Geschichte des Fraͤuleins von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus Original- Papieren und andern zuverlaͤßigen Quellen gezogen. Herausgegeben von C. M. Wieland. Erster Theil. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1771. An D. F. G. R. V. ******* E r schrecken Sie nicht, meine Freundin, anstatt der Hand- schrift von Jhrer Sternheim eine ge- druckte Copey zu erhalten, welche Jh- nen auf einmal die ganze Verraͤtherey entdeckt, die ich an Jhnen begangen habe. Die That scheint beym ersten Anblick unverantwortlich. Sie ver- trauen mir unter den Rosen der Freund- schaft ein Werk Jhrer Einbildungs- kraft und Jhres Herzens an, welches bloß zu Jhrer eigenen Unterhaltung aufgesetzt worden war. „Jch sende es a 2 „Jhnen „Jhnen, (schreiben Sie mir) damit Sie „mir von meiner Art zu empfinden, „von dem Gesichtspunct, woraus ich „mir angewoͤhnt habe, die Gegenstaͤn- „de des menschlichen Lebens zu beur- „theilen, von den Betrachtungen, wel- „che sich in meiner Seele, wenn sie leb- „haft geruͤhrt ist, zu entwickeln pfle- „gen, Jhre Meynung sagen, und mich „tadeln, wo Sie finden, daß ich un- „recht habe. Sie wissen, was mich „veranlaßt hat, einige Nebenstunden, „die mir von der Erfuͤllung wesentli- „cher Pflichten uͤbrig blieben, dieser „Gemuͤths-Erhohlung zu wiedmen. „Sie wissen, daß die Jdeen, die ich „in dem Charakter und in den Hand- „lungen des Fraͤuleins von Sternheim „und ihrer Aeltern auszufuͤhren gesucht „habe, immer meine Lieblings-Jdeen „gewesen sind; und womit beschaͤfftigt „man seinen Geist lieber als mit dem, „was man liebt? Jch hatte Stunden, „wo „wo diese Beschaͤfftigung eine Art von „Beduͤrfniß fuͤr meine Seele war. „So entstund unvermerkt dieses kleine „Werk, welches ich anfieng und fortsetz- „te, ohne zu wissen, ob ich es wuͤrde zum „Ende bringen koͤnnen; und dessen Un- „vollkommenheiten sie selbst nicht bes- „ser einsehen koͤnnen als ich sie fuͤhle. „Aber es ist nur fuͤr sie und mich — „und, wenn Sie, wie ich hoffe, die Art „zu denken und zu handeln dieser Toch- „ter meines Geistes gutheissen, fuͤr „unsre Kinder bestimmt. Wenn diese „durch ihre Bekanntschaft mit jener „in tugendhaften Gesinnungen, in ei- „ner wahren, allgemeinen, thaͤtigen „Guͤte und Rechtschaffenheit gestaͤrket „wuͤrden, — welche Wollust fuͤr das „Herz Jhrer Freundin;“ — So schrieben Sie mir, als Sie mir Jh- re Sternheim anvertrauten; — und nun, meine Freundinn, lassen Sie uns sehen, ob ich Jhr Vertrauen beleidiget, a 3 ob ob ich wirklich ein Verbrechen began- gen habe, da ich dem Verlangen nicht widerstehen konnte, allen tugendhaf- ten Muͤttern, allen liebenswuͤrdigen jungen Toͤchtern unsrer Nation ein Ge- schenke mit einem Werke zu machen, welches mir geschickt schien, Weisheit und Tugend, — die einzigen großen Vorzuͤge der Menschheit, die einzigen Quellen einer wahren Gluͤckseligkeit — unter Jhrem Geschlechte, und selbst unter dem meinigen, zu befoͤrdern. Jch habe nichts vonnoͤthen, Jhnen von dem ausgebreiteten Nutzen zu spre- chen, welchen Schriften von derjeni- gen Gattung, worunter Jhre Stern- heim gehoͤrt, stiften koͤnnen, wofern sie gut sind. Alle Vernuͤnftigen sind uͤber diesen Punct Einer Meynung, und es wuͤrde sehr uͤberfluͤßig seyn, nach allem, was Richardson, Fielding und so viele Andere hieruͤber gesagt ha- ben, nur ein Wort zur Bestaͤtigung einer einer Wahrheit, an welcher niemand zweiselt, hinzu zu setzen. Eben so ge- wiß ist es, daß unsre Nation noch weit entfernt ist, an Original-Werken die- ser Art, welche zugleich unterhaltend und geschickt sind, die Liebe der Tu- gend zu befoͤrdern, Ueberfluß zu ha- ben. Sollte diese gedoppelte Be- trachtung nicht hinlaͤnglich seyn, mich zu rechtfertigen? Sie werden, hoffe ich, versucht werden, dieser Meynung zu seyn, oder wenigstens mir desto leichter verzeihen, wenn ich Jhnen ausfuͤhrlicher erzaͤhle, wie der Gedan- ke, Sie in eine Schriftstellerin zu verwandeln, in mir entstanden ist. Jch setzte mich mit allem Phlegma, welches Sie seit mehrern Jahren an mir kennen, hin, Jhre Handschrift zu durchlesen. Das Sonderbare, so Sie gleich in den ersten Blaͤttern der Mutter Jhrer Heldin geben, war, meinem besondern Geschmack nach, a 4 geschick- geschickter mich wider sie als zu ihrem Vortheil einzunehmen. Aber ich las fort, und alle meine kaltbluͤtige Phi- losophie, die spaͤte Frucht einer viel- jaͤhrigen Beobachtung der Menschen und ihrer grenzenlosen Thorheit, konn- te nicht gegen die Wahrheit und Schoͤnheit Jhrer moralischen Schilde- rungen aushalten; mein Herz er- waͤrmte sich; ich liebte Jhren Stern- heim, seine Gemahlin, seine Tochter, und sogar — seinen Pfarrer, einen der wuͤrdigsten unter allen Pfarrern, die ich jemals kennen gelernt habe. Zwanzig kleine Mißtoͤne, welche der sonderbare und an das Enthusiastische angrenzende Schwung in der Den- kungsart Jhrer Sternheim mit der meinigen macht, verlohren sich in der angenehmsten Uebereinstimmung ihrer Grundsaͤtze, ihrer Gesinnungen und ihrer Handlungen mit den besten Em- pfindungen und mit den lebhaftesten Ueber- Ueberzeugungen meiner Seele. Moͤch- ten doch, so dacht’ ich bey hundert Stellen, moͤchten meine Toͤchter so denken, so handeln lernen, wie So- phie Sternheim! Moͤchte mich der Himmel die Gluͤckseligkeit erfahren lassen, diese ungeschminkte Aufrichtig- keit der Seele, diese sich immer glei- che Guͤte, dieses zarte Gefuͤhl des Wahren und Schoͤnen, diese aus ei- ner innern Quelle stammende Ausuͤ- bung jeder Tugend, diese ungeheuchel- te Froͤmmigkeit, welche anstatt der Schoͤnheit und dem Adel der Seele hinderlich zu seyn, die der ihrigen selbst die schoͤnste und beste aller Tugen- den ist, dieses zaͤrtliche, mitleidsvolle, wohlthaͤtige Herz, diese gesunde, un- verfaͤlschte Art von den Gegenstaͤnden des menschlichen Lebens und ihrem Werthe, von Gluͤck, Ansehen und Vergnuͤgen zu urtheilen, — Kurz, alle Eigenschaften des Geistes und a 5 Her- Herzens, welche ich in diesem schoͤnen moralischen Bilde liebe, dereinst in diesen liebenswuͤrdigen Geschoͤpfen aus- gedruͤckt zu sehen, welche schon in ih- rem kindischen Alter die suͤßeste Wollust meiner itzigen, und die beste Hoffnung meiner kuͤnftigen Tage sind; Jndem ich so dachte, war mein erster Einfall, eine schoͤne Abschrift von Jhrem Ma- nuscripte machen zu lassen, um in ei- nigen Jahren unsrer kleinen Sophie (denn Sie sind so guͤtig, sie auch die Jhrige zu nennen) ein Geschenke da- mit zu machen; — und wie erfreute mich der Gedanke, die Empfindungen unsrer vieljaͤhrigen, wohlgepruͤften und immer lauter befundenen Freundschaft auch durch dieses Mittel auf unsre Kin- der fortgepflanzt zu sehen! An diesen Vorstellungen ergoͤtzte ich mich eine Zeitlang, als mir, eben so na- tuͤrlicher weise, der Gedanke aufstei- gen mußte: Wie manche Mutter, wie mancher mancher Vater lebt itzt in dem weiten Umfange der Provinzen Germaniens, welche in diesem Augenblicke aͤhn- liche Wuͤnsche zum Besten eben so zaͤrtlich geliebter, eben so hoff- nungsvoller Kinder thun! Wuͤr- de ich diesen nicht Vergnuͤgen ma- chen, wenn ich sie an einem Gute, welches durch die Mittheilung nichts verliehrt, Antheil nehmen ließe? Wuͤrde das Gute, welches durch das tugendhafte Beyspiel der Familie Sternheim gewuͤrkt werden kann, nicht dadurch uͤber Viele ausgebreitet werden? Jst es nicht unsre Pflicht, in einem so weiten Umfang als moͤg- lich Gutes zu thun? Und wie viele edelgesinnte Personen wuͤrden nicht durch dieses Mittel den wuͤrdigen Cha- racter des Geistes und des Herzens meiner Freundin kennen lernen, und, wenn Sie und ich nicht mehr sind, ihr Andenken segnen! — Sagen Sie mir, mir, meine Freundin, wie haͤtte ich, mit dem Herzen, welches Sie nun so viele Jahre kennen, und unter allen meinen aͤußerlichen und innerlichen Veraͤnderungen immer sich selbst gleich befunden haben, solchen Vorstellungen widerstehen koͤnnen? Es war al- so sogleich bey mir beschlossen, Co- peyen fuͤr alle unsre Freunde und Freundinnen, und fuͤr alle, die es seyn wuͤrden, wenn sie uns kennten, ma- chen zu lassen; ich dachte so gut von unsern Zeitgenossen, daß ich eine große Menge solcher Copeyen noͤthig zu ha- ben glaubte; und so schickte ich die meinige an meinen Freund Reich, ihm uͤberlassend, deren so viele zu ma- chen, als ihm selbst belieben wuͤrde. Doch nein! So schnell gieng es nicht zu. Bey aller Waͤrme meines Her- zens blieb doch mein Kopf kalt genug, um alles in Betrachtung zu ziehen, was vermoͤgend schien, mich von mei- nem nem Vorhaben abzuschrecken. Nie- mals, daß ich wuͤßte, hat mich das Vorurtheil fuͤr diejenige, die ich liebe, gegen ihre Maͤngel blind gemacht. Sie kennen diese Eigenschaft an mir, und sie sind eben so wenig faͤhig zu er- warten, oder nur zu wuͤnschen, daß man ihnen schmeicheln soll, als ich ge- neigt bin, gegen meine Empfindung zu reden. Jhre Sternheim, so lie- benswuͤrdig sie ist, hat als ein Werk des Geistes, als eine dichterische Com- position, ja nur uͤberhaupt als eine deutsche Schrift betrachtet, Maͤngel, welche den Auspfeiffern nicht verbor- gen bleiben werden. Doch diese sind es nicht, vor denen ich mich in Jhrem Namen fuͤrchte. Aber die Kunstrich- ter auf der einen Stite, und auf der andern die ekeln Kenner aus der Classe der Weltleute, — soll ich Jhnen ge- stehen, meine Freundin, daß ich nicht gaͤnzlich ohne Sorgen bin, wenn ich daran daran denke, daß Jhre Sternheim durch meine Schuld dem Urtheil so vieler Personen von so unterschiedli- cher Denkensart ausgestellt wird? Aber hoͤren Sie, was ich mir selbst sagte, um mich wieder zu beruhigen. Die Kunstrichter haben es, in Absicht alles dessen, was an der Form des Werkes und an der Schreibart zu ta- deln seyn kann, lediglich mit mir zu thun. Sie, meine Freundin, dachten nie daran, fuͤr die Welt zu schreiben, oder ein Werk der Kunst hervorzubrin- gen. Bey aller Jhrer Belesenheit in den besten Schriftstellern verschiedener Sprachen, welche man lesen kann oh- ne gelehrt zu seyn, war es immer Jhre Gewohnheit, weniger auf die Schoͤn- heit der Form als auf den Werth des Jnhalts aufmerksam zu seyn; und schon dieses einzige Bewußtseyn wuͤrde Sie den Gedanken fuͤr die Welt zu schreiben allezeit haben verbannen heis- sen. sen. Mir, dem eigenmaͤchtigen Her- ausgeber Jhres Manuscripts, waͤre es also zugekommen, den Maͤngeln abzu- helfen, von denen ich selbst erwarte, daß sie den Kunstrichtern, wo nicht an- stoͤßig seyn, doch den Wunsch, sie nicht zu sehen, abdringen koͤnnten. Doch, indem ich von Kunstrichtern rede, den- ke ich an Maͤnnern von feinem Ge- schmack und reifem Urtheil; an Rich- ter, welche von kleinen Flecken an ei- nem schoͤnen Werke nicht beleidiget werden, und zu billig sind, von einer freywillig hervorgekommenen Frucht der bloßen Natur und von einer durch die Kunst erzogenen, muͤhsam gepfle- geten Frucht (wiewohl, was den Ge- schmack anbetrifft, diese nicht selten jener den Vorzug lassen muß) einerley Voll- kommenheit zu fodern. Solche Ken- ner werden vermuthlich, eben so wohl wie ich, der Meynung seyn, daß eine moralische Dichtung, bey welcher es mehr mehr um die Ausfuͤhrung eines gewis- sen lehrreichen und interessanten Haupt- charakters, als um Verwicklungen und Entwicklungen zu thun ist, und wobey uͤberhaupt die moralische Nuͤtzlichkeit der erste Zweck, die Ergoͤtzung des Le- sers hingegen nur eine Nebenabsicht ist, einer kuͤnstlichen Form um so eher entbehren koͤnne, wenn sie innerliche und eigenthuͤmliche Schoͤnheiten fuͤr den Geist und das Herz hat, welche uns wegen des Mangels eines nach den Regeln der Kunst ausgelegten Plans und uͤberhaupt alles dessen, was unter der Benennung Autors-Kuͤn- ste begriffen werden kann, schadlos halten. Eben diese Kenner werden, (oder ich muͤßte mich sehr betruͤgen) in der Schreibart des Fraͤuleins von Sternheim eine gewisse Originalitaͤt der Bilder und des Ausdrucks und eine so gluͤckliche Richtigkeit und Ener- gie des letztern, oft gerade in Stellen, mit mit denen der Sprachlehrer vielleicht am wenigsten zufrieden ist, bemerken, welche die Nachlaͤßigkeit des Stils, das Ungewoͤhnliche einiger Redensar- ten und Wendungen, und uͤberhaupt den Mangel einer vollkommnern Ab- glaͤttung und Rundung, — einen Mangel, dem ich nicht anders als auf Unkosten dessen, was mir eine wesent- liche Schoͤnheit der Schreibart meiner Freundin schien, abzuhelfen gewußt haͤtte, — reichlich zu verguͤten schei- nen. Sie werden die Beobachtung machen, daß unsre Sternheim, un- geachtet die Vortheile ihrer Erziehung bey aller Gelegenheit hervorschim- mern, dennoch ihren Geschmack und ihre Art zu denken, zu reden und zu handeln, mehr der Natur und ihren eigenen Erfahrungen und Bemerkun- gen, als dem Unterricht und der Nach- ahmung zu danken habe; daß es eben daher komme, daß sie so oft anders denkt und handelt als die meisten Per- b sonen sonen ihres Standes; daß dieses Ei- gene und Sonderbare ihres Chara- cters, und vornehmlich der individuelle Schwung ihrer Einbildungskraft na- tuͤrlicher weise auch in die Art ihrer Ge- danken einzukleiden oder ihre Empfin- dungen auszudruͤcken einen starken Einfluß haben muͤsse; und daß es eben daher komme, daß sie fuͤr einen Ge- danken, den sie selbst gefunden hat, auch selbst auf der Stelle einen eigenen Ausdruck erfindet, dessen Staͤrke der Lebhaftigkeit und Wahrheit der an- schauenden Begriffe angemessen ist, aus welchen sie ihre Gedanken entwi- ckelt: — und sollten die Kenner nicht geneigt seyn mit mir zu finden, daß eben diese voͤllige Jndividualisirung des Charakters unsrer Heldin einen der seltensten Vorzuͤge dieses Werkes aus- macht, gerade denjenigen, welchen die Kunst am wenigsten, und gewiß nie so gluͤcklich erreichen wuͤrde, als es hier, wo die Natur gearbeitet hat, geschehen geschehen ist? Kurz, ich habe eine so gute Meynung von der seinen Empfin- dung der Kunstrichter, daß ich ihnen zutraue, sie werden die Maͤngel, wo- von die Rede ist, mit so vielen, und so vorzuͤglichen Schoͤnheiten verwebt finden, daß sie es mir verdenken wuͤr- den, wenn ich das Privilegium der Damen, welche keine Schriftstellerin- nen von Profession sind, zum Vor- theil meiner Freundin geltend machen wollte. Und sollten wir uns etwan vor dem feinen und verwoͤhnten Ge- schmacke der Weltleute mehr zu fuͤrch- ten haben als vor den Kunstrichtern? Jn der That, die Singularitaͤt unsrer Heldin, ihr Enthusiasmus fuͤr das sittliche Schoͤne, ihre besondern Jdeen und Launen, ihre eine wenig eigensinni- ge Praͤdilection fuͤr die Milords und alles was ihnen gleich sieht und aus ihrem Lande kommt, und, was noch aͤrger ist als dies alles, der bestaͤn- dige Contrast, den ihre Art zu em- b 2 pfinden, pfinden, zu urtheilen und zu handeln mit dem Geschmack, den Sitten und Gewohnheiten der großen Welt macht, — scheint ihr nicht die guͤnstig- ste Aufnahme in der letztern vorherzu- sagen. Gleichwohl gebe ich noch nicht alle Hoffnung auf, daß sie nicht, eben darum, weil sie eine Erscheinung ist, unter dem Namen der liebenswuͤrdi- gen Grillenfaͤngerin, ansehnliche Er- oberungen sollte machen koͤnnen. Jn der That, bey aller ihrer moralischen Sonderlichkeit, welche zuweilen nahe an das Uebertriebene, oder was einige Pedanterey nennen werden, zu gren- zen scheint, ist sie ein liebenswuͤrdiges Geschoͤpfe; und wenn auf der einen Seite ihr ganzer Charakter mit allen ih- ren Begriffen und Grundsaͤtzen als eine in Handlung gesetzte Satyre uͤber das Hofleben und die große Welt angesehen werden kann: so ist auf der andern eben so gewiß, daß man nicht billiger und nachsichtlicher von den Vorzuͤgen und von von den Fehlern der Personen, welche sich in diesem schimmernden Kreise be- wegen, urtheilen kann als unsre Heldin. Man sieht, daß sie von Sachen spricht, welche sie in der Naͤhe gesehen hat, und daß die Schuld weder an ihrem Verstand noch an ihrem Herzen liegt, wenn sie in diesem Lande, wo die Kunst die Natur gaͤnzlich verdrungen hat, alles unbegreiflich findet, und selbst allen unbegreiflich ist. Vergeben Sie mir, meine Freundin, daß ich Jhnen so viel uͤber einen Punct, woruͤber Sie Ursache haben sehr ruhig zu seyn, vorschwatze. Es giebt Per- sonen, bey denen gar niemals eine Frage seyn soll, ob sie auch gefallen werden; und ich muͤßte mich außeror- dentlich irren, wenn unsre Heldin nicht in diese Classe gehoͤrte. Die naive Schoͤnheit ihres Geistes, die Reinigkeit, die unbegrenzte Guͤte ihres Herzens, die Richtigkeit ihres Ge- schmacks, die Wahrheit ihrer Urtheile, b 3 die die Scharfsinnigkeit ihrer Bemerkun- gen, die Lebhaftigkeit ihrer Einbildungs- kraft und die Harmonie ihres Ausdrucks mit ihrer eigenen Art zu empfinden und zu denken, kurz, alle ihre Talente und Tugenden sind mir Buͤrge dafuͤr, daß sie mit allen ihren kleinen Fehlern ge- fallen wird; daß sie Allen gefallen wird, welche dem Himmel einen ge- sunden Kopf und ein gefuͤhlvolles Herz zu danken haben; — und wem woll- ten wir sonst zu gefallen wuͤnschen? — Doch der liebste Wunsch unsrer Hel- din ist nicht der Wunsch der Eitelkeit; nuͤtzlich zu seyn, wuͤnschte sie; Gutes will sie thun; und Gutes wird sie thun, und dadurch den Schritt recht- fertigen, den ich gewaget habe, sie ohne Vorwissen und Erlaubniß ihrer liebenswuͤrdigen Urheber in in die Welt einzufuͤhren. Jch bin, u. s. w. Der Herausgeber. Geschichte Geschichte des Fraͤuleins von Sternheim. S ie sollen mir nicht danken, meine Freundinn, daß ich so viel fuͤr Sie abschreibe. Sie wissen, daß ich das Gluͤck hatte, mit der vortrefflichen Dame erzogen zu werden, aus deren Le- bensbeschreibung ich Jhnen Auszuͤge und Abschriften von den Briefen mittheile, welche Mylord Seymour von seinen en- glischen Freunden und meiner Emilia sam- melte. Glauben Sie, es ist ein Vergnuͤ- gen fuͤr mein Herz, wenn ich mich mit etwas beschaͤfftigen kann, wodurch das A gehei- geheiligte Andenken der Tugend und Guͤte einer Person, welche unserm Geschlechte und der Menschheit Ehre gemacht, in mir erneuert wird. Der Vater meiner geliebten Lady Sidney war der Oberste von Stern- heim, einziger Sohn eines Professors in W., von welchem er die sorgfaͤltigste Er- ziehung genoß. Edelmuth, Groͤße des Geistes, Guͤte des Herzens, waren die Grundzuͤge seines Charakters. Auf der Universitaͤt L. verband ihm die Freund- schaft mit dem juͤngern Baron von P. so sehr, daß er nicht nur alle Reisen mit ihm machte, sondern auch aus Liebe zu ihm mit in Kriegsdienste trat. Durch seinen Umgang und durch sein Beyspiel wurde der vorher unbaͤndige Geist des Barons so biegsam und wohldenkend, daß die ganze Familie dem jungen Mann dank- te, der ihren geliebten Sohn auf die Wege des Guten gebracht hatte. Ein Zufall trennte sie. Der Baron mußte nach dem Tode seines aͤltern Bruders die Kriegs- dienste verlassen, und sich zu Ueberneh- mung mung der Guͤther und Verwaltung dersel- ben geschickt machen. Sternheim, der von Officiren und Gemeinen auf das voll- kommenste geehrt und geliebt wurde, blieb im Dienste, und erhielt darinn von dem Fuͤrsten die Stelle eines Obersten, und den Adelstand. „Jhr Verdienst, nicht „das Gluͤck hat Sie erhoben,“ sagte der General, als er ihm im Namen des Fuͤrsten in Gegenwart vieler Personen, das Obersten-Patent und den Adelsbrief uͤberreichte; und nach dem allgemeinen Zeugnisse waren alle Feldzuͤge Gelegen- heiten, wo er Großmuth, Menschenliebe und Tapferkeit in vollem Maaß ausuͤbte. Bey Herstellung des Friedens war sein erster Wunsch, seinen Freund zu se- hen, mit welchem er immer Briefe gewech- selt hatte. Sein Herz kannte keine an- dere Verbindung. Schon lange hatte er seinen Vater verlohren; und da dieser selbst ein Fremdling in W. gewesen war, so blieben seinem Sohne keine nahe Ver- wandte von ihm uͤbrig. Der Oberste von Sternheim gieng also nach P., um A 2 daselbst daselbst das ruhige Vergnuͤgen der Freund- schaft zu genießen. Der Baron P., sein Freund, war mit einer liebenswuͤrdigen Dame vermaͤhlt, und lebte mit seiner Mutter und zwoen Schwestern auf den schoͤnen Guͤthern, die ihm sein Vater zu- ruͤck gelassen, sehr gluͤcklich. Die Fami- lie von P., als eine der angesehensten in der Gegend, wurde von dem zahlreichen benachbarten Adel oͤfters besucht. Der Baron P. gab wechselsweise Gesellschaft und kleine Feste; die einsamen Tage wur- den mit Lesung guter Buͤcher, mit Be- muͤhungen fuͤr die gute Verwaltung der Herrschaft, und mit edler anstaͤndiger Fuͤhrung des Hauses zugebracht. Zuweilen wurden auch kleine Concerte gehalten, weil die juͤngere Fraͤulein das Clavier, die aͤltere aber die Laute spielte, und schoͤn sang, wobey sie von ihrem Bruder mit etlichen von seinen Leuten accompagnirt wurde. Der Gemuͤthszu- stand des aͤltern Fraͤuleins stoͤrte dieses ruhige Gluͤck. Sie war das einzige Kind, welches der Baron P. mit seiner ersten Gemahlin Gemahlin, einer Layd Watson, die er auf einer Gesandtschaft in England geheu- rathet, erzeugt hatte. Dieses Fraͤulein schien zu aller sanften Liebenswuͤrdigkeit einer Englaͤnderin, auch den melancholi- schen Charakter, der diese Nation bezeich- net, von ihrer Mutter geerbt zu haben. Ein stiller Gram war auf ihrem Gesichte verbreitet. Sie liebte die Einsamkeit, verwendete sie aber allein auf fleißiges Le- sen der besten Buͤcher; ohne gleichwohl die Gelegenheiten zu versaͤumen, wo sie, ohne fremde Gesellschaft, mit den Perso- nen ihrer Familie allein seyn konnte. Der Baron, ihr Bruder, der sie zaͤrt- lich liebte, machte sich Kummer fuͤr ihre Gesundheit, er gab sich alle Muͤhe, sie zu zerstreuen, und die Ursache ihrer ruͤh- renden Traurigkeit zu erfahren. Etlichemal bat er sie, ihr Herz einem treuen zaͤrtlichen Bruder zu entdecken. Sie sah ihn bedenklich an, dankte ihm fuͤr seine Sorge, und bat ihn mit thraͤ- nenden Augen, ihr ihr Geheimniß zu lassen, und sie zu lieben. Dieses machte A 3 ihn ihn unruhig. Er besorgte, irgend ein be- gangener Fehler moͤchte die Grundlage dieser Betruͤbniß seyn; beobachtete sie in allem auf das genauste, konnte aber kei- ne Spur entdecken, die ihn zu der ge- ringsten Bestaͤrkung einer solchen Besorg- niß haͤtte leiten koͤnnen. Jmmer war sie unter seinen oder ih- rer Mutter Augen, redete mit niemand im Hause, und vermied alle Arten von Umgang. Einige Zeit uͤberwand sie sich, und blieb in Gesellschaft; und eine ruhige Munterkeit machte Hoffnung, daß der melancholische Anfall voruͤber waͤre. Zu diesem Vergnuͤgen der Familie kam die unvermuthete Ankunft des Ober- sten von Sternheim, von welchem diese ganze Familie so viel reden gehoͤrt, und in seinen Briefen die Vortrefflichkeit sei- nes Geistes und Herzens bewundert hatte. Er uͤberraschte sie Abends in ihrem Gar- ten; die Entzuͤckung des Barons, und die neugierige Aufmerksamkeit der uͤbrigen, ist nicht zu beschreiben. Es waͤhrte auch nicht lange, so floͤßte sein edles liebrei- ches ches Betragen dem ganzen Hause eine gleiche Freude ein. Der Oberste wurde als ein besonderer Freund des Hauses bey allen Bekannten vom Adel aufgefuͤhrt, und kam in alle ihre Gesellschaften. Jn dem Hause des Barons machte er die Erzaͤhlung seines Lebens, worinn er ohne Weitlaͤuftigkeit das Merkwuͤrdige und Nuͤtzliche was er gesehen, mit vieler Anmuth und mit dem maͤnnlichen Tone, der den weisen Mann und den Menschen- freund bezeichnet, vortrug. Jhm wurde hingegen das Gemaͤhlde vom Landleben gemacht, wobey bald der Baron von den Vortheilen, welche die Gegenwart des Herrn den Unterthanen verschafft, bald die alte Dame von demjenigen Theil der laͤndlichen Wirthschaft, der die Familien- mutter angeht, bald die beyden Fraͤulein von den angenehmen Ergoͤtzlichkeiten spra- chen, die das Landleben in jeder Jahrs- zeit anbietet. Auf diese Abschilderung folgte diese Frage: A 4 Mein Mein Freund, wollten Sie nicht die uͤbrigen Tage ihres Lebens auf dem Lan- de zubringen? „Ja, lieber Baron! aber es muͤßte auf meinen eignen Guͤthern und in der Nach- barschaft der Jhrigen seyn.“ Das kann leicht geschehen, denn es ist eine kleine Meile von hier ein artiges Guth zu kaufen; ich habe die Erlaubniß hinzugehen, wenn ich will; wir wollen es Morgen befehen. Den Tag darauf ritten die beyden Herren dahin, in Begleitung des Pfar- rers von P., eines sehr wuͤrdigen Man- nes, von welchem die Damen die Be- schreibung des ruͤhrenden Auftritts erhiel- ten, der zwischen den beyden Freunden vorgefallen war. Der Baron hatte dem Obersten das ganze Guth gewiesen, und fuͤhrte ihn auch in das Haus, welches gleich an dem Garten und sehr artig gelegen war. Hier nahmen sie das Fruͤhstuͤck ein. Der Oberste bezeugte seine Zufrieden- heit uͤber alles was er gesehen, und fragte den den Baron: ob es wahr sey, daß man dieses Guth kaufen koͤnne? Ja, mein Freund; gefaͤllt es Jhnen? Vollkommen; es wuͤrde mich von nichts entfernen, was ich liebe. O wie gluͤcklich bin ich, theurer Freund, sagte der Baron, da er ihn um- armte; ich habe das Guth schon vor drey Jahren gekauft, um es Jhnen anzubie- ten; ich habe das Haus ausgebessert, und oft in diesem Cabinette fuͤr Jhre Erhal- tung gebetet. Nun werde ich den Fuͤh- rer meiner Jugend zum Zeugen meines Lebens haben! Der Oberste wurde außerordentlich geruͤhrt; er konnte seinen Dank und seine Freude uͤber das edle Herz seines Freun- des nicht genug ausdruͤcken; er versicher- te ihn, daß er sein Leben in diesem Hause zubringen wuͤrde; aber zugleich verlangte er zu wissen, was das Guth gekostet habe. Der Baron mußte es sagen, und es auch durch die Kaufbriefe beweisen. Der Er- trag belief sich hoͤher, als es nach dem An- kaufsschilling seyn sollte. Der Baron A 5 ver- versicherte aber, daß er nichts als seine eigne Auslage annehmen wuͤrde. Mein Freund, (sagte er) ich habe nichts gethan, als seit drey Jahren alle Einkuͤnfte des Guths auf die Verbesse- rung und Verschoͤnerung desselben verwen- det. Das Vergnuͤgen des Gedankens: du arbeitest fuͤr die Ruhetage des Besten der Menschen; hier wirst du ihn sehen, und in seiner Gesellschaft die gluͤcklichen Zeiten deiner Jugend erneuern; sein Rath, sein Beyspiel, wird zu der Zufrie- denheit deiner Seele und dem Besten dei- ner Angehoͤrigen beytragen — Diese Gedanken haben mich belohnt. Wie sie nach Hause kamen, stellte der Baron den Obersten als einen neuen Nachbar seiner Frau Mutter und seinen Schwestern vor. Alle wurden sehr froh uͤber die Versicherung, seinen angenehmen Umgang auf immer zu genießen. Er bezog sein Haus sogleich, als er Besitz von der kleinen Herrschaft genom- men hatte, die nur aus zweyen Doͤrfern bestund. Er gab auch ein Festin fuͤr die kleine kleine Nachbarschaft, fieng gleich darauf an zu bauen, setzte noch zween schoͤne Fluͤ- gel an beyden Seiten des Hauses, pflanzte Alleen und einen artigen Lustwald, alles in englischem Geschmack. Er betrieb die- sen Bau mit dem groͤßten Eifer. Gleich- wohl hatte er von Zeit zu Zeit eine duͤstre Miene, die der Baron wahrnahm, ohne anfangs davon etwas merken zu lassen, bis er in dem folgenden Herbst einer Ge- muͤthsveraͤnderung des Obersten uͤberzeugt zu seyn glaubte, bey welcher er nicht laͤn- ger ruhig seyn konnte. Sternheim kam nicht mehr so oft, redete weniger, und gieng bald wieder weg. Seine Leute be- dauerten die ungewoͤhnliche Melancholie, die ihren Herrn befallen hatte. Der Baron wurde um so viel mehr bekuͤmmert, als sein Herz von der zuruͤck- gefallnen Traurigkeit seiner aͤltern Schwe- ster beklemmt war. Er gieng zum Ober- sten, fand ihn allein und nachdenkend, umarmte ihn mit zaͤrtlicher Wehmuth, und rief aus: — „O mein Freund! wie nichtig sind auch die edelsten, die lauter- sten sten Freuden unsers Herzens! — Lange fehlte mir nichts als Jhre Gegenwart; nun seh’ ich Sie; ich habe Sie in meinen Armen, und sehe Sie traurig! Jhr Herz, Jhr Vertrauen ist nicht mehr fuͤr mich; haben Sie vielleicht der Freundschaft zu viel nachgegeben, indem Sie hier einen Wohnsitz nehmen?“ — Liebster bester Freund! quaͤlen Sie sich nicht; Jhr Ver- gnuͤgen ist mir theurer als mein eignes, ich nehme das Guth wieder an; es wird mir werth seyn, weil es mir Jhr schaͤtz- bares Andenken, und ihr Bild an allen Orten erneuern wird.“ Hier hielt er inne; Thraͤnen fuͤllten sein Auge, welches auf dem Gesicht seines Freundes geheftet war — Er sah die groͤßte Bewegung der Seele in demselben ausgedruͤckt. Der Oberste stund auf, und umfaßte den Baron. „Edler P. glauben Sie ja nicht, daß meine Freundschaft, mein Vertrauen gegen Sie vermindert sey; noch weniger denken Sie, daß mich die Entschließung gereue, meine Tage in Jh- rer rer Nachbarschaft hinzubringen. — O Jhre Nachbarschaft ist mir lieber, als Sie sich vorstellen koͤnnen! — Jch habe eine Leidenschaft zu bekaͤmpfen, die mein Herz zum erstenmal angefallen hat. Jch hoffte, vernuͤnftig und edelmuͤthig zu seyn; aber ich bin es noch nicht in aller der Staͤrke, welche der Zustand meiner Seele erfodert. Doch ist es nicht moͤglich, daß ich mit Jh- nen davon spreche; mein Herz und die Ein- samkeit sind die einzigen Vertrauten, die ich haben kann. Der Baron druͤckte ihn an seine Brust; ich weiß, sagte er, daß Sie in allem wahrhaft sind, ich zweifle also nicht an den Versicherungen Jhrer alten Freund- schaft. Aber warum kommen Sie so sel- ten zu mir? warum eilen Sie so kalt wieder aus meinem Hause? „Kalt, mein Freund! Kalt eile ich aus Jhrem Hause? O P.; Wenn Sie das brennende Verlangen kennten, das mich zu Jhnen fuͤhrt; das mich Stunden lang an meinem Fenster haͤlt, wo ich das geliebte Haus sehe, in welchem alle mein Wuͤnschen Wuͤnschen, all mein Vergnuͤgen wohnt; Ach P.! —“ Der Baron P. wurde unruhig, weil ihm auf einige Augenblicke der Gedanke kam, sein Freund moͤchte vielleicht seine Gemahlin lieben, und meide deswegen sein Haus, weil er sich zu bestreiten suche. Er beschloß, achtsam und zuruͤckhaltend zu seyn. Der Oberste hatte still gesessen, und der Baron war auch aus seiner Fas- sung. Endlich fieng der letztere an: Mein Freund, Jhr Geheimniß ist mir hei- lig; ich will es nicht aus Jhrer Brust er- pressen. Aber Sie haben mir Ursache gegeben zu denken, daß ein Theil dieses Geheimnisses mein Haus angehe: Darf ich nicht nach diesem Theile fragen? Nein! Nein, fragen Sie nichts, und uͤberlassen Sie mich mir selbst — Der Baron schwieg, und reiste traurig und tiefsinnig fort. Den andern Tag kam der Oberste, bat den Baron um Vergebung, daß er ihn gestern so trocken heimreisen lassen, und sagte, daß es ihn den ganzen Abend ge- quaͤlt quaͤlt haͤtte. Lieber Baron, setzte er hin- zu, Ehre und Edelmuth binden meine Zunge! Zweifeln Sie nicht an meinem Herzen, und lieben Sie mich! Er blieb den ganzen Tag in P., — Fraͤulein Sophie und Fraͤulein Charlotte wurden von ihrem Bruder gebeten, alles zu Ermunterung seines Freundes beyzu- tragen. Der Oberste hielt sich aber mei- stens um die alte Dame und die Gemah- lin des Barons auf. Abends spielte Fraͤulein Charlotte die Laute, der Baron und zween Bediente accompagnirten sie, und Fraͤulein Sophie wurde so instaͤndig gebeten, zu singen, daß sie endlich nach- gab. Der Oberste stellte sich in ein Fenster, wo er bey halb zugezogenem Vorhang das kleine Familien-Concert anhoͤrte, und so eingenommen wurde, nicht wahrzuneh- men, daß die Gemahlin seines Freundes nahe genug bey ihm stund, um ihn sagen zu hoͤren: „O Sophie, warum bist du die Schwester meines Freundes? warum bestreiten die Vorzuͤge deiner Geburt die edle edle, die zaͤrtliche Neigung meines Her- zens! —“ Die Dame wurde bestuͤrzt; und um die Verwirrung zu vermeiden, in die er gerathen seyn wuͤrde, wenn er haͤtte den- ken koͤnnen, sie habe ihn gehoͤrt, entfernte sie sich; froh, ihrem Gemahl die Sorge benehmen zu koͤnnen, die ihn wegen der Schwermuth des Obersten plagte. — So bald alles schlafen gegangen war, re- dete sie mit ihm von dieser Entdeckung. Der Baron verstund nun, was ihm der Oberste sagen wollte, da er sich wegen des vermeynten Kaltsinns vertheidigte, dessen er beschuldigt wurde. Waͤre Jh- nen der Oberste als Schwager eben so lieb, wie er es Jhnen als mein Freund ist? — fragte er seine Gemahlin. „Gewiß, mein Liebster! Sollte denn das Verdienst des rechtschaffnen Mannes nicht so viel Werth haben, als die Vor- zuͤge des Namens und der Geburt! Werthe edle Helfte meines Lebens, rief der Baron, so helfen Sie mir die Vor- Vorurtheile bey meiner Mama, und bey Sophien uͤberwinden! — „Jch fuͤrchte die Vorurtheile nicht so sehr, als eine vorgefaßte Neigung, die unsre liebe Sophie in ihrem Herzen naͤhrt. Jch kenne den Gegenstand nicht, aber sie liebt, und liebt schon lange. Kleine Aufsaͤtze von Betrachtungen, von Kla- gen gegen das Schicksal, gegen Tren- nung, — die ich in ihrem Schreibetische gefunden habe, uͤberzeugten mich davon. Jch habe sie beobachtet, aber weiter nichts entdecken koͤnnen.“ Jch will mit ihr re- den, sagte der Baron, und sehen, ob ihr Herz nicht durch irgend eine Luͤcke auszu- spaͤhen ist. Den Morgen darauf gieng der Ba- ron zu Fraͤulein Sophie, und nach vielen freundlichen Fragen um ihre Gesund- heit, nahm er ihre Haͤnde in die seinigen. Liebe theure Sophie, sprach er, du giebst mir Versicherung deines Wohlseyns; aber warum bleibt dir die leidende Miene? warum der Ton des Schmerzens; warum B der der Hang zur Einsamkeit! warum ent- fliehen diesem edeln guͤtigen Herzen so viele Seufzer? — O wenn du wuͤßtest; wie sehr du mich diese lange Zeit deiner Me- lancholie durch bekuͤmmert hast; du wuͤr- dest mir dein Herz nicht verschlossen haben! Hier wurde ihre Zaͤrtlichkeit uͤberwaͤl- tiget. — Sie zog ihre Haͤnde nicht weg, sie druͤckte ihres Bruders seine an ihre Brust, und ihr Kopf sank auf seine Schul- ter. „Bruder, du brichst mein Herz! ich kann den Gedanken nicht ertragen, dir Kummer gemacht zu haben! Jch liebe dich wie mein Leben; ich bin gluͤcklich, ertrage mich, und rede mir niemals vom Hey- rathen.“ Warum das, mein Kind? Du wuͤrdest einen rechtschaffenen Mann so gluͤcklich machen! „Ja, ein rechtschaffener Mann wuͤr- de auch mich gluͤcklich machen; aber ich kenne —“ Thraͤnen hinderten sie, mehr zu sagen. — O Sophie — hemme die aufrichtige Bewegung deiner Seele nicht; schuͤtte ihre ihre Empfindungen in den treuen Busen deines Bruders aus — Kind! ich glau- be, es giebt einen Mann, den du liebst, mit dem dein Herz ein Buͤndniß hat. — „Nein, Bruder! mein Herz hat kein Buͤndniß —“ Jst dieses wahr, meine Sophie? „Ja, mein Bruder, ja — —“ Hier schloß sie der Baron in seine Arme. — Ach wenn du die entschloßne, die wohlthaͤtige Seele deiner Mutter haͤt- test! — Sie erstaunte. „Warum, mein Bru- der? was willst du damit? bin ich uͤbel- thaͤtig gewesen?“ Niemals, meine Liebe, niemals — aber du koͤnntest es werden, wenn Vor- urtheile mehr als Tugend und Vernunft bey dir gaͤlten. „Bruder, du verwirrest mich! in was fuͤr einem Falle sollte ich der Tugend und Vernunft entsagen?“ Du mußt es nicht so nehmen! Der Fall, den ich denke, ist nicht wider Tu- gend und Vernunft; und doch koͤnnten B 2 beyde beyde ihre Anspruͤche bey dir verlieh- ren? — „Bruder, rede deutlich; ich bin ent- schlossen nach meinen geheimsten Empfin- dungen zu antworten.“ — Sophie, die Versicherung, daß dein Herz ohne Buͤndniß sey, erlaubt mir, dich zu fragen: was du thun wuͤrdest, wenn ein Mann, voll Weisheit und Tu- gend, dich liebte, um deine Hand baͤte, aber nicht von altem Adel waͤre? — Sie gerieth bey diesem letzten Wort in Schrecken, sie zitterte, und wußte sich nicht zu fassen. Der Baron wollte ihr Herz nicht lange quaͤlen, sondern fuhr fort: wenn dieser Mann der Freund waͤre, dem dein Bruder die Guͤte und Gluͤckse- ligkeit seines Herzens zu danken haͤtte, — Sophie; was wuͤrdest du thun? Sie redete nicht, sondern ward nach- denkend und wechselsweise roth und blaß. Jch beunruhige dich, meine Schwe- ster; der Oberste liebt dich. Diese Lei- denschaft macht seine Schwermuth; denn er zweifelt, ob er werde angenommen wer- den. den. Jch bekenne dir freymuͤthig, daß ich wuͤnschte, alle seine mir erwiesne Wohlthaten durch dich zu vergelten. Aber wenn dein Herz darwider ist, so ver- giß alles was ich dir sagte. Das Fraͤulein bemuͤhete sich einen Muth zu fassen; schwieg aber eine gute Weile; endlich fragte sie den Baron: „Bruder, ist es gewiß, daß der Oberste mich liebt?“ — Der Baron erklaͤrte ihr hierauf alles was er durch seine Unterre- dungen mit dem Obersten, und endlich durch die Wuͤnsche, welche seine Gemah- lin gehoͤrt hatte, von seiner Liebe wußte. „Mein Bruder, sprach Sophie, ich bin freymuͤthig, und du verdienst alle mein Vertrauen so sehr, daß ich nicht lange warten werde, dir zu sagen, daß der Oberste der einzige Mann auf Erden ist, dessen Gemahlin ich zu werden wuͤnsche. Der Unterschied der Geburt ist dir al- so nicht anstoͤßig? „Gar nicht; sein edles Herz, seine Wissenschaft, und seine Freundschaft fuͤr B 3 dich, dich, ersetzen bey mir den Mangel der Ahnen.“ Edelmuͤthiges Maͤdchen! du machst mich gluͤcklich durch deine Entschließung, liebste Sophie! — Aber warum batest du mich, dir nichts vom Heyrathen zu sagen? „Weil ich fuͤrchtete, du redetest von einem andern“ sagte sie, mit leisem Ton, indem ihr gluͤhendes Gesicht auf der Schulter ihres Bruders lag — Er umarmte sie, kuͤßte ihre Hand; diese Hand, sagte er, wird ein Segen fuͤr meinen Freund seyn! von mir wird er sie erhalten! Aber, mein Kind, die Ma- ma und Charlotte werden dich bestreiten; wirst du standhaft bleiben? „Bruder, du sollst sehen, daß ich ein Englaͤndisches Herz habe. — Aber da ich alle deine Fragen beantwortete, so muß ich auch eine machen: Was dachtest du von meiner Traurigkeit, weil du mich so oft fragtest? —“ Jch Jch dachte, eine heimliche Liebe, und ich fuͤrchtete mich vor dem Gegenstand, weil du so verborgen warest. „Mein Bruder glaubte also nicht, daß die Briefe seines Freundes, die er uns vorlas, und alles uͤbrige, was er von dem theuren Mann erzaͤhlte, einen Eindruck auf mein Herz machen koͤnnte?“ Liebe Sophie, es war also das Ver- dienst meines Freundes, was dich so be- unruhigte? — Gluͤcklicher Mann, den ein edles Maͤdchen wegen seiner Tugend liebt! — Gott segue meine Schwester fuͤr ihre Aufrichtigkeit! nun kann ich das Herz meines Freundes von seinem nagen- den Kummer heilen. „Thu’ alles mein Bruder, was ihn be- friedigen kann; nur schone meiner dabey! du weist, daß ein Maͤdchen nicht unge- beten lieben darf.“ Sey ruhig, mein Kind; deine Ehre ist die meinige. Hier verließ er sie, gieng zu seiner Gemahlin und theilte ihr das Vergnuͤgen dieser Entdeckung mit. Sodann eilte er B 4 zum zum Obersten, welchen er traurig und ernsthaft fand. — Mancherley Unterre- dungen, die er anfieng, wurden kurz beant- wortet. Eine toͤdtliche Unruhe war in allen seinen Gebehrden. — Habe ich Sie gestoͤrt, Herr Oberster? sagte der Baron mit der Stimme der zaͤrtlichsten Freund- schaft eines jungen Mannes gegen seinen Fuͤhrer, indem er den Obersten zugleich bey der Hand faßte. „Ja, lieber Baron, Sie haben mich in der Entschließung gestoͤrt, auf einige Zeit weg zu reisen.“ Weg zu reisen? und — allein? — „Lieber P., ich bin in einer Gemuͤths- verfassung, die meinen Umgang unange- nehm macht; ich will sehen, was die Zer- streuung thun kann.“ Mein bester Freund! darf ich nicht mehr in ihr Herz sehen? kann ich nichts zu ihrer Ruhe beytragen? „Sie haben genug fuͤr mich gethan! Sie sind die Freude meines Lebens. — Was mir itzt mangelt, muß die Klugheit und die Zeit bessern.“ Stern- Sternheim, Sie sagten letzt von ei- ner zu bekaͤmpfenden Leidenschaft. — Jch kenne Sie; Jhr Herz kann keine unan- staͤndige, keine boͤse Leidenschaft naͤhren; es muß Liebe seyn, was die Quaal Jhrer Tage macht! „Niemals P., niemals sollen Sie wis- sen, was meinen itzigen Kummer ver- ursacht.“ Rechtschaffner Freund, ich will Sie nicht laͤnger taͤuschen; ich kenne den Ge- genstand Jhrer Liebe; Jhre Zaͤrtlichkeit hat einen Zeugen gefunden; ich bin gluͤck- lich: Sie lieben meine Sophie! — Der Baron hielt den Obersten, der ganz außer sich war, umarmt; er wollte sich loswin- den; es war ihm bange. „P., was sagen Sie? was wollen Sie von mir wissen?“ Jch will wissen; ob die Hand meiner Schwester ein gewuͤnschtes Gluͤck fuͤr Sie waͤre? „Unmoͤglich, denn es waͤre fuͤr Sie alle ein Ungluͤck.“ B 5 Jch Jch habe also Jhr Gestaͤndniß; aber wo soll das Ungluͤck seyn? „Ja, Sie haben mein Gestaͤndniß; Jhre Fraͤulein Schwester ist das erste Frauenzimmer, welches die beste Neigung meiner Seele hat; aber ich will sie uͤber- winden; man soll Jhnen nicht vorwerfen, daß sie Jhrer Freundschaft die schuldi- ge Achtung fuͤr Jhre Voreltern aufge- opfert haben. Fraͤulein Sophie soll durch mich keinen Anspruch an Gluͤck und Vorzug verliehren. Schwoͤren Sie mir, kein Wort mit ihr davon zu reden; oder Sie sehen mich heute zum letztenmal!“ Sie denken edel, mein Freund; aber Sie sollen nicht ungerecht werden. Jhre Abreise wuͤrde nicht allein mich, sondern Sophien und meine Gemahlin betruͤben. Sie sollen mein Bruder seyn! — „P., Sie martern mich mit diesem Zuspruch mehr, als mich die Unmoͤglich- keit marterte, die meinen Wuͤnschen ent- gegen ist.“ Freund! Sie haben die freywillige, die zaͤrtliche Zusage meiner Schwester — Sie Sie haben die Wuͤnsche meiner Gemahlin und die meinige. Wir haben alles be- dacht, was Sie bedenken koͤnnen, — soll ich Sie bitten der Gemahl von Sophien von P. zu werden? — „O Gott! wie hart beurtheilen Sie mein Herz! Sie glauben also, daß es ei- gensinniger Stolz sey, der mich unschluͤs- sig macht?“ Jch antworte nichts, umarmen Sie mich und nennen Sie mich ihren Bru- der! morgen sollen Sie es seyn! Sophie ist die Jhrige. Sehen Sie sie nicht als das Fraͤulein von P., sondern als ein lie- benswuͤrdiges und tugendhaftes Frauen- zimmer an, dessen Besitz alle Jhre kuͤnfti- gen Tage begluͤcken wird; und nehmen Sie diesen Segen von der Hand Jhres treuen Freundes mit Vergnuͤgen an! „Sophie mein? mit einer freywilligen Zaͤrtlichkeit mein? Es ist genug; Sie ge- ben alles; ich kann nichts thun, als auf alles freywillig entsagen?“ Entsagen? — nach der Versiche- rung, daß Sie geliebt sind? — O mei- ne ne Schwester, wie uͤbel bin ich mit deinem vortrefflichen Herzen umgegangen! — „P., was sagen Sie! und wie koͤn- nen Sie mein Herz durch einen solchen Vorwurf zerreissen? Wenn Sie edelmuͤ- thig sind: soll ich es nicht auch seyn? soll ich die Augen uͤber die Mienen des be- nachbarten Adels zuschliessen? Sie sollen es, wenn die Frage von Jhrer Freude und Jhrem Gluͤck ist. „Was wollen Sie dann, daß ich thun soll? Daß Sie mich mit dem Auftrage zu- ruͤck reisen lassen, mit meiner Mutter von meinem Wunsche zu sprechen, und daß Sie zu uns kommen wollen, wenn ich Jhnen ein Billet schicke. Der Oberste konnte nicht mehr reden; er umarmte den Baron. Dieser gieng zuruͤck, gerade zu seiner Frau Mutter, bey welcher die beyden Fraͤulein und seine Gemahlin waren. Er fuͤhrte die aͤltere Fraͤulein in ihr Zimmer, weil er ihr den Bericht von seinem Besuch allein machen wollte, und bat sie, ihn eine Zeitlang bey bey der Frau Mutter und Charlotten zu lassen. Hier that er einen foͤrmlichen An- trag fuͤr seinen Freund. Die alte Dame wurde betroffen; er sah es, und sagte: Theure Frau Mutter! alle Jhre Bedenk- lichkeiten sind gegruͤndet. Der Adel soll durch adeliche Verbindungen fortgefuͤhrt werden. Aber die Tugenden des Stern- heim sind die Grundlagen aller großen Familien gewesen. Man hatte nicht un- recht zu denken, daß große Eigenschaften der Seele bey Toͤchtern und Soͤhnen erb- lich seyn koͤnnten, und daß also jeder Vater fuͤr einen edlen Sohn eine edle Toch- ter suchen sollte. Auch wollt’ ich, der Einfuͤhrung der Heyrathen außer Stand nicht gerne das Wort reden. Aber hier ist ein besonderer Fall; ein Fall, der sehr selten erscheinen wird: Stern- heims Verdienste, mit dem Charakter ei- nes wirklichen Obersten, der schon als adelich anzusehen ist, rechtfertigen die Hoffnung, die ich ihm gemacht habe. Jn Wahrheit, mein Sohn, ich habe Bedenklichkeiten. Aber der Mann hat meine meine ganze Hochachtung erworben. Jch wuͤrde ihn gern gluͤcklich sehen. Meine Gemahlin: was sagen Sie? Daß bey einem Mann, wie dieser ist, eine gerechte Ausnahme zu machen sey. Jch werde ihn gerne Bruder nennen. Jch nicht, sagte Fraͤulein Char- lotte. — „Warum, meine Liebe?“ Weil diese schoͤne Verbindung auf Un- kosten meines Gluͤcks gemacht wird. „Wie das, Charlotte?“ Wer wird denn unser Haus zu einer Vermaͤhlung suchen, wenn die aͤltere Toch- ter so verschleudert ist? „Verschleudert? bey einem Mann von Tugend und Ehre, bey dem Freunde dei- nes Bruders?“ Vielleicht hast du noch einen Univer- sitaͤtsfreund von dieser Tugend, der sich um mich melden wird, um seiner aufkei- menden Ehre eine Stuͤtze zu geben, und da wirst du auch Ursachen zu deiner Ein- willigung bereit haben? Char- Charlotte, meine Tochter! was fuͤr eine Sprache? Jch muß sie fuͤhren, weil in der gan- zen Familie niemand auf mich und seine Voreltern denkt. So, Charlotte; und wenn man an die Voreltern denkt, muß man den Bru- der und einen edelmuͤthigen Mann belei- digen? — sagte die junge Frau von P. Jch habe Jhre Ausnahme schon ge- hoͤrt, die Sie fuͤr den edelmuͤthigen Mann machen. Andre Familien werden auch Ausnahmen haben, wenn ihr Sohn Charlotten zur Gemahlin haben wollte. „Charlotte, wer dich um Sternheims willen verlaͤßt, ist deiner Hand und einer Verbindung mit mir nicht werth. Du siehst, daß ich auf die boͤse juͤngere Schwe- ster noch stolz bin, wenn ich schon die gu- te aͤltere an einen Universitaͤtsfreund ver- schleudere.“ Freylich muß die juͤngere Schwester boͤse seyn, wenn sie sich nicht zum Schul- denabtrag will gebrauchen lassen! „Wie „Wie unvernuͤnftig boshaft meine Schwester seyn kann! Du hast nichts von meinen Antraͤgen zu besorgen. Jch wer- de fuͤr niemand als einen Sternheim re- den, und fuͤr diesen ist ein Gemuͤthscha- rakter, wie der deinige, nicht edel genug, wenn du auch eine Fuͤrstin waͤrest.“ Gnaͤdige Mama; Sie hoͤren zu, wie ich wegen des elenden Kerls gemißhandelt werde? Du hast die Geduld deines Bruders gemißbraucht. Kannst du deine Einwen- dungen nicht ruhiger vorbringen? Sie wollte eben reden; aber der Bru- der fiel ihr ins Wort: Charlotte, rede nicht mehr; der Ausdruck elender Kerl hat dir deinen Bruder genommen! Die Sachen meines Hauses gehen dich nichts mehr an. Dein Herz entehrt die Ahnen, auf deren Namen du stolz bist! O wie klein wuͤrde die Anzahl des Adels werden, wenn sich nur die dazu rechnen duͤrften, die ihre Anspruͤche durch die Tugenden der edlen Seele des Stifters ihres Hauses beweisen koͤnnten! Lieber Lieber Sohn, werde nicht zu eifrig, es waͤre wuͤrklich nicht gut, wenn unsre Toͤchter so leicht geneigt waͤren, außer Stand zu heyrathen. „Das ist nicht zu befuͤrchten. Es giebt selten eine Sophie, die einen Mann nur wegen seiner Klugheit und Großmuth liebt.“ Fraͤulein Charlotte entfernte sich. Hast du aber nicht selbst einmal deine dir so lieben Englaͤnder angefuͤhrt, welche die Heyrath außer Stand den Toͤchtern viel weniger vergeben als den Soͤhnen, weil die Tochter ihren Namen aufgeben, und den von ihrem Manne tragen muß, folglich sich erniedriget? „Diß bleibt alles wahr, aber in Eng- laud wuͤrde mein Freund tausendmal von diesem Grundsatz ausgenommen werden, und das Maͤdchen, das ihn liebte, wuͤrde den Ruhm eines edeldenkenden Frauen- zimmers erhalten.“ Jch sehe wohl, mein Sohn, daß diese Verbindung eine schon beschlossene Sache ist. Aber hast du auch uͤberlegt, daß C man man sagen wird, du opferst deine Schwe- ster einer uͤbertriebenen Freundschaft auf, und ich handle als Stiefmutter, da ich mei- ne Einwilligung gebe? „Liebe Mama! lassen Sie es immer geschehen, unser Beweggrund wird uns beruhigen, und das Gluͤck meiner Schwe- ster wird, neben den Verdiensten meines Freundes, allein so deutlich in die Augen glaͤnzen, daß man aufhoͤren wird, uͤbel zu denken.“ Hierauf wurde Fraͤulein Sophie von ihrem Bruder geholt. Sie warf sich ih- rer Frau Mutter zu Fuͤßen; die gute Da- me umarmte sie: Liebe Fraͤulein Tochter, sprach sie, Jhr Bruder hat mich versichert, daß dieses Band nach Jhren Wuͤnschen waͤre, sonst haͤtte ich nicht eingewilliget. Es ist wahr, es fehlt dem Manne nichts als eine edle Geburt. Aber, Gott segne Sie beyde! Jndessen war der Baron fort, er holte den Obersten, welcher halb außer sich in das Zimmer trat, aber gleich zu der alten Dame gieng, ihr mit gebognem Knie die Haͤnde Haͤnde kuͤßte, und mit maͤnnlichem An- stand sagte: Gnaͤdige Frau! glauben Sie immer, daß ich Jhre Einwilligung als eine herab- lassende Guͤte ansehe; bleiben Sie aber auch versichert, daß ich dieser Guͤte nie- mals unwuͤrdig seyn werde. Sie war so liebreich zu sagen: Es er- freuet mich, Herr Oberster, daß Jhre Verdienste in meinem Hause eine Beloh- nung gefunden haben. Er kuͤßte hierauf die Haͤnde der Gemahlin seines Freundes; wie viel Dank und Verehrung, rief er aus, bin ich der großmuͤthigen Vorspre- cherin der Angelegenheiten meines Her- zens schuldig? „Nichts, Herr Oberster! ich bin stolz, zu dem Gluͤck Jhres Herzens etwas bey- zutragen; Jhre bruͤderliche Freundschaft soll meine Belohnung seyn.“ Er wollte mit seinem Freunde reden; aber dieser wieß ihn an Fraͤulein Sophie. Bey dieser kniete er stillschweigend, und endlich sprach der edle Mann: Gnaͤdiges C 2 Fraͤulein! Fraͤulein! mein Herz ist zu Verehrung der Tugend gebohren; wie war es moͤglich, eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit allen aͤusserlichen Annehmlichkeiten beglei- tet zu sehen, ohne daß meine Empfindun- gen lebhaft genug wurden, Wuͤnsche zu machen? Jch haͤtte diese Wuͤnsche erstickt; aber die treue Freundschaft Jhres Bru- ders hat mir Muth gegeben, um Jhre Zuneigung zu bitten. Sie haben mich nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb- reiches Herz, und lasse mich die Tugend niemals verliehren, die mir Jhre Achtung erworben hat! — Fraͤulein Sophie antwortete nur mit einer Verbeugung, und reichte ihm die Hand mit dem Zeichen aufzustehen; dar- auf naͤherte sich der Baron, und fuͤhrte beyde an seinen Haͤnden zu seiner Frau Mutter. Gnaͤdige Mama, sagte er, die Natur hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben, von welchem Sie auf das Vollkommenste geehrt und geliebt werden; das Schicksal giebt giebt Jhnen an meinem Freunde einen zweyten Sohn, der aller Jhrer Achtung und Guͤte wuͤrdig ist. — Sie haben oft gewuͤnscht, daß unsre Sophie gluͤcklich seyn moͤge. Jhre Verbindung mit dem geist- vollen rechtschaffenen Mann wird diesen muͤtterlichen Wunsch erfuͤllen. Legen Sie Jhre Hand auf die Haͤnde Jhrer Kinder; ich weiß, daß der muͤtterliche Segen ih- ren Herzen heilig und schaͤtzbar ist. Die Dame legte ihre Hand auf, und sagte: Meine Kinder! wenn Euch Gott so viel Gutes und Vergnuͤgen schenkt, als ich von ihm fuͤr Euch erbitten wer- de, so wird Euch nichts mangeln. Und nun umarmte der Baron den Ober- sten als seinen Bruder, und auch die gluͤckliche Braut, welcher er fuͤr die Ge- sinnungen, die sie gegen seinen Freund bezeugt hatte, zaͤrtlich dankte. Der Oberste speiste mit ihnen. Fraͤulein Charlotte kam nicht zur Tafel. Die Trauung geschah ohne vieles Gepraͤnge. C 3 Etliche Etliche Tage nach der Hochzeit schrieb Frau von Sternheim an Jhre Frau Mutter. D a mich das schlimme Wetter und eine kleine Unpaͤßlichkeit abhalten, meiner gnaͤ- digen Mama selbst aufzuwarten, so will ich doch meinem Herzen das edle Vergnuͤ- gen nicht versagen, mich schriftlich mit Jhnen zu unterhalten. Die Gesellschaft meines theuren Ge- mahls und die Ueberdenkung der Pflich- ten, welche mir in dem neuen Kreise mei- nes Lebens angewiesen sind, halten mich in Wahrheit fuͤr alle andre Zeitvertreibe und Vergnuͤgungen schadlos; aber sie er- neuern auch mit Lebhaftigkeit alle uͤbri- gen edlen Empfindungen, die mein Herz jemals genaͤhrt hat. Unter diese gehoͤrt auch die dankvolle Liebe, welche Jhre Guͤte seit so vielen Jahren von mir ver- dient hat, da ich in Jhrer vortrefflichen Seele alle treue und zaͤrtliche Sorgfalt gefunden gefunden habe, die ich nur immer von meiner wahren Mutter haͤtte genießen koͤn- nen. Und doch muß ich bekennen, daß Jhre gnaͤdige Einwilligung in mein Buͤnd- niß mit Sternheim die groͤßte Wohlthat ist, die Sie mir erzeigt haben. Da- durch ist das ganze Gluͤck meines Lebens befestiget worden; welches ich in nichts anderm suche noch erkenne, als in Um- staͤnden zu seyn, worinn man nach seinem eignen Charakter und nach seinen Neigun- gen leben kann. Dieses war mein Wunsch, und diesen hab’ ich von der Vorsehung erhalten. — Einen nach sei- nem Geist und Herzen aller meiner Vereh- rung wuͤrdigen Mann; und mittelmaͤßi- ges, aber unabhaͤngiges Vermoͤgen, des- sen Groͤße und Ertrag hinreichend ist, un- ser Haus in einer edlen Genuͤgsamkeit und standesgemaͤß zu erhalten, dabey aber auch unsern Herzen die Freude giebt, viele Familien des arbeitsamen Landmanns durch Huͤlfe zu erquicken, oder durch kleine Gaben aufzumuntern. C 4 Erlau- Erlauben Sie, daß ich eine Unterre- dung wiederhole, welche der theure Mann mit mir gehalten, dessen Namen ich trage. Nachdem meine gnaͤdige Mama, mein Bruder, meine Schwester und meine Schwaͤgerin abgereiset waren, empfand ich so zu sagen das erste mal die ganze Wichtigkeit meiner Verbindung. Die Veraͤnderung meines Nahmens zeigte mir zugleich die Veraͤnderung mei- ner Pflichten, die ich alle in einer Reyhe vor mir sah. Diese Betrachtungen, wel- che meine ganze Seele beschaͤfftigten, wur- den, denke ich, durch die aͤußerlichen Ge- genstaͤnde lebhafter. Ein anderer Wohn- platz; alle, mit denen ich von jugendauf gelebt, von mir entfernt; die erste Be- wegung uͤber ihre Abreise u. s. w. Alles dieses gab mir, ich weiß nicht welch ein ernsthaftes Ansehen, das dem Auge meines Gemahls merklich wurde. Er kam mit dem Ausdruck einer sanf- ten Freudigkeit in seinem Gesichte zu mir in mein Cabinett, wo ich gedankenvoll saß; blieb in der Mitte des Zimmers ste- hen, hen, betrachtete mich mit zaͤrtlicher Un- ruhe, und sagte: Sie sind nachdenklich, liebste Gemah- lin! darf ich Sie stoͤren? Jch konnte nicht antworten, reichte ihm aber meine Hand. Er kuͤßte sie, und nachdem er sich einen Stuhl zu mir geruͤckt hatte, fieng er an: Jch verehre Jhre ganze Familie; doch muß ich sagen, daß mir der Tag lieb ist, wo alle Gesinnungen meines Herzens al- lein meiner Gemahlin gewidmet seyn koͤn- nen. Goͤnnen Sie mir Jhr Vertrauen, so wie Sie mir Jhre Hochachtung ge- schenkt haben; und glauben Sie, daß Sie mit dem Mann, den Sie andern so edelmuͤthig vorgezogen haben, nicht un- gluͤcklich seyn werden. Jhr vaͤterlich Haus ist nicht weit von uns entfernt, und in diesem hier wird Jhr wohlgesinntes Herz sein Vergnuͤgen finden, mich, meine und Jhre Bediente, meine und Jhre Un- terthanen gluͤcklich zu machen. Jch weiß, daß Sie seit vielen Jahren bey Jhrer Frau Mutter die Stelle einer Hauswirthin ver- C 5 sehen sehen haben. Jch werde Sie bitten, die- ses Amt, mit allem was dazu gehoͤrt, auch in diesem Hause zu fuͤhren. Sie werden mich dadurch sehr verbinden; indem ich gesinnet bin, alle meine Muße fuͤr das Beste unsrer kleinen Herrschaft zu verwen- den. Jch setze dieses nicht allein darinn, Guͤte und Gerechtigkeit auszuuͤben, son- dern auch in der Untersuchung: ob nicht die Umstaͤnde meiner Unterthanen in an- drer Austheilung der Guͤther, in Besor- gung der Schulen, des Feldbaues und der Viehzucht zu verbessern seyen? Jch habe mir von allen diesen Theilen einige Kenntniß erworben; denn in dem gluͤckli- chen Mittelstande der menschlichen Gesell- schaft, worinn ich gebohren wurde, sieht man die Anbauung des Geistes, und die Ausuͤbung der meisten Tugenden nicht nur als Pflichten, sondern auch als den Grund unsers Wohlergehens an; und ich werde mich dieser Vortheile allezeit dankbarlich erinnern, weil ich Jhnen das unschaͤtz- bare Gluͤck Jhrer Liebe schuldig bin. Waͤ- re ich mit dem Rang und Vermoͤgen ge- bohren bohren worden, die ich itzt besitze, so waͤ- re vielleicht mein Eifer, mir einen Nah- men zu machen, nicht so groß gewesen. Was ich aber in dem Schicksal meiner verfloßnen Jahre am meisten liebe, ist der Vater, den es mir gab; weil es gewiß in andern Umstaͤnden keinen so treuen und weisen Fuͤhrer meiner Jugend gehabt haͤt- te, als er fuͤr mich war. Er verbarg mir aus weiser Ueberlegung und Kenntniß meines Gemuͤths, (vielleicht des ganzen menschlichen Herzens uͤberhaupt) den groͤß- ten Theil seines Reichthums; einmal um der Nachlaͤssigkeit vorzubeugen, mit wel- cher einzige und reiche Soͤhne den Wissen- schaften obliegen; und dann die Verfuͤh- rung zu vermeiden, denen diese Art jun- ger Leute ausgesetzt ist; und weil er dach- te, wann ich einmal die Kraͤfte meiner Seele, fuͤr mich und Andere, wohl zu ge- brauchen gelernt haͤtte, so wuͤrde ich einst auch von den Gluͤcksguͤthern einen klu- gen und edeln Gebrauch zu machen wissen. Daher suchte mich mein Vater zuerst, durch Tugend und Kenntnisse, moralisch gut und und gluͤcklich zu machen, ehe er mir die Mittel in die Haͤnde gab, durch welche man alle Gattungen von sinnlichem Wohl- stand und Vergnuͤgen fuͤr sich und Andre erlangen und austheilen kann. Die Lie- be und Uebung der Tugend und der Wis- senschaften, sagte er, geben ihrem Be- sitzer eine von Schicksal und Menschen unabhaͤngige Gluͤckseligkeit, und machen ihn zugleich durch das Beyspiel, das sei- ne edle und gute Handlungen geben, durch den Nutzen und das Vergnuͤgen, das sein Rath und Umgang schaffen, zu einem moralischen Wohlthaͤter an seinen Neben- menschen. Durch solche Grundsaͤtze und eine darauf gegruͤndete Erziehung machte er mich zu einem wuͤrdigen Freund Jhres Bruders; und wie ich mir schmeichle, zu dem nicht unwuͤrdigen Besitzer Jhres Her- zens. Die Haͤlfte meines Lebens ist vor- bey. Gott sey Dank, daß sie weder mit sonderbaren Ungluͤcksfaͤllen noch Verge- hungen wider meine Pflichten bezeichnet ist! — Der gesegnete Augenblick, wo das edle guͤtige Herz der Sophie P., zu meinem meinem Besten geruͤhrt war, ist der Zeit- punkt, in welchem der Plan fuͤr das wah- re Gluͤck meiner uͤbrigen Tage vollfuͤhrt wurde. Zaͤrtliche Dankbarkeit und Ver- ehrung wird die stete Gesinnung meiner Seele fuͤr Sie seyn. Hier hielt er inne, kuͤßte meine beyden Haͤnde, und bat mich um Vergebung, daß er so viel geredet haͤtte. Jch konnte nichts anders als ihn ver- sichern, daß ich mit Vergnuͤgen zugehoͤrt, und ihn baͤte fortzufahren, weil ich glaub- te, er haͤtte mir noch mehr zu sagen. Jch moͤchte Sie nicht gerne ermuͤden, liebste Gemahlin; aber ich wuͤnsche, daß Sie mein ganzes Herz sehen koͤnnten. — Jch will also, weil Sie es zu wuͤnschen scheinen, nur noch einige Punkte beruͤhren. Jch habe mir angewoͤhnt, in allen Stuͤcken, die ich in Erlernung der Wissen- schaften oder in meinen Militaͤr-Diensten zu ersteigen hatte, mich sorgfaͤltig nach allen Pflichten umzusehen, die ich darinn in Absicht auf mich selbst, meine Obern und die uͤbrigen zu erfuͤllen verbunden war. war. Nach dieser Kenntniß theilte ich meine Aufmerksamkeit und meine Zeit ab. Mein Ehrgeiz trieb mich, alles was ich zu thun schuldig war, ohne Aufschub und auf das Vollkommenste zu verrichten. War es geschehen, so dachte ich auch an die Vergnuͤgungen, die meiner Gemuͤths- art die gemaͤßesten waren. Gleiche Ueber- legungen habe ich uͤber meine itzigen Um- staͤnde gemacht; und da finde ich mich mit vierfachen Pflichten beladen. Die er- ste, gegen meine liebenswuͤrdige Gemah- lin, welche mir leicht ist, weil immer mein ganzes Herz zu ihrer Ausuͤbung be- reit seyn wird. — Die zwote gegen Jhre Familie und den uͤbrigen Adel, denen ich, ohne jemals schmeichlerisch und unterwuͤr- fig zu seyn, durch alle meine Handlungen den Beweis zu geben suchen werde, daß ich der Hand von Sophien P., und der Aufnahme in die freyherrliche Classe nicht unwuͤrdig war. Die dritte Pflicht geht die Personen von demjenigen Stande an, aus welchem ich herausgezogen bin. Diese will ich niemals zu denken veran- lassen, lassen, daß ich meinen Ursprung vergessen habe. Sie sollen weder Stolz noch nie- dertraͤchtige Demuth bey mir sehen. Viertens treten die Pflichten gegen meine Untergebene ein, fuͤr deren Bestes ich auf alle Weise sorgen werde, um ihrem Herzen die Unterwuͤrfigkeit, in welche sie das Schicksal gesetzt hat, nicht nur ertraͤglich, sondern angenehm zu machen, und mich so zu bezeugen, daß sie mir den Unterschied, welchen zeitliches Gluͤck zwischen mir und ihnen gemacht hat, gerne goͤnnen sollen. Der rechtschaffene Pfarrer in P. will mir einen wackern jungen Mann zum Seelsorger in meinem Kirchspiele schaffen, mit welchem ich gar gerne einen schon lang gemachten Wunsch fuͤr einige Abaͤnderun- gen in der gewoͤhnlichen Art, das Volk zu unterrichten, veranstalten moͤchte. Jch habe mich gruͤndlich von der Guͤte und dem Nutzen der großen Wahrheiten un- srer Religion uͤberzeugt; aber die wenige Wirkung, die ihr Vortrag auf die Herzen der groͤßten Anzahl der Zuhoͤrer macht, gab mir eher einen Zweifel in die Lehrart, als als den Gedanken ein, daß das menschliche Herz durchaus so sehr zum Boͤsen geneigt sey, als manche glauben. Wie oft kam ich von Anhoͤrung der Canzelrede eines beruͤhmten Mannes zuruͤck, und wenn ich dem moralischen Nutzen nachdachte, den ich daraus gezogen, und dem, welchen der gemeine Mann darinn gefunden haben koͤnnte, so fand ich in Wahrheit viel Lee- res fuͤr den letztern dabey; und derjenige Theil, welchen der Prediger dem Ruhme der Gelehrsamkeit oder dem ausfuͤhrlichen aber nicht allzuverstaͤndlichen Vortrag mancher speculativer Saͤtze gewldmet hatte, war fuͤr die Besserung der mei- sten verlohren, und das gewiß nicht aus boͤsem Willen der letztern. Denn wenn ich, der von Jugend auf meine Verstandskraͤfte geuͤbt hatte, und mit abstracten Jdeen bekannt war, Muͤhe hatte, nuͤtzliche Anwendungen davon zu machen; wie sollte der Handwerksmann und seine Kinder damit zu rechte kommen? Da ich nun weit von dem unfreundlichen Stolz entfernt bin, der unter Personen von von Gluͤck und Rang den Satz erdacht hat, „man muͤsse dem gemeinen Mann weder „aufgeklaͤrte Religionsbegriffe geben, noch „seinen Verstand erweitern;“ so wuͤnsche ich, daß mein Pfarrer, aus wahrer Guͤte gegen seinen Naͤchsten, und aus Empfin- dung des ganzen Umfangs seiner Oblie- genheiten, zuerst bedacht waͤre, seiner an- vertrauten Gemeine das Maaß von Er- kenntniß beyzubringen, welches ihnen zu freudiger und eifriger Erfuͤllung ihrer Pflichten gegen Gott, ihre Obrigkeit, ihren Naͤchsten und sich selbst noͤthig ist. Der geringe Mann ist mit der nehm- lichen Begierde zu Gluͤck und Vergnuͤgen gebohren, wie der groͤßere, und wird, wie dieser, von den Begierden oft auf Ab- wege gefuͤhrt. Daher moͤchte ich ihnen auch richtige Begriffe von Gluͤck und Vergnuͤgen geben lassen. Den Weg zu ihren Herzen, glaube ich, koͤnne man am ehesten durch Betrachtungen uͤber die physicalische Welt finden, von der sie am ersten geruͤhrt werden, weil jeder Blick ihrer Augen, jeder Schritt ihrer Fuͤße sie dahin D leitet. leitet. — Waͤren erst ihre Herzen durch Erkaͤnntniß der wohlthaͤtigen Hand ihres Schoͤpfers geoͤffnet, und durch historische Vergleichungen von ihrem Wohnplatz und ihren Umstaͤnden mit dem Aufenthalt und den Umstaͤnden andrer Menschen, die eben so, wie sie, Geschoͤpfe Gottes sind, zufrieden gestellt; so zeigte man ihnen auch die moralische Seite der Welt, und die Verbindlichkeiten, welche sie darinn zu einem ruhigen Leben fuͤr sich selbst, zum Besten der ihrigen, und zur Versicherung eines ewigen Wohlstandes zu erfuͤllen ha- ben. Wenn mein Pfarrer nur mit dem guten Bezeugen der letzten Lebenstage sei- ner Pfarrkinder zufrieden ist, so werde ich sehr unzufrieden mit ihm seyn. Und wenn er die Besserung der Gemuͤther nur durch so genannte Gesetz- und Strafpredig- ten erhalten will, ohne den Verstand zu oͤffnen und zu uͤberzeugen, so wird er auch nicht mein Pfarrer seyn. — Wenn er aufmerksamer auf den Fleiß im Kirchen- gehen ist, als auf die Handlungen des taͤglichen Lebens; so werde ich ihn fuͤr kei- nen nen wahren Menschenfreund und fuͤr kei- nen guten Seelsorger halten. Auf die Schule, die gute Einrichtung derselben, und die angemessene Belohnung des Schulmeisters, werde ich alle Sorge tragen; mit der noͤthigen Nachsicht ver- bunden, welche die Schwachheit des kind- lichen Alters erfodert. Es soll darinn ein doppelter Catechismus gelehrt werden; nehmlich der von den Christenpflichten, wie er eingefuͤhrt ist, und bey jedem Hauptstuͤck eine deutliche, einfache An- wendung dieser Grundsaͤtze auf ihr taͤgli- ches Leben; und dann ein Catechismus von gruͤndlicher Kenntniß des Feld- und Gartenbaues, der Viehzucht, der Besor- gung der Gehoͤlze und Waldungen, und dergleichen, als Pflichten des Berufs und der Wohlthaͤtigkeit gegen die Nachkom- menschaft. Ueberhaupt wuͤnsche ich, mei- ne Unterthanen erst gut gegen ihren Naͤchsten zu sehen, ehe sie einen An- spruch an das Lob der Froͤmmigkeit machen. D 2 Dem Dem Beamten, den ich hier angetrof- fen, werde ich seinen Gehalt und die Be- sorgung der Rechnung lassen; aber zur Justitzverwaltung und Aufsicht auf die Befolgung der Gesetze und auf Policey und Arbeitsamkeit, werde ich den wackern jungen Mann gebrauchen, dessen Bekannt- schaft ich in P. gemacht habe. Diesem, und mir selbst will ich suchen, das Ver- trauen meiner Unterthanen zu erwerben, um alle ihre Umstaͤnde zu erfahren, und als wahrer Vater und Vormuͤnder ih- re Angelegenheiten besorgen zu koͤnnen. Guter Rath, freundliche Ermah- nung, auf Besserung, nicht auf Un- terdruͤckung abzielende Strafen, sollen die Huͤlfsmittel dazu seyn; und mein Herz muͤßte sich in seiner liebreichen Hoffnung sehr traurig betrogen finden, wenn die sorg- faͤltige Ausuͤbung der Pflichten des Herrn auf meiner, und eine gleiche Bemuͤhung des Pfarrers und der Beamten auf ihrer Seite, nebst dem Beyspiel der Guͤte und Wohl- thaͤtigkeit, nicht einen heilsamen Einfluß auf die Gemuͤther meiner Untergebenen haͤtte. Hier Hier hoͤrte er auf, und bat mich um Vergebung, so viel und so lange geredt zu haben. Sie muͤssen muͤde worden seyn, theure Sophie, sagte er, indem er einen seiner Arme um mich schlang. Was blieb mir in der vollen Regung meines Herzeus uͤbrig zu thun, als ihn mit Freudenthraͤnen zu umarmen? — Muͤde, mein liebster Gemahl? Wie koͤnnte ich muͤde werden, uͤber die gluͤck- liche Aussicht in meine kuͤnftigen Tage, die von Jhrer Tugend und Menschenliebe bezeichnet seyn werden? — Geliebte Frau Mutter, wie gesegnet ist mein Looß? Gott erhalte Sie noch lan- ge, um ein Zeuge davon zu seyn. — N iemand war gluͤcklicher als Sternheim und seine Gemahlin, deren Fußtapfen von ihren Unterthanen verehrt wurden. Gerechtigkeit und Wohlthaͤtigkeit wurde in dem kleinen Umkreis ihrer Herrschaft in gleichem Maaße ausgeuͤbt. Alle Proben D 3 von von Landbau-Verbesserung wurden auf herrschaftlichen Guͤthern zuerst gemacht; alsdann den Unterthanen gelehrt, und dem Armen, der sich am ersten willig zur Veraͤnderung zeigte, der noͤthige Aufwand umsonst dazu gereicht; — weil Herr von Sternheim wohl einsah, daß der Land- mann auch das Nuͤtzlichste, wenn es Geld- auslagen, und die Missung eines Stuͤcks Erdreichs erforderte, ohne solche Auf- munterungen niemals eingehen werde. Aber was ich ihnen Anfangs gebe, sagte er, traͤgt mir mit der Zeit der vermehrte Zehnte ein, und die guten Leute werden durch die Erfahrung am besten uͤberzeugt, daß es wohl mit ihnen gemeynt war. Jch kann nicht umhin (ungeachtet es mich von dem Hauptgegenstand meiner Erzaͤhlung noch weiter entfernt) Jhnen zu einer Probe der gemeinnuͤtzlichen und wohlthaͤtigen Veranstaltungen, in deren Erfindung und Ausfuͤhrung dieses vor- treffliche Paar einen Theil seiner Gluͤck- seligkeit setzte, einige Nachricht von dem Armenhause zu S** zu geben, welches nach nach meinem Begriff ein Muster guter Einrichtung ist; und ich kann es nicht besser thun, als indem ich Jhnen einen Auszug eines Schreibens des Baron von P., an seine Frau Mutter uͤber diesen Gegenstand mittheile. W ie getreu erfuͤllt mein Freund das Ver- sprechen, welches ich Jhnen fuͤr das Gluͤck unsrer Sophie gemacht haͤbe! — Wie angenehm ist der Eintritt in dieses Haus, worinn die edelste Einfalt und ungezwun- genste Ordnung der ganzen Einrichtung ein Ansehn von Groͤße geben! Die Bedienten mit freudiger Ehrerbietung und Emsigkeit auf Ausuͤbung ihrer Pflichten bedacht! — Der Herr und die Frau mit dem Ausdruck der Gluͤckseligkeit, die aus Guͤte und Klug- heit entspringt; beyde, mich fuͤr meine entschlossene Verwendung fuͤr ihr Buͤnd- niß segnend! Und wie sehr unterscheiden sich die zwey kleinen Doͤrfer meines Bru- ders von allen groͤßern und volkreichern, die ich bey meiner Zuruͤckreise von Hofe D 4 gesehen gesehen habe! Beyde gleichen durch die muntre und emsige Arbeitsamkeit ihrer Einwohner, zween wohlangelegten Bie- nenstoͤcken; und Sternheim ist reichlich fuͤr die Muͤhe belohnt, die er sich gegeben, eine schicklichere Eintheilung der Guͤther zu machen, durch welche jeder von den Un- terthanen just so viel bekommen hat, als er Kraͤfte und Vermoͤgen hatte anzubauen. Aber die Verwendung des neu erkauften Hofguths von dem Grafen A., welches ge- rade zwischen den zweyen Doͤrfern liegt, diß wird ein segensvoller Gedanke in der Ausfuͤhrung seyn! Er ist zu einem Armenhause fuͤr seine Unterthanen zugerichtet worden. Auf ei- ner Seite; unten, die Wohnung fuͤr ei- nen wackern Schulmeister, der zu alt ge- worden, dem Unterricht der Kinder noch nuͤtzlich vorzustehen, und nun zum Ober- aufseher uͤber Ordnung und Arbeit bestellt wird; oben, die Wohnung des Arztes, welcher fuͤr die Kranken des Armenhauses und der beyden Doͤrfer sorgen muß. Arbeiten sollen alle nach Kraͤften, zur Sommers- Sommerszeit in einer nahe daran ange- legten Saͤmerey und einem dazu gehoͤri- gen Gemuͤsgarten. Beyder Ertrag ist fuͤr die Armen bestimmt. An Regen- und Wintertagen sollen die Weibsleute Flachs, und die dazu taugliche Maͤnner, Wolle spinnen, welche auch fuͤr ihr und anderer Nothleidenden Leinen und Kleidung ver- wandt wird. Sie bekommen gut gekoch- tes gesundes Essen. Der Hausmeister be- tet Morgens und Abends mit ihnen. Die Weibespersonen arbeiten in einer, und die Mannspersonen in der andern Stube, welche beyde durch Einen Ofen erwaͤrmt werden. Jn der von den Weibsleuten ißt man; denn weil diese den Tisch decken, und fuͤr die Naͤharbeit und die Waͤsche sorgen muͤssen, so ist ihre Stube groͤßer. Diejenige arme Wittwe, oder alte ledige Weibsperson, welche das beste Zeugniß von Fleiß und gutem Wandel in den Doͤr- fern hatte, wird Oberaufseherin und An- ordnerin, so wie es der arme Mann, der ein solches Zeugniß hat, unter den Maͤn- nern ist. Zu ihrem Schlafplatz ist der D 5 obere obere Theil des Hauses in zween verschied- ne Gaͤnge durch eine volle Mauer getheilt, auf deren jedem fuͤnf Zimmer sind, jedes mit zween Betten, und allen Nothduͤrf- tigkeiten fuͤr jedes insbesondere; auf einer Seite gegen den Garten, die Maͤnner; und auf der gegen das Dorf, die Weiber; je zwey in einem Gemach, damit, wenn einem was zustoͤßt, das andere Huͤlfe lei- sten oder suchen kann. Von der Mitte des Fensters an, geht eine hoͤlzerne Schied- wand von der Decke bis auf den Boden, etliche Schuh lang uͤber die Laͤnge der Bettstellen, so daß beyde auf eine gewisse Art allein seyn koͤnnen, und auch, wenn eines krank wird, das Andre seinen Theil gesunde Luft besser erhalten kann. Auf diese zween Gaͤnge fuͤhren zwo verschiedne Stiegen, damit keine Unordnung entste- hen moͤge. Unter dem guten Hausmeister stehen auch die Knechte, die den Bau des Feld- guths besorgen muͤssen; und da ihnen ein besserer Lohn, als sonst wo bestimmt ist, so nimmt man auch die besten und des Feld- Feldbaues verstaͤndigsten Arbeiter, wobey zugleich auf solche, die einen guten Ruf haben, vorzuͤglich gesehen wird. Fremden Armen soll ein maͤßiges All- mosen abgereicht, und dabey Arbeit ange- boten werden, wofuͤr sie Taglohn bekom- men, und eine Stunde fruͤher aufhoͤren duͤrfen, um das naͤchste fremde Dorf, so fuͤnf viertel Stunden davon liegt, noch bey Tag erreichen zu koͤnnen. Sternheim hat auf seine Kosten einen schnurgeraden Weg mit Baͤumen umpflanzt dahin machen las- sen: so wie er auch von dem einen seiner Doͤrfer zum andern gethan hat. Nachts muͤssen die bestellten Waͤchter der beyden Ortschaften wechselsweise bis ans Ar- menhaus gehen, und die Stunden aus- rufen. Meine Schwester will ein klein Findelhaus fuͤr arme Waisen dabey stif- ten, um Segen fuͤr das Kind zu sam- meln, welches sie unter ihrem liebreichen wohlthaͤtigen Herzen traͤgt. Mein Ge- danke, gnaͤdige Mama, ist, in meiner groͤßern und weitlaͤuftigern Herrschaft auch eine solche Armenanstalt zu machen, und und wo moͤglich, mehrere Edelleute, ein gleiches zu thun, zu uͤberreden. Fremde und einheimische Bettler be- kommen bey keinem Bauren nichts. Diese geben bloß nach Vermoͤgen und freyem Willen, nach jeder Erndte ein All- mosen in das Haus, und so werden alle Armen menschlich und ohne Mißbrauch der Wohlthaͤter versorgt. Auf Saͤufer. Spieler, Ruchlose und Muͤßiggaͤnger, ist eine Strafe, theils an Frohnarbeit, theils an Geld gelegt, welches zum Nu- tzen des Armenhauses bestimmt ist. — Kuͤnftigen Monat werden vier Manns- und fuͤnf Weibspersonen das Haus bezie- hen, meine Schwester faͤhrt alle Tage hin, um die voͤllige Einrichtung zu machen. Jn der Sonntagspredigt wird der Pfar- rer uͤber die Materie von wahrem Allmo- sen und von wuͤrdigen Armen eine Rede halten, und der ganzen Gemeinde die Stiftung und die Pflichten derer, welche darinn aufgenommen werden, vorlesen. Sodann ruft er die Angenommene mit ih- ren Namen vor dem Altar, und redt ihnen ins ins besondere zu, uͤber die rechte Anwen- dung dieser Wohlthat, und ihr Verhalten in den letzten und ruhigen Tagen ihres Le- bens gegen Gott und ihren Naͤchsten; dem Hausmeister, dem Arzt und der Hausmei- sterin desgleichen, uͤber ihre obliegenden Pflichten. Zu diesem Vorgang werden wir alle von P. aus kommen, ich bins gewiß. D er benachbarte Adel ehrte und liebte den Obersten Sternheim so sehr, daß man ihn bat auf einige Zeit junge Edelleute in sein Haus zu nehmen, welche von ihren Reisen zuruͤck gekommen waren, und nun vermaͤhlt werden sollten, um den Stamm fortzufuͤhren. Da wollte man sie die wahre Landwirthschaft eines Edelmanns einsehen und lernen lassen. Unter diesen war der junge Graf Loͤbau, welcher in diesem Hause die Gelegenheit hatte, das endlich ruhig gewordene Fraͤulein Char- lotte P. kennen zu lernen und sich mit ihr zu verbinden. Herr Herr von Sternheim nahm die edle Beschaͤfftigung, diesen jungen Herren rich- tige Begriffe von der Regierung der Unter- thanen zu geben, recht gerne auf sich. Seine Menschenliebe erleichterte ihm diese Muͤhe durch den Gedanken: vielleicht gebe ich ihnen den so noͤthigen Theil von Mit- leiden gegen Geringe und Ungluͤckliche, deren hartes muͤhseliges Leben durch die Unbarmherzigkeit und den Stolz der Gros- sen so oft erschwert und verbittert wird. Ueberzeugt, daß das Beyspiel mehr wuͤrkt, als weitlaͤuftige Gespraͤche, nahm er seine junge Leute uͤberall mit sich, und, wie es der Anlaß erfoderte, handelte er vor ihnen. Er machte ihnen die Ursachen begreiflich, warum er dieses verordnet, jenes verboten, oder diese, oder jene an- dere Entscheidung gegeben; und je nach der Kenntniß, die er von den Guͤthern eines jeden hatte, fuͤgte er kleine Anwen- dungen fuͤr sie selbst hinzu. Sie waren Zeugen von allen seinen Beschaͤfftigungen, und nahmen Antheil an seinen Ergoͤtzlich- keiten; bey Gelegenheit der letztern, bat er er sie oft instaͤndig, die Jhrigen ja nie- mals auf Unkosten ihrer armen Untertha- nen zu suchen; wozu vornehmlich die Jagd einen großen Anlaß gebe. Er nannte sie ein anstaͤndiges Vergnuͤgen, welches aber ein liebreicher, menschlicher Herr allezeit mit dem Besten seiner Unterthanen zu verbinden suche. Auch die Liebe zum Lesen war eine von den Neigungen, die er ihnen zu geben suchte, und besonders gab ihm die Geschichte Gelegenheit von der mora- lischen Welt, ihren Uebeln und Veraͤnde- rungen zu reden, die Pflichten der Hof- und Kriegsdienste auszulegen, und ihren Geist in der Ueberlegung und Beurtheilung zu uͤben. Die Geschichte der moralischen Welt, sagte er, macht uns geschickt mit den Menschen umzugehen, sie zu bessern, zu tragen und mit unserm Schicksal zufrie- den zu seyn; aber die Beobachtung der physicalischen Welt macht uns zu guten Geschoͤpfen, in Absicht auf unsern Urhe- ber. Jndem sie uns unsre Unmacht zeigt, hingegen seine Groͤße, Guͤte und Weis- heit bewundern lehrt, lernen wir ihn auf eine eine edle Art lieben und verehren; außer dem, daß uns diese Betrachtungen sehr gluͤcklich uͤber mancherley Kummer und Verdruͤßlichkeiten troͤsten und zerstreuen, die in der moralischen Welt uͤber dem Haupte des Großen und Reichen oft in groͤßerer Menge gehaͤuft sind, als in der Huͤtte des Bauren, den nicht viel mehr Sorgen, als die fuͤr seine Nahrung druͤcken. So wechselte er mit Unterredungen und Beyspiel ab. Jn seinem Hause sahen sie, wie gluͤcklich die Vereinigung eines recht- schaffenen Mannes mit einer tugendhaften Frau seye. Zaͤrtliche, edle Achtung war in ihrem Bezeugen; und die Dienerschaft ehrfurchtsvoll, und bereit, ihr Leben fuͤr die eben so gnaͤdige als ernstliche Herr- schaft zu lassen. Sternheim hatte auch die Freude, daß alle diese junge Herren erkenntliche und er- gebene Freunde von ihm wurden, welche in ihrem Briefwechsel sich immer bey ihm Raths erholten. Der Umgang mit dem verehrungswuͤrdigen Baron P., der Jh- nen nen oͤfters kleine Feste gab, hatte viel zu ihrer Vollkommenheit beygetragen. Seine Gemahlin hatte ihm eine Toch- ter gegeben, welche sehr artig heran wuchs und von ihrem neunten Jahr an (da Sternheim das Ungluͤck hatte, ihre Mut- ter in einem Wochenbette zugleich mit dem neugebohrnen Sohne zu verliehren) der Trost ihres Vaters und seine einzige Freu- de auf Erden war, nachdem auch der Baron P. durch einen Sturz vom Pferde in so schlechte Gesundheitsumstaͤnde gera- then, daß er wenige Monate darauf ohne Erben verstorben war. Dieser hatte in seinem Testamente nicht nur seine vortreff- liche Frau wohl bedacht, sondern nach den Landesrechten, die Graͤfin von Loͤbau seine juͤngere Schwester, und die junge So- phie von Sternhein, als die Tochter der aͤltern Schwester, zu Haupterben eingesetzt; welches zwar dem Grafen und der Graͤ- fin als unrecht vorkam, aber dennoch Be- stand hatte. Die alte Frau von P., von Kummer uͤber den fruͤhen Tod ihres Sohnes bey- E nahe nahe ganz niedergedruͤckt, nahm ihren Wohnplatz bey dem Herrn von Sternheim, und diente dem jungen Fraͤulein zur Auf- sicht. Der Oberste machte ihr durch seine ehrerbietige Liebe und sein Beyspiel der ge- duldigsten Unterwerfung viele Erleichte- rung in ihrem Gemuͤthe. Der edel- denkende Pfarrer und seine Toͤchter waren beynahe die einzige Gesellschaft, in welcher sie Vergnuͤgen fanden. Gleich- wohl genoß das Fraͤulein von Stern- heim die vortrefflichste Erziehung fuͤr ih- ren Geist und fuͤr ihr Herz. Eine Toch- ter des Pfarrers, die mit ihr gleiches Alter hatte, wurde ihr zugegeben, theils einen Wetteifer im Lernen zu erregen, theils zu verhindern, daß die junge Dame nicht in ihrer ersten Jugend lauter duͤstre Eindruͤcke sammeln moͤchte; welches bey ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht haͤtte geschehen koͤnnen. Denn beyde weinten oft uͤber ihren Verlust, und dann fuͤhrte Herr von Sternheim das zwoͤlf jaͤh- rige Fraͤulein bey der Hand zu dem Bild- niß ihrer Mutter, und sprach von ihrer Tu- gend gend und Guͤte des Herzens mit solcher Ruͤh- rung, daß das junge Fraͤulein knieend bey ihm schluchzte, und oft zu sterben muͤnschte, um bey ihrer Frau Mutter zu seyn. Dieses machte den Obersten fuͤrchten, daß ihre em- pfindungsvolle Seele einen zu starken Hang zu melancholischer Zaͤrtlichkeit bekommen, und durch eine allzusehr vermehrte Reiz- barkeit der Nerven unfaͤhig werden moͤch- te, Schmerzen und Kummer zu ertragen. Daher suchte er sich selbst zu bemeistern und seiner Tochter zu zeigen, wie man das Ungluͤck tragen muͤsse, welches die Besten am empfindlichsten ruͤhrt; und weil das Fraͤulein eine große Anlage von Verstand zeigte, beschaͤftigte er diesen mit der Philosophie, nach allen ihren Theilen, mit der Geschichte und den Sprachen, von denen sie die englische zur Vollkommenheit lernte. Jn der Musik brachte sie es, auf der Laute und im Singen, zur Vollkom- menheit. Das Tanzen, so viel eine Da- me davon wissen soll, war eine Kunst, welche eher von ihr eine Vollkommenheit erhielt, als daß sie dem Fraͤulein welche E 2 haͤtte haͤtte geben sollen; denn, nach dem Aus- spruch aller Leute, gab die unbeschreib- liche Anmuth, welche die junge Dame in allen ihren Bewegungen hatte, ihrem Tan- zen einen Vorzug, den der hoͤchste Grad der Kunst nicht erreichen konnte. Neben diesen taͤglichen Uebungen, er- lernte sie mit ungemeiner Leichtigkeit, alle Frauenzimmerarbeiten, und von ihrem sechszehnten Jahre an, bekam sie auch die Fuͤhrung des ganzen Hauses, wobey ihr die Tag- und Rechnungsbuͤcher ihrer Frau Mutter zum Muster gegeben wur- den. Angebohrne Liebe zur Ordnung und zum thaͤtigen Leben, erhoͤht durch ei- ne enthusiastische Anhaͤnglichkeit fuͤr das Andenken ihrer Mutter, deren Bild sie in sich erneuern wollte, brachten sie auch in diesem Stuͤcke zu der aͤußersten Voll- kommenheit. Wenn man ihr von ihrem Fleiß und von ihren Kenntnissen sprach, war ihre bescheidene Antwort: willige Faͤhigkeiten, gute Beyspiele und liebreiche Anfuͤhrung haben mich so gut gemacht, als tausend andre auch seyn koͤnnten, wenn wenn sich alle Umstaͤnde so zu ihrem Be- sten vereinigt haͤtten, wie bey mir. — Uebrigens war zu allem, was Englaͤn- disch hieß, ein vorzuͤglicher Hang in ihrer Seele, und ihr einziger Wunsch war, daß ihr Herr Vater einmal eine Reise dahin machen, und sie den Verwandten ihrer Großmutter zeigen moͤchte. So bluͤhte das Fraͤulein von Stern- heim bis nach ihrem neunzehnten Jahre fort, da sie das Ungluͤck hatte, ihren wuͤrdigen Vater an einer auszehrenden Krankheit zu verliehren, der mit kum- mervollem Herzen seine Tochter dem Gra- fen Loͤbau und dem vortrefflichen Pfarrer in S., als Vormuͤndern empfahl. An den letztern hat er einige Wochen vor seinem Tode folgenden Brief geschrieben. Herr von St. an den Pfarrer zu S**. B ald werde ich mit der besten Haͤlfte meines Lebens wieder vereinigt werden. E 3 Mein Mein Haus und die Gluͤcksumstaͤnde mei- ner Sophie sind bestellt; diß war das letzte und geringste, was mir fuͤr sie zu thun uͤbrig geblieben ist. Jhre gute und gesegnete Erziehung, als die erste und wichtigste Pflicht eines treuen Vaters, habe ich nach dem Zeugniß meines Her- zens niemals verabsaͤumt. Jhre mit der Liebe zur Tugend gebohrne Seele laͤßt mich auch nicht befuͤrchten, daß Sie, in mei- ne Stelle eintretender vaͤterlicher Freund, den Sorgen und Verdruͤßlichkeiten ausge- setzt seyn werden, welche gemeindenkende Maͤdchen in ihren Familien machen. Be- sonders wird die Liebe, bey aller der Zaͤrt- lichkeit, die sie von ihrer wuͤrdigen Mut- ter geerbt hat, wenig Gewalt uͤber sie er- halten; es muͤßte denn seyn, daß das Schicksal einen nach ihrer Phantasie tu- gendhaften Mann Der Verfolg und der ganze Zusammenhang dieser Geschichte giebt die Auslegung uͤber diesen Ausdruck. Er soll ohne Zweisel nichts anders sagen, als einen Mann, der dem be- sondern Jdeal von Tugend und moralischer Voll- in die Gegend ihres Aufent- Aufenthalts fuͤhrte. Was ich Sie, mein theurer Freund, zu besorgen bitte, ist, daß das edeldenkende Herz des besten Maͤd- chens durch keine Scheintugend hinge- rissen werde. Sie faßt das Gute an ih- rem Nebenmenschen mit so vielem Eifer auf, und schluͤpft dann uͤber die Maͤngel mit so vieler Nachsicht hinweg, daß ich nur daruͤber mit Schmerzen auf sie sehe. Ungluͤcklich wird keine menschliche Seele durch sie gemacht werden; denn ich weiß, daß sie dem Wohl ihres Naͤchsten tau- sendmal das Jhrige aufopfern wuͤrde, ehe sie nur ein minutenlanges Uebel auf andre legte, wenn sie auch das Gluͤck ih- res ganzen eignen Lebens damit erkau- fen koͤnnte. Aber da sie lauter Empfin- dung ist, so haben viele, viele, die elen- de Macht, sie zu kraͤnken. Jch habe bis itzt meine Furcht vor dem Gemuͤths- charakter der Graͤfin Loͤbau geheim gehal- ten; aber der Gedanke, meine Sophie E 4 bey Vollkommenheit, welches sich in ihrer Seele ausgebildet hatte, bis auf die kleinsten Zuͤge aͤhnlich waͤre. A. d. H. bey ihr zu wissen, macht mich schaudern; Die aͤußerliche Sanftmuth und Guͤte die- ser Frau, sind nicht in ihrem Herzen; der bezaubernd angenehme Witz, der fei- ne gefaͤllige Ton, den ihr der Hof gegeben, verbergen viele moralische Fehler Jch wollte meiner Tochter niemals Mißtrauen in diese Dame beybringen, weil ich es fuͤr unedel, und auch, so lang ich meiner Gesundheit genoß, fuͤr unnoͤthig hielt. Aber wenn meine theure Frau Schwieger- mutter auch unter der Last von Alter und Kummer erliegen sollte, so nehmen Sie meine Sophie in ihren Schutz! Gott wird Jhnen diese Sorge erleichtern helfen, indem ich hoffe, daß er das letzte Gebet eines Vaters erhoͤren wird, der fuͤr sein Kind nicht Reichthum, nicht Groͤße, son- dern Tugend und Weisheit erbittet. Vorsehen und verhindern kann ich nichts mehr. Also uͤbergebe ich sie der goͤttli- chen Guͤte, und der treuen Hand eines versuchten Freundes. — Doch trenne ich mich leichter von der ganzen Erde als von dem Gedanken an meine Tochter. Jch er- innere innere mich hier an eine Unterredung zwi- schen uns, von der Staͤrke der Eindruͤcke, die wir in unsrer Jugend bekommen. Jch empfinde wuͤrklich ein Stuͤck davon mit aller der Macht, die die Umstaͤnde dazu beytragen. Mein Vater hatte mir zwo Sachen sehr eingepraͤgt, nehmlich die Ge- wißheit des Wiedervergeltungsrechts und den Lehrsatz der Wohlthaͤtigkeit unsers Beyspiels. Die Gruͤnde, welche er dazu anfuͤhrte, waren so edel, sein Unterricht so liebreich, daß es nothwen- diger Weise in meiner empfindlichen Seele haften mußte. Von dem ersten bin ich seit langer Zeit wieder eingenommen, weil er mir oft sagte, daß der Kummer oder das Vergnuͤgen, die ich ihm geben wuͤrde, durch meine Kinder an mir wuͤrde geraͤcht oder belohnt werden; Gott sey Dank, daß ich durch meine Auffuͤhrung gegen meinen ehrwuͤrdigen Vater den Segen verdient habe, ein gehorsames tugend- volles Kind zu besitzen, welches mich an dem Ende meines Lebens das Gluͤck der Erinnerung genießen laͤßt, daß ich die E 5 letzten letzten Tage meines Vaters mit dem voll- kommensten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das ein treues vaͤterliches Herz empfinden kann, nehmlich zu sagen — „Du hast „mich durch keine boͤse Neigung, durch „keinen Ungehorsam jemals gekraͤnkt, „deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei- „nen Verstand zu uͤben und nuͤtzlich zu „machen, haben mein Herz, so oft ich dich „ansah, mit Freude erfuͤllt. Gott segne „dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr „die Erquickung, die dein Anblick deinem „sterbenden Vater durch die Versicherung „giebt, daß ich meinen Nebenmenschen an „meinem Sohn einen rechtschaffnen Mit- „buͤrger zuruͤcklasse.“ Dieses Vergnuͤgen, mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem ich meiner Tochter das nehmliche Zeu- gniß geben kann, in der ich noch eine traurige Gluͤckseligkeit mehr genossen ha- be. Jch sage, traurige Gluͤckseligkeit, weil sie als das wahre Bild meiner seligen Gemahlin, das Andenken mei- ner hoͤchstgluͤcklichen Tage und den Schmerz ihres Verlusts bey jedem Anblick in in mir erneuerte. Wie oft riß mich der Jammer von dem Tisch oder aus der Ge- sellschaft fort, wenn ich in den zwey letz- tern Jahren (da sie den ganzen Wuchs ihrer Mutter hatte, und Kleider nach mei- nem Willen trug) den eignen Ton der Stimme, die Gebehrden, die ganze Guͤte und liebenswuͤrdige Froͤhlichkeit ihrer Mutter an ihr sah! Gott gebe, daß dieses Beyspiel des Wiedervergeltungsrechts von meiner Toch- ter bis auf ihre spaͤteste Enkel fortgepflanzt werde; denn ich habe ihr eben so viel da- von gesprochen, als mein Vater mir! M it lebhafter Wehmuth erinnere ich mich der letzten Stunden dieses edeln Mannes, und seiner Unterredungen waͤh- rend den Tagen seiner zunehmenden Krank- heit. Das theure Fraͤulein konnte wenig weinen, sie lag auf ihren Knieen neben dem Bette ihres Vaters; aber der Aus- druck des tiefsten Schmerzens, war in ih- rem rem Gesicht und in ihrer Stellung. Die Augen ihres Vaters auf sie geheftet — eine Hand in den Jhrigen; ein Seufzer des Vaters — Meine Sophie! und dann die Arme des Fraͤuleins gegen den Himmel ausgebreitet, ohne einen Laut — aber eine trostlose bittende Seele in allen ihren Zuͤgen! O dieser Anblick des feyer- lichen Schmerzens, der kindlichen Liebe, der Tugend, der Unterwerfung, zerriß uns allen das Herz. „Sophie, die Natur thut uns kein Un- „recht, sechzig Jahre sind nicht zu fruͤh. „Der Tod ist kein Uebel fuͤr mich; er ver- „einigt meinen Geist mit seinem liebreichen „Schoͤpfer, und mein Herz mit deiner „wuͤrdigen Mutter ihrem! Goͤnne mir „dieses Gluͤck auf Unkosten des Vergnuͤ- „gens, das dir das laͤngere Leben deines „Vaters gegeben haͤtte.“ Sie uͤberwand ihren Kummer; sie selbst war es, welche ihren Herrn Vater aufs sorgfaͤltigste und ruhigste pflegte. Er sah diese Ueberwindung, und bat sie, ihm in den letzten Tagen den Trost zu ge ben, ben, die Frucht seiner Bemuͤhungen fuͤr Sie in der Fassung ihrer Seele zu zeigen. Sie that alles. „Bester Vater! Sie ha- „ben mich leben gelernt, Sie lernen mich „auch sterben; Gott mache Sie zu mei- „nem Schutzgeist, und zum Zeugen aller „meiner Handlungen und Gedanken! Jch „will Jhrer wuͤrdig seyn! Wie er dahin war, und sein ganzes Haus voll weinender Unterthanen, sein Sterbezimmer voll knieender schluchzender Hausbedienten waren, das Fraͤulein vor seinem Bette die kalten Haͤnde kuͤssend nichts sagen konnte, bald knieend, bald sich erhebend die Haͤnde rang — O meine Freundin! wie leicht grub sich das Andenken dieses Tages in mein Herz! Wie viel Gutes kann eine empfindende Seele an dem Sterbebette des Gerechten sam- meln! — Mein Vater sah stillschweigend zu; er war selbst so stark geruͤhrt, daß er nicht gleich reden konnte. Endlich nahm er das Fraͤulein bey der Hand: Gott lasse Sie die Erbin der Tugend Jhres Herrn Vaters Vaters seyn, zu deren Belohnung er nun gegangen ist! Erhalten Sie in diesen ge- ruͤhrten Herzen (wobey er auf uns wies) das gesegnete Andenken Jhrer verehrungs- wuͤrdigen Aeltern, durch die Bemuͤhung in ihren Fußstapfen zu wandeln! Die alte Dame war auch da, und die- ser bediente sich mein Vater zum Vor- wand, das Fraͤulein aus dem Zimmer zu bringen, indem er sie bat, ihre Frau Großmutter zur Ruhe zu fuͤhren. Wie das Fraͤulein anfieng zu gehen, machten wir alle Platz. Sie sah uns an, und Thraͤneu rollten uͤber ihre Backen; da draͤngten sich alle, und kuͤßten ihre Haͤnde, ihre Kleider; und gewiß, es war nicht die Bewegung sich der Erbin zu empfehlen, sondern eine Bezeugung der Ehrfurcht fuͤr den Ueberrest des besten Herrn, den wir in ihr sahen. Mein Vater und der Beamte sorgten fuͤr die Beerdigung. Niemals ist ein solches Leichbegaͤngniß ge- wesen. Es war vom Herrn von Sternheim befohlen, daß es Nachts und ruhig seyn sollte: sollte: weil er seine Sophie mit der Mar- ter verschonen wollte, ihn beysetzen zu se- hen. Aber die Kirche war voller Leute; alle feyerlich angezogen, der Chor be- leuchtet, wie es die traurige Ursache er- foderte; alle wollten ihren Herrn, ihren Wohlthaͤter noch sehen. Greise, Juͤng- linge, weinten, segneten ihn, und kuͤßten seine Haͤnde und Fuͤße, das Leichentuch, den Deckel des Sarges, — und erbaten von Gott, er moͤchte an der Tochter alles das Gute, so ihnen der Vater bewiesen, belohnen! Noch lange Zeit hernach war alles traurig zu S., und das Fraͤulein so still, so ernsthaft, daß mein Vater ihrenthal- ben in Sorgen gerieth; besonders da auch die alte Dame, welche gleich gesagt hatte, daß ihr dieser Fall das Herz gebrochen haͤtte, von Tag zu Tag schwaͤchlicher wurde. Das Fraͤulein wartete sie mit einer Zaͤrtlichkeit ab, welche die Dame sagen machte: „Sophie, die Sanftmuth, „die Guͤte deiner Mutter, ist ganz in dei- „ner Seele! Du hast den Geist deines Va- „ters, „ters, du bist das gluͤckseligste Geschoͤpf „auf der Erde, weil die Vorsicht die Tu- „genden deiner Aeltern in dir vereiniget „hat! Du bist nun dir selbst uͤberlassen, „und faͤngst den Gebrauch deiner Unab- „haͤngigkeit mit Ausuͤbung der Wohlthaͤ- „tigkeit an deiner Großmutter an. Denn „es ist eine edlere Wohlthat, das Alter „zu beleben, und liebreich zu besorgen, „als den Armen Gold zu schenken.“ Sie empfahl sie auch dem Grafen und der Graͤfin von Loͤbau auf das eifrigste, als sie von ihnen noch vor ihrem Ende ei- nen Besuch erhielt. Diese beyden Perso- nen waren dem Ansehen nach, gegen das Fraͤulein sehr verbindlich, und wollten sie sogleich mit sich nehmen; aber sie bat sich aus, ihr Trauerjahr in unserm Hause zu halten. Jn dieser Zeit bildete sich die vertraute Freundschaft, welche sie in der Folge alle- zeit mit meiner Schwester Emilia unter- hielt. Mit dieser gieng sie oft in die Kir- che zum Grabstein ihrer Aeltern, knieete da, betete, redete von ihnen. — „Jch „habe „habe keine Verwandten mehr, als diese „Gebeine, sagte sie. Die Graͤfin Loͤbau „ist nicht meine Verwandtin; ihre Seele „ist mir fremde, ganz fremde, ich liebe sie „nur, weil sie die Schwester meines „Oheims war.“ Mein Vater suchte ihr diese Abneigung, als eine Ungerechtigkeit, zu benehmen, und war uͤberhaupt bemuͤht, alle Theile ihrer Erziehung mit ihr zu er- neuern, und besonders auch ihr Talent fuͤr die Musik zu unterhalten. Er sagte uns oft: Daß es gut und wahr waͤre, daß die Tugenden alle an einer Kette gien- gen, und also die Beschaffenheit auch mit dabey sey. Und was wuͤrde auch aus der Fraͤulein von Sternheim geworden seyn, wenn sie sich aller ihrer Vorzuͤge in der Vollkommenheit bewußt gewesen waͤre, worinn sie sie besaß? Der Sternheimische Beamte, ein recht- schaffener Mann, heyrathete um diese Zeit meine aͤlteste Schwester; und sein Bruder, ein Pfarrer, der ihn besuchte, nahm meine Emilia mit sich; mit dieser fuͤhrte unser Fraͤulein einen Briefwechsel, F welcher welcher mir Gelegenheit geben wird, sie kuͤnftig oͤfter selbst reden zu lassen. A ber vorher muß ich Jhnen noch das Bild meiner jungen Dame mahlen. Sie muͤssen aber keine vollkommene Schoͤnheit erwarten. Sie war etwas uͤber die mitt- lere Groͤße; vortrefflich gewachsen; ein laͤnglich Gesicht voll Seele; schoͤne brauue Augen, voll Geist und Guͤte, einen schoͤ- nen Mund, schoͤne Zaͤhne. Die Stirne hoch, und, um schoͤn zu seyn, etwas zu groß, und doch konnte man sie in ihrem Gesichte nicht anders wuͤnschen. Es war so viel Anmuth in allen ihren Zuͤgen, so viel edles in ihren Gebehrden, daß sie, wo sie nur erschien, alle Blicke auf sich zog. Jede Kleidung ließ ihr schoͤn, und ich hoͤrte Milord Seymour sagen, daß in jeder Falte eine eigne Grazie ihren Wohn- platz haͤtte. Die Schoͤnheit ihrer licht- braunen Haare, welche bis auf die Erde reichten, konnte nicht uͤbertroffen werden. Jhre Stimme war einnehmend, ihre Aus- druͤcke druͤcke fein, ohne gesucht zu scheinen. Kurz, ihr Geist und Charakter waren, was ihr ein unnachahmlich edles und sanftreizendes Wesen gab. Denn ob sie gleich bey ihrer Kleidung die Bescheiden- heit in der Wahl der Stoffe auf das aͤußer- ste trieb, so wurde sie doch hervorgesucht, wenn die Menge von Damen noch so groß gewesen waͤre. So war sie, als sie von ihrer Tante an den Hof nach D. gefuͤhret wurde. Unter den Zubereitungen zu dieser Rei- se, wozu sie mein Vater mit bereden half, muß ich nur eine anmerken. Sie hatte die Bildnisse ihres Herrn Vaters und ih- rer Frau Mutter in Feuer gemahlt, und zu Armbaͤndern gefaßt, welche sie nie- mals von den Haͤnden ließ. Diese wollte sie umgefaßt haben, und es mußte ein Goldarbeiter kommen, mit welchem sie sich allein deredete. Die Bildnisse kamen wieder mit Bril- lianten besetzt, und zween Tage vor der Abreise nahm sie meine Emilia, und gieng zum Grab ihrer Altern, wo sie einen fey- F 2 erlichen erlichen Abschied von den geliebten Gebei- nen nahm, Geluͤbde der Tugend erneuer- te, und endlich ihre Armbaͤnder loß mach- te, an welchen sie die Bildnisse hatte hohl fassen lassen, so daß sie mitten ein verbor- genes Schloß hatten. Dieses machte sie auf, und fuͤllte den kleinen Gaum mit Erde, die sie in der Gruft zusammen faß- te. Thraͤnen rollten uͤber ihre Wangen, indem sie es that, und meine Emllia sag- te: Liebes Fraͤulein, was thun Sie? Warum diese Erde? — Meine Emilie, antwortete sie, ich thue nichts, als was bey dem weisesten und edelsten Volke fuͤr eine Tugend geachtet wurde; den Staub der Rechtschaffenen zu ehren; und ich glaube, es war ein empfindendes Herz, wie das meinige, welches in spaͤtern Zeiten die Achtung der Reliquien anfieng. Die- ser Staub, meine Liebe, der die geheiligte Ueberbleibsel meiner Aeltern bedeckte, ist mir schaͤtzbarer, als die ganze Welt, und wird in meiner Entfernung von hier, das Liebste seyn, was ich besitzen kann. Meine Meine Schwester kam in Sorgen dar- uͤber und sagte uns, es haͤtte sie eine Ahn- dung von Ungluͤck befallen; sie fuͤrchte das Fraͤulein nicht mehr zu sehen. Mein Vater beruhigte uns, und dennoch wurde auch er bestuͤrzt, da er erfuhr, das Fraͤu- lein sey in den Doͤrfern, die ihr gehoͤrten, von Haus zu Haus gegangen, haͤtte al- len Leuten liebreich zugesprochen, sie be- schenkt, zu Fleiß und Rechtschaffenheit er- mahnt, die Allmosen fuͤr Wittwen, Wai- sen, Alte und Kranke vermehrt, dem Schulmeister eifrig zugeredet, seine Be- soldung verbessert, und Preiße fuͤr die Kinder ausgesetzt, meinen Schwager, den Amtmann, mit einer Tabatiere, und mei- ne Schwester mit einem Ring zum Anden- ken beschenkt, und den ersten um wahre Guͤte und Gerechtigkeit fuͤr ihre Untertha- nen gebeten. Wir weinten alle uͤber die- se Beschreibung. Mein Vater sprach uns Muth ein, indem er sagte: Alle melancho- lischzaͤrtliche Charakter haͤtten die Art, ih- ren Handlungen eine gewisse Feyerlichkeit zu geben, es waͤre ihm lieb, daß sie mit F 3 so so starken Eindruͤcken des wahren Edeln und Guten in die große Welt traͤte, wor- inn doch manche vor diesen Empfindun- gen geschwaͤcht werden duͤrften, also, daß durch eine unmerkliche Mischung von Leichtsinn und glaͤnzender Munterkeit und die Vermehrung ihrer Kenntniß vom menschlichen Herzen der Enthusiasmus ihrer Seele gemildert und in den gehoͤri- gen Schranken wuͤrde gehalten werden. Meine Emilia bekam ihr Bildniß und ein artiges Kaͤstgen, worinn Geld zu ei- ner Haussteuer war. Jhren Bedienten ließ sie zuruͤck, weil er verheyrathet war, und der Graf von Loͤbau geschrieben hat- te, daß seine Leute zu ihren Diensten seyn sollten. Etliche Tage hernach kam der Graf, ihr Oncle, sie abzuhohlen, und ich be- gleitete sie, wie sie sich ausgebeten hatte. Der Abschied von meinem Vater war ruͤh- rend. Sie haben ihn gekannt, den ehr- wuͤrdigen Mann, Sie wissen, daß er alle Hochach- Hochachtung, alle Liebe verdient. Wir reiseten erst auf das Loͤbauische Guth, und von da mit der Graͤfin nach D.; wo sich nun der fatale Zeitpunkt anfaͤngt, wor- inn Sie diese liebenswuͤrdigste junge Da- me in Schwierigkeiten und Umstaͤnde ver- wickelt sehen werden, die den schoͤnen Plan eines gluͤcklichen Lebens, den Sie Sich gemacht hatte, auf einmal zerstoͤr- ten, aber durch die Probe, auf welche sie ihren innerlichen Werth setzten, ihre Ge- schichte fuͤr die Besten unsers Geschlechts lehrreich machen. Jch glaube, daß ich am besten thun werde, wenn ich hier, an- statt die Erzaͤhlung fortzusetzen, Jhnen eine Reihe von Originalbriefen, oder Ab- schriften, welche in der Folge in die Haͤnde meines geliebten Fraͤuleins gekommen sind, vorlege, aus denen Sie, theils den Cha- rakter ihres Geistes und Herzens, theils die Geschichte ihres Aufenthalts in D. weit besser als durch einen bloßen Auszug werden kennen lernen. F 4 Fraͤu- Fraͤulein von Sternheim an Emilien. „ J ch bin nun vier Tage hier, meine Freundin, und in Wahrheit nach allen meinen Empfindungen, in einer ganz neuen Welt. Das Geraͤusch von Wagen und Leuten, habe ich erwartet; doch plagte es mein an die laͤndliche Ruhe ge- woͤhntes Ohr, die ersten Tage uͤber gar sehr. Was mir noch beschwerlicher fiel, war, daß meine Tante den Hoffriseur rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode zuzurichten. Sie hatte die Guͤtigkeit, selbst mit in mein Zimmer zu kommen, wo sie meine Haare loßband, und ihm sagte: Monsieur le Beau, dieser Kopf kann ihrer Kunst Ehre machen; wenden sie alles an; aber haben sie ja Sorge, daß diese schoͤnen Haare durch kein heisses Eisen verletzet werden? Diese Schmeicheley meiner Tante nahm ich noch mit Vergnuͤgen an; aber der Friseur aͤrgerte mich mit seinen Lob- spruͤchen. spruͤchen. Es duͤnkte meinem Stolze, der Mensch haͤtte mich sorgfaͤltig bedienen, und stillschweigend bewundern sollen. Aber der Schneider und die Putzmacherin waren noch unertraͤglicher. Fragen Sie meine Rosine uͤber ihr albernes Geschwaͤtz, und uͤber die etwas boshafte Anmerkung, die mir einfiel: Die Eitelkeit der Damen in D. muͤßte sehr heißhungrig seyn, weil sie diese Leute gewoͤhnt haͤtten, ihr ei- ne so grobe und mir sehr unschmackhafte Nahrung zu bringen. Das Lob des Schloͤssers, welches der schoͤnen Mont- bason so viel besser gefiel, als der Hof- leute ihres, war von einer ganz andern Art, weil es das Gepraͤge einer wahren Empfindung hatte, die durch den Anblick dieser schoͤnen Frau in ihm entstund, da er ganz mit seiner Arbeit beschaͤfftigt, un- gefehr aufsah, als eben die Dame bey sei- ner Werkstatt vorbey fuhr. Aber was heißt der Beyfall derer, welche ihren Nu- tzen von mir suchen? Und wie froh bin ich, mit keiner besondern Schoͤnheit be- zeichnet zu seyn; weil ich diese Art F 5 von von Ekel fuͤr allgemeinem Lob in mir fuͤhle. Diesen Nachmittag habe ich etliche Da- men und Cavaliere gesehen, denen meine Tante ihre Ankunft hatte wissen lassen, indem sie die Unterlassung ihres eignen Besuchs mit dem Vorwand einer großen Muͤdigkeit von der Reise entschuldigte. Wiewohl die wahre Ursache nichts anders war, als daß die Hof- und Stadtkleider noch nicht fertig sind, in welchen ich mei- ne Erscheinung machen soll. Vielleicht stutzen Sie uͤber das Wort Erscheinung, aber es wurde heute von einem witzigen Kopf in der That sehr richtig gebraucht, wiewohl er es nur auf mein Kleid und meine erste Reise in die Stadt anwandte. Sie wissen, Emilia, daß mein theurer Papa mich immer in den Kleidern meiner Mama sehen wollte, und daß ich sie auch am liebsten trug. Diese sind hier alle aus der Mode, und ich konnte nach dem Ausspruch meiner Tante (der ich dieses Stuͤck von Herrschaft uͤber meinen Ge- schmack gerne einraͤume) kein anderes als das das von weissem Tafft tragen, welches sie mir zu Ende der Trauer hatte machen las- sen. Ende der Trauer, meine Emilia! O glauben Sie es nicht so woͤrtlich; die aͤußerlichen Kennzeichen davon habe ich abgelegt; aber sie hat ihren alten Sitz in dem Grunde meines Herzens behalten, und ich glaube, sie hat einen Bund mit der geheimen Beobachterin unsrer Hand- lungen (ich meine das Gewissen) gemacht: denn bey der Menge Stoffe und Putzsachen, die mir letzhin vorgeleget wurden, und wovon dieses zur naͤchsten Galla, jenes auf den bevorstehenden Ball, ein anderes zur Assemblee bestimmt war, wendete sich, indem ich das eine und andere betrachtete unter der Bewegung meiner Haͤnde, das Bild meiner Mama an dem Armband, und indem ich, im Zurechtemachen, meine Au- gen darauf heftete, und ihre feine Bil- dung mit dem simpelsten Aufsatz und An- zug gezieret sah, uͤberfiel mich der Ge- danke, wie unaͤhnlich ich ihr in kurzer Zeit in diesem Stuͤck seyn werde! Gott verhuͤte, daß diese Unaͤhnlichkeit ja nie- mals mals weiter als auf die Kleidung gehe! — die ich als ein Opfer ansehe, welches auch die Besten und Vernuͤnftigsten der Gewohnheit, den Umstaͤnden und ihrer Verhaͤltniß mit andern, bald in diesem, bald in jenem Stuͤcke bringen muͤssen. Dieser Gedanke duͤnke mich ein gemein- schaftlicher Wink der Trauer und des Ge- wissens zu seyn. Aber ich komme von meiner Erscheinung ab. Doch Sie, mein vaͤterlicher Freund, haben verlangt, ich soll, wie es der Anlaß gebe, das was mir begegnet und meine Gedanken dabey auf- schreiben, und das will ich auch thun. Jch werde von andern wenig reden, wenn es sich nicht besonders auf mich bezieht. Alles was ich an ihnen selbst sehe, befrem- det mich nicht, weil ich die große Welt aus dem Gemaͤhlde kenne, welches mir mein Papa und meine Großmama davon gemacht haben. Jch kam also in das Zimmer zu meiner Tante, da schon etliche Damen und Ca- valiere da waren. Jch hatte mein weis- ses Kleid an, welches mit blauen Jtalieni- schen schen Blumen garnirt worden war; mein Kopf nach der Mode in D. gar schoͤn geputzt. Meinen Anstand und meine Gesichtsfarbe weis ich nicht; doch mag ich blaß ausgese- hen haben; weil kurz nach dem mich die Graͤ- fin als ihre geliebte Nichte vorgestellt hat- te, ein von Natur artig gebildeter junger Mann mit einem verkehrt lebhaften Wesen sich naͤherte, und, Brust und Achseln mit ei- ner seltsamen Beugung gegen meine Tante, den Kopf aber seitwaͤrts gegen mich mit ei- ner Art Erschrockenheit gewendet, ausrief: Meine gnaͤdige Graͤfin, ist es wirklich ihre Niece? — „Und warum wollen Sie mei- nem Zeugniß nicht glauben?“ — Der erste Anblick ihrer Gestalt, die Kleidung und der leichte Sylphidengang, haben mich auf den Gedanken gebracht, es waͤre die Erscheinung eines liebenswuͤrdigen Hausgespenstes. — Armer F**, sagte eine Dame; und Sie fuͤrchten sich viel- leicht vor Gespenstern? Vor den haͤßlichen, versetzte der witzige Herr, habe ich natuͤrlichen Abscheu, aber mit denen, welche dem Fraͤulein von Stern- heim heim gleichen, getraue ich mir ganze Stunden allein hinzubringen. „So, und Sie braͤchten mit diesem schoͤnen Einfall mein Haus in den Ruf, daß es darinn spuͤke!“ Das moͤchte ich wohl; um alle uͤbrige Cavaliere abzuhalten, hieher zu kommen; aber dann wuͤrde ich auch den reizenden Geist zu beschwoͤreen suchen, daß er sich wegtragen ließe. — „Gut, Graf F**, gut, das ist artig gesagt! Wurde in dem Zimmer von allen wiederhohlt. „Nun meine Nichte, wuͤrden Sie sich beschwoͤren lassen?“ Jch weis sehr wenig von der Geister- welt, antwortete ich; doch glaube ich, daß fuͤr jedes Gespenst, eine eigne Art von Beschwoͤrung gewaͤhlt werden muͤsse, und die Entsetzung, die ich dem Grafen bey meiner Erscheinung verursachte, laͤßt mich denken, daß ich unter dem Schutz eines maͤchtigern Geistes bin, als der ist, der beschwoͤren lernt. Vortreff- Vortrefflich, vortrefflich; Graf F**. Wie weiter? rief der Oberste von Sch***. Jch habe doch mehr errathen, als Sie alle, antwortete der Graf; denn wenn gleich das Fraͤulein kein Geist ist, so sehe ich doch, daß sie unendlich viel Geist ha- ben muͤsse. Das moͤgen Sie errathen haben, und das war vermuthlich auch der Grund, warum Sie in dieses Schrecken geriethen, sagte das Fraͤulein von C**, Hofdame bey der Prinzessin von W***, die bisher sehr stille gewesen war. Sie mißhandeln mich immer, meine ungnaͤdige C**. Denn Sie wollen doch damit sagen, der kleine Geist haͤtte sich vor dem groͤßern zu fuͤrchten angefangen. Ja, dachte ich, in diesem Scherz ist in Wahrheit viel Ernst. Jch bin wuͤrk- lich eine Gattung von Gespenstern, nicht nur in diesem Hause, sondern auch fuͤr die Stadt und den Hof. Jene kommen, wie ich, mit der Kenntniß der Menschen unter sie, und verwundern sich uͤber nichts was sie sehen und hoͤren, machen aber, aber, wie ich, Vergleichungen zwischen die- ser Welt, und der, woher sie kommen, und jammern uͤber die Sorglosigkeit, womit die Zukunft behandelt wird; die Men- schen aber bemerken an ihnen, daß diese Geschoͤpfe, ob sie wohl ihre Form haben, dennoch ihrem innerlichen Wesen nach, nicht unter sie gehoͤren. Das Fraͤulein von C** ließ sich hier- auf in eine Unterredung mit ihr ein, an deren Ende sie mir viele Achtung bewies, und den hoͤflichen Wunsch aͤußerte, oͤfters in meiner Gesellschaft zu seyn. Sie ist sehr liebenswuͤrdig, etwas groͤßer als ich, wohl gewachsen, ein großes Ansehen in ih- rem Gang und der Bewegung ihres Kopfs; ein laͤnglicht Gesicht, nach allen Theilen schoͤn gebildet, blonde Haare und die vor- trefflichste Gesichtsform; einnehmende Zuͤ- ge von Sanftmuth: nur manchmal duͤnk- te mich, waͤren ihre freymuͤthige ganz liebreiche Augen, zu lang und zu bedeu- tend auf die Augen der Mannsleute ge- heftet gewesen. Jhr Verstand ist liebens- wuͤrdig, und alle ihre Ausdruͤcke sind mit dem dem Merkmal des gutgesinnten Herzens bezeichnet. Sie war in der ganzen Ge- sellschaft die Person, die mir am besten gefiel, und ich werde mir das Anerbieten ihrer Freundschaft zu nutze machen. Endlich kam die Graͤfin F*** fuͤr wel- che mir meine Tante viele Achtung zu ha- ben empfohlen hatte, weil ihr Gemahl meinem Oncle in seinem Processe viele Dienste leisten koͤnne. Jch that alles, aber doch fuͤhlte ich einen Unmuth uͤber die Vorstellung, daß die Gefaͤlligkeit der Nichte gegen die Frau des Ministers die Gerechtsamen des Oheims sollte stuͤtzen helfen. An seinem Platze wuͤrde ich we- der meine noch des Ministers Frau in die- se Sache mengen, sondern eine maͤnnliche Sache mit Maͤnnern behandeln. Der Mi- nister, den seine Frau fuͤhrt, steht mir auch nicht an; doch ist alles dieses eine eingefuͤhrte Gewohnheitssache, woruͤber der eine nichts klagt, und der andre nicht stutzig wird. Das Fraͤulein C*** und die Graͤfin F*** blieben beym Abendessen. Die Un- G terredun- terredungen waren belebt, aber so ver- flochten, daß ich keinen Auszug machen kann. Die Frau von F*** schmeichelte mir bey allen Gelegenheiten, ich mochte reden oder vorlegen. Wenn sie im Sinn hat, sich dadurch bey mir beliebt zu ma- chen, so verfehlt sie ihren Zweck. Denn diese Frau werde ich nimmer lieben, wenn ich der Stimme meines Herzens folge; und dann glaube ich nicht, daß mich eine Pflicht verbinde, meine Abneigung gegen sie zu uͤberwinden, wie ich bey meiner Tante gethan habe; wiewohl auch diese manchmal aufwachte. Aber das Fraͤulein C** werde ich lieben. Sie war mit mir auf meinem Zimmer, wo wir so freundlich redeten, als kennnten wir uns viele Jahre her. Sie sprach viel von ihrer Prinzes- sin, und wie diese mich lieben wuͤrde, in- dem ich ganz nach ihrem Geschmack waͤre. Wie ich meine Laute und meine Stimme hoͤren lassen mußte, gab sie mir noch mehr Versicherungen daruͤber, und ich erhielt uͤberhaupt viel Lobspruͤche. Der Ton und die Bezeugung der Hofleute sind in der der That dadurch angenehm, weil die Ei- genliebe eines jeden so wohl in Acht genom- men wird. Meine Tante war mit mir zufrieden, wie sie sagte; denn sie hatte befuͤrchtet, ich wuͤrde ein gar zu fremdes, gar zu laͤndliches Ansehen haben. Die Graͤfin F. hatte mich gelobt, aber etwas stolz und trocken gefunden. Jch war es auch. Jch kann die Versicherungen meiner Freundschaft und Hochachtung nicht ent- heiligen. Jch kann niemand betruͤgen, und sie geben, wenn ich sie nicht fuͤhle. Meine Emilia! mein Herz schlaͤgt nicht fuͤr alle, ich werde in diesem Stuͤcke vor der Welt immer ein Gespenst bleiben. Diß ist meine Empfindung. Kein fliegen- der unwilliger Gedanke. Jch war billig; ich legte keinem nichts zum Argen aus. Jch sagte zu mir: Eine Erziehung, wel- che falsche Jdeen giebt, das Beyspiel, so sie ernaͤhrt, die Verbundenheit wie Andere zu leben, haben diese Personen von ihrem eignen Charakter und von der natuͤrli- chen sittlichen Bestimmung, wozu wir da G 2 sind, sind, abgefuͤhrt: Jch betrachte sie als Leu- te, auf die eine Familienkraͤnklichkeit fort- gepflanzt ist; ich will liebreich mit ihnen umgehen, aber nicht vertraut, weil ich mich der Sorge mit ihrer Seuche ange- steckt zu werden nicht enthalten kann. So wuͤnschen Sie mir dann eine dau- erhafte Seelengesundheit, meine liebe Freundin, und lieben Sie mich. Un- serm ehrwuͤrdigen Papa alles Gute! wie wird er sich von seiner ihn so zaͤrtlich be- sorgenden Emilie trennen koͤnnen? Aber wie gluͤcklich treten Sie den Kreis des ehelichen Lebens an, da Sie den treuen Segen eines wuͤrdigen Vaters mit sich bringen! Gruͤssen Sie mir den auserwaͤhl- ten Mann, dessen Eigenthum Sie mit al- len diesen Schaͤtzen werden. Zweyter Brief. „ E s ist mir lieb, meine Emilia, daß Sie diesen Brief noch in dem vaͤterlichen Hause erhalten, weil er Jhnen eine schein- bare Verwirrung meiner Jdeen zeigen wird, wo wo unser Papa das beste Mittel, sie in Ordnung zu bringen, anzeigen kann. Jch bin bey der Prinzessin von W*. und dem ganzen Adel zur Erscheinung gebracht worden, und kenne nun den Hof und die große Welt durch mich selbst. Jch habe Jhnen schon gesagt, daß ich beyde aus der Abschilderung kenne, so mir davon gemacht worden. Lassen Sie mich dieses Gleichniß noch weiter brauchen; es war meinem Auge nichts fremde. Aber denken Sie sich eine Person voll Aufmerk- samkeit und Empfindung, die schon lange mit einem großen Gemaͤhlde von reicher und weitlaͤuftiger Composition bekannt ist. Oft hat sie es betrachtet, und uͤber den Plan, die Verhaͤltnisse der Gegenstaͤnde, und die Mischung der Farben, nachge- dacht, alles ist ihr bekannt; aber auf ein- mal kommt durch eine fremde Kraft das stillruhende Gemaͤhlde, mit allem was es enthaͤlt, in Bewegung; natuͤrlicher Weise erstaunt diese Person, und ihre Empfin- dungen werden auf mancherley Art ge- ruͤhrt. Diese erstaunte Person bin ich; G 3 die die Gegenstaͤnde und Farben machen es nicht; die Bewegung, die fremde Bewe- gung ists, die ich sonderbar finde. Soll ich Jhnen sagen, wie ich hier und da aufgenommen wurde? Gut, al- lenthalben gut! denn fuͤr solche Begeben- heiten hat der Hof eine allgemeine Spra- che, die der Geistlose eben so fertig zu re- den weiß, als der Allervernuͤnftigste. Die Prinzessin, eine Dame von beynahe funf- zig Jahren, hat einen sehr seinen Geist; in ihrem Bezeugen, und in ihren Aus- druͤcken herrscht ein Ton von Guͤte, dessen allgemeine Gefaͤlligkeit mir die Ueber- bleibsel von einer Zeit zu seyn schienen, wo sie die Freundschaft aller Arten von Leuten fuͤr noͤthig halten mochte. Denn ich sehe schlechterdings diesen Beweggrund allein fuͤr faͤhig an, jene Wuͤrkung in ei- nem edeln Herzen zu machen. Die nie- dertraͤchtige Begierde, sich allen ohne Un- terschied beliebt zu machen, kann ich ihr unmoͤglich zuschreiben. Sie unterredete sich lange mit mir, und sagte viel Gutes von meinem geliebten Papa, den sie als Haupt- Hauptmann und Obersten gekannt hatte. Sie nennete mich die wuͤrdige Tochter des rechtschaffenen Mannes, und sagte, sie wolle mich oͤfters holen lassen. Sie glauben nun gewiß, meine Emilia, daß ich diese Fuͤrstin um so mehr liebe, weil das Andenken meines Vaters von ihr ge- ehrt wird. Mehrere Charakter kann ich Jhnen nicht bezeichnen. Die meisten sehen ein- ander aͤhnlich, in so fern man sie in dem Vorzimmer der Fuͤrstin, oder bey gewoͤhn- lichen Besuchen sieht. Gestern wurde ich im Schreiben unter- brochen, weil Assemblee (wie sie es nen- nen) bey der Prinzessin angesagt wurde. Da mußte ich die Zeit, welche mein Herz der Freundschaft gewidmet hatte, vor dem Putztisch verschwenden. Glauben Sie wohl, daß meine liebe Rosine eben so ungeschickt ist, eine metho- dische Cammerjungfer zu seyn, als ich es bin, meinen Damenstand durch die lange Verweilung am Putztisch und durch un- schluͤßige ekle Wahl meiner Kleidung und G 4 Schmucks Schmucks zu beweisen? — Meine Tante sucht diesen Fehlern abzuhelfen, und ich muß alle Tage neben dem Friseur eine ihrer Jungfern um mich haben, welche beyde durch ihr geziertes Wesen und die vielen Umstaͤnde, die sie machen, meine Geduld in einer mir sehr unangenehmen Uebung erhalten. Doch dißmal war ich am Ende wohl zufrieden, weil ich wuͤrklich artig gekleidet war. Diß ist eine Freude, die Sie noch nicht an mir kannten; Sie sollen auch die Ursa- che dazu nicht lange suchen; ich will sie aufrichtig sagen, da sie mir bedeutend scheint. Jch war nur deswegen uͤber meinen wohlgerathnen Putz froh, weil ich von zween Englaͤndern gesehen wurde, de- ren Beyfall ich mir in allem zu erlangen wuͤnschte. Der eine war Milord G. Englischer Gesandter, und der andere Lord Seymour sein Neffe, Gesandschafts- Cavalier, der sich unter der Anfuͤhrung seines Oheims zu dieser Art von Geschaͤff- ten geschickt machen, und die deutschen Hoͤfe kennen lernen will. Der Der Gesandte macht mit seiner Figur, einer edeln und geistvollen Physionomie, und einer gewissen Wuͤrde, die seine Hoͤf- lichkeit begleitet, seinem Charakter Ehre. Jch hoͤrte ihn auch allgemein loben. Den jungen Lord Seymour sah ich eine halbe Stunde in Gesellschaft des Fraͤuleins C**, mit der ich in Unterredung war, und mit welcher er als ein zaͤrtlicher und hoch- achtungsvoller Freund umgeht. Sie stell- te mich ihm als ihre neue, aber liebste Freundin dar, von der sie unzertrennlich seyn wuͤrde, wenn sie uͤber ihr eigenes und mein Schicksal zu gebiethen haͤtte. Milord machte nichts als eine Verbeugung; aber seine Seele redete so deutlich in allen sei- nen Mienen, daß man zugleich seine Ach- tung fuͤr alles was das Fraͤulein C* sag- te, und auch den Beyfall lesen konnte, den er ihrer Freundin gab. Wenn ich den Auftrag bekaͤme, den Edelmuth und die Menschenliebe mit ei- nem aufgeklaͤrten Geist vereinigt, in ei- nem Bilde vorzustellen, so naͤhme ich ganz allein die Person und Zuͤge des Mi- G 5 lord lord Seymour; und alle, welche nur je- mals eine Jdee von diesen drey Eigen- schaften haͤtten, wuͤrden jede ganz deut- lich in seiner Bildung und in seinen Au- gen gezeichnet sehen. Jch uͤbergehe den sanften maͤnnlichen Ton seiner Stimme, die gaͤnzlich fuͤr den Ausdruck der Empfin- dungen seiner edeln Seele gemacht zu seyn scheint; das durch etwas melancholisches gedaͤmpfte Feuer seiner schoͤnen Augen, den unnachahmlich angenehmen und mit Groͤße vermengten Anstand aller seiner Bewegungen, und was ihn von allen Maͤnnern, deren ich, in den wenigen Wochen die ich hier bin, eine Menge ge- sehen habe, unterscheidet, ist (wenn ich mich schicklich ausdruͤcken kann) der tu- gendliche Blick seiner Augen, welche die einzigen sind, die mich nicht beleidigten, und keine widrige antipathetische Bewe- gung in meiner Seele verursachten. Der Wunsch des Fraͤuleins C* mich immer um sich zu sehen, verursachte bey ihm die Frage: Ob ich denn nicht in D. bleiben wuͤrde? Meine Antwort war, ich glaubte glaubte nicht, weil ich nur auf die Zu- ruͤckkunft meiner Tante der Graͤfin R. wartete, die mit ihrem Gemahl eine Reise nach Jtalien gemacht, und mit welcher ich alsdann auf ihre Guͤther gienge. Es scheint mir unmoͤglich, sagte er, daß ein lebhafter Geist, wie der ihrige, bey den immer gleichen Scenen des Landle- bens sollte vergnuͤgt seyn koͤnnen. „Und mich duͤnkt unglaublich, daß Mi- lord Seymour im Ernste denken sollte, daß ein lebhafter und sich als gern be- schaͤfftigender Geist auf dem Lande einem Mangel von Unterhaltung ausgesetzt sey.“ Jch denke keinen gaͤnzlichen Mangel, gnaͤdiges Fraͤulein, aber den Ekel und die Ermuͤdung, welche nothwendiger Weise erfolgen muͤssen, wenn wir unsere Betrach- tungen bestaͤndig auf einerley Vorwurf eingeschraͤnkt sehen. „Jch bekenne, Milord, daß ich seit mei- nem Aufenthalt in der Stadt, bey den Vergleichungen beyder Lebensarten, ge- funden habe, daß man auf dem Lande die nehmliche Sorge traͤgt, seine Beschaͤff- tigungen tigungen und Ergoͤtzlichkeiten abzuaͤndern, wie ich hier sehe; nur mit dem Unterschied, daß bey den Arbeiten und Belustigungen der Landleute eine Ruhe in dem Grunde der Seele bleibt, die ich hier nicht bemerkt habe; und diese Ruhe duͤnkt mich etwas sehr vorzuͤgliches zu seyn.“ Jch halte es auch dafuͤr, und ich glau- be dabey, (sagte er gegen dem Fraͤulein von C*) nach dem entschloßnen Ton Jh- rer verehrungswuͤrdigen Freundin, daß sie diese Ruhe behalten wird, wenn auch hier Tausende durch sie in Unruh gesetzt wuͤrden. Da er mich nicht ansah, als er dieß sagte, und das Fraͤulein nur laͤchelte, so blieb ich auch stille; denn einmal fuͤhlte ich bey dieser seiner Hoͤflichkeit eine Ver- wirrung, die ich ungern moͤchte gezeigt haben; und dann wollte ich ihn nicht laͤnger mit mir in ein Gespraͤche halten, son- dern seiner aͤltern Freundin den billigen Vorzug lassen; zumal, da er sich ganz beflissen gegen sie gewendet hatte. Sie Sie sagen, ich hoͤre es: warum aͤltere Freundin? Waren Sie denn auch schon seine Freundin, Sie, die ihn erst eine halbe Stunde gesehen hatten? Ja, meine liebe Emilia, ich war seine Freundin, eh ich ihn sah; das Fraͤulein C* hatte mit mir von seinem vortrefflichen Charakter gesprochen, ehe er von einer kleinen Reise, die er mit seinem Oncle waͤhrend der Abwesenheit des Fuͤrsten machte, zuruͤckkam, und was ich Jhnen von ihm geschrieben, war nichts anders, als daß ich alles Edle, alles Gute, so mir das Fraͤulein von ihm erzaͤhlt, in seiner Physionomie ausgedruͤckt sah. Noch mehr, Emilia, ruͤhrte mich die tiefsinnige Traurigkeit, mit welcher er sich an den Pfeiler des Fensters setzte, wo wir beyde auf der kleinen Bank waren, und unsre Unterredung fortfuͤhrten. Jch deu- tete dem Fraͤulein C* auf ihren Freund und sagte leise: Geschieht diß oft? Ja, dieß ist Spleen. Sie machte mir hierauf allerley Fra- gen, uͤber die Art von Zeitvertreiben, wel- che che ich mir, im Ernst, auf dem Lande machen koͤnnte. Jch erzaͤhlte ihr kurz, aber mit vollem Herzen, von den seligen Tagen meiner Erziehung, und von denen, welche ich in dem geliebten Hause meines Pflegvaters zugebracht, und versicherte sie: daß ihre Person und Freundschaft das einzige Vergnuͤgen sey, welches ich in D. genossen haͤtte. Sie druͤckte mir zaͤrt- lich die Hand, und bezeugte mir ihre Zu- friedenheit. Jch fuhr fort, und sagte, ich koͤnnte das Wort Zeitvertreib nicht leiden; einmal, weil mir in meinem Le- ben die Zeit nicht einen Augenblick zu lang worden waͤre (auf dem Lande, raunte ich ihr ins Ohr) und dann weil es mir ein Zeichen einer unwuͤrdigen Bewegung der Seele zu seyn scheine. Unser Leben ist so kurz, wir haben so viel zu betrachten, wenn wir unsre Wohnung, die Erde ken- nen, und so viel zu lernen, wenn wir al- le Kraͤfte unsers Geistes (die uns nicht umsonst gegeben sind) gebrauchen wollen; wir koͤnnen so viel Gutes thun, — daß es mir einen Abscheu giebt, wenn ich von einer einer Sache reden hoͤre, um welche man sich selbst zu betruͤgen sucht. Meine Liebe, Jhre Ernsthaftigkeit setzt mich in Erstaunen, und dennoch hoͤre ich Sie mit Vergnuͤgen. Sie sind in Wahr- heit, wie die Prinzessin sagte, eine aus- serordentliche Person. Jch weis nicht, Emilia, wie mir war. — Jch merkte wohl, daß dieser Ton meiner Gedanken gar nicht der waͤre, der sich in diese Gesellschaft schickte; aber ich konnte mir nicht helfen. Es hatte mich eine Bangigkeit befallen, eine Be- gierde weit weg zu seyn, eine innerliche Unruh; ich haͤtte sogar weinen moͤgen, ohne eine bestimmte Ursache angeben zu koͤnnen. Milord G. naͤherte sich schleichend sei- nem Neffen, faßte ihn beym Arm, und sagte: Seymour, Sie sind wie das Kind, das am Rande des Brunnens sicher schlaͤft. Sehen Sie um sich. (Jndem er auf uns beyde wies) Bin ich nicht das Gluͤck, das sie erweckt? Sie Sie haben recht, mein Oncle; eine entzuͤckende Harmonie, die ich hoͤrte, nahm mich ein, und ich dachte an keine Gefahr dabey. Waͤhrend er diß sagte, waren seine Augen mit dem lebhaftesten Ausdruck von Zaͤrtlichkeit auf mich gewendet, so daß ich die meine niederschlug, und den Kopf weg kehrte. Darauf sagte Milord auf Englisch: Seymour, nimm dich in Acht, diese Netze sind nicht vergeblich so schoͤn und so ausgebreitet. Jch sah seine Hand, die auf meinem Kopf und meine Locken wies; da wurde ich uͤber und uͤber roth. Die Coketterie, die er mir zu- schrieb, aͤrgerte mich, und ich empfand auch den Unmuth, den er haben mußte, wenn er hoͤrte, daß ich Englisch verstuͤn- de. Jch war verlegen; doch um ihm und mir mehrere Verwirrung zu ersparen, sagte ich ganz kurz: Milord, ich verstehe die englische Sprache. Er stutzte ein we- nig, lobte meine Freymuͤthigkeit, und Sey- mour entfaͤrbte sich; doch laͤchelte er dabey, und wandte sich gleich zum Fraͤulein C*. — „Wollen Sie nicht auch Englisch lernen?“ Von Von wem? Von mir, gnaͤdiges Fraͤulein, und von dem Fraͤulein von Sternheim; mein Oncle haͤlfe auch Lectionen geben, und Sie sollten bald reden koͤnnen. Niemals so gut als meine Freundin, der es angebohren ist, denn sie ist eine halbe Englaͤnderin. — Wie das, sagte Milord G., indem er sich zu mir wandte? Meine Großmutter war eine Watson und Gemahlin des Baron P. welcher mit der Gesandschaft in England war. Das Fraͤulein C* bat, er moͤchte Eng- lisch mit mir reden. Er that es, und ich antwortete so, daß er meine Aussprache lobte, und dem Fraͤulein C* sagte, sie sollte von mir lernen, ich spraͤche sehr gut. Wie er sich entfernte, so lag Milord Sey- mour dem Fraͤulein an, sie moͤchte sich doch die Muͤhe nehmen, nur lesen zu ler- nen; sie versprachs, und sagte dabey, al- le Tage, wo sie den Hofdienst nicht ganz haͤtte, wollte sie zu mir kommen. H Dann Dann habe aber ich kein Verdienst da- bey, sagte er traurig. Sie sollen alle Wochen einmal zuhoͤ- ren, wie viel ich gelernt habe. Er antwortete mit einer bloßen Ver- beugung. Die Fuͤrstin ließ mich rufen. Jch mußte ihr in ihr Cabinet folgen. Da haben Sie meine Laute, liebe Sternheim, sagte sie, alles spielt; lassen Sie mich allein Jhre Stimme und Geschicklichkeit hoͤren. Was konnte ich thun? Jch spiel- te und sang das erste Stuͤck, das mir in die Finger kam. Sie umarmte mich; liebenswuͤrdiges Maͤdchen, sagte sie, wie beschaͤmen Sie alle bey Hof erzogene Da- men, durch die vielen Talente, die Sie auf dem Lande gesammelt haben! — Sie fuͤhrte mich an der Hand zuruͤck in den Saal; ich mußte bis zu Ende der Assem- blee bey ihr bleiben, und sie sprach von hundert Sachen mit mir. Milord Sey- mour sah mich oft an, und meine Emilia, (lesen Sie dieß meinem lieben Pflegva- ter vor!) seine Achtsamkeit freute mich. Manche Manche Augen gafften nach mir, aber sie waren mir zur Last, weil mich immer duͤnkte, es waͤre ein Ausdruck darinn, welcher meine Grundsaͤtze beleidigte. Heute machten wir einen Besuch bey der Graͤfin F. gegen die ich mich bemuͤhte gefaͤllig zu seyn. Man sieht wohl, daß ihr Gemahl ein Liebling des Fuͤrsteu ist; denn sie sprach beynahe von nichts als von Gnadenbezeugungen, welche sie genoͤssen; machte auch viel Aufhebens von der Er- gebenheit ihres Gemahls gegen einen Herrn, der alles wuͤrdig waͤre. Diesem folgten große Lobeserhebungen des Prin- zen; sie ruͤhmte die Schoͤnheit seiner Per- son, allerhand Geschicklichkeiten, seinen guten Geschmack in allem, besonders in Festins, seine praͤchtige Freygebigkeit, worinn er eine fuͤrstliche Seele zeigte. (Jch dachte, die Dame moͤge freylich Ur- sache haben, diese letzte Eigenschaft so sehr anzupreisen.) Von seiner Neigung ge- gen das schoͤne Geschlecht sagte sie: wir sind Menschen; es sind freylich darinn Ausschweifungen geschehen; aber das Un- H 2 gluͤck gluͤck war nur, daß der Herr noch keinen Gegenstand gefunden hat, der seinen Geist eben so sehr als seine Augen gefesselt haͤtte; denn gewiß, eine solche Person wuͤrde Wunder fuͤr das Land und fuͤr den Ruhm des Herrn gewuͤrkt haben. Meine Tante stimmte mit ein. Jch saß stille, und fand in diesem Bild eines Landesherrn keinen einzigen Zug von dem- jenigen, welches die Anmerkungen meines Vaters uͤber den wahren Fuͤrsten, bey Durchlesung der Historie, in meinem Ge- daͤchtniß gelassen hatten. Zumal, wenn ich es noch dabey nach den Grundzuͤgen des deutschen National-Charakters beur- theilte. — Jch war froh, daß man mei- ne Gedanken nicht zu wissen verlangte; denn da mich die Graͤfin in ihr Zimmer fuͤhrte, um mir sein Bildniß in Lebens- groͤße zu weisen, konnte ich wohl sagen, daß die Figur schoͤn sey, wie sie es denn wuͤrklich ist. — Jch soll auch gemahlt werden, will meine Tante. Jch kann es leiden; und schicke dann meiner Emilia eine Copie; ich weiß, daß sie mir dafuͤr dankt. dankt. Jch bitte mir die Gedanken mei- nes Pflegevaters, uͤber diesen Brief aus. Dritter Brief. A lles was Sie in meinem letztern Briefe gesehen haben, ist, daß Milord Seymour seine beste Freundin in mir gefunden hat; und mein lieber Pflegvater betet fuͤr mich, weil es fuͤr menschliche Kraͤfte das Einzige ist, das man nun fuͤr mich thun kann. Emilia, Sie lieben mich; Sie kennen mich, und Sie dachten nicht an den Kum- mer, den mir dieser so viel bedeutende Ge- danke ihres Vaters geben konnte? Jch erkenne alles; die lebhafte Hoch- achtung, welche ich fuͤr die Verdienste, fuͤr die Vorzuͤge des Charakters vom Mi- lord Seymour gezeigt habe, machen Sie besorgt fuͤr mich. Seyn Sie ruhig, wer- the Freunde! Aller Antheil, den ich je an Milord Seymour nehmen kann, ist der, den mir meine Liebe fuͤr das Fraͤulein C* giebt; Denn diese ists, die er liebt; Die- se ists, die er gluͤcklich machen wird. H 3 Der Der Theil, den ich davon genieße, ist allein die Freude, die ein edles Herz in der Zu- friedenheit seiner Freunde und in der Be- trachtung der guten Eigenschaften seiner Nebenmenschen findt. Noch eins, meine Emilia, ist fuͤr mich dabey: Weil ich von der Wuͤrklichkeit ei- nes vollkommenen edeln, guͤtigen und wei- sen liebenswuͤrdigen Mannes uͤberzeugt bin, so wird der Niedertraͤchtige, oder der bloße Witzling und der nur allein ar- tige Mann niemals, niemals keine Ge- walt uͤber mein Herz erhalten; und dieß ist viel Vortheil, den ich von der Bekannt- schaft des Milords habe. Jch bedaure, daß die Krankheit des rechten Arms Jhres Papa ihm nicht zu- laͤßt selbst an mich zu schreiben; nicht weil ich mit ihren Briefen unzufrieden bin, sondern weil er mir mehr von seinen eignen Gedanken uͤber mich sagen wuͤrde, als Sie. Jch hoffe, der Zufall verliehrt sich, und dann bitte ich ihn, es zu thun. Gestern waren wir bey einer großen Mittagstafel bey Milord G. Der Graf F. kam kam Nachmittags dazu, und noch Abends spaͤt reiseten alle zum Fuͤrsten. Der Graf ist ein angenehmer Mann von vie- lem Verstand. Seine Gemahlin fuͤhrte ihn zu mir; da reden Sie selbst mit mei- nem Liebling, sprach sie, und sagen: ob ich Unrecht habe, mir eine solche Tochter zu wuͤnschen? Er sagte mir sehr viel hoͤfliches; beobachtete mich aber dabey mit einer Aufmerksamkeit, die mich son- derbar duͤnkte, und mich beynahe aus al- ler Fassung brachte. Milord Seymour hatte an der Tafel seinen Platz zwischen dem Fraͤulein C* und mir bekommen, sich meistens nur mit uns unterhalten, auch beym Caffee uns beyde mit der liebenswuͤrdigsten Galanterie be- dient, englische Verse auf Carten geschrie- ben, und mich gebeten, sie dem Fraͤulein zu uͤbersetzen. Wie die Graͤfin F. ihren Gemahl zu ihr fuͤhrte, entfernten sich beyde in etwas und redeten lang an ei- nem andern Fenster. Der Graf begab sich von mir zu Milord G., und nahm im Weg- gehen Milord Seymour am Arm mit sich H 4 zu zu dem ersten hin. Das Fraͤulein C* und ich, giengen, die mit Gemaͤhlden und Kupferstichen ausgezierten Zimmer zu be- sehen, bis man uns zum Spielen holte. Jn der Zwischenzeit redeten Graf F. und Milord G. mit mir von meinem Vater, welchen F. sehr wohl gekannt hatte, und von meiner Großmutter Watson, die er gleich bey ihrer Ankunft gesehen hatte, und von welcher er behauptete, daß ich viele Aehnlichkeit mit ihr haͤtte. Milord S. war neben dem Fraͤulein C*, sah ernsthaft und nachdenklich aus, und es schien mir, als ob seine Augen einigemal mit einer Art von Schmerzen auf mich und die beyden Herren geheftet waͤren. Das Getrippel vieler Leute, das man auf einmal in der Straße hoͤrete, machte alles an die Fenster laufen. Jch gieng an das, wo Milord Seymour und das Fraͤulein C* stunden. Es waren Leute, die von einer kleinen, aber sehr artig angestellten Spazierfahrt des Fuͤrsten auf dem Wasser, zuruͤcke kamen, welche zu sehen, sie hau- fenweise gegangen waren. Da ich sehr viele viele in armseliger Gestalt und Kleidung, und uns hingegen in moͤglichster Pracht, und die Menge Goldes auf den Spiel- tischen zerstreut sah; das Fraͤulein C* aber von einem dergleichen Festin erzaͤhl- te, dessen Aufwand berechnete, und auch die unzaͤhlige Menge Volks anfuͤhrte, die von allen Orten herzugelaufen, es zu se- hen; kam ich in Bewegung, und sagte: O wie wenig bin ich fuͤr diese Ergoͤtzlich- keiten geschaffen? „Warum das? wenn Sie es einmal sehen, werden Sie ganz anders denken.„ (Milord Seymour war die ganze Zeit still und kalt) Nein, meine liebe C*, ich wer- de nicht anders denken, so bald ich die Pracht des Festins, des Hofes, das auf den Spieltischen verschleuderte Gold, ne- ben einer Menge Elender, welche Hunger und Beduͤrfniß im abgezehrten Gesichte und in den zerrissnen Kleidern zeigen, se- hen werde! Dieser Contrast wird meine Seele mit Jammer erfuͤllen; ich werde mein eignes gluͤckliches Aussehen, und das von andern hassen; der Fuͤrst und H 5 sein sein Hof werden mir eine Gesellschaft un- menschlicher Personen scheinen, die ein Vergnuͤgen in dem unermeßlichen Unter- schied finden, der zwischen ihnen und denenjenigen ist, die ihrem Uebermuth zu- sehen. Liebes, liebes Kind; was fuͤr eine ei- frige Strafpredigt halten Sie da! sagte das Fraͤulein; reden Sie nicht so stark! Liebe C*, mein Herz ist aufgewallt. Die Graͤfin F. machte gestern so viel Ruͤhmens von der großen Freygebigkeit des Fuͤrsten; und heute sehe ich so viele Ungluͤckliche! Das Fraͤulein hielt meine Haͤnde; st. st. — Milord Seymour hatte mich mit ernstem unverwandtem Blick betrachtet, und erhob seine Hand gegen mich; Edles rechtschaffenes Herz! sagte er. Fraͤulein C* lieben Sie ihre Freundin, Sie ver- dients! Aber, setzte er hinzu, Sie muͤs- sen den Fuͤrsten nicht verurtheilen; man unterrichtet die großen Herren sehr selten von dem wahren Zustande ihrer Unter- thanen. Jch Jch will es glauben, versetzte ich; aber Milord, stand nicht das Volk am Ufer wo die Schiffahrt war? hat der Fuͤrst nicht Augen, die ihm ohne fremden Un- terricht tausend Gegenstaͤnde seines Mit- leidens zeigen konnten? Warum fuͤhlte er nichts dabey? „Theures Fraͤulein; wie schoͤn ist Jhr Eifer! zeigen Sie ihn aber nur bey dem Fraͤulein C*.“ Hier rief Milord G. seinen Vetter ab, und kurz darauf giengen wir nach Hause. Heute spielte meine Tante eine seltsame Scene mit mir. Sie kam, so bald ich an- gezogen war, in mein Zimmer, wo ich schon bey meinen Buͤchern saß. Jch bin eifersuͤchtig auf deine Buͤcher, sagte sie, du stehst fruͤh auf, und bist gleich angezogen; da koͤnntest du zu mir kommen; du weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede. Dein Oncle ist immer mit seinen duͤstern Proceßsachen geplagt: ich arme Frau muß schon wieder an ein Wochenbette denken, und du unfreundliches Maͤdchen bringst den ganzen Morgen mit deinen trocknen Mora- Moralisten hin. Schenke mir die Stun- de, und gieb mir deine ernsthafte Herren zum Unterpfand. Meine Tante, ich will gerne zu ihnen kommen; aber meine besten Freunde kann ich nicht von mir entfernt wissen. Komme immer mit, wir wollen in mei- nem Zimmer zanken. Sie setzte sich an ihren Putztisch; da hatte ich auf eine Viertelstunde Unterhalt mit ihren beyden artigen Knaben, die um diese Tagszeit die Erlaubniß haben, ihre Mama zu sehen. Aber so bald sie fort waren, so blieb ich recht einfaͤltig da sitzen, sah’ der außerordentlichen Muͤhe zu, die sie sich um ihren Putz gab, und hoͤrte Hoferzaͤhlungen an, die mir mißfielen; Ehrgeiz, und Liebes-Jntriguen, Tadel, Satyren, aufgethuͤrmte Jdeen zu dem Gluͤcksbau meines Oncles. Sey doch recht gefaͤllig gegen die Graͤfin F. setzte sie hinzu; du kannst deinem Oncle große Dienste thun, und selbst ein ansehnliches Gluͤck machen. Dieß Dieß sehe und wuͤnsche ich nicht, mei- ne Tante; aber was ich fuͤr Sie thun kann, soll geschehen. Liebste Sophie, du bist eines der rei- zendesten Maͤdchen; aber der alte Pfarrer hat dir eine Menge pedantische Jdeen ge- geben, die mich plagen. Laß dich ein wenig davon zuruͤckbringen. Jch bin uͤberzeugt, meine Frau Tante, daß das Hofleben fuͤr meinen Charakter nicht taugt; mein Geschmack, meine Nei- gungen, gehen in allem davon ab! und ich bekenne Jhnen, gnaͤdige Tante, daß ich froher abreisen werde, als ich herge- kommen bin. Du kennest ja den Hof noch nicht; wenn der Fuͤrst kommt, dann lebt alles auf. Dann will ich dein Urtheil hoͤren! und mache dich nur gefaßt; du kommst vor kuͤnftigem Fruͤhjahr nicht aufs Land. O ja, meine gnaͤdige Tante, auf den Herbst gehe ich zur Graͤfin R. so bald sie zuruͤckgekommen seyn wird. Und Und mein Wochenbette soll ich allein ohne dich halten muͤssen? Sie sah mich zaͤrtlich an, indem sie dieß sagte, und reichte mir die Hand. Jch kuͤßte ihre Hand, versicherte sie, bey ihr zu bleiben, wenn diese Zeit kaͤme. Vor der Tafel gieng ich in mein Zim- mer. Da fand ich mein Buͤchergestelle leer: Was ist dieß, Rosine? Der Graf, sagte sie, waͤre gekommen, und haͤtte al- les wegnehmen lassen. Es waͤre ein Spaß von der Graͤfin, haͤtte er gesagt. Ein unartiger Spaß, der sie nichts nuͤtzen wird! denn ich will desto mehr schreiben; neue Buͤcher will ich nicht kau- fen, um sie nicht uͤber meinen Eigensinn boͤse zu machen. O wenn nur meine Tante R. bald kaͤme! Zu dieser, Emilia, zu dieser geh ich mit Vergnuͤgen. Sie ist zaͤrtlich, ruhig, sucht und findet in den Schoͤnheiten der Natur, in den Wissen- schaften und in guten Handlungen, das Maaß von Zufriedenheit, das man hier sucht, sucht, wo man es nicht findet, und dar- uͤber das Leben vertaͤndelt. Mein Fraͤulein C* hat Lection im Eng- lischen angenommen; ich denke, sie wird es bald lernen. Sie weiß schon viele, lau- ter zaͤrtliche Redensarten, an denen ich den Lehrmeister erkenne. Sie hat mit uns gespeist. Jch klagte meine Tante, uͤber ihren Buͤcherraub, im Scherz an. Das Fraͤulein stund ihr bey: Das ist gut ausgedacht, sagte sie, wir wollen sehen, was der Geist unsrer Sternheim macht, wenn sie ohne Fuͤhrer, ohne Ausleger, mit uns lebt. Jch lachte mit, und sagte: Jch verlasse mich auf den rechtschaffenen Gelehrten, der einmal sagte: die Em- pfindungen der Frauenzimmer waͤren oft richtiger als die Gedanken der Maͤn- ner. Eine Bemerkung, welche der Herausgeber aus vieler Erfahrung an sich und andern von Herzen unterschreibt. — Darauf erhielt ich die Er- laubniß zu arbeiten. Jch sagte, es waͤre mir unmoͤglich am Putztisch immer zuzuse- hen, Nachmittags allezeit zu spielen, oder muͤßig muͤßig zu seyn; und es wurde eine schoͤne Tapetenarbeit angefangen, woran ich sehr fleißig zu seyn gedenke. Morgen kommt der Fuͤrst und der gan- ze Hof mit ihm: diesen Abend sind die fremden Ministers angekommen. Mi- lord G. besuchte uns noch spaͤt, und brachte Milord Seymour nebst einem an- dern Englaͤnder, Lord Derby genannt, mit, den er als einen Vetter vorstellte, der durch ihn und Lord Seymour ein gros- ses Verlangen bekommen, mich zu sehen, besonders weil ich eine halbe Landsmaͤn- nin von ihm waͤre. Lord Derby redete mich sogleich auf Englisch an. Er ist ein feiner Mann von ungemein vielem Geist und angenehmen Wesen. Man bat diese Herren zum Abendessen; es wurde freudig angenommen, und meine Tante schlug vor, im Garten zu speisen, weil Mond- schein seyn wuͤrde, und der Abend schoͤn sey. Gleich war der kleine Saal erleuchtet, und meine Tante fieng bey der Thuͤre, da sie mit Milord G. hinaus gieng, ganz zaͤrtlich zaͤrtlich an: Sophie, meine Liebe, deine Laute bey Mondschein waͤre recht vielen Dank werth. Jch befahl, sie zu holen! Lord Derby gab mir die Hand, Seymour war schon mit dem Fraͤulein C* voraus. Der kleine Saal war am Ende des Gartens, unmit- telbar am Flusse, so, daß man lange zu gehen hatte. Lord Derby unterhielt mich mit einem ehrerbietigen Ton von lauter schmeichelhaften Sachen, die er von mir gehoͤrt haͤtte. Mein Oncle kam zu uns, und wie wir kaum etliche Schrit- te uͤber den halben Weg waren, stieß er mich mit dem Arme, und sagte: seht, seht, wie der trockne Seymour bey Mondschein so zaͤrtlich die Haͤnde kuͤssen kann! Jch sah auf; und, liebe Emilia, es duͤnkt mich, ich fuͤhlte einen Schauer. Es mag von der kuͤhlen Abendluft gekom- men seyn; weil wir dem Wasser ganz nahe waren. Aber da mich ein Zweifel daruͤ- ber ankam, als ob dieser Schauer zwey- deutig waͤre, weil ich ihn nur in diesem J Augen- Augenblick empfand, so mußten Sie es wissen. Der junge Graf F., Neveu des Mini- sters, kam auch noch, und da er den Be- dienten, der die Laute trug, angetroffen und gefragt hatte, fuͤr wen? nahm er sie, und klimperte vor dem Saal, bis mein Oncle hinaus sah und ihn einfuͤhrte. Jch mußte gleich noch vor dem Essen spielen und singen. Jch war nicht munter, und sang mehr aus Jnstinct als Wahl, ein Lied, in welchem Sehnsucht nach laͤndlicher Freyheit und Ruhe ausgedruͤckt war. Jch empfand selbst, daß mein Ton zu ge- ruͤhrt war; meine Tante rief auch: Kind, du machst uns alle traurig; warum willst du uns zeigen, daß du uns so gerne ver- lassen moͤchtest? Singe was anders. Jch gehorchte still, und nahm eine Gaͤrt- nerarie aus einer Opera, welche mit vie- lem Beyfall aufgenommen wurde. Mi- lord G. fragte: ob ich nicht englisch sin- gen koͤnnte? ich sagte, nein; aber wenn ich was hoͤrte, so fiele mirs nicht schwer. Derby sang gleich, seine Stimme ist schoͤn, aber aber zu rasch. Jch accompagnirte ihm, sang auch mit. Daraus machte man viel Lobens von meinem musicalischen Ohr. Die Graͤfin F. sagte mir Zaͤrtlichkeiten; Lord Seymour nichts; er gieng oft in den Garten allein, und kam mit Zuͤgen einer gewaltsamen Bewegung in der Seele zu- ruͤck, redete aber nur mit Fraͤulein C*, die auch gedankenvoll aussah. G. sah mich bedeutend an, doch war Vergnuͤgen in seinem Gesichte; Lord Derby hatte ein feuriges Falkenauge, in welchem Unruhe war, auf mich gerichtet. Mein Oncle und meine Tante liebkosten mir. Um eilf Uhr giengen wir schlafen, und ich schrieb noch diesen Brief. Gute Nacht, theure Emilia! Bitten Sie unsern ehrwuͤrdigen Vater, daß er fuͤr mich bete! Jch finde Trost und Freude in diesem Gedanken. Jch wuͤnsche, daß meine Tante immer kleine Reisen machte, ich wuͤrde sie mit viel mehr Vergnuͤgen begleiten, als ich es unter dem immerwaͤhrenden Kreislauf J 2 unserer unserer Hof- und Stadtvisiten thun kann. Mein Oncle hat eine Halbschwester in dem Damenstift zu G., die er wegen einem reichen Erbe, so ihr zugefallen ist, zum Besten seiner Kinder zu gewinnen sucht. Und aus dieser Ursache mußte mine Tan- te mit ihren beyden Soͤhnen die Reise zu ihr machen. Sie nahm mich mit, und verschaffte mir dadurch einen Theil des Vergnuͤgens, fuͤr welches ich am em- pfindlichsten bin, abwechselnde Scenen der Natur und Kunst, in ihren mannichfalti- gen Abaͤnderungen, zu betrachten. Waͤ- re es auch nichts als der Anblick der auf- und niedergehenden Sonne gewesen, so wuͤrde ich diese Ausflucht von D. geliebt haben; aber ich sah mehr. Der Weg, den wir zuruͤck zu legen hatten, zeigte mir ein großes Stuͤck unsers deutschen Bo- dens, und darinn manchmal ein rauhes stiefmuͤtterliches Land; welches von sei- nen leidenden geduldigen Einwohnern mit abgezehrten Haͤnden angebaut wurde. Zaͤrtliches Mitleiden, Wuͤnsche und Se- gen, erfuͤllten mein Herz, als ich ihren sauren sauren Fleiß und die traurigen, doch ge- lassnen Blicke sah, mit welchen sie den Zug unsrer zwoen Chaisen betrachteten. Die Ehrerbietung, mit der sie uns als Guͤnstlinge der Vorsicht gruͤßten, hatten etwas sehr ruͤhrendes vor mich; und ich suchte durch Gegenzeichen meiner mensch- lichen Verbruͤdernng mit ihnen, und auch durch einige Stuͤcke Gelds, die ich den Naͤchsten an unserm Wege ungebeten, zu- warf, ihnen einen guten Augenblick zu schaffen. Besonders gab ich armen Wei- bern, die bey ihrer Arbeit hie und da ein Kind auf dem Felde sitzen hatten. Jch dachte, meine Tante macht eine Reise zum verhofften Vortheil ihrer Soͤhne, und diese Frau verrichtet zum Besten der ihri- gen, eine kuͤmmerliche Arbeit; ich will diese Mutter auch eine unerwartete Guͤte genießen lassen. Der reitende Bediente erzaͤhlte uns dann die Freude der armen Leute, und den Dank den sie uns nachriefen. Reiche Felder, fette Triften und gros- se Scheuren der Bauren in andern Ge- J 3 genden genden, bewiesen mir das Gluͤck ihrer guͤnstigen Lage, und ich wuͤnsche ihnen einen guten Gebrauch ihres Segens. Meine Empfindungen waren angenehm, wie sie es allezeit beym ersten Anblick der Kennzeichen des Gluͤcks zu seyn pflegen; bis nach und nach aus ihrer Betrachtung der Gedanke der Vergleichung unserer minder guten Umstaͤnde entspringt, und der bittern Unzufriedenheit einen Zugang in die Seele giebt. Wir kehrten unterwegs, auf dem Schlosse des Grafen von W. ein, dessen Beschreibung ich unmoͤglich vorbeygehen kann. Es ist an der Spitze eines Berges erbaut, und hat auf vierzehen Stunden weit, die schoͤnste Gegend eines mit Fel- dern, Wiesen und zerstreuten Bauerhoͤfen, gezierten Thales vor sich liegen, welches ein fischreicher Bach durchfließt, und waldichte Anhoͤhen umfassen. Auf dem Berge sind weitlaͤuftige Gaͤrten und Spa- ziergaͤnge, nach dem edlen Geschmack des vorigen Besitzers angelegt, in welchem ich seinen Lieblingsgrundsatz, „das Ange- nehme nehme immer mit dem Nuͤtzlichen zu ver- binden,“ sehr schoͤn ausgefuͤhrt sah. Dieses und die vollkommene Edelmanns- Landwirthschaft, die auserlesene Biblio- thek, die Sammlung physicalischer Jn- strumenten, die edle, von Ueppigkeit und Kargheit gleichweit entfernte Einrich- tung des Hauses, die Stiftung eines Arztes fuͤr die ganze Herrschaft, der le- benslaͤngige Unterhalt, dessen sich alle Hausbedienten zu erfreuen haben, die Wahl geschickter und rechtschaffener Maͤnner auf den Beamtungen, und eine Menge kluger Verordnungen zum Besten der Unterthanen, ꝛc. alles sind lebende Denkmale des Geschmacks, der Einsichten, und der edlen Denkungsart des vormali- gen Besitzers, der, nachdem er mit groͤß- tem Ruhm viele Jahre die erste Stelle an einem großen Hofe bekleidet hatte, seine letzten Tage auf diesem angenehmen Land- sitz verlebte. Seine Guͤte und Leutselig- keit scheint seinen Erben, mit den Guͤtern, eigen geworden zu seyn, daher sich immer die beste Gesellschaft der umliegenden Ein- J 4 wohner wohner bey ihnen versammelt. Die sechs Tage uͤber, welche wir da zubrach- ten, kam ich durch das Spielen auf eine Jdee, die ich gern von Herrn Br. unter- sucht haben moͤchte. Es waren viele Fremde gekommen, zu deren Unterhaltung man nothwendiger Weise Spieltische ma- chen mußte. Denn unter zwanzig Perso- nen waren gewiß die meisten von sehr ver- schiedenem Geist und Sinnesart, welches sich bey der Mittagstafel und dem Spa- ziergang am staͤrksten aͤußerte, wo jeder nach seinen herrschenden Begriffen und Neigungen von allen vorkommenden Ge- genstaͤnden redete, und wo oͤfters theils die feinern Empfindungen der Tugend, theils die Pflichten der Menschenfreund- lichkeit beleidigt worden waren. Bey dem Spielen aber hatten alle nur Einen Geist, indem sie sich denen dabey ein- gefuͤhrten Gesetzen ohne den geringsten Widerspruch unterwarfen; keines wur- de unmuthig, wenn man ihm sagte, daß hier und da wider die Regeln gefehlt worden sey; man gestund es, und und besserte sich sogleich nach dem Rath eines Kunsterfahrnen. Jch bewunderte und liebte die Erfin- dung des Spielens, da ich sie als ein Zauberband ansah, durch welches in ei- ner Zeit von wenigen Minuten, Leute von allerley Nationen, ohne daß sie sich spre- chen koͤnnen, und von Personen von ganz entgegengesetzten Charaktern viele Stun- den lang sehr gesellig verknuͤpft werden; da es ohne dieses Huͤlfsmittel beynahe unmoͤglich waͤre, eine allgemeine gefaͤllige Unterhaltung vorzuschlagen. Aber ich konnte mich nicht enthalten, der Betrach- tung nachzuhaͤngen: Woher es komme, daß eine Person vielerley Gattungen von Spielen lernt, und sehr sorgfaͤltig al- len Fehlern wider die Gesetze davon aus- zuweichen sucht, so daß alles was in dem Zimmer vorgeht, diese Person zu keiner Vergessenheit oder Uebertretung der Spiel- gesetze bringen kann: und eine Viertel- stunde vorher war nichts vermoͤgend, sie bey verschiednen Anlaͤssen von Scherzen und Reden abzuhalten, die alle Vorschrif- J 5 ten ten der Tugend und des Wohlstandes be- leidigten. Ein andrer, der als ein edler Spieler geruͤhmt wurde, und in der That oh- ne Gewinnsucht mit einer gleichgelassenen und freundlichen Miene spielte, hatte eini- ge Zeit vorher, bey der Frage von Herr- schaft und Unterthan, von den letztern als Hunden gesprochen, und einem jungen die Regierung seiner Guͤter antretenden Cavalier die heftigste und liebloseste Maaß- regeln angerathen, um die Bauren in Furcht und Unterwuͤrfigkeit zu erhalten, und die Abgaben alle Jahre richtig einzu- treiben, damit man in seinem standesge- maͤßen Aufwand nicht gestoͤret wuͤrde. — Warum? sagte mein Herz, warum ko- stet es die Leute weniger, sich den oft bloß willkuͤhrlichen Gesetzen eines Menschen zu unterwerfen, als den einfachen, wohlthaͤ- tigen Vorschriften, die der ewige Gesetzge- ber zum Besten unsrer Nebenmenschen an- geordnet hat? Warum darf man Niemand erinnern, daß er wider diese Gesetze feh- le? Meiner Tante haͤtte ich diesen zufaͤlli- gen Gedanken nicht sagen wollen; denn sie sie macht mir ohnehin immer Vorwuͤrfe uͤber meine strenge und zu scharf gespannte moralische Jdeen, die mich, wie sie sagt, alle Freuden des Lebens mißtoͤnend finden ließen. Jch weiß nicht, warum man mich immer hieruͤber anklagt. Jch kann munter seyn; ich liebe Gesellschaft, Mu- sik, Tanz und Scherz. Aber die Men- schenliebe und den Wohlstand kann ich nicht beleidigen sehen, ohne mein Mißvergnuͤ- gen daruͤber zu zeigen; und dann ist es mir auch unmoͤglich, an geist- und em- pfindungslosen Gespraͤchen einen angeneh- men Unterhalt zu finden, oder von nichts- wuͤrdigen Kleinigkeiten Tage lang reden zu hoͤren. O faͤnde ich nur in jeder großen Ge- sellschaft oder unter den Freunden unsers Hauses in D. Person Eine wie die Stifts- dame zu **, man wuͤrde den Ton meines Kopfs und Herzens nicht mehr muͤrrisch gestimmt finden! Diese edelmuͤthige Da- me lernte mich zu G. kennen, ihre erste Bewegung fuͤr mich war Achtung, mich als eine Fremde etwas mehr als gezwun- gene gene Hoͤflichkeit genießen zu lassen. Jch hatte das Gluͤck ihr zu gefallen, und er- hielt dadurch den Vortheil den liebens- wuͤrdigen Charakter ihres Geistes und Herzens ganz kennen zu lernen. Nie- mals habe ich die Faͤhigkeiten des einen und die Empfindungen des andern in ei- nem so gleichen Maaß Fein, Edel und Stark gefunden, als in dieser Dame. Jhr Geist und die angenehme Laune, die ihren Witz charakterisirt, machen sie zu der angenehmsten Gesellschafterin, die ich iemals gesehen habe; [und beynahe moͤch- te ich glauben, daß einer unsrer Dichter an sie gedacht habe, da er von einer lie- benswuͤrdigen Griechin sagte: — Es haͤtt’ ihr Witz auch Wangen ohne Rosen Beliebt gemacht, ein Witz, dem’s nie an Reiz gebrach, Zu stechen oder liebzukosen Gleich aufgelegt, doch laͤchelnd wenn er stach, Und ohne Gift — —] Um die vortreffliche Schreiberin fuͤr nichts responsabel zu machen, was nicht wuͤrklich von ihr Sie Sie besitzt die seltene Gabe, fuͤr alles was sie sagt und schreibt, Ausdruͤcke zu finden, ohne daß sie das geringste Gesuchte an sich haben; alle ihre Gedanken, sind wie ein schoͤnes Bild, welches die Grazien, in ein leichtes natuͤrlich fließendes Gewand eingehuͤllt haben. Ernsthaft, munter oder freundschaftlich, in jedem Licht nimmt die Richtigkeit ihrer Denkensart und die natuͤrliche ungeschmuͤckte Schoͤn- heit ihrer Seele ein; und ein Herz voll Gefuͤhl und Empfindung fuͤr alles was gut und schoͤn ist, ein Herz, das gemacht ist durch die Freundschaft gluͤcklich zu seyn, und gluͤcklich zn machen, vollendet die Lie- benswuͤrdigkeit ihres Charakters. Nur um dieser Dame willen, habe ich mir zum ersten male alte Ahnen gewuͤnscht, damit ich Anspruͤche auf einen Platz in ihrem Stifte machen, und alle Tage mei- nes ihr koͤmmt, gesteht der Herausgeber, daß die in [] eingeschlossenen Zeilen von ihm selbst ein- geschoben worden, da er das Gluͤck hat, die Dame, deren getreues Bildniß hier entworfen wird, persoͤnlich zu kennen. nes Lebens mit ihr hinbringen koͤnnte. Die Beschwerlichkeiten der Praͤbende wuͤrden mir an ihrer Seite sehr leichte werden. Urtheilen Sie selbst, ob es mir em- pfindlich war, diese liebenswuͤrdige Graͤ- fin wieder verlassen zu muͤssen; wiewohl sie die Guͤtigkeit hat, mich durch ihren Briefwechsel fuͤr den Verlust ihres reizen- den Umgangs zu entschaͤdigen. Sie sol- len Briefe von ihr sehen, und dann sagen, ob ich zuviel von den Reizungen ihres Geistes gesagt habe. Die Bescheidenheit, welche einen be- sondern Zug des Charakters ihrer Freun- din, der Graͤfin von G. ausmacht, soll mich, da sie diesen Brief nicht zu sehen bekommen kann, nicht verhindern, Jhnen zu sagen, daß diese vortreffliche Dame naͤchst jener den meisten Antheil an dem Wunsch hatte, mein Leben, wenn es moͤglich gewesen waͤre, in dieser gluͤckli- chen Entfernung von der Welt hinzubrin- gen. Stilles Verdienst, das nur desto mehr einnimmt: weil es nicht glaͤnzen will, will, ein feiner, durch Belesenheit und Kenntnisse ausgeschmuͤckter Geist, verbun- den mit ungefaͤrbter Aufrichtigkeit und Guͤte des Herzens, macht dieser Dame der Hochachtung und der Freundschaft jeder edlen Seele werth. Selbst der dichte Schleyer, den ihre, beynahe allzugroße, wiewohl unaffectirte Bescheidenheit uͤber ihre Vorzuͤge wirft, erhoͤht in meinen Augen den Werth derselben. Selten legt sie diesen anderswo als in dem Zimmer der Graͤfin S. von sich; deren Beyfall ihr eine Art von Gleichguͤltigkeit gegen alles andere Lob zu geben scheint; so wie sie auch der seltenen Geschicklichkeit, wo- mit sie das Clavier spielt, und welche ge- nug waͤre, hundert andere stolz zu ma- chen, nur darum, weil sie ihrer Freun- din dadurch Vergnuͤgen machen kann, ei- nigen Werth beyzulegen scheint. Jch kann nicht vergessen, unter den uͤbrigen wuͤrdigen Damen dieses Stifts, der Graͤ- fin T. W. welche alle ihre Tage mit uͤben- den Tugenden bezeichnet, und einen Theil ihrer besondern Geschicklichkeit, zum Un- terricht terricht armer Maͤdchen in allerley kuͤnst- lichen Arbeiten verwendet, — und be- sonders der Fuͤrstin, welche die Vorste- herin des Stifts ist, mit der zaͤrtlichen Ehrerbietung zu erwaͤhnen, welche Sie durch die vollkommenste Leutseligkeit, eine sich selbst immer gleiche Heiterkeit der See- le, und die Wuͤrde voll Anmuth, womit sich diese Eigenschaften in Jhrer ganzen Person ausdruͤcken, allen die sich Jhr naͤhern, einfloͤßt. Wenn ich etwas benei- den koͤnnte, so wuͤrde es das Gluͤck seyn, unter der Leitung der erfahrnen Tugend und Klugheit einer so wuͤrdigen muͤtter- lichen Vorsteherin meine Tage hinzu- bringen. Jch begnuͤge mich, Jhnen, was den Hauptpunct meiner Tante bey dieser Rei- se betrifft, zu melden, daß er vollkom- men erreicht wurde; wir sind nun wieder in D. und der Menge von Besuchen, wel- che wir zu geben und anzunehmen hatten, messen Sie die Schuld bey, daß Sie so lange ohne Nachricht von mir geblieben sind. Milord Milord Seymour. an den Doctor T**. L ieber Freund, ich hoͤrte Sie oft sagen, die Beobachtungen, die Sie auf Jhren Reisen, durch Deutschland, uͤber den Grundcharakter dieser Nation gemacht, haͤtte in Jhnen den Wunsch hervorge- bracht, auf einer Seite den Tiefsinn unsrer Philosophen mit dem methodischen Vortrag der Deutschen, und auf der andern das kalte und langsam gehende Blut ihrer uͤbrigen Koͤpfe, mit der feurigen Einbil- dungskraft der unsern, vereinigt zu sehen. Sie suchten auch lang eine Mischung in mir hervorzubringen, wodurch meine hef- tigen Empfindungen moͤchten gemildert werden, indem Sie sagten, daß dieses die einzige Hinderniß sey, warum ich in den Wissenschaften, die ich doch liebte, nie- mals zu einer gewissen Vollkommenheit gelangen wuͤrde. Sie giengen sanft und guͤtig mit mir um, weil Sie durch die Zaͤrtlichkeit meines Herzens den Weg zu K der der Biegsamkeit meines Kopfs finden wollten; ich weis nicht, mein theurer Freund, wie weit Sie damit gekommen sind; Sie haben mich das wahre Gute und Schoͤne erkennen und lieben gelehrt, ich wollte auch immer lieber sterben, als etwas Unedles oder Boͤsartiges thun, und doch zweifle ich, ob Sie mit der Ungeduld zufrieden seyn wuͤrden, mit welcher ich das Ansehen meines Oheims uͤber mich ertrage. Es daͤucht mir eine dreyfache Last zu seyn, die meine Seele in allen ihren Handlungen hindert; Milord G. als Oheim, als reicher Mann, den ich er- ben soll, und als Minister dem mich meine Stelle als Gesandschaftsrath unterwirft. Fuͤrchten Sie dennoch nicht, daß ich mich vergesse, oder Milor- den beleidige; nein, so viel Gewalt habe ich uͤber meine Bewegungen; sie werden durch nichts anders sichtbar, als eine toͤd- tende Melancholie, die ich vergebens zu unterdruͤcken suche; aber warum mache ich so viele Umschweife, um Jhnen am Ende meines Briefes etwas zu sagen, das ich ich gleich Anfangs sagen wollte, daß ich in einer jungen Dame die schoͤne und gluͤckliche Mischung der beyden National- charaktere gesehen habe. Jhre Großmut- ter muͤtterlicher Seite war eine Tochter des alten Sir Watson, und ihr Vater, der verdienstvolle Mann, dessen Andenken in dem edelsten Ruhme bluͤhte. Diese junge Dame ist eine Freundin des Fraͤu- lein C*, von welchem ich Jhnen schon ge- schrieben habe, das Fraͤulein Sternheim ist aber erst seit einigen Wochen hier und zwar zum erstenmal: vorher war sie im- mer auf dem Lande gewesen. Erwarten Sie keine Ausrufungen uͤber ihre Schoͤn- heit; aber glauben Sie mir, wenn ich sage, daß alle moͤgliche Grazien, deren die Bildung und Bewegung eines Frauen- zimmers faͤhig ist, in ihr vereinigt sind; eine holde Ernsthaftigkeit in ihrem Gesicht, eine edle anstaͤndige Hoͤflichkeit in ihrem Bezeugen, die aͤußerste Zaͤrtlich- keit gegen ihre Freundin, eine anbetungs- wuͤrdige Guͤte und die feinste Empfind- samkeit der Seele; ist dieß nicht die Staͤrke K 2 des des englischen Erbes von ihrer Großmut- ter? Jch habe der kleinen Partheylichkeit des Fraͤulein von Sternheim fuͤr die englische Na- tion bereits in der Vorrede als eines Fleckens erwaͤhnt, den ich von diesem vortrefflichen Wer- ke haͤtte wegwischen moͤgen, wenn es ohne zu große Veraͤnderungen thunlich gewesen waͤre. — Wenn wir den weisesten Englaͤndern selbst glau- ben duͤrfen, so ist eine Dame von so schoͤner Sinnesart, als Fraͤulein St., in England nicht weniger selten als in Deutschland. Doch, hier spricht ein junger Englaͤnder, welcher billig fuͤr seine Nation eingenommen seyn darf, und ein Enthusiast, der das Recht hat, zuweilen un- richtig zu raisonnieren. A. d. H. Einen mit Wissenschaft und richti- gen Begriffen gezierten Geist, ohne das geringste Vorurtheil, maͤnnlichen Muth Grundsaͤtze zu zeigen und zu behaupten, viele Talente mit der liebenswuͤrdigsten Sittsamkeit verbunden; dieses gab ihr der rechtschaffene Mann, der das Gluͤck hatte ihr Vater zu seyn. Nach dieser Beschreibung, mein Freund, koͤnnen Sie den Eindruck beurtheilen, welchen sie auf mich machte. Niemals, niemals ist mein Herz so eingenommen, so zufrieden mit mit der Liebe gewesen! Aber was werden Sie dazu sagen, daß man dieses edle rei- zende Maͤdchen zu einer Maitresse des Fuͤrsten bestimmt? daß mir Milord ver- boten ihr meine Zaͤrtlichkeit zu zeigen, weil der Graf F. ohnehin befuͤrchtet, man wer- de Muͤhe mit mir haben? Doch behauptet er, daß sie deswegen an den Hof gefuͤhrt worden sey. Jch zeigte meinem Oncle alle Verachtung, die ich wegen dieser Jdee auf den Grafen Loͤbau, ihren On- cle geworfen; ich wollte das Fraͤulein von dem abscheulichen Vorhaben benachrichti- gen, und bat Milorden fußfaͤllig, mir zu erlauben, durch meine Vermaͤhlung mit ihr, ihre Tugend, ihre Ehre und ihre Annehmlichkeiten zu retten. Er bat mich, ihn ruhig anzuhoͤren, und sagte mir; er selbst verehrte das Fraͤulein, und sey uͤber- zeugt, daß sie das ganze schaͤndliche Vor- haben zernichten werde; und er gab mir die Versicherung, daß, wenn sie ihrem wuͤr- digen Charakter gemaͤß handle, er sich ein Vergnuͤgen davon machen wolle, ihre Tu- gend zu kroͤnen. „Aber so lange der ganze K 3 Hof Hof sie als bestimmte Maitresse ansieht, werde ich nichts thun. Sie sollen keine Frau von zweydeutigem Ruhme nehmen; halten Sie sich an das Fraͤulein C*, durch diese koͤnnen Sie alles von den Ge- sinnungen der Sternheim erfahren; ich will Jhnen von den Unterhandlungen Nachricht geben, die der Graf F. auf sich genommen hat. Alle Zuͤge des Cha- rakters des Fraͤuleins geben mir Hoffnung zu einem Triumphe der Tugend. Aber er muß vor den Augen der Welt erlanget werden.“ Mein Oheim erregte in mir die Begier- de, den Fuͤrsten gedemuͤthigt zu sehen, und ich stellte mir den Widerstand der Tu- gend als ein entzuͤckendes Schauspiel vor. Diese Gedanken brachten mich dahin, mei- ne ganze Auffuͤhrung nach der Vorschrift meines Oheims einzurichten. Milord Derby hat mir einen neuen Bewegungs- grund dazu gegeben. Er sah sie, und faßte gleich eine Begierde nach den seltnen Reizungen die sie hat; denn Liebe kann man seine Neigung nicht nennen. Er ist mir mir mit seiner Erklaͤrung schon zuvorge- kommen; wenn er sie ruͤhrt, so ist mein Gluͤck hin; eben so hin, als wenn sie der Fuͤrst erhielte; dann wenn sie einen Ruch- losen lieben kann, so haͤtte sie mich nie- mals geliebt. Aber ich bin elend, hoͤchst elend durch die zaͤrtlichste Liebe fuͤr einen wuͤrdigen Gegenstand, den ich ungluͤckli- cher weise mit den Fallstricken des Lasters umgeben sehe. Die Hoffnung in ihre Grundsaͤtze, und die Furcht der menschli- chen Schwachheit martern mich wechsels- weise. Heute, mein Freund, heute wird sie in der Hofcomoͤdie dem Blick des Fuͤr- sten zum erstenmal ausgesetzt; ich bin nicht wohl; aber ich muß hingehen, wenn es mir das Leben kosten sollte. Jch lebe auf, mein Freund, der Graf von F. zweifelt, daß man etwas uͤber den Geist des Fraͤuleins gewinnen werde. Milord befahl mir, mich in der Comoͤ- die nahe an ihn zu halten. Das Fraͤu- lein kam mit ihrer unwuͤrdigen Tante in die Loge der Graͤfin F.; sie sah so liebens- wuͤrdig aus, daß es mich schmerzte. K 4 Eine Eine Verbeugung, die ich zugleich mit Milord an die drey Damen machte, war der einzige Augenblick, wo ich mir ge- trauete sie anzusehen. Bald darauf war der ganze Adel und der Fuͤrst selbst da, des- sen luͤsternes Auge sogleich auf die Loge der Graͤfin F. gewendet war; das Fraͤulein verbeugte sich mit so vieler Anmuth, daß ihn auch dieses haͤtte aufmerksam machen muͤssen, wenn es ihre uͤbrige Reize nicht gethan haͤtten. Er redete sogleich mit dem Grafen F. und sah wieder auf das Fraͤulein, die er jetzt besonders gruͤßte. Alle Augen waren auf sie geheftet, aber eine kleine Weile darauf verbarg sich das Fraͤulein halb hinter der Graͤsinn F. Die Opera gieng an; der Fuͤrst redete viel mit F. der endlich in die Loge seiner Ge- mahlinn gieng, um Milorden und den Graͤ- finnen zu verweisen, daß sie dem Fraͤulein den Platz wegnaͤhmen, da sie beyde das Spiel schon oft, das Fraͤulein aber es noch niemals gesehen haͤtte. Die Damen seyn nicht Ursache, Herr Graf, sagte das Fraͤulein, etwas ernsthaft; ich ich habe diesen Platz gewaͤhlt, ich sehe ge- nug und gewinne dabey das Vergnuͤgen, weniger gesehen zu werden. „Aber Sie berauben so viele des Ver- gnuͤgens Sie zu sehen?“ — Daruͤber haͤtte sie nur eine Verbeugung gemacht, die an sich nichts als Geringschaͤtzigkeit seines Compliments angezeigt habe. Er haͤtte ihre Meynung von der Comoͤdie be- gehrt; darauf haͤtte sie wieder mit einem ganz eignen Ton gesagt: Sie wundere sich nicht, daß diese Ergoͤtzlichkeit von so vielen Personen geliebt wuͤrde. „Jch wuͤnsche aber zu wissen, wie es Jhnen gefaͤllt, was Sie davon denken? Sie sehen so ernsthaft.“ Jch bewundere die vereinigte Muͤhe so vieler Arten von Talente. „Jst das Alles was Sie dabey thun, empfinden Sie nichts fuͤr die Heldin oder den Helden? Nein, Herr Graf, nicht das geringste; haͤtte Sie mit Laͤcheln geantwortet. K 5 Man Man speiste bey der Fuͤrstin von W*; der Fuͤrst, die Gesandschaften und uͤbri- gen Fremde, worunter der Graf Loͤbau, Oncle des Fraͤulein Sternheims, auch ge- rechnet wurde. Die Graͤfin F* stellte das Fraͤulein mit vielem Gepraͤnge dem Fuͤrsten vor. Dieser affectirte viel von ihrem Va- ter zu sprechen. Das Fraͤulein soll kurz und in einem geruͤhrten Tone geantwortet haben. Die Tafel war vermengt, im- mer ein Cavalier bey einer Dame. Graf F. ein Neffe des Ministers war an der Seite des Fraͤuleins, welche gerade so ge- setzt wurde, daß sie der Fuͤrst in Gesicht hatte; er sah sie unaufhoͤrlich an. Jch nahm mich in Acht, nicht oft nach dem Fraͤulein zu sehen; doch bemerkte ich Un- zufriedenheit an ihr. Man hob die Ta- fel bald auf, um zu spielen; die Prinzes- sin nahm das Fraͤulein zu sich, gieng bey den Spieltischen mit ihr herum, setzte sich auf den Sopha, und redete sehr freund- lich mit ihr. Der Fuͤrst kam, nachdem er eine Tour mit Milorden gespielt hatte, auch dazu. Den Den zweeten Tag sagte Graf F. zu Mi- lord; er wuͤnschte dem Loͤbau alles Boͤse anf den Hals, das Fraͤulein hieher ge- bracht zu haben. Sie ist ganz dazu ge- macht, um eine heftige Leidenschaft zu er- wecken; aber ein Maͤdchen, das keine Eitelkeit auf ihre Reize hat, bey einem Schauspiel nichts als die vereinigte Muͤ- he von vielerley Talenten betrachtet, an einer ausgesuchten Tafel nichts als eine Aepfel-Compotte ißt, Wasser dazu trinkt, an einem Hofe nach dem Hause eines Landpfarrers seufzet, und bey allem dem voll Geist und voll Empfindung ist, — ein solches Maͤdchen ist schwer zu ge- winnen! Gott wolle es, dacht’ ich; lange kann ich den gewaltsamen Stand, in dem ich bin, nicht aushalten! Schreiben Sie mir bald; sagen Sie mir, was Sie von mir denken, und was ich haͤtte thun sollen. Das Das Fraͤulein von Sternheim an Emilia. O meine Emilia! wie noͤthig ist mir ei- ne erquickende Unterhaltung mit einer zaͤrt- lichen und tugendhaften Freundin! Wissen Sie, daß ich den Tag, an dem ich mich zu der Reise nach D. bereden ließ, fuͤr einen ungluͤcklichen Tag ansehe. Jch bin ganz aus dem Kreise gezogen worden, den ich mit einer so seligen Ruhe und Zu- friedenheit durchgieng. Jch bin hier Niemanden, am wenigsten mir selbst, nuͤtze; das Beste, was ich denke und em- pfinde, darf ich nicht sagen, weil man mich laͤcherlich-ernsthaft findet; und so viel Muͤhe ich mir gebe, aus Gefaͤllig- keit gegen die Personen, bey denen ich bin, ihre Sprache zu reden, so ist doch meine Tante selten mit mir zufrieden, und ich, Emilia, noch seltner mit ihr. Jch bin nicht eigensinnig, mein Kind, in Wahr- heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß jemand hier denken solle, wie ich; ich sehe zu zu sehr ein, daß es eine moralische Unmoͤg- lichkeit ist. Jch nehme keinem uͤbel, daß der Morgen am Putztische, der Nachmittag in Besuchen, der Abend und die Nacht mit Spielen hingebracht wird. Es ist hier die große Welt, und diese hat die Einrichtung ihres Lebens mit dieser Haupt- eintheilung angefangen. Jch bin auch sehr von der Verwunderung zuruͤckgekom- men, in die ich sonst gerieth, wenn ich an Personen, die meine selige Großmama be- suchten, einen so großen Mangel an gu- ten Kenntnissen sah, da sie doch von Na- tur mit vielen Faͤhigkeiten begabt waren. Es ist nicht moͤglich, meine Liebe, daß eine junge Person in diesem betaͤubenden Geraͤusche von lermenden Zeitvertreiben einen Augenblick finde, mich zu sammeln. Kurz, alle hier, sind an diese Lebensart und an die herrschenden Begriffe von Gluͤck und Vergnuͤgen gewoͤhnt, und lieben sie eben so, wie ich die Grundsaͤtze und Be- griffe liebe, welche Unterricht und Bey- spiel in meine Seele gelegt haben. Aber man ist mit meiner Nachsicht, mit meiner Billigkeit Billigkeit nicht zufrieden; ich soll denken und empfinden wie sie, ich soll freudig uͤber meinen wohlgerathnen Putz, gluͤck- lich durch den Beyfall der andern, und entzuͤckt uͤber den Entwurf eines Soupe’, eines Bal’s werden. Die Opera, weil es die erste war, die ich sah, haͤtte mich außer mir selbst setzen sollen, und der Him- mel weis, was fuͤr elendes Vergnuͤgen ich in dem Lob des Fuͤrsten habe finden sollen. Alle Augenblicke wurde ich in der Comoͤ- die gefragt: Nun wie gefaͤllts ihnen, Fraͤulein? Gut, sagte ich ganz gelassen; es ist vollkommen nach der Jdee, die ich mir von diesen Schauspielen machte. Da war man mißvergnuͤgt, und sah mich als eine Person an, die nicht wisse was sie rede. Es mag seyn, Emilia, daß es ein Fehler meiner Empfindungen ist, daß ich die Schauspiele nicht liebe, und ich halte es fuͤr eine Wirkung des Eindrucks, den die Beschreibung des Laͤcherlichen und Unna- tuͤrlichen eines auf dem Schlachtfeld sin- genden Generals und einer sterbenden Liebha- Liebhaberin, die ihr Leben mit einem Tril- ler schließt, so ich im englischen gelesen habe, auf mich machte. Jch kann auch niemand tadeln, der diese Ergoͤtzlichkeiten liebt. Wenn man die Verbindung so vie- ler Kuͤnste ansieht, die fuͤr unser Aug und Ohr dabey arbeiten, so ist schon dieses angenehm zu betrachten; und ich finde nichts natuͤrlicher, als die Leidenschaften, die eine Actrice oder Taͤnzerinn einfloͤßt. Die Jntelligenz, (lassen Sie mir dieses Wort) mit welcher die erste ihre Rolle spielt, da sie ganz in dem Charakter, den sie vorstellt, eintritt, von edlen zaͤrtlichen Gesinnungen mit voller Seele redt, selbst schoͤn dabey ist, und die ausgesuchte Klei- dung, die affectvolleste Musik; mit allen Verzierungen des Theaters dabey zu Ge- huͤlfen hat, — wo will sich der junge Mann retten, der mit einem empfindlichen Herzen in den Saal tritt, und da von Natur und Kunst zugleich bestuͤrmt wird? Die Taͤnzerinn, von muntern Grazien umgeben, jede Bewegung voll Reiz, in Wahrheit, Emilia, man soll sich nicht wundern, wundern, nicht zanken, wenn sie geliebt wird! Doch duͤnkt mich der Liebhaber der Actrice edler als der von der Taͤnzerin. Jch habe irgendwo gelesen, daß die Linie der Schoͤnheit fuͤr den Mahler und Bild- hauer sehr fein gezogen sey; geht er daruͤ- ber, so ist sie verlohren; bleibt er unter ihr, so fehlt seinem Werk die Vollkom- menheit. Die Linie der sittlichen Reize der Taͤn- zerin duͤnkt mich eben so fein gezogen; dann sie schien mir sehr oft uͤbertreten zu werden. Ueberhaupt bin ich es sehr zufrieden, ein Schauspiel gesehen zu haben, weil die Vorstellung, die ich davon hatte, da- durch ganz bestimmt worden ist; aber ich bin es auch zufrieden, wenn ich keines mehr sehe. Nach der Comoͤdie speiste ich mit der Prinzessin von W*, da wurde ich dem Fuͤrsten vorgestellt. Was soll ich Jhnen davon sagen? Daß er ein schoͤner Mann und sehr hoͤflich ist, daß er meinen wer- then Papa sehr gelobt hat, und daß ich mißver- mißvergnuͤgt damit war. Ja, meine Emilia, ich kann nicht mehr so froh uͤber die Lobspruͤche seyn, die man ihm giebt; der Ton, worinn es geschieht, klingt mir gerade, als wenn man sagte: Jch weiß, daß sie von ihrem Vater sehr eingenom- men sind, ich sage ihnen also Gutes von ihm. Und dann, mein Kind, muß ich Jhnen sagen, daß die Blicke, die der Fuͤrst auf mich warf, auch das Beste verdor- ben haͤtten, das er haͤtte sagen koͤnnen. Was fuͤr Blicke, meine Liebe! Gott bewahre mich, sie wieder zu sehen! Wie haßte ich die Spanische Kleidung, die mir nichts als eine Palatine erlaubte. Waͤre ich jemals auf meine Leibesgestalt stolz gewesen, so haͤtte ich gestern dafuͤr gebuͤßt. Der bitterste Schmerz durch- drang mich bey dem Gedanken, der Ge- genstand so haͤßlicher Blicke zu seyn. Meine Emilia, ich mag nicht mehr hier seyn; ich will zu Jhnen, zu den Gebeinen meiner Aeltern. Die Graͤfin R. bleibt zu lange weg. L Heute Heute erzaͤhlte mir die Graͤfin F. mit vielem Wortgepraͤnge das Lob des Fuͤr- sten uͤber meine Person und meinen Geist. Morgen giebt der Graf ein großes Mittagessen, und ich soll dabey seyn. Niemals, seitdem ich hier bin, hatte ich die Empfindungen eines Vergnuͤgens nach meinem Geschmack. Die Freundschaft des Fraͤulein C* war das Einzige, was mich erfreute; aber auch diese ist nicht mehr was sie war. Sie spricht so kalt; sie besucht mich nicht mehr; wir kommen beym Spiel nicht mehr zusammen; und wenn ich mich ihr, oder dem Milord Seymour naͤhere, welche immer zusam- men reden, so schweigen sie, und Milord entfernt sich traurig, bewegt; und das Fraͤulein sieht ihm nach, und ist zerstreut. Was soll ich benken? Will das Fraͤulein nicht, daß ich Milorden spreche? Geht er weg, um ihr seine vollkommene Ergeben- heit zu zeigen? Denn er redt mit keiner andern Seele als mit ihr. O mein Kind, wie fremd ist mein Herz in diesem Lande! Jch, die mein Gluͤck fuͤr anderer ihres hin- gaͤbe, gaͤbe, ich muß die Sorge sehen, daß ich es zu stoͤren denke. Liebes Fraͤulein C*, ich will Jhnen diese Unruhe nehmen; denn ich wer- de meinen Augen das Vergnuͤgen versagen, Milord Seymour anzuschauen. Meine Blicke waren ohnehin fluͤchtig genug. Jch will Sie selbst nicht mehr aufsuchen, wenn Sie in einem gluͤcklichen Gespraͤche mit dem liebenswerthen Manne begriffen sind. — Sie sollen sehen, daß Sophie Sternheim das Gluͤck ihres Herzens durch keinen Raub zu erhalten sucht! — Emi- lia, eine Thraͤne fuͤllte mein Auge bey diesem Gedanken. Aber der Verlust ei- ner geliebten Freundin, der einzigen, die ich hier hatte, der Verlust des Umgangs eines wuͤrdigen Mannes, den ich hochschaͤ- tze, dieser Verlust verdient eine Thraͤne. D. wird mich keine andre kosten; Mor- gen, mein Kind, Morgen wuͤnsche ich ab- zureisen. Warum sagt mir Jhr Brief nichts von meinem Pflegvater; warum nichts von Jhrer Reise und von Jhrem Gesell- schafter? L 2 Emilia, Emilia, Jhre Briefe, Jhre Liebe und Vertrauen sind alles Gute, so ich noch er- warte. D. hat nichts — nichts fuͤr mich. Milord Derby an seinen Freund in Paris. B ald werde ich deinen albernen Erzaͤh- lungen ein Ende machen, die ich bisher nur deswegen geduldet, weil ich sehen wollte, wie weit du deine Pralerey in dem Angesichte deines Meisters treiben wuͤrdest. Auch solltest du heute die Gei- sel meiner Satyre fuͤhlen, wenn ich nicht im Sinne haͤtte, dir den Entwurf einer deutsch-galanten Historie zu zeigen, zu deren Ausfuͤhrung ich mich fertig mache. Was wollen die Pariser Eroberungen sa- gen, die du nur durch Gold erhaͤltst? Dann was wuͤrde sonst eine Franzoͤsin mit deinem breiten Gesicht und hagern Figuͤrchen machen, die Eroberungen der Herren Herren Milords in Paris, was sind die? Eine Coquette, eine Actrice, beyde artig einnehmend; aber sie waren es schon fuͤr so viel Leute, daß man ein Thor seyn muß, sich daruͤber zu beloben. War ich nicht auch da, meine schoͤnen Herren? und weiß ich nicht ganz sicher, daß die wohlerzogene Tochter eines angesehenen Hauses und die geistvolle achtungswerthe Frau gar nicht die Bekanntschaften sind, die man uns machen laͤßt? Also prahle mir nicht mehr, mein guter B*, denn von Siegen wie die eurige, ist kein Triumph- lied zu singen. Aber ein den Goͤttern ge- widmetes Meisterstuͤck der Natur und der Kunst zu erbeuten, den Argus der Klug- heit und Tugend einzuschlaͤfern, Staats- minister zu betruͤgen, alle weitherge- suchte Vorbereitungen eines gefaͤhrlichen und geliebten Nebenbuhlers zu zernichten, ohne daß man die Hand gewahr wird, welche an der Zerstoͤrung arbeitet; dieß verdient angemerkt zu werden! Du weißt, daß ich der Liebe niemals keine andere Gewalt als uͤber meine Sin- L 3 nen nen gelassen habe, deren feinstes und leb- haftestes Vergnuͤgen sie ist. Daher war die Wahl meiner Augen immer fein, da- her meine Gegenstaͤnde immer abgewech- selt. Alle Classen von Schoͤnheiten haben mir gefroͤhnet; ich wurde ihrer satt, und suchte nun auch die Haͤßlichkeit zu meiner Sclavin zu machen; nach dieser mußten mir Talente und Charakter unterwuͤrfig werden. Wie viel Anmerkungen koͤnnten nicht die Philosophen und Moralisten uͤber die feinen Netze und Schlingen machen, in denen ich die Tugend, oder den Stolz, die Weisheit, oder den Kaltsinn, die Co- quetterie, und selbst die Froͤmmigkeit der ganzen weiblichen Welt gefangen habe. Jch dachte schon mit Salomo, daß fuͤr mich nichts neues mehr unter der Sonne waͤre. Aber Amor lachte meiner Eitelkeit. Er fuͤhrte aus einem elenden Landwinkel die Tochter eines Obersten herbey, deren Figur, Geist und Charakter so neu und reizend ist, daß meinen vorigen Unterneh- mungen die Crone fehlte, wenn sie mir entwischen sollte. Wachsam muß ich seyn; seyn; Seymour liebt sie; laͤßt sich aber durch Milord G. leiten, weil diese Rose fuͤr den Fuͤrsten bestimmt ist, bey dem sie einen Proceß fuͤr ihren Oheim gewinnen soll. Der Sohn des Grafen F. bietet sich zur Vermaͤhlung mit ihr an, um den Mantel zu machen; wenn sie ihn aber liebt, so will er die Anschlaͤge des Grafen Loͤbau und seines Vaters zu nichte ma- chen; der schlechte Pinsel! er soll sie nicht haben. Seymour mit seiner schwermuͤ- thigen Zaͤrtlichkeit, die auf den Triumph ihrer Tugend wartet, auch nicht; und der Fuͤrst — der ist sie nicht werth! Fuͤr mich soll sie gebluͤht haben, das ist fest- gesetzt; allem meinem Verstand ist aufge- boten, ihre schwache Seite zu finden. Empfindlich ist sie; ich hab’ es ihren Blicken angesehen, die sie manchmal auf Seymouren wirft, wenn es gleich ich bin, der mit ihr redet. Freymuͤthig ist sie auch; dann sie sagte mir, es duͤnkte sie, daß es meinem Herzen an Guͤte fehle. Halten sie Milord Seymour fuͤr besser als mich? fragte ich sie. Sie erroͤthete, und L 4 sagte, sagte, er waͤre es. Damit hat sie mir eine wuͤthende Eifersucht gegeben, aber zugleich den Weg zu ihrem Herzen gezeigt. Jch bin zu einer beschwerlichen Verstellung gezwungen, da ich meinen Charakter zu einer Harmonie mit dem ihrigen stimmen muß. Aber es wird eine Zeit kommen, wo ich sie nach dem meinigen bilden wer- de. Dann mit ihr werd’ ich diese Muͤhe nehmen, und gewiß, sie soll neue Ent- deckungen in dem Lande des Vergnuͤgens machen, wenn ihr aufgeklaͤrter und feiner Geist alle seine Faͤhigkeiten dazu anwen- den wird. Aber das Lob ihrer Annehm- lichkeiten und Talenten ruͤhrt sie nicht; die allgemeinen Kennzeichen einer einge- floͤßten Leidenschaft sind ihr auch gleich- guͤltig. Hoheit des Geistes und Guͤte der Seele scheinen in einem seltenen Grad in ihr verbunden zu seyn; so wie in ihrer Person alle Reize der vortrefflich- sten Bildung mit dem ernsthaften Wesen, welches große Grundsaͤtze geben, verei- nigt sind. Jede Bewegung, die sie macht, der bloße Ton ihrer Stimme, lockt die Lie- be be zu ihr; und ein Blick, ein einziger un- gekuͤnstelter Blick ihrer Augen, scheint sie zu verscheuchen; so eine reine unbefleckte Seele wird man in ihr gewahr. — Halt einmal: wie komme ich zu diesem Ge- schwaͤtz? — So lauteten die Briefe des armen Seymour, da er in die schoͤne Y** verliebt war: sollte mich diese Land- jungfer auch zum Schwaͤrmer machen? So weit es zu meinen Absichten dient, mag es seyn; aber, beym Jupiter, sie soll mich schadlos halten! Jch habe Mi- lords G**s zweyten Secretair gewonnen? der Kerl ist ein halber Teufel. Er hatte die Theologie studirt, aber sie wegen der strengen Strafe, die er uͤber eine Buͤbe- rey leiden muͤssen, verlassen; und seitdem sucht er sich an allen frommen Leuten zu raͤchen. Es ist gut, wenn man ihren Stolz demuͤthigen kann, sagte er; durch ihn will ich Milord Seymouren ausfor- schen. Er kann den letzten, wegen der Moral, die er immer predigt, nicht aus- stehen. Du siehst, daß der Theologe ei- ne starke Verwandlung erlitten hat? aber L 5 so so einen Kerl brauche ich jetzt, weil ich selbst nicht frey agieren kann; heute nichts mehr, man unterbricht mich. Fraͤulein von Sternheim an Emilia. E milia! ich erliege fast unter meinem Kummer; mein Pflegvater todt! warum schrieben Sie mir, oder doch Rosinen nichts, als da alles vorbey war? Die gu- te Rosine vergeht vor Jammer. Jch su- che sie zu troͤsten, und meine eigne See- le ist niedergeschlagen. Meine werthe Freundin, die Erde deckt nun das Beste, das sie uns gegeben hatte, guͤtige vereh- rungswuͤrdige Aeltern! — Kein Herz kennt Jhren Verlust so wohl als das mei- nige; ich empfinde Jhren Schmerz dop- pelt. — Warum konnte ich seinen See- gen nicht selbst hoͤren? Warum benetzen meine Thraͤnen seine heilige Grabstaͤtte nicht? da ich mit gleichen kindlichen Ge- sinnungen sinnungen wie seine Tochter um ihn wei- ne. — Die arme Rosine! Sie knieet bey mir, ihr Kopf liegt auf meinem Schooße, und ihre Thraͤnen traͤufeln auf die Erde. Jch umarme sie und weine mit. Gott lasse durch unsern Kummer Weisheit in unsrer Seele aufbluͤhen; und erfuͤlle dadurch den letzten Wunsch unserer Vaͤter; besonders den, welchen mein Pflegevater fuͤr seine Emilia machte, da seine zitternde Hand noch ihre Ehre einsegnete, und sie so dem Schutz eines treuen Freundes uͤbergab. Tugend und Freundschaft sey mein und Rosinens Theil, bis die Reyhe des Loo- ses der Sterblichkeit auch uns in einer gluͤckseligen Stunde trifft! moͤchte als- dann ein edles Herze mir Dank fuͤr das gegebene Beyspiel im Guten nachrufen, und ein durch mich erquickter Armer mein Andenken segnen! Dann wuͤrde der Weise, der Menschenfreund sagen koͤnnen, daß ich den Werth des Lebens gekannt habe! Jch kann nicht mehr schreiben, unsre Rosine gar nicht; sie bittet um ihres Bruders und ihrer Schwester Liebe, und will will immer bey mir leben. Jch hoffe, Sie sind es zufrieden, und befestigen dadurch das Band unsrer Freundschaft. Edel- muth und Guͤte soll es unzertrennlich ma- chen. Jch umarme meine Emilia mit Thraͤnen; Sie glauben nicht, wie traurig mir ist, daß ich diesen Brief schließen muß, ohne etwas an meinem vaͤterlichen Freund beyzusetzen. Ewige Gluͤckseligkeit lohne ihn und meinen Vater! Lassen Sie uns, meine Emilia, meine Rosina, so leben, daß wir ihnen einmal als wuͤrdi- ge Erbinnen ihrer Tugend und Freund- schaft dargestellt werden koͤnnen! Milord Seymour an den Doctor B. J mmer wird mir das Fraͤulein liebens- wuͤrdiger und ich — ich werde immer ungluͤcklicher. Der Fuͤrst und Derby su- chen ihre Hochachtung zu erwerben; bey- de sehen, daß dieß der einzige Weg zu ih- rem rem Herzen ist. Der doppelte Eigensinn, den meine Leidenschaft angenommen, hin- dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin nur bemuͤht sie zu beobachten, und eine untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fraͤulein C*. Jch hoͤre sie nicht mehr reden; aber die Erzaͤhlungen des Derby, dem sie Ach- tung erweiset, sind mir bestaͤndige Bewei- se des Adels ihrer Seele. Jch glaube, daß sie die erste tugendhafte Bewegung in sein Herz gebracht hat. Denn vor eini- gen Tagen sagt’ er mir; er haͤtte das Fraͤulein in eine Gesellschaft fuͤhren sol- len, und wie er in ihr Zimmer gegangen sie abzuholen, habe er ihre Cammerjung- fer vor ihr knieen gesehen; das Fraͤulein selbst halb angezogen, ihre schoͤnen Haare auf Brust und Nacken zerstreut, ihre Ar- me um das knieende Maͤdchen geschlungen, deren Kopf sie an sich gedruͤckt, waͤhrend sie ihr mit beweglicher Stimme von dem Werth des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend gesprochen. Thraͤ- nen waͤren aus ihren Augen gerollt, die sie sie endlich gen Himmel gehoben, und das Andenken ihres Vaters und noch eines Mannes fuͤr ihren Unterricht gesegnet haͤt- te. Dieser Anblick haͤtte ihn staunen ge- macht; und wie das Fraͤulein ihn gewahr worden, habe sie gerufen: „O Milord, „sie sind gar nicht geschickt mich in diesem „Augenblicke zu unterhalten; haben sie „die Guͤte zu gehen, und mich bey meiner „Tante zu entschuldigen; ich werde heute „niemand sehen.“ Das feyerliche und ruͤhrende Ansehen, so sie gehabt, haͤtte ihm ihren Vorwurf zweyfach verbittert, da er die Geringschaͤtzung gefuͤhlt, die sie fuͤr seine Denkungsart habe. Er haͤtte auch geantwortet; wenn sie die Ehrfurcht se- hen koͤnnte, die er in diesem Augenblicke fuͤr sie fuͤhlte, so wuͤrde sie ihn ihres Ver- trauens wuͤrdiger achten. Da sie aber, ohne ihm zu antworten, ihren Kopf auf den von ihrem Maͤdchen gelegt, waͤre er fortgegangen, und haͤtte von der Graͤfin L* gehoͤrt, daß ihre Scene den Tod des Pfarrers von P. angienge, der das Fraͤu- lein zum Theil erzogen und der Vater ih- rer rer Cammerjungfer gewesen; der Graf Loͤ- bau und seine Gemahlin waͤren froh, daß der schwaͤrmerische Briefwechsel, den das Fraͤulein mit diesem Manne unterhalten, nun ein Ende haͤtte, und man sie auf eine ihrem Stande gemaͤßere Denkungs- art leiten koͤnne. Sie waͤren auch beyde mit ihm zu dem Fraͤulein gegangen, und haͤtten ihr ihre Traurigkeit und den Ent- schluß verwiesen, daß sie nicht in die Ge- sellschaft gehen wolle. Meine Tante, ha- be sie geantwortet, so viele Wochen habe ich der schuldigen Gefaͤlligkeit gegen sie, und den Gewohnheiten des Hofes aufge- opfert; die Pflichten der Freundschaft und der Tugend moͤgen wohl auch einen Tag haben! Ja, habe die Graͤfinn versetzt, aber deine Liebe ist immer nur auf eine Familie eingeschraͤnkt gewesen; du bist gegen die Achtung und Zaͤrtlichkeit, so man dir hier beweist, zu wenig empfind- lich. Das Fraͤulein: Meine gnaͤdi- ge Tante, es ist mir leid, wenn ich Jh- nen undankbar scheine; aber verdiente der Mann, der meine Seele mit guten Grund- saͤtzen, saͤtzen, und meinen Geist mit nuͤtzlichen Kenntnissen erfuͤllte, nicht ein groͤßeres Maaß von Erkenntlichkeit, als der hoͤfli- che Fremdling, der mich noͤthigt, an sei- nen voruͤbergehenden Ergoͤtzlichkeiten Antheil zu nehmen? Die Graͤfin: Du haͤttest schicklicher das Wort abwech- selnde Ergoͤtzlichkeiten gebrauchen koͤnnen. Das Fraͤulein: Alle diese Fehler bewei- sen Jhnen, daß ich fuͤr den Hof sehr un- tauglich bin. Die Graͤfin: Ja, heu- te besonders, du sollst auch zu Hause blei- ben. — Derby erzaͤhlte mir dieses mit einem leichtsinnigen Ton, aber gab genau auf meine Bewegungen acht. Sie wissen, daß ich sie selten verbergen kann, und in diesem Falle war mirs ganz unmoͤglich. Der Charakter des Fraͤuleins ruͤhrte mich. Jch mißgoͤnnte Derbyn, sie gesehen und gehoͤrt zu haben. Unzufrieden auf mich, meinen Oncle und den Fuͤrsten, brach ich in den Eifer aus, zu sagen: Das Fraͤu- lein hat den edelsten und seltensten Charak- Charakter; wehe den Elenden, die sie zu verderben suchen! Sie sind ein eben so seltener Mann, erwiederte er, als das Fraͤulein ein seltenes Frauenzimmer ist. Sie waͤren der schicklichste Liebhaber fuͤr sie gewesen, und ich haͤtte ihr Ver- trauter und Geschichtschreiber seyn moͤgen. Jch glaube nicht, Milord Derby, daß Jhnen das Fraͤulein oder ich diesen Auf- trag gemacht haͤtte, sagte ich. Ueber die- se Antwort sah ich eine Miene an ihm, die mir gaͤnzlich mißfiel; sie war laͤchelnd und nachdenkend; aber, mein Freund, ich konnte mich nicht enthalten in meinem Herzen zu sagen, so laͤchelt Satan, wenn er sich eines giftigen Anschlags bewußt ist. Fraͤulein von Sternheim an Emilien. J hr Stilleschweigen, meine Freundin, duͤnket mich und Rosinen sehr lange und M unbillig; unbillig; aber ich werde mich wegen der Unruhe, die Sie mir dadurch gemacht, nicht anders raͤchen, als Jhnen, wenn ich einmal eine lange Reise mache, auf halbem Wege zu schreiben; denn da ich weiß, wie Sie mich lieben, so koͤnnte ich den Gedanken nicht ertragen, Jhrem zaͤrtlichen Herzen den Kummer fuͤr mich zu geben, den das meinige in dieser Ge- legenheit fuͤr Sie gelitten. Aber Jhre gluͤckliche Ankunft in W. und Jhr Ver- gnuͤgen uͤber Jhre Aussicht in die Zu- kunft hat mich dafuͤr belohnt. Auch oh- ne dieß, wie sehr, meine Emilia, bin ich erfreut, daß mir mein Schicksal zu glei- cher Zeit einen vergnuͤgten Gegenstand zu etlichen Briefen, an Sie gegeben hat! Denn haͤtte ich fortfahren muͤssen, uͤber verdrießliche Begegnisse zu klagen, so waͤre Jhre Zufriedenheit durch mich gestoͤrt wor- den, da Jhr liebreiches Herz einen so leb- haften Antheil an allem nimmt, was mich und die seltene Empfindsamkeit meiner Seele betrifft. Jch habe in dieser fuͤr mich so duͤrren moralischen Gegend, die ich ich seit drey Monaten durchwandre, zwey angenehme Quellen und ein Stuͤck urba- res Erdreich angetroffen, wobey ich mich eine Zeitlang aufhalten werde, um bey dem ersten meinen Geist und mein Herz zu erfrischen, und fuͤr die Anpflanzung und Cultur guter Fruͤchte bey dem letztern zu sorgen. Doch ich will ohne Gleichniß reden. Sie wissen, daß die Erziehung, die ich genossen, meine Empfindungen und Vorstellungen von Vergnuͤgen, mehr auf das Einfache und Nuͤtzliche lenkte, als auf das Kuͤnstliche und nur allein Be- lustigende. Jch sah die Zaͤrtlichkeit mei- ner Mama niemals in Bewegung, als bey Erzaͤhlung einer edeln großmuͤthigen Handlung, oder einer, so von der Ausuͤ- bung der Pflichten und der Menschenliebe und andern Tugenden gemacht wurde. Niemals druͤckte sie mich mit mehr Liebe an ihr Herz, als wenn ich etwas sagte, oder etwas fuͤr einen Freund des Hauses, fuͤr einen Bedienten oder Unterthanen un- ternahm, so die Kennzeichen der Wohl- thaͤtigkeit und Freude uͤber anderer Ver- M 2 gnuͤgen gnuͤgen an sich hatte; und ich habe sehr wohl bemerkt, daß wenn mir, wie tausend andern Kindern, ungefehr eine feine und schickliche Anmerkung oder ein Gedanke beygefallen, woruͤber oft die ganze Gesell- schaft in Bewunderung und Lob ausge- brochen, sie nur einen Augenblick gelaͤ- chelt, und so fort die Achtung, welche mir ihre Freude zeigen wollten, auf die Sei- te des thaͤtigen Lebens zu lenken gesucht, indem sie entweder etwas von meinem Fleiß in Erlernung einer Sprache, des Zeichnens, der Musik oder anderer Kennt- nisse lobte, oder von einer erbetenen Be- lohnung oder Wohlthat fuͤr jemand redte, und mir also dadurch zu erken- nen gab, daß gute Handlungen viel ruhmwuͤrdiger seyn, als die feinsten Gedanken. Wie einnehmend bewies mein Papa mir diesen Grundsatz, da er mich in dem Naturreiche auf die Betrach- tung fuͤhrte, daß die Gattungen der Blumen, welche nur zu Ergoͤtzung des Auges dienten, viel weniger zahlreich und ihre Fruchtbarkeit weit schwaͤcher waͤre, waͤre, Man kann schwerlich sagen, daß es Gat- tungen von Blumen oder Pflanzen gebe, welche nur zu Ergoͤtzung des Auges dienten; und, so viel mir bekannt ist, kennt man keine einzige Gat- tung, welche nicht entweder einen oͤkonomischen oder officinalischen Nutzen fuͤr den Menschen haͤt- te, oder zum Unterhalt einiger Thiere, Voͤgel, Jnsekten und Gewuͤrm diente, folglich in Ab- sicht des ganzen Systems unsers Planeten wuͤrk- lich einen Nutzen haͤtte. A. d. H. als der nuͤtzlichen Pflanzen, die zur Nahrung der Menschen und Thiere dienen; und waren nicht alle Tages seines Lebens, mit der Ausuͤbung dieses Satzes bezeichnet? Wie nuͤtzlich suchte er seinen Geist und seine Erfahrungen seinen Freun- den zu machen? Was that er fuͤr seine Untergebenen und fuͤr seine Unterthanen? Nun, meine Emilie! mit diesen Grund- saͤtzen, mit diesen Neigungen kam ich in die große Welt, worinn der meiste Theil nur fuͤr Aug und Ohr lebt, wo dem vor- trefflichen Geist nicht erlaubt ist, sich an- ders als in einem voruͤbergehenden witzi- gen Einfalle zu zeigen; und Sie sehen, M 3 mit mit wie vielem Fleiße meine Aeltern die Anlage zu diesem Talent in mir zu zerstoͤ- ren suchten. Ganz ist es nicht von mir gewichen; doch bemerkte ich seine Gegenwart nie- mals mehr als in einem Anfalle von Miß- vergnuͤgen oder Verachtung uͤber jemands Jdeen oder Handlungen. Urtheilen Sie selbst daruͤber! Letzhin wurde ich durch meine Liebe fuͤr Deutschland in ein Ge- spraͤch verflochten, worinn ich die Ver- dienste meines Vaterlandes zu vertheidi- gen suchte; ich that es mit Eifer; meine Tante sagte mir nachher, „ich haͤtte einen schoͤnen Beweis gegeben, daß ich die En- kelin eines Professors sey.“ — Dieser Vorwurf aͤrgerte mich. Die Asche mei- nes Vaters und Großvaters war belei- digt, und meine Eigenliebe auch. Diese antwortete fuͤr alle dreye. „Es waͤre mir „lieber durch meine Gesinnungen den Be- „weis zu geben, daß ich von edeldenken- „den Seelen abstamme, als wenn ein „schoͤner Name allein die Erinnerung gaͤ- „be, daß ich aus einem ehemals edeln „Blute „Blute entsprossen sey.“ Dieses verur- sachte eine Kaͤlte von einigen Tagen unter uns beyden; doch unvermerkt erwaͤrmten wir uns wieder. Meine Taute, denke ich, weil sie nach dem alt adelichen Stolz fuͤhlte, wie empfindlich es seyn muͤsse, wenn einem der Mangel von Ahnen vorge- worfen wuͤrde; und ich, weil ich meine raͤchende Antwort mißbilligte, die mich just auf eben die niedere Stufe setzte, auf welcher mir meine Tante den unedeln Vor- wurf gemacht hatte. Doch es ist Zeit, Sie zu einer von den zwoen Quellen zu fuͤhren, wovon ich Jhnen nach meiner Liebe zur Bildersprache geredet habe. Die erste hat sich in Privatbesuchen gezeigt, welche meine Tante empfaͤngt, und ablegt, worinn ich eine Menge ab- wechselnder Betrachtungen uͤber die un- endliche Verschiedenheit der Charakter und Geister machen kann, die sich in Beurthei- lungen, Erzaͤhlungen, Wuͤnschen und Kla- gen abdruͤcken. Aber was fuͤr einen Zirkel von Kleinigkeiten damit durchloffen wird; mit was fuͤr Hastigkeit die Leute bemuͤht M 4 sind, sind, einen Tag ihres Lebens auf die Seite zu raͤumen; wie oft der Hofton, der Modegeist, die edelsten Bewegungen eines von Natur vortrefflichen Herzen unter- druͤckt, und um das Auszischen der Mode- herren und Modedamen zu vermeiden, mit ihnen lachen und beystimmen heißt: dieß erfuͤllt mich mit Verachtung und Mitleiden. Der Durst nach Ergoͤtzlichkeiten, nach neu- en Putz, nach Bewunderung eines Klei- des, eines Meubles, einer neuen schaͤdli- chen Speise, — o meine Emilia! wie bange, wie uͤbel wird meiner Seele dabey zu Muthe, weil ich gewoͤhnt bin, allen Sachen ihren eigentlichen Werth zu ge- ben! Jch will von dem falschen Ehrgeiz nicht reden, der so viele niedrige Jntri- guen anspinnt, vor dem im Gluͤcke sitzen- den Laster kriecht, Tugend und Verdienste mit Verachtung ansieht, ohne Empfin- dung Elende macht. — Wie gluͤcklich sind Sie, meine Freundin! Jhre Geburt, Jhre Umstaͤnde haben Sie nicht von dem Ziel unserer moralischen Bestimmung ent- sernt; Sie koͤnnen ohne Scheu, ohne Hinderniß Hinderniß alle Tugenden, alle edeln und nuͤtzlichen Talente uͤben; in den Tagen Jhrer Gesundheit, in den Jahren Jhrer Kraͤfte alles Gute thun, was die meisten in der großen Welt in ihren letzten Stun- den wuͤnschen gethan zu haben! Jndessen genießen dennoch Religion und Tugend ganz schaͤtzbare Ehrenbezeu- gungen. Die Hofkirchen sind praͤchtig geziert, die besten Redner sind zu Predi- gern darinnen angestellt, die Gottesdienste werden ordentlich und ehrerbietig besucht; der Wohlstand im Reden, im Bezeugen wird genau und aͤngstlich beobachtet; kein Laster darf ohne Maske erscheinen; ja selbst die Tugend der Naͤchstenliebe erhaͤlt eine Art von Verehrung, in den ausge- suchten und feinen Schmeicheleyen, die immer eines der Eigenliebe des andern macht. Alles dieses ist eine Quelle zu moralischen Betrachtungen fuͤr mich wor- den, aus welcher ich den Nutzen schoͤpfe, in den Grundsaͤtzen meiner Erziehung im- mer mehr und mehr bestaͤrkt zu werden. Oft beschaͤfftigt sich meine Phantasie mit M 5 dem dem Entwurf einer Vereinigung der Pflich- ten einer Hofdame, zu denen sie von ih- rem Schicksal angewiesen worden, mit den Pflichten der vollkommenen Tugend, welche zu dem Grundbau unserer ewigen Gluͤckseligkeit erfodert wird. Es laͤßt sich eine Verbindung denken; allein es ist so schwer sie immer in einer gleichen Staͤr- ke zu erhalten, daß mich nicht wundert, so wenig Personen zu sehen, die darum bekuͤmmert sind. — Wie oft denke ich; wenn ein Mann, wie mein Vater war, den Platz des ersten Ministers haͤtte, die- ser Mann waͤre der verehrungswuͤrdigste und gluͤcklichste der Menschen. Es ist wahr, viele Muͤhseligkeit wuͤrde seine Tage begleiten; doch die Betrach- tung des großen Kreises, in welchem er seine Talente und sein Herz zum Besten vieler tausend Lebenden und Nachkommen- den verwenden koͤnnte; diese Aussicht, die schoͤnste fuͤr eine wahrhafterhabne und guͤtige Seele, muͤßte ihm alles leicht und angenehm machen. Die Kenntniß des menschlichen Herzens wuͤrde seinem feinem Geiste Geiste den Weg weisen, das Vertrauen des Fuͤrsten zu gewinnen; seine Rechtschaf- fenheit, tiefe Einsicht und Staͤrke der Seele, faͤnden dadurch ihre natuͤrliche Obermacht unterstuͤtzt, so daß die uͤbrigen Hof- und Dienstleute sich fuͤr den Zuͤgel und das Leitband des weisen und tugend- haften Ministers eben so lenksam zeigen wuͤrden, als man sie taͤglich bey den Un- vollkommenheiten des Kopfs und den Feh- lern des Herzens derjenigen sieht, von welchen sie Gluͤck und Befoͤrderung er- warten. So, meine Emilia, beschaͤfftigt sich meine Seele oft, seitdem ich von den Umstaͤnden, dem Charakter und den Pflich- ten dieser oder jener Person unterrichtet bin. Meine Phantasie stellt mich nach der Rei- he an den Platz derer, die ich beurtheile; dann messe ich die allgemeinen moralischen Pflichten, die unser Schoͤpfer jedem Men- schen, wer er anch sey, durch ewige un- veraͤnderliche Gesetze auferlegt hat, nach dem Vermoͤgen und der Einsicht ab, so diese Person hat, sie in Ausuͤbung zu bringen. Auf diese Weise, war ich schon Fuͤrst, Fuͤrst, Fuͤrstin, Minister, Hofdame, Fa- vorit, Mutter von diesen Kindern, Ge- mahlin jenes Mannes, ja sogar auch einmal in dem Platz einer regierenden und alles fuͤhrenden Maitresse; und uͤberall fand ich Gelegenheit auf mannichfaltige Weise Guͤte und Klugheit auszuuͤben, oh- ne daß die Charakter oder die politische Umstaͤnde in eine unangenehme Einfoͤr- migkeit gefallen waͤren. Bey vielen ha- be ich Jdeen und Handlungen angetroffen, deren Richtigkeit, Guͤte und Schoͤnheit ich so leicht nicht haͤtte erreichen, noch weni- ger verbessern koͤnnen; aber auch bey vie- len war ich mit meinem Kopf und Herzen besser zufrieden als mit dem Jhrigen. Natuͤrlicher Weise fuͤhrte mich die Billig- keit nach diesen phantastischen Reisen mei- ner Eigenliebe auf mich selbst, und die Pflichten zuruͤck, die mir auszurichten angewiesen sind. Sie verband mich so genau und streng in Berechnung meiner Talente und Kraͤfte fuͤr meinen Wuͤrkungs- Kreis zu seyn, als ich es gegen andre war; und dadurch, meine Emilia, habe ich ich eine Quelle entdeckt, meine Aufmerk- samkeit auf mich selbst zu verstaͤrken, Kenntnisse, Empfindung und Ueberzeugung des Guten tiefer in mein Herz zu graben, und mich von Tag zu Tag mehr zu verst- chern, wie sehr ein großer Beobachter der menschlichen Handlungen, recht hatte, zu behaupten: „daß sehr wenige Personen seyn, welche das ganze Maaß ihrer mora- lischen und physikalischen Kraͤfte nuͤtzten.“ Denn in Wahrheit, ich habe viele leere Stellen in dem Cirkel meines Lebens ge- funden, zum Theil auch solche, die mit verwerflichen Sachen und nichts werthen Kleinigkeiten ausgefuͤllt waren. Das soll nun weggeraͤumet werden, und weil ich nicht unter der gluͤcklichen Classe von Leu- ten bin, die gleich von Haus aus ganz klug, ganz gut sind; so will ich doch un- ter die gehoͤren, die durch Wahrnehmun- gen des Schadens der andern, weise und rechtschaffen werden; um ja nicht unter die zu gerathen, welche nur durch Erfahrung und eignes Elend, besser wer- den koͤnnen. Fraͤulein Fraͤulein von Sternheim an Emilien. J ch danke Jhnen, meine wahre Freun- din, daß Sie mich an den Theil meiner Erziehung zuruͤckgewiesen, der mich an- fuͤhrte, mich an den Platz der Personen zu stellen, wovon ich urtheilen wollte; aber nicht allein, um zu sehen, was ich in ihren Umstaͤnden wuͤrde gethan haben, sondern auch mir die so noͤthige menschen- freundliche Behutsamkeit zu geben, „nicht „alles was meinen Grundsaͤtzen, meinen „Neigungen zuwider ist, als boͤse oder „niedrig anzusehen.“ Sie haben mich daran erinnert, weil Jhnen meine Unzu- friedenheit mit den Hofleuten zu unbillig und zu lebhaft und beynahe ungerecht schien. Jch habe Jhnen gefolgt, und da- durch die zwote Quelle meiner Verbesse- rung gefunden, indem ich meine Abnei- gung vor dem Hofe durch die Vorstellung gemaͤßigt, daß gleichwie in der materiel- len Welt alle moͤgliche Arten von Dingen ihren ihren angewiesenen Kreis haben, darinn sie alles antreffen, was zu ihrer Vollkom- menheit beytragen kann: so moͤge auch in der moralischen Welt das Hofleben der Kreis seyn, in welchem allein gewisse Faͤ- higkeiten unsers Geistes und Koͤrpers ihre vollkommene Ausbildung erlangen koͤn- nen; als z. E. die hoͤchste Stufe des fei- nen Geschmacks in allem was die Sinnen ruͤhrt, und von der Einbildungskraft ab- haͤngt; dahin nicht allein die unendliche Menge Sachen aller Kuͤnste und beynahe aller Nothduͤrftigkeiten von Nahrung, Kleidung, Geraͤthschaft, nebst allen Ar- ten von Verzierungen gehoͤren, deren alle Gattungen von aͤußerlichen Gegenstaͤnden faͤhig sind, sich beziehen. Der Hof ist auch der schicklichste Schauplatz die außer- ordentliche Biegsamkeit unsers Geistes und Koͤrpers zu beweisen; eine Faͤhigkeit die sich daselbst in einer unendlichen Menge feiner Wendungen in Gedanken, Aus- druck und Gebehrden, ja selbst in mora- lischen Handlungen aͤußert, je nach dem Politik, Gluͤck oder Ehrgeiz von einer oder andern andern Seite eine Bewegung in der Hof- luft verursachen. Viele Theile der schoͤ- nen Wissenschaften haben ihre voͤllige Aus- polirung in der großen Welt zu erhalten; gleichwie Sprachen und Sitten allein von den da wohnenden Grazien eine ausgesuch- te angenehme Einkleidung bekommen. Alles dieses sind schaͤtzbare Vorzuͤge, die auf einen großen Theil der menschlichen Gluͤckseligkeit ihren Einfluß haben, und wohl ganz sicher Bestandtheile davon ausmachen. Das Pflanzen- und Thier- reich hat seine Zuͤge von Schoͤnheit und Zierlichkeit in Form, Ebenmaß und Far- benmischung; auch die rauhesten Natio- nen haben Jdeen von Verschoͤnerung. Unser Gesicht, Geschmack und Gefuͤhl sind, auch nicht umsonst mit so großer Em- pfindlichkeit im Vergleichen, Waͤhlen, Verwerfen und Zusammensetzen begabt, so daß es ganz billig ist, diese Faͤhigkeiten zu benutzen, wenn nur die Menschen nicht so leicht und so gerne uͤber die Grenzen traͤten, die fuͤr alles gezogen sind. Doch wer weiß, ob nicht selbst dieses Ueber- schreiten schreiten der Grenzen seine Triebfeder in der Begierde nach Vermehrung der Voll- kommenheit unsers Zustandes hat? Einer Begierde, die der groͤßte Beweis der Guͤ- te unsers Schoͤpfers ist, weil sie, so sehr sie in gesunden und gluͤcklichen Tagen ir- rig und uͤbel verwendet wird, dennoch im Ungluͤck, in dem Zeitpunkt, der Aufloͤsung unsers Wesens, ihre Aussicht und Hoff- nung auf eine andere Welt, und dort im- mer daurende unabaͤnderliche Gluͤckselig- keiten und Tugenden wendet, und da- durch allein einen Trost ertheilt, welchen alle andre Huͤlfsmittel nicht geben koͤn- nen. Sie denken leicht, meine Emilia, in wie viel Stunden des Nachdenkens und Ueberlegens sich alle diese, hier nur fluͤchtig beruͤhrte Gegenstaͤnde abtheilen lassen, und Sie sehen auch, daß mir da- bey, neben den uͤbrigen Zerstreuungen, die mir das Haus meiner Tante giebt, kein Augenblick zu Langerweile bleibt. Nun will ich Sie zu dem Stuͤck urba- ren Erdreichs fuͤhren, das ich angetrof- fen habe. Dieses geschah auf dem Land- N guthe guthe des Grafen von F*. Eine Brun- nencur, deren sich die Graͤfin bedient, gab Gelegenheit, daß wir auf ein paar Tage zu einem Besuch dahin reisten. Meine Tante hatte die Graͤfin B* und das Fraͤulein R. auch hin bestellt, und der Zufall brachte den Lord Derby dazu. Guth, Haus und Garten ist sehr schoͤn. Die Damen hatten viele kleine weibliche Angelegenheiten unter sich auszumachen; man schickte also das Fraͤulein R. und mich mit Herrn Derby auf einen Spa- ziergang. Erst durchliefen wir das gan- ze Haus und den Garten, wo Milord in Wahrheit ein angenehmer Gesellschaf- ter war, indem er uns von der Verschie- denheit unterhielt, die der Nationalgeist eines jeden Volks in die Bauart und die Verzierungen legte. Er machte uns Be- schreibungen und Vergleichungen von Englischen, Jtalienischen und Franzoͤsi- schen Gaͤrten und Haͤusern, zeichnete auch wohl Eines und das Andere mit einer un- gemeinen Fertigkeit und ganz artig ab. Kurz, wir w a ren mit unserm Spazier- gang gang so wohl zufrieden, daß wir Abrede nahmen, den andern Tag nach dem Fruͤh- stuͤck auf das freye Feld und in dem Dor- fe herumzugehen. Es waren zween gluͤckliche Tage fuͤr mich. Landluft, freye Aussicht, Ruhe, schoͤne Natur, der Segen des Schoͤpfers auf Wiesen und Kornfeldern, die Aemsig- keit des Landmanns. — Mit wie viel Zaͤrtlichkeit und Bewegung heftete ich mei- ne Blicke auf dieß alles! Wie viel Erin- nerungen brachte es in mein Herz von verflossenen Zeiten, von genossener Zufrie- denheit! Wie eifrig machte ich Wuͤnsche fuͤr meine Unterthanen; fuͤr Segen zu ihrer Arbeit, und fuͤr die Zuruͤckkunft meiner Tante R.! Sie wissen, meine Emilia, daß mein Gesicht allezeit die Em- pfindungen meiner Seele ausdruͤckt. Jch mag zaͤrtlich und geruͤhrt ausgesehen ha- ben; der Ton meiner Stimme stimmte zu diesen Zuͤgen. Aber Lord Derby erschreck- te mich beynahe durch das Feuer, mit dem er mich betrachtete, durch den Eifer und die Hastigkeit, womit er mich bey der N 2 Hand Hand faßte, und auf englisch sagte. „Gott! wenn die Liebe einmal diese Brust „bewegt, und diesen Ausdruck von zaͤrtli- „cher Empfindung in diese Gesichtszuͤge „legt, wie groß wird das Gluͤck des Man- „nes seyn, der — — Meine Verwirrung, die Art von Furcht, die er mir gab, war eben so sichtbar, als meine vorige Bewegungen; sogleich hielt er in seiner Rede inne, zog seine Hand ehrerbietig zuruͤck, und suchte in allem sei- nem Bezeugen den Eindruck, von Heftig- keit seines Charakters, zu mildern, den er mir gegeben hatte. Wir giengen in die Hauptgasse des schoͤnen Dorfs; da wir in der Haͤlfte wa- ren, mußten wir einem Karrn auswei- chen, der hinter uns gefahren kam. Er war mit einer dichten Korbflechte bedeckt, doch sah man eine Frau mit drey ganz jungen Kindern darinn. Die ruͤhrende Traurigkeit, die ich auf dem Gesichte der Mutter erblickte, das blasse, hagere Aus- sehen der Kinder, die reinliche, aber sehr schlechte Kleidung von allen, zeugte von Armuth Armuth und Kummer dieser kleinen Fami- lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor- stellung ihrer Noth und die Begierde zu helfen, wurden gleich stark. Froh sie an dem Wirthshause absteigen zu sehen, be- dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor, ich kennte diese Frau und wollte etwas mit ihr reden; und bat den Lord Derby, das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich wieder kaͤme. Er sah mich daruͤber mit ei- nem ernsthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den Theil seines Ermels, wo ich im Eifer meine Hand auf seinen Arm gelegt hatte. Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa- milie. Bey dem Eintritt in das Haus fand ich alle im Gang an einer Stiege sitzen; die Frau mit weinenden Augen beschaͤfftigt aus einem kleinen Sack ein seiden Hals- tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die sie der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld genug zu bekommen den Fuhrmann zu be- zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod und Milch; ich faßte mich, so aͤußerst geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und sagte N 3 der der armen Frau mit der Miene einer Be- kannten, es waͤre mir lieb sie wieder zu sehen. Jch that dieses, um ihr die Ver- wirrung zu vermeiden, die ein empfindli- ches Herz fuͤhlt, wenn es viele Zeugen seines Elends hat, und weil der Uugluͤck- liche eine Art von Achtung, so ihm Ange- sehene und Beguͤterte erweisen, auch als einen Theil Wohlthat aufnimmt. Jch sagte der Wirthin, sie sollte mir ein Zim- mer anweisen, in welchem ich mit der Frau allein reden koͤnnte, und bestellte, den Kindern ein Abendbrod zu rechte zu machen. Waͤhrend ich dieses sagte, machte die Wirthin ein Zimmer auf, und die gute arme Frau, stund mit ihrem klei- nen Kind im Arm da, und sah mich mit fremden Erstaunen an. Jch reichte ihr die Hand und bat sie in das Zimmer zu gehen, wohin ich die zwey aͤltern Kin- der fuͤhrte. Da ich die Thuͤre zugemacht, leitete ich die zitternde Mutter zu einem Stuhl, mit dem Zeichen sich zu setzen; bat sie ruhig zu seyn, und mir zu verge- ben, daß ich mich ihr so zudringe. Jch wollte wollte auch nicht unbescheiden mit ihr han- deln; sie solle mich fuͤr ihre Freundin an- sehen, die nichts anders wuͤnsche, als ihr an einem fremden Orte nuͤtzlich zu seyn. Eine Menge Thraͤnen hinderten sie zu reden, dabey sah sie mich mit einem von Hoffnung und Jammer bezeichneten Gesichte an. Jch reichte ihr wehmuͤthig die Hand. Sie leiden fuͤr Sie und Jhre Kinder unter einem harten Schicksal, sagte ich; ich bin reich und unabhaͤngig, mein Herz kennt die Pflichten, welche Menschlichkeit und Religion den Beguͤterten auflegen; goͤn- nen Sie mir das Vergnuͤgen diese Pflich- ten zu erfuͤllen, und Jhren Kummer zu erleichtern. Jndem ich dieses sagte, nahm ich von meinem Gelde, bat sie, es anzu- nehmen, und mir den Ort ihres Aufent- halts zu sagen. Die gute Frau ruͤtsche von ihrem Stuhle auf die Erde, und rief mit aͤußerster Bewegung aus: O Gott, was fuͤr ein edles Herz laͤßt du mich antreffen! N 4 Die Die zwey groͤßern Kinder liefen der Mutter zu, fielen um ihren Hals und fiengen an zu weinen. Jch umarmte sie, hob sie auf, umfaßte die Kinder, und bat die Frau sich zu fassen und stille zu re- den. Es sollte hier niemand als ich, ihr Herz und ihre Umstaͤnde kennen; sie sollte glauben, daß ich mich gluͤcklich achten wuͤrde, ihr Dienste zu beweisen; voritzt aber wollte ich nichts als den Ort ihres Aufenthalts wissen, und ihr meinen Nah- men aufschreiben, welches ich auch sogleich mit Reißbley that, und ihr das Papier uͤberreichte. Sie sagte mir, daß sie wieder nach D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge, nachdem sie von einem Bruder, zu dem sie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge- wiesen worden waͤre. Sie wollte mir alle Ursachen ihres Elends aufschreiben, und sich dann meiner Guͤte in Beurthei- lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die- sem las sie mein Papier. Sind Sie das Fraͤulein von Sternheim? O was ist der heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Frau des des ungluͤcklichen Raths T. Wenn Sie mich ihrer Tante, der Graͤfin L. nennen, so verliehre ich vielleicht Jhr Mitleiden; aber verdammen Sie mich nicht unge- hoͤrt! — Dieß sagte sie mit gefalteten Haͤnden. Jch versprach es ihr gerne, umarmte sie und die Kinder, und nahm Abschied mit dem Verbot, daß sie nichts von mir reden, und die Wirthin glauben lassen sollte, daß wir einander kenneten. Jm Weggehen befahl ich der Wirthin, der Mutter und den Kindern gute Betten, Essen, und den folgenden Morgen eine gute Kut- sche zu geben, ich wollte fuͤr die Bezahlung sorgen. Milord und das Fraͤulein R. waren in den Garten des Wirthshauses, wo ich sie antraf und ihnen fuͤr die Ge- faͤlligkeit dankte, daß sie auf mich gewar- tet haͤtten. Mein Gesicht hatte den Aus- druck des Vergnuͤgens etwas Gutes gethan zu haben; aber meine Augen waren noch roth von Weinen. Der Lord sah mich oft und ernsthaft an, und redete den ganzen uͤbrigen Spaziergang sehr wenig mit mir, sondern unterhielt das Fraͤulein R.; dieß N 5 war war mir desto angenehmer, weil es mich an einen Entwurf denken ließ, dieser gan- zen Familie so viel mir moͤglich aufzuhelfen, und dieß, meine Emilia, ist das Stuͤck urbaren Erdreichs so ich angetroffen: wo ich Sorgen, Freundschaft und Dienste aussaͤen will. Die Erndte und der Nu- tzen soll den drey armen Kindern zu gute kommen. Denn ich hoffe, daß die Ael- tern der Pflichten der Natur getreu genug seyn werden, um davon keinen andern Gebrauch, als zum Besten ihrer unschul- digen und ungluͤcklichen Kinder zu machen. Gelingt mir alles was ich thun will, und was mir mein Herz angiebt, so will ich meinen Aufenthalt segnen; dann nun ach- te ich die Zeit, die ich hier bin, nicht mehr fuͤr verlohren. Jch soll in wenigen Ta- gen von den Ursachen des Ungluͤcks die- ser Familie Nachricht erhalten, nach dem werde ich erst eigentlich wissen, was ich zu thun habe. Der Rath T* ist sehr krank, deswegen konnte die Frau noch nicht schreiben. Vorgestern kamen wir zuruͤck. Milord Milord Derby an Milord B* in Paris. D u bist begierig den Fortgang meiner angezeigten Jntrigue zu wissen. Jch will dir alles sagen. Weil man doch immer einen Vertrauten haben muß; so kannst du diese Ehrenstelle vertreten, und dabey fuͤr dich selbst lernen. Laß dir nicht einfallen zur Unzeit ein dummes Gelaͤchter anzufangen, wenn ich dir frey bekenne, daß ich noch nicht viel wuͤrde gewonnen haben, wenn der Zu- fall nicht mehr als mein Nachdenken und die feinste Wendung meines Kopfs zu Be- foͤrderung meiner Absichten beygetragen haͤtte. Jch bin damit zufrieden; denn meine Liebesgeschichte stehet dadurch in der nehmlichen Classe, wie die Staatsgeschaͤff- te der Hoͤfe; der Zufall thut bey vielen das Meiste, und die Weisheit manches Mi- nisters besteht allein darinn, durch die Kenntniß der Geschichte der vergangenen und gegenwaͤrtigen Staaten, diesen Au- genblick genblick des Zufalls zu benutzen, und die uͤbrige Welt glauben zu machen, daß es die Arbeit seiner tiefen Einsichten gewesen sey. Es gehoͤrt immer noch viele Einsicht dazu, den Zufall so wohl zu benutzen, und vielleicht mehr, als einen wohlausgedachten Entwurf zu machen. Aber das ist der große Haufe nicht faͤ- hig zu begreifen: und daher pflegt man ihn im- mer gerne glauben zu lassen, was, seinen Begrif- fen nach, denen die ihn regieren die meiste Ehre macht. Die Welt wird nur darum so viel betro- gen, weil sie betrogen seyn will. A. d. H. Nun sollst du sehen, wie ich diese Aehnlichkeit gefunden, und wie ich mir eine unvorgesehene Gelegenheit durch die Historie der Leidenschaften und die Kennt- niß des weiblichen Herzens zu bedienen gewußt habe. Jch war vor einigen Tagen in einer ungeduldigen Verlegenheit uͤber die Aus- wahl der Mittel, die ich brauchen muͤßte, um das Fraͤulein von Sternheim zu ge- winnen. Haͤtte sie nur gewoͤhnlichen Witz und gewoͤhnliche Tugend, so waͤre mein mein Plan leicht gewesen; aber da sie ganz eigentlich nach Grundsaͤtzen denkt und handelt, so ist alles, wodurch ich sonst gefiel, bey ihr verlohren. Besitzen muß ich sie, und das mit ihrer Einwilligung. Dazu gehoͤrt, daß ich mir ihr Vertrauen und ihre Neigung erwerbe. Nun bleibt mir nichts uͤbrig, als mir, wie der Mi- nister, zufaͤllige Anlaͤsse nuͤtzlich zu machen. Von beyden erfuhr ich letzthin die Probe auf dem Landguth der Graͤfin F*. Jch wußte, daß das Fraͤulein mit ihrer Tan- te auf etliche Tage hingieng, und fand mich auch ein. Jch kam zweymal mit meiner Goͤttin und dem Fraͤulin R. allein auf den Spaziergang, und hatte Anlaß etwas von meinen Reisen zu erzaͤhlen. Du weißt, daß meine Augen gute Beob- achter sind, und daß ich manche halbe Stunde ganz artig schwatzen kann. Der Gegenstand war von Gebaͤuden und Gaͤr- ten. Das Fraͤulein von Sternheim liebt Verstand und Kenntnisse. Jch machte mir ihre Aufmerksamkeit ganz vortheil- haft zu nutze, und habe ihre Achtung fuͤr meinen meinen Verstand so weit erhalten, daß sie eine Zeichnung zu sich nahm, die ich waͤh- render Erzaͤhlung von einem Garten in England machte. Sie sagte dabey zu Fraͤulein R. „Dieses Papier will ich zu „einem Beweis aufheben, daß es Cava- „liere giebt, die zu ihrem Nutzen, und „zum Vergnuͤgen ihrer Freunde reisen.“ Dieß ist ein wichtiger Schritt, der mich weit genug fuͤhren wird. Keine laͤcher- liche Grimasse, dummer Junge, daß du mich uͤber diese Kleinigkeit froh siehst, da ich es sonst kaum uͤber den ganzen Sieg war; ich sage dir, das Maͤdchen ist aus- serordentlich. Aus ihren Fragen bemerk- te ich eine vorzuͤgliche Neigung fuͤr Eng- land, die mir ohne meine Bemuͤhung von selbst Dienste thun wird. Jch redete ver- gnuͤgt und ruhig fort; denn da sie durch die gleichguͤltigen Gegenstaͤnde unserer Un- terredung zufrieden und vertraut wurde, so huͤtete ich mich sehr, meine Liebe, und eine besondere Aufmerksamkeit zu entdecken. Aber bald waͤre ich aus meiner Fassung gerathen, weil ich eine Veraͤnderung der Stimme Stimme und Gesichtszuͤge des Fraͤuleins von Sternheim wahrnahm. Sie schien bewegt; ihre Antworten waren abgebro- chen; ich redete aber mit Fraͤulein R. so viel ich konnte gleichguͤltig fort, beobach- tete aber die Sternheim genau. Jndem brachte uns ein erhoͤheter Gang in dem Garten auf einen Platz, wo man das freye Feld entdeckte. Wir blieben stehen. Das bezaubernde Fraͤulein von Sternheim heftete ihre Blicke auf eine gewisse Gegend; eine feine Roͤthe uͤberzog ihr Gesicht und ihre Brust, die von der Empfindung des Vergnuͤgens eine schnellere Bewegung zu erhalten schien. Sehnsucht war in ih- rem Gesicht verbreitet, und eine Minute darauf stund eine Thraͤne in ihren Augen. B* alles was ich jemals reizendes an an- dern ihres Geschlechts gesehen, ist nichts gegen den einnehmenden Ausdruck von Empfindung, der uͤber ihre ganze Person ausgegossen war. Kaum konnte ich dem gluͤhenden Verlangen widerstehen, sie in meine Arme zu schließen. Aber ganz zu schweigen war mir unmoͤglich. Jch faßte eine eine ihrer Haͤnde mit einem Arme, der vor Begierde zitterte, und sagte ihr auf englisch: ich weis nicht mehr was; aber die Wuth der Liebe muß aus mir gespro- chen haben; denn ein aͤngstlicher Schre- cken nahm sie ein und entfaͤrbte sie bis zur Todtenblaͤsse. Da war’s Zeit mich zu erholen, und ich befließ mich den gan- zen uͤbrigen Abend recht ehrerbietig und gelassen zu seyn. Mein Taͤubchen ist noch nicht kirre genug, um das Feuer meiner Leidenschaft in der Naͤhe zu sehen. Dieses loderte die ganze Nacht durch in meiner Seele; keinen Augen- blick schlief ich; immer sah’ ich das Fraͤulein vor mir und meine Hand schloß sie zwanzigmal mit der nehmlichen Heftigkeit zu, mit welcher ich die ihrige gefaßt hatte. Rasend dachte ich, Sehn- sucht und Liebe in ihr gesehen zu haben, die einen Abwesenden zum Gegenstand hatten: aber ich schwur mir, sie mit oder ohne ihre Neigung zu besitzen. Wenn sie Liebe, feurige Liebe fuͤr mich be- kommt, so kann es seyn, daß sie mich fes- selt; selt; aber auch kalt, soll sie mein Eigen- thum werden. Der Morgen kam und fand mich wie einen tollen brennenden Narren mit offener Brust und verstoͤrten Gesichtszuͤgen am Fenster. Der Spiegel zeigte mich mir unter einer Satansgestalt, die faͤhig ge- wesen waͤre, das gute furchtsame Maͤd- chen auf immer vor mir zu verscheuchen. Wild uͤber die Gewalt, so sie uͤber mich ge- wonnen, und entschlossen, mich dafuͤr schadlos zu halten, warf ich mich aufs Bette, und suchte einen Ausweg aus die- sem Gemische von neuen Empfindungen und meinen alten Grundsaͤtzen zu finden. Geduld brauchte es auf dem langweiligen Weg, den ich vor mir sah; weil ich nicht wissen konnte, daß der Nachmittag mir zu einem großen Sprung helfen wuͤrde. Als ich wieder in ihre Gesellschaft kam, war ich lauter Sanftmuth und Ehrfurcht; das Fraͤulein stille und zuruͤckhaltend. Nach dem Essen ließ man uns junge Leu- te wieder gehen, weil die Tante und die Graͤfin F* die Charte noch vollends zu O mischen mischen hatten, mit welcher sie das Fraͤu- lein dem Fuͤrsten zuspielen wollten. nach unserer Abrede vom vorigen Tage giengen wir in das Dorf. Als wir gegen das Wirthshaus kamen, wo meine Leute ein- quartiret waren, begegnete uns ein klei- ner Wagen mit einer Frau und Kindern beladen, der langsam vorbey gieng, und uns hinderte vorzukommen. Meine Sternheim sieht die Fran starr an, wird roth, nachdenklich, betruͤbt, alles schier in Einem Anblick, und steht dem Wagen melancholisch nach. Dieser haͤlt an dem Wirthshause, die Leute steigen aus; die Blicke des Fraͤuleins sind unbeweglich auf sie geheftet; Unruhe nimmt sie ein; sie sieht mich und das Fraͤulein R* an, wen- det die Augen weg, endlich legt sie ihre Hand auf meinen Arm, und sagt mir auf englisch mit einem verschoͤnerten Gesichte und bittender zaͤrtlicher Stimme: Lieber Lord, unterhalten Sie doch das Fraͤulein R* einige Augenblicke hier, ich kenne die- se Frau, und will ein paar Worte mit ihr reden. Jch stutzte, machte eine einwilli- gende gende Verbeugung und kuͤßte den Platz mei- nes Rocks, wo ihre Hand gelegen war und mich sanft gedruͤckt hatte. Sie sieht die- ses. Brennendroth und verwirrt eilt sie weg. Was T — dachte ich, muß das Maͤdchen mit dem Weibe haben; sie mag wohl irgend einmal Brieftraͤgerinn, oder sonst eine dienstfertige Creatur in einem verborgenen Liebeshandel gewesen seyn. Gestern nach meiner zaͤrtlichen Anrede war das Maͤdchen stutzig; heute den gan- zen Tag trocken, hoch, sah mich kaum an; ein Bettelkarn fuͤhrt eine Art Kup- plerin herbey, und ihre Gesichtszuͤge ver- aͤndern sich, sie hat mit sich zu kaͤmpfen, und endlich werde ich der liebe Lord, auf den man die schoͤne Hand legt, seinen Arm zaͤrtlich druͤckt, die Stimme, den Blick beweglich macht, um zu einer unge- hinderten Unterredung mit diesem Weibe zu kommen. Hm! Hm! wie siehts mit dieser strengen Tugend aus? Jch haͤtte das Fraͤulein R* in der Mistpfuͤtze ersaͤu- sen moͤgen, um mich in dem Wirthshause zu verbergen und zuzuhoͤren. Diese sieht O 2 der der Sternheim nach; und sagt: Was macht das Fraͤulein in dem Wirthshause? Jch antwortete kurz: sie haͤtte mir gesagt, daß sie diese Bettelfrau kenne, und mit ihr etwas zu reden haͤtte. Sie lacht, schuͤttelt den Kopf mit der Miene des Af- fengesichts, das lang uͤber die Vorzuͤge der Freundin neidisch war, nichts tadeln konnte, und nun eine innerliche Freude uͤber den Schein eines Fehlers fuͤhlte. „Es wird wohl eine alte gute Bekanntin vom Dorfe P. seyn“ zischte die Natter, mit einem Ansehen, als ob sie ganz unter- richtet waͤre. Jch sagte ihr: ich wollte einen meiner Leute horchen lassen, denn ich waͤre selbst uͤber diesen Vorgang in Erstaunen; schickte auch einen nach ihr, und suchte indessen die R* folgends auszu- locken: was sie wohl von Fraͤulein Stern- heim denke? „Daß sie ein wunderliches Gemische „von buͤrgerlichem und adelichem Wesen „vorstellt, und ein wunderlich Gezier von „Delicatesse macht, die sie doch nicht sou- „teniert. Denn was fuͤr ein Bezeugen von „von einer Person vom Stande ist das, „von einer Dame und einem Cavalier weg- „zulaufen, um — ich weis nicht wie ich „sagen soll — eine Frau zu sprechen, die „sehr schlecht aussieht, und die vielleicht „am besten die Art angeben koͤnnte; wie „dieses Herz zu gewinnen ist, ohne daß „die vielen Anstalten und Vorkehrungen „noͤthig waͤren, die man mit ihr macht — Jch sagte wenig darauf, doch so viel, um sie in Athem zu halten, weiter zu reden. Die Genealogie des Fraͤu- leins Sternheim wurde also vorgenom- men, ihr Vater und ihre Mutter ver- laͤumdet, und die Tochter laͤcherlich ge- macht; mehr habe ich nicht behalten, der Kopf war mir warm. Die Sternheim blieb ziemlich lange weg. Endlich kam sie mit einem geruͤhrten, doch zufriednen Gesichte, etwas verweinten Augen und ru- higem Laͤcheln gegen uns, und mit einem Ton der Stimme, so weich, so voll Liebe, daß ich noch toller als vorher wurde, und gar nicht mehr wußte, was ich denken sollte. O 3 Das Das Fraͤulein R* betrachtete sie auf eine beleidigende Weise, und meine Goͤt- tin mochte unsere Verlegenheit gemerkt haben, denn sie schwieg, wie wir, in ei- nem fort, bis wir wieder zu Hause ka- men. Jch eilte Abends fort, um meine Nachrichten zu hoͤren. Da erzaͤhlte mir mein Kerl; Er haͤtte die Wirthin und die Frau heulend uͤber die Guͤte des Fraͤu- leins angetroffen; die Frau sey dem Fraͤu- lein ganz fremd gewesen, haͤtte sich uͤber das Anreden dieser Dame verwundert, und waͤre ihr mit sorgsamem Gesicht in die Stube gefolgt, wohin sie sie mit den Kindern gefuͤhrt. Da haͤtte ihr das Fraͤulein zugesprochen, sie um Ver- gebung uͤber ihr Zudringen gebeten, und Huͤlfe angeboten, auch wuͤrklich Geld gegeben, und nachdem sie erfah- ren, daß sie nach D* gehe, und dort wohne, haͤtte sie ihren Nahmen und Aufenthalt der Frau aufgeschrieben, und ihr auf das liebreichste fernere Dienste versichert, auch bey der Wir- thin eine gute Kutsche bestellt, welche die die Frau und Kinder nach Hause bringen sollte. Jch dachte, mein Kerl oder ich muͤßte ein Narr seyn, und widersprach ihm al- les; aber er fluchte mir die Wahrheit feiner Geschichte; und ich fand, daß das Maͤdchen den wunderlichsten Charakter hat. Was T* wird sie roth und ver- wirrt, wenn sie etwas Gutes thun will; was hatte sie uns zu beluͤgen, sie kenne diese Frau; besorgte sie, wir moͤchten An- theil an ihrer Großmuth nehmen? Aber diese Entdeckung, das Ungefehr, werde ich mir zu Nutze machen; ich will die Familie aufsuchen, und ihr Gutes thun, wie Englaͤnder es gewohnt sind, und dieses, ohne mich merken zu lassen, daß ich etwas von ihr weiß. Aber ge- wiß werde ich keinen Schritt machen, den sie nicht sehen soll. Durch diese Wohl- thaͤtigkeit werde ich mich ihrem Charakter naͤhern, und da man sich allezeit mit ei- ner gewissen zaͤrtlichen Neigung an die Gegenstaͤnde seines Mitleidens und seiner Freygebigkeit heftet; so muß in ihr noth- O 4 wendi- wendiger Weise eine gute Gesinnung fuͤr denjenigen entstehen, der, ohne ein Ver- dienst dabey zu suchen, das Gluͤck in eine Familie zuruͤckrufen hift. Jch werde schon einmal zu sagen wissen, daß ihr ed- les Beyspiel auf mich gewuͤrkt habe, und wenn ich nur eine Linie breit Vortheil uͤber ihre Eigenliebe gewonnen habe, so will ich bald bey Zollen und Spannen weiter gehen. Sie beobachtet mich scharf, wenn ich nahe bey ihr in ein Gespraͤch verwickelt bin. Dieser kleinen List, mich ganz zu kennen, setzte ich die entgegen, allezeit, wenn sie mich hoͤren konnte, etwas ver- nuͤnftiges zu sagen, oder den Discurs ab- zubrechen und recht altklug auszusehen. Aber ob schon ihre Zuruͤckhaltung gegen mich schwaͤcher geworden, so ist es doch nicht Zeit von Liebe zu reden; die Waag- schale zieht noch immer fuͤr Seymour. Jch moͤchte wohl wissen, warum das ge- funde junge Maͤdchen den blassen trau- rigen Kerl meiner frischen Farbe und Fi- gur vorzieht, und seinen kraͤchzenden Ton der der Stimme lieber hoͤrt, als den muntern Laut der meinigen, seine todten Blicke sucht, und mein redendes Auge flieht? Sollte so viel Wasser in ihre Empfindun- gen gegossen seyn? Das wollen wir beym Bal sehen, der angestellt ist, denn da muß eine Luͤcke ihres Charakters zum Vor- schein kommen, wenigstens sind alle moͤg- liche Anstalten gemacht worden, um die tiefschlafendsten Sinnen in eine muntere Geschaͤfftigkeit zu bringen. Deinen Freund wird das Erwachen der ihrigen nicht entgehen, und dann will ich schon Sorge tragen, sie nicht einschlummern zu lassen. Fraͤulein von Sternheim an Emilia. J ch komme von der angenehmsten Reise zuruͤck, die ich jemals mit meiner Tante gemacht habe. Wir waren zehn Tage bey dem Grafen von T *** auf seinem O 5 Schlosse, Schlosse, und haben da die verwittibte Graͤsin von Sch*, welche immer da wohnt, zwey andere Damen von der Nachbarschaft, und zu meiner unbeschreib- lichen Freude den Herrn ** gefunden, dessen vortreffliche Schriften ich schon ge- lesen, und so viel Feines fuͤr mein Herz und meinen Geschmack daraus erlernt hat- te. Der ungezwungene ruhige Ton sei- nes Umgangs, unter welchen er seinen Scharfsinn und seine Wissenschaft ver- birgt; und die Gelassenheit, mit welcher er sich in Zeitvertreibe und Unterredungen einflechten ließ, die der Groͤße feines Ge- nies und seiner Kenntnisse ganz unwuͤr- dig waren, erregten in mir fuͤr seinen leutseligen Charakter die nehmliche Be- wunderung, welche die uͤbrige Welt sei- nem Geiste widmet. Jmmer hoffte ich auf einen Anlaß, den man ihm geben wuͤr- de, uns allen etwas nuͤtzliches von den schoͤnen Wissenschaften, von guten Buͤ- chern, besonders von der deutschen Litera- tur zu sagen, wodurch unsere Kenntnisse und unser Geschmack haͤtte verbessert wer- den den koͤnnen; aber wie sehr, meine Emi- lia, fand ich mich in meiner Hoffnung be- trogen! Niemand dachte daran; die Ge- sellschaft dieses feinen, guͤtigen Weisen fuͤr den Geist zu benuͤtzen; man miß- brauchte seine Geduld uud Gefaͤlligkeit auf eine unzaͤhlbare Art mit geringschaͤtzigen Gegenstaͤnden, auf welchen der Kleinig- keitsgeist haftet, oder mit neu angekom- menen franzoͤsischen Broschuͤren, wobey man ihm uͤbel nahm, wenn er nicht daruͤ- ber in Entzuͤckung gerieth, oder wenn er auch andre Sachen nicht so sehr erhob, als man es haben wollte. O! wie geizte ich nach jeder Minute, die mir dieser hochachtungswerthe Mann schenkte; wenn er mit dem liebreichsten, meiner Wißbe- gierde und Empfindsamkeit angemeßnen Tone meine Fragen beantwortete, oder mir vorzuͤgliche Buͤcher nannte, und mich lehrte, wie ich sie mit Nutzen lesen koͤnne. Mit edler Freymuͤthigkeit sagte er mir einst: „Ob sich schon Faͤhigkeiten und Wissens- „begierde in beynahe gleichem Grade in „meiner Seele zeigten, so waͤre ich doch zu „zu keiner Denkerin gebohren; hingegen „koͤnnte ich zufrieden seyn, daß mich die „Natur durch die gluͤcklichste Anlage den „eigentlichen Endzweck unsers Daseyns zu „erfuͤllen, dafuͤr entschaͤdigt haͤtte; dieser „bestehe eigentlich im Handel, nicht im „Speculieren; Wohlverstanden, daß die Speculationen der Gelehrten , so bald sie einigen Nutzen fuͤr die menschliche Gesellschaft haben, eben dadurch den Werth von guten Handlungen bekommen. H. und da ich die Luͤcken, „die andre in ihrem moralischen Leben „und in dem Gebrauch ihrer Tage ma- „chen, so leicht und fein empfaͤnde, so „sollte ich meine Betrachtungen daruͤber „durch edle Handlungen, deren ich so faͤ- „hig sey, zu zeigen suchen. Herr** (den wir zu kennen die Ehre ha- ben) hat uns auf Befragen gesagt, seine Mey- nung sey eigentlich diese gewesen: Er habe an dem Fraͤulein von St. eine gewisse Neigung uͤber moralische Dinge aus allgemeinen Grundsaͤtzen zu raisonniren, Distinctionen zu machen, und ihren Gedanken eine Art von systematischer Form zu geben, Niemals Niemals, meine Emilia, war ich gluͤck- licher, als zu der Zeit, da dieser einsichts- volle Ausspaͤher der kleinsten Falten des menschlichen Herzens, dem meinigen das Zeugniß edler und tugendhafter Neigun- gen beylegte. Er verwies mir, mit der achtsamsten Guͤte, meine Zaghaftigkeit und Zuruͤckhaltung in Beurtheilung der Werke des Geistes, und schrieb mir eine rich- tige Empfindung zu, welche mich berech- tigte meine Gedanken so gut als andre zu sagen. Doch bat er mich weder im Re- den noch im Schreiben einen maͤnnlichen Ton zu suchen. Er behauptete, daß es die Wirkung eines falschen Geschmacks sey, maͤnnliche Eigenschaften des Geistes und geben, wahrgenommen, und zugleich gesunden, daß ihr gerade dieses am wenigsten gelingen wolle. Jhn habe beduͤnkt, das, worinn ihre Staͤrke liegt, sey die Feinheit der Empfindung, der Beobach- tungsgeist, und eine wunderbare, und gleichsam zwischen allen ihren Seelenkraͤften abgeredete Ge- schaͤfftigkeit derselben, bey jeder Gelegenheit die Guͤte ihres Herzens thaͤtig zu machen; und dieses habe er eigentlich dem Fraͤulein von St. sagen wollen. H. und Charakters in einem Frauenzimmer vorzuͤglich zu loben. Wahr sey es, daß wir uͤberhaupt gleiche Anspruͤche, wie die Maͤnner, an alle Tugenden und an alle die Kenntnisse haͤtten, welche die Ausuͤ- bung derselben befoͤrdern, den Geist auf- klaͤren oder die Empfindungen und Sit- ten verschoͤnern; aber daß immer in der Ausuͤbung davon die Verschiedenheit des Geschlechts bemerkt werden muͤsse. Die Natur selbst habe die Anweisung hiezu ge- geben, als sie, z. E. in der Leidenschaft der Liebe den Mann heftig, die Frau zaͤrtlich gemacht; in Beleidigungen Jenen mit Zorn, Diese mit ruͤhrenden Thraͤnen bewaffnet; zu Geschaͤfften und Wissenschaf- ten dem maͤnnlichen Geiste Staͤrke und Tiefsinn, dem weiblichen Geschmeidigkeit und Anmuth; in Ungluͤcksfaͤllen dem Man- ne Standhaftigkeit und Muth, der Frau Geduld und Ergebung, vorzuͤglich mitge- theilt; im haͤuslichen Leben Jenem die Sorge fuͤr die Mittel der Familie zu er- halten, und Dieser die schickliche Austhei- lung derselben aufgetragen habe, u. s. w. Auf Auf diese Weise, und wenn ein jeder Theil in seinem angewiesnen Kreise bliebe, lie- fen beyde in der nehmlichen Bahn, wie- wohl in zwoen verschiedenen Linien, dem Endzweck ihrer Bestimmung zu; oh- ne daß durch eine erzwungene Mischung der Charakter die moralische Ordnung ge- stoͤrt wuͤrde. — Er suchte mich mit mir selbst und meinem Schicksale, uͤber wel- ches ich Klagen fuͤhrte, zufrieden zu stel- len; und lehrte mich, immer die schoͤne Seite einer Sache zu suchen, den Ein- druck der widrigen dadurch zu schwaͤ- chen, und auf diese nicht mehr Aufmerk- samkeit zu wenden, als vonnoͤthen sey, den Reiz und Werth des Schoͤnen und Guten desto lebhafter zu empfinden. O Emilia! in dem Umgang dieses Mannes sind die besten Tage meines Gei- stes verflossen! Es ist etwas in mir, das mich empfinden laͤßt, daß sie nicht mehr zuruͤck kommen werden, daß ich niemals so gluͤcklich seyn werde, nach meinen Wuͤnschen und Neigungen, so einfach, so wenig fodernd sie sind, leben zu koͤnnen! Schelten Schelten Sie mich nicht gleich wieder uͤber meine zaͤrtliche Kleinmuͤthigkeit; viel- leicht ist die Abreise des Herrn** daran Ursache, die fuͤr mich eine abscheuliche Leere in diesem Hause laͤßt. Er kommt nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme einen verfallenen Platz besuchen, wo ehe- mals ein Heiliger wohnte, besucht er die- ses Haus, um noch den Schatten des großen Mannes zu verehren, der hier leb- te, dessen großen Geist und erfahrne Weisheit er bewunderte, der sein Freund war und ihn zu schaͤtzen wußte. Den Tag nach seiner Abreise langte ein kleiner franzoͤsischer Schriftsteller an, den ein Mangel an Pariser Gluͤck und die seltsame Schwachheit unsers Adels „ Die franzoͤsische Belesenheit „immer der Deutschen vorzuziehen “ in dieses Haus fuͤhrte. Die Damen machten viel Wesens aus der Gesellschaft eines Mannes, der geraden Weges von Paris kam, viele Marquisinnen ge- sprochen hatte, und ganze Reihen von Abhandlungen uͤber Moden, Manieren und und Zeitvertreiber der schoͤnen Pariser Welt zu machen wußte; der bey allen Frauenzimmerarbeiten helfen konnte, und der galanten Wittib sein Erstaunen uͤber die Delicatesse ihres Geistes und uͤber die Grazien ihrer Person und ihrer gar nicht deutschen Seele in allen Toͤnen und Wendungen seiner Sprache vorsagte. So angenehm es mir Anfangs war, ein Urbild der Gemaͤhlde zu sehen, die mir schon oft in Buͤchern von diesen Miethgei- stern der Reichen und Großen in Frank- reich vorgekommen waren; so wurde ich doch schon am vierten Tag seiner leeren, und nur in andern Worten wiederhohlten Erzaͤhlungen von Meubles, Putz, Gaste- reyen und Gesellschaften in Paris herzlich muͤde. Aber die Scene wechselte bey der Ruͤckkunft des Herrn** der sich die Muͤ- he nahm, diesen aus Frankreich berufe- nen Hausgeist an den Platz seiner Bestim- mung zu setzen. Das Gepraͤnge, womit das sclavische Vorurtheil, so unser Adel fuͤr Frankreich hat, dem Herrn ** den Pariser vorstell- P te; te; das Gezier, die Selbstzufriedenheit, womit der Franzose sich als den Autor sehr artiger und beliebter Buͤchergen an- preisen hoͤrte, wuͤrde meine Emilia, wie mich, geaͤrgert haben. Aber wie schoͤn leuchtete die Bescheiden- heit unsers weisen Landmanns hervor, der mit der Menschenfreundlichkeit, womit der aͤchte Philosoph die Thoren zu ertra- gen pflegt, den Eindruck verhehlte, den der fade bel-esprit auf ihn machen mußte, ja sogar sich mit wahrer Herablassung erinnerte, eines von seinen Schriftchen ge- lefen zu haben. Mir schien der ganze Vorgang, als ob ein armer Prahler mit laͤcherlichem Stolze den edeln Besitzer einer Goldmine ein Stuͤckgen zackigt ausgeschnittenes Flit- tergold zeigte, es zwischen seinen Fingern hin und her wendete, und sich viel mit dem Geraͤusche zu gute thaͤte, so er da- mit machen koͤnnte, und wozu freylich der Vorrath gediegenen Goldes des edelmuͤthi- gen Reichen nicht tauglich ist; aber dieser laͤchelte den Thoren mit seinem Spielwerk leutselig leutselig an, und daͤchte, es schimmert und toͤnt ganz artig, aber du mußt es vor dem Feuer der Untersuchung und dem Wasser der Wiederwaͤrtigkeit Jch habe so viel Wahres und zugleich bem eigenthuͤmlichen Charakter des Geistes des Fraͤu- lein von St. so angemessenes in diesem Gleichnis- se gefunden, daß ich mich nicht entschließen konn- te, etwas davon zu aͤndern, ungeachtet ich sehr wohl empfinde, daß das Feuer der Untersuchung und das Wasser der Widerwaͤrtigkeit keine Gna- de vor der Critik finden koͤnnen, und wuͤrklich in Bunyans Pilgrimsreise besser an ihrem Platze sind, als in diesem Buche. H. bewahren, wenn dein Vergnuͤgen dauerhaft seyn soll. Herr ** fragte den Bel-esprit nach den großen Maͤnnern in Frankreich, de- ren Schriften er gelesen haͤtte und hoch- schaͤtzte: aber er kannte sie, wie wir an- dern, nur dem Nahmen nach, und schob immer anstatt eines Mannes von gelehr- ten Verdiensten, den Nahmen eines rei- chen oder großen Hauses ein. Jch, die schon lange uͤber den uͤbeln Gebrauch, den man von der Gesellschaft P 2 und und Gefaͤlligkeit des Herrn ** machte, erboßt war, zumal da ihn dem ungeach- tet alle um sich haben wollten, und mich wie neidischsumsende Wespen hinderten, etwas Honig fuͤr mich zu sammeln, auch nur den Pariser immer reden machten: ich warf endlich die Frage auf: Was fuͤr einen Gebrauch die franzoͤsischen Damen von dem Umgang ihrer Gelehrten mach- ten? Jch vernahm aus der Antwort: Sie lernten von ihnen „Die Schoͤnheiten der Sprache und des Ausdrucks; „Von allen Wissenschaften eine Jdee zu haben, um hie und da etliche Worte in die Unterredung mischen zu koͤnnen, die ihnen den Ruhm vieler Kenntnisse er- haschen haͤlfen: „Wenigstens die Nahmen aller Schrif- ten zu wissen, und etwas das einem Ur- theil gleiche daruͤber zu sagen; „Sie besuchten auch mit ihnen die oͤf- fentlichen physicalischen Lehrstunden, wo sie ohne viele Muͤhe, sehr nuͤtzliche Be- griffe sammelten; Jnglei- „Jngleichem die Werkstaͤtte der Kuͤnst- ler, deren Genie fuͤr Pracht und Vergnuͤ- gen arbeitet, und alles dieses truͤge viel dazu bey, ihre Unterredungen so ange- nehm und abwechselnd zu machen. Da fuͤhlte ich mit Unmuth die vor- zuͤgliche Klugheit der franzoͤsischen Eigen- liebe, die sich in so edle nuͤtzliche Aus- wuͤchse verbreitet. Jmmer genug, wenn man begierig ist die Bluͤthe der Baͤume zu kennen; bald wird man auch den Wachs- thum und die Reife der Fruͤchte erforschen wollen. Wie viel hat diese Nation voraus, denn nichts wird schneller allgemein als der Geschmack des Frauenzimmers. Warum brachten seit so vielen Jahren die meisten unserer Cavaliere von ihren Pa- riser Reisen ihren Schwestern und Ver- wandtinnen, unter tausenderley verderb- lichen Modenachrichten, nicht auch diese mit, die alles andere verbessert haͤtte? Aber da sie fuͤr sich nichts als laͤcherliche und schaͤdliche Sachen sammeln, wie soll- P 3 ten ten sie das Anstaͤndige und Nutzbare fuͤr uns suchen? Jch berechnete noch uͤber dieß den Ge- winn, den selbst das Genie des Gelehrten durch die Fragen der lehrbegierigen Un- wissenheit erhaͤlt, die ihn oft auf Betrach- tung und Nachdenken uͤber eine neue Sei- te gewisser Gegenstaͤnde fuͤhrt, die er als gering uͤbersah, oder die, weil sie allein an das Reich der Empfindungen graͤnzte, von einem Frauenzimmer eher bemerkt wurde, als von Maͤnnern. Gewiß ist es, daß die Bemuͤhung, andre in einer Kunst oder Wissenschaft zu unterrichten, unsere Begriffe feiner, deutlicher und vollkomme- ner macht. Ja, sogar des Schuͤlers verkehrte Art etwas zu fassen, die einfaͤl- tigsten Fragen desselben, koͤnnen der An- laß zu großen und nuͤtzlichen Entdeckun- gen werden; wie diese von dem Gaͤrtner zu Florenz, uͤber die bey abwechselnder Witterung bemerkte Erhoͤhung oder Er- niedrigung des Wassers in seinem Brun- nen, die vortreffliche Erfindung des Ba- ronets veranlaßte. Aber ich komme zu weit weit von dem liebenswuͤrdigen Deutschen weg, dessen feines und mit unendlichen Kenntnissen bereichertes Genie in unserer aus so verschiednen Charaktern zusammen gesetzten Gesellschaft, moralische Schat- tierfarben zu seinen reizenden Ge- maͤhlden der Menschen sammelte. Er sagte mir dieses, als ich seine Herab- lassung zu manchen nichtsbedeutenden Ge- spraͤchen lobte. Mit Entzuͤckung lernte ich in ihm das Bild der aͤchten Freundschaft kennen, da er mir von einem hochachtungswuͤrdigen Manne erzaͤhlte, „der von dem ehemali- „gen Besitzer dieses Hauses erzogen wor- „den, und als ein lebender Beweis der „unzaͤhligen Faͤhigkeiten unsers Geistes „anzufuͤhren sey, weil er die Wissenschaft „des feinsten Staatsmannes mit aller Ge- „lehrsamkeit des Philosophen, des Physi- „kers und des schoͤnen Geistes verbaͤnde, „alle Werke der Kunst gruͤndlich beurthei- „len koͤnnte, die Staatsoͤkonomie und „Landwirthschaft in allen ihren Theilen „verstehe, verschiedene Sprachen gut rede P 4 „und „und schreibe, ein Meister auf dem Cla- „vier und ein Kenner aller schoͤnen Kuͤnste „sey, und mit so vielen Vollkommenheiten „des Geistes das edelste Herz und den „großen Charakter eines Menschenfreun- „des in seinem ganzen Umfang verbinde- „te — —“ Sie sehen aus diesem Gemaͤhlde, ob Herr ** Ursache hat, die Freundschaft eines solchen Mannes, fuͤr das vorzuͤgli- che Gluͤck seines Lebens zu halten! Und Sie werden sich mit mir uͤber die Ent- schließung freuen, welche er gefaßt hat, den aͤltesten Sohn seines Freundes an den seit kurzem veraͤnderten Ort seiner Bestim- mung mitzunehmen. Durch die halbe Laͤnge Deutschlands von den Freunden seines Herzens entfernt, will er alle die Gesinnungen, die er fuͤr die Aeltern hat, auf das Haupt dieses Knaben versam- meln: ihn zu einem tugendhaften Mann erziehn, und dadurch, weit von seinen Freunden, die Verbindung seines Her- zens mit den ihrigen unterhalten. O Emilia! Was ist Gold? Was sind Ehren- stellen, stellen, die die Fuͤrsten manchmal dem Verdienste zutheilen, gegen diese Gabe der Freundschaft des Herrn ** an den Sohn seiner gluͤcklichen Freunde? Wie sehr ver- ehrt ihn mein Herz! Wie viele Wuͤnsche mache ich fuͤr seine Erhaltung! Und wie selig muͤssen seine Abendstunden, nach so edel ausgefuͤllten Tagen seyn! Mein Brief ist lang; aber meine Emi- lia hat eine Seele, die sich mit Ergoͤtzen bey der Beschreibung einer uͤbenden Tu- gend verweilt, und mir Dank dafuͤr weiß. Herr ** reiste Abends weg, und wir, zu meinem Vergnuͤgen, den zweeten Morgen darauf. Denn jeder Platz des Hauses und Gartens, wo ich ihn gesehen hatte, und jetzt mit Schmerzen vermißte, stuͤrzte mich in einen Abfall innerlicher Traurig- keit, die mir an unserm Hof nicht ver- mindert wird. Doch ich will nach seinem Rath immer die schoͤne Seite meines Schicksals suchen, und Jhnen in Zukunft nur diese zeigen. Nun muß ich mich zu einem Fest an- schicken, welches Graf F* auf seinem P 5 Landguth Landguth geben wird. Jch liebe die auf- gehaͤuften Lustbarkeiten nicht; aber man wird tanzen, und Sie wissen, daß ich von allen andern Ergoͤtzungen fuͤr diese die meiste Neigung habe. — Milord Derby an seinen Freund B*. J ch schreibe dir, um der Freude meines Herzens einen Ausbruch zu schaffen; denn hier darf ich sie niemand zeigen. Aber es ist lustig zu sehen, wie alle Anstalten, die man dem Fuͤrsten zu Ehren macht, sich nur alleine dazu schicken muͤssen, das schoͤne schuͤchterne Voͤgelchen in mein verstecktes Garn zu jagen. Der Graf F*, der den Oberjaͤgermeister in dieser Gelegenheit macht, gab letzthin dem ganzen Adel auf seinem Guthe ein recht artig Festin, wo- bey wir alle in Bauerkleidungen erschei- nen mußten. Wir Wir kamen Nachmittags zusammen, und unsre Bauerkleider machten eine schoͤ- ne Probe, was natuͤrlich edle, oder was nur erzwungene Anstalten waren. Wie manchem unter uns fehlte nur die Grab- schaufel oder die Pflugschare, um der Bauerknecht zu seyn, den er vorstellte; und gewiß unter den Damen war auch mehr als eine, die mit einem Huͤhnerkorbe auf dem Kopfe, oder bey der Melkerey nicht das geringste Merkmal einer beson- dern Herkunft oder Erziehung behalten haͤtte. Jch war ein schottischer Bauer, und stellte den kuͤhnen entschloßnen Cha- rakter, der den Hochlaͤndern eigen ist, ganz natuͤrlich vor; und hatte das Ge- heimniß gefunden, ihn mit aller der Ele- ganz, die, wie du weist, mir eigen ist, ohne Nachtheil meines angenommenen Charakters, zu verschoͤnern. Aber diese Zauberin von Sternheim war in ihrer Verkleidung lauter Reiz und schoͤne Na- tur; alle ihre Zuͤge waren unschuldige laͤndliche Freude; ihr Kleid von hell- blauem Tafft, mit schwarzen Streifen ein- gefaßt, gefaßt, gab der ohnehin schlanken grie- chischen Bildung ihres Koͤrpers, ein noch feineres Ansehen, und den Beweis, daß sie gar keinen erkuͤnstelten Putz noͤthig ha- be. Alle ihre Wendungen waren mit Zauberkraͤften vereinigt, die das neidische Auge der Damen, und die begierigen Blicke aller Mannsleute an sich hefteten. Jhre Haare schoͤn geflochten und mit Baͤn- dern zuruͤckgebunden, um nicht auf der Erde zu schleppen, gaben mir die Jdee, sie einst in der Gestalt der miltonischen Eva zu sehen, wenn ich ihr Adam seyn werde. Sie war munter, und sprach mit allen Damen auf das Gefaͤlligste. Jhre Tante und die Graͤfin F* uͤberhaͤuften sie mit Liebkosungen, sie dachten dadurch das Maͤdchen in der muntern Laune zu er- halten, in welcher sie ihre Gefaͤlligkeit auch auf den Fuͤrsten ausbreiten koͤnnte. Seymour fuͤhlte die ganze Macht ihrer Reizungen, verbarg aber, nach der poli- tischen Verabredung mit seinem Oncle sei- ne Liebe unter einem Anfall von Spleen, der den sauertoͤpfischen Kerl, stumm und unruhig, unruhig, bald unter diesen, bald unter jenen Baum fuͤhrte, wohin ihm Fraͤulein C*, als seine Baͤuerin, wie ein Schatten folgte. Meine Leidenschaft kostete mich herculische Muͤhe, sie im Zuͤgel zu halten; aber schweigen konnte ich nicht, sondern haschte jede Gelegenheit, wo ich an dem Fraͤulein von Sternheim vorbeygehen, und ihr auf englisch etwas bewunderndes sagen konnte. Aber etliche mal haͤtte ich sie zerquetschen moͤgen, da ihre Blicke, wiewohl nur auf das Fluͤchtigste, mit al- ler Unruh der Liebe nach Seymour gerich- tet waren. Endlich entschluͤpfte sie un- ter dem Volke, und wir sahen sie auf die Thuͤre des Gartens vom Pfarrhofe zuei- len; man beredete sich daruͤber, und ich blieb an der Ecke des kleinen Milchhauses stehen, um sie beym Zuruͤckkommen zu beobachten. Ehe eine Viertelstunde vor- bey war, kam sie heraus. Die schoͤnste Carminfarbe, und der feinste Ausdruck des Entzuͤckens war auf ihrem Gesicht verbreitet. Mit leutseliger Guͤte dankte sie fuͤr die Bemuͤhung etlicher Zuseher, die ihr ihr Platz geschafft hatten. Niemals hatte ich sie so schoͤn gesehen als in diesem Augenblick! sogar ihr Gang schien leichter und ange- nehmer als sonst. Jedermann hatte die Augen auf sie gewandt; sie sah es; schlug die ihre zur Erden, und erroͤthete außer- ordentlich. Jn dem nehmlichen Augen- blick kam der Fuͤrst auch mitten durch das Gedraͤnge des Volks aus dem Pfarrgar- ten heraus. Nun haͤttest du den Aus- druck des Argwohns und des boshaften Urtheils der Gedanken uͤber die Zusammen- kunft der Sternheim mit dem Fuͤrsten se- hen sollen, der auf einmal in jedem sproͤ- den, coquetten und devoten Affengesicht sichtbar wurde; und die albernen Scherze der Mannsleute uͤber die Roͤthe, da sie der Fuͤrst mit Entzuͤcken betrachtete. Beydes wurde als ein Beweis ihrer ver- gnuͤgten Zusammenkunft im Pfarrhaus aufgenommen, und alle sagten sich ins Ohr: wir feyren das Fest der Uebergabe dieser fuͤr unuͤberwindlich gehaltenen Schoͤ- nen. Die reizende Art, mit welcher sie dem Fuͤrsten etwas Erfrischung brachte; die die Bewegung mit der er aufstund, ihr entgegen gieng, und bald ihr Gesichte bald ihre Leibesgestalt mit verzehrenden Blicken ansah, und nachdem er den Sor- bet getrunken hatte, ihr den Teller weg- nahm, und den jungen F* gab, sie aber neben ihn auf die Bank sitzen machte; die Freude des Alten von F*, der Stolz ihres Onkels und ihrer Tante, der sich schon recht sichtbar zeigte, — alles be- staͤrkte unsre Muthmaßungen. Wuth nahm mich ein, und im ersten Anfall nahm ich Seymourn, der außer sich war, beym Arm und redete mit ihm von dieser Scene. Die heftigste aͤußerste Ver- achtung belebte seine Anmerkungen uͤber ihre vorgespiegelte Tugend, und die elen- de Aufopferung derselben; uͤber die Frech- heit sich vor dem ganzen Adel zum Schau- spiel zu machen, und die vergnuͤgteste Miene dabey zu haben. Dieser letzte Zug seines Tadels brachte mich zur Vernunft. Jch uͤberlegte, der Schritt waͤre in Wahr- heit zu frech und dabey zu dumm; die Scene des Wirthshauses in F* fiel mir ein; ein; ein Zweifel, der sich daruͤber bey mir erhob, machte mich meinen Will rufen. Jch versprach ihm hundert Gui- neen, um die Wahrheit dessen zu erfahren, was im Pfarrhause zwischen dem Fuͤrsten und der Sternheim vorgegangen. Jn einer Stunde, wovon mir jede Minute ein Jahr duͤnkte, kam er mit der Nach- richt, daß die Fraͤulein dem Fuͤrsten nicht gesehen, sondern allein mit dem Pfarrer ge- sprochen, und ihm zehn Carolinen fuͤr die Armen des Dorfs gegeben habe, mit der instaͤndigsten Bitte, ja niemand nichts davon zu sagen. Der Fuͤrst waͤre nach ihr gekommen, und haͤtte dem Adel von weitem zusehen wollen, wie sie sich belu- stigten, ehe er komme, um sie desto unge- stoͤrter fortfahren zu machen. Da stund ich und fluchte uͤber die Schwaͤrmerinn die uns zu Narren machte. Und dennoch war das Maͤdchen wuͤrklich edler als wir alle, die wir nun an unser Vergnuͤgen dachten; waͤhrend sie ihr Herz fuͤr die armen Einwohner des Dorfs er- oͤffnete, um einen der Freude gewiedmeten Tag Tag bis auf sie auszudehnen. Was war aber ihre Belohnung davor? Die niedertraͤchtigste Beurtheilung ihres Cha- rakters, wozu sich das elendeste Geschoͤpf unter uns berechtigt zu seyn glaubte. Jn Wahrheit, eiue schoͤne Aufmunterung zur Tugend! Willst du mir sagen, daß die innerliche Zufriedenheit unsre wahre Belohnung sey, so darf ich nur denken, daß just der Ausdruck dieser Zufriedenheit auf dem Gesichte des englischen Maͤdchens, da es vom Pfarrhof zuruͤck kam, zu ei- nem Beweis ihres Fehlers gemacht wurde. Aber wie dankte ich meiner Begierde, die Sache ganz zu wissen, die mich berufenen Boͤsewicht zu der besten Seele der ganzen Gesellschaft machte; denn ich allein woll- te die Sache ergruͤnden, ehe ich ein festes Urtheil uͤber sie faßte, und siehe, ich wur- de auf der Stelle fuͤr diese Tugend mit der Hoffnung belohnt, das liebenswerthe Ge- schoͤpfe ganz rein in meine Arme zu be- kommen; dann nun soll es nur ihr oder mein Tod verhindern koͤnnen; mein gan- zes Vermoͤgen und alle Kraͤfte meines Gei- Q stes stes, sind zu Ausfuͤhrung dieses Vorha- bens bestimmt. Mit triumphirendem Gesichte eilte ich zur Gesellschaft, nachdem ich Willen verboten, keiner Seele nichts von seiner Entdeckung zu sagen, und ihm noch hun- dert Guineen fuͤr sein Schweigen verspro- chen hatte. Du wirst fodern, daß ich meine Entdeckung zum Besten des Fraͤu- leins haͤtte mittheilen sollen. Dann, meynst du, waͤre mein Triumph edel ge- wesen! Sachte, mein guter Herr! sachte! Jch konnte auf dem Weg der guten Hand- lungen nicht so eilend fortwandern, noch weniger gleich mein ganzes Vergnuͤgen aufopfern. Und wozu haͤtte meine Ent- deckung gedient, als des Fuͤrsten und meine Beschwerlichkeiten zu vergroͤßern? Wie vielen Spaßes haͤtte ich mich beraubt, wenn ich die Unterredungen des vorigen Stoffs unterbrochen haͤtte? Denn indeß ich weg war, hatte eine mißverstandne Antwort des Fuͤrsten die ganze Sache ins Reine gebracht. Denn da der Graf F. den Fuͤrsten gefragt: ob er das Fraͤulein im im Pfarrgarten gesehen habe? und der Fuͤrst ihm ganz kurz mit Ja antwortete, und die Augen gleich nach ihr kehrte; da war der Vorgang gewiß; ja sie war, weil man doch auch dem Pfarrer eine Rol- le dabey zu spielen geben wollte, zur lin- ken Hand vermaͤhlt, und viele bezeugten ihr schon besondere Aufwartungen als der kuͤnftigen Gnaden Ausspenderin. Der Graf F*, seine Frau, der Oncle und die Tante des Fraͤuleins fuͤhrten den Reihen dieser wahnsinnigen Leute. Selbst Mi- lord G. spielte die Rolle mit, ob sie gleich etwas gezwungen bey ihm war. Aber Seymour, durch die Beleidigung seiner Liebe und der Vollkommenheit des Jdeals, das er sich von ihr in den Kopf phanta- siert hatte, in einen unbiegsamen Zorn gebracht, konnte sich kaum zu der ge- woͤhnlichen Hoͤflichkeit entschließen, einen Menuet mit ihr zu tanzen; sein frostiges stoͤrriges Aussehen, womit er die freund- lichsten Blicke ihrer schoͤnen Augen erwie- derte, machte endlich, daß sie ihn nicht mehr ansah; aber goß zugleich eine Nie- Q 2 derge- dergeschlagenheit uͤber ihr ganzes Wesen aus, welche die edle Anmuth ihres un- nachahmlichen Tanzes auf eine entzuͤcken- de Art vergroͤßerte. Jeder Vorzug, den ihm ihr Herz gab, machte mich rasend, aber verdoppelte meine Aufmerksamkeit auf alles, was zu Erhaltung meines End- zwecks dienen konnte. Jch sah, daß sie die außerordentlichen Bemuͤhungen und Schmeicheleyen der Hofleute bemerkte, und Mißfallen daran hatte. Jch nahm die Partie, ihr lauter edle feine Ehrerbie- tung zu beweisen; es gefiel ihr, und sie redete in schoͤnem Englischen mit mir recht artig und aufgeweckt vom Tanzen, als der einzigen Ergoͤtzlichkeit, die sie liebte. Da ich die Vollkommenheit ihrer Menuet lobte, wuͤnschte sie, daß ich dieses von ihr bey den englischen Landtaͤnzen sagen moͤchte, in denen sie die schoͤne Mischung von Froͤhlichkeit und Wohlstand ruͤhmte, die der Taͤnzerinn keine Vergessenheit ihrer selbst und dem Taͤnzer keine willkuͤhrliche Freyheiten mit ihr erlaubte; wie es bey den deutschen Taͤnzen gewoͤhnlich sey. Mein Mein Vergnuͤgen uͤber diese kleine freund- schaftliche Unterredung wurde durch die Wahrnehmung des sichtbaren Verdrusses, den Seymour daruͤber hatte, unendlich vergroͤßert. Der Fuͤrst, dem es auch nicht gefiel, naͤherte sich uns, und ich entfern- te mich, um dem Grafen F* zu sagen, daß das Fraͤulein gerne englisch tanze. Gleich wurde die Musik dazu angefangen, und jeder suchte seine Baͤuerin auf. Der junge F* als Compagnon des Fraͤuleins von Sternheim, stellte sich in der halben Reyhe an; aber sein Vater machte alle Paare zuruͤcktreten, um dem Fraͤulein den ersten Platz zu geben; die ihn mit Erstau- nen annahm, und die Reihe mit der sel- tensten Geschwindigkeit und vollkommen- sten Anmuth durchtanzte Jch blieb bey der ersten Partie mit Fleiß zuruͤck, und gieng an der Reyhe mit Milord G. und dem Fuͤrsten auf und ab. Dieser hatte kein Auge, als fuͤr Fraͤulein Sternheim und sagte immer: tanzt sie nicht wie ein Engel? Da nun Lord G. versicherte, daß eine gebohrne Englaͤnderin, Schritt und Q 3 Wen- Wendungen nicht besser machen koͤnnte, so bekam der Fuͤrst den Gedanken, das Fraͤulein sollte mit einem Englaͤnder tan- zen. Jch trat in ein Fenster, um zu war- ten, auf wem die Wahl kommen wuͤrde; als einige Ruhezeit vorbey war, ersuchte der Fuͤrst das Fraͤulein um die Gefaͤllig- keit, noch mit der zweyten Reihe, aber mit einem von uns zween Englaͤndern zu tanzen. Eine schoͤne Verbeugung, und das Umsehen nach uns zeigte ihre Be- reitwilligkeit an. Wie zaͤrtlich ihr Blick den sproͤden Seymourn auffoderte, dem es F* zuerst, als Milord G. Nepoten, an- trug, und der es verbat. Die jaͤhe Er- roͤthung des Verdrusses faͤrbte ihr Gesicht und ihre Brust; aber sogleich war eine freundliche Miene fuͤr mich da, der ich mit ehrerbietiger Eilfertigkeit meine Hand anbot; aber diese Miene hielt mich nicht schadlos, und preßte mir den Gedanken ab: O Sternheim! eine solche Empfindung fuͤr mich haͤtte dir und der Tugend mein Herz auf ewig erworben! Die Bemuͤhung, dich andern zu entreissen, vermindert meine Zaͤrtlich- Zaͤrtlichkeit; Begierde und Rache bleiben mir allein uͤbrig. — Mein aͤußerliches Ansehen sagte nichts davon; ich war lau- ter Ehrfurcht. Sie tanzte vortrefflich, man schrieb es der Begierde zu, dem Fuͤr- sten zu gefallen. Jch allein wußte, daß es eine Bemuͤhung ihrer beleidigten Eigen- liebe war, um den Seymour durch die Schoͤnheit und Munterkeit ihres Tanzes uͤber seine abschlaͤgige Antwort zu strafen. Und gestraft war er auch! Sein Herz voll Verdruß war froh bey mir Klagen zu fuͤh- ren, und sich selbst zu verdammen, daß er, ungeachtet sie alle seine Verachtung verdiente, sich dennoch nicht erwehren koͤnnte, die zaͤrtlichste Empfindlichkeit fuͤr ihre Reizungen zu fuͤhlen. „Warum hast du denn nicht mit ihr getanzt?“ Gott bewahre mich, sagte er; ich waͤre gewiß unter dem Kampfe zwischen Liebe und Verachtung an ihrer Seite zu Boden gesunken. Jch lachte ihn aus, und sagte; er sollte lieben wie ich, so wuͤrde er mehr Vergnuͤgen davon haben, als ihm seine Q 4 uͤber- uͤbertriebene Jdeen jemals gewaͤhren wuͤrden. Jch fuͤhle, daß du gluͤcklicher bist, als ich, sagte der Pinsel, aber ich kann mich nicht aͤndern. Verdammt sey die Liebe, dacht’ ich, die diesen und mich zu so elenden Hunden macht. Seymour, zwischen dem Schmerz der Verachtung fuͤr einen ange- beteten Gegenstand, und allen Reizungen der Sinne herum getrieben, war ungluͤck- lich, weil er nichts von ihrer Unschuld und Zaͤrtlichkeit wußte. Jch, der mei- ner Hochachtung und Liebe nicht entsagen konnte, war ein Spiel des Neides und der Begierde mich zu raͤchen, und genoß wenig Freude dabey, als diese, andern die ihrige sicher zu zerstoͤren, es folge dar- aus was da wolle. — Arbeit habe ich! — Denn so kuͤnstlich und sicher ich sonst meine Schlingen zu flechten wußte, so nuͤtzen mich doch meine vorigen Erfah- rungen bey ihr nichts, weil sie so viele Entfernung von allen sinnlichen Vergnuͤ- gungen hat. Bey einem Ball, wo bey- nahe alle Weibspersonen Coquetten, und auch auch die Besten von der Begierde zu ge- fallen eingenommen sind, haͤngt sie der Uebung der Wohlthaͤtigkeit nach. Andre werden durch die Versammlung vieler Leu- te und den Lermen eines Festes, durch die Pracht der Kleider und Verzierungen betaͤubt, durch die Musik weichlich ge- macht, und durch alles zusammen den Ver- fuͤhrungen der Sinnlichkeit bloß gegeben, Sie wird auch geruͤhrt, aber zum Mit- leiden fuͤr die Armen; und diese Bewe- gung ist so stark, daß sie Gesellschaft und Freuden verlaͤßt, um ein Werk der Wohl- thaͤtigkeit auszuuͤben. Ha! wenn diese starke und geschaͤfftigte Empfindlichkeit ih- rer Seele zum Genuß des Vergnuͤgens umgestimmt seyn wird, und die ersten Toͤ- ne fuͤr mich klingen werden! — dann, B., dann werde ich dir aus Erfahrung von der feinen Wollust erzaͤhlen koͤnnen, die Venus in Gesellschaft der Musen und Grazien ausgießt. Aber ich werde mich dazu vorbereiten muͤssen. Wie Schwaͤrmer, die in den persoͤnlichen Um- gang mit Geistern kommen wollen, eine Q 5 Zeit- Zeitlang mit Fasten und Beten zubringen; muß ich dieser enthusiastischen Seele zu ge- fallen, mich aller meiner bisherigen Ver- gnuͤgungen entwoͤhnen. Schon hat mir meine, von ungefehr entdeckte Wohlthaͤ- tigkeit an der Familie T* große Dienste bey ihr gethan; nun muß ich sie einmal in diesem Hause uͤberraschen. Sie geht manchmal hin, den Kindern Unterricht, und den Aeltern Trost zu geben. Den- noch hat alle ihre Moral den Einfluß mei- ner Guineen nicht verhindern koͤnnen, durch die ich bey diesen Leuten Gelegenheit finden werde, sie zu sehen, und einen Schritt zu ihrem Herzen zu machen; waͤh- rend, daß ich auf der andern Seite die magische Sympathie der Schwaͤrme- rey zu schwaͤchen suche, die in einem ein- zigen Augenblick zwischen ihr und Sey- mourn entstehen koͤnnte, wenn sie jemals einander im Umgang nahe genug kaͤmen, den sogleich gestimmten Ton ihrer Seelen zu hoͤren. Doch dem bin ich ziemlich zu- vor kommen, indem sich Seymour just des Secretairs seines Oncles, der mein Sclave Sclave ist, bedient, um Nachrichten ein- zuziehen, die dieser bey mir hohlt, ohne mit mir zu reden. Denn wir schreiben uns nur, und stecken unsre Billets hinter ein alt Gemaͤhlde im obern Gang des Hauses. Dieser Juͤnger des Lucifers leistet mir vor- treffliche Dienste. Doch muß ich Sey- mourn die Gerechtigkeit wiederfahren las- sen, daß er uns die Muͤhe, so viel an ihm ist, erleichtert. Er flieht die Sternheim wie eine Schlange, ungeachtet er sich um alle ihre Bewegungen erkundigt; und diese werden durch die Farbe, welche ihnen meine Nachrichten geben, schielend und zweydeutig genug, um auf seinen schon eingenommenen Kopf alle Wuͤrkung zu machen, die ich wuͤnsche- Den Fuͤrsten fuͤrchte ich nicht; jeder Schritt, den er machen wird, entfernt ihn vom Ziel. Von allem, was Fuͤrsten geben koͤnnen, liebt sie nichts. Das Maͤdchen macht eine ganz neue Gattung von Charak- ter aus! Milord Milord Seymour an den Doctor B. J ch bin seit vier Stunden von einem praͤchtigen und wohl ausgesonnenen Feste zuruͤckgekommen; und da ich ungeachtet der heftigen Bewegungen, die meine Le- bensgeister erlitten, keinen Schlaf finden kann, so will ich wenigstens die Ruhe su- chen, welche eine Unterredung mit einem wuͤrdigen Freund einem bekuͤmmerten Herzen giebt. Warum, o mein theurer Lehrmeister, konnte Jhre erfahrne Weis- heit kein Mittel finden, meine Seele ge- gen die Heftigkeit guter Eindruͤcke zu be- waffnen, so wie Sie eins gefunden haben, mich gegen das Beyspiel und die Aufmun- terung der Bosheit zu bewahren. Jch will Jhnen die Ursache erzaͤhlen; so wer- den Sie selbst sehen, wie gluͤcklich ich durch eine vernuͤnftige Gleichguͤltigkeit ge- worden waͤre. Der erste Minister des Hofs gab dem Adel, oder vielmehr der Fuͤrst gab unter dem dem Nahmen des Grafen F* dem Fraͤu- lein von Sternheim eine Fête auf dem Lande, welche die Nachahmung auf den hoͤchsten Grad der Gleichheit fuͤhrte, denn die Kleidungen, die Musik, der Platz wo die Lustbarkeit gegeben wurde, alles be- zeichnete das Landfest. Mitten auf einer Matte waren eigne Bauerhaͤnser und ei- ne Tanzscheure erbaut. Der Gedanke und die Ausfuͤhrung entzuͤckte mich, in den ersten zwo Stunden, da ich nichts als die Schoͤnheit des Festes und die alles uͤbertreffende Liebenswuͤrdigkeit des Fraͤu- leins von Sternheim vor mir sah. Nie- mals, mein Freund, niemals wird das Bild der lautern Unschuld, der reinen Freude wieder so vollkommen erscheinen, als es diese zwo Stunden durch, in der edeln schoͤnen Figur von Sternheim abge- zeichnet war! Verdammt seyn die Kuͤnste, welche es an ihr auszuloͤschen wußten! Aber in einer Person von so vielem Geiste, von einer so vortrefflichen Erziehung, muß der Wille dabey gewesen seyn; es war unmoͤglich sie zu beruͤcken; unmoͤglich ist ist es auch, daß es allein die Wuͤrkung ihrer von Musik, Pracht und Geraͤusch empoͤrten Sinnen gewesen sey. Jch weiß wohl, daß man bey diesen Umstaͤnden un- vermerkt von der Bahn der moralischen Empfindungen abweicht und sie aus dem Gesichte verliehrt. Aber da sie die letzte Warnung ihres guten Genius verwarf, und wenige Minuten darauf der angestell- ten Unterredung mit dem Fuͤrsten entge- gen eilte, und sich dadurch die Gering- schaͤtzung des Elendesten unter uns zuzog: da hatte ich Muͤhe, den hohen Grad von Verachtung und Abscheu, die mich gegen sie einnahmen, zu verbergen. Jch muß Jhnen erklaͤren, was ich unter den letzten Wink ihres Genius verstehe. Es war eine Bilderbude da, wo die Damen Lotteriezettel zogen; sagen Sie, ob es wohl ein bloßes Ungefehr, oder nicht ein letzter Wink der Vorsicht war, daß das Fraͤulein von Sternheim die vom Apollo verfolgte Daphne bekam! Die Partie des Fuͤrsten sah es nicht gerne; sie dachte, es wuͤrde ihre Widerspaͤnstigkeit bestaͤrken. Jhr gefiel gefiel es, sie wies es jedermann, und re- dete es als eine gute Kennerinn von der Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu- de war nicht zu beschreiben; ich hielt die Besorgnisse der Hofleute gegruͤndet, und die Freude des Fraͤuleins bekraͤftigte mich in der Jdee, daß sie durch ihre Tugend eine neue fliehende Daphne seyn wuͤrde. Aber wie schmerzhaft, wie niedertraͤchtig hat mich nicht ihre Scheintugend betro- gen, da sie sich gleich darauf dem Apollo in die Arme warf! Jch sah sie mit ihrer ehrlosen Tante, und der Graͤfin F* eini- ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden Unterhaͤndlerinnen schmeichelten ihr in die Wette. Endlich merkte ich, daß sie mit einer zaͤrtlichen und sorgsamen Miene, bald die Gesellschaft, bald die Thuͤre des Pfarrgartens ansah; und auf einmal mit dem leichtesten freudigsten Schritt durch die Zuseher drang und in den Gar- ten eilte. Lang war sie nicht darinn, aber ihr Hineingehen hatte schon Aufsehen erweckt. Wie vieles verursachte erst der Ausdruck von Zufriedenheit und Beschaͤ- mung nung, mit welchem sie zuruͤck kam; da der Fuͤrst bald nach ihr heraus trat, der sein Vergnuͤgen uͤber sie nicht verbergen konn- te, und seine Leidenschaft in vollem Feuer zeigte. Mit wie viel niedertraͤchtiger Ge- faͤlligkeit bot sie ihm Sorbet an, schwatzte mit ihm, tanzte ihm zu Liebe englisch mit einem Eifer, den sie sonst nur fuͤr die Tu- gend zeigte. Und wie reizend, o Gott, wie reizend war sie! Wie unnachahmlich ihr Tanz; alle Grazien in ihr vereinigt, so wie es die Furien in meinem Herzen waren! denn ich fuͤhlte es von dem Ge- danken zerrissen, daß ich, der ihre Tu- gend angebetet hatte, der sie zu meiner Gemahlin gewuͤnscht, ein Zeuge seyn mußte, wie sie Ehre und Unschuld aufgab, und im Angesichte des Himmels und der Menschen, ein triumphirendes Aussehen dabey hatte. Unbegreiflich ist mir eine Beobachtung uͤber mein Herz in dieser Ge- legenheit. Sie wissen, wie heftig ich einst eine unserer Schauspielerinnen liebte; ich wußte, daß ihre Gunst zu erkaufen war, und daß sie fuͤr ihr Herz ganz keine Ach- tung tung verdiente. Jch hatte auch keine, und dennoch dauerte meine Leidenschaft in ihrer ganzen Staͤrke fort. Jtzt hingegen verachte, verfluche ich diese Sternheim und ihr Bild. Jhre Reize und meine Liebe liegen noch in dem Grunde meiner Seele; aber ich hasse beyde, und mich selbst, daß ich zu schwach bin, sie zu vernichten. Mein Oncle redete mir im nach Hau- se fahren zu, wie ein Mann dessen Leiden- schaften schon lange gesaͤttigt sind, und der, wenn er als Minister zu Vergnuͤgung des Ehrgeizes seines Fuͤrsten tausend Schlachtopfer fuͤr nichts achtet, natuͤrli- cher Weise die Aufopferung der Tugend eines Maͤdchens zu Befriedigung der Lei- denschaft eines Großen fuͤr eine sehr we- nig bedeutende Kleinigkeit ansehen muß. O waͤre sie ein gemeines Maͤdchen mit Papageyen-Schoͤnheit und Papageyen- Verstand gewesen, so koͤnnte ich es ansehen, wie Er! Aber die edelste Seele, und Kenntnisse zu besitzen; an die Verehrung der ganzen Welt An- spruch zu haben, und sich hinzuwerfen! R Sie Sie soll zur linken Hand vermaͤhlt wor- den seyn. Elende laͤcherliche Larve, eine verstellte Tugend vor Schande sicher zu stellen! — Alle schmeichelten ihr; Sie, mein Freund, kennen mich genug, um zu wissen, ob ich es that. Jch werde nicht an den Hof gehen bis ich ruhiger bin; niemals liebte ich das Hofleben ganz, nun verabscheue ich es! Die Reisen mei- nes Oncles will ich aushalten; aber mei- ne Frau Mutter soll nicht fodern, daß ich Hofdienste nehme, oder mich verheyrathe; das Fraͤulein von Sternheim hat mich beydem auf ewig entsagen gemacht. Derby, der ruchlose Derby, verachtet sie auch, aber er hilft sie betaͤuben; denn er erzeigt ihr mehr Ehrerbietung als sonst; — Der Boͤsewicht! Fraͤulein von Sternheim an Emilia. K ommen Sie, meine Emilia, Sie sollen auch einmal eine aufgeweckte Erzaͤhlung von von mir erhalten. Sie wissen, daß ich gerne tanze, und daß F* einen Bal geben wollte. Dieser ist nun vorbey, und ich war so vergnuͤgt dabey, daß das Anden- ken davon mir noch itzt angenehm ist. Alle Anstalten dieses niedlichen Festins waren voͤllig nach meinem Geschmack, nach meinen eigensten Jdeen eingerichtet. Laͤndliche Einfalt und feine Hofkuͤnste fan- den sich so artig mit einander verwebt, daß man sie nicht trennen konnte, ohne dem einen oder dem andern seine beste Annehm- lichkeit zu rauben. Jch will versuchen, ob eine Beschreibung davon diese Vorstel- lung bey Jhnen bekraͤftigen wird. Der Graf F* wollte auf dem Guth, wo seine Gemahlin die Cur gebraucht, und die Besuche des ganzen Adels empfangen hatte, zum Beweis seiner Freude uͤber das Wohlseyn der Graͤfin und seines Danks fuͤr die ihr bewiesene Achtung, an dem nehmlichen Orte, eine Ergoͤtzung fuͤr uns alle anstellen. Wir wurden acht Ta- ge voraus geladen, und gebeten, Paar weise in schoͤnen Bauerkleidungen zu er- R 2 scheinen, scheinen, weil er ein Landfest vorstellen wollte. Der junge Graf F* sein Nepote wurde in der Liste ein Bauer und ich be- kam die Kleidung eines Alpen Maͤdchens; lichtblau und schwarz; die Form davon brachte meine Leibesgestalt in das vor- theilhafteste Ansehen, ohne im geringsten gesucht oder gezwungen zu scheinen. Das feine ganz nachlaͤssig aufgesetzte Stroh- huͤtgen und meine simpel geflochtnen Haare machten meinem Gesicht Ehre. Sie wis- sen, daß mir viele Liebe fuͤr die Einfalt und die ungekuͤnstelten Tugenden des Landvolks eingefloͤßt worden ist. Diese Neigung erneuerte sich durch den An- blick meiner Kleidung. Mein edel ein- faͤltiger Putz ruͤhrte mich; er war meinem die Ruhe und die Natur liebenden Herzen noch angemeßner als meiner Figur, wie- wohl auch diese damals, in meinen Au- gen, im schoͤnsten Lichte stund. Als ich voͤllig angezogen den letzten Blick in den Spiegel warf und vergnuͤgt mit meinent laͤndlichen Ansehen war, machte ich den Wunsch, daß, wenn ich auch diese Klei- dung dung wieder abgelegt haben wuͤrde, doch immer reine Unschuld und unverfaͤlschte Guͤte meines Herzens den Grund einer heitern wahren Freude in meiner Seele erhalten moͤchte! Mein Oncle, meine Tante, und der Graf F* hoͤrten nicht auf, mein zaͤrtliches und reizendes Aussehen zu loben, und so kamen wir auf das Guth, wo wir in der halben Allee, die auf schoͤnen Wiesengrund gepflanzt ist, abstiegen, und gleich den Ton der Schal- may hoͤrten, verschiedene Paare von arti- gen Bauren und Baͤuerinnen erblickten, und im Fortfahren, bald eine Maultrom- mel, bald eine kleine Landpfeiffe, oder ir- gend ein andres Jnstrument dieser Art, das voͤllige Landfest ankuͤndigen hoͤrten. Simpel gearbeitete hoͤlzerne Baͤnke waren zwischen den Baͤumen gesetzt, und zwey artige Bauerhaͤuser an beiden Seiten der Allee erbaut, wo in Einem auf alle moͤgli- che Art zubereitete Milch und andre Erfri- schungen in kleinen porcelainen Schuͤssel- chen bereit waren. Jedes hatte seinen hoͤlzernen Teller und seinen Loͤffel von Por- R 3 celain. celain. Unter der Thuͤre dieses Hauses war die Graͤfin F* als Wirthin gekleidet, und bewillkommte die Gaͤste mit einer rei- zenden Gefaͤlligkeit. Alle Bedienten des Hauses waren als Kellerjungen oder Schenkknechte, und auch die Musicanten nach baͤuerischer Art angezogen; auf ei- nem Platz waren Becker und Bilderkraͤ- mer, wo unsre Bauren uns hinfuͤhrten und eine Baͤuerin eine Prezel oder sonst ein Stuͤck aus feiner Pastille gearbeitetes Brod bekam, welches der Bauer zerbrach und dann entweder ein Stuͤck Spitzen, Baͤnder oder andre artige Sachen darinn fand. Bey dem Bilderkraͤmer bekamen wir niedliche Miniatur-Gemaͤhlde zu se- hen, welche, wie aus einer Lotterie gezo- gen wurden. Jch bekam die vom Apollo verfolgte Daphne, ein feines niedliches Stuͤck; es schien auch, daß mich andere darum beneideten, weil es fuͤr das schoͤn- ste gehalten wurde. Es duͤnke mich vie- lerley Veraͤnderungen und Ausdruͤcke auf den Gesichtern einiger Damen zu lesen, da sie es ansahen. Wie Wie der ganze Adel beysammen war, wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri- schungeu bedienen zu helfen; unsre Geschaͤff- tigkeit war artig zu sehen; fuͤr eine fremde Person aber muͤßten die forschenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern schickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Jch war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter deren Schatten ich eine Schuͤssel Milch verzehrte, frische Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein schoͤner Bach und wohl angebaute reiche Kornfel- der! Mir schien’s, als ob die unbegraͤnzte Aussicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeistern und Empfindungen eine freyere Bewegung verschaffte, sie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthalts in den Mauren eines Pallastes voller gekuͤn- stelten Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange- bohrnes Element setzte. Jch redete auch R 4 mehr mehr und freudiger als sonst, und war von den ersten, die Reihentaͤnze zwischen den Baͤumen anfiengen. Diese zogen alle Einwohner des Dorfs aus ihren Huͤtten, um uns zuzusehen. Nach eini- gem Herumhuͤpfen gieng ich mit meiner Tante und der Graͤfin F*, die mich sehr lobten und liebkosten, auf und ab; wo mir denn bald der froͤhliche und glaͤnzen- de Haufen von Landleuten, die wir vor- stellten, in die Augen fiel, bald auch der, welchen unsre Zuseher ausmachten, dar- unter ich viele arme und kummerhafte Ge- stalten erblickte. Jch wurde durch diesen Contrast und das gutherzige Vergnuͤgen, womit sie uns betrachteten, sehr geruͤhrt, und so bald ich am wenigsten bemerkt wur- de, schluͤpfte ich in den Pfarrgarten, der ganz nahe an die Wiese stoͤßt, wo wir tanzten; gab dem Pfarrer etwas fuͤr die Armen des Dorfs und gieng mit einem gluͤcklichen Herzen zuruͤck in die Gesell- schaft. Milord Derby schien auf meine Schritte gelauert zu haben; denn wie ich aus dem Pfarrgarten heraus trat, sah ich, ich, daß er an dem einem Ende des Milchhauses stand, und seine Augen un- verwandt auf die Thuͤre des Gartens ge- heftet hatte, mit forschenden und feurigen Blicken sah er mich an, gieng mir hastig entgegen, um mir einige außerordentliche, ja gar verliebte Sachen uͤber meine Ge- stalt und Physionomie zu sagen. Dieses und die neugierige Art, womit mich alle an- sahen, machte mich erroͤthen und die Au- gen zur Erde wenden; als ich sie in die Hoͤ- he hob, war ich einem Baume, an welchen sich Milord Seymour ganz traurig und zaͤrtlich aussehend lehnte, so nahe, daß ich dachte, er muͤßte alles gehoͤret haben, was Milord Derby mir gesagt hatte. Jch weiß nicht ganz, warum mich diese Vorstellung etwas verwirrte; aber be- stuͤrzt wurde ich, da ich alles aufstehen und sich in Ordnung stellen sah, weil der Fuͤrst eben aus dem Pfarrgarten kam. Der Gedanke, daß er mich da haͤtte an- treffen koͤnnen, machte mir eine Art Ent- setzen, so daß ich zu meiner Tante floh, gleich als ob ich fuͤrchtete allein zu seyn. R 5 Aber Aber meine innerliche Zufriedenheit half mir wieder zu meiner Fassung, so daß ich dem Fuͤrsten meine Verbeugung ganz ge- lassen machte. Er betrachtete und lobte meine Kleidung in sehr lebhaften Aus- druͤcken. Die Graͤfin F*, welche mich noͤthigte ihm eine Schale Sorbet anzu- bieten, brachte mich in eine Verlegenheit, die mir ganz zuwider war; denn ich muß- te mich zu ihm auf die Bank setzen, wo er mir uͤber meine Person und zum Theil auch uͤber den uͤbrigen Adel, ich weiß nicht mehr was fuͤr wunderliches Zeug vorsag- te. Die meisten fiengen an einsam spa- zieren zu gehen. Da ich ihnen mit Auf- merksamkeit nachsahe, fragte mich der Fuͤrst: Ob ich auch lieber herumgehen, als bey ihm seyn wollte? Jch sagte ihm, ich daͤchte, es wuͤrden wieder Reihen getanzt und ich wuͤnschte dabey zu seyn. Soglelch stund er auf, und begleitete mich zu den uͤbrigen. Jch dankte mir den Einfall, und mengte mich eilends unter den Hau- fen junger Leute, die alle beysammen stun- den. Sie laͤchelten uͤber mein Eindrin- gen, gen, waren aber sehr hoͤflich, bis auf Fraͤu- lein C* die immer ganz muͤrrisch den Kopf nach einer Seite kehrte. Jch wandte mich auch hin, und erblickte Seymourn und Derby, die einander am Arm fuͤhrten und mit hastigen Schritten, am Bach auf und nieder giengen. Jndessen wurde es etwas dunkel, und man lud uns zu dem Abend- essen, welches in der andern Bauerhuͤtte be- reit stund. Man blieb nicht lange bey Tische; denn alles eilte in den Tanzsaal, der in einer dazu aufgebaueten Scheuer versteckt war. Niemand konnte uͤber das Ende der Tafel froher seyn, als ich; denn als die Rangloose gezogen wurden, setzte mich mein widriges Geschicke gleich an den Fuͤrsten, der bestaͤndig mit mir redte, und mich alle Augenblicke etwas kosten machte. Dieser Vorzug des ungefaͤhr Wenige Leser werden die Erinnerung beduͤr- fen, daß es der Unschuld und Unerfahrenheit des Fraͤulein von St. in den Wegen der Welt, ganz natuͤrlich war, fuͤr eine Wuͤrkung des Zufalls zu halten, was Absicht und Kunst war. An Hoͤ- fen versteht man keine Kunst besser, als ungefaͤh- re zeigte mir die die Hofleute in einem neuen aber sehr klei- nen Lichte; denn ihr Betragen gegen mich war, als ob ich eine große Wuͤrde erhal- ten haͤtte, und sie sich mir gefaͤllig ma- chen muͤßten. Es war niemand, der mir nicht irgend eine schickliche oder unschickli- che Schmeicheley sagte, den einzigen Sey- mour ansgenommen, welcher nichts redete. Sein Oncle G. und Milord Derby sag- ten mir dagegen desto feinere Hoͤflichkei- ten vor; besonders hatte dieser die gefaͤl- ligste Ehrerbietigkeit in seinem ganzen Be- zeugen gegen mich. Er sprach vom Tan- zen mit dem eigentlichen Ton, der fuͤr die- sen Gegenstand gehoͤrte, so daß er mir aufs neue Achtung fuͤr seine Talente und Bedauern uͤber die schlimme Verwendung derselben einfloͤßte. Jch fand bey dem Tanzen, daß es nicht fuͤr alle vortheil- haft ist, daß der Bal sich mit Menuetten anfaͤngt, weil dieser Tanz so viel Anmuth in der Wendung und so viel Nettigkeit des Schritts re Zufaͤlle zu machen, wenn die Absicht ist, die Leidenschaften des Herrn auf eine feine Art zu befoͤrdern. H. Schritts erfodert, daß es manchen Per- sonen sehr schwer fiel, diesen Gesetzen Genuͤge zu leisten. Der außerordentliche Beyfall, den ich erhielt, fuͤhrte mein Herz auf ein zaͤrtliches Andenken meiner theuren Aeltern zuruͤck, die unter andern liebrei- chen Bemuͤhungen fuͤr meine Erziehung, auch das fruͤhzeitige und oͤftere Tanzen betrieben, weil mein schnelles Wachsen eine große Figur versprach, und mein Va- ter sagte: daß der fruͤhe Unterricht im Tanzen einer großen Person am noͤthig- sten sey, um durch die Musik ihre Bewe- gungen harmonisch und angenehm zu ma- chen, indem es immer bemerkt worden sey, daß die Grazien sich leichter mit ei- ner Person von mittlerer Groͤße verbin- den, als mit einer von mehr als gewoͤhn- licher Laͤnge. Dieses war die Ursache, warum ich alle Tage tanzen, und bey mei- nen Handarbeiten, wenn wir alleine wa- ren, eine Menuet-Arie fingen mußte, denn mein Vater behauptete, daß durch diese Uebung unvermerkt alle meine Wen- dungen natuͤrliche Grazien erhalten wuͤr- den. den. Sollte ich alles Lob glauben, das man meinem Tanzen und Anstand giebt, so sind seine Vermuthungen alle eingetrof- fen; so wie ich seinen Ausspruch uͤber den Vorzug der Anmuth vor der Schoͤnheit ganz wahr gefunden habe, weil ich gese- hen, daß die holdselige Miene der mit sehr wenig Schoͤnheit begabten Graͤfin Zin *** ihr beynahe mehr Neiderinnen zuzog, als die Fraͤulein von B* mit ihrer Venus-Figur nicht hatte; und die Neide- rinnen waren selbst unter der Zahl der Frauenzimmer von Verdiensten. Woher dieses Emilia? Fuͤhlen etwan vernuͤnf- tige Personen den Vorzug der Anmuth vor der Schoͤnheit staͤrker als andre, und wuͤnschen sie daher begieriger zu ihrem Ei- genthum? Oder kam dieser Neid von der Beobachtung, daß die ganz anmuthsvolle Graͤfin Z *** die hochachtungswuͤrdigste Mannspersonen an sich zog? Oder wagt die feine Eigenliebe eher einen Anfall auf Reize des Angenehmen, als auf die ganze Schoͤnheit, weil Jene nicht gleich von al- len Augen bemerkt werden, und der Man- gel gel der aͤußersten Vollkommenheit sehr leicht mit dem Gedanken eines fehlerhaf- ten Charakters oder Verstandes verbun- den wird, und also der Tadlerinn wohl noch den Ruhm eines scharfen Auges ge- beu kann, da hingegen die kleinsten Schmaͤhungen uͤber ein schoͤnes Frauen- zimmer von jedem Zuhoͤrer an die Rech- nung des Neides kommen? Edle und kluge Eigenliebe soll sich immer die Gunst der Huldgoͤttinnen wuͤnschen, weil sie ihre Geschenke niemals zuruͤcknehmen, und weder Zeit noch Zufaͤlle uns derselben be- rauben koͤnnen. Jch gestehe ganz auf- richtig, daß wenn ich in den schoͤnen grie- chischen Zeiten geboren gewesen waͤre, so haͤtte ich meine besten Opfer dem Tempel der Grazien geweiht. — Aber, ich fehe meine Emilia, ich errathe, was sie denkt; denn indem sie dieses Schreiben liest, fragt der Ausdruck ihrer Physionomie: „War meine Freundin Sternheim so ganz „fehlerfrey, weil sie die von den andern „so dreuste bezeichnete? Neid mag sie nicht „gehabt haben, denn der Plan, dem sich „ihre „ihre Eitelkeit nachzugehen vorgenommen „hatte, meynt durch nichts gestoͤrt worden „zu seyn; der Dank fuͤr die Tanzuͤbungen „in ihrer Erziehung zeigt es an; oft ist es „bloß ein großer Grad der Zufriedenheit „mit sich selbst, was uns vom Neide frey „macht, anstatt, daß es die wahre Tu- „gend thun sollte.“ Seyn Sie ruhig, meine liebe strenge Freundin, ich empfinde, daß Sie recht haben; ich war eitel und sehr mit mir zu- frieden; aber ich wurde dafuͤr gestraft. Jch hielt mich fuͤr ganz liebenswuͤrdig, aber ich war es nicht in den Augen desje- nigen, bey dem ich es vorzuͤglich zu seyn wuͤnschte. Jch befliß mich so sehr gut englisch zu tanzen, daß Miiord G. und Derby zu dem Fuͤrsten sagten, eine ge- bohrne Englaͤnderin koͤnnte den Schritt, die Wendungen und den Takt nicht bes- ser treffen. Man bat mich, mit einem Englaͤnder eine Reihe durchzutanzen. Milord Seymour wurde dazu aufgefordert, und, Emilia! er schlug es aus; mit ei- ner so unfreundlichen, beynahe veraͤcht- lichen lichen Miene, daß es mir eine schmerzli- che Empfindung gab. Mein Stolz such- te diese Wunde zu verbinden; doch beru- higte mich sein duͤstres Bezeugen gegen alle Welt am allermeisten; er redete mit gar niemand mehr, als mit seinem Oncle und Herrn Derby, welcher mit entzuͤckter Eilfertigkeit der Ausfoderung entgegen gieng. Jch suchte ihn auch dafuͤr durch mein bestes Tanzen zu belohnen, und zu- gleich Seymourn durch meine Munterkeit zu zeigen, daß mich sein Wider wille nicht ge- ruͤhrt habe. Sie kennen mich. Sie urthei- len gewiß, daß dieser Augenblick nicht an- genehm fuͤr mich war; aber meine vorei- lige Neigung verdiente eine Strafe! War- um ließ ich mich durch die Lobreden der Liebhaberinn des Milord Seymour so sehr zu seinem Besten einnehmen, daß ich die Gerechtigkeit fuͤr andre daruͤber vergaß, und auf dem Wege war, die Achtung fuͤr mich selbst zu vergessen? Aber ich habe ihm Dank, daß er mich zum Nachdenken und Ueberlegen zuruͤckfuͤhrte; ich bin nun ruhiger in mir selbst, billiger fuͤr andre, S und und habe auch deswegen neue Ursache mit diesem Feste vergnuͤgt zu seyn. Jch habe fuͤr meinen Naͤchsten eine Pflicht der Wohl- thaͤtigkeit ausgeuͤbt, und fuͤr mich eine Lection der Klugheit gelernt, und nun hoffe ich, meine Emilia ist mit mir zufrie- den, und liebt mich wie sonst. Fraͤulein von Sternheim an Emilia. N un habe ich den Brief, den mir die arme Madam T* auf dem Guthe des Gra- fen F* versprochen, und worinn sie mir die Ursachen ihres Elends erzaͤhlt; er ist so weitlaͤuftig und auf so dichtes Papier geschrieben, daß ich ihn nicht beyschließen kann. Sie werden aber aus dem Ent- wurf meiner Antwort das meiste davon sehen, und einige Hauptzuͤge will ich hier bemerken. Sie Sie ist aus einer guten aber armen Raths-Familie entsprossen; ihre Mutter war eine rechtschaffene Frau und sorgfaͤl- tige Hauswirthin, die ihre Toͤchter sehr gering in Speise und Kleidung hielt, we- nig aus dem Hause gehen ließ, und zu be- staͤndigen Arbeiten anstrengte, auch ihnen immer von ihrem wenigen Vermoͤgen re- dete, welches die Hinderniß sey, warum sie und die ihrigen in Kleidung, Tisch und uͤbrigem Aufwande andern, die reicher und gluͤcklicher waͤren, nicht gleich kaͤme. Die Kinder ließen sichs, wiewohl ungern, gefallen. Die Mutter stirbt, der Rath T* wirbt um die zwote Tochter, und er- haͤlt sie sehr leicht, weil man wußte, daß er ein artiges Vermoͤgen von seinen Ael- tern ererbt hatte. Der junge Mann will seinen Reichthum zeigen, macht seiner Frau schoͤne Geschenke, die Einrichtung seines Hauses wird auch so gemacht, sie geben Besuche, laden Gaͤste ein, und die- se werden nach der Art beguͤterter Leute bedient; sie ziehen sich dadurch eine Men- ge Tischfreunde zu, und die gute Frau, S 2 welche welche in ihrem Leben nichts als den Man- gel dieser Gluͤckseligkeiten des Reichthums gekannt hatte, uͤbergiebt sich mit Freuden dem Genuß des Wohllebens, der Zer- streuung in Gesellschaften und dem Ver- gnuͤgen schoͤner und abwechselnder Klei- dung. Sie bekoͤmmt Kinder; diese faͤngt man auch an standesmaͤßig zu erziehen; und das Vermoͤgen wird aufgezehrt; man macht Schulden und fuͤhrt mit entlehn- tem Gelde den gewohntem Aufwand fort, bis die Summe so groß wird, daß die Glaͤubiger keine Geduld mehr haben und sie mit ihren Mobilien und dem Hause selbst die Bezahlung machen muͤssen; und nun verschwanden auch alle ihre Freunde. Die Gewohnheit eines guten Tisches und die Liebe zu schoͤner Kleidung, nahm ih- nen das Uebrige. Das Einkommen von seinem Amte wurde in den ersten Monaten des Jahres verbraucht, in den andern fand sich Mangel und Kummer ein; der Mann konnte seinen Stolz, die Frau ihre Liebe zur Gemaͤchlichkeit nicht vergnuͤgen; bey ihm fehlte der Wille, bey ihr die Klug- heit heit sich nach ihren Umstaͤnden einzurich- ten; es wurden Wohlthaͤter gesucht; es fanden sich einige; aber ihre Huͤlfe war nicht zureichend. Der Mann wurde un- muthig, machte den Leuten, welche seine Freunde gewesen, Vorwuͤrfe, beleidigte sie, und sie raͤchten sich, indem sie ihn seines Amts verlustig machten. Nun war Verzweiflung und Elend in gleichem Maaß ihr Antheil; beydes wurde noch durch den Anblick von sechs Kindern ver- groͤßert. Alle Verwandten hatten die Haͤnde abgezogen, und da ihr Elend sie zu allerhand kleinen, oft niedertraͤchtigen Huͤlfsmitteln zwang, so wurden sie endlich ein Gegenstand der Verachtung und des Hasses. Jn diesem Zustande lernte ich sie kennen, und bot ihnen meine Huͤlfe an. Geld, Kleidung und Leinengeraͤthe und andrer noͤthiger Hausrath, war der An- fang davon. Jch sehe aber wohl, daß dieses nicht hinreichend wird, wenn das Uebel nicht in der Wurzel gehoben, und ihre Denkensart von den falschen Begrif- fen von Ehre und Gluͤck getheilt wird. S 3 Jch Jch habe einen Entwurf dazu gemacht, und ihren rechtschaffenen Mann, den ein- sichtvollen Herrn Br* bitte, ihn auszuar- beiten, und zu verbessern. Denn ich se- he wohl ein, daß die Erfahrung und das Nachdenken eines zwanzigjaͤhrigen Maͤd- chens nicht hinreichend ist, die dieser Fa- milie auf allen Seiten noͤthige Anweisung zu einer richtigen Denkungsart zu ge- ben. Sie, meine Emilia, werden sehen, daß meine Gedanken meistens Auszuͤge aus den Papieren meiner Erziehung sind, die ich auf diesen Fall anzupassen suchte. Es ist fuͤr den Reichen schwer, dem Ar- men einen angenehmen Rath zu geben; denn dieser wird den Ernst des erstern bey seinen moralischen Jdeen immer in Zwei- fel ziehen, und seine Ermahnungen zu Fleiß und Genuͤgsamkeit, als Kennzeichen annehmen, daß er seiner Wohlthaͤtigkeit muͤde sey; und dieser Gedanke wird alle gute Wuͤrkungen verhindern. Zwey Ta- ge von Zerstreuung haben mein Schreiben, wo ich bey dem Rath T* stehen blieb, un- terbrochen. Wollte Gott, ich haͤtte ihn reich reich machen koͤnnen, und haͤtte nur die Bitte zu dieser Gabe setzen duͤrfen, sie mit Klugheit zu brauchen. Das Wohlergehn dieser Familie hat mich mehr gekostet, als wenn ich ihnen die Haͤlfte meines Vermoͤ- gens gegeben haͤtte. Jch habe ihr einen Theil meiner Denkungsart aufgeopfert; der Rath T* lag mir sehr an, ihm durch meinen Oncle wieder ein Amt zu verschaf- fen. Jch sagte es diesem, und er ant- wortete mir: er koͤnne die Gnade, welche er wieder anfange, bey dem Fuͤrsten zu ge- nießen, fuͤr niemand als seine Kinder ver- wenden, indem er seinen Familien-Pro- ceß zu gewinnen suchte. Jch war daruͤ- ber traurig, aber meine Tante sagte mir: ich sollte bey naͤchster Gelegenheit selbst mit dem Fuͤrsten sprechen; ich wuͤrde fin- den, daß er gerne Gutes thue, wenn man ihm einen wuͤrdigen Gegenstand da- zu zeigte, und ich wuͤrde gewiß keine Fehl- bitte thun. Nachmittags kamen der Graf F* und seine Gemahlin zu uns; mit diesen beredete ich mich auch, und ersuchte beyde, sich bey dem Fuͤrsten dieser S 4 armen armen Familie wegen zu verwenden; aber auch sie sagten mir; weil es die erste Gnade waͤre die ich mir ausbaͤte, so wuͤr- de ich sie am leichtesten durch mich selbst erhalten. Zudem wuͤrde er es, der Sel- tenheit wegen, zusagen, weil sich noch nie- mals eine junge muntere Dame mit so vielem Eifer um eine verungluͤckte Fami- lie angenommen habe, und dieser neue Zug meines Charakters wuͤrde die Hoch- achtung vermehren, die er fuͤr mich zeigte. Jch wurde unmuthig keine Hand zu finden, die sich mit der meinigen zu diesem Werk der Wohlthaͤtigkeit vereinigen wollte; mit dem Fuͤrsten redete ich sehr ungern, ich konnte auf seine Bereitwilligkeit zaͤhlen, denn seine Neigung fuͤr mich hatte ich schon deutlich genug gesehen, aber eben daher entstund meine Unschluͤßigkeit, ich wuͤnschte immer in einer Entfernung von ihm zu bleiben, und meine Fuͤrbitte, seine Zusage und mein Dank naͤhern mich ihm und seinen Lobspruͤchen, nebst den Erzaͤh- lungen, die er mir schon von neuen ihm bisher unbekannten Gesinnungen, die ich, ihm ihm einfloͤßte, zweymal gemacht hat. Et- liche Tage kaͤmpfte ich mit mir, aber da ich den vierten Abend einen Besuch in dem trostlosen Hause machte, die Aeltern froh uͤber meine Gaben, das Haus aber noch leer von Nothduͤrftigkeiten und mit sechs theils großen theils kleinen Kindern besetzt sahe, o da hieß ich meine Empfindlichkeit fuͤr meine Ruhe und Jdeen derjenigen wei- chen, welche mich zum Besten dieser Kin- der einnahm; sollte die Delicatesse meiner Eigenliebe nicht der Pflicht der Huͤlfe mei- nes nothleidenden Naͤchsten Platz machen, und der Widerwille, den mir die aufglim- mende Liebe des Fuͤrsten erreget, sollte dieser das Bild der Freude verdraͤngen, welche durch die Erhaltung eines Amts und Einkommens in diese Familie kommen wuͤrde. Jch war der Achtung gewiß, die er fuͤr denselben haͤtte; und was dergleichen mehr war. Man hatte mich der Huͤlfe versichert; mein Herz wußte, daß mir die Liebe des Fuͤrsten ohne meine Einwilligung nicht schaͤdlich seyn konnte; ich fuͤhrte also gleich den andern Tag meinen Entschluß S 5 aus, aus, da wir bey der Prinzessin von W* im Concert waren, und ich meine Stim- me hoͤren lassen mußte. Der Fuͤrst schien entzuͤckt, und ersuchte mich einigemal mit ihm im Saal auf und abzugehen. Sie koͤnnen denken, daß er mir viel von der Schoͤnheit meiner Stimme und der Ge- schicklichkeit meiner Finger redete, und daß ich diesem Lob einige bescheidne Antworten entgegen setzte; aber da er den Wunsch machte, mir seine Hochachtung durch et- was anders als Worte beweisen zu koͤn- nen; so sagte ich, daß ich von seiner edeln und großmuͤthigen Denkungsart uͤber- zeugt waͤre, und mir daher die Freyheit naͤhme, seine Gnade fuͤr eine ungluͤckliche Familie zu erbitten, die der Huͤlfe ihres Landesvaters hoͤchst beduͤrftig und wuͤrdig sey. Er blieb stille stehen, sahe mich leb- haft und zaͤrtlich an: Sagen Sie mir, liebenswuͤrdiges Fraͤulein Sternheim: wer ist diese Familie? was kann ich fuͤr sie thun? Jch erzaͤhlte ihm kurz, deutlich und so ruͤhrend als ich konnte, das das ganze Elend, in welchem sich der Rath T* sammt seinen Kindern befaͤn- den, und bat ihn um der letztern willen, Gnade und Nachsicht fuͤr den ersten zu ha- ben, der seine Unvorsichtigkeit schon lange durch seinen Kummer gebuͤßet haͤtte. Er versprach mir alles Gute, lobte mich wegen meinem Eifer, und setzte hinzu, wie gerne er Ungluͤcklichen zu Huͤlfe kom- me; aber, da er wohl einsehe, daß die- jenigen, die ihn umgaͤben, immer zuerst fuͤr sich und die ihrigen besorgt waͤren; ich wuͤrde ihm vieles Vergnuͤgen machen, wenn ich ihm noch mehr Gegenstaͤnde sei- ner Wohlthaͤtigkeit anzeigen wollte. Jch versicherte ihn, daß ich seine Gna- de nicht mißbrauchen wuͤrde, wiederhohl- te nochmals ganz kurz meine Bitte fuͤr die Familie T*. Er nahm meine Hand, druͤckte sie mit seinen beyden Haͤnden, und sagte mit be- wegtem Ton: ich verspreche Jhnen meine liebe, eifrige Fuͤrbitterin, daß alle Wuͤn- sche ihres Herzens erfuͤllt werden sollen, wenn wenn ich erhalten kann, daß Sie gut fuͤr mich denken. Diesen Augenblick verwuͤnschte ich bey nahe mein mitleidendes Herz und die Fa- milie T*; denn der Fuͤrst sah mich so be- deutend an, und da ich meine Hand weg- ziehen wollte, so hielt er sie staͤrker, und erhob sie gegen seine Brust; Ja, wieder- hohlte er, alles werde ich anwenden, um Sie gut fuͤr mich denken zu machen. Er sagte dieses laut und mit einem so feurigen und unruhvollen Ausdruck in sei- nem Gesichte, daß sich viele Augen nach uns wendeten, und mich ein kalter Schauer ankam. Jch riß meine Hand loß, und sagte mit halb gebrochner Stim- me, daß ich nicht anders als gut von dem Fuͤrsten denken koͤnne, der so willig waͤre seinen ungluͤcklichen Landeskindern vaͤter- liche Gnade zu beweisen; machte dabey eine große Verbeugung, und stellte mich mit etwas Verwirrung hinter den Stuhl meiner Tante. Der Fuͤrst soll mir nachgesehen und mit dem Finger gedroht haben. Mag er immer drohen; ich wer- de de nicht mehr mit ihm spazieren gehen, und will meinen Dank fuͤr seine Wohlthat an T* nicht anders als mitten im Kreis ablegen, den man allezeit bey seinem Ein- tritt im Saal bey Hofe um ihn schließt. Alle Gesichter waren mit Aufmerksam- keit bezeichnet, und noch niemals hatte ich an den Spieltischen eine so allgemeine Klage uͤber zerstreute Spieler und Spie- lerinnen gehoͤrt. Jch fuͤhlte, daß ihre Aufmerksamkeit auf mich und den Fuͤrsten Ursache daran war, und konnte mich kaum von meiner Verwirrung erhohlen. Milord Derby sah etwas traurig aus, und schien mich mit Verlegenheit zu be- trachten; er war in ein Fenster gelehnt und seine Lippen bewegten sich wie eines Menschen, der stark mit sich selbst redet; er naͤherte sich dem Spieltische meiner Tante just in dem Augenblick da sie sagte: Sophie, du hast gewiß mit dem Fuͤrsten fuͤr den armen Rath T* gespro- chen; denn ich sehe dir an, daß du be- wegt bist. Niemals Niemals war mir meine Tante lieber als diesen Augenblick, da sie meinen Wunsch erfuͤllte, daß alle wissen moͤchten, was der Jnnhalt meines Gespraͤchs mit dem Fuͤrsten gewesen sey. Jch sagte auch ganz munter: er haͤtte meine Bitte in Gnaden angehoͤrt und zugesagt. Die Duͤsternheit des Milords Derby verlohr sich und blieb nur nachdenkend, aber ganz heiter, und die uͤbrigen zeigten mir ihren Beyfall uͤber meine Fuͤrbitte mit Worten und Gebehrden. Aber was denken Sie, meine Emilia, wie mir war, als ich nach der Gesellschaft mich nur auszog und ei- nen Augenblick mit meiner Rosine in ei- nem Tragsessel mich zum Rath T* bringen ließ, der gar nicht weit von uns wohnt; ich wollte den guten Leuten eine vergnuͤgte Ruhe verschaffen, indem ich ihnen die Gnade des Fuͤrsten versicherte. Jch hatte mich nahe an das Fenster, welches in ei- ne kleine Gasse gegen einen Garten geht, gesetzt. Aeltern und Kinder waren um mich versammelt; der Rath T* hatte auf mein Zureden neben mir auf der Bank Platz Platz genommen, und ich zog die Frau mit meiner Hand an mich, indem ich bey- den sagte: Bald, meine lieben Freunde, werde ich sie mit einem vergnuͤgten Ge- sichte sehen, denn der Fuͤrst hat dem Herrn Rath ein Amt und andre Huͤlfe ver- sprochen. Die Frau und die zwey aͤltesten Kinder knieten vor mich hin, mit Ausrufung voll Freude und Danks. Jm nehmlichen Au- genblick pochte jemand an den Fensterla- den; Der Rath T * machte das Fenster und den Laden auf, und es flog ein Pa- quet mit Geld herein, das ziemlich schwer auffiel, und uns alle bestuͤrzt machte. Eilends naͤherte ich meinen Kopf dem Fen- ster und hoͤrte ganz deutlich die Stimme des Milords Derby, der auf englisch sag- te: Gott sey Dank, ich habe etwas Gu- tes gethan, mag man mich wegen meiner Lustigkeit immer fuͤr einen Boͤsewicht halten!“ Jch bekenne, daß mich seine Handlung und seine Rede in der Seele bewegte, und mein erster Gedanke war: Vielleicht ist Milord Milord Seymour nicht so gut als er scheint, und Derby nicht so schlimm als von ihm gedacht wird. Die Frau T * war an die Hausthuͤre geloffen und rief: Wer sind Sie? Aber er eilte davon wie ein fliehender Vogel. Das Paquet wur- de aufgemacht und funfzig Carolinen dar- inn gefunden. Urtheilen Sie von der Freude, die daruͤber entstand. Aeltern und Kinder weinten und druͤckten sich wech- selsweise die Haͤnde; wenig fehlte, daß sie nicht das Geld kuͤßten und an ihr Herz druͤckten. Da sah ich den Unterschied zwischen der Wirkung, welche die Hoffnung eines Gluͤcks und der, die der wuͤrliche Besitz desselben macht. Die Freude uͤber das versprochene Amt war groß, doch deut- lich mit Furcht und Mißtrauen vermengt; aber funfzig Carolinen, die man in die Haͤn- de faßte, zaͤhlte, und ihrer sicher war, brachten alle in Entzuͤckung. Sie fragten mich; was sie mit dem Gelde anfangen sollten? Jch sagte zaͤrtlich: meine lieben Freunde, gebrauchen sie es so sorgfaͤltig, als wenn sie es mit vieler Muͤhe erwor- ben ben haͤtten, und als ob es der ganze Rest ihres Gluͤcks waͤre; denn wir wissen noch nicht, wann oder wie der Fuͤrst fuͤr sie sorgen wird. Jch gieng sodann nach Hause und war mit meinem Tage ver- gnuͤgt. Jch hatte durch meine Fuͤrbitte die Pflicht der Menschenliebe ausgeuͤbt und den Fuͤrsten zu einer Ausgabe der Wohlthaͤtig- keit gebracht, wie ihn andre zu Ausgaben von Wollust und Ueppigkeit verleiteten. Jch hatte die Herzen trostloser Personen mit Freude erfuͤllt, und das Vergnuͤgen genossen, von einem fuͤr sehr boshaft ge- haltenen Mann, eine edle und gute Hand- lung zu sehen. Denn wie schnell hat Milord D. die Gelegenheit ergriffen, Gu- tes zu thun? An dem Spieltische meiner Tante hoͤrt er ungefaͤhr von einem mitlei- denswuͤrdigen Hause reden, und erkundigt sich gleich mit so vielem Eifer darnach, daß er noch den nehmlichen Abend eine so freygebige, wahrhaftig englaͤndische Huͤl- fe leistet. T Er Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre, sondern zu Hause an der Tafel sitzen wuͤr- de, sonst sollte er nicht englisch geredet haben. Jn Gesellschaften hoͤrte ich ihn ofte gute Gesinnungen aͤußern; aber ich hielte sie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ- sewichts; allein die freye, allen Men- schen unbekannte Handlung kann unmoͤg- lich Heucheley seyn. O moͤchte er einen Geschmack an der Tugend finden, und ihr seine Kenntnisse weyhen! Er wuͤrde ei- ner der hochachtungswuͤrdigsten Maͤnner werden. Jch kann mich nun nicht verhindern ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil er sie verdient. Seinen feinen Schmeiche- leyen, seinen Witz und der Ehrerbietung, die er mir beweist, haͤtte ich sie niemals gegeben. Es kann oft geschehen, daß aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar- tung, und vielleicht die staͤrkste Leidenschaft des groͤßten Boͤsewichts zuzieht. Aber wie verachtungswerth ist ein Frauenzim- mer, die einen Gefallen daran bezeugt, und und sich wegen diesem armen Vergnuͤgen ihrer Eigenliebe zu einer Art von Dank verbunden haͤlt. Nein! niemand als der Hochachtungswuͤrdige soll hoͤren, daß ich ihn hochschaͤtze. Zu meiner Hoͤflichkeit ist die ganze Welt berechtigt; aber bessere Ge- sinnungen muͤssen durch Tugenden erwor- ben werdeu. Nun glaube ich aber noͤthig zu sagen, daß mein ganzer Plan fuͤr die Familie T * umgearbeitet werden muͤsse, wenn sie ein sicheres Einkommen erhalten. Jch uͤber- lasse es Jhrem gutdenkenden und aller Classen der Moral und Klugheit kundigen Manne, diesen Plan brauchbar zu ma- chen. Jch bitte Sie aber bald darum. Und da meine Augen vor Schlaf zufallen, wuͤnsche ich Jhnen, meine theure Emilia, gute Nacht. T 2 Fraͤulein Fraͤulein von Sternheim an Frau T *. J ch danke Jhnen, werthe Madam T * fuͤr das Vergnuͤgen, welches Sie mir durch ihre Offenherzigkeit gemacht haben; ich versichre Sie dagegen meiner wahren Freundschaft und eines unermuͤdeten Ei- fers Jhnen zu dienen. Sie wissen von meinem letzten Besuch, daß das Verlangen des Herrn T* nach einem Amte, durch die gnaͤdigen Gesin- nungen ihres Fuͤrsten zufrieden gestellt wird. Sie kennen meine Freude uͤber den Gedanken, Sie bald aus dem sorgen- vollen Stande gezogen zu sehen, in wel- chem Sie schmachten. Darf ich Jhnen aber auch sagen, daß diese Freude mit dem Wunsch begleitet ist: Daß sie sich bemuͤhen moͤchten, Jhren kuͤnftigen Wohl- stand fuͤr Sie und Jhre Kinder dauer- haft zu machen. Die Vergleichung ihres vorigen Wohlstandes und der kum- mervollen Jahre, die darauf erfolgten, koͤnnte koͤnnte die Grundlage eines Plans werden, den Sie itzt mit Jhren Kindern befolgten. Die Geschenke des Lord Derby haben Sie in den Stand gesetzt, sich mit Kleidung und Hausgeraͤthe zu besorgen, so daß das Einkommen ihres Amts, ganz rein zu Unterhaltung und Erziehung ihrer Kin- der gewiedmet werden kann. Jch trauete meinen jungen Einsichten nicht zu, den Entwurf eines solchen Plans zu machen, und habe einen Freund geist- lichen Standes darum gebeten, der mir folgendes zuschrieb. Bey den drey aͤltern Kindern ist (wie ich aus der Nachricht ersehe) der Verstand und die Empfindung reif genug, um jene Vergleichung in ihrer Staͤrke und Nutz- barkeit einzusehen. Wenn Sie Jhnen sodann die Berechnung ihres Einkommens und der noͤthigen Ausgaben machen, wer- den Sie sich gerne nach ihrem Plan fuͤh- ren lassen. Sagen Sie Jhnen alsdann: Gott habe zwo Gattungen Gluͤckselig- keit fuͤr uns bestimmt, wovon die erste ewig fuͤr unsre Seele verheißen ist, und T 3 deren deren wir uns durch die Tugend wuͤrdig machen muͤssen Der Herausgeber uͤberlaßt dem Herrn Pfar- rer, von welchem diese Distincrion herruͤhren soll, die Rechtfertigung derselben. Seiner Meynung nach, welche nichts Neues ist, laͤßt sich auch in diesem Leben weder oͤffentliche noch Privat- Gluͤckseligkeit ohne Tugend denken; und nach den Grundsaͤtzen der Offenbarung gehoͤrt noch et- was mehr als nur Tugend zur Erlangung der ewi- gen Gluͤckseligkeit. H. Die zwote geht unser Leben auf dieser Erde an. Diese koͤnnen wir durch Klugheit und Kenntnisse erhal- ten. Reden Sie Jhnen von der Ordnung, die Gott unter den Menschen durch die Verschiedenheit der Staͤnde eingesetzt hat. Zeigen Sie Jhnen die Hoͤhere und Reichere, aber auch die Aermere und Niedrigere als Sie sind. Reden Sie von den Vortheilen und Lasten, die jede Classe hat, und lenken Sie alsdenn ihre Kinder zu einer ehrerbietigen Zufrieden- heit mit ihrem Schoͤpfer, der sie durch die Aeltern, die er ihnen gab, zu einem ge- wissen Stande bestimmte, und ihnen dar- inn inn ein eignes Maaß besondrer Pflichten zu erfuͤllen auflegte; sagen Sie ihnen, zu den Pflichten der Tugend und der Reli- gion sey der Fuͤrst wie der Geringste unter den Menschen verbunden. Der erste Rang des Privatstandes ha- be die edle Pflicht, durch nuͤtzliche Kennt- nisse und Gelehrsamkeit, auf den verschie- denen Stufen oͤffentlicher Bedienungen, oder in der hoͤhern Classe des Kaufmanns- standes dem gemeinen Wesen nuͤtzlich zu seyn. Von diesem Begriffe machen Sie die Anwendung, daß Jhre Soͤhne durch den Stand des Herrn Rath T * in den ersten Gang der Privatpersonen gehoͤren, dar- inn sie, nach Erfuͤllung der Pflichten fuͤr ihr ewiges Wohl, auch denen nachkom- men muͤssen, ihre Faͤhigkeiten des Geistes durch Fleiß im Lernen und Studiren so anzubauen, daß sie einst als geschickte und rechtschaffene Maͤnner ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen koͤnnten. Der Ursprung des Adels waͤre kein besonderes Geschenk der Vorsicht, sondern die Beloh- T 4 nung nung der zum Nutzen des Vaterlandes ausgeuͤbten vorzuͤglichen Tugenden und Talente gewesen. Der Reichthum sey die Frucht des unermuͤdeten Fleißes und der Geschicklichkeit; es stuͤnde bey ihnen, sich auch auf diese Art vor andern ihres glei- chen zu zeigen, weil Tugend und Talente noch immer die Grundsteine der Ehre und des Gluͤcks seyn. Jhren Toͤchtern sollen Sie sagen, daß sie neben den Tugenden der Religion auch die Eigenschaften edelgesinnter liebens- wuͤrdiger Frauenzimmer besitzen muͤssen, und daß sie dieses ohne großen Reichthum werden und bleiben koͤnnten. Unser Herz und Verstand sind dem Schicksal nicht unterworfen. Wir koͤnnen ohne eine adeliche Geburt edle Seelen, und ohne großen Rang, einen großen Geist haben; ohne Reichthum gluͤcklich und ver- gnuͤgt, und ohne kostbaren Putz durch unser Herz, unsern Verstand und unsre persoͤnliche Annehmlichkeiten sehr liebens- wuͤrdig seyn, und also durch gute Eigen- schaften die Hochachtung unsrer Zeitgenos- sen sen als die erste und sicherste Stufe zu Eh- re und Gluͤck erlangen. Dann sagen Sie ihnen ihre Einkuͤnfte und die Anwendung, die sie davon, nach den Pflichten fuͤr die Beduͤrfnisse ihres Koͤrpers in Nahrung und Kleider, fuͤr die Beduͤrfnisse ihres Geistes und Ver- gnuͤgens an Lehrmeistern, Buͤchern und Gesellschaften machen wollten. Nen- nen Sie auch den zuruͤcklegenden Pfen- nig als eine Pflicht der Klugheit fuͤr kuͤnf- tige Zufaͤlle. Wir brauchen Nahrung, um die Kraͤfte unsers Koͤrpers zu unterhalten. Und die- sen Endzweck der Natur koͤnnen wir durch die simpelsten Speisen am leichtesten er- reichen. Diese werden von dem kleinen Einkommen nicht zu viel wegnehmen, und wir folgen dadurch der Stimme der Na- tur fuͤr unsre Gesundheit, und geben zu- gleich unserm Schicksal nach, welches uns die Ausschweifungen unsrer Einbildung ohnehin nicht erlaubte. Und da der Rei- che nach dem schwelgerischen Genuß des Ueberflusses seine Zuflucht zu einfachen T 5 Speisen Speisen und Wasser nehmen muß, um seine Gesundheit wieder herzustellen, war- um sollten wir uns beklagen, weil wir durch unser Verhaͤngniß gezwungen sind in gesunden Tagen den einfachen Foderun- gen der Natur gemaͤß zu leben? Kleider, haben wir zur Bedeckung und zum Schutz gegen die Anfaͤlle der Witterung noͤthig; diesen Dienst erhalten wir, von den ge- ringen und wohlfeilen Zeugen, wie von den kostbaren. Die meinem Gesichte an- staͤndige Farbe und die Schoͤnheit der Form muß bey dem ersten wie bey dem letzten gesucht werden; habe ich diese, so habe ich die erste Zierde des Kleides. Ein edler Gang, eine gute Stellung, die Bildung, so mir die Natur gab, koͤnnen meinem netten einfachen Putz ein Ansehen geben, das der Reiche bey alle seinem Aufwand nicht allezeit erhaͤlt; und bey Vernuͤnftigen wird mir meine Maͤßigung eben so viel Ehre machen, als der Reiche in dem Wechsel seiner Pracht immer fin- den kann. Muͤssen Muͤssen wir in unserm Hausgeraͤthe den Mangel vieles Schoͤnen und Gemaͤch- lichen ertragen, so wollen wir in dem hoͤchsten Grade der Reinlichkeit den Er- satz des Kostbaren suchen, und uns ge- woͤhnen, wie der weise Araber, froh zu seyn, daß wir zu unserm Gluͤck den Ue- ber fl uß nicht noͤthig haben. Und wie edel koͤnnen einst die Toͤchter des Herrn Raths die Wuͤrde ihres Hauses zieren, wenn die Zimmer mit schoͤnen Zeichnun- gen, die Stuͤhle und Ruhebaͤnke mit Ta- petenarbeit von ihren geschickten Haͤnden bekleidet seyn werden! Sollten Sie nach dieser edelmuͤthigen Ergebenheit in ihr Schicksal, durch den Anblick des Rei- chen, in eine traurige Vergleichung zwi- schen ihren und seinen Umstaͤnden verfal- len so halten Sie sich nicht bloß an die Jdee des Vergnuͤgens, das der Reiche in seiner Pracht und Wollust genießt, sondern wen- den Sie Jhre Gedanken auf den Nutzen, den Kaufleute, Kuͤnstler und Hand- arbeiter davon haben; denn bey dem ersten Gedanken fuͤhlen Sie nichts als Schmer- zen zen der Unzufriedenheit mit Jhrem Ge- schicke, welches Sie alle dieser Freuden beraubte; aber bey der zweyten Betrach- tung empfinden Sie das Vergnuͤgen einer edeln Seele, die sich uͤber das Wohl ihres Naͤchsten erfreut, und je kleiner Jhr Antheil an allgemeinem Gluͤck ist, desto edler ist Jhre Freude. Pruͤfen Sie das Maaß der Faͤhigkeiten Jhrer Kinder, lassen Sie keines unbe- bauet, und so bescheiden sie in Kleidung und anderm Aufwand von Personen Jhres Standes seyn moͤgen, so verwenden Sie alles auf die Erziehung. Zeichnen, Mu- sik, Sprachen, alle schoͤne Arbeiten des Frauenzimmers fuͤr ihre Toͤchter; fuͤr ihre Soͤhne alle Kenntnisse, die man von wohlerzognen jungen Mannsleuten fodert. Floͤßen Sie beyden Liebe und Gefchmack fuͤr die edle und unserm Geiste so nuͤtzliche Beschaͤfftigung des Lesens ein, besonders alles dessen, was zu der besten Kennt- niß unsrer Koͤrperwelt gehoͤrt. Es ist eine Pflicht des guten Geschoͤpfs die Wer- ke seines Urhebers zu kennen, von denen wir wir alle Augenblicke unsers Lebens so viel Gutes genießen; da die ganze physicalische Welt lauter Werke und Zeugnisse der Wohlthaͤtigkeit und Guͤte unsers Schoͤ- pfers in sich faßt, deren Anblick und Kenntniß das reinste und vollkommenste, keinem Zufall, keinem Menschen unter- worfene Vergnuͤgen in unsre Seele gießt. Je mehr Geschmack ihre Kinder an der natuͤrlichen Geschichte unsers Erdbodens, je mehr Kenntnisse sie von seinen Gewaͤch- sen, Nutzbarkeit und Schoͤnheit erlangen, je sanfter werden ihre Gesinnungen, Lei- denschaften und Begierden seyn, und um so viel mehr wird ihr Geschmack am Edeln und Einfachen gestaͤrkt und befestigt wer- den, und um so weiter entfernen sie sich v on der Jdee, daß Pracht und Wollust das groͤßte Gluͤck sey. Die Geschichte der moralischen Welt sollen ihre Kinder auch kennen; die Ver- aͤnderungen, welche ganze Koͤnigreiche und erhabne Personen betroffen, werden sie zu Betrachtungen leiten, deren Wuͤr- kung die Zufriedenheit mit ihren einge- schraͤnk- schraͤnkten Umstaͤnden seyn, und den Eifer fuͤr die Vermehrung der Tugend ihrer Seele und der Kenntnisse ihres Geistes vergroͤßern wird; weil sie durch die Ge- schichte finden werden, daß Tugend und Talente allein die Guͤther sind, welche Verhaͤngniß und Menschen nicht rauben koͤnnen. Heute Abend sollen ihre Kinder alle Buͤcher erhalten, welche zu Erlangung dieses Nutzens erforderlich sind. Der beste Segen meines Herzens wird den Korb be- gleiten, damit diese Arbeiten wohlthaͤtiger und liebenswuͤrdiger Maͤnner auch fuͤr Sie eine Quelle nutzbarer Kenntnisse und der besten Vergnuͤgungen ihres Lebens werden, gleich wie sie es fuͤr mich sind. Noch eins bitte ich Sie, theure Ma- dam T*. Suchen Sie ja keine Tisch- freunde mehr. Beweisen Sie denen, so Jhnen in ihrem Ungluͤcke dienten, Jhre Dankbarkeit und Achtung, Freundschaft und alle Gesinnungen der Ehre; thun Sie nach allen Jhren Kraͤften andern Noth- leidenden Gutes, und leben Sie mit Jhren Kindern Kindern ruhig und einsam fort, bis Jhr Umgang von Rechtschaffnen gesucht wird. Halten Sie Jhre heranwachsende Toͤch- ter, je mehr Schoͤnheit, je mehr Talente sie haben werden, je mehr zu Hause; das Lob ihrer Lehrmeister, und die Bescheiden- heit und Klugheit ihrer Lebensart soll sie bekannt machen, ehe man mit ihren Ge- sichtern sehr bekannt seyn wird. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie einst sehr zufrieden seyn werden, Dieser Phantasie Jhrer Frendin gefolgt zu haben. Milord Derby an seinen Freund in Paris. H eyda, Bruͤderchen, rufen sich die Lands- leute meiner Sternheim zu, wenn sie sich recht lustig machen wollen. Und weil ich meine englischen Netze auf deutschem Bo- den ausgesteckt habe, so will ich dir auch zurufen: Heyda, Bruͤderchen! die Schwin- gen meines Voͤgelchens sind verwickelt! Zwar Zwar sind Kopf und Fuͤße noch frey, aber die kleine Jagd, welche auf der andern Seite nach ihr gemacht wird, soll sie bald ganz in meine Schlingen treiben, und sie sogar noͤthigen, mich als ihren Erretter anzusehen. Vortrefflich war mein Ge- danke, mich nach ihrem Geiste der Wohl- thaͤtigkeit zu schmiegen, und dabey das Ansehen der Gleichguͤltigkeit und Verbor- genheit zu behalten. Beynahe haͤtte ich es zu lange anstehen lassen, und die beste Gelegenheit versaͤumt, mich ihr in einem vortheilhaften Lichte zu zeigen; aber die Geschwaͤtzigkeit ihrer Tante half mir alles einbringen. Jn der letzten Gesellschaft bey Hofe wurden wir alle durch ein langes Ge- spraͤch der Sternheim mit dem Fuͤrsten be- sonders aufmerksam gemacht; ich hatte ihren Ton behorcht, welcher suͤß und ein- nehmend gestimmt war, und da ich nach- dachte, was das Maͤdchen vorhaben moͤchte? sah’ ich den Fuͤrsten ihre Haͤnde ergreifen, und wie mich duͤnkte, eine kuͤssen. Der Kopf wurde mir schwindlicht, ich ich verlohr meine Karten, und legte mich voll Gift an ein Fenster; aber wie ich sie zum Spieltische ihrer Tante eilen und ihre Augen voller Bewegung und verwirrt auf das Spiel richten sah, naͤherte ich mich. Sie warf einen heftigen halbscheuen Blick nach mir. Jhre Tante fieng an: Sie saͤhe ihr an, daß sie mit dem Fuͤrsten fuͤr den Rath T* geredet habe: das Fraͤulein bejahte es, sagte freudig, daß er ihr Gnade fuͤr die Familie versprochen, und setzte etwas von dem Nothstande dieser Leu- te hinzu. Dieses faßte ich mir, um gleich den andern Tag etwas fuͤr sie zu thun, ehe der Fuͤrst die Bitte der Sternheim er- fuͤllte. Jch gieng nach meiner Gewohn- heit in dem Ueberrock meines Kerls an die Fenster des Speisesaals vom Grafen Loͤ- bau, weil ich alle Tage wissen wollte, wer mit meiner Schoͤnen zur Nacht esse; kaum war ich in der Gasse, so sah ich Tragsessel kommen, die an dem Hause hielten, zwo ziemlich verkappte Frauenzimmer kamen an die Thuͤr und ich hoͤrte die Stimme der Sternheim deutlich sagen, zu Rath U T* T * am S *** Garten. Jch wußte das Haus, lief in mein Zimmer, holte mir Geld, und warf es, da sie noch da war, bey dem Rath T * durchs Fenster, an welchem das Fraͤulein saß, murmelte eini- ge Worte von Freude uͤber die Wohlthaͤ- tigkeit, und als man an die Thuͤre kam, eilte ich davon. Zauberkraft war in mei- nen Worten; denn da ich zween Tage darauf dem Fraͤulein in Graf F* s Haufe entgegen gieng, um ihr meine angenom- mene Ehrerbietung zu bezeugen, bemerkte ich, daß ihr schoͤnes Auge sich mit einem Ausdruck von Achtung und Zufriedenheit auf meinem Gesichte verweilte; sie fieng an mir etliche Worte auf englisch zu sa- gen, aber da sie sehr spat gekommen war, wurde ihr gleich vom jungen Grafen F* eine Karte zu ziehen angeboten; sie sah sich unschluͤssig, wie durch eine Ahndung um, und zog einen Koͤnig, der sie zur Partie des Fuͤrsten bestimmte. Mußte ich just diese ziehen, sagte sie, mit unmuthiger Stimme; aber sie haͤtte lange waͤhlen koͤnnen, sie wuͤrde nichts als als Koͤnige gezogen haben, dann der Graf F* hatte keine andre Karten in der Hand, und ihre Tante war mit Bedacht spat gekommen, da alle Spieltische besetzt, und der Fuͤrst just als von ungefaͤhr in die Gesellschaft gekommen, und so hoͤflich war, keinem sein Spiel nehmen zu wol- len, sondern dem Zufall unter der Lei- tung des discreten F. die Sorge uͤber- trug, ihm jemand zu schaffen. Der Franzoͤsische Gesandte und die Graͤfin F* machten die Partie mit; mein Pharaon erlaubte mir manchmal hinter dem Stuhl des Fuͤrsten zu treten, und meine Augen dem Fraͤulein etwas sagen zu lassen; be- zaubernde, unnachahmliche Anmuth be- gleitete alles was sie that, der Fuͤrst fuͤhl- te es einst, als sie mit ihrer schoͤnen Hand Karten zusammenraffte, so stark, daß er hastig die seinige ausstreckte, einen ihrer Finger faßte, und mit Feuer ausrief; „Jst es moͤglich, daß in P * * alle diese „Grazien erzogen wurden? Gewiß, Herr „Marquis, Frankreich kann nichts Lie- „benswuͤrdigers zeigen.“ U 2 Der Der Gesandte haͤtte kein Franzose und kein Gesandter seyn muͤssen, wenn er es nicht bekraͤftiget haͤtte, waͤre er auch nicht davon uͤberzeugt gewesen; und meine Sternheim gluͤhete von Schoͤhnheit und Unzufriedenheit. Denn die Blicke des Fuͤrsten moͤgen noch lebhafter gewesen seyn, als der Ton, mit welchem er redete. Mein Maͤdchen mischte die Karte mit nie- dergeschlagenem Auge fort. Als sie selbi- ge austheilte, machte ich eine Wendung; sie blickte mich an; ich zeigte ihr ein nach- denkendes trauriges Gesichte, mit welchem ich sie ansah, meine Augen auf den Fuͤr- sten heftete und mit schnellem Schritte mich an den Pharao-Tisch begab, wo sie mich spielen sehen konnte. Jch setzte stark, und spielte zerstreut; meine Absicht war, die Sternheim denken zu machen, daß meine Beobachtung der Liebe des Fuͤr- sten gegen sie Ursache an der Nachlaͤssig- keit fuͤr mein Gluͤck, und der scheinbaren Zerstreuung meiner Gedanken sey. Die- ses konnte sie nicht anders als der Staͤrke meiner Leidenschaft fuͤr sie zuschreiben, und und es gieng, wie ich es haben wollte. Sie war auf alle meine Bewegungen auf- merksam. Als die Spiele geendigt wa- ren, gieng ich schwermuͤthig zu dem Pi- quet eben da das Fraͤulein ihr gewonne- nes Geld zusammen faßte; es war viel und alles von dem Fuͤrsten. Heute noch, sagte sie, sollen es die Kinder des Raths T * bekommen, denen ich sagen werde, daß Euere Durchlaucht ihnen zu lieb es so großmuͤthig verlohren haben. Der Fuͤrst sah sie laͤchelnd und ver- gnuͤgt an und ich riß mich aus dem Zim- mer weg, mit dem Entschluß auf sie zu lauren, wenn sie zum Rath T * gienge, um mich dort einzudringen und ihr von meiner Liebe zu reden. Den ganzen Nachmittag hatte sie mich mit Tiefsinn und Heftigkeit wechselsweise behaftet ge- sehen; mein Eindringen konnte auf die Rechnung meiner starken Leidenschaft ge- schrieben werden. Jch habe ohnehin waͤhrend meinem Aufenthalt in Deutsch- land gefunden, daß ein guͤnstiges Vorur- U 3 theil theil fuͤr uns darinn herrschet, kraft des- sen man von unsern verkehrtesten Hand- lungen auf das gelindeste urtheilt; Ja, sie noch manchmal als Beweise unsrer großen und freyen Seelen ansieht. Bey dieser Kunst den Augenblick des Zufalls zu benutzen, habe ich mehr ge- wonnen als ich durch ein ganzes Jahr Seufzen und Winseln erhalten haͤtte. Lies diese Scene und bewundere die Ge- genwart des Geistes und die Gewalt, die ich uͤber meine sonst unbaͤndige Sinnen, in der ganzen halben Stunde hatte, die ich allein, ganz allein mit meiner Goͤttin in einem Zimmer war, und ihre schoͤne Figur in der allerreizendsten Gestalt vor mir sah. Sie war nach Hause gegangen, um ihr Oberkleid und ihren Kopfputz abzulegen, und warf nur einen großen Mantel und eine Kappe uͤber sich, als sie sich zu Rath T* tragen ließ. Die Kappe, welche sie abzog, nahm allen Puder von ihren Castanien-Haaren hinweg, und brachte auch die Locken etwas in Unordnung; ein kurzes Unterkleid, und die schoͤne erhoͤhete Farbe, Farbe, die ihr mein Anblick und meine Un- terredung gab, machten sie unbeschreib- lich reizend. Als sie einige Minuten da war, pochte ich an die Thuͤre, und rief sachte nach der Madam T *. Sie kam; ich sagte ihr, daß ich Secretair bey Milord G. waͤre, der mich mit einem Geschenk fuͤr ihre Fa- milie zu dem Fraͤulein von Sternheim ge- schickt haͤtte, der ich es selbst uͤbergeben solle, und mit ihr deswegen zu reden ha- be; die Frau hieß mich einen Augenblick warten, und lief hin, ihren Mann und ihre Kinder in ein ander Zimmer zu schaf- fen; sie winkte mir sodann. Jch Narr zitterte beynahe, als ich den ersten Schritt in die Thuͤre trat; aber die kleine Angst, die das Maͤdchen befiel, erinnerte mich noch zu rechter Zeit an die Oberherrschaft des maͤnnlichen Geistes, und eine uͤber- bleibende Verwirrung mußte mir dazu die- nen, mein gezwungenes Eindringen zu beschoͤnen. Ehe sie sich von ihrem Er- staunen mich zu sehen erholen konnte, war ich zu ihren Fuͤßen; machte in un- U 4 srer srer Sprache einige lebhafte Entschuldi- gungen wegen des Ueberfalls, und wegen des Schreckens, den ich Jhr verursacht, aber es sey mir unmoͤglich gewesen noch laͤnger zu leben, ohne Jhr das Gestaͤndniß der lebhaftesten Verehrung zu machen, und daß, da mir durch Milord G. die vie- len Besuche in dem Hause Jhres Oncles untersagt worden, und ich gleichwohl mit Augen gesehen, daß andere die Kuͤhnheit haͤtten, Jhr ihre Gesinnungen zu zeigen: so wollte ich nur das Vorrecht haben, Jhr zu sagen, daß ich Sie wegen Jhrem selte- nen Geist verehrte, daß ich Zeuge von Jhrer ausuͤbenden Tugend gewesen waͤre, und Sie allein mich an den Ausspruch des Weisen erinnert haͤtte, der gesagt, daß wenn die Tugend in sichtbarer Gestalt er- schiene, niemand der Gewalt ihrer Rei- zungen wuͤrde widerstehen koͤnnen; daß ich dieses Haus als einen Tempel betrach- tete, in welchem ich zu Jhren Fuͤßen die Geluͤbde der Tugend ablegte, welche ich durch Sie in Jhrer ganzen Schoͤnheit haͤt- te kennen lernen, daß ich mich nicht wuͤr- dig dig schaͤtzte, Jhr von Liebe zu reden, ehe ich mich ganz umgebildet haͤtte, wobey ich Jhr Beyspiel zum Muster nehmen wuͤrde. Meine Erscheinung und der Jast der Lei- denschaften, in welchem ich zu ihr sprach, hatte sie wie betaͤubt, und auch Anfangs etwas erzuͤrnt; aber das Wort Tugend, welches ich etlichemal aussprach, war die Beschwoͤrung, durch welche ich ihren Zorn besaͤuftigte, und ihr alle Aufmerk- samkeit gab, die ich noͤthig hatte, um mir ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Jch sah auch, wie mitten unter den Runzeln, die der Unmuth der jungfraͤulichen Sitt- samkeit uͤber ihre Stirne gezogen hatte, da sie mich etliche mal unterbrechen und forteilen wollte, mein Plato mit seiner sichtbar gewordenen Tugend diese ernst- haften Zuͤge merklich aufheiterte und der feinste moralische Stolz auf ihren zur Er- de geschlagnen Augen saß. Diese Bemer- kung war mir fuͤr diesmal genug, und ich endigte meine ganz zaͤrtlich gewordene Re- de mit einer wiederholten demuͤthigen Ab- bitte meiner Ueberraschung. U 5 Sie Sie sagte mit einer etwas zitternden Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr sehr unerwartet ge- wesen sey, und daß sie wuͤnschte, daß mich meine Gesinnungen, wovon ich ihr rede- te, abgehalten haͤtten, sie in einem frem- den Hause zu uͤberraschen. Jch machte einige bewegliche Ausru- fungen, und mein Gesicht war mit der Angst bezeichnet ihr mißfallen zu haben; sie betrachtete mich mit Sorgsamkeit und sagte: Milord; Sie sind der erste Mann der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beydes macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlassen, und mir dadurch eine Probe der Hochach- tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha- rakter zu haben vorgeben. Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Gesinnungen waͤren, so haͤtte ich mehr Vorsicht gebraucht, um mich gegen Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver- wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; sa- gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen- heit heit vergeben und meine Verehrung nicht verwerfen. Nein, Milord, die wahre Hochachtung des rechtschaffenen Mannes werde ich nie- mals verwerfen; aber wenn ich die Jhri- ge erhalten habe, so verlassen Sie mich. Jch erhaschte ihre Hand, kuͤßte sie und sagte zaͤrtlich und eifrig: Goͤttliches, an- betungswuͤrdiges Maͤdchen; ich bin der erste Mann der Dir von Liebe redet: O wenn ich der erste waͤre den du liebtest! Seymour fiel mir ein, es war gut, daß ich gieng; an der Thuͤr legte ich mein Paquet Geld hin, und sagte zuruͤck: Ge- ben Sie es der Familie. Sie sah mir mit einer leutseligen Mie- ne nach; und seitdem habe ich sie zwey- mal in Gesellschaften gesehen, wo ich mich in einer ehrerbietigen Entfernung halts und nur sehr gelegen etliche Worte von Anbetung, Kummer oder so etwas sage, und wenn sie mich sehen oder hoͤren kann, mich sehr weislich und zuͤchtig auffuͤhre. Von Milord G. weiß ich, daß man bey Hof verschiedene Anschlaͤge macht, ihren Kopf Kopf zu gewinnen; das Herz, denken sie, haben sie schon; weil sie gerne Gutes thut, und ihr der Fuͤrst alles bewilligen wird. Man haͤlt in ihrer Gegenwart immer Un- terredungen von der Liebe und galanten Verbindungen, die man leicht, und was man in der Welt Philosophisch heißt, be- urtheilt. Alles dieses dient mir; denn jemehr sich die andern bemuͤhen, ihre Be- griffe von Ehre und Tugend zu schwaͤchen, und sie zum Vergessen derselben zu verleiten; je mehr wird sie gereizt mit allem weibli- chen Eigensinn ihre Grundsaͤtze zu behaup- ten. Die trockne Hoͤflichkeit des Milord G., die argwoͤhnische und kalte Miene des Seymour beleidigt die Ueberzeugung, die sie von dem Werthe ihrer Tugend hat. Jch beweise ihr Ehrerbietung; ich bewundere ihren seltnen Charakter, und achte mich nicht wuͤrdig ihr von Liebe zu reden, bis ich nach ihrem Beyspiel umgebildet seyn werde, und so werde ich sie, in dem Har- nisch ihrer Tugend und den Banden der Eigenliebe verwickelt zum Streit mit mir untuͤchtig sehen; wie man die Anmerkung von von den alten Kriegsruͤstungen machte, unter deren Last endlich der Streiter er- lag und mit seinem schoͤnen festen Panzer gefangen wurde. Sage mir nichts mehr von der fruͤhen Saͤttigung, in welche mich der so lange gesuchte Genuß der schoͤnen frommen *** brachte, und daß mich, nach aller Muͤhe, mit dieser Tugend das nehmliche Schicksal erwarte. Du bist weit entfernt eine richtige Jdee von der seltenen Creatur zu haben, von der ich dir schreibe. Eine zaͤrtliche Andaͤchtige hat freylich eben so viel uͤbertriebne Be- griffe von der Tugend als meine Stern- heim, und es ist angenehm alle diese Ge- spenster aus einer liebenswuͤrdigen Per- son zu verjagen; aber der Unterschied ist dieser; so wie die Devote bloß aus Zaͤrt- lichkeit fuͤr sich selbst den schrecklichen Schmerzen der Hoͤlle durch Froͤmmigkeit zu entfliehen und hingegen den Genuß der ewigen Wonne zu erhalten sucht, folglich aus lauter Eigennutz tugendhaft ist, und Furcht der Hoͤlle und Begierde nach dem Himmel, allein aus dem feinen Gefuͤhl ihrer ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre Ergebung an einen Liebhaber, allein aus der Vorstellung des Vergnuͤgens der Lie- be kommen; denn wenn die Sinnen nicht so viel bey frommen Leuten gaͤlten, woher kaͤmen wohl die sinnlichen Beschreibun- gen ihrer himmlischen Freuden, und wo- her die entzuͤckte Miene, mit welcher sie Leckerbissen verkaͤuen? Aber meine Moralistin ist ganz anders gestimmt; sie setzt ihre Tugend und ihre Gluͤckseligkeit in lauter Handlungen zum Besten des Nebenmenschen. Pracht, Ge- maͤchlichkeit, delicate Speisen, Ehrenbe- zeugungen, Lustbarkeiten, — nichts kann bey ihr dem Vergnuͤgen Gutes zu thun, die Waagschale halten, und aus diesem Beweggrunde wird sie einst die Wuͤnsche ihrers Verehrers kroͤnen, und das nehm- liche Nachdenken, das sie hat, alles Uebel der Gegenstaͤnde ihrer Wohlthaͤtigkeit zu erleichtern und neues Gluͤck fuͤr sie zu schaffen, dieses Nachdenken wird sie auch zur Vergroͤßerung meines Vergnuͤgens verwenden, und ich halte fuͤr unmoͤglich, daß daß man ihr satt werden sollte. Doch in kurzer Zeit werde ich dir Nachricht da- von geben koͤnnen, denn die Comoͤdie eilt zum Schlusse, weil die Leidenschaft des Fuͤrsten so heftig wird, daß man die An- stalten zu ihrer Verwicklung eifriger be- treibt, und Feste uͤber Feste veranstaltet. Fraͤulein von Sternheim an Emilia. W uͤrden Sie, liebste Emilia, jemals geglaubt haben, daß es eine Stunde meines Lebens geben koͤnnte, in der mich reuete Gutes gethan zu haben? Und sie ist gekommen, diese Stunde, in welcher ich mit dem warmen Eifer meines Herzens fuͤr das verbesserte Wohlergehen meines Naͤchsten unzufrieden war, und den Streit zwischen Mein und Dein empfun- den habe. Sie wissen aus meinen vori- gen Briefen, was es mich kostete den Fuͤr- sten um eine Gnade fuͤr die Familie T * zu bitten, bitten. Sie kennen die Beweggruͤnde meiner Abneigung und Ueberwindung der- selben; aber die verdoppelte Beunruhi- gung, die mir damit durch den Fuͤrsten und Milord Derby zugekommen ist, gab mir die Staͤrke des Unmuths, der mich zur Unzufriedenheit mit meinem Herzen brachte. Der Fuͤrst, welcher mich in Ge- sellschaften mit seinen Blicken und Unter- redungen mehr als zuvor verfolgt, scheu- te sich nicht bey einem Piquet, das ich mit ihm spielte, Ausrufungen uͤber meine An- nehmlichkeiten zu machen, und dieses mit einem Ton, worinn Leidenschaft war, und der alle Leute aufmerksam machte. Mi- lord Derby war eben vom Pharao-Tisch zu uns gekommen, und da ich in der Verwir- rung, in die ich aus Zorn und Verlegen- heit uͤber die Auffuͤhrung des Fuͤrsten ge- rieth, ungefehr meine Augen auf Derby richtete, sah ich wohl den Ausdruck einer heftigen Bewegung in seinem Gesicht, und daß er sich, nachdem seine Augen den Fuͤr- sten etwas wild angesehen, wegbegab, und wie ein verwirrter Mensch spielte: Aber das das konnte ich nicht sehen, daß ich von ihm noch den nehmlichen Abend auf das aͤußerste beunruhigt werden sollte. Der Fuͤrst verlohr viel Geld an mich; ich hat- te bemerkt, daß er mit Vorsatz schlecht spielte, wenn er allein gegen mich war; dieses verdroß mich; seine Absicht mag gewesen seyn, was sie will, sein Geld freute mich nicht, und ich sagte: daß ich es den Kindern des Raths T * noch den Abend geben wollte. Derby mußte es gehoͤrt haben, und faßte den Entschluß mich zu belauschen und bey dem Rath T * zu sprechen. Listig fieng er es an; denn als ich eine kleine Weile da war, kam er an das Haus, fragte nach der Frau T * und sagte dieser; er sey Secretair bey Mi- lord G. und haͤtte mir etwas fuͤr ihre Fa- milie zu bringen. Die Frau, von der Hoffnung eines großen Geschenks einge- nommen, holte ihren Mann und Kinder sammt der Rosine aus dem Zimmer, wo ich war, und ehe ich sie fragen konnte, was sie wollte, trat sie mit Milord Derby herein, meldete mir ihn als Secretair, re- X dete dete von seinem an sie habenden Geschenke und begab sich weg. Erstaunen und Un- muth betaͤuben mich lange genug, daß Milord zu meinen Fuͤßen knien und mir seine Entschuldigungen und Abbitten ma- chen konnte, ehe ich faͤhig war uͤber sein Eindringen meine Klage zu fuͤhren. Jch that es mit wenigen ernsthaften Worten; da fieng er an von einer langen verbor- gnen Leidenschaft und der Verzweiflung zu reden, in welche ihn Milord G. stuͤrzte, da er ihm verboten, nicht mehr in unser Haus zu gehen, und er doch sehen muͤßte, daß andre mir von ihrer Liebe redeten. Milords G. Verbot machte mich stutzend und nachdenkend; Derby redete immer in der heftigsten Bewegung fort; ich dachte an den Jast, worinn ich ihn den ganzen Abend in der Gesellschaft gesehen hatte, und meine Verlegenheit vergroͤßerte sich dadurch. Jch foderte, daß er mich ver- lassen sollte, und wollte zugleich der Thuͤr zugehen; er widersetzte sich mit sehr ehrerbietigen Gebehrden, aber mit einer Stimme und Blicken so voll Leidenschaft, daß daß mir bange und uͤbel wurde. Dies war der Augenblick, wo ich boͤse auf mein Herz war, daß es mich gerade diesen Abend noch mein Spielgeld den Kindern bringen hieß und mich dadurch dieser Ver- legenheit ausgesetzt hatte. Jch erholte mich endlich, da ich ihn den geheiligten Namen der Tugend aus- sprechen hoͤrte, in welchem er mich beschwur, ihn nur noch einen Augenblick reden zu lassen. Wiederholen kann ich nichts, aber er redete gut; wenig von meinen aͤus- serlichen Annehmlichkeiten, aber er behaup- tete meinen Charakter zu kennen, den er als selten ansieht, und am Ende legte er auf eine ruͤhrende Weise eine feyerliche Ge- luͤbde von Tugend und Liebe ab. Unzufrieden mit ihm und mit mir selbst, bestuͤrzt und bewegt, machte ich an ihn die Bitte, mir den Beweis von seinen Ge- sinnungen zu geben, daß er mich verließe. Er gieng gleich mit ermunterter Abbitte seines Ueberraschens, und legte an der Thuͤr noch ein schweres Paquet Geld fuͤr die arme Familie hin. X 2 Ein Ein ungewoͤhnlicher Kummer beklemm- te mein Herz; das beste Gluͤck, das ich mir in dieser Minute wuͤnschte, war einsam zu seyn. Aber die Frau T* kam herein, ich uͤbergab ihr das Geschenk sammt dem ge- wonnenen Gelde. Jhre Freude erleich- terte mich ein wenig, aber ich eilte mit dem festen Vorsatz fort, dieses Haus nicht mehr zu betreten, so lange Milord Derby in D* seyn wuͤrde. Mein Oncle und mei- ne Tante spielten noch, als ich nach Hause kam und ich legte mich ins Bette. Trau- rige Naͤchte hatte ich schon durch meinen an Eltern und Freunden erlittenen Verlust gehabt; aber die mit Unruhe und Schmer- zen der Seele erfuͤllte schlaflose Stunden habe ich niemals gekannt, welche auf die Betrachtung folgten, daß mein Schicksal und meine Umstaͤnde meinen Wuͤnschen und meinem Charakter voͤllig entgegen sind. Meine aͤußerste Bemuͤhung war immer, unstraͤflich in meiner Auffuͤhrung zu seyn, und doch wurde ich durch Milord Derby der Nachrede einer Zusammenkunft ausge- setzt. Milord G., dessen Achtung ich zu verdienen verdienen glaubte, verbietet seinen Ver- wandten den vorzuͤglichen Umgang mit mir. Jch hatte die Freundschaft eines tugendhaften Mannes gewuͤnscht, und dieser flieht mich, waͤhrend daß mich der Fuͤrst und der Graf F* zu verfolgen an- fangen. Und was soll ich von Milord Derby sagen: Jch bekenne, die Liebe eines Englaͤnders ist mir vorzuͤglich angenehm, aber — Und doch; warum waͤhlte ich ei- nen und verwarf den andern, ehe ich sie kannte; ich war gewiß voreilig und un- billig. Derby ist rasch und unbesonnen; aber voller Geist und Empfindsamkeit. Wie schnell wie eifrig thut er Gutes? Sein Herz kann nicht verdorben seyn, weil er so viele Aufmerksamkeit fuͤr gute Handlungen hat; ich moͤchte bald hinzu- setzen, weil er mich und meine Denkungs- art lieben kann. Aber alle halten ihn fuͤr einen boͤsen Menschen; er muß Anlaß zu einer so allgemeinen Meynung gegeben haben; und gleichwohl hat die Tugend Anspruͤche anf sein Herz. Emilia! wenn ihn die Liebe ganz von Jrrwegen zuruͤck- X 3 fuͤhrte, fuͤhrte, wenn sie es um meinetwillen un- ternaͤhme: Waͤre ich ihr da nicht das Opfer des Vorzugs schuldig, den ich ei- nem andern ohne sein Verlangen gab? Aber itzt wuͤnschte ich aller Wahl uͤberho- ben zu seyn, und daß meine Tante R. bald kaͤme. Vergeblicher Wunsch! Sie ist in Florenz und wird da ihre Wochen halten. Sie sehen also, daß alle Um- staͤnde wider mich sind. Der laͤndliche Frieden, die Ruhe, die edle Einfalt, wel- che mein einsames S *** bewohnen, waͤ- ren meinem armen Kopfe und Herzen so erquickend, als Hofleuten der Anblick ei- ner freyen Gegend ist, wenn sie lange in Kunstgaͤrten herumgeirret, und ihr Auge durch Betrachtungen der gesuchten und ge- zwungenen Schoͤnheiten ermuͤdet haben. Wie gerne stellten sie ihre durch zerstoßnen Marmor ermattete Fuͤße auf ein mit Mooß bewachsnes Stuͤck Erde, und sehen sich in dem unbegraͤnzten schoͤnen Gemi- sche von Feld, Waldungen, Baͤchen und Wiesen um, wo die Natur ihre besten Ga- ben in reizender Unordnung verbreitet! Bey Bey vielen beobachtete ich in dieser Gele- genheit die Staͤrke der reinen ersten Em- pfindungen der Natur. So gar ihr Gang und ihre Gebehrden wurden freyer und ungezwungener, als sie in den soge- nannten Lustgaͤrten waren; aber einige Augenblicke darauf sah ich auch die Macht der Gewohnheit, die, durch einen einzigen Gedanken rege gemacht, die sanfte Zufrie- denheit stoͤrte, welche die Herzen einge- nommen hatte. Urtheilen Sie, meine Emilia, wie ermuͤdet mein moralisches Auge uͤber den taͤglichen Anblick des Er- kuͤnstelten im Verstande, in den Empfin- dungen, Vergnuͤgungen und Tugenden ist! Dazu kommt nun der Antrag einer Ver- bindung mit dem jungen Grafen F *, die ich, wenn mir auch der Mann gefiele, nicht annehmen wuͤrde, weil sie mich an den Hof fesseln wuͤrde. So sehr auch diese Fesseln uͤberguͤldet und mit Blumen be- streuet waͤren, so wuͤrden sie doch mein Herz nur desto mehr belaͤstigen. Jch lei- de durch den Gedanken, jemand eine Hoff- nung von Gluͤck zu rauben, deren Erfuͤl- X 4 lung lung in meiner Gewalt steht; aber warum machen die Leute keine Vergleichung zwi- schen ihrer Denkart und der meinigen? Sie wuͤrden darinn ganz deutlich die Un- moͤglichkeit sehen, mich jemals auf den Weg ihrer Gesinnungen zu lenken. Mein Oncle und meine Tante machen mich er- staunen. Sie, die meine Aeltern und meine Erziehung kannten, Sie, die von der Festigkeit meiner Jdeen und Empfin- dungen uͤberzeugt sind, sie dachten mich durch glaͤnzende Spielwerke von Rang, Pracht und Ergoͤtzlichkeiten, zur Ueberga- be meiner Hand und meines Herzens zu bewegen? Jch kann nicht boͤse uͤber sie werden; sie suchen mich nach ihren Be- griffen von Gluͤck durch eine vornehme Verbindung gluͤcklich zu machen, und geben sich alle ersinnliche Muͤhe, mir den Hof von seiner verfuͤhrerischen Seite vorzustellen. Sie haben gesucht, meine Liebe zur Wohl- thaͤtigkeit als eine Triebfeder anzuwenden. Weil der Graf F* versicherte, daß mich der Fuͤrst sehr hochschaͤtze, daß er mit Ver- gnuͤgen alle Gnaden bewilligen wuͤrde, die ich ich mir immer ausbitten koͤnnte; so haben sie, denke ich, Leute angestellt, mich um Fuͤrsprache bey dem Herrn anzuflehen, Jhre Vermuthung, daß dieses die staͤrk- ste Versuchung fuͤr mich sey, ist ganz rich- tig; dann die Gewalt Gutes zu thun, ist das einzige wuͤnschenswerthe Gluͤck das ich kenne. Zu meinem Vergnuͤgen war die erste Bitte ein Wunsch von Eitelkeit, welcher etwas begehrte, dessen man wohl ent- behren konnte; so daß ich ohne Unruhe mein Vorwort versagen konnte. Jch zeigte dabey meinen Entschluß an, den Fuͤrsten niemals mehr zu beunruhigen, in- dem mich nur die aͤußerste Noth und Huͤlf- losigkeit der Familie T * dazu veranlaßt habe. Waͤre es eine nothleidende Person gewesen, die mich um Fuͤrbitte angespro- chen haͤtte, so waͤre mein Herz wieder in eine traurige Verlegenheit gerathen, zwi- schen meiner Pflicht und Neigung ihr zu dienen, und zwischen meinem Widerwil- len dem Fuͤrsten fuͤr eine Gefaͤlligkeit zu danken, einen Entschluß zu machen. Fuͤr X 5 meines meines Oncles Proceß muß ich noch re- den, und es soll auf einem Masquenball geschehen, dazu man schon viele Anstal- ten macht. Eine allgemeine Anstrengung der Erfindungskraft ist aus diesem Vorha- ben erfolgt; ein jedes will sinnreich und gefaͤllig gekleidet seyn, Hof- und Stadt- leute werden dazu geladen, es soll eine Nachahmung der englischen Masquenbaͤlle zu Vauxhall werden. Jch bekenne, daß der ganze Entwurf etwas angenehmes fuͤr mich hat; einmal, weil ich das Bild der roͤmischen Saturnalien, die ich Gleich- heitsfeste nennen moͤchte, sehen werde, und dann, weil ich mir ein großes Ver- gnuͤgen aus der Betrachtung verspreche, den Grad der Staͤrke und Schoͤnheit der Einbildungskraft so vieler Personen in ihren verschiedenen Erfindungen und Aus- wahlen der Kleidungen zu bemerken. Der Graf F*, sein Nepote, mein Oncle, meine Tante und ich, werden eine Trup- pe Spanischer Musicanten vorstellen, die des Nachts auf die Straße ziehn, um vor den Haͤusern etwas zu ersingen. Der Ge- danke danke ist artig, unsre Kleidung in Cra- moist mit schwarzem Taft, sehr schoͤn; aber meine Stimme vor so vielen Leuten erschallen zu lassen, dieß vergaͤllet meine Freude; es scheint so zuversichtlich auf ihre Schoͤnheit und so begierig nach Lob. Doch man will damit dem Fuͤrsten, der mich gerne singen hoͤrt, gefaͤllig seyn, weil man glaubt, der Proceß meines On- cles gewinne dabey, und ich will ihm lie- ber vor der ganzen Welt singen, als noch einmal in unsern Garten, wie gestern; wo ich darauf mit ihm spatzieren gehen, und ihn von Liebe reden hoͤren mußte. Er hatte sie zwar in Ausdruͤcke der Be- wunderung meines Geistes und meiner Geschicklichkeit eingewickelt; „aber meine „Augen, meine Gestalt und meine Haͤnde „haͤtten viel Verwirrung an seinem „Hof angerichtet, ihm waͤre es un- „moͤglich Rath darinn zu schaffen, weil „die Macht meiner Reize den Herrn „eben so wenig verschonet haͤtte als seine „Diener.“ Meine Meine Entfernung wird also das beste Mittel wider diese Unordnung seyn, sag- te ich. „Das sollen Sie nicht thun, Sie sol- len meinen Hof der Zierde nicht berauben, die er durch Sie erhalten; einen Gluͤckli- chen sollen Sie waͤhlen, und sich niemals, von D* entfernen. Jch wußte ihm Dank, daß er dieses hinzusetzte; er muß es gethan haben, weil er bemerkte, daß ich in Verwirrung gerathen war, und auf einmal traurig und ernsthaft aussah. Denn wie er von der Wahl eines Gluͤcklichen redete, wand- te er sich zu mir und blickte mich so sehn- suchtsvoll an, daß ich mich vor seinen wei- tern Erklaͤrungen fuͤrchtete. Er fragte mich zaͤrtlich nach der Ursache meiner Ernsthaftigkeit; ich faßte mich, und sagte ihm ziemlich munter: Der Gedanke von einer Auswahl waͤre schuld daran; weil ich in D * nach meiner Phantasie keine zu machen wuͤßte. „Gar keine? Nehmen Sie den, der Sie am meisten liebt; und ihnen seine Liebe am am besten beweisen kann.“ — Mit diesem Gespraͤche kamen wir zur Gesellschaft an. Alle suchten etwas in den Gesichtszuͤgen des Fuͤrsten zu lesen; er war sehr hoͤflich gegen sie; gieng aber bald darauf weg, und sagte mir noch mit Laͤcheln: ich moͤch- te seinen Rath nicht vergessen. Jch re- dete meiner Tante ernsthaft von den Ge- sinnungen, die ich bemerkt haͤtte, und daß ich in keinem Menschen Liebe sehen und ernaͤhren wuͤrde, die ich nicht billigen koͤnnte; daß ich also auf dem Bal nicht singen wollte, und sie baͤte mich nach Sternheim zuruͤck zu lassen. Da war Jammer uͤber meine zuweitge- triebne grillenhafte Jdeen, die nicht einmal eine zaͤrtliche Hoͤflichkeit ertragen koͤnnten; ich moͤchte doch um des Himmels und ihrer Kinder willen die Bal-Partie nicht verschlagen; wenn ich nach diesem unzu- frieden waͤre, so versprach sie mir, mich nach Sternheim zu begleiten, und den Ue- berrest des Jahres dort zu bleiben. Bey diesem Versprechen hielt ich sie und erneuer- te ihr das meinige. Dies ist also die letzte Tyrannie, Tyrannie, welche die Gefaͤlligkeit fuͤr andre an mir ausuͤben wird, und dann werde ich meine Sternheim wieder sehen. O Emilia! mit was fuͤr Entzuͤcken der Freude werde ich dieses Haus betreten, wo jeder Platz an die ausgeuͤbten Tugenden meiner Ael- tern mich erinnern und aufmuntern wird, ihrem Beyspiel zu folgen; Tugenden und Fehler der großen Welt sind nichts fuͤr meinen Charakter; die ersten sind mir zu glaͤnzend und die andern zu schwarz. Ein ruhiger Cirkel von Beschaͤfftigung fuͤr mei- nen Geist und fuͤr mein Herz ist das mir zugemessene Gluͤck, und dieses finde ich auf meinem Guthe. Ehemals wurde es durch den freundschaftlichen Umgang mei- ner Emilia vergroͤßert; aber die Vorsicht wollte ihre Tugenden in einer andern Ge- gend leuchten lassen, ließ mir aber ihren Briefwechsel. Sehr lieb ist mir, daß ich die große Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge- lernt habe. Jch werde sie nun in allen Theilen richtiger zu beurtheilen wissen. Jch habe ihr die Verfeinerung meines Ge- schmacks schmacks und Witzes, durch die Kenntniß des Vollkommnen in den Kuͤnsten zu dan- ken. Jhr Luxus, ihre lermende ermuͤden- de Ergoͤtzungen haben mir die edle Einfalt und die ruhigen Freuden meines Stamm- hauses angenehmer gemacht; der Mangel an Freuden, den sie mich erdulden ließ, hat mich den Werth meiner Emilie hoͤher schaͤtzen gelehrt; und ob ich schon gefuͤhlt habe, daß die Liebe Anspruͤche auf mein Herz hat, so freut mich doch, daß es al- lein durch den Sohn der himmlischen Venus verwundet werden kann, und daß die Tugend ihre Rechte umgestoͤrt darinn erhalten hat. Denn gewiß wird meine Zaͤrtlichkeit niemals einen Gegenstand waͤhlen, der sie verdraͤngen wird. Schoͤnheit und Witz haben keine Ge- walt uͤber mein Herz, ungeachtet ich den Werth von beyden kenne, eine feurige Lei- denschaft und zaͤrtliche Reden auch nicht; am wenigsten aber die Lobeserhebungen meiner persoͤnlichen Annehmlichkeiten; denn da sehe ich in meinem Liebhaber nichts nichts als die Liebe seines Vergnuͤgens. Die Achtung fuͤr die gute Neigungen mei- nes Herzens und fuͤr die Bemuͤhungen meines Geistes um Talente zu sammeln, dieses allein ruͤhrt mich, weil ich es fuͤr ein Zeichen einer gleichgestimmten Seele und der wahren dauerhaften Liebe halte; aber es wurde mir von niemand gesagt, von dem ich es zu hoͤren wuͤnschte. Der- by hatte diesen Ton: Aber nicht eine Sai- te meines Herzens hat darauf geantwor- tet. Auch dieses Mannes Liebe, oder was es ist, vermehrt meine Sehnsucht und Eile nach Ruhe und Einsamkeit. Jn acht Tagen ist der Bal: vielleicht, meine Emilia, schreibe ich Jhnen meinen naͤch- sten Brief in dem Cabinette der Sternheim zu den Fuͤßen des Bildnisses meiner Ma- ma, dessen Anblick meine Feder zu einem andern Jnnhalt meiner Briefe begeistern wird. Milord Milord Derby an seinen Freund D ie Comoͤdie des Fuͤrsten mit meiner Sternheim, wovon ich dir letzthin geschrie- ben, ist durch die romantischen Grillen des Vetters Seymour zu einem so tragischen Ansehen gestiegen, daß nichts als der Tod oder die Flucht der Heldin zu einer Ent- wicklung dienen kann; das Erste, hoffe ich, solle die Goͤttin der Jugend verhuͤ- ten, und fuͤr das Zweyte mag Venus durch meine Vermittlung sorgen. Man hat, weil das Fraͤulein gerne tanzt, die Hoffnung gefaßt, sie durch Bal- lustbarkeiten eher biegsam und nachgebend zu machen; und da sie noch niemals ei- nen Masquenbal gesehen, so wurden auf den Geburtstag des Fuͤrsten, die Anstal- ten dazu gemacht. Man bewog das Maͤd- chen zu dem Entschluß bey dieser Gelegen- heit zu singen, und sie gerieth auf den ar- tigen Einfall, in Gesellschaft etlicher Per- sonen einen Trupp Spanischer Musicanten Y vorzu- vorzustellen. Der Fuͤrst erhielt die Nach- richt davon und ersuchte den Grafen Loͤ- bau, ihm das Vergnuͤgen zu lassen, die Kleidung des Fraͤuleins zu besorgen, um ihr dadurch unversehens ein Geschenk zu machen. Oncle und Tante nahmen es an, weil ihre Masquen zugleich ange- schafft wurden; aber zween Tage vor dem Bal war dem Hof und der Stadt be- kannt, daß der Fuͤrst dem Fraͤulein die Kleidung und den Schmuck gaͤbe, und auch selbst ihre Farben tragen werde. Seymour gerieth in den hoͤchsten Grad von Wuth und Verachtung; ich selbst wurde zweifelhaft, und nahm mir vor, die Stern- heim schaͤrfer als jemals zu beobachten. Nichts kann reizender seyn als ihr Eintritt in den Saal gewesen ist. Die Graͤfin Loͤbau, als eine alte Frau beklei- det, gieng mit einer Laterne und etlichen Rollen Musicalien voraus. Der alte Graf H * mit einer Baßgeige; Loͤbau mit der Fluͤtetraverse und das Fraͤulein mit ei- ner Laute, kamen nach. Sie stellten sich vor die Loge des Fuͤrsten, fiengen an zu stimmen, stimmen, die Tanzmusik mußte schweigen, und das Fraͤulein sang eine Arie; sie war in Cramoisi und schwarzen Taft gekleidet, ihre schoͤnen Haare in fliegenden nachlaͤs- sigen Locken verbreitet; ihre Brust ziem- lich, doch weniger als sonst verhuͤllt; uͤberhaupt schien sie mit vielem Fleiß, auf eine Art gekleidet zu seyn, die alle reizenden Schoͤnheiten ihrer Figur wechselsweise entwickelte; denn der weite Ermel war ge- wiß allein da, um waͤhrend sie die Laute schlug, zuruͤck zu fallen und ihren vollkom- men gebildeten Arm in sein ganzes Licht zu setzen. Die halbe Masque zeigte uns den schoͤnsten Mund, und ihre Eigenliebe bemuͤhete sich die Schoͤnheit ihrer Stimme zu aller Zauberkraft der Kunst zu erhoͤhen. Seymour in einem schwarzen Domino an ein Fenster gelehnt, sah sie mit convul- sivischen Bewegungen an. Der Fuͤrst in einem venetianischen Mantel in seiner Loge, Begierde und Hoffnung in seinen Augen gezeichnet, klatschte froͤhlich die Haͤnde zusammen und kam, einen Menuet mit ihr zu tanzen, nachdem er vieles Lob von ih- Y 2 ren ren Fingern gemacht hatte. Mein Kopf fieng an warm zu werden, und ich em- pfahl meinem Freunde John, dem Se- cretair von Milord G., seine Aufmerksam- keit zu verdoppeln, weil mein aufkochen- des Blut nicht mehr Ruhe genug dazu hatte. Doch machte ich noch in Zeiten die Anmerkung, daß unser Gesicht, und das was man Physionomie nennt, ganz eigentlich der Ausdruck unsrer Seele ist. Denn ohne Masque war meine Stern- heim allezeit das Bild der sitttlichen Schoͤnheit, indem ihre Miene und der Blick ihrer Augen, eine Hoheit und Rei- nigkeit der Seele uͤber ihre ganze Person auszugießen schien, wodurch alle Begier- den, die sie einfloͤßte, in den Schranken der Ehrerbietung gehalten wurden. Aber nun waren ihre Augenbraunen, Schlaͤfe und halbe Backen gedeckt, und ihre Seele gleichsam unsichtbar gemacht; sie verlohr dadurch die sittliche eharakteristische Zuͤge ihrer Annehmlichkeiten, und sank zu der allgemeinen Jdee eines Maͤdchens herab. Der Gedanke, daß sie ihren ganzen An- zug zug vom Fuͤrsten erhalten, ihm zu Ehren gesungen hatte, und schon lange von ihm geliebt wurde, stellte sie uns allen als wuͤrkliche Maitresse vor; besonders da eine Viertelstunde darauf der Fuͤrst in einer Masque von nehmlichen Farben als die ihrige kam, und sie, da eben Deutsch getanzt wurde, an der Seite ihrer Tante, mit der sie stehend redte, wegnahm, und einen Arm um ihren Leib geschlungen, die Laͤnge des Saals mit ihr durchtanzte. Dieser Anblick aͤrgerte mich zum rasend werden, doch bemerkte ich, daß sie sich vielfaͤltig straͤubte und loswinden wollte; aber bey jeder Bemuͤhung druͤckte er sie fester an seine Brust, und fuͤhrte sie end- lich zuruͤck, worauf der Graf F * ihn an ein Fenster zog, und eifrig redete. Eini- ge Zeit hernach stund eine weisse Masque en Chauve-Souris neben dem Fraͤulein, die ich auf einmal eine heftigste Bewegung mit ihrem rechten Arm, gegen ihre Brust machen, und einen Augenblick darauf, ihre linke Hand nach der weissen Masque aus- strecken sah. Diese entschluͤpfte durch das Y 3 Gedraͤn- Gedraͤnge, und das Fraͤulein gieng mit aͤußerster Schnelligkeit den Saal durch. Jch folgte der weissen Masque auf die Ecke eines Gangs, wo sie die Kleider fal- len ließ, und mir den Lord Seymour in seinem schwarzen Domino zeigte, der in der staͤrksten Bewegung die Treppe hinun- ter lief, und mich uͤber seine Unterredung mit dem Fraͤulein in der groͤßten Verle- genheit ließ. John, der sie nicht aus dem Gesichte verlohr, war ihr nachgegan- gen, und sah, daß sie in das Zimmer, wo ihr Oucle und die Graͤfin F* waren, gieng, gleich beym Eintritt allen Schmuck ihres Aufsatzes vom Kopfe riß, mit verachtungs- und schmerzensvollen Ausdruͤcken zu Bo- den warf, ihren Oncle, der sich ihr naͤ- herte, mit Abscheu ansah, und mit der kummervollesten Stimme ihn fragte: Wo- mit habe ich es verdient, daß Sie meine Ehre und meinen guten Nahmen zum Opfer der verhaßten Leidenschaft des Fuͤr- sten machten? Mit zitternden Haͤnden band sie ihre Masque loß, riß die Spitzen ihres Hals- kragens, kragens, und ihre Manschetten in Stuͤ- cken, und streute sie vor sich her. John hatte sich gleich nach ihr an die Thuͤre ge- drungen, und war Zeuge von allen die- sen Bewegungen. Der Fuͤrst eilte mit dem Grafen F* und ihrer Tante herbey, die uͤbrigen entfernten sich, und John wickelte sich in den Vorhang der Thuͤre, welche sogleich verschlossen wurde. Der Fuͤrst warf sich zu ihren Fuͤßen, und bat sie in den zaͤrtlichsten Ausdruͤcken, ihm die Ursache ihres Kummers zu sagen; sie ver- goß einen Strohm von Thraͤnen, und wollte von ihrem Platz gehen; er hielt sie auf und wiederhohlte seine Bitten. Was soll diese Erniedrigung von Jh- nen? Sie ist kein Ersatz fuͤr die Erniedri- gung meines guten Nahmens. — O meine Tante, wie elend, wie niedertraͤch- tig sind Sie mit dem Kind ihrer Schwe- ster umgegangen! — O mein Vater, was fuͤr Haͤnden haben Sie mich anvertraut! Der feyerliche schmerzvolle Ton, mit welchem sie dieses sagte, haͤtte das inner- ste seiner Seele bewegt. Jhre Tante Y 4 fieng fieng an: Sie begreift kein Wort von ih- ren Klagen und von ihrem Unmuth; aber sie wuͤnschte, sich niemals mit ihr beladen zu haben. Erweisen Sie mir die letzte Guͤte, und fuͤhren Sie mich nach Hause. Sie sollen nicht lange mehr mit mir geplagt seyn. Dieses sprach mein Sternheim mit ei- ner stotternden Stimme. Ein außeror- dentliches Zittern hatte sie befallen; sie hielt sich mit Muͤhe an einem Stuhl auf- recht, der Fuͤrst war mit der Zaͤrtlichkeit eines Liebhabers bemuͤht, sie zu beruhi- gen. Er versicherte sie, daß seine Liebe alles in der Welt fuͤr sie thun wuͤrde, was in seiner Gewalt stuͤnde. O es ist nicht in Jhrer Gewalt, rief sie, mir die Ruhe meines Lebens wieder zu geben, deren Sie mich beraubt haben. — Meine Tante, haben Sie Erbarmen mit mir, bringen Sie mich nach Hause! Jhr Zittern nahm zu; der Fuͤrst ge- rieth in Sorgen und gieng selbst in das Nebenzimmer, um eine Kutsche anspannen und seinen Medicum rufen zu lassen. Die Die Graͤfin Loͤbau hatte die Grausam- keit dem Fraͤulein Vorwuͤrfe uͤber ihr Be- tragen zu machen. Das Fraͤulein ant- wortete mit nichts als einen Strohm von Thraͤnen, die aus ihren gen Himmel gerich- teten Augen flossen, und ihre gerungenen Haͤnde benetzten. Der Fuͤrst kam mit dem Medico, der das Fraͤulein mit Staunen ansah, ihr den Puls fuͤhlte, und den Ausspruch that, daß das heftigste Fieber mit starken Zuͤckun- gen vorhanden waͤre; der Fuͤrst empfohl sie seiner Aufsicht und Sorgfalt auf das Jnstaͤndigste. Als die angespannte Kut- sche gemeldet wurde, sah sich das Fraͤu- lein sorgsam und erschrocken um, fiel vor dem Fuͤrsten nieder, und indem sie ihre Haͤnde gegen ihn erhob, rief sie: O wenn es wahr ist, daß Sie mich lie- ben, lassen Sie mich nirgend anders wo- hin fuͤhren, als in mein Haus. Der Fuͤrst hob sie auf, und sagte ihr be- wegt: Er schwoͤre ihr die ehrerbietigsten Gesinnungen, und haͤtte keinen Gedanken sie zu betruͤgen; er baͤte sie nur, daß sie Y 5 sich sich fassen moͤchte, der Doctor sollte sie begleiten. Sie gab dem Alten ihre Hand, nach- dem sie ihr Halstuch um ihren Hals ge- legt hatte, und gieng mit wankenden Fuͤs- sen aus dem Zimmer. Jhre Tante blieb und fieng an uͤber das Maͤdchen zu re- den. Der Fuͤrst hieß sie schweigen, und sagte ihr mit Zorn: sie haͤtten ihm alle eine falsche Jdee von dem Charakter des Fraͤuleins gegeben, und ihn lauter ver- kehrte Wege gefuͤhrt. Damit gieng er fort, die Graͤfin auch, und John wurde seines Gefaͤngnisses erlediget. Jm Saal hatte man fortgetanzt, aber daneben viel von der Begebenheit gezischelt. Fast bey allen wurde die Auffuͤhrung des Fraͤuleins als ein uͤbertriebenes Geziere getadelt. „Man kann tugendhaft seyn, „ohne ein großes Geraͤusch zu machen. „Sollte man nicht denken, der Fuͤrst haͤt- „te noch keine Dame als sie geliebt? aber „es giebt eine sanftere und edlere Art von „Vertheidigung seiner Ehre, zu der man „just „just nicht die ganze Welt zu Zeugen „nimmt; und dergleichen. Und diejenigen, welche so sagten, hatten an sich selbst eben nicht so gar Unrecht. H. Andre hielten es fuͤr eine schoͤne Comoͤ- die, und waren begierig, wie weit sie die Rolle treiben wuͤrde. Jch war uͤberzeugt, daß Seymour die Ursache dieses aufwallenden Jastes von Tugend gewesen seyn muͤsse, aber was er ibr gesagt, und was fuͤr einen Eindruck er dadurch auf sie gemacht haͤtte, das wuͤnschte ich zu wissen, um meine Maaß- regeln darnach zu nehmen. Jch verbarg diese Unruhe, und spottete eins mit; in- dem ich die Zuruͤckkunft des Johns erwar- tete, der nach Hause geeilt war, um den Seymour auszuspaͤhen. Aber stelle dir, wenn du kannst, das Er- staunen vor, als mein John sagte, Sey- mour waͤre gleich nach seiner Zuruͤckkunft in einer Post-Chaise mit Sechsen und einem einzigen Kerl davon gefahren. Was T — konnte das anders bedeuten als eine ver- abredete abredete Entfuͤhrung! Jch riß John am Arm zum Saal hinaus, warf auf der Straße meine Masque ab, und zog den Ueberrock meines Kerls an, in welchem ich an das Loͤbauische Haus eilte, um Nachricht von der neuen Actrice zu hoͤren. Eifersucht, Wuth und Liebe jagten sich in meinem Kopfe herum; und gewiß derjeni- ge, der mir gesagt haͤtte, sie waͤre fort, haͤtte es mit seinem Leben bezahlen muͤssen; aber ehe eine Viertelstunde um war, lief jemand aus dem Hause nach der Apothek. Die Thuͤr blieb offen; ich schlich in den Hof und sah Licht in den Zimmern der Sternheim. Es wurde mir leichter, aber meine Zweifel blieben; diese Lichter konn- ten Blendwerk seyn. Jch wagte mich in das Zimmer ihrer Kammerjungfer; die Thuͤr des Cabinetts war offen, und ich hoͤrte mein Maͤdchen reden. Also war Seymour allein fort. Jch sann auf eine taugliche Entschuldigung meines Daseyns, und gab dem Cammermaͤdchen ganz herz- haft ein Zeichen zu mir zu kommen. Sie kannte mich nicht, rannte auf die Thuͤr zu, zu, die sie den Augenblick hinter sich zu- schloß und fragte hastig: wer ich sey, was ich haben wollte? Jch gab mich zu erkennen, bat sie in kummervollen ehrerbietigen Ausdruͤcken um Nachricht von des goͤttlichen Fraͤuleins Befinden, und beschwur sie auf den Knieen, alle Tage einem meiner Leute et- was davon zu sagen. Jch sagte ihr, ich waͤre Zeuge gewesen, wie edel und an- betungswuͤrdig sich der Charakter des Fraͤuleins gezeigt haͤtte, ich verehrte und liebte sie uͤber allen Ausdruck; ich sey be- reit mein Leben und alles zu ihrem Dien- ste aufzuopfern, aber mir sey fuͤr ihre Ge- sundheit bange, indem ich den Medicum von einem Fieber haͤtte reden hoͤren. Die Katze war froh, die Geschichte des Abends von mir zu hoͤren, indem, wie sie sagte, das Fraͤulein fast nichts als weinte und zitterte. Jch putzte die Geschichte so sehr als mir moͤglich war, zur Verherrli- chung des Fraͤuleins aus, und nannte die weisse Masque; da fiel mir das Maͤdchen ein; O diese Masque ists, die mein Fraͤu- lein lein krank gemacht hat! Denn sir sagte ihr ganz frey: Ob sie denn alle Gesetze der Ehre und Tugend so sehr unter die Fuͤße getreten habe, daß sie sich in einer Kleidung und einem Schmuck sehen lasse, welche der Preiß von ihrer Tugend seyn werde; daß es ihr alle Masquen sa- gen wuͤrden; daß alle sie verachteten, weil man von ihrem Geist und ihrer Erziehung etwas bessers erwartet haͤtte. Und wer war diese Masque? Dieß wis- se das Fraͤulein nicht; aber sie nenne sie eine edle wohlthaͤtige Seele, ungeachtet sie ihr das Herz zerrissen habe. Jch dachte: Der Himmel segne den wohlthaͤtigen Seymour fuͤr seine Narr- heit! Sie soll meinem Verstande schoͤne Dienste thun. Jch versprach dem Maͤb- chen, mich um die Entdeckung zu bemuͤhen, und erzaͤhlte ihr noch die Urtheile der Ge- sellschaft, mit dem Zusatz, daß ich der Vertheidiger des Fraͤuleins werden wollte, und sollte es auch auf Unkosten meines Halses seyn; sie sollte mir nur sagen, was ich fuͤr sie thun koͤnnte. Das Maͤd- chen chen war geruͤhrt. Maͤdchen seben die Gewalt der Liebe gerne; sie nehmen An- theil an der Macht, die ihr Geschlecht uͤber uns ausuͤbt, und helfen mit Ver- gnuͤgen an den Kraͤnzen flechten, womit unsre Bestaͤndigkeit belohnt wird. Sie sagte mir den folgenden Abend eine zweyte Unterredung zu, und ich gieng recht mun- ter und voller Anschlaͤge zu Bette. Meine Hauptsorge war, dem pinsel- haften Seymour den Widerstand des Fraͤuleins und die heroisch ausgezeichne- te Wuͤrkung seiner unartigen Vorwuͤrfe zu verbergen. Aber da ich nicht erfahren konnte, wo er sich aufhielt, mußte ich mei- ne Guineen zu Huͤlfe nehmen, und einen Post-Officier gewinnen, der mir alle Briefe zu liefern versprochen hat, die an das Fraͤulein, an Loͤbau und an alle Be- kannten des Seymour einlaufen werden. Daß sie in ihrem eignen Hause keine bekom- men kann, bin ich sicher. Sie wollte zwar unverzuͤglich auf ihre Guͤter; aber ihr Oncle erklaͤrte, daß er sie nicht reisen lasse. Jhr Fieber dauert; sie wuͤnscht zu sterben; sterben; sie laͤßt niemand als den Doctor und ihre Katze vor sich. Die letzte habe ich ganz gewonnen; ich sehe sie alle Nacht, wo ich viel von den Tugenden ihres Fraͤu- leins muß erzaͤhlen hoͤren: „Sie ist sehr „zaͤrtlich, aber sie wird niemand als „einen Gemahl lieben.“ Merkst du den Wink? Hat sie niemals geliebt? fragte ich un- schuldig. Nein; ich hoͤrte sie nicht einmal davon reden, oder einen Cavalier loben, als im Anfang unsers Hierseyns den Lord Sey- mour; aber schon lange nennt sie ihn nicht mehr. Von Euer Gnaden Wohl- thaͤtigkeit haͤlt sie viel. Jch that sehr bescheiden und vertraut gegen das Thierchen; und da sie mir im Nahmen ihres Fraͤuleins, alle Vertheidi- gung ihrer Ehre, die ich ihr angeboten, untersagte, so setzte ich klaͤglich hinzu: Wird sie meine Anwerbung auch verwer- fen? Ungeachtet ich sie auch wider den Willen des Lord G. machen muͤßte, so wuͤrde ich doch alles wagen, um sie aus den den Haͤnden ihrer unwuͤrdigen Familie zu ziehen, und sie in England einer bessern vorzustellen. Jch mußte diese Sayte an- stimmen, weil sie mir selbst den Ton ba- zu angegeben, und weil ich ihren Ekel fuͤr D * und ihren Hang fuͤr England benutzen wollte, ehe der Jast von Seymour verloͤ- schen wuͤrde, und er bey seiner Zuruͤckkunft im Enthustasmus der Belohnung ihrer Tugend so weit gienge, als ihn seine Ver- achtung gefuͤhrt hatte. Sie hatte ihn sonst vorzuͤglich gelobt, itzt sprach sie nicht mehr von ihm, sie nennte auch den Lord G. nicht. Lauter Kennzeichen einer glim- menden Liebe. Jch fand Wege, ihr klei- ne satyrische Briefchen zuzuschicken, wor- inn ihrer Krankheit und der Scene, die sie auf dem Bal gespielt hatte, gespottet wur- de. Die Geringschaͤtzung, welche Lord G. fuͤr sie bezeugte, wurde auch angemerkt. Neben diesem wiederholte ich beynahe alle Tage das Anerbieten meiner Hand, da ich zugleich ihrer freyen Wahl uͤberließ: Ob ich es bekannt machen sollte, oder ob sie sich meiner Ehre und Liebe anvertrauen Z wollte, wollte. Diese Miene uͤberlasse ich nun dem Schicksal. Lange kann ich nicht mehr herum kriechen. Zwo Wochen daurt es schon, und ohne die Anstalten, die der Hof auf die Ankunft zweyer Prinzen von ** macht, haͤtte ich vielleicht meine Arbeit unterbrechen muͤssen. John ist ein vor- trefflicher Kerl; er will im Fall der Noth die Trauungs-Formeln auswendig lernen, und die Person des englischen Gesandt- schaftspredigers spielen. Meine letzten Vorschlaͤge muͤssen etwas fruchten, denn mit allen ihren stralenden Vollkommenhei- ten ist sie doch — nur ein Maͤdchen. Jhr Stolz ist beleidigt, und es ist schwer der Gelegenheit der Rache zu entsagen. Keine Seele nimmt sich ihrer an, als ich; auch findet sie mich großmuͤthig und weiß mir vielen Dank fuͤr meine Gesinnungen. „Niemals haͤtte ich dieß vermuthet; aber „sie will mich nicht ungluͤcklich machen, „es soll niemand in ihr Elend verwickelt „werden.“ Meine Zuruͤckhaltung, daß ich auf keinen Besuch in ihrem Zimmer dringe, erfreut sie auch, vielleicht deswe- gen, gen, weil sie sich nicht gerne mit ihrer Fie- berfarbe sehen lassen will. Jn wenig Tagen muß meine Miene springen, und es duͤnkt mich, sie soll gerathen. Giebst du mir keinen Segen dazu? Milord Derby an seinen Freund S ie ist mein, unwiderruflich mein; nicht eine meiner Triebfedern hat ihren Zweck verfehlt. Aber ich hatte eine teuflische Gefaͤlligkeit noͤthig, um bey ihr gewisse Gesinnungen zu unterhalten, und daneben zu hindern, daß andre keinen Gebrauch von ihrer Empfindlichkeit machten. Aber ihr guter Engel muß sie entweder verlas- sen haben, oder er ist ein phlegmatisches traͤges Geschoͤpfe; denn er that auf allen Seiten nichts, gar nichts fuͤr sie. — Z 2 Sagte Sagte ich dir nicht, daß ich sie durch ihre Tugend fangen wuͤrde? Jch habe ihre Großmuth erregt, da ich mich fuͤr sie auf- opfern wollte; dafuͤr war sie, um nicht meine Schuldnerinn zu bleiben, so groß- muͤthig, und opferte sich auf. Solltest du es glauben? Sie willigte in ein ge- heimes Buͤndniß; einige Bedingungen ausgenommen, die nur einer Schwaͤrme- rin, wie sie ist, einfallen konnten. Mei- ne satyrischen Briefe hatten ihr gesagt, daß ihr Oucle sie dem Jnteresse seines Processes habe aufopfern wollen; daß man sich um so weniger daruͤber bedacht haͤtte, weil man gesagt, die Mißheyrath ihrer Mutter verdiene ohnehin nicht, daß man fuͤr sie die nehmliche Achtung truͤge, als fuͤr eine Dame. Nun war alles aufgebracht; Tugend, Eigenliebe, Eitelkeit; und ich bekam das ganze Paquet satyrischer Briefe zu lesen. Sie schrieb einen Auszug aus den meini- gen, und fragte mich: Ob ich durch mei- ne Beobachtungen uͤber ihren Charakter genugsame Kenntniß ihres Herzens und Denkungs- Denkungsart haͤtte, um von der Falschheit dieser Beschuldigungen uͤberzeugt zu seyn? Sie wisse, daß man in England einem Manne von Ehre keinen Vorwurf mache, wenn er nach seinem Herzen und nach Ver- diensten heyrathe. Sie koͤnne an meiner Edelmuͤthigkeit nicht zweifeln, weil sie solche mich schon oft gegen andre ausuͤben sehen; sie haͤtte mich deswegen hochge- schaͤtzt; und nun, da das Schicksal sie zu einem Gegenstande meiner Großmuth gemacht habe, so truͤge sie kein Bedenken, die Huͤlfe eines edeln Herzens anzuneh- men; ich koͤnnte auf ewig ihres zaͤrtlichen Danks und ihrer Hochachtung versichert seyn; sie gienge alle Bedenklichkeiten we- gen der Bekanntmachung unsers Buͤnd- nisses ein; es waͤre ihr selbst angenehm, wenn alles stille bleiben koͤnnte, und wenn sie mich nichts als die Sorgen der Liebe kostete. Nur baͤte sie mich um die Gewaͤhrung von vier Bedingnissen, da- von die erste beschwerlich, aber unum- gaͤnglich noͤthig fuͤr ihre Ruhe sey, nehm- lich zu sorgen, daß ich mit ihr vermaͤhlt Z 3 wuͤrde, wuͤrde, ehe sie das Haus ihres Oncles verließe, indem sie nicht anders als an der Hand eines wuͤrdigen Gemahls dar- aus gehen wolle. Die zweyte: daß ich ihr erlauben moͤchte, von den Einkuͤnften ihrer Guͤther auf drey Jahre eine Verga- bung zu machen. (Die gute Haustau- be!) Drittens, moͤchte ich sie gleich zu ihrem Oncle, dem Grafen R*, nach Flo- renz fuͤhren, denn diesem wolle sie ihre Vermaͤhlung sagen; ihre Verwandten in D* verdienten ihr Vertrauen nicht. Von Florenz aus waͤre sie mein, und wuͤrde in ihrem uͤbrigen Leben keinen andern Willen als den meinigen haben; uͤbri- gens und viertens, moͤchte ich ihre Kam- merjungfer bey ihr lassen. Jch machte bey dem ersten Artickel die Einwendung der Unmoͤglichkeit, weil Lord G., oder der Fuͤrst alles erfahren wuͤr- de: wir wollten uns an einem andern sichern Orte trauen lassen. Aber da war die entscheidende Antwort; so bleibe sie da, und wollte ihr Verhaͤngniß abwar- ten. — Nun ruͤckte John an, und ich schrieb schrieb ihr in zween Tagen, daß ich un- sern Gesandtschafts-Prediger gewonnen haͤtte, der uns trauen wuͤrde; sie moͤchte nur ihre Jungfer schicken, um Abends selbst ihn zu sprechen. Dieß geschah; das Maͤdchen brachte ihm einen in engli- scher Sprache geschriebnen Brief, worinn meine Heldin die Ursachen einer geheimen Heyrath auskramte und ihren Entschluß entschuldigte, sich seinem Gebet und sei- ner Fuͤrsorge empfahl und einen schoͤnen Ring beylegte. John, der Teufel, hatte die Kleider des Doctors an, und seine Perucke auf; und redete gebrochen, aber sehr pathetisch Deutsch. Das Kaͤtzchen kroch sehr an- daͤchtig um ihn herum; ich gab ihr eine Verschreibung mit, die John unterzeich- nete, und sagte ihr, daß das bevorste- hende Fest den besten Anlaß geben wuͤrde unser Vorhaben auszufuͤhren, weil man sie wegen ihrer andaurenden Kraͤnklich- keit nicht einladen und nicht beobachten wuͤrde. Z 4 Alles Alles geschah nach Wunsche; sie war froh uͤber mein Papier und meine Gefaͤl- ligkeit gegen ihre Vorschriften. Warum haben doch gute Leute so viel Schafmaͤ- ßiges an sich, und warum werden die Weibsbilder nicht klug, ungeachtet der unzaͤhligen Beyspiele unserer Schelme- reyen, welche sie vor sich haben? Aber die Eitelkeit beherrscht sie unumschraͤnkt, daß ein jeder glaubt, sie haͤtte das Recht eine Ausnahme zu fodern, und sie sey so liebenswuͤrdig, daß man unmoͤglich nur seinen Spaß mit ihr treiben koͤnne. Da moͤgen sie nun die angewiesne natuͤrliche Bestrafung ihrer Thorheiten annehmen, indessen wir die Belohnung unsers Witzes genießen. Gewiß, da meine Sternheim keine Ausnahme macht, so giebt es keine in der Welt. Jndessen ist ihr Verderben deswegen nicht beschlossen. Wenn sie mich liebt, wenn mir ihr Besitz alle die abwechselnden lebhaften Vergnuͤgungen giebt, die ich mir verspreche: so soll sie Lady Derby seyn, und mich zum Stamm- vater eines neuen naͤrrisch genug gemisch- ten ten Geschlechts machen. Fuͤr mein er- stes Kind ist es ein Gluͤcke, daß seine Mutter eine so sanfte fromme Seele ist; denn wenn sie von dem nehmlichen Geist angefeurt wuͤrde wie ich, so muͤßte der kleine Balg zum Besten der menschlichen Gesellschaft in den ersten Stunden erstickt werden; aber so giebt es eine schoͤne Mi- schung von Witz und Empfindungen, welche alle Junge von unsrer Art auszeich- nen wird. Wie zum Henker komme ich zu diesem Stuͤcke von Hausphysik! Freund, es sieht schlimm aus, wenn es fortdauert; doch ich will die Probe bis auf den letzten Grad durchgehen. Mein Maͤdchen ließ sich noch Medi- ein machen, und packte daneben einen Coffer mit Weiszeug und etwas leich- ten Kleidern voll, den ich und John an einem Abend fortschleppten. Sie schrieb einen großen Brief im giganti- schen Ton der hohen Tugend, worinn sie sagt, daß sie mit einem wuͤrdigen Gemahl von der Gefahr und Bosheit fliehe! sie wieß ihrem Onkle den drey- Z 5 jaͤhrigen jaͤhrigen Genuß aller ihrer Einkuͤnfte an, um seinen Proceß damit zu betrei- ben; sie hoffte, sagte sie, er wuͤrde da- durch mehr Segen fuͤr seine Kinder er- langen, als er durch die Grausamkeit erhalten, die er an ihr ausgeuͤbt habe. Von Florenz werde er Nachricht von ihr erhalten. Jhre reichen Kleider schenkte sie in die Pfarre fuͤr Arme. Von dieser Art von Testamente schickte sie auch dem Fuͤrsten und dem Lord G. Copien zu. Den Tag, wo das große Festin auf dem Lande gegeben wurde, waren mei- ne Anstalten gemacht, ich war den gan- zen Tag bey Hofe uͤberall mit ver- mengt. Als das Getuͤmmel recht arg wurde, schlich ich in meinen Wagen, und flog nach D *. John eilte mit mir in den kleinen Gartensaal des Grafen Loͤ- bau, wo ich in Wahrheit mit einem das Erstemal pochenden Herzen das artige Maͤdchen erwartete. Sie wank- te endlich am Arm ihres Kaͤtzchens her- ein, niedlich gekleidet, und vom Haupt bis bis zu den Fuͤssen mit Adel und ruͤh- render Grazie bewaffnet. Sie zagte einen Augenblick an der Thuͤre, ich lief gegen ihr, sie machte einen Schritt, und ich kniete bey ihr mit einer wah- ren Bewegung von Zaͤrtlichkeit. Sie gab mir ihre Haͤnde, konnte aber nicht reden; Thraͤnen fielen aus ihren Au- gen, die sich zu laͤcheln bemuͤhten; ich konnte ihre Bestuͤrzung genau nachah- men, denn ich fuͤhlte mich ein wenig beklemmt, und John sagte mir nach- her, daß es Zeit gewesen waͤre, ihm das Zeichen zu geben, sonst wuͤrde er nichts mehr geantwortet haben, in- dem ihn seine Entschlossenheit beynahe verlassen habe. Doch das waren leere Aufstoßungen unserer noch nicht genug verdauten ju- gendlichen Vorurtheile. Jch druͤckte die rechte Hand meines Maͤdchens an meine Brust. Jst sie mein, diese segensvolle Hand? Wollen sie mich gluͤcklich machen? — sagte ich mit dem zaͤrtlichsten Tone. Sie Sie sagte ein stotterndes Ja! Und zeigte mit ihrer linken Hand auf ihr Herz. John sah mein Zeichen und trat herbey, that auf Englisch eine kurze Anrede, plapperte die Traufor- mel her, — segnete uns ein, und ich — hob meine halb ohnmaͤchtige Sternheim triumphirend auf, druͤckte sie das Erstemal in meine Arme, und kuͤßte den schoͤnsten Mund, den meine Lippen jemals beruͤhrten. Jch fuͤhlte eine mir unbekannte Zaͤrtlichkeit und sprach ihr Muth zu. Einige Minu- ten blieb sie in ein stillschweigendes Er- staunen verhuͤllt. Endlich legte sie mit einer bezaubernden Vertraulichkeit ihren schoͤnen Kopf an meine Brust, er- hob ihn wieder, druͤckte meine Haͤnde an ihren Busen; und sagte: Milord, ich habe nun niemand auf der Erde als Sie, und das Zeugniß meines Herzens. Der Himmel wird Sie fuͤr den Trost belohnen, den Sie mir geben, und dieses Herz wird Jhnen ewig danken. Jch Jch umarmte sie und schwur ihr al- les zu. Nachdem mußte sie mit ih- rem Maͤdchen beyseite gehen und Mannskleider anziehen. Jch ließ sie allein dabey, weil ich meiner Leiden- schaft nicht trauete, und die Zeit nicht verlieren durfte. Wir kamen unbemerkt aus dem Hause, und da wegen des Festes, welches man dem Prinzen von * * gab, viel Kutschen aus und einfuhren, achtete man die meinige nicht, in welcher ich meine Lady und ihr Maͤdchen fortschickte. John, der seine eigne Gestalt wieder angenommen, war ihr Begleiter. Jch redete ihren Ruheplatz in dem Dorfe Z * unweit B * mit ihm ab, und eilte zum Bal zuruͤck, wo niemand meine Abwesenheit wahrgenommen hatte. Heuresement ! Jch tanzte meine Reihen mit Froͤhlich- keit durch, und lachte, als der Fuͤrst dem englisch tanzen nicht zusehen woll- te, indem ihm das Andenken der Stern- heim quaͤlte. Das Das Gelerme, Muthmaßen und Nachschicken des zweyten Tages, will ich dir in einem andern Briefe be- schreiben. Jch reise itzt auf acht Ta- ge zu meiner Lady, die, wie mir John schreibt, sehr tiefsinnig ist und viel weint. S ie sehen, meine Freundin, aus den Briefen des ruchlosen Lords Derby, was fuͤr abscheuliche Raͤnke gebraucht wurden, um die beste junge Dame, an den Rand des groͤßten Elendes zu fuͤh- ren. Sie koͤnnen sich auch vorstel- len, wie traurig ich die Zeit zuge- bracht habe, von dem Augenblick an, da sie vom Bal kam, krank war und dabey immer aus einer bekuͤmmernden Unruhe des Gemuͤths in die andre ge- stuͤrzt wurde. Da sie von keinem Menschen mehr Briefe bekam, vermu- theten wir, der Fuͤrst und der Graf Loͤbau ließen sie auffangen. Die Art, mit welcher ihr abgeschlagen wurde auf ihre ihre Guͤther zu gehn, und ein Besuch des Fuͤrsten befoͤrderten die Absichten des Lord Derby. Ungluͤcklicher weise betaͤubte mich der unmenschliche Mann auch, daß ich zu allem half, um mei- ne Fraͤulein aus den Haͤnden ihres Oncle zu ziehen. Sie sehen aus seinen Briefen, wie viel Arglist und Verstand er hatte. Daneben war er ein sehr schoͤner Mann; und mein Fraͤulein freuete sich, ihre Begierde nach England zu befrie- digen. O wie viel werden Sie noch zu le- sen bekommen, woruͤber sie erstaunen werden. Jch will so fleißig seyn, als mir moͤglich ist, um Sie nicht lange darauf warten zu lassen.