Lebenslaͤufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C, Meines Lebenslaufs Erster Theil . Berlin , bey Christian Friedrich Voß , 1778. I ch — Halt! — Ein Schlagbaum — Gut — wohl — recht wohl — Ein wachhabender Officier! — wieder einer mit einem Achselbande zu Pferde — zu Fuß — von der Leibgarde — von der Garde der gelehrten Republick — ich ehr’ ihre Uniform, meine Herren, und damit ich sie der Muͤhe uͤberhebe mir die uͤblichen Fragstuͤcke vorzule- gen; moͤgen Sie wissen, daß ich, wie der Paß oder Taufschein es ausweiset, ein Schrift- steller in aufsteigender Linie bin. In den folgenden zwei Baͤndchen welche ich wenn Gott Leben und Gesundheit und Lust und Liebe zum Dinge verleihet, kuͤnftige Messe zu liefern willens bin, wird mein Lebenslauf bis zu einer saͤchsischen Frist vor der Messe, fortgesezet werden: Im vierten Baͤndchen werde ich den Lebenslauf meines Vaters, und im fuͤnften den Lebenslauf meines Grosva- ters erzaͤhlen auch alles nach Gestalt und Gelegenheit der Umstaͤnde mit unumstoͤßlichen Urkunden belegen. Dieser Plan soll darum A 2 noch noch mehr Eigenes haben, weil ich den Le- benslauf meines Vaters und Grosvaters Berg ab erzaͤhlen will, da wir jetzo nur Berg auf zu gehen gewohnt sind. Ich wer- de von der Zeit da mein Vater Pastor in Cur- land war anfangen und bei seiner Wiege aufhoͤren und so solls auch mit meinem Gros- vater werden, der in meiner Geschichte eher sterben als gebohren werden soll. Wurzeln, Zweige und Blaͤtter haben einerlei Struktur. Begrabe die Zweige in die Erde, und laß die Wurzel in die freie Luft gen Himmel sehen: Es wird ein Baum! Vor der Hand sei es meinen Lesern gnug in Beziehung auf mich von dem vierten und fuͤnften Baͤndchen, wobei ich die Beilagen nicht ausschließen will, zu wissen HVIC MONVMENTO USTRINVM APPLICARI NON. LICET. Ich rathe zu keiner Justinianischen Ueberse- zung dieser Stelle l. 2. §. 27. Cod. de vet. jur. enucl. κατά ποδα und da Vorrede die Nach- Nachrede hindert moͤgen sich meine Leser wohlbedaͤchtig merken Ο῾ δυνάμενος ϑέλειν, δύναται ϰαι μὴ ϑέλειν. welche Stelle sie nach Herzenslust dolmet- schen koͤnnen. Es ist die hoͤchste Zeit, daß ich wieder auf mich selbst und auf den Daumen Zeiger und Mittelfinger dieses Werks zuruͤck kehre. Giebt es nicht wie es am Tage ist so gar der heiligen Schrift Spoͤtter? wie solt ich also wol nach Art jenes Pharisaͤers mit den Worten an den Altar treten Οὐδ᾽ ἄν ὁ Μῶμος (ἐφη) τόγε τοιοῦτον μέμψαιτο. Uebrigens gestehe ich herzlich gerne denen Er- zaͤhlern ein vorzuͤglicheres Verdienst sowohl in Absicht des Ellenmaaßes als der Wuͤrde zu, welche bei jedem merkwuͤrdigen Vorfall außerhalb ihren Grenzen einen Wegweiser aufrichten und ihre Leser zur Nuzanwendung auf Lehre und Trost bringen. Ich werde mich so nehmen, wie ich mich finde. Wer auf eine Schuͤssel mehr oder Sallat, Sardel- len, Caviar, Austern und andere Zusaͤtze Leckerbissen und Noten luͤstern ist; laße sich anrichten, was ihm gefaͤllig ist und thue was er nicht lassen kann. So lange meine Leser A 3 gehen gehen koͤnnen; will ich ihnen keine Kruͤkke ge- ben, wenn sie selbst eine Dose haben; warum soll ich ihnen mit meinem St. Omer an die Hand gehen (es braucht vielleicht mancher Espagniol, Tonka, Havana Rapee) und wenn sie selbst wissen daß sie Menschen sind, wie solt’ ich sie wol all’ Augenblick mit einem Stehe Wanderer oder Leser pfaͤnden, und ihnen widerholen, daß sie sterben muͤssen auf daß sie klug werden. Mein Wahlspruch ist I licet: So wie aber die Grabmaͤler der Alten, wo man seit einiger Zeit (einige sezten hiezu Gott! sei gelobt, andere Gott! sei’s geklagt) auch in Gott ruhet, nachdem man sich vor diesem scheute der seelige L. Annaeus Florus der wohlseelige C. Plinius Caec. Sec. der hochseelige M. Tullius Cicero und der hoͤchst- seelige Marcus Aurelius Antoninus. Armenia- cus. Parthicus. Maximus zu sagen. So wie die Grabstaͤten der Alten mit den allgemeinen Landstraßen verbunden wa- ren, um den Reisenden anzuhalten, so ist es zwar Regel fuͤr mich den geneigten Leser sich selbst zu uͤberlassen, coelo tegitur qui non habet urnam. Doch Doch wo ist Regel ohne Aber? Was sich ein paar handelnde Personen auf dem Theater un- ter vier Augen sagen, gehoͤrt ohnehin mit zur Handlung und mir stand es wol am wenig- sten zu in einer wahren Geschichte, Leuten das Wort aus dem Munde zu nehmen und ihnen ein Stillschweigen aufzulegen. — Gott mit Ihnen meine Herren und auch mit meinem kleinen Leopold der mir eine Suͤndfluth mit dem Tintfaß gemacht hat Die Mutter will dich — Laß mich hier lieber Vater — So laß das Tintfaß — Ich will auf deinen Schulter — Nur nicht ins Buch — Der kleine Junge haͤtte vielleicht Ursach, es uͤbel zu nehmen daß ich die erste Stufe uͤber- schreite und nicht von ihm anhebe. Ich koͤnnte freylich bemerken, daß er kein Sangui- nolentus gewesen, sondern fast wie Clodius Albinus ganz sauber und schoͤn zur Welt gekommen; wenn er sich nicht eben jetzo mit Tinte besudelt haͤtte. Wenigstens bist du lieber Junge — (Fall nicht, „ich werd’ nicht„) beim Publicum nicht praͤ- A 4 scri- scribirt, ich habe dich einschreiben lassen und ein groͤßers Pflicht oder Kindertheil gebuͤhrte dir in diesem Werke nicht. Der arme Junge! gestern war er zwei Jahr und heute zwei Jahr und einen Tag, bisher war er gesund wie ein Fisch und auch beinahe ein so großer Liebhaber von kaltem Wasser wie ein Fisch! heute! — „Was schreibst du„ — daß du ungeduldig auf die Zaͤhne bist die sich melden lassen und nicht kommen wollen! Daß ihr nur, wenn ihr kommt, einem Pfirsischkern zu seiner Zeit zeigen koͤnnet wer ihr seid: und daß eine Kraft von achtzehn bis neunzehnhundert Pfund in euren Gren- zen wohne. Der Himmel helfe meinem Leo- pold und mir! und uns allen! Ha! eine andere Art dienstbarer Gei- ster, ungebethner Gaͤste, unlieblich anzu- sehen — zu dienen — damit es die Her- ren Besucher, und Versucher, Thorschreiber, Acciseeinnehmer, Caßirer, Rendanten und uͤberhaupt alle Zoͤllner und Suͤndergesellen nur auf einmal wissen, ich, und kein anderer hat dieses Buch geschrieben. Wer von den Her- Herren sich aufs Wuͤrdigen versteht, wird es schwerlich auch selbst auf den ersten Blick fuͤr Contreband und auswaͤrtiges Gut, sondern fuͤr das, was es ist, deutsche Fabrike hal- ten. Hiesige Wolle, ich bitte Hand ans Werk zu legen (den Puls dieses Buchs an- zufuͤhlen kann ich nicht sagen, so sehr ich ihnen auch Quacksalberehre zu erzeigen Lust habe) hiesiger Stuhl, hiesige Zeichnung, alles hiesig — die Herren selbst aber schei- nen nicht von hier zu seyn, und sich auf Blick und Griff Auge und Hand nicht ver- lassen zu koͤnnen — Nun so verlassen sie sich auf mich und wenns wider ihre theure Amtspflicht ist sich auf ehrliche Leute zu verlassen; schreiben sie in ihre Kladde in ihr Hauptbuch, Diarium und Exercitien- buch — was die Feder will. Diese Worte werden wohl, wie ich glaube, an Ort und Stelle seyn. Vom Aristarch hat keiner einen Zug, wohl aber vom bankeroutirten Kauf- mann, Sprachmeister, Zeichendeuter, Alt- flicker u. s. w. Von αϛερισκοις und όβελισκοις hab ich also nicht reden koͤnnen, womit der Homer plombirt wurde: denn, da wett ich Homer ist ihnen eben so unbekannt, als sie’s, meine Insonders Hochzuehrende Her- A 5 ren, ren, meiner Wenigkeit bis heute wird seyn der — gewesen. Berge und Thaͤler kom- men nicht zusammen, wir aber sind leider! so nahe bei einander, daß wir uns mit der Hand reichen und eins versetzen koͤnnen. Ich weiß sie verschonen nicht Saͤuglinge nicht Ungebohrne, wie sollte also mein Leopold auf der Schulter ohne Kopf oder Magensteuer (wie mans nennt) abkommen! wenns ein- mal Sitte in Deutschland ist so sei’s. Du sollst dem O — der da drischet nicht das Maul verbinden. Item, ein Arbeiter ist sei- nes Lohnes werth schreibt D. Martin Luther in seiner Haustafel etlicher Spruͤche fuͤr al- lerlei heilige Orden und Staͤnde, dadurch dieselben, als durch ihre eigene Lektion ihres Amts und Diensts zu ermahnen. Die Rechnungsableger lassen oft mit gutem Be- dacht Fehler stehen um den Abnehmern, zu Noten Zeit und Raum zu lassen. „Sonst„ sagen die klugen Haushalter „fangen diese Noten- „kuͤnstler es bei der Person an, da sie doch „nur bei den Zahlen bleiben sollten.„ Das hatte ich noch auf dem Herzen eh ich mich empfehlen konnte. Plus cautionis in re est quam in persona, heißt auf deutsch: beschließen Sie was Sie wol- wollen uͤber mein Buch, meine Herren, nur meine Person lassen Sie in Ruhe. Sei mir tausendmal willkommen suͤßes, oder besser angenehmes Wort. (man sagt angenehme Ruhe.) Schlafen Sie wohl oder eigentlich gesund meine Herren. Claudatur Parenthesis wuͤrde ich sagen, wenn ich nicht den wahren Antipoden von einer Parenthese gebraucht und eben hiedurch ein neues epochenmachendes Interpunktionszeichen er- funden haͤtte. Was meinet ihr Herren majorum gen- tium soll ich mit einem großen J anfan- gen oder mit einem kleinen? Den Schlagbaum auf! Ich bin in Curland auf dem Kirchdorfe *** gebohren, wo mein Vater Prediger oder nach der deutschen Landessprache Pastor nach der curischen Basinzas Kungs oder Basing- ckungs, wie die Letten der geliebten Kuͤrze we- gen sprechen, war. Zu seinem Zeichen, wuͤrde ich hinzusetzen, wenn dieser Ausdruck nicht so viel Devallvation gelitten, daß ich meinem Vater dadurch keine sonderliche Ehre einbrin- gen wuͤrde. Es war seine Kirche eine Kirch- spielskirche oder eine solche, wobei wegen des Compatronat-Rechts des Adels manche Pi- stole stole wiewohl nur nach vaͤterlicher Weise in die freie Luft losgeschossen worden, bis solches endlich unter einigen Daumschrauben, dem Kirchspielsadel (ich glaube von Herzog Friedrich Casimir) zugestanden worden. Ich kann nicht sagen, daß mein Vater eine vor- zuͤgliche Neigung gegen mein Vaterland hatte, und wenn ich einem Erdbeschreiber hiedurch irgend einen Gefallen zu erzeigen wuͤßte; was koͤnnt’ ich nicht fuͤr ein breites und lan- ges uͤber die drei Namen Curland Lettland und Semgallen an ihn endoßiren? welches aber alles zu keiner Lobrede auf Curland die- nen wuͤrde. So viel ist gewiß, daß mein Vater niemals zugeben wollte, daß Curland vom Flusse Chronus herkaͤme, wodurch die Memel angedeutet wuͤrde: obgleich ihm sol- ches sehr wahrscheinlich vorbuchstabirt wurde. Die Curlaͤnder, sagte man, wohnten um den Chronus, sie wollten ihr Land von Preus- sen unterscheiden und bearbeiteten und drech- selten so lange die Buchstaben und Sylben, bis endlich so wie in der heiligen Schrift herauskam was zu suchen war. Es ist viel von Gottes Wort zu sagen sagte mein Vater. Ein guter Freund von Curland und von meinem Vater spielte eine andere Karte aus aus „so stammt es von Cur oder Cursemme, welches so viel, als ein Land, das an der See lieget, andeutet„ allein er gewann sein Spiel nicht. Nichts sagte mein Va- ter. Der gute Freund fuhr fort „vom kleinen Koͤnige Curo? von den Curaten oder von den Curiaten? oder„ — „Nichts, alles nichts — Es wuͤrde nicht verlohnen diese Fibel uͤber den Namen von Curland weitlaͤuf- tiger zu machen, und sie wegen Lettland und Semgallen uͤber welche Namen mein Va- ter eben so wenig nachgebend war mit An- hang und Zugabe zu verstaͤrken. Mein Va- ter hatte nach dem Ausdruck eines Weisen des Alterthums zwey Vaterlande, eines wo er gebohren war, und eines wo er lebte, eines der Natur und eines des Schicksals und man traf bey ihm, was man gewoͤhn- lich zu treffen pflegt; daß man das Vater- land der Geburt dem andern, oder die Mut- ter dem Vater vorziehet. Wenn der gute Freund am Ende zum Unwillen uͤbergieng; wurde mein Vater ein Philosoph. Zum Curlaͤnder konnten ihn weder gute noch boͤse Geruͤchte bringen. So wollen Sie denn fieng der Freund an, nachdem mein Vater mit vieler Gelehr- samkeit samkeit die Geburt und Abkunft der Namen Curland, Lettland und Semgallen bestritten hatte, so wollen Sie denn, den Herzogthuͤ- mern Curland, und Semgallen die ehrlichen Namen absprechen? Lieber curischer Freund antwortete mein Vater unbiegsam wie der curische Kaͤse, doch auch so dicht und fest wie er. Nie- mand kommt aus seinem Vaterlande. Seit- dem die neue Welt entdeckt worden, ist sie ein Theil von unserm Geburtsorte. Bin ich im Gefaͤngnisse beim Gastmal am Hofe in der Stadt auf dem Lande in Mitau im — — Pastorat ich bin bestaͤndig zu Hause. Ein Thor sagt, daß er vertrieben sei, ein Weiser hat nur eine Reise unternom- men, wenn er im Exilium ist. Oft ist man in seinem Vaterlande ein Sclave und im Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr als leben und sterben man sey in Rom oder in Tunis. Tristia und Briefe aus Ponto sind Raͤusche eines Dichters. Ein Weiser kann selbst Ach nur halb aussprechen wenn er leidet; obschon das Wort nur dritthalb Buchstaben, und wenn man ganz ehrlich seyn will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver- moͤgen hat. Wer sich angewoͤhnet hat blos zu zu essen was saͤtiget und blos zu trinken was den Durst stillet, findet uͤberall eine offene Tafel. Wo mir wohl ist, da ist mein Vaterland und der Gerechte ist auch im Tode getrost. Wer aus Athen ist weiß nicht von wannen er kommt, und wohin er faͤhret. Der Weise ist aus der Welt — Auf die Frage: Was fuͤr ein Land- mann? antwortet Diogenes fuͤr mich: κοσ- μοπολιτης die Sonne Freund! ist die Fahne der wir geschworen haben. Die Erde ist un- ser aller Mutter. Saure Gruͤtze und Bier- kaͤse ein paar curische Original Essen sind wie Pfirschen und Melonen, eine Gabe Got- tes. Wer’s mit Danksagung empfaͤhet ist ein Weiser. Auch in Curland giebts Kno- chen, die Mark haben. Gott ist uͤberall, er der nicht Lust hat an Cavallerie oder Staͤrke des Rosses, noch Wohlgefallen an Infanterie und jemandes Beinen, sieht nur auf die, die seinen Namen fuͤrchten und auf seine Guͤte hoffen. Heute ist ein Land frei und morgen liegts einem Tyrannen zu Fuͤßen der seine Hand ins warme Blut des Erstgebohrnen, eines Vertheidigers seines freien Vaterlandes eintaucht um das schreckliche Jahr da die Freiheit unterging am aristocratischen Altar B am am Rathstisch anzuzeichnen. Freund! was meinen Sie wenn wir je solche Blutzahlen sehen solten? Lassen Sie alles ruhig im Va- terlande seyn; ein Prophet gilt doch nicht, wo er geboren ist. Wie giengs dem Aristi- des dem Epaminondas? In der Fremde seyn heißt in die Hand Gottes fallen: in seinem Vaterlande ist man wenns hoch kommt in der Hand der Menschen, gemein- hin in der Hand seiner Feinde. Und wie soll man sich gegen sein undankbares Vaterland fuͤhren? Wie gegen einen Vater, der meine Mutter ohne Ursach verstoͤßt, wie gegen eine Mutter, die zum zweitenmale heirathet. Diese bleibt Mutter jener Vater „Bei diesen Spruͤchen wars dem Freunde so als waͤr’ er selbst nicht mehr in Curland, als haͤtte er der Sonne geschworen. Es schien ihm mein Vater haͤtte das Feld behalten; der kleine Koͤnig Curo aber und die Curaten oder Curiaten waͤren in die Flucht geschla- gen. Mein Vater befestigte was er erobert hatte mit ein Paar griechischen Spruͤchen die seinen Feind um so mehr abhielten weil er kein Wort griechisch verstand. Ανδρὶ σοφῷ, fieng mein Vater an πάσα γῆ βατὴ, ψυχῆς γαρ ἀγαϑῆς πατρις ὁ ξύμπας κόσμος. Und und gleich darauf ἐπεὶ τὶ δεῖ βροτοῖσι, πλὴν δυοῖν μόνον, δήμητρος ἀκτὴς, ποματός ϑ̕ ὑδρηχόν. ἁπερ πάρεϛι, καὶ πέφυχ̕ ἡμᾶς τρέφειν. Es pflegte der gute ehrwuͤrdige Mann von Curland zuweilen als von einer Herberge zu reden, wo man sich oft laͤnger als man wuͤnscht, weil der Reisewagen gebrochen ist aufzuhalten gezwungen sieht. Bei mir zu Hause eßen wir um diese Zeit Spargel, pflegte er zu sagen; bei mir zu Hause raucht man um diese Jahreszeit eine Pfeife Toback in der freien Luft, bei mir zu Hause hat man Trau- ben und den Wein bei der Quelle. So ungern er also auch im Herzen in Curland zu seyn schien, und so oft er im Stillen durchs Fenster gesehen haben mag: ob der Reisewagen noch nicht in Ordnung waͤre; so hielt er dennoch mit seiner Abneigung zuruͤck. Der Freund mit dem sich mein Vater auf der vorigen Seite duellirte und noch ein Secundant waren die Hauptsiegel-Bewahrer dieses Geheimnisses und auch die einzigen mit denen er griechisch sprach ohne daß die guten Leute es verstanden. Wer ihn aber nach seiner Heimath fragte (sein Weib und Kind B 2 und und seine zwo griechischen Freunde nicht aus- genommen) setzte ihn und sich selbst einer großen Verlegenheit aus. Bei mir zu Hause fing er wie gewoͤhn- lich, an — und ich war noch im zartesten Alter als ich ihn fragte lieber Vater wo ist dein Haus! wir wollen hin, du, die Mut- ter und ich! Ist es wohl so schoͤn als dieses hier? Ich zeigte ihm meines von Blaͤttern. Nimm mich ja mit wenn du nach Hause gehest oder laß mich wenn ich groͤßer werde allein — Wo? Wo? — rief er ganz aͤngstlich. Meine Mutter welche eben seinen Kragen zurecht legte, lies diesen hei- ligen Halsband fallen sprang schnell auf und gieng davon, als ob sie auf allen Antheil von meiner Frage und der kuͤnftigen Antwort Verzicht thaͤte. Sie war indessen wie ich es offenbar merkte nach der Weiberweise, nur blos dem Auge meines Vaters entgan- gen. Ob’s mein Vater gemerkt habe, zweifle ich denn er hatte sich auf dem Wege nach seinem Hause so sehr verirrt, daß er nicht aus noch ein wußte. Vielleicht sagt er es dem unschuldigen Kinde, dachte meine Mut- ter ohne Zweifel da sie sich in der besten Ordnung zuruͤckzog, wovon er dir allemal ein ein Geheimnis gemacht hat. Lieber Sohn fieng mein Vater an, als ob er von einem Vorbeigehenden wegen seiner Reise eine Aus- kunft erhalten oder in eine Reisekarte ge- sehen haͤtte — und meine Mutter machte die Cammerthuͤre, hinter welche sie sich weis- lich gestellet hatte drey Zoll weiter auf, im Himmel ist unser wahres Vaterland hier unten sind wir Fremdlinge und suchen das was droben ist. Wir sind in Hinsicht un- sers Koͤrpers Gottes Pilger in Hinsicht un- srer Seele Gottes Buͤrger. Als die Pil- grimm! heißt es darum fuͤhret einen guten Wandel — Zu Hause nimmt man sich vieles so uͤbel nicht. Man vernachlaͤßigt sich; thun Sie doch als ob sie zu Hause waͤren sagt man. Auf der Reise sind wir auf uns auf- merksamer. Die Welt ist fuͤr einen klugen Reisenden hoͤchstens eine Hauptstadt. Er laͤßt sich das Merkwuͤrdige zeigen: Fuͤr einen Gelehrten eine oͤffentliche Bibliotheck er sieht die Tittel. Beide bestellen Postpferde. Plus vltra. Hiebey sahe mein Vater so geruͤhrt aus, daß wenn ich nicht seinen Worten geglau- bet haͤtte, ich jedennoch jedem ehrwuͤrdigen B 3 Zuge Zuge seines Gesichts haͤtte beipflichten muͤßen, auch wenn ich noch einmal so alt gewesen waͤre, als ichs nicht war. Wie boͤse meine Mutter uͤber den Himmel geworden weiß ich nicht, allein ich hoͤrte und mein Vater der nun weder an Ort und Stelle war, mußte es auch hoͤren daß sie die Thuͤre zuzog, als ob sie nicht die mindeste Lust zum Himmel haͤtte. Ohne Zweifel hat sie dieses unver- merkt thun wollen, um ihre Neugierde zu verbergen; indessen machte das plauderhafte Schloß ein unzeitiges Geraͤusch und wurde davor den folgenden Tag, da mein Vater eine Beichtandacht besorgte, ausgebessert. So viel ist gewis, daß der liebe Mann durch diese Antwort, die zwar mich, nicht aber meine Mutter befriedigen konnte, mich wie- wol ohne daran Schuld zu seyn, auf den Gedanken brachte, daß man im Himmel fruͤ- her als in Curland Spargel aͤße gleich fruͤ- her in der freien Luft eine Pfeife rauche, Trauben haͤtte, und den Wein aus der Quelle schoͤpfen koͤnnte. Tausend andere Dinge die er nachhero meiner Mutter erzaͤhlte, wie es bey ihm zu Hause waͤre, kamen alle bey mir auf die Rechnung des Himmels und ich war zuletzt dort eben so bekannt als auf un- serm serm lieben Doͤrflein, wo ich uͤber jedes Huhn haͤtte urteln koͤnnen, wenn uͤber des- sen Eigenthum ein Streit gewesen waͤre. Manches kam mir freilich sehr bedenklich vor worunter zum Exempel war, daß man bey ihm zu Hause ohne Nacht — oder Un- terhemde ginge und zu seiner Zeit lange Manschetten (die meine Mutter Handblaͤtter nannte) getragen haͤtte. Eines Tages, da ein Litteratus (welches in Curland eben kei- nen Gelehrten sondern ein unseelig Mittel- ding von Edelmann und Bauer bedeutet) mit ungewoͤhnlich langen Manschetten bey uns des Mittags aß; mußte ich glauben, daß er ein Himmelsbuͤrger und Landsmann meines Vaters waͤre und wegen des ganz ungewoͤhnlichen Maaßes seiner Handblaͤtter schon etwas mehr als ein andrer im Him- mel gelten muͤßte. Kaum hatte er nach mei- ner Meinung das Jammerthal unseres Pastorats mit den seeligen Wohnungen der Gerechten verwechselt, kaum sag ich war er fort; so fragt ich meinen Vater was ihm der gute Freund fuͤr Nachrichten aus dem Himmel gebracht haͤtte, und mein Vater nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe von jener Welt beyzubringen, denen mein B 4 Herz Herz und Seele auf den halben Weg entge- gen kam oder beide Glaubenshaͤnde zureichte, so daß mithin dieser Litteratus, der des Mit- tags bey uns einen vortreflichen Kalekutschen Hahn verzehren geholfen, meinen falschen Himmel zu reiten mitnahm. Mein Vater war wenn ich so sagen soll gebohren, von der andern Welt zu re- den. Seine Seele, man fuͤhlte es war im Buche des Lebens eingeschrieben und einer Veraͤdlung durch den Tod so gewis, daß wenn er davon sprach man glauben mußte: er wuͤrde verklaͤret. Drey Vier- theil war er dort und nur ein Viertheil hier. Gott schenke mir wenn mein Stuͤnd- lein vorhanden ist, die Empfindungen die damals in meiner Seele hervorschossen, als er mir den Himmel zeigte. Mir fielen die Worte aufs Herz: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen — Mein Vater ward ein Kind, um mit einem Kinde zu reden, und ich fand an mir erfuͤllet, was von den Kindern geschrieben steht: ihrer ist das Reich Gottes. Aber wo muß denn das Haus meines Vaters seyn, dachte ich, allein ich unter- stund mir nicht darnach zu fragen, denn, so jung jung ich war; so merkt ich doch, daß er seine Ursachen haben muͤße es zu verschweigen. Meine Mutter wie ich sowol diesesmal als bey andrer Gelegenheit sehen konnte, hatte mein Vater gleichfalls keinen Daumen- breit uͤber funfzig Meilen in die Laͤnge, und zehn-zwanzig bis dreißig in die Breite als so viel die Graͤnzen von Curland ausmachen mitgenommen, dahero sie eben so wenig als ich den Ort seiner Geburth wußte. Die neue Welt pflegte sie zu sagen ist entdeckt deines Vaters Vaterland wuͤrde dem Columbus mehr Schwierigkeiten gemacht haben. Was bey dieser vaͤterlichen Verschwiegen- heit einem jeden besonders vorkam, war die Gewohnheit meines Vaters alle Augen- blick zu erwehnen wie es bey ihm zu Hause sey. Er kam daruͤber bey Leuten in Verle- genheit die er nicht wie mich mit dem Him- mel abfertigen konnte; allein ehe man sichs versahe war er nicht mehr in Curland. Ich bemerkte auch, nachdem ich groͤßer war, daß die Leute uͤber diesen Punkt mit dem guten Mann ein foͤrmliches Mittleiden zu haben schienen, so daß sie dabei die Ach- seln in die Hoͤhe zogen, als uͤber einen Men- schen der so lange vernuͤnftig waͤre, bis er B 5 auf auf sein Vaterland kaͤme, und alsdenn scheu wuͤrde. Es war dahero zum Sprichwort bey vielen geworden „das ist so unbekannt als des Pastors — Vaterland.„ Oft traf es sich daß die ganze Tischge- sellschaft still ward, so bald er nur die An- fangsworte: bey mir aussprach und dieses ist die natuͤrliche Folge wenn Jemand roth zu werden Ursach gefunden. Ein einziger hat nur die Elecktrisirstange angefaßt, allein sie fuͤhlen alle den Schlag. Es herrscht eine feierliche Stille, jedes spielt mit Messer und Gabel oder dreht sich Pillen von Brod. Nach einer Weile putzt der, welcher zu den wenig- sten Empfindungen aufgelegt ist, das Licht wenn es Abend ist, oder hustet wenn zu Mittage gegessen wird; ists außer Tisch so spricht er „besondere Witterung„ oder bittet um To- back „der meinige„ setzt er hinzu „ist so duͤrr wie Sand„ dieses alles that gewoͤhn- lich meine liebe Mutter wenn mein Vater einen Kreuzzug uͤber Land unternommen hatte, allein gewiß nicht weil sie dabey unempfind- licher sondern weil sie’s gewohnter war wie alle uͤbrige, und weil sie die beklommene Gesellschaft gerne wieder ins Freie in die frische Luft bringen wolte. Oft stand ich mit mit dem Gedanken auf, und schlief mit dem Gedanken ein, warum sagt er denn nicht wenigstens seiner Familie wo man um diese Jahrszeit Spargel ißt, wo man um diese Zeit eine Pfeife in der freien Luft raucht, wo man Trauben hat, den Wein bey seiner Quelle genießt und (welches mich am meisten intreßirte) lange Manschetten traͤgt. So geheim mein Vater mit seinem Va- terlande und seiner Familie war; so freigebig war meine Mutter so oft sie von ihrer Fa- milie Etwas zu erzaͤhlen Gelegenheit hatte. Sie wußte sich sehr viel damit, daß sie, wie sie sagte, aus dem Stamme Levi waͤre und zaͤhlte fuͤnf Priester oder (damit die in Cur- land herrschende lutherische Kirche, kein Aer- gernis nehme) Prediger Ahnen, von Vater und vier von muͤtterlicher Seite. Einer ihrer Ahnherren war Superintendent, und zwei waren Praͤpositi gewesen. Sie rechnete sich wiewol von der Seitenlinie zu den Verwand- ten des Superintendenten Paul Einhorn, dessen Vater Alexander Einhorn der zweite curlaͤndische Superintendent gewesen war, und wenn sie an den Eifer dachte mit welchem der Ehrn Paul Einhorn sich der Annehmung des gregorianischen Calenders widersezet; so schien schien es, daß sie der nemliche einhornsche Eifer beseelte. Es hat dieser wuͤrdige Eife- rer sich die Calendermaͤrtyrerkrone errungen indem er im Jahr nach Christi Geburt 1655 Dominica XI. post Trinitatis auf der Kanzel mitten in einer Calenderpredigt blieb und sein ruhmvolles Leben mit den Worten „verflucht sei der Calend„ — sanft und seelig endigte. Mein Vater schien bestaͤndig besorgt zu seyn es wuͤrde meine Mutter eine Maͤrtyrerkrone in ihrem Blutraͤchereifer uͤberraschen, wes- halb er sie bei der Hand zu nehmen und zu sagen pflegte „fasse dich, mein Kind, die „Sache ist beigelegt, wir schreiben heute „den — VI —„ Meine Mutter hielte in- dessen bis an ihren Tod den gregorianischen Calender fuͤr ein kezerisches Buch und ließ sich nie Ader, wenn im Calender das Zeichen zum Gutaderlassen stand. Es mußte kein Haar im Pastorat verschnitten werden wenn der Calender hiezu anrieth, und alles was sie nur erreichen konnte mahnte sie ab Holz zu faͤllen, Kinder zu entwoͤhnen, oder sonst eine Medicin zu brauchen wenn der Calender es gut fand. Es war ein Gluͤck fuͤr sie daß diese ungestempelten Tage die meiste Zeit fuͤr sie und die lieben Ihrigen gut ausfielen; es war war aber ein Ungluͤck fuͤr den gregorianischen Calender, denn sie nahm eben hiedurch einen Grund mehr dawider zu reden, und dem Herrn Superintendenten Einhorn zu pa- rentiren. Ich wuͤrde mich um alles in der Welt nicht unterstehen in Absicht der Ahnen meiner Mutter ein Schriftsteller in aufsteigender Linie zu werden, und meine Leser verlieren auch durch die Erzaͤhlung der ruͤhmlichen Thaten Schlachten und Siege nichts, wo- durch sich meine Vorfahren muͤtterlicher Seits von der geraden und Seitenlinie um die Kirche verdient gemacht. Sie nannte sie oft Kir- chensteine um alles zusammen zu fassen. Die- ser hatte lettische Lieder, wie sie sagte aus freier Faust gesungen, jener einige uͤbersezt, ein andrer hatte sich dem Superintendenten Daniel Hofstein, welcher den Exorcismus bei der Taufe der fuͤrstlichen Kinder wegge- lassen, mit Hand und Fuß (ich brauche ihre eigene Ausdruͤcke) widersezt, und ihn dem Teufel uͤbergeben, der nach seiner wohlehr- wuͤrdigen Meinung die Komplimenten nicht erwiedern wuͤrde, die ihm der Herr Super- intendent machte, ein andrer hatte die Oe- stereyer in seiner Gemeine abgestellt welches wie wie meine Mutter behauptete ein aus andern Laͤndern nach Curland gebrachter nicht alge- mein im Schwange gehender unchristlicher Gebrauch waͤre und dieser gute Mann war in Kupfer gestochen. Ich weiß bis diesen Augenblick nicht wie er zu dieser Ehre gekom- men war. Meine Mutter hatte diesen Ku- pferstich lange verwahret, ohne davon einen andern Gebrauch zu machen als daß sie, wie sie sagte, dieses Bild alle heilige Abend vor Ostern eine Stunde angesehen. Sie be- hauptete, daß ich Etwas aͤnliches in der Ge- gend um die Augen von diesem so ehrwuͤrdi- gen als beherzten Manne haͤtte; obgleich ich davon nicht die mindeste Spur zu entdecken im Stande war. Es sei nun dieses oder Etwas anderes die Ursache, genug meiner Mutter wandelte auf einmahl der Einfall an, diesen Kupfer- stich unter Glas zu sezen und unter den Spiegel zu haͤngen der im Prunkzimmer des Pastorats gegen Morgen hing. Mein Vater widersprach diesem Gedan- ken da ein Glaser unsre Straße zog, und ist also dieser gute Mann, obgleich er die Oestereyen abgebracht, nicht der Ehre ge- wuͤrdiget worden im Prunkzimmer des Pasto- rats rats gegen Morgen unter dem Spiegel zur Schau gestellt zu werden. Sie war Etwas ungehalten uͤber meinen Vater, obgleich sie sich solches nicht weiter merken lies, indessen war es nicht das erste mal daß sie sein Conto mit einer Schuld belastete. Sie faßte die- ses und beinahe alles was sie sonst noch auf ihrem Herzen und Gewissen hatte, die Noth des ganzen Pastorats zusammen, und schriebs flugs unter die Rubrick: nicht aus dem Stamme Levi. Ihrem Zorn brachte sie ein Opfer, das sie nachher sehr bereute. Sie schickte eben so flugs den Rahmen abzusagen, den sie fuͤr den Kupferstich bestelt hatte, und war verbunden obgleich der Rahmen noch nicht zur Helfte fertig war (und dieses gab zur neuen Aergernis Gelegenheit) ihn ganz zu bezahlen. Nachdem sie ihre zu Paaren getriebene Ideen wieder zu Hauf gebracht hatte, entwarf sie einen neuen Operations- plan der ihr auch gluͤcklich einschlug: nem- lich diesen verdienstvollen Mann in der Spei- sekammer aufzuhaͤngen. Hier sagte sie, kann er sich ohne Rahmen behelfen und Niemand wird zu ihm sagen Freund! wie bist du her- einkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an. Ich Ich kann es nicht schicklicher anbringen, daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei- erlich war. Es ward im Pastorat mit nichts anders als mit Weyhrauch geraͤuchert: alles was meine Mutter vornahm ward besungen. Dieses ist der cegentliche Ausdruck. Die Natur hatte sie mit einer sehr melodischen Stimme ausgestattet. Das Bewustseyn die- ser Mitgabe der Natur war indessen nicht die Ursache ihres treufleißigen Gesangs. Meine Mutter wird die Ursache hievon gele- gentlich selbst angeben. Sie fing so bald ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers eines geistlichen Liedes in bekannter Melodie aus freier Faust (um ihren einhornschen Ausdruck nicht zu verfaͤlschen) zu singen an, den alles, was zu ihrem Departement gehoͤr- te mit anzustimmen verbunden war. Sie sang mit Kind und Rind. Es war dahero natuͤrlich daß jedes so bey ihr in Diensten war Probe singen mußte, weil außer dem Hausdienst auch eine Art von Kuͤsterstelle durch jedes Hausmaͤdchen vergeben wurde. Vor diesem hatte meine Mutter, nach ihrer selbst eigenen Relation die Gewohnheit ge- habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in- des- dessen, der anfaͤnglich bemuͤht gewesen diese Gewohnheit voͤllig abzuschaffen; hatte sie doch am Ende nachlassen muͤssen. Sie ward aber von ihm bis auf einen Vers einge- schraͤnkt, den meine Mutter nicht um die Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge- lassen haͤtte. Ich hab es oft erfahren daß mein Vater zuweilen den zweiten Diskant extemporirte und meiner Mutter zum Munde sang, so daß er mithin von seiner vorigen Meinung a po- steriori abgegangen war. Meine Mutter rechnete ihm diese Bekehrung im Conto sehr hoch an und je lauter er mitgesungen hatte, jemehr wurde ihm zu gut geschrieben. Sie wußte sogar den Zeitpunkt anzugeben wenn mein Vater der wie die Folge zeigen wird, keine Anlage zum Geistlichen besaß, aufge- hoͤret haͤtte ein Liederstuͤrmer zu seyn und die- sen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich rechne nach mir und bitte meine Leser desfals um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den sie des zweiten Diskants unerachtet, noch im- mer befuͤrchtete, so sehr zu verhindern, daß sie seine Lieblingslieder den ihrigen vorzog: obgleich sie es auch mit ihren Lieblingen nicht C ver- verdarb, unter denen einige waren bei denen mein Vater unmoͤglich den andern Diskant singen konnte. Das Lied Ich bin ein Gast auf Erden schien fuͤr meinen Vater gemacht zu seyn und fast ward kein Glas gebrochen, ohne daß meine Mutter nicht anstimmte Die Herberg ist zu boͤse der Truͤbsal ist zu viel. Ach komm mein Gott und loͤse mein Herz, wenn dein Herz will; komm mach ein feelges Ende mit meiner Wanderschaft und was mich kraͤnkt das wende durch deinen Arm und Kraft. Ich wette, wenn meine Mutter mit diesem Liede meinen Vater gleich zu Anfange besto- chen haͤtte, sie wuͤrde nichts auf einen Vers begraͤnzt worden seyn. Kaum hatte einer der zwoen Streiter uͤber die Namen von Curland Lettland und Semgallen Abschied genommen, und gleich sang ihm meine Mut- ter nach Wo ich bisher gesessen ist nicht mein rechtes Haus; wenn mein Ziel ausgemessen so tret ich frey heraus, und und was ich hier gebrauchet, das leg ich alles ab, und wenn ich ausgehauchet so scharrt man mich ins Grab. Gerne, das weiß ich, haͤtte sie unter der Predigt: vom Vaterlande wie an hohen Festen diesen Vers angestimmt, wenn sie geglaubt haͤtte meinem Vater hiemit einen Liebesdienst zu erweisen. Seine Singzeit indessen war noch nicht kommen, und außer- dem hatt’ er den Grundsatz die Andacht ge- hoͤr’ ins Kaͤmmerlein. Der Gesang blieb also blos unter den Hausgenossen. Wer keine Einbildungskraft hat, sagte mein Vater hat auch kein Gedaͤchtniß. Ein großes Gedaͤchtnis kann die Urtheilskraft schwaͤchen, allein auch staͤrken. Wer sich durch hundert Meinungen die er weiß nicht stoͤren laͤßt und noch eine fuͤr sich besitzet; hat viel Gedaͤchtnis und viel Urtheilskraft. Die besten Koͤpfe klagen am meisten uͤber Ge- daͤchtnis. Sie sehen ein wie viel noch zu- ruͤck bleibt was sie nicht wissen und wollen sich auf eine Art, die ihnen am wenigsten zustehen kommt bey Ehren erhalten. Ein Mann von starker Beurtheilungskraft macht C 2 sich sich nur Merkzeichen durch die Vernunft, die Imagination ist bey ihm blos Koͤchin. Was solt ihn also zuruͤck halten, ohne roth zu wer- den uͤber schwaches Gedaͤchtnis zu klagen? Manche um auch fuͤr tiefe Denker gehalten zu werden machen es nach, obgleich die gu- ten Leute weit eher uͤber schlechten Verstand klagen koͤnnten. Zum recht guten Gedaͤchtnis gehoͤrt et- was ins Gedaͤchtnis fassen, behalten und sich wieder erinnern. Sieh! bey der Sache auf Ursach und Wirkung: Inoculir alles auf dein Lieblingsstudium, und es ist dir auch im spaͤtsten Alter als haͤttest du es vorm dreyßigsten Jahr, bis zu welcher Zeit beim Menschen alles in der Bluͤte stehet, gelernt. Witzige Leute haben schreckliche Gedaͤchtnisse. Ueberall finden sie eine Aehnlichkeit — weil diese aber oft zu schwach ist, oder weil sie mit einem Blick zehn Aehnlichkeiten finden vergessen sie alles — das Bewußtseyn, fassen zu koͤnnen was man will, thut bey einem Genie oft groͤßere Dinge, als wenn’s schon ein geruͤttelt, geschuͤttelt und uͤberfluͤßiges Maaß im Kopf haͤtte. Ich habe noch keinen Dich- ter gekandt, der nicht schnell gefaßt haͤtte, was er gelesen: Beim muͤndlichen Vortrage ge- gelingts nicht allen. Prosa behalten sie leich- ter als Verse. Bei andern Leuten ist es um- gekehrt. Man wuͤrde behaupten koͤnnen ein Original muͤßte wenig Gedaͤchtniß haben, wenn es nicht Leute gaͤbe, die im Vergessen eben so stark als im Faßen sind. Faßen und behalten wird im gemeinen Leben fuͤr eins ge- nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder Originalkopf muß schnell faßen und schnell vergeßen. Etwas bleibt zuruͤck und nur eben so viel als noͤtig ist um nicht blos Abschrei- ber, Copist zu seyn. Ein Grosmaul hat ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge- daͤchtnis. Wer viel plaudert kann auch viel behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzaͤh- len, wenn er trunken oder verliebt ist: Er darf sich indessen beides nur einbilden, zu seyn. Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt’s oft daher weil er sehen und hoͤren kann und zwar mit Augen und Ohren des Genies und auch dieser Umstand traͤgt sein Theil bei, daß er so leicht vergißt. Er kann nichts lesen und hoͤren, was er nicht so gleich mit dem Seinigen bereichert. Er verzinset oft einen Gedanken mit funfzig Procent, oft mit mehr. Er weiß bestaͤndig viel, nur nicht immer was andere wissen. Wer Jahrzah- C 3 len len und Geschlechtsregister behalten kann, ist kein Dichter — Lieber Vater hier macht die liebe Mut- ter eine Ausnahme. Anlange zur Hauspoesie ist ihr nicht abzusprechen und wer ihr kein gutes maßives Gedaͤchtniß zugestehen wolte, dem vergaͤße sie diese Beschuldigung selbst im Himmel nicht, und wenn’s auch nur blos darum waͤre um ihr Gedaͤchtniß zu bewei- sen — Was sie behaͤlt ist eisern „meine Mutter wußte nicht nur alle moͤgliche Lieder aus und inwendig; sondern besaß auch eine so genaue Lebensbeschreibung von vielen Lie- derdichtern daß sie beynahe den Schoͤpfungs- tag von jeder Strophe wußte. Es war ihr von vielen Jahr und Tag bekanndt und was das allermeiste war sie konnte sagen was jede ihrer Herzensstrophen bei diesem oder jenem fuͤr eine Wundercur gemacht hatte. Mein Vater, der von dergleichen Din- gen nicht das mindeste wußte, hoͤrte ihr (ohne Zweifel von dem Zeitpunkt da er den zweiten Diskant zu singen anfing) andaͤchtig zu, und schien an ihrer Zufriedenheit uͤber dieses ge- neigte Gehoͤr Theil zu nehmen. Die singende christliche Hausgemeine war noch an den Worten und und was mich kraͤnkt das wende durch deinen Arm und Kraft und risch fing meine Mutter an als wenn sie festen Fuß fassen und occupiren wolte. „Von Paul Gerhard„ War mein Vater nicht unter ihren Zuhoͤrern pflegte die Leichenpredigt laͤnger und erbauli- cher zu seyn und bestaͤndig fand sie alsdenn auf ihrem Wege Umstaͤnde, die mit Umstaͤn- den, so Leuten aus ihrer Familie begegnet waren, eine Aehnlichkeit hatten. Reisete mein Vater mit, war der Weg wie auf der Diehle und nie sprach sie bei einem Anverwandten auf der Landstrasse an, es waͤre denn zuwei- len bei ihrem seelgen Herrn Vater oder Gros- vater um ihnen aus Kindespflicht die Haͤn- de zu kuͤssen. Paul Gerhard hatte Berlin wegen des Streits der Lutheraner mit den Reformirten verlassen nachdem er aus Luͤben (denkt an Liebau sagte sie, wenn euch der Name zu schwer faͤlt) nach Berlin gekommen und ihr seeliger Herr Vetter war, um allen allerlei zu werden vom Landpastorat nach Mitau als Stadtpastor gegangen und hatte in Mitau ein Bein gebrochen. Doch warum nicht sie selbst? Damit meinen Lesern die Zeit nicht zu C 4 lang lang werde, soll mein Vater ab und zu- gehen. „Es ist ganz besonders daß Herr Paul „Gerhard (sein Sohn Paul Friedrich Gerhard „war Magister, auch gut! allein so viel ich „weiß kein Liederdichter. Schade!) Es ist „ganz besonders sag ich daß Herr Paul Ger- „hard welcher als Ober oder Primarpastor „1676 den siebenzehnten und nicht den sie- „ben und zwanzigsten May im siebenzigsten „Jahre seines reifen Alters unter die himm- „lischen Saͤnger aufgenommen ward kein „Lied gemacht hat das mit C anfaͤngt; ob- „gleich wir sonst viele vortrefliche Lieder ha- „ben die mit diesem Buchstaben anheben. „Ich laß jeden Buchstaben in seiner Ehr’ „und Wuͤrde, allein unter den Consonanten „ist C mein Liebling. Hat dein Vater je sich „des Unterdruͤckten des Nothleidenden„ ( sie wandte sich zu mir ) „angenommen, so war’s „indem er behauptete der Buchstabe C sei so „gut deutscher Buͤrger im A B C als irgend „einer und indem er den Candidaten — ohne „C wiederlegte. Da die Letten ohne C sind, „koͤnnte man den Herrn Oberpastor Paul „Gerhard einen curschen einen lettschen Saͤn- „ger nennen wenn er anders damit zufrieden „waͤre, „waͤre, woran ich zweifle. Wer Gerhards „Lebensgeschichte mit leichter Muͤhe und ohne „Kopfschmerz zu behalten Lust hat, merke „sich vier Sieben. „Im Jahr 16 sechs und siebenzig den „siebenzehnten May im siebenzigsten Jah- „und in Hinsicht des Zweifels wegen seines „Sterbtages sieben und zwanzig. Dieser „Zweifel hat, wie mich duͤnkt einen Druck- „fehler, eine Schwachheitssuͤnde zum Grunde. „Wer kann wissen muß jeder der ein Buch „schreibt bekennen, wie oft er fehle — Da hast du ganz recht liebe Mutter, und ich der ich zwei hundert Meilen vom Druck- orte entfernt bin, setze bey dieser Gelegenheit mit einer Verbeugung an alle Recensenten hinzu: Verzeihet die verborgene Fehler. (Meine Mutter faͤhrt fort) „Gott weiß, wie die Worte in der Aus- „gabe des Herrn Feistking lauten. Es ist „diese Ausgabe fuͤr mich ein Licht unterm „Scheffel. Das Manuscript hat Herr Jo- „hann Heinrich Feistking vom Herrn Magi- „ster Paul Friedrich Gerhard erhalten„ Meine Mutter bedaurete daß sie nicht selbst der Herr Johann Heinrich Feistking bey dieser Gelegenheit gewesen, und waͤr’s C 5 auch auch nur setzte sie hinzu der gruͤnen rothen und blauen Grenzzeichen und Faͤnchen hal- ber. Diese Autorzeichen brachten sie auf die Tintarten, welche sie all so wie eine Mehl- und Milchspeise oder Gruͤtze anrichten zu koͤn- nen vorgab. Mein seeliger Grosvater, sagte sie, konnte ohne alle diese Tinten kein Concept zur Predigt vollenden: Mein seeliger Vater brauchte nur die rothe und jetzt bin ich bis auf die schwarze und auch die (mein Vater war die ganze Zeit abwesend) wird wenig ge- braucht, außer Uebung. Der hochseelige Mann Paul Gerhard hat das feistkingsche Exemplar mit allem Fleiß revidirt. Sein letzter Federstrich war in die- ses Buch und eben schrieb ein Erzengel seinen Namen aufs beste ins Buch des Lebens ein Ich habe die Vorrede des Herrn Feist- king nicht gelesen sondern nur in ein ander Buch eingebrockt gefunden; indessen gehoͤrt es eben nicht zum Stern und Kern dieser Vorrede daß Paul Gerhard daselbst mit dem D. Martin Luther proclamiret und gepaaret worden und daß man so gar (unter uns ge- sagt) den Wunsch aͤußert daß Gerhard dem D. Martin Luther beim Reformations Werk gehol- geholfen haͤtte. Ich thue Einspruch Herr Feistking nicht des Buchstabens C sondern des auserwaͤhlten Ruͤstzeuges D. Luthers wegen der auch wußte was Klang und Sang war — — Hier eine Lobrede auf Lu- thern der darum wie meine Mutter sagte zu Eisleben gebohren weil ihn Gott das Eis zu brechen erkohren. Wir! wir! (sie sang diese Worte in der Melodie: wirglaͤuben all an einen Gott ) wir, setzte sie ohne Sang fort, die wir aus Bescheidenheit den Zunamen Lu- theraner angenommen; solten mit dem Vor- namen Reformatoren heißen: gewiße an- dere Leute aber, die nicht paulisch und kefisch seyn wollen; koͤnnen beym Namen Refor- mirte bleiben. Nach dem Luther (mein Va- ter kommt) muß ich gestehen keinen beßern Liederdichter als Gerharden zu kennen. Er und Rist und Dach sind ein Kleeblatt das auserwaͤhlte Ruͤstzeug Luther aber die Wurzel. Gerhard dichtete waͤrend dem Kirchenge- laͤute koͤnnte man sagen. Ein gewißer Druck, eine gewiße Beklommenheit, eine Engbruͤ- stigkeit war ihm eigen. Er war ein Gast auf Erden und uͤberall in seinen hundert und zwanzig Liedern ich wuͤnschte wol es waͤren ein hundert und siebenzig wegen der sieben — ist ist Sonnenwende gesaͤet. Diese Blume dreht sich bestaͤndig nach der Sonne und Ger- hard nach der seeligen Ewigkeit. Schwer- muͤthig — Recht sagte mein Vater allein weißt du auch warum? „Warum?„ meine Mutter„ weil er nach dem vorgesteckten Kleinod blickte„ Weil er ein boͤses Weib hatte — so bald ihn Gott von dieser boͤsen Sieben erloͤsete, war keine Sonnenwende mehr in seinem poetischen Gaͤrtchen. Er sang; allein, es sang kein Gerhard mehr. Was die Xan- tippe dem Sokrates war — Dieser Blitz traf das Wort auf der Zunge meiner Mutter, es bebte noch eine Minute auf der blaͤulichten Oberlippe, allein es war so matt, daß es in der Geburt seinen Geist aufgab. Meine Mutter die sich ihres Ge- schlechts uͤberhaupt anzunehmen gewohnt war, mußte von meinem unlevitischen unpoetischen Vater, der zum zweiten Diskant nur par bricol gekommen war erfahren, daß er die Asche einer Oberpastorinn entheiligte und ein Sacrilegium begieng. Das war mehr als sie tragen konnte! — Sie verstummte vor ihrem ihrem Scherer und nach einer guten Vier- telstunde allererst, nachdem das Herzgespann nachgelassen, sang sie ohne zu sagen von wem das Lied gedichtet war Wenn boͤse Zungen stechen mir Glimpf und Namen brechen will ich bezaͤhmen mich, das Unrecht will ich dulden dem Naͤchsten (meine Mutter sang dieses Wort mit einem tiefen Seufzer) seine Schulden verzeihen gern und williglich. Dieses war auf heute genug am Gemaͤlde meiner Mutter. Daß sie Gedaͤchtnis und wo nicht eine poetische Puls so doch Blut- ader wo nicht praßlendes Odenfeuer, so doch eine gluͤhende Kohle vom Altar gehabt, werden meine Leser selbst gefunden haben. Noch einen Zug um die Nase herum, der sich eben bey mir meldet, und es uͤbel nehmen koͤnnte; wenn ich ihn nicht so spaͤt es auch ist, beherbergen solte. Meine Kreutzbare Mutter war eine so große Verehrerin der Reime, daß sie sogar ein Geluͤbde abgelegt hatte, gewiße Worte nie zu trennen. Kern und Stern, Rath und That, Kind und Rind, Hack und Pack, Dach und Fach, Knall Knall und Fall u. s. w. waren nach ihrer Meinung Zwillinge, Doppelbruͤder. Außer diesem behautete sie, daß gewisse Reime fuͤr einander gebohren, im Himmel geschlossen waͤren, und durchaus ins Eheband treten muͤßten als da sind Stank und Dank, Mund und Pfund, Glimpf und Schimpf, Noth und Tod, Kleider und Schneider, Student und Recensent, Schelm und Helm — „Was Gott zusammen fuͤgt„ pflegte sie zu sagen „soll der Mensch nicht scheiden. „Wer solche Reime trennt scheidet eine Ehe, „und wer einen andern Reim in diese Stelle „aufnimmt, heyrathet im verbotenen Grade„ Sie behauptete die Reime waͤren gleichsam die Riemen durch welche das Gedicht verbun- den wuͤrde, und muß ich ihr die Gerechtig- keit wiederfahren lassen daß sie bei ihrem poetischen Trichter oder dem in sechs Stun- den einzugiessenden Unterricht zur deut- schen Dicht und Reimkunst Nuͤrnberg Gedruckt bei Wolfgang Endter MDCL. die Regel gab, trachtet am ersten nach dem Reime der zweiten Reihe, der erste wird euch zufallen, und es wird der Vers, wie gegossen seyn — Jezt Jezt in die Speisekammer auf ein Ge- richt Eyer. Der Himmel helfe uns ad mala. Es wird fuͤr meine Leser und fuͤr mich, glaub ich, das beste seyn. Solte indessen meinen Lesern das Schaͤlchen, das ich aus gutem Herzen nach nordischer Art zum Willkom- men herum reichen lasse, Appetit machen und Promulsis (der erste Gang) nicht miß- fallen; so hof ich caput cœnæ (die Haupt- schuͤßel) dieses Theils wird auf ein gleiches Gluͤck Hofnung machen koͤnnen. Ein Tha- liarchus ein Credenzer, Disponent, ein Glaͤ- serzaͤhler ein Tacktschlaͤger ist mir bei der Mahlzeit eine unausstehliche Creatur. Meine Mutter laͤßt zur Canonisation laͤuten, die einen ihrer Vorfahren treffen soll. Die Reliquien dieses Candidaten zur Standeserhoͤhung bestehen in einem Kupfer- stich und obgleich wenn er nach den neuesten paͤbstlichen Grundsaͤtzen behandelt werden solte, ihm rechtlich entgegen stuͤnde, daß er noch nicht hundert Jahre gestorben; so wird doch bei dieser protestantischen Ceremonie dieser Einwand keine Bedenklichkeit abgeben. Es war ein Sonnabend — denn dieses war ein Tag den meine Mutter unter den Tagen Tagen so wie die C. unter den Consonanten (alles Widerspruchs des Candidaten ohne C. ohnerachtet) schaͤtzte. Die C. um auf- richtig zu seyn weil die Letten diesen Buch- staben nicht haben; den Sonnabend den hei- ligen Abend, weil sie selbst, im Fall ich mich so ausdrucken darf, ein heiliger Abend — wenn man nur hinzusetzt, welches einem Sohne nicht zustehet; so haben sie meine Leser in einem Zuge ganz; also nur ein hei- liger Abend war. Meiner Mutter gebuͤhr- te allerdings eine Glorie; allein nur vom Mondschein — Wegen des Sonnabends muß ich noch bemerken, daß sie von mei- nem Vater alsdenn wegen der Beichtvesper an wenigsten einen Einbruch zu befuͤrchten hatte, und daß der Sonnabend bei allen Priesterweibern dies festus ein hervorragen- der Tag ist. Es war ein Sonnabend da mich meine Mutter mit dem ersten Vers des Liedes Freu dich sehr o meine Seele und vergiß all Angst und Quaal aufsang, und nach dessen Vollendung mich also anredete „Ich „Ich weiß, daß dieses Lied einem armen Suͤnder zugeschrieben wird, der in Ham- burg wegen begangener Rothzuͤchtigung eines neunjaͤhrigen Maͤdchens enthauptet worden; allein außerdem, daß dieser arme Suͤnder Docktor in der Medicin gewesen; so glaub ich auch die ganze armen Suͤnder Geschichte nicht. Es ist vielmehr dieses Lied eine Mes- serspize von den geistlichen Liedern des Si- mon Graf die er unterm schoͤnen Titel Geist- liches edles Herzpulwer in drei Theilen her- ausgegeben hat Leipzig 1632. und denn am Ende liebes Kind sind wir alle arme Suͤnder — „allein „wir haben nicht alle ein neunjaͤhriges Maͤd- chen genothzuͤchtiget„ sind aber alle in Suͤn- den empfangen und geboren. „Was ist Nothzucht liebe Mutter?„ Nothzucht mein Kind! sagte meine Mutter, und ich war voll Erwartung der Dinge die kommen solten — ist Nothzucht. Leg dein Feyrkleid an, streu Puder auf dein Haupt und wenn keiner verhanden ist Wai- zenmehl und sieh! heute wie man dem thut, den deine Mutter ehren will aus dem Buche Esther D Esther im sechsten Capitel und sechsten Vers. Nach einer langen Deliberation wie die feier- liche Handlung vollzogen werden solte gieng dieser Triumph oder Oration oder Leichen- conduckt an. Jo Triumphe! der Trium- phator, welchem diese Ehre in effigie erwie- sen wurde, lag auf zwei Folianten, und auch dieses kam von ohngefehr, sonst wuͤrde selbst diese Spur vom Triumphwagen nicht gewesen seyn. Bei meiner Uebermessung, die mit einer Kurschen Elle geschahe, fand es sich daß kein Stuhl hoch genug fuͤr mich war, den Kupferstich dem Himmel nahe genug zu bringen, wie meine Mutter sich ausdruͤckte, welches Ziel aber durch Beihuͤlfe dieser Folianten erreichet werden konnte. Da die Folianten inzwischen einmal im Spiel waren legte sie selbige Kreuzweis so, daß also nicht einer auf dem andern lag. Sie sprei- tete endlich ein weißes Tuch uͤber sie — Man kann sagte sie auch dabey seine erbau- liche Gedanken haben. Noch gehoͤrten zu diesem Ehrenwerk vier flimmernde Naͤgel- chen und vier Streifen schwarz Papier. Eine Leichenrede wurde deshalb entkleidet, die auf einen reformirten Geistlichen gefertigt war. Die Naͤgelchen und die vier Streifen legte meine meine Mutter wie Ehrenzeichen neben dem Kupferstich. Auf dem Wege von dem Ort wo ihm der Platz unterm Spiegel gegen Morgen war abgeschlagen worden, wurden Tannenreiser bis in die Speisekammer ge- streuet. Unterwegens war meine Mutter wie man in der Affecktshize zu seyn pflegt, still. Der Fall war zu groß um Klang und Sang zu verstatten. Stille Begraͤbnisse kommen uͤberhaupt der Natur am naͤchsten wenn anders der Verstorbene keine lachende Erben nachlaͤßt. Meine Mutter trug die Fuͤße ich das Haupt und so kamen wir ins Delubrum ins Sacrum, ins Gewoͤlbe. Es kam mir unterweges besonders wegen des weißen Tuches, welches bei meinen Lesern noch im frischen Andenken flaggen wird so vor, als ob ich eine Leiche trug und meiner Mutter muß es eben so vorgekommen seyn denn sie sagte (dieses war alles was geredet wurde) den Weg mein Sohn muͤßen wir alle, und konnte wol unmoͤglich die Speisekam- mer darunter verstehen. Ich merkte aus allem, daß meine Mutter eine Rede an mich halten wolte, und kann vielleicht dieser Um- stand mit das Seinige zur Stille beigetragen haben wodurch diese Handlung geweiht wurde. D 2 Er „Er hat gelitten und hat gesiegt fing sie an „er ist gestorben und sich! er lebt„ „Schaut die Sonne geht zur Ruh„ „Kommt doch morgen wieder„ „aus dem Liede: einen guten Kampf hab „ich auf der Welt gekaͤmpfet „ Diese Cita- tion oder eine Wehmuth die uns beide an- wandelte lenkte sie vom rechten Weg. „Dein Ebenbild„ sagte sie „mein Sohn „wie ein Ey dem andern — sey ihm an „reiner Lehre und reinem Wandel gleich „auch„ (hier fehlte ohne Zweifel viel) „nimm „dich vor harten Eyern in acht: sie sind „schwer zu verdauen.„ Erinnere dich an die Leiter Jacobs sagte sie, nachdem sie sich vom Steckflus erholet hatte und die Folianten wurden abgedeckt und das Leichlacken fein sauberlich zusam- mengelegt. „Zu niedrig„ sagte sie indem ich die Hoͤhe erstiegen hatte und zu haͤmmern anfing „Es stockt in der Speisekammer„ „zu hoch„ gleich drauf „denn ich kann wei- „ter nichts als vier Sterne sehen„ Sterne dacht ich liebe Mntter — Sechs fuͤr einen Vierding. Endlich traf ich die rechte Stelle und nach- dem das Monument fertig war, welches diesem diesem Ehrenmann um so angemessener schien als gerad’ uͤber ein Eyerbehaͤltnis stand; stieg ich herab, und meine Mutter umfing und kuͤßte mich. Es war dieses eine feier- liche Umhalsung eine Accolate und nun? — meine Leser werden es mir verzeihen, daß ich sie so lange im Finstern gelassen; Ohne zu bemerken daß meine Mutter vier Lichte auf dem Tisch angezuͤndet hatte auf welches Ca- strum Doloris der Wohlseelige nachdem wir ihn von den Folianten abgehoben, eine ganz kurze Zeit zur Ausruhe hingestellt wurde. Drey von diesen Lichtern loͤschte meine Mut- ter so aus wie andre Leute ihre Lichte ausloͤ- schen. Das Vierte ein abgebrannter Stumpf war waͤrend dieser Zeit dem Verloͤschen nahe „Komm! sieh und lerne sterben„ sagte sie mir. Ich sah ein ausgehendes Licht und meine Mutter betete mit einer Innbrunst die mir durch die Seele ging — Und wenn mir die Gedanken vergehen wie ein Licht das hin und her thut wanken bis ihm die Flamm gebricht; alsdenn fein sanft und stille laß mich Herr! schlafen ein nach deinem Rath und Willen wenn kommt mein Stuͤnde ein. D 3 ich ich sah, was meine Mutter sagte und oft! oft! hab ich mein Licht so ausbrennen laßen, um dieses Fest zu wiederholen. Meine Mutter legte die Haͤnde sobald alles aus war auf mich, um mich priesterlich zu seegnen. Wir weinten beide — Nach einer Weile fing sie an (ich glaub es sind alles die- ses Brodsamen die von ihrem reich besetzten Tisch fielen, Stuͤcke von der verungluͤckten Rede) „die Lobwuͤrdigste Fuͤrstin Henriette „Louise Marggraͤfin zu Brandenburg lies sich „dies Lied vorsingen, und obgleich alles um „sie herum weinte, starb sie doch ohne Ach „und Weh sanft und seelig zu Onolzbach im „Jahr Christi 1650 ihres Alters sieben und „zwanzig Jahr. Gott! laß es nur ein „Stuͤndlein und nicht eine ganze Stunde „seyn, wenn wir heimfahren aus diesem „Elend!„ Wir brachten die Folianten zu Hause und meine Mutter sang ohne zu be- stimmen obs auf Folianten oder aufs Kupfer- stich oder auf alle papierne Monumente und Denkzettel gezielt waͤre Man traͤgt eins nach dem andern hin wohl aus den Augen und aus dem Sinn die Welt vergisset unser bald sey jung oder alt auch unsrer Ehren mannigfalt Seyd Seyd getrost verdienstvolle Maͤnner, (ich will meiner verstummten Mutter aushelfen) Habt ihr nicht das Gluͤck am Spiegel zu haͤngen so ist noch die Speisekammer uͤbrig. Stockt es hier gleich, es schadet nicht das Bild kann hoch geschlagen werden. Beschert euch nur der Himmel Augen die vier kleine Naͤgel fuͤr Sterne ausehen ; habt ihr gewon- nen Spiel. — Nach dieser volbrachten Arbeit verlangte meine Mutter daß ich diesen Tag in einem feinen guten Herzen behalten und ihn jeden heiligen Abend vor Ostern durch eine Wall- fahrt in die Speisekammer (wie sie sich aus- druckte) feyren und erneuren solte; dieses ist sagte sie die Aussaat; vor Ostern den heili- gen Abend solst du erndten. Der Geber al- ler guten und vollkommenen Gaben verleihe dir gutes Wetter oder ein Herz nach seinem Herzen zur Erndte. Daß aber der ausgesaͤete Waizen nie zur Reife gekommen und aus dieser Wallfahrt nie etwas geworden, ist einer von uns bei- den Schuld, der fromme Schweppermann oder ich. Meine Mutter zog mich wegen eines Epitaphiums zu Rathe und mir mußte zum Ungluͤck einfallen D 4 Dem Dem Mann ein Ey dem frommen Schweppermann zwey weil Schweppermann nicht Superintendent in Curland sondern ein Ritter keck und fest der zu Gnadersdorf im Streit that das Best gewesen; so bekam der Vorschlag meiner Mutter eine andere Wendung. Der be- stimmte heilige Tag fiel aus, allein nicht zu meinem Nachtheil denn wenn ich nach der Zeit ein Stuͤck Geraͤuchertes zu erndten Lust hatte; wallfahrte ich Hand in Hand mit meiner Mutter zum Mausoleum (oder nach einer ehrlichen deutschen Uebersetzung) in die Speisekammer. Es hing der Tag unsers Eyerheiligen von der Angabe meines Magens ab, und war so oft mir außer der Mahlzeit hungerte. Je nachdem ich Appetit hatte; ward auch die Feyerlichkeit zur Ehre eines Mannes zugeschnitten, der nach der Bemer- kung meiner Mutter, die sie mehr als ein- mal anbrachte, „so wie die Speckseiten und „Wuͤrste seine Nachbaren, gekommen waͤre „aus der Rauchkammer dieses Lebens„ — Zur Steuer der Wahrheit steh es hier wie eine Ehrensaͤule, daß meine Mutter wi- der die Gewohnheit aller Weiber nicht geitzig war war. Sie wolte nicht die Eyer abschaffen und Huͤner dafuͤr einfuͤhren; sondern die Rechtglaͤubigkeit wie sie sagte lag ihr bloß hiebei am Herzen. Mein Vater (damit ich sobald als moͤg- lich die vacante Stelle besetze) den meine Mut- ter durch diesen an seinen Ort gestelten Kupfer- stich ohne Zweifel auf den Gedanken brachte, daß im Prunkzimmer zur rechten Hand un- term Spiegel kein unruͤhmlicher Ort im Pa- storat waͤre, vocirte den Kupferstich des Eu- gen an diesen ledigen Platz. Er ließ meine Mutter vor der Hand bei ihrer voreilig ge- faßten Meinung, daß dieser Kupferstich der Herzog Gotthard waͤre, welchen sie vor den groͤßten Helden hielt der je in der Welt gelebt haͤtte, und dem allein sie den Rang uͤber den Superintendenten gestattete, obgleich sich die Herzoge von Curland wir von Gottes Gna- den schrieben und Landeshoheit haben. Es war mein Vater sich als ein Deutscher diese Huldigung schuldig, und nie hat ers verfehlt dem Namen eines Deutschen Ehre zu ma- chen. Das erste Wort was er mich ausspre- chen lehrte war, aller seiner Kentniß’ in frem- den Sprachen unerachtet, ein schweres Deut- sches. Deutsch eben darum warum Eugen D 5 im im Pastorat zur rechten Hand unterm Spie- gel des Prunkzimmers hing, schwer, weil mein Vater in allen Dingen die Gewohnheit hatte mit dem Homer anzufangen. Damit aber meine Leser ja nicht Realin- jurien begehen und an den Gedanken graͤn- zen als ob mein Vater auch nur stillschwei- gend eine Unwahrheit veruͤbt; so muß ich ihn bei dieser maasgebenden Gelegenheit recht- fertigen und ihn uͤber jenen Heiden heraus- bringen, dem man zur Steu’r der Wahrheit nachsagt, daß er auch nicht im Scherze un- richtig geworden, welches in unserer galan- ten Mundart ungefehr heißen wuͤrde daß er keine einzige Equivoke gesagt habe. Wer weiß es nicht daß eine stillschweigende Luͤge eine himmelschreiende stumme Suͤnde sei, der feinste Meuchelmord und eben darum der ge- woͤnlichste. Was meinet ihr lieben Leser! mißt mein Bater nicht einen Zoll und einen Strich mehr? Gotthard sagte meine Mutter der Held der Helden. Nicht also fiel mein Vater ein. Eugen! ein Deutscher der in seiner Jugend Theologie studirte und schon wirklich Candi- datus Theologiaͤ war, ein rundes Peruͤckchen trug und geprediget hatte, dies brachte meine Mutter Mutter zur Andacht, warum sagte sie ging er von der engen Straße die zum Leben fuͤh- ret? um der Religion bessere Dienste zu thun erwiederte mein Vater, um sein Schwerd wieder die zu ziehen welche jetzo die Wache zum heiligen Grabe geben und das Schlaf- gemach unsers Herrn und Meisters usur- pireu. Eugen hieß der kleine Abt in Frank- reich und ward ein großer Mann in Deutsch- land. Die mittelmaͤßige Statur ist die Ge- stalt der Helden — Unser Sohn wird Gott- lob! groß werden sagte meine Mutter! Gott- lob! er wird es nicht werden erwiederte mein Vater. Die Tittel des Eugen sind, fuhr er fort, Herzog von Savoyen und Piemont, Marggraf zu Saluzzo, Ritter des goldnen Vließes, der Roͤmisch Kaiserlichen und Koͤ- niglich Catholischen Majestaͤt wuͤrklicher Ge- heimter und Conferenz-Rath Hofkrieges Raths Praͤsident, General Lieutenant und des heil- gen roͤmischen Reichs Feldmarschall General Vicarius der saͤmtlichen Italienischen Erbkoͤ- nigreiche und Landen. Meine Mutter machte da mein Vater sich bey jedem neuen Ehrenwort beugete eine Gegenverbeugung — ohne daß man eigent- lich bestimmen konnte ob’s meinem Vater oder oder dem Eugen gallt, und da die Heldenge- schichte eben kein Studium fuͤr meine Mut- ter war; so kam manches vor was sie zum erstenmal hoͤrte. Bei meines Vaters Be- merkung Eugens Mutter waͤre des bekannten Cardinals Mazarini Nichte gewesen; konnte meine Mutter anfaͤnglich nicht begreifen wie ein Cardinal eine Nichte haben koͤnnte? Es fuͤhlte Eugen (fuhr mein Vater fort und sahe meine Mutter lieblich an) im Gemuͤte und Gebluͤte vaͤterliche Regungen, und dieses Ge- fuͤhl war unfehlbar die Hauptursache warum er das Brevier mit dem Degen vertauschte. Ob nun gleich meine Mutter was den Punkt der heiligen Ehe betraf sehr protestautisch dachte; so schuͤttelte sie dennoch wegen dieses Tausches das Haupt. Bei dem eingeweih- ten Degen den Pabst Clemens der XI. dem Eu- gen schickte und bey dem Anfange seines An- schreibens Unsern Gruß und apostolischen Seegen zuvor Geliebter Sohn, edler Mann! warf sie die Frage auf wie doch wol der curische General Superintendent an den Eugen ge- schrieben haben wuͤrde? Mein Vater schloß die Standrede uͤber Eugen um sich meine Mutter die nicht ohne Neid Neid den Eugen unterm Spiegel sahe, zu verpflichten. Daß dieser unuͤberwundene Held den ein und zwanzigsten April zum ewigen Jubi- late eingegangen — So waren also die beiden Monumente fuͤr Eugen der nie geschlagen worden und meiner Mutter Ahnherrn, der durch Abschaf- fung der Oestereyer sich unsterblich gemacht, errichtet! Der liebe Gott schenke beiden (dies sagte meine Mutter da mein Vater den Ruͤ- cken gekehret hatte) in der Erde eine sanfte Ruhe und am juͤngsten Tage eine froͤliche Auferstehung wo es sich ausweisen wird ob Eugen oder der gute Pastor eher verdient un- ter dem Spiegel gegen Morgen im Prunk- zimmer zu haͤngen wenn gleich auch unser Anverwandter sich uͤber sein Plaͤtzchen in der Speisekammer nicht beschweren darf. Ich habe zwar von meinem Vater da ich nicht Capitelfest bin, nur wenig und das im Beylauf gesagt; meine Leser werden aber schon hieraus die verschiedene Denkungsarten meines Vaters und meiner Mutter einsehen und ohne Note sich vorstellen, daß ihre Er- ziehungsart gleichmaͤßig nicht uͤbereinstimmen konnte. Meine Mutter wolte mich zu einem Geist- Geistlichen machen, und wenn man kein Edelmann und doch ein Mensch in Curland ist, kann man keinen andern als diesen Stand waͤhlen; einige weltliche Stellen ausgenom- men, deren aber zu wenig sind, als daß viele darauf rechnen koͤnnten, und die, bis auf die Advocaten Stellen bei dem Land Oberge- richtshofe in Mitau, noch obenein adeliche Posten sind, und also als in Verfall gera- thene Familien angesehen werden, welche ih- ren Adel mit leichter Muͤhe erneuren koͤnnen. Mein Vater schien mich zu Etwas andern be- stimmt zu haben. Meine Leser moͤgen ra- then wozu? denn, in Wahrheit ich selbst muß mich bei diesem Umstand mit Rathen behel- fen, obgleich ich es nicht leugne mehr Data als meine Leser zur Aufloͤsung meines Raͤth- sels in der Hand zu haben. Er sahe es sehr gerne wenn ich Ball schlug und erlegte selbst mit mir Kegel. Ich hatte zu Anfange Muͤhe die Kugeln zu heben; indessen fand sich mit der Zeit eine Staͤrke in meine Arme daß das Spiel zwischen meinem Vater und mir unge- wiß und eine Wette wurde, und wir abwech- selnd gewonnen und verlohren. Er hatte es gerne, daß ich mich herumbalgte, und hier- innen that ich mich mit dem Benjamin dem Sohn Sohn des alten Herrn hervor. Sowol von Vater als Sohn wird sogleich gehandelt wer- den. Meine Mutter ermahnete mich so oft ich gerungen hatte, und fuͤgete hinzu, daß jedes Haar auf meinem Haupte gezaͤhlet sei. Ich arbeitete bestaͤndig; allein ich wußte es nicht, ich haͤtte eben so gut glauben koͤn- nen daß ich bestaͤndig spielte. Mein Vater konnte sich uͤber nichts so sehr aͤrgern, als daß uͤber der Seele der Leib vergessen wuͤrde, und daß man das eine bei Hochwohlgebornen Kindern lernen und das andere spielen hieße. Es ist alles Spiel oder alles Arbeit pflegt er zu sagen. Die Unvermoͤgenheiten des Leibes hielt er alle fuͤr ansteckend in Absicht der Seele. Cs ist ein schlechter Wirth sagt’ er der sein Zimmer mit Seide ausschlaͤgt und von oben einregnen laͤßt. Vom Kleide auf den Mann setzte er hinzu vom Hause auf den Herrn, vom Leibe auf die Seele schließen, ist kein unrichtiger Schluß. Wenn man seinen Koͤr- per den man siehet vernachlaͤßiget, wie will man an seine Seele denken die man nicht siehet. Mark machts aus sezte er, um sich zu erklaͤren hinzu, nicht Laͤnge und Breite Dicke und Hoͤhe. Ein jeder Erfinder ist we- nigstens an dem Tage da er erfand ein Mann gewe- gewesen, und haͤtte eben so gut ein gesundes Kind in die Welt setzen als erfinden koͤnnen, und alles was in der gelehrten Welt Methu- salems Alter erreichen und noch aͤlter werden soll, alles was eigentlich auf die Nachwelt bleibt hat ein Gesunder gedacht und geschrie- ben. Die Helden und Statsactionen des Hercules leisteten meinem Vater auf diesem Wege gute Dienste, und er konnte sich sehr freuen, wenn ich Unwillen zeigte, daß ich nicht auch Gelegenheit gehabt zwoen Schlan- gen in der Wiege das Lebenslicht auszudruͤ- cken: die Geschichte vom Antaeus dem Rie- sen war mir ein Brand im Busen; mein Vater goß Oel dazu und maaß mir seine Laͤnge vor. stieg auf den Tisch um sie recht zu sehen und so wie ich mich uͤber die Art des Antaeus freuete, sich einen Loͤ- wen zum Braten zu fangen, so gratulirte ich dem Herkules daß er diesen Loͤwenjaͤger todt zu druͤcken die Ehre gehabt. Mejne Mut- ter war so wenig mit der Geschichte vom Rie- sen Antaeus als mit der von der Schlange zufrieden. Bei der Schlange fiel ihr bestaͤn- dig die im Paradiese ein, wobei sie es dem Noa Etwas uͤbel nahm, daß er fuͤr sie eine recht hollaͤndische Toleranz in seinem Kasten gehabt. gehabt. Sie aͤußerte bei dieser Gelegenheit die Meinung daß das Auszischen sich aus dem Paradiese herschriebe, wo der Teufel unsren ersten Eltern auf diese Art uͤbel be- gegnet haͤtte nachdem die armen Betrogene den letzten Bissen Apfel genossen. Was den todtgedruͤckten Riesen betraf: fand sie’s an- stoͤßig, daß er nicht Goliath hieße. Ich war sehr fuͤrs Todtdruͤcken der Riesen, aber mein Vater zeigte mir das Erhabene das Goͤttliche bei der Geschichte des Davids und ich lernte neben her wie unrecht es sei mehr Mittel und waͤrs auch nur ein Graͤnlein anzuwenden, als man Zweck hat. Wenn meine liebe Mutter den Eifer be- merkte, der mir bei Erzaͤhlung vom Hercu- les unter die Arme griff, so daß ich vor ihren sichtlichen Augen an Tisch und Stuͤh- len ein Exempel statuiren wolte; pflegte sie mich zu ermahnen, meine Arme zum Kan- zelschlage zu schonen und sie nicht an unschul- digen Stuͤhlen und Tischen zu entweihen. Erziehen sagte mein Vater heißt aufwe- cken vom Schlaf, mit Schnee reiben wo’s erfroren ist, abkuͤhlen, wo’s brennt. Wer nie ein Kind unterrichtet hat wird nie uͤber das Mittelmaͤßige hervorragen. Docendo E disci- discimus ist ein großes und wahres Wort! In gewisser Art lernen wir mehr von den Kindern als die Kinder von uns. Wer ein Auge hat lernt hier den Menschen. Wenn die Sonne aufgeht, kann sie der Blick um- fassen. Wer kann in sie sehen wenns hoch- mittag ist? — Wenn ich auf Etwas durch aus und durch all’ bestand uͤberlies mich mein Vater meinem Eigensinn, und ich sahe aus den natuͤrlichen Folgen wie thoͤricht ich gehandelt da ich seinen Fingerzeig aus der Obacht ge- lassen. Er behauptete daß keine natuͤrliche Strafe gleich einer Todesstrafe waͤre, und so lies er nach dieser großen Fuͤrschrift, auch mich nur durch Buße bekehren und leben. Ich verbrandt mich am Licht ich verdarb mir den Magen unterm Pflaumenbaum. Wie der himmlische Vater es mit uns macht, pflegt’ er zu sagen so solten es auch leibliche Vaͤter machen. Welch einen Einfluß diese Lehrart auf mich gehabt ist unaussprechlich — Ich lernte Natur die wir! leider bei dem allgemeinen Fall oder Vorfall der Menschen lernen muͤßen. Ich lernte sie im kleinen und im großen. Wenn ein Genie allein auf dem Lande geht pflegte mein Vater zu sagen, bleibt bleibt es nicht lang allein, die Natur geht ihm an die Hand. Sie faßt es an und es versteht die Blume wenn sie sich neigt, und den liebevollen Hopfen der sich hinaufrankelt. Es bewundert den Regenbogen, den Ordens- band, den Gott der Erde als ein Gnaden- zeichen umhing. Da sehen dann Genies einen gewissen Zusammenhang zwischen Gott und dem Menschen und sind Seher von Gott Angehauchte. Dies ist unendlich mehr als ein Aotodidactos ein Selbstgelehrter. Die- ser lernt aus Buͤchern, ein Seher lernt von Gott und aus seiner fuͤr ihn aufgeschlagenen Welt. Mein Vater lies es nie zu Thaͤtlichkeiten bei seinen Strafgerichten kommen denn ich verurtheilte mich selbst und er bewuͤrkte eben hiedurch eine große Absicht: Er erzog nicht einen Sohn sondern einen Menschen. Meine Mutter hielt einen Gnadenstoß fuͤr nothwendig und wenn sie mir mit ihrer theuren Rechten einen Ritterschlag versezte pflegte sie zu sagen: besser so als anders! eine freie Uebersetzung von besser Ritter als Knecht, und denn sagte sie wieder. Wer seinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalb- fell — In der Hauptsache stimmte sie mit E 2 mei- meinem Vater, sie zog nur durch einen an- dern Weg in eben dasselbe Land. Regen der ihr kam, wenn sie die große Waͤsche vor- hatte die mein Vater scherzweise Fegfeuer nanndte das war ihr Gottesschlag und im- mer wußte sie, mit welcher Suͤnde sie diesen Regen beim lieben Gott verschuldet hatte. Ich entsinne mich als waͤr’s heute daß sie meinetwegen einen Stock ergrif — feierlich wie einen an einer Kreuzfahne, allein sie be- sann sich, wie Diogenes der einen armen Jungen mit der Hand Wasser schoͤpfen sah — sie murmelte „wer das Schwerdt nimmt, wird durchs Schwerdt umkommen,„ und ich habe also nie unterm Gefreitenstock gestanden son- dern nach Prinzen Art, da doch Niemand ohne Schlaͤge groß wird, blos Weiber Haͤn- den diesen Tribut bezahlt. Meine Mutter nanndte diese Zucht Licht und Recht und hatte eine sehr feine Distinction zwischen dem Stabe Sanft und dem Stabe Wehe! wo- mit meinen Lesern aber wenig gedient seyn kann. Die Sprachen rechnete mein Vater zum Departement des Leibes und der Seelen. Man muß pflegte er zu sagen, nur Eine vollkommen besizen, das ist reden, schreiben und und in ihr denken koͤnnen. Ein Gott, Eine Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geist, Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache — Es giebt sagt’ er keine nackte Wahrheit. Worte finden heißt denken. Worte sind was koͤrperliches was sinnliches sie sind die Kleider der Gedanken — Beiwoͤrter der Besaz: Worte der eigentliche Anzug. Wer deutsch gedacht und lateinisch geschrieben hat ist, wenn er gleich der beste Lateiner waͤre, doch ein Deutscher. Cieero wuͤrd’ ihn fuͤr keinen Landsmann halten. Um franzoͤsisch zu schreiben muß man Franzose seyn, um eng- lisch, Englaͤnder. Wer fremde Sprachen zu Etwas mehr braucht als sich andren Leu- ten, die nicht unsre Mutter kennen, ver- staͤndlich zu machen; ist allemal ein schwa- cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es sitze das Uebel wo es wolle. Mein Vater war bei alle dem so wenig wieder viele Sprachen, daß er sie vielmehr nach dem Thurm zu Babel so nothwendig, als vielerley Essen nach dem hoͤchstbetruͤbten Suͤndenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt’ er, sind viele Creditbriefe. Zeige sie vor, du bist uͤberall willkommen. Kein Tuͤrke schlaͤget einen Christen todt, wenn der Christ E 3 tuͤrkisch tuͤrkisch kann, und wenn es noch so viel Re- ligionsverdienst waͤre. Die Sprache ist eine Herzensschlinge. Man ist bestrickt man weiß nicht wie. Doch! warum soll ich alles wie- dersagen, was mein Vater sagte? Seine Behauptungen waren außer der Weise. Er glaubte es muͤßte zu kennen seyn was bey Licht oder am Tage, was des Morgens und was des Abends gedacht waͤre wenn’s nem- lich aufgeschrieben worden. Morgengedan- ken waren bey ihm wie die Erstgeburt heilig. Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver- moͤgen in der Welt handeln solte fuͤhrte mich mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an, und ich mußte beinahe alle diese Sprachen zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat und Gramatick. Zum Schulmaͤßigen ge- woͤhnte er mich allererst im vierzehnten Jahr, und konnt ich’s folglich als Proben ansehen, die man in der Rechenkunst erfunden, um zu sehen ob richtig gerechnet sey. Mein Va- ter hielt viel auf woͤrtliche Uebersezungen in Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte er zu sagen lernt man eine Nation auf ein Haar kennen und die feinste Politik und Welt- kenntniß ist hier verborgen. Dies ist der Chiffer zu den Geheimnissen der Voͤlcker. Auch Auch sieht man aus der Sprache ob’s im Lande kalt oder warm neblicht oder klar sey — Er gieng hier noch weiter, ich befuͤrchte aber meine Leser werden nicht weiter gehen wollen. Bey abgeschiedenen Sprachen fuhr er fort, toͤdtet der Buchstabe, der Geist aber machet lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen- vaͤter der Natur und ihre Sprache den Grundtext des Geschmacks. Wenn man uns zugehoͤret haͤtte; wuͤrd’ man uns fuͤr ein paar Maurergesellen vom Thurm zu Babel gehalten haben. Alles durcheinander und doch alles in einander. Mein Vater nahm, wenn er fremde Sprachen mit mir redete, auch fremde Arten an, und das war mir mehr als ein Lexicon, ich hatte fuͤr jede Spra- che ein ander Gesicht eine andere Zunge eine andere Hand, einen andren Fuß, und be- sonders eine andre Nase. Worte mußte ich lernen und er war nicht mit der Lehrart zu- frieden bei Worten das Gedaͤchtnis zu stuͤtzen und sich Merkzeichen zu machen. Man hat sagt’ er alsdenn Bild und Wort zu behalten. Ein Stammvater von Worten aber diente mir zum Leitfaden bei tausend zum Nagel im Kleiderschrank wo man zehnerlei aufhaͤngt. Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn, E 4 Enkel, Enkel, Urenkel UrUrenkel und Ur Ur so viel man will. Die lettische, cursche oder undeutsche Sprache lernte ich von meiner Mutter und dem Herrn Jachnis (Johann) dem Aufseher uͤber die Pastorats Bauren oder den Gottes Berat. Das Pastoratshaus nanndte ihn Herr Jachnis und sein Weib Frau Masche (Margerethe) er aber meinen Vater, wenn er gleich deutsch mit ihm sprach Zeenigs mach- zitajs (wohlgelahrter und hochzuehrender Leh- rer) und aus diesen Namen, die er gab und die ihm gegeben wurden werden meine Leser ersehen, daß man diesen Menschen halb let- tisch halb deutsch nahm. Es hatte Herr Jachnis den semgallischen Dialeckt, der um Mitau herum residirt und außer diesem sem- gallischen Dialeckt nach welchem die Bibel ins lettische gedollmetschet worden, hatt’ er noch ein Flick von einem Brusttuch, welches einer seiner Vorfahren aus der eigenen Hand des Herzog Gotthards erhalten, da er ihm das Evangelium am Sonntage Palmarum in undeutscher Sprache aufsagen koͤnnen. Mein Vater unterstuͤtzte die hohe Idee die Herr Jachnis, der sich auch wol von den Pastoratsbauren Amtmann nennen ließ von von dieser Reliquie hatte. Er ließ es sich zuweilen zeigen und ermahnete ihn, sein geistliches Ordensband wol zu bewahren. Hiezu brauchte Herr Amtmann Jachnis keine Aufmunterung, denn er machte kein Geheim- nis draus, daß dieses Ritterflick bis an den lieben juͤngsten Tag beim aͤltesten in der Fa- milie bleiben solte. Meine Mutter aͤrgerte sich so offt davon ge- redet wurde, und versicherte auf Ehre, Pflicht und Gewissen, daß dieses Stuͤck Gewand, fuͤnf und mehr mal verwechselt waͤre: und hierinn schien sie auch um so mehr Recht zu haben als es noch ziemlich ungebraucht war. Sie legte es ihm zur Last daß seine Vorfah- ren nicht lieber ein Stuͤck von dem Psalm- buch zuruͤckgelassen welches der gottseelige Herzog Gotthard zum Druck befoͤrdert, allein gewiß blos darum, weil einer ihrer poeti- schen Vorfahren sich darinn ein Gedaͤchtnis gestiftet hatte. Mein Vater wiederlegte meine Mutter nicht; allein er klopfte dem Herrn Jachnis auf die Schulter, und sagte gut ist gut besser ist besser. Dieses legten beide meine Mutter und Herr Jachnis fuͤr sich zum Vor- theil aus, so daß sich beyde durch ein freundli- ches Laͤcheln bei meinem Vater bedankten. E 5 Es Es lebte meine Mutter uͤberhaupt mit dem Herrn Amtmann im bestaͤndigen Strei- te; obschon sie im Grunde gute Freunde wa- ren. Sie gab ihm an Staͤrke in der un- deutschen Sprache nicht einen kleinen Finger breit nach; allein sie sahe diese Sprache aus dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut- scher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch ein Deutscher war sprach er zuweilen von A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut- ter in eine solche Enge, daß er nicht aus noch ein wußte. Erzen Er pflegte sie ihm nachzuspotten (denn das H. fehlet der letti- schen Sprache, so wie das C.) sagt a. b. d. sonst wuͤrd man euch wegen Dieberei in An- spruch nehmen — Die Letten haben einen unuͤberwindlichen Hang zur Poesie, und ob ich gleich gewis glaube dieser Umstand habe den poetischen Samen in meine Mutter ausgestreuet, wel- che schon in ihren Vorfahren mit diesem Vol- ke zusammen Fruͤchte eines Feldes gegessen und Wasser eines Flußes getrunken; war sie doch in diesem Stuͤck unerkenntlich. Sie bestritt’ indessen nicht, daß die lettische Spra- che schon halb Poesie waͤre. Sie klingt sagte sie wie ein Tischgloͤckchen; die Deutsche aber wie wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht leugnen, daß die gemeinsten Letten, wenn sie froh sind, weissagen oder in Versen reden, und wenn sie das Gegentheil haͤtte behaup- ten wollen, wuͤrd Herr Jachnis mit den lie- ben Pastorats Angehoͤrigen den Gegenbeweis gefuͤhret haben. Herr Jachnis und seine Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch- zeit, keine Leichenwache voruͤber wo nicht geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis ihres Angesichts herrlich nach Lettischer Art bewirthet wurden, bewiesen sie, daß sie poe- tischen Geistes Kinder waͤren. Meine Mut- ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus- kreuz, an dieser poetischen Blumenlese, die ihr zugeeignet wurde bestaͤndig etwas zu ruͤ- gen und wenn’s auch nur das J. und U. ge- wesen waͤre welches die Nothhelfer der Let- ten sind, so offt’s an einer Sylbe gebricht. Es sind viele, welche behaupten, die Let- ten haͤtten noch Spuren von Heldenliedern, allein diesen vielen widerspricht mein Vater „das Genie der Sprache, das Genie der „Nation ist ein Schaͤfergenie. „Wenn „sie gekroͤnt werden sollen ists ein Heu oder „hoͤchstens ein Kornkranz, der ihnen zuste- „het. „het. Ich glaube Helden gehoͤren in Nor- „den zu Hause, wo man haͤrter ist und fast „taͤglich wider das Clima kaͤmpfen muß; „die Letten koͤnnten also hiezu Anlage haben, „wo ist aber ein Zug davon? — Wuͤrden „sie wol seyn und bleiben was sie sind, wenn „nur wenigstens Boden zur Freiheit und „zum Ruhm in ihnen waͤre. In Curland „ist Freiheit und Sclaverei zu Hause.„ — Mein Vater war eben kein großer letti- scher Sprachkuͤnstler; wer aber eine Sprache in ihrer ganzen Laͤnge und Breite verstehet kann uͤber alle Recht sprechen. Er versicher- te nie Fußstapfen von Heldenliedern aufge- funden zu haben, wol aber Beweise, daß schon ihre weitesten Vorfahren gesungen haͤt- ten: und wo ist ein Volk fragt’ er das nicht gesungen hat? Er hatte (wie ers nanndte) eine Garbe zaͤrtlicher Liedlein gesammlet, wovon ich seine Uebersezung besitze, die ich vielleicht mittheilen kann: und wodurch dem undeutschen Gpitz des Herrn Pastors Jo- hann Wischmann kein Abbruch geschehen soll. Wenn ich nicht diese Garbe in Haͤnden haͤt- te; wuͤrd ich doch vom Urteil meines Va- ters, der kein Curlaͤnder war, die Apellation einzulegen, anrathen. In diesen Liederchen herrscht herrscht baͤurisch zaͤrtliche Natur und Etwas dem Volk eigenes. Die Uebersezung ist noch meines Vaters Manier. Weil wir bei den Sprachen sind muß ich noch bemerken, daß mein Vater nur blut- wenig hebraͤisch; arabisch und chaldaͤisch u. s. w. aber gar nicht wußte. Er hatte sich wegen des Hebraͤischen im Anfange vie- len Nachreden ausgesetzt; Da er so ehrlich gewesen die Graͤntzen dieser seiner Kenntnisse nicht zu verbergen. Nach der zehnten Hauptverfolgung die mein Vater dieserhalb in Curland erlitten, zog ein sehr geschickter Conversus (juͤdischer Christ oder getaufter Jude) unsre Straße und dieser brachte mei- nem Vater das Juͤdischdeutsche in wenig Stunden bei. Er hatte den Einfall auf diese Art an einen seiner Herren Amtsbruͤder der uͤber ihn den groͤßten Stock gebrochen hatte zu schreiben, und da es dem guten Mann unmoͤglich fiel diese Schrift aufzuloͤsen kam mein Vater in einen so großen Ruf wegen der Grundsprache daß dieser boͤse Herr Amts- bruder mit dem großen Stock, meinen Va- ter fuͤr einen getauften Rabiner gehalten ha- ben wuͤrde, wenn meinem Vater damit ge- dient gewesen waͤre. Ob nun gleich dieser Con- Conversus meinen Vater wie einen Brand aus dem Feuer zog und meine Mutter die Aufmerksamkeit bemerken konnte, die mein Vater fuͤr diesen seinen Retter faßte; war sie doch anfaͤnglich sehr wenig mit diesem Hieronymo a sancta fide zufrieden. Sie pro- birte seinen Glauben taͤglich mit Schwein- fleisch und da mein Vater ihr diese Methode verwies, andere Gerichte anordnete, und den ehrlichen Sprachmeister von dieser Tor- tur und christlichen Daumenstoͤcken befreiete; war sie der Gesinnung jenes Koͤnigs von Spanien welcher gesagt hat: drey Wasser ver- duͤrben: das suͤße Wasser im salzigen Meer: das Wasser im Wein: das Taufwasser auf dem juͤdischen Kopfe. Das Wasser im Wein? sagte mein Vater mit der Erlaubnis Sr. Catholischen Majestaͤt. Der Wein im Was- ser. Meine Mutter gab nicht sogleich die Alianz mit dem Koͤnige von Spanien auf: indessen wurde am Ende alles beigelegt, und die liebe Frau ging fuͤr ihren Gast einen sehr vortheilhaften Frieden ein. Sie fand sogar ein ruͤhrendes Vorbild in dieser Einigkeit von der Bekehrung der Juden vor dem juͤngsten Tage, welche der Conversus steif und fest nach seiner Versicherung glaubte, und woruͤber man- mancherlei und manches geredet wurde. Meine Mutter war sehr fuͤr schriftliche Auf- saͤze, mein Vater wie alle Leute seiner Art fuͤr’s muͤndliche. Die gute Frau war ent- schlossen dem Converso eine schriftlich abge- faßte Instrucktion mitzugeben, da er froͤlich seine Strasse zog, indessen blieb es doch bei einer muͤndlichen. Wanken Sie weder zur Rechten noch zur Linken. Wer beharret bis ans Ende der wird seelig, die Bestaͤndigkeit sey um Sie wie ein Kleid, das Sie anhaben, und wie Guͤrtel womit Sie sich guͤrten. Wie ein frisches Hemde am schwulen Tage sey Ihnen der Trost des christlichen Gewissens. Vater und Mutter haben Sie verlassen, aber der Herr hat sie angenommen — Sie werden nicht blos ein Grasbuͤrger ein Einwohner der Vorstaͤdte in der Stadt Gottes seyn, son- dern mit Ehren und Schmuck werden Sie in die Hauptstadt eingehen: Ihr Kern und Stern bleibe das Lied: Keinen hat Gott verlassen sezte sie hinzu Sie sind ihm diese Dankbarkeit schuldig. Der Conversus hatte ihr erzaͤhlt, daß dies Lied fuͤr ihn der Wecker zur christlichen Religion gewesen und ohne Zweifel war diese Er- Erzaͤhlung der Eckstein zur Aufsage des gu- ten Vernehmens mit Sr. Catholischen Maje- staͤt. Sie gab ihrem Freunde den Haupt- schluͤssel zu allen Versen dieses Leibliedes, aus welchen, wie sie sagte summa summarum Ca- tharina heraus kaͤme. Das Wort Acro- stichon mußte ihr mein Vater vorschuͤßen; sie hatt’ es nicht im Vermoͤgen: und da sie selbst Catharine hieß; so wird man desto leichter einsehen warum Sr. Katholischen Majestaͤt nunmehro keine Bundesgenoßin mehr an meiner Mutter hatten. Mein Vater wuͤnschte schlechthin eine gluͤckliche Reise und gab seinem Sprachmei- ster statt des Schatzkaͤstleins von Stoßspruͤ- chen, einen Zehrpfennig. Eigentlich war’s in Hinsicht des mit ihm getroffenen Contrakts, ein Gottespfennig: denn er bat nicht zu ver- gessen was er mit einer Handlobung ver- sprochen haͤtte. Unfehlbar hat dieser Con- trakt darinn bestanden, gewissen Geistlichen in Curland keine Lektion zu geben oder we- nigstens die ihm gegebene zuverschweigen. Das eintraͤglichste bei dieser Sache war, daß die benachbarte Clerisey ihre Verfolgun- gen einstelten und da zuvor das dritte Wort bestaͤndig eins aus der Grundsprache war ver- verstummten von Stund des juͤdisch deutschen Briefes an, die Orackel. Mein Vater hatte andere Ursachen seinen Herren Amtsbruͤdern kein Rappier anzubieten oder sie kaͤmpflich zu gruͤßen, und wußte sich so vorkreflich ohne die geringste Unrichtigkeit sich zu Schul- den kommen zu lassen, bey Ehren zu erhal- ten, daß, so oft er jrgend einen Confrater zum Zuhoͤrer hatte, er den Grundtext tapfer citirte und oft zwei bis drei Verse aushob. Wenn es gleich auf Treue und Glauben eines andern, wo nicht dritten geschahe; und sein Grundzeignis bestaͤndig von Hoͤrensagen war; so hatte er doch seine Leute viel zu gut kennen gelernt, und war bei dieser Procla- mation kein Einspruch zu fuͤrchten, so daß er sich zulezt ganz dreist ein Beholzungsrecht, oder die Befugnis in des andern Wald Holz zu faͤllen zueignete. Die griechische Sprache, wovon die Herrn Amtsbruͤder nicht vielmehr als die beiden griechischen Freunde wußten, war nicht hinreichend meinem Vater Ruhe zu schaffen. Sie hielten es mit dem alten Te- stament, bis zur Ankunft des Conversus und nun war jeder furchtsam in meines Vaters Gegenwart an die heilge Schrift zu denken, und jeder wunderte sich warum er mit seiner F hebraͤi- hebraͤischen Sprachkenntnis so lange hinter dem Berge geblieben. Personen Mein Vater Meine Mutter Der Ritter Jachnis Conversus puzt Licht Der alte Herr Minchen seine Tochter Benjamin sein Sohn. Ich habe gestern Abend meinen Lesern den Auftritt des alten Herrn und seines Ben- jamins versprochen. Den alten Herrn habe ich nie in meinem Leben unter einem andern Namen, als des alten Herrn ken- nen gelernt. Wer mich also nach seinem Vor und Zunamen fraͤgt, erhaͤlt eine abschlaͤ- gige Antwort. Seine Lebensgeschichte kann von keinem besondern Belang seyn indem sein ganzes Wesen allem was man Belang heißen kann gerade zu entgegen war. Er selbst behauptete von sich so oft man’s ihm so nahe legte, daß es ihm an den Fingern branndte: er sey ein Literatus. Meine Mut- ter die sich nicht stark genug duͤnkte ihm diese Ehre abwendig zu machen; lies ihn zwar Litera- Literatus seyn; indessen pflegte sie ihn in Ruͤcksicht dieser Wuͤrde eine geschwaͤchte eine zu Fall gekommene Person zu heißen. Es ging die Rede, daß er das Schneiderhand- werk gelernt haͤtte, wenigstens uͤbt’ er dieses Handwerk aus und alle meine Schlafroͤcke und taͤgliche Kleider sind durch seine gelehrte Hand gegangen. Was die Feyrkleider be- traf; konnten sie freilich keinem Literato an- vertrauet werden, der Umstand indessen daß er Schneider Arbeit verrichtete schien nicht hinreichend, das Gerede daß er ein Schnei- der waͤre außer allen Zweifel zu sezen, denn er war im Grunde genommen ein Tau- sendkuͤnstler. Er hatte sich bey einigen Hochwohlge- bohrnen Herren zum Hofnarren zum Cam- merherrn zum Forst und Jaͤgermeister brau- chen lassen und nachdem er am Ende ein- sahe, daß es besser sey ein Schneider als ein Hofnarr zu seyn; zog er sich in der besten Ordnung zuruͤck, nahm seine lezten Kraͤfte der Hofkunst zusammen und war so gluͤck- lich seine Herren Principalen dahin zu uͤber- schwatzen, daß ihm Zeit Lebens ein standes- maͤßiger das heißt ein hoͤchst nothduͤrftiger Unterhalt angewiesen wurde. Die Alten F 2 starben starben und die Juͤngere ließen ihn im Be- sitz, ohne den Canon von Witz einzufordern, den sich ihre Antecessoren jaͤhrlich hatten be- zahlen lassen. Es legte sich der alte Herr auf den Unterricht der Kinder, stand mit den Pastoren der Gegend in gutem Verneh- men, und verrichtete so gar einige heilige Handlungen wobey die Herren Geistlichen substituiren koͤnnen, zuweilen ruͤhrt’ er das Positiv, welches in einer unsern benachbarten Kirche stand. Dieses aber mußte wenig- stens vierzehn Tage zuvor bestelt werden, und denn war es doch nur ein Gastpraͤludium. Er behauptete, daß man sich auf ein Praͤludium eben so sehr, als auf eine Pre- digt vorbereiten muͤße und wie der Klang der Worte wenn er mit der auszudruͤckenden Sache wie ohngefehr der erste und zweite Diskant harmonire, die Originalsubstanz der Sprache bewiese, so verriethe es einen gros- sen Musicus wenn man das Evangelium so zu sagen ins Praͤludium setzen und es so deut- lich in Noten ausdruͤcken koͤnnte daß wer das Praͤludium hoͤrt, auch zugleich das Evange- lium wissen muͤßte. Hieruͤber wurden dem alten Herrn von meiner Mutter verschiedene Einwendungen gemacht; gemacht; allein er hehauptete er haͤtte nur neulich: das Vater Abraham erbarme dich mein so natuͤrlich auszudruͤcken gewußt daß der ganzen Gemeine daruͤber Furcht und Schrecken angekommen waͤre; und da ihm meine Mutter das Evangelium von der Be- schneidung von den vier tausend Mann und vom steinigten Acker entgegen setzte, und ihn befragte, wie er Waizen und Kornland fuͤnf Gerstenbrodte und ein wenig Fischlein, in der Musik ausdruͤcken koͤnnte; wollte er zwar im Anfange behaupten, daß alles dies in die Musik zu uͤbersetzen waͤre; nachhero aber schaͤmte er sich uͤber sich selbst. Sie warf ihm sehr offt den steinigten Acker, die vier tausend Mann, die fuͤnf Gerstenbrodte und ein wenig Fischlein vor; obgleich sie an die Beschneidung, ich weiß nicht warum, weiter nicht dachte. Bey dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin zu bemercken, daß meine Mutter sich vor der satyrischen Ader des alten Herrn gar nicht fuͤrchtete; so furcht- bar ihn auch in der ganzen Gegend seine Ein- faͤlle gemacht hatten. Eine Schneidernadel pflegte sie zu sagen wenn er einen Einfall wider sie hatte; und wenn sie ihn recht aͤrgern wolte, nandte F 3 sie sie ihn Tonkuͤnstler, welchen Ausdruck er we- niger als alles leiden konnte; indem er sich hiedurch zu einem Toͤpfer erniedrigt zu seyn duͤnkte, und sich hiebei um so mehr getroffen fand als er dieses Haudwerk in den langen Abenden wie er versicherte — blos seine Au- gen zu schonen, die freilich durch Noten und Faͤden gelitten haben koͤnnen, trieb. Er ver- stand auch Etwas vom Schumachen; allein nicht das Mindeste von der Poesie. Meine Mutter pflegte daher von ihm zu sagen: er haͤtte den kalten Brand. Es war ihm zur Gewohnheit geworden wenn er Etwas suchte, auf den Tisch zu klopfen, welche Mode die Schneider haben wenn sie die Scheere suchen, auch wackelt’ er bestaͤndig mit dem Fuß wel- ches den Toͤpfern eigen seyn soll. Vom Schuster hatt’ er das weite Aushohlen mit den Haͤnden: vom Spielmann aber einen taktmaͤßigen Schritt. Da er fuͤr die poeti- sche Gelehrsamkeit meiner Mutter Respect hatte, unterstand er sich nicht, aus seinem alten Kramladen ihr zum Nachtheil eine wi- tzige Antwort herauszusuchen. Er saß viel- mehr wenn sie ihn boͤse gemacht, ganz still und wie meine Mutter sagte so gerade als wenn er sich balbiren ließ. Obgleich er als Orga- Organist welches in Curland ein seltener Vo- gel ist, oder als Schullehrer ankommen koͤn- nen, so hatt’ er jedennoch alles verbeten, in- dem er glaubte daß er sich hiebey aus den Au- gen setzen und zugleich allen Universitaͤten einen Brandmark geben wuͤrde. Die Kinder, so er erzog nahm er nicht anders als bittweise an. Zwar that er sehr unzufrieden, wenn er seine Zahl nicht voll- staͤndig und seinen Lehrsaal nicht ganz besezt hatte, inzwischen schien er nicht darum boͤse, weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht wurden, sondern weil er nicht gebeten war, sein taͤglich Brodt zu verdienen. Er brachte freilich seinen ihm vertrauten Kindern nicht viel bey, da er indessen mit, fuͤr koͤrperliche Uebungen war, konnt ihn mein Vater leiden, obgleich er mich seinem Unterrichte so wenig als meine Fey’rkleider seiner Nadel anvertraute. Da der alte Herr uͤbrigens podagrische Zufaͤlle hatte, welche nach meiner Mutter Meinung nur ein Edelmann und Literatus haben koͤnnte; da ferner der ehrliche Nico- laus Herrmann vom Zipperlein geplaget ge- wesen, welches aus dem lezten Vers des Liedes F 4 „Wenn „Wenn mein Stuͤndlein vorhanden ist„ erhellet. Wer ist der uns das Liedlein sang? ist alt und wohl betaget diesmahl kommt er nicht aus der statt das Zipperlein ihn plaget offt seufzt’ er und hat Gott im Sinn Herr hohl den kranken Herrmann hin Wo jezt Elias lebet. Da auch noch ferner der alte kranke Herr- mann viele gute Chorale gemacht und ein be- waͤhrter Tonkuͤnstler und Kantor gewesen; so beehrte meine Mutter zuweilen den alten Herrn mit dem Namen Nicolaus Hermann, obgleich ihm die Haupteigenschaft des Nico- laus Herrmann fehlte und der alte Herr den kalten Brand hatte: Offt sang sie ihm Wer ist der uns das Liedlein sang vor, und so wie sie es dem wuͤrklichen Ni- colaus Herrmann uͤbel nahm daß ihm nicht fuͤr „diesmal kommt er nicht aus der statt„ die Schulbank eingefallen, und er gesungen diesmahl kommt er nicht von der Bank als wodurch ohnehin der Reim „sang„ sein bescheiden Theil erhalten haͤtte; so empfahl sie sie dem alten Herrn auch anstatt der lezten Reihe „Herr hohl den alten Herrmann hin„ „dort wo es ewig taget„ Die Verbesserungsfreiheit nahm sie sich in- dessen sehr selten heraus: denn sie war keine Liebhaberinn von Lieder-Aenderungen, und mochte nicht wie sie sagte den Safft und Krafft des Alten waͤssern und entkraͤften. Die Zuschrift so der ehrliche Herrmann seinen Liedern vorgesezt, parodirte meine Mutter auf den alten Herrn. Ich muß sie hersetzen. Sie verdients. Die herrmannsche Dedication ist nur in zwei Reihen geaͤndert „Ihr allerliebste Kinderlein„ „seht das Choralbuͤchlein,„ „soll eu’r und keines andern seyn„ „Es ist fein alber und fein schlecht,„ „drum ist es fuͤr euch Kinder recht„ „alt und g’lehrt Leut’ beduͤrfen’s nicht„ „und die zuvor sind wohl bericht.„ „Gott will durch der Seuglingen Mund„ „gepreiset werden alle Stund,„ „drum o ihr Christen Kinderien!„ „durch euch will Gott gelobet seyn„ „So g’woͤhnt euch nun mit allem Fleiß„ „daß ihr Gott singt Lob Ehr und Preiß„ „und hebt bald in der Jugend an„ „was ich euch dazu dienen kann„ F 5 „das „das will ich thun bis in mein Grab„ „und weil ich geh’n kann an ein’m Stab„ „Ob ich gleich wenig bring davon„ „und Kinder Arbeit giebt Kinderlohn „ „so wird’s doch alles machen gleich„ „der liebe Gott im Himmelreich„ „dem sagt all’zeit Lob Ehr und Preis„ „Niclas Herrmann der alte Greis.„ Der alte Herr war indessen nicht der Herr C. F. wie er in den lettischen Gesangbuͤchern bezeichnet ist, welches Christoph Fuͤrecker heißt denn dieser der Gottesgelahrtheit Beflis- sener war ein unbezweifelter Literatus und Poet der aus Liebe zu den lettischen Declina- tionen und Conjugationen wie ich unlaͤngst gelesen, ein Maͤrtyrer ward, und eine wie- wohl bemittelte und freie lettische Bauer- wittwe (huͤbsch wird sie ohne Zweifel auch ge- wesen seyn) heirathete um recht unter das Lettische zu kommen. Ihm hat die lettische Gramatick den Eckstein, die Kirche aber, sehr schoͤne Gesaͤnge zu danken. Ehre dem Ehre gebuͤhret sagte der alte Herr! und so wenig ich es zugeben wuͤrde daß dem alten Herrn was abgienge, eben so wenig will ich auch meine Leser bey einem Irrthum lassen, der sich sehr leicht bey ihnen haͤtte zur Miethe anbieten koͤnnen. Ehe Ehe ich vom alten Herrn zum jungen uͤbergehe noch ein Wort an den herzlich ge- liebten Leser den wider mein Verschulden der Gedanke befallen, daß die Charaktere in die- ser Geschichte so ziemlich uͤbereinstimmend waͤren: Da mein Vater sein Vaterland und der alte Herr seinen Namen verschwiegen Da meine Mutter sich eben sowohl uͤber den Ritter Jachnis als den Cantor und respective Schneider Toͤpfer und Schuster Nicolaus Herrmann genanndt, aufhielte; da — — — Allein hierauf dienet dem geneigten Leser zur dienstlichen Antwort, daß ich die Sache erzaͤhle, wie sie war und nicht wie man sie wuͤnschen koͤnnte. Wenn ich einen Roman schriebe; waͤre es was anders — Haben nicht so gar Voͤlkerschaften gewisse aͤhnliche Zuͤge? und jede Stadt und jedes Dorf durch die ganze Welt halten untereinander wieder ihr Abzeichen. Wuͤrd’ es mir zuzuschreiben seyn wenn die Unergruͤndlichkeit wirklich der Hauptcharakter unsers Kirchspiels gewesen waͤre? und waͤre dieses nicht um so begreifli- cher da mein Vater hiezu den Ton angeben koͤn- koͤnnen? wo hab’ ichs indessen je gesagt, daß der alte Herr seines Namens wegen in An- fechtung gewesen? oder daß er ihn verschwie- gen? Ist denn alter Herr zu heißen nicht eben so gut als Caspar und Melchior ? und ists einerley lettische Verse machen, welches in Curland was allgemeines ist, und ein Po- sitiv schlagen, welches selten vorkommt? — Wenn ich ganz aufrichtig seyn soll; hast du dich gewaltig geirret lieber Leser denn du ken- nest den alten Herrmann nicht weiter, als wo er von meiner Mutter uͤberfluͤgelt war. Dieser Uebergrif entscheidet nichts — und was ist’s am Ende fuͤr Kunst Physionomien zu beurtheilen, wo der eine eine Habichts, und der andere eine Mopsuase hat — wo der eine ein Verschwender und der andre ein Har- pagon ist. Sieh aber leibliche Bruͤder, sieh Natur und Staatsbruͤder — findst du noch Bedenklichkeiten; bist du ein Recensent und da verlohnts nicht zu streiten, daß du nur nicht hingegeben im verkehrten Sinn, zn schreiben was nicht taugt, mir, um dein vor- geschriebenes Recensionsmaaß voll zu machen, ein gegebenes Acrgernis andichtest — Ich verfluche jedes Wort das der Religion und ihrer Mutter der Tugend nachtheilig seyn koͤnn- koͤnnte: allein ich glaube die Religion in der Kirche verschließen und sie nicht ins gemeine Leben bringen, heißt alle Waͤrme alle Empfin- dung des Herzens aus der Welt verbannen, und Tugend an einen Ort verlegen, wo denen die nicht Geistliche sind weiter keine Handlung uͤbrig bleibt, als oͤffentlich in den Seckel zu legen, und kein andrer Verdienst, als still zu sitzen. Ich wette die mich auf diese Art zeihen, vergessen, daß wir nur aus der Kir- che eine gluͤhende Kohle vom Altar heimhoh- len sollen, um im gemeinen Leben Gott Opfer der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu bringen, die allein ein suͤßer Geruch vor dem Herrn sind und werth geachtet in seinen Au- gen. Auch seine Heiligen sind nicht rein vor ihm, und warum soll ich also meine Mutter anders darstellen, als? — Ich bin zu be- wegt als daß ich heute mehr koͤnnte als die Sonne untergehen, und wenn ich ins Bett mich lege, nach meiner Mutter Weise ein Licht ausbrennen — sehen geschrieben an einem schoͤnen Abend den — 17 — Benjamin gefiel mir unter allen Jungen unsers Kirchspiels am besten und da ich voll- kom- kommen entschlossen war aus ihm den Da- rius (den kleinen oder letzten) zu machen; so muß ich gestehen daß ich viel Muͤhe be- fuͤrchtete, durchzukommen. Zum Gluͤck fiel mir die Trohnerhoͤhung eines seiner Vorfah- ren ein. Wie kann Benjamin, Darius werden sagte das Heer? Hier sind acht Jun- gen die gerade Beine haben, und außer dem, daß dem Herrn Benjamin (so nandten sie ihn schon weil er Candidat des Throns war) das Bein nicht an der rechten Stelle sitzt; hat er den Fehler daß er link ist. Nehmt sie- ben sagt’ ich, nach Anzahl der sieben Fuͤrsten, welche den Koͤnig Smerdin mit seinem An- hange ausrotteten und der, dessen Pferd, wenn ihr beim Spital angeritten kommt am ersten bey dem Aufgange der Sonnen wiehern wird, sey Darius. Gut sagten die sieben Candidaten zur koͤniglichen Wuͤrde; allein sie wußten nicht, daß der koͤnigliche Candidat es so einrichten lies, wie es Darius des Hysta- spis Sohn oder vielmehr dessen Stallmeister einrichtete, und wie man es noch bis auf den heutigen Tag bei allen Wahlen man waͤhle einen Koͤnig, einen Landesdeputirten, einen Priester, einen Kuͤster einrichtet. Es wird uͤbrall gewiehert. Kurz Benjamins Pferd wie- wieherte zuerst, und die Krone war sein, da- mit ich sie ihm durch’s Recht der Waffen, welches das besonderste Recht von allen ist, nehmen koͤnnte. Er nahm die Gluͤckwuͤnsche an, und da ich bey dergleichen Dingen er- schrecklich gelehrt war; brachte ich noch so viel Umstaͤnde aus der Geschichte bei, daß ich nunmehr wiewohl zu spaͤt aus der Bewun- derung des Bolks einsahe wie ich um eines Darius wegen, eben kein Pferd haͤtte wie- hern lassen, sondern blos meine Zunge tapfer brauchen doͤrfen. Einen Alexander durften wir nicht suchen denn die heilige Taufe hatte mir dazu ein Recht gegeben — (Das Gluͤck ist nicht viel auseinander einen Freund oder einen Feind zu haben, der uns Ehre macht, und wenn ich also den Benjamin zu meinem Feinde anzunehmen kein Bedenken trage, was wolten denn die Jungen? — Fast schaͤme ich mich, da ich meinen Lesern so spaͤt eroͤfne, daß ich Alexander heiße. Um indessen diese Verspaͤtung gut zu machen, will ich dabey bemerken, daß meine Mutter mit diesem Na- men den Alexander Einhorn zwoten Su- perintendenten in Curland; mein Vater aber den wuͤrklichen Alexander oder den Alexander Magnus den Alexander gegen den alle andere Alexan- Alexanders es nicht sind, zu verstehen schie- nen. Meine Mutter hielte so gar das Wort Einhorn fuͤr eine freie Uebersezung des Na- mens Alexander, und rief mich dahero sehr oft Einhoͤrnchen obgleich mein Vater nicht sonderlich damit zufrieden war. Sie haͤtte um alles in der Welt willen nicht Olympias seyn wollen. Es war ihr sehr unangenehm daß wir heidnische Historien aufuͤhrten, da- hero sie so bald sie Krieg und Kriegesgeschrei im Dorfe hoͤrte uns die Historie vom Joseph in Vorschlag brachte wozu sie unter andern den Grund hernahm, weil ich einen bunten Rock hatte. Indessen bestaͤrkte mein Vater meinen Entschluß Alexander zu werden, und war dabey so zufrieden, daß ich den guten Mann als Feldprobst haͤtte mitnehmen koͤn- nen wenn Alexander einen Feldprobst gehabt haͤtte. Zum Aristander war mein Vater nicht als ein christlicher Geistliche zu brauchen; eine so wichtige geistliche Rolle auch Aristander zu seiner Zeit in der Geschichte Alexanders spielte. Gelegenheiten machen Diebe, Gele- genheiten machen Helden: und es ist nicht zu leugnen daß auch Alexander Gelegenheit gefunden. Aristander indessen, das wett ich, hat hat eben so viel gethan als Alexander, ob gleich der erste eigentlich nur ein Gelegen- heitsmacher war. Von der Auslegung des Traums des Philippus an, welchem vorkam, daß er den Leib seiner koͤniglichen Gemahlin Olympias mit einem Waapen worauf ein Loͤwe gegraben war versiegelt, als welchen Traum Aristander auf einen Sohn der ein Loͤwe seyn wuͤrde, auspunctirte; bahnte er durch alle seine Auslegungen unerhoͤrte Wege. Es ging wie beym Religionskriege zu. Aristander gab dem Alexander, seinem Generalfeldmarschall Bucephalus , und der ganzen Armee den Sporn. Die Auslegung als man ihm meldete daß eine Bildsaͤule des Orpheus geschwitzt haͤtte, gefiel seinem christ- lichen Herrn Collegen meinem Bater sehr uͤbel. Es solte dieses nach des Aristanders Deutung anzeigen wie die Poeten bey der Alexandriade schwitzen wuͤrden „daß dich„ — sagte mein Vater „Aristander hat bei dieser Auslegung selbst geschwitzt„ Ich kann es jezo zwar meinen Lesern, nicht ohne Lachen erzaͤhlen durch den Umstand sehr aufgefor- dert zu seyn Daß in der Nacht da ich gebohren, ein Back- haus durch einen Brand zerstoͤrt worden; G in indessen brauchte mein Vater diesen Vorfall sehr zu meinem Vortheil. Es war das Ge- ruͤste, auf das ich stieg um gut dazuzukom- men, die Leiter, mich so jung und klein ich war doch kuͤnstlich groß zu machen. Der Vorfall diente ihm meine Lebenscarte zu illuminiren und es half mir diese Fiction bey Sprachen und bey Schlachten. Wenn gleich ich mir nicht einbilden konnte, daß die Diana nicht Zeit gehabt, das Backhaus in Protec- tion zu nehmen, da sie bey meiner Mutter Hebammendienste verrichtete; schiens mir doch was denckwuͤrdiges. Das Feuer vom Backofen war mir eine Leuchte auf manchem sauren Vocabulnwege und nimmermehr wuͤrd ich dieses alles so herzlich erzaͤhlet haben; wenn nicht bey tausend Merkwuͤrdigkeiten die in der Welt geschehen ein abgebrantes Backhaus der Entstehungsgrund waͤre. Eine Art von Bucephalus Geschichte veranstaltete mein Vater da er einem Pferde diesen Na- men verehrte, das wie alle andere Pferde war: das seines Schattens wegen nicht in Unordnung kam: und das eben nicht werth war im besondern Verstande von der Sonne beschienen zu werden. Meinem Tempel der Diana indessen war der Gaul sehr ange- messen messen. Ich sahe verschiedenes was man beym Bucephalus sahe; allein ich konnt’ es nicht aͤndern daß ich auch nicht verschiedent- lich Etwas anders sahe. Mein lieber Va- ter sahe alles mit. Was der Herr von Voltaire in seiner Geschichte Alexander Magnus vom Bucepha- lus unter andern im sechsten Buch und fuͤnf- ten Capitel sagt, daß nemlich Alexander den- selben non eodem quo cæteras pecudes ani- mo æstimabat das traf bey mir aufs genauste ein; allein wenn ich ihn abrichten wolte, daß wenn ich aufstieg er die Knie beugen und empfinden solte, wer ihn zu besteigen ihm die Ehre erwiese, war er doch zum Kniebeugen nicht gelehrig, und wenn ich die aufrichtige Wahrheit sagen soll viel zu steif: wie ich denn auch blind seyn muͤssen fals ich behaupten sollen, daß ers empfunden, wenn ich oben war; wen er truͤge: wie Herr von Voltaire in dem schon angezogenen Roman vom Bu- cephalus des Alexanders berichtet \& regem quum vellet ascendere sponte sua genus sub- mittens excipiebat, credebaturque sentire, quem veheret. Ueberhaupt war es ein sehr alltaͤgliches Pastoratspferd und darf ich’s also nicht bemer- G 2 cken, ken, daß mit der Reiterey bey meinen Feld- zuͤgen es nur sehr schlecht bestelt gewesen. Dies ist ein unverloͤschlicher Beweis, daß ich zu keinem Roman wo bestaͤndig ein merck- wuͤrdiges Pferd noͤthig ist wohl aber zur Geschichte wo man mehr zu Fuße ist, (wie’s am Tage und an mir erfuͤlt wird) Stof ab- geben koͤnne. Vor Talente war mein Bu- cephalus nicht gekauft; mein Vater konnt auch nicht sagen, da ich ihn zum ersten mal unter meine Fuͤße gebracht, daß sein Pasto- rat zu klein fuͤr mich waͤre : indessen hatte ich das Ungluͤck dieses Pferd wiewol Alters wegen waͤhrend dem Kriege zu verlieren. Es starb nicht den ruͤhmlichen den schoͤnen Tod fuͤrs Vaterland: indessen heißt der Ort wo es mit andern seines gleichen welche aber nicht den großen Namen Bucephalus gefuͤh- ret begraben ist Bucephala bis auf den heu- tigen Tag. Das ist alles was ich mich un- terstehe in einer wahren Geschichte von einem Pferde zu erzaͤhlen. Der Gordianische Knoten war fuͤr mich ein wahrer Knoten, denn außerdem, daß ich zuweilen meiner Mutter, wegen meiner klei- nen Haͤnde beym Stricken wenn Etwas ver- knuͤpft war, kindliche Dienste geleistet, war mir mir kein gordianischer Knoten vorgekommen obgleich ich mich schon in dieser Erwartung im Knotenloͤsen so geuͤbt hatte, daß mir so leicht nichts zu sehr verknuͤpfet war. Ich hatte den Stolz den Knoten nicht symbolisch nicht witzig sondern kuͤnstlich loͤsen zu wollen. Da ich indessen eine geraume Zeit vergebens auf einen gordianischen Knoten gewartet hatte fuͤhrte mich die Knotensucht auf das Geistische. Ich legte diesen Umstand in der Geschichte des Alexanders so aus, wie man vieles auszulegen gewohnt ist. Ich deutet’ es auf schwere Stellen in den Autoren die man durchaus witzig loͤsen muß. Mein Kopf war hiebey so fertig als meine Hand beym Strickzeug: und wie Alexander nach dem Berichte des oberwehnten Romanenstel- lers sagte: nihil interest quomodo soluatur; so konnte man auch was loco citato hinzu- gefuͤget wird von meinen meisten kritischen Erzaͤhlungen sagen oraculi sortem vel clusit vel implevit. Es wuͤrde ferner eine Unwahrheit seyn wenn ich meinen Lesern erzaͤhlen solte daß ich meinen Vater beneidet und mit Thraͤnen bedauret, daß er mir keine Suͤnder zu bekeh- ren uͤbrig ließe. G 3 Mein Mein Vater legt’ auch nicht an, einen Alexander den Großen aus mir zu ziehen, ich solte nur Alexander werden. Unter dem Orden Groß, sagt’ er liegt was seelenverderbendes, es trage diesen Or- den ein Monarch unterm oder uͤberm Kleide, oder ein Privatmann am Knopfloche. Huͤte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat. Regenten die sich so peinlich wie Alexan- der der Große bemuͤhen Groß zu heißen, leben nicht der lieben Unsterblichkeit wegen. Sie tragen Fesseln, die ihnen die Dichter und Redner anlegen. Wenn es gleich das Ansehen hat als ob die Dichtkunst und Ge- schichtskunde auch den Huldigungseid abge- leistet haͤtte; wissen sie doch daß einer von diesen Zuͤnften sie bey einer Lampe in einer Stunde um eines ganzen Lebens Ruhm brin- gen koͤnne. Sie zittren vor einem Jeden, der Reime commandiren oder es war ein mal ein Mann ꝛc. schreiben kann. Wie Alexander des Homers Schriften verehret, weiß jeder welcher weiß daß Ho- mer und Alexander in der Welt gewesen. Homers Schriften waren sein Gesangbuch, das er auf Reisen mitnahm, und da er ein guͤldenes Kaͤstchen erbeutet, antwortet’ er denen denen die ihn fragten „wozu?„ den Homer herein zu legen. Das war mehr als silberne Clausuren. Den Nachkommen des Pindars lies er Salvegarden anschlagen und beehrte auf diese Art das Haus dieses Dichters, und damit der Mahler Apelles selbst das Aeußere Eines Alexanders nicht verunstalten moͤchte; schenk- te Alexander, wie man erzehlet, ihm eine seiner vorzuͤglichsten Inclinationen. Des Mahlers wegen that er’s nicht. Der gute Apelles solte diese Schoͤnheit nackt in Forma probante vidimiren und konnte nicht der Liebe wiederstehen. Alexander merkte diese Nei- gung, und befriedigte sie. Die Gewalt die sich die Großen des Nach- ruhms wegen anthun die sie zu Knechten ihres ganzen Lebens macht, ist von der Hof- manier ungefehr wie ein Taͤnzer vom Fechter unterschieden. Alles ist solch eines Großen wegen da, bis auf den lieben Gott den er aber auch nur der Curialien halber in Ehren haͤlt. Thut er was Gutes; plaudert es nicht nur seine Rechte der Linken aus, son- dern es wird ausgetrummelt, als wenn man in einer Gluͤcksbude oder Lotterie was ge- wonnen hat. Bey ihrem Guts thun siehts G 4 so so wie beym stolzen Geiz’ aus, der aus Noth gedrungen ist, ein Mahl auszurichten. Es soll was seyn! sagen die Leute. Ein großer Privatmann ist noch unertraͤglicher. Riegelt die Thuͤren eurer Herzen zu wenn er sich mel- den laͤßt, und laßt ihn hoͤchstens ein Visi- tenbladt einreichen: ich wolte mit ihm nicht unter einem Dache wohnen, wenn gleich er mir den rechten Fluͤgel seines Schlosses auf- raͤumen wuͤrde. Lieber will ich beym Lott auf dem Boden schlafen. Jonathan Wild ist noch der Leidlichste unter Großen dieser Art. Warum war ich denn Alexander ? Re- spondetur eben darum weil Eugen unterm Spiegel hieng und weil man bey meinem Vater zu Hause eher als in Curland Spargel ißt, in der freien Lufft eine Pfeiffe raucht, Wein brauet und lange Manschetten traͤgt. Ich solte zwar nicht groß werden, allein ich solte auch nicht klein bleiben. Hier hatt’ er eine feine Distinction, die ich mir nicht ge- traue widerhohlen zu koͤnnen. Sie wuͤrde mir untern Haͤnden bleiben. Mein Vater war wie ich schon meinen Lesern bey einer andern Gelegenheit reinen Wein aus seinem Geburtsorte wo man ihn bey der Quelle trinkt eingeschenkt, sehr fuͤr mann- mannhafte tapfere Leute, mithin lag ihm der Soldatenstand nicht aus dem Wege. Alles war bey ihm nach Soldatenart. Er hatte zum Exempel die Gewohnheit alle Jahre sei- nen Buͤchervorrath den er Armee oder seine Macht nandte auszustaͤuben. Dies hieß in seiner Sprache sie mustern und Revuͤe halten. Alle acht Tage (nach rußischer Art) zogen zehn Buͤcher auf die Wache. Es war ein besondrer Ort, wo sie aufgestellet wurden. Seine Absicht war diese zehn zu durchlaufen. Meine Mutter fand hiebey viel anstoͤßiges weil auch geistliche Buͤcher sich diesen Kriegs- dienst gefallen lassen mußten. Vielleicht liegt der Umstand den ich noch anfuͤhren will, nicht sehr aus dem Wege. Mein Vater mochte gern wilde Thiere zaͤhmen. Er sagte zwar „wir sind auf die „Art Menschen geworden Gott weiß was aus „ihnen wird„ indessen warf er hiebey einen Seitenblick auf den monarchischen Staat und den Soldatenstand, wofuͤr er im Grunde des Herzens war. Das sind die Data die ich meinen Le- sern in Hinsicht seines Entwurfs zu meiner kuͤnftigen Bestimmung, bis hieher mit dem G 5 Man- Mantel der Liebe und mit dem Pelz der Ver- schwiegenheit bedeckt habe. Warum aber, wenn ich zu mir selbst komme, diese Huͤllen? Meine Leser werden, das weiß ich, von meiner Ehrlichkeit keinen boͤsen Gebrauch machen; da sie nunmehr wissen was ich weiß. Fuͤr einen Mann aber wie du lieber Va- ter! ein unerwarteter Plan! daß ich aus dem Stahl und Stein deines Feuerzeuges keinen einzigen Funken mehr herausschlagen kann. Zwar weiß ich, daß die Buͤrger zu viel Zeit brauchen Zeitungen zu lesen, um selbst zu Zeitungen Gelegenheit zu geben, daß sie zu weichlich sind um sich das Aug’ und den Ruͤcken frey zu halten: indessen lieber Vater sieh an die Thiere von denen wir durch die Kunst verdorbene Menschen, leider die Na- tur absehen muͤssen, haben sie einen Obristen? einen Hauptmann? einen Lieutnant? einen Faͤhnrich? und außer dem Zank unter sich, und mit andern Thieren ist der Mensch ohne- hin ihr Tuͤrke ihr Erbfeind. Ein jedes Thier wehrt sich seiner Haut, und wenn wir uns zusammenarmen wir! die wir durch Boden und Sonne vereinigt sind, um das naͤm- liche liche zu thun, wuͤrden wir denn nicht ver- nuͤnftige Thiere seyn? Ein jeder waͤre Sol- dat und Buͤrger, jeder haͤtte Leib und Seel. Der Gelehrte wuͤrde abgehaͤrteter, der Soldat vernuͤnftiger seyn und allen waͤre geholfen. Meine Leser werden, das seh ich im Geist, die Koͤpfe schuͤtteln wenn sie den dritten Theil meiner Geschichte mit dieser Stelle in einem Gliede marschiren sehen werden. Sie koͤn- nen mir indessen nicht verargen daß ich ihnen den Schluͤssel vom fuͤnften Akt verhalte, denn warum solten sie ein Feu’rwerk des Mittags um zwoͤlf Uhr zusehen, das erst um zwoͤlf Uhr in der Nacht abgebranndt werden soll? Die Kriege wurden griechisch gefuͤhrt die Reden respective lateinisch und wegen des Ekels des Benjamin gegen diese Sprache, lettisch gehalten. Recht wurde nach Leon- hart Fronspergers Kaiserlichen Kriegsrech- ten gepfleget. Rechne lieber Leser! alles dieses zusammen, schwerlich ist Summa Summa- rum; Soldat, wenigstens bleibt der Zweifel was fuͤr ein miles? (Soldat) togatus oder sagatus ein Soldat mit dem Haarzopfe oder mit der alonschen Peruͤcke. Die Behauptung meines Vaters daß man aus den roͤmischen Gesetzen und was ihnen anhaͤnget lateinisch und und aus den alten deutschen Gesetzen und ihren Verwandten deutsch lernen koͤnnte, stuͤtzt den gegebenen Zweifel; allein meines Vaters Bibel wird den Ausschlag geben. Mein Vater hatte alle Schriftstellen wo von Soldaten geredet wird, gezeichnet. Im zweiten Buch der Maccabaͤer im dreyzehnten Capitel und funfzehnten Vers sagt’ er, wird die Parole ausgegeben „Und er lagerte sich bey Modin und gab diese Worte ihnen zur Losung; „Gott giebt Sieg.„ Jezt sagt’ er hat sich die Parole, recht als ob sie ihm selbst war gegeben worden, von dieser Art sehr geaͤndert, indessen koͤnnte diese Manier im Kriege mit Nutzen gebraucht werden, um das sinkende Rohr aufzurichten und das flim- mende Tocht anzufrischen — Von Feldge- schrey wird im Buche der Richter im sieben- den Capittel vom achtzehnten bis zwanzigsten Verse geredet: hier lag ein großes Zeichen: „Wenn ich die Posaune blase, und alle die „mit mir sind; so solt ihr auch die Posaunen „blasen: ums ganze Heer, und sprechen: „hie Herr und Gideon. Also kam Gideon „und hundert Mann mit ihm an den Ort „des Heers, an die ersten Waͤchter die da „verordnet waren und weckten sie auf und „blie- „bliesen mit Posaunen und zerschlugen die „Kruͤge in ihren Haͤnden. Also bliesen alle „drey Haufen mit Posaunen, und zerbrachen „die Kruͤge. Sie hielten aber die Fackeln in „ihrer linken Hand, und die Posaunen in „ihrer rechten Hand, daß sie bliesen und rie- „fen: hie Schwerd des Herrn und Gideon. Es fand mein Vater im zweiten Buch der Chronick im dreyzehnten Capitel im vier- zehnten Vers ein Bataillon quarré „ „Da sich nun Juda umwandte, siehe, da „war vorn und hinten Streit. Da „schrien sie zum Herrn und die Priester „trommeteten mit Trommeten„ wie er denn auch mit dieser Spruchstelle be- wies daß die Priester ehemals Hautboisten- dienste verrichtet: diesen Spruch fuͤhrte er bestaͤndig an, wenn er vom geistlichen Prie- sterthum redete und legte ihn von dem Muth aus, den ein Christ dem andern bei den Feld- zuͤgen und Scharmuͤtzeln dieses Lebens zuzu- blasen verbunden waͤre um ihn wenigstens zu betaͤuben. Ueber die Werbung Handgeld und Musterung hatte er im zweiten Buch der Chronick im fuͤnf und zwanzigsten Capittel den fuͤnften und sechsten Vers gezeichnet. „und „und Amazia brachte zu Hause Juda, und „stellete sie nach der Vaͤter Haͤusern, nach „den Obersten uͤber tausend und uͤber „hundert unter ganz Juda und Benjamin, „und zaͤhlete sie von zwanzig Jahren und „druͤber, und fand ihrer drei hundcrt tau- „send auserlesen die ins Heer ziehen mochten „und Spieße und Schilde fuͤhren konnten. „Dazu nahm er aus Israel hundert tausend „starke Kriegsleute um hundert Centner „Silbers„ Jethro, sagt’ er hat die ersten Patente als Oberster und Capitain gegeben, und von ihm schreiben sich die Herren Staabs und andre Officiere her, im zweiten Buche Mo- sis im achtzehnten Capittel vom neunzehnten bis zum sieben und zwanzigsten Vers heißt es also: „Aber gehorche meiner Stimme, ich will „dir rathen und Gott wird mit dir seyn. „Pflege du des Volks vor Gott, und bringe „die Geschaͤfte vor Gott; und stelle ihnen „Rechte und Gesetze, daß du sie lehrest den „Weg darinn sie wandlen, und die Werke „die sie thun sollen. Siehe dich aber um „unter allem Volk nach redlichen Leuten, „die Gott fuͤrchten, wahrhaftig, und dem „Geiz, „ Geiz feind sind, die setze uͤber sie etliche „ uͤber tausend uͤber hundert uͤber funfzig, „und uͤber zehn; daß sie das Volk allezeit „richten. Wo aber eine große Sache ist, „daß sie dieselbe an dich bringen, und sie alle „geringe Sachen richten, so wird dirs leichter „worden nnd sie mit dir tragen. Wirst du „das thun, so kannst du ausrichten was dir „Gott gebeut; und alle dies Volk kann mit „Frieden an seinen Ort kommen. Mose ge- „horchte seines Schwaͤhers Worte und that „alles was er sagte. Und er waͤhlete redliche „Leute aus ganz Israel und machte sie zu „ Haͤuptern uͤber das Volk, etliche uͤber tau- „send uͤber hundert, uͤber funfzig und uͤber „zehn. Daß sie das Volk allezeit richteten, „was aber schwere Sachen waͤren zu Mose „braͤchten, und die kleinen Sachen sie rich- „teten. Also ließ Mose seinen Schwaͤher in „sein Land ziehen„ Das Exerciren bewies er aus dem an- „dern Buch der Koͤnige im fuͤnf und zwanzig- sten Capittel im neunzehnten Vers „Und einen Kaͤmmerer aus der Stadt, der „gesetzet war uͤber die Krieges Maͤnner, und „Fuͤnf Maͤnner die stets vor dem Koͤnige waren, „die in der Stadt funden wurden und Sopher „den „den Feldhauptmann, der das Volk im Lan- „de Kriegen lehrte, und sechzig Mann vom „Volk auf dem Lande die in der Stadt fun- „den wurden — — Gerne haͤtt ihm meine Mutter diese Zei- chen insgesammt wie Spreu in die Luft zer- streuet; allen sie schien diese Schriftstellen selbst als bewafnet anzusehen, und nun sollen sie so lange wie Fahnen in der Kirche haͤngen. Da liegt sie vor mir diese vaͤterliche Bibel wo Stunde Tag und Jahr meiner Geburth von meinem Vater eingeschrieben ist. Sey mir geseegnet goͤtt- liches Buch! Bey meinem Namen steht eine schwere Geburt! der Name des Herren sey gelobt! Feierlich bete ich Amen dazu! Theure Bibel jedes Zeichen in dir obs gleich eine Menschen- sazung ist, bleibt mir doch unschaͤzbar. Es enthaͤlt fuͤr mich einen Zug vom Bilde mei- nes Vaters der uͤberwunden hat. Laßt mich einen Augenblick, damit ich meine Haͤn- de zu den Bergen hebe, von welchem uns Huͤlfe kommt. Unsre Huͤlfe, kommt im Namen des Herrn der Himmel und Erde ge- macht hat! — — Ich Ich finde Oerter mit einer solchen papier- nen Schildwache versehen wo vom Schwerdte von Pfeilen Bogen Lanzen Panier Trompeten, geredet wird wo ein Faͤhnlein wehet ein Gezelt im Lager steht Sold ausgetheilt wird und wo das Wort ausziehen, welches nach seiner Erinnerung marschiren und nicht lau- fen bedeutet, gebraucht ist. Ferner liegen Zeichen bey den Worten: Kriege, Kriegsknechte, Streiter Streit- genossen oder Kriegescammeraden . Bey List, Hinterhalt, Schlagen, Fech- ten, Streiten, Wagenburg, Sturm und Beute. Beym Hauptmann zu Capernaum und bey drey Obersten. Ihr solt unversehrt bleiben ihr! mir lie- ben Zeichen und so oft ich dich theure Epi- stel am ein und zwanzigsten Sonntage nach H Trini- Trinitatis die erschrecklich begriffen ist im Haupt-Exemplar sehe und sonst lese und hoͤ- re, seh’ ich, und les’ und hoͤr’ ich meinen Vater. Hierauf wollen meine christlichen Leser mit theilnehmender Herzensandacht verlesen hoͤren: die Epistel am ein und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis wie sie beschrie- ben stehet in der Epistel an die Epheser im sechsten Capittel und zehnten Vers und wie sie in unser Deutschen Uebersetzung lautet: „Zuletzt meine Bruͤder, seyd stark in „dem Herrn, und in der Macht seiner Staͤr- „ke. Ziehet an den Harnisch Gottes, daß „ihr bestehen koͤnnet gegen die listigen An- „laͤufe des Teufels. Denn wir haben nicht „mit Fleisch und Blut zu kaͤmpfen sondern „mit Fuͤrsten und Gewaltigen, nehmlich mit „den Herren der Welt, die in der Finster- „nis dieser Welt herrschen mit den boͤsen Gei- „stern unter dem Himmel. Um des willen „so ergreifet den Harnisch Gotttes , auf daß „ihr, wenn das boͤse Stuͤndlein kommt Wi- „derstand thun und alles wohl ausrichten „und das Feld behalten moͤget. So stehet „nun umguͤrtet eure Lenden mit Wahrheit, „und angezogen mit dem Krebs der Gerech- „tig- „tigkeit und an Beinen gestiefelt als fertig „zu treiben das Evangelium des Friedens „damit ihr bereitet seyd. Vor allen Din- „gen aber ergreifet den Schild des Glau- „bens, mit welchem ihr ausloͤschen koͤnnet „alle feurige Pfeile des Boͤsewichts, und „nehmet den Helm des Heils und das „Schwerd des Geistes, welches ist das „Wort Gottes„ Wenn ich mir die Seelenfreude vorstelle mit welcher mein Vater uͤber diese Epistel predigte; empfind ich ein groß Stuͤck dieser Seelenfreude. Meine Mutter sagte zwar: „heute geht er gestiefelt und gesporet wie „ein geistlicher Ritter auf die Kanzel„ Laß ihn liebe Mutter! den hochwuͤrdigen und ge - strengen Herrn. Es ist dein Mann! mein Va - ter! Wenn es gleich aus der heiligen Schrift ziemlich deutlich hervorgehet daß er fuͤr den Sol- datenstand sey, bin ich denn darum schon in Reih und Gliedern? — Warte wenn ich bitten darf den dritten Theil meiner Geschich- te ab — und am Ende liebe Mutter! heißt es: Gebet dem Kayser was des Kaysers und Gott was Gottes ist? Sind wir nicht geist- liche Soldaten die sich zum Himmel durch- schlagen muͤßen! die klugen Israeliten muß- H 2 ten ten mit dem Koͤnige vorn Willen nehmen, da die Pluralitaͤt einen begehrte. Gott gab allen einen Koͤnig. Sapienti sat. Clitus damit es meine Leser nur ja wis- sen ist auch nicht in unserm Kirchdorfe ersto- chen, vielmehr ist er noch jetzo am Leben und sitzt auf dem vaͤterlichen Acker, Er hat mir nicht das Leben gerettet auch ist seine Schwe- ster nicht meine Amme gewesen. Dies Trauerspiel ward also als ein Lustspiel vor- gestelt wie man es mit den meisten Trauer- spielen machen kann. I nunc ad Philippum \& Parmenionem \& Attalum wurde nichtern gesagt und blieben daher die Bußtage aus, vielmehr wurd ein algemeines Gelaͤchter weil Clitus so frisch und gesund seiner Wege ging wie unsere Schauspieler wenn sie erstochen erschossen und mit Gift vergeben sind. Se- neka, das faͤlt mir eben ein, haͤtte sich die Todesart waͤhlen sollen im Trauerspiel am fuͤnften Ackt zu sterben. Es waͤre seinem Leben und seinen Schriften angemeßner ge- wesen, und leichter muß es auch seyn, als wenn man sich alle Adern oͤfnen laͤßt. Die schoͤnen Redeuͤbungen doch nur von Alexanders Seite womit der beredte Curtius seine Leute ausstafiret, konnt ich auf ein Haar Haar. Benjamin hielt alles was er hielt aus oben angezeigten wichtigen Gruͤnden in curscher Sprache ich habe dem Q Curtius Rufus oben den christlichen Namen Voltaire beigelegt, um diesem lezten mit Ehren grau gewordenen Dichter und Geschichtschrei- ber Comoͤdien und Tragoͤdiensteller, den ich von Person kenne, vorzuͤglich wegen seiner Geschichte bey dieser Gelegenheit ein Com- pliment zu machen. Dieser große Mann traͤgts auch am Knopfloche und wenn er als Geschichtschrei- ber auftischen laͤßt fehlts an gesundem unver- faͤlschten Wein. Gebacknis die Menge. Da heut eben sein Geburtstag ist hoffe ich von ihm wegen dieses kleinen Andenkens Toleranz und von meinen Lesern Verzeihung! Es ist schon gesagt daß die Nuͤchternheit bey unserm Alexanderspiel beobachtet wurde, indessen tranken wir Wasser aus dem Hut, wenns in der Rolle vorkam daß getruncken werden solte und der Hut stellte des Herku- les Becher sehr gut vor. Ich konnte also nicht durch das Gift des Weins ums Leben kommen, sondern lebte den Curtius einige- mal durch und durch. H 3 Ich Ich zog mit wenigen Jungen oder Pfef- ferkoͤrnern dem Benjamin Darius und sei- nen Mohnsamen auf den Hals. Wir lieferten alle Schlachten die Alexan- der geliefert hat. Bey Ißus in Cilicien welches uͤber Feld lag verlohr Benjamin Darius eine Menge Volks und ich bekam seiner Frau Mutter Ma- jestaͤt seiner Frau Gemahlin Majestaͤt und seine Kinder Koͤnigliche Hoheiten zu Kriegs- gefangenen. Die Koͤnigliche Frau Mutter stelte auf Befehl meines Vaters unsere alte Koͤchin vor und meine Mutter sagte „kann „sie nicht lieber die Potiphar machen?„ Ben- jamins Schwester war die aͤlteste Princeßin Tochter und des Ritter Jachnis Frau und Toch- ter stelten die Koͤnigliche Frau Gemahlin und Tochter vor. Wegen des Prinzen waren wir nicht verlegen denn hiezu hatten wir viele Jun- gen im Dorf. Mit der Schlacht bey Arbola hatte die persische Monarchie ein Ende. Der Tod des Darius ward nicht vorge- stelt, weil Benjamin uͤber den Tod nicht spaßen wolte, und aus Todesangst sehr leicht untern Haͤnden bleiben koͤnnen. Es fehlte uns auch eine Kleinigkeit die guͤldene Ketten. Wenn wir alle Schlachten zum Ende waren fingen fingen wir sie von Anfang an, obgleich wenn wir an die Gefangennehmung der Koͤnigli- chen Familie kamen wegen der Koͤniglichen Frau Mutter der Verdruß unvermeidlich war. Meine Mutter beklagte sich uͤber die Koͤchin, daß sie wenigstens drey Tage bey dieser Koͤniglichen Gelegenheit den Gehor- sam aufsagte und vorzuͤglich alles versalze. Desto besser sagt’ ich, sie macht ihrer Stelle Ehre. Die Frau Potiphar wuͤrde sie besser machen antwortete sie und ich brachte ihr das Salzfaß, gieng mit ihr in die Speise- kammer aß unterm Eyer Monument ein Stuͤck Schinken und die Koͤchin blieb die Koͤnigliche Frau Mutter — Die Jungen im Dorfe nannten diese fei- erliche Tage Talken allein ich brachte diesen unheiligen Namen ab und pflanzte so viel griechisch im ganzen Dorf — daß derjenige welcher der lettischen Sprache die Ehre that sie aus meiner Welt zu beurtheilen, die grie- chische Sprache fuͤr Mutter Schwester, Toch- ter oder was weiß ich fuͤr was fuͤr eine nahe Blutsverwandtin von der lettischen halten mußte. Die Koͤnigliche Gefangenen waren bey mir so gut als beym Alexander aufbewahret. H 4 Ich Ich war eben so wie Er justus hostis und misericors victor. Die Koͤnigliche Frau Gemahlin wuͤrde auch schwerlich Jemanden wenn gleich er sich nicht so gut als Alexan- der und ich besessen in Versuchung gefuͤhret haben da sie bey den Blattern um ein koͤnig- liches Auge gekommen war. Nach dieser Anzeige darf ich auch nicht bemerken, daß die dreihundert sechzig Pelli- ces (Kebsweiber) nicht angebracht werden konnten wie denn auch deshalb nicht zu be- haupten war Pellices CCC \& LV. totidem quot Darii fuerant regiam implebant. Denn Benjamin wußte in diesem Stuͤck eben so wenig wie ich was Gut oder Boͤse sey. Ich vermied mithin den Vorwurf des Lagers: daß ich mehr verlohren als gewonnen haͤtte, und daß obgleich ich den Darius uͤber- wunden, ich doch von ihm in diesem Stuͤck waͤre uͤberwunden worden ( ex Macedoniæ Impe- ratore Darii satrapem factum ) Bey dieser Gelegenheit indessen und vor- zuͤglich weil Darius seine Gemahlin so sehr, wie Hans seine Grete geliebt, sahe ich seine und des Alexanders und des Koͤnigs Salomo Kebsweiber fuͤr Lexica an, die man um ein Wort nachzuschlagen noͤthig hat. Außer Außer den Soldat und Sprachabsichten hatte mein Vater auch eine moralische woran ihn sein Priesterkleid auch bey einer heidni- schen Geschicht’ erinnerte. Es ward offt mit- ten in der Schlacht ein Porisma oder ein Comma gemacht womit ich aber meine Leser nicht belaͤstigen mir selbst aber nicht in die Rede fallen will. Die Geschwindigkeit z. E. in der Aus- fuͤhrung ist fuͤr jeden Alexander eine Haupt- eigenschafft. Ists moͤglich nimm Postpferde sagt’ er wenn du thust — allein denk erst! Kannst du Courirpferde haben desto besser! Was geschwind geschieht vergeht geschwinde, kann nur von Planen verstanden werden, oder uͤber die ganze Regel wie uͤber viele ein Schwamm! Wer bald giebt, giebt doppelt, und wer schnell thut ahmt Gott nach, der sprach und es ward. Unter andern behauptet’ er auch daß Aristoteles durch den Alexander und Alexan- der durch den Aristoteles so groß geworden, als sie’s wuͤrcklich waren. Mali corui malum ouum! Einer war stolz auf den andern: wie er denn auch der Meinung war, daß solche außerordentliche Leute wie Alexander, an dem nichts mittelmaͤßig als seine Gestalt war, H 5 und und der unter den Großen der Fluͤgelmann ist, nicht vierzig Jahr alt wuͤrden, und daß große Eigenschaften auch große Laster oder wenigstens große Fehler zu ihren Waffen- traͤgern haͤtten. Alexander sagt’ er thaͤte alles der athe- niensischen Avisen wegen, allein er nehme mir nicht uͤbel daß ich ihm nicht beytreten kann. Er welcher die ganze Welt fuͤr eine Festung ansahe wo ihm nur verstattet wor- den auf den Waͤllen herumzugehen solte des Wansbeckerboten wegen in Athen? — — — Nein die spaͤtste Nachwelt war sein Ziel, un- ser Dorf wo Er gespielt wurde war seine Aussicht, und warlich wir sind nicht die er- sten Kinder und werden auch nicht die letzten seyn, die den Alexander sptelen. Diese Ge- schichte hat viel Unheil in der Welt angerich- tet vom Bruder Moͤrder Caracalla an bis auf den heutigen Tag, wird sie ins Große und ins Kleine gespielt: allein es geht leider! da- bey nicht so ruhig zu wie in — und in un- serm Dorfe wo Gottlob! kein Blut vergos- sen wird. Und ich? warum vergieß ich Tint war- um ergreif ich die Feder? warum bin ich Alexander und Q. Curtius Rufus in einer Per- Person? Das ist ein gordianischer Knoten im ganz besondern Sinn! Einer wird sagen um in der — gelobt oder, (wie ich vorlaut bin!) recensirt zu werden, ein andrer um uͤber tausend Jahr dem Jungen im Dorfe zum Marjonetten Spiel zu dienen, ein an- drer — die Zeit wirds lehren. Schon vor vierzehn Tagen sagt’ ich uͤbermorgen! und legte also eine schriftliche Zusage ab, an diesem Uebermorgen meinen Lesern den Zeitpunkt zu bestimmen, wenn mein Vater den zweiten Diskant ruͤhmlichst mitzusingen angefangen, um sie in diesem Stuͤck nicht laͤnger absque die et consule zu lassen. Ich haͤtte keine Stundung oder Ta- gung von noͤthen gehabt wenn nicht ein guter Freund der nach Gastrecht zu behandeln war diesen Aufschub veranlasset. Heut will ich meine Schuld abtragen wenn ich zuvor mei- nem guten Freunde eine gluͤckliche Reise ge- wuͤnschet habe. Damit ich alles signire wars in meinem vierzehnten Jahre da ich ohne Hofnung krank danieder lag. Mein Vater konnte nicht be- greifen wi’es zugieng. Bey einer solchen Bewegung an Leib und Seel sagt’ er wo kommt das Uebel her? Vom Vom betruͤbten Suͤndenfall half ihm meine Mutter aus, denn alles Boͤse war bey ihr ahnenreich und vielschildig. Vom betruͤbten Suͤndenfall seufzte mein Vater und meine Mutter sang aus vollen Seelen und Leibeskraͤften Heut sind wir frisch gesund und stark sieh morgen liegen wir im Sarg heut bluͤh’n wir wie die Rosen roth bald krank und todt, ist allenthalben Muͤh und Noth. Mein Vater der diesen Vers mit vieler An- dacht gehoͤret, doch aber noch nicht mitge- sungen hatte verfolgte seine Zweifel. Seine Meinung um sie zu filtriren, war, daß ein Mensch der der Natur getreu waͤre und ihrem Fingerzeig folge, denn es ist Gottes Finger setzt’ er hinzu, daß ein solcher Mensch, der seiner Seele und seinem Koͤrper nicht zu viel nicht zu wenig thaͤte nicht krank werden und ehe er achtzig erreicht haͤtte und das Gewicht abgelaufen waͤre auch nicht sterben koͤnne. Allein die Thiere sagte meine Mutter sind krank ehe ihre Stunde schlaͤgt. Thut alles nichts zur Sache, Haus- thiere sind wie Menschen am Hofe. Sie sind verwoͤhnt. Wilde Thiere, das waͤre ein Ein- Einwand, allein nur ein scheinbarer, denn der Mensch hat Verstand. „Nur nicht in seiner Kindheit; selbst „wenn er aͤlter wird verdirbt er sich den „Magens„ Dafuͤr hat ein Kind Vater und Mutter. Der Eltern Verstand ist der seinige. Ist er erwachsen und uͤbertritt sein bescheiden Theil; triffts meine Regel nicht. „Aber wenn Vater und Mutter schon „krank sind ehe sie ein Kind in diese Huͤtten „Kedars setzen, ich sag’s nicht, von uns „beiden„ Du hast Recht. Gott lob! aber wir sind frisch gesund und stark wie du gesungen hast. „Indessen Etwas fehlt einem jeden und „wenn er ein Gesicht wie ein Stettinerapfel „haͤtte. Wir haben alle einen Schaden und „der kommt von Adam her, du magst sagen „was du willst. Siehst du wie ich durch „die offene Thuͤr, beym betruͤbten Suͤnden- „fall bin. Hast du nicht selbst gesagt, Thoren! „sie wollen das Fleischessen auf einmal „abbringen! das Kind kommt schon mit „Fleischhunger und Bischofsdurst auf „die Welt. Allmaͤhlig und durch fuͤnf Ge- „nera- „nerationen (wars nicht so?) muß es erst „zur Natur reducirt werden „ Da siehst du „wie ich deine Prose behalte. Ich hab noch „in meinem Leben nicht so geistlich mit dir „gesprochen wie jetzt. Gott Lob fuͤr die- „sen Tag!„ Wenn du so den Fall Adams nimmst hast du Recht kann aber der liebe Junge nicht aufstehen? Arbeit ist die beste Arzeney wider den Tod. Auch ein Kranker solte arbeiten wenns nur so viel ist als er zu sei- ner Bekoͤstigung braucht. Das ist wenig! die Natur hat ihm nicht mehr auferlegt als er ertragen kann. So allmaͤhlig als ein Kranker Appetit bekommt, faͤngt er auch an besser zu werden. (Ich) Vater ich kann nicht mehr auf, kann auch nicht mehr essen (Mein Vater) Ar- mer Junge (geht ab) ich wolte versuchen aufzustehen. (Meine Mutter) bleib bleib. Es ist im- mer besser die Krankheit trift uns auf dem Bett als auf dem Felde. Davon weiß ich auch ein Lied zu singen! Gewisse Krank- heiten wollen wie vornehme Leute behandelt werden man muß ihnen entgegen — ein Flußfieber nimmts so genau nicht. Mein Mein Vater kam wider faßte mich an die Stirne und Haͤnde, und ich konnt an seinen Augen in Frackturschrift lesen was er so bald er merkte, daß ich herein sahe vor mir verbarg — So sehr mein lieber Vater wieder die Aerzte war die er wie die Beichtvaͤter und Gewissensraͤthe fuͤr Etwas hielte was uns und unsern Gott und die Natur sein Werk von einander schiede; so gab er doch dem Verlangen meiner Mutter nach, die sich ihr Votum nicht nehmen ließ. Offt hab ich ihn sagen gehoͤrt ohne Arzt stirbt man leicht und schnell. Mit einem Arzt stirbt man taͤglich. Wer bis in seinen letzten Augenblick lebt, wer beharret bis ans Ende stirbt nicht — er wird lebendig gen Himmel geholt und dies alles kann man nur ohne Arzt. Dies und noch mehr sagt’ er sehr oft, allein jezt blieben diese schoͤnen Spruͤ- che weg, er schrieb an den Docktor Saft , der sechs Meilen von meinem Puls entfernt war, und macht’ ein Gesicht als ein Refe- rent, der von seiner Meinung durch die Mehrheit abgestimmt ist. Die Antwort des Docktor Saft traf ihm das Herz. Er war nicht mehr. Er bestaͤ- tigte tigte mit seinem Beispiel daß uns die Aerzte feig machen: indem sie Gefahren aufdecken die vor uns verborgen sind. Meine Mutter hingegen war so sanft wie ein Lied. Er nahm sie an der Hand zeigte ihr den saftischen Brief, und sie ohne Schrei ohne Ach stimmte an, ihre Augen gen Himmel. Da wird uns der Tod nicht scheiden der uns jezt geschieden hat Gott der Herr wird selbst uns weiden und erfreun in feiner Stadt Ewig ewig fuͤr und fuͤr Ewig ewig werden wir mit einander jubiliren und ein englisch Leben fuͤhren Noch sang mein Vater nicht mit. Seine Seele war versuncken in Schmerz. Meine Hofnung sagt’ er, die der Herr bey meinem stummen Gram mir in einem fremden Lande aufgehn lies. Ein Nachtfrost und siehe da — Er hat’ große Hitze sagte meine Mutter Guͤtiger Gott laß ihn mir laß ihn einem Ungluͤcklichen, der fuͤr sich lange die Wuͤn- sche aufgegeben zu dem Staube seiner Vaͤter versammlet zu werden Herr Herr Superintendent Alexander Ein- horn fiel meine Mutter ein liegt in Cur- land begraben O mein Sohn sagte mein Vater und meine Mutter er hat die Kirchenord- nung im Jahr ein tausend fuͤnf hundert und siebenzig verfertiget. O mein Sohn sagte mein Vater und nach ihm blieb die Superintendenten Stelle vierzehn Jahre unbesetzt O mein Sohn beschloß mein Vater der sich in seinem Gebete nicht haͤtte stoͤren lassen wenns eingeschlagen haͤtte. O mein Sohn mein Sohn wolte Gott ich koͤnnte fuͤr dich sterben Hierauf sagte meine Mutter kein Wort Ich sahe bey dieser Gelegenheit was ich offt gesehen daß das schlecht und rechte Chri- stenthum eine edle Gleichguͤltigkeit einen ge- wissen Liederton im Leben wuͤrckt, der uns bey allem in der Welt und waͤrs auch ein Alexander Verlust, Ruhe ins Herz wehet. Sein Vater schlug wie Petrus mit dem Schwerdt drein. Seine Religion war ein hoͤheres Halleluja, welches aber fuͤr die J Vollen- Vollendeten gehoͤrt, und das fuͤr die Zeitlich- keit nicht zu seyn scheint. Bald sind wir zwar wenn wir uns in diesem hoͤhern Chor befinden entzuͤckt bis in den dritten Himmel; bald aber schreien wir: Herr hilf uns, wir verderben . Lange stand mein Vater mit gelaͤhmter Seele, allein meine Mutter brach diesen Seelenschlaf durch einen freundlichen guten Morgen . Eins sagte sie lieber Mann bedaur’ ich Ich mehr als eins sagte mein Vater, und was ist dieses Eine mein Kind! fuhr er mit einer bedeutenden Miene fort. Meine Mutter nahm ihn (ohn ihm zu antworten) bey der Hand und druͤckt ihm ein widerholtes liebliches Was denn ? heraus. „daß ich ihn nicht predigen gehoͤret„ Mein Vater seufzte laut ohne ein Wort zu sagen Nach ihrer Meinung haͤtte mir eine Pre- digt einen gewissen Rang im Himmel zuthei- len muͤßen. Ob ich nun gleich nicht die Kanzel bestiegen, so versicherte mich jeden- noch meine Mutter, da mein Vater mit gekreuzten Haͤnden heraus gegangen war, daß daß sie mir ebenfalls ein Monument in der Speisekammer errichten wuͤrde. Der alte Herr sagte sie, soll deinen Namen in Mitau zum Druck befoͤrdern , und da du von deinem lieben Vetter eine schreckliche Aehnlichkeit hast; ist euch beiden geholfen. Von den sechs Naͤgeln vor einen Vier- ding sind noch zwey uͤbrig. Verlaß dich auf deine Mutter! Dieser an sich unbetraͤchtliche Umstand von den zwey uͤbrig gebliebenen Naͤgeln fiel mir so auf, daß ich von dieser Minute an, den letzten Rest meiner Hofnungen einbuͤßte und meinen ungezweifelten Tod in den zwey Naͤgeln sah. Waͤren wol zwey Naͤgel uͤbrig geblieben wenn es nicht darum gewesen waͤre deine Grabschrift zu befestigen dacht ich, und warum wuͤrden wol sechs Naͤgel fuͤr einen Vierding zu haben seyn, wenn ich nicht dies- mal sterben solte? ich war kein Alexander mehr, und ich fuͤhlt’ es, daß die Medicin mit der Einbildungskraft stritte und diese lez- tere uͤberwand. Es schlug nichts an. Wenn er nur ein einziges mal gepredi- get haͤtte wiederhohlte meine Mutter, und mein Vater der bey dergleichen Irrthuͤmern sonst ein sehr heftiger Widerleger war that J 2 nichts nichts weiter als seufzen. Eine totale Son- nenfinsternis lag auf seiner Seele, sein Herz konnte nicht ins Geleise gebracht werden. So vergiengen drey bis vier Tage. Werd’ ich sterben fragt’ ich! Gott kann dir helfen sagt’ er, und meine Mutter wie Gott will, und beide Amen. Nach einer Weile zog ich meine Mutter fest an mich „ey die zweene Naͤgel?„ Sie glaͤnzten mir so schrecklich als die Cometen dem gemeinen Mann. Wie verstelt die Ver- zagtheit die Mutter der Hypochondrie, die Geberden eines jeden Dings? Meine Mutter ohne die Frage in ihrem Umfange zu denken antwortete. Sie sol- len dein! Ach! war meine Antwort und, hilft dir Gott fuhr sie fort haͤng’ ich deine Lieblingswuͤrste dran Die sagt’ ich, Liebe, die — ich konnte sie vor Freuden nicht bestimmen Eben die erwiederte sie Das war Medicin. Ich sammelte mich. Die Cometen verlohren ihren Schein! Ich sah’ anstatt meines Namens im Druck zwo kleine Wuͤrste. Ich bekam Appetit und haͤtte haͤtte gewiß alle beide aus freyer Faust aufge- gessen, wenn nicht alsdenn die beiden Naͤgel wieder vacant geworden waͤren. Ich schlief die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch ganz verfinstert gewesen waͤre, wuͤrd’ er aus meinen Augen eben so viel gelesen haben, als ich zuvor aus den Seinigen las. Ehe noch das Fatale interponendæ und introducendæ abgelaufen und mein Leben oder Tod res judicata eine rechtskraͤftige Sache war, bekam mein Vater einen Brief fuͤr den er viel Postgeld bezahlen mußte, und dieser Brief brachte ihm den zweiten Diskant mit, den meine Leser ihn sogleich singen hoͤren werden. Er las diesen Brief, las ihn wieder und da er ihn zum dritten mal anfieng rief er mit wehmuͤthiger Stimme. Licht! Es ist aus! Gott schrie ich: aus! und meine Mut- ter: aus! Wenn er lieber auf die Wuͤrme curirt haͤtte? fragte meine Mutter meinen Vater, nicht wahr? lieber auf die Wuͤrme? „Es ist aus, sagte„ mein Vater. Der Staͤrkste in seiner Kunst ist Saft nicht fuhr meine Mutter fort. Ich wett’ er ist da Docktor worden wo der alte Herr Litteratus gewesen ist. Gottes Wege sind nicht unsre J 3 Wege! Wege! sagte mein Vater. Im fuͤnf und vierzigsten Jahre seines Alters im Herrn entschlafen? wer fiel meine Mutter ein! Docktor Saft? ist er todt, der geschickte Mann! Curland verliert viel an ihm Mein Vater . Die lezte Stuͤtze des Hauses! Meine Mutter . Er hat noch einen Bruder! Mein Vater . Licht! Licht! Licht! Licht! Meine Mutter . Wie todt! am Schlagflus Mein Vater . Alles todt alles todt. Meine Mutter . Mit Weib und Kind Mein Vater . Licht! Licht! Man brachte ein Licht Noch eins! sagt’ er und nachdem er bei- de Lichte (es war heller Tag) hingestellet hatte, nahm er eine handvoll Papier, die sich mit dem neuen Briefe vor den er eben viel Post- geld bezahlet hatte begruͤßten, und nachdem er diese Papiere allzusammen gen Himmel gehalten sagt’ er, wie du willst unbegreifli- cher Gott! Er steckt’ an und noch hoͤr’ ich die weh- muͤthige Stimme! Wir sind Staub und uns- re Hofnungen Staub und alles Staub: hier verbrandt’ er sich die Finger, indem er das eine eine Papier nicht zeitig genug fallen laßen. Heilige Asche diese Thraͤne sey Weihwasser fuͤr dich. Mit dir geweiheter Staub! will ich den Sarg meines Sohnes begruͤßen. Du bist Erde und solst zur Erde werden. Cleopatra die eine Perle auftrank sagt’ er nach einer Weile, hat nicht mehr verzeh- ret, als ich heute, und kein Lucius Plaucius hat die andere Perle gerettet. Die Naͤgel fingen wieder an zu blinken ich sahe meinen Tod vor Augen, und em- pfand wie es einem jungen Menschen von vierzehn Jahren zu Muth’ ist wenn er ster- ben soll. Freilich haͤtte mir einfallen koͤnnen, daß ein Brief vom Docktor Saft und so viel Postgeld nicht im Verhaͤltnis waͤren, doch fiel es meiner Mutter so wenig wie mir ein. Mein Vater zog mit dem Docktor Saft uͤber mein Leben schriftlich Schach! Mein Vater schrieb ihm seinen Zug der Docktor den seinen: und die Verwirrung die mein Vater durch das Wort aus welches ein schreckliches Wort ist, und durch die zwei Lichte am hel- len Tage welche zum Wort aus eben so schrecklich abstechen, erregt hatte; brachten meine Mutter und mich auf den Gedanken, J 4 Docktor Docktor Saft haͤtte Schach Matt gesagt. Das Feu’r ist ein vernichtendes Element! Noch schaudert mir die Haut da ich diese Papiere brennen und in Asche ohne Leben und Bestand und Safft verwandeln sehe: solch einen Eindruck machte dieses Feu’r auf mich! Ich wuͤrde meinen Leib um alles nicht verbrennen laßen, und viele meine Leser welche bedencken daß die Verwesung zugleich eine Geburt sey, werden mir beytreten. Die Art wie mein Vater anfaͤnglich die Sache betrieb, lies mich vermuthen Docktor Saft haͤtte unbedachtsam gezogen, und was mich noch freut ist dies daß ich dem Docktor Saft nicht fluchte. Gott verzeihe ihm sagt’ ich und meine Mutter setzte hinzu aus Barmherzigkeit und nachdem wir beide meine Mutter und ich aus den abgebrochenen Reden einen an- dern Schluß zogen, Docktor Saft waͤre nemlich vorausgegangen, wuͤnschten wir ihm beide aus gutem Herzen eine gluͤckliche Reise; ich will ihm abbitten sagt’ ich wenn ich ihn im Himmel sehe, daß ich ihn unrecht ver- dacht habe. Nach volbrachtem Opfer sah’ ich eine Thraͤne nach der andern die Wangen meines meines Vaters herabfließen und die Papier- asche die sonst verflogen waͤre anleimen. Es sey nun das weinende Auge meines Vaters oder das unrichtig vermuthete Schach- matt des Docktors oder sein selbst eigener toͤdtlicher Hintritt die Ursache die meine Mutter zum Singen brachte, sie fing an: Gott eilet mit den Seinen und bey der zweiten Strophe fiel mein Vater im zweiten Diskant ein, (zum erstenmal hoͤ- ren ihn also meine Leser mitsingen) Laͤßt sie nicht lange weinen in diesem Jammerthal Wenn ich jetzo die Sache uͤberlege sind’ ich, daß ich eigentlich damals nur einen Sterben- den vorstelte! ich starb schoͤn, ich starb poetisch. Denn mein Koͤrper hatte sich von den zwey kleinen Wuͤrsten erhohlt. Mein Herz war aber aller der Vorgaͤnge wegen im fuͤnften Ackt des Trauerspiels. Ich war be- wegt — ich sahe alles mit mir sterben, bis auf die Lichtputzerin zu weinte alles (ich weiß nicht ob es die Koͤnigliche Frau Mutter oder ein andres Geschoͤpf war) Eine Bitte hab’ ich an Vater und Mut- ter fing ich nach einer langen Stille an. J 5 Meine Meine Mutter die ohnfehlbar sich vor- stelte daß es wegen des Monuments in der Speisekammer waͤre fragte leise „an beide„? Ja liebe Mutter und gleich lieber Vater sagt’ ich laut. Sprich sagten sie beide. Verlas- set — hier weint’ ich zaͤrtlich — Minchen des alten Herrn Tochter nicht. Gut sagte mein Vater warum? fiel meine Mutter ein? weil ich sterbe und mich ihrer in dieser Welt nicht annehmen kann liebe Mutter. Schade daß ich es nicht kann! Wie ich Alexander und sie die Tochter des Darius war — dencke nicht mehr daran sagte meine Mutter, wolte Gott du waͤrest Joseph und die alte Babbe (Barbara) Potiphars Weib gewesen — hab’ ich gefunden daß sie verdiente Koͤniginn zu seyn. Ich hab’ ihr nie gesagt daß ich ihret- wegen des Amtmanns — — Christoph zwei Finger gelaͤhmt — Gott staͤrk sie wenn es dem Christoph nuͤtzlich und seelig ist. Ich meine seine beide Finger. Christoph behauptete Minchen sey verwachsen das ist sie nicht sagt selbst liebe Eltern? Das ist sie nicht versicher- ten beide und ich fuͤgte noch einmal hinzu das ist sie nicht. Nach meinem Tode fuhr ich fort entdeck ihr liebe Mutter meinen Streit mit Christoph und daß ich ihr gut gewesen bis in den den Tod, denn ich moͤchte gern daß sie mich nicht vergaͤße und mir auch gut waͤre bis in den Tod. Meinen Benjamin gruͤßt von mir auch den Christoph. Die Sonne gieng nicht unter waͤhrend unserm Zorn. Gruͤßt das ganze Heer! — Nicht wahr mein Vater jetzt kann kein andrer als Benjamin im Dorfe Alexander werden (Joseph wilst du sa- gen sagte meine Mutter und druͤckte mir die Hand) Alexander erwiedert’ ich will ich sagen. Meine Mutter sahe meinen Vater an, mein Vater sah’ auf die Erde. Benjamin fuhr ich fort hat zwar die rechte Hand nicht in seiner Gewalt, allein sonst ist’s ein guter Junge. Ehrlich und treu wie der Wieder- hall. Das Bein verwaͤchst sich vortreflich, und fallen gleich die lateinische Reden weg; im Lettischen ist er Alexander. Minchen, Benjamin und ich waren Castor Pollux und Helena. Ein Drittel dieses Dreiblats welkt Gott segne die Zuruͤckgebliebenen mit dem Thau seiner Gnade. Wenn Minchen hei- rathet ich moͤcht’ es nicht gerne, wenn aber — sehet zu liebe Eltern, daß sie einem ehrlichen Kerl ihre Hand giebt und nun — und nun — hier stockt’ ich lebt wohl meine theure liebe, guͤtige guͤtige Eltern lebt wohl! lebt wohl! Hier nahm ich alle ihre Haͤnde zusammen und kuͤßte sie und sagte: Gott vergelt’ euch alles Gute. Dir liebe Mutter das Geraͤucherte unterm Kupferstich. Seyd Minchen und Benjamin gut liebe Eltern und wenn es seyn kann laßt mich hinter der Kirche an dem gro- ßen schwarzen Kreutze begraben wo mein lieb- stes Lager war. Lieber Vater du weißt den Platz so gut wie ich. Minchen wird, das weiß ich, sich gern auch da begraben lassen — wenn anders ihr Mann es zugiebt, und auch ihr meine liebe Eltern wenn ihr so guͤtig seyn woltet ruhet zusammen mit mir bis an den Morgen des juͤngsten Tages — Dann geh’ ich mit Minchen wie ein Braͤutigam mit sei- ner Braut aus der Schlafkammer. Eine lange Brautnacht — Mein Herz bebt vor dem Wort lange zuruͤck! Gott schenck uns allen eine angenehme Ruhe — Wir weinten alle. Die Thraͤnen meiner Mutter flossen sanft, so sanft als ein warmer Mairegen. Mein Vater war heftig. Stirb sagt’ er im Namen Gottes der Himmel und Erde ge- macht hat, und meine Mutter: Amen, und ich: Gott mit euch in alle Ewigkeit und wir alle drey zusammen Amen! Amen! Nach Nach einer kleinen Weile fragte mich mein Vater ob ich noch Minchen oder Ben- jamin, oder beyde zusammen sehen wolte — Minchen? sagt’ ich heiter Minchen! Nein — Minchen nicht lieber Vater, sie wuͤrde sich zu sehr graͤmen wenn sie ihren Gemahl Alexan- der sterben sehen solte. Sie hat mich blos als Ueberwinder gesehen. Benjamin? auch nicht er wuͤrd’s ihr vorwimmern was er gese- hen gehoͤrt und empfunden hat, Benjamin ist ein guter Junge nicht wahr lieber Vater? Er muß Alexander werden? Lang genug ist er Darius gewesen — und in Wahrheit es ist nicht viel Darius zu seyn. Er und ich waren gute Feinde zusammen eine Seel’ in zween Leibern Dieses alles brachte mich auf ein Codicill. Ich aͤnderte mein Testament und bat meine El- tern Minchen nichts auch nichts vom Christoph auch nichts vom großen Kreutz zu eroͤfnen, we- nigstens die Publication des Testaments noch viele Jahre auszusetzen. Meine Mutter die mit der Anfrage meines Vaters die zween Lieblinge meines Herzens noch in dieser Welt zu gruͤßen unzufrieden geworden freute sich, daß alles so vortreflich beigelegt und der vorige Druck- fehler verbessert war. Er ist schon ein Engel sagte sagte sie und es war voͤllig klar in ihrem Ge- sichte! werden wird ers sagte mein Vater. Bey ihm sah’ es noch sehr finster aus. Der Platzregen hatte aufgehoͤrt allein eine Gewit- terwolke hielt ihn zuruͤck, und man hoͤrte von ferne ein Donnerwetter murmeln. Ich bin ruhig sagt’ er, und das ist immer der groͤßte Beweis, daß mann’s nicht ist. Nichts ist so leicht anzusehen als Ruhe: Ein Hof- mann selbst koͤnnte sie nicht verbergen wenn er die Ruhe je zu kennen die Gnade gehabt! Im Grunde war er so ruhig als ein Mann dem Haus und Scheuren abgebrandt sind und dem ein gutgesinnter Nachbar ein Kaͤmmer- lein mit einer Klinke eingeraͤumet hat. Mein Feierabend bricht heran, wilst du nicht sagt’ ich Licht bringen liebe Mutter! das hin und her thut wanken bis ihm die Flamm gebricht , als denn fein sanft und stille, laß Herr mich schlafen ein! Meine Mutter setzte hinzu nach sei- nem Rath und Willen wenn koͤmmt dein Stuͤndelein; Mein Vater wurde von dieser letzten Oe- lung unterrichtet ohne daß man dabey des Eyerheiligen dachte und seine Seele war ge- ruͤhret. Es fielen große Tropfen. Noch Noch nicht sagte meine Mutter! zu mir dein Aug’ ist noch zu hell. Dies soll das letzte seyn damit du die letzte Worte noch im Himmel singen kannst. Mein Vater ermannete sich nach einer Weile um mich mit der Stadt Gottes be- kannt zu machen. Er hatt’ einen andern Himmel fuͤr ein Kind einen andern fuͤr meine Jahre. Wir sprachen viel. Ich fragt’ ihn so als ob er schon da gewesen, und er ant- wortete mir so. Ich will nur etwas an- fuͤhren Seine Meinung war, daß die Ver- wandlung eben so groß nicht seyn wuͤrde. Wir koͤnnen sagt’ er nichts mehr durch ein Sehrohr sehen was wir nicht schon durchs Auge gesehen haben. In dieser Welt sehen wir in der Ferne eine Menge Menschen wie Duͤnste aus der Erde steigen, wie Gestraͤuch — im Himmel kommen wir diesem Menschenklumpen naͤher, wir kennen sie, wir geben ihnen die Hand, indessen blieb uns wol auch in der Welt ein Haar auf ihrem Haupte verborgen? In der Welt ist alles gezeichnet dort ist’s ausge- mahlt. Was wir hier im Kleinen sahen, geht uns dort im Großen auf. Was ist in der der Welt fuͤr eine Wissenschaft die nicht schon in unsrer Seele laͤge? Nur Licht herein ge- bracht und alles ist aufgedeckt — der ge- meinste Mensch begreift alles, noch mehr, er weiß alles was du ihm sagest. Gieb ihm den ersten Buchstaben er giebt dir den zwei- ten. Wir lernen nichts was eigentliche Wis- senschafft, bleibende Kenntnis himmlische Wahrheit ist. Die Seele ist ein gestimmtes Instrument das nur gespielt werden darf, und wenn du die Kunstwoͤrter von der Sache abnimmst, diese Ruͤstung die einem kleinen Koͤrper das Ansehen eines Riesen giebt, findst du nichts unerwartetes: wenn du die Tres- sen vom Kleide absonderst, ist’s dem gemein- sten Mann als haͤtt’ er sein eigen Kleid an. Quantum est in rebus inane! Die Gelehrten bemuͤhen sich weislich dieses ihr Kunststuͤck nicht zu verrathen, weil sie damit auf die Maͤrkte ziehen und große bunte Zettel drucken lassen um sich vor Geld zu zeigen. Ists denn Wunder wenn der Gelehrte dem Ungelehrten in der andern Welt nichts nachgeben wird! O ihr Thoren die ihr glau- ben kontet ein Gelehrter wuͤrde dort schon eine hoͤhere Classe der himmlischen Gluͤcksee- lichkeit betreten als ein Bauer. Der letzte wird wird in Wahrheit nur ein kleines noͤthig haben um dem Gelehrtesten gleich zu seyn. Der einzige Unterschied zwische einem Gelehrten und Unge- lehrten in der andern Welt wird seyn, daß der erstece mehr vergessen muß als der leztere um himmlisch zu wissen was er weiß: und was ist schwerer? vergessen was man nicht halb nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym rechten Ende fassen? Der Litteratus (welches in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel ist) wenn ihm auch dieses Diplom seiner Geschicklichkeit wegen ohne Geld und gute Worte zugestanden werden kann, hat nicht Ursache stoltz zu seyn, denn der Unwissende unterscheidet sich vom Wissenden blos darinn daß dieser Sagen Aussprechen kann, was beide wissen, und das erste Capittel von dem was sie beide nicht wissen. Ein schoͤnes Buch das wircklich schoͤn ist, das von Herzen kommt und zu Herzen geht, was meinest du? hast du das nicht alles gedacht was drein steht. Du hast nur — eine Kleinigkeit — nicht das Buch selbst geschrieben. Du hast nichts gelernt, sondern nur mit diesem Buch Feuer in deiner Seele angefacht. Mein Vater nahm Gelegenheit diese Saͤtze auf Vernunft und Religion anzuwenden K Aber Aber die Sprachen sagt’ ich lieber Vater? Nur ein’ ist da und keinem wird ein Wort fehlen. Sieh! wie fein und lieblich ist’s, wenn Bruͤder eintraͤchtlich bey einander woh- nen wirds von Gedanken und von Worten heißen. Es werden Zwillinge seyn, wie Nach- bars Kinder werden sie zusammenhalten. Hier fuhr er fort, lernen wir Spra- chen um mit der Natur umgehen zu koͤn- nen. Wir wollen uns ihr gerne bequemen und da ihre Hofsprache unbekannt ist, halten wir viele Sprachen in Bereitschaft, und kommen, da kein Mensch mehr als eine Spra- che recht wissen kann, mit einem Frachtwagen voll Grammaticken und Woͤrterbuͤchern um bey der Koͤnigin Natur mit Beyhuͤlfe dieser Dolmetscher Audienz zu haben! Die Natur versteht wie Gott der Herr, eben so gut deutsch als griechisch und latei- nisch, auch sie will nicht mit Worten sondern im Geist und in der Wahrheit verehret seyn. Eine Sprache ist der Hauptstul das eigent- liche Capital, die andern sind die Zinsen. In dieser Welt sprachst du mit Gott deutsch. Jachnis spricht lettisch mit ihm. Wenn ein Deutscher franzoͤsisch betet laͤßt er sich vom lieben Gott franzoͤsische Vocabeln uͤber- uͤberhoͤren. Die letzten Worte sind all in der Muttersprache auch die lezten Seufzer so. Da kommt gemeinhin alles an Stell und Ort. Man sagt sogar daß sich das ganze Gesicht im Sterben veraͤndere und der Hofman wie ein andrer Mensch aussehe und der Cain ohne Zeichen da laͤge alles in Gottes Gewalt — Zu jeder Sprache das weißt du lieber Junge denn du hast außer der commandiren- den Deutschen mehr als eine; gehoͤrt eine andere Zunge und ein andrer Mensch. Von der, in der andern Welt laͤßt sich glaub ich kein einzig Wort auch nicht einst lieber Gott mit einer Menschenzunge aussprechen. Da fehlts am r, am h, am l, und an jedem Buchstaben. Eine Engelzunge ist uns von- noͤthen. Meine Mutter sang mitten unter dieser Predigt da mein Vater Othem holte — Wie herrlich ist die neue Welt die Gott den Frommen vorbehaͤlt! Kein Mensch kann sie erwerben doch ist zu jener Herrlichkeit auch ihm die Staͤdte zubereit Herr! hilf sie ihm ererben einen kleinen Schall von jenen Freuden toͤnen schenk dem Schwachen ihm den Abschied leicht zu machen. K 2 Mein Mein Vater lehrte mich nachdruͤcklich das Irrdische, das Hinfaͤllige das Hecktische in dem groͤßten Theil der menschlichen Kent- nis und da er nur ein wenig anhielt fieng meine Mutter wieder an Herr! wir wollen saͤmmtlich dir da der Leib uns haͤlt verschlossen, Bruͤder Menschen! was sind wir? Fremd und Reichsgenossen unsers kurzen Wandelslauf geht hinauf da wir her entsprossen. Historie fuhr mein Vater fort ist darum gut, damit sich nicht die Kaufleute freuen wenn Kinder und Narren zu Markt kommen, und Erdbeschreibungen und Reisen zu Wasser und zu Lande und Weltentdeckungen, damit wir uns selbst entdecken und kennen lernen. Ich lese das weißt du sehr gerne Reisen um in mich selbst zu kehren, ich freu mich uͤber jede neue Voͤlkerentdeckung, weil ich hiedurch den Schluͤßel zu mir selbst und zu meinem Nachbaren finde. Von Anbeginn ist’s so nicht gewesen wie es jezt in der Welt ist. Meine Mutter hatte vieles in dieser Pre- digt gefunden was ihr zu prosaisch war. Ihr Himmel Himmel bestand aus einer Schaar heiliger Saͤnger und Saͤngerinnen. Da pflegte sie sonst zu mir zu sagen werden wir nicht reden, sondern alles wird Musik seyn. Lauter Duet- tos und Terzetten, Reeitativen und — sie wand indessen jetzo nur blos mit dem Kopfe ein, den sie zuweilen von der Lincken zur Rechten, wie die meisten Menschen ihre Koͤpfe zu schuͤtteln gewohnt sind, schuͤttelte. Wenn mein Vater nur Etwas still hielte, wolte sie anstimmen, indessen konnte sie kei- nen Tackt zu Ende kommen mein Vater grif bestaͤndig ploͤtzlich an. Es ist ein Gott! deine Seele ist sein Hauch, er ist! er war! er wird seyn! Sein Bevolmaͤchtigter ist das Gewissen. Du fuͤhlst diesen Machthaber wenn du ihn gleich nicht siehest als einen gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn du im Stillen Gutes oder Boͤses thust. Er ist mit dir er geleitet dich um dich dort als Buͤrger in der Stadt Gottes einschreiben zu lassen mit einem neuen Namen, der uͤber alle Namen in der Welt ist. Gottes Guͤte seine Gerechtigkeit ist’s daß wir im Tode nicht gar aus sind, seine Barm- herzigkeit hat kein Ende! Nun ist sie am Morgen der Ewigkeit! Welch eine Sonne K 3 die die dann aufgeht! Welch ein Wort Ewigkeit! Etwas ohn Ufer und ohne Grund. Dort haben wir nicht noͤthig uns um einander zu bekuͤmmern. Die Eltern brau- chen keine Pflege die Kinder keine Stuͤtze: das Ganze wird unser Gegenstand seyn. Gott der in uns angefangen hat das gute Werck wirds vollenden in Ewigkeit. Wir werden ihn sehen von Angesicht zu Angesicht, jetzt sehen wir ihn im Spiegel, der seine Welt ist den er uns vorhalten ließ, und da unser Standort dunkel war, sahen wir nur wenig, nur daß er war! Dort werden wir sehen was er ist! Seelig sind die Todten die im Herrn ster- ben! Sie staͤrcken sich durch einen sanften Schlaf zu himmlischen Beschaͤftigungen um zu erwachen nach Gottes Bilde. Muß der Mensch nicht hier immer im Streite leben? Seine Tage sind wie eines Tageloͤhners. Man legt ihn in die Erde, und wenn man ihn morgen suchet, beschaͤmt ihn der Stuhl wo er saß, das Buch das er eben gelesen hat, denn er ist dahin, den Sucher ergreift ein Schauder. Heil dem der in der Jugend vollendet wird! Er kommt froh zum Grabe wie Garben mit Jauchzen eingefuͤhret werden zu zu seiner Zeit — du wirst liegen und schla- fen ganz mit Frieden denn allein der Herr hilft dir daß du sicher wohnest — — Zu allem diesem sprach meine Mutter den Seegen. Empfange sagte sie mit geruͤhr- tem Herzen hierauf den Seegen des Herrn. Der Herr lasse leuchten sein Angesicht uͤber euch und sey euch gnaͤdig und da kein Chor antwortete; setze ich, sagte sie selbst hinzu Der Herr erhebe sein Antlitz auf uns und gebe uns seinen Frieden Amen. Sie sprach diese Worte mit einer so zu- versichtlichen Seegensstimme, daß meine Seele das Licht sahe, das mir leuchten solte bey dem schrecklichen Todesgang: und die Huͤlfe empfand die mir helfen wuͤrde bey dem allerletzten letzten Todesstoß. Kaum hatte sie ihn aber mit Herzen Augen Mund und Haͤnden ausgesprochen, ihr Auge war gen Himmel gerichtet ihre Haͤnde hatt’ sie auf mich gelegt — kaum hatte sie Amen gesagt; so ward sie des See- gens wegen verfolgt weil der Candidat mit den langen Manschetten der vor vieler Zeit wie meine Leser sich erinnern werden einen Kalecutschen Hahn verzehren geholfen waͤh- K 4 rend rend des Seegensspruchs ins Zimmer getre- ten war. Es war dieser gute Mann in der Bauskeschen Praͤpositur, welche so wie die Seelburgsche den dreygliedrigen Seegen ange- nommen hatte. Der Herr Superintendent Alexander Graͤven unter dessen Regierung wie meine Mutter zu sagen pflegte, ich leider! das Licht der Welt erblickt, hatte im Jahr eintausend sieben hundert und achtzehn den dreygliedri- gen Seegen eingefuͤhret: indessen blieb meine Mutter so wie beym alten Calender, so auch beym alten Seegen, wenn er gleich ein Glied weniger hatte. Meine Mutter die wie Brutus nicht mehr auf den Sohn ihres Leibes sondern aufs Un- sichtbare und allgemeine und was noch mehr war, die Ehre der Kirche und ihre Ord- nung sahe, gerieth in Paul Einhornschen Eifer, sprach wider die Regierung nicht des Herzogs Ferdinands sondern des Graͤvens, aͤrgerte sich, daß ich und er Alexander hießen. Er, weil ein wuͤrdiger Einhorn so geheißen Ich, weil man außer vielen andern Be- dencklichkeiten die sie hatte auf den wie sie sagte unseligen Gedanken kommen koͤnnte, daß ich von von diesem dreygliedrigen Alexander Graͤven den Namen empfangen haben koͤnnte. Dem Herrn M. Adolph Grot Pastor in Windau, der sich des alten Gebrauchs an- genommen, setzte sie eine Maͤrtyrer Krone auf und dem Herrn Pastor Christoph Sen- nert der des dreygliedrigen Seegens wegen Kreutzzuͤge thun mußte und in gewisser Art Faͤhnchenfuͤhrer war, hatte sie keinen Seegen auf den Weg gewuͤnscht, wenigstens solten seine Gebeine nicht im Vaterlande verwesen, welches auch nur wie sie sagte zweygliedrig waͤre: Curland und Semgallen. Ich will nicht hoffen daß eben wegen die- ses Unseegens (Flug war es nicht) dieser Graͤvensche Adjudant unstaͤt und fluͤchtig ge- worden und auch wuͤrcklich in der preußischen Grenzstadt Memel sein unruhiges Leben wie- wol schluͤßlich wie Paul Einhorn sanft und ruhig geendiget hat. Es wuͤrde kein Seegen fuͤr meine Leser seyn, wenn ich ihnen den Streit meiner Mut- ter und des Heern Candidaten aus einan- dersetzen solte. So viel zur Nachricht, daß dieser See- gensstreit in Curland durch den landtaͤgli- chen Schluß vom ein und dreyßigsten Julius K 5 ein ein tausend sieben hundert und drey und dreyßig und durch die Verordnung vom neunzehnten August ein tausend sieben hundert und drey und dreyßig in der Art beigeleget worden, daß meine Mutter zwar nach der Zeit einsahe, es solt’ in Curland nicht mehr zweygliedrig ge- seegnet werden, indessen was sind Edicte und landtaͤgliche Schluͤße dem Gewissen? Sie lebt’ und starb nach dem alten Calender und nach dem alten Seegen, und wenn sie gleich oft und viel nicht wieder den Strom schwim- men konnte, hofte sie doch es werde alles ein Ende gewinnen daß wirs koͤnnten ertragen Denen Unglaͤubigen die vielleicht auf den Gedanken kommen koͤnnten, daß ich ein Maͤhrlein erzaͤhlet, zur Beschaͤmung, will ich woͤrtlich die seegensreiche Verordnung unter die Augen setzen, welche den neunzehnten August ein tausend sieben hundert und drey und dreßig in der Residenz Mitau gegeben worden. Von Gottes Gnaden wir Ferdinand, in Liefland zu Curland und Semgallen Herzog. Geben allen Einsaaßen dieser Herzogthuͤmer zu vernehmen daß in diesem letzten landtaͤgli- chen Schluß vom ein und dreyßigsten Julius jetzt- jetztlaufenden Jahres wolbedaͤchtig und alle bisherige Discrepance und angewachsene Streitschriften unter den Geistlichen in diesen Herzogthuͤmern einmal zu heben, den drey- fachen Seegen beyzubehalten und durch Pu- blicationes festzusetzen, beschlossen worden. Dahero wir denn Kraft dieses unsers Patents sowohl dem wohlehrwuͤrdigen und hochgelahr- ten Herrn Alexander Graͤven, Superinten- denti und Pastori primario zu Mitau als allen ehrwuͤrdigen und hochgelahrten Praͤpositis dieser Herzogthuͤmer auch saͤmtlichen uͤbrigen wuͤrdigen und wohlgelahrten Pastoribus in Gnaden befehlen, daß sie solchen dreyfachen Seegen der in verschiedenen Kirchen allhier bereits angenommen, so fort wo es noch noͤ- thig gleichfalls einfuͤhren und den zweyfachen kuͤnftighin nachlassen moͤgen. Gewaͤrtigen auch ein Gleiches von den Priestern der ade- lichen Kirchen, und wollen gnaͤdigst daß zu aller Wissenschaft dieses Patent drey Sonn- tage nach einander in deutsch und undeut- scher Sprache von den Kanzeln verlesen auch nachgehends ad valuas templi affigiret wer- den soll. Uhrkundlich unter dem fuͤrstlichen Innsiegel und unserer Unterschrift. Gege- ben in der Residenz Mitau den neunzehnten August August ein tausend sieben hundert und drey und dreyßig. Mein Vater der es bestaͤndig mit dem weltlichen und nicht mit dem geistlichen Arm hielt, mischte sich gar nicht in diesen See- gensstreit des Herrn Candidaten und meiner Mutter; obschon ich aus anderweitigen Aeus- serungen weiß, daß ers dem Herrn Supe- rintendenten nicht verzeihen konnte, daß der- selbe eigenmaͤchtige Veraͤnderungen zu ma- chen sich unterfangen haͤtte. Er war so gleich- stimmig mit der Wohlgebohrnen Ritter und Landschaft, daß man glauben sollen er selbst haͤtte den landtaͤglichen Schluß vom ein und dreyßigsten Julius ein tausend sieben hundert und drey und dreyßig entworfen, den ich meinen Lesern aber nicht fuͤr die Augen stel- len will. Jetzt war mein Vater waͤhrend dem See- gensrauch gantz still und blickte zuweilen auf mich seinen zweygliedrig eingesegneten Sohn. Da es sich zum Waffenstillstand anlies, der dem Herrn Candidaten um so rathsamer war, als er waͤhrend dem Streit fallen lassen, daß er heiß hungrig sey: indem inuita Minerva wohl schwerlich ein Kalekutscher Hahn wieder sein Theil geworden waͤre. Da, Da, sag’ ich, der Herr Candidat ins Winterquartier zog, nahm mein Vater das Praͤsidium bey diesem Disputations Actu und sagt’ Etwas was weder den Opponenten noch Respondenten traf Von Gott fieng er an kommt aller See- gen. Meine Mutter nahm dies Wort wolte Gott sagte sie Sie haͤtten Seegen fuͤr meinen Sohn mitgebracht. „Hier ist ein Brief vom Doktor Saft und „er selbst wird auch noch heut hier seyn.„ Er lebt? sagte meine Mutter und ich zu gleicher Zeit er lebt indessen sezt’ ich noch das Wort also hinzu. Wir haͤtten auch fragweise lebt er? die Sache nehmen koͤnnen, und ich haͤtte das also alsdenn viel- leicht gespart, indessen, wolten wir ohn Zwei- fel den Accent auf Er legen, und es war ein Frag und Verwundrungs Zeichen bey den Worten er lebt an Ort und Stelle. Der Candidat der nicht zu wissen schien ob von geistlichem oder leiblichem Leben die Rede waͤre; zog seine Handblaͤtter weiter her- aus, denn diese Frage war ihm in alle Wege so besonders daß er die Antwort hervor zie- hen mußte. Meine Meine Mutter kam ihm entgegen und setzte die Frage durch eine andere ins Licht. Ist er nicht todt? und nun waren die Mannschetten heraus und die Antwort Ich hab ihn frisch und gesund gelassen — und woher todt fragte mein Vater? Diese Frage befremdete meine Mutter noch mehr als ihre und meine Frage den Herrn Candi- daten. Sie wolt’ indessen meinen Vater keiner Luͤge beschuldigen und ihn oͤffentlich be- schaͤmen. Mein Vater las den Brief und sagte mit einer Stimme außer Gefahr , daß es mir auf- fiel mein Leben sey ihm nach den verbrand- ten Papieren gleichguͤltiger geworden. Es war ihm so als wenn ein Sterbender eine Pension bekaͤme, auf die er zwanzig Jahr gehungert, oder wenn Jemand dem all sein jetziges und kuͤnftiges Haab und Gut heut confisciret ist, morgen hundert tausend Du- caten durch einen Rechtsspruch gewinnt. Ich hab’ es oft belebt, daß der beste Freund wenn er seinen sterbenden Jonathan beweint hat, im Anfang gleichguͤltig ist, wenn er hoͤrt dein Freund Jonathan lebt. Er schließt nach seinem erlittenen, nach sei- nem uͤberwundenen Schmerz, auf den der ihm ihm noch bevorstehet. Bey meinem Vater wie oben — Welch eine Veraͤnderung bey ihm! welch eine bey mir! Meine Mutter blieb wie sie war, ich fuͤhlte mich die Minute besser, da diese Worte ausgesprochen wurden. Es war Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte mich schon vorhero verlassen, nur ich nicht die Krankheit. Ich getraut’ es mir nicht zu glauben, daß ich gesund waͤre. Lieber Herr Candidat, Sie haͤtten unter uns gesagt den Seegen zuletzt lassen sollen wie es Sitte in der Christenheit ist. Warum soll ich’s leugnen, daß mir jetzo mein letzter Wille zusammt dem Codicill in Absicht Minchens herzlich leid zu thun an- fing, ich moͤchte wissen was die Ursache war? ich wurde mal auf mal im Bette blutroth, als wenn mir das Gewissen ins Gesicht saͤhe. Um alles in der Welt willen haͤtt’ ich das Testamentum nuncupatiuum zuruͤck gehabt. So gerne meine Mutter es wissen mochte wie das ganze Brief Mißverstaͤndnis entstan- den waͤre unterfing si’es doch nicht die Auf- loͤsung in des Candidaten Gegenwart abzu- fragen. Die verfluchten Briefe! uͤberall wo sie sie sind, sind Falten und Verwickelungen! Spi- tzet nicht eure Federn Kunstrichter wenn sie in Romanen und auf dem Theater große Rol- len spielen. Es ist wahr sie sind der faule Knecht fuͤr unsere Theaterdichter, denn wo wuͤrden sie ohne Briefe einen gordischen Kno- ten hernehmen? und wie wuͤrde sie die Kno- ten so alexandrisch als durch eine Antwort auf diesen Brief entzweyhauen? allein siehe da! wie die Natur spielt auch in einer wah- ren Geschichte ein Brief! und gewiß nicht der letzte. Die blanken Naͤgel waren mir nicht mehr im Wege ich bekam Appetit eine von den Wuͤrsten zu essen die meine Stelle vertre- ten solten. Aus dem Bett sagte mein Vater wenn du essen willst! kein Mensch muß im Bette essen und trincken. Es ist schon zuviel daß man darinn schlaͤft oder stirbt. Wer auf der Erde stirbt, stirbt auf dem Bette der Ehren. Er nimmts mit der Krankheit auf — Da stand ich wie mich Gott geschaffen hat bis aufs Hemde — Obgleich meine Mutter es gern gesehen, wenn ich der Kranckheit standeshalber das Ge- leite gegeben; uͤbersah sie dennoch diese Suͤnde wider wider das Etiquette um vielleicht meinen Vater zur Erkenntlichkeit in Beschlag zu neh- men, welche darinn bestehen solte daß er ihr zu seiner Zeit das Geheimnis des Briefes und der Feuersbrunst entdecken moͤchte. Ich glaub’s schwerlich liebe Mutter, wenn du nicht durch die Kuͤnste der Palingenesie — — Der Docktor fand mich beym Geraͤucher- ten und das war meinem Vater gewonnen Spiel. So sagt’ er solte der Docktor jeden treffen, gelt! wir wuͤrden weniger Patien- ten und mit Erlaubnis Herr Docktor — weniger Docktores haben. Der ehrliche Saft schaͤmte sich dem Puls die Hand zu geben. Nach einigem Bedencken, nahm er sein ganzes Docktoransehen zu Huͤlfe fuͤhlte wirklich Schande halber nach dem Puls, in- dessen that er’s verstohlen und so ungefehr als ein Hochwohlgebohrner Herr, wenn er eines ehrlichen Buͤrgers Tochter geheirathet, seinem Herrn Schwiegervater die Hand giebt — Ich riß mir die Hand loß um das abgeschnit- tene Stuͤck an seinen Ort zu stellen — Der Herr Schwiegervater solt’s auch so machen. Warum aber Geraͤuchertes fragte der Docktor „weil ers gewolt„ (mein Vater und meine Mutter) Hierinn war meine Mutter L mit mit meinem Vater gleichlautend, denn sie hatte Beyspiele, daß viele Leute mit Sau’r- kraut von hitzigen Fiebern und kalten Fiebern und faulen Fiebern und Flußfiebern und Sei- tenstechen und Entzuͤndung der Lunge, und Entzuͤndung der Leber und Entzuͤndung des Gekroͤses und Frieseln und Schlagfluͤßen und Herzgespann und vielen Suchten und Gich- ten curirt waͤren. Die Stimme des Magens war ihr eine heilige Stimme. Der Docktor Saft und sein Freund der Herr Candidat fanden fuͤr gut drey Tage bey uns zu bleiben. Ich will nicht hoffen Herr Candidat um auch hierinn dreygliedrig zu seyn! Meiner sonst gastfreyen Mutter waren sie unausstehlich, denn sie ward wegen des Briefstaubes durch ihre Gegenwart entsetzlich gemartert. Es zog der Docktor Saft waͤh- rend dieser dreyen Tage mit andern Leuten in der Nachbarschaft Schach und war froͤlich und guter Dinge als ob er immer gewoͤnne. Schon ehe der Docktor angekommen war, hatte mein Vater den Staub der mich am allerersten als seines Gleichen bewillkommen sollte, in weißes Papier eingesarget; ich glaub es war ein großer Bogen Postpapier, weil wenn gleich die Thraͤnen nicht alles zu- ruͤckhal- ruͤckhalten koͤnnen, und vieles in die Luft gesprengt war doch immer von einer hand- voll Papier ziemlich viel geweihte Asche zu- ruͤckbleiben mußte. Er schien mir indessen da ich zusahe, daß mein Vater diese Asche nur vor der Hand in sein Nußbaum Schraͤnckchen beysetzte weil das Paradesarg noch nicht fertig war. Kaum hatte der Docktor, der unvermu- thet nach drey Tagen zum Uhrwerk eines andern Pulses zu reisen nothwendig fand (sonst waͤr’ er laͤnger geblieben) mit seiner Hand meinem Vater und Mutter zum letzten mal einen Kuß zugeworfen und sich tief heraus- gebogen. Kaum war er ihrem Auge ent- fahren (der Candidat sein Freund war eine Stunde fruͤher ohne eine solche feyerliche Be- gleitung und ohne einen Kußwurf abgereiset) fing meine Mutter an Der Brief — — — Um Verzeihung liebe Mutte! warum? Schach dem Koͤnige ! warum gleich mit dem Hauptwort? Eine Hauptschlacht ist bey einer solchen Gelegenheit nicht immer das rathsamste. Warum so ge- rade zu und nicht durch ein Stratagem? fuͤr Helden die in einem Jahre die Geographie L 2 so so unbrauchbar machen koͤnnen, wie den vorjaͤhrigen Calender ist freilich kein Strata- gem: Eine liebe Frau Pastorinn aber die keinen Beruf zur Amazonin hat, kann den Vogel im Neste greifen — Was fuͤr ein Brief erwiederte mein Va- ter? Mich duͤnkt eine schlechte Deckung auf Schach dem Koͤnige. Meine Mutter war auf diese Frage unbereitet; indessen verlohr sie noch nicht den Muth: sie hatte Huͤlfs- voͤlker in Bereitschafft. Den du eingeaͤschert hast sagte sie und setzte in einem Tone mein Kind dazu, daß man wohl einsahe, wie sie wenn es nicht anders waͤre auch zum edlen Frieden bereit sey. Noch streckte sie indessen nicht das Ge- wehr. Ich hielte ihn sagte sie fuͤr einen Brief vom Herrn Docktor Saft (sie nanndte ihn Herr welches sie mit Abwesenden selten that es waͤre denn daß sie vom Herrn Superin- tendenten gesprochen haͤtte; auch die Herren Praͤpositi hatten schon diesen Vorzug, nur der Bauskesche und Seelburgsche ausgenom- men, die Dichter hatten alle Herr) Dieser Brief hat uns alle in Unordnung und Verwirrung gebracht. Ich dachte Saft sey todt. Du Du hast unrecht gedacht mein Kind Aber der Brief sagte meine Mutter. Sie war einmal in Unordnung und wie eine Uhr die unrichtig ist so lang von eins bis zwoͤlf immer fort schlaͤgt bis das Gewicht abgelau- fen ist war auch sie mit ihrem: der Brief. Glaube mir mein Kind erwiederte mein Vater es giebt nicht Aexzte, Wundaͤrzte giebts hier und da einen. Hier folgte ein langes Capittel fuͤr und wieder die Aerzte, wodurch meine Mutter in eine solche Enge gebracht wurde, daß sie nicht aus noch ein wußte. Ehre den Arzt sagte sie in der Ver- wirrung, allein welch eine allgemeine Ursache erwiederte mein Vater denn der Herr hat ihn gemacht. Wenn dem Arzte keine an- dere Ehre zukommt so sind sie eben nicht hochgeehrt! Was thun sie auch? Sie sind unsre Peiniger. Sie suchen eine Ehre da- rinn, daß wir durch ihre und nicht durch die Hand der Natur sterben. Sie sind pri- vilegirte Giftmischer und subtile Todtschlaͤger die ein Recht promoviret haben, toͤdten zu koͤnnen: und wenns ihnen gluͤckt, wenn sie einen Menschen auf ein halb Jahr befristen ists ein Mensch? eine Mißgeburt ist’s, ein im Reich der Todten Angeworbener. Wer L 3 einen einen Arzt annimmt hat vom Tode Hand- geld genommen. Aerzte sind seine Werber! — Mein Vater sprach den Recepten Ehr und Redlichkeit ab. Haͤtte die Natur nicht ge- mischt wenn die Mischung noͤtig gewesen? Er wolte, daß man den Aerzten den Pro- viant abschneiden und die Apothecken zerstoͤ- ren solte. Den Arzeneien aus dem Pflan- zenreiche lies er Gerechtigkeit widerfahren. Wenn ein Arzt fuhr er fort kranck wird curirt er sich nicht selbst, sondern ersucht seine Her- ren Collegen Standrecht uͤber ihn zu halten. Er selbst weiß wol daß er nichts weiß; indes- sen mit der Kunst gehts ihm wie einem Luͤg- ner mit der Luͤge, die er oft und viel fuͤr Wahrheit ausgegeben — wie einem Schwarz- kuͤnstler — Der Arzt haͤlt die Kunst am Ende selbst fuͤr Wahrheit, und denckt die Un- wissenheit hab’ an ihm gelegen. Ein krancker Arzt schickt also zu andern Aerzten und diese wenn gleich sie den Krancken wegen seiner zeit- hero geleisteten vielen Wundercuren wodurch er sie bey weitem uͤbertroffen, von Herzen beneiden; denken doch heute mir! morgen dir; und wuͤrden dem Herrn Collegen gerne helfen — wenn sie nur koͤnnten. Wenn die Natur sich selbst nicht mehr helfen kann, ich ich moͤcht den Arzt sehen der Naturstelle ver- treten koͤnnte? — Wie kann er den Weg wissen den die Natur will? Geht sie zur Rech- ten; so will er zur Linken. Geht sie zur Lin- ken will er zur Rechten, und am Ende — da sie sieht man traue ihr nicht man haue sich Brunnen wo kein Wasser ist, wird sie der Neckerey uͤberdruͤßlich und dies ist das Gericht der Verstockung im leiblichen Sinn — Am Ende weiß er was nicht alle wissen wol- len die Signa mortis obgleich auch selbst hie- bey viele Ungewißheiten vorfallen. Wie meiner Mutter bey allem diesem zu Muthe gewesen kann ich mir sehr klaͤrlich vorstellen. Sie wolt’ indessen noch einmal eine Schwenkung mit der Fahne versuchen wer weiß dachte sie, ob sich die zerstreuten Leute nicht sammlen. Sie sagte was sie schon oft gesagt hatte, und was ich meinen Lesern nicht mehr sagen mag. Weiter nichts als — der Brief — und mein Vater machte ihr ein Gesicht, das ich einem jeden Ehemann als ein probates Hausmittel empfehlen wuͤrde, wenn seine Frau zu oft der Brief sagt und wie eine verdorbene Uhr in einem Zuge von eins bis zwoͤlf schlaͤgt, waͤr’s auch das beste L 4 Weib Weib in der Welt und eine liebe — — Ein Gesicht dieser Art, hat seinen guten Nutzen. Eigentlich solte ich nur sagen das linke Auge denn uͤber das ganze Gesicht darf es sich nicht verbreiten, auch das rechte Auge kann frey bleiben oder darf diese feindliche Einquartie- rung nicht einnehmen. Dies ist das einzig- ste was ich einem Manne von seiner Herr- schaft zugestehen kann. Es ist dies Gesicht so sehr vom Zorn entfernt, daß der Ehe- mann hiebey seiner Frauen die eine Wange kuͤssen kann. So oft mein Vater dieses Gesicht mach- te; blieb meine Mutter ploͤtzlich still und das geschahe oft mitten im Wort so daß sie zuweilen a — anfing das ber indessen hatte das linke Auge meines Vaters getroffen. Arme Mutter! wenn du nur besser angefan- gen haͤttest. Warum eben „der Brief!„ Kurz meine Mutter erfuhr nicht wo der Brief herkaͤme und wie’s mir vorkam; konnte sie auch nicht einmal auf Spuren kommen: So total war sie aufs Haupt geschlagen. Sie zog ohne Ehrenzeichen aus ihrer Festung ohn Unter- und Obergewehr ohne klingendes Spiel ohne fliegende Fahne brennende Lunten, Kugel Kugel im Munde, und ohne zwoͤlf Schuͤsse fuͤr ihr Gewehr großes und kleines — Ich aber war voͤllig bey mir uͤberzeugt, daß dieser Brief daher kaͤme, wo man die Spargel fruͤher als in Curland ißt, gleich fruͤher in der freien Luft eine Pfeife rauchet, den Wein mit der Hand aus der Quelle trin- ket, und lange Manschetten traͤgt — Wenn man die Augen zuhaͤlt kann man genauer und richtiger uͤberlegen. Zum Er- finden muß man sehen zum Anordnen kann man blind seyn. Ein großer Kopf der sehen und blind seyn koͤnnte wenns die Umstaͤnde erfordern, muͤßte groͤßer als Homer werden. Die Umstaͤnde die mein Vater mit dem feyerlich verbrandten Briefe machte, und andere waͤhrend meiner Krankheit von ihm verstreuten Worte, brachten mich auf den Gedanken, daß er von seiner Familie schlechte unerwartete Nachrichten erfahren haben muͤß- te. Mehr unbekandte Zahlen konnt’ ich aus den gegebenen nicht heraus bringen, und ge- wis, ich war weiter als meine arme Mutter, die noch nicht einen Finger breit naͤher vor- ruͤcken konnte als sie ausgezogen. Meine Besserung indessen vergnuͤgte sie so sehr als sie meinem Vater gleichguͤltig schien. L 5 Kaum Kaum war ich gesund geworden; so er- mahnete mich mein Vater daß ich mich auf die Theologie legen, und mehr Fleiß als zeit- hero darauf verwenden moͤchte. Ein Geist- licher, fieng er an, ist der gluͤcklichste Mensch in der Welt. In seiner Seele ist bestaͤndig Fruͤhling, wo es weder zu kalt noch zu warm ist. Die Leidenschaften kommen nie bey ihm in gewaltige Bewegung. Dinge der Zukunft sind seine Beschaͤftigung, und ein Mensch der nicht von Stande ist, kann keine beßre Lebens- art als diese ergreiffen wobey er hoffen lernt. Er beklagte, daß er keine Gelegenheit gehabt die Grundsprache ex professo wie er sagte zu erlernen, seegnete das Andenken des Conver- sus der ihn juͤdisch deutsch gelehret hatte. Wenns auch nur waͤre weil der Herr und Meister unsrer Religion die hebraͤische Spra- che geredet haͤtte solten wirs thun (nemlich hebraͤisch lernen) zu seinem Gedaͤchtnis. Wie vergnuͤgt meine Mutter uͤber diese theologische Anstalten war, kann man sich sehr leicht vorstellen. Sie dachte nicht wei- ter an meines Vaters Vaterland noch an den eingeaͤscherten Brief. Lobt Gott mit Herz und Munde sang sang sie und mein Vater sang den andern Diskant Fuͤr das er euch geschenkt Das ist ein’ seelge Stunde darinn man sein gedenckt sonst verdirbt alle Zeit die wir zubring’n auf Erden wir sollen seelig werden und bleib’n in Ewigkeit. Wie sehr sich alles im Pastorat nach diesem aͤnderte kann ich nicht beschreiben. Gegen die vorige Zeit war kein Stein auf dem an- dern. Alexander und Darius ward nicht mehr gespielt. Mein Vater, der sehr fuͤr die Quellen war, lehrte mich die christliche Religion aus der Bibel, die wenigsten lernen sie draus pflegt’ er zu sagen. Das was dir abgeht fuhr er fort werden dir die Schrifftgelehrten beybringen. Er schien selbst nichts mehr zu wissen als was die Fuͤlle seines Herzens und eine andaͤchtige Lesung der heiligen Schrifft in ihm gewuͤrkt hatte. Von seinen vorigen Heldenthaten blieb ihm noch ein gewisser Ausdruck! Er nandte ihn adelich — er war feyerlich dem Gedancken treu treu und nicht Jedermanns Ding. Dem Adel und dem weltlichen Arm blieb mein Vater getreu bis in den Tod. Ich nahm taͤglich in Kenntnißen der Schrifft zu, wenigstens war mein Herz’ ein Schrifftbefolger. Meiner Mutter zu gefal- len mußt’ ich meines Vaters Kragen anle- gen, und ein andermal seinen Mantel und denn wieder ein andres geistliches Kleidungs- stuͤck anpassen, damit sie saͤhe wie es mir ließe. Eines Tages da mein Vater viel Beichtkinder hatte und ich meiner Mutter zu Ehren bis auf die neue Peruͤque meines Va- ters zum Geistlichen investiret war; fieng der Gedanke der schon offt wie die Sonne auf und untergegangen war, hell zu schei- nen an! Ist es denn nicht moͤglich, sagte sie, daß ich dich ehe du auf Universitaͤten ziehest predigen hoͤren kann? Die Brodtstudien haben mit den Hand- werkern alles nur moͤgliche gemein, und meine Mutter hatte nicht ganz Unrecht, daß sie auf ein Gesellenstuͤck bestand ehe ich losge- sprochen werden solte. Es war ausgemacht, daß ich uͤber einige Zeit als Geselle auf meine Kuͤnste und Wissenschaften reisen, oder wie man es in Curland nennet ausreisen und das das Haus meines Vaters verlaßen solte. Mein Vater war einen Sonntag gegen Abend recht vergnuͤgt, und uͤberhaupt pflegt’ er nach abgelegter Sonntagsarbeit, wie ein Tageloͤhner alle Abend ist, zu seyn. „Das„ sagt’ er selbst „hat ein Tagloͤhner vor mir „zum Voraus daß er so all Abend ist; allein „meine Freude ist eine Sabbathsfreude.„ Dieser Sonntagsfreude bediente sich mei- ne Mutter, die ihm um diese Zeit die Ge- sichtsbewegungen seiner Zuhoͤrer zu erzaͤhlen pflegte, die sie bey dieser oder jener Stelle seiner Predigt bemerkt hatte. Was denkst du mein Lieber! fing sie an, waͤr’ es nicht gut, daß unser Sohn Alexan- der Einhorn (Alexander sagte mein Vater) eh’ er uns verlaͤßt eine Predigt hielte? Eine Predigt? sagte mein Vater, und schwieg stille nicht aber als ob er abbrechen wolte; son- dern weil er sich nicht so geschwinde auf eine Antwort besinnen konnte. Da nun meine Mutter sein Stillschweigen eben so verstand; klopfte sie zum andernmal an, und balgte sich mit allen Zweifeln meines Vaters die ohnedem alle sehr leicht nachgaben, weil er selbst keine Lust zu zweifeln hatte. Der alte Herr beging hiebey einen tuͤckischen Streich, denn denn da ihn meine Mutter uͤber diese Sache ebenfals zum Vertrauten gemacht hatte; schlug er ihr den fuͤnften Vers aus dem zehn- ten Capittel des zweyten Buchs Samuelis zum Text vor „Ich wils vertragen Herr „Cantor Herrmann„ sagte sie. Sie hielte Wort und da man nachschlug fanden sich die Worte „bleibet zu Jericho bis euch der Bart „gewachsen ist so kommet dann wider„ das war gewis mehr als eine Schneidernadel! Dominica III. post Epiphanias ward beschlos- sen daß ich Dominica Judica meine erste Pre- dig in unsrer Dorfkirche ablegen oder wie es meine Mutter in der Sprache ihrer Ahnher- ren nandte mich hoͤren lassen solte. Ich ent- warf die Predigt selbst, mein Vater gab das Imprimatur nachdem er sie befeilet hatte. Meine Mutter sonderte mir die Lieder aus. Dieses macht’ ihr viele Muͤhe. Ein Lied war um einen Vers zu lang, ein andres war wider um einen zu kurtz, bey manchem war die Melodie nicht der ersten Predigt ange- meßen, bey noch einem war noch was an- ders zu bedencken: Endlich getroffen. Ich habe den sehr bescheidenen Autorausdruck befeilen gebraucht, die Wahrheit aber zu ge- stehen that mein Vater mehr. Ich hatte den Styl Styl so sehr von den Feldreden beybehalten daß alles Trommel und Trompete war und zum Cammerton herabgestimmet werden mußte. Bei der Nutzanwendung z. E. gab ich Canonenfeuer auf die Suͤnder ich versicherte sie, daß sie im Pfuhl der mit Pech und Schwefel brennt o Solon Solon rufen wuͤr- den. Den Pech und Schwefel strich mein Vater und setzte in den Flammen des Gewis- sens. Den Solon Solon ließ er stehen — Die ersten vierzehn Tage erzaͤhlte meine Mutter mir vielerley Begebenheiten die ihren verstorbenen Hochwohlehrwuͤrdigen Ahnher- ren begegnet! und durch die Tradition bis auf den heutigen Tag unverloschen bey der Familie geblieben waͤren. Ein Litteratus haͤtte nehmlich sehr pathetisch seine heilige Rede angefangen; allein er waͤre gleich beym ersten Theile in die Irre gerathen. Mein seel’ger Aelter oder Großvater haͤtte ihm latei- nisch zugerufen ab initio (von vorn) und der Litteratus waͤre wieder nur bis auf diese un- gluͤckliche Stelle wo er schon einmal den Fa- den verlohren gekommen. Noch einmal hoͤrte der nun Trostbange die Stimme ab initio und da er wieder diese ungluͤckliche Stelle beruͤhrte fiel (meine Mutter sagte dies mit vieler Theil- Theilnehmung) ihm das Amen zu rechter Zeit ein. Das Dorf welches das ab initio vor bravo! gehalten, hatte dem Herrn Can- didaten der aus Angst gewaltig geschwitzt, das Zeugnis beygelegt: lange keine so gute Predigt gehoͤrt zu haben. Ein andrer Candidat haͤtte aus Angst die Canzel verfehlt und anstatt beym lezten Wir glaͤuben all ’ auf die Canzel zu steigen, waͤr’ er gerade zu aus der Kirche gegangen. Mein lieber Herr Grosvater haͤtte also ex tempore seine Gemeine bewirthen muͤßen. Ein dritter haͤtte die vierte Bitte zweymal gebetet, woraus man geschlossen daß er zwey Magens haͤtte. Noch ein dritter haͤtte, und dies schien ihr die traurigste Begebenheit zu seyn das Vater unser nach der Predigt zu beten vergessen. Der arme Mann! Er hat keine Canzel weiter bestiegen. Dein lieber seeliger Grosvater rieth ihm zu einer andern ehrlichen Handthierung, indem derjenige, der vergaͤße das Vater unser auf der Can- zel zu beten, mit Zuverlaͤßigkeit es als ein Omen ansehen muͤßte, daß er nie mit Ruhm in den Priesterorden aufgenommen werden koͤnnte. Endlich Endlich waͤr’ es einem in der Predigt vorgekommen der Herr Pastor, der mit ihm in die Kirche gekommen, sey in ein Bildnis wie Loths Weib in eine Salzsaͤule verwan- delt. Die Geschichte verdient gelesen zu wer- den obgleich sie nicht in der Familie meiner Mutter sich begeben hat. Der Herr Pastor hatte sich bey lebendigem Leibe in Lebensgroͤße mahlen lassen, und dieses Bild war so getrof- fen als die Trauben des Zeuxis welche die Voͤgel luͤstern machten. Der Herr Pastor war da mit Leib und Seel. Damit ich meinen Lesern die Bemerckung meiner Mutter nicht verhalte; so kam die Ehre der Aenlichkeit nicht dem Kuͤnstler son- dern dem Herrn Pastor zu. Er hatte Et- was im Gesicht von Carl dem XII. und Martin Luther, die jeder Toͤpfer trift, wenn er sie auf den Teller hinwirft und die der liebe Gott mit einem besondern Gesicht aus- geruͤstet hat. Ich, sagte sie, moͤchte sie tref- fen obgleich ich nicht weis was ein i strich in der Mahlerey ist — Beym zweiten Theil faͤlt dieses Bild dem armen Candidaten ins Aug. Wer eine Pre- digt im Kopfe hat, und zum ersten mal pro candidatura sich hoͤren laͤßt, kann nicht alle M Ideen Ideen in ihre rechte Faͤcher bringen. Ein Duodez Baͤndchen kommt denn wol zum Fo- lianten zu stehen. Dem armen Mann komt’s vor er saͤhe ein Gesicht er wird bleich und mit den Worten Herr Pastor Herr Pastor Herr Pastor die immer schwaͤcher nach dem Grade der Ohnmacht werden, faͤlt er ruͤck- waͤrts von der Canzel. Doch Gottlob sezte sie hinzu ohne sich weiter am Leibe Schaden zu thun. Die Woche vor der letzten lies meine Mutter nach, ihre Gespensterhistoͤrchens zu erzaͤhlen. Ich wußte die Predigt ganz fertig und war gezwungen aus kindlicher Liebe wiewol gegen ein schoͤnes Stuͤck geraͤucherten rohen Schinken pro honorario gerad’ unter dem schon genug gepriesenen Bildnis das ich mit Ehren dem Himmel zugebracht, Probe zu halten. Dieser Ort war Kebla fuͤr meine Mut- ter. Nach meiner Meinung war dieses eine Goldprobe. Bin ich hier bewaͤhrt und komm ich in der Speisekammer nicht aus dem Con- cept wo mich der Geruch auf allerlei Dinge fuͤhret; wird es in der Kirche noch besser zum zum Amen kommen. Es gieng in der Spei- sekammer alles bis in den dritten Theil gut. Da warf der Wagen um. Meine Mutter fiel nicht mit ab initio ein; allein nach gluͤck- lich erreichtem Ende sagte sie mir im Ver- trauen daß mein Vater weit besser gethan haben wuͤrde es bey drey Theilen bewenden zu lassen. Er hat ja selbst sezte sie hinzu im vorigen ganzen Kirchenjahre nur ein ein- ziges mal vier Schuͤßeln oder Theile aufge- tragen. Indessen war der vierte Theil so wenig Schuld daran als ich mein Schnupf- tuch zur Huͤlfe nehmen und husten mußte, daß mich vielmehr der angenehme Rauchge- ruch aus der Fassung brachte. Ich besann mich bald wieder und meine Predigt kam in der Speisekammer mit vielem Beifall zum Ende. Meine Mutter hatte herzlich geweint. Wie ich die Suͤnder anredete mußte ich das Gesicht gegen die weiße Erbsen wenden (sie waren dieses Jahr sehr wurmstichig) So bald ich aber von diesen auf die Frommen kam, die ich in meiner Predigt meine Bruͤ- der nanndte mußt’ ich das Gesicht meiner Mutter zukehren welche anfaͤnglich durchaus verlangte ich solte auch meine Schwestern dazu setzen bis ich sie durch die heilige Schrift M 2 selbst selbst auf andere Gedancken brachte. Sie umarmete und seegnete mich wiewol wieder zweygliedrig mit beiden Haͤnden so daß jede Hand ein Seegensstuͤck sich zueignete. Die Zeit der Erndte ist vorhanden! sagte sie, weißt du noch was ich dir hier an dieser heiligen Staͤdte gewuͤnscht habe? Meine Ermahnun- gen sind auf ein gut Land gefallen — — Ueber diese Zuruͤckerinnerungen bey die- sem Erndtefest vergaß ich das Stuͤck rohen Schinken welches mir meine Mutter fuͤr diese Cabinetspredigt versprochen hatte. Sie selbst hatte bey der in der Speisekammer genosse- nen Seelenspeise den Leib ganz und gar ver- gessen. Ich habe indessen diese Schuldpost mit Zinsen vsque ad vltimum solutionis mo- mentum zuruͤckerhalten. Die ganze lezte Woche vor der Predigt wurde von meiner lieben Mutter so wie der heilige Abend vor einem der drey hohen Feste angesehen. Sie feyerte Weynachten, Ostern, Pfingsten meinetwegen auf einmal und alles gieng auf Zehen. Am Freytage fuͤhrte mich mein Va- ter zwischen zehn und eilf des Abends in die Kirche und setzte sich mit meiner Mutter, die eine kleine Laterne in der Hand hielt in seinen Beichtstuhl. Ich wurde durch diesen Schein der der Lampe in ein so so heiliges Feuer gesetzt, daß ich meine Predigt mit einer solchen Ruͤh- rung ablegte, als ich bey der ordentlichen Ablegung nicht empfand, bey welcher ich nur auf die Gesichtszuͤge dieses oder jenes merckte und insbesondere nicht vergaß auf Nr. 5. zu sehen, wo mein liebes Minchen saß. Im Vorbeygehen will ich bemercken, daß wenn gleich Minchen aufgehoͤrt hatte die koͤnigliche Prinzeßin und ich Alexander zu seyn, diese alte Liebe wiewol unter anderm Namen fortgelodert habe. Mein Vater war außerordentlich mit die- ser Predigtprobe zufrieden. Predige so lange du lebst mit einer solchen Ruͤhrung mit einem solchen Gott ergebenen Herzen sagt’ er so wirst du dir und denen nuͤtzlich werden, die dich hoͤren. Diese Probe in der Kirche war inzwischen so spaͤt sie auch anfing einem Paar Leuten aus unserm Dorfe nicht entgangen. Die Laterne in der Hand meiner Mutter hatte einen solchen Widerschein geworfen, daß in der ganzen Gemeine das Gerede ging, es wuͤrde sich ein bedeutender Todesfall ereig- nen, welches auch nach einer geraumen Zeit durch das Ableben eines Cavaliers unsers M 3 Kirch- Kirchspiels und der Frauen des alten Herrn in Erfuͤllung ging. Am Sonnabende vor der ersten Predigt war im Pastorat alles so feyerlich still, als es noch nie gewesen: meine Mutter sagte selbst „wie vor der Erschaffung der Welt„ Meine Mutter hatte die Lieblings Schuͤsseln auf den andern Tag fuͤr mich bestelt und ent- deckte mir wolbedaͤchtig schon Sonnabends am Huͤner oder Polterabend womit sie mich Sonntags erfreuen wuͤrde. Auch der liebe Gott setzte sie hinzu erfreut seine Kinder in dieser Welt mit leiblichen Gaben. Wer am ersten nach seinem Reiche trachtet, erhaͤlt diese Zugaben und empfaͤhet sie mit Danksa- gung und Wohlgefallen. Bald haͤtte ich einen Zug vergessen, der mir sehr ruͤhrend und eben so laͤcherlich vor- kam. Ungefehr um eilf Uhr in der Nacht auf den Sonntag da meine Mutter in der festen Meinung war ich sey schon eingeschla- fen; kam sie in meine Kammer, und nach- dem sie das Concept zu meiner Predigt sehr andaͤchtig aus der Bibel genommen legt’ sie’s mir unter’s Kopfkuͤssen, murmelte einige mir unverstaͤndliche Worte und ging davon. Schon war ich im Grif nach der Hand die- ser ser lieben Mutter, um sie zu druͤcken und zu kuͤssen. Ich konnte diese — ich will sie Brautnacht nennen nicht schlafen und war also ein Augenzeuge von diesem Vorgange wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein Ritzchen verriegelt hatte. Des Morgens erfuhr ich den Aufschluß dieser Ceremonie, die sich von der Schwester der Mutter meiner Mutter herschrieb, welche behauptet hatte daß das Concept unterm Kuͤs- sen sehr das Gedaͤchtnis staͤrcke. Ich glaub’s nicht fuͤgte meine Mutter hinzu indessen ist’s in der Familie beybehalten bis auf die vorige Nacht. Ich hielte meine Predigt mit erwuͤnsch- tem Gluͤcke, allein ohne Ruͤhrung, indem wie ich schon bemerkt habe mein Auge herum wanckte und bey N. 5. sich lagerte. Ich sahe ein was mein Vater oft zu be- haupten pflegte. Ein Geistlicher muß wie ein Vater zu seinen Kindern reden. Wenn er sich’s aufschreibt muß ers nicht der Ge- meine sondern seines Gedaͤchtnisses wegen thun. Auch ein Vater macht sich wol ein Promemoria wenn er viel mit seinem Sohne zu sprechen hat. M 4 Meine Meine Predigt nannt’ er eine Kirchen- chrie ein Exercitium und sehr richtig — Wer, pflegt’ er zu sagen, sich ein Gebet auswendig lernt, spottet Gott den Herrn. Entweder muß man gar nicht auf der Can- zel beten oder man bete nach der goͤttlichen Vorschrifft „ihr solt nicht viel plappern“ Sonst war mein Vater der Meinung daß junge Leute nicht eher die mindeste Ausarbei- tung machen solten, als bis sich ihre Seele entfalten koͤnne. In jedem Menschen sagt’ er liegen Zuruͤstungen und Triebfedern zu al- len Karacktern. Die erste Schrifft die ein junger Mensch entwirfft muß der Kupferstich seiner Seele seyn. Notabene der Kupfer- stich — Wer die Tropen und Figuren er- fand, erfand Masken fuͤr Diebe, Verraͤther, Moͤrder und Ehebrecher. Man schreibt sich jetzo nicht aus wenn man schreibt sondern man hat eine Vorschrifft — Auf die erste Predigt ist wenig von dem was ich gesagt ha- be zu deuten. Schwerlich wenn sie auch ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr erhellen als ob der junge Mensch zum Gesetz oder zum Evangelienprediger gedeihen werde. Meine Mutter haͤtte gern gesehen wenn ich ein Paar Verse nach muͤtterlicher Weise ein- eingewirckt haͤtte, allein es ging ihre Mei- nung nicht durch. Warum predigt man denn nicht mitten im Liede fragte mein Va- ter? Meine Mutter konnte nichts dage- gen singen. Alles was wuͤnschen konnte, wuͤnschte mir Gluͤck nur Minchen nicht diese ging aus N. 5. als ob sie nichts gehoͤrt haͤtte. Ihr Scherflein, ein verstohlner Blick galt aber mehr als alle uͤbrige klingende Muͤnze. Sie hatte mich nach dieser Predigt noch lieber als ehemals, ohne daß ich einsehen konnte was eine Predigt auf die Liebe fuͤr einen Ein- fluß haben koͤnne. Nach der Zeit erklaͤrt’ ich mir dieses Raͤthsel. Das Frauenzimmer liebt Leute die oͤffentlich reden und Geschaͤfte treiben: viel- leicht weil es Herzhaftigkeit verraͤth, viel- leicht weil die Ehre die auf den Verehrten faͤlt auf sie zuruͤckprallt. Kurz ich gewann bey Minchen . Ich hatte sie in der Predigt angesehen ich hatte Gott in der Kirche (so kam es ihr vielleicht vor) hiedurch zum Zeu- gen unsrer Liebe angerufen. Wir waren nur eine Seele vor der Predigt, nach der Predigt war ich der Mann ihrer Seele und sie das Weib der Meinigen. Im Kuͤssen ka- M 5 men men wir uns nach dieser Predigt oft auf dem halben Wege entgegen an mehr dachten wir beyde nicht — Der alte Herr wolte wieder mit einem Spruch bey meiner Mutter gut machen was er mit einem Spruch verdorben hatte. Man kann vom jungen Herrn versichert’ er nicht sagen was man vom Herrn Pastor in — sagte der die Gemeine von seinem Herrn Va- ter erbte und mit ihr des Vaters Concepte „Alles was der Vater hat ist sein, und von „dem Seinen wird er’s nehmen, und euch „verkuͤndigen.“ Meine Mutter sprach gleich nach einge- nommenem Mittagsmahl von Universitaͤten, allein mir schienen Universitaͤten ein sehr unnoͤthig Ding zu seyn. Ich wiederhohlt’ ihr das was mein Vater druͤber verkuͤndi- get hatte. Muͤssen denn alle Baͤume die ihr Haupt empor heben sollen ehe sie an Stelle und Ort kommen in einer Baumschule ihre Jahre stehen. Wo Gott und die Natur ist, da ist eine hohe Schule. Gott wohnet nicht in Tempeln mit Menschenhaͤnden gemacht nicht in Jerusalem, sondern in ihm leben weben und sind wir. Wer Wer leugnet daß auf Universitaͤten ge- schickte Maͤnner sind; allein ich glaube daß ein geschickter Mann sein Licht nicht blos auf der Universitaͤt leuchten lassen, sondern schrei- ben werde. Professor Sokrates schrieb nicht; allein, es schrieben andre fuͤr ihn und so bald ein Professor schreibt warum sollen wir hin ihn zu sehen? — Warum soll ich einen Geistlichen bitten die Predigt zu halten, die gedruckt ist? Ist’s wo damit ich reden hoͤre, kann ich denn nicht laut lesen? Da grif mich meine Mutter. Dein Va- ter und sein Wort in Ehren, nur in diesem Stuͤck hat er Grundsaͤtze, daß man beinahe glauben solte er waͤr’ auf keiner Universitaͤt gewesen. „Wolt Gott er waͤr’s nicht, denn in „Wahrheit er verdient so sehr Pastor zu seyn, „als die auf zehn gewesen sind.“ Alles gut, allein beim Hebraͤischen stehen die Ochsen am Berge. „Ein Conversus“ Sag mir nichts vom Conversus Gott leite den unsrigen auf meinen Instrucktionswe- gen! Besser waͤr’s fuͤr ihn gewesen wenn ich ihn schriftlich instruirt haͤtte. Was kann (um (um auf deinen Vater zuruͤck zu kommen) was kann, im Grund genommen und aus der Tiefe geschoͤpft, was kann ein Conversus? Muß man nicht in die Kirche obgleich Pre- digt Buͤcher feil sind? „Doch nicht jeder?“ nicht Jeder? „Nein“ nicht? „Der Prediger“ — Haͤtt ich meiner Mutter einen Augenblick Zeit bey dieser Antwort gelassen, waͤr’ ich verloren gewesen, allein ich erklaͤrte mich daß ein Prediger nicht hoͤrte sondern redete und mithin eigentlich nicht in der Kirche waͤre. Diese Erklaͤrung oͤfnet’ ihr viele Gele- genheit mich zu uͤberzeugen daß er erst sich und sodann andere zu bekehren zur Pflicht haͤtte wie er denn sich auch selbst hoͤrte im Fall er nemlich nicht taub waͤre. Ich oder eigentlich mein Vater fuhr fort „Es ist unmoͤglich in drey Jahren alles „zu lernen was funfzehn Professores wissen“ Wer sagt’s antwortete sie du solst nur erfah- ren wo du weiter nachschlagen kannst. „Das „Das sagt mir aber jedes Register“ — Das liest du in jedem Register wilst du sagen „und liebe Mutter! unsere junge Herren die „von Universitaͤten kommen? — —“ Alles Recht allein du solst ein Vorbild werden der Heerde — du hast Talente die muͤssen auf einer privilegirten Waage gewo- gen und das Gewicht durch ein beglaubtes Testimonium bezeichnet werden. Es wird in schoͤnem Latein gegeben — Die Talente brachten mich auf ein wei- tes Feld, ich sagte zwar nichts, was nicht mein Vater schon oͤfters gesagt hatte; ich sagt’ aber wovon ich uͤberzeugt war. Man klagt uͤberall uͤber Unterdruͤckung der Talente! und daß so viele Lichte unterm Scheffel blei- ben — „Glaub’s nicht„ pflegte der gute Mann zu sagen. „Wer ein recht Talent hat „brennt sich durch den Scheffel durch; dessen „Flamme so weit nicht reicht bleib’ unterm „Scheffel oder bleib’ im Lande und naͤhre „sich redlich.“ Muß denn wer ein Talent hat gleich ein Buch schreiben? Kann man nicht ein Talent haben und den Pflug fuͤh- ren? Ein Talent ist Hefen — Er macht daß daß sich der Teig hebt wenn er herein ge- legt wird — Protagoras der Tagloͤhner legt’ und band sein Holz so kuͤnstlich, daß er dem Democri- tus ins Auge fiel, der ihn die Wissenschaf- ten so legen und binden lehrte und so findet jeder Protagoras seinen Democritus, ob- gleich noch die Frage bleibt, hat Democri- tus dem Protagoras eine Last abgenommen oder aufgelegt? — Niemand als Minchen machte mich so beredt und da endlich meine Mutter mir ent- gegensetzte, daß wenn ich nicht auf Univer- sitaͤten gewesen ich nicht Pastor werden konn- te; kam ich auf andere Gedanken, und das (wie zuvor) auch Minchens wegen. Ich sahe wie ein Erleuchteter auf einmal alle Gruͤnde meiner Mutter ein und hatte keinen Zweifel mehr als den: Muß denn jeder in der Frem- de als Gesell arbeiten und wandren eh’ er Pastor wird? Diesen Zweifel loͤste mein Vater. Was er wieder die Universitaͤten gesagt hatte war vorm Brande geschehen. Jetzt war er zwar eben kein Apologist der hohen Schulen; denn so sehr konnt’ er nicht seinen Grund- Grundsaͤtzen untreu werden; allein er war der Meinung meiner Mutter, die ihn sehr bat mir andere Gedancken einzuaͤugen, die aber schon wirklich ohne daß es meine Mutter gemerkt hatte bey mir in Bluͤthe standen. Kinder sagte mein Vater solte man kei- nem Menschen anvertrauen der nicht auch Kinder hat oder gehabt hat, so wie man keine Hebamme anzunehmen pflegt die nicht weiß wie es einer Geseegneten zu Muthe sey. Wenn ich ja einem Arzt ein Ohr zuneigen solte, ich sage mit Fleiß ein Ohr obgleich ich Gottlob beide brauchen kann, muͤßt’ er selbst die Krankheit haben die er curiren will. In diesem Fall wird mir ein Hufschmid und eine entzahnte Matrone eben so willkommen als ein rother Mantel seyn. Seht da! warum ich dem alten Herrn der Schuster, Schneider und Toͤpfer ist, alle diese Handwercke auf Herz und Seele der ihm anvertrauten Jugend anzuwenden ge- statte. Sein Sohn Benjamin und seine Tochter Wilhelmine haben ihn examiniret und tuͤchtig befunden. Es sind gut gezoge- ne Kinder. Bey dem Worte Willhelmine zog ich mein Schnupftuch aus der Tasche ohn sonst zu zu wissen warum als des Namens Willhel- mine wegen. Man muß alles von sich anfangen. Selbst wenn die Schulgelehrten die Existenz Gottes beweisen wollen — Schand ist’s zu sagen daß sie’s wollen — fangen sie von sich an: ich bin sagen sie, also ist auch Gott der Herr. Es sind gewisse Geheimnisse, wel- che die Natur obschon der Kunst viel verra- then worden doch fuͤr sich behaͤlt, und dahin gehoͤrt die Kinderzucht. Man wird in die- ses Geheimnis allein durch die Vaterschaft initiiret. Ich glaub’ es steif und fest, daß jeder Vater waͤr’s gleich ein Buͤrstenbinder und jede Mutter waͤr’s gleich eine Buͤrsten- binderin, ihre Kinder erziehen koͤnnen und es also nicht noͤthig haben anderen Unterricht fuͤr die kleinen Buͤrstenbinderchen in einem oͤffentlichen Laden zu kauffen. Wie solte wol die Natur so ungerecht seyn das groͤßere zu geben und das kleinere zu versagen? Du weist Alexander, was dein Vetter der große Summus Alexander (an diese Vetterschaft hatt’ er lang nicht gedacht) seinem Lehrer dem Summus Aristoteles fuͤr ein Compliment machte, im rechten Sinn ein Compliment: Er haͤtt’ ihm mehr als seinem Vater Philipp zu zu dancken. Sobald Alexanderbleiben wolte was sein Vater war hatt’ er unrecht; wolt’ er aber die Grenzen seines Reichs erweitern und nicht Buͤrstenbinder bleiben setzte meine Mutter hinzu hatt’ er recht. Da liegt der Grund von dem Lehn der Erziehung. Der Vater der aus seinem Sohn mehr machen will als er selbst ist muß freilich einen andern Weg einschlagen: Indessen solte dieser andre Weg keinem Vater verstattet seyn, der nicht Alexanders zu Kindern und Aristoteles zu Leh- rern aufweisen koͤnnte. In diesem Fall muͤßte aller Beispiele vom Gegentheil uner- achtet, die Jugend, die Gnadenzeit, der Morgen, nicht versaͤumet werden. Der Staat braucht viel Haͤnde, aber wenig Koͤpfe. Ein politischer Kannengießer ist ein schlechter Kannengießer und ein schlech- ter Buͤrgermeister; die Kenntnisse des ge- meinen Mannes muͤssen bey der Hand bleiben und nicht bis zum Kopf kommen. Wer dem Menschen das Dencken nehmen will setzt ihn herab. Dencken kannst du, du kannst dencken, das Gruͤblen das weiter Hinausdenken als vier und zwanzig Stunden, zwoͤlf in die Laͤnge und zwoͤlf in die Breite, ist dem Menschen schaͤdlich und Tint und Feder Papier und N Presse Presse sind eben solche Verhehrer des mensch- lichen Geschlechts als Bomben Kartetschen und Pulver und Schrot und Buͤchsen und Saͤbel — Mein lieber Vater war uͤber diesen Ge- genstand ein Verschwender er gab ohnge- zaͤhlt — ich will bedachtsamer zu Wercke schreiten und mit geitziger Kuͤrze nur Etwas von seinen Grundsaͤtzen ausgeben. Der Himmel gaͤbe, daß es lauter seltene Schau- stuͤcke waͤren, ich wuͤrd sie meinen Lesern herzlich goͤnnen. Daß jeder Kinderlehrer geheyrathet seyn muͤße wissen wir schon. Man hat sagt’ er lang auf Verbesserung der niedern Schulen gedacht und freilich muͤßen diese eher verbes- sert werden als hohe wo du mein Sohn dein Heil versuchen solst: allein man solte noch eine Stuffe herunter treten und mit der Ver- besserung der Muͤtter dieses gute Werck an- heben. Man solte Toͤchter ziehen ehe man noch an Soͤhne kommt. Jetzt ist die Erzie- hung, wenn man an die Maͤnner appelliret gemeinhin schon in der ersten Instanz von unwissenden und ungeschickten Sachwaltern verdorben und die Kur einer von der Mutter verfaͤlschten Seele — Was in so vielen Ge- nera- nerationen verdorben ist muß wieder allmaͤh- lig verbeßert und zu seinem anfaͤnglichen We- sen gebracht werden. Desperate Mittel sind eben so viel gewiße Morde. Bliebe der Mensch blos Mensch er muͤßte sehr alt werden und beinah unsterblich seyn. Jetzt aber da ihn die Vernunft verleitet von der Landstrasse bald zur Rechten bald zur Linken abzuweichen und theils seinem Leibe theils seiner Seele zu viel zu thun, faͤlt er eher wie ein wurmstichiger Apfel ab: Er hat einen Wurm der ihn zehrt — Den rechten Weg abzustecken und auf dessen Erhaltung zu sehen waͤre die Pflicht der Gelehrten. Sie solten Wegcommissairs fuͤr das menschliche Geschlecht seyn. Wer einmal den rechten Weg verschlaͤg kommt im- mer weiter vom Ziel. Ein Vater kann mehr als ein Kind ha- ben und ein Lehrer mehr als einen Schuͤler; allein seht euch nur um. Der von zehn Jah- ren ist eben so weit als der von fuͤnfen. Man kann den Privatunterricht nicht verachten. Schulen haben ihr Gutes; der Privatunterricht der der Natur naͤher ver- wandt zu seyn scheint auch. Elementarbuͤcher sind sehr gut, allein ein Elementarlehrer ist noch besser. Fuͤr wen N 2 sollen sollen Elementarbuͤcher geschrieben werden? fuͤr Genies oder fuͤr Mittelmaͤßige oder fuͤr Marode? Will man sie fuͤr Mittelmaͤßige schreiben um die Mittelstraße nicht zu ver- fehlen auf der viele wandein; leiden andere die den schmalen Weg anzutreten Herz haben und die enge Pforte nicht scheuen weil sie zum Leben fuͤhrt. Die Bibel ist das einzige Buch das fuͤr alle Menschen paßt, ein goͤtt- liches Elementarbuch — Ein poetischer Kopf darf nur vieles durch bildern von allem nimmt er Zoll. In der ganzen Natur schreibt er Schatzung aus. Er befindet sich in den Wissenschaften auf Rei- sen, wo ihn oft was aufhaͤlt worauf der Eingebohrne, das Landeskind, der Philo- soph, nicht kommt. Ein denkender Kopf weiß weniger allein seine Aecker kennt er auf ein Haar. Er thut wenn ich so sagen darf, was der Dichter weiß . Ein großer Kopf ist eine Mischung von beyden. Seelig sind die wissen! Seeliger die thun! und am see- ligsten die wissen und thun! So viel Koͤpfe so viel Sinnen so viel Alexanders so viel Wel- ten, so viel Planeten so viel Bahnen, so viel Genies so viel Methoden — Es Es ist unerhoͤrt daß unsere Schulhalter lauter Geistliche sind. Sehr klug fuͤr die Geistlichen besonders in der monarchischen Kirche — Unsere Knaben werden alle erzo- gen, als ob sie Schulmaͤnner werden sol- len, unsere Toͤchter wenns koͤstlich gewesen als Mamsels (als franzoͤsische Hofmeiste- rinnen.) Jedes Mitglied des Staats muß sein Votum haben, wenn eine algemeine Schul- anstalt im Staat erbaut werden soll. Bey Toͤchtern duͤrfen nur drey ganz gewoͤhnliche Weiber votiren. Diese Weiber muͤßen ge- sund seyn, jede einen Sohn und eine Toch- ter haben auch NB . jede nur einen Mann. Juͤnglinge haben viele Zwecke. Maͤdchen nur den: Weiber und Muͤtter zu werden. Ein gut Weib ist auch immer eine gute Mutter. Schul und Welt ist jetzt zweyerley. Schulbegriffe sind mit einem Worte solche denen die Erfahrung widerspricht. In der Schule sind Worte. Sachen, Nadel und Zwirn sind ein Kleid, Mittel ist der Endzweck. Schullehrer! bleibt nicht auf der Banck mit euren Schuͤlern, sondern zieht mit ihnen in die freye Luft der Natur, werdet Peripa- N 3 teti- teticker. Lehret sie im Angesichte Gottes — oder laßt sie nur herum gehen; die Natur selbst wird sie besser unterweisen als ihr, wenn ihr Gottes Wetter nicht ertragen koͤnnet. Die Gabe zu unterrichten (donum do- cendi) hat jeder Mensch. Wer durch die rechte Thuͤr gekommen ist wird auch wieder durch die rechte Thuͤr heraus finden. Wer eine Treppe in die Hoͤhe steigen kann wird sie auch herabsteigen. Berg ab ist im- mer leichter. Wer eine Sache halb weiß kann nur ein Viertheil beybringen. Wer nur ein Viertheil weiß ist ein Miethling — Je laͤnger ich studire je kuͤrzer ist die Predigt. Bedenckt den Haufen Holz und Stein und Ziegel und Dachpfannen und Glaß und Kalck und tausenderley, eh’ es ein Hauß wird. Steht das Hauß: alles hat sechzig Fuß in die Laͤnge und dreyßig Fuß in die Breite, Raum. Je schoͤner aber die Rede, desto weniger behaͤlst du. Das Gedaͤchtnis hat keine Zeit anzuhalten, keine Ruhe. So was schoͤnes kann nur die Kunst machen wo kein Punkt kein Comma kein Semicolon ist. In der Natur hat die Sonne selbst Flecken. Ein Dich- Dichter hat das kleinste Donum docendi setze ihn auf einen Lehrstuhl auf welchen du wilst. Er wirft Strahlen allein die meiste Zeit ist er umwoͤlckt. Aratus hat ein beruͤhmtes Gedicht uͤber die Astronomie geschrieben, ohne daß er sie verstand. Er wuͤrde kein Gedicht wenigstens kein beruͤhmtes daruͤber geschrie- ben haben wenn er sie verstanden haͤtte. So nachlaͤßig der Anzug eines Dichters ist; so sieht’s auch mit seinem Wissen aus. Da fehlt ein Hemdeknoͤpfchen da hat das Kleid einen Coffeeflecken und an den Beinkleidern fehlt vorzuͤglich bei jedem Dichter was. Bitt’ ihn sein Stubenfenster zu zumachen; er rie- gelt nichts zu, er zieht nur an. Es ist kein gemeines sondern ein heiliges Dunckel so den Dichter umgiebt. Eine schoͤne Daͤmmerung und nach Bewandnis der Umstaͤnde Morgen oder Abend — Wer vielerley weiß ist biegsam wer einer- ley weiß ist stolz. Jener sieht ein, wie viel ihm fehlt, dieser ist ein Hahn auf dem Miste. Haben wir mehr Wege zur Seele als Empfindung und Reflexion? Wer dies die hohe und jenes die untere Schule nennt hat sich uͤbel erklaͤret. N 4 Das Das Wohlfeile das Schlechte dieser Er- ziehungsanstalten meines Vaters ist, mich duͤnkt, sehr auffallend: es sind alles Haus- mittel, fimplicia . Allein bey alle dem lieber Vater ist dies nichts mehr als eine gute Unterlage. Noch bist du nicht immatriculirt und meine Leser haben von Mutterleibe ausgehen muͤßen um endlich anf die Boͤrse der Gelehrsamkeit zu kommen wo der Cours ein ℔. vls bestimmet und Ducaten und harte Thaler nach der Zahl der Liebhaber gewuͤrdiget werden. Die Her- ren Geistlichen machen sich in jeder Predigt eine kleine Bewegung vom Paradiese aus und keichen dahero gemeinhin wenn sie an die Her- zen ihrer lieben Gemeine anklopfen. Wenn mein Vater nur nicht keicht anstatt, daß er von der Leber wegreden solte. Den Stand der Unschuld, den Stand der Suͤnden, den Stand der Gnaden und den Stand der Herr- lichkeit wollen wir ihm verzeihen. Die Academien mein Sohn (Gottlob Land!) sind gut und nicht gut so wie alles in der Welt. Niemand ist gut als der einige Gott. Die Academie ist das, was bey den Zuͤnf- ten und Handwerckern die Fremde ist. Ich Ich habe nie, das weißt du, der Aca- demie gejubelt und Lobopfer gebracht; allein auch nie hab’ ich mich wider sie durch eine niedergelegte Ackte verwahret. Die Wahr- heit zugestehen wolt’ ich mit dir anfaͤnglich zum andern Thor hinaus. Es hat große Leute auf Academien gegeben obgleich Newton ein Muͤnzmeister, Copernikus ein Domherr, und Leibnitz ein Hofmann war — — Mein Vater warf die Frage auf wer auf der Universitaͤt den kuͤrzern ziehet der Lehrling? oder der Lehrer? allein wenn er gleich uͤber den Lehrer laͤnger als uͤber den Schuͤler den Kopf schuͤttelte, so sah’ er doch auf den Schuͤler in Seelen und in Leibesge- fahr. Professores sind damit ihn meine Le- ser wieder selbst hoͤren Sclaven die an Zei- chen, Zeiten, Tage und Jahre gebunden sind. Es sind Koͤrper in der gelehrten Welt die nicht ihr eigen Licht haben sondern die viel- mehr ihr Licht gemeinhin von dem Vivat junger rohen Leute erhalten, Koͤrper die alle halbe Jahre ihren Lauf unseelig vollenden, Uhren die in Ostern und Michael ausgestaͤubt werden. Professores sind stehende Waͤsser die faul werden. Ich will es wie ich schon oft gethan kuͤrzen, wenn auch der Zusammen- N 5 hang hang dabey ein Paar Grane einbuͤßt. Ein academischer Lehrer muß, wenn er seine Kennt- niße gut verzinsen will, marcktschreien, und durch eine Universalpille die Leute an seine Bude locken. Die meisten haben ein Arca- num ein Mysterium das sie empfiehlet wovon sie zwey Drittheil alle halbe Jahr fuͤr sechs bis acht Thaler schwer Geld verhandlen ein Drittheil behalten sie noch zuruͤck. Man erfaͤhrt also das ganze nicht eher, als bis es im Druck erscheinet und siehe da! kein Mensch findet das was der Professor fand. Es ist ein gewoͤhnliches Compendium. Weiß ein Professor nur einerley ist er ein Pedant. Seine Wissenschaft ist der Despot der uͤber ihn herscht. Weiß er, (und dies ist gemeinhin der Fall, weil er mit seinen Herren Amtsbruͤdern oft eine Lanze brechen muß) mehr; ists blos so so. Das wenigste ist Wissenschaft, was wir haben, das meißt’ ist Muthmassung, Weg, den man gehen muß um zur Wissenschaft zu gelangen. Es geht mit den Wissenschaften wie mit der Liebe: Die verstohlne ist die angenehmste. Das Handwerk wird einem Jeden so gelaͤufig daß er auf keine Erfindung kommen kann. Per aspera ad astra . Wuͤrden die Professores blos blos von regierenden Herren bezahlt werden; so duͤrften die Wissenschaften zwar gewinnen, allein die Lehrlinge wuͤrden alles verlieren. Wie die Nonne den Psalter singt wuͤrd gele- sen werden. Die Lehrer wuͤrden nur auf das dencken was gedruckt werden soll. Jezt aber die Metaphysik fuͤr wenige Thaler kau- fen ist unschicklich. Ein Professor der ein Autor ist, und wer ist nicht beides? haͤlt es nicht der Muͤhe werth junge Leute zu unter- richten. Die Welt ist sein Auditorium und da sitzen Kayser Koͤnige Fuͤrsten u. s. w. auf den Baͤncken. Ein Autor ist ein so stolzes Ding daß er mit dem ganzen menschlichen Geschlechte spricht. Ein Professor spickt (lardirt) seinen Vor- trag. Er ist oft gezwungen uͤber gesunde Speisen ungesunde und unschmackhafte Bruͤ- hen zu guͤßen — und dem academischen Juͤngling! was legt sich nicht in den Weg ihn zu stoͤren! da ist ein Staͤndchen zu bringen! da kommt ein Landsmann! da hat er sich zu schlagen, da dem Professor der die Privilegien schmaͤhlern will die Fenster einzuschlagen — Die Frei- heit ist ihm der Weg zur Ungezogenheit. Seine Mitbruͤder ersticken bey ihm den Trieb sich empor empor zu arbeiten. Will er ein ehrlicher Landsmann seyn muß er wie der Haufen nichts lernen. Es sind kleine Hoͤfe auf den deutschen hohen Schulen errichtet der Prinz der Reichsgraf halten sich Cammerherren Stallmeister Hofmarschaͤlle u. s. w. Auf Universitaͤten sagt dir jeder Lehrer nicht was du zu wissen noͤthig hast, sondern was er weiß. Da lernst du den Werth der Wissenschaft nicht von dem der sie vortraͤgt sondern von seinem Nachbar einem andern Professor der sie verachtet. Erinnerst du dich was der Herr Candi- dat — von einem benachbarten Koͤnige er- zaͤhlte der seinen Professor der Moral, selbst pruͤfte. Herr sagt’ er moralisir’ er mir was vor, damit ich seh’ ob er was weiß . Ich fand hier viel richtiges gesagt, und noch eins auf den Weg von einem Professor der Mo- ral, der durch seinen Wandel seine Lehren mit Gift hinrichtete. Was hoͤr ich von ihm? sagte der dirigirende Minister dieser hohen Schule „Verzeihen Ew. Excellenz ich bin nur extraordinarius„ Diese Rede wiederrief nun zwar mein Vater nicht; indessen lenckt’ er jetzo alles zum Besten, Besten, da er wie er sich ausdruͤckte durch ein ander Thor mit mir hinaus wolte. Es muß sagt’ er eine Zeit seyn wo man einsehen lernt was man nicht weiß, und kein besserer Ort dazu ist als eine hohe Schule. Ein Professor kann wenn er seine Wissenschaft nicht bis zum Handwerck treibt und sie zu- weilen ein Jahr ruhen laͤßt unendlich weit kommen. Diese Wissenschaft ist eine liebe Frau die man nach einem Jahre Entfernung wieder in seinen Arm schließt da ist’s als wuͤrde man aufs neue copulirt. Ein Pro- fessor siehet ob seine Saat gut sey vor sich er lernt eine Bewirthschaftung guter Koͤpfe, und wird ein Finanzier in der Gelehrsamkeit. Wer hat mehr Gelegenheit Proben zu ma- chen als er? und seine Begriffe bis zum An- schauen deutlich; wer seine Wissenschaft mehr unuͤberwindlich zu machen als er? Durch alle fuͤnf Species der Rechenkunst rechnet er seine Wissenschaft durch. Der Glaube kommt durch die Predigt. Steht er Professor hoch im Cours so bringt er auch seine Wissenschaft in den nemlichen Werth. Er erleuchtet eine ganze Provinz und macht daß man seinen Namen annimmt z. E. Wolfianer. Ein wuͤrdiger Professor hoͤrt sich in wohlgerathe- nen nen Schuͤlern von der Kanzel, liest sich im Urtheil findet sich am Krankenbette — Er ist in einer bestaͤndigen Waͤrme, wenn andere Gelehrte durch ihren Beruf sich erkaͤl- ten und Muͤhe haben wieder in gelehrte Tran- spiration zu kommen Auch die Alten hatten ihre Schulen und so wie Kirchen gut sind obgleich Gott uͤberall ist so sind Academien nicht zu verwerfen. Wo habt ihrs denn her, daß ihr so gelehrt auf Academien schelten koͤnnt, wie ihrs thut? Beynahe koͤnnte man sagen: die Deutschen waͤren Universitaͤts oder academische Koͤpfe. Warum wolt ihr eure Mutter verachten weil sie nicht so gut gekleidet gehet als eure junge Fran ? Ist denn der Wetteifer nichts wozu man auf Academien Gelegenheit hat? In der Schule locirt der Herr Praͤcep- tor auf der Academie locirt ihr euch selbst. Es giebt auf Universitaͤten Gelegenheit ohn’ ein beschwerliches Lexicon in die Hand zu nehmen und den Buchstaben und Zahl nachzuschlagen, gleich zu lernen was man nicht weiß. Ein Wort das oft ein Lehrer im heiligen Enthusiasm verlohr das heißt das er sagte ohne es beynah zu wißen — gewis gewis aber ohn’ es zu behalten, ein solches Wort faͤlt nicht auf die Erde. Der Juͤng- ling faßt es: Aus dem Meeresschaum wird eine Venus . Eine Universitaͤt ist ein gewisses ganzes der Gelehrsamkeit, eine Messe wo man nicht an den Stadtkraͤmer gebunden ist, wiewol es auch hier offt heißt: wenn die Narren zu Marckt kommen freuen sich die Kaufleute. Freilich kann man Meister werden ohne gereiset zu seyn allein wer achtet einen Mei- ster der nicht Certificate von fremden Laͤn- dern aufweisen kann. Die bekannte Avthen- tica habita Cod. ne filius pro patre welche sich vom roͤmischen Kaͤiser Friedrich herschreibet saget ausdruͤcklich omnibus qui caussa studio- rum peregrinantur Scholaribus \& maxime diuinarum atque sacrarum legum professori- bus hoc nostræ pietatis beneficium indulge- mus . Was ist das ? fragte meine Mutter auf Luthers Art, und mein Vater antwor- tete dies Privilegium kommt nur gelehrten Wandersburschen zu. Gott gleite sie sagte meine Mutter und bringe sie gesund zu den lieben Ihrigen. Man hat dahero auch den gelehrten Zwei- fel aufgeworfen fuhr mein Vater fort ob die- jenige jenige welche auf einer Universitaͤt gebohren werden sich dieses Privilegiums zu erfreuen haͤtten? und ob auch Lehrer hierunter zu begreifen die nicht diuinarum atque sacrarum legum Professores waͤren, allein man ist der gelehrten Meinung ad eins gewesen, daß alsdenn die Reise aus Mutterleibe unter den Worten qui caussa studiorum peregrinantur zu verstehen sey wenn man auf einer hohen Schule gebohren wuͤrde wie denn ein Pro- fessor aller Facultaͤten wenn gleich er hauß- saͤßig ist, jedennoch schon darum unter dem Privilegio Raum hat weil er mit seinen Ge- dancken in die kreutz und in die quer verrei- set und immer, er sey auch Docktor aller Facultaͤten, ein Scholaris bleibt. Das Wort maxime entscheidet ad zwey die gegebene aca- demische Frage so deutlich als moͤglich — Alles dieses mein Kind sind academische Gedanken und kann ich dir einen Commen- tarius Auctore Helfrico Vlrico HUNNIO doctore \& in Jnclyta Academia Giessena Juris Professore publico \& ordinario in die Hand spielen woraus du dir eine Reisekarte zu zeichnen im Stande seyn wirst — Hier eine große Luͤcke. Meine Leser werden die andere von selbst bemerkt haben. So So viel noch hinzu. Meine Mutter traute dem Panegyrikus meines Vaters auf den Universitaͤten in vsum Delphini nicht ganz. Sie merkt’ es ihm ab daß er seine Zweifel nicht voͤllig los werden konnte. Plato hat wie erzaͤhlt wird die Schrif- ten des Comoͤdienschreibers Aristophanes ge- liebt und da er gestorben war fand man noch im Bette die Schriften dieses gekroͤnten Co- moͤdienschreibers, der sich mit Sokrates wie ein Paar Professors und ein Paar bekandte Hausthiere vertrugen. Dies ist genug zur Bertheidigung meines Vaters bey seinen Seitenblicken — Academie (mein Vater laͤßt sich verneh- men) hieß der Ort wo Plato seine Philosophie lehrte, die so schoͤn war als der arcadische Garten dieses Unsterblichen. Waͤr’s auch nur seinet und des alten Herkommens hal- ber, muͤßt’ man Universitaͤten besuchen Solte nicht, sagte meine Mutter die mit dem alten Herkommen und dem Plato noch bey weitem nicht zufrieden war, solte nicht da Adam und Eva doch wuͤrklich rele- girt wurden, schon das Paradies die erste Academie? — O und und die Schlange und der Seraph mit dem bloßen Schwerdte? fragt’ ich liebe Mutter? Wenigstens versetzte sie war doch Eli Sa- muels Profeßor und Gamaliel des Paulus und die Prophetenkinder Studenten. Und Stephanus fiel mein Vater ein voll Glau- bens und Kraͤfte that Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Da stunden etli- che auf von der Schule die da heißet der Libertiner und der Cyrener und der Alexan- drier und derer die aus Cicilia und Asia wa- ren und befragten sich mit Stephand und sie vermochten nicht bey dieser Inauguraldispu- tation widerzustehen der Weisheit und dem Geiste der da redete — Meine Mutter war außer sich uͤber die- sen Text nur die Alexandrier haͤtte sie gern relegirt. Die gute Mutter! Sey ein Ste- phanier, sagte sie, lieber Sohn ein Ste- phanier — Mein Vater kettete seine Stammtafel der hohen Schulen von den Griechen und Roͤmern an, bis auf die gegenwaͤrtige Zeit zusammen und ward diese academische Stunde von Seiten meiner Mutter mit der Bemer- kung beschlossen daß ihres Wissens kein Dock- tor Theologiaͤ curisches Brod gegessen es muͤßte muͤßte denn einer von den Herren Einhorns diese Wuͤrde incognito gehabt und aus heili- ger Demuth sie verschwiegen gehalten haben. Mein Vater erklaͤrte beilaͤufig nach seiner Weise die adlichen Rechte die den Docktori- bus zustuͤnden; so wie den Literatis (meine Mutter verstand ihren Casum ) sagte meine Mutter in Cur- land. Sie behauptete es sey gleichviel adlich behandelt werden und adlich seyn; allein ich sag- te koͤniglich Essen liebe Mutter und Koͤnig seyn ist zweyerley und mein Vater war zum Bedruck meiner Mutter unerschoͤpflich uͤber die Ehre des Adels. Er erklaͤrte was vierschildig sey, und ließ so viel auf der Ritterbanck und an der Ehrenta- fel sitzen und in den deutschen, Marianischen, und Johannis und Maltheserorden und in hoch und andre adliche Stifte aufnehmen und die Grandes vor dem Koͤnige von Spa- nien den Hut aufsetzen, bis meine Mutter zu Curlands Ehren behauptete, daß der Herzog beym Lehn sich auch einige Augen- blicke bedecken koͤnnte wenn er wolte — Laß den Braunen satlen sagte mein Va- ter um nach — zu reiten. Es sind zehn Jahre, daß ich den Herren v. G ‒ ‒ nicht gesprochen habe. Meine Schuld ist es nicht O 2 und und die Seinige das hoff ich auch nicht. Die Zeit wird ans Licht bringen was noch im Finstern verborgen ist. Herr v. G ‒ ‒ will, daß du mit seinem Sohne der auch reisefer- tig und Universitaͤtsreif ist diese Reise unter- nehmen sollst. Der alte Herr ist der Maͤck- ler in dieser Sache gewesen. In acht Tagen bist du vielleicht nicht mehr in dieser Huͤtte — Pastorat sagte meine Mutter: Deine Waͤsche ist bereitet setzte sie hinzu. Sechs Dutzend Oberhemde, sechs Dutzend Unter- hemde zwey Dutzend fuͤr Sonntag ein halb Dutzend fuͤr hohe Feste. Meine Mutter re- gistrirte noch mancherley was fuͤr mich be- reitet waͤre; allein mein Vater blieb bey den Hemden stehen, auf die meine Mutter gleich- fals einen besondern Accent legte. Sie dach- te sich die weißen Kleider unter dieser Hiero- gliphe, womit wir im Himmel angethan seyn wuͤrden. Was meinen Vater zum Still- stande vermochte war Etwas Irrdisches. So viel Hemde sagt’ er haben zwoͤlf Prinzen von Hause nicht. Je vornehmer der Mann je schlechter die Hemde fuhr er fort, im mo- narchischen Staate, wo man nur auf das was vor Augen ist sieht. In der Schweitz in Holland Holland in England feine Waͤsche und je vor- nehmer der Mann je feiner. Wo ein Ty- rann, wo ein Despot herrscht, will ich das Hemde nicht sehen. Die Menschen achten ihren Leib nicht, der ihnen nicht zugehoͤrt. Je naͤher auf den Leib im monarchischen Staate, je schlechter der Anzug. Fuͤr einen Despoten ist ein grobes Isabellenhemde gut genug. — Also Sonntags und Montags Hemde liebe Mutter und wie Gott will Sterbhemde und Prophetenkinderhemde nur eins (das wett ich) nicht — ein Brauthemde — Da bin ich eben wo ich seyn muß um meinen Lesern den Schluͤßel zur academischen Ehrenpforte und zum Stall des Braunen getreulich einzuhaͤndigen. Ein Schluͤßel oͤf- net alles — die Eltern eilen gemeinhin mit ihren Soͤhnen aus dem Hause so bald die Natur die Fabel vom Storch widerlegt. Ich will es nicht ausmitteln in wie weit es gut sey Kinder der Natur in diesem Stuͤck an- heim zu geben um die Frage unbeantwortet zur rechten Hand liegen zu lassen ob es Kin- der ins Treibhaus bringen heiße wenn man ihnen im zartesten Alter dies Storchgeheimnis erklaͤrt, und sie so altklug macht, daß sie O 3 selbst selbst die Natur wenn sie sich zum Belehren meldet, belehren, und mit ihr disputiren koͤn- nen. Vom Blattern inoculiren haben wir guten Erfolg: Hier muͤßte auch Erfahrung entscheiden. So viel dient nur hier zu Sache daß Eltern so bald sie den Sohn vaterfaͤhig hal- ten ihm eine gluͤckliche Reise anwuͤnschen recht als ob sie ihm eine Befugnis zur beson- dern Oekonomie in optima juris forma be- willigten. Sie besorgen die Soͤhne wollen sich an ihrem Hause einen Fluͤgel anbauen laßen, und sehen es gerne wenn der Sohn reich heyrathet, dieses letzte eben darum war- um viele Leute kein Testament machen. Hier ist der Belag zu diesem Eingange. Meine Mutter war nach meiner Kranck- heit zuweilen die dritte Person, wenn ich mit Minchen allein zu seyn Lust hatte. Die Lie- benden wenn sie lieben, glauben insgemein, es wuͤßte Niemand, daß geliebt wuͤrde, und offt siehts alle Welt. Sie bilden sich ein, ihre Liebe sey die einzige in ihrer Art, da aber jeder die nehmliche Methode hat, und Adam selbst mit den Augen die erste Anwer- bung gethan; so schlaͤft der Verraͤther nicht ‒ Meine Mutter merckte, mein Vater merckte ‒ beide beide sagten mir aber kein Wort: Meine Mut- ter weil sie es fuͤr unmoͤglich hielt daß die Liebe des Sohns eines Literatus des Anverwandten Paul Einhorns und Alexander Einhorns des zweyten curschen Superintendenten Wurzel fassen koͤnne wenn er die Tochter eines Toͤpfers der zugleich Schuster und Schneider ist, liebt. Mein Vater weil er wegzusehen sich ver- pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein gaͤnzliches kindliches Vertrauen; Minchen nahm er aus. Wie richtig ist Regel und Ausnahme! kann man nicht das Recht ler- nen ehe man Recht spricht. Lehrt Eltern eure Kinder waͤhlen, eh die Natur sie lieben lehrt. Es ist eine unuͤberdachte Behauptung, daß Soͤhne kein Geheimnis (die Liebe nicht ausgenommen) vor ihren Eltern haben sol- len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt seinen Soͤhnen im Luͤgen Unterricht. Der Sohn der fuͤhlt er koͤnne Vater werden ist von der Natur emancipirt, er hat in die- sem Stuͤck keinen Vater mehr. Toͤchter be- halten Vater und Mutter bis sie einem zu- Theil werden, dem sie als ein heiliges De- pot uͤberliefert werden muͤßen. Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit Minchen in ein benachbartes Waͤldchen spa- O 4 ziren ziren zu gehen und nichts war mir angeneh- mer als wenn ihre natuͤrlich schoͤne Stimme die Nachtigallen zum Concert aufforderte und wenn sie von den Voͤgeln des Himmels accompagniret wurde. Haͤtte sie bey einem Italiener Stunden genommen; keine Nach- tigall haͤtte sich mit ihr eingelassen. Jetzt sang die ganze Natur mit, weil sich gleich und gleich gesellte und ihr Gesang Natur war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie war mein. Mein Auge sagte laut Ewig mein und das ihrige antwortete Ewig dein ‒ In dieser Stellung und waͤhrend diesem Au- gengespraͤch und dem Concert das die Natur dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz. Ich hatt’ ihn sonst nie in diesem Waͤldchen begegnet. Mich zu belauschen hatt’ er nicht angelegt, das weiß ich. Da stunden wir und sahen uns an. Lang hielt ich meinen Arm wie um ihren Hals. Sie zog sich aus der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm noch immer in der Hoͤhe als ob er ihren Hals haͤtte, und sie — die der liebe Gott so him- melan gebildet hatte stand wie mich duͤnckt noch immer so von der Seite so uͤbergebogen so angeschmiegt als ob sie noch nicht auf freiem Fuß waͤre; oder als ob sie sich nach mir mir geformt haͤtte — Wie ich endlich mei- nen Arm fallen ließ war’s mir als wenn die Welt fiel, so angst war mir. Wie ihr gewe- sen da sie wieder ins gerade Geleise kam, konnte sie nie angeben. Wir armen Kinder der Natur! Ich sehe ein wie’s dem Adam zu Muth gewesen da er zum erstenmal inne worden, er sey nackt. Wer nicht empfin- den kann was Minchen und ich empfunden, thue mir den Gefallen und lese nicht weiter ‒ Ich glaub’ ich werde den Eindruck nie ver- lieren, und hab’ ich ihn gleich nach der Zeit nicht so starck empfunden; war es mir doch so oft ich daran gedachte, als staͤnd’ ich mit Minchen im Waͤldchen — Ich empfands, die Nachtigallen schwiegen, und alles was eben wachsen wolte machte Stillstand und sah uns an — Mein Vater war in der nemli- chen Verlegenheit und hielt mit uns voͤllig das Gleichgewicht. Entweder wolt’ er sich heraushelfen oder er wußte nicht was er sagte. Ist der Herr Vater nicht hier? wendete er sich zu Minchen und sie „Nein er ist auch nicht hier gewesen„ kann was unschuldigeres auf die Frage ist der Herr Vater nicht hier? geantwortet werden? als nein er ist auch nicht hier gewesen. Das war kein Feigen- O 5 blatt blad zur Schuͤrze! O Minchen! Minchen welche eine Suͤßigkeit ist’s dich zu lieben! Fuͤr dein „Nein er ist auch nicht hier gewesen„ verdientest du schon den Lohn der Unschuld und koͤnnt’ ich den Ton hinschreiben in dem du dieses sagtest — du verdientest bis ans Ende der Welt gemahlt und gezeichnet zu werden mit der Umschrift „Nein er ist auch nicht hier gewesen„ Wenn ich diese Naturscene so wie sie rings herum empfunden worden getroffen haͤtte — (Was kann aber der Vater dafuͤr wenn ihm sein Kind nicht aͤhnlich ist?) Cho- dowiecki! es waͤre dir mit Minchen gegan- gen wie Adam mit Eva. Adam sah sie — Bein von seinem Bein, Fleisch von seinem Fleisch — sah sie wieder kuͤßte sie und — Du haͤttest diese Seite durch und durch ge- huͤpft sie gelesen und ihr Handgeld zur dop- pelten Unsterblichkeit gegeben. Minchen wie sie almaͤhlig gen Himmel waͤchst — nicht weil sie Gewitterwolken sa- he, weil sie aus Furcht dem Himmel aus- wich, weil sie Trost bei der Erde suchte, die wenn der Vater im Himmel schilt wie eine wahre Unser aller Mutter keinen Blick ver- schmaͤht schmaͤht womit Schuld und Unschuld sich zu ihr wenden, nicht darum sondern — Chodowiecki! Schwester Sohn der Na- tur deutscher Mann! Du weißt dies sondern so gut als ich. Zeichne diese Scene eben um des sondern willen das dir dein Herz in Aug’ und Hand dictiren wird — und dann ließt man nicht Minchen blos, man sieht — Da sieht sie! und ich froh druͤber flieg uͤber Jahr- hunderte zu Jahrtausenden! und jubele und sage zu meinem Buche: fuͤrchte dich nicht vor denen die den Leib toͤdten und die Seele nicht toͤdten moͤgen — Auch wenn der Leib Jahrhunderte lang zerstreut und wenns hoch kommt in Anleitungen zur Dicht- und Rede- kunst in wahre Gebeinhaͤuser gesammlet wird, wo man nicht kennet den Gerechten und Un- gerechten; ich bin’s gewiß es kommt die Stunde in welcher eine Posaune des Ge- schmacks die Barbarey wegscheucht und dies Buch zur Auferstehung und Leben aufhaucht, dann sey dies Blatt um Minchens wegen das erste das wider lebendig wird! — Wir gingen all zusammen nach Hause; und unterweges erzaͤhlt uns der gute Mann wider seine Weise was er kuͤnftigen Sonntag geliebts Gott! seiner lieben Gemeine vorse- tzen tzen wuͤrde. Das Ende dieser Geschichte war den folgenden Tag die Predigt von den Uni- versitaͤten und die Nutzanwendung „Laß den Braunen satteln„ Ich ging zu Minchen der ich einen großen Theil von dem Werth der Universitaͤten vor- sagte, um sie zu meiner Abreise vorzuberei- ten. Ich erklaͤrt’ ihr die Authentica habita Cod. ne filius pro patre. Omnibus sagt’ ich qui caussa studiorum peregrinantur. Sie sah ein was sie schon zuvor eingesehen hatte daß es gut sey; daß ich hinginge: um Pastor zu seyn, ziehst du von hinnen sagte sie. Zieh hin in Frieden. Ich weiß daß sich Mancher den Kopf hart an dem Latein stoßen wird, daß ich Minchen vorsagte; allein um Verzeihung die- ser Mancher versteht nicht was Liebe ist, und ich haͤtte nicht ein Wort latein von der Au- thentica habita Cod. ne filius pro patre auf dem Herzen behalten koͤnnen — die Liebe ertraͤgt keinen Ruͤckhalt sie will alles was man hat alles was man kann es sei latei- nisch oder deutsch. Daß ich indeßen mit einer Uebersetzung so treu als unsere Liebe, Minchen untern Arm gefaßt muß ich des Schwaͤchern willen anfuͤhren. Keine Man- che che die geliebt hat wird sich am Latein den Kopf stoßen oder das Aermchen streifen — Der alte Herr! der mir ein tiefunterthaͤ- nigstes Compliment an Sr. Hochwohlgebohr- nen mitgab that was Maͤckler thun wenn sie den Kaͤufer und Verkaͤufer angefuͤhrt, er wuͤnschte mir Gluͤck und Seegen, wobey er aber nicht blos meine Reise nach — sondern auch die auf Universitaͤten verstand. Die Frau des alten Herrn ein gutes Weib! Zwar nicht aus dem Stamme Levi, doch aus dem Stamme der christlichen Einfalt und Ehr- lichkeit gab mir die Hand, da ich wegging. Gott gleite Sie sagte sie, und seegne Sie und gleite Sie und seegne Sie immer dar jetzt und in alle Ewigkeit. Da ich noch auf eine laͤngere Zeit nach — reisen werde; will ich mich in Ruͤcksicht meiner Leser nicht lang in — aufhalten ob- gleich ich drey Tage zu bleiben gezwungen war. Ich lernte den jungen Herrn mit Flinte Jagdtasche und Hirschfaͤnger kennen, sein Vater — ein rechter aͤchter heller klarer Mann. Wie hat der Mann zehn Jahr meinem Vater den Ruͤcken kehren koͤnnen? seine Ge- mahlin: eine gnaͤdige Frau — Ich Ich will nicht vorfassen — Die Frau v. G ‒ ‒ brachte mich auf den Wunsch wenn Minchen so ein gewisses Etwas haͤtte das man in der großen Welt in zwey Stunden lernet, wenn man in Purpur und koͤstlicher Leinwand gehet, einen Goͤnner am Hofe und Geld auf Zinsen hat, und wozu man laͤngere Zeit braucht wenn eins von die- sen Stuͤcken gebricht — Eine Viertel Meile von der gnaͤdigen Frauen war ich von diesem Etwas und meinem voreiligen Wunsch zuruͤck gebracht. Ich uͤberrechnete die Eigenschaften, die bey Minchen hiedurch leiden koͤnnten und was dacht’ ich da ich das Schoͤne der Natur rings um mich sah. Was ist diese kuͤnstliche Dreistigkeit — gegen die der Natur! Was ein Garten gegen Wald und Feld. Ein Junge der ehemals unterm Phalanx gedient hatte und in Gnaden verabschiedet war lies mich wegen der Nachricht daß Minchens Mut- ter gestorben nicht ausdenken. Ploͤtzlich sagt’ er, Niemand konnte sichs vorstellen. Eben ist sie kalt worden. Die Worte, „Gott gleite „Sie und seegne Sie und gleite Sie und see- „gne Sie immerdar jetzt und in alle Ewig- „keit„ fingen mir so lebhaft an zu werden, daß ich diese alte gute Mutter sah — und Min- Minchen sagt’ ich? Ihro Koͤnigliche Hoheit antwortet’ er befindet sich wohl, außer daß sie halb todt wegen des Todes der Alten ist. Mein ehrlicher Helm (er hieß eigentlich Willhelm seiner Tapferkeit wegen war ihm indessen die erste Sylbe allergnaͤdigst erlassen) sagte dies mit so viel Subordination (diese und nicht Ehrfurcht verlangt’ ich von den Meinen) daß er in jedem Wort Tackt hielt. Er bemerkt’ unmaasgeblich daß dieser Todes- fall vor einiger Zeit durch ein Licht in der Kirche zwischen eilf und zwoͤlf sehr richtig vor- her verkuͤndiget waͤre, allein ich belehrt’ ihn daß dieses Licht meiner Mutter Handlatern- chen gewesen, ich fuhr er fort hab dieses An- und Vorzeichen nicht geglaubt. Desto bes- ser erwidert’ ich. Unterthaͤnigsten Dank be- schloß Helm fuͤr die Parole „Handlaternchen„ ich werd sie weiter geben — Gut! sagt’ ich. Soll ich mit fragte Helm und zeigte Briefe die er wegschnellen solte, ich winckt’ ihm ab, und mein Pferd als ob es den Helm verstan- den haͤtte, hielt am Trauerhaus. Ich fand Minchen die Haͤnde ringen und laut! laut! wimmern meine Mutter meine Mutter meine liebe Mutter! So So bald ich ins Zimmer trat artete ihr Schmerz in Kunst aus. Sie veraͤdelte ihre erste natuͤrlichen Aufwallungen; Sie schrie nicht aus: sie seufzte nur ein sanftes Ach! Sie weinte zwar; allein sie schlugzte nicht, Sie goß nicht Thraͤnen sie taute sie nur, sie rang nicht mehr die Haͤnde sie faltete sie. Sie bedaurete ihre Mutter, allein sie war bemuͤht dabey auch ihrem Vielgetreuen zu gefallen. Im allerersten Affekt haͤtt ich die- ses vielleicht nicht uͤber sie erreicht, jetzt aber opferte sie mir ihren Schmerz auf. Sie ver- ließ ihre Mutter um an mir zu hangen. Alle poetischen Uebel geben der Liebe Zuwachs. Ein Maͤdchen das einen Braͤutigam hat, kann unmoͤglich uͤber den Tod ihrer Mutter anders als dichterisch betruͤbt seyn. Ihr Schmerz ist ein schoͤner Schmerz. Sie uͤbersezt den Schmerz wenn ich so sagen soll in wohlklin- gende Verse: Alles was sie that gehoͤrte der Seeligen und mir zur Helfte. Haͤtten Sie sie sterben gesehen! Einen Gruß uͤber den andern an Sie. Sie ging so schoͤn wie die Sonne unter, ich haͤtt was drum gegeben, wenn sie diese untergehende Sonne noch beschienen haͤtte. Gewis haben Sie ihrem Geist begegnet — Ich Ich hab’ ihm begegnet, ich hab Sie gese- hen, ich hab Sie gehoͤrt. Gott gleite Sie und seegne Sie und gleite Sie und seegne Sie jetzt und in Ewigkeit. Ich hoͤrs noch — Da sah und hoͤrt mich mein Vater. Alexander! rief er, und ich war kein Sonn- tagskind mehr, ich kam von meiner Mondsucht zuruͤck. Mein Vater antwortet’ ich. Er hatte der Seele dieser frommen Alten mit einem andaͤchtigen Zuspruch das Geleite gege- ben, und selbst so Etwas von Vollendung vom Himmel im Gesicht — Er sah selbst seelig aus. Seine Erzaͤhlung war mir neu, ob er gleich erzaͤhlte, was ich wußte, was ich sahe! Nach dieser Entzuͤckung in den dritten Him- mel kamen wir aufs Irrdische, und ich er- zaͤhlt’ ihm daß ich erst in fuͤnf Monaten aus- reisen wuͤrde. Wilst du sagt’ er noch zu gu- ter letzt eine Leichenrede — darf ich bitten sagte der alte Herr — Minchen bat mich nicht, ich entschuldigte mich, und gewis haͤtt ich beym Sommergetreide eingebuͤßt, was ich beym Wintergetreide bey der Predigt, einge- nommen und eingeerndtet, wenn ich bey dem Grabe Minchens und meiner Mutter eine Leichenrede uͤbernommen. Dies war wol der groͤßte Beweis, daß mein Vater nicht wußte P wie wie es mit Minchen und mir stuͤnde. Er hielts ohne Zweifel fuͤr Alexander und Darius Spiel. Mein Vater ging zu Hause, ich blieb noch einen Augenblick zuruͤck und ging mit Minchen aus Bett ihrer Mutter. Nie sah’ ich die Aehnlichkeit, die diese Verklaͤrte mit Minchen hatte, als jetzt. Zwar ein Schat- tenriß, doch Minchen! und mir solte grauen? — Ich nahm die muͤtterliche kalte Hand und rief sie zum Zeugen uͤber mich, daß ich Minchen liebe und lieben wuͤrde — Sie fahre uͤber mich sagt’ Minchen, so kalt sie da ist, wenn ich einen andern liebe, und toͤdte mich, wenn ich nicht Minchen liebe, jetzt und bis vor Got- tes Tron setzt’ ich hinzu. Wir schieden diesmal von einander als wenn wir Probe stuͤrben! So geruͤhrt! so — Mein Vater der gute Mann, der mich bey meiner Mutter angemeldet hatte, war so guͤtig gewesen, ihr zu verschweigen, wo er mich und den Braunen getroffen. Sonst war sie von den fuͤnf Monaten und daß ich die Reduͤbung ausgeschlagen, unterrichtet und uͤber beides erbauet. Die fuͤnf Monate ga- ben ihr noch zu einer Rubrick unter den mit zugebenden Hemden Gelegenheit, und meine abschlaͤgige Antwort? — ich erzaͤhl’ es un- gern gern, daß meine Mutter hieraus meine Gleichguͤltigkeit gegen Minchen, wie aus ein- mal eins, eins heraus brachte. Liebe Mut- ter! die Liebe haͤlt keine Reden! — Die fromme Alte wurde in aller Stille beer- diget, und ihr Grabmal war das heilige Cabinet, wo Minchen und ich in Liebesangelegenheiten zusammen kamen. Ein Engel mehr, sagten wir, der uns hoͤret, ein uns so verwanter Engel — Um meine Leser wegen der Rede schadlos zu halten, bin ich bereit, einem jeden der hoͤren will, eine von andrer Art vorzufechten. Liebe und Tod grentzen uͤberall zusammen: Im Ro- man und in der Geschichte. Ich bin der festen Meinung, daß jedes was schreiben kann, wenns liebt, auch Liebes- briefe schreibe, geschrieben habe, auch schreiben werde. Die Liebe ist eine voͤllige Opferung, eine Universalsocietaͤt. Man giebt alles was man hat, man thut alles was man kann. Man sagt alles, was man weiß, Authen- tica habita Cod. ne filius pro patre nicht aus- genommen. Ein Bauer kritzelt den Namen seiner Grete in Sand. Die Harcke ist seine beste Feder. Schrammt er ihn in Kuͤrbis, schmeckt ihm dieser am suͤßesten. Schnitzelt P 2 er er ihn in eine Linde; schmatzt er den Saft aus, der aus den Buchstaben quilt. Grete steht uͤberall, wenn ers bis zu fuͤnf Buchstaben ge- bracht hat; wenn nicht, ist der erste Buch- stabe des Vornamens sein. Er pfluͤgt ein G, er springt ein G, er geht ein G, und Grete? nennt ihn zwar Hanns, allein sie nehet den ersten Buchstaben seines Zunamens, ins Tuch das sie ihm schenckt. Hanns Ficht heißt ihr Adonis, und sie streut ihre Tannen ins F. und kommt sie an die Blumen der Venus, von der sie aber Gottlob! nichts weiß, an Ro- sen und Myrthen, legt sie sie ins F. Selten weiß sie mehr als den ersten Buchstaben, al- lein den neht und streut sie — wie gedruckt. Sie sticht ihn mit Nadeln ins Eichenblat, in alle Blaͤtter. Die Rinde kommt dem Han- sen zu; im Kuͤrbiscabinet aber, leben sie in Gemeinschaft der Guͤther. Hier steht F. und dort G. Das kleine gnaͤdige Junckerchen macht Greten fuͤr die erste handvoll Kuhblu- men oder ein Eichhoͤrnchen, zur F. Die Vor- schrifft oder Sr. Wohlehrwuͤrden kleiner Ben- jamin, und dieser letzte, gegen einen Maykaͤfer oder jungen Haͤnpfling — Wenn nur Eins schreiben; beide aber lesen koͤnnen, ist das was blos liest, weit ver- liebter liebter, wenns zum Klappen kommt, als das, was lesen und auch schreiben kann. Das Schreiben zeigt von Bedachtsamkeit und Be- staͤndigkeit. Ein Philosoph will immer schrei- ben, allein selten kommt er dazu. Ein Dichter kann sich zur Noth, wo Gott fuͤr sey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero kommts, daß offt große Dichter unrichtig buchstabiren. Der groͤßte Philosoph schaͤmt sich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur- sach, buchstabiren zu koͤnnen. Er setzt die Worte, der Dichter wirft sie hin — Man kann nur fuͤglich im Stehen oder Sitzen schreiben, und es setzt eine gewiße Be- dachtsamkeit zum Voraus, welche die Liebe sehr bey der geliebten Person vergroͤßert, die nur geglaubt hatte, es waͤre ein Ueberfall. Die Natur schlaͤgt in der Liebe eine beliebte Kuͤrze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht an, reif, ißt sie sie vom Baum — Die Kie Kunst hat diesen Weg erweitert, und bald haͤtt ich gesagt, verschoͤnert: es kommt auf den Geschmack an. Die schoͤnsten Fruͤchte von der Spitze des Baums (welche die Hand nicht ohne Verlaͤngerungsstange reichen konnte; der Mund kann gar nicht heran) die schoͤn- P 3 sten sten Fruͤchte werden ausgewaͤhlt: auf por- cellaine Teller gelegt: mit Blumen und Blaͤt- tern, die, wenn man lang am Tische sitzt, vor unsern Augen den Geist aufgeben und welcken, geschmuͤckt, und so auf eine mit Spiegelglas und Puppengezierte Tafel, ge- setzt — Hier tanzt man, dort ging man. Die gnaͤdige Frau, die das Obst aus der Hand des lieben Gottes nicht vertragen kann, ders Blaͤhungen macht, laͤßts verzuckern und can- disiren, und Mumien im egyptischen Sinn da- raus sieden. Pfefferkuchen ist ihr besser als Honig. Da man indessen sich heut zu Tage leider! fein sauber waͤscht, anstatt daß man sich baden solte; und wir unmoͤglich bis auf die erste Natur zuruͤck gestimmet werden koͤn- nen, wo wir tausend und abermal tausend Dinge vergessen muͤßten, die wir jetzo wissen; dient das Schreiben zur Verfeinerung. Fuͤhlt ihr also einen Eckel die Fruͤchte unterm Baum im Garten zu essen; schreibt Liebesbriefe, nur schreibt sie nicht aus dem Talander, und wenn er auch nur seit vierzehn Tagen in Paris gedruckt waͤre; sondern aus dem Hertzen — Hier haben Sie den Schluͤßel zu den folgenden vier oder sechs Seiten — ich weiß nicht wie viel es, wenns gedruckt wird, betragen werde — wenn wenn Ihnen, Durchlauchtigste Princeßin! gnaͤdigste Graͤfin! — diese Hausmannskost Blaͤhungen macht, es sind glaub ich auch eingemachte Saͤchelchen da. Finden sie nichts — ich rathe zum Talander, es thut nichts zur Sache, obs franzoͤsisch oder deutsch ist, obs 1697 oder 1776 gedruckt ist, was Ihnen das Herz verdirbt — ihr aber meine Lieben! die ihr schmecket und sehet, wie freund- lich Mutter Natur ist, denckt von meinem Vorbericht, was ihr am Ende von allen Lie- besbriefen dencket, die man nicht selbst ge- schrieben hat. Und hiemit fuͤnf Briefe von meiner Minchen, nach der Anzahl der Feyer- Hemde, die mir meine Mutter bereit’t hat, wenn sie mir nicht jetzo, wegen der fuͤnf Mo- natfrist, wider Vermuthen noch eins dazu legen solte. Sie an Ihn O du lieber lieber Junge! — Was hast du fuͤr eine gute Art zu schelten! Es ist so was herzliches drin, daß ich es mit Fleiß auf ein Scheltwort von dir anlegen werde. Du bist ein ganzer Junge! ein Gott und sein Weib liebender Junge. Mein all, all, P 4 all all, alles bis du. Ich lese deinen Brief und schreib an dich beinah alles zusammen — Was kann aber die Liebe nicht! du schiltst, daß ich durch Naͤhen und Stricken mir den Finger wund gemacht. Soll ich denn die Haͤnd in Schooß legen? da wuͤrd’ eine Naͤrrin aus mir werden, obgleich ich jetzo dein Weib bin — Was kluͤgeres kann kein Maͤdchen in der gan- tzen weit und breiten Welt seyn, als dein Weib. Der Finger ist auch wohl behalten und heil, und sieht aus wie — neu haͤtt ich bald geschrieben — wie zuvor. Er hat kei- nen schwarzen Band mehr: Die Trauer ist schon gestern abgelegt. Was wilst du mehr? — Fast wuͤnscht’ ich du moͤcht’st noch mehr wollen, damit du schelten koͤnntest. Schilt doch lieber herzlicher Junge, schilt doch was rechts auf — Die Musik war bei der Fingertrauer nicht verboten. Soll ich meine Doris missen, kann ich dir so herzbrechend sin- gen und spielen, du solsts hoͤren. Mein Va- ter wunderte sich uͤber den schnellen Gang in der Musik. Der gute Mann weiß nicht, daß ich eigentlich in der Schule der Liebe bin, und von ihr Clavier spielen lerne — Gott im Himmel und dich in der Welt! Wie kann ich Gott lieben, den ich nicht sehe, wenn ich dich nicht nicht lieben solte, den ich sehe. Ich liebe Gott in dir. Es ist unaussprechlich wie ich dich liebe. Du bist Gottesbote an mich. Gott gab mir dich. Meine Seel ist dein und unsre beide Seelen sind Gottes. Heut sehn wir uns; allein nicht ganz, wir sprechen uns allein schwerlich drey Viertheil. Du muͤßt’ es denn machen wie neulich. Deine Mutter braucht aber nicht alle Tage Pfefferkraut. Was ist doch die Liebe fuͤr eine Lehrerin? Wir sonderten uns vor aller Leute Augen ab, die mit uns giengen, und kein Mensch dacht’ Arges in seinem Herzen. Es fehlte nicht viel, deine Mutter selbst haͤtte drum gebeten, und das beste war, wir fanden gleich so viel Kraut daß wir Zeit genug hatten uns viel! viel! zu sagen. Findst du aber, daß es we- niger wird, was noch ruͤckstaͤndig ist, und was wir uns noch zu sagen haben? ich nicht — Wir zahlen nicht einmal alle Zin- sen ab; diese werden noch Capital. Wenn wird uns Gott in Stand setzen, Capital und Zinsen richtig zu machen. Wenn du Pastor bist und ich, Pastorinn. Dein Weib bin ich lang. Gott und alle seine heilige Engel wa- ren auf unsrer Hochzeit, und die sind staͤndig beinah sichtbar um uns, wenn wir allein sind. P 5 Es Es kann nur wenig, sehr wenig dran fehlen, um sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen — Da kann man wohl mit Recht uͤber den be- truͤbten Suͤndenfall klagen. Ists denn Suͤnde so zu lieben als wir? und liebt nicht Gott unsere Liebe? Seine heilige Engel sind ja unsere gute Maͤnner gewesen, und wir sind nicht so verbunden — (ich wolte nicht ver- heirathet schreiben, allein ich aͤrgre mich uͤber den Anstand den ich druͤber genommen, und schreibs zweymal hin) so verheirathet, wie die verkehrte Welt, sondern wie Adam und Eva. Gott selbst hat uns getraut, und sag hat je ein boͤser Gedancke dein Herz verfaͤlscht? mir ist keiner vorgekommen. Je froͤmmer ich bin, je innbruͤnstiger denck ich an dich. In der Kirche hoͤr’ ich deine Stimme unter hundert, und ich singe schnell mit, damit wir beide zu- sammen zu Gott kommen. Aus der ganzen Fuͤlle meines Herzens bin ich dir gut. Bin ich nicht dein Weib, dein treues Weib, du Ein- ziger du Evas Adam! Sag es mir tausend- mal und wieder tausendmal, daß du mein Mann, und ich dein Weib sey. Das lernt man immer schoͤner aussprechen, je oͤfterer man es ausspricht. Wenn du es sagst ists mir himmlische Musik, Kirchengesang — Jetzt Jetzt sind wir nur beym lieben Gott bekanndt. Ueber ein kleines oder uͤber ein großes — mir ists gleich, wird Gott uns auch unter die Leute helfen. Ich liebe deine Seele, und du die Meinige. Du bist der Mann meiner Seele, und ich das Weib deiner Seele: sonst koͤnnten die Engel mit uns nichts mehr zu schaffen haben. Leb wohl — Zu Mann und Weib hat uns der liebe Gott gemacht, zum Herrn Pastor und zur Frau Pastorinn, muͤßen es die Menschen thun. Da ist das ganze Raͤthsel — N. S. Zur rechten Hand. Das Pfef- ferkraut wuͤrd ich zum Kraut der Liebe ma- chen, so gut bin ich ihm. N. S. Zur linken Hand. Warum hast du deinen letzten Brief so weitlaͤuftig geschrie- ben? Wenn du mir so gut nicht waͤrst, als ich weiß daß du es bist, wuͤrd ich mir Gedan- cken machen. Hab ich es nicht von dir „je „kaͤlter je weitlaͤuftiger, wenn man Briefe „schreibt.„ „Wer liebt laͤuft immer uͤber. Er kennt nicht Maas und Gewicht.„ Aber so bist du! auf deine Finger siehst du nicht, allein die Meinigen sollen nicht trauern. Koͤnnt ich dann nicht dich und du mich lieben, wenn auch alle unsere zwanzig Finger im tiefen Trauer Trauer waͤren. Ich komm wieder aufs vo- rige. Wer war es denn der sagte, die Natur liebt eben die Finger nicht weiß. Rothe Wangen, starcke Haͤnde, wo gesundes Blut durchscheint, ist Naturuniform, wer war es? Ich muß noch ein Stuͤck Papier mit der Na- del anheften — Lieber Mann, ein Natur- mensch wie du, solt nicht auf weiße Finger sehen. Das nenn ich! ich! ich! nenn das schelten! Gruͤße alle deine Finger von mir — sie sind meine Finger. Du bist ganz mein, ich ganz dein. Wir sind eins, ich habe deine Briefe unter meine Bibel gelegt. Erst Gott und denn mein Mann. So gehoͤrt und ge- buͤhrt es sich — Ihr Maͤnner, duͤnckt mich, seyd zum reden und zum schreiben. Wir Weibchen, zum thun, und wenns hoch kommt, zu lesen. Das wirst du wohl finden ohne daß ichs noͤthig gehabt zu schreiben. Sie an Ihn. Wie du vom Alexander zum lieben Jun- gen erniedrigt, oder beßer, erhoͤhet bist! Unser Liebe hat sehr gewonnen, jetzt da dein Vater den zweyten Diskant singt, ich wett’, er hat mit dir zuvor was Großes im Schilde gefuͤhrt. Gottlob! daß du jetzo Pastor wirst. So sind wir wir doch so sehr nicht auseinander. Lieber lieber lieber Junge! was meinest du. Die Re- genten muͤßen sich doch auch zuweilen so nen- nen, wie wir, oder sie wißen nicht was Liebe heißt, und denn sind sie aͤrmer als wir und aͤrmer, als alle Bettler in unserm Dorfe. Ich weiß doch auch wie es einer Princeßin zu Muth ist! allein ich tausch nicht mit der Koͤ- nigin Elisabeth, da ich dich hab — und du nicht mit Alexander, da du mich hast. Wir wuͤrden jetzt schlecht Alexanderchen spielen! die alte Babbe wuͤrd die koͤnigliche Frau Mut- ter beßer machen, als wir Alexander und Frau Alexander. Außer der Liebe, das fuͤhl ich, ist alles Possen und Unwesen in der Welt. Du hast recht, ganz recht „die Liebe macht gleich- „guͤltig gegen Ruhm und Glanz: allein gegen „die Menschlichkeit nicht. Sie schraͤnckt das „Herz ein; allein sie erweitert es auch. Eins „liebt nur eins, wie Mann und Weib, alle „Menschen aber, wie Schwester und Bruder. „Einen Verliebten, glaub ich, kann jeder Mann „betruͤgen, er haͤlt alles fuͤr ehrlich was ihm „begegnet, die Liebe ist starck Getraͤnck fuͤr „die Seele. Sie betrinckt sich in ihr, und „Verliebten gehts kein Haar beßer, als Leuten „die ein Glaͤschen uͤbern Durst getruncken „haben „haben. Es ist ihnen aller beßer wie zuvor. „Sie sehen alles in den besten Jahreszeiten, „alles im Junius„ So weit du. Eine schoͤ- ne Antwort auf deinen Brief. Ich schreib ab, was du geschrieben hast. Mich duͤnckt aber — das ist die rechte Art fuͤr ein Weib. Es ist eine Kopistin des Mannes, wenn es schreibt. Denn dies ist ihr Fach nicht. Das war wieder eine Abschrift von dir, und uͤber- haupt bin ich ganz nur eine Abschrift von dir. Du hast mir gestern geschrieben, daß ich deine Buchstaben nach mache, und daß sie mit der Zeit wie deine seyn wuͤrden. Lieber Junge! ich leg’ es nicht dazu an: ich mache sie nicht nach. Es kommt von selbst, ungebeten — Ich lese deine Briefe mir ins Herz und in die Hand. Wenn du morgen zu mir kom- men wilst; komm um vier. Von vier bis sieben sind nur drey Stunden, ich habe dir viel von der Liebe zu sagen, worauf mich dein Brief gebracht hat. So was muß man sich sagen. Schreibt man, ists so als wenn man Schlagwasser aufs Schnupftuch gießt. Ich denck, die Liebe ist noch das Einzige, was in der Welt von ihrem Stande der Unschuld, und von der Zeit da sie aus des lieben Gottes Hand kam, uͤbrig ist. Und du lieber Gott! bey bey dem allen glaub ich, daß nicht drey Paar in ganz Curland sich lieben, wie man recht liebt, sich lieben wie wir — Du wirst uͤber vieles lachen was ich mir im Kopf gezeichnet, uͤber vieles wirst du mich aber kuͤßen — Im Lande, schreibst du, wo man sich in der Landessprache nicht auf gute Weise dutzen kann, liebt man nur so so — — recht! ganz recht lieber Junge, und wenn haͤttest du nicht bey mir Recht? Das Dutzen ist so was zum Herzen, daß ichs nicht sagen kann. Was das huͤbsch ist, daß du deinen Vater und deine Mutter du zu nennen, das Herz hast. Mei- nem Vater duͤrft ich so nicht kommen: der Mutter wohl — darum liebst du auch dei- nen Vater mehr, als ich den Meinigen. Unsre Muͤtter lieben wir, glaub’ ich gleich — Denn kleinen Finger von der Liebe womit wir uns lieben auch der nicht! — Ich habe schon gedacht, ihr Maͤnner koͤnnt nimmer so zaͤrtlich seyn, als wir: Hoͤrst du? als wir. Wo ich alles hernehme was ich schreibe, mußt du bes- ser wissen als ich — denn in Wahrheit, wenn ich mich ans Papier setze, weiß ich kein Wort. Morgen von vier bis sieben; ich wuͤrde nicht eine Sylbe an dich schreiben, wenn du es nicht so woltest, aber du muͤßtest ohn End und Ziel Ziel an mich schreiben, sonst wuͤst ich nicht was ich anfinge. Ich find in keinem Buch das, was ich in deinen Briefen finde — Was du aber in meinen findest, kann nicht viel seyn — N. S. Komm ja um vier; mich aͤrgert, daß ich alles so voll geschrieben habe, ich moͤcht dich gern noch einmal, und noch einmal drum bitten, um vier. Sie an Ihn Sie an Ihn! diese Erfindung macht dir Ehre. Du und ich, ich und du. Mehr ist fuͤr uns nichts in der Welt. Mir kommts we- nigstens so vor! Es geht dir mit meinen Sachen wie mir mit den deinen. Ich koͤnnt nicht leben; wenn ich nicht was von dir bey mir truͤge. Ich seh dies als ein Pfand an, daß du mit einem Kuß ausloͤsen mußt. Den letzten Brief trag ich immer im Busen, bis ihn der folgende abloͤset. Dein Tuch aber, kann ich in der Hand halten und kuͤßen, und mich damit vor aller Welt Augen befreuen — Mein Tuch und meine Feder, und mein Buch und das Band auf meinem Kopf, das du nicht beruͤhret hast, ist mir als ein ungetauf- ter Heide. Was du angefaßt hast, ist mir einge- eingeseegnet und geweiht. Die Stadtleute, die nicht wissen wie schoͤn es ist, Blumen an der Wurzel zu sehen — geben sich ein- ander Blumen. Ihr Blumengeschenk, das hab ich von dir, ist ein Bild ihrer Liebe, die auch bald dahin stirbt. Ich moͤchte nicht in der Stad wohnen um vieles! Die Leute glaub ich, haben da den lieben Gott nur in der Kir- che, wir, der Name des Herrn sey gelobt! haben ihn uͤberall — In Mitau werd’ ja nicht Pastor. Werd’ es auf dem Lande. Da hast du halb predigen, und wir leben doppelt. In der Stadt ist man, wies in der Bibel steht, lebendig todt. Man lebt sich da, wie du sagst, krank und todt. Daß du mir ja keine neue Feder mehr schickst. Ich will keine, mit der du nicht schon geschrieben und die du nicht schon im Gang gebracht hast. Und was ich noch mehr will, haͤtt ich bey einem Haar vergessen — Der alte Herr geht morgen aufs Land und bleibt drey Tage — N. S. Um acht des Morgens kommt der Wagen nach ihm, um neun ist er gewiß nicht mehr. Sie an Ihn Gestern, lieber Mann meiner Seele! Ein- ziger! hab ich den Geburtstag unsrer Liebe Q gefey- gefeyert. Im Buch der Lebenden, das vor dem Thron Gottes liegt, sind wir gewis von Anbeginn in einer Reihe zusammen geschrie- ben. Ich zittre und freu mich. Es schau- dert mich und ich bin entzuͤckt, da ich an das zuruͤck dencke, was gestern neu gebohren ward. Der erste Kuß und mit ihm der Schwur, „Ewig mein„ ich hab meinen Schutzengel sehr gebeten, es dir einzufloͤßen, was ich gestern empfunden habe, es ist unausschreiblich! denckst du auch noch zuruͤck? Unsre Augen waren die ersten Bekandten, sie waren im- mer zusammen, wenn sie sich reichen konnten. Ehe man sich liebt, ist das Auge, wie du sagst, als eine Sonne mit Wolcken belagert. Die Liebe steckt das Auge an, zuvor ist es eine un- angezuͤndete Kerze! Kaum brennts, so ist auch der ganze Mensch helle — Alles stuffenweise in der Liebe! Nach dem Blick eine Beruͤh- rung. Ich denck noch offt dran, wenn sich un- sere Finger beruͤhrten, da du mir was reich- test, oder ich dir — die Funcken spruͤtzten mir bis in die Seele, so offt wir so Feuer anschlu- gen, und da ich dein Glas wie aus Versehen nahm, und du das Meinige, und da ich mit gutem Bedacht eben an der Seite tranck, wo du getruncken hattest. Himmel was tranck ich ich! ich tranck dich, ich war von dir betruncken, und mein ganzes Blut ward davon entzuͤndt. Endlich das hohe Fest, deßen Jahrstag ge- stern war! Sprachen wir oder sprachen wir nicht? Ich glaube: Nein. Sprache und Lie- be stehen nicht sonderlich, das hab ich offt erfah- ren. Die Sprache ist ein ungetreuer Dienst- bote. Gott wie du mich kuͤßtest, und drey Bluͤthen vom Baum herabfielen, um diesen Ort zu heiligen, und die Nachtigall schlug, und wir dies alles nur halb sahen, nur halb hoͤr- ten, bis wir uns von diesem Kuß erhohlet hatten. O Mann, o lieber Mann! welch ein Fest! Wie hab ich gebetet! Daß Gott mit unsrer Liebe sey! Er, der die Liebe ist, sey mit unsrer Liebe! Er weiß das Ja, das wir stammlend vor seinem Angesicht ableg- ten, die Sonne beschien es, der Altar war mit Vergiß mein nicht bordirt und mit Blu- men geschmuͤckt, die so schoͤn zusammenstan- den, als ob sie auch unter einander vermaͤhlt und zusammen getraut waͤren. An diesem Tage, lieber Mann! muͤßen wir auch einmal, wenn Zeit und Stund ist vor der Welt zu- sammen gegeben werden. Dieser unser Welt- hochzeittag sey uns ein untergeordnetes Fest, und also am nemlichen Tage! — Man muß Q 2 Gott Gott mehr lieben als die Menschen — ich hab sehr sehr fuͤr dich gebetet. Ich bin dei- netwegen beym lieben Gott Sturm gelaufen. Laut, laut schrie ich: Gott sey mit ihm, mit ihm! Ich nenn dich immer zum lieben Gott Er. Gott weiß ja alle Dinge. Ein- mal, das muß ich dir ohrbeichten, kam mir der Alexander in den Mund, und ich ward so zu- ruͤckgesetzt — Ich schaͤmte mich so vorm lie- ben Gott, daß ich in zwey Tagen kein Wort hervorbeten konnte. Ich denck, es kommt da- her, weil wir Alexander gespielt haben und weil der liebe Gott das Herz und kein Spiel haben will. Weißst du woher anders, schreib’s mir. Es war doch nicht ein Schelmstuͤck, daß du den Alexander machtest, und mein Bruder Benjamin den Darius. Du heißt ja leider Alexander. Da bin ich wie deine Mutter! ich gaͤbe was drum, wenn du Johann oder Gottlieb hießest — Ich vergeß nicht, was der Herr Candidat — sagte, der als Volon- tair nur einem Feldzuge zusah, den dein Vater mitmachte „Gut waͤrs, wenn uͤberhaupt „Koͤnig nur gespielt wuͤrde„ Dein Vater schuͤttelte Nein: warum nein? — ich bin des Herren Volontairs Meinung. Es Es hat doch bey unsern Schlachten kein Jung ein Bein gebrochen, und die Jungens sind all so vollkommen so starck. Benjamins Fuß ist oben ein gerader geworden, was faͤllt aber nicht, wie man hoͤrt und ließt, im Kriege? Im Anfange glaubt’ ich, daß in der Ge- schichte die Zahlen verdruckt waͤren, ich fands aber offt gantz ausgedruckt. Die Leute sol- tens nicht so deutlich machen, damit man we- nigstens dencken koͤnnte: es waͤre eine Null zu viel. Da seh ich was ich zusammen ge- schrieben habe. Wenn du oder ein andrer Alexander das, was ich geschrieben, schreiben, oder beßer, zusammen legen solten, waͤrs ordentlicher und kuͤrzer glaub ich, allein nicht herzlicher. Ich streiche nichts — Moͤgt ihr doch streichen, wenn ihr nur nicht das Herz herausstreicht, wie ich glaube, daß es die meisten von euch thun. Da fiels mir neulich beim Pilatus ein „was ich geschrieben hab, „hab ich geschrieben„ Gott verzeih mirs. Ich dachte, das Weib! Er als Landpfleger haͤtte ja streichen koͤnnen. Wie ich froh bin, lieber Junge, das wird dir dein Schutzgeist sa- gen. Der Meinige hat ihn heute gewis mehr als einmal besucht, und es ihm erzaͤhlt. Wenn wir sie kennen lernen werden, das wird Q 3 eine eine Lust seyn. Mir ists sehr, sehr angenehm, an den Tod zu dencken. Ey dir? Gott seegne dich und behuͤte dich in all’ all’ Ewig- keit Amen Amen. An der einen Seite Heut gewiß einen Brief von dir. Es ist Ge- burtstag. Die Briefe werden sich begegnen. Ist er noch nicht abgeschickt, laß ihn den Mei- nigen kuͤßen; ich werds empfinden, und eh die Briefchen einmal, wenn wir zusammen sind, auch zusammen kommen und sich paaren, wirds noch eine Zeit dauren. An unserm Welthochzeittage wollen wir sie zusammen legen. Eben denck ich dran, wie furchtsam unser erste Kuß war, um dir zugleich eine gute Lehre zu geben. Jezt ists so, als wenn du mir das Aug austrincken woltest, wenn du es kuͤßest — — Sie an Ihn Ich habe zum erstenmal einen Menschen sterben gesehen! und gleich zum erstenmal eine Mutter. Nun wuͤrde folgen, selbst zu sterben, und das entsetzlichste — von deinem Tode zu hoͤren. Denn dich sterben sehen, waͤr unmoͤglich. Lieber Junge, alles auf ein- mal! Du wirst weg — meine Mutter ist schon schon weg — Du kommst zwar wieder, al- lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt, wie ich sie geliebt habe, und wie sehr ich Ur- sach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief- traͤger einen Vertrauten noͤthig gehabt, waͤre Sie es gewesen. Du hast mirs gesagt und geschrieben. Ein Maͤdchen kann zur Ver- trauten in der Liebe Niemand anders als eine Mutter nehmen — hoͤchstens einen Bruder. Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin unsre Liebe nicht entdecken wilst — du schreibst, ein guter, sehr guter Junge, nur er ist das in die Flucht schlagen gewohnt. Wer Ge- heimnisse bewahren will, muß das Siegen ge- wohnt seyn. Wir arme Leutchen, jetzt schrei- ben wir einander und tragen die Briefe selbst an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht mehr dreyßig Schritte fuͤr Maͤnner, und sech- zig Schritte fuͤr Weiber, und fuͤnfundvierzig Schritte, wenn wir beide zusammen gehen, von mir entfernt seyn wirst, wie werd ich dir meine Briefe im Buch reichen oder in die Hand druͤcken, oder auf diese oder jene Staͤte legen, welche der liebe Gott blos unserer Briefe wegen so dick mit Gras bewachsen lies, um unser Geheimnis zu decken. O Gott! wenn ich an deine Abreise dencke, ists Q 4 mir mir so, als wenn ich meine Mutter sterben sehe, und doch wirst du wieder kommen und dein Weib bekennen vor den Menschen. Gott helf uns dieses Bekenntnis vor dem Altar ablegen, wo wir ehemals unser Glau- bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du mußt auf eine Universitaͤt, das hast du mir bewiesen, also geh hin — Ich werd dir noch viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn- ren kannst! — Du armer Junge! ich be- halte doch mehr zuruͤck. Dein Vater hat deine Finger, als wenn ich sie sehe. Wie werd ich darnach blicken, selbst wenn er mir die Hand beym Beichtstuhl auflegen wird, selbst da werd ich an deine Hand dencken. Das ist keine neue Suͤnde. Was behalt ich nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du giengst, wo du kamst. Wo Alexander siegte, wo ich deine Gefangene war, wo unsre Au- gen einen Bund machten. Den Altar, wo wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con- cert hielten! wo du offt, offt mich zusammen- nahmst und kuͤßtest, und wo ich dir durch einen bescheidnen Kuß fuͤr deinen heftigen danckte, wo wir uns freuten, daß es Fruͤh- ling war, und das erste Veilchen, die erste gelbe Blume, den ersten Schmetterling bewillkomm- ten ten. Der Ort, wo dein Vater uns uͤberfiel, lieber Junge, ich glaub noch immer, du magst mir so viel sagen als du wilst, der hat viel zu deiner Abreise beigetragen! — Der Tod sucht Ursach. Gott sey Danck noch fuͤnf Monat — Was wimre ich Thoͤrin, du gehst hin um bestaͤndig bey mir zu seyn, um Stroh zum Nestlein fuͤr uns zu hohlen — Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und denck, daß deine Sie auf dich wie eine von den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir dann und wann eine Taube mit einem Oel- zweig. Wir muͤssen noch verabreden, wie wirs mit den Briefen halten wollen! — ich kann dir nicht sagen wie mir ist! — So sind wir Menschen! wer stirbt gern, wenn er gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben kommen soll — das letzte ist gewis. Leute, die recht sehr fromm sind, muͤsten hier schon wie dort seyn. Sie studiren die himmlische Geographie, und sind im Himmel so, wie ich in Gedancken auf all den Universitaͤten seyn werde, wo du wircklich seyn wirst — Wer stirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent- lich an dich schreibe, hab’ ich dir noch nicht ge- sagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht sehen koͤnnen; ich will sie unsre Mutter nen- Q 5 nen, nen, meinen Vater aber nie, nie unsern Va- ter. Der meinige ist er, weils Gott hat ha- ben wollen, warum solst du dich aber mit ihm beschweren? Gott verzeihe mirs, wenn ich hiedurch dem vierten Gebot zu nahe trete — du hast mich als Mann druͤber losgesprochen und die Grenzen abgemeßen „Bis dahin und weiter nicht„ Als Pastor mußt du diesen Losspruch noch bestaͤtigen und vollfuͤhren Amen. Wieder von unsrer Mut- ter ab — ich hab dir noch etwas schrifftliches von ihrem Abschiede versprochen, weil ichs dir muͤndlich nicht sagen konnte — Wiße also, mein lieber Junge, daß ich ihr kurz eh sie starb, unser Liebesgeheimniß entdeckt habe — ich habe vor der Minute gezittert, da es hieße: Vollbracht — nachdem ich ihr aber unser Geheimnis gesagt hatte, zitterte ich auch fuͤr ihre Beßerung — Ists nicht gut, daß ichs ihr gesagt habe? — Sie haͤts doch im Himmel erfahren, und denn haͤtt sie Ursach gehabt, es mir zu verdencken, wenn dies Wort im Himmel nicht verboten ist — Was weiß ich — ich dacht es waͤre unrecht, sie ohn dies Geheimnis sterben zu lassen — O lieber Junge, welchen Seegen hat sie uͤber uns aus- gesprochen. Sie war schon lange wie todt, hatte hatte lange sprachlos gelegen, da ich ihr aber unsre Liebe erzaͤhlte, bekam sie ihre Sprache wieder. Zacharias fiel mir ein mit seinem — „er soll Johannes heißen„ Sie nandte dich Sohn. Das haͤtte sie in dieser Welt nicht das Herz gehabt, wenn ich gleich wuͤrklich die Frau Pastorin gewesen waͤre. Sie fuͤhlt’ aber wer sie war! Sie fuͤhlt’ ihre Befoͤrde- rung zum Engel. Sohn! Sohn! Sohn! sprach sie, als ob sie sich dabey was zu gut thaͤte, und blieb im Seegnen — — Gewiß hat sies mit himmlischen Worten fortgesetzet, was sie mit irrdischen angefangen, und was sie in Schwachheit begann, geendiget mit Kraft. Gott schenck ihr die himmlische See- ligkeit, die sanfte ewge Ruhe der Auserwaͤhl- ten! Auf ihrem Grabe will ich offt Rath holen wenn ich in deiner Abwesenheit Rath bedarf — du mußt noch offt, offt so schwarz, so nackt, so unbegraßt, so unbebluͤmt es gleich da ist (Wer wird sich aber fuͤr Staub, fuͤr seines gleichen, fuͤrchten?) offt mußt du noch an ihr Grab mit mir wallfahrten. O Lie- ber! mir ist so — so — rings ums Herz, als wenn ich meiner Mutter bald folgen werde — und haͤtt ich dich nicht — wie gern! wie gern! ich haͤtt diese letzte Zeilen gerne gerne weg! Aengstige dich nicht. Du kennst mich so gut wie ich mich selbst kenne! Du schreibst mir „Schone dich! ich weiß „du bist in dein Leben nicht verliebt — „Schone dich meinetwegen!„ Junge! deinetwegen, deinetwegen, dei- netwegen will ich leben, leiden und sterben — Da hab ich ihn mit einem Grif, deinen lieben Brief, den ich aufsuchen wolte. „O Mine, wenn doch unsere Vaͤter alle „Naͤchte den Himmel observiren moͤchten — „Was war das fuͤr eine Nacht! Mine — was „fuͤr eine Nacht! Mine, was fuͤr eine Nacht! „Wie feyerlich, zwischen elf und zwoͤlf auf „dem Kirchhofe zu seyn! mit dir! mit dir „allein auf dem Kirchhofe — — Ich ver- „gesse dieses zwischen elf und zwoͤlf in mei- nem ganzen Leben nicht — Die Alten sa- hen auf der andern Seite des Kirchhofs nach den Sternen, und ich? sahe dich — „dich — dich — doch warst es du? Sag „warst du entzuͤckt oder warst du wie sonst? „Ein Mondstrahl umleuchtete dich — ich „stand im Dunkeln und sah ein Gesicht im „prophetschen Sinn — Nie hab ich so was „gesehen, du warst verklaͤrt, und dein Gesicht „war, wie eines Engels Angesicht, so! so! — wie „ich „ich dich nach der Auferstehung der Todten „sehen werde, in alle Ewigkeit„ Wozu diese Abschrift? — gleich lieber Junge — Gestern standst du in der Sonne! Sie beschien dein edles Angesicht — sanft und zuruͤckhaltend war ihr Strahl, so als wenn Gott mit Menschen spricht — Die Sonne blitzte nicht, sie hatt’ einen Augenschirm vor, und ich! kurz, lieber Junge, wie es dir mit dem Monde ging, ging es mir mit der Son- ne, ich sah dich, ich kannte dich, allein du warst wie Moses, indem er vom Berge kam und Gott gesprochen hatte, und ein Gesicht voll Sonnenglanz mitbrachte — da dacht ich Sonn und Mond ist Mann und Weib — Da sah ich uns beid’ im Himmel, dich in Sonn, mich im Mond gekleidet — ich weiß nicht wie mir war! mir kam es so vor, daß ich bald stuͤrbe, und daß meine Mutter ein Mondgewand in der Hand hielt, mir das Sterbhemde auszog, und mich himmlisch ein- kleidete. Ich war in Wahrheit außer mir! — das hab ich noch behalten, daß es seelig waͤre, seelig, seelig waͤre zu sterben — wenn du mit stuͤrbest — Gottes heiliger Wille geschehe — Oben Oben wo sie angefangen hatte, (das an- dre ist so voll geschrieben, daß kein Wort Raum hat) Was haben wir nicht noch abzu- reden, ehe du gehest. Fuͤnf Monate sind zu kurz, wenn wir von vier Morgens anfingen und um neun aufhoͤrten. Wie kommts, daß wir nicht zum Wort kommen, wenn wir zusammen sind. Dixi! Und wenn gleich meine Mutter drey Hemde Rubricken mehr waͤhrend der Zeit erfunden haͤtte. Dixi! Euch gute Seelen, die ihr den Haͤnpf- ling, den ein Bube aus dem Neste stahl, um ihn mit aufgeweichten Brodt zum Sclaven zu futtern, versteht, wenn er, seinem Kerker entflohn, auf dem benachbarten Kastanien- baum seinen Tyrannen Hohn singt; Euch gute Herzen die ihr einer Pflanze die Wollust ansehen koͤnnt, wenn der Gaͤrt- ner sie aus dem Blumentopf in die weite Erde bringt, oder einem Feigenbaum, wenn der Besitzer in noͤrdlichen Gegenden ihn vom Fenster in den schoͤnen sanften Regen setzt; Euch wenigen Edlen! die ihr, wenn die Bohne in eurem Garten eine schwere Ge- burt hat, ihr nachhelft und die Schlauben abstreift, abstreift, um ihr Luft zu machen, und die Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt, mit troͤstender Hand aufrichtet, damit sie so wie ihr selbst gen Himmel saͤhe, Euch, die mein Vater Seher, von Gott Angehauchte! nennen wuͤrde; Euch! die ihr hoͤret und sehet, was viele mit offnen Augen nicht sehen, mit offnen Ohren nicht hoͤren, schreib ich diese Briefe zu. Schuͤtzt sie wider Hof und Stadtleute, die Ach und Weh uͤber sie krei- schen, wider die Schwaͤtzer und Trunkenbolde in der Liebe, die gewohnt an italienische Mu- sik, kein Schaͤfchen bloͤcken, keine Nachtigall schlagen, keine Biene schwaͤrmen, keinen Kaͤfer brausen hoͤren koͤnnen. Es war einen Sonnabend — wie haͤtt es wohl ein andrer Tag seyn koͤnnen? da mich meine Mutter bey der rechten Hand nahm, welche sie die Auserwaͤhlte zu nennen pflegte, und sich folgender Gestalt verlauten ließ: Mein Sohn, heute Koͤnig, morgen todt. Es ist leicht moͤglich, daß wenn deine Noviciats- jahre geendiget sind, und du dich zu Able- gung der heiligen Geluͤbde nach Curland zu den Altaͤren deiner Vaͤter muͤtterlicher Seits einfin- einfindest (Mein Vater haͤtte gesagt, wenn du deine Jahre der Wanderschaft zuruͤckgele- get hast und ans Meisterrecht denkst) du mich nicht mehr in dieser irrdischen Huͤtte siehest — Dort sehen wir uns gewis und wahrhaftig, indeßen hab ich noch viel auf meinem Her- zen fuͤr diese Welt, das ich nicht gern wie ein Haufen Reiser zusammen raffeln, sondern wie Zuckererbsen zur Saat lesen und sondern, und dir ins Ohr saͤen, oder nach dem ein und vierzigsten Psalm im achten Vers, raunen moͤchte. Ich glaubte, daß dieser aufgespannte Pfeil Minchens Geschichte treffen wuͤrde; allein ich betrog mich am Ende, obgleich ich meine Mut- ter, um ein andres toͤdliches Gewehr anzu- fuͤhren, Pulver auf die Pfanne streuen und zielen sah, da sie von den Vorzuͤgen eines guten ehrlichen Herkommens sprach. Sie lenkte auf meinen Vater, ihren vielgeliebten Eheherrn, und legt’ es mir so nahe als moͤg- lich, daß ich sie fragen moͤchte, was sie wohl von seiner Abkunft daͤchte? Wir bogen beide zur Rechten, und kamen nicht zusammen. Freilich haͤtt’ ich auch gern gewußt, was mei- ne liebe Mutter baß, als ich, von dieser Sa- che wußte. Ich befuͤrchtete aber Auftraͤge zu zu gewißen Fragen an meinen Vater, und wie haͤtt’ ich einen Mann foltern, oder wie meine Mutter sprach, stoͤcken sollen, der so vaͤterlich war, mir wegen Minchen keine Frage ans Hertz zu legen? Sie mußt’ also durch einen andern Weg in ihr Land. Ueber deinen Vater sagte sie, hab ich tausend und abermal tausend Thraͤnen vergossen. Sel- ten wird ein Frauenzimmer das Wort Thraͤ- nen trocken aussprechen, und ohn es anschau- end zu machen, was Thraͤnen sind. Ich weiß zwar nicht, wo er her ist, und wer seine Eltern gewesen, bald haͤtt’ ich liebe Eltern gesagt; Gott weiß aber, ob sie’s ver- dient haͤtten und obs nicht unschlachtig Volk gewesen — Ich vermuthe, daß sie ihm eben keine Ehre machen koͤnnen, denn sonst wuͤß- te ich nicht, warum er so zuruͤckhaltend uͤber diesen Punckt zu seyn Ursach haͤtte. Hier fing sie so bitterlich an zu zeigen, was Thraͤ- nen sind, daß ich sie herzlich troͤstete. Sie jammerte mich von ganzer Seele. Was ich weiß, will ich dir sagen; wolte Gott, daß es ohne die groͤßte Bewegung meines Herzens geschehen koͤnnte. Ich verbat ihre Erzaͤhlung, da ich sahe, wie sehr es sie angrif. R Nein Nein, um des Himmels willen, nein, aber nein, rief sie aus, und wenn mir druͤ- ber das Herz brechen, wenn ich gleich ster- ben solte, mußt du alles erfahren, was ich ge- wis weiß, was ich hoffe, was ich glaube, was ich fuͤrchte, und noch manches was mehr. Nichts war es spaͤt und fruͤhe sang sie, um alle meine Muͤhe; mein Sorgen war umsonst — Und nach Vollendung dieser Herzstaͤrckung fing sie an: Du weißt, wie sich die Lebens- laͤufe unsrer in Gott ruhenden Vorfahren an- fangen „Was nun anlanget„ Ich kann die- sen Anfang nie ohne Lust aufgeloͤset zu wer- den beten. „Was nun anlanget, die ehrliche Ge- „burt, den Tauftag, den gefuͤhrten christ- „lichen Lebenswandel, und die seelige Sterb- „stunde unsrer in Gott ruhenden Glaubens- „schwester, der Weiland viel Ehr und tugend- „samen Frauen, Frauen — — so ist selbige „— — von christlichen Eltern gebohren. „Ihr Herr Vater war der Weiland Wohl- „ehrwuͤrdige, und ihre Mutter die Weiland „— — leibliche Tochter des Weiland Wohl- „ehrwuͤr- „ehrwuͤrdigen — ihr Herr Grosvater war „der Weiland Wohlehrwuͤrdige — so viel „Weilands Wohlehrwuͤrden ohn End und „Ziel„ Bey deinem lieben Vater ist ehrliche Geburt und all Wohlehrwuͤrden in die Rap- puse gegeben. Gott gebe, daß dieser Gedancke ihm sein Sterblager nicht schwer mache. Es war im Jahr nach Christi Geburt 17 — den — da er zu deinem lieben seeligen Grosvater gegen Abend um sieben Uhr ankam. Es schlug eben unsre Stuben- uhr, die so katerhaft brumte, eh sie eins, zwey, drey, vier, fuͤnf, sechs, sieben, heraus- wuͤrgte, daß ich kein Wort von den Erstlingen deines Vaters zu vernehmen im Stande war. Er schien mir mehr mit dem Ruͤcken als mit dem Munde zu sprechen — Es war der kaͤlteste Winter, den ich erlebt habe. Ich seh noch, wie dein Vater that, als waͤsch er sich die Haͤnde. Drey Aepfelbaͤume ruͤhrte der Frost in unserm Gaͤrtchen, und auch den letzten Zahn, wie es deine Grosmutter nand- te, oder den letzten Pflaumenbaum. Dein seeliger Großvater pflegt’ im Scherz zu sa- gen, so viel waͤre wol außer Zweifel, daß das Paradies nicht in Curland gestanden haͤtte. Im Scherz sag’ ich, denn er war sonst, R 2 wie wie sich’s eignet und gebuͤhret, mit Haut und Haar, mit Herzen, Mund und Haͤnden, Curlaͤnder. Deine liebe Grosmutter, so gastfrey wie ich, bat abzulegen. Dein Vater thats nicht eher, als bis er die Anwerbung angebracht hatte — nicht um mich, so weit sind wir noch nicht, sondern um die Informatorstelle, die im Kirchspiel offen war — Hofmeister- stelle, sagte dein Grosvater, und belehrte zu- gleich deinen Vater, daß ein Prediger Pa- stor hieße, und des bin ich herzinniglich froh, und verehre im Staube die wunder- bare Schickung Gottes in Curland: denn kein Tittel hat solche Verkuͤrzungen erlitten, als Pastor auf deutsch. Erst hieß es Pfarr- herr, mithin Herr von forne und Herr von hinten, wie’s billig ist, Herr Pfarrherr. Nachher Pfarrer und jetzo Pfarr. Daß sich Gott erbarme! wer nicht buchstabiren kann, schreibt Farr, und das ist ein einjaͤhri- ger Ochse. In der Aussprache ist so kein Unterschied, wenn man auch drey Ohren haͤt- te! Mein Vater war bey Sr. Hochwohlge- bohrnen, der fuͤr seinen Sohn einen Hofmei- ster suchte, Hahnchen im Korbe. Sehr gern, sagte mein Vater, wenn wir wenig werden — Jezt Jezt spannte dein Vater sich aus, rauchte sein Pfeifchen und that eine Mahlzeit, daß meine Mutter nachher zu mir (auch im Scher- ze, denn sie hungerte vor Freuden, wenns ihrem Gast’ schmeckte) sagte: waͤre der Can- didat unter den vier tausend Mann gewesen, so viel Koͤrbe waͤren nicht uͤbrig geblieben — Dein Vater muß es selbst gemerkt haben; denn er bewies sehr gelehrt, daß man im Winter bessern Appetit, als im Sommer haͤtte, so wie eine uͤbermaͤßige Kaͤlte auch schlaͤfrig mache. Das eine hatte er weidlich bewiesen, das andre war er im Begriff zu thun. Mir strahlte dein Vater, ich muß es frey gestehen, gleich ins Herz, obgleich eine uͤbermaͤßige Kaͤlte, so wie eine uͤbermaͤßige Hitze, schlaͤfrig macht. Ich sah nicht mehr gerad aus, sondern sehr oft von der Rechten zur Linken, und war dein Vater, der uns oft besuchte, gegenwaͤrtig; so konnte mich das mindeste roth machen. Ein gestohlnes Schaaf machte mich uͤber und uͤber roth, wenn man den Dieb nicht wußte und die Frage aufwarf: wer kann es wohl gestoh- len haben? Wenn mich dein Vater fragte: ob ich wohl geruhet haͤtte? war Feu’r im R 3 Dach Dach — und ich konnt wol aus dem schoͤ- nen Liede: Ich Erde was erkuͤhn ich mich bey jeder Sylbe, die er sprach, mit Recht sin- gen: Sie sang ganz feurig wird mir mein Gesicht, und das, was meine Zunge spricht, kann kaum mein Ohr vernehmen! ich bin voll Angst und Schaͤmen — Ich weiß nicht, ob ich schon an und ausge- fuͤhret habe, daß dein lieber Vater Hofmei- ster wurde. Man hatt’ es ihm sehr nahe gelegt, ein Frauenzimmer, das der Frau vom Hause Gesellschaft leistete, schoͤn zu finden; allein er fand weder sie, noch irgend eine Dirne, also. Einige glaubten, daß er die sel- tene Gabe der Enthaltsamkeit haͤtte, davon war ich durch sein dringendes feuriges Auge eines bessern belehrt. Er blieb nicht lange Hofmeister; sondern im kurzen starb sein seeli- ger Antecessor, und er bekam das Pastorat, wo er noch bis diese Stunde Gotteswort rein und lauter, (das muß man ihm lassen) ver- kuͤndiget. Kaum hatt’ er diese Stelle, kam er wieder einen Abend und wusch sich abermals die Haͤnde. Diesmal konnt es schwerlich aus aus Frost seyn; denn es war Sommertag, Die drey Aepfel- und der letzte Pflaumen- baum haben sich nie wieder erhohlt, und den Kukuk nicht mehr schreyen gehoͤrt; denn der Garten war ohne Wintkenntnis angelegt, wie dein lieber Grosvater zu sagen pflegte. Mei- ne Mutter hatte noch nicht gebeten abzule- gen, da er mit der Anwerbung um mich an- fing — „So viel Neigung als Dankbar- keit„ Gut, sagte meine Mutter, Herr Pa- stor; allein, ehe man Ja sagt, muß man sich bedenken. Beym Nein kann man eher fer- tig werden. Sie sehen wie sehr ich zum Ja mich neige. Sie verlangte zu wissen, und das konnt’ ich ihr nicht verdenken, wo er her waͤre? wer seine Eltern waͤren? Ob sie noch am Leben? Ob er Geschwister haͤtte? und auf tausend antwortete der Herr Braͤuti- gam nicht eins. Er liebte weder die selte- nen noch gemeinen Fragen meiner Mutter, und wollte nicht mit der Sprache heraus, und da die Sache weiter getrieben wurde, er- klaͤrt’ er mit Ja und Amen: eher ungluͤcklich zu seyn, und weder Theil noch Anfall auf mich zu haben, als diesen Vorhang aufzuziehen. Deine seelige Grosmutter war das im ganzen Hause, was ich in der Kuͤche bin, R 4 und und wolte dein seeliger Grosvater wohl oder uͤbel, er mußte den Kopf schuͤtteln. Zum deutlichen Nein konnte sie es nicht bringen — Das war ein Fersenstich fuͤr deinen Vater. Er war gekommen, einen Salz einen ewigen Bund zu machen, und nun zerriß er alles aufs schierste. Starckes Laufs, ohne Schnauben oder Drehen, ohne den Staub von seinen Fuͤßen zu schuͤtteln, ohne das Wasser glum zu machen, zu reden aus Ezechiel zwey- und dreyßig, Vers zwey, ging er verstummt von seiner Schehrerin von dannen. Man sah was er litte, und gern haͤtt’ ich ihm huͤlf- liche Hand geleistet. Der Abschied war kalt und warm, saur suͤß, und weg war er. Dein seliger Grosvater hielt groß von deinem Vater und liebte ihn zu sehr, als daß er so ganz golaßen dabey bleiben sollen. Es war dein Grosvater ein grundgelehrter Mann, der aber außer der Kirche nur blos in seinem Studirstuͤbchen Potentat war, und es auch nur hier seyn wolte, obgleich deine seelige Grosmutter auch hier zuweilen ihr Licht leuchten lies, wowider er selbst nichts hatte. Was ich von seltenen Fragen und Antworten weiß: ist von ihr. Sie hatte hie- von ein Naturaliencabinet, das nicht gemein war. war. Ich hab’ oft gedacht, sie gaͤb’ ihrem Mann manche Nuß aufzubeißen: darum ihre gelehrte Fragen! ich im Druck! und darum mein Gesang! Sie wußte was fuͤr eine Farbe das Kleid gehabt, das der liebe Gott dem Adam gemacht, und behauptete, es waͤre gruͤn gewesen. Sie wußte die Apfel- art, die Adam und Eva gegeßen? wo das Paradies gestanden? und empfahl die Bir- nen, als eine unschuldigere Frucht, die auch allen Menschen beßer thaͤte. Wenn ichs auf- richtig sagen soll; so geberdete sie sich bey Aepfel und Birnen so, als ob diese ohne Erbsuͤnde, jene mit Erbsuͤnde behaftet waͤren — ich find hiebey, wenn manns dazu anlegt, viel Erbauung — Sie wußte, ob Rahel weiß oder braun gewesen? Was fuͤr Federn Ga- briel in seinen Fluͤgeln gehabt? Ob Adam mit einem Nabel versehen gewesen? Ob Da- vid ein Adagio oder Allegro vor Saul gespielt? Ob die Schrifftgelehrten Docktores in der Theologie oder der Rechte gewesen? und ob Pilatus sich mit Seife gewaschen? Wie viel- mal Sela in der heiligen Schrifft vorkaͤme? Meinem Vater fehlt’ es weder an Seel noch Leib, um meine Mutter so zu umzaͤu- nen, als ich’s bin; allein, warum er nach- R 5 gab gab, war, um sich selbst ein Kreutz aufzule- gen. Er behauptet’ er haͤtte sein Lebtag keine Niete gezogen, sondern waͤr, alstets gluͤcklich gewesen, und da man durch viel Truͤbsal zum Reich Gottes eingehen muͤßte; so litt er gern diese Ungemaͤchligkeit, beklagte sich nur gegen mich, nachdem ich mein neun- zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi- gen guten Freund — ohne Trost anzuneh- men, wohl wißend, es wuͤrde seiner lieben Frauen jedes unnuͤze Wort noch vor Sonnen- untergang gereuen, was sie geredet hatte. Dies geschah auch anfaͤnglich; allein nach der Zeit weiß ich mich zu besinnen, daß es in wichtigen Faͤllen bis zweymal vierundzwanzig Stunden waͤhrete, alsdenn aber war auch draußen schlecht Wetter, und die Sonne blieb im Bette, ohn einmal aufzustehen und zu sehen, was fuͤr Wetter es sei. Hier ist der Schluͤßel zu deines Grosvaters Charakter. Polycrates, Erbherr auf Samos, toͤdtete seinen juͤngsten Herrn Bruder, und den Bruder vor ihm schickt er nach Siberien um allein auf Samos zu wohnen. Polycrates war der aͤlteste. Alles, was er wolte, ward. Ich Ich versicherte meine Mutter, die sonst Stationes liebte, daß ich diese Geschichte zur Noth wuͤßte; allein sie hatte, wie meine Leser es ohne Fingerzeig, so gut wie ich, mercken werden, auf ihren Vortrag studirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete sie: dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonst pflegten hahn und lahn und stahn meine Busenwoͤrter zu seyn — jetzt muß ich genau auf die Noten sehen, um nicht aus der Weise zu kommen. Sein guter Freund — des Policrates nehmlich — den das Gluͤck seines Freundes nicht eifersichtig, sondern besorgt machte, bat ihn sehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum Rehbraten eßen, und nur etwas weniges sein Leben verbittern. Polycrates wirft sei- nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen faͤhet ein Fischer einen ungewoͤhnlich gro- ßen Fisch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen sich ungluͤcklich zu machen, kuͤndigt ihm nach diesem Vorfall seine Freund- schaft auf, weil er keinen so gluͤcklichen Freund haben wolte, indem er ein so großes Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht wuͤrde beystehen koͤnnen. So gesagt so ge- schehen. schehen. Er faͤngt Krieg an. Seine Toch- ter warn’te ihn, weil sie seinetwegen einen Traum gehabt. Es kam ihr nemlich vor, daß ihr Herr Vater vom Gott Jupiter geba- det, und von der Sonne gesalbet worden. Er verwarf diesen Winck, und lachte uͤber den Finger seiner wahrsagenden Tochter; al- lein siehe! Er zog nach Magnesiam, wo er von den Einwohnern jaͤmmerlich getoͤdtet, und hernach ans Kreutz geschlagen worden. So ward er, wenns regnete, gebadet, und wenn die Sonne schien, gesalbet — Diese Geschichte ist uns zur Lehre geschrieben, dachte dein seeli- ger Herr Grosvater. Er hatte in seinem Sinn die Huͤll und Fuͤll, und hielt sich so gluͤcklich, wie Polycrates, obgleich er nie einen Ring ins Meer geworfen, und wenn das Jahr um war, keinen Dreyer uͤbrig hatte. Ich fand, sagt’ er, von je her die erste Rose, das erste Veilchen, die erste reife Pflaume, gieng ich zu Bett, schlief ich, stand ich auf, war ich munter. Die boͤsesten Hunde kamen, mir die Haͤnde zu kuͤßen, um mir zu huldigen. Mein seeliger Vorfahr hat den Pastoratsgarten blos angelegt, um dem Winde ein Spielwerck zu machen; doch glaub ich, wenn ich ihn so, wie er da ist, bepflanzen solte, solte, die curschen Stuͤrme wuͤrden sich mit ihm vertragen: darum pflanze ich nicht wie- der was ausstirbt. Einen neuen Garten leg ich nicht an, um dem Boden nicht, meiner gluͤcklichen Hand wegen, Frohndienste aufzule- gen — Was ich in meiner Jugend setzte, ging alles auf. Eine Bohne, wenn sie gleich hecktisch aussahe, wuchs und trug gesunde Kinder. Schieß ich, tref ich; schießt ein andrer, weiß ich beinah mit Gewisheit am Schuß, ob Niete oder Gewinst ist. Komm ich nach Mitau, gruͤßt mich ein jeder, der mir begegnet, und jedes eher als ich. Bey allen meinen Examens ward ich uͤber das gefragt, was ich den Abend vorher gele- fen hatte. Ich schlag mit einer Klatsche wenigstens zwo Fliegen. Offt bemuͤh ich mich recht geflißentlich, nur einer aufs Haupt zu schlagen, allein, indem ich den Streich vollfuͤhren will, kommen Freiwillige dazu; dies macht mich aufmercksam. Erst dreyßig fette Jahre, dreßig Jahre ohnunterbrochnes Gluͤck, und drey Jahr darauf, mager wie Pharaos Kuͤhe. Wer nimmt sie? Dreyßig magere Jahre aber voraus, und drey fette hernach, doͤrfen nicht oͤffentlich licitirt wer- den; man nimmt mit beyden Haͤnden. Ich wolte wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens ausstreichen, was ich die vorige Jahre ge- schrieben, und wie solt ich meinem Gluͤck Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich bin gesund, hab Nahrung und Kleider, und was noch mehr ist, hab ich mich von je her damit begnuͤgen laßen — In Gottes Haͤnde konnt’ ich also nicht fallen; ich mocht’s machen wie ich’s wollte, was war zu thun? ich gab selbst Gelegenheit, in Menschen Haͤnde zu kommen. Meine Ehegenoßin muß schwei- gen in der Gemeine, und ich schweig in mei- nem Hause. Es war also, lieber Leser! mein Grosva- ter muͤtterlicher Seits, wie es scheint, ein christlicher Sokrates, meine Grosmutter aber keine Xantippe, und uͤbrigens eine so aͤchte Pastorinn, als meine Mutter; nur jede von andrer Art. Ein Mann soll meine Tochter heirathen, der nicht Schuster und Rademacher werden kann, sagte deine Grosmutter; der aber, sagte dein Vater (im sanften Tone als wenn er auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete) der aber Pastor ist. Schlecht genug, schrie sie aus, daß er durch deinen Vorschuß es worden. Ich weiß sehr wol, daß er keinen Dreyer Dreyer hebraͤisch besitzet. Hierinn hatte sie recht. Ein Pastor ohne die Sprache Gottes zu wißen! Da mein Vater wol aus dem Tone hoͤrte, daß es Zeit waͤre, entweder sei- nes Leidens ein Ende zu machen, oder sich zu- ruͤck zu ziehen; ging er gelaßen aus dem Zim- mer in sein Studirstuͤbchen, wo er auch drey Stunden eingeschloßen blieb. Waͤhrend die- ser Zeit fing meine Mutter Buͤrgerkriege mit mir an. Bald war mein Kopf ein Wetter- hahn, bald hatte ich laͤppische Angewohnhei- ten und andre sieben Sachen mehr — Der Zorn wider deinen Vater hatte sich gelegt, und sie schien es mir sehr deutlich zu verstehen zu geben, daß wenn ich nur den Kopf gerade gehalten, mein Braͤutigam wahl gesagt ha- ben wuͤrde, wer sein Vater waͤre? Endlich sprang ihr Zorn, so wie das Fieber, wenn’s nicht mehr so heftig ist, das von deinem Va- ter auf deinen Grosvater, und von deinem Grosvater auf mich gekommen war, von mir auf die Kathrine. So fuhr der Satan, meiner Mutter nicht zu nahe geredet, in die Saͤue. Kathrine hatt’ ihr, statt des Salz- faßes, Pfeffer gereicht, woran sie freilich nicht gut reichte, denn meine Mutter schuͤt- tete so viel Pfeffer in die Fische, als sie Salz gebraucht gebraucht haben wuͤrde. Pratz! eine Ohr- feige; und nun war der Zorn geloͤscht. Zwar zischt’ es noch, als wenn Waßer auf den gluͤ- henden Heerd gegoßen wird, indeßen ward es zulezt ganz, ganz mause stille. Dies Pratz war eben keine Christen- pflicht: indeßen was denckst du vom Pratz der Fr. v — welche bey ganz kaltem Blute jedes neue Dienstmaͤdchen, wenn es zum er- stenmal Hand ans Porcelain legt, mit einem Pratz bewillkommet? Warum gnaͤdige Frau? „damit ihr ein Andencken habt, so oft ihr „das Porcelain zur Hand nehmt„ Meine Mutter mochte dieser Blutreini- gung wegen gerne das alte Gesinde behal- ten, und ich bin ihrer Meinung — Es muß doch wo einschlagen, und ersticken wuͤrd ich! ich! Kreuztraͤgerinn! wenn ich mich nicht ausschelten koͤnnte — Babbe waͤre den andern Tag abgestelt, nachdem sie die Koͤnig- liche Frau Mutter gemacht hatte, wenn man mit neuem Gesinde so herumspringen koͤnnte, als mit altem — Ich weiß nicht, gegen das gemeinste Volck hab ich, bis ich bekant bin, ruͤckhaltende Achtung; ich glaub, das macht das Bild Gottes, das es traͤgt — Das Das Gebet vor Tische, welches dreymal so lang war, als leider! das unsrige ist, betete meine Mutter ungewoͤhnlich laut mit, und das war schon immer ein gutes Zeichen, denn wenn sie das ganze Haus beynahe in einander ge- worfen hatte; betete sie am lautsten und inbruͤn- stigsten, als wenn sie hiemit den Himmel ver- soͤhnen wolte, und alsdenn war es alles wie abgeschnitten. Dieser ihrer Gemuͤthsruhe be- diente sich mein Vater, deinem Vater eine Lob- rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf. Auf einmal fing sie von selbst an: Er liebt zu sehr, als daß er sie verlassen solte, und man sehe sie, wer kann dreißig seyn, ohne stehen zu bleiben und sie zu lieben (Gott hatte mich schoͤn gebildet, wie es noch am Tage ist) Wie gerad sie sich haͤlt fuhr deine seelige Großmutter fort, welche feine Arten! er wird sich besin- nen und sagen, von wannen er kommt? Es ist ein sehr geschickter, feiner Mann. Man kann mit Wahrheit sagen, das Hebraͤische ausgenommen, dein Geist, lieber Mann, ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Elisa. Ich hatte diesen Gedanken gleich, da du ihm deinen alten Mantel verkauftest. Denck das nicht, mein Kind! sagte dein seeliger Grosvater, der uͤbern Namen Elias S sich sich vergnuͤgte, ich habe wenig Aussicht; denn er haͤtte gewiß, da er in die freye Luft kam, ein freundlich Wort fallen lassen; allein — meine Mutter blieb, der freyen Luft unbe- schadet, bey ihrer Hofnung, und that unwil- lig daß dein Großvater mir nicht deinen Vater goͤnnte, dem dieser Unwillen hinrei- chend war, auch Hofnung zu fassen. Das Gespraͤch wurde auf die hebraͤi- sche Sprache gerichtet, von welcher dein lie- ber seeliger Großvater behauptete, daß sie eben nicht so noͤthig zum Diener des goͤttli- chen Worts an einer christliebenden Gemeine sey, und daß er selbst nicht einen Punkt zu verborgen, sondern nur zur hoͤchsten Noth haͤtte. Dieser letzte Umstand beruhigte meine Mutter, und mich macht’ er noch betruͤbter als ich schon war: denn das Einzige, was mich bey dem Vorfall, wenn dein Vater mich verlassen, getroͤstet haͤtte, war der Um- stand, daß er nicht Hebraͤisch konnte, und also nicht alle gesunde Gliedmaßen als Geist- licher haͤtte — — Hier hielt meine Mutter an, und nach- dem sie mich befragt, ob ich wozu Appetit haͤtte, und ich fuͤr alles gedankt, wandte sie sich nach dieser Vorbereitung ganz zaͤrtlich zu zu mir, und bat mich dringend dieser Um- staͤnde unerachtet, alle nur moͤgliche Sorge auf die hebraͤische Sprache zu verwenden, welches ich ihr auch feierlich versicherte. Es ist alle Vermuthung, daß dies die Sprache der andern Welt ist, und dann darf ich mei- nen Sprachmeister nicht weit suchen. Ich war jetzt neugierig geworden, ihre Helden Staats und Liebesgeschichte zum Ende zu hoͤ- ren, und hatte nicht Ursach hierum zu bitten. Wir gingen ein Jeglicher seinen Weg ins Bette; allein welche Vigilien fuͤr mich. So wie das Bild der Sonne im Auge fort- dauert, wenn man die Augen gleich zuschließt; so sah ich auch was ich, um zu schlafen nicht sehen solte. Eine arme Suͤndernacht war diese Nacht — In welcher Nacht ich lag so hart, mit Finsterniß umfangen; von all’n meinen Suͤnden geplaget ward, die ich mein Tag begangen. Gottlob, dacht’ ich, die Sonne! allein sie war mir nicht zum Gluͤck aufgegangen. Noch muß ich dir bey dieser erwuͤnschten Gelegenheit vertrauen, daß eben dieser Zeit- punkt der war, da ich die geistlichen Lieder als das probatste Mittel, mein aufgewiegel- S 2 tes tes Herz zu beruhigen, kennen lernte. Be- siehl du deine Wege. Was Gott thut das ist wohl gethan. Keinen hat Gott verlas- sen, das loͤschte meinen Durst bey meiner Angst. Wenn die Zunge an meinem Gau- men klebte, und ich zwischen der hebraͤischen Sprache, meiner Mutter, und deinem Vater getheilt war; fing ich an zu singen. Fuͤhlt ich gleich nicht die Wahrheit in ihrem gan- zen Umfange: Wenn ich ein Lied von Herzen sing, so wird mein Herz recht guter Ding, so ward ich doch Gott ergebener und wei- cher, und da mein ganzes uͤbriges Leben zwischen Thuͤr und Angel ist, und ich nie aus diesem Drang gekommen — sing ich weiter, bis ich kommen werde zum hohen Halleluja vor dem Trone Gottes: da, da, (Sie sangs) da ist Freude, da ist Weide, da ist Manna, Halleluja! Hosianna! Den andern Morgen ein Brief! Ein Brief, sagte meine Mutter. Hab ichs nicht gesagt. Sie wog ihn — das Geschlechtregister liegt drinn — Meine Mut- ter ter irrte; es war ein Brief an meinen Vater, und einer an mich. Auch gut, sagte meine Mutter, laß hoͤren. Der Brief an meinen Vater enthielt eine Danksagung fuͤr alle Freundschaft. Das Herz redete darin. Dem Wohlehrwuͤrdigen Mann flossen Thraͤnen die Wange herab. Jede von diesen sanft abschleichenden Zaͤh- ren verdiente in eine Perle verwandelt zu werden. Wenn er gestorben waͤre, setzte dein Grosvater hinzu, wuͤrd’ ich nicht weinen; ich hab noch nie uͤber einen Todten geweint, denn er ruhet in Gottes Hand, allein ich wei- ne uͤber ihn, weil er nicht todt ist. Es ist ein sehr ruͤhrender Anblick, einen gluͤcklichen Mann weinen zu sehen! — Ich glaube, wenn er je gewuͤnscht, ein Kreuztraͤ- ger andrer Art zu seyn; so war es jetzo. An deine Grosmutter hatte dein Vater einen kostbaren Ring beygelegt, den er, wie er schrieb, fuͤr seine Braut bestimmt gehabt, und den er jetzt nicht besser, als auf diese Art an- zuwenden wuͤßte. Mein Vater behauptete, dieses waͤre das lezte Lebewohl, meine Mut- ter, es sey ein frischer Wurm zum Hamen. Mein Vater und meine Mutter behaupteten jedes seine Meinung, und ich aͤrgerte mich S 3 uͤbern uͤbern Wurm, wie Jonas uͤber den, der ihm den Kuͤrbis stach. Wuͤrde er wohl, sagte meine Mutter mit entscheidendem Tone, solchen Ring beyge- legt haben, wenn er nicht unter der Wildschur ein ander Kleid haͤtte — Ich weiß nicht, warum mir dieser Grund gleichfals sehr wahr- scheinlich auffiel; allein desto heftiger war mein Entsetzen, da ich vernahm daß er den Pastor L — fleißig besuchte, und daß er die juͤngste von seinen Toͤchtern, welches ein sehr lustiges und huͤbsches Maͤdchen war, heirathen wuͤrde. Diese Zeitung blitzt’ und traf, ich fiel so lang ich war zu Boden, und ward herzlich, jawohl herzlich Krank. Die ganze Gegend wußt’ jetzo, daß dein Vater die Gabe der Enthaltsamkeit nicht hatte, desto besorgter war ich, denn so unangenehm es mir war, daß dein Vater nicht hebraͤisch konnte, wovon leider! manches geredet ward, so sehr lieb war es mir dagegen, daß man ihm die seltene Gabe der Enthaltsamkeit andichtete. Ich stand entsetzlich viel aus. Zu dem Geruͤchte wegen der juͤngsten Tochter des Pastors L — kam ein Traum, dessen ich mich jetzo erinnerte, und den ich, von der Stunde der Erinnerung an, Tag und Nacht in in eins weg traͤumte. Die Nacht auf den Abend, da dein Vater die erste Mahlzeit bey uns aus allen Kraͤften that, und da er zu seiner Entschuldigung behauptete, daß man im Winter bessern Appetit haͤtte, als im Sommer, die Nacht auf diesen Abend traͤumte mir, daß die juͤngste Tochter des Pastor L — mir Gift eingaͤbe, und da es wuͤrkte, billigt’ ihr Vater dieses Verfahren, und wollte mir noch eine vergiftete Pille von derselben Art im Saͤftchen beybringen, um wie er sich grosmuͤthig ausdruckte, mich nicht lange quaͤlen zu lassen; allein seine Tochter ward des Landes verwiesen, und er ward Praͤposi- tus — wie besonders doch ein Traum ist — Er Praͤpositus! Sie des Landes verwiesen! Daß ich das Saͤftchen des Herrn Pastor L — verbat, weiß ich! allein ob ich von dem Gift seiner Tochter gestorben, oder nicht? konnt’ ich mich nicht besinnen. Ich hatte bis dahin keine andere, als biblische, oder sol- che Traͤume gehabt, die in der heiligen Schrift vorkommen. Die sieben fette und sieben magere Kuͤhe des Pharao zum Exempel, und die Sonne, Mond und Sterne des Jo- sephs, waren offt vorgefallen, und kein ehrli- ches Maͤdchen muß, ehe sie Braut wird, an- S 4 ders ders als biblisch traͤumen. Dieser Gift- traum richtete mich voͤllig hin. Zwar er- zaͤhlte dein lieber Vater eben diesen ersten Abend, daß er den Pastor L — und sein Haus kenne, und haͤtte sich freilich alles na- tuͤrlich erklaͤren lassen; indessen ist und bleibt dieser Traum immer was besonderes. Man sage von den Cometen was man will; sie sind und bleiben doch Cometen. Mein Blut siedete auf — Ich hoͤrt’ es kochen, wie das Wasser in einer Theemaschiene, allein deine Grosmutter hoͤrte nicht sieden, nicht kochen. Sie nahm die ganze Sache auf die leichte Schulter, bis sie zu ihrem Erstaunen sahe, daß mir daß Herz zu brechen anfing. Jetzt dachte sie auf eine Cur, und diese glaubte sie mit dem Ringe auszurichten; allein sie goß Oel zum Feu’r. Ich lag in einer Unge- witterhitze. Es kam ihr vor, es haͤtte sich Etwas abgekuͤhlt, und nun glaubte meine Mutter waͤr’ es Zeit, die Mediein einzuneh- men. Sie schenkte mir den Ring und ich mußt’ ihn anlegen, allein sie goß Oel, sie- dend Oel zum Feu’r. Von dem Spitzchen, wo der Ring seinen Lauf angetreten, gings durch alle Adern — wellenschlagend! und ich schien außer Hofnung. Man nahm mir den den Ring ab, allein das Feu’r, das er ange- zuͤndet hatte, wuͤtete fort. Das Feuer ist ein schreckliches Element! In der Hitze wolt’ ich durchaus hebraͤisch lernen, und um mich zu beruhigen, mußte dein seelger Grosvater mich darinn unterrichten. Wenn ich zu mir selbst kam, seufzete ich nicht uͤber meine Mut- ter, sondern uͤber des Pastor L — juͤngste Tochter. Der liebe Docktor Saft, deßen Sohn dir naͤchst Gott geholfen, half mir. Sein Recept war dein lieber Vater, und eine Mixtur von seiner eigenen Erfindung. Er war in der Medicin, so wie in Liebesan- gelegenheiten, gleich starck und brauchbar. Sein Herr Sohn ist ihm in der letzten Kunst nie gleich gekommen. Der alte Docktor Saft hat Wundercuren durch Heyrathen gethan. Er verhieß es feyerlich, deinen lieben Va- ter zuruͤck an Ort und Stelle zu bringen. Ich sahe zwar noch nicht; allein ich fuͤhlte die Farben wie Blinde — Wie viel haͤtt ich drum gegeben, wenn meine Mutter den Docktor Saft sogleich seine Straßen zie- hen laßen. (Ich will meine Mutter, ihrer Lunge und der Geduld meiner Leser halber, abloͤsen, und das in Kurzem sagen, was sie im Langen gab) S 5 allein allein meine Grosmutter und Dockter Saft gaben sich noch schwere Fragen auf. Vom Kleide Adams und von seinem Nabel, vom Apfel, den er gegeßen, von der Gesichtsfarbe der Rahel, und uͤber den Punckt ob Pilatus sich mit Seife gewaschen? obgleich meiner Mutter in ihrer Verfaßung mit nichts weni- ger, als schweren Fragen gedient war. Mein Vater kehrte um und erhielt Ja, von Mutter und Tochter, ohne daß er sagen durf- te, von wannen er kaͤme. Wer am wenigsten damit zufrieden war, ist keine critische Frage. Der D. Saft sagt’ indem er fortging: Waͤr dieser Trost nicht kommen, so haͤtt es große Noth — Diese Spoͤtterey haͤtt’ ich ihm vergeben, versicherte meine Mutter, wenn sie blos mich, und nicht zugleich ein geistliches Lied betroffen haͤtte. Pastor L — war bitter boͤse, obgleich seine Tochter ohne hitziges Fieber davon kam, und ihr Vater das Hebraͤische in der Fieber- hitze nicht prostituiren durfte. Er hielt als Beichtvater die Traurede bey dem Myrthen- feste meines Vaters, wobey er die Vorzuͤge der ehelichen Geburt abhandelte. Hiebey fie- len so viel Satyren auf meinen Vater, daß der arme Mann zum allgemeinen Gelaͤchter wurde. wurde. Eine gewiße Frau v — warf den ersten Stein, und nahm Gelegenheit, in oͤf- fentlichen Gesellschaften zu behaupten, er sey, wie sie sich ausdruckte, vom Ranapee und nicht aus dem Ehebette. Sie schadete sich indeßen mit diesem Steinwurf. Sie warf ihn so ungluͤcklich, daß er auf Ihro Gnaden zuruͤckfiel. Denn es kam bey dieser Stammgelegen- heit aus, daß Ihr Herr Vater seeliger nicht wirklich Vater gewesen, sondern einer seiner Leute, den Hofmeister, Jaͤger, die Bedien- ten, Vorreuter ausgenommen, Vaterstelle vertreten — und so gings bey dieser Gele- genheit sehr vielen, an deren ehelichen Ab- kunft vorher Niemand gezweifelt hatte, in deren Auge, Nase, Mund und andern Gesichts- stellen man aber jetzo einen andern Vater lesen wolte. Ein Ausdruck des Pastor L, — war meinem Vater am gefaͤhrlichsten geworden. Nach der Weise Melchisedech. Meine Mutter sagt ihn mir ins Ohr. Mein Kind, setzte sie hinzu, dieser Name hat mir tausend und abermal tausend Thraͤnen gekostet, und unter uns gesagt: Waͤr es kein Vorbild, ich haͤtte gewuͤnscht, es waͤr’ an Melchisedech nicht nicht in der heiligen Schrift gedacht. Mein Vater wußte, daß ihn die ganze Gegend mit diesem Beinamen bezeichnete, und das ging ihm so nahe, daß er, wie meine Mutter ver- sicherte, druͤber seines Lebens wuͤde ward. (Hier muß ich wieder meiner Mutter den Lauf laßen) Melchisedech war ein Koͤnig zu Salem, sagte sie ganz leise und auf Zehen, ein Pri- ster des Allerhoͤchsten, oder Herzog und Su- perintendent von Curland in einer Person. Da dein Vater kein Koͤnig ist, paßt der Name von dieser Seite nicht, allein sonst paßt viel: Kein Mensch weiß, wo Melchise- dech gebohren, wer sein Vater gewesen, sein Geschlecht, sein Tod, alles geheim — als Abraham von der Verfolgung der vier vereinigten Koͤnige, welche die Koͤnige zu Sodom und Gomorra uͤberwunden, und den Loth, seinen Vetter mit sich als Kriegsge- fangenen gefuͤhrt, heim kam, ging ihm Sr: Hochwuͤrdigste Majestaͤt Melchisedech bis ins Thal Sare entgegen, (dieses Thal ward Koͤnigsthal benennt) lies den Abraham eine schoͤne Tafel decken, und sprach folgenden Seegen uͤber ihn: Geseegnet seyst du, Abra- ham, dem hoͤchsten Gott, der Himmel und Erde Erde besitzet, und gelobet sey Gott der Hoͤchste, der deine Feinde in deine Hand be- schloßen hat. Abraham gab dem Seegnen- den den zehnten von allem, und mehr wißen wir von Melchisedechs Geschichte nicht. Wol aber spricht der Psalmist im ein hundert und zehnten Psalm und dessen vierten Vers: Du bist ein Priester ewiglich, nach der Weise Melchisedech. Im Briefe an die Hebraͤer im fuͤnften Capittel und dessen sechsten und zehnten Vers, und im sechsten Capittel und zwanzigsten, im siebenden und dessen ersten, zweyten, und dritten Vers entwickelt sich dieses naͤher, welches du, wenn dein Vater nicht dabey ist, weiter nachlesen kannst. Ich fand die Bemerckung meiner Mutter sehr bewaͤrt, daß mein Vater weder oͤffent- lich noch haͤußlich diesen Namen ausge- sprochen. Die Rachreden vom Kannapee, welche die Frau Schwiegermutter ihrem Herrn Schwiegersohn getreulich, und oft wol mit bittern Salsen, wie meine Mut- ter sagte, vorsetzte, haͤtten meinem Vater unfehlbar auf den Kirchhof gebracht, so, daß sein Tod gewis kein Melchisedechs Tod gewesen waͤre, wenn er sich nicht mit einst ermannet, und uͤber die Worte: Richtet nicht, nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet, eine Predigt gehalten haͤtte. In dieser Predigt, sagte meine Mutter, war so viel Salz und Schmalz, daß alles wie Schne- cken, wenn sich ein Blaͤdchen ruͤhrt, die Hoͤr- ner einzog. Sein bluͤtuͤbertragenes Herz bekam Luft, und er genas. Nach der Pre- digt ward das Lied: In dich hab ich gehoffet Herr, gesungen, welchem M. Jacob Daniel Ernst, in der Historischen Confecttafel, die ruͤhrende Befreiung des Herrn Andreas Steinberg, wolverdienten Pfarren zu Bu- din in Boͤhmen, zuschreibet, und wider wel- ches ich kein Wort habe, außer, daß mir der dritte Vers zu kriegerisch vorkommt. Mein Gott und Schirmer steh mir bey, sei meine Burg, darinn ich frey und ritterlich mag streiten — (Sie sang die drei letzten Strophen, die sich anfangen:) Mir hat die Welt truͤglich gericht’t, mit Luͤgen und mit falschem Gedicht ‒ viel Netz und heimlich Stricke; ‒ ‒ Haͤtte es deinem lieben Vater gefallen, mich bey dieser Liederwahl zu Rathe zu zie- hen; so wuͤrden die Lieder einen eben so algemeinen Beyfall gefunden haben, als die fanden, fanden, welche ich bey deiner Predigt erkohr. Jedes sprach von deines Vaters Predigt, Niemand aber dachte an die Lieder, und doch gehoͤrt zur Seelenmahlzeit Eßen und Trin- ken, Predigt und Gesang. Geschehene Dinge waren nicht zu aͤndern. Ich konnte nichts mehr thun, als zu Hause, um feu- rige Kohlen auf deines Vaters Haupt zu sammeln, einige treffendere Strophen singen. Ich sang, (Sie sang auch jetzo) Woher wolt’ ich den Aufenthalt in dieser Welt erlangen? ich waͤre laͤngst schon tod und kalt, wo mich nicht Gott umfangen, mit seinem Arm, der alles warm gesund und froͤlich machet; was er nicht haͤlt, das bricht und faͤllt; was er erfreut, das lachet. und gleich darauf stimmte sie an: Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus der Noth. Er naͤhret und giebt Speisen, zur Zeit der Hungersnoth, macht schoͤne rothe Wangen, oft bey geringem Mahl, und die da sind gefangen entreiß’t er dieser Quaal. Das Das Lied: mein Dankopfer Herr! ich bringe, ist wie auf diese Predigt gemacht. Dies Lied sang indeßen meine Mutter nicht; sondern empfahl es mir zum Nachlesen. Was es heiße: fuhr sie fort, er predigte ge- waltiglich, hab ich in dieser Predigt gelernt. Dein Vater trieb seine Feinde zu Paaren, zu Einzeln trieb er sie; ihre Staͤte war nicht mehr. Melchisedech und Kannapee waren nun wieder Melchisedech und Kannapee. Gott sey dafuͤr gelobet und gebenedeyet! Meine Mutter versicherte mich hiebey mit Thraͤnen, daß sie in der kritischen Zeit kei- nen Menschen aufs Kannapee zu noͤthigen das Herz gehabt; wie sie denn auch auf die Rechnung Melchisedechs schrieb, daß ich erst im dritten Jahre, nach ihrer Verheiratung, das Licht der Welt erblickt, (in parenthesi, ich war die erste und letzte Geburt.) Es werden nicht viele seyn, welche die eheleibliche juͤngste Jungfer Tochter des Herrn Pastors L —, die ein Comet in die- ser Geschicht’ ist, weiter intreßirt, als daß sie, ohne hitziges und hebraͤisches Sprachfieber, abgekommen; indeßen um alle Gerechtigkeit zu erfuͤllen, mag der geneigte Leser observi- ren, daß mein Vater ihretwegen auch nicht ein ein Wort beyher fallen laßen. Es war auch in diesem Pastorat erschollen, daß mein Va- ter die Gabe der Enthaltsamkeit nicht haͤtte, und dies bewog den Pastor L. und die Pasto- rin, (ob die Toͤchter dran Antheil gehabt, wußte meine Mutter nicht,) meinen Vater zum Gastmal einzuladen. Er kam, und be- gruͤßte die juͤngste Tochter des Pastor L. eher, als ihre aͤlteren Schwestern, und auf diesen Umstand gaben ihre Eltern die Einwilligung. Sie gefiel nach der Zeit dem — v — und da sich dieser mit seinen Lippen schon offt und viel zu ihr genahet, obschon sein Herz ferne von der heiligen Ehe war, geschah es, daß er sich einstmahls noch mehr naͤhern wol- te, und sie — gab ihm mit tugendhafter Hand eine Ohr — Die Sache ward rucht- bar, und macht’ in Curland ein großes Auf- sehen. Einige von den alten Haͤusern votir- ten, daß der juͤngsten L — die Hand ab- gehauen werden solte: andere Haͤuser, wo eben die Soͤhne von Universitaͤten gekommen waren, (denen vieleicht dergleichen Ohrfeigen nichts ungewoͤhnliches waren) votirten, daß die Hand eines artigen Maͤdchen keinen Cavalier entehren koͤnnte. Die Stimmen waren sehr getheilt. Die Sach’ indeßen T ward ward zum Vergleich ausgesetzt, und schloß sich, wie sich die Comoͤdien alle schließen, mit der Heirath. Der Herr v — heirathete, o! Wunder uͤber Wunder! die juͤngste Toch- ter des Pastors L — So kann man auch zum Ehemann, und nicht blos zum Ritter geschlagen werden! In Curl — konnte aber dieser Graͤuel von Seiten des — v — nicht von der Sonne beschienen werden. Der Pastor gab Geld und die Tochter, — der Geschlagene nichts als Ja — weil er nichts weiter hatte, und ein Krippenritter war. Das Paar reisete ab. Gluͤckliche Reise! Mein Gifttraum, sagte meine Mutter, war wenigstens von Seiten der juͤngsten Tochter des Pastors L — puͤnktlich erfuͤllet; ob- gleich der Pastor L — niemals Praͤpositus geworden ist, und es auch schwerlich werden wird. Sein Saͤftchen war der Melchisedech, welches du ohne Auslegung verstehen wirst. Meine Mutter nahm mich beym fuͤnften Westknopf, von oben gezaͤhlt, und hielt mir, wegen des Namens Alexander, eine sehr lange Rede, die mir zugleich aufklaͤrte, warum sie mich, wie es meine Leser selbst gehoͤrt, statt Alexander Einhoͤrnchen genandt. Diese Aufklaͤrung bin ich meinen Lesern zu ihrer gleich- gleichmaͤßigen Aufklaͤrung schuldig. Meine Mutter war im Grunde auch nicht zufrieden, daß der Ehrn Einhorn Weiland, zweiter Superintendent in Curland, Alexander ge- heißen, vielmehr sagte sie, welches mich er- schrecklich befremdete, Herr Superintendent Einhorn haͤtte beßer gethan, wenn er bey der heiligen Schrifft geblieben waͤre. Ich kanns nicht bergen, fuhr sie fort, daß ich dem Namen Habacuc vorzuͤglich zugethan bin, und wenn du so hießest, ich wuͤrde den silber- nen Becher mißen, der noch von meinem Gros- vater ist. Wenn ichs aͤndern koͤnnte, Ha- bacuc solte mir gewiß nicht unter den klei- nen Propheten seyn. War aber der Na- me Habacuc Sr. Hochwuͤrden dem seelgen Herrn Superintendenten nicht genehm, wa- rum nicht einer von den großen Propheten, Jesaias, Jeremias, Klaglieder Jeremiaͤ, Ezechiel oder Daniel? Warum denn Alexander, ein Name, der in der heiligen Schrifft nicht sonderlich angeschrieben ist, und von dem es in der zweyten Epistel an den Timotheum, im vierten Capitel und vierzehnten Vers etwas mißlich heißt: Alexander der Schmid hat mir viel Boͤses beweiset, der Herr be- zahl ihm nach seinen Wercken, vor wel- T 2 chem chem huͤte du dich auch, denn er hat un- sern Worten sehr widerstanden. Ich sahe deinen Namen nicht anders, als einen Hoͤcker an. Damit ich mich in- dessen uͤber diesen Auswuchs einigermaßen be- ruhigen moͤchte, nanndt ich dich Einhoͤrnchen, und dachte, geschieht dies am gruͤnen Holz’, am Ehrn Einhorn Weiland zweyten Supe- rintendenten in Curland, was will am duͤr- ren, deinem lieben Vater, werden, von dem man außer, daß er in seiner Jugend fruͤher Spargel gegessen als in Curland, nicht viel mehr weiß, was hieher gehoͤren koͤnnte. Wie unzufrieden meine Mutter mit dem Alexanderspiel, wobey ihre Koͤchin Babbe die koͤnigliche Frau Mutter vorstelte, gewesen, hab ich nie so deutlich als jetzt erfahren. Sie bezeugt’ ihren Todhaß gegen den Hercu- les, den mir mein Vater, wie sie sagte, so suͤß vorgepfiffen, daß ichs bedauret, nicht auch Schlangen in der Wiege erdruckt zu haben. Hercules ist am Ende, sagte sie, ein blinder Heide, und Alexander auch. Ich freue mich, daß dein lieber Vater selbst in diesem Stuͤcke seine Voreilung einsiehet, und dich nicht mehr Alexander, sondern mein Sohn heißt. Du bist, Gott sey gedanckt, schier ein guter Pro- pheten- phetenknabe zierlich, manierlich! allein noch besser wuͤrdest du seyn, und nicht so offt in Gedancken, Geberden, Worten und Wercken trommeln und querpfeifen, du wuͤrdest deine Meinung ohne Schaͤumchen aufgießen, wenn dein lieber Vater dich gleich mein Sohn, und nicht Alexander aufgerufen. So bald ich dir anrieth, Saͤrger zu schnitzeln, und Leichen zu begraben, lehrt’ er dich Spieße und Bogen machen, und noch ganz klein stelte er tuͤrkische Bohnen wie Soldaten, von denen du Gottlob! damals keinen Begrif hat- test. Wenn dich Leute kuͤßen wolten, stieß er sie von dir. Brecht die Rose nicht, damit sie nicht welck werde. Er schien zu meinen, daß dir durch Kuͤße das Fett abgeschoͤpft wuͤrde. Wenn er lieben wird, setzt’ er hin- zu, kann er kuͤßen. Ich gab dir die wolge- meinte Lehre, wenn eine große und kleine Pforte zu einem Wege fuͤhrt, gehe durch die Kleine, und hab’ auch hiebey erbauliche Ge- danken — Dein Vater sagte durch die Große — Ich, wenn du gaͤhnst, schlag ein Kreutz und halt die Hand vor. Dein Vater, schlag kein Kreutz und laß jedem deinen Mund sehen, (in diesem einzigen T 3 Stuͤck Stuͤck hab’ ich ihm nach der Zeit Recht ein- geraͤumt) Ich, wenn dir Brod oder Bibel, Gesang- buch und Luthers Catechismus, aus den Haͤn- den faͤlt, kuͤß, Brod, Bibel, Gesangbuch und Luthers Catechismum. Dein Vater, kuͤß weder Brod, Bibel, Gesangbuch noch Luthers Catechismus, heb auf was faͤlt und Aufhebens werth ist, was Erd ist laß zur Erde werden — Ich gratulir’ am ersten Advents Sonn- tag zum neuen Jahre; denn es ist der erste Tag im Kirchenjahre, und wuͤnsche nicht nur dieses, sondern noch viele neue Kirchenjahre in Seelen und Leibes Wolergehen anzufan- gen und zu beschließen. Ihm ist der erste Advent, wie der erste Sonntag nach Trini- tatis — mir nichts dir nichts. Kaum daß er am Laien Neujahrstage, das ist den er- sten Januar, Gluͤck wuͤnscht. Was ich eine Nickel, und unehrlich nenne, heißt er unehe- lich. Bey dem letzten Umstande denck ich mehr, als ich sagen kann. — Aus dem schnaubenden Saul ward ein frommer Apostel Paul, und auch du mein lieber! kann gleich aus keinem Alexander ein Haba- Habacuc werden; fleißige dich demnach bey Leibesleben Superintendent in Curland zu werden. Der Name selbst wuͤrde, da schon zwey Alexanders Superintendenten gewor- den, wol Etwas von seiner Haͤrte verlieren, wie Senf durch Zucker — Hier sah man meiner Mutter eine gewiße Sohnsfreude an, die bey Muͤttern die einzige ihrer Art ist. Wo ist ein Mahler, der die Marien- freude ausgedruckt hat? Sie haͤtte keinen heiligen Schein noͤthig, wenn dies ein Mah- ler treffen koͤnnte! Man rechne so genau man will, sagte meine Mutter schluͤßlich, ein kleiner Bruch bleibt bey einem jeden Men- schen uͤbrig — Er aber, der in dir ange- fangen hat das gute Werck, woll’ es durch seinen heiligen Geist in dir bestaͤtigen und vollfuͤhren, und dich kraͤftigen und gruͤn- den, ihm sey Ehre und Lob und Preis. Amen, Amen. Was mich betrift — Sie sang: ich bins gewis und sterbe drauf, in meines Gotteshaͤnden; mein Kreutz und ganzer Lebenslauf wird sich noch froͤlich enden. T 4 und und nach dieser Strophe: Thu wie ein Kind und lege dich in Gottes Vaterarme, und laß nicht nach, bis daß er sich dein vaͤterlich erbarme; so wird er dich durch seinen Geist, auf Wegen, die du jetzt nicht weißt, nach wohlgehaltnem Singen aus allen Sorgen bringen. Im Liede steht Ringen anstatt singen. Wer wird indeßen meiner Mutter diese Aenderung verdencken? Lieber haͤtte sie, das weiß ich, nach wohlgehaltenem Tackte gesungen, sie mußt’ aber den Reim bedencken. Sie schloß in Prosa mit wiederhohlent- lichem Amen, Amen. Nach dieser Erzaͤhlung und diesen muͤt- terlichen Wuͤnschen laß sie mir einen Aufsatz vor, den zum groͤßten Theil ihr Vater fuͤr ihren Bruder aufgesetzt hatte, welcher aber in der Kinderlehre geblieben, wie sie sich aus- druckte. Vieles, sagte sie, ist deines Vaters, das meiste gehoͤrt mir. Ich will es meinen Lesern zum Besten von maͤchtiger zu maͤch- tiger Staͤte, von treuen zu treuen Haͤnden mittheilen. Noch Noch nie war mir die Geschichte meines Vaters so sehr aufgefallen, als jetzo, wo mir die kleinsten Umstaͤnde nicht Adiaphora mehr waren, obgleich ich Summa Summarum nicht viel mehr erfahren, als ich schon wußte. Zu dem Spargel und der Pfeife in der freyen Luft und den langen Manschetten war nur ein Kannapee und der koͤnigliche Priester Melchisedech gekommen. Ein Name, den ich noch nicht ohne Bangigkeit, man moͤcht’ ihn uͤbel deuten ausspreche, und den ich meinen Lesern, so offt er vorgekommen, ins Ohr ge- schrieben habe. Denckzettel an den, der unter meinem Herzen und an meiner Brust lag, welche Niemand außer seinem Vater (und der nur beilaͤufig) vor und nach ihm gesehen hat, der den ‒ ‒ ‒ 17 — in einem kalten Winter meinen Leib oͤfnete und schlos, dem ich die Haͤnde falten und Gott aus- sprechen lehrte, und den ich in diesem Jammerthal, wo man auch bey fruͤhen Spargel nicht an Ort und Stelle ist, nicht mehr sehen werde, aber — dort bey dem Herrn! allezeit. Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heucheley sey, nicht ein Kranz, der Firne T 5 Wein Wein anmeldet, wo doch nur Heerlingssafft ist, und suche nicht Ruhm bey Leuten durchs Weiße in deinem Auge, und durch ein Aus- sehen, als wenn du den Tag zuvor Medicin genommen. Die ganze Natur ist froͤlich und guter Dinge. Ehre Vater und Mutter mit der That, mit Worten und Geduld, auf daß ihr Seegen uͤber dich komme: denn des Va- ters Seegen baut den Kindern Haͤuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder. Ihr Unwillen beschaͤdigt das Dach, und es regnet ein ewiglich. Wie kann der Gott lieben, den himmlischen Vater, der nicht die liebet, die das wohlgetrofendste Bild vom Schoͤpfer und Erhalter an sich tragen: ehre Vater und Mutter, damit dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Sprich, wenn du Melchi- sedech sagen wilst, der koͤnigliche Priester so wie man den David den koͤniglichen Prophet heißt, obgleich er auch in der Apostel Geschich- te, im zweiten Capittel, im neun und zwan- zigsten Vers, Erzvater genanndt wird. Ge- dencke wenn du Spargel ißt, oder eine Pfeife in freier Luft rauchest und lange Manschet- ten siehst, oder Wein an der Quelle trinckest, deinen Vater ehren ist deine eigene Ehre, und deine Mutter verachten, heißt einen stinkenden Othem Othem haben. Ein gutes Gewissen ist bes- ser als zween Zeugen. Es verzehrt deinen Kummer, wie die Sonne das Eiß. Es ist ein Brunnen, wenn dich durstet, ein Stab, wenn du sinckest, ein Schirm, ein rigascher Pastorhut, wenn dich die Sonne sticht, ein Kopfkuͤßen im Tode — Der Herr unser Gott ist der Allerhoͤchste, und er schuf Loͤwen und Froͤsche, Adler und Muͤcken, und alles was auf Erden kreucht. Kein Sperling faͤlt ohne seinen Willen, und in ihm leben, weben und sind wir. Gleiche Bruͤder glei- che Kappen. Gleichheit sagt dein Vater ist das Winkelmaas der Menschheit. Wer nicht uͤber andere wegsieht, und am Tisch sich oben ansetzet, und nach der Hechtleber langt, er- regt keinen Neid, und Niemand spricht zu ihm: weiche diesem. Der groͤßte Huͤmpler die meisten Spaͤhne. Keine Antwort ist auch eine Antwort. So wie das Wasser Feuer loͤscht, so uͤberwaͤltiget die Bescheiden- heit den Stolzen. Sie ist der Ring, den man den Baͤren durch die Nase zieht. Gut macht Blut, Blut macht Muth, Muth macht Uebermuth. Es ist eine schwere Sa- che um die aͤchte Schaamroͤthe. Bey vielen ist sie Schmincke, und Pfui uͤber die viele. Wenn Wenn sie aber anch gesundes unverfaͤlschtes Blut ist, kann man sich schaͤmen, daß man Suͤnde daran thut, und kann sich schaͤmen daß man Gnade und Ehre daran hat, vor Gott und Menschen. Wer A sagt muß B sagen. Aus Schaam sterben heißt eben so viel, als aus Furcht sterben. Die Schaam- roͤthe bleichet nach einer Weile aus, wie eine sechsstuͤndige Provinzrose. Kirchenbuß ist kein Staupenschlag. Wasch mir den Peltz, und mach ihn nicht naß. Wer ein Tyger in seinem Haus’ ist, pflegt ein Schaaf außer demselben zu seyn. Sey langsam zu reden, schnell zu hoͤren und langsam zum Zorn, denn des Menschen Zorn thut nicht was vor Gott recht ist. Kaltes Blut hat mehr Unheil gestiftet als der Zorn! Thue nichts Boͤses, so wiederfaͤrth dir nichts Boͤses. Halte dich vom Unrecht, so trift dich kein Ungluͤck. Was boͤs’ ist bleibt boͤse, wenns gleich viele thun. Wie das Bett so der Schlaf. Ringe nicht nach Gewalt bey Fuͤrsten, denn sie sind Men- schen und koͤnnen nicht wenn sie auch wolten. Sey froͤlich mit den Froͤhligen und weine mit denen, die zerschlagenes Herzens sind, denn Gott schuf uns all aus einem Erden- kloß, und blies uns einem lebendigen Othem in in die Nase, und da ward eine lebendige Seele. Verzweifle nicht, wenn die Glocken um deinen Freund gezogen werden, und wenn es von ihm heißt: er ist versammlet zu sei- nen Vaͤtern. Freue dich nicht, wenn dein Feind stirbt, gedenke, daß wir alle sterben werden, muͤß’n all davon, gelehrt, jung, reich, alt, oder schoͤn, Wilst du den Frevler kennen, sieh ihn wenn sein Feind den Arm bricht. Artet sein Herz zum Jubel aus, und raucht sein Haupt wie eine Flasche alter Wein, wenn man die Propfe herausgezogen; so hast du ihn auf ein Haar, wie dein Vetter getroffen ist, im Kupfer- stich — Wenn gleich der Gottlose in einem Pallaste wohnet, irre dich nicht. Sein Pal- last ist wie das Hauß der Spinne und wan- ckender, wie ein Schauer, das der Waͤchter sich gemacht hat — Es kommt die Stunde, da Schrecken ihn treffen, wie Waßer! Ein Platzregen kommt uͤber ihn, wenn er ein seid- nes Kleid an hat. Ohne Ordnung faͤlt man uͤber ihn her, wie durch ein gesprengtes Thor; wie eine eingenommen Feste wird man ihn umzingeln. Ist nicht Tag und Nacht, Som- mer und Winter, kalt und warm? Es liegt alles alles Fingerdick in der Welt, das Gute und das Boͤse. Harre auf den Herrn, deine Seele hof- fe auf ihn, er wirds wohl machen. Gott zer- schmeißet und seine Hand heilet. Aus sechs Truͤbsalen wird er dich erretten, und in der sie- benten wird dich kein Uebel ruͤhren. Er wird deine laße Haͤnde staͤrken, damit du zu deiner Predigt den Tackt schlagen koͤnnest zur rechten Zeit, und wenn deiner Seele widert, den duncklen Weg zu gehen, den kein Vogel entdeckt, und keines Geiers Auge gesehen, wenn es stock finster ist, sey Gottes Wort deine Leuchte und das Licht auf deinem We- ge. Er! der den Winden den Weg wies, fuͤhret seine Heiligen zwar wunderlich, doch seelig. Unsere Kraft ist nicht steinern, unser Fleisch nicht ehern, das weiß, der uns schuf, und wird unser Lager leichtern und dir einen D. Saft senden, wenn du kranck bist, und einen Troͤster, wenn deine Seele wimmert. Nichts kann uns mehr verstimmen, als das Geschrey kleiner Kinder! die leibliche Eltern finden es unertraͤglich, denn die Erbsuͤnde ists, die aus dem Kinde schreyt, und sein Weinen verraͤth Unverstand und Eigensinn. So ist unser Weinen und Heulen dem lieben Gott — Kindergeschrey! Wer Wer am Wege baut, hat viele Meister. Leihe nicht einem Gewaltigern denn du bist. Leihest du aber, so acht es gestreut auf einem undanckbaren Acker. Brich den Hungrigen dein Brod, und so du einen nackt siehest, glaube daß ein Loch in deinem Strumpfe sey. Na- ckend bist du von deiner Mutter Leibe gekom- men, und nackend wirst du auch heimfahren aus diesem Elend. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Halleluja! Ein neuer Freund ist ein neuer Wein, laß ihn alt werden, und denn koste ihn und siehe da, solch ein Wein erfreuet des Menschen Herz, daß er jung wird wie ein Adler. Wer Pech angreift besudelt sich, wer mit Leidenschaft spielt, hat Lust zu betruͤgen, und wer offt tantzt, will heyrathen. Sey zuͤchtig, wenn von Dingen die Red’ ist, die die Natur selbst mit Feigenblaͤttern verhangen hat. Gewoͤhne dich nicht zur Saͤngerinn, daß sie dich nicht mit einem Triller in die Flucht schlage, und dich zum schimpflichen Gefangenen mache fuͤr und fuͤr. Hoͤre lieber eine Nachtigal, eine Lerche, oder so Etwas, und dein Gemuͤt wird gesund zu derselben Stund. Mit Ringen zu spielen ist nur dem Doge zu Venedig am Himmelfahrtstage erlaubt, wenn er sich mit der der adriatischen See verlobet. Ich halt selbst dies Spiel fuͤr suͤndlich und anstoͤßig, wenns gleich der heilige Dreyfuß oder Sorg- stuhl, auf dem dein Namens Vetter, Pabst Alexander der dritte saß, im Jahr 1174 ver- ordnete. Man muß sich nicht verloben, wenn man nicht heyrathen will. Man muß keiner adriatischen See einen Ring geben, die nicht unsere Frau werden kann. Du verstehst was du hoͤrest und liefest mein Sohn! Merke wohl was ich sage! (Die adriatische See war ohne Zweifel Minchen) Wehe dem Juͤngling, der einer Dirne verspricht was er nicht erfuͤllet, der mit ihr handgemein wird, wenn er nicht herzgemein mit ihr zu werden in den Umstaͤnden ist. Leute dieser Art meiden das Land wie die juͤngste L — an der mein Traum erfuͤllet ist, und ihr Krippenritter, von dem mir nie Et- was getraͤumet hat. Falsche Juͤnglinge bauen ein Geruͤste von Schmeicheleyen und wenn ihr Gebaͤude fertig ist, zerstoͤren sie das Geruͤste, und seine Staͤdte ist nicht mehr. Du nicht also. Wenn Wenn dich dee boͤse Geist anficht zur linken und zur rechten Hand, empfehl ich dir das Tintfaß, nicht wie unser Glaubensvater, ihm damit den Kopf zu blaͤuen, obgleich diese Tintflecken an der Wand die schoͤnste Malerey sind, die ein Christen- auge in der Welt sehen kann. Der Teufel, da er schon an sich tintschwarz ist, hatte kei- nen Flecken davon. Nicht des Wurfs wegen, sondern um eine Predigt oder geistliche Be- trachtung draus abzufeuren. Tint sey dein Pulver, die Feder Flinte, die Sandbuͤchse Schrot. Vom Weirauch thut dem Teufel der Kopf weh. Es ist nicht fein wenn ein Geistlicher mit Etwas anderm raͤuchert. Um die Tint gut zu kochen oder Teufelspulver zuzubereiten, werd ich dir ein Recept bey deine Waͤsche packen. Es hat Krancke gegeben, auf die der Anblick des Recepts die naͤmliche Wuͤrckung gemacht hat, als die Medicin, die drauf charackterisiret war. Sie schwitzten sie gingen zu Stuhl. Der Teufel muͤßte sein Spiel haben wenn dies Recept in deine Waͤsche Tintflecken machen solte. Stecke die Manschetten unter, wenn du schreibst, denn es steht nur einem alten wohlerfahrnen Gelehrten an, mit Tintflecken zu prangen. U Leute Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleische, wie den Staub aus ihren Kleidern herausklo- pfen und sich casteyen, kennen den inwendi- gen Menschen nicht. Verse zu machen, mein Kind! ist ein probates Mittel wider die Erbsuͤnde und die boͤse Fleischesluͤste, die man blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es muͤßen die Verse aber gereimt, im Schweis des Angesichts erarbeitet oder erjagt seyn. Dein Vater sagt, im Reimwoͤrterbuch nach- schlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden; allein wo ist ein Jaͤger ohne Hunde? Ein Mensch der die schmutzigsten Verse schreibt, wenn sie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie den unkeuschen Dirnen nach, die er besungen hat. Jammer und Schade um die Poesie! Sonst aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver- stand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib dem Verstande, was des Verstandes, und dem Reim, was des Reims ist. Dichter probirt man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein großer Saͤnger singt, wenn er in Gedancken ist: Wie es die meisten thun, die nicht große Saͤnger und große Philosophen sind. Die letztern reden mit sich selbst, und machen mit der rechten Hand eine Bewegung. Dichter pfeifen. Dein Vater. Nationen, die singend reden, reden, und deren Sprach so ist, als wenn die Orgel gestimmt wird, singen schlecht. Alles dein Vater. Auch hab ich von ihm die deutsche Sprache, sey nicht also. Der see- lige Herr D. Martin Luther sagt, der Teu- fel ist ein Trauergeist und macht traurige Leute; daher flieht er die Musica, und bleibt nicht, wenn man singt. Das Loblied Mo- ses, der Prophetin Debora und Barac, als Sißera geschlagen ward, der gottseeligen Hanna, das Loblied Hiskia, als er wieder gesund geworden, und des Jonas, da er aus dem Wallfische angelandet war, beweisen, daß nicht nur Maͤnner, sondern auch Weiber, heilige Lieder gesungen, und im neuen Testa- ment singt der Prister Zachariaͤ und auch die hei- lige Jungfrau. Durch die Instrumentalmusik spricht ein Stummer. Der Krancke geneset, das Alter verjuͤnget sich. Durch die Stimm- musik zertheilen wir die Wolcken und dringen zum Herrn. Nur die Engelstimmen gehen uͤber Menschenstimmen. Wenn Barbaren, die kein Wort teutsch koͤnnen, uns uͤberfielen! Singt! Wenn man eine Wagenburg schlaͤgt, und euch an allen Orten aͤngstiget! singt, sag ich, und abermal sag ichs, singt! Gesang ist ein niederschlagendes Pulver, Cremor Tartari fuͤr U 2 die die Seele. Mein Sohn, wenn auch ein andrer uͤber dies Schatzkaͤstlein kaͤme; er wuͤßte von jedem Worte, wessen Geistes Kind es sey, ob mein oder deines Vaters und deines Grosvater. Bey vielen hab ich gesagt dein Vater, bey vielen hab ichs gedacht. Dein Gros- vater und Vater haben gepflanzet, ich hab be- goßen, Gott gebe das Gedeihen! Plato und Pythagoras waren zwar blin- de Heiden; indessen glaubten sie, daß der Lauf der Sterne ein Concert spiele. Lobe den, der sie in Melodie setzte. Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Dein Vater sagt, wer dieses Spaͤhrenconcert nicht hoͤrt, wenn er ein Loblied singt, ist aͤrger denn ein Heide. Die Traurigkeit macht feig. Ein Lob- gesang macht lustig. Durch den Gesang redet der Leib der Seele zu: Sey gutes Muths, kleine Naͤrrin! Siehe die Lilien auf dem Felde, sie saͤen nicht, sie spinnen nicht, Gott naͤhret sie doch; sind sie denn mehr wie du! Ich sing indem ich schreibe, und will, daß du singest, indem du liest. Was den Odem hohlet, jauchze, preise, singe! blick herauf und blicke nieder! Er ist Gott, Zebaoth! Er Er ist hoch zu loben: hier und ewig droben! Wer Gott dancket, um ihn zu bestechen, der dancket sich selbst. Mit dem Gebet kann man Gott nicht so schaͤnden, als mit Lobopfer. Bete wie ein klein Kind: Abba mein Vater! danck’ auch so. Ich gruͤße euch, ihr englischen Saͤn- ger in der Stadt Gottes, wo alles lieblich zusammenstimmt! ich seegne dich zweyglie- drig, du Pforte des Himmels! du hast mir mein Herz genommen, himmlisches Jerusa- lem, mit deiner Suͤßigkeit, und die Lieblich- keit der Stimme der Vollendeten hat mich gefangen. Ich habe Lust zu singen ein Lied im hoͤhern Chor, und den andern Diskant beym heilig, heilig, heilig, zu versuchen! Boͤ- se Gesellschaften verderben gute Sitten, und Buhlerblicke sind Pfeile, die die Seele verwun- den, und da hilft nicht Kraut noch Pflaster. Huͤte dich! die Buhlerin spielt dir dein Herz aus der Tasche. Hier sieht sie, dort liebaͤu- gelt sie. Betrug ist ihr Gespinst, und Ge- winnsucht ihr Zeitvertreib. Sieh nicht an eine Dirne, die betruͤbt ist, und ihr Auge nie- dergeschlagen hat. Wie die Gelehrten ihr Auge von der Sonn nicht wenden, wenn sie verfinstert ist; so zieht auch eine verfinsterte U 3 Schoͤn- Schoͤnheit die Jugend an. Jugend hat keine Tugend, und gleich und gleich gesellt sich gern. Das Werck lobet den Meister. Wie der Re- gent ist, so sind auch seine Amtleute; wie der Rath, so die Buͤrger. Ein wuͤster Koͤnig verdirbt Land und Leute, wenn aber die Ge- waltigen klug sind, gedeihet die Stadt. So wie unser Herr und Meister mit Zoͤllnern und Suͤndergesellen zu Tische saß, vermeide es auch nicht, mit Großen der Erde umzugehen. Ziele nach diesen Leuten; sonst trift man sie nicht, und fleißige dich, den rechten Fleck zu treffen. Buͤcke dich, allein zerbrich nicht das Bein, sey hoͤflich, allein nicht beschwerlich. Wende dich an die Frau, wenn du an den Mann ein Gesuch hast. Krieche nicht; denn du hast gesunde Fuͤße. Bete nicht an guͤl- dene Kaͤlber der Erde. Du bist ja ein Hauch aus Gott, und aus seinem Geist gebohren; darum liege nicht im Koth, bist du nicht zum Reich erkohren? Sprichst du mit einem Koͤnig, dencke, du bist ein geistlicher Koͤnig, sprichst du mit einem großen Gelehrten, du bist ein geist- licher Prophet, und mit dem Superintenden- ten in Curland; du bist ein geistlicher Prie- ster ster. Drenge dich nicht nach oben, oder zur Rechten: allein verrichte auch nicht Lackeien- dienste. Huͤte dich, daß dein Fuß nicht einschlaͤft, wenn du beym Vornehmen sitzest, und zerbrich keinen Teller, wenn du ihn dem Nachbaren aufdringest. Hoͤre mein Kind auf eine Geschichte, die ich nicht er- zaͤhlen kann, ohne daß Feuer in meinem Gesichte auskommt. Ein Litteratus wolte bey seinem Goͤnner um eine Stelle anklo- pfen. Da der Herr verzog, glaubte der gute Candidat, Zeit und Raum zu haben, seine Struͤmpfe zu spannen, die nachgelassen hatten, und siehe! eben nun kommt sein Goͤnner, und erblickt das entbloͤßte Knie, und das Strumpf- band, das zum Ungluͤck ein Bindfaden war, in des Litteratus Rechten. Das Amt ging vor ihm voruͤber, als Wolcken vom Winde getrieben, und der Goͤnner sprach, da er mit seinen Freunden zu Tische saß: in der Ju- gend eine Hure, im Alter eine Hexe. Aus einem Funcken wird ein groß Feuer, und ein Luͤgner und Moͤrder sind Nachbars Kinder. Iß keine Ruͤben, wenn du zu Sr. Exellenz gehest, und lege deinem Magen ein Gebiß an den Mund, sonst sieht es aus, als ob du zum Essen koͤmmst. Ein’ alte West und neuer U 4 Rock, Rock, sind wie eine alte Tresse und ein neues Kleid, zusammengebrachte Kinder. Schlucke nicht, und wenns auch Wasser waͤre, daß es aussiehet, als woltest du den Jordan austrinken. Wilst du einen bestaͤndigen Goͤn- ner haben, mache, daß er dir eine Wohlthat erweiset, die bekannt wird im Volcke. Dies bindet wie Kitt. Er laͤßt dich nicht, als ob er von seinem Vorschuß Zinsen haben wolte. Leihe dem Armen ohne Zinsen, dann bezahlt’s Gott. Lern ein Glas leeren, nur mit maas- sen, damit du dich nicht aufreibst. Maͤnner, die an einer großen Tafel keinen Tropfen trin- cken koͤnnen; sehen aus wie Verschnittene am Hochzeitstage. Sich am Wein warm trincken, heißt menschlich werden. Wenn ich mir zuweilen ein Schaͤlchen nehme, ists mir, als ob ich Menschenliebe getruncken haͤtte. Ein boͤses Gewissen ist ein Ofen, der immer raucht. Ein Gewitter ohne Regen. Es ist Klaͤger, Richter, Hencker, in einer Person. Die Nachtigal singt dir, du bist ein Dieb, die Lerche, du hast gestohlen. Eine Kraͤhe beißt der andern die Augen nicht aus, und wo der Buͤrgermeister ein Becker ist, backt man das Brod klein. Wenn ich streiten solte, es gaͤben im Stamme Levi keine zerbrochene Toͤpfe Toͤpfe, die laufen lassen, wuͤrd ich Krebs angeln. Was sich in gruͤnem Kleide mit Gold schickt, schickt sich nicht in der Re- verende, und auf der Kanzel muß man an- ders reden, als wenn man seine Fuͤße unter einem gedeckten Tische beherberget, und seiner Nachbarin eine Gesundheit zubringt, welches die Tischreden unsres Glaubensva- ters sehr lebhaft bestaͤtigen. Sey allen aller- ley, wie eine Citrone, die man von innen und außen brauchen kann. Leute, die sich voͤllig vor der Welt verschluͤßen, die nur mit ungefallenen und in der Wahrheit gebliebe- nen Geistern Umgang haben, sehen offt wo andere nichts sehen, und hoͤren noch oͤffter, wo andere nichts hoͤren: denn das Ohr ist leichtglaͤubiger, als das Auge. Ein Pastor dieser Art hatte seiner Gemeine das Nase- schneutzen und Husten abgewoͤhnt. Ich er- zaͤhl dir diese Geschichte mit den nemlichen Worten, wie mein seelger Vater sie mir erzaͤhlt hat. Es war in der Kirche dieses Pastors eine besondre Mannszucht, eine so heilige Stille, wie des Morgens bey schoͤnen Wetter um vier Uhr. Ehe er zur Nutzan- wendung uͤberging, war es, wie ein Comman- do: presentirts Gewehr! Der Herr Pastor U 5 gab gab mit seiner Nase ein Zeichen, und alle Nasen folgten ihm, auch die, so es nicht noͤ- thig hatten, aus Provision, oder weils der Nachbar und der Herr Pastor that. Es begab sich, daß ein Fremder, der diese Straße zog und nichts von dem Uebergange zur Nutzanwendung wußte, und die Sitten und Naseart dieser christlichen Gemeine nicht kannte, den natuͤrlichen Winck seiner Nase be- folgte. Der Pastor beschlug die Contrabande mit den Worten: wer grunzet in der Ge- meine? allein der gute Pastor mußte, weil der Gast von Adel war, diesen Beschlag sehr theuer buͤßen, und schrifftlich versichern, das Wort grunzen nicht im boͤsen Sinn genom- men, sondern vielmehr selbst gegrunzt zu ha- ben, und vors kuͤnftige ward der Herr Pa- stor angewiesen, seine Nase in die Bibel zu stecken. Der Mensch ist gut, die Welt boͤse. Gehe fleißig in die Kirche und sieh zu, Men- schen beerdigen. Gedencke, wie er gestorben ist, mußt du auch sterben. Heute mir, mor- gen dir. Zeit liegt von Ewigkeit ein Sab- batherweg, eine Viertelmeile, die den Kran- cken im alten Bunde zu reisen erlaubt war. Wenn du einen Kirchhof offen findest, gehe heruͤber, wenn du auch einige Schritte Um- weg weg machest. Sieh die offne Thuͤr als eine Erinnerung an, daß auch du dem Kirchhofe, dem Zollhause der Ewigkeit geben wirst, was ihm gebuͤhret. Wenn die Glocken gezogen werden, sprich: Gott schencke mir eine seelige Stunde! Huste nicht im Vorzimmer des Großen, um dich hoͤren zu lassen. Der Wein ist die Waage des Menschen; lege deinen Freund drauf, und pruͤfe, wie viel loͤtig er ist. Dencke an den Tod des Tycho Brahe, der leider! unter seinen Stand heirathete, und verdamme nicht die Natur: Sie leidts nicht. Plaudre nicht bey der Musik, denn predigen und singen hat seine Zeit. Die behagliche Gnuͤgsamkeit ist reich ohne Muͤhe. Den Edelstein fasse in Gold, und beym Wein singe. Gib froͤlich was du gibst. Ein Ge- ber, der nachdenckt uͤber das, was er geben soll, gibts nicht von Herzen, sondern vom Verstand. Wenn du den Weg nicht kennest, nimm einen Wegweiser. Ehre im Men- schen das Bild Gottes. Diene mit Rath und That. Ehrliche Einfalt ist beßer als spizbuͤbscher Witz. Man sagt von Geistli- chen: Kinder und Buͤcher„ Dein Vater und ich haben einen Sohn, wie Abraham den Isaac, und der sey dem Herrn geopfert! Ein junger junger Mensch muß sich so in Gesellschaft der Alten fuͤhren, als einer, dem Geld zugezaͤhlt wird. Gehe nicht um mit Uebermuͤthigen. Was soll dir der irdene Topf bey dem eher- nen? denn wo sie aneinander stossen, zerbricht jener. Waͤchset wohl Schilf, wo es nicht feucht ist? und wer hat gegen einen Großen einen Zeugen? Ein Wolf und ein Schaf ist wie der Reiche und der Arme. Ein Gott- loser, wenn er arm ist, redet viel boͤses; ein Frommer hat immer Schaͤtze. Schicke kei- nen Hund nach Fleisch, und verpfaͤnde nicht das Lamm beym Wolfe: der Mensch ver- schießt wie ein Kleid, und wenn man alt ist, kann man nicht genießen, was man gesamm- let hat. Darum freue dich in dem Herrn, und abermal sag ich dir, freue dich! Denck an den Armen, wenn du deinen Geburtstag feyrest, und laß ihm seine Wunden von dei- nem Balbier verbinden. Sprich nicht zum Goldklumpen, mein Trost, und zum sechsloͤti- gen Silber, meine Huͤlfe. Ein Armer ge- nießt selbst dieses Leben mehr, als ein Rei- cher; denn ein Gluͤcklicher und ein Reicher lebt blos des Gedanckens wegen nicht: Mensch du mußt sterben. Wer taͤglich stirbt, hat den Tod lieb gewonnen, wie man ein heßli- ches ches Gesicht mit der Zeit gewohnt wird. Der Reiche ziehet seine Zinsen in dieser Welt, und die meiste Zeit mehr, als die landuͤbliche. Der Arme hebt in diesem Leben seine Zinsen nicht, sondern laͤßt sie beym lieben Gott stehen, der ihm sicher ist, und der ihm seine Zinsen fein zum Capital schlaͤgt, fuͤr die an- dere Welt. Jeder Reiche fuͤhlt, daß der Arme, wenn er stirbt, reich wird, es stehen ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn es so anginge, wuͤrd er dem Armen wohl zehn tausend Thaler Albertus leihen, um einen Wechsel auf ihn im Himmel zu haben. Allein bedencke Reicher! dein Tod ist ein Ban- kerott — Mein Sohn! Theil in dieser Gna- denzeit den Leckerbissen mit dem Duͤrftigen. Das beste Mittel, gut zu verdauen ist, einen Armen essen sehen! Wirf deine Magentro- pfen zum Fenster hinaus, und brauche dieses Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un- gluͤck begegnet, greift die Seele nach einem Gelender, wie der Koͤrper nach einem Stab. Schilt im Podagra auf den Wein, beym uͤblen Wetter aufs schlechte Steinpflaster, im Tode aufs Leben. Was ist der Mensch, wenn er nicht unsterblich ist Unser Leben waͤhret siebenzig Jahr, wenns hoch kommt sinds achtzig achtzig Jahr, wenns koͤstlich gewesen, ists Muͤ- he und Arbeit gewesen; denn es faͤhret schnell dahin, als floͤgen wir davon. Wir bringen unsre Jahre zu, wie ein Geschwaͤtz. Huͤte dich Hiobsposten zu bringen, man haßt den Verraͤther, und liebt die Veraͤtherey. Wer heut ein Spiel gewinnet, verlieret morgen siebenfaͤltig, und mancher giebt mit einem Auge, und mit sieben sieht er, was er wie- der erhalte. Wenn das Gluͤck wohl will, den machts zum Narren. Die Narren ha- ben ihr Herz im Munde; aber die Weisen ha- ben ihren Mund im Herzen. Wer mit einem Narren redet redet mit einem Mondsichti- gen. Huͤte dich vor dem, der sich selbst ge- zeichnet hat. Ueber einen Todten trauret man, denn er hat das Licht nicht mehr: aber uͤber einen Narren solte man trauren, weil ihm das Laͤmpchen im Verstande, wie den fuͤnf thoͤrichten Jungfrauen, ausgegan- gen. Der Schweiß eines Außaͤtzigen ist bes- ser, als der Ambra eines Narren. Ein Ge- lehrter Mann ist in Gesellschaft, wie der Mond, bald voll, bald halb, bald ein Vier- theil; in seinem Hause ist er immer eine Sonne. Lerne selbst, ehe du lehrest, und ahme nicht die Aerzte nach, die wie Schnei- der der den Schnitt am fremden Tuch lernen. Kuͤhle dein Muͤthlein nicht, wie deine liebe Grosmutter, an Vater, Tochter, oder Koͤ- chin; sondern lerne von deiner Mutter, auch ohne Schlaͤge, dem Zorn ein Opfer bringen. Diene wieder deinem Knecht, der dir dienet. Die Biene ist ein klein Voͤgelein, und giebt doch die allersuͤßeste Frucht. Wenn dirs wohl gehet, dencke, daß dirs uͤbel gehen koͤnne, und wenn dirs uͤbel geht, dencke, daß dirs wieder wohl gehen koͤnne. Auf Regen folget klare Zeit; auf Leid die frohe Ewigkeit. Ich weiß, wen Gott will herrlich zieren, und uͤber Sonn und Sterne fuͤhren, den fuͤhret er zuvor herab. Das Lied: Warnm betruͤbst du dich mein Herz, bekuͤmmerst dich und traͤgest Schmerz, hat viele von uͤbler Laune, von der Unzufrie- denheit und der Schwermuth geheilet, und wenn dein Herz nicht verdorben ist, wenn du kein boͤses Gewissen hast, wirst du auch geheilet werden. Hast du ein boͤses Gewis- sen, so schlaͤgt keine Seelenmedicin, kein Lied an. Beym siebenten Vers erinnere dich der Leiden, Leiden, die deine Mutter des Namens Alex- ander wegen erduldet hat. v. 7. Des Daniels Gott nicht vergaß, da er unter den Loͤwen sas. Seinen Engel sandt er ihm, und lies ihm Speise bringen gut, durch seinen Diener Habacuc . Der zwoͤlfte Vers aus diesem Herzensliede ist ein Universalmittel. v. 12. Alles was ist auf dieser Welt, das Seel und Leib gefesselt haͤlt, Reichthum und zeitlich Gut, das waͤhrt nur eine kleine Zeit, und hilft doch nichts zur Seeligkeit. Traue deinem Feinde, wenn er sich gleich mit dir versoͤhnt, so wenig, als ein Leiter seinem Baͤren. Leide keine Schmeichler, wie der Cypressenbaum keine Wuͤrmer leidet. Ein frommes Kind ist beßer, denn hundert, die den Herrn nicht fuͤrchten, und es ist beßer ohne Kinder sterben, als gottlose Kinder haben. Wer satt ist, wird wieder hungrig, wer des Morgens ausgeschnarchet hat, geht des Abends wieder zu Bette. Ein Reicher kann arm werden. Des Ungerechten Soͤhne wur- zeln zeln nicht, und seine Toͤchter sind Feigenbaͤu- me ohne Frucht. Kinder ziehen heißt ge- rade oder ungerade spielen. Erziehen heißt ein Fundament legen, wo unter der Erde ge- arbeitet wird und nichts zu sehen ist. Ein gut gezognes Kind ist eine Rechnung ohne Probe. Der Juͤngling muß beweisen, wie die Zucht war. Lege deinen Allmosen nicht besonders, denn er seegnet dein andres Geld, daß es dir gedeihe fuͤr und fuͤr. Klei- ner Topf kleine Stuͤrze. Großer Vogel großes Rest. Gesunder Leib ist besser denn eine Tonne Goldes. Die Sonne geht auf mit Hitze und das Gras welcket, und die Blume faͤllt ab; so verwuͤstet ein Reicher, wenn er verschwendet, sich, seinen armen Nachbaren und desgleichen. Sausen und Brausen macht siech, und was hilft ein guͤl- dener Galgen, wenn man hengen soll. Was ist ein schoͤn Gericht fuͤr einen Krancken, dem schon der Geruch Blaͤhungen macht? Der Tod ist besser als ein sieches Leben. Ein froͤlich Herz ist besser, als Magenelixir, und eine Mahlzeit mit Wohlgefallen ist die sicher- ste Blutreinigung. So lang du selbst Toͤpfe und Schuͤßeln hast, untergib dich nicht dem Tische eines andern. Ziehe dich nicht eher X aus, aus, als bis du zu Bett gehest. Das Hem- de ist dir naͤher, als der Rock. Eigener Heerd ist Goldes werth. Rathen macht Schuld, und du stellest Wechsel aus, wenn du Rath gibst. Die Naseweisheit ist, wenn man die Nase hoͤher haͤlt, als sie gewachsen. Nimm dieses zu Ohren und Herzen; denn du hast eine Nase, die was gilt unter den Leuten. Die Nase ist der Text zum Men- schen, die Stirne der erste Eingang, die Lip- pen das Thema, woruͤber in gegenwaͤrtiger Stunde soll geprediget werden. Wein und Weiber bethoͤren die Weisen. Maͤnnerlist ist behend, Weiberlist ohn End. Kleider, Scharrfuß, Lachen und Gang, melden den Menschen an. Kluge Leute wissen schon, was am Juͤngling ist, wenn sie ihn sehen die Nase schneutzen. Ein Thor ist schwerer als Bley. Krebs ist kein Essen auf der Post. Hilf dir selber, ehe du andre arzeneyest. Was Niemand wissen soll, sage keinem. Wer einen uͤblen Rausch hat, verscheuchet seine Freunde, wie ein Schuß die Voͤgel. Erst Rauch, dann Feuer, so Scheltworte, dann Schlaͤge. Der Arzt ist der Suͤnde Scharfrichter, ehre ihn denn der Herr hat ihn geschaffen, und er traͤgt das Schwert nicht umsonst. Huͤte dich dich fuͤr boͤser Nachrede, denn die Welt liegt im Argen. Wenn man des Morgens von da herausgehet, wo man des Abends herein gegangen, sagen die Leute, man sey die ganze Nacht da gewesen. Der Schlund der Welt ist ein offenes Grab, mit der Zunge handlen sie truͤglich. Ottergift ist unter den Lippen, der Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. Die Obrigkeit ist des lieben Gottes Soldaten- stand, die Priester sind sein Civilstand. Es ist traun! ein Weib aus dem Stamme Levi eine helle Lampe auf dem heiligen Leuchter. Mein! heyrathe keine andre, denn sie hat ein gut Muster gehabt. Schone dein Auge fuͤr die hebraͤischen Punckte, und gaffe nicht nach Dirnen der Stadt. Denck nicht eher an eine Hausfrau, bis du ein Hauß hast. Wo kein Zaun; ißt jeder das Obst, eh es reif ist; so auch bey einem Pastor ohne Pastorinn. Leib und Seele koͤnnen nicht zu gleicher Zeit essen und verdauen. Wer mit der Seele arbeitet, kann den Pflug nicht fuͤhren. Du solst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden. Item ein Lehrer ist seiner Calende werth. Wer saͤet, erndtet in zwoͤlf Monaten. Wer Gottes Wort verkuͤndiget, erndtet in Ewigkeit, Heil dir! du hast beym X 2 lieben lieben Gott offne Tafel, du wirst einst vom Altar leben, und hier gedeihen, wie’s am Tage ist. Brodsamen beßer, als Leckerbis- sen an den Tafeln der Abgoͤtter, deren Bauch ihr Gott ist. Du bedarfst keines Theils in Israel; der Herr ist dein Theil und Erbe! Das Land Gottes traͤget mehr als du bedarfst. Brich aber dem Hungrigen dein Brodt, so wird es dir gehen wie der Oelwitwe. Wer den Armen seegnet, spottet sein, wenn er diesen Seegen nicht selbst in Erfuͤllung zu setzen anfaͤngt. Dieser Unmensch will Gott Lehren geben, erinnere dich, was man vor kurzem vom Herrn v — erzaͤhlt, und erzaͤhl es deinen Kindeskindern, auf deinem Schoos, damit sie seegnen lernen, wie Gott sein Volck seegnet, der feine Fenster oͤfnet, und Fruͤh- und Spatregen giebt, und in dem wir leben, weben und sind wir. Es strandte ein Hollaͤnder, (waͤre es nicht ein Hollaͤnder gewesen, wie viel mehr leid wuͤrd’ es mir gethan haben. Holland ist der Strand von Europa) und der Herr v — der das Recht der Seestrassen- raͤuberey hat, nahm ihm alles, was er hatte, bis auf einen hollaͤndischen Kaͤse. (Der Herr v — hatt’ oft Steinschmerzen) und lies den gepluͤnderten Hollaͤnder ziehen seine Straße, wie wie Herr v — sich ausdruckte, froͤlich: denn er schrieb ihm folgendes Certificat, das er einen christlichen offenen Wechsel nanndte: „Da der Clas — — das Ungluͤck gehabt „zu stranden, und alles werthe Seinige ein- „zubuͤßen; so wird ihm nicht nur Gottessee- „gen zu seinem kuͤnftigen Fortkommen von „mir herzlich gegoͤnnt, sondern auch jeder „dem dieser offene Brief vorgezeiget wird, er- „sucht, ihm christlich fortzuhelfen und ihm, „so viel er kann, unter die Arme zu greifen, „wohl bedenkend, daß, wer dem Armen hilft, „dem Herrn leihe, der es ihm zu Wasser „oder Lande verdoppeln kann und wird, als „welches ich dem armen Clas — aus christ- „licher Liebe anwuͤnsche„ Den Herrn v — moͤcht ich fluchen hoͤren, sagte Clas — und sah seinen Kaͤse an. Der Hollaͤnder hatte keinen Steinschmerz — Wer sich als abge- brandt und beraubt angiebt, um Leute warm- herzig zu machen, und sie zum Mitleiden zu betruͤgen, ist aͤrger, als ein Raͤuber und Brandstifter! Wehe dem, der auf diese Art Brandschatzung ausschreibt. Er bestiehlt nicht den Menschen, sondern die Menschheit. Sorge nicht fuͤr den andern Morgen, es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage X 3 habe. habe. Mache des Geldes wegen auf der Kanzel keine Gans zum Schwan, keinen Heering zur Sardelle, und keinen Hasen zum Loͤwen; denn die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz, wie die Sonne immer und ewiglich. Gott ehrte Aaron, und gab ihm alle Erstlinge. Seine Nachkommen aßen des Herrn Opfer, und wurden gespei- set an seinem Tisch. Gott war ihr Theil und Erbe, und darum hatten sie kein Theil am Lande. Wenn Koffee aufs Kleid gegossen wird, ists kein Koffe mehr, sondern Schmutz. Es kommt viel auf Zeit, Ort, und Gelegenheit an. Wenn du einen Edelmann Heil wuͤn- schest, sprich nicht, Gott, der den Wurm un- term Felsen erhaͤlt, sondern der Allmaͤchtige, der die Welt aufrief; wenn er in Dien- sten gewesen, und es bis zum Hauptmann gebracht, setze hinzu: und Helden in seinem Volcke erwecket. Ein Mensch, der keine Stimme hat, muß nicht den Adler und den Loͤwen auf die Kan- zel bringen, er wird schon Thiere fuͤr sein Stimmchen in der Bibel finden. Ich selbst hab einen Diskantisten uͤber die Worte: Sieh es hat uͤberwunden der Loͤwe aus dem Stamme Juda, predigen gehoͤrt: Es giebt Diskant Diskant- es giebt Baßpredigten. Ein Geist- licher muß Gedaͤchtnis haben. Wenn er ließt, sieht’s aus, als ob er die Predigt auf drey Viertheilstunden geliehen haͤtte. Auch Gras muß ein Pastor wachsen hoͤren — Ein Geistlicher sprach, da er zum zwey- ten Theil uͤbergieng, indem er die Kanzelsand- uhr, welche mehr als andre Sanduhren ein Sinnbild unsres Lebens ist, umkehrte: Noch ein Glaͤschen meine Geliebten! und man nanndt’ ihn, wie einen faulen Kaͤse: Bier- bruder. Man kann zwar auch hiebey erbauliche Gedancken haben; indessen hatte Herr Pastor L — nicht Gras wachsen gehoͤrt, da er die Frau v — auf ihrem Krieg und Siegbette besuchte, und ihr die Worte Matthaͤi im ein und zwanzigsten Capittel, im zweyten Vers, ins Herz schob: loͤse sie auf und fuͤhre sie zu mir. Noch groͤßer ists Uebel, wenn der Geist- liche satyrisch auf der Canzel seyn will; er verliert alsdenn den Stachel, wie die Biene, wenn sie sticht. Wenn du einen Umstand lange suchen muͤßen, fang ihn an: Wem ists nicht be- kandt; dadurch bestrafst du den Umstand, daß X 4 er er sich versteckt hatte, und kein Mensch glaubt, daß du so lange gesucht hast. Dein Vater wuͤrde sagen: Windbeuteley, faul Holz statt Licht; allein klimpern gehoͤrt zum Handwerk. Einem Geistlichen stehts am wenigsten an, zu sagen, ich will dies und das thun. Er steht in Gottesdienst. Sage also, zu reden aus Jacobi im vierten Capittel und funfzehn- ten Vers. So der Herr will und ich lebe, will ich dies oder jenes thun. Fliehe die vergaͤngliche Lust der Welt; denn nur hiedurch wirst du theilhaftig werden der goͤttlichen Natur. Um eines faulen Astes willen reiß nicht Stamm und Wurzel aus. Jeder Mensch hat was Gutes. Lege auf die Fin- gerspitze, wo der verdorbene Saft aus der Hand sich hingezogen, und wo er schwoͤrt, Kraut und Pflaster; so behaͤltst du die Hand. Brich hervor, wie ein Feu’r, und dein Wort brenne wie ein Kirchenlicht. (Ein Wachsstock ist nur eine Pfeife zu entzuͤnden) Troͤste den Bußfertigen, und laß uͤber ihn aufgehen den Regenbogen mit seinen schoͤnen Farben. Wenn dich eine Kaͤlte im Ausdruck uͤberfaͤlt, waͤrme dich an ein Paar Psalmen in der hei- ligen Schrift, und wenn boͤse Buben auf die Bibel laͤstern, denck dran, daß es Gottesschul- buch buch sey, woraus gros und klein, arm und reich, vornehm und gering, alt und jung, un- terrichtet werden sollen, und denn laß den Laͤsterer ein Buch nennen, das so wie dies zu diesem Zweck eingerichtet, und fuͤr all zusam- men und fuͤr jeden einzelnen ist. Gott laß dich nie vor Narren zum Spott werden, noch deinen Ruͤcken zur Bruͤcke, woruͤber jeder geht. Wachse wie ein Palmbaum am Was- ser, und dein Geruch sey suͤß vor dem Herrn, wie der Weyhrauch im Studierstuͤbchen dei- nes Vaters. Er, der die Erde mit Schnee und Reif salzet, bereite dich zu seinem Knechte in seinem Weinberge; wenn aber das Salz dumm oder unkraͤftig wird, womit wird man salzen? Verrichte deine Andacht vor Gott und nicht vor Menschen. Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Himm- lische Glorie umstrahle dein Haupt, wenn du auf der Kanzel bist, damit mans fuͤhle, daß du nicht von dir selber redest. Ein roh Ey (wenns angeht ein Kybitzey) hilft viel zur guten Predigt, wer wie ein Engel spraͤ- che und nicht verstaͤndlich waͤre, fruchtet weniger, als ein ausgelernter Staar, oder das Getoͤse der Glocken, das ich nie ohne Herzensschlag und Erbauung hoͤren kann. X 5 Ich Ich wuͤnschte wohl, die Glocken, wenn ich be- graben wuͤrde, hoͤren zu koͤnnen. Alte Kirchen haben dunckle Fenster; indeßen weiß jeder seinen Stand. Ein Prediger, dem die Zaͤhne ausgefallen, muß sich nicht von einer andern Gemeine vociren laßen. Man hat mir erzaͤhlt daß Demosthenes und Cicero von Natur schlechte Stimmen gehabt; durch Kunst haben sie schoͤn reden gelernt. Ich haͤtte sie nicht hoͤren wollen. Mancher Pastor kann sich hoͤren, mancher sich lesen laßen. Es kann also auch Redner geben, die stumm sind. Dein’ erste Predigt schlurftest du bey der Probe in der Speisekammer, als wenn du weiche Eyer aͤßest. In der Kirche gings besser. Lerne deine Gemeine so kennen, wie ein Gelehrter die Sprache, der bey jedem Worte das warum und darum weiß. Ein Pastor, der seine Ge- meine nicht kennt, und sich nicht wie der ge- meine Mann ausdruͤcken kann, ist ein Mieth- ling. Brauen und Backen geraͤth nicht im- mer. Allemal kanns nicht was Neues vom Jahr seyn. Schneid an eine alte Predigt ein Zwiebelchen, lege Butter dazu, es ist eine frische Schuͤßel. Hunger ist der beste Koch. Ein Eyerkuchen macht Appetit allen die voruͤber gehen. Ein einzig faules Ey ver- dirbt dirbt die ganze Pastete. Wenn es mit dei- ner Predigt nicht fort will, und von drey bis in die Daͤmmerung gefischet und nichts gefangen ist; laß Licht anzuͤnden, und es wird dir auch ein Licht aufgehen. Wenn du uͤbern Tod predigst, mache deine Predigt nie am Tage, sondern des Abends. Predigst du vom Lobe Gottes; steh Morgens um vier auf. Wenn gleich das Andencken deiner Truͤb- saale verwaͤchst, suche eine Narbe zu behalten, damit du an Gottes Huͤlfe dencken, und ihn in deinem Kaͤmmerlein, und in der Gemeine des Herrn, preisen koͤnnest. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Va- ter, ist der, die Waͤysen und Wittwen in ihrem Truͤbsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt behalten. In deinen Pre- digten lehre Himmel und Hoͤlle! sey nicht blos Brenn sondern auch Bauholz. Halte dir selbst Wort mein Lieber! so wirst du auch andern es halten. Narren ins Fegfeuer, Gottlose in die Hoͤlle. Weide die Heerde und siehe wohl zu, nicht gezwungen, sondern williglich, nicht um schaͤndlichen Gewinstes willen, sondern von Herzensgrund. Nicht, als die uͤber das Volck herrschen, sondern werd ein Vorbild der Heerde. So wirst du, du, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die un- verwelckliche Krone der Ehren empfahen — Siehe das uͤbrige Taufwasser nicht als blos gemeines Wasser an, sondern mache die Ver- fuͤgung, daß es auf einen besondern oder heiligen Platz gegoßen werde. Du wirst das Gras drauf sehen! Im Paradiese konnt’ es kaum gruͤner seyn! der Kirchthurm ist ein Finger, der gen Himmel zeigt, denck so offt du einen siehst an den Finger Gottes, ohne den nichts geschieht was geschieht, und durch den ist, was ist. Am Martinstage iß eine Gans; es ist ein alter wohlhergebrachter Ge- brauch, und denck an den ungluͤcklichen Bi- schof Martin, der durch eine Gans verra- then ward. Der Hahn ist der richtigste Ka- lender, und was die Sonnenuhr im Zeigen ist, das ist ein Hahn im Schlagen: das rich- tigste Zeitmaas — Der Hahn, der zuerst kraͤht, ist Superintendent unter den Haͤhnen. Alles was kraͤhen kann, kraͤht ihm nach, so lahm und candidatenmaͤßig es auch zuletzt her- aus kommt. Ein Hahn hilft offt zu Thraͤnen. Dein seeliger Grosvater hat eine Hu — auf diese Art zur Reue gebracht. Alle seine Er- mahnungen waren vergebens. Zum Gluͤck kraͤht’ ein Hahn. Diesen Umstand griff dein seeli- seeliger Grosvater, und sie weinte bitterlich. Findest du muͤhlsteinerne Herzen, verzweifle nicht — Gott kann dir aus Steinen Kin- der erwecken. Ruf getrost! schone nicht! Lerne recht fuͤrchterlich: wer da? schreien, wenn der Teufel herumgehet wie ein bruͤllen- der Loͤwe, und suchet welch’n er verschlinge. Wer boͤsen Leimmund macht vergeht am Ende wie das Unrecht. Die Welt kann doch nichts geben, was wahre Ruhe giebt; wer hier und dort will leben, ist Vater! der dich liebt! Wenn du im Consistorio sitzest, rede Niemand mehr nach deinen Worten; außer daß ge- sagt werde: du habest wohl gesprochen. Die Alten muͤßen sich freuen uͤber deine Weisheit, und die Jungen muͤßen auf dich warten, wie auf den Regen, und ihren Mund aufsperren, als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au- ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm. Wenn du einen Brief schreibest, vergiß nicht A und O auf griechisch oben anzusetzen, das ist der geistliche Stempel. Aergere dich nur deiner Gesundheit wegen, und eben darum, warum man Gift in Arzeneien mischt. Dein Va- ter lernt alle fuͤnf Jahr eine Sprache, um dem dem Gedaͤchtnis eine Bewegung zu machen. Versuch, obs deinem Gedaͤchtnis gesund ist? Denck nicht zu scharf uͤber einen Namen, und spiel nicht blinde Kuh mit ihm. Ich hab ge- hoͤrt, daß Jemand druͤber den Verstand ver- lohren, und ihn eher nicht wieder bekommen, als bis ein andrer diesen Namen von ohnge- fehr ausgesprochen. Es ist die Frage ob sich ein solcher Andere so leicht findet? Wenn du betest, falte die Haͤnde; denn dies hilft auch die Ge- dancken zusammen halten. Bist du betruͤbt, bete, bist du vergnuͤgt, singe. Der Arbei- ter ist seines Lohnes werth, und der Arbei- ter Lohn, die eu’r Land eingeerndtet haben, und von euch abgebrochen ist, schreiet, und das Rufen der Erndter ist kommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth. Richte nicht, so wirst du nicht gerichtet, vergib, so wird dir vergeben. Gib, so wird dir gegeben. Alles was du wilst, das dir die Leute thun sollen, thu ihnen auch. Wer selbst Fenster hat, schlage sie nicht dem Nachbar ein. Die Zunge ist ein klein Glied und richtet große Dinge an. Sieh’ ein kleiner Funcken, welch einen Wald verwuͤstet er! Die Zunge singt Gott Lob und Preiß, und die Zunge kann von der Hoͤlle entzuͤndet werden. Aus einem Mun- Munde blasen wir kalt und warm. Aus einem Munde geht Loben und Fluchen. Wir loben Gott den Vater, und fluchen den Men- schen nach Gottes Bilde gemacht. Kann auch ein Feigenbaum Oel oder ein Weinstock Feigen tragen? Kluͤgle nicht uͤber deine Reverende, sondern trage sie, wie deine Vorfahren muͤtterlicher Seits sie getragen haben. Die Banise in schwarz Corduan mit goldenem Schnitt sieht wie ein Gesangbuch aus. Wer Poßen in geistlichen Melodien singt zieht diesen eine Reverende an! Wehe dem, der diese Maske erfindet. Ein Geist- licher in seinem Geschmeide kann von einem Engel ungefehr unterschieden seyn, als ein Kuͤster vom Priester. Der Kuͤster muß aber entweder die Altarlichte anstecken, oder sie mit einem Loͤschnapfe bedecken und ausloͤ- schen. Dinge, die offt im Munde am ange- nehmsten; sind am schwersten zu verdauen. Wenn du viel Austern gegessen, iß Kaͤse drauf. Warum aber sinnenarme Austern? Wenn du Etwas mit Umschweif zu sagen hast, fangs an mit dem Worte: Kurz um, oder endlich, das befoͤrdert die Andacht. Wer nicht Toback schnaubt und raucht, ist ein Re- publicaner, ein Curlaͤnder, ein freier Mensch. Wer Wer kann den Hunger durchs Andenken an ein vorjaͤhriges Gastmal befriedigen? Dencke am kuͤrzsten und laͤngsten Tage im Jahr an Zeit und Ewigkeit. Sey mausestill, wenn dich Jungens mit Koth bewerfen. Wer eine Ehrenstelle erhaͤlt, hat ein neu Kleid angezo- gen, und uͤberall ist steife Leinwand. Zieh nie des Sonntags ein neu Kleid an, denn dieser Tag ist verlohren. Halt dir aber dein Alltags und dein Feyerkleid. Ein Mensch, der Sonntags nicht ein ander Kleid anlegt, ist auf dem Wege ein Freydencker zu werden. Gott wird alle Wercke vor Gericht bringen, auch die im Verborgenen geschehen sind, und den geheimsten Rath des Herzens offenbaren, denn wird einem jeglichen von Gott! Lob widerfahren. Die Huͤner- oder Aelsteraugen schneide aus, doch so, daß du dabey vorsich- tig zu Werck gehest. Es siehet sonst so aus, als waͤre man gichtbrichtig, und so sehr gut die Gicht einen alten Mann kleidet; so heß- lich ist’s, wenn ein Juͤngling gichtbruͤchtig wandelt. Geitzige Leute erhencken sich, um das Pulver zu sparen, und den Strick an- dern guten Freunden, und vor allen Dingen ihren lieben Erben, zuruͤck zu lassen. Ein Geitzhals ist leicht zur Buͤrgschaft zu bringen. Er Er will gutes thun, ohne daß es ihn einen Heller kostet; allein der Geitz ist auch hier die Wurzel alles Uebels. Verbuͤrge dich nicht, bezahl lieber fuͤr den Duͤrftigen; so hast du einen freyen Kopf und ein freyes Herz. Schreib deinen Vornamen nicht aus, damit die Leute das A fuͤr Adam, Abraham, und andere biblische Namen halten. Streue nicht auf fremden Acker, wenn du wilst ernd- ten siebenfaͤltig. Ich habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen und seine Kinder nach Brod gehen. Wenn du Obst gegessen, nimm ein wenig Brodt, ehe du trinkest. Man sagt, es sey Wahn, allein es hilft. Wenn du des Nachts reitest, nimm einen Schimmel; er dient dir zur Laterne. Neckereien machen gewitzt, Erfahrungen klug, Noth lehrt beten. Sieh nicht aufs Handgeld, sondern auf den Herrn. Der Teufel giebt Silberlinge, allein das Ende ist Verzweiflung. Huͤte dich vor Proceße in Curland, Gott weiß! wie es anders wo ist, denn am Ende heißts, Esaias im acht und zwanzigsten Capittel im zehnten Vers: ge- beut hin, gebeut her, gebeut hin, gebeut her, harre hie, harre da, harre hie, harre da, hie ein wenig, da ein wenig. Wer Ge- walt uͤbet bey Gericht, schaͤndet sein Muͤndel, Y das das er bewahren soll. Die Sachwalter ma- chens wie die Fischer; sie truͤben das Waßer, eh sie angeln; bey hell und klarem Wetter ist nichts zu fangen. Sey gerecht gegen Jeder- mann, gib auch, wenn du geschwinde schreibst, der u ihren Strich, dem i seinen Punkt. Ich habe keine u ums Ihrige betrogen, und mich aͤrgert, wenn man gewissen Worten den großen Buchstaben nehmen will, als, bey Stuben Uhr schreib ich S. und U. mit großen Buchstaben. Ehre dem Ehre gebuͤhret. Uebe dich auch muͤndlich abzuschlagen, was du nicht leisten kannst: schriftlich kanns jeder Narr. Bist du unentschlossen, ich setze zum voraus, daß dies oder jenes nichts boͤses ist, woruͤber du getheilt bist; zerbrich dir nicht den Kopf, recipe zwey Loose: in eins schreib flugs Ja, ins andere flugs Nein. Mache sie sich einander gleich, greif eins, und thue was du gegriffen hast, dies ist eben so gut, als wenn du lange gedacht, und Ja und Nein auf einer Goldwaage abgewogen haͤttest. Es ist eine Art von goͤttlichem Regiment von Theokratie. Heist es nicht so? Auch der Weiseste greift in einen Gluͤckstopf. Gluͤck und Glas wie bald bricht das. In der De- muth stolz seyn, heißt falsch spielen. Wenn die die Menschen Methusalems Alter erreichen koͤnnten; wuͤrde man mit Gewißheit sehr fruͤhe behaupten koͤnnen, wer gewis haͤngen wuͤrde. Kluge Leute lesen ihre Briefe von hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu- jahrslieder; sie haben was troͤstliches in sich. So wie der Geitz seinen eigenen Haͤnden nicht trauet, so trauet auch der Kluge seiner Ver- nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern die Lehre: sprich keinen an, der allein gehet. Gehen zwey, geben beyde. Waͤre Jeder allein gegangen, haͤtte keiner gegeben. Die unge- faͤrbte Menschenliebe ist erkaͤltet, und Stolz fuͤhrt bey der Gabe die Hand. Der Weg zum Himmel ist mit lauter gutem Willen ge- pflastert. Guter Wille gilt bey Gott und al- len ehrlichen Leuten so viel als die That. Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das heißt, aus einem guten ein schlechter Mensch werden wollen. Gib mit der Rechten ohne, daß es die Linke weiß, und sieh nicht wie man’s nimmt. Es ist schwer, gut zu geben, noch schwerer aber, gut zu nehmen. Tausche gegen einen Pfeifenkopf nichts was Leben und Othem hat. Thiere, sagt dein Vater, sind unsre Grenznachbaren. Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes. Pflanze Y 2 kei- keinen Baum, wo er ausgehen muß. Hei- rathe keine Mondsichtige, wenn sie auch Su- perintendentens Tochter waͤre. Schneide keine Blume ab, wie kaͤmst du zum Kopfen? und die Blume, gekoͤpft zu werden? sondern pfluͤ- cke sie, wenns nicht anders seyn kann, sonst aber, laß sie ihren reifen Saamen ausstreuen, und den Tod der Guten sterben, die ihr Ziel nicht verruͤcken, und ihr Leben durch Unmaͤs- sigkeit verkuͤrzen. Ein Fleischer ist immer grausam; Blut ist ihm am Ende Blut. Ge- wisse Haare werden nie grau, und Alter schuͤtzt fuͤr Thorheit nicht, decke aber die Schande des Alten. Ueber ein Wort muß man sich nicht den Hals brechen. Wort um Wort, Zahn um Zahn, Hals um Hals. Ein Arzt, der sein Latein falsch spricht, curirt auch falsch, warum sagt er nicht lieber, ich weiß es nicht, und ein Geistlicher, der nicht die Grundsprachen versteht — — (daß sich Gott erbarm!) — — Einfaͤltig heißt von einer Falte: So sey dein Herz gegen Gott und gegen deinen Naͤchsten. Nicht wie ein Faͤcher, der vielfaͤltig ist, und nicht wie eine Reisekarte, die man in ein Beinkleiderta- schenformat legt, und wenn sie ausgekramt ist, deckt sie einen Tisch auf vier Personen. Edle Edle Einfalt war beym Anfang der Welt, und wird, wie ich nach der Liebe hoffe, bey der Welt Ende seyn. Eine Heerde und Ein Hirte. Lobe nicht Leute, die nicht lobens- wuͤrdig sind. Ein Thor denckt nie beym un- verdienten Lobe: „weißt du nicht, daß dich „Gottes Guͤte zur Buße leite„ Falsche Freunde sind Schwalben, die nur des Sommers da sind. Sonnenuhren, die nur brauchbar sind, so lang die Sonne scheint. Der Mensch geht in dieser Welt in die Schule beym lie- ben Gott. Der Tod befoͤrdert ihn zur Aka- demie. So wie du gewartet hast, ehe dir das Licht angezuͤndet ward; so wart auch, biß es ausbrennt, oder ausgeloͤscht wird, und denck an die Sonne der Gerechtigkeit, die nach der Zeit uͤber deinem Haupt aufge- het, ohne unterzugehen in Ewigkeit. Der Herr wird uns erloͤsen von allem Uebel, und aushelfen zu seinem ewigen himmlischen Reich, denn sein ist das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen. Wir sterben lieber in jeder Stunde, als daß wir die Hofnung aufgeben solten: wir halten taͤglich mehr aus, als den Tod, um der Hofnung willen noch laͤnger zu leben, und muͤßen doch einmal recht aus dem Grun- Y 3 de de sterben. Nimm dir recht vor zu sterben, so stirbst du am wenigsten und haͤltst beinahe die Stunde. Stirb als haͤttest du deinen Tod auswendig gelernt, und sieh nicht ins Concept, stirb von ganzem Herzen; so stirbst du den Tod der Gerechten, und deine Seele ist in Gottes Hand, und keine Quaal ruͤhret sie an. Wer so stirbt, der stirbt wohl! Sieh die du liebst zuweilen schlafen, damit du nicht traurest um deinen Todten. Dencke dir deinen aͤrgsten Feind im Himmel, damit du ihm verzeihest. Wem es so und nicht anders ist, ob sein Freund stirbt, und ob seine Pfeife ausgehet, ist nicht werth, einen Freund, wohl aber eine Pfeife zu haben. Diese Welt ist nicht ein Clima fuͤr den Frommen. Gehts ihm gut, so hoͤrt ers auf zu seyn; gehts ihm uͤbel, so ringt er sich die Haͤnde wund. Ists denn nichts. Aller Engel Schaar, und die lieben Seinen, sprechen immerdar, nirgend uͤber Weinen, ohn Gefahr und Pein, und im Himmel seyn. Dein Vater sagt: Stirb, als wenn du den Tod observiren woltest; so stirbst du nicht, son- sondern machst Observationen — ich nicht al- so. Sey getreu bis in den Tod; so wird dir die Krone des Lebens gegeben, und es wird heißen: Ey du frommer und getreuer Knecht, du bist uͤber wenig treu gewesen, ich will dich uͤber viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude! Waͤhle nie ein Amt, das groͤßer ist als du, damit du hervorragest, und kannst du in eine Stelle kommen, die vor dir ein unbedeutenderes Maͤnchen, als du bekleidet; hast du gewonnen Spiel. Brauch griechische, hebraͤische, arabische, chaldaͤische, lateinische Worte in deiner Pre- digt, die vertragen sich, um des Himmels willen aber kein einziges franzoͤsisches, das ist in einer deutschen Predigt wie Katz und Hund. Die franzoͤsische Sprache ist die zweite Erbsuͤnde. Der geringste Uebelstand auf der Kanzel, ist ein Flecken auf deinem weißen Kragen. Es scheint uͤberhaupt die franzoͤsische Sprache nicht fuͤr den Himmel und den schmalen Weg eingerichtet zu seyn. Wol dem unter diesem Volcke, der noch eine andere Sprache weiß! Diene deiner Gemei- ne mit allen fuͤnf Sinnen. Man meint der Geschmack sey so ein Geizhals, daß ein an- drer nichts davon hat; allein wer den andern Y 4 mit mit Geschmack essen sieht, bekommt auch Lust. Wilst du deine Gemeine zu Abtra- gung der Calende bewegen, brauch Worte, diese ruͤhren ploͤzlich. Wilst du sie in den Himmel bringen, trag Sachen vor, diese wuͤrcken langsam, aber sie bleiben. Eine gute Predigt muß nicht zu breite Tressen haben, das Tuch muß zu sehen seyn. Wer eine gute Predigt drucken laͤßt, die er gehalten hat, hat geschaffen und erhalten. Bestim- me was deine Kinder werden sollen, und wenns seyn kann, die Erstgeburt der Kirch! Eltern, die ihren Kindern die Wahl laßen zu bestimmen, was sie werden wollen, irren; du waͤrst Alexander geworden, und jetzt gehst du auf dem Wege zur Superintendatur. Was suͤße schmeckt, hat einen uͤblen Nachge- schmack, und schleimt oben ein. Was herb zu Anfang ist, wird lieblich am Ende. Das gilt von der Tugend und vom Rheinwein. Pflanze nicht im Garten, eh dein Feld bestelt ist, und mach dir keinen Schatten, bis du ein zinsbares Capital hast. Bestaͤndige Ruhe- ist keine Ruhe. Wenns geregnet hat, ist’s in freyer Luft am schoͤnsten. Wenn der Regen gerad herunter faͤlt, ist er am fruchtbarsten. Man koͤnnte sagen, die Natur hab’ eine gute Geburt. Geburt. So muͤßen auch deine Worte fal- len. Kreise nicht; sprich aber gerade herun- ter. Ein junger Geistlicher muß seine Pre- digt bloͤd anfangen, und dreist vollenden, dann hat er alles, was ihm hoͤrt, wie eine Klette am Kleide. Der Geruch hat seine Moden, die ein Pastor nicht mitmachen darf. Bisam und allerley wohlriechende Wasser sind nicht fuͤr ein schwarzes Kleid. Wilst du wohl riechen, so seys nach Himmelschluͤs- seln, Rosen und Naͤgelchen (nicht Nelcken, wie Etliche waͤhnen). Diese Geruͤche bekommen wie taͤglich Brod allen Menschen, und keine schwangere Frau wird druͤber ohnmaͤchtig am Beichtstuhl werden. Sey starck am inwen- digen Menschen. Deine Seele sey wacker, dein Herz ohne Falsch; so wird auch der aus- wendige Mensch bluͤhen und Fruͤcht’ ansetzen. Die Seele ist der Gaͤrtner, der Leib ist die Pflanze, die gezogen wird. Sprich zuweilen laut, sonst glauben die Leute nicht, daß es Ernst ist. Ich habe dir in deiner Jugend angerathen, das Skelett von den Butter- bluhmen auf einmal wegzuhauchen. Es staͤrkt die Lunge. So wird Gott, der gerechte Rich- ter, die Welt weghauchen! Ein jeder Lehrer muß mehr sagen, als im Concept ist. Was Y 5 aus aus dem Herzen kommt, geht wieder zu Her- zen. Was aus dem Munde kommt, geht wieder in den Mund. Was aus dem Con- cept kommt, geht ins Concept, und was aus dem Buche, ins Buch. Ende gut, alles gut! Ich werde dir nicht erscheinen mein Kind! wenn ich heimgehe? es wuͤrde dir und mir beschwerlich seyn: allein ich komme dir gewis entgegen. Der Herr sey mit dir im Leben, und wenn du leidest, und wenn du stirbst. Gehts mit dir zum Ende, sey es mit dem Schluß deines Lebens, wie mit dem Jahresschluß, wo die Tage kurz sind! — Des Abends muß man einen schoͤnen Tag loben. Amen, das heißt: Ja, ja, es soll also geschehn! Amen ist des lieben Gottes großes Siegel, und der Frommen Zuversicht. Ich beschwoͤre dich beym Amen, daß du diese Regeln aufbehaͤltst und sie befolgest, und sie alle Viertheil Jahr liesest, und vor der Le- sung singst: O Gott, du frommer Gott. und nach der Lesung: Gros ist Herr deine Guͤte. Amen! Dies war der Abschied, den meine Mutter von mir schriftlich nahm, wie sie ihn auch gern vom vom Conversus genommen haͤtte, und den sie eben so, wie den Tod, nicht auf die letzte Stunde ausgesetzt. Von meiner Mutter hab ich, und auch meine Leser, in diesem Theil Abschied genommen — Gute Nacht also liebes Weib! Lebe wohl, liebe theure Mutter. Deine heilige Harfe soll mein Herz in eine heilige Ruhe spielen, wenn es ein trotzig oder verzagt Ding seyn will, wenn es sich baͤumt und wenns sinckt. Ruhe der Religion der Vollendeten, du bist die Diaͤt fuͤr Leib und Seele! Bin ich be- stimmt, sechs Tage meines Lebens Last und Hitze zu tragen, laß mich wenigstens am sie- benten ruhen von dieser Arbeit, und eine Seelen und Leibeserloͤsung kosten. An die- sein Sabbath soll dein heiliges Bild, liebe Mutter! vor meinen Augen schweben! Ich will dich hoͤren, wie du den ersten der drey großen Feste, als die Lerche den Fruͤhling mit dem: „ Dir dir und deiner Guͤte, dir dir mein Gott allein, dir dir soll mein Gemuͤthe„ begruͤßtest — Wie du am heiligen Abend vor Wey- nachten die Hirten des ganzen Kirchspiels vor das das Pastorat versammeltest, und Vom Himmel hoch da komm ich her ꝛc. anstimmen ließ’st — wie du dieses arme Volk, das seiner Som- mergesellschaft am Ende aͤhnlich wird, zu christ- lichen Schaͤfern verschoͤnertest, und in ihnen vor der ganzen Gemeine eine Licht anzuͤndetest, so, daß jedes, auch im Weynachten, Achtung fuͤr den Hirten hatte, da er, nach dem Laufe der Natur, am wenigsten gilt. Deine Woͤrter hahn, stahn, lahn, sollen mir beßer klingen, als die weichlichen Worte der schwelgenden Poesie. Dein Tittel: Weib Lo- besan, den du dir selbst beygeleget hast, ist koͤstlicher als alle Welttittel. Ich will weit eher in den Vorhoͤfen des Herrn in der Halle wohnen, wozu dir dein Schutzgeist den Schluͤßel fuͤr dich und deine Nachkommen gab, als in den Pallaͤsten der Gottlosen! Deine alten Worte: Wolgemut, fuͤrbas, und pflag, und traun! und schier! bezeichnen mir die Einfalt der Alten der guͤldenen Zeit, da die Menschen Gottes Nachbaren vorstel- ten, ihm uͤbern Zaun in seinen Himmel sahen, vor ihm wandelten und fromm waren, und wie solt’ ich diesen Kern gegen den Prunk die- ses versilbert blechernen Jahrhunderts vertau- schen? — Am Ende, wenn mir die Gedan- cken cken vergehen wie ein Licht, das hin und her thut wancken, bis ihm die Flamm gebricht, soll der Tod mir ein sanfter Schlaf seyn! Amen, das heißt Ja, ja, es soll also geschehen! Dies war ungefaͤhr das Gefuͤhl, auf Worte herabgesetzt, das in mir brandte, da diese Anrede von meiner Mutter zum ersten- mal verlesen ward. Beym eigentlichen Ab- schiede bezog sie sich auf diese schriftliche Haus- tafel, wie sie’s nandte. Diese Hand, sie gab mir ihre Rechte, reich ich dir nicht wieder, als in der Ewigkeit, nicht mehr beym Ab- schiede — Dies ist der Abschied, mein Sohn, das eigentliche Begraͤbnis. Wenn du wuͤrck- lich von hinnen ziehest, wird nur das Para- desarg beygesetzt — — Von Minchen nahm ich Abschied, wie der Sommer vom Fruͤhlinge; man merckt’s nicht. Zehnmal, dachten wir, es sey das lezte Lebewohl; allein es kam noch ein Lebe- wohl — und denn noch eins, bis eins, ohne daß wirs beide wußten, das allerletzte war. Wir hatten schon vorhero verabredet, daß nicht Sie an Ihn, sondern Er an Sie, den ersten Brief schreiben solte. Dieser erste Brief solte an den guten Benjamin, um aus der der Noth eine Tugend zu machen, zur Be- foͤrderung gerichtet werden, und der Brief an Benjamin solt’ ein’ Einlag’ eines Briefes an den Herrn Herrmann seyn. Wie sehr wir uͤber diesen Plan gedacht, kann ich nicht beschreiben. Er ist das Resultat von vielen Stunden. In diesem ersten Briefe solt’ ich meiner lieben Miene den Weg zeigen, an mich zu schreiben, denn da noch nicht ausgemacht war, welcher Universitaͤt wir anvertrauet werden solten; so konnte der Plan fuͤglich nicht anders eingerichtet werden. — Die ehrliche Jungens, die tapfern Griechen, hatten sich bey meiner Abreise versammlet, hielten sich gerade, Helm ragte vor, und alle sahen ihrem Koͤnige nach, der avanciren und Student werden solte. Wir kamen gegen Abend in — — an, und fuͤr ein paar Leute, die sich in zehen Jahren nicht besuchet, wohl aber, so offt sie sich nur reichen koͤnnen, mit Gedancken, Ge- behrden, Worten und Werken (wiewohl alles in Ehren, und wie es ein Paar so klugen und so rechtschaffenen Leuten anstehet) gepfaͤn- det hatten, war der Empfang sehr freund- schaftlich — Wo bleiben Sie so lang, lie- ber ber Herr Pastor? ich hab’ schon zehn Jahre auf Sie gewartet, sagte der Herr v. G — und mein Vater wie aus der Pistole: eben so lange, einen halben Tag, den ich zur Reise noͤthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch- wohlgebohrnen Briefe entgegen gesehen. Hier eine Umarmung, und von der Frau v. G — ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein rußischer, und von seinem Hofmeister ein fran- zoͤsischer Buͤckling — und zwar so durchein- ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich die Verbeugung oder Scharrfuß gelten solte. Nach diesem Zeichen der Wiedergeburt einer seit zehn Jahren verfallenen Freundschaft, haͤtte man glauben sollen, es waͤre zwischen Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr- wuͤrden alles berichtiget; allein, es gieng diesen beyden Leuten so wie Richtern, die sich zwar geeinigt haben, wer von beyden Klaͤger oder Beklagter, gewinnen oder verlie- ren soll? nachhero aber uͤber die Entschei- dungsgruͤnde und die Gegengruͤnde die Koͤpfe schuͤtteln, und zuweilen an einander stoßen, um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick war ein Knoten, den keiner von beyden loͤsen konnte, den aber auch keiner von beyden so geradezu spalten wolte. Ich muß gestehen, daß daß ich nicht viel von dem beherziget, was diese beyde streitfuͤhrende Maͤchte mit einan- der ausgefochten. Ich weiß kein Wort wei- ter, als, daß wegen Hut und Trifft kein Wort weiter vorfallen solte, und daß eine Koppel- weide bruͤderlich verabredet wurde. Man gieng Hand in Hand zur Tafel. Der Vergleich war zugesaͤet, wurde mit einem aͤchten Glase Wein aus einem Schaͤuer begossen, und trug noch den naͤmlichen Abend tausendfaͤltige Fruͤchte. Morgen, denn heute seh’ ich alles uͤber Pausch und Bogen, will ich meine Le- ser mit den Karakteren dieses Hochwohlge- bohrnen curschen Hauses und seiner Art be- kannter machen, oder wie es mir eben ein- faͤlt, sie sich selbst bekannt machen lassen. Ich will versuchen, diesen Tag nachzuschrei- ben, wenn ich gleich nicht ein Verballexicon, einen Woͤrterkram, uͤber das, was damals ge- redet ward, besitze; so hab ich doch ein sehr richtiges Reallexicon, und hier darf ich nur klopfen, und es wird aufgethan. Hausrath ist bald angeschaft, wenn man liegende Gruͤn- de hat. Waͤre dieser Lebenslauf kein Lebens- lauf, haͤtt ich von der Kanzeley des Sir Carl Grandison einen Kanzellisten auf zwoͤlf Stunden zum Anlehn erbeten, allein einen Lebens- Lebenslaͤufer schlaͤgt ers ab. Wo haͤtt ich aber, wenn Sir Grandison fiat wie gebeten gesagt haͤtte, wo haͤtt ich dem Ehrenmann Ort und Stelle anweisen sollen? Im gan- zen Hause des Herrn v. G — war zur Ehre des Hauses keine spanische Wand und keine Vorhaͤnge, als vor den Fenstern, auch die nur gegen Mittag. Die Gespraͤche sind ori- ginalisirt. Wers verstrht , was ein Eid de credulitate ist, wird wissen, was ich sagen will; wenn ich behaupte nach bestem Wissen und Gewissen meine Leser behandelt zu ha- ben. — Der Schauplatz in unserm Schlafzimmer. D ieses Zimmer ging gerade auf eine Wildnis, einen Haupttheil des — Gartens, wo sich ein Blumenbeet, welches wie ein verschoͤnertes Wiesenstuͤck aussahe, an einer alten Eiche zu halten schien, um die kleines Z Ge- Gestraͤuch rings herum stand, als wenns in die Schule ginge, und lernen wolte, auch so groß zu werden. Es war alles wie Wiese und Wald, was man sehen konnte, und doch wars nicht Wiese und Wald. Die Bluh- men anders, und wenn sie gleich nicht in Reih und Gliedern standen, waren sie doch in einer entzuͤckenden unordentlichen Ordnung. Baͤume hinderten das Auge nicht, den Wald zu sehen, und es fiel von oben ein reines Wasser, wie ein starcker Regen, und schlen- ckerke durchs Bluhmenstuͤck, und aus ihm heraus, wie ein Betrunckener — — Personen. Vater. Ich. G uten Morgen, Vater. Danck Alexander. Wie im Edel- hofe geschlafen? Nicht wie im Pastorate. Blinde Kuh gespielt. Zugegriffen, nichts erhascht. Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefan- gen — Gewolt und nicht gekonnt. Die erste Nacht am fremden Orte ist immer eine Brautnacht. Niemand schlaͤft sie aus. Ich. Wie kommt das? Bette und Nester muͤßen nicht kalt werden. Ein neuer Bezug kostet mir zu Hause zwo schlaflose Stunden, ein neues Bett anderthalb Naͤchte. Ich habe den neuen Bezug mit ei- ner halben Stunde bezahlt, vom neuen Bette weiß ich seit sechs Stunden erst mitzureden. Haͤtten wir keine Betten, wuͤr- den wir nicht diesen Schlafzoll bezahlen. Es ist viel davon zu sagen. Wenn ja der Mensch nicht in sich selbst Waͤrme haͤtte, solt’ er nach der Vorschrift der Natur auf Haarbet- ten ruhen. Ich will’s versuchen — Wenns nur nicht zu spaͤt ist. Deine Mutter traͤgt die Schuld, daß dein Blut Federn kennet. Mich freuts, daß du diese Nacht so wenig mit dem Schlaf ge- zanckt — Wir haben beyde gethan, als schliefen wir. Wer sich mit dem Schlaf uͤber- wirft, zieht immer den kuͤrzern. Aber mit einmal Aufstand machen, und dem Schlaf zeigen, daß man sein Sclave nicht sey. Was meinst du, Vater? Recht! in allen Faͤllen, nur nicht, wenn ein neues Bett daran Schuld ist. Der Z 2 Schlaf Schlaf kann nicht buͤßen, was unsre Weich- lichkeit verschuldt hat — Wer, wenn er schnell aufwacht, nicht gleich herausspringt, versteht nicht Wincke der Natur. Der zweyte Schlaf ist ein Postscript, das keinem Mann ansteht. Mittagsschlaf ist ein brennend Licht am Tage. Achtung, Alexander! Schlag an, Feur’! bist du heraus? Wie Blitz! Mercks dir ewig. Wer einen Fuß aus dem Bette setzt, und den andern nach- holt, arbeitet auch nur mit halben Kopf. Wie kanns anders? Ich haͤtte moͤ- gen den D. Luther hoͤren und sehen das Walt sprechen, und aus dem Bette fahren. Er fuhr gewiß mit sechs. Aber das Kreutz, das er schlug, waͤre nicht noͤthig gewesen. Wers vertragen kann, des Morgens und Abends, kanns nicht scha- den. Deine Mutter hatte die Gewohnheit zu kreutzen, wenn sie jaͤhnte und den Mund hielt. Diese Kreutzschlaͤge hab’ ich ihr so aus dem Grunde abgewoͤhnt, daß sies nach der Zeit fuͤr Suͤnde zu halten schien, und den Schlagbaum des Mundes, um die vorigen Kreutzer zu verbuͤßen, noch weiter aufriß, als als es noͤthig war. Das Kreutz war die ge- meinste Strafe, womit man bey den Syrern, Egyptern, Roͤmern und andern Voͤlkern, einen Missethaͤter von der Welt brachte. Aus Schande ist Ehre worden. Deine Mut- ter nandte dies einen Triumph der christlichen Religion. Ein Kreutz ist ein Ritter- und Ehrenzeichen: es hat so was edles in und an sich, als die liebe Sonne, die alles glaͤnzend macht, was sie bestrahlt. Haͤng es um ein schlecht Gewand; es uͤbertrift Purpur und koͤstliche Leinwand. Die Wapenkunst gehoͤ- ret zwar nicht zu Kanzelgaben; indessen rath ich dir dies Studium an, und da wirst du ein Andreaskreutz, ein Schaͤcherkreutz, ein Anckerkreutz, ein Kleekreutz, ein Kruͤcken- kreutz, ein Lilienkreutz, ein Patriarchenkreutz, und noch viele Kreutzer kennen zu lernen die Ehre haben. Eine Stille! wir sahen beide zum Fenster, und jeder stieß eins wie aufs Commando auf —— Noch eine Stille — Hast du gebetet? Zweymal angesetzt, einmal vollen- det. Aber keinen Morgenseegen, denn ich hab nicht geschlafen. Ich kann dem lieben Gott fuͤr nichts dancken, was ich nicht auch Z 3 em- empfangen habe. Die sagen koͤnnen: wir dan- cken Gott fuͤr seine Gaben, die wir von ihm empfangen haben, wenn sie fuͤr Hun- ger sterben moͤchten, sind, denck ich, Schmeich- ler, Heuchler, Schrifftgelehrte und Pharisaͤer. Zum Danck hat der Mensch, wie zum Trost, immer Gelegenheit. Auch das groͤßte Ungluͤck ist noch so groß, daß man sich nicht noch ein Stockwerck druͤber denken koͤnnte. Der Armbruch ist nicht so arg, als der Halsbruch. Viele Leute aber glauben freylich, so mit dem lieben Gott umzusprin- gen, als mit ihres gleichen. Herz, Ehrlich- keit, ist das, was Gott angenehm ist; ich denck, er verzeiht hundert Fluͤche eher, als ein Gebet und Lob von dieser Weise. Er will eigentlich nur die freudige Empfindung uͤber das Gute, das wir gethan haben. Versoͤh- ne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfre. Thu was gutes, und du betest — die ganze Natur betet und singt, und die Raben selbst nicht ausgenommen. Siehst du einen schoͤnen Abend, einen schoͤnen Mor- gen, so fehlen nur Worte zum Gebete, und die sind nicht noͤthig. Leute, die es auf bloße Worte anlegen, zaubern im eigentlichen Sinn, sie betruͤgen die Umstehenden, und erwer- erwerben sich Almosen, der nicht immer ein Stuͤck Brodt und ein Vierting ist, sondern auch ein Buͤckling ein Ehrenwort seyn kann „das ist ein frommer Mann.„ Es hat weise Heiden gegeben, die dafuͤr hielten, man solte laut beten, damit Gott nicht mit un- klugen Bitten belaͤstiget wuͤrde; allein die Herren moͤgen es mir verzeihen. Gott ist unser Vater, und wir koͤnnen ihm alles sa- gen. Wir bleiben gegen ihn bis ans Ende kleine Kinder. Wir sollen Gott lieben! Liebe ohne Aufopferung von der geliebten Seite ist schwer zu dencken. Gott opfert sich, wenn er uns Gutes thut, nicht auf. Es kostet ihm keine Muͤhe, wenn er Fruͤh- und Spaͤtregen, und fruchtbare Zeiten giebt, wenn er uns die Hand reicht. Es waͤr’ also nur Ehrfurcht, was wir gegen ihn haͤtten, wenn wir nicht beten doͤrften. Das Gebet hilft uns zu einer Liebe, die anders ist, als alle Lieben in der Welt. Christus hat die Lehre vom Gebet so vortrefflich abgehandelt — Betet im Glauben, bestimmt nicht: laßts Gott uͤber. Plappert nicht, betet im Kaͤmmerlein — Mein Vater betete das Vater unser, und sah zum Fenster, und ich betete mit, wir beteten sehr laut. Z 4 Ich. Das war gebetet. Amen. Viel Leute schaͤmen sich, den lieben Gott auszusprechen. Sie sagen: der Himmel. Ich sag ja nicht Mitau, wenn ich den Herzog meine. Einige sagen: die Vorsicht, das sind mir schon die rechten, nicht wahr, Vater? Nicht immer wahr. Da muß man sehr duldend seyn. Ich sage gern, herz- lich gern heraus: Gott, mein Gott, und freu mich, daß ichs nach meiner Religion darf. Andere Leute moͤgen andere Weisen haben. Mann nennt offt nach der Hauptstadt den Hoff, der Wienerhoff — ich werd bey mei- ner Weise bleiben. Und ich auch in Ewigkeit. Eine Nacht gewacht macht mun- ter. Wir werden beid’ einen herrlichen Tag haben. Ich dacht’ es waͤre des ersten Aus- flugs wegen. Der erste Ausflug aus dem Neste muß Alten und Jungen was ange- nehmes seyn. Du verstehst mich — nach dem lieben Gott bist du mein Vater. Sey gut Alexander, und das wirst du seyn, wenn du Gott von Herzen Vater nennst. Vater. Vater, Tafeldecker, Ich. Wuͤnsch unterthaͤnigen Morgen. Guten Morgen, guter Freund. Gnaͤdiger Herr, und gnaͤdige Frau, und gnaͤdiger Juncker, bitten zum Thee. Gleich — aber, lieber Freund, das Waßer hier ist von gestern. Nur Thee fehlt, so ists Theewaßer. Koͤnnen wir nicht kaltes, frisches Wasser — Mit Eis, wenns angeht, ich hab vom Eiskeller gehoͤrt. Wird nicht gut thun. Ich bins gewohnt, Eis im Was- ser, Speck im Kohl, Ehr im Leibe, Gewis- sen im Herzen. Das sind vier gute Schluͤßeln, wolt’ ich sagen, ja, ich weiß nicht was? bin der Tafeldecker. Herr Tafeldecker, ich bin sehr hitzig aufs Eiß. Sollen haben — (geht ab.) So offt ich taufe, aͤrgre ich mich, daß wir nicht untertauchen. Das waͤr was fuͤr Leib und Seele. Z 5 Ich. Wenn wir so mit dem Feu’r um- springen koͤnnten, Vater! wenn wir so die Sonne, wie ein Caminfeu’r, ansehen, und waͤr sie naͤher, heran treten koͤnnten, ohne von der Flamme ergriffen zu werden — Die offenbare See — Ich moͤcht mich doch da eher baden, als die Haͤnde dicht am Sonnencamin waͤr- men. Was auf der Erde ist, gehoͤrt uns, hast du mich gelehrt — Das erste Feu’r auf der Erde muß eine schreckliche Wirckung auf Mensch und Vieh gemacht haben. Ein Blitz schlug’s vielleicht an, und die Menschen unterhielten ein heiliges Feu’r, des sich jedes bediente, bis sichs jedes selbst anschlagen lernte. Der Mensch hat sich ohne Zweifel vorgestellt, die Sonne waͤre herabgekommen und wandele unter uns — Eine große Vorstellung! Ich vergeb den Heiden, daß sie die Sonne angebetet. Sie ist eins von den großen Lichtern, die im Saal Gottes bren- nen. Wir haben sie noch so ziemlich aus der ersten Hand; in wenig Minuten ist der Strahl auf der Erde. — Ich. Ich wuͤnscht’, ich haͤtt das erste Feu’r auf Erden gesehen. Auch ich, ich denck das erste Feuerlerm ist die Ursach, warum wir noch immer ins Feuer sehen, wo wirs finden. Wir feuren das Fest des ersten Feu’rs. Ca- minfeuer verdirbt das Auge, sagt man, und was thut denn der Rauch der Oefen? das unwuͤrdigste, was je die Menschen erdacht haben, hoͤchstens fuͤr schwangere Weiber gut. Der Kreißstuhl steht am Ofen. Ich bin kein Republikaner, allein ich bin ein Mensch. Kein Mensch, der sich frey fuͤhlt, solte ein- heitzen, und sich die Haare stecken, oder sie kleben. Wer nicht mit der Hand in die Haare kann, und mit unverwandten Augen ins Feu’r sieht, und sich Feu’r zu machen ver- steht; ist wenigstens kein Englaͤnder. Ich bin fuͤr den monarchischen Staat, das weißt du; allein auch da giebts Freiheit. Du weißt die Fabel vom Prometheus? — Dem Feu’rdieb, Ja! Man laͤßt es nicht, ins Feuer zu sehen, und wenn man mit seinen Augen druͤber einen Bund macht; so sieht man nicht, man schielt, man stiehlt — die Thiere selbst machen große Augen und staunen das Feuer an an — Wie ich mich freue, wenn ich Spuren der Natur finde, daß ist unbeschreiblich, ich denck immer Gottes Finger zu sehen, wenn ich Natur sehe — Ich sehe Gottes ganze Hand. Junge! Tausendmal hab ich ge- dacht mein Ebenbild! nur etwas rauher duͤnckt mich. — Schadt nichts, du bist in Curland gebohren, und ich in einer beßern Gegend. Du jung, ich — alt. Soͤhne, die der Mutter aͤhnlich sind, bekommen ihre Faͤ- higkeiten und Neigungen; allein in hoͤherm Maaße. Sie sind Birnaͤpfel: ich wuͤrd sie all zu Geistlichen bestimmen. Sie haben bis zum Pabst Anlage; nur keinen Schuß ver- tragen sie. Haͤttest du etwas, Alexander, von diesen Wachsjungens, ich gaͤbe was drum — Und warum Vater? Das eine Frage! du solst nicht mit Feuer, sondern mit Wasser taufen. Gott braucht auch Luthers im Dienst, nicht blos Melanchtons, Vater! Ich wett, Luther sah seinem Vater aͤhnlich, wie ich dir, und Luther, das wett ich auch, waͤr ein so guter Generalfeldmarschall geworden, als er jetzo Glaubensvater ist, und haͤtt so gut gut Sieg erfochten, als einen Catechismus geschrieben. Es wuͤrd manchmal gut seyn, wenn sich ein Geistlicher mit einem Narren von Freygeist herumschießen koͤnnte. Gewiß wuͤrd er mehr durchs Pulver, als durch Gruͤnde frommen, besonders in Curland, wo alles nach Pulver riecht — allein wer das Schwerd nimmt, wird durchs Schwerd umkommen — Mit dreyen nehm ichs auf — ich meyn mit Freygeistern, sonst weiß ich auch wer Herz hat. Feigheit faͤllt in alle fuͤnf Sinne: man sieht sie im Finstern. Einen muthigen Mann kennt man nicht so leicht. Er traͤgt nicht Spieß und Lanze. Gemeinhin sieht er bloͤde aus. Seine Miene ist sanft und edel: wenn er spricht, ists als spraͤche man mit Frauenzimmer. Wer hat, darf nicht borgen — Ein muthiger Mann ist ein ver- moͤgender Mann, und darum braucht er kein Creditkleid, keinen Empfehlungsbrief. — Er ist uͤberzeugt, daß es ihm nicht fehlen koͤnne. Muth ist ein edles Bewustseyn, von dem einige Leute sehr einfaͤltig sagen, er sey anzu- sehn. sehn. Stolz ist anzusehn; allein kein edles Bewußtseyn — Wie kommts aber, Vater! daß auch den Herzhaftesten der Muth zuweilen verlaͤßt, und daß er nach einer Zeit wieder muthig wird? Weil er kranck war, und wieder gesund wurde! das ist aber eine Kranckheit ohne Namen, etwas Kolick ist immer da- bey — Oft kommts, weil der Held mit einer Schlafmuͤtze sein Haupt bedeckt hat, da er eben angegriffen wird. Er sollte selbst im Hut schlafen. Im Hut, oder im bloßen Kopf — Vater, ich will dein Sohn nicht seyn, wenn ich je anders zu Bette gehe — — Du warst Alexander! jetzt bist du es nicht mehr! Kannst es nicht mehr mehr seyn! mußt es nicht seyn! Ich dacht anders, und Gott dacht anders. Setze im- mer eine Schlafmuͤtze auf, und bekaͤmpfe dich selbst, dann hast du Muth, auch ohne den Degen in der Faust, und im Schlafrock und Pantoffeln. Muth braucht man, wie Saltz, zu allem, und beym Cammertod mehr, als auf dem Bette der Ehren, wo Wuth und Verweiflung offt die Herzhaftigkeit einfeuert. Dies Dies ist ein eingeheitzter Muth. Ist der Ofen kalt, ist alles kalt — Ich weiß, Vater, wie ich das Loch hier am Kopf kriegte, was es heiße, auf dem Bette der Ehren ein Loch kriegen, und wie ich kranck war, was ein kalter Ofen heiße. Das Loch war mir weniger, als wenn ich mir das Hemde vorbey ins Fleisch gestochen. Ich wollt druͤber was schriftliches aufsetzen, so weiß ichs. Sich selbst bekaͤmpfen, Va- ter! und eine Hopfenstange seyn, ist doch zweyerley. Sich im wagerechten Stand setzen, und immer im Gleichgewicht halten, ist un- moͤglich. Wer nicht Leidenschaften hat, ist kein Mensch. Unser Herr und Meister jagte Kaͤufer und Verkaͤufer aus Gottes Tempel. Wer im Sitzen schelten, und wenn er sich stoͤßt, beten kann, ist ein Mensch, mit dem ich nichts zu theilen haben will. Ich werd ge- wiß betrogen. Ich hab mich als Pastor zu dem „daß dich der Tausend“ bequemen muͤßen, „daß dich der Teufel„ sagt man, soll gesunder seyn. Es soll wie ein Glas Wasser abkuͤhlen. Die Natur kuͤhlt sich auch durch Donner und Blitz. Um den Teufel nicht so viel Ehre anzuthun, sollte man ein ander ander Wort erfinden. Es kommt alles auf Begriffe an. Augustinus und Lactanz konn- ten sich nicht uͤberreden, daß die Erde rund sey, weil sie die Schwere der Koͤrper nicht kannten, und — Vater! was du mir sagst, ist mir, Augustinus und Lanctanz ausgenommen, so bekannt, als ob ichs gewußt haͤtte, und doch lerne ichs erst. Das ist der groͤßte Beweiß der Wahrheit. Der Vers ist gut, den man auf einmal behaͤlt, und eine Sache, die, wenn wir sie gehoͤrt, uns so duͤnckt als haͤtten wir sie schon zuvor gewußt, ist gewiß wahr. Du bist mir Philippus und Ari- stoteles in einer Person. Wenn man den Kindern auf alle ihre Fragen antwortet, curirt man sie durch Aderlaßen. Man macht sie schwach. Wenn du A frugst, antwortete ich B, und hierdurch gewoͤhnt ich dir ab, zu fragen, und an, selbst zu dencken. Wer immer in seiner Jugend gefragt hat, fraͤgt, auch wenn er alt wird. Haͤtt’st du noch einen Bruder ge- habt, haͤtt ich ihn negativisch erzogen, und ihm nicht gesagt, hier geht der Weg, son- dern: hier geht er nicht — Wenigstens, Ale- Alexander, hast du einen muͤndigen Aus- druck. Du bist ein Mensch, der bey der Natur in die Schule gegangen, ein Stuͤck vom Seher! — Wer blos die Alten ließt, ist ein Glaͤubiger, du kannst sie auch zur Noth lesen, diese erste Version der Natur. Laß uns jetzt gehen — der Thee ist schon er- wuͤnscht kalt. Vater, ich moͤcht noch zehn Stun- den hoͤren. Und ich bin lang nicht so ein Vielwißer gewesen, wie heut, und auch du umfassest alles, du sprichst so behend, und jedes Wort ist Schach dem Koͤnige. Das machen die neuen Betten und die Nacht ohne Schlaf. Noch eins, Vater: ha Waßer! Stroͤme! desto beßer fuͤr dich einen, und fuͤr mich auch einen — — Das Noch eins hab ich nicht er- saͤuft: die gnaͤdige Frau ruft mich Monsieur. Besonders! daß Monsieur bey den Deutschen zwey Pfund weniger, als Herr, und Mamsell zwey Pfund mehr wiegt, als Jungfer! A a Ich. Immerhin, Vater! Ein Franzose mag ein Monsieur seyn, aber nicht ich. Zwey Pfund weniger oder mehr, ich ehre das Wort Jungfer. Ich auch, Alexander, und auch darum mit, weil es sich rein haͤlt, und mit keinem Reim in Gemeinschaft tritt. Das sind fuͤr mich koͤnigliche Woͤrter; sie geben sich nicht mit erst was ab. Wer meine Schwester — Wenn du eine haͤttest! Mamsell hieße, der solte eine Ohr- feige mit dieser Hand haben, oder ich will Monsieur seyn — Und immer in der drit- ten Person spricht die gnaͤdige Frau. Wird Monsieur nicht haben wollen, will Monsieur nicht ein Glas Bier? Bin ich denn kein Du oder Sie werth! Kann sie mir nicht ge- rad’ ins Gesicht sehen, wenn sie mir zuspricht. Warum stoͤßt sie denn nicht das Glas mit mir an. Sie schielt nur von der Seite her- ab. Gottlob! daß sie nicht mit Er herum- wirft, ich wuͤßte nicht — Vater! — Wenn faͤngt man denn an Litteratus zu seyn? Es ist nicht uͤberall gleich. Im Mitauschen Kreise fruͤher, im Bauskeschen Kreise spaͤter, im Seelburgschen Kreise noch spaͤter, spaͤter, im Doblehnschen Kreise fruͤher, als im Mitauschen, und so weiter durch alle Kreise. Ihr Mann, Vater, haͤtte verdient den lincken Fluͤgel meines Phalanxs zu com- mandiren. Zum Parmenio, Vater, nicht wahr? Er weiß doch, was einem seeligen Alexander zustehet. Von ihr, duͤnkt mich, kanns heißen: ihe Wurm wird nicht sterben, und von ihm! sein Feu’r nicht verloͤschen — Im Garten. Die Frau v. G. die Vorigen. Herr v. G. Sehr erfreut, Herr Pastor — Wol geruht? Ich bitte Platz zu nehmen. Herr v. G. hat einem Sperling das Leben abgesprochen, und ist unten, ihm das Wort zu halten. Monsieur, bitte zu sitzen — Ohne Umstaͤnde. Gartenfreyheit! da sind wir alle gleich — Vom Paradiese her. (mein Vater buͤckte sich bis aus Wort halten, ich von Monsieur an.) Caffee? A a 2 Vater Unterthaͤnigen Danck. Thee? Gehorsamst. Niemals? Niemals, gnaͤdige Frau. Und warum? Jedes Volck hat was es bedarf, gnaͤdige Frau, kann Original seyn, darf nicht Thee und Caffee trincken. Aber Wein? Der ist vom lieben Gott fuͤrs ganze menschliche Geschlecht eingesetzt, und dann, gnaͤdige Frau! waͤchst nicht Wein in Curland? Vielleicht wuͤrde auch Thee und und Csffee wachsen — Nimmer, und wenn es waͤre. Wie kann wol die Natur mit Bohnen und Strauch die Absicht verbunden haben, die man jetzt damit verbindet? Aber angenehm ist wenigstens Caffee im Gruͤnen? Warum nicht eine Mahlzeit aus natuͤrlichen gesunden Speisen? Es ist zu warm — Des Abends. In Curland gehts mit dem Fruͤhstuͤck beynah wie in England, und und das hat, ich muß gestehen, sehr viel verfuͤhrerisches. Alles kommt ungeputzt zu- sammen, wie bey einer Brunnenkur, und mit einem so freyen unverfaͤlschten Kopf, daß es eine Lust ist, gute Leute fruͤhstuͤcken zu se- hen. Die Seel ist so wie der Leib im Negli- schee, und wenns fruͤh ist, ist der Tag selbst so. Sein Schleier ist ein liebenswuͤrdiger wonnevoller Anzug — Nicht immer aber, gnaͤdige Frau! koͤnnen wir in Pyrmont seyn, und den Brunnen trincken, und unsrer Seele und dem Tage bey der Toilette aufwarten. Wir haben Geschaͤfte: die Morgenstunde — Ich halt Caffee und Thee nicht fuͤr gesund — Ich auch nicht — Die Aerzte sind indeßen ge- theilt — So wie in allem, was die Diaͤt betrifft, die ein jeder Arzt nach dem Schnitt seines Magens beurtheilt. Ein Schuß! gehoͤrt und gesehen . Der Sperling. (Einen todten Sperling in der Hand.) Ha, willkommen ins Gruͤne! Herr alter und Herr junger Pastor. A a 3 Frau Gelt! Monsieur ist erschrocken. Ueber einen Schuß? Er erschrickt uͤber dich, und ich auch, gnaͤdige Frau. Fuͤr erst bitt ich Herr statt Monsieur! Wer nicht vor einen Schuß erschrickt, ist kein Monsieur. Sieh ihm ins Gesicht. Ist er erschrocken? (Zu mir) Sie haben gepredigt? Das heißt ein Seelenschuß. Ich habe Sie weit und breit ruͤhmen gehoͤrt. Ohne Verdienst und Wuͤrdigkeit. Ew. Hochwohlgebohrnen — Herr Pastor, laßen Sie mir den Hochwohlgebohrnen weg oder — Wenn der Herr Pastor sichs aber angewoͤhnt hat. So muß ers sich abgewoͤhnen. Falls es ohne Muͤhe gesche- hen kann. Wenns auch Muͤhe macht. Das nenn ich Zwang. Es haͤngt von Ew. Gnaden ab. Herr Pastor! Sie wolten von der Pre- digt sagen. Wenn Sie sie gehoͤrt haͤtten, wuͤr- den Ew. — Herr Herr Pastor, ich bitt — ich nehms fuͤr ein heimliches Verstaͤndnis mit meiner Frauen, wenn Sie nicht thun, was ich bitte, was ich will — Wenn ich sie ge- hoͤrt haͤtte, wuͤrd ich — Eine gute Suppe, und einen guten Nachtisch gefunden haben. Ein Paar schoͤne Lieder, die seine Mutter ausgesucht hatte. Die Predigt war nur, um zu versu- chen, ob Stimme und Anstand — nur des Leibes Nahrung und Nothdurft wegen, wenn ich so sagen darf — Ich wuͤrde bitten, sie im gruͤ- nen zu wiederhohlen — Warum nicht gar? Eine Pre- digt in die Kirche, eine Pfeife Toback im Gruͤnen. Ich glaub auch, ich wuͤrd’ im Gruͤ- nen von der Natur uͤberschrien werden — Recht! — schon warm Was- ser getrunken? Wir haben gedanckt, wir trincken nur kalt Wasser ohne Gewuͤrz, wie’s Gott beschert. Das ist brav! ich auch so — da siehst du, Frau! was brave Kerls sind. A a 4 (in- (indem er dem Sperling wegwirft.) Ein Dieb weni- ger in der Welt — Ein wahrer Dieb. Unstet und fluͤchtig, wie das boͤse Gewißen. Indeßen kommt’s auf Erzie- hung an, und der Sperling singt, wie einer der schoͤnsten Saͤnger unter den Voͤgeln. Dieb wuͤrd’ er freylich auch bey einer Syre- nenstimme bleiben. Ich selbst habe Proben, und der Schluß ist richtig. Kein Vogel hat eine eigenthuͤmliche ihm, von Gott verliehene Singstimme, sondern nur Floͤtraversansatz, Faͤhigkeit zu allem voͤgelmoͤglichen Gesang. Es kommt auf den Cantor an: wie die Alten sungen, so zwitschern nach die Jungen! — Wo ist Fritz mit seinem halbehrwuͤrdigen Hofmeister geblieben? Der Juncker (der Accent auf Juncker) kleidet sich an. Der Hofmeister leistet ihm Gesellschaft. Sie haben sich das Laͤngste — Der Jung ist gut, nur nicht viel Herz, und das hast du Schuld — Beßer kein Herz, als keinen Verstand — Nichts geredt. Verstand ist des Herzens Spuͤrhund. Ich kenne noch keinen beherzten Mann, der nicht mindstens fuͤrs fuͤrs Haus Verstand haͤtte: aber verstaͤndige kluge Schurcken kenn ich dir so gut, als meine Kugel, Schrot, Wind, Buͤrschbuͤchsen. Ge- wehr auf ein Haar. Ich weiß den Unter- schied zwischen beherzt und gutherzig; allein Herz ist hohl mich — Herz. Es kommt alles auf eins. Du wirst dein Lebtag nicht einen beherzten Mann kennen, der nicht mitleidig, großmuͤthig, gutthaͤtig ist, und sein Paar Tropfen weinen kann. Verstand! Sieh doch! was ihr Weiber dies Wort in den kleinen Mund nehmt. Dies Wort ist mit Ew. Gna- den Erlaubniß generis masculini, oder wenn du es im Deutschen haben wilst: Es hat Haar um den Bart — Wird aber oft kahl geschoren. Einfall! Euretwegen aber waͤchst wieder. Ha, gnaͤdige Frau, wie ge- faͤllt Ihnen meine Predigt in der freyen Luft? Die Anwendung werden Sie selbst machen. Sie ist gemacht — Darf ich wißen? Mich duͤnckt, es zeigt wenig Verstand, Boͤses von seinen Kindern zu spre- chen. Monsieur — der Herr — wolt’ ich sagen, wird sich einen schoͤnen Begriff vom Juncker machen. A a 5 Herr Boͤses? sagt’ ich nicht gu- ter Jung — Jung! Schon dies Wort in gewißer Leute Gegenwart (auf die Bedienten wei- send) ich denck doch, er hieße so gut Herr v — als Ew. Hochwohlgebohrnen? Es scheint Ew. Gnaden wol- len mein Schiff entern. Gehorsamer Diener, so nah sind wir noch nicht. Weißt du was entern ist? frag’s nach in Libau! Entern hier, entern da, es schickt sich wenig — Albern! es muß sich schicken. Er ist Edelmann, weil ich einer bin, dabey ist wenig auf seiner Seite. Der Adler ist darum Adler, weil sein Herr Vater einer war? Warum Adler? warum nicht Gans; so bleibst du in der Landsmann- schaft — Adler! ha! ha! ha! Engel haben keinen Zunamen. Teufel auch nicht. Wenn nicht Zunamen waͤren, wuͤrden mehr Men- schen seyn. Weist du wol, wie lang es ist, daß Zunamen sind? Der Teufel hohl den Schlingel, der sie zuerst aufbrachte. Man thut darum selbst nichts, und sieht vor oder hinter sich. Hat doch dieser und wird doch jener jener — In Curland besonders, in Cur- land ist ein Edelmann ein Erdschollen, glebæ adscriptus, nicht wahr Herr Pastor? Ich habs offt gesagt, da ist aber nicht der Edelmann: Curland und Semgal- len sind Schuld. In diesem Fall hat ein Litteratus den Vorzug, daß er, wie die Apostel, in alle Welt geht. Befaͤllt ihn ja das Heimweh; er stirbt wenigstens nicht auf der Stelle, wo er gebohren ist. Mit ihm ists Comma, Colon, Semicolon, mit dem Adel Punktum. Recht, Punktum, ein groß Punktum, man kann es einen Kleck nennen, da wo ich gebohren bin und sterben werde, sind schon sieben gebohren und gestorben, und mein Jung wird den Punkt nicht verruͤcken. Warum denn nicht? Weil er nicht kann, und kein Curlaͤnder es kann — Fuͤr ihr Vaterland Korn und Waitzen saͤen, das ist alles was in ihrer Macht ist. Darum Punktum! Punktum! Punktum! Der Himmel gebe du machtest, Punktum, und wir fingen was anders an. Mit dir, wenns Ew. Gna- den gefaͤlt. Aber Herr Pastor wie kommts, daß daß es mit gelehrten Leuten in gewisser Art nicht beßer geht? Die gnaͤdige Frau gieng beym Wort: gelehrten Leuten, sehr freundlich ab. Ihr Compliment fuͤr mich, zeigte daß ich Herr und nicht mehr Monsieur in ihren Gedanken war — Sie haben Recht. Ein Gelehr- ter hat selten einen Sohn, der seinem Bilde aͤhnlich ist. Mit ihm faͤngts an, mit ihm hoͤrts auf; allein dies gilt nur von Gelehrten majorum gentium, von halb Engeln, ganz En- gel gilts nicht unter Menschen, die Fleisch und Bein haben, Copernikus, Newton, Kepler, Leibnitz — — Das waren Kerls! dem Co- pernikus bin ich am gutsten, Gott weiß war- um. Seinetwegen wuͤnscht ich ein Preuße zu seyn — Es ist wahr, Copernikus schloß den Himmel auf. Es war ein Petrus, zu dem Gottes Stimme erscholl: ich will dir des Himmelreichs Schluͤßel geben — New- ton aber war chargé d’affaires des menschli- chen Geschlechts, im Himmel und auf Erden, und unter der Erden. Licht war sein Blick, und was er machte, das gerieth wohl. Kep- ler, ein Haushalter uͤber Gottes Geheimnisse, Siegel- Siegelbewahrer der Natur, und Leibnitz, ein Cammerherr unter ihnen. Ein Mann, der allen allerley war, der erfinden konnte, ohne Bleifeder und Schreibtafel in der Hand zu haben, der, wie man vom Newton erzaͤhlt, keinen Damen-Finger, so viel ich weiß, ver- brandt hat — — Kein Mensch weiß von dieser Leute Kinder, und doch ist Nachruhm ent- weder gar nichts, oder Erbgut. Wer keine Kinder hat, thut thoͤricht, sich von fremden Leuten nachruͤhmen zu laßen: „ Er hatte Verstand, er hatte Geld „ Geld wirft keinen Nachruhm ab. Es traͤgt nur Zinsen, so lang man lebt. Ein Reicher ist, so lang er lebt, Souverain in die- sem Jammerthale. Er kann sich alles kau- fen, vielleicht gar ruhiges Gewißen und Ge- sundheit. Ist er geitzig, und wo ist ein Rei- cher, der es nicht waͤre? wird er wenigstens seltener kranck, wie ein andrer — Kein epischer Dichter hat solch eine Einbildungs- kraft, wie er. Er genießt alles in der Einbil- dung. Kein Wunder, daß er sich nie den Magen verdirbt. Er sieht seinen Geldkasten an, und da sieht er Wagen und Pferde, da sieht er seinen Tisch mit allem Neuen vom Jahr Jahr besetzt — Leckerbißen und feine Weine! Das sieht man in keinem optischen Kasten, was der Geitzhals alles sieht. Hier ist der Hals uͤbel gepaaret, der Geitzige muͤßte denn am fremden Orte seyn, wo es ihm nichts kostet. Geld solte das Mittel seyn, um zu genießen; allein der Reiche hat gemeinhin Mittel, um sich neue Mittel zu erwerben, und am Ende Mittel uͤber Mittel; allein keinen Zweck — Im Tod heißts: „Sohn „du hast dein Gutes empfangen in deinem „Leben„ es thut nichts, ob in Prosa oder im Gedicht, ob wircklich oder in Einbildung. Das Geld bleibt zuruͤck, und wenn man ja an den seelgen Herrn denckt, so heißts der Geck! so schoͤnes Geld! und ein so schlechter Keller! Mit dem Nachruhm des Gelehrten ist’s eine andre Sache. Ver- stand traͤgt Zinsen bis an der Welt Ende. Newton hat keine Kinder noͤthig. Jeden Gelehrten hat er uͤber die Taufe gehalten, ist’s ein Jude, hat er ihn beschnitten. Jeder seiner Schuͤler ist sein Sohn — Ein Ge- lehrter dieser Art hat das Gluͤck, lauter wohl- gerathene Kinder zu haben, es sind Seelen- erben, die er mit Geist und Wahrheit naͤhrt — Er darf weder Gastwirth, noch Schwerdt- feger, feger, noch Fechtmeister, noch Waͤscherin fuͤr sie bezahlen. Alles gut, lieber Pastor, was hat aber Newton und alle von seinem Gelich- ter davon? Ein doppeltes ewiges Leben — in jener Welt eins, in dieser Welt eins. Ein Gelehrter, der sich seiner Unsterblichkeit be- wußt ist, , hat einen Beweis mehr in sich, daß er nicht aufhoͤren werde. Diese Unsterblich- keit, und jene Unsterblichkeit, sind verwand — und rechnen Sie dies Bewustseyn fuͤr nichts, ehe solch ein doppelt Unsterblicher den Weg geht, den alle gehen? Er lebt doppelt — schmeckt sterbend doppelte Kraͤfte der kuͤnfti- gen Welt — Pastor, es ist mir nicht an- ders, als wenn ich losdruͤcken will, und der Vogel fliegt davon — ich bin so nah an der Ueberzeugung; allein weg ist der Vogel — Ich bitte, laßen Sie ihn nicht fliegen — Ich hab ihn im Fluge getroffen, Vater! Die Sache ist geistisch, und will geistisch gerichtet seyn — Herr Bey gelehrten Familien laß ich den Nachruhm gelten. Allein, in Wahrheit, er ist nicht andenckenswerth. Die Historie wird mit der Zeit ein Familienstuͤck werden, und es wird heißen: dort linker Hand wohnt die Historie in sechs Haͤusern — die gelehrte Familien aber auf den Fuß, wie wir sie bis jetzt kennen — vielleicht viel Vorruhm; allein desto weniger Nachruhm. Die meisten Menschen halten den Nachruhm fuͤr Nachhall; allein gefehlt! sehr gefehlt! Aufrichtig, ich kenn bis jetzo keinen stiftsfaͤhigen Familiengelehrten. Der Sohn lernt beym Vater das Handwerck aus, und hat Vorzuͤge beym Meisterwerden. Der Sohn behaͤlt des Vaters Leisten, und alles ist nach vaͤterlicher Weise — Man nennt dies Wißen: Familiengelehrsamkeit. Gelt! die ist nicht viel uͤber eine Elle beßer, als Familienwitz. In die Laͤnge oder Breite. Wie ist das? Gelehrsamkeit halt ich breit, Witz lang — Danck fuͤr gute Nachricht — Witz erfindet, Urtheilskraft be- handelt. Wer Witz hat, kauft den Acker. Wer Wer Urtheilskraft besitzet, theilt die Felder ein, saͤet und umzaͤunet. Der Witzige ver- gleicht, der philosophische Richter verknuͤpft oder trennt. Der Witzige macht allem, was schoͤn ist, die Aufwartung. Der Philosoph ist fuͤr Verlobung und Beylager, und was er zusammengefuͤgt hat, soll der Witz nicht schei- den. Der Mensch ist stumpf, heißt: er hat nicht Witz. Der Mensch ist dumm, heißt: er hat nicht Urtheil. Setzt man nicht Kopf dazu, Dummkopf, Stumpfkopf? — Ja! allein sehr unrichtig. Man entweiht den Namen Kopf, denn er deutet Scharfsinn an. Das ist ein Kopf, heißt: er ist scharfsinnig. Es ist kein Kopf, heißt: er ist es nicht. Aber, Vater! wenn man von ei- nem Kinde sagt: es hat einen Kopf? Ein Kopf seyn, und einen Kopf haben, ist zweyerley. Beym Kopf seyn, fin- girt man sich, der Mann sey lauter Kopf, a potiori fit denominatio. Einen Kopf hat jeder — Aber, Vater! in welchem Jahr stellt sich denn der Scharfsinn ein, und wenn kann B b man man von einem, der einen Kopf hat, sagen: er sey ein Kopf? Nicht an der Mutter Brust; allein oft fruͤh, oft spaͤter. Also, Gottlob! kann auch Kind und Juͤngling Kopf seyn? — Allerdings! in Hofnung! man steht was die junge Seele werden wird, so wie im Fruͤhling die Erndte, des Morgens den Tag! Die meisten Knospen haben den Ge- schmack der kuͤnftigen Frucht — Hier machten wir uns alle drey Complimente, und stießen die Koͤpfe im Guten an einander; der ge- neigte Leser wird mir diese Stoͤße gern erlaßen. Es wuͤrde auch unartig gewesen seyn, wenn ei- ner dem andern den Kopf abgesprochen haͤtte. Gedaͤchtnis, Schaͤrfe der Sin- nen, sind beym Witz und Urtheilskraft Ge- sellschaftscavaliere, Sekretairs, Haushof- meisters u. s. w. Verstand hat das Votum decisiuum. Gott ehr mir den Witz, weil er zu lachen macht; das Kluͤgste was die Menschen koͤnnen. Ueber Witz lacht man. Die Ur- theilskraft aber macht seelenfroh. — Die Seelenfreude ist eine ganz besondere Freude. Man Man kann hiebey, auf seine eigene Hand, wie ein Koͤnig, vergnuͤgt seyn. Dies ist der einzige Fall, da man sich auch ganz allein einen geistigen Rausch antrinken kann. Der Witz liebt Gesellschaft. Bey der Urtheils- kraft erfreut man sich uͤber die zuruͤckgelegten Schwierigkeiten, wenn wuͤrcklich die Sach uns schwer gewesen. War sie uns leicht, so freut man sich der Leichtigkeit wegen, und macht sich selbst ein Compliment — Beym Witz muß alles wie von ohngefaͤhr kommen. Alles ex tempore und pro tempore aus dem Ermel. Es blitzt, ohne daß man vorher Wolcken sieht. Wenn ich vier Koͤche und Jun- gens ohne Zahl mit weißen Schuͤrzen her- umlaufen seh, ehe die Fluͤgelthuͤren zur Tafel geoͤfnet werden; sag ich schon vor Tisch: pro- sit. Mir schmeckt es nicht. Auf Hochzeiten eß ich am wenigsten. Ich koͤnnt immer Me- dicin einnehmen, eh ich zur Hochzeit fuͤhre. Ich denck, Herr Pastor! Witz und Vergnuͤ- gen ist wie Vater und Sohn, und Vergnuͤ- gen, wenns gleich noch so viel kostet, muß so aussehen, als wenn es Geschenck waͤre. B b 2 Vater. Jeder Einfall hat die Natur, daß er uns in der Erwartung betruͤgt; im gemei- nen Leben gehoͤrt ein Gesicht dazu, Einfaͤlle zu sagen. Es giebt Witz, der im Anfang nicht auffaͤlt, allein in der Folge wird man uͤberrascht, und das ist der regelmaͤßigste, der beste. Er gefaͤllt im Nachgeschmack; wir wußten nicht wohin man uns fuͤhrte; allein auf einmal ein schoͤner Platz. — Mancher Witz kommt von vorn, mancher von hinten, dieser ist englisch, jener franzoͤsisch. — Wie die Seidenzeuge in England und Franckreich; so auch englischer und franzoͤsischer Witz. — Der Englaͤnder hat Baß-, der Franzose Dis- cantsaͤyten. Aus einem englischen Gedancken macht der Franzos ein halbdutzend. — Und der deutsche Witz? Noch ist nicht viel von ihm zu sagen. Er soll aber, wenn uns Gott leben und gesund laͤßt, die Tenorstimme haben, halb franzoͤsisch, halb englisch. Witz muͤßte des Deutschen Erhohlungsstunde werden; Gruͤndlichkeit, Ordnung, sein eigentliches Kopfwerck. Zwischen Einfall und Einsicht ist ein so großer Unterschied, als zwischen nachthun und nachmachen, zwischen Form und Materie, zwischen Ursache und Folgen. Ein Ein Genie — stoͤßt mich fort, ein Philosoph leitet mich. Unsere Kinder werden sehen und hoͤren, was wir in Teutschland noch nicht sahen, noch nicht hoͤrten — Der liebe Gott verleih uns Aug und Ohr an Leib und Seele. Und bescher uns auch was zu hoͤren und zu sehen, mit Leib und Seele. Wuͤßt’ ich, daß meine Erwar- tungen mich nicht truͤgen, ich wuͤrde wie Simeon sagen: Herr, nun laͤßest du deinen Diener in Frieden fahren! — Ich auch, obgleich ich eigent- lich kein Diener Gottes, sondern des lieben Gottes Froͤhner bin — Wißen Sie, Pastor, was ich mir fuͤr Begriffe von Vernunft und Verstand mache? Vernunft ist major, Ver- stand ist minor, bey der Conclusio gehn Ver- stand und Vernunft paarweise. Ich hab nichts dawider. Ver- stand urtheilt, Vernunft schließt. Vernunft ist Urtheil a priori, Verstand a posteriori. Auf die Art ist Vernunft grob Geld, Verstand klein Geld. — Was ist das aber fuͤr ein Ding, wodurch man heilige und unheilige Scriben- ten auslegt? — kann mans Witz nennen? B b 3 Vater. Witz, Herr v. —, allerdings Witz; allein Witz, den man, im Schlafrock sitzend, ein Knie uͤbers andre gelegt, haben muß. — Eine Federmuͤtze kann nichts dabey verderben. Witz, bey dem man so langsam geht, als wenn man einer Leiche folgt, und in Wahrheit man folgt einer Leiche. — Laßen Sie uns aufraͤumen, Pastor, Sie sind ein Mann, der zum Men- schen menschlich redet. Viele der Herren Philosophen haben da erst so einen Woͤrter- kram, daß mir der Kopf druͤber bricht, und was sollt ich mir den Kopf uͤber Worte bre- chen! Ueber Sachen mit Freuden. Man muß erst drey Jahr schweigen, eh man ein Wort mitreden kann. Sie sind immer bis an die Zaͤhne verschanzt. Sie sind die Prie- ster, die lateinisch zu Werck gehen. Wir ar- men Laien wißen nur Amen und Gospodipo- mila. Sollt denn nicht alles, was gelehrt ausgedruckt wird, auch in der gemeinen Sprache Raum haben? Es kommt nur, duͤnckt mich, darauf an, daß die Herren Philosophen sich den Kopf zerbrechen, anstatt daß sie ihn uns brechen laßen. Was ich sa- gen wollte, betrift ein paar Worte: Naif und Laune, meine Frau und mich. Sie braucht braucht das Wort Naif, ich Laune; allein was beydes eigentlich sagen will, wißen wir, hohl mich der — beyde nicht; ob wir es gleich gewiß so wißen, wie man das meiste weiß. So viel aber glaub ich, daß man nur von einer Frauen sagen kann, sie waͤre naif; von unser einen aber, wir haͤtten Laune. — — Um Sie beym Wort zu halten, wenn man etwas philosophisches, etwas richtiges in der gemeinen Sprache sagt, ist man, duͤnckt mich, naif. In Einfalt rich- tig dencken und thun, heißt, naif seyn. Philosophie ohne Kunstwoͤrter, wuͤrd ich eine naife Philosophie nennen. Launig ist man, wenn man, ohne auf sich acht zu haben, oder wenigstens diese Achtsamkeit merken zu laßen, spricht und handelt. Man kann auch, durch seinen Anzug, durch die Farbe im Kleid, Laune verrathen. Man koͤnnte sagen, man waͤre launig, wenn sich die Seele ohne Spie- gel angezogen hat. — Von der Laune auf die be- ste Welt. Wenn man dem Worte das Menschliche nimmt; koͤnnte man sagen: Gott habe die Welt bey Laune gemacht. — Was will man aber eigentlich mit der besten Welt? B b 4 Leib- Leibnitz hat keiner Dame den Finger ver- brant, sagten Sie, und ich sage, er selbst hat sich auch nicht die Finger verbrannt. — Ich wuͤnschte von Herzensgrund, die Welt waͤre die beste! Zu sehen ists nicht, Mit dem sterblichen Auge nicht, wohl aber mit dem unsterblichen. Leibnitz hat mit diesem Gedanken kein Licht anzuͤnden wollen; er hat nur ein schon brennendes ge- schneutzt, oder hoͤchstens ihm den Raͤuber genommen. Es brannte dieses Licht im Au- ditorio, wo vom Ursprunge des Boͤsen dis- putirt wurde, und dies Zimmer wollte er helle machen. Mit diesem Schuß mußt er das Ziel erreichen. Die Sache also war da, er wandte sie nur an. Das Kleid war fer- tig, er setzte nur Knoͤpfe drauf, und zwar Knoͤpfe mit Gold besponnen. — Aber konnte Gott nicht ma- chen, was er wollte? Warum sollt er aber wollen, das Schlechtere dem Beßern vorziehen? So will kein lieber Gott. Es ist gewiß, daß der liebe Gott in seinem Verstande sich Riße von allen moͤglichen Welten machen koͤnne: denn sonst wuͤrd man seine Erkaͤnntniß verschraͤn- cken. — Herr v. G. Concedo. Ergebenster Diener. Ich kann ja uͤber jedes einzel- ne Ding poetisch oder schoͤn dencken, ich mein es, von der Spreu reinigen, es sichten wie den Weitzen, und das muß auch in der Summe angehen. — Ich kann mir vorstellen, wenn der liebe Gott dem Blitz und Donner keine Macht und Gewalt beygelegt, und Blitz und Donner blos Gottes Feuerwerck waͤre, daß ichs mit Wonne sehen wuͤrde, uͤber die nichts ist. Ich liebe Blitz und Knall. — Ergebenster Diener. Also kann Welt uͤber Welt gedacht werden. — Aber gelt! Ein Gedancke wie aus der Pistole. Koͤnnen nicht zwey gleich gut seyn? So waͤre nicht die beste, nur eine gleich gute da. — Koͤnnen sie nicht Alpari seyn, wie die Kaufleute reden? Das will sagen, eine so vollkom- men als die andere. Vollkommen! der Hencker, Herr Pastor, nein! das will was anders sa- gen, wenn ich nicht irre. Ich bin nicht so roh, als mir das Haar auf die Stirn ge- wachsen, ich habs gehegt, was soll mir eine B b 5 hoͤhe- hoͤhere Stirn, als der liebe Gott wollte? Ich denck aber, vollkommen ist, wenn alles auf eins herauslaͤuft, wenn viele Mannigfaltig- keiten unter Eine Regel sich wenden, diese mag seyn welche sie will, Peter oder Paul. Es ist mir so als ein monarchischer Staat: daß sich Gott erbarm! alles zu Einem. Ein Dieb ist mit der Herren Philosophen Erlaub- niß vollkommen, ein Betrug ist mit der Her- ren Philosophen Bewilligung vollkommen. Es hat mir nie, unter uns gesagt, von den guten Herren gefallen, daß sie so was voll- kommen heißen, indeßen ist dem nicht also, Herr Pastor? Im respecktiven, nicht aber im absoluten Verstande. In diesem letzten Sinn stimmen die Philosophen mit Ihnen. Sie nennen Etwas nur vollkommen, in so fern das Mannigfaltige den Grund einer Realitaͤt in sich enthaͤlt. Je groͤßer diese, je groͤßer die Vollkommenheit. Wie wollen Sie aber Realitaͤt von Realitaͤt als Realitaͤt unter- scheiden? Wie ich alles unterscheide, durch zehn Dinge, die in jener nicht sind, und in dieser sind. Vater. Schon Ein Ding wuͤrde den Un- terschied machen. Ganz recht. In einer Realitaͤt setzen Sie Etwas. Eine Realitaͤt ist eine Eins, das Gegentheil eine Nulle. Wenn Sie also zwey Welten von einander unterscheiden wollten, muͤßten Sie in einer etwas annehmen, was in der an- dern nicht waͤre. In dieser waͤr eine Null, eine Verneinung. In jener eine Eins. Rea- litaͤten unterscheidet man durch den Grad der- selben, durch Groͤße und Schrancken. — Koͤnnen denn nicht zwo Rari- taͤten, oder Realitaͤten — ich wuͤnschte ich koͤnnte bey der Eins bleiben — allein es laͤßt sich nicht — koͤnnen nicht zwo Realitaͤten von gleichem Grade in ihrer Beschaffenheit sich von einander unterscheiden? Nein! denn eben hiedurch wuͤrd in einer etwas seyn, was in der andern nicht ist; hier eine Eins, dort eine Nulle. Da haben Sie den Mangel, den Zaun, die Verneinung, und die Probe des Unterschie- des von Seiten des Grades — Herr Ich verstehe so halb und halb, um es ganz und gar, durch und durch, oder das Netto provenu zu verstehen, wuͤrd ich ohne Kopfschmerz nicht abkommen. In der besten Welt, der besten Welt wegen Kopf- weh, das wuͤrd ich der besten Welt, und die beste Welt es mir uͤbel nehmen, ich koͤnnte schon was druͤber reden: schreiben aber nicht — das ist in meiner Sprache, zwar losschießen, nicht aber gut treffen. Nach meiner Art denck ich, und mich duͤnckt, ich faße die Sache wie den Stock, das ist, beym Knopf. Gott ist das guͤtigste, das weiseste Wesen, und kann also nicht werden heißen, was diesen Eigenschaften nicht aͤhn- lich ist. Ueber die Moͤglichkeit und Unmoͤg- lichkeit, denck ich, ist keine Frage, denn die Welt ist da — ich sehe Sonne, Mond und Sterne, Fisch im Meer, Voͤgel in der Luft, und den Menschen. — Recht! gantz recht! Sie faßen die Sache beym rechten Ende, und ich — ich weiß selbst nicht wo. Sie reden von der Leber, und ich plaudre aus der Schule. Wi- der Sie ist kein Zweifel, wider mich aber noch ein Berg. — Ein Philosoph des Alter- thums meinte, ehe die Leiber waren, existir- ten ten die Seelen. Gott lies die Seelen losen, und was kann er dafuͤr, wenn dieses oder jenes eine Niete zog. Indeßen das Ende vom Liede. Wenn ich unter Irrthum waͤhlen soll; will ich lieber eine guͤtige Noth- wendigkeit, als eine Freiheit, die das Beste verwirft. — Herr Pastor, nur nicht auf den monarchischen Staat angespielt! Da ha- ben wir gestern halt gemacht, und ich moͤchte nicht gern meiner Liebe zur Freiheit durch einen monarchischen Thron zu nahe kommen laßen. Noch etwas Philosophisches, Herr Pastor! Wir wollen aber englisch Dame zie- hen, und hin und zuruͤckschlagen — ich will mich schon anstrengen. — Auf Ehre, man- ches Wort von Ihnen, lieber Pastor, ist mir eine Nominaldefinition. — Heist es nicht so? Gehorsamer Diener Herr v — Aber, Pastor! sagen Sie, sind wir nicht ein paar Verneinungen, ein paar Nullen, ein paar Narren gewesen, daß wir uns und so manchen Realitaͤten sieben Jah- re, wenns nicht mehr ist, den Ruͤcken ge- kehrt? Ich glaub, wir haͤtten schon ein neu System, einen neuen Calender in der gelehr- ten Welt, waͤhrend dieser Nullenzeit einge- fuͤhrt. fuͤhrt. Ein immerwaͤhrender ist unter euch, Hochgelahrten Herren, nicht moͤglich. — Laßen Sie uns einmal von uns selbst eins plaudern. Wir verdienen, daß wir uns eins versetzen; wir wollen aber das ganze Geschlecht zur Gesellschaft mitnehmen. Ich hab es, glaub ich, von Ihnen, wer gen Him- mel fahren will, muß erst Hoͤllenfahrt halten. Wer Gott erkennen will, erkenne sich erst selbst. Nosce te ipsum. Das ist die Lehre von Buße und Glauben. — Das Woͤrtchen ich ist ein Ge- maͤhlde der Seelen! es will mehr sagen, als Singularis. Es ist der Singularis im Su- perlativo. Ich ist natuͤrlicher Werth, du, er, wir, ihr, sie, nur in so weit ich voraus- steht. So lang es heißt ich ists recht, sagt man aber ich selbst; so ist man kranck, und recipe: den Menschen von sich selbst abzu- ziehen. Bey der Noth meines Nachbars denck ich an meine Sicherheit, wenn man den Nachbar wegen seines Eheproceßes be- klagt, denckt man an seine Frau. Dem Rei- chen immer den ersten Stuhl, man koͤnnte ihn, denckt man, doch wohl noͤthig haben. Die Gegend aus meinem Fenster ist die schoͤn- ste, das Landgut meines Freundes das schat- ten- tenreichste. Ein Gereißter lobt in seinem Vaterlande die Fremde, in der Fremde sein Vaterland. Die Faulheit ist oft der Sporn des Fleißes: die kuͤnftige Gemaͤchlichkeit, nicht das Edle der Arbeit, treibt. Kein Sohn laͤßt den Vater begraben, ohne vorher die Nachlaßbalance zu ziehen, und die Buͤcher zu schließen, und wenn auch der Verstand zu- weilen Recht sprechen will, das Selbst ver- tritt ihm den Weg Rechtens. Je mehr man dieses ich versteckt, je mehr Welt hat man. Die Selbstschaͤtzung besteht nur darinn, daß uns andere nicht gering schaͤtzen. So gar wenn man in Gesellschaften sich selbst tadelt, ists verdrießlich, man will lieber mit einem Tubus nach Sternen sehen, und aus einem indifferenten Standpunckt die Welt betrach- ten, als andere Leute ich aussprechen hoͤren. Man glaubt dieses ich spotte uns nach, und mache uns Maͤnnchen. Der Mensch ist zum Tausch gebohren, er moͤchte seinen Stand, seine Seele, seinen Leih, nur nicht sein ich vertauschen. — Wenn man ein Buch schreibt, kann man ich brauchen, ohne daß es so uͤbel genommen wird, denn die groͤßten Dinge sind durch Selbstbilligung entstanden. Diese wirft ein Licht auf alle Gegenstaͤnde, die die uns beschaͤftigen. Wir haben einen hei- tern guten Tag durch dieses Licht. Es ist Schade, daß die deutsche Sprache drey Buchsta- ben beym ich hat. Man kann aber, wie meine Frau zu sagen pflegt, bey allem erbauliche Betrachtungen haben. Beym Schmerz lei- det das ch, ist man betruͤbt, leidet das i. Herr Pastor, ich hab noch nie vom ich so viel sprechen gehoͤrt, ohne daß man sich meint, als Sie. Ihr ich ist blos Bild aller Menschen; das Selbst ist das Ziel wornach wir alle schießen, mancher trift ins Schwarze, mancher dicht bey, mancher weit davon. Aber daruͤber eine Erklaͤrung: warum gehoͤrt zur Beobachtung sein Selbst, Anleitung? Warum Kunst, sein eigener Zu- schauer zu seyn? obgleich man sich vor der Nase hat. Warum muß man die Alten lesen, um zur Natur zu kommen? Warum brau- chen wir Dollmetscher, da die Natur doch Deutsch versteht? Warum studiert man Medicin? Um curiren zu koͤnnen. Und wenn wir nicht curiren wollen, sollten wir Medicin studieren, um dem Arzte zu sagen, was uns fehlt — Herr Fast daͤcht ich es waͤre noͤthig, und darum so viel Graͤber, weil sich beyde nicht verstehen. Der Docktor spricht aus dem Buch, der Krancke spricht aus dem Le- ben — jener Latein, dieser Deutsch. Die Aerzte muͤßen entweder Men- schen, oder alle Menschen muͤßen Aerzte werden. Viele Menschen, denck ich, Vater, besehen sich bloß, wie man sagt, er hat die Welt gesehen oder besehen. Sie sind in einem Naturalienca- binet, in einer Bibliothek ohne Kenntniße. Sie laßen sich alles zeigen; so bald sie her- aus sind, weiß kein Mensch ein lebendig Wort, hoͤchstens todte, wie ein Reise-Jour- nal geschrieben. — Ueberhaupt, denck ich, ist das Reisen nicht die Art, Menschen zu kennen. Zu den meisten Reisenden koͤnnte man sagen: dindet ihm Haͤnde und Fuͤße, und werft ihn in sein Vaterland. Der Mensch versteckt sich so wie das Wild — Kein Bild ist ihm aͤhnli- cher, als das in der heiligen Schrift „Adam versteckte sich unter die Baͤume im Garten„ machte sich gruͤne Vorhaͤnge. Er ward aus einem Freunde Gottes ein Wilder. — C c Vater. Ich glaube keinem Gereisten, wenn er von den Menschen spricht. Unsere meisten Reisebeschreiber zeichnen das Zimmer, wo sie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder seinen Wildfang vom Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, schlie- ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und Land gang und gaͤbe sind. Aus einem Wirthshause geht der Weg in die Welt; allein nicht in die Nation. Reisende, selbst Entdecker neuer Voͤlcker, solten nur erzaͤhlen, was sie gesehen und gehoͤrt, was ihnen vor- gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und Nachklang; denn was thut man nicht, einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb- lingsgedancken zu gefallen. Dem Beschrei- ber sind keine Glocken zu gestatten; er muß nie lauten laßen. — So waͤrs wol am besten, daß Je- mand aus dem Volcke selbst das Volk be- schriebe. Ja, wenn er gereiset ist, ohne an eine Reisebeschreibung fremder Laͤnder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn — und noch viele Wenns — Herr Aber, lieber Pastor, um wieder an Ort und Stelle zu kommen. Sind denn nicht alle Menschen Menschen, und hat man nicht alle, wenn man sich hat? — Wahr, gewisse aͤußere Dinge, Verzierungen, Schnitzwerck, Ein- und Aus- gaͤnge ausgenommen. Wer hat sich aber? Jeder, der je die Menschen ge- troffen, hat in seinen Busen gegriffen. Indeßen, denck ich, ists gut, zuweilen zu phantasiren, im musikalischen Verstande, und das liebe ich an den Nagel zu haͤngen. Es versteht sich, an einen festen, der nicht reißt; bey sich nicht Feuer zu ma- chen, sondern beym Nachbar eßen zu gehen. Bete und arbeite, das heißt: lern dich und andere kennen. In einer sehr freyen Uebersetzung. Alle Merckzeichen, wodurch man an den Tag legt, man gaͤbe auf sich selbst acht, man sey auf dem Observatorio, geben unsern Hand- lungen ein linckes, steifes, gebrechliches, puckliches Ansehen. — Und der vornehme Mann will ohne dies, daß man auf ihn, und nicht auf sich selbst, Acht geben soll. Da denck ich an C c 2 das das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute erzaͤhlen, es ließe sich dabey eine Stimme hoͤren: hier her, hier her! und wenn man sie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe. Wie kommts, lieber Pastor? wer mit Frauen- zimmern umgehen kann, versteht es auch mit Fuͤrsten und Gewaltigen, und mit den Herren der Welt — alle Welt sagt von ihm: er hat Lebensart. — Vornehme und Frauenzimmer haben sehr viel aͤhnliches; sie wollen geschmei- chelt seyn, und wir thuns gerne, weil wir sie uͤbersehen. Maͤnner sehen auf das, was man von ihnen denckt; Weiber, was man von ihnen sagt. Wir huldigen dem Geschlecht, nicht der Dame; wir huldigen dem Amt, nicht Sr. Durchl. Lebensart ist Geschick, schwere Sachen leicht vorzutragen, durch treffende Beyspiele sie erleichtern, sie faßlich machen, ein Buch, anstatt es zu lesen, es zu durchbildern. Die Franzosen sind diejenigen unter Europens Nationen, welche Lebens- art haben. Ihre Schriftsteller haben in der Philosophie nur die Bilder gesehen. Schoͤn- heit und Farben setzen eine Substanz vor- aus, worauf sie angebracht werden sollen. Schoͤne Wißenschaften ohne Philosophie ist Farbe Farbe ohne Leinwand und Pinfel . Der Ver- stand muß der Sinnlichkeit, und nicht diese jenem untergeordnet seyn. Er ist der Com- paß, der die Weltgegend zeigt, das Schiff commandirt, und ihm die Richtung giebt. Weltkenntniß heißt Menschenkenntniß, wie das Haus nach dem Herrn, und nicht nach Weib und Kind. — Was meinen Sie, Pastor! — Man fuͤhrt die Weiber bey der Rechten, um sie obenan zu laßen. Unding! ich denck, Se. Durchl. zur Rechten; allein ein Weib muͤßt uns zur Lincken gehen, zum Beweis, daß sie Schutz bedarf, und daß wir sie begleiten oder beschuͤtzen. Es ist ein unnatuͤrliches Compliment, sie an der rechten Hand zu fuͤh- ren. Bey der Trauung ists, glaub ich, nicht so! Das Herz liegt ohne dies zur Lin- cken. (ich dacht an Minchen.) Zum ich, lieber Pastor, ge- hoͤrt auch Lachen und Weinen, das eigent- liche Lachen, das Lachen mit Leib und Seele, ist blos dem Menschen eigen — ich halte viel aufs Lachen, und finds fuͤrs beste Di- gestiv. C c 3 Vater. Jammer und Schade, daß wir gleicher Meinung sind, denn sonst wuͤrd es doch noch was zu lachen geben. Ueber Wahrheiten muß man mit froͤlichem Munde, mit dem Munde der Wahrheit, streiten. Alle Menschen, wenn sie sich mahlen laßen, sehen freundlich aus, zum Beweise, daß dies die beste Miene sey. Einem von Leidenschaften gefeßelten Menschen vorpredigen, heißt: einen Galeerensclaven Gluͤck greifen laßen. Ich haße einen tapfern offenen Feind, ich verachte was an sich keinen Werth hat. Die Art, Laster verachtungswerth vorzustellen, ist die beste. Wer es haßenswerth macht, thut oft der Menschheit Schaden, und zieht Menschenfeinde. Der Mensch ist durch Hang zum Scherz gebohren. Er hat viele, viele Thorheiten; allein die groͤßte ist, wenn er sie zu wichtigen Dingen macht. Es stehet nicht geschrieben, daß Christus gelacht habe; allein er nannte den Herodes einen Fuchs, und das setzt ein Laͤcheln zum voraus. Die Schrifft spricht: der Herr lacht ihrer, ich glaube gar, Pa- stor! es waͤre nicht uͤbel, auf der Kanzel selbstso ein Fuchswoͤrtchen zu verlieren. — Vater. Dazu gehoͤrt mehr Geschicklich- keit, als ich pracktisch glaube. Freilich muß es nicht der Herr Pastor G — seyn — die verdammte Traurede! Als Adam hackt und Eva spann, Ei wo war da der Edelmann? Meine Frau kann, ohne Lebensbalsam in der Hand, daran nicht dencken. — Ists also nicht auf der Kanzel, so doch wenn man her- unter kommt — die ganze Natur lacht. — Nur nicht laut. Das kann doch aber zuweilen der Lehnsherr der Natur, um sich hoͤren zu laßen — Ich glaub es selbst — und gute Menschen finden, daß, wenn sie froͤhlich sind, alles um sie herum froh ist. Der Mensch lacht, wenn andere lachen, und oft noch lauter, als der, so den Ton angab. Die Traurigkeit des andern ruͤhrt; allein mit Schluchzen und großen oder Platztraͤnen koͤnnen wir nicht dienen. Die Mitfreude, das Mitleid, beweißt, daß wir alle einen Gott und Vater haben, und alles was Au- gen hat, kann sympathisiren. C c 4 Herr Jeden Menschen aber, lieber Pastor! kleidet das Lachen nicht; ich glaub es gehoͤrt dazu, wie zu allem, Uniform, was ordentlich seyn soll. Einem kleinen dicken Mann stehts herrlich — das solten sich die Lustspieler mercken, und keinen langen groß gewachsenen Menschen Possen reißen lassen. Man freut sich, daß der kleine dicke Mann eben wegen seines lustigen We- sens so dick und fett geworden. Ein groß gewachsener Mann ist schon zum Beschat- ten, zum Anlehnen gebohren; es ist eine Stange, an die sich der Feigenbaum und die Bohne schmiegt und rauckelt. Vernuͤnftig lachen ist schwer. Mich duͤnkt vernuͤnftig weinen noch schwerer. Vielleicht kann es jeder Mensch, wenn er gleich seine siebenzig erreicht, nur zweymal in seinem ganzen Leben: wenigstens hat der fuͤrs menschliche Geschlecht ein groͤßer Verdienst, der es zu lachen macht, als der Thraͤnen preßt; indessen ist viel beym Lachen zu erinnern. Es entsteht aus einem Wider- spruch. Man lacht, wenn Jemand faͤllt, und sich nicht Schaden thut, besonders la- chen dann gemeine Leute, die nicht feinere Widerspruͤche begreifen koͤnnen. Man lacht uͤber uͤber Kleidung, wenn Eitelkeit und nicht Armseeligkeit zu sehen ist. Wenn Jemand, der aufziehen will, wieder aufgezogen wird, und den Kuͤrzern zieht, so, daß ihm zum Nach- theil der Vorhang faͤllt, klatschet alles in die Haͤnde. Ists aber nicht Eitelkeit und arm- seeliger Stolz, uͤber Ungereimtheiten sich er- goͤtzen? Solte man wol daruͤber lachen, weil man kluͤger als ein andrer ist? Hier giebts so viel Feinheiten, daß ich gewiß glaube, das Lachen sey die Probe vom Menschen — wie und wenn er lacht? zeigt, was er ist, ob- schon das Gesicht das Protocoll vom Charak- ter, und die andern Theile das Protocoll vom Temperament sind. — Scheint es Ih- nen nicht auch, der menschlichste Mensch, der beste Lacher, begeht einen Widerspruch, wenn er uͤber einen Widerspruch sich freut, das ist, wenn er lacht. — Jemanden mit weinenden Augen lachen sehen, ist ein schoͤner Anblick — Ein Regenbogen ists — Schriftsteller, die Thraͤnen mit dem Lachen kaͤmpfen lassen, so, daß keines die Oberherrschaft erhaͤlt, treffen das Leben eines Weisen. Citronensaft mit Zucker. Ich fuͤr mein Theil liebe nichts sauersuͤßes. Es lebe das froͤhliche Herz. Ist das Lachen gleich C c 5 Wi- Widerspruch, auch da ist das Leben getroffen, wenn gleich nicht das weise Leben. Was ist in der Welt ohne Widerspruch? Sind doch bey uns im Sommer oft kalte Tage, regnet es doch, wenn wir erndten wollen, und doch ist diese Welt die beste! Wer mir selbst die hei- ligsten Sachen mit finstrer Stirne sagt, wird mein Herz nicht aufschließen, und hats nie aufgeschlossen. Daher denck ich, mit Ew. Hochwohlehrwuͤrden Erlaubniß, richten die Herren Geistlichen so wenig aus. Der Pa- ter von Sanct Clara hat mehr Gutes ge- stiftet, als zehn Kopfhaͤnger. — Er laͤchelte noch seinem Todesengel entgegen, der ihn zum Demokrit abholte. — Eine gluͤckliche, gluͤckliche Reise! — Betruͤbniß kommt gemein hin aus dem hohen Begrif, den sich der Mensch vom Leben macht. Beym Schmerz leidet der Leib, bey der Betruͤbniß die Seele, und wenn die Herrschaft trauret, trauret der Bediente mit, nicht aber umgekehrt. Ich denck die Traurigkeit oder Betruͤbniß, oder was weiß ich, wie es recht heißt, kommt aus der gar zu großen Ord- nung, die man sich vorschreibt. Vater. Beyde recht! warum sagt man aber sein Geheimniß lieber einem unordentli- chen guten Jungen, als einem abgemessenern nach Maaß und Gewicht, oder nach Grund- saͤtzen gut Handlenden? Weil jedes Geheimniß etwas unordentliches, etwas unregelmaͤßiges an sich hat. Ich hab immer gedacht, Geheimniß und Wunder sind mit einander verwandt. Warum waͤhlt man den unor- dentlichen guten Jungen lieber zum Freunde? Weil er ein Freund fuͤrs Ge- heimniß ist — Und warum eine Mutter just den wildesten, aufgewecktesten unter ihren Buben zum Liebling, der Vater den gesetztesten? Die Weiber brauchen Leute, die sich balgen; die Maͤnner Leute, die ver- nuͤnftig eine Pfeife rauchen. — Ich wolte fragen und antworten; allein meine Fragen haben ihren Mann ge- funden. Nun geb ich Karten? was dencken Sie von dem monarchischen Staat? — (daß dich! Wie komm ich auf den monar- chischen Staat) ich wollte sagen vom Des- potismus der Empfindung? — Vater. Wir empfinden nichts, was nicht sinnlich ist — wer es sich gemaͤchlich, als Philosoph machen will, nennt dunckle Vor- stellungen, Empfindungen, und anstatt sie zu entwickeln, thut er seine Augen nicht auf, sondern schlaͤgt an seine Brust, und spricht: ich empfinde! Gott sey dem Suͤnder gnaͤdig — Und barmherzig Amen! Solch ein Empfinder kann doch nicht mit Recht behaupten, ich soll ihm nachempfinden — Durch die Evidenz und oͤftere Wiederhohlung der Vernunftideen werden diese uns gelaͤufiger, so, daß sie uns von selbst anwandeln. Wir kennen sie im Dunkeln. Diese Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen, nennen wir Empfindungen. Das laß ich gelten — und Ordnung, lieber Pastor? Ordnung ist nur Mittel, an sich hat sie keinen Werth. Es ist das Schweis- tuch, worinn man das vergraͤbt, was man erhalten hat. Es ist ein Buͤcherschranck mit Glasthuͤren. Weiber muͤßen ordentlich seyn. Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer- nung nung des fremdartigen, sind ihre Faͤcher. Die Weiberordnung muß aussehen, wie ge- sucht, die Maͤnnerordnung, wie in der Lotte- rie gewonnen, von selbst zugefallen. Ord- nung ist uͤbrigens blos das Formale; daher kann man den groͤßten Theil der Wißenschaf- ten, ich haͤtte bald gesagt, die ganze Philo- sophie, das Formale nennen. Wie kommts aber, daß die Menschen die Formen hoͤher schaͤtzen, als die Materialien? Die Form giebt die Kunst, das Geschick; die Materialien die Natur. Je- des Kind schaͤtzt den Vater hoͤher, als die Mutter, und den, der regiert, hoͤher, als den, der ernaͤhret. Den Verstand haͤlt man hoͤher, als die Sinnlichkeit, ohne die doch der Verstand unthaͤtig waͤre. Aber das Genie? wer schaͤtzt es nicht hoͤher als den Fleiß? Fleiß und Kunst ist zweyerley. Zur Kunst gehoͤrt Fleiß Und Genie. Ein Verstand, der seine Erkenntniße sinnlich zu machen weiß, ist fuͤr mich vorzuͤglicher Verstand; wenn er Sinnlichkeit den Verstandsbegriffen ertheilt, macht macht er sie anschauend, und ein solcher Ver- stand heißt ein gesunder Verstand. Und sieht aus, wie alles, was frisch und gesund ist. Nicht wahr, er kennt keine Terminologie! Er kocht freilich nicht aus der phi- losophischen Speisekammer, sondern nimmts aus der Welt. Er giebt nichts Geraͤucher- tes, Fruͤchte, Gekuͤche traͤgt er auf. — Sinnen sind die Bauren. Sie stehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen — wenn sie nicht waͤren? Ich aͤrgere mich wenn man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt und herabsetzt — bald haͤtt ich mich verre- det und gesagt: sie sind ja auch Menschen — Sie verstehen mich schon, Pastor. Vollstaͤndig! Warum sind wir unerkenntlich gegen die Sinne? Ich habe schon einen Grund an- gegeben; hiezu kommt, weil wir alles hassen, was uns unsre Freiheit raubt, und sie ein- schraͤnkt. Gelt! das ist ein Grund fuͤr ei- nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum wuͤrd’ ich allen Herren Moralisten, wes Standes, Alters, und Ehren sie seyn moͤ- gen, anraͤthig seyn, die Tugend nicht in ih- rer rer erhabenen Hoheit, im hohen Lichte zu zeigen, sondern liebenswuͤrdig. Nicht als einen Koͤnig im Diadem, sondern als ein huͤbsches Maͤdchen; denn selbst wofuͤr wir Respeckt zu haben verbunden, wird uns beschwerlich. Lieber bey Freunden, als Goͤnnern. Ich wenigstens kann auch das Laster nicht martern sehen, aber wie wir erst abvotirten — in der Narrenkappe. Das ist der wahre Standpunkt; denn der Mensch kann nichts weniger aus- stehen als Spott. So denckt jeder, der gut erzogen ist, oder eigentlich, der sich selbst er- zogen hat. Wir sind beynah wieder, wo wir ausgingen; froͤhlich zogen wir unsre Stra- ßen, froͤhlich sind wir wieder zuruͤck. Wo ich Vivat das Lachen Hoch! rief. Es lebe! — Hoch! hoch! aber sagen Sie mir die Lustigkeit — Die Lustigkeit ist die Fertigkeit im laut lachen. Das Ueberlautlachen — Ein Vivat hoͤher, als hoch, das hoͤchste. — Sie ist mehr als Zufriedenheit; allein wer mehr Mittel, als noͤthig sind, zur Gluͤckseeligkeit anwendet, ist der gluͤcklicher? Ueber Ueber seine Beduͤrfniße etwas haben, macht das reich? In der Sparsamkeit liegt so viel Stoff zur Gluͤckseeligkeit, daß es unaus- sprechlich ist. Ein Verschwender verzaͤhlt sich alle Augenblick in seinem Vergnuͤgen; er wird in seiner Lust betrogen. Die Sparsam- keit hat Vor und Nachgeschmack und Genuß — der Verschwender hoͤchstens Genuß, hoͤchstens Wollust fuͤr einen gegenwaͤrtigen Augenblick. Die Lustigkeit ist was convulsivisches, was erschoͤpfendes. Ein Lustigmacher ist ein Mensch, der zu tausend Gerichten ohne Hun- ger, und bey verdorbenem Magen verdammt ist. Da will ich lieber bey Wasser und Brodt sitzen. Ich denck aber, Pastor! wir leiden darum einen Lustigmacher nicht, weil wir ihn beneiden; wenn er sich zum Narrn macht, stehen wir ihn aus, denn wir ver- langen nicht, uns mit ihm zu vertauschen. — Ich glaube, weil wir ihn veraͤchtlich finden, weil er unser Bild veraͤchtlich macht, weil wir uns den Grad seiner Verzagtheit vorstellen, wenn es ihm uͤbel gienge, weil seine Lustigkeit keinen Wiederhall abgiebt. Schmerz und Freude sind gesellig; allein wenn sie das Mittelmaas uͤberschreiten, wer- den den sie uns unnatuͤrlich. Wir wollen uns nicht betrincken, sondern nur trincken — Aber, Pastor, wie kommts, daß die liebe Jugend so sehr auf Tragoͤdien haͤlt, das Alter auf Comoͤdien? Die Alten laßen der Jugend nicht die Maschinen sehen, durch welche die Oper der Welt gespielt wird. Um sich selbst bey ihr im Ansehen zu erhalten, muͤßen sie vieles bey Ehren laßen. Ein jedes Maͤdchen ist dem jungen Menschen eine verwuͤnschte Prinzeßin, und er glaubt sie vom feuerspeyenden Drachen zu erloͤsen, sie zu entzaubern, wenn er sie heyrathet. Er sieht Vorfaͤlle in der Welt; allein er sieht sie nicht in Verbindung. Wie ich jung war, dacht ich, wie schwer muß es fallen, Herzog zu seyn; allein jetzt, man mache mich heute zum Kay- ser und ich wette, ich will Kayser seyn, wie irgend einer. Sie haben recht, Pastor! Die Jugend fliegt, macht sich tausend Chimaͤren. Sie kennt die Menschen zu wenig, drum setzt sie alles in Feu’r und Flammen. Wer blos zusieht, findet Gaucke- leyen unertraͤglich. Wer mit agirt, dem ist der Hanswurst ein allergnaͤdigst privilegir- ter Witzling, eine bedeutende Staatsperson, D d und und wo ist ein großes Hauß, wo ein Hof ohn ihn? — Man schaft hie und da Tittel vom Hofnarren ab; allein die Hofwuͤrde bleibt, und ich verdenck es keinem großen und kleinen Herrn, der gut verdauen will, daß er sich ein Lachen bereiten laͤßt. Lachen ist das be- ste Desert. Am Ende kommt heraus, daß die Thraͤnen ein Beweis von unsrer einge- schraͤnckten Weltkenntnis sind. Wo die Ju- gend Schicksaal sieht, schimmert dem Alter eigene Schuld hervor — Aber machen wir diesen Juͤng- ling (auf mich zeigend) nicht zu klug? Geben wir ihm nicht die Waffen wider uns in die Hand? Ich befuͤrchte nichts. Talent und Verdienst des Verstandes ist so unter- schieden, wie wißen und thun. In so weit der Verstand den algemeinen und verhaͤltniß- maͤßigen Werth der Dinge schaͤtzt, und hier- nach wandelt, heißts: Verstand kommt nicht vor Jahren. So was muß Erfahrung lehren Oder bestaͤtigen, Vater! Ich habe keinen Beruf zur Altklugheit. Ich denck, das heißt Klugheit ohne Erfahrung. Wie es mir vorkommt, muß man alt, wie ein Mann seyn, um einen Mann beurtheilen zu koͤn- nen nen — ich wolt auch nicht meine Jugend verkluͤgeln, um wie viel — Sie kommt freylich nicht wie- der — Der Fruͤhling ist das beste Stuͤck im Jahr. Und was ists am Ende! Es ist ein elend, jaͤmmerlich, kraͤncklich Ding mit aller Menschen Leben, von Mutterleibe an, bis sie in die Erde begraben werden. Das Alter und die Jugend sind kranck. Das Alter ist hecktisch, die Jugend hat das hitzige Fieber — Die Lunge hat keine Nerven — Besonders aber ists, daß Leute, die vorzuͤglich im Trauerspiel weinen koͤnnen, es selten bey Vorfaͤllen des gemeinen Lebens thun. Sie haben sich verwoͤhnt. Sie sehen im gemeinen Leben keinen Koͤnig, keinen Kayser leiden, und wer leidet so schoͤn, als im Trauerspiel, wer so großmuͤthig! In der Tragoͤdie sieht man eine Sonne unter Wolken. Drey Ungewitter begruͤßen sich um sie herum, und machen Allianz und ver- schwoͤren sich — Die Sonne aber, ihrer Groͤße bewußt, ruht, und dann und wann blickt sie auf, um die verwaysete, um ihre Koͤ- nigin bekuͤmmerte Erde zu troͤsten — Da D d 2 ist ist ja schon ein Trauerspiels Anfang — Wer in der Comoͤdie lacht, lacht auch im gemei- nen Leben; denn wahrlich, wenn sie gut ist, trift sie die Welt bis auf Coloritskleinigkeiten. Wenn man sich sehen lassen will, zieht man ein Fey’rkleid an. Wer will aber das Kleid, und nicht den Mann? Und endlich, Pastor, da wir einmal im Schauspielhaus sind, hab ich ge- funden, daß eine Tragoͤdie im Lesen, eine Co- moͤdie in der Vorstellung gewinne. Weil man zwar vor sich tragisch und betruͤbt, nicht aber anders comisch ver- gnuͤgt seyn kann, als in Gesellschaft. Ei- gentlich solt’ ein Lustspiel ein Spiel seyn, wo das Ende nach meinen Wuͤnschen aus- faͤlt, und so wuͤrd auch manches Trauerspiel ein Lustspiel werden. Liebster Pastor, Danck fuͤr Ihren Unterricht. Nun was aus dem Ro- quelauraͤrmel. Mannigfaltigkeit ist Reichthum — Ich glaub der liebe Gott hat manches, blos der Mannigfaltigkeit wegen, gemacht. Schwerlich, obgleich wir bey vielem keine andere Summe ziehen. Ich liebe liebe die Abwechselung, die Mannigfaltigkeit durch verschiedene Zeiten. Wer im Bett im- mer auf einer Stelle liegt, schwitzt ohne Be- zoar-Pulver. Wenn man immer auf einer- ley bleibt, wird man stehend Wasser — Das glaub ich sind, mit Ehren zu melden, alle Einsiedler und Weltflieher gewesen, und sind es noch. In der Welt, außerhalb der Welt seyn, das ist Weisheit. Ein Diogenesfaß in der Vorstadt und nicht in der Wuͤste, ver- dient den Namen Auditorium. Ein staͤndi- ger Hunger nach Neuem ist eine Zeitungs- kranckheit, ein verdorbener verzaͤrtelter Ap- petit. Eine Kriegslist gilt nur einmal, eine Medaille bezeichnet einen Tag. Kann man aber nicht denselben Gegenstand von einer an- dern, und wieder von einer andern Seite, und von tausend andern Seiten sehen, ihn durch und durch ganz und gar sehen, und zeigt dies nicht mehr Scharfsinn, als immer einen neuen haschen. Ein Gedancke, der an sich leicht und natuͤrlich ist, den man endlich so oft sagt, daß ihn der gemeine Mann gefaßt hat, verliert von seinem Ansehn — Feine Irrthuͤmer sind ein Reitz fuͤr die Eigenliebe, D d 3 man man will nicht offenbare Wahrheiten, weil sie auf allen Straßen feil sind, man will Er- kenntniße; sind sie gleich ungesund, wenn sie nur was kosten, und nicht gar zu gut Kauf sind — Darum von einem aufs andere. Darum die Liebe zum Sel- tenen. Mit der Seltenheit ists, wie mit dem Magnet, was mit ihm bestrichen wird, zieht auch an. Ein Mensch, der viel Selten- heiten gesehen hat, wird auch fuͤr selten ge- halten. Man sieht ihn indessen blos wie Meerwunder an, man will nichts weiter als ihn sehen — Man glaubt, er sey nur fuͤr Seltenheiten, und traut ihm nicht — Noch mehr! Je mehr Bekandte man hat, je we- niger Freunde findet man. Leute, die sich oͤffentlich zeigen, haben selten Busenfreunde. Wer das Publicum zum Freunde hat, hat weniger oder keinen Privatfreund — Man glaubt, daß die Her- zensfluͤgelthuͤren eines solchen Menschen schon zu oft auf- und zugemacht sind, als daß sie noch zusammenhalten koͤnnten. Pastor. Bey Feyerlichkeiten gehen die Menschen paarweise. Ich denck Ein Weib und Ein Freund — das uͤbrige dienet nur zur Folie. Ich glaub Pastor, das weib- liche Auge, das einen jungen Menschen zum erstenmal electrisirt, ist sein Ideal der Schoͤn- heit, seine Venus, denn jeder hat seine — Die Liebe kommt auf einmal, sie wohnt par- terre. Die Freundschaft steigt Treppen, und es gehoͤren Jahre dazu, eh’ ein Freund ein Freund wird. Ein Zorniger, und ein ra- send Verliebter sind stumm, keiner kan er- zaͤhlen, was ihm fehlt. Sehen Sie, Pa- stor! ob ich nicht auch was weiß, uͤber Freund- schaft und Liebe koͤnnt’ ich schon zur Noth mitreden. Nun sind wir fuͤr mich an Ort und Stelle. Ich bin Ehemann und Freund, beydes wie es sich eignet und gebuͤhret. Die Liebe ist Natur, die Freund- schaft Kunst. Nase und Augen sind Natur, Stirn und Mund, und Hand und Fuß, sind zu Kunst worden. Gott hat den Menschen aufrichtig gemacht; allein er sucht viele Kuͤnste. Wir sehen einem Menschen, den wir wollen, ins Gesicht, vorzuͤglich in die Augen. Seine Affeckten liegen auch im Naturtheil, und rings D d 4 herum. herum. Wer sich sehr verstellen kann, treibt sie nach unten, und immer zugleich in Hand und Fuß. Fuß und Hand sind wie Mann und Weib ein Leib; Fuß der Mann, Hand das Weib. Das Gesicht ist das Bild und die Ueberschrift der Seele. Um den Mund herum liegt die Mienensprache, zu fordern und abzuschlagen, um die Augen herum, zu beja- hen und zu verneinen. Dies ist die vereh- rungswuͤrdigste Sprache, die alle Welt ver- steht, die auch ein guter Theil Thiere faßt. Mein Gott! Warum lernt man sie nicht mehr? — Sie wuͤrd uns das Herz ab- stoßen. Das A, B, C, was wir haben, ist schon so herzbrechend — Es wuͤrd’ aber viele Kunst dazu gehoͤren, um diese Natur auszuspaͤhen. Ihre Probe waͤre, daß sie von aller Welt gleich verstanden wuͤrde. So hat sie ja eine gleiche Probe mit dem Guten, nicht wahr? Da muß auch das Urtheil allgemein seyn? beym Schoͤ- nen nicht. Was die Sonne am Himmel, das ist das Auge dem Menschen, indessen hab ich gefunden, daß die Groͤße nicht immer gleich gleich ist, ich selbst hab’s bald groß bald klein — oft Augenfinsternis — Wenn die Augenlieder weiter aufgethan sind, als gewoͤhnlich, ist der Mensch heiter — froh. Wenn er einen großen Ge- dancken fast, sind die Augen nur halb offen, zum Zeichen, daß dieser Gedancke von innen komme, und daß man ihn da gern sehen moͤchte, wenns moͤglich waͤre. Aber wieder was von der Liebe, Pastor, mir zur Ehre, denn da hab ich Sitz und Stimme. Was ist huͤbsch? Was ohne Reitz gefaͤllt. Viele Maͤdchen haben Reitze, die nicht huͤbsch sind — bey einem huͤbschen Maͤdchen ersetzt die Natur, die Geschlechterneigung, das Feh- lende. Reitz gehoͤrt zur Liebe. Ruͤhrung zur Furcht, zur Achtung. Ich glaub, das andre Ge- schlecht ist nie so haͤßlich, als das Unsrige: wer die Haͤßlichkeit nicht verzeichnen will, muß eine Mannsperson waͤhlen, und doch flieht alles ein altes Weib. Einem alten Mann giebt man eher die Hand, wie kommt das? Man vergleicht ein Weib mit Weibern, kein Wunder, wenn es verliert. Man laße aber einen alten Kerl Weibsklei- D d 5 der der anziehen, wir blieben laͤnger bey Othem. Es geht uns laͤnger nach der Maͤnnerweise, als ihnen nach der Weiberweise. Der Mann ist in einem Stuͤck ganz gemacht, das Weib ist zusammengesetzt — Es ist mit Deckel und Schraube. Kein Wunder also, daß es ein starckes und schwaches Werckzeug ist — Sie haben Recht, in der Ehe ist der Mann gegen das Weib starck und schwach, wie mans nimmt. Daß er physisch starck ge- gen sie ist, zeigt der Augenschein; allein wer giebt nach? Ein gemeiner Mann schickt seine Frau, so oft es zu reden giebt — Weil die Weiber eine natuͤrliche, zum Herzen gehende Beredsamkeit besitzen, und an wen schickt er sein Weib ab? an Maͤnner. Gewiß kommt aber der Mann selbst, wenn z. E. die gnaͤdige Frau eine Wittwe ist, und den Guͤtern vorstehet. Eine gesunde gute Saat ist nicht hinreichend, es muß auch ein gutes Land seyn, wohin sie gestreuet wird. Das laͤßt sich hoͤren. Die Ge- schlechterneigung kommt also mit in die Er- klaͤrung, und in tausend Faͤllen ist sie die Fe- der, der, die das Werk regiert. Warum aber, Pastor, sind die Weiber stolzer, wie die Maͤn- ner? Meine ist es auf eine uͤbertriebene Weise, aber im Grunde sind sie es alle. Weil ihr Rang sehr zweydeutig ist. Der Fuͤrst ist gegen einen Grafen stolzer, als gegen einen Edelmann. Ist des Man- nes Rang dazu auch zweydeutig, ist er z. E. ein neuer Edelmann, so ist ihr Stolz graͤn- zenlos. Warum putzen sich die Wei- ber, wenn sie gleich schon an sich gefallen? Nicht unsretwegen. Gegen Maͤn- ner brauchen sie ihre natuͤrliche Waffen; an- dere ihres Geschlechts zu verdunkeln, andere zu uͤberglaͤnzen, darum der Putz — Pastor! das nenn ich fragen und antworten wie gedruckt! wie abgeredt! und eben so als ein Buch, das frag- und antwortsweise abgefaßt ist. Was ich uͤber die Liebe gelesen und gedacht habe, ist viel, was ich gethan habe, ist wenig. Man denckt und liest von dieser Art das meiste in blancko, (ich bin ein halber Kaufmann, das hoͤren Sie wol, ich handle und wandle wie wir cursche Cavaliere alle handeln und wan- deln —) In blancko, wahrlich in blancko, denn denn wie es zum Ausfuͤllen kam, fand sichs, daß meine gnaͤdige Hausehre eben nicht er- dacht und erlesen war! Sie koͤnnte besser seyn — Pastor! dafuͤr steh ich, del credere; (da ist wieder der libauer Kaufmann) daß man ohne Theorie heirathen muͤße. Nur um des Himmels willen kein dummes Weib, denn wie die Mutter, so die Soͤhne, wie der Vater, so die Toͤchter — Nicht allemal — Mutatis mutandis. Etwas ist immer da — Ehe haben die Großeltern auf den Geist der Großkinder Einfluß, auch der Leib ist mehr der Großeltern Abdruck. Hieruͤber hab’ ich Bemerckungen von besonderer Art ge- macht. Oft ist der Koͤrper auf ein Haar die Mutter, die Seele aber der Vater, und um- gekehrt — Mein Sohn — zu mir, den ich Ihnen empfehle, er selbst wird es schwer- lich — ist die Mutter in meinem Jagd- rock — Der Jung ist nicht ich. Was ist zu machen? Die Welt ist die beste. Die beste — Noch eine Frage, Pastor! warum ist meine Frau geitzig? Pastor. (ruͤckhaltend) gehorsamer Diener! Warum sind die Weiber all- zumal geitzig? Weil sie selbst nichts erwerben, und von Zinsen leben. Jedes Zinsenleben ist vom Geitz begleitet. Die Schlusfrage, (wir hoͤrten die Kommenden) warum sprechen Sie nicht (zu mir) mit? — Weil ein junger Mensch, in Gesell- schaft der Alten, nicht anders als Secretair ist, der aufschreibt — Da sehen meine Leser, wie es zugegangen, daß ich so viel behalten habe. Erst Sekretair! dann Rath! So geht es in allen gesitteten freyen Reichsstaͤdten. Jetzo wird es große Luͤcken geben. Ich kann nur wieder sagen: was ich gehoͤrt, und wiederholen, was ich selbst dazu beygetragen habe, also je nachdem ich gegan- gen, je nachdem ich gestanden, je nachdem ich geseßen. Da ist der Herr v. W., seine Frau, ein kleines Fraͤulein. Mein Herr Schwieger- vater, reitend beym Wagen, den Hut alle Augenblick unterm Arm. — Herr v. G — und sein Haus, ihnen entgegen. Mein kuͤnftiger Herr Reisegefaͤhrte und sein Herr Hofmeister, die sich nicht lang mehr haben wer- werden, schließen sich an — Noch eine La- dung, und noch eine! noch eine! — ich armer Schreiber! wenn es angienge, wuͤnscht ich Diensterlaßung. Fuͤr ein so großes Col- legium hat mich die Natur mit zehn Fin- gern zu wenig ausgeruͤstet — Meine Leser, (ich muß mich protestando verwahren) wer- den finden, daß ich gethan, was ich gekonnt. Im Zimmer. Um Verzeihung Herr Bruder, daß ich dem Herrn Bruder noch einen Gast mitbringe — zum Herrn v. W. Bey mir hat gebetener und ungebetener denselben Platz — (zum Litteratus) ich gratulire zum Herrmann! Herr, alter Herr! So will ich von Stund an meinen viel- benaunten oder namlosen Schwiegervater nennen. Ich danck’ unterthaͤnigst. Wie aber zum Herrmann? Wie Saul unter die Propheten? Des Zipperleins wegen — Das laß ich gelten. Der edlen Musica halber. Herr Das laͤßt sich hoͤren. Sonst war der rechte Herrmann ein frommer stiller Mann, aber der alte Herr ist ein gebohr- ner Hofschranze von Kindesbeinen an ge- wesen. Ich bitte unterthaͤnigst um Vergebung, ich habe oft zu sehr die Wahr- heit geliebt, ich habe sogar die Ehre gehabt, Maͤrtyrer der Wahrheit zu werden. Hier! Herr Herrmann, hier ist Pulver auf die Pfanne — ich weiß, Sie mußten zum Beyspiele drey Tage und drey Naͤchte wachen. Der reinen Wahrheit wegen. Ew. Hochwohlgebohrnen haben die Gnade, mich recht zu gelegener Zeit daran zu erin- nern, oder wie Sie es zu nennen geruhen, mir Pulver auf die Pfanne zu reichen. Ich setzte dem Herrn v. — eine Grabschrift: Hier schlaͤft ein Mann, der nie gewacht hat; hoͤchstens that er, als wacht er. Ge- nau genommen, sprach er im Traum. Wanderer, bete fuͤr ihn, sonst verschlaͤft er den juͤngsten Tag. Wahr, allein warum wahr? weil der Todtfeind des Herrn v. — dem Grabschriftsteller wohlthat. Wie oft, lieber alter alter Herr, haben Sie sich auf den Mund geklopft, und sich eine Palinodie ( recantation ) und Wiederruf gefallen laßen muͤßen, so was geschieht nicht falva fama. Herr! Sie wa- ren klug genug, die Lebendigen leben zu laßen, Sie trieben nur Muthwillen an den Todten; indeßen fand sich doch noch hie und da ein Grabraͤcher, und Ew. Hochedlen mußten, ihrer Grabschriften ohne Censur wegen, den seelig Verstorbenen ehrenerklaͤren — Ey dencken Sie noch an ihre selbsteigene Grab- schrift! Das nenn ich Retorsion und Belag zu der guͤldenen deutschen Regel: Auf eine Luͤge eine Maulschelle. — „Hier wacht der lebendig Todte.„ Die Zeiten sind gottlob! vorbey. Zu Grabschriften freylich, allein Sie waren, wie ich mercke, erst mehr ein Fechter, jetzt mehr ein Taͤnzer. Wenn ich wie mein Schwager v. W — waͤre, ich wuͤrd Ihnen die Buͤcklinge abgewoͤhnen — und denn wuͤrden Sie ein brauchbarer Mann seyn! allein mein Schwager liebt die Hoͤflich- keit — die Schmeicheley — wie soll es heißen? — Herr Hoͤflichkeit und Schmeicheley sind zwey unterschiedene Dinge. Herr Bruder! da kommen wir in zehn Jahren nicht von einander. Ich weiß, bey dir macht die Seele mit dem Leibe, und der Leib mit der Seele Umstaͤnde — Du sagst zu dir selbst, wenn du allein im Walde bist und niesest, Gott helf! und wenn das Echo nachsagt: Gott helf! sprichst du, ich bin ergebenst verbunden; wenn du dich am Baum stoͤßst, buͤckst du dich mit den Worten: ich bitte tausendmal um Verge- bung — Das ist einmal deine Weise, Gott helf dir mit dem Petrus an der Himmels- thuͤr auseinander! Was darf aber Herr Herr- mann accompagnieren? und sich wie eine Klinge biegen, die man probiert? Ich bitte unterthaͤnigst um Verzeihung — Ich nicht — ich fordere dich auf deine eigene Klinge heraus. Klingen, die sich biegen, springen die wohl? Herr Herrmann, richten Sie sich nach der Jahres- zeit. — Beym Herrn v. G — ist alle Muͤhe vergebens. Glaub mir, Herr Bruder, du verfehlst deinen Zweck — du willst ein Deut- scher seyn; die deutsche Sprache ist dir eine E e Fund- Fundgrube, und du erniedrigest sie. Wo ist eine, in der mehr Saamen zur Hoͤflichkeit keimt? — In meiner deutschen Sprache nicht. — So sprichst du die curlaͤndisch- deutsche, das ist, eine Sprache, die man so gut, wie die cursche, undeutsch nennen koͤnnte. Wenn du behauptest, die deut- sche Sprache sey hoͤflich; so behaupt ich, sie sey grob, wenigstens ist sie beydes in glei- chem Grad. So lang das verdammte Wort Dero drinn ist, hat das Genie einen Todt- feind in der Sprache. Entweder alles Sie, oder alles Du, sonst — daß Euch der Teufel mit Eurem Ew. Hochwohlgebohrnen — Herr Bruder, das ist noch der einzigste Beweis, daß wir der Deutschen Nachbaren sind — sonst waͤren wir Barba- ren, in diesem verfluchten Dulande. Wir sollten hier in Norden kurz seyn. Die Worte frieren sonst im Munde. Und ich denck’ in Suͤden hat man nicht Lust den Mund zu bewegen. Re- den ist eine Bewegung — Herr v. G. Es kann seyn; indeßen ist die Bewegung, die Ew. Hochwohlgebohrnen sich dabey machen, hoͤchstens stubenlang. — Du bleibst immer auf einer Stelle. Man sagt von den Seeleuten, wenn sie sich gleich Land- guͤther von vielen Meilen kaufen, daß sie nur so weit spatzieren gingen, als ihr Schiff lang war. — Du sprichst, wie die Seeleute gehen. Indeßen ist die Bewegung dieselbe. Der Mensch nimmt zwar gern einen entfern- ten Ort, wohin er gehen will; dieses Ziel leistet ihm Gesellschaft. — Er unterhaͤlt sich mit ihm, er fragt es: werd ich bald da seyn? — Geht er mit Freunden und Freun- dinnen, geht er wie der Schiffsmann; denn die Gesellschaft ist Seelenbewegung, die geht uͤber die koͤrperliche. Sonst aber glaub ich, je weiter das Ziel, je entschloßener der Kopf. Auch bey Erhohlungen will man Zweck. Da siehst du, Herr Bruder — Daß Ew. Hochwohlgebohrnen keinen entschloßenen Kopf verrathen. Einen Admiralskopf — Der sein Schnupftuch vor- haͤlt, und sich Seegel macht, wenn er zu Pferde steigt. — E e 2 Herr v. W. Das allgemeine Du in Cur- land ist und bleibt mir unertraͤglich; alles ist Bruderherz und Du. Das Menschlichste, was ich weiß. — Ich mache mir Bedencken, den Hund eines alten Edelmanns zu duzen. Und der Hund des alten Edel- manns ist erkenntlich, und duzt Sie auch nicht. — Herr! um Ihnen ganz deutsch zu sa- gen, Sie sind — Schade! — der junge Herr v. G — nahm mich und wir gingen im Garten eine gruͤne Straße auf und ab, wie ein paar Schiffsleute — Im Garten. Jagen Sie? Nein. Was werden Sie denn auf der Universitaͤt machen? Studiren. Ich, jagen und studiren. Man wird doch wohl einen academischen Jaͤger, einen Nimmrod treffen, der Jagdcollegia ließt. Fechten und Jagen ist gut; jagen ist der Mit- tel- telpunkt. Ich wuͤnscht der Vater gaͤbe mir den Satan mit. Den Satan? Den großen Jagdhund. Ich hab ihn so benahmt. Ich bin kein Jagdfreund, ich werd es nie seyn. Man lernt da auf Unschuld anlegen, und zielen, und meuchelmorden. Eßen Sie kein Wild? Gern — ich laß’ aber das Jagen, wie das Schlachten und Kochen, andern uͤber. — Mein Vater sagt, jede Koͤchin sey grausam. Das Kochhandwerck ist ein Hand- werck fuͤr Maͤnner, die sich auch, sobald es ins Große geht, nicht von ihrem angebohrnen, ihnen angestammten Recht abbegeben. Ja- gen und Kochen denck ich, sind sehr nahe ver- wandt. So weich, und haben Kriege gefuͤhrt? Um meinen Arm auszuarbeiten. Haͤtt ich einen goͤttlichen Beruf gehabt, Sol- dat zu werden; zum ersten Schlage wuͤrd ich nicht seyn; allein zum zweyten Herr v. — wie der Donner auf den Blitz. Haͤtte mein Vaterland den ersten Schlag erhalten, waͤr’ ich verbunden gewesen, es zu freyen — und E e 3 zu zu Kopf, zu Haͤnden und zu Fuͤßen, haͤtte der Muth heraus gewollt. — Im gemeinen Leben muß man oft erweichende Mittel brau- chen; im Kriege wuͤrd man uns druͤber als Narren auskrehen, wenn wir die Seegel streichen ließen. Der Feind heißt Legion; ihrer sind viele. Ich schieße nichts, was nicht vor den Schuß laͤuft. Das sind Jaͤger Grundsaͤtze; ein laufender Feind ist keinen Schuß Pulver werth. Im Kriege muß man schießen was steht. — Das ließ ich brav bleiben! ich wuͤrde das Spiel durchsehen, faͤnd ich es zweifelhaft, was ist natuͤrlicher, als die Kar- ten zusammen zu legen. Das heißt laufen. Mag es doch. Ich wuͤrde kein Menschenjaͤger, son- dern Soldat, Held wenn Sie wollen, wuͤrd ich seyn. In der Hoͤlle muß man nicht Waf- fenstillstand machen; sondern auf den letzten Mann steuren und wehren. Waͤre noch ein Mittel den Teufel zu bekehren, waͤr’ es dies; ich habe Krieg gespielt, aber nach dem Le- ben. — — Herr v. G. Und ich bin wuͤrcklich auf der Jagd gewesen, und habe manchen Wildbra- ten bereitet. — Laßt uns Bruͤderschaft machen! Wir dienen nicht einer Fahne — unsere Herzen schlagen nicht einerley Wirbel; indeß aufs naͤher kennen, Bruder! — Bruder! — Die Hand! Die Hand! — mich duͤnckt, ich werd Soldat? Ich nicht Jaͤger. Ich fuͤhl Herz! Mich sollte wer anheulen. — Du redst vom Wolf, Bruder! Beleidigen wolt’ ich sagen! ich wolt ihn! — Herr Bruder, du wirst mich nicht verlaßen. — Ich mercks, noch hab ich dir nicht Muth genug in die Hand geschlagen. Auf einmal kanns nicht kom- men. — Das Herz immer auf einmal. Das weiß ich, Bruder, — ich hab zwar nicht von unten auf gedient; allein ich hab mich von unten auf gedacht, und als Alexander oft ge- meine Dienste gethan. Wenn ein Feldherr E e 4 nicht nicht gemeiner Kerl seyn kann, ist er nicht des Ordens werth — Er wird nicht wie ein Ruderknecht schrein, nicht betaͤuben; al- lein er wird ein gemeiner Kerl zum mahlen werden. Er wird ihn allerliebst machen: Es seyn, darf er nicht. Ich hab gehoͤrt, daß ein Ge- neral, der schon im Felde gewesen, nicht mehr so viel Herz habe. — Junge sollen die besten seyn. Junge kennen vielleicht die Gefahr nicht, und da sie schon Heldenphysionomien kennen; so verzagen sie, sobald sie Zuͤge da- von entdecken. Blindhereinhauen ist ein Kunstwort, und ein wahres Wort. Eine Jagd, Herr Bruder! muͤßen wir noch zusammen machen, lieber heut wie morgen! Es wird dir gefallen. — Ich zweifle. Mir gefaͤllt zweyer- ley, Kuͤhe und Rinder auf einer Wiese. Das ist der edle Friede, und eine Wiese voll wie- hernder Pferde, das ist der edle Krieg. Zur Probe, Herr Bruder! Meinetwegen. Herr laß weg — bey Bruder schickt es sich nicht. Ich werd dich so nicht nennen, Bruder ist kein Herr, Herr Herr Bruder ist halb Bruder. Pfui! uͤber halb! — Die Gesellschaft hatte sich waͤhrend dieser Zeit in den Garten verfuͤgt, und gingen uns paar- weise vorbey. Der Herr v. W. mein Vater. Der Herr v. G. und Herrmann. Ich kann also nur wieder erzaͤhlen, was ich beyge- gehend vernommen. Mein Vater pflegte zu sa- gen: man hoͤrt im Sitzen beßer, man sieht im Stehen schaͤrfer, im Gehen ist Ohr und Auge nicht zuverlaͤßig. Wenn Bruder? Auch heute Nachmittage. — Du commandirst bey der Jagd. Du bist Gast. — Ehre dem Ehre gebuͤhrt. — Wenn man nur nicht am Ende glaubt, ein verbindliches Wort sey die That selbst. Wuͤnsche muͤßen kommen, wenn un- ser Vermoͤgen zu helfen aufhoͤret. — Todten muß man wuͤnschen. — Warum soll man aber nicht Canel auf die Gruͤtze streuen, und seine hel- fende. Hand mit einem weißen Handschuhe bekleiden, den Wein mit Zucker und Pom- E e 5 meran- meranzen veraͤdeln, und Butter aufs Brod streichen. — Wo ist denn dein Hofmeister? Unbeschwert sag ge- wesener — Vater bleibt Vater — Bruder, du wuͤr- dest doch nicht leiden, daß dein Fiebelrecktor dich bis an dein Lebensende meistern sollte? Das thut auch kein Vater einem Sohne, der in gewißen Jahren ist. — Und stelte in aller Einfalt und Kuͤrze, Gott gebe, setzt’ er hinzu, zu aller Seelen Erbauung und Beßerung vor: Die beste Cur des Podagra. Im ersten Theil. Der Patient muß, wie der Gichtbruͤchtige in unserm Evangelio, einsehen, daß er aus suͤndlichen Saa- men erzeugt sey. Er muß zweitens Vergebung suchen, und drittens auf- stehen und wandeln. Ich haͤtte nicht Kirchpatron seyn sollen. Witz ist wie ein Aal, er win- det sich heraus. Herr v. G. Ich haͤtt ihn schon gehalten. Man wird doch wohl in der Gemeine mit Ehren die Gicht haben koͤnnen? — Auf den ersten Ge- genschlag kommt viel an. Alles Bruder. Eine Hauptregel beym Kampf. Gib zuerst den guten Wein, und wenn dein Gegner truncken, den ge- ringern. Der erste Schlag ist die erste Frage beym Examen. Die erste Antwort ent- scheidet. Ich denck immer, Bruder, ein Armer ist allein hertzhaft. Hat er denn weniger zu verlieren als ein Reicher? Leben ist Leben! — Zu viel Herz macht kuͤhn, zu wenig Herz macht desperat. Der Kampf ist in beyden Faͤllen blutig. — Ein General hat das beste Theil erwaͤhlt. Er ficht nicht al- lein; er weiß, wer ihn umgiebt. Das moͤcht ich seyn! Ein Adler fliegt allein, Bruder. Kuͤh’ und Schafe gehen zusammen. Ein Ge- neral ist der Hahn, der die Veraͤnderung des Wetters zuerst merkt, der den Ton angiebt. Meine Mutter meint, der Hahn, der zuerst kreht, sey der Superintendent unter den Haͤh- Haͤhnen. Der Generalstittel steht dem Hahn besser an. Hiemit genug vom Muth. Es sieht thrasonisch aus, viel uͤber den Muth zu sprechen. Der Muth hat keine Theorie; er faͤngt mit der Praxis an, und hoͤrt mit der Theorie auf. — Bruder, du redst wie ein Buch. Was ist thrasonisch? prahlhaͤnsisch — Kein Wort vom Muth mehr. — Meinetwegen. Die Art, Geschenke zu ma- chen. — Das hab ich nie geleugnet. Es ist der Schluͤßel zum geheimsten Herzens Kaͤmmerlein, der eine druͤckt in die Hand, der andre legt es unvermerkt auf den Tisch, dieser giebt in Papier gewickelt, der in Geld, der in Geldes werth, dieser wird roth, der blas — der sieht freundlich aus, der, als ob er im Spiel verlohren, der andaͤchtig, als wenn er Etwas in den Gotteskasten legt, und vom lieben Gott einen Wechselbrief ent- gegen nimmt, oder ihn bezieht, der als wenn er die Musicanten bezahlt und von ihnen er- wartet, daß sie ihm den Danck vorgeigen moͤchten. Jeder Grif bey allen diesen Arten ist ist aus dem Herzen genommen. Wenn ich einen Menschen gesehen, ein Geschenck geben; so muͤßt’ ich mich sehr irren, wenn ich seinen Charakter nicht auf ein Haar treffen solte. — Also die Manier, der Anstand, die hoͤfliche Art — Herr v. G. — wuͤrd das Geschenck an den Kopf werfen. — Vielleicht edler, als es mit uͤber- dachten Worten geben, und den Nehmer noch in mehr Schuldigkeit setzen — die hoͤf- liche Art macht es nicht. — Ey! ey! Herr Pastor — die Hoͤflichkeit ist zu allen Dingen nuͤtze. — Die Gottseligkeit wollen Ew. Hoch- wohlgebohrnen sagen. Diese beyden Leute schieden sehr hoͤflich auseinan- der und so wie Waßer zu Waßer, so floßen Herr v. W. und Herrmann zusammen. Wirst du viel Buͤ- cher mitnehmen? Sehr wenig. Ich bin sehr fuͤr gelie- hene Buͤcher. Hat man selbst das Buch, glaubt man: ein andermal. Man sieht es im Schranke, und denckt, wenn ich gelegenere Zeit haben werde. Ein Bibliotaphus, ein Buͤchergeitziger, ist, nach meines Vaters Aus- druck, ein Teufel, ein Seelenverderber. — Der Wenn man ein Buch lehnt, sagt mein Hofmeister, ist es am sichersten, sich Auszuͤge zu machen; ich glaub es hilft dem Gedaͤchtnis. Einerley, ob das Buch oder der Auszug sanft im Schranke ruht. Ich bin fuͤr keinen Auszug — Ein Ruͤckhalt Bru- der, ist eine gute Sache. Wenn man es vergißt — So ist das Buch da. Auszug, wenn er ja den Namen verdient, ist eine Bruͤhe. Ich bin nicht fuͤr Bruͤhen, so lang ich gesund bin. Ich leid keine Uebertreibung. Einem Kinde, was todt auf die Welt kommt, den Verstand ansehen wollen, find ich zu hoch geflogen. — Wenn es indeßen die Zuͤge des Vaters hat, und der Vater — Manches Buch soll uns nur die Stirn lichten — von manchen duͤrfen wir nur die Thaler Alberts behalten. Ist es noͤthig, daß ich etwas bis auf Ort und Vierding weiß; kauf ich mir das Buch, um mir nachzuhelfen, um einen Stab zu haben, an dem ich gehe. — Herr Erst Gewehr, dann Buͤcher. — Leib und Seel, sagt alle Welt, und nicht Seel und Leib. Beym Edelmann Leib und Seel, beym Litteratus Seel und Leib, wenn es gleich wider den Redegebrauch ist. Je reiner und duͤnner die Luft, hab ich wo gelesen, je feiner die Koͤpfe. Mich duͤnckt, zu schoͤnen Kuͤn- sten; zur Philosophie ist rauhe Witterung die beste. Man ist an Schwierigkeiten und an Unerschrockenheit und Staͤrke, sie zu uͤber- winden, gewohnt, und Schoͤnheit gehoͤrt un- ter einen sich immer gleichen Himmel. Man zieht nicht das Gesicht vor Kaͤlt und Waͤrme. Man kaͤmpft nicht mit seinen Gesichtsmuskeln. Frauenzimmer, die in Einer Luft bleiben, haben eine schoͤne Haut. — Mustern Sie in Curland gemeiner Leute Koͤpfe, werden Sie wohl einen Baurenkopf finden, der in ein historisches Gemaͤhlde paße? Ich kenn ein Volck, wo ich alle Goͤtter und Goͤttinnen des Alterthums im kurzen zu finden wetten will. Haben Ew. Hochwohlgebohrnen in Curland auch nur einen Venuszug gesehen? Eben so wenig ist ein Altarstuͤck, ein Marien- zug, zu haben. Was ich in Curland vvn Schoͤn- Schoͤnheit bemerckt, schraͤnckt sich auf den Wuchs ein. Schoͤnheiten fuͤr Bildhauer; allein fuͤr Mahler nicht. — Wenn alles bey kleinen Leu- ten proportionirlich ist, kann man ihnen den Ehrennamen schoͤn nicht absprechen. Kein Zweifel, und so auch mit wohl proportionirten Erkenntniskraͤften — und die Anwendung? — — Sie bogen sich so, daß ich keine Sylbe haschen konnte. Ich will nicht vorurtheilen; aber daß die Leute im demokratischen Staate kluͤger sind, als im monarchischen, Pastor! das muͤßen Sie zugeben. Gerne — weil sie an der Re- gierung Theil nehmen, weil sie mitsprechen. In England giebt es einen sehr klugen ge- meinen Mann, und das machen die Zeitun- gen. Dies Staatsmittel koͤnnt auch im monarchischen Staate probiert werden. — Im monarchischen Staate giebts keine Zeitungen. — Wenn die Regie- rung Zeitungen schreiben laͤßt, sind es Sei- fenblasen, womit die Kinder in der Sonne stehen. Sie blieben eine Weile auf einer Stelle. Ich. Bibel und Gesangbuch nimmst du doch mit? Ja, die Bibel hab ich vom Vater, das Gesangbuch von der gnaͤdigen Mutter. Warum gnaͤdige? Es ist mir zur an- dern Natur. Meine Mutter wolt durchaus gnaͤdig heißen. An gnaͤdig erkenn ich sie. Eine gnaͤdige Mutter, Bruder, ist ein Unding. Bey Bibel und Gesangbuch seh ich dei- nen Vater. Bibel und Gesangbuch muß man sich nicht kaufen, sondern von den El- tern haben, und eben so wie du, so auch ich, Bibel vom Vater, und Gesangbuch von der Mutter. Dein Vater und der Meinige — Sind wie Herz und Seel gegen einander. Dein Vater Seel, der Meinige Herz. Nicht wahr? Beide Seel und Herz. Dieser mehr Herz, jener mehr Seele. F f Ich. Sie waren vieljaͤhrige Freunde, Sie schieden sich, wie mein Vater sagt, von Tisch und Bett, allein ihre Herzen blieben ge- bunden. Wir wollen uns nie vom Tisch und Bette scheiden. Kom- men wir von Universitaͤten, wirst du mein Pastor, und dann wollen wir leben wie auf der Universitaͤt ‒ du studieren! ich jagen ‒ Es ist ein Cavalier. Das ist die Sache. Und mein Schwager. Das ist die Hauptsache. Es scheint unhoͤflich. Doch! wie der Ast, so der Hieb. Man muß sich uͤber den Herrn v. G — wegsetzen. Kriechend zu mir? Ich haͤtte Worte mit Haͤn- ckelchen? Traget die Groben, weil ihr hoͤf- lich seid. Es sind, unter uns gesagt, man- che Ausdruͤcke in der Bibel, die nicht auf unserer Seite sind — Wenn ich das Wort Schreck hoͤre, empfind ich es. Was wollt dein Vater gestern Abend damit sagen, daß der Schreck der Anfang zu allen Leidenschaf- ten sey. Ich. Schreck, sagt er, ist die Vorbereitung. das Praͤludium zu allen heftigen Affecten, und das ist wahr. Hast du dich je recht sehr uͤber eine Sache erfreut, ohne daß du vorher erschuͤt- tert warst? Alle heftige Leidenschaften sind wie ein kaltes Fieber, Frost, Kaͤlte, dann Hitze. Du hast es beßer behalten, wie ich. Er fuͤhrte Beyspiele an, daß Leute vor Freuden gestorben waͤren, und daß kein großes Loos in der Lotterie, ohne den Ge- winner auf eine kleine Zeit zuruͤckzusetzen, von je her gewonnen sey. Der Mensch, sagt er, traut sich nicht recht die Freude in dieser Welt zu. Er besinnt sich erst, ob er ihr sein Herz oͤfnen, ob er sich freuen koͤnne. Er laͤßt sie von hinten und verstohlen ein. Seine Freude scheint eine Entfernung des Schmerzes, und wer laͤßt einen alten gu- ten Freund ohne Bewegung von sich? — Du hast ein koͤ- nigliches Gedaͤchtnis. — Ein gemeines, aber vortrefliches Beywort. — Es ist von meinem Vater — aber was dein Vater vom Ver- gnuͤgen und Schmerz anmerckte — F f 2 Ich. Weiß ich auch. Er widerlegte sich selbst. Er glaubte, Vergnuͤgen sey die Empfindung von Lebensbefoͤrderung, und Schmerz Empfindung von Lebenshinderniß, und wenn es schon so weit gekommen waͤre, daß man die Lebenshinderniße nicht uͤberwin- den und das Feld behalten koͤnnte, meint er, sey Vergnuͤgen, die Kunst, sich selbst von sich zu entfernen, die große Kunst, nicht an sich zu dencken. — Ich bin noch im Schreck, in der Vorbereitung, denn bis jetzo faß ichs noch nicht. — Was meinen Sie, lieber Pastor! wenn wir nur negative Weise und Gut sind, ist es nicht schon viel, und sollte man nicht diesen Gedancken auszuuͤben suchen? Ich weiß nicht. Wißenschaften, die blos Irrthuͤmer widerlegen, sind, we- nigstens was mich betrift, unangenehm. Der Mensch ist von Natur traͤge und nega- tiv, durch Grundsaͤtze wird er thaͤtig. Licht und Lichtknecht. Alles lagerte sich auf einen Rasen, und war so still, daß man sahe, was ich oft gese- hen. Die Natur behauptet ihre Rechte, so bald bald wir ruhig sind, so bald wir Zeit haben sie anzuhoͤren, so bald wir uns aufs Gras, ihren Lehnstuhl, setzen. Alles verstummet und empfindet. Gott! warum fallen wir der Natur so offt unzeitig ins Wort! — Fuͤr uns, den jungen Herrn v. G — und mich, war kein Raum in diesem Naturaudienzzim- mer. Herr v. G — der juͤngere gieng zur gnaͤdigen Mutter, ich einen gruͤnen finstern Gang — was ich hoͤrte (ich konnte nicht be- merkt werden) will ich aufschreiben. Und das Geld? Verschenckt, gnaͤdige Mutter. Wem? Einem boͤsen boͤsen Jungen. Damit er gut wuͤrde? Ja, gnaͤdige Mutter! damit er gut wuͤrde, er hatte dem lieben Gott einen Vogel weggestohlen, den bot er mir zum Kauf an. Der Vogel schrie zum lieben Gott (singen konnt’ er nicht mehr) sehr aͤngst- lich, und der Jung hielt ihn in der Hand, und wollt ihn nicht gen Himmel schreyen laßen. Der Jung muß sich wol gefuͤrchtet haben, daß der liebe Gott schelten wuͤrde. Es bezog sich, wo er stand, als waͤren es Gewitterwolcken. F f 3 Frau v. Und du? Ich gab dem Jungen das Geld, und den Vogel gab ich dem lieben Gott wie- der. Es wurde gleich so klar, wenigstens mir vor den Augen, ich bildete mir ein (sie sprang dabey) daß ich den lieben Gott saͤhe, wie er sich daruͤber freute. Der Jung mag es wol aus Noth gethan haben. Das denck ich auch — (zur Begleiterin) Desto beßer, daß ich dem Jungen alles gab. — Wir sind im Streit, Ew. Gnaden. Das Fraͤulein gab ungezaͤhlt, so denck ich, giebt man einem Bettler, allein kei- nem Diebe. Wer hat nun Recht? Du nicht voͤllig, meine liebe Seele! Ei, wenn gleich wieder ein so boͤser Junge mit des lieben Gottes Voͤgelchen ge- kommen waͤre, und du haͤttest kein Geld gehabt? Dann waͤr ich zu Ihnen gekom- men, gnaͤdige? Und wenn ich auch kein Geld haͤtte? Kleine. Ja, dann haͤtt der liebe Gott den Vogel strafen wollen. Setzt man doch auch Menschen ins Gefaͤngnis. — Mit Recht, aber auch mit Un- recht — Man muß nicht fuͤr sich, sondern auch fuͤr andere sparen. Um mehr Gutes zu thun, kann man dingen. Gottes Ge- schoͤpf — wer kann das bezahlen? Haͤtt der Jung den Vogel nicht minder laßen wollen, waͤrs ein anders. — Was wars fuͤr ein Vogel? Ich hab nicht gefragt, gnaͤdige! Ich weiß nur, daß es ein Vogel war, und daß er fliegen konnte. Haben Sie’s mich nicht gelehrt, man muß nicht nach dem Na- men fragen, wenn man Gutes thut. Sie haͤtten nur sehen sollen, der Vogel konnt vor Freuden nicht recht fliegen! Er war betrun- cken, aber der Jung mußt’s mir verspre- chen, ihn nicht mehr zu haschen. — Du hast gut hausgehalten. — Hier ist wieder Geld. — Danck, gnaͤdige Mama! Ich glaub es war eine Nachtigal. Ich nicht. — Sehen Sie nur, gnaͤdige Mutter! Lieschen ist dem Vogel nicht gut. — F f 4 Das Seit der letzten Nach- tigal im Garten ist ihr jeder Vogel eine Nach- tigal. Ew. Gnaden waren so gnaͤdig zu sa- gen, Mensch ist Mensch, aber Vogel ist nicht Vogel. — Wie sie den Vogel verfolgt! da hoͤren Sie selbst, gnaͤdige Mutter! Kind, du hast eine Seele — Die Ihrige, liebe Mutter! Gott segne dich. — Auch Sie! liebe Mutter, auch Sie reichlich und taͤglich! Aber, was meinst du, Kleine! Des Jungen wegen solst du Lieschen Recht geben. Sah er dir denn so boͤs aus, daß er eine Nachtigal dem lieben Gott stehlen koͤnnte? Boͤs wol, aber freylich so boͤs nicht. — Ich denck, Judas der Ver- raͤther hat in seiner Jugend die erste gefan- gen. — Lieschen hat recht — ich unrecht! es war keine Nachtigal. Also hat Lieschen recht? Recht! und ich unrecht, ein so be- truͤbtes Voͤgelchen als eine Nachtigal! o! wer wer kann das druͤcken — ich moͤcht es gern troͤsten, wenn ich koͤnnte. Es scheint zuweilen, daß es sich selbst troͤstet; als wenn es schluchzt und wieder lacht. — Ja gnaͤdige! und dann bin ich so froh! so froh! aber wie kann man im Augenblick weinen und lachen? Lachen und Weinen hat einer- ley Zuͤge, mein Kind! Sey darum auf die Nachtigal nicht boͤse. Es ist weit leichter, daß einer, der weint, lacht, als einer, der ernsthaft ist. Wenn wir einen Betruͤbten zum Weinen bringen, haben wir ihn bald zum Lachen — das trift uns Weibchen mehr, als das andere Geschlecht. — Ich konnte nicht laͤnger verborgen bleiben, und legt’ es dazu an, daß wir zusammenstießen. Der Garten ist schoͤn. Gnaͤdige Frau! ich hab ihn nir- gend schoͤner gesehen, als im ersten Buch Mose. — Da haben Sie ihn auch nicht schoͤner gesehen, sondern schoͤner gelesen. F f 5 Ich. Ich bitt um Verzeihung, gnaͤdige Frau, wenn ich die Bibel lese, seh ich alles was ich lese. — Mich duͤnckt, ich seh den Herrn vom Hause, wenn ich diesen Garten sehe. Sein Ebenbild — Jeder Garten, gnaͤdige Frau! glaub ich, ist des Eigenthuͤmers Ebenbild, oder solt es seyn. Solt! allein wer legt seinen Garten nach der Natur der Gegend und des Landes an? — Ein Garten, der die Ehre gehabt ins Geschrey zu kommen, ist die Fuͤr- schrifft zu zehn und zehn, zu funfzig und funfzig, zu hundert. Durch Gaͤrten kann man, denck ich, noch weit eher, als durch Haus und Hof Geschmack zeigen. Umstaͤnde sprechen hier mit, und die Mode hat keine Stimme. — Der beste Garten indeßen ist ein Gefaͤngniß, wenn er umzaͤunt ist. Das Paradies war die Welt, und die Welt das Paradies. — Sind wir aber bestanden in der Wahrheit? Ich. Die gnaͤdige Frau sagen da einen großen Gedanken! Der Suͤndenfall war der erste Zaun. — Jetzt koͤnnen wir schwerlich uns ohne Zaun behelfen. Er kann sich aber almaͤhlig verlieren — und dann laß ich ihn gelten. Hecken sind mir weit unaussteh- licher. Ein lebendiger Zaun! Ein schoͤnes Leben, das unter der Scheere des Gaͤrtners steht. Mir kommt jede Hecke wie ein Tanzboden vor, man lehrt die armen Baͤume die Beine gerade setzen, in die Queer treten, Brust heraus, und an- dere Poßen mehr — und wenn man noch dazu Hecken an seine Fenster anlegt, ists mir voͤllig unertraͤglich. Ich habe einen Amtmann, der sich eine Fensterhecke von ei- nem armen Feigenbaum gemacht hat. Die Kleine da sagte, der Feigenbaum sey ans Kreutz geschlagen. War ers denn nicht, gnaͤdige? Ja, mein Herz. Und ganz unschuldig. Ganz — Ich. Gnaͤdige Frau, das Sprichwort: Fische fangen und Vogelstellen verdirbet manchen Junggesellen. erklaͤrt mein Vater vom Herzen. Und sehr richtig. Wer in der Jugend Voͤgel in die Festung bringt und Fische anfuͤhrt — wird ein Betruͤger, und wenn es hoch kommt, grausam und — Ich weiß nicht, gnaͤdige Frau! ob ein Amtmann, der dem Feigenbaum Dau- men schraubt und ihn torquirt, es mit den Bau- ren nicht so zu machen Lust hat, als mit dem Feigenbaum? — Dem Baum fehlt nnr ein lebendiger Othem — Die gnaͤdige Frau ward abgerufen, und ich sah mich mit der kleinen Fraͤulein an, ohne daß wir alle beide mehr thaten, als laͤcheln. Ich weiß nicht, wie das kommt, daß junge Manns- personen gegen Kinder so bloͤde sind! Frauen- zimmer sind in diesem Stuͤck dreister. Sie koͤnnen eher an ihre Bestimmung dencken, als es uns nach der jetzigen Einrichtung erlaubt ist. Offt, wenn ich auf diese Art mein unschul- diges Minchen mit kleinen Kindern sich abge- ben und spielen sah, fielen mir die Wort’ ein: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das An- gesicht des himmlischen Vaters. Daß ich ge- gen eine große Dame nicht bloͤde gewesen, siehe oben. Das Daumenschrauben und tor- quiren quiren haͤtt ich unter Wegs laßen koͤnnen, wie es mir gleich, nachdem ichs gesagt hatte, einfiel. — Die Frau v. W — kam wieder. Was ist dir? Liebe Mutter, da flog es — das Muͤckchen hat mir viel Blut abgezogen. — Ich hoff auf eine gute Ma- nier. Nicht voͤllig, noch nie hats mich so geschmerzt. — Bist du boͤse? Nein, liebe Mutter! ich wuͤnsch ihr wohl zu bekommen. — Gut, mein liebes geduldiges Kind. Sehr gut! dein Bruder haͤtt es mor- den koͤnnen, allein wir Frauenzimmer muͤs- sen keine Muͤcke toͤdten — Wir sind zur Geduld gebohren. Verjagen hoͤchstens. — Das wolt ich schon, ich uͤber- wand mich doch. — Bist du nicht froh druͤber? Sehr froh. So ists immer, wenn man sich selbst was abgeschlagen hat. Und nun stichts auch nicht mehr. Alles Leiden ist kurz, Muͤck- kenstich — Kleine. Im Himmel werden keine Muͤk- ken seyn! Meintwegen koͤnnten sie — Ste- chen werden sie da nicht. — Gewis nicht. Und wenn auch! ich bins ge- wohnt. Der liebe Gott helfe nur dann mei- nem Bruder, der den Muͤckentodtschlag in der Hand hat. — Wir giengen, ohne zu reden, eine lange Weile. Das werden spaͤte Erbsen werden. — Die da gieng eben auf, wie ich hinsah. — Das nicht! mein Kind, man sieht nichts aufgehen. Man sagt dahero, Gras wachsen hoͤren, zum Sehen hats kei- ner gebracht. Die beiden dort, und so wie mein Bruder und ich, nach der Groͤße — Sieh nur her, wie behutsam diese Aufgehende die Erde auf ihren kleinen Ruͤcken traͤgt — Sie hebt sie, sie ehrt ihre Mutter. Das ist ihre Schuldigkeit. — Kuͤßt’ ihre Tochter herzlich. Kleine. Sehen Sie doch, gnaͤdige! wie hoch der Baum ist. Der babylonische Thurm war wol weit hoͤher? Weit — Den haͤtt ich sehn moͤgen! Ich auch! Mein Vater erklaͤrt ihn so. Gott wolte, die Leute solten nicht zusammen blei- ben, nicht in die Hoͤhe bauen, sondern in die Laͤnge und die Erde benutzen, die Gott ihnen angewiesen hatte. — Ich hab’ offt gedacht: da- durch, daß sich die Menschen vertheilten, ent- stand die Verschiedenheit der Sprachen. Wolte Gott! wir spraͤchen alle Eine. Dann wuͤrden viele nicht in den Himmel wollen, so schoͤn wuͤrd es in der Welt seyn. Des Thurms wegen muß ich auch franzoͤsisch lernen! Hast du Ursach dich zu be- klagen? Nein, gnaͤdige! ich beklage nur Sie — und doch koͤnnt ich oͤfter herumlau- fen — waͤre der babylonische Thurm und das Franzoͤsische nicht. Es Es war Mittag, und alles fand sich von selbst zu- sammen. Frau v. G — hielt bey allem Hoch- duͤnckel sich nicht zu vornehm, die Tafel zu bereiten. Die Kuͤche nicht — und das steht keiner Dame an. Hoͤchstens ein Ueberblick — Darf ich bitten — Was meinen Sie (zu meinem Vater) das sagt meine Frau gutherzig und allerliebst. Ich habe sie blos dieses darf ich bitten we- gen geheyrathet. Ich halls ihr blos nach, darf ich bitten. — Herr Bruder, Herr Pa- stor, Herr Bruder, Herr Bruder, wie ihr alle steht! — Ich bitt — Man gieng Hand in Hand, ich mit der Kleinen v. W — und (ich rede von der Tischgegend, wo ich war) Wir saßen. Der Herr von W — (er hatte sich herunter genoͤthiget) gerad’ uͤber wohlbedaͤchtig Herr Herrmann. Der Herr v. G —, die Kleine v. W —, mein Vater, der junge Herr v. G. —, noch allerley vom Unter- hause und ich. Alle Feierlichkeiten, Herr Bruder, gehen zuletzt auf Schmausereien hinaus. Beym Tisch macht alles Friede, da verliert man das Uebel, und das Gute empfindet man lebhafter. Herr Ich glaube, daß man nach Beschaffenheit des Gemuͤths, auch den Tisch einrichten muͤßte. — Und ihn mit Cypreßen, oder Myrthen bestreuen. — Ich nicht! jeder Tisch muß froͤhlich seyn, wir muͤßen mit Dancksagung empfahen, und zu uns nehmen, und uns auf Gott verlaßen lernen. — Alles, was groß ist, geschiehet bey Tische. Das Paradies gieng bey Tische verlohren. Monarchien und Regenten ent- standen und giengen unter bey Tafel. Alle Ehen werden im Himmel und bey Tische ge- schloßen. Jemanden zu Tische bitten, ist die feinste Art zu bestechen. Hat man den Revisionscommißarien nur einmahl zu Eßen gegeben, ist das Spiel gewonnen. Bey Tische kommt der Mensch seinem natuͤr- lichen Zustande naͤher. Der Vornehme sieht, daß er hier mit dem Geringern glei- chen Appetit hat. Da er mit ihm aus Einer Schuͤßel ißt, aus Einer Flasche trinckt, faͤngt er an, ihn fuͤr seines Gleichen zu halten. Alle Herzenssachen, wozu ich den groͤßten Theil der Religion zaͤhle, gehoͤren vor einen weiß- bedeckten und mit Eßen und Trincken besetz- G g ten ten Tisch. Die christliche Religion giebt uns hiezu viele Gelegenheit. — Recht, lieber Pastor! Ma- gen und Herz sind Nachbarskinder, so wie sich die Druͤsen im Munde und Magen ver- wandt sind. Was jene reitzt, bringt diese in Bewegung. Bey Tisch lernt man thun, wuͤrcken, in den Schulen lernt man reden. — Mit meinem Freunde muß ich genuͤßen. — Die herzliche Beredsamkeit, wo eine Einsilbe oft mehr gilt, als ein prahlendes: Allerseits nach Stand und Wuͤrden, ist auch bey Tisch zu Hause. Bey Tisch wird man nicht alt. Sehr richtig. Was uns hiedurch an Zeit abgeht, ersetzen Staͤrcke, Gesund- heit, und eine lachende, alles leicht findende Stirn. Hiedurch richten wir in einer Stunde mehr aus, als ein Kurzeßer in einem halben Tage. — Es lebe Luther und seine Tischreden! — Ein schoͤnes Stuͤck von ihm, eine Ehrensaͤule fuͤr die Menschheit. — Haͤtt er die nicht nachgelaßen, ich wuͤrd ihn lange nicht fuͤr das halten was er war. Die Froͤhlichkeit, die Freundschaft an einem wol- besetzten Tisch, die Gerechtigkeit, lieber Pa- stor! stor! und ihre Ausuͤbung, an einem roth- behangenen unbesetzten Tisch. — Sie muß nuͤchtern verwaltet wer- den. Wer am besetzten Tisch Recht spricht, beugt das Recht. — Viele Leute sind der Meinung, man muͤße nuͤchtern schwoͤren, und halten es fuͤr Misbrauch des Namens Gottes, wenn sie gefruͤhstuͤckt haben. Ein Richter muß aber keinen Wein trincken, wenn er Recht spricht. Er sieht gleich alles an- ders an. Mit der Gerechtigkeit ist es eine besondere Sache. Ein einzig Glaͤschen macht offt einen andern Menschen. Wer mitleidig ist, weicht vom Wege ab und — Mit ihrer guͤtigen Erlaubnis, ich glaube, daß es zu manchen Begebenhei- ten auch besondre Gerichte gaͤbe. Unsre lie- ben Alten sind uns darinn ruͤhmlichst vorge- gangen — Eben hiedurch wird das Eßen schmackhaft. Vielleicht koͤnnt man trostge- bende, gluͤckwuͤnschende Gerichte erfinden. — Ich habe noch Niemand fri- sche Milch mit saurem Gesicht eßen gesehen. — Die Natur hat zwar jedem Eßen seine Jahreszeit angewiesen; alle aber kommen am Ende darinn uͤberein, daß wir G g 2 da- dabey froͤhlich und guter Dinge seyn sollen. Nennen Sie mir eine Schuͤßel, die Thraͤnen auspreßt? — Der Grad des Vergnuͤgens indeßen koͤnnte verschieden seyn. — Hiebey kommt viel auf die Einbildung an. Nachdem eine Schuͤßel sel- ten, das ist vornehm gehalten wird. — Aber meine Herren da unten, die Suppe wird Ihnen kalt — Freylich! bey ihr solte nicht gesprochen werden. — Wer sie ißt, wird sich von selbst huͤten. — Man kann leicht dabey den Weg verfehlen. — Suppe geschickt zu eßen ist sehr schwer — ich eße keine. — keine? Alexander auch keine. keine? Suppen sind fuͤr Krancke. Es sind Fleischessenzen, und fuͤr Leute, die kein Fleisch mehr verdauen koͤnnen. — Ich bin nicht drauf gefallen. Aber der Pastor hat recht. — Braten ist das natuͤrlichste, wenn vom Fleisch die Red’ ist. Pastor. Wer Fleisch und die davon er- preßte Suppe ißt, ißt den Kern, und nach- her die Schale. Genuͤßt den Saft und hin- ter her die Huͤlse. Wenn Sie mir gleich nicht be- sondere Festtagsgerichte gestatten, National- speisen werden Sie mir wenigstens zugeben? — Gerne, und da ist beym Eng- laͤnder Braten, bey den Deutschen Mehlspeise, beym Franzosen Kraut auf dem Felde. Die Deutschen sind Maͤnner des Tisches. Sie sitzen lange dabey, ihr Tisch ist der beste. Kein Wunder, daß sie am laͤngsten dabey weilen. Sie sind die gastfreysten, die mensch- lichsten Eßer und Trincker. — Katholicken kochen vortreff- lich Fische. — Noth lehrt beten. Wenn ich zu reformiren haͤtte, muͤßte das schoͤne Geschlecht, wenn es ja kochen soll, mit strenger Aus- schließung alles was Othem gehabt, sich auf Milchspeisen und Gemuͤse einschraͤncken. Kein Fleisch und Fische muͤßten sie kochen, son- dern blos natuͤrliche Gerichte wuͤrden zu ihrem Departement gehoͤren. Obst aus Frauenzimmerhaͤnden ist beynahe wie vom Baum. G g 3 Herr Obst, Pastor, denck ich, sey die natuͤrlichste Speis’ in der Welt. Es ist ein paradisches Eßen, ein Manna, das noch vom Himmel faͤlt, wor- nach alle Kinder einen Erbgeschmack mit auf die Welt bringen. Obst ist die gesundeste Speise unter allen. Nach Obst, Milch und Honig. — Ich bin nicht von denen, die schon das liebe Brod in der Welt zu gekuͤn- stelt finden, und sich auf die allererste Natur- elementen reduciren wollen. Wer mir aber Obst verachtet — Ist ein verderbter unnatuͤr- licher Mensch. Er hat seine Unschuld ver- lohren, und traͤgt davon das Mahlzeichen an sich. — Pastor, ein Glas Wein aus den Haͤnden eines Frauenzimmers — So wie ein Glas Waßer und al- ler Tranck aus ihren Haͤnden. Der Tranck ist mehr der Kunst entgangen, als die Spei- sen, und aus Gottes Haͤnden ziemlich un- verfaͤlscht auf uns gekommen. Ein Glas Wein bey der Quelle. Wie bange mir bey dem Worte Quelle ward, koͤnnen sich meine Leser nicht vorstellen. Ich ha- be wenigstens ein Quartblat dicht geschrieben, druͤ- druͤber verhoͤrt, und doch gieng es gluͤcklich ab, obgleich eine allgemeine Stille druͤber ward — — Saͤle sind gut, nach Tische hineinzugehen. Beym Speisen ein schmales Zimmer, um nah zusammen zu seyn. Man hat sich mehr — Dahero ein runder ein Arthus Tisch und eine kleine Gesellschaft. — Wir sitzen hier an einer deutschen Tafel in allem Betracht. — Was meinen Sie, Pastor! von den vielen Schuͤßeln? Ist nicht Eine genug? — Viele Schuͤßeln verlaͤngern den Tisch, und mithin auch das Vergnuͤgen. Es ist wahr, es reizt mehr zu eßen; indeßen liegen in uns auch vielerley Appetite. So bald es wahr ist, daß wir Fische, Fleisch, Obst, Gemiese eßen koͤnnen, daß die Natur eine Schatzkammer fuͤr uns sey; so seh ich nicht ab, warum wir geizen solten. — Es ist auch schwer, ein einziges Gericht, das vor sich selbst bestehet, zu nennen? Fleisch mit Ruͤben. Das sind schon zwei mit Ew. Hochwohlgebohrnen Erlaubnis. Braten und Sallat. G g 4 Pastor. Ohne Sallat, wollen Ew. Hoch- wohlgebohrnen sagen. Ja, ohne Sallat. Ich eß auch keinen Braten mit Sallat. So eine Hauptschuͤßel, so eine na- tuͤrliche Schuͤßel, braucht keine Anreitzung. Und warum? Beym Tanz muß Spiel seyn. — Beym Tanz, allein beym Gang nicht. Ich hab es von einem Beob- achter, der im Vorzimmer eines vornehmen Mannes bemercken konnte. Ein Franzose kam, gieng an den groͤßten Spiegel im Zim- mer, und schnitt Capriolen. Ein Englaͤnder setzte sich aufs Kanapee, ein Deutscher stelte sich an den Ofen, ein Ruße ging an den klein- sten Spiegel und zog sich die Haare in Ord- nung. Waͤr ein Curlaͤnder gekommen, der haͤtt sich die Stiefel aufgebunden, und ein Pohl den Bart gestutzet. So, lieber Pastor, sind diese Leute auch am Hofe, an der Tafel, als Schriftsteller — Um Verzeihung! ich wuͤrd’ in Europa nur vier Voͤlckern Sitz, Tisch und Stimm erlauben: Englaͤndern, Franzosen, Deutschen — und Einem Volck in Norden — Vier Vier Hauptwinde, der Englaͤnder Ost, der Franzose Suͤd, der Deutsche Westwind, und das Volck in Norden der Wind seines Na- mens. — Curland wuͤrde dieses Volck wol schwerlich heißen — aber Pastor, der Tischstyl ist allgemein — leicht, nicht wahr? Man koͤnnte den franzoͤsischen zum Muster vorschlagen. Warum das? je nachdem der Mann, der spricht, je nachdem das Gastmal, je nachdem der Styl. Der hoͤrt die Austern wie einen rußischen Fuhrmann pfeifen, der laͤßt sie erst verstummen vor ihrem Scheerer, der ißt sie mit Haut und Haar, der balbirt sie erst! Fremde Gewuͤrze verderben das Eßen und das Gespraͤch; die liebe Natur muß bey Tafel praͤsidiren — Ich bete nicht eher, als bis Salz auf den Tisch ist. — Es ist ein Sinn- bild vom Verstande, und ich dencke, gewiße Art Leute muͤßen bey Tisch nie anders reden, als daß es zur Noth aufgeschrieben werden koͤnnte. Der Tischstyl und der Briefstyl solt freylich Natur aus der ersten Hand seyn; wer kann Natur genug predigen? Wir sind wie Affenleiter, wie Baͤrenleiter, die ihre G g 5 Thie- Thiere schlagen, wenn sich selbige vergeßen und zur Natur kommen. Gemeine Sprache ist Waßersuppe. Ausgesuchte Worte sind Ca- nel, Muscatennuß. Es faͤlt auf die Zunge; allein es macht Hitze. — Lieber Pastor! gie- ßen Sie Oel in meine Lampe, sonst gehr sie aus. — Sie brennt treflich! fing an mir et- was leise zu sagen. Der alte Herr v. G. verlangte, daß ers laut sagen solte, und der junge Herr v. G. ver- stummte. dem aͤltern, bey Tisch nicht leise zu reden. Es sieht, sagte der alte Herr v. G., nach Verraͤthern aus. nnd ist ein Verstoß wider die Hoͤflichkeit. — Obgleich eben diese ungebetene Anmer- kung ein dergleichen Verstoß war. Wir waren bey Fischen. Herr v. G. behauptete, es gaͤbe Gerichte, bey denen man nicht spre- chen muͤßte. Sie leiden es nicht, sagt’ er, und wol- len durchaus, daß man sich mit ih- nen allein beschaͤftiget. Sie sollen auch beßer beßer schmecken, wenn sie still gegessen werden. — Fische, fuhr er fort, sind von der Art. Es giebt Augenblicke, wo man auch beym Fleisch, beym Brodte, nicht spre- chen kann. Anakreon starb, weil ihm eine Traube in die unrechte Kehle kam — Laßen sie uns Prob eßen. — Du bist stumm, wie ein Fisch, sagt man. — Dumm, wie ein Stockfisch, sagt man auch. Man machte eine Pause, und die Sache blieb nach einem langen Stillschweigen unausgemacht, obgleich beinahe jedes Graͤten bekam, weil sich keines des Lachens enthalten konnte. Ich gewinne bey diesem Cartheuser Silentio, und meine Leser, fuͤrcht ich, auch. Am Ende blieb es unausgemacht, weil ein verabredetes Still- schweigen keine Probe seyn koͤnnte. Herr v. G. war dieser Meynung. — Wer mit mehr als zweyen bey Tische spricht, muß sehr lustig seyn; sonst verliert der vierte. Mit zweyen muß man sprechen; denn man ist freylich bey Tische nicht immer in den Umstaͤnden, sprechen zu koͤnnen. Drey wechseln sich bestaͤndig um. Unvermerckt kommts an jeden. Sind vier, spricht spricht selten mehr als einer. Zwey koͤnnen nur streiten, der dritte entscheidet; dieses aber muß nicht als grauissimus præses, son- dern als Nachbar seyn. Was meynen Sie, Pastor! wie man spricht, ißt man, wie man ißt, klei- det man sich. — Nicht immer. Ein Stolzer klei- det sich praͤchtig, ißt schlecht, und spricht schwuͤlstig; ein Wolluͤstling — Wird zugegeben, ich meyn’ es anders. Alles dreyes zeigt von Ge- schmack — Das meynt’ ich. Was ge- billiget wird, ist gut, was vergnuͤgt, ist an- genehm, was gefaͤllt, ist schoͤn. Ich glaube, wir thun dem Herrn v. W. einen Gefallen, wenn wir von Kleidern sprechen. Er wech- selt dreymal bis viermal an manchem Tage. Niemals ohne Ursache, Herr Bruder. Ich geb’ jedem Tag’, jeder Stunde, was recht ist. Das ist eine gute Uebung in der Gerechtigkeit. Herr Bruder, du hast, wie Christianus der zweyt’, in Mutterleibe geweint. Pastor. Wie Christiernus. Und was weiß ich, wie wer im Mutterleibe gelacht. — Ich schicke mich in die Zeit, und bin ein festlicher Mann, das ist: die vergnuͤgten und traurigen Vorfaͤlle meines Lebens sind mir bestaͤndig im frischen Anden- cken. Offt traur’ ich an demselben Tage, und bin froͤlich an demselben Tage. Sehr natuͤrlich! — Selten ist ein Tag, der nicht seine Plage hat. Alles dieses druͤck ich durch Kleider aus. Man hat Trauer; warum denn nicht Freudenkleider? Da hat der Herr Bruder ei- nen guten Gedancken, an Freudenkleider denckt Niemand, und doch solte man Freudenfar- ben und Freudenkleider erfinden, und sie dazu privilegiren. So was hat Einfluß auf uns. Wenn ich Plereusen, Trauer- saͤume — Pharisaͤersaͤume! Sehe, bin ich betruͤbt. — Es erinnert mich an alles Truͤbe des Lebens — ich fuͤhl die Krankheit von weiten, an der ich sterben werde. Das, glaub ich, fuͤhlt jedes, wenn es betruͤbt ist. — Herr Man theilt die Trauer in halb und ganz ein; ich theile sie in Viertheil — Das ist, nach dem Monde — ich bin, nach der Sonne, immer ganz, Herr Bruder! Nur nicht immer Mittagssonne oder Mitternacht! — Sind Morgen- und Abendroͤthen nicht die schoͤnsten Stuͤcke am Tage? Giebts nicht eine gewisse Ruhe, die beßer ist, als Tanz und Jubel? Warum immer Adagio oder Allegro? — Das maͤnnliche Alter ist die Mittagssonne. Die Jugend aber hat ihren Reiz, und das Alter hat auch sein bescheidenes Theil. Das Alter genuͤßt, es verweilt, wenn die Jugend herum wanckt, und vom Hofnungswinde hin und her getrie- ben wird. Ew. Wohlehrwuͤrden bin ich ergebenst fuͤr diese Huͤlfsvoͤlker verbunden. — Ein Viertheil oder halberge- benst — ganz ergebenst sagst du wol nur zum Praepositus. Getroffen! Alles sein Gewicht und Waage! Gott erbarm! So ein Cur- laͤnder! So lang das Land steht, hat es solch hoͤfliche Maͤnner nicht gehabt, als dich und und deinen Waffentraͤger, den Herrmann. Wir gehen in Stiefeln! und du Herr Bru- der, wie ein Pabst, in Pantoffeln. Schue sind dir schon zu schwer. — Die Frag’ ist, wie’s sich leich- ter geht? — Wir haben daruͤber schon so offt und viel gesprochen — ich behalte meine Weise, und laß jedem die werthe seinige — Eins indessen, Herr Bruder, mit deiner Erlaubniß. — Warum bleibst du im Zirckel deiner Familie? Du soltest ein Path’ und Leichenbegleiter und Hochzeitgast von der ganzen Welt seyn, und als ein Cosmopolit — Das Hemde, ob es gleich nur von Linnen ist, bleibt uns naͤher, als das Kleid. Wenn die Noth der ganzen Christenheit mit der meinigen stimmet, und wenn ich sie weiß, accompagnir’ ich gern. So auch mit der Freude. Und wenn ich sie weiß? Ge- schichte, Herr Bruder, Geschichte — Aber Zeit! Geschicht’ ist Zeit- vertreib. O! du edle Zeit! Kein Misse- thaͤter wird so behandelt, als du! — Von ungefehr hab ich man- ches erfahren, und ich leugne es nicht, es giebt giebt gewiße an sich rothe Tage, im Staats und Hof- so wie im Hauscalender, als da ist der ein und dreißigste Julius. Darf ich — Benedictus I. der LXII. roͤ- mische Pabst starb an diesem Tage, und auch Ignatus Lojola im fuͤnf und sechzigsten Jahre seines Alters. Mein Grosvater ist an dem nemlichen Tage, gleichmaͤßig im fuͤnf und sechzigsten, meine Mutter am nemlichen Ta- ge, im zwey und sechzigsten Jahre, verstor- ben. — Das ist ja ein rechter Pesttag. Nicht genug! Mein Sohn Casimir bekam an dem nemlichen Tage die ersten Zahnsproßen, und starb acht Tage nach diesen Todeskeimen. Meiner Mutter Bruder brach ein Bein, und — Spare deinen Zinnober, schon roth uͤber roth! — Zwey und sechzig und fuͤnf und sechzig! Du sprachst die Zahlen so feyerlich, so groß aus, daß ich ordentlich roͤmische Zahlen hoͤrte — ich condolire von Herzen. An dem Tage wohl ganz tiefer Trauer? Du willst spotten, allein — man lebt nur durch dergleichen Kunstgriffe, sonst sonst betriegt man sich um das Leben. Klei- der sind das, was Ceremonien in der Kirche sind. Das letzte mag seyn, das erste nicht also. Du, hochzuehrender Herr Bruder, du! du selbst bist der groͤßte Lebens- betruͤger, den ich kenne, du lebst die vorige Zeit so vielmal, du wiederholst dich selbst so offt — Ich mische Waßer und Wein, Herr Bruder, das Vergangene und das Ge- genwaͤrtige. Waßer macht weise, und froͤ- lich der Wein. Wer weise ist, Herr! ist auch froͤlich. — Weg mit diesen Zusammenfuͤgun- gen, die die Natur nicht selbst veranstaltet. Mit diesen elenden Kuplereien. Wasser al- lein, Wein allein. Aber mit Ew. Hochwohlge- bornen Erlaubnis — Hier ist wieder etwas außerhalb der Linie. Dies Etwas gehoͤrt auf die Rechnung der Frau v. G. Sie winckte mir, um mir einige Festfragen wegen meiner Predigt der Frau v. W. zur Lehre und Trost vorzulegen. Meine Leser ha- ben uͤber diese Predigt schon mehr als eine Predigt gehoͤrt. Ich antwortete der Frau v. G., H h buͤckte buͤckte mich gegen die aufs Wort merckende Frau v. W., und gern haͤtt’ ich dieses Predigt- wasser mit dem weinreichen Gespraͤch des Herrn v. G. gemischt, wer hat aber Caͤ- sars Faͤhigkeit? Der lesen, schreiben und seine sieben Sachen dietiren konnte. So viel weiß ich, daß Herr Herrmann zum foͤrmlichen Waffentraͤger des Herrn von W. installirt wurde. — Herr v. G. war Brabevta. Um in der obigen Figur zu bleiben, muß ich es eine Taufe nennen. Jetzt siz ich wieder, meinen Lesern zu dienen, an Ort und Stelle. Einen Tag, Herr Bruder, will ich dir noch aus der Geschichte zum Geschenck machen. Wenn ich nur, so wie du, roͤmische Zahlen aussprechen koͤnnte. Den achtzehnten April — Ist Alexander Magnus gestorben. Und wer mehr? Diogenes aus Sinope, der Cyniker dem Alexander, obgleich Alexander klein war, doch schon zu viel Schatten machte. Dioge- nes ist Alexander unter den Philosophen — Und auch der Tempel zu Ephe- sus wurde an diesem großen Tage einge- aͤschert. — Ey! ey! Herr Herrmann, das war ein Patenpfennig von der Goͤttin Diana, da Alexander gebohren ward. Man Man lacht’ allgemein uͤber Herrn Herrmann. Ich bitte tausendmal um Ver- zeihung. — Warum das? Sie haben das Feuer nicht angelegt. Der achtzehnte April! unsrer Kleinen Geburts- tag. — Damit aus ihr ein Alexander stamme! Es war eine Gesundheit Und sie einen Alexander hey- rathe! (ein allgemeiner Glaͤseranstoß.) Du weißt, Herr Bruder, fuͤr wen ich sie bestimmt habe. (auf den Herrn v. G. den juͤngern zeigend) zur Frau v. W. Auch ich hab es die Ehre zu wissen. zur Frau v. G. Warum die Ehre? — Dann heyrathet sie keinen Alexander, der Himmel erfuͤlle also meine Gesundheit. — Das wuͤrde mir ein Fest seyn! Das Mirthen- oder das Wie- genfest? Beyde! beyde! H h 2 Herrmann. Ew. Hochwohlgebohrnen neh- me mir die Erlaubnis, meine aufrichtigsten Gluͤckwuͤnsche — Alle gute Dinge, nur kein Gluͤckwunsch. — Eine Gesundheit , zusammen: alle gute Dinge! Diesen guten Tag muß ein Kleid bezeichnen, das gefallen soll. Du spottest uͤber meine Kleider, Herr Bruder! Alles, was Augen hat, soll diesem Ehren- kleide den gegenwaͤrtigen und den kuͤnftigen Alexander ansehen, und alles — Gefallen soll, Herr Bruder? Wird, willst du sagen. Man kann nicht sa- gen: es soll gefallen, sondern wenn es hoch kommt: es wird. — Da hast du recht. Mit dem Geschmack muß man complimentiren, ich beicht’ und wiederrufe mich. — Pastor! mit Ihrer Erlaubnis, eine kleine Wiederholung, uͤber die Farben von gestern Abend. Ein Versuch, ob ich be- halten habe. Bey den Farben giebts hei- lige Zahlen. — Es sind drey Hauptfarben. Roth, blau, gelb. Roth ist die aͤlteste Farbe in der Welt; das Chaos war ohne Zweifel roth. roth. Blau ist die Leibfarbe der Erde, gelb die Leibfarbe der Sonne. Die weiße Farbe ist die Seele, das Licht zu allem. — Was dencken sie, Pastor? — Daß wenig oder gar nichts von diesem allem auf meine Rechnung gehoͤre. — Theorie, meine Herren, ich bearbeite dieses Feld praktisch. — Mein Satz ist: folg der Natur! Sieh die Lilien auf dem Felde. Die Natur hat nichts, was sich nicht passen solte. Die Bluͤt’ ist das Kleid. Der Spiegel die Weste. — Schoͤn! wahr! viel gesagt! Wenn ich ein halb trauriges, halb lustiges Fest habe, roth und schwarz — und da kann man Feinheiten anbringen. — Ist der Uebergang von der Trauer zur Freude; so ist das Kleid licht, die Weste dunckel; ists von Freude zur Trauer umgekehrt, ists allmaͤhlig, so auch der Uebergang, so allmaͤhlig, daß man nichts merckt. — Das erste nennt man es schreit, als wenn ihm auf den Fuß getreten waͤre, das andere koͤnnte man: es spricht nennen, und so koͤnnts bis ins Ohr so leise herunter kommen. H h 3 Herr v. G. Es geht mit den Farben der Kleider vielleicht wie mit den Festen mei- nes Freundes. Es widerspricht sich oft, es paßt nicht alles. — Wenn eine Farbe der andern bey- nahe gleich ist, sieht es aus, als falle sie ihr ins Wort. Es hat das Ansehen, als wenn eins so wie das andere werden will, und nicht werden kann. Das verdrießt den Zuschauer, er sieht keinen erwuͤnschten Ausgang ab. Der Knoten bleibt geschuͤrzt. Also eine solche Farbenwahl: daß wegen ihres Unterschieds kein Zweifel bleibt. — Blau und roth! Die preußi- sche Uniform! Ganz recht; allein die Weste solte roth, das Kleid blau seyn, und das der Vermischung wegen. Diese entstehet, wo die Farben recht zusammenstoßen: denn hier wird selbst diese Vermischung eine begreifliche in rerum natura existirende Farbe. Ist das Kleid roth, die Weste blau, giebt die Ver- mischung ein schmutziges, ein ekeles roth. Es solte jedes Land seine Uniform haben, jetzt tragen sie hoͤchstens die Soldaten. — Herr. v. G. Jede Uniform kleidet. Wenn ein Officier seinen Dienstrock auszieht; ists offt so, als wenn er Anstand und Geschmack und alles mit ausgezogen haͤtte. — Uniform kleidet. — Sie haben recht, allein warum? Die meiste Zeit, weil sie Gesetz ist. Man nimmts nicht so genau. Man weiß, daß man sie tragen muß. Ist dieser Zwang vorbey, sieht man den Menschen in naturalibus. Pastor, sie hatten gestern Abend den Einfall, daß die Worte Kleider der Gedancken waͤren, und daß man sich auch hier Farben dencken koͤnnte. Wahrlich, manches Wort ist wie aͤchte, manches wie unaͤchte Farbe, manches Wort ist ein vio- lettes, gruͤnes, rothes Kleid. Ich hab indeßen Leute ge- kannt, denen vom rothen uͤbel ward. Es war ihnen ein Ach und Wehgeschrey. Es ist die haͤrteste Farbe, der Stand der Natur, der Stand der Wilden. Die Jugend scheinen helle, einfache, das Al- ter zweifelhafte, vermischte Farben zu kleiden. Jene koͤnnte man kuͤhne, diese bedaͤchtige Farben nennen. Den Blonden kleiden blaße, oder ganz schwarze Farben; jenes wegen der H h 4 Har- Harmonie, dieses wegen des Contrasts. Den Brunetten kleiden harte Farben. So giebts auch seidne, baumwollne Gesichter, und Gesichter von Garn. — Ich halte da- fuͤr, ein jeder Mensch, ich sage Mensch, muß seine koͤnigliche, priesterliche, und pro- phetische Stunden, und auch so seine dreyer- ley Kleider, haben. Meine Frau hat mich darauf gebracht. So stimme ich mit dem Kleiderschmuck Sr. Hochwohlgebohrnen des Herrn v. W., und so weich ich von ihm ab. Koͤnig geht eigentlich auf die vergangene, Priester auf die gegenwaͤrtige, Prophet auf die kuͤnftige Zeit, indeßen giebt es Zeiten, wo die Minute, wo der Augenblick den Koͤnig, den Priester, den Propheten fordert. Pastor, die Idee gefaͤlt mir, ich glaub jeder kluge Junge, das heißt doch eben so viel, als jeder Mensch, ich sage Mensch — ist Koͤnig, Priester, und Pro- phet, wenigstens weiß ich mir Zeitpunkte zu besinnen, wo ich Koͤnig, Priester und Pro- phet gewesen: und waͤre mir das Wort Koͤ- nig nicht so gehaͤßig — wuͤrd ich nicht gern mit Cromwell anstatt dein Reich, deine Re- publick komme! beten; Koͤnig waͤre meine Lieblingsuniform. Pastor. Sie koͤnnen immerhin ihre repu- blicanische Fasces beybehalten. Sie duͤrfen kein Koͤnigscher werden, um im Geiste Koͤ- nig zu seyn — ich bin fuͤr Koͤnige, das heißt was anders, als froh wie ein Koͤnig seyn — Schicket euch in die Zeit, ich schlage Herzog, Priester und Prophet vor. In dem Sinn, wie der Pa- stor es nimmt, ist Herzog von Curland viel zu wenig fuͤr mich. Hier brech ich ein politisches Gespraͤch ab, das wie ein Heckenfeu’r heraufsprang, und wobey mir viel entging. Wie sich dies Gespraͤch auf den Aufschag am Kleide reducirte, weiß ich nicht. Das Ende vom Liede war, daß Cur- land ein Aufschlag von Pohlen sey, und daß, wenn ja ein andrer Aufschlag, als von dem nehmlichen Tuche, seyn solte, er lichter seyn muͤßte. Das wahre Verhaͤltnis von Pohlen gegen Curland. Geschmack ist die Bemuͤhung, un- ser Urtheil mit andern algemein zu machen. Die Deutschen werden es nie zu viel Genies bringen, welche Fluͤgel der Morgenroͤthe ha- ben. Sie besitzen aber eine sehr große An- H h 5 lage lage zum Geschmack. Alles zu berichtigen, ist ihre Sache. Man koͤnnte den Geschmack eine Galanterie des Verstandes nennen. Er will sich bequemen. Der Mensch hat Appe- tit, heißt: der Wirth ißt an seiner Tafel gut. Der Mensch hat Geschmack, heißt: er macht, daß andere mit Appetit bey ihm eßen. Ein Genie traͤgt einen rothen Rock, oder so was; ein Geschmackvoller eine sanfte Farbe. Er will alle Leute bestechen, wenn man so sagen darf. Englaͤnder haben Genie. Franzosen Geschmack. Deutsche beides. Wem es in einem Stuͤck an Geschmack fehlt, wird schwer- lich irgendwo Geschmack zeigen. Der Ge- schmack ist aristocratischer Staat. Geschmack ist das allgemeine Gefallen. Gefuͤhl ist ein Privatgefallen. Geschmack ist das Geschick, die Faͤhigkeit zu waͤhlen, was jedem gefaͤllt. Gefuhl hat man, Geschmack lernt man. — Von wem aber? Die Pluralitaͤt entscheidet, nicht aber die Pluralitaͤt des Volcks, sondern von Leuten, die Gelegenheit gehabt haben, sich in der Welt umzusehen. Geschmackvolle Leute wißen zu treffen, was allgemein gefaͤllt. Man hat indeßen Geschmack blos anderer wegen. Alles Schoͤne sucht und liebt man fuͤr die Ge- sell- sellschaft, und man kann es sich kaum vor- stellen, was man nicht der Gesellschaft alles zu Gefallen thut. Man waͤhlet ein schoͤnes Weib nicht seinetwegen. Man nimmt sie, damit sie andern auch gefalle. Der Eifer- suͤchtige macht hier keinen Einwand, sondern auch er waͤhlt nicht anders. — Sonderbar, aber wahr — Oben: hi hi hi ha ha ha! Ein Gelaͤchter in allen ganz und halben Toͤnen. Ein Garten gefaͤllt in Gesellschaft; Wald wenn wir allein sind. Ungesellige haben keinen Geschmack. Man solte glau- ben, der Geschmack habe keine Regel, allein er hat seine Regel. Man kann indeßen nur durch Erfahrung darauf kommen. Wenn man Freunde hat, sen- det man nicht zuvor Kundschafter aus, um zu fragen, was jeder eßen will; indeßen muͤßt es doch mit dem Teufel zugehen, wenn man nicht eine Mahlzeit anrichten sollte, die jedem gefiele — Der nicht kranck ist. Fuͤr den kochen die Aerzte. Der arme Schelm! Pastor. Griechen und Roͤmer sind Mu- ster des Geschmacks, und werden es bleiben in Ewigkeit. — Da bitt ich um Vergebung — Und ich tausendmal wegen der deutschen Sprache. — Wenn Sie ihr das Leben abspre- chen, gut! so kann auch die deutsche Spra- che zu der Ehre kommen, welche der grie- chischen und lateinischen, eben weil es seelige und vollendete Sprachen sind, zustehet. So lang eine Sprache lebt, wird dies Wort adelich, dies buͤrgerlich, dies baͤurisch, nach- dem es die Mode will. Es geht mit den Worten, wie mit den Familien: dies kommt empor, jenes faͤllt. Heut ist es am koͤnig- lichen Hofe, in der Epopee, willkommen, mor- gen findet man es schon bis im Schaͤferge- dicht unausstehlich. Gedanckenwendung, Denckart, alles ist im egyptischen Dienst- hause der Mode. — Gewinnsucht, Eigen- sinn in der Nation, kann Wort’ erhoͤhn und erniedrigen. Alle Muͤnzen in einer lebendi- gen Sprache sind der Reduction unterwor- fen — und wenn dann die Tyranney trium- phiret, und Goͤtzengreul die heiligen Staͤte schaͤndet, wenn von den Tempeln des Ge- schmacks schmacks kein Stein auf dem andern ist, wenn Barbarey das Land deckt, sind Homer und Pindar, Virgil und Horaz — Wenn aber der Geist der Weltweisheit in einem Volcke wohnet, wel- cher Tyrann kann da das Land verheeren? Philosophie ist Festung, ich ge- steh es, wo ist aber eine, die unuͤberwindlich waͤre? Die Wißenschaften, sie moͤgen blos schoͤn oder zugleich gruͤndlich seyn, (Colorit, Geschmack, muß jedes Buch haben, wenn es nicht mathematisch ist) sind mit einander ver- wandt. Hatten denn die Alten kein Licht in der Weltweisheit? Wo bist du Sonne blie- ben, singt die christliche Kirche, und meine Frau mit ihr. Die schoͤnen Kuͤnste und Wissenschaften sind die Mobilien, die Praͤtio- sa. Die Haͤnde der Noth greifen sie zuerst an; allein am Ende verbreitet sich die Tyran- ney uͤber alles — duͤrr ist das Land, das Volck in Ketten, der Priester des Wuͤterichs Ge- vatter — bis ein Heerfuͤhrer in der Nation hervorragt, Feu’r sieht, und nach den Schaͤtzen der Alten graͤbt — dann kommen auch ta- bulæ naufragae der Natur zum Vorschein. — Der Himmel wende diese Ge- fangenschaft von Deutschland und seinen Graͤn- Graͤnzen ab, und wenn Deutschland ja Zie- gelstreichen muß, und ihre Knaben in der Geburt erstickt werden, schenck er ihnen Mo- sen, und fuͤhr sie zuruͤck nach Kanaan! Ohne durch eine Wuͤste zu gehen. — Noch ist Deutschland im werden. Ein schoͤnes Gewaͤchs! wird man bald sagen. Noch ist es weit vom Luxus, der wie das eigene Fleisch und Blut der aͤrgste Feind ist, ein innerlicher Freßer, ein Buͤrgerkrieger. — So lang es einfaͤltig ist, schlecht und recht wie die Natur einhergeht, wer kann es ver- wuͤsten? Deutschland fing mit Blitz, Donner und Hagel an, und das war (so finster es rings umher aussah, wie kann es anders bey Donner, Hagel und Wolcken?) ein deutscher Anfang. Die asiatische Banise, meiner Frauen Leibroman, ist — — Blitz, Donner, Hagel, reini- get die Luft, und alles gedeihet wohl. — Ich weide mich an der Vor- stellung, daß Deutschland, das so vortreflich zu bluͤhen anfaͤngt, auch Fruͤcht’ ansetzen wer- de zum ewigen Leben. — Pastor. Wir sehen den May, so man- ches erste, so manches neue vom Jahr. — Deutschland — wie ein Feuer- werck brandt es ab, Deutschland! In deutschem Wein. Wer franzoͤsischen Wein hatte, ließ sich zu Deutschlands ehre deutschen geben. Wird euch auch so deutsch ums Herz als mir? Wir trancken noch einmal: Deutschland! und zum drittenmal: Deutschland! Wir feyren, fing Herr v. W — an, als ob er den Faden gefunden haͤtte, den Herr v. G — und mein Vater verloh- ren. Wir feyren das seelige Andencken unsrer in Gott ruhenden Vorvaͤter, die, wenn gleich sie ein Glas uͤber Durst trancken, dies und noch mehr in Ehren thaten, und Wein und ein Kuß in Eh- ren, soll Niemand wehren. — Sie gaben Gott, was Got- tes, dem Kayser, was des Kaysers, dem Freunde, was des Freundes, ihren Weibern, was der Weiber war. — Sie waren tapfer, ohne durch ein Aushaͤngeschild ihren Muth zu verkuͤndi- gen. gen. Frisches, unvergiftetes Blut roͤthete ihre Wangen, sie liebten ihre Weiber wie Menschen, ihre Freunde wie Engel, wie star- cke Geister. Sie waren beglaubt ohne Schwur. Wolte Gott, daß ihre Kinder eine solche Denckungsart nie unter das alte Eisen legen moͤchten! — Wir feyren die seelige Zukunft, da sich die Wißenschaften zu diesen deutschen Eigenschaften wie Weib zum Manne gesellen, und nichts soll dieses Paar scheiden! Jeder der in Curland deutsch spricht, empfinde, daß er ein deutscher Nachbar, ein Mitdeut- scher sey! (Mein Vater schien einwenden zu wollen; allein es blieb beym Schein.) Dieser Gedancke sey der verborgene Hebel, der uns in Bewegung setze, deutsch zu seyn! — Damit wir uns dem Genie einer Sprache bequemen, die zur Bescheiden- heit und zur Hoͤflichkeit, zum Unterschiede zwischen Herr und Knecht gebohren ist. So rauh auch unsre Vorfahren waren, so rauh ihre Sprache auf uns gebracht worden, die noch bis diesen Augenblick nicht uͤber alle Bothmaͤßigkeit des Vorwurfs erhaben ist; so so sehr unterscheidet sie sich von allen Spra- chen, wegen des in ihr liegenden Original- stofs zur Hoͤflichkeit. Was schadet ein har- ter Ton, wenn die Kraft der Sprach ihn wi- derlegt? — Hier entstand Krieg und Kriegsgeschrey. Endlich hatt’ all Fehd ein End. Ein Frie- densartickel war, daß Herr v. W — die- sen Tag, als Fest der Deutschen, auf Kin- deskind bringen wuͤrde. Omne trinum perfectum perorirte Herr Herrmann, dem es mit diesem lateinschen Brocken beßer ging, als mit dem Tempel der Diana. Fest der Deutschen, fuhr Herrmann fort, muͤt- terlicher Geburtstag (die Mutter des Herrn v. W — hatt’ an diesem Tage das Licht der Welt erblickt) vorlaͤufiger Verlobungs- tag. — Man dacht auf feyerliche Einwei- hung dieses Festes, und es ward ein Schaͤuer gebracht, welchen der Herr v. G — zu leeren anfing und den er die Runde ge- hen lies. Herr v. W — war außer sich wegen dieser feyerlichen Anstalten. Ich haͤtte dieses wissen sollen, sagt’ er. An ihn kam der Schaͤuer zuletzt. Sein Danck war ruͤhrend. Der gute Mann jammerte mich, und, wie ich hoffe, wird er alle mei- J i Le- Leser jammern. Er lies eine Thraͤne in den Wein fallen, die er lange gesammlet hatte. — „Diese heilige Thraͤne„ fing er an, Aller- seits Hochwohlgebohrne, Wohl-Ehr- wuͤrdiger und Hoch-Edler, Hoch- und Werthgeschaͤtzte Herren und Freunde, diese heilige Thraͤne„ mehr erlaubt’ ihm die Wehmuth nicht. — Da man einsahe, daß Herr v. W — kein Wort mehr in sei- ner Gewalt hatte, fing mein Vater an: — Wer allein trinckt, schaͤmt sich. Wer in Gesellschaft trincket, staͤrckt sein Le- ben. — Wir bringen uns durch den Trunck in Norden in ein beßeres waͤrmeres Clima. Wir sind im Geist in dem Lande, wo der Wein gewachsen ist, den wir trincken: Brandwein macht heimlich, Bier schwer, Wein gesellig — Im Weine ist Wahrheit. Das Temperament nicht, aber die Gesinnung kann man durch den Trunck beym Menschen erkennen — allein auch das Eßen veraͤndert den Menschen, und oͤfnet verborgene Kammern. Leute, die sich im Trincken fuͤr Spionen huͤten, sind nur auf einer Seite gedeckt, Ist der Mensch truncken, so ist er schwach, und das ist Gluͤck fuͤr ihn, sonst wuͤrd er seinen Phantasien nachlaufen, und und Schaden nehmen. So wie ein Nacht- wanderer, wenn er die Augen brauchen koͤnn- te. Der Wein loͤset die Zunge; bey Leuten die in sich gekehrt sind. Schwaͤtzern, die einen witzigen Einfall zu verbeißen fuͤr Kin- dermord halten, und ihre Schwangerschaft nicht verheimlichen, sondern lachen, ehe sie noch entbunden sind; Schwaͤtzern stopft der Wein den Mund. Es ist diese Wuͤrckung eine besondre Sache; indessen bestaͤtiget sie die Erfahrung. Jeder kluge Mann spricht, wenn er ein Glas getruncken, und jeder Narr verstummt, und wenn er ja zu sprechen sich erkuͤhnet, ist es so Etwas unausstehliches, daß Niemand lacht, als er selbst. — An- derer Art Narren, die sich nur dadurch von ihm unterscheiden, daß sie nicht lustige Rol- len spielen, sondern stillnaͤrrisch sind, selbst die achten sich zu gut, Theil an ihren bered- ten Landsleuten zu nehmen. — So unter- schieden, wie Bauren und Astronomen den be- stirnten Himmel ansehen, so unterschieden ist hier die Wuͤrkung des Weins. — Pastor, fuͤr dies Wort zu sei- ner Zeit — Das Wort zu seiner Zeit! (Sie truncken alle.) J i 2 Pastor. Leute, die eine gewiße Aufmerck- samkeit auf sich ziehen, die im Staat bezeich- net sind, koͤnnen sich nicht betrincken, ohne sich veraͤchtlich zu machen — wie zum Exem- pel Pastores und Juden. Alles laͤuft ihnen nach. — Man sieht den Noa, wenn man einen trunckenen Pastor und Juden sieht. In England, wo ein Prediger kein Erzvater ist, wuͤrd es weniger anstoͤßig seyn, einen kopfhaͤngenden Pastor in betrunckenem Mu- the zu sehen. — Ein Schwaͤrmer ist ein See- lentrunckener. Wenn ich schon nuͤchtern unter Trunckenen seyn soll, will ich lieber unter Leibes als Seelentrunckenen seyn. Betrun- ckene verstehen sich untereinander; so auch Schwaͤrmer. — Durch den Koͤrper haben wir An- schauung. Wer mit der Seele sieht, ist ein Schwaͤrmer, ein Geisterseher. Ein Enthu- siast ist ein edler Phantast. Ein Phantast glaubt etwas zu empfinden, was er sich ein- bildet. In so fern sein Ideal sein maximum , das er sich ohne Sinnen aus sich selbst dencket, einen ruhmwuͤrdigen Gegenstand trift, ist’s Enthusiasmus. Ueber Schwaͤrmerey und Sehe- Seherey muß man reden, wenn man, wie wir, ein paar Gesundheiten getruncken hat. Lieber Pastor, ich habe mir unter einem Schwaͤrmer einen Menschen vor- gestelt, der tantzen will, und nicht Tackt hal- ten kann. So wie die Biene um eine Blume herumsummt, und hie und da was herauszieht; so auch ein Schwaͤrmer mit seinem Gegen- stande. Nicht jeder Schwaͤrmer kommt an einen Lindenbaum. Honig macht er gar nicht. — Ein Schwaͤrmer rechnet ohne das Einmaleins der Seele zu wissen, er bauet, ohn’ ein privilegirter Architect zu seyn. Die Philosophen bedencken sich offt zu lange, ein Schwaͤrmer offt zu kurz. Der Philosoph sieht nach der Uhr, der Schwaͤrmer nach der Sonne. Der Schwaͤrmer ist eher Feld- herr, als ein Philosoph, offt zeigt der Schwaͤr- mer dem Philosophen kuͤhne Wege. Der Phi- losoph pflastert sie, und dann geht sie jeder- mann. Der Tag gehoͤrt dem Philosophen, so wie die Nacht dem Schwaͤrmer. — Das Gallakleid der Manns- person, das Neglischee der Dame. — Hab ich recht, Pastor, ein Hypochondrist ist ein Mensch, der sich selbst, J i 3 wie wie ein Geitziger seinen Kasten, bewahrt. Der sein Leben lieb hat — und es eben darum verliert. Ich wuͤrde, wenn der Mensch an der Seele kranck ist, die Kur des Leibes, und wenn er am Leibe hinfaͤllig ist, die See- lenkur vorschlagen. Diese sympathetische Mittel sind nicht zu verachten. Wo aber die Aezte? Wollen Sie meiner Kleinen erlauben, den Sallat anzu- richten? Wenn ich meine Schwieger- tochter nicht bemuͤhe Die Kleine schritt ohne Umstaͤnde zu Wercke. Das strengste Augenmaaß und Haͤndegewicht, so ich kenne, Oel, Eßig, Salz — Jeder Blick, jeder Griff trift. Sie schnei- det alles ohne Elle. Sie mißt kein Band. — Wir wollen, um Sie auf die Probe zu stellen, alle Augen auf Sie rich- ten, ich wette Sie aͤrgert sich, und giebt zu viel Eßig. — Das Fraͤulein v. W. laͤchelte bey diesem examine rigoroso ohne aus der Faßung zu gleiten. Der Sallat erhielt allgemeinen Beifall. Der Bra- ten ward hinterher gegessen, wie erwiesen war war. Bey dieser Gelegenheit votirten wir ab, (da dieses den obigen Grundsaͤtzen nicht entgegenstand) daß alle Speisen und Getraͤncke die oͤffentlich abgebrauen und angerichtet wuͤr- den, durch Frauenzimmerhaͤnde gehen muͤß- ten. Es ist, sagte Feyerlicher. Es schmeckt besser. Die Natur ist eine Dame. — Das Fraͤulein v. W. mit dem vortreflichen Au- genmaaß und Handgewicht bat, nachdem sie ihre Sallatpflicht, die sie vielleicht noch so lange zuruͤckgehalten, mit dem Salze vollen- det, Erlaubnis von ihrer Mutter, frische Luft zu holen. Ihre Bitte that sie sehr beredt mit dem rechten Auge. Sie erhielt was sie wolte, ich drang mich auf, sie zu ihrer Aufseherin zu begleiten. Sie gieng, wie aus einer belager- ten Stadt. Der juͤngere Herr v. G. wuͤrde mir diese Ehre der Begleitung gerne ganz ab- getreten haben, wenn seine gnaͤdige Mutter ihn nicht zu seiner Braͤutigamspflicht aufge- fordert haͤtte. Wir giengen und kamen ohne eine Silbe zu sagen — Indem ich mich setzte. Schoͤn, sagte der Jude, nach- dem er das Porcellain gesehen. Ich bitte, damit sie sich nicht mehr als einmal aͤrgern, einen Tag anzusetzen, an dem alles auf einmal in Stuͤcken gebrochen werde. — J i 4 Herr Ich kann den Herrn v — s mir vorstellen. Der witzige Jude hat indes- sen unrecht. Selbst die Art, womit man der- gleichen zerbrechliche Dinge behandelt, machen sie angenehm. Man denckt mehr daran, man genießt sie also mehr. Pastor, Sie sprachen gestern wider die Gleichfoͤrmigkeit bey Trinck und Eßgeschirren? — — Jedes meiner Huͤner ist von an- derer Art. Jede Taße solte eine andere Malerey auszeichnen. So wie Tapeten zu einem Zimmer voll Schildereyen, so mein Vorschlag zu einem Service. Beym Ser- vice liegt eine gewiße Idee vom Geiz, der sich aber auch hier wie allemal im Weg’ ist, denn wenn ein Stuͤck aus dem Service zer- bricht, hat das Ganze keinen Werth mehr. — Was auf bloßen Rutzen aus- geht, muß gleichfoͤrmig seyn. Die Franzo- sen zeichnen alle nach einem Muster. Die Englaͤnder auch. Alles ist Service bey ih- nen, ihre Wercke sind Tapeten. In Deutsch- land, wie verschieden ist Clima und Regie- rungsform. Sie koͤnnen werden, Pastor, wie ihre Huͤner. Sie koͤnnen Schildereyen aufstellen. — Herr Die Gesundheit unsrer lieben Frauen — In was fuͤr Wein befehlen Sie, meine Gnaͤdigen? Ich denck im Rhein — Ich im Champagner. Die uͤbrigen Damen: in Champagner! die Frau v. W. mußte beytreten. Es ward Champagner gebracht, und ein andrer Pokal klar wie Crystall. Mein Vater hatte (ich ergaͤnze mein Protocoll) bey dem ersten Pokal die Bemerckung gemacht, daß nichts unstimmiger, unrichtiger waͤre, als geschlif- fenes Glas zum Trinckgeschirr. Der Wein sagt’ er, ist fuͤr das Aug’ eben so, wie fuͤr Nase und Mund. Man tranck das Wohl aller ehrlichen Weiber. Herr v. W. haͤtte das Wort Weiber gern zierlicher gegeben, und es in Damen verwandelt, wenn er nicht besorgt haͤtte, wegen Diebsheelerey vom Herrn v. G. in Anspruch genommen zu werden, der ihn sich wegen des Festes der Deutschen bis zur Thraͤ- ne verpflichtet hatte. Auch das Beywort ehrlich war dem Herrn v. W. anstoͤßig; indeßen ruͤgt’ er auch diesen Verstoß nicht des Festes der Deutschen wegen. J i 5 Herr Herr v. G. leerte noch einen Pokal voll Rheinwein auf die Gesundheit der Frau v. W. rein aus, und ich buͤckte mich tief, als ob ich daran Theil naͤhme. — Herr v. W. blieb diese Hoͤflichkeit nicht schuldig, sondern erwiederte sie, mit allen Zeichen der Danckbarkeit, durch ein geruͤttelt, geschuͤttelt und uͤberfluͤßig Maaß Champagner, den er nicht wie Herr v. G. eingoß, sondern einsprudelte. Warum Wind, Herr Bru- der? Herr v. W — war dieser Frage wegen in Verlegenheit, antwortete keine Sylbe, sondern bewies durch eine Nagelprobe, daß er den Pokal geitzig, bis auf den letzten Tro- pfen, geleeret haͤtte. Es kam bey dem Herrn v. X — noch ein Staatsfeuer aus, welches aber gleich- falls, durch die vortrefliche Anstalten, so gleich in der Geburth erstickt ward, und da die Herren v. X. Y. Z —, die außer cur- schen Staatsangelegenheiten nichts mehr, als hoͤchstens von Pfeifenkoͤpfen und Hun- den zu sprechen wußten, sehr viele lange Weile gehabt, so fing Herr von G —, um die Herrn von X. Y. Z — zu entschaͤdigen an an, ein Kappfenster bey der gepreßten Luft, welche diese Leute umzingelt hatte, zu oͤfnen. — Es ist wol kein Land in Eu- ropa, wo die Hunde so viel geachtet werden, als in Curland und Semgallen. — Die drey Herren fielen mit Hundeshun- ger dieser Unterredung zu. Die Transplan- tation des Gespraͤchs war, wie in der Hei- lungskunst, magnetisch, magisch — ich muͤßt indeßen eine Unwahrheit begehen, wenn ich behaupten sollte, daß ich bey dem Jagd- und Waldgeschrey der Hochwohlgebohrnen Jaͤger v. X, v. Y, v. Z, alles in Dach und Fach haͤtte bringen, und mir hinter das Ohr schreiben koͤnnen. Ihr Gespraͤch war ein Gesamtkauf, nicht eine Klapper, sondern eine Geschreyjagd. Einer schoß dem andern das Wort von dem Munde. — Mein Vater pflegte zu sagen: „Ein gewißer Stand in „Curland am Pfropfenzieher, ein gewißer „anderer, am meerschaumen Pfeifenkopf.“ Ich wuͤrde, waͤr ich so ein Antagonist wider Curland, wie er gewesen, die Hunde nicht uͤbergangen haben. Die Herren v. X. Y. Z. begnuͤgten sich nicht mit ihren sehr gesunden Jagdkehlen. Waͤhrend der Zeit, daß Herr v. G — ihnen so liebreich entgegen gekom- men, men, hatt’ einer von ihnen einen Ueberfall veranlaßet. Es ließen sich zwey Waldhor- nisten, zum hoͤchsten Verdruß des Herrn v. W —, der nur Cammermusik liebte, hoͤren. Herr Herrmann trug die Schleppe dieser Meinung nach, und ruͤmpfte, wiewohl, da er nicht einst die Hunde der Herren v. X. Y. Z. zu dutzen sich unterfangen haͤtte, wenn er mit diesen Hunden conversiren sollen — nur unter der Serviette die Nase. Mein Reisegefaͤhrte war begeistert, und konnte nicht sitzen bleiben. Die Herren von X. Y. Z — die den Hunden nach Landesmanier, gleich nach dem Litteratenstand, den Rang anwiesen, behaup- teten in corpore, daß der Hund wegen sei- ner Treue ein weltberuͤhmtes Thier sey. Auch wegen seiner Gierigkeit, seines Neides, und seiner Nicken. Vater- und Kindermoͤrdern ward er beygepackt. CAVE CAVE CANEM. Der Hund bewacht im Kasten Noa die ganze Welt. — Ey der Archenhahn und die Gans, von welcher in gerader Linie die aus dem Capitolio abstammte. — Bey Bey dem Capitolio brauchten die Her- ren v. X. Y. Z — eine Faͤhre zum Ueber- fahren — Hunde sind die Auxiliar-Trup- pen vom Menschen, durch deren Allianz er die meisten Thiere zwingt, die nach dem Fall Adams seinen Commandostab verkennen. Warum sind sie aber wider ihres Gleichen? Was ist treuer als ein Ketten- hund? Eine Treue an der Kette ist auf zweyerley Art verdaͤchtig. — Was ist fleißiger, als ein Spuͤr- hund, behender als ein Windhund? Dies ward von allen zugegeben. Der juͤn- gere Herr v. G — schlug an seine Brust und betheurete. Herr v. G — der aͤltere war selbst ein großer Freund nur kein Sclave von der Jagd, und ich merckte zum erstenmal an meinem Vater, warum er sich lieber des meerschaumen Pfeifenkopfs und des Propfen- ziehers als der Hunde bedient: um gewisse Staͤnde in Curland zu bezeichnen. Mein Vater hielt die Hunde fuͤr wohlhergebrachte adliche Thiere. Die Herren v. X. Y. Z. — waren mit den erschrieenen Tropheen befrie- digt, digt, ihre gnaͤdige Frauen aber hatten noch eine Frage: „Was ist schmeichelhafter, als „ein Schoos ein Zimmerhuͤndchen? Wer wird sich schmeicheln las- sen? Wer sich verwoͤhnen? Wir haben Engel bey uns. — Wer wird Thiere in ihre Gesel- schaft bitten — so lang’ ich noch Menschen zu Freunden haben kann, warum zu Thie- ren? Warum soll ich nicht eher des Hirts Lise, die Gottes und mein Bild an sich traͤgt, erziehen, als den Fripon? — Sie sagte dieses nicht im Lehrton, wie ichs herschreibe, sondern allerliebst! — sie trieb auch zur Freude ihres Mannes die gnaͤdigen Damen X. Y. Z — in die Enge; die Frau v. G — wollte die Frau v. W — ins weite bringen, und nahm sich ihrer verstumm- ten Geselschaft an, mit der sie in Absicht die- ses Punckts gleich dachte, uͤber die sie sonst aber (Sie hatt’ einen G — zum Gemahl) unendlich erhaben war. Wir, beschloß die grundguͤtige Frau v. W —, wir koͤnnen schon in dieser Welt Engel werden, das Thierische ganz ablegen und auferstehn. — Dieses brachte meinen Vater gerades We- ges auf die Seelen der Thiere, auf die himmlische Sternbilder dieses Namens, und und auf das Schicksal der Thiere in der andern Welt. Die Frau v. W — fand nichts dabey einzuwenden, die andern Da- men aber, so sehr sie auch ihre Jolichens liebten; desto mehr. Sie lebten mit der Idee in Todfeindschaft, daß sie dort mit Cammerzofen in Einem Paar gehen, und in Gemeinschaft der Guͤter leben solten, und dachten in ihrem Innersten: Staͤnde muͤsten seyn. — Jetzt, da sie die Pforten der andern Welt sogar den Thieren geoͤfnet sahen, die ohngefehr das dort vorstellen solten, was hier der gemeine Mann; so waren sie uͤber diese himmlische Toleranz so bitter boͤse, daß sie die andere Welt fuͤr ein Linsengericht verkauft haͤtten. — Diese Unterredung wuͤrde Schatten zu Herzens- silhouetten von diesen Damen abgeworfen haben; allein Herr v. W — hatte schon geraume Zeit drauf gedacht, einen Tag, eine Mahlzeit, die allein annum siderum platonicum verdiente, nicht so unangemes- sen zu schließen. Dieser Tag war ihm merckwuͤrdiger, als der achtzehnte April, an welchem Alexander und Diogenes ge- storben waren; die Herren von X. Y. Z — schienen ihm wieder in Schlachtordnung, und und sie waren es wuͤrcklich. Herr v. W — fing daher zur Zerstreuung von der Mu- sik an, wozu ihm die Waldhoͤrner Gele- genheit zubliesen. Herr Herrmann fand sich hiebey getroffen, und wuͤnschte nichts mehr, als ein Spinet, damit die Mey- nung des Herrn v. W — bestaͤtiget wuͤrde, die darin bestand, daß die Feld- musik blos zu Krieg und Jagd zu ver- bannen waͤre. Mein Vater ließ den Har- fenschlaͤger Arion auf einem Meerschweine vorreiten. Die Herren v. X. Y. Z — gewohnt an die Jagdfolge, oder das Recht, ein bereits angeschoßenes Thier, welches auf eines andern Grund und Bo- den entfliehet, zu verfolgen, und zu er- legen; waren eben bereit, die Waldhoͤr- ner, um sie zu vertheidigen, zu uͤber- schreyen. Von diesem Plan waͤren sie nicht abgegangen; wenn selbst das er- wuͤnschte Spinnet, wie lupus in fabula geheult haͤtte; allein das Meerschwein und Arion kamen ihnen so unerwartet, als ein Wild oder Hirschkalb. — Sie wa- ren, außerdem daß sie jagdgerechte Wei- demaͤnner waren, auch gute Stallmeister, und wunderten sich hoͤchlich uͤber diesen Ritt. Ritt. Herr v. W — machte von diesem Zeitpunckte Gebrauch, und befraget mei- nen Vater, was der uͤberhaupt von der Musik daͤchte? Ich bin fuͤr die Musik der See- len, so nenn ich die Poesie, fuͤr die Har- monie der Spaͤhren, die dem platonisch- philosophischen Ohre hoͤrbar ist. — Was die andere Musik betrift; so faͤlt mir offt dabey ein, wie Dionysius einen Musikus behan- delte. Er versprach, ihn reichlich zu beloh- nen, und da er den Lohn abforderte, ver- wies er ihn aufs Gehoͤr, um Null mit Null aufgehen zu laßen. Der Herr v. W — fand diese Antwort fuͤr einen Dionysius viel zu fein, und gewis wuͤrde er die Waldhornisten, so hoͤflich er uͤbri- gens war, anders abgefertiget haben. Aus Angst und Roth (der natuͤrliche Weg zum Wortspiel) kam Herr v. W — aufs Spiel, und freute sich herzlich, da er das Intreße be- merckte, das die Herren v. X. Y. Z — an diesem Worte nahmen. Der Herr v. G. war uͤber die Lage des Herr v. W — schalckhaft still vergnuͤgt. K k Pastor. Ein jeder Kopf lernt schwer spie- len; auch das leichteste Spiel macht ihm Muͤhe. — Woher kommt das? Es verdrießt ihn, daß er es nicht gleich mit einem Blick umzingelt, und eben dieser Verdruß zerstreut ihn. — Das Kartenspiel ist ein Krieg. Alle Leidenschaften ziehen zu Felde. Man hat uͤber die Moralitaͤt des Spiels gestrit- ten; allein offt aus sehr falschen Gesichtspunck- ten. Einem Mann, der von Zinsen lebet, ist das Spiel ein Amt, und so etwas von Amt ist noͤthig, um die noͤthige Portion Galle in den Magen zu sprengen. Herr v. W — glaubte sein Spiel hiedurch gewonnen zu haben, allein die Sache wurde den Herren von X. Y. Z — nicht nach ihrem Sinn abgehandelt, und sie fingen auf gut weydemaͤnnisch den Ha- sen zu anatomiren an. Mein Reisege- faͤhrte wußte so gut wie sie, was Balg, Loͤffel und Spruͤnge hieße, und was es sagen wolle, der Haase druͤckt sich. — Man handelte die Hohe, Mittel und Nie- derjagd ab. Ich aͤrgerte mich nicht we- nig, nig, daß Lerchen und Wachteln mit Mar- dern und Heistern, zur Niederjagd gehoͤ- ren; allein der Herr v. W. aͤrgerte sich noch weit mehr, daß er aus dem Regen unter die Traufe gekommen war. — Alles war uͤber und uͤber — Herr v. W — mußte also aus der Roth eine Tugend machen, und bracht’ eine Gesundheit auf die gluͤckliche Reise des juͤngern Herrn v. G — in Vorschlag. Ich hatte die Ehre mit eingeschloßen zu werden, so wie un- sere beyden Vaͤter. Diese Gesundheit wurd’ unter dem Vorsitz des Herrn v. W — geblasen — und zwar, nach des Herrn von W — Anordnung, auf die Art, als wenn Kanonen geloͤset wuͤrden. Es war ein jaͤmmerlicher Ton. Dem wohlmeinenden Herrn v. W — gieng er durch die Seele. Er hatte noch etwas wegen der Kuchen anzubringen. Das Resultat seiner Meinung war, daß ge- wiße Signaturen dabey angebracht, und Trauer- und Freudenfeste darauf bezeich- net werden koͤnnten. Herr v. G — wi- dersprach. Frau v. G — bracht’ das Wappen in Vorschlag, welches sie in jeder Serviette gewebt hatte. Die Waldhoͤr- K k 2 ner ner hoͤrten nicht auf, und Herr v. W — bekam Seelenkraͤmpfe, die ihm mein Va- ter, wiewohl nur auf eine kurze Zeit, durch eine freundschaftliche Theilnehmung linderte. Der Name Waldhorn deutet schon an, sagte mein Vater, daß dies Instrument im Walde zu Haus’ ist, wo Dissonanzen so nicht zu bemercken sind. Das war dem Herrn v. W — Balsam; indeßen griff der vorige Schmerz wieder um sich, und Herr von W — schien zu meinem Vater das Zutrauen zu verlieren, da mein Va- ter wider alle Tafelmusik sich erklaͤrte. Es ist ein schlechtes Compliment, das der Wirth sich selbst und seinen Gaͤsten macht, erinnerte mein Vater, wenn er das Ge- spraͤch an der Tafel durch Musik unter- bricht. Herr v. W — glaubte, die Ta- felmusik, wenn es eine Cammermusik, waͤre bey gewißen Festen noͤthig, und fand also nirgend Trost. — Das letzte Mittel war, die Tafel aufzuheben, Herr v. W — griff so schwer dazu, als man zum Trepan greift. Was war zu ma- chen? die Herren von X. Y. Z — hat- ten, ohne die oͤffentliche Gesundheiten ab- zu- zuwarten, reichlich den Werth des Weins bewiesen, und die Tafel mußte (Herr v. W — mochte wollen oder nicht) aufge- hoben werden. — Die letzte Gesundheit und Schluß der Ta- fel war Luthers Gesundheit: „Daß es uns wohlgeh’ auf unsre alte „Tage!„ Der Herr v. G — wollte noch besonders des seelgen D. Luthers Gesundheit im Rheinwein trincken, es war aber schon alles auf den Beinen. — Herr v. W —, dem Prosit die Mahlzeit viel zu unhoͤflich war, wollte ganz was beson- ders sagen; allein konnt’ er vor den Wald- hoͤrnern? Alles gieng seinen eigenen Weg. Ich, zu meinem Vortheil, quartierte mich in ein klein Zimmerchen ein, wo ich den heutigen Tag in Kuͤrz’ und Einfalt wie- derhohlen wollte. Dieser Umstand ließ mich hoͤren, was meine Leser lesen sollen. Warum laßt ihr einen so gu- ten Alten nicht gerade zu? (Bediente gehen ab.) (grif ein) Gnaͤdiger Herr! Sie wollten — ich aber wollte nicht. Und warum? K k 3 Der Ich schaͤm’ es mich zu sagen, da ich Sie sehe. Es ging mir, wie dem un- gerechten Haushalter — ich schaͤmte mich zu betteln. — Vater! — waͤret ihr mein leiblicher Vater, ich wuͤrd mich eurer nicht schaͤmen. Dies habt ihr aber freylich nicht wißen koͤnnen. Ich habe gute Freunde bey mir, seyd so gut einer davon zu seyn. Nein, Herr! wenn sie auch alle waͤren wie Sie, ich habe nicht Zeit. — Was habt ihr denn zu thun? Was wichtiges, Herr! zu ster- ben — ich will es wohl alles sagen, wenn wir allein sind — (ich hielt den Othem zuruͤck) ich habe nur hoͤchstens acht Tage zu leben. Wie wißt ihr das? Das weiß ich so! ich kann es selbst nicht sagen, weil ich es weiß, weil ich es fuͤhle, weil es gewiß ist — und nun! Meine Tochter und ihr Mann haben mich zwey Jahr ernaͤhret. — Da haben sie ihre Pflicht gethan. — Ich hatte mir so viel Geld gesammlet, um Niemanden aufs Alter be- schwer- schwerlich zu fallen. Wie gings? ich lehnte dies Geld einem Cavalier! der aß und tranck, und war froͤhlich und guter Dinge, bis er nichts wiedergeben konnte. Verzei- hen Sie, gnaͤdiger Herr! Sie sind ein Cava- lier, allein ich sage die Wahrheit. — Und ich hoͤre sie so gern, be- traͤf es mich selbst, als ihr sie nur sagen koͤnnt. — Kluͤger waͤrs gewesen, wenn ich mich zu Tod gearbeitet haͤtte. — Da fiel ich einmal blaß und bleich hin, und das hielt ich fuͤr Gottes Winck, in dieser Welt zu schließen. Gnaͤdiger Herr! ich habe nicht die Arbeit gescheut, wie ich jung war cu- rirt ich mich mit Arbeit, ich habe nie andere Medicin gebraucht. Was einen in der Ju- gen staͤrckt, schwaͤcht im Alter — ich konnte nicht, Herr, ich hatte schon ein halb Jahr blos gebetet und gesungen, da ging mein Geld verlohren! ich versuchte meinen Arm, ich fing an zu wollen, ich wollt’ im ganzen Ernst; allein ich konnt’ nicht, ich konnt’ nicht — verzeihen Sie diese Thraͤnen. Ich habe keine betruͤbtere Stunde, als eben diese Probstunde gehabt, wo ich so schlecht be- stand. — K k 4 Herr Da gingt ihr zu euren Kindern? Ja, Herr! und sie kamen mir entgegen. Ich habe nur eine Tochter, ich fand aber an ihrem Mann einen Sohn! Was sie hatten, hatt ich. Sie pflegten mich, obgleich ich ihnen keinen Dreyer nachlaßen konnte. Gott labe sie dafuͤr an seinem himmlischen Freytisch, auch aus Gnad und Barmherzigkeit, wie sie’s hier an mir gethan. — Und jetzo, Vater, sind sie ge- gen euch kaͤlter? Nein, Herr! das nicht! aber sie sind arm worden. Das Gewitter schlug ihr Haͤuschen zu Grunde. Sie hatten et- was zu meinem Begraͤbnis abgelegt — ich bin so ein alter Geck auf ein ehrliches Be- graͤbnis, und diesen Sterbpfennig, Herr! haben sie angegriffen — drum geh ich bet- teln. Wenn ich sterbe, sollen sie die un- vermuthete Freude haben, mein Begraͤbnis bestellt zu finden. Sie haͤtten geborgt, Herr! um mir nach meinem Tode zu Gefallen zu leben, das weiß ich; allein das wollt ich nicht. So bin ich, Herr! ein alter Mann, allein ein junger Bettler! Wo wohnt ihr denn? Der Herr! Verzeihung! das sag ich nicht, meinet und meiner armen Lieben wegen! — Verzeihung, Alter, daß ich es gefragt habe; Gott zuͤchtige mich, wenn ich euch nachsehe. — Das ist brav! gnaͤdiger Herr! in acht Tagen sehn Sie gen Himmel, dann (Gott sey gedanckt) dann ist meine Wohnung nicht mehr geheim. — Aber wo glauben Euch jetzo die Eurigen? — Ich sagt, ich haͤtt ein Geluͤbde auf mir, und muͤßte nach Gottes Welt sehen, sie wißen, das es mein letzter Gang ist. — Nehmet, Vater, Gott sey mit euch! — Herr, so viel! Nein, Herr! so war es nicht gemeint. Ich brauch nur noch zwey Orte, das uͤbrige hab ich nicht noͤthig. — Im Himmel brauch ich nichts. — Gebts euren Kindern. Behuͤte Gott, Herr! Meine Kinder koͤnnen noch arbeiten — sie selbst brauchen nichts. — Zum Hauß, Alter! Es steht schon! K k 5 Herr Ihr macht mich roth, Vater! Nun dann, sind wir’s beide. Ich bin es auch uͤber und uͤber, weil ich zwey Ort angenommen. Sparen Sie, gnaͤdiger Herr! das uͤbrige fuͤr Leute, die laͤnger fuͤr Sie beten koͤnnen, als ich. — Ihr bewegt mich, Vater! Ich hoff, ich hab auch Gott bewegt, der laß es Ihnen nicht mißen! — Wollt ihr was eßen? Ich habe schon gegeßen, Milch und Brodt. — Aber mitnehmen? — Nein, Herr! ich will dem lie- ben Gott nicht ins Amt fallen. Alle Leute, die mich sahen, boten mir Eßen an. Ich hab’ mir aber den Magen nicht verdorben. Es waͤr ein schlechter Danck beym lieben Gott, wenn ich jetzo mitnehmen sollte. Doch! — Ein Glas Wein, ein einziges! Mehr, Vater! — Nein, Herr! nur eins. Mehr trag ich nicht. — Sie sind es werth, daß ich zum letztenmal vom Gewaͤchs des Wein- stocks bey Ihnen trincke. Es soll der letzte Weintropfen seyn, den ich in der Welt nehme, sonst wuͤrd ich nicht gefordert haben. Nun Nun kann ich im Himmel erzaͤhlen, wo ich den letzten Labetrunck genoßen. — Lieber Gott! ein Glas kalt Waßer bleibt schon nicht unvergolten. — Der Herr v. G — holte den Wein selbst, der alte Mann hob seine Haͤnde gen Himmel, da er allein war, und sprach: den letzten Wein! das Nachtmahl hab ich schon vor acht Tage genommen, lieber Gott, erquicke den Geber! wenn ihn kein Trunck mehr erquickt! — Der Herr v. G — brachte Wein, hier, Vater. Ich hab mir auch ein Glas mitgebracht, wir muͤßen zusammen trincken! (gen Himmel) Habe Danck, lieber Gott, fuͤr alles Gute, fuͤr diese Welt, hab Danck! (Er tranck etwas) jetzt (zum Herrn von G — sie stießen zusammen.) Gott schencke Ihnen ein sanftes Ende, wie ichs gewis haben werde! — Vater! bleibt diese Nacht hier, ich bitt’ euch! Kein Mensch soll euch sehen, wenn ihr es so wollt. — Nein, Herr! ich kann nicht. Meine Zeit, Sie wißen, ist edel. — Gott! großer Gott! womit kann ich euch noch dienen? — Der Herr! ich wuͤnscht Ihretwe- gen, daß ich noch mehr brauchte. Sie sind ein guter Herr; allein ich hab auf der Welt nichts mehr, als — noch einen Handschu noͤthig. Ich hab ihn verlohren. — Gleich. (allein) Zum letztenmal gelabt! dort wird es beßer seyn! (bracht ihm ein Paar Handschue) Hier, Alter! — Den einen brauch ich nicht, nur einen hab ich gefordert. — Warum den andern nicht auch? Dieser Hand fehlt nichts. Es ist blos die Lincke, so die Luft nicht ver- tragen kann. — Ich werd an Sie dencken! (Er gab dem Herrn v. G. die rechte bloße Hand.) Und ich auch an euch! — O Alter! mir ist es schwer, mein Wort zu halten. — Desto beßer, Herr! fuͤr Sie, wenn Sie’s halten. Noch einmal Eure Hand, Alter! Es ist Angriff, es ist Seegen Got- tes drinn. — Gott seegne Sie! — Und helf euch! — Noch Noch wer ich dieses Gespraͤchs wegen in einer unaussprechlichen Bewegung, in ei- ner schwermuͤthigen Wonne — auf einem schoͤnen baumreichen Kirchhofe; als Herr v. G — der juͤngere mich im Namen mei- nes Vaters aufsuchte. Ich flog, mein Va- ter reichte mir die Hand entgegen, und ging mit mir auf unser Zimmer, stieß ein Fenster auf, und fing an: „Ich dachte, Alexander, „noch vier und zwanzig Stunden um Dich „zu seyn; mein Amt will mich. Der — „ist im Letzten.“ Dieser arme Mann war ein Bekannter von uns. Das erst’ und letztemal, da er eine Flinte losdruͤckte, oder vielmehr, da sie, ohne sein Vorwißen und Mitwuͤrckung, in sei- ner unerfahrnen Hand losging, erschoß er seinen Sohn. Er wollte seiner Frauenbru- der, der auf Vogelwild ausgegangen war, eine unerwartete Freude machen, und ihm in Jaͤgeruniform entgegen kommen. — Das Trauerspiel geschahe in dieses Jagdverstaͤndi- gen Hause, und also nicht in unserm Kirch- spiel, wo, wie meine Mutter zu sagen pfleg- te, die Erde keinen Tropfen unschuldig Blut (er waͤre denn von meinem Balbier verspruͤtzt) getruncken haͤtte. — Knall und Fall! Die Ge- Gericht sprachen ihn frey; allein er sich selbst nicht. Er hat sich nie in der Welt ein La- chen bereitet. Sein Weib starb aus Gram, mehr uͤber den Gram ihres Mannes, als uͤber den Verlust ihres einzigen Sohn’s. Die- ser Ungluͤckliche war jetzt in Seelenangst. Ich soll meinen Gerg sehen, rief er mal uͤber mal. Er wolte, mein Vater solt’ ihm an die Hand geben, wie er sich gegen seinen Sohn in der andern Welt fuͤhren solte? Gott helf ihm uͤber, sagte mein Vater. Es ist schwer, wenn ein Vater seinem Sohn im Himmel abzubitten hat. — — Ich erzaͤhlte meinem Vater den Vorgang zwischen dem Herrn v. G — und dem Al- ten. Diese Vorfaͤlle (ich will mir die Ehr’ erweisen, und unsere Trennung mit in diese Summe bringen) brachten meinen Vater, der sonst, wie meine Leser wißen, sehr beredt war, zu einer ruͤhrenden Kuͤrze. Ich lag an seiner Brust. Ob es hier am rechten Ort steht, kuͤmmert mich nicht; allein ich habe nie meinem Vater die Hand gekuͤßt. Kuͤße fuͤr Weiber pflegt’ er zu sagen. — — — Hier, fing er an, eine versiegelte Schrift! Oeffne sie nicht eher, als wenn du in der groͤßten Noth bist. Ich wolt’ ihn dieser ver- siegel- siegelten Schrift wegen, die zur Aufschrift ανέχου και απέχου hatte befragen; allein er fuhr fort: Unser Herr und Meister sagte zu sei- nen Juͤngern: ich hab euch noch viel zu sa- gen, aber ihr koͤnnet es jetzt nicht tragen. Uns sind allen beyden die Thraͤnen nahe. Der alte Mann mit dem einen Handschu, der in acht Tagen sterben wird, und der Creutztraͤger — der wegen des Grußes, wo- mit er seinen Sohn im Himmel begegnen soll, verlegen ist, (ich glaube der Herr v. W — wuͤrd es selbst seyn, wenn er in der Stelle dieses Armen waͤre) haben uns aͤußerst bewegt. Ein Abschied, der auf einen naßen Boden faͤllt, bringt keine Fruͤchte. Es ist aͤrger, als der steinigte Acker, den der alte Herr in Musik gesetzt hat. Ueberhaupt redet kein Mensch ein kluges Wort, wenn er Thraͤnen in den Augen hat. Sey ein guter Streiter, ein Alexander, kaͤmpfe recht, so wirst du die Lebenseßenz, das ist die Krone des Le- bens, hier und dort empfahen! Amen! Amen! auch in Absicht des ersten Bandes. Ich hoffe die folgende zwey, die Ich noch zu laufen hab, im kurzen zu vollenden. Ueber diesen ontologischen Theil Theil haͤtt ich noch viel zu sagen: vielleicht aber heißt es auch von vielen meiner kritischen Leser, wie von meinem Vater und mir: ihr koͤnnet es nicht tragen! Da jede Stadt, jeder Flecken zwey Thore hat, ei- nes beym Eingang’, und eines beym Ausgange; so sey es mir erlaubt, denen, die in diesem Theile zu we- nig Geschichte gehabt, schluͤßlich den Trost zu laßen, daß die folgenden Baͤnde sie entschaͤdigen werden. Wer Romane ließt, sieht die Welt im optischen Ka- sten, ist in Venedig, Paris und Londen, je nach- dem die Bilder vorgeschoben werden. Dieses sey ein Wort ans Herz fuͤr die, welche meinen Le- benslauf zu sehr als Lebenslauf finden: wo die Einheit der Zeit und des Ortes zu enge das Ver- gnuͤgen verschraͤnckt, denn wenn gleich meine Leser offt nur Thal, Berg und Gestraͤuch gesehen haben; so war es doch wenigstens nicht durchs Glas. Ein an- dermal von der gerechten Klage uͤber die verkehrte Welt, daß Geschicht in vielen Faͤllen Roman, und Roman Geschichte geworden! — — — Ich wiederhohle, daß ich mich befugt glaube, auf ein forum privilegiatum Anspruch machen zu koͤnnen, und nicht verbunden zu seyn, uͤberall Recht oder Un- recht nehmen zu muͤßen. Druckfehler wolle der ge- rechte Richter (ich habe schon anders wo, eben da mir eine Lese und Buch stabierrecension uͤber ein gewißes Buch zu Gesichte kam, gesagt, wie weit ich vom Druckorte bin, und fuͤge diesem Umstande noch hinzu, daß ich sehr unleserlich schreibe) nicht ruͤgen, und der geneigte Leser selbst verbeßern. — Mein Weib und Kind bitten zu gruͤßen. — Es mag uͤbrigens dieser Nachtrag, wenn er nicht als ein zierlicher Nachbericht gelten kann, als ein Co- dicill, als eine donatio mortis caussa, als ein Aver- tißement auf Blaupapier, oder eine Nachricht fuͤr den Buchbinder angesehen werden.