem als einem Wagen, der von einem Drachen gezogen wird, und zwar einem Papierdrachen, der nicht viel anders construirt ist, als diejenigen, welche die Kinder aufsteigen lassen. Es ist daher auch ein Schulmeister, der die Sache erfunden hat, und selbst so geschickt sein Vehikel zu führen weiß, daß er, auch mit halbem Wind, gut fortkömmt, mit ganz günsti- gem aber auf gutem Terrain die englische Meile in ¾ Minuten zurücklegt. Die Empfindung ist sehr angenehm, da man über die kleinen Unebenheiten des Bodens, wie darüber gehoben, hinweggleitet. Der Erfinder schlägt vor, die afrikanischen Wüsten damit zu bereisen, und hat zu diesem Behuf einen Raum am Hintergestell angebracht, wo ein Pony, gleich ei- nem Bedienten, hintenauf steht, und im Fall einer Windstille vorgespannt wird. Was freilich hinsicht- lich der Fourage anzufangen seyn möchte, ist nicht wohl abzusehen, der Schulmeister rechnet aber auf die in jenen Gegenden regelmäßig wehenden Passat- winde. Als Amüsement auf dem Lande ist die Sache jedenfalls sehr zu empfehlen, und ich sende Dir da- her beiliegend eine ausführliche Brochüre mit erläu- ternden Kupfern, wonach Du etwaigen Liebhabern unter Deinen eignen Schulmeistern auftragen kannst, ähnliche Versuche zu machen. Den Abend widmete ich einer Pantomime, deren originelle Tollheit von so vortrefflichen Dekorationen und Maschinerien unterstützt ward, daß man sich ohne viele Schwierigkeit in die Zeit der Feenmährchen versetzen konnte. Solcher lieblicher Unsinn ist herr- lich. Z. B. im Reich der Frösche ein unabsehbarer Schilfsumpf, dessen Bewohner geschickte Schauspieler auf’s Täuschendste agiren müssen, und zuletzt ein Tempel der Johanniswürmchen, den an ausgelasse- ner Phantasie und wunderbarem Glanz kein chinesi- sches Feuerwerk erreicht. Brighton, den 23sten. Die Mode ist eine große Tyrannin, und so sehr ich das einsehe, lasse ich mich doch auch, wie jeder andere, von ihr regieren. Seit einigen Tagen hat sie mich wieder hierher geführt zu der liebenswürdi- gen Misses J ...., der klugen Lady L ...., der rei- zenden F .... ꝛc. ꝛc. Schon bin ich wieder von Bällen und Din é rs er- müdet, und coquettire wieder mit dem Meer, dem einzigen poetischen Gegenstand in der hiesigen pro- saischen Welt. Eben ging ich, bei’m Scheiden der Nacht, von einem Rout am äußersten Ende der Stadt kommend, wohl eine halbe Stunde zu Fuß an seinen Ufern hin, unter dem Schäumen und Donnern der ankommenden Fluth. Die Sterne blinkten noch klar funkelnd herab, ewige Ruhe thronte oben, und wil- des Brausen und Wallen tobte hier unten — Him- mel und Erde in ihrem wahrsten Bilde! Wie herr- lich, wie wohlthuend, wie furchtbar, wie angsterre- gend ist doch diese Welt! die Welt — die nie anfing, die nie endet — deren Raum nirgends begrenzt ist — in deren nach allen Seiten endloser Verfolgung die Phantasie selbst schaudernd sich verhüllend, zu Boden sinkt. Ach, meine theure Julie, Liebe nur findet den Ausweg aus diesem Labyrinth! Sagt nicht auch Göthe: Glücklich allein ist die Seele die liebt! Den 24sten. Wir haben heute eine vortreffliche Jagd gemacht. Das Wetter war selten klar und sonnig, dabei wohl an hundert Rothröcke versammelt. Ein solches Schau- spiel ist gewiß voller Interesse, die vielen schönen Pferde, die elegant gekleideten Jäger, fünfzig bis sechzig Hunde, die über Stock und Stein Reineke verfolgen, und das wilde Reiterheer hinterdrein, die schnelle Abwechselung von Wald und Berg und Thal, das Geschrei und Gejauchze. Es ist beinahe wie ein kleiner Krieg. Die hiesige Gegend ist sehr hüglich, und einmal ging die Jagd einen so langen und steilen Berg hin- an, daß die meisten Pferde nicht mehr fortkonnten, und auch die besten wie Blasebälge in der Schmiede stöhnten. Aber oben einmal angekommen, war der Coup d’oeil auch wahrhaft prachtvoll. Man übersah das Ganze, vom Fuchs bis zum letzten Traineur in voller Bewegung, mit einem Blick, und außerdem links ein reiches Thal, sich bis gegen London aus- dehnend, rechts das Meer im schönsten Sonnenglanz. Den ersten Fuchs bekamen wir, der zweite aber er- reichte Malapartus vor uns, und entging auf diese Art seinen Verfolgern. Fast alle diese Jagden wer- den auf Subscription gehalten. Die hiesige Meute z. B., aus achtzig Hunden und drei Piqueurs mit neun Pferden bestehend, kostet jährlich 1050 L. St., wozu fünf und zwanzig Theilnehmer sind, die be- zahlen. Jeder der Lust hat, kann aber auch unent- geldlich mitreiten. Es kömmt also für die Entrepre- neurs auf den Mann nicht mehr als 42 L. St. jähr- lich. Diese sind jedoch nichts weniger als gleich ver- theilt. Die Reichen geben viel, die Armen wenig. Mancher zweihundert jährlich, ein anderer nur zehn, und ich glaube, dieses Arrangement wäre auch recht gut bei uns nachzuahmen, besonders von Seiten der Ar- men. Am auffallendsten sind bei diesen Jagden für unsre verwöhnten Augen die in schwarzen Röcken Briefe eines Verstorbenen. IV. 20 über Zaun und Gräben fliegenden Pastoren, welche oft, schon gestiefelt und gespornt, mit der Jagdpeitsche in der Hand, schnell vorher noch copuliren, taufen oder begraben, um sich von der Ceremonie weg so- gleich auf’s Roß zu schwingen. Man erzählt von einem der berühmtesten geistlichen Fuchsjäger dieser Art, daß er immer einen zahmen Fuchs in der Tasche mit sich führte, und fand man keinen andern, diesen zum Besten gab. Das Thier war so gut abgerichtet, daß es eine Weile die Hunde amüsirte, und dann, wenn es der Jagd müde war, sich schnell in seinen unan- tastbaren Schlupfwinkel rettete, denn dieser war kein anderer — als der Altar der Dorfkirche, zu dem ein Loch in der Mauer führte, und unter dessen Stufen ihm ein bequemes Lager bereitet war. Dies ist recht englisch religiös. Den 6ten Februar. Ich habe mir durch Verkältung ein heftiges nervö- ses Fieber geholt, das mich schon vierzehn Tage an mein Bett fesselt, und außerordentlich abgemattet hat. Es ist sogar nicht ganz ohne Gefahr gewesen, die jetzt jedoch, wie der Arzt versichert, vorüber ist — also besorge nichts. Sonderbar, daß man bei einer abmattenden Krankheit gegen den Gedanken des To- des so gleichgültig wird. Er kommt uns nur wie Ruhe und Einschlafen vor, und ich wünsche mir sehr zum dringendsten Ende ein solches langsames Her- annahen meiner körperlichen Auflösung. Als einer, der gern beobachtet, möchte ich auch mich selbst, so zu sagen, sterben fühlen und sehen, so weit dies möglich ist, d. h. bis zum letzten Augenblick mit vol- ler Besinnung meine Emotionen und Gedanken be- trachten, die Existenz auskosten bis zum letzten Au- genblick. Ein plötzlicher Tod kömmt mir wie et- was Gemeines, Thierisches vor, nur ein langsamer, mit vollem Bewußtseyn wie ein veredelter, menschli- cher. Ich hoffe übrigens sehr ruhig zu sterben, denn obgleich ich eben nicht ganz zum heiligen des Le- bens gekommen bin, so habe ich mich doch an Liebe und Güte gehalten, und immer die Menschheit, wenn auch nicht zuviel einzelne Menschen geliebt. Also noch nicht reif für den Himmel, wünsche ich recht sehr, nach meiner Theorie der Metempsychose, noch öfters auf dieser lieben Erde einheimisch zu werden. Der Planet ist schön und interessant genug, um sich einige tausend Jahre in immer erneuter Menschenge- stalt darauf umherzutummeln. Ist es aber anders, so ist mir’s auch recht. Aus Gott und aus der Welt fällt man einmal gewiß nicht, und dümmer und schlechter wird man wahrscheinlich auch nicht, sondern eher gescheidter und besser. Das schlimmste beim Tode für mich wäre der Ge- danke an Deinen Schmerz, und doch — würde ich vielleicht ohne das Bewußtseyn Deiner Liebe nicht ganz so wohlthätig und resignirt sterben können. Es ist ein so süßes Gefühl beim Tode, zu wissen, daß man auch jetzt noch Jemand zurückläßt, der unser 20* Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf diese Art, so lange Jenes Augen sich dem Lichte öffnen, noch gleichsam fortzuleben in und mit ihm. Ist das nun auch Egoismus? Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir noch etwas erzählen. Erinnerst Du Dich, von mei- nem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines schot- tischen Chieftains, eines etwas phantastischen, aber kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in der Blüthe dieser männlichen Kraft zu leben aufge- hört. Mit seinen beiden Töchtern auf einem Dampf- boot eingeschifft, erhielt er kurz vor dem Debarkiren von einer Segelstange einen so heftigen Schlag an den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen An- fall von Raserei versetzt wurde, in Folge dessen ins Meer sprang und ans Land schwamm, wo er nach wenigen Stunden verschied. Dies Ende hat einige tragische Verwandtschaft mit der Geschichte seines Vorfahren, die er mir mit so viel Stolz mittheilte, dessen nämlich, welcher, seine Hand abhauend, sie aus Ufer warf und ihr nachschwamm. Den 8ten. Der Doctor findet mich sehr geduldig — du lieber Gott, ich habe wohl Geduld gelernt — und um ge- recht zu seyn, Widerwärtigkeit ist für den Geist eine kostbare Schule. Widerwärtigkeit entsteht aber im tiefsten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die sich dadurch wieder selbst bessern, und man kann un- bedingt annehmen, daß die Menschen, wenn sie von Hause aus stets vernünftig und gut handelten, kaum ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden müßten auch so subtil werden, daß man auf alles Irdische nur wenig Werth mehr setzen könnte. Keine Din é s mehr, bei denen man so gerne eine Indigestion riskirt. Kein Ruhm mehr, dem man mit so viel be- friedigter Eitelkeit nachjagt, kein süßes und verbot- nes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvor- thut! — es wäre am Ende, Gott verzeih mir die Sünde, doch nur ein wahres Philisterleben, ein Stillstand, wenn gleich in scheinbarer Vollkommen- heit. Wahres Leben aber ist Bewegung und Con- trast. Es wäre also am Ende das größte Ungemach, wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden. Ich glaube indeß, die Gefahr ist noch nicht so nahe. Du siehst, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht geändert, ich würde Dir aber dennoch gar nichts da- von geschrieben haben, wenn dieser Brief eher ab- ginge, als bis ich ganz hergestellt bin. So kannst Du ihn aber mit völliger Seelenruhe lesen, und über- zeugt seyn, daß ich bis zum letzten Hauch Alles ge- nießen will, was uns der freundliche Gott bescheert hat, Heller oder Goldstücke, Kartenhäuser oder Pal- läste, Seifenblasen oder Rang und Würden, wie es die Zeiten und Umstände mit sich bringen, und zu- letzt auch noch den Tod, und was dann Neues darauf hier oder dort folgen wird. Schön sind die ernsten Tugenden aber dazwischen als Würze! So z. B. ge- nieße ich schon wahrhaft meine jetzige Mäßigkeit, ich fühle mich dabei ganz ätherisch leicht, über das Ani- malische erhabner als gewöhnlich. — Von andern Verirrungen ist gar nicht mehr die Rede, und dies Alles giebt mir wirklich einen Vorgeschmack der ein- stigen reineren Freuden — des Alters. Denn für gewisse Dinge — gestehen wir es nur frank und frei, — hat der böse Franzose wenigstens halb recht, wel- cher sagt: que c’est le vice qui nous quitte, et bien rarement nous, qui quittons le vice. Selbst die ehrlichsten der Schwärmer fanden die sicherste Tu- gend nur im Messer, wie der große Origines. Den 9ten. Nie habe ich einen Doctor gehabt, der es so gut mit dem — Apotheker meint. Jeden Tag zwei Me- dicinen; ich ernähre mich mit nichts anderm, da ich aber leider ernstlich krank bin, nehme ich gelassen was verlangt wird. Eine Krankenwärterin, wie Du es bist, vermisse ich aber sehr, und meine dürre und trockne Wirthin, welche sich doch östers sehr gutwil- lig dazu anbietet, wäre ein schlechter Ersatz. Indes- sen lese ich viel, und bin ganz heiter. Wollte ich mich melancholischen Selbstquälereien überlassen, so könnte ich mich, ausser den positiven Ursachen dazu, noch negativ darüber ärgern, daß jetzt, wo ich zu Haus bleiben muß, fortwährend das schönste Wetter ist. Da ich aber die Weiser meiner Geistesuhr auf eine ganz andere Direktion gestellt habe, so bin ich im Gegentheil sehr dankbar, die freundliche Sonne täglich zu sehen, und daß sie, ohngeachtet ihrer Größe und Herrlichkeit, nicht verschmäht, meine Stube von Morgens an emsig zu wärmen, den Tag über freund- liche Lichtstrahlen hineinzusenden, die alles wie mit Gold überziehen, und Abends sogar sich die Mühe nicht verdrießen läßt, mir armen Kranken, der wohl eingehüllt an seinem großen Fenster sitzt, am Mee- ressaum seltsame Wolkenbilder vorzumalen, die sie bald mit tiefem Blau, gelbem Feuer oder Purpur färbt, und endlich, Abschied nehmend, sich jeden Abend in solcher Herrlichkeit zeigt, daß die Erinne- rung noch lange nachher den düstern Schatten der sinkenden Nacht ihren trüben und unheimlichen Ein- druck benimmt, den sie sonst wohl der Seele des Ein- samen und des Leidenden zu bereiten pflegen. Und so hat denn Alles zwei Seiten. Der Thörichte kann über Alles in Verzweiflung gerathen, der Weise aus Allem Befriedigung und Genuß ziehen. — Den 10ten. Ein Brief von Dir erregt mir immer große Freude, wie Du weißt, aber wie viel mehr noch in meiner jetzigen Lage. Beurtheile daher, mit welchem Jubel der heutige empfangen wurde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. hat sehr Unrecht, das auszuschlagen, was ihm geboten wird. Es wäre Wahnsinn, als Schiffbrüchi- ger im Meere schwimmend, und schon bedeutend er- schöpft, ein Fischerboot zu verschmähen, das sich zur Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu war- ten. Möglich allerdings, daß ein solcher bereits hin- ter dem Felsen nahet, und in dem Augenblick, wo das Boot den Hülflosen für eine geringere Bestim- mung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt — aber allwissend sind wir nicht, wir müssen die Chan- cen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Mög- lichkeit behandeln. Meine Geschenke haben Dir also gefallen? Nun so segne sie Gott! die kleinen Freuden sind so gut als die großen, und man sollte die Kunst ordentlich studieren, sich dergleichen noch weit öfter zu machen. Es giebt viel sehr wohlfeile Materialien dazu. Kein Aberglaube muß sich aber darein mischen, wie Du bei der übersandten Scheere äusserst. Gute Julie, die Scheere soll noch erfunden werden, die unsre Freundschaft entzweischneiden kann, das könnte nur eine Krebsscheere seyn, die rückwärts agirend die Vergangenheit wegschnitte. Aber über etwas anderes muß ich schmälen. Wofür habe ich Dir so viel schön- farbiges blotting paper geschickt, wenn Du wieder in die abscheuliche Mode des Sandstreuens verfällst, welche die Engländer schon längst nicht mehr kennen, eben so wenig wie mit Sand bestreute Fußböden. Mehrere Loth dieses Ingredienz flogen mir ins Ge- sicht, als ich Deinen Brief öffnete. Willst Du mir denn auch Sand in die Augen streuen, liebe Julie, und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streu- büchse aus B … dazu mitgebracht? Ich bin sehr fleißig, und benutze meine Muße, mehrere Bände meines Lebensatlasses in Ordnung zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein, beschneide, schreibe (denn Du weißt, unter jedes Bild kömmt ein Commentar) was nur ein armer Kranker thun kann, um sich die Zeit zu vertreiben, und sehe jetzt schon im Geiste 20 Folio-Bände des classischen Werks in unserer Bibliothek stehen, und uns selbst, alt und gebückt geworden, davor sitzen, ein wenig radottiren, aber doch triumphirend uns der alten Zeiten freuen. Junges, neuaufgeschossenes Volk lacht uns hinter unserm Rücken verstohlen aus, fliegt aus und ein, und wenn einer draußen fragt: „Was ma- chen denn die Alten?“ so lautet die Antwort: „Ach, die sitzen und studieren über ihrer Bilderbibel, und hören und sehen nicht mehr.“ Das möchte ich nun gar zu gern erleben, und es ist mir immer, als wenn es auch so noch kommen müßte! — Was aber Alles noch dazwischen liegen wird — das freilich weiß Gott allein! In den Zeitungen spielen jetzt die Blasebälge eine große Rolle. Einen mit Upasgift als Experiment ge- tödteten Esel hat man nach einer Stunde seines To- des durch fortwährendes Einblasen in die Lunge wie- der neues Leben gegeben, das Parlament soll eben- falls durch einen großen Blasebalg künftig fortwäh- rend mit reiner Luft während der Sitzungen verse- hen werden, und als probates Mittel wider den plötzlichen Stickfluß wird angegeben, daß man nichts zu thun habe, als dem Patienten die Nase zuzuhal- ten und mit dem am Kamine hängenden Blasebalge at- mosphärische Luft in den Mund zu blasen. Es wird also jetzt bald eine noch größere Menge aufgeblasener Leute in England geben als bisher Das Prinzip dieser Erfindung ist sehr einfach. Wenn man einen Blasebalg mit einer großen Blase von unten in Ver- bindung bringt, und am obern Ende derselben ein kleines Loch macht, und dann durch Agitirung des Blasebalgs Luft, die auf eine gewisse Temperatur gestellt ist, hineinstroͤmen laͤßt, so koͤnnte ein Parlament von Lilliputs in der Blase fitzen und deliberiren, und alle ihre Ausduͤnstungen wuͤrden fortwaͤhrend oben hinausgehen, und die frische Luft von un- ten in eben der Masse sich continuirlich erneuen. Diese Art des Heizens und Ventilirens zugleich ist das Prinzip des Herrn Vallance, welches dem englischen Senat applicirt werden soll. Vielleicht verbindet man auch noch eine Aeols- harfe damit, um schlechten Organen zu Huͤlfe zu kommen. . Den 12ten. Meine Krankheit hat mich gehindert, nach Schott- land zu gehen, wozu ich Alles bereitet, und viele Einladungen erhalten hatte; jetzt wird mich die er- wartete Ankunft W .... s und der Beginn der Season wohl in London zurückhalten. Zum ersten- mal ließ mich endlich der Doctor heute wieder aus- fahren, und ich richtete meinen Weg nach dem nicht sehr entfernten Park von Stranmore, um die frische Luft und das Vergnügen eines romantischen Spa- ziergangs recht mit vollen Zügen zu genießen. In die Gärten wurde mir jedoch der Eintritt nicht ver- stattet, obgleich ich meine Karte der Gebieterin zu- schickte. Wir sind freilich liberaler, aber dieses vor- nehme Rarmachen hat auch sein Gutes. Es giebt den Dingen selbst, und der Vergünstigung ebenfalls, wenn sie eintritt, mehr Werth. Apropos, dabei fällt mir Dein neuer Direktor ein. Es ist ein Gewinn für uns, ihn zu erhalten, dem- ohngeachtet bitte ich Dich, es ein wenig mit ihm, wie die Besitzerin von Stranmore zu machen. Sey nicht von Anfang an zu sehr zuvorkommend, damit Dir, wenn sie verdient wird, Steigerung übrig bleibt. Sey freundlich, aber mit Würde, immer die obere Stellung nüancirend, die Du gegen ihn nothwendig zu behaupten hast. Suche ihn nicht durch Schmeiche- leyen und überartiges Behandeln zu gewinnen, son- dern lieber durch ehrendes Vertrauen, und auch durch solide Vortheile, die am Ende auf alle Leute, sie mögen reden und selbst denken wie sie wollen, ihren Eindruck doch nicht verfehlen können. Dennoch mußt Du deßhalb seine Ambition nicht geringer in Anschlag bringen, sie im Gegentheil stets wach erhalten, durch vorsichtiges Hingeben und Dankbarkeit für gezeigten Eifer, aber auch durch sanften Verweis, wo Du ihn für nöthig hältst, damit er sieht, Du habest ein Ur- theil. Als ein ehrenwerther Mann wird er dann ge- wiß bald unsre Sachen mit demselben Interesse wie die seinigen führen. Zuletzt endlich ermüde ihn bei seiner obern Direktion nicht zu sehr mit Details, wolle nicht zu viel Controlle in jeder Kleinigkeit über ihn ausüben, und wache streng darauf, seine Auto- rität auf die ihm Untergebenen zu unterstützen, so wie die Deinige gegen ihn zu behaupten. Nur da, wo Du befürchten könntest, daß etwas Wichtiges verfehlt werde, stehe keinen Augenblick an, die ge- naueste Auseinandersetzung zu verlangen. In sehr wichtigen Fällen, die Aufschub vertragen, wirst Du natürlich mich immer befragen. — Hiermit schließt Polonius seine Ermahnungen. Den 15ten. Die kurze Ausflucht war wohl noch zu früh, denn sie ist mir nicht gut bekommen. Dabei ist das liebe Wetter furchtbar geworden. Ein Schneesturm peitscht das Meer unter meinen Fenstern, daß es vor Wuth schäumt und brüllt, und seine Wellen über den ho- hen Damm der Straße bis an die Häuser anbäumen. Unter diesem Gedonner habe ich gestern meine Me- moiren zu schreiben angefangen, und schon 8 Bogen vollendet, die ich diesem Brief beilegen werde. Ausserdem benutzte ich die Zeit, um Lesage histori- schen Atlas von neuem durchzulesen, und kann über- haupt nicht sagen, daß ich während meiner ganzen Krankheit einen Augenblick Langeweile gefühlt hätte. Ja die große Ruhe und Leidenschaftlosigkeit einer sol- chen Zeit thut sogar meiner Seele wohl. — Uebri- gens wird der Körper nun auch bald gänzlich wieder hergestellt seyn, und sobald der Himmel sich etwas aufklärt, denke ich mich von neuem unter die Men- schen zu begeben. A., der ich Deinen Brief zugeschickt, läßt Dich vielmals grüßen. Wenn der König stirbt, wird sie als intime Freundin der neuen Monarchin vielleicht eine bedeutende Rolle hier spielen. Man behandelt sie im Publikum ohnedem schon ganz als eine Prin- cesse du sang. Sie fängt auch an ihre Wichtigkeit selbst zu fühlen, hat sich in ihrer frühern schüchter- nen Tournure sehr zu ihrem Vortheil verändert, und weiß recht gut, sich mit Affabilität ein Air zu geben. Die Sonne des Glücks und der Gunst verändert ei- nen Menschen, wie die Himmelssonne eine Pflanze, die im Dunkeln kümmerte, und nun im lichten Strahle bald ihr gesenktes Haupt emporhebt, und von der wohlthuenden Wärme durchströmt, duftende Blüthen dem Lichte öffnet. Wir, gute Julie, liegen vor der Hand noch im Keller, wie Hyacinthenzwiebeln, aber der Gärtner kann uns zum Frühjahr auch noch in bessern Boden und an die Sonne bringen, wenn er will . — Den 20sten. Ich bin auferstanden — und siehe da, Alles war fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten wa- ren fast. Alle fort, und auf den Promenaden wie in den Häusern schauten mir überall neue Gesichter ent- gegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich aus- ritt, noch die alte geblieben, blos mit dem Unter- schiede, daß die grünen Wiesen sämmtlich gedüngt wa- ren mit — Austerschaalen. Eine Miß G ...., ein nicht mehr ganz junges, aber artiges und reiches Mädchen, die schon längst Frau wäre, wenn der Freier nicht mit ihr auch ein paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte, erzählte mir, daß man mich in der hiesigen Zeitung als auf dem Tode liegend annoncirt hatte, während die Londner morning post mich auf jedem Almacks- ball als tanzend aufgeführt habe, was in der That etwas gespenstig erscheint. Diese gute Miß G .... ist noch immer höchst erkenntlich für ein ihr einst ver- schafftes Billet zu besagten Almacks, und spielte und sang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor, als ich bei meinen noch schwachen Nerven vertragen kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei an- dern Philomelen in die Hände, die sich ebenfalls noch hier verspätet haben. Unter solchen Umständen werde ich, sobald meine Kräfte ganz zurückgekehrt sind, mich nach London wenden, und kann nun wohl mit gutem Gewissen und ohne Furcht, Dir Besorgniß zurückzulassen, diese lange Epistel absenden. Der vielen Worte kurzer Sinn ist immer der näm- liche: herzliche Liebe Deines L. Zwei und zwanzigster Brief. London, den 28sten Februar 1828. Ich muß nachträglich noch einer in gewisser Hin- sicht interessanten Bekanntschaft erwähnen, die ich in Brighton machte. Du hast gewiß einmal gehört, daß in der Familie Telluson einer ihrer Vorfahren ein Testament gemacht hat, nach welchem sein Ver- mögen 150 Jahre ruhen, Zinsen zu Zinsen geschla- gen, und dann erst der in dem Augenblick des Er- löschens jener Zeit existirende jüngste Telluson es er- halten solle. In 20 Jahren läuft nun dieser Termin ab, und ich sah den 40jährigen Vater Telluson hier, der sehr wenig besitzt, und seinen Sohn, einen hüb- schen Knaben von 8 Jahren, der angeblich bestimmt ist, in seinem 28sten Jahr 12 Millionen L. St. zu erhalten, 94 Millionen Thaler unseres Geldes. Eine Parlaments-Akte hat für die Zukunft dergleichen Te- stamente verboten, aber dies hat man nicht angrei- fen können, obgleich man es wünschte, da allerdings durch ein so ungeheures Vermögen ein Privatmann eine unnatürliche Macht erhält. Dem Knaben ist in- deß zu seinen schönen Hoffnungen doch herzlich Glück zu wünschen. So viel Geld zu haben, ist etwas Großes, da man doch einmal nicht läugnen kann, daß Geld der Repräsentant der meisten Dinge auf der Welt ist. Welche wunderbare, die ganze Mensch- heit fördernde Dinge ließen sich mit einem solchen Privatvermögen, wohlangewandt, ausrichten! Neben diesem jungen Crösus in spe interessirte mich ein berühmter Sonderling, Obrist C., der hier einige Tage verweilte. Lady M. machte mich auf ihn auf- merksam, indem sie mir folgendes erzählte: „Der ele- gante, ältliche Mann, den Sie dort sehen,“ sagte sie, „war schon in meiner Jugend einer der erfolg- reichsten Stutzer der Hauptstadt. Nachdem er aber sein Vermögen dabei bis auf einige tausend L. St. verthan hatte, führte ihn eines Tages sein Geschick vor eine Karte von Amerika, und plötzlich stieg der Gedanke in ihm auf, dort ein Ansiedler zu werden. Er sucht sich sogleich auf der Karte einen Fleck am See Erie aus, verkauft noch in der nämlichen Woche seine ganze Habe, läßt seinen Bedienten ein hübsches junges Mädchen heirathen, schifft sich mit beiden ein, kömmt glücklich an dem ausgesuchten Fleck mitten im Urwalde an, lebt einige Tage von der Jagd, schläft unter dem Laubdach, baut dann mit Hülfe einiger andern Ansiedler ein Blockhaus in Zeit von wenigen Tagen, das er noch jetzt bewohnt, erlangt bald einen bedeutenden Einfluß auf die umher zerstreuten Avan- Briefe eines Verstorbenen. IV. 21 türiers, den er dazu benutzt, sie zu gemeinschaftlichen Arbeiten aufzumuntern, und denen er sich besonders dadurch empfiehlt, daß er für sie kocht und bratet, statt der halb rohen Speisen, die sie sonst genießen mußten, liebet und mehrt sich, sieht endlich eine neue Generation dort entstehen, die ganz von ihm abhängt, besitzt jetzt an Landausdehnung ein kleines Fürsten- thum, berechnet seine Revenüen auf 10,000 L. St. jährlich, und kömmt alle 10 Jahr regelmäßig zu ei- ner Season nach England, wo er, wie vorher, mit der Aisance eines Weltmanns als Fashionable lebt, und dann wieder auf 10 Jahre in die Wälder zu- rückkehrt, und den modernen Frack von neuem mit dem Schafpelz vertauscht.“ Mein erster Besuch in der Hauptstadt war bei Gräfin M …, die, ohngeachtet ihrer 40 Jahre, während meiner Abwesenheit wieder ein neues Kind zu dem Dutzend ihrer andern hinzubekommen hat. Ich aß dort und bewunderte ein schönes Geschenk des Königs in Silber, welches man hier kunstvoller als irgendwo zu arbeiten versteht, so daß der Preis der Fa ç on oft zehnfach den Werth der Masse über- steigt. Ueber Tisch gab der Graf einen auffallenden Beitrag zur Charakteristik der hiesigen Gerechtig- keitspflege. „Einem Manne, den ich kenne,“ sagte er, „ward auf der Straße sein Schnupftuch gestohlen. Er er- greift den Thäter, hält ihn, als der Stärkere, ge- waltsam fest, nicht ohne einige derbe Behandlung die er ihm anthut, und übergiebt ihn dann den her- zugekommenen Polizey-Beamten. Die Sache war klar vor vielen Zeugen, und der Delinquent würde, wenn bei den Assisen die Klage angebracht worden wäre, ohne Rettung entweder gehangen, oder auf lange Jahre nach Botanybay transportirt worden seyn. Seine Frau suchte indeß den Gentleman auf, und flehte auf ihren Knieen um Gnade, der Dieb selbst, ein nicht ungebildeter Mensch, schrieb die beweglich- sten Briefe, und — wer wird sich darüber wundern, daß er endlich Mitleid und Erhörung fand, an dem bestimmten Tag der Kläger ausblieb, und folglich der Schuldige nach englischen Gesetzen frei gesprochen wurde. Dem Gentleman bekam jedoch dies unzeitige Mit- leid übel genug. Vierzehn Tage nach dem Vorgefal- lenen ward er von demselben Manne, der sein Schnupf- tuch gestohlen, für Assault und gewaltsamen Angriff auf offener Straße verklagt, und dieser durch Zeugen bewiesen. Allerdings erwiederte Beklagter, daß dies nur statt gefunden, weil ihm der Kläger sein Schnupf- tuch gestohlen habe. Da Delinquent aber hierüber bereits freigesprochen war, und Niemand derselben Sache wegen zweimal vor Gericht gezogen werden kann, so ward auf seinen Einwand gar keine Rück- sicht genommen. Kurz, mit Schmerzensgeld und Kosten mußte der zu großmüthige Bestohlne dem Diebe und den Gerichten dafür noch gegen 100 L. St. bezahlen. Die ganze Gesellschaft fand diese Gerichtspflege ab- 21* scheulich, ein alter Engländer aber vertheidigte sie beharrlich. „Ich glaube,“ fiel er eifrig ein, „daß die eben erzählte Anekdote gerade dazu dient, die Weis- heit unserer Gesetze recht auffallend zu illustriren. Die Gesetze überhaupt, wie die richterlichen Behör- den sind doch in ihrem ersten Grunde nur dazu da, Verbrechen zu verhindern. Nur deßwegen auch be- straft man sie. Der Verhehler ist daher in den Au- gen des Gesetzgebers fast eben so strafbar als der Stehler, und derjenige, welcher einen Verbrecher, der bereits dem Gesetz verfallen, wissentlich von seiner Strafe zu befreien sucht, wirkt für die Kommunität nicht weniger nachtheilig als der Verbrecher selbst. Jener Mann, welcher mit dem Schnupftuchstehlen vielleicht seine Laufbahn nur erst anfing, und hier- nach der Gesellschaft zu Buße und Besserung entzo- gen werden sollte, begeht jetzt, immer kühner ge- macht, wahrscheinlich bald darauf einen weit größe- ren Diebstahl, vielleicht einen Mord. Wer hat sich dann die Schuld davon beizumessen? Es ist da- her der von Ihnen angeführte Gentleman mit Recht für sein gesetzwidriges Mitleid bestraft worden. Wer in die Räder einer wohlthätigen Maschine unbe- sonnen und unberufen eingreift, darf sich nicht wun- dern, wenn sie ihm die Finger zerbricht.“ — Die Engländer sind, man muß es gestehen, sehr gewandte Sophisten, wenn es darauf ankömmt, ihre Gebräuche herauszustreichen. Der größte von ihnen, Brougham hielt demohngeachtet neulich eine Rede von 6 Stunden, die blos von den Mißbräuchen der englischen Justiz handelte. Am colossalsten erschien darin der Umstand, daß in dem court of Chancery jetzt die ungeheure Summe von 50 Millionen L. St. liegt, die noch keinen Herrn hat. Ein Prozeß in diesem Gerichtshof ist sprüchwörtlich geworden, um etwas Unendliches zu bezeichnen, und es existirt eine Carrikatur darüber mit der Unterschrift: a Chancery suit , die sehr ergötzlich ist. Ein von Gesundheit strotzender reich gekleideter Jüngling füllt am Anfang des Bildes den hingehaltenen Hut eines zum Ske- lett verhungerten Advokaten mit Goldstücken, um für ihn einen Prozeß zu führen. Eine lange, lange Pro- cession verschiedener Dinge und Menschen folgt, und am Ende sehen wir den jungen Mann als zerlump- ten hinfälligen Bettler wieder, wie er demüthig den, nun wie eine Tonne dick gewordenen Advokaten, um ein kleines Allmosen anfleht, welches dieser je- doch, sich stolz abwendend, verweigert. Helas, c’est encore tout comme chez nous! nur hier allerdings in corpulenteren Verhältnissen. In manchen Dingen, die dem Fremden empörend scheinen, muß man sich indeß vor einem vorschnellen Urtheile hüten, da oft Mißbräuche, oder selbst offen- bare Mängel an sich, doch nur der nothwendige Schatten eines weit größeren Lichtes sind. Z. B. die Bestechungen bei den Parlamentswahlen, selbst viel- leicht die rotten boroughs und die anerkannte Ab- hängigkeit eines Theils des Parlaments vom Gou- vernement durch Patronage u. s. w. Es ist sehr die Frage, ob ohne diese scheinbar so verwerflichen Hülfs- mittel ein Ministerium in allen Fällen wird bestehen können. Es ist schon ein Vortheil, daß dem letztern nicht in der Theorie das wirklich eingeräumt ist (wie in despotisch regierten Staaten) was es indirekt in der Praxis allerdings nicht ganz entbehren kann, ohn- gefähr so wie eines Predigers Leben auch nimmer seinen Lehren gleich kömmt. Man muß nicht ver- gessen, daß menschliche Dinge sich höchstens nur dem Vollkommnen nähern, es aber nie erreichen können, daher man sich bei Reformen sehr in acht zu nehmen hat und nie ganz vergessen darf, que le mieux est l’ ennemi du bien. Demohngeachtet scheint nach vie- len Anzeichen England einer Reform entgegen zu gehen, weil es sie aus andern Gründen fast nicht mehr vermeiden kann, ob aber zu seinem Vortheil, ist noch sehr die Frage. Vielleicht ist die Nothwendig- keit derselben eben nur der Beweis, daß seine Größe sich überlebt hat und zu sinken anfängt. Den Abend besuchte ich das Adelphi-Theater, wo ein Taschenspieler auf eine ganz neue Art seine Künste unter dem Titel Conversazione exhibirte. Er stand näm- lich unter vielen Tischen und Maschinen auf dem Thea- ter, erzählte zuerst seine Reise mit der Diligence, wo er verschiedene Charaktere und Anekdoten vorführte, einige Chansons sang, und dazwischen seine Kunst- stücke, oder Geistererscheinungen und optische Dar- stellungen, in die Erzählung als Begebenheit ein- passend, anbrachte — gewiß eine gute Idee, die dem gewöhnlichen Kunststückenmachen ein größeres In- teresse verleiht. Seine Sicherheit und Gewandtheit als Taschenspieler war überdieß eben so merkwürdig, wie sein gutes theatralisches Spiel und Gedächtniß. Zuletzt führte er auf Gläsern, die er vorher naß machte, mehrere Musikstücke mit großer Fertigkeit aus, nicht nur im Harmonika-Styl, sondern auch Walzer und dergleichen, und selbst lange Triller, die vortrefflich gelangen. Den 9ten Maͤrz. Die Season übt schon ihr Recht. Die Straßen wimmeln von eleganten Equipagen, die Buden eta- liren neue Schätze, alle Häuser sind gefüllt, und alle Preise zum Doppelten und Dreifachen gestiegen. Der Minister Peel gab heute der Herzogin von Cla- rence eine sehr glänzende Soir é. Sein Haus ist mit vielen schönen Gemälden geschmückt, unter denen sich auch der berühmte chapeau de paille von Rubens befindet. Herr Peel hat dies kleine Brust- bild nur mit 15,000 Rthlr. unsres Geldes bezahlt. Es ist unglaublich, welche Schätze in dieser Hinsicht England enthält. So sah ich gestern in Gesellschaft der Für- stin E. die kleine Privatsammlung eines Geistlichen (Herr Carr) welche kaum 30 Gemälde enthält, und die ihm dennoch nicht nur 20,000 L. St. gekostet hat, sondern sie auch vollkommen werth ist. Es sind so viel Meisterstücke als Bilder, die einzig richtige Art für einen Privatmann zu sammeln, der keine Ga- lerie zum Unterricht, sondern nur zum Genuß be- zweckt. Man findet hier einen Garoffolo von so überirdi- scher Verklärung, von so heilig tiefer Poesie, daß man ein Bild aus Eden, nicht von dieser Welt zu erblicken glaubt, daneben einen großen, fast die halbe Wand einnehmenden Claude, ebenfalls von der höch- sten Schönheit, bei dem die geringen Mittel, die der Maler verwandte, eben so bewunderungswürdig sind, als der außerordentliche Effekt, den er damit zu erreichen wußte. Im Nebenzimmer befanden sich noch einige andere ausgezeichnete Landschaften von Dome- niquino und Annibal Carrache. Der Reichthum der Composition, die Innigkeit und Naivität der Empfin- dung waren hier mit einem so phantastischen Reiz und so viel Mannigfaltigkeit der Details geschmückt, daß ich Tage lang mich hätte in diesen seltsamen Gegenden ihren weiten Wasserspiegeln, ihren Inseln, Hainen und wohnlichen Hütten, ihren tief blauen Gebirgen und gespenstischem Waldesdunkel verlieren mögen. Im dritten Zimmer jedoch gelangt man erst zu der Krone der ganzen Sammlung, einem Bilde Leonardo da Vinci’s, auf welchem der Maler in den drei Personen: des Erlösers, Petrus und Johannes, die Ideale des Jünglings, Mannes und Greises dargestellt hat, alle von einer Anmuth, Wahrheit und Vollendung, die nichts zu wünschen übrig läßt. Es ist der einzige Christuskopf von allen, die ich ge- sehen, der mir völlig genügt, und eben so überzeu- gend Größe und Kraft, als Heiligkeit und Milde ausspricht, zugleich aber diesen sprechenden Ausdruck mit der idealsten Schönheit vereinigt. Dabei ist die Gruppi- rung des Ganzen dem Auge so wohlthuend, das Co- lorit so glanzvoll, jede Farbe so frisch erhalten, die Ausführung, auch des kleinsten so meisterhaft, daß man eine Befriedigung fühlt, wie selten ein Kunst- werk gewährt. Ein gelehrter Antiquar sagte mir einmal, daß die alten Maler gewoͤhnlich auf Kreidegrund malten, und Firnisse zur Bereitung ihrer Farben gebrauchten, weshalb sie so dauerhaft, frisch und glanzvoll blieben. Sonderbar, daß man sich nicht mehr bemuͤht, dieses Verfahrens wieder Herr zu werden. Doch nichts bleibt hinter dem Anschauen eines sol- chen Meisterwerks so weit zurück, als eine kalte Zer- gliederung mit Worten; ich will daher auch weder von diesen noch den übrigen etwas weiter sagen, doch wünschte ich, daß Kunstkenner auf diese vortreffliche Sammlung aufmerksamer gemacht würden. Genre-Gemälde lassen sich weit eher beschreiben. Dahin gehört die Ausstellung mehrerer Schlachten und Gefechte vom General Lejeune, die er erst mitge- fochten, dann gemalt hat. Sie sind mit viel Talent und Geschmack aufgefaßt. In der Schlacht von der Mosqua bildet der theatralische Murat mit seiner Suite die Hauptgruppe, wie er mit Federn, Locken und Stickereien behangen selbstzufrieden im Kartätschen- Feuer haltend, eben den französischen und sächsischen Cürassieren die Ordre zu jenem mörderischen Angriffe und der Wegnahme einer Batterie von 40 Kanonen giebt, die so Vielen, und auch meinem Busenfreunde H.., das Leben kostete; der König ist eben im Be- griff, sich selbst an ihre Spitze zu stellen. Wer hätte ihm damals prophezeit, daß er bald darauf vom Pö- bel unwürdig zerschlagen, und als Missethäter er- schossen werden würde! Tief erschütternd, obgleich vielleicht ein zu greller Gegenstand für die Kunst, ist auf dem Bilde der Schlacht von Marengo ein österreichischer Staabs- offizier, dem eine Kugel den Unterleib aufgerissen, so daß die Gedärme an der Erde liegen. Der Un- glückliche, dem höllischen Schmerze zu entgehen, hat von einem französischen Gensd’arme eine Pistole er- fleht, die er sich mit verzweifelnder Geberde an den Mund setzt, während der Geber sich schaudernd ab- wendet. Auf einem andern Gemälde ist der Ueberfall ei- nes französischen Detachements durch spanische Gueril- las abgebildet. Man sieht einen höchst romantischen Bergpaß in Catalonien, merkwürdig durch die colos- salen Steinbilder von 6 Stieren, deren Errichtung man Hannibal zuschreibt. Zu ihren Füßen liegen zwei oder drei noch geharnischte Gerippe französischer Cürassiere, die einen Monat früher hier ebenfalls ihren Tod fanden. Niemand von dem ganzen De- tachement entging diesmal der Ermordung, außer der General Lejeune selbst, und dies auch nur durch ein halbes Wunder, indem dreimal die auf ihn an- gelegten Gewehre versagten, so daß Empecinado abergläubisch eine Bestimmung darin zu sehen glaubte, und von ihm abzulassen befahl. Man sieht auf dem Gemälde den General Lejeune, völlig nackt ausgezo- gen, von einem der Mörder bei den Haaren gefaßt, von einem andern auf den Leib getreten, und die Gewehre der andern auf ihn gerichtet, während un- ter Leichen und Trümmern neben ihm seine Diener und ein Soldat, schon von Piken und Schwerdtern vielfach durchbohrt, ihren Geist aushauchen. Die Schlacht am Nil, wo die Mamelucken in halbwahnsinniger Flucht, ihre herrlichen arabischen Rosse von dem hohen Abhang herab in den Fluß spornen, und wenige nur das jenseitige Ufer errei- chen, macht gleichfalls einen sehr romantischen Effekt. Den 13ten. Ich habe vergessen Dir zu schreiben, daß vor ohn- gefähr 14 Tagen das kaum fertig gewordne elegante Braunschweiger Theater, während der Probe eines neuen Stücks eingefallen ist, und einer großen Menge Menschen das Leben gekostet hat. Ich besah gestern die Trümmer, wo noch die Leichen zweier Karren- Pferde, die in der Straße daneben erschlagen wur- den, unter dem Schutte liegen. Es ist ein fürchter- licher Anblick. Nur eine einzige Loge blieb stehen, und in dieser rettete sich, durch seine Kaltblütigkeit nicht von der Stelle zu weichen, der Schauspieler Farren, der unversehrt die ganze entsetzliche Cata- strophe mit ansah, eine nur zu ächte Tragödie, die sich keiner erwartet hatte. Jetzt ist im Getümmel der Season Alles schon wie- der vergessen. Bei allen dem giebt dieses geräusch- volle Leben weit weniger Stoff als man denken sollte, und den es gibt, vergißt man im ewigen Trouble. Ein Familiendin é bei dem großen R., den man mit dem Sultan verglichen hat, weil dieser der Herrscher aller Gläubigen und jener der Gläubiger aller Herr- scher sey, kam als Abwechslung dazwischen. Dieser Mann hat wirklich etwas ganz Originelles. Er war heute besonders lustig, und ließ seine neue östreichi- sche Consularuniform holen, die ihm, wie er sagte, sein Freund M … ch von Wien geschickt habe, zeigte sie uns, und ließ sich nachher sogar bereden, sie vor dem Spiegel anzuprobiren und damit einherzustol- ziren, ja wie Virtuosen, wenn sie einmal angefan- gen haben, nicht wieder aufhören können, so ließ er nun auch noch andere prächtige Hofkleider bringen, und wechselte mehrmal die Toilette, wie auf dem Theater, eine Kindlichkeit bei solchem Geld-Heros, die ich fast mit Heinrich dem IV. vergleichen möchte, als dieser beim Eintritt des fremden Gesandten sei- nem Sobne eben als Reitpferd diente. Es war übrigens ziemlich komisch anzusehen, wie der sonst so kaufmännisch ernste Mann, sich mit den verschiedensten Wendungen und Reverenzen das leichte und grazieuse Air eines Höflings zu geben versuchte, und durch unser Lachen gar nicht irre gemacht, mit eben so vollkommner Ueberzeugung als Jovialität ver- sicherte, daß N. M. R., wenn er wolle, jede Rolle spielen, und mit der Hülfe von 6 — 8 extra Glä- sern Wein, bei Hofe eine eben so gute Figur ma- chen könne als irgend einer. Von einem ganz verschiedenartigen Interesse war mir eine Bekanntschaft, die ich am andern Tage machte, nämlich die des Generals Mina. Du hast ge- wiß mehrere Portraits desselben gesehen, die ihn alle mit einem großen Schnurbart und wilden Zügen, gleich einem furchtbaren Räuberhauptmanne, darstel- len. Denke Dir also meine Verwunderung, als ich in dem Helden Spaniens nur einen sanften, einfachen, im höchsten Grade bescheidnen Mann fand, der sogar nicht das Geringste von dem, was man eine mili- tairische Tournure nennt, an sich hatte, im Gegen- theil eher einem Landpächter oder Schulmanne glich, mit einem offnen freundlichen Gesicht, und bei jeder Lobeserhebung, die man ihm machte, erröthend wie ein Mädchen; doch fand ich nachher, als er sich im Gespräch animirte, allerdings eine Veränderung der Züge und ein dunkles Blitzen der Augen, das wohl verrieth, welches Geistes Kind er eigentlich sey. Er sieht im Ganzen noch sehr gut conservirt und kaum wie ein Vierziger aus, obgleich sein kurzes Haar ganz weiß ist, was ihn aber keineswegs alt macht, son- dern nur das Ansehen giebt, als sey er gepudert. Nie, äußerte er beiläufig, habe er sich jener lu- xurieusen Haarzierden zu erfreuen gehabt, mit denen man ihn so reichlich auszustatten pflege, und daher oft selbst über die Carrikaturen lachen müsse, die er in den Kaufläden von sich erblickt. Ausser ihm waren in der Gesellschaft noch zwei andere merkwürdige Spanier gegenwärtig. Arguel- les, Minister unter dem constitutionellen Regime und einer der ersten Volksredner in Spanien, ein Mann von gewinnendem Aeussern und feinen Ma- nieren, und der General Valdez, Commandant von Cadix während der letzten Belagerung. Er führte auf seinem Admiralschiff (denn er war auch Admiral und zwar der Aelteste in der Marine) Ferdinand den Vielgeliebten in das französische Lager. Obgleich der König, wie er erzählte, ihn vorher und während der Ueberfahrt mit Liebkosungen überhäuft, vielfach sei- nen Dank für die ihm in Cadix wiederfahrne gute Behandlung ausgedrückt, und viel Versprechungen für die Zukunft gemacht, so wäre doch für den ar- men Valdez das schlimmste Loos bestimmt gewesen. „So wie der König das Schiff verließ,“ fuhr Valdez fort, „änderte sich sein Betragen plötzlich, und sich endlich sicher wissend, warf er zu früh einen durch- bohrenden Blick des Triumphs und einer lange zu- rückgehaltenen Wuth auf mich. Ich kannte diesen Blick und entschloß mich schnell. Ohne mich länger zu besinnen noch zu beurlauben, sprang ich augen- blicklich zurück auf das Schiff, befahl es schnell um- zuwenden, und eilte mit vollen Segeln Cadix wieder zu. So entging ich wahrscheinlich dem Tode, aber mein hiesiges Exil in Armuth und Noth, fern von meinem unglücklichen Vaterlande, ist für einen sech- zigjährigen Mann, der an Größe und Reichthum ge- wöhnt war, vielleicht noch schlimmer!“ Ich führe Dich heute einmal wieder ins Theater und zwar in Gesellschaft des berühmten Lord L ...... eines alten Bekannten von mir, der nach seiner viel- fach bewegten Laufbahn sich jetzt nur noch durch täg- liches Waschen mit Essig gleich einem Pickle conser- virt, während er sonst nur Andere, eben so sauer und beissend als weiland der Confiseur der eleganten Zeitung schriftlich, mündlich, einzumachen pflegte. Wir sprachen von vergangenen Zeiten, und als wir vor Drurylane ankamen, deklamirte er eben einige wilde, aber schöne Verse von Moore, die er wohl auf seine eigne Vergangenheit beziehen und mit nicht zu strenger Gewissenhaftigkeit commentiren mochte, obgleich sie der Dichter der Geliebten eines gefallnen Engels in den Mund gelegt hat. Sie lauten dem Sinne nach, in einer meiner gewöhnlichen Knittelvers- Uebersetzungen des Augenblicks, ohngefähr so: Was waͤre Liebe! wenn immer nicht gleich Durch Freude wie Qualen, durch arm wie durch reich, Durch Ehre wie Scham, durch Alter wie Jugend, Was frag’ ich, Geliebter, nach Laster noch Tugend, Ich weiß nur: ich lieb’ Dich, waͤr schwarz auch Dein Herz, Dein bin ich — und mein Deine Wonne und Schmerz. Kein übles Motto für Desdemona, die uns erwar- tete, wenn gleich der Mohr solcher alles hingebenden Liebe schrecklich lohnt. Ehe ich zur Vorstellung selbst übergehe, laß mich ein paar allgemeine Bemerkungen vorausschicken. Man streitet fortwährend bei uns, ob man Shakspeare in wörtlicher, oder freier Uebersetz- ung, oder gar freier Umarbeitung geben solle. Ich würde mich für das zweite, nämlich die freie Uebersetzung, entscheiden, vorausgesetzt, daß die Frei- heit dieser sich nur darauf beschränkte, im Geiste deutscher Sprache mit völliger Ungezwungenheit sich zu bewegen, wenn auch dadurch hie und da ein Wort- oder Witzspiel auffallen müßte. Am Gange des Stücks aber bedeutend zu ändern, Scenen ganz wegzulassen, Shakspeare ganz fremde Worte und Ideen zu leihen, kann ihn nur verstümmeln, selbst wenn der größte Dichter es unternähme. Man sagt, Shakespeare wäre besser zu lesen als zu sehen, und könne besonders in wörtlichen Uebersetzungen nicht aufgeführt werden, ohne uns dadurch wieder in die Kindheit der dramatischen Kunst zu versetzen, wobei man zugleich behauptet, daß die theatralischen Vor- stellungen zu Shakspeare’s Zeit nur dialogisirten Mährchen im Costume geglichen hätten. Ich will die Genauigkeit dieser Angabe dahin gestellt seyn lassen, aber so viel weiß ich, daß die Aufführung von Ro- meo und Julie, Macbeth, Hamlet, Othello, auf dem heutigen englischen Theater, welche Stücke alle doch nur mit geringen Auslassungen gegeben werden, und bei welchen die meisten angeblich schockirenden Dinge, und selbst der obligate Königstrompeter, nie fehlen, dennoch einen so vollständig befriedigenden, durch nichts gestörten Eindruck auf mich gemacht haben, als Lesen und Vorlesenhören (selbst von Tiek, dem be- sten Vorleser den ich kenne) nie, auch nur im ent- ferntesten Grade, hervorbringen konnten. Ja ich ge- stehe, daß ich erst seitdem die ganze gigantische Pro- portion Shakspeares in ihrem vollen Umfang em- pfunden habe. Freilich gehört dazu ein solches Zu- sammenspiel, und so große Schauspieler für die Haupt- rollen wie sie uns gänzlich abgehen, denn Macbeths in Berlin, — wie Clauren sagen würde — und die- selben in England sind eben so verschiedne Leute als Shakspeare selbst und sein vortrefflicher Commentator Franz Horn. Die ersten hiesigen Schauspieler, wie Kean, Kemble, Young u. s. w. sind, wie ich schon an andern Orten erwähnt, Männer von großer Bil- dung, die zum Theil in der besten Gesellschaft leben, und dem ernstesten Studium ihres Nationaldichters ihr Leben weihen. Selten nur treten sie in andern Rollen auf, und brauchen nicht, wie unsre Kunstlast- Thiere, jeden Augenblick einen tragischen Helden mit einem Ifflandischen Geheimenrath, oder den Tal- bot mit Herrn von Langsalm zu vertauschen, nicht heute im Othello und morgen im Wollmarkt aufzu- treten. Sehr sonderbar fällt es auf, daß scheinbar, und zum größten Theil auch wirklich, das Publikum, vor dem diese Künstler sich produciren, ein so rohes und Briefe eines Verstorbenen IV. 22 unwissendes und ungezognes ist! Vielleicht aber mag dies grade eine gute Wirkung auf die Darsteller ha- ben. Wie der wahre Tugendhafte die Tugend, müs- sen auch die hiesigen Schauspieler die Kunst nur um ihrer selbst willen lieben, ziemlich unbekümmert um die Aufnahme, und sie erreichen dann hierdurch eben am sichersten zuletzt doch den allgemeinen Beifall. In- dessen muß man auch gestehen, daß, ohngeachtet dieser Rohheit Vieler, doch in dem englischen Theaterpub- likum eigentlich ein gesünderer Sinn als in dem la- ren, hypergebildeten unserer deutschen Hauptstädte verborgen liegt, ja mitten unter der Foule des Ge- meinen in ihm eine unsichtbare Kirche der Einge- weihten besteht, deren Daseyn nimmer das göttliche Feuer in den Künstlern ganz verlöschen läßt. In öf- fentliche Eritik läßt sie sich weniger ein, aber sie wirkt mächtig im socialen Leben. Viele Deutsche hören es nicht gern, daß andere Nationen uns in irgend Etwas übertreffen sollen, auch ich empfinde solches immer mit Bedauern, aber meine Ueberzeugung muß ich dennoch aussprechen, daß, wie wir keinen dramatischen Dichter von Sha- kespeares Caliber haben, wir auch keinen Schauspie- ler besitzen, der seine Charaktere in ihrer ganzen Be- deutung wieder vor uns aufleben zu lassen fähig ist. Immer war es nicht so, wie man sagt, und ich selbst habe in meiner frühesten Jugend noch Eindrücke von Fleck und der Unzelmann bewahrt, die mir seitdem auf unserer Bühne nicht mehr zu Theil wurden. Noch höher mögen Schröder und Eckhof gestanden haben, und mit vielem Vergnügen erinnere ich mich der enthusiastischen Schilderung, die mir von diesen Bei- den der alte Archenholz machte, welcher auch Garrick noch gesehen hatte, Schröder aber diesem wenig- stens gleich stellte. Daß man übrigens bei fremden Schauspielern sich nothwendig, um sie gerecht zu würdigen, erst eini- germaßen in ihre Nationalität hineindenken, sich an gewisse uns eben so fremde Manieren, als manche Wendungen ihrer Sprache für uns bleiben, wenn wir sie auch noch so gut verstehen, gewöhnen muß, wird wohl jedem Verständigen einleuchten. Im An- fang wirken diese Ursachen immer mehr oder weniger störend, und ich habe nur ein künstlerisches Indivi- duum gesehen, das in dieser Hinsicht, wenn ich mich so ausdrücken darf, völlig cosmopolitisch organisirt war, die unnachahmliche, vielleicht nie erreichte, gewiß nie übertroffene Miß Oneil. Hier sprach nur Menschen- Geist und Seele zu dem unsrigen, Nationalität, Zeit und Aeusseres verschwanden dem Gemüth in einer alles mit fortreißenden Entzückung. Doch zurück zur Gegenwart. Wir sahen also den Othello, wo das Zusammenspiel der drei ersten dramatischen Künstler Englands mir einen der genuß- vollsten Abende gewährte, und diese etwas lange Ex- pektoration veranlaßte, mich aber auch höchst schmerz- lich die oben erwähnte Heroin vermissen ließ. Mit ihr würde ich heute den Culminationspunkt aller theatralischen Darstellung erreicht gesehen haben. 22* Kean, Young und Kemble, sagte ich, bilden das herrschende Triumviat der englischen Bühne. Der Erste ist ohne Zweifel der Genialste, der Zweite glanzvoll und consequent in seinem Spiel, der Dritte, obgleich weniger ausgezeichnet im höchsten Tragischen, dennoch stets würdig und verständig. Nur in dieser Darstel- lung des Othello spielten zum erstenmale alle drei zusammen in derselben Tragödie. Dies war aber auch ein seltner Genuß! Othello ist, nebst Shylock, Keans Hauptrolle. Es ist bewunderungswürdig, mit wel- cher tiefen Menschenkenntniß er nicht nur die erst schlum- mernde, allmählig erwachende und endlich in Raserei übergehende Eifersucht malt, sondern wie er da- bei auch stets die südliche Natur des Mohren, die so eigenthümliche Individualität dieser Menschenklasse, auf das täuschendste nachahmt. Es blickt bei allem edlen Wesen des Mohren etwas Thierisches zuweilen daraus hervor, das schaudern macht, und auf der andern Seite auch seinen ungeheuren Schmerz noch gewaltsamer uns vor Augen stellt. Die Einfachheit seines Spiels im Anfang , die Abwesenheit aller Prahlerei nach den vergangnen großen Thaten, und die innige Liebe für das gewählte Weib gewinnen die Herzen der Zuschauer, wie sie das Desdemona’s gewonnen haben — der häßliche Mohr ist über dem vollendeten, heldenmäßigen Mann vergessen — bis nun unter den Qualen zerfleischender Eifersucht langsam vor unsern Augen jene versteckte grause Na- tur auftaucht, und wir zuletzt kaum einen Menschen mehr, sondern einen reißenden Tiger vor uns zu sehen glauben. Ich bestärkte mich hier von Neuem in meiner Ueberzeugung, daß der große Dichter, mehr noch als der mittelmäßige, auch großer Schauspieler be- darf, um vollständig verstanden und gewürdigt zu werden. In Berlin z. B. erschien die Erdrosselungs- Scene nicht nur lächerlich, sondern wahrhaft indecent. Hier wahrlich gefror das Blut zu Eis in den Adern, und selbst das rohe englische Publikum war eine lange Zeit lautlos, und wie vom Blitze gerührt. Ja ich gestehe, daß einigemal während der Tragödie, Othello’s lange Marter, die ihm der satanische Jago so tropfenweis mit teuflischer Ruhe zumißt — für mich so peinlich wurde, und die Furcht vor dem was ich wußte, daß noch nachfolgen würde, so in mir an- wuchs, daß ich unwillkührlich mein Gesicht wie von einer zu erschütternden Scene abwenden mußte. Youngs Darstellung des Jago ist ein vollendetes Meisterwerk, und erst durch sein Spiel ist mir die- ser Charakter völlig klar geworden. Es ist vielleicht, — und ich muß hier einer früher gemachten Aeusserung, wenigstens Ausnahmsweise widersprechen, Jago, sage ich, ist vielleicht wider Shakspeare’s sonstige Weise, kein ganz in der Natur begründeter Charakter, sondern mehr eine glänzende Phantasie des Dichters, aber mit welcher bewunderungswürdigen Consequenz durchge- führt! Es ist der verkörperte Teufel, ein Wesen von Galle und Bitterkeit genährt, das weder Vergnü- gens noch Freude fähig, das Böse wie sein Element ansieht, und das einzige Wohlbehagen im Philoso- phiren über sich selbst, dem Beschauen und der be- leuchtenden Erklärung seiner eignen Schandthaten findet. Nur schwach ist er noch an die Menschlich- keit geknüpft, durch das Gefühl der Rache, die er an dem Mohren dafür nehmen will, daß Jener, wie er glaubt „den eignen Dienst zwischen seinen Bett- Tüchern versehen.“ Demohngeachtet erscheint dies fast nur wie ein Vorwand, den er sich selbst, mit dem letzten Hauch eines moralischen Gefühls, zur Entschuldigung aufstellt, und seine ächte Freude an Unglück und Jammer immer das Haupt-Motiv. Dennoch wird dieses Ungeheuer nie ganz widrig. Seine geistige Ueberlegenheit, sein Muth, seine Con- sequenz, und zuletzt seine Standhaftigkeit im Unglück, lassen den vollendetesten Bösewicht doch nie in ganz gemeine Niedrigkeit versinken. Jago bleibt immer noch ein Held gegen einen Kotzebueschen Tugendhaf- ten. In diesem Sinne spielt Young den Charakter durchaus, sein Anstand ist finster und mürrisch, aber edel; kein Lächeln kömmt über seine Lippen, und seine Scherze verlieren deshalb doch nichts durch ihre Trockenheit. Alle behandelt er, seiner Macht gewiß, mit Ruhe und Ueberlegenheit, jedoch mit wohl mar- kirter Nüance. Für seine Frau ist er roh und gebie- terisch, gegen Roderigo autoritativ und launig, mit Cassio achtungsvoll und freundschaftlich, dem Mohren gegenüber ehrfurchtsvoll und treuherzig, jedoch überall ernst und würdevoll. Kemble spielt in seiner Art den Cassio fast eben so vortrefflich, und wie ihn Shakes- peare schildert „ein Mann, gemacht den Weibern das Herz zu stehlen.“ Jung, heiter, leichtsinnig, von edlem Wesen, gutmüthigem Charakter und feinen Sit- ten. Leider wurde Desdemona nur sehr mittelmäßig gegeben. Doch ging der rührende Contrast ihrer sanften duldenden Weiblichkeit mit des Mohren glü- hender Leidenschaft nicht ganz verloren. Kean spielt den Othello in der Tracht eines Moh- renkönigs aus der Bibel in Sandalen und einem langen seidnen Talar, welches allerdings abgeschmackt ist. Man vergißt aber bald die Tracht über sein vor- treffliches Spiel. — Dein treuer L. Drei und zwanzigster Brief . London, den 24. Maͤrz. Geliebte Freundin! Zu den aristokratischesten Abendgesellschaften gehören die Concerts eines der liberalsten Mit- glieder der Opposition, des Lord L .., eine Anomalie, die man hier oft findet, wo ein gewisser allgemei- ner Liberalismus mit dem einseitigsten Adelstolz und Dünkel Hand in Hand geht, und der stolzeste Mann in seinem Hause, im öffentlichen Leben den Ruf des populärsten besitzt. Recht amüsante Feste gibt auch eine Herzogin, wel- che es seit so Kurzem ist, daß sie von den Exclusivs noch zu den Plebejern gerechnet wird. Ein solches fand heute statt, wo zu gleicher Zeit im obern Stock ein vortreffliches Concert, im zweiten ein Ball statt fand, während im untern fortwährend gespeist wurde. Bei dem vorangehenden Din é servirten, nach dem Beispiel eines andern fashionablen Herzogs, die Be- dienten in weißen Gla c é handschuhen, was mir das Fest verleidete, da ich mich von dem Gedanken an Lazareth und Kr. … dabei nicht los machen konnte. Reichhaltiger in geistiger Hinsicht war meine gestrige Mittagsmahlzeit bei’m Herzog von Sommersett, ei- nem sehr vielseitig gebildeten Manne. Ueber Tisch erzählte der bekannte Parlamentsredner H … selt- same Dinge. Unter andern versicherte er, kürzlich Mitglied einer Commission der Regierung gewesen zu seyn, um die Einverständnisse der Polizei mit den Verbrechern, über die man so viel geklagt, zu er- gründen. Dabei sey denn berausgekommen, daß in London eine Gesellschaft, völlig wie eine Behörde or- ganisirt, mit bureaux Clerks ꝛc. existire, welche Dieb- stähle und Falschmünzerei im Großen dirigire, die Ertappten unterstütze, sowohl zu Angriff als Verthei- digung mächtige Hülfe gewähre, dafür aber auch ihren bestimmten Antheil erhielte. An der Spitze stünden nicht nur mehrere angesehene Leute und Parlaments- glieder , sondern sogar ein wohlbekannter Lord und Pair im Oberhause ! Die Beweise wären der Art, daß man durchaus nicht daran zwei- feln könne, das Ministerium sey aber bis jetzt der Meinung, um den entsetzlichen Skandal zu vermeiden, die Sache lieber fallen zu lassen. Man sieht, daß in den freien Ländern doch auch Dinge vorgehen, von denen man sich bei uns nichts träumen läßt! Ein Naturforscher theilte uns nachher eine Vorle- sung über die Kröten mit, welche mir, jedes in sei- ner Sphäre, eben so seltsam als das vorhergehende vorkam. Bei einem wissenschaftlichen Artikel, wie dieser, mußt Du einige freie Ausdrücke nicht zu ge- nau nehmen. Er sagte also, daß die Kröten die wollüstigsten aller Geschöpfe seyen, wozu ihnen auch die Natur besonderen Vorschub geleistet, indem sie ihnen die Fakultät ertheilt, sich blos durch die Vor- derfüße fortzupflanzen. Fänden die männlichen Krö- ten zufällig keine weiblichen, so setzten sie sich in den Teichen auf Karpfen, fixirten ihre Hände auf die Au- gen derselben, und blieben oft so lange darauf hän- gen, daß die Fische davon blind würden, ein Experi- ment, welches der Naturkundige selbst beobachtet ha- ben wollte, und es witzelnd „blinde Liebe“ nannte. Den 27sten. Ich komme eben vom Lever zurück, das diesmal sehr zahlreich war. Der König mußte wegen seines Podagras sitzen, sah aber sonst sehr wohl aus. Her- zog Wellington dankte für die Erhebung zur Stelle des Premierministers, indem er auf beide Kniee vor dem König niederfiel, statt daß man sonst nur eins zur Erde zu bringen pflegt. Er verdoppelte wahr- scheinlich die Dankbarkeit wegen seiner doppelten Eigen- schaft als erster Minister und früherer General en chef, wie ihn auch die Carrikaturen darstellen, nämlich die linke Hälfte seines Körpers als Hofmann gekleidet, die rechte als Feldmarschall, aber mit beiden Augen lachend. Da, ausser den großen Entreen, beinahe Jedermann zu den Levers zugelassen wird, sowohl Herren als Damen, wenn sie nur im vorgeschriebe- nen Costüme erscheinen, so gibt es für den Lieb- haber von Carrikaturen keine bessere Ausbeute in England, weil eben die ungewohnte Kleidung und der eben so ungewohnte königlich Glanz die natio- nelle Verlegenheit und Unbeholfenheit auf das Bur- leskeste steigern. Unsre liebenswürdigen und routi- nirten Hofdamen würden oft dabei ihren eigenen Au- gen zum erstenmal mißtrauen. Sobald ich mich umgezogen, ritt ich im schönsten Frühlingswetter im immer einsamen Regentspark spa- zieren, wo hundert Mandelbäume blühen, und besah mir die dort angelegte neue Menagerie, welche ein sehr nachahmungswerthes Muster für dergleichen ab- gibt. Es ist nichts Ueberladenes darin, und dabei eine Reinlichkeit, die man gewiß nur in England so zu realisiren im Stande ist. Ich sah hier ein selte- nes und zugleich eins der schönsten Thiere, die es gibt, die Tigerkatze, ein wahres Prachtexemplar von Eleganz unter den Quadrupeden. Beim Marquis Thomond, einem irländischen Pair, erwartete mich darauf ein großes Din é , bei welchem ich die Bekanntschaft des allerentschiedensten Torys in England, des Herzogs von N. machte. Ich muß gestehen, er sah nicht wie ein Genie aus, und die ganze Gesellschaft war so steif englisch, daß ich mich herzlich freute, neben der Prinzessin P .... zu sitzen, deren gutmüthiges Ultra-Geplauder mir heute so an- genehm vorkam, als wäre es das geistreichste gewesen. Den Abend schloß ich auf einem Ball bei’m Mar- schall Beresford, zu Ehren der Marquise von Luley, Schwester Don Miguels, die sich aber nicht wenig zu ennuyiren schien, da sie nur portugiesisch spricht, und daher ausser dem Wirth nicht mit Vielen reden konnte. Der Marschall selbst ist ein interessanter, imposant aussehender Krieger, gegen den der Partheigeist sich sehr ungerecht äußert. Er ist bei sehr einnehmenden Manieren zugleich ein Mann von durchgreifendem Charakter, wie ihn manche Regierungen noch außer Portugal brauchen könnten, stark wie ein Löwe und klug wie die Schlangen. Er hält Don Miguels Recht auf die portugiesische Krone für besser begründet als das seines Bruders, und beweist in der That, daß man bei der Beurtheilung der Personen in jenem Lande einen ganz andern Maßstab als den unsrigen anlegen muß, wenn man billig seyn will. So äußerte er unter andern, die Erziehung Don Miguels sey absichtlich so vernachlässigt worden, daß er im drei und zwanzigsten Jahre noch nicht habe schreiben kön- nen, zu viel dürfe man also von einem solchen Prin- zen nicht erwarten, demungeachtet sey er durch viele glänzende persönliche Eigenschaften ausgezeichnet, und den Zeitungen dürfe man nicht alles auf’s Wort glau- ben. Dieses Letztere wenigstens darf Niemand be- zweifeln. Den 7ten April. Es erschien mir wie eine wahre Wohlthat, heute einmal sans gêne auf dem Lande zu essen, in H. Lodge, dem allerliebsten Lokal der Herzogin von St. A … Vor dem Hause, das am Abhange eines Ber- ges steht, blühte im hellgrünen Rasen ein prächtiger Stern von Crocus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Thalgrunde hin dämmerte die Riesenstadt wie eine fata montana des neuen Jerusalem im Ne- belflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tisch ergötzte uns noch Gesang und Concert im reichsten Gewächshause voller Blumen und Früchte. Ich saß während dem Essen bei einer direkten Uren- kelin Carl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erste halbe Dutzend englischer Herzöge im Rang, stammen größtentheils von den Maitressen Carls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf sie sehr stolz sind. Es ist noch recht kalt, aber Blätter und Blüthen dringen doch überall gewaltsam hervor, ein Anblick, der mich zu Hause entzücken würde, hier aber mir Herzweh verursacht, das manchmal kaum zu bezwin- gen ist. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornensitz wieder niederlassen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltags- schemel irgendwo anders in der Freiheit aussuchen. R. Park, den 9ten. Seit gestern bin ich hier mit großer Gesellschaft bei einer sehr fashionablen Dame. Das Haus ist so ge- schmackvoll und reich als möglich, aber zu vornehm schon, und zu prätentiös, um wahrhaft angenehm zu seyn, wenigstens für mich. Ueberdieß ist ein gewisser L … da, ein Patentwitzbold, von dem die sehr de- bonnaire Gesellschaft jedes Wort bewundern zu müßen glaubt, und nur aus Furcht vor seiner bösen Zunge ihm Anhänglichkeit heuchelt. Solche geistige Bret- teurs sind mir in den Tod zuwider, besonders wenn sie, wie dieser, mit einem widrigen Aeußern nur Galle und Schärfe, ohne alle Grazie, besitzen. Sie erscheinen in der menschlichen Gesellschaft gleich gifti- gen Insekten, denen man aus erbärmlicher Schwäche hilft, sich mit Andrer Blut zu nähren, nur damit sie einem das eigne nicht abzapfen. Lieblicher als die Menschen sprachen mich die todten Gegenstände an, besonders eine freundliche hier herr- schende Sitte, alle Zimmer mit einer Menge Vasen und Behältern aller Art voll frischer Blumen zu par- fümiren. Unter den Gemälden bewunderte ich einen Morillo, Joseph darstellend, welcher den kleinen Je- susknaben führt. In dem schönen Kinde liegt die künftige Größe und göttliche Natur des Erlösers noch schlummernd halb verborgen, was sich besonders in dem ahnend aufblickenden Auge wundervoll aus- spricht. Joseph erscheint als ein schlichter Mann in der vollen Kraft des mittlern Alters, mehr Würde des Charakters als des Standes verrathend. Wild und originell ist die Landschaft, oben aus dunkeln Wolken lauschen liebreizende Engelsköpfe hervor. Dies Gemälde hat der Besitzer, wie er mir sagte, mit 2500 L. St. bezahlt. Im Garten gefiel mir ein Gewächshaus für Pal- men, so leicht und durchsichtig, fast ganz aus Glas bestehend, daß es einem Eispalaste glich. Häßlich finde ich dagegen eine sehr überhand nehmende Lieb- haberei für alte verkrüppelte Baumstämme, die man vielfach im geschornen Rasen eingräbt, und theils mit Climatis beranken läßt, theils mit ver- borgnen Blumentöpfen bestellt. Ganze Ruinen die- ser Art werden gebildet, welches nebst manchem An- dern den sinkenden guten Geschmack für Gärten in England verräth. Für mich ist das Leben auf dem Lande hier in ge- wisser Hinsicht zu gesellig. Wer z. B. lesen will, geht in die Bibliothek, wo er selten allein ist, und wer Briefe zu besorgen hat, schreibt sie an einem allgemeinen großen Sekretair eben so öffentlich, wor- auf sie in ein durchbrochenes Kästchen gesteckt wer- den, das ein Bedienter jeden Morgen zur Post trägt. Daß man alles dies allein und auf seiner Stube thut, ist eben nicht üblich, befremdet daher, und wird nicht recht gern gesehen. So frühstückte auch mancher Fremde wohl lieber auf seiner Stube, wozu aber nicht zu gelangen ist, wenn man sich nicht durch Krankheit entschuldigen kann. Bei aller Freiheit und Abwesenheit von unnützen Complimenten, existirt daher doch für einen an un- sere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein be- deutender Zwang, den das fortwährende Sprechen in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt. London, den 12ten. Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ ich diesen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit Wonne die duftige Frühlingsluft und schaute mit Entzücken auf das glänzende Grün und die schwel- lenden Knospen, ein Anblick, dessen man nie über- drüssig wird. Das Frühjahr entschädigt die nördli- chen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Win- ter, denn dieses Aufwachen der jungen Natur ist im Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ih- rer Seite begleitet. Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von S. A. auf ihrem Landhause versagt, wo mich eine angenehme Ueberraschung erwartete. Man placirte mich, der zu spät kam, zwischen der Wirthin und ei- nem langen, sehr einfach aber liebevoll und freund- lich aussehenden, schon bejahrten Manne, der im breiten schottischen, nichts weniger als angenehmen Dialekte sprach, und mir ausserdem wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen Minuten bekannt geworden — daß ich neben dem be- rühmten — Unbekannten säße. Es dauerte nicht lange, so kam mancher scharfe, trockene Witz aus sei- nem Munde, und mehrere höchst anspruchslos er- zählte Anekdoten, die, ohne eben brillant zu erschei- nen, doch immer frappirten. Seine Augen glänzten dabei, sobald er sich irgend animirte, so licht und freundlich, und es war so viel treuherzige Güte und Natürlichkeit darin ausgedrückt, daß man ihn lieb gewinnen mußte. Gegen Ende der Tafel gab er und Sir Francis Burdett wechselsweise Geisterhistorien zum Besten, halb schauerlich halb launig, welches mich encouragirte, auch Deine berühmte Schlüsselge- schichte zu erzählen, im Denouement noch ein wenig embellirt. Sie machte recht viel Glück, und es wäre spaßhaft genug, wenn Du sie im nächsten Romane des fruchtbaren Schotten wieder fändest. Er recitirte nachher noch eine originelle alte In- schrift, die er vor Kurzem erst auf dem Kirchhofe von Melrose Abbey aufgefunden hatte. Sie lautete fol- gendermaßen: The earth goes on the carth, glittering in gold, The earth goes to the earth sooner than it would, The earth builds on the earth castles and towers, The earth says to the earth: All this is ours. In der Uebersetzung ungefähr so: Erd’ geht auf Erde glaͤnzend in Gold, Erd’ geht zur Erde fruͤher denn wollt’, Erd’ baut auf Erde Schloͤsser von Stein, Erd’ sagt zur Erde: Alles ist mein! Briefe eines Verstorbenen. IV. 23 Wohl wahr! denn Erde waren, sind und werden wir, und der Erde allein gehören wir vielleicht an. Ein kleines Concert beschloß den Abend, an dem auch die recht hübsche Tochter des großen Barden, eine kräftige, hochländische Schönheit, Theil nahm und Miß Steevens nichts als schottische Balladen sang. Erst tief in der Nacht erreichte ich London, mein Erinnerungsbuch mit einem äußerst ähnlichen Croquis von Sir W. Scott bereichert, welches ich der Güte meiner Wirthin verdanke. Da alle mir be- kannten Kupferstiche desselben durchaus nicht ähnlich sind, so werde ich eine genaue Copie diesem Briefe beilegen. Den 27sten. Der Trouble dieser Tage war sehr einförmig, nur ein Din é bei’m spanischen Gesandten bietet mir eine angenehme Erinnerung, wo eine feurige und schöne Spanierin nach Tisch Bolero’s auf eine Art sang, die einen ganz neuen Musiksinn in mir erweckte. Wenn ich darnach und einem Fandango urtheile, den ich einmal tanzen sah, muß die spanische Gesellschaft et- was sehr Verschiedenes von der unsrigen, und bei weitem pikanter seyn. Gestern war ich eingeladen to meet the Dukes of Clarence and Sussex, schlug es aber aus, to meet Mademoiselle H. bei unserm Freunde B …, die ich noch nicht gesehen, und der Groß und Klein hier zu Füßen liegt. Sie ist in der That allerliebst, ein reizendes Ge- schöpf, und sehr verführerisch für Alle, die entweder noch neu der Welt sind, oder an nichts als ihr Ver- gnügen zu denken haben. Es ist nicht möglich, eine harmlosere, und doch ihr Ziel besser treffende, so zu sagen angebornere Coquetterie zu sehen, so kindlich, so lieblich — et cependant le diable n’y perd rien . Auch mir schien sie bald die schwachen Seiten ab- zumerken, und unterhielt mich ohne die mindeste scheinbare Absichtlichkeit, doch nur von dem, was passend und angenehm zu hören für mich seyn konnte. Die vaterländischen Töne fielen dazu aus so hübschem Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der Rede hinein, und die allerschönsten blauen Augen beschienen sie, wie eine Frühlingssonne hinter leichten Wolkenschleiern. Morgen spielt Kean Richard III., sagte sie endlich flüchtig, der Herzog v. D. hat mir seine Loge abge- treten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten? Daß eine solche Einladung jeder andern vorging, versteht sich von selbst. Den 28sten. Nie habe ich noch weniger von einer Vor- stellung gesehen und gehört, als von der heutigen, und doch muß ich gestehen, hat mir keine kürzer ge- 23* schienen. Ja ungeachtet der Gegenwart einer Gou- vernante und eines Besuchs des H. Kemble im Zwi- schenakt, fand kaum eine Pause in unserer Unterhal- tung statt, der so viele Reminiscenzen aus der Hei- math immer neues Interesse gaben. Auch dauerte meinerseits das angenehme Ercite- ment ohne Zweifel noch auf dem nachherigen Balle bei der fashionablen Lady Tankarville fort, denn ich fühlte mich weit weniger von der hölzernen Fete en- nuyirt, als gewöhnlich. Verzeih’, wenn ich Dir heute nur diese wenigen Worte schreibe, denn eben geht Helios auf, und ich zu Bette. Den 30sten. Alles ist hier in colossalen Verhältnissen, selbst mein Schneider, dessen Werkstatt einer Manufaktur gleicht. Man kömmt hin und fragt, umgeben von hundert Ballen Tuch und Zeug, und eben so viel Arbeitern, nach dem Schicksal eines bestellten Fracks. Ein Se- kretär erscheint mit großer Förmlichkeit, und frägt verbindlich nach dem Tage der Bestellung. Sobald man ihn angegeben, werden auf einen Wink des Ge- schäftsmannes zwei Folianten herbeigebracht, in de- nen er eine kurze Zeit studiert. Mein Herr, ist end- lich die Antwort, morgen um 11 Uhr 20 Minuten wird Ihr Frack so weit fertig seyn, um ihn im An- kleidezimmer anprobiren zu können. Dieser Zimmer sind mehrere, mit großen Wandspiegeln und Psych é s dekorirt, fortwährend mit Anprobirenden besetzt, wo der Schneider Millionär selbst zehnmal ändert, ohne je Verdrießlichkeit darüber zu äußern. Nachdem dem Fracke sein Recht angethan worden ist, setze ich meine Promenade fort, und komme an einen Fleischerladen, wo nicht nur das rohe Fleisch die schönsten Guirlanden, Pyramiden und andere phantasiereiche Formen bildet, und zierliche Eisbehäl- ter überall liebliche Kühle verbreiten, sondern auch noch hinter jedem Schinken ein Komödienzettel hängt, und auf den spiegelglatten Tischen die beliebtesten Zeitungen liegen. Mit ihm wetteifert einige Häuser weiter der Händ- ler mit Seeungeheuern, der, wie König Fisch im Mährchen, zwischen Marmor und Springbrunnen sitzt, es aber doch schwerlich so weit bringen wird als sein berühmter College Crockford, der noch bessere als gewöhnliche Fische zu angeln verstanden hat. Es ist dies ein genialer Mann, der sich von einem armen Fischer zur Geißel und zugleich zum Liebling der vor- nehmen und reichen Welt hinaufgeschwungen hat. Er ist ein Spieler, der Millionen gewonnen, und damit jetzt einen Spielpalast in der Art des Salons in Pa- ris, aber mit einer asiatischen Pracht erbaut hat, die selbst die Königliche fast hinter sich läßt. Auch ist in dem jetzt wieder herrschenden Geschmack der Zeit Lud- wig XIV., verziert mit allen jenen geschmacklosen Schnörkeln, Uebermaß von Vergoldung, gehäufter Mischung von Stukkatur und Malerei u. s. w. eine Wendung der Mode, die sehr consequent ist, da der englische Adel wirklich immer mehr jenem aus Lud- wig XIV. Zeit zu gleichen anfängt. Crockfords Koch ist der berühmte Ude, praktisch und theoretisch der erste in Europa, Bewirthung und Be- dienung in höchster Vollkommenheit, dabei un jeu d’enfer, wo schon oft 20,000 L. St. und mehr in ei- nem Abend von diesem und jenem verspielt wurden. Die Gesellschaft formirt einen Club, der Eintritt ist sehr schwer zu erlangen, und obgleich Hazardspiel cri- minell in England ist, sind dennoch die meisten der Minister Mitglieder, und der Premier, Herzog von Wellington, einer der Direktoren dieses Spiel-Clubs! Den 2ten Mai. Gestern wurde der erste Tag des Wonnemonats von der Herzogin von A. durch eine sehr angenehme ländliche Fete auf ihrer schonen Villa gefeiert. In der Mitte des bowling green war die Mai- stange mit vielen Bändern und Blumen-Guirlanden aufgerichtet, und bunt geschmückte Landleute im alt- englischen Costüme tanzten darum ber. Die Gesell- schaft erging sich in Haus und Garten nach Belieben. Manche schoßen mit Bogen und Pfeilen, andere tanz- ten unter Zelten, oder spielten allerlei Spiele, schau- kelten und drehten sich, oder munkelten im Dunkeln in dichten Boskets, bis einige Trompetenstöße um 5 Uhr ein prachvolles Frühstück verkündeten, bei dem alle Delikatessen und Kostbarkeiten, die der Luxus aufbieten kann, im reichsten Ueberfluß vorhanden waren. Viele Diener hatte man als Gärtner in ein fancy costume gekleidet und an allen Büschen frische Blu- menguirlanden aufgehangen, die einen unbeschreiblich reichen Effekt machten. Dabei war es ein so wun- derbar schöner Tag, daß ich zum Erstenmal in der Ferne London ganz klar von Nebeln, und nur ein wenig durch Rauch verdüstert, gänzlich zu übersehen im Stande war. Mit einbrechender Dunkelheit wiederholte sich der Effekt der Blumenguirlanden, nun durch bunte Lam- pen, zweckmäßig auf allen Bäumen vertheilt, oder im Dickigt der Büsche halb verborgen. Es war schon Mitternacht vorbei, als das Frühstück sich endete. Alles das war sehr reizend, aber doch sind es nur todte Gegenstände, und ich gestehe, daß in meinen Augen eine kleine Rose am Busen der lieblichen H …, die ich ihr heute früh gegeben, und im Concert in D .... house als einzigen Schmuck auf ihrem schwar- zen Kleide erblickte, alle Guirlanden und Illumina- tionen des vorigen Tages weit überstrahlte. Das Concert endigte diesmal mit einem Ball, und auch hier glänzte die deutsche Walzerin über alle ihre Ri- valinnen, immer so anspruchlos, als bemerke sie keine ihrer Eroberungen. Wahrscheinlich, nie gab es noch einen Schalk, der sich kindlicher anzustellen verstand, und gewiß ist eine so liebliche Coquetterie der größte Reiz, wenn auch nicht das größte Verdienst der Frauen. Den 3ten. Es geht mir wie den Vögeln, die im Mai immer am liebendsten gestimmt sind, und zu verdenken ist es mir daher nicht, wenn ich in dieser Jahreszeit der flötenden Nachtigall nur mit klopfendem Herzen zu- hören kann. „Nun habe ich nur noch einen Tag,“ sagte sie gestern am Sonnabend, „nach welchem ich wohl län- ger als einen Monat nicht mehr frei seyn werde, und der ist morgen, in jeder Hinsicht mein Tag, wo ich noch einmal meinem Wunsche nach leben kann, dann bleibe ich auf lange, lange Zeit eine arme Sclavin!“ Ich schlug ihr schüchtern vor, an diesem Tage auf dem Lande mit mir zu essen, früh dorthin zusammen zu reiten, wozu ich mein Pferd als einen Phönix von Sanftmuth rekommandirte, Abends aber, um sie nicht zu sehr zu ermüden, zurück zu fahren, was sie nach vielen Bitten endlich genehmigte. O Natur, ländliche Freuden Auf diese paßte wahrscheinlich nicht, was ich einen liebens- wuͤrdigen Prinzen, dem die Ironie nicht fremd ist, einmal so ergoͤtzlich zu seinen Hofleuten sagen hoͤrte: Nur mit Ei- nem verschont mich, mit Euern laͤndlichen, schaͤndlichen Ver- gnuͤgungen und mit Euern haͤuslichen, scheuslichen Freuden! A. d. H. , wie schön seyd ihr, wie doppelt genießt man euch in solcher Gesell- schaft! Wir sollten die Sternwarte in Greewnitsch besehen, es blieb aber bei den zwei blauen Sternen in der Nähe, die hunderttausendmal magnetischer fun- kelten, als alle Welten der Milchstraße, und ich dankte innerlich von Herzen dem lieben Gott, daß wir gar nicht nöthig haben, mit Doctor Nürnberger nach dem Sirius und Jupiter zu reisen, um in Exstase zu ge- rathen, und gegen die Venus am Himmel sehr gleichgültig bleiben können, wenn wir viele Stunden lang uns in dem ungestörten Anschauen einer irdi- schen verlieren dürfen. Wir mußten, der bösen Welt und einer unbeque- men Ankunft wegen, die Sache etwas geheim betrei- ben. Die Pferde waren vorausgeschickt, ich ritt auf einem Klepper nach, und H. fuhr mit der guten Gou- vernante in einem Miethwagen nach dem Orte des Rendez-vous. Der gelbe Wagen ließ lange auf sich warten, und ich ängstete mich nicht wenig, daß etwas dazwischen gekommen seyn möchte. Es war auch so, aber ehr- lich hielt das liebe Mädchen ihr gegebenes Wort. Endlich sah ich den alten Kasten langsam auf uns zukommen, sprengte heran, hob die Liebliche auf ih- ren Zelter, und dahin flogen wir (denn sie reitet kühn wie ein Mann) in die duftende Mailuft hinaus, wie ein paar lustige Vöglein flatternd und kosend. Bis es dunkel ward, wurde geritten, umhergewan- dert, und dies und jenes besehen. Bei’m Schein der Lichter und Sterne zugleich aßen wir bei offnen Fenstern in dem Dir schon bekannten heimlichen Stüb- chen über dem Fluß, und erst um 11 Uhr in der Nacht nahm uns der Wagen wieder auf zur Heimfahrt. Wahr ist es, der Himmel schuf dieses Wesen aus ganz besonderem Stoff! Welche Mannichfaltigkeit und welche Grazie in jeder wechselnden Nüance! Scheu oder zutraulich, bös oder gut gestimmt, bou- dirend, hingebend, gleichgültig, sanft, spottend, ge- messen oder wild — immer ergreift sie, wie Schiller sagt, die Seele mit Himmelsgewalt! Und welche Selbstbeherrschung bei der höchsten Milde, welch fe- stes kleines Köpfchen, wenn sie will, wie viel Her- zensgüte, und dabei doch wie viel kecke Schlauheit! Sie ist geschaffen, den Männern zu gefallen, und auch alle Weiber lieben sie. Gewiß eine glückliche, eine eigenthümliche Natur. Aber, gute Julie, es ist Zeit, daß ich ende, nicht wahr? Du möchtest zuletzt gar denken, ich sey när- risch oder verliebt, oder beides zugleich. En vérité, pour cette fois ci je n’en repondrai pas. Den 8ten Mai. Seit einer Woche klingen mir die Ohren von drei bis vier Concerten jeden Abend, oder jede Nacht, wie man es hier richtiger nennt, die plötzlich zur wahren Rage geworden sind, von den Höchsten und Erlesensten bis zu allen Nobodys herab. Die Da- men Pasta, Caradori, Sontag, Brambilla, die Herren Zuchelli, Pellegrini und Curioni singen ewig dieselben Arien und Ductts, welche die Leute den- noch nie müde zu hören werden. Oft singen sie, ohne Zweifel vom ewigen Einerlei selbst ermüdet, äußerst nachläßig, doch darauf kömmt es hier gar nicht an. Die Ohren, welche sie hören, sind selten musikalischer Natur, sondern nur von der Fashion begeistert, und die, welche in der Foule den letzten Platz inne haben, unterscheiden gewiß oft kaum, ob ein Bassist oder die Primadonna eben an der Reihe ist, gerathen aber nichts desto weniger in Entzücken. Für die Künstler ist die Sache sehr einträglich. Die Sontag z. B. erhält in jeder Gesellschaft, wo sie sich mit irgend etwas hören läßt, und oft geschieht dies in drei bis vier verschiedenen an einem Abend, wenigstens 40 L. St., zuweilen 100. Die Pasta, deren Gesang mir noch lieber, grandiöser, tragischer ist, rivalisirt mit ihr, die andern, obgleich auch ver- dienstlich, stehen doch nur in zweiter Linie. Außerdem ist Mochel é s, Piris, die Gebrüder Boh- rer, enfin eine Heerde von Virtuosen hier, die, wie die Mücken dem Licht, alle dem englischen Golde zu- fliegen, ohne sich daran zu verbrennen, sondern im Gegentheil, was die weiblichen wenigstens betrifft, rechts und links oft neue Flammen erregen, die über- dies zuweilen noch mehr als das Künstlertalent einbringen. Die Concerte beim Prinzen Leopold sind in der Regel die angenehmsten, wo auch das unerträgliche Gedränge in einem großen Local mehr vermieden wird. Dieser Prinz ist weniger populär als er es verdient, weil die Engländer ihm den Ausländer nicht ganz verzeihen können. Den 9ten. Auf einem Spazierritt mit M … kamen wir zufäl- lig in einer reizenden Gegend nach Strawberryhill (Erdbeerhügel) einem von Horace Walpole gebauten Schloß, dessen er so oft in seinen Briefen erwähnt, und das man seitdem in nichts geändert und wenig bewohnt hat. Es ist der erste Versuch des Modern- gothischen in England, ganz im Clinquan-Geschmack jener Zeit, das Steinwerk in Holz nachgeahmt, gar Vieles — was glänzt ohne Gold zu seyn. Doch sieht man auch mehrere gediegnere Kunstschätze und manche Curiositäten. Zu den ersteren gehört unter andern ein prächtiges mit Juwelen besetztes Gebet- buch voll Zeichnungen Raphaels und seiner Schüler, zu den letzteren der Hut des Cardinals Wolsey, ein sehr ausdrucksvolles Portrait der Madame du Deffant, der blinden und geistigen Geliebten Walpoles, und ein Bild der berühmten Lady Montague in tür- kischer Kleidung. Da es in England Alles gibt, so fand ich heute sogar einen vornehmen Engländer, der in seinem Hause deutsche Sitten, deutsche Art der Bedienung, und deutschen Gesellschaftston nachzuahmen sucht. Es ist der Graf S …, der lange unser Vaterland in ziemlich bedrängten Umständen bewohnte, und mit einemmal ein ungeheures Vermögen ererbt hat. Nur die cramoisinfarbene Livrce seiner Leute mit cana- riengelben Inerpressibles und Strümpfen war im englischen Geschmack, sonst Alles deutsch im Hause, selbst die Eßstunde näher gerückt. Die lange Dauer des Din é s war mir in hohem Grade lästig, ich saß wie auf Nadeln, da man mich an einem Orte er- wartete, welcher mir dermalen theurer als Alles ist. Ohngeachtet meiner üblen Laune gewann mir doch wider Willen mein österreichischer Nachbar ein Lä- cheln ab, der ungeheuer trank, und als ich ihm noch mehr anbot, erwiederte: Nein, jetzt keinen Wein mehr, sonst werde ich excessiv und fange an zu stän- kern. Du verstehst besser Wienerisch als ich, ich brauche Dir daher die Meinung der Phrase nicht zu erklären. Den 16ten. Ich habe einige Tage auf dem Lande zugebracht und Epsom’s Wettrennen besucht. Die Scene war sehr belebt, alle Straßen voller flüchtig dahinrollen- der Equipagen, und ein großer grüner Hügel mitten in der Plaine, an dessen Saum das Wettrennen statt findet, so dicht mit tausend ausgespannten Wagen, und einem bunten Gewühl von Reitern und Fuß- gängern bedeckt, daß mir noch nirgends ein Volksfest malerischer erschien. Dies Bild fasse noch in den Rahmen einer recht lieblichen, wohl angebauten Landschaft, mit einem Himmel voll schwarzer Wolken, vielem Regen, und zwar sparsamen aber desto heisseren Sonnenblicken. Seit gestern bin ich zurück, um eine Gesellschaft beim Könige nicht zu versäumen, die heute statt fand, und zu der eine Einladung als eine bonne fortune angesehen wird. Die Idee von Hof muß man gar nicht damit verbinden, aber gewiß ist es, daß nir- gends das Ideal eines fashionablen Hauses je besser erreicht worden seyn mag. Jeder Comfort und jede Eleganz des Privatmannes ist auf die geschmack- vollste und gediegenste Weise mit der Pracht könig- licher Mittel verbunden, und der Monarch bekannt- lich selbst auf keinen Titel stolzer als auf den des ersten Gentleman in seinem Reiche. Den 30sten. Obgleich der ewige Taumel nur wenig Zeit übrig läßt, und man, einmal hineingerathen, nicht füglich mehr herauskann, wenn man auch kein Vergnügen darin findet, so gewinne ich doch von Zeit zu Zeit freie Augenblicke zu einsamerem und bleibenderem Genuß. So sah ich neulich eine höchst interessante Samm- lung vorzüglicher Gemälde, nur die Portraits merk- würdiger Individuen aus der englischen Geschichte enthaltend. Es war auffallend, wie sehr die meisten ihrem geschichtlichen Bilde in Zügen und Haltung entsprachen. Der berühmte Lord Burgleigh hatte überdem eine frappante Aehnlichkeit mit dem großen Staatskanzler Preußens, obgleich ihn sein Kopfputz sehr verstellte, der einer Altenweibermütze glich. Ja- kob der Erste, ergötzlich treu seinem Charakter, wie auch sein Gesandter, der originelle Ritter, der in seinen Memoiren so seltsam von sich selbst sagt, daß er überall Männern und Weibern gefallen, seine Na- tur aber auch keiner andern geglichen, indem ihn und alles ohne Ausnahme, was von ihm gekommen, stets eine Atmosphäre des angenehmsten, natürlichen Wohl- geruchs umduftet habe. Ein andres Cabinet enthielt moderne Gemälde in Wasserfarben, in welcher Kunstgattung die Englän- der eine besondere Fertigkeit erlangt haben. Man erstaunt über die Gluth und Tiefe der Färbung, die sie damit hervorbringen, besonders zeichneten sich ei- nige Landschaften Schottlands aus, als ein Sonnen- untergang in den Highlands, der Claude Lorrains Wahrheit erreichte, und die einbrechende Nacht über den Loch Lomond, ein Gedicht voller Romantik. Noch blieb mir Zeit zu einem weiten Spazierritt, auf dem ich, wie immer, nur dem Zufall mich ver- trauend, einen der reizendsten Parks auffand, wie sie nur Englands Clima realisiren läßt. Die Gär- ten mit unbeschreiblicher Blumenpracht lagen in ei- nem engen, äußerst fruchtbaren Wiesenthale, voll hoher Bäume, in welchen drei silberklare Quellen entspringen, und in mäandrisch sich windenden Bächen nach allen Richtungen zwischen unabsehbaren Dickich- ten von blühenden Rhododendron und Azalien hin- rauschten. Meine Freude an dergleichen wird nur immer durch das Bedauern getrübt, daß Du sie nicht mit mir theilen kannst. Dein feiner Geschmack würde tausend neue Ideen hier schöpfen, um nachher noch lieblichere Details hervorzubringen, soweit Localität und Mit- tel hinreichen, theils durch geschickte Anwendung der Blumenfarben, theils durch graziöse Formen, oder durch erhöhte Beleuchtung, welche sinniges Oeffnen und Verdecken so sehr zu steigern im Stande ist. Die angenehmen Erinnerungen dieses Morgens mußten den Rest des Tages übertragen, nämlich ein Din é bei Lady P …, dem größten weiblichen Gourmand in London, zwei Bälle bei einheimischer und aus- ländischer Diplomatie, und ein Concert bei Lord Grosvenor, welches zwar in einer Gallerie vortreff- licher Gemälde statt fand, die man aber bei solcher Gelegenheit nicht mehr als jede andere Tapete ge- nießen kann. Den 6ten Juni. Eines der gehaltreichsten Häuser für mich ist das eines vornehmen Schotten, Grafen von W …, dem Abkömmling in directer Linie von Macduff. In sei- ner Nüstkammer wird noch ein Ast, angeblich aus Birnams Wald , gezeigt, wahrscheinlich eine Re- liquie von der Qualität aller andern. Wer daran glaubt, wird selig! Die Familie ist höchst gebildet, und der schottische Sinn überhaupt dem deutschen näher verwandt als der englische. Von den liebenswürdigen Töchtern lernte ich eine neue Manier, Lieblinge aus dem Vö- gelgeschlecht in treuerer und dauerhafterer Copie auf- zubewahren als durch Ausstopfung. Die Federn werden ausgerupft, und nebst Schnabel und Klauen in der natürlichen Form auf starkes Velinpapier oder lakirtes Holz aufgeklebt, welches ein höchst ähnliches und keinem Verderben ausgesetztes Basrelief des Thieres abgibt. Carl X. brachte eine Zeit lang bei Lord W .... in Schottland zu, und hat ihm einen alten Haushof- meister zurückgelassen, der drollig genug gleich dem in der Pucelle: Bonneau heißt, und auch noch von je- ner fast ausgestorbenen Diener-Race der hommes de confiance ist, die man jetzt höchstens nur auf der Bühne antrifft. Als solcher, der im Hause nun schon 25 Jahre fungirt, darf er, gegen die englische Sitte, welche Dienern nie die geringste Annäherung anders Briefe eines Verstorbenen. IV. 24 als eben durch ihren Dienst erlaubt, zuweilen ein Wort mitsprechen, und ich fand wirklich nichts unter- haltender, als die Hof- und Gesellschaftserzählungen dieses alten Franzosen, dessen Welt eigentlich mit je- ner Zeit abgeschlossen wurde, so wie wir sie uns heutzutage kaum mehr denken können. Daß der ei- genthümliche Alte nur ein Haushofmeister ist, macht keinen Unterschied, denn er hat in seinem Leben bes- ser beobachtet, und vielleicht mehr von der großen Welt gesehen, als gar viele Vornehme. Als ich diesen Morgen Lady W. besuchte, hatte ei- ner ihrer Söhne, der in Südamerika reist, eben einen großen Transport merkwürdiger Sachen geschickt, worunter sich ein lebendes Löwenäffchen befand, mit Kopf und Mähne des Königs der Thiere bei einer Taille, die kaum die Größe einer Ratte erreicht. Statt des üblen Geruchs der Affen duftet dieser im Gegentheil nach Zimmt und Moschus, und parfumirt das ganze Zimmer wie ein Räucherkerzchen, gleich dem neulich erwähnten Ritter. Eine der vollständigsten Sammlungen Colibris boten Farben dar, wie sie nur die Sonne bei Auf- und Untergang am Himmel malt, eben so wie die reiche Schmetterlings-Sammlung mit mehrern ganz neuen Exemplaren. Unter andern Insekten sah ich hier zum erstenmal den sogenannten Stockkäfer, der den Uebergang zwischen dem Pflanzen- und Thier- reiche zu machen scheint. Er ist an sechs Zoll lang und von einem blätterlosen Ulmenzweig mit kleinen Nebenästen, welche durch die Füße gebildet werden, kaum zu unterscheiden. Nur der an der Spitze ver- borgne Kopf mit Fühlhörnern verräth ihn als ein organisches Wesen. Ich aß bei Lady F… zu Mittag, wo sich ein eig- ner Fall zutrug. Ihr Mann war früher Gouverneur auf Isle de France, und sie hatte dort von einer Negerin das angebliche Wahrsagebuch der Kaiserin Josephine gekauft, welches diese vor ihrer Einschif- fung nach Frankreich besessen, und daraus ihre künf- tige Größe und Fall gelesen haben soll. Lady F … producirte es beim Thee, und lud die Gesellschaft ein, nach dem vorgeschriebnen Modus Fragen an das Schicksal zu stellen. Nun höre die Antworten, welche es gab, und die in der That merkwürdig sind. Frau von Rothschild war die Erste, welche frug, ob ihre Wünsche erfüllt werden würden? Sie erhielt die Antwort: Ermüde das Schicksal nicht mit Wün- schen, wer so viel erlangt hat, muß zufrieden seyn. — Hierauf frug Herr Spring Rice, ein berühmter Par- lamentsredner und einer der eifrigsten Verfechter der Emancipation der Catholiken (eine Sache, die hier für alle Welt jetzt vom größten Interesse, für oder wider, ist), ob morgen, wo die Frage im Oberhaus für diesmal entscheiden wird, sie durchgehen würde? Nun muß ich hier einschalten, daß es schon bekannt ist, daß sie nicht durchgehen wird, man aber zu- gleich allgemein glaubt, daß sie beim nächsten Par- lament den gewünschten Erfolg haben müsse . Grade so nun lautete die lakonische Antwort des Buchs, 24* nämlich: Ihr werdet keinen Succeß haben, dies- mal . — Nun zwang man eine junge Amerikanerin zu fragen, ob sie sich bald verheirathen würde, wor- auf die Antwort war: Nicht in diesem Welttheil. — Jetzt kam die Reihe an mich und ich frug: ob, was mein Herz grade jetzt so lebhaft berühre, zu meinem Glücke sey? Laß diese Neigung fallen, erwiederte das Zauberbuch, denn Du wirst sehen, sie ist weder wahr noch beständig. Ob hierbei aber meine eigne oder die zu mir ge- meint sey, bleibt, wie alle Orakel, dunkel. Die Gesellschaft, welche natürlich keine Ahnung von meiner eigentlichen Meinung bei der Frage hatte, machte sich sehr lustig über die erhaltene Abfertigung, und verlangte, ich sollte noch eine thun. Ich frug also: Wird das Schicksal mir in ernsteren Plänen günstig seyn? Suche, war die Antwort, und Du wirst finden, beharre und Du wirst erreichen. Ohne zu suchen fand ich an demselben Abend noch eine sehr angenehme Bekanntschaft, indem ich der Herzogin von Meiningen, Mutter der Herzogin von Clarence, bei dieser vorgestellt ward, eine höchst lie- benswürdige Dame von ächt deutschem Character, der weder ihr Alter noch ihr Rang die naive Natür- lichkeit hat nehmen können, welche vielleicht das sicherste Zeichen einer reinen und schönen Seele ist. Die würdige Mutter einer so hoch verehrten Tochter, muß den Engländern, die ihrer künftigen Königin sehr anhängen, eine angenehme Erscheinung seyn, auch zeigte sich von allen Seiten das größte Em- pressement. Schade nur, daß es bei solchen Gelegen- heiten den englischen Damen, Vornehmen wie Gerin- gen in der Regel so sehr an graziöser Tournüre und geschickten Worten fehlt, um ein hübsches Total- schauspiel zu geben. Ein Drawingroom und eine Hofpräsentation sind hier immer so lächerlich, wie das Lever eines Bürgermeisters der weiland freien Reichsstädte unsers Vaterlandes, und aller Stolz und Reichthum der Aristokratie verschwindet in dem linkischen Embarras dieser mit Diamanten und Putz nicht geschmückten, sondern nur beladenen Ladies. Im Neglie é , und wenn sie ungenirt in ihrem Hause sich in gewohnter Umgebung bewegen, erscheinen junge Engländerinnen oft sehr vortheilhaft, in Pa- rüre und großer Gesellschaft aber fast nie, weil eine unbezwingliche und aller Grazie entbehrende Tumi- dität selbst ihre intellectuellen Eigenschaften so voll- ständig paralysirt, daß eine geistreiche Unterhaltung mit ihnen gewiß eine schwere Aufgabe wird. Ich halte sie daher auch unter allen Europäerinnen für die angenehmsten und comfortablesten Ehefrauen, so wie für die unfähigsten zu Repräsentation und Gesellschaft. Offenbar übersteigt bei diesem Urtheil das Lob den Tadel weit. Den 16ten. Heute wohnte ich einem interessanten Frühstück bei, welches der Tauben-Club gab. Diese Benen- nung bedeutet keineswegs, daß die Mitglieder sanft und ohne falsch, wie die Tauben, sich zu seyn be- fleißigen, sondern er besteht im Gegentheil aus der wildesten Jugend Englands, und die Tauben ha- ben nur in so fern etwas damit zu schaffen, als die Aermsten — todtgeschossen werden. Der Schauplatz war ein großer mit einer Mauer umschloßner Gras- garten. An der einen Seite befindet sich eine Reihe Zelte, in deren größtem eine gedeckte Tafel von 1—6 Uhr fortwährend frisch mit Speisen besetzt, und mit Cham- pagner und Moselwein in Eis rastlos garnirt ward. Ohngefähr 100 Schützen nebst einigen Gästen waren gegenwärtig, und die ganze Zeit über schoß, aß und trank man abwechselnd. Die Tauben werden, immer acht an der Zahl, in einer Reihe aufgestellt. An den Kästchen, die sie beherbergen, sind Stricke befestigt, welche alle acht am Schießstand zusammenlaufen, und so eingerichtet sind, daß, wenn man an einem derselben zieht, das betreffende Kästchen aufklappt und die Taube herausfliegt. Der, welcher zuletzt geschos- sen hat, zieht für den nächsten Schützen, aber hinter ihm stehend, so daß jener nicht sehen kann, welchen Strick er zieht, daher auch ganz unvorbereitet und ungewiß ist, welche der acht Tauben auffliegen werde. Fällt die Taube noch innerhalb der Einzäunung nach sei- nem Schuß, so wird sie ihm angerechnet. Kömmt sie hinaus, so wird es als gefehlt angesehen. Jeder Schütze hat eine Doppelflinte, und darf beide Läufe gebrauchen. Die beiden berühmtesten Schützen in England sind Capitän Roos und Mr. Osbaldistone. Beide schossen eine Wette um 1000 L. St., die aber heute noch nicht entschieden wurde. Beide fehlten kein einziges Mal, und Cap. Roos Taube kam nie 12 Schritte weit, flatterte auch kaum, sondern fiel fast immer mit dem Schuß sogleich wie ein Stein zur Erde. Nie habe ich so unbegreiflich gut schießen sehen. Ein hübscher kleiner Hühnerhund des Clubs apportirte jede Taube, wie eine Maschine seinen Dienst stets ohne Fehl und ohne Uebereilung verrichtend. Zuletzt schoß die ganze Gesellschaft noch um einen goldnen Becher, 200 L. St. an Werth, den jährlichen Preis, den Capitain Roos gewann. Um 7 Uhr kam ich erst von diesem lustigen Frühstück fort, und begab mich in ein mir noch unbekanntes Theater, Sadlers Wells genannt, welches gute drei Viertel deutsche Meilen von mei- ner Wohnung entfernt ist. Ich war in einem Fiacre hingefahren, und als ich gegen 1 Uhr wieder zu Haus wollte, fand sich in diesem entlegenen Winkel kein Miethwagen mehr, und auch alle Häuser waren geschlossen. Dies war um so unangenehmer, da ich wirklich keine Idee davon hatte, in welchem Theile der Stadt ich mich befand. Nachdem ich eine halbe Stunde vergeblich in den Straßen umhergeirrt war, um einen Wagen aufzu- treiben, und schon mich resignirte, mit Hilfe eines Watchman (Nachtwächter) zu Fuß nach Hause zu wan- dern, kam noch eine Diligence gefahren, die glückli- cherweise grade meinen Weg einschlug, und mit der ich daher gegen 2 Uhr wieder bei den Hausgöttern anlangte. — Dieses Theater hat das Eigenthümliche, daß es unter wirkliches Wasser gesetzt werden kann, in welchem Element die Schauspieler oft Stunden lang gleich Wasserthieren umherplätschern. Uebrigens geht nichts über den Unsinn der hier aufgeführten Melodrame, und über den horriblen Gesang, von dem sie begleitet werden. Den 20sten. Man hat noch einen Fancyball arrangirt, der mir aber nur einen traurigen Eindruck zurückließ. Ich bemerkte einen blassen, in einen einfachen schwarzen Domino gehüllten Mann, in dessen Gesicht ein un- nennbarer Zug des bittersten Seelenleidens schmerz- lich anzog. Er blieb nicht lange, und als ich mich bei L. nach ihm erkundigte, gab dieser mir folgende Auskunft: Dieser beklagenswerthe Sterbliche, Obrist S …, sagte er, würde den Helden zu einem schauer- lichen Roman abgeben können. Wenn man von Je- mand sagen kann, er sey unglücklich geboren, so ist er es. Sein großes Vermögen verlor er früh durch den frauduleusen Banquerott eines Freundes. Hun- dertmal kam ihm seitdem das Glück entgegen, aber immer nur, um ihn im entscheidenden Augenblick mit dem Verschwinden aller Hoffnung zu äffen, und fast jedesmal waren es nur die unbedeutendsten Kleinig- keiten, ein verspäteter Brief, eine leicht mögliche Ver- wechselung, ein unheilbringendes Unwohlseyn, an denen alles scheiterte, scheinbar sogar immer seine eigne Schuld, und doch nur das Gewebe hohnlachen- der, tückischer Geister. So beginnt er schon lange nichts mehr, um seine Lage zu ändern, fuhr L. fort, versucht keine Besse- rung seines Schicksals, im Voraus durch lange, grausame Erfabrung überzeugt, daß ihm nichts ge- lingen könne . Ich kenne ihn von Jugend auf. Obgleich harmlos wie ein Kind, hält ihn doch ein großer Theil der Welt für böse; obgleich einer der aufrichtigsten Menschen, für falsch und intriguant; ja man vermeidet und scheut ihn, obgleich nie ein Herz wärmer für das Wohl Anderer schlug. Das Mädchen, das er anbetete, ward durch seine vermeinte Untreue zur Selbstmörderin, er selbst befand sich in Folge unerhörter Umstände lange in Untersuchung wegen des Mordes seines Bruders, neben dem er, sein eignes Leben für jenes Vertheidigung opfernd, blu- tend gefunden ward. Schon zum Strange verur- theilt, rettete ihn vom schimpflichen Tode allein des Königs Vegnadigung, der erst später die Beweise seiner Unschuld folgten. Eine Frau endlich, die er in Folge eines schändlichen lange vorbereiteten Betruges heirathete, lief mit einem andern davon, und wußte es dennoch dahin zu bringen, daß in der Welt nur ihm der größte Theil der Schuld beigemessen ward. Vor der Zeit so in jedem Selbstvertrauen geknickt, jeder Hoffnung auf das Schicksal wie auf die Men- schen abgestorben, lebt er unter ihnen nur noch wie ein theilnahmloser abgeschiedner Geist, ein herzzer- reissendes Beispiel, daß es Wesen gibt, die, für die- ses Leben wenigstens, dem Teufel schon vor der Ge- burt verkauft gewesen zu seyn scheinen. Denn wen der Fluch des Unglücks einmal getroffen, dem schafft er nicht nur Feinde auf jedem Schritt, sondern raubt ihm auch das Zutrauen und zuletzt das Herz der Freunde, bis endlich der Arme, überall Getretne, Ge- stoßne und Gemißhandelte daniedersinkend, sein wun- des müdes Haupt hinlegt und stirbt, während sein letzter Seufzer noch der mitleidslosen Menge, als eine Anmassung und ein unerträglicher Mißton er- scheint. Wehe den Unglücklichen ! Dreimal wehe ihnen! denn für sie gibt es weder Tugenden, noch Klugheit, noch Geschick, noch Freude. — Es gibt nur ein Gutes für sie, und das ist der Tod! Den 25sten. Im Ganzen hat es doch etwas Angenehmes, jeden Tag über so viele Einladungen disponiren, und wo es einem nicht gefällt, sogleich eine besser conveni- rende Gesellschaft aufsuchen zu können. Hie und da findet sich dann doch immer etwas Neues, Pikantes oder Interessantes. So machte ich gestern beim Prinzen L… die Bekanntschaft einer zweiten Ninon de l’Enclos. Lady A .... hält gewiß Niemand für mehr als 40, dennoch ist sie nahe an 80. Nichts an ihr erscheint gezwungen noch unnatürlich, dennoch alles jugendlich, Taille, Anzug, Lebhaftigkeit des Benehmens, Grazie und Schnellkraft der Glieder, soweit dies auf einem Balle zu bemerken ist, Alles ist vollkommen jung an ihr, und im Gesicht kaum eine Runzel. Sorgen hat sie sich nie gemacht, und von Jugend auf sehr lustig gelebt, ist auch zweimal ihren Männern davon gelaufen, weßhalb sie lange England mied, und ihr großes Vermögen in Paris verzehrte. Alles zusammengenommen, eine allerliebste Frau, in ihrem Benehmen mehr Französin als Eng- länderin und ganz du grand monde. In der Toi- lettenkunst hat sie große Studien und scharfsinnige Erfindungen gemacht. So viel ich davon erlauschen konnte, werde ich gerne Dir und allen meinen schö- nen Freundinnen mittheilen. Am nächsten Tage gab der Herzog von S. auf seiner Villa ein dejeuné champêtre, bei dem er es doch möglich gemacht hatte, noch etwas Neues für dergleichen Feten zu erfinden. Sein ganzes Haus war mit schönen Hautelisse und bunten chinesischen Tapeten behangen, eine Menge Meubles, Sophas, Fauteuils, Chaises longues, Spiegel ꝛc. im Garten überall, wie in mehreren Salons und Cabinets ver- theilt, und außerdem kleine Lager von Zelten, aus weiß und Rosa-Mousselin angebracht, die sich in dem Smaragdgrün des pleasure grounds herrlich aus- nahmen. Abends folgte, wie gewöhnlich, eine Illumination, größtentheils nur mit einzelnen Lampen kunstreich in den Bäumen und Büschen verborgen, gleich so viel glühenden Früchten und Johanniswürmchen, die Liebenden und die Einsamen anzulocken. Aber auch diejenigen, welche Geräusch den stillen Freuden vor- ziehen, fanden Befriedigung. Hier tanzte in einem weiten Zelte, zu dem ein Weg von glänzend erhell- ten Bögen aus Nosenguirlanden führte, ein großer Theil der Gesellschaft, dort erschallte ein vortreffliches Concert, ausgeführt von den besten Virtuosen und Sängern der italiänischen Oper. Auch italiänisches Wetter begünstigte glücklicherweise vom Anfang bis zum Ende dieses Fest, welches der kleinste neckende Geist der Atmosphäre hätte vernichten können. In England war das ganze Unternehmen daher wohl ein Wagstück zu nennen, und doch findet man gerade diese Art Feten hier häufiger und schöner als irgendwo, wie der unfruchtbarste Boden oft der cultivirteste ist. Ich habe mich nun so eingerichtet, daß ich in spä- testens 4 Wochen England verlassen kann, um eine Reise von etwas längerer Dauer nach Wales, und besonders nach Irland zu machen, welches letztere nach so Vielem, was ich davon höre, weit mehr Interesse wie Schottland bei mir erregt. Doch thut es mir leid, daß Krankheit zuerst, und die Zerstreuungen der Hauptstadt nachher, mich um den Anblick jenes Lan- des gebracht haben. Es ist eine Vernachlässigung, die ich in mein Sündenbuch mit aufnehmen muß, das leider so viele dergleichen enthält, unter dem Ar- tikel: Indolenz — ein abscheulicher Feind der Men- schen! Gewiß hatte jener französische Marschall, der zu Ludwig XIV. , für Parvenüs so ungünstigen Zeit, sich dennoch vom gemeinen Soldaten bis zu der höch- sten Würde seines Standes emporschwang, als er ei- nigen Freunden, die ihn fragten, wie ihm dies mög- lich geworden, antwortete: „Nur dadurch, daß ich nie bis morgen aufschob, was ich heute thun konnte . Fast in dasselbe Kapitel gehört die Unentschlossenheit, auch ein Erbfeind so vieler Men- schen, die ein noch berühmterer Marschall, Souva- roff, so sehr haßte, daß er, in der Uebertreibung sei- nes Charakters, denen sogleich seine Gunst entzog, die ihm je auf eine Frage erwiederten: „Ich weiß nicht.“ Non mi ricordo, geht schon eher an, und meinen Grundsätzen gemäß wende ich dies besonders auf alle besagten Sünden an, wenn sie einmal geschehen sind. Man muß es sich täglich wiederholen: die Vergan- genheit ist todt, nur die Zukunft lebt. Möge sie uns, meine geliebte Julie, immer gün- stig erscheinen. Dein treuer L. Vier und zwanzigster Brief. Cobhamhall, den 30sten Juni. Geliebte Freundin! Nachdem ich meinen Brief an Dich abgeschickt hatte, und dann mit einigen Damen eine Landparthie ge- macht, fuhr ich auf eine Assemblee beim Herzog von Clarence, wo diesmal ein solches ächt englisches Ge- dränge war, daß es mir, wie vielen Andern, durch- aus nicht gelang, hereinzukommen, und wir nach einer halben Stunde unverrichteter Sache wieder ab- ziehen mußten, um uns auf einem andern Balle zu entschädigen. Die Masse im ersten Zimmer wurde so zusammengepreßt, daß mehrere Herren ihre Hüte aufsetzten, um nur besser mit den Armen arbeiten zu können. Mit Juwelen bedeckte Damen wurden sörm- lich nieder gebort, und fielen oder standen vielmehr in Ohnmacht. Schreien, Stöhnen, Fluchen und Seufzen waren die einzigen Töne, die man vernahm. Einige nur lachten, und so unmenschlich es war, muß ich mich doch anklagen, selbst unter diesen letztern gewe- sen zu seyn, denn es war doch gar zu spaßhaft, so etwas Gesellschaft nennen zu hören. In der That hatte ich es aber auch so arg bisher noch nicht erlebt. Früh am andern Morgen ritt ich nach C … hall, um einige Tage dort zuzubringen, auf eine Einla- dung zu Lord D. Geburtstag, der heute ländlich und anspruchslos gefeiert wurde. Die Familie befand sich, ausser mir, ganz allein noch durch den ältesten Sohn mit seiner schönen und lieblichen Frau ver- mehrt, welche gewöhnlich in Irland residiren. Häus- lichkeit war überall an der Tagesordnung. Man aß früh, um gegen Abend dem Soup é im Freien bei- wohnen zu können, welches Lord D . . . . allen sei- nen Lohnarbeitern gab, ohngefähr 100 an der Zahl. Es ging dabei höchst anständig zu. Wir saßen im pleasure ground am eisernen Zaun, und auf der ge- mähten Wiese waren die Tische für die Leute gedeckt. Erst bekamen ohngefähr 50 junge Mädchen aus der Lankaster’schen Schule, die Lady D . . . . im Park gestiftet, Thee und Kuchen. Alle waren egal ange- zogen, und mitunter recht hübsch, Kinder von 6 — 14 Jahren. Nach diesen erschienen die Arbeiter und setz- ten sich an eine lange Tafel, die reichlich mit unge- heuern Schüsseln voll Braten, Gemüse und Pudding besetzt war. Jeder brachte sein Besteck und seinen irdenen Becher selbst mit. Die Diener des Hauses legten vor, machten überhaupt die Honneurs und schenkten das Bier aus großen Gartengießkannen ein. Die Musikanten des Dorfes musicirten dazu, und zwar weit besser als die unsrigen, waren auch weit besser angezogen, dagegen die Arbeiter nicht so gut und reinlich aussahen, als unsre Wenden in ihrer Sonntagstracht. Es waren durchaus nur diejenigen Bewohner des Dorfs und der Umgegend eingeladen, die fortwährend für Lord D . . . . arbeiten, sonst Niemand. Die Gesundheiten aller Mitglieder der Familie des Lords wurden mit neunmaligem Hurrah- geschrei sehr förmlich getrunken, worauf unser alter Kutscher Child (jetzt in Lord D . . . . s Dienst) der eine Art englischer Improvisatore ist, mitten auf den Tisch stieg, und eine höchst possirliche Rede in Versen an die Gesellschaft hielt, in der auch ich vorkam, und zwar indem er mir wünschte to have allways plenty of gold and never to become old, (immer genug Geld zu haben und nie alt zu werden) was der doppelten Unmöglichkeit wegen fast satyrisch klang. Während dieser ganzen Zeit, und bis es dunkel ward, tanzten und hüpften die kleinen Mädchen un- ter sich mit großer Gravität auf dem Rasen, ohne irgend einen Zusammenhang, wie Marionetten, rast- los umher, die Musik mochte schweigen oder spielen. Unsere Gesellschaft im pleasure ground ward endlich auch von dieser Tanzlust angesteckt, und ich selbst gezwungen, mein deßhalbiges Gelübde zu brechen, was ich meiner Tänzerin, der 60jährigen Lady D …, ohnmöglich abschlagen konnte. Den 4ten Juli. Lange habe ich mich nicht so gut amüsirt als hier. Am Tage mache ich in der schönen Gegend Excursio- nen, oder fahre in Lady D … s Phaeton und Ein- spänner ohne Weg und Steg in den Wiesen und dem Hohlwalde des Parks umher, und auch Abends nehme ich, wie Jeder, nicht mehr Theil an der Ge- sellschaft als mir gefällt. Gestern saßen wir so Alle (9 Personen) wohl ein paar Stunden lang nach dem Essen in der Bibliothek gemeinschaftlich zusammen, und lasen, jeder aber, versteht sich, sein eignes Buch, ohne daß ein einziges Wort die Lectüre unterbrochen hätte, über welches peripathetische Stillschweigen wir doch zuletzt selbst lachen mußten, eingedenk des Eng- länders, welcher in Paris behauptete, que parler c’était gàter la conversation. Nachdem ich am ersten Tage die erwähnte Lanka- ster’sche Schule besichtigt hatte, wo eine einzige Per- son 60 Mädchen unterrichtet, die aus der Umgegend, so weit sie dem Lord gehört, täglich auf 4 Stunden hierherkommen, ritt ich nach Rochester, um die Rui- nen des dortigen alten Schlosses zu besehen, ein schö- ner Ueberrest des Alterthums. Was nicht mit Ge- Briefe eines Verstorbenen. IV. 25 walt zerstört wurde, steht noch felsenfest seit Wilhelm des Eroberers Zeiten, also mehr als 800 Jahre. Be- sonders schön sind die Ueberreste des Eßsaals mit colossalen Säulen, verbunden durch reich verzierte sächsische Bogen. Die Stein-Ornamente wurden alle in der Normandie gearbeitet und zu Wasser herge- sandt. Ich erstieg die höchste Spitze der Ruine, wo ich eine herrliche Aussicht fand, auf die Vereinigung der beiden Flüsse Medway und Themse, die Städte Rochester und Chatham nebst den Dock-Yards in der letzten, und einer reich bebauten Umgegend. Zum Din é bekam unsere Gesellschaft einen Zuwachs durch Mr. und Msts. P …, Mr. M . . . . und einen Neffen Lord D . . . . s; Msts. P … er- zählte eine gute Anekdote vom Schauspieler Kemble. Auf einer seiner Kunstreisen in der Provinz spielte dieser in einem Stück, worin ein Kameel vorkömmt. Er sprach deßhalb mit dem Decorateur und äusserte: daß gerade, wie er heute gesehen, ein Kameel in der Stadt sey — der Decorateur möge sich es daher an- sehen, um sein artificielles Thier demselben so ähn- lich als möglich zu machen. Der Mann schien hier- über sehr verdrüßlich und erwiederte: es thäte ihm leid, daß die Herren von London glaubten, in der Provinz sey man so gar unwissend; was ihn beträfe, so schmeichle er sich, ohne weitere Inspektion, heut Abend ein natürlicheres Kameel herzustellen, als irgendwo eins in der Stadt umhergehen könne. Am folgenden Tage wurde abermals, und zwar diesmal in Gesellschaft der Damen, ausgeritten, und später, nach dem Luncheon, eine Wasserfahrt auf Lord D . . . . s eleganter Jacht gemacht. Bis zur Themse fuhr ich die Gesellschaft four in hand, was ich in der letzten Zeit so wenig geübt habe, daß an einem Kreuzwege meine leaders (Vorderpferde) mit ihren Köpfen wider meinen Willen in das Innere einer quer vorbeieilenden Diligence geriethen, und dadurch in beiden Wägen, sowohl vor als hinter mir, einige Schreie des Schreckens hervorriefen, was den alten Child, der mich als seinen Schüler ansieht, sehr entrüstete. An einem Tage verlor ich so, wie der große Corse, all meinen Ruhm in der großen Kunst, die Zügel zu führen, die man vom Throne regieren, vom Bocke fahren nennt. Ich mußte daher auch den letz- teren abdiciren, weil die Damen behaupteten, daß ihr Leben, während ich diesen Platz einnähme, in zu großer Gefahr schwebte. Dieß verdroß mich so sehr, daß ich, auf der Jacht angekommen, sogleich die Strickleitern hinaufklet- terte, und im Mastkorbe blieb, wo ich, von einem lauen Zephyr gefächelt, gemächlich die stets sich än- dernde Aussicht bewundern, und über meinen tiefen Sturz philosophiren konnte. Den 5ten. Nachdem ich heute noch fleißig geholfen, einige neue Prospekte im Gebüsch auszuhauen, woran wir Alle Hand legten, und einen Weg im Park angegeben hatte, dem man die Ehre anthun will, ihn nach mir zu benennen, nahm ich herzlichen Abschied von dieser vortrefflichen Familie, die den Vornehmen jedes Lan- des zum Muster dienen könnte, und kehrte, versehen mit mehreren Empfehlungsbriefen für Irland, nach London zurück. Den 8ten. Da ich vor meiner Abreise Dir noch vielerlei mit meinen Pferden, Wagen und Vögeln (von den letz- tern erhältst Du einen ganzen Transport der selten- sten) zusenden will, so habe ich dieser Tage mit aller- lei Einkäufen viel zu thun gehabt. Während dem gerieth ich auf die Ausstellung des Gewerbfleißes, wo man gar manches Interessantes sieht, als z. B. eine Maschine, die alle im Gesichtskreis befindlichen Dinge perspektivisch, so zu sagen, von selbst zeichnet; ein Fortepiano, das, ausser zu dem gewöhnlichen Gebrauche zu dienen, auch noch hundert Stücke extra allein spielt, so daß man diese mit eignen Phanta- sieen auf den Tasten begleiten kann; ein sehr com- pendieuser Haustelegraph, der die Bedienten mehr als zur Hälfte, und ihre lästige Anwesenheit fast ganz erspart; eine Waschmaschine, die für die größte Menge Wäsche doch nur eine Gehülfin braucht; eine höchst elegante Buttermaschine, um sich in Zeit von zwei Minuten die Butter selbst beim Frühstück zu verfer- tigen, und mehr andere Neuigkeiten dieser Art. Von hier fuhr ich nach der größten Nursery (Han- delsgarten) in der Umgegend Londons, welche ich schon lange zu sehen gewünscht. Die mannichfachen Bedürfnisse so vieler reicher Leute bringen hier Pri- vatunternehmungen von einem Umfang hervor, wie man sie sonst nirgends antrifft. So fand ich in die- sem Garten eine Sammlung Gewächshäuser von je- der Größe. Bei vielen waren schmale bleierne Röh- ren, längs dem Rahmen des Glasdaches hin ange- bracht, ohngefähr drei an jeder Seite des Daches. In diese Röhren sind ganz schmale Löcher gebohrt, nach Verhältniß ihrer Höhe vom Boden. Das bloße Drehen eines Hahnes füllt die Röhren mit Flußwas- ser, und in demselben Augenblick entsteht im ganzen Hause ein dichter Regen, gleich dem natürlichen, den man anhalten läßt, so lange man will. Dies macht das beschwerliche Begießen fast ganz unnöthig, wirkt viel kräftiger und gleichförmiger ein, und nur, wo zu dichte Blätter vielleicht dem Regen undurchdring- lich sind, wird nachgeholfen. Gegen Schloßen fand ich folgende einfache Vor- richtung. Auf dem Forst des Glasdaches, wie auf den beiden Seitenmauern sind eiserne Spitzen befe- stigt, und zwei Fuß über dem Glase zusammenge- rolltes Segeltuch an sie befestigt. Kommen Schloßen, so wird durch eine leichte und schnelle Vorrichtung dieses Segeltuch, vermittelst angezogener Schnüre, stramm aufgespannt, so daß es gleichsam ein doppel- tes Dach bildet, und alle Schloßen davon abprallen müssen, ohne das Glas berühren zu können. Ohne mich in das Detail der unzähligen Ananas- sorten, Rosen ꝛc. einzulassen, bemerke ich nur, daß im Departement der Gemüse 435 Arten Sallat, 261 Erbsen und 240 Kartoffeln zu haben waren, und so fort im gleichen Verhältniß fast mit allen Gegen- ständen des Gartenhandels. Auf dem Rückwege begegnete ich den Tyrolern, die sich einen freien Tag gemacht hatten, und frug das Mädchen, meine alte Bekannte, wie sie denn alle mit ihrem hiesigen Aufenthalt zufrieden wären? Sie versicherten enthusiastisch, „daß ihr Heiliger sie hier- her geführt haben müsse, denn wenige Monate hät- ten ihnen nun schon 7000 L. St. eingebracht, die sie sich baar mit ihren zwölf Liedern ersungen.“ Der Fürst Esterhazy hat dies Gejodle hier Mode gemacht, und Mode ist hier Alles. Die Sontag und Pasta, ohngeachtet ihres herrlichen Talents, haben doch eigentlich auch nur diesem Umstande: daß sie Mode wurden, ihr Glück in London zu verdanken; denn Weber, der sich zu diesem Ende nicht zu beneh- men wußte, erhielt bekanntlich fast nichts, die beiden Bohrer, Kiesewetter, deßgleichen, und mehrere An- dere von großem Verdienste waren nicht glücklicher. Indem ich von der Mode rede, wäre es wohl ge- rade hier passend, mich vor meinem Abgange aus England noch einmal etwas weitläuftiger über das Wesen der dortigen Gesellschaft auszulassen, das al- lerdings einen Fremden noch mehr als Nebel, Dampf- maschinen und Postkutschen in diesem gelobten Lande auffallen muß. Es ist wohl nicht nöthig, hier erst zu bemerken, daß bei solchen allgemeinen Schilderun- gen nur das Vorherrschende ins Auge gefaßt wird, und bei dem Tadel, den das Ganze trifft, der hun- dert ehrenvollen Ausnahmen, die so vollkommen das lobenswertheste Gegentheil aufstellen, nicht gedacht werden kann. England befindet sich, allerdings mit Berücksichti- gung eines ganz verschiedenen allgemeinen Zeitgeistes, dennoch in einer ähnlichen Periode wie Frankreich, 30 Jahre vor der Revolution. Es wird ihr auch wie jenes verfallen, wenn es ihr nicht durch radi- kale, aber successive Reform entgeht. Nah verwandte Grundübel sind hier vorhanden, wie dort. Auf der einen Seite: Uebermacht, Mißbrauch der Gewalt, versteinerter Dünkel und Frivolität der Großen; auf der andern zum allgemeinen Nationalcharakter ge- wordner Egoismus und Habsucht beim ganzen Volke. Die Religion ruht nicht mehr im Herzen und Ge- müth, sondern ist eine todte Form geworden, trotz dem ungebildetsten Katholicismus, mit weniger Ce- remonien, aber mit gleicher Intoleranz und einer gleichen Priesterhierarchie verbunden, die jedoch, aus- ser ihrer Bigotterie und ihrem Stolz, noch das vor- aus hat, daß sie das halbe Vermögen des Landes besitzt. Es ist höchst auffallend, daß englische Schriftsteller sich auf alle Weise abmartern, um auszumitteln, worin der Grund der unermeßlichen Armentaxen, und des immer künstlicher und drohender werdenden Zustandes der arbeitenden Klassen in Großbritannien bestehe, und wie ihm abzuhelfen sey, zu welchem letzteren Ende Einige sogar systematische Menschen- ausfuhr, wie die von baumwollenen Zeugen und Stahl- waaren, nebst Gouvernements-Prämien dafür empfehlen — da doch das wahre augenblickliche Heilmittel so nahe liegt, — es bedürfte weiter nichts als Aufhebung des Zehnten, der überdieß, weil er mit der vermehrten Cultur steigt, die alleinige Ursache ist, daß in England selbst noch ungeheure Strecken eines Bodens, den man bei uns gut nennen würde, wüste liegen bleiben, indem Niemand sein Capital und seinen Schweiß blos für die Pfaffen hergeben will. A. d. H. Diese Ursachen haben auch dem, was man vor- zugsweise Gesellschaft nennt, eine analoge Richtung geben müssen. Die Erfahrung wird dies Jedem be- stätigen, der Gelegenheit zur näheren Beleuchtung des high life in England findet, und höchst interes- sant wird es ihm seyn, zu beobachten, wie verschie- den dieselbe Pflanze sich in Frankreich und bei John Bull durch die Verschiedenheit des Urgrundes ausge- bildet hat; denn in Frankreich entwickelte sie sich mehr aus dem Ritterthume und seiner Poesie, nebst einer allerdings in der Nation dominirenden Eitelkeit, ver- bunden mit leichtem Sinn und einer wahren Freude an der Socialität; in England dagegen aus einer brutalen Vasallenherrschaft, dem spätern Handels- glück, angeborner übler Laune des Volkes und einer von jeher ziemlich versteinerten Selbstliebe. Man bildet sich gewöhnlich im Auslande eine mehr oder weniger republikanische Ansicht von der engli- schen Gesellschaft. In dem öffentlichen Leben der Nation ist dieses Prinzip allerdings sehr bemerkbar, und wird es immer mehr; eben so in der Art ihrer Häuslichkeit, wo zugleich auch der Egoismus seltsam vorherrscht. Erwachsene Kinder und Eltern werden sich schnell fremd, und was wir Häuslichkeit nen- nen, ist daher hier bloß auf Mann und Frau und kleine Kinder anwendbar, so lange diese in der un- mittelbaren Abhängigkeit vom Vater leben. Sobald sie größer werden, tritt sogleich republikanische Kälte und Trennung zwischen ihnen und den Eltern ein. Ein englischer Dichter behauptet sogar: die Liebe der Großväter zu ihren Enkeln entstehe blos daher, weil sie in ihren erwachsenen Söhnen nichts anders als begierige und feindliche Erben sähen, in ihren En- keln aber wiederum die künftigen Feinde ihrer Feinde liebten. Ein solcher Gedanke selbst konnte nur in einem englischen Gehirne entstehen! In den gesellschaftlichen Verhältnissen dagegen ist von oben bis auf die untersten Stufen herab auch nicht eine Spur republikanischer Elemente anzutreffen. Hier ist Alles im höchsten Grade mehr als aristokra- tisch, es ist castenartig indisch. Eine andere Ausbil- dung der heutigen sogenannten großen Welt würde vielleicht noch statt gefunden haben, wenn in Eng- land ein Hof, im Continentalsinne, Ton und Rich- tung in höchster Instanz angegeben hätte. Ein solcher ist aber hier nicht vorhanden. Die eng- lischen Könige leben als Privatleute, die meisten Hof- chargen sind fast nur nominell, vereinigen sich höchst selten, nur zu großen Gelegenheiten, und da sich doch irgendwo in der Gesellschaft ein Focus organisiren muß, von dem das höchste Licht und die höchste Au- torität fortwährend ausstrahlt, so schien die reiche Aristokratie berufen, diese Stelle einzunehmen. Sie war aber, bei aller ihrer Macht und Reichthum, den- noch nicht allein im Stande, diesen Platz vollständig zu behaupten. Der englische Adel, so stolz er ist, kann sich doch an Alter und Reinheit, wenn solchen Dingen einmal Werth beigelegt werden soll, nicht exclusiv nennen, kaum mit dem französischen, durch- aus aber nicht mit dem höheren, großentheils in Takt gebliebenen Deutschen messen. Er blendet nur durch die weislich immer beibehaltenen alten histori- schen Namen, die wie stehende Masken durch die ganze Geschichte Englands durchgehen, obgleich im- mer neue Familien und oft solche, die von ganz ge- ringen Leuten, oder Maitressen ꝛc. abstammen, da- hinter stecken. Englands Adel hat freilich die soli- desten Vorzüge vor dem anderer Länder, durch seinen reellen Reichthum, und noch mehr durch den Antheil an der Gesetzgebung, den ihm die Verfassung ein- räumt; da er aber im gesellschaftlichen Leben nicht deßhalb, sondern gerade nur vom affi- chirten edleren Blute und höherer Ex- traction seinen Hochmuth hernehmen und beur- kunden will, so ist allerdings die Prätension doppelt lächerlich. Man fühlte dies vielleicht instinktmäßig, und so wurde durch stillschweigende Uebereinkunft als unum- schränkte Herrscherin nicht die Aristokratie, nicht das Geld (denn da die Aristokratie eben so reich als die Industrie ist, so konnte die höchste Gewalt unmög- lich auf diese übergehen) sondern eine ganz neue Macht: die Mode — auf den Thron gestellt, eine Göttin, die nur in England wahrhaft personell, wenn ich mich so ausdrücken darf, despotisch und unerbittlich herrscht, immer aber durch einige geschickte Usurpatoren beider Geschlechter sinnlich repräsentirt wird. Der Castengeist, der sich von ihr herab jetzt durch alle Stufen der Gesellschaft mehr oder weniger er- streckt, hat hier eine beispiellose Ausbildung erhalten. Es ist hinlänglich, einen niederern Kreis vertraut be- sucht zu haben, um in dem auf der Leiter immediat folgenden gar nicht mehr, oder doch mit großer Kälte aufgenommen zu werden, und kein Bramine kann sich vor einem Paria mehr scheuen, als ein anerkann- ter Erclusiv vor einem Nobody. Jede Gesellschafts- art ist von der andern getrennt, wie ein englisches Feld vom andern, durch Dornhecken. Jede hat ihre eignen Manieren und Ausdrücke, ihren cant, wie man es nennt, und vor allem eine vollkommen Ver- achtung für alle unter ihr stehenden. Man sieht auf den ersten Blick hieraus, daß die Natur einer sol- chen Gesellschaft höchst kleinstädtisch in ihren einzelnen Cotterien werden muß, was sie gar sehr von der Pariser unterscheidet. Obgleich nun die Aristokratie, wie ich bemerkte, als solche nicht an der Spitze dieses seltsamen Gan- zen steht, so übt sie doch den größten Einfluß darin aus. Es ist sogar schwer, fashionable zu werden ohne vornehmer Abkunft zu seyn, aber man ist es auch noch lange nicht, wenn man vornehm, noch weniger, weil man reich ist. So ist es beinahe lächerlich, zu sagen, aber doch wahr, daß z. B. der jetzige König, Georg IV. , höchst fashionable ist, der vorige es nicht im Geringsten war, und keiner der Brüder des jetzi- gen es ist, was übrigens zu ihrem größten Lobe dient, da ein wahrhaft ausgezeichneter Mann nie fri- vol genug seyn wird, um in dieser Categorie sich auf die Länge behaupten zu können, noch zu mögen. Dennoch würde es auch mißlich seyn, bestimmt anzu- geben, was auf der andern Seite eigentlich die höch- sten Stellen in jener Sphäre verbürge. Man sieht abwechselnd die heterogensten Eigenschaften darauf Posto fassen, und auch politische Motive können in einem Lande wie dieses nicht immer ohne Einfluß darauf bleiben, doch glaube ich, daß Caprice und Glück, und vor Allem die Weiber, auch hierin, wie in der übrigen Welt, das meiste thun. Im Ganzen aber zeigen allerdings die modischen Engländer, ohne deßhalb ihre angeborne Schwerfäl- ligkeit und Pedanterie sehr ablegen zu können, als den Hauptzug ihres Strebens, das lebhafte Verlan- gen: die ehemalige französische sittenlose Frivolität und Jactance in ihrem vollen Umfang zu erreichen, während gerade im umgekehrten Verhältniß die Fran- zosen jetzt diese Disposition mit altenglischem Ernste vertauscht haben, und täglich mehr einem würdige- ren Lebenszweck entgegen gehen. Ein heutiger Londner Exclusiv ist daher in Wahr- heit nichts anders, als ein schlechter Nachdruck, so- wohl der ehemaligen Rou é s der Regentschaft, als der Höflinge Ludwig XV. Beide haben miteinander gemein: Selbstsucht, Leichtsinn, unbegränzte Eitel- keit und einen gänzlichen Mangel an Herz — beide glauben sich mit Hohn und Uebermuth über Alles hinwegsetzen zu können, und kriechen nur vor einem Idol im Staube, jene Franzosen ehemals vor ihrem König, diese Engländer vor dem von ihnen eben an- erkannten Herrscher im Reiche der Fashion. Aber welch ein Contrast in dem ferneren Resultat! In Frankreich wurde die Abwesenheit der Moralität und Ehrlichkeit wenigstens durch ausgesuchte Höflichkeit ersetzt, für den Mangel an Gemüth durch Geist und Amabilität entschädigt, die Impertinenz, sich für etwas Besseres als Andere zu halten, durch hohe Eleganz und Gefälligkeit der Formen erträglich gemacht, und die selbstsüchtige Eitelkeit wenigstens durch den Glanz eines imponirenden Hofes, ein vornehm repräsenti- rendes Wesen, die vollendete Kunst des feinen Um- gangs, gewinnende Aisance, und eine durch Witz und Leichtigkeit fesselnde Unterhaltung gewissermassen gerechtfertigt, oder wenigstens entschuldigt. Was bie- tet uns dagegen ein englischer Dandy dar! Sein höchster Triumph ist, mit den hölzernsten Manieren, ungestraft so ungeschliffen als möglich aufzutreten, ja selbst seine Höflichkeiten so einzurich- ten, daß sie der Beleidigung nahe sind, in welchem letztern Benehmen er besonders seine Celebrität sucht. Statt nobler Aisance, sich jeder Gêne der Schicklich- keit entledigen zu dürfen, das Verhältniß mit den Frauen dahin umzukehren, daß diese als der angrei- fende und er nur als der duldende Theil erscheint, seine beßten Bekannten, sobald sie ihm nicht durch die Fashion imponiren, gelegentlich aus Laune so zu be- handeln, als kenne er sie nicht mehr „to cut them“ wie der Kunstausdruck heißt, den unsäglich faden Jargon und die Affektation seines „set“ gut inne zu haben, und stets zu wissen, was „the thing“ ist — das ohngefähr macht den jungen „Lion“ in der Mo- dewelt. Hat er noch dazu eine besonders hübsche Maitresse, und ist es ihm nebenbei gelungen, irgend eine Thörin zu verführen, die albern genug war, sich der Mode zu opfern, und Mann und Kinder seinet- wegen zu verlassen, so erhält seine Reputation ei- nen noch höhern Nimbus. Verschwendet er dabei auch noch viel Geld, ist er jung und hat einen Na- men im Peerage-Buch, so kann es ihm kaum mehr fehlen, wenigstens eine vorübergehende Rolle zu spie- len, und er besitzt jedenfalls in vollem Maße alle Ingredienzien für einen Richelieu unserer Zeit. Daß seine Konversation nur in trivialen Lokalspässen und Medisance besteht, die er einer Frau in großer Ge- sellschaft in’s Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß noch Jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer ist, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport sprechen kann, daß er außer der Routine einiger Modephrasen, die der seichteste Kopf gewöhnlich am beßten sich merkt, höchst unwissend ist, daß seine linkische Tou nüre nur die nonchalance des Bauer- burschen erreicht, der sich auf die Ofenbank hinstreckt, und seine Grazie viel Aehnlichkeit mit der eines Bä- ren hat, der im Auslande tanzen gelernt — alles das raubt ihm keinen Stein aus seiner Krone. Schlimmer noch ist es, daß trotz der vornehmen Rohheit seines äußern Betragens, der moralische Zu- stand seines Innern, um modisch zu seyn auf einer noch weit niedrigern Stufe stehen muß. Wie sehr der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier an der Tagesordnung sind, in der großen Welt vor- herrscht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art von Relief giebt, ist notorisch, aber auffallender ist es noch, daß man den crassesten Egoismus, der doch auch solchen Handlungen nur zum Grunde liegt, gar nicht zu verbergen sucht, sondern ganz offen als das einzige vernünftige Prinzip aufstellt, und „good nature,“ oder Gemüth als comble der Gemeinheit belacht und verachtet, wie es in keinem andern Lan- de der Fall mehr ist, wo man sich solcher Gesinnun- gen wenigstens schämt, wenn man sie hat. „We are a selfish people, sagt ein beliebter Modeschrift- steller, I confess, and I do believe that what in other countries is called „amor patriae“ is amongst us, nothing but, a huge conglomeration of love of ourselves; but I am glad of it; I like sel- fishness; there’s good sense in it“ und ferner, nicht etwa satyrisch, sondern ganz ernsthaft eifrig ge- meint: „Good nature is quite mauvais ton in London, and really it is a bad style to take up, and will never do.“ Freilich, wenn man jedes Gefühl auf das spitz- findigste analysiren und verfolgen will, so wird man vielleicht immer eine Art von Egoismus im tiefsten Grunde entdecken, aber eine edle Scham wirft eben deßhalb bei allen andern Nationen einen Schleier dar- über, wie auch der Geschlechtstrieb etwas sehr Na- türliches und Wahres ist, und dennoch, auch vom Rohsten, verborgen wird. Hier schämt man sich aber der crassesten Eigen- liebe so wenig, daß mich ein vornehmer Engländer einmal belehrte, ein guter foxhunter müsse sich durch nichts in der Verfolgung des Fuchses irre machen lassen, und wenn sein Vater vor ihm, über eine Bar- riere gestürzt, da läge, so würde er „if he could’nt help it“ mit seinem Pferde unbedenklich über oder auf ihn springen, ohne sich vor beendigter Jagd wei- ter um sein Schicksal zu bekümmern. Gewiß ist die neue Pariser Gesellschaft: hilf Dir selbst, so wird Dir Gott helfen, in praxi noch nicht so weit ge- kommen. A. d. H. Bei alle dem hat unser pattern eines Dandy auch in seinen bösen Eigenschaften nicht die geringste Selbstständigkeit, sondern erscheint nur als der ängst- lichste Sclave der Mode bis in die größten Kleinig- keiten, so wie der demüthigste Trabant des Glückli- chen, der noch höher steht, als er. Würde plötzlich Tugend und Bescheidenheit Mode, so würde Nie- mand exemplarischer darin seyn, so schwer es ihm ankommen möchte. Ohne alle Originalität und ohne eigne Gedan- ken ist er eigentlich jener Tonfigur im Galgenmänn- chen zu vergleichen, die eine Weile mit allen mensch- lichen Eigenschaften täuscht, aber plötzlich in Koth zusammenfällt, sobald man entdeckt — daß sie keine Seele hat. Wer die besten der neueren englischen Romane liest, namentlich vom Verfasser des Pelham, wird aus ihnen eine ziemlich richtige Idee der englischen fashionablen Gesellschaft sich abstrahiren können, wenn er Notabene nicht vergißt, das abzurechnen, was die nationelle Eigenliebe sich zuschreibt, ohne es zu be- Briefe eines Verstorbenen. IV. 26 sitzen, nämlich Grazie für ihre Rou é s, verführerische Formen und gewinnende Unterhaltungsgabe für ihre Dandies. Ich habe eine Zeit lang sowohl die Zirkel derjenigen besucht, die den Gipfel bewohnen, als der, welche sich in der Mitte des modischen Narren- berges, und auch derjenigen, die an seinem Fuße sich angesiedelt haben, und sehnsüchtig nach jenem für sie unerreichbaren Gipfel blicken — selten aber fand ich eine Spur jener anziehenden Gesellschafts- kunst, jenes vollkommen und wohlthuend befriedigen- den Gleichgewichts aller socialer Talente, eben so weit entfernt von Zwang als Licenz, welches Ver- stand und Gefühl gleich angenehm anspricht, und fortwährend erregt, ohne je zu ermüden, eine Kunst, in der die Franzosen so lange fast das einzige euro- päische Vorbild waren. Statt dessen sah ich in der Modewelt, mit weni- gen Ausnahmen, nur zu oft eine wahre Gemein- heit der Gesinnung, eine wenig gezierte Immora- lität, und den offensten Dünkel, in grober Ver- nachlässigung aller Gutherzigkeit, sich breit machen, um in einem falschen und nichtigen „Refinement“ zu glänzen, welches dem gesunden Sinn noch ungenieß- barer wird, als die linkische und possirliche Preciost- tät der erklärtesten Nobodys. Man hat gesagt: La- ster und Armuth sey die widerlichste Zusammenstel- lung — seit ich in England war, scheint mir Laster und Plumpheit noch ekelerregender. Doch laß mich, vom Allgemeinen auf’s Einzelne übergehend, einige Herren dieser Region selbst flüch- tig skizziren. Zuerst begegnet uns ein schwer hörender und schwer sprechender Edelmann, eine lange, blonde Figur, was die Soldaten Napoleons im gemeinen, aber passenden Ausdruck un grand standrin nannten, mit einem Gesicht von der coupe der ächt spanischen Merinos und nur in sofern „good looking,“ als dies ohne alle Feinheit der Züge und geistvollen Ausdruck derselben möglich ist. Das unbedeutende Auge spie- gelt nur eine große Idee ab, nämlich die, welche das Individuum von sich selbst hegt. Sehen Sie sich diesen Mann an, sagte ich zu meinem kürzlich debarkirten Freunde, er ist kein Dan- dy, dazu auch nicht mehr jung genug; demohngeach- tet aber und in noch höherer Potenz dermalen der Sultan der Mode in England. „Unmöglich,“ rief mein Freund, „Sie scherzen.“ Nicht im Geringsten, erwiederte ich, und ohngeachtet dessen, was Sie sehen, und was Sie nicht zu bestechen scheint, besitzt dieser glückliche Sterbliche doch einige Eigenschaften für die Rolle, welche er spielt, die nicht zu verachten seyn möchten. Und die sind? unterbrach mich H..... Für’s erste, belehrte ich ihn, ist er einer der vornehm- sten und reichsten Edelleute des Landes, für den wenigstens 50,000 Irländer, die er nicht leicht mit seiner Gegenwart beglückt, Hunger leiden müssen; ferner ist er noch unverheirathet, und an Person 26* wie Geist von der wünschens- und empfehlenswer- thesten Mittelmäßigkeit, die weder Neid erregt noch Anstoß giebt. Dabei ist er genereus für seine Umge- bung, giebt gerne Feste, sieht gern Leute, läßt sich von den Damen geduldig und mit solchem Vergnü- gen beherrschen, daß er ihnen Leib und Seele à Discretion hingeben würde, hat ferner das beste Palais in London und das schönste Schloß auf dem Lande, und ist endlich, um gerecht zu seyn, in Meu- blen, Equipagen und Festen geschmackvoller und er- findungsreicher, als viele Andere, was ihm aber unter solchen Umständen am meisten zur Ehre ge- reicht, ein sehr rechtlicher Mann. Dies Letztere könnte gewissermaßen im Widerspruch mit dem erscheinen, was ich früher über die Haupt- eigenschaften der Modischen gesagt, aber abgerechnet, daß die Ausnahme keine Regel bildet, so muß man auch bedenken, daß die Bewunderer eines glänzenden „Fripon“ auch einen „dupe“ unter sich zu schätzen wissen. Schwerlich wäre er auch mit allen genannten Vorzügen so hoch gestiegen, wenn nicht ein großes fremdes Talent sich ihn ausersehen gehabt hätte, um durch und mit ihm, sich selbst eben so hoch auf den Thron zu stellen. Dem stolzen und männlichen Geiste dieser Dame, den sie, wo sie will , unter der gewinnendsten Af- fabilität zu verbergen weiß, verbunden mit aller di- plomatischen Schlauheit ihres Standes, ist es gelun- gen, der englischen Suprematie den Fuß auf den Nacken zu setzen, doch konnte sie dem Hofe, der sie seitdem umgab, und sich blindlings von ihr beherr- schen ließ, weder ihren Witz und Takt, noch ihre vor- nehme Haltung, noch jene zurückschreckende Artigkeit gegen Alle, die nicht zu den Auserwählten gehören, mittheilen, die das nec plus ultra dessen ist, nach dem die Exclusives zu streben haben. Fast burlesk ist daher der Abstand, der zwischen ihr und dem Mit- regenten in jeder dieser Hinsichten statt findet. Den- noch herrschen beide jetzt im Olymp neben einander. Aber auch die unsterblichen Götter müssen Opposi- tion erleiden, und als solche sehen wir einen Gigan- ten in dem Marquis v. ..... auftreten, der, so zu sagen, dem Reich der Unterwelt gebietet. Bei glei- chem Reichthume, mehr Verstand und Geschmack, vor- nehmern Manieren, als der Herzog, und geistvollern, obgleich häßlichen Zügen, ist auch seine Reputation positiver. Seines Charakters wegen wird er zwar vielleicht von Manchen gemieden, von Andern aber desto eifriger aufgesucht, und obgleich auch er den weisen Grundsatz der sich wichtig und gesucht machen wollenden englischen Modewelt: nur sehr schwer Je- manden zu seiner Intimität zuzulassen, streng beob- achtet, so hält er sich doch im Allgemeinen populärer, als die von mir zuerst genannten Koryphäen. Auf seinen großen Assembleen darf z. B. der König der Juden erscheinen, der des H ..... Thüren stets ver- schlossen, und die der S .... höchstens diplomatisch im Geheim geöffnet sieht, und noch manche andere Dii minoram gentium findet man dort, als zu Dut- chesses und Ladies gewordene Schauspielerinnen u. s. w, die man in jenen Cirkeln par excellence nicht leicht zu sehen bekömmt. Der junge Erbe eines berühmten Namens und eines großen Besitzers schien auch Ansprüche auf eine dominirende Stellung machen zu wollen; da aber bei ihm die vortrefflichen Lebenslehren, welche die Briefe seines Ahnherrn enthalten, auf ein sehr dürres Feld gefallen sind, und andere Umstände ihn noch nicht hinlänglich begünstigt haben, so mußte er sich bis- her mit sehr untergeordneten Hoheitsrechten und der bloßen Anerkennung seiner schonen Wagen und Pfer- de, wie den Reizen seiner gefeierten Maitresse be- gnügen. Eine hohe Stufe des Einflußes nimmt ferner ein fremder Ambassadeur ein, der ohne allen Zweifel die erste verdiente, wenn der beste Ton, gemüthliche Lie- benswürdigkeit, hoher Rang, der feinste Geschmack, und ohngeachtet einer angenommenen englischen Tour- nure, doch eine völlige Abwesenheit jener Schwerfäl- ligkeit und Pedanterie, die englische Fashionables nie los werden können — die einzigen Ansprüche dazu gäben. Aber eben, weil er sowohl durch seine aus- ländische, immer über die Anglomanie den Sieg da- von tragende Liebenswürdigkeit, wie durch seine deut- sche Gemüthlichkeit den Engländern zu fern steht, er- regt er zum Theil mehr noch ihren Neid, als ihre Bewunderung, und obgleich ihn die Meisten recher- chiren, schon weil er Mode ist, so bleibt er ihnen doch immer ein mehr fremdes Meteor, das sie hie und da sogar anfeinden, und zu dem sie jedenfalls solches Herz nicht fassen können, wie zu ihrem eignen Jupi- ter Ammon, noch dem sie sich so blindlings unter- werfen wollen, wie der autorité sans replique ihrer Autokratin. Leicht würde vielleicht auch die schöne Gemahlin des Ambassadeurs die Rolle jener Dame gespielt haben, die sie an Reizen, wie an Jugend übertrifft, und eine Zeit lang mochten die Chancen zwischen beiden gleich stehen; aber sie war zu harm- loser Gemüthsart, zu natürlich und zu gutmüthig, um definitiv obzusiegen. So hoch sie daher auch ihren Platz im Reiche der Mode einnimmt, hat ihr jene doch, vor der Hand wenigstens, den höchsten abgelau- fen. Niemand wird sie aber der genannten Ursachen wegen weniger liebenswerth finden. Unter den weiblichen Mitherrscherinnen erster Ca- tegorie muß ich noch einiger andern erwähnen, die Niemand übergehen darf, der den Eintritt in das Heiligthum wünscht. Oben an steht zuerst eine nicht mehr ganz junge, aber immer noch schöne Gräfin, eine der wenigen Engländerinnen, von der man sagen kann, daß sie eine vollkommen gute und wahrhaft distinguirte Tournure habe. Sie würde mit ihren Naturgaben in jedem andern Lande gewiß durchaus liebenswürdig geworden seyn, hier hat sie dem Ge- präge des lieblosen und alles menschlich Schöne und Liebenswerthe so vernichtenden Castengeistes der hie- sigen Gesellschaft nicht ganz entgehen können. Man hat sie oft und auf häßliche Weise in der boshaften age angegriffen, ohne ihr jedoch schaden zu können. Sie steht zu hoch und zu lieblich dazu da. Eine schottische Viscounteß, die ganz speziell im Schatten der fremden Herrscherin sich entfaltet hat, unter deren Fittigen ich sie vor 12 Jahren noch ziem- lich demüthig emporklimmen sah, hat seitdem allen Hochmuth, um nicht zu sagen, coarseness ihrer Berg- compatrioten angenommen. Von der erwähnten im- pertinenten Artigkeit hat sie nur die erste Eigenschaft zu erlangen verstanden, und würde, wenn sie nur ihren Mann und nicht auch ausserdem ein großes unabhängiges Vermögen und dadurch politischen Ein- fluß beherrschte, wohl schwerlich von ihrer hohen Gön- nerin auf den jetzt inne habenden Platz gestellt wor- den seyn, obgleich man in einem, so verschiedene Zwe- cke beabsichtigenden, weiblichen Ministerium auch zu- weilen odd characters gebrauchen mag. Vor 12 Jah- ren, als ich England zum erstenmal besuchte, war diese Dame recht hübsch, und damals schon in diplo- matischen Fesseln, aber anderer Art. Jetzt lebt sie blos der Modeherrschaft und der Politik. Wie die nachsichtige Gouvernante der übrigen er- scheint eine dritte Lady, welche, glaube ich, auch auf den Titel einer deutschen Reichsgräfin Anspruch macht, der zwar in England sehr gering geachtet wird, aber, von einer Engländerin besessen, durch sie na- türlich einen ganz andern Glanz erhalten muß. Die- ser Titel in der Familie wurde auf dieselbe ehrenvolle Art erlangt, welcher die ersten Herzöge Englands den ihrigen verdanken. Eine Ahnfrau der Familie gefiel einem deutschen Kaiser, u. s. w. Ihre Enkelin würde jedoch schwerlich ein gleiches Glück gemacht haben, obgleich sie in der That noch einige Spuren der österreichischen Unterlippe in ihrem etwas in die Länge gezogenen Gesichte aufweisen kann. Sie ist bei gebildetem Geist wohl die gutmüthigste der Lady Patronesses, sehr inoffensive, und sieht oft so aus, als wenn sie die häusliche Fireside weit mehr lieben und zieren würde, als ihren hohen Posten für Al- macks. Als ihr Gegensatz kann eine andere Gräfin be- trachtet werden, eine Französin von Geburt, die aber, von Kindheit an nach England emigrirt, längst voll- ständig nationalisirt wurde, und gewiß nicht zu ihrem Vortheil. Dennoch ist sie mehr für die Gesellschaft gemacht geblieben, als die bisher geschilderten. Sie ist durchaus eine Frau von Welt, nicht mehr jung, aber ebenfalls noch gut conservirt, mit vielsagenden, feurigen Augen und schönen dichten Augenbraunen dar- über, denen auch Viele Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Die Chronique scandaleuse hat von ihr behauptet, sie habe es im Conseil der dirigirenden Modedamen vor- züglich übernommen, wie bei den alten französischen Re- gimentern immer einer unter den Offizieren dazu ge- wählt wurde, die Valeur der Neuangekommenen auf die Probe zu stellen, und der Tateur genannt wurde, dieselbe Rolle gegen alle Neulinge hinsichtlich ihrer Fähigkeit Mode zu werden, in der großen Welt zu spielen. Es bleiben nun noch zwei Frauen übrig, mit de- nen die Zahl der Auserwählten ziemlich geschlossen ist, ja die letzte davon gehört schon eigentlich nicht mehr dazu, und schwebt mehr vereinzelt in der At- mosphäre, wie ein Comet im Planetensystem. Beide sind Marquisinnen, beide passiren für hübsch, beide sind reich, die eine hat auch Verstand, welcher der andern abgeht, und es ist daher wohl möglich, daß die erste sich durch die Zusammenstellung mit der an- dern ziemlich beleidigt fühlen würde, wenn dieser be- scheidne Versuch einer flüchtigen Charakteristik ihr je unter die Augen käme. Es ist überhaupt Schade, daß diese Frau eine so große Meinung von sich selbst hat, und als eine der heftigsten Ultras ganz in Politik vergraben ist. Wenn sie in ihrem alten Schlosse, das einst der Königin Elisabeth zugehörte, Hof hält, scheint sie sich wirklich in der donce illusion zu befinden, sie selbst sey Eli- sabeth. Die Politik hatte sie damals mit der Allein- herrscherin etwas gespannt, folglich auch mit ihrem Satelliten, dem großen und langen H ...... Dage- gen sah man zwei andere wichtige Personen im Reiche der Mode sehr häufig in ihrem Hause, das sich übri- gens in der Politik blindlings dem Helden von Wa- terloo unterworfen hatte. Da die eine dieser Perso- nen ein Dandy der höchsten Art, die andere aber der erste bel esprit der hohen Gesellschaft ist, so muß ich ihnen wohl auch eine kurze Aufmerksamkeit schenken. Nur in der Unschuldsepoche der englischen Mode- herrschaft, wo man noch das Ausland für seine Sit- ten copirte, und nicht die jetzige Selbstständigkeit, die nun sogar als Muster für andere Länder aufzu- treten anfängt, erlangt hatte, regierte ein Dandy hauptsächlich durch seine Kleidung, und der berühmte Brummel tyrannisirte mit diesem einzigen Mittel be- kanntlich Jahre lang town and country. Jetzt ist dies nicht mehr der Fall; der höhere Exclusiv affek- tirt im Gegentheil eine gewisse Unaufmerksamkeit auf seine Kleidung, die sich fast immer gleich ist, und, weit entfernt jeder Mode zu folgen oder solche zu er- finden, bleibt sein Anzug höchstens nur durch Fein- heit und Sauberkeit ausgezeichnet. Es gehört jetzt allerdings schon mehr dazu, der Mann nach der Mode zu seyn. Man muß unter andern, wie einst in Frank- reich, den Ruf eines herzlosen Weiberverführers ha- ben, und ein gefährlicher Mensch seyn. Da man es aber den ehemaligen Franzosen an glänzender Lie- benswürdigkeit und einnehmender Gewandtheit, mit einem undistinguirten Aeußern und unbezwinglich holprigen Manieren, auch bei dem besten Willen nicht gleich zu thun im Stande ist, so muß man sich da- für, wie Tartuffe, als ein gleich süßer und giftiger Heuchler geltend zu machen wissen, mit leisem Ge- spräch, welches jetzt Mode ist, und falschen Worten sich die Bahn zu jeder gewissenlosen Handlung im Dunkeln brechen, als da sind falsches Spiel und Betrug des Neulings in jeder Art von Sport, bei dem so mancher junge Engländer, statt gehoffter Be- lustigung, Selbstmord und Verzweiflung einerndtet, oder, wo diese Künste nicht anwendbar sind, durch Intriguen aller Art die im Wege Stehenden um Ehre oder Vermögen zu bringen suchen, im geringsten Fall aber sie wenigstens ihres Einflusses in der ausge- wählten Gesellschaft zu berauben wissen. Wer Englands Schattenseite genauer kennt, wird mich hier nicht der Uebertreibung zeihen, und es nicht auffallend finden, daß der von mir erwähnte Mode- held, ein junger Mann von guter Abkunft, aber ohne Vermögen, und im Grunde nicht als ein geschickter Chevalier d’industrie, sich durch den Namen sweet mischief (sanftes Verderben) eben so gut charakteri- sirt als geschmeichelt fühlt. Die Marquise scheint bis jetzt nur von dem sweet angezogen worden zu seyn, es besteht größtentheils in, wie man sagt, unterhal- tender, süß zugeflüsterter Verläumdung, vielleicht lernt sie später auch noch das mischief kennen. Der bel esprit, dessen caustische Kraft man so un- geheuer fürchtet, daß man ihm wörtlich, wie die Wil- den dem Teufel, hofirt, damit er nicht beiße, hat eine der widerlichsten Außenseiten, die mir noch vorgekom- men sind. Er ist wohl über fünfzig Jahre alt, und sieht vollkommen aus wie eine in Galle eingemachte bittere Pomeranze, ein grau und grünlicher alter Sünder, der bei Tisch nicht essen kann, bis er zwei oder drei Menschen ihres guten Namens beraubt, und eben so viel andere, oft nichts weniger als geist- reiche, Bosheiten gesagt hat, die aber dennoch von allen sich in seinem Bereich Befindenden, stets mit lautem Beifall und convulsivischem Lachen aufgenom- men werden, obgleich Manchem dabei die Gänsehaut überrieseln mag, daß, sobald er den Rücken gekehrt, ihm Gleiches wiederfahren werde. Aber der Mann ist einmal Mode. Seine Aussprüche sind Orakel, sein Witz muß erquisit seyn, seitdem er das Privi- legium dazu von der fashionablen Gesellschaft erhal- ten hat, und wo die Mode spricht, da ist, wie ge- sagt, der freie Engländer ein Sclave. Ueberdem fühlt der Vulgaire wohl, daß er in Künsten und geistrei- chen Dingen im Allgemeinen kein recht competentes eigenes Urtheil hat, und applaudirt daher am lieb- sten blindlings ein bon mot, wenn er andere lachen sieht, so wie jedes Urtheil, wenn es aus patentirtem Munde kömmt, eben so wie das hiesige Publikum einen ganzen Winter lang sich durch die Tyroler Gassendudler, für schweres Geld, welches die grüne Fleischerfamilie lachend einstrich, bis in den dritten Himmel entzücken ließ. Bald hätte ich aber vergessen, daß mir noch eine letzte Dame mit wenigen Worten zu schildern übrig bleibt. Es ist dies eine recht artige petite maitresse, der zugleich ihr großer Reichthum erlaubt, das ein wenig leere, aber doch ganz hübsche Köpfchen mit den schönsten Steinen aller Farben zu schmücken, die Eng- land aufweisen kann. Wenn man sie früh, languis- sant auf ihrer chaise longue hingeworfen sieht, er- blickt man in hundert eleganten Behältern um sie her unzählige Colifichets, niedlich ausgelegt, deren Vorweisen aber dennoch kaum hinreichend ist, eine stets stockende Unterhaltung im Gang zu erhalten. Ein meistens gegenwärtiger Hausfreund, auf dessen Lippen ein fortwährend nichts sagendes Lächeln schwebt, bringt ebenfalls nicht viel Veränderung in’s Gespräch, und die Busenfreundin, eine Art beweglicher Zwerg, mit einem pied de nez ist noch aimabler, wenn sie schweigt, als wenn sie spricht. Zwei allerliebste Kin- derpuppen in den niedlichsten Phantasiekleidungen, welche häufig mit den Colifichets zusammen ausge- stellt werden, und recht artig plappern, vollenden das Gemälde. Die arme Marquise, welche bei allem Schmachten und blassem durchsichtigen Teint, doch, wie alle etwas beschränkten Geister, auch zuweilen recht boshaft werden kann, zumal wo ihre Eitelkeit mit in’s Spiel kömmt, ärgert sich fortwährend, daß sie nicht ganz Mode und recht fashionable, weder Fisch noch Fleisch, wie man sagt, werden kann. Dieser fortwährende Amphibienzustand ist auch sehr unan- genehm, und scheint sans remêde, denn sie mag nun einmal die Gurli spielen, ein andermal die Tugend- heldin affichiren, oder durch einen frischen Aufenthalt in Paris sich ein neues Lustre zu geben versuchen — it will never do. Ueber die berühmten Almacks und die unrivalisirte Macht der Lady Patronesses habe ich Dir schon ge- schrieben. Zwei große Akte ihrer Herrschaft muß ich aber noch hinzufügen. Einmal geboten diese Damen in ihrer liebenswür- digen Laune, daß Jeder, der nach Mitternacht auf den Ball käme, nicht mehr eingelassen werden sollte. Der Herzog von Wellington kam einige Minuten spä- ter aus der Parlamentssitzung und glaubte, für ihn werde die Ausnahme nicht fehlen. Point du tout, der Held von Waterloo konnte diese Festung nicht erobern, und mußte unverrichteter Sache wieder ab- ziehen. Ein andresmal erließen die Lady Patronesses den Befehl, daß nur solche Herren, welche krumme Beine hätten, in weiten Pantalons auf Almacks erscheinen dürften, allen andern wurden kurze Hosen vorgeschrie- ben, in England, wo selbst der Name dieses Klei- dungsstückes sonst verpönt ist, ein kühner Befehl. Die Furcht vor dem neuen Inquisitionstribunal war so groß, daß man auch hier im Anfang gehorchte, später erfolgte indeß eine Reaction. Eine große An- zahl Herren erschienen an den Thoren in den probi- birten Pantalons, und verlangten Einlaß, indem sie sich der krummen Beine schuldig erklärten, und im Fall man ihnen nicht glauben wolle, die Lady Pa- tronesses einluden, sich selbst durch genauere Unter- suchung davon zu überzeugen. Seit diesen Zeit drück- ten die Damen über diesen Theil der männlichen Klei- dung ein Auge zu. Den 10ten. Es ist mir um so lieber, daß ich auf meiner Ab- reise von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas eben so Unangenehmes als Unerwartetes begegnet ist, was mich in dem Augenblick mehr en vûe setzt, als mir lieb ist. Schon einmal, glaube ich, schrieb ich Dir von ei- ner Nichte Napoleons, die ich zum erstenmal beim Herzog von Devonshire sah, wo sie sich eben sehr eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr be- kannt gemacht wurde. Sie ist schön gewachsen, hat außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike Nase, große ausdrucksvolle Augen, und alle franzö- sische Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italiänischem Feuer gemischt. Dabei etwas Excentrisches in ihrem ganzen Wesen, was ich wohl liebe, wenn es Natur ist, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier nicht ganz frei von Absicht und Angewöhnung schien. Indessen ihr Name imponirte mir. Du kennst meine Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiser, jenen zweiten Prometheus, den Europa an einen Felsen jenseits der Linie schmiedete, jenen Riesen, welchen eine Mil- lion Pigmäen endlich zu ihrem Nachtheil erschlugen, weil sie nicht Kraft genug hatten, diesen mächtigen Geist zu zähmen, daß er ihnen Dienst geleistet hätte . Hauptsächlich um von ihm zu sprechen, ging ich also fleißig zu ihr, und cultivirte die Bekanntschaft der etwas männlich schönen Frau mehr als ich sonst gethan hätte, nicht weil sie wenig Mode war, son- dern weil diese Art weiblicher Charaktere und Reize überhaupt keineswegs diejenigen sind, welche ich vorziehe. Unterdeß waren wir ziemlich bekannt mit einander geworden, als sie nach Irland abreiste, und ich ihrer nicht weiter gedachte. Vor einigen Wochen kam sie wieder hier an, von ihrem Manne, einem Engländer, geschieden, den sie, excentrisch genug, nur deshalb geheirathet hatte, um mit ihm nach Helena gehen zu können, was später dennoch vereitelt ward. Ihr französisches Wesen und ihre lebhafte Unter- haltung, nebst allen diesen Details, zogen mich von neuem an, und ich sah sie noch öfter als früher. Vorige Woche trug sie mir auf, ihr ein Billet zu ei- nem dejeuné champêtre im Garten der horticultural society zu verschaffen, über welches Fest auch Lady Patronesses gesetzt worden sind. Als ich das Billet brachte, verlangte sie, ich solle sie begleiten. Ganz gutmüthig erwiederte ich, daß hier, wo die Gesell- schaft so kleinstädtisch sey, leicht ein Gerede darüber entstehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungs- Artikel nicht sicher wären, wenn wir diesen Ort al- lein mit einander besuchten. Statt der Antwort brach sie in Thränen aus, und sagte: es thue nichts, denn ihr wäre Alles ohnehin jetzt einerlei, da sie morgen nicht mehr auf dieser Welt seyn würde. — Briefe eines Verstorbenen IV. 27 Dabei zog sie ein Fläschchen Opium oder Blausäure aus ihrem Busen, und versicherte, daß sie diese noch vor Nacht auszuleeren entschlossen sey, bis dahin aber sich betäuben wolle so gut es gehe. Ich war nicht wenig erstaunt über ein so uner- wartetes propos, suchte indeß die schluchzende Schöne so gut ich konnte zu beruhigen, warf das Giftfläsch- chen zum Fenster hinaus, und äußerte die Hoffnung, daß die heitre Fete, die Gesellschaft, die freie Luft, der Beifall, den ihre hübsche Toilette einerndten müsse, gewiß dieser thörichten, aufgeregten Stimmung schnell Herr werden würden. Obgleich ich ihre näheren Verhältnisse nicht kannte, so war doch nicht schwer zu errathen, daß eine un- glückliche Liebe im Spiel seyn mußte, der einzige Grund, aus welchen Weiber sich das Leben zu neh- men pflegen, und da ich ähnlichen Schmerz auch in meinem Leben empfunden habe, so gestehe ich, daß sie mir sehr leid that, und ich ihre Aeußerungen, wenn auch übertrieben, doch nicht ganz für leere Affekta- tion hielt. Unterdessen war mein Wagen gekommen, und wir stiegen ein, indem sie nochmals wiederholte, sie dränge sich blos zu dieser Zerstreuung, weil sie die Marter der Einsamkeit nicht länger zu ertragen vermöge. Während der Fahrt kam es denn zu einer voll- ständigen Confidence, die ich übergehe, denn es war das alte Lied von Liebesleiden und Freuden, was der Mensch eben so sicher in jeder Generation wieder- singt, als Nachtigall und Zeisig die ihrigen. Während ich meiner schönen Freundin möglichst Trost einsprach, konnte ich mich nicht enthalten, in- nerlich Betrachtungen anzustellen, wie sonderbar das Schicksal spiele, und wie noch viel sonderbarer es von uns selbst gehandhabt und beurtheilt werde. Neben mir saß die Nichte Napol é on’s! des einstigen Herrn fast der ganzen civilisirten Welt, eine Frau, deren On- kel und Tanten Alle noch vor kaum vergangener Zeit auf den ältesten Thronen Europa’s saßen, während sie jetzt durch die ungeheuersten Ereignisse in die Classe der gewöhnlichen Gesellschaft herabgeworfen worden sind — und das Alles hat dennoch nicht den geringsten Eindruck mehr auf das neben mir sitzende Individuum gemacht, keinen Schmerz bei ihr zurück- gelassen, aber die Untreue eines albernen englischen Dandy’s erregt ihre Verzweiflung, und bringt sie zu dem Entschluß, seinetwillen ihr Leben zu enden!!! Mit einer wahren Indignation rief ich ihr zu, daran zu denken, wem sie angehöre, und an das erhabne Beispiel von Ertragen des Lebens in wahrem Un- glück, das ihr großer Oheim ihr und der Welt gege- ben. Aecht weiblich aber gab sie gar nichts auf diese Tirade und erwiederte: Ach wenn ich jetzt die Wahl hätte, j’ aimerai cent fois mieux être la maitresse heu- reuse de mon amant que Reine d’Angleterre et des Indes. Bei alle dem schien die Fete und die Gesellschaft, so wie einige Gläser Champagner beim Frühstück, die ich ihr einnöthigte, ihre Verzweiflung bedeutend zu mildern, und ich brachte sie um 6 Uhr zurück, (ziem- lich sicher, daß keine zweite Opiumflasche geholt wer- den würde) um meine Toilette zu einem großen Din é bei unserm Gesandten zu machen, das ich nicht ver- säumen wollte. Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen Schreck, als mir einige Tage darauf R. mit seinem gut angenommenen englischen Phlegma erzählt: Heute früh hat sich die W .... im Serpentineriver ersäuft, ist nachher von einem vorbeigehenden Bedienten herausgefischt und schon mehrere Stunden ehe unser- eins aufsteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer Wohnung zurückgebracht worden. „Mein Gott, ist sie todt?“ rief ich. „Ich glaube nicht,“ erwiederte R … „sie soll, wenn ich recht hörte, wieder zu sich gekommen seyn.“ Ich eilte sogleich nach ihrer Wohnung, fand aber alle Läden verschlossen, und der Diener äusserte, daß Niemand außer dem Arzte vorgelassen würde, die Herrschaft sey tödtlich krank. Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit treiben, dachte ich bei mir selbst, und diese, ihrem unsterblichen Verwandten so schlecht nachahmende Nichte, illustrirt recht die Wahrheit: wie viel leichter und schwächer es sey, ein unerträgliches Leid durch Selbstmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten Athemzug zu tragen! Doch fühle ich lebhaftes Bedauern mit der armen Frau, und freute mich fast, daß meine nahe Abreise mir das Wiedersehen derselben, nach einer solchen Catastrophe erspare, da ich ihr weder helfen noch ihr Benehmen billigen konnte. Wie sie gestern die Hortikultural Gardens, besuchte auch ich heute, nämlich blos um mich von diesen unangenehmen Ein- drücken zu zerstreuen, eine große Gesellschaft bei der Marquise H .. Kaum war ich durch einige Zim- mer gegangen, als ich dem Herzog von C. in den Wurf kam, einem Prinzen, der, obgleich er sich nicht pikirt, ein Liberaler zu seyn, doch die Oeffentlichkeit sehr liebt. Kaum wurde er mich ansichtig, als er mir schon von weitem zurief: „O P ..... was zum T .... haben Sie für Streiche gemacht? Es sieht schon in den Zeitungen, daß sich die W .... Ihretwegen ersäuft hat.“ ..... „Meinetwegen, E. K. H.? was für ein Mährchen!“ Läugnen Sie es nur nicht, ich sah Sie ja selbst solus cum sola mit ihr im Wagen — alle Welt ist davon unterrichtet, und ich habe es auch schon nach B. an den K. geschrieben. Nun diese fremde Sünde auf mein Conto fehlte mir noch, erwiederte ich verdrießlich. Uebrigens wissen Sie, daß dem Na- poleonischen Geschlechte nur die Engländer ver- hängnißvoll sind. Der Höchste desselben hat der gan- zen Nation die Schmach seines Todes zum ewigen Vermächtniß hinterlassen, seine arme. Nichte wird wohl nur einen einzigen englischen Dandy den un- terirdischen Mächten weihen; aber da die Nemesis, in der Weltgeschichte wie in den kleinen Lebensver- hältnissen, nie ausbleibt, so ist es wohl möglich, daß einst noch ein Buonaparte des kaiserlichen Ahnherrn schmähliches Ende an der Nation rächt, und sich auch vielleicht einmal ein englischer Dandy in Paris der schönen Augen einer Nachkommin Napoleons wegen erschießt. Wir Deutsche begnügen uns, jenen Helden und sein Geschlecht in jeder Hinsicht nur von weitem zu bewundern, denn gleich der Sonne, that es einst in der Mittagshitze nicht gut, zu nahe seinem Glanz zu wohnen, und heut ist das Gestirn untergegan- gen. Wir haͤtten Bedenken tragen koͤnnen, das Vorhergehende im Texte stehen zu lassen, wenn das Wesentliche der Be- gebenheit nicht schon, mit noch viel naͤheren, wenn gleich zum Theil unrichtigen Details, aus mehreren oͤffentlichen Blaͤttern dem Publikum bekannt geworden waͤre. A. d. H. Damit empfahl ich mich, und gab, zu Hause ange- kommen, sogleich Befehl zur Beschleunigung meiner Abreise. Hoffentlich werde ich im Stande seyn, mor- gen schon meinen Zug in entferntere, freiere Ge- genden zu beginnen, und sobald soll kein städtisches, eingepferchtes Leben mir wieder nahen! Irgendwo sagt Lord Byron von sich: seine Seele habe nur in der Einsamkeit ihren vollen freien Wir- kungskreis gehabt. Diese Wahrheit paßt auch, sehe ich, auf geringere Leute, denn mir geht es nicht an- ders. In der lästigen Gesellschaft fühle ich die Seele stets nur halb, und schrecklich ist mir schon der Ge- danke: jetzt sollst du, wo möglich, aimable seyn! Da- gegen bin ich, wie Du weißt, eben in der Einsam- keit am wenigsten allein, und am seltensten entbehre ich dort, meine theure Freundin, Deiner Gesell- schaft. Bist Du auch noch so fern, so umschwebt doch mein Geist Dein Wachen wie Deine Träume, und über Meer und Berge hin empfindet mein Herz den liebenden Pulsschlag des Deinen. L. (Ende des vierten und letzten Theils.)